Öffentlicher Personennahverkehr
Grundlagen und 25 Fallstudien mit Lösungen
0611
2019
978-3-8385-5236-1
978-3-8252-5236-6
UTB
Monique Dorsch
Dieses Lehr- und Fallstudienbuch bietet sowohl eine theoretische Einführung in die Thematik "Öffentlicher Personennahverkehr" als auch 25 Fallstudien mit Lösungen. Im Zentrum der Theorie stehen die strategischen Aktionsfelder der Verkehrsunternehmen und -verbünde sowie die jeweiligen Rahmenbedingungen. Die gewählten Beispiele - überwiegend aus Deutschland und Österreich - weisen durchwegs eine hohe Komplexität auf. Geeignete Instrumente zur Analyse und Lösung solcher Problemstellungen bietet die Methodik des vernetzten Denkens. Daher erläutert die Autorin zudem die Anwendung der diesbezüglichen Instrumente. Zu jeder Fallstudie wird ein Lösungsvorschlag angeboten. Ein Vorteil dieses Buches ist, dass die Fragestellungen zu den einzelnen Fällen je nach Interesse und Schwerpunktsetzung auch variiert werden können, was die Fälle universeller einsetzbar bzw. anwendbar macht.
Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5236 UTB (XL) Impressum_19.indd 1 20.02.19 12: 37 Monique Dorsch Öffentlicher Personennahverkehr Grundlagen und 25 Fallstudien mit Lösungen UVK Verlag · München Sämtliche Fotos im Buch sowie das Einbandmotiv wurden von der Autorin aufgenommen. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag München 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. K G Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck und Bindung: Pustet, Regensburg UVK Verlag Nymphenburger Straße 48 · 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 5236 ISBN 978-3-8252-5236-6 Vorwort Tagtäglich befördern öffentliche Verkehrsmittel Millionen von Menschen und bringen diese zur Schule, zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen, zu Freizeiteinrichtungen oder zu Freunden und Verwandten. Für regelmäßige Verkehrsmittelnutzer bedeutet dies ein Leben mit dem Fahrplan - in Ballungsgebieten i.d.R. dicht getaktet, im ländlichen Raum mitunter sehr stark ausgedünnt. Problembereiche gibt es überall, seien es Verspätungen, Überlastungserscheinungen oder eine schlechte Anbindung. Gleichzeitig wurden und werden innovative und wegweisende Konzepte realisiert, teilweise unter schwierigen Voraussetzungen. Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich dabei allemal, müssen doch auch Regionen, Städte und Gemeinden in unseren Nachbarländern Lösungen zur Bereitstellung angemessener Mobilitätsalternativen finden. Das vorliegende Buch versteht sich als Kombination von Lehr- und Fallstudienbuch. Es bietet zunächst eine theoretische Einführung in die Thematik „Öffentlicher Personennahverkehr“, wobei auf die strategischen Aktionsfelder der Verkehrsunternehmen und -verbünde sowie auf die Rahmenbedingungen eingegangen wird. Daran schließt sich ein Fallstudienteil mit 25 Fallstudien samt Lösungen an. Die gewählten Beispiele weisen durchwegs eine hohe Komplexität auf. Geeignete Instrumente zur Analyse und Lösung solcher Problemstellungen bietet die Methodik des vernetzten Denkens. Daher wird einführend die Anwendung der diesbezüglichen Instrumente anhand eines Beispiels erläutert. Übersichten am Beginn des Buches zeigen, wo die jeweiligen Schwerpunkte der Fallstudien liegen. Zu jeder Fallstudie wird ein Lösungsvorschlag angeboten, der allerdings - wie bei Fallstudien üblich - natürlich nicht die einzige mögliche Lösung ist. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Fragestellungen zu den einzelnen Fällen je nach Interesse und Schwerpunktsetzung durchaus auch variiert werden können, was die Fälle universeller einsetzbar bzw. anwendbar macht. Als leidenschaftliche Nutzerin öffentlicher Verkehrsmittel ist es für mich immer wieder spannend, neue Konzepte auch aus Kundenperspektive zu testen und damit deren Praxistauglichkeit zu untersuchen. Vielleicht wecken die vorgestellten Beispiele bei den Lesern ebenfalls die Lust, das eine oder andere Angebot einmal auszuprobieren. Viel Vergnügen bei der gedanklichen oder auch tatsächlichen Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln wünscht Ihnen Monique Dorsch Inhalt Vorwort .....................................................................................................................................................................................5 Fallstudien ................................................................................................................................................9 Teil A - Öffentlicher Personennahverkehr im Überblick....................... 13 1 Zum Stellenwert des ÖPNV ........................................................................................................................ 15 2 Rechtliche Rahmenbedingungen............................................................................................................. 17 3 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung.................................................... 21 3.1 Strategische Entscheidungen ................................................................................................. 21 3.2 Marketing und Zielgruppenbestimmung .......................................................................... 22 3.3 Ermittlung der Nachfrage ........................................................................................................ 26 3.4 Qualität des ÖPNV ....................................................................................................................... 27 3.5 Bedienformen................................................................................................................................ 29 3.6 Netz und räumliche Erschließungsqualität ..................................................................... 33 3.7 Fahrplan und Angebotsqualität ............................................................................................ 36 3.8 Tarife ................................................................................................................................................. 39 3.9 Vertrieb und Information ........................................................................................................ 42 3.10 Anlagen des ÖPNV....................................................................................................................... 51 3.11 Verkehrssysteme und Fahrzeuge ......................................................................................... 55 3.12 Barrierefreie Mobilität .............................................................................................................. 67 4 Organisation und Finanzierung ............................................................................................................... 72 4.1 Organisation des ÖPNV ............................................................................................................. 72 4.2 Finanzierung des ÖPNV ............................................................................................................ 76 5 ÖPNV der Zukunft .......................................................................................................................................... 82 5.1 ÖPNV und demographische Entwicklung......................................................................... 82 5.2 Herausforderung Personalbedarf ........................................................................................ 83 5.3 Anforderungen an einen modernen ÖPNV....................................................................... 84 6 Literaturempfehlung .................................................................................................................................... 89 8 Teil B - Arbeit mit Fallstudien.................................................................................91 1 Zur Bearbeitung von Fallstudien .............................................................................................................93 2 Instrumente des vernetzten Denkens am Beispiel der Fallstudie „Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark“ .............. .......................... 95 Teil C - Öffentlicher Personennahverkehr in Fallstudien ...................117 1 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien................................................................................................. 119 2 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie.................................................................................... 130 3 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? .......................... 138 4 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? ................................................................ 145 5 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland ........................................................................... 154 6 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen ....................................... 161 7 Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden .............................................. 168 8 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark ................................... 176 9 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne ......................................................................... 187 10 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro ............................................................. 193 11 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol ................................................................................. 200 12 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet.................................................................. 212 13 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn ..................................................... 221 14 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn ........................................................... 230 15 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell............................................ 243 16 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram ....................................................................................................... 254 17 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen .............................................................. 265 18 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus ........................................................................................ 274 19 Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland......................................................... 286 20 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet............................................ 292 21 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland ............................................... 299 22 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ ...................................................................... 310 23 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz ................................................................... 317 24 Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“...................... 327 25 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets.............................. 333 Fallstudien (1/ 3) Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri- Linie Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne Schwierigkeitsgrad Umfang der Lösung Vernetztes Denken Themenschwerpunkte Erschließungsqualität x x x x x Angebotsqualität x x x Bedienformen x x Tarife x Vertrieb Anlagen des ÖPNV x x x x Verkehrssysteme, Fahrzeuge x x x x x Barrierefreiheit x Organisation Finanzierung x x Digitalisierung Innovation x Tourismus Land A CH viele CH u.a. D D D S, DK CH Legende leichte Fallstudie schwierige Fallstudie Nutzung des Instrumentariums zum vernetzten Denken umfangreiche Lösung Lösungshinweise 10 (2/ 3) Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen Schwierigkeitsgrad Umfang der Lösung Vernetztes Denken Themenschwerpunkte Erschließungsqualität x x x x x Angebotsqualität x x x Bedienformen Tarife x x Vertrieb Anlagen des ÖPNV x x x x x Verkehrssysteme, Fahrzeuge x x x Barrierefreiheit x Organisation Finanzierung Digitalisierung Innovation x Tourismus Land S, DK A A I A D A viele 11 (3/ 3) Vertaktet durchs Vogtland - Der Plus- Bus Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt- Bim in Graz Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulstandorten - Semestertickets Schwierigkeitsgrad Umfang der Lösung Vernetztes Denken Themenschwerpunkte Erschließungsqualität x x x Angebotsqualität x Bedienformen Tarife x x x x x x Vertrieb x Anlagen des ÖPNV Verkehrssysteme, Fahrzeuge x Barrierefreiheit Organisation x x Finanzierung Digitalisierung x x Innovation Tourismus x x x Land D D D, CZ D I A I D, A Teil A Öffentlicher Personennahverkehr im Überblick 1 Zum Stellenwert des ÖPNV „Was ist öffentlicher Verkehr? Mit Bussen und Bahnen des öffentlichen Verkehrs zu fahren heißt, zu Zeiten, die einem nicht richtig passen, mit Menschen, die man sich nicht ausgesucht hat, zu einer Haltestelle zu fahren, die eigentlich nicht das Ziel der Reise ist.“ 1 Etwa 31 Mio. Fahrgäste nutzen täglich den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). 2 Ihnen stehen direkt sowie indirekt knapp 400.000 Mitarbeiter in öffentlichen und privaten Unternehmen zur Erfüllung dieser Aufgabe der Daseinsvorsorge gegenüber. 3 Insbesondere in Ballungsräumen ist zu ihrer verkehrsbezogenen Entlastung die Sicherung der Mobilität von Relevanz. In den Regionen soll der ÖPNV zur Schaffung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse beitragen. Täglich sind dafür rund 60.000 Busse und Bahnen in Deutschland im Einsatz, wobei die Linienbusse mehr als die Hälfte davon ausmachen. Durch Fahrten mit diesen Verkehrsmitteln können täglich etwa 20 Mio. Autofahrten ersetzt werden. 4 ÖPNV in Ballungsgebieten ... ... und im ländlichen Raum Die Systemvorteile von Bus und Bahn ermöglichen eine Entlastung der Umwelt und eine Reduzierung klimarelevanter Emissionen. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere der Schienenpersonennahverkehr, der - durch Fahrzeuggröße und entsprechende Vertaktung - eine effiziente Abwicklung großer Pendlerströme ermöglichen kann. 5 1 Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 317 2 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 24 3 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Gut angebunden mit Bus und Bahn, http: / / www.bmwi.de, 29.01.2019 4 vgl. o.V.: Daten & Fakten Personenverkehr, http: / / www.vdv.de, 29.01.2019 5 vgl. Dorsch, Monique: Verkehrswirtschaft, Plauen 2005, 102ff; Daduna, Joachim; Bornkessel, Steffen: Pendlerverkehre als Herausforderung an den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr, in: Lasch, Rainer; Lemke, Arne (Hrsg.): Wege zu einem zukunftsfähigen ÖPNV, Berlin 2006, 185ff 16 Zum Stellenwert des ÖPNV Im Rahmen der Erhebung „Mobilität in Deutschland“ wurde folgender Modal Split, gegliedert nach Raumtypen, ermittelt: Raumtyp Zu Fuß Fahrrad MIV*- Fahrer MIV- Mitfahrer ÖPNV Stadtregion Metropole 27 % 15 % 28 % 10 % 20 % Regiopole oder Großstadt 24 % 14 % 37 % 13 % 12 % Mittelstadt, städtischer Raum 21 % 10 % 46 % 15 % 8 % Kleinstädtischer, dörflicher Raum 18 % 8 % 51 % 15 % 7 % Ländliche Region Zentrale Stadt 24 % 13 % 41 % 15 % 7 % Mittelstadt, städtischer Raum 20 % 9 % 49 % 16 % 6 % Kleinstädtischer, dörflicher Raum 17 % 7 % 55 % 15 % 5 % * MIV = motorisierter Individualverkehr Tabelle 1-1 Modal Split nach Raumtyp 6 Nicht zu vernachlässigen ist die Bedeutung des ÖPNV als Wirtschafts- und Standortfaktor. Viele der direkt bzw. indirekt aus dem ÖPNV resultierenden Arbeitsplätze weisen eine regionale Bindung auf und können somit nicht ins Ausland verlagert werden. 7 Auch die Produktion von Fahrzeugen für den ÖPNV hat Auswirkungen auf die Beschäftigung. Durch die Herstellung von Kleinserien, die auf spezielle Anforderungen von Betreibern und genehmigenden Behörden angepasst werden müssen, ist ein Automatisierungsbzw. Standardisierungsgrad wie in der Automobilindustrie nicht möglich. Zudem ist die Instandhaltung der Fahrzeuge sowie auch der Infrastruktur beschäftigungsintensiv. 8 6 erstellt nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilität in Deutschland, Berlin 2018, 17 7 vgl. o.V.: Daten & Fakten Personenverkehr, http: / / www.vdv.de, 29.01.2019 8 vgl. Union Internationale des Transports Publics: Der ÖPNV schafft grüne Arbeitsplätze und fördert ein integratives Wachstum, Brüssel 2013, 4 2 Rechtliche Rahmenbedingungen Der öffentliche Verkehr lässt sich gliedern in den öffentlichen Personenfernverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr. Bei letzterem kann weiter differenziert werden in Regional- und Stadtverkehr, die wiederum als öffentlicher Straßenpersonennahverkehr oder Schienenpersonennahverkehr auftreten können. Öffentlicher Verkehr (ÖV) Öffentlicher Personenfernverkehr (ÖPFV) Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) Regionalverkehr Stadtverkehr Öffentlicher Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) Schienenpersonennahverkehr (SPNV) realisierte Ortsveränderung über eine weite Entfernung Fernzugreiseverkehr, Linienluftverkehr, Fernbusverkehr, Fährfernverkehr Regionalbusse, Stadtbusse, O-Busse, konzessionierte Taxiverkehre Regionalbahnen, Stadtbahnen/ Metros, S-Bahnen, Straßenbahnen realisierte Ortsveränderung innerhalb einer Region (Reiseweite unter 50 km oder Fahrzeit unter 1 h) Abbildung 2-1 Systematisierung des öffentlichen Personenverkehrs 9 Während im Fernverkehr rund ein Drittel der Verkehrsleistungen im öffentlichen Personenverkehr erbracht wird, sind die anderen beiden Drittel dem Nahverkehr zuzurechnen. Anders aber als der Fernverkehr unterliegt der Nahverkehr einer besonderen rechtlichen und politischen Reglementierung. Zum ÖPNV werden „Betriebe, die den Personenverkehr in Ballungsgebieten, innerhalb von Gemeinden, von Gemeindeverbänden oder von Regionen betreiben“ 10 , gerechnet. Nach § 8 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) versteht man unter ÖPNV „die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.“ Nach § 2 Abs. 5 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes wird der Schienenpersonennahverkehr analog dazu 9 erstellt nach: Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 318; Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 373 10 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 60 18 Rechtliche Rahmenbedingungen definiert als „die allgemein zugängliche Beförderung von Personen in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Zuges die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.“ ÖPFV: EC, Kirchberg/ Tirol ÖSPV: Stadtbus, Namur SPNV in der Region: Städtebahn Sachsen, Kamenz SPNV in der Stadt: Straßenbahn, Zagreb ÖPNV-Definitionen in Nachbarländern Anders als in Deutschland verzichtet man in Österreich hierbei auf genaue Entfernungsbzw. Zeitangaben und definiert wie folgt: „Unter Personennahverkehr […] sind Verkehrsdienste zu verstehen, die den Verkehrsbedarf innerhalb eines Stadtgebietes (Stadtverkehre) oder zwischen einem Stadtgebiet und seinem Umland (Vorortverkehre) befriedigen.“ 11 In Abgrenzung dazu versteht man unter Personenregionalverkehr „nicht unter den Anwendungsbereich der Bestimmung des Abs. 1 fallende Verkehrsdienste […], die den Verkehrsbedarf einer Region bzw. des ländlichen Raumes befriedigen.“ 12 11 § 2 Abs. 1 Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs 1999 12 § 2 Abs. 2 Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs 1999 Strategische Entscheidungen 19 Anstelle des Begriffs Nahverkehr ist in der Schweiz die Bezeichnung Ortsverkehr gebräuchlich. Davon abgegrenzt werden Regional- und Fernverkehr. 13 Für die im ÖPNV eingesetzten Schienenfahrzeuge gelten unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen. Während Straßenbahnen und U-Bahnen der Verordnung über den Bau und Betrieb von Straßenbahnen (BOStrab) unterliegen, greift bei S-Bahnen und Regionalbahnen, die den Eisenbahnen zuzurechnen sind, die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO). Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) definiert Eisenbahnen als „öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen).“ 14 Nach dem Unternehmenszweck werden Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen unterschieden. Hauptaufgabe der Eisenbahnverkehrsunternehmen ist das Erbringen von Transportdienstleistungen. Zu den Aufgaben von Eisenbahninfrastrukturunternehmen zählen die Bereitstellung und der Unterhalt von Schienenwegen, Fahrplankonstruktion sowie das Betreiben von Betriebsleit- und Sicherungssystemen. 15 Als öffentliche Eisenbahnen gelten all jene Eisenbahnverkehrsunternehmen, die „gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und jedermann sie nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung benutzen kann“ 16 sowie alle Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die „Zugang zu ihrer Eisenbahninfrastruktur gewähren müssen“. 17 Ebenso zählen Betreiber von Schienenwegen, sofern sie Zugang zu ihren Schienenwegen gewähren müssen, zu den öffentlichen Eisenbahnen. 18 Alle übrigen Eisenbahnen stellen nicht-öffentliche Eisenbahnen dar. 19 Ende 2018 existierten knapp 440 öffentliche und gut 150 nicht-öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeughalter in Deutschland. 20 Eisenbahnen des Bundes sind „Unternehmen, die sich überwiegend in der Hand des Bundes oder eines mehrheitlich dem Bund gehörenden Unternehmens befinden.“ 21 Nichtbundeseigene Eisenbahnen, die auch als Privatbahnen bezeichnet werden, sind demzufolge Eisenbahnen, die sich nicht überwiegend in der Hand des Bundes befinden. Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz, RegG) gilt die Gewährleistung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Leistungen des öffentlichen Personenverkehrs als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Der öffentlichen Hand obliegt damit eine gewisse Verantwortung in Bezug auf die Be- 13 vgl. Art. 16 Bundesgesetz über die Personenbeförderung (Personenbeförderungsgesetz) vom 20. März 2009 (Stand 1. März 2018) 14 § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz 15 vgl. Pachl, Jörn: Systemtechnik des Schienenverkehrs, Wiesbaden 2011, 4 16 § 3 Abs. 1 Satz 1 Allgemeines Eisenbahngesetz 17 § 3 Abs. 1 Satz 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 18 vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 Allgemeines Eisenbahngesetz 19 § 3 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 20 vgl. Eisenbahn-Bundesamt: Liste der öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland, http: / / www.eba.bund.de, 14.02.2019; Eisenbahn-Bundesamt: Liste der nicht-öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeughalter (gem. § 31 AEG) in Deutschland, http: / / www.eba.bund.de, 14.02.2019 21 § 2 Abs. 6 Allgemeines Eisenbahngesetz 20 Rechtliche Rahmenbedingungen friedigung der Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung. Dabei muss die Daseinsvorsorge nicht von der öffentlichen Hand selbst erbracht, sondern es müssen lediglich Rahmenbedingungen zur Erbringung der Leistungen durch Dritte sowie zur Kontrolle geschaffen werden. Daseinsvorsorge im Bereich des Verkehrs stellt eine zumindest mittelfristig ausgelegte Politik des Staates dar. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Subsidiarität und wird von den Aufgabenträgern auf der jeweils zuständigen gebietskörperschaftlichen Ebene übernommen. Die meisten Landesnahverkehrsgesetze definieren den ÖPNV als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe. Die Wahrnehmung der Aufgabe erfolgt durch die kommunalen Aufgabenträger (kreisfreie Städte, Landkreise). Freiwilligkeit heißt in diesem Zusammenhang, dass der Aufgabenträger (im Rahmen der Nahverkehrsgesetze) über die Art und den Umfang der Aufgabenerfüllung entscheidet. Bei der Erstellung von Verkehrsdienstleistungen unterliegt der ÖPNV verschiedenen Grundpflichten, die im Personenbeförderungsgesetz verankert sind. Betriebspflicht: Für den Zeitraum, in dem der Betrieb genehmigt ist, muss der Unternehmer diesen aufnehmen und entsprechend der öffentlichen Interessen sowie gemäß dem aktuellen technologischen Stand aufrechterhalten. 22 Beförderungspflicht: Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ist der Unternehmer grundsätzlich verpflichtet, Fahrgäste zu befördern. Zu diesen Voraussetzungen zählen die Einhaltung der Beförderungsbedingungen und die Durchführung der Beförderung mit den regelmäßig eingesetzten Fahrzeugen. Keine Beförderungspflicht liegt vor, wenn besondere Umstände, die der Unternehmer nicht beeinflussen kann, eine Beförderung verhindern. 23 Tarifpflicht: Die Verkehrsunternehmen sind verpflichtet, verbindliche Tarife festzulegen, zu kommunizieren und gleichmäßig anzuwenden. Die Tarife bedürfen der Genehmigung durch die zuständige Genehmigungsbehörde. 24 Fahrplanpflicht: Anfangs- und Endpunkte einer Linie, deren Verlauf inklusive Haltestellen sowie die jeweiligen Abfahrtszeiten müssen in einem Fahrplan enthalten sein. 25 Vergleichbare Regelungen bestehen in Österreich und der Schweiz. 26 22 vgl. § 21 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 23 vgl. § 22 Personenbeförderungsgesetz 24 vgl. § 39 Personenbeförderungsgesetz 25 vgl. § 40 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 26 vgl. § 20 Bundesgesetz über die linienmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen 1999; Art. 12-15 Bundesgesetz über die Personenbeförderung vom 20. März 2009 (Stand 1. März 2018) 3 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung 3.1 Strategische Entscheidungen Die strategische Ausrichtung eines Verkehrsunternehmens kann mithilfe von qualitativen und quantitativen Konzeptstrategien, Wettbewerbs- und Kooperationsstrategien beschrieben werden. Strategie qualitative Konzeptstrategie quantitative Konzeptstrategie Kooperationsstrategie Wettbewerbsstrategie Fahrpläne/ Bedienungshäufigkeit Kapazitäten Preisvs. Qualitätsorientierung konservatives vs. innovatives Verhalten Netzstruktur Produktpalette Form Intensität Abbildung 3-1 Strategische Ausrichtung 27 Im Rahmen der qualitativen Konzeptstrategien geht es um die Definition von Netzstruktur und Produktpalette: Das Netz, als entscheidende Komponente des Angebots, kann der Erschließung der Fläche dienen oder sich auf Hauptachsen konzentrieren. Die Produktpalette kann eine einheitliche Leistung oder differenzierte Leistungen (z.B. unterschiedliche Komfortklassen) bieten. Eine einheitliche Leistung bringt den Vorteil der Standardisierung der Prozesse und einer effizienten Abwicklung mit sich. Für den Nachfrager bleibt das Angebot leicht verständlich und überschaubar. Mit steigender Reisedauer und -entfernung nimmt auch das Bedürfnis nach einer zielgruppenspezifischen Ausrichtung und verschiedenen Zusatzleistungen zu. 28 Bei den quantitativen Konzeptstrategien stehen Bedienungshäufigkeiten und Kapazitäten, die zusammen die Gesamtproduktion des Unternehmens ergeben, im Mittelpunkt: Bei der Erarbeitung der Fahrpläne sind die Daten der Fahrzeuge und Strecken (z.B. Höchstgeschwindigkeiten), Stationen (z.B. verfügbare Gleisanlagen) sowie zum Personal (z.B. Dienstpläne) zu berücksichtigen. Daraus und aus der Nachfrage resultierend kann ein gestraffter 27 erstellt nach: Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 76f 28 vgl. ebd., 76ff 22 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Fahrplan oder ein dichter Fahrplan angeboten werden. Mit gestrafften Fahrplänen lassen sich Beförderungswünsche bündeln; dichte Fahrpläne kommen dem Wunsch der Fahrgäste nach möglichst großer Flexibilität entgegen. Die Ermittlung der Kapazität eines Verkehrssystems erfolgt durch Multiplikation der Anzahl der Fahrten laut Fahrplan mit der Fahrzeugkapazität. Je nach Nachfrage kommen dabei große oder kleine Fahrzeuge zum Einsatz. Auch die Traktionsfähigkeit der Fahrzeuge ist hier von Bedeutung. Allerdings lassen sich Kapazitäten dadurch nur sprunghaft steuern. Große Fahrzeuge führen zu geringen direkten Betriebskosten pro Passagier. Bei kleinen Fahrzeugen sind diese Kosten entsprechend höher; allerdings lassen sich so häufigere Verbindungen anbieten. Ebenso von Bedeutung sind Komfort und die für die Fahrgäste angestrebte Sicherheit (vgl. Sitzplätze vs. Stehplätze). 29 Bezüglich des Wettbewerbs sind Preis- oder Qualitätsorientierung bzw. konservatives oder innovatives Verhalten denkbar: Bei einer Konzentration auf den Preis sollen Nachfragesteigerungen durch eine möglichst günstige Beförderungsleistung realisiert werden. Erreicht wird dies i.d.R. durch eine Einschränkung bzw. den Verzicht auf über die reine Beförderung hinausgehende Serviceleistungen. Qualitätsorientierung hingegen zielt auf einen die Beförderungsleistung ergänzenden Mehrwert ab, der eine Unterscheidung zur Konkurrenz darstellt und den die Kunden auch bereitwillig zahlen. Während marktwirtschaftliche Unternehmen eher innovativ tätig sind, um im Wettbewerb bestehen und ihre strategische Ausgangsposition ausbauen zu können, sind staatlich eingebundene Betriebe - auch aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen - eher durch konservatives Verhalten gekennzeichnet. 30 In Bezug auf das Marktverhalten können je nach Form und Intensität unterschiedliche Kooperationsstrategien, wie z.B. strategische Allianzen, verfolgt werden. Dabei gilt es, Synergieeffekte (wie vereinfachte Koordination, leichtere Kundenansprache oder Kostenreduktion) durch Zusammenarbeit mit geeigneten Partnern umzusetzen. 31 3.2 Marketing und Zielgruppenbestimmung Lange Zeit wurde die Bedeutung des Marketings für öffentliche Verkehrsbetriebe unterschätzt. Man war der Ansicht, ein entsprechendes Angebot spreche für sich. Übersehen wurde dabei aber Folgendes: „Größtes Zugangshemmnis zum ÖPNV ist die unzureichende Information über das ÖPNV-Angebot, woraus sich ein negatives ÖPNV-Image ergibt mit der Folge, dass die Nutzung des PKW Vorrang vor dem Öffentlichen Verkehrsmittel erhält.“ 32 Um ein angemessenes Angebot in Städten und Regionen bereitzustellen, dauerhaft erfolgreich zu sein und effizient mit den bereitgestellten finanziellen Mitteln arbeiten zu können, müssen nicht nur bestehende Kunden gehalten, sondern auch neue Zielgruppen gewonnen werden. 33 Dazu bedarf es eines abgestimmten Marketing-Konzepts. 29 vgl. ebd.; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 45f 30 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 76f und 89 31 vgl. ebd., 76f 32 Mager, Thomas J.: Busverkehrssysteme - Erfolgreich durch offensives Marketing, in: Bus & Bahn 5/ 2010, 9 33 vgl. ebd., 8 Marketing und Zielgruppenbestimmung 23 Marketing kann definiert werden als „eine umfassende Philosophie und Konzeption des Planens und Handelns [...], bei der - ausgehend von systematisch gewonnenen Informationen - alle Aktivitäten eines Unternehmens konsequent auf die gegenwärtigen Erfordernisse der Märkte ausgerichtet werden, mit dem Ziel der Befriedigung von Bedürfnissen des Marktes und der individuellen Ziele.“ 34 Marketing beginnt lange vor dem eigentlichen Verkauf und wirkt über das Kaufereignis hinaus. Es kann als Bindeglied verschiedener Aktivitäten (z.B. Marktforschung, Produktentwicklung, Werbung, Distribution, Preispolitik) verstanden werden, die auf die Befriedigung der Kundenbedürfnisse und die Erfüllung der Unternehmensziele hinarbeiten. Unter Marketing-Mix versteht man aufeinander abgestimmte strategische Entscheidungen in Bezug auf Produkt bzw. Dienstleistung, Preis, Distribution und Kommunikation mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Kunden einer ausgewählten Zielgruppe möglichst optimal in Hinblick auf ihre Kaufentscheidung anzusprechen. Die Variationsmöglichkeiten bei der Zusammenstellung eines Marketing-Mix sind zahlreich. Die Produktpolitik - vielfach auch „das Herz des Marketings“ genannt - ist einer der wichtigsten Bestandteile des gesamten Marketinginstrumentariums. Sie stellt gemeinsam mit den drei anderen wesentlichen absatzpolitischen Instrumenten Kommunikationspolitik, Distributionspolitik und Kontrahierungspolitik eine zentrale unternehmerische Aktivität dar. Dies trifft gleichermaßen auf den Konsumgüter-, Investitionsgüter- und Dienstleistungsbereich zu. Speziell in letzterem werden die klassischen vier Ps ergänzt durch Personalpolitik („Personnel“), Ausstattungspolitik („Physical Facilities“) und Prozesspolitik („Process Management“). Überträgt man dies auf den ÖPNV, lassen sich die Themenschwerpunkte Verkehrsangebot (Produkt, Ausstattung, Prozess), Tarif, Vertrieb, Kundenkommunikation und Personal identifizieren: Produktpolitik: Linienführung und Liniennetz, Fahrplan; Ausstattungspolitik: Haltestellen, Fahrzeuge, Information und Service; Prozesspolitik: Zugangs-, Warte-, Fahr-, Umsteige- und Abgangszeiten; Preispolitik: Tarifgestaltung (genehmigungspflichtig), Preisdifferenzierung, Fahrausweisgestaltung; Distributionspolitik: Absatzwege, Absatzorgane; Kommunikationspolitik: Werbung, Verkaufsförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Sponsoring; Personal: Qualifikation, Kundenorientierung. 35 34 Weis, Hans Christian: Marketing, Herne 2012, 23 35 vgl. Bosch, Manuel: Neue Rahmenbedingungen, neue Herausforderungen: Marketing im ÖPNV - Eine Bestandsaufnahme, in: Fichert, Frank (Hrsg.): Verkehrswesen - Theorie und Praxis, Berlin 2013, 134ff; siehe dazu auch Ackermann, Till: Handbuch Marketing im ÖPNV, Bingen a. Rhein 2016 24 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Mit Humor Aufmerksamkeit erzeugen, Berliner Verkehrsbetriebe Begleitende Werbung zur Einführung eines preiswerten Jahrestickets, Verkehrsverbund Tirol Werbung für ein neues Freizeitbusnetz, Verkehrsverbund Vogtland Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen von Baumaßnahmen, Wiener Linien Ein Dank an zahlende Kunden in Oslo, Ruter Anregung zum Umstieg auf den ÖPNV, Verkehrsverbund Tirol Entscheidend für die Erarbeitung und erfolgreiche Umsetzung von Marketingmaßnahmen sind umfassende Kenntnisse zu den Zielgruppen. Ziel einer Segmentierung der Nachfrage ist das Marketing und Zielgruppenbestimmung 25 Erkennen homogener Gruppen und die Bereitstellung der notwendigen Informationen für eine zielgruppenorientierte Marketingpolitik. Öffentliche Verkehrsmittel werden täglich von den verschiedensten Menschen genutzt, die bezüglich ihrer sozio-demographischen, psychographischen und verhaltensbezogenen Merkmale Unterschiede aufweisen. Diese Menschen gilt es in homogene Teilgruppen aufzuspalten und möglichst zielgerichtet anzusprechen. Eine Marktsegmentierung wird zunächst häufig nach der Verkehrsmittelnutzung vorgenommen, woraus sich für den ÖPNV grob die Gruppen der Nichtkunden, Gelegenheitskunden und Stammkunden ableiten lassen. Bei Letzteren kann eine weitere Unterteilung z.B. nach Fahrtzweck (vgl. Ausbildungs- und Berufsverkehr) oder nach soziodemographischen Merkmalen (vgl. Kinder und Jugendliche, Senioren) erfolgen. 36 Wenig Mobile nur selten unterwegs, kein Pkw Fahrradfahrer im Alltag überwiegend Fahrradnutzung, kein Pkw ÖPNV-Captives im Alltag überwiegend ÖPNV-Nutzung, kein Pkw aus Kosten- oder anderen Gründen ÖPNV-Stammkunden im Alltag überwiegend ÖPNV-Nutzung, mit Pkw oder bewusster Verzicht Multimobile im Alltag multimodal unterwegs, Pkw-Besitz oder -Verfügbarkeit ÖPNV-Vermeider Pkw-Besitz oder -Verfügbarkeit, gute ÖPNV-Anbindung, aber abgeneigt MIV-Captives Pkw-Besitz oder -Verfügbarkeit, schlechte ÖPNV-Anbindung Tabelle 3-1 Segmentierung nach der Verkehrsmittelnutzung 37 Erkenntnisse zu den Zielgruppen werden überwiegend aus statistischen Quellen gewonnen, ohne dabei ein konkretes Bild von einem typischen Fahrgast zu bekommen. Um Kundenbedürfnisse wirklich befriedigen zu können, ist aber eine Betrachtung des Angebots aus Perspektive der (potentiellen) Kunden erforderlich. Typische Kunden müssen hierbei für alle beteiligten Entscheidungsträger plausibel und einprägsam dargestellt werden. 38 Eine Möglichkeit dazu bietet die Persona-Methode, bei der ausgehend von internem wie externem Datenmaterial fiktive Nutzer entwickelt und beschrieben werden. „Bei dieser Methode werden stereotypische Fahrgäste konstruiert, die ähnlich realer Fahrgäste unterschiedliche Verhaltensweisen, Profile und Ziele besitzen. Eine Persona entspricht dabei nicht einer konkreten realen Person, sondern stellt einen typischen Fahrgast dar, der aus verschiedenen Eigenschaften und Verhaltensweisen zusammengesetzt wird. Eine konkrete Beschreibung dieser fiktiven Persönlichkeit in Form einer Erzählung trägt zur Verständlichkeit und Einprägsamkeit der Persona bei. Im Gegensatz zu traditionellen Zielgruppen wird der Fahrgast auf diese Weise nicht nur anhand seiner de- 36 vgl. ebd., 133f 37 modifiziert nach: infas: TRAM - Mehr Kunden für Bus und Bahn, Bonn 2016, 15 38 vgl. Krömker, Heidi; Mayas, Cindy; Hörold, Stephan; Wehrmann, Andreas; Rademacher, Berthold; Internet Protokoll basierte Kommunikationsdienste im Öffentlichen Verkehr, o.O. 2011, 4 26 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung mografischen Merkmale oder Kaufvariablen eingeordnet, sondern erhält mit individuellen Zielen und sozialen Merkmalen einen greifbaren Charakter.“ 39 Bei der Entwicklung von Personas im ÖPNV-Sektor kann man sich von folgenden Themenkomplexen leiten lassen: Nutzungshäufigkeit, Ortskenntnis, Angebotskenntnis, Fahrtzweck, genutzte Fahrscheine, demographische Daten, mögliche Einschränkungen. 40 Auf diese Art und Weise bekommen die Kunden ein Gesicht. Entscheidungsträgern fällt es leichter, das ÖPNV-Angebot und etwaige Defizite mit den Augen von Kunden zu sehen. Zudem werden die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Nutzergruppen besser deutlich. 3.3 Ermittlung der Nachfrage Nachfrage bezeichnet den Wunsch nach spezifischen Produkten oder Dienstleistungen und wird dabei von der Fähigkeit und Bereitschaft, diese zu erwerben, begleitet. Um die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen analysieren, prognostizieren und darauf aufbauend verkehrspolitische Maßnahmen planen zu können, sind zunächst genaue Informationen über das Verkehrsverhalten der Individuen notwendig. Dabei fließen - je nach Fragestellung - Informationen über Häufigkeit, Ziel, Zweck und benutztes Verkehrsmittel einzelner Wege ein. Zudem sind Daten über die Merkmale von Wegen und Verkehrsteilnehmern zu erfassen. Die Nachfrage im ÖPNV kann mithilfe von Fahrgastzählungen, -befragungen oder auch automatischen Zählsystemen ermittelt werden. Ebenso lassen sich Verkaufsstatistiken der Fahrscheine auswerten. In regelmäßigen Abständen geben z.B. Aufgabenträger, Verkehrsverbünde oder Eisenbahnverkehrsunternehmen solche Analysen in Auftrag bzw. führen sie selbst durch. Die dabei erhobenen Daten lassen sich in verschiedenen Kennzahlen darstellen: Anzahl Fahrgäste: Bei einer reinen Fahrgastzählung wird nicht erfasst, ob und wie oft der Fahrgast umgestiegen ist und dabei unterschiedliche Verkehrsmittel verschiedener Anbieter im Bedienungsgebiet genutzt hat. Aufschlussreicher wäre hier eine - allerdings wesentlich aufwendigere - Befragung. Personenkilometer: Dieser Wert stellt das Produkt aus der Anzahl der Fahrgäste und ihrer durchschnittlichen Reiseweite dar. Dabei lassen sich die Werte leichter den jeweiligen Linien und Verkehrsunternehmen zurechnen. 41 Bei neu zu konzipierenden Linien bzw. Netzen kann man allerdings auf derartige Daten nicht zurückgreifen, sondern muss Fahrgastpotentiale abschätzen. Das Verkehrsaufkommen in einem Gebiet resultiert aus verschiedenen Faktoren. Dazu zählen z.B. die Bevölkerungsstruktur, die Bebauungsart, die Art und Anzahl sozialer, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen, vorhandene Arbeitsplätze, das bestehende Verkehrsangebot und die Verkehrsmittelwahl der Einwohner sowie die Lage des Gebiets und seine Einbindung in das überregionale Verkehrsnetz. 42 39 ebd., 5 40 vgl. ebd., 7 41 vgl. Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH: Wie Daten zur Verkehrsnachfrage erhoben und berechnet werden, http: / / www.lnvg.de, 29.01.2018 42 vgl. Kirchhoff, Peter; Tsakarestos, Antonios: Planung des ÖPNV in ländlichen Räumen, Wiesbaden 2007, 24 Qualität des ÖPNV 27 Einwohner Beschäftigte Kunden/ Besucher Schüler Wirtschaftsverkehr nicht-motorisierter Verkehr ÖPNV motorisierter Individualverkehr einströmender Verkehr ausströmender Verkehr Binnenverkehr Abbildung 3-2 Das Verkehrsaufkommen beeinflussende Faktoren in einem Gebiet 43 In Großstädten geht man davon aus, dass etwa 20 % aller Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt werden; in Mittelstädten liegt der Anteil bei ca. 10 %, im ländlichen Raum bei 5 %. 44 Als Richtwerte können - je nach Stadtgröße - auch folgende Angaben zum Fahrtenaufkommen dienen: Stadtgröße Fahrtenaufkommen Großstadt (über 400.000 Einwohner) 0,55-0,75 Fahrten/ Einwohner/ Tag Großstadt (bis 400.000 Einwohner) 0,40-0,60 Fahrten/ Einwohner/ Tag Mittelstadt (bis 100.000 Einwohner) 0,20-0,40 Fahrten/ Einwohner/ Tag Kleinstadt (bis 30.000 Einwohner) 0,10-0,30 Fahrten/ Einwohner/ Tag Tabelle 3-2 ÖPNV-Fahrtenaufkommen nach Stadtgröße 45 In der Literatur werden 200 Einwohner als Mindestgröße für die Anbindung eines Gebiets an den ÖPNV genannt. Dabei sollten rund 80 % im Einzugsbereich der betreffenden Haltestelle wohnen. 46 3.4 Qualität des ÖPNV Die Qualität des ÖPNV kann anhand der Bedienungsqualität und der Beförderungsqualität gemessen werden. Die Bedienungsqualität resultiert aus der räumlichen und zeitlichen Bedienung. Von Bedeutung sind dabei das räumliche Beförderungsangebot, die Anbindung bzw. Erreichbarkeit einer Region. Die Qualität der zeitlichen Bedienung leitet sich aus Faktoren wie Bedienungshäufigkeit, Betriebszeiten und Betriebstagen, der zeitlichen Abstimmung des Angebots, dem Platzangebot bzw. dem Besetzungsgrad von Fahrzeugen sowie einer angemessen Angebotsdifferenzierung ab. 43 modifiziert nach: Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 470 44 vgl. ebd., 471 45 modifiziert nach: ebd., 472 46 vgl. ebd., 469 28 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Die Beförderungsqualität wird demgegenüber von den Gebrauchswertmerkmalen bestimmt. Dazu zählt beispielsweise, wie Fahrzeuge und Haltestellen ausgestattet sind, wie Vertrieb und Information organisiert sind, wie man bei Störungen reagiert oder inwieweit die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Personen Berücksichtigung finden. Abbildung 3-3 Qualität des ÖPNV 47 Die Kundenzufriedenheit mit deutschen ÖPNV-Anbietern wird jährlich in einem ÖPNV-Kundenbarometer ermittelt. Dabei werden neben Aspekten des Nutzungsverhaltens und der Soziodemographie die wichtigsten Leistungsmerkmale des ÖPNV abgefragt. Dazu gehören allgemeine, den ÖPNV insgesamt betreffende Merkmale (z.B. Linien- und Streckennetz, Anschlüsse, Taktfrequenz, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, Informationen bei Störungen und Verspätungen, Tarifsystem, Preis-Leistungs-Verhältnis, Fahrkartenverkaufsstellen, Freundlichkeit des Personals, Internetauftritt, Aktivitäten zur Umweltschonung) sowie 47 erstellt nach: o.V.: Bedienungsstandard, http: / / www.mobi-wissen.de, 29.01.2019; Odenwald-Regional-Gesellschaft (OREG) mbH: Qualitätsstandards für den ÖPNV, Michelstadt o.J., 5 Bedienungsqualität Erschließungsqualität Angebotsqualität zeitliches Beförderungsangebot (d.h. Bedienungshäufigkeit, Betriebstage, Betriebszeit) räumliches Beförderungsangebot Anbindung Erreichbarkeit zeitliche Angebotskoordinierung (d.h. Anschlussplanung und -sicherung) marktgerechte Angebotsdiversifizierung Platzangebot Beförderungsqualität Ausstattung von Haltestellen und Fahrzeugen Anschluss- und Betriebsstörungsmanagement Information und Vertrieb Anforderungen an das Personal im Fahr- und Vertriebsdienst Belange mobilitätseingeschänkter Personen Sicherheit Qualität des ÖPNV Summe der Gebrauchswertmerk male einer Beförderungsleistung Qualität der räumlichen und zeitlichen Bedienung Bedienformen 29 spezifische Merkmale, die sich auf die Fahrzeuge (z.B. Sauberkeit und Gepflegtheit, Komfort und Bequemlichkeit, Platzangebot, Information im Fahrzeug, Sicherheit, Zugang und Nutzung für mobilitätseingeschränkte Personen) und die Stationen (z.B. Sauberkeit und Gepflegtheit, Komfort und Ausstattung, Sicherheit, Zugang und Nutzung für mobilitätseingeschränkte Personen) beziehen. 48 3.5 Bedienformen Unter Verkehrsbedienung versteht man „die Möglichkeit, Fahrziele durch ein Netz öffentlicher Verkehrsmittel zu erreichen.“ 49 Vorherrschende Bedienungsform im ÖPNV ist der Linienverkehr. Nach dem Personenbeförderungsgesetz wird Linienverkehr definiert als „eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Er setzt nicht voraus, daß ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind.“ 50 Beim klassischen Linienverkehr werden gemäß Fahrplan beide Richtungen einer Linie über die gesamte Länge befahren und dabei alle Haltestellen bedient. Die Fahrgäste müssen ihre Fahrtwünsche nicht anmelden. Dadurch kann es aber auch dazu kommen, dass bei Fahrten nur sehr wenige oder gar keine Fahrgäste befördert werden. Die Einrichtung von Linienverkehren bietet sich dann an, wenn mit einer regelmäßigen Nachfrage zu rechnen ist. 51 Vom Linienverkehr abzugrenzen sind der Gelegenheitsverkehr und der freigestellte Verkehr. Unter Gelegenheitsverkehr wird die „Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen, die nicht Linienverkehr nach den §§ 42, 42a und 43 ist“ verstanden. 52 Er tritt in den Formen Verkehr mit Taxen, Ausflugsfahrten und Ferienziel-Reisen, Verkehr mit Mietomnibussen und mit Mietwagen auf. 53 Bei freigestellten Verkehren handelt es sich um Beförderungsfälle, die von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes freigestellt sind, z.B. die Beförderung mit Kraftfahrzeugen durch oder für Schulträger zum und vom Unterricht. 54 In Bezug auf die räumliche Erschließung eines Gebietes lassen sich verschiedene typische Linienformen unterscheiden: Eine Durchmesserlinie führt durch das Stadtzentrum hindurch und verbindet dabei Ziele jenseits des Stadtrandes. Für Fahrgäste mit derartigen Fahrtwünschen besteht also keine Um- 48 vgl. Kantar TNS: Das ÖPNV-Kundenbarometer 2018 - Der Schlüssel zu zufriedenen Kunden und höheren Erträgen, München 2018, 5 49 o.V.: Bedienungsformen, http: / / www.mobi-wissen.de, 17.09.2013 50 § 42 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 51 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 18; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 32 52 § 46 Personenbeförderungsgesetz 53 §§ 47-49 Personenbeförderungsgesetz 54 § 1 Freistellungs-Verordnung 30 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung steigenotwendigkeit. Allerdings können bei diesen i.d.R. recht langen Linien Verspätungen nur schwer abgebaut werden. Eine Radiallinie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Fahrten im Stadtzentrum enden und dort Umsteigemöglichkeiten bestehen. Anders als bei der Durchmesserlinie sind die Fahrten hier vergleichsweise kurz, so dass - auch durch die eingeplanten Wendezeiten an den Zielhaltestellen - Verspätungen leichter abgebaut werden können. Eine Ringlinie stellt oft eine Ergänzung zu bestehenden Linien dar. Schwierig erweist sich das Festlegen von Anfangs- und Endpunkt. Eine Tangentiallinie führt am Stadtzentrum vorbei und verbindet außerhalb gelegene Ziele. Dadurch wird der eher dichte Verkehr in den Innenstädten gemieden. Aufgabe einer Zubringerlinie ist es, Kunden aus dem Umland bis zu Stationen der städtischen Verkehrsmittel (z.B. Straßenbahn, S-Bahn) zu befördern. 55 In der Praxis setzen sich Netze i.d.R. aus einer Mischung verschiedener Linienformen zusammen. Stadtrand Radiallinie Durchmesserlinie Tangentiallinie Ringlinie Zubringerlinie Netze bestehen meist aus historisch gewachsenen Mischformen. 1 2 3 4 5 1 2 5 4 3 Stadtzentrum Abbildung 3-4 Linienformen zur räumlichen Erschließung 56 In Abhängigkeit von der Tageszeit können bei den Linien abweichende Streckenführungen auftreten, beispielsweise um Schulen oder Unternehmen einzubinden in den jeweiligen Hauptverkehrszeiten. Ebenso ist es im Bahnverkehr möglich, aus verschiedenen Richtungen kommende Züge zu vereinen oder aber Züge zu teilen und an unterschiedliche Ziele weiterfahren zu lassen („Flügeln“). Hinsichtlich der zeitlichen Bedienung können verschiedene Linienarten unterschieden werden: Eine Stammlinie weist einen festen Linienweg auf und wird ständig bedient. Eine Nachtlinie beschreibt einen nur nachts befahrenen Linienweg. Dabei wird versucht, eine gute Abdeckung mehrerer tagsüber befahrener Linien zu erreichen. Weniger wichtig ist dabei die Reisezeit. 55 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 465f; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 36ff 56 modifiziert nach: Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 465 Bedienformen 31 Eine Sonntagslinie stellt eine Linie im Ausflugsverkehr dar. Eine Einsatzlinie verkehrt nur bei besonderen Anlässen (z.B. Großveranstaltungen). 57 Eine Sonderform des Linienverkehrs stellt die Schnellbuslinie dar, die Quell- und Zielgebiet ganztags auf direktem Weg (ohne Zwischenstationen) miteinander verbindet. Abweichend davon weist die Eilbuslinie im Quellgebiet viele Haltestellen auf, um von dort aus Fahrgäste direkt ins Zentrum zu befördern. Die Linie wird in dieser Ausprägungsform in der Regel am Morgen und in umgekehrter Richtung am Abend bedient. 58 Nachtlinie: Bushaltestelle in Wien Einsatzlinie: Shuttlebus zur Niederösterreichischen Landesausstellung Um in dünn besiedelten Gebieten oder in Zeiten schwacher Nachfrage ein Angebot aufrechterhalten, aber dennoch Einsparungen erzielen zu können, wurden bereits vielerorts flexible Bedienformen eingeführt. Dabei handelt es sich um vom klassischen Linienverkehr abweichende Bedienformen, die entweder eine räumliche oder zeitliche Flexibilisierung vorsehen und grob in Bedarfslinienbetrieb, Richtungsbandbetrieb und Flächenbetrieb unterschieden werden können. Wie auch beim Linienbetrieb ist die Strecke beim Bedarfslinienbetrieb vorgegeben. Um eine Fahrt antreten zu können, muss jedoch eine Anmeldung erfolgen. Je nach Vorliegen von Fahrtwünschen wird die Strecke ganz, nur teilweise oder gar nicht bedient. Wesentliches Merkmal des Richtungsbandbetriebs ist, dass zwar Start- und Zielhaltestelle feststehen, der konkrete Verlauf einer Fahrt sich aber aus den angemeldeten Beförderungswünschen ergibt. Dabei sind z.B. Linienabweichungen und -erweiterungen möglich. Abweichend davon ist der Flächenbetrieb nicht richtungsgebunden. Quell- und Zielort werden auf direktem Weg verbunden. Der Fahrtverlauf hängt von den jeweiligen Einstiegsorten und Fahrtzielen der (angemeldeten) Fahrgäste ab. 59 57 vgl. ebd., 466ff; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 34f 58 vgl. ebd. 59 vgl. Böhler, Susanne et al.: Handbuch zur Planung flexibler Bedienungsformen im ÖPNV, Bonn 2009, 26f 32 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Richtungsbandbetrieb Linienabweichung Linienaufweitung Sektor Korridor Bedarfslinienbetrieb Flächenbetrieb Abbildung 3-5 Alternative Bedienformen 60 Darüber hinaus ist es möglich, flexible Bedienformen fahrplangebunden oder nicht fahrplangebunden zu gestalten. Dabei kann ein Fahrplan mit festen Abfahrtszeiten an allen Stationen oder aber nur für die Starthaltestelle festgelegt sein. Bei einer fahrplanungebundenen Variante wählt der Fahrgast bei Anmeldung seine Abfahrtszeit selbst. 61 Mit der Realisierung alternativer Bedienformen lassen sich verschiedene Ziele verfolgen, die letztendlich zur Bereitstellung eines nachhaltigen Mobilitätsangebots beitragen: Soziale Ziele hohe Erreichbarkeit des ländlichen Raums mit ÖPNV regionale Daseinsvorsorge für möglichst viele Bürger und alle Bevölkerungsgruppen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch für Menschen ohne Auto leistbares ÖPNV-Angebot Wirtschaftliche Ziele Wirtschaftlichkeit des ÖPNV-Angebots Einnahmensicherung durch attraktives ÖPNV-Angebot angemessener, effizienter Einsatz von öffentlichen Geldern/ Fördermitteln Ökologische Ziele Reduzierung von MIV nachhaltiger Modal Split Tabelle 3-3 Ziele bei der Realisierung alternativer Bedienformen 62 60 modifiziert nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 23 61 vgl. ebd. 62 modifiziert nach: Regionalbus Ostbayern GmbH: Planung und Konzeption von flexiblen Bedienformen, Regensburg 2014, 4 Netz und räumliche Erschließungsqualität 33 Auf Relationen, auf denen klassischer Linienverkehr nicht wirtschaftlich betrieben werden kann, haben sich vielerorts schon Bürgerbusvereine gegründet. Diese setzen Bürgerbusse, von ehrenamtlichen Fahrern geführte Kleinbusse, ein, mit denen dann Linienverkehr angeboten wird. 63 Um in Schwachlastzeiten dennoch Linienverkehr anbieten zu können, kommen oftmals auch Taxis zum Einsatz. Hierbei ist es auch möglich, dass das Linientaxi vom Linienweg abweichende Fahrtziele bedient und somit eine Differenzierung des Linienverkehrs vorliegt. 64 Auch beim Anruf-Sammeltaxi werden Fahrgäste wie im Linienverkehr von einer vorgegebenen Haltestelle in einem abgegrenzten Bedienungsgebiet nach Fahrplan und Tarif - i.d.R. bis zur Haustür - befördert. Haltestellen ohne Fahrtwunsch werden nicht angefahren. Dadurch können mehr Bedarfshaltestellen im Bedienungsgebiet aufgenommen werden. Anders aber als im klassischen Linienverkehr muss für jede Fahrt eine Anmeldung vorliegen. Häufig gilt hier ein besonderer Tarif bzw. wird ein Servicezuschlag verlangt. 65 3.6 Netz und räumliche Erschließungsqualität Ein Liniennetz im ÖPNV kann definiert werden als „Gesamtheit aller Verkehrswege und Linien in einem bestimmten Verkehrsgebiet. Liniennetze entstehen aus der räumlichen Verknüpfung einzelner Linien an ausgewählten Haltestellen.“ 66 Das Hauptnetz einer Region dient dazu, die Relationen mit einem hohen Verkehrsaufkommen abzudecken und dieserart die Zentren der Region (Oberzentren, Mittelzentren und wichtige Unterzentren) miteinander zu verbinden. Das Hauptnetz wird i.d.R. durch den Schienenpersonennahverkehr getragen. Dort, wo eine Anbindung an den Schienenverkehr nicht (ausreichend) vorhanden ist, erfüllt der Regionalbusverkehr eine unterstützende Funktion. 67 Das Ergänzungsnetz beinhaltet alle Linien, die nicht Bestandteil des Hauptnetzes sind. Es dient insbesondere der Erschließung der Fläche im ländlichen Raum sowie der Verknüpfung mit den Zentren und erfüllt hier jene Aufgaben, denen das Hauptnetz nicht gerecht werden kann. Die Bedienung kann dabei im Linienbetrieb (vgl. die oft dominierende Schülerbeförderung 68 ) oder im Bedarfsbetrieb erfolgen. 69 Um ihren Aufgaben und den Bedürfnissen der Nutzer gerecht zu werden, müssen Haupt- und Ergänzungsnetz verschiedene Anforderungen erfüllen: 63 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 468f 64 vgl. ebd.; Wirtschaftskammer Österreich: Das Taxi im ÖPNV. Richtig eingesetzt. Rund gelöst., Wien o.J., 16 65 vgl. ebd. 66 Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 38 67 vgl. Zweckverband ÖPNV Vogtland, Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Vogtland - Dritte Fortschreibung, Auerbach 2015, 106 68 Schülerverkehr stellt eine Sonderform des Linienverkehrs dar und beinhaltet die regelmäßige Beförderung von Schülern zwischen Wohnung und Lehranstalt (§ 43 Nr. 2 Personenbeförderungsgesetz). 69 vgl. Zweckverband ÖPNV Vogtland, Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Vogtland - Dritte Fortschreibung, Auerbach 2015, 106 34 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Merkmale Hauptnetz Merkmale Ergänzungsnetz Linienführung eindeutiger Linienweg auch Routenvarianten Zeitliche Bedienung Regelmäßigkeit (Takt), Mindestbeförderungsgeschwindigkeit, Schnellverkehr Bedienung an allen Wochentagen, Grundangebot auch in Neben- und Schwachverkehrszeiten bedarfsgerechte individuelle Fahrtlagen Anstreben von rhythmisierten Angeboten Erschließungs- und Verknüpfungsfunktion Direktverbindung benachbarter Zentren (bzw. günstige Umsteigeverbindung) direkte Erreichbarkeit des Oberzentrums bzw. max. ein Umsteigevorgang im Hauptnetz Systemanschlüsse an festgelegten Verknüpfungspunkten gemeindeinterne Erschließung sowie ergänzende gemeindeübergreifende Verkehre Zubringerfunktion zum Hauptnetz (Gemeindehauptorte und wichtige Umsteigepunkte), dabei Anschlussoptimierung Zielgruppen Berufssowie Freizeit- und Versorgungsverkehr Beitrag zur Feinerschließung sowie Schülerbeförderung Schwerpunkt Schülerbeförderung; Ziel: Integration freigestellter Schülerverkehre Übernahme zusätzlicher Funktionen im Versorgungs-, Freizeit- und Berufsverkehr Tabelle 3-4 Hauptvs. Ergänzungsnetz 70 Hauptnetz: Hessische Landesbahn, Frankfurt/ M. Hbf Ergänzungsnetz: Bushaltestelle in der Dachsteinregion Bei der Festlegung bzw. Optimierung der Netzstruktur kann die Erschließung der Fläche oder aber die Konzentration auf Hauptachsen im Mittelpunkt stehen. Entscheidungskriterien sind 70 erstellt nach: Zweckverband Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen: Nahverkehrsplan für den Zeitraum 2003 bis 2007, http: / / www.zvsn.de, 20.09.2013 Netz und räumliche Erschließungsqualität 35 dabei - insbesondere aus Kundenperspektive von Bedeutung - die erschließbaren Regionen, die Reisezeiten, die Notwendigkeit von Umsteigevorgängen; ebenso relevant sind aber aus betrieblicher Perspektive die zu absolvierenden Fahrzeugkilometer sowie Gestaltungsmöglichkeiten des Personaleinsatzes. 71 Fahrgäste bevorzugen üblicherweise Direktverbindungen, die kurze Fahrzeiten aufweisen. Allerdings ist es nicht möglich, alle Quell- und Zielhaltestellen in einem Netz durch Direktverbindungen zu verknüpfen. Es geht also vielmehr darum, eine sinnvolle Bündelung der Fahrtwünsche vorzunehmen. 72 Unter einer zweckdienlichen Linienführung ist demnach eine Linienführung zu verstehen, die Knotenpunkte, öffentliche Einrichtungen, Siedlungen, Unternehmen usw. sinnvoll anbindet und sich dabei an den Hauptfahrgastströmen orientiert. Beim Vergleich der Haus-zu-Haus-Zeiten zwischen motorisiertem Individualverkehr und ÖPNV schneidet der ÖPNV regelmäßig schlechter ab. Umso wichtiger sind daher angemessene Zugangs-, Reise- und Umsteigezeiten. Um bedürfnisgerecht und rentabel arbeiten zu können, sollte das Netz aber auf jeden Fall an die Siedlungsstruktur angepasst werden. Dicht besiedelte Gebiete können demnach auch ein dichteres Netz als periphere Räume aufweisen. Je nachdem, ob es sich um Bestandteile des Haupt- oder Ergänzungsnetzes handelt, unterscheiden sich auch die Weglängen zur nächsten ÖPNV-Haltestelle. In Abhängigkeit von der Größe des Ortes geht man dabei von folgenden durchschnittlichen Entfernungen zur nächsten Haltestelle aus: Gemeindeklasse Bus/ Straßenbahn SPNV Oberzentrum (> 70.000 Einwohner) 300-500 m 400-800 m Mittelzentrum (> 20.000-70.000 Einwohner) 300-500 m 400-800 m Unterzentrum (5.000-20.000 Einwohner) 400-600 m 600-1.000 m Gemeinde (< 5.000 Einwohner) 500-700 m 800-1.200 m Tabelle 3-5 Haltestelleneinzugsbereiche (Luftlinie) 73 Die räumliche Erschließungsqualität, die aus der Anzahl und der Lage der Linien und Haltestellen innerhalb eines bestimmten Gebietes resultiert 74 , dient der Beurteilung des dieserart geschaffenen Netzes. Im Rahmen der Haltestellenplanung gilt es dabei, den Zielkonflikt zwischen kurzen Haltestellenabständen und kurzen Reisezeiten zu lösen. In und zwischen Oberzentren und Kreisstädten ist die Erschließung i.d.R. gut. Großstädte sind auf den ÖPNV angewiesen, hier sind auch Nachfragezuwächse zu verzeichnen. Bezüglich der Bedienformen herrscht konventioneller Linienbetrieb vor. In der Fläche geht es häufig um eine Mindestbedienung im Ergänzungsnetz. Neben konventionellem Betrieb setzt man dabei zunehmend auf alternative, nachfrageabhängige Bedienformen. 71 vgl. Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 38f 72 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 475 73 modifiziert nach: ebd., 473 74 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen: Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Chemnitz/ Zwickau 2016 bis 2020, Chemnitz 2016, 86 36 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Im Laufe der Zeit kann es erforderlich werden, Liniennetze zu überarbeiten, z.B., weil neue Wohngebiete und Einkaufszentren entstanden sind, Schulen oder Betriebe geschlossen wurden. Dadurch entstehen veränderte Verkehrsströme, die in der Netzplanung zu berücksichtigen sind. Aber auch Vorgaben der Aufgabenträger können zu einer Überarbeitung des Netzes führen. Die gewachsenen Netze sind häufig sehr komplex, so dass bei der Netzplanung bzw. -überarbeitung nicht bzw. nur begrenzt auf mathematische Optimierungsverfahren zurückgegriffen werden kann. 75 3.7 Fahrplan und Angebotsqualität Gemäß § 40 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz sind öffentliche Verkehrsunternehmen verpflichtet, Fahrpläne zu erstellen und zu veröffentlichen. Enthalten sein müssen dabei Anfangs- und Endpunkte einer Linie, deren Verlauf inklusive Haltestellen sowie die jeweiligen Abfahrtszeiten. Fahrpläne nehmen eine zentrale Rolle im öffentlichen Verkehr ein. Mithilfe von Fahrplänen definieren die Verkehrsunternehmen ihr Angebot gegenüber den Reisenden. Fahrpläne können somit auch als Produktdefinition verstanden werden, auf deren Grundlage sich ein potentieller Fahrgast für oder gegen eine Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln entscheidet. Gleichzeitig dienen Fahrpläne dazu, den Betriebsablauf zu organisieren und einen reibungslosen und zuverlässigen Ablauf zu garantieren. Ein Fahrplan für eine einzelne Strecke darf nicht herausgelöst betrachtet, sondern muss stets im Zusammenhang mit den Fahrplänen anderer Strecken gesehen werden. Analog zum Netz sollte ein bedürfnisgerechter Fahrplan entwickelt werden, der der Siedlungsstruktur und der jeweiligen Nachfragestruktur gerecht wird. Aber auch Auflagen des Bestellers nach einer Mindestbedienung (z.B. Ein- oder Zweistundentakt) spielen bei der Fahrplangestaltung eine Rolle. Dabei werden folgende Ziele verfolgt: Minimierung der Reisezeiten, Maximierung der Fahrplanstabilität, Optimierung der Fahrzeuganzahl, Kapazitätsmaximierung, Optimierung des Energiemanagements. 76 Die Angebotsqualität bezieht sich auf die Qualität der zeitlichen Bedienung. Bestimmende Faktoren sind in diesem Zusammenhang die Bedienungshäufigkeit, Betriebszeiten und Betriebstage sowie die zeitliche Abstimmung des Angebots (vgl. Anschlusssicherung). 77 Je nach Siedlungsstruktur weisen ÖPNV-Angebote unterschiedliche Bedienungshäufigkeiten bzw. eine dichtere oder weniger dichte Vertaktung auf. Kurze Fahrzeugfolgezeiten verkürzen die Wartezeiten an den Haltestellen, sind aber gleichzeitig mit einem hohen Fahrzeugeinsatz verbunden. 78 Während in Großstädten Takte von wenigen Minuten als notwendig betrachtet werden, erscheint in Randlagen vielleicht ein Halbstunden-, Stunden- oder Zweistundentakt sinnvoll. Wichtig für den Fahrgast sind in jedem Fall eine regelmäßige und gut merkbare Taktung bzw. merkbare Fahrzeiten, so dass die Konsultation des Fahrplans überflüssig wird (vgl. Taktfahrplan). 75 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 475 und 478 76 vgl. Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 78f 77 vgl. o.V.: Bedienungsstandard, http: / / www.mobi-wissen.de, 30.01.2019 78 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 486 Fahrplan und Angebotsqualität 37 Gestraffte Fahrpläne bieten den Vorteil, Fahrtwünsche bündeln, Fahrzeuge besser auslasten und dadurch geringere Kosten pro Sitzplatz realisieren zu können. Verdichtete Fahrpläne wiederum kommen den Kundenbedürfnissen nach zahlreichen bzw. flexiblen Fahrtmöglichkeiten entgegen. 79 Typische Fahrzeugfolgezeiten in Minuten fasst folgende Tabelle zusammen: Verkehrsmittel Fahrzeugfolgezeiten Bus 20-120 min Straßenbahn 10-30 min Stadtbahn 10-30 min U-Bahn 5-15 min S-Bahn 20-60 min Tabelle 3-6 Typische Fahrzeugfolgezeiten 80 Bei größeren Fahrzeugfolgezeiten sollten bei sich kreuzenden Linien die Umsteigezeiten optimiert werden, so dass hier für den Fahrgast nicht zusätzlich lange Wartezeiten entstehen. Dies kann sich schwierig gestalten, wenn dabei mehrere Umsteigepunkte auf einer Linie einzubeziehen sind. Insbesondere im Nachtverkehr größerer Städte setzt man dabei auf eine Rendez-vous-Technik, bei der sich mehrere Linien an einer Umsteigestation treffen und nach einer bestimmten Zeit gemeinsam von dort wieder abfahren. Wird diese Technik auch außerhalb des Nachtverkehrs und generell im Netz angewendet, spricht man von einem integralen Taktfahrplan. 81 Rendez-vous-Technik bei der Plauener Straßenbahn, Haltestelle Tunnel Integraler Taktfahrplan in der Schweiz, Bahnhof Gstaad Auch der Bedienungszeitraum (Betriebszeiten und Betriebstage) richtet sich nach dem Fahrgastaufkommen und variiert je nach Nutzer- und Siedlungsstruktur. Ältere Fahrgäste sind bei- 79 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 80 80 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 486; Wiener Linien: Fahrplan, http: / / www.wienerlinien.at, 06.02.2019 81 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 495; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 102 38 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung spielsweise zu anderen Tageszeiten unterwegs als junge Menschen. In Städten ist im Vergleich zum ländlichen Raum auch am späten Abend noch eine relativ hohe Nachfrage zu verzeichnen. Um dennoch in peripheren Räumen nicht gänzlich auf ein ÖPNV-Angebot in Tagesrandlagen verzichten zu müssen, bieten sich auch hier die alternativen Bedienformen an. Ebenso unterscheidet sich üblicherweise das Fahrgastaufkommen an Werk-, Sonn- und Feiertagen bzw. in Schulzeiten und Ferienzeiten, was in den Fahrplänen zu berücksichtigen ist. Angebotsanpassungen können hierbei durch Fahrplanverdichtungen (bzw. -kürzungen) oder den Einsatz von Fahrzeugen mit unterschiedlichen Kapazitäten vorgenommen werden. Entscheidend bei der Gestaltung von attraktiven Fahrplänen sind neben der Reisegeschwindigkeit auch Pünktlichkeit und Anschlusssicherung. Die durchschnittlichen Reisegeschwindigkeiten sind nachfolgender Tabelle zu entnehmen. Verkehrsmittel Reisegeschwindigkeiten Bus 10-15 km/ h Straßenbahn 20-25 km/ h Stadtbahn 25-35 km/ h U-Bahn 30-40 km/ h S-Bahn bis 40 km/ h Tabelle 3-7 Reisegeschwindigkeiten 82 Ein Anschluss liegt dann vor, wenn Fahrten verschiedener Linien fahrplanmäßig derart aufeinander abstimmt sind, dass ein Fahrgast an einer Umsteigehaltestelle bei angemessenen Umsteigewegen und ohne größere Wartezeiten von einem auf das andere Verkehrsmittel übergehen kann - unabhängig davon, welchem Verkehrsunternehmen bzw. Verkehrssystem diese Linien zuzuordnen sind. 83 Die Deutsche Bahn macht das Vorliegen eines Anschlusses von der Einhaltung der Übergangszeit abhängig. Diese „stellt einen Zeitraum dar, der für Reisende erforderlich ist, um von einem ankommenden auf einen abbringenden Zug zu wechseln.“ 84 Bei im Fahrplan ausgewiesenen Anschlussverbindungen geht der Fahrgast davon aus, dass diese gewährleistet werden. Doch nur wenn Fahrpläne eingehalten werden, lassen sich Anschlüsse auch erreichen. Weniger ärgerlich ist ein verpasster Anschluss bei einer kurzen Fahrzeugfolgezeit. Voraussetzung dabei ist jedoch auch, dass über aktuelle Abfahrtszeiten informiert wird. Aus der Linienführung und den Zugangs-, Reise- und Umsteigezeiten resultiert letztendlich die Verbindungsqualität. 85 82 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 485; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 70 83 vgl. Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 94 84 Deutsche Bahn, Trassenmanagement: RiL 402.0203A01, Übergangszeiten im Netzfahrplan Tarife 39 Darüber hinaus sind das Platzangebot bzw. der Besetzungsgrad und auch eine der Nachfrage entsprechende Angebotsdifferenzierung von Relevanz. 86 Das im Fahrplan ausgewiesene Angebot bildet die Grundlage für den Wagenumlaufplan, der den Einsatz der vorhandenen Fahrzeuge auf den einzelnen Linien beinhaltet. Bei der Erstellung des Wagenumlaufplans sind verschiedene Restriktionen zu berücksichtigen: So sollten die eingesetzten Fahrzeuge der zeitlich schwankenden Nachfrage angepasst sein und den Fahrgästen ausreichend Platz bieten. Durch den Wechsel eines Fahrzeugs auf eine andere Linie dürfen keine Verspätungen entstehen. Ebenso einzubeziehen sind Fahrerablösepunkte. Bei Einsatz verschiedener Fahrzeugtypen ist zu beachten, dass das Fahrpersonal zum Führen der Fahrzeuge qualifiziert ist. Darüber hinaus sind regelmäßige Instandhaltungsarbeiten im Betriebshof zu berücksichtigen. Bei Vorhandensein mehrerer Betriebshöfe ist sicherzustellen, dass die jeweils zugeordneten Fahrzeuge diese erreichen. 87 3.8 Tarife Der ÖPNV unterliegt der Tarifpflicht, d.h., die Verkehrsunternehmen sind verpflichtet, verbindliche Tarife festzulegen, zu kommunizieren und gleichmäßig anzuwenden. Diese Tarife müssen durch die zuständige Genehmigungsbehörde genehmigt werden. 88 Ein Tarifsystem sollte überschaubar und begreifbar sein und für die verschiedenen Nutzergruppen mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen (vgl. Vielfahrer vs. Gelegenheitsfahrer oder Einheimische vs. Touristen) ansprechende Angebote bereithalten. Bemängelt werden in der Praxis hierbei häufig die fehlende Übersichtlichkeit und Verständlichkeit. Eine einfache Handhabbarkeit des Tarifsystems ist jedoch eine wichtige Zugangsvoraussetzung für die Nutzung des ÖPNV, gerade auch für Ortsunkundige oder Fahrgäste, die den ÖPNV bislang eher selten in Anspruch genommen haben. Gleichzeitig erleichtert dies unternehmensseitig Beratung, Verkauf und Kontrolle. Im Bereich des ÖPNV kommen in Deutschland drei Tarifsysteme zur Anwendung: Dies sind die Tarife der Deutschen Bahn, die TBNE 89 -Tarife sowie die Tarife der Verkehrsverbünde. 90 Kriterien, die bei der Ermittlung von Fahrpreisen herangezogen werden, können die zurückgelegten Kilometer, die Anzahl der durchfahrenen Haltestellen, Teilstrecken oder Waben sein. Dabei sind innerhalb eines Tarifsystems auch Mischformen möglich. 85 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen: Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Chemnitz/ Zwickau 2016 bis 2020, Chemnitz 2016, 86 86 vgl. o.V.: Bedienungsstandard, http: / / www.mobi-wissen.de, 30.01.2019 87 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 496f 88 vgl. § 39 Personenbeförderungsgesetz 89 Tarifverband der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen in Deutschland 90 vgl. Bundesamt für Verkehr: Evaluation Tarifgestaltung im Personenverkehr, Zürich 2010, 73 40 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Tarifform Kilometertarif Haltestellentarif Teilstreckentarif Flächenzonentarif Pauschaltarif Berechnungsgrundlage Einheitspreis pro Entfernungskilometer; Tarifermittlung nach Entfernung Quelle-Ziel Zahl der angefahrenen Haltestellen Zahl der durchfahrenen Teilstrecken Zahl der durchfahrenen Flächen (Waben) Strecke oder Netz, bezogen auf eine Zeiteinheit (ggf. personenbezogene Differenzierung) Anwendungsbereich SPNV, außer in Verbünden; tw. bei nicht zu Verbünden gehörigen Busbetrieben bei ermäßigten Kurzstreckenfahrkarten bei ermäßigten Kurzstreckenfahrkarten bei stark verflochtenen Liniennetzen der Verkehrsverbünde Pauschaltickets von Verkehrsbetrieben und Verkehrsverbünden Vorteile nur gefahrene Wegstrecke wird gezahlt günstig bei etwa gleichen Haltestellenabständen günstig bei etwa gleich langen Teilstrecken meist kürzeste Verbindung berechnet, auch wenn die tatsächliche länger ist einfache Handhabung; günstig bei langen Strecken bzw. intensiver Netznutzung Nachteile Fahrgast zahlt auch Umwege, die eine Linie nimmt ungünstig bei ungleichen Haltestellenabständen ungünstig bei unterschiedlich langen Teilstrecken wenn Quell- und Zielort sehr nahe liegen, aber durch Zonengrenze getrennt sind teuer bei Zurücklegen kurzer Strecken Tabelle 3-8 Tarifformen 91 Basierend auf diesen Tarifen werden verschiedene Fahrausweisarten ausgegeben, die unterschiedlich stark in Anspruch genommen werden: Fahrscheinart Nutzung Fahrscheinart Nutzung Einzelfahrschein, Tageskarte, Kurzstrecke 43 % Monatskarte im Abo, Jahreskarte 9 % Jobticket, Semesterticket 6 % Mehrfachkarte, Streifenkarte 9 % anderes 4 % Wochenkarte, Monatskarte ohne Abo 3 % fahre nie mit ÖPNV 26 % Tabelle 3-9 Genutzte Fahrscheinarten im ÖPNV 92 91 erstellt nach: Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 530; Malina, Robert: Stichwort „Tarifsystem“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 30.01.2019 92 erstellt nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilität in Deutschland - Kurzreport, Berlin 2018, 11 Tarife 41 Abbildung 3-6 Fahrschein-Vielfalt 42 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Im Rahmen von Tarifkooperationen lassen sich Synergieeffekte für die beteiligten Verkehrsunternehmen bzw. für den Fahrgast erzielen. Dabei gibt es verschiedene Formen: Bei einer Verkaufsgemeinschaft werden jeweils auch die Fahrscheine der Kooperationspartner verkauft. 93 Die partielle tarifliche Zusammenarbeit reicht darüber hinaus und umfasst auch die gegenseitige Abstimmung von Beförderungsentgelten und Beförderungsbedingungen: Bedienen mehrere Verkehrsunternehmen dieselben Streckenabschnitte, können die Fahrausweise gegenseitig anerkannt werden. Fährt ein Fahrgast im SPNV auf einer Relation, die sich aus zwei von verschiedenen Verkehrsunternehmen (Deutsche Bahn und eine NE-Bahn) bedienten Strecken zusammensetzt, handelt es sich um den sogenannten Anstoßverkehr. Dabei werden nach den Regeln des Anstoßtarifs (TBNE-Tarif) für beide Teilstrecken die Preise ermittelt und addiert. Für die NE-Bahn ist dieser Tarif vorteilhaft, da er ihr zu einem gerechteren Anteil am Fahrpreis verhilft. Der Fahrgast zahlt so allerdings einen höheren Preis. Übergangstarife finden bei Fahrten aus einem bzw. in ein anderes Verbundgebiet Anwendung. Bei der Durchtarifierung wird für die gesamte Strecke ein Fahrschein verkauft, unabhängig davon, wie oft der Fahrgast umsteigen muss. Bei einem Gemeinschaftstarif gilt auf einer von mehreren Verkehrsunternehmen gemeinsam betriebenen Linie nur ein Tarif. 94 In einer Tarifgemeinschaft schließen sich die ein Gebiet bedienenden Verkehrsunternehmen zusammen, um ein einheitliches (und damit einfacheres) Tarifsystem zu schaffen und dadurch Nachfragesteigerungen hervorzurufen. 95 Bei einer Verkehrsgemeinschaft kooperieren die Unternehmen zudem bezüglich Netz und Fahrplangestaltung. Allerdings wird hierbei keine wie bei einem Verkehrsverbund übliche übergeordnete Organisation geschaffen. 96 3.9 Vertrieb und Information Der Vertrieb von Fahrausweisen kann auf direktem oder indirektem Wege durchgeführt werden. Der direkte Vertrieb obliegt dem Verkehrsunternehmen, wobei zwischen einem zentralen und einem dezentralen Vertrieb differenziert werden kann. Der indirekte Vertrieb findet über Dritte statt. Bei allen genannten Varianten existiert eine persönliche und eine unpersönliche Form (siehe folgende Tabelle). Einer Statistik des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen zufolge werden beim Fahrer und an Automaten hauptsächlich Einzelfahrscheine bzw. Tages- und Mehrtageskarten gekauft. Zeitkarten werden vor allem im Abonnement erworben oder aber über Verkaufsstellen. Handy- oder Onlinetickets werden bislang vergleichsweise selten genutzt, wenn, dann vor allem für Einzelfahrscheine bzw. Tages- und Mehrtageskarten. 97 93 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 568 94 vgl. ebd., 568ff 95 vgl. Malina, Robert: Stichwort „Tarifgemeinschaft“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 30.01.2019 96 vgl. Malina, Robert: Stichwort „Verkehrsgemeinschaft“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 30.01.2019 97 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 27 Vertrieb und Information 43 Absatzkanäle Direkter Vertrieb (Intern) Indirekter Vertrieb (Extern) Zentral Dezentral Persönlich (Beratervertrieb) Schlüsselkundenbetreuung Telefonvertrieb Fahrpersonal Schalter Verkaufsbüros Standschaffner Kiosk Einzelhandel Reisebüros andere Verkehrsunternehmen „Kunden werben Kunden“ Unpersönlich (Selbstbedienungsvertrieb) Internet Direktvertrieb Handyticket Automaten (in Fahrzeugen, an Haltestellen) über Absatzmittler, z.B. Einzelhandel Tabelle 3-10 Vertriebskanäle im ÖPNV 98 Je nach Größe und Struktur des bedienten Gebietes (vgl. Ballungsgebiet vs. ländlicher Raum) werden verschiedene Vertriebskanäle bzw. Kombinationen genutzt. Welche Vertriebswege zum Einsatz kommen, hängt dabei vor allem vom erforderlichen organisatorischen Aufwand, den dadurch entstehenden Kosten und dem erzielbaren Nutzen für das Verkehrsunternehmen und für die Fahrgäste ab. Kosten Zeit Qualität Vertriebslogistik (Fahrscheine, Geld) Provisionen verlorene Umsätze Dauer des Vertriebsvorgangs (für Kunden, für Unternehmen) Wartezeiten Vertriebsstellen Öffnungszeiten, Verfügbarkeit Qualifikation Entscheidungskriterien bei der Wahl der Absatzwege Abbildung 3-7 Entscheidungskriterien bei der Auswahl der Absatzkanäle 99 98 modifiziert nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 387 99 erstellt nach: ebd., 391 44 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Fahrscheine für Fern- und Regionalverkehr am klassischen Schalter, Gare de Namur Fahrscheine für Fern- und Regionalverkehr im Kundenzentrum oder am Automaten, Bergen Stationäre Fahrscheinautomaten verschiedener Anbieter, Malmö Centralen Fahrscheinautomat im Fahrzeug, Chemnitzer Verkehrs-AG Der Fahrschein stellt nicht nur die Berechtigung zur Nutzung eines Verkehrsmittels durch den Fahrgast dar, sondern enthält auch sämtliche erforderlichen Tarifinformationen und garantiert dem Verkehrsbetrieb entsprechende Einnahmen. Vertrieb und Tarif sind über den Fahrschein also eng miteinander verbunden. 100 Über lange Zeiträume hinweg waren auf Papier gedruckte Fahrscheine üblich. Mit dem Ziel der Rationalisierung entwickelte man ab den 1980er Jahren Magnetkartensysteme, die als zuverlässiger galten und detailliertere Informationen liefern sollten. Etwa zehn Jahre später begann die Ära der Chipkarten: „Im Fokus hat hier die Flexibilität der Tarife, die Möglichkeiten neuer Vertriebswege und Marketingplattformen sowie die Verbesserung des Komforts für den Fahrgast gestanden.“ 101 Allerdings waren diese Systeme zunächst nicht standardisiert bzw. kompatibel zueinander, was man als Nachteil erkannte und deshalb eine Standardisierung (vgl. VDV- Kernapplikation für das (((eTicket Deutschland) vorantrieb. 100 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Handbuch (((eTicket Deutschland, o.O. o.J., 4 101 ebd. Vertrieb und Information 45 Elektronisches Fahrgeldmanagement „ist ein Dachbegriff, unter dem sich unterschiedliche, sehr heterogene Technologien versammeln, die zum Erwerb einer Fahrberechtigung und/ oder der Inanspruchnahme und Abrechnung von Fahrleistungen im ÖPNV und dem Clearing zwischen den beteiligten Betreibern eingesetzt werden.“ 102 Dabei existieren verschiedene Verfahren: Verfahren Bargeldloses Bezahlen Elektronischer Fahrschein Automatisierte Fahrgelderhebung Fahrschein Papierform konventionelle Kontrolle Speichern der Fahrscheindaten auf elektronischem Speichermedium, z.B. Chipkarte, Mobiltelefon oder Personal Digital Assistant (PDA) elektronische Kontrolle Speichern der Fahrscheindaten auf elektronischem Speichermedium, z.B. Chipkarte, Mobiltelefon, PDA automatisches Einlesen bei Einstieg und/ oder Ausstieg bzw. während der Fahrt Vorkenntnisse Kunde Kenntnisse über Tarifparameter und Fahrtrelation erforderlich Kenntnisse über Tarifparameter und Fahrtrelation erforderlich Kenntnisse über Tarifparameter und Fahrtrelation nicht erforderlich Verfügbarkeit v.a. stationär (z.B. Schalter, Automaten) an Automaten in Fahrzeugen bzw. Handheld-Geräten des Personals an Automaten an Fahrer- und Schalterterminals über Internet in Stationen und/ oder Fahrzeugen Verfahren: Checkin/ Check-out, Checkin, Be-in/ Be-out, Check-in/ Be-out Zahlen via … Kredit-, EC-, Prepaid- Karten, elektronische Geldbörse Kredit-, EC-, Prepaid- Karten, elektronische Geldbörse Bargeld Verrechnung per Kundenvertrag Bezahlung nach festgelegtem Verfahren Tabelle 3-11 Verfahren des elektronischen Fahrgeldmanagements 103 In Bezug auf die automatisierte Fahrgelderhebung lassen sich wiederum verschiedene Verfahren unterscheiden: Check-in/ Check-out: Der Fahrgast meldet sich mittels Speichermedium vor dem bzw. beim Einstieg in ein Fahrzeug an einem Erfassungsgerät an und beim Ausstieg ab. Dadurch wird die gefahrene Strecke ermittelt und der Fahrpreis berechnet. 102 TCI Consult GmbH - Your Company for Intelligence & Performance; Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH; TIG Technische Informationssysteme GmbH; T.C.L. GmbH: EFM - Elektronisches Fahrgeldmanagement - Das Verkehrs-Datawarehouse für eine innovative Verkehrsplanung, Wien 2009, 11 103 erstellt nach: ebd., 12f 46 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Check-in: Der Fahrgast meldet sich mittels Speichermedium vor dem bzw. beim Einstieg in ein Fahrzeug an einem Erfassungsgerät an. Ein Check-out ist nicht erforderlich. Mit dem Check-in erwirbt der Fahrgast einen Fahrschein zu seinem Fahrtziel. Sinnvoll ist dieses Verfahren z.B. bei Fahrten innerhalb einer Kernzone ohne unterschiedliche Tarifstufen. Be-in/ Be-out: Der Fahrgast muss sich nicht aktiv an- oder abmelden. Seine Anwesenheit wird allein durch Mitführen eines entsprechenden Speichermediums im Fahrzeug erkannt. Aus den so erfassten Daten lassen sich die gefahrenen Strecken ermitteln und abrechnen. Check-in/ Be-out: Der Fahrgast meldet sich mittels Speichermedium vor dem bzw. beim Einstieg in ein Fahrzeug an einem Erfassungsgerät an. Er muss sich nicht aktiv abmelden, der Ausstieg aus dem Fahrzeug wird automatisch erfasst. Die dieserart erhobenen Daten erlauben ebenso wie beim Be-in/ Be-out-Verfahren eine Ermittlung der gefahrenen Strecke und des zugehörigen Fahrpreises. 104 Lesegerät am Bahnsteig, Malmö Centralen Lesegerät am Bahnsteig, Kopenhagen Hovedbanegård Lesegerät integriert in Fahrscheinautomaten im Fahrzeug, Erfurter Bahn Lesegerät integriert in Fahrscheinautomaten an einer Bushaltstelle, Bergen 104 vgl. ebd., 13ff Vertrieb und Information 47 FAIRTIQ - Das einfachste Ticket der Schweiz FAIRTIQ, nach Herstellerangaben die „einfachste Fahrkarte der Schweiz“, ist ein Ticketingsystem, das dem Prinzip „Check-in/ Check-out“ folgt. Der Fahrgast checkt bei Fahrtantritt mit einem Klick in die zugehörige App ein sowie nach Beendigung der Fahrt mit einem erneuten Klick wieder aus. Sollte der Fahrgast den Check-out vergessen, erinnert ihn die App daran. 105 Basierend auf dem Ortungssystem im Smartphone des Fahrgastes wird die zurückgelegte Strecke ermittelt und der entsprechende Fahrschein verrechnet. Dazu muss allerdings ein Zahlungsmittel hinterlegt sein. 106 Die Entwickler der App versprechen, dass jeweils der günsigste Fahrschein verrechnet wird. Das heißt, absolviert der Fahrgast z.B. so viele Einzelfahrten, dass eine Tageskarte günstiger wäre, so wird letztere verbucht. 107 Die Vorteile für den Fahrgast liegen auf der Hand: Eine Auseinandersetzung mit Tarifsystemen und -zonen ist nicht erforderlich. Auch muss man sich nicht schon vor Fahrtantritt für einen bestimmten Fahrschein oder ein Ziel der Fahrt entscheiden, da die Abrechnung nach der Fahrt und der tatsächlich zurückgelegten Strecke bzw. am Ende des Tages erfolgt. 108 Verkehrsbetriebe und -verbünde profitieren von niedrigen Kosten, da keine zusätzlichen Installationen an Stationen oder in Fahrzeugen erforderlich sind. Zusätzlich regt die Einfachheit der Fahrpreisermittlung und Abrechung auch bisherige Gelegenheits- und Nichtnutzer zu Fahrten mit dem ÖPNV an. 109 FAIRTIQ kommt in der Schweiz und in Liechtenstein sowie mittlerweile auch in Vorarlberg zur Anwendung. Gemäß dem Phasenmodell der Dienstleistungserstellung benötigt der Fahrgast - je nach Fahrtanlass und -ablauf - Informationen vor, während und nach einer Fahrt. Vor einer Fahrt werden beispielsweise Informationen zu Fahrtmöglichkeiten, Fahrtverlauf inkl. nötigen Umstiegen sowie Tarifen benötigt. Leicht verständliche Informationen, die auch die Erstellung persönlicher oder intermodaler Fahrpläne gestatten, können entscheidend dazu beitragen, Zugangsbarrieren zu reduzieren. Während einer Fahrt möchte der Fahrgast wissen, ob die Reise planmäßig verläuft oder ob Störungen auftreten und welche Auswirkungen diese gegebenenfalls auf den Fahrtverlauf haben. Bereitgestellt werden diese Informationen von Fahrgastinformationssystemen oder auch via Internet (vgl. Abfrage per Smartphone). Nach einer Fahrt können Informationen z.B. hinsichtlich zusätzlicher Serviceleistungen, für touristische Zwecke oder auch bezüglich der Abrechnung von elektronischen Ticketsystemen gewünscht sein. 110 105 vgl. Messe Berlin: FAIRTIQ AG - Produktbeschreibung, https: / / www.virtualmarket.innotrans.de, 05.02.2019 106 vgl. FAIRTIQ AG: Darum FAIRTIQ, https: / / fairtiq.com/ de-ch, 05.02.2019 107 vgl. FAIRTIQ AG: Unkompliziert reisen mit FAIRTIQ, https: / / fairtiq.com/ de-ch, 05.02.2019 108 vgl. FAIRTIQ AG: Darum FAIRTIQ, https: / / fairtiq.com/ de-ch, 05.02.2019 109 vgl. ebd.; Messe Berlin: FAIRTIQ AG - Produktbeschreibung, https: / / www.virtualmarket.innotrans.de, 05.02.2019 110 vgl. Krampe, Horst; Krampe, Andreas: Logistik im Personenverkehr, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans-Joachim; Schenk, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 485 48 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Viele Informationen sorgen nicht automatisch für Klarheit Information über veränderte Linienführung und eingeschränkte Bedienung an einer Haltestelle Stationäre dynamische Fahrgastinformation: Informationsdisplay, Hôtel de Ville Paris Stationäre dynamische Fahrgastinformation: Informationsdisplay, Wien Hbf Dynamische Fahrgastinformation: Informationsdisplay im Zug, RE3 Hof-Dresden Informationsdisplay zu Haltestellen und Streckenverlauf im Bus, Wachau-Linie 2 Melk-Krems Vertrieb und Information 49 Auskunftssysteme setzen sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen, wozu die statische und die dynamische Fahrplanauskunft, Informationen zu Anschlüssen und bei Abweichungen vom Fahrplan sowie zum Tarifsystem gehören. Statische Fahrplanauskünfte beruhen auf den Soll-Daten des Fahrplans und werden bereitgestellt in gegen Entgelt oder kostenlos verfügbaren Fahrplanheften und -faltblättern, an Haltestellenaushängen, im Internet, in Servicezentren, per SMS oder telefonisch. Dynamische Fahrplanauskünfte basieren auf aktuellen Daten des Verkehrsmittelbetriebs, berücksichtigen dabei also z.B. die derzeitige Position von Fahrzeugen und Verspätungen. Zur Verfügung gestellt werden solche Echtzeit-Informationen beispielsweise an dynamischen Anzeigern an den Stationen, in den Fahrzeugen oder auch im Internet. Fahrplaninformationen werden dem Fahrgast in verschiedenen Formen angeboten. So kann z.B. für eine bestimmte Fahrt eine Einzelauskunft angefordert werden. Linienfahrpläne beinhalten alle Stationen und Abfahrtsbzw. Ankunftszeiten einer Linie. Zudem sind Haltestellenfahrpläne an den Stationen (und oft auch via Internet) erhältlich, die sämtliche von einer Haltestelle abgehenden Linien enthalten. Viele Auskunftssysteme bieten die Zusammenstellung eines persönlichen Fahrplanes (z.B. für Pendler) für eine bestimmte Strecke und einen bestimmten Zeitraum an. Generell erwartet der Fahrgast, dass er aktuelle und zuverlässige Informationen über alle Phasen der Leistungserstellung erhält und dass diese verkehrsmittelübergreifend bereitgestellt werden. Diese Auskünfte sollten nicht nur die reinen Fahrplandaten umfassen, sondern auch (Alternativ-) Routen, Fahrpreise und diesbezügliche Optionen und ggf. Zusatzangaben wie aus dem touristischen Bereich enthalten und verständlich sein. 111 Bereitgestellt werden sollten diese multisensorisch (vgl. akustisch, optisch) und über verschiedene Kanäle. Einerseits können dabei die vielfältigen Möglichkeiten der neuen Medien genutzt werden, andererseits sollten aber beispielsweise ältere Menschen mit einer Scheu vor diesen Kommunikationsmitteln nicht von der Informationsgewinnung ausgeschlossen werden. Oft wird von älteren Menschen in diesem Zusammenhang auch der Wunsch geäußert, mit einer realen Person zu sprechen, anstatt sich Informationen oder Fahrscheine an einem Automaten zu beschaffen. Aber auch Jüngere können hier auf Probleme stoßen, wenn sie z.B. das Tarifsystem in einer unbekannten Stadt oder Region verstehen wollen. Im Rahmen der Kooperation „DELFI“ (Durchgängige ELektronische FahrgastInformation) werden die regionalen Fahrplanauskünfte von Verkehrsverbünden und Nahverkehrsgesellschaften zu einem bundesweiten System gebündelt und dem Fahrgast so eine deutschlandweite Verbindungsauskunft im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr ermöglicht. 112 Mobilitäts-Apps Mittlerweile existieren zahlreiche Apps, die sich dem Thema Mobilität widmen. Dabei werden oft thematische Schwerpunkte gesetzt, sei es die Fahrplanauskunft und der Fahrscheinkauf, das Ausleihen von Fahrrädern oder Pkw. 111 vgl. ebd., 485f 112 vgl. DELFI-Service im Auftrag der Bundesländer und der DB AG: Über DELFI, https: / / www.delfi.de, 14.02.2019 50 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Die Deutsche Bahn ist dabei mit dem „DB Navigator“ 113 vertreten. Mithilfe dieser App können nicht nur Verbindungen im Nah-, Regional- und Fernverkehr recherchiert, sondern z.B. auch Fahrscheine gebucht und Informationen über Verspätungen und alternative Verbindungen eingeholt werden. Darüber hinaus werden weitere Apps für einen spezifischen Einsatzbereich (z.B. Carsharing, Fahrradverleih, Störungsmeldungen usw.) angeboten. Doch hier zeigen sich schnell Grenzen, beispielsweise wenn bei der Fahrscheinbuchung nicht nur Eisenbahnverkehrsunternehmen, sondern auch die Angebote städtischer Verkehrsbetriebe genutzt werden sollen. Denn nur ein Bruchteil der Verkehrsverbünde ist in den DB Navigator integriert. Darüber hinaus gibt es Mobilitäts-Apps von verschiedenen Verkehrsverbünden und -unternehmen. Nachteil dieser Apps: Sie sind zum einem auf bestimmte Funktionen beschränkt und zum anderen i.d.R. auf einen Verkehrsverbund bzw. auf ein Unternehmen begrenzt. Eine App, die landesweit und flächendeckend verschiedene mobilitätsbezogene Funktionen nutzerfreundlich vereint und damit eine individuelle und sinnvolle Zusammenstellung von Verkehrsmitteln für die jeweilige Wegekette bietet, gibt es in Deutschland noch nicht. Dies zu ändern, ist Ziel der Vernetzungsinitiative „Mobility inside“ 114 , die damit auch branchenfremden Anbietern zuvorkommen will. 115 Mit der auf den ÖPNV fokussierten und mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichneten App „easy.GO“ können neben den üblichen Funktionen (Fahrplanauskunft, Fahrkartenkauf, Störungsmeldungen usw.) auch Car- und Bikesharing-Stationen gesucht werden. Damit werden zwar nutzerfreundlich verschiedene Fortbewegungsmöglichkeiten in einer App kombiniert, allerdings beschränkt sich dies bislang auf die Gebiete des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds (MDV), des Verkehrsverbunds marego (MVB), des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS) und des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB). 