Gruppenarbeit
Methoden – Techniken – Anwendungen
0330
2020
978-3-8385-5274-3
978-3-8252-5274-8
UTB
Martin Baumann
Christoph Gordalla
Sie kennen Brainstorming und SWOT, aber wissen Sie auch, was die Walt-Disney-Methode oder das Gruppenpuzzle sind? Die vorliegende 2. Auflage der "Gruppenarbeit" stellt neben ausführlichen Hinweisen zur Organisation von Gruppenarbeiten mehr als 70 Methoden für Teambuilding, Ideenfindung, Konzeption und Priorisierung vor. Aber auch Meta-Methoden, diverse Gruppen oder Belohnungssysteme werden angesprochen. Interdisziplinäre Gruppen arbeiten damit in Seminaren, Workshops oder Projekten effizient und erfolgreich zusammen. Ein grafisches Orientierungssystem hilft Trainern beim Finden geeigneter Methoden.
<?page no="0"?> ,! 7ID8C5-cfchei! ISBN 978-3-8252-5274-8 Martin Baumann Christoph Gordalla Gruppenarbeit Methoden - Techniken - Anwendungen 2. Auflage Sie kennen Brainstorming und SWOT, aber wissen Sie auch, was die Walt-Disney-Methode oder das Gruppenpuzzle sind? Die vorliegende 2. Auflage der „Gruppenarbeit“ stellt neben ausführlichen Hinweisen zur Organisation von Gruppenarbeiten mehr als 70 Methoden für Teambuilding, Ideenfindung, Konzeption und Priorisierung vor. Aber auch Meta-Methoden, diverse Belohnungssysteme und Gruppen werden angesprochen. Interdisziplinäre Gruppen arbeiten damit in Seminaren, Workshops oder Projekten effizient und erfolgreich zusammen. Ein grafisches Orientierungssystem hilft Trainern beim Finden geeigneter Methoden. Schlüsselkompetenzen Gruppenarbeit 2. A. Baumann | Gordalla Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 52748 Baumann_M-4223.indd 1 52748 Baumann_M-4223.indd 1 03.03.20 15: 57 03.03.20 15: 57 <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 4223 <?page no="2"?> Prof. Dr. Martin Baumann arbeitet als Dozent für Medizintechnik und Didaktik an der RWTH Aachen im Grenzbereich zwischen Lebens-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Christoph Gordalla studierte Physik an der RWTH Aachen bis zum Master. Heute arbeitet er in einem interdisziplinärem Team als Kundenberater einer Software-Firma. <?page no="3"?> Martin Baumann / Christoph Gordalla Gruppenarbeit Methoden - Techniken - Anwendungen 2., aktualisierte und erweiterte Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> UVK Verlag ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Nymphenburger Straße 48 · 80335 München Internet: www.uvk.de © 2020 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Internet: www.narr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck UTB-Nr.: 4223 ISBN 978-3-8252-5274-8 (Print) ISBN 978-3-8385-5274-3 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5274-8 (ePub) Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. <?page no="5"?> 11 11 13 1 15 1.1 17 1.2 19 1.3 21 2 23 2.1 23 2.2 24 2.3 26 2.4 27 2.5 28 2.6 29 2.6.1 34 3 37 3.1 37 3.2 38 3.2.1 38 3.2.2 39 3.2.3 41 3.3 41 3.3.1 41 3.3.2 42 3.4 43 3.4.1 43 3.4.2 43 Inhalt Über dieses Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie Sie dieses Buch lesen sollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenarbeit: Vor dem »Wie« steht das »Warum« . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schnellstart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereitschaft der Teilnehmer zur Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . Bereitschaft von Vorgesetzten zur Gruppenarbeit . . . . . . . . . . Fachkenntnis und Methodenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interdisziplinarität und der Nutzen von Synergie . . . . . . . . . . Gruppenziel und Gruppengröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppengefüge, Normen und Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Tipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regeln kommunizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben während der Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben nach der Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parkinson’sche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsstil und Kommunikationsregeln . . . . Konsensfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist ein Konsens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum ist ein Konsens einer Abstimmung vorzuziehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 3.4.3 44 3.4.4 46 3.4.5 47 3.4.6 48 3.5 48 3.5.1 48 3.5.2 49 3.5.3 49 3.5.4 50 3.6 50 3.6.1 50 3.6.2 60 4 63 4.1 64 4.1.1 64 4.2 64 4.2.1 65 4.2.2 65 4.2.3 66 4.3 67 5 69 5.1 69 5.2 72 5.2.1 72 5.2.2 72 5.2.3 74 5.2.4 75 5.3 75 5.3.1 75 5.3.2 76 5.3.3 77 6 79 6.1 80 Wie wird eine Konsensfindung erreicht? . . . . . . . . . . . . Austausch- und Diskussionspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn sich kein Konsens erreichen lässt? . . . . . . . . . . . . Konsenstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feedback und (konstruktive) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstruktive Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachliche Kritik und der Umgang mit negativen Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cookie-Lemon-Cookie . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwierigkeiten und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Sitzungsfallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit aggressiven Wortmeldungen . . . . . . . . . . Gruppendynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Konflikte durch Abhängigkeit und Pairing . Konfliktprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsabsichten und Motivatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung in die Gruppenarbeitsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufbau der Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwendete Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leiter und Gruppenleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung . . . . . . . . . Visualisierungsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreibmaterialien und Schreibgelegenheiten . . . . . . . . Allgemeine Hinweise zur Anwendung der Methoden . . . . . . . Lesegeschwindigkeit bei Fachtexten . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps zur Verwendung des Visualisierungsmediums . . Divers zusammengesetzte Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 6.2 81 6.2.1 81 6.2.2 83 6.2.3 86 6.2.4 88 6.2.5 89 6.3 91 6.3.1 92 6.3.2 93 6.3.3 95 6.3.4 96 6.3.5 97 6.4 100 6.5 102 6.5.1 102 6.5.2 104 6.5.3 106 6.5.4 109 6.5.5 112 6.5.6 115 6.6 118 6.6.1 118 6.6.2 119 6.7 122 6.7.1 122 6.7.2 125 6.7.3 126 6.7.4 127 7 131 7.1 131 7.1.1 133 7.2 133 7.3 135 7.3.1 135 7.3.2 139 Sich kennenlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bingo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ich packe meinen Koffer und nehme mit … . . . . . . . . . . Partnerinterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pinocchio-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Speed-Dating (Kugellager, Kennenlernen) . . . . . . . . . . . Aufteilungsübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kordelziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Losverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nummern zuweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PARTizipieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Festlegen einer Reihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartungen und Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blitzlicht (Feedbackrunde) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsplakate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karten in vier Farben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stilles Meinungsbild (Punktabfrage, Einpunktfrage, Stimmungsbarometer, Thermometer) . . . . . . . . . . . . . . . Wetterkarte (Kartenfrage, Karten in zwei Farben) . . . . Förderung der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspitzer, Bleistift und Papier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seenot (1-2-4, Schneeball) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflockerung in Arbeitspausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jeder bewegt jeden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Murmelgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pausenrätsel - Mit Hand und Verstand . . . . . . . . . . . . . Ideen suchen und finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Osborn-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfsmittel zum Sammeln von Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen . . . . . . House of Quality (QFD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kano-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="8"?> 7.3.3 143 7.3.4 146 7.4 150 7.4.1 150 7.4.2 153 7.4.3 156 7.4.4 158 7.5 160 7.5.1 160 7.5.2 163 7.6 167 7.6.1 167 7.6.2 172 7.6.3 175 7.7 178 7.7.1 178 7.7.2 180 7.7.3 182 7.7.4 184 7.7.5 187 7.7.6 190 7.8 192 7.8.1 192 7.8.2 195 8 199 8.1 199 8.1.1 200 8.1.2 202 8.2 203 8.2.1 203 8.2.2 205 8.2.3 209 8.2.4 211 8.2.5 215 Pareto-Analyse (ABC-Analyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SWOT-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ideen durch freie Assoziationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4-Ecken-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6-5-3 (Brainwriting, Kartenumlauftechnik, Kollektives Notizbuch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brainstorming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freies Schreiben (Turbo-Brainstorming) . . . . . . . . . . . . Ideen durch strukturierte Assoziationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cluster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mindmap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ideen durch Imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denkhüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernissage (Bildergalerie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walt-Disney-Methode (schneller Brüter, Denkstühle) . Ideen durch Konfrontation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assoziations-ABC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graffiti (Onkel-Otto-Zettel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kopfstandtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Provokationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reizwortanalyse (Superposition, Zufallstechnik) . . . . . Semantische Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ideen mit Großgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fishbowl (Aquarium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . World-Café (Knowledge-Café, Open Space) . . . . . . . . . . . Konzepte erarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzept-Extraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ideenbewertung und Ideenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Delphi-Methode (Orakel von Delphi) . . . . . . . . . . . . . . . Listenpriorisierung (Bewertung der 6-5-3-Methode) . . Matrixanalyse (paarweiser Vergleich) . . . . . . . . . . . . . . Nutzwertanalyse (Multifaktorenmethode) . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 8.3 220 8.3.1 220 8.3.1 223 8.4 226 8.4.1 226 8.4.2 231 8.4.3 233 8.5 238 8.5.1 238 8.5.2 242 9 249 9.1 249 9.2 250 9.2.1 250 9.2.2 253 9.2.3 255 9.3 258 9.3.1 258 9.3.2 261 9.3.3 265 9.3.4 267 9.3.5 271 9.3.6 274 10 277 10.1 277 10.2 277 10.2.1 277 10.2.2 278 10.2.3 279 10.2.4 279 10.2.5 280 10.3 280 10.3.1 280 10.3.2 282 Konzepte nach vorheriger Ideensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologischer Kasten (Attribute-Listing) . . . . . . . . . TILMAG-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzepte ohne vorherige Ideensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kollegiale Fallberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sukzessive Integration von Lösungen (SIL-Methode) . Synektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzepte erweitern und bearbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Osborn-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematic Innovative Thinking (SIT-Methode) . . . . . . Lerntechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen . . . . . Rasender Reporter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sortieraufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur-Lege-Technik (semantisches Netz) . . . . . . . . . Neues Erlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Advance Organizer (Lernlandschaft, Lernposter) . . . . . Gruppenpuzzle mit Leittext (Selbststudientext, Expertengruppe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kugellager (Zwiebelschale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lerntempoduett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scientific Learning (Learning by Doing) . . . . . . . . . . . . Zwei W: Was ich weiß und was ich wissen will . . . . . Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps zur Vorbereitung von Vorträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Audioaufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mindmap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moderationskarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seminaraufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps zum Halten von Vorträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zum Umgang mit PowerPoint . . . . . . . . . . . . 9 Inhalt <?page no="10"?> 10.3.3 283 10.3.4 284 10.4 285 10.4.1 285 10.4.2 287 10.4.3 289 10.4.4 291 11 297 11.1 298 11.2 299 11.3 300 12 305 12.1 307 12.2 309 12.2.1 309 12.2.2 309 13 311 13.1 311 13.2 312 13.3 312 315 Anchored Learning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungewohnte Assoziationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . Bienenkorb (Buzz Group) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Donut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karten-Vortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peyton-Schema in sechs Schritten . . . . . . . . . . . . . . . . . Meta-Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sandwich-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barcamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Design Thinking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belohnungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittel der Belohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Belohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Adressierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unspezifische Adressierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Abschluss … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt <?page no="11"?> Über dieses Buch Dieses Buch entstand am Helmholtz-Institut für biomedizinische Technik der RWTH Aachen und damit in einem Arbeitsbereich, in dem Ingenieur-, Natur-, Geisteswissenschaften und Medizin aufeinandertreffen und in dem Mitarbeiter an einer Vielzahl interdisziplinärer Projekte zusammenarbeiten. Dass die ver‐ schiedenen fachspezifischen Denkstrukturen und Terminologien berücksichtigt und aufeinander abgestimmt werden, gehört somit zur täglichen Arbeit am In‐ stitut. Aus diesem Grund stellt Gruppenarbeit am Helmholtz-Institut - wie an vielen anderen Institutionen mit interdisziplinärer Ausrichtung - nicht nur ein theoretisches Konstrukt dar, sondern ist seit Langem ein nicht mehr wegzuden‐ kender Teil des Arbeitsalltags. Doch nicht nur in den Ingenieur- und Naturwissenschaften hat Gruppenar‐ beit an Bedeutung gewonnen. Wo es früher noch das sogenannte »Genie im Elfenbeinturm« gab, das die Forschung vor allem durch überragende Einzel‐ leistungen vorantrieb, ist heute auch in diesen Bereichen die Zusammenarbeit in Gruppen essenziell, um Lösungen komplexer Probleme entwickeln zu können. Die daraus resultierende Erkenntnis, dass Gruppenarbeit unverzichtbar in der Forschung ist, hat zusammen mit den zahlreichen Erfahrungen der Autoren zu der Entscheidung geführt, dieses Buch zu schreiben. Es soll helfen, die Probleme zu überwinden, die mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlichen Denkstruk‐ turen und Arbeitsstrategien einhergehen. Darüber hinaus soll es aber auch zeigen, wie diese Unterschiede gezielt genutzt werden können, um einander effizient zu ergänzen. Dazu stellt das Buch strukturiert eine Vielzahl von Me‐ thoden vor, die ein zielgerichtetes und problemangepasstes Arbeiten ermögli‐ chen. Wie Sie dieses Buch lesen sollten Bei der Strukturierung dieses Buches wurde der Fokus vor allem auf eine schnelle und direkte Anwendbarkeit beim praktischen Arbeiten gelegt. Daher können Leser grundsätzlich themenspezifisch an jeder beliebigen Stelle ein‐ steigen. Sollten Kapitel dieses Buches auf vorangehende Kapitel aufbauen, wird <?page no="12"?> dies an der betreffenden Stelle mit Verweisen unter Angabe der jeweiligen Sei‐ tenzahl oder Kapitelnummer kenntlich gemacht. Dennoch kann die Abfolge der einzelnen Kapitel dem Leser als Leitfaden dienen: Zu Beginn wird in Kapitel 2 die Frage beantwortet, unter welchen Umständen Gruppenarbeit überhaupt sinnvoll ist. Anschließend beleuchtet Kapitel 3 die für das Gelingen vieler Gruppenarbeitsmethoden essenzielle Rolle des Moderators. Kapitel 4 stellt danach einige Grundlagen der Gruppendynamik vor und gibt praktische Hinweise für Gruppenleiter. Bevor ab Kapitel 6 schließlich erste Gruppenarbeitsmethoden vorgestellt werden, werden in Kapitel 5 die verwen‐ dete Struktur der Methoden sowie grafische Schemata, Symbole und häufig verwendete Begriffe erklärt. Sollten Sie sich für einen themenspezifischen Einstieg in dieses Buch ent‐ scheiden, lesen Sie bitte zuerst Kapitel 5, um sich mit den verwendeten Struk‐ turierungselementen und der Bedeutung der methodenspezifischen Termi‐ nologie vertraut zu machen, bevor Sie die Gruppenarbeitsmethoden ab Kapitel 6 kennenlernen. Die Kapitel 6 bis 9 beinhalten schließlich die eigentlichen Gruppenarbeitsme‐ thoden. Dabei orientiert sich die Anordnung dieser Kapitel am zeitlichen Ablauf von Workshops und Seminaren. Zu Beginn zeigt Kapitel 6 deshalb, wie sich allgemeine Prozesse wie das Kennenlernen oder das Geben von Feedback ge‐ stalten lassen. Die Methoden in Kapitel 7 eignen sich dazu, kreative Impulse in der Gruppe auszulösen und eine Vielzahl von Ideen zu erzeugen. Auf dieser Basis stellen die Methoden aus Kapitel 8 Techniken bereit, um aus den generierten Ideen in die Praxis umsetzbare Konzepte zu entwickeln. Kapitel 8 befasst sich damit, wie gruppendynamische Effekte in den individuellen Lernprozess ein‐ gebunden werden können. Kapitel 10 unterstützt Vortragende dabei, Gruppen‐ methoden in ihren Präsentationen einzusetzen. In Kapitel 11 finden Sie Anre‐ gungen und Beispiele, wie verschiedene Gruppenarbeitsmethoden in größeren Kontexten zu Meta-Methoden kombiniert werden können und letztlich wirft Kapitel 12 einen Blick auf das Belohnen guter Arbeitsleistungen während der Gruppenarbeitsphasen. Um das Lesen zu erleichtern, wird in diesem Buch durchgängig auf ge‐ schlechterspezifische Formulierungen verzichtet, wenn Personengruppen auf‐ geführt werden. Dabei wird als Bezeichnung das Genus mit der kürzeren Schreibweise gewählt. Anstelle der Formulierung »die Teilnehmerinnen und 12 Über dieses Buch <?page no="13"?> Teilnehmer« wird daher stets die kürzere Variante »die Teilnehmer« gewählt. Dies soll jedoch keine Lesergruppe ausschließen, sondern lediglich einen bes‐ seren Lesefluss ermöglichen. Alle Personenbezeichnungen adressieren selbst‐ verständlich stets Personen aller Geschlechtszugehörigkeiten. Anmerkungen zur zweiten Auflage An dieser Stelle hatten wir, die Autoren, ursprünglich vor, zu schreiben: »Der Umfang des Buches konnte trotz inhaltlicher Schärfung beibehalten werden«. Dass wir diesen Satz hier nicht mit der ursprünglichen Absicht schreiben können, liegt auch an den Lesern der ersten Auflage. Sowohl die eingegangenen Hinweise und Vorschläge als auch unsere eigenen seither gemachten Erfah‐ rungen haben wir bewertet und viele davon für Sie, unsere Leser der zweiten Auflage, als so hilfreich erachtet, dass wir sie aufgenommen haben. Dies hat zu zahlreichen Detailverbesserungen, zu inhaltlichen Umstellungen und zu einigen zusätzlichen Kapiteln geführt. Darüber hinaus ist die Mehrzahl der Abbildungen neu erstellt worden, um den beschreibenden Text besser zu ergänzen. Daher sind wir sehr zuversichtlich, dass wir Sie sowohl trotz als auch aufgrund (! ) des gewachsenen Umfangs bei Ihren kommenden spannenden Arbeiten mit, in und für Gruppen noch zielführender unterstützen können. Gerne erfahren wir Ihre Meinung dazu. Kapitel 13.4 hilft Ihnen dabei. 13 Anmerkungen zur zweiten Auflage <?page no="15"?> 1 Gruppenarbeit: Vor dem »Wie« steht das »Warum« »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.« A R I S T O T E L E S , G R I E C HI S C H E R P HI L O S O P H Wenn mehrere Leute zusammentreffen, nennt man diese eine »Gruppe« oder ein »Team«. Und wenn diese Leute dann gemeinsam produktiv werden sollen, so heißt dies »Gruppenarbeit« oder »Teamwork«. Und wenn sich nach der Ar‐ beitsphase herausstellt, dass nichts Sinnvolles erarbeitet wurde, sind einige still frustriert und andere sagen »Ich hab’s ja gewusst, dass diese Spielchen nichts bringen.« Falls die Gruppenarbeit aber doch etwas Produktives hervorgebracht haben sollte, dann klebt die Arbeit gemäß dem Motto: »Team = Toll, ein anderer macht’s« an den Händen Weniger. Ihnen kommt dies bekannt vor? Uns auch. Es ist der Grund, warum Sie die mittlerweile nun zweite Auflage dieses Buches in Händen halten. Die Anforderungen an professionelles Arbeiten haben sich in der Vergangenheit geändert. Wenn man einmal von temporären Modeerscheinungen (»Tschakka! «) und stets wiederkehrenden »Neuerungen« (Home-Office vs. Anwesenheit im Büro) absieht, so ist der Trend weg vom ei‐ genbrötlerischen Arbeiten im stillen Kämmerlein hin zur systematischen ko‐ operativen Arbeit unübersehbar und beständig. Schon seit Jahrzehnten gibt es nicht mehr den Ingenieur als Einzelgänger, der sich ganz allein in seinem Labor einschließt, um Wochen später mit einer weltverändernden Erfindung wieder ans Tageslicht zu treten. Mittlerweile hat man in allen Fächern und Disziplinen in Hochschule, Gesellschaft und Wirtschaft erkannt, dass durch Kooperation neue Ideen entstehen können, auf die ein(e) Einzelne(r) allein wahrscheinlich nie gestoßen wäre. Gleichzeitig wächst aber auch die Erkenntnis, dass es auch nicht ausreicht, viele intelligente Leute in einen Raum zu sperren und ihnen eine Aufgabe und einen Flipchartblock zu geben, damit etwas Gescheites dabei her‐ auskommt. In diesem Kontext wird auch das eingangs genannte Zitat des griechischen Philosophen Aristoteles klar verständlich: Gruppenarbeit ist mehr als das bloße Nebeneinanderarbeiten mehrerer Personen. Sie entfaltet darüber hinaus durch das vielfältige Zusammenwirken verschiedenster Persönlichkeiten und Kom‐ <?page no="16"?> petenzen eine komplexe Dynamik, die sowohl positive als auch negative Aus‐ wirkungen haben kann. Damit Gruppenarbeiten in interdisziplinären Teams funktionieren, müssen einige Dinge berücksichtigt werden. Denn wie im Sport kann ein Team nur funktionieren, wenn es Spielregeln gibt, die mindestens fair, zielführend und akzeptiert sind und vom Gruppenleiter vorgelebt werden. Dass sich alle Grup‐ penteilnehmer auf die Gruppenarbeit einlassen, sollte eigentlich selbstverständ‐ lich sein. Nicht zuletzt lebt die Gruppenarbeit davon, dass verschiedene Ideen geäußert und bewertet werden. In einem Team, in dem Leute mit mehr oder minder identischen Wissenshintergründen sitzen, werden naturgemäß weniger Ideen weiterentwickelt werden können, als in divers und kunterbunt zusam‐ mengesetzten Gruppen. Auch wenn alle Mitglieder der Gruppe am Ergebnis mitgearbeitet haben und auch dafür verantwortlich sind, braucht es doch jemanden, der die Arbeits‐ phasen strukturell anleitet und begleitet. Ihm zur Seite stehen Leute, die auf die Einhaltung der Zeit achten und Inhalte für alle sichtbar auf Papier bannen. Und nicht zuletzt sollte jemand die Gruppe nach Innen und Außen vertreten und die Verantwortung tragen. Wenn Sie jetzt denken: »Sooo kompliziert hatte ich mir das aber nicht vor‐ gestellt«, können wir Sie beruhigen. Erstens teilen Sie diese Gedanken mit vielen Entscheidungsträgern, die zwischen Aufwand und Nutzen abwägen müssen. Zweitens ist der Punkt des Return of Investment gerade aufgrund einer struk‐ turierten Arbeitsweise in der Gruppe meist sehr schnell erreicht. Und drittens haben Sie dieses Buch vor sich, das seine praxiserprobten Methoden und hilf‐ reichen Tipps gerne und geduldig an Sie weitergibt. Die Autoren wünschen Ihnen eine aktive Lektüre. Bevor all diese Effekte, Themen und Teilnehmerrollen erörtert werden, möchten wir Ihnen zuerst einen kleinen Überblick über die prägnantesten Vor- und Nachteile geben, die wir bei der Durchführung von Gruppenarbeit erfahren haben: 16 1 Gruppenarbeit: Vor dem »Wie« steht das »Warum« <?page no="17"?> Vorteil Nachteil + Kognition, also umfassendes Ver‐ ständnis des Problems (schnell, genau, unabhängig) + Reservieren einer festen Bearbei‐ tungszeit + Kooperation (Arbeitsteilung ist mög‐ lich) + Kommunikation (üben und nutzen) + Sozialer Kontakt - Spaß + Hohe Informationsdichte + Stärkere Fokussierung durch höhere Störungsfreiheit + Weniger Fehler (? ) - Mögliche Massenträgheit - Koordinationsaufwand - Mögliche Kommunikationsprobleme - Spannungspotenzial Entscheidungs‐ schwierigkeiten - Ungewollte Einengung durch starke Vorgaben - Größere Risikobereitschaft (? ) Tabelle 1-1: Vor- und Nachteile von Gruppenarbeit Die nachgestellten Fragezeichen unterstreichen, dass der betreffende Vor- oder Nachteil je nach Situation auch den entsprechenden gegenteiligen Effekt aus‐ lösen kann: Auf der einen Seite können Fehler schnell Bestandteil der Grup‐ penmeinung werden und sich in den nachfolgenden Arbeitsphasen sogar noch festigen. Auf der anderen Seite kann eine Gruppe durch kritische Betrachtung aller am Arbeitsprozess mitwirkenden Teilnehmer jedoch auch Risiken er‐ kennen, die in Einzelarbeit möglicherweise unentdeckt geblieben wären. Nach‐ folgend werden die in Tabelle 1-1 aufgelisteten Vor- und Nachteile ausführlicher erläutert. 1.1 Vorteile Weil verschiedenste Fachkenntnisse in der interdisziplinären Gruppenarbeit zusammentreffen, gehört zu ihren Vorteilen eine verbesserte Kognition, also ein umfassendes Verständnis der Probleme, die sich hinter der zu bearbeitenden Fragestellung befinden. Ein zweiter Vorteil ist das Reservieren einer festen Bear‐ beitungszeit. Gruppenarbeit ist zwar zeitintensiv, jedoch wird für Einzelarbeit selten die gleiche Zeitspanne wie für Gruppenarbeit reserviert, wenn es darum geht, ein bestimmtes Problem zu bearbeiten. So kommt es seltener zu bösen Überraschungen durch unerwarteten Mehraufwand und die Problemlösungen 17 1.1 Vorteile <?page no="18"?> erhalten durch explizite Zuweisung (zeitlicher) Ressourcen einen hohen Stel‐ lenwert. Aufgrund dieses planmäßig höheren Zeitpensums kann die Bearbei‐ tung eines Problems in Gruppenarbeit selbst dann produktiver sein als die Be‐ arbeitung in Einzelarbeit, wenn die angestrebten synergetischen oder fördernden Effekte nicht vollständig zum Tragen kommen. Auch in dieser Situation schlägt ein weiterer Vorteil von Gruppenarbeit zu Buche: eine größere Störungsfreiheit für die Teilnehmer. Gruppenarbeit findet häufig an Orten wie Schulungs- oder Meetingräumen statt, an denen Teilnehmer keinen Zugang zu Telefon oder E-Mail-Konto haben bzw. wo deren Benutzung reglementiert werden kann. Dadurch ist es möglich, ein entsprechendes Thema über einen längeren Zeitraum viel ungestörter zu bearbeiten, als dies bei der Einzelarbeit der Fall wäre. Gruppenarbeit reduziert zudem potentielle Störungen der beteiligten Teilnehmer durch externe Kollegen, da ein Anliegen an einen einzelnen Teilnehmer immer mit einer Störung der gesamten Gruppe einhergeht und damit eine hohe Hemmschwelle für den jeweiligen externen Kollegen auf‐ weist. Dieser Aspekt der Gruppenarbeit ist ein Grund dafür, dass auch heutzu‐ tage etwa noch viele Schulungen zu einem Thema mit allen Teilnehmern an einem festgelegten Ort und nicht bloß online stattfinden. Ein weiterer Vorteil ist die höhere Informationsdichte: Da alle Teilnehmer ihr individuelles Wissen in die Problemlösung einbringen können, kann das in Gruppenarbeit zusammengetragene Wissen wesentlich größer sein als bei Ein‐ zelarbeit. Dass eine höhere Informationsdichte existiert, bleibt oft solange ver‐ borgen, bis letztendlich Gruppenarbeit durchgeführt wird: Wie oft haben Sie etwa lange Zeit nach einer Lösung für ein Problem gesucht, auf die ein Kollege bereits früher gestoßen war? Der Vorteil der höheren Informationsdichte be‐ steht nicht nur daraus, dass sie bloß vorhanden ist, sondern dass sie überhaupt erst zu Tage tritt. Um diesen Vorteil nutzen zu können, muss die Gruppe jedoch interdisziplinär zusammengesetzt sein. Dadurch reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass Fakten übersehen werden, die für die Lösung des Problems relevant sind. Dies hilft, Fehler zu vermeiden, jedoch ist damit auch ein Risiko verbunden, da Grup‐ penarbeit stärker als Einzelarbeit dazu verleitet, die erarbeiteten Lösungen un‐ gefragt zu übernehmen. Darüber hinaus gehört zur Gruppenarbeit Kooperation, welche Arbeitsteilung und somit ein konzentrierteres Arbeiten für jedes einzelne Gruppenmitglied ermöglicht. Die Kommunikation mit anderen Mitgliedern kann das Arbeiten er‐ leichtern, sodass durch das aktive Zusammenarbeiten aus einer in Einzelarbeit als anstrengend empfundenen Aufgabe eine mit Spaß verbundene Aktivität werden kann. 18 1 Gruppenarbeit: Vor dem »Wie« steht das »Warum« <?page no="19"?> 1.2 Nachteile Auf den ersten Blick geht die Bearbeitung einer Problemstellung in Gruppen‐ arbeit allerdings mit zahlreichen Nachteilen einher, die in Einzelarbeit nicht auftreten. Jedoch sind viele dieser Nachteile häufig auf fehlende Erfahrung der Teilnehmer oder des Moderators mit Gruppenarbeit zurückzuführen. Zu jedem der in diesem Abschnitt aufgezählten Nachteile finden sich daher Verweise zu späteren Kapiteln, in denen Strategien oder Methoden präsentiert werden, mit denen sich diese Nachteile eingrenzen oder vollständig beseitigen lassen. Insbesondere wenn die Gruppe noch über wenig Erfahrung mit Gruppenar‐ beit verfügt, tritt Massenträgheit auf. Das bedeutet, dass die am Arbeitsprozess mitwirkenden Teilnehmer untereinander nicht oder nur zögerlich interagieren. Diese Probleme können gelöst werden, indem der Moderator auf einzelne Teil‐ nehmer einwirkt oder die Methoden zum Überwinden von Problemen an‐ wendet, die aus Sitzungsfallen resultieren. Sie werden in Kapitel 3.6.1 aufgeführt. Die allgemeine Funktion und die Aufgaben des Moderators werden in Kapitel 3 noch ausführlich erläutert. Im Vergleich zur Einzelarbeit ist der Koordinationsaufwand für die Organisa‐ tion von Gruppenarbeit ebenfalls höher. Eine gewisse Routine in der vorberei‐ tenden Organisation - die auch in das Aufgabenfeld des Moderators fallen kann - kann diesen Aufwand jedoch reduzieren. Erneut sei daher an dieser Stelle auf Kapitel 3 dieses Buches verwiesen. Kommunikationsprobleme treten oft auf, wenn die Teilnehmer sich unterein‐ ander noch nicht kennen oder ungeübt in der Zusammenarbeit als Gruppe sind, wie dies häufig zu Beginn des Gruppenbildungsprozesses der Fall ist. Wenn die Gruppe darüber hinaus interdisziplinär zusammengesetzt ist, also Personen aus mehreren Fachbereichen mit verschiedenen Denkstrukturen und Fachausdrü‐ cken aufeinandertreffen, kann dies die Kommunikationsprobleme noch weiter verschärfen. Um dem vorzubeugen, werden daher in Kapitel 6.2 Methoden vor‐ gestellt, die das Kennenlernen der Teilnehmer unterstützen und fördern, und die Methoden aus Kapitel 6.6 zeigen Möglichkeiten auf, die die Zusammenarbeit der Teilnehmer fördern. Durch das Aufeinandertreffen verschiedenster Persönlichkeiten und Denk‐ strukturen können persönliche wie berufliche Interessen miteinander in Kon‐ flikt geraten und Spannungen auftreten. Da Spannungen den Gruppenprozess gefährden oder vollständig zerstören können, sollten die Mitglieder sie früh‐ zeitig erkennen bzw. darauf hingewiesen werden, damit vorbeugende oder hilf‐ reiche Maßnahmen ergriffen werden können. Dies kann der Gruppenleiter oder Moderator erreichen, indem er den Mitgliedern die Möglichkeit gibt, ihre Wahr‐ 19 1.2 Nachteile <?page no="20"?> nehmungen und Probleme anzusprechen, um ihm bzw. der Gruppe ein Feedback über die bisherige Arbeit zu geben. Kapitel 6.5 stellt Übungen zur Verfügung, mit denen die Teilnehmer ihre Hemmungen überwinden und ein Feedback ab‐ geben können, bevor ungelöste Konflikte Spannungen hervorrufen. Strategien, wie Moderatoren auf eine angespannte Atmosphäre oder einen aggressiven Kommunikationsstil der Diskussionsteilnehmer reagieren könnten, finden sich zudem in Kapitel 3.6. Die Bearbeitung eines Problems in Gruppenarbeit führt zwangsläufig dazu, dass an bestimmten Stellen des Arbeitsprozesses Entscheidungen getroffen werden müssen, die alle Teilnehmer mittragen können. Dies birgt häufig ein großes Konfliktpotenzial. Um daher den Entscheidungsfindungsprozess zu ent‐ schärfen, sollten Moderatoren der Konsensfindung mit den Teilnehmern höchste Priorität einräumen. Ein Grund, weshalb Gruppenarbeit oft hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, ist der oft falsch durchgeführte Entscheidungsfin‐ dungsprozess der Gruppe. Hierbei sollte es nicht das Ziel sein, einen Kompro‐ miss zu finden, mit dem »alle irgendwie leben können«. Vielmehr sollte nach einem Konsens gesucht werden, der die Interessen aller Teilnehmer miteinbe‐ zieht und den jeder Teilnehmer gerne mitträgt. Dieser Prozess der Konsensfin‐ dung wird im Kapitel 3.4 noch ausführlich beschrieben und erläutert. Bei Pro‐ blemen, die sich nicht im Konsens lösen lassen, verkürzen Methoden aus Kapitel 8.2 die anstrengende und zeitaufwendige Entscheidungsfindung durch syste‐ matisches Vorgehen und machen diese zudem transparent für die daran betei‐ ligten Teilnehmer. Es ist ein mittlerweile untersuchtes und bekanntes Problem, dass bestimmte Konstellationen von Gruppenarbeit die Kreativität einzelner Teilnehmer ungewollt einengen können. Dies kann z. B. durch zu strikte Vor‐ gaben der Gruppenarbeitsphase geschehen oder durch sich dominant verhal‐ tende »Experten« im Team. Hinweise zum Umgang mit diesen Einschrän‐ kungen sind in den Kapiteln 6.7 und 7.1.1 zu finden. Insbesondere bei kreativen Prozessen wie der in Kapitel 7 beschriebenen Ideenfindung zeigen Gruppen gelegentlich eine größere Risikobereitschaft und entwickeln gewagtere Ideen, als dies bei der Konzepterstellung durch eine ein‐ zelne Person der Fall gewesen wäre. Allerdings ist es bei kreativen Prozessen unvermeidlich, sich auf einige begrenzte Risiken einzulassen, da sonst weniger oder gar keine innovativen und erfolgreichen Ideen entstehen. Entscheidend ist dabei, dass die Gruppe, die mit den erarbeiteten Ideen verbundenen Risiken im Anschluss an die Ideenfindung einschätzt und gegen mögliche Erfolge abwägt. Die Methoden aus Kapitel 8.5 helfen daher, Ideen oder Konzepte auf ihren Er‐ folgsgehalt zu überprüfen und diese gegebenenfalls zu verändern. 20 1 Gruppenarbeit: Vor dem »Wie« steht das »Warum« <?page no="21"?> 1.3 Schnellstart Für alle, die sich als noch ungeübt in dem Umgang mit Methoden aus der Grup‐ penarbeit betrachten, sind im Folgenden einige Methoden aufgelistet, die auf‐ grund ihrer Struktur einen schnellen und zugleich fundierten Einstieg in dieses Thema gestatten. Dies kann helfen, aus dem »Wust« an Methoden ein paar sinnvolle und motivierende Startmethoden auszuwählen. ▸ Kennenlernen: Methode »Speed-Dating« in Kapitel 6.2.5 ▸ Feedback geben und nehmen: Methode »Blitzlicht« in Kapitel 6.5.2 ▸ Auflockern: Methode »Jeder bewegt jeden« in Kapitel 6.7.2 ▸ Ideen suchen und finden: Methode »Denkhüte« in Kapitel 7.6.1 ▸ Konzept erarbeiten: Methode »Morphologischer Kasten« in Kapitel 8.3.1 ▸ Lernen: Methode »Gruppenpuzzle« in Kapitel 9.3.2 21 1.3 Schnellstart <?page no="23"?> 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? Die kooperative Arbeit an einem gemeinsamen Ziel ist nicht unter allen Vor‐ aussetzungen sinnvoll. So unterliegt sie diversen Randbedingungen, die vor und während der Arbeitsphase beachtet werden müssen. Diese Randbedingungen und die sich eventuell aus ihnen ergebenden Vor- und Nachteile werden im Folgenden genauer betrachtet. Bevor die Gruppenarbeit beginnen kann, sollte zuerst die wichtigste Frage geklärt sein: Inwiefern sind die am Arbeitsprozess mitwirkenden Gruppenmit‐ glieder - im Nachfolgenden Teilnehmer genannt - überhaupt bereit, sich an der Gruppenarbeit zu beteiligen. Denn die Gruppe entsteht erst aus den Teilnehmern, und nur, wenn deren Bereitschaft vorhanden ist, kann eine gemeinsame Arbeit zu Erfolgen führen. Die notwendige Bereitschaft der Teilnehmer wird im folgenden Kapitel 2.1 genauer erläutert. Daneben gibt es jedoch noch weitere Faktoren, die gegeben sein müssen, damit Gruppenarbeit fruchtbare Resultate hervorbringen kann. Jedes Unterkapitel dieses Kapitels analysiert dabei weitere notwendige Voraus‐ setzungen wie etwa die Bereitschaft von Vorgesetzten (Kapitel 2.2), den Unter‐ schied zwischen Fachkenntnis und Methodenkenntnis (Kapitel 2.3), die damit eng zusammenhängende Interdisziplinarität der Teilnehmer (Kapitel 2.4), das Vorhandensein eines Gruppenziels und einer angemessenen Gruppengröße (Kapitel 2.5) und das Vorhandensein eines funktionierenden Gruppengefüges (Kapitel 2.6.). 2.1 Bereitschaft der Teilnehmer zur Gruppenarbeit Der Gruppenleiter kann die Bereitschaft zur Teilnahme an Gruppenarbeit för‐ dern, indem er den Teilnehmern die in Kapitel 1 aufgeführten Vor- und Nachteile verdeutlicht und ihnen erklärt, welche Aspekte der Gruppenarbeit Nachteile der Einzelarbeit teilweise oder vollständig ausgleichen können. Dazu kann der Leiter die von ihm verwendeten Gruppenarbeitsmethoden als konkrete Bei‐ spiele nutzen. Zur Unterstützung könnte er in einem gemeinsamen Testlauf mit den Teilnehmern eine der Methoden anwenden, um die Teilnehmer so für die gemeinsame Zusammenarbeit zu motivieren. Dies empfiehlt sich vor allem <?page no="24"?> dann, wenn Teilnehmern die Motivation fehlt, weil sie annehmen, dass Grup‐ penarbeit anstrengender sei als Einzelarbeit oder konventionelle Sitzungen ohne Interaktion. Oft ist jedoch gerade die Gruppenarbeit, in der ein hohes Maß an Arbeitsteilung und Interaktionen zwischen den Teilnehmern besteht, sehr viel weniger anstrengend als personenindividuelle Arbeitsstrategien. Es ist durchaus möglich, dass nicht immer jedes Gruppenmitglied oder aber jede Gruppe zur Gruppenarbeit bereit ist. Dies muss jedoch nicht bedeuten, dass Gruppenarbeit hier vollkommen ausgeschlossen wäre, sondern es deutet zu‐ nächst auf Schwierigkeiten hin, die vor Beginn der gemeinsamen Arbeit über‐ wunden werden müssen. Diese Schwierigkeiten können in den zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen oder den organisatorischen oder personellen Strukturen begründet liegen. Sie führen zu sogenannten Sitzungsfallen - also Situationen, in denen sich die Diskussion im Kreis dreht oder in denen aus‐ schließlich ablenkende oder persönliche Aspekte im Mittelpunkt stehen. Eine Hilfestellung, wie Gruppenleiter und Teilnehmer diese Sitzungsfallen erkennen und das ihnen zugrunde liegende Problem lösen können, liefert Kapitel 3.6.1. Können die Probleme, die den Sitzungsfallen zugrunde liegen, nicht gelöst werden oder ändert sich die Bereitschaft der Teilnehmer zur Durchführung von Gruppenarbeit nicht, sollte die Durchführung von Gruppenarbeit keinesfalls er‐ zwungen werden! Gruppenarbeit ist nur dann effizient und liefert nur dann gute Resultate, wenn sich die Teilnehmer motiviert einbringen. Das ist jedoch aus‐ schließlich dann der Fall, wenn die Teilnehmer selbst vom Nutzen der Grup‐ penarbeit überzeugt sind. Gruppenarbeit basiert auf der Bereitschaft der am Arbeitsprozess mitwir‐ kenden Teilnehmer, sich aktiv an ihr zu beteiligen, auf die verwendeten Me‐ thoden und die anderen Mitglieder einzugehen, die vereinbarten Regeln zu befolgen und die Ergebnisse der Gruppenarbeit mitzutragen. 2.2 Bereitschaft von Vorgesetzten zur Gruppenarbeit Neben der Bereitschaft der Teilnehmer muss auch von Seiten der Vorgesetzten die nötige Aufgeschlossenheit gegenüber Gruppenarbeit vorhanden sein. Dies scheint auf den ersten Blick selbstverständlich, schließlich kommen die Impulse, um Gruppenarbeit anzustoßen, häufig »von oben« oder werden von dort abge‐ segnet. Gruppenarbeit anzustoßen ist jedoch etwas komplett anderes als Grup‐ 24 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? <?page no="25"?> penarbeit wirklich durchzuführen oder die erzielten Ergebnisse anschließend auch in die Tat umzusetzen. Denn Vorgesetzte müssen bei der Durchführung von Gruppenarbeit eine un‐ gewohnte Rolle einnehmen: Sie müssen sich zurückziehen und ihre Mitarbeiter gestalten lassen. Der Abschluss von Gruppenarbeit ist dann oft noch schwerer, denn nun müssen sie eben jene Ideen, die ihre Mitarbeiter als Gruppe erarbeitet haben und die oft nicht ihre eigenen sind, auch tatsächlich umsetzen. Geschehen diese beiden Dinge nicht, scheitert nicht nur die Gruppenarbeit, auch das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitern und Vorgesetztem ist dann in Gefahr. Mischen sich Leiter und Vorgesetzte fortwährend in den Ent‐ scheidungsprozess der Gruppe ein, entsteht leicht der Eindruck, das Ergebnis des Gruppenarbeitsprozesses sei bereits vorbestimmt. Werden Ergebnisse der Gruppenarbeit nicht umgesetzt, ist dies oft noch fataler. Teilnehmer hinter‐ fragen den Gruppenarbeitsprozess als Ganzes und lassen sich beim nächsten Projekt in der Gruppe nur noch schwer motivieren. Vorgesetzte sollten sich daher zu Beginn des Gruppenarbeitsprozesses klar machen, ob sie a) wirklich das Zepter aus der Hand geben (können) und b) welche Chancen es später tatsächlich für eine Umsetzung der Ideen aus Grup‐ penarbeit gibt. Hierzu ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass nicht jede Fragestellung in der Gruppe bearbeitet werden muss. Findet jedoch eine Ent‐ scheidung zur Gruppenarbeit statt, muss diese offen und ehrlich erfolgen. Vorgesetzte und Leiter müssen neben den Zielen von Gruppenarbeit daher zu Beginn auch klar die Handlungsspielräume kommunizieren, die es für die Umsetzung der späteren Ergebnisse geben wird. Es gibt viele Gründe, um Grup‐ penarbeit durchzuführen, ohne dass man von vornherein weiß, ob sich ihre Er‐ gebnisse tatsächlich umsetzen lassen. So könnte etwa Gruppenarbeit eingesetzt werden, um als erste Orientierung einfach eine Vielzahl von Ideen zu generieren. Auch kann Gruppenarbeit »politische« Gründe haben: Eine höhere Instanz lässt sich möglicherweise leichter von den Vorschlägen einer Gruppe als von einer Einzelperson überzeugen. All dies sind durchaus noch keine KO-Kriterien für die Durchführung von Gruppenarbeit. Derartige Einschränkungen müssen jedoch zu Beginn klar an alle Teilnehmer kommuniziert werden, um falschen Erwartungshaltungen und Demotivation vorzubeugen. Vorgesetzte und Leiter sollten zudem nie den Einfluss unterschätzen, den ihre bloße Anwesenheit auf ihre Mitarbeiter ausüben kann. Ein Vorgesetzter kann noch so oft betonen, dass er nun als gewöhnlicher Mitarbeiter und nicht als Vorgesetzter spricht, er kann damit jedoch nicht die bewussten oder unbe‐ 25 2.2 Bereitschaft von Vorgesetzten zur Gruppenarbeit <?page no="26"?> wussten Muster durchbrechen, in die Teilnehmer bei der Anwesenheit ihres Vorgesetzten unweigerlich verfallen werden. Handlungsempfehlungen: ▸ Vorgesetzte beginnen die Diskussion, indem sie sich selbstkritisch zum Status Quo äußern und dann die Angestellten zu Kritik ermuntern. Das baut nicht nur bei den Angestellten Hemmungen ab, sich zu äußern; auch für Vorgesetzte hätte das einen Vorteil: Sie müssen sich überlegen, ob sie sich selbstkritisch äußern können und/ oder wollen. Falls sie diese Frage verneinen, ist das ein klarer Indikator dafür, dass es keine wirkliche Än‐ derungsbereitschaft gibt und die Gruppenarbeit nur Zeit verschwendet und keine neuen Lösungen liefern kann. ▸ Alternativ: Ein Teilnehmer wird zum Advocatus Diaboli bestimmt. Seine Aufgabe ist es, jeden noch so kleinen negativen Aspekt des Status Quo aufzuzeigen. Dadurch, dass diese Kritik innerhalb einer Rollenvorgabe geäußert wird, ist für den Außenstehenden nicht sichtbar, ob die geäu‐ ßerten Positionen der persönlichen Einstellung oder der angenommenen Rolle geschuldet sind. ▸ Vorgesetzte halten sich vom Gruppenarbeitsprozess gänzlich fern. ▸ Falls dies nicht möglich ist, dürfen Vorgesetzte auf keinen Fall die Rolle des Moderators einnehmen! Selbst wenn Vorgesetzte die für die Mode‐ ration notwendige Distanz und Neutralität der Fragestellung gegenüber aufbringen können, würde ein moderierender Vorgesetzter einen zu starken Einfluss auf die Teilnehmer ausüben. 2.3 Fachkenntnis und Methodenkenntnis Ein weit verbreiteter Irrtum bei der Initiierung und Durchführung von Grup‐ penarbeiten ist, dass fachliche Expertise allein ausreicht, um fachlich exzellente Gruppenergebnisse generieren zu können. Die Bereitschaft aller Personen - Vor‐ gesetzter wie Teilnehmer - zur zielführenden Beteiligung schließt die Bereitschaft ein, die zur Anwendung kommenden Methoden nicht nur zu kennen, sondern auch aktiv zu verfolgen. Es bleibt der Moderation (s. Kapitel 3) überlassen, wie und wo die Methodenkenntnis vermittelt wird. Diese Instruktion kann z. B. in Form einer vorab versendeten Nachricht geschehen oder zu Beginn der Gruppen‐ phase. Der dafür notwendige Zeitaufwand ist natürlich zu berücksichtigen und stellt zunächst einmal eine Investition dar. Jedoch können sich die Moderatoren 26 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? <?page no="27"?> darauf verlassen, dass bei wiederholten Gruppenarbeiten bei Anwendung der gleichen Methoden die Instruktionszeit geringer wird oder sogar ganz ver‐ schwindet. 2.4 Interdisziplinarität und der Nutzen von Synergie Ein häufig im Bereich der Gruppenarbeit auftretender Begriff ist Synergie. Er bezeichnet das sich gegenseitig fördernde Zusammenwirken von Lebewesen, Stoffen oder Kräften. Synergie tritt bei Gruppenarbeiten beispielsweise immer dann auf, wenn die Teilnehmer bei einer Ideensuche mit fremden und unge‐ wohnten Lösungsmöglichkeiten anderer Teilnehmer konfrontiert werden. Die Heterogenität einer Gruppe, also die Tatsache, dass die Teilnehmer aus unter‐ schiedlichen Fach- oder Arbeitsbereichen stammen, ermöglicht eine Vielzahl verschiedenartiger Denkansätze (vgl. dazu auch Kapitel 5.3.3). Die Kombination dieser unterschiedlichen Denkansätze kann neue Ideen hervorbringen, die die Teilnehmer in Einzelarbeit wahrscheinlich nicht entwickelt hätten. Die so ent‐ standenen Lösungsvorschläge können wiederum die Grundlage für neue ge‐ dankliche Impulse anderer Teilnehmer bilden, sodass die Teilnehmer auf den bereits präsentierten Ansätzen aufbauend Erweiterungen entwickeln. Aus diesem Beispiel geht eine weitere wichtige Voraussetzung für erfolg‐ reiche Gruppenarbeit hervor: die Interdisziplinarität der Teilnehmer. Die Syner‐ giebildung kann nur funktionieren, wenn die Teilnehmer sich in ihren Denkmus‐ tern und damit auch in den von ihnen vorgestellten möglichen Lösungsansätzen unterscheiden. Dies ist besonders in einem interdisziplinären Umfeld der Fall, in welchem die an der Gruppenarbeit mitwirkenden Teilnehmer verschiedene fachliche Hintergründe aufweisen und damit auch auf eine Vielzahl verschie‐ dener Herangehensweisen zur Problemlösung zurückgreifen können. Dass eine Gruppenarbeit scheitert und keine innovativeren Ergebnisse als Einzelarbeit hervorbringt, kann daher unter anderem daran liegen, dass Grup‐ penarbeit häufig mit Teilnehmern aus dem gleichen fachlichen Umfeld durch‐ geführt wird, wodurch das Auftreten von Synergieeffekten vermindert bzw. sogar verhindert werden kann. Dann kann das Ergebnis der Gruppenarbeit den mit ihr einhergehenden Mehraufwand im Vergleich zur Einzelarbeit - wie etwa das höhere Maß an Organisation oder die oft mühsame Einigung der Gruppe auf ein bestimmtes Resultat - nicht kompensieren. Einige weitere Vor- und Nachteile von Gruppenarbeit wurden bereits in Kapitel 1 beschrieben. 27 2.4 Interdisziplinarität und der Nutzen von Synergie <?page no="28"?> 2.5 Gruppenziel und Gruppengröße Eine Gruppe braucht etwas, was alle Teilnehmer verbindet, kurzum ein Gruppen‐ ziel. Existiert innerhalb der Gruppe kein einheitliches Gruppenziel, verfolgen also einzelne Teilnehmer oder Teilnehmergruppen eigene Ziele, ist dies oft durch die folgenden hemmenden Faktoren begünstigt: ▸ Die Teilnehmer orientieren sich an den Leitwölfen oder bilden kleinere Splittergruppen. Dieser Sachverhalt wird als Abhängigkeit und Pairing bezeichnet. ▸ Neben den bei der Gruppenarbeit festgelegten Rollen- und Normgefügen spielen weitere Rollen und Normen innerhalb der Gruppe noch immer eine große Rolle. Diese können dabei sowohl formeller als auch infor‐ meller Natur sein. Darüber hinaus ist eine angemessene Gruppengröße für eine erfolgreiche Grup‐ penbildung wesentlich. Die optimale Gruppengröße hängt dabei vom zu errei‐ chenden Gruppenziel und den damit verbundenen Aufgaben ab. Daher lässt sich hierfür keine allgemeine Obergrenze angeben. Jedoch werden Gruppen mit mehr als 12 Teilnehmern häufig unüberschaubar, sodass der Leiter in diesen Fällen mit der Bildung von Untergruppen rechnen muss (Friebe et al. 2011). Für alle hemmenden Faktoren gilt: Es hat Vorrang herauszufinden, durch welche Umstände sich Faktoren herausgebildet haben, statt Teilnehmer für die Verhaltensmuster zu kritisieren, die diese hemmenden Faktoren hervorrufen. Statt zum Beispiel jene Teilnehmer zu kritisieren, die einen Sündenbock suchen, sollte der Leiter seine Bemühungen darauf konzentrieren, herauszufinden, warum die Gruppe glaubt, dass sie einen Sündenbock braucht. Das folgende Kapitel legt einem praktischen Fokus darauf, die oben ge‐ nannten hemmenden Faktoren im Rahmen eines Gruppengefüges zu verstehen. Dadurch kann zum einen das Ausmaß dieser Faktoren abgeschätzt, zum anderen aber auch evaluiert werden, ob Gruppenarbeit überhaupt fruchtbare Resultate tragen kann. Auch aufgrund des Umfangs des Themas werden mögliche Lö‐ sungsansätze nur kurz skizziert. Ein Beispiel für eine ausführlichere Analyse des Themas findet sich auch in der weiterführenden Literatur (Antons 1998). 28 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? <?page no="29"?> 2.6 Gruppengefüge, Normen und Rollen Dieses Kapitel verdeutlicht anhand der Begriffe Normen und Rollen, wie Grup‐ pengefüge während des Gruppenarbeitsprozesses wirken. Normen und Rollen bilden sich dabei zwangsläufig im gemeinsamen Arbeitsprozess heraus. Ihre Bildung und Ausprägung sind von großer Bedeutung für die Gruppendynamik, da Rollen und Normen die Rahmenbedingungen festlegen, die die Zusammen‐ arbeit der Teilnehmer regeln. Aus diesem Grund ist es essenziell für den Leiter, diese Begriffe sowohl theoretisch als auch in ihren möglichen praktischen Aus‐ wirkungen zu verstehen. Norm Norm ist der Überbegriff für Regeln und Wertvorstellungen, die den Ablauf der Arbeitsphasen sowie der gruppeninternen Zusammenarbeit bestimmen. Normen lassen sich dabei in offizielle und inoffizielle Normen unterteilen: ▸ Offizielle Norm: Sie ist das Resultat von Regeln und Wertvorstellungen, die gemeinsam mit allen Teilnehmern kommuniziert wurden und allen Teilnehmern bekannt sind. ▸ Inoffizielle Norm: Sie folgt aus den Regeln und Wahrnehmungen, über die Leiter und Teilnehmer offiziell nicht reden, die jedoch - oft aus Angst vor negativen Konsequenzen seitens Vorgesetzter, anderer Teilnehmer oder des Leiters - ihr Handeln bestimmt. Inoffizielle Normen können im Widerspruch zu offiziellen Normen stehen und setzen diese dann häufig außer Kraft, sodass der Gruppenprozess nicht wie kommuniziert ablaufen kann. Ein Beispiel hierfür ist das Mittagessen auf einer Konferenz, das offiziell der Erholung dient, bei dem jedoch die Erwartung be‐ stehen kann, dass die Teilnehmer fachliche Gespräche weiterführen und Kon‐ takte knüpfen. Möglicherweise sind inoffizielle Normen nur einigen Teilnehmern bekannt oder werden nur von einer kleinen Gruppe an Teilnehmern befolgt. Dadurch kann es innerhalb der Gruppe zu Missverständnissen, zu zusätzlichen Kon‐ flikten oder zur Bildung von rivalisierenden Kleingruppen kommen. Für den Erfolg der weiteren Zusammenarbeit in der Gruppe ist es daher wichtig, inof‐ fizielle Normen zu erkennen und außer Kraft zu setzen. Während Normen den Rahmen definieren, gemäß dem sich Teilnehmer ver‐ halten, nimmt jeder Teilnehmer weiterhin eine sogenannte Rolle ein: 29 2.6 Gruppengefüge, Normen und Rollen <?page no="30"?> Rolle Eine Rolle bezeichnet die Menge aller Erwartungen, die die Teilnehmer an das Verhalten des Rolleninhabers stellen. Auch Rollen lassen sich dabei noch weiter unterteilen: ▸ Formelle Rolle: Sie ist das Resultat von Regeln und Wertvorstellungen, die gemeinsam mit allen Teilnehmern kommuniziert wurden und allen Teilnehmern bekannt sind. ▸ Informelle Rolle: Sie folgt aus Regeln und Wertvorstellungen, über die Leiter und Teilnehmern nicht offen reden, die jedoch Aspekte des Ver‐ haltens in der Gruppe bestimmen. Informelle Rollen sind eng verbunden mit Dominanzen, die sich neben der formellen Hierarchie innerhalb einer Gruppe ausbilden. Existieren neben den offiziellen Normen und dem formellen Rollengefüge zeit‐ gleich sehr starke inoffizielle Normen und informelle Rollen, kann dies den Gruppenarbeitsprozess erheblich negativ beeinflussen und die Gruppe sogar zerstören. Daher dürfen inoffizielle Normen und informelle Rollengefüge kei‐ nesfalls ignoriert werden! Dies kann beispielsweise bei Gruppensitzungen auf‐ treten, deren Leitung der Chef zwar formal einem Mitarbeiter übertragen hat, bei der er aber selbst anwesend ist und steuernd eingreift bzw. ohne das Wort erteilt zu bekommen unaufgefordert ergänzende Hinweise liefert. Die so ent‐ standenen Spannungen müssen sich jedoch nicht ausschließlich destruktiv auf das Gruppenklima auswirken, sondern können unter Umständen auch kon‐ struktiv genutzt werden. Ein erster Schritt zur Beseitigung dieser inoffiziellen Normen und informellen Rollengefüge ist es, diese hindernden Faktoren zu erkennen. Inoffizielle Normen lassen sich dabei meist nur indirekt, durch das Ausbleiben der Befolgung offi‐ zieller Normen aufdecken. Entscheidend ist es dann für den Leiter, die inoffizi‐ ellen Normen nicht stillschweigend zu akzeptieren, sondern umso stärker die Teilnehmer auf die kommunizierten offiziellen Normen der Gruppe hinzu‐ weisen. Eine Möglichkeit für eine konstruktive Nutzung besteht u. a. darin, Elemente der auf Rollenspielen (Kapitel 7.6) oder Konfrontation (Kapitel 7.7) beruhenden Ideenfindungsmethoden anzuwenden und auf die konkrete Situation zuzu‐ schneiden. In diesen Methoden spielt Kritik eine zentrale Rolle beim Erschließen neuer gedanklicher Ansätze oder beim Vermeiden grober Fehler. Sie erweisen sich als besonders nützlich, da die Teilnehmer sonst aus Furcht vor negativen 30 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? <?page no="31"?> Konsequenzen häufig keine Kritik äußern. Viele Konflikte entstehen zudem erst durch das formelle oder informelle Verbot, Missstände direkt anzusprechen. Aus diesem Grund kann der Leiter einen bestehenden Konflikt zusätzlich ent‐ schärfen, wenn er einen kontrollierten methodischen Rahmen schafft, der der Kritik einen Raum gibt. Informelle Rollengefüge lassen sich im Gegensatz zu inoffiziellen Normen direkt erkennen, indem das folgende vereinfachte, jedoch einprägsame Modell zur Rate gezogen wird: das Alpha-Gegenalpha-Modell. α Das »Alphatier«: Gruppensprecher, Gruppenleiter, Initiator β Berater, Fachmann, ausgleichender Diplomat, positiver Kritiker γ Helfer, Mitglied, Zuarbeiter (zu α), Überwacher → Es gibt meistens mehrere γ. δ Gegenalpha, Gegner, Verhinderer → Meist allein! ω Gruppenaußenseiter, schwarzes Schaf, Prügelknabe Tabelle 2-1: Die informellen Rollen und ihre typischen Bezeichnungen mit griechischen Buchstaben Die Abbildung 2-1 veranschaulicht die Bedeutung und Beziehungen dieser in‐ formellen Rollen noch einmal grafisch. Abbildung 2-1: Visualisierung der Gruppendominanzen 31 2.6 Gruppengefüge, Normen und Rollen <?page no="32"?> Mit dem vorgestellten Rollengefüge gehen zwei entscheidende potenziellen Konfliktpunkte einher, auf die der Leiter besonders achten sollte. Zum einen ist dies der Umgang mit dem Konflikt, der aus der Rivalität aus Alpha und Gegen‐ alpha resultiert, zum anderen ist dies der Umgang mit Konflikten, die aus der Rolle des Sündenbocks Omega resultieren. Zu möglichen Maßnahmen gehören dabei: ▸ Der Leiter kann noch einmal das gemeinsame Gruppenziel in den Mit‐ telpunkt zu stellen. ▸ Eine → Konsensfindung (S. 43) zwischen den Teilnehmern mit sich wi‐ dersprechenden Interessen durchführen. Insbesondere zwischen Alpha und Gegenalpha kann mit einer Konsensfindung versucht werden, ob sich der Konflikt zwischen beiden Teilnehmern für die Zeit der Gruppenarbeit beilegen lässt. ▸ Der Leiter kann ebenfalls versuchen, diese Spannungen zu nutzen und in den Gruppenarbeitsprozess einzubinden. Die zentrale Idee hinter diesem Ansatz ist der Sachverhalt, dass Kritik in einem gewissen Maße immer notwendig ist, um neue Ideen hervorzubringen. Bei den Rollenspielen (Kapitel 7.6) oder Konfrontationstechnik (Kapitel 7.7) wird Kritik bewusst genutzt und spielt eine zentrale Rolle beim Erschließen neuer gedankli‐ cher Ansätze. Wie bei jedem Modell handelt es sich hierbei um eine Idealisierung der Realität: kein Teilnehmer wird komplett die Rolle des Alphas und kein Teilnehmer kom‐ plett die Rolle des Gegenalphas einnehmen. Die Kenntnis dieser Idealisierung erleichtert jedoch das Erkennen eines tendenziellen Teilnehmerverhaltens, das den Rollenbildern des Alpha-Gegenalpha-Modells entspricht. Nachdem die entsprechenden inoffiziellen Normen und informellen Rollen‐ gefüge erkannt sind, kann der Leiter beurteilen, ob die oben erwähnten kurz‐ fristige Maßnahmen Abhilfe schaffen, oder ob der aktuelle Gruppenarbeitspro‐ zess und die darin innewohnenden Hierarchien grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen. Umbesetzung der formellen Rollen Falls der Konflikt innerhalb der Gruppe massiv ist und fortbesteht, kann der Leiter die formellen Rollen umbesetzen. Dieser Prozess ist zwar einerseits höchstwahrscheinlich mit neuen Konflikten verbunden und erfordert enorme Kraftanstrengungen. Andererseits ist er im Vergleich zur gescheiterten gegen‐ 32 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? <?page no="33"?> wärtigen Aufgabenverteilung langfristig gesehen die bessere Option für die Zu‐ sammenarbeit der Gruppe und für das Gruppenklima: Wenn eine offizielle Rolle und die damit verbundenen Aufgaben einem Teil‐ nehmer zufallen, der nicht über ausreichende Kenntnisse oder Fähigkeiten ver‐ fügt, setzt dies den Teilnehmer unter enormen Druck. Denn er ist nur unzurei‐ chend oder gar nicht in der Lage, die ihm aufgetragenen Aufgaben zu erfüllen. Dies kann zusätzlich dazu führen, dass er versucht, anderen Teilnehmern die Schuld für sein Scheitern zuzuweisen, oder Konflikte mit anderen Teilnehmern provoziert, um von der unzureichenden Erfüllung seiner Aufgabe abzulenken. Dadurch und durch die Minderleistung der Gruppe wird das Gesamtgruppenziel gefährdet. Das wichtigste Argument für eine Neubesetzung der Rollen ist jedoch, dass andernfalls ein potenzieller Konflikt zwischen dem Inhaber der formellen und dem Inhaber der informellen Rolle aufrechterhalten bleibt. Dieser Konflikt kann nicht nur den Arbeitsprozess stark beeinträchtigen, sondern letztlich sogar die Gruppe ganz zerstören. Unabhängig davon, welche Maßnahmen angewendet werden, sollten Teil‐ nehmer für den Gruppenarbeitsprozess hemmendes Verhalten keinesfalls direkt verantwortlich gemacht werden. Gegenüber Schuldzuweisungen an Einzelne oder an Teile der Gruppe hat es stets Priorität, die Ursachen zu erkennen, durch die sich hemmende Faktoren herausgebildet haben. Statt also Fehlverhalten öf‐ fentlich zu machen, sollte der Leiter stets versuchen herausfinden, warum die Gruppe oder Teilnehmer glauben, dass sie das jeweilige Fehlverhalten an den Tag legen müssen. Zusammenfassung Mitunter kann es schwierig sein, die oben vorgestellten Methoden zur Kon‐ fliktprävention und -lösung eins zu eins auf die konkreten Situationen und Konflikte zu übertragen, die in der Gruppe vorherrschenden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Leiter stets auf sein persönliches Wissen und seine Er‐ fahrungswerte zurückgreift, um situationsangepasste Lösungen für die beste‐ henden Konflikte zu finden. Die vorgestellten Methoden sind daher vor allem als Ergänzungen und Hilfestellungen zu verstehen, die auf den individuellen Erfahrungswerten des Leiters im Umgang mit Konflikten und auf seinen Kennt‐ nissen über die verschiedenen Qualitäten der einzelnen Teilnehmer aufbauen sollen. 33 2.6 Gruppengefüge, Normen und Rollen <?page no="34"?> Wichtig ist die Kenntnis der Gruppenrollen und Normen. Wichtiger ist die Erkenntnis, wie diese den Gruppenprozess fördern oder be‐ hindern. Am wichtigsten ist das Nutzen des eigenen gesunden Menschenverstandes. 2.6.1 Praktische Tipps Der Leiter besitzt u. a. folgende Möglichkeiten, den oben beschriebenen nega‐ tiven Effekten des Norm- und Rollengefüges entgegenzuwirken. Konflikte zwischen formellen und informellen Rolleninhabern Für den Leiter ist es wichtig zu beachten, dass er nicht ausschließlich den vor‐ dergründigen Konflikt unterbindet, sondern vielmehr sein Hauptaugenmerk auf die Ursachen eines Konflikts richtet. Dabei kann es hilfreich sein, die Interessen und Motivatoren herauszufinden, die hinter den konfligierenden Forderungen beider Rolleninhaber stehen. Auf Grundlage dieser Interessen versucht der Leiter anschließend eine Lö‐ sung zu finden, die beiden Interessen gerecht wird. Er strebt also nach Mög‐ lichkeit einen → Konsens (S. 43) und keinen Kompromiss an. Gelingt dies, kann er zudem erwägen, inwiefern eine Zusammenarbeit beider Rolleninhaber mög‐ lich und sinnvoll ist und ob sich bei dieser Zusammenarbeit Synergieeffekte aus den Kenntnissen beider Rolleninhaber schaffen lassen. Lässt sich jedoch eine Zusammenarbeit beider Rolleninhaber nicht mit ihren Interessen vereinbaren, ist es wichtiger, eine Lösung zu finden, die diese Interessen auf eine andere Weise berücksichtigt, als die Zusammenarbeit zu erzwingen. Allgemeiner Umgang mit einem informellen Rollengefüge Da die Teilnehmer innerhalb eines informellen Rollengefüges Stellungen ein‐ nehmen, die ihnen der Leiter nicht zugewiesen hat, kann es passieren, dass der Leiter sich ganz auf das formelle Rollengefüge verlässt und die Existenz weiterer informeller Rollen außer Acht lässt. Jedoch darf dieses informelle Rollengefüge nicht ignoriert werden! Es kann zu erheblichen Spannungen und Reibungsver‐ lusten führen, wenn der Leiter das informelle Rollengefüge ignoriert, gar nicht erst wahrnimmt oder es lediglich als zu beseitigenden Störfaktor der formellen Regelungen ansieht und entsprechend nachlässig damit umgeht. 34 2 Wann ist Gruppenarbeit sinnvoll? <?page no="35"?> Existiert ein informelles Rollengefüge, das stark im Widerspruch zum for‐ mellen Rollengefüge steht, sollte der Leiter dieses Gefüge nicht einfach besei‐ tigen, sondern auch nach den Ursachen für das informelle Rollengefüge suchen. Denn informelle Regelungen können auf Missstände im formellen Rollengefüge oder in den offiziellen Normen hindeuten. So kann ein informelles Rollengefüge durchaus dazu beitragen, die Arbeit oder die Entwicklung einer Gruppe zu för‐ dern, wenn dieses etwa Defizite formeller Regelungen zu kompensieren ver‐ sucht. 35 2.6 Gruppengefüge, Normen und Rollen <?page no="37"?> 3 Moderation »Um die Wahrheit zu finden, muss man diskutieren.« P E T E R W E I S S , D E U T S C H E R S C H R I F T S T E L L E R Die Kommunikation zwischen den Teilnehmern ist für die Gruppenarbeit von zentraler Bedeutung, da durch sie erst Interaktion und Zusammenarbeit zwi‐ schen den Teilnehmern möglich werden. Darum beschränken sich viele der in diesem Buch vorgestellten Gruppenarbeitsmethoden nicht auf die Kommuni‐ kation zwischen wenigen Teilnehmern, sondern nutzen die moderierte Diskus‐ sion, um jedem Teilnehmer die Kommunikation mit anderen Teilnehmern zu ermöglichen. Eine moderierte Diskussion erlaubt es, die Wortmeldungen, Vor‐ schläge oder Ideen jedes Teilnehmers zu erfassen, und jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, durch eigene Diskussionsbeiträge auf vorangegangene Wortmel‐ dungen zu reagieren. Jedoch kann eine Diskussion nur dann die gewünschten Resultate liefern, wenn sie unter zuvor festgelegten strukturellen Rahmenbedingungen statt‐ findet. Die hierfür geltenden Kriterien sind in Kapitel 3.2.1 aufgelistet. Um diese strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten, ist ein Moderator, der die Diskussion leitet, meist überaus hilfreich. Er kommuniziert Diskussionsregeln, achtet auf ihre Einhaltung und greift zusätzlich in die Dis‐ kussion ein, um Abschweifungen zu unterbinden und die Diskussion zielge‐ richtet zu einer möglichen Lösung des zugrunde liegenden Problems zu führen. Der Moderator nimmt somit bei einer Vielzahl von Gruppenmethoden eine zen‐ trale Rolle ein. Aus diesem Grund erläutert das folgende Kapitel die Aufgaben des Moderators, stellt allgemeine Moderationstechniken vor und legt mögliche Vorgehensweisen im Umgang mit problematischen Situationen während der Diskussion dar. 3.1 Übersicht Während Kapitel 4 die wechselseitigen Beziehungen der Teilnehmer unterein‐ ander, mögliche Gruppenrollen und daraus resultierende Konsequenzen aufge‐ zeigt hat, geht dieses Kapitel darauf ein, welche Anforderungen der Moderator <?page no="38"?> erfüllen muss. Außerdem erläutert es anhand von Beispielen, wie er sich in Situationen mit Konfliktpotenzial verhalten kann. Zum Einstieg in das Kapitel werden die allgemeinen Aufgaben des Moderators während einer Sitzung beschrieben, Im Kontext dieser allgemeinen Kommuni‐ kationsaufgaben stellen die Parkinson’schen Gesetze auf satirische Weise Situa‐ tionen vor, in denen ein Lösungsfindungsprozess zum Erliegen gebracht werden kann. Nachfolgend beschreibt das Kapitel den Kommunikationsstil, mit dem der Moderator die Diskussion leitet. Von den allgemeinen Eigenschaften und Aufgaben des Moderators geht es im darauffolgenden Kapitel zur Konsensfindung, welche zunächst anhand eines Beispiels erläutert wird. Die Konsensfindung stellt für die in diesem Buch vor‐ gestellten Gruppenarbeitsmethoden ein zentrales und immer wiederkehrendes Element dar. Daher sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ein Konsens kein Kompromiss ist! Das anschließende Kapitel befasst sich schließlich mit der Konfliktvermei‐ dung. Die Allegorie der »Konferenz der Tiere« verdeutlicht dazu die verschie‐ denen Charaktereigenschaften der Teilnehmer und veranschaulicht sowohl po‐ sitive als auch negative Aspekte dieser Charaktereigenschaften für den Gruppenprozess. Anschließend werden Strategien präsentiert, wie der Mode‐ rator die Ursachen sogenannter Sitzungsfallen erkennt und behebt. Dabei han‐ delt es sich um Situationen, in denen sich die Diskussion im Kreis dreht oder auf ablenkende Aspekte versteift. Zusätzlich finden sich im Kapitel Hilfestel‐ lungen zum Umgang mit aggressiven Äußerungen von Teilnehmern, soge‐ nannten Killerphrasen. 3.2 Allgemeine Aufgaben 3.2.1 Regeln kommunizieren Vor Beginn einer Diskussion oder methodenbasierten Gruppenarbeit besteht eine wesentliche Aufgabe des Moderators darin, allen Teilnehmern die Regeln zu kommunizieren, denen der folgende Gruppenarbeitsprozess unterliegt. Denn auch den Ablauf der Gruppenarbeit müssen Regeln und Voraussetzungen be‐ stimmen, damit die Arbeit produktiv sein kann. Dies kommt in der Praxis häufig zu kurz, etwa wenn sich Gruppenarbeit unter dem Deckmantel eines vermeint‐ lichen Brainstormings auf das chaotische Notieren von Begriffen beschränkt. Gruppenarbeit und insbesondere die in diesem Buch vorgestellten Gruppenar‐ beitsmethoden folgen stets Regeln, und die Teilnehmer können nur dann ihr 38 3 Moderation <?page no="39"?> volles Potential nutzen, wenn diese Regeln die folgenden sieben Voraussetzungen erfüllen: 1. Die Regeln sollten für alle Teilnehmer fair formuliert sein. 2. Sie sollten so beschaffen sein, dass alle Teilnehmer sie realistischerweise einhalten können. 3. Sie müssen für die jeweilige Art der Gruppenarbeit zweckdienlich sein. Nur so kann der folgende Punkt gewährleistet werden: 4. Die Regeln müssen von allen Teilnehmern akzeptiert werden. 5. Sie müssen allen Teilnehmern kommuniziert werden, sodass sie ihnen auch bekannt sind. 6. Der Leiter muss dabei beachten, dass er die Regeln auch selbst befolgt, sie also vorlebt. 7. Wenn nötig muss der Leiter ihre Nichteinhaltung sanktionieren, da die vorgegebenen Regeln ohne entsprechende Sanktionen bei Überschrei‐ tung langfristig nicht von den Teilnehmern eingehalten werden. 3.2.2 Aufgaben während der Sitzung Der Moderator erfüllt in einer Diskussion vor allem eine unterstützende Funk‐ tion. Seine Hauptaufgaben bestehen darin, das zu lösende Problem zu präzi‐ sieren und zu verhindern, dass sich die Diskussion von der Richtung möglicher Lösungen entfernt. Dabei beteiligt sich der Moderator normalerweise nicht selbst mit fachlichen Beiträgen an der Diskussion, sondern unterstützt die Teil‐ nehmer dabei, sich im gemeinsamen Austausch einer Lösung zu nähern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Moderator eine ausschließlich passive Rolle ein‐ nimmt: Es gehört u. a. zu seinen Aufgaben, passive Teilnehmer zu Wortmel‐ dungen zu ermutigen und Ab- und Ausschweifungen höflich, aber bestimmt zu unterbinden. Dabei kann es auch Aufgabe des Moderators sein, die Tagesord‐ nung und den Zeitplan im Auge zu behalten und auf deren Einhaltung zu achten. Falls erforderlich fasst der Moderator zusätzlich Wortmeldungen, Argu‐ mente, Begriffe und Ergebnisse während der Diskussion zusammen. Dabei muss er die Aussagen der Teilnehmer so weit wie möglich präzisieren, ohne sie zu verfälschen. Dies ist vor allem bei den Methoden zur Ideensuche aus Kapitel 7 unerlässlich, denn hier geht es darum, die vielen gesammelten Ideen so knapp und verständlich wie möglich zu protokollieren. In Diskussionen, in denen keine neuen Wortmeldungen mehr geäußert werden, kann der Moderator die Teilnehmer zu neuen Impulsen motivieren: Falls dabei ausschließlich Ideenmangel überwunden werden muss, kann er die 39 3.2 Allgemeine Aufgaben <?page no="40"?