116 Über die ebenfalls mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnete App „moovel“ können verschiedene Mobilitätsalternativen kombiniert und die jeweiligen Leistungen auch in der App bezahlt werden. Entwickelt wurde die App von der moovel Group GmbH, einem Tochterunternehmen der Daimler AG. 117 Der Fokus der App liegt allerdings auf urbanen Räumen sowie bezüglich der integrierten Dienstleistungen auf Tochterunternehmen des Konzerns. Auch die App „Qixxit“ ermöglicht die Verbindungssuche und berücksichtigt dabei verschiedene Verkehrsmittel. Der Fahrkartenkauf ist allerdings nur eingeschränkt bzw. nach Weiterleitung an den jeweiligen Anbieter möglich. Inzwischen mehrfach preisgekrönt ist die App „Wegfinder“ aus Österreich, die nicht nur im städtischen Raum, sondern landesweit funktioniert und sich als „Routenplaner, Ticketshop, Fahrplan, Umgebungskarte und Vergleichsportal für Mobilität in einem“ 118 versteht. Sie umfasst öffentliche Verkehrsmittel (ÖBB, Westbahn, City Airport Train, Vienna Airport Lines 113 Vergleichbare Apps in Österreich und der Schweiz sind „ÖBB App“ und „SBB Mobile“. 114 Hierzu gehört auch das Projekt VDV-Kernapplikation und (((eTicket Deutschland. 115 vgl. INFRA Dialog Deutschland GmbH: Vernetzungsinitiative, Berlin 2016. 116 vgl. TAF mobile GmbH: https: / / www.myeasygo.de, 06.02.2019; Land der Ideen Management GmbH: Handy-App für Bus und Bahn im ÖPNV; https: / / deutscher-mobilitaetspreis.de, 05.02.2019 117 vgl. Land der Ideen Management GmbH: moovel - Die Mobilitäts-App, https: / / deutscher-mobilitaetspreis.de, 05.02.2019 118 iMobility GmbH: Wie wohin, http: / / www.wegfinder.at, 05.20.2019 Anlagen des ÖPNV 51 und Flixbus sowie alle Verkehrsverbünde Österreichs), sechs Anbieter im Fahrrad- und Scooterverleih, zehn Carsharing-Anbieter und Bedarfsverkehr. 119 3.10 Anlagen des ÖPNV Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, die Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung sowie die Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr regeln die Anforderungen, die an die Anlagen des ÖPNV gestellt werden. Übereinstimmend ist darin festgehalten, dass Anlagen (und auch Fahrzeuge) so beschaffen sein müssen, „daß sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen.“ 120 Dabei müssen diese Anlagen so gestaltet sein „daß die Benutzung [...] durch behinderte Menschen und alte Menschen sowie Kinder und sonstige Personen mit Nutzungsschwierigkeiten ohne besondere Erschwernis ermöglicht wird.“ 121 Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung zählt zu den Bahnanlagen alle zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn notwendigen ortsfesten Anlagen, die sich in Bahnanlagen der Bahnhöfe, Bahnanlagen der freien Strecke sowie sonstige Bahnanlagen gliedern lassen. 122 Bahnhöfe sind „Bahnanlagen mit mindestens einer Weiche, wo Züge beginnen, enden, ausweichen oder wenden dürfen.“ 123 Die Grenze zwischen einem Bahnhof und der freien Strecke bilden Einfahrsignale; Bahnhöfe ohne Einfahrsignal werden durch Einfahrweichen begrenzt. Zu Bahnhofsanlagen zählen u.a. Gleisanlagen, Bahnsteige für den Reiseverkehr, Ladestraßen für den Güterverkehr, Sicherungsanlagen und Gebäude, d.h. z.B. Empfangsgebäude, Güterhallen, Lokschuppen, Stellwerke und an die Gleise heranführende Straßen und Wege. 124 Zu den Bahnanlagen der freien Strecke gehören u.a. Abzweigstellen, Anschlussstellen, Haltepunkte und Blockstellen mit Blocksignalen. 125 Haltepunkte sind „Bahnanlagen ohne Weichen, wo Züge planmäßig halten, beginnen oder enden dürfen.“ 126 Zu den sonstigen Bahnanlagen zählen u.a. Werkstattanlagen, Bahnkraftwerke, bahneigene Wasserwerke und Umspannwerke. 119 vgl. iMobility GmbH: Vergleichen, kombinieren und buchen, http: / / www.wegfinder.at, 05.02.2019 120 § 2 Abs. 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und § 2 Abs. 1 Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung 121 § 2 Abs. 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 122 vgl. § 4 Abs. 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung; eine ähnliche Auflistung findet sich in der Straßenbahn- Bau- und Betriebsordnung (vgl. §§15ff Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung). 123 § 4 Abs. 2 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 124 vgl. Potthoff, Gerhart: Die Eisenbahn, Berlin 1979, 36; Marks-Fährmann; Restetzki, Klaus; Biehounek, Alexander; Hegger, Andreas: Grundwissen Bahn, Haan-Gruiten 2015, 32 125 Bei Anwendung der Führerraumsignalisierung ECTS („European Train Control System“) Level 2 können diese Signale entfallen (bisher nur an Neubaustrecken realisiert). 126 § 4 Abs. 8 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 52 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Stationen (d.h. Haltepunkte, Haltestellen, Bahnhöfe), die als solche zu kennzeichnen sind, ermöglichen das planmäßige Halten der Verkehrsmittel und dienen Fahrgästen zum Ein- und Aussteigen. Diese Stationen müssen dem Zweck und der Bedeutung entsprechend ausgestattet sein (vgl. z.B. Kapazität zur Fahrgastabfertigung, Sitzmöglichkeiten, Wetterschutz, Information, Fahrkartenautomat, Notfallvorsorge), wobei die Kriterien Übersichtlichkeit, Transparenz, Sicherheit und Sauberkeit unabhängig von der Größe der Anlagen gleichermaßen von Bedeutung sind. Letztendlich entscheiden sie auch über die Aufenthaltsqualität. Einige Vorzeigeobjekte können nicht davon ablenken, dass gerade im ländlichen Raum oft nicht die Mindestanforderungen erfüllt werden. Kombinierte Straßenbahn-/ Bushaltestelle in Wien Bushaltestelle in Paris Bushaltestelle in Markotabödöge Dies sollte nicht zur Dauerlösung werden. Die Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel bzw. Verkehrsträger (SPNV/ SPNV, SPNV/ ÖPNV, Stadtverkehr mit Regionalverkehr, innerhalb des Stadtverkehrs) findet an den Schnittstellen statt. Diese müssen so ausgelegt sein, dass sie kurze, sichere, barrierefreie Wege ermöglichen. Eine große Zahl an Schnittstellen ist entsprechend dieser Anforderungen bereits umgestaltet worden, mancherorts vielleicht auch ein wenig überdimensioniert. Anlagen des ÖPNV 53 ÖPNV-Schnittstelle Schiene/ Straße, Oelsnitz/ V. ÖPNV-Schnittstelle Schiene/ Straße, Fiesch Busbahnhof, Malmö Busbahnhof, Cheb Die Aufgaben von Betriebshöfen sind vielfältig. Hier beginnen und enden nicht nur die Fahrten der eingesetzten Fahrzeuge. Es erfolgen z.B. auch die Personal- und Fahrzeugeinsatzplanung und die Zuordnung zu den Fahrzeugumläufen, die Bedienung von Sonderfahrten, die Sicherstellung der Versorgung der Fahrzeuge mit Betriebsstoffen (z.B. Kraftstoff, Sand), die Reinigung sowie die Wartung und Instandhaltung. Unterstützt werden kann die Erfüllung dieser Aufgaben durch Betriebshofmanagementsysteme. 127 127 vgl. Stimmerling, Rainer: Betriebshofsmanagement in der Praxis, in: Nahverkehrspraxis 1-2/ 2012, 47 54 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Abbildung 3-8 Haltestellenkennzeichnung verschiedener Verkehrssysteme Verkehrssysteme und Fahrzeuge 55 3.11 Verkehrssysteme und Fahrzeuge Zur Erbringung von Beförderungsleistungen in Städten und Regionen können unterschiedlichste Verkehrsmittel zum Einsatz kommen. Neben den bekannten Formen wie Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen sowie Regionalbahnen und Regional-Express-Zügen werden dabei auch Sonderformen, z.B. Fähren oder Seilbahnen, genutzt. Straßenverkehrsmittel, wozu Kraftomnibus, O-Bus und Straßenbahn zählen, fahren auf Sicht. Das heißt, die Fahrzeuge können einander in einem Abstand folgen, der es dem hinterherfahrenden Fahrzeug ermöglicht, gegebenenfalls rechtzeitig zum Stillstand zu kommen. Nach dem Personenbeförderungsgesetz handelt es sich bei Kraftomnibussen (KOM) um „Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von mehr als neun Personen (einschließlich Führer) geeignet und bestimmt sind.“ 128 O-Busse sind „elektrisch angetriebene, nicht an Schienen gebundene Straßenfahrzeuge, die ihre Antriebsenergie einer Fahrleitung entnehmen.“ 129 Erdgas-Bus im Regionalverkehr, Dachsteinregion O-Bus (Trolleybus) im Stadtverkehr, Bern Elektro-Bus im Stadtverkehr, Wien Hybrid-Trambus im Stadtverkehr, Malmö 128 § 4, Abs. 4, Nr. 2 Personenbeförderungsgesetz 129 § 4, Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz 56 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Straßenbahnen werden im Personenbeförderungsgesetz definiert als „Schienenbahnen, die 1. den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen und sich mit ihren baulichen und betrieblichen Einrichtungen sowie in ihrer Betriebsweise der Eigenart des Straßenverkehrs anpassen oder 2. einen besonderen Bahnkörper haben und in der Betriebsweise den unter Nummer 1 bezeichneten Bahnen gleichen oder ähneln und ausschließlich oder überwiegend der Beförderung von Personen im Orts- oder Nachbarschaftsbereich dienen.“ 130 Dazu zählen auch Hoch- und Untergrund-, Schwebe- oder ähnliche Bahnen, die keine Berg- oder Seilbahnen sind. 131 Hochflurtriebwagen Tatra T6A5 in Doppeltraktion, Bratislava Niederflurgelenktriebwagen NGT D8DD Flexity Classic, Dresden Niederflurgelenktriebwagen Flexity Outlook C (Cityrunner), Innsbruck Niederflurgelenktriebwagen SL 95, Oslo 130 § 4, Abs. 1, Nr. 1 und 2 Personenbeförderungsgesetz 131 § 4, Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz Verkehrssysteme und Fahrzeuge 57 Hochflurtriebwagen Tatra T4 mit Beiwagen, Zagreb Meist ausgelegt in den Spurweiten 1.000 mm oder 1.435 mm, teilen sich Straßenbahnen vielerorts den Verkehrsraum mit dem übrigen Straßenverkehr, teilweise wurden aber auch besondere Bahnkörper geschaffen. Handelte es sich bei den klassischen Straßenbahnen ausschließlich um hochflurige Fahrzeuge, kommen heute in der Mehrzahl Fahrzeuge mit 70-100 % Niederfluranteil zum Einsatz. 132 Grundsätzlich lassen sich bei Straßenbahnen Einzeltriebfahrzeuge, Doppel- oder Mehrteiltriebfahrzeuge und Gelenktriebfahrzeuge sowie Beiwagen unterscheiden. 133 Insbesondere in kleineren Städten, in denen ein Straßenbahnnetz nicht effizient betrieben werden könnte, wird der Bus aufgrund seiner Flexibilität und seines Einsatzes im normalen Straßennetz als das geeignetste Verkehrsmittel betrachtet. Größere Verkehrsströme, d.h. ca. 5.000 bis 90.000 Personen täglich, lassen sich günstiger mit Straßenbahnen bewältigen. Die Errichtung der erforderlichen Infrastruktur ist wesentlich preiswerter als jener für eine U-Bahn. Zehn Straßenbahn-Kilometer kosten dabei in etwa so viel wie ein U-Bahn-Kilometer. 134 Die Renaissance der Straßenbahn In Deutschland wurden zwischen 1950 und 1980 zahlreiche Straßenbahnbetriebe stillgelegt. Dabei wurde in 65 bundesdeutschen Städten - auch in Großstädten, wie Aachen oder Kiel - auf Busbetrieb umgestellt. Auch Hamburg oder West-Berlin trennten sich von der Straßenbahn und setzten auf ihre U- und S-Bahn-Systeme sowie den Bus. Etwa 30 andere Städte hielten trotz dieser Stilllegungswelle an der Straßenbahn fest und versuchten, ihre Netze durch Um- und Ausbauten zukunftsfähig zu machen. Dazu gehörte z.B. die Erhöhung des Eigentrassenanteils, der Bau von Tunnelstrecken in den Stadtzentren oder aber die Konzentration auf die am stärksten ausgelasteten Hauptachsen. 135 132 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007, 30 133 vgl. Janicki, Jürgen: Reinhard, Horst; Rüffer, Michael: Schienenfahrzeugtechnik, Berlin 2013, 30 134 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 380; Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 319 135 vgl. o.V.: Die Entwicklung der Straßenbahn in Deutschland, in: Straßenbahnen in Deutschland von A-Z, Straßenbahn-Magazin Spezial Nr. 20, 2010, 7f 58 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung In der ehemaligen DDR haben wesentlich mehr Straßenbahnbetriebe diese Zeit überlebt, auch aufgrund des geringen Motorisierungsgrades der Bevölkerung. Lediglich sechs Straßenbahnbetriebe wurden zwischen 1945 und 1990 stillgelegt. Nach der Wiedervereinigung wurden fast alle DDR-Straßenbahnbetriebe weitergeführt, auch in Kleinstädten. Selbst in Naumburg, wo der Straßenbahnbetrieb 1991 zunächst aufgegeben wurde, fährt die Bahn heute wieder als touristische Attraktion. 136 Mit der Entwicklung von Niederflurwagen wurden neue Impulse am Straßenbahnmarkt gesetzt. Mit diesen Fahrzeugen kann ein bequemer und behindertenfreundlicher Ein- und Ausstieg aus einer Bahn gewährleistet werden. Der Fahrgastwechsel verläuft somit schneller, genauso der Kursumlauf. Dadurch lassen sich Fahrzeug- und Personalkosten verringern. 137 Um attraktivere Nahverkehrsangebote zu schaffen und Städte bzw. deren Zentren besser mit ihrem Umland zu verknüpfen, wurden Straßenbahnstrecken unter Nutzung von Eisenbahnstrecken verlängert. Vorreiter ist dabei das Karlsruher Modell (1991). Saarbrücken, Kassel und Chemnitz folgten. Inzwischen besinnt man sich auch anderswo wieder auf die Stärken der Straßenbahn. Straßenbahnen gibt es heute in über 400 Städten weltweit, wobei sie vor allem in Europa verbreitet sind. In Deutschland arbeiten derzeit 55 Straßenbahnbetriebe (siehe folgende Tabelle). Dabei zeigt sich, dass in jüngerer Vergangenheit in verschiedenen Städten Netzausbaumaßnahmen stattgefunden haben. Auch Investitionen in modernes Rollmaterial sind vielerorts zu verzeichnen. 138 Straßenbahnbetrieb Inbetriebnahme Spurweite in mm Netzlänge in km Straßenbahnbetrieb Inbetriebnahme Spurweite in mm Netzlänge in km Augsburg 1881 1.000 45,4 Kassel 1877 1.435 182** Bad Schandau 1898 1.000 7,8 Köln 1877 1.435 197,7 Berlin 1865 1.435 190,9 Krefeld 1883 1.000 45 Bielefeld 1900 1.000 35,6 Leipzig 1872 1.458 145,6 Bochum- Gelsenkirchen 1894 1.000; 1.435 86,3; 16,5 Magdeburg 1877 1.435 65,1 Mainz 1883 1.000 28 Bonn 1891 1.435 64,2 München 1876 1.435 82 Brandenburg 1897 1.000 17,7 Naumburg/ Saale 1892 1.000 2,9 Braunschweig 1879 1.100 37 Nordhausen 1900 1.000 6,6 Bremen 1876 1.435 79 Nürnberg 1881 1.435 35,8 136 vgl. o.V.: ebd., 7 und 10 137 vgl. o.V.: ebd., 10 138 vgl. Kussmack, Bernhard: Chronik Weltweit, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 106f; Sperl, Michael et al: Chronik Deutschland, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 26ff Verkehrssysteme und Fahrzeuge 59 Fortsetzung Straßenbahnbetrieb Inbetriebnahme Spurweite in mm Netzlänge in km Straßenbahnbetrieb Inbetriebnahme Spurweite in mm Netzlänge in km Chemnitz 1880 1.435 33 Oberhausen 1897/ 1996 1.000 9,6 Cottbus 1903 1.000 23,7 Darmstadt 1886 1.000 42 Plauen 1894 1.000 16,4 Dessau 1901 1.435 11,9 Potsdam 1880 1.435 30,9 Dortmund 1881 1.435 102,8 Rhein-Neckar: Heidelberg Mannheim Ludwigshafen 1885 1878 1965 1.000 206,2 Dresden 1872 1.450 134,3 Düsseldorf 1876 1.435 156,0 Duisburg 1881 1.435 53,5 Rostock 1881 1.435 35,6 Erfurt 1883 1.000 42,9 Ruhrbahn: Essen Mühlheim 1893 1897 1.000; 1.435 81,1; 31,1 Frankfurt/ Main 1872 1.435 132 Frankfurt/ Oder 1898 1.000 19,5 Saarbrücken 1890 1.435 33,2 Freiburg 1901 1.000 36,4 Schöneiche- Rüdersdorfer Straßenbahn 1910 1.000 14,5 Gera 1892 1.000 18,5 Görlitz 1882 1.000 11,8 Schwerin 1881 1.435 22,2 Gotha 1894 1.000 36,3 Strausberg 1893 1.435 6,0 Halberstadt 1887 1.000 11,7 Stuttgart 1868 1.435 131 Halle/ Saale 1882 1.000 86,1 Ulm 1897 1.000 10,1 Hannover 1872 1.435 122,7 Woltersdorf 1909 1.435 5,6 Heilbronn 2001 1.435 2,9 Würzburg 1892 1.000 19,7 Jena 1901 1.000 26,5 Zwickau 1894 1.000 20,2 Karlsruhe 1877 1.435 356* * VBK und AVG; ** mit Regio-Tram Tabelle 3-12 Straßenbahnbetriebe in Deutschland 139 Straßenbahnen in Österreich und in der Schweiz In Österreich gibt es derzeit fünf Straßenbahnbetriebe (siehe folgende Tabelle). Die Betriebe in Baden, Mödling, St. Pölten, Ybbs, Salzburg, Dornbirn und Klagenfurt bestehen inzwischen nicht mehr. In der Schweiz existieren aktuell sechs Straßenbahnbetriebe (siehe folgende Tabelle). Auch hier wurden im Laufe der Zeit mehrere Straßenbahnbetriebe (z.B. in St. Moritz, Spiez oder Schwyz) eingestellt. 139 erstellt nach: Sperl, Michael et al: Chronik Deutschland, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 26ff; Straßenbahnen in Deutschland von A-Z, Straßenbahn-Magazin Spezial Nr. 20, 2010 60 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Straßenbahnbetrieb Inbetriebnahme Spurweite in mm Netzlänge in km Straßenbahnbetrieb Inbetriebnahme Spurweite in mm Netzlänge in km Gmunden 1894 1.000 2,3* Basel 1895 1.000 88,5 Graz 1878 1.435 33,5 Bern 1890 1.000 28,7 Innsbruck 1891 1.000 23** Genf 1862 1.000 33,1 Linz 1880 900 31*** Lausanne 1991 1.435 7,8 Wien 1865 1.435 165**** Neuchâtel 1892 1.000 8,9 Zürich 1882 1.000 81,8 * seit 09/ 2018 Teil der Traunseetram (18 km); ** zzgl. Stubaitalbahn (18,2 km); *** zzgl. Pöstlingbergbahn (2,9 km); **** zzgl. Wiener Lokalbahn (27,2 km) Tabelle 3-13 Straßenbahnbetriebe in Österreich und in der Schweiz 140 Zu den Stadtschnellbahnen zählen Stadtbahnen, Untergrund- und S-Bahnen. Sie dienen der Erschließung dichtbevölkerter städtischer Räume und Ballungsgebiete bzw. als Stadt-Umland-Bahn der Verknüpfung mit der umliegenden Region. Stadtschnellbahnen fahren - wie auch die Eisenbahnen - im Raumabstand und nutzen dabei eigene Gleise oder das Netz der Eisenbahn. In der Regel handelt es sich um Zweischienenbahnen, aber auch unkonventionelle Lösungen sind vertreten (vgl. Wuppertaler Schwebebahn). Typische Merkmale sind ein starrer Fahrplan mit dichter Zugfolge sowie hohe Fahr- und Reisegeschwindigkeiten, die einen raschen Fahrgastwechsel erfordern. Ermöglicht wird dies durch die Konstruktion der Fahrzeuge und Stationen. Zum Einsatz kommen hier spezielle Nahverkehrs- oder Eisenbahnfahrzeuge. 141 Der Bau und Unterhalt der Bahnanlagen erfordert einen hohen Investitionsaufwand. Stadt-Umland-Bahn, City-Bahn Chemnitz U-Bahn, Hamburger Hochbahn 140 erstellt nach: Schrempf, Robert: Chronik Österreich, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 66ff; Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 5ff; Schrempf, Robert: Chronik Schweiz, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 72ff 141 vgl. Transpress-Lexikon Eisenbahn, Berlin 1971, 730f Verkehrssysteme und Fahrzeuge 61 U-Bahn, Wiener Linien Métro Paris, RATP S-Bahn Steiermark, Bf Stübing Stockholms Pendeltåg, Bf Märsta Als Stadtbahnen bezeichnet man oft Straßenbahnen, die in Ausstattung und Betrieb mit U- oder S-Bahnen vergleichbar sind. Diese Bahnen verfügen i.d.R. über einen eigenen Bahnkörper und sind somit weitgehend unabhängig vom Individualverkehr, weisen allerdings Kreuzungen mit dem Straßenverkehr auf. Insbesondere in innerstädtischen Bereichen werden die Strecken auch durch Tunnel oder als Hochbahn geführt. 142 Zum Einsatz kommen spezielle, an die Bahnsteige angepasste Fahrzeuge, die hohe Kapazitäten und einen hohen Fahrkomfort aufweisen und durch mehrere breite Türen einen schnellen Fahrgastwechsel ermöglichen. Die Haltestellenabstände sind kurz, die Stationen komfortabel ausgestattet (vgl. Witterungsschutz, Fahrkartenautomaten, Informationssysteme). Die Bahnen verkehren nach einem Taktfahrplan mit dichter Zugfolge. Allerdings ist der Begriff Stadtbahn weder in Normen noch Gesetzen gesondert definiert. 143 Rechtlich werden die Stadtbahnen daher den 142 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: VDV-Statistik 2011, Köln 2012, 87 143 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007, 30 62 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Straßenbahnen zugerechnet, weshalb in Deutschland hier die Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung zur Anwendung kommt. 144 U-Bahnen sind vorwiegend unterirdisch verkehrende, elektrische Bahnen im Stadtbereich, die auf eigener Trasse - und völlig unabhängig von anderem städtischen Verkehr - mit Spezialfahrzeugen nach einem starren Fahrplan mit dichter Zugfolge und Zugsicherung fahren und dieserart hohe Kapazitäten zur Personenbeförderung schaffen. 145 U-Bahnen können verschiedene Formen aufweisen. Dabei kann es sich um Unterpflasterbahnen oder Tiefbahnen (Untergrundbahn) handeln. Aber auch eine Führung auf Dämmen bzw. Hochstrecken (Hochbahn) ist möglich. Welche Bauweise genutzt wird, hängt u.a. auch von den geologischen Voraussetzungen in der jeweiligen Stadt ab. Kennzeichnend für U-Bahn-Systeme sind hohe Bahnsteige. Dadurch ist bei der bisher üblichen Nutzung von Hochflurfahrzeugen ein stufenloses Einbzw. Aussteigen gewährleistet. Inzwischen kommen bei neuen U-Bahn-Systemen auch Niederflurfahrzeuge zum Einsatz. Allerdings sind die Zugänge zu den Bahnsteigen oft mit langen Wegen, die nicht generell barrierefrei sind, verbunden. Ein weiteres typisches Merkmal von U-Bahn-Netzen ist der reine Linienbetrieb. Das heißt, eine bestimmte Strecke wird ausschließlich von einer Linie bedient. In manchen U-Bahn-Netzen wird jedoch auch von diesem Prinzip abgewichen. 146 Der Bau von U-Bahn-Netzen ist aufgrund des hohen Aufwandes nur bei sehr starken Verkehrsströmen sinnvoll. In der Regel liegen solche Verkehrsströme in Städten mit mehr als einer Million Einwohner vor. 147 Als Synonym für die U-Bahn wird auch der Begriff Metro gebraucht. Die Metro stellt ebenfalls eine Form der Stadtschnellbahn dar. 148 Nach deutschem und österreichischem Recht werden U- Bahnen allerdings als Straßenbahnen betrachtet. 149 Teilweise werden auch Stadtbahnen oder Straßenbahnen unterirdisch geführt, um dieserart Platz für den Oberflächenverkehr zu gewinnen. Jedoch fehlt ihnen das Merkmal der völligen Unabhängigkeit vom sonstigen städtischen Verkehr, weshalb es sich dabei nicht um U-Bahnen - wenngleich mitunter von den Betreibern als solche bezeichnet - handelt. U-Bahn-Systeme weltweit Weltweit existieren in knapp 180 Städten in 56 Ländern U-Bahn-Systeme, die täglich etwa 168 Mio. Fahrgäste transportieren. Innerhalb der vergangenen 20 Jahre wurden 75 neue U- Bahnen installiert, vor allem in Asien. Hier befinden sich auch sieben der zehn am stärksten frequentierten Metros weltweit. Die Plätze eins bis drei nehmen dabei Tokio, Moskau und 144 vgl. § 4 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 145 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Stadtbahnsysteme, Köln 2014, 32 146 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 270 und 318; Zschweigert, Manfred: Bahnanlagen des Nahverkehrs, Berlin 1982, 14; International Association of Public Transport: What are metros? , http: / / www.uitp.org, 28.08.2013; Transpress-Lexikon Eisenbahn, Berlin 1971, 829 147 vgl. ebd.; Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 380 148 vgl. Transpress-Lexikon Eisenbahn, Berlin 1971, 539 149 vgl. § 4 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz, § 2 Abs. 1 b) Straßenbahnverordnung Verkehrssysteme und Fahrzeuge 63 Shanghai ein. U-Bahn-Systeme mit den längsten Liniennetzen befinden sich in Shanghai, Beijing und Seoul. Etwa 7 % aller Linien werden vollautomatisch betrieben. 150 Region Städte Linienlänge Stationen Passagiere pro Jahr Asien-Pazifik 70 7.218 km 5.200 26.690 Mio. Eurasien 16 813 km 540 4.700 Mio. Europa 46 2.921 km 2.950 10.750 Mio. Mittel- und Südamerika 19 943 km 780 5.915 Mio. Nahost und Nordafrika 9 464 km 350 1.990 Mio. Nordamerika 18 1.544 km 1.270 3.730 Mio. Tabelle 3-14 U-Bahn-Systeme weltweit 151 S-Bahnen sind Eisenbahnverkehrssysteme, die der Erschließung von Ballungsräumen dienen. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Stadtschnellbahnsysteme in Berlin und Hamburg, hat sich inzwischen aber in Deutschland und Nachbarländern für vergleichbare Systeme durchgesetzt. Wurden S-Bahn-Netze anfangs unabhängig vom Netz der Eisenbahn auf eigenem Bahnkörper betrieben, so sind sie heute auch oft miteinander verflochten. Ein wesentliches Kennzeichen der S-Bahn ist eine dichte Vertaktung (zehn, 15 oder 20 Minuten), allerdings weisen Linien, die die Stadt mit dem ländlichen Raum verbinden, auch Taktfolgen von einer oder zwei Stunden auf. Weitere Merkmale sind eine hohe Kapazität sowie Haltestellenabstände zwischen 0,8 und 2 km, wobei die innerstädtischen Haltestellenabstände im Vergleich zur U-Bahn größer sind. Mit den übrigen Verkehrsmitteln des ÖPNV sind S-Bahn-Systeme i.d.R. gut vernetzt. Der überwiegende Teil der S-Bahn-Systeme wird elektrisch betrieben: entweder - wie in Berlin und Hamburg - über eine seitlich am Gleis angebrachte Stromschiene oder mit der sonst üblichen Fahrstromversorgung über Oberleitungen. Auf einigen Linien, die als S-Bahnen bezeichnet werden, kommen auch Dieselfahrzeuge zum Einsatz. 152 Während U-Bahnen im Allgemeinen zu städtischen Verkehrsunternehmen gehören, sind S-Bahnen oft Tochtergesellschaften der Fernbahnbetreiber. Anders als U-Bahnen werden S-Bahnen den Eisenbahnen zugeordnet. 153 Damit finden in Deutschland das Allgemeine Eisenbahngesetz und die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung Anwendung - mit entsprechenden Auswirkungen auf Fahrzeuge und Bahnanlagen. Gleichzeitig wird dadurch eine Mischnutzung der Trassen ermöglicht. 150 vgl. Union Internationale des Transports Publics: World Metro Figures 2018, 1ff 151 erstellt nach: ebd., 1 152 vgl. o.V.: S-Bahn, http: / / www.mobi-wissen.de, 06.02.2019; Zschweigert, Manfred: Bahnanlagen des Nahverkehrs, Berlin 1982, 14 153 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007, 32; Pachl, Jörn: Betriebsführung der Infrastruktur, in: Fendrich, Lothar (Hrsg.): Handbuch Eisenbahninfrastruktur, Berlin/ Heidelberg 2007, 558 64 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Klassische S-Bahn-Systeme eignen sich vor allem für Städte bzw. Ballungsräume mit mehr als 250.000 Einwohnern. 154 Auch in Österreich und in der Schweiz werden S-Bahn-Systeme betrieben, wenngleich diese nicht immer in allen Merkmalen mit jenen einer klassischen S-Bahn übereinstimmen. Vergleichbare Systeme gibt es auch in anderen Ländern, so z.B. den Réseau Express Régional (RER) in Frankreich, den Pendeltåg in Schweden oder den S-tog in Dänemark. Die folgende Tabelle fasst die wesentlichen Merkmale der einzelnen Verkehrsmittel bzw. -systeme zusammen. Straßenverkehrsmittel Stadtschnellbahnen Verkehrsmittel Bus O-Bus Straßenbahn Stadtbahn U-Bahn S-Bahn Art der Abstandssicherung Fahren auf Sicht Fahren im Raumabstand typischer Einsatz freizügig im Straßennetz an Fahrleitung gebunden an Gleis und Fahrleitung gebunden eigene Gleise in Stadt und Region eigene Gleise nur z.T. eigene Gleise in Region und Stadt Platzangebot (Steh-/ Sitzplätze) 100-165 > 100 180 180-250 200 500-600 Leistungsfähigkeit (Personen/ h) 600-1.000 600 1.500 4.500 10.000 25.000 Haltestellenabstand (m) 200-500 200-500 200-600 300-1.000 500-1.500 1.000-3.000 Einzugsbereich (m) 200-300 200-300 300-400 400-500 750-1.000 1.000- 1.500 Gehzeit (min) 4-6 4-6 5-8 8 8-10 10-15 Reisegeschwindigkeit (km/ h) 10-15 10-15 15-25 20-40 30-50 bis 40 typische Fahrzeugfolgezeit (min) 20-120 10-30 10-30 10-30 5-15 20-60 Tabelle 3-15 Merkmale ausgewählter Verkehrsmittel im ÖPNV 155 Im SPNV werden neben der S-Bahn zwei weitere Zuggattungen unterschieden: die Regionalbahn und der Regional-Express. Während die i.d.R. im Takt verkehrende Regionalbahn (RB) ein Grundangebot bereitstellt und dabei alle Stationen einer Linie bedient, bietet der ebenfalls getaktete Regional-Express (RE bzw. REX) höhere Reisegeschwindigkeiten, da nur ausgewählte Stationen eingebunden werden. 154 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 380 155 erstellt nach: Reinhard, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 485f; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 267; Salzburg AG: Fahrplan, http: / / www.salzburg-ag.at, 06.02.2019; Wiener Linien: Fahrpläne, http: / / www.wienerlinien.at, 06.02.2019 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 65 Alle im ÖPNV eingesetzten Fahrzeuge müssen dem Zweck (d.h. z.B. Einsatzorte, angestrebte Fahrzeit, Kapazität) entsprechend ausgestattet sein und einen zuverlässigen und sicheren Betrieb sowie für die Fahrgäste eine angenehme Fahrt gewährleisten können. Im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung sind deshalb folgende Faktoren von großer Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielen zunächst die Fahrzeuggröße und damit erreichbare Kapazitäten. Es gibt zwar Fahrzeuge unterschiedlicher Größe, allerdings lassen sich Kapazitäten nicht beliebig vergrößern oder verringern, sondern nur sprunghaft adaptieren. Die zum Einsatz kommenden Fahrzeuge wirken sich maßgeblich auf die Kostenstruktur des Unternehmens aus, beeinflussen aber auch dessen betriebliche Flexibilität und Reaktionsvermögen auf Nachfrageschwankungen. Während sich durch große Fahrzeuge die direkten Betriebskosten pro Fahrgast niedrig halten lassen, ermöglichen kleine Fahrzeuge eine bessere zeitliche Verteilung der angebotenen Verbindungen. Große Fahrzeuge setzen dabei eine konstante und relativ hohe Nachfrage voraus. Mit kleinen Fahrzeugen kann man wiederum besser auf Nachfrageschwankungen reagieren. Aus diesem Grund ist auch die betriebliche Flexibilität von Bedeutung, d.h. z.B. bei Schienenfahrzeugen eine automatische Kupplung, um Züge auf einfache Weise verstärken zu können (vgl. Traktionsfähigkeit). Kapazitätssteuerung kann durch den Einsatz alternativer Bedienformen (vgl. Anruf-Sammeltaxi, Anrufbus) oder auch eine bessere Verknüpfung von regulärem Linienverkehr und Schülerverkehr erfolgen. Die Mittelwerte realer Fahrgastzahlen unterscheiden sich bei den einzelnen Verkehrsmitteln stark, spiegeln dabei aber gleichzeitig deren Eignung für spezifische Siedlungsstrukturen wider. Verkehrsmittel Fahrgastzahlen (Fahrgäste/ Tag) Bürgerbus 20-50 Anruf-Sammeltaxi 40-100 Bedarfsbus (Richtungsband*) 500-1.000 Regionalbus in der Fläche je Linie 1.000-3.000 Stadtbus im Ballungsgebiet 2.000-15.000 Straßenbahnlinie 10.000-30.000 Stadtbahnlinie 20.000-100.000 U-Bahn-Linie 100.000-200.000 * alle Haltestellen auf Linie bedient, Umwegfahrten und Stichfahrten möglich, Anmeldung notwendig Tabelle 3-16 Mittelwerte realer Fahrgastzahlen 156 Die Fahrzeuge sollten ein ansprechendes Erscheinungsbild aufweisen und angemessenen Fahrgastkomfort bieten. Dazu gehören z.B. die generelle Raumgestaltung, die Anzahl und Anordnung der Sitzplätze sowie die Qualität der Sitze, das Raumklima (Klimatisierung, Heizung), Größe und Anordnung der Fenster samt Sonnenschutz, eine angemessene Beleuchtung, ein niedriges Geräuschniveau, zweckmäßige Informationssysteme sowie eine geeignete Gestaltung der Einstiege (vgl. Fahrgastfluss). Ebenso sollten die Fahrzeuge - soweit aufgrund der Größe und Bauart möglich - Mehrzweckabteile für Fahrgäste mit Fahrrädern, Kinderwagen sowie mit sperrigem Gepäck bieten und die Forderungen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung 156 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 469 66 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung erfüllen. Die allgemeine Sicherheit der Fahrgäste lässt sich durch eine gute Durchsicht durch die Wagen sowie den Einbau von Überwachungs- und Notrufsystemen erhöhen. Bus „IVECO Crossway LE“, ÖBB-Postbus GmbH auf der Strecke Eisenstadt-Mörbisch Variobahn 6NGT-LDZ, Chemnitzer Verkehrs-AG B2 „Boa“, Metro Brüssel X61 „Coradia Nordic“, Pågatåg Z5600, Doppelstockwagen, RER C Paris Baureihe VT5063, Graz-Köflacher-Bahn Barrierefreie Mobilität 67 ÖBB-Baureihe 4023 „Talent“, Regionalverkehr Semmeringbahn DB-Baureihe 2442 „Talent 2“, Werdenfelsbahn So wie sich die Fahrzeuge in ihren Merkmalen unterscheiden, differieren sie auch in den Anschaffungskosten. Für einen Standardbus fallen - je nach Ausstattung und Hersteller - zwischen 250.000 und 350.000 Euro an. Eine Straßenbahn kostet bereits 2,5 bis 3 Mio. Euro. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings auch, dass die Nutzungsdauer bei Bussen im Durchschnitt zehn bis 15 Jahre beträgt und Straßenbahnen wesentlich länger, teilweise weit über 20 Jahre, eingesetzt werden. Angesichts neuer Fahrwerks- und Antriebslösungen können sich diese Zeiten allerdings relativieren. 157 Betriebs-, Unterhalts- und Instandsetzungskosten fallen ebenso unterschiedlich aus. Der Einsatz eines Busses ist stets preiswerter als der einer Bahn. Fahren Bahnen nicht auf dem eigenen Netz, so kommen Trassenentgelte und Stationsgebühren hinzu. Durch die Wartungs- und Instandhaltungskosten für Schienen und Oberleitungen werden Bahnen zudem teurer. Niedrige Betriebskosten lassen sich durch einen geringen Energieverbrauch (niedriges Fahrzeuggewicht), eine hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit, lange Einsatzzeiten der Verschleißteile, insbesondere auch der Räder, niedrige Unterhaltungskosten sowie günstige Modalitäten der Instandhaltung (vgl. Zugänglichkeit der einzelnen Baugruppen, Austauschrhythmen usw.) erreichen. Schließlich sollte auch die Umweltverträglichkeit (vgl. z.B. niedriger Energieverbrauch, geringere Feinstaubbelastung, niedriger Geräuschpegel nach außen) eine Rolle spielen. Weiterhin sollten personalbezogene Aspekte wie Bedienungsfreundlichkeit und Ergonomie des Arbeitsplatzes, aber auch Sicherheitsbelange in Bezug auf das Crash-Verhalten des Fahrzeugs sowie den Schutz vor Übergriffen berücksichtigt werden. 3.12 Barrierefreie Mobilität Angesichts des demographischen Wandels wird barrierefreie Mobilität, die auch Senioren die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtert, immer wichtiger. 157 vgl. Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 320; o.V.: Die Entwicklung der Straßenbahn in Deutschland, in: Straßenbahnen in Deutschland von A-Z, Straßenbahn-Magazin Spezial Nr. 20, 2010, 12 68 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Unter barrierefreier Mobilität wird verstanden, „dass sowohl die bauliche Umwelt als auch das Verkehrssystem für alle Menschen ohne fremde Hilfe benutzt werden können.“ 158 Barrierefreie Mobilität bezieht sich dabei auf alle Elemente einer Reisekette. Denn nur, wenn alle Bestandteile - die Wege von und zu den Stationen, die Stationen selbst und die Verkehrsmittel, aber auch Vertriebswege und Informationsmöglichkeiten - entsprechend gestaltet sind, kann der mobilitätseingeschränkte Nutzer davon profitieren. Das Behindertengleichstellungsgesetz fordert in diesem Zusammenhang, dass „[s]onstige bauliche oder andere Anlagen, öffentliche Wege, Plätze und Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr [...] nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Bundes barrierefrei zu gestalten [sind].“ 159 Eine barrierefreie Gestaltung sollte dabei nicht nur auf bauliche Aspekte, sondern auch den Abbau psychischer Barrieren beinhalten. Mobilitätseinschränkungen müssen nicht dauerhaft, sondern können auch temporärer Art sein. Folgende Formen lassen sich unterscheiden: Bewegung (Motorik) Wahrnehmung (Sensorik) Verstehen (Kognition) Weitere Temporäre Einschränkungen Kinderwagen Krankheit/ Verletzung (z.B. Beinbruch) Begleitung von Kleinkindern Alkohol-/ Drogengebrauch Krankheit/ Verletzung Ortsfremdheit mangelnde Routine (z.B. im Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln) fremde Sprache altersbedingte Einschränkungen (z.B. kleinere Körpergröße bei Kindern) Dauerhafte Einschränkungen Gehbehinderung Stehbehinderung Greifbehinderung Sehbehinderung Blindheit Hörbehinderung Taubheit geistige Behinderung Lernschwierigkeit chronische Erkrankungen Kleinwüchsigkeit Tabelle 3-17 Beispiele für dauerhafte und temporäre Mobilitätseinschränkungen 160 Um derart mobilitätseingeschränkten Personen die Nutzung des ÖPNV zu erleichtern, werden verschiedene Ansätze verfolgt: Im Rahmen der Bewusstseinsbildung sollen Akteure im ÖPNV, insbesondere die Entscheidungsträger, für diese Anliegen sensibilisiert und die Entwicklung und Umsetzung von sinnvollen Lösungen und Angeboten (z.B. Schulungen, Mobilitätstrainings) angeregt werden. 158 Dziekan, Katrin; Ruhrort, Lisa; Ahrend, Christine: Das Prinzip Design für alle, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2011, 33 159 § 8 Abs. 2 Behindertengleichstellungsgesetz 160 Dziekan, Katrin; Ruhrort, Lisa; Ahrend, Christine: Das Prinzip Design für alle, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2011, 34 Barrierefreie Mobilität 69 Die Vermittlung von Informationen muss nicht nur inhaltlich verbessert, sondern auch hinsichtlich der Übertragungsqualität optimiert werden. Technische Hilfsmittel können die Informationsübertragung (z.B. Sprachausgabegeräte, Kennzeichnung in Brailleschrift) unterstützen. Wesentlicher Bestandteil sind physisch-bauliche Aspekte, die auch unter Einbeziehung Betroffener zu diskutieren und umzusetzen sind (z.B. Bodenindikatoren, Boardingsysteme). Schließlich müssen geeignete Mobilitätsangebote geschaffen werden, wozu nicht nur die Verbesserung klassischer, sondern auch die Weiterentwicklung bzw. der Ausbau alternativer und nicht-motorisierter Angebote gehört. 161 Taktiles Leitsystem, Bratislava Leitsystem am Handlauf, Kitzbühel Personenaufzug, Düsseldorf Hublift als Einstiegshilfe, Zittau 161 vgl. Unbehaun, Wiebke; Uhlmann, Tina; Sammer, Gerd; Millonig, Alexandra; Mandl, Bettina: Chancengerechtigkeit in der Mobilität, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2012, 54f 70 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Rollstuhl-/ Kinderwagenstellplatz im Fahrzeug, Innsbrucker Verkehrsbetriebe Sitzplatz reserviert, Wiener Linien Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes sieht vor, „für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.“ 162 Damit verbunden sind umfangreiche Investitionsmaßnahmen sowohl in die Fahrzeuge als auch in die Infrastruktur. Niederflurbusse 3 Mrd. Euro Schienenfahrzeuge nach der BOStrab 3,5 Mrd. Euro Bushaltestellen 4 Mrd. Euro Straßen-, Stadt-, und U-Bahn-Haltestellen 5 Mrd. Euro Eisenbahnstationen der DB AG 5 Mrd. Euro Summe Investitionsbedarf 20,5 Mrd. Euro Tabelle 3-18 Investitionsbedarf für einen barrierefreien Umbau im ÖPNV bis 2022 163 Die Entscheidungsträger im öffentlichen Verkehr sind sich der Bedeutung der barrierefreien Mobilität bewusst. Auch die Forschung untersucht schon lange, wie man derartige Angebote optimieren kann. Die Realität weist aber noch großen Verbesserungsbedarf auf. Beispielsweise haben von der Bahnindustrie angebotene Lösungen, wie Spaltüberbrückungen an den Türen, in der Praxis oft noch ihre Tücken. Nachbesserungen oder Nachrüstungen werden teilweise notwendig. Diese sind aber stets teurer als die Einplanung von Anfang an. Kritisiert wird zudem, dass bei all diesen Untersuchungen Menschen mit Behinderung, vorzugsweise Menschen im Rollstuhl, im Mittelpunkt stehen, Senioren als relevante Zielgruppe aber vergessen werden. 164 162 § 8 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz vom 8. August 1990 (Stand 20. Juli 2017) 163 erstellt nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Weichenstellungen für Wachstum und Innovationen im öffentlichen Verkehr in Deutschland, Köln 2017, 7 164 vgl. Kahl, Thomas: Fahrgast-Ansprüche steigen, in: Privatbahn-Magazin 6/ 2012, 16f Barrierefreie Mobilität 71 Ältere Menschen wurden lange Zeit vereinfachend der Gruppe der „Captives“ zugeordnet, also denjenigen Fahrgästen, die keine andere Mobilitätsalternative als den ÖPNV haben und zwangsläufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen. 165 Senioren werden zukünftig aber zahlenmäßig stärker vertreten sein, denn die Lebenserwartung der Menschen steigt. Dies heißt aber nicht automatisch, dass der ÖPNV dadurch von mehr Fahrgästen profitiert. Führerscheinbesitz und Pkw-Verfügbarkeit nehmen beispielsweise bei den Seniorinnen deutlich zu. Es gilt also, rechtzeitig Berührungsängste zum ÖPNV abzubauen, mit der Nutzung vertraut zu machen und durch ein passendes Angebot zu überzeugen. Im Rahmen des Projektes AENEAS wurden verschiedene Problemkreise identifiziert, die Senioren die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren: Geschwindigkeit verschiedener Prozesse: Ein- und Aussteigen, Finden eines Sitzplatzes, Schließen der Türen, Anfahren des Fahrzeugs, Umsteigen, Technik: Technisierung und Automatisierung insgesamt, Überforderung, Fahrscheinerwerb am Automaten, Information: Verständlichkeit (akustisch, visuell), Tarifangebot, Ängste: Unsicherheit, überfüllte Fahrzeuge, Stürze, fehlendes Wissen, Gewohnheit: Konditionierung auf Pkw. 166 Demgegenüber steht eine Erwartungshaltung, die ein „einfach bedienbares und verständliches ÖV- System, einfaches Umsteigen, Vermeidung von großen Belastungen und Stress, verständliche und brauchbare Information, ansprechbares Servicepersonal, Sicherheit vor Unfällen und Belästigung, geeignete Fahrzeuge und Infrastruktur, weniger Barrieren für GelegenheitsnutzerInnen, Sauberkeit und gutes Erscheinungsbild“ 167 einschließt. Mittlerweile werden von Verkehrsbetrieben bzw. -verbünden spezielle Trainingsmaßnahmen angeboten, bei denen Senioren die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel üben können. Ebenso werden die Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen entsprechend geschult. 168 Barrierefreiheit kann insgesamt als entscheidendes Qualitätsmerkmal betrachtet werden. Denn nicht nur temporär oder dauerhaft mobilitätseingeschränkten Personen wird dadurch der Zugang zum ÖPNV erleichtert, sondern allen Nutzern: „So ist bekannt, dass eine barrierefrei zugängliche Umwelt für etwa 10 % der Bevölkerung zwingend erforderlich, für etwa 30 bis 40 % notwendig und für 100 % komfortabel ist.“ 169 165 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Handbuch „Mobilität im Alter“, Wien 2013 (Langfassung), 69 166 vgl. ebd., 70f 167 ebd., 72 168 siehe dazu z.B. Verkehrsverbund Rhein Neckar: Mobilitätstraining, Mannheim 2016; Chemnitzer Verkehrs-AG: Sicher mobil mit Tram und Bus! , https: / / www.cvag.de, 11.02.2019; Innsbrucker Verkehrsbetriebe und Stubaitalbahn GmbH: Mobilitätstraining, http: / / www.ivb.at, 11.02.2019 169 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle, Münster/ Berlin 2003, 3 4 Organisation und Finanzierung 4.1 Organisation des ÖPNV Nahverkehrsgesetze regeln die Organisation des Nahverkehrs in den Bundesländern. Dabei kann das Bundesland selbst diese Aufgabe wahrnehmen oder aber sie an die Gebietskörperschaften abgeben. Für die Sicherstellung eines ausreichenden ÖPNV-Angebots zeichnen im SPNV i.d.R. die Bundesländer, im ÖSPV die Landkreise und kreisfreien Städte verantwortlich. Dabei nehmen sie die Rolle eines Aufgabenträgers wahr. Bestellt ein Aufgabenträger die Leistungen direkt beim Verkehrsunternehmen, übernimmt er die Funktionen eines Bestellers. Der Besteller definiert, welche konkrete Leistung in welcher Qualität zu erbringen ist. Dabei wird nicht nur festgelegt, wie oft ein Verkehrsmittel mit einer bestimmten Sitzplatzanzahl auf einer Relation verkehrt, sondern z.B. auch, wie oft dieses Verkehrsmittel zu reinigen ist und ob z.B. ein Zug mit einem Kundenbetreuer besetzt wird. 170 Zwischen Besteller und Verkehrsunternehmen (Ersteller) wird ein Verkehrsvertrag geschlossen. Darin wird festgelegt, welche konkreten Leistungen durch das Verkehrsunternehmen zu erbringen sind und welches Entgelt der Ersteller dafür erhält. Dabei ist zwischen Brutto- und Nettoverträgen zu differenzieren. Beim Bruttovertrag bestellt der Aufgabenträger die zu erbringende Leistung beim Ersteller, der dafür eine Vergütung (Bestellerentgelt) erhält. Das wirtschaftliche Risiko liegt damit nicht beim Ersteller, sondern beim Aufgabenträger, der auch die Fahrgelderlöse erhält. Um kundenfreundliches Verhalten des erstellenden Verkehrsunternehmens anzuregen, werden in solchen Verträgen auch Prämien vereinbart. Beim Nettovertrag liegt das wirtschaftliche Risiko beim Verkehrsunternehmen, das in eigenem Namen Fahrscheine verkauft und dem daher auch die Fahrgelderlöse zustehen. Zusätzlich werden auch hier von den Aufgabenträgern Bestellerentgelte gezahlt. 171 Üblicherweise ist in den ÖPNV-Gesetzen festgelegt, dass von den Aufgabenträgern ein Nahverkehrsplan zu erstellen ist. Nahverkehrspläne dienen der Planung des ÖPNV und bilden die Basis für die Bestellung von ÖPNV-Leistungen. Sie sollen „für jeden Aufgabenträger eine tragfähige und finanziell realistische Grundlage für die Ausgestaltung des ÖPNV schaffen und ein abgestimmtes Vorgehen sichern, das den bestehenden bzw. noch zu entwickelnden verkehrlichen Verflechtungen entspricht.“ 172 Nahverkehrspläne werden in regelmäßigen Abständen erneuert bzw. fortgeschrieben und beinhalten üblicherweise eine Bestandsaufnahme der Raum- und Bevölkerungsstruktur, 170 vgl. DB Region AG, Sparte Bus: Glossar des Busverkehrs, Frankfurt/ M. 2012, 9; Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 321 171 vgl. DB Region AG, Sparte Bus: Glossar des Busverkehrs, Frankfurt/ M. 2012, 40 172 ebd., 29 Organisation des ÖPNV 73 eine Bestandsaufnahme und Bewertung des SPNV- und ÖPNV-Angebots, der Infrastruktur, der Fahrzeuge und des Fahrgastaufkommens sowie der Organisation des ÖPNV, eine Prognose zur Nachfrageentwicklung mit entsprechendem Schlussfolgerungen für das Angebot, Entwicklungsziele bezüglich des Angebots, der Infrastruktur, der Fahrzeuge und des Fahrgastaufkommens, vorgesehene Investitionen (Infrastruktur, Fahrzeuge) und Aussagen zur Finanzierung. 173 Nachdem im Zuge der Regionalisierung die Aufgabenträgerschaft von den Bundesländern auf kommunale Aufgabenträger übertragen wurde, gründete man zur Sicherstellung der Aufgabenerfüllung ÖPNV-Zweckverbände. Ein Zweckverband stellt als Form der interkommunalen Zusammenarbeit einen „Zusammenschluss von Gemeinden und Gemeindeverbänden zur gemeinsamen Erfüllung bestimmter Aufgaben, zu deren Durchführung sie berechtigt oder verpflichtet sind“ 174 , dar. Um den ÖPNV bzw. diesbezügliche Angebote besser koordinieren und in der Folge einen attraktiveren ÖPNV schaffen zu können, wurden vielerorts ausgehend von den Zweckverbänden Verkehrsverbünde gebildet. Dabei handelt es sich um Kooperationen unterschiedlicher Intensität zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen. Im Vordergrund stehen dabei i.d.R. eine gemeinsame Fahrplangestaltung, die Schaffung eines unternehmensübergreifenden, verbundweiten Tarifsystems (Verbundtarif) sowie die Koordination der Abrechnung und Aufteilung der Fahrgeldeinnahmen. In größeren Verbünden gehören auch Marketingaufgaben sowie das Management von Verkehrsverträgen dazu, in seltenen Fällen die Aufgabenträgerschaft. 175 In Abhängigkeit vom Kooperationsgrad lassen sich Verkehrsgemeinschaften (Abstimmung von Fahrplan und Verkehr), Tarifgemeinschaften (einheitlicher Tarif) und Verkehrsverbünde (Abstimmung von Fahrplan, Verkehr und Tarif) unterscheiden. Häufig wird aber für alle drei Varianten der Begriff Verkehrsverbund verwendet. 176 Die Verkehrsverbünde sind unterschiedlich organisiert: Unternehmensverbünde setzen sich aus Unternehmen zusammen, die Fahrplanung, Tarifgestaltung und Werbung gemeinsam betreiben und dabei aufeinander abstimmen. Aufgabenträgerverbünde stellen eine Kooperationsform von Aufgabenträgern oder Zweckverbänden dar. Diese werden als Besteller aktiv, die Verkehrsverträge mit den Erstellern abschließen. Mischverbünde umfassen Unternehmen und Aufgabenträger und nehmen im Allgemeinen die gleichen Aufgaben wahr wie Unternehmensverbünde. 177 173 siehe dazu z.B. § 3 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Aufstellung von Nahverkehrsplänen für den Öffentlichen Personennahverkehr 174 Proeller, Isabella: Stichwort „Zweckverband“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 01.02.2019 175 vgl. Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 321; DB Region AG, Sparte Bus: Glossar des Busverkehrs, Frankfurt/ M. 2012, 40 176 vgl. o.V.: Verkehrsverbund, http: / / www.mobi-wissen.de, 121.02.2019 177 vgl. Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 322; o.V.: Verkehrsverbund, http: / / www.mobi-wissen.de, 01.02.2019 74 Organisation und Finanzierung Derartige Kooperationen bringen sowohl für den Fahrgast als auch für die beteiligten Verkehrsunternehmen Vorteile mit sich: Vorteile für den Fahrgast Vorteile für das Verkehrsunternehmen Erfassung aller Verkehrsunternehmen im Linienverkehr (Schiene, Busse, städtische Verkehrsunternehmen) Verbundtarif als einheitliches und günstiges Tarifsystem für Bahn und Bus Ausgabe gemeinsamer Fahrkarten freie Verkehrsmittelwahl innerhalb des Verbundes Angebotsverbesserungen durch Kooperation der Verkehrsunternehmen Kooperation, aber dennoch Beibehaltung der unternehmerischen Selbständigkeit und Selbstverwaltung Angebotsverbesserung, Rationalisierung, Ressourcenoptimierung Anreiz zur Entwicklung neuer Märkte (neue Kunden, neue Kurse, neue Linien) Vorteile für die finanzierenden Gebietskörperschaften Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr verkehrsplanerische Zusammenarbeit der beteiligten Verkehrssysteme Tabelle 4-1 Vorteile von Verkehrsverbünden 178 Verkehrsverbünde in Deutschland und Österreich Die Gründung von Verkehrsverbünden erfolgte in Deutschland in Etappen. 1965 wurde der erste Verkehrsverbund in Hamburg (HVV) gegründet. Es folgten 1970 der Großraum-Verkehr Hannover (GVH), 1971 der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV), 1973 der Frankfurter Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (FVV), 1974 der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) sowie 1980 der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Ende der 1980er Jahre wurden die Verkehrsverbünde Rhein-Sieg (VRS), Großraum Nürnberg (VGN) und Rhein-Neckar (VRN) ins Leben gerufen. 179 Durch eine Änderung der Rahmenbedingungen ab 1994 infolge der Bahnreform und der damit verbundenen Regionalisierung wurden in der Folge zahlreiche weitere Verkehrsverbünde gegründet. 2017 waren 38 % der Verbünde als Aufgabenträgerverbund, 29 % als Mischverbund und 31 % als Unternehmensverbund organisiert. Weitere 2 % bilden Sonderformen. Etwa 140 Verkehrsverbünde existieren in Deutschland. 180 58 davon sind Mitglied im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV). Nicht in allen Regionen Deutschlands sind derzeit Verkehrsverbünde aktiv. Einige Bundesländer werden in ihrer gesamten Fläche durch Verkehrsverbünde abgedeckt (z.B. Sachsen), in anderen Bundesländern begrenzen sich die Verkehrsverbünde auf die dichter besiedelten Regionen (z.B. Niedersachsen). Einige Verbünde sind auch über die Bundeslandgrenzen hinweg aktiv (z.B. Hamburger Verkehrsverbund, Mitteldeutscher Verkehrsverbund, Verkehrsverbund Rhein-Neckar). Teilweise ist der SPNV in die Verbundtarife integriert (z.B. 178 erstellt nach: Bundesministerium Verkehr, Innovation und Technologie: Verkehrsverbünde, http: / / www. bmvit.gv.at, 01.02.2019 179 vgl. Knieps, Manfred: Aufgabenträger oder Verkehrsunternehmen als Gesellschafter von Verkehrsverbünden? , Gießen 2004, 15ff 180 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 46; o.V.: fairkehr-Infografik, http: / / www.fairkehr-magazin.de, 19.02.2019 Organisation des ÖPNV 75 Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, alle Verkehrsverbünde Sachsens), teilweise nicht. In manchen Regionen erfolgt auch nur eine Fahrplankoordination, ohne dass ein Gemeinschaftstarif angeboten wird (z.B. Teile Bayerns und Thüringens). Die „Verkehrsverbund- Landschaft“ in Deutschland stellt sich insgesamt also sehr heterogen dar. Anders gestaltet sich die Lage in Österreich, wo 1984 der erste Verkehrsverbund (Verkehrsverbund Ost-Region) gegründet wurde. Inzwischen gibt es hier sieben Verkehrsverbünde, die sich (bis auf eine Ausnahme) an den Bundeslandgrenzen orientieren. Österreich ist weltweit das einzige Land, das flächendeckend von Verkehrsverbünden erfasst wird. 181 Verbund Gründung Bundesländer Einwohner Fläche Verkehrsverbund Ost- Region (VOR) 1984/ 2016* Wien, Niederösterreich und Burgenland 3,5 Mio. 23.500 km² Oberösterreichischer Verkehrsverbund (OÖVV) 1996 Oberösterreich 1,4 Mio. 11.980 km² Salzburger Verkehrsverbund (SVV) 1995** Salzburg (und oberösterreichisches Einzugsgebiet) 520.000 7.154 km² Verkehrsverbund Tirol (VVT) 1995 Tirol 690.000 12.648 km² Verkehrsverbund Vorarlberg (VVV) 1991 Vorarlberg 360.000 2.601 km² Verkehrsverbund Steiermark (VST) 1997 Steiermark 1,2 Mio. 16.388 km² Verkehrsverbund Kärnten (VVK) 1994 Kärnten 560.000 9.533 km² * Integration des Verkehrsverbunds Niederösterreich-Burgenland (VVNB); ** Kooperation mit dem Landkreis Berchtesgaden seit 1997 (erster grenzüberschreitender Verkehrsverbund Europas) Tabelle 4-2 Verkehrsverbünde in Österreich 182 Deutschlandweit haben sich 27 Bestellerorganisationen aus dem SPNV in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e.V. (BAG SPNV) zusammengeschlossen. Zu den Hauptzielen dieses Zusammenschlusses gehören die Attraktivitätssteigerung des ÖPNV, die Steigerung der Fahrgastzahlen sowie die Erhöhung des Marktanteils des SPNV. Die BAG SPNV engagiert sich für einen transparenten und fairen Wettbewerb, insbesondere auch im Bereich der Trassen- und Stationsnutzungsentgelte. Nach dem Vorbild der Schweiz will der Verband die Umsetzung eines integralen Taktfahrplanes in Deutschland vorantreiben. 183 Auf europäischer Ebene nimmt 181 vgl. Bundesministerium Verkehr, Innovation und Technologie: Verkehrsverbünde, http: / / www.bmvit.gv.at, 01.02.2019 182 erstellt nach: Bundesministerium Verkehr, Innovation und Technologie: Verkehrsverbünde in Österreich, http: / / www.bmvit.gv.at, 01.02.2019 183 vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV: Positionen und Ziele, http: / / www.bag-spnv.de, 11.02.2019 76 Organisation und Finanzierung der Verband European Metropolitan Transport Authorities die Interessen von 26 Aufgabenträgern wichtiger Metropolregionen, in denen insgesamt 85 Mio. Menschen leben, wahr. 184 4.2 Finanzierung des ÖPNV Im Jahr 2017 konnten die Nahverkehrsunternehmen in Deutschland etwa 12,8 Mrd. Euro durch die Beförderung von Fahrgästen einnehmen. Der Kostendeckungsgrad betrug dabei (bezogen auf die VDV-Mitgliedsunternehmen) rund 76 %. 185 Allein über Fahrgeldeinnahmen lässt sich der ÖPNV also nicht finanzieren. Er ist daher auf Finanzierungsbzw. Investitionshilfen durch Bund, Länder und Gemeinden angewiesen und stützt sich dabei auf verschiedene Säulen. Nutzerfinanzierung Finanzierung der öffentlichen Hand Fahrgeldeinnahmen Kommunaler Querverbund Ausgleich im Ausbildungsverkehr Ausgleich für Schwerbehindertenfahrt ÖPNV-Landesmittel GVFG-Bundesprogramm Fördermittel Europa Bund Sonstiges Abbildung 4-1 ÖPNV-Finanzierung 186 Der größte Anteil der Beträge stammt i.d.R. aus der Nutzerfinanzierung. Eine unmittelbare Form dieser Finanzierung stellen Fahrgelderträge dar. Daneben gibt es Einnahmen aus Werbe- und Pachtverträgen. In Abhängigkeit von der Besiedelungsdichte, der Raumstruktur und der Pkw-Verfügbarkeit variiert auch der Anteil der Nutzerfinanzierung. Die Nutzerfinanzierung stößt aufgrund der hohen Preiselastizität allerdings auf Grenzen. Zu starke Preiserhöhungen würden zu einem deutlichen Sinken der Nachfrage führen. Zudem ist bei der Preisbildung die Bedeutung des ÖPNV im Rahmen der Daseinsvorsorge zu berücksichtigen. 187 Zur Förderung der Mobilität von Schülern und Auszubildenden sowie von Menschen mit Schwerbehinderung werden Tarifersatzleistungen gewährt. Im Rahmen des Schülerverkehrs im ÖSPV wird unterschieden zwischen einer Förderung durch das Bundesland gemäß § 43a Personenbeförderungsgesetz, bei der ein Ausgleichsbetrag zwischen dem günstigeren Schülertarif und dem Normaltarif gewährt wird 184 vgl. European Metropolitan Transport Authorities: Presentation, http: / / www.emta.com, 11.02.2019 185 vgl. o.V.: Daten & Fakten Personenverkehr, http: / / www.vdv.de, 29.01.2019 186 modifiziert nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 6 187 vgl. ebd., 5; Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 10 Finanzierung des ÖPNV 77 und einer Förderung in Form kostenlos zur Verfügung gestellter Schülerfahrkarten, die der Schulträger zahlt. 188 Für die Schülerbeförderung im SPNV gilt nach § 6a des Allgemeinen Eisenbahngesetzes ein vergleichbarer Anspruch auf Ausgleichszahlungen wie im ÖSPV. Allerdings findet diese Regelung nur bei NE-Bahnen, nicht bei der Deutschen Bahn Anwendung. 189 Analog zum Schülerverkehr werden Tarifersatzleistungen bei rabattierten Fahrkarten für Auszubildende gewährt. Zudem werden v.a. vom Bund Ausgleichszahlungen für Freifahrtberechtigungen geleistet, die Schwerbehinderten gemäß § 145 Sozialgesetzbuch IX zustehen. Zu den Tarifersatzleistungen gehört auch die Unterstützung von Verbundtarifen. Hierbei werden sogenannte Harmonisierungs- und Durchtarifierungsverluste, die bei der Anwendung von Verbundtarifen auftreten, durch Kommunen oder deren Zweckverbände, Regionalverbände und teilweise auch durch die Bundesländer ausgeglichen. Nicht nur Investitionen in Infrastruktur, auch der Bahnbetrieb im SPNV stützt sich auf öffentliche Mittel. Seit der Bahnreform wird der SPNV üblicherweise auf der Grundlage von Verkehrsverträgen organisiert. Diese Verträge definieren Qualität und Quantität der zu erbringenden Leistung und legen dabei teilweise auch die Fahrpreise fest. Der ÖSPV stellt eine kommunale Aufgabe dar. Entsprechend der Finanzkraft der jeweiligen Kommunen und der Bedeutung, die man dem ÖSPV einräumt, werden für den Betrieb Finanzmittel in unterschiedlicher Höhe bereitgestellt. Auch Investitionen in den ÖSPV werden mit öffentlichen Geldern unterstützt. 190 Steuerliche Vergünstigungen werden in Form von Umsatzsteuerbefreiungen auf Verkehrsverträge (insbesondere im SPNV), durch Möglichkeiten der steuerlichen Gewinn- und Verlustverrechnung im kommunalen Querverbund sowie durch den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für ÖPNV-Fahrausweise gewährt. Abbildung 4-2 Anteile der verschiedenen Instrumente an der ÖPNV-Finanzierung 191 188 vgl. Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 11 189 vgl. § 6g Allgemeines Eisenbahngesetz 190 vgl. Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 11ff 191 modifiziert nach: ebd., 9 22% 12% 2% 8% 11% 9% 37% Instrumente der ÖPNV-Finanzierung Betrieb SPNV Betrieb ÖSPV Investitionsförderung SPNV Investitionsförderung ÖSPV Steuerrechtliche Regelung Tarifersatzleistungen Nutzerfinanzierung 78 Organisation und Finanzierung Maßgebliche Regelungen zur Finanzierung des ÖPNV in Deutschland wurden im Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, GVFG) getroffen. Nach § 1 dieses Gesetzes gewährt der Bund den Ländern finanzielle Investitionshilfen, um die Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu verbessern. § 2 listet förderungswürdige Vorhaben auf, wozu z.B. der Bau und Ausbau von innerörtlichen und Zubringerstraßen, Fahrspuren für Omnibusse, Verkehrsleitsystemen, Umsteigeparkplätzen (P+R), Verkehrswegen für Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen, zentralen Omnibusbahnhöfen und Haltestelleneinrichtungen, Betriebshöfen und zentralen Werkstätten, die Realisierung von Beschleunigungsmaßnahmen sowie die Fahrzeugbeschaffung zählen. Um Finanzierungshilfen zu erhalten, müssen diese Vorhaben nach § 3 des Gesetzes eine Reihe von Voraussetzungen in Bezug auf Art, Umfang und Dringlichkeit erfüllen, in den Generalverkehrsplänen der Bundesländer (oder vergleichbaren Plänen) vorgesehen sein, bau- und verkehrstechnisch einwandfrei, wirtschaftlich und sparsam geplant sein und die Belange von Menschen mit Behinderung und anderer Mobilitätsbeeinträchtigung berücksichtigen. Darüber hinaus muss die übrige Finanzierung (z.B. über Länder, Gemeinden) abgesichert sein. Im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat der Bund auch die Finanzhilfen für Bundesprogramme nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz über 2019 hinaus (333 Mio. Euro pro Jahr) verlängert. 192 Laut Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz, EntflechtG) „steht den Ländern ab dem 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 jährlich ein Betrag von 1.335.500.000 Euro aus dem Haushalt des Bundes zu“ 193 , der zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu verwenden ist. 194 Auch nach Ablauf dieses Zeitraumes werden den Bundesländern bis 2019 jährliche Investitionsbeträge zur Verfügung gestellt. 195 Danach werden den Ländern Finanzmittel aus dem Umsatzsteueraufkommen zugewiesen, allerdings ohne eine Zweckbindung der Mittel festzulegen. Eine Verwendung für verkehrsinfrastrukturelle Maßnahmen ist damit also nicht garantiert. 196 Artikel 106a des Grundgesetzes besagt, dass die Länder zur Sicherstellung des ÖPNV Anspruch auf einen Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes haben. Das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz, RegG) legt in diesem Zusammenhang in § 5 Abs. 1 und 2 für 2016 einen Betrag in Höhe von 8 Mrd. Euro aus dem Mineralölsteueraufkommen fest, der ab 2017 bis einschließlich 2031 jährlich um 1,8 % steigt. Verwendet werden diese Mittel vor allem, um Verkehrsleistungen im SPNV zu erbringen, aber auch um diesbezügliche Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge zu realisieren. Die Bundesländer müssen die Mittelverwendung ab 2016 nachweisen. Diese Finanzmittel wurden 2016 zu etwas mehr als 70 % für SPNV-Bestellerentgelte aufgewendet. Innerhalb der einzelnen Bundesländer treten dabei recht große Unterschiede auf: von rund 53 % in Niedersachsen bis 99 % in Baden-Württemberg. 197 192 vgl. Bundesministerium der Finanzen: Monatsbericht des BMF, August 2017, o.S. 193 § 3 Entflechtungsgesetz 194 vgl. § 5 Abs. 3 Entflechtungsgesetz 195 vgl. Verkehrsclub Deutschland: Bus und Bahn im Finanzdschungel, http: / / www.vcd.org, 11.02.2019 196 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 6 197 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 21 Finanzierung des ÖPNV 79 Bundesland Regionalisierungsmittel (in Tsd.) Bundesland Regionalisierungsmittel (in Tsd.) Baden-Württemberg 850.696 Niedersachsen 689.088 Bayern 1.208.720 Nordrhein-Westfalen 1.286.640 Berlin 436.709 Rheinland-Pfalz 419.112 Brandenburg 481.039 Saarland 105.640 Bremen 44.960 Sachsen 607.266 Hamburg 157.360 Sachsen-Anhalt 438.793 Hessen 593.032 Schleswig-Holstein 251.840 Mecklenburg-Vorpommern 290.588 Thüringen 338.516 Tabelle 4-3 Verwendung der Regionalisierungsmittel 2016 198 Gemäß Art. 87e Abs. 4 des Grundgesetzes hat der Bund einen angemessenen Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes zu gewährleisten. Im Zuge der Bahnstrukturreform wurde das Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz, BSchwAG) verabschiedet. Dieses sieht Investitionen des Bundes in die Bundesschienenwege gemäß einem Bedarfsplan, der auch Strecken des Nahverkehrs erfasst, vor. 199 20 % der jährlich bereitgestellten Mittel sind in den SPNV zu investieren. 200 Um dies sicherzustellen, sind Länder und Kommunen meist gezwungen, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Da Infrastrukturbetreiber laut § 14 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Investitionen in die Infrastruktur über Trassennutzungsentgelte zu finanzieren haben, müssen die Anbieter von Verkehrsdienstleistungen folglich nicht nur für Anschaffung und Einsatz ihrer Fahrzeuge aufkommen, sondern letztendlich auch für den Bau und Erhalt der Infrastruktur. Im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV), die das Bundesschienenwegeausbaugesetz ergänzt, verpflichtete sich der Bund bis 2013, für die Erhaltung der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes jährlich 2,5 Mrd. Euro bereitzustellen und damit das Bestandsnetz zu fördern. Qualitätskennzahlen dienen dabei zur Kontrolle, inwieweit die Schieneninfrastruktur uneingeschränkt nutzbar ist. 201 Diese Vereinbarung bis wurde 2015 verlängert und beinhaltet dabei auch eine Anhebung der Fördermittel auf 2,75 Mrd. Euro jährlich. 202 Ab 2015 bis einschließlich 2019 gilt die LuFV II, welche ca. 20 Mrd. Euro für Ersatzinvestitionen im Bestandsnetz vorsieht. Gleichzeitig unterliegen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der 198 erstellt nach: ebd. 199 vgl. § 1 Abs. 1 und § 3 Bundesschienenwegeausbaugesetz 200 vgl. § 8 Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz 201 vgl. § 2 und § 13 Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen der Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und der DB Netz AG der DB Station&Service AG der DB Energie GmbH sowie der Deutschen Bahn AG, gültig ab 01.01.2010 202 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wird bis 2015 verlängert (06.09.2013), http: / / www.bmvbs.de, 09.01.2014 80 Organisation und Finanzierung Verpflichtung, während dieser Vertragsperiode mindestens 8 Mrd. Euro in die Instandhaltung der Schienenwege zu investieren. 203 Darüber hinaus stehen im Rahmen spezieller Programme von Bund und Ländern weitere Fördermittel zur Verfügung, so z.B. zur Förderung der Elektromobilität. 204 Auf europäischer Ebene kann über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), welcher „durch Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union stärken“ 205 soll, ebenfalls Mittel zur Verfügung gestellt werden, die dem öffentlichen Verkehr zugutekommen. Der Fonds fokussiert hierbei auf die Schwerpunkte Forschung und Innovation, Digitale Agenda, Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) sowie CO 2 -arme Wirtschaft. Welche Vorhaben konkret gefördert werden, hängt dabei von Strategie und Schwerpunktsetzung der jeweiligen Gebietskörperschaften ab. 206 Das Gesamtvolumen der ÖPNV-Finanzierung lässt sich schwer bestimmen. Zum einen tragen zahlreiche unterschiedliche Finanzierungsströme dazu bei; zum anderen werden entsprechende Beträge in der Statistik nicht konsequent und kontinuierlich erfasst. 207 Säulen der Finanzierung Betrag Fahrgeldeinnahmen 12,8 Mrd. Euro Regionalisierungsmittel 8,2 Mrd. Euro Bundesfinanzhilfen nach dem Entflechtungsgesetz 1,4 Mrd. Euro Erstattungsleistungen der Länder für ermäßigte Zeitfahrausweise im Ausbildungsverkehr 0,9 Mrd. Euro Tabelle 4-4 ÖPNV-Finanzierung in Deutschland (2017) 208 Auch im europäischen Vergleich nutzt der ÖPNV neben den Fahrgeldeinnahmen weitere Finanzierungsquellen (siehe folgende Abbildung). Auffällig ist bei den hier genannten Städten, dass in Paris eine gesonderte Transportsteuer (Versement Transport) erhoben wird, die der Finanzierung des ÖPNV in der Île-de-France dient. Diese Steuer ist von Unternehmen mit mehr als neun Mitarbeitern auf Basis der Lohnsumme zu entrichten. Begründet wird die Steuererhebung damit, dass eine günstige Erreichbarkeit per ÖPNV auch den Unternehmen zugutekommt, da sie z.B. weniger in Parkplätze für Kunden und Mitarbeiter investieren müssen. 209 Diese Transportsteuer gibt es allerdings nicht nur im Großraum Paris, sondern kann in Kommunen ab 20.000 Einwohnern erhoben werden. 210 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die „Dienstgeberabgabe“ in Wien, bei 203 vgl. Eisenbahn-Bundesamt: LuFV - Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, http: / / www.eba.bund.de, 11.02.2019 204 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 7 205 Europäische Kommission: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, https: / / ec.europa.eu, 12.02.2019 206 vgl. ebd.; Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 14 207 vgl. Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 9 208 erstellt nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 21ff 209 vgl. Ministère de la Transition écologique et solidaire: Les transports collectifs urbains: une compétence des autorités organisatrices de la mobilité (21.06.2018), https: / / www.ecologique-solidaire.gouv.fr, 12.02.2019 210 vgl. o.V.: Nahverkehrsabgabe, http: / / www.mobi-wissen.de, 12.02.2019 Finanzierung des ÖPNV 81 der pro vollbeschäftigtem Arbeitnehmer unter 55 Jahren zwei Euro pro Woche zu entrichten sind, als Finanzierungsinstrument für den U-Bahn-Bau. 211 Abbildung 4-3 ÖPNV-Finanzierung in Europa 212 Eine derartige Drittnutzerfinanzierung kann durchaus als alternatives Instrument betrachtet werden. Profitieren doch nicht nur die Fahrgäste, sondern z.B. auch Arbeitgeber, Vermieter, Einzelhändler, Anbieter touristischer oder kultureller Dienstleistungen von einem gut ausgebauten ÖPNV und daraus resultierender Erreichbarkeit auch ohne Pkw. 213 211 vgl. o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 14f 212 modifiziert nach: Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 10 213 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Weichenstellungen für Wachstum und Innovationen im öffentlichen Verkehr in Deutschland, Köln 2017, 5 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Amsterdam Barcelona Berlin Brüssel Madrid Paris ÖPNV-Finanzierung in europäischen Metropolen Andere Einkünfte Abgaben (Versement Transport) Öffentliche Zuschüsse Fahrgeldeinnahmen 5 ÖPNV der Zukunft „Die Qualität des ÖPNV ist ein Gradmesser für die Lebensqualität in unseren Städten und auf dem Land. Der ÖPNV muss attraktiv, sicher, verlässlich und bezahlbar sein.“ 214 5.1 ÖPNV und demographische Entwicklung Durch die demographische Entwicklung - gekennzeichnet vor allem durch sinkende Einwohnerzahlen und ein steigendes Durchschnittsalter - leidet der ÖPNV unter einem Rückgang seiner traditionellen Nutzer. Insbesondere im ländlichen Raum macht sich diese Entwicklung bemerkbar. Prognoserechnungen gehen davon aus, dass das Verkehrsaufkommen im ÖPNV bis 2030 um 16-17 % zurückgehen wird. Dies wird einerseits auf die abnehmenden Bevölkerungszahlen, andererseits darauf zurückgeführt, dass zukünftig immer mehr ältere Menschen - vor allem auch Frauen - in Besitz eines Führerscheins sind und den Pkw entsprechend häufig nutzen. Heute zählen ältere Menschen zwar zu den intensiven Nutzern des ÖPNV. Die heutige Generation der 30bis 50-jährigen ist jedoch mit dem Pkw aufgewachsen und wird - sofern es die finanziellen Mittel zulassen - Mobilitätswünsche auch im Alter eher mit dem Pkw als mit dem ÖPNV realisieren wollen. Gleichzeitig ist aber auch eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: „Autogerechter Straßen- und Parkraumbau bekommt aus Umwelt- und Landschaftssowie Ortsbildschutz eine Akzeptanzkrise. Damit wird ÖPNV wieder wichtiger für die Standortattraktivität und Überlebensfähigkeit dünn besiedelter Regionen.“ 215 Weniger Erwerbstätige führen zu weniger Berufsverkehr, der heute noch eine tragende Säule des - in Spitzenzeiten allerdings häufig an Kapazitätsgrenzen stoßenden - ÖPNV darstellt. Wandern Einwohner aus ländlichen Gebieten ab, reduziert dies zusätzlich die kritische Masse an Fahrgästen. Die Anzahl der sogenannten „Zwangskunden“ des ÖPNV, d.h. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Erwachsene, die über kein Auto verfügen, wird zukünftig abnehmen. Folglich findet eine Verschiebung von „Zwangskunden“ hin zu „Wahlkunden“, die den ÖPNV freiwillig nutzen, statt. Diese Kunden werden - angesichts der Alternative Pkw - wesentlich stärker auf die Qualitätsmerkmale des ÖPNV achten. Ausgenommen von dieser Entwicklung scheint der Schülerverkehr: Die Schulnetzplanung und die damit verbundenen Schulschließungen führ(t)en zunächst zu weiteren Schulwegen. Im ländlichen Raum machen Schüler mittlerweile bis zu 90 % der ÖPNV-Fahrgäste aus, in Großstädten im Vergleich dazu oft nicht mehr als 30 %. Allerdings wird das den ÖPNV finanziell nicht entlasten können, vor allem nicht vor dem Hintergrund gekürzter Ausgleichszahlungen für den Schülerverkehr. Schließlich führen insgesamt abnehmende Schülerzahlen auch hier zu einer Verkleinerung der Nutzergruppe. 214 Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, zit. in: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Gut angebunden mit Bus und Bahn, http: / / www.bmwi.de, 29.01.2019 215 Monheim, Heiner; Muschwitz, Christian; Reimann, Johannes; Pitzen, Constantin, Sylvester, Anja, Michelmann, Holger: KombiBus und ITF, in: mobilogisch! 3/ 2013, http: / / www.mobilogisch.de, 05.02.2019 Herausforderung Personalbedarf 83 In Großstädten und Ballungsräumen ist auch zukünftig - selbst wenn Städte Einwohner verlieren - eine hohe Nachfrage im ÖPNV wahrscheinlich. Zunehmender Autoverkehr wäre dort allein aus Platzgründen dysfunktional. Der ländliche Raum wird jedoch nicht mehr durch den ÖPNV in seiner klassischen Ausprägungsform mit Großraumgefäßen (d.h. Buslinienverkehr) bedient werden können. Dort sind neuere Formen des öffentlichen Verkehrs, wie z.B. Kleinbusse oder Anrufsammeltaxis, erfolgversprechender. Es ist allerdings fraglich, inwieweit solche Angebote bei weiterer Abnahme der Bevölkerungszahlen finanzierbar bleiben. 216 Beispielen in der Praxis, die einen auch im ländlichen Raum gut funktionierenden ÖPNV zeigen, ist gemein, dass sie auf eine den jeweiligen Rahmenbedingungen angepasste Kombination betrieblicher und organisatorischer Maßnahmen setzen und dabei konsequent die Bedürfnisse der Fahrgäste in den Mittelpunkt stellen. Ziele dieser Maßnahmen sind eine Verbesserung der vorhandenen Infrastruktur im Sinne der Erschließung und Anbindung von Räumen und die Entwicklung eines flexiblen, transparenten und zuverlässigen Angebotes, das einen notorischen Autonutzer überhaupt erst zum Überdenken veranlasst. Qualitätsverbessernde Maßnahmen allein reichen allerdings nicht aus - sie müssen auch kommuniziert werden. Denn nur, wenn sie der potentielle Kunde kennt, kann er sie auch ausprobieren. 5.2 Herausforderung Personalbedarf Kennzeichnend für den Arbeitsmarkt im Verkehrssektor ist derzeit, dass eine große Zahl offener Stellen einer geringen Zahl an Bewerbern gegenübersteht. 2017 waren im öffentlichen Personenverkehr in Deutschland rund 157.000 Mitarbeiter beschäftigt. Ein großer Teil davon gehört der sogenannten „Baby-Boomer“-Generation an, geht also in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Bis zum Jahr 2030 geht man von erforderlichen Wiederbesetzungen von 40.000 Stellen im Fahrdienst, 14.000 Stellen im kaufmännischen Bereich sowie 20.000 Stellen im technischen Dienst aus. Das entspricht knapp der Hälfte der aktuellen Mitarbeiterzahl. 217 Nach funktionalem Einsatz Nach Beschäftigungsverhältnis Fahrdienst, davon 92.785 Vollbeschäftigte 135.970 Bus 47.038 Auszubildende 4.115 Tram 14.354 Personenverkehr mit Eisenbahnen 31.393 Technischer Dienst 37.147 Verwaltung 26.744 Beschäftigte gesamt 156.676 Tabelle 5-1 Beschäftigte im öffentlichen Personenverkehr in Deutschland (2017) 218 Angesichts der angestrebten Verkehrswende und des Wachstums in der Mobilitätsbranche stellt sich die Frage, wie dieser Personalbedarf gedeckt werden soll, fehlen doch schon jetzt vor allem 216 vgl. o.V.: Auf dem Land zeitgemäß unterwegs, in: VDV - Das Magazin 2/ 2018, 7f; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Mobilitätssicherung in Zeiten demographischen Wandels, Berlin 2012, 5f; o.V.: Perspektive ÖV - Was die Branche bewegt, in: Prima 2/ 2013, 36f 217 vgl. o.V.: Arbeit und Berufe mit Perspektiven, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 10 218 erstellt nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 32 84 ÖPNV der Zukunft Mitarbeiter im Fahrdienst. Aber auch für andere Aufgabenbereiche, wie z.B. Werkstätten, Mobilitätsberatung, Ingenieursleistungen, werden dringend Mitarbeiter gesucht. Fahrpersonalmangel führt inzwischen schon dazu, dass Angebote eingeschränkt werden müssen. Kommen zu einer dünnen Personaldecke noch Krankheitswellen hinzu, reicht der Bestand nicht mehr aus. Für den Fahrgast bedeutet dies eine Ausdünnung der Fahrpläne bzw. bei fehlenden Triebfahrzeugführern die Umstellung auf Schienenersatzverkehr. Kurzfristig lässt sich dieses Problem nicht lösen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kommen auf 100 offene Stellen nur 36 als arbeitslos gemeldete Triebfahrzeugführer. 219 Durch Abwerben von anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen können zwar teilweise Personalprobleme behoben werden, konsequenterweise reißt dies aber Lücken bei anderen Unternehmen. Jahrelang haben zahlreiche NE-Bahnen selbst nicht ausgebildet und sich auf von der Deutschen Bahn entsprechend qualifiziertes, aber nach der Ausbildung nicht übernommenes Personal verlassen, oder man setzte bei der Ausbildung auf externe Dienstleister. Auch hier hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Ende 2018 hat beispielsweise die Länderbahn eine Eisenbahnschule zur Ausbildung von Triebfahrzeugführern aus dem In- und Ausland ins Leben gerufen. 220 Aber nicht nur über den klassischen Ausbildungsweg wollen Eisenbahnverkehrsunternehmen nun neue Triebfahrzeugführer gewinnen, sondern auch als Quereinsteiger. Auch mit einer Kampagne des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen e.V., die dem öffentlichen Verkehr zu einem attraktiveren Image verhilft, soll der Personalmangel bekämpft werden. 221 Schichtarbeit, Wochenenddienste, unterschiedliche Diensteinsatzorte können mittlerweile vor einer Tätigkeit in diesem Bereich auch abschrecken. Zudem werden nicht überall attraktive Gehälter gezahlt. So verdient beispielsweise ein Fahrer, der eine Tätigkeit im öffentlichen Nahverkehr in Berlin aufnimmt, lediglich 1.500 Euro im Monat. 222 Es gilt also nicht nur, die beruflichen Chancen und das Spektrum der Tätigkeitsfelder im Mobilitätssektor entsprechend zu kommunizieren, sondern auch eine attraktive Entlohnung zu bieten, die Arbeitsbedingungen mitarbeiterfreundlicher (vgl. z.B. Dienstplan) zu gestalten und damit die Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen zu binden. 5.3 Anforderungen an einen modernen ÖPNV Vor dem Hintergrund der 2015 verabschiedeten „Global Goals for Sustainable Development“ 223 kommt dem ÖPNV bei der Gestaltung der zukünftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen eine bedeutende Rolle, nicht nur beim Erreichen der Klimaschutzziele, zu. Ob Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, menschenwürdige Arbeit, nachhaltige Städte und Gemeinden oder Innovation und 219 vgl. o.V.: Arbeit und Berufe mit Perspektiven, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 8; Franke, Jan-Dirk: Sachsen gehen bald die Lokführer aus - jeder dritte ist über 55, in: Freie Presse, 23.06.2018, 6; o.V.: Lokführermangel: HLB stellt einzelne Zugverbindungen in der Wetterau auf Busse um (12.10.2018), http: / / www.nahverkehr-ffm.de, 12.02.2019 220 vgl. Regentalbahn GmbH: Länderbahn startet eigene Eisenbahnschule im Vogtland (26.09.2018), http: / / www. laenderbahn.com, 12.02.2019; Möckel, Gerd: Personalnot: Vogtland bildet jetzt Eisenbahner selbst aus, in: Freie Presse, 02.10.2018, 14 221 siehe dazu auch: Die Arbeitgeberinitiative - Ein Vorhaben für die Branche, mit der Branche, http: / / www. vdv.de, 12.02.2019 222 vgl. o.V.: Das lange Warten auf den TV-L, in: Hauptstadtmagazin, April 2018, 9 223 siehe dazu: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, https: / / www.bmz.de, 14.02.2019 Anforderungen an einen modernen ÖPNV 85 Infrastruktur - zahlreiche der in den globalen Zielen für Nachhaltigkeit thematisierten Aspekte stehen in direktem oder indirektem Zusammenhang zum ÖPNV. Die Studie „Deutschland mobil 2030“ geht im Szenario „Verkehrswende“ davon aus, dass der ÖPNV seinen Anteil am Modal Split bis 2030 um ein Drittel erhöht und sich die Verkehrsbetriebe von Beförderern zu Mobilitätsdienstleistern entwickeln. 224 Der ÖPNV der Zukunft kann sich nicht mehr auf die starren Konzepte der Vergangenheit stützen, sondern muss wesentlich beweglicher und umfeldbezogener werden, was auch von einer Flexibilisierung der Rahmenbedingungen begleitet werden muss. Der öffentliche Verkehr wird kurz- und mittelfristig ein defizitäres Geschäft bleiben; und natürlich ist die konkrete Ausgestaltung des ÖPNV auch von den verfügbaren finanziellen Mitteln abhängig. Doch auch in Zeiten beschränkter finanzieller Mittel ist es bei politischem und unternehmerischem Willen und Engagement durchaus möglich, attraktive, innovative Verkehrskonzepte zu entwickeln, die potentielle Nutzer ansprechen und zu einem Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel als geeignete Alternative motivieren können. Gleichzeitig gilt es, die Belange der im ÖPNV Beschäftigten entsprechend zu berücksichtigen. Die Herausforderungen, denen sich der ÖPNV in den vergangenen Jahren bereits stellen musste und dies auch zukünftig muss, sind vielschichtig: Ländliche Räume Ballungsräume Infrastruktur wenig Bedarf an Ausbau und Finanzierung technische Maßnahmen zur Verbesserung von Information/ Kommunikation Ausstattung von Fahrzeugen (Barrierefreiheit, Kundeninfo, Ticketing ect.) Lösung der Finanzierungsprobleme bei der Unterhaltung/ Instandhaltung der Infrastruktur zukünftig sehr unterschiedlicher Ausbaubedarf bzw. stellenweise Rückbau/ Anpassungserfordernis Barrierefreiheit, Kundeninfo, Ticketing ect. Innovation Betrieb Sicherung des Grundangebots trotz wegbrechender Schülerverkehre neue Finanzierungsinstrumente zur Sicherung des Grundangebots bedarfsorientierte Angebotsformen zur Sicherung einer Mindestversorgung neue (multimodale) „Tür zu Tür“- Angebote zur Gewinnung neuer Kundengruppen Angebotsausweitungen häufig mit hohem Infrastrukturaufwand verbunden effizientere Ausnutzung der Infrastrukturkapazitäten bedarfsorientierte Bedienformen als Ergänzung (Tagesrandlagen, Ballungsränder etc.) integrierte (multimodale) Angebote Regionale Integration Abbildung 5-1 Herausforderungen in Organisation und Finanzierung 225 Um den aktuellen und zukünftigen Mobilitätsansprüchen der Bevölkerung gerecht zu werden, muss der ÖPNV leistungsfähig und attraktiv sein. Entscheidend dafür sind Zuverlässigkeit, Sicher- 224 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030 - Szenarien für die Umsetzung der Verkehrswende in Deutschland, Köln 2018, 4ff 225 Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 31 86 ÖPNV der Zukunft heit und Kundenfreundlichkeit. Dies beinhaltet Bequemlichkeit, Häufigkeit, Pünktlichkeit, Schnelligkeit und ein angemessenes Preis-/ Leistungsverhältnis. Ein zukunftsfähiger ÖPNV verlangt angesichts beschränkter finanzieller Mittel und des verstärkten Wettbewerbs in Europa innovative Lösungsansätze. Vor diesem Hintergrund ist man von Seiten der Bundesregierung seit längerem bestrebt, gemeinsam mit Ländern und Gemeinden sowie den Verkehrsunternehmen mehr Transparenz und Wettbewerb, eine stärkere Ausrichtung auf kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen im ÖPNV sowie effiziente finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen. 226 Mehr Transparenz und Wettbewerb soll zur Schaffung kundengerechter Leistungen und Anpassung der Verkehrsunternehmen an veränderte Rahmenbedingungen (z.B. Kostensenkung, Produktivitätssteigerung, Kooperationen, Nutzung von Synergiepotentialen) führen. Wesentlich dabei sind die Schaffung eines wettbewerbsorientierten Ordnungsrahmens, Dienstleistungsfreiheit sowie mehr unternehmerische Freiheiten für kommunale Unternehmen. Eine stärkere Ausrichtung auf kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen im ÖPNV soll durch eine Modernisierung der Fahrzeugflotte, eine konsequente Umsetzung von Bevorrechtigungs- und Beschleunigungsmaßnahmen, eine bessere Verknüpfung der Verkehrsträger, eine umfassende Informationen für die Kunden des ÖPNV, den Abbau von Zugangshemmnissen, mehr Sicherheit und Sauberkeit, die Nutzung neuer Marktchancen sowie Maßnahmen zur Sicherung und Steigerung der Qualität des Personals verwirklicht werden. Zur Sicherung der Finanzierung will man stabile finanzielle Rahmenbedingungen als Voraussetzung für den Ausbau und die Modernisierung des ÖPNV schaffen, die Effizienz bei der Förderung des ÖPNV stärker berücksichtigen, weitere Kostensenkungspotentiale (z.B. Leichtbauweisen, Einsatz wartungsarmer Materialien, Vergabe von Leistungen an Dritte) ermitteln, Linienerfolgsrechnung als Instrument der Angebotsgestaltung und des Kostencontrollings sowie Benchmarking realisieren. Allerdings erfüllt der ÖPNV noch längst nicht überall diese Anforderungen. Die aktuelle Situation im ÖPNV und vor allem die der Verkehrsbetriebe resultieren aus den jahrzehntelangen, den Pkw- Verkehr bevorzugenden verkehrsplanerischen und verkehrspolitischen Aktivitäten. Ein Großteil der Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes floss in die Ballungsräume und ermöglichte dort häufig die Finanzierung von Großprojekten. Erst in den 1990er Jahren profitierte auch der ländliche Raum in Form der Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz-Fahrzeugförderung. Vielerorts wurden aber auch Straßenbahnnetze - wegen der den Autoverkehr störenden Schienenkörper - abgebaut. Ersetzt wurden die Straßenbahnen durch Busse, die sich allerdings in den allgemeinen Verkehr einordnen mussten und damit keinerlei Schnelligkeitsvorteile mehr aufwiesen. Oft wurden gleichzeitig die Straßen mehrspurig ausgebaut, was wiederum den Individualverkehr förderte. Oder der ÖPNV wurde unter die Erdoberfläche verlegt, wodurch es ihm an Präsenz im Straßenbild mangelt(e). Auch die Tendenz, schwach frequentierte Bahnverkehre in der Fläche abzubestellen, trägt nicht zur Schaffung eines attraktiven Angebots bei. 227 226 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Öffentlicher Personennahverkehr, http: / / www.bmvi.de, 12.02.2019 227 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030: Szenarien für die Umsetzung der Verkehrswende in Deutschland, Köln 2018, 12ff; Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030 - Die Verkehrswende ist möglich! , https: / / www.vdv.de, 12.02.2019; Grandjot, Hans-Helmut: Verkehrspolitik - Grundlagen, Funktionen und Perspektiven für Wissenschaft und Praxis, Hamburg 2002, 119; Canzler, Weert; Knie, Andreas: Demographie und Verkehrspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 29-30/ 2007, 9; Höft, Uwe: Ländliche Bahnlinien vor dem aus? , in: Prima 3/ 2012, 58f Anforderungen an einen modernen ÖPNV 87 Durch die Digitalisierung eröffnen sich dem ÖPNV neue Chancen, die es zu nutzen gilt: „Durch die Digitalisierung und die Vernetzung von Diensten entsteht ein zunehmender Wettbewerb um die Schnittstelle zum Kunden, künftig auch mit Unternehmen, die nicht zu den klassischen Verkehrsdienstleistern zählen.“ 228 Es geht also nicht mehr nur darum, ÖPNV-Dienstleistungen anzubieten, sondern multibzw. intermodal ausgerichtete Angebote für die gesamte Reisekette bereitzustellen und auch Gelegenheitsnutzern einen einfachen Zugang zum ÖPNV zu bieten. Dabei müssen nicht nur technische und finanzielle, sondern auch organisatorische Hürden, die sich aus der Struktur des ÖPNV ergeben, gemeistert werden. Eine gute Zusammenarbeit aller Akteure ist hier unerlässlich, unabhängig von Bundesland- oder Verkehrsverbundgrenzen. 229 Mit der Digitalisierung im öffentlichen Personenverkehr sind verschiedene Zukunftsbilder verknüpft, aus denen entsprechende Strategien und Maßnahmen abgeleitet werden: Fahrgast- und Kundeninformation Tarife und eTicketing Multimodalität Nutzung verschiedener Informationskanäle (stationär, online, mobil) benutzerfreundliche Gestaltung, intuitive Bedienung Übermittlung hochwertiger Fahrplaninformation in Echtzeit Anwendung auf gesamte Reisekette (Fahrtverlauf, Anschlüsse, Fußwege zu/ von Haltestellen, Störungsmeldungen, Alternativen) Integration von ÖPV- Daten regional, bundesweit und europaweit fahrplanbasierte Tarifauskünfte inklusive Gesamtpreis, auch für Fahrten über Landes- und Verbundgrenzen hinweg (in Ansätzen) harmonisierte Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen Nutzung von Online-Portalen und mobilen Applikationen zur Fahrpreisermittlung für Reisekette Anwendung innovativer Tarifmodelle und -produkte zur Kundengewinnung ÖPV-Nutzung mit unterschiedlichen Medien (Chipkarte, Smartphone etc.) über Landes- und Verbundgrenzen hinweg vollständige Kompatibilität durch (((eTicket-Deutschland-Standard automatische Fahrpreisfindung (z.B. über Verfahren wie Be-in/ Beout) Angebot an verschiedenen öffentlichen und privaten Mobilitätsplattformen vereinen Informationen diverser Mobilitätsangebote nur einmalige Registrierung der Kunden (Single Sign-on) nötig verschiedene Services der Reisekette integriert (Informieren, Buchen, Bezahlen, Fahren) Datenabruf auch ohne Registrierung möglich sichere Datensammlung in Kundenprofilen vollautomatische Abrechnung Tabelle 5-2 Visionen für den digitalen öffentlichen Personenverkehr 230 Beispiele wie das durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung geförderte Projekt „Leipzig mobil - neue Wege zur öffentlichen Mobilität“ der Leipziger Verkehrsbetriebe zeigen, dass sich unterschiedlichste Mobilitätsangebote unter einen Dach kundenfreundlich vernetzen 228 TÜV Rheinland Consulting GmbH; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Roadmap Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr, Köln/ Berlin 2016, 7 229 vgl. ebd. 230 erstellt nach: ebd., 15 88 ÖPNV der Zukunft lassen: „Zentrale Elemente des Angebots sind die hauseigenen Mobilitätsstationen mit Carsharing, E-Ladesäule und Bikesharing; eine Online-Plattform mit Smartphone- und Web-App; die Beauskunftung verschiedener Verkehrsmittel; die einmalige Anmeldung, der einfache Zugang und die Buchung aller Fahrzeuge per App oder Chipkarte bzw. Telefon und die gemeinsame monatliche Endabrechnung aller genutzten Verkehrsmittel.“ 231 Neue digitale Konzepte müssen aber nicht nur in urbanen Räumen funktionieren, sondern können auch in ländlichen Regionen erfolgreich sein. Das Projekt „Mobilfalt - Mobilität durch Vielfalt“ des Nordhessischen Verkehrsverbundes schafft eine Verbindung zwischen ÖPNV und motorisiertem Individualverkehr. Private Autofahrer können hier über ein Portal Mitfahrten für andere Nutzer anbieten. Während die Nutzer einen geringen Betrag von ein bis zwei Euro für die Mitfahrt zahlen, erhält der Autofahrer eine Kilometerpauschale. Auf diese Art und Weise wird nicht nur das Mobilitätsangebot verbessert, sondern auch die Auslastung der Pkw. 232 Insgesamt lässt sich feststellen, dass - trotz vielerorts noch bestehender Verbesserungsbedarfe - der ÖPNV auf einem guten Weg ist; vorausgesetzt, die Entscheidungsträger bekennen sich zum ÖPNV und führen Veränderungen nicht nur im Sinne einer besseren Rentabilität, sondern vor allem zum Nutzen der (potentiellen) Fahrgäste durch. 