> bereits in der Diskussion erarbeiteten Aspekte zusammenfassen und die Teil‐ nehmer bitten, ausgehend von diesen Zwischenergebnissen weitere Lösungs‐ vorschläge zu erarbeiten. Bleiben die Wortmeldungen jedoch aus, weil die Teil‐ nehmer Angst haben, einen negativen Sachverhalt auszusprechen, sollte der Moderator seine eigenen Gefühle und Einschätzungen zur Sachlage vermitteln, um es den Teilnehmern zu erleichtern, dies ihrerseits ebenfalls zu tun. Darüber hinaus nimmt die → Konsensfindung (S. 43) eine zentrale Rolle bei der Moderation ein: Wenn sich Forderungen von einzelnen Teilnehmern wi‐ dersprechen, sollte der Moderator darauf hinwirken, dass die Teilnehmer einen Konsens finden (Achtung: Konsens ≠ Kompromiss). Da der Moderator keine ei‐ genen Argumente zur Diskussion beisteuert und die Diskussion dennoch in Richtung einer möglichen Lösung lenken soll, muss er gut über das Thema in‐ formiert sein. Jedoch sollte er nach Möglichkeit keine Diskussion zu einem Thema moderieren, an dem er selbst stark interessiert ist, um nicht zu großen Einfluss auf das Ergebnis der Diskussion zu nehmen. Zusammenfassung Aufgaben des Moderators: ▸ Der Moderator ist über das Thema sehr gut informiert, er darf einer Dis‐ kussion aber keine inhaltliche Richtung aufprägen oder sie gar domi‐ nieren. ▸ Er ist weder ein redegewandter Selbstdarsteller, noch ein still schwei‐ gendes Mauerblümchen. ▸ Bei denjenigen Themen, an denen der Moderator selbst stark interessiert ist oder bei denen er als Fachperson inhaltlich integriert werden muss, muss ein anderer Teilnehmer die Moderation übernehmen. ▸ Der Moderator sorgt dafür, dass die Diskussion am Thema bleibt. Längere Ab- und Ausschweifungen unterbindet er höflich, aber bestimmt. ▸ Der Moderationsstil ist für die Teilnehmer spürbar und aktiv: Der Mode‐ rator ermutigt passive Teilnehmer dazu, sich an der Diskussion zu betei‐ ligen; dominante Teilnehmer bremst er. ▸ Die Beiträge der Teilnehmer fasst der Moderator zusammen und präzisiert sie, ohne ihren Inhalt zu verfälschen. ▸ Der Moderator schafft im Laufe des Moderationsprozesses Transparenz für alle Teilnehmer. ▸ Er bezieht alle Teilnehmer ein und begeistert sie für die Gruppenarbeit. 40 3 Moderation <?page no="41"?> 3.2.3 Aufgaben nach der Sitzung Am Ende einer Sitzung muss der Moderator die noch zu erledigenden Aufgaben sowie das Zeitfenster identifizieren, in dem diese Aufgaben bewältigt werden müssen. Dazu bestimmt er für jede Aufgabe einen oder mehrere Verantwort‐ liche, die die Aufgaben bis zur jeweiligen Frist erledigen. Daher gilt: Kein Anfang ohne Agenda, kein Ende ohne Arbeitsauftrag. Die Arbeitsaufträge (ToDos) sollten mindestens so formuliert werden, dass jedem Teilnehmer die Antworten auf die folgenden Fragen klar sind: Wer erle‐ digt was bis wann mit wem und berichtet anschließend wem? 3.3 Kommunikation 3.3.1 Parkinson’sche Gesetze Der britische Historiker und Publizist Cyril Northcote Parkinson (1909-1993) stellte unter anderem die folgenden beiden satirischen Gesetze zur bürokrati‐ schen Verwaltung auf. Sie weisen auf Stolpersteine hin, die sich auch in der Gruppenarbeit bei vielen Sitzungen beobachten lassen und die auf jeden Fall vermieden werden sollten: §1 »In Sitzungen werden diejenigen Themen am ausführlichsten diskutiert, von denen die meisten Teilnehmer Ahnung haben - und nicht diejenigen Themen, die am wich‐ tigsten sind.« §2 »Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfü‐ gung steht - und nicht in dem Maß, wie komplex sie tatsächlich ist.« Diese Gesetze lassen sich zudem um folgende zwei Gesetze erweitern: §3 »Verzögerung ist die tödlichste Form der Verweigerung.« §4 »Entscheidungsgremien werden weniger effektiv, wenn sie mehr als fünf bis acht Mitglieder haben.« Auch wenn diese vier Gesetze einen satirischen Charakter aufweisen, sollte der Moderator sie stets präsent haben. Sobald die in diesen Gesetzen beschriebenen 41 3.3 Kommunikation <?page no="42"?> 1 Wortzuteilungen können jedoch erforderlich werden, wenn es viele gleichzeitige Wort‐ meldungen gibt. Dann muss der Moderator sie organisieren, indem er sie in eine Rei‐ henfolge einordnet oder die Anzahl oder die Länge der Wortmeldungen begrenzt. Probleme auftreten, wird es nur noch sehr schwer möglich sein, das durch die Gruppenarbeit angestrebte Ziel fristgerecht zu erreichen. 3.3.2 Kommunikationsstil und Kommunikationsregeln Die Teilnehmer kommunizieren im selbstständigen Austausch, also ohne Wort‐ zuteilung 1 , da Wortzuteilung eine Diskussion zerhacken kann und somit einen dynamischen Austausch möglicherweise verhindert. Deshalb ist die bereits oben erwähnte aktive Moderation umso bedeutender, in der der Moderator regelnd in die Diskussion eingreift, wenn Teilnehmer abschweifen oder einander wie‐ derholt unterbrechen, und in der er versucht, auch passiven Teilnehmern Raum für ihre Meinungsäußerung zu geben. Der Moderator achtet darüber hinaus darauf, dass die Argumentation der Teilnehmer sachlich bleibt. Wenn es im Laufe der Diskussion zu unsachlichen Angriffen oder aggressiven Wortmeldungen kommt, begegnet der Moderator ihnen auf einer sachlichen Ebene und stellt sie gegebenenfalls zur Diskussion. Beispiele dazu finden sich im Kapitel über → Sitzungsfallen (S. 50) und über → aggressive Wortmeldungen (S. 60). Um die Sachlichkeit während der Diskussion zu gewährleisten, fordert der Moderator die Teilnehmer auf, abweichende Meinungen immer durch → kon‐ struktive Kritik (siehe Kapitel 3.5) auszudrücken. Strategien, um eine ins Stocken geratene Diskussion wieder in Gang zu bringen: ▸ Ist Ideenmangel die Ursache für die Passivität, fasst der Moderator die wesentlichen Inhalte und Beiträge zusammen, die bis dahin in der Dis‐ kussion genannt wurden, und bittet die Teilnehmer, diese Zwischener‐ gebnisse weiterzuentwickeln. ▸ Wenn die Teilnehmer Hemmungen haben, ihre Ansichten zu äußern, weil sie sich fürchten, für ein Problem verantwortlich gemacht zu werden, äußert der Moderator zuerst seine Gedanken und Gefühle zum Thema. ▸ Liegt die Passivität der Teilnehmer daran, dass andere Teilnehmer durch aggressive Äußerungen ein negatives Diskussionsklima verbreiten, be‐ gegnet der Moderator aggressiven Wortmeldungen zunächst sachlich und stellt sie gegebenenfalls zur Diskussion. 42 3 Moderation <?page no="43"?> 3.4 Konsensfindung »Aus faulen Eiern werden keine Küken.« W I L H E L M B U S C H , D E U T S C H E R D I C H T E R 3.4.1 Was ist ein Konsens? Ein Konsens ist kein Kompromiss. Das folgende Beispiel verdeutlicht den Un‐ terschied: Zwei Schwestern wollen beide eine Orange haben, obwohl es davon nur noch eine einzige in ihrem gemeinsamen Haushalt gibt. In dieser Situation bestünde die Kompromisslösung darin, dass sich die Schwestern die Orange gerecht teilen und jeweils eine Hälfte erhalten. Damit treffen sie sich »in der Mitte«, das heißt, jede von beiden ist ein Stück weit von ihrer Forderung abgewichen. Für den Konsens hingegen würden beide Schwestern zuerst klären, welche Interessen hinter ihren Forderungen liegen. Das bedeutet, dass sie nicht nur darüber sprechen, was jede der beiden haben will, sondern auch insbesondere darüber, warum sie die Orange jeweils haben wollen. So könnte sich heraus‐ stellen, dass eine der Schwestern den Saft der Orange trinken möchte und die andere deren Schale zum Backen benötigt. Die Konsenslösung besteht also darin, dass diejenige Schwester, die den Saft trinken möchte, die Orange erst auspresst und dann die Orangenschalen an die andere Schwester weitergibt. Diese Lösung berücksichtigt die Interessen beider Schwestern. Keine der beiden »verliert«. Dieses Beispiel zeigt den Nachteil von Kompromissen, dass nämlich jeder Teilnehmer einen Teilverlust bei der Durchsetzung seiner Interessen hinnehmen muss, ohne dass der andere einen Vorteil dadurch erführe. Außerdem verdeutlicht es, was Konsensfindung im Allgemeinen impliziert: eine Klärung der Interessen, die hinter den einzelnen Forderungen stecken. Bei einer Diskussion, bei der die Teilnehmer gegensätzliche Forderungen haben, sollte der Moderator also klären, ob die Interessen hinter diesen Forde‐ rungen ebenfalls im Konflikt zueinanderstehen. Wenn dies wie im obigen Bei‐ spiel nicht der Fall ist, können sich Lösungen ergeben, die den Interessen beider Teilnehmer gerecht werden. 3.4.2 Warum ist ein Konsens einer Abstimmung vorzuziehen? Eine Entscheidung, die im Konsens getroffen ist, wird von allen Teilnehmern der Gruppe mitgetragen. Bei einer Abstimmung hingegen setzt sich eine Mehr‐ 43 3.4 Konsensfindung <?page no="44"?> heit an »Gewinnern« gegenüber einer Minderheit an »Verlierern« durch. Die Teilnehmer, die sich mit ihren Vorschlägen in der Abstimmung nicht durch‐ setzen konnten, werden jedoch nur schwer zu motivieren sein, sich für einen Vorschlag einzusetzen, den sie nicht wollten. Abstimmungen können ebenfalls dazu führen, dass sich die Teilnehmer, deren Vorschlag sich nicht durchsetzen konnte, übergangen fühlen. Sie gewinnen eventuell den Eindruck, die Mehrheit habe ihren Vorschlag nicht verstanden oder durchdacht oder sich möglicherweise aufgrund von persönlichen Beweg‐ gründen für einen anderen Vorschlag entschieden. Die Konsensfindung ver‐ sucht, diese Probleme zu umgehen. Entscheidend bei der Konsensfindung ist, dass sich die Teilnehmer mit den unterschiedlichen Vorschlägen der Gruppe auseinandersetzen müssen. Bei einer Abstimmung kann es leicht dazu kommen, dass ein Teilnehmer von der Gruppe überstimmt wird, bevor er die Möglichkeit hatte, die Zusammenhänge und De‐ tails hinter seinem Argument darzulegen. So minimiert die Konsensfindung die Gefahr, dass die Gruppe ein für die Entscheidung relevantes Argument nicht bedenkt. 3.4.3 Wie wird eine Konsensfindung erreicht? Die Konsensfindung trennt also Forderungen von den dahinterstehenden In‐ teressen: Forderung: Was ein Teilnehmer will Interesse: Warum er das will Eine Konsensfindung lässt sich in drei Phasen unterteilen: In der ersten Phase stellt der Moderator sicher, dass alle Teilnehmer die aufgestellte Forderung ver‐ stehen. In der zweiten Phase klärt er die hinter der Forderung liegenden Inter‐ essen, und in der dritten Phase erarbeitet er mit den Teilnehmern den Konsens. Die erste Phase ist wichtig, um zu klären, ob ein Konflikt zwischen zwei Teil‐ nehmern nicht nur aufgrund einer falsch verstandenen Forderung besteht. Missverständnisse können durch unklar und vage formulierte oder durch zu komplex beschriebene Forderungen entstehen. Unklar und vage formulierte Forderungen versucht der Moderator eindeutig und konkret zu formulieren, zuerst allein, dann mithilfe der Teilnehmer. Mit ihrer Hilfe formuliert er die Forderung so lange um, bis sie konkret und präzise ist. Der Teilnehmer, von dem die Forderung stammt, achtet dabei darauf, dass sie seine Position noch unver‐ fälscht wiedergibt. Bei zu komplex beschriebenen Forderungen hilft es, wenn 44 3 Moderation <?page no="45"?> der Moderator sie entweder auf ihre wesentlichen Aussagen reduziert oder in Teilaspekte gliedert. Auch hier achtet der Urheber der Forderung darauf, dass seine Position in der umformulierten Forderung noch unverfälscht enthalten ist. In der zweiten Phase klärt der Moderator die Interessen der Teilnehmer. Dabei stellt er den Teilnehmern, deren Forderungen im Konflikt stehen, Fragen wie etwa: »Warum stellen Sie diese Forderung? « Oder: »Welche Beweggründe ver‐ anlassen Sie dazu? « Haben alle Teilnehmer ihre Interessen genannt und ver‐ ständlich erklärt, beginnt die dritte Phase, die Konsensfindung: In dieser Phase sucht der Moderator nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen beiden Interessen. Dabei hilft es, wenn er den Teilnehmern folgende Fragen stellt: ▸ Worin ähneln sich Ihre jeweiligen Interessen? ▸ Worin unterscheiden sich diese Interessen voneinander? ▸ Wie lassen sich diese Interessen miteinander vereinbaren? Er kann die Fragen auch visualisieren und zusätzlich zur Diskussion ein → Brainstorming (S. 156) durchführen. Findet die Gruppe keine Lösung, die beiden Interessen gerecht würde, kann der Moderator die Teilnehmer auffordern, nach zusätzlichen Lösungen Aus‐ schau zu halten, die die Forderungen auf andere Weise erfüllen würden. Ange‐ nommen, im obigen Beispiel hätte sich herausgestellt, dass beide Schwestern die Orange benötigen, weil sie einen Saft trinken wollen. Dann wäre eventuell der Vorschlag hilfreich, dass eine der Schwestern einen anderen Fruchtsaft trinkt, der schon im Haushalt vorrätig ist. So könnte sich herausstellen, dass einer Schwester beispielsweise der noch vorhandene Ananassaft besser schmeckt, sie aber nicht an den Saft gedacht hatte. Das Vorschlagen völlig neuer Lösungen kann daher ebenfalls zu einer Lösung führen, die beide Teilnehmer zufriedenstellt. Hierbei besteht jedoch die Gefahr, dass sich einer der Teilnehmer übergangen fühlt, wenn die anderen Teilnehmer über seine Interessen urteilen. Neue Lösungen sollten daher nur in die Kon‐ fliktlösung einfließen, wenn beide Teilnehmer ihre Interessen dadurch nicht gefährdet sehen und das Einbringen neuer Interessen nicht bloß zu einem neuen Kompromiss führt. 45 3.4 Konsensfindung <?page no="46"?> Phase Schwierigkeiten Aufgaben des Moderators Verständnis klären Forderung des Teilnehmers ist unklar und vage oder zu komplex formuliert Unklare und vage Forde‐ rungen eindeutig und kon‐ kret definieren, komplexe Forderungen in Teilaspekte zerlegen Interessen klären Teilnehmer nennen nur For‐ derungen, jedoch keine Inter‐ essen Teilnehmer direkt fragen, warum er seine Forderung stellt Lösungen erarbeiten Suche nach Ähnlichkeiten, Unterschieden und Verein‐ barkeit der Interessen Schlüsselfragen stellen, neue Lösungen aufgreifen, Diskus‐ sion der Teilnehmer mode‐ rieren, evtl. Brainstorming durchführen Tabelle 3-1: Zusammenfassung: Phasen der Konsensfindung 3.4.4 Austausch- und Diskussionspunkte Wenn die Gruppe vor der Konsensfindung viele verschiedene Begriffe und Themen gesammelt hat und sich nun darauf einigen muss, welche davon sie für mögliche weitere Arbeitsschritte aufgreift, können sogenannte Austausch- und Diskussionspunkte dabei helfen, strukturiert diejenigen Themen auszusor‐ tieren, über deren Weiterbearbeitung kein Gruppenkonsens herrscht. Dazu fragt der Moderator die Teilnehmer bei jedem Thema, ob sie bei dem Thema einen Austausch- oder einen Diskussionspunkt setzen wollen: ▸ Austauschpunkt: Die Teilnehmer sind sich einig, dass sie das Thema wei‐ terbearbeiten werden, doch zuvor müsste es noch gemeinsam weiter prä‐ zisiert oder modifiziert werden. Die Teilnehmer müssen sich also noch inhaltlich über das Thema austauschen. ▸ Diskussionspunkt: Die Teilnehmer sind sich nicht einig, ob sie das Thema weiterbearbeiten wollen. Sie müssen dies in einer Diskussion klären. Der Moderator notiert an die jeweiligen Themen ein »A« für Austauschpunkt oder ein »D« für Diskussionspunkt. Falls die Teilnehmer sich bei einzelnen Themen einige sind, dass diese Themen weiter bearbeitet werden und zu diesen Themen keine Präzisierung erforderlich ist, kann der Moderator ein »G« für Gesichert notieren. Zur besseren Unterscheidung kann er für die Buchstaben »A« und »D« (und »G«) verschiedene Farben verwenden. Danach setzen sich 46 3 Moderation <?page no="47"?> die Teilnehmer zuerst mit den Austauschpunkten auseinander; Diskussions‐ punkte bearbeiten sie erst, nachdem alle Themen mit Austauschpunkten be‐ sprochen wurden. Zum Bearbeiten der Punkte fragt der Moderator sowohl bei Austauschals auch bei Diskussionspunkten denbzw. diejenigen Teilnehmer, die den jewei‐ ligen Punkt gefordert haben, warum hier Klärungsbedarf besteht. Anschließend findet entweder der Austausch oder die Diskussion über den Punkt statt. Das Einteilen möglicherweise strittiger Themen in Austausch- und Diskus‐ sionspunkte hat zum einen den Vorteil, dass alle Begriffe, über deren Weiterar‐ beit kein Konsens herrscht, systematisch als Diskussionspunkte extrahiert werden. Bei ihnen führt der Moderator dann die oben beschriebene Konsens‐ findung durch. Zum anderen haben die Teilnehmer durch die Austauschpunkte die Möglichkeit, deutlich zu machen, welchen Themen sie grundsätzlich zu‐ stimmen, obwohl sie diese noch weiter erörtern möchten. Austauschpunkte klären daher direkt zu Beginn, dass der Grund für das Gespräch nicht etwa Uneinigkeit über die weitere Vorgehensweise ist, sondern der Wunsch nach einer Präzisierung des Themas. Auf diese Weise können sie Missverständnisse vermeiden. 3.4.5 Wenn sich kein Konsens erreichen lässt? Nicht immer lässt sich ein voller Konsens erzielen. Der Moderator kann dann Lösungen aufgreifen und der Gruppe vorschlagen, die vorher als Teilkompro‐ misse identifiziert wurden. Dabei sollte er jedoch darauf achten, dass der Schaden für den »Verlierer« minimal bleibt. Folgende Anregungen geben dabei Hilfestellung: Der Moderator einigt sich mit den Teilnehmern auf eine von allen Teilneh‐ mern als transparent und fair bewertete Methode zum Entscheiden zwischen den beiden Vorschlägen. Dazu können vor allem die Methoden aus Kapitel 7.2 dienen. Vorschläge werden entpersonalisiert betrachtet, indem sie nicht als »Meiers Vorschlag« und »Müllers Vorschlag« bezeichnet werden, sondern als »Vor‐ schlag A« und »Vorschlag B«. Die Bewertung kann Vorteile der Alternativen in den Vordergrund stellen. Für den betreffenden Teilnehmer kann es angenehmer sein, wenn sein Vorschlag gegen einen noch besseren unterliegt, als wenn er aufgrund seiner Schwächen abgelehnt wird. 47 3.4 Konsensfindung <?page no="48"?> 3.4.6 Konsenstest Ein Moderator kann testen, ob die Gruppe wirklich ein Konsens erzielt hat, indem er alle Teilnehmer einzeln um eine Stellungnahme vor den anderen Teil‐ nehmern bittet. Dies gewährleistet, dass auch die Meinung der zurückhalten‐ deren Teilnehmer erfasst wird. 3.5 Feedback und (konstruktive) Kritik Damit Gruppenarbeit auch auf lange Sicht erfolgreich bleibt, müssen die Schwie‐ rigkeiten, die während des Gruppenarbeitsprozesses möglicherweise auftreten, angesprochen und auch gelöst werden. Daher ist das Äußern von Feedback und Kritik sowohl am Leiter als auch an anderen Teilnehmern durch andere Teilnehmer oder den Leiter selbst ein tragender Bestandteil des Gruppenarbeitsprozesses, ohne den bei einer langfristigen Zusammenarbeit als Gruppe das Gruppenziel gefährdet wird. Das konstruktive Äußern von Feedback oder Kritik hängt von vielen schwer beeinflussbaren Faktoren ab, beispielsweise von den individuellen Persönlich‐ keiten der Teilnehmer. Daher gibt das vorliegende Kapitel nun ein paar kurze Ratschläge, wie die Gruppenmitglieder gewinnbringend Feedback formulieren können und wie sich die Schwierigkeiten auf ein Minimum begrenzen lassen, die oft mit dem Äußern von Kritik einhergehen (vgl. auch Dainton, 2018). 3.5.1 Kommunikationsstil Grundsätzlich sollten Gruppenmitglieder beim Äußern von Feedback oder Kritik denjenigen Teilnehmer, den das Feedback oder die Kritik betrifft, direkt anreden. Formulierungen im Passiv oder Formulierungen, die mit »man« be‐ ginnen, sollten vermieden werden, um sicher zu gewährleisten, dass sich der adressierte Teilnehmer angesprochen fühlt und sich bewusst darüber wird, dass das Feedback oder die geäußerte Kritik ihm gilt. Ebenso sollte sich Kritik ausschließlich auf den konkreten aktuellen Kritik‐ punkt beziehen. Verallgemeinerungen (die etwa durch Schlagworte wie »immer« oder »niemals« gekennzeichnet sind) oder Ausschweifungen auf nicht den Kritikpunkt betreffende Geschehnisse müssen vermieden werden, da sie sich destruktiv auf die Lösung des Problems auswirken, das der Kritik zugrunde liegt. Sie lenken vom eigentlichen Thema ab und verschärfen die aktuelle Si‐ tuation unnötig. 48 3 Moderation <?page no="49"?> 3.5.2 Konstruktive Kritik Feedback und vor allem Kritik sollten immer eine konstruktive Form annehmen. Zu diesem Zweck sollten die Gruppenmitglieder Kritik nach Möglichkeit zu‐ sammen mit einem Lösungsvorschlag äußern oder eine Handlungsalternative benennen. Wenn sie ihre Kritik konstruktiv formulieren, helfen sie dabei, die sachlichen Kritikpunkte in den Vordergrund zu rücken. Indem sie Alternativen oder Lö‐ sungsvorschlägen aufzeigen, beugen sie der Gefahr vor, dass der kritisierte Teil‐ nehmer die Kritik ausschließlich als unbegründetes Nörgeln an seiner Person auffasst. Sind die Teilnehmer verpflichtet, Kritik konstruktiv zu formulieren, hat dies zudem den Vorteil, dass jeder Teilnehmer selbst erst einmal versuchen muss, mögliche Lösungen für den Sachverhalt zu finden, der ihn stört. Somit kann die Gruppe im Laufe dieses Prozesses auch schwer lösbare Probleme identifizieren, deren Komplexität oder Schwierigkeitsgrad vorher unterschätzt wurde, und sie kann dementsprechend mehr materielle und personelle Ressourcen bereit‐ stellen. 3.5.3 Sachliche Kritik und der Umgang mit negativen Emotionen Zusätzlich dazu, dass sie ihre Kritik konstruktiv formulieren, müssen sowohl der kritisierende als auch der kritisierte Teilnehmer versuchen, diese Kritik frei von persönlichen Angriffen zu formulieren oder aufzufassen und dabei einen ruhigen und sachlichen Tonfall verwenden. Wer geäußerte Kritik als teilweisen oder vollständigen Gesichtsverlust empfindet, ist - auch in der Zukunft - viel weniger dazu bereit, Kritik anzunehmen. Die Art, wie Kritik empfunden wird, hängt dabei von vielen Faktoren ab, welche sich selten vollständig ermitteln lassen. Es kann eine gute Alternative darstellen, tief gehende Kritik in einem Einzelgespräch zu äußern. Damit kann vermieden werden, dass der kritisierte Teilnehmer diese Kritik als Gesichtsverlust vor der Gruppe empfindet. In ernsten Fällen kann es daher erforderlich sein, dass der Leiter mit den betroffenen Teil‐ nehmern Einzelgespräche führt. Die Ankündigung dieser Einzelgespräche findet natürlich ebenfalls nicht vor der Gruppe, sondern im vertraulichen Um‐ feld statt. Generell stellt sowohl das Kritisieren als auch das Kritisiertwerden einen Prozess dar, der für beide Teilnehmer mit negativen Emotionen verknüpft sein kann. Für den kritisierenden Teilnehmer ist der Sachverhalt negativ besetzt, auf den er mit seiner Kritik hinweisen möchte, und für den kritisierten Teilnehmer kann die Tatsache, kritisiert zu werden, Abwehr- und Schutzreflexe auslösen. 49 3.5 Feedback und (konstruktive) Kritik <?page no="50"?> Daher hilft es beiden Teilnehmern, wenn sie sich in die Lage des jeweils anderen Teilnehmers hineinversetzen und sich bei negativen Emotionen bewusst machen, dass sie eine dauerhafte Lösung für das zugrunde liegende Problem am besten auf einer sachlichen Ebene erreichen. Impulsives Handeln kann zwar in der konkreten Situation als gerechtfertigt empfunden werden, wirkt sich jedoch mittelfristig meist kontraproduktiv auf eine Lösung des Problems aus, das der Kritik zugrunde liegt. 3.5.4 Cookie-Lemon-Cookie Eine Möglichkeit, den kritisierten Teilnehmer bei der Annahme der geäußerten Kritik zu unterstützen, besteht in der Anwendung des sogenannten Cookie-Lemon-Cookie-Schemas. Dabei erwähnt der kritisierende Teilnehmer zu‐ nächst einen oder mehrere Umstände, die er an der Arbeit des kritisierten Teil‐ nehmers positiv hervorheben kann (dies ist der erste leckere »Keks«/ »Cookie«) und nennt erst anschließend seinen bzw. seine Kritikpunkte (das Saure, also die »Zitrone«/ »Lemon«). Dabei ist auch hier zu beachten, dass die jeweilige Kritik konstruktiv formuliert sein muss. Wenn zum Abschluss auf die Kritik ein wei‐ terer »Keks«/ »Cookie« folgt, kann dies dem kritisierten Teilnehmer helfen, die Kritik in einen sachlichen, anstatt persönlichen Kontext einzuordnen. Der kri‐ tisierende Teilnehmer nennt abschließend also weitere Vorteile der Arbeit des kritisierten Teilnehmers oder spricht ihm ein abschließendes Lob aus. Das Cookie-Lemon-Cookie-Schema ist auch als (Unter-)Form des Sand‐ wich-Prinzips bekannt, in dem sich positive und negative Rückmeldungen - wie bei einem Sandwich - abwechseln. Aber auch hier erfolgt eine Einrahmung mit positiven Rückmeldungen. Das Schema kann auch durch eine Einleitung der Selbstwahrnehmung des kritisierten Teilnehmers erweitert werden (Pend‐ leton-Modell). 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen 3.6.1 Sitzungsfallen Sitzungsfallen sind Situationen, in denen sich die Diskussion im Kreis dreht oder in denen sie ausschließlich ablenkende oder persönliche Aspekte behandelt. Eine mögliche Sitzungsfalle ist beispielsweise, dass Teilnehmer ausschließlich bereits erwähnte Argumente wiederholen und sich eine Diskussion deshalb immer denselben Aspekten eines Themas widmet. 50 3 Moderation <?page no="51"?> Die folgenden Abschnitte listen verschiedene Sitzungsfallen auf, verweisen auf potenzielle Ursachen für ihr Auftreten und nennen Möglichkeiten, wie der Moderator sie verhindern oder auflösen kann (Pulver 2003). Teilnehmer verhalten sich passiv Situation: Der Moderator eröffnet die Sitzung, und lädt die Teilnehmer nach kurzer Zeit ein, Beiträge beizusteuern. Doch die Teilnehmer tragen gar keine oder nur sehr zögerlich wenige Inhalte bei. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Für die Teilnehmer ist es das erste Treffen in dieser Zusammensetzung und sie kennen sich noch nicht. Wenn sich die Teilnehmer untereinander noch nicht kennen, helfen die Kennenlernmethoden aus Kapitel 6.2 vor der gemeinsamen Arbeit. Dies senkt gleichzeitig die Schwelle, den ersten Beitrag zu liefern. b. Die Diskussionssprache ist nicht die Muttersprache der Teilnehmer. Sie fürchten daher, Fehler zu machen. Ist die Fremdsprache, in der die Diskussion stattfindet, beispielsweise Englisch, kann der Moderator die Diskussion selbst in einfachem, jedoch korrektem Englisch beginnen, um den Teilnehmern zu signalisieren, dass grundlegende Sprachkenntnisse zur Teilnahme an der Diskussion völlig ausreichen. Alternativ können Beiträge in einer zweiten Diskussionssprache akzep‐ tiert werden (etwa Deutsch), die ein sprachgewandter Teilnehmer über‐ setzt; er nimmt die Rolle des Co-Moderators ein. c. Die Teilnehmer haben die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, erst einmal abzuwarten. Sie befürchten, dass sie für ein vorangegangenes Problem ver‐ antwortlich gemacht werden, wenn sie als Erste das Wort ergreifen. Wenn der Moderator bereits vor der Diskussion bemerkt, dass eine ver‐ schlossene oder autoritäre Arbeitsstruktur vorliegt, versucht er, die Ge‐ fühle der Gruppe in Worte zu fassen. Bleiben die Teilnehmer anschließend immer noch passiv, kann er zur Sprache bringen, dass er vermutet, dass kein Teilnehmer die erste Wortmeldung abgeben möchte. Er kann versi‐ chern, dass die erste Wortmeldung keine negativen Konsequenzen haben wird. Ggf. kann auch der Moderator den ersten Beitrag selbst liefern oder den Weg dafür bereiten (»Denken Sie doch einmal an die folgende Situa‐ tion: …«). 51 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen <?page no="52"?> d. Die Teilnehmer wissen nicht, was der Grund für ihre Einladung ist, und haben Bedenken, nicht kompetent genug für die Diskussion zu sein. Dies kann vor allem der Fall sein, wenn hierarchisch sehr viel höher gestellte Mitarbeiter anwesend sind. Die Teilnehmer sollten bereits in der Einladung erfahren, warum sie bei der Diskussion erwünscht sind. Eine kurze Runde, in der entweder der Moderator die Teilnehmer vorstellt oder sie sich selbst in wenigen Sätzen vorstellen, unterstützt die Teilnehmer ebenfalls dabei, sich und andere in das Gefüge aus Rollen und Erwartungshaltungen einzuordnen. Die Me‐ thoden zur Klärung der Erwartungshaltungen aus Kapitel 6.3 bieten sich ebenfalls an, falls dafür die nötige Zeit vorhanden ist. e. Die Teilnehmer sind gehemmt, da ihr direkter Vorgesetzter ebenfalls anwe‐ send ist. Hemmt die Anwesenheit von Vorgesetzten die Teilnehmer, empfiehlt sich eine Diskussion ohne Vorgesetzte. Jedoch sollten die Vorgesetzten nicht erst nachträglich aus einer bereits mit ihnen begonnenen Diskussion aus‐ geschlossen werden. Zeichnet sich bereits im Vorfeld ab, dass eine Dis‐ kussion bessere Resultate bringen könnte, wenn die Vorgesetzten nicht anwesend sind, sollte dies frühzeitig mit den Vorgesetzten abgeklärt werden. Alternativ kann der Moderator den übrigen Teilnehmern signa‐ lisieren, dass während der Diskussion alle Teilnehmer gleichberechtigt sind, indem er die Vorgesetzten gleichwertig behandelt. Die Gruppe bringt keine neuen Ideen hervor Situation: Alle Vorschläge, die die Teilnehmer nennen und erarbeiten, wurden in früheren Diskussionen bereits erarbeitet und stellen keine Neuerung dar. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Die Fragestellung ist zu umfangreich. Der Moderator konkretisiert die Fragestellung gemeinsam mit den Teil‐ nehmern oder kürzt sie. Die nachfolgende Diskussion findet dann aus‐ schließlich zur neuen Fragestellung statt. b. Das Problem wurde schon mehrmals diskutiert. Zusätzliche Personen in der Diskussionsrunde, die die zugrunde liegende Fragestellung noch nicht erörtert haben, können neue Impulse freisetzen und Ideen hervorbringen, die den bisherigen Diskussionsteilnehmern noch nicht gekommen sind. Jedoch muss der Moderator den neu hinzu‐ 52 3 Moderation <?page no="53"?> gekommenen Teilnehmern dann eine Zusammenfassung der bisher er‐ arbeiteten Inhalte präsentieren. c. Bestimmte Auffassungen dominieren die Diskussion und würgen das Auf‐ kommen neuer Impulse ab. Wenn bestimmte Auffassungen die Diskussion dominieren, eignen sich die Kreativmethoden aus Kapitel 7 dazu, festgefahrene Denkstrukturen zu überwinden. d. Die Teilnehmer orientieren sich ausschließlich an verinnerlichten Strukturen und bereits Bekanntem. Siehe c). e. Wer sich mit guten Ideen meldet, läuft Gefahr, diese dann auch bearbeiten zu müssen. Sobald der Moderator diejenigen standardisiert als »Freiwillige« be‐ stimmt, ihre gute Idee, die sie in der Gruppe geäußert haben, auch prak‐ tisch umzusetzen, verhindert er dadurch meist konsequent weitere Mel‐ dungen mit guten Ideen. Besser ist es dann, dem Ideengeber ein »Vorkaufsrecht« für die Umsetzung seiner Idee zu gewähren. Lehnt dieser nachvollziehbar ab, z. B. aus Kapazitätsgründen, so wird die Umsetzung der Idee an echte Freiwillige delegiert. Die Diskussion dreht sich im Kreis Situation: Die Teilnehmer wiederholen ständig ihre bereits dargelegten Argumente und gehen nicht auf Denkanstöße anderer Teilnehmer ein. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Bestimmte Teilnehmer halten es für die beste Strategie, durch eine Vielzahl an geäußerten Argumenten zu zeigen, dass sie am kompetentesten sind. Die Teilnehmer sind möglicherweise noch ungeübt in Gruppenarbeit, da sie es gewohnt sind, als »Einzelkämpfer« Erfolg und Lob zu erhalten. In diesem Fall betont der Moderator den genauen Ablauf der Diskussion und die mit der Gruppenarbeit verbundene Absicht. Dazu wägt er die bisher vorgebrachten Argumente der einzelnen Teilnehmer gegeneinander ab und analysiert sie. Dies zeigt den Teilnehmern, dass nicht die Nennung einer Vielzahl von Argumenten, sondern der gemeinsame Diskurs ent‐ scheidend ist. 53 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen <?page no="54"?> Gehen die Teilnehmer anschließend immer noch nicht auf die Argumente anderer Teilnehmer ein, können auch die in Kapitel 5.6 vorgestellten Me‐ thoden zur Verbesserung der Zusammenarbeit angewendet werden. b. Jeder Teilnehmer hat das Gefühl, dass die anderen Teilnehmer seinen Argu‐ menten nicht genug Beachtung schenken. Wenn die Teilnehmer das Gefühl haben, dass andere Teilnehmer ihren Argumenten nicht genügend Beachtung schenken, ist dies nicht per se die Schuld einzelner Teilnehmer. Meist ist es so, dass Teilnehmer, die dieses Gefühl haben, ihre eigenen Argumente gebetsmühlenartig wie‐ derholen, aber dabei ihrerseits nicht auf Argumente anderer eingehen. Das führt dann dazu, dass andere Teilnehmer ebenfalls ihre Argumente wiederholen. Diesen »Teufelskreis« durchbricht der Moderator, indem er die bisher vorgebrachten Argumente der einzelnen Teilnehmer gegen‐ einander abwägt und analysiert. Die Teilnehmer gewinnen so das Gefühl, dass ihren Argumenten Beachtung geschenkt wurde. Außerdem kann diese Methode sie zusätzlich motivieren, die Schlussfolgerungen des Mo‐ derators weiterzudenken. Teilnehmer kommen zu spät und wollen früher gehen Situation: Teilnehmer erscheinen nicht pünktlich und drängen während der Sitzung darauf, schnell zum Ende zu kommen. Einige Teilnehmer verlassen zudem die Sitzung vor ihrem Ende. Mögliche Ursachen und Lösungen: Dass Teilnehmer regelmäßig zu spät kommen oder früher gehen wollen, liegt oft darin begründet, dass sie für sich keinen Nutzen in der Diskussion sehen. Dies kann folgende Ursachen haben: a. Die Teilnehmer wurden aufgrund ihrer hierarchischen Stellung eingeladen, unabhängig davon, ob sie einen reellen Beitrag zur Diskussion beisteuern können. Indem der Moderator zu Beginn der Diskussion thematisiert, welche Be‐ deutung sie für jeden einzelnen Teilnehmer hat, kann er auch solche Teil‐ nehmer von deren Nutzen überzeugen, die der Diskussion bis dahin skep‐ tisch gegenüberstanden. Wenn allerdings diese Bedeutung für einige der Teilnehmer nur Makulatur sein sollte, muss im Nachgang des Treffens überlegt werden, wie die Teilnehmerliste angepasst werden kann. 54 3 Moderation <?page no="55"?> b. Einzelne Teilnehmer wurden als Vertretung für ihren Vorgesetzten geschickt und ihnen fehlen die Kompetenzen, um mögliche Lösungsvorschläge zu be‐ werten. Bei fehlenden Entscheidungskompetenzen schaffen verbindliche Regeln in Erweiterung von den in Kapitel 3.2.1 genannten Regeln Abhilfe, die allen Teilnehmern kommuniziert werden. Diese Regeln könnten bei‐ spielsweise festlegen, dass Eingeladene, die bei Verhinderung zum zweiten Mal in Folge keinen Mitarbeiter oder einen mit fehlenden Sach- oder Entscheidungskompetenzen entsenden, von der der Teilnehmerliste gestrichen werden. c. Einzelne Teilnehmer wurden von ihren Vorgesetzten allein zur späteren Be‐ richterstattung geschickt, wurden aber nicht mit einer Entscheidungsbe‐ fugnis ausgestattet. Dieses Szenario ähnelt äußerlich dem vorgenannten. Jedoch erwecken die Entsendeten den Anschein eines »Fremdkörpers« oder eines »Spions«, da sie sich nicht an der produktiven Gruppenarbeit beteiligen und diesen Eindruck vielleicht sogar durch beständiges Notizenmachen verstärken. Dadurch wird nicht nur der Arbeitsprozess, auf dessen Weg Entschei‐ dungen getroffen werden müssen, unnötig gehemmt, auch kann das Ge‐ fühl der Kontrolle Oberhand ergreifen und die Gruppe lähmen. Es ist hier notwendig, mit dem entsendenden Vorgesetzten das offene Gespräch zu suchen um gemeinsam zu überlegen, wie sein nachvollziehbarer Wunsch nach Informierung mit dem ebenso nachvollziehbaren Ziel einer effizi‐ enten und unbelastet ablaufenden Gruppenarbeit kombiniert werden kann. d. Die Sitzung liefert keine neuen Impulse. Wenn die Sitzung keine neuen Impulse liefert, sollte der Moderator eine Reduzierung der Vortragszeit erwägen. Zwei Drittel der Sitzungszeit sollten interaktiv genutzt werden. Andernfalls muss hinterfragt werden, ob es Sinn ergibt, die Teilnehmer eventuell sehr lange anreisen zu lassen, nur um den Großteil ihrer Arbeitszeit mit Aufgaben wie dem Hören von Vorträgen zu verbringen, für die das Zusammenkommen in der Gruppe nicht unbedingt notwendig sind. e. Eventuell sehr lange Anreisezeiten der Teilnehmer wurden nicht berücksich‐ tigt. Bei zu langen Anreisezeiten erörtert der Moderator gemeinsam mit den Teilnehmern, wie sich die Termine des Seminars mit den Anreisezeiten in Einklang bringen lassen. f. Die Teilnehmer nehmen nicht freiwillig an der Sitzung teil. 55 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen <?page no="56"?> Gruppenarbeit basiert darauf, dass alle Teilnehmer zusammenarbeiten wollen. Wenn der Moderator das Gefühl hat, dass die Teilnehmer nicht freiwillig an der Sitzung teilnehmen, betont er noch einmal die Vorteile von Gruppenarbeit und die Absicht der Sitzung. Auch kann er versuchen, Kreativmethoden aus Kapitel 7.2 in den Ablauf der Sitzung mit einfließen zu lassen, um den Teilnehmern zu zeigen, dass interaktiv gestaltete Grup‐ penarbeit weniger anstrengend und ermüdend sein kann als Einzelarbeit. Haben die Teilnehmer trotzdem kein Interesse an der Gruppenarbeit, sollte der Moderator erwägen, die Sitzung zukünftig mit einer neu zu‐ sammengesetzten Gruppe durchzuführen. Für die vereinbarten Aktivitäten finden sich keine Verantwortlichen Situation: Nachdem die Gruppe in der Sitzung Lösungsideen und eine Agenda ausgear‐ beitet hat, möchte sie keiner der Teilnehmer seinem Vorgesetzten erklären oder nach der Umsetzung als Ansprechpartner dienen. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Die Teilnehmer befürchten, die alleinige Verantwortung für negative Aus‐ wirkungen eines in der Diskussion gefundenen Konsenses zu tragen. Weigern sich Teilnehmer, Verantwortung für den Konsens zu über‐ nehmen, weil sie fürchten, für dessen negative Konsequenzen verant‐ wortlich gemacht zu werden, liegt dies häufig daran, dass Vorgesetzte die Teilnehmer nicht oder nur unzureichend unterstützen. Ist dies der Fall, empfiehlt sich ein Gespräch mit den Vorgesetzten. Falls diese jedoch keine Bereitschaft zeigen, ihre Mitarbeiter bei der Umsetzung eines gefundenen Konsenses zu unterstützen, führt eine Diskussion oft nicht zu umsetz‐ baren Lösungen. Dann sollte von dieser Diskussion abgesehen werden, da nun mit dem Vorgesetzten zunächst im Grundsatz geklärt werden muss, mit welchem Ziel die Gruppenarbeit überhaupt durchgeführt werden soll. b. Unter den Teilnehmern herrscht Frustration und sie wollen sich nicht mehr engagieren. Um Frustration vorzubeugen, räumt der Moderator allen Teilnehmern während der Diskussion genug Raum zum Äußern ihrer Bedenken und Zweifel ein. Bei sich widersprechenden Interessen zweier oder mehrerer Teilnehmer wendet er die Methoden zur → Konsensfindung (S. 43) an. 56 3 Moderation <?page no="57"?> Falls das nicht möglich ist, kann er auf die Methoden zur Entscheidungs‐ findung aus Kapitel 7.2 zurückgreifen. c. Die Teilnehmer sind der Ansicht, dass ihnen Entscheidungskompetenzen fehlen. Wenn die Teilnehmer der Ansicht sind, dass sie nicht die nötigen Ent‐ scheidungskompetenzen haben, kann das daran liegen, dass zu viele Ak‐ tivitäten vereinbart wurden. In diesem Fall versucht der Moderator, die festgelegte Agenda auf eine überschaubare Anzahl an Aktivitäten für jeden Teilnehmer zu reduzieren. Verfügen die Teilnehmer dennoch nicht über genug Handlungskompe‐ tenzen, um über die vereinbarten Aktivitäten zu entscheiden, kann es helfen, vor jeder Sitzung die Regel zu kommunizieren, dass eingeladene Teilnehmer nur handlungskompetente und entscheidungsbefugte Ver‐ treter schicken dürfen. Beim mehrmaligen Verstoß gegen diese Regel kann die Gruppe Sanktionen vereinbaren, wie etwa den Ausschluss des betreffenden Teilnehmers von zukünftig stattfindenden Sitzungen. Streitereien vergiften die Atmosphäre Situation: Statt Lösungsideen zu erörtern und Argumente gegeneinander abzuwägen, be‐ stimmen Anfeindungen und gehässige Bemerkungen die Diskussion. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Die Teilnehmer fühlen sich vom Moderator nicht ernst genommen. Wenn die Teilnehmer das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden, hat dies oft Gründe, die nicht mit der aktuellen Situation zusam‐ menhängen. Eine mögliche Ursache könnte sein, dass der Vorgesetzte oder der Moderator die Teilnehmer in früheren Diskussionen nicht ernst genommen hat. In diesem Fall empfiehlt sich ein Gespräch mit dem Vor‐ gesetzten. Außerdem sollte der Moderator den Teilnehmern durch ge‐ duldiges und respektvolles Auftreten signalisieren, dass er ihre Vor‐ schläge durchaus ernst nimmt. Um zusätzlich vorzubeugen, dass sich Teilnehmer nicht ernst genommen fühlen, sollte der Moderator oder der Vorgesetzte den Teilnehmern immer die Gründe erläutern, warum er eine von den Teilnehmern ausgearbeitete Lösung nicht in die Praxis umsetzt. b. Eine kleine Gruppe an Teilnehmern vertritt eine von der Gruppenmeinung abweichende Auffassung und fühlt sich benachteiligt. 57 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen <?page no="58"?> Siehe dazu die nächste Sitzungsfalle. c. Es gibt zwei gegeneinander arbeitende Lager unter den Teilnehmern. In dieser Situation spricht der Moderator den Konflikt direkt an und er‐ örtert, ob die Lager ein gemeinsames Gruppenziel verfolgen. Wenn dies nicht der Fall ist, versucht der Moderator, wie im Kapitel zur → Konsens‐ findung (S. 43) beschrieben, die Interessen beider Lager zu klären, um mit einem gemeinsamen Ziel eine Handlungsbasis zu finden, die den Inter‐ essen beider Lager entgegenkommen. Der Moderator sollte aber nicht versuchen, die unterschiedlichen Werteauffassungen beider Lager voll‐ ständig miteinander in Einklang zu bringen, da dies ein schwieriger Pro‐ zess ist, der selten gelingt. Findet die Gruppe kein gemeinsames Ziel, ist es oft besser, die Gruppen‐ arbeit in einer anderen Gruppenbesetzung fortzusetzen oder gegebenen‐ falls die Formulierung des Ziels zu modifizieren. d. Einige Teilnehmer nehmen Aussagen persönlich oder tragen persönliche Konflikte in der Diskussion aus. Der Moderator begegnet aggressiven Wortmeldungen emotionslos und betont zunächst den Sachaspekt einer Aussage. Beispiele, was er aggres‐ siven Wortmeldungen entgegenbringen kann, finden sich in Kapitel 3.6.2. Oft fehlt bei solchen Szenarien die Zeit für ein individuelles klärendes Gespräch. Wenn daher die persönlichen Konflikte weiterhin in der Dis‐ kussion ausgetragen werden, kann er die Sitzung unterbrechen oder ge‐ meinsam mit der Gruppe Sanktionen festlegen. Nach eigenem Ermessen könnte er auch versuchen, Teilnehmer einzubeziehen, die nicht von dem persönlichen Konflikt betroffen sind, um sich mit ihnen auf den Sachas‐ pekt des Problems zu konzentrieren. e. Zwischen dem Moderator und den Teilnehmern entstehen Konflikte. Konflikte zwischen dem Moderator und den Teilnehmern muss der Mo‐ derator immer direkt ansprechen und klären, da sie sonst die Gruppen‐ arbeit vollkommen verhindern. Zusätzlich zeigt der Moderator, dass er die Teilnehmer anerkennt, indem er sie um eine Stellungnahme bittet. Darüber hinaus kann es hilfreich sein, wenn der Moderator einen Co-Mo‐ derator zur Diskussion hinzuzieht, der im Falle von Konflikten zwischen Teilnehmern und Moderator die Führungsrolle einnimmt und den Kon‐ flikt klärt. 58 3 Moderation <?page no="59"?> Bis auf wenige Teilnehmer ist sich die Gruppe über die Lösung einig Situation: Die Sitzung steht kurz vor ihrem Abschluss und bis auf wenige Teilnehmer un‐ terstützt die Gruppe die bis dahin erarbeitete Lösung. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Einige wenige Teilnehmer finden, dass der Rest der Gruppe ihren Argu‐ menten während der Diskussion zu wenig Beachtung geschenkt hat. Der Moderator bittet die wenigen Teilnehmer, die die Lösung nicht un‐ terstützen, Verbesserungsvorschläge oder Anmerkungen zur erarbeiteten Lösung einzubringen. Auf dieser Grundlage prüft er, ob eine → Konsens‐ findung (S. 43) möglich ist, die sowohl die erarbeitete Lösung als auch die Anmerkungen berücksichtigt. Gelingt dies nicht, wendet er die Methoden an, die das Kapitel zur Konsensfindung für diesen Fall parat hält (S. 43). b. Auch unter den anderen Teilnehmern herrscht kein Gruppenkonsens; die wenigen Teilnehmer, die die Lösung nicht unterstützen, sind jedoch dieje‐ nigen, die sich trauen, ihre Unzufriedenheit mit der Lösung auszusprechen. Wenn der Moderator das Gefühl hat, dass in der Gruppe doch kein Kon‐ sens über die bis dahin erarbeitete Lösung herrscht, wendet er den im Konsenskapitel vorgestellten → Konsenstest (S. 48) an. Dazu betont er noch einmal das Ziel der Sitzung: eine Lösung zu finden, die im Interesse aller Teilnehmer ist. Bei Zeitmangel erwähnt der Moderator zusätzlich, dass die Gruppe die Sitzung gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen kann. Schlüsselpersonen bleiben der Sitzung fern Situation: Schlüsselpersonen, in deren Kompetenzbereich die Entscheidung über mögliche Lösungen fällt, erscheinen trotz Einladung nicht bei der Sitzung. Mögliche Ursachen und Lösungen: a. Die Schlüsselpersonen haben vermeintlich Wichtigeres zu tun oder verstehen den Nutzen der Sitzung nicht. Wenn Schlüsselpersonen den Nutzen der Sitzung nicht verstehen oder ihre Bedeutung für die Sitzung nicht erfassen, haben sie womöglich zu wenig Informationen über das Thema der Sitzung erhalten oder wurden nicht genug in deren Planung und Gestaltung einbezogen. Um dieser Si‐ 59 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen <?page no="60"?> tuation vorzubeugen, sollte der Gruppenleiter oder Moderator sie vor der Sitzung genau informieren und intensiv in die Sitzungsplanung mitein‐ beziehen. Dabei ist es besonders wichtig, den Schlüsselpersonen den Nutzen zu verdeutlichen, den sie selbst aus der Teilnahme an der Sitzung schöpfen. b. Sie glauben, keine bedeutende Rolle für die Sitzung zu spielen. Daher schi‐ cken sie eine Vertretung, die sie auf dem Laufenden halten soll. Der Moderator bringt der Vertretung einer Schlüsselperson während der Sitzung ebenso viel Respekt entgegen wie der Schlüsselperson selbst. Um die Schlüsselperson zusätzlich zu motivieren, an folgenden Sitzungen persönlich teilzunehmen, sollte er außerdem Zeit in das anschließende Gespräch mit der Vertretung investieren. Darin besprechen sie, wie die Vertretung dem Abwesenden die Ergebnisse der Sitzung präsentiert und wie sie noch einmal dessen Kompetenzen betonen kann. Auf diese Weise können sich Schlüsselpersonen ihrer Bedeutung für die Sitzung bewusst werden. Die Zeit wird knapp Selbst bei guter Vorbereitung kann die Zeit knapp werden. Der Moderator sollte auf keinen Fall versuchen, in der verbleibenden knappen Zeit eine Lösung zu erzwingen. Vielmehr sollte er bedenken, dass die Gruppe bereits Nebenziele der Sitzung erreicht, wenn sie die Voraussetzungen für eine spätere Lösungsfindung schafft: individuelle Meinungsäußerung der Teilnehmer, gegenseitige Verstän‐ digung und gemeinsames Engagement. Diese Voraussetzungen benötigen oft mehr Zeit als geplant, bilden aber eine gute Grundlage für die spätere Fortset‐ zung der Gruppenarbeit. Wird die Zeit knapp, fasst der Moderator zunächst die bis dahin erarbeiteten Ergebnisse zusammen und erstellt eine Agenda für die mögliche Weiterarbeit. Anschließend kann er gemeinsam mit den Teilnehmern beschließen, dass die Gruppe in der verbleibenden Zeit Lösungen zu bestimmten Teilpunkten dieser Agenda erarbeitet. 3.6.2 Umgang mit aggressiven Wortmeldungen Aggressiven Wortmeldungen, sogenannten »Killerphrasen«, begegnet der Mo‐ derator emotionslos. Zudem sollte er jede Killerphrase mit einer schlagfertigen Antwort erwidern, einer sogenannten »Gegenphrase«. Um das Formulieren entsprechender Gegenphrasen in angespannten Situationen zu erleichtern, bietet dieses Kapitel einige Beispiele (Berkel 2011): 60 3 Moderation <?page no="61"?> Killerphrase Gegenphrase »Das klappt vielleicht in Amerika, aber nicht bei uns! « »Bitte erläutern Sie uns kurz die grundle‐ genden Unterschiede zwischen dem ame‐ rikanischen Markt und unserem.« »Auf dem Papier wirkt das ganz hübsch, aber die Praxis sieht doch ein wenig an‐ ders aus! « »Diese Information ist relevant für unsere weiter Arbeit. Bitte können Sie kurz be‐ richten, was genau in der Praxis anders ist? « »Das ist viel zu teuer! « »Bei welcher der Komponenten sehen Sie ein Potential, Kosten zu reduzieren? « »Das haben wir früher schon einmal ver‐ sucht und ganz schnell wieder sein lassen! « »Dann ist es für unsere Arbeit umso wich‐ tiger zu wissen, warum das Projekt damals aufgegeben wurde.« »Das funktioniert nie! « »Bitte begründen Sie, was Sie da so sicher macht.« »Sie sind noch nicht lange genug bei uns! « »Was hält Sie davon ab, neue Gesichts‐ punkte zu betrachten? « »Dass das ausgerechnet von Ihnen kommt, überrascht mich kein bisschen! « »Gerne gehe ich auf Ihre Kritik im Detail ein. Fangen wir mit Ihrem größten Zweifel an: …« oder »Was hat das mit den ge‐ nannten Argumenten zu tun? « »Das will unser Kunde nicht! « »Warum denken Sie das? « oder »Bitte be‐ legen Sie dies kurz.« »Es gibt doch wirklich Wichtigeres zu tun! « »Was halten Sie im Moment für wich‐ tiger? « »Das Geld dafür können wir uns sparen! « »Warum glauben Sie das? « »Es gibt keine Alternativen, oder haben Sie eine bessere Idee? « »Wir sollten das Potential aller unterbrei‐ teten Vorschläge zunächst kennen, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen.« Tabelle 3-2: Killerphrasen und Gegenphrasen 61 3.6 Schwierigkeiten und Herausforderungen <?page no="63"?> 4 Gruppendynamik »Viele Köche verderben den Brei.« D E U T S C H E S S P R I C H W O R T Trotz aller Sachlichkeit können in der strukturierten Arbeit mit und in Gruppen Spannungen und Konflikte entstehen. Solche aus dem Zusammenspiel der Teil‐ nehmer entstehenden Dynamiken wirken sich u. a. auf die Atmosphäre, die Ar‐ beitsdauer und das Ergebnis aus. Daher lohnt es sich, diese Prozesse zu (er)kennen. Die Dynamik, die Arbeitsgruppen im Laufe eines Arbeitsprozesses entwi‐ ckeln, kann mitunter sehr komplex sein. Die Koordination von Gruppenarbeit bedeutet daher mehr, als schlicht Teilaspekte der zu lösenden Aufgaben auf die einzelnen Teilnehmer zu verteilen. Vielmehr stellt das komplexe Zusammen‐ spiel aller Individuen ein Potenzial sowohl für Konflikte als auch für eine kon‐ struktive Zusammenarbeit dar, die den gemeinsamen Arbeitsprozess fördert. Dieser zweite Aspekt wird häufig unter dem Begriff des Synergieeffekts zusam‐ mengefasst (siehe dazu auch Kapitel 2.4 zum Thema Interdisziplinarität). Dieses Buch konzentriert sich auf Gruppenarbeitsmethoden, und daher ist es an dieser Stelle nicht möglich, alle Begriffe und Theorien aus dem sehr weiten und vielschichtigen Feld der Gruppendynamik vorzustellen. Im Folgenden finden deshalb diejenigen Begriffe und Theorien Erwähnung, die besonders hilfreich dabei sind, die während der Gruppenarbeit auftretenden Spannungen positiv zu nutzen und Synergieeffekte zu schaffen. Wer sich eingehender mit Gruppendynamik befassen möchte, findet in Wellhöfer (2012) eine ausführliche Darstellung verschiedener gruppendynamischer Theorien. Auch das vorangegangene Kapitel 3 stellt dem Moderator für konflikthaltige Situationen Hilfestellungen zur Verfügung. Die Situationen, die den dort be‐ schriebenen Konflikten zugrunde liegen, werden nicht in einem größeren grup‐ pendynamischen Zusammenhang betrachtet. Vielmehr stellt jenes Kapitel dem Moderator Möglichkeiten zur Verfügung, diesen Konflikten kurzfristig und vor‐ übergehend entgegenzutreten, um für die Dauer der moderierten Diskussion zu verhindern, dass die Konflikte den Ablauf der Diskussion signifikant beein‐ trächtigen. <?page no="64"?> Um aber interne Konflikte vorausschauend und dauerhaft zu lösen, ist es sinn‐ voll, deren Ursachen und Abläufe in den gruppendynamischen Zusammen‐ hängen zu betrachten, die dieses Kapitel darstellt, und innerhalb der dadurch vorgegebenen Rahmenbedingungen eine Lösung zu erarbeiten. 4.1 Übersicht 4.1.1 Vorbemerkungen Die Rolle des Leiters als Koordinator und Begleiter des Gruppenarbeitsprozesses beeinflusst den Gruppenprozess maßgeblich und kann somit auch auf die Re‐ sultate Auswirkungen besitzen. Aus diesem Grund werden nun diejenigen Kom‐ petenzen vorgestellt, deren Kenntnis für die erfolgreiche Leitung einer Gruppe wesentlich ist. Zu Beginn befasst sich das Kapitel mit generellen gruppendyna‐ mischen Prozessen wie der Gruppenbildung, mit den Möglichkeiten des Leiters, auf verschiedene Persönlichkeitstypen zuzugehen, sowie mit dem Wissen darum, wie Normen und Rollen entstehen, und den damit verbundenen Aus‐ wirkungen. Die zum Verständnis dieser Themen erforderliche Theorie wird je‐ weils erläutert, mögliche Probleme während dieses Prozesses verdeutlicht sowie geeignete Maßnahmen gegen Probleme präsentiert, die möglicherweise damit einhergehen. Da das Ansprechen von Schwierigkeiten und das Lösen von Konflikten in der Gruppe eine zentrale Rolle im Buch spielt, befindet sich am Ende dieses Kapitels außerdem ein kurzer Leitfaden. Er gibt Tipps, wie Teilnehmer innerhalb einer Gruppe Feedback und Kritik äußern können und wie sich Schwierigkeiten, die mit Kritik einhergehen, minimieren lassen. 4.2 Gruppenbildung Am Anfang eines Seminars oder bei der Zusammenkunft neuer Arbeitsgruppen findet die Gruppenbildung statt. Während dieser Phase lernen sich die Teil‐ nehmer untereinander kennen und erste Gewohnheiten und Regelmäßigkeiten entwickeln sich im gemeinsamen Arbeitsprozess. Auch bilden sich bereits in dieser frühen Phase erste Rollen und Dominanzen heraus. Eine erfolgreiche Gruppenbildung stellt daher das Fundament für die spätere gemeinsame Arbeit dar. Es kann sich als sehr schwierig erweisen, nachträglich Einfluss auf Verhal‐ tens- und Arbeitsmuster zu nehmen, die während der Gruppenbildung ent‐ 64 4 Gruppendynamik <?page no="65"?> standen sind. Deshalb werden in diesem Kapitel Probleme aufgelistet, die wäh‐ rend der Gruppenbildung auftreten können, und es wird erläutert, worin diese Probleme begründet liegen. Auf diese Weise können Gruppenleiter den Ursa‐ chen schon während ihrer Entstehung entgegenwirken, um den schädlichen Einfluss auf die nachfolgende Gruppenarbeit und damit auf das Arbeitsergebnis zu reduzieren. 4.2.1 Voraussetzungen Eine wesentliche Voraussetzung für die Bildung einer auf längere Zeit stabilen Gruppe ist das Vorhandensein eines gemeinsamen Gruppenziels. Ohne ein ge‐ meinsames Gruppenziel wird eine Gruppe nicht langfristig bestehen können oder sich gar nicht erst bilden. Denn das Gruppenziel bildet die Grundbedingung für Motivation, Engagement und Identifikation der Teilnehmer mit der Gruppe. 4.2.2 Mögliche Konflikte durch Abhängigkeit und Pairing Zu Beginn der Gruppenbildung müssen sich die Teilnehmer mit ihrem neuen Umfeld vertraut machen und ihre Position im Gruppengefüge finden. Die un‐ bekannte Umgebung, die Vielzahl fremder Teilnehmer und der möglicherweise noch nicht vollständig bekannte Aufgabenbereich können zu Unsicherheit und Angespanntheit führen. In dieser Phase ist das Bedürfnis der Teilnehmer nach Strukturierung sehr hoch. Wenn Gruppenleiter diese Strukturierung ermögli‐ chen, kommen sie dem Wunsch der Teilnehmer entgegen, ihre Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten im Gefüge der Gruppe einordnen zu können. Eine solche Einordnung in das Gruppengefüge besteht meist aus drei Teilen: dem Einbringen der eignen Persönlichkeit, dem Einschätzen und Kennenlernen der anderen Teil‐ nehmer und dem Verstehen des eigenen Beitrags zum Erreichen des Gruppenziels. Beim Einbringen der eigenen Persönlichkeit in die Gruppe bedingt vor allem die Entscheidung, welche Aspekte der Persönlichkeit zu Beginn gezeigt und welche vorerst verborgen bleiben sollten, eine anfängliche Hemmung. Daneben ent‐ stehen weitere Hemmungen infolge der Unkenntnis darüber, welche Erwar‐ tungshaltungen die zukünftigen Partner wechselseitig haben bzw. haben sollten. Zusätzlich kann Unsicherheit dadurch entstehen, dass Teilnehmer ihre genauen Aufgaben im Gruppenarbeitsprozess nicht kennen und daher nicht wissen, ob sie den mit ihrer Arbeit verbundenen Erwartungen gerecht werden können. Aus diesen Gründen treten während der Gruppenbildung im Wesentlichen zwei Effekte auf, die den Arbeitsprozess der Gruppe hemmen können: Abhän‐ gigkeit und Pairing. Abhängigkeit bedeutet in diesem Kontext die vollständige 65 4.2 Gruppenbildung <?page no="66"?> und manchmal unhinterfragte Orientierung einzelner Teilnehmer an den Werten und Normen des Leiters. Pairing bezeichnet das Bilden von Klein‐ gruppen einiger weniger Teilnehmer. Beide Effekte führen dazu, dass Teil‐ nehmer sich auf einen begrenzten Personenkreis fixieren, statt eine eigene Hal‐ tung dazu zu finden, welche Teile ihrer Persönlichkeit und ihres Fachwissens sie in die gesamte Gruppe einbringen. Sowohl Abhängigkeit als auch Pairing besitzen somit den Nachteil, dass die Teilnehmer die Ansichten des Leiters oder der Kleingruppe übernehmen und sich nicht selbst mit ihrem Fachwissen in eine Diskussion oder einen Entschei‐ dungsfindungsprozess einbringen. Dadurch wird vor allem die spätere kreative Gruppenarbeit immens erschwert. Pairing führt darüber hinaus zu Zweckbündnissen, sodass Mitglieder einer Kleingruppe aus Angst vor dem Ausschluss aus ihrer Bezugsgruppe andere Mitglieder der Kleingruppe unterstützen, obwohl sie nicht mit deren Meinung übereinstimmen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Mitglieder von Klein‐ gruppen andere Mitglieder der übergeordneten Gruppe ausgrenzen oder ge‐ meinsam gegen die Meinung der anderen Mitglieder opponieren. 4.2.3 Konfliktprävention Um Abhängigkeit und Pairing zu vermeiden, sollte der Leiter den Teilnehmern direkt zu Beginn erläutern, welche gemeinsamen Ziele durch die Gruppe zu erreichen sind und ggf. für welchen Aufgabenbereich jeder Teilnehmer im nach‐ folgenden Arbeitsprozess verantwortlich ist. Dadurch erhalten die Teilnehmer direkt zu Beginn eine klare Vorstellung, aus welchen Gründen sie am Gruppen‐ arbeitsprozess beteiligt sind und wie sie ihr Fachwissen zur Lösung der mit diesem Arbeitsprozess einhergehenden Aufgaben einsetzen können. Zusätzlich können die Teilnehmer durch die Kommunikation des gemeinsamen Gruppen‐ ziels eine erste Identifikation der Gruppe schaffen. Anschließend empfiehlt es sich, mit allen Teilnehmern eine Kennenlern‐ übung (siehe Kapitel 6.2) durchzuführen, damit die Teilnehmer einen persönli‐ chen Eindruck voneinander gewinnen. Kennenlernübungen dienen nicht dazu, dass Teilnehmer sich anschließend umfassend kennen und beste Freunde werden, sondern dass sie Hemmungen bei den darauffolgenden Schritten im weiteren Kennenlernprozess und im produktiven Prozess überwinden. Durch die so gestärkte Bereitschaft, andere Teilnehmer kennenzulernen, wird Abhän‐ gigkeit und Pairing ebenfalls entgegengewirkt. Sollten sich bereits Abhängigkeit und Pairing mit den damit einhergehenden negativen Konsequenzen herausgebildet haben, ist es entscheidend, dass der 66 4 Gruppendynamik <?page no="67"?> Leiter nicht über Spannungen oder Konflikte hinwegsieht, sondern diese direkt anspricht. Dazu ist es oft hilfreich, wenn der Leiter zuerst seine eigenen Gedanken und Gefühle vor der Gruppe äußert. Dadurch signalisiert er den Teil‐ nehmern, dass er sich von ihnen ebenfalls Äußerungen zum Gruppenklima er‐ hofft und dass er es nicht negativ auffasst, wenn Teilnehmer die in der Gruppe vorherrschenden Spannungen benennen. Es ist sinnvoll zu betonen, dass alle Äußerungen der Teilnehmer als konstruktive Kritik formuliert sein müssen. Dabei hilft es, wenn die Teilnehmer erst die Punkte nennen, die sie am momen‐ tanen Ablauf der Gruppenarbeit gut finden und anschließend erklären, in wel‐ chen Punkten sie Probleme oder Verbesserungsmöglichkeiten sehen und warum sie dieser Ansicht sind (vgl. Kapitel 3.5.4). Der Leiter sollte sich stets vergegenwärtigen, dass die Überwindung von Ab‐ hängigkeit und Pairing eine langfristige Aufgabe ist, die viel Zeit und Geduld erfordern kann. Zudem muss er nicht nur zu Beginn, sondern während des ge‐ samten Gruppenarbeitsprozesses, Spannungen erkennen und diese zusammen mit den Teilnehmern auflösen. 4.3 Handlungsabsichten und Motivatoren Um auf die Dynamiken und Konflikte eingehen zu können, die sich aus Rollen und Normen ergeben, sollte der Leiter unbedingt wissen, wie er die unter‐ schiedlichen Persönlichkeitstypen in der Gruppe am besten adressiert. Dazu werden nun kurz einige typische Handlungsabsichten der Teilnehmer und so‐ genannte Motivatoren vorgestellt und diskutiert. Motivatoren sind diejenigen Faktoren, aus denen die Teilnehmer ihren Antrieb und ihre Begeisterung für ihre Arbeit ziehen. Identifikation mit der Aufgabe und Freude Teilnehmer möchten sich mit ihrer Aufgabe identifizieren können. Das bedeutet, dass sie Aufgaben bearbeiten wollen, deren Anforderungen ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechen. Hierbei spielt häufig auch die Freude am Bewäl‐ tigen einer Aufgabe eine große Rolle. Ethik Ethisch motivierte Handlungen dominieren dann, wenn der Teilnehmer nicht nur eine Tätigkeit ausüben möchte, die effektiv und effizient ist, sondern mit der er darüber hinaus etwas Positives und Bleibendes für andere Personen be‐ wirkt und somit nachhaltig tätig ist. 67 4.3 Handlungsabsichten und Motivatoren <?page no="68"?> Verantwortung Der Grad der Verantwortung, die der Teilnehmer bei der Lösung der jeweiligen Aufgabe übernimmt, aber auch das Maß, wie verantwortungsvoll die Aufgabe selbst ist, können sich als sehr motivierend für den einzelnen Teilnehmer her‐ ausstellen. Dies schließt Verantwortung sowohl über Mitarbeiter wie auch über materielle und finanzielle Ressourcen ein. Beziehung und Anerkennung Die Anerkennung von geleisteter Arbeit durch den Leiter oder andere Teil‐ nehmer kann ebenfalls ein wesentlicher Antrieb für die Motivation eines Teil‐ nehmers sein (vgl. Kapitel 12). Eine wichtige Grundlage dafür ist die Beziehung zum Leiter und zu den anderen Teilnehmern. Karriere Auch der Nutzen für die spätere Karriere kann eine Handlungsabsicht eines Teilnehmers sein. In diesem Fall motivieren den Teilnehmer insbesondere Auf‐ gaben, die förderlich für seine persönliche Zukunft sind. Herausforderung Einige Teilnehmer werden vor allem dadurch motiviert, dass sie neue Heraus‐ forderungen erkennen und bewältigen. Sie suchen daher auch oft bewusst Auf‐ gaben, die schwierig erscheinen oder sich von den Aufgaben aus ihrem sons‐ tigen Arbeitsbereich inhaltlich oder methodisch unterscheiden. Zusammenfassung Die hier vorgestellten Handlungsabsichten und Motivatoren finden sich höchst‐ wahrscheinlich bei allen Teilnehmern in verschiedenen Graden und Kombina‐ tionen. In der Praxis bewegen also meist mehrere Motivatoren einen einzelnen Teilnehmer zu seinen Handlungen. Jedoch gibt es dabei oft einen dominierenden Motivator, nach dem sich das Verhalten des Teilnehmers richtet. Kenntnisse über diese dominierenden Motivatoren helfen dem Leiter, einen Führungsstil zu pflegen, der die Interessen aller Teilnehmer berücksichtigt. Sie dienen daher als zusätzliche Unterstützung bei der Konfliktlösung. 68 4 Gruppendynamik <?page no="69"?> 5 Einführung in die Gruppenarbeitsmethoden Bevor die verschiedenen Gruppenarbeitsmethoden vorgestellt werden, sollen die folgenden einführenden Erläuterungen ihre zielgerichtete Anwendung un‐ terstützen. Dazu erklärt das vorliegende Kapitel kurz die Struktur der nachfol‐ genden Methodenkapitel und führt die darin verwendete Terminologie ein. Zu‐ sätzlich gibt das Kapitel allgemeine Hinweise und Tipps, die sich auf alle Methoden beziehen. Unterscheidung zwischen Methoden, Übungen und Analysen Die nachfolgenden Kapitel unterscheiden zwischen »Methoden«, »Übungen« und »Analysen«. Sogenannte Methoden bilden dabei den Schwerpunkt des Bu‐ ches. Methoden im Sinne des Buches sind strukturierte Gruppenarbeitsver‐ fahren, die mithilfe bestimmter Regeln und gruppendynamischer Effekte zu einem konkreten inhaltlichen und bewertbaren Ziel führen sollen. Im Gegensatz dazu führen Übungen nicht vorrangig zu einem konkreten Ziel, sondern fokus‐ sieren die gruppendynamischen Abläufe. Viele Unterkapitel aus Kapitel 6 ent‐ halten Übungen, wie etwa die Kennenlern- (S. 81) und Aufteilungsübungen (S. 91) oder die Übungen zur Förderung der Zusammenarbeit (S. 118) oder zur Auflockerung in Pausen (S. 122). Neben Methoden und Übungen gibt es noch schematische Vorgehensweisen, in die sich gruppendynamische Elemente ein‐ arbeiten lassen, obwohl sie dafür nicht zwingend notwendig sind. Diese sche‐ matischen Vorgehensweisen heißen Analysen. Sie finden sich in den Kapiteln zur Suche eines geeigneten Themenfeldes für die Ideensammlung (S. 131) und zur Ideenbewertung (S. 203). Meta-Methoden (ab S. 297) können verschiedene Methoden, Übungen und Analysen zur Zielerreichung kombinieren. 5.1 Der Aufbau der Kapitel Einige Unterkapitel enthalten zunächst Vorbemerkungen zu den jeweiligen Me‐ thoden, Übungen oder Analysen. Diese Vorbemerkungen geben unverzichtbare Hinweise und Hilfestellungen. Sie müssen sie daher unbedingt lesen und be‐ rücksichtigen, bevor sie die entsprechenden Methoden, Übungen oder Analysen anwenden können. <?page no="70"?> Abgesehen von eventuellen Vorbemerkungen beginnt jede Methodenbe‐ schreibung mit einer Tabelle der folgend gezeigten Art, welche die wichtigsten Randinformationen auf einen Blick zusammenfasst: < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Die erste Zeile gibt die voraussichtliche Dauer der Methode in Minuten an, die zweite die empfohlene Anzahl an Teilnehmern. In der dritten Zeile ist das Maß an Interak‐ tion zwischen den Teilnehmern vermerkt, von links, wenig Interaktion, bis rechts, viel Interaktion. Die vierte Zeile stellt die empfohlene Erfahrung der Teilnehmer mit der Methode dar. Dieses Maß korreliert sehr stark mit dem Aufwand, den Ablauf der Methode zu vermitteln und damit auch mit der Länge der Anleitung. Die fünfte Zeile gibt schließlich an, ob die Methode viele auflockernde oder lustige Elemente enthält (»Spaßfaktor«) oder einen eher ernsten Charakter aufweist. Ein dunkelblau unterlegtes Feld stellt die optimale Variante dar. Hellblau un‐ terlegte Felder geben Bedingungen an, die zwar nicht optimal sind, aber dennoch eine gewinnbringende Gruppenarbeit erlauben. Fehlt in einer Zeile ein farbig unterlegtes Feld, wie etwa in der Beispieltabelle bei der Gruppengröße, hängt die optimale Abstufung von weiteren Faktoren ab, z. B. der Anzahl der Teil‐ nehmer oder dem Umfang der ausgehändigten Materialien. In diesem Fall in‐ formiert die ausführliche Methodenbeschreibung darüber, mit welchen Fak‐ toren die optimale Abstufung zusammenhängt. Nach einigen Zusatzinformationen folgen in fast jedem Kapitel sowohl eine Kurzbeschreibung der Methode, Übung oder Analyse als auch eine ausführliche Beschreibung mit allen nötigen Details. Die vielen Details sollen vor allem denje‐ nigen Lesern bei der Umsetzung der Beschreibungen helfen, die erst über wenig praktische Erfahrung mit Gruppenarbeitsmethoden verfügen. Lesern mit einem großen Erfahrungsschatz genügen vermutlich häufig auch die Kurzbeschrei‐ bungen. Mit der Zeit werden Sie sehr wahrscheinlich immer mehr eigene Ideen und Erweiterungen einbringen, die sich stärker an der individuellen Zusammenset‐ zung und dem Erfahrungs- und Kenntnisstand der Gruppe orientieren. Bitte 70 5 Einführung in die Gruppenarbeitsmethoden <?page no="71"?> scheuen Sie sich nicht, Ihre Ergänzungen in dieses Buch einzutragen oder ein‐ zukleben, damit es Ihnen auch langfristig praktische Dienste leisten kann. An dieser Stelle sei bereits auf die Einladung zur Einreichung von Ergänzungen in Kapitel 13.4 verwiesen. Denn bei dem reichhaltigen Fundus an vorhandenen Methoden ist es nicht möglich, jede einzeln vorzustellen oder in der Praxis an‐ zuwenden, um ihren tatsächlichen Nutzen zu evaluieren. Methodenplatzierung und ihre Kategorisierung Dieses Buch ist sowohl als sogenanntes Kochrezeptals auch als Anregungsbuch zu verstehen. Mit dem Ausdruck Kochrezept wird dabei der oben erwähnte stark strukturierte und detailreiche Ablauf bezeichnet, der in den Methodenbeschrei‐ bung enthalten ist. Die aufgelisteten Methoden lassen sich dabei einerseits in ihrem jeweils beschriebenen Anwendungsgebiet einsetzen, können jedoch an‐ dererseits auch modifiziert und gekürzt bzw. erweitert werden, falls dies der zu lösenden Problemstellung angemessener erscheint. Mit dieser Aussage soll nicht versucht werden, es allen Lesern möglichst recht zu machen, vielmehr trägt sie dem zu Beginn dieses Abschnitts erläuterten Sachverhalt Rechnung, dass ver‐ schiedene Leser über unterschiedliche Kenntnisstände und Erfahrungsgrade in der methodischen Gruppenarbeit verfügen. Alternative Verwendungsmöglichkeiten Die thematischen Einteilungen der Methoden sind zunächst als Vorschläge zu verstehen. Um daneben auch alternative Verwendungsmöglichkeiten abzu‐ bilden, enthält jedes Methodenkapitel ein Netzdiagramm, das darstellt, welchen alternativen Zwecken die Methode dienen könnte. Dafür enthält das Diagramm die fünf Kategorien »Erwartungen und Feedback« (E), »Ideen finden« (I), »Kon‐ zepte erarbeiten oder erweitern« (K), »Lernen« (L) und »Lehren und Vorträge halten« (V). Die folgende Abbildung zeigt dazu ein Beispielnetzdiagramm: Abbildung 5-1: Die mit diesem Beispielnetzdiagramm beschriebene Methode eignet sich zur allem zur Ideenfindung, kann jedoch ebenfalls zur Konzepterarbeitung eingesetzt werden. Zudem wäre es auch möglich, Erwartungshaltungen zu klären. 71 5.1 Der Aufbau der Kapitel <?page no="72"?> Diese Netzdiagramme bieten den Vorteil, mit einem Blick sehr gut erfassbar zu sein. Bitte nutzen Sie die Netzdiagramme als Orientierung für den Einsatz der jeweiligen Methoden in Ihrem eigenen Kontext. 5.2 Verwendete Begriffe Um Abläufe und Routinen, die sich ständig wiederholen, nicht in jedem Metho‐ dentext erneut vorstellen zu müssen, werden nun die Schlüsselbegriffe aus den Methodentexten erläutert. 5.2.1 Leiter und Gruppenleiter Für einige Methoden benötigen die Teilnehmer jemanden, der Aufgaben an sie delegiert und auf die genaue Einhaltung des Methodenablaufs achtet, ohne ihn zu moderieren. Diese Person wird in den folgenden Methodentexten als »Leiter« bezeichnet. Der Begriff »Gruppenleiter« bezeichnet hingegen den formellen Leiter der Gruppe. Sofern in den Methodentexten nicht anders angegeben, nimmt der Gruppenleiter die Rolle des Leiters ein. 5.2.2 Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung In den Kurzinfos tauchen häufig die bereits erwähnten Schlagwörter Modera‐ tion, Zeitnahme und Ergebnissicherung auf. Deshalb erklären die folgenden Er‐ läuterungen die organisatorischen und personellen Arbeitsschritte, für die diese Schlagwörter in der Kurzinfo stellvertretend eine Gedankenstütze bilden sollen. Moderation Das Schlagwort Moderation in der Kurzinfo deutet darauf hin, dass die Gruppe einen Moderator benötigt. Wie bereits in Kapitel 3 beschrieben, moderiert der Moderator Diskussionen, delegiert Aufgaben an die Teilnehmer und achtet auf die genaue Einhaltung des Methodenablaufs und der Regeln. Zudem verfügt der Moderator über ein Grundwissen zum diskutierten Thema, hat jedoch kein allzu starkes Interesse, selbst an der Diskussion teilzunehmen oder sie in eine be‐ stimmte Richtung zu lenken. Daher ist es für die nachfolgenden Methoden oft günstig, wenn eine Person die Rolle des Moderators einnimmt, die nicht Teil der Diskussionsrunde ist, die aber über ausreichend Hintergrundwissen verfügt, um die Beiträge der Teil‐ nehmer verstehen zu können. Wenn sich der Gruppenleiter oder ein Teilnehmer 72 5 Einführung in die Gruppenarbeitsmethoden <?page no="73"?> nicht an der durchzuführenden Gruppenarbeit beteiligen möchte, kann er auch die Rolle des Moderators übernehmen. Falls es die Methode zwingend erfordert, dass eine ganz bestimmte Person die Rolle des Moderators einnimmt, geht der entsprechende Methodentext darauf noch einmal ein. Werden Gruppenleiter und Moderator getrennt voneinander im Methodentext erwähnt, bedeutet dies, dass eine andere Person als der Gruppenleiter die Rolle des Moderators ein‐ nimmt. Zeitnahme Die meisten Methoden finden innerhalb eines fest vorgegebenen zeitlichen Rahmens statt. Deshalb achtet ein Zeitnehmer auf die Einhaltung der Zeitvor‐ gaben. Dies Aufgabe kann der Moderator, der Leiter oder auch ein beliebiger Teilnehmer übernehmen. Seine Aufgabe ist es, die anderen Teilnehmer in In‐ tervallen über die noch verbleibende Bearbeitungszeit bzw. letztlich deren Ab‐ lauf zu informieren. Bei kleinen Gruppen reicht die mündliche Bekanntgabe aus; bei großen oder verteilt arbeitenden Gruppen kann er Aufmerksamkeit bei‐ spielsweise durch Dimmen des Lichts im Raum oder eine Trillerpfeife, eine Glocke oder eine über Verstärker abgespielte Audiodatei verwenden. Methoden, für die ein Zeitnehmer benötigt wird, sind in der Kurzinfo mit dem Begriff Zeitnahme gekennzeichnet. Da die Aufgabe des Zeitnehmers nicht abhängig von der jeweiligen Methode variiert, beschränken sich die folgenden Methodentexte auf die Nennung der Zeitvorgaben, um kenntlich zu machen, dass ein Zeitnehmer ausgewählt werden muss, um sich um die Einhaltung der Zeitvorgaben zu kümmern. Die Person des Zeitnehmers selbst wird dabei nicht erneut erwähnt. Ergebnissicherung Die erarbeiteten Ergebnisse lassen sich nur dann gewinnbringend weiterver‐ wenden, wenn sie während des Methodenablaufs oder im Anschluss daran pro‐ tokolliert werden. Bei vielen Methoden geht die Ergebnissicherung bereits mit dem Methodenablauf einher, etwa beim Brainwriting oder bei Methoden, bei denen die Teilnehmer während des Methodenablaufs vorgefertigte Tabellen ausfüllen, die sich anschließend zu einem Ergebnisprotokoll zusammenfügen lassen. Ein auf der Tafel protokolliertes Brainstorming würde dabei ebenfalls als eine Methode gelten, bei der die Ergebnissicherung schon Teil des Methoden‐ ablaufs ist: Ein Tafelanschrieb lässt sich zwar nicht direkt als Ergebnissicherung verwenden, kann aber leicht in einem Fotoprotokoll festgehalten werden. Bei Methoden hingegen, die nicht ohnehin schon eine Ergebnissicherung be‐ inhalten, weist der Vermerk Ergebnissicherung in der Kurzinfo darauf hin, dass 73 5.2 Verwendete Begriffe <?page no="74"?> die Ergebnisse am Ende noch festgehalten werden müssen. So kann der Leiter im Vorfeld entscheiden, ob er die Ergebnissicherung selbst durchführt oder einen der Teilnehmer als Schriftführer bestimmt. Da aus dem Kontext der Me‐ thode ersichtlich ist, ob der Leiter oder ein beliebiger Teilnehmer die Rolle des Schriftführers einnehmen können, erwähnen die nachfolgenden Methodentexte die Rolle des Schriftführers, ohne sie jedes Mal explizit einzuführen. 5.2.3 Visualisierungsmedien Oft werden Medien wie Flipchart, Pinnwand, Smartboard oder Beamer mit da‐ zugehöriger Projektionsleinwand benötigt. Dabei ist meist gar nicht entschei‐ dend, welches der genannten Medien benutzt wird, und in diesem Fall steht in der Kurzinfo der allgemeine Begriff Visualisierungsmedium. Wenn dieser Begriff auftaucht, sollte der Leiter außerdem stets ausreichend passende Schreibmate‐ rialien bereitstellen. Sollte die Art des Visualisierungsmediums für die Methode dennoch ent‐ scheidend sein - wenn etwa die Teilnehmer Karten ausfüllen, die an eine Pinn‐ wand geheftet werden müssen -, ersetzt die entsprechende Bezeichnung den allgemeinen Begriff Visualisierungsmedium. Abbildung 5-2: Ein Seminarraum mit Flipchart und Smartboard als Visualisierungsme‐ dien 74 5 Einführung in die Gruppenarbeitsmethoden <?page no="75"?> 5.2.4 Schreibmaterialien und Schreibgelegenheiten Sind Schreibmaterialien für eine Methode zwingend erforderlich, wird dies in der Kurzinfo vermerkt. Der Begriff Schreibmaterialien bezeichnet dabei Stifte und beschreibbares Papier pro Teilnehmer. Bei Methoden, für die die Teilnehmer nur Stifte und kein individuelles Papier benötigen, steht statt Schreibmaterialien der Hinweis Stifte pro Teilnehmer. Dies ist etwa bei den Impulsplakaten (S. 106) der Fall. Jedem Teilnehmer sollten stets mehrere Stifte in verschiedenen Farben zur Verfügung stehen. Davon abgesehen sollten sich die Teilnehmer immer ei‐ gene Notizen machen dürfen. Zusätzlich wird mit dem Vermerk Sitz- und Schreibgelegenheiten in der Kurz‐ infodarauf hingewiesen, ob Stühle oder ähnliche Sitzgelegenheiten für die Me‐ thode benötigt werden und ob ebenfalls Arbeits- oder Schreibflächen wie Tische oder Pulte für jeden Teilnehmer vorhanden sein müssen. 5.3 Allgemeine Hinweise zur Anwendung der Methoden 5.3.1 Lesegeschwindigkeit bei Fachtexten Bei vielen Gruppenarbeitsmethoden muss der Leiter oder Moderator für die Zeitplanung die Dauer einschätzen, die die Teilnehmer benötigen, um ausge‐ teilte Materialien zu lesen und inhaltlich zu erfassen. Die Lesegeschwindigkeit variiert von Teilnehmer zu Teilnehmer und hängt darüber hinaus von einer Vielzahl verschiedener Faktoren ab. Dazu gehören etwa das Fachgebiet, die Länge des Fachtextes, der bereits vorhandene Wissensstand der Teilnehmer usw. Entsprechend lässt sich die Lesedauer nur angenähert vorhersagen. Daher beschränkt sich dieses Kapitel auf eine grobe Faustregel, mit deren Hilfe Sie die voraussichtliche Lesegeschwindigkeit von Fachtexten in der Praxis ermitteln können: Für kurze Texte mit weniger als ca. 1000 Wörtern ergibt sich eine durch‐ schnittliche Bearbeitungsgeschwindigkeit von etwa 160 Wörtern pro Minute. Für lange Texte mit mehr als ca. 1000 Wörtern hingegen ergibt sich eine durchschnittliche Bearbeitungsgeschwindigkeit von etwa 90 Wörtern pro Minute. Zur Abschätzung: 1000 Wörter entsprechen etwa drei Seiten in diesem Buch. 75 5.3 Allgemeine Hinweise zur Anwendung der Methoden <?page no="76"?> 5.3.2 Tipps zur Verwendung des Visualisierungsmediums Folgende Tipps können dabei helfen, die verwendeten Visualisierungsmedien möglichst gewinnbringend einzusetzen: ▸ Die Bedienung des Visualisierungsmediums sollten Sie vorher allein üben. Vor allem bei digitalen Medien wie Smartboards oder berührungsempfind‐ liche Großmonitore, die eine eigene Software benötigen, sollten Sie zu‐ nächst Sicherheit im Umgang mit der Software und dem Medium erreichen. ▸ Um nicht unnötig viel Platz auf dem Visualisierungsmedium zu ver‐ schwenden und zusätzlich die Einprägsamkeit zu erhöhen, sollten Sie Schlag‐ worte statt ausformulierter Sätze aufschreiben. Auch Symbole (Smileys, auf- oder absteigende Pfeile) und Farben (s.u.) dienen dem Platzsparen. ▸ Das Geschriebene muss gut lesbar sein, d. h. groß und deutlich. Dazu schreiben Sie im Vorfeld einige Wörter oder Symbole auf das jeweilige Visualisierungsmedium und testen Ihre Notizen einmal von der anderen Ecke des Arbeitsraumes aus auf Lesbarkeit. ▸ Verwenden Sie sowohl Großals auch Kleinbuchstaben. Längere Wörter, die nur in GROSSBUCHSTABEN geschrieben wurden, sind schwerer lesbar, die ausschließliche verwendung von kleinbuchstaben [sic! ] sieht entweder wie ein Schreibfehler aus oder als entstamme sie einer Kom‐ munikation via Smartphone. ▸ Ein einheitliches Farbschema (z. B. blau für Überschriften, grün für Bei‐ spiele und schwarz für normalen Text oder rot für negative und grün für positive Effekte) kann die Einprägsamkeit die schnelle Zuordnung des Geschriebenen erhöhen. ▸ Falls das Visualisierungsmedium ein Flipchart ist, empfiehlt es sich, immer die breite Seite der Flipchartstifte zu verwenden. Dies macht die Schrift besser lesbar. ▸ Während des Schreibens sollten Sie nicht ununterbrochen zum Visuali‐ sierungsmedium sprechen. ▸ Das Geschriebene sollte idealerweise während des Schreibens für die Teilnehmer lesbar sein. Achten Sie als Schreiber darauf, etwas versetzt zu Medium zu stehen oder das Geschriebene durch Beiseitetreten kurzfristig wieder sichtbar zu machen. ▸ Vollgeschriebene Flipchartblätter, die noch benötigt werden könnten, werden nummeriert und an einer Wand befestigt. Gute Flipchartständer bieten aber auch rechts und links ausfahrbare Schienen zur Aufnahme dieser Blätter an. 76 5 Einführung in die Gruppenarbeitsmethoden <?page no="77"?> 5.3.3 Divers zusammengesetzte Teams In der heutigen Zeit sollte die persönliche Diversität von Gruppenmitgliedern keine stigmatisierende oder ausgrenzende Rolle spielen. Im Gegenteil: Ein auf‐ geschlossenes Team weiß um die Vorteile einer heterogenen Zusammensetzung und wird diese begrüßen und - solange dies von den Betroffenen auch unter‐ stützt wird - auch aktiv nutzen. Allerdings ist eine besondere Erwähnung von Gruppenmitgliedern, die motorisch-körperliche Einschränkungen haben, an dieser Stelle geboten. Einige der im Folgenden aufgeführten Methoden inte‐ grieren körperliche Aktivitäten. Es ist daher sinnvoll, wenn der Leiter sich wäh‐ rend der Planung der Gruppenarbeitsphasen bezüglich dieses Aspekts auch Gedanken darüber macht, wie er stets alle Teilnehmer gleichberechtigt in den Arbeitsprozess einbinden kann. ▸ Er kann sich entscheiden, seine Methodenauswahl so zu gestalten oder zu ändern, dass keine für einige Teilnehmer nicht durchführbaren Ak‐ tionen enthalten sind. ▸ Er kann während der entsprechenden Arbeitsphasen einen anderen Teil‐ nehmer bitten, eine stellvertretende Rolle einzunehmen. Falls die Ar‐ beitsphase alle Teilnehmer involviert, könnte er selbst auch diese Stell‐ vertreterrolle ausfüllen. ▸ Er kann die praktische Aktivität der Methode derart anpassen oder um‐ gestalten, dass allen Teilnehmern ein Mitmachen ermöglicht, wenn auch in einem möglicherweise reduzierten Maß. ▸ Er kann mit dem betroffenen Mitglied besprechen ob die körperlich ak‐ tiven Teile einer Methode ggf. ohne seine aktive Teilnahme durchgeführt werden dürfen. Die getroffenen Entscheidungen und die Gründe dafür sollten dann der gesamten Gruppe kommuniziert werden. ▸ Er kann alle Teilnehmer bitten, Lösungsvorschläge zu unterbreiten, wie in der speziellen Situation im Sinne des Teams weiterverfahren werden könnte. Es ist stets sinnvoll und auch hilfreich, alle betroffenen Personen aktiv und frühzeitig in das Geschehen und ggf. den Methodenfindungsprozess einzu‐ binden. Über allen methodischen Arbeitsprozessen steht die Integrität der ge‐ samten Gruppe. Keinesfalls sollte diese gefährdet werden durch eine unbedacht ausgrenzende Entscheidung. 77 5.3 Allgemeine Hinweise zur Anwendung der Methoden <?page no="79"?> 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe »Mit einer Hand lässt sich kein Knoten knöpfen.« M O N G O L I S C H E S S P R I C HW O R T Ohne entsprechende Vorbereitung kann keine Gruppe Lösungen zu vorgege‐ benen Problem- oder Fragestellungen finden. Bevor die Gruppe mit dieser so‐ genannten lösungsorientierten Gruppenarbeit beginnen kann, muss ihr Leiter oder Moderator zunächst die gruppendynamischen Voraussetzungen schaffen und mögliche organisatorische Schwierigkeiten überwinden. Zu diesen grup‐ pendynamischen Voraussetzungen gehören z. B. das gegenseitige Kennenlernen der Teilnehmer und das Sammeln erster Erfahrungen bei der gemeinsamen Zu‐ sammenarbeit. Daher präsentiert das folgende Kapitel Methoden und Übungen, die u. a. einen effektiven und strukturierten Ablauf der Kennenlernphase er‐ möglichen und die Zusammenarbeit der Teilnehmer untereinander trainieren und unterstützen. Auch während der problemlösungsorientierten Gruppenarbeit fallen häufig kleinere organisatorische Aufgaben an. Dazu zählt beispielsweise das Aufteilen der Teilnehmer auf mehrere Kleingruppen oder das Festlegen der Reihenfolge, in der die Teilnehmer ihre Beiträge einbringen. Deshalb stellt das Kapitel eben‐ falls Übungen zusammen, die einen konventionellen oder methodischen Rahmen für diese organisatorischen Aufgaben bilden. Konventionelle Lösungen wie z. B. das Aufteilen der Teilnehmer durch Auslosen der jeweiligen Klein‐ gruppe haben den Vorteil, dass sie sehr wenig Zeit in Anspruch nehmen. Die in diesem Kapitel präsentierten Übungen bieten dem Leiter oder Moderator jedoch die Möglichkeit, solche Prozesse spielerisch zu gestalten. Dadurch lockern sie obligatorische Aufgaben auf, bilden einen Kontrast zu den Arbeitsphasen und dienen auf diese Weise zugleich als Pausen- und Erholungszeit. Am Ende des Kapitels sind einige Übungen aufgeführt, die sich für die Ge‐ staltung von regulären Pausen zwischen den jeweiligen Arbeitsphasen eignen. Dabei ist entscheidend, dass die Pausen keinesfalls ermüden dürfen und - wenn möglich - nicht passiv verbracht werden sollten. Pausen dienen der Erholung. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht auch zugleich die Teilnehmer anregen und aktivieren können und sollen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Teil‐ <?page no="80"?> nehmer unkonzentriert in die anschließende Arbeitsphase gehen. Die Übungen zur Pausengestaltung setzen daher ihren Schwerpunkt darauf, die Teilnehmer während der Pause zu aktivieren und ihnen eine Abwechslung zu den Arbeits‐ phasen zu bieten. 6.1 Übersicht Zu den Vorbedingungen für die lösungsorientierte Gruppenarbeit gehört zu‐ nächst die in Kapitel 6.2 behandelte Kennenlernphase. Dafür bietet das Kapitel sowohl Übungen, die es allen Teilnehmern ermöglichen, sich untereinander kennenzulernen, als auch Übungen, bei denen sich nicht zwangsläufig alle Teil‐ nehmer kennenlernen, die jedoch einen spielerischeren Charakter aufweisen. Letztere Übungen empfehlen sich vor allem, wenn die Zeit für eine ausführliche Kennenlernphase zu knapp wäre, oder wenn ein entspannter Einstieg in die Gruppenarbeit besonders wichtig ist. Für viele der ab Kapitel 7 aufgeführten Methoden müssen Kleingruppen ge‐ bildet werden. Daher werden in Kapitel 6.3 Übungen vorgestellt, die für eine rasche Aufteilung der Gesamtgruppe in Kleingruppen sorgen. Das anschließende Kapitel 6.4 stellt Übungen vor, die die Beitragsreihenfolge methodisch festlegen. Die Übungen in Kapitel 6.5 eignen sich sowohl dazu, vor Beginn der gemein‐ samen Arbeit die Erwartungshaltungen und Motive aller Teilnehmer zu klären, als auch dazu, zum Abschluss Raum für Feedback zu geben. Sie beugen somit zum einen falschen Erwartungen und Enttäuschungen vor. Zum anderen bieten sie dem Leiter oder Moderator Anregungen für mögliche Änderungen oder Ver‐ besserungen des methodischen Arbeitsablaufs oder zu seiner eigenen Rolle bei der Umsetzung der Gruppenarbeitsmethode. Die Förderung der Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe wird in Kapitel 6.6 thematisiert. Bei langen Seminaren spielt schließlich die Auflockerung durch Unterbre‐ chungen und aktivierende Pausen eine wichtige Rolle. Die Übungen in Kapitel 6.7 eignen sich sowohl für gewöhnliche Unterbrechungen als auch für aktivie‐ rende Pausen, die den Teilnehmern die Möglichkeit zu körperlicher und geis‐ tiger Bewegung bieten. 80 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="81"?> 6.2 Sich kennenlernen 6.2.1 Bingo < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ keine Sitzgelegenheiten erforderlich ▸ Schreibmaterialien pro Teilnehmer ▸ 1 Bingo-Zettel pro Teilnehmer Ziel Die Teilnehmer lernen andere Teilnehmer auf spielerische Art kennen. Au‐ ßerdem bietet die Übung die Möglichkeit, mehr als bloß die obligatorischen Daten wie Name und Fachbereich der Teilnehmer in Erfahrung zu bringen. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer erhalten ähnlich wie beim Bingo je eine Karte mit einem recht‐ eckigen Schema. Darauf sind im Gegensatz zum regulären Bingo keine Zahlen, sondern bestimmte Eigenschaften vermerkt, die die Teilnehmer miteinander gemeinsam haben könnten. Die Aufgabe der Teilnehmer besteht nun darin, im Gespräch mit den anderen Teilnehmern übereinstimmende Eigenschaften zu finden. Wer dies zuerst bei allen vier Eigenschaften in einer horizontalen, ver‐ tikalen oder diagonalen Linie geschafft hat, ruft »Bingo«. Damit ist die Übung beendet. Ausführliche Beschreibung Jeder Teilnehmer erhält eine Karte mit vier Spalten und vier Zeilen, sodass sich 16 gleichgroße rechteckige Felder ergeben. In jedem Feld ist eine Eigenschaft angegeben, die der Teilnehmer mit anderen Teilnehmern gemeinsam haben 81 6.2 Sich kennenlernen <?page no="82"?> könnte, z. B. »Teilt mit mir ein gemeinsames Hobby«. Die Eigenschaften und deren Anordnung sind auf allen Karten identisch. Die Aufgabe der Teilnehmer besteht nun darin, andere Teilnehmer zu finden, mit denen sie diese Eigenschaften teilen. Wenn ein Teilnehmer jemanden ge‐ funden hat, tragen die beide den Namen ihres jeweiligen Partners in das ent‐ sprechende Feld der eigenen Karte ein. Dabei darf kein Teilnehmer zwei Mal denselben Teilnehmernamen auf seiner Karte vermerken. Die für die Bingokarte ausgewählten Eigenschaften können ganz bewusst etwas vage formuliert sein. Aus der Eigenschaft »Hat das gleiche Lieblingsspiel wie ich« aus der unten dargestellten Beispielkarte geht nicht hervor, ob ein Gesellschafts- oder Computerspiel oder eine ganz andere Art von Spiel gemeint ist. Indem die Teilnehmer untereinander klären, in welchen Attributen genau sie sich gleichen, entsteht ein reger Austausch, was das Kennenlernen zusätzlich fördert. Befinden sich schließlich auf der Karte eines Teilnehmers vier ausgefüllte Felder in einer horizontalen, vertikalen oder diagonalen Reihe, ruft er »Bingo«, wodurch die Übung beendet wird. Ist im selben Bun‐ desland wie ich ge‐ boren. Arbeitet im selben Fachbereich wie ich. Hat ebenfalls be‐ reits die Hauptstadt … besucht. Hat genauso viele Kinder wie ich. Ist im selben Jahr‐ zehnt wie ich ge‐ boren. Fährt auch mit dem Fahrrad (Auto, Bus, Bahn …) zur Arbeit. Teilt mit mir ein ge‐ meinsames Hobby. Hat das gleiche Lieblingsspiel wie ich. Besitzt ebenfalls ein/ kein Haustier. Hat die gleiche Schuhgröße wie ich. Hat das gleiche Schulfach wie ich nicht gemocht. Hat ebenfalls einen/ keinen Garten. Spricht die gleiche Fremdsprache wie ich (außer Eng‐ lisch). Ist in der gleichen Jahreszeit wie ich geboren. Hat dieselbe Lieb‐ lingsfarbe (Lieb‐ lingszahl) wie ich. Sieht gerne dieselbe Serie wie ich. Abbildung 6-1: Beispiel-Bingokarte Tipps Die Bingokarten sollten aus einem Karton erstellt werden, der ein einfaches Notieren der jeweiligen Namen ohne zusätzliches Klemmbrett als Unterlage er‐ möglicht. Motivpostkarten haben sich hier bewährt; diese stellen gleichzeitig über ihr Motiv einen Bezug, z. B. zum Seminarort her. 82 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="83"?> Beim Erstellen der Bingokarte sollten Sie Formulierungen wählen, die der einzelne Teilnehmer in jedem Fall auf sich beziehen kann: Auf der Beispielkarte findet sich z. B. die Formulierung »Hat ebenfalls einen/ keinen Garten«. Dies können sowohl zwei Teilnehmer ausfüllen, die beide einen Garten besitzen, als auch zwei Teilnehmer, die beide keinen Garten besitzen. Solche Formulierungen verringern die Gefahr, dass die Übung sehr lange dauert oder kein Ende findet, weil kein Teilnehmer genügend gemeinsame Attribute mit den anderen Teil‐ nehmern teilt. Variante ▸ Der Methode kann ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad hinzugefügt werden, der gleichzeitig sicherstellt, dass sich die Teilnehmer die Namen der anderen besser merken. Dazu wird verlangt, dass die Teilnehmer auf alle Teilnehmer deuten müssen, mit denen sie eine Eigenschaft aus der vollständig ausgefüllten horizontalen, vertikalen oder diagonalen Linie teilen, wenn sie »Bingo rufen«. Dabei müssen sie außerdem die entspre‐ chende Eigenschaft nennen, ohne jedoch auf der Tabelle nachzusehen. ▸ Als zusätzlichen Anreiz kann der Leiter demjenigen Teilnehmer, der als Erstes »Bingo« ruft, einen kleinen Preis wie etwa eine Süßigkeit oder einen Schreibblock in Aussicht stellen. ▸ Für kleinere Gruppen unter acht Teilnehmern reicht eine Tabelle mit 3 x 3 Feldern aus. Vor- und Nachteile + Der Ablauf der Übung ist weniger eng vorgegeben als bei anderen Kennen‐ lernübungen und weist einen spielerischeren Charakter auf. - Nicht alle Teilnehmer lernen sich durch die Übung kennen. 6.2.2 Ich packe meinen Koffer und nehme mit … < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 83 6.2 Sich kennenlernen <?page no="84"?> Kurzinfo ▸ Sitzgelegenheiten optional Ziel Wenn sich das Kennenlernen zunächst darauf beschränken soll, die Namen der einzelnen Teilnehmer zu erlernen (weil sie sich im Verlauf der folgenden Ar‐ beitsphasen ohnehin noch besser kennenlernen werden), ist diese spielerische und effiziente Methode gut geeignet. Kurzbeschreibung Zuerst stellen sich die Teilnehmer der Reihe nach mit ihrem Namen vor. An‐ schließend bilden sie ähnlich wie in dem Spiel »Ich packe in meinen Koffer und nehme mit …« Merksätze, in denen sie erst die bereits genannten Teilnehmer aufzählen und anschließend einen noch nicht genannten Teilnehmer hinzu‐ fügen. Dieser Teilnehmer formuliert seinerseits selbst wieder einen Satz nach dem bekannten Schema. Die Übung geht so lange weiter, bis in einem Satz alle Teilnehmer erwähnt wurden. Ausführliche Beschreibung Die Teilnehmer bilden zu Beginn sitzend oder stehend einen Kreis, in dem sie einander ansehen können, und stellen sich zunächst der Reihe nach in einer kurzen Vorstellungsrunde vor. Danach wählt der Leiter eine Einleitung aus, die dem Satzanfang »Ich packe meinen Koffer und nehme mit …« aus dem gleich‐ namigen Spiel ähnelt. Dieser Satz kann dabei Bezug auf den Grund für das Zu‐ sammentreffen nehmen. Bei einem Seminar über Vortragstechnik könnte der Satzanfang z. B. lauten: »Ich besuche heute ein Vortragsseminar und nehme mit …« Anschließend bestimmt der Leiter zufällig einen Teilnehmer, der dann mit der eigentlichen Übung beginnt, indem er an den vorgegebenen Satzanfang einen Teilnehmernamen anhängt und dabei auf den entsprechenden Teilnehmer deutet. Der genannte Teilnehmer muss nun seinerseits die Einleitung sowie den Namen des vorangegangenen Teilnehmers wiederholen und erneut einen wei‐ teren, noch nicht genannten, Namen hinzufügen. Dabei deutet derjenige, der an der Reihe ist, immer auf den jeweiligen Teilnehmer, wenn er den entsprechenden Namen nennt. Für Teilnehmer, die am Schluss an der Reihe sind, wird die Übung so immer schwieriger. Dabei sollte der Leiter im Vorfeld erklären, dass es Teil der Methode ist, wenn Teilnehmer bei der Namensnennung kurz ins Stocken geraten oder Hilfe benö‐ tigen. Auf diese Weise prägen sich die Namen besser ein. 84 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="85"?> Auch wenn einigen Teilnehmern das Zeigen auf einzelne Personen mögli‐ cherweise unangenehm ist, stellt es ein zentrales Element der Methode dar, da es verhindert, dass Teilnehmer allein die Reihenfolge der bereits genannten Teilnehmer auswendig lernen. Durch das Deuten können sie die genannten Namen auch mit den entsprechenden Teilnehmern verbinden. Stattdessen kann aber auch ein anderes Zeichen verwendet werden, wie etwa Blickkontakt. Bei solchen subtileren Zeichen besteht jedoch eine stärkere Gefahr, dass die Teil‐ nehmer das Zeichen vergessen und sich auf das Lernen der richtigen Reihen‐ folge beschränken. Tipp Damit das Behalten der Namen einfacher und nachhaltiger wird, kann der Mo‐ derator den Teilnehmern vorschlagen, die Nennung ihrer Namen um eine As‐ soziation und eine Geste zu erweitern, z. B. »Mein Name ist Martin, wie St. Martin, aber mein Pferd habe ich draußen im Schnee angebunden.« (zeigt nach draußen) oder »Mein Name ist Gordalla, weil ich alle gordischen Knoten durch‐ schlagen kann.« (und macht dabei eine Geste, als würde er ein Schwert führen). Anmerkung Auf die Vorstellungsrunde ganz zu Beginn der Übung kann verzichtet werden, falls die Teilnehmer schon vorab kurz miteinander ins Gespräch gekommen sind und so jeder Teilnehmer bereits mindestens einen anderen Namen kennt. Vor- und Nachteile + Wenn ausschließlich Namen auswendig gelernt werden sollen, stellt die Methode eine spielerische Alternative zum bloßen »Pauken« dar. - Bei denjenigen Teilnehmern, die zu Beginn an der Reihe waren, besteht die Gefahr, dass sie die Namen der nach ihnen genannten Teilnehmer nicht verinnerlichen. 85 6.2 Sich kennenlernen <?page no="86"?> 6.2.3 Partnerinterview < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ 1 Interviewbogen pro Teilnehmer optional Ziel Die Teilnehmer kennen im Anschluss an die Methode von jedem anderen Teil‐ nehmer die wichtigsten persönlichen und beruflichen Eckdaten. Zusätzlich hat jeder mit einem anderen Teilnehmer bereits ein intensives Gespräch geführt und Informationen ausgetauscht, die über die Informationen aus einer einfachen Vorstellungsrunde deutlich hinausgehen. Kurzbeschreibung Jeder Teilnehmer sucht sich einen Partner, mit dem er anschließend ein Ge‐ spräch führt. In dessen Verlauf stellen sich beide Partner einander vor, indem sie Eckdaten wie etwa Name, Beruf, Arbeits- oder Fachbereich austauschen und indem daran anknüpfend möglicherweise Raum für weitere Gesprächsthemen entsteht. Nachdem sich das Interviewpaar auf diese Weise kennengelernt hat, stellt jeder Teilnehmer seinen jeweiligen Partner der großen Runde vor. Ausführliche Beschreibung Der Leiter bittet die Teilnehmer, sich jeweils einen Partner zu suchen. Dabei kann die Partnersuche ohne weitere Übung stattfinden oder der Leiter wendet eine der in Kapitel 6.3 vorgestellten Aufteilungsübungen an. Eine solche Übung empfiehlt sich vor allem dann, wenn sich einzelne Teilnehmer bereits kennen und verhindert werden soll, dass genau diese Teilnehmer jeweils Paare bilden. Bei einer ungeraden Anzahl an Teilnehmern nimmt der Leiter selbst an der Übung teil. 86 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="87"?> Nachdem jeder einen Partner gefunden hat, haben die Teilnehmer fünf Mi‐ nuten Zeit, um sich im Gespräch kennenzulernen. Das Gespräch kann dabei ohne äußere Vorgaben stattfinden, aber der Leiter kann auch anregen, spezielle Sachverhalte zu Beginn des Gesprächs abzusprechen. Dazu kann er eine Liste mit Fragen vorbereiten und diese an die Teilnehmer austeilen oder auf einem Flipchart zeigen. Im Anschluss an das Partnergespräch stellen oder setzen sich die Teilnehmer in einer Runde zusammen, sodass sich alle gut im Blick haben. Anschließend stellt jeder der Reihe nach seinen jeweiligen Partner vor. Der vorgestellte Partner kann danach noch kurz Korrekturen oder Ergänzungen hinzufügen. Die Übung endet, wenn jeder seinen Partner vorgestellt hat. Die Vorstellungsrunde vor der Gruppe kann sehr zeitintensiv ausfallen. Falls der Leiter schon damit rechnet, sollte er vorher um eine kurze und prägnante Vorstellung bitten. Tipp Falls diese Methode mit Fragelisten durchgeführt wird, können die Fragen die Teilnehmer bereits auf relevante Details für die spätere Gruppenarbeit vorbe‐ reiten. Bei einem anschließenden Workshop über Kreativitätsmethoden wäre es z. B. denkbar, neben obligatorischen Informationen wie den Teilnehmernamen auch dessen Erwartungen oder die ungewöhnlichste jemals eingesetzte Kreati‐ vitätstechnik abzufragen. Variante Bei Gruppen mit mehr als 30 Teilnehmern, in denen ein Kennenlernen aller Teilnehmer untereinander in kurzer Zeit nicht realistisch wäre, lässt sich die Methode ebenfalls einsetzen, wenn auf die gemeinsame Vorstellungsrunde ver‐ zichtet wird. Diese Variante sorgt dann dafür, dass die einzelnen Teilnehmer in großen Gruppen zumindest einen weiteren Teilnehmer gut kennenlernen. So fühlen sie sich in der fremden Gruppe nicht unbehaglich, obwohl sie noch nicht alle anderen Teilnehmer kennen. Vor- und Nachteile + Mit dieser Methode lernen die Teilnehmer ihren jeweiligen Partner sehr viel besser kennen als alle anderen Teilnehmer. Dies kann ihnen zu Beginn der Gruppenarbeit ein Sicherheitsgefühl geben. - Durch die Konzentration auf den Partner kann die Motivation sinken, an‐ dere Teilnehmer ebenfalls gut kennenzulernen. 87 6.2 Sich kennenlernen <?page no="88"?> 6.2.4 Pinocchio-Methode < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Sitzgelegenheiten Ziel Alle Teilnehmer lernen einander kennen. Gleichzeitig schafft die Übung eine lockere Atmosphäre und bietet dank ihres spielerischen Charakters auch die Möglichkeit, entspannt in die Gruppenarbeit einzusteigen. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer stellen sich der Reihe nach vor, indem sie vor der Gruppe ihren Namen nennen sowie drei Fakten über sich erzählen, von denen jedoch ein Fakt bloß ausgedacht ist. Die anderen Teilnehmer müssen dann im Anschluss raten, welcher der drei Fakten ausgedacht war. Ausführliche Beschreibung Vor Beginn der Kennenlernrunde bittet der Leiter die Teilnehmer, sich jeweils drei Fakten zu überlegen, die sie den anderen Teilnehmern über sich erzählen möchten, von denen ein Fakt jedoch frei erfunden aber nicht unmöglich ist. Die Teilnehmer setzen oder stellen sich anschließend im Kreis zusammen, sodass sie einander sehen können. Danach stellen sie sich der Reihe nach vor, indem sie erst ihren Namen und weitere obligatorische Informationen wie Fachbereich oder Studienabschluss nennen und anschließend den anderen Teilnehmern die drei vorher ausgewählten Fakten erzählen. Nachdem sich ein Teilnehmer vor‐ gestellt hat, müssen die anderen erraten, welcher der drei Fakten nicht der Wahrheit entspricht. Unmittelbar im Anschluss deckt der Teilnehmer die Lüge auf. 88 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="89"?> Variante Die Teilnehmer können auch auf mehrere Kleingruppen von zwei bis fünf Per‐ sonen verteilt werden. Dort stellen sich die Teilnehmer nur der eigenen Klein‐ gruppe vor und lassen deren Mitglieder raten. Vor- und Nachteile + Die Methode hat einen höheren spielerischeren Charakter als z. B. → Ich packe meinen Koffer und nehme mit … (S. 83), trotzdem lernen sich wirklich alle Teilnehmer untereinander kennen. - Teilnehmern, die in Kreativitätstechniken ungeübt oder sehr zurückhaltend sind, könnte es schwerfallen, sich spontan eine gute Lüge auszudenken. 6.2.5 Speed-Dating (Kugellager, Kennenlernen) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitzgelegenheiten optional Ziel Speed-Dating eignet sich, wenn in einem Seminar viele Teilnehmer zusammen‐ kommen, die sich untereinander noch nicht kennen. Jeder Teilnehmer lernt alle anderen in kurzer Zeit kennen, sodass anfängliche Kontakthemmungen über‐ wunden werden können. Kurzbeschreibung Alle Teilnehmer bilden Paare und führen untereinander ca. drei Minuten ein zwangloses Gespräch ohne Themenvorgabe. Danach wechseln alle bis auf einen 89 6.2 Sich kennenlernen <?page no="90"?> Teilnehmer zum benachbarten Platz, sodass jeder in den nächsten drei Minuten einen weiteren Gesprächspartner kennenlernt. Dies wiederholen die Teil‐ nehmer, bis jeder mit allen (oder möglichst vielen) anderen gesprochen hat. Ausführliche Beschreibung Vor Beginn der Übung wird eine Reihe oder ein Halbkreis aus je zwei gegen‐ überstehenden Stühlen aufgebaut. Es können auch Tische zwischen die Stuhl‐ paare gestellt werden. Danach bittet der Leiter die Teilnehmer, sich auf die Stühle zu setzen, sodass jeder Teilnehmer einem anderen gegenübersitzt. Bei ungerader Teilnehmerzahl setzt sich der Leiter dazu. Anschließend beginnt die erste Speed-Dating-Runde: Jedes Teilnehmerpaar hat nun drei Minuten Zeit, um sich kennenzulernen. Wenn diese Zeit abgelaufen ist, gibt der Leiter ein Signal und die Teilnehmer rotieren. Damit jeder die Möglichkeit hat, mit jedem der anderen Teilnehmer zu reden, rotiert die Gruppe nach einem Verfahren, das so auch beim Spieler‐ wechsel in Schachturnieren zum Einsatz kommt: Einer der Teilnehmer behält seinen Platz bei, alle anderen Teilnehmer rücken einen Platz nach rechts. Nimmt der Leiter selbst am Speed-Dating teil, kann er seinen Platz beibehalten, andern‐ falls wählt er einen Teilnehmer aus, der nicht mitrotiert. Die Teilnehmer, neben denen sich rechts kein Stuhl mehr befindet, wechseln beim Rotieren auf den gegenüberliegenden Sitzplatz. Wer links vom nicht rotierenden Teilnehmer sitzt, nimmt den Sitzplatz rechts von diesem Teilnehmer ein. Abbildung 6-2 und 6-3: Schematische Darstellung des Platzwechsels beim Speed-Dating. Der hellblau eingefärbte Teilnehmer ändert seinen Sitzplatz nicht. Nach jeweils weiteren drei Minuten gibt der Leiter erneut ein Signal und die nächste Rotation findet statt. Dies kann je nach Anzahl der Teilnehmer entweder so lange weitergehen, bis alle Teilnehmer miteinander gesprochen haben, oder bis ein vorher festgelegter Zeitrahmen erreicht ist. 90 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="91"?> Das Ziel des Speed-Datings besteht darin, in überschaubarer Zeit mit mög‐ lichst vielen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Mit drei Minuten ist die Tiefe des Informationsaustauschs begrenzt, doch allein die Tatsache, dass jeder einmal mit jedem gesprochen hat, baut anfängliche Kontakthürden ab und er‐ leichtert die spätere Kommunikation. Varianten Beim Speed-Dating besteht die Gefahr, dass die Teilnehmer sich nach einer ge‐ wissen Anzahl an Platzwechseln langweilen, weil sie den wechselnden Partnern in jeder Runde dieselben Informationen präsentieren. Um dem entgegenzu‐ wirken, kann der Leiter ein Leitthema vorgeben, das nach zwei bis drei Platz‐ wechseln variiert. Bei größeren Gruppen sollte der Moderator dafür sorgen, dass die Teilnehmer sehr gut lesbare Namensschilder tragen und an jedem Platz Papier und Stift für Notizen ausliegen, damit einzelne gute Gedanken gemeinsam mit dem pas‐ senden Namen notiert werden können und nicht in der Fülle der zahlreichen anderen Gespräche untergehen. Vor- und Nachteile + Alle Teilnehmer lernen einander kennen und haben die Möglichkeit, mehr als nur obligatorische Informationen wie Name und Fachbereich auszutau‐ schen. - Die Übung ist vergleichsweise zeitaufwendig und setzt eine logistische Vor‐ bereitung voraus. - Die Übung ist weniger spielerisch als die anderen Methoden und kann daher schneller als anstrengend empfunden werden. 6.3 Aufteilungsübungen Viele Gruppenarbeitsmethoden arbeiten nicht mit einer größeren Gruppe, son‐ dern mit mehreren Kleingruppen. Es ist aber nicht immer gewollt, und auch nicht immer sinnvoll, dass sich stets die jeweils gleichen Personen wiederholt in den gleichen Kleingruppen wiederfinden. Um dies zu vermeiden, aber auch um ein wenig Abwechslung in die notwendige Zergliederung der Gruppe zu bringen, sind folgend einige besondere Methoden beschrieben. 91 6.3 Aufteilungsübungen <?page no="92"?> 6.3.1 Vorbemerkungen Aller Anfang kann schwerfallen In vielen Gruppenarbeitsszenarien stellen Übungen zur Gruppeneinteilung den ersten Kontakt der Teilnehmer mit strukturierten und sachbezogenen Grup‐ penabläufen dar. Insbesondere, wenn sich hier Personen einfinden, die zum ersten Mal überhaupt mit dieser Art von gemeinsamen Tun konfrontiert werden, kann sich an dieser Stelle eine vorsichtige Reaktanz einstellen, die in Kommentaren wie »Warum finden wir uns nicht einfach spontan in Gruppen? « oder »Das hat was von Ringelpiez mit Anfassen! « erkennbar werden. An dieser Stelle ist der Moderator gefordert, diese Stimmung wahrzunehmen und ihr sachlich zu begegnen. Dies kann, je nach Situation und Gruppe, vom Über‐ nehmen der geäußerten Vorschläge bis hin zur sachlichen Begründung zu‐ sammen mit einer verbindlich geäußerten Arbeitsanweisung reichen. Möchte der Moderator durch die Aufteilungsübungen etwa erreichen, dass Klein‐ gruppen mit gleicher Geschlechtsparität entstehen, könnte ein Übernehmen der Teilnehmereinwände sich in folgender Aussage zeigen: »Wenn Sie dies vor‐ ziehen, dann finden Sie sich bitte spontan in vier gleichstarken Kleingruppen. Aber achten Sie im Hinblick auf die späteren Arbeitsaufträge bitte auf eine größtmögliche Geschlechterparität in den Gruppen! « Eine sachliche Begrün‐ dung zusammen mit einer verbindlichen Arbeitsanweisung hingegen könnte durch folgende Aussage erreicht werden: »Da für die nachfolgende Arbeits‐ phase die größtmögliche Geschlechterparität und andere Bedingungen unbe‐ dingt eingehalten werden müssen, habe ich hier eine Methode vorbereitet, mit der wir dies schneller erreichen, als wenn Sie sich spontan aufteilen. Daher markiert dieser »Ringelpiez« bereits die erste Phase ihrer konstruktiven Arbeit. Dazu tun Sie bitte zunächst folgendes: …«. Entscheidend ist jedoch, dass der Moderator auf die Einwände der Teilnehmer reagiert und diese nicht überhört oder ignoriert, da dies die Distanz des entsprechenden Teilnehmers zur Grup‐ penarbeitsmethodik weiter verstärken kann. Nicht zugeteilte Teilnehmer Die in diesem Kapitel vorgestellten Übungen helfen dabei, die Gruppe in meh‐ rere ungefähr gleichstarke Kleingruppen aufzuteilen. Dabei kann es passieren, dass sich die Teilnehmeranzahl nicht genau durch die vorgesehene Anzahl an Kleingruppen teilen lässt, sodass einzelne Teilnehmer in keiner der Klein‐ gruppen landen. Wie sich die übrigen Teilnehmer nachträglich in die Klein‐ 92 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="93"?> gruppen einteilen lassen, hängt in diesem Fall von der Methode ab, die der Leiter im Anschluss an die Aufteilungsübung anwendet. Daher bieten die folgenden Aufteilungsübungen kein pauschales Verfahren, das in diesem Fall zu bevorzugen wäre: Für einige Methoden ist eine Neuauf‐ teilung der Kleingruppen sinnvoll, für andere ist es sinnvoller, wenn sich die übrigen Teilnehmer auf die bereits bestehenden Kleingruppen verteilen oder wenn der Leiter in einer Kleingruppe teilnimmt. Wie sich solche Probleme lösen lassen, erläutern deshalb die Abschnitte zu den einzelnen Gruppenarbeitsme‐ thoden, die auf die jeweiligen Aufteilungsübungen folgen sollen. 6.3.2 Kordelziehen < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ keine Sitzgelegenheiten erforderlich ▸ je 1 Stück Kordel (Länge: 2 bis 4 m) für 2 Teilnehmer Ziel Spielerisches Aufteilen einer Gruppe in Zweiergruppen. Beschreibung Zur Vorbereitung schneidet der Leiter pro Teilnehmerpaar ein Stück Kordel von zwei bis vier Meter Länge zurecht. Diese Kordeln verknäuelt er derart, dass alle freien Enden aus dem lockeren Knäuel herausragen (nicht verknoten! ). Nun bittet er die Teilnehmer, jeweils ein Kordelende in die Hand zu nehmen. Dabei hält er das Knäuel in der Mitte fest. Sobald jeder ein Kordelende in der Hand hält, lässt der Leiter das Knäuel los. Teilnehmer, die dasselbe Kordelstück halten, bilden eine Zweiergruppe. 93 6.3 Aufteilungsübungen <?page no="94"?> Wichtig ist, dass die Anzahl der Kordeln genau der Hälfte der Teilnehmer entspricht, da einzelne Kordeln andernfalls von bloß einem Teilnehmer gehalten werden könnten. Da die Teilnehmer zuerst alle Kordeln entwirren müssen, bevor sie heraus‐ finden, wer ihr Partner ist, erhält die Übung ein spielerisches Element. So über‐ winden sie anfängliche Hemmungen. Tipps Ein Knoten an jedem abgeschnittenen Kordelende verhindert das Ausfransen und erleichtert das Festhalten. Bei einer ungeraden Teilnehmeranzahl muss es eine Dreiergruppe geben. Für diesen Fall kann der Moderator in die Mitte einer Kordel das Ende einer zweiten Kordel fest anknoten, so dass eine Kordel mit drei Enden entsteht. Diese Methode ist, wie viele andere Methoden, die eine körperliche Aktivität einbinden, unter Umständen nicht für Teilnehmer mit bestimmten körperlichen Einschrän‐ kungen (vgl. Kapitel 5.3.3) geeignet. Variante ▸ Indem der Leiter jeweils mehrere Teilnehmer bittet, gemeinsam ein Ende der Kordel zu halten, kann er die Teilnehmer auf Kleingruppen mit einer beliebigen geraden Anzahl von Gruppenmitgliedern aufteilen. ▸ Der Leiter kann im Vorfeld Kordeln zusammenknoten, deren Anzahl an Enden der gewünschten Anzahl an Teilnehmern pro Kleingruppe ent‐ spricht. Mit dieser Variante lassen sich Kleingruppen mit mehr als zwei Mitgliedern bilden. Das Entwirren der Enden ist hier jedoch zeitaufwen‐ diger. Vor- und Nachteile + Diese Aufteilungsübung wirkt am stärksten aktivierend und knüpft an den Kennenlernprozess an, indem sie Hemmungen weiter abbaut. - Die Vorbereitung und die Durchführung dauern für eine reine Aufteilungs‐ übung relativ lange. 94 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="95"?> 6.3.3 Losverfahren max. 5 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Sitzgelegenheiten optional ▸ Plakate mit Gruppeneinteilung optional ▸ Bonbons oder Süßigkeiten zum Losen optional Ziel Eine Gruppe wird in mehrere Kleingruppen aufgeteilt. Beschreibung Um eine Gruppe in mehrere, möglicherweise verschieden große Kleingruppen aufzuteilen, befüllt der Leiter einen als Urne dienenden Behälter mit mehreren Losen, die mit den Zahlen oder Symbolen der entsprechenden Kleingruppen beschriftet sind. Danach lässt er jeden Teilnehmer der Reihe nach ein Los aus der Urne ziehen und bittet Teilnehmer mit gleichen Zahlen, sich in den ent‐ sprechenden Kleingruppen zusammenzufinden. Um diesen Prozess zu beschleu‐ nigen, kann der Leiter jeder Zahl oder jedem Symbol einen festen Ort im Raum zuweisen oder vorher an verschiedenen Stellen im Raum Plakate mit den je‐ weiligen Zahlen oder Symbolen aufhängen. Variante Die Lose bieten genug Platz, um weitere Attribute unterzubringen. Falls in einem späteren Schritt eine Neuformierung der Gruppe in andere Kleingruppen not‐ wendig wird (z. B. → Gruppenpuzzle, S. 261), können die Lose mit einem Zahlen- und einem Buchstabencode beschriftet werden. Auch Farben, einfache Muster oder Piktogramme (z. B. ☺, ♥, ♫) sind möglich. 95 6.3 Aufteilungsübungen <?page no="96"?> Tipp Das Losen lässt sich spielerisch gestalten, indem statt beschrifteter Zettel ver‐ schieden farbige Bonbons oder verschiedene Sorten von Süßigkeiten als Lose dienen. Vor- und Nachteile + Die Übung geht auch mit großen Gruppen (mehr als 30 Teilnehmer) ver‐ gleichsweise schnell und wirkt dennoch leicht aktivierend. + Während beim → Nummern zuweisen (S. 96) Kleingruppen gleicher Grup‐ pengröße entstehen, kann der Leiter hier Kleingruppen mit variierender Gruppengröße bilden. 6.3.4 Nummern zuweisen max. 2 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Sitzgelegenheiten optional ▸ Plakate mit Nummern optional Ziel Die Übung ermöglicht das sehr schnelle Aufteilen einer Gruppe in mehrere Kleingruppen mit gleicher Anzahl an Gruppenmitgliedern. Beschreibung Der Leiter bittet die Teilnehmer, in einer festen Sitzordnung Platz zu nehmen, oder sich in mehreren Reihen aufzustellen. Dann beginnt er für alle Teilnehmer hörbar, von »1« an zu zählen und deutet bei jeder Zahl auf einen Teilnehmer, 96 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="97"?> sodass er allen Teilnehmern entsprechend ihrer Sitzreihenfolge oder ihrer Auf‐ stellung eine Nummer zuweist. Entspricht die genannte Nummer der geplanten Anzahl an Kleingruppen, beginnt der Leiter mit dem Zählen erneut bei »1«. Hat er allen Teilnehmern eine Nummer zugewiesen, bittet der Leiter die Teilnehmer mit gleichen Nummern, sich in Kleingruppen zusammenzufinden. Um dies zu beschleunigen, kann der Leiter jeder Nummer einen festen Ort im Raum zuweisen oder vorher an verschiedenen Stellen im Raum Plakate mit den jeweiligen Nummern aufhängen. Variante Bei Seminaren, in denen dieselbe Gruppe mehrmals mit dieser Übung auf Klein‐ gruppen aufgeteilt wird, können Teilnehmer auch der Reihe nach ihre eigene Nummer nennen. Es empfiehlt sich, diese Variante erst durchzuspielen, nachdem der Leiter das Zählen mindestens einmal selbst übernommen hat, da sonst der Erklärungsaufwand den Zeitvorteil aufhebt. Vor- und Nachteile + Die Übung ist auch mit großen Gruppen (mehr als 30 Teilnehmer) sehr schnell durchführbar. + Im Gegensatz zu den anderen Aufteilungsübungen benötigt der Leiter keine weiteren Hilfsmittel wie z. B. Kordeln oder Süßigkeiten. - Der Spaßfaktor und die Gruppeninteraktion sind extrem niedrig. 6.3.5 PARTizipieren < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 97 6.3 Aufteilungsübungen <?page no="98"?> Kurzinfo ▸ Sitzgelegenheiten sinnvoll ▸ Kurzvortrag (1-2 Min.) zu beliebigem Thema notwendig ▸ Handouts und Stifte erforderlich Ziel Durch diese Übung kann erreicht werden, dass Kleingruppen aus Mitgliedern sich ergänzender Kompetenzen zusammengesetzt werden. Beschreibung Der Leiter bittet die Teilnehmer, Platz zu nehmen. Sie finden an ihrem Platz einen gefalteten Zettel (Inhalt noch nicht sichtbar) und hören sich zunächst einen vorbereiteten Kurzvortrag von ihm an. Das Vortragsthema selbst ist be‐ liebig, sollte aber sinnvollerweise schon inhaltlich auf das zu bearbeitende Thema abgestimmt sein. Anschließend öffnen die Teilnehmer ihre Zettel und schätzen sich selbst ein: Als ich den Vortrag über [Vortragsthema] gehört habe, dachte ich mir … … sofort: »Probieren geht über Studieren! « Sobald wir einen ersten Lösungs‐ ansatz gefunden haben, sollte dieser ausprobiert und schrittweise verbessert werden. Es gilt nun, lange Diskussionen zu vermeiden und die Ärmel hoch‐ zukrempeln. Keine Lösung ist so gut, dass sie nicht noch verbessert werden könnte. → »P« … dass dieses Thema extrem spannende und neue Möglichkeiten besitzt. So‐ bald wir einen ersten Lösungsansatz gefunden haben, sollte dieser umgesetzt und - wenn er funktioniert - beibehalten werden. »Never change a running system! « Ich habe auch schon Ideen, wie wir starten können. Mit einem netten Team ist alles möglich. → »A« … dass dieses Thema grundsätzlich Potential hat. Für eine vorausschauende Planung ist es zielführend, verschiedene Optionen zu testen, damit eine fun‐ dierte Entscheidung auf Basis aller Daten getroffen werden kann - sonst könnte es teuer werden. Zunächst sollten wir also die Meinungen des Teams einholen. → »R« … dass das Problem am besten modelliert werden sollte. Wenn es mit guter Genauigkeit theoretisch beschrieben ist, kann es schrittweise in zunehmend realistischen Szenarien kostengünstig getestet werden, so dass letztlich eine rationale Entscheidung getroffen werden kann. → »T« Bei welcher dieser Aussagen finden Sie sich wieder? Bitte kringeln Sie auf der unteren Blatthälfte den Buchstaben, der zu Ihrer ersten Wahl gehört, 98 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="99"?> doppelt ein und den Buchstaben, der zu Ihrer zweiten Wahl gehört, einfach. Halten Sie nach Aufforderung des Moderators das Blatt hoch, so dass die anderen Teilnehmer die Buchstaben mit Ihrer Markierung gut sehen können. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - P A R T Anschließend bittet der Leiter alle Teilnehmer, sich in einer von ihm genannten Anzahl von Kleingruppen zusammenzufinden, in denen nach Möglichkeit jeder der vier Buchstaben »P«, »A«, »R« und »T« mindestens einmal umkringelt ver‐ treten ist. Die vier im obigen Beispiel beschriebenen Eigenschaften orientieren sich an dem Lernstilmodell von Honey und Mumford (Honey et al. 1992) und werden bezeichnet als Pragmatists (Pragmatiker), Activists (Aktivisten), Reflectors (Nachdenker) und Theorists (Theoretiker). Mit dieser Methode kann verhindert werden, dass sich homogene Kleingruppen zusammenfinden, die aufgrund eines gemeinsamen vorherrschenden Denkmusters nur wenig Handlungsflexibilität aufweisen. Variante Das PARTizipieren kann natürlich auch eingesetzt werden, um bezüglich der beschriebenen Kompetenzen möglichst homogene Gruppen zu formen. Die Kompetenzen selbst lassen sich durch Änderung der Beschreibung auf das zu bearbeitende Problem anpassen. Dabei sollten aber nicht weniger als drei und nicht mehr als fünf Kompetenzen zur Auswahl stehen. Vor- und Nachteile + Ein »Gleich und gleich gesellt sich gern« kann mit dieser Übung wirkungs‐ voll gesteuert werden. - Die Übung benötigt eine gute Vorbereitung (Zettel, Stifte, Vortrag) und eignet sich daher eher für Projekte, bei denen absehbar ist, dass die Klein‐ gruppen über einen längeren Zeitraum zusammenbleiben 99 6.3 Aufteilungsübungen <?page no="100"?> 6.4 Festlegen einer Reihenfolge Bei vielen Seminaren, Methoden oder Aufgaben, in denen Gruppenarbeiten an‐ fallen, tritt folgendes Problem auf: Alle Teilnehmer sollen nacheinander einen Beitrag beisteuern, doch entweder möchte keiner der Teilnehmer als Erster seinen Beitrag präsentieren oder es wollen immer dieselben Teilnehmer an‐ fangen. Diese Situationen lassen sich vermeiden, indem vor Beginn der gemeinsamen Arbeit nach einem vorgegebenen Schema eine Beitragsreihenfolge festgelegt wird. Hierfür haben sich folgende Möglichkeiten bewährt: Auslosen Der Leiter verteilt nummerierte Zettel, die die Reihenfolge festlegen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich vor allem, wenn das Festlegen der Reihenfolge mög‐ lichst wenig Zeit in Anspruch nehmen soll. Es eignet sich außerdem auch für Gruppen, die in mehreren Sitzungen zusammenarbeiten, aber die Beiträge nicht jedes Mal in der gleichen Reihenfolge präsentieren wollen. Der Nachteil dieses Vorgehens ist, dass die Teilnehmer zu Beginn bereits die vollständige Reihen‐ folge kennen. Dies könnte insbesondere diejenigen Teilnehmer, denen die hin‐ tersten Plätze zugelost wurden, zu ungewünschten strategischen Verhaltens‐ weisen verleiten. Dies kann verhindert werden, wenn die Lose vorab mit dem Namen der Teilnehmer versehen und in einem Gefäß gesammelt wurden. Es wird dann jeweils nur ein Los gezogen, und zwar zu dem Zeitpunkt, wenn der nächste Beitrag benötigt wird. Alphabetische Reihenfolge Die Beitragsreihenfolge wird nach der alphabetischen Reihenfolge des Vor- oder Nachnamens festgelegt. Dabei kann der Leiter das Alphabet sowohl von vorne nach hinten als auch von hinten nach vorne durchgehen. Dank dieser Methode haben die Teilnehmer zudem noch einmal die Möglichkeit, sich die Namen der anderen Teilnehmer einzuprägen. Für Gruppen, die sich häufig treffen, eignet dieses Verfahren jedoch weniger, da hier die Gefahr besteht, dass in jeder Sitzung dieselben oder sich ähnelnde Reihenfolgen gewählt werden. In diesem Falle kann festgelegt werden, dass man sich auf den zweiten oder dritten Buchstaben des Namens bezieht. Soziogramm Zu Beginn bekommt jeder Teilnehmer einen Stift und einen Zettel. Anschlie‐ ßend bittet der Leiter die Teilnehmer, jeweils drei Namen anderer Teilnehmer 100 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="101"?> auf ihren Zetteln zu notieren, und zwar in der Reihenfolge, in der diese ihre Beiträge präsentieren sollen. Anschließend sammelt der Leiter alle Zettel ein und zählt die Nennungen mit einer Strichliste auf dem Visualisierungsmedium aus. Dabei erhalten erstgenannte Teilnehmer drei Striche, zweitgenannte zwei Striche und drittgenannte einen Strich. Die Anzahl der Striche legt dann die Reihenfolge fest, nach der die Teilnehmer ihre Beiträge präsentieren. Diese Methode ist relativ zeitaufwendig. Sie hat aber den Vorteil, dass der Leiter auf diese Weise nicht nur die Reihenfolge festlegen, sondern gleichzeitig auch das Erstellen von Soziogrammen erläutern kann. Ein Nachteil dieser Vor‐ gehensweise ist jedoch, dass die Teilnehmer demotivieren könnte, die sehr viele oder sehr wenige Striche erhalten. Aus diesem Grund sollte die Methode nur mit Gruppen durchgeführt werden, in denen keine Spannungen bestehen. Geburtstag Die Reihenfolge der Geburtstage im Laufe des Jahres legt die Reihenfolge fest. Dabei kann der Leiter die Teilnehmer entweder direkt nach ihrem Geburtsdatum oder -monat fragen, oder er bittet sie, sich untereinander auszutauschen und auf diese Weise die Geburtsdaten der jeweils anderen zu ermitteln. Die erste Vari‐ ante ist die schnellere. Bei der zweiten Variante, dem eigenständigen Austausch der Teilnehmer, bietet dieses Verfahren jedoch zusätzlich eine aktivierende Komponente. Daher empfiehlt sich die zweite Variante vor allem dann, wenn der Präsentation der Beiträge bereits eine lange Arbeitsphase vorangegangen ist. Anzahl der Buchstaben des vollständigen Namens Alle im vollständigen Namen vorkommenden Buchstaben werden von den Teil‐ nehmern zusammengezählt; der Teilnehmer mit der höchsten Anzahl der Buch‐ staben beginnt danach mit seinem Beitrag. Bei diesem Verfahren kann bewusst offengelassen werden, ob zweite oder dritte Vornamen mitgezählt werden. Wenn sich Teilnehmer eventuell wundern, weil ein Teilnehmer scheinbar zu viele Buchstaben angibt, kann die anschließende Diskussion an die Kennen‐ lernphase anknüpfen und aktivierend wirken. Sie ist jedoch auch zeitaufwendig. Lösen einer (sehr kurzen) Aufgabe Der Leiter stellt allen Teilnehmern gleichzeitig eine kurze Knobelaufgabe. Die von den Teilnehmern benötigte Zeit legt dann die Beitragsreihenfolge fest. Dieses Verfahren kann ebenfalls sehr zeitaufwendig sein, eignet sich jedoch vor allem dann, wenn es sinnvoll erscheint, vor der Arbeitsphase eine kurze akti‐ vierende Pause einzulegen. Darüber hinaus lässt sich das Verfahren sowohl bei 101 6.4 Festlegen einer Reihenfolge <?page no="102"?> Gruppen, die sich schon lange kennen, als auch bei Gruppen, die sich erst ken‐ nenlernen, anwenden. Stellung im Raum Jeder Teilnehmer notiert auf einem Zettel verdeckt eine Zahl zwischen 1 und der anderthalbfachen Teilnehmeranzahl. Diesen Zettel falten sie und halten ihn mit einer Hand hinter dem Rücken. Nun ist es ihre Aufgabe, sich in einer Reihe entsprechend der aufsteigenden Nummern auf ihren Zetteln aufzustellen. Dabei dürfen sie weder sprechen, noch mit den Fingern ihre Zahl in die Luft schreiben, noch die hinter dem Rücken befindliche Hand benutzen. Die Reihenfolge, in sich der die Teilnehmer aufstellen, legt dann die Beitragsreihenfolge fest. Diese Übung fördert die Gruppendynamik und wirkt durch die zusätzliche Bewegung wie eine aktivierende Pause. Darüber hinaus dient sie durch den spielerischen Charakter dazu, Hemmungen abzubauen. Die Übung lässt sich bei Bedarf dahin gehend erweitern, dass sich die Bei‐ tragsreihenfolge umkehrt, wenn zwei oder mehr Teilnehmer dieselbe Zahl auf ihrem Zettel notiert haben. So kann der Leiter vermeiden, dass Teilnehmer, die ihren Beitrag als Erste oder Letzte präsentieren wollen, einfach eine sehr hohe oder niedrige Zahl wählen. 6.5 Erwartungen und Feedback Um die Teilnehmerzentrierung der Gruppenarbeit zu erhöhen und den Teilneh‐ mern auch mitzuteilen, sollte der Moderator bzw. der Leiter die Erwartungen vorab in Erfahrung bringen. Aber auch für die Nachbereitung ist es sinnvoll, dass der Moderator bzw. der Leiter sich Gedanken über den Verlauf der Grup‐ penarbeit macht und diese notiert. Diese Notizen können bei der Vorbereitung der kommenden Arbeitsphasen dazu dienen, positive Aspekte mehr zu betonen und negative Aspekte zu ersetzen. Basis für diese Notizen können wiederum Mitteilungen der Teilnehmer sein. 6.5.1 Vorbemerkungen Erwartungshaltungen korrigieren Dieses Kapitel stellt Übungen vor, die sich dazu eignen, vor der problemlö‐ sungsorientierten Gruppenarbeit die Erwartungshaltungen der Teilnehmer zu klären, oder nach der gemeinsamen Arbeit Feedback einzuholen. Wenn sich die 102 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="103"?> Teilnehmer schon vor der Gruppenarbeit über ihre Erwartungen austauschen, kann der Moderator diese Informationen nutzen, um falsche (überzogene wie auch zu geringe) Erwartungen unmittelbar zu korrigieren. Zu diesem Zweck sollte jemand die Rolle des Moderators übernehmen, der mit den Zielen der Gruppenarbeit vertraut ist, beispielsweise der Gruppenleiter. Nachdem die Erwartungen geklärt sind, versucht der Moderator, die nach‐ folgende Gruppenarbeit soweit wie es ihm sinnvoll erscheint mit den Wünschen der Teilnehmer in Einklang zu bringen. Wenn dies nicht möglich ist, verdeutlicht er, warum auch diejenigen Aspekte für die gemeinsame Arbeit notwendig oder zielführend sind, die den Teilnehmern weniger zusagen, oder warum sich even‐ tuelle Verbesserungsvorschläge nicht umsetzen lassen. Dies erleichtert es den Teilnehmern, die von ihnen als unangenehm empfundenen Aspekte in das Ge‐ samtkonzept und dessen Ziele einzuordnen und ihre ablehnende Haltung ge‐ genüber diesen Aspekten aufzugeben. Feedback an den Moderator Bewerten die Teilnehmer den Moderator, die verwendeten Methoden oder den Aufbau des Seminars im Anschluss an die Gruppenarbeit, empfiehlt es sich, jemanden als Schriftführer hinzuzuziehen, der nicht an der vorangegangenen Arbeitsphase beteiligt war. Er protokolliert zusätzlich zum Moderator oder zum bisherigen Schriftführer das Feedback und greift dabei nicht in die Bewertungen der Teilnehmer ein. Auf diese Weise verringert sich die Gefahr, dass das Feed‐ back der Teilnehmer subjektiv protokolliert wird. Da der zusätzliche Schrift‐ führer nicht an der vorangegangenen Arbeitsphase beteiligt war, kann er das Feedback neutraler und ungefilterter auffassen als der Moderator oder der bis‐ herige Schriftführer. Trotzdem sollte die Gruppe während der Feedbackrunde nicht vollständig auf den Moderator verzichten, damit die Teilnehmer ihr Feed‐ back direkt an ihn adressieren können. Kommunikationsstil Feedback wird immer in Form von → konstruktiver Kritik (Kapitel 3.5.2) geäu‐ ßert. Um darüber hinaus eine sachliche Diskussion zu unterstützen, vermeiden die Teilnehmer verallgemeinernde Formulierungen. Dies bedeutet insbeson‐ dere, dass sie auf Passivkonstruktionen und auf Formulierungen verzichten, die das Wort »man« beinhalten. Stattdessen wählen sie die direkte Anrede. Anstatt z. B. zu sagen, »Man sollte präziser formulieren«, oder »Es wird zu unpräzise formuliert«, sollten die Teilnehmer Formulierungen wählen wie: »Ich bin der Meinung, dass Sie als Moderator zu unpräzise formulieren.« 103 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="104"?> 6.5.2 Blitzlicht (Feedbackrunde) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten Ziel Die Übung Blitzlicht liefert dem Gruppenleiter ein Feedback zur bisherigen Ar‐ beit der Gruppe und kann Spannungen innerhalb der Gruppe abbauen. Dabei lädt sie auch zurückhaltende Teilnehmer ein, eine Wortmeldung abzugeben. Aufgrund ihrer Kürze bietet sich das Blitzlicht auch im Verlauf einer (längeren) Arbeitsphase an. Störungen im Arbeitsprozess können daher erkannt und ggf. im weiteren Verlauf berücksichtigt werden. Kurzbeschreibung Der Reihe nach äußert sich jeder Teilnehmer zu einer vorgegebenen Fragestel‐ lung über seine Gedanken und Gefühle. Das Gesagte wird nicht kommentiert oder aufgegriffen. 104 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="105"?> Ausführliche Beschreibung Die Teilnehmer und der Gruppenleiter sitzen in einem Stuhlkreis. Der Mode‐ rator gibt eine Fragestellung vor, deren Antworten Rückschlüsse über seine Ar‐ beit oder die Stimmung und den Arbeitsfortschritt der Gruppe liefert. Eine mög‐ liche Frage könnte etwa lauten: »Was gefällt mir/ gefällt mir bis jetzt nicht an diesem Seminar? « Zur Unterstützung kann der Leiter die Frage auf einem Vi‐ sualisierungsmedium festhalten. Jeder Teilnehmer nimmt dann der Reihe nach in der Ich-Perspektive Stel‐ lung zu der vorgegebenen Fragestellung. Mögliche Antworten wären: »Ich wünsche mir mehr Theorie.« Oder: »Ich finde das Arbeitsklima belastend.« Der Gruppenleiter selbst beantwortet die vorgegebene Fragestellung erst zum Schluss, um die Teilnehmer nicht durch seine eigene Rückmeldung zu beein‐ flussen. Während die Teilnehmer sprechen, dürfen sie nicht unterbrochen werden und es findet keine Diskussion statt. Vorangegangene Äußerungen dürfen nicht aufgegriffen oder kommentiert werden. Wer nichts beitragen möchte, kann das Wort weitergeben. Der Moderator entscheidet am Ende der, ob einzelne Aussagen aufgegriffen und in mit den Teilnehmern diskutiert werden. Das Blitzlicht kann jedoch auch unkommentiert bleiben. Die Möglichkeit, vor den anderen Teilnehmern und dem Gruppenleiter Kritik äußern zu können, genügt oft schon, um negativen Gefühlen der Teilnehmer entgegenzuwirken und das Arbeitsklima zu verbes‐ sern. Tipps Wer das Wort hat, kann dabei einen Gegenstand in der Hand halten, den er an seinen Nachredner weitergibt. So kommt es nicht zu Missverständnissen, ob jemand schon fertig ist oder nicht. Es empfiehlt sich daher ohnehin, die Länge der Beiträge im Blitzlicht auf eine oder zwei Sätze zu beschränken. Variante Die Methode kann auch ohne die Anwesenheit des Gruppenleiters durchgeführt werden. Dann besteht das Ziel nicht darin, dem Gruppenleiter ein Feedback zu geben, sondern das Gruppenklima unter den Teilnehmern zu verbessern, da sich Spannungen oftmals bereits dadurch abbauen lassen, dass die Teilnehmer die als störend empfundenen Punkte vor der Gruppe ansprechen. 105 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="106"?> Vor- und Nachteile + Das direkte Äußern der eigenen Gedanken und Gefühle vor der Gruppe und dem Leiter kann stärker dazu beitragen, dass sich die Teilnehmer beachtet fühlen, als es das bloße Aufschreiben der Kritik zur Folge hätte. - Jedoch können insbesondere zurückhaltende Teilnehmer Hemmungen haben, ihre Meinung offen auszusprechen. - Einigen Teilnehmern kann es schwerfallen, die eigenen Gedanken und Ge‐ fühle in einem Satz oder in wenigen prägnanten Sätzen zusammenzufassen. 6.5.3 Impulsplakate < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Flipcharts mit Impulsplakaten (Fragen oder Satzanfänge müssen notiert sein) ▸ 1 Flipchartstift pro Teilnehmer, weitere Stifte optional in verschiedenen Farben 106 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="107"?> Ziel Impulsplakate erfassen Erwartungen und Haltungen der Teilnehmer gegenüber einem Thema oder Seminar. Mit ihrer Hilfe kann der Leiter Erwartungen kor‐ rigieren, die vom Ziel des Themas oder Seminars abweichen. Die Teilnehmer äußern ihre Erwartungshaltungen nicht anonym. Kurzbeschreibung Im Raum werden mehrere Plakate aufgehängt, auf denen jeweils eine Frage‐ stellung oder ein zu ergänzender Satz steht. Die Teilnehmer gehen durch den Raum und beantworten die Fragestellungen oder ergänzen die Sätze auf den Plakaten. Nachdem jeder Teilnehmer auf jedem Plakat einen Kommentar hin‐ terlassen hat, bespricht die Gruppe die Antworten. Ausführliche Beschreibung Der Moderator bereitet die Methode vor, indem er die Plakate mit den Fragen oder zu ergänzenden Sätzen beschriftet und sie im größtmöglichen Abstand vonein‐ ander im Raum anbringt. Die Sätze oder Fragen sind in der ersten Person formu‐ liert, damit sich die Teilnehmer stärker mit diesen identifizieren können. Mögliche Formulierungen könnten etwa lauten: »Was erwarte ich von diesem Seminar? « Oder: »Dies wird für uns ein erfolgreiches Seminar, wenn …«. Neben den Plakaten sollten im Raum Sitzgelegenheiten und ein zusätzliches Visualisierungsmedium wie Tafel oder Flipchart für die anschließende Diskussion vorhanden sein. Nachdem die Teilnehmer den Raum betreten haben, bittet der Moderator sie, in Einzelarbeit die Fragen jedes Plakats zu beantworten oder die unvollständigen Sätze zu ergänzen. Die Antworten werden besprochen, sobald jeder Teilnehmer einen Satz auf jedes Plakat geschrieben hat. Für die Besprechung nehmen die Teilnehmer Platz und der Moderator hängt das erste Plakat für alle sichtbar an die Wand, bevor er die Antworten mit den Teilnehmern diskutiert und zum nächsten Plakat fortschreitet. Dabei klärt er zunächst Verständnisfragen, indem er den jeweiligen Teilnehmer im Falle von Unklarheiten bittet, seine Frage oder Satzergänzung noch einmal zu erläutern. Beispiele für mögliche Satzanfänge: »Ich bin hergekommen, weil …« »Ich würde mich freuen, wenn hier …« »Ich möchte hier vor allem erfahren, …« »Ich hoffe, wir werden hier …« »Ich hoffe, wir werden hier nicht …« 107 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="108"?> »Ich habe mich gefragt, …« »Das wird für uns eine erfolgreiche Veranstaltung, wenn …« »Folgende Erfahrungen möchte ich hier gerne machen: …« »Damit möchte ich mich hier gründlich auseinandersetzen: …« »Ich wünsche mir, dass wir hier diskutieren, …« »Ich möchte, dass wir hier erproben, …« Tipp Damit sich die Aussagen bei der Auswertung besser den einzelnen Teilnehmern zuordnen lassen, kann der Moderator verschiedenfarbige Stifte an die jeweiligen Teilnehmer verteilen. Variante Anstatt still umherzugehen, könnten die Teilnehmer die Plakate auch ausfüllen, indem sie sich gemeinsam um die Plakate setzen und ein Schriftführer ihre freien Wortmeldungen auf dem entsprechenden Plakat notiert. Variante »4-Ecken-Methode« Die Übung eignet sich in leicht abgewandelter Form auch als Kreativmethode. Dafür wird die zu bearbeitende Frage- oder Problemstellung in drei bis fünf Kategorien aufgeteilt, die jeweils durch ein eigenes Plakat repräsentiert werden. Die Teilnehmer beschriften dann die im Raum aufgehängten Plakate. Kapitel 7.4.1 beschreibt den genauen Ablauf dieser Methode. Weitere Anwendungsmöglichkeiten Statt Erwartungshaltungen zu klären, kann der Moderator die Methode auch anwenden, um ein Feedback von den Teilnehmern zu erhalten. Mögliche Fragen oder Sätze für die Plakate wären hier: »Was hat mir besonders gut/ schlecht ge‐ fallen? « oder »Mein Eindruck von diesem Seminar war, (dass,) …«. Vor- und Nachteile + Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, bereits während des Schreibproz‐ esses die Beiträge der anderen Teilnehmer aufzugreifen, zu kommentieren oder zu ergänzen. - Bei dieser Übung besteht die Gefahr, dass Einzelmeinungen durch die ge‐ genseitige Beeinflussung in einer großen Sammelmeinung der Gruppe un‐ tergehen. 108 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="109"?> 6.5.4 Karten in vier Farben < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Pinnwand ▸ 1 Kartensatz mit 4 roten, gelben, grünen und blauen Karten pro Teil‐ nehmer, Stifte pro Teilnehmer, Reservekarten Ziel Die Methode »Karten in vier Farben« ermittelt die Erwartungen der Teilnehmer an verschiedene Aspekte einer Methode oder eines Seminars. Die Teilnehmer äußern dabei anonym ihre Erwartungen an (a) das Thema bzw. den Inhalt der nachfolgenden Methode oder des Seminars, (b) an die Leitung, (c) an die Gruppe oder (d) an sich selbst. Der Gruppenleiter kann dadurch differenziert auf die Erwartungen der Teilnehmer eingehen und, falls notwendig, falsche Erwar‐ tungen korrigieren. 109 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="110"?> Kurzbeschreibung Jedem der oben genannten Aspekte (a) bis (d) ist eine Karte mit einer bestimmten Farbe zugeordnet. Jeder Teilnehmer notiert auf seinen Karten jeweils seine Er‐ wartungen an die Aspekte, die der Kartenfarbe entsprechen. Danach werden die Karten farblich sortiert an eine Pinnwand gehängt, damit der Moderator die Erwartungen besprechen kann. Ausführliche Beschreibung Die Teilnehmer sitzen so, dass sie die Pinnwand gut im Blick haben. Der Mo‐ derator verteilt an jeden Teilnehmer einen Satz unbeschrifteter Karten. Jeder Kartensatz enthält gleich viele rote, gelbe, grüne und blaue Karten; jede Farbe repräsentiert dabei einen bestimmten Aspekt der Erwartungen, die die Teil‐ nehmer haben könnten: (a) Rot: Themen/ Inhalt/ Methoden (b) Gelb: Leitung/ Moderation (c) Grün: Gruppe (d) Blau: Ich persönlich Die Teilnehmer schreiben je eine Erwartung zum passenden Aspekt auf die Karte mit der entsprechenden Farbe. Jeder Teilnehmer darf beliebig viele Karten beschriften und bittet den Moderator gegebenenfalls um weitere Karten. Auf den roten Karten notieren die Teilnehmer, welchen inhaltlichen und methodi‐ schen Gewinn sie sich von der Methode bzw. vom Seminar erhoffen. Die gelben Karten enthalten die Erwartungen an den Führungsstil und die Organisation des Leiters und des Moderators. Die grünen Karten geben Auskunft darüber, wie sich die Teilnehmer die Zusammenarbeit in der Gruppe vorstellen, und die blauen Karten darüber, wie jeder Teilnehmer die Methode oder das Seminar zur persönlichen Weiterentwicklung nutzen möchte. Die Teilnehmer müssen nicht alle Karten ihres Kartensatzes beschriften, sollten aber auf mindestens einer Karte jeder Farbe etwas notieren. Der Moderator sollte zu Beginn die verschiedenen Erwartungsaspekte und die korrespondierenden Kartenfarben als Gedächtnisstütze für die Teilnehmer an der Pinnwand festhalten. Wenn die Teilnehmer alle Anmerkungen notiert haben und keine weiteren Karten mehr benötigen, sammelt der Moderator die ausgefüllten Karten ein und heftet sie nach Farben sortiert an die Pinnwand. Auf diese Weise bleibt die An‐ 110 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="111"?> onymität der Teilnehmer gewahrt, was ihre Bereitschaft erhöht, über ihr Er‐ wartungshaltungen zu sprechen. Nun geht der Moderator auf die Notizen zu jedem Aspekt ein. Falls Unklar‐ heiten über die Aussagen bestimmter Karten bestehen, klärt er zunächst Ver‐ ständnisschwierigkeiten, indem er den jeweiligen Teilnehmer bittet, seine Er‐ gänzung noch einmal zu erklären. Damit die Autoren der einzelnen Beiträge auf Wunsch anonym bleiben, verdeutlicht der Moderator, dass diese Erklärung frei‐ willig ist. Möchte der Autor anonym bleiben, sodass sich auf die Bitte des Mo‐ derators kein Teilnehmer meldet, fordert der Moderator alle Teilnehmer dazu auf, zu erklären, wie sie selbst die unklaren Formulierungen verstehen. Die Dis‐ kussion dauert so lange, bis alle Verständnisfragen geklärt sind und alle Erwar‐ tungen erfasst wurden. Tipp Alle Methoden, bei denen Karten handschriftlich ausgefüllt werden oder Teil‐ nehmer zu den eigenen Karten befragt werden, geben aufgrund der Handschrift oder durch die gegebene Antwort den Urheber preis. Um dennoch eine gewisse Anonymität gewährleisten zu können, kann der Moderator bitten, die zu no‐ tierenden Inhalte in kleinen Zweier- oder Dreiergruppen zunächst zu sammeln. Anschließend notiert ein Teilnehmer aus der Kleingruppe die Inhalte für alle Mitglieder seiner Kleingruppe. Somit stellt die Handschrift keinen Hinweis auf den Urheber des Inhalts mehr dar, und auch eventuelle Rückfragen bezüglich des Karteninhalts können aus der Kleingruppe heraus beantwortet werden. Vor- und Nachteile + Sowohl der Leiter als auch die Teilnehmer erhalten ein sehr strukturiertes und gut begründetes Meinungsbild. - Da sich die Teilnehmer zu vier verschiedenen Kategorien äußern und der Moderator die Karten auf einem Visualisierungsmedium platzieren und ordnen muss, dauert die Methode vergleichsweise lange. Für Gruppen mit deutlich mehr als zehn Teilnehmern ist sie deshalb ungeeignet. 111 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="112"?