231 Verkehrsclub Deutschland e.V.: Multimodal unterwegs, Berlin 2017, 19 232 vgl. Land der Ideen Management GmbH: Mobilfalt - Mobilität durch Vielfalt, https: / / deutscher-mobilitaetspreis.de, 14.02.2019 6 Literaturempfehlung Ackermann, Till: Handbuch Marketing im ÖPNV, Bingen a. Rhein 2016 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilität in Deutschland, Berlin 2018 Dorsch, Monique: Verkehr und Tourismus, Plauen 2016 Dorsch, Monique: Verkehrswirtschaft - 40 Fallstudien mit Lösungen, München/ Wien 2009 Dorsch, Monique: Verkehrswirtschaft - Eine Einführung, Plauen 2014 Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016 Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010 Marks-Fährmann; Restetzki, Klaus; Biehounek, Alexander; Hegger, Andreas: Grundwissen Bahn, Haan-Gruiten 2015 Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018 Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personenverkehr, Berlin 2018 Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Linienbus-Verkehrssysteme mit elektrischem Fahrantrieb, Köln 2007 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Stadtbahnsysteme, Köln 2014 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Verkehrsverbünde, Köln 2009 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030 - Szenarien für die Umsetzung der Verkehrswende in Deutschland, Köln 2018 Teil B Arbeit mit Fallstudien 1 Zur Bearbeitung von Fallstudien „All the professional schools face the same difficult challenge: how to prepare students for the world of practice“. 233 Wozu dienen Fallstudien? Bereits 1870 begann man in der Harvard Law School, mit Fallstudien zu arbeiten. Etwa 50 Jahre später folgte die Harvard Business School. Seitdem haben sich Fallstudien als ein höchst geeignetes, an den sich verändernden Herausforderungen stets orientiertes didaktisches Instrument bestens etabliert. Fallstudien dienen in erster Linie der Verknüpfung von (erlernter) Theorie und praxisrelevanten Problemstellungen. Darüber hinaus werden durch die gemeinsame Bearbeitung von Fallstudien Analysefähigkeiten, vernetztes Denken, Teamfähigkeit und andere (Führungs-)Kompetenzen - je nach Bedarf - gefördert. Fallstudien können eingesetzt werden, um in eine neue Thematik einzuführen oder um bereits erlerntes Wissen zu vertiefen und anzuwenden. Welche Arten von Fallstudien gibt es? Die Gestaltung von Fallstudien unterscheidet sich je nach ihrem didaktischen Ziel. Nachfolgend werden ausgewählte Arten von Fallstudien kurz charakterisiert 234 : Case Method (Entscheidungsfall): Bei dieser Variante werden alle notwendigen Informationen bereitgestellt und das Problem genannt. Ziel ist es, das Problem zu lösen. Case Study Method (Problemfindungsfall): Hierbei wird eine umfassende und idealerweise wahrheitsgetreue praktische Situation geschildert. Alle nötigen Informationen werden bereitgestellt, die Probleme jedoch nicht im Einzelnen genannt. Ziel ist es, den Sachverhalt zu analysieren, mögliche Probleme aufzuzeigen und mögliche Lösungen zu erarbeiten. Stated Problem Method (Bewertungsfall): Bei dieser Art der Fallstudie werden neben den Ausgangsinformationen auch Lösungen präsentiert. Dies dient dazu, einen Einblick in Entscheidungsprozesse in der Praxis zu erhalten und diese kritisch zu hinterfragen. Case Incident Method (Informationsfall): Hierbei wird nur eine unvollständige Problembeschreibung bereitgestellt. Durch gezielte Fragen und eigenständige Recherchen wird der Sachverhalt detaillierter beschrieben. Anschließend können Lösungsvorschläge erarbeitet werden. 233 Garvin, David A.: Making the Case, in: Harvard Magazine, September-October 2003, 56 234 vgl. Brunner, Friedrich; Friedrichsmeier, Helmut: Entscheidungen sind gefragt, Wien 1999, 10 94 Zur Bearbeitung von Fallstudien Wie löst man Fallstudien? Bei der erstmaligen Konfrontation mit einer Fallstudie ist man üblicherweise unsicher und weiß nicht so recht, wie man bei deren Lösung vorgehen soll. Dabei bietet sich folgende Schrittfolge 235 an: Konfrontation mit dem Fall: Der erste Schritt dient dazu, den Sachverhalt, die beteiligten Akteure sowie die Rahmenbedingungen kennenzulernen. Je nach Gestaltung der Fallstudie könnten hier bereits die Problemstellung und Lösungsalternativen genannt werden. Beschaffung und Auswertung von Informationen: Zur Lösung der Fallstudie ist es üblicherweise nötig, weitere Informationen zu beschaffen. Dies kann durch eigenständige Recherche oder Befragung (von Experten) geschehen. Anschließend gilt es, die zusätzlich beschafften Informationen auszuwerten und mit den bereits vorhandenen zu verknüpfen. Entscheidungsfindung: Oft zeigt sich, dass sich zur Lösung eines Problems mehrere Möglichkeiten bieten. In diesem Schritt sollten zunächst alle Lösungsalternativen hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile sowie der sich ergebenden Konsequenzen analysiert werden. Um trotz verschiedener Lösungsmöglichkeiten letztendlich nicht handlungsunfähig zu sein, ist es notwendig, aus den Alternativen eine erfolgversprechende auszuwählen. Die Entscheidungen sollten stets schriftlich fixiert werden, so dass sie auch ein Außenstehender nachvollziehen kann. Diskussion der Ergebnisse: Im nächsten Schritt werden die Lösungen verschiedener Arbeitsgruppen gegenübergestellt. Dabei sollten die Argumente und Ergebnisse der anderen kritisch geprüft und auch die eigenen Lösungsvorschläge hinterfragt werden. „Patentlösungen“ gibt es - wie auch in der Lebenspraxis - nicht. Vergleich mit der Praxis: Schließlich können die Ergebnisse der Arbeitsgruppen mit Lösungsalternativen aus der Praxis (sofern vorhanden) verglichen werden. Basiert die Fallbeschreibung auf einem realen Fall, ist es interessant zu sehen, wo Übereinstimmungen und Abweichungen im Lösungsprozess liegen. Letztlich besteht die berufliche und unternehmerische Praxis ausschließlich aus Fällen. Theoretisches (Fach-)Wissen allein hilft bei der Lösung solcher Probleme kaum. Stets geht es um die Verknüpfung von Wissen, sozialen Fähigkeiten und der richtigen Herangehensweise. Derartiges lässt sich im Rahmen des Studiums wie auch später nur über die Lösung von entsprechenden Problemstellungen erlernen und trainieren. Genau dieser Umstand mag für sich und die Fallstudienmethodik gleichermaßen sprechen. 235 vgl. Weitz, Bernd O.: Fallstudienarbeit in der ökonomischen Bildung, in: Hochschuldidaktische Schriften des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Nr. 4/ 2000, Halle (Saale) 2000, 13 2 Instrumente des vernetzten Denkens Was ist vernetztes Denken? Zur Bewältigung komplexer Problemsituationen können verschiedene Methoden angewandt werden. Eine dieser Methoden ist die Methodik des vernetzten Denkens. Unter vernetztem Denken, in einer älteren Interpretation des Begriffes auch kybernetisches Denken genannt, wird ein Denken in systematischen Mustern und gleichzeitig dynamischen Strukturen verstanden. Dies soll eine Abkehr vom reinen linearen Ursache-Wirkungs-Denken bewirken und zum Verständnis komplexer Systeme und deren Verhaltens führen. Die Methodik des vernetzten Denkens hilft, anhand verschiedener Schritte und Instrumente strukturiert bzw. systematisch vorzugehen. Sie ermöglicht es dem Problemlöser, einen gewissen Anstoß in Bezug auf ein reflektiertes Denken in Zusammenhang mit zu treffenden Entscheidungen zu erlangen. Vorteil des vernetzten Denkens gegenüber anderen Problemlösungsmethoden ist, dass nicht nur schnell greifende Lösungsmöglichkeiten gesucht und implementiert werden, sondern neben der Wirksamkeit der Methoden auch Wechselwirkungen mit anderen Faktoren und Spätfolgen einkalkuliert und gegebenenfalls neue, mitunter vielleicht weniger wirksame, aber gleichzeitig weniger „schädliche“ Lösungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden können. Das dargestellte Instrumentarium zeichnet sich insbesondere durch seine analytische Kraft aus, die man nicht entwickeln kann, wenn irgendwie an eine - gerade komplexe - Problemstellung herangegangen wird. Ein weiterer Vorteil der Methodik des vernetzten Denkens ist, dass alle Instrumente und die zugrundeliegenden Gedankengänge durchaus einfach, übersichtlich und für jedermann relativ gut nachvollziehbar sind. Wenn man ein komplexes System bzw. eine komplexe Problemsituation verstehen möchte, sollte man nicht aus dem System heraus bzw. vom Problem aus auf die Umwelt schauen und von dort aus versuchen, Entwicklungen und Faktoren zu analysieren. Zielführender ist ein Blick „von außen nach innen“ - in das eigene System hinein, um dessen Struktur und Verhalten zu untersuchen. Dadurch kann festgestellt werden, mit welchen Systemteilen gesteuert werden kann, welche Teile sich nicht zur Steuerung eignen, wo sich Puffer befinden, wie flexibel das System insgesamt ist, wie seine Selbstregulation funktioniert, wo es Symbiosemöglichkeiten gibt usw. Bei der Untersuchung helfen können beispielsweise Wirkungsgefüge, Einflussmatrizen, Portfolios und Szenarien. Mithilfe dieser Instrumente sind Aussagen darüber möglich, wie sich das System bei Eintreten eines bestimmten Umweltzustandes wahrscheinlich verhalten wird, wie es auf bestimmte Veränderungen reagiert, wie sein Verhalten möglicherweise verbessert bzw. optimiert werden kann. Die möglichen Strategien zur Veränderung einer gegebenen Situation sollten also nicht von außen bestimmt, sondern durch das System selbst vorgegeben werden. Dabei sollte stets versucht werden, dass System stabil und weniger störungsanfällig zu machen. 236 Ziel dieses Instrumentariums ist nicht das Erreichen größtmöglicher Objektivität, da es sich hierbei stets um subjektive Betrachtungen handelt. Auch werden die Ergebnisse nie wirklich 236 vgl. Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 100ff 96 Instrumente des vernetzten Denkens vollständig sein, vielmehr geht es um Facettenreichtum und das Erkennen von grundlegenden Zusammenhängen und Wirkungsweisen sowie das Betrachten eines komplexen Problems aus verschiedenen Perspektiven. Ideal ist es daher, wenn die Instrumente von verschiedenen Personen zur Problemanalyse genutzt und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt werden. Dabei sollte man sich allerdings auch bewusst sein, dass die Instrumente Werkzeugcharakter aufweisen, wobei - wie im Handwerk - gilt, dass gute Werkzeuge nicht unbedingt ein gutes Produkt garantieren. Die langjährige Praxis zeigt, dass der Einsatz des Instrumentariums bei verschiedenen ökonomischen und gesellschaftlich relevanten Problemstellungen äußerst lohnenswert ist und sich auch aufgrund der stets zu erzielenden „Aha-Effekte“ sehr bewährt hat. Zudem kann es auch Spaß machen, wenn man sich dafür begeistern lässt und eigenständig bestimmten Problemen, Sachverhalten usw. auf den Grund gehen will. Die einzelnen Instrumente 237 und deren Anwendung sollen nun anhand eines konkreten, durchgängigen Beispiels und diesbezüglicher Fragestellungen verdeutlicht werden. 237 Die hier dargestellte Reihenfolge muss nicht unbedingt eingehalten werden. Sollte sich bei der Problembearbeitung beispielsweise die Ausgangslage verändern, sind jederzeit Rücksprünge zu bereits angewandten Instrumenten möglich. Ebenso können - wenn es die Problemstellung rechtfertigt - auch nur bestimmte Instrumente herausgegriffen werden. Natürlich steht es dem Problemlöser ebenso frei, die beschriebenen Instrumente weiterzuentwickeln, was aufgrund der Struktur des gesamten Instrumentariums durchaus möglich ist. Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 97 Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark „Eine Kombination von Linienbus, Post, Kurierdienst und Fahrdienst soll die Versorgung der ländlichen Bevölkerung dauerhaft und auf hohem Niveau sicherstellen.“ 238 Im Landkreis Uckermark, im Nordosten Brandenburgs gelegen, leben rund 120.000 Einwohner auf einer Fläche von 3.077 km². Das entspricht einer Bevölkerungsdichte von 39 Einwohnern/ km². Bis zum Jahr 2030 rechnet man mit einem Bevölkerungsrückgang von 24 %. Darunter leidet die generelle Versorgung des ländlichen Raums, Wege zu entsprechenden Einrichtungen (z.B. Einzelhandel, Gesundheitseinrichtungen) werden weiter. Gleichzeitig steigt aber das Durchschnittsalter der dortigen Bevölkerung. Sinkende Haushaltseinkommen führen zu einer stärkeren Abhängigkeit vom ÖPNV. 239 Aus diesem Grund war man auf der Suche nach Lösungen, um zukünftig die Aufgaben der Daseinsvorsorge im Bereich der Mobilität erfüllen zu können. Ideen aus Nordeuropa und der Schweiz Auch in anderen Ländern Europas gibt es dünn besiedelte Räume. Anstatt aber die Bedienung aus Kostengründen zu reduzieren, entwickelte man innovative Konzepte, um auch der dort lebenden Bevölkerung eine angemessene Versorgung mit ÖPNV-Dienstleistungen bieten zu können. Um Kapazitäten im Buslinienverkehr besser auszulasten und die Problematik der „letzten Meile“ des Gütertransports zu bewältigen, werden in Nordeuropa schon seit jeher ÖPNV und Gütertransport kombiniert. Auch in Deutschland hat es früher vergleichbare Konzepte - nicht nur in Form von Postbussen, die auch Briefkästen an Bord hatten - schon gegeben, wurden doch auch mit der Eisenbahn nach Bedarf Gepäck, Fracht und Post transportiert. Im Luftverkehr ist dies generell noch üblich (vgl. Belly-Fracht). In Schweden praktiziert das Unternehmen Bussgods Sverigefrakt AB die Beförderung von Personen und Fracht im selben Fahrzeug. Den Frachttransport können dabei sowohl Unternehmen als auch Privatkunden nutzen. Zum Kerngeschäft des in Finnland tätigen Unternehmens Oy Matkahuolto Ab zählen ebenso Personenbeförderung und Paketdienstleistungen. 240 An Knoten im Busnetz wurden hier speziell für den Güterverkehr Logistikzentren mit Lagermöglichkeiten errichtet. Für den Personenverkehr werden adäquate Servicereinrichtungen vorgehalten. Händler fungieren als Kooperationspartner, nehmen Ware an, geben Ware aus und verkaufen zudem Fahrscheine für den ÖPNV. Der Frachttransport erfolgt in den Kofferräumen der Busse oder mit Anhängern. Teilweise wurden auch Sitzreihen entfernt, um Platz für Fracht zu schaffen. Zudem existieren Hybridfahrzeuge, die im vorderen Teil über Sitzreihen verfügen, im hinteren Teil über Frachträume. Entscheidend für die Attraktivität im Gütertransport ist die taggleiche Belieferung. Zudem werden logistische Dienstleistungen (z.B. Routendisposition, Warenortung, Teilmengenbündelung) angeboten. Dies führt dazu, dass in Finnland beispielsweise auch Blutkonserven transportiert werden. In der 238 Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer (Hrsg.): Modellvorhaben Daseinsvorsorge 2030, Berlin 2011, 18 239 vgl. Statistik Berlin Brandenburg: Bevölkerung, https: / / www.statistik-berlin-brandenburg.de, 07.03.2019; Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer (Hrsg.): Modellvorhaben Daseinsvorsorge 2030, Berlin 2011, 17; VDV Landesgruppe Ost: Die Zukunft des ländlichen ÖPNV in Brandenburg, Berlin o.J., 5 240 vgl. Bussgods Sverigefrakt AB: Om oss, https: / / www.bussgods.se/ om-oss, 07.03.2019; Oy Matkahuolto Ab: Företagsinformation, https: / / www.matkahuolto.fi, 07.03.2019 98 Instrumente des vernetzten Denkens schwedischen Provinz Norbotten wird ein IKEA-Standort auf diese Weise versorgt. Durch die Verknüpfung von Personen- und Güterverkehr lassen sich Leerfahrten reduzieren und gleichzeitig zusätzliche Einnahmen im Frachtgeschäft realisieren. Für die Verkehrsbetriebe ist die Frachtbeförderung eine wichtige finanzielle Stütze, erzielen sie doch rund 25 % des Umsatzes durch den Gütertransport. 241 Attraktiver ÖPNV im ländlichen Raum lässt sich auch über integrale Taktfahrpläne realisieren, wie dies in der Schweiz im Schienenverkehr, aber auch im Busverkehr der Fall ist. Der integrale Taktfahrplan stellt eine Sonderform des Taktfahrplanes dar. Kennzeichnend ist hierbei, dass die einzelnen Linien nicht nur im Takt fahren, sondern für alle Linien eine bestimmte Symmetrieminute (meist Minute Null) gilt. Optimale Umsteigebeziehungen für die Reisenden ergeben sich bei einem Stundentakt daher immer dann, wenn Züge bzw. Busse einen Knotenbahnhof oder eine Schnittstelle kurz vor der vollen Stunde erreichen und kurz nach der vollen Stunde abfahren. Analog gilt dies für den Halbstundentakt. Die Knotenpunkte werden entsprechend gestaltet, ebenso werden die Strecken derart ertüchtigt, dass sich die zwischen den Knoten erforderlichen Geschwindigkeiten realisieren lassen. Die Reisenden profitieren so von guten Anschlussbeziehungen und angemessenen Reisezeiten. Die Verkehrsunternehmen können Parallelfahrten vermeiden und dadurch die Wirtschaftlichkeit des Angebots steigern. Ausgehend von diesen Ansätzen entstand in Brandenburg die Idee des „KombiBusses“: „Zentrales Ziel der Konzeption war es, unter Beteiligung politischer Entscheidungsträger, regionaler Partner und der Bevölkerung ein finanzierungs- und umsetzungsfähiges Betriebskonzept im Rahmen des Linienverkehrs zu entwickeln.“ 242 2012 startete in der Uckermark das durch das Bundesministerium des Innern geförderte Modellprojekt, welches auch nach Projektabschluss erfolgreich weitergeführt wird. Zum einen setzt das Konzept auf die in Nordeuropa praktizierte kombinierte Personen- und Frachtbeförderung. Zum anderen hat man nach Schweizer Vorbild im Bediengebiet der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft einen integralen Taktfahrplan realisiert. 243 Die Frachtkunden kommen aus den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft. Das Angebot eignet sich nicht nur für Unternehmen mit geringen Sendungsgrößen, sondern auch für die Transportbranche. Die Überbrückung der „letzten Meile“ im ländlichen Raum stellt sich als besonders kostenintensiv dar. Deshalb übernimmt der KombiBus auch Transporte für Kurier-, Express- und Paketdienste. Betriebe aus dem Lebensmittelsektor nutzen das Angebot für den regionalen Vertrieb ihrer Erzeugnisse an gastronomische Einrichtungen und kleine Lebensmittelgeschäfte. Ein spezielles Angebot besteht für die Kunden des Oder-Centers in Schwedt, die ihre Einkäufe an eine Abholstation oder Wunschhaltestelle liefern lassen können. Selbst im touristischen Bereich wird der KombiBus eingebunden und dient hier dem Gepäcktransport oder der Beförderung von Mietfahrrädern zurück zur Ausleihstation. Schließlich können auch Privatkunden Güter versenden. 244 241 vgl. Monheim, Heiner; Muschwitz, Christian; Reimann, Johannes; Pitzen, Constantin, Sylvester, Anja, Michelmann, Holger: KombiBus und ITF, in: mobilogisch! 3/ 2013, http: / / www.mobilogisch.de, 05.02.2019; Muschwitz, Christian; Reimann, Johannes: Intelligente öffentliche Mobilität im ländlichen Raum - von Skandinavien lernen! , in: Informationen zur Raumentwicklung 2/ 2015, 117; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 35 242 Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer (Hrsg.): Modellvorhaben Daseinsvorsorge 2030, Berlin 2011, 17 243 vgl. Bundesministerium des Innern: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2013, Berlin 2013, 107; kombiBUS Gruppe: Innovation mit Tradition - So funktioniert kombiBUS, http: / / kombibus.de/ prinzip, 25.02.2019 244 vgl. Uckermärkische Verkehrsgesellschaft mbH: Was ist KombiBus? , https: / / www.uvg-online.com, 25.02.2019; Muschwitz, Christian; Reimann, Johannes: Intelligente öffentliche Mobilität im ländlichen Raum - von Skandinavien lernen! , in: Informationen zur Raumentwicklung 2/ 2015, 114f Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 99 Um Fracht befördern zu lassen, ist eine Anmeldung am Vortag bis 18 Uhr erforderlich. Dies kann telefonisch, per Fax, E-Mail oder online erfolgen. Abgegeben wird die Sendung zum vereinbarten Zeitpunkt, der Zeitpunkt der Lieferung steht damit ebenfalls fest (vgl. Fahrplan! ). Eine Expressbestellung ermöglicht auch kurzfristige Lieferungen. Die Preisermittlung erfolgt nach Gewicht und Entfernung. Pro Busfahrt können maximal 200 kg Fracht befördert werden. Größere Mengen müssen dann auf andere Transportalternativen setzen. Grundsätzlich will man keine Konkurrenz zum klassischen Güterverkehr sein, sondern Marktnischen bedienen, für die es bislang keine passenden Angebote gab. 245 Bei der Umsetzung des Konzepts galt es zunächst, Fahrzeuge und Stationen entsprechend umzurüsten. Die Güter werden dabei in den Kofferräumen der Busse, aber auch im Fahrgastraum transportiert. Um entsprechend Frachtraum zur Verfügung zu haben, kommen Hochflurfahrzeuge zum Einsatz. Barrierefreie Mobilität kann hierbei also nicht angeboten werden. In den einzelnen Orten gibt es Annahme- und Abholstationen, an denen Ware entgegengenommen bzw. ausgegeben sowie teilweise auch zwischengelagert wird. Der integrale Taktfahrplan garantiert mehrere Fahrten pro Tag und attraktive Reisebzw. Transportzeiten in alle ans Busnetz angeschlossene Ortschaften. Knotenpunkte im Busliniennetz bilden zentrale Omnibus-Bahnhöfe. Hier bestehen für die Fahrgäste günstige Umsteigemöglichkeiten, ebenso findet hier die Be-, Um- und Entladung der Fracht statt. Letzteres führt allerdings dazu, dass es an diesen Knotenpunkten längere Aufenthalte gibt und die Passagiere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Da das Personal im Rahmen des KombiBus-Konzepts in zwei unterschiedlich arbeitenden Märkten - Personen- und Frachtbeförderung - agiert, waren diesbezügliche Schulungen erforderlich. 246 Rund zwei Jahre nach Projektstart waren bereits über 100 Gütertransporte jährlich zu verzeichnen. Das Konzept wurde also von den Kunden angenommen. Seitdem hat sich das KombiBus- Projekt gut weiterentwickelt. So wurden im Jahr 215 beispielsweise 11,7 t Fracht befördert. Es gab allerdings auch schwierige Jahre, in denen die Transportmenge auf ein Drittel dieses Wertes sank. Generell hat sich das Konzept aber in der Praxis bewährt und wurde durch verschiedene Auszeichnungen, wie z.B. den VCÖ-Mobilitätspreis, entsprechend gewürdigt. 247 Ziel des Modellprojektes war es auch zu prüfen, inwieweit sich das KombiBus-Konzept auf andere ländliche Regionen übertagen lässt. Die Erfahrungen wurden gebündelt und schließlich in Leitfäden zusammengefasst. Seit 2016 fördert das Land Brandenburg Unternehmen, die an der Umsetzung eines vergleichbaren Konzepts interessiert sind, und hat dies in einer entsprechenden Richtlinie verankert. 248 Auch in anderen Bundesländern wurden solche Konzepte schon getestet bzw. eingeführt. 245 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 37; Uckermärkische Verkehrsgesellschaft mbH: Was ist KombiBus? , https: / / www.uvgonline.com, 25.02.2019; Braemer, Christopher: Kombibus - Eine unschlagbare Mischung (22.01.2018), https: / / www.svz.de, 25.02.2019 246 vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Bilanz - Modellvorhaben Daseinsvorsorge 2030, Berlin 2014, 23f; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 35 247 vgl. Muschwitz, Christian; Reimann, Johannes: Intelligente öffentliche Mobilität im ländlichen Raum - von Skandinavien lernen! , in: Informationen zur Raumentwicklung 2/ 2015, 114; Braemer, Christopher: Kombibus - Eine unschlagbare Mischung (22.01.2018), https: / / www.svz.de, 25.02.2019; Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Modellprojekt "KombiBus" gewinnt österreichischen Mobilitätspreis (25.09.2013), https: / / www.bmi.bund.de, 14.03.2019 248 vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Bilanz - Modellvorhaben Daseinsvorsorge 2030, Berlin 2014, 25; Richtlinie des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung zur Förderung der Übertragung des KombiBus-Prinzips (Kombinierte Serviceleistungen als ergänzendes Angebot im Linienverkehr) im Land Brandenburg (Rili KombiBus) vom 20. Mai 2016 100 Instrumente des vernetzten Denkens Wie können Ziele analysiert werden? Einen der häufigsten Fehler im Umgang mit komplexen Problemsituationen stellt die unsystematische Zielsetzung dar. Ziele sollten so gesetzt werden, dass sie die Lebensfähigkeit eines Systems sichern bzw. erhöhen. Oft werden Ziele aber nur zum Selbstzweck gesetzt: Ein Unternehmen möchte z.B. größer als ein Konkurrenzunternehmen sein, es will seine Absatzmenge steigern oder eine Innovation schneller auf den Markt bringen. Dabei wird nicht selten übersehen, dass Wachstum ab einem bestimmten Punkt auch Inflexibilität mit sich bringt, höhere Absatzzahlen vom Markt abhängiger machen und Innovationen nicht zwangsläufig einen wirklichen Fortschritt bedeuten. In vielen Fällen werden Ziele nicht mit, sondern eher gegen das System gesetzt, wie beispielsweise zahlreiche Fusionsbestrebungen mit dem Ziel größerer Marktmacht und Einflussmöglichkeiten zeigen, die letztendlich aber scheiterten. Immer dann, wenn die eigenen Zielvorstellungen („Soll“) von der realen Situation („Ist“) abweichen, werden Problemlösungsprozesse veranlasst. Ein Problem liegt demzufolge vor, wenn sich bei gleichbleibenden Zielen eine tatsächliche Situation ändert oder die Ziele bei gleichbleibender Wirklichkeit modifiziert werden. Zu Beginn eines Problemlösungsprozesses sollte man sich daher einen Überblick über die Situation verschaffen: Wie sehen die Zielvorstellungen aus? Wie stellt sich die Realität dar? Dazu ist es erforderlich, die Ziele klar, präzise und unmissverständlich zu formulieren, konkrete Teilziele abzuleiten, beim Auftreten von Zielbündeln die Ziele mit Prioritäten zu versehen, die Konsistenz der Ziele mit übergeordneten Wertvorstellungen und Normen zu überprüfen, die Ziele unter Berücksichtigung einer größtmöglichen Objektivität zu setzen und dabei auch die Unwägbarkeiten selektiver Wahrnehmung zu berücksichtigen. Anschließend sollten die bereits formulierten bzw. gesetzten Ziele prüfend hinterfragt werden: Ist das Oberziel klar und unmissverständlich formuliert? Sind ausgehend von diesem Oberziel (sinnvolle) Teilziele abgeleitet worden? Sind diese Ziele von allen Beteiligten und aus ethischer Sicht vertretbar? Sind diesen Teilzielen Prioritäten zugeordnet bzw. sind diese Teilziele in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht worden? Ist für alle Ziele ein realistischer Zeitrahmen festgelegt worden? 249 249 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Instrumente zum Management komplexer Problemsituationen, Hamburg 1999, 6f Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 101 Welche Ziele verfolgte man mit dem KombiBus-Projekt in der Uckermark? Welcher Zeitrahmen ist dafür realistisch? Prioritäten Ziele Zeitrahmen Oberziel Realisierung einer kostengünstigen und effizienten ÖPNV- Mobilität zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum während der Projektlaufzeit und darüber hinaus 1 Entwicklung eines funktionierenden und attraktiven Betriebskonzepts zur kombinierten Personen- und Frachtbeförderung im Linienverkehr während der Projektlaufzeit 2 Steigerung der Fahrgastzahlen kontinuierlich 3 Gewinnung von Frachtkunden kontinuierlich 4 Sicherstellung der Finanzierung des ÖPNV langfristig 5 Erhalt (und Schaffung) von Arbeitsplätzen langfristig 6 Sammeln von Erfahrungen zur Übertragung des Konzepts auf andere Regionen während der Projektlaufzeit 7 Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Bewältigung des demographischen Wandels langfristig Tabelle 2-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen Welche Bedeutung hat das Umfeld? Oft werden bei der Bearbeitung komplexer Problemsituationen unterschiedliche Systemebenen - die zu betrachtende, übergeordnete und untergeordnete - vermischt. Die Datenerfassung kann sich dadurch problematisch gestalten. Die entstehende Informationsflut führt dazu, dass wichtige Vernetzungen, Wechselwirkungen, Rückwirkungen und Zeitverzögerungen übersehen werden. Deshalb ist es wichtig, die Stellung des zu untersuchenden Systems innerhalb der es umgebenden Wirtschaft und Gesellschaft einzuordnen, um die relevanten Perspektiven bzw. Sichtweisen zu erkennen. Dazu bietet sich folgende Vorgehensweise an: Zunächst wird die betrachtete Systemebene identifiziert. Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um die mittlere Ebene handeln. Anschließend ermittelt man die nächsthöheren sowie die höchste noch interessierende Ebene. Gleichermaßen wird mit den tieferen Ebenen verfahren. Nun bestimmt man die gleichrangigen Ebenen. Abschließend wird die Umgebung des Systems identifiziert. Ist dies geschehen, untersucht man alle erfassten Ebenen hinsichtlich ihrer Ansichten und Einstellungen zur Problemstellung. Auf diese Weise kann herausgefunden werden, ob bei der Lösung des Problems eher mit Unterstützung oder Widerstand zu rechnen ist. 250 250 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken I, Berlin 2000, 21f 102 Instrumente des vernetzten Denkens Welche Erwartungen und Ziele verbinden die verschiedenen beteiligten bzw. betroffenen Interessengruppen mit dem KombiBus-Konzept? Landkreis (potentielle) Fahrgäste Gemeinden in der Uckermark Einwohner Land Brandenburg Frachtkunden Tourismusbetriebe Hersteller, Händler, Einkaufszentren UVG Abbildung 2-1 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Interessengruppen Erwartungen und Ziele Uckermärkische Verkehrsgesellschaft (UVG) Entwicklung eines funktionierenden und attraktiven Betriebskonzepts zur kombinierten Personen- und Frachtbeförderung im Linienverkehr Verbesserung der Kapazitätsauslastung und damit Steigerung der Wirtschaftlichkeit Steigerung der Fahrgastzahlen Gewinnung von Frachtkunden Sicherstellung der Finanzierung des ÖPNV Erhalt (und Schaffung) von Arbeitsplätzen Land Brandenburg und Landkreis Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum Erhalt der Lebensqualität und der gesellschaftlichen Teilhabe Reduzierung der Abwanderung aus dünnbesiedelten Regionen Entwicklung neuer Konzepte zur Bewältigung des demographischen Wandels Gemeinden in der Uckermark Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum Erhalt der Lebensqualität und der gesellschaftlichen Teilhabe Reduzierung der Abwanderung Hersteller, Händler, Einkaufszentren Nutzung neuer Konzepte zur Belieferung ländlicher Regionen Schaffung eines Zusatznutzens für die Kunden Kundenbindung, Kundengewinnung - gerade auch in Konkurrenz zum Online-Handel Tourismusbetriebe Schaffung neuer Angebote: Bezug regionaler Produkte trotz kleiner Mengen, spezielle Angebote wie „Wandern ohne Gepäck“ Optimierung bestehender Angebote: Rücktransport von Leihfahrrädern Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 103 Fortsetzung Interessengruppen Erwartungen und Ziele Einwohner Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum Erhalt der Lebensqualität und der gesellschaftlichen Teilhabe angemessene Erschließungsqualität des ÖPNV angemessene Angebotsqualität (potentielle) Fahrgäste angemessene Erschließungsqualität des ÖPNV angemessene Angebotsqualität angemessene Beförderungsqualität Tabelle 2-2 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele Wie können Ideen systematisiert werden? Hierzu bietet sich die Technik des Mindmapping an, das an verschiedenen Stellen des Analyseprozesses zum Einsatz kommen kann. Es eignet sich z.B. besonders gut zur Analyse und Strukturierung komplexer Problemsituationen, zur Planung oder zur Strategiesuche. Die Technik des Mindmapping geht auf Tony Buzan 251 zurück. Es handelt sich dabei um ein Instrument zur Erleichterung der Brainstorming-Technik, wobei das zu bearbeitende Problem bildlich dargestellt wird. Identifizierte Faktoren oder gefundene Ideen werden in Form von „Ästen“ (bzw. auch „Kästen“) systematisiert bzw. thematisch angeordnet. Hierbei können wichtige Aspekte besonders herausgestellt oder auch Zusammenhänge verdeutlicht werden. Durch seine offene Struktur kann ein Mindmap nach allen Seiten wachsen und jederzeit ergänzt werden. Nachteilig ist die starke Vereinfachung komplizierter Sachverhalte: So leicht, wie es sich in einem Mindmap darstellt, lassen sich komplexe Situationen nicht überschauen. Wie wird zur Erstellung eines Mindmaps vorgegangen? Den Ausgangspunkt bildet das zu lösende Problem, das in der Mitte eines möglichst großen Blattes notiert wird. Ausgehend davon werden die einzelnen Ideen bzw. Aspekte in Form von „Ästen“ (oder auch „Kästen“) festgehalten. Neue Aspekte und Ideen, die mit bereits notierten zusammenhängen, werden an den jeweiligen Ästen ergänzt. Auf diese Weise kann das Mindmap nach allen Seiten wachsen. Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ästen können durch Verbindungslinien oder Pfeile deutlich gemacht werden. Ebenso können zur Unterscheidung bzw. Hervorhebung von Ideen bzw. Aspekten unterschiedliche Farben, Unterstreichungen, Umrandungen usw. verwendet werden. Wird ein Mindmap im Team erstellt, können sich die Beteiligten gegenseitig inspirieren. Anschließend sollten die Aufzeichnungen auf ihre Sinnhaftigkeit und Brauchbarkeit untersucht werden. 252 251 siehe dazu auch Buzan, Tony; Buzan, Barry: Das Mind-Map-Buch, Heidelberg 2013; Buzan, Tony; North, Vanda: Business Mind Mapping - visuell organisieren, übersichtlich strukturieren, Arbeitstechniken optimieren, Frankfurt/ M./ Wien 2002; Müller, Horst: Mind Mapping, Planegg 2013 252 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Kreativitätstechniken, Hamburg 2000, 24ff 104 Instrumente des vernetzten Denkens Skizzieren Sie das Grundkonzept des KombiBusses in einem Mindmap! KombiBus- Konzept Fahrplan Kunden Erschließung Oganisation Personal beförderte Güter Betriebskosten Haltestellen Liniennetz Depots/ Lager Annahmestellen Abholstationen integraler Taktfahrplan Betriebstage Fahrtanzahl pro Tag Bestellannahme Auftragsbündelung Annahme Abholung Lagerung Telefon Fax E-Mail online tätig in zwei Märkten Qualifikation konventioneller Linienverkehr vs. alternative Bedienformen verschiedenste Güterarten Mengenbeschränkung ÖPNV Fracht Einheimische Ausflügler, Touristen Unternehmen allgemein Transportbranche (KEP) Lebensmittelbranche (Händler, Erzeuger) Tourismusbranche Privatpersonen Abbildung 2-2 Mindmap: KombiBus-Konzept Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 105 Welche Zusammenhänge bestehen? Ein weiterer Fehler bei der Auseinandersetzung mit komplexen Problemsituationen besteht häufig darin, dass Zusammenhänge unterschätzt bzw. gar nicht erkannt werden. Doch gerade diese Zusammenhänge und Wirkungsbeziehungen, daraus resultierende Nebenwirkungen und auftretende Rückkopplungen sind bei der Analyse einer Problemsituation von großer Bedeutung. Werden diese Zusammenhänge nicht erkannt, wird auch die Erfassung noch so detaillierter Daten nicht zum Ziel führen. Erst wenn die Zusammenhänge zwischen Systemelementen erfasst sind, können Aussagen über Störanfälligkeit, Regelkreise, Abhängigkeit des Systems von der Umwelt usw. getroffen werden. Aus dem Zusammenspiel der Systemelemente kann abgeleitet werden, welche Teilbereiche für das System besonders wichtig sind und an welchen Stellen unbedachte Eingriffe u.U. verheerende Folgen haben könnten. Um in eine komplexe Problemsituation zielgerichtet einzugreifen, ohne jedoch den Selbstregelungsmechanismus des Systems zu zerstören, benötigt man ein genaues Bild des Wirkungsgefüges bzw. Beeinflussungsmusters. Das nachfolgende Instrument dient dazu, die Zusammenhänge zwischen Zielgrößen und Einflussfaktoren bzw. Systemelementen aufzuzeigen. Es soll untersuchen, inwieweit Faktoren und Elemente vernetzt sind, wie und wie schnell sie aufeinander wirken. Dabei geht es um die Beantwortung folgender Fragen: Was sind relevante Einflussfaktoren? - Zunächst gilt es, die für das System relevanten internen und externen Faktoren und Einflussgrößen zu identifizieren. Welche Einflussfaktoren wirken aufeinander? - Nun werden Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren in einem Wirkungsgefüge erfasst. Die jeweiligen Wirkungsbeziehungen können durch Pfeile deutlich gemacht werden. In welcher Richtung wirken die Einflussfaktoren? - Anschließend wird untersucht, ob es sich bei den Wirkungsbeziehungen um gleichgerichtete oder entgegen gerichtete Wirkungen handelt. Von einer gleichgerichteten Beziehung spricht man dann, wenn bei einem gegebenen Zusammenhang zwischen den Faktoren A und B der Faktor B zunimmt, wenn auch A zunimmt. Bei einer entgegen gerichteten Beziehung würde sich der Faktor B gegenläufig zum Faktor A verhalten. Im Wirkungsgefüge wird die Wirkungsrichtung durch ein „+“ (für eine gleichgerichtete Beziehung) bzw. ein „-“ (für eine entgegen gerichtete Beziehung) gekennzeichnet. Treten Wirkungen schnell oder mit zeitlicher Verzögerung ein? - Abschließend können zusätzlich die Fristigkeiten der Wirkungen (kurz-, mittel- oder langfristig) im Wirkungsgefüge dargestellt werden. Dies kann z.B. durch unterschiedliche Pfeildicken oder verschiedene Farben erfolgen. 253 253 vgl. Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Internationalisierung der mittelständischen Wirtschaft, Frankfurt/ M. 2001, 28 106 Instrumente des vernetzten Denkens Analysieren und beschreiben Sie die wesentlichen Zusammenhänge der für das KombiBus-Konzept entscheidenden Faktoren! Fahrplan + Beförderungskapazität Personal Nachfrage Haltestellen/ Frachtstationen + + + + + + + + + + + + Linienführung Abbildung 2-3 Wirkungsgefüge 254 Zum besseren Verständnis des entwickelten Wirkungsgefüges oder Netzwerkes empfiehlt es sich, die einzelnen Wirkungsbeziehungen näher zu beschreiben. Dies kann z.B. wie in folgender Tabelle geschehen: Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Linienführung Haltestellen/ Frachtstationen Die Linienführung bestimmt, welche Haltestellen/ Frachtstationen eingebunden werden können. Nachfrage Je günstiger die Linienführung, umso mehr (potentielle) Nachfrager können erreicht werden. Fahrplan Die Linienführung beeinflusst den Fahrplan. Beförderungskapazität Nachfrage Je höher die verfügbare Beförderungskapazität, umso mehr Fahrgäste bzw. Fracht können transportiert werden. Fahrplan Je höher die angestrebte Beförderungskapazität, umso dichter sollte der Fahrplan sein. Haltestellen/ Frachtstationen Linienführung Lage und Anzahl der bedienten Stationen beeinflussen die Linienführung. Nachfrage Je mehr Haltestellen/ Frachtstationen eingebunden werden, umso mehr Nachfrager können erreicht werden. Fahrplan Lage und Anzahl der bedienten Stationen beeinflussen den Fahrplan. Nachfrage Linienführung Wohn-/ Standorte der Nachfrager beeinflussen die Linienführung. Beförderungskapazität Je mehr Fahrgäste bzw. Fracht befördert werden sollen, umso größer sollte die Beförderungskapazität sein. 254 Auf eine Angabe der Fristigkeiten wurde bei diesem Beispiel verzichtet. Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 107 Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Nachfrage Haltestellen/ Frachtstationen Je mehr Nachfrager erreicht werden sollen, umso mehr Stationen sollten angefahren werden (kürzere Wegstrecken zur nächstgelegenen Station). Fahrplan Je mehr Nachfrager erreicht werden sollen, umso dichter sollte der Fahrplan sein. Personal Je mehr Fahrgäste bzw. Fracht befördert werden sollen, umso mehr Personal ist erforderlich. Fahrplan Linienführung Der angestrebte Fahrplan (vgl. Takt! ) setzt Restriktionen für die Linienführung. Beförderungskapazität Je dichter der Fahrplan, umso höher die Beförderungskapazität. Haltestellen/ Frachtstationen Der angestrebte Fahrplan (vgl. Takt! ) setzt Restriktionen für die zu bedienenden Haltestellen/ Frachtstationen. Nachfrage Je dichter der Fahrplan, umso mehr Nachfrager werden angesprochen (da mehr alternative Fahrtmöglichkeiten). Personal Je dichter der Fahrplan, umso mehr Personal ist nötig. Personal Nachfrage Je kompetenter das Personal, umso zufriedener sind die Fahrgäste und Frachtkunden. Fahrplan Je mehr Personal, umso dichter kann der Fahrplan sein. Abbildung 2-4 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Wie stark wirken Einflussfaktoren? Üblicherweise sind nicht alle Wirkungen zwischen den einzelnen Faktoren gleich stark. Über die einfache Erfassung der Wirkungszusammenhänge hinaus sollten diese deshalb auch hinsichtlich ihrer Stärke bewertet werden. Dazu kann in wenigen Schritten eine sogenannte Wirkungsmatrix 255 erstellt werden: Alle im Wirkungsgefüge erfassten Faktoren werden zunächst in die Kopfspalten und -zeilen der Matrix eingetragen. Anschließend schätzt man die Stärke der direkten Wirkung zwischen je zwei Faktoren anhand einer zuvor festgelegten Skala (z.B. von „0“ für keine oder eine äußerst geringe Wirkung bis „3“ für eine starke Wirkung) ein. Der jeweilige Wert wird in das entsprechende Feld der Matrix eingetragen. Sind alle Wirkungen bewertet, werden die Werte zeilenbzw. spaltenweise addiert. Hohe Zeilensummen zeigen dabei an, dass der betreffende Einflussfaktor andere Faktoren (sehr) stark beeinflusst. Faktoren, die hohe Spaltensummen aufweisen, werden von anderen Faktoren (sehr) stark beeinflusst. 256 255 vgl. den von Vester entwickelten „Papiercomputer“ (Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 165); während Vester den „Papiercomputer“ unabhängig vom Wirkungsgefüge einsetzt, soll die Wirkungsmatrix hier zur detaillierteren Betrachtung der zuvor festgehaltenen Vernetzungen dienen. 256 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Instrumente zum Management komplexer Problemsituationen, Hamburg 1999, 16f 108 Instrumente des vernetzten Denkens Wie kann eine aus dem Wirkungsgefüge abgeleitete Wirkungsmatrix aussehen? Wirkung von auf Linienführung Beförderungskapazität Haltestellen/ Frachtstationen Nachfrage Fahrplan Personal Zeilensumme Linienführung x 0 2 2 2 0 6 Beförderungskapazität 0 x 0 2 3 0 5 Haltestellen/ Frachtstationen 3 0 x 3 3 0 9 Nachfrage 3 2 3 x 3 2 13 Fahrplan 2 3 2 2 x 3 12 Personal 0 0 0 1 3 x 4 Spaltensumme 8 5 7 10 14 5 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 2-3 Wirkungsmatrix Welche Kategorien von Einflussfaktoren gibt es? Die in der Wirkungsmatrix ermittelten Ergebnisse lassen sich nun in ein sogenanntes „Intensitätsportfolio“ 257 übertragen. Mithilfe dieses Portfolios können die Einflussfaktoren in vier verschiedene Kategorien - kritische, aktive, reaktive und träge Faktoren - klassifiziert werden. Konkret geht man dabei wie folgt vor: Zunächst wird das Portfolio selbst erstellt. Die Maximalwerte der Achsen (Einflussnahme = Abszisse, Beeinflussbarkeit = Ordinate) leiten sich aus der Anzahl der Einflussfaktoren ab. 258 Nun werden die Faktoren in das Portfolio eingetragen. Die Koordinaten der Faktoren ergeben sich aus den jeweiligen Zeilensummen (Abszissenwerte) und Spaltensummen (Ordinatenwerte) in der Wirkungsmatrix. Anschließend teilt man das entstehende Portfolio in die vier Felder „kritisch“, „aktiv“, „reaktiv“ und „träge“ ein und interpretiert das Ergebnis. Ausgehend von dieser Zuordnung lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten bzw. Aussagen über deren Auswirkungen treffen: Kritische Faktoren wirken stark auf andere Faktoren und werden selbst auch stark von anderen Faktoren beeinflusst. Sie sind daher als eine Art „Initialzündung“ geeignet. Steuerungseingriffe sollten hierbei jedoch äußerst vorsichtig vorgenommen werden, da durch unkontrolliertes Aufschaukeln auch das gesamte System aus dem Gleichgewicht geraten kann. 257 Das Intensitätsportfolio wurde von Vester und von Hesler entwickelt (vgl. Vester, Frederic; von Hesler, Alexander: Sensivitätsmodell, Frankfurt/ M. 1980). 258 Anzahl der Einflussfaktoren = x; Maximalwert = (x - 1) * 3 Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 109 Auch aktive Faktoren wirken stark auf andere Faktoren, werden allerdings selbst weniger von anderen Faktoren beeinflusst. Steuerungseingriffe sind hier gut möglich, sollten dennoch mit Bedacht erfolgen, da dies (mitunter unvorhergesehene) Auswirkungen auf das System zur Folge haben kann. Reaktive Faktoren beeinflussen andere Faktoren nur schwach, werden aber selbst stark von anderen Faktoren beeinflusst. Steuerungseingriffe bei diesen Faktoren haben im Allgemeinen keine nennenswerten Auswirkungen auf das System. Diese Faktoren eignen sich jedoch gut, um Auswirkungen von Steuerungseingriffen bei anderen Faktoren abzuschätzen. Träge Faktoren beeinflussen andere Faktoren nur schwach und unterliegen auch geringen Einflüssen. Eingriffe bei solchen Faktoren beinhalten ein recht geringes Risiko, bewirken aber dementsprechend wenig. Faktoren, die sich im mittleren Bereich des Portfolios ansiedeln, eignen sich eher schlecht zur gezielten Steuerung des Systems. Gleichzeitig spielen sie aber für die Selbstregulation eine wichtige Rolle. 259 Wie stellen sich die untersuchten Faktoren in einem Intensitätsportfolio dar? Einflussnahme 0 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14 REAKTIV KRITISCH TRÄGE AKTIV Beeinflussbarkeit P B N F Personal Beförderungskapazität Nachfrage Fahrplan HF Haltestellen/ Frachtstationen L Linienführung P B N F HF L Abbildung 2-5 Intensitätsportfolio 259 vgl. Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 205 110 Instrumente des vernetzten Denkens Kritische Faktoren Fahrplan: Mit dem Ziel einer hohen Angebotsqualität und einer hohen Nachfrage wurde ein integraler Taktfahrplan realisiert. Dieser setzt bestimmte Fahrzeiten zwischen den einzelnen Knotenpunkten voraus. Ausreichend Zeit zum Be- und Entladen ist einerseits gefordert, andererseits sollten die Aufenthalte im Sinne einer kurzen Gesamtreisezeit für die Fahrgäste minimiert werden. Nachfrage: Die Zahl potentieller Nachfrager im konventionellen ÖPNV sowie im Frachttransport bestimmt Haltestellen, Linienführung und Fahrplan und damit das Grundkonzept des KombiBusses. Gleichzeitig resultiert die Nachfrage aus der konkreten Gestaltung des Angebots. Aktive Faktoren Haltestellen/ Frachtstationen: Durch eine sinnvolle Auswahl der zu bedienenden Haltestellen bzw. Standorte für Be- und Entladestationen sowie Depots kann die Attraktivität des Gesamtkonzepts wesentlich erhöht und damit eine höhere Nachfrage erzielt werden. Reaktive Faktoren Linienführung: Die Linienführung unterliegt verschiedensten Restriktionen. Einerseits gilt es, möglichst viele (potentielle) Nachfrage zu erreichen und wohnortbzw. standortnah Haltestellen zu bedienen. Anderseits verlangt der integrale Taktfahrplan nach definierten Fahrzeiten zwischen den Knotenpunkten. Träge Faktoren Beförderungskapazität: Die tägliche bzw. wöchentliche Beförderungskapazität resultiert nicht nur aus der Fahrzeuggröße sondern auch aus dem Fahrplan und sollte entsprechend der erwarteten Nachfrage bemessen werden. Personal: Fahrplandichte und Personal stehen in engem Zusammenhang und bedingen sich gegenseitig. Ebenso hat das Personal Einfluss auf die Nachfrage (vgl. Freundlichkeit, Kundenzufriedenheit). Tabelle 2-4 Erläuterung der Faktoren Welche Entwicklungen sind möglich? Die Planung und Umsetzung von Problemlösungsmaßnahmen erfordert einen enormen Zeitaufwand. Soll ein Problemlösungsprozess erfolgreich verlaufen, müssen die in der Gegenwart entwickelten Lösungsmaßnahmen auch in Zukunft noch angemessen und wirksam sein. Dazu ist es also erforderlich, Entwicklungen zu antizipieren, künftige Veränderungsmöglichkeiten einer gegenwärtigen Problemsituation zu erfassen und zu interpretieren. Zukünftige Entwicklungen von komplexen Situationen lassen sich nicht genau vorhersagen. Dies liegt daran, dass ihre Faktoren und Wirkungen ständigen Veränderungen und wechselnden Einflussstärken unterliegen. Es können daher lediglich Szenarien für mögliche Entwicklungen aufgestellt werden. Mit Hilfe von Szenarien können künftige Entwicklungsmöglichkeiten einer gegenwärtig gegebenen Situation - anhand der momentan verfügbaren Informationen - antizipiert werden. Dadurch soll es dem Betrachter möglich werden, sich auf Veränderungen vorzubereiten und die davon betroffenen eigenen Ziele und Maßnahmen entsprechend anzupassen. Derartige Szenarien können gleichermaßen für kurz-, mittel- oder langfristige Zeiträume entwickelt werden. 260 Bei der Erstellung eines Szenarios wird in folgenden Schritten vorgegangen: Ausgehend vom zuvor erstellten Wirkungsgefüge werden Faktoren ermittelt, die man selbst nur bedingt bzw. nicht steuern kann. Diese (Schlüssel-)Faktoren werden in Gruppen (Umfeldsegmenten) zusammengefasst. 260 vgl. Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Internationalisierung der mittelständischen Wirtschaft, Frankfurt/ M. 2001, 63 Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 111 Einen wesentlichen Schritt stellt das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten der (Schlüssel-) Faktoren dar. Dabei ist es günstig, ein optimistisches, pessimistisches und wahrscheinliches Szenario zu erstellen. So wird eine gewisse Bandbreite abgesteckt, innerhalb derer sich die betrachteten Faktoren entwickeln könnten. Die Trendaussagen sollten aussagekräftig und knapp gehalten werden. Zudem werden sie bezüglich ihrer Wirkung auf die Zielgröße bewertet, beispielsweise anhand einer Skala von „++“ (für sehr günstige Wirkung) bis „--“ (für sehr ungünstige Wirkung). Schließlich sollte untersucht werden, inwieweit die sich im Szenario abzeichnende Entwicklung die Durchführung des Projektes bzw. Vorhabens unterstützen oder gefährden kann. 261 Da die Aufstellung von Szenarien üblicherweise von Unsicherheiten gekennzeichnet ist, sollte man sich bei der Erarbeitung von Problemlösungsmaßnahmen nicht nur auf ein Szenario verlassen, sondern verschiedene Varianten erstellen. Welche Entwicklungen in der Uckermark begünstigen das KombiBus-Angebot? Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf KombiBus Soziodemographische Entwicklung Altersdurchschnitt der Bevölkerung O) steigt P) steigt stark W) steigt stark + ++ ++ Besiedlungsdichte O) bleibt P) nimmt ab W) nimmt ab +/ - - - Ø Haushaltseinkommen O) bleibt P) nimmt stark ab W) nimmt ab +/ - ++ + Mobilität Führerscheinbesitz im Alter O) nimmt zu P) nimmt stark zu W) nimmt zu - -- - Pkw-Verfügbarkeit im Alter O) bleibt P) nimmt zu W) bleibt +/ - - +/ - Abhängigkeit von öffentlicher Mobilität O) nimmt stark zu P) nimmt ab W) nimmt zu ++ - + Lebensqualität im ländlichen Raum Erreichbarkeit von Ortschaften O) bleibt P) nimmt ab W) nimmt ab +/ - + + Versorgungswege (Einzelhandel, Gesundheit usw.) O) bleiben P) werden länger W) werden länger +/ - + + Bereitschaft zum Wegzug O) nimmt ab P) nimmt zu W) nimmt zu + - - 261 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken II, Berlin 2000, 7f 112 Instrumente des vernetzten Denkens Fortsetzung Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf KombiBus Nachfrage nach alternativen Frachttransporten Anzahl Frachtkunden O) steigt stark P) keine interessierten Kunden W) steigt ++ -- + Sendungshäufigkeit O) nimmt stark zu P) gering W) nimmt zu ++ - + O) Entwicklung bei optimistischer Betrachtung P) Entwicklung bei pessimistischer Betrachtung W) Wahrscheinliche Entwicklung ++ (sehr günstige Wirkung) bis -- (sehr ungünstige Wirkung) Tabelle 2-5 Mögliche Entwicklungen Welche Steuerungsmöglichkeiten gibt es? Mithilfe der bisherigen Instrumente wurde die Problemsituation bzw. das betrachtete System hinsichtlich des Eigenverhaltens untersucht. Nun ist es von Interesse, welche Möglichkeiten des eigenen Eingreifens sich bieten. Was allerdings steuerbar ist, hängt davon ab, wer in einer vorliegenden Problemsituation der eigentliche Problemlöser ist und welche Kompetenzen bzw. Machtbefugnisse er besitzt. Zunächst gilt es also, die Entscheidungsebene bzw. Lenkungsebene zu bestimmen, da diese die Steuerungsmöglichkeiten entscheidend beeinflussen. Zudem ist es von Relevanz, ob die möglichen Steuerungseingriffe auch langfristig erfolgreich sind. Deshalb sollten geeignete Indikatoren identifiziert werden, anhand derer sich die Wirksamkeit der Steuerungsmaßnahmen beurteilen lässt. Die zuvor im Szenario identifizierten Schlüsselfaktoren werden in dem folgenden Schritt hinsichtlich ihrer Steuerbarkeit durch den Problemlöser untersucht. Dabei werden vier Kategorien von Faktoren unterschieden: Steuerbare Faktoren sind Umfeldfaktoren, die der Betrachter generell beeinflussen kann. Aus der Gruppe der steuerbaren Faktoren werden die sogenannten wirksam steuerbaren Faktoren ermittelt. Dabei handelt es sich um Umfeldfaktoren, die man mit einem vertretbaren Aufwand wirksam beeinflussen kann. Es sollte ebenfalls untersucht werden, welche der betrachteten Faktoren auf einen Steuerungseingriff rasch und welche mit Verzögerung reagieren. Dadurch kann man vermeiden, dass bei nicht sofortigem Eintreten der erwarteten Wirkung ungeachtet der zeitlichen Verzögerung weitere Steuerungsmaßnahmen folgen und diese dann in Verbindung mit den anfänglichen Eingriffen zu einer Übersteuerung des Systems führen. Umfeldfaktoren, die sich durch den Problemlöser nicht oder nur unwesentlich beeinflussen lassen, stellen nicht steuerbare Faktoren dar. Oft kann auf solche Faktoren nur indirekt (d.h. über andere Faktoren) eingewirkt werden. Frühwarnindikatoren sind jene Faktoren, die geeignet sind, frühzeitig Veränderungen im Umfeld anzuzeigen. 262 262 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken II, Berlin 2000, 10ff Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 113 Inwieweit können die Projektinitiatoren bzw. die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft die im Szenario erfassten Schlüsselfaktoren steuern? Steuerbarkeit Faktoren Begründung Steuerbare Faktoren Erreichbarkeit von Ortschaften Erschließungs- und Angebotsqualität bestimmen, inwieweit Ortschaften an das ÖPNV-Netz angebunden und durch einen attraktiven Fahrplan bedient werden. Versorgungswege (Einzelhandel, Gesundheit usw.) Durch eine entsprechende Anbindung von Einzelhandels-, Gesundheits- und weiteren Versorgungseinrichtungen können die Wege dorthin (räumlich wie zeitlich) verkürzt werden. Anzahl Frachtkunden Durch entsprechende Angebotsgestaltung und Marketingmaßnahmen können Frachtkunden akquiriert werden. Sendungshäufigkeit Attraktive Konditionen (Fahrpläne, Linien, Tarife, Bestell-, Übergabe- und Abholmodalitäten) können zu einer stärkeren Nachfrage und damit auch zu häufigeren Sendungen führen. Wirksam steuerre Faktoren Erreichbarkeit von Ortschaften s.o. Versorgungswege (Einzelhandel, Gesundheit usw.) s.o. Anzahl Frachtkunden s.o. Sendungshäufigkeit s.o. Nicht steuerbare Faktoren Altersdurchschnitt der Bevölkerung Keinen der genannten Faktoren können die Projektinitiatoren und Verkehrsbetrieb beeinflussen, sondern müssen stattdessen ihr Angebot entsprechend der Rahmenbedingungen ausrichten, um damit den Bedürfnissen der potentiellen Nutzer gerecht zu werden. Besiedlungsdichte Ø Haushaltseinkommen Führerscheinbesitz im Alter Pkw-Verfügbarkeit im Alter Abhängigkeit von öffentlicher Mobilität Frühwarnindikatoren Altersdurchschnitt der Bevölkerung Die Entwicklung all dieser Faktoren lässt sich im Zeitverlauf beobachten bzw. statistisch erfassen. Besiedlungsdichte Ø Haushaltseinkommen Führerscheinbesitz im Alter Pkw-Verfügbarkeit im Alter Abhängigkeit von öffentlicher Mobilität Erreichbarkeit von Ortschaften Versorgungswege (Einzelhandel, Gesundheit usw.) Tabelle 2-6 Steuerbarkeit der Faktoren 114 Instrumente des vernetzten Denkens Welche Umfeldeinflüsse sind relevant? Im Rahmen dieses Instruments werden die Einflüsse der Umfeldfaktoren auf die strategischen Aktionsfelder im Rahmen der Problemsituation untersucht. Strategische Aktionsfelder sind diejenigen Bereiche, die der Betrachter innerhalb seines Systems aktiv beeinflussen und damit auf die Erfüllung seiner Ziele hinarbeiten kann. Um die Einflussintensität der Umfeldfaktoren zu analysieren, kann auf eine sogenannte Umfeldeinflussmatrix zurückgegriffen werden. 263 Zur konkreten Bewertung wird wie folgt vorgegangen: In der linken Spalte der Matrix werden die einzelnen strategischen Aktionsfelder, in den Kopfspalten die relevanten Umfeldfaktoren eingetragen. Nun wird die Wirkungsstärke der Umfeldfaktoren auf die Aktionsfelder anhand einer Skala von 0 (kein bzw. sehr geringer Einfluss) bis 3 (sehr starker Einfluss) bewertet. Anschließend addiert man die Ergebnisse zeilen- und spaltenweise. Eine hohe Zeilensumme gibt dabei an, welche der Aktionsfelder den stärksten Einflüssen von außen unterlegen sind. Eine hohe Spaltensumme zeigt, welche Umfeldfaktoren am stärksten auf die Aktionsfelder wirken. 264 Wie bei allen anderen Instrumenten gilt natürlich auch hier, dass die Ergebnisse der Analyse interpretiert werden sollten. Zunächst geht es darum, Konsequenzen für die strategischen Aktionsfelder abzuleiten. Nachdem in der Umfeldeinflussmatrix die Wirkungsstärken bewertet wurden, sollte nun überlegt werden, um welche Art von Einflüssen es sich im Einzelnen handelt. Schließlich gilt es, Maßnahmen ausarbeiten, um auf die strategischen Aktionsfelder wirkende positive Einflüsse effizient nutzen bzw. negative Einflüsse entsprechend abfedern zu können. Beispielsweise könnten durch positive Einflüsse bereits implementierte Maßnahmen im Rahmen der strategischen Aktionsfelder gefördert und beschleunigt werden. Andererseits ist es natürlich auch möglich, dass externe Einflüsse den Verlauf eines Vorhabens negativ beeinflussen. Gerade dieser Aspekt ist erfahrungsgemäß nicht zu unterschätzen. 263 Diese Matrix leitet sich aus dem von Vester entwickelten „Papiercomputer“ ab (vgl. Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 165). 264 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Instrumente zum Management komplexer Problemsituationen, Hamburg 1999, 17f Fallstudie: Innovativer ÖPNV im ländlichen Raum - Im KombiBus durch die Uckermark 115 Welche Einflüsse haben Faktoren aus dem Umfeld auf die strategischen Aktionsfelder der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft? Im vorliegenden Beispiel wurden als strategische Aktionsfelder Liniennetz, Fahrplan, Bedienformen, Tarif, Vertrieb, Information und Fahrzeuge identifiziert. Umfeldfaktoren Strategische Aktionsfelder Altersdurchschnitt der Bevölkerung Besiedlungsdichte Ø Haushaltseinkommen Führerscheinbesitz im Alter Pkw-Verfügbarkeit im Alter Abhängigkeit von öffentlicher Mobilität Erreichbarkeit von Ortschaften Versorgungswege (Ein zelhandel, Gesundheit w.) Anzahl Frachtkunden Sendungshäufigkeit Zeilensumme Liniennetz 0 3 0 1 1 3 3 3 2 1 17 Fahrplan 1 3 0 0 0 3 2 2 2 3 16 Bedienformen 1 3 0 1 1 2 3 2 2 3 18 Tarif 0 0 3 1 1 1 0 0 2 1 9 Vertrieb, Information 3 1 0 1 1 1 0 0 1 1 9 Fahrzeuge 2 2 0 0 0 1 0 0 3 2 10 Spaltensumme 7 12 3 4 4 11 8 7 12 11 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 2-7 Umfeldeinflussmatrix Aus der Matrix geht hervor, dass die stärksten Wirkungen von der Besiedlungsdichte, der Abhängigkeit von der öffentlichen Mobilität, der Anzahl der Frachtkunden und der Sendungshäufigkeit ausgehen. Den stärksten Wirkungen unterliegen Liniennetz, Fahrplan und Bedienformen, die sich letztlich an den o.g. Faktoren orientieren müssen, um ein ansprechendes und von den (potentiellen) Nutzern akzeptiertes Angebot bereitzustellen. Wie geht es weiter? Die bisherige Analyse bildet den Grundstock für die weitere Arbeit. Nachdem eine komplexe Problemsituation aus verschiedenen Blickrichtungen untersucht wurde, sollen nun verschiedene Handlungsalternativen aufgezeigt und letztendlich Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Dabei stehen folgende Problemkreise im Vordergrund: Komplexe Problemsituationen lassen im Allgemeinen viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten zu. Um ein Problem zu lösen, sind oft verschiedene Maßnahmen erforderlich. Hierbei ist es von besonderer Bedeutung, dass diese Maßnahmen sowohl inhaltlich als auch zeitlich aufeinander abgestimmt sind. Wurden verschiedene Handlungsmöglichkeiten oder Strategien entwickelt, muss die beste bzw. effektivste Strategie ausgewählt werden. Dazu werden die einzelnen Möglichkeiten bewertet und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in der Problemsituation analysiert. 116 Instrumente des vernetzten Denkens Insgesamt gilt es also, grundsätzlich mögliche Handlungsalternativen und Strategien zu identifizieren und in einem weiteren Schritt inhaltlich und zeitlich zueinander passende, möglichst effektive Maßnahmen abzuleiten. 265 Komplexe Problemsituationen lassen sich durch ein einmaliges steuerndes Eingreifen nicht dauerhaft lösen. Da sie sich ständig weiterentwickeln, ist zum einen eine weitere Beobachtung, zum anderen eine Anpassung der eingeleiteten Maßnahmen notwendig. Um (mögliche) Veränderungen der Situation richtig einschätzen und die Maßnahmen entsprechend adaptieren zu können, bedarf es einer Vielzahl von Informationen. Im Rahmen einer abschließenden Betrachtung der Problemanalyse sind folgende Fragen von Bedeutung: Wie kann sichergestellt werden, dass die Auswirkungen der Steuerungseingriffe und damit verbundene Veränderungen der Problemsituation in Zukunft wahrgenommen, erfasst und entsprechend interpretiert werden? Wie kann zukünftig - unter Nutzung vorhandener Regelkreise - ein selbsttätiger Ablauf von Problemlösungsprozessen gefördert werden? Wie kann die Weiterentwicklung einer Problemlösung unterstützt bzw. die Lernfähigkeit des Systems entwickelt und forciert werden? 265 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken II, Berlin 2000, 16ff Teil C Öffentlicher Personennahverkehr in Fallstudien 1 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien „Unser Ziel bleibt 1 Milliarde Fahrgäste bis 2020. Dafür müssen wir das Angebot laufend verbessern.“ 266 Die Wiener Linien gelten als der größte Mobilitätsdienstleister Österreichs. Jährlich nutzen mehr als 950 Mio. Fahrgäste das Angebot der 161 U-Bahn-, Straßenbahn- und Autobuslinien. Ergänzend zum regulären Verkehr fahren seit 1995 Nachtbusse. Seit 2010 verkehrt an Wochenenden die U-Bahn durchgängig. Gleichzeitig stellen die Wiener Linien mit rund 8.650 Mitarbeitern auch einen der größten Arbeitgeber Wiens dar. 267 U-Bahn Straßenbahn Autobus Gesamt Fahrgäste 453,6 Mio. 305,8 Mio. 202,3 Mio. 961,7 Mio. Linienlänge 83 km 220,4 km 845,7 km 1.149,1 km Anzahl der Linien 5 28 128 161 Haltestellen 109 1.053 4.197 5.359 Bahnhöfe/ Garagen 3 4 3 10 Fahrzeuge 780 503 469 1.752 Tabelle 1-1 Wiener Linien - Zahlen und Fakten 2017 268 Mit ihrem Angebot ist es den Wiener Linien gelungen, den Anteil des ÖPNV am Modal Split schrittweise auszubauen. Inzwischen werden hier nun schon seit mehreren Jahren ca. 39 % aller Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt - ein im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten bemerkenswerter Anteil! Danach folgt der MIV mit 27 %. Die Beliebtheit der Wiener Linien zeigt sich auch darin, dass 2015 erstmals mehr ÖPNV-Jahreskarten (ca. 700.000) verkauft wurden als Pkw in der Stadt zugelassen sind (ca. 685.000). 2017 nutzten rund 778.000 Personen Jahreskarten. Pro 1.000 Einwohner gibt es in Wien 381 Pkw. 269 Angesichts des prognostizierten Wachstums der Bevölkerungszahl in Wien ist es Ziel der Verkehrsbetriebe, den ÖPNV-Anteil am Modal Split weiter zu steigern und bis 2020 40 % zu erreichen. Der Modal Split des Umweltverbundes soll laut Stadtentwicklungsplan bis 2025 bei 80 % liegen, aktuell beträgt er 72 %. 270 Ziel ist es, ein Mobilitätsangebot zu schaffen, das „fair, gesund, kompakt, ökologisch, robust und effizient“ ist. 271 Als Schlüssel zum Erfolg werden dabei „der Ausbau des Net- 266 Günter Steinbauer, Geschäftsführer der Wiener Linien, zit. in: o.V.: Größte Netzänderung in Wien seit Jahrzehnten, http: / / www.nahverkehrs-praxis.de, 23.08.2017 267 vgl. Wiener Linien: Zahlen, Daten, Fakten 2017, Wien 2018, o.S. 268 erstellt nach: ebd. 269 vgl. ebd.; Wiener Linien: Zahlen, Daten, Fakten, http: / / www.wienerlinien.at, 18.08.2017; o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 12 270 vgl. Wiener Stadtwerke: Ohne Auto mobil, http: / / nachhaltigkeit.wienerstadtwerke.at, 25.08.2017: o.V.: Wien wächst - die Öffis wachsen mit, in: Wien mobil - Extra zum Linienkreuz U2/ U5, 4f ; o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 12; siehe dazu auch: Stadt Wien, Step 2025 - Stadtentwicklungsplan Wien, Wien 2014, 98ff 271 Stadt Wien: Das Fachkonzept Mobilität - Ein Überblick, http: / / www.wien.gv.at, 19.01.2019 120 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien zes, die Modernisierung der Fahrzeuge, Optimierung der Linienführung, barrierefreie Ausstattung von Stationen sowie elektronische Fahrtanzeiger oder Apps und Internetservices“ 272 gesehen. Wesentlich für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist die Erschließung einer Region. Legt man bei U- und S-Bahn einen Einzugsbereich von 500 m sowie bei Straßenbahn und Bus von 300 m zugrunde, wurden in Wien 2018 folgende Erschließungsgrade realisiert: „99,8 % der Schulplätze, 96,4 % aller EinwohnerInnen, 95,4 % der Arbeitsplätze, 89,0 % der Wohnnutzfläche, 87,4 % der bebauten Fläche, 59,6 % der Gesamtfläche Wiens.“ 273 Erreicht wird dies durch einen konsequenten Netzausbau, der auch in Zukunft weitergeführt werden soll. Ein Großteil der getätigten Investitionen floss bzw. fließt in den U-Bahn-Neubau - derzeit Wiens größtes Infrastrukturvorhaben. Ziel dabei ist die bessere Anbindung der Außenbereiche der Stadt. Linie U1: Bereits im September 2006 wurde die Verlängerung der U1 bis Leopoldau in Betrieb genommen. Zu den Großprojekten der letzten Jahre gehörte zweifellos die Anbindung des neuen Hauptbahnhofs, der Ende 2014 voll in Betrieb ging, an die Linie U1 am Südtiroler Platz. Auch in südlicher Richtung wurde die U1 verlängert, die nun bis Oberlaa führt. Die Inbetriebnahme dieses Streckenabschnitts wurde im September 2017 gefeiert. Linie U2: Durch den Ausbau der Linie U2 ist seit Ende 2013 die Donaustadt besser mit dem Stadtzentrum verbunden. In diesem Zusammenhang erfolgten auch der Neubau einer Straßenbahnstrecke, die nun durch die Linie 26 befahren wird, sowie die Einrichtung sechs neuer Buslinien in diesem Bezirk. Seit 2018 wird die U2 auch in südlicher Richtung verlängert. Linie U4: Unter dem Namen „NEU4“ wird die U4 seit 2014 einer umfangreichen Modernisierung unterzogen. Linie U5: Schließlich will man durch den Neubau der Linie U5, die teilweise auf der ehemaligen Strecke der U2 geführt wird und die komplett automatisch betrieben werden soll, den Wiener Nordwesten besser anbinden. Die Inbetriebnahme ist für 2023 geplant. Kritiker äußern allerdings auch Zweifel am gesunden Verhältnis von Kosten und Nutzen bei diesem Projekt. 274 Angesichts dieser Investitionen stellt sich die Frage nach der Finanzierung: „In wenigen europäischen Großstädten wird der U-Bahn-Bau beziehungsweise der Öffentliche Verkehr generell so konsequent gefördert wie in Wien.“ 275 Als Finanzierungsinstrument für den U-Bahn-Ausbau wird auch die „Dienstgeberabgabe“ genutzt. Dabei sind von den Unternehmen für jeden in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer (unter 55 Jahren) pro Woche 2 Euro zu zahlen. Allein im Jahr 2016 konnten auf diese Art und Weise über 70 Mio. Euro eingenommen werden. Darüber hinaus werden zur generellen ÖPNV-Finanzierung über 15 Jahre laufende Vereinbarungen zwischen der Stadt Wien und den Wiener Linien geschlossen. Die derzeit bis 2032 geltende Vereinbarung ga- 272 Wiener Stadtwerke: Ohne Auto mobil, http: / / nachhaltigkeit.wienerstadtwerke.at, 25.08.2017 273 Wiener Stadtwerke: Versorgungssicherheit im Mobilitätssektor, http: / / nachhaltigkeit.wienerstadtwerke.at, 25.08.2017 274 vgl. Wiener Linien: Besser unterwegs entlang der neuen U2, Wien 2013 (Faltblatt); Wiener Linien: Unternehmensprofil, http: / / www.wienerlinien.at, 12.01.2014; Stadt Wien: U-Bahn-Ausbau U2 und U5, http: / / www.wien.gv.at, 19.01.2019; Wiener Linien: Gesamtprojekt, http: / / www.wienerlinien.at, 18.08.2017; Wiener Linien: Linien U2 und U5, http: / / www.wienerlinien.at, 18.07.2017; Wiener Linien: Wien bewegt uns, Wien o.J.; o.V.: Vollautomatisch in die Zukunft, in: Wien mobil - Extra zum Linienkreuz U2/ U5, 26f; o.V.: Rückblick und Ausblick bei den Wiener Linien, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 216 275 o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 13 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien 121 rantiert 7,5 Mrd. Euro Zuschüsse für Investitionen und Betriebskosten. Zusätzlich werden Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung für den ÖPNV aufgewendet. 276 Oberlaa, Endstation der verlängerten U1 Ausbau der U2 Richtung Donaustadt Umsteigeknoten im Zentrum U4-Station Stadtpark - nun Verkehrsdenkmal Neben dem Netzausbau stellt die Modernisierung des Fuhrparks einen Investitionsschwerpunkt dar. Obwohl auf den Buslinien schon seit längerem nur noch Niederflurfahrzeuge im Einsatz sind, wird die Busflotte weiter modernisiert. Bis 2019 sollen rund 200 weitere neue Busse im Einsatz sein. Allein im Jahr 2017 gingen 60 neue Busse in Betrieb. Dazu zählen Standardbusse und Gelenkbusse sowie erstmals auch sogenannte XL-Gelenkbusse. Diese 20 m langen Fahrzeuge bieten neben den üblichen Komfortmerkmalen vor allem wesentlich mehr Platz für die Fahrgäste und bedienen stark frequentierte Linien. Eine Besonderheit der Flotte bilden seit 2013 die „ElectriCitybusse“, mit denen zwei Linien im Zentrum komplett elektrisch betrieben werden. Das Aufladen der Batterien erfolgt an den Endhaltestellen per Stromabnehmer auf dem Dach innerhalb von nur 15 Minuten. 277 Zukünftig sollen weitere, größere Elektrobusse in Wien verkehren. Zudem werden autonom fahrende Busse getestet. 276 vgl. ebd., 14f 277 vgl. Wiener Linien: Der erste XL-Gelenkbus ist in Wien angekommen (23.08.2017), http: / / www.wienerlinien.at, 24.08.2017; Wiener Stadtwerke, Geschäftsbericht 2012, Wien 2013, 23; o.V.: Wiener Linien mit Staatspreis Mobilität ausgezeichnet (13.09.2013), http: / / www.vipress.at, 12.01.2014 122 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien ElektriCitybus am Stephansplatz Konventioneller Gelenkbus am Stubentor Auch die Straßenbahnflotte wird umgerüstet. Derzeit sind neben rund 300 Niederflurbahnen des Typs „ULF“ (Ultra Low Floor) noch etwa 200 Hochflurstraßenbahnen unterwegs. Diese werden von 2018 bis 2026 durch Niederflurfahrzeuge ersetzt. Die diesbezügliche Ausschreibung über maximal 156 Fahrzeuge des Typs „Flexity Wien“ hat Bombardier gewonnen. 278 Straßenbahn Typ E 2 in der Hietzinger Hauptstraße Straßenbahn Typ B 1 („ULF“) am Parlament Ebenso wird bei der U-Bahn der Fuhrpark systematisch umgestellt. Das U-Bahn-Netz weist bezüglich der Stromversorgung eine Besonderheit auf. Während die Fahrzeuge der Linien U1 bis U4 ihren Fahrstrom über eine seitliche Stromschiene beziehen, wird die Linie U6 per Oberleitung versorgt. Demzufolge müssen verschiedene Fahrzeugtypen zur Anwendung kommen. Die Linie U6 (die eigentlich keine U-Bahn, sondern eine Schnellstraßenbahn ist 279 ), ist bereits komplett mit - im Wiener Bombardier-Werk hergestellten - neuen Niederflurwagen ausgerüstet worden. 280 Auf den anderen U-Bahn-Linien sind Triebwagen verschiedener Fahrzeuggenerationen (Typen U11, U2, V) unterwegs. 278 vgl. Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 46; Wiener Linien: Barrierefrei, Wien 2016, 7; Schrempf, Robert: Chronik Österreich, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 69 279 vgl. Kaiser, Wolfgang: Wiener Schienennahverkehr, München 2008, 117 280 vgl. Wiener Stadtwerke: Geschäftsbericht 2007, Wien 2008, 34f Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien 123 U4: Triebwagen Typ U2 („Silberpfeil“), Wienzeile U6: Triebwagen Typ T, Mariahilfer Gürtel Eine Angebotsverbesserung wollten die Wiener Linien nicht nur durch die Umstellung auf Niederflurfahrzeuge, sondern auch durch bessere Informationsangebote erzielen. Bereits seit 1997 sind an Straßenbahn- und Bushaltestellen Echtzeitanzeiger im Einsatz, die den Fahrgästen die Abfahrt der nächsten Bahnen oder Busse anzeigen. An Umsteigeknoten geben Vorweganzeiger seit 2007 schon beim Verlassen der U-Bahn-Station Auskunft darüber, wann die nächste Straßenbahn bzw. der nächste Bus fährt. Zusätzlich ist dabei ersichtlich, wann das nächste barrierefreie Fahrzeug kommt. Auch an Straßenbahnhaltestellen erhält der Fahrgast diese Informationen. Ab 2019 werden schrittweise Bus- und Straßenbahnhaltestellen und damit auch die Informationsangebote modernisiert. Zukünftig kommen größere und damit besser lesbare Fahrplanaushänge sowie neue Abfahrtsmonitore zum Einsatz. 281 An stark frequentierten U-Bahn-Stationen entstehen anstelle der bisherigen Stationsüberwachungen Service-Points mit Infosäulen. Hier erhalten Fahrgäste vom Servicepersonal Auskunft zu Fahrplänen, zu Verbindungen und zum Tarifsystem. 282 (Traditioneller) Echtzeitanzeiger an der Haltestelle Schwedenplatz Vorweganzeiger an der Station Heiligenstadt 281 vgl. Wiener Stadtwerke: Nachhaltigkeitsbericht 2007, Wien 2008, 37; Wiener Linien: Wiener Linien präsentieren neues Haltestellendesign, http: / / www.wienerlinien.at, 15.01.2019 282 vgl. Wiener Linien: Umbau der Service-Points schreitet zügig voran (28.03.2018), http: / / www.wienerlinien.at, 11.05.2018 124 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien 2009 ging die App „qando“ in Betrieb, welche in erster Linie als Fahrplanauskunft dient und dabei die Routenplanung ermöglicht, aber auch einen Abfahrtsmonitor für alle Haltestellen beinhaltet. Zudem gestattet die Kartenfunktion die Anzeige von Attraktionspunkten sowie öffentlichen WLAN- Hotspots, Citybike- und car2go-Standorten. Die App lässt sich auch mit einem Screenreader für blinde und sehschwache Nutzer verwenden. 283 Daneben existiert die Wiener-Linien-Ticket-App, welche dem Fahrscheinkauf dient. Mittelfristig sollen diese beiden Apps durch die neue Mobilitäts- App „WienMobil“ abgelöst werden. „WienMobil“ verbindet die Funktionen obiger Apps, bezieht darüber hinaus Mobilitätsangebote verschiedener Anbieter, wie z.B. Taxi, Fahrradverleih und Carsharing, ein und ermöglicht damit verkehrsmittelübergreifende Mobilität. Dabei beschränkt sich die Routenplanung nicht mehr nur auf den ÖPNV, sondern berücksichtigt verschiedene weitere Verkehrsmittel, die auch mit dieser App reserviert bzw. gebucht werden können. 284 Trotz des großen Netzes und der dichten Taktung sind die Fahrpreise im Vergleich zu anderen Großstädten günstig. Eine Jahreskarte ist für 365 Euro zu haben, d.h., der Nutzer zahlt einen Euro pro Tag. 285 42,9 % der Kunden nutzen solche Jahreskarten, 11,7 % Monatskarten. 286 Ein Einzelfahrschein kostet 2,40 Euro. Die Kundenzufriedenheit wird generell hoch eingestuft. 2015 wurden die Wiener Linien von ihren Nutzern auf einer sechsteiligen Skala mit der Note 1,7 bewertet. Dabei schätzten 89 % der Nutzer die Wiener Linien als „sehr gut“ bzw. „gut“ ein. Positiv hervorgehoben wurden dabei insbesondere die Taktung der U-Bahn, das Linienbzw. Streckennetz sowie die Informationsmöglichkeiten an Verkaufs- und Infostellen. 287 Neben all diesen positiven Aspekten gibt es jedoch auch Probleme. Dazu zählen „die ständig länger statt kürzer werdenden Planfahrzeiten, die sich immer weiter ausbreitenden Langsamfahrstellen und die wegen kaputter Fahrzeuge und Gleise immer häufiger werdenden Betriebsstörungen im Strassenbahnnetz, auf die nur noch in Ausnahmefällen mit bescheidenen Ersatzmassnahmen reagiert wird.“ 288 2018 häuften sich daher Baustellen insbesondere auf den stark befahrenen Streckenabschnitten. 289 Aufgabe 1: Welche Faktoren sind kennzeichnend für den Erfolg der Wiener Linien? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2: Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Slogan der Wiener Linien „Die Stadt gehört Dir.“? Aufgabe 3: Analysieren Sie mithilfe der im Internet verfügbaren Informationen über die Wiener Linien (http: / / www.wienerlinien.at) deren Marketing-Mix! Aufgabe 4: Wie könnte - ausgehend vom Stadtentwicklungskonzept „Step 2025“ der Stadt Wien 290 die Stadt der Zukunft aussehen, insbesondere in Hinblick auf die urbane Mobilität? Wie wirkt sich dies auf die Lebensqualität aus? Erstellen Sie dazu ein Szenario! 283 vgl. Wiener Linien: qando, http: / / www.wienerlinien.at, 25.08.2017 284 vgl. Wiener Linien: WienMobil, http: / / www.wienerlinien.at, 25.08.2017 285 vgl. Wiener Linien: Jahreskarte, http: / / www.wienerlinien.at, 24.08.2017 286 vgl. Wiener Linien: Zahlen, Daten, Fakten 2016, Wien 2017, o.S. 287 vgl. Wiener Stadtwerke: Wie die Wiener Stadtwerke wirken - Nachhaltigkeitsbericht 2015, Wien 2016, 61 288 o.V.: Rückblick und Ausblick bei den Wiener Linien, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 216; siehe dazu auch: o.V.: Wien „versinkt“ in Langsamfahrstellen, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 190 289 vgl. o.V.: Gleisschäden beeinträchtigen die Wiener Strassenbahn massiv, in: Schienenverkehr aktuell 11/ 2018, 596 290 siehe dazu: Stadt Wien, Step 2025 - Stadtentwicklungsplan Wien, Wien 2014 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien 125 Lösung Aufgabe 1 Erfolgsfaktoren der Wiener Linien Bedienungsqualität Erschließungsqualität Angebotsqualität marktgerechte Angebotsdiversifizierung Beförderungsqualität Information schrittweise Moderniserung des Fuhrparks hohe Anzahl an Stationen insgesamt: U-Bahn 109 Straßenbahn 1.053 Bus 4.197 Netzgröße Netzdichte hohe Taktdichte, v.a. bei U-Bahn und Straßenbahn U-Bahnbetrieb 24 h am Wochenende zeitliches Beförderungsangebot Intervallverdichtungen in den Hauptverkehrszeiten Stationen Fahrzeuge Busse zu 100% niederflurig, dennoch weitere Investitionen Apps Webseite großes Netz: U-Bahn 83 km, Straßenbahn 220,4 km, Bus 845,7 km dichtes Netz, gute Erreichbarkeit wichtiger Anlaufpunkte im täglichen Leben konsequenter Netzausbau, v.a. U-Bahn hoher Anteil Jahreskarteninhaber Jahreskarte 365 € Modal Split ÖPNV 39 % XL-Gelenkbusse auf besonders stark nachgefragten Linien Besonderheit: ElectriCitybusse ca. 300 Niederflurbahnen, ca. 200 Hochflurbahnen 2018-2026 schrittweise Einführung neuer Flexity-Bahnen Straßenbahn Bus U-Bahn systematische Umstellung auf neue Fahrzeuge "WienMobil" Ticket-App Echtzeitanzeiger an den Haltestellen Anzeigen im Fahrzeug "qando" Vorweganzeiger an Knotenpunkten Betriebsstörungsmanagement optimierbar Barrierefreiheit großteils gegeben günstiges Preis- Leistungs-Verhältnis Berücksichtigung verschiedener Nutzergruppen im Tarifsystem Problem: Sanierungsbedarf im Straßenbahnnetz lange Bedienungszeiträume Schnittstellen, Umsteigemöglichkeiten (innerhalb der Wiener Linien sowie zu anderen Betreibern) Kombination zwischen U-Bahn (schnellfahrend, raumerschließend) sowie Straßenbahn und Bus (mit geringen Haltestellenabständen zur Feinerschließung) übersichtliche Tarifgestaltung hohe Akzeptanz in Bevölkerung Abbildung 1-1 Mindmap: Erfolgsfaktoren der Wiener Linien 126 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien Aufgabe 2 Die Wiener Linien ermöglichen zweckmäßige Mobilität ohne ein eigenes Auto. Die gesamte Stadt ist gut erschlossen, alle Teile sind zu (fast) jeder Tageszeit gut erreichbar. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bringt einen Mehrwert. Dies ist für Einheimische und Gäste der Stadt gleichermaßen einladend. Aufgabe 3 Zur Zielgruppe der Wiener Linien zählen alle Personen, die sich dauerhaft oder temporär in Wien aufhalten und in der Stadt fortbewegen möchten. Speziell können dies z.B. Kinder, Jugendliche, Schüler, Studenten, Auszubildende, Berufstätige, Senioren, Menschen mit Behinderung, Ausflügler oder Touristen sein. Konkurrenz zu den Dienstleistungen der Wiener Linien bilden Pkw, Motorräder, Mopeds und Fahrräder. Ebenso ist es möglich, bestimmte Distanzen zu Fuß zu absolvieren. Produktpolitik Kernnutzen der Dienstleistung umweltfreundliche Fortbewegung innerhalb des Stadtgebietes für alle Nachfragergruppen Netz großes, dichtes Netz (größtes Verkehrsnetz Österreichs, sechstgrößtes Straßenbahnnetz der Welt) deckt im Prinzip ganz Wien ab ist Teil des Verkehrsverbundes Ost-Region (VOR) Fahrzeuge U-Bahn (für die schnelle, eher großräumige Erschließung) Straßenbahn und Busse (für die Feinerschließung) Kommunikationspolitik Slogan „Die Stadt gehört Dir.“ Corporate Design rot-weißes Logo rot-weiße Farbgebung bei Straßenbahnen und Bussen, silberfarben bei U- Bahnen der alte Fahrzeuggeneration („Silberpfeil“) Corporate Sound Klangbild (Ansagen, Signaltöne, Lied „Die Stadt gehört Dir.“) Werbung Plakate Anzeigen Faltblätter Internet Newsletter YouTube-Kanal Facebook-Seite Twitter-Kanal Verkaufsförderung Angebot zum Upgrading bestimmter Fahrscheine (z.B. Jugendticket zum Top-Jugendticket) Public Relations angestrebte Image-Komponenten: Kundenfreundlichkeit, Zuverlässigkeit, Geschwindigkeit, Vielseitigkeit, Sicherheit, Gleichberechtigung, Fairness, Umweltfreundlichkeit, Teil des täglichen Lebens YouTube-Kanal Facebook-Seite Twitter-Kanal Podcast „Schaffnerlos“ Pressemitteilungen Infocenter zum Ausbau U2/ U5 Events und Attraktionen Verkehrsmuseum „Remise“ Vienna Ring Tram Miet-Straßenbahn Festveranstaltungen (z.B. U-Bahn- Tag: 40 Jahre U-Bahn) Fanshop Buchpublikationen Fahrzeugmodelle, Spiele Bekleidung Büroartikel, Schlüsselanhänger u.a. Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien 127 Fortsetzung Kommunikationspolitik Sponsoring Projekte mit Wien-Bezug und mit Bezug zum ÖPNV verschiedene soziale Projekte, z.B. Integrationswoche 2018 Distributionspolitik Fahrscheinverkauf Kundenzentrum, Infostellen, Ticketstellen Automaten Internet, App Trafiken Information Internet und Apps Verbindungsabfrage Tarifauskunft und Fahrkartenkauf Informationen zu Verspätungen und Störungen in Echtzeit auf einzelnen Linien sowie zu Störungen bei Aufzügen und Rolltreppen Kundenzentrum Auskunft und Beratung zu allen Themen Infostellen Auskunft und Beratung zu allen Themen Service-Points mit Infosäulen Auskunft zu Fahrplänen, Umsteigemöglichkeiten, Fahrscheinen Ticketstellen Tarifauskunft und Fahrkartenkauf Haltestellen Fahrplanaushänge Fahrkartenautomaten (in U-Bahn-Stationen) Informationen zu Verspätungen und Störungen in Echtzeit auf den jeweiligen Linien Fahrzeugführer Linienauskunft Newsletter Informationen zu aktuellen Entwicklungen Preispolitik Fahrscheinangebot Einzelfahrten 1 Fahrt Wien (voll, ermäßigt, Senioren) 2 Fahrten Wien (voll, ermäßigt, Senioren) Zeitkarten 24-, 48-, 72-Stunden-Karte 8-Tage-Klimakarte Wochen-, Monats-, Jahreskarte Für Jugendliche Jugendticket und Top-Jugendticket Für Studierende Ferien-Monatskarte Semesterkarte-online Für Senioren Jahreskarte Senioren ermäßigte Einzelfahrten (s.o.) Für Wien-Gäste Vienna Ring Tram (voll, ermäßigt) EASY CityPass WIEN und QUEER CityPass WIEN (jeweils 24, 48, 72 Stunden oder eine Woche) Tarifsystem eingebunden in den Verkehrsverbund Ost-Region Tabelle 1-2 Marketing-Mix der Wiener Linien 291 291 erstellt nach: Wiener Linien: Tickets, http: / / www.wienerlinien.at, 15.01.2019 128 Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien Aufgabe 4 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf Lebensqualität Mobilitätsverhalten der Bevölkerung Wunsch nach Multimodalität O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt zu ++ - + Verkehrsmittelpräferenzen O) stärker Richtung Umweltverbund P) stärker Richtung Pkw W) stärker Richtung Umweltverbund + - + Pkw-Verfügbarkeit O) nimmt ab P) nimmt zu W) bleibt + - + Attraktivität Pkw- Nutzung O) nimmt ab P) steigt W) nimmt ab + - + Fahrrad- Verfügbarkeit O) nimmt zu P) nimmt stark zu W) nimmt zu + - + Attraktivität Fahrrad-Nutzung O) nimmt stark zu P) nimmt stark zu W) nimmt zu ++ - + Attraktivität des Zu- Fuß-Gehens O) nimmt stark zu P) nimmt stark zu W) nimmt zu ++ - + Wiener Linien Stellenwert Wiener Linien O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt zu ++ +/ - + Angebot Wiener Linien O) wird entsprechend Einwohnerzahl ausgebaut P) hinkt Einwohnerzahl-Entwicklung hinterher W) wird entsprechend Einwohnerzahl ausgebaut + - + Finanzierung O) weiterhin gegeben P) gefährdet W) weiterhin gegeben + - + Anzahl potentieller Fahrgäste O) steigt stark P) bleibt W) steigt - +/ - + Urbane Räume Verkehrsraumaufteilung O) Umweltverbund im Vordergrund P) Straßenverkehr bevorzugt W) Umweltverbund stärker als bisher im Vordergrund ++ - + Multifunktionalität O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt zu ++ - + Die Stadt gehört Dir. - Wiener Linien 129 Fortsetzung Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf Lebensqualität Urbane Räume Anteil Grünflächen O) nimmt stark zu P) nimmt ab W) nimmt zu ++ - + Wohnen Einwohnerzahlen O) nehmen zu P) nehmen sehr stark zu W) nehmen zu +/ - - +/ - Wohnquartiere O) auch peripher besser erschlossen als bisher P) keine Veränderung W) auch peripher besser erschlossen als bisher + - + Mobilitätsmanagementkonzepte für Wohngebiete O) nehmen zu P) nicht weiter forciert W) nehmen zu + - + Arbeiten Unternehmensstandorte O) auch in großer Zahl im urbanen Raum P) vorwiegend peripher W) auch in großer Zahl im urbanen Raum + - + Mobilitätsmanagementkonzepte in Abstimmung mit Arbeitgebern O) nehmen zu P) nicht weiter forciert W) nehmen zu + - + Tourismus Anzahl Touristen O) nimmt stark zu P) sinkt W) nimmt zu - - + Mobilitätsverhalten O) stärker auf Umweltverbund fokussiert P) keine Veränderung W) stärker auf Umweltverbund fokussiert + - + O) Entwicklung bei optimistischer Betrachtung P) Entwicklung bei pessimistischer Betrachtung W) Wahrscheinliche Entwicklung ++ (sehr günstige Wirkung) bis -- (sehr ungünstige Wirkung) Tabelle 1-3 Mögliche Entwicklungen 2 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie „Das erfolgreichste ÖPNV-Modell in Europa, die Züri-Linie, repräsentiert die Stadt Zürich auf nahezu allen Postkarten; sie verkörpert einen Teil der Identität.“ 292 Gezielte technische und betriebliche Modernisierungen innerhalb der letzten Jahrzehnte ließen in Zürich ein äußerst effizientes und über die Landesgrenzen hinaus anerkanntes Straßenbahnnetz entstehen, das durch ein Trolley- und Autobusnetz sowie die S-Bahn ergänzt wird. 293 Der ÖPNV hat in Zürich mittlerweile einen Anteil von 41 % am Modal Split erreicht, auf den Pkw- Verkehr entfallen lediglich 25 %. Im Rahmen des 2012 initiierten Aktionsprogrammes „Stadtverkehr 2025“ will man den ÖPNV-Anteil weiter ausbauen. 294 Verkehrsmittel Linien Linienlänge (in km) Fahrgäste (in Mio.) Personenkilometer (in Mio.) Tram 14 122,6 203,58 383,9 Trolleybus 6 53,8 54,49 121,3 Autobus Stadtnetz 15 86,8 42,24 87,2 Quartierbus 7 23 2,36 3,6 Autobus Agglomeration 33 223,6 21,38 67,3 Seilbahn Rigiblick 1 0,4 0,73 0,3 Nachtnetz k.A. k.A. 0,46 1,8 Gesamt 76 510,2 325,24 665,4 Tabelle 2-1 Verkehrsbetriebe Zürich im Überblick 295 Neben den Schweizerischen Bundesbahnen stellen die Verkehrsbetriebe Zürich den größten Mobilitätsanbieter im Zürcher Verkehrsverbund dar. Zum Leistungsspektrum gehören u.a. Angebotsplanung, Erbringung von Fahrleistungen, Infrastrukturerneuerung und Fahrzeugwartung. 2017 waren 2.559 Mitarbeiter bei den Verkehrsbetrieben tätig, der Anteil weiblicher Mitarbeiter beträgt 19 %. Besonders erfreulich ist die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, was sich zum einen in der Fahrgastentwicklung, zum anderen in der Zustimmung zu Aus- und Neubauprojekten zeigt. 296 292 Petersen, Rudolf; Schallaböck, Karl Otto: Mobilität für morgen - Chancen einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik, Berlin/ Basel/ Boston 1995, 185 293 vgl. Wherli, Christoph: Straßenbahnen in Zürich, in: Bernet, Ralph (Hrsg.): Trams in der Schweiz, München 2000, 54 294 vgl. o.V.: Wo ÖPNV zum guten Ton gehört, in: VDV - Das Magazin 2/ 2018, 25 295 erstellt nach: Verkehrsbetriebe Zürich: Verkehrsbetriebe Zürich: Zahlen & Fakten, https: / / www.stadt-zuerich.ch/ vbz, 26.06.2018 296 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ-Geschäftsbericht 2007, Zürich 2008, 5, 9 und 21; Stadt Zürich: Stadtverkehr 2025 - Bericht 2016, Zürich 2017, 7, 12 und 19 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie 131 2009 2011 2013 2015 2017 Fahrgäste in Mio. 315,02 316,2 325,98 327,34 325,24 Personenkilometer (in Mio.) 617,45 640,7 656,67 667,79 665,3 Linienlänge Stadtnetz (in km) 283,3 278,0 279,4 286,0 286,6 Linienlänge Regionalnetz (in km) 235,0 213,4 214,5 219,6 223,6 Linienlänge Nachtbuslinien (in km) 161,1 179,7 184,7 183,3 184,6 Schienenfahrzeuge 304 272 258 258 258 Busse (davon Niederflur) 236 (189) 225 (182) 219 (209) 223 (223) 223 Tabelle 2-2 Fahrgäste und Angebot der Verkehrsbetriebe Zürich 297 Das erfolgreiche Zürcher Modell begann allerdings mit einem Misserfolg. Ursprünglich war von den Verkehrsplanern ein - aus deren Sicht absolut notwendiges - U-Bahn-Konzept entwickelt worden, das jedoch von der Wahlbevölkerung abgelehnt wurde. Gleichzeitig forderte die Bevölkerung eine alternative, preiswertere Lösung. Alternative Ideen waren somit gefragt. Kennzeichnend für das in der Folge entwickelte Modell sind dichte und flächendeckende Takte sowie die Bevorzugung von Straßenbahnen und Bussen an Ampelkreuzungen. Im Innenstadt- Bereich bieten die Straßenbahnen teilweise einen 3-Minuten-Takt an, die einzelnen Linien verkehren wenige hundert Meter entfernt voneinander, so dass die Straßen mit einem dichten Netz erschlossen werden. Auf diese Art und Weise erreicht man eine ständige optische und faktische Präsenz, die Vertrauen in das Verkehrsmittel schafft. Das Management der Züri-Linie stammt aus erfolgreichen privatwirtschaftlichen Unternehmen. Professionelle Management- und PR-Methoden wurden auf das Verkehrsunternehmen übertragen. Erwähnenswert ist zudem, dass die notwendigen Investitionen ausschließlich aus kommunalen Mitteln finanziert wurden. So mussten die Planer genau überlegen, was machbar ist und was nicht. 298 Aufgrund der sich wandelnden Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung, aber auch aufgrund städtebaulicher Maßnahmen werden immer wieder Anpassungen im Straßenbahn- und Busnetz notwendig. Als langfristig sinnvoller, wenngleich finanziell nicht unbedingt günstiger Schritt zur Angebots- und Kapazitätsausweitung wurde der Neubau von Straßenbahnstrecken (Ergänzung bzw. Verlängerung) gesehen, der sich in der Vergangenheit im Verkehrsplan niederschlug. 299 Zürich ist eine wachsende Stadt. Im Jahr 2035 könnten hier 500.000 Menschen leben - 77.000 mehr als noch im Jahr 2017. 300 Allein die prognostizierte Entwicklung der Einwohnerzahlen 297 erstellt nach: Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ-Geschäftsbericht 2011, Zürich 2012, 7; Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ Geschäftsbericht 2017, Zürich 2018, 13 298 vgl. Petersen, Rudolf; Schallaböck, Karl Otto: Mobilität für morgen - Chancen einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik, Berlin/ Basel/ Boston 1995, 188; o.V.: Wo ÖPNV zum guten Ton gehört, in: VDV - Das Magazin 2/ 2018, 25 299 vgl. Wherli, Christoph: Straßenbahnen in Zürich, in: Bernet, Ralph (Hrsg.): Trams in der Schweiz, München 2000, 57f; o.V.: Wo ÖPNV zum guten Ton gehört, in: VDV - Das Magazin 2/ 2018, 25 300 vgl. Stadt Zürich: Bevölkerungsszenarien, https: / / www.stadt-zuerich.ch, 27.06.2018 132 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie zwingt zum Handeln, wenn auch zukünftig umweltfreundliche Mobilität einen hohen Stellenwert in der Stadt einnehmen soll. Die Strategie „Stadtverkehr 2025“ der Stadt Zürich beinhaltet daher folgende Kernziele, die auch sehr stark auf den ÖPNV fokussieren: „Modalsplit von öV, Fuss- und Veloverkehr erhöhen […], Angebot und Attraktivität des öV, Fuss- und Veloverkehrs verbessern […] Kapazität für den MIV nicht erhöhen […] Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen des Verkehrs schützen […] 2000-Watt-Gesellschaft 301 im Bereich Mobilität umsetzen […] Qualität des öffentlichen Raums steigern.“ 302 Man geht davon aus, dass die jährlichen Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 um ca. 100 Mio. Passagiere steigen werden. 303 Die Verkehrsbetriebe wollen daher auch in Zukunft auf eine Wachstumsstrategie setzen. Kern dieser Strategie bildete die „Liniennetzentwicklung 2025“ 304 , die zwischenzeitlich überarbeitet und an die geänderten Rahmenbedingungen angepasst wurde und nun unter dem Titel „züri-linie 2030“, einem Teil der Strategie „Stadtverkehr 2025“, weitergeführt wird. Zu den Hauptzielen gehören dabei: die Erhöhung des Kundennutzens, die Beibehaltung bzw. Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Netzes der städtischen Verkehrsbetriebe, die Schaffung von Kapazitäten für die steigende Nachfrage nach ÖPNV-Dienstleistungen aufgrund siedlungsstruktureller Entwicklungen sowie zur Erfüllung der Ziele der Strategie „Stadtverkehr 2025“, die stärkere Integration der dezentral gelegenen S-Bahnhöfe sowie der Ausbau tangentialer Linien zur Entlastung der Innenstadt, die Steigerung der Umwelt- und Energieeffizienz der strombetriebenen Verkehrsmittel. 305 Damit soll eine Anpassung des Angebots an die Stadt- und Siedlungsentwicklung erfolgen sowie die Mobilitätsstrategie der Stadt Zürich unterstützt werden. Erreichen möchte man diese Ziele durch den weiteren Ausbau des Straßenbahnnetzes insbesondere in jenen Stadtgebieten, die von einer dynamischen Entwicklung gekennzeichnet sind. Deshalb sollen innerhalb von zehn bis 15 Jahren insbesondere in Zürich Nord Investitionsmaßnahmen realisiert werden. Im Bereich Zürich Süd will man stattdessen das Busnetz ausbauen. 306 In der Netzentwicklungsstrategie werden detaillierte Aussagen dazu getroffen. Dabei soll das Netz ausgehend von den heute bereits existierenden Systemen auch künftig seine Funktion erfüllen, d.h. die S-Bahn als Rückgrat des Systems sowie Straßenbahn und Bus zur Feinerschließung bzw. als Zubringer. 307 Heute wie damals wird der Bau einer U-Bahn nicht in Erwägung gezogen: „Ein gutes Tramsystem kann für denselben Preis ein ungleich dichteres Netz anbieten. Und für Zürich ist aufgrund der kleinräumigen, dichten Siedlungsstrukturen weniger die Ge- 301 Hierbei geht es um die Verringerung des CO 2 -Ausstoßes auf 1 t/ Person/ Jahr bis zum Jahr 2050. 302 Stadt Zürich: Stadtverkehr 2025 - Strategie für eine stadtverträgliche Mobilität, Zürich 2014, 4f 303 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ-Unternehmensstrategie 2017-21, Im Takt Spezial, Dezember 2016, 10 304 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ-Geschäftsbericht 2007, Zürich 2008, 5 305 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: züri-linie 2030 - VBZ-Netzentwicklungsstrategie, Zürich 2013, 5 306 vgl. ebd., 92 und 103 307 vgl. ebd., 16 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie 133 schwindigkeit, sondern viel mehr eine hohe Netzdichte ein wichtiger Erfolgsfaktor im öffentlichen Verkehr. Die schnellen Verbindungen zwischen einzelnen Stadtquartieren bzw. zwischen der Stadt und den angrenzenden Regionen bietet die S-Bahn mit ihrem vergleichsweise dichten Haltestellennetz auf dem Stadtgebiet an. Mit der neuen Durchmesserlinie wird die innerstädtische Erschliessung der S-Bahn weiter optimiert.“ 308 Im Rahmen der Netzentwicklung sind folgende Grundsätze handlungsleitend: Es sollen möglichst viele Fahrgäste schnell und ohne Umsteigen zum Ziel kommen. Vom Hauptbahnhof bzw. der Innenstadt aus bindet ein leistungsfähiges Radialnetz alle Stadtteile an. Die städtischen Entwicklungsgebiete (v.a. im Norden und Westen der Stadt) werden über leistungsfähige Tangenten verknüpft. Das Zürcher Umland wird durch eine Optimierung des bestehenden Netzes besser angebunden. Das Straßenbahn- und Bus-Netz wird besser mit der S-Bahn verknüpft. Insgesamt soll das Hauptnetz eine klare Struktur aufweisen. 309 Deshalb finden auch im Bereich der S-Bahn, die erst seit 1990 in Betrieb ist, schrittweise Ausbaumaßnahmen statt. Bis 2018 wurden vier sogenannte Teilergänzungen realisiert, die das S- Bahn-Angebot verbesserten, z.B. in Form neuer Direktverbindungen, die durch die Schaffung von Durchmesserlinien entstanden sind. Auch zukünftig ist ein weiterer Ausbau des S-Bahn-Netzes vorgesehen. 310 Doch nicht nur das Straßenbahn- und S-Bahn-Netz sind ein wesentlicher Bestandteil des ÖPNV. Auch in das Busnetz wird investiert: „Die VBZ wollen mit der Trolleybusstrategie die weiterhin steigenden Nachfragebedürfnisse nachhaltig bewältigen und den CO 2 -Ausstoss verringern. Aus wirtschaftlichen und ökologischen Kosten/ Nutzenüberlegungen ist die Priorität auf einen Ausbau des Trolleybusnetzes für Linien mit einer hohen Nachfrage bzw. grossem Entwicklungspotenzial zu legen.“ 311 Laut Elektrifizierungsstrategie „eBUS VBZ“ sollen bis 2030 nahezu alle Buslinien elektrifiziert sein. Das bedeutet keine Komplettumstellung auf O-Busse, sondern die schrittweise Beschaffung von Hybridgelenkbussen als Ersatz für konventionelle Dieselfahrzeuge. Die neuen Busse sollen die Flotte solange ergänzen, bis leistungsfähige, reine Elektrofahrzeuge verfügbar sind. 312 Doch auch heute schon fahren reine Elektrobusse in Zürich: Ein angemieteter Batteriebus kommt seit Herbst 2016 probeweise als „Quartier-eBus“ zum Einsatz. Ab 2020 sollen weitere Quartierbusse mit Elektroantrieb verkehren. 313 Ein neuer O-Bus, der „Swiss Trolley plus“, befand sich seit Mitte 2017 ebenfalls in Erprobung. Er kann mithilfe der integrierten Batterie auch sehr lange Streckenabschnitte ohne Fahrleitung überwinden und wird seit 2018 planmäßig einge- 308 Verkehrsbetriebe Zürich VBZ: Lebensqualität auf der ganzen Linie: Das VBZ-Netz 2025 - Studie zur Liniennetzentwicklung, Synthesebericht, Zürich 2006, 7 309 vgl. VBZ Züri-Linie: Was bringt die Zukunft? Das VBZ-Linienkonzept 2025, Zürich o.J., 10f; Verkehrsbetriebe Zürich: züri-linie 2030 - VBZ-Netzentwicklungsstrategie, Zürich 2013, 35f und 117 310 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: züri-linie 2030 - VBZ-Netzentwicklungsstrategie, Zürich 2013, 18 311 ebd., 19 312 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ Geschäftsbericht 2017, Zürich 2018, 32 313 vgl. ebd., 10; Verkehrsbetriebe Zürich: Elektrisierend, https: / / vbzonline.ch, 28.06.2018 134 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie setzt. 314 Die konventionellen O-Busse verkehren seit Ende 2017 komplett elektrisch, da sämtliche Dieselnotaggregate durch Batterien ersetzt wurden. 315 Wie auch andernorts wurde bei den Verkehrsbetrieben Zürich bereits ein „Self-e“ genanntes, autonomes Bus-Shuttle getestet, das baugleich mit jenen Fahrzeugen aus Sion 316 ist. 317 Auch bei der Straßenbahn wird in neue Fahrzeuge investiert. Im März 2017 wurden die ersten neuen Bahnen des Typs „Flexity Zürich“ bei Bombardier bestellt. Geliefert werden sollen die Fahrzeuge ab Ende 2019. 318 Um die (Energie-)Einsparungen, die die neuen Busse und Bahnen ermöglichen, auch im Praxisbetrieb realisieren zu können, werden die Fahrer entsprechend geschult. 319 Im Bediengebiet der Verkehrsbetriebe Zürich findet der Verbundtarif des Zürcher Verkehrsverbunds Anwendung. Eine Einzelfahrt innerhalb Zürichs kostet 4,40 CHF, für Inhaber des Halbtax- Abos lediglich 3,10 CHF. Eine persönliche Jahreskarte beläuft sich auf 782,00 CHF. 320 249,1 Mio. CHF Umsatz wurden 2017 über Fahrscheinverkäufe erzielt, 94,8 Mio. davon an Fahrscheinautomaten. 321 Finanziert wird der ÖPNV innerhalb des Zürcher Verkehrsverbunds zu etwa 60 % aus dem Fahrscheinverkauf und Nebenerträgen. Die verbleibenden rund 40 % steuern Bund, Kanton und Gemeinden bei. Die Verkehrsbetriebe Zürich weisen einen Kostendeckungsgrad von 70 % auf. 322 Aufgabe 1: Was macht den Erfolg des Zürcher Stadtverkehrs aus? Entwickeln Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2: Stellen Sie mithilfe einer Umfeldeinflussmatrix dar, inwieweit Faktoren des Umfelds die strategischen Aktionsfelder des Stadtverkehrs in Zürich beeinflussen können! Aufgabe 3: Untersuchen Sie die betrachteten Umfeldfaktoren in Hinblick auf ihre Steuerbarkeit aus Sicht der Verkehrsbetriebe! Begründen Sie Ihre Zuordnung! Aufgabe 4: Wie beurteilen Sie die Ablehnung des U-Bahn-Projektes durch die Bevölkerung? Wurde damit der Aufbau eines modernen Nahverkehrssystems in Zürich gefährdet? 314 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ Geschäftsbericht 2017, Zürich 2018, 9 und 23; siehe dazu auch: Verkehrsbetriebe Zürich: Hier fährt die Zukunft, https: / / www.swisstrolleyplus.ch/ de 315 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ Geschäftsbericht 2017, Zürich 2018, 25 316 siehe dazu auch die Fallstudie „Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? “ 317 vgl. Stadt Zürich: Testbetrieb mit „Self-e“, https: / / www.stadt-zuerich.ch, 28.06.2018 318 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ Geschäftsbericht 2017, Zürich 2018, 23 319 vgl. ebd., 25 320 vgl. Zürcher Verkehrsverbund: Verbundtarif ZVV - Kapitel 4, Preise, Gebühren, Zahlungsmittel, Ausgabe: 10.12.2017 inkl. Änderungen 22.6.2018, 4.1ff 321 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ Geschäftsbericht 2017, Zürich 2018, 16 322 vgl. Verkehrsbetriebe Zürich: VBZ-Unternehmensstrategie 2017-21, Im Takt Spezial, Dezember 2016, 12 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie 135 Lösungen Aufgabe 1 Gesamtkonzept zum innerstädtischen Verkehr Erfolg des Stadtverkehrs in Zürich Fahrgäste Stadt Verkehrsunternehmen Tarife hohe Taktfrequenz dichtes Streckennetz Nutzung des Angebots Feedback Kosten Rentabilität Image Vernetzung verschiedener öffentlicher Verkehrsmittel S-Bahn Trolley-Bus Autobus Bevorzugung von Straßenbahnen und Bussen an Ampelkreuzungen ständige optische und faktische Vertrauen in den öffentlichen Verkehr Management aus erfolgreichen privatwirtschaftlichen Unternehmen Management preiswerter als andere Alternativen Investitionen ausschließlich aus kommunalen Mitteln sich wandelnde Mobilitätsbedürfnisse mögliche Angebots- und Kapazitätsausweitung Neubau von Strecken Verlängerung von Strecken professionelle Management- und PR-Methoden Straßenbahn Abbildung 2-1 Mindmap: Erfolgsfaktoren des Stadtverkehrs in Zürich 136 Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie Aufgabe 2 Umfeldfaktoren Strategische Aktionsfelder Städtisches Nahverkehrskonzept Bereitgestellte finanzielle Mittel der Stadt Mobilitätsbedürfnisse potentieller Fahrgäste Attraktivität alternativer Transportmittel Energiepreise geographische Voraussetzungen technologischer/ technischer Stand Zeilensumme Taktfrequenz 3 2 3 2 1 0 2 13 Anzahl der Linien 3 3 3 2 0 3 0 14 Länge der Linien 3 3 3 2 0 3 0 14 Linienführung 3 2 3 3 0 3 3 17 Kapazität der Fahrzeuge 0 1 3 2 0 0 3 9 Komfort in Fahrzeugen 0 1 3 1 0 0 3 8 Service 0 0 3 1 0 0 3 7 Tarife 1 1 3 2 3 0 1 11 Management 1 1 1 1 0 0 0 4 Rentabilität 1 1 1 1 1 0 2 7 Kosten 1 1 1 1 3 3 3 13 Spaltensumme 16 16 27 18 8 12 20 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 2-3 Umfeldeinflussmatrix Die größten Einflüsse üben die - sich auch wandelnden - Mobilitätsbedürfnisse der Fahrgäste aus, an denen sich das Angebot der städtischen Verkehrsbetriebe orientierten sollte. Das Nutzungsverhalten der Fahrgäste bestimmt die Angebotsgestaltung, d.h. in welchen Bereichen Kapazitätserweiterungen (bzw. -kürzungen) notwendig werden bzw. welche Maßstäbe in Bezug auf Service und Komfort zu setzen sind. Am stärksten beeinflusst werden Linienführung, Anzahl und Länge der Linien sowie die Taktfrequenz. Hierbei geht es um die Kernaspekte der Beförderung. Aufgabe 3 Steuerbarkeit Faktoren Begründung Steuerbare Faktoren Städtisches Nahverkehrskonzept An der Erarbeitung des städtischen Nahverkehrskonzeptes sollten die Verkehrsbetriebe beteiligt sein; demzufolge können sie auch (wirksam) darauf Einfluss nehmen. Bereitgestellte finanzielle Mittel der Stadt Im Rahmen des städtischen Nahverkehrskonzeptes sollte auch die Mittelzuteilung diskutiert werden; da die Verkehrsbetriebe an der Konzeptgestaltung beteiligt sein sollten, können sie auch - innerhalb eines gewissen Rahmens - auf finanzielle Aspekte einwirken. Erfolgreicher Stadtverkehr - Die Züri-Linie 137 Fortsetzung Steuerbarkeit Faktoren Begründung Steuerbare Faktoren technologischer/ technischer Stand Eine Beteiligung der Verkehrsunternehmen an der Entwicklung von Fahrzeugen ist möglich (Bsp. Leoliner in Leipzig). Wirksam steuerbare Faktoren Städtisches Nahverkehrskonzept s.o. Nicht steuerbare Faktoren Mobilitätsbedürfnisse potentieller Fahrgäste Beeinflussen können die Verkehrsbetriebe die Bedürfnisse nicht, sollten aber ihre Leistungen entsprechend gestalten, um den Bedürfnissen gerecht zu werden. Attraktivität alternativer Transportmittel Auch die Attraktivität alternativer Transportmittel kann nicht beeinflusst werden; die Verkehrsbetriebe sollten vielmehr deren Vorteile kennen und versuchen, ebenfalls ein attraktives Angebot zu offerieren. Energiepreise Diese können nicht beeinflusst werden; sie können sich nur in den Tarifen bzw. in Taktfrequenz und Netzdichte niederschlagen. geographische Voraussetzungen Diese sind als gegeben hinzunehmen. Frühwarnindikatoren Mobilitätsbedürfnisse potentieller Fahrgäste Bedürfnisse entwickeln sich über Zeiträume hinweg, Veränderungen sind beobachtbar. Tabelle 2-4 Steuerbarkeit der Faktoren Aufgabe 4 Die Ablehnung ergab sich als Folge des Schweizer Demokratiesystems. Die Wahlbevölkerung forderte eine alternative, preiswertere Lösung als die U-Bahn. Verkehrsplaner bzw. Entscheidungsträger waren somit gefordert, nach „echten“ Alternativen zu suchen. Alternativen wurden genutzt. Die Kombination von Straßenbahn, Bus und S-Bahn (samt diesbezüglicher Ausbaumaßnahmen) kann die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung in vollem Umfang erfüllen. Zürich ist gekennzeichnet durch kleinräumige, dichte Siedlungsstrukturen, wobei weniger Geschwindigkeit, sondern eher eine hohe Netzdichte wichtig ist. Ein gutes Straßenbahnsystem kann für dieselben Kosten ein wesentlich dichteres Netz anbieten. 3 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? „Die Welt der elektrischen Bussysteme ist in Bewegung, mehr denn je.“ 323 Angesichts der Abgasbelastung in Städten wird vielerorts diskutiert - und inzwischen auch getestet -, wie sich dieses Problem, das nicht nur den Individualverkehr, sondern auch den ÖPNV betrifft, bewältigen lässt. Dabei gibt es schon seit über 100 Jahren emissionsfreie Lösungsansätze. Ende des 19. Jahrhunderts eroberte der O-Bus, international als Trolleybus bezeichnet, die Welt. Wenige Jahre zuvor hatte Werner von Siemens sein „Elektromote“ erfolgreich getestet und anschließend zur Serienreife geführt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es weltweit 79 O-Bus- Strecken, 21 davon in Deutschland. Zwischen 1928 und 1960 existierten hier über 70 O-Bus- Betriebe. 324 In der heutigen Zeit scheint der O-Bus in Deutschland fast vergessen. Lediglich in Eberswalde, Esslingen und Solingen ist er noch unterwegs. Zurückzuführen ist dies z.B. auf den Ausbau der Straßenbahnnetze und die Verfügbarkeit leistungsfähiger Dieselbusse, aber auch auf verkehrsplanerische Konzepte, die dem O-Bus keine Chance mehr gaben bzw. geben. Gleichwohl verfügt Deutschland über eine leistungsfähige O-Bus-Industrie, die allerdings vorrangig für den Exportmarkt produziert. So nutzen beispielsweise die Athener Verkehrsbetriebe in Deutschland hergestellte Neoplan-Niederflur-Schubgelenkbusse. 325 Anders gestaltet sich die Lage in den Nachbarländern, wie z.B. Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz, der Slowakei und Tschechien. Weltweit sind in 47 Ländern in weit über 300 Städten O-Busse im Einsatz. 326 Arnhem Bratislava 323 TrolleyMotion: Stand und Entwicklungstendenzen bei elektrisch betriebenen Linienbussen, http: / / www.trolleymotion.eu, 29.03.2019 324 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 229; Haase, Ralf: Zurück in die Zukunft, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2011, 12 325 vgl. ebd.; Fritsch, Reinhard: Der O-Bus in Deutschland, in: Der Nahverkehr 10/ 2012, 40 326 Eine Liste aller aktiven B-Bus-Systeme findet sich unter http: / / www.trolleymotion.eu. Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? 139 Chomutov Landskrona Linz Luzern Plze Salzburg Auch Eberswalde, Esslingen und Solingen halten an ihren Konzepten fest, investieren in neue Fahrzeuge und Linienerweiterungen und betonen damit die Zukunftsfähigkeit des O-Bus-Systems: „Sie nutzen dabei innovative Weiterentwicklungen bei der vorhandenen drahtgebundenen Technologie, wie z. B. Rekuperation von Bremsenergie in fahrzeuginternen Speichern, neue Technologien beim automatischen An- und Abdrahten der Fahrleitung und der zusätzlichen Ausstattung mit Hochleis- 140 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? tungsbatterien. Diese lassen es in sensiblen Stadtquartieren zu, auf immer längeren Streckenabschnitten die Fahrleitung einzusparen.“ 327 Moderne O-Busse genügen längst den Anforderungen an attraktive Nahverkehrsmittel - sowohl aus Sicht der Fahrgäste als auch aus Sicht der Verkehrsbetriebe. Angesichts der aktuellen Energie- und Umweltdebatte könnte der O-Bus in Zukunft durchaus gute Chancen haben. Aus technischer Sicht ist der moderne O-Bus zum Know-how-Träger geworden, sei es bei Antrieb, Energieverbrauch oder Wartung. Duo-Busse sind zusätzlich mit einem Hilfsdieselmotor ausgestattet. Diese erlauben auch bei Umleitungen oder Netzausfällen eine Weiterfahrt. Durch den Einsatz von Hybridantrieben können auch Randnetze ohne Fahrdraht betrieben werden. 328 Verglichen mit einem Dieselbus weist ein O-Bus ein besseres Leistungs-Verbrauchs-Verhältnis auf. Da er kein Schaltgetriebe besitzt, erreicht der O-Bus eine günstige Drehmomentkurve, die trotz hoher Leistung Energie sparen hilft. Hinzu kommt die höhere Belastbarkeit von Elektromotoren, was sich im hügeligen Gelände als vorteilhaft erweist. Neue Stromabnehmersysteme ermöglichen es dem Fahrzeug, Hindernissen im Straßenraum auszuweichen, verhindern aber gleichzeitig ein Entdrahten der Bügel. 329 O-Bus-Kritiker führen regelmäßig die für dieses System höheren Kosten an. Die Anschaffungskosten für die Fahrzeuge liegen tatsächlich beim O-Bus deutlich höher, haben aber während der letzten Jahre schon abgenommen. Zahlten die Salzburger Verkehrsbetriebe beispielsweise vor knapp 20 Jahren noch rund 800.000 Euro für einen neuen Bus, waren es bei aktuellen Beschaffungen nur noch rund 550.000 Euro. Im Vergleich zum Dieselbus ist dieser Wert immer noch hoch. Allerdings haben O-Busse mit bis zu 20 Jahren auch wesentlich längere durchschnittliche Nutzungsdauern als Dieselbusse (ca. 13 Jahre). 330 Anders als beim Einsatz von Dieselbussen erfordert der O-Bus-Betrieb auch zusätzliche Aufwendungen für die Energieversorgung, d.h. Masten, Fahrdraht und Unterwerke, die auch bei der Straßenbahn nötig sind. 331 Beim konkreten Vergleich von Bussystemen in einzelnen Städten zeigt sich aber, dass keine pauschale Aussage bezüglich der Vorteilhaftigkeit möglich ist. Solingen O-Bus Dieselbus Betriebskosten 0,23 € 0,58 € Instandhaltungskosten (Material) 0,27 € 0,31 € Kapitalkosten 0,22 € 0,15 € Fahrzeugkosten 0,72 € 1,04 € Infrastrukturkosten 0,36 € 0,00 € Summe 1,80 € 2,08 € 327 Haase, Ralf: Elektrobusse - Technologischer Spagat zwischen Tradition und Innovation, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2013, 56 328 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 230 329 vgl. ebd. 330 vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.: Analyse neuzeitlicher Systeme des öffentlichen Personennahverkehrs und deren Anwendungsmöglichkeiten in Osnabrück, o.O. 2010, 27 331 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 230 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? 141 Fortsetzung Salzburg O-Bus Dieselbus Energie 0,16 € 0,43 € Instandhaltungskosten (Material) 0,43 € 0,40 € Kapitalkosten 0,74 € 0,66 € Fahrzeugkosten 0,82 € 0,74 € Infrastrukturkosten 0,23 € 0,01 € Summe 2,40 € 2,24 € Der Personalaufwand ist jeweils für beide Bussysteme vergleichbar. Tabelle 3-1 Vergleich der Bussysteme in Solingen und Salzburg - spezifische Kosten je Kilometer 332 In die Bewertung der Wirtschaftlichkeit sollten zudem nicht nur die Kostenseite, sondern ebenso die Ertragsseite (vgl. Kundennutzen, Zahlungsbereitschaft) sowie die externen Kosten einbezogen werden. Der Einsatz von O-Bussen empfiehlt sich dann, wenn Netzerweiterungen in Städten mit bereits existierendem O-Bus-Netz, Netzergänzungen in Städten mit Straßen- und Stadtbahnnetzen oder Netzumstellungen in Städten mit ausgeprägtem Autoverkehr vorgesehen sind. 333 Auch Städte, in denen es bereits Sonderfahrspuren für Busse gibt, bieten gute Voraussetzungen; ebenso denkbar ist der O-Bus für Städte, die eigentlich an die Neuerrichtung eines Straßenbahnnetzes denken, aber die Kosten scheuen. 334 Als besonders günstig erweist sich der O-Bus-Einsatz in sensiblen Zonen, die sowohl zum Arbeiten als auch zum Leben und Wohnen genutzt werden. Schließlich können sich Kommunen mit einem hohen Umweltbewusstsein dadurch auch entsprechend positionieren, wobei eine Entscheidung für oder gegen den O-Bus nicht nur von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen abhängig gemacht werden sollte. 335 Angesichts des Fahrgastpotentials, das für die Errichtung und den Betrieb eines klassischen O- Bus-Systems erforderlich ist, sind Städte ab ca. 30.000 Einwohner geeignet. Natürlich sind dabei die Wirtschafts- und Siedlungsstruktur sowie die topographischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Ebenso sind die möglichen demographischen Entwicklungen von Bedeutung. 336 Die technologischen Entwicklungen im Elektrobussektor gehen aber inzwischen weit über den klassischen O-Bus hinaus. So sind schon Fahrzeuge im Einsatz, die mithilfe von Batterien auch Streckenabschnitte ohne Fahrleitung bewältigen können bzw. Strom aus dem Netz der Straßenbahn beziehen (vgl. z.B. „Swiss Trolley plus“ in Zürich 337 ), 332 erstellt nach: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.: Analyse neuzeitlicher Systeme des öffentlichen Personennahverkehrs und deren Anwendungsmöglichkeiten in Osnabrück, o.O. 2010, 38 333 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 231 334 vgl. Fritsch, Reinhard: Der O-Bus in Deutschland, in: Der Nahverkehr 10/ 2012, 42f 335 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 231 336 vgl. ebd. 337 vgl. o.V.: Zürich testet Trolleybus. der mit Batterie fährt (17.01.2017), http: / / www.luzernerzeitung.ch, 06.09.2017 142 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? die ihre Batteriespeicher im Betriebshof oder an Endhaltestellen aufbzw. nachladen (vgl. z.B. die seit 2013 in Wien verkehrenden „ElectriCitybusse“ 338 ), die ihren Fahrstrom via Induktion aus der Straße beziehen (vgl. z.B. das Projekt „emil“ in Braunschweig 339 ), die Erdgas zur Umwandlung in Elektroenergie bzw. eine Brennstoffzelle nutzen (vgl. z.B. das Erprobungsprojekt mit Brennstoffzellen-Hybridbussen in Hamburg, Karlsruhe und Stuttgart 340 ). 341 Aufgabe 1: Recherchieren Sie, in wie vielen europäischen Städten aktuell O-Busse im Einsatz sind! Aufgabe 2: Welche Vorteile weist der O-Bus auf (v.a. auch hinsichtlich der Emissionsreduktion)? Welche Nachteile sind damit verbunden? Aufgabe 3: Wo ist ein sinnvoller Einsatz von O-Bussen möglich? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 4: Wie erklären Sie sich, dass andere Länder gute Erfahrungen mit dem O-Bus gemacht haben und auch daran festhalten, Deutschland aber seine O-Bus-Betriebe von ehemals über 70 auf drei verringert hat? 338 vgl. Wiener Stadtwerke, Geschäftsbericht 2012, Wien 2013, 23; o.V.: Wiener Linien mit Staatspreis Mobilität ausgezeichnet (13.09.2013), http: / / www.vipress.at, 12.01.2014 339 vgl. Braunschweiger Verkehrs-GmbH: Braunschweig fährt jetzt induktiv, Braunschweig o.J. 340 vgl. Stuttgarter Straßenbahnen AG: Willkommen im Brennstoffzellen-Hybridbus, Stuttgart 2014 341 vgl. Haase, Ralf: Elektrobusse - Technologischer Spagat zwischen Tradition und Innovation, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2013, 57 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? 143 Lösung Aufgabe 1 Land Städte mit O-Bus-System Land Städte mit O-Bus-System Land Städte mit O-Bus-System Belarus 7 Lettland 1 Schweden 1 Bosnien 1 Litauen 2 Schweiz 12 Bulgarien 11 Moldawien 4 Serbien 1 Deutschland 3 Niederlande 1 Slowakei 5 Estland 1 Österreich 2 Spanien 1 Frankreich 4 Polen 3 Tschechien 13 Griechenland 1 Portugal 1 Ukraine 43 Italien 15 Rumänien 11 Ungarn 3 Tabelle 3-2 O-Bus-Netze europaweit 342 Aufgabe 2 Vorteile Nachteile umweltfreundlicher Antrieb geringer Lärmpegel höher Wirkungsgrad besseres Leistungs- Verbrauchs-Verhältnis als Dieselbus ca. 4-5 % geringere Energiekosten als Dieselbus durch Rekuperation weitere Energieeinsparung möglich höhere Belastbarkeit von Elektromotoren, v.a. im hügeligen Gelände vorteilhaft geringerer Wartungsaufwand bei Elektromotoren höhere Fahrzeuglebensdauer als bei Dieselbus höherer Fahrkomfort (keine ruckartigen Bewegungen, Vibrationen) Know-how-Träger, z.B. bei Antrieb, Energieverbrauch oder Wartung Duo-Busse: zusätzlich mit einem Hilfsdieselmotor ausgestattet (Weiterfahrt auch bei Umleitungen oder Netzausfällen möglich) Hybridantriebe: Bedienen von Streckenabschnitten oder Randnetzen ohne Fahrdraht Errichtung und Unterhalt der Oberleitungsinfrastruktur erforderlich Oberleitungen können im Stadtbild störend wirken kurzfristige Linienverlegungen (z.B. aufgrund von Baustellen und Unfällen) nicht oder nur begrenzt (Duo- Busse, Hybridbusse) möglich höhere Anschaffungskosten für O-Busse als bei Dieselbussen manuelles Andrahten 343 Tabelle 3-3 Vor- und Nachteile von O-Bus-Systemen 342 erstellt nach: TrolleyMotion Management: Trolley-Städte, http: / / www.trolleymotion.eu, 19.02.2019 343 Ein Projektteam der Westsächsischen Hochschule Zwickau entwickelt im Rahmen des Forschungsprojektes „eBus Skorpion“ ein automatisches Oberleitungs-Stromabnehmersystem für Hybrid-Oberleitungsbusse (vgl. Westsächsische Hochschule Zwickau: O-Bus zurück in Zwickau - im Dienste der Wissenschaft (10.12.2018), http: / / www.fh-zwickau.de, 10.12.2018) 144 Emissionsreduktion in den Innenstädten - Eine Chance für den O-Bus? Aufgabe 3 Sinnvoller Einsatz von O-Bussen ÖPNV-Nachfrage kommunale Rahmenbedingungen ÖPNV-Netz hohes Umweltbewusstsein Städte ab 30.000 Einwohner hohe Emissionsbelastung ausgeprägter Autoverkehr gleichmäßiges Fahrgastaufkommen hohes Fahrgastaufkommen sensible Zonen (Leben, Wohnen, Arbeiten) vorhanden geplant O-Bus-Netz Netzerweiterung Straßenbahn-/ Stadtbahn-Netz Netzergänzung Bus-Netz Netzumstellung Sonderfahrspuren Busse Kosten für Straßenbahnnetz zu hoch, aber umweltfreundliche Alternative gewünscht politischer Wille Akzeptanz ÖPNV ÖPNV- Finanzierung Abbildung 3-1 Mindmap: Sinnvoller Einsatz von O-Bussen Aufgabe 4 Straßeninfrastruktur Ausbau der Straßenbahnnetze Fahrzeugentwicklung Verfügbarkeit leistungsfähiger Dieselbusse Verkehrsplanung verkehrsplanerische Konzepte, vgl. z.B. auch Stilllegung der Straßenbahnnetze zwischen 1950 und 1980 in 65 deutschen Städten zugunsten des Kraftomnibusses umweltpolitische Aspekte damals nicht von derselben Bedeutung wie heute Betriebliche Flexibilität höhere Flexibilität von Kraftomnibussen (Linienführung, kurzfristige Änderungen) 1960 Verbot von Busanhängern zur Personenbeförderung in Westdeutschland (seit 2003 allerdings wieder Ausnahmegenehmigungen möglich) Kosten Anschaffungskosten bei O-Bussen höher als bei Kraftomnibussen hohe Kosten für Oberleitungsnetze Tabelle 3-4 Mögliche Gründe für die Einstellung von O-Bus-Betrieben in Deutschland 4 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? „Postauto ist mit den Testfahrten in Sitten in das Rennen um die Zukunft der Mobilität eingestiegen.“ 344 Im Sommer 2016 startete die PostAuto Schweiz AG einen zweijährigen Probebetrieb mit autonom fahrenden Bussen, genannt „SmartShuttle“, in Sion. Seitdem verkehren zwei dieser Busse dienstags bis sonntags in den Nachmittagsstunden in der Altstadt. Projektpartner sind die Stadt Sion, der Kanton Wallis sowie die ETH Lausanne und die Fachhochschule Westschweiz-Wallis unter den Namen „Mobility Lab“. 345 PostAuto stellt damit einen der ersten Anbieter weltweit dar, der selbstfahrende Busse im öffentlichen Straßenpersonenverkehr nutzt. 346 Im Rahmen dieses Projekts soll untersucht werden, inwieweit solche Konzepte den öffentlichen Verkehr aufwerten bzw. ergänzen können und welche speziellen Einsatzzwecke sich anbieten. Dabei sollen allerdings nicht bestehende Linienverkehre abgelöst, sondern zusätzliche Angebote geschaffen werden. 347 Nachdem die Fahrzeuge mehrere Monate lang auf einem abgeschlossenen Privatgelände getestet worden waren, folgte der Einsatz im öffentlichen Raum. Bevor dies möglich war, galt es allerdings, entsprechende Sondergenehmigungen einzuholen. 348 Bei den SmartShuttles handelt es sich um 4,80 m lange und 2,05 m breite, elektrisch angetriebene Fahrzeuge des französischen Herstellers Navya, die maximal elf Personen befördern können. Mit höchstens 20 km/ h absolvieren sie in Sion einen 1,5 m langen Rundkurs durch die Innenstadt. Dabei sind die Fahrzeuge, die kein Lenkrad und auch kein Bremspedal aufweisen, zwar vollautomatisiert unterwegs, werden bislang aber immer noch von einem Mitarbeiter begleitet, der im Gefahrenfall eingreifen kann 349 , denn „[e]ine solche städtische Situation ist für autonome Fahrzeuge derzeit noch weit schwieriger als das Fahren auf einer berechenbaren Autobahn.“ 350 Bei ihrer Fahrt orientieren sich die SmartShuttles an einer virtuellen Straßenkarte, die zuvor für die zu befahrende Strecke erstellt wurde. Neben den hier enthaltenen statischen Komponenten müssen aber auch bewegliche Elemente rechtzeitig erkannt und entsprechend identifiziert werden. Starker Schneefall bereitete in Sion dabei immer wieder Probleme. 351 Experten rechnen damit, dass noch Jahrzehnte vergehen werden, bis tatsächlich autonom verkehrende Fahrzeuge problemlos zum Einsatz kommen. Nicht nur technische Herausforderungen 344 o.V.: Führerlos - Schweizer Stadt testet autonom fahrende Linienbusse (24.10.2016), http: / / www.3sat.de, 25.01.2018 345 vgl. PostAuto Schweiz AG: Testbetrieb Sitten, https: / / www.postauto.ch, 25.01.2018; CarPostal Suisse SA: SmartShuttle, Sion, o.J. (Faltblatt); PostAuto Schweiz AG: Projekt, https: / / www.postauto.ch, 25.01.2018 346 vgl. o.V.: Wertvolles Know-how, in: Regionalverkehr 5/ 2017, 78 347 vgl. PostAuto Schweiz AG: Projekt, https: / / www.postauto.ch, 25.01.2018 348 vgl. ebd. 349 vgl. PostAuto Schweiz AG: Projekt, https: / / www.postauto.ch, 25.01.2018; PostAuto Schweiz AG: Technische Spezifikationen, https: / / www.postauto.ch, 25.01.2018 350 o.V.: Führerlos - Schweizer Stadt testet autonom fahrende Linienbusse (24.10.2016), http: / / www.3sat.de, 25.01.2018 351 vgl. o.V.: Wertvolles Know-how, in: Regionalverkehr 5/ 2017, 79 146 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? (z.B. Einfluss von Regen oder Schnee auf die Sensoren) müssen dazu bewältigt, sondern auch rechtliche und ethische Aspekte geklärt werden. 352 Durch den Probebetrieb in Sion soll auch ermittelt werden, ob derartige Angebote überhaupt auf eine ausreichend große Akzeptanz bei potentiellen Nutzern stoßen. 353 Im Frühjahr 2017, also knapp ein Jahr nach Start des Probebetriebs, wurden im Rahmen einer Befragung unter (potentiellen) Fahrgästen sowie weiteren Akteuren, wie dem Tourismusverband, Händlern und Hoteliers Einstellungen zum SmartShuttle ermittelt. Daraus lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten: Wesentliche Erkenntnisse der Befragung Nutzer haben positivere Einstellung als Nicht-Nutzer SmartShuttle macht öffentlichen Verkehr attraktiver SmartShuttle begünstigt Verkehrsfluss Männer haben positivere Einstellung als Frauen Bewohner und Gewerbetreibende geben positives Feedback ältere Personen sehen Chance für zusätzliche Mobilität (letzte Meile) Bekanntheit selbstfahrender Fahrzeuge sehr hoch SmartShuttle wird als Innovation gesehen SmartShuttle sorgt in Tourismus und Gewerbe für positive Effekte Abbildung 4-1 Wesentliche Erkenntnisse der Befragung 354 Interessierte können die Busse bislang kostenlos nutzen. Zusätzlich werden zweimal monatlich geführte Touren im SmartShuttle angeboten. Für Smartphone-Nutzer wurde eigens eine „Smart- Shuttle-App“ entwickelt, mithilfe derer z.B. Echtzeitangaben zum Fahrtverlauf sowie etwaige Störungsmeldungen abgefragt werden können. 355 Innerhalb des ersten Testjahres können die Fahrzeuge auf mehr als 4.500 gefahrene Kilometer verweisen, wobei über 21.500 Personen befördert wurden. Dabei handelt es sich nicht nur im Einwohner Sions, sondern auch um zahlreiche Fahrgäste, die eigens wegen des SmartShuttles in die Stadt gekommen sind. 356 352 vgl. o.V.: Führerlos - Schweizer Stadt testet autonom fahrende Linienbusse (24.10.2016), http: / / www.3sat.de, 25.01.2018 353 vgl. ebd. 354 erstellt nach: PostAuto Schweiz AG: Erste Studie zeigt Akzeptanz von selbstfahrenden Bussen in der Bevölkerung (12.09.2017), http: / / www.postauto.ch, 25.01.2018 355 vgl. CarPostal Suisse SA: SmartShuttle, Sion, o.J. (Faltblatt) ; Smart-Shuttle-App von Postauto Schweiz AG 356 vgl. o.V.: Wertvolles Know-how, in: Regionalverkehr 5/ 2017, 78 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? 147 Aufgrund der positiven Ergebnisse hat man sich entschlossen, die Busse in weiteren Orten zu testen, so z.B. in Bern und in Maienfeld (Graubünden). Dabei soll aber nicht nur klassischer Linienverkehr realisiert werden, sondern man möchte auch auf Bedarfsverkehre setzen, bei denen sich Fahrten z.B. per App anmelden lassen. 357 Aufgabe 1: Recherchieren Sie, in welchen anderen Orten autonom fahrende Busse getestet werden! Welchen Einsatzzwecken dienen sie jeweils? Aufgabe 2: Für welche Versorgungsaufgaben eignen sich autonom fahrende Busse besonders? Welche Rolle könnten sie zukünftig im ÖPNV spielen? Aufgabe 3: Welche Effekte kann der Einsatz autonom fahrender Busse im innerstädtischen Raum, wie z.B. in Sion, haben? Erstellen Sie dazu ein Wirkungsgefüge! Aufgabe 4: Welche Akteure spielen im Rahmen des Testbetriebs in Sion eine Rolle? Analysieren Sie deren Ziele und Ansichten in einem Perspektivenfokus! 357 vgl. Gross, Angela: Smartes „Poschti“ fährt selber (28.11.2017), https: / / www.suedostschweiz.ch, 22.02.2018; PostAuto Schweiz AG: Erste Studie zeigt Akzeptanz von selbstfahrenden Bussen in der Bevölkerung (12.09.2017), http: / / www.postauto.ch, 25.01.2018 148 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? Lösung Aufgabe 1 Vor der Realisierung von (auch testweisen) Linienverkehren hat es bereits zahlreiche Demonstrationsprojekte (z.B. EU-Projekt CityMobil2 in Vantaa/ Finnland, Lausanne/ Schweiz, La Rochelle/ Frankreich, Oristano/ Italien, Trikala/ Griechenland) gegeben, bei denen autonome Busse für einen Tag oder einen kurzen Zeitraum für verschiedenen Zwecke getestet wurden, so z.B. als Shuttle- Verkehr zu Verkehrsstationen und zu Veranstaltungen oder auf Universitätsgeländen. Andernorts wurden derartige Tests inzwischen ausgeweitet bzw. findet sogar schon Buslinienverkehr statt. Stadt Betreiber, Partner Einsatzzwecke Zeitraum Bad Birnbach (D) 358 Regionalbus Ostbayern GmbH, Deutsche Bahn, Easymile Linienbusverkehr Bahnhof-Ortszentrum-Therme des Orts seit 10/ 2017 Berlin (D) 359 InnoZ, Deutsche Bahn, Local Motors u.a. Linienbusverkehre im Halbstundentakt und zu Veranstaltungen auf dem EUREF-Campus seit Ende 2016 Berliner Verkehrsbetriebe, Charité, Easymile, Navya Linienbusverkehre auf dem Gelände der Charité und des Virchow- Klinikums seit 01/ 2018 Frankfurt/ M. (D) 360 R+V-Versicherung, Fraport AG, Navya Mitarbeiter-Shuttle zwischen Terminal A und Terminal B 2 Wochen Ende 2017 Weeze (D) 361 Wepod, Intereg Automated Transport Shuttle-Service zwischen Flughafenterminal, Hotel und Parkplatz seit 02/ 2019 Salzburg (A) 362 Salzburg Research, Navya Testfahrten in Innenstadt 1 Tag, 10/ 2016 Wien (A) 363 Wiener Linien, Austrian Institute of Technology, Navya u.a. Testfahrten in der Seestadt; Linienbusverkehr in der Seestadt Aspern 2018 ab 2019 Marly (CH) 364 Freiburgische Verkehrsbetriebe, Navya u.a. Linienbusverkehr: Marly Cité-Marly Innovation Center (in Schwachlastzeiten als Bedarfsverkehr) seit 08/ 2017 358 vgl. o.V.: Erste autonome Buslinie Deutschlands, http: / / www.ostbayernbus.de, 28.02.2018 359 vgl. Hunsicker, Frank; Knie, Andreas; Lobenberg, Gernot; Lohrmann, Doris; Meier, Ulrike; Nordhoff, Sina; Pfeiffer, Stephan: Pilotbetrieb mit autonomen Shuttles auf dem Berliner EUREF-Campus, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 3017, 56ff; Berliner Verkehrsbetriebe: Countdown für die autonomen Minibusse (15.02.2018), http: / / www.bvg.de, 28.02.2018 360 vgl. Rinkart, Dominik: Selbstfahrende Busse am Frankfurter Flughafen (21.10.2017), http: / / www.fnp.de, 28.02.2018 361 vgl. Land Nordrhein-Westfalen: Erstmalig in Nordrhein-Westfalen: Öffentlicher Shuttle-Betrieb mit automatisierten Fahrzeugen (21.02.2019), http: / / airport-weeze.com, 28.02.2019 362 vgl. Ruep, Stefanie: Österreich-Premiere: Bus ohne Fahrer in Salzburg unterwegs (19.10.2016), http: / / derstandard.at, 28.02.2018 363 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Erfolgreiche Probefahrten mit autonomen Bussen in Wien (24.07.2018), https: / / infothek.bmvit.gv.at/ erfolgreiche-probefahrten-autonome-busse-seestadtwien, 28.02.2019; Wiener Linien: auto.Bus Seestadt, http: / / www.wienerlinien.at, 28.02.2019 364 vgl. Freiburgische Verkehrsbetriebe: Ein autonomer Shuttlebus zur Anbindung des Marly Innovation Center (21.03.2017), http: / / www.tpf.ch, 28.02.2018 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? 149 Fortsetzung Stadt Betreiber, Partner Einsatzzwecke Zeitraum Meyrin (CH) 365 Transports publics genevois, Navya Testfahrten Linie XA Meyrin Ort- Bahnhof Meyrin seit 12/ 2017 Neuhausen am Rheinfall (CH) 366 Trapeze Switzerland; Verkehrsbetriebe Schaffhausen, Navya Linienbusverkehr auf einer von März bis Oktober verkehrenden Freizeitlinie seit 03/ 2018 Wageningen (NL) 367 Wepod, Easymile Buslininenverkehr: Universität Wageningen-Bahnstation Ede- Wageningen; Universitätscampus 2014-2016 Paris (F) 368 RATP, Easymile Shuttle-Verkehr zwischen Gare d’Austerlitz und Gare de Lyon 01-04/ 2017 Testfahrten Buslinienverkehr Parc Floral-Château de Vincennes; Testfahrten im Konvoi seit 11/ 2017 Testfahrten Buslinienverkehr (Gelände des Forschungs- und Innovationszentrums CEA Saclay) 02-03/ 2018 Keolis, Navya Buslinienverkehr auf 3 Linien in La Défense 06-12/ 2017 London (GB) 369 Keolis, Navya Testfahrten im Olympic Park 09/ 2017 Stockholm (S) 370 Nobina Technology, Ericsson, Statens Järnvägarna u.a. Buslinienverkehr Victoria Tower- Kista Galleria (Kista Science City) 01-06/ 2018 Espoo, Helsinki, Tampere (FIN) 371 FH Helsinki Metropolia, Aalto-Universität, Easymile u.a. Testfahrten für verschiedene Einsatzzwecke, z.B. als Zubringer zur U-Bahn, im Rahmen des EU- Projektes Sohjoa 07/ 2016 bis Herbst 2017 Tabelle 4-1 Einsatz autonom fahrender Busse zu Testzwecken bzw. im Linienverkehr in Europa (Auswahl) Darüber hinaus sind autonome Busse auch außerhalb Europas im Einsatz, so z.B. in Australien (Darwin, Ipswich, Melbourne, Perth, Sydney), Neuseeland (Christchurch), in den USA (Las Vegas, St. Ann Arbor), in China (Hongkong) und in Singapur. 372 365 vgl. Transports publics genevois: Ligne XA - Véhicule autonome aux tpg, http: / / www.tpg.ch, 28.02.2018 366 vgl. Schulz, Tim: Neuartige ÖPNV-Angebote, in: Regionalverkehr 5/ 2017, 36; Verkehrsbetriebe Schaffhausen: Meilenstein für den ÖV: Selbstfahrender Bus erstmals in Leitsystem integriert (27.03.2018), http: / / www.vbsh.ch, 28.02.2019 367 vgl. Provincie Gelderland: Zelfrijdend vervoer in de grensregio Nederland-Duitsland, https: / / www.gelderland.nl/ wepods, 28.02.2018 368 vgl. RATP: Navette autonome: après le succès du test à Paris, le Groupe RATP annonce le lancement de nouvelles expérimentations (16.03.2017); RATP: Navettes autonomes: lancement d’une nouvelle expérimentation dans le Bois de Vincennes (16.11.2017), http: / / www.ratp.fr, 28.02.2018; RATP: Le groupe RATP lance une expérimentation de navettes autonomes au CEA Paris-Saclay (15.02.2018), http: / / www.ratp.fr, 28.02.2018; Keolis: Unlimited Mobility, Paris o.J., 17 369 vgl. Keolis: Unlimited Mobility, Paris o.J., 2 370 Stockholms stad: Premiär för självkörande buss (26.01.2018), http: / / www.stockholm.se, 28.02.2018 371 vgl. Sohjoa, http: / / www.sohjoa.fi, 28.02.2018 150 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? Aufgabe 2 Versorgungsaufgaben Urbaner Raum Fußgängerzonen schmale Straßen flächenhafte Anbindung an größere Verkehrsstationen (z.B. U-Bahn-, S- Bahn-Station) Ländlicher Raum vom ÖPNV abgehängte Orte autofreie Orte flächenhafte Anbindung an größere Verkehrsstationen (z.B. SPNV-Station oder überregionale Bushaltestelle) Flughäfen Personentransport innerhalb von Terminals Personentransport zwischen verschiedenen Terminals oder Parkhäusern Mitarbeitertransport Krankenhäuser Patienten- und Besuchertransport von nächstgelegener Haltestelle des öffentlichen Verkehrs oder Parkplatz bzw. auf dem Klinikgelände zwischen verschiedenen Gebäuden Mitarbeitertransport Hochschulgelände Personentransport von nächstgelegener Haltestelle des öffentlichen Verkehrs oder Parkplatz bzw. auf dem Gelände zwischen verschiedenen Gebäuden Messegelände Personentransport von nächstgelegener Haltestelle des öffentlichen Verkehrs oder Parkplatz bzw. auf dem Gelände zwischen verschiedenen Gebäuden Themenparks, Touristenattraktionen Personentransport von nächstgelegener Haltestelle des öffentlichen Verkehrs oder Parkplatz bzw. auf dem Gelände zwischen verschiedenen Attraktionspunkten Gewerbegebiete Personentransport von nächstgelegener Haltestelle des öffentlichen Verkehrs oder Parkplatz bzw. auf dem Gelände zwischen verschiedenen Gebäuden Einkaufszentren Personentransport von nächstgelegener Haltestelle des öffentlichen Verkehrs oder Parkplatz Tabelle 4-2 Mögliche Versorgungsaufgaben autonom fahrender Busse 373 Autonom verkehrende Busse könnten im öffentlichen Verkehr zukünftig überall dort eine Option sein, wo konventioneller ÖPNV aus finanziellen oder strukturellen Gründen nicht machbar erscheint. Sie eignen sich insbesondere zur Überbrückung der sogenannten „letzten Meile“ und verbessern damit die Fortbewegungsmöglichkeiten vor allem für mobilitätseingeschränkte Personen, denen der Weg zur nächstgelegenen Haltestelle des konventionellen ÖPNV zu weit ist. Neben Linienverkehr sind auch bedarfsgesteuerte Formen, z.B. Abruf per App, denkbar. Autonome Busse sollen dabei herkömmliche ÖPNV-Angebote nicht ersetzen, sondern ergänzen und damit das Gesamt-Angebot attraktiver machen. Da es sich bei den autonomen Bussen um Elektrofahrzeuge handelt, leisten sie einen Beitrag zur umweltfreundlichen Gestaltung von ÖPNV-Angeboten. 372 vgl. Navya, http: / / navya.fr, 28.02.2018, Easymile, http: / / www.easymile.com, 28.02.2018 373 erstellt nach: Keolis: Autonomous shuttles, https: / / www.keolis.com, 28.02.2018 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? 151 Dies setzt jedoch voraus, dass zum einen die Technik reibungslos funktioniert und die derzeit noch ungeklärten Aspekte (vgl. z.B. Ethik, Haftungsfragen) geregelt werden. Zum anderen muss eine entsprechende Akzeptanz von Seiten der (potentiellen) Fahrgäste gegeben sein. Aufgabe 3 ÖPNV Wirtschaft/ Handel/ Gastronomie Umwelt Abgas- und Feinstaubbelastung Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Betriebskosten Fahrgastzahlen ÖPNV Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Investitionen (Fahrzeuge, Strecken) Mitarbeiter Initialzündung: Einsatz autonomer Shuttles + + - + + + + Erreichbarkeit Kundenzahl Bedienkonzepte Kundenzufriedenheit + + + + + + + + Abbildung 4-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Einsatz autonomer Shuttles Fahrgastzahlen ÖPNV Durch die Fahrgastbeförderung mit autonomen Shuttles auf bisher nicht bedienten Linien steigt die Zahl der Fahrgäste im ÖPNV insgesamt. Fahrgastzahlen ÖPNV Attraktivität Je höher die Fahrgastzahlen, umso eher lohnt sich die Steigerung der Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität). Investitionen Je höher die Fahrgastzahlen, umso mehr muss wahrscheinlich investiert werden. Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Fahrgastzahlen ÖPNV Je höher die Attraktivität, umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen. Investitionen Je höher die Attraktivität sein soll, umso mehr muss wahrscheinlich regelmäßig investiert werden. Betriebskosten Je höher die Attraktivität, umso höher die Betriebskosten. Mitarbeiter Je höher die Attraktivität, umso mehr Mitarbeiter erforderlich. 152 Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Kundenzufriedenheit Je höher die Attraktivität, umso zufriedener die Kunden. Erreichbarkeit Je höher die Attraktivität, umso besser die Erreichbarkeit. Investitionen Fahrgastzahlen ÖPNV Investitionen in Fahrzeuge und Strecken werden sich positiv auf die Fahrgastzahlen auswirken. Attraktivität Je höher die Investitionen, umso stärker lässt sich die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) steigern. Abgas- und Feinstaubbelastung Durch Investitionen z.B. in Elektromobilität kann die Abgas- und Feinstaubbelastung in der Innenstadt reduziert werden. Mitarbeiter Attraktivität Je mehr Mitarbeiter, umso höher kann die Attraktivität sein (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität). Betriebskosten Je mehr Mitarbeiter, umso höher die Betriebskosten. Bedienkonzepte Attraktivität Die Bedienkonzepte beeinflussen die Attraktivität des Angebots (vgl. z.B. Linienführung, Rufbusse). Investitionen Die (angestrebten) Bedienkonzepte sind ausschlaggebend für die erforderlichen Investitionen (vgl. z.B. Fahrzeugbeschaffung). Betriebskosten Die Bedienkonzepte beeinflussen die Betriebskosten (vgl. z.B. realisierte Fahrten beim Rufbus). Mitarbeiter Die Bedienkonzepte beeinflussen die Mitarbeiter (vgl. z.B. Personaleinsatz bei autonomen Shuttles). Kundenzufriedenheit Je verständlicher und zuverlässiger die Bedienkonzepte, umso höher die Kundenzufriedenheit. Erreichbarkeit Die Bedienkonzepte beeinflussen die Erreichbarkeit von Attraktionspunkten. Kundenzufriedenheit Fahrgastzahlen ÖPNV Je höher die Kundenzufriedenheit, umso mehr Fahrgäste wahrscheinlich im ÖPNV. Erreichbarkeit Kundenzahl Je besser die einzelnen Attraktionspunkte erreichbar sind, umso höher wahrscheinlich die Kundenzahl. Kundenzahl Fahrgastzahlen ÖPNV Je mehr Kunden verschiedenste Attraktionspunkte in der Innenstadt aufsuchen, umso größer die Zahl potentieller Fahrgäste im ÖPNV. Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Kundenzahl Je besser das innerstädtische Klima und die Lebensqualität, umso wahrscheinlicher ist auch eine höhere Nachfrage bei innerstädtischen Angeboten von Einzelhandel und Gastronomie. Abgas- und Feinstaubbelastung Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Je geringer die Abgas- und Feinstaubbelastung, umso besser das innerstädtische Klima bzw. höher die Lebensqualität. Abbildung 4-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Autonom fahrende Busse - Die optimale Ergänzung? 153 Aufgabe 4 Projekt SmartShuttle PostAuto AG Mobility Lab Stadt Sion Einheimische Gäste Hotellerie, Gastronomie Einzelhandel Sehenswürdigkeiten Tourismusverband Kanton Wallis ETH Lausanne FH Westschweiz-Wallis Abbildung 4-4 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Interessengruppen Erwartungen und Ziele PostAuto AG erfolgreiche Umsetzung des Projekts „SmartShuttle“ Know-how-Gewinnung im Bereich autonomes Fahren Kundengewinnung positive Image-Effekte Mobility Lab (Kanton Wallis, ETH Lausanne, Fachhochschule Westschweiz-Wallis) erfolgreiche Umsetzung des Projekts „SmartShuttle“ Know-how-Gewinnung im Bereich autonomes Fahren Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel anregen positive Image-Effekte Stadt Sion 374 Schaffung einer attraktiven und innovativen Fortbewegungsmöglichkeit für die Innenstadt („letzte Meile“) Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel anregen Altstadt für Einheimische und Touristen attraktiver gestalten positive Image-Effekte sichere Projektdurchführung Dienstleister vor Ort (Tourismusverband, Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel, Sehenswürdigkeiten) Belebung der Innenstadt mehr Nachfrage durch attraktive, innovative Fortbewegungsmöglichkeit Erhöhung des Bekanntheitsgrades durch Medienpräsenz des Smart- Shuttle-Projektes Einheimische und Gäste attraktive, innovative Fortbewegungsmöglichkeit in der Innenstadt („letzte Meile“), ggf. ausbaufähig und dadurch noch bessere Erschließung gute Erreichbarkeit der Attraktionspunkte Tabelle 4-3 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele 374 Die Stadt Sion ist ebenfalls Partner im Mobility Lab, wurde in dieser Aufgabe aber separat betrachtet. 5 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland „‚Bürger fahren für Bürger‘ - damit ist das Hauptmerkmal von Bürgerbussen genannt.“ 375 Im Vogtlandkreis, im Südwesten Sachsens gelegen, leben etwa 240.000 Menschen. Das entspricht einer Bevölkerungsdichte von 170 Einwohnern/ km². Das Durchschnittsalter liegt bei 48,1 Jahren. 376 Der sich bislang abzeichnende Bevölkerungsrückgang wird sich laut Prognosen auch in den kommenden Jahren fortsetzen, gleichzeitig wird das Durchschnittsalter weiter anstiegen. Insbesondere in den weniger dicht besiedelten Gebieten wird es zunehmend schwierig, ein finanzierbares und gleichzeitig halbwegs attraktives ÖPNV-Angebot aufrechtzuerhalten. Neben Rufbusangeboten, die nur bei tatsächlichem Bedarf und nach vorheriger telefonischer Anmeldung verkehren, wurden deshalb schon in verschiedenen Regionen Bürgerbuskonzepte realisiert, die nach § 42 des Personenbeförderungsgesetzes zum Linienverkehr zählen. Dabei bezieht sich der Begriff „Bürgerbus“ sowohl auf das Nahverkehrsangebot als auch auf das Fahrzeug. Ziel eines Bürgerbusangebots ist die Sicherstellung einer Minimalversorgung der Bürger im ländlichen Raum: „Es ist eine nicht aufzuhaltende Entwicklung: sinkende Bevölkerungszahlen und geringere finanzielle Mittel erfordern ein Ausdünnen des Angebots im ÖPNV. Dem entgegen steht die Nachfrage bei der Bevölkerung. Wie kommt man ohne eigenes Auto und mit vertretbarem Aufwand zu Ärzten und Apotheken, zu Behörden, Banken oder Einkaufsmöglichkeiten, zu Naherholungseinrichtungen oder dem nächsten größeren Bahnhof? “ 377 Dort also, wo aufgrund zu schwacher Besiedelungsdichte und zu geringer Fahrgastzahlen eine Bedienung im konventionellen Linienverkehr nicht ausreichend bzw. nicht realisierbar ist, soll dieses Alternativangebot Abhilfe schaffen. Im Frühjahr 2017 wurden im Vogtland drei neue Bürgerbuslinien in Betrieb genommen. Seitdem verkehren in Adorf, Bad Elster und Lengenfeld fahrplanmäßig Bürgerbusse auf festen Linien und binden dabei u.a. Einkaufsmärkte, Krankenhäuser und Ausflugsziele ein. Wesentlich an der Linienführung sind nicht nur die kurzen Haltestellenabstände, sondern dass auch die örtlichen Bahnhöfe angefahren werden, wobei sich der Busfahrplan i.d.R. am Fahrplan der Vogtlandbahn orientiert. 378 In den Bürgerbussen gilt - wie auch im gesamten Vogtland - der Verbundtarif des Verkehrsverbundes. Zum Einsatz kommen Kleinbusse mit acht Fahrgastsitzen. Dank der Niederflurtechnik sind ein barrierefreies Ein- und Aussteigen sowie die Beförderung von Kinderwagen oder Rollstuhl möglich. 379 Für die Fahrzeugbereitstellung und -wartung zeichnen die beiden Fahrzeughalter - der Plauener Omnibusbetrieb und die Reichenbacher Verkehrsbetrieb und Fahrschule Gerlach GmbH - verantwortlich. 380 375 Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH: Bürgerbusse in Fahrt bringen, Stuttgart 2015, 4 376 vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen: Gemeindeblatt - Vogtlandkreis, Kamenz 2014, 6ff 377 Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Was ist ein Bürgerbus? , http: / / www.vogtlandauskunft.de, 13.02.2018 378 vgl. o.V.: ÖPNV im Dialog - Bürgerbus, in: Vischelant - Das Magazin des Verkehrsverbundes Vogtland, Nr. 8, Frühjahr 2017, 4 379 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Was ist ein Bürgerbus? , http: / / www.vogtlandauskunft.de, 13.02.2018 380 vgl. Müller, Thorsten: Planung und Umsetzung eines Bürgerbusmodells im Nahverkehrsraum Vogtland, Riesa 2016, 6 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland 155 Adorf Bad Elster Lengenfeld Linie V-23 V-24 V-91 Fahrtage Di, Do, Fr Di, Do, Fr Mo, Di, Do Fahrtenpaare 6 9 10 Fahrzeughalter Plauener Omnibusbetrieb GmbH Plauener Omnibusbetrieb GmbH Reichenbacher Verkehrsbetrieb und Fahrschule Gerlach GmbH Tabelle 5-1 Bürgerbusangebot im Vogtland 381 Zum Konzept von Bürgerbusangeboten gehört, dass die Fahrzeuge von ehrenamtlichen Fahrern geführt werden. Aufgrund der Fahrzeuggröße benötigen die Fahrer keinen Busführerschein, sondern lediglich einen Pkw-Führerschein sowie eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. 382 Zusätzlich durchlaufen sie eine Kurzausbildung u.a. zu den Themenbereichen Tarif, Kasse, Streckenkunde und Fahrzeugtechnik. 383 Barrierefreiheit garantiert Rollende Werbung für das Konzept Für die drei Linien konnten bislang 25 Fahrer gewonnen werden, allerdings wird immer noch nach weiteren Fahrern gesucht - auch um wegen guter Nachfrage das Angebot ausbauen zu können. 384 Im Startmonat nutzten 668 Fahrgäste das Angebot, im September 2017 waren es bereits 1.100. Diese Entwicklung wurde als Anlass genommen, um die Anzahl der Fahrtenpaare pro Tag in Lengenfeld von sechs auf zehn zu erhöhen und in Bad Elster einen zusätzlichen Fahrtag einzuführen. Innerhalb des ersten Betriebsjahres konnten insgesamt 10.060 Fahrgäste gezählt werden. Der 20.000. Fahrgast wurde im November 2018 begrüßt. 385 381 Fahrpläne der Linien V-23, V-24, gültig ab 22.10.2018 sowie V-91, gültig ab 05.11.2018 382 vgl. § 48 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung, FeV) 383 vgl. ebd., 8; o.V.: Bürgerbusse: Positive Bilanz, in: Vischelant - Das Magazin des Verkehrsverbundes Vogtland, Nr. 10, Winter 2017, 20 384 vgl. o.V.: Bürgerbus Lengenfeld, in: Vischelant - Das Magazin des Verkehrsverbundes Vogtland, Nr. 14, Frühjahr 2019, 22 385 vgl. o.V.: Bürgerbusse: Positive Bilanz, in: Vischelant - Das Magazin des Verkehrsverbundes Vogtland, Nr. 10, Winter 2017, 20; Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Modellprojekt: Bürgerbus kommt ins Rollen, http: / / www.vogt- 156 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland Organisiert und bedient werden die Bürgerbuslinien vom Verein „Bürgerbus Vogtland e.V,“ 386 : „Der Verein kümmert sich neben der Koordination der Fahrten vor allem um die rechtliche und versicherungstechnische Absicherung der Fahrer. Er ist Vertragspartner der Verkehrsunternehmen, der Plauener Omnibusbetrieb GmbH und der Reichenbacher Verkehrsbetrieb Gerlach GmbH, die als Halter der Fahrzeuge alle anfallenden Fahrzeugkosten übernehmen. Treibende und verbindende Kraft ist der Verkehrsverbund Vogtland.“ 387 Die Finanzierung erfolgt durch Fahrgeldeinnahmen, kommunale Zuschüsse sowie ggf. auch Spenden. 388 Aufgabe 1: Fassen Sie in einem Mindmap das Wesen eines Bürgerbusangebots zusammen! Aufgabe 2: Welchen Beitrag leistet ein Bürgerbuskonzept zur Daseinsvorsorge? Aufgabe 3: Zeigen Sie in einem Perspektivenfokus, welche hierbei wichtigen Akteure welche Erwartungen und Ziele haben! Aufgabe 4: Von welchen Faktoren ist der Erfolg solcher Projekte abhängig? Aufgabe 5: Welche Probleme kann es bei der Umsetzung solcher Projekte geben? landauskunft.de, 25.05.2018; Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Bürgerbus Vogtland, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 14.01.2019 386 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Was ist ein Bürgerbus? , http: / / www.vogtlandauskunft.de, 13.02.2018 387 o.V.: ÖPNV im Dialog - Bürgerbus, in: Vischelant - Das Magazin des Verkehrsverbundes Vogtland, Nr. 8, Frühjahr 2017, 4 388 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Was ist ein Bürgerbus? , http: / / www.vogtlandauskunft.de, 13.02.2018 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland 157 Lösung Aufgabe 1 Bürgerbus Funktion Fahrplan Fahrpersonal Zielgruppe Betriebsform ehrenamtlich Pkw-Führerschein Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung Ergänzung zum klassischen ÖPNV Anbindung an ÖPNV-Netz innerörtliche Erschließung abseits der ÖPNV-Linien überörtliche Erschließung zum nächsten Unterzentrum Abstimmung mit klassischem ÖPNV Abstimmung mit Mobilitätsbedürfnissen potentieller Nutzer (vgl. Öffnungszeiten Geschäfte, Arztpraxen) Linienverkehr fester Fahrplan Öffentlichkeit Kinder, Jugendliche andere "Zwangskunden" Senioren mobilitätseingeschränkte Personen wochentags, tw. samstags Pkw-Führerscheintauglich Schnittstellen auch flexibel mit/ ohne Vorbestellung Anschlüsse Fahrzeug 8 Fahrgastplätze barrierefrei Organisation Bürgerbusverein Genehmigungsinhaber meist Verkehrsunternehmen oder Kommune Kooperationsverträge zur Aufgabenteilung Tarif fester Tarif Finanzierung kommunale Zuschüsse Spenden Fahrgeldeinnahmen Abbildung 5-1 Mindmap: Wesen von Bürgerbusangeboten 158 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland Aufgabe 2 Dort, wo kleinteilige Verkehrsströme vorliegen und nur geringe Nachfrage besteht, wäre klassischer ÖPNV unwirtschaftlich bzw. auf überdurchschnittlich hohe Subventionen pro Fahrgast angewiesen. Dennoch leben in diesen Gebieten Menschen mit Mobilitätsbedürfnissen, die es zu berücksichtigen gilt. Um diese ländlichen Räume als Lebens- und Wohnumfeld attraktiv zu halten und Wegzüge in besser erschlossene Regionen zu verhindern, müssen also auch hier Mobilitätsdienstleistungen bereitgestellt werden. Bürgerbusangebote ermöglichen Personen ohne Führerschein bzw. ohne Zugang zu einem Pkw im vom klassischen ÖPNV nicht bedienten Raum ausreichende Mobilität, dadurch eine bessere Teilhabe am öffentlichen Leben, das Erreichen von Attraktionspunkten über das unmittelbare Lebensumfeld hinaus, Selbständigkeit (vgl. Einkäufe erledigen, Wahrnehmen von Dienstleistungen und Freizeitangeboten, Arztbesuche), den Erhalt bzw. eine Erhöhung der Lebensqualität. Aufgabe 3 Landkreis Verkehrsverbund Adorf, Bad Elster, Lengenfeld beteiligte Verkehrsbetriebe Einheimische Bürgerbusverein ehrenamtliche Busfahrer andere Verkehrsbetriebe vor Ort Ausflügler, Touristen Abbildung 5-2 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Interessengruppen Erwartungen und Ziele Adorf, Bad Elster, Lengenfeld Sicherstellung einer Minimalversorgung für Einwohner, wo bislang keine ÖPNV-Abdeckung vorhanden ist erfolgreiche Umsetzung des Projekts gelingende Kooperation mit Verkehrsverbund, Verkehrsbetrieben, Gemeinden und Bürgerbusverein Orte als attraktive Wohngegenden erhalten Lebensqualität erhöhen Landkreis Sicherstellung einer Minimalversorgung für Einwohner, wo bislang keine ÖPNV-Abdeckung vorhanden ist erfolgreiche Umsetzung des Projekts ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland 159 Fortsetzung Interessengruppen Erwartungen und Ziele Landkreis gelingende Kooperation mit Verkehrsverbund, Verkehrsbetrieben, Gemeinden und Bürgerbusverein Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen Orte als attraktive Wohngegenden erhalten Lebensqualität erhöhen Verkehrsverbund Sicherstellung einer Minimalversorgung für Einwohner, wo bislang keine ÖPNV-Abdeckung vorhanden ist erfolgreiche Umsetzung des Projekts Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen gelingende Kooperation mit Bürgerbusverein, Verkehrsbetrieben, Gemeinden und Landkreis dauerhafte Kundengewinnung positive Image-Effekte beteiligte Verkehrsbetriebe erfolgreiche Umsetzung des Projekts Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen gelingende Kooperation mit Bürgerbusverein, Verkehrsverbund, Gemeinden und Landkreis dauerhafte Kundengewinnung positive Image-Effekte andere Verkehrsbetriebe vor Ort keine negative Beeinflussung, da Bürgerbus ergänzend zu bedienten Linien ggf. Nachfragesteigerung, da bessere Anbindung an konventionelle Linien bzw. bessere Erreichbarkeit der Schnittstellen Bürgerbusverein Sicherstellung einer Minimalversorgung für Einwohner, wo bislang keine ÖPNV-Abdeckung vorhanden ist erfolgreiche Umsetzung des Projekts gelingende Kooperation mit Verkehrsverbund, Verkehrsbetrieben, Gemeinden und Landkreis Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen Gewinnen und Halten einer ausreichenden Anzahl von Busfahrern ehrenamtliche Busfahrer sinnvolle Aufgabe für die Gesellschaft leisten Wertschätzung des eigenen Engagements Einheimische gute Erreichbarkeit der Attraktionspunkte (Einkaufen, Ärzte, Behörden, Freizeiteinrichtungen usw.) und Anbindung an klassischen ÖPNV (Schnittstellen zu Regionalbusverkehr und SPNV) Haltestellen in der Nähe attraktiver Fahrplan (Fahrtanzahl pro Tag, Taktung, Anschlüsse) Einbindung in Tarifsystem des Verkehrsverbundes Begreifbarkeit des Angebots Ausflügler, Touristen mögliche Nutzung des Bürgerbusangebots Begreifbarkeit des Angebots Tabelle 5-2 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele 160 ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland Aufgabe 4 Faktoren Ausprägung Fahrplan Betriebstage, Fahrten pro Tag/ Takt, merkbare Abfahrtszeiten, Anschlüsse zu konventionellem ÖPNV/ SPNV Linienverlauf Lage der Haltestellen (auch Barrierefreiheit), Zugangswege, Verknüpfung zu konventionellem ÖPNV/ SPNV Fahrzeug optisches Erscheinungsbild, Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Barrierefreiheit Fahrpersonal Verfügbarkeit, Kompetenz, Freundlichkeit Tarif Transparenz, ggf. Einbindung in Verbundtarif Information Zugänglichkeit, Begreifbarkeit des Angebots Tabelle 5-3 Erfolgsfaktoren 389 Aufgabe 5 Probleme können in folgenden Bereichen auftreten: Finanzierung, Fahrzeugverfügbarkeit, Gewinnung Fahrpersonal (Fahrtauglichkeit! ), falsche Routenwahl (ggf. Anpassungen nötig), Start mit zu großem Angebot bzgl. Fahrtagen und Fahrten pro Tag (nachträgliche Kürzung ungünstiger als nachträgliche Ausweitung), Begreifbarkeit des Angebots (z.B. bei Linienverläufen als Rundtour, Fahrtwunsch-Anmeldung), Akzeptanz von Seiten der Bevölkerung. 389 modifiziert und ergänzt nach: Müller, Thorsten: Planung und Umsetzung eines Bürgerbusmodells im Nahverkehrsraum Vogtland, Riesa 2016, 16 6 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen „Eigentlich gehört die Tram nicht nur in die Stadt, sondern der Tram gehört die Stadt, so wie auch den Menschen die Stadt gehört.“ 390 Der Plauener Straßenbahnbetrieb hat Tradition und kann 2019 auf eine 125jährige Geschichte zurückblicken. Gleichzeitig wird das Angebot von den Einwohnern sehr geschätzt. Jährlich werden rund 8 Mio. Fahrgäste befördert. Aktuell gehören zum Liniennetz fünf Straßenbahnlinien mit einer Gesamtlinienlänge von 27,7 km, vier Stadtbuslinien (16,6 km) sowie vier Nachtlinien (17,7 km). Zudem existiert ein Anrufsammeltaxi, das eine Fläche von 3 km² abdeckt. Dabei werden insgesamt 80 Haltestellen bedient. 391 Der Fahrzeugpool für den täglichen Straßenbahnbetrieb war über Jahrzehnte hinweg homogen und setzte sich ausschließlich aus 24 Kurzgelenktriebwagen des Typs KT4D zusammen. 1976 wurden die Tatra-Wagen, die damals typisch für DDR-Straßenbahnbetriebe waren, erstmals eingesetzt, ab 1992 dann modernisierte Wagen dieses Typs. 392 Das große Manko dieser Wagen: Es handelt sich dabei um Hochflur-Modelle, die mobilitätseingeschränkten Menschen das Einsteigen erschweren bzw. gar unmöglich machen. Während in anderen Städten schon längst in Niederflurstraßenbahnen investiert worden war, hatte man sich in Plauen stets zurückgehalten, weil sich die Finanzierung als Problem erwies. Da man die Anschaffungskosten nicht in Form höherer Preise an die Fahrgäste weitergeben wollte, hieß es also warten. Die bisherigen Tatra-Wagen des Typs KT4D Präsentation der ersten neuen Bahn Im Spätsommer 2013 war es dann so weit: Im Rahmen eines öffentlichen „Roll out“ im Betriebshof wurden die ersten beiden neuen Straßenbahnen der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Bis 2013 wurden sechs Bahnen des Typs „Flexity Classic“, gefertigt bei Bombardier in Bautzen, 390 Schlüter, Nadja: Eine Liebeserklärung an die Tram (09.03.2017), https: / / www.jetzt.de, 26.01.2018 391 vgl. Plauener Straßenbahn GmbH: Zahlen und Fakten, http: / / www.strassenbahn-plauen.de, 19.02.2019 392 vgl. ebd.; Plauener Straßenbahn GmbH: Kurzgeschichte der Plauener Straßenbahn, http: / / www.strassenbahnplauen.de, 19.02.2019 162 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen bestellt. 393 Das Betriebskonzept sah den Einsatz je einer neuen Bahn pro Linie vor, wobei die Einsatzzeiten für die Fahrgäste aus dem Fahrplan ersichtlich waren. Die sechste Bahn sollte als Reserve, etwa bei Wartungsarbeiten, dienen. Die Kosten für eine Bahn beliefen sich auf 2,5 Mio. Euro. Vom Freistaat wurden dafür Fördermittel in Höhe von rund 7,6 Mio. Euro bereitgestellt - also etwa die Hälfte der Investitionssumme. 394 Da die Plauener Straßenbahn GmbH allein, trotz der Förderung, nur in der Lage war, zwei Bahnen zu finanzieren und eine Kreditfinanzierung statt für vier lediglich für drei Bahnen von den Banken bewilligt wurde, musste die städtische Wohnungsbaugesellschaft mit 1,25 Mio. Euro einspringen. Der Oberbürgermeister begründete diese Idee damit, dass der Großvermieter auch daran interessiert sei, dass seine Mieter ein gutes städtisches Nahverkehrsangebot nutzen können. Zudem sind derartige Finanzierungsformen auch in anderen Städten nicht unüblich. 395 Neben den Anschaffungskosten waren noch weitere Investitionen nötig: Da die neuen Bahnen andere Maße als die alten haben, mussten mehrere Haltestellen umgebaut werden. Die neuen Bahnen sind im Vergleich zu den Tatra-Wagen 3 m länger und 10 cm breiter und bieten dadurch den Fahrgästen mehr Platz. Insgesamt finden nun 119 Fahrgäste in einer Straßenbahn Platz, davon 50 auf Sitzplätzen. Zudem sind die Bahnen leiser und komfortabler, sind allerdings nur zu 70 % niederflurig und weisen daher auch einen Hochflur-Anteil auf. 396 Linie 5 am Albertplatz Linie 1 am Tunnel Neben höheren Komfort- und Emissionsansprüchen müssen die Bahnen auch den topographischen Anforderungen gerecht werden. Einzelne Streckenabschnitte des Straßenbahnnetzes weisen ein starkes Gefälle von bis zu 7,8 % auf, das die Bahnen problemlos meistern müssen. 397 Zudem wurden alle Straßenbahnfahrer auf den neuen Bahnen geschult, um später im Dienstplan flexibler zu sein. 393 vgl. Albrecht, Peter: Plauener fahren ab auf ihre neuen Straßenbahnen, in: Freie Presse, 07.09.2013, 11 394 vgl. o.V.: Für 14 Millionen kommen sechs neue Bahnen, in: Nahverkehrsjournal Vogtland, 02.10.2013, 4 395 vgl. Beyer, Tino: Neue Straßenbahnen: Oberdorfer bittet Großvermieter zur Kasse, in: Freie Presse, 28.08.2013, 9 396 vgl. o.V.: Für 14 Millionen kommen sechs neue Bahnen, in: Nahverkehrsjournal Vogtland, 02.10.2013, 4; Bombardier Transportation: Flexity Classic (Datenblatt); Plauener Straßenbahn GmbH: Fahrzeuge, http: / / www.strassenbahn-plauen.de, 19.02.2019 397 vgl. o.V.: Für 14 Millionen kommen sechs neue Bahnen, in: Nahverkehrsjournal Vogtland, 02.10.2013, 4 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen 163 Anfang Dezember 2013 begann der Probebetrieb mit den neuen Straßenbahnen. Dabei wurde die Befahrbarkeit im gesamten Streckennetz getestet. 398 Ursprünglich war vorgesehen, die neuen Bahnen unmittelbar nach der Typenzulassung in den regulären Fahrplan einzubinden. Diese Zulassung ließ jedoch auf sich warten, weil noch Mängel an den Fahrzeugen zu beheben waren. Problematisch waren dabei die Türen, die insbesondere an der Bahnhofstraße, einer Strecke mit sehr starkem Gefälle, beim Öffnen nachrutschten. Das Problem wurde zwar nicht als sicherheitsrelevant eingestuft, aber der Abteilungsleiter Technik meinte dazu: „Wir als Kunde können das so nicht akzeptieren.“ 399 Beim Hersteller hatte Plauen eine Option auf insgesamt zehn Straßenbahnen. 400 Seit 2017 gehören neun Niederflurgelenktriebwagen zum Fuhrpark, der außerdem noch 15 Tatrawagen umfasst. 401 Ob in weitere neue Bahnen investiert werden soll, ist noch nicht entschieden. Aufgabe 1: Charakterisieren Sie - nach entsprechender Recherche - die Angebotssituation im Markt der Straßenbahnhersteller! Aufgabe 2: Welche Kriterien waren im vorliegenden Fall im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung aus welchen Gründen von Bedeutung? Aufgabe 3: Wie beurteilen Sie das Finanzierungskonzept? 398 vgl. Beyer, Tino: Nach 37 Jahren hat Plauen wieder eine neue Straßenbahn, in: Freie Presse, 21.08.2013, 9 399 Beyer, Tino: Neue Trams weiter im Depot: Am Berg rutschen die Türen, in: Freie Presse, 07.01.2014, 9 400 vgl. Beyer, Tino: Neue Straßenbahnen: Oberdorfer bittet Großvermieter zur Kasse, in: Freie Presse, 28.08.2013, 9 401 vgl. Plauener Straßenbahn GmbH: Zahlen und Fakten, http: / / www.strassenbahn-plauen.de, 03.05.2018 164 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen Lösung Aufgabe 1 Weltweit gibt es eine überschaubare Zahl an Herstellern von Straßenbahnen, die teilweise eine starke Orientierung auf bestimmte geographische Absatzmärkte aufweisen. Ihre Produktportfolios umfassen i.d.R. mehrere Straßen- und Stadtbahnmodelle. Dabei handelt es sich um reine Niederflurfahrzeuge, reine Hochflurfahrzeuge und auch Kombiversionen. Hersteller Modelle Einsatz (Beispiele) Alstom 402 Citadis Avignon (F), Lille (F), Casablanca (MA), Istanbul (TR), Madrid (E), Mulhouse (F), Nizza (F), Paris (F), Rotterdam (NL), Teneriffa (E), Toulouse (F) Citadis Compact Aubagne (F) Citadis Ecopack Angers (F), Bordeaux (F), Nice (F), Orléans (F), Reims (F), Tours (F) Translohr Clermont-Ferrand (F), Padua (I), Venedig (I), Medellín (CO), Paris (F), Shanghai (CHN) Bombardier 403 Flexity Berlin (D), Wien (A) Flexity Classic Adelaide (AUS), Bremen (D), Dessau (D), Dresden (D), Dortmund (D), Essen (D), Frankfurt/ M. (D), Halle (D), Leipzig (D), Plauen (D), Schwerin (D) Flexity E-Class Melbourne (AUS) Flexity Outlook Alicante (E), Augsburg (D), Brüssel (B), Genf (CH), Graz (A), Innsbruck (A), Linz (A), Lodz (PL), Mailand (I), Marseille (F), Palermo (I), Strasbourg (F), Valencia (E) Flexity Swift Frankfurt/ M. (D), Istanbul (TR), Karlsruhe (D), Köln (D), London (GB), Manchester (GB), Porto (P), Rotterdam (NL), Stockholm (S) Flexity 2 Gent (B), Antwerpen (B), Blackpool (GB), Basel (CH) CAF 404 Urbos 70 und 100 Birmingham (GB), Edinburgh (GB), Freiburg (D), Granada (E), Malaga (E), Saragossa (E), Utrecht (NL) Urbos AXL Stockholm (S), Tallinn (EST) Urbos TT Cadiz € Urbos LRV Houston (USA) Crotram TMK 2200/ ZET 2200 Zagreb (HR) CRRC Corporation Limited 405 Low Floor Tram Addis Abbeba (ETH), Mashhad (IR), Tel Aviv (IL), zahlreiche chinesische Städte HeiterBlick 406 Leoliner Leipzig (D), Halberstadt (D) 402 vgl. Alstom S.A., http: / / www.alstom.com, 03.05.2018 403 vgl. Bombardier Inc., http: / / www.bombardier.com, 03.05.2018 404 vgl. Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles S.A., http: / / www.caf.net, 03.05.2018 405 vgl. CRRC Corporation Limited, http: / / www.crrcgc.cc, 03.05.2018 406 vgl. HeiterBlick GmbH, http: / / www.heiterblick.de, 03.05.2018 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen 165 Fortsetzung Hersteller Modelle Einsatz (Beispiele) HeiterBlick TW 3000 Hannover (D) Vamos Bielefeld (D) Pesa 407 Fokstrot Moskau (RUS) Jazz Danzig (PL), Warschau (PL) Krakowiak Krakau (PL) Swing Danzig (PL), Kaliningrad (RUS), Szczecin (PL), Sofia Warschau (PL) Twist Siemens 408 Avanto Mulhouse (F), Paris (F) Avenio Bremen (D), Den Haag (NL), Doha (Q), München (D) Avenio M Ulm (D) Combino Amsterdam (NL), Basel (CH), Erfurt (D), Freiburg i.Br. (D), Hiroshima (J), Nordhausen (D), Potsdam (D) S70 Atlanta (USA), Portland (USA), Salt Lake City (USA) S200 Calgary (CDN), San Francisco (USA) ULF Wien (A) Škoda Transportation 409 Elektra Brünn (CZ), Cagliari (I), Portland (USA), Prag (CZ), Tacoma (USA), Wroclaw (PL) ForCity Alfa Prag (CZ), Riga (LV) ForCity Classic ForCity Smart Helsinki (FIN) ForCity Plus Bratislava (SK) Solaris 410 Tramino Braunschweig (D), Jena (D), (PL), Olsztyn (PL) Stadler 411 Citylink Valencia (E), Karlsruhe/ Albtal (D), South Yorkshire (GB), Verkehrsverbund Mittelsachsen (D) Metelitsa St. Petersburg (RUS) Tango Aarhus (DK), Genf (CH), Lyon (F), Stuttgart (D) Tramlink Gmunden (A), Rostock (D), S-o Paolo (BR), Variobahn Aarhus (DK), Bergen (N), Bochum/ Gelsenkirchen (D), Graz (A), Mainz (D), München (D), Potsdam (D) Tabelle 6-1 Bedeutende Straßenbahnhersteller weltweit (Auswahl) 407 vgl. Pojazdy Szynowe PESA Bydgoszcz SA, http: / / www.pesa.pl, 03.05.2018 408 vgl. Siemens AG, http: / / www.siemens.com, 03.05.2018 409 vgl. Škoda Transportation a.s., http: / / www.skoda.cz, 03.05.2018 410 vgl. Solaris Bus & Coach S.A., http: / / www.solarisbus.com, 03.05.2018 411 vgl. Stadler Rail AG, http: / / www.stadlerrail.com, 03.05.2018 166 Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen Aufgabe 2 Kriterien Erläuterung Bedeutung für Plauen Fahrzeuggröße erreichbare Kapazitäten (vgl. Sitzplätze/ Stehplätze) 119 Plätze insgesamt, davon 50 Sitzplätze, zuzüglich 4 Klappsitze Einsatz und betriebliche Flexibilität Tauglichkeit für vorhandenes Netz Traktionsfähigkeit, um Bahnen auf einfache Weise verstärken zu können (bestimmte Anzahl von Einheiten) topographische Anforderungen: Strecken mit starkem Gefälle Traktionsfähigkeit bei neuen Bahnen nicht gegeben, allerdings fuhren Tatrawagen auch schon viele Jahre nicht mehr in Mehrfachtraktion Erscheinungsbild und Fahrgastkomfort Raumgestaltung Anzahl und Anordnung der Sitzplätze, Qualität der Sitze Raumklima (Klimatisierung, Heizung) Größe und Anordnung der Fenster, Sonnenschutz angemessene Beleuchtung niedriges Geräuschniveau zweckmäßige Informationssysteme geeignete Gestaltung der Einstiege (Fahrgastfluss) Erfüllung der Forderungen zur Gleichstellung Mehrzweckabteile für Fahrgäste mit Fahrrädern, Kinderwagen sowie mit sperrigem Gepäck mehr Platz im Innenraum durch breitere Wagenkästen mehr Sitzplätze (wegen hohen Altersdurchschnitts der Bevölkerung), darunter Vis-à-vis-Sitze komfortabler (wenngleich Sitzplätze nun schmaler) Informationssystem: Ansage und Bildschirm leiser 70 % Niederfluranteil 4 Türen, 2 davon Doppeltüren im Niederflurbereich 2 Mehrzweckabteile im Niederflurbereich allgemeine Sicherheit der Fahrgäste gute Durchsicht durch die Wagen Überwachungs- und Notrufsysteme Brandschutzanlage entspricht modernen Anforderungen Kosten Anschaffungskosten und Betriebskosten geringer Energieverbrauch (niedriges Fahrzeuggewicht) hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit lange Einsatzzeiten der Verschleißteile, insbesondere auch der Räder niedrige Unterhaltungskosten Instandhaltung (Kosten, Zugänglichkeit der einzelnen Baugruppen, Austauschrhythmen usw.) Anschaffungskosten 2,5 Mio. Euro pro Bahn Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit besonders wichtig, da bei Ausfall Betriebskonzept nicht eingehalten werden kann und somit im Fahrplan ausgewiesene Niederflurbahnen nicht verkehren könnten bislang - abgesehen von Schwierigkeiten vor der regulären Inbetriebnahme - ohne Ausfälle im Einsatz inwieweit Betriebs-, Unterhalts-, Instandhaltungskosten den Vorgaben entsprechen, wird sich im Laufe der Jahre zeigen Umweltverträglichkeit niedriger Energieverbrauch niedriger Geräuschpegel nach außen geringere Emissionswerte als bei Tatrabahnen Barrierefrei durch die Stadt - Beschaffung neuer Straßenbahnen 167 Fortsetzung Kriterien Erläuterung Bedeutung für Plauen Personal Fahrzeugbedienung ergonomische Gestaltung des Fahrersitzes Sicherheit des Personals (Crash- Verhalten des Fahrzeugs, Schutz vor Übergriffen) entspricht modernen Anforderungen Tabelle 6-2 Aspekte im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung Aufgabe 3 Drittnutzerfinanzierung als alternatives Finanzierungsinstrument: Ohne finanzielle Unterstützung der Wohnungsbaugesellschaft hätten die Bahnen nicht in dieser Anzahl gekauft werden können. Dadurch hätte das geplante Betriebskonzept von je einer neuen Bahn pro Linie nicht realisiert werden können, wodurch der Nutzen für die Fahrgäste wesentlich geringer gewesen wäre (d.h. Ausschluss einzelner Linien von der Bedienung bzw. größere zeitliche Abstände der Fahrten mit den neuen Bahnen im Fahrplan). Alternativ hätte man zu diesem Zeitpunkt völlig auf die Investition verzichten können, was allerdings angesichts des ausschließlich aus Tatrabahnen bestehenden Fuhrparks keinerlei Verbesserungen für die Fahrgäste gebracht hätte. Das Argument des Oberbürgermeisters, der Großvermieter habe ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Mieter ein gutes Nahverkehrsangebot vorfinden, ist nachvollziehbar. 7 Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden „Weil sich Dresden so dynamisch entwickelt und dabei die Lebensqualität auf hohem Niveau halten will, muss das Dresdner Straßenbahnnetz wachsen.“ 412 In der sächsischen Landeshauptstadt leben rund 543.000 Einwohner. Bis 2030 rechnet man mit einer Einwohnerzahl zwischen 585.000 und 600.000. Für eine Stadt dieser Größe ist ein gut funktionierendes Nahverkehrssystem von entscheidender Bedeutung. Im Modal Split verteilen sich 39 % auf den Pkw-Verkehr, 22 % auf den ÖPNV, 12 % auf den Rad- und 27 % auf den Fußgängerverkehr. Trotz steigender Einwohnerzahlen und einer Zunahme an innerstädtischen Verkaufsflächen in den vergangenen Jahren nahm der Pkw-Verkehr nicht merklich zu. Stattdessen konnte der Anteil des ÖPNV und des Fahrradverkehrs ausgebaut werden. 413 Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) betreiben den öffentlichen Personennahverkehr in Dresden. Jährlich nutzen mehr als 157 Mio. Fahrgäste das Angebot der 39 Straßenbahn- und Autobuslinien. Hinzu kommen zwei Bergbahnen sowie drei Fährlinien. Bei der jährlich von Kantar TNS durchgeführten Erhebung „ÖPNV-Kundenbarometer“, welche die Kundenzufriedenheit im ÖPNV in Deutschland und Österreich anhand verschiedener Leistungsmerkmale misst, belegen die DVB seit Jahren Spitzenplätze. Straßenbahn Autobus Gesamt Liniennetz 212,9 km 308,2 km 521,1 km Anzahl der Linien 12 27 39 Haltestellen 261 564 718* Betriebshöfe 3 2 4** Fahrzeuge 185 141 326 * davon 107 gemeinsame Straßenbahn-/ Bushaltstellen; ** davon ein gemeinsamer Betriebshof Tabelle 7-1 Dresdner Verkehrsbetriebe - Zahlen und Fakten 414 2016 erwirtschafteten die DVB einen Umsatz von ca. 140 Mio. Euro. Der Kostendeckungsgrad entspricht hierbei über 80 % und liegt knapp über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Mit rund 1.800 Mitarbeitern stellen die DVB auch einen großen Arbeitgeber Dresdens dar. 415 In Dresden verkehren bereits seit 1872 Straßenbahnen. Das Straßenbahnnetz weist die eher seltene Spurweite von 1.450 mm auf und bildet derzeit ein Liniennetz von knapp 213 km. Über 412 Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Großflächig und feinmaschig: Das Gleisnetz der Dresdner Straßenbahn, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 413 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Zahlen, Daten und Fakten im Überblick, Dresden 2017, 11; Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Eine Straßenbahn für die Johannstadt? , Dresden 2017, 6; Landeshauptstadt Dresden: Verkehrsentwicklungsplan 2025plus, Dresden 2016, 14; Landeshauptstadt Dresden: Zukunft Dresden 2025+, Dresden 2016, 53 414 erstellt nach: Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Zahlen, Daten und Fakten im Überblick, Dresden 2017, 10ff; Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Großflächig und feinmaschig: Das Gleisnetz der Dresdner Straßenbahn, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 415 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Zahlen, Daten und Fakten im Überblick, Dresden 2017, 8f Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden 169 die Jahrzehnte hinweg war es mehrfachen Veränderungen unterworfen, wurde teilweise ausgedünnt, aber auch immer wieder ausgebaut. Das Gleisnetz umfasst insgesamt fast 300 km und zählt zu den größten seiner Art in Deutschland. Linie 8 (NGT D8DD), Haltestelle Prager Straße Haltestelle Postplatz Linie 4 (NGT D12DD) auf der Augustusbrücke Linie 7 (NGT D12DD) am Hauptbahnhof Wichtige Umsteigeknoten sind linksseitig der Elbe der Hauptbahnhof, der Postplatz und der Pirnaische Platz sowie rechtseitig der Elbe der Bahnhof Neustadt, der Albertplatz, der Carolaplatz und der Neustädter Markt. 416 Inzwischen wurden 46 % aller Haltestellen barrierefrei gestaltet. Der Umbau der übrigen Haltestellen wird als wichtige Aufgabe der folgenden Jahre gesehen. 417 Seit 2010 ist die laut Fahrplan eingesetzte Straßenbahnflotte in Dresden komplett niederflurig. Insgesamt verfügen die Dresdner Verkehrsbetriebe über 166 Niederflurgelenktriebwagen der Typen NGT D12DD, NGT D8DD, NGT 8DD, NGT 6DD - gefertigt bei Bombardier in Bautzen. Lediglich zu Starklastzeiten (z.B. Verstärkerfahrten im Schülerverkehr, Vorweihnachtszeit) wird teilweise auch auf Tatra-Bahnen zurückgegriffen. 418 416 vgl. Landeshauptstadt Dresden: Zukunft Dresden 2025+, Dresden 2016, 53 417 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Großflächig und feinmaschig: Das Gleisnetz der Dresdner Straßenbahn, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018; Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Zahlen, Daten und Fakten im Überblick, Dresden 2016, 16 418 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Barrierefreie Straßenbahnen, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 170 Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden Investitionsmaßnahmen der vergangenen Jahre, z.B. Fahrzeugbeschaffungen, Haltestellenumbau, dienten bereits der Verbesserung des Angebots. Nun möchte man mit der Umstellung stark genutzter und dadurch auch überlasteter Buslinien auf Straßenbahnverkehr eine weitere Kapazitäts- und Qualitätssteigerung erreichen. Unter dem Namen „Stadtbahn Dresden 2020“ sollen Teilstrecken der Buslinien 61 und 62 die verschiedenen Bildungseinrichtungen, Arbeitsstätten und Wohngebiete verknüpfen, in das Straßenbahnnetz eingebunden werden. Das Stadtbahnprojekt beschränkt sich jedoch nicht auf den Neubau dieser Streckenabschnitte. Zudem will man auch an wichtigen Knotenpunkten, wie z.B. dem Wasaplatz oder dem Nürnberger Platz, Umbaumaßnahmen durchführen. Finanziert werden sollen die Maßnahmen mit Unterstützung des Freistaates Sachsen und des Bundes. 419 Buslinie Linienverlauf Länge Fahrzeit Linie 61 Weißig Fernsehturm-Bühlau-Loschwitz (Bergbahnen)-Schillerplatz (Blaues Wunder)- Zwinglistraße-Strehlen-TU-Löbtau ca. 20 km ca. 60 min Linie 62 Johannstadt-Pirnaischer Platz-Prager Straße- Rathaus Plauen-Altnaußlitz-Dölzschen ca. 11 km 37 min Tabelle 7-2 Zur Umstellung auf Straßenbahnverkehr vorgesehene Buslinien 420 Zunächst soll im Rahmen des Projektes 1 der Linienabschnitt der Buslinie 61 Löbtau-Strehlen zur Straßenbahnstrecke umgebaut werden. Durch die Verlegung bestehender Straßenbahnlinien auf diese Neubaustrecke will man u.a. eine bessere Anbindung der Technischen Universität erreichen. Später soll hier die neue Straßenbahnlinie 14 verkehren. Die Notwendigkeit der Infrastrukturmaßnahmen begründen die DVB wie folgt: „Das Bussystem ist schon heute teilweise überlastet. Die Linie 61 bietet ihren täglich 36.800 Fahrgästen oft keine ausreichende Beförderungskapazität - von Komfort ganz zu schweigen. Sie ist die meist genutzte Buslinie Dresdens. Im Einzugsgebiet dominiert die Technische Universität Dresden mit ihren 35.000 Studenten und 6.000 Beschäftigten. Hier steigen pro Tag 15.000 Fahrgäste ein und aus. Trotz umfangreicher Verstärkerleistungen sind die Busse regelmäßig überfüllt und fahren besonders vor und nach den Vorlesungen mit Verspätung. Das hat Auswirkungen auf den gesamten Linienverlauf. Bei weiter steigenden Fahrgastzahlen verschärft sich diese Situation. Eine angemessene Beförderungsqualität kann nur die leistungsfähigere Stadtbahn bieten.“ 421 Erreichen lässt sich durch die Realisierung des Projektes 1 nicht nur eine Steigerung der Angebots- und Beförderungsqualität, sondern dadurch können auch Lärm- und Abgasemissionen reduziert und die Lebens- und Aufenthaltsqualität im betroffenen Gebiet erhöht werden. Die neue Schienenanbindung ermöglicht zudem die Schaffung einer neuen Verknüpfung zur S-Bahn am Haltepunkt Strehlen. 422 Im Rahmen des Projektes 2 war ursprünglich der Neubau des Endpunkts Bühlau und die Verlängerung der Straßenbahnlinie 11 nach Weißig vorgesehen. Im Zuge der Planungen hat sich aber gezeigt, dass dies im aktuellen Stadtbahn-Programm höchstwahrscheinlich nicht möglich ist. 419 vgl. Landeshauptstadt Dresden: Stadtbahn 2020, http: / / www.dresden.de, 24.05.2018; Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Stadtbahn Dresden 2020, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 420 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Linienübersicht, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 421 Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Projekt 1: Löbtau - Südvorstadt - Strehlen, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 422 vgl. ebd. Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden 171 Zurückzuführen ist dies v.a. auf bislang ungelöste Platzprobleme bezüglich der Aufteilung des Verkehrsraumes in Bühlau. 423 Im Projekt 3 wird geprüft, inwiefern sich eine Umstellung der Buslinie 62 auf eine neue Straßenbahnlinie 5 realisieren lässt: „Die Buslinie 62 verbindet die Stadtteile Johannstadt und Plauen und zählt aktuell zu den am stärksten nachgefragten Buslinien Dresdens. Auf einer Streckenlänge von 10,7 Kilometern befördert die Linie 62 pro Werktag rund 24.000 Fahrgäste. Steigende Fahrgastzahlen wird die Linie 62 mit ihren überlangen 21 Meter Bussen jedoch mittelfristig nicht mehr bewältigen können.“ 424 Hinzu kommt, dass diese Buslinie aufgrund des hohen innerstädtischen Verkehrsaufkommens die langsamste in der ganzen Stadt ist. 425 Zusätzlich zu den genannten Infrastrukturvorhaben wird trotz moderner Straßenbahnflotte bereits über weitere diesbezügliche Neuinvestitionen nachgedacht. Durch breitere Wagenkästen (bislang 2,30 m, zukünftig 2,65 m) will man in den Innenräumen der Bahnen mehr Platz schaffen und auch die Anordnung von jeweils zwei Sitzplätzen auf jeder Gangseite ermöglichen. Breitere Wagenkästen setzen allerdings eine entsprechende Gleisinfrastruktur voraus. Daher wird schon seit vielen Jahren bei Aus- und Neubauten von Straßenbahnstrecken auf einen größeren Gleismittenabstand von 3 m geachtet. Der komplette Umbau aller Haltestellen auf diese neuen Maße ist allerdings nicht vorgesehen. Vielmehr soll sich die Konstruktion neuer Fahrzeuge an den Gegebenheiten in den Haltestellenbereichen orientieren. 