> 6.5.5 Stilles Meinungsbild (Punktabfrage, Einpunktfrage, Stimmungsbarometer, Thermometer) max. 3 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ 1 Flipchart mit Koordinatensystem ▸ 1 Klebepunkt pro Teilnehmer Ziel Durch das Stille Meinungsbild können alle Teilnehmer ein anonymes Feedback zu bis zu zwei Aspekten einer Veranstaltung geben. Die Methode visualisiert das von allen Teilnehmern abgegebene Feedback und die Korrelation zwischen den beiden Aspekten. Die Methode kann zum Abschluss oder in der Mitte eines längeren Seminars oder am Ende einer anderen Gruppenmethode eingesetzt werden. Kurzbeschreibung Alle Teilnehmer fügen anonym einen Klebepunkt in ein zweiachsiges Koordi‐ natensystem ein. Beide Achsen des Koordinatensystems repräsentieren dabei einen Aspekt, zu dem der Leiter ein Feedback erhalten will. Anhand der Posi‐ 112 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="113"?> tionen der Klebepunkte im Koordinatensystem verschafft sich der Leiter später einen Überblick über das Feedback aller Teilnehmer. Ausführliche Beschreibung Zum Abschluss einer Veranstaltung verteilt der Leiter an jeden Teilnehmer einen Klebepunkt. Vorbereitend hat er auf einem Flipchart ein Koordinaten‐ system aus vier Quadranten mit einer x- und einer y-Achse eingezeichnet, wobei die Achsen jeweils einen der beiden Aspekte repräsentieren, zu denen der Leiter ein Feedback von den Teilnehmern erhalten möchte. Alle vier Quadranten des Koordinatensystems sind gleich groß. Die Teilnehmer kleben ihren Punkt an eine Stelle im Koordinatensystem, die ihre Zufriedenheit mit den jeweiligen Aspekten repräsentiert. Sind sie mit dem auf der jeweiligen Achse beschriebenen Aspekt zufrieden, weisen sie ihrem Punkt einen hohen positiven Wert zu, bei Unzufriedenheit einen kleinen posi‐ tiven Wert, je nach Achseneinteilung auch einen negativen Wert (vgl. Abbildung 6-4). Stehen sie dem Aspekt neutral gegenüber, kleben sie ihren Punkt in die Nähe der Mitte der jeweiligen Achse. Dabei können sie den Punkt an jeder Stelle des Koordinatensystems platzieren. Darauf sollte der Leiter die Teilnehmer zu Beginn hinweisen, um beispielsweise den Eindruck zu vermeiden, dass nur die Wahl des Quadranten zählt. Damit alle Teilnehmer die Bewertungsskala auf die gleiche Weise verstehen, erläutert der Leiter kurz die bewerteten Aspekte und erklärt, was die Pole des Koordinatensystems bedeuten, also diejenigen Stellen entlang der Achsen, die am weitesten vom Nullpunkt entfernt liegen. Wird beispielsweise auf der x-Achse der Aspekt »Ich habe im Seminar etwas Neues gelernt« abgefragt, würde eine Position weit links bedeuten, dass der Teilnehmer im Seminar nichts Neues gelernt hat. Ohne die Erklärung könnten manche das Koordinatensystem missverstehen und glauben, sie müssten den Nullpunkt markieren, wenn sie nichts Neues gelernt haben. Nachdem die Skala erklärt wurde, kleben die Teilnehmer ihren Punkt in das Koordinatensystem. Wichtig ist, dass sie sich bereits für ihre Bewertung ent‐ schieden haben, bevor sie zum Flipchart mit dem Koordinatensystem gehen. An‐ dernfalls besteht die Gefahr, dass sie sich von den Punkten anderer Teilnehmer beeinflussen lassen. Indem der Leiter das Flipchart an einer Stelle im Raum plat‐ ziert, die er und die anderen Teilnehmer nicht einsehen können, stellt er sicher, dass jeder seine Bewertung anonym abgeben kann. Alternativ kann er die Teil‐ nehmer bitten, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt nach Abschluss der Grup‐ penarbeit in den Raum zurückzukehren und dann die Bewertung vorzunehmen. 113 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="114"?> Der Leiter kann sich so später auf einen Blick ein Bild über die Zufriedenheit aller Teilnehmer mit den bewerteten Aspekten des Seminars machen. Abbildung 6-4: Beispiele für Punktabfragen Durch die Darstellung im Koordinatensystem ermöglicht das Stille Meinungs‐ bild Rückschlüsse darüber, wie die Zufriedenheit mit den zwei abgefragten As‐ pekten korreliert ist. Bilden die geklebten Punkte eine ausgedehnte Punktwolke, ist die Korrelation beider Aspekte gering; liegen die Punkte jedoch näherungs‐ weise auf einer Geraden, ist dies ein Indiz für eine hohe Korrelation. Tipp Diese Übung stellt häufig eine gute Ergänzung zur → Wetterkarte (S. 115) dar. Während die Teilnehmer ihre Meinung bei der Wetterkarte ausführlich notieren und somit auch begründen können, lässt sich aus den schriftlichen Aufzeich‐ nungen der Teilnehmer später nur schwer ein Gesamtbild ablesen. Denn die Gewichtung der einzelnen Punkte wird auf der Wetterkarte nicht deutlich. Das Stille Meinungsbild hingegen liefert insbesondere bei vielen Teilnehmern ein sehr gutes Gesamtbild aller Teilnehmermeinungen, lässt jedoch weniger Raum für individuelle Anmerkungen oder Verbesserungsvorschläge. 114 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="115"?> Variante Statt einer kontinuierlichen Skalierung können die beiden Achsen auch jeweils mit einer → Likert-Skala (S. 204) eingeteilt werden. Die Anzahl der Felder, in die die Teilnehmer einen Punkt kleben und damit ihre Bewertung vornehmen können, entspricht dann dem Produkt aus den Abstufungen der beiden Likert- Skalen. Variante »Einpunktfrage«, »Stimmungsbarometer«, »Thermometer« Sollen Teilnehmer nur einen Aspekt bewerten, fragt kein Koordinatensystem die Meinung der Teilnehmer ab, sondern eine einzige Achse, deren Pole wieder die extremen Werte »überhaupt nicht zufrieden« und »überaus zufrieden« mar‐ kieren. Die Teilnehmer kleben ihren Punkt dann direkt auf die Achse. Diese Variante ist auch als »Einpunktfrage«, »Stimmungsbarometer« oder »Thermo‐ meter« bekannt. Vor- und Nachteile + Die Methode lässt sich auch mit sehr vielen Teilnehmern sehr schnell durch‐ führen. + Das gewonnene Meinungsbild berücksichtigt gleichermaßen die Mei‐ nungen von sehr aktiven und stillen Teilnehmern. + Die Methode liefert ein leicht erfassbares Feedback, das der Leiter durch ein Foto des fertigen Koordinatensystems veröffentlichen oder den Teilneh‐ mern zukommen lassen kann. - Für sich genommen bietet die Methode den Teilnehmern nicht die Mög‐ lichkeit, ihre Meinung zu begründen oder Verbesserungsvorschläge einzu‐ bringen. 6.5.6 Wetterkarte (Kartenfrage, Karten in zwei Farben) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 115 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="116"?> Kurzinfo ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ 1 Karte für positives und 1 Karte für negatives Feedback pro Teilnehmer ▸ 1 Visualisierungsmedium optional Ziel Die Übung liefert ein anonymes, schriftliches und begründetes Teilnehmerfeed‐ back, indem die Teilnehmer sowohl positive als auch negative Aspekte der Ver‐ anstaltung nennen. Kurzbeschreibung Jeder Teilnehmer erhält zwei Karten in verschiedenen Farben oder mit ver‐ schiedenen Symbolen. Auf eine der Karten schreibt er positives, auf die andere Karte negatives Feedback. Der Leiter sammelt die Karten anonym ein und wertet das Feedback aus. Ausführliche Beschreibung Der Leiter bereitet zwei Kartensätze in verschiedenen Farben oder mit verschie‐ denen Symbolen vor. Da jeder Teilnehmer für die Übung eine Karte von jedem Kartensatz erhält, um positives oder negatives Feedback zu notieren, sollten die Farben oder Symbole mit eindeutig positiven oder negativen Assoziationen ver‐ bunden sein. So empfiehlt es sich, für das positive Feedback ein Sonnensymbol und für das negative Feedback Regen- oder Gewitterwolken zu verwenden. Von diesen Symbolen leitet sich auch der Name der Übung ab. Der Leiter erläutert die Bedeutung der beiden Farben oder Symbole und teilt anschließend jeweils eine Karte aus jedem Kartensatz an die Teilnehmer aus. Anschließend bittet er die Teilnehmer, ihr Feedback für sich allein auf den Karten zu notieren. Als zusätzliche Gedankenstütze kann der Leiter die Farben oder Symbole und ihre Bedeutung auf einem Visualisierungsmedium darstellen. 116 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="117"?> Zum Schluss bittet der Leiter die Teilnehmer, ihm ihre Karten gefaltet oder mit der unbeschrifteten Seite nach oben zu geben, damit die Abgabe anonym bleibt. Er kann das Feedback nun protokollieren, indem er die Karten an eine Pinnwand heftet und fotografiert oder indem er die Karten digitalisiert oder die Texte von den Karten abtippt. Dieses Protokoll kann er anschließend veröffent‐ lichen und an die Teilnehmer schicken. Tipp Da die Übung keinen offenen Austausch im Gespräch vorsieht, kann es für den Leiter später schwierig sein, allein mit der Wetterkarte eine stimmige Gesamt‐ bewertung zu erhalten. Um diesen Nachteil auszugleichen, empfiehlt es sich, diese Übung um das ebenfalls sehr schnell durchführbare → Stilles Meinungsbild (S. 112) zu ergänzen. Variante »Kartenfrage« In der Variante »Kartenfrage« eignet sich die Übung sowohl für die Feedback‐ runde als auch dazu, die Erwartungen der Teilnehmer im Vorfeld der Gruppen‐ arbeit zu ermitteln. Bei dieser Variante bereitet der Leiter ein Plakat oder eine Pinnwand mit zwei vorgegebenen Satzanfängen vor, welche die Teilnehmer mithilfe der Karten um ihre Meinung ergänzen. Mögliche Satzanfänge wären z. B. »Dies ist/ wird ein tolles Seminar, da/ wenn …« und »Dies ist/ wird ein schlechtes Seminar, da/ wenn …«. Nachdem die Teilnehmer die Karten ausgefüllt haben, sammelt der Leiter sie ein, mischt sie und heftet sie anschließend für alle sichtbar an das Plakat oder die Pinnwand. Durch das Mischen der Karten bleibt die Befragung anonym. Zusätzlich zur gewöhnlichen Wetterkartenübung hat der Leiter nun die Möglichkeit, das Gesamtbild der einzelnen Teilnehmerbei‐ träge in Anwesenheit der Gruppe zu visualisieren und häufig genannte Punkte zur Diskussion zu stellen. Bei dieser Variante sollte der Leiter jedoch unbedingt betonen, dass er das gesamte Meinungsbild und nicht über einzelne Karten diskutieren möchte. Auf diese Weise vermeidet er, dass sich Teilnehmer möglicherweise verpflichtet fühlen, offenzulegen, welche Karten sie selbst beschriftet haben. Vor- und Nachteile + Die Übung lässt sich sehr schnell durchführen. + Es entsteht ein begründetes und differenziertes Feedback, ohne dass Teil‐ nehmer sich öffentlich äußern müssen und dadurch möglicherweise ge‐ hemmt sind, ihre Meinung einzubringen. 117 6.5 Erwartungen und Feedback <?page no="118"?> - Es kann mitunter schwierig sein, aus dem schriftlich abgegebenen Feedback die Gewichtung der einzelnen genannten Punkte zu entnehmen und damit ein aussagekräftiges Meinungsbild zu extrahieren. 6.6 Förderung der Zusammenarbeit 6.6.1 Anspitzer, Bleistift und Papier < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ 2 Anspitzer, 3 abgebrochene Bleistifte und ungefähr 30 kleine Notizzettel (DIN A6 oder kleiner) Ziel Die Teilnehmer erhalten eine Aufgabe, die sie nur erfüllen können, indem sie mit anderen Teilnehmern verhandeln und kooperieren. Dadurch haben sie die Möglichkeit, sowohl ihr Verhandlungsgeschick als auch ihre Kooperationsbe‐ reitschaft zu trainieren und zu verbessern. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer werden in drei Kleingruppen eingeteilt, von denen eine Klein‐ gruppe Anspitzer, eine Kleingruppe abgebrochene Bleistifte und eine Klein‐ gruppe unbeschriftete Notizzettel erhält. Das Ziel jeder Kleingruppe besteht darin, in einer vorgegebenen Zeit möglichst viele Blätter mit dem eigenen Grup‐ pennamen zu beschriften. 118 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="119"?> Ausführliche Beschreibung Der Leiter teilt die Teilnehmer auf drei Kleingruppen mit gleicher Teilnehmer‐ zahl auf. Wenn vorgesehen ist, dass diese Kleingruppen längerfristig bestehen bleiben, kann eine Übung zur Gruppeneinteilung (→ Kapitel 6.3) vorangestellt werden. Die Kleingruppen haben dabei die Gruppennamen A, B und C. Eine der drei Kleingruppen erhält vom Leiter zwei Anspitzer, eine andere Gruppe einen Stapel Notizzettel und die verbleibende Gruppe drei abgebrochene Bleistifte. Es darf nicht möglich sein, mit den abgebrochenen Bleistiften zu schreiben, ohne sie vorher zu spitzen. Jede Gruppe hat nun die Aufgabe, in einer vom Leiter vorgegebenen Zeit‐ spanne (etwa zwei bis vier Minuten) ihren Gruppennamen auf möglichst viele Blätter zu schreiben. Da jede Gruppe ein dafür nötiges Utensil besitzt, müssen die Kleingruppen miteinander verhandeln. Dazu muss jeder Teilnehmer sowohl mit den Teilnehmern innerhalb seiner eigenen Kleingruppe zusammenarbeiten, um sich in der Kleingruppe auf eine bestimmte Strategie festzulegen, als auch mit den Teilnehmern der anderen Gruppen, um die fehlenden Gegenstände zu erhalten. Anmerkung Wie bei allen Übungen, in denen Gruppen ein gemeinsames Ziel in Konkurrenz zu anderen Gruppen erreichen wollen, kann es auch hier zu emotionalen Re‐ aktionen kommen. Insbesondere, wenn Mitglieder einer Kleingruppe über die zu fahrende Strategie lautstark uneinig sind, oder sich einzelne Mitglieder völlig zurückziehen, tut der Moderator gut daran, diese Beobachtungen im Anschluss an die Übung der Gruppe zu spiegeln. Aufgrund der knappen Zeitbeschränkung dieser Übung sind solche Ansätze für den Moderator zwar bemerkbar, können sich aber nicht derart manifestieren, dass sie die Übung oder gar die folgende Zusammenarbeit zum Scheitern bringen könnten. 6.6.2 Seenot (1-2-4, Schneeball) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 119 6.6 Förderung der Zusammenarbeit <?page no="120"?> Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 Arbeitsblatt pro Teilnehmer mit Liste auswählbarer Begriffe optional Ziel Indem sie gemeinsam eine fiktive Fragestellung lösen, lernen und trainieren vor allem Teilnehmer mit wenig Erfahrung in Gruppenarbeit das gemeinsame Ar‐ beiten und die Fähigkeit, sich zu einigen. Dabei müssen sie sich zunächst bloß in einer Zweiergruppe einigen, doch nach jedem Einigungsprozess verdoppelt sich die Anzahl der Gruppenmitglieder, sodass der Einigungsprozess schritt‐ weise schwieriger wird. Etwas abgewandelt kann die Methode auch dazu genutzt werden, reale Lö‐ sungsideen zu bewerten. Kurzbeschreibung Die Methode »Seenot« geht von einem fiktiven Szenario aus: Die Teilnehmer sind Überlebende eines Schiffbruchs auf hoher See. Aus einer vorgegebenen Liste von Gegenständen muss jeder Teilnehmer fünf Gegenstände auswählen, die ihm für das Überleben auf See oder einer unbewohnten Insel geeignet er‐ scheinen. Anschließend bilden sich Gruppen aus je zwei Teilnehmern, die sich gemeinsam einigen müssen, fünf Gegenstände aus ihren beiden Listen auszu‐ wählen. Es bilden sich dann zuerst Vierer-, dann Achtergruppen, die sich erneut auf maximal fünf Gegenstände einigen müssen. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn erläutert der Leiter den Teilnehmern das Szenario: Sie wären Passa‐ giere auf einem Schiff, das Schiffbruch erlitten hat. Aufgrund des begrenzten Platzes im Rettungsboot können sie aus einer vorgegebenen Liste von Gegen‐ ständen maximal fünf Dinge mitnehmen. Dabei entscheidet der Leiter, ob die Gegenstände dazu dienen sollen, möglichst lange im Rettungsboot oder auf einer nahegelegenen, unbewohnten Insel zu überleben. Da das Schiff bald sinken wird, stellt der Moderator für die Erledigung der kommenden Arbeitsaufträge nur relativ wenig Zeit zur Verfügung. Die Liste mit den möglichen Gegenständen findet sich weiter unten. Die Methode gliedert sich in mehrere Phasen: In der ersten Phase wählt jeder Teilnehmer für sich fünf Gegenstände aus der Liste aus, was maximal drei Mi‐ nuten dauern soll. Anschließend fordert der Leiter die Teilnehmer auf, Zweier‐ 120 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="121"?> gruppen zu bilden, z. B. mithilfe der Methode → Nummern zuweisen (S. 96). Jede Zweiergruppe muss sich nun erneut auf fünf gemeinsame Gegenstände einigen. Diese Einigungsphase dauert etwa fünf Minuten, sodass den beiden Teilneh‐ mern pro Gegenstand auf ihren beiden Listen mindestens eine halbe Minute Diskussionszeit zur Verfügung steht. Dies ist so knapp bemessen, dass ihr Be‐ wusstsein geschärft dafür wird, sich in kurzer Zeit auf eine Lösung einigen zu müssen. Je nach zeitlichem Rahmen und Größe der Gruppe können sich in weiteren Phasen auch Vierer- oder Achtergruppen bilden, die sich wieder auf nur fünf gemeinsame Vorschläge einigen müssen. Dabei sollten für jede Einigungsphase jeweils zehn Minuten einkalkuliert werden. Nach der letzten Einigungsphase stellen die Gruppen ihre Ergebnisse und ihre Entscheidungskriterien vor. Angel Erste-Hilfe-Kasten Fass mit 1 l Rum Harpune Henkelmann Kanister mit 5 l Dieselöl ** Kanister mit 20 l Trink‐ wasser * Kartenspiel Kunststofffolie 4 m² * Lupe Moskitonetz Notverpflegungsration aus Militärbeständen * Paddel PET-Flasche * Radio Rasierspiegel ** Rettungsring Seil Schlauchbot Schwimmweste Streichhölzer ** Taschenlampe ** Taschenmesser Trillerpfeife Variante Wird die Methode eingesetzt, um Ideen zu einer realen Fragestellung zu be‐ werten, heißt sie »Schneeball«- oder »1-2-4-Methode«. Dabei notieren alle Teil‐ nehmer in der ersten Arbeitsphase in Einzelarbeit fünf Lösungsideen zu einer eng umrissenen Fragestellung. Eine mögliche Fragestellung könnte dabei lauten: »Schreiben Sie fünf Vorschläge auf, wie sich die Anschaffungskosten neuer PCs in unserer Institution senken lassen.« Ebenso wäre es denkbar, die Lösungsideen durch ein vorheriges → Brainstorming (S. 156) mit nachfolgender → Listenpriorisierung (S. 209) zu erzeugen. In den folgenden Einigungsphasen bewerten die einzelnen Gruppen dann die Ideen. Dazu einigen sie sich auf fünf Ideen aus der ersten Phase. 121 6.6 Förderung der Zusammenarbeit <?page no="122"?> Falls genug Zeit zur Verfügung steht, kann der Leiter alle Teilnehmer und Gruppen auch bitten, jeweils die gesamte Liste zu priorisieren und nicht nur die fünf wichtigsten Gegenstände. Dann verlängern sich die Arbeitsphasen um den Faktor 1,5 bis 2. Insbesondere bei dieser Variante ist es weniger wichtig, dass die Lösung der Gruppe einer »offiziellen« Lösung entspricht als den Diskussions- und Eini‐ gungsprozess zu durchlaufen. Für die Interessierten: Gemäß einer von Offizieren der Marine erstellten Reihung sollen diejenigen Gegenstände favorisiert werden, die den Schiffbrüchigen ein Überleben ermöglichen (* in der Liste), bis Hilfe herannaht. Navigationsmittel sind unwichtig; viel wichtiger ist es, die Aufmerksamkeit der Rettungsmannschaften auf das Boot lenken zu können (** in der Liste). 6.7 Auflockerung in Arbeitspausen 6.7.1 Vorbemerkungen Wann sind Pausen sinnvoll? Pausen sind ein wichtiger und integrativer Bestandteil von Gruppenarbeit‐ sprozessen und sollten daher geplant und aktiv gestaltet werden. Dennoch werden sie häufig als Zeitverlust angesehen, sodass Gruppen sie zu selten oder nur mit Gewissensbissen nehmen. Dabei können geplante und bewusst einge‐ setzte Pausen insgesamt zu einem Zeitgewinn führen, weil die durch sie ge‐ wonnene Produktivität häufig die scheinbar verlorene Arbeitszeit wieder aus‐ gleicht. Da Gruppenarbeit die Teilnehmer stärker aktiviert als Einzelarbeit, und da die Teilnehmer hier häufiger ihr Tätigkeitsfeld wechseln, sind für Gruppenarbeit in der Regel weniger Pausen nötig als für Einzelarbeit. Grundsätzlich sollte je‐ doch mindestens alle 60 Minuten eine Pause oder aktivierende Übung eingeplant werden. Zudem sollte sich die Pause der jeweils vorangegangenen oder nach‐ folgenden Arbeitsphase und Methode anpassen. Die Angabe des Erfahrungs‐ grads und der Methodendauer in der Tabelle zu Beginn jedes Methodenkapitels hilft bei der Vorbereitung. Wenn sich komplexe Methoden mit aktivierenden Übungen abwechseln (vgl. Kapitel 11.1 Sandwich-Methode), kann die Gruppe etwas länger durcharbeiten, bis die nächste Pause nötig wird. Bei der Planung von Pausen gelten die folgenden Faustregeln: 122 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="123"?> ▸ Viele kleine Pausen sollten einer großen vorgezogen werden. Drei über einen Zeitraum verteilte Zehnminutenpausen aktivieren die Teilnehmer häufig stärker als eine halbstündige Pause nach längeren Arbeitsphasen. ▸ Auch Pausen müssen bewusst wahrgenommen werden. Entscheidend für den Erholungseffekt ist, dass die Teilnehmer die Pause nicht mit dem Gedanken an die noch zu erledigenden Aufgaben verbringen. ▸ Nicht nur die Quantität, auch die Qualität ist wichtig! Damit auch kurze Pausen nicht ermüdend wirken, empfiehlt es sich, die Teilnehmer zu ak‐ tivieren. Wie das geht, wird im folgenden Abschnitt beschrieben. ▸ Achten Sie als Leiter auf die Signale, die aus der Gruppe kommen. Es kann durchaus sinnvoll sein, eine geplante Pause zu verschieben bzw. eine zu‐ sätzliche Pause einzufügen. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, in der die Aktivierung der Teilnehmer nicht im Vordergrund der Pausengestaltung steht. Nichtaktivierende Pausen wie etwa klassische »Kaffee-Keks-Pausen« dienen dabei: ▸ dem Networking, denn Teilnehmer können fernab der methodischen Gruppenarbeit eigene Beziehungen auf privater oder professioneller Ebene knüpfen. ▸ der geistigen Erholung, denn eine Pause, die etwa einfach bloß alleine verbracht wird, kann auch sehr erholsam wirken. ▸ der unbewussten Erzeugung von Assoziationen, die ggf. nach der Pause in die Arbeitsphase getragen werden können. ▸ dem Lernprozess, denn das Gehirn benötigt Zeit, um neue Erkenntnisse zu verarbeiten und abzuspeichern. Unabhängig davon, welche Art der Pausengestaltung gewählt wird, ist es ent‐ scheidend, dass den Teilnehmern der Paradigmenwechsel zwischen Arbeits- und Pausenzeiten klar wird: ▸ In den Arbeitszeiten sind alle vorbereiteten Strukturmerkmale (etwa die Gruppenarbeitsmethoden) verbindlich: Jeder arbeitet mit, und keiner kapselt sich ab. ▸ In den Pausenzeiten sind alle vorbereiteten Strukturmerkmale frei: Jeder darf die Angebote in Anspruch nehmen, aber keiner muss es. 123 6.7 Auflockerung in Arbeitspausen <?page no="124"?> Allgemeine Tipps zur Pausengestaltung Neben den gruppendynamischen Übungen, die weiter unten vorgestellt werden, bieten sich auch die folgenden sehr simplen Möglichkeiten an, eine Pause so‐ wohl entspannend als auch aktivierend zu gestalten. Dazu gehören: ▸ kleine Knobelaufgaben (wobei Knobelaufgaben, die besonders aktivie‐ rend wirken, in Kapitel 6.7.4 vorgestellt werden) ▸ ein Themenspaziergang (dafür wird ein außerfachliches Gesprächsthema empfohlen, falls sich nicht von selbst ein Gespräch zwischen den Teil‐ nehmern ergibt) ▸ das gemeinsame Essen in der Kantine oder eine gemeinsame Kaffeerunde ▸ eine Fantasiereise Pausenspiele Die hier vorgestellten Pausenübungen sollen sich für ein möglichst breites Teil‐ nehmerspektrum eignen. Deshalb enthält das Buch keine Übungen, die so spie‐ lerisch sind, dass sie als informelle Auflockerungsübungen auf reine Jugend- oder Studentengruppen zugeschnitten wären. Falls Sie sich jedoch auch einen Überblick über solche Übungen verschaffen möchten, stellt die Webseite www.spielereader.org eine gute Übersicht über solche Übungen bereit. Techniken zur tiefen und dauerhaften Entspannung Die Auflockerungsübungen in diesem Kapitel sollen die Teilnehmer aktivieren und ihnen die Möglichkeit bieten, sich in kurzen Unterbrechungen der Arbeits‐ phasen mithilfe von gruppendynamischen Elementen zu entspannen. Sie sind jedoch nicht dazu geeignet, möglichen Symptomen langer Stressperioden ent‐ gegenzuwirken oder die regelmäßige Anwendung von Entspannungstechniken im Alltag zu ersetzen. Für diese Zwecke existiert eine Vielzahl an verschiedenen Entspannungs‐ techniken. Einige davon sollen kurz vorgestellt werden. Das weite Feld der Ent‐ spannungstechniken würde den Rahmen dieses Buches jedoch bei Weitem über‐ steigen, zumal es sich dabei nicht um Gruppenarbeitsmethoden handelt. Daher folgen nun die groben Abläufe einer kleinen Auswahl von Entspannungstech‐ niken, deren Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Und auch bei diesen Techniken gibt es noch große inter- und intraindividuelle Unterschiede, was ihre Wirksamkeit für einzelne Anwender angeht. Aus diesem Grund sollten Interessierte zunächst mehrere Techniken ausprobieren und dann diejenige Technik fortführen, die ihnen persönlich am geeignetsten erscheint: 124 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="125"?> ▸ Autogenes Training: Autogenes Training basiert auf Autosuggestion, einem Prozess, bei dem Menschen durch gedankliche Spruchformeln ihr Unbewusstes trainieren. Durch diesen Prozess entspannt sich der Trai‐ nierende im autogenen Training bewusst und nimmt seinen Körper in‐ tensiv wahr. Eine umfassende Einleitung in die Praxis des autogenen Trainings findet sich u. a. bei Lindemann 2004. ▸ Progressive Muskelentspannung: Dies ist ein Verfahren, das durch bewusste Muskelanspannung und -entspannung den Umgang mit An‐ spannung und die Wahrnehmung des Wechsels von Anzur Entspannung trainieren soll. ▸ Achtsamkeit: Wer Achtsamkeit übt, versucht, ein sogenanntes »Objekt« (etwa den Fluss des eigenen Atems oder bestimmte Klänge) zu beob‐ achten, ohne das Beobachtete als gut bzw. angenehm oder schlecht bzw. unangenehm zu bewerten. Sobald der Übende merkt, dass er in Gedanken versunken ist, lenkt er seine Aufmerksamkeit zurück auf das jeweilige Objekt, ebenfalls ohne das Geschehene zu bewerten. Eine ausführliche Einführung in die Praxis der Achtsamkeit liefert Schneider 2012. 6.7.2 Jeder bewegt jeden < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ keine Sitzgelegenheiten erforderlich Ziel Dauerhaftes Sitzen bei Seminaren kann manche Teilnehmer anstrengen und ermüden. Die Übung »Jeder bewegt jeden« bietet eine Gelegenheit, Phasen von Müdigkeit und fehlender Motivation durch aktive Bewegung zu überwinden. 125 6.7 Auflockerung in Arbeitspausen <?page no="126"?> Beschreibung Alle Teilnehmer werden in Kleingruppen mit vier bis acht Teilnehmern aufge‐ teilt, beispielsweise durch das → Losverfahren (S. 95). Jede Kleingruppe überlegt sich einen Bewegungsablauf und übt untereinander, wie sie diesen am besten anleitet. Bei dem Bewegungsablauf kann es sich um eine bereits bekannte Be‐ wegung aus der Gymnastik oder aber auch um eine frei erfundene Bewegung handeln. Anschließend präsentieren sich alle Kleingruppen gegenseitig ihre Bewe‐ gungen. Falls genug Zeit vorhanden ist, kann jede Kleingruppe die restlichen Teilnehmer zu ihrer Bewegung anleiten. 6.7.3 Murmelgruppen < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitzgelegenheiten Ziel Murmelgruppen schaffen kurze geistige Entspannungsphasen, indem sie für Abwechslung in langen Vorträgen oder Referaten sorgen, welche den Zuhörern oft große Konzentration abverlangen. Murmelgruppen lassen sich extrem schnell bilden und wieder auflösen, sodass diese Auflockerungsübung einen sehr geringen organisatorischen und zeitlichen Aufwand erfordert. Beschreibung Während eines Vortrags oder Referats fordert der Redner die Zuhörer auf, sich wenige Minuten mit ihren Sitznachbarn zu unterhalten. Das Thema der Unter‐ haltung kann eine These zum referierten Stoff sein oder sich einer Problemstel‐ 126 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="127"?> lung widmen, die sich aus dem referierten Inhalt ergeben hat. So bilden sich kleine Gruppen von zwei bis vier Teilnehmern, die sich über die Frage des Vor‐ tragenden austauschen, miteinander »murmeln«. Variante »Bienenkorb« Eine strikter organisierte Variante der Murmelgruppen, bei der das Bearbeiten einer Aufgabenstellung im Vordergrund steht, ist die Methode → Bienenkorb (S. 285). 6.7.4 Pausenrätsel - Mit Hand und Verstand < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Rätsel und Tüfteleien für die Pause Kurzbeschreibung Der Leiter macht den Teilnehmern in der Pause das optionale Angebot, kleine Rätsel oder Tüfteleien zu lösen. Dabei geht es nicht nur um reine Denkaufgaben, sondern auch darum, dass die Teilnehmer ihre Hände benutzen, indem sie etwa mechanische Geduldspiele oder Bastelaufgaben lösen. Ausführliche Beschreibung Der Leiter stellt kurz vor Beginn der Pause einige Rätsel und Tüfteleien auf den Pausentischen bereit und bietet den Teilnehmern an, sich damit während der Pause zu befassen. Dabei sollte der Leiter vor Beginn der Pause unbedingt deut‐ lich klarstellen, dass die Beschäftigung mit den Rätseln freiwillig ist. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil solche Rätsel nicht auf alle Teilnehmer aktivierend 127 6.7 Auflockerung in Arbeitspausen <?page no="128"?> wirken und es durchaus auch Teilnehmer gibt, die in der Pause abschalten müssen, um im Anschluss wieder voll leistungsfähig zu sein. Die bereitgestellten Rätsel oder Tüfteleien sollten nicht nur zum Denken an‐ regen, sondern auch zur Bewegung animieren. Dafür bieten sich besonders Knobeleien an, für die die Teilnehmer ihre Hände benutzen müssen, oder die eine unkonventionelle Denkweise erfordern. Häufig finden sich auf der Rück‐ seite von Streichholzschachteln Rätsel, die gleichzeitig die Möglichkeit bieten, die Hände zur Lösung einzusetzen. Rätsel, die das sogenannte »Thinking out of the box« erfordern, können die Teilnehmer ebenfalls aktivieren, obwohl diese dafür nicht unbedingt ihre Hände benötigen. Dabei handelt es sich um Rätsel, für deren Lösung der Ratende erst einmal unbewusste Annahmen verwerfen muss, die die Lösungsmöglichkeiten einschränken, ohne jedoch Teil der Aufgabenstellung zu sein. Ein Beispiel für eine solche Aufgabe ist das Neun-Punkte-Problem in Abbildung 6-5: Der Ra‐ tende soll die neun Punkte eines 3 x 3 Punkte-Quadrats in höchstens vier geraden Strichen miteinander verbinden, ohne den Stift abzusetzen. Bei diesem Rätsel liegt die Lösung darin, dass der Ratende die Striche über die durch die äußeren Punkte definierten Grenzen des Quadrats hinaus zeichnet. Obwohl die Aufga‐ benstellung nicht vorschreibt, dass das Quadrat nicht verlassen werden darf, setzen viele Ratende diese Einschränkung implizit voraus. Abbildung 6-5: Eine mögliche Lösung für das Neun-Punkte-Problem mit vier Strichen. 128 6 Gruppenbildung, Zusammenarbeit und Arbeitsabläufe <?page no="129"?> Beispielrätsel Aufgabe mit Einsatz der Hände und Thinking out of the box: Bilden Sie aus sechs Streichhölzern drei gleichseitige Dreiecke. Dabei dürfen Sie die Streichhölzer (natürlich) nicht zerbrechen. Lösung: Ein Davidstern (konventionell) oder ein Tetraeder (eine Pyramide mit dreieckiger Grundfläche - Thinking out of the box, da die Lösung die dritte Di‐ mension heranzieht) Aufgabe mit Thinking out of the box: Der alte Scheich spürt, dass es langsam mit ihm zu Ende geht. So ruft er seine beiden Söhne in sein Zelt und sagt: »Meine lieben Kinder. Ihr wisst, dass ich auch dank Euch auf ein langes und glückliches Leben zurückblicken kann. Da mir nicht mehr viele Tage bleiben, möchte ich Euch meinen Besitz übertragen. Ihr beide seid geschickte Kamel‐ reiter, aber ich will meine kostbare Reitkamelherde nicht zerreißen. Dem Klü‐ geren von Euch soll sie gehören. Unternehmt einen Kamelritt bis zur Oase und zurück. Derjenige, dessen Kamel vor Sonnenaufgang als Letztes hier eintrifft, soll das Erbe erhalten.« Die Söhne schauen sich nun völlig ratlos an. Wie von der Tarantel gestochen stürzt einer der beiden plötzlich aus dem Zelt, während der andere sich zunächst in aller Ruhe von seinem Vater verabschiedet und anschließend gemütlich herausschlendert. Unter der Voraussetzung, dass beide Söhne gleich gute Kamelreiter sind, ihre beiden Kamele gleich schnell laufen können, beide Söhne jeweils die vollstän‐ dige Reitkamelherde haben wollen und auch beiden der Weg zur Oase und zu‐ rück vertraut ist: Welcher der beiden Söhne kann das Erbe mit Sicherheit erhalten, und welche Strategie wird er anwenden? Lösung: Der Sohn, der »wie von der Tarantel gestochen« losgeritten ist, tut dies auf dem Kamel des anderen Sohnes. Literatur Eine umfangreiche Sammlung solcher und ähnlicher Rätsel findet sich in den Büchern des Aachener Physikprofessors Heinrich Hemme, etwa in: Das Ei des Kolumbus und weitere hinterhältige Knobeleien (Hemme 2004). 129 6.7 Auflockerung in Arbeitspausen <?page no="131"?> 7 Ideen suchen und finden »Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.« A L B E R T E I N S T E I N , D E U T S C H - AM E R I K A N I S C H E R P H Y S I K E R Nachdem Kapitel 5 und 6 die Grundlagen der problemlösungsorientierten Gruppenarbeit geschaffen haben, stellt dieses Kapitel Methoden vor, die kreative Prozesse wie die Ideensuche fördern und die das bewusste Entwi‐ ckeln kreativer Gedankengänge unterstützen. Dazu gibt das Kapitel zu‐ nächst einen Überblick über Hilfsmittel für die Ideensuche und über Tech‐ niken, die dabei helfen, das zu bearbeitende Themenfeld bereits vor der Ideenfindung einzugrenzen. Damit die anschließenden Ideenfindungsmethoden zu sinnvollen Resultaten führen, muss das Vorgehen auf das jeweilige Problem angepasst sein. Aus diesem Grund gliedert sich dieses Kapitel in fünf Methodenkapitel, von denen jedes eine andere Art von Kreativtechniken präsentiert. 7.1 Übersicht Bevor die Methoden für die eigentliche Ideensuche vorgestellt werden, bereiten die einleitenden Kapitel 7.2 und 7.3 auf das Arbeitsfeld »Ideensuche« vor. Kapitel 7.2 erläutert dabei, welche Hilfsmittel das Sammeln von Ideen fördern. Sie helfen, die Ideensuche dauerhaft und nachhaltig in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter oder Teilnehmer einzubinden und das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die Ideensuche kein Prozess ist, der ausschließlich mit bestimmten Arbeitsphasen beginnt und endet. Im Anschluss stellt Kapitel 7.3 Analysen vor, mithilfe derer sich der Bereich eingrenzen lässt, in dem Ideen gesucht werden. Schließlich darf die Ideensuche nicht beliebig lange dauern und sie kann ineffektiv sein, wenn das relevante Themenfeld nicht von vorneherein eingeschränkt wird. Deshalb stellen die in diesem Kapitel vorgestellten Analysen Prinzipien vor, mit denen sich das The‐ menfeld nicht nur einschränken lässt, sondern die außerdem denjenigen Bereich identifizieren, in dem Innovationen die größtmögliche Verbesserung des Aus‐ gangsprodukts versprechen. Die Einschränkung des Themenfelds hilft au‐ <?page no="132"?> ßerdem, Schwachstellen zu erkennen, und sie kann verhindern, dass sich Ideen zu weit vom zu lösenden Problem entfernen. Die anschließenden sieben Methodenkapitel gliedern sich folgendermaßen: Während die ersten fünf Kapitel jeweils Ideenfindungsmethoden eines be‐ stimmten Typs von Kreativtechniken enthalten, präsentieren die letzten beiden Kapitel Methoden, die den Moderator dabei unterstützen, offene Fragen zu be‐ arbeiten und mit sehr großen Gruppen erfolgreiche Diskussionen durchzu‐ führen. Im Detail gliedern sich die Kapitel wie folgt: Kapitel 7.4 stellt Techniken der freien Assoziation vor, also Techniken, die größtenteils ohne Hilfsmittel wie Strukturierung oder stark durchgeplante Me‐ thodenabläufe auskommen. Sie sprechen vor allem Teilnehmer an, die feste Strukturen und Abläufe als hemmend oder hinderlich bei der Ideenfindung empfinden. Anschließend präsentiert Kapitel 7.5 Techniken der strukturierten Assozia‐ tion. Dazu gehören Methoden, bei denen Ideen sofort strukturiert oder geordnet werden. Sie sprechen Teilnehmer an, für die das Strukturieren gesammelter Ideen den Kreativitätsprozess fördert. Die Imaginationstechniken aus Kapitel 7.6 erweitern die Vorstellungskraft der Teilnehmer durch die detaillierte Schilderung fiktiver Szenarien oder re‐ gulierter Abläufe, sogenannter Rollenspiele. Dies kann dabei helfen, festge‐ fahrene oder eingespielte Gedankenmuster abzulegen, und so zu neuen Ein‐ fällen führen. Danach befasst sich Kapitel 7.7 mit sogenannten Konfrontationstechniken. Sie wecken Assoziationen, indem sie die Teilnehmer etwa mit einem Wort oder einer im Widerspruch zur Realität stehenden Aussage konfrontieren. Im Ge‐ gensatz zu den anderen Methoden liegt hier das Hauptaugenmerk auf der Ver‐ meidung schwerwiegender Fehler. Diese verschiedenen Arten von Ideenfindungsmethoden eignen sich für ver‐ schiedene Teilnehmer unterschiedlich gut. Manchmal können auch Kombina‐ tionen der in den Kapiteln 7.3 bis 7.7 vorgestellten Methoden neue Impulse her‐ vorbringen, wenn eine einzelne Methode in eine Sackgasse geführt hat. Wenn etwa ein → Brainstorming (S. 156) keine neuen Ideen liefert, kann die Struktu‐ rierung der bisherigen Ideen mithilfe eines → Clusters (S. 160) neue gedankliche Impulse freisetzen. Zum Abschluss des Ideenfindungsteils stellt Kapitel 7.8 Methoden vor, die auch bei sehr großen Gruppen für einen ungehemmten Ideenfluss sorgen, bei dem jeder einzelne Teilnehmer berücksichtigt wird. Jede der nun folgenden Ideenfindungsmethoden kann dabei helfen, eine Viel‐ zahl an Ideen hervorzubringen. Für die Weiterarbeit mit diesen Ideen ist es je‐ 132 7 Ideen suchen und finden <?page no="133"?> doch oft nötig, eine Vorauswahl aus den gesammelten Ideen zu treffen. Dafür eignen sich die Analysen aus Kapitel 8.2, mithilfe derer die Gruppen die viel‐ versprechendsten Ideen identifizieren und bewerten können. 7.1.1 Osborn-Regeln Der US-amerikanische Autor Alex F. Osborn (1888-1966) gilt als Erfinder des → Brainstormings (S. 156) sowie der → Mindmap (S. 163) und der → Os‐ born-Methode (S. 238). Er entwickelte vier Regeln, die bei der Durchführung kreativer Prozesse beachtet werden sollten: ▸ Üben Sie keine Kritik! (sowohl ausgesprochene Kritik an fremden Ideen als auch innere Kritik an eigenen Ideen) → Trennen Sie Ideensuche von Ideenkritik. ▸ Quantität geht vor Qualität: → Je mehr Ideen, desto besser! ▸ Es gibt kein geistiges Eigentum. → Ergänzen und verbessern Sie bereits vorhandene Ideen! ▸ Alles ist erlaubt → Je ungewöhnlicher die Idee, desto besser! Diese Regeln müssen bei der Ideensuche bei allen Methoden des folgenden Kapitels unbedingt beachtet werden! 7.2 Hilfsmittel zum Sammeln von Ideen Geeignete Methoden und Kreativtechniken können kreative Prozesse und Ge‐ dankengänge kurzfristig anregen und zu erfolgreichen Resultaten führen, doch auch Kreativität ist eine Fähigkeit, die sich erlernen und trainieren lässt. Um die langfristige Entwicklung dieser Fähigkeit zu fördern, stellt dieses Kapitel daher Hilfsmittel zum Sammeln von Ideen vor. Für sich genommen sind die Hilfsmittel noch keine komplexen Verfahren oder Methoden. Ihr Nutzen liegt vielmehr darin begründet, dass sie das Bewusstsein für kreative Prozesse und ungewöhn‐ liche Ideen im Unternehmen oder in der Arbeitsgruppe stärken. Damit die Hilfsmittel einen positiven Effekt erzielen, muss eine Person be‐ nannt werden, die die Anwendung der Hilfsmittel organisiert und das Bewusstsein der anderen Mitarbeiter oder Gruppenmitglieder für die Hilfsmittel aufrechter‐ hält. Zudem müssen die mit den Hilfsmitteln gesammelten Ideen analysiert und ausgewertet werden. Auch diesen Prozess muss jemand koordinieren. 133 7.2 Hilfsmittel zum Sammeln von Ideen <?page no="134"?> Ideenkasten Beim Ideenkasten handelt es sich in Anlehnung an den sogenannten Vor‐ schlagskasten um eine Art unternehmens- oder gruppeninternen Briefkasten, in den alle Mitarbeiter oder Gruppenmitglieder Zettel mit ihren Ideen einwerfen können. Dieses Konzept ist nicht sehr komplex oder strukturiert, kann im Un‐ ternehmen oder in der Arbeitsgruppe aber das Bewusstsein dafür stärken, dass nach Ideen gesucht werden soll und dass jeder Mitarbeiter oder jedes Gruppen‐ mitglied ein Teil des Ideenfindungsprozesses ist. Beim Aufstellen des Ideenkastens kann entschieden werden, ob Ideen an‐ onym oder mit dem Namen des Urhebers abgegeben werden sollen. Eine an‐ onyme Ideenabgabe kann es den Mitarbeitern oder Gruppenmitgliedern er‐ leichtern, auch ungewöhnliche oder riskante Ideen abzugeben. Eine nicht-anonyme Ideenabgabe hingegen ermöglicht Anreizsysteme wie etwa einen kleinen Preis für die beste Idee. Software zum Ideenmanagement Der oben beschriebene Ideenkasten kann auch durch Systeme der elektroni‐ schen Datenverarbeitung ersetzt werden. Eine sehr einfache Möglichkeit wäre die Einrichtung des Ideen»kastens« als E-Mail-Adresse, an die jeder seine Ideen schreiben kann. In vielen Gruppen ist dies ein Vorteil, weil es in Zeiten von stark PC-lastiger Büroarbeit oft näher liegt, eine E-Mail zu schreiben als eine hand‐ schriftliche Notiz in einen Kasten einzuwerfen. Notizbuch für Ideen Bei diesem Konzept erhält jeder Mitarbeiter oder jedes Gruppenmitglied ein Notizbuch, das er stets bei sich trägt. Der Vorteil dieser Notizbücher liegt darin, dass die Mitarbeiter oder Gruppenmitglied jederzeit in der Lage sind, spontane Einfälle und Ideen zu notieren. Anstelle eines Notizbuchs eignet sich auch eine Computerdatei, die jeder be‐ arbeiten kann. Da in Büros die meiste Arbeitszeit vor dem PC verbracht wird, schränkt diese Lösung auch nicht die Möglichkeit ein, Ideen spontan zu notieren. Mit Hilfe eines Smartphones oder Tablets ist eine Eintragung sogar mobil nie‐ derschwellig möglich. So können alle Mitarbeiter oder Gruppenmitglieder auf diese Weise auch die Ideen der anderen sehen, was neue Einfälle anregt. Ein Speicherbereich in einer gesicherten Cloud oder ein firmeneigenes Wiki sind zwei Möglichkeiten, diesen Ansatz umzusetzen. Dieses Hilfsmittel ist nicht zu verwechseln mit dem → kollektiven Notizbuch (S. 155), welches eine Variante der Kreativmethode → 6-5-3 (S. 153) darstellt. 134 7 Ideen suchen und finden <?page no="135"?> Sonstiges Indem die Gruppe die Endanwender (etwa Kunden, Studenten oder Konsu‐ menten) in den jeweiligen Ideenfindungsprozess einbezieht, kann sie die Ideenfindung ebenfalls fördern. Bei einem großen Endanwenderkreis wie z. B. den Käufern eines überregional verkauften Produkts reicht eventuell schon ein Verweis auf eine Internetseite auf der Verpackung des jeweiligen Produkts. Viele Firmen bieten mittlerweile Ideenfindungsworkshops an, deren Dauer von einer halben Stunde bis zu mehreren Tagen reicht. Weitere Quellen für mögliche innovative Ideen sind schließlich sogenannte Trendnewsletter. Verbreitete Trendnewsletter lassen sich etwa über die Inter‐ netseiten www.trendwatching.com und www.springwise.com abonnieren (in englischer Sprache). 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen 7.3.1 House of Quality (QFD) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium mit Vorlagentabelle Ziel Die Methode eignet sich dazu, aus bereits gesammelten Kundenanforderungen an ein bekanntes Produkt diejenigen Produktmerkmale zu extrahieren, deren 135 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="136"?> Änderung die gesammelten Kundenanforderungen am besten erfüllt. Diese Än‐ derung kann dann das Ziel einer möglichen Weiterentwicklung sein. Kurzbeschreibung Für diese Analyse erstellen Sie ein tabellarisches Schema, das sogenannte »House of Quality«, welches als Zeilenüberschriften die gesammelten Kunden‐ anforderungen an ein Produkt und als Spaltenüberschriften die jeweiligen tech‐ nischen Komponenten des Produkts enthält. In die Tabellenzellen tragen Sie anschließend Zahlenwerte ein, die die Korrelationen aus der entsprechenden Kundenanforderung und der technischen Komponente widerspiegeln. Zusätz‐ lich ergänzen Sie das Schema um ein dreieckiges Diagramm, welches die Kor‐ relation der technischen Komponenten untereinander angibt. Auf Grundlage der Tabelleneinträge ermitteln Sie anschließend die technischen Realisierungen, die den höchsten Erfüllungsgrad im Verhältnis zu allen Anforderungen haben. Ausführliche Beschreibung Die Methode überträgt Kundenanforderungen (»Was muss das Produkt leisten? «) auf Produktmerkmale (»Wie funktioniert das Produkt? Wie ist es auf‐ gebaut? «) und analysiert, in welchen Produktmerkmalen das größte Potenzial zur Verwirklichung der Kundenanforderungen steckt. Dafür müssen Sie drei Dinge bereits kennen: (1) die Kundenanforderungen an das Produkt, (2) ihre jeweilige Gewichtung, also ihre Bedeutung für die Kunden, und (3) die einzelnen Produktmerkmale. Um die Kundenanforderungen zu ermitteln, können Sie die Techniken der freien Assoziation aus Kapitel 7.4 mit einer Vielzahl von Kunden anwenden. Ebenfalls gemeinsam mit den Kunden können Sie dann z. B. eine → Matrixanalyse (S. 211) zur Gewichtung der einzelnen Anforderungen erstellen. Dabei empfiehlt es sich zusätzlich, wie im Tipp der Matrixanalyse beschrieben, die Gewichte auf einen Wert zwischen 0 und 1 zu normieren. Beachten Sie, dass Sie die Kundenanforderungen nicht bereits technisch oder unternehmerisch formulieren sollten, wenn Sie die Kunden befragen. Falls Sie die House-of-Quality-Methode z. B. verwenden, um die Dienstleistung eines Pa‐ ketversands zu optimieren, könnten die möglichen Kundenwünsche etwa »günstige Preise«, »freundliche Bedienung«, »schneller Versand«, »nahe Pa‐ ketabgabe« und »hohes erlaubtes Gewicht« sein. Die dazu korrespondierenden Produktmerkmale wären hingegen »Filialnetz«, »Personal«, »Öffnungszeiten«, »Tarifstruktur« und »Fahrzeugstauraum«. Im Allgemeinen können die jewei‐ ligen Entwickler oder Vermarkter des Produkts diese Merkmale ermitteln. Dabei können erneut die oben erwähnten Gruppenarbeitsmethoden zum Einsatz 136 7 Ideen suchen und finden <?page no="137"?> kommen. Häufig kennen die Entwickler auch schon die relevanten technischen Komponenten. Sowohl bei den Kundenanforderungen als auch bei den Produktmerkmalen sollten Sie darauf achten, dass nicht mehr als jeweils 15 Kundenanforderungen und Produktmerkmale gesammelt werden, da die Tabelle sonst zu unübersicht‐ lich und zu kleinteilig wird, um gute Resultate zu liefern. Haben Sie mehr als 15 Kundenanforderungen und Produktmerkmale gesammelt, können z. B. die Ge‐ wichte der Anforderungen und die Kosten, die mit einer möglichen Produktän‐ derung verbunden wären, als Kriterien dienen, um aus der Gesamtheit der Kun‐ denanforderungen und Produktmerkmale jeweils 15 Stück auszuwählen. Anschließend erstellen Sie ein tabellarisches Schema, in das Sie die ermittelten Kundenanforderungen als Zeilenüberschriften und die Produktmerkmale als Spaltenüberschriften eintragen. Oberhalb der Produktmerkmale legen Sie zu‐ sätzlich eine dreiecksförmige Tabelle an, deren Zellen die einzelnen Produkt‐ merkmale untereinander verbinden. Dies ist das »Dach« des House of Quality. Abbildung 7-1 zeigt den Aufbau des tabellarischen Schemas. Abbildung 7-1: Darstellung des tabellarischen Schemas nach der House-of-Quality-Me‐ thode 137 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="138"?> Wenn die Tabelle soweit ausgefüllt ist, bewertet die Gruppe die Korrelation zwischen Kundenanforderung und Produktmerkmalen in einer vom Moderator geleiteten Diskussion. Die Methode kann zwar prinzipiell auch in Einzelarbeit angewendet werden, jedoch ist das Bestimmen der Korrelationen ein fehleran‐ fälliger Schritt. Gruppenarbeit hilft hier, die Gefahr einer falschen Korrelation zu verringern. Die House-of-Quality-Methode sieht die folgenden Werte für die einzelnen Korrelationen vor: Korrelation Wert schwach 1 mittel 3 stark 9 Statt dieser Werte ist aber auch eine lineare Skala möglich. Damit die Tabelle übersichtlich bleibt, werden Zellen ohne Korrelation freigelassen. Bei der spä‐ teren Auswertung erhalten sie den Wert 0. Um die Tabelle auszuwerten, multi‐ plizieren Sie die einzelnen Korrelationswerte mit den Gewichten der zugehö‐ rigen Kundenanforderung. Die Produkte summieren Sie dann spaltenweise und tragen die Summe in die Zelle am Ende der entsprechenden Spalte ein. Nachdem Sie alle Korrelationen zwischen Kundenanforderungen und Pro‐ duktmerkmalen bestimmt haben, können Sie zusätzlich die Produktmerkmale untereinander auf Korrelationen untersuchen. Die Korrelationen können ent‐ weder positiv oder negativ sein. Im obigen Beispiel des Paketversands würden beispielsweise »Filialnetz« und »Tarifstruktur« eine negative Korrelation auf‐ weisen, da ein größeres Filialnetz zu höheren Preisen führen würde, »Filialnetz« und »Personal« hingegen wären positiv korreliert, da ein größeres Filialnetz auch zu mehr Personal führt. Bei einer negativen Korrelation empfiehlt sich der Versuch einer → Konsensfindung (S. 43) zwischen den Produktmerkmalen, die miteinander im Konflikt stehen. Eventuell lässt sich der Konflikt so auflösen. Variante »QFD« Das House of Quality ist ein zentrales Element des sogenannten QFD (Quality Function Deployment). QFD erlaubt es, Kundenanforderungen in ein fertiges Produkt oder Konzept zu übersetzen und zusätzlich eine Agenda zu formulieren, wie die Teilschritte auf dem Weg zum fertigen Produkt oder Konzept umzu‐ setzen sind. Allerdings ist QFD ein sehr umfangreiches Verfahren, das weit über das allgemeine Thema »Gruppenarbeit« hinausgeht. Ausführliche Informa‐ 138 7 Ideen suchen und finden <?page no="139"?> tionen zu QFD bietet z. B. die Website des QFD Instituts Deutschland e. V. (www.qfd-id.de). 7.3.2 Kano-Analyse < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium Ziel Die Kano-Analyse zeigt auf, bei welchen Aspekten eines Produkts oder eines Kon‐ zepts sich eine Verbesserung besonders lohnt, da der Endanwender sie besonders positiv bewertet. Zudem verdeutlicht sie, bei welchen Aspekten besonders auf eine gute Umsetzung geachtet werden sollte, da der Endanwender das Produkt oder die Idee bei einer schlechten Umsetzung besonders negativ bewerten würde. Kurzbeschreibung Der Moderator erstellt ein Koordinatensystem, dessen x-Achse anzeigt, wie gut ein Aspekt umgesetzt wurde, und dessen y-Achse anzeigt, wie begeistert der 139 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="140"?> Endanwender darauf reagiert. Zu den verschiedenen Aspekten des Produkts oder des Konzepts zeichnet der Moderator Kurven in das Koordinatensystem, die die Begeisterung beim Endanwender und die Gelungenheit der Umsetzung zueinander ins Verhältnis setzen. Diese Kurven geben Aufschluss darüber, welche Aspekte besonders gut umgesetzt sein sollten und bei welchem Aspekt sich eine Verbesserung besonders lohnt. Ausführliche Beschreibung Vor Beginn der Analyse müssen die Aspekte oder Bauteile des Produkts oder des Konzepts bekannt sein. In der Regel ist dies der Fall, wenn die Konzepte vorher gemeinsam mit den Teilnehmern erarbeitet werden. Sind Bauteile oder Aspekte jedoch nicht bekannt, müssen die Teilnehmer sie vorher gemeinsam herausarbeiten. Dafür eignet sich ein → Brainstorming (S. 156) mit anschlie‐ ßender → Konzept-Extraktion (S. 202). Sobald alle Teilnehmer die Aspekte des Produkts oder Konzepts kennen, zeichnet der Moderator ein Koordinatensystem auf das Visualisierungsmedium und beschriftet die x-Achse mit »Gelungenheit der Umsetzung« und die y-Achse mit »Begeisterung beim Endanwender«. Die Achsen bleiben dabei unskaliert, da die beiden genannten Größen einen sehr subjektiven Charakter besitzen, weshalb sie sich nur schwer quantitativ erfassen lassen. Außerdem kommt es darauf an, am Ende alle Bauteile und Aspekte im relativen Vergleich zueinander zu sehen anstatt auf einer absoluten Skala. In der anschließenden Analyse ordnet der Moderator dann gemeinsam mit den Teilnehmern jedem Aspekt des Produkts oder Konzepts eine Kurve im Ko‐ ordinatensystem zu. Wie er diesen Prozess gruppendynamisch gestaltet, wird weiter unten am Ende der Methodenbeschreibung erläutert. Zuvor soll das Prinzip erklärt werden, nach dem er die Kurven in das Diagramm zeichnet: Die gezeichnete Kurve veranschaulicht, wie sich die Begeisterung des End‐ anwenders gegenüber der Idee oder dem Produkt zur Qualität des jeweiligen Aspekts verhält. Punkte in der Nähe des Nullpunkts bedeuten, dass die Umset‐ zung weder überragend gut noch sehr schlecht gelungen ist, beziehungsweise, dass der Endanwender dem Aspekt oder Bauteil weder positiv noch negativ, sondern neutral gegenübersteht. Punkte weit rechts im Koordinatensystem weisen auf eine gute Umsetzung hin, weit oben liegende Punkte dagegen zeigen, dass die Begeisterung des Endanwenders sehr groß ist. Umgekehrt verweisen Punkte weit links auf eine schlechte Umsetzung, Punkte weit unten auf eine geringe Zufriedenheit des Endanwenders. 140 7 Ideen suchen und finden <?page no="141"?> Ein Beispiel: Die Kurven für verschiedene Autoteile sollen untersucht werden. Die Abbildung 7-2 zeigt die Kurven für Bremse, für Motor und für ein neuartiges Bauteil, das der Endanwender noch nicht kennt: Abbildung 7-2: Beispiel für die Kano-Analyse Die hellblaue Kurve für die Bremse ergibt sich wie folgt: Bei einer schlechten Bremse erhält der Endanwender ein sehr negatives Bild des gesamten Autos, eine sehr gut eingestellte Bremse bemerkt er hingegen kaum. Im Gegensatz dazu verläuft die graue Kurve des Motors näherungsweise proportional, da das Auto den Endanwender umso stärker begeistert, je stärker der Motor ist. Die dun‐ kelblaue Kurve repräsentiert ein Bauteil, das der Endanwender nicht kennt, bei‐ spielsweise weil es noch sehr neu ist. Da es der Endanwender nicht erwartet, wirkt sich eine schlechte Umsetzung oder sogar seine Abwesenheit nicht ne‐ gativ auf das Gesamtbild des Endanwenders aus. Ist es aber vorhanden und gut umgesetzt, steigert sich die Begeisterung für das ganze Auto enorm, da seine Erwartungen übertroffen wurden. Ein Beispiel für ein solches Bauteil wäre ein Airbag in Zeiten, in denen Airbags noch nicht zur Standardausstattung ge‐ hörten. Das fertige Diagramm mit den Kurven für alle Bauteile oder Aspekte können die Teilnehmer nun nutzen, um Bauteile oder Aspekte mit besonders großem Einfluss auf das Gesamtbild des Produkts oder Konzepts herauszufiltern und gegebenenfalls zu verbessern. Mithilfe der Kano-Analyse können sie also er‐ kennen, bei welchen Aspekten sich Verbesserungen besonders rentieren, wenn bloß begrenzte personelle oder finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Auf den ersten Blick wirkt es, als käme die Methode auch ohne die synergeti‐ schen Effekte aus der Gruppenarbeit aus, sodass sie sich scheinbar gut für die Ein‐ zelarbeit eignet. Doch sowohl die gelungene Umsetzung eines Aspektes als auch die Begeisterung, die sie beim Endanwender hervorruft, sind eher subjektive Kri‐ 141 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="142"?> terien. Deshalb bestünde bei Einzelarbeit die Gefahr, dass fundamental falsche Schlüsse gezogen werden. Wenn mehrere Teilnehmer die Methode gemeinsam anwenden, können sie verschiedene Ansichten zur Umsetzung eines bestimmten Aspekts und der damit verbundenen Begeisterung des Endanwenders zusammen‐ tragen. Auf diese Weise lassen sich Fehleinschätzungen vermeiden, und das mög‐ liche Verhalten einer Vielzahl von Endanwendern lässt sich besser voraussagen. Deshalb muss sich der Moderator beim Einzeichnen der Kurven versichern, dass unter den Teilnehmern ein Konsens über die Kurve herrscht. Besteht kein Konsens, sollten sich die Teilnehmer in einer vom Moderator geleiteten Dis‐ kussion über die unterschiedlichen Kurvenverläufe austauschen können. Nur so gewährleistet der Moderator, dass alle Teilnehmer Argumente berücksich‐ tigen, die die Mehrheit der Teilnehmer möglicherweise bisher noch nicht be‐ dacht hat, die jedoch von entscheidender Relevanz sind. Erst wenn eine → Konsensfindung (S. 43) keine Erfolge liefert, sollte der Moderator andere Me‐ thoden anwenden. Dazu könnte gehören, dass er zwei Kurven grafisch mittelt oder eine zusätzliche gestrichelte Kurve zu einem Aspekt einzeichnet. Variante Die Kano-Analyse lässt sich auch mit anderen Kriterienpaaren als »Gelungenheit der Umsetzung« und »Begeisterung beim Endanwender« durchführen. Eine Firma, die mehrere Produkte verkauft und herausfinden will, auf welches Pro‐ dukt sie sich in Zukunft stärker konzentrieren sollte, könnte z. B. eine Analyse mit dem Kriterienpaar »Anzahl der Kunden« und »zu erwartender Gewinn« durchführen. In diesem Fall können die Achsen des Diagramms auch mit den Einheiten der entsprechenden Größen skaliert werden. Vor- und Nachteile + Die Analyse lässt sich intuitiv durchführen und benötigt keine Statistiken oder ähnliche Datenmengen. - Die zu erwartende Begeisterung beim Endanwender kann häufig nur ge‐ schätzt werden. - Die Analyse könnte kurzfristig wirksame Lösungen übermäßig vorteilhaft erscheinen lassen. 142 7 Ideen suchen und finden <?page no="143"?> 7.3.3 Pareto-Analyse (ABC-Analyse) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Daten zur Häufigkeit und eventuell zu den Kosten der Einzelaspekte Ziel Die Pareto-Analyse ermöglicht es, die wirtschaftliche Bedeutung der Teilergeb‐ nisse oder Komponenten eines Gesamtergebnisses oder Produkts zu ermitteln und diejenigen Teilergebnisse und Komponenten herauszufiltern, die den größten Einfluss auf das Gesamtergebnis oder Produkt haben. Kurzbeschreibung Die Häufigkeit von Teilaspekten eines Gesamtergebnisses wird erfasst, damit die Teilaspekte hinsichtlich der erfassten Häufigkeit sortiert werden können. Oft stellt sich dabei heraus, dass ein geringer Anteil an Teilaspekten zu einem Großteil des Gesamtergebnisses beiträgt. Diese Idee ist auch unter dem verein‐ fachten Begriff 80-20-Regel bekannt. Ausführliche Beschreibung Die Pareto-Analyse beruht auf dem Pareto-Prinzip, auch bekannt als 80-20-Regel. Sie besagt, dass in 20 % der Gesamtzeit 80 % der Ergebnisse erzielt werden. Für die verbleibenden 20 % der Ergebnisse wiederum sind 80 % der Ge‐ samtzeit nötig. Dieses Prinzip geht auf den italienischen Ökonomen Vilfredo Pareto zurück, der 1896 bei der Untersuchung der Vermögensverteilung in Ita‐ lien entdeckte, dass 20 % aller Familien über 80 % des Vermögens besitzen. Für reale Prozesse dient das Pareto-Prinzip lediglich als vereinfachte An‐ nahme, denn natürlich muss das Verhältnis zwischen Gesamtzeit und Gesamt‐ 143 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="144"?> ergebnis nicht genau 20 zu 80 entsprechen. Die Aussage hinter dem Prinzip kann allerdings tatsächlich Allgemeingültigkeit beanspruchen: Jedes Gesamtergebnis enthält Teilaspekte, die sich mit wenig Aufwand modifizieren lassen, obwohl sie das Gesamtergebnis signifikant verbessern. Entsprechend besteht das Ziel der sogenannten Pareto-Analyse darin, diejenigen Teilaspekte oder Merkmale zu ermitteln, deren Modifikation einen großen, mittleren oder geringen Einfluss auf das Gesamtergebnis haben, und sie zusammenfassend zu visualisieren. Für eine Pareto-Analyse benötigen Sie Informationen über die zu analysie‐ renden Merkmale, wie etwa Verkaufs-, Fehler- oder Garantiestatistiken. Das bedeutet, dass diese Daten bereits erfasst sein müssen, bevor Sie die Analyse durchführen können. Dabei sollten Sie stets abwägen, ob der zu erwartende Nutzen den damit verbundenen Aufwand rechtfertigt. Falls Sie die benötigten Informationen jedoch bereits kennen sollten, lässt sich die Analyse einfach durchführen. Sie kommt zudem ohne Gruppeninteraktion aus. Der erste Schritt der Pareto-Analyse besteht darin, dass Sie die Merkmale hin‐ sichtlich ihrer Häufigkeit (oder ihrer Anzahl, ihres Preises oder ihrer Kosten) ordnen. Mögliche Merkmale wären z. B. »Fehler«, »Aufgaben«, »Auftrags‐ sorten« oder »defekte Komponenten« (diese lassen sich z. B. über eine Statistik der Garantiefälle ermitteln). Für die Sortierung können Sie statt der Häufigkeit prinzipiell auch andere quantitative Größen wählen. Dabei sollten Sie jedoch beachten, dass sich viele quantitative Größen, wie etwa die Dauer eines Ar‐ beitsschritts, direkt in Preise oder Kosten umrechnen lassen. Da die Analyse auf die wirtschaftliche Bedeutung der Merkmale abzielt, empfiehlt es sich gegebe‐ nenfalls, quantitative Größen wie die Dauer in Kosten umzurechnen. Ausgehend von dieser Sortierung teilen Sie die Merkmale im zweiten Schritt in die Gruppen A, B und C ein (von dieser Einteilung leitet sich der alternative Name »ABC-Analyse« ab). Die häufigsten (oder teuersten, zeitintensivsten etc.) Merkmale sind A-Merkmale; Merkmale mit mittlerer Häufigkeit sind B-Merk‐ male; und Merkmale mit geringer Häufigkeit sind C-Merkmale. Als grobe Faust‐ regel sollten A-Merkmale ca. 80 % der Gesamthäufigkeit ausmachen, während A- und B-Merkmale zusammengenommen ca. 50 % der Gesamtmerkmale aus‐ machen sollten. Diese Einteilung ist aber nur ein grober Richtwert und kann in der Praxis variabel angepasst werden. Zur Veranschaulichung zeigt Tabelle 7-1 ein Beispiel einer Pareto-Analyse, die ein Paketdienst durchgeführt hat, um die Fehlerursachen für die Nichtzu‐ stellung von Paketen zu bewerten. 144 7 Ideen suchen und finden <?page no="145"?> Fehler Häufigkeit in # % ∑ % Kunde nicht zu Hause A I 43 47 47 Paket falsch frankiert A II 24 26 73 Verlust beim Verteiler B III 11 12 85 Adresse nicht lesbar B IV 9 10 95 Verlust während der Fahrt C V 4 4 99 Diebstahl durch Nachbar C VI 1 1 100 Tabelle 7-1: Beispiel einer Pareto-Analyse der Fehlerhäufigkeit für die Nichtzustellung von Paketen bei einem Paketdienst (»#« steht für die Häufigkeit des Auftretens, »%« für den prozentualen Anteil und »∑ %« für die Summe der prozentualen Anteile der bereits genannten Fehler) Die Tabelle verdeutlicht, dass zwei von sechs Fehlerquellen, also ca. 33 %, für 73 % der verlorenen Pakete verantwortlich sind. In diesem Fall liegt also statt 80-20 ungefähr eine 70-30-Verteilung vor. Vor allem für die A-Merkmale lohnt es sich, in nachfolgender Gruppenarbeit nach Ideen zu suchen, wie sich die Merkmale verbessern lassen. Auf das Beispiel des Paketdienstes bezogen wären mögliche Fragen für die anschließende Grup‐ 145 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="146"?> penarbeit: »Wie sorgen wir dafür, dass wir den Kunden häufiger zu Hause er‐ reichen? « Oder: »Wie verhindern wir, dass unsere Kunden ihre Pakete falsch frankieren? « Tipp Soll mit der Pareto-Analyse die Wirtschaftlichkeit bestimmter Aspekte ermittelt werden, etwa die Höhe der Kosten, die einzelne defekte Bauteile bei Garantie‐ fällen verursachen, müssen Sie die Häufigkeit der einzelnen Merkmale mit den Kosten pro Merkmal multiplizieren. Auf dieses Beispiel bezogen hieße dies, dass Sie zunächst erfassen müssen, wie oft ein defektes Bauteil einen Garantiefall verursacht hat. Das Ergebnis multiplizieren Sie nun mit den Kosten für den Austausch des Bauteils. Vor- und Nachteile + Die Analyse lässt sich vergleichsweise einfach durchführen. + Der Erfolg der Analyse hängt stark davon ab, ob A-Merkmale identifiziert werden können. Zumeist lassen sich A-Merkmale jedoch am leichtesten identifizieren, sodass die Analyse sehr wahrscheinlich gelingt. - Für die Analyse müssen Verkaufsstatistiken oder ähnliche Datentypen im Vorfeld gesammelt worden sein und zur Verfügung stehen. 7.3.4 SWOT-Analyse < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 146 7 Ideen suchen und finden <?page no="147"?> Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium Ziel Die SWOT-Analyse bewertet die Stärken und Schwächen einer Arbeitsgruppe (oder eines geplanten Projekts oder eines Unternehmens) hinsichtlich ihrer (seiner) Möglichkeiten und Risiken. Auf dieser Grundlage kann die Gruppe Strategien erarbeiten, wie sie die Stärken ausnutzt und gleichzeitig die Risiken eindämmt. Dabei eignet sich die SWOT-Analyse trotz ihrer einfachen Struktur sehr gut dazu, zum Einstieg in ein Projekt die Faktoren zu identifizieren, die dessen Erfolg beeinflussen. Kurzbeschreibung Der Moderator erstellt ein tabellarisches Schema mit den Zeilenüberschriften »Stärken« und »Schwächen« sowie den Spaltenüberschriften »Möglichkeiten« und »Risiken«. Das Schema füllt er mit den sich ergebenden Begriffskombina‐ tionen aus. Ausführliche Beschreibung Der Name der Analyse ist ein Akronym aus den englischen Begriffen Strenghts (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Möglichkeiten) und Threats (Risiken oder Bedrohungen). Im Folgenden werden die deutschen Begriffe, je‐ doch die englischen Anfangsbuchstaben verwendet. Mithilfe dieser Begriffe erstellt der Moderator für alle Teilnehmer sichtbar ein tabellarisches Schema am Visualisierungsmedium (vgl. Tabelle 7-2), wobei die vier großen Felder natürlich zunächst leer bleiben: 147 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="148"?> SWOT- Analyse interne Attribute S: Stärken W: Schwächen ex‐ terne Attri‐ bute O: Mög‐ lichkeiten (= günstige Bedin‐ gungen) SO: Stärken und Möglich‐ keiten Welche Möglichkeiten und Chancen ergeben sich aus den bestehenden Stärken der Ar‐ beitsgruppe (Projekts / des Un‐ ternehmens) mit Blick auf das Ziel? WO: Schwächen und Mög‐ lichkeiten Welche Schwächen kann die Gruppe (das Projekt / das Un‐ ternehmen) in Möglichkeiten oder Chancen umwandeln? T: Risiken (= ungüns‐ tige Bedin‐ gungen) ST: Stärken und Risiken Welche Risiken oder Gefahren können in der Gruppe (im Pro‐ jekt / im Unternehmen) dank der bestehenden Stärken elimi‐ niert oder überwunden werden? WT: Schwächen und Risiken Welche Verteidigungsstrate‐ gien kann die Gruppe (das Projekt / das Unternehmen) entwickeln, damit vorhan‐ dene Schwächen nicht auf‐ grund von Risiken oder Ge‐ fahren zu Nachteilen führen? Tabelle 7-2: Tabellarisches Schema der SWOT-Analyse Bei der SWOT-Analyse zählen die Stärken und Schwächen zu den internen, die Möglichkeiten und Risiken zu den externen Attributen. Dabei ist es wichtig, dass diese Einteilung strikt eingehalten und nicht aufgeweicht wird: »Stärken« und »Schwächen« beziehen sich als interne Attribute stets auf die in der Arbeits‐ gruppe, im Projekt oder im Unternehmen zum Zeitpunkt der Analyse vorhandenen Stärken und Schwächen, »Möglichkeiten« und »Risiken« bezeichnen äußere Ein‐ flüsse, die unabhängig von den inneren Stärken und Schwächen bestehen. Würde beispielsweise ein Hardwarehersteller die Analyse durchführen, um die Markt‐ chancen eines neuen Tablets zu analysieren, würden das technische Know-how des Unternehmens sowie die vorhandenen oder fehlenden Produktionsressourcen und Geschäftsbeziehungen zu den Stärken und Schwächen zählen. Marktsituation, Kundenwünsche oder Konkurrenzprodukte wären hingegen Möglichkeiten und Risiken. Daneben beziehen sich alle vier Attribute auf passive Zustände, nicht auf ak‐ tive Handlungsstrategien. Sie geben den existierenden Ist-Zustand und nicht den erstrebten Soll-Zustand wieder, denn der Sollzustand soll im Anschluss an die Analyse aus den Ergebnissen abgeleitet werden. 148 7 Ideen suchen und finden <?page no="149"?> Schließlich sollte sich eine SWOT-Analyse immer auf eine fest definierte Fra‐ gestellung oder Zielsetzung beziehen. Sie sollte also keinesfalls verwendet werden, um abstrakt nach neuen Ideenfeldern oder Anwendungsbereichen zu suchen. Bevor die Gruppe das oben dargestellte Schema ausfüllen kann, muss sie zu‐ nächst jedes der vier Attribute untersuchen. Das heißt, sie muss als Erstes er‐ mitteln, wo mit Blick auf die Fragestellung oder Zielsetzung Stärken, Schwä‐ chen, Möglichkeiten und Risiken liegen. Dies ist besonders wichtig, weil sich einige Attribute nur schwer kombinieren lassen, und wenn die Teilnehmer sie schon vor der Analyse zusammengetragen haben, fällt ihnen die anschließende SWOT-Analyse deutlich leichter. Am besten eignet sich für das Zusammen‐ tragen der Attribute deshalb eine gemeinsame moderierte Diskussionsrunde mit Mitarbeiten der betroffenen Arbeitsgruppe oder des betroffenen Unternehmens. Auch für die anschließende Analyse ist Gruppenarbeit der beste Ansatz: Dank der Vielzahl von Ideen, die eine Gruppe hervorbringen kann, finden sich auch Lösungen für schwer kombinierbare Attribute. Um der Gruppe das gemeinsame Ausfüllen des Schemas zu erleichtern, kann der Moderator das Schema auf einem Flipchart oder einer Tafel darstellen. Auf das obige Beispiel des Tablet-Herstellers bezogen, könnte eine einfache SWOT-Analyse folgendermaßen aussehen: SWOT- Analyse interne Attribute S: Stärken W: Schwächen ex‐ terne Attri‐ bute O: Mög‐ lichkeiten (= güns‐ tige Be‐ din‐ gungen) SO: Das Unternehmen produ‐ ziert bereits jetzt Tablets mit hochwertiger Hardware zu einem guten Preis-Leistungs- Verhältnis. Somit kann es die zukünftig steigenden Kunden‐ anforderungen an Tablethard‐ ware bedienen. WO: Das Unternehmen ist im Bereich Tablet-Apps schwach aufgestellt. Dies ist jedoch ein Wachstumsmarkt, sodass das Bestehen im harten Konkur‐ renzkampf weniger schwer‐ fällt als in einem bereits gesät‐ tigten Markt. T: Risiken (= ungüns‐ tige Be‐ din‐ gungen) ST: Es ist unklar, wie rasant, die oben genannten Kundenanfor‐ derungen wachsen und zu wel‐ chem Preis bzw. mit welcher Hardwareleistung Tablets zu‐ künftig produziert werden sollen. WT: Geringe Erfahrung im Bereich App-Entwicklung, nur wenige Geschäftsbezie‐ hungen mit externen Softwa‐ reanbietern. Tabelle 7-3: Beispiel einer SWOT-Analyse 149 7.3 Wo nach Ideen suchen? Produkt- und Marktanalysen <?page no="150"?> Die SWOT-Analyse liefert noch keine Agenda für die Weiterarbeit. Vielmehr stellt sie die zusammengetragenen Attribute und deren Beziehungen zueinander auf übersichtliche und praxisbezogene Weise dar. So ermöglicht sie der Gruppe, sich auf diejenigen Aspekte zu konzentrieren, die für das Erarbeiten einer kon‐ kreten Herangehensweise oder Strategie am relevantesten sind. Vor- und Nachteile + Die Analyse bezieht die Mitarbeiter eines Unternehmens gezielt in die Ide‐ ensuche mit ein. - Im Vergleich zu den anderen vorgestellten Analysen lässt sich die SWOT-Analyse recht schwer durchführen. 7.4 Ideen durch freie Assoziationen 7.4.1 4-Ecken-Methode < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 150 7 Ideen suchen und finden <?page no="151"?> Kurzinfo ▸ 1 Flipchart pro Themenaspekt ▸ 5 bis 6 Flipchartstifte pro Flipchart Ziel Die Methode eignet sich zum Entwickeln vieler verschiedener Ideen zu Themen, die sich in drei bis fünf Teilaspekte zerlegen lassen. Da sie eine rein schriftliche Methode ist, bezieht sie stille und zurückhaltende Teilnehmer ebenso ein wie extrovertierte Teilnehmer, ohne jedoch komplett auf gruppendynamische Ef‐ fekte zu verzichten. Kurzbeschreibung Der Leiter bereitet ein Flipchart pro Themenaspekt mit einer passenden Frage‐ stellung vor. Ohne sich untereinander auszutauschen, schreiben die Teilnehmer anschließend Ideen und Einfälle auf die Flipcharts, wobei sie jederzeit und so oft sie möchten das Flipchart wechseln können. Sie dürfen dabei sowohl ganz neue Ideen notieren als auch das Geschriebene ergänzen und erweitern. Ausführliche Beschreibung Der Leiter teilt vor Beginn der Methode das entsprechende Thema in drei bis fünf Teilaspekte ein. Bei Themen, die in mehr als fünf Teilaspekte unterteilt werden müssen, empfiehlt es sich, das Thema neu zu strukturieren und zu glie‐ dern, da sonst die Gefahr besteht, dass das Bearbeiten aller Aspekte zu viel Zeit oder Teilnehmer beansprucht. Gliedert sich das Thema dagegen bloß in zwei Teilaspekte, kann das schematische Verfahren dieser Methode die Ideenfindung eher hemmen als anregen. Wenn er alle Themenaspekte festgelegt hat, schreibt der Leiter auf jedes Flip‐ chart den Namen eines anderen Aspekts oder eine passende Frage und platziert die Flipcharts an verschiedenen Stellen im Raum. Falls es genau vier Themen‐ aspekte gibt, kann er sie in den Ecken des Raums aufstellen (daher der Name der Methode). An jedem Flipchart sollten sich fünf bis sechs Flipchartstifte be‐ finden, damit mehrere Teilnehmer gleichzeitig ihre Ideen notieren und Farben zur Strukturierung genutzt werden können. Zu Beginn der gemeinsamen Arbeit erläutert der Leiter nun kurz die Frage- oder Problemstellung, stellt die verschiedenen Themenaspekte vor und nennt die vorgesehene Bearbeitungszeit. Danach bittet er die Teilnehmer, sich frei zu verteilen und ihre Ideen und Einfälle auf den Flipcharts zu notieren. Dabei können die Teilnehmer beliebig oft das Flipchart wechseln. Es gibt auch keine zeitlichen Vorgaben, wie lange ein einzelner Aspekt bearbeitet werden darf 151 7.4 Ideen durch freie Assoziationen <?page no="152"?