426 Aufgabe 1: Informieren Sie sich, welche Leistungsmerkmale im Rahmen des „ÖPNV- Kundenbarometers“ erfasst werden! Aufgabe 2: Analysieren Sie anhand der auf der Webseite der Dresdner Verkehrsbetriebe verfügbaren Informationen Erschließungs- und Angebotsqualität (http: / / www.dvb.de)! Fassen Sie Ihre Erkenntnisse in einem Mindmap zusammen! Aufgabe 3: Stellen Sie mithilfe einer Umfeldeinflussmatrix dar, inwieweit Faktoren des Umfelds die strategischen Aktionsfelder der Dresdner Verkehrsbetriebe beeinflussen können! Aufgabe 4: Untersuchen Sie die betrachteten Umfeldfaktoren in Hinblick auf ihre Steuerbarkeit aus Sicht der Verkehrsbetriebe! Begründen Sie Ihre Zuordnung! Aufgabe 5: Aus welchen Gründen sollen Buslinien in Dresden auf Straßenbahnbetrieb umgestellt werden? Welche Effekte erhofft man sich dadurch für die Qualität im ÖPNV? 423 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Projekt 2: Bühlau - Weißig, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 424 Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Projekt 3: Eine Straßenbahn für die Johannstadt? , http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 425 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Eine Straßenbahn für die Johannstadt? , Dresden 2017, 2 426 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Erneuerung des Straßenbahnfuhrparks, https: / / www.dvb.de, 24.05.2018; Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Großflächig und feinmaschig: Das Gleisnetz der Dresdner Straßenbahn, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 172 Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden Lösung Aufgabe 1 Angebot Verkehrsmittel Haltestellen und Stationen Linien- und Streckennetz Anschlüsse Taktfrequenz Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit Schnelligkeit der Beförderung Informationen bei Störungen und Verspätungen Tarifsystem Preis-Leistungs-Verhältnis Fahrkartenverkaufsstellen Freundlichkeit des Personals Internetauftritt Aktivitäten zur Umweltschonung Platzangebot im Fahrzeug Sauberkeit und Gepflegtheit im Fahrzeug Komfort und Bequemlichkeit des Fahrzeugs Informationen im Fahrzeug Informationen bei Störungen oder Verspätungen im Fahrzeug Komfort und Ausstattung der Haltestellen Sauberkeit und Gepflegtheit der Haltestellen Fahrplan-Information an den Haltestellen Informationen bei Störungen oder Verspätungen an den Haltestellen Informationen zur Orientierung an den Haltestellen Parkplätze (Park&Ride) Fahrradabstellplätze (Bike&Ride) Zugang/ Nutzung der Haltestellen und Verkehrsmittel für mobilitätsbeeinträchtigte Personen Sicherheit Kundenbeziehung Sicherheit im Fahrzeug - abends Sicherheit an den Haltestellen - abends Sicherheit im Fahrzeug - tagsüber Sicherheit an den Haltestellen - tagsüber mobile Information für das Smartphone Internet-Auftritt (Homepage) Fahrkartenautomaten Fahrkartenverkaufsstellen des Unternehmens Freundlichkeit des Personals Fahrplanauskunft im Internet gedruckter Fahrplan zu Hause (persönliche Beratung in den) Kunden-Zentren Freundlichkeit des Fahrpersonals Informationen des Verkehrsunternehmens bei Störungen oder Verspätungen Fahrkartenverkauf im Fahrzeug Fahrplanauskunft mit QR- Code an Haltestellen Aktivitäten zur Umweltschonung private Fahrkartenverkaufsstellen telefonische Auskunft Kompetenz des Fahrpersonals Tarif Tarifsystem Fahrkartensortiment Preis-Leistungs-Verhältnis Handyticket elektronisches Ticket Online-Ticket Basismerkmale und optionale Leistungsmerkmale Tabelle 7-3 Leistungsmerkmale im Rahmen des „ÖPNV-Kundenbarometers“ 427 427 vgl. Kantar TSN: ÖPNV-Kundenbarometer 2018, https: / / www.tns-infratest.com, 24.05.2018 Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden 173 Aufgabe 2 Bedienungsqualität bei den Dresdner Verkehrsbetrieben Erschließungsqualität Angebotsqualität Anbindung/ Erreichbarkeit zeitliches Beförderungsangebot Platzangbot marktgerechte Angebotsdifferenzierung Kapazitäten (z.B. auf Linie 61 und 62) nicht mehr ausreichend 12 Straßenbahn- und 27 Buslinien 2 Bergbahnen 3 Fährlinien Liniennetz: Straßenbahn 213 km, Bus 308 km 261 Straßenbahnhaltestellen, 564 Bushaltestellen Liniennetz Straßenbahnnetz erschließt dichtbesiedelte Gebiete, führt teilweise weit aus Stadtzentrum heraus (z.B. Hellerau, Weixdorf) tagsüber 10-min-Takt bei Straßenbahn- und einigen Buslinien Busnetz als Ergänzung zum Straßenbahnnetz sowohl zentrumsnah als auch in Randbereichen einzelne Buslinien trotz Verstärkerfahrten überlastet differenziertes Tarifsystem für verschiedene Nachfragergruppen Größe 428 km², davon 328 km² Landeshauptstadt Dresden hier leben ca. 606.000 Einwohner, davon in Dresden ca. 537.000 Einwohner Schnittstellen, Umsteigebeziehungen (auch zur S-Bahn) Bediengebiet "GuteNachtLinien": nachts fahren fast alle Straßenbahnlinien und einige Buslinien auf Stammstrecke bis 22: 45 Uhr 15-min-Takt freitags, samstags, vor Feiertagen 30-min-Takt bis 4: 45 Uhr 30-min-Takt bis 0: 45 Uhr, 60-min- Takt bis 4: 45 Uhr Anschlussgarantie an mehreren Knotenpunkten alita (Anruflinientaxi) als Ergänzung Aussteigen zwischen Bushaltestellen möglich: in der Region nach 20 Uhr, in Dresden nach 22 Uhr zahlreiche Tourenvorschläge für Gäste der Stadt oder Einheimische Abbildung 7-1 Mindmap: Erschließungs- und Angebotsqualität bei den Dresdner Verkehrsbetrieben 174 Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden Aufgabe 3 Umfeldfaktoren Strategische Aktionsfelder Städtisches Nahverkehrskonzept Bereitgestellte finanzielle Mittel der Stadt Mobilitätsbedürfnisse potentieller Fahrgäste Attraktivität alternativer Transportmittel Energiepreise geographische Voraussetzungen technologischer/ technischer Stand Zeilensumme Taktfrequenz 3 2 3 2 1 0 2 13 Anzahl der Linien 3 3 3 2 0 3 0 14 Länge der Linien 3 3 3 2 0 3 0 14 Linienführung 3 2 3 3 0 3 3 17 Kapazität der Fahrzeuge 0 1 3 2 0 0 3 9 Komfort in Fahrzeugen 0 1 3 1 0 0 3 8 Service 0 0 3 1 0 0 3 7 Tarife 1 1 3 2 3 0 1 11 Management 1 1 1 1 0 0 0 4 Rentabilität 1 1 1 1 1 0 2 7 Kosten 1 1 1 1 3 3 3 13 Spaltensumme 16 16 27 18 8 12 20 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 7-4 Umfeldeinflussmatrix Die größten Einflüsse üben die - sich auch wandelnden - Mobilitätsbedürfnisse der Fahrgäste aus, an denen sich das Angebot der städtischen Verkehrsbetriebe orientieren sollte. Das Nutzungsverhalten der Fahrgäste bestimmt die Angebotsgestaltung, d.h. in welchen Bereichen Kapazitätserweiterungen (bzw. -kürzungen) notwendig werden bzw. welche Maßstäbe in Bezug auf Service und Komfort zu setzen sind. Am stärksten beeinflusst werden Linienführung, Anzahl und Länge der Linien sowie die Taktfrequenz. Hierbei geht es um die Kernaspekte der Beförderung. Aufgabe 4 Steuerbarkeit Faktoren Begründung Steuerbare Faktoren Städtisches Nahverkehrskonzept An der Erarbeitung des städtischen Nahverkehrskonzeptes sollten die Verkehrsbetriebe beteiligt sein; demzufolge können sie auch (wirksam) darauf Einfluss nehmen. Bereitgestellte finanzielle Mittel der Stadt Im Rahmen des städtischen Nahverkehrskonzeptes sollte auch die Mittelzuteilung diskutiert werden; da die Verkehrsbetriebe an der Konzeptgestaltung beteiligt sein sollten, können sie auch - innerhalb eines gewissen Rahmens - auf finanzielle Aspekte einwirken. Stadtbahn 2020 - Ausbau des Straßenbahnnetzes in Dresden 175 Fortsetzung Steuerbarkeit Faktoren Begründung Steuerbare Faktoren technologischer/ technischer Stand Eine Beteiligung der Verkehrsunternehmen an der Entwicklung von Fahrzeugen ist möglich (Bsp. Leoliner in Leipzig). Wirksam steuerbare Faktoren Städtisches Nahverkehrskonzept s.o. Nicht steuerbare Faktoren Mobilitätsbedürfnisse potentieller Fahrgäste Beeinflussen können die Verkehrsbetriebe die Bedürfnisse nicht, sollten aber ihre Leistungen entsprechend gestalten, um den Bedürfnissen gerecht zu werden. Attraktivität alternativer Transportmittel Auch die Attraktivität alternativer Transportmittel kann nicht beeinflusst werden; die Verkehrsbetriebe sollten vielmehr deren Vorteile kennen und versuchen, ebenfalls ein attraktives Angebot zu offerieren. Energiepreise Diese können nicht beeinflusst werden; sie können sich nur in den Tarifen bzw. in Taktfrequenz und Netzdichte niederschlagen. geographische Voraussetzungen Diese sind als gegeben hinzunehmen. Frühwarnindikatoren Mobilitätsbedürfnisse potentieller Fahrgäste Bedürfnisse entwickeln sich über Zeiträume hinweg, Veränderungen sind beobachtbar. Tabelle 7-5 Steuerbarkeit der Faktoren Aufgabe 5 Gründe Effekte Verlagerung von Verkehrsströmen geplant Reduzierung der Lärm- und Abgasemissionen abgestrebt bessere Anbindung der stark frequentierten Linienabschnitte, die verschiedene Bildungseinrichtungen, Arbeitsstätten und Wohngebiete verknüpfen Erhöhung der Lebens- und Aufenthaltsqualität im betroffenen Gebiet Verspätungen auf den Linien aufgrund zu hoher Fahrgastzahlen insbesondere vor/ nach den Vorlesungen an der Technischen Universität Fahrplanabweichungen haben Auswirkungen auf gesamten Linienverlauf höhere Reisegeschwindigkeiten durch Verlagerung von der Straße auf die Schiene weniger Verspätungen als bisher (vgl. besonderer Bahnkörper, zügigeres Ein- und Aussteigen möglich) besseres Erreichen von Anschlüssen unzureichende Kapazitäten auf einigen Buslinien, damit einhergehend unzureichender Fahrkomfort steigende Fahrgastzahlen aufgrund zunehmender Einwohnerzahlen erwartet deutlich höhere Kapazität der Straßenbahnen gegenüber Bussen; erhöhtes Platzangebot auf den betroffenen Linien Ausstattung der Straßenbahnen bringt mehr Komfort Belange mobilitätseingeschränkter Personen können besser berücksichtigt werden mehr Platz auch für Kinderwagen und Fahrräder erhöhte Sicherheit Tabelle 7-6 Gründe sowie Effekte auf die Qualität 8 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und nemark „Mehr Komfort, neue Antriebe und weniger Energiebedarf verhelfen der Straßenbahn weltweit zur Renaissance.“ 428 Die Stärken der Straßenbahn als innerstädtisches Verkehrsmittel werden wieder geschätzt. Zunehmende Emissionsbelastung, stadtplanerische Aspekte, die Forderung nach leistungsfähigen, barrierefreien Verkehrsmitteln verschaffen der Straßenbahn neuen Aufschwung. Schienenfahrzeughersteller haben diesen Trend erkannt und versprechen sich dadurch entsprechende Absatzchancen. Lukrativ erscheint aber nicht nur die Produktion der jeweils zwischen 1,5 und 4 Mio. Euro teuren Fahrzeuge, sondern auch Investitionen in die erforderliche Infrastruktur sind ein Milliardengeschäft. 429 In Europa werden vielerorts bestehende Netze erweitert. Aber eben nicht nur das: Es werden auch Neubauten in Städten realisiert, die noch nie eine Straßenbahn hatten. Straßenbahnen verkehren derzeit in Schweden in lediglich drei Städten: in Göteborg, Norrköping und Stockholm. Nun hat man sich auch in Lund für dieses Verkehrsmittel entschieden. Universitätsstadt Lund Die knapp 18 km nordöstlich von Malmö gelegene Stadt liegt in der Öresund-Region, in der fast 4 Mio. Einwohner leben. Lund selbst hat mehr als 119.000 Einwohner und gehört zu den ältesten Städten Schwedens. Bekannt ist die Stadt u.a. für ihre 1666 gegründete Universität, die zu den besten 100 Universitäten der Welt zählt und an der rund 40.000 Studenten studieren. 430 Stark ausgeprägt sind hier Forschungsaktivitäten, was die Attraktionskraft der Stadt verstärkt: „The city of Lund is one of the fastest growing regions in Sweden. The city's population doubled in 50 years […]“ 431 Diese Entwicklung prägt auch die Stadtplanung, deren Ziel die innerurbane Verdichtung und gute Vernetzung der einzelnen Stadtteile ist. Schon jetzt nutzen den Hauptbahnhof Lund täglich rund 40.000 Menschen. Mit der Eröffnung des neuen Forschungszentrums European Spallation Source (ESS), das auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führt, werden entsprechend mehr Pendler erwartet. 432 Anfang 2017 wurde in Lund mit dem Bau einer 5,5 km langen, zweigleisigen Straßenbahnlinie mit neun Haltestellen begonnen, die den Hauptbahnhof mit dem außerhalb des Stadtzentrums gelegenen Forschungszentrum ESS verbinden soll. Die Straßenbahn bekommt eine eigene Trasse und teilt sich den Verkehrsraum nicht mit anderen Verkehrsteilnehmern. Die Eröffnung ist für 2020 geplant. Weitere Linien sollen später folgen. Die Kosten für dieses Projekt, die sich die Stadt, der Staat, die Region Skåne und der Verkehrsverbund Skånetrafiken teilen, wurden mit 428 Weidelich, Friedhelm: Das Comeback der Straßenbahnen (05.08.2009), http: / / www.wiwo.de, 25.01.2018 429 vgl. ebd. 430 vgl. Lunds kommun: Faktatext om Lund, http: / / www.lund.se, 25.01.2018 431 o.V.: Lund Tramway, Scania, Sweden, http: / / www.railway-technology.com, 22.06.2017 432 vgl. ebd. Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark 177 776 Mio. SEK veranschlagt. Ein Betriebshof soll in der Nähe des Forschungszentrums errichtet werden. Die Kosten dafür übernimmt die Region Skåne. 433 Universität Lund Mobil in der Stadt mit Bussen und Fahrrädern Insgesamt sollen zum Betrieb der Strecke sieben Straßenbahnen mit einer Kapazität von jeweils ca. 160 Fahrgästen beschafft werden. Die Entscheidung fiel dabei auf fünfteilige Niederflurwagen des Modells „Urbos 3“, hergestellt von CAF. Im Fahrplan vorgesehen ist ein Intervall von 7,5 min. 434 Mit dem Neubau der Straßenbahnstrecke sind auch verschiedene städtebauliche Maßnahmen verbunden. Durch die bessere verkehrliche Erschließung erwartet man eine steigende Anzahl von Arbeitsplätzen sowie auch eine größere Nachfrage nach Wohnraum. Insgesamt wird dabei mit zusätzlichen 50.000 Menschen gerechnet. 435 In Dänemark gab es - abgesehen von einer Museumsstraßenbahn - jahrzehntelang keine Straßenbahnbetriebe mehr. Nun sollen in den vier größten Städten des Landes neue Straßenbzw. Stadtbahnnetze entstehen. Jedoch lassen sich nicht alle davon umsetzen. Dänemarks erste Stadtbahn ging nach anfänglichen Startschwierigkeiten wegen der fehlenden Betriebsgenehmigung im Dezember 2017 in Aarhus in Betrieb. Mit der 12 km langen Strecke vom Hauptbahnhof Aarhus nach Lystrup werden zwei bestehende, bisher aber nicht verbundene Regionalbahnen - Odderbanen und Grenaabanen - auf dem Schienenweg verknüpft. Weitere Stadtbahnlinien sind geplant, so dass schrittweise ein rund 100 km umfassendes Netz, das auch die Region erschließt, entstehen kann. Dadurch sollen insbesondere für Pendler attraktive und umweltfreundliche Mobilitätsalternativen geboten werden. An der Finanzierung der ersten Etappe beteiligt sind die Stadt mit 635 Mio. DKK, die Region Midjytland mit 78 Mio. DKK und der Staat mit 632 Mio. DKK. 436 433 vgl. o.V.: Lund tram project breaks ground (16.02.2017), http: / / www.metro-report.com, 25.01.2018; Lunds kommun: Summery in English, http: / / www.sparvaglund.se, 25.01.2018; o.V.: Lund Tramway, Scania, Sweden, http: / / www.railway-technology.com, 22.06.2017; o.V.: Schweden: Baubeginn für Straßenbahn Lund (17.02. 2017), http: / / www.eurailpress.de, 25.01.2018 434 vgl. ebd.; Lücker, Christian: Chronik Nordeuropa, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 89 435 vgl. Skånetrafiken: Spårväg Lund C-ESS, https: / / www.skanetrafiken.se, 25.01.2018 436 vgl. o.V.: Dänemark: Eröffnung des ersten Stadtbahnprojekts in Aarhus musste verschoben werden (25.09.2017), https: / / www.lok-report.de, 25.01.2018; Lücker, Christian: Chronik Nordeuropa, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 88; Letbanen: Om Letbanen, http: / / www.letbanen.dk, 26.01.2018; Letbanesamarbejdet; Letbanen: Samspil 2025 - 178 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark Zum Einsatz kommen bei Aarhus Letbanen bislang 14 Wagen des Typs Variobahn sowie zwölf Wagen des Typs Tango von Stadler im 10-Minuten-Takt. Am ersten Betriebstag, an dem die Nutzung kostenlos möglich war, fuhren rund 20.000 Menschen mit den Bahnen. 437 Kulturhauptstadt Aarhus Die zweitgrößte Stadt Dänemarks, die 2017 Kulturhauptstadt Europas war, zählt rund 320.000 Einwohner. Im letzten Jahrzehnt stieg die Einwohnerzahl um 15.000, wodurch die Stadt zu den am schnellsten wachsenden Städten des Landes gehört. Im selben Zeitraum entstanden ungefähr 20.000 neue Arbeitsplätze. Unter dem Namen „Business Region Aarhus“ haben sich elf Gemeinden zusammengeschlossen, deren Ziel es ist, Arbeitsplätze zu schaffen und Wirtschaftswachstum anzuregen. Innerhalb dieser Region gibt es eine große Anzahl an Berufspendlern: Etwa 92.800 Menschen sind nicht in der Wohnsitzgemeinde, sondern in einer der Nachbargemeinden beschäftigt. An den verschiedenen Bildungseinrichtungen der Stadt sind über 50.000 Studenten eingeschrieben. Das öffentliche Verkehrsnetz in der Region stützt sich auf Regionalbahnen sowie Regional- und Stadtbusse. Wie auch sonst in Dänemark ist das Radwegenetz gut ausgebaut. 438 Ab 2020 sollen auch in Odense Stadtbahnen verkehren. 2016 begann man mit dem Bau des hiesigen Straßenbahnnetzes. Dabei entsteht im Rahmen der ersten Phase eine 14 km lange Strecke (Linie 1) mit 26 Haltestellen, die von Tarup im Norden nach Hjallese im Süden quer durch die Stadt verläuft und dabei auch Verknüpfungen zum überregionalen Bahnverkehr und zum Busverkehr herstellt. Für die Linie 2, die von Vollsmose zum Zoologischen Garten führt und sich im Zentrum mit der Linie 1 überlagert, werden zusätzliche sieben Streckenkilometer errichtet. 439 Universitätsstadt Odense In Odense, eine der ältesten Städte Dänemarks, leben 200.000 Einwohner. Damit ist die Stadt die drittgrößte des Landes. 15 % der Einwohner sind Studenten, die an einer der drei universitären Einrichtungen studieren. Die größte davon ist die University of Southern Denmark, an der ca. 32.000 Studenten eingeschrieben sind. 440 In der Stadt existieren etwa 100.000 Arbeitsplätze. Innerhalb einer Stunde Fahrzeit sind 257.000 Arbeitsplätze zu erreichen. Die Zahl der täglichen Ein- und Auspendler liegt bei 52.000. 441 Vision for en sammenhængende og bæredygtig mobilitet i Østjylland, Aarhus o.J., 3; Deutsch-Dänische Handelskammer: Straßenbahnen in den vier größten Städten Dänemarks, http: / / www.handelskammer.dk, 25.01.2018 437 vgl. Aarhus Letbanen: Letbanetog, http: / / www.letbanen.dk, 26.01.2018; Aarhus Letbanen: Letbanen populær fra første dag, http: / / www.letbanen.dk, 25.01.2018 438 vgl. Aarhus Kommune: Welcome to Aarhus, http: / / www.aarhus.dk, 29.01.2018; Aarhus Kommune: Business Region Aarhus, http: / / www.aarhus.dk, 29.01.2018; Aarhus Kommune: Studying in Aarhus, http: / / www.aarhus.dk, 29.01.2018; Aarhus Kommune: Public transport, http: / / www.newcitizen.dk, 29.01.2018 439 vgl. Hagelskær, Mogens: Odense Tramway, http: / / subsites.odense.dk, 26.01.2018; o.V.: Odense Tramway, http: / / www.railway-technology.com, 25.01.2018 440 vgl. Odense Kommune: Business in Odense, https: / / english.odense.dk, 29.01.2018; Odense Kommune: Studying in Odense, https: / / english.odense.dk, 29.01.2018; University of Southern Denmark: About SDU, http: / / www.sdu.dk, 29.01.2018 441 vgl. Odense letbane: A City on the Move, Odense o.J., 5 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark 179 Verglichen mit anderen großen Städten Dänemarks, kann Odense mit den niedrigsten Steuern und Gebühren für Unternehmen aufwarten, wodurch man Investoren anlocken will. In den kommenden Jahren sollen in Odense auch umfangreiche Maßnahmen im Bereich der Stadtentwicklung realisiert werden. Dafür ist ein Budget von 34 Mrd. DKK vorgesehen 442 : „Experience shows that tramways generate growth. The tramway in Odense will give the city a socio-economic boost, increasing property values and business activity. In addition, new urban spaces will emerge or re-emerge along the tramway alignment.“ 443 Die Stadtbahn Odense soll das verkehrliche Rückgrat der Stadt bilden und dabei günstige Umsteigemöglichkeiten auf die bereits vorhandenen Verkehrsmittel - lokal wie regional - bieten. 444 Ziel ist eine bessere Verknüpfung der einzelnen Stadtteile und dadurch die Schaffung besserer Mobilitätsalternativen für Einwohner und Pendler: „Die neue Stadtbahnstrecke soll künftig täglich rund 35.000 Bewohner, 33.000 Arbeitsplätze sowie 23.000 Studienplätze miteinander verbinden.“ 445 Gleichzeitig soll die Anzahl der täglichen Autofahrten um 3.900 reduziert werden. Finanziert wird das 3 Mrd. DKK umfassende Projekt durch die Gemeinde Odense, das Ministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen und die Region Süddänemark. 446 Auf dem Netz zum Einsatz kommen - wie auch in Aarhus - Variobahnen von Stadler. 16 Fahrzeuge im Wert von rund 45 Mio. EUR wurden bereits beim Hersteller bestellt. Tagsüber sind Fahrplanintervalle von zehn Minuten geplant. 447 Auch Kopenhagen setzt auf die Stadtbahn. Im Rahmen einer Studie der Technischen Universität von Dänemark wurde untersucht, mithilfe welcher Verkehrssysteme das bestehende öffentliche Verkehrsnetz in Kopenhagen optimiert werden kann. Vorgeschlagen wurden dabei mehrere Stadtbahn-Korridore, die sowohl S-Bahn als auch U-Bahn-Stationen miteinander verknüpfen und bisher schlecht angebundene Stadtteile einbeziehen. Die Errichtung eines Netzes sei einzelnen Linien vorzuziehen, da vom Netz eine größere Attraktivität für potentielle Fahrgäste ausgehe. 448 Kopenhagen - Lebenswerteste Stadt der Welt Die Hauptstadt ist mit rund 600.000 Einwohnern gleichzeitig die größte Stadt Dänemarks. Im Großraum Kopenhagen leben 1,3 Mio. Menschen. Gelegen im Ballungsraum der Öresundregion, ist Kopenhagen nicht nur wichtigster Wirtschaftsstandort des Landes, sondern auch grenzüberschreitend von großer Bedeutung. Weltweit agierende Unternehmen haben Niederlassungen in der Region und profitieren vom Know-how der ansässigen For- 442 vgl. Odense Kommune: Business in Odense, https: / / english.odense.dk, 29.01.2018 443 Odense letbane: A City on the Move, Odense o.J., 9 444 vgl. ebd. 445 Stadler Rail AG: Stadler erhält Auftrag aus Dänemark - Odense Letbane bestellt 16 Strassenbahnen (14.06.2017), http: / / www.stadlerrail.com, 25.01.2018 446 vgl. o.V.: Odense Tramway, http: / / www.railway-technology.com, 25.01.2018; Stadler Pankow GmbH: Stadler erhält Auftrag aus Dänemark - Odense Letbane bestellt 16 Strassenbahnen, http: / / www.stadlerrail.com, 26.01.2018 447 vgl. o.V.: 16 Straßenbahnen für Odense Letbane (19.06.2017), http: / / www.eurailpress.de, 22.06.2017; Odense letbane: A City on the Move, Odense o.J., 9 448 vgl. o.V.: Light rail touted as cure for city’s congestion (06.04.2013), http: / / cphpost.dk, 29.01.2018 180 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark schungs- und Bildungseinrichtungen. In der Stadt gibt es elf universitäre Einrichtungen, wobei die Universität Kopenhagen zu den 50 besten Universitäten weltweit zählt. 449 Die daraus resultierende Attraktionskraft führt zu einem Wachstum der Stadt und der Region. Bis 2027 erwartet man 100.000 Einwohnern mehr. Für sie gilt es, in den kommenden Jahren Wohnraum zu schaffen. Dieser soll vor allem in kurzer Reichweite zu Stationen des öffentlichen Verkehrs entstehen. Aktuell gibt es in Kopenhagen ca. 352.000 Arbeitsplätze, doch auch hier soll die Zahl in den nächsten Jahren steigen. Bevölkerungswachstum und die zunehmende Anzahl an Erwerbstätigen wirken sich auch auf die Verkehrsmittelnutzung in der Stadt aus. 450 Stadtbusse, S-Bahn und U-Bahn bieten bereits jetzt gute Fortbewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Verkehrsnetz. Der größten Beliebtheit erfreuen sich jedoch Fahrräder: „37 % von denjenigen, die in Kopenhagen arbeiten oder studieren, nutzen ihr Rad tagtäglich als Lieblingstransportmittel für den Arbeitsweg. Insgesamt legen die Kopenhagener am Tag 1,2 Millionen Kilometer auf dem Rad über Straßen und Gassen ihrer Heimatstadt zurück.“ 451 Mehrmals schon wurde Kopenhagen als „Lebenswerteste Stadt der Welt“ ausgezeichnet. Bis 2025 will Kopenhagen die erste klimaneutrale Hauptstadt der Welt sein. 452 Fahrradstadt Kopenhagen S-tog am Hauptbahnhof Kopenhagen Jedoch kann auch solch ein Stadtbahnnetz nur schrittweise errichtet werden. Die erste Etappe, genannt Ring 3, umfasst dabei den Bau einer 28 km langen Trasse von Lyngy nach Ishoj mit 28 Haltestellen. An sechs dieser Haltestellen wird man auf die S-Bahn umsteigen können. Geplant ist ein eigener Gleiskörper, so dass die Stadtbahnen - bis auf wenige Ausnahmen - unabhängig vom übrigen Verkehr fahren können. Vorgesehen sind 5-Minuten-Intervalle während des Tages sowie 449 vgl. Statistics Denmark: Population and elections, http: / / www.statbank.dk/ BY1, 30.01.2018; Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.; VDI Technologiezentrum GmbH: Cluster Kopenhagen/ Öresund Region, http: / / www.kooperation-international.de, 30.01.2018 450 vgl. Københavns Kommune: City of Copenhagen - Municipal Plan 2015, Copenhagen 2015, 11ff und 60 451 Visit Denmark: Kopenhagen mit dem Fahrrad, http: / / www.visitdenmark.de, 30.01.2018 452 Visit Denmark: Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen, http: / / www.visitdenmark.de, 30.01.2018; Dänisches Ministerium des Auswärtigen: Kopenhagen - Die erste kohlenstoffneutrale Hauptstadt der Welt, http: / / www.denmark.dk, 30.01.2018; o.V.: CO2: auf Null bis 2025, in: VDV - Das Magazin 1/ 2018, 13 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark 181 10-Minuten-Intervalle an den Abenden und Wochenenden. 453 Die Inbetriebnahme dieser ersten Linie ist für 2024 vorgesehen. Bislang hat man noch nicht entschieden, welcher Fahrzeugtyp hierbei zum Einsatz kommen soll, orientiert sich dabei aber z.B. an den im norwegischen Bergen genutzten Bahnen vom Typ „Variobahn“ von Stadler. Die etwa 35 m langen und 2,65 m breiten Fahrzeuge fassen 200 bis 230 Fahrgäste und können dabei kapazitätsmäßig jeweils vier Stadtbusse ersetzen. Man erwartet, dass etwa 4.000 individuelle Pkw-Fahrten dann stattdessen mit den Stadtbahnen absolviert werden. Die jährliche Passagierzahl soll bei 13-14 Mio. liegen. 454 Nicht nur durch die Baumaßnahmen, auch mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn erhofft man sich weitreichende Nachfrageeffekte. Die bessere Erschließung einzelner Stadtgebiete erhöht deren Attraktivität für Einwohner und Unternehmen. Insgesamt rechnet man bis 2032 mit 36.500 zusätzlichen Arbeitsplätzen und 32.000 neuen Einwohnern. 455 Die Kosten für die Realisierung des Stadtbahnnetzes werden mit ca. 6,2 Mrd. DKK veranschlagt. An der Finanzierung beteiligt sind der Staat, die Region Kopenhagen sowie die Stadtrandgemeinden. 456 Pläne gab es auch für Aalborg, die drittgrößte Stadt des Landes. Wie in den anderen vorgestellten Städten nimmt hier die Einwohnerzahl kontinuierlich zu. Ebenso entstehen zahlreiche neue Arbeitsplätze. Um diesen Entwicklungen besser gerecht werden zu können, sollte eine 12 km lange Straßenbahnstrecke mit 24 Haltestellen entstehen, die das außerhalb gelegene Universitätsklinikum und die Universität mit dem Stadtzentrum und dem Westteil der Stadt verbindet. Dabei ging man von einem jährlichen Passagieraufkommen von 5 Mio. aus. Die Inbetriebnahme der Bahn war für 2021 vorgesehen. Allerdings musste das Projekt aufgrund zurückgezogener Zuschüsse seitens der dänischen Regierung 2015 gestoppt werden. 457 Aufgabe 1: Was veranlasst Städte wie Lund, Aarhus und Odense zum Neubau von Straßenbahnstrecken, obwohl es in den Städten bislang kein Straßenbahnnetz gibt? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2: Welche Vorteile weist die Straßenbahn gegenüber dem Kraftomnibus auf? Aufgabe 3: Welche Kriterien spielen bei der Fahrzeugauswahl eine Rolle? Aufgabe 4: Welche Effekte im innerstädtischen Verkehr werden durch die Inbetriebnahme solcher Straßenbahnlinien erwartet? Stellen Sie dies in einem Wirkungsgefüge dar! 453 vgl. Hovedstadens Letbane: Station and trains, http: / / www.dinletbane.dk, 29.01.2018 454 vgl. ebd. 455 vgl. Hovedstadens Letbane: Why a light rail? , http: / / www.dinletbane.dk, 29.01.2018 456 vgl. Hovedstadens Letbane: Station and trains, http: / / www.dinletbane.dk, 29.01.2018; Deutsch-Dänische Handelskammer: Straßenbahnen in den vier größten Städten Dänemarks, http: / / www.handelskammer.dk, 25.01.2018 457 vgl. Aalborg Kommune: Aalborg Letbane, Aalborg, o.J. (Faltblatt); Rahaman, Shifa: Government scraps plans for another Aalborg transport link (10.12.2015), http: / / www.cphpost.dk, 13.02.2018 182 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark Lösung Aufgabe 1 Gründe für den Neubau von Straßenbahnstrecken Wirtschaft Einwohner steigende Einwohnerzahlen hohe Zahl an Ein- und Auspendlern Bildung Mobilität Stadt an sich Nachfrage nach Wohnraum steigende Studentenzahlen namhafte Bildungseinrichtungen Emissionsbelastung in den Innenstädten neue Arbeitsplätze Wachstum in verschiedenen Bereichen wichtige Wirtschaftsstandorte Umweltbewusstsein Suche nach Alternativen zum MIV Investitionen in Forschungsstandorte ausgeprägte Forschungsaktivitäten Forderung nach barrierefreien Verkehrsmitteln schnell wachsende Städte hohe Attraktionskraft gute Vernetzung der Stadtteile steigende Kundenbedürfnisse im ÖPNV Offenheit für alternative Transportmittel urbane Verdichtung Erreichbarkeit der Standorte sichern Abbildung 8-1 Mindmap: Gründe für den Neubau von Straßenbahnstrecken Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark 183 Aufgabe 2 Die Straßenbahn weist folgende Vorteile gegenüber dem Kraftomnibus auf: größere Kapazität, Traktionsfähigkeit (je nach Modell), höherer Fahrkomfort, bessere Mitnahmemöglichkeit für Gepäck, Fahrräder, Kinderwagen, Barrierefreiheit besser realisierbar, (bei eigener Trasse) unabhängig vom übrigen Verkehr, dadurch höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten möglich, Umweltfreundlichkeit (Abgasemissionen, Lärm). Aufgabe 3 Kriterien Erläuterung Fahrzeuggröße erreichbare Kapazitäten (vgl. Sitzplätze/ Stehplätze) Einsatz und betriebliche Flexibilität Tauglichkeit für vorhandenes Netz Traktionsfähigkeit, um Bahnen auf einfache Weise verstärken zu können (bestimmte Anzahl von Einheiten) Erscheinungsbild und Fahrgastkomfort Raumgestaltung Anzahl und Anordnung der Sitzplätze, Qualität der Sitze Raumklima (Klimatisierung, Heizung) Größe und Anordnung der Fenster, Sonnenschutz angemessene Beleuchtung niedriges Geräuschniveau zweckmäßige Informationssysteme geeignete Gestaltung der Einstiege (Fahrgastfluss) Erfüllung der Forderungen zur Gleichstellung Mehrzweckabteile für Fahrgäste mit Fahrrädern, Kinderwagen sowie mit sperrigem Gepäck allgemeine Sicherheit der Fahrgäste gute Durchsicht durch die Wagen Überwachungs- und Notrufsysteme Brandschutzanlage Kosten Anschaffungskosten und Betriebskosten geringer Energieverbrauch (niedriges Fahrzeuggewicht) hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit lange Einsatzzeiten der Verschleißteile, insbesondere auch der Räder niedrige Unterhaltungskosten Instandhaltung (Kosten, Zugänglichkeit der einzelnen Baugruppen, Austauschrhythmen usw.) Umweltverträglichkeit niedriger Energieverbrauch niedriger Geräuschpegel nach außen Personal Fahrzeugbedienung ergonomische Gestaltung des Fahrersitzes Sicherheit des Personals (Crash-Verhalten des Fahrzeugs, Schutz vor Übergriffen) Tabelle 8-1 Kriterien der Fahrzeugauswahl 184 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark Aufgabe 4 Stadtstruktur Kommune Öffentlicher Nahverkehr Individueller Innenstadtverkehr Umwelt Abgas- und Feinstaubbelastung Parkraumbewirtschaftung Innerstädt. Klima, Lebensqualität Verkehrsfluss Verkehrsaufkommen Zahl Verkehrsunfälle MIV Langsamverkehr Verkehrsleistung Betriebskosten Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Fahrgastzahlen ÖPNV kommunaler Haushalt Kosten für ÖPNV Verkehrsraumaufteilung Auslastung Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Investitionen (Fahrzeuge, Strecken) Mitarbeiter Initialzündung: Neubau/ Inbetriebnahme Straßenbahn + - - - - - - - - - - - - - + + + + + + + + + + + + + + + - + + + + + + + + + + + + - Standortattraktivität städtische Erschließung + + + + + Abbildung 8-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Neubau/ Inbetriebnahme Fahrgastzahlen ÖPNV Neubau und Inbetriebnahme neuer Straßenbahnstrecken werden die Fahrgastzahlen steigen lassen. Fahrgastzahlen ÖPNV Auslastung Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Auslastung. Investitionen Je höher die (angestrebten) Fahrgastzahlen, umso mehr muss wahrscheinlich regelmäßig investiert werden. Attraktivität Je höher die (angestrebten) Fahrgastzahlen, umso höher sollte Attraktivität des Angebots (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) sein. Verkehrsleistung Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Verkehrsleistung. MIV Je höher die Fahrgastzahlen, umso geringer die Intensität im MIV.* Langsamverkehr Je höher die Fahrgastzahlen, umso geringer die Intensität im Langsamverkehr.* Auslastung Investitionen Je höher die (geplante) Auslastung, umso höhere Investitionen nötig. Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark 185 Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Investitionen Attraktivität Je höher die Investitionen, umso höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität). Fahrgastzahlen ÖPNV Investitionen in Fahrzeuge und Strecken werden sich positiv auf die Fahrgastzahlen auswirken. kommunaler Haushalt Je höher die Investitionen, umso höher die Haushaltbelastung. Verkehrsleistung Betriebskosten Je höher die Verkehrsleistung, umso höher die Betriebskosten. Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Betriebskosten Je höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität), umso höher die Betriebskosten. Mitarbeiter Je höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität), umso mehr Mitarbeiter erforderlich. Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Je höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) sein soll, umso mehr Wert muss auf Qualitätsaspekte und Kundenorientierung gelegt werden. Investitionen Je höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) sein soll, umso mehr muss wahrscheinlich regelmäßig investiert werden. Fahrgastzahlen ÖPNV Je höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität), umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen. städtische Erschließung Je höher die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität), umso besser die städtische Erschließung. Betriebskosten Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Je höher die allgemeinen Betriebskosten, umso eher wird u.U. an Qualitätsaspekten/ Kundenorientierung gespart. Mitarbeiter Betriebskosten Je mehr Mitarbeiter, umso höher die Betriebskosten. Attraktivität Je mehr Mitarbeiter, umso höher kann die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) sein. Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Je mehr Mitarbeiter, umso stärker können Qualitätsaspekte und Kundenorientierung berücksichtigt werden. Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Fahrgastzahlen ÖPNV Je stärker Wert auf Qualitätsaspekte und Kundenorientierung gelegt wird, umso höher die Fahrgastzahlen. MIV Fahrgastzahlen ÖPNV Je geringer die Intensität des MIV, umso höher die Fahrgastzahlen.* Langsamverkehr Je geringer die Intensität des MIV, umso höher die Intensität des Langsamverkehrs.* Verkehrsaufkommen Je geringer die Intensität des MIV, umso geringer das Verkehrsaufkommen. Verkehrsraumaufteilung Je geringer die Intensität des MIV, umso weniger wird der diesbezügliche Verkehrsraum beansprucht. Abgas- und Feinstaubbelastung Je geringer die Intensität des MIV, umso geringer die Abgas- und Feinstaubbelastung. Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Je geringer die Intensität des MIV, umso besser innerstädtisches Klima und Lebensqualität. 186 Die Straßenbahn kommt - Neubauten in Schweden und Dänemark Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Langsamverkehr Fahrgastzahlen ÖPNV Je geringer die Intensität des Langsamverkehrs, umso höher die Fahrgastzahlen.* MIV Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso geringer die Intensität des MIV.* Verkehrsaufkommen Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso geringer das innerstädtische Verkehrsaufkommen. Verkehrsraumaufteilung Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso stärker wird der diesbezügliche Verkehrsraum beansprucht. Parkraumbewirtschaftung MIV Je restriktiver die Parkraumbewirtschaftung, umso geringer wahrscheinlich die Intensität des MIV. Fahrgastzahlen ÖPNV Je restriktiver die Parkraumbewirtschaftung, umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen im ÖPNV. Intensität Langsamverkehr Je restriktiver die Parkraumbewirtschaftung, umso höher wahrscheinlich die Intensität des Langsamverkehrs. Verkehrsaufkommen MIV Je höher das Verkehrsaufkommen, umso geringer die Attraktivität des MIV. Langsamverkehr Je höher das Verkehrsaufkommen, umso attraktiver erscheint der Langsamverkehr. Parkraumbewirtschaftung Je höher das Verkehrsaufkommen, umso restriktiver sollte die Parkraumbewirtschaftung sein. Verkehrsfluss Je höher das Verkehrsaufkommen, umso geringer der Verkehrsfluss. Zahl Verkehrsunfälle Je höher das Verkehrsaufkommen, umso mehr Verkehrsunfälle. Abgas- und Feinstaubbelastung Je höher das Verkehrsaufkommen, umso höher die Abgas- und Feinstaubbelastung. Verkehrsfluss Zahl Verkehrsunfälle Je besser der Verkehrsfluss, umso weniger Verkehrsunfälle. Zahl Verkehrsunfälle Verkehrsfluss Je mehr Verkehrsunfälle, umso geringer der Verkehrsfluss. Verkehrsraumaufteilung Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Die Verkehrsraumaufteilung trägt wesentlichen zum innerstädtischen Klima und zur Lebensqualität bei. Kosten für ÖPNV kommunaler Haushalt Je höher die Kosten für den ÖPNV, umso stärker wird der kommunale Haushalt belastet. kommunaler Haushalt Investitionen Je finanzstärker der kommunale Haushalt, umso höhere Investitionen sind möglich. Abgas- und Feinstaubbelastung Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Je höher die Abgas- und Feinstaubbelastung, umso schlechter das innerstädtische Klima bzw. geringer die Lebensqualität. Innerstädtisches Klima und Lebensqualität Standortattraktivität Je besser das innerstädtische Klima und die Lebensqualität, umso höher die Standortattraktivität. städtische Erschließung Standortattraktivität Je besser die städtische Erschließung, umso höher die Standortattraktivität. * gleiche Wegehäufigkeiten vorausgesetzt Abbildung 8-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen 9 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne „Lausannes neue Metro bietet gleich mehrere Superlative: Sie ist die steilste, im Adhäsionsbetrieb befahrene U-Bahn der Welt sowie die erste gummibereifte Bahn mit wandernder Blocksicherungstechnik und vollautomatischem Fahrbetrieb in der Schweiz.“ 458 Am 18. September 2008 wurde in Lausanne nach viereinhalb Jahren Bauzeit die erste vollautomatische Metrolinie der Schweiz eröffnet. Wenige Wochen später, am 27. Oktober 2008, nahm sie den planmäßigen Betrieb auf. Damit kann Lausanne auf ein Verkehrsmittel verweisen, das üblicherweise in weitaus größeren Städten zu finden ist. 459 Lausanne, Hauptstadt des Kantons Waadt, liegt am Ufer des Genfer Sees. Die Stadt hat rund 130.000 Einwohner, mit dem Umland steigt die Zahl auf 250.000. Für Schienenverkehrsmittel gestalten sich die topographischen Gegebenheiten seit jeher problematisch. Die Stadtgebiete am Seeufer liegen auf etwa 370 m Höhe, der Bahnhof der SBB auf rund 450 m, das Stadtzentrum auf 480 m. Die Stadtviertel im Norden befinden sich in Höhenlagen zwischen 500 und 700 m. Die Metro ermöglicht es nun, diese verschiedenen Ebenen direkt miteinander zu verbinden. Bisher wurde der Norden durch mehrere Busbzw. Trolleybuslinien bedient, die nur teilweise bis ins Stadtzentrum fuhren. Jetzt übernehmen diese eine Zubringerfunktion zur Metro. Zudem möchte man Autofahrer aus dem Umland animieren, auf die Metro umzusteigen. Deshalb wurde an der Station Vennes, die direkt an einer Autobahnausfahrt liegt, eine Park-and-Ride-Anlage mit 1.200 Stellplätzen errichtet. 460 Die Metro-Linie m2 verbindet die Station Ouchy am Genfer See mit dem Stadtzentrum und führt weiter nach Norden bis auf das Gebiet der Gemeinde Epalinges. Die Strecke ist 5,9 km lang und verläuft über eine Höhendifferenz von 388 m. An der Station Flon ist es möglich, in die Stadtbahn-Linie m1 in Richtung Renes oder in die Schmalspurbahn nach Echallens und Bercher umzusteigen. 461 Auf dem unteren Abschnitt folgt die Strecke zunächst der Trasse der alten Zahnradbahn. Diese hatte man 2006 stillgelegt. Unter dem SBB-Bahnhof wird der alte Tunnel der Zahnradbahn genutzt. Da hier eine Verbreiterung zu aufwendig gewesen wäre, blieb dieser Abschnitt eingleisig. Ansonsten ist die Strecke doppelspurig ausgelegt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen verläuft die Strecke unterirdisch. Die oberirdischen Abschnitte werden beheizt, um im Winter Probleme durch Schnee auf der Fahrbahn zu vermeiden. Die Stromversorgung erfolgt über eine Stromschiene mit 750 V Gleichstrom. 462 458 Groneck, Christoph: Extreme Steigungen, in: Regionalverkehr 1/ 2009, 54 459 vgl. Rellstab, Mathias: Lausanner Metro offiziell eröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 576 460 vgl. Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606ff; Groneck, Christoph: Extreme Steigungen, in: Regionalverkehr 1/ 2009, 54 461 vgl. Rellstab, Mathias: Lausanner Metro offiziell eröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 577; Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606f 462 vgl. ebd. 188 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne Abbildung 9-1 Linienverlauf der Metro Lausanne m2 463 Anders als sonst bei U-Bahnen üblich, greift man hier auf eine innovative technische Lösung zurück: „Die ganze Strecke ist sowohl mit Schienen als auch mit einer Fahrbahn für die Gummireifen ausgestattet. Bei einem Defekt an den Gummireifen können die Stahlräder als Laufräder genutzt werden. Im Normalfall berühren diese die Schienen nicht; die Züge fahren ausschliesslich auf den Pneus. Sie werden durch horizontale Führungsrollen, die vor und nach den Laufrädern montiert sind, in der Spur gehalten. Beim Gleiswechsel führen hingegen die Spurkränze der Stahlräder die Züge über die Weichen.“ 464 Normalerweise verkehren die m2-Züge ohne Fahrer. Die Fahrzeuge verfügen zwar über ein in seinen Funktionen stark reduziertes Steuerpult; dieses soll jedoch nur bei Ausfall der Automatik zum Einsatz kommen. An allen Stationen sind die Bahnsteige durch Türen von der Fahrbahn getrennt. Diese Türen öffnen und schließen sich jeweils synchron mit denen der Züge. Die Vollautomatik soll einen flüssigen und flexiblen Betrieb ermöglichen. Je nach Bedarf können per 463 erstellt nach: Transport publics lausannois: Plan de réseau géographique, https: / / www.t-l.ch, 24.03.2019 464 Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne 189 Mausklick zusätzliche Züge eingesetzt werden, ohne dass dabei auf Dienstpläne des Personals Rücksicht genommen werden muss. Aufgabe einer Leitstelle ist die kontinuierliche Überwachung des Betriebs. Bei Unregelmäßigkeiten kann von dort aus eingegriffen werden. Andererseits ist eine Kontaktaufnahme mit der Leitstelle durch die Reisenden über Sprechstellen in den Bahnen jederzeit möglich. Wartungsarbeiten an der Strecke werden ausschließlich nachts durchgeführt. Jeweils vor Betriebsbeginn garantiert eine manuell bediente Kontrollfahrt, dass die Fahrbahn frei ist. 465 Zwischen den Stationen Jordils und Grancy Drehgestell Station Lausanne Gare (Bahnhof SBB) In der Metro Die Betriebszeiten der m2 liegen zwischen 5: 30 Uhr und 1: 00 Uhr. In den Nebenverkehrszeiten verkehren die Bahnen alle sieben Minuten, in der Hauptverkehrszeit alle zwei bis sechs Minuten. 466 Für den Metro-Betrieb wurden 15 zweiteilige Garnituren beschafft. Jeder Zug bietet 220 Passagieren Platz. Sechs Doppeltüren je Seite ermöglichen ein schnelles Ein- und Aussteigen. Man rechnet mit einer jährlichen Transportkapazität von 25 Millionen Passagieren. Dies entspricht rund 68.000 Passagieren täglich. Während die Höchstgeschwindigkeit auf flacher Strecke 60 km/ h beträgt und mit zunehmender Neigung abnimmt, liegt die durchschnittliche Reisege- 465 vgl. ebd., 606ff; Groneck, Christoph: Extreme Steigungen, in: Regionalverkehr 1/ 2009, 54 466 vgl. Transport publics lausannois: Horaire m2 Ouchy - Croissette (gültig ab 9. Dezember 2018) 190 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne schwindigkeit bei 17 km/ h. Insgesamt ergibt sich eine Fahrzeit von 18 Minuten für die Gesamtstrecke. 467 Die Baukosten beliefen sich auf 736 Millionen CHF. Der größte Teil wurde dabei vom Kanton getragen; ebenfalls an der Finanzierung beteiligt waren die Stadt Lausanne und der Bund. 468 In den ersten Monaten nach der Betriebsaufnahme zeigten sich Mängel am System. Vor allem auf den oberirdischen Abschnitten bereiteten Schnee und Nässe den elektrischen Anlagen Probleme. Infolgedessen kam es wiederholt zum Stillstand der Züge. Die Sicherheit der Reisenden war zwar zu keiner Zeit gefährdet, jedoch führten derartige Vorkommnisse zu mehr oder weniger großen Unannehmlichkeiten für die Reisenden, zumal aufgrund der Neugestaltung des Nahverkehrskonzeptes ein Ausweichen auf innerstädtische Buslinien nicht mehr möglich ist. Es zeigt sich auch, dass die zweiteiligen Züge zu klein dimensioniert sind. 469 Denn bereits im ersten Betriebsjahr wurden mehr als 20 Mio. Fahrgäste transportiert, im Jahr 2014 waren es 28 Mio. Fahrgäste. An Spitzentagen waren es bis zu 70.000 Reisende. Engpässe entstehen insbesondere in den Morgenstunden sowie freitags, wenn sich Pendler- und Freizeitverkehr vermischen. Aufgrund der gegebenen Bahnsteiglängen ist eine Verlängerung der Züge jedoch nicht möglich, so dass sich lediglich durch kürzere Zugfolgen (geringfügige) Kapazitätssteigerungen erzielen lassen. 470 Bis 2030 erwartet man am Bahnhof Lausanne eine Verdopplung der Passagierzahlen. Zudem werden neue Wohngebiete entlang der Metro entwickelt. Dies unterstreicht die Forderung nach einer Kapazitätssteigerung der m2. 471 Um diese Linie zu entlasten und gleichzeitig weitere attraktive ÖPNV-Alternativen zu schaffen, soll deshalb im Rahmen des Projekts „Starke Achsen“ der Bau einer weiteren Metro-Linie, der m3, realisiert werden. Basierend auf dem Erfolg der m2, durch die die Nutzung des öffentlichen Verkehrs im Großraum Lausanne um 16 % zunahm, soll auch die neue Linie als vollautomatische U-Bahn umgesetzt werden. Man will mit dieser Linie den SBB-Bahnhof Flon, an dem auch die m2 sowie die m1 halten, und La Blécherette verbinden. Die Eröffnung ist für 2025 geplant. 472 Aufgabe 1: Aus welchen Gründen entschied man sich in Lausanne für eine derartig aufwendige technische Lösung? Aufgabe 2: Welche Vor- und Nachteile weist die m2 gegenüber den herkömmlichen U- Bahn-Systemen aus Sicht der Betreiber und aus Sicht der Fahrgäste auf? Aufgabe 3: Welche Bedeutung hat die m2 für den Lausanner öffentlichen Personennahverkehr? 467 vgl. Rellstab, Mathias: Lausanner Metro offiziell eröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 576f; Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606ff 468 vgl. ebd. 469 vgl. Rellstab, Mathias: Metro Lausanne - Mängel trüben den Erfolg, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 4/ 2009, 197 470 vgl. Rellstab, Mathias: Ein Jahr Metro in Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2009, 602; Barrow, Keith: Lausanne prepares for metro expansion (23.05.2017), http: / / www.railjournal.com, 30.08.2017 471 vgl. Ville de Lausanne: Développement du m2, http: / / www.lausanne.ch, 30.08.2017 472 vgl. Ville de Lausanne: Métro m3, http: / / www.lausanne.ch, 19.02.2019 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne 191 Lösung Aufgabe 1 Topographische Gegebenheiten Bisherige Lösung nicht zufriedenstellend für Schienenverkehrsmittel generell problematische topographische Gegebenheiten, d.h., Stadtgebiet erstreckt sich über große Höhenunterschiede Stadtgebiete am Seeufer auf ca. 370 m ü.d.M. Höhe Bahnhof der SBB auf ca. 450 m ü.d.M. Stadtzentrum auf ca. 480 m ü.d.M. Stadtviertel im Norden zwischen 500 m und 700 m ü.d.M. Neigungen bis zu 120 Promille 1958-2007 verband Zahnradbahn diese Ebenen, allerdings auf kürzerer Strecke (nur bis Station Flon) hier Anschluss an zwei Schmalspurbahnen und Buslinien auf oberen Ebenen Busse und Trolleybusse im Einsatz, die aber nicht alle bis ins Zentrum fuhren geringe Beförderungskapazität geringe Fahrgeschwindigkeiten bei Zahnradbahn zudem Bahn veraltet (ca. 50 Jahre) und damit technisch überholt Tabelle 9-1 Gründe für diese technische Lösung Aufgabe 2 Vorteile Nachteile Betreiber schnelles Überwinden großer Höhenunterschiede hohe Sicherheit flüssiger und flexibler Betrieb durch Vollautomatik kein Fahrpersonal erforderlich (Problematik der Dienstpläne für Triebfahrzeugführer entfällt) Anbindung des Zentrums anfangs Probleme mit Schnee und Nässe auf oberirdischen Abschnitten, führte zu Stillstand der Züge teilweise zu große Nachfrage (Züge zu klein dimensioniert), führte zu Engpässen in Morgenstunden und freitags durch Bahnsteiglängen Verlängerung der Züge nicht möglich Fahrgäste im Vergleich zu Bus und Zahnradbahn sehr kurze Taktungen (2-6 min) günstige Schnittstellen zum Busverkehr attraktives innerstädtisches Verkehrsmittel, das z.B. auch Pendler zum Umsteigen vom Auto bewegen kann Ausweichen auf Busse bei Engpässen nicht immer möglich, da städtisches Nahverkehrskonzept umgestaltet wurde Tabelle 9-2 Vor- und Nachteile aus Sicht der Betreiber und der Fahrgäste 192 Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne Aufgabe 3 Bedeutung bzgl. Aufgaben Bedeutung bzgl. Image wichtige Säule im Stadtverkehr: bessere Verknüpfung der einzelnen Stadtteile auf verschiedenen Ebenen ermöglichte Umgestaltung des Nahverkehrsnetzes, indem Busse nun Zubringerfunktion zur Metro übernehmen schnelle Abfertigung großer Passagierströme Steigerung der Attraktivität für bisherige Nicht- ÖPNV-Nutzer und Pendler, insbesondere auch durch Schaffung von P+R-Plätzen auf Nachfrage kann (innerhalb bestimmter Grenzen) flexibel reagiert werden große Nutzerakzeptanz Fahrgastzahlen liegen nach wenigen Jahren über den Erwartungen innovative Lösung unter schwierigen topographischen Gegebenheiten Bahn bietet mehrere Superlative steilste, im Adhäsionsbetrieb befahrene U- Bahn der Welt erste gummibereifte Bahn mit wandernder Blocksicherungstechnik und vollautomatischem Fahrbetrieb in der Schweiz Tabelle 9-3 Bedeutung der m2 für den Lausanner öffentlichen Personennahverkehr 10 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro „With an Öresund metro you can break down the mental barriers across Öresund and connect Greater Copenhagen Region in a better manner.“ 473 Die Öresundregion setzt sich aus der schwedischen Provinz Skåne sowie Zealand, Møn, Lolland- Falster und Bornholm auf dänischer Seite zusammen und stellt den größten und am dichtesten besiedelten Ballungsraum Skandinaviens dar. Hier leben etwas mehr als 4 Mio. Menschen, ca. 1,3 Mio. auf schwedischer und ca. 2,7 Mio. auf dänischer Seite. 474 Västra Hamnen - Neues Stadtviertel in Malmö Nyhavn - Touristenmagnet in Kopenhagen Malmö und Kopenhagen In Malmö, der drittgrößten Stadt Schwedens und Hauptstadt der südschwedischen Provinz Skåne, leben rund 333.000 Einwohner. Seit Jahrzehnten schon wächst die Stadt kontinuierlich: Innerhalb der letzten 20 Jahre sind 85.000 Einwohner hinzugekommen. Hier leben 182 verschiedene Nationalitäten. 48 % der Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt. 475 Die Gründe für die große Anziehungskraft lassen sich wie folgt zusammenfassen: „Malmö is a creative, environmentally aware city with expansive infrastructure investments in an attractive geographical location.“ 476 In der dänischen Hauptstadt leben etwa 600.000 Einwohner, im Großraum 1,3 Mio. Menschen. Auch bei Kopenhagen handelt es sich um eine wachsende Stadt. Bis 2027 soll die Einwohnerzahl um 100.000 steigen. Als wichtigster Wirtschaftsstandort des Landes übt Kopenhagen eine entsprechende Anziehungskraft auf die Region - auch grenzüberschrei- 473 Municipality of Copenhagen; City of Malmö: Öresund Metro Copenhagen - Malmö, Copenhagen/ Malmö 2017, 8 474 vgl. City of Malmö: Malmö Snapshot, Malmö 2018, 8 475 vgl. ebd., 12 476 ebd., 4 194 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro tend - aus 477 : „The city’s excellent reputation and high quality of life is attracting people and businesses, causing the city to grow - and blossom.“ 478 Die Bedeutung der Region für beide Länder wird dadurch unterstrichen, dass hier etwa 25 % der Gesamtbevölkerung Schwedens und Dänemarks leben und im hiesigen Arbeitsmarkt 1,9 Mio. Menschen beschäftigt sind. Etwa 250.000 Unternehmen sind hier angesiedelt, rund 145.000 Studenten und 8.000 Forschungsmitarbeiter an den Hochschulen aktiv. 479 Seit 2000 verbindet die 16 km lange Öresundbrücke Malmö mit Kopenhagen, welche eine durchgehende Schienen- und Straßenverbindung zwischen Skandinavien und dem Kontinent ermöglicht. Ursprünglich weniger stark frequentiert, entwickelte sich die Brücke zu einem wahrhaft verbindenden Element zwischen Nationen und Wirtschaftsräumen. Dänen sind wegen der hohen Einkommensteuer im eigenen Land nach Schweden gezogen und nutzen in Malmö auch die günstigeren Immobilienpreise. Schweden wiederum pendeln wegen der besser bezahlten und zahlreicher vorhandenen Jobs nach Dänemark. Inzwischen wird die Öresundbrücke täglich von etwa 75.000 Personen bzw. 20.600 Fahrzeugen überquert. Darunter sind 14.000 Pendler, wovon 58 % den Zug, 42 % den Pkw nutzen. 480 Prognosen zufolge wird bis zum Jahr 2030 die Zahl der ÖPNV- Nutzer auf 49.000 bis 61.000 ansteigen. 481 Öresundbrücke Mit dem „Øresundståg“ über den Öresund Die Strecke der „Øresundsbanen“ gehört zu den am stärksten genutzten Eisenbahninfrastrukturen in Dänemark. Die Pünktlichkeitsstatistik ist mit 65-70 % in den Starklastzeiten eher schlecht, was v.a. auf die hohe Streckenauslastung, Engpässe in der Station Flughafen und den Mischbetrieb auf der Öresundbrücke zurückzuführen ist. Aktuell verkehren zehn Züge pro Stunde auf der Öresundbrücke pro Richtung. Wesentliche Steigerungen sind hier kaum möglich, von max. 13 Zügen pro Stunde wird ausgegangen. 482 477 vgl. Statistics Denmark: Population and elections, http: / / www.statbank.dk/ BY1, 30.01.2018; Københavns Kommune: City of Copenhagen - Municipal Plan 2015, Copenhagen 2015, 11ff 478 Københavns Kommune: City of Copenhagen - Municipal Plan 2015, Copenhagen 2015, 1 479 vgl. City of Malmö: Malmö Snapshot, Malmö 2018, 8 480 vgl. ebd., 8ff 481 vgl. Ramboll Group A/ S: Unlocking the Transnational Potential in the Fehmarn Belt Region, o.O. o.J., 22 482 vgl. ebd.; Malmö Stad; Københavns Kommune: Öresundsmetro Köpenhamn Malmö 2013 - Resultat och värderingar Förstudie, Köpenhamn/ Malmö 2013, 11 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro 195 Mit Fertigstellung der derzeit in Bau befindlichen festen Fehmarnbeltquerung (als Teil des Scan- Med-Korridors) im Jahr 2028 rechnet man mit einem weiteren Wachstumsschub für die Region. Sich dadurch verkürzende Reise- und Transportzeiten werden sich in der Öresundregion auf Unternehmensansiedlungen, Arbeitsmarkt, Forschung, Kultur und Tourismus auswirken. Die Öresundbrücke wird dadurch aber auch stärker vom zunehmenden Güter- und Personenverkehr beansprucht werden. Man prognostiziert eine Verdopplung der Anzahl der Güterzüge. Dies wiederum könnte den Bahnverkehr in der Region beeinträchtigen. 483 Investiert wird auch in den dänischen Hauptstadtflughafen Kastrup. Dieser soll auf eine Kapazität von 40 Mio. Passagieren jährlich (im Vergleich zu bisher 29 Mio.) ausgebaut werden. Das Investitionsvolumen wird mit 20 Mrd. DKK beziffert. 484 Das angestrebte Wachstum der Passagierzahlen wird entsprechende Auswirkungen auf die Nachfrage im öffentlichen Nahverkehr haben. Zudem plant Schweden den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsverkehrs zwischen Stockholm, Göteborg und Malmö, hier auch in Fortsetzung bis zum Flughafen Kastrup. 485 Aufgrund dieser Investitionen rechnet man insgesamt mit einem stark steigenden Verkehrsaufkommen in der Öresundregion. Verstärkt wird dies durch das erwartete Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Zukünftig werden wesentlich mehr Menschen auf einen zuverlässigen und gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sein. Der Bahnverkehr über die Öresundbrücke könnte dabei aber an Grenzen stoßen und die Brücke zum Engpass werden. Schon heute verkehren die Personenzüge hier im 10bis 20-Minuten-Takt. Die aktuelle Fahrzeit beträgt 35 Minuten. 486 Bei der Suche nach Lösungen für dieses Problem entstand die Idee einer länderverbindenden U- Bahn unterhalb des Öresunds. Vorgesehen ist dabei der Bau eines ca. 22 km langen Tunnels von Küste zu Küste. 487 Diese U-Bahn-Strecke mit fünf Stationen soll die Öresundbrücke entlasten, dort Kapazitäten für den Fernverkehr freigeben und gleichzeitig eine attraktivere Verbindung zwischen Malmö und Kopenhagen bieten sowie den Flughafen Kastrup besser anbinden. Durch die Öresund-Metro sollen 2,3 Mio. Einwohner innerhalb von 60 Minuten zu ihrem Arbeitsplatz gelangen. 488 Die bisherigen Reisezeiten zwischen Malmö und Kopenhagen könnten von 35 auf 20 Minuten verkürzt werden. Die U-Bahnen sollen führerlos mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/ h im 1,5bis 5-Minuten-Takt verkehren. Zudem soll die U-Bahn-Linie an das Kopenhagener Metro- System angeschlossen werden. Durch die Metro können 35 % mehr Personen als bisher über den Öresund befördert werden. 489 Die Projektbearbeitung erfolgt phasenweise, Drei Vorstudien wurden bereits abgeschlossen. Aktuell befindet man sich in der vierten Phase. 490 483 vgl. City of Malmö: Malmö Snapshot, Malmö 2018, 6ff; Municipality of Copenhagen; City of Malmö: Öresund Metro Copenhagen - Malmö, Copenhagen/ Malmö 2017, 7 484 vgl. City of Malmö: Malmö Snapshot, Malmö 2018, 6 485 vgl. Municipality of Copenhagen; City of Malmö: Öresund Metro Copenhagen - Malmö, Copenhagen/ Malmö 2017, 7 486 vgl. ebd., 9; Stad Malmö: Öresundsmetro - tunnelbana mellan Köpenhamn och Malmö, http: / / www.malmo.se, 18.01.2019 487 vgl. Malmö Stad: The Öresund Metro: facts and figures, http: / / www.malmo.se, 18.01.2019 488 vgl. City of Malmö: Malmö Snapshot, Malmö 2018, 6 489 vgl. Municipality of Copenhagen; City of Malmö: Öresund Metro Copenhagen - Malmö, Copenhagen/ Malmö 2017, 4f; Malmö Stad: The Öresund Metro: facts and figures, http: / / www.malmo.se 18.01.2019 490 vgl. Malmö Stad: The Öresund Metro: facts and figures, http: / / www.malmo.se, 18.01.2019 196 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro Phasen Inhalt Phase 1: 2012-2014 Untersuchung der sozio-ökonomischen Effekte Linienverlauf und Stationen Zusammenwirken von Öresundbrücke und Öresund-Metro auf Kapazität der Eisenbahnstrecke Phase 2: 2014 Organisation und Finanzierung in den einzelnen Projektphasen (Planung, Bau, Betrieb) technische Rahmenbedingungen Gestaltung der Stationen Effekte während Bau und Betrieb auf Umwelt und Gesellschaft Phase 3: 2015-2017 Analyse der Bedeutung des Projekts für Kopenhagen und Malmö bzw. Öresundregion insgesamt Phase 4: 2017-2020 Analyse und Kommunikation von positiven Effekten der Öresund-Metro auf lokaler und regionaler Ebene (z.B. Reisezeiten, Arbeitsmarkt) Analyse und Kommunikation von positiven Effekten der Öresund-Metro auf nationaler und internationaler Ebene, insbesondere auch unter Berücksichtigung der festen Fehmarnbeltquerung und des Korridors Scan- Med Tabelle 10-1 Planungs- und Umsetzungsphasen 491 Unterstützt wird das Projekt durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. 492 Man rechnet mit einer Bauzeit von sechseinhalb bis sieben Jahren und Kosten in Höhe von etwa 4 Mrd. Euro. Finanziert werden soll das Projekt über Fahrgeldeinnahmen (ca. 2,6 Mrd. Euro), staatliche Zuschüsse, EU-Fördermittel sowie Nutzungsgebühren der Öresundbrücke. Letztere soll über Mauteinnahmen bis 2035 refinanziert sein, wodurch sich neue Verwendungsmöglichkeiten der finanziellen Mittel ergeben. 493 Als Teil der Verkehrscharta für den Großraum Kopenhagen würde die Öresund-Metro zur Realisierung eines nachhaltigen Verkehrssystems beitragen. 494 Nicht nur die lokale und regionale Erreichbarkeit könnten optimiert werden, auch die überregionale Anbindung könnte sich verbessern, wodurch man sich Wachstumseffekte für die gesamte Region erhofft. Verkürzte Reisezeiten und höhere Pünktlichkeit steigern die Attraktivität des ÖPNV-Angebots. Gleichzeitig profitieren von einer Entlastung der Öresundbrücke aber auch der Personenfernverkehr und der Güterverkehr. 495 Eine erfolgreiche Weiterführung der bisherigen Schritte vorausgesetzt, könnte die U-Bahn 2035 den Betrieb aufnehmen. 496 Bis dahin gilt es allerdings, aus der Perspektive verschiedener Stakeholder - lokal, regional, national und international - weiter zu analysieren und die möglichen 491 erstellt nach: Malmö Stad: Rapporter Öresundsmetrons 4 faser, http: / / www.malmo.se, 18.01.2019 492 vgl. Malmö Stad: The Öresund Metro: facts and figures, http: / / www.malmo.se, 18.01.2019 493 vgl. Municipality of Copenhagen; City of Malmö: Öresund Metro Copenhagen - Malmö, Copenhagen/ Malmö 2017, 5f 494 vgl. ebd., 6 495 vgl. Ramboll Group A/ S: Unlocking the Transnational Potential in the Fehmarn Belt Region, o.O. o.J., 20 496 vgl. City of Malmö: Malmö Snapshot, Malmö 2018, 6 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro 197 Effekte durch Bau und Betrieb der Metro sowie durch andere infrastrukturelle Großprojekte zu untersuchen (siehe Phase 4). Aufgabe 1: Aufgrund welcher Entwicklungen beschäftigt man sich mit der Idee der Öresund-Metro? Aufgabe 2: Welche Vorteile verspricht man sich von der Realisierung des Projekts? Aufgabe 3: Was sind generelle Merkmale von U-Bahn-Systemen? Welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede bestehen zur Öresund-Metro? Aufgabe 4: Mit welchen Effekten kann grundsätzlich bei Projekten dieser Art während Bau und Betrieb gerechnet werden? Aufgabe 5: Bezüglich der Projektorganisation wurde auch geprüft, inwieweit sich ein PPP- Modell umsetzen lässt. Was sind Public Private Partnerships? Welche Grundmodelle lassen sich unterscheiden? Wovon hängt der Erfolg solcher Projekte ab? 198 Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro Lösung Aufgabe 1 Angesichts der prognostizierten Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung sowie aufgrund verschiedener Infrastrukturprojekte wird insgesamt mit einem stark steigenden Verkehrsaufkommen in der Öresundregion gerechnet. Die Kapazitäten der Öresundbrücke könnten zukünftig nicht mehr ausreichen, um einen leistungsfähigen und zuverlässigen Güter- und Personenverkehr zu garantieren. Bevölkerung- und Wirtschaftsentwicklung Kopenhagen und Malmö als attraktive und wachsende Städte Nachfrage nach ÖPNV-Dienstleistungen wird zukünftig steigen ÖPNV-Pendler starke Pendlerbewegungen zwischen Malmö und Kopenhagen Zahl der ÖPNV-Pendler über Öresund wird laut Prognose zunehmen Kapazitätsengpässe „Øresundsbanen“ am stärksten genutzte Eisenbahninfrastruktur Dänemarks bereits jetzt Kapazitätsengpässe durch Mischbetrieb und Station Flughafen häufige Verspätungen in Starklastzeiten Fertigstellung feste Fehmarnbeltquerung geplante Inbetriebnahme 2028 durch verkürzte Reise- und Transportzeiten weiterer Wachstumsschub für Öresundregion erwartet mit Effekten auf Unternehmen, Arbeitsmarkt, Forschung, Kultur, Tourismus steigende Belastung der Öresundbrücke durch zunehmenden Personen- und Güterverkehr Ausbau Flughafen Kastrup Kapazitätsausweitung von 29 Mio. auf 40 Mio. Passagiere jährlich größere Nachfrage im ÖPNV als Zubringer erwartet Ausbau schwedisches Hochgeschwindigkeitsnetz Hochgeschwindigkeitsnetz zwischen Stockholm, Göteborg und Malmö (mit Fortsetzung nach Kopenhagen) geplant größere Nachfrage im ÖPNV als Zubringer erwartet Tabelle 10-2 Beeinflussende Entwicklungen in der Öresundregion Aufgabe 2 Von der Realisierung des Projekts verspricht man sich verschiedene Vorteile: Eine Halbierung der Reisezeit zwischen Malmö und Kopenhagen schafft Potentiale für die individuelle Mobilität sowie für Wirtschaft, Forschung und Arbeitsmarkt. Das Einzugsgebiet für Arbeitswege bis 60 Minuten Fahrzeit erweitert sich erheblich. Dadurch können Fachkräfte aus einem größeren Einzugsgebiet gewonnen werden. Eine bessere Verknüpfung zum Hochgeschwindigkeitsverkehr zwischen Stockholm und Kopenhagen (als Konkurrenz zum Kurzstrecken-Luftverkehr) wird geschaffen. Zudem wird der Flughafen Kastrup besser angebunden. Die führerlose Metro könnte eine hohe Pünktlichkeit und Sicherheit garantieren. Durch eine Taktverkürzung gegenüber dem Öresundzug ergeben sich häufigere Fahrtmöglichkeiten. Auf der Öresundbrücke würden Trassen für den Güterverkehr und den Hochgeschwindigkeitsverkehr frei werden. Die Rahmenbedingungen für Transport und Mobilität im ScanMed- Korridor würden sich insgesamt verbessern. Eine länderverbindende U-Bahn - Die Öresund-Metro 199 Die beiden Länder würden noch enger zusammenrücken, die Zusammenarbeit könnte intensiviert werden. Aufgabe 3 Generelle Merkmale von U-Bahn-Systemen sind folgende: Einsatzgebiet: meist in Städten mit mehr als einer Million Einwohner Trasse: eigene Gleise, vorwiegend unterirdisch verkehrend, Unterpflasterbahnen/ Tiefbahnen (Untergrundbahn) vs. Führung auf Dämmen bzw. Hochstrecken (Hochbahn) Stationen: hohe Bahnsteige, Haltestelleabstände 500 m bis 1.500 m Fahrzeuge: Spezialfahrzeuge (meist Hochflurfahrzeuge, zunehmend aber auch Niederflur) mit hohen Kapazitäten Betrieb: meist reiner Linienbetrieb, starrer Fahrplan, dichte Zugfolge Öresund-Metro: Einsatzgebiet: länderverbindend im Ballungsraum Öresundregion (4 Mio. Einwohner) mit Hauptstadt Kopenhagen (600.000 Einwohner) und Provinzhauptstadt Malmö (300.000 Einwohner) Trasse: eigene Gleise, unterirdisch verkehrend (22 km langer Tunnel) Stationen: fünf Stationen geplant Fahrzeuge: bislang keine Festlegung auf ein bestimmtes Modell Betrieb: reiner Linienbetrieb, führerlos, starrer Fahrplan, dichte Zugfolge (1,5bis 5-Minuten- Takt) Aufgabe 4 In der Bauphase Wertschöpfungseffekte: Nachfragesteigerung bei Bauleistungen von Hoch- und Tiefbauunternehmen; Erhaltungsinvestitionen als typisches mittelständisches Aufgabengebiet Verkäufe bzw. Ankäufe von Grund und Boden (erhebliche Finanzmittel und damit Einkommen in der Region) positive Beschäftigungseffekte: steigende Nachfrage nach Arbeitskräften, sofern keine Reserven vorhanden Regionalpolitik: nur der Teil der Finanzmittel von Bedeutung, der in der Region verbleibt und dort als Einkommen zur Verfügung steht (günstig: Bevorzugung regionaler Anbieter bei Sachleistungen, wie Baumaterialien, transportkostenintensive Massengüter) insgesamt positive Wachstumseffekte In der Betriebsphase Ausgleich lokaler und regionaler Ungleichgewichte in der Standortattraktivität Reisezeitgewinne, bessere Erreichbarkeit als Wohnstandort (Pendeln statt Wegzug) Wachstumspotentiale und Zuzugseffekte bei Standortverlagerungen, Unternehmenserweiterungen, Existenzgründungen langfristig positive Beschäftigungseffekte Tabelle 10-3 Effekte in der Bau- und Betriebsphase 11 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol „Ich wünsche mir, dass die S-Bahn demnächst die Autobahn als Hauptschlagader des Tiroler Verkehrs ablöst.“ 497 Ab 2007 ist in Tirol ausgehend von Innsbruck schrittweise ein S-Bahn-Netz entstanden, das mittlerweile sechs Linien umfasst und seit 2009 unter dem Namen „S-Bahn Tirol“ geführt wird. 498 Wenngleich es sich hierbei nicht um eine S-Bahn im klassischen Sinne handelt, ist für die Nutzer ein attraktives Angebot geschaffen worden. Bedient werden diese Linien im 30bzw. 60- Minuten-Takt. Durch Überlagerung von Linien auf der Inntal-Strecke ergibt sich dort sogar eine Taktung von 15 Minuten. Zusätzlich kommen auf bestimmten Relationen einbzw. zweistündlich Regional-Express-Züge zum Einsatz, die das bestehende S-Bahn-Angebot verdichten. Eingesetzt werden im S-Bahn-Netz Züge des Typs „Talent“ von Bombardier. S1 in Innsbruck Hbf Talent: Innenausstattung Gleichzeitig mit der Einrichtung der neuen Linien wurden Stationen modernisiert und Park-and- Ride-Plätze geschaffen. Auch Stationsneubauten sind geplant bzw. bereits realisiert (vgl. z.B. Hall/ Thaur), wodurch insbesondere auch die Erreichbarkeit von Zielen in Innsbruck erhöht werden soll. Bislang werden hier nur der Hauptbahnhof und der Westbahnhof durch die S-Bahn bedient. Dort können die Fahrgäste jeweils auf den Stadtverkehr umsteigen. 499 Besonders der Hauptbahnhof, an dem täglich ca. 38.000 Fahrgäste 500 abgefertigt werden, ließe sich durch die neuen Haltestellen entlasten. Um insbesondere für Pendler einen höheren Fahrkomfort zu ge- 497 Ingrid Felipe, Landeshauptmann-Stellvertreterin, zit. in: Verkehrsverbund Tirol: Sechs neue S-Bahn- Haltestellen im Großraum Innsbruck (15.01.2014), http: / / www.vvt.at, 26.01.2014 498 vgl. Verkehrsverbund Tirol: Geschichte, http: / / www.vvt.at, 26.01.2014 499 vgl. ebd.; Verkehrsverbund Tirol: Sechs neue S-Bahn-Haltestellen im Großraum Innsbruck (15.01.2014), http: / / www.vvt.at, 26.01.2014; Verkehrsverbund Tirol: Mehr Komfort in den Tiroler Talent-Zügen (21.01.2014), http: / / www.vvt.at, 27.01.2014; Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Übersicht Rahmenplanprojekte ÖBB und ASFINAG 2017-2022, Wien 2017 500 vgl. ÖBB-Holding AG: ÖBB in Zahlen, Wien 2016, 22 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 201 währleisten, haben die ÖBB Talent-Züge mit komfortableren Sitzen in bestimmten Teilen der Triebwagen ausgestattet. 501 Seit Inbetriebnahme der ersten S-Bahn-Linie konnten jährlich Steigerungen bei den Fahrgastzahlen verbucht werden. Inzwischen nutzen etwa 42.000 Fahrgäste täglich die S-Bahn-Züge. 502 Ergänzt wird das S-Bahn-Netz durch ein ausgedehntes Busliniennetz. Bislang sind dazu 29 neue Regiobus-Systeme und zwei Regiotax-Bedarfsbusse in Osttirol entstanden. Im Buskonzept wurde auch der Rad- und Wandertourismus berücksichtigt. 503 S6 bei der Einfahrt in Fieberbrunn S4 am Brenner Bahnhof Stams an der Linie S2 Bahnhof Kitzbühel an der Linie S6 Um den Fahrgästen insbesondere zu Tageszeiten mit einem weniger dichten Fahrplan mehr Sicherheit zu bieten, wurde Ende 2013 - zunächst im Ötztal als Pilotregion - das Projekt „VVT- ANS“ gestartet, das Anschlusssicherheit bieten soll. Zukünftig sollen alle Züge und Busse in Tirol 501 vgl. ebd.; Verkehrsverbund Tirol: Sechs neue S-Bahn-Haltestellen im Großraum Innsbruck (15.01.2014), http: / / www.vvt.at, 26.01.2014; Verkehrsverbund Tirol: Mehr Komfort in den Tiroler Talent-Zügen (21.01.2014), http: / / www.vvt.at, 27.01.2014 502 vgl. ÖBB-Holding AG: Österreich zusammenbringen - Zahlen, Daten, Fakten, Wien 2018, 5 503 vgl. Verkehrsverbund Tirol: Unsere Leistungen, http: / / www.vvt.at, 04.01.2019 202 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol via GPS erfasst und Daten zu Pünktlichkeit bzw. etwaigen Verspätungen an Anschluss-Busse weitergeleitet werden. 504 Zudem wurden Ende 2015 drei Nachtverbindungen auf der Relation Innsbruck-Kufstein und zwei in entgegengesetzter Richtung in den Fahrplan aufgenommen. Dieser „Bahn-Nightliner“ verkehrt an Wochenenden und vor Feiertagen und wird im Durchschnitt von 600 Kunden pro Nacht genutzt. Über einen Ausbau dieses Angebots in den anderen Teilen Tirols wird bereits nachgedacht. 505 Um die Fahrtmöglichkeiten für Nachtschichtpendler in den Morgenstunden von Sonn- und Feiertagen zu verbessern, wurde im Frühjahr 2017 eine bislang in Innsbruck endende S-Bahn-Verbindung bis Ötztal verlängert. 506 Bahnhof Ötztal Schnittstelle am Bahnhof Der schrittweise Ausbau des Angebots zeigt Wirkung. Der Zuspruch durch die Nutzer ist so groß, dass es auf bestimmten Relationen im Berufsverkehr zu überfüllten Zügen kommt, auch haben es Pendler teilweise schwer, auf den Park&Ride-Plätzen einen Parkplatz zu finden. Von Seiten der ÖBB hat man darauf mit der Aufnahme eines zusätzlichen Zuges in den Fahrplan reagiert. Zur Verbesserung der Anbindung des Brixentales an den Großraum Innsbruck wurde zudem eine durchgehende S-Bahn eingeführt, so dass das Umsteigen in Wörgl samt Wartezeit entfällt. 507 Auch tariflich geht man neue Wege. Während bislang für ein Jahresticket für das gesamte Bundesland mehr als 2.000 Euro zu zahlen waren, gibt es seit Juni 2017 das Tirolticket für nur 490 Euro. Ziel dieser drastischen Preissenkung ist es, potentielle Nutzer zu einem Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu animieren bzw. bei bestehenden Kunden die Nutzungshäufigkeit zu erhöhen. 508 Im Rahmen einer österreichweiten Befragung ermittelte der Verkehrsclub Österreich neben der aktuellen Zufriedenheit mit dem Angebot auch die Bedürfnisse und Wünsche der Bahnreisenden in Tirol. Hierbei zeigt sich, dass einem dichten Fahrplan (auch unter Berücksichtigung der späteren Abendstunden) und funktionierenden Anschlüssen die größte Bedeutung beigemessen wird (siehe folgende Abbildung). 504 vgl. Verkehrsverbund Tirol: Zug spät? - Bus wartet! (22.10.2013), http: / / www.vvt.at, 26.01.2014 505 vgl. o.V.: Tiroler Bahn-Nightliner nicht zu bremsen (20.05.2016), http: / / www.tt.com, 31.05.2017 506 vgl. Verkehrsverbund Tirol: Neuer Sonntagszug fährt nach Nachtschicht bis Ötztal (30.03.2017), http: / / www. vvt.at, 23.05.2017 507 o.V.: Weitere S-Bahn ab Jenbach (05.04.2017), http: / / www.tt.com, 31.05.2017 508 vgl. Verkehrsverbund Tirol: Bunte Zuggarnitur wirbt für Tirolticket (30.05.2017), http: / / www.vvt.at, 31.05. 2017 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 203 Abbildung 11-1 Wichtige Kriterien beim Bahnfahren - Ergebnisse für das Bundesland Tirol 509 Aufgabe 1: Beschreiben Sie - nach entsprechender Recherche - das öffentliche Verkehrsnetz in Tirol! Aufgabe 2: Welche Maßnahmen wurden bislang unternommen, um ein attraktives SPNV- Angebot in Tirol zu schaffen? Aus welchen Bausteinen setzt sich dieses zusammen? Aufgabe 3: Inwieweit wird dieses Angebot den Anforderungen an einen modernen ÖPNV gerecht? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 4: Stellen Sie dar, wie wichtige strategische Aktionsfelder des Verkehrsbetriebes zusammenwirken! Aufgabe 5: Leiten Sie aus Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix ab! Aufgabe 6: Entwickeln Sie aus der Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio! 509 erstellt nach: Verkehrsclub Österreich: Ergebnisse VCÖ-Bahntest 2013, 21.01.2014 24,0% 29,0% 33,0% 38,0% 38,0% 52,0% 54,0% 59,0% 63,0% 66,0% 0% 20% 40% 60% 80% Barrierefreie Einstiege bei Waggons Moderne, komfortable Waggons Steckdose am Sitzplatz Guter Empfang bei Mobiltelefonen, mobiles Internet Schnellere Zugverbindungen Kürzere Wartezeiten Pünktliche Zugverbindungen Zugverbindungen auch am späten Abend Häufigere Zugverbindungen Funktionierende Anschlüsse Welche Kriterien sind beim Bahnfahren wichtig? 204 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol Lösung Aufgabe 1 Das ÖBB-Streckennetz umfasst in Tirol 421 km mit 94 Haltestellen. Gemessen an der Zahl der ein- und aussteigenden Fahrgäste ist der Hauptbahnhof Innsbruck der achtgrößte Bahnhof in Österreich. 510 Abbildung 11-2 Schienenpersonennahverkehr in Tirol 511 Einzelne Netzbestandteile sind unter folgenden Namen bekannt: Strecke Verlauf Länge Spurweite Arlbergbahn Innsbruck-Bludenz 136 km 1.435 mm Brennerbahn Innsbruck-Bozen 127 km 1.435 mm Drautalbahn (Maribor-)Spittal-Millstätter See-Lienz-Innichen 311 km 1.435 mm Giselabahn Salzburg-Wörgl 192 km 1.435 mm Inntalbahn Kufstein-Innsbruck 75 km 1.435 mm Stubaitalbahn Innsbruck-Fulpmes 18 km 1.000 mm 510 vgl. ÖBB-Holding AG: Österreich zusammenbringen - Zahlen, Daten, Fakten, Wien 2018, 26 und 59 511 erstellt nach: ÖBB-Personenverkehrs AG: Streckennetz Österreich, Wien 2016; Verkehrsverbund Tirol: Liniennetz Schiene Tirol, http: / / www.vvt.at, 06.06.2017 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 205 Fortsetzung Strecke Verlauf Länge Spurweite Zillertalbahn Jenbach-Mayrhofen 32 km 760 mm Karwendelbahn/ Mittenwaldbahn Innsbruck-Garmisch-Partenkirchen 57 km 1.435 mm Tabelle 11-1 Bekannte Netzabschnitte der S-Bahn Tirol 512 Neben dem normalspurigen Netz sind schmalspurige Strecken (Stubaitalbahn, Zillertalbahn) Teil des Schienenverkehrs. Diese werden jedoch nicht von den ÖBB, sondern von der Innsbrucker Verkehrsbetriebe und Stubaitalbahn GmbH bzw. von der Zillertaler Verkehrsbetriebe AG betrieben. Auf folgenden Achsen werden auch (inter)nationale Fernverkehre abgewickelt: Saalfelden-Wörgl-Innsbruck (Fahrplanbild 201), Spittal-Millstätter See-Lienz-Innichen (Fahrplanbild 223), Salzburg-Kufstein-Wörgl-Innsbruck-Brenner-Bozen (Fahrplanbild 300), Innsbruck-Bludenz (Fahrplanbild 400), Innsbruck-Pfronten-Steinach (Fahrplanbild 410). Der Verkehrsverbund Tirol bedient insgesamt 6.600 Haltestellen. Hierbei sind neben den sechs S- Bahn-Linien fünf Regional-Express-Linien sowie weitere Regionalbahn-Linien im Einsatz. Ergänzt werden diese durch 29 Regiobus-Systeme und zwei Regiotax-Bedarfsbusse. 513 Aufgabe 2 Netz schrittweiser Auf- und Ausbau des S-Bahnnetzes ausgehend von Innsbruck derzeit sechs S-Bahn-Linien quer durch Tirol Ergänzung durch ausgedehntes Busliniennetz Fahrplan und Takt dichter Fahrplan, 30-/ 60-Minuten-Takt; durch Linienüberlagerung im Inntal teilweise 15-Minuten-Takt zusätzlich Einsatz von Regional-Express-Zügen Projekt „VVT-ANS“ zur Gewährung der Anschlusssicherheit insbesondere in den Schwachlastzeiten Kommunikation regelmäßige Fahrgastbefragungen Fahrzeuge moderne Züge (Typ „Talent“ von Bombardier) komfortable Ausstattung Stationen Modernisierung, Neubau zusätzlicher Stationen (teilweise schon realisiert) Einrichtung von P&R-Plätzen Tarifsystem attraktive Preisgestaltung Sondertarife für Familien, Kinder, Jugendliche, Studenten (Semesterticket), Menschen mit Behinderung, Zivildienstleistende, Senioren Einführung des Tiroltickets Tabelle 11-2 Bisherige Maßnahmen und Bausteine 512 erstellt nach: Inderst, Markus: Österreich mit dem Zug entdecken, München 2012, 44ff; Inderst, Markus: Die Alpen mit dem Zug entdecken, München 2006, 25ff; Hehl, Markus: Das große Buch der Alpenbahnen, München 2005, 144 513 vgl. Verkehrsverbund Tirol: Bunte Zuggarnitur wirbt für Tirolticket (30.05.2017), http: / / www.vvt.at, 31.05.2017 206 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol Aufgabe 3 Anforderungen an modernen ÖPNV: Umsetzung bei S-Bahn Tirol Bedienungsqualität Erschließungsqualität Angebotsqualität marktgerechte Angebotsdiversifizierung Beförderungsqualität Information Einsatz modernen Rollmaterials ("Talent") Modernisierung von Bahnhöfen und Haltepunkten S-Bahnen im 30bzw. 60-Minuten-Takt auf bestimmten Relationen REX im 1- oder 2-Stunden-Takt Schaffung von Park&Ride-Plätzen "Komfortzone" (komfortablere Sitze speziell für Pendler) Regiobus-Systeme, Regiotax-Bedarfsbusse Berücksichtigung von Rad- und Wandertourismus Projekt VVT-ANS zur Anschlusssicherung S-Bahn-Netz umfasst gesamtes Bundesland (Normalspurnetz, außer Ötztal-St.-Anton und Osttirol) S-Bahn-Netz als Hauptnetz der Region Ergänzungsnetz durch Buslinien abgedeckt Schnittstellen, Umsteigebeziehungen 7 Tage pro Woche auf Hauptstrecken 18-21 Stunden Betriebszeit zeitliches Beförderungsangebot tw. Taktverdichtungen Verbesserung von Verbindungen neue Angebote an Wochenenden für Pendler im Schichtdienst Stationen Fahrzeuge Errichtung neuer Haltestellen Hoch- und Niederflurbereich VVT Smartride App über VVT-Webseite Tarif- und Fahrplanauskunft für ganz Österreich differenziertes Tarifsystem mit attraktiven Angeboten Abbildung 11-3 Mindmap: Anforderungen an einen modernen ÖPNV - Umsetzung bei der S-Bahn Tirol Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 207 Aufgabe 4 Fahrplan + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + - + + + + + + + + + + + + Beförderungskapazität Personal Fahrgäste Tarife Fahrzeuge Stationen Finanzlage Netzgröße/ -dichte Abbildung 11-4 Wirkungsgefüge Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Netzgröße/ -dichte Fahrzeuge Je größer/ dichter das Netz, umso mehr Fahrzeuge sind erforderlich (bei gleichbleibender Bedienzeit/ Taktung). Stationen Je größer/ dichter das Netz, umso mehr Stationen (gleiche Stationsdichte vorausgesetzt). Fahrgäste Je größer/ dichter das Netz, umso mehr (potentielle) Fahrgäste können erreicht werden. Finanzlage Je größer/ dichter das Netz, umso stärker beansprucht dies die Finanzlage. Fahrplan Beförderungskapazität Je dichter der Fahrplan, umso höher die Beförderungskapazität. Fahrzeuge Je dichter der Fahrplan, umso mehr Fahrzeuge sind nötig. Personal Je dichter der Fahrplan, umso mehr Personal ist nötig. Fahrgäste Je dichter der Fahrplan, umso mehr Fahrgäste werden angesprochen (da mehr alternative Fahrtmöglichkeiten). 208 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Fahrplan Finanzlage Je dichter der Fahrplan, umso stärker beansprucht dies die Finanzlage. Beförderungskapazität Fahrplan Je höher die angestrebte Beförderungskapazität, umso dichter sollte der Fahrplan sein. Fahrzeuge Je höher die angestrebte Beförderungskapazität, umso mehr Fahrzeuge sind erforderlich. Fahrgäste Je höher die verfügbare Beförderungskapazität, umso mehr Fahrgäste können transportiert werden. Fahrzeuge Netzgröße/ -dichte Je mehr Fahrzeuge, umso größer/ dichter kann das bediente Netz sein. Fahrplan Je mehr Fahrzeuge, umso dichter kann der Fahrplan sein. Beförderungskapazität Je mehr Fahrzeuge, umso höher die Beförderungskapazität. Stationen Art und Größe der Fahrzeuge stellt Anforderungen an Größe und Ausbauzustand der Stationen. Personal Je mehr Fahrzeuge, umso mehr Personal ist erforderlich. Fahrgäste Je mehr Fahrzeuge, umso mehr Fahrgäste können befördert werden. Finanzlage Je mehr Fahrzeuge, umso stärker beansprucht dies die Finanzlage. Stationen Fahrzeuge Größe und Ausbauzustand der Stationen bestimmen, wie viele und welche Fahrzeuge dort aufgenommen werden können. Fahrgäste Je mehr Stationen, umso mehr Fahrgäste können erreicht werden (kürzere Wegstrecken zur nächsten Station). Finanzlage Je mehr Stationen, umso stärker beansprucht dies die Finanzlage. Tarife Fahrgäste Je attraktiver die Tarife, umso mehr Fahrgäste fühlen sich angesprochen. Finanzlage Je höher die Tarife, umso besser die Finanzlage (gleiche Fahrgastzahlen vorausgesetzt). Personal Fahrplan Je mehr Personal, umso dichter kann Fahrplan sein. Fahrzeuge Je mehr Personal, umso mehr Fahrzeuge können eingesetzt werden. Fahrgäste Je freundlicher das Personal, umso zufriedener die Fahrgäste. Finanzlage Je mehr Personal, umso stärker beansprucht dies die Finanzlage. Fahrgäste Netzgröße/ -dichte Je mehr Fahrgäste erreicht werden sollen, umso größer/ dichter sollte das Netz sein. Fahrplan Je mehr Fahrgäste erreicht werden sollen, umso dichter sollte der Fahrplan sein. Beförderungskapazität Je mehr Fahrgäste befördert werden sollen, umso größer sollte die Beförderungskapazität sein. Fahrzeuge Je mehr Fahrgäste befördert werden sollen, umso mehr Fahrzeuge sind erforderlich. Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 209 Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Fahrgäste Stationen Je mehr Fahrgäste erreicht werden sollen, umso mehr Stationen sollten angefahren werden (kürzere Wegstrecken zur nächsten Station). Tarife Je mehr Fahrgäste angesprochen werden sollen, umso attraktiver sollten die Tarife sein. Personal Je mehr Fahrgäste befördert werden sollen, umso mehr Personal ist erforderlich. Finanzlage Netzgröße/ -dichte Je besser die Finanzlage, umso größer/ dichter kann das Netz sein. Fahrzeuge Je besser die Finanzlage, umso mehr kann in Fahrzeuge investiert werden. Stationen Je besser die Finanzlage, umso mehr kann in Stationen investiert werden. Fahrplan Je besser die Finanzlage, umso dichter kann der Fahrplan sein. Tarife Je schlechter die Finanzlage, umso höher wahrscheinlich die Tarife. Personal Je besser die Finanzlage, umso besser kann das Personal bezahlt werden. Abbildung 11-5 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Aufgabe 4 Wirkung von auf Netzgröße/ -dichte Fahrplan Beförderungskapazität Fahrzeuge Stationen Tarife Personal Fahrgäste Finanzlage Zeilensumme Netzgröße/ -dichte x 0 0 2 3 0 0 3 2 10 Fahrplan 0 x 3 3 0 0 2 3 3 14 Beförderungskapazität 0 3 x 3 0 0 0 3 0 9 Fahrzeuge 1 3 3 x 3 0 3 3 3 19 Stationen 0 0 0 3 x 0 0 2 3 8 Tarife 0 0 0 0 0 x 0 2 1 3 Personal 0 0 0 3 0 0 x 2 3 8 Fahrgäste 3 3 3 3 3 3 3 x 0 21 Finanzlage 2 2 0 2 2 3 2 0 x 13 Spaltensumme 6 11 9 19 11 6 10 18 15 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 11-3 Wirkungsmatrix 210 Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol Die Fahrgäste sowie die Fahrzeuge beeinflussen die übrigen Faktoren am stärksten. Den geringsten Einfluss auf die restlichen Faktoren üben die Tarife aus. Die Fahrgäste und die Fahrzeuge werden ebenso von allen anderen Faktoren am stärksten beeinflusst. Den geringsten Einflüssen unterliegen Netzgröße/ -dichte und Tarife. Aufgabe 5 20 22 24 20 22 24 16 18 16 18 Einflussnahme 0 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14 REAKTIV KRITISCH TRÄGE AKTIV Beeinflussbarkeit N Fp Fz S Netzgröße/ -dichte Fahrplan Fahrzeuge Stationen B Beförderungskapazität T Tarife Fg P Fl Fahrgäste Personal Finanzlage N Fp Fz S B T Fg P Fl Abbildung 11-6 Intensitätsportfolio Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 211 Kritische Faktoren Fahrzeuge: Fahrzeuge sind die Grundvoraussetzung zur Erfüllung des Unternehmenszweckes. Deren Anzahl, Leistungsfähigkeit und Ausstattung trägt wesentlich dazu bei, wie das Gesamtangebot gestaltet werden kann. Die technischen Parameter üben starken Einfluss auf die Beförderungskapazitäten sowie eine mögliche Anpassung an Nachfrageschwankungen aus. Fahrgäste: Unternehmenszweck ist der Transport von Fahrgästen. An deren Bedürfnissen orientiert sich das Angebot. Gleichzeitig sind die Verkehrsbetriebe von der Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen durch die Fahrgäste stark abhängig, erfolgt doch die Ausschreibung von Leistungen je nach Fahrgastpotential. Finanzlage: Die Finanzlage bildet die Basis für die unternehmerischen Aktivitäten und resultiert gleichzeitig aus ihnen. Aktive Faktoren Fahrplan: Die Fahrplangestaltung beeinflusst die Attraktivität des ÖPNV- Angebots für die Fahrgäste (vgl. Bedienzeiten, Fahrzeiten, Anschlüsse, Flexibilität bei der Routenbzw. Tagesplanung). Fahrplanänderungen werden von Stammkunden genau verfolgt, Verschlechterungen ziehen oft entsprechende Kritik bzw. ein Ausbleiben von Fahrgästen nach sich. Reaktive Faktoren bei dieser Faktorenauswahl keine Träge Faktoren Netz: Das Netz bestimmt mit seiner Größe und Dichte, welches Einzugsgebiet grundsätzlich abgedeckt werden kann und welche Wege potentielle Fahrgäste zur nächstgelegenen Haltestelle zurücklegen müssen. Kurzfristige Änderungen sind hier kaum möglich. Beförderungskapazität: Die Beförderungskapazität hängt in erster Linie von den technischen Parametern der Fahrzeuge (z.B. Fahrzeuggröße, Anzahl Sitz- und Stehplätze, Traktionsfähigkeit) sowie von den Betriebszeiten bzw. dem Fahrplan ab. Dabei sollte sich die Kapazität natürlich an der Nachfrage orientieren. Stationen: Die Lage der Stationen, deren Einbindung ins Liniennetz sowie deren Ausstattung und Attraktivität tragen wesentlich zur Nutzungsintensität bei. Veränderungen in der Raum- und Siedlungsstruktur erfordern ggf. auch Veränderungen bei den Stationen. Kurzfristige Änderungen sind aber auch hier kaum möglich. Tarife: (Zumindest teilweise) Kostendeckung muss gewährleistet sein. Gleichzeitig müssen sich die Tarife aber auch an der Nachfragesituation orientieren. Personal: Vom Personaleinsatz hängt ab, wie viele Fahrzeuge bei welcher Fahrplandichte eingesetzt werden können. Kompetenz und Freundlichkeit tragen wesentlich dazu bei, ob sich die Fahrgäste wohl fühlen. Tabelle 11-4 Erläuterung der Faktoren 12 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet „Der neue Nahverkehrszug der ÖBB punktet mit modernster Technik, exklusiver Inneneinrichtung und ansprechendem Design.“ 514 Für den Nah- und Regionalverkehr setzen die ÖBB verschiedene Baureihen ein, die als S-Bahnen bzw. Regional-Express-Züge (REX) verkehren. Der Elektrotriebwagen 4020 muss als S-Bahn im Wiener S-Bahn-Netz sowohl den Bedürfnissen im städtischen Nahverkehr als auch im Regionalverkehr gerecht werden. Dazu gehört nicht nur ein entsprechender Komfort für längere Fahrten von einer bis teilweise zwei Stunden Reisezeit, sondern auch das Abwickeln großer Fahrgastströme im urbanen Raum. Unter dem Namen „Cityshuttle“ fahren seit den 1990er Jahren einbzw. doppelstöckige Wendezüge österreichweit. 515 ÖBB-Baureihe ET 4020 der S-Bahn Wien S-Bahn Wien innen Cityshuttle als Wendezug Cityshuttle innen 514 ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB Cityjet (Desiro ML): der Komfortzug im Nahverkehr, http: / / www.oebb.at/ de/ leistungen-und-services/ cityjet, 18.01.2018 515 vgl. Garstenauer, Klaus; Grals, Thomas: ÖBB-Cityjet: Implementierung eines neuen Stils im Nah- und Regionalverkehr, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2017, 278 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet 213 Cityshuttle als Doppelstock-Wendezug („Wiesel“) Doppelstock-Cityshuttle innen Im Vergleich stellt sich das bisher eingesetzte Rollmaterial wie folgt dar: Merkmale Elektrotriebwagen 4020 Cityshuttle- Wendezug Dosto-Wendezug Höchstgeschwindigkeit 120 km/ h 160 km/ h 140 km/ h Sitzplätze 184 Sitzplätze 124 (44 im Steuerwagen, 80 in den Zwischenwagen) 200 (davon 86 im Steuerwagen und 114 in den Zwischenwagen) Komfortklassen 2. Klasse 2. Klasse 2. Klasse Fahrrad-Abstellplätze 16 8 6 Barrierefrei nein nein ja Tabelle 12-1 Das bisherige Rollmaterial im Überblick 516 Bereits vor 15 Jahren wurde bei den ÖBB ein Programm zur Flottenerneuerung ins Leben gerufen. Dabei ging und geht es nicht nur darum, altes Rollmaterial systematisch zu ersetzen, sondern auch um die Erfordernisse der Gleichstellung. Im Jahr 2013 entschied man, 100 Züge des Typs „Desiro MainLine“ von Siemens zu bestellen. Hierbei handelt es sich um einen dreiteiligen Elektrozug, der für eine Höchstgeschwindigkeit bis 160 km/ h ausgelegt ist. Dies ist erforderlich, da die REX auch auf Hochleistungsstrecken zum Einsatz kommen. Zudem müssen sie Begegnungen von 250 km/ h fahrenden Zügen in Tunneln standhalten. 517 Da die elektrifizierten ÖBB-Strecken zwar mit 15 kV / 16,7 Hz betrieben werden, auf grenznahen Strecken im Osten des Landes aber 25 kV / 50 Hz zum Einsatz kommen, müssen die neuen Züge beide Bahnstromsysteme vereinen. Außerdem wurde eine Zulassung für Österreich und 516 erstellt nach: ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB Elektrotriebwagen 4020: Für die Schnellbahn, http: / / www.oebb.at, 22.01.2018; ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB Cityshuttle-Wendezug: Stütze im Nahverkehr, http: / / www.oebb.at, 22.01.2018; ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB-Doppelstock-Wendezug: Mit Panoramablick, http: / / www.oebb.at, 22.01.2018 517 vgl. Garstenauer, Klaus; Grals, Thomas: ÖBB-Cityjet: Implementierung eines neuen Stils im Nah- und Regionalverkehr, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2017, 278f 214 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet Deutschland angestrebt. Zu berücksichtigen waren zudem unterschiedliche Bahnsteighöhen und -längen. 518 „Cityjet“ als Regionalbahn in Mürzzuschlag „Cityjet“ trotz Regionalbahn-Ausführung als S-Bahn in Wien Heiligenstadt Der Cityjet existiert in zwei verschiedenen Varianten: Die Baureihe 4744 ist speziell für den Regionalverkehr konzipiert, die Baureihe 4746 für den Einsatz als S-Bahn. Die beiden Baureihen unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl der Einstiege, der Sitzplätze und der Fahrradabstellplätze. Die äußere und innere Farbgebung ist an den österreichischen Landesfarben ausgerichtet. 519 Inzwischen verkehren auch andere ÖBB-Baureihen in der Cityjet-Farbgebung, welches als neues Nahverkehrs-Corporate-Design der ÖBB gilt. Merkmale Cityjet Merkmale Cityjet Höchstgeschwindigkeit 160 km/ h Stromversorgung 15 kV / 16,7 Hz 25 kV / 50 Hz Sitzplätze 259 (Regionalzug) oder 244 (S-Bahn) Zugsicherung Standard: PZB 90 Installation möglich: ETCS Level 1 und 2 Komfortklassen 2. Klasse Einstiegsbereiche 4 je Zug (Regionalzug) oder 6 je Zug (S-Bahn) Kupplung automatische Mittelpufferkupplung Fahrrad-Abstellplätze 18 (Regionalzug) oder zwölf (S-Bahn) Traktionsfähigkeit vierfach Barrierefrei ja Gesamtlänge 75 m Tabelle 12-2 Merkmale des Cityjets 520 518 vgl. ebd., 278 519 vgl. ebd., 278f 520 erstellt nach: ebd., 281; ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB Cityjet (Desiro ML): der Komfortzug im Nahverkehr, http: / / www.oebb.at, 22.01.2018 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet 215 Neben den technischen Parametern wurde der Gestaltung des Fahrgastraumes besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Vorteilhaft erwies sich hierbei, dass sämtliche Aggregate auf dem Dach verbaut wurden, so dass innen große Gestaltungsfreiheit herrschte. 