> oder muss. Die einzige Regel lautet: Die Teilnehmer dürfen sich unterein‐ ander nicht austauschen. Dadurch hat jeder Teilnehmer die Möglichkeit, be‐ liebig lange im Stillen über das Geschriebene oder über weiter Ideen nachzu‐ denken. Außerdem verhindert die Regel, dass die Ideen von besonders gesprächigen Teilnehmern ein stärkeres Gewicht erhalten als die Ideen von eher stillen Teilnehmern. Nachdem die Bearbeitungszeit abgelaufen ist, stellt jeder seine Ideen vor. Dabei beantworten die Teilnehmer Fragen aus der Gruppe und präzisieren un‐ klare Formulierungen. Anmerkung Der fehlende Austausch der Teilnehmer untereinander kann dazu führen, dass manche die Stichpunkte anderer Teilnehmer zunächst missverstehen. Dies muss jedoch nicht zwingend ein Nachteil sein, denn gerade aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen entstehen neue Denkansätze und Lösungsideen. Modera‐ toren, die dennoch eine Austauschmöglichkeit zur Verfügung stellen wollen, richten diese vor der Raumtür ein, damit mündliche Diskussionen das Be‐ schreiben der Flipcharts nicht akustisch stören können. Es dürfen dann draußen keine Notizen gemacht werden jegliche Verschriftlichung findet auf den Flip‐ chartblättern statt. Weiterarbeit Im Anschluss an die Methode empfiehlt es sich, die gesammelten Ideen zu → clustern (siehe S. 160). Die einzelnen Cluster können abschließend mit den Ideenanalysemethoden aus → Kapitel 8.2 priorisiert werden. Variante Die 4-Ecken-Methode kann auch genutzt werden, um Erwartungshaltungen in‐ nerhalb der Gruppe zu klären oder ein Feedback zu erhalten. Dann sollte der Leiter aber den Raum verlassen, während die Teilnehmer ihr Feedback abgeben, um sie nicht zu beeinflussen. Vor- und Nachteile + Die Methode fällt auch Teilnehmern leicht, die wenig Erfahrung mit Grup‐ penarbeit besitzen. + Da sich die Teilnehmer nicht untereinander austauschen, können Domi‐ nanzen innerhalb der Gruppe den Ideenfindungsprozess kaum beeinflussen. + Für das Sammeln der Ideen ist kein Moderator nötig. 152 7 Ideen suchen und finden <?page no="153"?> - Der Austausch zwischen den Teilnehmern ist weniger dynamisch als beim → Brainstorming (S. 156). 7.4.2 6-5-3 (Brainwriting, Kartenumlauftechnik, Kollektives Notizbuch) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 6 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien, dabei Flipchartstifte und DIN-A2-Blätter pro Teil‐ nehmer optional Ziel Die 6-5-3-Methode eignet sich dazu, sehr viele neue Lösungsideen zu einem Problem zu entwickeln, wobei sie extrovertierte und eher stille Teilnehmer glei‐ chermaßen einbezieht. In einer halbstündigen Sitzung entstehen bis zu 108 ver‐ schiedene Ideen. 153 7.4 Ideen durch freie Assoziationen <?page no="154"?> Kurzbeschreibung Die sechs Teilnehmer sitzen im Kreis und jeder notiert sich drei Lösungsvor‐ schläge auf seinem Blatt. Nach ca. fünf Minuten gibt jeder sein Blatt an den jeweiligen rechten Sitznachbarn weiter. Auf das vom Nachbarn erhaltene Blatt schreibt jeder Teilnehmer wieder drei Vorschläge. Die Blätter werden so lange weitergereicht, bis jeder jedes Blatt beschrieben hat. So entstehen bis zu 108 neue Lösungsideen, welche die Gruppe im Anschluss bewertet. Ausführliche Beschreibung Die Stühle und Tische der Teilnehmer sind kreisförmig angeordnet. Auf jedem Platz liegen ein Stift und ein leeres Blatt Papier bereit. Der Leiter fordert die sechs Teilnehmer auf, sich innerhalb von ca. fünf Minuten zu einer vorgegebenen Fragestellung drei Lösungsideen auszudenken und sich diese auf sein Blatt zu notieren. Danach gibt jeder Teilnehmer synchronisiert sein Blatt an seinen rechten Nachbarn weiter. In den nächsten fünf Minuten erweitert jeder die drei bereits auf seinem Blatt stehenden Ideen um drei weitere Ideen. Fällt den Teil‐ nehmern spontan ein, wie sich eine Idee weiterentwickeln ließe, können sie stattdessen auch diese Ergänzung notieren. Andernfalls denken sie sich neue Ideen aus. Im Anschluss gibt jeder sein Blatt erneut an den rechten Nachbarn weiter und schreibt drei weitere Lösungsideen auf das neue Blatt. Dieses Ver‐ fahren geht so lange weiter, bis jeder jedes Blatt beschrieben hat. Wie bereits in den → Osborn-Regeln (S. 133) erwähnt, bewerten oder kriti‐ sieren die Teilnehmer ihre Ideen noch nicht innerlich. Dies gilt auch für die anderen Ideenfindungsmethoden dieses Kapitels! Tipp Falls die ausgefüllten Blätter im Anschluss an die Methode weiterverwendet werden sollen, empfiehlt es sich, DIN-A2-Blätter oder ein anderes großes Format zu wählen. Dadurch bleiben die Notizen der Teilnehmer auch lesbar, wenn die Blätter später im Raum aufgehängt werden. Damit sich die gesammelten Ideen bei einer späteren Auswertung besser den verschiedenen Teilnehmern zuordnen lassen, können die Teilnehmer verschie‐ denfarbige Stifte verwenden. 154 7 Ideen suchen und finden <?page no="155"?> Variante Falls die Gruppen sehr klein sind oder falls wenig Zeit zur Verfügung steht, ist die Methode auch als »5-3-4« (fünf Teilnehmer, drei Lösungsideen in vier Mi‐ nuten) oder »4-2-3« (vier Teilnehmer, zwei Lösungsideen in drei Minuten) denkbar. Variante: »Kollektives Notizbuch« Eine Variante der 6-5-3-Methode stellt das kollektive Notizbuch dar, mit dem sich Ideen zu einer Frage- oder Problemstellung über einen Zeitraum von etwa einem Monat sammeln lassen. Jeder Teilnehmer erhält ein Notizbuch, das er stets mit sich führen und in dem er spontane Einfälle und Ideen notieren kann. Der Anzahl der Ideen sind keine Grenzen gesetzt. Wie immer gelten beim No‐ tieren außerdem die → Osborn-Regeln (S. 133). Das heißt, jede Idee kann und soll im entsprechenden Notizbuch notiert werden, egal wie abwegig oder un‐ gewöhnlich sie scheint. Nach einer vorgegebenen Zeitspanne von wenigen Tagen tauschen die Teil‐ nehmer untereinander ihre Notizbücher und lesen die Ideen der anderen Teil‐ nehmer. Sie können diese ergänzen oder erweitern und notieren in ihr neues Notizbuch weiterhin spontane Einfälle und Ideen. Die Notizbücher werden so oft getauscht, bis die angesetzte Zeit für die Me‐ thode verstrichen ist. Ein Moderator hilft dabei, die Notizbücher abschließend mit allen Teilnehmern zusammen auszuwerten und die Ideen zusammenzu‐ tragen. Vor- und Nachteile + Jeder Teilnehmer trägt gleich viele Ideen bei. + Für das Sammeln der Ideen ist kein Moderator nötig. - Der Austausch zwischen den Teilnehmern ist weniger dynamisch als beim → Brainstorming (S. 156). 155 7.4 Ideen durch freie Assoziationen <?page no="156"?> 7.4.3 Brainstorming < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Ergebnissicherung ▸ ggf. Sitzgelegenheiten ▸ Stifte, Flipchart oder Pinnwand mit Moderationskarten Ziel In sehr kurzer Zeit sammelt die Gruppe sehr viele Einfälle zu einer eng um‐ schriebenen Problemstellung und dem entsprechenden Thema. Kurzbeschreibung Alle Teilnehmer äußern spontan ihre Einfälle zur vorgegebenen Problemstel‐ lung, und der Schriftführer protokolliert die Einfälle für alle Teilnehmer gut erkennbar auf dem Visualisierungsmedium. Die aufgeschriebenen Begriffe regen die Teilnehmer zu weiteren Ideen und Impulsen an. Ausführliche Beschreibung Die Teilnehmer stellen oder setzen sich so, dass sie das Visualisierungsmedium im Blick haben. Zur vorgegebenen eng umschriebenen Problemstellung nennen 156 7 Ideen suchen und finden <?page no="157"?> sie spontan Ideen, welche der Schriftführer für alle sichtbar auf dem Visualisie‐ rungsmedium protokolliert. Er darf die Ideen beim Protokollieren aber noch nicht ordnen. Durch die Visualisierung der Begriffe regen sich die Teilnehmer schon während des Brainstormings gegenseitig an und entwickeln neue Ideen. Nennen die Teilnehmer nach einer gewissen Zeit keine substanziell neuen Ideen mehr oder steuern einige Teilnehmer nur noch irrelevante Vorschläge bei, kann der Moderator im Einverständnis mit der Gruppe das Brainstorming be‐ enden. Scheinbar irrelevante Vorschläge sind zwar laut der → Osborn-Regeln (S. 133) nicht verboten, lassen sich allerdings mit anderen Methoden besser auf‐ greifen und nutzen (vgl. → Provokationstechnik, S. 184, oder → Reizwortana‐ lyse, S. 187). Ein Brainstorming zu einem eng umschriebenen Problem sollte nicht länger als zehn Minuten dauern. Dauert das Brainstorming sehr viel länger, wurde das Problem womöglich zu allgemein formuliert. Dann könnte es helfen, eine neue Brainstorming-Runde mit einem eingeengten Themenfeld und einem präziser formulierten Problem zu beginnen. Das Brainstorming ist eine der bekanntesten und wahrscheinlich auch gleich‐ zeitig am meisten falsch eingesetzten Gruppenarbeitsmethoden. Sehr oft wird es auch als Synonym für kreative Arbeit in Gruppen verwendet. Daher ist es auch wesentlich für den Erfolg dieser Methode, dass der Moderator seine Auf‐ gabe kennt und erfüllt. Insbesondere muss er Kardinalfehler erkennen und an‐ sprechen, wie z. B. die Diskussion von Begriffen während der Sammlungsphase oder wenn nicht alle genannten Begriffe im Wortlaut niedergeschrieben werden. Tipp Oft ist es sinnvoll, die Ideen im Anschluss an das Brainstorming zu ordnen, z. B. mit der Methode → Cluster (S. 160). Damit dem Schriftführer das Ordnen leichter fällt, kann er die Ideen schon beim Sammeln auf Karteikarten schreiben und an einer Pinn- oder Magnetwand befestigen. Dann muss er die Karten beim Ordnen nur noch umhängen. Weiterarbeit Zur ersten Strukturierung der gesammelten Ideen eignet sich das → Cluster (S. 160). Variante Im Constraint Brainstorming erhalten die Teilnehmer zusätzlich zur Problem‐ stellung eine zu beachtende Einschränkung, wie z.B.: 157 7.4 Ideen durch freie Assoziationen <?page no="158"?> ▸ Wie würde … dieses Problem lösen? Die besonderen Merkmale der ein‐ schränkenden Charaktere sollten einen Bezug zur Problemstellung auf‐ weisen: Kindergartenkind (klein, begeisterungsfähig, schnell müde), Microsoft (viel Geld, viele Daten, viele Mitarbeiter), Sherlock Holmes (ana‐ lytisch, Ende 19. Jahrhundert, kann sich verkleiden) etc. ▸ Wie würde man das Problem ohne … lösen? Mit dieser Einschränkung sollte eine Ressource ausgeschlossen werden, die augenscheinlich eine zentrale Rolle für die Problemlösung spielt. ▸ Wie würde man das Problem lösen, wenn nur … benutzt werden darf? Der Moderator kann diese Einschränkung wählen, falls die Bearbeitungszeit zur Neige geht, oder falls vorab von der Geschäftsleitung bereits eine Komponente obligat vorgegeben worden sein sollte. Vor- und Nachteile + Während der Ideensammlung können sich die Teilnehmer dynamisch aus‐ tauschen. + Die meisten Teilnehmer kennen die Methode bereits und müssen sie nicht erst erlernen. - Aber: Dieser »Vorteil« kann sich auch als Nachteil herausstellen, wenn die meisten Teilnehmer nur glauben, die Methode zu kennen, ohne jedoch ein wirkliches Verständnis von ihrem Ablauf zu haben. Dies kann prinzipiell für alle Methoden zutreffen, jedoch ist das Brainstorming aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades besonders anfällig. - Der Redeanteil kann zwischen zurückhaltenden und aktiven Teilnehmern stark variieren. Eine Methode, die diesen Effekt abfedert, ist die → 6-5-3-Me‐ thode (S. 153). 7.4.4 Freies Schreiben (Turbo-Brainstorming) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 158 7 Ideen suchen und finden <?page no="159"?> Kurzinfo ▸ Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Pinnwand ▸ Schreibmaterialien Ziel Die Methode ist besonders hilfreich, wenn auch unkonventionelle Ideen gesucht werden sollen. Zudem eignet sie sich zur Auflockerung in Pausen oder als Ein‐ führung in die Kreativitätsmethoden. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer notieren erst für sich allein eine Minute lang alle Wörter, die ihnen spontan in den Sinn kommen, ohne in dieser Zeit den Stift abzusetzen. Anschließend lesen sie der Reihe nach ihre Ideen vor. Die anderen Teilnehmer notieren sich dabei eventuelle weitere Ideen, die ihnen währenddessen einfallen. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn fordert der Moderator die Teilnehmer auf, etwa eine Minute lang jeden erdenklichen Einfall zu einem vorgegebenen Thema auf ein Blatt zu no‐ tieren. Dabei ist es entscheidend, dass die Teilnehmer Einfälle spontan notieren, ohne sie innerlich zu bewerten. Um zu verhindern, dass sie dies etwa in Schreib‐ pausen dennoch tun, gibt der Moderator ein Füllwort vor, das nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hat. Die Teilnehmer schreiben dieses Wort immer dann auf, wenn ihnen in diesem Moment spontan nichts mehr einfällt. Zusätz‐ lich kann der Moderator die Teilnehmer am Anfang noch einmal an die → Osborn-Regeln (S. 133) erinnern. Sobald die Zeit abgelaufen ist, signalisiert der Moderator den Teilnehmern, dass sie mit dem Schreiben aufhören sollen. Nun lesen sie ihre Notizen der Reihe 159 7.4 Ideen durch freie Assoziationen <?page no="160"?> nach vor. Dabei filtern sie diejenigen Ideen in einer vom Moderator geleiteten Diskussion heraus, die sich für die Weiterarbeit eignen könnten, und notieren sie auf dem Visualisierungsmedium. Falls jemandem während des Vorlesens und der Diskussion weitere Ideen einfallen, notiert er sie ebenfalls und bringt sie in die Diskussion ein. Vor- und Nachteile + Die Methode lässt sich schnell durchführen und ist auch für Teilnehmer mit wenig Erfahrung in Gruppenarbeitsmethoden leicht erlernbar. - Es kann für die Teilnehmer möglicherweise befremdlich sein, jede auch noch so unsinnig erscheinende Idee vorlesen zu müssen. In diesem Fall sollte der Moderator die Teilnehmer vor dem Vorlesen ein weiteres Mal an die → Osborn-Regeln (S. 133) erinnern. 7.5 Ideen durch strukturierte Assoziationen 7.5.1 Cluster < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 160 7 Ideen suchen und finden <?page no="161"?> Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Pinnwand Ziel Das Cluster verbindet sprachliche und bildhafte Elemente miteinander und hilft dabei, die Struktur und die Zusammenhänge einer eng umschriebenen Pro‐ blemstellung zu erfassen. Auf diese Weise weckt es neue gedankliche Impulse. Das Cluster eignet sich besonders im Anschluss an das → Brainstorming (S. 156). Kurzbeschreibung Die Teilnehmer haben zu einem bestimmten Problem Begriffe gesammelt, welche der Schriftführer auf dem Visualisierungsmedium protokolliert. Die ge‐ sammelten Begriffe werden nun mittels Umhängen oder neu Schreiben in the‐ matische Gruppen sortiert. Zusätzlich kann der Schriftführer Verbindungen zwischen miteinander verknüpften Begriffen neu einzeichnen. Die Teilnehmer können das Cluster um weitere Ideen ergänzen, falls sie beim Ordnen weitere spontane Einfälle haben. Ausführliche Beschreibung Die Teilnehmer haben, z. B. mittels eines → Brainstorming (S. 156) eine oder mehrere Listen von Begriffen gesammelt, die bunt gemischt auf dem Visuali‐ sierungsmedium niedergeschrieben oder, auf Kärtchen notiert, angepinnt wurde. Die Sammelphase ist beendet und die Gruppe steht nun vor der Aufgabe, eine Ordnung in die Liste zu bringen, damit sie mit ihr weiterarbeiten kann. In der nun folgenden Anordnungsphase ordnet die Gruppe die gesammelten Be‐ griffe in verschiedenen Clustern. Dazu kann der Schriftführer den Oberbegriff des Themas in der Mitte des Clusters notieren, wobei das Cluster jedoch nicht zwingend einen solchen zentralen Begriff benötigt. Danach bilden die Teil‐ nehmer Gruppen von Begriffen, die sich thematisch ähneln. Währenddessen machen die Teilnehmer auch auf Verbindungen aufmerksam, die innerhalb der‐ selben Gruppe oder auch über verschiedene Gruppen hinweg zwischen den Be‐ griffen bestehen können. Der Schriftführer zeichnet diese Verbindungen ein und beschriftet sie gegebenenfalls. Falls sich die Teilnehmer nicht einigen können, ob und an welcher Stelle des Clusters ein Begriff oder eine Verbindung platziert werden soll, hat der Mode‐ rator mehrere Möglichkeiten: Er kann etwa eine Diskussion einleiten und ver‐ suchen, mit den Teilnehmern eine → Konsensfindung (S. 43) zu erreichen. So 161 7.5 Ideen durch strukturierte Assoziationen <?page no="162"?> verhindert er, dass eine Vielzahl irrelevanter Begriffe Verwirrung stiftet. Oder er kann den strittigen Begriff in Klammern bzw. die strittige Verbindung als gestrichelte Linie an der Stelle einzeichnen, die der einzelne Teilnehmer vorge‐ schlagen hat. Dann versucht er erst im Anschluss an die Methode, die Konsens‐ findung zu erreichen, wenn die Teilnehmer keine weiteren Veränderungen am Cluster vorschlagen. Auf diese Weise könnte zuvor noch beim Erstellen des Clusters deutlich werden, ob der strittige Begriff in dessen Struktur hineinpasst. Wenn aber nur einige wenige Teilnehmer über ein Detail in der Anordnung der Begriffe diskutieren und dabei keinen Konsens finden, sollte der Moderator die Konsensfindung spätestens nach ein bis zwei Minuten auf das Ende der Methode verschieben. Insgesamt sollte die Anordnungsphase bei einem eng umschrie‐ benen Thema höchstens zehn Minuten dauern. Während der Anordnungsphase unterstützt das Visualisieren der gesam‐ melten Begriffe und ihrer Verbindungen die Teilnehmer dabei, die Struktur und die Zusammenhänge des Themas zu erfassen. Dies kann neue gedankliche Im‐ pulse freisetzen. Daher sollte der Leiter die Teilnehmer ausdrückliche ermu‐ tigen, auch noch beim Anordnen der Begriffe spontane Einfälle zu nennen, die das Cluster ergänzen können. Tipp Eine Pinn- oder Magnetwand erleichtert das Ordnen. Der Schriftführer schreibt die Ideen können dann beim Sammeln auf Karteikarten und befestigt sie an der Pinn- oder Magnetwand. Beim Ordnen muss er die Karten dann nur noch um‐ hängen. Vor- und Nachteile + Das Ordnen der Begriffe verschafft der Gruppe einen guten Überblick und kann die Kreativität anregen, ohne dass der hohe Arbeits- und Zeitaufwand einer → Mindmap (S. 163) nötig wäre. - Das fertige Cluster ist weniger stark strukturiert als etwa eine → Mindmap (S. 163) und eignet sich daher weniger für eine mögliche anschließende Konzepterarbeitung, wie sie in Kapitel 8.3 beschrieben wird. 162 7 Ideen suchen und finden <?page no="163"?> 7.5.2 Mindmap < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ ggf. Sitzgelegenheiten ▸ Stifte, Flipchart oder Pinnwand mit Moderationskarten Ziel Mit der Mindmap sammelt und strukturiert die Gruppe Gedanken und Ideen zu einer eng umschriebenen Problemstellung. Das Strukturieren kann weitere ge‐ dankliche Impulse wecken und neue Ideen hervorbringen. Kurzbeschreibung Der Moderator notiert den zentralen Begriff der Problemstellung in der Mitte des Visualisierungsmediums. Davon ausgehend zeichnet er nach außen laufende Äste. Die Enden dieser Äste beschriftet er mit Oberbegriffen zu einzelnen The‐ menaspekten, die die Teilnehmer nennen. Jeder Oberbegriff ist zugleich der zentrale Begriff für weitere von den Teilnehmern genannte Unterbegriffe, welche sich wiederum auf vom Oberbegriff ausgehenden Ästen befinden. 163 7.5 Ideen durch strukturierte Assoziationen <?page no="164"?> Ausführliche Beschreibung Zu Beginn setzen sich die Teilnehmer so, dass sie das spätere Visualisierungs‐ medium im Blick haben. Darauf hat der Moderator den zentralen Begriff der zu bearbeitenden Problemstellung in der Mitte notiert und mit einer Umrandung (z. B. Rechteck, Oval oder Wolke) versehen. Die Teilnehmer nennen nun spontan Begriffe, die für das Thema relevant sind. Die genannten Begriffe lassen sich nun auf verschiedene Weisen anordnen: Entweder bilden sie Unterthemen des zentralen Begriffs, wodurch sie zugleich potenzielle Oberthemen für weitere Unterbegriffe darstellen würden. Oder sie bilden Unterbegriffe eines bereits genannten Oberbegriffs. Während die Mindmap entsteht, nennen die Teilnehmer außerdem mögliche Querverbin‐ dungen zwischen den Begriffen. Im Prinzip könnte die Gruppe auch für die Begriffe auf der zweiten Glieder‐ ungsebene weitere Unterbegriffe anlegen. Davon sollte jedoch abgesehen werden, da die Mindmap ansonsten schnell zu unübersichtlich wird. Sollte sich dies dennoch einmal als zwingend nötig erweisen, könnte es ein Zeichen dafür sein, dass der Moderator die zugrunde liegende Problemstellung nicht eng genug umrissen hat. Falls sich die Teilnehmer nicht auf einen bestimmten Begriff oder eine Ver‐ bindung einigen können, hat der Moderator zwei Möglichkeiten: Erstens kann er mit den Teilnehmern eine → Konsensfindung (S. 43) durchführen. So verhin‐ dert er, dass eine mögliche Vielzahl irrelevanter Vorschläge Verwirrung stiftet. Zweitens kann er den strittigen Begriff in Klammern aufschreiben bzw. die strittige Verbindung als gestrichelte Linie einzeichnen. Dann erfolgt die Kon‐ sensfindung im Anschluss an die Methode, wenn die Teilnehmer keine sub‐ stanziell neuen Begriffe für die Mindmap mehr einbringen. In diesem Fall kann eventuell schon die weitere Entwicklung der Mindmap verdeutlichen, ob der strittige Begriff in die Struktur der Mindmap passt. In jedem Fall sollte der Mo‐ derator die Konsensfindung spätestens nach ein bis zwei Minuten auf das Ende der Methode verschieben, wenn nur wenige Teilnehmer über ein Detail disku‐ tieren, ohne sich einigen zu können. Mindmaps lassen sich auf verschiedene Weisen strukturieren: (1) Strukturierte Mindmap: Zunächst sucht die Gruppe ausschließlich Unterthemen zum zentralen Begriff. Diese Unterthemen ordnet der Moderator kreisförmig um den zentralen Begriff herum an. Erst, wenn die Teilnehmer keine weiteren Unterthemen mehr nennen, wird jedes Unterthema selbst zu einem Oberbegriff, zu dem die Gruppe 164 7 Ideen suchen und finden <?page no="165"?> neue Unterbegriffe sucht. Wieder ordnet der Moderator die neuen Untergriffe kreisförmig um den jeweiligen Oberbegriff an. Dabei konzentriert sich die Gruppe so lange auf einen Oberbegriff, bis den Teilnehmern dazu keine neuen Begriffe mehr einfallen. Anschließend sammeln die Teilnehmer Unterbegriffe zum nächsten Oberbegriff. Dabei dürfen sie jederzeit Querverbindungen zwi‐ schen zwei Begriffen eintragen. Am Ende dieser Variante steht eine sehr strukturierte und übersichtliche Mindmap, jedoch kann aufgrund des sehr systematischen Ablaufs der kreative Ideenfindungsprozess gehemmt werden. (2) Freie Mindmap: Die Teilnehmer können jederzeit Querverbindungen, Oberbegriffe und Unter‐ begriffe zu bereits bestehenden Oberbegriffen vorschlagen und in die Mindmap eintragen lassen. Bei dieser Variante steht vor allem der kreative Ideenfindungsprozess im Mittelpunkt. Da hier die Gefahr besteht, dass einige bereits notierte Begriffe konsequent übersehen werden, sollte der Moderator diese als neue Oberbegriffe oder als Basis von Querverbindungen neu in Erinnerung rufen. (3) Mindmap mit nachträglicher Ordnung der Oberbegriffe Einen Kompromiss zwischen der strukturierten und der freien Variante stellt die nachträgliche Ordnung der Oberbegriffe dar. Dabei sammelt die Gruppe zu‐ erst die Oberbegriffe und legt in der anschließenden moderierten Diskussion fest, wie diese Begriffe angeordnet werden sollten, damit die Mindmap die später hinzukommenden Unterbegriffe und Querverbindungen optimal aufnehmen kann. Bringen die Teilnehmer nach einer gewissen Zeit keine substanziell neuen oder ausschließlich irrelevante Vorschläge ein, kann der Moderator im Einver‐ ständnis mit ihnen die Methode beenden. Wenn die Problemstellung eng um‐ schrieben ist, sollte das Erstellen der Mindmap nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Falls es doch sehr viel länger dauert, wurde die Problemstellung mög‐ licherweise zu allgemein formuliert. Dann kann eine neue Mindmap mit einem eingeengten Themenfeld und einem präziser formulierten Problem sinnvoll sein. 165 7.5 Ideen durch strukturierte Assoziationen <?page no="166"?> Abbildung 7-3: Eine mögliche Mindmap zum Thema Impressionismus Tipps ▸ Lässt sich spontan keine passende Struktur finden, eignen sich oft fol‐ gende Oberbegriffe, um ein Thema zu strukturieren: Zweck, Einsatzge‐ biet, Probleme, Lösungen, Beispiele etc. Ebenfalls hilfreich kann es sein, die Antworten auf die sogenannten W-Fragen als Oberbegriffe der Mindmap zu wählen: Was? Wer? Wann? Wo? Warum? Wie? ▸ Bei vielen Ästen wird es schnell schwierig zu erkennen, welche Begriffe zu welchem Ast gehören. Um den entgegen zu wirken, können verschie‐ dene Äste mit deren Begriffen in verschiedenen Farben gezeichnet werden. Vor- und Nachteile + Die Mindmap bietet einen sehr guten Überblick über alle Themenaspekte. + Die Mindmap lässt sich vielfältig einsetzen, z. B. auch als Lernhilfe. - Die starke Strukturierung kann bei der Suche nach neuen Ideen hinderlich sein. - Im Vergleich zum → Brainstorming (S. 156) und zum → Cluster (S. 160) ist die Methode sehr zeitaufwendig. - Es kann schwierig sein, passende Oberbegriffe zu finden. 166 7 Ideen suchen und finden <?page no="167"?> 7.6 Ideen durch Imagination »Man muss die Phantasie mit wenig anregen, damit sie viel daraus macht.« H E L L M U T H K A R A S E K , D E U T S C H E R J O U R N A L I S T U N D L I T E R A T U R K R I T I K E R 7.6.1 Denkhüte < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien ▸ Denkhüte (o. Ä.) in weißer, roter, schwarzer, gelber, grüner und blauer Farbe Ziel Die Methode eignet sich vor allem dann, wenn es Anzeichen gibt, dass eine Frage oder ein Problem einseitig bewertet wurde. Sie ermöglicht einen Perspektiv‐ wechsel und fördert damit die Fähigkeit, sich in andere Denkweisen hineinzu‐ versetzen, sie zu tolerieren und in die Urteilsfindung einzubeziehen. 167 7.6 Ideen durch Imagination <?page no="168"?> Darüber hinaus kann sie aber auch zu Klarheit in der Argumentation führen und als Vorbereitung auf Entscheidungen dienen. Kurzbeschreibung Jeder der fünf Teilnehmer nimmt in einer Diskussion über eine vorgegebene Problemstellung eine Rolle ein, in der er nur aus einer bestimmten Denkweise heraus argumentiert. Für jede dieser Denkweisen steht symbolisch ein Hut in einer bestimmten Farbe, den der jeweilige Diskussionsteilnehmer während der Diskussion trägt. Ausführliche Beschreibung Die Methode gliedert sich in vier Phasen. In der ersten Phase bittet der Moderator genau fünf Teilnehmer, gemeinsam mit ihm an einer Diskussion über das zu lösende Problem teilzunehmen; die restlichen Teilnehmer werden zu Beobach‐ tern der nachfolgenden Diskussion. Jeder Diskussionsteilnehmer wird in seiner Argumentation ausschließlich einer bestimmten Denkweise folgen. Um diese Denkweise für den Rest der Gruppe zu visualisieren, wird jeder einen Hut tragen, dessen Farbe seine Denkweise symbolisiert, einen sogenannten Denkhut. Falls abzusehen ist, dass die Teilnehmer keine Hüte aufsetzen wollen, können z. B. auch verschiedenfarbige Armbänder benutzt werden. Zur Veranschaulichung hängt der Moderator verschiedenfarbige Plakate auf, auf denen die zu den Hutfarben gehörenden Denkweisen vermerkt sind. Dabei stehen die Farben für die folgenden Denk- und Argumentationsweisen: Hutfarbe Bedeutung weiß Die Farbe Weiß steht für Sachlichkeit und Neutralität. Hier werden keine Interpretationen geliefert oder Meinungen geäußert. In dieser Rolle wird ausschließlich Bezug auf Fakten, Zahlen und Daten ge‐ nommen. Mögliche Einleitungen für Äußerungen: »Die Statistik sagt …« »Die Tatsachen sehen wie folgt aus …«. rot Die Farbe Rot symbolisiert die Seite der Gefühle. Die Äußerungen sind erfüllt von Emotionen, Intuitionen, positiven und negativen Ah‐ nungen, Ängsten und Begeisterung. Mögliche Einleitungen für Äußerungen: »Mein Gefühl sagt mir, …« »Ich kann mir nicht helfen, aber ich empfinde es so, dass …« 168 7 Ideen suchen und finden <?page no="169"?> schwarz Die dem schwarzen Hut entsprechende Denkweise konzentriert sich auf Gefahren, Risiken, Schwierigkeiten, Unmöglichkeiten und nega‐ tive Beurteilungen. Die Argumente, die in die Diskussion eingebracht werden, sind aber nicht emotional, sondern rational begründet. Mögliche Einleitungen für Äußerungen: »Langfristig wird es zu dem Problem kommen, dass …« »Schwierig‐ keiten wird es geben, wenn …« gelb Gelb signalisiert Strahlen, Sonne und Helligkeit. Ohne in Euphorie zu verfallen, wird alles grundsätzlich als positiv und konstruktiv bewertet (»durch die rosarote Brille gesehen«). Der Wert und der Nutzen einer Sache stehen im Vordergrund. Daraus können auch Visionen und Träume werden, die andere motivieren und in die Zukunft mitreißen. Mögliche Einleitungen für Äußerungen: »Wenn wir uns hier alle anstrengen, dann …«, »Wir haben hier die einmalige Chance, …« grün Der grüne Hut symbolisiert Kreativität. Der Diskussionsteilnehmer soll versuchen, auch diejenigen Möglichkeiten zu bedenken, die sonst sehr schnell als »nicht durchsetzbar«, »zu teuer« oder »unmöglich« verworfen würden. Mögliche Einleitungen für Äußerungen: »Wäre es nicht möglich, die Idee mit … zu verknüpfen? « »Was wäre, wenn wir … versuchen würden? « blau Blau steht für Kälte, Distanz und Kontrolle. Der Diskussionsteilnehmer mit dem blauen Hut beobachtet, überwacht und kontrolliert die an‐ deren Gesprächsteilnehmer und achtet darauf, dass sie ihre Rollen weder übertrieben spielen noch ausschließlich ihre persönliche Mei‐ nung vertreten. In der Diskussion hat er die Funktion des Moderators. Mögliche Einleitungen für Äußerungen: »An deiner Stelle würde ich meinen Standpunkt überprüfen, denn …« »Haben wir bis jetzt hinsichtlich … wirklich alles bedacht? « Der blaue Hut ist schwierig zu handhaben und kann daher dem Leiter zugeteilt werden. Tabelle 7-4: Erläuterungen zu den Denkhüten (in leicht abgewandelter Form über‐ nommen von: www.bpb.de/ lernen/ unterrichten/ methodik-didaktik/ 62269/ methodenkof fer-detailansicht? mid=331 - mit freundlicher Genehmigung des Urhebers: www.kinder politik.de © Deutsches Kinderhilfswerk e. V.) Vor allem in Gruppen, die mit der Methode nicht vertraut sind, empfiehlt es sich, dass der Leiter selbst mit dem blauen Hut an der Diskussion teilnimmt. Die verblei‐ benden Hüte erhalten die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip, z.B. durch Lose. 169 7.6 Ideen durch Imagination <?page no="170"?> Dadurch wird verhindert, dass jemand eine Rolle wählt, die scheinbar zu seiner eigenen Denkweise passt, und deshalb aus seiner persönlichen Perspektive argu‐ mentiert, statt zu versuchen, sich in eine andere Perspektive hineinzudenken. In der zweiten Phase erklärt der Leiter allen Diskussionsteilnehmern und Be‐ obachtern, welche Denkweisen mit welchen Farben verbunden sind. Er gibt den Diskussionsteilnehmern etwa zehn Minuten Zeit, sich auf ihre Rolle vorzube‐ reiten und vorab Argumente zu sammeln. Außerdem legt der Leiter die Reihen‐ folge fest, in der die Diskussionsteilnehmer ihre Gedanken einbringen. Beson‐ ders, wenn die Teilnehmer noch nicht mit der Methode vertraut sind, ist eine feste Reihenfolge wichtig, damit jeder Sichtweise die gleiche Beachtung ge‐ schenkt wird. Der Teilnehmer mit dem blauen Hut eröffnet stets die Diskussion, indem er das zugrunde liegende Problem definiert und erklärt, welches Ziel die Gruppe erreichen will. Die Reihenfolge der nachfolgenden Teilnehmer hängt dann von dem Problem ab, das die Gruppe diskutiert: Wenn die Teilnehmer bereits starke Emotionen mit dem Thema verbinden, kann z. B. der Teilnehmer mit dem roten Hut an die Einleitung anknüpfen, um diese Emotionen gleich zu Beginn anzusprechen. Wenn die Gruppe hingegen keine starken Emotionen mit dem Thema verbindet, oder wenn etwa schon der Vorgesetzte vor Beginn der Methode seine Emotionen mitgeteilt hat, sollte der Teilnehmer mit dem roten Hut erst zum Schluss an die Reihe kommen. Falls die Gruppe mithilfe der Me‐ thode einen bestimmten Sachverhalt beurteilen will, sollte der Teilnehmer mit dem gelben Hut möglichst bald nach der Einleitung zu Wort kommen, denn wenn die Gruppe nicht gleich zu Beginn genügend Vorteile findet, lohnt es sich ohnehin nicht, die Diskussion fortzusetzen. In der dritten Phase findet nun die eigentliche Diskussion statt, in welcher die Diskussionsteilnehmer in der festgelegten Reihenfolge die Argumente vor‐ bringen, die der Denkweisen ihrer Rollen entspringen. Die Beobachter machen sich währenddessen Notizen zu den Lösungsvorschlägen oder Problemen. In dieser Phase entfaltet sich eine der Stärken der Methode: Dank der festgelegten Rollen und Denkweisen fällt es der Gruppe leichter, verschiedene Argumente gegeneinander abzuwägen. Außerdem ermöglichen die Denkhüte eine offenere Diskussion, weil die Diskussionsteilnehmer wissen, dass Kritik von und an an‐ deren an die jeweilige Rolle gerichtet und nicht persönlich zu verstehen ist. Nachdem jeder sein Argument vorgetragen hat, fasst der Teilnehmer mit dem blauen Hut die Argumente zusammen und hebt hervor, was die Gruppe mit Blick auf das Ziel erreicht hat und auf welche Schwierigkeiten sie gestoßen ist. Diese Schwierigkeiten kann die Gruppe in einer weiteren Runde mit allen Diskussi‐ onsteilnehmern besprechen. Die Diskussionsrunden wiederholen sich so lange, bis die Gruppe nicht mehr zu neuen Erkenntnissen gelangt. 170 7 Ideen suchen und finden <?page no="171"?> In der vierten Phase vergleichen Beobachter und Diskussionsteilnehmer ihre Eindrücke und Erkenntnisse und erstellen aus den Einsichten und Impulsen, die sie in der Diskussion gewonnen haben, eine Agenda. Dabei nimmt der Leiter die Rolle des Moderators ein. Varianten ▸ Alle Diskussionsteilnehmer geben nach einer Diskussionsrunde ihren Hut an den jeweils linken Nachbarn weiter. Dabei rotiert auch der blaue Hut. Für diese Variante müssen die Teilnehmer schon über Erfahrung im Umgang mit Kreativtechniken verfügen. ▸ Der Moderator kann, je nach Diskussionsbedarf und Identifikation der Teilnehmer mit ihrer Rolle, in der dritten Phase auch eine offene Diskus‐ sion unter Beibehaltung aller Rollen ermöglichen. ▸ Auch in Einzelarbeit lässt sich die Methode nutzen, um einen Aspekt aus verschiedenen Winkeln zu betrachten. Wer dies als Einzelperson tun möchte, wechselt einfach nach jedem Argument die Argumentations‐ weise, und zwar in der Reihenfolge, in der sie die obige Tabelle vorstellt. Um zum Anschluss alle Argumente aus den verschiedenen Denkweisen vergleichen zu können, werden die Argumente dabei notiert. Vor- und Nachteile + Die Rolle sind in dieser Methode enger umrissen und konzentrieren sich stärker auf einen einzigen Bereich als die Rollen der → Walt-Disney-Me‐ thode (S. 175). Daher ist die Methode etwas leichter erlernbar. - Im Gegensatz zur → Walt-Disney-Methode (S. 175) müssen hier sechs statt drei Rollen besetzt werden, wodurch die Denkhüte-Methode schwieriger zu organisieren und durchzuführen ist. 171 7.6 Ideen durch Imagination <?page no="172"?> 7.6.2 Vernissage (Bildergalerie) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 3 - 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Flipchart und Flipchartstifte in verschiedenen Farben pro Teilnehmer ▸ zusätzliches Visualisierungsmedium Ziel Die Methode eignet sich dazu, Lösungen für Aufgaben zu finden, denen ein fassbares, konkretes Problem zugrunde liegt oder an deren Ende visuelle Er‐ gebnisse stellen sollen (etwa ein Logo oder Piktogramm). Dadurch, dass die Teilnehmer ihre Ideen in einem Bild darstellen müssen, werden sie dazu ange‐ halten, sich die jeweilige Lösung konkret vorzustellen. So testen sie bereits während der Ideenfindung, wie gut sich eine neuartige Idee in die Praxis um‐ setzen lässt. Kurzbeschreibung Jeder Teilnehmer zeichnet für sich allein ein Bild, das die Lösung oder einzelne Lösungsaspekte für die vorgegebene Aufgabe darstellt. Anschließend stellen 172 7 Ideen suchen und finden <?page no="173"?> sich die Teilnehmer ihre Bilder gegenseitig vor, indem jeder den anderen seine Zeichnung und dessen Bedeutung erklärt. Während der Vorstellungsrunde hält der Moderator die spontanen Ideen der Zuhörer für alle sichtbar auf einem Vi‐ sualisierungsmedium fest. Ausführliche Beschreibung Der Moderator stellt zu Beginn die Aufgabenstellung vor. Deren Ergebnis sollte entweder visuelle Elemente beinhalten, also z. B. ein Logo, ein Piktogramm, den Aufbau oder das Erscheinungsbild eines Gegenstandes o. Ä., oder es sollte eine praxisbezogene Lösung sein, und nicht etwa ein abstraktes Konzept. Dies ist wichtig, weil sich abstrakte oder sehr allgemeine Konzepte nur sehr schlecht in einem Bild visualisieren lassen. Beispiele für praxisbezogene Aufgaben mit vi‐ suellen Elementen wären etwa die Gestaltung eines Gartens, der Aufbau einer Wasserrutsche oder der Entwurf eines Verpackungsdesigns. Nachdem der Moderator die Aufgabe vorgestellt hat, zeichnet jeder Teil‐ nehmer für sich ein Bild auf seinen Flipchartbogen, das eine mögliche Lösung oder einzelne Lösungsaspekte skizziert. Weil dies in Einzelarbeit geschieht, sollten die Flipcharts so im Raum verteilt sein, dass jeder nur seine eigene Zeichnung sehen kann. Da sich die Teilnehmer in der anschließenden Arbeits‐ phase gegenseitig ihre Bilder vorstellen, sollte die Gruppe aus nicht mehr als fünf Teilnehmern bestehen. Für das Zeichnen gibt der Moderator eine grobe Zeitvorgabe, die ihm der Aufgabenstellung angemessen erscheint. Häufig reichen ca. zehn Minuten. Auf‐ grund der geringen Teilnehmeranzahl sollte der Moderator diese Zeitangabe aber nur als groben Richtwert kommunizieren und die Teilnehmer so lange an ihren Bildern arbeiten lassen, bis sie ihre Ideen vollständig visualisiert haben. Die Teilnehmer sollten auch deshalb so viel Zeit wie nötig erhalten, weil sie möglicherweise wenig Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, Ideen zeichnerisch darzustellen. Die meisten Menschen besitzen mehr als genug Talent für die einfachen Skizzen, die am Ende dieser Methode stehen sollen. Dennoch sind viele zunächst mit ihren Zeichnungen unzufrieden. Der Moderator kann dies berücksichtigen, indem er zu Beginn betont, dass die wirklichkeitsgetreue Darstellung nicht für den Erfolg der Methode entscheidend ist. Er weist darauf hin, dass die Teil‐ nehmer in der anschließenden Präsentationsrunde Gelegenheit haben werden, diejenigen Aspekte mündlich zu erklären, die sich zeichnerisch schwierig dar‐ stellen lassen. In jedem Fall ist es essenziell, dass die Bilder konkrete Gegen‐ stände oder Prozesse darstellen; abstrakte Schemata oder Textelemente wie Ta‐ bellen eignen sich weniger für die Weiterarbeit. 173 7.6 Ideen durch Imagination <?page no="174"?> In der Präsentationsrunde, der »Vernissage«, erklären die Zeichner den an‐ deren Teilnehmern die einzelnen Elemente ihrer Bilder und erläutern, welchen Bezug sie zur Aufgabe haben. Die Zuhörer bringen spontan Ideen und Impulse ein, zu denen sie die Bilder anregen. Dabei dürfen sie gegebenenfalls auch den Redner unterbrechen. Die spontanen Ideen notiert der Moderator für alle sichtbar auf einem Visualisierungsmedium. Wenn die Ideen den Redner seiner‐ seits zu neuen Einfällen anregen, kann er sich an der entstehenden Diskussion beteiligen. An dieser Stelle spielt der Moderator eine zentrale Rolle, weil er den Gedankenaustausch als Diskussionsleiter strukturieren muss. Tipp Da die Zuhörer bei der Präsentation der verschiedenen Bilder möglicherweise ähnliche Ideen einbringen, empfiehlt es sich, alle gesammelten Ideen im An‐ schluss an die Diskussionsrunde gemeinsam mit den Teilnehmern zu → clustern (S. 160). Für das Gelingen der Methode ist es extrem wichtig, dass die Teilnehmer ihre Bilder in Einzelarbeit zeichnen: Würden mehrere Teilnehmer gemeinsam an einem Bild arbeiten, müssten sie bereits während des Gestaltungsprozesses ge‐ meinsam festlegen, welche ihrer Ideen im Bild Platz finden und auf welche sie bei der bildlichen Darstellung verzichten müssen. Die so entstandenen Bilder stellen daher immer Kompromisse dar, wodurch sich die Ideenvielfalt schon beim Zeichnen reduziert. Dann regen die Bilder möglicherweise auch in der Präsentationsrunde zu weniger Ideen an. Vor- und Nachteile + Verglichen mit anderen Ideenfindungsmethoden gibt die Methode auch Teilnehmern, die in Einzelarbeit besonders kreativ sind, die Möglichkeit, ihr Talent auszuschöpfen. Zugleich macht sich die Methode durch die Präsen‐ tationsrunde gruppendynamische Effekte zunutze. - Der Moderator hat bei dieser Methode eine Schlüsselfunktion und muss daher über ein hohes Maß an Erfahrung verfügen. - Die Methode birgt ein relativ hohes Misserfolgsrisiko, denn im Voraus lässt sich nicht immer einschätzen, ob sich für die Lösung der Aufgabe bildliche Assoziationen anbieten. Diese Überlegung trifft aber allgemein auf zahl‐ reiche Ideenfindungsmethoden zu: Jeder (methodische oder nicht-metho‐ dische) Lösungsansatz, der neuartige und kreative Ideen hervorbringt, birgt das Risiko, dass die praktische Anwendung scheitert. Bei der Vernissage ist dieses Risiko lediglich deutlicher als bei anderen Methoden. 174 7 Ideen suchen und finden <?page no="175"?> 7.6.3 Walt-Disney-Methode (schneller Brüter, Denkstühle) »It’s kind of fun to do the impossible.« W A L T E R »W A L T « D I S N E Y , AM E R I K A N I S C H E R F I L M P R O D U Z E N T < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 3 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Ergebnissicherung, Moderation optional ▸ 1 Arbeitsraum und 1 Warteraum oder 2 Seminarräume ▸ 3 Sitz- und Schreibgelegenheiten im Arbeitsraum, 2 Sitz- und Schreibge‐ legenheiten im Warteraum ▸ Schreibmaterialien pro Teilnehmer Ziel Die Walt-Disney-Methode hilft dabei, Ideenmangel und gedankliche Sackgassen zu überbrücken. Insbesondere führt sie zu Ideen und Möglichkeiten, die in einer gewöhnlichen Diskussion sofort als »unrealistisch« oder »zu teuer« verworfen würden, noch bevor die Gruppe sie weiter durchdenken kann. 175 7.6 Ideen durch Imagination <?page no="176"?> Kurzbeschreibung Je ein Teilnehmer nimmt die Rolle des Visionärs, des Realisten und des Kritikers ein. Der Visionär sucht nach neuen Ideen und stellt sie dann dem Realisten vor. Dieser wandelt die Ideen derart ab, dass sie sich tatsächlich umsetzen lassen, und lässt sie dann vom Kritiker hinterfragen. Die ausgearbeiteten Lösungsvor‐ schläge werden wieder dem Visionär übergeben, der sie weiterdenkt. Sobald eine Lösung gefunden wurde, die alle drei Rollen zufriedenstellt, ist das Ziel der Walt-Disney-Methode erreicht. Ausführliche Beschreibung Die Gruppe bestimmt drei Teilnehmer, von denen einer die Rolle des Visionärs einnimmt, einer die Rolle des Realisten und einer die Rolle des Kritikers. Der Visionär arbeitet allein in einem Arbeitsraum, während Realist und Kri‐ tiker in einem Warteraum warten. Die Aufgabe des Visionärs besteht darin, so viele Lösungsideen wie möglich hervorzubringen, unabhängig von Kosten oder Durchführbarkeit. Dazu kann er z. B. unterstützend die Methoden → Provoka‐ tionstechnik (S. 184) oder → Reizwortanalyse (S. 187) anwenden. Sobald ihm keine neuen Ideen mehr einfallen, bittet er den Realisten zu sich in den Arbeits‐ raum und stellt ihm seine Ideen vor. Dieser beurteilt, was nötig wäre, um die Ideen des Visionärs zu verwirklichen, oder er wandelt sie derart ab, dass sie sich tatsächlich umsetzen lassen (siehe Auflistung der Fragen am Ende der Methode). Wichtig ist in dieser Phase, dass der Realist die Ideen des Visionärs stets vor dem Kritiker hört, damit er eine Chance bekommt, ihr Potenzial zu entfalten. Erst nach der Beurteilung des Realisten darf der Kritiker in den Arbeitsraum und die Vorschläge beurteilen. Er stellt konstruktive Fragen (siehe dazu auch → konstruktive Kritik, Kapitel 3.5.2), das heißt, seine Fragen prüfen das vorläufige Ergebnis und weisen gegebenenfalls bereits auf Verbesserungen hin (siehe die Liste mit Fragen am Ende der Methode). Währenddessen wartet der Visionär im Warteraum. Die Reihenfolge, in der Realist, Kritiker und Visionär miteinander sprechen, soll verhindern, dass der Kritiker sofort alle Ideen des Visionärs ver‐ wirft. Daher darf der Kritiker an diesem Punkt auf keinen Fall direkt mit dem Visionär sprechen, sondern immer nur über den Realisten als eine Art Mittels‐ mann. Erst danach tauschen sich Kritiker und Visionär im Arbeitsraum aus, während der Realist im Warteraum wartet. Der Kritiker erklärt dem Visionär seine Bedenken und die gemeinsam mit dem Realisten erarbeiteten Lösungen. Jetzt beginnt der Prozess von vorn: Der Visionär entwickelt die Lösungen des Kritikers weiter und übergibt sie dann wieder dem Realisten, der sie abwandelt und wieder dem Kritiker präsentiert. Sobald der Kritiker keine Fragen mehr hat, der Realist vom Gelingen des Projekts überzeugt ist und der Visionär immer 176 7 Ideen suchen und finden <?page no="177"?> noch von der Innovativität der entwickelten Ideen überzeugt ist, ist der Prozess abgeschlossen. Beispiele für Schlüsselfragen: Realist: »Was wird für die Umsetzung benötigt (Material, Menschen, Wissen, Techniken etc.)? « »Welche Grundlagen sind schon vorhanden? « »Kann der Ansatz getestet werden? « Kritiker: »Was könnte verbessert werden? « »Was sind die Chancen und Risiken? « »Was wurde übersehen? « Tipp Optional kann ein Moderator die Methode begleiten, der darauf achtet, dass sich die Teilnehmer auf diejenigen Aufgaben beschränken, die mit ihrer Rolle ver‐ knüpft sind. Vor allem ungeübte Teilnehmer schießen manchmal über das Ziel ihrer Rolle hinaus, was die Durchführung erschwert. Variante Auch eine Einzelperson kann die Methode nutzen, indem sie abwechselnd die drei verschiedenen Rollen einnimmt. Dieser Variante verdankt die Methode sogar ihren Namen: Walt Disney wurde nachgesagt, sie oftmals allein ange‐ wendet zu haben. Um den Rollenwechsel zusätzlich zu erleichtern, können ver‐ schiedene Stühle oder Räume für jede Rolle verwendet werden. Vor- und Nachteile + Die Methode teilt die Stärken der Techniken der freien Assoziation, da die Teilnehmer Ideen sowohl hervorbringen als auch weiterentwickeln, die sie sonst sofort innerlich verwerfen würden. Über die Techniken der freien As‐ soziation hinaus entsteht mit ihrer Hilfe ein fertiges Konzept, das sich in die Realität umsetzen lässt. - Vor allem der Teilnehmer, der die Rolle des Visionärs einnimmt, sollte bereits über Erfahrung im Umgang mit Kreativtechniken verfügen. 177 7.6 Ideen durch Imagination <?page no="178"?> 7.7 Ideen durch Konfrontation »Der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht.« J O HA N N W O L F G A N G V O N G O E T H E , D E U T S C H E R D I C H T E R 7.7.1 Assoziations-ABC < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 ABC-Bogen pro Teilnehmer Ziel Das Assoziations-ABC eignet sich dazu, in sehr kurzer Zeit eine Vielzahl von Assoziationen aus verschiedenen Bereichen und Kategorien zu sammeln. 178 7 Ideen suchen und finden <?page no="179"?> Kurzbeschreibung Die Teilnehmer erhalten einen Bogen, auf dem sich in jeder Zeile ein Buchstabe des Alphabets befindet. Sie füllen den Bogen aus, indem sie zu jedem Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge ein zum Thema passendes Wort mit dem ent‐ sprechenden Anfangsbuchstaben notieren. Ausführliche Beschreibung Der Leiter teilt an jeden Teilnehmer einen ABC-Bogen aus, der auf jeder Zeile einen Buchstaben des Alphabets enthält. Danach fordert der Leiter die Teil‐ nehmer auf, innerhalb von maximal drei Minuten ihren ersten Einfall zu jedem Buchstaben zu notieren. Die geringe Zeitspanne soll die Teilnehmer dazu be‐ wegen, ihre ersten Assoziationen zu notieren, ohne sie innerlich zu bewerten oder verwerfen zu können. Beim Ausfüllen gehen die Teilnehmer zunächst nach alphabetischer Reihen‐ folge vor und überspringen Buchstaben, zu denen ihnen keine Assoziation ein‐ fällt. Wenn ihnen während des Ausfüllens weitere Assoziationen einfallen - sowohl zu Buchstaben, zu denen sie bereits einen Begriff notiert haben, als auch zu Buchstaben, die erst später bearbeitet werden sollen -, können sie von der vorgegebenen Reihenfolge abweichen auch diese Assoziationen notieren. Da‐ nach kehren sie zur vorgegebenen Reihenfolge zurück. Nachdem die Zeit abgelaufen ist, hält der Schriftführer die gesammelten As‐ soziationen auf dem Visualisierungsmedium fest. Dabei ordnet er die Buch‐ staben auf dem Visualisierungsmedium wie auf den ABC-Bögen in der Reihen‐ folge des Alphabets an. Weiterarbeit Optional kann die Gruppe die gesammelten Assoziationen in einem → Cluster (S. 160) oder einer → Mindmap (S. 163) anordnen. Variante Um Zeit zu sparen und die Gruppen von Anfang an auf das übergeordnete Thema einzustimmen, kann der Moderator anstelle der ABC-Bögen auch leere Blätter zur Verfügung stellen. Auf diese schreiben die Teilnehmer zunächst einen thematischen Schlüsselbegriff (mit mindestens acht Buchstaben) von oben nach unten auf und fahren dann mit der Methode wie beschrieben fort. 179 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="180"?> Vor- und Nachteile + Durch die geringere Bedenkzeit sind die notierten Ideen ungefilterter als etwa bei einem → Brainstorming (S. 156). - Teilnehmern, die wenig Erfahrung mit Kreativitätsmethoden haben, kann es schwerfallen, sich auf das spontane Aufschreiben des erstbesten Gedan‐ kens einzulassen. 7.7.2 Graffiti (Onkel-Otto-Zettel) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation optional ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Befestigungsfläche für mehrere Flipchartblätter ▸ Flipchartblock 180 7 Ideen suchen und finden <?page no="181"?> Ziel Die Graffiti-Methode produziert Lösungsansätze für Probleme, die sich in meh‐ rere Aspekte aufteilen lassen und denen eine eng umschriebene Problemstellung zugrunde liegt. Kurzbeschreibung Der Leiter oder Moderator formuliert zu jedem Themenaspekt, zu dem Lösungen erarbeitet werden sollen, einen Satzanfang und schreibt ihn auf ein Plakat. Die Teilnehmer vervollständigen die Plakate in Einzelarbeit und tragen abschlie‐ ßend alle vervollständigten Sätze zusammen. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn erarbeitet die Gruppe die Aspekte des zu lösenden Problems. Dazu kann sie beispielsweise die Methode → Blitzlicht (S. 104) anwenden oder eine moderierte Diskussion durchführen. Danach formuliert der Leiter oder Moderator zu jedem Themenaspekt des Problems einen Satzanfang, den er auf ein einzelnes Plakat schreibt. Die Plakate hängt er an verschiedenen Stellen im Raum auf. Jeder Teilnehmer erhält nun einen Stift und beginnt damit, ein beliebiges Plakat zu vervollständigen, wobei jeder Teilnehmer beliebig viele Sätze pro Satzanfang hinzufügen darf. Sobald ein Teilnehmer mit seinem Plakat fertig ist, geht er zum Plakat rechts daneben und vervollständigt den Satzanfang dieses Plakats. Wenn ein Teilnehmer einmal bei allen Plakaten gewesen ist, beginnt er erneut bei dem Plakat mit dem ersten von ihm ergänzten Satzanfang, liest die Sätze, die die anderen in der Zwischenzeit hinzugefügt haben, ergänzt das Plakat gegebenenfalls um weitere Sätze. Die Methode wird beendet, wenn niemandem mehr weitere Sätze einfallen. Tipp ▸ Damit sich die Sätze bei der Auswertung leichter den einzelnen Teilneh‐ mern zuordnen lassen, kann der Leiter oder Moderator verschiedenfar‐ bige Stifte an die Teilnehmer verteilen. ▸ Falls der Raum nicht genügend Platz für alle Plakate bietet, können die Teilnehmer die Plakate an kreisförmig angeordneten Tischen beschriften und nach einer vorgegebenen Zeit im Uhrzeigersinn an ihre Nachbarn weitergeben. 181 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="182"?> Vor- und Nachteile + Die Satzanfänge helfen vor allem Teilnehmern, die wenig Erfahrung mit Kreativitätsmethoden besitzen, indem sie das Thema eingrenzen und als Gedankenstützen dienen. - Der Erfolg der Methode hängt sehr stark von der Wahl geeigneter Satzan‐ fänge ab. 7.7.3 Kopfstandtechnik < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium Ziel Mithilfe der Kopfstandtechnik findet die Gruppe Lösungsansätze, bei denen grobe Fehler ausgeschlossen sind. Außerdem hilft sie den Teilnehmern, sich in 182 7 Ideen suchen und finden <?page no="183"?> die Lage der Personen zu versetzen, die von dem Lösungsansatz betroffenen wären. Kurzbeschreibung Die Gruppe erarbeitet die Lösung eines Problems, indem sie die Fragestellung des Problems in ihr Gegenteil verkehrt. Für diese ins Gegenteil verkehrte Fra‐ gestellung sucht sie Lösungen, auf deren Grundlage sie schließlich zur Lösung des Ursprungsproblems gelangt. Ausführliche Beschreibung Eine vorgegebene Problemstellung, etwa »Wie können wir die Vorlesung in‐ teressanter gestalten? «, wird in ihr Gegenteil verkehrt, also sprichwörtlich »auf den Kopf gestellt«. Die ins Gegenteil verkehrte Problemstellung würde in diesem Fall also lauten: »Wie können wir die Vorlesung langweiliger gestalten? « Auf dieser Grundlage suchen die Teilnehmer nun nach Lösungsideen. Dazu eignet sich etwa ein → Brainstorming (S. 156) oder eine andere Technik der freien Assoziation aus Kapitel 7.4. Das Umkehren der Problemstellung hat den Vorteil, dass es die Teilnehmer dazu anregt, sich in diejenigen Personen hineinzuversetzen, die von den nega‐ tiven Folgen der umgekehrten »Lösung« betroffen wären. So entdecken sie eher negative Aspekte, die ihnen sonst entgangen wären, und können diese im end‐ gültigen Lösungsansatz vermeiden. Für das obige Beispiel hieße das für die Teil‐ nehmer, sich eine langweilige Vorlesung aus Studentensicht vorzustellen und dank dieses veränderten Blickwinkels langweilige Elemente zu erkennen, die ihnen sonst entgangen wären. Ein weiterer Vorteil der Methode besteht darin, dass die Teilnehmer Gedankengänge weiterverfolgen, die sie sonst sofort in‐ nerlich verworfen hätten. Auch hieraus können neue Ideen entstehen. Nachdem die Gruppe alle Lösungsvorschläge für das ins Gegenteil verkehrte Problem gesammelt hat, erarbeitet die Gruppe in einer vom Moderator gelei‐ teten Diskussion einen Lösungsansatz für das eigentliche Problem. Dieser An‐ satz vermeidet nun alles, was die »auf den Kopf gestellten« Lösungen vor‐ schlagen. Vor- und Nachteile + Die Methode eignet sich auch für eher unerfahrene Teilnehmer als Einstieg in die Anwendung von Konfrontationstechniken. 183 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="184"?> - Die erarbeiteten Lösungen vermeiden zwar mit sehr großer Wahrschein‐ lichkeit grobe Fehler, allerdings um den Preis, dass ihr Innovationspotenzial geringer ist als bei den anderen Konfrontationstechniken. 7.7.4 Provokationstechnik < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die Provokationstechnik unterstützt die Suche nach innovativen Ideen für neue Projekte. Die genauen Zielgebiete der entstehenden Ideen sind nicht vorher‐ sehbar; die Methode eignet sich also vor allem dann, wenn die Grundidee zu einem neuen Projekt noch nicht feststeht. 184 7 Ideen suchen und finden <?page no="185"?> Kurzbeschreibung Nach festgelegten Regeln erzeugen die Teilnehmer abwegige, provozierende und der Erfahrung widersprechende Aussagen. Diese Aussagen denken sie auf das Thema bezogen weiter. Auf diese Weise regt die Methode neue Impulse und Ideen an, die die Gruppe für gewöhnlich als zu unrealistisch oder abwegig ein‐ geschätzt und verworfen hätte. Ausführliche Beschreibung Mit der Provokationstechnik versucht die Gruppe, durch abwegige oder provo‐ zierende Aussagen, die der Erfahrung oder Gewohnheit widersprechen, bewusst kreative Impulse zu wecken und so Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die sie sonst nicht bedacht hätte. Dazu denken sich die Teilnehmer zunächst ca. zehn Minuten lang in Einzel‐ arbeit provozierende Aussagen, sogenannte Provokationen, aus. Sie nutzen dabei die folgenden Ansätze: Annahmen aufheben: Heben Sie gezielt Annahmen auf, die Sie mit Bezug auf die Aufgabenstellung haben. Idealfall: Beschreiben Sie den Zustand, der im Idealfall eintreten würde. Umkehrung: Stellen Sie einen Sachverhalt oder eine Beziehung auf den Kopf. Übertreibung: Übertreiben Sie einen Sachverhalt oder das zur Verfügung ste‐ hende Budget. Zufall: Ergänzen Sie die ursprüngliche Aussage um einen zufälligen Begriff. Verfälschung: Verändern Sie eine qualitative Eigenschaft des Ausgangsprob‐ lems. Erweiterung: Ergänzen Sie die Anforderungen oder Leistungen um ein zu‐ sätzliches Merkmal. Beim Erzeugen der Provokationen steht die spätere Idee noch nicht im Mittel‐ punkt. Die Teilnehmer erzeugen die Provokationen gemäß der hier vorgestellten Ansätze, ohne bereits auf mögliche Ideen zu achten, die daraus hervorgehen könnten. Bei der Entwicklung neuer Software könnten z. B. die folgenden Provoka‐ tionen entstehen: Annahmen aufheben: »PO Die Software braucht keinen Computer.« Idealfall: »PO Die entwickelte Software ist fehlerfrei.« Umkehrung: »PO Nicht der Mensch steuert die Software, die Software steuert den Menschen.« 185 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="186"?> Übertreibung: »PO Die Software bleibt für immer auf dem neusten Stand.« Verfälschung: »PO Die Software soll keine Neuentwicklung darstellen.« Alle Provokationen werden mit einem vorangestellten »PO« gekennzeichnet. Dies soll verhindern, dass die Teilnehmer die Provokationen unbewusst wie normale Aussagen behandeln und innerlich bewerten oder kritisieren. Die Gruppe sammelt die Provokationen und hält sie auf dem Visualisierungs‐ medium fest. Davon ausgehend versucht jeder Teilnehmer, das in jeder gesam‐ melten Provokation beschriebene Szenario weiterzudenken. Beispielsweise könnte die Provokation »PO Die Software braucht keinen Computer.« zu der Frage führen, auf welchen anderen Geräten sich noch Software installieren lässt. Diese Frage könnte wiederum die Idee anregen, Software für Handys zu entwi‐ ckeln. Die anderen oben aufgelisteten Provokationen könnten zu folgenden Ideen führen: »PO Die entwickelte Software ist fehlerfrei.« - Könnte zur Idee führen, seitens des Herstellers auf Support zu verzichten. Software ließe sich so verbilligt anbieten (vgl. die Firma Sun, die ihr Star Office in einer kostenlosen Variante namens Open Office zur Verfügung gestellt hat). »PO Nicht der Mensch steuert die Software, die Software steuert den Menschen.« - Könnte zur Idee einer intelligenten Hilfe führen, die unerfahrene Benutzer an‐ leitet (vgl. die in zahlreichen Softwarepaketen enthaltenen Assistenten). »PO Die Software bleibt für immer auf dem neusten Stand.« - Könnte zur Ent‐ wicklung von Software führen, die sich ständig patchen oder updaten lässt. »PO Die Software soll keine Neuentwicklung darstellen.« - Könnte dazu führen, dass die Firma alte Programme überarbeitet und als neue Versionen auf den Markt bringt, statt eine kostenaufwendigere Entwicklung neuer Konzepte in die Wege zu leiten. Für das Entwickeln der Ideen aus den Provokationen sollte die Gruppe etwa zwei Minuten pro Provokation einplanen. Nicht alle Provokationen müssen zwangsläufig zu praxistauglichen Ideen führen. Daher sollten die Teilnehmer nicht zu lange über mögliche Ideen zu einer Provokation nachdenken, wenn sie merken, dass daraus keine kreativen Impulse entstehen. In diesem Fall inves‐ tieren sie die vorhandene Zeit besser in die Bearbeitung anderer Provokationen oder sie denken sich neue Provokationen aus, falls dafür noch Zeit bleibt. Zum Abschluss sammelt die Gruppe schließlich alle Ideen. 186 7 Ideen suchen und finden <?page no="187"?> Variante Bei mehr als sechs Teilnehmern kommen zu viele Provokationen zusammen, als dass jeder Teilnehmer sie alle weiterentwickeln könnte. In diesem Fall entwi‐ ckelt jeder nur seine eigenen Provokationen und die Provokationen z. B. seiner Sitznachbarn weiter. Vor- und Nachteile + Die gesammelten Ideen stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit Innovationen dar, die es in dieser Form noch nicht gibt. - Es kann sehr lange dauern, bis diese Methode praxistaugliche Ideen her‐ vorbringt. 7.7.5 Reizwortanalyse (Superposition, Zufallstechnik) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme, Ergebnissicherung, Moderation optional ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien 187 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="188"?> Ziel Die Reizwortanalyse eignet sich vor allem, wenn zu einem Problem kreative, unerwartete oder weit von gewöhnlichen Lösungsideen abweichende Lösungs‐ vorschläge gesucht werden. Kurzbeschreibung Aus einer Liste von maximal fünf Schlüsselbegriffen oder sogenannten Reiz‐ wörtern, welche die Gruppe entweder zufällig ermittelt oder welche der Leiter bestimmt, suchen die Teilnehmer Assoziationen zu einem bestimmten Problem, aus denen sie Lösungsvorschläge entwickeln. Ausführliche Beschreibung Als Erstes formuliert der Leiter das zu lösende Problem in eine Fragestellung um und gewährleistet so, dass alle Teilnehmer das Problem gleich interpretieren. Danach nennt der Leiter entweder die zuvor ausgewählten Reizwörter oder sammelt die Reizwörter gemeinsam mit den Teilnehmern auf dem Visualisie‐ rungsmedium. Dabei melden sich die Teilnehmer spontan, um ihre Vorschläge einzubringen. Die einmal vorgeschlagenen Reizwörter dürfen auf keinen Fall bewertet oder gar verworfen werden. Wenn alle Reizwörter bekannt sind, versuchen die Teilnehmer in Einzelarbeit, für jedes Wort einen Bezug oder eine Assoziation zur Fragstellung herzustellen. Dazu ist es oft hilfreich, Eigenschaften zum Reizwort zu sammeln und dann gezielt diejenigen Eigenschaften zu identifizieren, die sowohl auf das Reizwort zutreffen als auch auf die Fragestellung. Auch die Eigenschaften überlegen sich die Teilnehmer in Einzelarbeit, tragen sie dann jedoch auf dem Visualisierungs‐ medium zusammen, bevor jeder für sich in einem nächsten Schritt nach Bezügen sucht. Auf diese Weise können die von den anderen Teilnehmern gesammelten Eigenschaften weitere Impulse geben. Für das Finden der Bezüge zwischen Reizwörtern und Fragestellung sollte der Leiter bei fünf Reizwörtern ca. 15 bis 20 Minuten einplanen. Da die Verknüpfung von scheinbar unzusammenhängenden Begriffen vielen Teilnehmern zu Beginn Schwierigkeiten bereiten, kann der Leiter die Reizwort‐ analyse am folgenden Beispiel illustrieren: Fragestellung: »Wie lässt sich die Aufmerksamkeit von Studierenden auch während langer Vorlesungen erhöhen? « Reizwort: Feuerwerksrakete 188 7 Ideen suchen und finden <?page no="189"?> Mögliche Eigenschaften, die zum Reizwort passen: 1. Klang der Explosion 2. Druck der Explosion 3. sprüht Funken 4. viele Farben 5. chemische Zusammensetzung des Inhalts 6. Explosion ist sehr hell Mögliche Bezüge zur Fragestellung: 1. Signaltöne beim Wechsel von einer PowerPoint-Folie zur nächsten könnten die Aufmerksamkeit der Studenten steigern. 2. Studenten »unter Druck setzen«: Aufmerksamkeit der Studierenden durch kleine Aufgaben zum Lernstoff während der Vorlesung aufrecht‐ erhalten. 3. Studenten könnten angesprüht oder beworfen werden, damit sie auf‐ merksam bleiben. 4. Farbliche hervorgehobene Schlüsselwörter könnten die Vorlesung leichter verständlich machen. 5. Chemische Analyse der Luft im Hörsaal: Verbrauchte Luft kann müde machen → Lüften, wenn die Luftqualität zu schlecht ist. 6. Auf die Beleuchtung des Hörsaals achten. Zu schwache Beleuchtung kann müde machen. Vor allem der dritte Punkt des Beispiels zeigt, dass nicht immer alle Ideen prak‐ tikabel sind, die der Reizwortanalyse entspringen. Trotzdem sollten die Teil‐ nehmer scheinbar abwegige Ideen während der Analyse nicht verwerfen (siehe dazu die → Osborn-Regeln, S. 133). Zum Abschluss werden die erarbeiteten Ideen für alle sichtbar auf dem Vi‐ sualisierungsmedium zusammengetragen. Eine anschließende moderierte Dis‐ kussion, in der die Gruppe die wichtigsten Assoziationen herausfiltert, ist op‐ tional. Variante Die Methode ist eine Variante der → Zufallstechnik (S. 187). Dabei dienen Bilder oder Wörter aus zufällig ausgewählten Quellen als Anregung zum Lösen von Ideenfindungsaufgaben. Neben der Reizwortanalyse, für welche die Gruppe ein beliebiges Wort als Zufallsquelle nutzt, gibt es noch die Katalogtechnik und die 189 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="190"?> Lexikontechnik, bei denen die Gruppe Assoziationen zwischen der Fragestellung und den Bildern eines Warenkatalogs oder Texten eines Lexikons sucht. Dienen beliebige Bilder als Zufallsquelle, wird die Methode auch manchmal Bisoziation oder Reizbildtechnik genannt. Vor- und Nachteile + Die Teilnehmer sind gezwungen, »um die Ecke zu denken«. - Für ungeübte Teilnehmer kann es schwierig sein, genügend Assoziationen vom Reizwort abzuleiten. 7.7.6 Semantische Intuition < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Ergebnissicherung ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien optional 190 7 Ideen suchen und finden <?page no="191"?> Ziel Die Methode eignet sich dazu, zu einem vorgegebenen Themenfeld schnell neue Ideen oder Produkte zu entwickeln. Diese kombinieren die Eigenschaften zweier Ideen oder Produkte, die bereits existieren, oder sie erweitern bereits bestehende Ideen oder Produkte. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer kombinieren zwei beliebige Begriffe aus demselben Themenfeld und überlegen sich daraufhin mögliche Anwendungen ihrer Neuschöpfung. Die Gruppe kann die Begriffe spontan während der Methode sammeln, aber sie kann die Methode auch nutzen, um die in einem → Brainstorming (S. 156) oder beim → Freien Schreiben (S. 158) gesammelten Ideen weiterzuverarbeiten. Ausführliche Beschreibung Die Methode gliedert sich in zwei Phasen, die Sammlungs- und die Kombinati‐ onsphase. In der Sammlungsphase bestimmt die Gruppe zuerst einen Schrift‐ führer, der die Begriffe aus der Sammlungsphase auf dem Visualisierungsme‐ dium festhält. Diese Rolle kann auch der Moderator einnehmen. Er bittet die Teilnehmer, Begriffe zu nennen, die einen Bezug zum Thema der Methode haben. In dieser Phase muss der Moderator darauf achten, dass sich die ge‐ nannten Begriffe nicht zu weit vom vorgegebenen Themenfeld entfernen, da sie sonst wenig zur Lösung beitragen. Für das Themenfeld »Büromaterial«, wären beispielsweise »Stuhl«, »Locher«, »Ordner« oder »Schere« passende Begriffe. Die Beiträge der Teilnehmer können aber auch ausschließlich aus Vor- oder Nachsilben bestehen. Auf das Beispiel »Büromaterial« bezogen wären solche Beiträge etwa die Vorsilben »Schreib-« oder »Korrektur-«. Da die Anzahl der möglichen Kombinationen sehr schnell mit der Anzahl der Begriffe zunimmt, sollte die Gruppe nicht mehr als 20 Begriffe sammeln. Sind alle Begriffe gesammelt, beginnt die Kombinationsphase. In dieser Phase bilden die Teilnehmer spontan Wortkombinationen, welche der Moderator auf einem zweiten Visualisierungsmedium festhält (z. B. auf einem weiteren Flip‐ chartbogen). Indem er die Wortkombinationen nicht direkt neben die Begriffe aus der Sammlungsphase schreibt, erleichtert er es den Teilnehmern, sich krea‐ tive Vorschläge auszudenken. Andernfalls könnten sie zu Vorschlägen neigen, die sich nur unwesentlich von den bereits genannten Wortkombinationen un‐ terscheiden. Außerdem überlegen sich die Teilnehmer während dieser Phase bereits mög‐ liche Praxisanwendungen für ihre Neuschöpfungen. Aus der Kombination »Schreibordner« könnte etwa die Idee für einen Ordner mit einer Stifthalterung 191 7.7 Ideen durch Konfrontation <?page no="192"?> im Innern werden. Die scheinbar unsinnige Kombination »Locherordner« hätte beispielsweise die Geburtsstunde der flachen Kunststofflocher markieren können, die sich auch in Ordnern abheften lassen. Da die Gruppe die Kombination gleichzeitig nennt und auf ihre Praxistaug‐ lichkeit hin analysiert, empfiehlt es sich, dass die Teilnehmer eigene Schreib‐ materialien zur Verfügung haben, um sich spontane Einfälle notieren und zu einem späteren Zeitpunkt der Diskussion einbringen zu können. Variante Die Gruppe kann auch Begriffe sammeln, die keinen direkten Bezug zum Thema haben. In diesem Fall dient die Methode jedoch eher als eine → Imaginations‐ technik (S. 167). Vor- und Nachteile + Die Methode ist eine vergleichsweise einfach zu erlernende Konfrontati‐ onstechnik. + Die Gruppe bringt innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl von neuen Ideen hervor. - Da sich die Begriffssuche auf einen vorgegebenen Bereich beschränkt, ist das Innovationspotenzial geringer als bei den meisten anderen Ideenfin‐ dungsmethoden. 7.8 Ideen mit Großgruppen 7.8.1 Fishbowl (Aquarium) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 192 7 Ideen suchen und finden <?page no="193"?> Kurzinfo ▸ Moderation, Ergebnissicherung ▸ verschiebbare Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien Ziel Die Methode »Fishbowl« schwächt die persönliche Einflussnahme einzelner Teilnehmer in Diskussionen ab. Den Nachteilen großer Diskussionsrunden wirkt sie entgegen, indem sie überproportionale Redeanteile bestimmter Teil‐ nehmer verhindert und stattdessen zurückhaltende Teilnehmer zu Wort kommen lässt. Außerdem kann die Methode unproduktive Anfeindungen re‐ duzierten. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer sitzen in zwei Kreisen. Im kleineren Innenkreis findet die Dis‐ kussion statt, während die Teilnehmer im größeren Außenkreis die Diskussion im Innenkreis beobachten und analysieren. Jeder darf zwischen den Kreisen wechseln. Ausführliche Beschreibung Im Raum sind ein innerer und ein äußerer Stuhlkreis aufgebaut. Der innere Stuhlkreis besteht aus maximal fünf, der äußere aus maximal 20 Stühlen. Die Teilnehmer entscheiden zu Beginn, in welchem Stuhlkreis sie sitzen. Dabei müssen nicht alle Stühle im Innen- oder Außenkreis besetzt sein. Der Moderator fordert die Gruppe nun auf, über ein vorgegebenes Problem zu diskutieren und innerhalb einer festgelegten Zeitspanne von etwa 30 Minuten zu einem Konsens zu gelangen. Die Teilnehmer im Innenkreis diskutieren über das Problem, während die Teilnehmer im Außenkreis die Diskussion beobachten 193 7.8 Ideen mit Großgruppen <?page no="194"?> und sich gegebenenfalls Notizen machen. Sie dürfen keine Seitengespräche führen und sich auch nicht zu Wort melden. Allerdings dürfen sich die Teilnehmer im Außenkreis jederzeit auf leere Stühle im Innenkreis setzen. Im Gegenzug setzt sich jeder, der im Innenkreis all seine Gedanken in die Diskussion eingebracht hat, in den Außenkreis. Sitzt je‐ mand länger als fünf Minuten im Innenkreis, kann ihn ein Teilnehmer aus dem Außenkreis zum Platztausch auffordern. Der Aufgeforderte darf dann in einer abschließenden Wortmeldung seinen letzten Gedanken zu Ende ausführen, bevor er seinen Sitzplatz mit dem Teilnehmer aus dem Außenkreis tauscht. Zum Abschluss der Diskussion führt der Moderator zusammen mit allen Teilnehmern eine → Konsensfindung (S. 43) durch. Weiterarbeit Optional können sich anschließend alle Teilnehmer gegenseitig ihre Beobach‐ tungen in einem → Blitzlicht (S. 104) mitteilen. Variante Zu Beginn bestimmt die Gruppe fünf Teilnehmer, die sich in den Innenkreis setzen. Alle verharren während der gesamten Diskussion auf ihren Plätzen und niemand wechselt die Rollen. Bei dieser Variante der Fishbowl kommt es nicht auf den Gruppenkonsens an, sondern auf die Ergebnisse der Teilnehmer im Au‐ ßenkreis. Sie bewerten die Diskussionsergebnisse der Teilnehmer im Innenkreis und deren Lösungsfindungsweg. Ihre Bewertungen stellen sie in einem → Blitzlicht (S. 104) vor und analysieren sie gemeinsam mit den Teilnehmern aus dem Innenkreis. Vor- und Nachteile + Jeder hat die Möglichkeit, die Beobachterrolle einzunehmen und so grup‐ pendynamische Prozesse innerhalb der Diskussion zu erfassen, die sonst nur schwer zu erkennen sind. - Nicht alle Teilnehmer können jederzeit einen Beitrag zur Diskussion bei‐ steuern. - Verglichen mit dem → World-Café (S. 195) ermutigt die Fishbowl stille Teil‐ nehmer weniger dazu, ihre Ideen in die Diskussion einzubringen. 194 7 Ideen suchen und finden <?page no="195"?> 7.8.2 World-Café (Knowledge-Café, Open Space) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation an jedem Tisch ▸ mehrere Tische mit Packpapier als Tischdecke und 4 bis 8 Sitzgelegen‐ heiten pro Tisch ▸ 4 bis 8 Stifte pro Tisch Ziel Die Methode eignet sich dazu, ein umfangreiches Thema, das sich gut in ver‐ schiedene Teilaspekte aufteilen lässt, mit einer Vielzahl von Teilnehmern zu bearbeiten. Wenn bereits im Vorfeld eine bestimmte Lösung favorisiert wird oder wahrscheinlich erscheint, eignet sich diese explorative Methode hingegen nicht. Kurzbeschreibung Die Moderatoren unterteilen das zu bearbeitende Thema in verschiedene Teil‐ aspekte. Anschließend bereiten sie mehrere Tische vor, an denen die Teilnehmer jeweils einen Teilaspekt bearbeiten. Zu diesem Zweck teilt sich die Gruppe gleichmäßig auf die verschiedenen Tische auf, wo die Moderatoren die Diskus‐ 195 7.8 Ideen mit Großgruppen <?page no="196"?> sionen nun als feste »Gastgeber« leiten. Nach einer vorgegebenen Zeit wechseln alle Kleingruppen den Tisch und bearbeiten einen anderen Themenaspekt. Zum Abschluss präsentieren die Gastgeber die Ergebnisse vor allen Teilnehmern. Ausführliche Beschreibung Die Methode gliedert sich in drei Phasen. In der ersten Phase teilen die Modera‐ toren das Thema der Sitzung in Teilaspekte auf, die sich separat gut bearbeiten lassen. Zu diesem Zweck können sie im Vorfeld z. B. eine → Mindmap (S. 163) zum Thema anfertigen. Die Anzahl der Teilaspekte sollten sie wählen, dass jeder Aspekt in den späteren Diskussionsrunden von vier bis acht Teilnehmern be‐ arbeitet werden kann. In der zweiten Phase finden die Diskussionsrunden mit den Teilnehmern statt. Dazu teilen die Moderatoren jedem Teilaspekt einen Tisch zu und verteilen die Teilnehmer gleichmäßig auf die Tische, wofür sich die Aufteilungsübungen aus Kapitel 6.3 anbieten. Auch die Moderatoren verteilen sich auf die Tische, um dort als sogenannte »Gastgeber« die Diskussionen zu leiten. Für die Ergebnis‐ sicherung ist jeder Tisch mit einer Tischdecke aus Packpapier ausgelegt und es liegen darauf ausreichend Stifte für die Teilnehmer bereit. Die Ergebnisse werden also auf der Tischdecke und nicht etwa auf einem Flipchart protokolliert, damit jeder Teilnehmer die Möglichkeit hat, selbst spontane Einfälle zu notieren. Die Gastgeber achten darauf, dass die Diskussionen und die protokollierten Ideen nicht zu weit vom Thema abschweifen, dämpfen sogenannte »Vielredner« freundlich, aber bestimmt und ermutigen stillere Teilnehmer zu Wortmel‐ dungen. Nach 10 bis 15 Minuten wechseln die Teilnehmer den Diskussionstisch. Dabei sollten die Gastgeber darauf achten, dass die Teilnehmer nicht immer in den‐ selben Gruppen bleiben. Beim Wechsel von Tisch zu Tisch sollten also gleich‐ zeitig auch die Gruppen durchgemischt werden. So wird verhindert, dass sich immer dieselben Teilnehmer überproportional stark oder schwach an der Dis‐ kussion beteiligen. Die Gastgeber hingegen bleiben an ihren Tischen und heißen die neuen Teilnehmer willkommen, indem sie ihnen ein bis zwei Minuten lang die wichtigsten bereits erarbeiteten Resultate präsentieren und sie bitten, an die bereits erdachten Ideen anzuknüpfen. Nachdem jeder Teilnehmer einmal an jedem Tisch war, geht die Methode in die dritte und letzte Phase, in welcher die Gastgeber die Ergebnisse ihrer Tische vor der gesamten Gruppe präsentieren. Dazu heften sie ihre Tischdecken an Pinnwände, erläutern die Ergebnisse und gehen auf Nachfragen und Ergän‐ zungen seitens der Teilnehmer ein. 196 7 Ideen suchen und finden <?page no="197"?> Variante Auch Teilnehmer aus der Gruppe können die Rollen der Gastgeber einnehmen. In diesem Fall stellt der Leiter die Themenaspekte zu Beginn vor und bittet Frei‐ willige, die den jeweiligen Aspekt moderieren wollen, am entsprechenden Tisch Platz zu nehmen und während der gesamten Dauer ihre Rolle beizubehalten. Damit diese Variante funktioniert, müssen sich jedoch nicht nur genügend Frei‐ willige finden, sondern sie sollten auch schon Erfahrungen mit dem Moderieren von Gruppenarbeit gesammelt haben. Variante »Knowledge-Café« Die Methode kann auch dazu dienen, neue Inhalte zu lernen oder zu wieder‐ holen. Dazu müssen sich die Inhalte, die die Gruppe lernen oder wiederholen möchte, gut in einzelne Themenaspekte aufteilen lassen. Bei dieser Variante empfiehlt es sich, auf das Durchmischen der Gruppen beim Wechsel von einem Tisch zum nächsten zu verzichten. Für den Lernprozess kann es nämlich vor‐ teilhaft sein, wenn die Teilnehmer die Stärken und Schwächen der anderen kennenlernen. So können sie sich gegenseitig besser unterstützen und ihr Wissen ergänzen. Variante »Open Space«« Leichte Abwandlungen des World-Cafés sind unter vielen verschiedenen Namen bekannt. Die Variante »Open Space« etwa kann sich über mehrere Tage erstre‐ cken. Dabei gibt es keine Vorgaben, wie lange die Teilnehmer an einem einzelnen Tisch verweilen oder zu welchen Tischen sie wechseln müssen. Stattdessen gilt das Gesetz der zwei Füße. Dies bedeutet, dass die Teilnehmer einen Teilaspekt bearbeiten, solange sie wollen. Sie können jederzeit zu jedem anderen Tisch wechseln. Außerdem sind sie nicht verpflichtet, sich für die gesamte Dauer der Methode am Ideenfindungsprozess zu beteiligen. Es ist durchaus denkbar, dass sich verschiedene Teilnehmer über mehrere Tage hinweg immer wieder dazu entschließen, an der Methode mitzuwirken oder zu pausieren. Damit bei derart langen Zeiträumen immer ein Gastgeber an jedem Tisch sitzt, nehmen die Teilnehmer bei der Open-Space-Methode grundsätzlich selbst die Rolle des Gastgebers ein. Auch müssen sie die bisherigen Ergebnisse aus‐ führlich genug dokumentieren, sodass alle Teilnehmer sie jederzeit erfassen können, auch wenn sich gerade kein Teilnehmer am Tisch befindet, der die Er‐ gebnisse erarbeitet hat. Um das Dokumentieren zu erleichtern, sollten sich hinter jedem Tisch Pinnwände befinden, an die die Teilnehmer vollgeschriebene Tischdecken anheften können. 197 7.8 Ideen mit Großgruppen <?page no="198"?> Die Rolle des Gastgebers ist dann weniger formal als bei der World-Café-Me‐ thode. Auch für die Gastgeber gilt das Gesetz der zwei Füße. Sie können als normale Teilnehmer an andere Tische wechseln, wenn sie das Gefühl haben, sich dort besser in die Ideenfindungsprozesse einbringen zu können. Diese Va‐ riante der World-Café-Methode eignet sich jedoch nur für Teilnehmer, die sich bereits sehr gut mit Gruppenarbeit auskennen. Anmerkung Die Begriffe »World-Café« und »Open Space« werden in der Literatur teilweise in einem anderen Zusammenhang verwendet: Sie bezeichnen dann ein Ver‐ fahren, mit dem sich ganze Tagungen und Kongresse organisieren lassen. Wer Interesse an diesen Anwendungen hat, findet unter www.open-spacemoderation.de weitere Beschreibungen und Erläuterungen. Um die Durchmischung der Teilnehmer im World-Café sicherzustellen, kann der Leiter für jeden Teilnehmer einen individuellen Laufplan erstellen und vor Beginn der Methode verteilen. Dieser zusätzliche Aufwand lohnt insbesondere bei Teilnehmern mit wenig Erfahrung oder bei Teilnehmergruppen, die sich be‐ reits sehr gut untereinander kennen bzw. aufgrund von vergleichbaren fachli‐ chen Hintergründen dazu neigen, stets die gleichen Gruppen zu bilden. Vor- und Nachteile + Im Gegensatz zur → Fishbowl (S. 192) bezieht das World-Café durch die stärkere individuelle Moderation und die festere Methodenstruktur auch stillere Teilnehmer ein. - Damit die Methode gelingt, müssen unbedingt viele Moderatoren teil‐ nehmen, die sich schon gut mit Gruppenarbeitsmethoden auskennen. - Besonders, wenn sich das Thema schwer in Teilaspekte gliedern lässt, be‐ steht die Gefahr, dass manche Themenaspekte von Beginn an nicht beachtet und im Verlauf der Methode nicht bearbeitet werden. 198 7 Ideen suchen und finden <?page no="199"?> 8 Konzepte erarbeiten »Kreativität heißt, aus dem Chaos Ordnung zu schaffen.« G E O R G S T E F A N T R O L L E R , Ö S T E R R E I C HI S C H E R J O U R N A L I S T Die Methoden aus Kapitel 7 eignen sich vor allem dazu, kreative Impulse zu we‐ cken und somit eine Vielzahl von Ideen zu erzeugen. Für kleinere Probleme des Arbeitsalltags reichen häufig schon diese Impulse und Ideen allein, doch für die Erarbeitung umfassender Lösungsansätze müssen sie noch verknüpft und zu Ge‐ samtkonzepten ausformuliert werden. Deshalb konzentriert sich das folgende Kapitel auf Methoden, die kreative Impulse für komplexe Projekte nutzbar ma‐ chen. Mit ihrer Hilfe erstellen Gruppen detaillierte, praxistaugliche Konzepte. 8.1 Übersicht Um vor allem ungeübten Teilnehmern das Ausarbeiten von Konzepten zu erleich‐ tern, helfen die Leitfragen aus Kapitel 8.1.1 dabei, gedankliche Blockaden zu über‐ winden und aus den gesammelten Ideen erste Konzeptansätze zu entwickeln. Das Schema in Kapitel 8.1.2 veranschaulicht darüber hinaus ganz allgemein, wie aus Lösungsideen Konzeptansätze werden. Die anschließenden Unterkapitel führen dann Schritt für Schritt durch die Entwicklung von Konzepten: Kapitel 8.2 stellt einleitend Analysen vor, die dazu dienen, aus einer Vielzahl von Ideen diejenigen Ansätze zu extrahieren, die für das Entwickeln von Kon‐ zepten am vielversprechendsten sind. Daran anknüpfend zeigen die Methoden aus Kapitel 8.3, wie Gruppen die gesammelten und möglicherweise schon gewichteten und bewerteten Ideen zu einem fertigen Konzept zusammenfügen können. Diese Methoden empfehlen sich besonders dann, wenn die gewünschten Eigenschaften der Konzepte bereits be‐ kannt sind. Mit den Methoden aus Kapitel 8.4 hingegen lassen sich Konzepte erstellen, ohne dass vorher Ideen gesammelt wurden. Solche Methoden finden vor allem dann Anwendung, wenn die Gruppe noch keine konkrete Vorstellung vom spä‐ teren Konzept hat. <?page no="200"?> Nicht immer lässt sich klar abgrenzen, ob nun die Methoden aus Kapitel 7 oder die Methoden aus Kapitel 8.3 oder 8.4 auf einen bestimmten Anlass zuge‐ schnitten sind. Viele Methoden zur Konzepterarbeitung eignen sich ebenfalls für die Ideenfindung, und umgekehrt können Gruppen bereits mit zahlreichen Methoden aus Kapitel 7 Konzepte erarbeiten. Mehr als in allen anderen Kapiteln liefert die hier vorgenommene Einteilung daher lediglich Anhaltspunkte, welche Methode sich für welchen Zweck besser eignet. Wie bereits bekannt zeigen Ihnen die Netzdiagramme zu Beginn der jeweiligen Methodenkapitel al‐ ternative Einsatzmöglichkeiten auf. Kapitel 8.5 befasst sich schließlich damit, wie Gruppen Verbesserungsmög‐ lichkeiten bei bestehenden Konzepten erkennen und wie sie anschließend Ver‐ besserungen vornehmen können. 8.1.1 Leitfragen Ziel Häufig fällt es Teilnehmern leichter, aus kreativen Ideen ein Konzept zu entwi‐ ckeln, wenn sie bereits eine erste Vorstellung von einzelnen Aspekten des Kon‐ zepts besitzen. Zum einen stellen erste ausgearbeitete Aspekte einen Ausgangs‐ punkt für weitere Änderungen und Ergänzungen dar, zum anderen überwinden die Teilnehmer eher ihre Angewohnheit, Konzeptideen innerlich zu kritisieren, wenn sie erst einmal den ersten Aspekt ausgearbeitet haben. Die untenstehenden Leitfragen unterstützen daher vor allem Teilnehmer, die in Kreativtechniken ungeübt sind, beim Überwinden dieser ersten Blockaden. Sie helfen aber auch beim Überwinden anderer Denkblockaden, wenn der krea‐ tive Prozess einmal ins Stocken gerät. Für sich allein stellen die Fragen jedoch noch keine vollständige Methode zum Entwickeln von Leitfragen dar. Sie geben lediglich eine erste Hilfestellung. Ausführliche Beschreibung Jeder Teilnehmer wählt aus den Ideen, die die Gruppe mithilfe von Kapitel 7.2 gesammelt hat, maximal sechs aus und schreibt sie in die linke Spalte einer dreispaltigen Tabelle. In der mittleren Spalte formulieren die Teilnehmer in Ein‐ zelarbeit Fragen, die einen Bezug zwischen den Ideen aus der linken Spalte und dem Ziel herstellen, das mit dem geplanten Konzept erreicht werden soll. In die rechte Spalte schreiben sie Antworten auf diese Fragen, welche sie ebenfalls in Einzelarbeit finden. 200 8 Konzepte erarbeiten <?page no="201"?> Die Fragen können es den Teilnehmern erleichtern, das geplante Konzept mit den zuvor gefundenen Ideen zu verbinden, da Fragen viel stärker als einzelne Begriffe als Aufforderungen verstanden werden, selbst aktiv zu werden. Deshalb sollten die Teilnehmer die Fragen in der ersten Person formulieren. Beispiel Die Gruppe hat mithilfe von Kapitel 7.2 Ideen gesammelt, wie sie ein Restaurant verändern könnte, um es für die Gäste interessanter zu gestalten. Ein Ergebnis lautete, dass sich ein Konzept entwickeln ließe, das die Bereiche »Gesundheit« und »Fitness« mit dem Restaurant verknüpft. Ein Teilnehmer wählt aus den gesammelten Assoziationen die Begriffe »Training«, »Muskelaufbau«, »Kalo‐ rien«, »Trennkost« und »Bewegung« aus. Die entsprechende Tabelle mit den Leitfragen könnte folgendermaßen aussehen: Begriff Frage Antwort Training Wie können wir unsere Gäste trainieren lassen? Wie können wir unsere Gäste bei ihrem Training unterstützen? »Fitness-Gerichte« anbieten, die sich in den Trainingsplan einbinden lassen. Muskel‐ aufbau Wie können wir unseren Gästen Muskelaufbau anbieten? Wie können wir unsere Gäste beim Muskelaufbau unter‐ stützen? Klassifizierung von proteinhaltigen Gerichten, die sich besonders gut zum Muskelaufbau eignen. Verkauf von Speisen, die explizit zum Muskelaufbau entwickelt wurden. Kalorien zählen Wie können wir unsere Gäste beim Kalorienzählen unter‐ stützen? Wie können wir unseren Gästen das Kalorienzählen abnehmen? Kalorienmenge hinter Gerichte in der Speisekarte notieren. Trenn‐ kost Wie können wir die Trennkost‐ diät unserer Gäste unterstützen? Gerichte anbieten, die Trennkost un‐ terstützen. Gäste darauf aufmerksam machen, dass Komponenten der Gerichte auf der Speisekarte auf Wunsch variiert werden können. Bewe‐ gung Wie können wir unseren Gästen beim Essen Bewegung ver‐ schaffen? Bestuhlung im Außenbereich mini‐ mieren und freien Platz nutzen, um eine kleine Parkanlage zu schaffen. Gerichte als Buffet anbieten, zu dem die Gäste gehen müssen. Tabelle 8-1: Beispiele für Leitfragen (Meyer 2009) 201 8.1 Übersicht <?page no="202"?> 8.1.2 Konzept-Extraktion Ziel Mithilfe der Konzept-Extraktion bestimmt die Gruppe, welche Konzeptansätze sie aus den gesammelten Ideen ableitet. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn sammeln alle Teilnehmer gemeinsam Lösungsideen zur vorgege‐ benen Problemstellung und teilen sie anschließend in verschiedene Kategorien auf. Zum Sammeln der Ideen eignen sich etwa die Methoden aus Kapitel 7.2. Eine mögliche Problemstellung könnte z. B. sein, dass ein mit Wasser gefülltes Glas geleert werden muss, ohne dass es angefasst, bewegt oder zerstört wird. ▸ das Wasser mit einem Löffel oder einem Strohhalm trinken ▸ eine Pflanze ins Wasser stellen und warten, bis diese das Wasser aufge‐ sogen haben ▸ das Wasser herauspusten ▸ das Wasser mit Gegenständen verdrängen ▸ das Wasser zum Kochen bringen und verdunsten lassen Sobald die Gruppe alle Ideen zusammengetragen hat, sortiert sie diese nach Ka‐ tegorien. Für das Beispiel bieten sich folgende Kategorien an: ▸ aufsaugen ▸ verdrängen ▸ verdunsten Die ersten beiden Ideen lassen sich der Kategorie »aufsaugen«, die nächsten beiden der Kategorie »verdrängen« und die letzte der Kategorie »verdunsten« zuordnen. Andere Arten der Kategorisierung könnten die Dauer des Vorgangs oder der zu leistende Aufwand thematisieren. Die letztendlich identifizierten Kategorien bilden die Konzeptansätze, die die Gruppe mit den Methoden aus Kapitel 8.4 weiter ausarbeiten kann. 202 8 Konzepte erarbeiten <?page no="203"?> 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse 8.2.1 Vorbemerkungen Voraussetzung für die Durchführung der Analysen Alle in diesem Kapitel vorgestellten Analysen beruhen auf quantitativen Ver‐ fahren. Bei quantitativen Verfahren erhält das Resultat, das bewertet werden soll, einen Zahlenwert, indem die einzelnen Kriterien oder die Alternativen zum Resultat zuerst gewichtet und diese Gewichte nach einem vorgegebenen Ver‐ fahren zusammengerechnet werden. Damit die Teilnehmer fundiert gewichten und bewerten können, sollten Gruppen solche Analysen nur durchführen, wenn sie alle zu beurteilenden Alternativen oder Kriterien ausreichend gut kennen. Konsensfindung oder quantitativ Entscheiden? Auf viele Menschen wirken quantitative Maße überzeugender und objektiver als qualitative Angaben. Genau wie die qualitativen Maße resultieren die quan‐ titativen Maße in den folgenden Methoden allerdings aus subjektiven Einschät‐ zungen und Erwartungen und selten aus objektiven und reproduzierbaren Randparametern wie etwa Kosten, Ressourcen usw. Daher sollten Gruppen quantitative Entscheidungsfindungsmethoden nicht pauschal qualitativen Me‐ thoden vorziehen. Insbesondere dürfen quantitative Bewertungsmethoden kei‐ nesfalls einer Konsensfindung vorgezogen werden! Die in diesem Kapitel vorgestellten Analysen stellen daher eine Alternative zur → Konsensfindung (S. 43) dar, falls sich einmal wirklich kein Konsens finden lässt. Dies kann daran liegen, dass das strittige Problem nicht von den Interessen der Teilnehmer, sondern von rein quantitativ erfassbaren Größen wie Kosten oder Zeitaufwand abhängt. Dann kann das mit den Analysen dieses Kapitel er‐ mittelte quantitative Maß dabei helfen, einen objektiven Bewertungsmaßstab zu finden, den alle Teilnehmer akzeptieren. Diejenigen Teilnehmer, für deren Vorschlag sich die Gruppe nicht entschieden hat, können die Entscheidung der Gruppe dann eher nachzuvollziehen und mittragen. Grundsätzlich sollten Grup‐ penleiter eine Konsensfindung jedoch immer den Analysen aus diesem Kapitel vor‐ ziehen, da ein Konsens die Interessen aller Teilnehmer berücksichtigt. Akzeptanz und Endgültigkeit der gefundenen Entscheidung Nachdem eine Entscheidung über die Auswahl möglicher Lösungen gefällt wurde, gilt folgende Regel: 203 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="204"?> Um das Vertrauen in die Methoden nicht zu zerstören, darf die Entscheidung nachträglich nicht mehr geändert werden. Daher muss zu Beginn deutlich sein, dass der Entscheidungsfindungsprozess verbindlich ist. Likert-Skala Ein nützliches Werkzeug, das den Teilnehmern eine differenzierte Bewertung eines Kriteriums ermöglicht, ist die Likert-Skala. Es handelt sich dabei um eine ordinale Skala, mit der Teilnehmer ein Feedback zu einem bestimmten Aspekt geben können. Der Dozent kann den Vorlesungsstoff verständlich erklären: + + trifft zu +trifft eher zu 0trifft weder zu noch nicht zu -trifft eher nicht zu - trifft nicht zu Die in der Vorlesung eingesetzten Hilfsmittel helfen mir, den Vorle‐ sungsstoff zu verstehen: + + + trifft immer zu + + trifft sehr oft zu +trifft manchmal zu -trifft selten zu - trifft fast überhaupt nicht zu - - trifft nie zu Tabelle 8-2: Beispiel einer Likert-Skala mit ungerader Anzahl an Abstufungen (oben) und einer mit gerader Anzahl an Abstufungen (unten) Die einzelnen Abstufungen der Skala lassen sich mit Aussagen (etwa »trifft eher zu«), Symbolen (etwa »+«, »-«, »0«, »++« usw.) oder mit einer Zahlenskala (etwa Schulnoten von 1 bis 6 oder einer Skala mit positiven und negativen Zahlen wie etwa von -2 bis 2) beschriften. Die Skala kann sowohl eine gerade als auch eine ungerade Anzahl an Abstu‐ fungen enthalten. Bei einer ungeraden Anzahl gibt es eine mittlere Abstufung, 204 8 Konzepte erarbeiten <?page no="205"?> die die Teilnehmer ankreuzen können, wenn sie der Fragestellung neutral ge‐ genüberstehen. Manchmal ist es jedoch wünschenswert, dass sich die Teil‐ nehmer für ein positives oder negatives Feedback entscheiden müssen. Dann ist eine gerade Anzahl an Abstufungen sinnvoll. Ob eine ungerade oder gerade Anzahl gewählt wird, sollte daher abhängig von der Fragestellung und dem ge‐ wünschten Teilnehmerfeedback entschieden werden. 8.2.2 Delphi-Methode (Orakel von Delphi) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Magnet- oder Pinnwand mit Karten ▸ Stimmzettel pro Teilnehmer und Runde Ziel Die Delphi-Methode eignet sich für Entscheidungsfindungs- und Konzeptent‐ wicklungsprozesse, an denen sehr viele Experten mitwirken. Sie lässt sich auch anwenden, wenn die Experten räumlich voneinander getrennt sind, und sie beugt der Gefahr vor, dass die Experten möglicherweise versuchen, eine Lösung zu erwirken, die ausschließlich für sie selbst vorteilhaft ist. Um dies zu erreichen, 205 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="206"?> bleiben die Experten anonym und interagieren nicht direkt miteinander. Daher lässt sie sich auch per Brief oder E-Mail realisieren. Allerdings liefert die Methode keinen Konsens, sondern einen Kompromiss aus allen eingehenden Vorschlägen (vgl. S. 43). Die Teilnehmer akzeptieren diesen Kompromiss aber in der Regel erheblich bereitwilliger als einen, der mit‐ hilfe eines klassischen Abstimmungsprozesses erreicht wurde. Dies liegt daran, dass der Abstimmungsprozess transparent verläuft und es aufgrund der man‐ gelnden Kommunikation zwischen den Teilnehmern kaum zu Gruppendomi‐ nanzen oder Machtkämpfen kommt. Kurzbeschreibung Zu Beginn sammeln die Teilnehmer Ideen zu einer vorgegebenen Frage- oder Problemstellung. Diese Ideen werden dann geclustert und die Teilnehmer können in einer ersten Runde über die Ideencluster abstimmen. Aus den Clus‐ tern mit den meisten Stimmen wählen sie eine vorher festgelegte Anzahl zur Weiterarbeit aus. Die in den ausgewählten Clustern gesammelten Ideen be‐ werten sie in einer zweiten oder optionalen dritten Runde hinsichtlich einer präzisierten Fragestellung erneut. Ausführliche Beschreibung Der Name der Methode leitet sich vom Orakel von Delphi ab, welches laut der griechischen Mythologie Vorhersagen zu vorgebrachten Fragen treffen konnte. Die Methode ähnelt dem Delphischen Orakel insofern, als dass sie direkt mit einer vorgegebenen Frage startet und, anders als die anderen Methoden dieses Kapitels, auf das gemeinsame Sammeln von Ideen oder Vorschlägen verzichtet. Der Grund dafür ist, dass die Methode möglichst ohne Teilnehmerinteraktion angewandt werden soll. Die Teilnehmer beginnen daher in Einzelarbeit mit der Ideensuche. Dazu er‐ halten sie Karten, die sich an das Visualisierungsmedium (z. B. eine Pinn- oder Magnetwand) heften lassen. Darauf notieren sie jede ihrer Ideen, wobei sie pro Idee eine Karte verwenden, und übergeben die Karten anonym an den Leiter. Er clustert die Ideen und sortiert dabei doppelte Beiträge aus, indem er sich äh‐ nelnde Ideen in Gruppen anordnet (siehe auch die Methode → Cluster, S. 160). Währenddessen dürfen die Teilnehmer nicht miteinander diskutieren. Falls sich der Leiter unsicher ist, wie er bestimmte Ideen einordnen soll, kann er kurz mit den Teilnehmern besprechen, in welches Cluster die jeweilige Idee am ehesten passt. Dieses Gespräch soll sich dann ausschließlich auf die Einordnung be‐ ziehen und nicht in eine inhaltliche Diskussion umschwingen. 206 8 Konzepte erarbeiten <?page no="207"?> Dass keine Diskussionen über den Inhalt einzelner Ideen stattfinden, ist ein Grundprinzip der Delphi-Methode, das während der gesamten Methode zum Einsatz kommt. Da die Methode konzipiert wurde, um gemeinsam mit einer Vielzahl von Experten zu einer Entscheidung zu gelangen, ist damit zu rechnen, dass unter den Experten verschiedene Ansichten herrschen, die miteinander in Konflikt stehen. Eine Diskussion könnte besonders bei großen Gruppen dazu führen, dass politische Prozesse wie Absprachen, Gruppenbildungen und Machtkämpfe die Oberhand gewinnen, während inhaltliche und sachliche Ar‐ gumente untergehen. Damit diese nachteiligen Entwicklungen ausbleiben, finden während der gesamten Methode auf inhaltlicher Ebene keine Diskussion und kein sonstiger unmittelbarer Austausch zwischen den Teilnehmern statt. Wenn die Ideen geclustert sind, beginnt die erste Runde der Delphi-Methode: Die Gruppe ermittelt, welche Cluster sich nach Ansicht der Teilnehmer für die Weiterarbeit eignen. Die restlichen Cluster verwirft sie. Diese Runde dient also dazu, Ideen auszusortieren, die nicht zielführend sind. Die Teilnehmer stimmen dazu anonym mit mehreren Stimmen gleichen Stimmgewichts für die Cluster ab. Die Anzahl der Stimmen pro Teilnehmer entspricht der Anzahl der Cluster, die weiterbearbeitet werden sollen, jedoch kann jeder Teilnehmer höchstens eine Stimme pro Cluster abgeben. Stimmt die Gruppe also über 15 Cluster ab, von denen der Leiter sechs für die Weiterarbeit auswählen möchte, so hat jeder Teilnehmer sechs Stimmen, die er gleichmäßig verteilen muss. Der Leiter zählt die anonym abgegebenen Stimmen aus und wählt die Cluster mit den meisten Stimmen zur Weiterarbeit aus. Anschließend beginnt die zweite Runde, indem erneut eine anonyme Abstim‐ mung stattfindet, welche diesmal jedoch differenziertere Bewertungen erlaubt als die Abstimmung in der ersten Runde. Jeder Teilnehmer wählt aus den ver‐ bliebenen Clustern eine bestimmte Anzahl aus und ordnet die gewählten Cluster nach der Bedeutung, die er ihnen zuschreibt. Es hat sich bewährt, zwischen einem Drittel und der Hälfte der verbliebenen Cluster auszuwählen. Die Ab‐ stimmung erfolgt erneut anonym. Der Leiter wertet die Stimmen aus, indem er die Cluster entsprechend der gewählten Reihenfolgen gewichtet. Das Cluster auf dem letzten Platz erhält die Wertigkeit 1, das nächste Cluster die Wertigkeit 2 usw. Schließlich bildet der Leiter für jedes Cluster die Summe aus den Wer‐ tigkeiten aller Gewichte und ordnet die Cluster entsprechend der Gesamt‐ summen. Dann wählt er die festgelegte Anzahl an Clustern aus. Wenn die ge‐ wünschte Anzahl an Clustern noch nicht erreicht ist, kann für die verbleibenden Cluster eine optionale dritte Runde angesetzt werden, die genau wie die zweite Runde abläuft. Die endgültig ausgewählten Cluster enthalten dann diejenigen Ideen, die die Gruppe für die aussichtsreichsten hält. 207 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="208"?> Anmerkung Die Delphi-Methode setzt im Gegensatz zu den anderen Methoden dieses Ka‐ pitels auf ein qualitatives und nicht auf ein quantitatives Verfahren. Dennoch sind ihre Ergebnisse absolut verbindlich. Hier sollte der Leiter die Verbindlich‐ keit besonders betonen, und nach Abschluss der Analyse darauf achten, dass die Entscheidung nicht mehr geändert wird. Variante »Durchführung per E-Mail oder Brief« Weil Diskussionen bei dieser Methode vermieden werden sollen, lässt sie sich auch per E-Mail oder mit Briefen realisieren. Dazu gibt der Leiter vor jeder Runde eine Deadline vor, bis zu der die Teilnehmer ihre Vorschläge, Stimmen oder Priorisierungen an den Leiter geschickt haben. Da E-Mails und Briefe häufig nicht sofort bearbeitet werden, sollte der Leiter für jede Runde mehrere Tage oder eine ganze Woche einplanen. Allgemeine Vor- und Nachteile + Da die Methode weder quantitative Verfahren einsetzt noch Diskussionen erlaubt, lassen sich Fehleinschätzungen vor allem durch viele teilnehmende Experten vermeiden. - Für das Gelingen ist es deshalb wesentlich, dass auch tatsächlich eine Viel‐ zahl von Experten einbezogen wird (»Die Masse der Experten macht’s! «). Vor- und Nachteile der E-Mail- oder Brief-Variante + Die E-Mail- oder Brief-Variante ist vergleichsweise kostengünstig, da Teil‐ nehmer nicht extra anreisen müssen und weder Logistik noch Verpflegung geplant und bereitgestellt werden müssen. - Der Leiter muss lange Antwortzeiten pro Abstimmungsrunde berücksich‐ tigen, wodurch sich die Entscheidungsfindung über mehrere Wochen er‐ strecken kann. 208 8 Konzepte erarbeiten <?page no="209"?> 8.2.3 Listenpriorisierung (Bewertung der 6-5-3-Methode) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die Listenpriorisierung bietet sich an, wenn aus einer Liste mit mehr als zehn Ideen eine vorher festgelegte Anzahl an Ideen für die Weiterarbeit ausgewählt werden muss. Kurzbeschreibung Die Ideen sind auf Listen mit mindestens zehn Einträgen notiert. Jeder Teil‐ nehmer fügt auf jeder Liste drei Pluszeichen für Ideen hinzu, der er bearbeiten möchte, und drei Minuszeichen für Ideen, die nicht infrage kommen. Anschlie‐ ßend rechnet der Leiter alle notierten Plus- und Minuszeichen zusammen. Für die Weiterarbeit wählt er die festgelegte Anzahl an Ideen mit den meisten Punkten. Ausführliche Beschreibung Der Leiter erstellt für jeden Teilnehmer eine Liste, auf der jeweils gleich viele der gesammelten Ideen stehen. Jede Liste sollte mindestens zehn Ideen ent‐ halten. Ist die Anzahl der Ideen pro Liste geringer, notiert der Leiter alle Ideen auf einer einzigen Liste. Falls die Gruppe die Ideen bereits auf Plakaten oder ähnlichen Medien gesammelt hat, wie etwa bei der → 6-5-3-Methode (S. 153), sind keine zusätzlichen Listen nötig. Dann verwendet die Gruppe einfach die vorher erstellten Plakate. Da die Analyse besonders als Bewertung der 6-5-3-Me‐ 209 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="210"?> thode bekannt ist, orientiert sich die folgende Beschreibung an dieser Methode, deren Plakate jeweils 18 Ideen enthalten. Die Teilnehmer bilden mit ihren Tischen und Stühlen einen Kreis und jeder Teilnehmer erhält eine Liste. Zur Priorisierung fügt jeder insgesamt drei Plus‐ zeichen für Aufgaben hinzu, die er weiterbearbeiten möchte, und drei Minus‐ zeichen für Aufgaben, die für ihn nicht infrage kommen. Bei einer Liste mit ca. 18 Ideen sollte der Leiter dafür etwa drei Minuten einplanen. Anschließend ro‐ tieren die Listen im Uhrzeigersinn. Die neue Liste wird analog zur letzten be‐ schriftet. Falls es nur eine einzige Liste gibt, rotiert allein diese und wird von den Teilnehmern der Reihe nach beschriftet. Die Teilnehmer sollten die Listen auf keinen Fall gemeinsam bearbeiten, damit sie sich nicht gegenseitig beein‐ flussen. Bei Listen mit deutlich mehr oder weniger Ideen gibt der Leiter eine entspre‐ chend angepasste Zeitvorgabe. Außerdem sollte er dann die Anzahl der Plus- und Minuszeichen anpassen. Als grober Richtwert gilt: Der Leiter teilt die An‐ zahl der Ideen pro Blatt durch sechs und rundet das Ergebnis. Bei 18 Ideen sind es entsprechend drei Plus- und drei Minuszeichen. Nachdem jeder Teilnehmer alle Ideen priorisiert hat, rechnet der Leiter die Plus- und Minuszeichen zusammen. Dabei hat »+« den Wert +1 und »-« den Wert -1. Im Anschluss ordnet er die Ideen entsprechend ihres errechneten Werts. Nun kann er die vorher festgelegte Anzahl an Ideen für die Weiterarbeit aus‐ wählen. Hinweis Eine geringe Beeinflussung der Teilnehmer untereinander findet dadurch statt, dass einige Teilnehmer Listen bewerten, die bereits Bewertungen ihrer Vor‐ gänger tragen. Um dies zu vermeiden kann der Leiter Kopien aller Listen vor‐ bereiten und verteilen, und so dafür sorgen, dass jeder Teilnehmer nur seine eigenen Bewertungen sieht. Dieses Verfahren ist aber aufwändiger hinsichtlich der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung und der Leiter muss daher entscheiden, ob sich der zusätzliche Aufwand hier lohnt. Auch eine Sitzordnung, die wenig Einblicke in die Punktevergabe der jeweiligen Sitznachbarn gestattet, kann der Verminderung einer gegenseitigen Beeinflussung dienen. Vor- und Nachteile + Die Analyse ist sehr schnell erklärt und erlernt, und sie lässt sich sehr schnell durchführen. 210 8 Konzepte erarbeiten <?page no="211"?> - Es besteht die Gefahr, dass die Teilnehmer nicht alle Alternativen gegen‐ einander abwiegen. Dafür eignen sich die → Matrixanalyse (S. 211) und die → Nutzwertanalyse (S. 215) besser. 8.2.4 Matrixanalyse (paarweiser Vergleich) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Flipchartblock optional ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 unausgefüllte Vorlagentabelle mit Matrixschema optional Ziel Die Matrixanalyse hilft Gruppen bei der schnellen Priorisierung von weniger als zehn Alternativen und vermeidet lange Diskussionen. Die Alternativen müssen jedoch klar definiert und scharf voneinander abgegrenzt sein. Kurzbeschreibung Jeder Teilnehmer füllt für sich eine Tabelle aus, die für jede Alternative eine Zeile und eine Spalte enthält. Er vergleicht die Priorität der Alternativen mit einer Punktskala und schreibt den Wert in die jeweilige Zelle. Danach werden einzeln und in der Gruppe die Zeilensummen gebildet und eine Rangliste erstellt. Ausführliche Beschreibung Eine zuvor erstellte Tabelle enthält jeweils eine Zeile und jeweils eine Spalte pro zu bewertender Alternative, wie in Tabelle 8-3 gezeigt. Die einzelnen Alterna‐ tiven sind dabei in einer symmetrischen Matrix angeordnet, sodass sich die Ta‐ belle entlang ihrer Hauptdiagonalen spiegeln lässt. 211 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="212"?> Tabelle 8-3: Schematische Tabelle für die Matrixanalyse Zusätzlich enthält die Tabelle die Spalten »Zeilensumme (individuell)«, in der die Teilnehmer später die eigenen Zeilensummen eintragen und »Rangliste (in‐ dividuell)«, in der sie die sich daraus ergebende Rangreihenfolge eingetragen. Die Tabelle kann auch direkt auf Flipchartbögen erstellt und ausgefüllt werden. So lassen sich die Analysen später besser präsentieren. Die Analyse gliedert sich nun in eine Ausfüllphase und eine Analysephase. In der Ausfüllphase erhält jeder Teilnehmer eine Kopie der leeren Tabelle und füllt sie für sich aus. In die Zellen schreiben die Teilnehmer Zahlen, die angeben, wie wichtig ihnen die Alternative der entsprechenden Zeile im Vergleich zur Alter‐ native der Spalte ist. Eine »0« bedeutet, dass ihm beide Alternativen gleich wichtig sind. Erscheint ihm die in der Zeile genannte Alternative wichtiger als die in der Spalte genannte Alternative, wählt er eine Zahl zwischen 1 und 5 - je höher die Zahl, desto mehr wird die Alternative in der Zeile gegenüber derje‐ nigen in der Spalte favorisiert. Erscheint ihm dagegen umgekehrt die Alternative in der Spalte wichtiger als die Alternative in der Zeile, wählt er eine Zahl zwi‐ schen -5 und -1. Die Zellen der Hauptdiagonalen bleiben leer, da sie ein und derselben Alternative zugeordnet sind. 212 8 Konzepte erarbeiten <?page no="213"?> Die Teilnehmer füllen die Tabelle so aus, dass sie Zellen, bei denen die Zeilen- und die Spaltenalternative jeweils gegeneinander vertauscht wurde, den glei‐ chen Betrag zuweisen, jedoch mit anderem Vorzeichen: Beispielsweise steht in der Tabelle 8-3 in der Zelle mit dem Symbol »#« der Wert 2. Damit muss in die mit dem Symbol »*« markierte Zelle der Wert -2 eingetragen werden. Die Tabelle lässt sich deshalb am einfachsten ausfüllen, wenn jeder Teilnehmer zuerst die Zellen rechts der Hauptdiagonale ausfüllt und danach diese Werte für die Zellen links der Hauptdiagonale mit umgekehrtem Vorzeichen überträgt. Da die Anzahl der nötigen Vergleiche quadratisch mit der Anzahl der Alter‐ nativen steigt, sollte die Analyse nicht mehr als zehn Alternativen enthalten. Wie viel Zeit der Leiter für das Ausfüllen der Tabelle einplanen sollte, hängt von der Anzahl der Alternativen ab. Bei zehn Alternativen sollte es jedoch nicht länger als zehn Minuten dauern. Sind alle Zellen ausgefüllt, notieren die Teilnehmer ihre individuellen Zei‐ lensummen und erstellen auf dieser Grundlage eine individuelle Rangliste, die der eigenen Information dient. In der abschließenden Analysephase addiert nun der Leiter alle individuellen Zeilensummen zur Gruppenzeilensumme und erstellt daraus die Gruppenrang‐ liste. Das Ergebnis spiegelt die Priorisierung der Alternativen durch die Gruppe wider. Weiterarbeit Die Analyse eignet sich über die Festlegung der Reihenfolge hinaus auch dazu, Gewichtungsfaktoren für jede Alternative zu ermitteln (dies lohnt sich, wenn die Gewichtungsfaktoren z. B. zur Weiterarbeit mit Analysen wie dem → House of Quality, S. 135, benötigt werden). Dazu führt die Gruppe die Matrixanalyse wie oben beschrieben durch. Danach wird zu jedem Eintrag 5 addiert und die Zei‐ lensummen werden gebildet. Anschließend wird die höchste Zeilensumme aus‐ gewählt und alle anderen Zeilensummen jeweils durch diese höchste Zeilen‐ summe dividiert. Dieses Verfahren liefert Gewichte zwischen 0 und 1. Sollen diese Gewichte auf einer vorgegebenen Skala liegen, werden sie mit dem Ska‐ lenhöchstwert multipliziert. Um also beispielsweise Gewichte auf einer Skala von 1 bis 10 zu erhalten, wird der jeweilige Quotient aus Zeilensumme und maximaler Zeilensumme mit dem Faktor 10 multipliziert. 213 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="214"?> Variante Die Analyse eignet sich auch, um Aspekte oder Bauteile eines Konzepts oder Produkts zu bewerten. In diesem Fall muss die Gruppe vor der Analyse die As‐ pekte oder Bauteile ermitteln, z. B. durch ein → Brainstorming (S. 156). Variante »paarweiser Vergleich« Leicht abgewandelt lässt sich mit der Matrixanalyse ein paarweiser Vergleich ziehen. Dabei verwenden die Teilnehmer eine Skala, die von -1 bis 1 läuft. Eine 1 bedeutet, dass dem Teilnehmer die Zeilenalternative wichtiger als die Spalte‐ nalternative ist, bei einer 0 sind ihm beide gleich wichtig, und eine -1 bedeutet, dass ihm die Zeilenalternative weniger wichtig ist als die Spaltenalternative. Im Gegensatz zur Matrixanalyse sind beim paarweisen Vergleich also nur die Bewertungen »besser« (1), »schlechter« (-1) oder »gleich gut« (0) möglich. Daher empfiehlt sich diese Analyse vor allem, wenn ein differenzierter Vergleich schwierig wäre, etwa weil nötige Informationen fehlen oder sich der Nutzen der einzelnen Kriterien nur schwer quantitativ bestimmen oder vergleichen lässt. Vor- und Nachteile + Die Analyse kann eine Entscheidung zwischen vielen verschiedenen Alter‐ nativen erleichtern, da sie eine komplex wirkende Entscheidung zwischen vielen Alternativen auf viele leicht zu treffende Entscheidungen zwischen jeweils zwei Alternativen reduziert. + Die gefundene Entscheidung beruht auf der Analyse quantitativer Kriterien und wird deshalb in der Gruppe wahrscheinlich eine größere Akzeptanz erfahren als eine Entscheidung, die sich vor allem auf qualitative Verfahren stützt. - Externe Faktoren wie etwa die Kosten oder die Realisierbarkeit der Alter‐ nativen könnten bei der Entscheidungsfindung ignoriert werden. Die → Nutzwertanalyse (S. 215) berücksichtigt diese Faktoren. 214 8 Konzepte erarbeiten <?page no="215"?> 8.2.5 Nutzwertanalyse (Multifaktorenmethode) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation optional ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 Vorlagentabelle pro Teilnehmer, Schablone zum Verdecken der Ge‐ wichtsspalte Ziel Die Nutzwertanalyse ist ein quantitatives Verfahren, das sich dafür eignet, eine Entscheidung zwischen mehreren ähnlichen Alternativen zu treffen, für die viele gleiche Kriterien gelten. Dies ist insbesondere auch dann möglich, wenn sich die Kriterien nicht oder nur sehr schwierig mit alltäglichen quantitativen Größen wie Kosten oder Zeitaufwand erfassen lassen. Das Bewertungsprinzip der Nutzwertanalyse eignet sich außerdem dazu, zu entscheiden, ob die Gruppe bei einem bestehenden Modell verbleiben oder zu einem neuen Modell wechseln sollte (siehe Varianten). Kurzbeschreibung Bei der Nutzwertanalyse gewichten die Teilnehmer diejenigen Kriterien, die alle Alternativen gemeinsam haben, in Einzelarbeit auf einer Skala von 1 bis 5 und bewerten ihre Realisierung auf einer Skala von 1 bis 10. Das Produkt aus Gewicht und Bewertung wird dann als Nutzwert bezeichnet. Für jede Alternative wird nun die Summe aller Nutzwerte gebildet. Der Leiter addiert die Nutzwert‐ summen aller Teilnehmer und dividiert sie durch die Teilnehmerzahl. Der Wert, der sich so für jede Alternative ergibt, wird als Gesamtnutzwert bezeichnet. Er stellt ein Maß für den geschätzten Nutzen der Alternative dar. Daher sollte die Alternative mit dem höchsten Gesamtnutzwert bevorzugt werden. 215 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="216"?> Ausführliche Beschreibung Zur Vorbereitung erstellt der Leiter eine Vorlagentabelle, die dem nachfolgenden Schema folgt. Davon erhält jeder Teilnehmer ein Exemplar: Gewichte Alternative 1 Alternative 2 usw. … Kriterien Bewer‐ tung Nutz‐ wert Bewer‐ tung Nutz‐ wert … … Kriterium 1 Kriterium 2 usw. … Nutzwertsumme Tabelle 8-4: Vorlagentabelle für die Nutzwertanalyse Optional können die Kriterien innerhalb der Tabelle nach Oberkriterien sortiert werden, damit die Tabelle übersichtlicher wird (siehe dazu unteres Beispiel). Als Spaltenüberschriften in der ersten Zeile wählt der Leiter alle zur Auswahl stehenden Alternativen. Als Zeilenüberschriften dienen die Kriterien, hinsicht‐ lich derer die Gruppe die Alternativen bewertet. Der Leiter kann die Kriterien schon vor der Analyse eintragen, oder er lässt die entsprechenden Zellen leer und erarbeitet die Kriterien gemeinsam mit den Teilnehmern in einer optionalen Extraktionsphase vor Beginn der eigentlichen Analyse. Das Ermitteln der Kri‐ terien in der gemeinsamen Diskussion empfiehlt sich, weil es verhindert, dass der Leiter wichtige Kriterien übersieht. In dieser Diskussion kann entweder der Leiter oder einer der Teilnehmer die Rolle des Moderators einnehmen. Da die Extraktion der Kriterien mit einer → Konsensfindung (S. 43) endet, sollte der Leiter für die Diskussion zusätzliche zehn Minuten einplanen. Die Nutzwertanalyse lohnt sich nur, wenn die Schnittmenge zwischen den Kriterien aller Alternativen sehr groß ist. Nur bei etwa gleich vielen ähnlichen Kriterien liefert sie reproduzierbare Ergebnisse. In jedem Fall sollten die Alter‐ nativen mindestens vier Fünftel ihrer Kriterien teilen. Sind die Kriterien in die Tabelle eingetragen, füllt jeder Teilnehmer seine Vorlagentabelle in einer Einzelarbeitsphase aus. Dazu gewichten die Teilnehmer jedes Kriterium mit einem Wert zwischen 1 und 5, wobei der Wert 1 bedeutet, dass das Kriterium eine geringe Rolle für die endgültige Entscheidung spielt, 216 8 Konzepte erarbeiten <?page no="217"?> während 5 dafür steht, dass das Kriterium eine große Rolle spielt. Die Einzelar‐ beit garantiert, dass jeder seine eigenen Anforderungen berücksichtigen kann. Wenn sie mit der Gewichtung fertig sind, bewerten die Teilnehmer auf einer Skala von 0 bis 10, wie gut jedes Kriterium realisiert wurde. Hohe Zahlen repräsentieren eine gute Realisierung oder einen positiven Aspekt. Würden die Teilnehmer beispiels‐ weise das Kriterium »Kosten« bewerten, stünden hohe Bewertungen für niedrige Kosten. Falls ein Kriterium nur auf eine Alternative zutrifft, tragen die Teilnehmer in der entsprechenden Zelle der Alternative ohne dieses Kriterium eine »0« ein. Nachdem alle Kriterien gewichtet und bewertet wurden, bilden die Teil‐ nehmer die jeweiligen Nutzwerte, also die Produkte aus Bewertung und Ge‐ wicht. Dies sind die Nutzwerte der Kriterien. Die Teilnehmer summieren sie und tragen sie in die Zeile »Nutzwertsumme« ein. Die Höhe der Nutzwertsumme spiegelt den geschätzten Nutzen der Alternative wider. Damit die Teilnehmer nicht bereits bei der Bewertung die Nutzwertsumme abschätzen können, kann der Leiter eine Schablone austeilen, die die Gewichts‐ spalte beim Bewerten der Kriterien verdeckt. Auf diese Weise nehmen vorge‐ fertigte Meinungen weniger Einfluss auf die Nutzwertsumme. Im folgenden Beispiel soll neues Betriebssystem in einer Firma eingeführt werden, und die Gruppe soll zwischen zwei Systemen entscheiden. Die Nutz‐ wertanalyse eines Teilnehmers könnte wie in Tabelle 8-5 gezeigt aussehen: System A System B Kriterien Gewichte Bewer‐ tung Nutzwert Bewer‐ tung Nutzwert Kompatibilität der Software mit … … Textverarbeitung 4 3 12 7 28 … Datenanalyse 3 8 24 9 27 … Simulationen 3 6 18 9 27 Geschwindigkeit 3 9 27 3 9 Bedienbarkeit 2 5 10 6 12 Kosten 2 10 20 3 6 Verwendungsdauer 3 8 24 8 24 Nutzwertsumme 135 133 Tabelle 8-5: Beispiel für die Nutzwertanalyse 217 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="218"?> In dem Beispiel wurde zur besseren Übersichtlichkeit das Oberkriterium »Kom‐ patibilität der Software mit …« eingeführt. In diesen Fall wird nicht das Ober‐ kriterium selbst, sondern nur dessen Unterkriterien bewertet. Das Ergebnis dieser Nutzwertanalyse wäre, dass der Teilnehmer System A gegenüber System B bevorzugen sollte. Nachdem alle Teilnehmer zu jeder Alternative Nutzwertsummen gebildet haben, addiert der Leiter in einer abschließenden Gruppenbewertungsphase für jede Alternative die Nutzwertsummen aller Teilnehmer und dividiert sie durch die Teilnehmerzahl. Die Gruppe kann sich dann für diejenige Alternative ent‐ scheiden, die den höchsten Gesamtnutzwert erreicht hat. Tipps ▸ Die Bewertungsskala lässt sich auch mithilfe einer → Likert-Skala (S. 204) darstellen. ▸ Die Skala für die Gewichtung und Bewertung der Kriterien kann geändert werden, sollte jedoch maximal von 0 bis 10 reichen. Wenn die Skala zu viele Abstufungen enthält, sind Entscheidungen zugunsten einer Stufe nur noch schwer möglich. ▸ Die Gewichte können auch in Prozent angegeben werden. Dann muss die Summe aller Gewichte am Ende 100 % ergeben. Auf diese Weise lassen sich die Kriterien so gewichten, dass die Gewichte die Bedeutung der einzelnen Kriterien für die Gesamtalternative widerspiegeln. Dies kann vor allem hilfreich sein, wenn sich die Bedeutung der einzelnen Kriterien gut bewerten lässt. Variante »Multifaktorenmethode« Die Gruppe kann die Analyse auch nutzen, um zu ermitteln, ob der Wechsel von einem bestehenden Modell auf ein neues Modell sinnvoll ist. Diese Variante der Analyse ist auch als »Multifaktorenmethode« bekannt. Anstatt die Kriterien verschiedener Alternativen zu gewichten und zu bewerten, bestimmen die Teil‐ nehmer dann die Gewichte und Bewertungen des bestehenden und des neuen Modells. Da sie zusätzlich den Aufwand einplanen müssen, den der Wechsel vom bestehenden zum neuen Modell mit sich bringt, sollten sie erst wechseln, wenn der Gesamtnutzwert des neuen Modells um etwa 20 % größer ist als der des bestehenden Modells. 218 8 Konzepte erarbeiten <?page no="219"?> Anmerkung Ein Kriterium kann nicht negativ bewertet werden. Allerdings kommt es vor, dass z. B. das neue Modell neuartige Kriterien aufweist, die eine Verschlechterung gegenüber Kriterien des bestehenden Modells darstellen. Falls diese neuartigen Kriterien bestehende Kriterien ersetzen, liegt eine negative Bewertung zunächst nahe. Dass negative Bewertungen trotzdem nicht nötig sind, soll das folgende Beispiel verdeutlichen: Die Firma Microsoft hatte 2012 in ihrem Betriebssystem »Windows 8« den Startbutton entfernt und stattdessen eine neuartige Kacheloberfläche einge‐ führt. Im Vorgänger »Windows 7« von 2009 war der Startbutton noch vor‐ handen. Bei einer Nutzwertanalyse der beiden Betriebssysteme kann die Ka‐ cheloberfläche nur in der Spalte »Windows 8« einen positiven Wert erhalten, genauso wie der Startbutton nur in der Spalte »Windows 7« einen positiven Wert erhalten kann. In den jeweils anderen Spalten müssen die Teilnehmer die Kriterien mit 0 bewerten. Empfinden die Teilnehmer die Kacheloberfläche nun beispielsweise als eine Verschlechterung gegenüber dem Startbutton, dann be‐ werten sie den Startbutton entsprechend höher als die Kacheloberfläche. Somit gewichten sie die Alternative »Windows 8« relativ zur Alternative »Windows 7« gesehen negativ, obwohl sie keine negativen Werte verteilen. Vor- und Nachteile + Die Analyse liefert eine differenziertere Bewertung als die → Matrixanalyse (S. 211). - Die Auswahl der Kriterien erfolgt nicht nach einem quantitativen Schema, weshalb die Teilnehmer bereits Erfahrung mit Gruppenarbeit haben sollten. - Verglichen mit den anderen Analysen dieses Kapitels ist die Methode sehr zeitaufwendig. 219 8.2 Ideenbewertung und Ideenanalyse <?page no="220"?> 8.3 Konzepte nach vorheriger Ideensuche 8.3.1 Morphologischer Kasten (Attribute-Listing) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Der morphologische Kasten ist eine Methode für die Entwicklung von Pro‐ dukten, die durch Kombination zahlreicher verschiedener Merkmale entstehen. Er verschafft den Teilnehmern darüber hinaus einen Überblick über die unter‐ schiedlichen Kombinationsmöglichkeiten. Auf diese Weise findet die Gruppe schnell Kombinationen, die sich für die Lösungen anbieten. Zusätzlich kann die Variante »Attribute-Listing« dazu dienen, bereits beste‐ hende Konzepte zu verbessern, die sich in verschiedene Merkmale untergliedern lassen. 220 8 Konzepte erarbeiten <?page no="221"?> Kurzbeschreibung Die Gruppe sammelt viele verschiedene Merkmale des angestrebten Konzepts und hält sie mit ihren möglichen Ausprägungen in einer Tabelle fest. Dann bilden die Teilnehmer Kombinationen aus je einer Ausprägung jedes Merkmals. Schließlich prüfen sie, ob sich bestimmte Kombinationen für die Lösung an‐ bieten. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn sammelt die Gruppe alle Merkmale (bzw. Attribute oder Parameter) in einer vom Moderator geleiteten Diskussion. Alternativ kann sie dazu auch ein → Brainstorming (S. 156) mit anschließender → Konzept-Extraktion (S. 202) durchführen. Wenn alle Merkmale gefunden sind, erstellt der Moderator eine Tabelle, deren erste Spalte er mit den identifizierten Merkmalen ausfüllt. Er legt diese Tabelle für alle Teilnehmer sichtbar auf dem Visualisierungsmedium an. Besonders ein‐ fach lässt sich eine komplexe Tabelle wie beim morphologischen Kasten mithilfe von Textverarbeitungssoftware auf einem Computer erstellen und anschließend mit einem Beamer projizieren. Dabei muss er darauf achten, dass sich die ein‐ zelnen Merkmale scharf voneinander abgrenzen und dass sie sich in die Praxis umsetzen lassen. Nun erarbeitet die Gruppe die Ausprägungen jedes Merkmals, welche der Moderator neben den Merkmalen in die Tabelle einträgt. So entsteht eine Tabelle, die alle Merkmale des Konzepts sowie alle ihre möglichen Aus‐ prägungen enthält. Entwickelt die Gruppe z. B. eine neue Getränkeflasche, könnte die Tabelle folgendermaßen aussehen: Merkmal Ausprägungen Größe 0,2 l 0,5 l 1 l 1,5 l Material Glas PET Hartkunststoff Farbe durchsichtig grün braun blau Form länglich kugelrund Steinieform Verschluss Schraubverschluss Kronkorken Korken Saugverschluss Tabelle 8-6: Beispiel für den morphologischen Kasten 221 8.3 Konzepte nach vorheriger Ideensuche <?page no="222"?> Sobald die Tabelle fertig ausgefüllt ist, visualisiert sie der Moderator mit dem Visualisierungsmedium. Jeder Teilnehmer kombiniert nun in Einzelarbeit ge‐ eignet erscheinende Merkmalsausprägungen. Von den entstandenen Kombina‐ tionen stellen einige sicher gute Lösungen dar. Abschließend kann die Gruppe die verschiedenen Kombinationen noch vergleichen und bewerten, z. B. mit einer → Matrixanalyse (S. 211) oder in einer vom Gruppenleiter moderierten Diskussion mit → Konsensfindung (S. 43). Tipp Besonders provokative Kombinationen lassen sich erzeugen, indem jeder Teil‐ nehmer die Ausprägungen nach dem Zufallsprinzip kombiniert. Dann könnten vollkommen neuartige und nützliche Kombinationen entstehen, die sonst sehr wahrscheinlich niemand in Betracht gezogen hätte. Auch hier gilt wieder Quan‐ tität vor Qualität. Der Preis für eine außerordentlich gute Idee sind dutzende von unrealisierbaren Einfällen. Variante Einzelarbeit Auch in Einzelarbeit liefert die Methode nützliche Ergebnisse. Wer die Methode allein nutzen möchte, erstellt die Tabelle, sammelt die zum Konzept passenden Merkmale mit ihren Ausprägungen und bildet dann mehrere Kombinationen. Anschließend führt er eine Matrixanalyse durch, um die entstandenen Lösungen zu bewerten. Es schadet bei der Einzelarbeit nicht, zwischen den einzelnen Schritten Zeit - ggf. auch einen oder mehrere Tage - verstreichen zu lassen. Variante »Attribute-Listing« Falls die Methode nicht zum Entwickeln eines komplett neuen Konzepts dienen soll, sondern dazu, ein bereits bestehendes Konzept zu verbessern, indem die Gruppe dessen Merkmalsausprägungen analysiert und anpasst, heißt sie Attribute-Listing. Dazu untergliedert die Gruppe das Konzept im ersten Schritt in möglichst alle seine Merkmale. Im zweiten Schritt hält sie fest, welche Merkmalsausprägungen im aktuellen Konzept kombiniert sind. Schließlich sucht sie im dritten Schritt Alternativen zu den derzeitigen Ausprägungen. Vor- und Nachteile + Die Methode ist schnell erlernt, nicht zeitaufwendig und einfach in ihrer Durchführung. 222 8 Konzepte erarbeiten <?page no="223"?> - Zwar lassen sich mit der Methode sehr schnell neuartige Kombinationen von Attributen ableiten, neue Attribute hingegen lassen sich damit nicht entwickeln. Beim Innovationspotenzial gibt es also noch Luft nach oben. 8.3.1 TILMAG-Methode < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die TILMAG-Methode hilft beim Entwickeln eines Konzepts, dessen ideale At‐ tribute bereits bekannt sind. Kurzbeschreibung Die Gruppe füllt eine Tabelle aus, deren Spalten- und Zeilenüberschriften die idealen Attribute des angestrebten Konzepts bilden. Diese Attribute werden 223 8.3 Konzepte nach vorheriger Ideensuche <?page no="224"?> miteinander kombiniert und die daraus entstandene Assoziation in der entspre‐ chenden Tabellenzelle notiert. In einer zweiten Tabelle dienen dann die Asso‐ ziationen als Spalten- und Zeilenüberschriften, und die Gruppe notiert die Ge‐ meinsamkeiten zwischen Spalten- und Zeilenüberschrift in der jeweiligen Zelle. Aus diesen Gemeinsamkeiten erarbeitet sie schließlich die angestrebten Kon‐ zepte. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn sammelt die Gruppe möglichst viele Anforderungen, die das ange‐ strebte Konzept erfüllen soll. Dazu können die Teilnehmer beispielsweise ein → Brainstorming (S. 156) durchführen und aus den gewonnenen Vorschlägen drei bis sechs Anforderungen auswählen, z. B. mithilfe der → Listenpriorisierung (S. 209). Angenommen, die Gruppe soll einen neuen transportablen Beamer entwi‐ ckeln: Dann könnten sie etwa durch ein Brainstorming und eine Listenpriori‐ sierung folgende Anforderungen zusammengestellt haben: »Der Beamer soll leicht und wasserdicht sein, und er sollte ein attraktives Design aufweisen.« Die idealen Attribute des Konzepts sind also »leicht«, »wasserdicht« und »attraktiv«. Sie werden, jeweils in derselben Reihenfolge, sowohl als Spaltenals auch als Zeilenüberschriften in eine Tabelle eingetragen. Von diesem Mat‐ rixschema leitet sich auch der Name der Methode ab: Transformation Idealer Lösungselemente durch Matrizen der Assoziations- und Gemeinsamkeitenbil‐ dung. Der Moderator visualisiert die fertige Tabelle für alle gut sichtbar, und die erste Phase der Methode, die Assoziationsbildung, beginnt. In dieser Phase sagen die Teilnehmer, welche Assoziationen die Kombination der Begriffspaare aus der Spalten- und Zeilenüberschrift bei ihnen hervorruft. Der Moderator notiert die Assoziationen in den Tabellenzellen, die zu den beiden entsprechenden Be‐ griffen gehören. Da sich die so entstehende Tabelle an der Hauptdiagonalen spiegeln lässt, füllt er nur die Hälfte rechts oberhalb der Hauptdiagonalen aus, um Doppelnennungen zu vermeiden. Auch die Zellen der Hauptdiagonalen bleiben leer, denn sie gehören zu ein und demselben Begriff. Für das Beamer-Beispiel wäre die folgende Tabelle denkbar: 224 8 Konzepte erarbeiten <?page no="225"?> leicht wasserdicht attraktiv leicht Schlauchboot, Pau‐ senbrotdose Sommerkleid wasserdicht - Perlenkette attraktiv - - Tabelle 8-7: Beispiel für die erste Phase der TILMAG-Methode (Geschka et al. 1980) Nachdem die Tabelle fertig ausgefüllt ist, folgt die zweite Phase: Gemeinsamkei‐ tenbildung. Nun verwendet die Gruppe die gesammelten Assoziationen als Überschriften einer neuen Tabelle. Falls die Gruppe mehr als sechs Assozia‐ tionen gesammelt haben sollte, ist es sinnvoll, wenn sie mithilfe einer erneuten Listenpriorisierung maximal sechs Assoziationen auswählt. In die neue Tabelle tragen die Teilnehmer Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Assozia‐ tionen ein. Die zweite Tabelle könnte für das Beispiel etwa so aussehen: Schlauch‐ boot Pausenbrot‐ dose Sommer‐ kleid Perlenkette Schlauchboot auffällige Farbe (1) dünne Hülle (2) abgerundete Formen (3) zu besonderen Anlässen ge‐ nutzt (4) Pausenbrot‐ dose - auf einem Aus‐ flug genutzt (5) glänzende Oberfläche (6) Sommerkleid - - können sehr chic aussehen (7) beide liegen auf der Haut (8) Perlenkette - - - Tabelle 8-8: Beispiel für die zweite Phase der TILMAG-Methode (Geschka et al. 1980) Aus den Gemeinsamkeiten leitet die Gruppe schließlich in einer moderierten Diskussion mithilfe einer → Konsensfindung (S. 43) konkrete Konzeptvor‐ schläge ab. Dies sind z. B. Vorschläge für das neue Beamerkonzept: 225 8.3 Konzepte nach vorheriger Ideensuche <?page no="226"?> ▸ aus (1): Gehäuse des Beamers in einer auffälligen Farbe ▸ aus (2): Gehäuse des Beamers aus dünnem (ggf. durchsichtigem) aber sta‐ bilem Material ▸ aus (3): Beamer in sehr runder, fast Kugelform (neues Design) ▸ aus (4) und (5): Beameraufbau optimiert für die Nutzung anlässlich be‐ sonderer Anlässe (feierlich, …) oder Umgebungen (kalt, feucht, …) ▸ aus (6): Außenfläche mit Metallic-Effekt ▸ aus (7): Außenfläche mit Ornamenten oder besonderen Designelementen ▸ aus (8): Oberfläche des Beamers wird an keiner Stelle wärmer als 40° C Weiterarbeit Um aus der Menge an Konzeptvorschlägen einen bestimmten Vorschlag auszu‐ wählen, kann die Gruppe z. B. eine → Matrixanalyse (S. 211) durchführen. Vor- und Nachteile + Die Konzeptvorschläge sind wahrscheinlich sehr innovativ. + Die gewünschten Attribute dienen als Orientierung bei der strukturierten Suche nach Vorschlägen. - Trotz ihrer Vorteile ist die Methode vergleichsweise schwierig. Deshalb sollte sich der Moderator sehr gut darauf vorbereiten. 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche 8.4.1 Kollegiale Fallberatung < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 226 8 Konzepte erarbeiten <?page no="227"?> Kurzinfo ▸ Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die kollegiale Fallberatung findet Anwendung, wenn Mitarbeiter oder Grup‐ penmitglieder mit konkreten beruflichen oder sozialen Problemen nicht mehr weiterwissen. Solche Probleme könnten Ideenmangel bei der Weiterentwick‐ lung eines Projekts oder auch zwischenmenschliche Spannungen sein. Indem sich der Ratsuchende Personen mit dem gleichen Wissensstand an‐ vertraut, kann er sein Problem aus vielen neuen Blickwinkeln betrachten. Da‐ durch erhält er eine Vielzahl an Impulsen für neue Lösungsideen. Kurzbeschreibung Der Mitarbeiter oder das Gruppenmitglied wird zum Ratsuchenden, wenn er sich mit seinem Problem an Unbeteiligte (z. B. Kollegen) mit einem vergleich‐ baren Wissensstand wendet. Dabei helfen die folgenden Schritte dem Ratsu‐ chenden und den Beratern, sich ganz auf das Problem zu konzentrieren: ▸ Der Ratsuchende schildert den beratenden Kollegen ausführlich sein Pro‐ blem. ▸ Wenn nötig, stellen die Berater dem Ratsuchenden klärende Fragen, um Unklarheiten zu beseitigen. ▸ Danach versetzen sich die Berater in die Rolle des Ratsuchenden und dis‐ kutieren untereinander über mögliche Lösungen, während der Ratsu‐ chende die Beobachterrolle einnimmt. Schließlich stellen sie ihre Vor‐ schläge vor. 227 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche <?page no="228"?> ▸ Zum Schluss bewertet und gewichtet der Ratsuchende die Vorschläge. ▸ Während des gesamten Prozesses moderiert einer der Berater die Dis‐ kussionen. Ausführliche Beschreibung Bei der kollegialen Fallberatung können Kollegen, Freunde, Partner oder jede andere Gruppe, die das nötige Wissen und ausreichend Erfahrung zur Lösung des Problems mitbringt, zu Beratern des Ratsuchenden werden. Zur Vorberei‐ tung bildet die Gruppe einen gemeinsamen Gruppentisch, an dem die spätere Diskussion stattfindet. In der ersten Phase (Darstellung) schildert der Ratsuchende den Beratern sein Problem so ausführlich wie möglich. Außerdem erzählt er von seinen bisherigen Lösungsversuchen. Während des Vortrags dürfen die Berater noch keine Fragen stellen und nichts kommentieren. Da der Ratsuchende angehalten wird, sich bei der Darstellung auf das wesentliche Problem zu konzentrieren und da dieses Problem im Anschluss noch genauer erörtert wird, sollte diese erste Phase nicht länger als fünf Minuten dauern. Nachdem der Ratsuchende sein Problem dar‐ gelegt hat, bestimmen die Berater einen Moderator aus ihren Reihen. In der zweiten Phase (Präzision) grenzen die Berater das Problem ein, indem sie durch Fragen ihrerseits Unklarheiten beseitigen. Der Ratsuchende beant‐ wortet die Fragen kurz und präzise. Er bewertet weder den Sinn der Fragen, noch lenkt der die Diskussion durch ausschweifende Antworten in eine Richtung. Der Moderator achtet währenddessen darauf, dass der Ratsuchende wirklich kurze und präzise Antworten gibt und dass die Berater in dieser Phase noch nicht über Lösungsvorschläge diskutieren. Die Präzisionsphase dauert etwa 15 Minuten und endet, wenn alle Unklarheiten beseitigt sind. Während der folgenden dritten Phase (Vertiefung) diskutieren die Berater un‐ tereinander, erarbeiten aber noch keine Lösungsvorschläge. Sie versetzen sich zunächst einmal in die Lage des Ratsuchenden, schildern ihre ersten Einfälle und Gefühle, identifizieren Zusammenhänge und äußern Vermutungen über die Ursachen des Problems. In dieser Phase befindet sich der Ratsuchende in der Beobachterrolle und notiert Details, die er relevant findet. Der Moderator ge‐ währleistet, dass der Ratsuchende und die Berater noch keine Lösungsvor‐ schläge erarbeiten. Es kommt nicht darauf an, dass die Berater die Sichtweise des Ratsuchenden wirklichkeitsgetreu erfassen. Wichtiger ist, dass sie ihre ei‐ genen Erfahrungen oder Vermutungen auf das Problem projizieren und dem Ratsuchenden damit neue Sichtweisen ermöglichen. Zum Abschluss der dritten Phase formuliert jeder Berater einen Satz der Form: »Ich als Berater denke, das Problem kommt von …/ hat die Ursache(n) …« Der 228 8 Konzepte erarbeiten <?page no="229"?> Ratsuchende kann anschließend kurz seine Meinung zu den erarbeiteten Ver‐ mutungen äußern und sie mithilfe seiner Notizen bewerten und gewichten. Die Vertiefungsphase sollte nicht länger als 20 Minuten dauern, damit die Diskus‐ sion nicht ins Stocken gerät und die Berater nicht bereits mit dem Erarbeiten von Lösungsideen beginnen. Für die eigentliche Lösungsfindung ist die vierte Phase bestimmt: Nun entwi‐ ckeln die Berater aus ihren Vermutungen konkrete Lösungsvorschläge. Ein → Brainstorming (S. 156) mit anschließender → Konzept-Extraktion (S. 202) kann dabei ihre Diskussion begleiten. Dabei versuchen sie nicht, einen Gruppenkon‐ sens zu erreich, sondern möglichst viele Lösungsideen zu erzeugen. Auch diese Phase dauert etwa 20 Minuten. Damit ist sie lang genug, um den Beratern aus‐ reichend Zeit zum Finden der Lösungsideen zu geben, aber kurz genug, um zu verhindern, dass sie sich auf einen Ansatz versteifen. Solange in dieser Zeit genug Vorschläge entstehen, ist es zweitrangig, ob das begleitende Brainstorming zum Abschluss gekommen ist. Allerdings liegt es im Ermessen des Moderators einzuschätzen, ob die Diskussion schon festgefahren ist oder noch weitere fruchtbare Ergebnisse liefern könnte. Nachdem er die Phase für beendet erklärt hat, formuliert jeder Berater einen Lösungsvorschlag der Form: »Wenn ich mich in der Rolle des Ratsuchenden befinden würde, würde ich …« In der letzten Phase bewertet der Ratsuchende die Lösungsideen. Falls die Gruppe genug Zeit hat, kann sie dafür auch eine der Methoden aus Kapitel 8.2 anwenden. Er erklärt und begründet, welche Idee er für die beste Lösung seines Problems hält. Weiterarbeit Im Anschluss an die Bewertung kann die Gruppe optional noch ein kurzes Feedback in Form eines → Blitzlichts (S. 104) einholen. Zusammenfassung Phase/ Dauer Aufgaben des Rat‐ suchenden Aufgaben der Be‐ rater Aufgaben des Mo‐ derators 1. Darstellung (ca. 15 min) Problem und Lö‐ sungsversuche er‐ läutern zuhören Moderator wird im Anschluss an diese Phase bestimmt 2. Präzisierung (ca. 15 - 20 min) zuhören und Fragen kurz und Problem erörtern, Unklarheiten besei‐ Ratsuchenden daran erinnern, nur 229 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche <?page no="230"?> Phase/ Dauer Aufgaben des Rat‐ suchenden Aufgaben der Be‐ rater Aufgaben des Mo‐ derators präzise beant‐ worten tigen, Fragen sam‐ meln und stellen kurz und präzise auf Fragen zu ant‐ worten 3. Vertiefung (ca. 20 min) zuhören und beob‐ achten am Ende der Phase kurzes Feedback zu Vermutungen der Berater erste Diskussion, sich in die Lage des Ratsuchenden hin‐ einversetzen, Ver‐ mutungen über Ur‐ sache des Problems äußern darauf achten, dass Berater noch keine Lösungen erar‐ beiten 4. Lösungsfindung (ca. 20 min) zuhören, erarbei‐ tete Lösungen für sich evaluieren auf den Vermu‐ tungen aufbauend möglichst viele Lö‐ sungsideen entwi‐ ckeln; evtl. beglei‐ tendes Brainstorming in die Diskussion eingreifen, wenn Berater nur noch in eine Richtung denken; Streit zwi‐ schen Ratsu‐ chendem und Bera‐ tern verhindern 5. Bewertung (ca. 10 min) Vorschläge be‐ werten zuhören - 6. Feedback (op‐ tional, ca. 20 min) Alle beteiligten Personen evaluieren die Fallberatung in einem → Blitzlicht (S. 104), wobei am besten eine bis dahin außenste‐ hende Person moderiert. Tabelle 8-9: Die Phasen der kollegialen Fallberatung Vor- und Nachteile + Die Methode liefert sehr detailliert ausgearbeitete Lösungsvorschläge. - Die Methode gelingt nur, wenn die Berater über die nötige Erfahrung oder das nötige Expertenwissen verfügen. - Die Methode ist sehr zeitaufwendig. Allerdings nimmt das Lösen komplexer Probleme immer viel Zeit in Anspruch. Daher liegt der Zeitaufwand weniger an der Methode als an der Komplexität der Probleme, die sie zu lösen hilft. 230 8 Konzepte erarbeiten <?page no="231"?> 8.4.2 Sukzessive Integration von Lösungen (SIL-Methode) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die SIL-Methode eignet sich für Probleme, bei deren Lösung nur sehr wenige konkurrierende Lösungsvorschläge zu erwarten sind. Daneben beugt sie der Gefahr vor, dass die Gruppe entscheidende Details übersieht, wenn die Lösung aus vielen verschiedenen Bestandteilen besteht. Kurzbeschreibung Zu einem vorgegebenen Problem erarbeiten die Teilnehmer in Einzelarbeit Lö‐ sungsvorschläge. Davon werden zunächst nur zwei Vorschläge präsentiert. Aus diesen beiden Ansätzen versucht die Gruppe ein Lösungskonzept zu entwickeln, das die Stärken beider Ansätze miteinander vereint. Nun integriert die Gruppe 231 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche <?page no="232"?> auf die gleiche Weise die restlichen Ansätze, bis alle Lösungsvorschläge berück‐ sichtigt worden sind. Ausführliche Beschreibung Die SIL-Methode verknüpft nach und nach die verschiedenen Lösungsvor‐ schläge der einzelnen Teilnehmer. Dazu erläutert der Moderator zu Beginn das Problem und formuliert es, falls nötig, gemeinsam mit der Gruppe in eine kon‐ krete Problemstellung um. Anschließend fordert er die Teilnehmer auf, in Ein‐ zelarbeit Lösungen zu entwickeln. Falls sie schon im Umgang mit Kreativme‐ thoden geübt sind, können sie dazu auf die Methoden aus Kapitel 7 zurückgreifen, wobei dies nicht zwingend erforderlich ist. Entscheidend ist, dass sie ihre Lösungsvorschläge jeweils alleine erarbeiten und nicht bereits in dieser Phase von fremden Ideen beeinflusst werden. Haben alle ihre Lösungen schriftlich ausformuliert, präsentieren die ersten beiden Teilnehmer nacheinander ihre Lösungsvorschläge. Aus diesen beiden Ansätzen versucht die Gruppe in einer moderierten Diskussion, gemeinsam ein Konzept zu entwickeln, das die Stärken beider Ansätze vereint. Nun präsentiert der nächste Teilnehmer seinen Vorschlag, und erneut versucht die Gruppe, die Stärken dieses Vorschlags in das Konzept zu integrieren. Dies geht so lange weiter, alle ihre Lösungsvorschläge vorgestellt haben. Tipp Um den Ablauf zu beschleunigen, kann der Moderator zu Beginn die Reihenfolge bestimmen, in der die Teilnehmer ihre Lösungskonzepte präsentieren. Dabei helfen die Methoden aus Kapitel 6.4. Zur besseren Übersicht kann der Moderator die Lösungsvorschläge während der Präsentationen an einem Visualisierungsmedium skizzieren. Vor- und Nachteile + Die Methode lässt sich vergleichsweise schnell durchführen. - Auf den ersten Blick klingt das sukzessive Integrieren von Lösungen nach einer einfachen Aufgabe. Vor allem Teilnehmern ohne Erfahrung mit Kre‐ ativmethoden kann es aber schwerfallen. 232 8 Konzepte erarbeiten <?page no="233"?> 8.4.3 Synektik < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Zeitnahme, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die Gruppe erarbeitet sehr innovative Lösungen für ein Problem mit eng um‐ schriebener Aufgabenstellung. Kurzbeschreibung Bei der Synektik-Methode löst die Gruppe in zehn Schritten ein Problem, indem sie Analogien zu einem anderen Bereich (beispielsweise Natur oder Technik) bildet und auf das zu lösende Problem überträgt. Sie verfremdet also das Ver‐ traute, um auf diese Weise Denkprozesse anzustoßen und kreative Lösungsan‐ sätze zu fördern. 233 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche <?page no="234"?