521 Im Mittelpunkt standen dabei die Sitze: „Der Sitz als physische Kundenschnittstelle beeinflusst wesentlich die Aufenthaltsqualität im Zug.“ 522 Basierend auf Ergebnissen von Kundenbefragungen wurde daher gemeinsam mit einem tschechischen Sitzhersteller ein sowohl für den Nahals auch den Regionalverkehr geeigneter Sitz entwickelt. Dieser weist Kopf- und ggf. Fußstützen sowie beidseitige Armlehnen auf, ist verstellbar und wird durch einen Klapptisch ergänzt. Die Anordnung der Sitze erfolgt in Reihen bzw. gegenüber mit einem Tisch in der Mitte. Da alle Sitze und Tische mit Schienen ausschließlich an der Wagenwand befestigt sind, lässt sich Reisegepäck besser unter den Sitzen platzieren. Zudem erleichtert dies die Bodenreinigung. Für größeren Fahrgastkomfort während längerer Fahrten sorgen unterschiedliche LED-Beleuchtungen, Leselampen und Steckdosen. 523 Cityjet innen - Reihenbestuhlung Cityjet innen - Fahrgastinformation In als „Servicezone“ bezeichneten Mehrzweckabteilen finden Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen, aber auch Fahrräder Platz. Menschen mit Mobilitätseinschränkung erhalten leichten Zugang zu den Zügen über Niederflureinstiege. Abstände bzw. Höhenunterschiede zur Bahnsteigkante werden durch Rampen bzw. Schiebetritte überbrückt. 524 Eine der zwei Toiletten pro Zug ist barrierefrei ausgestattet. 525 Bestandteile des Fahrgastinformationssystems sind 26-Zoll-Bildschirme in den Fahrgasträumen bzw. 17-Zoll-Bildschirme in den Einstiegsbereichen sowie LED-Anzeigen in den Gängen. Zum Sicherheitskonzept gehören pro Wagen vier Überwachungskameras, deren Daten für 48 Stunden gespeichert werden. 526 Separate Klimaanlage-Aggregate pro Wagen sollen optimale Raumbedingungen sicherstellen. Die Frischluftzufuhr ist an einen Kohlendioxid-Sensor gekoppelt, wobei auch der Besetzungsgrad des 521 vgl. Garstenauer, Klaus; Grals, Thomas: ÖBB-Cityjet: Implementierung eines neuen Stils im Nah- und Regionalverkehr, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2017, 279 522 ebd., 278 523 vgl. ebd., 278f 524 vgl. ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB Cityjet (Desiro ML): der Komfortzug im Nahverkehr, http: / / www.oebb.at, 18.01.2018; Siemens AG: „Desiro ML ÖBB cityjet“ (Datenblatt), München 2016 525 vgl. Garstenauer, Klaus; Grals, Thomas: ÖBB-Cityjet: Implementierung eines neuen Stils im Nah- und Regionalverkehr, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2017, 279 526 vgl. ebd., 281 216 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet Zuges berücksichtigt wird. Bei der Konzeptionierung der Anlagen wurde auch auf geringe Lärmemissionen (insbesondere nach außen) Wert gelegt. 527 Mit dem Ziel einer effizienten Energienutzung wurde ein Energiemanagementkonzept entwickelt. Dazu gehört die Rekuperation durch elektro-dynamisches Bremsen. Wird ein Zug abgestellt, laufen sämtliche Systeme im Energiesparmodus. Die Innen- und Außenbeleuchtung erfolgt mittels LED- Leuchtmitteln. 528 Im Rahmen einer ersten Bestellung wurden 101 Desiro ML in Auftrag gegeben. Die Anschaffungskosten belaufen sich auf 590 Mio. Euro. 529 Die Cityjets sind seit Dezember 2015 in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark in Betrieb. Kärnten, Osttirol und Salzburg folgten 2017 bzw. 2018. Bestellt wurden durch die ÖBB insgesamt nun schon 165 Fahrzeuge (95 als S-Bahn- Version, 70 als Regionalzug-Version), welche bis Mitte 2019 ausgeliefert sein sollen. 530 Nicht nur bei der Entwicklung des Cityjets arbeiteten Hersteller und Käufer eng zusammen, sondern auch während des Einsatzes der Züge. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse konnten in den Herstellungsprozess weiterer Einheiten eingehen. 531 So zeigten sich beispielsweise bei der S- Bahn-Variante Defizite: In Kundenbefragungen wurden die Sitzreihenabstände kritisiert, die nun speziell in den Mittelwagen von 80 cm auf 87 cm ausgeweitet wurden. Um die Gesamtanzahl der Sitzplätze nicht reduzieren zu müssen, wurden zwei zusätzliche Mehrzweckabteile mit Klappsitzen bei den Einstiegsbereichen geschaffen. Diese können nun auch zwölf Fahrräder pro Zug mehr aufnehmen als zuvor. Davon betroffen sind nicht nur die noch auszuliefernden Fahrzeuge, sondern auch alle bereits in Betrieb befindlichen werden umgerüstet. Die Gesamtkosten dieser Umbaumaßnahmen können allerdings noch nicht beziffert werden. 532 Bereits zuvor wurden Mängel in der Aerodynamik bei hohen Geschwindigkeiten von über 160 km/ h festgestellt, weshalb der Hersteller entsprechend nachzubessern hatte. 533 Inzwischen häufen sich aber auch Ausfälle bei verschiedenen Komponenten: „Die sonst schon grosse Ausfallrate der Reihen 4744 und 4746 steigerte sich während der Kälteperiode Ende Februar und Anfang März 2018 noch. Überwiegend waren Türstörungen und Trittbrettvereisungen, aber auch andere technische Mängel an Bügel, Hauptschalter, Kupplung und Bremsen zu beklagen. Vom 15. bis 21. Februar 2018 waren 36 Untauglichkeitsfälle bei den Cityjet-Fahrzeugen zu verzeichnen, jedoch schon 72 vom 22. bis 28. Februar und 68 vom 1. bis 7. März.“ 534 Mängel bei diesem Zugtyp sind allerdings nicht in Österreich zum ersten Mal aufgetreten. Bereits 2008 hatte die Belgische Staatsbahn SNCB 305 dieser Triebzüge im Wert von 1,425 Mio. Euro bei Siemens bestellt. 535 Ursprünglich werbewirksam als „Zug von morgen“ bezeichnet, wurde der dort als Baureihe AM 08 geführte Desiro aufgrund verschiedener technischer Mängel zum „Problem- 527 vgl. ebd., 280 528 vgl. ebd., 281 529 vgl. Jandrasits, Franz: ÖBB: Neue Milliarde für neue Züge (11.11.2014), http: / / www.kurier.at, 15.01.2019 530 vgl. ÖBB-Personenverkehr AG: ÖBB Cityjet (Desiro ML): der Komfortzug im Nahverkehr, http: / / www.oebb.at, 18.01.2018; ÖBB-Holding AG: Feierliche Cityjet Zugtaufe am Wiener Hauptbahnhof (19.03.2018), https: / / presse.oebb.at, 15.01.2019 531 vgl. Garstenauer, Klaus; Grals, Thomas: ÖBB-Cityjet: Implementierung eines neuen Stils im Nah- und Regionalverkehr, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2017, 282 532 vgl. ebd.; o.V.: Mehr Beinfreiheit: ÖBB rüsten Cityjets um (21.04.2017), http: / / wien.orf.at, 18.01.2018 533 vgl. o.V.: Cityjet-Züge: Lieferfirma muss nachbessern (08.10.2016), https: / / kurier.at, 24.01.2018 534 o.V.: 101. Cityjet geliefert, in: Schienenverkehr aktuell 5/ 2018, 228 535 vgl. SNCB: Desiro, le train de demain, in: time to B, 16.12.2012, 23 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet 217 zug“. Etwa 1.500 Störungsberichte sollen dem Hersteller zugegangen sein. 536 Dies führte zunächst zu einem zeitweiligen Auslieferungsstopp und später zu einer Schadenersatzforderung der SNCB gegenüber Siemens in Höhe von 60 Mio. Euro. 537 Baureihe AM 08 der SNCB bei der Ausfahrt aus La Gare Midi in Brüssel „Ventus“ der Raaberbahn bei der Einfahrt in Pamhagen Derartig umfangreiche Probleme wurden von anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die diese Züge ebenfalls einsetzen, nicht bekannt. Seit 2008 verkehren sie bereits als Trans-Regio-Baureihe 460 auf der Mittelrheinbahn, seit 2016 als Baureihe 4744 bzw. unter dem Namen „Ventus“ bei der Raaberbahn. Aufgabe 1: Welche Aspekte sind generell im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung aus technischer und aus kaufmännischer Sicht zu berücksichtigen? Aufgabe 2: Welche speziellen Anforderungen sind an Fahrzeuge zu stellen, die den hier vorliegenden Erfordernissen beim Einsatz als S-Bahn bzw. Regionalzug genügen? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 3: Welche Vorteile ergeben sich aus einer engen Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Käufer? 536 vgl. o.V.: Belgien: SNCB nimmt derzeit keine Desiro ML ab (20.02.2013), http: / / www.eurailpress.de, 24.01.2018 537 vgl. Belgischer Rundfunk: SNCB verlangt 60 Millionen Euro Schadensersatz von Siemens (09.01.2015), https: / / brf.be, 24.01.2018 218 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet Lösung Aufgabe 1 Kaufmännische Kriterien Technologische Kriterien Preise Produktions- und Lieferkapazität Qualität der Ware (z.B. Reklamationen) Lieferzeit Termintreue Lieferkosten Reaktionsgeschwindigkeit kundenspezifische Bevorratung Marktmacht des Lieferanten Standort Kommunikation Infrastruktur der Fertigung Investitionsverhalten Modernität der Technologie Qualitätssicherungsstandards Mitarbeiterqualifikation technisches Know-how Service Tabelle 12-3 Kriterien der Lieferantenauswahl Aufgabe 2 Kriterien Erläuterung Cityjet Fahrzeuggröße Kapazität 259 Sitzplätze (Regionalzug) oder 244 Sitzplätze (S- Bahn) Einsatz und betriebliche Flexibilität Tauglichkeit für vorhandenes Netz als S-Bahnen (Baureihe 4746) bzw. REX-Züge (Baureihe 4744) in den jeweiligen Netzen für unterschiedliche Bahnsteighöhen und -längen Höchstgeschwindigkeit bis 160 km/ h, da REX auch auf Hochleistungsstrecken eingesetzt muss Begegnungen von 250 km/ h fahrenden Zügen in Tunneln standhalten tauglich für zwei Bahnstromsysteme: elektrifizierte ÖBB-Strecken mit 15 kV / 16,7 Hz, grenznahe Strecken im Osten 25 kV / 50 Hz Ziel: Zulassung für Österreich und Deutschland Traktionsfähigkeit Vierfach-Traktion möglich Erscheinungsbild und Fahrgastkomfort Raumgestaltung Bedürfnissen im städtischen Nahverkehr (v.a. Abwickeln großer Fahrgastströme) und im Regionalverkehr (Komfort bei längeren Fahrten) gerecht werden - daher zwei verschiedene Baureihen Unterschiede hinsichtlich Anzahl der Einstiege, Sitzplätze und Fahrradabstellplätze sämtliche Aggregate auf dem Dach, deshalb innen große Gestaltungsfreiheit äußere und innere Farbgebung an österreichischen Landesfarben ausgerichtet Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet 219 Fortsetzung Kriterien Erläuterung Cityjet Erscheinungsbild und Fahrgastkomfort Anzahl, Anordnung der Sitzplätze, Qualität der Sitze Sitze als „Schnittstelle zum Kunden“, sowohl für Nahals auch Regionalverkehr geeignet (Kopf- und ggf. Fußstützen, beidseitige Armlehnen, verstellbar, ergänzt durch Klapptisch) Anordnung in Reihen bzw. vis-à-vis mit Tisch alle Sitze und Tische mithilfe von Schienen ausschließlich an der Wagenwand befestigt (Platz für Gepäck, leichtere Reinigung) Gestaltung der Einstiege (Fahrgastfluss) Einstiegsbereiche: 4 je Zug (Regionalzug) oder 6 je Zug (S-Bahn) Raumklima (Klimatisierung, Heizung) separate Klimaanlage-Aggregate pro Wagen, Frischluftzufuhr an Kohlendioxid-Sensor gekoppelt (Berücksichtigung des Besetzungsgrads des Zuges Größe und Anordnung der Fenster, Sonnenschutz tw. „Fensterplätze“ ohne Sicht nach draußen Verdunklungsrollos Beleuchtung unterschiedliche LED-Beleuchtungen, Leselampen und Steckdosen Geräuschniveau geringe Lärmemissionen Informationssysteme Fahrgastinformationssystem: 26-Zoll-Bildschirme in den Fahrgasträumen bzw. 17-Zoll-Bildschirme in den Einstiegsbereichen, LED-Anzeigen in den Gängen Erfüllung der Forderungen zur Gleichstellung Barrierefreiheit Niederflureinstiege (Abstände bzw. Höhenunterschiede zur Bahnsteigkante durch Rampen bzw. Schiebetritte überbrückt) zwei Toiletten pro Zug, eine davon barrierefrei Mehrzweckabteile für Fahrgäste mit Fahrrädern, Kinderwagen sowie mit sperrigem Gepäck Mehrzweckabteile = „Servicezone“, Platz für Rollstuhlfahrer, Kinderwagen, Fahrräder Fahrradabstellplätze: 18 (Regionalzug) oder 12 (S- Bahn) allgemeine Sicherheit der Fahrgäste Durchsicht durch die Wagen gegeben Überwachungs- und Notrufsysteme 4 Überwachungskameras pro Wagen (Datenspeicherung 48 Stunden) Brandschutzanlage gegeben Kosten Anschaffungs-, Betriebskosten Anschaffungskosten: 590 Mio. Euro für die ersten 101 Fahrzeuge Energieverbrauch effiziente Energienutzung: Energiemanagementkonzept (Rekuperation durch elektro-dynamisches Bremsen, bei Abstellen des Zuges alle Systeme im Energiesparmodus, Innen- und Außenbeleuchtung mit LED-Leuchtmitteln) 220 Neues Nahverkehrsflaggschiff der ÖBB - Der Cityjet Fortsetzung Kriterien Erläuterung Cityjet Kosten Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit Mängel in der Aerodynamik bei hohen Geschwindigkeiten von über 160 km/ h festgestellt unverhältnismäßig häufiges Auftreten von Türstörungen, Trittbrettvereisungen und Ausfall weiterer Komponenten zu verzeichnen Einsatzzeiten der Verschleißteile k.A. Unterhaltungskosten, Instandhaltung k.A. Umweltverträglichkeit Energieverbrauch effiziente Energienutzung (s.o.) Geräuschpegel nach außen geringe Lärmemissionen (insbesondere nach außen) Tabelle 12-4 Spezielle Anforderungen an die Fahrzeuge Aufgabe 3 Mögliche Vorteile sind folgende: bessere Abstimmung von Anforderungen seitens des Kunden mit technischen Möglichkeiten seitens des Herstellers, Nutzung von Synergieeffekten, rechtzeitiges Lernen aus Fehlern und Vornehmen von Veränderungen, Beheben von erkannten Mängeln bereits während der Produktion bei größeren Aufträgen, Berücksichtigung veränderter Rahmenbedingungen während des Entwicklungsbzw. Produktionsprozesses. 13 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn „Zunächst wollten weder die Behörden noch ein Großteil der Bürger die Vinschgerbahn. Nur eine Handvoll Umweltschützer kämpfte dafür. Heute ist die Südtiroler Zugverbindung ein von allen geschätztes Erfolgsmodell.“ 538 Das Südtiroler Eisenbahnnetz setzt sich aus vier Teilabschnitten zusammen: der Brennerlinie mit der Strecke Brenner-Bozen-Ala, der Vinschgerbahn mit der Stecke Meran-Mals, der Meraner Linie mit der Strecke Bozen-Meran und der Pustertalbahn mit der Strecke Innichen-Franzensfeste. Dabei wird insbesondere die Vinschgerbahn regelmäßig als gelungenes Beispiel für umweltfreundliche Mobilität genannt. Aufgrund ungenügender Fahrgastzahlen und schlechter Zukunftsperspektiven war die Bahn 1991 von den italienischen Eisenbahnen stillgelegt worden. Acht Jahre später übernahm die Provinz Südtirol die Strecke, um sie zu reaktivieren, modernisieren und schließlich wieder in Betrieb zu nehmen. 539 Die Initiatoren stießen dabei allerdings nicht nur auf Wohlwollen und mussten jahrzehntelang zunächst für den Erhalt der alten Bahn und dann für dieses Projekt kämpfen: „Wir wollten keine Nostalgie auf Schienen, wir suchten ein modernes, ökologisches Konzept.“ 540 Nicht nur die Behörden wollten lieber in den Straßenausbau investieren: „Hätte es eine Volksabstimmung gegeben, wäre eine große Mehrheit gegen die Bahn gewesen.“ 541 Selbst als es von Seiten der Politik grünes Licht gab, musste man den Bürgern den ökologischen und praktischen Nutzen der Bahn erst noch nahebringen. Schließlich sollten die Einwohner die Bahn später auch regelmäßig nutzen. 542 Der erste Zug fuhr am 5. Mai 2005 auf der reaktivierten Strecke 543 , was auch als „Geburtsstunde der neuen Südtiroler Mobilitätsphilosophie“ 544 bezeichnet wird. Schon in kürzester Zeit zeigte sich, wie gut das Projekt angenommen wurde. Nur ein Jahr nach der Inbetriebnahme konnte man 100.000 Fahrgäste pro Monat verzeichnen. 50.000 Pendler nutzten nun die Bahn. Die Zielvorgabe war, die Fahrgastzahlen von einst um 25 % zu steigern. Erreicht hat man in kürzester Zeit eine Steigerung um 50 %. Mittlerweile zählt man 2 Mio. Fahrgäste jährlich. 545 538 Entenmann, Uschi: Zurück in die Zukunft mit der Vinschgerbahn, in: CIPRA International (Hrsg.): Wir Alpen! Menschen gestalten Zukunft (3. Alpenreport), Schaan 2007, 28 539 vgl. o.V.: Südtirolbahn, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ bahnhoefe.asp, 01.09.2012; o.V.: Südtirol-Bahn, http: / / www.eisenbahn.it/ drupal/ suedtirol-bahn, 01.09.2012; CIPRA International: Verkehr im Klimawandel, Schaan 2010, 32 540 Henrich Zoderer (ehem. Vorsitzender der Umweltgruppe Vinschgau), zit. in: Entenmann, Uschi: Zurück in die Zukunft mit der Vinschgerbahn, in: CIPRA International (Hrsg.): Wir Alpen! Menschen gestalten Zukunft (3. Alpenreport), Schaan 2007, 33 541 Helmuth Moroder (Projektleiter beim Wiederaufbau der Vinschgerbahn), zit. in: ebd., 30 542 vgl. ebd. 543 vgl. o.V.: Eine Bahn schreibt Geschichte, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ geschichte.asp, 01.09.2012 544 o.V.: Südtirol steigt um auf den ÖPNV, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 28 545 vgl. Strieder, Swantje: Vom Dorfmobil Klaus bis zur wiedererweckten Eisenbahn Meran-Mals - Sanfte Mobilitätsformen fördern den Tourismus in abgelegenen Gebieten (20.03.2007), http: / / www.cipra.org, 01.09.2012; CIPRA International: Verkehr im Klimawandel, Schaan 2010, 32; Studer, Bernd: Vinschgau: Vom eigenen Erfolg fast überrollt, in: Info-Forum Pro-Bahn Schweiz 04/ 2005, 3; o.V.: Südtirol steigt um auf den ÖPNV, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 28 222 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn Vinschgerbahn in Mals Bahnhof Meran Mittlerweile hat keiner mehr Zweifel am Nutzen dieser Bahn: „Die Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung und den Touristen ist enorm und hat die optimistischen Vorhersagen weit übertroffen. Jährlich übernachten 200.000 Schweizer Gäste mehr in Südtirol als vor dem Ausbau der Bahn. Touristikexperten führen dies auf den Werbeeffekt der Vinschgerbahn zurück. Durchschnittlich gibt ein Schweizer Gast täglich 110 Euro aus, woraus sich ein Umsatz von 22 Millionen Euro jährlich ergibt. Davon fliessen dem Land Südtirol rund acht Millionen Euro direkte und indirekte Steuern zu. Ein Grossprojekt, das sein Ziel, mehr Nachhaltigkeit, sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich und sozial, erreicht hat.“ 546 Schon 1830 wurde über eine Bahn durch den Vinschgau nachgedacht; damals, um England und Indien auf dem kürzesten Weg zu verbinden. Der Schweizer Eisenbahn-Pionier Adolf Guyer- Zeller, Erbauer der Jungfraubahn, griff die Idee 1895 auf und plante eine Bahn, die Bestandteil einer Eisenbahnachse vom Engadin nach Venedig und weiter nach Istanbul werden sollte. 547 Im Jahr 1906 war die Bahn dann als normalspurige Lokalbahn errichtet worden. Bereits Anfang der 1960er Jahre wurde erstmals eine Stilllegung in Erwägung gezogen. Insbesondere in den 1980er Jahren verlor die Strecke immer mehr an Attraktivität. Im Zuge der Ausdünnung des gesamten Streckennetzes der italienischen Staatsbahnen trennte man sich auch von der Strecke durch den Vinschgau. 548 Die Strecke von Meran nach Mals ist 59,8 km lang. Dabei werden über drei Steilstufen ca. 700 Höhenmeter überwunden. Möglich ist dies durch eine teils aufwendige Trassenführung, die eine Kehrschleife bei Marling, drei Tunnel (Marlinger Kehrtunnel, Josefsbergtunnel und Töll-Tunnel) und eine Galerie aufweist. Die reaktivierte Bahn nutzt diese Trassierung; der Oberbau und die Sicherungsanlagen wurden aber dem aktuellen Stand der Technik angepasst. Dadurch ist es möglich, auf den flacheren Streckenabschnitten bis zu 100 km/ h und auf den kurvenreicheren Abschnitten bis zu 70 km/ h zu fahren. Entlang der Strecke wurden Geh- und Radwege angelegt. 549 546 Moroder, Helmuth: Mut zu Mega - aber auf der richtigen Spur, in: Szene Alpen, 94/ 2010, 5f; siehe dazu auch: Studer, Bernhard: Innovatives Konzept, durchschlagender Erfolg, in: Info-Forum Pro-Bahn Schweiz 04/ 2005, 1 547 vgl. o.V.: Vinschgerbahn nach 14 Jahren wiedereröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2005, 265; o.V.: Vinschgau: Eine Vision einer „Engadin-Orient-Bahn“, in: Info-Forum Pro-Bahn Schweiz 04/ 2005, 4 548 vgl. Entenmann, Uschi: Zurück in die Zukunft mit der Vinschgerbahn, in: CIPRA International (Hrsg.): Wir Alpen! Menschen gestalten Zukunft (3. Alpenreport), Schaan 2007, 30 549 vgl. ebd., 35; o.V.: Streckenführung, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ streckenfuehrung.asp, 01.09.2012; Inderst, Markus: Die Alpen mit dem Zug entdecken, München 2006, 180 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn 223 Abbildung 13-1 Streckenverlauf der Vinschgerbahn 550 Zur Gewährleistung der Sicherheit errichtete man ein neues Stellwerk, das den höchsten Sicherheitsansprüchen nach dem Sicherheits-Integritätslevel SIL4 entspricht. Über dieses Stellwerk wird die gesamte Strecke ferngesteuert kontrolliert. In Meran ist die Leitstelle angesiedelt. Bestandteil des Zugleitsystems ist auch die Fahrgastinformation, die die Ein- und Ausfahrt der Züge sowie etwaige Gleisänderungen oder Verspätungen bekanntgibt. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen hat man 54 der ursprünglichen Bahnübergänge geschlossen und an diesen Stellen Unterführungen errichtet. Die verbliebenen 31 Bahnübergänge sind mit Schranken und Schutzsignalen gesichert, allerdings sollen weitere davon noch entfernt werden. 551 Die Bahnhofsgebäude an der Strecke stammen aus dem Jahr 1906. Sie weisen zwar in Größe und Form Unterschiede auf, verfügen aber über wiederkehrende Grundelemente und Farben, so dass sich insgesamt ein einheitliches Bild ergibt. Bei der Reaktivierung der Bahn galt es, diese Gebäude fachgerecht zu sanieren. Dazu wurden z.B. spätere Anbauten entfernt und ehemalige Anstriche wieder aufgebracht. Realisiert wurden diese Maßnahmen durch die Gemeinden in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt. 552 150 Mio. Euro wurden in den Ausbau der Bahn investiert. Allerdings war die Finanzierung nicht der entscheidende Faktor. Das autonome Südtirol gilt als wohlhabende Provinz und verdient gut mit seinen Obstplantagen und am Tourismus. 553 Speziell für die Strecke beschafft wurden zwölf diesel-elektrische Stadler-Gelenktriebwagen 554 vom Typ GTW 2/ 6. Diese Niederflurtriebwagen ermöglichen den Reisenden aufgrund der breiten Türen und der angepassten Bahnsteighöhe einen leichten Zustieg und bieten innen Platz für Fahrräder, 550 erstellt nach: o.V.: Bahnhöfe, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ meran-mals.asp, 01.09.2012; Klier, Henriette: Vinschgau, Oberhaching 2010, 6f 551 vgl. o.V.: Sicherungsanlagen, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ sicherungsanlagen.asp, 01.09.2012; o.V.: Weitere Bahnübergänge im Vinschgau werden entfernt (16.02.2018), http: / / www.suedtirolnews.it, 19.02.2019 552 vgl. o.V.: Bahnhöfe, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ meran-mals.asp, 01.09.2012 553 vgl. Entenmann, Uschi: Zurück in die Zukunft mit der Vinschgerbahn, in: CIPRA International (Hrsg.): Wir Alpen! Menschen gestalten Zukunft (3. Alpenreport), Schaan 2007, 30ff 554 Aufgrund eines Eisenbahnunglücks stehen nun nur noch elf Garnituren zur Verfügung. 224 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn Kinderwagen oder Gepäck. Helle Großraumabteile mit Panoramafenstern und Klimaanlagen sollen ein angenehmes Reisen garantieren. 555 Stadler-Gelenktriebwagen der Vinschgerbahn Innenansicht Die Basis des Angebots bilden stündlich verkehrende Regionalzüge in beide Richtungen. Dabei werden alle Haltestellen entlang der Strecke bedient. Der Bedienungszeitraum erstreckt sich täglich von kurz nach 5 Uhr bis ca. 24 Uhr, wobei in den Morgenstunden das Angebot verdichtet wird und am Wochenende die Züge meist in Doppeltraktion verkehren. Zweistündlich wird zudem eine Schnellverbindung zwischen dem Obervinschgau und Meran angeboten. Ergänzend wurden die Buslinien, welche nun überwiegend Zubringerdienste zu den Bahnhöfen übernehmen, in das Konzept einbezogen. 556 Vordergründiger Zweck der Bahn ist die Bereitstellung eines attraktiven Regionalverkehrs im Tal und in Richtung Meran/ Bozen. Gleichzeitig kann sie aber auch als Zubringer für den überregionalen und internationalen Verkehr fungieren. Insbesondere im Obervinschgau wird die Verknüpfung zu den Nachbarländern forciert. Mit der Inbetriebnahme der Vinschgerbahn wurde auch die Schweizer Postautolinie von Zernez über Müstair bis nach Mals verlängert, die hier nun im Stundentakt fährt. Dadurch konnten die Ferienregionen Unterengadin und Obervinschgau besser miteinander verknüpft werden. Während die Vinschgerbahn in Mals günstige Anschlüsse bietet, können Fahrgäste in umgekehrter Richtung in Zernez auf das Netz der Rhätischen Bahn umsteigen. Auf der Relation Zürich-Meran ist diese Verbindung nun sogar zeitlich günstiger als über den Brenner. 557 Von touristischem Interesse ist ein Fahrradverleih-Konzept für die Region. Ausleihstationen befinden sich u.a. an sechs Bahnhöfen der Strecke, die Rückgabe der Räder ist an jeder dieser Stationen möglich. Zudem gibt es an ausgewählten Stationen Lademöglichkeiten für Pedelecs. Ein Kombiticket ermöglicht dabei die Nutzung von Bahn, Bus und Rad, wobei von Ende April bis Ende Oktober in den Hauptverkehrszeiten die Fahrräder nicht in der Bahn selbst, sondern per Lkw transportiert werden. 558 555 vgl. o.V.: Rollmaterial, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ rollmaterial.asp, 01.09.2012 556 vgl. Autonome Provinz Bozen Landesmobilitätsagentur: Bahnfahrplan 2017, Bozen 2016, 22ff 557 vgl. o.V.: Vinschgerbahn nach 14 Jahren wiedereröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 6/ 2005, 266 558 vgl. o.V.: Bus, Bahn und Bike, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ bahn-und-bike.asp, 01.09.2012; Südtiroler Transportstrukturen AG: Vom Fahrradsattel direkt in die Eisenbahn, http: / / www.sta.bz.it, 29.03.2019; Südtiroler Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn 225 Vom Vinschgau ins Engadin Der Schweizer Postbus steht bereit Radfahrer willkommen Auch die Busse sind entsprechend ausgestattet Nach nur wenigen Betriebsjahren weist die Vinschgerbahn ähnlich hohe Fahrgastzahlen pro Streckenkilometer wie die Rhätische Bahn im Nachbarland auf. Sie erreicht inzwischen 2 Mio. Fahrgäste jährlich - Tendenz steigend - und stößt damit deutlich an die Kapazitätsgrenzen. Als Erfolgsfaktor erweist sich dabei auch der Fahrradtransport. Ein weiterer Ausbau des Angebots wird allerdings durch das verfügbare Rollmaterial erschwert. Eine Taktverdichtung wäre nur durch den Zukauf weiterer Dieseltriebwagen möglich. Hinzu kommen die hohen Betriebs- und Wartungskosten für diese Fahrzeuge einerseits, die Umweltbelastung durch den CO 2 -Ausstoß andererseits. Angesichts dieser Aspekte stellte sich daher bald die Frage, warum man die Strecke nicht von Beginn an elektrifiziert hat. 559 Dies will man nun nachholen. Schrittweise werden die nötigen Umbauarbeiten realisiert: „Verlegung der Oberleitung mit Aufstellen von 1.500 Masten, Absenkung der Gleise in den Tunnels, Anpassung der Bahnsteige für die längeren Flirt-Züge, Errichtung eines Unterwerkes, Anpassung der bestehenden Flirt-Züge an das neue Stromsystem.“ 560 Zukünftig werden auf der Strecke sechsteilige elektrische FLIRT-Züge von Stadler Transportstrukturen AG: Vom 25. April bis zum 31. Oktober 2019: Gesonderter Fahrradtransport längs der Vinschger Bahnlinie Meran-Mals, http: / / www.sta.bz.it, 29.03.2019 559 vgl. Rellstab, Mathias: Vinschgerbahn mit ungebrochenem Erfolg, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 7/ 2007, 331; Südtiroler Transportstrukturen AG: Geplante Projekte, http: / / www.sta.bz.it, 16.05.2017 560 STA - Südtiroler Transportstrukturen AG: Geplante Projekte, http: / / www.sta.bz.it, 16.05.2017 226 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn fahren. Da diese Züge länger als die bisher genutzten Triebwagen sind, werden alle Bahnsteige verlängert. An manchen Stationen ist auch der Bau von Unterführungen erforderlich. Das Bahnstromsystem der Strecke wird auf 25 kV 50 Hz ausgelegt, als Zugsicherungssystem kommt ECTS Level 2 zum Einsatz. Die Gesamtkosten für diese Maßnahmen werden auf rund 66 Mio. Euro beziffert. Ein Großteil der Summe wird von der Südtiroler Landesregierung bereitgestellt. Hinzu kommt ein Darlehen über 26 Mio. Euro der Europäischen Investitionsbank. Zusätzliche Einnahmen in Höhe von ca. 10 Mio. Euro verspricht man sich durch den Verkauf der bisher genutzten Dieseltriebwagen. Nach Abschluss der Elektrifizierung - geplant für 2020 - lassen sich dann nicht nur Kapazitätssteigerungen und der angestrebte Halbstundentakt im Vinschgau realisieren, sondern auch Direktverbindungen nach Bozen anbieten. Zudem käme dann südtirolweit einheitliches Rollmaterial zum Einsatz. 561 Aufgabe 1: Beschreiben Sie - nach entsprechender Recherche - die Region aus soziodemographischer, wirtschaftlicher und insbesondere touristischer Sicht! Aufgabe 2: Welche Faktoren tragen zum Erfolg der Vinschgerbahn bei? Erläutern Sie diese näher! Aufgabe 3: Warum gilt die Bahn als Modellprojekt im Alpenraum? Welche Erfahrungswerte lassen sich für andere Regionen nutzen? Aufgabe 4: Im Rahmen verschiedener Studien wurde schon die Verlängerung der Strecke von Mals ins Unterengadin untersucht. Welche Potentiale könnte man damit erschließen? 561 vgl. ebd.; Südtiroler Transportstrukturen AG: Vinschger Bahn - Elektrifizierung kommt ins Rollen, http: / / www. sta.bz.it, 16.05.2017; Südtiroler Transportstrukturen AG: Die Vinschger Bahn, http: / / www.sta.bz.it, 16.05.2017 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn 227 Lösung Aufgabe 1 Im Westen Südtirols gelegen, stellt der Vinschgau eine landschaftlich attraktive und abwechslungsreiche Region in den Ostalpen dar. Er erstreckt sich, umgeben von Bergkämmen, entlang des Etschtals. Hier befindet sich auch der höchste Berg Südtirols - der Ortler mit 3.905 m. Der Vinschgau lässt sich in Obervinschgau und Untervinschgau gliedern. Insgesamt leben hier rund 35.000 Einwohner. Die größten und wichtigsten Gemeinden sind Schlanders, Naturns, Latsch und Mals. Verglichen mit Südtirol ist die Bevölkerungsdichte hier etwas geringer, das Bevölkerungswachstum aber ähnlich. Der Vinschgau ist landwirtschaftlich geprägt und insbesondere durch den Obstanbau bekannt, der von den zahlreichen Sonnentagen pro Jahr profitiert. Allerdings handelt es sich hier auch um eine der trockensten Landschaften der Alpen, was intensive Bewässerung in der Landwirtschaft erforderlich macht. 562 Bezirksgemeinschaft Vinschgau 563 im Überblick Geographie und Verwaltung Bevölkerung (2017) Fläche 1.441 km² Wohnbevölkerung 35.910 EW Dauersiedlungsraum 134,8 km² Bevölkerungsdichte 25 EW/ km Höhenlage 556-3.905 m ü.d.M. Geburtenbilanz 114 Gemeinden 13 Wanderungssaldo 145 Verwaltungssitz Schlanders Ø Haushaltsgröße 2,5 EW Eingetragene Betriebe lt. Handelsregister (2014) Berufspendler (2011) Produzierendes Gewerbe i.e.S. 294 Berufsauspendler 59,2 % Baugewerbe/ Bau 351 Berufseinpendler 51,4 % Handel, Transporte, Gastgewerbe 1.078 Schüler (2017) Andere Dienstleistungen 661 Grundschüler 1.801 Erwerbstätige Mittelschüler 1.098 Landwirtschaft 3.165 Oberschüler 946 Produzierendes Gewerbe 4.490 Berufsschüler 779 Dienstleistungen 10.266 Tabelle 13-1 Bezirksgemeinschaft Vinschgau im Überblick 564 Aufgrund der landschaftlichen und kulturellen Reize ist der Vinschgau im Sommer und Winter eine beliebte Ferienregion, gilt allerdings nicht als „touristische Hochburg“. Nach Ansicht des Tourismusverbands Vinschgau wurden die vorhandenen Potentiale längst noch nicht ausgeschöpft. 562 vgl. Zegg, Roland; Küng, Thomas; Huder, Nicolo: Engadin-Vinschgau-Bahn - Volkswirtschaftliche Untersuchung, Chur 2012, 24; Tourismusverband Vinschgau: Ferienkatalog, Schlanders 2009, 27 563 Die Fläche der Bezirksgemeinschaft Vinschgau deckt sich nicht mit der Fläche, die die geographische Bezeichnung Vinschgau umfasst. Zu letzterer gehören neben der Bezirksgemeinschaft noch die Gemeinden Naturns, Plauns, Patschins. 564 erstellt nach: Landesinstitut für Statistik ASTAT: Gemeindedatenblatt, http: / / www.provinz.bz.it, 14.01.2019; ASTAT: Statistisches Jahrbuch für Südtirol 2017, Bozen 2017; ASTAT: Südtirol in Zahlen 2018, Bozen 2018 228 Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn Die verschiedenen Ferienregionen bzw. -orte werden durch sieben Tourismusvereine betreut: Reschenpass, Obervinschgau, Taufers im Münstertal, Ortlergebiet, Schlanders-Laas, Latsch- Martelltal und Kastelbell-Tschars. Zahlreiche Wander- und Radwege erschließen die Region und binden dabei die Sehenswürdigkeiten ein. Hervorzuheben sind u.a. der Nationalpark Stilfserjoch mit einer Fläche von 135.000 km², das Ortlermassiv, der Reschenpass mit dem Reschenstausee, die alte Römerstraße „Via Claudia Augusta“, das Benediktinerkloster Marienberg in Burgeis, die Churburg bei Schluderns, die mittelalterliche Stadt Glurns, Reinhold Messners Schloss Juval sowie das Messner Mountain Museum in Sulden. Eine regionale Besonderheit stellen die Waalwege entlang der historischen Bewässerungskanäle dar. Für Wintersportler bietet u.a. die Ortler-Skiarena ein attraktives Angebot. Zudem sind Rodeln, Langlauf, Ski- und Schneeschuhtouren möglich. Die Mehrzahl der touristischen Betten befindet sich im Ortlergebiet und im Nationalpark Stilfserjoch. Darüber hinaus sind die Gebiete in und um Mals, Schluderns und Glurns, in Latsch-Martell mit Goldrain, Morter, Tarsch und am Reschenpass von Bedeutung. Die Bruttoauslastung liegt dabei allerdings unter jener von Südtirol (2016/ 17: 39,7 %). 565 Tourismus im Vinschgau im Überblick Tourismusvereine 7 Unterkunftsbetriebe (2016) Gästeankünfte (2016) 539.670 4-5 Sterne 24 Übernachtungen (2016) 2.293.124 3 Sterne 125 Winter 874.754 1-2 Sterne 97 Sommer 1.437.665 Residence 66 Ø Aufenthaltsdauer (2016) 4,2 Tage Campingplätze 11 Hauptmärkte Sommer 2018 Winter 2017/ 18 Privatzimmer 123 Deutschland 53,0 % 41,5 % Urlaub auf Bauernhof 182 Italien 29,9 % 33,7 % andere Betriebe 18 Schweiz 5,5 % 3,7 % Betten (2017) 19.128 Österreich 3,5 % 2,7 % Bettenauslastung (2016/ 17) 34,1% Benelux 2,8 % 4,0 % Tabelle 13-2 Tourismus im Vinschgau im Überblick 566 Aufgabe 2 Kernangebot attraktive Verbindung vom Zentrum Südtirols ins Obervinschgau Zubringer zum überregionalen und internationalen Verkehr umweltfreundlich, modern, schnell, zuverlässig, gute Taktzeiten Angebot entspricht den Bedürfnissen der Nutzer (Fahrzeit, Preisgestaltung, Komfort, Taktung) hohe Attraktivität für Pendler 565 vgl. Zegg, Roland; Küng, Thomas; Huder, Nicolo: Engadin-Vinschgau-Bahn - Volkswirtschaftliche Untersuchung, Chur 2012, 63; Tourismusverband Vinschgau: Ferienkatalog, Schlanders 2009, 39; Landesinstitut für Statistik: Mobilität und Tourismus, https: / / astat.provinz.bz.it, 14.01.2019 566 erstellt nach: Vinschgau Marketing: Statistiken, http: / / www.vinschgaumarketing.net, 19.05.2017; Landesinstitut für Statistik: Entwicklungen im Tourismus - Sommerhalbjahr 2018, Bozen 2018, 4f; Landesinstitut für Statistik: Entwicklungen im Tourismus - Winterhalbjahr 2017/ 18, Bozen 2018, 4f Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn 229 Fortsetzung Zusatzangebot Möglichkeit des Fahrradtransports und des Fahrradverleihs Akzeptanz Akzeptanz bei einheimischer Bevölkerung und bei Touristen echte Alternative zum motorisierten Individualverkehr für verschiedene Zielgruppen Tradition Instandsetzung und Restaurierung historischer Bahnhofsgebäude Tabelle 13-3 Erfolgsfaktoren Aufgabe 3 Warum Modellprojekt? Erfahrungswerte für andere Regionen attraktives, umweltfreundliches und leistungsfähiges Nahverkehrsprojekt, das nachhaltig zur Lösung der Verkehrsprobleme in der Region beiträgt Bahn verläuft in einem langgezogenen Flusstal von einem Bahnknoten in eine weit abgelegene grenznahe Region - typisch für den Alpenraum Zielgruppen sind sowohl Einheimische als auch Touristen stillgelegte Bahntrassen bzw. unrentable veraltete Bahnlinien gibt es in vielen Alpenregionen jahrelanger Kampf gegen die Bevorzugung der Straße hat sich bewährt Überzeugung der Bevölkerung - auch gegen ihre anfängliche Meinung - von größter Bedeutung, denn diese soll die Bahn vor allem nutzen keine Erhaltung bzw. hier Wiederinbetriebnahme der Bahn im Sinne nostalgischer Beweggründe bringt Erfolg, sondern nur die Errichtung einer modernen, leistungsfähigen Eisenbahn unter Nutzung vorhandener und ausbaufähiger Infrastruktur sinnvolle Verknüpfung der Bahn mit dem übrigen ÖPNV durch Schnittstellen, gute Übergangszeiten usw. Tabelle 13-4 Aus einem Modellprojekt lernen Aufgabe 4 Durch die Verlängerung der Strecke von Mals ins Unterengadin könnte man verschiedene Potentiale erschließen, z.B.: Setzen wichtiger touristischer Impulse, Förderung des grenzüberschreitenden Tourismus zur Schweiz und umgekehrt, Verlagerung des Tourismus- und Freizeitverkehrs auf die Schiene, kürzere Bahnverbindung von den Zentren Südtirols in die Zentren der Schweiz, bessere Auslastung der Beherbergungskapazitäten in den grenznahen Urlaubsgebieten Südtirols und des Engadins, Setzen von Impulsen für den Arbeitsmarkt im Vinschgau, Steigerung der Attraktivität der dann per Bahn erschlossenen Regionen als Wohnort. 14 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn „Die Überschneidung von Lebens- und Erholungsräumen funktioniert, wenn die touristische Landschaftsnutzung, die Ortsbildentwicklung und vor allem die Verkehrskonzepte sich nachhaltig einpassen.“ 567 Die Zillertaler Verkehrsbetriebe AG betreibt im Tiroler Zillertal eine 32 km lange Schmalspurbahn. Die Strecke führt vom an der Westbahn gelegenen Bahnhof Jenbach, der Umsteigemöglichkeiten in Richtung Innsbruck bzw. Kufstein bietet, südwärts bis nach Mayrhofen. Abbildung 14-1 Streckennetz der Zillertalbahn 568 567 Land Tirol, Tirol Werbung, Wirtschaftskammer Tirol & Verband der Tiroler Tourismusverbände: Der Tiroler Weg 2021, o.O. 2015, 22 568 erstellt nach: Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Bahnhöfe und Haltestellen, http./ / www.zillertalbahn.at, 26.04.2018; Tiroler Museumsbahnen: Zillertalbahn, http: / / www.tmb.at, 26.04.2018 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn 231 Gmeinder-Dieselloks D13 und D16 im Bf Jenbach Zugkreuzung in Strass i. Z. Innenansicht eines Personenwagens Halbstundentakt - attraktiv für Pendler Station Fügen Ankunft im Bf Mayrhofen Die Zillertalbahn weist eine Spurweite von 760 mm (bosnische Spur) auf und überwindet auf ihrer Gesamtstrecke einen Höhenunterschied von 70 m. Damit gilt die Bahn, obwohl sie sich in einem Alpental befindet, als Flachbahn. Die Strecke ist nicht elektrifiziert und größtenteils eingleisig ausgelegt, verfügt aber über zweigleisige Abschnitte, wodurch ein 30-Minuten-Takt ermöglicht wird. Auf der Strecke kommen lokbespannte Wendezüge sowie Dieseltriebwagen zum 232 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn Einsatz. Insgesamt verfügt das Unternehmen über sieben Diesellokomotiven, sieben Dieseltriebwagen sowie verschiedene Personenwagen. Ein Teil der hierbei eingesetzten Fahrzeuge stammt noch aus den 1980er Jahren und geht dem Ende der Nutzungsdauer entgegen. Daher wurden in den vergangenen Jahren bereits Ersatzbeschaffungen getätigt. Dennoch verkehren fahrplanmäßig auch immer noch zahlreiche alte Fahrzeuge. 569 Um Barrierefreiheit bieten zu können, werden in den lokbespannten Zügen alte Wagen und neuere Wagen mit Niederflurbereich kombiniert. Darüber hinaus gehören fünf Dampflokomotiven und diverse historische Personenwagen zum Rollmaterial, die ebenfalls fahrplanmäßig verkehren, aber auch als Sonderzüge zu besonderen Anlässen zum Einsatz kommen. 570 Zwischen Erlach und Zell am Ziller Dampflok Nr. 6 („Hobby-Lok“) Personenwagen „Jenbach“ Innenansicht eines historischen Personenwagens Im Gegensatz zu manch anderen schmalspurigen Bahnen im Alpenraum erschließt die Zillertalbahn ein relativ dicht besiedeltes Tal und übernimmt hier wichtige Transportaufgaben sowohl 569 vgl. Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 180; Schienen- Control GmbH: Schienen-Control 2014, Wien 2015, 116f ; o.V.: Triebfahrzeuge der Privatbahnen, Fahrzeuge der Strassenbahn- und Obusbetriebe in Österreich, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 176 570 vgl. Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Fuhrpark, http: / / www.zillertalbahn.at, 23.04.2018; Fahrplan Zillertaler Dampfzug 2018 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn 233 im Bahnals auch im Busverkehr im Rahmen der Daseinsvorsorge und im Tourismus. Circa 90 % der erbrachten Verkehrsleistungen im Bahnbetrieb sowie knapp 50 % im Busbetrieb fallen in den gemeinwirtschaftlichen Bereich, d.h., die Leistungen wurden vom Verkehrsverbund Tirol und von der Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft bestellt. Die diesbezüglichen Verträge laufen bis 2019 bzw. 2020. Bis zum Jahr 2014 hat man auch Güterverkehr mit Rollwagen angeboten, mangels Nachfrage allerdings eingestellt. 571 Im Sinne einer besseren Vermarktung der einzelnen Sparten wurde vor wenigen Jahren aus der Marke „Bahn und Bus“ die neue Marke „Zug, Bus, Dampf“. Dadurch möchte sich das Unternehmen in den Sparten treffsicherer darstellen und den Regelbetrieb als „sicher, pünktlich, bequem“ positionieren, gleichzeitig aber auch die Nostalgiekomponente für den Dampfzugbetrieb hervorheben können. Die Kundenansprache erfolgt nun für den Regelbetrieb über die Claims „Zillertal erfahren“ (an Gäste gerichtet) bzw. „Zillertaler erfahren“ (an Einwohner gerichtet) und im Dampfzugbetrieb über den Claim „Viel Spaß für wenig Kohle“. 572 Fahrleistung Kilometerleistung Beförderte Personen Dieselzugbetrieb 19.032 Regelpersonenzüge 604.076 km ca. 2,4 Mio. 573 Dampfzugbetrieb 230 Dampfzüge 7.300 km 43.436 Busbetrieb k.A. 1.721.156 km ca. 1,31 Mio. Tabelle 14-1 Daten und Fakten (2016) 574 Insgesamt nahm der Verkehr im Zillertal kontinuierlich zu und führte auch bei der Zillertalbahn zu steigenden Fahrgastzahlen. Inzwischen werden hier ca. 2,4 Mio. Passagiere jährlich befördert, Tendenz steigend. Gleichzeitig ist aber auch beim Straßenverkehr ein Wachstum zu verzeichnen, was nicht nur regelmäßig zu Staus, sondern auch zu einer stärkeren Belastung der Umwelt führt. 575 Doch auch die Bahn selbst verbraucht jährlich 1,5 Mio. Liter Diesel und erzeugt dadurch über 2.300 t Kohlendioxid. 576 Bei der Analyse der Fahrgastzahlen im Dampfzugbetrieb fällt ein kontinuierlicher Rückgang von ehemals mehr als 80.000 Fahrgästen im Jahr 2007 bis zu nur noch gut 30.000 Fahrgästen im Jahr 2014 auf. Seitdem sind die Passagierzahlen wieder moderat angestiegen und erreichten 2016 bereits rund 43.000 Fahrgäste, obwohl die Fahrleistung gegenüber dem Vorjahr um knapp 30 % verringert wurde. Gleichwohl sind diese Zahlen immer noch nicht ausreichend für einen wirtschaftlichen Betrieb. Die 2014 begonnenen Einsparungsmaßnahmen (wie die Reduzierung der Fahrtage auf fünf pro Woche) werden daher fortgeführt. Gleichzeitig wurden und werden Marketingmaßnahmen intensiviert. Dazu gehören z.B. auch die Errichtung eines neuen Kundencenters 571 vgl. Inderst, Markus: Österreich mit dem Zug erleben, München 2012, 85; Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Geschäftsbericht 2016, Jenbach 2017, 20; Schienen-Control GmbH: Schienen-Control 2014, Wien 2015, 116f 572 vgl. Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Geschäftsbericht 2016, Jenbach 2017, 18 573 Aufgrund der inzwischen großen Zahl der Zeitkarteninhaber ist eine genaue Angabe der beförderten Fahrgäste nicht möglich. Daher werden fortgeschriebene Zahlen der Vorjahre genutzt. 574 erstellt nach: Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Geschäftsbericht 2016, Jenbach 2017, 5ff; Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Zillertaler Verkehrsbetriebe AG, http: / / www.zillertalbahn.at, 30.04.2018 575 vgl. Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 180 576 vgl. Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Geschäftsbericht 2016, Jenbach 2017, 14 234 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn am Bahnhof Jenbach sowie die Entwicklung einer Merchandising-Produktlinie. Trotz der schwierigen Situation in der Dampfzugsparte werden die Dampfzüge als wichtiger Bestandteil des touristischen Gesamtangebotes im Zillertal verstanden. Allerdings wurde im Jahr 2016 ein finanzieller Beitrag der Tourismusverbände zur Attraktivitätssteigerung dieses Angebots letztmalig gezahlt. 577 Aufgrund der steigenden Verkehrsbelastung im Tal denkt man schon länger über einen Ausbau der Bahn zur Kapazitätssteigerung nach. Eine technisch zwar mögliche Umspurung auf Normalspur steht allerdings nicht zur Debatte. Zum einen wäre der Neubau der gesamten Strecke mit sehr hohen finanziellen Aufwendungen verbunden, zum anderen erscheint der erforderliche Grunderwerb problematisch. Hinzu käme eine neue rechtliche Einordnung der Bahn ins Normalspurnetz. 578 Da ohnehin in neues Rollmaterial investiert werden muss und die Emissionsbelastungen durch Dieselbetrieb nicht unerheblich sind, hat man lange Zeit auch über elektrische Antriebe diskutiert. Elektrische Fahrzeuge fahren nicht nur sauberer und leiser, sondern ermöglichen aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit auch Fahrzeitverkürzungen. Diese Überlegungen fügen sich ein in das Zielkonzept der Tiroler Landesregierung, bis 2050 durch die Nutzung der Wasserkraft energieautonom zu werden. 579 Elektrisch betriebene Eisenbahnen können ihren Fahrstrom entweder aus der Oberleitung entnehmen oder aber über Akkuspeicher bzw. Wasserstoff-Brennstoffzellen gewinnen. Während es sich bei der Oberleitung (geschätzte Kosten für die Errichtung im Zillertal ca. 22 Mio. Euro 580 ) um eine erprobte Technik handelt, wirkt sie sich - insbesondere in touristisch stark genutzten Bereichen - negativ auf das Landschaftsbild aus. Derartige Effekte gibt es bei den beiden neuen Technologien zwar nicht, allerdings auch keinen so großen Erfahrungsschatz. 581 Nachdem Für und Wider dieser drei Alternativen, auch unter Einbeziehung aktueller Projekte bei anderen Bahnen (vgl. z.B. die Elektrifizierung der Vinschgerbahn 582 ), analysiert worden waren, fiel die Entscheidung Anfang 2018 auf die Wasserstoff-Brennstoffzelle - trotz des relativ niedrigen Wirkungsgrades von etwa 50 %. 583 Günther Platter, Landeshauptmann Tirols, äußerte sich dazu: „Die belastende Verkehrssituation ist nicht mehr tragbar für unser Land. Indem das Zillertal nun die Initiative für dieses visionäre und international einzigartige Projekt ergreift, wird es ein glänzendes Vorbild für die Vereinbarkeit von umweltfreundlicher und moderner Mobilität und nachhaltigem Tourismus - nicht nur für Tirol und den gesamten Alpenraum, sondern für die ganze Welt.“ 584 Fahrplanmäßiger Betrieb unter Einsatz der neuen Technologie ist ab 2022 vorgesehen. 585 577 vgl. ebd., 6f und 19ff 578 vgl. Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 180 579 vgl. o.V.: Oberleitung, Akku oder Brennstoffzelle (11.03.2017), http: / / diepresse.com, 25.04.2017 580 vgl. Inderst, Markus: Entscheidung für Wasserstoff, in: Lok-Magazin 4/ 2018, 80 581 vgl. o.V.: Oberleitung, Akku oder Brennstoffzelle (11.03.2017), http: / / diepresse.com, 25.04.2017 582 siehe dazu auch die Fallstudie „Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschgerbahn“ 583 vgl. Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018 584 Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Die Zillertalbahn fährt mit Wasserstoff in die Zukunft (02.02.2018), http: / / www. zillertalbahn.at, 23.04.2018 585 vgl. ebd. Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn 235 Bevor es soweit ist, müssen allerdings erst noch passende Triebwagen entwickelt und produziert werden. Versuchsweise wird dazu zunächst eine von der Salzburger Lokalbahn stammende Triebwagengarnitur für den Wasserstoffantrieb umgerüstet und im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Testbetriebs zum Einsatz kommen. 586 Auch wenn die Entwicklung der neuen Fahrzeuge eine anspruchsvolle Aufgabe ist, wird sie als realisierbar und sinnvoll eingestuft: „Den Mehrkosten der Fahrzeuge und der zusätzlich notwendigen Wasserstoff-Infrastruktur stehen Einsparungen der nicht benötigten Oberleitungsinfrastruktur gegenüber. Auch die Gesamtkosten der Energiebereitstellung sind in etwa auf gleichem Niveau. So kann der Mehrbedarf an elektrischer Energie über einen günstigen Strompreis aufgehoben werden. Die Energiekosten beider Varianten sind jeweils deutlich günstiger als der Dieselbetrieb.“ 587 Die neuen Züge sollen mit jeweils 250 Sitzplätzen (statt bislang 130) den steigenden Fahrgastzahlen gerecht werden und auch besser an den Kundenbedürfnissen bezüglich des Komforts ausgerichtet sein. 588 Es wird davon ausgegangen, dass eine neue Triebwagengarnitur täglich ca. 150 kg Wasserstoff benötigt. 589 Bislang fehlt allerdings vor Ort eine Produktionsstätte für den Wasserstoff. Als günstig erweist sich, dass der benötigte Wasserstoff im Zillertal hergestellt werden kann. 590 Die vorteilhaften geographischen Voraussetzungen im Zillertal werden schon heute zur Gewinnung von Elektroenergie aus Wasserkraft genutzt. Jetzige Endstation Ortskern Mayrhofen Das bereits 2015 verabschiedete Konzept „Zillertalbahn 2020+“ sieht aber nicht nur eine Umstellung auf elektrischen Betrieb und damit zusammenhängend die Beschaffung neuer Fahrzeuge, sondern auch Änderungen in der Streckenführung vor. Insbesondere für den Skitourismus sollen hierbei Verbesserungen herbeigeführt werden, indem durch Trassenverlegungen die Bahn näher an die Talstationen der Skilifte rückt. Speziell geht es dabei um die Anbindung der Zillertal-Arena sowie eine Verlängerung der Strecke vom jetzigen Endbahnhof Mayrhofen via Ortszentrum bis zur Penken-Bahn. 591 586 vgl. Inderst, Markus: Entscheidung für Wasserstoff, in: Lok-Magazin 4/ 2018, 80 587 Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 183 588 vgl. ebd., 181 589 vgl. Inderst, Markus: Entscheidung für Wasserstoff, in: Lok-Magazin 4/ 2018, 80 590 vgl. Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Die Zillertalbahn fährt mit Wasserstoff in die Zukunft (02.02.2018), http: / / www.zillertalbahn.at, 23.04.2018 591 vgl. ebd.; Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 180 236 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn Auch für die Pendler- und Schülerverkehre ergeben sich Verbesserungen. Durch leistungsfähigere Triebfahrzeuge ist eine Fahrzeitverkürzung für die Gesamtstrecke von 55 Minuten auf 45 Minuten geplant. Zum Einsatz kommen sollen neben sechs vierteiligen Zügen im Halbstundentakt auch Eilzüge. Die sogenannten „beschleunigten Züge“ sollen nur 36 Minuten für die Strecke benötigen. Zudem ist zwischen Fügen und Mayrhofen ein 15-Minuten-Takt angedacht. Auch Umbauarbeiten an einzelnen Stationen wurden bereits durchgeführt bzw. sind noch geplant. All diese Maßnahmen sollen zu einer Steigerung der Fahrgastzahlen um 20 % führen. 592 Insgesamt rechnet man bei der Umsetzung der Pläne mit Investitionskosten in Höhe von 800 Mio. Euro. 593 Aufgabe 1: Die Zillertalbahn wurde im Jahr 1899 gegründet. Recherchieren Sie wichtige Entwicklungsetappen seit dieser Zeit! Aufgabe 2: Die Zillertaler Verkehrsbetriebe AG ist heute - als wichtigster öffentlicher Mobilitätsanbieter des Tales - in den drei Sparten Zug, Bus und Dampfzug aktiv. Beschreiben Sie die jeweiligen Dienstleistungen dieser Sparten samt ihrer Bedeutung für das Zillertal! Aufgabe 3: Womit lässt sich der starke Rückgang der Fahrgastzahlen im Dampfzugbetrieb erklären? Aufgabe 4: Stellen Sie Vor- und Nachteile des Antriebs via Oberleitung, Akkuspeicher bzw. Wasserstoff-Brennstoffzellen gegenüber! Aufgabe 5: Stellen Sie in einem Wirkungsgefüge mögliche Effekte der geplanten Investitionen dar! Aufgabe 6: Entwickeln Sie zu Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix! 592 vgl. Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Geschäftsbericht 2016, Jenbach 2017, 14; Schreiner, Helmut: Mit Wasserstoff durchs Zillertal, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 180 593 vgl. Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Die Zillertalbahn fährt mit Wasserstoff in die Zukunft (02.02.2018), http: / / www.zillertalbahn.at, 23.04.2018 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn 237 Lösung Aufgabe 1 1895 Bau der Eisenbahnstrecke beschlossen 1899 Gründung der „Zillerthalbahn Actiengesellschaft“ 1900 Fertigstellung der Bahn bis Fügen 1901 Fertigstellung der Bahn bis Zell am Ziller 1902 Fertigstellung der Bahn bis Mayrhofen 1928 beginnender Magnesitabbau (Einstellung 1976) als wichtige wirtschaftliche Basis der Bahn; Inbetriebnahme von Triebwagen mit Verbrennungsmotor (als erste Schmalspurbahn Österreichs) 1935 Einführung Autobus-Linienverkehr zwischen Mayrhofen und Innsbruck 1956 Umbenennung in Zillertaler Verkehrsbetriebe AG 1961 Inbetriebnahme von Rollschemelwagen zum Transport normalspuriger Güterwagen 1984 neues Rollmaterial (dieselelektrische Triebwagen) bringt Aufschwung im Personenverkehr 1991 Einführung Stundentakt 1993 Ausgliederung des Dampfzuges aus Taktverkehr 1995 Integration in den Verkehrsverbund Tirol 2009 Einführung eines neuen Fahrgastinformationssystems an Haltestellen 2010/ 2011 Errichtung einer neuen ÖPNV/ SPNV-Schnittstelle in Jenbach 2014 Aufgabe des Rollschemelverkehrs 594 Aufgabe 2 Dienstleitungen Zug Bus Dampfzug Kernleistung SPNV-Leistungen im Halbstundentakt mit lokbespannten Wendezügen und Dieseltriebwagen Buslinienbetrieb: ÖSPV-Leistungen in Ergänzung zum SPNV Ausflugs- und Reiseverkehr sowie sonstige Angebote (z.B. Oldtimerbus) fahrplanmäßiger Betrieb mit Dampfzügen Dampf-Sonderzüge Dampfzug-Charter Slogan „Zillertal erfahren“, „Zillertaler erfahren“ „Zillertal erfahren“, „Zillertaler erfahren“ „Viel Spaß für wenig Kohle“ Fuhrpark 7 Diesellokomotiven 7 Dieseltriebwagen, mehrere Personenwagen - teilweise kurz vor Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer nur Wagen neuerer Bauart barrierefrei 45 Linienbzw. Ausflugsbusse 2 VW-Busse 4 Anhänger Oldtimerbus 5 Dampflokomotiven und diverse historische Wagen 594 erstellt nach: Zillertaler Verkehrsbetriebe AG: Die Geschichte der Zillertaler Verkehrsbetriebe AG in Zahlen, http: / / www.zillertalbahn.at, 30.04.2018; Eckert, Klaus: Alpenbahnen, München 2000, 42 238 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn Fortsetzung Dienstleitungen Zug Bus Dampfzug Fahrgastzahlen (2016) ca. 2,4 Mio. ca. 1,31 Mio. ca. 43.000 Bedeutung für Zillertal große Bedeutung zur verkehrlichen Entlastung des Tales „Rückgrat“ des ÖPNV- Angebots im Tal sowohl für Pendler- und Schülerverkehr als auch für Gäste ca. 90 % der Verkehrsleistungen dieser Sparte im gemeinwirtschaftlichen Bereich große Bedeutung zur verkehrlichen Entlastung des Tales Anbindung weiterer Gemeinden Erschließung des hochalpinen Bereichs („Bergbuslinien“) sowohl für Pendler- und Schülerverkehr als auch für Gäste ca. 50 % der Leistungen dieser Sparte im gemeinwirtschaftlichen Bereich ergänzend Ausflugs-, reise- und Nostalgieverkehre wichtiger touristischer Baustein durch fahrplanmäßigen Betrieb an 5 Wochentagen Flexibilität für potentielle Nutzer Kombiangebote - Verknüpfung mit anderen touristischen Highlights des Zillertales Geschichte des Unternehmens lebendig gestalten Tabelle 14-2 Leistungsspektrum Aufgabe 3 Dampfzugbetrieb in Konkurrenz zu zahlreichen anderen touristischen Attraktionen Wandel der Interessen bei Touristen und Ausflüglern Skitourismus im Vordergrund Fahrplanausdünnung (wenn auch moderat) aber: Gästezahlen im Zillertal generell konstant bzw. steigend Aufgabe 4 Vorteile Nachteile Oberleitung bekannte Technologie großer Erfahrungsschatz keine Probleme bei Umsetzung zu erwarten Produktion von passenden Fahrzeugen (trotz vergleichsweise selten genutzter Spurweite) als unproblematisch einzustufen hohe Investitionskosten in Infrastruktur (geschätzte 22 Mio. Euro allein für Errichtung) Beeinträchtigung des Landschaftsbildes - gerade in stark touristisch genutzten Regionen störend entsprechend starke Kritik aus den Reihen touristischer Akteure Akkuspeicher keine zusätzliche Infrastruktur entlang der Trasse erforderlich Landschaftsbild wird nicht beeinträchtigt hohes Eigengewicht der Akkus Brandgefahr vergleichsweise geringe Reichweite Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn 239 Fortsetzung Vorteile Nachteile Wasserstoff- Brennstoffzelle keine zusätzliche Infrastruktur entlang der Trasse erforderlich Landschaftsbild wird nicht beeinträchtigt größere Reichweite als Akkuspeicher Wasserstoff kann vor Ort erzeugt werden mithilfe von ebenfalls in der Region vorhandener Wasserkraft wenn Wasserstoff mittels Elektrolyse unter Nutzung von regenerativen Energien gewonnen, dann wirklich CO 2 -frei Imagewirkung: Anwendung dieser Technologie im SPNV bislang österreichweit einzigartig und weltweit äußerst selten relativ niedriger Wirkungsgrad von 50 % hohe Kosten für Brennstoffzellen kaum Erfahrungen beim Einsatz der Technologie im Schienenpersonennahverkehr für Zillertalbahn taugliche Fahrzeuge müssen erst noch entwickelt werden Produktionsstätte für Wasserstoff muss noch errichtet werden Tabelle 14-3 Vor- und Nachteile von elektrischer Oberleitung, Akkuspeicher und Wasserstoff-Brennstoffzelle 595 Anmerkung: Der Schienenfahrzeughersteller Alstom hat bereits im Frühjahr 2017 Testfahrten mit dem Coradia iLint, dem weltweit ersten Personenzug, der über Wasserstoff-Brennstoffzellen angetrieben wird, durchgeführt. 596 Nach im Juli 2018 erteilter Zulassung für das öffentliche Netz durch das Eisenbahn-Bundesamt kommen zwei dieser Züge im Weser-Elbe-Netz fahrplanmäßig zum Einsatz. Im Januar 2019 war der iLint werbewirksam in Sachsen unterwegs. 597 Allerdings wird bei diesem Fahrzeug der Wasserstoff noch nicht mittels Elektrolyse gewonnen. 595 erstellt nach: Inderst, Markus: Entscheidung für Wasserstoff, in: Lok-Magazin 4/ 2018, 80 596 vgl. Alstom: Erfolgreiche erste Testfahrt von Alstoms Wasserstoffzug Coradia iLint bei 80 km/ h (14.03.2017), http: / / www.alstom.com, 30.04.2018 597 vgl. Prenzel, Simone: Weltweit erster Wasserstoffzug rollt von Leipzig nach Grimma (15.01.2019), http: / / www.lvz.de, 19.02.2019) 240 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn Aufgabe 5 Mobilität Region Investitionsmaßnahmen Nutzungsintensität MIV Nutzungsintensität ÖPNV Emissionsbelastung Fahrzeitverkürzung Umbau Stationen neue Triebfahrzeuge Streckenführung Image der Destination Taktverdichtung + + + + + - - - - - + + + + + + + - - - + - + Passagierzahlen Zillertalbahn Attraktivität Zillertalbahn Abbildung 14-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen neue Triebfahrzeuge Fahrzeitverkürzung Je leistungsfähiger die neuen Triebfahrzeuge, umso größere Fahrzeitverkürzungen sind möglich. Attraktivität Je leistungsfähiger die neuen Triebfahrzeuge, umso größer die Attraktivität der Zillertalbahn. Emissionsbelastung Je umweltfreundlicher die neuen Triebfahrzeuge, umso geringer die Emissionsbelastung. Fahrzeitverkürzung neue Triebfahrzeuge Je stärker die Fahrzeiten verkürzt werden sollen, umso leistungsfähiger müssen die neuen Triebfahrzeuge sein. Attraktivität Je stärker die Fahrzeitverkürzung, umso höher die Attraktivität. Taktverdichtung Attraktivität Je stärker die Taktverdichtung, umso höher die Attraktivität. Streckenführung Attraktivität Je sinnvoller die Änderung der Streckenführung, umso höher die Attraktivität der Zillertalbahn. Umbau Stationen Attraktivität Je attraktiver die Stationen durch den Umbau werden, umso höher die Attraktivität der Zillertalbahn. Image der Destination Je attraktiver die Stationen durch den Umbau werden, umso positiver die Einflüsse auf das Image der Destination. Attraktivität neue Triebfahrzeuge Wenn eine Attraktivitätssteigerung erreicht werden soll, muss in neue Triebfahrzeuge investiert werden. Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn 241 Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Attraktivität Fahrzeitverkürzung Wenn eine Attraktivitätssteigerung erreicht werden soll, müssen Fahrzeitverkürzungen realisiert werden. Taktverdichtung Wenn eine Attraktivitätssteigerung erreicht werden soll, muss der Takt verdichtet werden. Streckenführung Wenn eine Attraktivitätssteigerung erreicht werden soll, ist eine Änderung der Streckenführung sinnvoll. Umbau Stationen Wenn eine Attraktivitätssteigerung erreicht werden soll, müssen Stationen umgebaut werden. Passagierzahlen Je höher die Attraktivität der Zillertalbahn, umso mehr Passagiere werden das Angebot wahrscheinlich nutzen. Nutzungsintensität MIV Je höher die Attraktivität der Zillertalbahn, umso geringer wahrscheinlich die Nutzungsintensität des MIV. Nutzungsintensität ÖPNV Je höher die Attraktivität der Zillertalbahn, umso höher wahrscheinlich die Nutzungsintensität des ÖPNV. Image der Destination Je höher die Attraktivität der Zillertalbahn, umso mehr profitiert das Image der Destination davon. Passagierzahlen Taktverdichtung Je höher die Passagierzahlen, umso dichter kann der Takt sein. Attraktivität Je geringer die Passagierzahlen, umso größer muss die Attraktivitätssteigerung sein. Nutzungsintensität MIV Je höher die Passagierzahlen der Zillertalbahn, umso geringer die Nutzungsintensität des MIV.* Nutzungsintensität ÖPNV Je höher die Passagierzahlen der Zillertalbahn, umso höher die Nutzungsintensität des ÖPNV.* Image der Destination Zunehmende Passagierzahlen können von der Leistungsfähigkeit des Verkehrsmittels zeugen und dadurch auch positiv auf das Image der Destination wirken. Nutzungsintensität MIV Nutzungsintensität ÖPNV Je höher die Nutzungsintensität des MIV, umso geringer die Nutzungsintensität des ÖPNV.* Emissionsbelastung Je höher die Nutzungsintensität des MIV, umso höher die verkehrsbedingte Emissionsbelastung. Nutzungsintensität ÖPNV Attraktivität Je geringer die Nutzungsintensität des ÖPNV, umso größer muss die Attraktivität der Zillertalbahn sein, um die bestehenden Verkehrsprobleme zu lösen. Passagierzahlen Je höher die Nutzungsintensität des ÖPNV, umso höher wahrscheinlich auch die Passagierzahlen der Zillertalbahn. Nutzungsintensität MIV Je höher die Nutzungsintensität des ÖPNV, umso geringer die Nutzungsintensität des MIV. Emissionsbelastung Je höher die Nutzungsintensität des ÖPNV, umso geringer die verkehrsbedingte Emissionsbelastung. Emissionsbelastung neue Triebfahrzeuge Je höher die Emissionsbelastung, umso stärker der Ruf nach emissionsarmen, neuen Triebfahrzeugen. Image der Destination Je höher die Emissionsbelastung, umso schlechter das Image der Destination. Image der Destination Passagierzahlen Je besser das Image der Destination, umso mehr Touristen und damit potentielle Passagiere in der Destination. * gleichbleibende Anzahl an sich fortbewegenden Personen vorausgesetzt Abbildung 14-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen 242 Wasserstoff als alternativer Antrieb - Die Zillertalbahn Aufgabe 6 Wirkung von auf neue Triebfahrzeuge Fahrzeitverkürzung Taktverdichtung Streckenführung Umbau Stationen Attraktivität Passagierzahlen Nutzungsintensität MIV Nutzungsintensität ÖPNV Emissionsbelastung Image Destination Zeilensumme neue Triebfahrzeuge x 3 0 0 0 3 0 0 0 3 0 9 Fahrzeitverkürzung 3 x 0 0 0 3 0 0 0 0 0 6 Taktverdichtung 0 0 x 0 0 3 0 0 0 0 0 3 Streckenführung 0 0 0 x 0 3 0 0 0 0 0 3 Umbau Stationen 0 0 0 0 x 2 0 0 0 0 1 3 Attraktivität 3 3 3 3 2 x 3 2 2 0 1 22 Passagierzahlen 0 0 2 0 0 2 x 1 3 0 2 10 Nutzungsintensität MIV 0 0 0 0 0 0 0 x 2 3 0 5 Nutzungsintensität ÖPNV 0 0 0 0 0 3 3 2 x 3 0 11 Emissionsbelastung 3 0 0 0 0 0 0 0 0 x 2 5 Image der Destination 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 x 1 Spaltensumme 9 6 5 3 2 19 7 5 7 9 6 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 14-4 Wirkungsmatrix Wie zu erwarten, gehen die stärksten Wirkungen von der Attraktivität der Zillertalbahn aus. Die gegebene Attraktivität des Angebots bestimmt, inwieweit Einheimische wie auch Touristen darauf zurückgreifen. Gleichzeitig geben Zielvorstellungen bezüglich der Attraktivität vor, in welchen Bereichen investiert werden muss. Damit unterliegt dieser Faktor auch den stärksten Einflüssen. Unter den Investitionsmaßnahmen üben vor allem die neuen Triebfahrzeuge noch vergleichsweise große Einflüsse aus, die nicht nur angebotsbeeinflussend, sondern auch durch einen umweltfreundlichen Antrieb maßgeblich für die Emissionsbelastung sind. 15 Vom Umland umsteigefrei in die City - dell „Die Verknüpfung von Eisenbahn- und Straßenbahnnetz im Chemnitzer Hauptbahnhof und am Südbahnhof - baulich, sicherungs- und zulassungstechnisch eine Herausforderung! “ 598 Ziel des „Chemnitzer Modells“ ist es, die Stadt Chemnitz und die umliegende Region umsteigefrei zu verbinden. Aus den Städten in der Region soll der Fahrgast mit einer Stadt-Umland-Bahn bis ins Chemnitzer Zentrum gelangen. Die Haltestellen dieser Bahn können wiederum in einer entsprechenden Taktung ohne großen Zeitverlust oder weite Wege mit Bussen erreicht werden. Insgesamt soll ein komplexes System attraktiver Nahverkehrsverbindungen geschaffen werden. Durch die Realisierung des Chemnitzer Modells könnte sich das Einzugsgebiet der Innenstadt auf über 1,3 Mio. Menschen erweitern, wovon Einzelhandel und Gastronomie, aber auch Unternehmen profitieren. 599 Die Idee des Chemnitzer Modells ist nicht neu. In Karlsruhe, Saarbrücken und Kassel wurden ähnliche Konzepte bereits erfolgreich umgesetzt. Es zeigte sich auch, dass dies für kleinere Großstädte wesentlich einfacher und kostengünstiger ist als der Aufbau eines S-Bahnnetzes. Eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung des Modells war bereits gegeben, nämlich, dass die Chemnitzer Straßenbahn dieselbe Spurweite nutzt wie die Eisenbahn. Allerdings gestaltet sich die Verknüpfung der beiden Schienennetze in der Praxis relativ schwierig. Denn hier spielen Regelungen des Straßenbahn- und des Eisenbahnbetriebs eine Rolle: „Dabei kommen zwei Welten zusammen: zum einen die Straßenbahn mit leichten Triebwagen, engen Gleisradien in Straßenzügen, Fahren auf Sicht und Halten an normalen Verkehrsampeln, zum anderen die Eisenbahn mit schweren Zügen, großen Gleisradien, der Unabhängigkeit vom übrigen Verkehr und Fahren nach Signalen.“ 600 Zudem sind Trägerschaften von Kommunen und Freistaat berührt. Hinzu kommen eigentums- und gleichstellungsrechtliche Aspekte. Zunächst wurde eine Pilotstrecke realisiert. Diese diente dazu, die Entwicklungsperspektiven zu demonstrieren sowie die Machbarkeit und Praxistauglichkeit des Projekts zu beweisen. Die Pilotstrecke, die im Dezember 2002 in Betrieb genommen wurde, führt zunächst auf den Straßenbahngleisen vom Chemnitzer Hauptbahnhof über das Stadtzentrum nach Altchemnitz und von dort aus weiter über das Eisenbahngleis zum Bahnhof Stollberg. 601 598 Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Innovation, Investition, Wettbewerb - Das Chemnitzer Modell, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ allgemeines, 29.06.2018 599 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH (VMS); City-Bahn Chemnitz GmbH (CB); Chemnitzer Verkehrs- Aktiengesellschaft (CVAG); Regio-Infra-Service-Sachsen GmbH (RIS) (Hrsg.): Das Chemnitzer Modell, Chemnitz 2005, 4f; City-Bahn Chemnitz GmbH: Mobilität ist Zukunft, Chemnitz o.J., 1 600 Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Pilotstrecke Chemnitz-Stollberg, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-0/ ergebnisse, 29.06.2018 601 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Pilotstrecke, http: / / www.chemnitzermodell.de/ stufe-0, 29.06.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Das Chemnitzer Modell 2002-2016, Chemnitz 2016, 6 244 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell Verknüpfungsstelle Altchemnitz City-Bahn zum Chemnitzer Hauptbahnhof Übergang vom Straßenbahnaufs Eisenbahnnetz Beginn des Netzes der NE-Bahn Die Pilotstrecke setzt sich daher aus drei Abschnitten zusammen. Der am Hauptbahnhof beginnende innerstädtische erste Teil bindet wichtige Attraktionspunkte an und ermöglicht an der Zentralhaltstelle das Umsteigen auf weitere Linien des ÖPNV. An der Verknüpfungsstelle Altchemnitz, dem zweiten Teil der Pilotstrecke, treffen nicht nur Straßenbahn- und Eisenbahnnetz aufeinander, hier wurde auch eine neue ÖPNV-Schnittstelle eingerichtet. Den dritten Teil bildet die Eisenbahnstrecke von Altchemnitz nach Stollberg. Die Strecke ist zwar größtenteils eingleisig, weist aber zwei Kreuzungsbahnhöfe auf, an denen sich Züge begegnen können. Bestehende Stationen wurden modernisiert. Außerdem wurden an der Strecke vier neue Stationen errichtet. Als Bahnsicherungstechnik kommt die punktförmige Zugbeeinflussung zum Einsatz. Überwacht und gesteuert wird die Strecke vom neu errichteten elektronischen Stellwerk in Stollberg. Die Bahnstromversorgung erfolgt mit 750 Volt Gleichstrom, während die Straßenbahn 600 Volt Gleichstrom nutzt. 602 Im Bahnhof Stollberg bestehen Umsteigemöglichkeiten auf die Kursbuchstrecke 523 nach St. Egidien sowie zu regionalen Buslinien. 602 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Pilotstrecke Chemnitz-Stollberg, http: / / www.chemnitzermodell.de/ stufe-0/ ergebnisse, 29.06.2018; City-Bahn Chemnitz GmbH: Das Chemnitzer Modell, https: / / www.citybahn.de, 03.07.2018 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell 245 Das neue SPNV-Angebot wird von den Fahrgästen gut angenommen. Die Fahrgastzahlen übertrafen schnell die prognostizierten Werte und erreichen an einem Werktag mehr als 5.000 Passagiere. 603 Bahnhof Stollberg Abfahrt der Linie C11 nach Chemnitz Elektronisches Stellwerk in Stollberg Wagenhalle Parallel zu Realisierung der Pilotstrecke wurden vom Verkehrsverbund Mittelsachsen, der City- Bahn Chemnitz GmbH und der Chemnitzer Verkehrs-AG (CVAG) vorbereitende Maßnahmen hinsichtlich der weiteren Ausbaustrecken unternommen. Bereits seit Juli 2002 wurde die Strecke Chemnitz-Burgstädt von der City-Bahn bedient, allerdings nicht von Variobahnen, wie sie auf der Pilotstrecke zum Einsatz kommen. Die Strecke Stollberg- Glauchau wurde im Februar 2003 in Betrieb genommen. Ab Dezember 2004 verkehrten auch auf der Strecke Chemnitz-Hainichen wieder Züge, nachdem sie Jahre zuvor bereits stillgelegt worden war. 604 603 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Das Chemnitzer Modell 2002-2016, Chemnitz 2016, 7 604 vgl. Thieme, Gabi: City-Bahn erweitert Schienennetz, in: Freie Presse, 14.02.2003; Thieme, Gabi: Freie Fahrt auf 130 Jahre alter Bahnstrecke, in: Freie Presse, 02.12.2004; o.V.: Freie Fahrt auf wichtigen Nahverkehrsstrecken, in: Freie Presse, 13.12.2004 246 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell Durch diese Maßnahmen konnte bereits eine verbesserte Anbindung des Umlandes an die Region realisiert werden, was sich auch in den Fahrgastzahlen niederschlug. Allerdings war das Hauptziel des Projekts, die Schaffung umsteigefreier Verbindungen bis ins Chemnitzer Zentrum, noch nicht erreicht, da - abgesehen von der Pilotstrecke - alle übrigen Regionalstrecken im außerhalb des Zentrums liegenden Hauptbahnhof endeten. Ziel der nächsten Stufen war und ist deshalb, die umliegenden Eisenbahnstrecken mit dem Netz der CVAG zu verknüpfen und ins Zentrum weiterzuführen mit dem Hauptbahnhof als Verknüpfungsstelle von Straßenbahn- und Eisenbahnnetz. 605 Im Einzelnen beinhaltet das Chemnitzer Modell folgende Ausbaustufen: Vorhaben Ziel Stand Stufe 0 Realisierung der Pilotstrecke Chemnitz- Stollberg Verbesserung der Fahrgastnachfrage durch Neuerschließung von Wohngebieten und vielfältiger Attraktivitätssteigerungen seit Ende 2002 in Betrieb Stufe 1 Ausbau Chemnitz Hbf zum Verknüpfungspunkt zwischen Eisenbahn und Straßenbahn Durchbindung der SPNV-Linien aus Richtung Burgstädt, Mittweida und Hainichen im Straßenbahnnetz über die Zentralhaltestelle bis zum Stadlerplatz seit Ende 2016 in Betrieb Stufe 2 Ausbau der Strecke Chemnitz-Aue Durchbindung des SPNV aus Richtung Aue ins Chemnitzer Stadtzentrum direkte Anbindung des TU-Campus Inbetriebnahme 2019 geplant Stufe 3 Ausbau der Strecke Chemnitz-Niederwiesa Anbindung und Neuerschließung des Einkaufszentrums Sachsen-Allee und mehrerer Wohngebiete in Chemnitz signifikante Erhöhung des Fahrgastaufkommens Lösung der Kapazitätsprobleme im Knoten Chemnitz und auf der Sachsenmagistrale in Vorbereitung Stufe 4 Norderweiterung Limbach-Oberfrohna Neuerschließung eines Gebiets mit 50.000 Einwohnern und 20.000 Arbeitsplätzen Erschließung des Einkaufszentrums Chemnitz Center in Vorbereitung Stufe 5 Ausbau der Strecke Stollberg-Oelsnitz verbesserte Erschließung des Verdichtungsbandes Niederdorf/ Stollberg/ Oelsnitz Neuerschließung des Gewerbegebiets Stollberger Tor Inbetriebnahme 2021 geplant Tabelle 15-1 Die Stufen des Chemnitzer Modells im Überblick 606 605 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH (VMS); City-Bahn Chemnitz GmbH (CB); Chemnitzer Verkehrs- Aktiengesellschaft (CVAG); Regio-Infra-Service-Sachsen GmbH (RIS) (Hrsg.): Das Chemnitzer Modell, Chemnitz 2005, 34 606 erstellt nach: Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Pilotstrecke, http: / / www.chemnitzermodell.de/ stufe-0, 03.07.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Stufe 1: Einfahrt Chemnitz Hauptbahnhof, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-1, 03.07.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell 247 Stufe 1, der Ausbau des Chemnitzer Hauptbahnhofs zum Verknüpfungspunkt zwischen Eisenbahn- und Straßenbahnnetz, wurde bereits realisiert und ging 2016 in Betrieb. Züge, die aus Richtung Burgstädt, Mittweida oder Hainichen am Hauptbahnhof ankommen, können nun von dort aus weiter bis zum Chemnitzer Zentrum an die Zentralhaltestelle verkehren. Die Weiterführung bis zum Stadlerplatz wurde 2017 eingeweiht. 607 Während des Umbaus 2012 Ab Juni 2014 war, zunächst für die Variobahnen, die Durchfahrt durch den Hauptbahnhof möglich. Citylink, Variobahn der City-Bahn und Straßenbahn der CVAG im Chemnitzer Hbf Linien C13, C14 und C15 treffen in Chemnitz Hbf aufeinander Durch den Ausbau der Strecke Chemnitz-Aue im Rahmen der Stufe 2 soll die Durchbindung des aus Aue kommenden Schienenpersonennahverkehrs zum Zentrum sowie eine direkte Einbindung des Campus der Technischen Universität sichergestellt werden. Ein Teil der Stufe 2, die Einbindung der TU Chemnitz, wurde 2017 mit der Trasse zum Technopark eröffnet. Die Stufe 3 dient dem - Stufe 2, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-2, 03.07.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 3, http: / / www.chemnitzer-modell. de/ stufe-3, 03.07.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 4, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-4, 03.07.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 5, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-5 607 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 1, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-1, 29.06.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Das Chemnitzer Modell 2002-2016, Chemnitz 2016, 14ff 248 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell Ausbau der Strecke Chemnitz-Niederwiesa. Hierdurch sollen aus Richtung Annaberg-Buchholz bzw. Olbernhau kommende Züge in das Chemnitzer Modell eingebunden werden. Im Rahmen der Stufe 4 soll nicht nur Limbach-Oberfrohna besser mit Chemnitz verknüpft, sondern auch das Gewerbegebiet Chemnitz Center angebunden werden. Dabei sind auch Verkürzungen der Reisezeiten vorgesehen. Konkret beinhaltet diese Stufe den Aus- und Neubau von Eisenbahnsowie den Neubau von Straßenbahnstrecken. Schließlich soll mit der Stufe 5 die Strecke Stollberg-Oelsnitz ausgebaut werden. Dabei ist geplant, die Pilotstrecke in Stollberg über das Gewerbegebiet hinaus bis nach Niederwürschnitz zu verlängern sowie die Bestandsstrecke von hier nach Oelsnitz auszubauen. Dabei sollen neue Stationen entstehen, die nicht nur das Gewerbegebiet, sondern auch Einkaufsstätten und Wohngebiete erschließen. 608 Abbildung 15-1 Streckennetz des Chemnitzer Modells 609 KBS Linie/ Linienabschnitt Betreiber Anmerkung 516 C Technopark-C Zentralhaltestelle- Chemnitz Hbf-Niederwiesa- Hainichen City-Bahn 517 Chemnitz-Flöha-Annaberg- Buchholz Erzgebirgsbahn Teil der KBS 517 Chemnitz-Flöha- Annaberg-Buchholz-Cranzahl 608 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 2, http: / / www.chemnitzermodell.de/ stufe-2, 29.06.2018; City-Bahn Chemnitz GmbH: Das Chemnitzer Modell, https: / / www.city-bahn.de, 03.07.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 3, http: / / www.chemnitzermodell.de/ stufe-3, 29.06.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 4, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-4, 29.06.2018; Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Chemnitzer Modell - Stufe 5, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ stufe-5, 29.06.2018 609 modifiziert nach: Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Das Chemnitzer Modell 2002-2016, Chemnitz 2016, 35f Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell 249 Fortsetzung KBS Linie/ Linienabschnitt Betreiber Anmerkung 519 Chemnitz-Flöha-Pockau-Lengefeld- Olbernhau-Grünthal Erzgebirgsbahn 520 Chemnitz-Mittweida City-Bahn Teil der KBS 520 Chemnitz- Riesa-Elsterwerda 522 Chemnitz-Stollberg City-Bahn Pilotstrecke 523 Stollberg-Oelsnitz City-Bahn Teil der KBS 523 Stollberg- Lichtenstein-St Egidien 524 Chemnitz-Thalheim Erzgebirgsbahn Teil der KBS 524 Chemnitz- Thalheim-Aue 525 Chemnitz-Burgstädt City-Bahn Teil der KBS 525 Chemnitz-Burgstädt-Geithain-Bad Lausick- Leipzig Tabelle 15-2 Kursbuchstrecken im Chemnitzer Modell 610 In die Pilotstrecke wurden insgesamt 31 Mio. Euro investiert. An der Finanzierung waren zu 60 % der Bund (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz), zu 30 % der Freistaat Sachsen sowie zu 10 % der Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen beteiligt. 611 Die Gesamtkosten für die Stufen 1 bis 5 werden auf rund 300 Mio. Euro beziffert. Ursprünglich sollte der Bund auch hier 60 % beisteuern. Durch die Genehmigung einer Fördersatz-Erhöhung konnten sogar 90 % an Fördermitteln aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz in Arbeiten der Stufen 1 und 2 fließen. 612 Variobahn im Chemnitzer Hbf Innenansicht einer Variobahn 610 Angaben laut Elektronischem Kursbuch der DB AG, gültig vom 10.12.2017 bis 08.12.2018 611 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Das Chemnitzer Modell 2002-2016, Chemnitz 2016, 7f 612 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Die Gesamtkosten der Stufen 1 bis 5 betragen ca. 300 Mio. €, http: / / www.chemnitzer-modell.de/ allgemeines/ kosten, 29.06.2018 250 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell Im Rahmen des Chemnitzer Modelles kommen verschiedene Fahrzeuge zum Einsatz. Auf der Pilotstrecke nach Stollberg verkehren Variobahnen des Typs 6NGT-LDZ von Adtranz, die optisch den bei der CVAG als Straßenbahnen eingesetzten Fahrzeugen ähneln, jedoch auch für den Eisenbahnbetrieb ausgerüstet sind. Sie verfügen sowohl nach der EBO als auch nach der BOStrab über eine Zulassung. Die Wartung erfolgt im Straßenbahnbetriebshof Adelsberg. 613 Die in Stufe 1 eingebundenen Linien führen auch über nicht elektrifizierte Eisenbahnstrecken. Dafür werden also Fahrzeuge benötigt, die sowohl als Regionalbahn auf solchen Strecken (gemäß EBO) als auch im städtischen Straßenbahnnetz unter Oberleitung (gemäß BOStrab) eingesetzt werden können. Die Wahl fiel hierbei auf das Zweisystemfahrzeug Citylink von Vossloh (nunmehr Stadtler Rail AG). Die Beschaffung der Fahrzeuge übernahm der Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen. Der Betrieb erfolgt durch die City-Bahn. 614 Mit der Inbetriebnahme der Fahrzeuge wurde das neue Produktsignet „Chemnitz Bahn“ eingeführt. Auch für die Stufe 2 sollen diese Fahrzeuge eingesetzt werden. Citylink am Chemnitzer Hbf Innenansicht eines Citylink Barrierefreiheit gewährleistet Das neue Produkt-Signet der „Chemnitz Bahn“ 613 vgl. City-Bahn Chemnitz GmbH: Variobahn 6NGT-LDZ, https: / / www.city-bahn.de, 13.07.2018 614 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH: Das Chemnitzer Modell 2002-2016, Chemnitz o.J., 30; City-Bahn Chemnitz GmbH: Citylink - Zweisystemfahrzeug, https: / / www.city-bahn.de, 13.07.2018 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell 251 Ebenfalls von der City-Bahn betrieben wird die Strecke von Stollberg nach St. Egidien, die im Rahmen der Stufe 5 ausgebaut werden soll. Derzeit verkehren dort Fahrzeuge des Typs Regio- Shuttle RS-1 von Stadler. 615 Regio-Shuttle in Stollberg nach St. Egidien Regio-Shuttle in Oelsnitz (Erzgeb) Aufgabe 1: Unter welchen Voraussetzungen ist solch ein Projekt realisierbar? Aufgabe 2: Welche Wirkungen gehen vom Projekt aus? Aufgabe 3: Welche Erfahrungen wurden bislang gemacht? Wie fließen diese in die Weiterführung des Projektes ein? Aufgabe 4: Worin besteht die Problematik, Schienenfahrzeuge sowohl für den Straßenbahnbetrieb als auch für den Eisenbahnbetrieb schienentauglich zu machen? Aufgabe 5: Wie könnte man generell bei der Auswahl geeigneter Fahrzeuge für solch ein Projekt vorgehen? 615 vgl. City-Bahn Chemnitz GmbH: Regio-Shuttle RS-1, https: / / www.city-bahn.de, 13.07.2018 252 Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell Lösungen Aufgabe 1 Standortvoraussetzungen Einzugsgebiet, Fahrgastpotential, Bedarf Industriedichte günstige Investitionsbedingungen qualifizierte Arbeitskräfte Kaufkraft Lebensqualität, Freizeitwert Technische Machbarkeit geographische Voraussetzungen einheitliche Spurweite des Straßenbahn- und Eisenbahnnetzes Anpassung der Haltestellen und Bahnhöfe (Höhe Bahnsteigkante, Absicherung usw.) Fahrzeuge müssen sowohl den Anforderungen der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) als auch der Bau- und Betriebsordnung für Straßenbahnen (BOStrab) entsprechen Finanzierung und Kooperation Sicherstellung der Finanzierung des Projekts optimale Zusammenarbeit der Beteiligten (Verkehrsbetriebe, Verkehrsverbund, Infrastrukturbetreiber, Kommunen, Bundesland usw.) Tabelle 15-3 Wesentliche Voraussetzungen Aufgabe 2 Infrastruktur gute Anbindung an die Stadt Chemnitz und Versorgung der Region optimale Kombination der Verkehrsmittel, Verknüpfung der Verkehrsträger in der Region und der Stadt (vgl. Regionalbus, Eisenbahn, Stadtbus, Straßenbahn) Verknüpfung in Altchemnitz Entlastung des Straßennetzes, damit verbunden Reduzierung von Lärm und Emissionen Kundenorientierung deutliche Zunahme des Fahrgastaufkommens durch bessere Anbindung der Region abgestimmte Fahrpläne und kürzere Reisezeiten übersichtlicheres Tarifbzw. Fahrscheinsystem besseren Komfort für mobilitätseingeschränkte Personen, barrierefreien Zugang Innovation Einsatz neuer, moderner Fahrzeuge Modernisierung der bedienten Haltestellen und Bahnhöfe Standort Attraktivitätssteigerung Förderung der regionalen Wirtschaft Tabelle 15-4 Vom Projekt ausgehende Wirkungen Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell 253 Aufgabe 3 gelungene Verknüpfung der einzelnen Verkehrsträger der Region sowie Kooperation der einzelnen Beteiligten Nahverkehrsangebote und vereinfachtes Tarifsystem werden von Fahrgästen sehr gut angenommen, was sich in stark steigenden Fahrgastzahlen niederschlägt gibt Initiatoren Recht und positive Impulse für weiteren Ausbau Aufgabe 4 Anpassung an unterschiedliche Bau- und Betriebsordnungen Eisenbahnen fahren im Blockabstand mit technischer Sicherung (Signalisierung z.B. durch PZB oder LZB); Straßenbahnen fahren auf Sicht, Fahrzeuge müssen Straßenverkehrsordnung gerecht werden unterschiedliche Höchstgeschwindigkeiten auf den befahrenen Strecken unterschiedliche Kurvenradien bei Eisenbahn Trasse ein- oder zweigleisig, bei Straßenbahn i.d.R. zweigleisig unterschiedliche Anforderungen an Bahnsteighöhen bei Eisenbahn Einsatz von Zweirichtungsfahrzeugen, bei Straßenbahn auch Einrichtungsfahrzeuge (Anordnung der Türen! ) Kompromisse bei Radprofilen für Straßenbahnschienen und Eisenbahnschienen Einsatz von Fahrzeugen mit Lichtraumprofilen, die beiden Anforderungen gerecht werden umschaltbare Fahrstromsysteme bei elektrischem Betrieb über Fahrleitung oder Hybridfahrzeuge Aufgabe 5 1. Schritt Prüfung der technischen und betrieblichen Zweckmäßigkeit Einbeziehung von Mitarbeitern verschiedener Abteilungen des Unternehmens, dabei auch Vertreter des Fahr- und Begleitpersonals Analyse der Auswirkungen auf die Betriebskosten 2. Schritt Analyse der eingeholten Angebote mit den entsprechenden Kosten- und Wirtschaftlichkeitsvergleichen 3. Schritt Bewertung der Zweckmäßigkeit und Qualität anhand einer zuvor bestimmten Kriterienliste 4. Schritt Suche nach einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis, dabei Berücksichtigung von: Investitionskosten, betreffend geeigneter Gefäßgröße und Folgeinvestitionen Betriebskosten betreffend Energieverbrauch und Unterhalt Zweckmäßigkeit und Qualität des Angebotes Tabelle 15-5 Schrittfolge bei der Auswahl geeigneter Fahrzeuge 16 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram „Die Gmundner Straßenbahn […] bleibt auch in Zukunft Gmundens steilster Stolz.“ 616 In Gmunden am Traunsee (ca. 15.000 Einwohner 617 ) bestand über viele Jahrzehnte hinweg der kleinste der fünf österreichischen Straßenbahnbetriebe. Mit einer Streckenlänge von nur 2,3 km galt die meterspurige Gmundner Straßenbahn gleichzeitig als kleinster elektrischer Straßenbahnbetrieb der Welt mit täglichem Fahrbetrieb im ÖPNV und als eine der steilsten Adhäsionsbahnen. Historische Straßenbahn GM5 Haltestelle Bezirkshauptmannschaft Entstanden war die Straßenbahn auf Drängen der Einwohner und Eisenbahnnutzer, nachdem etwas außerhalb des Stadtzentrums der Rudolfsbahnhof an der Salzkammergutbahn von Attnang-Puchheim nach Stainach-Irdning gebaut worden war. Der Weg zum Bahnhof wurde als zu lang und zu steil empfunden. Nach nur einjähriger Bauzeit hat man 1894 die „Elektrische Bahn Gmunden“ in Betrieb genommen. 618 Der ursprüngliche Streckenverlauf vom Bahnhof Gmunden bis zum Rathausplatz wurde ab 1975 gekürzt. Die Bahnen endeten seitdem bereits am Franz-Josef-Platz. Grund dafür war der zunehmende motorisierte Individualverkehr, der entsprechenden Platz im Stadtzentrum einforderte. 619 Obwohl die Strecke damit um nur eine Station verkürzt wurde, verlor die Bahn schrittweise an Attraktivität: „Die Fahrgastzahlen sanken empfindlich und die Einstellung der gesamten Linie schien nur noch eine Frage der Zeit.“ 620 Ende der 1980er Jahre wurde schließlich verlautbart, dass die weitere Finanzierung der Bahn zukünftig nicht mehr sichergestellt werden kann und damit deren weiterer Bestand fraglich ist. 1989, nach einer sehr erfolgreichen Unterschriftenaktion zum Erhalt der Straßenbahn, wurde 616 Verein Pro Gmundner Straßenbahn: Herzlich willkommen, http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 04.10. 2018 617 vgl. Stadtgemeinde Gmunden: Zahlen & Fakten, https: / / www.gmunden.at, 04.10.2018 618 vgl. Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 133f 619 vgl. ebd., 137; o.V.: 120 Jahre Straßenbahn, in: Einfach tramtastisch 1/ 2014, 11 620 Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 137 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram 255 der Verein „Pro Gmundner Straßenbahn“ gegründet, der in den Folgejahren maßgeblich zur finanziellen Absicherung und wirtschaftlicheren Ausrichtung der Bahn beitrug. In diesem Zusammenhang wurde auch der Personalstamm reduziert. 621 Von der Einführung des Austrotaktes bei den ÖBB wollte auch die Gmundner Straßenbahn profitieren. Mit dem Ziel, das Angebot kundenorientierter zu gestalten, realisierte man 1991 bei der Straßenbahn einen Taktfahrplan, der Anschlüsse zu und von allen Zügen am ÖBB-Bahnhof Gmunden gewährleistete und zudem Verstärkerfahrten zu den Hauptverkehrszeiten beinhaltete. Ab 1993, mit Einführung des Verkehrsverbundes Gmunden, gab es ergänzende innerstädtische Stadtbuslinien, die auf die Straßenbahn abgestimmt fuhren. Bevor diese Entscheidung getroffen wurde, war allerdings gar nicht klar, ob die Straßenbahn im neuen Bedienkonzept sowie im Verkehrsverbund überhaupt eine Rolle spielen würde. 622 Ebenfalls ab Anfang der 1990er Jahre hob man die touristische Komponente der Straßenbahn stärker hervor und initiierte Oldtimerfahrten auf der Strecke. 623 In diesem Zusammenhang wurden, finanziert durch den Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V., die Stadt Gmunden sowie den Betreiber Stern & Hafferl, auch bauliche Veränderungen an den Haltestellen vorgenommen, die letztlich aber nicht nur Touristen, sondern auch allen anderen Fahrgästen dienten: „Regenschutzdächer, Wartebänke, Gehsteigvorziehungen, Bahnsteigerhöhungen, ordentliche Vitrinen und - als optisch auffälligste Veränderung - neue Haltestellentafeln aus der Zeit der Monarchie.“ 624 Triebwagen GM10 an der Endstation Bf Gmunden Innenansicht GM10 Im bis 2018 aktuellen Betriebskonzept unterhielt der Straßenbahnbetrieb in Gmunden fünf Triebwagen und beschäftigte sechs Fahrer und eine Fahrerin. Die regulär zum Einsatz kommenden Fahrzeuge mit Baujahren 1952 bzw. 1961 waren überdurchschnittlich alt. Aber auch wenn es angesichts des Fuhrparks so schien, war die Straßenbahn keine Museumsbahn, sondern ein mittlerweile in den Verkehrsverbund Oberösterreich integriertes öffentliches Verkehrsmittel. Jährlich 621 vgl. Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V.: Wie alles begann, http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 17.07. 2018 622 vgl. Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 137; Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V.: Gmundner Verkehrsverbund gegründet, http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 17.07.2018 623 vgl. Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V.: Erstmals ein Taktfahrplan, http: / / www.gmundnerstrassenbahn.at, 17.07.2018 624 Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V.: Die Haltestellen der Gmundner Straßenbahn, http: / / www.gmundnerstrassenbahn.at, 17.07.2018 256 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram wurden etwa 310.000 Fahrgäste befördert. Bis auf einige Ausweichstellen war die genutzte Strecke eingleisig, verlief aber teilweise auch auf vom übrigen Verkehr unabhängigen Bahnkörper. Insgesamt gab es sieben Haltestellen, die - abgesehen von den beiden Endstationen und den Kreuzungen - als Bedarfshalte ausgelegt waren. Die Fahrtzeit betrug neun bis zehn Minuten. 625 Aus nordöstlicher Richtung kommend, führt die Lokalbahn Gmunden-Vorchdorf nach Gmunden. Diese auch als Traunseebahn bezeichnete Bahn ging 1912 in Betrieb. Heute hat sie vor allem für den Schüler- und Pendlerverkehr große Bedeutung, spielt aber auch aus touristischer Sicht eine wichtige Rolle. Die meterspurige Strecke ist 15 km lang und weist auf einem etwa 2 km langen Abschnitt ein Dreischienengleis auf, da hier auch die ÖBB mit normalspurigen Fahrzeugen verkehren. 