> Ausführliche Beschreibung Die Synektik-Methode läuft in zehn Schritten ab, die das folgende Beispiel (nach Hentze et al. 1999) illustriert: 1. Schritt: Definition des Problems (Dauer: ca. 10 min) Der Moderator erklärt die Vorgehensweise, erläutert die Aufgabenstellung und beantwortet Verständnisfragen, bevor die Gruppe die nötigen Informationen sammelt. Beispiel - Mögliche Aufgabenstellung: »Wie können wir unsere Mitarbeiter dazu bringen, technische Anlagen nur mit Schutzhelm zu betreten? « 2. Schritt: Spontane Lösungsansätze durch Brainstorming (Dauer: ca. 10 min) In einem → Brainstorming (S. 156) sammeln die Teilnehmer spontane Lösungs‐ ideen. Auf diese Weise berücksichtigen sie gleich zu Beginn naheliegende Vor‐ schläge, für die die weiteren Phasen gar nicht mehr nötig sind. In den folgenden Schritten können sie sich dann ganz auf die weniger naheliegenden Lösungen konzentrieren. Beispiel - Mögliche Ergebnisse des Brainstormings: ▸ Warnschilder ▸ Androhung von Geldstrafen ▸ Kameraüberwachung 3. Schritt: Neuformulierung des Problems (Dauer: ca. 5 min) Falls im Laufe das Brainstorming deutlich wurde, dass die Teilnehmer die Auf‐ gabenstellung unterschiedlich interpretieren, formuliert sie die Gruppe neu, damit alle die nachfolgenden Schritte mit dem gleichen Verständnis bearbeiten. 4. Schritt: Erste direkte Analogie Verfremdung des Problems durch Assoziation mit anderen Bereichen (Dauer: ca. 10 min) Der Moderator gibt einen Bereich vor, der scheinbar nichts mit dem Problem zu tun hat (z. B. Natur). Aus diesem Bereich sollen die Teilnehmer in Einzelarbeit 234 8 Konzepte erarbeiten <?page no="235"?> direkte Analogien zur Aufgabenstellung suchen. Dazu überlegen sie sich, wo in dem Bereich ähnliche Probleme auftreten und wie sie dort gelöst werden. Zum Schluss hält der Moderator alle gesammelten Analogien auf dem Visualisie‐ rungsmedium fest und die Gruppe entscheidet in einer → Konsensfindung (S. 43), welche Analogien sie im nächsten Schritt bearbeiten möchte. Beispiel - Mögliche Frage aus dem Bereich Natur: »Wie wird in der Natur vor Gefahren gewarnt? Was wird in der Natur unter‐ nommen, um Gefahren zu vermeiden? « Mögliche Antworten: ▸ Der Pavian macht eine Drohgebärde, um Feinde abzuschrecken. ▸ Das Murmeltier pfeift, um Artgenossen zu warnen. ▸ Vögel bauen Nester hoch in den Bäumen, um den Nachwuchs vor Feinden zu schützen, die nicht fliegen oder klettern können, und um zu verhin‐ dern, dass ihre Küken ohne Mutter das Nest verlassen. (ausgewählt) 5. Schritt: Persönliche Identifikation Verfremdung des Problems durch persönliche Identifikation (Dauer: ca. 10 min) Die Teilnehmer versuchen, sich in die Situation hinzuversetzen, die die ausge‐ wählte Analogie beschreibt. Die Frage »Wie fühle ich mich als …? « kann dabei helfen. Die Teilnehmer notieren ihre fantasierten Erfahrungen und Eindrücke, um sie anschließend zu sammeln und auf dem Visualisierungsmedium festzu‐ halten. Schließlich wählen sie einen Begriff aus, den sie in den nachfolgenden Schritten weiterbearbeiten. Beispiel - Eindrücke aus der Identifikation mit dem im Nest gefangenen Küken: ▸ »Wie fühle ich mich als Küken in meinem Nest, ohne es verlassen zu können? « ▸ »Warum macht die Mutter das mit mir? « ▸ »Jetzt gibt es kein Entkommen mehr! « (ausgewählt) 6. Schritt: Symbolische Analogien (Dauer: ca. 10 min) In diesem Schritt suchen die Teilnehmer mithilfe von Formen, Bildern oder Klängen, oder auch mithilfe von Paradoxien, nach ungewöhnlichen Vergleichen 235 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche <?page no="236"?> und Verallgemeinerungen. Oft hilft es, die symbolische Analogie als imaginären Buchtitel zu formulieren. Außerdem helfen Fragen wie: »Welches allgemeine Prinzip steckt hinter der Erfahrung? « Oder: »Welches Symbol stellt das Erfah‐ rene dar? « Die Teilnehmer schreiben ihre Ideen auf, tragen sie zusammen und wählen einen der Vergleiche oder Verallgemeinerungen als Grundlage für die zweite direkte Analogie im nächsten Schritt. Beispiel - Mögliche Verallgemeinerungen: ▸ »Ausweglose Flucht« ▸ »Gewaltsame Bestimmung« ▸ »Fürsorgliche Gefangenschaft« (ausgewählt) 7. Schritt: Zweite direkte Analogie (Dauer: ca. 10 min) Der Moderator gibt erneut einen Bereich vor (z. B. Technik), aber nicht denselben Bereich wie im vierten Schritt. Daraus suchen die Teilnehmer direkte Analogien zu dem Thema, das sie im letzten Schritt ausgewählt haben. Dabei gehen sie genau wie im vierten Schritt vor. Beispiel - Mögliche Frage aus dem Bereich Technik: »Wie wird die ›Fürsorgliche Gefangenschaft‹ in der Technik umgesetzt? « Mögliche Antworten: ▸ Hundeleine (ausgewählt) ▸ Sicherheitsgurt (ausgewählt) ▸ Verkehrsampel (ausgewählt) 8. Schritt: Analyse der direkten Analogien (Dauer: ca. 5 min) Die Gruppe fasst zusammen, wie die im letzten Schritt ausgewählten Analogien funktionieren und welche Merkmale sie besitzen. Die folgenden Fragen helfen dabei: »Durch welchen Mechanismus erfüllt der Gegenstand seinen Zweck? « Oder: »Welcher Aspekt des Gegenstands erfüllt das geforderte Kriterium? « Der Moderator diskutiert die Fragen gemeinsam mit allen Teilnehmern und hält die Antworten fest. 236 8 Konzepte erarbeiten <?page no="237"?> Beispiel - Mögliche Frage: »Durch welchen Mechanismus gewährleistet eine Hundeleine/ ein Sicherheits‐ gurt/ eine Verkehrsampel Sicherheit? « Mögliche Antworten: ▸ Hundeleine ← durch die feste Verbindung zwischen Herrchen und Hund ▸ Sicherheitsgurt ← dadurch, dass der Wagen erst startet, wenn der Gurt einrastet ▸ Verkehrsampel ← durch farbige Warnsignale 9. Schritt: Force-Fit-Übertragung auf das Problem (Erzwungene Über‐ tragung auf das ursprüngliche Problem) (Dauer: ca. 15 min) Dies ist der wichtigste Schritt der Methode. Die Gruppe überträgt die Ergebnisse aus dem sechsten und achten Schritt auf das Ausgangsproblem, indem sie die Frage beantwortet, was diese Ergebnisse mit Blick auf das Problem bedeuten. Weil die Teilnehmer die Ergebnisse völlig spontan übertragen müssen, spricht man bei diesem Schritt von »erzwungener« Übertragung (Force Fit). Da dies der komplexeste Schritt ist, sollte ihn die Gruppe gemeinsam angehen und nicht in Einzelarbeit. Beispiel: ▸ Hundeleine → Schutzhelm mit Kette am Arbeitsanzug befestigen ▸ Sicherheitsgurt → Sender im Helm, der die Tür zur Anlage öffnet ▸ Ampel → Signaltafel: grüner Kopf mit Helm, roter Kopf ohne Helm 10. Schritt: Formulierung der Lösungsansätze (Dauer: ca. 15 min) Die Gruppe wählt nun den vielversprechendsten Lösungsansatz aus. Dazu kann sie die Methoden aus Kapitel 8.2 nutzen. Anschließend erstellt sie eine Agenda, die festlegt, wie der Lösungsansatz realisiert wird und welche personellen und organisatorischen Schritte dafür nötig sind. 237 8.4 Konzepte ohne vorherige Ideensuche <?page no="238"?> Vor- und Nachteile + Die Methode hat ein hohes Innovationspotenzial. + Dank der zahlreichen Schritte ist es unwahrscheinlich, dass die Gruppe grundlegende Aspekte des Problems übersieht. - Die Methode ist sehr zeitaufwendig. - Der Schwierigkeitsgrad der Methode ist hoch. Daher sollten Gruppen sie nur anwenden, wenn sich die Teilnehmer bereits mit Kreativmethoden aus‐ kennen, insbesondere mit → Brainstorming (S. 156). Außerdem sollte der Moderator große Erfahrung im Durchführen von → Konsensfindungen (S. 43) haben. - Die Teilnehmer müssen ein Grundverständnis von Abläufen in Technik und Natur mitbringen. 8.5 Konzepte erweitern und bearbeiten »Man braucht nicht immer denselben Standpunkt zu vertreten, denn niemand kann einen daran hindern, klüger zu werden.« K O N R A D A D E N A U E R , E H E MA L I G E R B U N D E S K A N Z L E R 8.5.1 Osborn-Methode < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 238 8 Konzepte erarbeiten <?page no="239"?> Kurzinfo ▸ Moderation optional, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium optional ▸ Schreibmaterialien Ziel Mit der Osborn-Methode entwickelt die Gruppe auf der Grundlage eines vor‐ gegebenen Fragenkatalogs bestehende Ideen und Konzepte weiter und gewinnt neue Impulse. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer beantworten den untenstehenden Fragenkatalog, tragen ihre Ideen zusammen und entwickeln sie weiter. Ausführliche Beschreibung In Vorbereitung auf die Methode kann der Leiter den unten stehenden Fragen‐ katalog modifizieren und auf das aktuelle Thema zuschneiden (siehe Beispiel). Davon profitieren besonders ungeübte Teilnehmer, weil sie die allgemeinen Fragen nicht erst auf das konkrete Problem übertragen müssen. Erfahrene Teil‐ nehmer hingegen sollten den allgemeineren Fragenkatalog erhalten, da die the‐ menspezifischen Fragen ihre Gedanken zu sehr in eine Richtung lenken und ihre Kreativität hemmen könnten. Die Methode beginnt damit, dass jeder Teilnehmer neun Blätter vom Leiter erhält, auf denen sich jeweils eine Frage des Katalogs als Überschrift befindet. Dies stellt sicher, dass die Teilnehmer genügend Platz für ihre später gewon‐ nenen Ideen haben. In Einzelarbeit gehen sie dann die Blätter der Reihe nach durch, wobei sie zu jeder Frage so viele Ideen wie möglich sammeln. Erst, wenn ihnen zu einer bestimmten Frage nichts mehr einfällt, machen sie mit dem 239 8.5 Konzepte erweitern und bearbeiten <?page no="240"?> nächsten Blatt weiter. Zum Abschluss sammelt die Gruppe die erarbeiteten Ideen. Optional kann sie die Ergebnisse noch in einer moderierten Diskussion kategorisieren und die geeignetste Idee auswählen. Variante Anstatt in einer moderierten Diskussion kann die Gruppe die Ideen auch mit den Analysen zur Ideenbewertung aus Kapitel 8.2 gewichten. Fragenkatalog a. Andere Anwendungsmöglichkeit: Welchen alternativen Verwendungs‐ zweck gibt es? Wofür kann ich … noch verwenden? Kann ich … auf andere Weise einsetzen? Gibt es weitere Zielgruppen? b. Ähnlichkeiten: Auf welche anderen Ideen bezieht sich …? Gibt es bereits andere Probleme, zu denen Ideen existieren? Was kann nachgeahmt werden? Weist das Problem auf andere Ideen hin? Ist es etwas anderem ähnlich? c. Verändern: Welche Inhalte/ Eigenschaften sind veränderbar? d. Vergrößern: Welche Inhalte/ Eigenschaften sind erweiterbar? e. Verkleinern: Welche Inhalte/ Eigenschaften sind reduzierbar? f. Ersetzen: Welche Inhalte/ Eigenschaften sind ersetzbar? g. Umformen: Ist die Reihenfolge/ die Struktur veränderbar? Sind die Be‐ standteile veränderbar? h. Umkehren/ Ins Gegenteil verkehren: Lässt sich … ins Gegenteil verkehren? Wie kann man … verschlechtern? i. Kombinieren: Lassen sich Ideen und/ oder Personen miteinander kombi‐ nieren? Beispiel Das folgende Beispiel ist ein modifizierter Fragenkatalog zur Überarbeitung eines Buches: a. Andere Anwendungsmöglichkeit: Kann der Leser das Buch anders ein‐ setzen? Gibt es andere Zielgruppen? b. Ähnlichkeiten: Auf welche anderen Ideen bezieht sich das Buch? Gibt es bereits andere Probleme, zu denen Ideen existieren? Was kann nachge‐ ahmt werden? Weist das Problem auf andere Ideen hin? Ist es etwas an‐ derem ähnlich? 240 8 Konzepte erarbeiten <?page no="241"?> c. Verändern: Welche Inhalte, Instrumente, Übungen etc. lassen sich umge‐ stalten? Gibt es andere Möglichkeiten der Darstellung, Unterstützung, Struktur oder Schreibweise? d. Vergrößern: Wie lässt sich das Buch größer, dicker, schwerer machen? Welche Kapitel können verlängert werden? Wie lässt sich etwas hinzu‐ fügen? Sind Wiederholungen möglich? Wie lässt sich die Seitenzahl er‐ höhen? e. Verkleinern: Was kann weggelassen werden? Welche Kapitel können ver‐ kürzt werden? Wie lässt sich das Buch kleiner, kompakter, kürzer ma‐ chen? Wie lässt sich die Seitenzahl verringern? f. Ersetzen: Lassen sich die Kapitel, Übungen oder Instrumente unterein‐ ander neu gruppieren? Wie lässt sich die Reihenfolge ändern? g. Umformen: Lassen sich die Kapitel, Übungen oder Instrumente restruk‐ turieren? h. Umkehren/ Ins Gegenteil verkehren: Wie lässt sich das Buch verschlech‐ tern? i. Kombinieren: Ist eine Mischung mit anderen Inhalten möglich? Lassen sich unterschiedliche Bücher/ Medien verbinden? Vor- und Nachteile + Die Methode gibt für Änderungen einen weniger engen Rahmen vor als das → Systematic Innovative Thinking (S. 242). Sie spricht daher vor allem Teil‐ nehmer an, die für innovative Ideen mehr Freiraum benötigen und weniger stark angeleitet werden müssen. - Die Gefahr, dass die Methode ein zu risikoreiches oder nicht realisierbares Konzept hervorbringt, ist größer als beim → Systematic Innovative Thinking (S. 242). 241 8.5 Konzepte erweitern und bearbeiten <?page no="242"?> 8.5.2 Systematic Innovative Thinking (SIT-Methode) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Ergebnissicherung ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Ausgehend von einem bestehenden Konzept (oder Produkt) entwickelt die Gruppe mithilfe systematischer Werkzeuge neue Konzepte, die sich mit den be‐ reits vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen sowie dem vorhan‐ denen Fachwissen realisieren lassen. Die systematischen Werkzeuge erleichtern dabei das Auffinden neuer Ideen, vor allem wenn die Methode mit Teilnehmern durchgeführt wird, die in Innovationstechniken ungeübt sind. Indem die Methode von einem bestehenden Konzept ausgeht, bringt sie na‐ heliegende Lösungen hervor, die dennoch innovativ sind. So erspart sie sich die Suche nach risikoreicheren und kostspieligeren Neuentwicklungen in unbe‐ kannten neuen Anwendungsgebieten. 242 8 Konzepte erarbeiten <?page no="243"?> 1 Dass die Funktion mit dem Verlust der Komponente entfällt, mag auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen. Allerdings wird beim Template Replacement zwar die Komponente entfernt, ihre Funktion jedoch auf eine andere Komponente übertragen. Kurzbeschreibung Die Gruppe entwickelt neuartige und innovative Konzepte (oder Produkte), indem sie bereits in der Anwendung befindliche Konzepte mithilfe sieben so‐ genannter Creativity Templates abwandelt, welche als Kreativitätswerkzeuge dienen. Diese sieben Templates sind: Displacement, Replacement, Multiplication, Division, Breaking Symmetry, Attribute Dependency und Environmental Control. Ihre Anwendung auf das bestehende Konzept geht dabei den Weg des größten Widerstands. Wenn das neue Konzept entwickelt ist, bestimmt die Gruppe seine möglichen Anwendungsfelder nach dem Prinzip »Function Follows Form«. Die Anwendungsfelder werden also auf der Grundlage der neuartigen Form gewählt und nicht andersherum. Ausführliche Beschreibung Das Kernelement der Methode »Systematic Innovative Thinking« (SIT) bildet die Verwendung sogenannter Creativity Templates (deutsch: Kreativitätsvor‐ lagen) als Kreativitätswerkzeuge. Jedes dieser Templates stellt ein anderes Handlungsmuster bereit, mit dem sich ein bereits existierendes Produkt oder Konzept abwandeln lässt. Es gibt sieben dieser Templates: Displacement, Re‐ placement, Multiplication, Division, Breaking Symmetry, Attribute Dependency und Environmental Control. Die genaue Bedeutung der Begriffe und die Inno‐ vationen, die aus ihnen entstehen können, erklärt die Tabelle am Ende des Me‐ thodenkapitels. Was alle diese Templates teilen, ist der Grundgedanke der Closed World. Das heißt, dass sie erstens von bereits bestehenden Konzepten (oder Pro‐ dukten) ausgehen und dass zweitens im Laufe ihrer Anwendung keine externen Erweiterungen für die Umsetzung notwendig werden, wie z. B. neue Fachkräfte oder neuartige Materialien. Die folgenden Abschnitte erläutern die Methode anhand eines Beispiels, das auch in der Tabelle vorkommt. In dem Beispiel wendet die Gruppe das Template Displacement auf einen Stuhl an: Wenn die Gruppe das Template Displacement anwendet, entfernt sie die we‐ sentlichste Komponente des Ausgangsprodukts, sodass es seine ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen kann. 1 Wie bei allen anderen Templates gilt auch hier das Prinzip, dass die Anwendung des Templates den Weg des größten Wi‐ derstands geht. Im Falle des Templates Displacement heißt das, dass die Gruppe nicht irgendeine, sondern die wichtigste Komponente entfernt. Bei einem Stuhl könnte dies das Entfernen der Stuhlbeine bedeuten. Dabei soll der Weg des größten Widerstands garantieren, dass die Gruppe zu einer Neuerung findet, 243 8.5 Konzepte erweitern und bearbeiten <?page no="244"?> die tatsächlich innovativ ist. Nur, wenn die Teilnehmer fundamentale Ände‐ rungen am Ausgangsprodukt vornehmen, sind sie gezwungen, völlig neue An‐ sätze zu erwägen. Ändern sie hingegen bloß eine unwesentliche Komponente - etwa die Farbe des Stuhls - könnte der Anreiz für Innovationen zu gering sein. Die größte Hürde der Methode besteht im natürlichen inneren Widerstand, der viele Teilnehmer davon abhält, auf dieser Grundlage ein neues Produkt oder Konzept zu entwickeln. Die Vorstellung eines Stuhls ohne Beine kann die Teil‐ nehmer beim Entwickeln eines neuen Konzepts zunächst hemmen, da er seiner ursprünglichen Funktion als Sitzgelegenheit, die sich unter Tische schieben lässt, beraubt scheint. Diesem inneren Widerstand wirkt das nächste Prinzip entgegen: Function Follows Form, Funktion folgt dem Design. Die Funktion des neuen Konzepts leitet sich also überhaupt erst aus der Formänderung ab. Im Beispiel besteht die Aufgabe der Teilnehmer deshalb darin, nicht von der Funk‐ tion als Sitzgelegenheit auszugehen, sondern sich ausgehend von der verän‐ derten Form eine neue Funktion zu überlegen. Da die Sitzfläche eines Stuhls ohne Beine nicht auf der üblichen Höhe wäre, könnte man ihn vielleicht auf eine andere Fläche aufsetzen - etwa als Kindersitz, der sich auf einen gewöhnlichen Küchenstuhl aufsetzen lässt. Das Beispiel verdeutlicht somit auch, dass sich die mit der SIT-Methode er‐ arbeiteten Konzepte trotz ihres hohen Innovationspotenzials größtenteils mit den bereits vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen sowie dem vorhandenen Fachwissen realisieren lassen. Allein die Zielgruppe kann sich deutlich verändern. Die Anwendung des Prinzips Function Follows Form ist derjenige Teilschritt der Methode, der am meisten von gruppendynamischen Effekten profitiert. In der Gruppe können sich die Teilnehmer gegenseitig inspirieren, und während sich die Templates auch gut für die Einzelarbeit eignen, erfordert Function Fol‐ lows Form neue Denkstrukturen und ein sehr hohes Maß an Kreativität. Daher empfiehlt es sich, dass ein Moderator diesen Teilschritt begleitet und Gestal‐ tungsvorschläge auf einem Visualisierungsmedium skizziert. Das Template da‐ gegen können die Teilnehmer auch selbstständig wählen. Falls sie jedoch beim Entwickeln des neuen Konzepts ins Stocken geraten, kann der Moderator ein anderes Template vorschlagen. Dass die Ideensuche mit einem anderen Tem‐ plate neu begonnen werden muss, sollte die Gruppe keinesfalls demotivieren, da sich die Erfolgsaussichten eines bestimmten Templates im Voraus nur sehr schwer absehen lassen. 244 8 Konzepte erarbeiten <?page no="245"?> Tabelle mit Creativity Templates Template und Symbol Bedeutung Beispiel mit Erklä‐ rung Weitere Beispiele Displace‐ ment (Entfernen) - Eine wesentliche Komponente des Produkts oder Kon‐ zepts wird entfernt, und mit ihr die Funktion, die es er‐ füllt. Tütensuppen: Aus der Suppe wurde Wasser als wesent‐ liche Komponente entfernt. Die Funktion des Wassers als Lösungs‐ mittel für die wasser‐ löslichen Zutaten wurde nicht ersetzt. - Heimtrainer (Fahrrad ohne Räder) - Kindersitz als Aufsatz auf einen Stuhl (Stuhl ohne Beine) - TV-Receiver (Fern‐ seher ohne Bild‐ schirm) Replacement (Ersetzen) ± Eine wesentliche Komponente des Produkts oder Kon‐ zepts wird entfernt; ihre Funktion wird jedoch von einer anderen Kompo‐ nente über‐ nommen. Touchscreen: Die Computertastatur als wesentliche Kompo‐ nente wurde entfernt. Ihre Funktion (= eine Bedienschnittstelle bereitstellen) wurde beibehalten und auf den Bildschirm über‐ tragen. -Geschwindigkeitsbe‐ grenzung auf Fahr‐ bahn statt auf Ver‐ kehrsschildern - Fußbodenheizung (Heizung durch Fuß‐ boden statt Heiz‐ körper) Multiplica‐ tion (Vervielfa‐ chen) × Eine Komponente des Produkts oder Konzepts wird ko‐ piert und mit leichten Verände‐ rungen wieder in das ursprüngliche Produkt eingefügt. Pfefferstreuer mit zwei verschieden großen Öffnungen (für das Würzen im Kochtopf und das Nachwürzen auf dem Teller) - Uhr mit einer An‐ zeige für mehrere Zeit‐ zonen baugleiches fünftes Rad als Reserverad im Kofferraum Division (Aufteilen) ÷ Das Produkt oder Konzept wird in seine einzelnen Komponenten zer‐ legt. Diese werden anschließend in einer anderen zeit‐ lichen oder räumli‐ chen Reihenfolge wieder zusammen‐ gefügt. Problemorientiertes Lernen: Die traditio‐ nelle Reihenfolge beim Lernen wird umgekehrt - der Schüler wird erst mit einem konkreten Pro‐ blem konfrontiert, bevor er die theoreti‐ schen Grundlagen er‐ arbeitet. - Supermarktkunden mit unterschiedlich vielen Artikeln an einer Kasse → Eröffnung einer ei‐ genen Kasse für Kunden mit wenigen Artikeln (räumliche Umordnung) Breaking Symmetry (Symmetrie‐ bruch) Die geometrische oder zeitliche Sym‐ metrie eines Pro‐ dukts oder Kon‐ zepts wird teilweise Schere mit unter‐ schiedlich großen Augen (geometrischer Sym‐ metriebruch) weitere ergonomisch geformte Produkte (Computermaus, Spielecontroller) 245 8.5 Konzepte erweitern und bearbeiten <?page no="246"?> Template und Symbol Bedeutung Beispiel mit Erklä‐ rung Weitere Beispiele ≠ oder vollständig ge‐ brochen. - Notreserverad am Auto (bricht die geo‐ metrische Symmetrie gleich großer Räder) verkaufsoffene Sonn‐ tage/ Einkaufsnächte (zeitlicher Symmetrie‐ bruch) Attribute De‐ pendency (Attributab‐ hängigkeit) ∝ Eine bei der An‐ wendung des Pro‐ dukts oder Kon‐ zepts beteiligte Komponente wird von einer weiteren Komponente ab‐ hängig gemacht. Bügeleisen, das beim Erhitzen Farbe ändert (Abhängigkeit Tem‐ peratur-Farbe) sich selbst abschal‐ tender Herd: Heizver‐ halten wird abhängig gemacht vom Gewicht auf der Herdplatte oder der Zeitdauer seit dem letzten Betätigen eines Knopfes Environ‐ ment Con‐ trol (Umgebungs‐ kontrolle) ⊆ Eine neue Verbin‐ dung zwischen dem Produkt oder Kon‐ zept und der Umge‐ bung wird ge‐ schaffen. Dabei wird versucht, Um‐ gebungseigen‐ schaften einzu‐ setzen, um den Verwendungs‐ zweck des Produkts oder Konzepts zu unterstützen. Turbolader: Abgase des Motors werden genutzt, um Verbren‐ nungsgas im Motor weiter zu kompri‐ mieren und damit die Leistung des Motors zu steigern - Kraft-Wärme-Kopp‐ lung - Stents (Gefäß‐ stützen), die mit biolo‐ gischem Material be‐ schichtet werden → der Körper geht eine Verbindung mit dem Material ein und festigt die Lage des Stents, statt ihn als Fremdkörper abzu‐ stoßen Tabelle 8-10: Creativity Templates der SIT-Methode mit Beispielen (van Logtestijn et al. 2003). Zusammenfassung ▸ Auswahl eines Templates: Die Templates folgen dem Prinzip der Closed World. Die resultierenden Innovationen lassen sich also mit den bereits vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen sowie dem vor‐ handenen Fachwissen umsetzen. ▸ Bei der Anwendung des Templates wählen die Teilnehmer den Weg des größten Widerstands: Die wesentliche Komponente des Produkts oder Konzepts wird bearbeitet. 246 8 Konzepte erarbeiten <?page no="247"?> ▸ Die Gruppe beharrt nicht auf der Funktion des Ausgangsprodukts oder -konzepts. Stattdessen entwickelt sie das neue Produkt oder Konzept nach dem Prinzip Function Follows Form: Sie ermittelt das Anwendungsgebiet ausgehend von der veränderten Form, nicht andersherum. Tipp Je besser die Teilnehmer das Prinzip Function Follows Form verinnerlicht haben, desto besser gelingt die Methode. Zu diesem Zweck sollte ihnen der Leiter zu Beginn die einzelnen Templates erklären und Beispiele für Innovationen vor‐ stellen, die aus ihrer Anwendung hervorgehen können. Vor- und Nachteile + Dank des sehr systematischen Vorgehens ist die Methode auch für Teil‐ nehmer geeignet, die wenig Erfahrung mit Kreativtechniken haben. + Die erarbeiteten Innovationen lassen sich gut mit den bestehenden perso‐ nellen und materiellen Ressourcen sowie dem vorhandenen Fachwissen der Teilnehmer verwirklichen. - Der Erfolg der Methode hängt sehr stark davon ab, wie gut die Teilnehmer das Prinzip Function Follows Form verinnerlicht haben. 247 8.5 Konzepte erweitern und bearbeiten <?page no="249"?> 9 Lerntechniken »Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man aufhört, treibt man zurück.« C HI N E S I S C H E S S P R I C H W O R T Heute prägen rasante technische wie auch methodische Entwicklungen unser Privatleben und halten ebenso dynamisch Einzug in den Arbeitsalltag. Fort- und Weiterbildungen haben daher im Vergleich zu früher immer mehr an Bedeutung gewonnen. Sie sind heute ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Arbeitswelt. Dies gilt für den Bereich der Hochschule, genauso wie für viele andere Berufs‐ felder. Das obige Zitat ist also im folgenden Kontext immer noch aktuell: Nur wer bereit ist, sich ständig mit neuen Entwicklungen vertraut zu machen, nur wer bereit ist, neue Denk- und Handlungsweisen zu erlernen und anzuwenden, kann sicherstellen, dass er in seinem Beruf nicht den Anschluss verliert. Neuartige Ideen und Produkte sind immer weniger das Resultat überragender Einzelleistungen, sondern kommen vielfach durch die enge Zusammenarbeit zahlreicher verschiedener Experten zustande. Entsprechend spielen gruppen‐ orientierte Lerntechniken eine kontinuierlich wachsende Rolle bei Fort- und Weiterbildungen sowie im studentischen Alltag. Aus diesem Grund präsentiert das folgende Kapitel Methoden, die dabei helfen, das Lernen in der Gruppe zu koordinieren und Synergieeffekte aus den verschiedenen Denkweisen und Wis‐ sensständen der einzelnen Teilnehmer zu nutzen. Unter diesen Methoden finden sich außerdem viele Lerntechniken, die sich für ein weites Spektrum an Inhalten verschiedenster Abstraktion, Komplexität und Umfang eignen. 9.1 Übersicht Die Methoden in Kapitel 9 geben Anregungen für das gemeinsame Lernen. Wäh‐ rend Kapitel 9.2 Wege vorstellt, bereits Erlerntes zu verinnerlichen, zu struktu‐ rieren oder zu vervollständigen, richtet Kapitel 9.3 den Fokus auf das Aneignen neuer Sachverhalte. Viele der Methoden in Kapitel 9.3 eignen sich zudem für die Nachbereitung von Gelerntem. Darüber hinaus informieren die Netzdiagramme in den Methodenkapiteln wie immer über weitere Verwendungszwecke. <?page no="250"?> Alle vorgestellten Methoden machen sich die Vorteile von Gruppenarbeit ausdrücklich zunutze. Obwohl viele auch in Einzelarbeit sinnvoll sind, erzielen Gruppen mit ihnen deshalb einen noch größeren Lerngewinn. Beispielsweise kann zwar auch eine Einzelperson einen → Advance Organizer (S. 258) erstellen, profitiert dann aber nicht vom Wissen der Kollegen oder Kommilitonen, die Wissenslücken oder strukturelle Schwächen in der individuellen Ausarbeitung ergänzen können. 9.2 Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen 9.2.1 Rasender Reporter < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme, Moderation optional ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 Fragebogen pro Teilnehmer 250 9 Lerntechniken <?page no="251"?> Ziel Die Teilnehmer wiederholen den Stoff einer Lerneinheit im intensiven wech‐ selseitigen Austausch über Fragen zum Thema. Dadurch können sie sich ge‐ genseitig korrigieren und lernen neue Herangehens- und Denkweisen kennen, die ihnen das Verständnis des Stoffs erleichtern. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer erhalten einen Fragebogen zu der Lerneinheit, die sie wieder‐ holen möchten. Für jede Frage suchen sie sich jeweils einen anderen Partner, der sie ihnen beantwortet. Abschließend vergleichen alle ihre Antworten mit‐ einander und korrigieren oder ergänzen sie. Ausführliche Beschreibung Der Leiter verteilt an jeden Teilnehmer ein DIN-A4-Blatt mit einem Fragebogen, der aus einer dreispaltigen Tabelle besteht. Die Tabelle enthält eine Spalte mit Fragen, eine Spalte für die Antworten und eine Spalte für die Namen der antwor‐ tenden Teilnehmer, die Fragen und ihre Anordnungen sind auf allen Blättern identisch. Jeder sucht sich nun für jede Frage einen anderen Partner, der sie be‐ antwortet. Wenn sich ein Paar auf eine Antwort geeinigt hat, unterschreiben die Partner die Frage gegenseitig auf ihren Fragebögen und suchen jeder für die nächste Frage einen neuen Partner, mit dem sie noch keine Frage gemeinsam bearbeitet haben. Das gegenseitige Unterschreiben verhindert dabei, dass sich die Teilnehmer alle Fragen vom selben Partner beantworten lassen. Sie werden also zu »rasenden Reportern«. Zur Unterstützung der Teilnehmer kann der Leiter ebenfalls durch den Raum gehen und Fragen beantworten. Auch wenn jemand selbst die Antwort auf eine Frage weiß, sollte er trotzdem einen anderen Teilnehmer um die Antwort bitten. Auf diese Weise können sich die Teilnehmer nicht nur gegenseitig auf mögliche Fehler aufmerksam machen und Verständnisschwierigkeiten gemeinsam überwinden, sondern lernen eben‐ falls neue Wege kennen, sich den Stoff zu erschließen. Der Leiter sollte pro Frage ca. fünf Minuten einplanen, um den Teilnehmern genügend Zeit zum Diskutieren möglicher Antworten zu geben. Abhängig davon, ob ein reines Faktenwissen oder ein Verständnis komplexer Zusammen‐ hänge auf den Fragebögen abgefragt wird, kann der Leiter diese Zeitvorgabe jedoch anpassen. Nach Ablauf der Zeit sammelt die Gruppe die Antworten. Dazu visualisiert der Leiter den Fragebogen unbeschriftet und für alle gut sichtbar auf dem Visualisierungsmedium. Er bittet die Teilnehmer, ihre Antworten zu nennen, und trägt sie in die Tabelle ein. Die Gruppe ergänzt oder berichtigt die genannten Antworten. Herrscht Uneinigkeit über eine Antwort, kann der Leiter 251 9.2 Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen <?page no="252"?> eine vorbereitete Musterlösung vortragen lassen oder die Frage selbst beant‐ worten. Dieser abschließende Vergleich stellt sicher, dass am Ende alle die rich‐ tigen und vollständigen Antworten notiert haben. Beispiel Fragebogen zum Thema »Ausbildung eines Aktionspotenzials« Frage Antwort Teilnehmer Für welche beim Aktionspoten‐ zial beteiligten Ionen ist die Zellmembran in Ruhe durch‐ lässig, für welche nicht? Beteiligt: Na + und K + Durchlässig: nur K + Welche Kräfte wirken auf diese Ionen? Welche Ionenkonzent‐ rationen entstehen inner- und außerhalb der Zelle? Elektrische Kraft und osmotischer Druck entlang des Konzentrations‐ gradienten → K + -Konzentration hoch im In‐ neren Welche Ladungszustände (pos. oder neg.) herrschen inner- und außerhalb der Zelle? Welches Ruhemembranpotenzial ergibt sich damit? Intrazellulärraum negativ im Ver‐ gleich zu dazu positiven Außen‐ raum geladen. Damit ergibt sich ein negatives Ru‐ hemembranpotenzial. Wann und warum kann ein Ak‐ tionspotenzial ausgelöst werden? Schwellenspannung wird über‐ schritten, dadurch öffnen span‐ nungsgesteuerte Natriumkanäle, und Na + strömt in die Zelle Zeichne dazu den Potenzialver‐ lauf an der Zellmembran und kennzeichne die einzelnen Phasen. Welche Phasen gibt es vor und während des Aktionspotenzials und in welche Leitfähigkeiten bestehen dabei für Na + - und K + -Ionen? Ruhemembranpotenzial: Na + : fast null K + : größer null Depolarisation: Na + : maximal K + : langsam ansteigend 252 9 Lerntechniken <?page no="253"?> Overshoot: wie Depolarisation Repolarisation: Na + : absinkend auf null K + : ansteigend Hyperpolarisation: Na + : null K + : hoch, danach abfallend Wie wird der Ionenfluss wieder rückgängig gemacht? Na + -K + -Pumpe: 2 K + rein, 3 Na + raus Tabelle 9-1: Beispielfragebogen für die Methode »Rasender Reporter« (»K + « steht in der Tabelle für Kalium und »Na + « für Natrium) Vor- und Nachteile + Indem sie in vielen Zweiergesprächen ihr Wissen austauschen, erhalten die Teilnehmer tiefe Einblicke in andere Denk- und Herangehensweisen. - In den Zweiergesprächen können sich die Partner auf lückenhafte oder sogar fehlerhafte Antworten einigen. 9.2.2 Sortieraufgabe < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 253 9.2 Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen <?page no="254"?> Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ 1 Kartensatz pro Teilnehmer Ziel Mithilfe der Sortieraufgabe rufen sich die Teilnehmer zum Abschluss eines Themas oder einer Lerneinheit ins Bewusstsein, welche Begriffe sie beherrschen und wo noch Wissenslücken bestehen. In Kleingruppen erarbeiten sie dann ge‐ meinsam diejenigen Begriffe, die sie noch nicht beherrschen. Die Methode bietet sich vor allem an, wenn die Begriffe nicht allzu stark aufeinander aufbauen. Kurzbeschreibung Jeder Teilnehmer unterteilt einen vom Leiter vorbereiteten Kartensatz mit zen‐ tralen Begriffen zum Thema in einen Stapel mit Begriffen, die er beherrscht, und einen Stapel mit Begriffen, die er noch nicht beherrscht. Danach bilden sich Kleingruppen, in denen die Teilnehmer die Begriffe erarbeiten, die sie noch nicht beherrschen. Ausführliche Beschreibung Der Leiter bereitet für jeden Teilnehmer einen identischen Kartensatz vor, in dem auf jeder Karte ein Begriff zum Thema steht. Sobald er die Kartensätze ausgeteilt hat, unterteilt jeder seinen Satz in je zwei Stapel: Auf einen Stapel legt jeder Teilnehmer Karten mit Begriffen, die er beherrscht, auf den anderen kommen diejenigen Karten, deren Begriffe er noch nicht beherrscht. Ein Kartensatz sollte maximal 20 Karten enthalten, damit die Teilnehmer die Karten innerhalb weniger Minuten sortieren können und damit die anschlie‐ ßende Gruppenarbeit nicht zu lange dauert. 254 9 Lerntechniken <?page no="255"?> Wenn alle Teilnehmer ihre Karten sortiert haben, bilden sich nach dem Zu‐ fallsprinzip Dreiergruppen, beispielsweise mit der Aufteilungsübung → Num‐ mern zuweisen (S. 96). Es ist nicht nötig, dass sich Teilnehmer mit bekannten und unbekannten Begriffen gegenseitig ergänzen. Falls der Leiter dies dennoch wünscht, eignet sich die in der Methode → Zwei W (S. 274) vorgestellte farbliche Einteilung der Karten. Anders als jene Methode zielt die Sortieraufgabe aber nicht darauf ab, dass sich Teilnehmer mit ihrem Wissen gegenseitig ergänzen. Hier geht es darum, Begriffe, die einem oder mehreren Mitgliedern der Klein‐ gruppe unklar sind, gemeinsam in Gruppenarbeit zu erarbeiten. Dafür plant der Leiter 20 bis 25 Minuten ein. Während der Arbeit in Dreiergruppen geht der Leiter durch den Raum und beantwortet gegebenenfalls Fragen der Teilnehmer. Optional kann er sie zum Abschluss bitten, jeden Begriff vor der Gruppe zu erklären, wobei er falsche oder unvollständige Antworten korrigiert oder ergänzt. So verhindert er, dass Drei‐ ergruppen sich Begriffe, die sie falsch oder unvollständig erarbeitet haben, ebenso falsch oder unvollständig einprägen. Vor- und Nachteile + Die Teilnehmer lernen nicht nur die Begriffe, sondern erhalten zusätzlich einen zusammenfassenden Überblick über den Umfang des Themas und können ihren bisherigen Kenntnisstand besser einordnen. - Der Lernerfolg hängt sehr stark von der Wahl und Anzahl geeigneter Be‐ griffe ab. 9.2.3 Struktur-Lege-Technik (semantisches Netz) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 255 9.2 Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen <?page no="256"?> Kurzinfo ▸ Moderation optional, Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ 1 Plakat oder Flipchartbogen pro Kleingruppe ▸ Flipchart-Stifte in verschiedenen Farben ▸ 1 Kartensatz mit Reservekarten sowie Kleber pro Kleingruppe Ziel Zum Abschluss einer Lerneinheit oder eines Themas kann die Struktur-Lege-Technik angewendet werden, um Zusammenhänge zu veran‐ schaulichen und die Begriffe des jeweiligen Themas noch einmal abschließend zu wiederholen. Kurzbeschreibung Es bilden sich Kleingruppen, an die der Leiter je einen identischen Kartensatz verteilt. Die Kartensätze enthalten sowohl Karten mit Begriffen zum Thema als auch leere Karten. Die Kleingruppen ordnen ihre Begriffe nach einem selbst gewählten Schema und beschriften die leeren Karten mit Oberbegriffen, die sie in ihr Schema einfügen. Zum Schluss präsentieren sie sich gegenseitig ihre Er‐ gebnisse. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn unterteilt der Leiter die Gruppe in mehrere Kleingruppen zu maximal vier Teilnehmern. Dazu kann er die Aufteilungsübungen → Losverfahren (S. 95) oder → Nummern zuweisen (S. 96) verwenden. Nun teilt er ein leeres Plakat und einen vorher präparierten Kartensatz an jede Kleingruppe aus. Die Kartensätze sind identisch und enthalten sowohl un‐ beschriftete Karten als auch Karten, die mit einem Begriff zum Thema be‐ schriftet sind. Es sollten nicht mehr als 15 beschriftete Karten pro Kartensatz 256 9 Lerntechniken <?page no="257"?> sein, da die später zu erstellenden Plakate sonst zu komplex und unübersichtlich werden. Die Mitglieder der Kleingruppen legen die Begriffe ihres Kartensatzes auf ihr Plakat und ordnen sie so lange um, bis sie die Struktur gefunden haben, die das Thema ihrer Ansicht am besten veranschaulicht. Währenddessen überlegen sie sich zum Thema und zu ihrer individuellen Auswahl an Begriffen passende Oberbegriffe. Diese schreiben sie auf die leeren Karten und legen sie zu den entsprechenden Begriffsgruppen auf das Plakat. Dabei dürfen sie beliebig viele Karten beschriften und erhalten bei Bedarf neue Karten vom Leiter; sie müssen aber nicht alle Karten verwenden. Für die Strukturierung können sie entweder an die Methoden → Cluster (S. 160) oder → Mindmap (S. 163) anknüpfen oder ihre eigenen Strukturen entwickeln. Optional bietet sich auch eine moderierte Diskussion mit → Konsensfindung (S. 43) an. Sobald sich alle Kleingruppenmitglieder über die Struktur ihres Plakats ge‐ einigt haben, kleben sie die Karten darauf und zeichnen Verbindungslinien zwi‐ schen zusammenhängenden Begriffen ein. (Die Linien sollten unbeschriftet sein, damit die verschiedenen Plakate vergleichbar bleiben.) Das Ganze sollte etwa 15 Minuten dauern. Zum Abschluss hängen alle Gruppen ihre Plakate im Raum auf. Die Teil‐ nehmer betrachten in einem etwa fünfminütigen Rundgang die Plakate der an‐ deren Gruppen und erkennen so weitere Anordnungsmöglichkeiten und damit weitere Zusammenhänge zwischen den Begriffen. Dadurch können sie Aspekte bemerken, die ihnen bis dahin entgangen sind. Die Gefahr, wesentliche Zusam‐ menhänge zu übersehen, sinkt. Variante Die Methode kann statt in separaten Kleingruppen mit allen Teilnehmern ge‐ meinsam durchgeführt werden. Dann übernimmt der Leiter die Rolle des Mo‐ derators und leitet die Diskussion zwischen der gesamten Gruppe. Vor- und Nachteile + Für die Teilnehmer sind die strukturierten Plakate eine zusätzliche Gedan‐ kenstütze, die ihnen auch nach der Methode beim Einprägen bestimmter Begriffe oder Zusammenhänge helfen kann. - Damit die Methode gelingt, sollten die Teilnehmer die unverknüpften Ein‐ zelbegriffe bereits vorher sehr gut beherrschen. 257 9.2 Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen <?page no="258"?> 9.3 Neues Erlernen »Ich kann niemanden etwas lehren, ich kann nur zum Denken anregen.« S O K R AT E S , G R I E C HI S C H E R P HI L O S O P H 9.3.1 Advance Organizer (Lernlandschaft, Lernposter) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitzgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ grafische Elemente optional Ziel Die Methode »Advance Organizer« eignet sich, wenn die Teilnehmer bereits über ein kleines Grundwissen des zu lernenden Themas verfügen, jedoch vor allem die Zusammenhänge und die Details gelernt werden sollen. Indem die Methode die Zusammenhänge des noch unbekannten Wissens in einem grafi‐ schen Schema darstellt, unterstützt diese die Teilnehmer einzelne Aspekte des Themas in den Gesamtkontext einzuordnen und gibt gleichzeitig einen Orien‐ tierungs- und Lernplan vor. Das Schema kann außerdem die spätere Wieder‐ holung des Themas erleichtern. Kurzbeschreibung Zu einem Thema, das die Gruppe erst später behandeln wird, erstellen die Teil‐ nehmer gemeinsam einen Übersichtsplan. Dieser sogenannte Advance Orga‐ nizer gibt einen Überblick über alle wesentlichen Themenaspekte und deren 258 9 Lerntechniken <?page no="259"?> Zusammenhänge. Um den Advance Organizer übersichtlicher zu gestalten, kann ihn die Gruppe um beliebige grafische Symbole ergänzen. Ausführliche Beschreibung Die Erstellung eines Advance Organizers teilt sich in drei Phasen auf. Falls der Leiter während dieser Phasen anwesend ist, kann er sie entweder aktiv mode‐ rieren oder das Geschehen passiv beobachten und dabei den Lernfortschritt der Teilnehmer analysieren. Dann nimmt eine unbeteiligte Person die Rolle des Moderators ein. In der ersten Phase überlegen die Teilnehmer gemeinsam, welche wichtigen Begriffe zum Thema sie schon kennen, und halten die Ergebnisse gut sichtbar auf dem Visualisierungsmedium fest. Dafür bietet sich beispielsweise ein → Brainstorming (S. 156) an. Bewertet und geordnet werden die Begriffe jedoch erst später. Wichtig ist in dieser Phase, dass die Gruppe so lange alle spontanen Stichworte sammelt, bis niemandem mehr etwas einfällt. Trotzdem sollten sich die Teilnehmer bemühen, nur die Schlüsselworte zum Thema zu nennen und nicht allzu sehr ins Detail zu gehen. Am Ende der Phase kann der Moderator fehlende Begriffe ergänzen. In der zweiten Phase bewertet die Gruppe nun die Begriffe, um die wichtigsten davon auszuwählen. Damit der Advance Organizer nicht unübersichtlich wird, sollte sich die Gruppe auf maximal 20 Begriffe beschränken. Falls die Gruppe keinen Konsens über die Auswahl der Begriffe erreicht, kann der Moderator eine optionale Phase für die Priorisierung einschieben (siehe dazu die Analysen aus Kapitel 8.2). In der dritten Phase ordnet die Gruppe schließlich die Begriffe auf einem Plakat an. Auch dies geschieht wieder in einer moderierten Diskussion. Die Struktur des Plakats kann sich an die Methoden → Cluster (S. 160) oder → Mindmap (S. 163) anlehnen, oder die Teilnehmer wählen eine komplett eigene Struktur. Außerdem suchen sie Bilder oder andere grafische Elemente aus, die das Plakat ergänzen. Zu diesem Zweck kann der Leiter zuvor einige zum Thema passende Bilder ausdrucken oder vorbereitete Skizzen zur Verfügung stellen. Zusätzlich kann er den Teilnehmer zu Beginn der dritten Phase den Auftrag geben, in ihren Lehrbüchern, im Internet oder in weiteren Quellen nach geeig‐ neten Darstellungen zu suchen. Dann sollte er ca. zehn Minuten zusätzlich ein‐ planen. Die ausgewählten Bilder können später ausgedruckt oder kopiert und nachträglich in den Advance Organizer eingefügt werden; auf das Plakat zeichnet die Gruppe einen Platzhalter entsprechender Größe. Dies sollte sie aber unbedingt parallel zum Anordnen der Begriffe erledigen, damit die grafischen 259 9.3 Neues Erlernen <?page no="260"?> Elemente ebenso in die Struktur des Advance Organizers eingehen wie die Be‐ griffe. Zum Abschluss erstellt die Gruppe auf der Grundlage des Plakats den Advance Organizer, indem sie die fehlenden Bilder ergänzt und die gesammelten Stich‐ punkte noch einmal ausführlich aufschreibt. Tipp Um das nachträgliche Ordnen der Begriffe zu erleichtern, kann der Moderator die Ideen beim Sammeln auf Karteikarten schreiben und an einer Pinn- oder Magnetwand befestigen. Beim Ordnen muss er die Karten dann nur noch um‐ hängen. Variante Die Methode lässt sich auch zum Abschluss eines behandelten Themas ein‐ setzen. Dann heißt sie Lernposter oder Lernlandschaft. Falls das Lernposter dabei primär dazu dienen soll, das Thema später besser wiederholen zu können, steht es jedem Teilnehmer frei, das in der Gruppe er‐ arbeitete Schema nach seinen Bedürfnissen anzupassen. Dennoch ist es sinnvoll, das Lernposter in Gruppenstatt in Einzelarbeit zu erstellen: Zum einen ist in der Gruppe die Gefahr geringer, dass wesentliche Themenaspekte übersehen werden, zum anderen kann es in Einzelarbeit schwieriger und zeitaufwendiger sein, die wesentlichen Punkte eines Themas zusammenzufassen. Vor- und Nachteile + Der Advance Organizer hilft nicht nur dabei, sich neues Wissen anzueignen, er hilft anschließend auch beim Wiederholen der bereits bekannten Fakten. - Die Qualität des Advance Organizers hängt sehr stark davon ab, wie gut sich die vom Leiter ausgewählten Medien zum Verinnerlichen des Lernstoffs eignen. - Die Methode eignet sich nur für Themen, bei denen die Teilnehmer schon über ein Grundwissen verfügen. 260 9 Lerntechniken <?page no="261"?> 9.3.2 Gruppenpuzzle mit Leittext (Selbststudientext, Expertengruppe) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ verschiebbare Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 Leittext pro Teilnehmer Ziel Bei Stoff, der sich leicht in Aspekte mit ungefähr gleichem Lernaufwand gliedern lässt, sorgt die Methode durch den Wechsel aspektorientierter Einzelarbeit zu kontextorientierter Gruppenarbeit, dass die Teilnehmer nicht durch eine zu hohe Anzahl von Einzelaspekten überfordert werden und lässt sie einen Über‐ blick über den Stoff sowie ein tieferes Verständnis für dessen verschiedene As‐ pekte gewinnen. Kurzbeschreibung Die zu erarbeitenden Themen werden in Textform in mehrere gleichgroße Unterthemen unterteilt und gleichmäßig auf die Teilnehmer zur Erarbeitung 261 9.3 Neues Erlernen <?page no="262"?> aufgeteilt. Im nächsten Schritt bilden die Teilnehmer mit den jeweils glei‐ chen Texten Kleingruppen, in denen Sie sich gemeinsam zu Experten für das Thema heranbilden und die Erklärung der jeweiligen Unterthemen vorbe‐ reiten. Abschließend sortieren sich die Kleingruppen neu, sodass sich in jeder neuen Kleingruppe mindestens ein Experte für jedes Unterthema findet, damit in jeder dieser neuen Kleingruppen jedes Unterthema von einem Ex‐ perten an die anderen Mitglieder der neuen Kleingruppe weitergegeben werden kann. Ausführliche Beschreibung Zur Vorbereitung des Gruppenpuzzles muss der Leiter den Lernstoff in ver‐ schiedene Unterthemen aufteilen. Dazu sollte er sich auf maximal vier Unter‐ themen beschränken, damit die Diskussionsrunden später nicht überhand‐ nehmen. Außerdem muss er einen Leittext vorbereiten, mit dessen Hilfe die Teilnehmer ihre Themenaspekte bearbeiten werden. Deshalb sollten alle aus‐ gewählten Unterthemen etwa den gleichen Umfang aufweisen. Wenn der Leiter jedem Aspekt eine Zahl oder eine Farbe zuweist, kann er die Themen vorab markieren, z. B. mit verschiedenfarbigen Blättern für die unterschiedlichen Un‐ terthemen. So lassen sich die Texte leichter in den Gruppen verteilen. In der ersten Phase bittet der Leiter die Teilnehmer, sich die ihnen zugeord‐ neten Unterthemen anzueignen und zu verstehen. Zum Bilden der Gruppen kann der Leiter die auch Aufteilungsübungen → Losverfahren (S. 95) oder → Nummern zuweisen (S. 96) verwenden. Wenn sich die Teilnehmerzahl nicht durch die Anzahl der Unterthemen teilen lässt, weist er den verbleibenden Teil‐ nehmern einfach eines der Unterthemen zu. Jedes Gruppenmitglied setzt sich nun intensiv seinem eigenen Unterthema mithilfe des Leittexts auseinander mit dem Ziel, sich in der zweiten Phase (s. u.) mit weiteren Experten zu diesem Un‐ terthema abzugleichen, damit in der dritten Phase (s. u.) die Inhalte dieses Themas an die anderen Teilnehmer weitergegeben werden können. In der zweiten Phase werden Kleingruppen aus allen Teilnehmern gebildet, die sich in der ersten Phase dem gleichen Thema gewidmet haben: So entstehen die Expertengruppen. Sie Teilnehmer tauschen sich in diesen Kleingruppen über den erarbeiteten Aspekt aus, schließen eventuelle Wissenslücken und erlangen so ein tieferes Verständnis des Themas. Sie einigen sich in Vorbereitung auf die dritte Phase auf ein gemeinsames Verständnis der Inhalte und eine gemeinsame Linie, wie sie diese Inhalte in kompakter Form an die anderen Mitglieder wei‐ tergeben können. In der dritten Phase werden schließlich die Puzzlegruppen gebildet, in denen reihum die jeweiligen Experten den anderen Mitgliedern - den Novizen - ihre 262 9 Lerntechniken <?page no="263"?> Expertenkenntnisse weitergeben. Dafür eignen sich u. a. die in Kapitel 10.2 vor‐ gestellten Präsentationstechniken, sind aber keine Pflicht. Anschließend an jede der Expertenerklärungen findet in den Puzzlegruppen eine Diskussion über ggf. offene Fragen statt. Die Dauer der einzelnen Arbeitsphasen hängt von der Komplexität der Themen und der Länge des Leittextes ab. Eine kleine Hilfestellung zum Beur‐ teilen der Dauer gibt Kapitel 5.3.1, welches Faustregeln zum Schätzen der Lese‐ geschwindigkeit enthält. Überlegungen zur Methodendauer sind besonders wichtig, weil die Methode nur dann zu fruchtbaren Ergebnissen führt, wenn die Teilnehmer in allen drei Arbeitsphasen ausreichend Zeit zur Verfügung haben. Zusammenfassung Die Abbildung 9-1 fasst die einzelnen Phasen des Gruppenpuzzles noch einmal zusammen. Nach dem Einteilen der Teilnehmer in Puzzlegruppen und dem Austeilen der Leittexte bearbeitet jedes Puzzlegruppenmitglied einen anderen Themenaspekt in Einzelarbeit (erste Phase, siehe Abbildung 9-1). Anschließend finden sich die Teilnehmer in Expertengruppen zusammen, wo sie sich über etwaige Unklar‐ heiten und Verständnislücken austauschen (zweite Phase). Zum Abschluss kehren sie wieder in ihre ursprünglichen Puzzlegruppen zurück und referieren dort über den bearbeiteten Aspekt (dritte Phase). Variante Sollen die die Teilnehmer ein kritisches Bewusstsein dafür bekommen, wie dis‐ kussionsfähig oder gar manipulativ manche Autoren ihre Texte gestalten, kann die dritte Phase durch eine Expertenkonferenz ersetzt werden. Bereits während der ersten Phase bereiten sich die Teilnehmer sich schon auf das abschließende Konferenzformat vor. Dafür suchen sie Argumente und Be‐ gründungen für die in den Texten aufgestellten Thesen und Behauptungen. Die Ausarbeitung dieser Sammlungen werden in der anschließenden Expertenrunde abgeglichen, fortgesetzt und präsentationsfähig gestaltet. Daher ist für die Ex‐ pertenrunde an dieser Stelle mehr Zeit vorzusehen. Anschließend wird im Plenum die Expertenkonferenz durchgeführt, also eine wissenschaftliche Tagung simuliert. Aufgabe der Puzzlegruppen ist es, alle an‐ deren Gruppenmitglieder von ihrer Theorie zu überzeugen, unabhängig davon, wie sinnvoll sie sie wirklich finden. Sie können im Rahmen der Simulation dabei alle Informationen ihrer Texte als eigene Forschung ausgeben. Das Ziel der je‐ weils sich anschließenden Diskussionsrunden kann auch sein, die Theorien je‐ 263 9.3 Neues Erlernen <?page no="264"?> weils gegeneinander abzugrenzen. Auch für die Expertenkonferenz ist ausrei‐ chend Zeit einzuplanen. Der Moderator kann eine Abschlussdiskussion anschließen, in der - losgelöst von Gruppenzugehörigkeiten - diskutiert wird, welche Theorien und Posi‐ tionen als glaubwürdig erachtet werden. Hierbei kann auch diskutiert werden, wie die jeweiligen Einschätzungen zustande gekommen sind und wie glaub‐ würdig oder belastbar die jeweilige Interpretation ist. (Methode von Marion Grande und Stefan Heim) Abbildung 9-1: Die drei Phasen des Gruppenpuzzles. Es ist sinnvoll, die Gruppenzuord‐ nungen nach Unterthemen (hier: Zahlen, auch Farben haben sich bewährt) und nach Puzzlegruppen (hier: Buchstaben) zu codieren. Die Expertenrundenmitglieder finden sich dann schnell nach den gleichen Zahlen und die Gruppenpuzzlemitglieder nach den gleichen Buchstaben. 264 9 Lerntechniken <?page no="265"?> Vor- und Nachteile + Die Teilnehmer erwerben nicht nur neues Wissen, sondern haben darüber hinaus die Möglichkeit, das Halten von Vorträgen zu trainieren. - Damit die Methode gelingt, muss sich der vorliegende Leittext in mehrere Themenaspekte gliedern lassen, die unabhängig voneinander bearbeitet werden können. 9.3.3 Kugellager (Zwiebelschale) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ verschiebbare Sitzgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 Text pro Teilnehmer Ziel Die Methode »Kugellager« eignet sich zum detaillierten Erarbeiten eines Themas, das in genau zwei Teilaspekte gegliedert ist. 265 9.3 Neues Erlernen <?page no="266"?> Um sich detaillierte Fragen zu einem Thema stellen zu können und Span‐ nungen zwischen vorhandenem Wissen und neuem Stoff zu erkennen, muss in der Regel bereits ein Grundverständnis des Themas vorhanden sein. Daher ver‐ sucht die Methode »Kugellager«, den Teilnehmern frühzeitig durch die Diskus‐ sion mit zahlreichen anderen Teilnehmern mögliche Widersprüche aufzuzeigen und sie zu klärenden Fragen anzuregen. Kurzbeschreibung Zu Beginn werden die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt, von denen jede einen Themenaspekt bearbeitet. Im Anschluss bilden die Gruppen gemeinsam einen inneren und einen äußeren Stuhlkreis, wobei der innere und der äußere Stuhl jeweils zueinander zeigen. Die Mitglieder der einen Gruppe setzen sich in den inneren, die Mitglieder der anderen Gruppe in den äußeren Kreis. Die sich nun gegenübersitzenden Partner erklären sich gegenseitig die beiden Themen‐ aspekte. Nach einer gewissen Zeit rotieren die Teilnehmer des äußeren Stuhl‐ kreises, damit sich nun neue Paare austauschen können. Ausführliche Beschreibung Zu Beginn teilen sich die Teilnehmer in zwei Gruppen auf, um verschiedene Aspekte desselben Themas zu bearbeiten. Dafür bieten sich die Aufteilungsü‐ bungen → Losverfahren (S. 95) oder → Nummern zuweisen (S. 96) an. Sind die Gruppen aufgeteilt, verteilt der Leiter an jede Gruppe einen anderen Text oder organisiert für die Gruppen zwei verschiedene Referate in unterschiedlichen Räumen. Falls die Gruppen nicht nur ihre jeweiligen Aspekte erarbeiten, son‐ dern zusätzlich einen Gesamtüberblick über das Thema gewinnen sollen, können sie auch die gleichen Texte erhalten oder dasselbe Referat hören. In diesem Fall bearbeiten sie den Text oder das Referat dann hinsichtlich ihres Themenaspekts. Anschließend bilden sie einen inneren und einen äußeren Stuhlkreis mit der jeweils gleichen Anzahl an Stühlen. Die Stühle werden so platziert, dass sich die Teilnehmer der beiden Stuhlkreise jeweils paarweise gegenübersitzen. Die Mit‐ glieder der einen Gruppe nehmen im inneren, die Mitglieder der anderen Gruppe im äußeren Stuhlkreis Platz, sodass jedes Paar aus Mitgliedern beider Gruppen besteht. Nun geht die Methode in die erste Phase: Der Leiter gibt ein Zeitintervall vor, in dem die Teilnehmer im inneren Stuhlkreis ihren Partnern ihren Themen‐ aspekten vorstellen. Danach stellen die Partner im äußeren Stuhlkreis in der gleichen Zeit ihren Aspekt vor. Das vorgegebene Zeitintervall hängt vom Um‐ fang und der Komplexität des Themas ab, sollte jedoch fünf Minuten nicht 266 9 Lerntechniken <?page no="267"?> überschreiten, damit sich möglichst viele verschiedene Teilnehmer austauschen können. Nachdem sich die Partner ihre Themenaspekte vorgestellt haben, rü‐ cken die Teilnehmer im äußeren Stuhlkreis einen Platz nach rechts, sodass jedem ein neuer Partner gegenübersitzt. Es folgt die zweite Phase der Methode. In dieser Phase müssen sich die Teil‐ nehmer nicht mehr ihre Themenaspekte vorstellen, sondern können direkt Fragen oder Unklarheiten mit den Partnern klären. Dafür erhält jeder genauso viel Zeit wie in der ersten Phase. Danach rotieren die Teilnehmer im äußeren Stuhlkreis wieder, und erneut haben die neuen Paare Gelegenheit, gemeinsam Unklarheiten zu klären. Das Zeitintervall dafür entspricht erneut dem der ersten Phase. Der äußere Stuhlkreis rotiert während der Methode etwa fünf Mal. Ab‐ schließend klärt die ganze Gruppe die hartnäckigsten Unklarheiten in einer moderierten Diskussion. Variante Besteht das vorgegebene Thema nur aus einem Aspekt, bearbeiten alle diesen einen Aspekt. Sich gegenübersitzende Teilnehmer diskutieren dann direkt über offene Fragen und müssen sich das Thema nicht erst gegenseitig erklären. Vor- und Nachteile + Die Methode ist vor allem mit größeren Gruppen ab 20 Teilnehmern sinnvoll und lässt sich ohne größeren organisatorischen Aufwand durchführen. - Da sich die Teilnehmer immer nur zu zweit austauschen, ist die Gefahr groß, dass sie sich einige Aspekte unvollständig oder fehlerhaft vermitteln. Des‐ halb muss eine moderierte Diskussion die Methode abschließen. 9.3.4 Lerntempoduett < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 267 9.3 Neues Erlernen <?page no="268"?> Kurzinfo ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Schreibmaterialien ▸ 2 aufeinander aufbauende Texte pro Teilnehmer Ziel Die Methode ermöglicht das Erlernen neuer Inhalte in der Gruppe und berück‐ sichtigt gleichzeitig die unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten der einzelnen Gruppenmitglieder. Alle Teilnehmer profitieren somit von den synergetischen Effekten der Gruppenarbeit, ohne dass sich Teilnehmer mit einem eher geringen Lerntempo über- und Teilnehmer mit einem eher hohen Lerntempo unterfordert fühlen. Kurzbeschreibung Der Leiter bereitet zwei Texte vor, die jeweils einen unterschiedlichen Themen‐ aspekt behandeln oder mit verschiedenen Aufgaben verbunden sind. Jeder Teil‐ nehmer erhält einen der Texte und bearbeitet ihn. Wer mit seinem Text fertig ist, sucht sich einen Teilnehmer, der den anderen Text erhalten hat. Beide prä‐ sentieren sich nun wechselseitig ihre Ergebnisse und bearbeiten anschließend den jeweils anderen Text. Ausführliche Beschreibung Zur Vorbereitung teilt der Leiter das zu bearbeitende Thema in zwei Aspekte auf oder verknüpft es mit zwei unterschiedlichen Aufgaben, für welche die Teil‐ nehmer je einen anderen Text bearbeiten sollen. Damit sich die Arbeitsblätter auf den ersten Blick ihrem Text zuordnen lassen, kann der Leiter zwei verschie‐ dene Farben für das Papier wählen. Der Leiter verteilt von beiden Texten gleich viele Exemplare, doch jeder Teilnehmer erhält bloß einen Text, sodass sich zwei gleich große Gruppen bilden, welche verschiedene Aspekte oder Aufgaben be‐ 268 9 Lerntechniken <?page no="269"?> arbeiten. Falls der Leiter die Gruppen nicht bilden möchte, indem er schlicht die (möglicherweise verschiedenfarbigen) Blätter austeilt, kann er auch auf die Aufteilungsübungen → Losverfahren (S. 95) und → Nummern zuweisen (S. 96) zurückgreifen. Bei einer ungeraden Anzahl an Teilnehmern nimmt der Leiter selbst am Lerntempoduett teil. Wenn alle Teilnehmer einen Text erhalten haben, geht die Methode in die erste ihrer vier bis fünf Phasen: Der Leiter erläutert die Themenaspekte bzw. Aufgabenstellungen und die Teilnehmer bearbeiten diese in Einzelarbeit. Hierfür wird ihnen keine zeitliche Beschränkung auferlegt, denn die Stärke der Methode besteht gerade darin, dass die Teilnehmer die Inhalte in ihrem eigenen Tempo bearbeiten können. Sie durchlaufen die einzelnen Phasen der Methode also in der Geschwindigkeit, mit der sie sich wohlfühlen. Sobald ein Teilnehmer mit seinem Text fertig ist, signalisiert er dies non‐ verbal, etwa durch Handzeichen oder Aufstehen. Er sucht sich nun einen Partner, der ebenfalls fertig ist, aber den anderen Aspekt bzw. die andere Aufgabe bearbeitet hat, und bildet mit ihm ein Expertenpaar. Die beiden Partner präsen‐ tieren sich jetzt in der zweiten Phase ihre Ergebnisse und klären dabei offene Fragen. Die Aufgabenstellung kann auch so formuliert sein, dass die Teilnehmer in dieser Phase ihre Erkenntnisse gemeinsam mit einer → Mindmap (S. 163) oder einem selbst ausgedachten Schema visualisieren sollen. Davon profitiert nicht nur der Teilnehmer, dem die Ergebnisse präsentiert werden, sondern auch sein Partner, da er sein Verständnis des Stoffs beim Erstellen des Schemas noch einmal vertieft. Haben sich die Partner ihre Ergebnisse präsentiert, erhalten sie vom Leiter jeweils den Text, den sie noch bearbeiten müssen. Ihn bearbeiten sie in der dritten Phase noch einmal in Einzelarbeit und in ihrem eigenen Tempo. Mit ihren Vorkenntnissen aus der Partnerarbeit können sei dabei noch letzte Details ver‐ tiefen, die sie in der Diskussion nicht vollständig erfasst haben. Sobald sie fertig sind, suchen sie sich einen Partner, der den anderen Text bearbeitet hat und der die dritte Phase ebenfalls beendet hat, um sich als Expertenpaar in einer vierten Phase ihre neuen Ergebnisse zu präsentieren. Dabei müssen nicht zwangsläufig dieselben Teilnehmer ein Expertenpaar bilden, die bereits in der zweiten Phase zusammengearbeitet haben. Die Paarbildung hängt ausschließlich davon ab, wer die dritte Arbeitsphase in welchem Tempo erledigt. Da die Teilnehmer die Ergebnisse beider Texte bereits kennen, laufen die dritte und die vierte Phase deutlich schneller ab als die ersten beiden. Falls noch genügend Zeit bleibt, kann die ganze Gruppe gemeinsam offene Fragen klären oder die erarbeiteten Inhalte in einer optionalen fünften Phase zusammenfassen. 269 9.3 Neues Erlernen <?page no="270"?> Zusammenfassung Das Schema in Abbildung 9-2 fasst noch einmal kurz die Phasen des Lerntem‐ poduetts zusammen. 1. Phase: Lernen in Ein‐ zelarbeit 2. Phase: Lernen als Experten‐ paar 3. Phase: Lernen in Ein‐ zelarbeit 4. Phase: Lernen als Experten‐ paar 5. Phase: Zusammenfas‐ sung mit den anderen Teilnehmern (optional) Abbildung 9-2: Die fünf Phasen des Lerntempoduetts Vor- und Nachteile + Unabhängig von ihrem jeweiligen Lerntempo werden alle Teilnehmer gleich stark in den Arbeits- und Präsentationsprozess miteinbezogen. - Die Dauer der Methode lässt sich für Gruppen, in denen einzelne Teilnehmer sehr unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten aufweisen, sehr schwer ein‐ schätzen. 270 9 Lerntechniken <?page no="271"?> 9.3.5 Scientific Learning (Learning by Doing) »Was man lernen muss, um es zu tun, das lernt man, indem man es tut.« A R I S T O T E L E S , G R I E C HI S C H E R P HI L O S O P H < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation, Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien ▸ Text-, Video- oder Audiomaterial sowie Abspielgerät Ziel Die Methode »Scientific Learning« findet beim Erwerb von Qualifikationen An‐ wendung, bei denen das Sammeln von Erfahrungen einen entscheidenden An‐ teil am Lernprozess ausmacht. Dazu zählen vor allem solche Qualifikationen, zu denen der Umgang mit Menschen gehört. Sie lassen sich nicht in der Theorie erlernen, sondern erfordern, dass der Lernende Arbeitsschritte trainiert, ver‐ schiedene Verfahren praktisch anwendet und sich insbesondere aus Fehlern den nötigen Erfahrungsschatz aneignet. 271 9.3 Neues Erlernen <?page no="272"?> Kurzbeschreibung Den Teilnehmern wird zu Beginn Text-, Video- oder Audiomaterial präsentiert, das die praktischen Arbeitsschritte oder Verfahren demonstriert. Dieses Material macht auch auf mögliche Fehler aufmerksam und stellt deren Konsequenzen dar. Die Teilnehmer nutzen das Material, um daraus für sich selbst Erfolg verspre‐ chende Strategien und Verfahren abzuleiten, welche sie anschließend anhand einer praktischen Aufgabe erproben. Zum Schluss erarbeiten sie ausgehend vom Lehrmaterial und von ihren eigenen Erfahrungen einen theoretischen Leitfaden. Ausführliche Beschreibung Der Name der Methode leitet sich vom wissenschaftlichen Erkenntnisweg ab: Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen von Umwelterscheinungen stellen Wis‐ senschaftler zunächst eine Hypothese auf, die das beobachtete Phänomen oder das erkannte Problem erklären soll. Anschließend verifizieren oder falsifizieren sie die Hypothese in einem Experiment. Ausgehend von diesen Erkenntnissen entwickeln sie schließlich ein theoretisches Modell, das die beobachteten Er‐ scheinungen beschreibt. Zum Abschluss des wissenschaftlichen Arbeitspro‐ zesses veröffentlichen sie ihre Erkenntnisse, um den Austausch mit anderen Wissenschaftlern zu ermöglichen. Die Methode »Scientific Learning« geht analog zu diesem Erkenntnisweg vor. Dazu werden zu Beginn die Teilnehmer auf mehrere Kleingruppen aus vier bis acht Mitgliedern aufgeteilt. Dafür eignet sich die Methode → Losverfahren (S. 95). Beim Festlegen der Gruppengrößen muss beachtet werden, dass jede Gruppe ihren eigenen Moderator benötigt. Daher empfiehlt es sich, für jede Kleingruppe einen Teilnehmer als Moderator auszuwählen, der bereits in Mo‐ derationstechniken geübt ist. Die Methode gliedert sich in vier Phasen, von denen die ersten drei von jeder Kleingruppe separat bearbeitet werden: Die erste Phase ist die Beobachtungsphase, in welcher den Teilnehmern das Thema mit Text-, Video- oder Audiomaterial präsentiert wird. Die Teilnehmer halten ihre Beobachtungen dazu schriftlich fest. Zusätzlich zu diesem Material kann der Leiter Leitfragen an die Teilnehmer verteilen, die ihnen helfen, auf bestimmte Aspekte des Materials zu achten. Die gesamte Beobachtungsphase dauert etwa 15 bis 20 Minuten. Für das Sammeln der Beobachtungen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Teilnehmer können z. B. ihre Beobachtungen in Einzelarbeit notieren und am Ende gemeinsam mit dem Moderator auf einem Visualisierungsmedium sam‐ meln. Bei Video- oder Audiomaterial ist auch folgendes Verfahren denkbar: Die Teilnehmer äußern sich immer dann, wenn ihnen ein relevanter Aspekt auffällt. 272 9 Lerntechniken <?page no="273"?> Der Moderator hält daraufhin das Material an und der Teilnehmer erläutert seine Beobachtung. Die Gruppe kann die Beobachtung nun in einer kurzen Diskussion ergänzen und dann entscheiden, ob sie auf dem Visualisierungsmedium festge‐ halten werden soll. Anschließend setzt der Moderator die Präsentation fort. Die zweite Phase ist die Konzeptionsphase. Nun stellt die Gruppe ausgehend von ihren Beobachtungen Hypothesen auf und erarbeitet Konzepte, indem sie die gesammelten Punkte in einer moderierten Diskussion strukturiert, zusam‐ menfasst und gegebenenfalls verallgemeinert. In dieser Phase spielt der Mode‐ rator eine zentrale Rolle, da es für die Erarbeitung der Hypothesen und Konzepte entscheidend ist, dass die Teilnehmer nicht abschweifen und dass der Fortschritt der Gruppe gelegentlich kurz zusammengefasst wird. Die Leitfragen können dabei sowohl dem Moderator als auch den Teilnehmern als Orientierung dienen. Da sich die Konzeptionsphase sehr stark auf die gesammelten Beobachtungen stützt, sind nur wenige Streitpunkte zu erwarten. Aus diesem Grund sollte diese Phase maximal zehn Minuten dauern. Weiter geht es mit der dritten Phase, der Erprobungsphase. Die Teilnehmer erproben die in der letzten Phase erarbeiteten Konzepte anhand einer vorgege‐ benen Aufgabenstellung. Dies kann innerhalb der Kleingruppen geschehen, doch falls Fertigkeiten im Umgang mit anderen Menschen trainiert werden sollen, empfiehlt es sich, dass die Aufgabe die Teilnehmer der anderen Klein‐ gruppen miteinbezieht. Sollen z. B. Moderationstechniken erlernt werden, könnte die Aufgabenstellung lauten, dass die Teilnehmer Diskussionen in an‐ deren Kleingruppen moderieren sollen. Die Erfahrungen, die die Teilnehmer in dieser Phase machen, dienen anschließend als Grundlage für Veränderungen an den erstellten Hypothesen und Konzepten. Die Dauer der Erprobungsphase hängt stark von der vorgegebenen Aufgabenstellung ab. Ein grober Richtwert ist 15 bis 20 Minuten. Schließlich folgt als vierte Phase die Austauschphase. Analog zur wissen‐ schaftlichen Gemeinschaft präsentieren sich die Kleingruppen gegenseitig ihre Ergebnisse. Dafür können sie ihre Konzepte im Anschluss an die dritte Phase in einer geeigneten Form aufbereiten, indem sie z. B. ein kleines Plakat erstellen oder einen kurzen Vortrag vorbereiten. Sie sollten aber nur knapp die wesent‐ lichsten Punkte vorstellen, denn die Austauschphase sollte nicht länger als zehn Minuten dauern. Durch die Austauschphase haben die Teilnehmer die Gelegenheit, auch Lö‐ sungsansätze kennenzulernen, die möglicherweise von ihrem eigenen abwei‐ chen. Dass sie auf diese Weise ihren Erfahrungsschatz bereichern, ist besonders wichtig, da die Methode häufig zum Erlernen von Qualifikationen dient, die wesentlich auf gesammelten Erfahrungen beruhen. 273 9.3 Neues Erlernen <?page no="274"?> Vor- und Nachteile + Unabhängig von ihrem jeweiligen Lerntempo werden alle Teilnehmer gleich stark in den Arbeits- und Präsentationsprozess miteinbezogen. - Diese etwas ungewöhnliche Art des anwendungsorientierten Lernens kann einigen Teilnehmern zu Beginn schwerfallen. Daher sollte der Leiter Geduld mitbringen und zunächst versuchen, die Teilnehmer durch mehrmaliges Anwenden der Methode sukzessive an das anwendungsorientierte Lernen heranzuführen. 9.3.6 Zwei W: Was ich weiß und was ich wissen will < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Pinnwand ▸ Schreibmaterialien ▸ 1 Kartensatz mit 4 roten, gelben, grünen und blauen Karten und 1 Stift pro Teilnehmer, Reservekarten 274 9 Lerntechniken <?page no="275"?> Ziel Die Methode »Zwei W« eignet sich vor allem zum Einstieg in ein neues Thema. Sie klärt erste Fragen und Unklarheiten der Teilnehmer und hilft dem Leiter, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was die Teilnehmer über das Thema wissen, was sie besonders interessiert und was sie im Verlauf der ge‐ meinsamen Arbeit ausführlich behandeln möchten. Kurzbeschreibung Die Teilnehmer erhalten grüne, blaue, rote und gelbe Karten zum Beschriften. Die Farben geben an, was die Teilnehmer schon über das Thema wissen, zu welchen Aspekten sie gerne ausführliche Informationen hätten, welche Aspekte sie noch nicht verstehen und welche Aspekte sie gerne in einer Diskussion mit der Gruppe klären wollen. In der anschließenden Runde werden die Karten analysiert. Damit können einige Fragestellungen sofort geklärt und weitere Problemfelder für die spätere Bearbeitung identifiziert werden. Ausführliche Beschreibung Vor einer neuen Lerneinheit teilt der Moderator verschiedenfarbige Karten an die Teilnehmer aus. Diese werden von den Teilnehmern gemäß dem folgenden Schema beschrieben: Grün Informationen zum neuen Thema, die die Teilnehmer bereits kennen Blau Unbekannte Aspekte, zu denen die Teilnehmer gerne ausführliche In‐ formationen hätten Rot Aspekte, die die Teilnehmer noch nicht verstanden haben oder zu denen es Fragen gibt Gelb Aspekte, die mit allen Teilnehmern zusammen in der Gruppe bear‐ beitet oder diskutiert werden sollen Der Moderator kann diese Beschriftungsregeln als Gedächtnisstütze für die Teilnehmer zu Beginn in den entsprechenden Farben auf der Pinnwand fest‐ halten. Wenn alle Teilnehmer ihre Karten ausgefüllt haben, sammelt der Moderator die Karten ein und heftet sie nach Farbe sortiert an die Pinnwand. Vermutlich wird sich zeigen, dass einige der grünen Karten Antworten auf Fragen liefern, die auf den blauen und roten Karten stehen. Nach solchen Kartenpaaren suchen der Moderator und die Teilnehmer als Erstes. 275 9.3 Neues Erlernen <?page no="276"?