626 Gmundner Straßenbahn Traunseebahn Eröffnung 1894 1912 Streckenlänge 2,33 km 14,9 km Spurweite 1.000 mm 1.000 mm Größte Neigung 10 % 4,3 % Stationen 7 18 Traktion 600 V Gleichstrom 750 V Gleichstrom Triebwagen im Planeinsatz 2 Duewag-Wagen (Bj. 1952) 1 Lohner-Wagen (Bj. 1961) 8 TramLink V3 von Vossloh/ Stadler (Bj. 2015/ 2016) Fahrgäste/ Jahr ca. 310.000 ca. 337.000 Betriebskonzept Halbstundentakt, teilweise Taktverdichtung; Anschlusssicherung zur Salzkammergutbahn Halbstundentakt (mit Ausnahmen in den Tagesrandzeiten), Zweistundentakt an Wochenenden Betriebsführung Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H. Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H. Tabelle 16-1 Technische Daten (vor Inbetriebnahme der Traunseetram) 627 Damit führten zwei meterspurige Strecken bis ins Gmundner Zentrum, ohne aber bislang miteinander verbunden zu sein: „Als die Gmundner Straßenbahn 1894 als eine der ersten elektrischen 625 vgl. Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Gmundner Straßenbahn, http: / / www.stern-verkehr.at, 03.06.2018; Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V.: Betrieb heute, http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 17.07.2018; o.V.: Strassenbahn Gmunden, in: Schienenverkehr aktuell 6/ 2018, 330; Verein Pro Gmundner Straßenbahn: Mit der Straßenbahn vom Bahnhof ins Zentrum, http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 03.06.2018; Oberösterreichischer Verkehrsverbund: Fahrplan Linie 174 Straßenbahn Gmunden F.J.-Platz - Bahnhof, gültig ab 10.12.2017 626 vgl. Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Von den Anfängen in die Zukunft, http: / / www.sternverkehr.at, 20.07.2018; Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Traunseebahn, http: / / www.stern-verkehr.at, 03.06.2018; Inderst, Markus: Österreich mit dem Zug entdecken, München 2012, 90 627 erstellt nach: Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Gmundner Straßenbahn, http: / / www.stern-verkehr.at, 03.06.2018; Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Traunseebahn, http: / / www.stern-verkehr.at, 03.06.2018; Oberösterreichischer Verkehrsverbund: Fahrplan Linie 174 Straßenbahn Gmunden F.J.-Platz - Bahnhof, gültig ab 10.12.2017; Oberösterreichischer Verkehrsverbund: Fahrplan Linie 174 Straßenbahn Gmunden F.J.-Platz - Bahnhof, gültig ab 10.12.2017; Oberösterreichischer Verkehrsverbund: Fahrplan Linie 161 Traunseebahn, gültig ab 10.12.2017; o.V.: Österreichs Regionalbahnen legten im Vorjahr an Fahrgästen zu, http: / / www.vcoe.at, 26.07.2018 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram 257 Bahnen in Österreich, noch vor jener in Wien, gebaut wurde, war nicht vorgesehen, sie zu einem internationalen Kuriosum, dem weltweit kleinsten Straßenbahnbetrieb, werden zu lassen. Sie sollte keineswegs bloß eine Verbindung zwischen dem etwas außer- und oberhalb der Stadt gelegenen Bahnhof und dem Stadtzentrum am See bleiben, mit einer Fahrzeit von zehn Minuten. Von Anfang an war ihre Verlängerung hinaus ins Voralpenland, nach Vorchdorf, geplant. Beide Strecken wurden gebaut, nur 700 Meter fehlen dazwischen - seit mehr als 100 Jahren.“ 628 Diese Lücke wird nun durch die „stadt-regio.tram“ geschlossen. So wird die Gmundner Straßenbahn, die mehrfach um ihre Existenz bangen musste, Teil eines modernen Nahverkehrskonzepts in der Region. Abbildung 16-1 Streckennetz der „stadt.regio.tram“ Gmunden-Vorchdorf 629 Beschlossen hat man den Bau der „stadt.regio.tram“, die auch als Traunseetram bezeichnet wird, 2013. Mit einer neu errichteten zweigleisigen Strecke durch das Zentrum von Gmunden werden die Straßenbahn und die Traunseebahn miteinander verknüpft und dadurch eine umsteigefreie Bahnverbindung geschaffen. Von der bisherigen Endhaltestelle der Straßenbahn am Franz-Josef- Platz wird die Strecke verlängert bis zur früher bereits existierenden Station Rathausplatz, von dort weiter über die Traunbrücke, die neu errichtet werden musste, zur Station Klosterplatz und 628 May, Stefan: Visionen am Traunsee, in: Wiener Zeitung, 09./ 10.02.2013, 39 629 erstellt nach: Lokalbahn Gmunden-Vorchdorf AG: Integriert in ein regionales Schienennetz, https: / / www.stadtregiotram-gmunden.at, 17.07.2018 258 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram schließlich zum Seebahnhof der Traunseebahn. Insgesamt erreicht die „stadt.regio.tram“ eine Länge von 18 km. 630 Dabei galt es nicht nur den bislang fehlenden Streckenabschnitt zu errichten, auch an der bestehenden Infrastruktur wurde gearbeitet. So wurde von 2014 bis 2015 der ÖBB-Bahnhof Gmunden umgebaut, um eine bessere Anbindung an die Straßenbahn zu gewährleisten. Kurze, barrierefreie Wege erleichtern nun das Umsteigen zur Salzkammergutbahn. Die neue Schnittstelle ermöglicht außerdem den Umstieg zu Buslinien und bietet im Park&Ride-Bereich zahlreiche Stellplätze für Pkw, Motorräder und Fahrräder. 631 Auch der ehemalige Endbahnhof der Traunseebahn Gmunden Seebahnhof wurde bereits umgebaut, die Strecke bis zum Klosterplatz verlängert. Durch letztere Maßnahme konnte aufgrund der größeren Nähe der Station zum Zentrum schon eine Steigerung der Fahrgastzahlen erzielt werden. 632 GM8 an der Haltestelle Franz-Josef-Platz Neue Trasse durch das Zentrum Über die Traunbrücke führt die neue Strecke Vorfreude auf eine neue Epoche 630 vgl. Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 138; Verein Pro Gmundner Straßenbahn: Mit der Straßenbahn vom Bahnhof ins Zentrum, http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 03.06.2018 631 vgl. o.V.: Bahnhof Gmunden eröffnet, in: Einfach tramtastisch 5/ 2015, 15 632 vgl. Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Traunseebahn, http: / / www.stern-verkehr.at, 03.06.2018; o.V.: Der neue Klosterplatz, in: Einfach tramtastisch 3/ 2015, 4 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram 259 Die Kosten für die Baumaßnahmen werden mit 30 Mio. veranschlagt, wobei auf das Land Oberösterreich 80 % entfallen, auf Gmunden 20 %. Durch die Nutzung von Fördermitteln kann der Anteil der Stadt verringert werden. Die Gesamtkosten verteilen sich auf Straßenbau (30 %), Brückenbau (24 %), Planung, Baustellenkosten, Nebenkosten, Unvorhergesehenes (18 %), Straßen, Gehwege, Landschaftsbauarbeiten (10 %), Haltestellen (9 %), Leitungsarbeiten (7 %) sowie Vorarbeiten, Erdbau usw. (2 %). 633 Der Bau der „stadt.regio.tram“ bietet für die Straßenbahn auch die Chance, den überalterten Fuhrpark zu modernisieren. Bereits im Vorfeld hat man moderne Triebwagen verschiedener Hersteller auf den beiden Bestandsstrecken getestet. 634 Durch die Verknüpfung von Regionalbahn- und Straßenbahnstrecken müssen die neuen Bahnen den Anforderungen im Eisenbahn- und im Straßenbahnbetrieb genügen. Letztendlich fiel die Entscheidung auf den „TramLink V3“ von Vossloh/ Stadler, der bereits seit 2016 auf der bestehenden Traunseebahn im Einsatz ist. Beim „TramLink V3“ handelt es sich um eine „Straßenbahn für den innerstädtischen Verkehr, ergänzt um zusätzliche Funktionalitäten für einen sicheren Regionalbahnbetrieb, denn zwischen Vorchdorf und Seebahnhof ist das Fahrzeug als Regionalbahn, zwischen Seebahnhof und Bahnhof Gmunden als Straßenbahn unterwegs. Es ist gelungen, die unterschiedlichen Anforderungen an eine Straßenbahn, die auch im Regionalbahnbetrieb verkehrt, in einem Fahrzeug zu vereinen und somit die modernste Straßenbahn Europas in Betrieb nehmen zu können. Sicherheit, Fahrgastkomfort und Barrierefreiheit stehen dabei im Mittelpunkt.“ 635 Modernität bezieht sich hier auch auf den Energieverbrauch. Dabei profitierte man bei der Fahrzeugentwicklung vom EcoTram-Projekt aus Wien. Die neuen Bahnen benötigen etwa 25 % weniger Energie zum Heizen bzw. Kühlen und weisen daher auch ein niedrigeres Geräuschniveau auf. Zudem wird der Energieverbrauch durch eine neue Wärmedämmung und spezielle Fenster verringert. Die Klimaanlage arbeitet in Abhängigkeit vom Besetzungsgrad der Bahn. 636 Abgesehen vom Wagen Nr. 8 werden die einst von der „Vestischen Straßenbahn“ übernommen Großraumwagen verkauft oder verschrottet. Um zukünftig auch die bislang im Regelbetrieb der Gmundner Straßenbahn genutzten historischen Fahrzeuge auf Teilen der Lokalbahn einsetzen zu können, z.B. im Rahmen von Sonderfahrten, müssen diese Fahrzeuge umgerüstet und an das neue Zugleitsystem angepasst werden. 637 Bislang war der ÖPNV-Anteil in der Stadt Gmunden mit nur 8,4 % relativ gering gegenüber den Durchschnittswerten aus Oberösterreich. Mit der neuen Bahn erhofft man sich eine deutliche Steigerung der Fahrgastzahlen. Erhebungen haben ergeben, dass an einem Werktag etwa 890 Passagiere die Straßenbahn und 770 die Traunseebahn nutzen. Für die „stadt.regio.tram“ gehen Prognosemodelle bis zum Jahr 2025 von einer Steigerung auf etwa 3.300 Passagiere pro Tag aus. Begründet wird dies zum einen mit einer generellen Veränderung des Mobilitätsverhaltens, vor allem aber mit der neuen umsteigefreien, unmittelbar ins bzw. durchs Zentrum führenden Verbindung, auf die auch die Buslinien abgestimmt werden. 638 633 vgl. Lokalbahn Gmunden-Vorchdorf AG: Kosten & Finanzierung, https: / / www.stadtregiotram-gmunden.at, 03.06.2018 634 vgl. o.V.: Die Traunseebahn aus Innsbruck, in: Einfach tramtastsisch 5/ 2015, 20f 635 o.V.: Die neuen Garnituren sind unterwegs, in: Einfach tramtastisch 6/ 2016, 8 636 vgl. ebd., 10f 637 vgl. Schrempf, Robert: Zusammengewachsen, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2018, 71; Knoll, Ottfried: Traunseetram Gmunden - Vorchdorf eröffnet, in: Schienenverkehr aktuell 10/ 2018, 515 638 vgl. o.V.: Wir fahren Straßenbahn! , in: Einfach tramtastisch 1/ 2014, 12; Lokalbahn Gmunden-Vorchdorf AG: Mehrwert mit Lebensqualität, https: / / www.stadtregiotram-gmunden.at, 23.07.2018 260 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram Lange Tradition Übergang von der Straßenbahn zum Bahnsteig - mit Querung eines Betriebsgleises Neue Haltestelle Klosterplatz Seebahnhof - nun nicht mehr Endbahnhof Die offizielle Inbetriebnahme der „stadt.regio.tram“ erfolgte am 1. September 2018. Von Gmunden Bahnhof nach Vorchdorf gelangt man nun innerhalb von 38 Minuten, nach Gmunden Engelhof, wo noch eine Abstellhalle für die Fahrzeuge errichtet werden soll, in 16 bis 19 Minuten. Grundsätzlich bietet der Fahrplan zwischen Gmunden Bahnhof und Vorchdorf einen Halbstundentakt, die zusätzlich innerhalb Gmundens verkehrenden Bahnen orientieren sich jedoch an den (unregelmäßigen) Abfahrts- und Ankunftszeiten der ÖBB-Züge am Bahnhof Gmunden, wodurch sich in Gmunden selbst kein regelmäßiger Takt ergibt 639 : „Hier offenbart sich bei der sonst sehr ambitionierten Fahrplangestaltung ein infrastrukturbedingtes Dilemma, das hoffentlich bald gelöst werden kann, um den Erfolg der Traunseetram nicht zu gefährden.“ 640 Der Bedienungszeitraum ist an allen Wochentagen weit gefasst und umspannt sowohl die frühen Morgenals auch die späten Abendstunden. Für dieses Bedienkonzept sind insgesamt sieben Triebwagen erforderlich, ein achter wird als Werkstattreserve vorgehalten. 641 639 vgl. Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Fahrplan Linie 161 Gmunden Bahnhof - Vorchdorf, gültig vom 9. Dezember 2018 bis 14. Dezember 2019 640 Knoll, Ottfried: Traunseetram Gmunden - Vorchdorf eröffnet, in: Schienenverkehr aktuell 10/ 2018, 515 641 vgl. ebd., 514; Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Fahrplan Linie 161 Gmunden Bahnhof - Vorchdorf, gültig vom 9. Dezember 2018 bis 14. Dezember 2019 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram 261 Wie bereits die Gmundner Straßenbahn und die Traunseebahn wird die „stadt.regio.tram“ von Stern & Hafferl betrieben. Stern & Hafferl Verkehr Gegründet 1883, ist Stern & Hafferl Verkehr mit rund 380 Mitarbeitern das größte private Verkehrsunternehmen Österreichs. Es betreibt vier Lokalbahnen (Traunseebahn, Vorchdorferbahn, Attergaubahn und Linzer Lokalbahn), die Straßenbahn Gmunden und 20 Buslinien und befördert dabei 6 Mio. Passagiere jährlich. Zum Fuhrpark gehören 126 Schienenfahrzeuge und 82 Busse. Das Unternehmen ist auch im lokalen Güterverkehr aktiv. 642 Um potentiellen Fahrgästen die Nutzung der Traunseetram schmackhaft zu machen, konnte die Bahn vom 1. bis zum 14. September 2018 auf der gesamten Strecke kostenlos genutzt werden. 643 Zudem wurde von den Anrainergemeinden ein Begleitprojekt ins Leben gerufen, im Rahmen dessen die Vorzüge der „stadt.regio.tram“ stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt und mentale Zugangsbarrieren abgebaut werden sollen: „Denn die größten Tram-Skeptiker sind bekanntlich jene, die selbst noch nie damit gefahren sind.“ 644 Das Projekt dient nicht nur dazu, über Ausflugsmöglichkeiten und Veranstaltungen entlang der Strecke zu informieren, sondern beinhaltet auch die Errichtung eines Leitsystems sowie von Fahrradabstellmöglichkeiten an den Stationen. Zudem wurde eine App speziell für die Traunseetram entwickelt. Ursprünglich war sogar vorgesehen, eine generell kostenlose Nutzung der Bahn innerhalb des Gmundner Stadtzentrums anzubieten, was allerdings von der Landesregierung nicht unterstützt wurde. Daher wird über ermäßigte Ticketvarianten in Zusammenhang mit Freizeiteinrichtungen bzw. Veranstaltungen nachgedacht. 645 Aufgabe 1: Welche Ziele will man mit der Realisierung der „stadt.regio.tram“ erreichen? Aufgabe 2: Welche Akteure profitieren davon im Einzelnen? Welche Ziele verfolgen diese jeweils? Aufgabe 3: Worin besteht die Problematik, Schienenfahrzeuge sowohl für den Straßenbahnbetrieb als auch für den Eisenbahnbetrieb schienentauglich zu machen? Aufgabe 4: Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede zum Chemnitzer Modell (siehe Fallstudie „Vom Umland umsteigefrei in die City - Das Chemnitzer Modell“) sind erkennbar? 642 vgl. Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Vision mit Tradition seit Generationen! , http: / / www.sternverkehr.at, 19.02.2019; Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.: Moderne Mobilität seit Generationen, http: / / www.stern-verkehr.at, 23.07.2018 643 vgl. o.V.: Traunseetram erfolgreich eröffnet! (02.09.2018), https: / / www.stadtregiotram-gmunden.at, 03.09.2018 644 Brandner, Edmund: Die Traunsee-Tram ist auf Schiene - jetzt braucht es auch Passagiere (03.07.2018), https: / / www.nachrichten.at, 04.10.2018 645 vgl. ebd. 262 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram Lösung Aufgabe 1 Prioritäten Ziele Zeitrahmen Oberziel Lückenschluss zwischen Straßenbahn Gmunden und Trauseetram, Schaffung einer umsteigefreien Verbindung September 2018 1 Neubau, Umbau von Stationen und Schnittstellen bereits erfolgt 2 Beschaffung neuer, moderner, umweltfreundlicher, barrierefreier Fahrzeuge bereits erfolgt 3 Schaffung eines attraktiven SPNV-Angebots durch Taktfahrplan mit großem Bedienungszeitraum, auch an Wochenenden und Feiertagen, für verschiedene Nutzergruppen in Anwendung seit September 2018 4 Entlastung des Gmundner Stadtzentrums vom MIV kontinuierlich 5 Gewinnung neuer Fahrgäste kontinuierlich 6 Aufwertung der Region (Standortvorteil) mittelbis langfristig Tabelle 16-2 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen Aufgabe 2 Verkehrsverbund OÖ Verkehrsbetrieb Tourismus Wirtschaft Land Oberösterreich Gmunden weitere Anrainergemeinden (potentielle) Fahrgäste Abbildung 16-2 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Interessengruppen Erwartungen und Ziele Verkehrsbetrieb Lückenschluss zwischen Straßenbahn Gmunden und Trauseetram und damit Schaffung einer umsteigefreien Verbindung gute Anbindung an Salzkammergutbahn am Bahnhof Gmunden Beschaffung moderner, umweltfreundlicher, barrierefreier Fahrzeuge attraktives Angebot durch Taktfahrplan mit großem Bedienungszeitraum, auch an Wochenenden und Feiertagen, für verschiedene Nutzergruppen gute Anbindung von Schulen, Arbeitsstätten, Ämtern, Handel und Dienstleistern sowie touristischer Attraktionspunkte Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram 263 Fortsetzung Interessengruppen Erwartungen und Ziele Verkehrsbetrieb Reduktion der Schüler- und Regionalbusse durch Umstieg auf SPNV durch P&R-Plätze gute Möglichkeiten zum Umstieg auf den ÖPNV Gewinnung neuer Fahrgäste Finanzierbarkeit der „stadt.regio.tram“ sicherstellen Verkehrsverbund Oberösterreich Lückenschluss zwischen Straßenbahn Gmunden und Trauseetram und damit Schaffung einer umsteigefreien Verbindung Schaffung eines modernen, umweltfreundlichen Mobilitätsangebotes Einsatz moderner, umweltfreundlicher, barrierefreier Fahrzeuge Gewinnung neuer Fahrgäste Tourismus gute Verknüpfung zu touristischen Attraktionen, wie Traunseeschiffahrt, Seeschloss Ort, Grünberg-Seilbahn, Gmundner Keramik usw. Erreichbarkeit von Wander- und Radwegen, Fahrradmitnahme im Zug gute Anbindung von Beherbergungseinrichtungen, Gastronomiebetrieben Personenbeförderung bei Großveranstaltungen sicherstellen Erhalt der Straßenbahn auch als touristische Attraktion Wirtschaft gute Anbindung der Region und der einzelnen Unternehmen vor Ort Chancen für Einzelhändler durch bessere Erreichbarkeit nutzen Sicherung bestehender, Schaffung neuer Arbeitsplätze Aufwertung von Gmunden als Bezirkshauptstadt (Standortvorteil) Land Oberösterreich Investition in ein modernes, umweltfreundliches Mobilitätsangebot Schaffung von Standortvorteilen für die Region Gmunden Schaffung eines modernen, umweltfreundlichen Mobilitätsangebotes und Erhalt der Straßenbahn gute Anbindung von Schulen, Arbeitsstätten, Ämtern, Handel und Dienstleistern sowie touristischer Attraktionspunkte Aufwertung von Gmunden als Bezirkshauptstadt (Standortvorteil) weniger innerstädtischer Verkehr, Emissionsreduktion, innerstädtische Umgestaltung im Zuge der Baumaßnahmen (Straßen, Gehwege, Straßenbeleuchtung, Versorgungsleitungen) Finanzierbarkeit der erforderlichen Baumaßnahmen sicherstellen weitere Anrainergemeinden Schaffung eines modernen, umweltfreundlichen Mobilitätsangebotes gute Anbindung von Schulen, Arbeitsstätten, Handel und Dienstleistern sowie touristischer Attraktionspunkte Standortvorteile für die Region Finanzierbarkeit der erforderlichen Baumaßnahmen sicherstellen (potentielle) Fahrgäste Schaffung eines modernen, umweltfreundlichen Mobilitätsangebotes gute Anbindung von Schulen, Arbeitsstätten, Handel und Dienstleistern sowie touristischer Attraktionspunkte attraktiver (Takt-)Fahrplan mit großem Bedienungszeitraum, auch an Wochenenden und Feiertagen Tabelle 16-3 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele 646 646 siehe dazu auch: Verein Pro Gmundner Straßenbahn e.V.: http: / / www.gmundner-strassenbahn.at, 17.07.2018 264 Aus 2 mach 1 - Die Traunseetram Aufgabe 3 Anpassung an unterschiedliche Bau- und Betriebsordnungen Eisenbahnen fahren im Blockabstand mit technischer Sicherung (Signalisierung z.B. durch PZB oder LZB); Straßenbahnen fahren auf Sicht, Fahrzeuge müssen Straßenverkehrsordnung gerecht werden unterschiedliche Höchstgeschwindigkeiten auf den befahrenen Strecken unterschiedliche Kurvenradien bei Eisenbahn Trasse ein- oder zweigleisig, bei Straßenbahn i.d.R. zweigleisig (in Gmunden jedoch großteils eingleisig) unterschiedliche Anforderungen an Bahnsteighöhen bei Eisenbahn Einsatz von Zweirichtungsfahrzeugen, bei Straßenbahn auch Einrichtungsfahrzeuge (Anordnung der Türen! ) Kompromisse bei Radprofilen für Straßenbahnschienen und Eisenbahnschienen Einsatz von Fahrzeugen mit Lichtraumprofilen, die beiden Anforderungen gerecht werden umschaltbare Fahrstromsysteme bei elektrischem Betrieb über Fahrleitung oder Hybridfahrzeuge Aufgabe 4 Kriterien stadt.regio.tram Chemnitzer Modell Projetziele Schaffung einer umsteigefreien Verbindung aus dem Umland ins regionale Zentrum Anbindung an ÖBB-Bahnhof Gmunden Schaffung einer umsteigefreien Verbindung aus dem Umland ins regionale Zentrum Chemnitz Hbf als zentrale Schnittstelle Einzugsgebiet Gmunden-Vorchdorf mehrere Städte und Gemeinden im Großraum Chemnitz bis ins Erzgebirge Netz Verknüpfung einer Regionalbahnstrecke mit einer Straßenbahnstrecke zur Stadt-Umland-Bahn Verknüpfung mehrerer Regionalbahnstrecken mit dem Chemnitzer Straßenbahnnetz zur Stadt-Umland- Bahn Spurweite 1.000 mm 1.435 mm Fahrzeuge Zweisystemfahrzeuge: TramLink V3 von Vossloh/ Stadler (750 Volt Gleichstrom, 600 Volt Gleichstrom) Zweisystemfahrzeuge: Variobahnen von Adranz (750 Volt Gleichstrom, 600 Volt Gleichstrom) Citylink von Vossloh/ Stadler (dieselelektrisch) Betriebskonzept Halbstundentakt Taktverdichtung im Stadtgebiet Gmunden, abgestimmt auf ÖBB- Fahrplan Halbstundentakt Stundentakt Betriebsführung Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H. City-Bahn Chemnitz GmbH Tabelle 16-4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der „stadt.regio.tram“ und des Chemnitzer Modells 17 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen „In ganz Lateinamerika ist geradezu ein Gondel-Fieber ausgebrochen.“ 647 „Der Hotspot für Seilbahnen ist derzeit wohl Südamerika.“ 648 Seilbahnen werden meist mit Tourismus und Bergen in Verbindung gebracht. Dabei haben sie längst bewiesen, dass sie auch eine sinnvolle Ergänzung des städtischen öffentlichen Verkehrs darstellen können. Insbesondere Agglomerationsräume, die ungenügend ausgebaute und überlastete Straßennetze, große Höhenunterschiede oder trennende Flussläufe aufweisen, scheinen für den Seilbahneinsatz prädestiniert zu sein. Oftmals sind hier Randgebiete nur schlecht erschlossen, und die Einwohner müssen lange Fahrzeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf nehmen - sofern eine derartige Anbindung überhaupt gegeben ist. Dort, wo sich konventionelle Beförderungsalternativen nur mit erhöhtem Aufwand realisieren lassen (vgl. Berghänge, Flüsse, enge, verwinkelte Gassen), spielen Seilbahnen ihre Stärken aus. Durch eine direkte, vom übrigen Verkehr unabhängige Streckenführung lassen sich trotz der eher geringen Beförderungsgeschwindigkeit Distanzen in angemessenen - und gegenüber Bus und Straßenbahn geringeren - Zeiten überwinden. Zudem eignen sie sich als Ergänzung und zur Vernetzung bestehender Linien im öffentlichen Verkehr. 649 Was sind Seilbahnen? Eine einheitliche Systematisierung der Seilbahnen existiert nicht. So nehmen etwa die Seilbahnverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterschiedliche Gliederungen vor, die sich wiederum von jenen der Seilbahnhersteller unterscheiden. Bezüglich des Personentransports kann zunächst in Standseilbahnen, Seilschwebebahnen und Schlepplifte gruppiert werden: Bei Standseilbahnen werden i.d.R. die Wagen auf Schienen mithilfe eines Zugseils im Pendelverkehr geführt. Sie verfügen über eine hohe Transportleistung. Je nach Ausführung sind verschiedene Kapazitäten der Wagen bzw. Wagenkompositionen möglich. Mit bis zu 14 m/ s gelten sie als schnellste Seilbahnen. 650 Bei Seilschwebebahnen bzw. Luftseilbahnen werden die „Fahrzeuge von einem oder mehreren Seilen getragen und/ oder bewegt.“ 651 Je nach Ausführung kann in Pendelbah- 647 Menn, Andreas: Schweben statt im Stau stehen (01.04.2014), http: / / green.wiwo.de, 07.01.2015 648 Ekkehard Assmann, zit. in: Lill, Felix; Sauras, Javier; Bertelli, Michele: Längste Seilbahn der Welt in Bolivien eröffnet - Die grüne Linie von La Paz (18.11.2014), http: / / www.tagesspiegel.de, 07.01.2015 649 vgl. Menn, Andreas: Schweben statt im Stau stehen (01.04.2014), http: / / green.wiwo.de, 07.01.2015; Scherrer, Reto: Seilbahnen für Zürich (21.11.2013), http: / / www.nzz.ch, 07.01.2015 650 vgl. Leitner AG: Arten von Seilbahnen, http: / / www.leitner-ropeways.com, 11.03.2016; Doppelmayr Seilbahnen GmbH: Standseilbahnen, http: / / www.doppelmayr.com, 11.03.2016 651 Richtlinie 2000/ 9/ EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. März 2000 über Seilbahnen für den Personenverkehr, Kapitel 1, Artikel 1, Satz (2) 266 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen nen und Umlaufbahnen unterschieden werden. Diese können als Einseil-, Zweiseil- oder Dreiseilbahn ausgelegt sein. Schlepplifte, die aus technischer Sicht den Umlaufbahnen zuzuordnen sind, dienen der Personenbeförderung auf Skiern oder anderen Sportgeräten mithilfe einer Schleppvorrichtung in einer Schleppspur. 652 Seilbahnhersteller unterscheiden Seilbahnen nach Ausführung der Bahnen - unabhängig davon, ob es sich um Sessel- oder Kabinenbahnen handelt - in fix geklemmte Anlagen und kuppelbare Anlagen. 653 Standseilbahn: Hungerburgbahn, Innsbruck Standseilbahn: Funiculaire de Montmartre, Paris Obwohl natürlich Metros und Stadtbahnen eine höhere Beförderungskapazität aufweisen, müssen Seilbahnen den Vergleich mit Bussen nicht scheuen. Pro Stunde und Richtung lassen sich mit Standseilbahnen ca. 8.000 Personen befördern; bei Gondelbahnen ist es immerhin noch die Hälfte. Die Gestaltung von Gondeln und Stationen ermöglicht barrierefreies Ein- und Aussteigen. 654 Betrachtet man die Betriebskosten, stellt sich der Seilbahnbetrieb günstiger dar. Anders als beim Busverkehr, wo jedes Fahrzeug einen Fahrer benötigt, fahren Seilbahnen automatisiert. Dadurch kann auch zu Schwachlastzeiten ein attraktives Angebot aufrechterhalten werden. 655 Auch der Energieverbrauch ist geringer als bei einem Bus. Gründe dafür sind die geringeren Reibungsverluste, die direktere Linienführung und die geringere Anzahl an benötigten Motoren. Aufgrund des geringeren Wartungsaufwands sinken auch hier die Kosten gegenüber Bussen. Durch den elektrischen Betrieb verursachen die Bahnen vor Ort keine Schadstoffemissionen und sind zudem lärmarm. 656 Auch die Bauzeiten gestalten sich vorteilhafter. Während Straßenbahnen oftmals Planungs- und Bauzeiten von bis zu 15 Jahren erfordern, konnten Seilbahnprojekte schon innerhalb von sechs bis 18 Monaten realisiert werden. Die Höhe der Investitionskosten hängt vom installierten Seil- 652 vgl. Verband Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte e.V.: Nur Fliegen ist höher, München 2013, 11 653 siehe dazu auch: Dorsch, Monique: Verkehr und Tourismus, Plauen 2016, 159ff 654 vgl. Scherrer, Reto: Seilbahnen für Zürich (21.11.2013), http: / / www.nzz.ch, 07.01.2015; Doppelmayr Seilbahnen GmbH: Urban, http: / / www.doppelmayr.com, 28.08.2017 655 vgl. Scherrer, Reto: Seilbahnen für Zürich (21.11.2013), http: / / www.nzz.ch, 07.01.2015 656 vgl. Menn, Andreas: Schweben statt im Stau stehen (01.04.2014), http: / / green.wiwo.de, 07.01.2015 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen 267 bahnsystem ab. Eine unterirdische Standseilbahn verursacht wesentlich höheren Aufwand als z.B. eine Gondelbahn. 657 Doch auch die Vorteile der Seilbahnen haben Grenzen. Eine kleinteilige Erschließung der Fläche, wie sie Busse ermöglichen, lässt sich mit Seilbahnen nicht realisieren. Sind die Strecken zu lang, werden die Beförderungszeiten inakzeptabel. Als Limits werden hier derzeit fünf bis sieben Kilometer bzw. rund 15 Minuten Fahrzeit genannt. Zudem lassen sich sehr große Passagieraufkommen nicht per Seilbahn bewältigen. Ebenso problematisch sind stark schwankende Passagieraufkommen. Während man anfangs davon ausging, dass die Linien im Wesentlichen in einer Geraden geführt werden müssen, sind inzwischen auch Kurven möglich, allerdings zu Lasten der Fahrzeit. 658 2014 wurde die bis dato längste und gleichzeitig höchstgelegene urbane Seilbahn zwischen der bolivianischen Hauptstadt La Paz (3.600 m ü.d.M.) und El Alto (4.000 m ü.d.M.) eröffnet. Bislang wurde das System sehr gut angenommen. Die Fahrzeit auf der 3,5 km langen Strecke beträgt elf Minuten. Pro Stunde und Richtung können bis zu 3.000 Passagiere befördert werden. Eine Fahrt kostet umgerechnet ca. 30 Cent, was nur geringfügig über dem Preis für einen Busfahrschein liegt. Vier Seilbahnlinien sind inzwischen in Betrieb, fünf weitere sollen folgen. Das gesamte Liniennetz würde dann rund 30 km umfassen. Schon jetzt gilt das Netz mit über 15 km Linienlänge als größtes urbanes Seilbahnnetz der Welt. 659 Auch andernorts in Lateinamerika setzt man auf städtische Seilbahnen, so z.B. in Medellín, Manizales und Cali (alle Kolumbien), Rio de Janeiro (Brasilien) oder Mexico City. Dort konnten durch die Seilbahnen Favelas ins städtische Verkehrsnetz integriert werden, die anderweitig nur unter großem Zeitaufwand oder gar nicht erreichbar waren. Nun können die Einwohner wesentlich schneller zu den Stadtzentren und ihren Arbeitsplätzen gelangen. Allerdings ist man in Rio inzwischen nicht mehr in der Lage, die Betriebskosten zu zahlen, so dass der Seilbahnbetrieb eingestellt wurde. 660 In Europa sind städtische Seilbahnen noch nicht so häufig vertreten und dienen bislang vor allem touristischen Zwecken. Allerdings findet man auch hier mancherorts Gefallen an der Idee und prüft, inwieweit sich Seilbahnlösungen in das städtische ÖPNV-Konzept integrieren lassen. Bereits 1957 hatte man in Köln im Rahmen der Bundesgartenschau eine rheinquerende Seilbahn errichtet, welche allerdings nur im Sommerhalbjahr verkehrt. 661 Seit der Bundesgartenschau im Jahr 2011 verbindet eine Seilbahn in Koblenz das Konrad-Adenauer-Ufer mit dem Ehrenbreitstein. Während der Bus bis dorthin etwa 25 Minuten fährt, benötigt die Seilbahn lediglich vier Minuten. 662 Die Förderkapazität liegt bei 7.600 Personen pro Stunde in beide Richtungen, womit nach 657 vgl. ebd.; Scherrer, Reto: Seilbahnen für Zürich (21.11.2013), http: / / www.nzz.ch, 07.01.2015 658 vgl. ebd. 659 vgl. Lill, Felix; Sauras, Javier; Bertelli, Michele: Längste Seilbahn der Welt in Bolivien eröffnet - Die grüne Linie von La Paz (18.11.2014), http: / / www.tagesspiegel.de, 28.08.2017; Doppelmayr: Bolivien - Größtes urbanes Seilbahnnetz ist in Betrieb (05.12.2014), http: / / www.doppelmayr.com, 08.01.2015; o.V.: Doppelmayr baut Seilbahnnetz in La Paz weiter aus (07.03.2017), http: / / www.kurier.at, 28.08.2017 660 vgl. Menn, Andreas: Schweben statt im Stau stehen (01.04.2014), http: / / green.wiwo.de, 28.08.2017; Wimmer, Barbara: Urbane Seilbahnen sind Verkehrsmittel der Zukunft (05.08.2016), http: / / www.futurezone.at, 28.09.2017; o.V.: Mexico City: Mit der Seilbahn pünktlich und sicher unterwegs, https: / / www.internationalesverkehrswesen.de, 28.08.2017; Richardson, Clare: Rios umstrittene Seilbahn steht still (05.02.017), http: / / www.dw.com, 19.02.2019 661 vgl. Kölner Seilbahn, http: / / www.koelner-seilbahn.de, 28.08.2017 662 vgl. Menn, Andreas: Schweben statt im Stau stehen (01.04.2014), http: / / green.wiwo.de, 07.01.2015 268 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen unternehmenseigenen Angaben die weltweit höchste Förderkapazität pro Stunde einer Luftseilbahn erreicht wird. 663 Für die IGA 2017 in Berlin wurde eine Seilbahn für das Gartenschaugelände gebaut. 664 In Wuppertal ist die Verbindung des Hauptbahnhofs via Universität mit dem Stadtteil Küllenhahn per Seilbahn vorgesehen. 665 Auch in Bonn hat man bereits im Rahmen einer Machbarkeitsstudie geprüft, ob eine Seilbahnverbindung zwischen Uniklinikum und Bahnstation Campus sinnvoll wäre. 666 In Hamburg wurde die Idee einer Seilbahn über die Elbe zur attraktiveren Anbindung eines Musicaltheaters per Bürgerentscheid abgelehnt. Allerdings ist die Entscheidung rechtlich nicht bindend. 667 Unter dem Namen „Emirates Air Line“, benannt nach dem Sponsor, verkehrt seit 2012 in London eine urbane Seilbahn. Ursprünglich für die Olympischen Sommerspiele errichtet, fährt die Bahn auch weiterhin. Die Beförderungskapazität beträgt 2.500 Passagiere pro Stunde. Die Fahrpreise für eine einfache Fahrt liegen zwischen 3,50 GBP und 4,50 GBP. 668 Die erste Seilbahn dieser Art in Frankreich fährt seit 2016 in Brest. Um Platz und Kosten zu sparen, kreuzen sich hier die Kabinen nicht neben-, sondern übereinander. Die Beförderungskapazität liegt bei 1.220 Personen pro Stunde. Sondertarife gibt es nicht, die Bahn ist in den ÖPNV integriert. 669 Seit 2014 verkehrt auch in Ankara eine städtische Seilbahn, die zwei Stadtteile mit dem Metronetz verbindet. Die Seilbahn erreicht hier eine Beförderungskapazität von 2.400 Passagieren pro Stunde. Ziel dabei ist nicht, eine Touristenattraktion zu schaffen, sondern eine Alternative für die bestehenden Verkehrsprobleme zu bieten. Gleichzeitig will man damit rund 80 % der Kosten sparen, die durch den Einsatz konventioneller öffentlicher Verkehrsmittel entstehen. 670 Die Liste der Städte, die bereits auf ähnliche Seilbahnkonzepte setzen bzw. über deren Realisierung diskutieren, ließe sich fortführen: z.B. Portland (USA), Caracas (Venezuela), Quito (Ecuador), Zürich (Schweiz), Algier und Constantine (Algerien), Tiflis (Georgien), Hongkong (China), Singapur. Für die Seilbahnhersteller ist der urbane Markt attraktiv. Denn während im traditionellen Betätigungsfeld - z.B. den europäischen Alpen - die Skigebiete weitgehend erschlossen sind und der Markt dadurch stagniert, bieten sich im städtischen Markt vielerorts Chancen. 671 Doppelmayr aus Vorarlberg, mit einem Anteil von rund 60 % derzeit Weltmarktführer, expandierte in den letzten Jahren ebenso wie Konkurrent Leitner aus Südtirol im urbanen Transportsektor. Wirtschaftlich sinnvoll ist dies vor allem deshalb, weil sich die städtische Seilbahntechnik nur geringfügig von jener im alpinen Bereich unterscheidet. Im Gegensatz zu alpinen Seilbahnen müssen die urbanen Versionen an den Stationen etwas abbremsen, um auch mobilitätseinge- 663 vgl. Seilbahn Koblenz: Rund um die Seilbahn, http: / / www.seilbahn-koblenz.de, 28.08.2017 664 vgl. Leitner AG: IGA-Seilbahn Gärten der Welt - Berlin, http: / / www.seilbahn.berlin, 28.08.2017 665 vgl. WSW mobil GmbH: Projektidee, Gründe und Wirtschaftlichkeit, http: / / www.seilbahn2025.de, 28.08.2017 666 vgl. Stadt Bonn: Seilbahn Bonn, http: / / www.bonn.de, 28.08.2017 667 vgl. o.V.: Bürgerentscheid: Hamburger stimmen gegen Elbe-Seilbahn (27.08.2014), http: / / www.spiegel.de, 08.01.2015 668 vgl. o.V.: Olympia-Vorbereitung - London eröffnet Seilbahn über die Themse (29.06.2012), http: / / www.spiegel.de, 08.01.2015; Emirates Air Line, http: / / www.emiratesairline.co.uk, 19.02.2019 669 o.V.: Erste urbane Seilbahn in Frankreich, http: / / de.isr.at, 28.08.2017 670 vgl. Leitner AG: Die größte urbane Seilbahn Eurasiens, https: / / www.leitner-ropeways.com, 28.08.2017; Menn, Andreas: Schweben statt im Stau stehen (01.04.2014), http: / / green.wiwo.de, 28.08.2017 671 vgl. Lill, Felix; Sauras, Javier; Bertelli, Michele: Längste Seilbahn der Welt in Bolivien eröffnet - Die grüne Linie von La Paz (18.11.2014), http: / / www.tagesspiegel.de, 28.08.2017 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen 269 schränkten Personen das Ein- und Aussteigen zu ermöglichen. Zudem verfügt jede Kabine über einen Alarmknopf, um im Notfall Kontakt zur Betriebsleitstelle aufnehmen zu können. Je nach Betriebszeit ist in den Kabinen auch Beleuchtung erforderlich. 672 Vollständig ersetzen können urbane Seilbahnen konventionelle ÖPNV-Verkehrsmittel nicht, wohl aber eine gute Alternative zur Netzergänzung bieten. Günstig erweist sich dabei die Einbindung in bestehende Fahrpläne und Tarifsysteme des öffentlichen Verkehrs. Letztendlich entscheidend für die Umsetzung sind dann aber nicht nur die geographische Voraussetzungen und die technische Machbarkeit, sondern vor allem auch der politische Wille. 673 Aufgabe 1: Halten Sie die Vor- und Nachteile urbaner Seilbahnen in einem Mindmap fest! Aufgabe 2: Inwieweit können städtische Seilbahnen Aufgaben des ÖPNV übernehmen? Aufgabe 3: Welche Faktoren kennzeichneten die Ausgangslage vor dem Bau der urbanen Seilbahnen in den genannten Städten? Welche Probleme wollte man lösen? Aufgabe 4: In mehreren südamerikanischen Städten wurden Seilbahnprojekte realisiert. Welche Auswirkungen können diese auf die dortige Lebensqualität haben? Entwickeln Sie ein Szenario! Aufgabe 5: Inwiefern lassen sich die urbanen Seilbahnprojekte in den Ländern der Dritten Welt als nachhaltig bezeichnen? 672 vgl. ebd. 673 vgl. Kühne, Benjamin: Missing Link? Seilbahnen im ÖPNV, Fairkehr 3/ 3017, http: / / www.fairkehr-magazin.de, 28.08.2017; Scherrer, Reto: Seilbahnen für Zürich (21.11.2013), http: / / www.nzz.ch, 07.01.2015 270 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen Lösung Aufgabe 1 Vor- und Nachteile urbaner Seilbahnen Netz, Linienführung Kapazität Emissionen Personal Überwindung von Hindernissen (Flüsse, Höhenunterschiede) unbeeinflusst vom übrigen Verkehr stetige Beförderung barrierefreier Ein- und Ausstieg schöne Aussicht Sicherheit geringer Platzbedarf geringe Investitionskosten kurze Bauzeit architektonische Freiheiten Bau Fahrplan Erschließung schwer erreichbarer Gebiete gleichmäßige Fahrzeiten Komfort Betriebskosten emissionsarm geringere Kapazität als Metros und Stadtbahnen ungünstig bei stark schwank enden Passagierzahlen höhen- und längenbegrenzt geringe Geschwindigk eit Kurven schwierig nicht für flächenhafte Erschließung Störung der Privatsphäre bei Anrainern durch Seilschwebebahnen hohe technische Sicherheit geringer Personalbedarf attraktiver Fahrplan auch zu Schwachlastzeiten automatisiertes Fahren geringer Energieverbrauch geringer Wartungsaufwand geringer Personalaufwand Nachteile Vorteile Abbildung 17-1 Mindmap: Vor- und Nachteile urbaner Seilbahnen Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen 271 Aufgabe 2 Daseinsvorsorge Befriedigung der Verkehrsnachfrage im Stadt- und Vorortverkehr Sicherstellung einer Grundversorgung bzw. der Erreichbarkeit der Bereiche des Lebens, Wohnens und Arbeitens Alternative zum konventionellen ÖPNV, wo dieser aufgrund topographischer oder stadtplanerischer Hindernisse nicht zum Einsatz kommen kann kostengünstige Beförderung barrierefreie Beförderung Erschließung Netzergänzung Lückenschlüsse zwischen bestehenden ÖPNV-Linien Anbindung von Randgebieten Tabelle 17-1 Von städtischen Seilbahnen wahrgenommene Aufgaben des ÖPNV Aufgabe 3 Faktoren Problembereiche Nachfrage große Verkehrsnachfrage mit bestehendem Angebot nicht zu bewältigen Stadt- und Verkehrsplanung Aufgaben der Daseinsvorsorge können nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden bestimmte Gebiete gar nicht oder schwer erreichbar von dort lange Fahrzeiten in die Zentren (Arbeitsplätze, Einkaufen, Teilhabe am sozialen Leben) Straßennetz stark überlastet ungenügend ausgebaut Topographie mit konventionellen Verkehrssystemen schwer zu überbrücken große Höhenunterschiede trennende Flussläufe Tabelle 17-2 Die Ausgangslage kennzeichnende Faktoren und korrespondierende Problembereiche Aufgabe 4 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf Lebensqualität Mobilität Erreichbarkeit der Randgebiete O) verbessert sich P) bleibt W) verbessert sich + +/ - + Möglichkeiten der Verkehrsmittelwahl O) verbessern sich P) bleibt W) verbessern sich + +/ - + Zeitaufwand für zurückgelegte Wege O) reduziert sich P) bleibt W) reduziert sich + +/ - + 272 Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen Fortsetzung Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf Lebensqualität Mobilität Komfort O) steigt P) bleibt W) steigt + +/ - + Arbeitsmarkt Arbeitsplätze O) neue Arbeitsplätze geschaffen P) keine Auswirkungen W) neue Arbeitsplätze geschaffen + +/ - + Beschäftigungsalternativen O) nehmen zu für Einwohner aus Randlagen P) bleiben W) nehmen zu für Einwohner aus Randlagen + +/ - + Sicherheit Sicherheitslage in den Randgebieten O) verbessert sich stark P) bleibt W) verbessert sich ++ +/ - + Kriminalität O) reduziert sich stark um Stationen P) bleibt W) reduziert sich um Stationen ++ +/ - + Emissionsbelastung in der Stadt Anteil des MIV am Modal Split O) nimmt ab P) bleiben W) nimmt ab + +/ - + Abgasemissionen O) nehmen ab P) bleiben W) nehmen ab + +/ - + Lärmemissionen O) nehmen ab P) bleiben W) nehmen ab + +/ - + Integration Stellung der Gebiete innerhalb der Stadt O) verbessert sich stark P) bleibt W) verbessert sich ++ +/ - + Entwicklungspotentiale der Gebiete O) nehmen stark zu P) bleiben W) nehmen zu ++ +/ - + Teilhabemöglichkeiten O) nehmen stark zu P) bleiben W) nehmen zu ++ +/ - + O) Entwicklung bei optimistischer Betrachtung P) Entwicklung bei pessimistischer Betrachtung W) Wahrscheinliche Entwicklung ++ (sehr günstige Wirkung) bis -- (sehr ungünstige Wirkung) Tabelle 17-3 Mögliche Entwicklungen Gondeln im städtischen Verkehr - Urbane Seilbahnen 273 Aufgabe 5 Ökonomische Dimension Ökologische Dimension Gesellschaftliche Dimension Landschaft geringer Platzbedarf für Seilbahnstützen und -stationen Klima Seilbahnbetrieb = em issionsarm Ozonschicht Seilbahnbetrieb = em issionsarm Ressourcen Seilbahnbetrieb m it vergleichsweise geringem Ressourcenaufwand m öglich Kostenwahrheit Preis kostengünstige Mobilitätsalternative Lufthygiene Rückgang Verkehrsaufkom m en MIV, weniger Abgasem issionen Lärm Rückgang Verkehrsaufkom m en MIV, weniger Lärm em issionen Wohnen/ Flächen Flächenverbrauch der Seilbahn = geringer Anteil an Siedlungsfläche bessere Mobilitätsalternativen, Barrierefreiheit Solidarität Erreichbarkeit der Randgebiete, Integration der Bevölkerung aus diesen Gebieten, kürzere Wege zum Arbeitsplatz und in die Zentren generell (m ehr Zeit für Fam ilie, Freizeitaktivitäten), soziale Einrichtungen rund um die Seilbahnstationen (Aufklärung, Bildung, Kultur, Gesundheit) Individualität Sicherheit Partizipation Nachhaltigkeit urbaner Seilbahnen leichtere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, höhere Lebensqualität, Seilbahnbetrieb als Arbeitgeber (Arbeitsplätze, Einkom m en Steueraufkom m en) hohe Sicherheit, Seilbahn gilt als sicherstes städtisches Verkehrsm ittel, zudem : höhere Sicherheit rund um die Stationen, Rückgang der Krim inalität geringe Betriebs- und Investitionskosten bei Seilbahn, reduzierte Aufwendungen in Straßeninstandhaltung Abbildung 17-2 Nachhaltigkeit urbaner Seilbahnen 674 674 erstellt in Anlehnung an: Brodmann, Urs; Spillmann, Werner: Verkehr - Umwelt - Nachhaltigkeit: Standortbestimmung und Perspektiven, Bern 2000, 8 18 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus „Jahrelang wurde der öffentliche Nahverkehr im ländlichen Raum klein gespart, damit soll nun Schluss sein.“ 675 Im Südwesten Sachsens, an der Grenze zu Thüringen und Bayern sowie zur Tschechischen Republik, liegt der Vogtlandkreis. Auf einer Fläche von 1.412 km² leben etwa 240.000 Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von 170 Einwohner/ km² entspricht. Das Durchschnittsalter liegt bei 48,1 Jahren. 676 Plauen Reichenbach Auerbach Bad Elster Mitte 2018 wurden die Busverkehrsleistungen im Vogtlandkreis europaweit neu ausgeschrieben. In Vorbereitung darauf hat man das bestehende Busnetz grundlegenden Veränderungen unterzo- 675 Thorsten Müller, ehem. Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Vogtland, zit. in: o.V.: Busverkehr im Vogtland: Müller plant Kehrtwende, in: Freie Presse, 11.01.2018 676 vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen: Gemeindeblatt - Vogtlandkreis, Kamenz 2014, 6ff Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus 275 gen. Im Oktober 2019 geht das „Vogtlandnetz 2019 + “, welches zunächst auf zehn Jahre angelegt ist und auf dem Konzept des PlusBus-Systems aufbaut, in Betrieb. 677 Der Verkehrsverbund hat dabei erstmals die Gelegenheit, die diesbezüglichen Kriterien selbst festzulegen. Ziel ist es, „aus einer Hand ein kundenorientiertes und ganzheitlich abgestimmtes Angebot für die Vogtländer und deren Gäste zu planen.“ 678 Damit will man die Fahrgastzahlen steigern und auch den Kostendeckungsgrad erhöhen, der bislang bei 50-60 % lag und damit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Jeder Linienkilometer wurde daher bisher mit einem Euro zusätzlich subventioniert. 679 Das System PlusBus Im Dezember 2013 wurde die S-Bahn Mitteldeutschland in Betrieb genommen, die über den Knoten Leipzig mit neun S-Bahn-Linien Teile Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens erschließt. Kürzere Reisezeiten und getaktete Fahrpläne verbessern hier das bis dahin existierende Angebot. Um die Vorteile dieses Netzes auch im ländlichen Raum abseits der S- Bahn-Linien nutzen zu können, entwickelte der Mitteldeutsche Verkehrsverbund das sogenannte „PlusBus-Netz“, welches eine optimale Verknüpfung von Regionalbuslinien und Schienenverkehr bieten soll. Zuvor „[…] lag das Hauptproblem beim regionalen Busangebot darin, dass die Fahrten nicht vertaktet waren. Die Fahrzeiten passten nicht zum festen Takt des Bahnverkehrs, wodurch die Umsteigezeiten mal kurz, mal lang waren oder Anschlüsse gar nicht zustande kamen.“ 680 Mit dem PlusBus-System wurde dies geändert: Es wird nicht mehr zwischen Schul- und Ferientagen unterschieden, so dass auch an schulfreien Tagen dasselbe Grundangebot aufrechterhalten wird. Die Fahrzeiten sind konsequent vertaktet, d.h. montags bis freitags wird von ca. 5 Uhr bis 21 Uhr i.d.R. ein Stundentakt, zu Schwachlastzeiten und an Wochenenden mindestens ein Zwei-Stunden-Takt angeboten. Die Linienverläufe sind direkt und binden Bahnhöfe bzw. Busbahnhöfe ein. Die Fahrzeiten der Busse sind auf die Fahrpläne des Schienenverkehrs abgestimmt. Die Wartezeit beim Umsteigen an wichtigen Knotenpunkten beträgt maximal zehn Minuten (zuzüglich zurückzulegende Wege). 681 Weitere Verkehrsverbünde, wie z.B. der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, haben sich inzwischen vom Erfolg des PlusBus-Systems überzeugt und die Idee auf das eigene Angebot übertragen, andere arbeiten an der Umsetzung. Im Bediengebiet des Verkehrsverbundes Vogtland wird nun ein vertaktetes Busliniennetz angeboten, das sich an den Qualitätsmerkmalen des PlusBusses orientiert. Konkret bedeutet dies: „stündliches Angebot unter der Woche auf vielen Linien, Erreichbarkeit auch am Wochenende, merkbare Fahrpläne, abgestimmte Anschlüsse im gesamten Netz, um ohne großes Warten in ande- 677 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + , http: / / www.vogtlandauskunft.de, 18.01.2019 678 ebd. 679 vgl. Kiwitter, Susanne: Droht vogtländischen Busfirmen das Aus? , in: Freie Presse, 07.01.2017, 13 680 Ron Böhme, Fachbereichsleiter Verkehrsplanung beim MDV und Projektleiter des PlusBus, zit. in: o.V.: Mehr Bus geht nicht, in: RegioTakte 11/ 2013, 12 681 vgl. o.V.: Mehr Bus geht nicht, in: RegioTakte 11/ 2013, 12; VDV Ost: Mehr Attraktivität im ländlichen ÖPNV in Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2015, 8 276 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus re Busse und Bahnen umsteigen zu können, dabei sollen auch ländliche Teile des Vogtlands zuverlässig erschlossen werden, Aufwertung von Stadtverkehren, komfortable Fahrzeuge.“ 682 Das Konzept des Verkehrsverbundes, das sich an den Empfehlungen der sächsischen ÖPNV- Strategiekommission 683 orientiert, setzt dabei auf sechs Bausteine: PlusBus: Der PlusBus fungiert als „Premiumprodukt“. Acht PlusBus-Linien erschließen zukünftig das Vogtland. Montags bis freitags wird auf diesen Linien Stundentakt angeboten, an den Wochenenden verkehren die Busse meist alle zwei Stunden. Durch auf den SPNV abgestimmte Fahrpläne bestehen günstige Anschlüsse an den Umsteigestationen. TaktBus: Ergänzt wird das dieserart geschaffene Liniennetz durch zweistündlich verkehrende Regionalbuslinien. SchulBus: Schulbusse fahren nach speziell auf die Schulzeiten abgestimmten Fahrplänen, können allerdings nicht nur von Schülern, sondern auch von allen anderen Fahrgästen genutzt werden. StadtBus: Eine Qualitätsaufwertung soll auch der Stadtbusverkehr erfahren, so z.B. in Auerbach und Reichenbach, aber auch in kleineren Städten wie Falkenstein oder Bad Elster. In insgesamt acht Städten sollen im Takt fahrende Kleinbusse das Angebot verbessern und die Verknüpfung zum SPNV sicherstellen. RufBus: RufBusse dienen zum einen dazu, dünnbesiedelte Gebiete zu erschließen. Zum anderen sollen sie einen zeitlich abgestimmten Zugang zum PlusBus-Netz oder zum SPNV ermöglichen. Im Allgemeinen wird hier ein zweistündlicher Takt angeboten. Fahrtanmeldungen sind über die Mobilitätszentrale möglich, zukünftig auch online oder per App. BürgerBus: BürgerBusse fahren bislang in Adorf, Bad Elster und Lengenfeld 684 als Ergänzung zum konventionellen ÖPNV. 685 Rückgrat des neuen Busnetzes bilden nun acht PlusBus-Linien sowie 13 TaktBus-Linien. Ergänzt wird das Netz durch RufBus-Linien. 686 Neben Fahrplan und Liniennetz spielen auch die Fahrzeuge und die Haltestellen eine wichtige Rolle. Bei den auf den PlusBus-, TaktBus- und SchulBus-Linien eingesetzten Bussen handelt es sich i.d.R. um moderne Niederflurfahrzeuge, bei PlusBussen sogar mit WLAN an Bord. Zudem verzichtet man auf eine großflächige Beklebung mit Außenwerbung im Fensterbereich, so dass die Fahrgäste eine gute Sicht nach draußen genießen können. In den Bussen werden Informationen zu Tarifangeboten und zum Liniennetz bereitgestellt. Dies soll zukünftig auch an mehr Haltestellen als bisher der Fall sein. 687 682 Verkehrsverbund Vogtland: Bürgerforen zum neuen Vogtlandnetz für Bus und Bahn ab 2019 (12.01.2018), http: / / www.vogtlandauskunft.de, 18.01.2018 683 siehe dazu ÖPNV-Strategiekommission: Abschlussbericht der Strategiekommission für einen leistungsfähigen ÖPNV/ SPNV in Sachsen, Dresden 2017 684 siehe dazu auch die Fallstudie „ÖPNV im Ehrenamt - Bürgerbusse im Vogtland“ 685 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + - Unser Vorhaben, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 15.03.2018; Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + Hintergrund, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01.2019; Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + - Netze und Fahrpläne, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 15.03.2018; Selbmann, Uwe: Der Bus kommt: Vogtlandnetz beschlossen, in: Freie Presse, 20.06.2018, 9; Thümmel, Marjon: Alles rollt - und wann der Rubel? , in: Vogtland-Anzeiger 20.03.2019, 6 686 Planungsstand Ende März 2019 687 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + Hintergrund, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01. 2019 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus 277 Abbildung 18-1 Erschließung des Vogtlandkreises durch neues PlusBus-Netz und SPNV 688 Schließlich ist die Rolle des Fahrpersonals nicht zu vernachlässigen, wird hierdurch doch der direkte Kontakt zu den Fahrgästen hergestellt. Demzufolge wurden auch hier Qualitätsziele festgelegt, die sich auf Auftreten und Erscheinungsbild, Auskunftsbereitschaft, Tarifkenntnisse und Verkauf, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sowie die Fahrweise beziehen. Da es derzeit grundsätzlich nicht leicht ist, gut qualifiziertes Fahrpersonal zu rekrutieren und für das neue Linien- 688 erstellt nach: Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + - Netze und Fahrpläne, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01.2019 278 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus netz mehr Busfahrer erforderlich sind, waren auch Entlohnung und Arbeitsbedingungen Bestandteil der Ausschreibung. Man orientierte sich bei der Formulierung der Mindestanforderungen an den Sozialstandards des Arbeitgeberverbands Nahverkehr e.V. 689 Um möglichst vielen Akteuren eine Mitwirkung am Gestaltungsprozess zum neuen Busnetz zu ermöglichen, wurden vier öffentliche Foren organisiert, die Anfang 2018 in Reichenbach, Markneukirchen, Auerbach und Weischlitz stattfanden. Auf diesen Foren ging es nicht nur darum, das PlusBus-Konzept vorzustellen, sondern von den Veränderungen Betroffene und Interessierte sollten Fragen stellen, Wünsche äußern und Ideen zur Optimierung geben können. Doch auch auf postalischem Weg oder digital über die Internetseite des Verkehrsverbundes wurden entsprechende Hinweise gesammelt und anschließend aufgearbeitet. 690 Die Möglichkeit der Mitwirkung wurde rege genutzt. Etwa 400 Anregungen sind beim Verkehrsverbund eingegangen und haben teilweise auch zu Änderungen geführt. Besonders stark kritisiert wurde von Seiten der Bürger und der Bürgermeister der betroffenen Gemeinden der Wegfall der bisherigen durchgehenden Buslinie von Plauen nach Bad Elster. Die Streichung wurde damit begründet, dass die Relation auch von der Vogtlandbahn bedient wird und man bislang existierende Parallelverkehre im Elstertal zukünftig vermeiden möchte. Dadurch entstehen aber nicht in allen Ortschaften bessere Anbindungen. Mancherorts müsste man nun zusätzlich (teils mehrfach) umsteigen. Deshalb war auch der Verkehrsverbund zum Einlenken bereit: Statt diese Buslinie komplett zu streichen, wird sie nun im Zwei-Stunden-Takt angeboten, um dadurch zumindest eine gewisse Anzahl an Fahrten einzusparen. 691 Nachdem das neue Konzept stand, wurde im August 2018 die europaweite Ausschreibung im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Bewerbungen konnten bis Oktober 2018 abgegeben werden. Bislang wurde der Busverkehr im Vogtland über fünf, teilweise kleinere Busbetriebe abgesichert. Um eben solchen Busunternehmen eine Beteiligung an der Ausschreibung zu ermöglichen, hat man das Gesamtpaket in drei Lose aufgeteilt, die 1,1 Mio. bis 2,5 Mio. km jährlich umfassten. Das Gesamtvolumen des Auftrags beläuft sich jährlich auf 5,6 Mio. km bei festen Linienfahrten sowie 1,7 Mio. km im RufBus-System. Das entspricht bei zehn Jahren Laufzeit einem Umfang von über 100 Mio. Euro. 692 An der Ausschreibung beteiligt haben sich insgesamt neun Unternehmen, eines davon aus dem Ausland. Als Gewinner hervorgegangen ist eine aus dem Plauener Omnibusbetrieb (POB) und der Verkehrsgesellschaft Vogtland (VGV) bestehende Bietergemeinschaft. Am 3. Dezember 2018 erfolgte die Vertragsunterzeichnung zur Erbringung der Busverkehrsleistungen bis 2029 durch 689 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + Hintergrund, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01.2019; Selbmann, Uwe: Vogtland vergibt Millionen-Auftrag, in: Freie Presse, 04.12.2018, 9 690 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Bürgerforen zum neuen Vogtlandnetz für Bus und Bahn ab 2019 (12.01.2018), http: / / www.vogtlandauskunft.de, 18.01.2018; Verkehrsverbund Vogtland: Viele Fragen und Hinweise zum künftigen Nahverkehr (26.01.2018), http: / / www.vogtlandauskunft.de, 16.02.2018 691 vgl. Selbmann, Uwe: Der Bus kommt: Vogtlandnetz beschlossen, in: Freie Presse, 20.06.2018, 9; Beyer, Tino; Hager, Ronny: Geplantes Buslinien-Aus im Oberland schlägt weiter Wellen, in: Freie Presse, 13.02.2018, 14; Hager, Ronny: Kompromiss zur Buslinie vorgestellt, in: Freie Presse, 09.03.2018, 15 692 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: ZVV erteilt Zuschlag im innovativen Vogtlandnetz 2019 + an vogtländische Bietergemeinschaft (03.012.2018), http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01.2019; Hergert, Lutz: Firmen gesucht für neues Busnetz, in: Freie Presse, 02.08.2018, 11; Kiwitter, Susanne: Droht vogtländischen Busfirmen das Aus? , in: Freie Presse, 07.01.2017, 13; Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + Hintergrund, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01.2019 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus 279 den Landrat des Vogtlandkreises sowie die beiden Geschäftsführer der Unternehmen. POB und VGV involvieren auch andere regionale Akteure in die Leistungserstellung. 693 Basierend auf dem von den Ausschreibungsgewinnern vorgelegten Betriebskonzept werden neue Busse bestellt. Man geht zukünftig von einer 120 Busse umfassenden Flotte aus. Zudem müssen knapp 1.500 Haltestellen kurz vor Inbetriebnahme des neuen Busnetzes mit den entsprechenden Informationen ausgestattet werden. Man will außerdem 70 neue Haltestellen einrichten. 694 Schließlich gilt es, Fahrgäste und potentielle Nutzer über die bevorstehenden Änderungen zu informieren. Dazu nutzt man Printmedien verschiedener Art (z.B. Flyer, Broschüren, Liniennetzpläne, Kundenmagazin „Vischelant“), aber auch digitale Medien (z.B. Internet, Bordinformationssysteme in den Fahrzeugen). In öffentlichen Einrichtungen und bei den Kommunen wurden Infoständer installiert, die nicht nur Materialien des Verkehrsverbundes, sondern auch der Verkehrsunternehmen bereithalten. Mit dem Infomobil werden Mitarbeiter des Verbundes regelmäßig in der Region präsent sein, um unmittelbar vor Ort beraten zu können. 695 Aufgabe 1: Welche Ziele verfolgt man im Verkehrsverbund Vogtland mit der Einführung des neuen PlusBus-Netzes? Aufgabe 2: Wer ist in die Entwicklung des neuen Busnetzes involviert bzw. davon betroffen? Stellen Sie Ziele und Ansichten der verschiedenen Akteure dar! Aufgabe 3: Was zeichnet das PlusBus-Angebot aus? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 4: Welche Faktoren beeinflussen die Umgestaltung des Liniennetzes? Stellen Sie dies in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 5: Leiten Sie aus Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix ab! Aufgabe 6: Übertragen Sie die Ergebnisse der Wirkungsmatrix in ein Intensitätsportfolio! 693 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: ZVV erteilt Zuschlag im innovativen Vogtlandnetz 2019 + an vogtländische Bietergemeinschaft (03.012.2018), http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01.2019; Selbmann, Uwe: Vogtland vergibt Millionen-Auftrag, in: Freie Presse, 04.12.2018, 9 694 vgl. Kiwitter, Susanne: Neues Busnetz ab 13. Oktober: Dieses Führungs-Duo führt Regie, in: Freie Presse 01.02.2019, 10 695 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + Hintergrund, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.01. 2019 280 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus Lösung Aufgabe 1 Prioritäten Ziele Zeitrahmen Oberziel Anbieten eines kundenorientierten und ganzheitlich abgestimmten Busangebots für den Vogtlandkreis mit der Kernmarke „PlusBus“ ab Oktober 2019 1 Entwicklung eines entsprechenden Liniennetzes samt Fahrplan unter Berücksichtigung der Empfehlungen der sächsischen ÖPNV-Strategiekommission sowie der Anregungen aus der öffentlichen Diskussion Sommer 2018 2 Formulierung des Ausschreibungstextes unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte Sommer 2018 3 Finden eines leistungsstarken Anbieters bzw. einer Anbietergemeinschaft im Rahmen der Ausschreibung und Vertragsunterzeichnung Ende 2018 4 Fahrzeugbeschaffung und Einrichtung der neuen Haltestellen bis Oktober 2019 5 Kommunikation des neuen Netzes samt Fahrplan begleitend Tabelle 18-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen Aufgabe 2 Landkreis Verkehrsbetriebe Gemeinden (potentielle) Fahrgäste Einwohner Verkehrsverbund Abbildung 18-2 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus 281 Interessengruppen Erwartungen und Ziele Verkehrsverbund Anbieten eines kundenorientierten und ganzheitlich abgestimmten Busangebots für den Vogtlandkreis mit der Kernmarke „PlusBus“ Gewinnung eines leistungsstarken Anbieters bzw. einer Anbietergemeinschaft frühzeitige Einbindung der Bevölkerung und der Gemeinden in den Umgestaltungsprozess effizienter Einsatz der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für Fahrzeugbeschaffung und Betrieb Einhaltung der Qualitätsziele in Bezug auf das Fahrpersonal zweckdienliche Kommunikation des neuen Busnetzes unter Nutzung verschiedener Medien Verkehrsbetriebe während der laufenden europaweiten Ausschreibung: Hoffnung auf Chancen, ggf. Angst vor Niederlage nach erfolgter Ausschreibung: Ausschreibungssieger: erfolgreiche Dienstleistungserstellung im neuen Busnetz unterlegene (regionale) Bieter: ggf. Mitwirkung an Dienstleistungserstellung im neuen Busnetz über Subunternehmerverträge Landkreis Anbieten eines kundenorientierten und ganzheitlich abgestimmten Busangebots für den Vogtlandkreis mit der Kernmarke „PlusBus“ Hoffnung, dass einheimische Bieter im Rahmen der Ausschreibung eine Chance haben Gemeinden bedarfsgerechte Fahrpläne und zweckdienliche Linienführung Erreichbarkeit wichtiger Attraktionspunkte (Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen, Einzelhandel, medizinische Versorgungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen usw.) Berücksichtigung eventueller Änderungswünsche Einwohner ausreichende, verständliche Informationen zur Umgestaltung des Netzes ggf. Angst vor Veränderung bzw. Angebotsverschlechterung (z.B. andere Linienführung, andere Fahrplanlagen) Berücksichtigung eventueller Änderungswünsche bedarfsgerechte Fahrpläne und zweckdienliche Linienführung Erreichbarkeit wichtiger Attraktionspunkte (Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen, Einzelhandel, medizinische Versorgungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen usw.) verständliches Angebot (vgl. z.B. Nutzungsmodalitäten RufBusse) (potentielle) Fahrgäste (Schüler, Berufspendler, Senioren, Touristen, Geschäftsreisende, …) ausreichende, verständliche Informationen zur Umgestaltung des Netzes ggf. Angst vor Veränderung bzw. Angebotsverschlechterung (z.B. andere Linienführung, andere Fahrplanlagen) Berücksichtigung eventueller Änderungswünsche bedarfsgerechte Fahrpläne und zweckdienliche Linienführung Erreichbarkeit wichtiger Attraktionspunkte (Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen, Einzelhandel, medizinische Versorgungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen usw.) verständliches Angebot (vgl. z.B. Nutzungsmodalitäten RufBusse) Tabelle 18-2 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele 282 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus Aufgabe 3 PlusBus- System Bedienungszeitraum Fahrzeiten Linienführung Fahrtage Anschlüsse an Umsteigeknoten keine Unterscheidung Schul- und Ferientage Differenzierung Mo-Fr vs. Sa, So, Feiertage konsequente Vertaktung Mo-Fr Stundentakt Sa, So, Feiertage mindestens Zwei- Stunden-Takt direkt Einbindung von Bahnhöfen und wichtigen Bushaltestellen Orientierung an Schienenverkehr Differenzierung Mo-Fr (5-21 Uhr) vs. Sa, So, Feiertage Wartezeit beim Umsteigen max. 10 min entsprechende Kennzeichnung von Haltestellen, Bussen und Fahrplänen kürzere Reisezeiten Grundangebot besser merkbare Fahrzeiten Erreichbarkeit von Attraktionspunkten sicherstellen Ortszentren Wohngebiete Arbeitsplätze Einzelhandel Bildungseinrichtungen Freizeiteinrichtungen medizinische Versorgung Corporate Design Abbildung 18-3 Mindmap: Qualitätsmerkmale des PlusBus-Systems Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus 283 Aufgabe 4 Erschließungsqualität finanzielle Mittel Angebotsqualität + + + + Besiedlungsdichte + + + + + + + + + - + + Fahrgastzahlen Bedienformen Abbildung 18-4 Wirkungsgefüge Wirkung von … auf … Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Besiedlungsdichte Erschließungsqualität Je höher die Besiedlungsdichte, umso besser muss die Erschließungsqualität sein. Angebotsqualität Je höher die Besiedlungsdichte, umso besser muss die Angebotsqualität sein. Bedienformen Je höher die Besiedlungsdichte, umso sinnvoller sind konventionelle Linienverkehre. finanzielle Mittel Je höher die Besiedlungsdichte, umso höher die Zuweisung an finanziellen Mitteln für den Verkehrsverbund. Fahrgastzahlen Je höher die Besiedlungsdichte, umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen. Erschließungsqualität (Linienführung, Schnittstellen, Erreichbarkeit) Besiedlungsdichte Je besser die Erschließungsqualität, umso wahrscheinlicher ist Zuzug und damit eine Erhöhung der Besiedlungsdichte. Angebotsqualität Je besser die Erschließungsqualität, umso besser sollte auch die Angebotsqualität sein. Bedienformen Die angestrebte Erschließungsqualität beeinflusst die auszuwählenden Bedienformen. finanzielle Mittel Je besser die angestrebte Erschließungsqualität, umso mehr finanzielle Mittel müssen zur Verfügung stehen. Fahrgastzahlen Je besser die Erschließungsqualität, umso höher die Fahrgastzahlen. Angebotsqualität (Fahrplan, Taktung, Bedienungszeitraum) Besiedlungsdichte Je besser die Angebotsqualität, umso wahrscheinlicher ist Zuzug und damit eine Erhöhung der Besiedlungsdichte. Erschließungsqualität Je besser die Angebotsqualität, umso besser kann die Erschließungsqualität sein (zumindest Erreichbarkeit). 284 Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus Fortsetzung Wirkung von … auf … Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Angebotsqualität (Fahrplan, Taktung, Bedienungszeitraum) Bedienformen Die angestrebte Angebotsqualität beeinflusst die auszuwählenden Bedienformen. finanzielle Mittel Je besser die angestrebte Angebotsqualität, umso mehr finanzielle Mittel müssen zur Verfügung stehen. Fahrgastzahlen Je besser die Angebotsqualität, umso höher die Fahrgastzahlen. Bedienformen (PlusBus, TaktBus, SchulBus, StadtBus, RufBus, BürgerBus) Erschließungsqualität Die gewählten Bedienformen beeinflussen die Erschließungsqualität (z.B. Linienführung bei PlusBus, RufBus). Angebotsqualität Die gewählten Bedienformen beeinflussen die Angebotsqualität (vgl. z.B. Fahrplan bei PlusBus vs. BürgerBus). finanzielle Mittel Die gewählten Bedienformen beeinflussen die erforderlichen finanziellen Mittel. Fahrgastzahlen Einfachheit der Nutzung und Akzeptanz der einzelnen Bedienformen beeinflussen die Fahrgastzahlen. finanzielle Mittel Erschließungsqualität Je mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, umso besser kann die Erschließungsqualität sein. Angebotsqualität Je mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, umso besser kann die Angebotsqualität sein. Bedienformen Je mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, umso weniger müssen alternative Bedienformen genutzt werden. Fahrgastzahlen Bedienformen Je höher die Fahrgastzahlen, umso sinnvoller sind konventionelle Linienverkehre. finanzielle Mittel Je höher die Fahrgastzahlen, umso mehr finanzielle Mittel sind verfügbar. Abbildung 18-5 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Aufgabe 5 Wirkung von auf Besiedlungsdichte Erschließungsqualität Angebotsqualität Bedienformen finanzielle Mittel Fahrgastzahlen Zeilensumme Besiedlungsdichte x 3 3 2 3 3 14 Erschließungsqualität 1 x 3 2 3 3 12 Angebotsqualität 1 3 x 2 3 3 12 Bedienformen 0 3 2 x 2 2 9 finanzielle Mittel 0 3 3 3 x 0 9 Fahrgastzahlen 0 0 0 3 2 x 5 Spaltensumme 2 12 11 12 13 11 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 18-3 Wirkungsmatrix Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus 285 Aufgabe 6 Einflussnahme 0 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14 REAKTIV KRITISCH TRÄGE AKTIV Beeinflussbarkeit F E B M Fahrgastzahlen Erschließungsqualität Bedienformen finanzielle Mittel A Angebotsqualität D Besiedlungsdichte M E B F A D Abbildung 18-6 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren Erschließungsqualität und Angebotsqualität: Linienführung, Schnittstellen, Umsteigemöglichkeiten und damit die Erreichbarkeit innerhalb der Region machen die Erschließungsqualität aus. Die Angebotsqualität drückt sich in der Fahrplangestaltung samt Taktung, Bedienungszeiträumen und Anschlüssen aus. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Qualität der zeitlichen und räumlichen Bedienung im ÖPNV und damit kritischer Erfolgsfaktor. Bedienformen: Die im Vogtlandnetz 2019 + integrierten Bedienformen werden maßgebend zum Erfolg des Konzepts beitragen. Nur bei ausreichender Akzeptanz durch die (potentiellen) Fahrgäste werden sich bei den einzelnen Bausteinen des Konzepts entsprechende Fahrgastzahlen verbuchen lassen. finanzielle Mittel: Diese entscheiden über Gestaltungsmöglichkeiten bei Erschließungs- und Angebotsqualität sowie Bedienformen. Aktive Faktoren Besiedlungsdichte: Ausgehend von der Besiedlungsdichte gilt es, ein angemessenes ÖPNV-Angebot bereitzustellen. Umgekehrt kann aber auch eine hohe Qualität im ÖPNV dazu beitragen, dass bestimmte Regionen dichter besiedelt werden als andere. Reaktive Faktoren Fahrgastzahlen: Die Fahrgastzahlen spiegeln als Reaktion das Gesamtangebot im ÖPNV wider. Sie können somit auch als Gradmesser des Erfolgs dienen. Träge Faktoren bei dieser Faktorenauswahl keine Tabelle 18-4 Erläuterung der Faktoren 19 Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland „Wir bringen Sie hin, unkompliziert und günstig.“ 696 Unter dem Slogan „Freizeit wird mit ‚V‘ geschrieben“ bietet der Verkehrsverbund Vogtland seit dem Frühjahr 2016 verschiedene Freizeitbuslinien an, die an Wochenenden und Feiertagen verkehren. 697 Die hinter diesem Angebot stehende Idee ist nicht grundsätzlich neu. Schon vorher existierten zwei ringförmig verlaufende, mit einem Anhänger für Fahrräder oder Skier und Schlitten ausgestattete Freizeitbuslinien, die sich gegenläufig rund um das Vogtland zogen und dabei Sehenswürdigkeiten, Freizeiteinrichtungen und Einstiege in reizvolle Wanderwege miteinander verbanden. Dabei zeigte sich jedoch, dass die Busse auf bestimmten Abschnitten kaum ausgelastet waren, während sie auf anderen Abschnitten gut genutzt wurden. Dies führte man auch darauf zurück, dass durch den ringförmigen Verlauf und das Ziel, möglichst viele Attraktionen einzubinden, recht lange Fahrzeiten entstanden. Deshalb hatte man sich zu einer grundlegenden Überarbeitung der bisherigen Angebote entschlossen. Dazu gehören nun fünf verschiedene Buslinien, die zu vier Touren zusammengefasst werden und mehrere Fahrten pro Tag nach einem festen Takt anbieten: Höhentour V-200 Mylau-Klingenthal-Bad Elster ganzjährig Mai bis Oktober mit Fahrradanhänger Vitaltour V-210 Rautenkranz-Schöneck-Adorf-Bad Brambach/ Aš ganzjährig Kleinbus Aktivtour V-220, V-221 Plauen-Talsperre Pöhl-Barthmühle Jocketa-Helmsgrün Mai bis August Kleinbus Elstertour V-230 Plauen-Oelsnitz-Adorf-Bad Elster ganzjährig Tabelle 19-1 Freizeitbuslinien und zugehörige Touren Zu jeder der Touren wurden Faltblätter entworfen, die in Papierform bzw. auch als PDF- Dokument im Internet verfügbar sind. Neben dem jeweiligen Linienverlauf und dem Fahrplan enthalten diese Faltblätter Informationen zu Ausflugszielen entlang der Strecke. Ziel bei der Neukonzeption war es auch, die bestehenden Eisenbahnlinien besser einzubeziehen und Umsteigemöglichkeiten zu schaffen. Letztere sind jetzt zwar gegeben, allerdings entstehen beim Umsteigen teilweise doch recht lange Wartezeiten von über einer halben Stunde. 696 Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Freizeit wird mit „V“ geschrieben - „Vreizeitnetz“ am Wochenende, https: / / vogtlandauskunft.de/ vreizeitnetz, 26.05.2017 697 vgl. ebd. Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland 287 Abbildung 19-1 „Vreizeitlinien“ im Überblick 698 698 erstellt nach: Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Netzkarte, Auerbach 2016 288 Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland Die eingebundenen Haltestellen sind durch das Logo des Freizeitbusnetzes gekennzeichnet. Zusätzlich ist dort wie auch im Bus die jeweilige Tour angegeben. Einheitliche Kennzeichnung der eingebundenen Haltestellen Haltestelle an der Elstertour in Plauen Spezielle Tarifangebote wurden für das „Vreizeitnetz“ nicht entwickelt. Hier bietet es sich an, auf die vergleichsweise günstigen Tageskarten für eine Person bzw. für Gruppen bis fünf Personen zurückzugreifen. Dabei ist die Mitnahme eines Fahrrades (bzw. eines Schlittens oder eines Paar Skier) pro Person gratis. 699 Aufgabe 1: Welche Herausforderungen sind bei der Entwicklung solcher Freizeitnetze zu bewältigen? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2: Warum war im Vogtland die Entwicklung eines speziellen Freizeitnetzes erforderlich? Aus welchen Gründen hat das bestehende Angebot an regulären Linien nicht ausgereicht? Aufgabe 3: Welche externen Einflussfaktoren wirken auf das Angebot des Freizeitnetzes? Aufgabe 4: Welche Trends zeichnen sich generell in der Freizeitmobilität ab? Welche Auswirkungen könnten diese speziell auf das Freizeitnetz im Vogtland haben? Entwickeln Sie dazu ein Szenario! Anmerkung: Mit Einführung des „Vogtlandnetzes 2019+“ 700 wird das „Vreizeitnetz“ aufgegeben. 699 siehe dazu auch: Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Fahrscheine und Tarife, https: / / vogtlandauskunft.de, 14.01.2019 700 siehe dazu auch die Fallstudie „Vertaktet durchs Vogtland - Der PlusBus“ Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland 289 Lösung Aufgabe 1 Herausforderungen bei Entwicklung eines Freizeitnetzes Linienführung Fahrplan Nachfrager Auslastung Umsteigemöglichkeiten Anschlüsse Taktung Fahrplanlagen Einbindung welcher Attraktionspunkte? Gesamtreisezeiten Tarifangebote? reguläre Linien (Bus + Bahn) andere "Sonntagslinien" Erreichbarkeit über reguläre Linien? Fahrrad-/ Skianhänger? Nachfrageschankungen saisonal wetterbedingt Einzelreisende Gruppen Öffnungszeiten Sehenswürdigkeiten Freizeiteinrichtungen Wanderwege, Loipen Fahrzeuggrößen Fahrgastpotential Vermarktung Bekanntheitsgrad des Angebots Tourenvorschläge Tourismusverband Freizeiteinrichtungen Kooperation Abbildung 19-2 Mindmap: Herausforderungen bei der Entwicklung eines Freizeitnetzes Aufgabe 2 Wie auch andernorts im ländlichen Raum war der Regelfahrplan bei Bus und Bahn im Vogtland zu den Schwachlastzeiten, und damit auch am Wochenende, stark ausgedünnt (vgl. z.B. Schülerverkehre nur montags bis freitags), bestimmte Linien wurden gar nicht bedient. Allein mit diesen regulären Linien war es daher nicht möglich, die Erreichbarkeit der zahlreichen Attraktionspunkte, 290 Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland wie z.B. Sehenswürdigkeiten, Ausflugsziele, Einstiege in Wanderwege, mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen. Das bisher existierende Freizeitbuslinienangebot wies starke Auslastungsschwankungen auf, so dass man sich zu einer Überarbeitung des Konzeptes entschloss. Ziel bei der Entwicklung des „Vreizeitnetzes“ war es daher, gute Alternativen der Freizeitmobilität an Wochenenden und Feiertagen zu bieten und dabei die Erreichbarkeit von Attraktionspunkten auch ohne Pkw zu ermöglichen. Es galt, günstige Verbindungen zu schaffen, die z.B. keine oder nur wenige Umstiege bzw. gute Anschlüsse beinhalten. Dabei sollen die Nachfrager in ihrer Planung vergleichsweise flexibel agieren können. Deshalb werden auf allen Freizeitlinien mehrere Fahrten pro Tag nach einem festen Takt angeboten. Nicht zu vernachlässigen ist eine übersichtliche Darstellung des Angebots, so dass gerade auch für Gelegenheitsfahrer Zugangsbarrieren abgebaut werden können. Aufgabe 3 Umfeldfaktoren Strategische Aktionsfelder Trends bei Verkehrsmittelwahl bzgl. Freizeitmobilität Wunsch nach Flexibilität bei Verkehrsmittelnutzung Fahrradnutzung Naturbezug bei Freizeitaktivitäten Lage, Anzahl und Attraktivität der Sehenswürdigkeiten in der Region Lage, Anzahl und Attraktivität der Freizeitangebote in der Region Öffnungszeiten der Freizeitaktivitäten am Wochenende (bzw. Saison) Einwohnerzahl in Region Touristenzahlen in Region Zeilensumme Linienführung 2 3 2 3 3 3 3 3 3 25 Fahrplanlagen 2 3 1 1 3 3 3 1 1 18 Taktung 2 3 1 1 3 3 3 1 1 18 Fahrzeuggröße 1 2 3 1 2 2 2 1 1 15 Tarifangebote 2 2 3 1 0 0 0 1 1 10 Kooperationsmöglichkeiten 0 0 0 0 3 3 1 0 0 7 Spaltensumme 9 13 10 7 14 14 12 8 8 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 19-2 Umfeldeinflussmatrix Aus der Matrix geht hervor, dass die stärksten Wirkungen von Lage, Anzahl und Attraktivität der Sehenswürdigkeiten und Freizeitangebote ausgehen. Hiervon wird bestimmt, welche Linienführung sinnvoll ist und wie häufig diese einzelnen Attraktionspunkte zu bedienen sind. Ebenfalls stark beeinflussend wirkt der Wunsch nach Flexibilität der Verkehrsmittelnutzer, was sich in der Gestaltung der Angebote niederschlagen muss. Den stärksten Wirkungen unterliegt die Linienführung. Zahlreiche Einflussfaktoren entscheiden, wie die einzelnen Linien geführt werden und wie viele Linien sich insgesamt realisieren lassen. Diese Linien bilden den Kern des Freizeitnetzes und entscheiden letztendlich über dessen Erfolg. Mobil am Wochenende - Das „Vreizeitnetz“ im Vogtland 291 Aufgabe 4 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Entwicklung - Trendaussagen Wirkung auf Lebensqualität Verkehrsmittelwahl Mobilität ohne Auto O) nimmt zu P) nimmt ab W) nimmt zu + - + Wunsch nach Flexibilität O) nimmt zu P) bleibt W) nimmt zu - +/ - - Bequemlichkeit O) nimmt zu P) nimmt ab W) nimmt zu - + - Möglichkeit der Fahrradmitnahme O) nimmt zu P) bleibt W) nimmt zu + +/ - + Preissensibilität O) bleibt P) nimmt zu W) bleibt +/ - - +/ - Wunsch nach Entschleunigung O) nimmt zu P) bleibt W) nimmt zu + +/ - + Umweltbewusstsein O) nimmt zu P) bleibt W) nimmt zu + +/ - + Informationsverhalten/ Suche nach Alternativen O) aktive Suche P) passives Verhalten W) passives Verhalten + - - Freizeitaktivitäten Stellenwert der Freizeit O) nimmt zu P) bleibt W) nimmt zu + +/ - + Outdoor-Aktivitäten O) Beliebtheit steigt P) Beliebtheit bleibt W) Beleibtheit steigt + +/ - + Bedeutung der Naherholung O) steigt P) bleibt W) steigt + +/ - + Aktivitäten in der Gruppe O) nehmen zu P) nehmen ab W) bleiben + - +/ - Spontaneität der Nutzung O) nimmt zu P) nimmt ab W) nimmt zu - + - O) Entwicklung bei optimistischer Betrachtung P) Entwicklung bei pessimistischer Betrachtung W) Wahrscheinliche Entwicklung ++ (sehr günstige Wirkung) bis -- (sehr ungünstige Wirkung) Tabelle 19-3 Mögliche Entwicklungen 20 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Net „Das EgroNet leistet seit dem Jahr 2000 Pionierarbeit im grenzüberschreitenden ÖPNV.“ 701 In der Euregio Egrensis, die sich aus Teilen der Freistaaten Sachsen, Bayern und Thüringen sowie des tschechischen Böhmens zusammensetzt, wurde zur Expo 2000 ein Euroregionales Verkehrssystem (kurz „EgroNet“) geschaffen, das seitdem die Länder mit einheitlichem Fahrschein und abgestimmten Fahrplänen miteinander verbindet: „Das Euroregionale Nahverkehrssystem ‚EgroNet‘ verkörpert ein neues Mobilitätssystem des Nahverkehrs, das umweltfreundlich und wirtschaftlich zugleich ist und den Menschen eine schnelle und komfortable Form der Fortbewegung auch über Ländergrenzen hinweg bietet. Schiene und Straße konkurrieren nicht miteinander, sondern ergänzen sich sinnvoll. Alle beteiligten Verkehrsunternehmen haben ihr Angebot aufeinander abgestimmt, Fahrpläne und Tarife wurden vereinheitlicht. So ist durch die enge Zusammenarbeit aller beteiligter Stellen in Sachsen, Bayern, Thüringen und der Tschechischen Republik aus einem heterogenen Nahverkehrsangebot ein bürgernahes und grenzüberschreitendes Mobilitätssystem geworden, das beispielhaft für angepaßte Mobilität in Europa ist.“ 702 EgroNet-Teilprojekte Im Rahmen des modularen Expo-Projektes EgroNet, dessen tragende Säule die Vogtlandbahn bildet, wurden sechs Teilprojekte realisiert. Im einzelnen sind dies folgende: Betriebshof Neumark: Im Betriebshof Neumark, der sich in die Bereiche Fahrbetrieb, Betriebsführung und Fahrzeugwerkstatt gliedert, werden die Schienenfahrzeuge bereitgestellt, gewartet und instand gehalten. 703 Als sächsischer Standort der Regental Fahrzeugwerkstätten-GmbH 1992 gegründet, waren damals 17 Mitarbeiter beschäftigt, zehn Jahre später bereits 180. Anfangs wurde das Werkstattgelände des ehemaligen DR-Bahnbetriebswerkes in Reichenbach genutzt. 704 Als die alten Räumlichkeiten aufgrund der zunehmenden Auftragszahl nicht mehr ausreichten, entschloss man sich zu einem Neubau im benachbarten Neumark. Einsatz der RegioSprinter: Bereits seit 1996 kamen auf den Strecken der Vogtlandbahn-GmbH moderne Leichtbautriebwagen von Siemens/ Duewag (Typ „RegioSprinter“) zum Einsatz, die vom Freistaat Sachsen (bzw. später auch vom Freistaat Bayern) gefördert wurden. 705 Ergänzt wurde die Fahrzeugflotte ab 2000 durch eine neue Triebwagen-Generation vom Typ „Desiro“. Seit 2012 verkehren auf dem Vogtlandbahn- Netz „Regio-Shuttle“ von Stadler. 701 Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie: 10 Jahre Regionalisierung des SPNV - Verleihung des Bayerischen ÖPNV-Preises 2008 (Pressemitteilung), vom 10. April 2008 702 o.V.: Neue Wege in Europa: Das EgroNet, in: Kreisjournal Vogtland, 25.05.2003 703 vgl. o.V.: EgroNet Teilprojekt - Betriebshof Neumark (Faltblatt), o.O. o.J. 704 vgl. Regental Fahrzeugwerkstätten-GmbH: 10 Jahre RFG in Sachsen, Neumark 2002, 5 und 16 705 vgl. o.V.: EgroNet Teilprojekt - Fahrzeuge: RegioSprinter 1 (Faltblatt), o.O. o.J.; o.V.: EgroNet Teilprojekt - Fahrzeuge: RegioSprinter 2 (Faltblatt), o.O. o.J. Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet 293 Dreischienengleis in Zwickau: Eine innovative Verknüpfung von öffentlichem Personennahverkehr und regionalem Eisenbahnverkehr befindet sich in Zwickau. Dort wird ein Dreischienengleis von Regionalbahn und Straßenbahn genutzt. Die Vogtlandbahn kann dadurch bis ins Zwickauer Zentrum fahren. 706 Voraussetzung dafür war die Umrüstung der Fahrzeuge nach der Verordnung über den Bau und Betrieb von Straßenbahnen (BOStrab). Brückenneubau Klingenthal-Kraslice: Bereits vor 100 Jahren konnte man per Bahn von Sachsen nach Böhmen reisen. Eine dieser Verbindungen führte über Klingenthal und Kraslice, die allerdings kurz vor Ende des 2. Weltkrieges unterbrochen wurde. Im Rahmen dieses Teilprojektes wurde die 1976 wegen Baufälligkeit abgerissene Klingenthaler Bahnbrücke durch einen Neubau ersetzt und damit die Weiterführung der Eisenbahnverbindung nach Kraslice (und Richtung Sokolov) ermöglicht. 707 Schnittstellen an wichtigen Knotenpunkten: Zur Schaffung kurzer und ebener Wege beim Wechsel von der Schiene auf die Straße bzw. umgekehrt wurden an den wichtigsten Umsteigebahnhöfen Schnittstellen um- und ausgebaut. 708 Einrichtung der Tourismus- und Verkehrszentrale: Anfang 1998 als eigene Organisationseinheit des Zweckverbandes ÖPNV Vogtland gegründet, diente die Tourismus- und Verkehrszentrale dazu, Aktivitäten mit direktem persönlichen Kundenkontakt (wie z.B. Auskunft und Beratung, Buchung und Reservierung, Verkauf) für den Zweckverband und den Tourismusverband Vogtland zusammenzufassen. 709 Das Aufgabenspektrum wurde kontinuierlich erweitert, so dass sie heute die Fahrgäste vor, während und nach der Fahrt umfassend informieren kann. Hier erhält der Interessierte Bus- und Bahnauskünfte (Region und Fernverkehr), Tarifauskünfte, Fremdenverkehrsauskünfte, Veranstaltungstips und touristische Auskünfte. Außerdem ist es möglich, Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen zu buchen. 710 Koordiniert wird das EgroNet vom Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland. Zum Kooperationsverbund gehörten 15 Landkreise, kreisfreie Städte und Verkehrsverbünde. 711 Unter dem Namen EgroNet fahren Eisenbahn, Straßenbahn und Bus in der gesamten Region. Zug um Zug und Bus für Bus wurde das Nahverkehrssystem EgroNet, insbesondere in Böhmen und Bayern, erweitert. In einem mittlerweile 15.000 km² großen Gebiet können fast 700 Linien (inkl. über 7.300 Haltestellen) genutzt werden. 712 706 vgl. o.V.: EgroNet Teilprojekt - Dreischienengleis (Faltblatt), o.O. o.J. 707 vgl. o.V.: EgroNet Teilprojekt - Grenzübergang Klingenthal (Faltblatt), o.O. o.J.; Zweckverband Öffentlicher -Länder-Gebiet mit Zentrum Eger - 15 Jahre EgroNet, o.O. 2015, 36ff 708 vgl. Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland: Ein geschickter Nahverkehr, Auerbach o.J., 12; o.V.: EgroNet Teilprojekt - Schnittstellen (Faltblatt), o.O. o.J. 709 vgl. Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland: Ein geschickter Nahverkehr, Auerbach o.J., 9 710 vgl. o.V.: EgroNet Teilprojekt - Tourismus- und Verkehrszentrale (Faltblatt), o.O. o.J. 711 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH, Geschäftsstelle EgroNet: Kooperation über Grenzen hinweg, http: / / www.egronet.de, 06.08.2018 712 vgl. Meinel, Karlheinz: EgroNet als Resultat einer grenzüberschreitenden Verkehrsplanung, http: / / www.smwa. sachsen.de, 28.04.2004; Verkehrsverbund Vogtland GmbH, Geschäftsstelle EgroNet: EgroNet in Zahlen und Fakten, http: / / www.egronet.de, 06.08.2018 294 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet Abbildung 20-1 Eisenbahnverbindungen im EgroNet 713 RegioSprinter der Vogtlandbahn an der Station Zwickau Zentrum Regio-Shuttle der Vogtlandbahn bei der Einfahrt in Cheb 713 erstellt nach: Verkehrsverbund Vogtland GmbH, Geschäftsstelle EgroNet: Eisenbahnverbindungen, http: / / www.egronet.de, 15.05.2017 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet 295 Coradia Continental der Mitteldeutschen Regiobahn in Plauen Regio-Shuttle der Erfurter Bahn in Gera „alex“ der Länderbahn in Hof RegioShark der D auf dem Weg nach Chomutov Das EgroNet-Tagesticket ermöglicht zu einem Festpreis einen Tag lang die Fahrt im gesamten EgroNet-Gebiet - auch grenzüberschreitend. Um besser den Bedürfnissen von Familien und Kleingruppen zu entsprechen, wurde die Preisstruktur zum Fahrplanwechsel 2015/ 16 angepasst und orientiert sich nun an jener der Ländertickets. Ein Tagesticket kostet derzeit 20 Euro bzw. 200 Tschechische Kronen. Jede weitere mitfahrende Person (maximale Gruppengröße von fünf Personen) zahlt 6 Euro bzw. 100 Kronen. Fahrräder werden dabei kostenlos transportiert. Von Mai bis Oktober bestehen zusätzlich mehrere Radbus-Angebote. 714 In der Fahrplanperiode 2018/ 19 gibt es im gesamten EgroNet-Gebiet 53 Partner wie Museen oder Freizeiteinrichtungen, die bei Vorlage des EgroNet-Tickets Nachlässe auf ihre Preise gewähren. 715 Um die ohnehin gute Akzeptanz des Tickets weiter zu erhöhen, setzt man auf intensive Marketingarbeit. Dazu gehört nicht nur die Präsenz auf einschlägigen Veranstaltungen, sondern auch die Bereitstellung von über die reine Beförderung hinausgehenden Informationen, wie 714 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH, Geschäftsstelle EgroNet: Einheitlich, einfach und attraktiv, http: / / www. egronet.de, 19.02.2019 715 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Ein Besuch lohnt sich, http: / / www.egronet.de, 19.02.2019 296 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet Ausflugsangebote, Wander- und Radtouren, die sich mithilfe der Bus- und Bahnlinien im EgroNet realisieren lassen. 716 Die Ergebnisse stimmen positiv. Die Verkaufszahlen des EgroNet-Tickets steigen kontinuierlich. 2015 wurden über 56.000 Tickets verkauft. Ein Jahr später hat man bereits rund 70.000 Egro- Net-Nutzer befördert, 2017 waren es knapp 80.000. 717 Nachdem anfangs das Ticket in Deutschland in wesentlich größerer Anzahl verkauft wurde als in Tschechien, erfreut sich das Angebot im Nachbarland immer größerer Beliebtheit, so dass rund die Hälfte aller Tickets dort erworben wird. 718 Aufgabe 1: Was sind Erfolgsfaktoren des EgroNets? Aufgabe 2: Seit 2000 ist das EgroNet-Gebiet schrittweise gewachsen. Weshalb sind Gebietskörperschaften bzw. Kommunen an der Mitgliedschaft am EgroNet interessiert? Welche Nachteile könnte eine weitere Ausdehnung für die beteiligten Verkehrsunternehmen und für die Nutzer bringen? Aufgabe 3: Worin unterscheidet sich das EgroNet-Tagesticket von einer Netzkarte eines Verkehrsverbundes bzw. von den Ländertickets der Deutschen Bahn? 716 siehe dazu die Faltblätter zu den Touren auf der Internetseite des EgroNets, http: / / www.egronet.de 717 Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Immer mehr Fahrgäste mit EgroNet-Ticket unterwegs (27.03.2018), http: / / www.egronet.de, 06.08.2018 718 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH, Geschäftsstelle Egronet: EgroNet-Ticket - Beliebt wie noch nie (10.08.2016), http: / / www.egronet.de, 15.05.2017 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet 297 Lösung Aufgabe 1 Bedienungsqualität Vorhandensein bzw. Schaffung eines funktionsfähigen, dichten Eisenbahnnetzes mit vielen Stationen, darunter fünf grenzüberschreitende Eisenbahnlinien zur Tschechischen Republik gleichzeitige Existenz vieler Omnibuslinien auf einem gut ausgebauten Straßennetz Teilprojekte bringen viele Vorteile für die Nahverkehrskunden in der Region, die ohne EgroNet-Tagesticket unterwegs sind, z.B. für den Schüler- und Berufsverkehr sowie für Einkaufs- oder Wandertouren auch über Ländergrenzen hinweg Kooperation Bereitschaft der vielen Nahverkehrsunternehmen sowie anderer Partner zur Mitwirkung im EgroNet Historie ein historisch entstandener und relativ dicht besiedelter Kulturraum mit großer touristischer Bedeutung Politik und Bürger Aufgeschlossenheit der staatlichen und kommunalen Verwaltungen zur Realisierung eines solchen Projektes Aufgeschlossenheit der Bürger bzw. der Touristen gegenüber diesem Projekt Förderung des Projektes durch die EU Tabelle 20-1 Erfolgsfaktoren des EgroNet Aufgabe 2 Vorteile einer Mitgliedschaft Nachteile einer weiteren Ausdehnung Anziehung von Touristen und Besuchern durch gute Fahrtmöglichkeiten mit einem Fahrschein für den ganzen Tag auf (fast) allen Nahverkehrslinien sowie durch Rabattierung in kulturellen Einrichtungen, Gaststätten und Einzelhandelsgeschäften mit dem Ziel der Umsatzbelebung kein Erfordernis für die Schaffung von Parkmöglichkeiten für EgroNet-Touristen Steigerung des Bekanntheitsgrades der betreffenden Gemeinden bessere Auslastung der örtlichen Verkehrsangebote insgesamt jedoch auch eine bessere Nutzung des Verkehrsangebotes im ÖPNV der Region nicht unbedingt höhere Effizienz für Verkehrsunternehmen und Nutzer jede Erweiterung ermöglicht das Befahren weiterer Strecken mit Bahn oder Bus mit ein- und demselben Ticket wie in Vergangenheit bereits mehrmals geschehen, erhöht sich der Preis für das Tagesticket nicht jeder will aber unbedingt die neuen Möglichkeiten voll in Anspruch nehmen; für bisherige Strecken wird dem Nutzer damit der Preis vielleicht zu hoch eine weitere Preissteigerung könnte Zahl der Nutzer verringern, dies liegt aber nicht im Interesse des EgroNets Tabelle 20-2 Mitgliedschaftsvorteile vs. Nachteile einer weiteren Ausdehnung Aufgabe 3 Ein Verkehrsverbund ist i.d.R. an bestimmte Grenzen gebunden, die durch Stadtbzw. Landkreise gesetzt werden; dabei werden häufig mehrere solcher Gebietskörperschaften zu einem Verbund zusammengefasst. 298 Ein grenzüberschreitendes Nahverkehrssystem - Das EgroNet Das EgroNet-Tagesticket hingegen berechtigt zur Fahrt durch das historisch entstandene und zusammenhängende Siedlungsgebiet der Euregio Egrensis - ohne Berücksichtigung von Staats-, Länder- und Kreisgrenzen. Eine weitere Besonderheit sind die für Deutschland (20 Euro schiedlichen Tarife des Tickets; dies resultiert aus der noch abweichenden Kaufkraft der Bürger beider Länder. EgroNet-Ticket Netzkarten, z.B. Tageskarte VVV Ländertickets, z.B. Sachsenticket Gültigkeitszeitraum ab Entwertung bis 3: 00 Uhr des Folgetages montags bis freitags von 7: 30 bis 4: 00 Uhr des Folgetages samstags, sonntags, feiertags 0: 00 Uhr bis 4: 00 Uhr des Folgetages montags bis freitags von 9: 00 Uhr bis 3: 00 Uhr des Folgetages samstags, sonntags, feiertags 0: 00 Uhr bis 3: 00 Uhr des Folgetages Gültigkeitsgebiet Euregio Egrensis: Grenzgebiete von Bayern, Böhmen, Sachsen und Thüringen Verkehrsverbund Vogtland Sachsen, Sachsen- Anhalt, Thüringen Nutzbare Verkehrsmittel Nahverkehrszüge in Deutschland: ag, ALX, EB, EBx, OPB, OPX, RB, RE, S5, S5x, SEV Züge in Tschechien: Os, Ex, SP, R, IC Buslinien und Straßenbahnen im Gültigkeitsgebiet alle Nahverkehrszüge und Busse im Gültigkeitsgebiet alle Nahverkehrszüge alle Verkehrsmittel in den Verbünden VVO, VVV, VMS, ZVON, MDV, marego und VMT Preise D: eine Person 20 €, jede weitere Person + 6 € (max. fünf Personen) (max. fünf Personen) eine Person 9 €, zwei Personen 15 €, drei Personen 17 €, vier Personen 18 €, fünf Personen 19 € (max. fünf Personen) eine Person 25 €, jede weitere Person + 7 € (max. fünf Personen) Tabelle 20-3 Gegenüberstellung EgroNet-Ticket, Netzfahrschein und Länderticket (Stand: August 2018) 719 719 erstellt nach: Kooperationsverbund EgroNet: Einheitlich, einfach und attraktiv, http: / / www.egronet.de, 19.02.2019; Verkehrsverbund Vogtland: Fahrscheine und Tarife, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 19.02.2019; Mit dem Sachsen-Ticket: Mehr EntdeckerZeit für die ganze Familie, http: / / www.bahn.de, 19.02.2019 21 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland „Eine konsequente Weiterentwicklung der Servicekette ‚Informieren - Buchen - Bezahlen - Fahren‘ ist erforderlich.“ 720 Gelegenheitskunden und Ortsunkundigen fällt es oft nicht leicht, die für sie optimale Fahrscheinalternative zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auszuwählen. Unkenntnis der geltenden Tarifstrukturen und Zahlmöglichkeiten sowie der fehlende Wille, sich mit diesen Aspekten tiefgründiger auseinanderzusetzen, bilden hierbei Zugangsbarrieren. Verschärft wird die Problematik noch, wenn Verbundbzw. Bundeslandgrenzen überschritten werden. 721 Um eben solche Kunden als Fahrgäste zu gewinnen, müssen derartige Barrieren reduziert bzw. ganz abgebaut werden. Die Bundesregierung hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, bis 2020 den öffentlichen Verkehr durch den Einsatz elektronischer Systeme in dieser Hinsicht zu verbessern. Langfristig soll es möglich sein, den ÖPNV in Deutschland mit einem Ticket zu nutzen, dem (((eTicket Deutschland. Zukünftig sollen Fahrgäste deutschlandweit einfach, schnell und bargeldlos zu einem elektronischen Fahrschein gelangen, der entweder auf einem Mobiltelefon oder einer Chipkarte hinterlegt ist. 722 Mobiltelefone, genauer gesagt Smartphones, sind zum unverzichtbaren Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Einfach zu bedienende Apps dienen z.B. der Kommunikation, der Information oder auch dem Einkauf. Schon heute beziehen sich 44 % aller per Smartphone durchgeführten Einkäufe auf Fahrscheinbuchungen für Bahnen, Busse oder Flüge. Mobilitäts- und Fahrschein-Apps erleichtern dabei den Zugang, gerade auch für jene Nutzer ohne spezifische ÖPNV-Kenntnisse. Allerdings sind diese Apps in bezug auf den Fahrscheinerwerb i.d.R. auf Verkehrsverbund oder unternehmen begrenzt. Bewegt man sich außerhalb seines „Heimat-Verbundes“, muss man sich also mit der andernorts eingesetzten App auseinandersetzen. Zum Fahrscheinkauf gehört dabei auch das Anlegen eines (weiteren) Kundenkontos. Einzige Alternative für potentielle Fahrgäste, die dies nicht möchten, ist der Kauf klassischer Fahrscheine und eine entsprechende Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Tarifsystem. 723 Auch für Chipkarten-Besitzer ergeben sich bisher Grenzen: Außerhalb des Bediengebiets des eigenen Verbunds bzw. Verkehrsunternehmens können die Karten nicht genutzt werden. Sollen verbundübergreifend nicht nur - wie jetzt schon üblich - Fahrplaninformationen geboten, sondern auch der Kauf elektronischer Fahrscheine ermöglicht werden, müssen die zugrundeliegenden Tarifinformationen zentral bereitgestellt und standardisiert sein. 724 Bislang gibt es Tarifinformationen nicht in einer einheitlichen digitalen Form. Die bereits am Markt etablierten Aus- 720 TÜV Rheinland Consulting GmbH; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Roadmap Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr, Köln/ Berlin 2016, 8 721 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bekanntmachung Förderrichtlinie „eTicketing und digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr“, in: Bundesanzeiger, 16.06.2016, 1 722 vgl. ebd.; VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland: ÖPNV digitalisiert die Tarife, 10.05.2017 (Presseinformation); Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: Handbuch (((eTicket Deutschland, o.O. o.J., 8 723 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: IPSI, Köln 2017, 2 724 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland: ÖPNV digitalisiert die Tarife, 10.05.2017 (Presseinformation) 300 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland kunftssysteme können die Informationen der jeweils anderen Verbünde nicht verarbeiten. Daher erhält der Kunde bei Reisen über Verbundgrenzen hinaus zum einen keine Preisauskunft über den gesamten Reiseverlauf, zum anderen kann er wegen dieser fehlenden Auskunft auch keinen Fahrschein für die gesamte Strecke kaufen. Preisauskunft lediglich für Teilstrecke möglich Angeregt durch den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist ein gemeinsamer Standard zum elektronischen Fahrgeldmanagement (EFM), die VDV-Kernapplikation, erarbeitet worden. 725 Diese Kernapplikation ist als eine Art „Bauanleitung für EFM-Systeme“ 726 zu verstehen und soll die Basis für das (((eTicket Deutschland bilden. Dabei muss die Kommunikation unter den verbundenen EFM-Systemen sichergestellt sein, was sich am leichtesten durch einen identischen Aufbau und die gleiche „Sprache“ umsetzen lässt. Zusätzlich ist ein zentrales Hintergrundsystem erforderlich, welches die Daten aus den einzelnen EFM-Systemen nicht nur zusammenführt, sondern auch gegenüber unberechtigten Zugriffen schützt. 727 An der Entwicklung der Kernapplikation hat die gesamte Branche mitgearbeitet, so dass die Bedürfnisse der sie später nutzenden Verkehrsunternehmen berücksichtigt werden konnten. Zudem ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Neuere Erkenntnisse können also auch später einfließen. 728 Die sogenannten Tarifmodule nach PKM (Produkt- und Kontrollmodule), die seit 2017 Teil der VDV-Kernapplikation sind, ermöglichen die einheitliche Abbildung und digitale Verarbeitung von 725 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland - Mit einem Ticket überall fahren, Köln 2018, 3 726 ebd., 5 727 vgl. ebd., 4f 728 vgl. ebd. Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland 301 Tarifinformationen. Für jeden Tarifraum wird ein separates Tarifmodul angelegt. Die Module beinhalten alle Tarifmerkmale (z.B. Produkte, Preise, Tarifzonen, Kontrollmechanismen) und sind auf einem zentralen Tarifserver hinterlegt. Alle Fahrplanauskunftssysteme können auf diesen Server zugreifen, je nach abgefragten Reisewegen entsprechende Preisauskünfte liefern und dadurch den Verkauf von Fahrscheinen ermöglichen. Die Tarifmodule bieten für Verkehrsunternehmen einen weiteren Vorteil: Mussten bislang Tarifinformationen in Fahrscheinautomaten, Handheld-Geräten und Busterminals manuell eingepflegt werden, ist nun eine Tarifaktualisierung wesentlich leichter und kostengünstiger über die Datenbank in den Tarifmodulen möglich. 729 Der Kunde bezahlt seinen Fahrschein bei demjenigen Unternehmen, bei dem er registriert ist, nutzt aber u.U. die Leistungen weiterer Verkehrsunternehmen. Ein sogenanntes Clearing-System stellt seit 2018 sicher, dass sich auch Leistungen aus fremden Tarifräumen abrechnen lassen. Aufgabe des Produkt-Clearings ist es, korrekte Tarife für die gesamte Reisekette zu bestimmen. Im Rahmen des Forderungs-Clearings werden die Forderungshöhen für die beteiligten Verkehrsbetriebe bzw. -verbünde festgestellt. Schließlich erfolgt beim Settlement die Verteilung der Gelder auf die einzelnen Dienstleister. 730 Bisherige Entwicklungen - HandyTicket Deutschland Die Bestrebungen, den elektronischen Fahrscheinerwerb deutschlandweit auf einfache Art und Weise zu ermöglichen, sind nicht völlig neu. Im Rahmen eines 2007 gestarteten Pilot- Projekts mit elf teilnehmenden Verkehrsverbünden bzw. -unternehmen wurde zunächst untersucht, inwieweit Kunden diese Vertriebsform akzeptieren und wie das Verfahren einfach und übersichtlich gestaltet werden kann. Eine Vorreiterrolle übernahm dabei das Vogtland, wo schon 2004 ein „TeleFahrschein“ probeweise zur Anwendung kam. Entwickelt wurde das Handyticket vor allem für Gelegenheitskunden und sollte parallel zu Chipkarten-Lösungen, die auf Zeitkartenbesitzer ausgerichtet sind, zum Einsatz kommen. 731 Das HandyTicket ermöglicht nun im Regelbetrieb seit 2010 nach einmaliger Registrierung den Erwerb von Fahrscheinen in mehren Regionen Deutschlands. Dazu gehören die Verkehrsverbünde Aachen (AVV), Berlin-Brandenburg (VBB), Bielefeld (moBiel), Bodensee- Oberschwaben (bodo), Bodensee-Katamaran FN-KN, Donau-Iller (DING), Hegau-Bodensee (VHB), Mittelsachsen (VMS), Mittelthüringen (VMT), Münster (VGM), Oberelbe (VVO), Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON), Pforzheim (VPE), Rhein-Ruhr (VRR), Rhein-Sieg (VRS), Südbaden (fanta5) und Vogtland (VVV). Zusätzlich sind EgroNet-Tickets und NRW- Tickets erhältlich. Bei einer Fahrausweiskontrolle sind das Mobiltelefon mit dem jeweiligen Ticket sowie das bei der Registrierung gewählte Kontrollmedium (z.B. Personausweis oder Kreditkarte) vorzuzeigen. Die Abrechnung erfolgt über SEPA-Lastschrift, per Kreditkarte oder PrePaid-Verfahren. Allerdings ist das HandyTicket nur in einem Teil Deutschlands verfügbar. Die Bundesländer Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Reinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein sowie Bremen und Hamburg sind nicht beteiligt, Bayern nur über das 729 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: Tarifmodule nach PKM, Köln o.J., 2ff 730 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: Clearing, Köln 2017, 3f 731 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: Vom Papier aufs Display - Das Handyticket, o.O. o.J., 4ff 302 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland EgroNet. Einzelne Verkehrsverbünde, die bei Projektstart am HandyTicket teilgenommen haben, sind zwischenzeitlich wieder ausgetreten (z.B. Hamburg, Nürnberg). 732 Am (((eTicket Deutschland sind momentan 402 Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde beteiligt. 733 Die Teilnahmebedingungen sind vertraglich geregelt: „Mit Unterzeichnung des Teilnahmevertrags an (((eTicket Deutschland erhält ein Verkehrsunternehmen oder -verbund das Recht, die VDV-Kernapplikation kommerziell zu nutzen und darf sich an die Testsysteme und die zentralen Hintergrundsysteme anschließen.“ 734 Dabei kann sich das teilnehmende Verkehrsunternehmen für verschiedene Ausbaustufen entscheiden. Diese reichen vom Einsatz von Guthabenkarten über auf Chipkarten hinterlegten Abonnements bis hin zum Check-in/ Check-outbzw. Be-in/ Be-out-Verfahren. 735 Im ÖPNV sind derzeit rund 13 Mio. Chipkarten im Einsatz. 736 Die Chipkarte stellt damit das bevorzugte Medium dar: „Der wichtigste Vorteil der Chipkarte ist die technologische Unabhängigkeit. Die Chipkarte gehört dem jeweiligen Teilnehmer an (((eTicket Deutschland. Bei Aufbringung und Löschen von (((eTickets oder der Verknüpfung von Zusatzleistungen ist das Verkehrsunternehmen oder der -verbund unabhängig von weiteren Dienstleistern und damit weiteren Kosten und Reglementierungen. Dazu funktioniert die Chipkarte offline und benötigt selber keine eigene Energiequelle.“ 737 Aber auch das Smartphone gewinnt an Bedeutung. Als problematisch erweist sich bislang der fehlende Kopierschutz des für die Handytickets genutzten 2D-Barcodes, so dass Lesebzw. Kontrollgeräte auch Screenshots als gültige Fahrscheine einlesen. Daher muss bei der Fahrscheinkontrolle stets auch ein Identifikationsdokument vorgelegt werden. Zukünftig sollen deshalb Challenge-Response-Verfahren (möglich durch NFC- und Bluetooth-Technologie) zum Einsatz kommen. Diese würden die gleichen Sicherheits- und Komfortmerkmale bieten wie bereits die Chipkarten. 738 Über den reinen Fahrscheinerwerb hinaus lassen sich weitere Dienstleistungen mit dem (((eTicket Deutschland verknüpfen. Dazu gehören Mobilitätsangebote, wie Bike- oder Carsharing, aber auch Freizeitangebote jeglicher Art. 739 Aufgabe 1: Aus welchen Gründen stoßen papierbasierte Tarif- und Verkaufskonzepte an Grenzen? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2: Setzen Sie sich mit der „Roadmap Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur auseinander! 732 vgl. ebd., 29; siehe dazu auch: HandyTicket Deutschland, http: / / www.handyticket.de 733 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland: Teilnehmer machen das Handyticket sicherer, 17.05.2018 (Presseinformation) 734 VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland - Mit einem Ticket überall fahren, Köln 2018, 6 735 vgl. ebd. 736 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland: Teilnehmer machen das Handyticket sicherer, 17.05.2018 (Presseinformation) 737 VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland - Mit einem Ticket überall fahren, Köln 2018, 7 738 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland: Teilnehmer machen das Handyticket sicherer, 17.05.2018 (Presseinformation); VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: NFC, Köln 2017, 2 739 vgl. VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland - Mit einem Ticket überall fahren, Köln 2018, 8f Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland 303 Wie lassen sich darauf aufbauend die mit der Entwicklung und Einführung des (((eTickets Deutschland verbundenen Gesamtziele darstellen? Aufgabe 3: Zeigen Sie in einem Perspektivenfokus auf, welche Akteure in die digitale Vernetzung im öffentlichen Verkehr involviert sind und welche Ziele man jeweils mit dem (((eTicket Deutschland realisieren will! Aufgabe 4: Welche Faktoren aus dem Umfeld beeinflussen die Entwicklung des (((eTickets Deutschland? Erfassen Sie diese in einer Umfeldeinflussmatrix! Aufgabe 5: Inwieweit lassen sich diese Umfeldfaktoren durch Initiatoren des (((eTickets Deutschland und teilnehmende Verbünde und Verkehrsunternehmen steuern? Aufgabe 6: Welche Vorteile bringt der Einsatz des (((eTickets Deutschland für Kunden und Verkehrsunternehmen? Welche Nachteile bestehen? 304 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland Lösung Aufgabe 1 besonders für Gelegenheitsfahrer und Ortsunkundige schwierig vielfältige Kenntnisse erforderlich Bezahlung Vertriebswege Tarif Fahrplan Akzeptanz Unsicherheit Kleingeld Zeit Tarifsysteme Datenerfassung Betriebskosten Aus Sicht der Verkehrsbetriebe Aus Sicht der Kunden besonders in großen Tarifgebieten Angst vor Kauf des falschen Fahrscheins u.U. Bereithaltung bei Zahlung am Automaten teilweise passend gefordert Beschaffung und Unterhalt der Automaten zunehmender Vandalismus komplizierte Verkaufskonzepte Bargeldmanagement in Fahrzeugen Daten zu Kundenverhalten begrenzt Anpassung des Angebots ausgehend von Kundenverhalten schwierig Einnahmeaufteilung zwischen verschiedenen Unternehmen oft als ungerecht empfunden kompliziert Kundenwünsche zu wenig beachtbar Ausbaufähigkeit teilweise begrenzt Adaptierbarkeit an veränderte Rahmenbedingungen begrenzt Fahrscheinverkauf durch Fahrpersonal stört Fahrplan Grenzen des Papierfahrscheins Abbildung 21-1 Mindmap: Grenzen des Papierfahrscheines Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland 305 Aufgabe 2 Prioritäten Ziele Zeitrahmen Oberziel Entwicklung und Umsetzung eines leistungsfähigen und sicheren Systems zur Ausstellung elektronischer Fahrscheine für die gesamte Reisekette innerhalb Deutschlands mittelfristig 1 Schaffung geeigneter Organisations- und Arbeitsstrukturen (Kooperation! ) seit 2017 2 Anpassung des ordnungspolitischen Rahmens (Gesetzgebung, Finanzierung, Förderung) > 2020 3 Vernetzung von Mobilitätsplattformen (verbundübergreifende Services entlang der Reisekette) 2019 4 Bereitstellung einer deutschlandweiten Tarifauskunft > 2020 5 Regions- und grenzüberschreitende Nutzung von eTickets auf Chipkarten und Smartphones 2019 6 Einführung von eTarifen in Verbindung mit eTicketing > 2020 7 Förderung der Multimodalität 2020 Tabelle 21-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen - laut Roadmap 740 Aufgabe 3 Bund Bundesländer Industrie/ IT-Branche Verkehrsverbünde Verkehrsunternehmen (potentielle) Kunden VDV Kommunen Abbildung 21-2 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) 740 erstellt nach: TÜV Rheinland Consulting GmbH; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Roadmap Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr, Köln/ Berlin 2016, 20ff 306 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland Interessengruppen Erwartungen und Ziele Bund, Bundesländer, Kommunen Entwicklung und Umsetzung eines leistungsfähigen und sicheren Systems zur Ausstellung elektronischer Fahrscheine für die gesamte Reisekette innerhalb Deutschlands Finanzierbarkeit des Systems Steigerung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs Akzeptanz des Systems beim (potentiellen) Kunden Kundengewinnung/ -bindung im ÖPNV und damit Verschiebungen im Modal Split Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Entwicklung und Umsetzung eines leistungsfähigen und sicheren Systems zur Ausstellung elektronischer Fahrscheine für die gesamte Reisekette innerhalb Deutschlands Finanzierbarkeit des Systems Steigerung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs reger Einsatz der VDV-Kernapplikation bei den Verkehrsunternehmen Akzeptanz des Systems beim (potentiellen) Kunden Kundengewinnung/ -bindung im ÖPNV und damit Verschiebungen im Modal Split Industrie/ IT-Branche Entwicklung und Umsetzung eines leistungsfähigen und sicheren Systems zur Ausstellung elektronischer Fahrscheine für die gesamte Reisekette innerhalb Deutschlands Kundenbindung auf gewerblicher Ebene (Verkehrsunternehmen, -verbünde) Verkehrsunternehmen, -verbünde Einsatz eines leistungsfähigen und sicheren Systems zur Ausstellung elektronischer Fahrscheine für die gesamte Reisekette innerhalb Deutschlands Finanzierbarkeit des Systems leichte Handhabbarkeit von Seiten der Mitarbeiter und der Fahrgäste Reduktion des teuren Bargeldeinsatzes Erhöhung der Fälschungssicherheit bei Fahrscheinen effizienteres Arbeiten (z.B. in Bezug auf Vertrieb) Anbieten zeitgemäßer Mobilitätsangebote Abbau von Zugangsbarrieren zum ÖPNV Akzeptanz des Systems beim (potentiellen) Kunden Kundengewinnung/ -bindung (potentielle) Kunden einfacher, schneller und sicherer Fahrscheinerwerb (ohne notwendigerweise Kenntnis von Tarifstrukturen u.a. zu haben) für die gesamte Reisekette innerhalb Deutschlands preiswertes Reisen (trotz hoher Investitionen seitens der Verkehrsunternehmen, -verbünde) Schutz der persönlichen Daten Tabelle 21-2 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland 307 Aufgabe 4 Umfeldfaktoren Strategische Aktionsfelder technologischer Entwicklungsstand EFM-Systeme Bereitschaft anderer Verkehrsunternehmen zur Umsetzung Anforderungen an Datenschutz Verbreitung Smartphones Anzahl NFC-fähiger Geräte Netzabdeckung Mobilfunk Kundenbedürfnisse Akzeptanz neuer Technologien durch (potentielle) Kunden Nutzung alternativer Mobilitätsangebote Zeilensumme genutzte Medien 3 2 3 3 2 2 2 3 0 20 Informationssystem 3 2 2 1 0 3 3 1 3 18 Buchungssystem 3 2 3 1 3 3 3 3 2 23 Bezahlsystem 3 2 3 1 3 3 3 3 2 23 Ausbaustufen 3 2 3 3 2 2 3 3 0 21 Tarifmodelle 2 3 0 0 0 0 3 0 3 11 Fälschungssicherheit 3 1 3 0 3 0 1 1 0 12 Datenspeicherung 3 0 3 0 0 0 3 0 0 9 Abrechnung (Verbund, Verkehrsunternehmen) 3 3 3 0 0 0 0 0 0 9 multimodale Vernetzung 3 3 1 1 0 3 2 2 3 18 Investitionskosten 3 3 3 1 1 2 0 1 1 15 Spaltensumme 32 23 27 11 14 18 23 17 14 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 21-3 Umfeldeinflussmatrix Aus der Matrix geht hervor, dass die stärksten Wirkungen vom technologischen Entwicklungsstand der EFM-Systeme ausgehen. Sie ermöglichen erst die Umsetzung eines elektronischen Tickets als Ganzes und bestimmen dessen Reichweite und Flexibilität. Ebenfalls stark beeinflussend wirken die Anforderungen an den Datenschutz und die generelle Bereitschaft von Verkehrsunternehmen und -verbünden, die VDV-Kernapplikation zur Realisierung des (((eTickets Deutschland zu nutzen, sowie die allgemeinen Kundenbedürfnisse. Den stärksten Wirkungen unterliegen Buchungs- und Bezahlsysteme, gefolgt von den möglichen Ausbaustufen (vgl. Guthabenkarten, Abos auf Chipkarten, Check-in/ Check-outbzw. Be-in/ Be-out- Verfahren) und den genutzten Medien (wie Chipkarte oder Smartphone). 308 Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland Aufgabe 5 Steuerbarkeit Faktoren Begründung Steuerbare Faktoren technologischer Entwicklungsstand EFM-Systeme Eine aktive Mitarbeit an der Entwicklung ist möglich, wurde so bei VDV-Kernapplikation praktiziert. Bereitschaft anderer Verkehrsunternehmen zur Umsetzung Die VDV-Kernapplikation ist der einzige deutschlandweit gültige Standard. Vorteile ergeben sich durch Kooperation und gemeinsame Weiterentwicklung. Netzabdeckung Mobilfunk Auf die Netzabdeckung durch die einzelnen Mobilfunkanbieter haben die Initiatoren zwar keinen unmittelbaren Einfluss, allerdings drängen Bund und Länder bei den Mobilfunkanbietern auf Netzausbau und stellen auch diesbezügliche Fördermittel bereit. Kundenbedürfnisse Marketingmaßnahmen könnten Bedürfnisse verstärken, ggf. sogar auslösen. Akzeptanz neuer Technologien durch (potentielle) Kunden Erreichbar ist der Abbau von Zugangshürden, Ängsten durch entsprechende Informationen, Aufklärungsarbeit. Nutzung alternativer Mobilitätsangebote (Potentielle) Kunden können auch auf andere Mobilitätsalternativen zurückgreifen. Beeinflussungsmöglichkeiten bestehen durch attraktive Angebote der Verkehrsunternehmen. Wirksam steuerbare Faktoren technologischer Entwicklungsstand EFM-Systeme s.o. Bereitschaft anderer Verkehrsunternehmen zur Umsetzung s.o. Akzeptanz neuer Technologien durch (potentielle) Kunden s.o. Nicht steuerbare Faktoren Anforderungen an Datenschutz Sie sind Teil der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Verbreitung Smartphones Auf Kauf und Nutzung von Smartphones können Initiatoren des (((eTickets Deutschland nicht direkt einwirken. Anzahl NFC-fähiger Geräte Ebenso wenig können Initiatoren die Anzahl der genutzten NFC-fähigen Geräte beeinflussen. Frühwarnindikatoren Anforderungen an Datenschutz, Verbreitung Smartphones, Anzahl NFC-fähiger Geräte, Netzabdeckung, Mobilfunk, Kundenbedürfnisse, Akzeptanz neuer Technologien durch (potentielle) Kunden, Nutzung alternativer Mobilitätsangebote Die Entwicklung all dieser Faktoren lässt sich im Zeitverlauf beobachten bzw. statistisch erfassen. Tabelle 21-4 Steuerbarkeit der Faktoren Elektronisches Fahrgeldmanagement - (((eTicket Deutschland 309 Aufgabe 6 Kunden Verkehrsunternehmen Vorteile Komfort (Nutzung nur einer App bzw. Karte in allen beteiligten Verbünden bzw. Regionen, unabhängig von Verbundgrenzen, einmalige Registrierung, Abrechnung über diesen Anbieter) Tarifkenntnisse (Kenntnis der Tarifstrukturen nicht erforderlich, ÖPNV-Nutzung in fremden Regionen erleichtert) Kosten (streckengenaue Abrechnung möglich) Zusatzleistungen (Nutzung ergänzender Dienstleistungen möglich, z.B. Carsharing, Freizeitangebote) Steigerung der Fahrgastzahlen (Abbau von Zugangsbarrieren, Schaffung moderner, attraktiver Mobilitätsangebote, höherer Kundennutzen) Erhöhung der Einnahmen (Erhöhung der Fälschungssicherheit, geringere Zahl an Schwarzfahrern) Senkung der Kosten (Reduzierung des teuren Bargeldeinsatzes, Effizienzsteigerung bei Vertriebsprozessen, streckengenaue Abrechnung möglich) Datengewinnung zur Verkehrsmittelnutzung (optimierte Verkehrsplanung, transparentere Einnahmeaufteilung) Imageeffekte Nachteile Datenschutz (Speicherung persönlicher Daten, Möglichkeit zur Erstellung von Bewegungsprofilen) Smartphone-Verfügbarkeit (bei Nutzung von App ist Vorhandensein eines Smartphones Voraussetzung) Systemverständnis (Tarif- und Abrechnungssystem muss verstanden werden) Nutzerakzeptanz (ggf. parallele Systeme von Papierfahrschein und elektronischem Ticket) hohe Investitionskosten (Lesegeräte, Hintergrundsysteme usw., ggf. parallel zu Papierfahrscheinsystemen) Tabelle 21-5 Vorteile und Nachteile für Kunden und Verkehrsunternehmen 741 741 erstellt nach: VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: IPSI, Köln 2017, 6f; Jansen, Jozef A. L.: (((eTicket Deutschland - Aktueller Stand und Perspektiven, Mainz 2008, 3; VDV eTicket Service GmbH & Co. KG: (((eTicket Deutschland - Mit einem Ticket überall fahren, Köln 2018, 3; Ministerium für Verkehr Baden Württemberg: Neue Ticketsysteme, https: / / vm.baden-wuerttemberg.de, 22.03.2018; o.V.: Der Fahrausweis der Zukunft ist eine Chipkarte, in: Vischelant - Das Magazin des Verkehrsverbundes Vogtland, Winter 2017, 6 22 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ „Die Tatsache, dass weit mehr als die Hälfte der Südtiroler Bevölkerung mit einem Abonnement für den öffentlichen Nahverkehr ausgestattet ist und die weiter steigenden Nutzerzahlen stimmen optimistisch, dass der Trend zum Umsteigen auf Bus und Bahn weiter anhält.“ 742 Die Südtiroler Landespolitik hat die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs für die Region erkannt und baut diesen seit den letzten Jahren konsequent aus. Die Eisenbahn dient dabei als Rückgrat, darauf abgestimmte Buslinien haben Zubringerfunktion. 743 Die Ziele der Südtiroler Verkehrspolitik sind ehrgeizig, wie auch der Landeshauptmann Arno Kompatscher zusammenfasst: „Bis 2030 soll Südtirol zu einer Modellregion für nachhaltige Mobilität werden.” 744 Trenitalia-Zug auf der Linie Bozen-Meran Bushaltestelle in Graun, Linie Nauders-Mals Bus und Bahn sollen deshalb echte Alternativen zum motorisierten Individualverkehr für viele Zielgruppen werden. Um dies zu gewährleisten, muss dort ein entsprechendes Angebot geschaffen werden, das in Hinblick auf Fahrzeit, Preisgestaltung und Komfort den Bedürfnissen der (potentiellen) Nutzer entspricht. Dazu wurde auch das Projekt „Südtiroltakt“ ins Leben gerufen, im Rahmen dessen schrittweise in ganz Südtirol ein integraler Taktfahrplan realisiert werden sollte. Dabei galt es, 99 Überlandbus-, 22 Stadtbus-, 19 Citybus-Linien sowie 438 Sonderdienste für den Schülerverkehr sowie Regional-, Schnell- und internationale Züge aufeinander abzustimmen und gleichzeitig den Gütertransport mit ca. 200 zu unterschiedlichen Zeiten verkehrenden Güterzügen einzukalkulieren. Kern dieses Projekts sind stündliche bzw. halbstündliche Bahnverbindungen auf den wichtigsten Linien, ergänzt durch ein verdichtetes Angebot an den Hauptverkehrsknoten und zu den Hauptverkehrszeiten. 745 742 Landesrat Florian Mussner, zit in: o.V.: Bus, Bahn und Südtirol Pass auch 2015 auf Erfolgskurs (15.02.2016), http: / / www.greenmobility.bz.it, 22.05.2017 743 vgl. o.V.: Südtirolbahn, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ bahnhoefe.asp, 22.01.2014 744 o.V.: Südtirol steigt um auf den ÖPNV, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 27 745 vgl. o.V.: Südtiroltakt, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ 788.asp, 22.01.2014 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ 311 Doch nicht nur der Fahrplan, auch das Tarifsystem stellt einen entscheidenden Erfolgsfaktor im ÖPNV dar. Aber nicht überall sind Tarifsysteme übersichtlich und kundenfreundlich. In Südtirol hat man ein inzwischen als „richtungsweisend“ beschriebenes Konzept umgesetzt. Der Ausgangspunkt war ein Tarifsystem mit Fahrpreisen, die so niedrig wie sonst nirgends in Europa waren. Teilweise waren die Fahrpreise seit 17 Jahren nicht mehr verändert worden. Bei einer fälligen Anpassung an die Inflationsrate hätte dies eine Preiserhöhung von ca. 60 % bedeutet. 746 Zudem galt das Tarifsystem als unübersichtlich. Dies wollte man ändern und dabei gleichzeitig ein attraktives System schaffen, das neue Nutzer anzieht. Im Februar 2012 löste der „Südtirol Pass“ samt zugehörigem Tarifsystem das bisherige System ab. Der „Südtirol Pass“ selbst ist ein elektronischer Fahrausweis im Kreditkartenformat, der im gesamten Verkehrsnetz für alle öffentlichen Verkehrsmittel, sogar in öffentlichen Seilbahnen, gilt. 747 Es gibt dabei keinerlei Einschränkungen bezüglich der Tageszeit oder Streckenführung. 748 Ausgenommen sind allerdings Langstreckenzüge, wie z.B. InterCity, EuroCity oder EuroNight. Der Pass ist als persönliches, nicht übertragbares Jahresabonnement zu verstehen. Über diesen Pass werden zur Fahrpreisermittlung an speziellen Entwertungsautomaten an den Haltestellen oder im Fahrzeug Beginn und Ende jeder Fahrt erfasst. Dabei wird folgende Kilometer-Staffelung zugrunde gelegt: Kilometer-Preise „Südtirol Pass“ Normaltarif Familientarif Die ersten 1.000 gefahrenen km pro Jahr 12 Cent/ km 10 Cent/ km 1.001 km bis 2.000 km 8 Cent/ km 7 Cent/ km 2.001 km bis 10.000 km 3 Cent/ km 2 Cent/ km 10.001 km bis 20.000 km 2 Cent/ km 2 Cent/ km ab 20.001 km gratis für den Rest des Jahres 0 Cent/ km 0 Cent/ km Einzelfahrschein 15 Cent/ km Wertkarte 12 Cent/ km Maximaler Tagestarif 15 € Tabelle 22-1 Tarifsystem des „Südtirol Passes“ 749 Als Mindestentfernung für jede Fahrt werden 10 km abgerechnet. Je mehr Kilometer ein Nutzer pro Jahr zurücklegt, um so preiswerter wird also der Kilometertarif. Wird die 20.000 km-Marke überschritten, fährt der Nutzer für den Rest des Jahres sogar kostenlos. Nach Ablauf eines Jahres wird das Kilometer-Konto auf Null gesetzt. Die Ausstellung eines „Südtirol Passes“ erfolgt gegen eine einmalige Gebühr von 20 Euro. Neben der Grundform des „Südtirol Passes“ sind weitere Versionen erhältlich: 746 vgl. Burger, Günther: Der Südtirol Pass: Ein richtungweisendes Tarifkonzept und noch mehr, 6. ÖPNV Innovationskongress - Freiburg, 11.-13. März 2013, 22 747 vgl. o.V.: Ganz Südtirol in der Tasche, in: Informationsblatt für Fahrgäste des öffentlichen Nahverkehrs 01/ 2012, 1 748 vgl. Burger, Günther: Der Südtirol Pass: Ein richtungweisendes Tarifkonzept und noch mehr, 6. ÖPNV Innovationskongress - Freiburg, 11.-13. März 2013, 28; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass - ein Pass für alle, https: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019 749 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass, ein Pass für alle, https: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019 312 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ Pass-Varianten Potentielle Nutzer Südtirol Pass alle, die in Südtirol ansässig sind, arbeiten oder studieren, sowie alle, die in einem EU-Mitgliedsstaat oder in der Schweiz ansässig sind (mit italienischer Steuernummer) EuregioFamiliyPass ansässige Erziehungsberechtigte mit mind. einem Kind unter 18 Jahren Südtirol Pass abo+ ansässige Grund-, Mittel- und Oberschüler, minderjährige Lehrlinge (pauschal 20 Euro/ Jahr); Lehrlinge, Studenten (pauschal 150 Euro/ Jahr) bzw. jene Personen, die nicht in Südtirol ansässig sind, aber dort eine Schule besuchen, ein Studium absolvieren oder an einer Grundausbildung im Sozialbereich teilnehmen bis 27 Jahre Südtirol Pass 65+ ansässige Personen 65-69 Jahre (pauschal 150 Euro/ Jahr), 70-74 Jahre (pauschal 75 Euro/ Jahr), ab 75 Jahre (pauschal 20 Euro/ Jahr) Südtirol Pass free ansässige Personen ab einer Invalidität von 74 % (kostenlos) Tabelle 22-2 „Südtirol Pass“-Varianten 750 Für all jene, die keinen „Südtirol Pass“ besitzen, besteht nach wie vor die Möglichkeit, Einzelfahrscheine oder Tageskarten zu lösen bzw. eine Wertkarte (12 Cent/ km) zu nutzen. Darüber hinaus gibt es sogenannte „Mobilcards“ 751 , die einen, drei oder sieben Tage gültig sind (15 Euro, 23 Euro bzw. 28 Euro). 752 Eine Bezahlung kann „prepaid“ (durch Aufladung an einem Fahrkartenschalter, -automaten, im Bus oder per Kreditkarte über ein Online-Benutzerkonto) oder „postpaid“ (durch automatischen Einzug von einem Bankkonto) erfolgen. 753 Inzwischen gibt es in Südtirol 600 Aufladestationen, die auch Auskunft über das aktuelle Guthaben, den Kilometerstand und die Tarifklasse geben. 754 Wer ein Online-Konto dazu einrichtet, kann jederzeit seinen Kilometerstand abfragen und die Abrechnungen prüfen. Dabei besteht auch die Möglichkeit, Fehlbuchungen korrigieren zu lassen. Im alten Tarifsystem zählte man lediglich 68.000 Abonnenten. Nur ein Jahr nach Einführung des „Südtirol Passes“ wurde er bereits über 120.000 Mal beantragt 755 , inzwischen knapp 190.000 Mal. Etwa 135.000 dieser Pässe werden derzeit aktiv genutzt, gut ein Drittel davon im Familientarif. 756 Hinzu kommen mehr als 78.000 Schüler und Studierende, knapp 49.000 Senioren sowie ca. 7.000 Personen mit Invalidität, die die jeweiligen Südtirol-Pass-Varianten besitzen. 757 Diese 750 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: EuregioFamilyPass, https: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass abo+, https: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass 65+, https: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass free, https: / / www. sii.bz.it, 14.01.2019 751 siehe dazu auch die Fallstudie „Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion ‚Meraner Land‘“ 752 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Wertkarte, https: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Abteilung Mobilität - Amt für Personenverkehr: Mobilcard, http: / / www.mobilcard.info/ de/ mobilcard.asp, 19.02.2019 753 vgl. Mobil ohne Barrieren: Südtirol Pass (Broschüre), o.O. o.J., 2 754 vgl. o.V.: Gut zu wissen, in: Südtirol Mobil 1/ 2013, 4 755 vgl. Autonome Provinz Bozen - Südtirol: Südtirol Pass: 120.000 Abos im ersten Jahr (13.02.2013), http: / / www.provinz.bz.it, 22.01.2014 756 vgl. o.V.: Fünf Jahre Südtirol Pass (10.02.2017), http: / / www.brixner.info, 22.05.2017 757 vgl. o.V.: Bus, Bahn und Südtirol Pass auch 2015 auf Erfolgskurs (15.02.2016), http: / / www.green-mobility.bz.it, 22.05.2017 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ 313 Zahlen sind umso bemerkenswerter, wenn man sie ins Verhältnis zur Einwohnerzahl Südtirols von knapp 515.000 Menschen setzt. 758 Die Initiatoren zeigen sich dementsprechend zufrieden: „Die anhaltende Nachfrage, steigende Nutzerzahlen und das enorme Interesse aus den Nachbarregionen bestätigen, dass sich das Konzept Südtirol Pass bewährt und auf gutem Weg ist, ein echtes Erfolgsmodell im öffentlichen Nahverkehr zu werden. Die Tatsache, jederzeit und überall im Land ein gültiges Ticket in der Tasche zu haben, das gestaffelte Tarifsystem mit Anreiz zum Vielfahren, bequeme Bezahloptionen, das Benutzerkonto im Internet - das hat auch anfängliche Skeptiker überzeugt und einer zukunftsweisenden Mobilität ganz neue Perspektiven eröffnet nach dem Motto: Umsteigen auf Bus und Bahn - nicht immer, aber immer öfter.“ 759 Stadtbus Meran Lesegerät an einer Bahnstation Aufgrund der großen Akzeptanz hat man nach Wegen gesucht, die Einsatzmöglichkeiten des „Südtirol Passes“ schrittweise auszubauen. Inzwischen ist er auch in Regionalzügen nach Innsbruck bzw. Lienz einsetzbar, allerdings wird hier ab Landesgrenze nach ÖBB-Tarifen abgerechnet. 760 Ebenso möglich sind die Integration der persönlichen ÖBB-Vorteilscard sowie die Bezahlung von Fahrten mit Nightliner-Bussen per Pass. 761 Ferner kann der Pass für Carsharing Südtirol freigeschaltet werden. 762 Inzwischen wurde auch die Android-App „MyPass“ entwickelt, mit der durchgeführte Fahrten, Kilometerstände usw. abgerufen werden können. Trotz der bisher erfolgreichen Entwicklung treten auch Probleme auf. Getätigte Fahrten werden - auch um nacheinander gefahrene Teilstrecken addieren zu können - nicht sofort entsprechend der Entwertungen abgerechnet, sondern lediglich geschätzt und erst später exakt ermittelt. Für diese genauen Abrechnungen gibt es allerdings keine festen Zeitpunkte. Der Nutzer weiß somit nicht immer, ob das auf einer Prepaid-Karte ausgewiesene Guthaben tatsächlich noch so verfügbar ist. Zurückzuführen sei dies u.a. auf die schlechten Internet-Verbindungen auf den Bergstrecken, so dass die Angaben zu einzelnen Fahrten von den Bussen oft erst sehr spät ins System eingespeist werden. 763 758 vgl. Mair, Christoph: Vorbild Südtirol: Jeder Zweite hat Öffi-Jahresticket, http: / / www.tt.com, 22.01.2014 759 o.V.: Ein Jahr Südtirol Pass - Ein Fahrschein macht Karriere, in: Südtirol Mobil 1/ 2013, 1 760 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass - ein Pass für alle, https: / / www.sii.bz.it, 19.05.2017 761 vgl. o.V.: Südtirol Pass? - Passt! , in: Südtirol Mobil 5/ 2015, 1 762 siehe dazu auch: Carsharing Südtirol, http: / / www.carsharing.bz.it/ de 763 vgl. Rainer, Anton: Pass mit Tücken (16.11.2016), http: / / www.tageszeitung.it, 22.05.2017 314 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ Aufgabe 1: Recherchieren Sie die aktuellen Konditionen des „Südtirol Passes“ (http: / / www.suedtirolmobil.info) und vergleichen Sie diese mit dem Tarifsystem des Verkehrsverbundes bzw. eines großen Verkehrsbetriebes in Ihrer Region! Aufgabe 2: Welche Vorteile ergeben sich durch die Registrierung der Fahrgäste per „Südtirol Pass“ für den Verkehrsverbund und die beteiligten Verkehrsunternehmen? Aufgabe 3: Von welchen Vorteilen können die Nutzer des „Südtirol Passes“ profitieren? Welche Nachteile sind mit diesem Tarifsystem für die Nutzer verbunden? Aufgabe 4: Unter welchen Voraussetzungen ist solch ein Tarifsystem in einer Region einführbar? Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ 315 Lösung Aufgabe 1 Zielgruppe Südtirol Pass Verkehrsverbund Mittelsachsen (Verbundraum) Tarife maximaler Jahresbetrag Fahrscheinarten 764 pro Monat Jahresbetrag Erwachsene Normaltarif 640,00 € Monatskarte 179,00 € 2.148,00 € Familientarif 530,00 € Abo-Monatskarte 155,10 € 1.861,20 € Schüler pauschal 20,00 € Monatskarte Schüler/ Azubi 134,50 € 1.614,00 € Abo-Monatskarte Schüler/ Azubi 112,10 € 1.345,20 € Schülerverbundkarte 44,00 € 528,00 € Junge-Leute-Ticket 48,00 € 576,00 € Studenten pauschal 150,00 € Abo-Monatskarte Schüler/ Azubi 112,10 € 1.345,20 € Junge-Leute-Ticket 48,00 € 576,00 € Senioren pauschal 150,00 € (65-69 J.) Seniorenticket 49,00 € 588,00 € 70,00 € (70-74 J.) 20 € (ab 75 Jahre) Tabelle 22-3 Vergleich mit dem Verkehrsverbund Mittelsachsen 765 Aufgabe 2 Operativ Strategisch schnelleres Einsteigen durch automatisches Check-in einfache und schnelle Gültigkeitskontrolle durch Fahrer Entlastung der Fahrkartenschalter (Bezahlung per Bankeinzug/ Aufladen, keine Abo- Wertkarten mehr, Pass-Beantragung bzw. jährliche Pass-Erneuerung über Internet) zuverlässige Erfassung der Fahrgastzahlen, bessere Planung und Organisation möglich flexible Anwendungsmöglichkeit Förderung eines neuen Mobilitätsverhaltens Gewinnung neuer Zielgruppen Tabelle 22-4 Vorteile für Verkehrsverbund und beteiligte Verkehrsunternehmen 766 764 Da es im Verkehrsverbund Mittelsachsen (mit Ausnahme der Schülerverbundkarte) keine Jahreskarten gibt, werden hier die Preise für die Monatskarten hochgerechnet. 765 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Unsere Tarife, http: / / www.suedtirolmobil.info, 14.01.2019; Verkehrsverbund Mittelsachsen: Fahrausweise und Preise ab 01.12.2018, http: / / www.vms.de, 14.01.2019 766 erstellt nach: Burger, Günther: Der Südtirol Pass: Ein richtungweisendes Tarifkonzept und noch mehr, 6. ÖPNV Innovationskongress - Freiburg, 11.-13. März 2013, 46 316 Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ Aufgabe 3 Insgesamt weist das System eine große Flexibilität auf und bietet einen Anreiz, jederzeit und überall öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Vorteile Nachteile Tarifsystem i.e.S. Gültigkeit Service einheitliches Abo- System einfache Handhabung, benutzerfreundlich übersichtliche Tarifgestaltung interessant für Vielfahrer und Gelegenheitsnutzer preiswerter als Einzelfahrschein oder Wertkarte (ab 1.001 km) Kilometer-Tarif sinkt mit Zahl gefahrener Kilometer landesweit in allen öffentlichen Verkehrsmitteln anwendbar gilt überall und jederzeit (keine Begrenzung auf Zeiten oder Strecken) moderne Fahrgastinformation in Kombination mit Contactless-System: Entwerten ohne Berührung einmalige Ausstellungsgebühr jeweils ein Jahr ab der ersten Entwertung gültig, bei Nutzung automatische Verlängerung Fahrgast wird zum „gläsernen Kunden“, es sei denn, er setzt auf die teureren Einzelfahrscheine wenngleich einfache Handhabung: Verständnis des Systems vorausgesetzt Tabelle 22-5 Vor- und Nachteile des „Südtirol Passes“ 767 Aufgabe 4 Politik ÖPNV-Angebot Technische Aspekte politische Unterstützung bzw. politischer Wille, neue Wege zu gehen als Basis attraktives ÖPNV- Angebot, das bezüglich Fahrzeit, Preisgestaltung und Komfort den Bedürfnissen der Nutzer entspricht (hier: „Südtiroltakt“) zweckdienliche Information der Fahrgäste im Vorfeld sowie insbesondere in der Startphase, aber auch begleitend bei Änderungen technische Möglichkeiten zur Umsetzung des Bezahl- und Abrechnungssystems ausreichende Tests, um Funktionsfähigkeit bei Einführung zu gewährleisten Tabelle 22-6 Voraussetzungen zur Einführung eines solchen Tarifsystems 767 erstellt nach: ebd., 28ff 23 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz „Mit einem bemerkenswerten Modellversuch will die Grazer Stadtregierung den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiveren.“ 768 Graz, Landeshauptstadt der Steiermark und zweitgrößte Stadt Österreichs, zählt etwas mehr als 292.000 Einwohner. Gelegen im Murtal auf 353 m ü.d.M., ist die Stadt ein wichtiger Wirtschaftsstandort und wird auch als Wirtschaftsmotor der Steiermark bezeichnet. An den Universitäten und Hochschulen der Stadt sind ca. 60.000 Studierende eingeschrieben. 769 1,13 Mio. Übernachtungen im Jahr 2018 770 zeigen, dass Graz auch aus touristischer Perspektive interessant ist. Zahlreiche bekannte Sehenswürdigkeiten, wie der Schlossberg samt Uhrturm, der Dom oder das Mausoleum, über 30 Museen, verschiedene Parks und Gärten sowie vielfältige Einkaufsmöglichkeiten machen die Stadt zu einer beliebten Destination. 1999 wurde die Grazer Altstadt - die größte mittelalterliche Altstadt Europas - in die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen. 2010 kam Schloss Eggenberg hinzu. Auch die Umgebung der Stadt bietet viele attraktive Ausflugsziele. Über den Dächern der Grazer Altstadt Schloss Eggenberg Mit dem Ziel, die Altstadt sowohl für die Einheimischen als auch für Touristen noch attraktiver zu machen und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu forcieren, wurde vom Citymanagement und dem Tourismusverband das Projekt „Altstadt-Bim“ initiiert, welches eine kostenlose Nutzung der Straßenbahn im Stadtzentrum beinhaltet. Die innere Altstadt soll durch diese „Innenstadtrolltreppe“ belebt sowie im Einzelhandel, in der Gastronomie und im Bereich der Sehenswürdigkeiten die Nachfrage erhöht werden. 771 768 Müller, Walter: Grazer „Altstadtbim“ wird gratis (28.08.2013), http: / / derstandard.at, 04.04.2017 769 vgl. Stadt Graz: Zahlen und Fakten, http: / / www.graz.at, 10.01.2019 770 vgl. Graz Tourismus und Stadtmarketing GmbH: Tourismusbilanz 2018, Graz 2019, 1 771 vgl. Holding Graz: Die Altstadt Bim tourt durch Graz, http: / / www.holding-graz.at/ altstadtbim.html, 04.04.2017; Müller, Walter: Grazer „Altstadtbim“ wird gratis (28.08.2013), http: / / derstandard.at, 04.04.2017 318 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz Seit September 2013 kann man im Grazer Zentrum an allen Tagen der Woche kostenlos Straßenbahn fahren. Die zunächst auf ein Jahr begrenzte Aktion wurde inzwischen auf unbestimmte Zeit verlängert. Der Freifahrtbereich umfasst die Straßenbahnlinien 1, 3, 4, 5, 6, 7, 13 und 26 (samt etwaigem Schienenersatzverkehr) zwischen den Haltestellen Hauptplatz/ Congress und Jakominiplatz sowie jeweils eine Haltestelle darüber hinaus. 772 Abbildung 23-1 Freifahrtbereich der Altstadt-Bim 773 Erkennbar sind die Haltestellen im Freifahrtbereich durch große Aufkleber. Darüber hinaus wird dafür in Beherbergungseinrichtungen und Geschäften geworben. Nutzbar ist das unentgeltliche Angebot für alle, d.h. Einheimische und auch Touristen. Es gilt ebenso für Hunde, für die wegen ihrer Größe ansonsten ein Fahrschein benötigt wird. 774 772 vgl. Holding Graz: Die Altstadt Bim tourt durch Graz, http: / / www.holding-graz.at/ altstadtbim.html, 04.04.2017 773 erstellt nach: Steirische Verkehrsverbund GmbH: Liniennetzplan Graz, Graz 2018 774 vgl. Holding Graz: Die Altstadt Bim tourt durch Graz, http: / / www.holding-graz.at/ altstadtbim.html, 04.04.2017 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz 319 Die durch dieses Projekt jährlich entstehenden Kosten werden auf 600.000 Euro beziffert. 775 Variobahn am Hauptplatz Logo „Altstadt-Bim“ an einer Haltestelle Aufgabe 1: Recherchieren Sie, in welchen anderen Städten unentgeltliche ÖPNV-Angebote bestehen bzw. bestanden! Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede weisen diese Angebote auf? Aufgabe 2: Welche Voraussetzungen sollten generell zur Realisierung unentgeltlicher ÖPNV-Angebote gegeben sein? Wie sieht dies konkret in Graz aus? Aufgabe 3: Welche Effekte sind von solchen Angeboten grundsätzlich zu erwarten? Erstellen Sie dazu ein Wirkungsgefüge und berücksichtigen Sie dabei die Bereiche öffentlicher Nahverkehr, individueller Innenstadtverkehr, Kommune, Wirtschaft und Umwelt! Aufgabe 4: Welche Ziele verfolgen die beim Grazer Projekt Beteiligten bzw. Betroffenen? Aufgabe 5: Welche Argumente sprechen gegen die Einführung eines entgeltfreien ÖPNV? 775 vgl. Schulze-Berndt, Mariele: Vorbild Graz: Mit der Gondel zur Arbeit und zum Einkaufen? (08.06.2018), https: / / www.augsburger-allgemeine.de, 02,.01.2019 320 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz Lösung Aufgabe 1 Stadt Umfang des Angebots Nulltarif als Schnupperangebot Tübingen (D) 09-12/ 2009: „Blaue Samstage“: ÖPNV zum Nulltarif für alle Einwohner verschiedene Städte und Verkehrsverbünde (zweitweiser) Führerscheintausch gegen kostenloses ÖPNV-Ticket (z.B. Hamburg, Aachen) bzw. Vorzeigen der Kfz-Zulassung für Freifahrt (z.B. Leipzig) zahlreiche Städte in D, A, CH ÖPNV zum Nulltarif an autofreien Sonntagen bzw. anderen Aktionstagen Beitragsfinanzierter Nulltarif Pittsburgh (USA) 1985-2016: ÖPNV zum Nulltarif im Busverkehr von 4- 19 Uhr in innerstädtischer „Free Fare Zone“ sowie rund um die Uhr in diesem Bereich in der U-Bahn (Finanzierung über Spenden von Vereinen und Unternehmen) Aubagne (F) seit 2009: ÖPNV zum Nulltarif (Finanzierung über „Taxe Versement Transport“) Dunkerque (F) seit 2018: ÖPNV zum Nulltarif (Finanzierung über „Taxe Versement Transport“) viele Feriendestinationen ÖPNV zum Nulltarif in Gäste- oder Städtekarten integriert (z.B. KONUS-Gästekarte, Hamburg CARD, Innsbruck Card, Neusiedler See Card) Steuerfinanzierter Nulltarif Seattle (USA) 1973-2012: ÖPNV zum Nulltarif in „Ride Free Area“ (Innenstadtbereich) Portland (USA) 1975-2012: ÖPNV zum Nulltarif in „Fareless Square“ (zentrales Geschäftsviertel) Hasselt (B) 1997-2012: unentgeltliche Nutzung der H-lijn Busse für Einheimische und Touristen, unentgeltliche Nutzung der roten Regionalbusse für Einheimische; seit 2013: Nulltarif für Kinder und Jugendliche bis zum 20. Lebensjahr Templin (D) 1998-2002: „Fahrscheinfreier Stadtverkehr“ für alle; seit 2003: fahrscheinfreie Nutzung der Stadtbusse mit „Jahreskurkarte“ (2017: 44 Euro); ebenfalls fahrscheinfreie Nutzung der Stadtbusse für Touristen mit Kurkarte Lübben (D) 1998-2001: ÖPNV zum Nulltarif auf Stadtbuslinien Avesta (S) seit 2012: ÖPNV zum Nulltarif auf Stadtbuslinien Graz (A) seit 2013: ÖPNV zum Nulltarif auf Straßenbahnlinien in der Innenstadt Tallinn (EST) seit 2013: ÖPNV zum Nulltarif für Einwohner Tallinns Luxemburg ab 2020: ÖPNV zum Nulltarif im gesamten Land Tabelle 23-1 Unentgeltliche ÖPNV-Angebote (Beispiele) 776 776 vgl. Verkehrsclub Deutschland: ÖPNV zum Nulltarif - Möglichkeiten und Grenzen, Berlin 2012, 3ff; Greater Pittsburgh Convention & Visitors Bureau: Public Transportation, https: / / www.visitpittsburgh.com, 27.06.2017; Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz 321 Eine umfangreiche Übersicht zu unentgeltlichen Angeboten im ÖPNV listet die Webseite https: / / freepublictransport.info auf. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der oben genannten Angebote zeigt folgende Tabelle: Gemeinsamkeiten Unterschiede ähnliche Ausgangslagen vor Einführung (z.B. wenige ÖPNV-Nutzer, innerstädtische Verkehrsprobleme) ähnliche Ziele (z.B. Entlastung der Innenstädte vom motorisierten Individualverkehr, Erhöhung der Lebensqualität in der Stadt, Steigerung der Fahrgastzahlen beim ÖPNV, Beeinflussung Verkehrsmittelwahl) Finanzierung Ausdehnung auf Stadtgebiet Angebotszeitraum (von einzelnen Tagen über wenige Jahre bis hin zu Jahrzehnten) Aktualität (teilweise eingestellt, teilweise derzeit gültig) Nutznießer (alle, Einwohner, Touristen, bestimmte Altersgruppen, …) begleitende Maßnahmen (Aus-/ Umbau ÖPNV, Parkraumbewirtschaftung, innerstädtisches Verkehrskonzept) Erfolg der Maßnahmen Tabelle 23-2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der unentgeltlichen ÖPNV-Angebote Aufgabe 2 Voraussetzungen Gegebenheiten in Graz ÖPNV-Angebot Vorhandensein bzw. Schaffung eines funktionsfähigen, dichten ÖPNV-Angebots im Bediengebiet Kapazitätsgrenzen sollten noch nicht erreicht sein, Reaktion auf Fahrgastzahlsteigerung möglich im ausgewählten innerstädtischen Bereich verkehren acht, sich teilweise überlagernde Straßenbahnlinien, wodurch ein dichter Takt entsteht Kapazität gegeben Kooperation Bereitschaft der Nahverkehrsunternehmen sowie anderer Partner zur Mitwirkung ist gegeben: mehrere Akteure ziehen an einem Strang Stadt und Politik angemessene Stadtgröße (günstig eher Klein- und mittelgroße Städte) Aufgeschlossenheit zur Realisierung solcher Angebote Bereitschaft, den MIV einschränkende Maßnahmen begleitend umzusetzen entsprechende Finanzkraft bzw. geeignetes Finanzierungskonzept Graz als Großstadt mit mehr als 286.000 Einwohnern ist gegeben Kosten 600.000 Euro jährlich Port Authority: Fares, http: / / www.portauthority.org, 27.06.2017; Stadtverwaltung Templin: Kurkarte, http: / / templin.de/ kur-and-gesundheit/ kurkarte, 27.06.2017; Avesta kommun: Avgiftsfri busstrafik, https: / / www.avesta.se, 27.06.2017; Tallin City: The Right of Free Travel and Documents Evidencing the Right, http: / / www.tallinn.ee, 27.06.2017; Moniez, Laurie: Dunkerque, plus grande collectivité d’Europe à adopter la gratuité des transports (05.09.2018), http: / / www.lemonde.fr, 02.01.2019; o.V.: Öffentlicher Nahverkehr soll von 2020 an kostenlos sein (22.01.2019), http: / / www.faz.de, 23.01.2019 322 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz Fortsetzung Voraussetzungen Gegebenheiten in Graz Begleitende Maßnahmen Parkraumbewirtschaftung (Zahl der Parkplätze, Gebühren) Verkehrskonzept im ausgewählten Gebiet (z.B. Verkehrsberuhigung, Durchfahrtsbeschränkungen) Öffentlichkeitsarbeit bereits in den 1990er Jahren wurden Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs in der Innenstadt realisiert (Einbahnstraßen, Tempo- 30-Zonen, Ausbau der Radwege) aktuelle Probleme: nach wie vor steigende MIV-Zahlen, hohe Feinstaubbelastung, Fahrradabstellplätze reichen nicht aus Bürger Bereitschaft zur Nutzung des ÖPNV scheint gegeben, Projekt wurde bereits verlängert Tabelle 23-3 Voraussetzungen zur Realisierung unentgeltlicher ÖPNV-Angebote Aufgabe 3 Kommune Öffentlicher Nahverkehr Individueller Innenstadtverkehr Wirtschaft Umwelt Abgas-/ Feinstaubbelastung Parkraumbewirtschaftung Innerstädt. Klima und Lebensqualität Verkehrsfluss Verkehrsaufkommen Einzelhandel und Gastronomie Zahl Verkehrsunfälle MIV Langsamverkehr Verkehrsleistung Betriebskosten Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Fahrgastzahlen ÖPNV Haushaltsbelastung Kosten für ÖPNV Verkehrsraumaufteilung Automobilindustrie Kfz-Handwerk Auslastung Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Investitionen (Fahrzeuge, Strecken) Mitarbeiter Initialzündung: ÖPNV zum Nulltarif + - + - + - - - - - - - - - - - + + + + + + + + + + + + + + + + - + + + + + + + + + + + + - + + Abbildung 23-2 Wirkungsgefüge Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz 323 Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen ÖPNV zum Nulltarif Fahrgastzahlen ÖPNV Die Einführung eines ÖPNV zum Nulltarif (= „Initialzündung“) wird die Fahrgastzahlen steigen lassen. Fahrgastzahlen ÖPNV Auslastung Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Auslastung. Investitionen Je höher die Fahrgastzahlen, umso mehr muss wahrscheinlich regelmäßig investiert werden. Attraktivität Je höher die Fahrgastzahlen, umso eher lohnt sich die Steigerung der Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität). Verkehrsleistung Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Verkehrsleistung. MIV Je höher die Fahrgastzahlen, umso geringer die Intensität im MIV.* Langsamverkehr Je höher die Fahrgastzahlen, umso geringer die Intensität im Langsamverkehr.* Auslastung Investitionen Je höher die Auslastung, umso mehr muss wahrscheinlich regelmäßig investiert werden. Investitionen Attraktivität Je höher die Investitionen, umso stärker lässt sich die Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) steigern. Fahrgastzahlen ÖPNV Investitionen in Fahrzeuge und Strecken werden sich positiv auf die Fahrgastzahlen auswirken. kommunaler Haushalt Je höher die Investitionen, umso höher die Haushaltbelastung. Verkehrsleistung Betriebskosten Je höher die Verkehrsleistung, umso höher die Betriebskosten. Attraktivität (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität) Betriebskosten Je höher die Attraktivität, umso höher die Betriebskosten. Mitarbeiter Je höher die Attraktivität, umso mehr Mitarbeiter erforderlich. Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Je höher die Attraktivität sein soll, umso mehr Wert muss auf Qualitätsaspekte und Kundenorientierung gelegt werden. Investitionen Je höher die Attraktivität sein soll, umso mehr muss wahrscheinlich regelmäßig investiert werden. Fahrgastzahlen ÖPNV Je höher die Attraktivität, umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen. Betriebskosten Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Je höher die allgemeinen Betriebskosten, umso eher wird u.U. an Qualitätsaspekten/ Kundenorientierung gespart. Mitarbeiter Betriebskosten Je mehr Mitarbeiter, umso höher die Betriebskosten. Attraktivität Je mehr Mitarbeiter, umso höher kann die Attraktivität sein (Taktfrequenz, Streckennetz, Kapazität). Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Je mehr Mitarbeiter, umso stärker können Qualitätsaspekte und Kundenorientierung berücksichtigt werden. Qualitätsaspekte, Kundenorientierung Fahrgastzahlen ÖPNV Je stärker Wert auf Qualitätsaspekte und Kundenorientierung gelegt wird, umso höher die Fahrgastzahlen. MIV Fahrgastzahlen ÖPNV Je geringer die Intensität des MIV, umso höher die Fahrgastzahlen.* Langsamverkehr Je geringer die Intensität des MIV, umso höher die Intensität des Langsamverkehrs.* 324 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen MIV Verkehrsaufkommen Je höher die Intensität des MIV, umso höher das Verkehrsaufkommen. Verkehrsraumaufteilung Je höher die Intensität des MIV, umso stärker wird der diesbezügliche Verkehrsraum beansprucht. Abgas- und Feinstaubbelastung Je höher die Intensität des MIV, umso höher die Abgas- und Feinstaubbelastung. innerstädtisches Klima und Lebensqualität Je höher die Intensität des MIV, umso schlechter innerstädtisches Klima und Lebensqualität. Kfz-Handwerk Je geringer die Intensität des MIV, umso weniger werden Leistungen des Kfz-Handwerks nachgefragt. Automobilindustrie Je geringer die Intensität des MIV, umso weniger werden Angebote der Automobilindustrie nachgefragt. Langsamverkehr Fahrgastzahlen ÖPNV Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso geringer die Fahrgastzahlen.* MIV Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso geringer die Intensität des MIV.* Verkehrsaufkommen Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso geringer das innerstädtische Verkehrsaufkommen. Verkehrsraumaufteilung Je höher die Intensität des Langsamverkehrs, umso stärker wird der diesbezügliche Verkehrsraum beansprucht. Parkraumbewirtschaftung MIV Je restriktiver die Parkraumbewirtschaftung, umso geringer wahrscheinlich die Intensität des MIV. Fahrgastzahlen ÖPNV Je restriktiver die Parkraumbewirtschaftung, umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen der öffentlichen Verkehrsmittel. Intensität Langsamverkehr Je restriktiver die Parkraumbewirtschaftung, umso höher wahrscheinlich die Intensität des Langsamverkehrs. Verkehrsaufkommen MIV Je höher das Verkehrsaufkommen, umso geringer die Attraktivität des MIV. Langsamverkehr Je höher das Verkehrsaufkommen, umso attraktiver erscheint der Langsamverkehr. Parkraumbewirtschaftung Je höher das Verkehrsaufkommen, umso restriktiver sollte die Parkraumbewirtschaftung sein. Verkehrsfluss Je höher das Verkehrsaufkommen, umso geringer der Verkehrsfluss. Zahl Verkehrsunfälle Je höher das Verkehrsaufkommen, umso mehr Verkehrsunfälle sind wahrscheinlich. Abgas- und Feinstaubbelastung Je höher das Verkehrsaufkommen, umso höher die Abgas- und Feinstaubbelastung. Verkehrsfluss Zahl Verkehrsunfälle Je besser der Verkehrsfluss, umso weniger Verkehrsunfälle sind wahrscheinlich. Zahl Verkehrsunfälle Verkehrsfluss Je mehr Verkehrsunfälle, umso geringer der Verkehrsfluss. Verkehrsraumaufteilung innerstädtisches Klima und Lebensqualität Die Verkehrsraumaufteilung trägt wesentlichen zum innerstädtischen Klima und zur Lebensqualität bei. Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz 325 Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Kosten für ÖPNV kommunaler Haushalt Je höher die Kosten für den ÖPNV, umso stärker wird der kommunale Haushalt belastet. kommunaler Haushalt Investitionen Je finanzstärker der kommunale Haushalt, umso höhere Investitionen sind möglich. Abgas- und Feinstaubbelastung innerstädtisches Klima und Lebensqualität Je höher die Abgas- und Feinstaubbelastung, umso schlechter das innerstädtische Klima bzw. geringer die Lebensqualität. innerstädtisches Klima und Lebensqualität Einzelhandel und Gastronomie Je besser das innerstädtische Klima und die Lebensqualität, umso wahrscheinlicher ist auch eine höhere Nachfrage bei innerstädtischem Einzelhandel und Gastronomie. * gleiche Wegehäufigkeiten vorausgesetzt Abbildung 23-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Aufgabe 4 Holding Graz Graz Tourismus und Stadtmarketing Stadt Graz Graz Citymanagement Hotellerie, Gastronomie Einzelhandel Sehenswürdigkeiten Einheimische Gäste Graz Linien Tourismusverband Abbildung 23-4 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Interessengruppen Erwartungen und Ziele Stadt Graz Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel anregen Altstadt für Einheimische und Touristen attraktiver gestalten positive Image-Effekte Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen Citymanagement und Tourismusverband erfolgreiche Umsetzung des Projekts „Altstadt-Bim“ Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen Belebung der inneren Altstadt Steigerung der Nachfrage im Einzelhandel, in der Gastronomie und im Bereich der Sehenswürdigkeiten 326 Unentgeltlich unterwegs - Die Altstadt-Bim in Graz Fortsetzung Interessengruppen Erwartungen und Ziele Graz Linien erfolgreiche Umsetzung des Projekts „Altstadt-Bim“ Finanzierbarkeit des Projekts sicherstellen dauerhafte Kundengewinnung über die Freifahrtzone hinaus positive Image-Effekte Hotellerie, Gastronomie; Einzelhandel; Sehenswürdigkeiten Belebung der inneren Altstadt Steigerung der Nachfrage positive Image-Effekte Einheimische; Gäste attraktive Innenstadt gute Erreichbarkeit der Attraktionspunkte Tabelle 23-4 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele Aufgabe 5 Finanzierung Kompensation der ausbleibenden Fahrgeldeinnahmen erforderlich finanzielle Belastung für Kommunen Nachfrage Verkehrsmittelwahl nicht nur von Fahrpreis abhängig Umstieg der Pkw-Nutzer auf ÖPNV nicht garantiert eher wechseln bisherige Fahrradfahrer und Fußgänger zum ÖPNV Wertschätzung der Verkehrsdienstleistungen als hochwertige Dienstleistungen bei Nulltarif fraglich Angebot ausreichende Kapazitäten zur Fahrgaststeigerung nicht generell gegeben Kapazitätsausweitung insbesondere in Großstädten oft schwer möglich unentgeltlicher ÖPNV allein reicht nicht, begleitende verkehrspolitische Maßnahmen erforderlich Tabelle 23-5 Argumente gegen entgeltfreien ÖPNV 24 Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ „Die kleine Alpenregion Südtirol ist als Land in den Bergen auf den reibungslosen Ablauf der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen […]“ 777 In Südtirol gibt es elf Ferienregionen - eine davon ist das Meraner Land, in dem recht unterschiedliche geographische und klimatische Bedingungen aufeinandertreffen: Meran als mediterranes Zentrum einerseits, hochalpine Landschaften andererseits. Blick auf Meran Mediterranes Flair im Stadtkern Jährlich sind hier rund 1,5 Mio. Gästeankünfte bzw. ca. 7 Mio. Übernachtungen zu verzeichnen. Die Beliebtheit der Region bei den Feriengästen zeigt sich auch daran, dass knapp ein Viertel aller Nächtigungen in Südtirol auf das Meraner Land entfallen. Wie auch in anderen Ferienregionen spielen die Erreichbarkeit sowie das Mobilitätsangebot vor Ort eine große Rolle. Angesichts des allgemeinen Trends zu kürzeren Aufenthaltsdauern, der sich auch im Meraner Land deutlich zeigt, ist es für die Gäste umso wichtiger, eine Ferienregion schnell und bequem erreichen zu können. Will man in der Destination öffentliche Verkehrsmittel nutzen, sind ein gut ausgebautes Netz sowie ein attraktives und überschaubares Tarifsystem essentiell. Bedingt durch Vorlieben bei der Verkehrsmittelnutzung sowie durch die Herkunftsländer der Gäste, erfolgt die Anreise überwiegend mit dem Pkw. Alpenweit betrachtet, liegt dabei der Anteil des Pkw bei 84 %. Neben dem An- und Abreiseverkehr ist auch der hohe Anteil an Freizeit- und Tourismusverkehr von Bedeutung und trägt - insbesondere zu den Hauptreisezeiten - in hohem Maße zur Überlastung der Straßennetze, auch innerhalb der Ortschaften, bei. 778 777 o.V.: Mobil in Südtirol, http: / / www.meranerland.com, 06.04.2015 778 vgl. Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention: Verkehr und Mobilität in den Alpen, Innsbruck 2007, 68ff; CIPRA International: Verkehr im Klimawandel, Schaan 2010, 9 328 Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ Tourismus im Meraner Land im Überblick Einwohner Meraner Land ca. 92.600 Tourismusvereine 15 Einwohner Meran ca. 35.600 Anzahl Hotels ca. 2.100 Gesamtfläche 1.100,73 km² Anzahl Betten ca. 43.800 Tiefster Punkt Gargazon, 267 m Gästeankünfte (2016) 1,51 Mio. Höchster Gipfel Weißkugel im Schnalstal, 3.738 m Übernachtungen (2016) 7,33 Mio. Aufenthaltsdauer (2016) 4,8 Tage Wintersportgebiete Anteil an Übernachtungen in Südtirol 23,1 % Schnalstaler Gletscher 1.200 bis 3.200 m Meran 2000 600 bis 2.260 m Herkunft der Gäste (2016) Pfelders/ Passeiertal 1.622 bis 2.170 m Deutschland 67,8 % Schwemmalm/ Ultental 1.500 bis 2.625 m Italien 11,7 % Vigiljoch bei Lana 1.486 bis 1.814 m Schweiz und Liechtenstein 10,6 % Tabelle 24-1 Tourismus im Meraner Land im Überblick 779 Die große Bedeutung des öffentlichen Personennahverkehrs zur verkehrlichen Entlastung der Region - nicht nur aus touristischer Sicht - wurde auch von der Südtiroler Landespolitik erkannt. Dementsprechend hat man in den letzten Jahren das Nahverkehrssystem schrittweise ausgebaut. Mit der Eisenbahn als Rückgrat und darauf abgestimmten Buslinien zur Erschließung der Fläche konnte ein attraktives System geschaffen werden, das als gute Alternative zum motorisierten Individualverkehr gelten kann. 780 Bahnhof Meran Bus nach Partschins an der Schnittstelle in Meran Da nicht nur Netz und Fahrplan, sondern ebenso die Tarife einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellen, war man auch hier innovativ tätig und führte 2012 den „Südtirol Pass“ ein. Dies ist ein elektronischer Fahrausweis im Kreditkartenformat, der im gesamten Verkehrsnetz für alle öf- 779 erstellt nach: Marketinggesellschaft Meran: MGM Jahresstatistik 2016, Meran 2017, 5ff; Marketinggesellschaft Meran: Das Meraner Land in Südtirol, http: / / press.mgm.bz.it, 06.04.2015 780 siehe dazu auch die Fallstudie „Alte Trasse erfolgreich wiederbelebt - Die Vinschger Bahn“ Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ 329 fentlichen Verkehrsmittel, sogar in öffentlichen Seilbahnen, gilt und auf einer günstigen Kilometerpreis-Staffelung aufsetzt. 781 Das an sich sehr attraktive Angebot des „Südtirol Passes“ gilt jedoch nur für in Südtirol Ansässige. Auswärtige Urlauber können den Pass folglich nicht nutzen. Für sie bleibt die Möglichkeit, Einzelfahrscheine oder eine Wertkarte zu erwerben. Auch wenn die Kilometertarife bei beiden Varianten über denen des „Südtirol Passes“ liegen, sind sie mit 12 Cent/ km bzw. 15 Cent/ km im Vergleich zu anderen Verkehrsverbünden immer noch sehr günstig. Bei der Wertkarte, die als 10 Euro-, 25 Euro- und 50 Euro-Variante verkauft wird, handelt es sich um einen übertragbaren Fahrschein, der auch von mehreren Fahrgästen gleichzeitig genutzt werden kann - entsprechende mehrfache Entwertung vorausgesetzt. Gültig ist die Wertkarte in allen Verkehrsmitteln des Verkehrsverbundes Südtirol sowie in ausgewählten EuroCity-Zügen. Nach der ersten Entwertung behält die Karte für zwei Jahre Gültigkeit. 782 Neben dieser Wertkarte werden verschiedene Erlebnis- und Vorteilskarten angeboten, die teilweise die ÖPNV-Nutzung für einen begrenzten Zeitraum beinhalten bzw. Ermäßigungen im touristischen Bereich bieten. Im Einzelnen sind folgende Karten erhältlich: Karten Gültigkeitsgebiet ÖPNV Zusatznutzen Gültigkeitsdauer Preis (Erwachsene) BusCard Buslinien in Meran und Umgebung 7 Tage 16 € MobilCard Verkehrsverbund Südtirol 1 Tag, 3 Tage, 7 Tage 15 €, 23 €, 28 € museumobil Card Verkehrsverbund Südtirol freier Eintritt in über 90 Museen 3 Tage, 7 Tage 30 €, 34 € bikemobil Card Verkehrsverbund Südtirol einmalige kostenlose Nutzung eines Leihfahrrades 1 Tag, 3 Tage, 7 Tage 25 €, 30 €, 35 € Seilbahnkarte Meraner Land 14 ausgewählte Seilbahnen/ Sessellifte an 4 Tagen innerhalb des Gültigkeitszeitraumes 6 Tage ab der ersten Entwertung 58 € GuestCard Ermäßigungen in über 100 Museen, bei Seilbahnen, Sport- und Freizeitwelten während des gesamten Aufenthaltes kostenlos bei mind. 1 Übernachtung Bei zahlreichen Beherbergungsbetrieben ist eine Kombikarte (z.B. GuestCard + museumobil) im Übernachtungspreis inbegriffen. Tabelle 24-2 Erlebnis- und Vorteilskarten in der Ferienregion „Meraner Land“ (2019) 783 781 siehe dazu auch die Fallstudie „Ein alternatives Tarifsystem - Der ‚Südtirol Pass‘“ 782 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Wertkarte, http: / / www.sii.bz.it, 18.05.2018 783 erstellt nach: o.V.: Erlebnis- und Vorteilskarten, http: / / www.meranerland.com, 19.02.2019 330 Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ Bei der Befragung von rund 300 touristischen Akteuren im Meraner Land im Rahmen des Tourismusbarometers 2014 wurden verschiedene Problemfelder erhoben. Dabei wurden von vielen Befragten die Themen Erreichbarkeit und Mobilität genannt. Konkret ging es hierbei um die allgemeinen Verkehrsprobleme in der Region, aber auch um die Mobilitätskarten. 784 Generell kann jedoch festgestellt werden, dass die Akzeptanz insbesondere der BusCards gut ist. 2016 wurden ca. 65.000 dieser Karten verkauft. 785 In der Hochsaison sind teilweise aufgrund der hohen Nachfrage Überlastungen in den Bussen festzustellen. 786 Zudem wird an der Erreichbarkeit einzelner Orte gearbeitet, so z.B. ist man um eine neue Verbindung zwischen Meran mit Schenna bzw. Dorf Tirol bemüht. 787 In der Vergangenheit kritisiert wurde u.a. das Fehlen anschaulicher Netzpläne, die Beschilderung von Haltstellen oder die Gestaltung von Fahrplaninformationen. 788 Auch hier konnten inzwischen Verbesserungen realisiert werden. So hat man beispielsweise 2016 erstmals einen ganzjährig gültigen Taschenfahrplan veröffentlicht. 789 Aufgabe 1: Beschreiben Sie - ausgehend von eigenen Recherchen - das aktuelle ÖPNV- Angebot im Meraner Land! Aufgabe 2: Wie beurteilen Sie das hier vorliegende Angebot an Erlebnis- und Vorteilskarten? Aufgabe 3: Inwieweit können diese Karten zur Bewältigung der Verkehrsprobleme und zur Realisierung einer nachhaltigen Mobilität beitragen? Aufgabe 4: Wie lässt sich die Akzeptanz der Gäste für solche Karten erhöhen? 784 vgl. Marketinggesellschaft Meran: MGM Tourismusbarometer, Meran 2015, 6 785 vgl. Marketinggesellschaft Meran: Jahresbericht 2016, Meran o.J., 10 786 vgl. Marketinggesellschaft Meran: MGM Tourismusbarometer, Meran 2011, 6 787 vgl. Marketinggesellschaft Meran: Jahresbericht 2016, Meran o.J., 10 788 vgl. Nagel, Antje: Wirkung und Potenziale sanfter Mobilität im Alpentourismus anhand von Beispielen aus Südtirol, http: / / www.umwelt.bz.it, 08.04.2015 789 vgl. Marketinggesellschaft Meran: Jahresbericht 2016, Meran o.J., 10 Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ 331 Lösung Aufgabe 1 Insgesamt ist das Verkehrsnetz in Südtirol gut ausgebaut, was sich auch in der Ferienregion „Meraner Land“ zeigt. Die Region wird von zwei Eisenbahnlinien (Meran-Bozen und Vinschger Bahn Meran-Mals) und 32 regionalen Buslinien sternförmig ausgehend von Meran erschlossen. Zusätzlich sind in Meran sieben Citybuslinien im Einsatz. Ergänzt wird das Netz von mehreren Bergbahnen. Die Eisenbahnlinien werden ab etwa 5: 30 Uhr bis kurz vor bzw. nach Mitternacht bedient. Dabei verkehren 33 Zugpaare (Meran-Bozen) bzw. 25 Zugpaare (Meran-Mals) werktäglich. Die Buslinien werden - in Abhängigkeit von ihrer Linienführung und der Bedeutung für das Gesamtnetz - ab etwa 5: 30 Uhr bis 20 Uhr bzw. sogar bis Mitternacht bedient. Dabei ist die Bedienungshäufigkeit unterschiedlich ausgeprägt. Während bei den regionalen Buslinien der Stundentakt überwiegt, weisen mehrere Buslinien in der unmittelbaren Umgebung von Meran sogar einen 10bis 20-Minuten-Takt auf. Durch teilweise parallele Linienführungen bei Bus und Bahn bzw. verschiedenen Buslinien wird das Angebot auf diesen Strecken verdichtet. 790 Aufgabe 2 Preis sehr preisgünstig, vgl. z.B. GuestCard gratis BusCard: Bus Meran und Umgebung, 7 Tage für 16 Euro MobilCard: gesamter Verkehrsverbund, 7 Tage für 28 Euro museumobil Card: gesamter Verkehrsverbund + Museen, 7 Tage für 34 Euro Zusatznutzen wenn integriert, dann hoher Nutzen (vgl. über 100 Museen) Vielfalt unterschiedliche Angebote, wählbar je nach Aufenthaltsdauer, gewünschtem Gültigkeitsgebiet, gewünschtem Zusatznutzen Tabelle 24-3 Angebot an Erlebnis- und Vorteilskarten Aufgabe 3 Verkehrsverlagerung echte Alternative zum MIV Entlastung der Verkehrsachsen ÖPNV bessere Auslastung der Verkehrsmittel ggf. Angebotsausweitung möglich, die auch Einheimischen zugute kommt Mobilitätsverhalten Änderung des Mobilitätsverhaltens im Urlaub evtl. auch später im Alltag (vgl. z.B. Fahrradnutzung) Tabelle 24-4 Effekte bei Bewältigung der Verkehrsprobleme 790 siehe dazu auch: Marketinggesellschaft Meran: Fahrplan - Meran und Umgebung 2018, Meran 2018, 4 und 5 332 Erlebnis- und Vorteilskarten - Mobil in der Ferienregion „Meraner Land“ Aufgabe 4 Leistungsumfang Auswahlmöglichkeiten beibehalten (regelmäßige) Abstimmung auf touristische Vorlieben (insbes. in Bezug auf Zusatznutzen) Einfachheit der Nutzung Begreifbarkeit des Leistungsumfangs anschauliche Netzpläne (Verknüpfung Nahverkehrsnetz und touristische Attraktionen) Optimierung der Beschilderung von Haltestellen und der Gestaltung von Aushangvitrinen gute Auffindbarkeit von Informationsmaterial im Internet und vor Ort Kooperationspartner weitere Beherbergungsbetriebe als Partner gewinnen sind Vorteilskarten bereits im Übernachtungspreis inbegriffen, wird Anreiz zur Nutzung gesetzt Tabelle 24-5 Akzeptanzsteigerung 25 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - tertickets „Ursprünglich war es ein neuer und radikaler Ansatz.“ 791 Im Wettbewerb um Studienanfänger spielt vordergründig natürlich die Hochschule an sich mit ihrem Studienangebot, der internationalen Einbindung und ihrem Ruf eine wichtige Rolle. Nicht zu vernachlässigen sind hierbei aber auch die Rahmenbedingungen, die das Gesamtpaket „Studienstandort“ wesentlich beeinflussen. Hierzu zählen zum einen Unterkunftsmöglichkeiten, Freizeit- und Kulturangebote sowie Lebenshaltungskosten, zum anderen aber auch die infrastrukturelle Vernetzung und die daraus resultierenden Fortbewegungsmöglichkeiten. Um den Studierenden bezahlbare Mobilität zu gewährleisten, wurden inzwischen an vielen Hochschulstandorten Deutschlands Semestertickets eingeführt. Diese Tickets berechtigen zur Nutzung des ÖPNV in einem bestimmten Geltungsbereich bzw. -zeitraum. Die konkreten Konditionen sind dabei allerdings höchst unterschiedlich geregelt. Grundsätzlich kann zwischen dem Solidarmodell und dem Sockelbetragsmodell unterschieden werden: Solidarmodell: Hierbei ist von allen Studierenden der gleiche Betrag für das Ticket zu entrichten. Der Studentenausweis wird damit zum Fahrschein. Sämtliche Verkehrsmittel und Linien, die in den Geltungsbereich bzw. -zeitraum des Tickets fallen, können damit genutzt werden. Ausnahmeregelungen, die zur Befreiung von diesem Betrag führen, können beispielsweise für Fernstudenten, beurlaubte Studenten oder Studenten im Auslandssemester gelten. Sockelbetragsmodell: Bei diesem Modell setzt sich der Betrag aus einem Pflichtteil, dem Sockelbetrag, und einem freiwillig zu zahlendem Teil zusammen. Teilweise berechtigt der Sockelbetrag zur ÖPNV-Nutzung in Schwachlastzeiten. Um das ÖPNV-Angebot vollständig nutzen zu können, ist ein Zusatzticket zu erwerben. Teilweise ist der Sockelbetrag aber auch ein reiner Solidarbeitrag, der keine ÖPNV-Nutzung einschließt, sondern dazu beiträgt, dass ein preisgünstiges Semesterticket angeboten werden kann. In Deutschland ist das Solidarmodell wesentlich stärker verbreitet als das Sockelbetragsmodell. Die jeweils zu entrichtenden Preise differieren dabei sehr stark. Auch die Geltungsbereiche sind recht unterschiedlich und reichen vom Stadtgebiet bis hin zu ganzen Bundesländern. Im Wintersemester 2017/ 18 variieren die für das Semesterticket zu entrichtenden Beträge an den 40 größten Hochschulen Deutschlands von 57,50 Euro (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, gültig in ganz Kiel sowie einigen angrenzenden Tarifzonen) bis 243,06 Euro (Gottfried- Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, gültig in ganz Niedersachsen sowie auf der Strecke Bremen-Hamburg). 792 791 o.V.: Einstmals radikal, heute selbstverständlich: Ein Rückblick auf 25 Jahre Semesterticket (20.12.2016), http: / / www.probst-consorten.de, 19.02.2019 792 vgl. Röttgerkamp, Anne: Der große Semesterticket-Vergleich (16.03.2018), https: / / www.netzsieger.de, 17.01.2019 334 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets In Österreich gestaltet sich die Lage etwas anders. Einen Pflichtbeitrag für Semestertickets, der von allen Studierenden zu entrichten ist, gibt es hier nicht. Stattdessen offerieren die Verkehrsbetriebe bzw. -verbünde Sondertarife: Die Wiener Linien bieten beispielsweise ein jeweils fünf Monate gültiges Semesterticket für Winterbzw. Sommersemester an. Für in Wien wohnhafte Studierende kostet dieses Ticket 75 Euro, für auswärts Wohnende 150 Euro. Für die Ferienzeit besteht die Möglichkeit, eine Ferienmonatskarte zu erwerben. 793 Die Innsbrucker Verkehrsbetriebe bieten ein sechs Monate gültiges Semesterticket für 133,50 Euro für die Kernzone Innsbruck bzw. für 180 Euro für den gesamten Verkehrsverbund Tirol. 794 Graz Linien bieten eine vier, fünf oder sechs Monate gültige Studienkarte (121,80 Euro, 152,20 Euro bzw. 182,70 Euro), deren Preis mit einem „Mobilitätsscheck“ (kostenlos erhältlich für Studierende mit Wohnsitz in Graz) reduziert werden kann (um 30 Euro, 35 Euro bzw. 40 Euro). Die drei Kartenvarianten sind auch für weitere Zonen im Bundesland erhältlich, ab 16 Zonen gelten die Tickets als Netzkarte für die gesamte Steiermark. 795 Vergleichbare Ticketangebote existieren auch in den anderen österreichischen Bundesländern. Aufgabe 1: Welche Akteure sind an Semestertickets interessiert bzw. in deren Bereitstellung involviert? Welche Erwartungen und Ziele werden daran jeweils geknüpft? Aufgabe 2: Welche Effekte ergeben sich für die Verkehrsbetriebe durch Einführung eines Semestertickets als Solidarmodell? Stellen Sie dies in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 3: Entwickeln Sie aus Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix! Aufgabe 4: Leiten Sie aus der Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio ab! 793 vgl. Wiener Linien: Semesterkarte, http: / / www.wienerlinien.at, 17.01.2019 794 vgl. Innsbrucker Verkehrsbetriebe und Stubaitalbahn GmbH: Übersicht Tickets, http: / / www.ivb.at, 17.01.2019 795 vgl. Holding Graz: Mit der Studienkarte kommst Du gut an! , http: / / www.holding-graz.at, 17.01.2019; Stadt Graz: Mobilitätsscheck, http: / / www.graz.at, 17.01.2019; Steirische Verkehrsverbund GmbH: Studienkarte, http: / / www.verbundlinie.at, 17.01.2019 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets 335 Lösung Aufgabe 1 Regionen/ Städte Verkehrsverbünde/ Verkehrsbetriebe Studentenvertretungen Studierende Hochschulen Bundesländer Studentenwerke Abbildung 25-1 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Interessengruppen Erwartungen und Ziele Hochschulen höhere Standortattraktivität durch gute Mobilitätsangebote Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Standorten mit vergleichbaren Mobilitätsangeboten sichern Studentenwerke soziale, wirtschaftliche, kulturelle und gesundheitliche Förderung der Studierenden, wozu auch ein attraktives und bezahlbares Mobilitätsangebot gehört Studentenvertretungen höhere Standortattraktivität durch gute Mobilitätsangebote Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Standorten mit vergleichbaren Mobilitätsangeboten sichern bezahlbare Mobilitätsangebote begreifbares Angebot in Bezug auf Geltungsbereiche und Gültigkeitszeiträume Studierende ÖPNV-Nutzer: günstige Mobilitätsangebote niedrige Beiträge zum Semesterticket hohe Flexibilität bei Nutzung, attraktive Geltungsbereiche und Gültigkeitszeiträume begreifbares Angebot in Bezug auf Geltungsbereiche und Gültigkeitszeiträume Möglichkeit der Abwahl im Härtefall 336 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets Fortsetzung Interessengruppen Erwartungen und Ziele Studierende MiV-Nutzer: unzufrieden wegen Pflicht zur Beitragszahlung, ohne ÖPNV nutzen zu wollen möglichst niedrige Pflichtbeiträge Verkehrsverbünde/ -unternehmen Sicherung der Finanzierung durch regelmäßige Beiträge in größerem Umfang begreifbares Angebot in Bezug auf Geltungsbereiche und Gültigkeitszeiträume Kundengewinnung (auch über Studienzeit hinaus) Regionen/ Städte sowie Bundesländer höhere Standortattraktivität durch gute Mobilitätsangebote für Studierende Zuzug von Studierenden (bei Gewährung bestimmter Tarifreduktionen) Tabelle 25-1 Hauptakteure, deren Erwartungen und Ziele Aufgabe 2 Einnahmen Fahrzeugkapazitäten Taktfrequenz, Bedienzeitraum Fahrgastzahlen Auslastung Betriebskosten Verkehrsleistung + + + + + + + + + + + Initialzündung: Einführung Semesterticket (Solidarmodell) Studentenzahlen + Geltungsbereich/ -zeitraum Preis Semesterticket - - + + + + + + + + - - - - + + - - - - Abbildung 25-2 Wirkungsgefüge Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets 337 Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Studentenzahlen Preis Semesterticket Je mehr eingeschriebene Studenten, umso geringer kann Preis für Semesterticket sein. Fahrgastzahlen Je mehr eingeschriebene Studenten, umso mehr (potentielle) Fahrgäste. Einnahmen Je mehr eingeschriebene Studenten, umso höher die Einnahmen (unabhängig von Nutzungsintensität). Preis Semesterticket Studentenzahlen Je niedriger der angestrebte Preis für das Semesterticket, umso mehr Studenten sollten eingeschrieben sein. Geltungsbereich/ zeitraum Je höher der Preis für das Semesterticket, umso größer sollte der Geltungsbereich/ -zeitraum sein. Einnahmen Je höher der Preis für das Semesterticket, umso höher die Einnahmen. Geltungsbereich/ -zeitraum Preis Semesterticket Je größer der Geltungsbereich/ -zeitraum des Semestertickets, umso höher der Preis des Semestertickets. Fahrgastzahlen Je größer der Geltungsbereich/ -zeitraum des Semestertickets, umso höher wahrscheinlich die Fahrgastzahlen. Fahrgastzahlen Geltungsbereich/ zeitraum Je höher die Fahrgastzahlen generell, umso eingeschränkter wahrscheinlich der Geltungsbereich/ -zeitraum des Semestertickets. Einnahmen Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Einnahmen. Auslastung Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Auslastung. Fahrzeugkapazitäten Je höher die Fahrgastzahlen, umso eher ist die Ausweitung der Fahrzeugkapazitäten erforderlich. Taktfrequenz/ Bedienzeitraum Je höher die Fahrgastzahlen, umso eher lohnt sich die Taktverdichtung bzw. die Ausweitung des Bedienzeitraums. Verkehrsleistung Je höher die Fahrgastzahlen, umso höher die Verkehrsleistung. Einnahmen Preis Semesterticket Je höher die Einnahmen, umso niedriger kann Preis des Semestertickets sein. Fahrzeugkapazitäten Je höher die Einnahmen, umso mehr kann in Fahrzeugkapazitäten investiert werden. Taktfrequenz/ Bedienzeitraum Je höher die Einnahmen, umso dichter kann Taktfrequenz/ länger kann Bedienzeitraum sein. Auslastung Geltungsbereich/ zeitraum Je höher die Auslastung generell, umso eingeschränkter wahrscheinlich der Geltungsbereich/ -zeitraum des Semestertickets. Fahrgastzahlen Je höher die Auslastung (vgl. Überlastung), umso eher ist ein Rückgang der Fahrgastzahlen denkbar. Fahrzeugkapazitäten Je höher die Auslastung, umso größer sollten Fahrzeugkapazitäten sein. Taktfrequenz/ Bedienzeitraum Je höher die Auslastung, umso dichter sollte Taktfrequenz/ länger Bedienzeitraum sein. Fahrzeugkapazitäten Fahrgastzahlen Je größer die Fahrzeugkapazitäten, umso mehr Fahrgäste können befördert werden. Auslastung Je geringer die Fahrzeugkapazitäten, umso eher wird hier eine hohe Auslastung erreicht.* 338 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets Fortsetzung Wirkung von ... auf ... Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Fahrzeugkapazitäten Taktfrequenz/ Bedienzeitraum Je geringer die Fahrzeugkapazitäten, umso dichter sollte der Takt sein.* Betriebskosten Je größer die Fahrzeugkapazitäten, umso höher die Betriebskosten. Taktfrequenz/ Bedienzeitraum Fahrgastzahlen Je dichter die Takte/ je länger der Bedienzeitraum, umso mehr Fahrgäste können befördert werden. Auslastung Je schlechter die Taktfrequenz, umso eher wird in den verkehrenden Fahrzeugen eine hohe Auslastung erreicht.* Fahrzeugkapazitäten Je dichter der Takt, umso geringer können die Fahrzeugkapazitäten sein. Betriebskosten Je dichter die Takte/ je länger der Bedienzeitraum, umso höher die Betriebskosten. Verkehrsleistung Je dichter die Taktfrequenz, umso höher die Verkehrsleistung. Verkehrsleistung Fahrgastzahlen Je höher die angestrebte Verkehrsleistung, umso mehr Fahrgäste müssen befördert werden. Betriebskosten Je höher die Verkehrsleistung, umso höher die Betriebskosten. * bei gleichbleibendem Fahrgastaufkommen Abbildung 25-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen Aufgabe 3 Wirkung von auf Studentenzahlen Preis Semesterticket Geltungsbereich/ zeitraum Fahrgastzahlen Einnahmen Auslastung Fahrzeugkapazitäten Taktfrequenz/ Bedienzeitraum Verkehrsleistung Betriebskosten Zeilensumme Studentenzahlen x 2 0 3 3 0 0 0 0 0 8 Preis Semesterticket 2 x 3 0 3 0 0 0 0 0 8 Geltungsbereich/ -zeitraum 0 3 x 2 0 0 0 0 0 0 5 Fahrgastzahlen 0 0 1 x 3 3 3 3 3 0 16 Einnahmen 0 2 0 0 x 0 2 2 0 0 6 Auslastung 0 0 1 1 0 x 2 2 0 0 6 Fahrzeugkapazitäten 0 0 0 3 0 2 x 2 0 3 10 Taktfrequenz/ Bedienzeitraum 0 0 0 3 0 3 3 x 3 3 15 Verkehrsleistung 0 0 0 2 0 0 0 0 x 3 5 Betriebskosten 0 0 0 0 0 0 0 0 0 x 0 Spaltensumme 2 7 5 14 9 8 10 9 6 9 x 0 = kein oder sehr geringer Einfluss 1 = geringer Einfluss 2 = mittelstarker Einfluss 3 = starker Einfluss Tabelle 25-2 Wirkungsmatrix Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets 339 Die Fahrgastzahlen sowie Taktfrequenz/ Bedienungszeitraum beeinflussen die übrigen Faktoren am stärksten. Den geringsten Einfluss auf die restlichen Faktoren üben die Betriebskosten aus. Die Fahrgastzahlen werden wiederum von allen anderen Faktoren am stärksten beeinflusst. Den geringsten Einflüssen unterliegen hier die Studentenzahlen. Aufgabe 4 26 26 20 22 24 20 22 24 16 18 16 18 Einflussnahme 0 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14 REAKTIV KRITISCH TRÄGE AKTIV Beeinflussbarkeit F E Fahrgastzahlen Einnahmen A Auslastung B Betriebskosten S P F E G A T K V B S P Studentenzahlen Preis Semesterticket G Geltungsbereich/ -zeitraum K Fahrzeugkapazitäten T V Taktfrequenz/ Verkehrsleistung Abbildung 25-4 Intensitätsportfolio 340 Mobilität als Wettbewerbsvorteil von Hochschulen - Semestertickets Kritische Faktoren Fahrgastzahlen: Unternehmenszweck ist der Transport von Fahrgästen. An deren Bedürfnissen orientiert sich das Angebot. Gleichzeitig sind die Verkehrsbetriebe von der Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen durch die Fahrgäste stark abhängig. Die Fahrgastzahlen können sich durch Einführung eines solchen Semestertickets stark erhöhen, da hier nicht nur bisherige MIV-Nutzer, sondern wahrscheinlich auch Radfahrer und Fußgänger auf den ÖPNV umsteigen. Aktive Faktoren Taktfrequenz/ Bedienzeitraum: Die Gestaltung von Taktfrequenz/ Bedienzeitraum beeinflusst die Attraktivität des ÖPNV-Angebots für die Fahrgäste. Für studentische Nutzer besonders interessant ist hierbei, inwieweit sich Vorlesungszeiten und Freizeitaktivitäten mit dem Fahrplan vereinbaren lassen. Reaktive Faktoren bei dieser Faktorenauswahl keine Träge Faktoren Studentenzahlen: Die Anzahl der eingeschriebenen Studenten und damit die Anzahl der potentiellen Neukunden (und Zahlenden) ist für die Gestaltung des Semestertickets (Preis, Geltungsbereich/ -zeitraum) ausschlaggebend und bestimmt letztendlich auch, mit welchen Einnahmen die Verkehrsbetriebe regelmäßig rechnen können (unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme des Semestertickets). Preis Semesterticket: Auch wenn der Preis hier den trägen Faktoren zugeordnet wird, spielt er doch eine entscheidende Rolle. Einerseits beeinflusst er die regelmäßigen Einnahmen der Verkehrsbetriebe, andererseits ist die Höhe des Preises auch maßgeblich für die Akzeptanz unter den Studenten (vgl. z.B. auch Diskussionen um die Abschaffung von Semestertickets an manchen Hochschulstandorten). Geltungsbereich/ Bedienzeitraum: Hierdurch wird die Attraktivität des Tickets für die Studenten bestimmt. Je flexibler der ÖPNV damit nutzbar, umso größer wird die Inanspruchnahme sein. Einnahmen: Die Einnahmen ergeben sich aus der Anzahl der zahlenden Studenten und der Höhe des Preises. Auf die Zahl der Studenten haben die Verkehrsbetriebe zwar keinen Einfluss, wohl aber auf die Preisgestaltung. Auslastung: Die Auslastung der Fahrzeuge bzw. einzelner Linien kann sich durch Einführung eines Semestertickets stark verändern, je nach Relationen, die die Studenten regelmäßig (und zu bestimmten Zeiten) zurücklegen. Unter Umständen können die Verkehrsbetriebe hier gezwungen sein, Kapazitäten zu erhöhen bzw. Fahrpläne zu verdichten. Fahrzeugkapazitäten: Kapazitäten werden in Abhängigkeit der Fahrgastzahlen festgelegt. Gegebenenfalls sind nach Einführung eines Semestertickets Anpassungen erforderlich (vgl. höheres Fahrgastaufkommen kurz vor Vorlesungsbeginn oder nach Vorlesungsende). Verkehrsleistung: Die Verkehrsleistung ergibt sich aus der Anzahl der transportierten Personen multipliziert mit der zurückgelegten Entfernung. Betriebskosten: Die Betriebskosten ergeben sich - neben weiteren hier nicht erfassten Faktoren - aus dem fahrplangemäßen Fahrzeugeinsatz. Tabelle 25-3 Erläuterung der Faktoren Der richtige Umgang mit Menschen im Beruf und Alltag Nello Gaspardo Von harten Hunden und hyperaktiven Affen Der richtige Umgang mit Menschen im Beruf und Alltag 2017, 158 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-834-9 Jeder Mensch ist einzigartig! Das ist fraglos richtig. Dessen ungeachtet finden Sie bei Ihren Mitmenschen wiederkehrende Charaktereigenschaften, mit denen Sie im Beruf und im Alltag umgehen müssen. Denken Sie nur an den harten Hund aus der Chefetage, den cleveren Fuchs aus dem Controlling oder den zappeligen, aber vor Ideen sprühenden Affen aus der Marketingabteilung. Der Kommunikations- und Verhandlungsexperte Nello Gaspardo skizziert neun solcher Typen anhand von Tierbildern. Er zeigt deren Stärken und Schwächen auf und verrät Ihnen pointiert, was Sie im Umgang mit diesen Menschen unbedingt wissen sollten und wie Sie mit diesen Typen richtig kommunizieren. Das Buch ist ein unverzichtbarer Ratgeber für alle, die im Beruf und im Alltag gemeinsam mit anderen Menschen schnell und harmonisch Ziele erreichen möchten. www.uvk.de www.uvk.de Endlich durchsetzen! Nikita Gribenko Durchsetzungsvermögen - privat und geschäftlich Praxistraining 2018, 150 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-850-9 Viele Situationen im Beruf und im Alltag erfordern Durchsetzungskraft. Doch Menschen, die sich nicht durchsetzen, haben meist das Nachsehen: Sie werden öfter ausgenutzt, weniger ernst genommen oder respektiert als andere. Dieser Ratgeber zeigt, wie Sie ihr Durchsetzungsvermögen erhöhen und Ihre Interessen und Ziele besser erreichen können. Der Autor dieses Buches setzt dafür an der Individualität an. Er fragt zunächst nach dem Persönlichkeitstyp, nach der eigenen Motivation, der subjektiven Wahrnehmung. Erst durch eine ausführliche Selbstanalyse ist man in der Lage, als Person zu überzeugen und sich selbst zu beeinflussen. Anschließend werden die Techniken der Körpersprache, der Kommunikation und der Manipulation anschaulich beschrieben. Das Buch richtet sich an alle, die lernen wollen, sich durchzusetzen.