> Sind die Paare gefunden, beantworten diejenigen Teilnehmer, von denen die grünen Karten stammen, die Fragen der anderen Teilnehmer. Außerdem führt der Moderator zu jedem der Kartenpaare eine → Konsensfindung (S. 43) durch, um den weiteren Gesprächsbedarf zu klären. Dabei sollte er die Kartenpaare so anordnen, dass sich ein inhaltlicher Bezug zwischen aufeinanderfolgenden Kar‐ tenpaaren ergibt. Blaue, rote oder gelbe Karten, die zu keiner grünen Karte passen, dienen dem Leiter als Hinweise, welche Themenaspekte er im Laufe der Veranstaltung besonders gründlich behandeln sollte und an welchen Stellen ge‐ meinsame Diskussionen und Übungen sinnvoll sind. Vor- und Nachteile + In dieser Methode ergänzen sich Teilnehmer mit hohem und Teilnehmer mit eher niedrigem Wissensstand: Die Teilnehmer mit einem hohen Wissens‐ stand festigen ihr Wissen, indem sie es für die anderen wiederholen, wäh‐ rend sich die Teilnehmer mit niedrigem Wissensstand nicht erst mühsam selbst einarbeiten müssen. + Der Leiter kann die beschriebenen Karten am Ende einsammeln und Rück‐ schlüsse darauf ziehen, auf welche Themenaspekte er bei einer Neukonzi‐ pierung der Lerneinheit verstärkt eingehen muss. - Die Methode ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn wenigstens ein Drittel der Teilnehmer bereits einiges über das Thema weiß. 276 9 Lerntechniken <?page no="277"?> 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken »Es ist leichter, zwei Theaterstücke zu schreiben als einen Vortrag.« T A N K R E D D O R S T , D E U T S C H E R S C H R I F T S T E L L E R 10.1 Übersicht Nachdem in Kapitel 9 eine Vielzahl von Gruppenarbeitsmethoden vorgestellt wurde, die vor allem Studierende beim Aneignen oder Wiederholen neuer oder bereits bekannter Inhalte unterstützen, richtet sich dieses Kapitel speziell an Vortragende und Lehrende. Es erörtert, wie sich einige Elemente aus der Grup‐ penarbeit zur Unterstützung von Vorträgen nutzen lassen. Zur Einführung gibt Kapitel 10.2 einige kurze Tipps, mit welchen Techniken das Vorbereiten von Vorträgen leichter gelingt. Danach folgen mit Kapitel 10.3 Hinweise zur Vortragstechnik. Dabei geht es besonders darum, wie sich häufige Fehler beim Halten von Vorträgen vermeiden lassen. Zusätzlich stellt das Kapitel mit dem → Anchored Learning (S. 283) und den → Ungewohnten Assoziationen (S. 284) zwei Methodiken vor, die dabei helfen, Vorträge auch ohne gruppendy‐ namische Elemente ansprechender und einprägsamer zu gestalten. Kapitel 10.4 enthält schließlich Gruppenarbeitsmethoden, die den Vortrag unterstützen. 10.2 Tipps zur Vorbereitung von Vorträgen 10.2.1 Audioaufzeichnung Ziel Das Aufnehmen des eigenen Vortrags trainiert die Fähigkeit, ihn frei zu halten, und hilft dem Vortragenden, seine Wirkung auf die Zuhörer einzuschätzen. Beschreibung Der Vortragende spricht die erste Fassung seines Vortrags auf eine Kassette oder ein Diktiergerät, oder er erstellt mithilfe eines Aufnahmeprogramms eine Au‐ <?page no="278"?> diodatei auf seinem Computer. Unter Windows findet sich dazu das standard‐ mäßig installierte Tool »Audiorekorder« oder »Sprachrekorder«, welches Au‐ diodateien aufnehmen und abspeichern kann. Als kostenfreies Programm mit mehr Funktionen zur Audioaufnahme und -bearbeitung empfiehlt sich »Auda‐ city«, welches sich auf allen Betriebssystemen installieren lässt. Nachdem er den Vortrag aufgenommen hat, hört sich der Vortragende ihn aufmerksam an, macht sich gegebenenfalls Notizen zu Stellen, die er verbessern möchte, und nimmt eine weitere Fassung des Vortrags auf. Dies wiederholt er so lange, bis er mit dem gesamten Vortrag zufrieden ist. Um sich den Vortrag besser einzuprägen, kann er seine Aufnahme bei ver‐ schiedenen Gelegenheiten nebenbei hören, etwa beim Autofahren, Kochen oder sogar beim Schlafen. 10.2.2 Mindmap Ziel Eine → Mindmap (S. 163) hilft bei der Vorbereitung, den Vortrag noch einmal ge‐ danklich zu strukturieren und die Zusammenhänge zwischen einzelnen Aspekten zu verdeutlichen. Sie kann den Vortragenden auch auf bisher unbemerkte, neue Zusammenhänge aufmerksam machen, die er dann in seinem Vortrag unter‐ bringen kann. Während des Vortrags dient sie ihm als Gedächtnisstütze. Beschreibung Der Vortragende erstellt eine Mindmap, die die wichtigsten Stichpunkte seines Vortrags und deren Zusammenhänge abbildet. Falls er dabei neue Zusammen‐ hänge entdeckt, strukturiert er die Mindmap gegebenenfalls noch einmal um. Die fertige Mindmap dient anschließend als Gedankenstütze. Variante Es ist auch möglich, die Mindmap auf einem Plakat zu erstellen und es während des Vortrags im Raum aufzuhängen. Dann erleichtert sie es den Zuhörern, dem Vortrag zu folgen. In diesem Fall können, ähnlich wie beim → Advance Orga‐ nizer (S. 258), zusätzliche Illustrationen das Verständnis fördern. 278 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="279"?> 10.2.3 Moderationskarten Ziel Moderationskarten helfen dem Vortragenden, den roten Faden wiederzufinden. Allein durch ihre Existenz vermitteln sie so schon Sicherheit, selbst wenn der Vortragende sie gar nicht unbedingt bräuchte. Beim Anfertigen verinnerlicht der Vortragende außerdem gleich das Grundgerüst seines Vortrags. Beschreibung Der Vortragende notiert die wichtigsten Stichpunkte seines Vortrags der Rei‐ henfolge nach auf DIN-A5- oder DIN-A6-große Pappkärtchen. Die Moderati‐ onskarten werden danach nummeriert und Schlüsselbegriffe eventuell farbig markiert. Die Nummerierung der Karten ist wichtig, damit der Vortragende die Karten auch in der Anspannung des Vortrags wieder schnell sortieren kann (etwa, wenn diese durcheinandergeraten oder sogar herunterfallen). Zudem sollte der Vortragende darauf achten, die groß und für ihn selbst gut lesbar zu beschriften, um mit einem Blick das entfallende Stichwort nachsehen zu können. 10.2.4 Seminaraufnahmen Ziel Eine weniger auf den aktuellen Vortrag, sondern auf die allgemeine Vortrags‐ technik bezogene Methode, sich auf Vorträge vorzubereiten, stellt das Ansehen von Videoaufnahmen früherer Vorträge oder Seminare dar. Es zeigt dem Vor‐ tragenden, wie er auf seine Zuhörer wirkt und hilft ihm dabei, allgemeine Fehler in seiner Präsentationstechnik zu erkennen und sie für spätere Vorträge zu kor‐ rigieren. Zusätzlich kann die Methode genutzt werden, um mehrmals zu hal‐ tende Vorträge zu verbessern. Beschreibung Während des Vortrags lässt sich der Vortragende filmen. Die Videoaufnahmen vom Vortrag schaut er sich später an und analysiert den Vortrag hinsichtlich Sprache, Ausdruck, Gestik, Bewegungen und Reaktionen der Zuhörer. Auf diese Weise bemerkt er unbewusste Fehler oder Angewohnheiten. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, aus der Distanz der Videoaufnahme die Reaktionen der Zu‐ 279 10.2 Tipps zur Vorbereitung von Vorträgen <?page no="280"?> hörer zu beobachten. So kann er auch Reaktionen erfassen, die ihm sonst auf‐ grund seiner Anspannung während des Vortrags entgangen wären. 10.2.5 Testpersonen Ziel Auch wenn der Vortragende Audio- oder Seminaraufnahmen anfertigt, kann ihn seine subjektive Wahrnehmung blind für Fehler oder Verbesserungsmöglich‐ keiten machen. Dann helfen Testpersonen, vor denen der er seinen Vortrag üben kann. Beschreibung Der Vortragende bittet einen Freund oder Kollegen, den Vortrag als Testperson zu bewerten. Während des Vortrags macht sich die Testperson Notizen zu ein‐ zelnen Stellen oder zu allgemeinen Aspekten der Vortragstechnik, bei denen sie Verbesserungspotenzial sieht. Im Anschluss besprechen dann beide den Vortrag, wobei der Vortragende die Anmerkungen und Vorschläge der Testpersonen nicht kommentiert. Auf diese Weise lässt er sie erst einmal auf sich einwirken, anstatt sie eventuell verfrüht zu verwerfen. Ausgehend von den Anmerkungen wird der Vortrag nun überarbeitet und der Testperson erneut präsentiert. Danach beraten der Vortragende und die Testperson, ob sich die Vorschläge bewährt haben. Erst jetzt verwirft der Vor‐ tragende gegebenenfalls einige der Vorschläge, oder er nimmt weiter Ände‐ rungen vor. Seinen Vortrag verbessert er so lange, bis keiner von beiden mehr Verbesserungswünsche hat. 10.3 Tipps zum Halten von Vorträgen 10.3.1 Allgemeine Hinweise Das Halten von Vorträgen ist ein weites Feld, das sich auf wenigen Seiten nicht erschöpfend behandeln lässt. Im Folgenden sollen dennoch einige Faustregeln vorgestellt werden, die dabei helfen, häufige Fehler zu vermeiden und bei den Zuhörern einen guten Eindruck zu hinterlassen. Dazu jedoch eine Vorbemerkung: Dass das Vortragen eine Begabung sei, die man von vornherein mitbringen muss, ist eine weitverbreitete Annahme. In Wirklichkeit ist es aber vielmehr eine Fertigkeit, die jeder erlernen und üben 280 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="281"?> kann. Neben den unten vorgestellten Hinweisen bringt deshalb häufiges Üben den größten Nutzen für die eigene Vortragstechnik. Stures Befolgen von Faust‐ regeln allein hilft dagegen nicht weiter. ▸ Ein zusammenhängender frontaler Teil des Vortrags sollte nicht länger als etwa 20 Minuten dauern. Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer hängt von vielen inter- und intraindividuellen Faktoren ab, und auch vom Schwierigkeitsgrad des Themas sowie dem Vorwissen, das die Zuhörer mitbringen. In der Praxis ist es oft nicht möglich, alle diese Faktoren zu berücksichtigen, sodass der obige Richtwert eine gute Orientierung lie‐ fert. Dauert der frontale Teil eines Vortrags länger als 20 Minuten, sollte nach dieser Zeitspanne eine Pause gemacht oder eine aktivierende Übung eingeschoben werden. Zusätzlich können Sie versuchen, ihren Vortrag nach dem Prinzip der → Sandwich-Methode (S. 298) aufzubauen, damit aktivierende Übungen oder Gruppenarbeitsmethoden die frontalen Vor‐ tragselemente begleiten. ▸ Es muss klar sein, wo der Fokus liegt! Alles, was vom Fokus ablenken könnte, sollten Sie vermeiden. Dies könnten beispielsweise Rechtschreib‐ fehler auf den Vortragsfolien sein oder nervöse oder hektische Bewe‐ gungen ▸ Machen Sie eindeutige Bewegungen, wenn Sie auf Details der Vortragsfolien deuten. Typische Fehler sind das Zeigen mit der Hand auf den Laptop‐ bildschirm (den die Zuhörer nicht sehen) oder das Verwenden des eigenen Schattens im Beamerlicht als Zeigestock. Hier ist nicht klar, worauf die Zuhörer achten sollen: auf Ihre Hand oder deren Schatten? ▸ Seien Sie authentisch! Es gibt viele Regeln zur Körpersprache beim Vortrag: »Stecken Sie die Hände nicht in Ihre Hosentasche.« Oder: »Laufen Sie während des Vortrags nicht hin und her.« An diesen Regeln ist nichts auszusetzen; viel wichtiger ist aber, dass Sie auch mit Ihrer Körpersprache einen authentischen Eindruck vermitteln, der zu Ihrem Vortragsstil passt. Es kann die Zuhörer weitaus stärker irritieren, wenn Sie vorne eine Rolle spielen, die nicht Ihrer Persönlichkeit entspricht, als wenn Sie hin und wieder ein paar Schritte gehen oder z. B. durch eine Hand in der Hosen‐ tasche eine eher lockere Haltung einnehmen. ▸ Eine direkte Anrede der Zuhörer an bestimmten Punkten des Vortrags kann die Aufmerksamkeit steigern. ▸ Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken über jeden kleinen Fehler oder Versprecher. Kleine Fehler fallen den Zuhörern meist nicht auf. 281 10.3 Tipps zum Halten von Vorträgen <?page no="282"?> ▸ Wenn jedoch während des Vortrags »der komplette Faden verloren geht«, wirkt es überzeugender, dies vor den Zuhörern offen anzusprechen und noch einmal an einem Punkt neu anzusetzen, an dem Sie sich sicher fühlen. Der Versuch, den Aussetzer zu vertuschen, wirkt häufig sehr un‐ authentisch. Als Ergänzung zu diesen Hinweisen können auch die Tipps zur Verwendung des Visualisierungsmediums in Kapitel 5.3.2 zurate gezogen werden. 10.3.2 Hinweise zum Umgang mit PowerPoint Bei Vorträgen spielen PowerPoint oder ähnliche Präsentationsprogramme wegen der Häufigkeit ihrer Verwendung eine große Rolle als unterstützendes Medium. Daher gibt dieses Kapitel eigens Hinweise zur Verwendung von Pow‐ erPoint. Viele glauben, dass ein Vortrag immer durch PowerPoint unterstützt werden muss. Allerdings ist die unterstützende Wirkung der Software in kurzen Vor‐ trägen oder in Vorträgen, die nur wenige Bilder oder Videos beinhalten, eher gering. PowerPoint kann längere Vorträge oder Vorträge mit Medien durchaus bereichern, doch auch dort birgt die Verwendung eine Vielzahl von Stolper‐ fallen. Die folgenden Hinweise können helfen, Fehler zu vermeiden: ▸ PowerPoint soll den Vortrag unterstützen, nicht ersetzen! Auf keinen Fall sollten Sie bloß die PowerPoint-Folien ablesen. Der Vortrag sollte nach wie vor frei gehalten werden; PowerPoint-Folien können ihn mit Bildern, Videos oder anderen Medien unterstützen und die wichtigsten Inhalte als Gedankenstütze anzeigen. ▸ Verwenden Sie ausformulierte Sätze auf den Folien sehr sparsam, am besten ausschließlich für die allerwichtigsten Punkte. ▸ Animationen können beeindruckend wirken, können aber auch vom In‐ halt der Präsentation ablenken. Setzen Sie deshalb möglichst wenige Ani‐ mationen ein, und dies auch nur dort, wo sie den Inhalt unterstützen. ▸ Beschränken Sie sich auf eine Schriftart (oder auf maximal zwei Schrift‐ arten, wenn Sie Formeln und Tabellen verwenden). Der Haupttext sollte nicht in einer Schriftart mit Serifen gesetzt werden, da diese vor allem für längere Texte entwickelt wurden. Ebenfalls sollten Sie auf ausgefallene Schriftarten wie Comic Sans verzichten: Im Allgemeinen hinterlassen Sie eher einen negativen Eindruck als einen positiven, wenn das eigene Vor‐ tragslayout zu stark von der erwarteten Norm abweicht. 282 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="283"?> ▸ In vielen Ratgebern findet sich der Hinweis, dass die PowerPoint-Folien nicht »überladen« sein sollten, zusammen mit einer Höchstzahl an Wör‐ tern oder Zeilen pro Folie sowie einer Mindestschriftgröße. Obwohl es sicher sinnvoll ist, nicht zu viel Text auf einer Folie zu platzieren, sollten Sie letzten Endes jedoch abhängig vom vorgestellten Inhalt und nicht nach Faustregeln entscheiden, wie viel Text eine Folie enthalten soll. ▸ Verwenden Sie für den Hintergrund keine dunklen Farben, da sie eher er‐ müdend wirken. Wählen sie stattdessen helle Hintergründe ohne grelle Farben aus. ▸ Beschränken Sie sich bei der Wahl der Farben auf etwa zwei Schmuck‐ farben. Dies sollten keine Farben sein, die sich im Farbkreis gegenüber‐ stehen (z. B. Gelb und Violett, Rot und Grün oder Orange und Blau), da diese Kombinationen einen sehr starken Kontrast bilden. Bei Rot und Grün ist zusätzlich zu beachten, dass diese Farben für Menschen mit einer Rot-Grün-Sehschwäche kaum zu unterscheiden sind. 10.3.3 Anchored Learning Ziel Das Anchored Learning verhindert, dass die Teilnehmer den Stoff lernen, ohne ihn anwenden zu können. Dazu werden sie zuerst mit den Anwendungsmög‐ lichkeiten des neuen Stoffs vertraut gemacht, damit sie erkennen, welche bisher nicht lösbaren Aufgaben sich mit dem neuen Wissen bearbeiten lassen. Dies kann sie zusätzlich motivieren, da sie auf diese Weise die Bedeutung des Stoffs für die Praxis erfassen, bevor sie mit der oft abstrakteren und schwierigeren Theorie konfrontiert werden. Beschreibung Der Vortragende präsentiert zu Beginn eine Geschichte, die die Anwendungs‐ möglichkeiten des Stoffs veranschaulicht, indem er einen kurzen Film zeigt oder einen vorbereiteten Text mit den Teilnehmern durchgeht. Als »anchored« wird diese Art des Lernens deshalb bezeichnet, weil die Geschichte den Teilnehmern einen Anker zur Verfügung stellt, der Interesse weckt und die Möglichkeit bietet, eigenständig Probleme zu erkennen, zu definieren und zu lösen. Zum Präsen‐ tieren der Geschichte eignet sich grundsätzlich jedes Medium: der behandelte Stoff ließe sich ebenfalls durch ein Hörspiel vorstellen oder einzelne Teilnehmer spielen eine kurze Szene. 283 10.3 Tipps zum Halten von Vorträgen <?page no="284"?> Die Geschichte stellt den Stoff in einem praktischen Kontext dar und kon‐ kretisiert die dahintersteckende Theorie. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind viel‐ fältig: In einer Vorlesung über Moderationstechniken wäre es denkbar, einen Film oder einen Text mit einer fiktiven Diskussion zu präsentieren und den Teilnehmern mehrere verschiedene Handlungsmöglichkeiten des Moderators aufzuzeigen, aus denen sie eine auswählen müssen. In einer Vorlesung über Sinneswahrnehmung ließe sich das Thema in eine Geschichte über eine be‐ kannte Filmfigur, etwa James Bond, einbetten. Die Geschichte könnte den Be‐ griff »Zweipunktschwelle« anhand zweier Pistolenläufe erklären, die gegen den Rücken des Protagonisten drücken, während der Protagonist sie als einen ein‐ zigen Pistolenlauf wahrnimmt. Als weiteres Beispiel könnte die schlechte Wahr‐ nehmung des Protagonisten in einer dunklen Kneipe die geringere Sehschärfe und Fernwahrnehmung beim Nachtsehen veranschaulichen. Nach der Präsentation der Geschichte stellt der Vortragende den Teilnehmern eine Aufgabe, die das zugrunde liegende Problem behandelt, oder er lässt die Aufgabe von den Teilnehmern selbst ableiten. Die Aufgabe können sie in Gruppen- oder Einzelarbeit lösen. Falls mehrere Aufgaben gelöst werden sollen, ist auch die Bildung von → Puzzlegruppen (S. 261) möglich. Wird die Geschichte als Film oder Hörspiel präsentiert, kann der Vortragende zusätzlich einen Text als Gedächtnisstütze austeilen, der die wesentlichen Punkte der Handlung zu‐ sammenfasst. 10.3.4 Ungewohnte Assoziationen Im letzten Kapitel wurde am Beispiel der Sinneswahrnehmung bewusst eine Geschichte gewählt, die man eher nicht beim diesem Thema erwarten würde, und die in diesem Zusammenhang recht ausgefallen wirkt. Dies hat die folgende Bewandtnis: Je unerwarteter oder ungewöhnlicher die gewählte Geschichte ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Anker dienen kann, dass sie für das neue Thema also eine Gedächtnisstütze darstellt. Daher kann es förderlich sein, wenn der Vortragende ganz bewusst ungewohnte Assoziationen weckt. 284 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="285"?> 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen 10.4.1 Bienenkorb (Buzz Group) < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Zeitnahme ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Visualisierungsmedium ▸ Schreibmaterialien Ziel Die Methode gibt den Zuhörern von Vorträgen Gelegenheit, neue und komplexe Themen zu reflektieren, bevor der Vortrag fortgesetzt wird. Die Zuhörer werden ermutigt, ihre offenen Fragen in Kleingruppen zu stellen. Dadurch folgen sie dem verbleibenden Vortrag aufmerksamer und führen weniger Seitengespräche. Kurzbeschreibung Beim Bienenkorb werden die Zuhörer eines Vortrags aufgefordert, nach einer Lerneinheit Kleingruppen von zwei bis vier Teilnehmern zu bilden und ge‐ 285 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen <?page no="286"?> meinsam eine konkrete Fragestellung zum erlernten Stoff zu bearbeiten. Die Ergebnisse können sie am Ende vor dem Plenum präsentieren. Außerdem können sie dem Vortragenden ihre offenen Fragen stellen. Ausführliche Beschreibung Nachdem der Vortragende den neuen Stoff eingeführt hat, notiert er eine Fra‐ gestellung für die Zuhörer auf dem Visualisierungsmedium. Die Fragestellung sollte sich in etwa zehn Minuten bearbeiten lassen, unmittelbar mit dem ge‐ lernten Stoff zusammenhängen und zudem eindeutig lösbar sein, damit die Zu‐ hörer nicht durch mehrere Lösungen verwirrt werden. Bei einer Vorlesung über elektrische Schaltungen wäre z. B. folgende Fragestellung denkbar: »In welchem Zusammenhang stehen Energieerhaltung und Maschenregel? « Die Frage regt die Zuhörer dazu an, sich über die Konzepte Gedanken zu machen, die der Ma‐ schenregel zugrunde liegen, und festigt ihr Verständnis. Nun fordert der Vortragende die Zuhörer auf, Kleingruppen von zwei bis sechs Gruppenmitgliedern zu bilden und die vorgegebene Fragestellung in Gruppenarbeit zu bearbeiten. Dazu reicht meist eine Aufforderung wie »Unter‐ halten Sie sich bitte mit Ihrem Nachbarn/ Ihrer Sitzreihe über …«. Falls Zuhörer, die diese Methode nicht kennen, Schwierigkeiten bei der Gruppenbildung haben, kann der Vortragende selbst durch das Plenum gehen und durch Gesten andeuten, welche Gruppen sich bilden sollen. Bei kleineren Gruppen kann er auch Aufteilungsübungen aus Kapitel 6.3 anwenden. Sofern sich die Sitzordnung schnell verändern lässt, sind Gruppen mit vier bis sechs Teilnehmern kleineren Gruppen zu bevorzugen, weil es in kleineren Gruppen passieren kann, dass die Gruppenmitglieder zu geringe Kenntnisse für eine konstruktive Diskussion mitbringen. Während in Seminarräumen die Sitz‐ ordnung meist rasch geändert werden kann, ist dies jedoch in Hörsälen nur schwer möglich. Dort ist es deshalb effektiver, Zweier- oder Dreiergruppen zu bilden. Weil die Zuhörer im Laufe der Methode sehen, dass sie mit ihren Verständ‐ nisschwierigkeiten nicht »alleine dastehen«, kann die Methode Hemmungen, sich mit Fragen an den Vortragenden oder an andere Teilnehmer zu wenden, spürbar abbauen. Nach etwa zehn Minuten sollte der Vortragende die Gruppenarbeitsphase beenden. In der folgenden Auswertung fragt er, welche der Gruppen ihre Lösung vorstellen möchte, und erteilt ihr das Wort. Bei einer falschen Lösung korri‐ gieren sich die Gruppen gegenseitig. Anschließend fordert der Vortragende die Zuhörer auf, ihre offenen Fragen zum Thema zu stellen, und beantwortet diese gegebenenfalls. Nun fährt er mit seinem Vortrag fort. 286 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="287"?> Vor- und Nachteile + Die Methode lässt sich vergleichsweise schnell durchführen und eignet sich bei frontalen Vorträgen ideal zur kurzen Auflockerung. - Die Methode ergänzt den frontalen Vortrag nur dann sinnvoll, wenn die Fragestellung so gewählt wurde, dass sie die Zuhörer weder übernoch un‐ terfordert. 10.4.2 Donut < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o Kurzinfo ▸ Moderation optional ▸ verschiebbare Sitzgelegenheiten ▸ 1 Visualisierungsmedium pro Stuhlkreis ▸ Stifte pro Stuhlkreis 287 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen <?page no="288"?> Ziel Die Donut-Methode ermöglicht den Zuhörern, untereinander offene Fragen zu klären. Die Diskussion in der Gruppe führt zu einem tieferen Verständnis des Stoffes. Zudem erhält der Vortragende ein Feedback, welche Inhalte die Zuhörer ver‐ standen haben und ob er seine Ziele erreicht hat. Kurzbeschreibung Nach einem Referat oder Vortrag bilden die Zuhörer Kleingruppen aus acht bis zwölf Teilnehmern, in denen sich jedes Gruppenmitglied Fragen zum Inhalt des referierten Stoffs ausdenkt und seine Frage der Reihe nach der Kleingruppe stellt. Die Gruppe entscheidet, ob die Frage lösbar ist, und beantwortet sie dann gegebenenfalls. Ausführliche Beschreibung Am Ende eines Vortrags oder nach längeren und komplexen Lerneinheiten bilden sich im Plenum Kleingruppen von acht bis zwölf Teilnehmern. Bei Ver‐ anstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern deutet der Vortragende an, welche Gruppen sich bilden sollen, und geht gegebenenfalls selbst durch die Reihen. Bei kleineren Gruppen können auch die Aufteilungsübungen aus Kapitel 6.3 verwendet werden. Die Kleingruppen setzen sich in Stuhlkreisen zusammen (die Stuhlkreise haben die Form eines Donuts, daher der Name der Methode). Jetzt denkt sich jedes Gruppenmitglied drei bis fünf Fragen zum Inhalt des Vortrags aus, sodass jeder ganz sicher Fragen hat, die andere Gruppenmitglieder nicht haben. Diese Fragen stellen die Gruppenmitglieder der Reihe nach der restlichen Gruppe, wobei jeder zunächst immer nur eine Frage stellt. Die Gruppe bewertet zuerst, ob die Frage lösbar ist. Das heißt, jeder überlegt sich selbst, ob die Frage mit dem vermittelten Stoff beantwortetet werden kann, und ordnet die Frage in den Gesamtkontext des Themas ein. So erlangen die Gruppenmitglieder schon während der Bewertung ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Zusammenhänge. Lösbare Fragen werden von der Gruppe beantwortet; bei unlösbaren Fragen stellt der Fragesteller eine weitere Frage, die wieder bewertet wird. Die Art der Beantwortung ist nicht festgelegt. Die Frage kann zum Beispiel in einer gemein‐ samen Diskussion oder durch ein einzelnes Gruppenmitglied, das sich freiwillig meldet, beantwortet werden. Ist die Frage beantwortet, stellt das Gruppenmit‐ glied rechts vom Fragesteller seine Frage. Diese bewertet die Gruppe erneut und beantwortet sie. Die Methode endet, sobald jeder eine Frage stellen konnte. 288 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="289"?> Währenddessen kann der Vortragende durch die einzelnen Kleingruppen gehen und erhält so ein Feedback, ob die Teilnehmer den referierten Stoff ver‐ standen haben und ob er sein Lehrziel erreicht hat. Anmerkung Wichtig ist bei dieser Methode, dass es der Raum erlaubt, Stuhlkreise zu bilden. Außerdem sollten die Kleingruppen nicht weniger als acht oder mehr als zwölf Teilnehmer umfassen. Bei größeren Gruppen würde die gemeinsame Ar‐ beit zu lange dauern, bei kleineren Gruppen besteht die Gefahr, dass das Frage‐ spektrum zu gering ausfällt. Vor- und Nachteile + Weil die Teilnehmer in ihren Kleingruppen selbst entscheiden, welche Fragen sie beantworten, ist die Gefahr gering, dass sie sich während der Gruppenarbeit zu sehr auf nebensächliche Details fixieren. - Die Fragen von eher zurückhaltenden Teilnehmern könnten während der Gruppenarbeitsphase zu wenig Gewicht erhalten. 10.4.3 Karten-Vortrag < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 289 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen <?page no="290"?> Kurzinfo ▸ Moderation durch den Vortragenden optional ▸ Sitz- und Schreibgelegenheiten ▸ Pinnwand ▸ Schreibmaterialien ▸ blaue Karten mit Vortragsnotizen, unbeschriftete rote und grüne Karten Ziel Der Karten-Vortrag ist eine Vortragstechnik, bei der die Zuhörer den Vortrag im Voraus mitgestalten können, indem sie ihr Vorwissen als ergänzende Fakten einbringen oder Fragen zu besonders komplexen Aspekten des Vortrags stellen. So kann sich der Vortragende den Wünschen der Teilnehmer anpassen. Kurzbeschreibung Der Vortragende hat im Voraus seine Vortragsnotizen auf blaue Karteikarten geschrieben und präsentiert sie den Zuhörern. Diese ergänzen die Notizen an der entsprechenden Stelle entweder um Zusatzinformationen, die sie auf grünen Karten notieren, oder um Fragen, die sie auf roten Karten vermerken. Die roten und grünen Karten werden dann zu den blauen gelegt und der Vortragende stimmt seinen Vortrag auf die Anmerkungen der Zuhörer ab. Ausführliche Beschreibung Der Vortragende hat Notizen zu seinem Vortrag vorbereitet und auf blauen Karten notiert. Sie skizzieren den Inhalt des Vortrags und enthalten alle prä‐ sentierten Informationen. Bevor der Vortrag beginnt, heftet der Vortragende nun die blauen Karten in der richtigen Reihenfolge gut lesbar nebeneinander an eine Pinnwand. Sobald sich die Zuhörer die Notizen durchgelesen haben und eventuelle Verständnisfragen geklärt sind, teilt der Vortragende jeweils einige unbeschriftete rote und unbeschriftete grüne Karten an jeden Zuhörer aus. Dabei darf jeder beliebig viele Karten beschriften und den Leiter gegebenenfalls um weitere Karten bitten. Wer zusätzlich zu den Informationen auf den blauen Karten weiteres Wissen zum Thema einbringen kann und der Meinung ist, dass seine Zusatzinforma‐ tionen das Verständnis des Vortrags erleichtern, notiert diese auf den grünen Karten. Wichtige Verständnisfragen, von denen die Zuhörer glauben, dass der Vortrag sie nicht oder nicht ausführlich genug beantworten wird, werden auf den roten Karten vermerkt. Die Teilnehmer heften dann die beschrifteten Karten an die Pinnwand neben diejenigen blauen Karten, auf die sich die Zusatzinfor‐ mationen oder Fragen der neuen Karten beziehen. 290 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="291"?> Der Vortragende kann an dieser Stelle die Rolle des Moderators einnehmen und versuchen, durch eine → Konsensfindung (S. 43) eine Einigung darüber zu erzielen, welche der neuen Karten er für seinen Vortrag berücksichtigen soll. Oder er kann selbst abwägen, welche Karten er einfließen lässt. Die Konsens‐ findung sollte aber sehr kurz gehalten werden, da sonst die Gefahr besteht, dass bereits vor dem Vortrag zu viel Zeit auf Diskussionen über dessen Inhalt ver‐ wendet wird. Schließlich hält der Vortragende den Vortrag und bindet an der jeweiligen Stelle die Anmerkungen der Teilnehmer ein. Die Vortragsnotizen auf den blauen Karten müssen detailliert ausgearbeitet und leicht verständlich sein, damit die Methode gelingt. Vor- und Nachteile + Die Methode gelingt auch mit Zuhörern, die nur wenig Erfahrung mit Grup‐ penarbeit besitzen. - Der Vortragende muss neben Kenntnissen über das Hauptthema seines Vor‐ trags auch über ein großes Hintergrundwissen verfügen, damit er schnell und flexibel auf neue Aspekte reagieren kann, die die Teilnehmer vor‐ schlagen. 10.4.4 Peyton-Schema in sechs Schritten < 10 10 - 20 20 - 40 40 - 60 > 60 < 5 5 - 10 10 - 20 20 - 30 > 30 o o o o o o o o o o o o o o o 291 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen <?page no="292"?> Kurzinfo ▸ Raumausstattung und Materialien für die Teilnehmer abhängig vom zu erlernenden Verfahren Ablauf und Ziel Das Peyton-Schema (Peyton 1998) eignet sich vor allem zum Erlernen prakti‐ scher Verfahren. Diese werden in ihre Teilschritte zerlegt und den Teilnehmern erst mit starker, dann mit immer weiter abnehmender Anleitung beigebracht. So verhindert der Leiter, dass er die Schwierigkeiten der Teilnehmer beim Er‐ lernen der für ihn selbstverständlichen Verfahren unterschätzt und den Teil‐ nehmern nicht genügend Zeit einräumt. Kurzbeschreibung Der Leiter zeigt den Teilnehmern das Verfahren, das sie erlernen sollen, erst in der üblichen Geschwindigkeit und dann langsam und Schritt für Schritt. Danach beschreiben die Teilnehmer untereinander selbst den Ablauf und führen ihn wie angewiesen durch. Jeder übernimmt so lange abwechselnd die Rolle des Be‐ schreibenden und des Ausführenden, bis alle Teilnehmer das Verfahren fehler‐ frei anwenden können. Der Leiter gibt dabei immer weniger Hilfestellung. Ausführliche Beschreibung Das hier vorgestellte Peyton-Schema gliedert sich in sechs Phasen: In der ersten Phase führt der Leiter den Teilnehmern das zu erlernende Ver‐ fahren mit knappen Erläuterungen und in der üblichen Geschwindigkeit vor. Dadurch gewinnen die Teilnehmer einen Eindruck vom Ablauf des Verfahrens und verstehen seinen Zweck und seine Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis. Sie stellen in dieser Phase aber noch keine Fragen. In der zweiten Phase stellt der Leiter das Verfahren nun Schritt für Schritt mit langsamer Geschwindigkeit und ausführlichen Erklärungen der Teilschritte vor. 292 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="293"?> Die Teilnehmer dürfen in dieser Phase Fragen stellen, die der Leiter dann be‐ antwortet. Dadurch wird den Teilnehmern die Durchführung der einzelnen Schritte verständlich gemacht und sie erhalten eine Vorstellung davon, wie sie das Verfahren selbst anwenden können. In der dritten Phase wählt der Leiter einen Teilnehmer aus, der noch einmal Schritt für Schritt das Verfahren erklärt. Der Leiter folgt dabei exakt und wort‐ getreu den Anweisungen des Teilnehmers, selbst wenn er weiß, dass einige dieser Anweisungen falsch sind. Dadurch, dass das Verfahren bei Fehlern in der Beschreibung des Teilnehmers höchstwahrscheinlich misslingt, müssen sowohl der aktiv beschreibende als auch die passiv beobachtenden Teilnehmer reflek‐ tieren, was genau falsch beschrieben wurde. Auf diese Weise werden die Teil‐ nehmer direkt mit den Auswirkungen ihrer Fehler konfrontiert. Diese Konfrontation kann bewirken, dass die Teilnehmer später mehr darauf achten, die bereits begangenen Fehler zu vermeiden. Das Peyton-Schema bietet somit die Möglichkeit, die Teilnehmer in einer kontrollierten Übungs‐ situation aus ihren Fehlern lernen zu lassen, ohne dass dabei Schaden ange‐ richtet würde. Fällt auch nach Ende des fehlerhaften Verfahrens niemandem auf, dass der Teil‐ nehmer einen oder mehrere Teilschritte falsch beschrieben hat, kann der Leiter ihn mit Zwischenfragen auf seinen Fehler hinweisen. In der vierten Phase teilt der Leiter die Teilnehmer in Kleingruppen aus höchs‐ tens acht Teilnehmern auf, wozu er die Aufteilungsübungen → Losverfahren (S. 95) oder → Nummern zuweisen (S. 96) verwenden kann. In den Kleingruppen wendet jeder Teilnehmer für sich das Verfahren ein- oder zweimal an und be‐ schreibt dabei jeden durchzuführenden Schritt. In dieser Phase beobachtet der Leiter die Gruppen und korrigiert falsche Beschreibungen und Abläufe. In der fünften Phase bildet jeder Teilnehmer mit einem weiteren Mitglied seiner Gruppe eine Zweiergruppe. Da die Gruppen ohnehin klein sind, sollte dies unkompliziert vonstattengehen. Andernfalls kann der Leiter die Auftei‐ lungsübung → Nummern zuweisen (S. 96) verwenden. Gegebenenfalls kann er Teilnehmern ohne Partner jemanden aus den anderen Gruppen zuweisen, oder er nimmt selbst als Partner teil. Jeder beschreibt nun seinem Partner Schritt für Schritt das Verfahren. Der Partner wendet das Verfahren wieder exakt so an, wie die Anweisungen es ver‐ langen, auch wenn er weiß, dass die Anweisungen falsch sind. Der Teilnehmer, der die Anweisungen gibt, hat so die Möglichkeit, seine Fehler selbst zu erkennen 293 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen <?page no="294"?> und zu korrigieren. Dadurch prägt sich der korrigierte Ablauf besser ein als bei einer sofortigen Korrektur, und eine Wiederholung des Fehlers wird unwahr‐ scheinlicher. Die beiden Partner wechseln nach jedem kompletten Verfahren ihre Rollen und wiederholen das Verfahren so lange, bis sie es fehlerfrei beherrschen. Der Leiter beobachtet auch in dieser Phase die Teilnehmer, wenn er nicht gerade selbst als Partner teilnimmt. Er korrigiert die Gruppen jedoch nur in Gefahrensi‐ tuationen oder wenn beide Partner einen Fehler nicht bemerken. In der sechsten Phase bittet der Leiter zwei Teilnehmer, das erlernte Verfahren noch einmal vor allen anderen vorzuführen, sodass den Teilnehmern ihr eigener Lernfortschritt gezeigt wird. Dies kann sich motivierend auf eventuelle Folge‐ veranstaltungen auswirken, in denen die Teilnehmer das Verfahren selbst an‐ wenden. Zusammenfassung Phase Ablauf 1 Der Leiter führt das Verfahren ohne Erklärung und in der üblichen Ge‐ schwindigkeit vor. 2 Der Leiter führt das Verfahren Schritt für Schritt in langsamer Geschwin‐ digkeit vor und erklärt dabei ausführlich alle Details. 3 Ein Teilnehmer erklärt das Verfahren Schritt für Schritt, welches der Leiter dann exakt auf die erklärte Weise vorführt. 4 Die Teilnehmer werden in Kleingruppen eingeteilt. 5 In den Kleingruppen bilden sich Zweiergruppen, in denen wechselseitig einer der Teilnehmer auf Grundlage der Erklärung des anderen das entspre‐ chende Verfahren exakt wie beschrieben durchführt. 6 Ein Teilnehmerpaar führt das erlernte Verfahren vor allen anderen noch einmal vor. Anmerkung Das Peyton-Schema ist ebenfalls als Lernstatt als Lehrmethode einsetzbar. Hier ist jedoch zu beachten, dass für das Gelingen der Methode ein sehr hohes Maß an Vorbereitung und Strukturierung durch den Leiter notwendig ist. 294 10 Vortrags-, Moderations- und Lehrtechniken <?page no="295"?> Varianten Bei Verfahren, die an einem weiteren passiven Teilnehmer geübt werden müssen, beispielsweise dem Blutdruckmessen, bilden sich in der vierten Phase zunächst Zweiergruppen aus einem aktiven Teilnehmer, der das Verfahren an‐ wendet, und einem passiven Teilnehmer, an dem das Verfahren geübt wird. In der fünften Phase bilden sich dann Dreieranstatt Zweiergruppen. Diese be‐ stehen aus einem Mitglied, das die Anweisungen gibt, einem, das sie ausführt, und einem passiven Mitglied, an dem sie geübt werden. Dabei wechseln die Mitglieder drei Mal die Rollen, sodass jeder einmal jede Rolle einnehmen kann. Wichtig ist bei dieser Variante, dass der Teilnehmer, der die Anweisungen ausführt, diese sofort korrigiert, wenn es durch einen Fehler zu einer Gefah‐ rensituation für den passiven Teilnehmer kommt. Um mögliche Gefahrensitua‐ tionen zu vermeiden, weist der Leiter in der zweiten Phase explizit darauf hin, welche Konsequenzen Fehler für den passiven Teilnehmer haben können. Falls die Anzahl der Teilnehmer zu groß ist, um in der fünften Phase vom Leiter beobachtet werden zu können, kann der Leiter in jeder Gruppe auch die Rolle des Beobachters einführen. Der Beobachter kann dann anhand einer ihm ausgehändigten Musterlösung den Ablauf beobachten und während der Pro‐ zedur oder im Anschluss diese bewerten. Vor- und Nachteile + Durch die vielen aktiven Phasen fördert die Methode das Verstehen und Behalten bei den Teilnehmern. + Sie stellt einen Überblick und eine Zusammenfassung bereit und verdeut‐ licht die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen des zu erler‐ nenden Ablaufs. + Durch Wiederholungen werden Akzente an wichtigen Gelenkstellen ge‐ setzt. - Die Methode kann auf Teilnehmer, die nicht damit vertraut sind, zunächst befremdlich wirken. 295 10.4 Vorträge durch Gruppenarbeit unterstützen <?page no="297"?> 11 Meta-Methoden »Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.« J E A N -L U C G O D A R D , F R Z . F I L M R E G I S S E U R Alle in diesem Buch vorgestellten Methoden verfügen über einen Spielraum in der Umsetzung, d. h. sie können in mehr oder minder großen Teilen modifiziert werden und leisten dennoch ihren Beitrag. Diese Freiheit in der Umsetzung bezieht sich aber nicht nur auf einzelne Methoden; auch die Verkettung meh‐ rerer Methoden in einer Metastruktur kann reiz- und sinnvolle Abläufe er‐ zeugen. Auch ist es so möglich, ganze Curricula für längere Gruppenarbeit‐ sphasen oder mehrere aufeinanderfolgende Gruppenarbeitstermine zu konzeptionieren. Folgend werden die drei Meta-Methoden Sandwich, Barcamp und Design-Thinking vorgestellt, die dieses Konzept unterschiedlich umsetzen und so als Beispiele für weitere Anpassungen dienen können. Da Meta-Me‐ thoden andere Gruppenarbeitsmethoden integrieren, hängt deren Ausprägung innerhalb der Netzdiagramm-Kategorien »Erwartungen und Feedback« (E), »Ideen finden« (I), »Konzepte erarbeiten oder erweitern« (K), »Lernen« (L) und »Vorträge halten und Lehren« (V) vollständig von den Kategorien der einge‐ bauten Methoden ab, so dass bei den Meta-Methoden kein Netzdiagramm an‐ gegeben werden kann. Vor- und Nachteile + Meta-Methoden beschränken sich in der Wahl der gruppendynamischen Elemente nicht nur auf eine wenige Techniken, sondern sie ermöglichen es, ein breites Spektrum an Methoden flexibel einzubauen. - Da Meta-Methoden viele andere Gruppenarbeitsmethoden einschließen können, sollten die Teilnehmer bereits über Erfahrung mit Gruppenarbeit verfügen. <?page no="298"?> 11.1 Sandwich-Methode Die Sandwich-Methode kommt zum Einsatz, wenn vor der Einführung eines neuen Themas bereits gelernter Stoff wiederholt werden muss, der möglicher‐ weise schon länger zurückliegt. Durch den sandwichartigen Aufbau »Gruppenarbeit zur Wiederholung« - »Vortrag des neuen Stoffs« - »Gruppenarbeit zur Vertiefung« werden die Zu‐ hörer am Anfang und am Ende selbst aktiv, was den Lerneffekt steigert. Au‐ ßerdem haben die Zuhörer Gelegenheit, den neuen Stoff individuell vor- und nachzubereiten. Die Zuhörer besprechen zu Beginn in einer ersten Gruppenarbeitsphase den bereits bekannten Stoff. Dies kann z. B. in Form eines → Gruppenpuzzles (S. 261) mit Leittexten oder durch eine in Gruppenarbeit erstellte → Mindmap (S. 163) geschehen. Alternativ können auch andere Methoden aus Kapitel 9 angewendet werden. Jedoch sollte der Vortragende die Methoden abhängig davon aus‐ wählen, wie präsent der bereits bekannte Stoff den Zuhörern noch ist: Bei sehr lange zurückliegendem Stoff eignen sich auch insbesondere die Methoden aus Kapitel 9.3. Der Austausch, der am Ende dieser Methoden stattfindet, hilft den Zuhörern besonders gut, sich den erlernten Stoff noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Nach dieser ersten Gruppenarbeitsphase beginnt der Vortragende mit seinem Referat (siehe dazu auch die Vortragstechniken aus Kapitel 10.3). Abschließend folgt die zweite Gruppenarbeitsphase, in welcher der referierte Stoff vertieft wird. Hier kann der Vortragende die gleichen Methoden wie in der ersten Phase wählen. Vor der Vertiefung des Stoffes bietet sich aber auch die Auflockerungsübung → Murmelgruppen (S. 126) an, sodass die Teilnehmer nach der langen Konzentration kurz entspannen können, um sich danach wieder motiviert dem Thema zu widmen. Variante Die schichtartig abwechselnde Folge von »Gruppenarbeit« und »Vortrag zum Lerninhalt« kann auch iterativ durchgeführt werden (Kadmon et al. 2008). Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn die zu erschließenden Lerninhalte so umfangreich sind, dass eine Instruktionsphase von über einer Stunde Dauer abgehalten werden müsste. Mit der Sandwichtechnik kann wirkungsvoll ver‐ mieden werden, dass Teilnehmer in langen Frontalphasen abkoppeln und nicht mehr aufmerksam sind. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Frontalphasen zwischen 10 und 15 Minuten dauern und die in den Individualphasen erarbei‐ teten Ergebnisse im Plenum kurz vorgestellt werden. 298 11 Meta-Methoden <?page no="299"?> 11.2 Barcamp Der Name »Bar Camp« leitet sich auf einem etwas umständlichen Umweg über Foo Camp (Foo = Abkürzung für Friends of O’Reilly nach Tim O’Reilly, Initiator eines dieser Formate) und foo und bar (Standardnamen für Platzhalter in der Informatik) her. Dieses auch als Unkonferenz, Ad-hoc-Nicht-Konferenz oder Or‐ ganisierte Anarchie bezeichnete Format besteht im Wesentlichen daraus, ört‐ liche, zeitliche und strukturelle Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, die dann seitens der Teilnehmer des Barcamps für die Durchführung von ein‐ zelnen Sessions genutzt werden können. In den Sessions organisieren die Teil‐ nehmer eigenverantwortlich Gruppenarbeitsformate unter Zugriff auf die zen‐ tral zur Verfügung gestellten Ressourcen. Auch wenn Barcamps atomistisch und ohne Planungsoverhead stattfinden sollen, kann es sich als hilfreich herausstellen, einige Randbedingungen seitens der Organisatoren vorzugeben: ▸ Eine Abschätzung und ggf. ein Anmeldesystem bei hohem zu erwar‐ tendem Andrang dient der Planung der Ressourcen und des Sponsorings. ▸ Die Vorgabe eines Rahmens durch eine thematisch einleitende Session und eine ausleitende Ergebnissammlung helfen bei der Zielerreichung. ▸ Zeitvorgaben unterstützen den Teilnehmerwechsel zwischen einzelnen Sessions und die nicht zu unterschätzenden Gesprächsrunden beim ge‐ meinsamen Imbiss. Da die Sessions unabhängig voneinander operieren können, obliegt deren Ab‐ lauf den einzelnen Moderatoren. Diese sind im eigenen Interesse angehalten, diejenige Form der Gruppenarbeit auszuwählen, mit der die angestrebten Ziele am ehesten erreicht werden können: ▸ Die Anpassung der in den Sessions genutzten Gruppenarbeitsmethoden auf die jeweilige Zielsetzung und die Anzahl der Teilnehmer dient der Effizienz der gemeinsamen Arbeit. ▸ Wesentlich für den Erfolg in den Sessions sind die Vorbereitung und die Stringenz der jeweiligen Moderatoren. Wesentlich für das kommunizierte Ergebnis des Barcamps sind die Abschlussvorstellungen aus den Sessions und die Moderation dieses Abschlusses. (s. auch Feldmann & Hellmann 2016) 299 11.2 Barcamp <?page no="300"?> 11.3 Design Thinking Um die Arbeit mit Kreativmethoden zum Ersinnen neuer Ideen oder zum Lösen von Problemen stringenter zu gestalten, können diese Methoden abgestimmt und aufeinander aufbauend in einem Rahmen definiert und gebündelt werden. Dieses Vorgehen besitzt den Vorteil, dass das Verfahren selbst systematisch hin‐ sichtlich seiner Wirkung untersucht und weiterentwickelt werden kann. Einen solchen Ansatz stellt das Design Thinking dar. Wie viele Ansätze weist auch diese Methode einen nur sehr unscharf zu bestimmenden Beginn (ca. 1980) und mitt‐ lerweile auch zahlreiche Abwandlungen auf. Sie ist zurückzuführen auf Ent‐ wicklungen von David Kelley, Larry Leifer und Terry Winograd. In diesem Ka‐ pitel wird ein erprobter Ablauf beschrieben, an dem die Grundidee nachvollziehbar wird. Interessenten und Anwender können auf dessen Basis unter Zuhilfenahme der in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Me‐ thoden Anpassungen an ihre eigenen Zielvorstellungen vornehmen, wie es bei‐ spielsweise mit Abwandlungen wie Double Diamond Prozess, Service Design (Thinking), Interaction Design oder Design Sprint schon geschehen ist und si‐ cherlich noch weiter passieren wird. Zumeist liegen diesen Metastrukturen die Mehrzahl der folgend genannten Grundprinzipien zu Grunde: ▸ Menschenzentriert. Oder auch: Empathisch. Da das Design Thinking in der kommerziellen Service- und Produktecke zu Hause ist, verwundert es nicht, dass der Kunde und seine Zufriedenheit (und damit seine Kauf‐ bereitschaft) oft im Mittelpunkt des Interesses stehen. ▸ Ko-Kreativität. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für alle ernstge‐ meinten und methodengestützten Gruppenarbeiten wird dieses Merkmal im Design Thinking stets hervorgehoben. ▸ Sequenziert. Aber auch: Iterativ. Ebenfalls eine Selbstverständlichkeit in zahlreichen strukturierten Methodenabläufen, die aus mehr als einem Schritt bestehen. ▸ Holistisch. Durch das wechselnde Erweitern und Einengen des Fokus gelingt es dieser Meta-Methode, zwischendurch bewusst den Fokus auf das übergeordnete Problem zu werfen, ohne sich in Kleinigkeiten zu ver‐ lieren. ▸ Erst handeln, dann denken. Bzw. Nicht denken. Handeln! Bzw. Scheitere früh und oft. Auch dies stellt weniger eine besondere Eigenart des Design Thinking dar, als einen Grundsatz zahlreicher Kreativme‐ thoden. 300 11 Meta-Methoden <?page no="301"?> ▸ Multisensorisch. Oder: Sei visuell! Insbesondere bei Produkten lädt das Design Thinking dazu ein, sich dem Problem mit mehreren Sinnen (sehen, hören, riechen, fühlen) in Kombination bzw. gleichzeitig zu nähern. Den meisten Abwandlungen gemein ist die Metastruktur, in der mehrere Schritte definiert werden, die von der (komplexen) Fragestellung hin zu einer innovativen Problemlösung führen. Sie werden oft in eine grafische Struktur eingebettet, die aufgrund ihrer Form auch als Doppeldiamant beschrieben wird, vgl. Abbildung 11-1. Abbildung 11-1: Visualisierung der Doppeldiamantstruktur. In den Schritten 1 und 4 wird der jeweilige Horizont erweitert und in den Schritten 3 und 6 kommt es zur notwendigen Refokussierung. Es ist möglich, in Abhängigkeit von dem Ergebnis der einzelnen Schritte, auch Rückschritte durchzuführen, um Modifikationen einzuführen oder geänderte Pa‐ rameter zu berücksichtigen. In diese Struktur sind die folgenden sechs Schritte eingebettet, die - je nach Abwandlung der Meta-Methode - bisweilen auch kombiniert werden können, so dass sich mithin vier oder fünf Schritte ergeben können. 1. Schritt: Verstehen Dieser Schritt dient der Vorbereitung, indem er die Frage klärt, ob jedes Mitglied unter der Ausgangsfragestellung das gleiche versteht. Dies bezieht sich sowohl auf Fach- oder Fremdwörter als auch auf Sachbezüge, Interpretationen oder Meinungen. Durch diesen Schritt wird sichergestellt, dass bei den nachfol‐ genden Arbeitsschritten kein Mitglied von der aktiven Beteiligung ausge‐ 301 11.3 Design Thinking <?page no="302"?> schlossen ist und dass sich alle der Lösung des gleichen Problems widmen. An‐ schließend können eine ausführliche Recherche und die gegenseitige Informierung dazu beitragen, dass alle Teilnehmer auf dem zu bearbeitenden Gebiet Expertenwissen ansammeln. Auch wenn er sich trivial anhört, darf die Relevanz dieses Schrittes nicht unterschätzt werden. Es ist u. a. die Aufgabe des Moderators, deswegen hier die notwendige Offenheit aller Mitglieder zu för‐ dern. Für Design-Thinking-Teams, die sich erst kennenlernen müssen, sei hier auf Kapitel 6 hingewiesen. 2. Schritt: Beobachten Hier ist es wichtig zu verstehen, wie bisher mit dem Problem umgegangen wurde. Wenn sich das Problem auf ein Produkt bezieht, kann es zum Beispiel sinnvoll sein, Menschen bei ihrem Umgang mit dem Produkt vor Ort zu beob‐ achten: Wie nähern sie sich? Wie interagieren Sie? Wann strahlen sie Zufrie‐ denheit und wann Ärgernis aus? Weil lange dauert der Prozess und wie endet er? Diese Beobachtung kann ergänzt oder ersetzt werden durch ein Interview. Dabei ist zu beachten, dass es durch Zuhören geprägt ist, d. h. die Redezeit der interviewten Personen übertrifft die Fragezeit bei weitem. Beobachtung und Interview können ergänzt oder notwendigenfalls auch ersetzt werden durch das eigene Erleben, d. h. die Wahrnehmung des eigenen Verhaltens bei Konfronta‐ tion mit der Problemstellung. Hier bietet es sich zumindest an, mindestens ein Gruppenmitglied als internen Beobachter zu definieren, während die anderen Mitglieder unter seiner Beobachtung mit dem Problem interagieren, z. B. in Form eines Improvisationstheaters. Spätestens in diesem Schritt wird es relevant, die Beobachtungen zu dokumentieren, z. B. in Form von Notizen, Grafiken oder Vi‐ deos (Datenschutz bitte beachten! ). 3. Schritt: Standpunkt festlegen und fokussieren Nachdem die Problematik aus theoretischer und praktischer Sicht verstanden ist, kann sie fokussiert werden (im Bild schließt sich hier der erste Diamant). Die Gruppe einigt sich nach dem Austausch der jeweiligen Wahrnehmungen (Befragungen, Erstellung von Skizzen, Erfahrungsberichte) auf einen Stand‐ punkt bzw. eine Sichtweise - dies ist noch nicht mit der Problemlösung zu ver‐ wechseln. Auch in diesem Schritt ist der Moderator gefragt, wenn Dominanzen auftauchen oder vorschnelle Lösungsansätze präsentiert werden sollten. Die Schritte 1 bis 3 sind dem ersten Diamanten, dem Problemraum, zugeordnet. 302 11 Meta-Methoden <?page no="303"?> 4. Schritt: Ideen entwickeln Nach dem Motto Quantität vor Qualität werden im vierten Schritt Lösungs‐ möglichkeiten gesammelt. Dabei ist insbesondere das frühe Aussortieren scheinbar unbrauchbarer Ideen zu vermeiden. Dieser Schritt schließt mit der Bündelung und anschließenden Auswahl derjenigen Lösungsansätze, die das in Schritt 1 verstandene Problem und den in Schritt 3 erarbeiteten Standpunkt am besten umsetzen. Insbesondere die in Kapitel 7 und 8.2 genannten Methoden kommen hier zum Einsatz. 5. Schritt: Gestalten bzw. Prototypen bauen Um die Lösungsidee erkennbar zu machen, d. h. ihre Praktikabilität und ihre Akzeptanz zu prüfen, werden die in Schritt 4 identifizierten Ansätze nun als Prototypen erstellt. Dem Bild des sich weitenden Umfangs des Diamanten ent‐ sprechend geht es hier nicht um einen Prototyp, der das Ergebnis bestätigen soll, sondern um die Vielfalt, die der nachfolgenden Prüfung unterworfen wird. Die Prototypen sollten, müssen aber nicht, physischer Natur sein. Modelle aus Knete, Papierbasteleien oder Plastikbausteine können hier sehr gute Dienste leisten. Relevant ist, dass die Prototypen hinsichtlich der im nächsten Schritt zu bewertenden Kriterien eine Funktion übernehmen können. 6. Schritt: Testen mit dem Nutzer und Feedback einholen Die in Schritt 2 eingesetzten Mittel zur Beobachtung können beim Testen reak‐ tiviert werden. Die Erhebung der Nutzererfahrung im Umgang mit den Proto‐ typen kann auch dazu führen, dass einer oder sogar alle Prototypen verworfen werden, d. h. der Prozess muss neu gestartet werden. Zum Einholen des Feed‐ backs sei auf die Kapitel 3.5 und 7.8 verwiesen. Vor dem Neustart ist zu überlegen, ob der Prozess anhand der erstellten Me‐ dien schrittweise rückwärts aufgerollt wird, um möglicherweise diejenige Stelle zu identifizieren, die ursächlich für den gescheiterten Test war. Auf keinen Fall aber sollte der neue Design-Thinking-Durchlauf unmittelbar gestartet werden, denn zu frisch sind sonst noch die alten Ergebnisse der Gruppenarbeitsphasen. Die Schritte 4 bis 6 sind dem zweiten Diamanten, dem Lösungsraum, zugeordnet. 303 11.3 Design Thinking <?page no="305"?> 12 Belohnungssysteme »Wer reichlich zu belohnen versteht, nach dem richten sich die Leute; nach wem sich die Leute richten, dem gelingt sein Werk.« L Ü B U W E , C HI N . K A U F MA N N , P O L I T I K E R U N D P HI L O S O P H Richtig durchgeführte Gruppenarbeiten sind, bei aller Motivation, der den Me‐ thoden innewohnt, bei aller Effizienz und bei allem Erfolg des gemeinsamen Tuns oftmals anstrengender als das übliche Tagesgeschäft. Es gibt nicht wenige Teilnehmer, die sich nach einem Arbeitstag voll intensiver und strukturierter Gruppenarbeit lieber zur Erholung zurückziehen als sich noch mit Kollegen ge‐ sellig zusammenzusetzen. Vor diesem Hintergrund sehen es viele Teilnehmer gerne, wenn ihr hohes Engagement oder das lange Strategiewochenende fernab der Familie nicht nur als Selbstverständlichkeit angesehen, sondern auch lobend und anerkennend zu Kenntnis genommen werden. Ein solches Lob kann auf mannigfaltige Weisen gegeben werden. Wichtig ist, dass es stets authentisch angewendet werden muss. Lob muss ehrlich gemeint sein Lippenbekenntnisse, monoton wiederholte, oder stets unpersönliche Formulie‐ rungen werden teilnehmerseits schnell als leer entlarvt. Insbesondere, wenn Gruppenleiter mit der Gießkanne Lobe während des Arbeitsprozesses verteilen oder stets mit einem gemurmelten »Gute Arbeit« den Raum nach der Arbeits‐ phase verlassen, setzen sie damit die Wirksamkeit dieses Instruments allzu leichtfertig aufs Spiel. Sie riskieren dabei viel: ▸ Teilnehmer könnten auf die Idee kommen, dass ihre Mehrleistung nicht angemessen wahrgenommen wird und sie in der Folge reduzieren. ▸ Den nächsten geäußerten hohlen Lobesphrasen werden die Teilnehmer möglicherweise mit Zynismus begegnen. ▸ Einem nachfolgenden ehrlichen Lob wird dann vielleicht sogar weniger Glauben geschenkt. <?page no="306"?> Lob muss korrekt adressiert sein Die Verteilung des Lobes mit der oben erwähnten Gießkanne ist aber nicht in allen Fällen fehl am Platze. Wenn die Teamleistung als solche lobenswert durch‐ geführt wurde, dann soll das Lob auch an das gesamte Team adressiert sein. Dies schließt explizit auch diejenigen Teilnehmer ein, deren individuelle Leistungen unterdurchschnittlich waren. Hingegen sollte man sich davor hüten, stets un‐ terdurchschnittliche Leistungen individuell zu loben in der falsch verstandenen Hoffnung, die adressierte Person endlich zu besserer Leistung anzuspornen. Viel sinnvoller wäre es in diesem Fall, im gemeinsamen Gespräch zu ergründen, warum die individuelle Leistung stets hinter der Erwartung zurückbleibt. Leis‐ tungen auf niedrigem Niveau, die jedoch eine individuelle Leistungssteigerung zeigen, können hingegen zur Motivationssteigerung sehr wohl Lob erfahren. Neben dem Adressaten des Lobes ist auch dessen Absender relevant. Ein ehr‐ liches Lob seitens eines Entscheidungsträgers kann durchaus als wertvoller er‐ fahren werden als das eines Gruppenmitglieds. Lob muss angemessen dosiert sein Leistungen, die über das erwartete Maß hinausgehen, für deren Erbringung eine außerordentliche Hürde zu überwinden war, oder die erst durch besonders kreative Gedankengänge möglich wurden, dürfen auch über das erwartete Maß, außerordentlich oder besonders kreativ gelobt werden. Die aus der Psychologie bekannten Verstärkerstrategien können auch hier Berücksichtigung finden: Verhaltensweisen werden beibehalten oder ausgebaut, wenn man etwas Ange‐ nehmes dafür erhält (sog. positive Verstärkung) oder etwas Unangenehmes da‐ durch vermieden wird (sog. negative Verstärkung). Hingegen werden Verhal‐ tensweisen unterdrückt, wenn etwas Unangenehmes die Folge darstellt (sog. direkte Bestrafung) oder etwas Angenehmes als Folge entzogen wird (sog. indi‐ rekte Bestrafung). Damit ist natürlich nicht gemeint, dass seitens der Gruppen‐ leitung unangenehme Situationen geschaffen werden müssten; diese Situa‐ tionen können auch im gesetzten Ziel der Projektarbeit selbst zu finden sein, d. h. die Gruppe belohnt sich durch eine erfolgreiche Gruppenarbeit im Prinzip selbst. Wobei es natürlich nicht schadet, wenn dieser Nutzen allen Teilnehmern seitens der Gruppenleitung auch verdeutlicht wird. Wenn ausnahmslos jede gute Leistung gelobt wird, besteht die Gefahr, dass die Wirkung der Lobesäußerung zu schnell verblasst und sich ein Automatismus einschleift. Besser ist es dann, intermittierend zu loben, d. h. nach einer be‐ stimmten Anzahl von guten Leistungen oder wenn die guten Leitungen mit hoher Dichte erfolgen. 306 12 Belohnungssysteme <?page no="307"?> Neben der Qualität ist auch die Quantität des Lobes ausschlaggebend für eine nachhaltige Wirkung. Gute Leistungen erfahren eine gute lobende Rückmel‐ dung, sehr gute Leistungen eine höherwertige Rückmeldung und exzellente Leistungen erreichen eine noch höhere Stufe. Das Belohnungssystem darf aber nie in die Inflation abrutschen - dann ist das einzelne Lob auch nichts mehr Wert und auf der Suche nach neuen Superlativen im Belohnungssystem stößt man schnell an seine Grenzen. 12.1 Mittel der Belohnung »Auditorem quidem varietas maxime delectat.« (»Dem Zuhörer jedenfalls bereitet die Abwechslung größtes Vergnügen.«) U N B E K . A U T O R D E S W E R K S R H E T O R I C A A D H E R E N N I U M Das Äußern von Lob kostet zwischen Garnichts und Ganzviel, bietet aber das Potential einer reichhaltigen Rendite. Wann welches Mittel des Lobes ertrag‐ reich angewendet werden kann, ist abhängig von demjenigen, der das Lob ge‐ währt, denjenigen, die das Lob erhalten, den infrastrukturellen Umständen und ggf. den handfesten Kosten, die das Lob mit sich bringt. Wie intensiv das Lob wahrgenommen wird, hängt unter anderem aber auch davon ab, wie weit es sich von der Routine oder der Selbstverständlichkeit unterscheidet. Ausgesprochenes Lob Das ehrlich gemeinte, korrekt adressierte und nicht aufgesetzte (s. o.) »Vielen Dank für Ihre großartige Mitarbeit« kostet gar nichts. Es hinterlässt aber bei allen Beteiligten (Gelobte und Lobende! ) das gute Gefühl, etwas Gutes beige‐ tragen zu haben und vielleicht sogar ein wenig Vorfreude auf die kommenden gemeinsamen Arbeiten. Leider scheint das mündlich ausgesprochene Lob in den letzten Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein, stellt aber doch die einfachste und vielleicht auch persönlichste Form der Anerkennung dar. Verzehrbares Lob Das Zur-Verfügung-Stellen von Getränken und Keksen während längerer Ar‐ beitsphasen ist inzwischen derartig standardisiert und erwartet, dass es eigent‐ lich nicht mehr als lobende Anerkennung erkennbar ist. Mit ein wenig Ab‐ wechslung kann dieser - eigentlich nicht selbstverständliche - Service aus seiner unauffälligen Ecke herausgeholt und als echte Anerkennung wahrge‐ nommen werden. Das Ersetzen bzw. Ergänzen der Standardkekse und -getränke 307 12.1 Mittel der Belohnung <?page no="308"?> durch höherwertige Süßigkeiten, gesünderes Obst, vollwertigere Kost oder jah‐ reszeitangepasste Besonderheiten (Eis im Sommer, alkoholfreier Punsch in der Vorweihnachtszeit) sorgt einerseits für die bewusste Wahrnehmung des Cater‐ ings, andererseits für eine Vorfreude auf das kommende Arbeitstreffen. Aber auch die Servietten, die ein zum Arbeitsthema passendes Motiv tragen, oder ein wenig passende Deko können positiv auffallen und kosten nur wenig mehr. Geselliges Lob Nach der Gruppenarbeit ist vor der Gruppenarbeit, aber dazwischen kann die Leitung ein geselliges Beisammensein durchaus unterstützen. Neben einem ge‐ meinsamen Abendessen oder einer gemeinsamen Freizeitaktivität bleibt viel Platz für weitere kreative Ideen. Die Ideen selbst müssen nicht immer von der Leitung erdacht und organisiert werden. In einer Aktivitätsbörse können Vor‐ schläge langfristig gesammelt werden, um damit die hektische Ideensuche beim nächsten Anlass ein wenig zu entschärfen. Sinnvoll ist es, nach Möglichkeit einen unmittelbaren zeitlichen Bezug zur Gruppenarbeitsphase herzustellen, damit die Belohnung auch der Leistung zugeordnet werden kann. Logistisches Lob Falls die Gruppenarbeitsphase sehr ausgedehnt und (weit) außerhalb der ei‐ genen Raumressourcen stattfindet, kann die Leitung für Transport und ggf. Un‐ terkunft sorgen, insbesondere dann, wenn dies nicht ohnehin zur gelebten Un‐ ternehmenskultur gehört. Die Teilnehmer freuen sich umso mehr, wenn auf ihre persönlichen Belange dabei Rücksicht genommen wird. Finanzielles Lob Gute Arbeit gut zu bezahlen sollte selbstverständlich sein. Außergewöhnliches Engagement außergewöhnlich zu honorieren ist dann nur konsequent. Da die Gewährung finanzieller Zuwendungen einerseits aber durchaus schneller Neid hervorrufen kann Zuwendungen durch die o. g. Maßnahmen und sie anderer‐ seits bisweilen den Charme von Universalgutscheinen als Geburtstagsge‐ schenke besitzen, sollten zunächst die bisher genannten Alternativen kreativ ausgelotet werden, bevor auf Geld zurückgegriffen wird. 308 12 Belohnungssysteme <?page no="309"?> 12.2 Methoden der Belohnung Die Verknüpfung von Ursache und Wirkung, also von sehr guter Leistung mit sehr guter Belohnung dafür, ist wichtig und kann hinsichtlich der Kontingenz sehr spezifisch oder eher unspezifisch erfolgen. 12.2.1 Spezifische Adressierung Eine Belohnung ist stets an die Leistung geknüpft und über die Leistung erst an eine oder mehrere verantwortliche Personen. Daher darf der Belohner nicht aus dem Blick verlieren, wer die zu belohnende Leistung erbracht hat. Dies kann eine einzelne Person, eine kleine Personengruppe oder die gesamte Gruppe sein. Den eher im amerikanischen Kulturkreis zu findenden Aufwand, auch bei der Vergaben von kleinsten Belohnungen (»Mitarbeiter der Woche«) fast schon einen Staatsakt durchzuführen, kann in anderen Kulturkreisen übertrieben oder gar befremdlich wirken. Die mit der Belohnung verknüpfte Aufwertung des Belohnten sollte im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, nicht der Vergabe‐ prozess an sich. Stets sollte die Art der Belohnung danach gewählt werden, ob sie dem oder den Belohnten auch zum Vorteil gereicht. Richtet sich die Belohnung an eine Personengruppe, sollte sie ohne viel Aufwand teilbar sein bzw. jeder belohnten Person einen gleichgroßen Anteil an ihr ermöglichen. 12.2.2 Unspezifische Adressierung Falls es absehbar ist, dass eine Belohnung bei einigen Gruppenmitgliedern auf Unverständnis stoßen könnte, oder um dem Belohnungssystem eine spielerische Note zu verleihen, kann die Belohnung auch mittels Durchführung eines grup‐ penweiten Verlosungsprozesses zuerkannt werden. Um den reinen Zufall zu verringern, aber nicht ganz auszuschließen, bietet sich das folgende Prozedere an. Im ersten Schritt werden vor Beginn der eigentlichen Gruppenarbeitsphase alle potentiellen Belohnungsempfänger - dies können Einzelpersonen oder Subgruppen der gesamten Gruppe sein - gebeten, ihren Namen bzw. den Namen der Subgruppe auf einen kleinen Zettel zu notieren und diesen gefaltet in ein Gefäß zu geben. Dieses Gefäß bleibt während der gesamten folgenden Grup‐ penarbeitsphase, auch über die Pausen hinweg, zugänglich. Der Leiter lädt alle Mitglieder ein, weitere Zettel mit dem Namen der Person bzw. Subgruppe zu versehen und in das Gefäß zu geben, sobald diese durch besondere Leistungen 309 12.2 Methoden der Belohnung <?page no="310"?> den Gruppenprozess weitergetragen haben. So sammeln sich im Verlaufe der Gruppenarbeit immer mehr Zettel in dem Gefäß, wobei die Namen derjenigen, die eine merkbar besondere Leistung beigetragen haben, auf mehr Zetteln zu finden ist. Am Abschluss der Gruppenarbeitsphase zieht der Leiter einen Zettel aus dem Gefäß und überreicht die Belohnung an die entsprechende Person oder Subgruppe. Durch dieses Verfahren ist sichergestellt, dass jede Person bzw. Sub‐ gruppe die Belohnung erhalten kann, aber eine besonders aktive Beteiligung durch die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, gezogen zu werden, auch wahr‐ scheinlicher belohnt wird. Es ist sinnvoll, wenn der Leiter zu Beginn der Arbeitsphase den spielerischen Charakter dieses Vorgehens verdeutlicht und dies auch bei der Überreichung der Belohnung noch einmal berücksichtigt. 310 12 Belohnungssysteme <?page no="311"?> 13 Anhang 13.1 Literatur Antons, K. (1998): Praxis der Gruppendynamik. 7. Aufl., Göttingen: Hogrefe Berkel, K. (2011): Konflikttraining. 11. Aufl., Hamburg: Windmühle Dainton, N. (2018): Feedback in der Hochschullehre. UTB, Haupt-Verlag, 1. Aufl. Feldmann, F. & Hellmann, K.-U. (2016): Partizipation zum Prinzip erhoben. In: Knoll, T. (Hrsg.): Neue Konzepte für einprägsame Events. Partizipation statt Langeweile - Vom Teilnehmer zum Akteur. Wiesbaden: Springer/ Gabler, 1. Aufl. Friebe, H. & Albers, P. (2011): Was Sie schon immer über 6 wissen wollten: Wie Zahlen wirken. München: Carl Hanser Geschka, H. & von Reibnitz, U. (1980): Vademecum der Ideenfindung. 4. Aufl., Frankfurt am Main: Battelle Hemme, H. (2004): Das Ei des Kolumbus und weitere hinterhältige Knobeleien. 6. Aufl., Reinbek: Rowolth Hentze, H. & Müller, K. D. & Schlicksupp, H. (1990): Praxis der Managementtechniken. München: Carl Hanser Honey, P., & Mumford, A. (1992). The manual of learning styles. Berkshire: Peter Honey Publications. Kadmon, M., Strittmatter-Haubold, V., Greifeneder, R., Ehlail, F. & Lammerding-Köppel, M. (2008): Das Sandwich-Prinzip - Einführung in Lernerzentrierte Lehr-Lernmethoden in der Medizin. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheits‐ wesen, Vol. 102 (10), 628-633. Lehner, M. (2018): Erklären und Verstehen. 1. Aufl., Stuttgart: UTB Lindemann, H. (2004): Autogenes Training. 3. Aufl., München: Mosaik Verlag Meyer, J.-U. (2009): Das Edison-Prinzip. Limit. Sonderaufl., Frankfurt: Campus Verlag Peyton, J. W. R. (1998): Teaching & Learning in Medical Practice. 1. Aufl., Orillia: Manti‐ core Books Strittmatter-Haubold, V. (Hrsg.) & Wölfing, W. (Hrsg.) (2005): Methodenreader. 7. Aufl., Heidelberg Pulver, M. (2003): Sitzungsfallen - und wie man sie umgeht. Elektronik 11/ 2003, Haar: WEKA Fachmedien GmbH Schneider, M. (2012): Crashkurs Meditation. 3. Aufl., München: Gräfe und Unzer <?page no="312"?> van Logtestijn, A. & Mandour, Y (2004): Zeven stappen naar succesvollere innovaties. Tijdschrift voor Marketing 03/ 2004. www.marketing-online.de Wellhöfer, P. (2012): Gruppendynamik und soziales Lernen. 4. Aufl. Konstanz: UVK 13.2 Links http: / / interviewonline.ch/ artikel/ vergessen-sie-brainstorming! .html - Beispiel für die Konzept-Extraktion. Stand: 04.06.2019 http: / / methodenpool.uni-koeln.de/ - Sammlung zahlreicher Methoden mit weiterfüh‐ renden links. Stand: 04.06.2019 www.bpb.de/ lernen/ formate/ methoden/ 62269/ methodenkoffer-detailansicht? mid=331 - Beispiel für die Farben der Denkhüte-Methode. Stand: 04.06.2019 www.open-space-moderation.de/ - Informationen zur Gestaltung ganzer Kongresse mit‐ hilfe der Open-Space-Methode. Stand 04.06.2019 www.qfd-id.de/ - Ausführliche Informationen zum Quality Function Deployment (QFD). Stand: 04.06.2019 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Delphi-Methode - Durchführung der Delphi-Methode über E-Mail-Kommunikation. Stand 04.06.2019 https: / / trendwatching.com/ - Trendnewsletter. Stand: 04.06.2019 www.schulentwicklung.nrw.de/ methodensammlung/ - Sammlung zahlreicher Me‐ thoden mit Fokus auf Moderation. Stand: 11.06.2019 www.spielereader.org/ - Sammlung lockerer Übungen und Spiele für die Erstsemester‐ arbeit der Universität Bonn. Stand: 04.06.2019 www.springwise.com/ - Trendnewsletter. Stand: 04.06.2019 13.3 Zum Abschluss … Bevor wir, die Autoren, nun die letzten Worte an Sie, die Leser, richten, möchten wir an dieser Stelle einige Worte des Dankes adressieren. Die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe »Biophysical & Education Engineering« des Lehrstuhls für Angewandte Medizintechnik der RWTH Aachen haben für die zweite Auflage erneut so manche Experimente zu den Methoden geduldig über sich ergehen lassen und evaluiert. Der UVK-Verlag hat dieses Werk mit vielen hilfreichen Anmerkungen und Ideen kontinuierlich unterstützt und wei‐ tergetragen. Unser besonderer Dank geht dabei an Herrn Dr. Jürgen Schechler als unser stets geduldiger Ansprechpartner und Frau Uta Preimesser für das Schleifen und Polieren des Textes. 312 13 Anhang <?page no="313"?> 1 Mit Ihrer Einsendung erklären Sie, dass Sie die Rechte an dem zugesendeten Material besitzen und einer Veröffentlichung im Rahmen der Sammlung zustimmen. Nachdem Sie dieses Buch durchgearbeitet haben und hoffentlich auch einige der vorgestellten Methoden in der Praxis anwenden konnten, laden wir Sie auch in dieser zweiten Auflage herzlich dazu ein, uns Anregungen und Feedback zu senden. Unser Ziel auch für die zweite Auflage war, für möglichst viele verschiedene Problemstellungen praktikable und erprobte Methoden vorzustellen. Dabei sind wir uns bewusst, dass es im weiten Feld der Gruppenarbeit und der Gruppen‐ arbeitsmethoden nicht möglich ist, jede Methode zu kennen und, insbesondere ohne wiederholte praktische Anwendung, ihren Nutzen zu bewerten. Aus diesem Grund möchten wir Sie bitten, uns Vorschläge für weitere Gruppenar‐ beitsmethoden zu schicken 1 , falls Sie den Eindruck haben, dass Ihr Vorschlag die vorliegende Sammlung bereichern könnte. Sollte auf Ihren Vorschlag hin eine weitere Methode in die nächste Auflage dieses Buches aufgenommen werden, schicken wir Ihnen kostenfrei ein Exem‐ plar der nächsten Auflage. Bitte kontaktieren Sie uns unter: gruppenarbeit@education-engineering.de Wir hoffen, dass Ihnen die Lektüre dieses Buches viel Freude bereitet hat und dass Sie viele hilfreiche Anregungen für Ihre eigene (Gruppen-)Arbeit mit‐ nehmen konnten! Aachen und Göttingen im Januar 2020 Martin Baumann Christoph Gordalla 313 13.3 Zum Abschluss … <?page no="315"?> Register 1-2-4-Methode 119, 121 4-Ecken-Methode 108, 150 6-5-3 153, 209 Advance Organizer 258 Advocatus Diaboli 26 Anchored Learning 283 Anspitzer, Bleistift und Papier 118 Aquarium 192 Assoziations-ABC 178 Attribute-Listing 220, 222 Barcamp 299 Belohnung 307 Belohnungssysteme 305 Bestrafung 306 Bienenkorb 127, 285 Bildergalerie 172 Bingo 81 Bisoziation 190 Blitzlicht 104 Brainstorming 156, 158, 234 Brainwriting 153 Buzz Group 285 Cluster 160, 206 Cookie-Lemon-Cookie 50 Delphi-Methode 205 Denkhüte 167 Denkstühle 175 Design Sprint 300 Design Thinking 300 Design-Thinking 297 Diversität 77 Divers zusammengesetzte Teams 77 Donut 287 Doppeldiamant 301 Double Diamond Prozess 300 Einpunktfrage 112, 115 Expertengruppe 261 Expertenrunde 263 Feedback 48, 102, 303 Fishbowl 192 freies Schreiben 158 Graffiti 180 Gruppenpuzzle 261 House of Quality 135 Ich packe meinen Koffer und nehme mit … 83 Impulsplakate 106 Interaction Design 300 Intuition 168, 190 Jeder bewegt jeden 125 Kano-Analyse 139 Kartenfrage 115 Karten in vier Farben 109 Karten in zwei Farben 115 Karten-Vortrag 289 Kennenlernen 89 Knowledge-Café 195, 197 Kofferpacken 83 kollegiale Fallberatung 226 Kollektives Notizbuch 155 Kompromiss 20, 34, 38, 43, 206 Konflikt 19, 29, 34, 43, 63 Konsens 20, 40, 43, 162, 203 Konzept-Extraktion 202 Kopfstandtechnik 182 Kordelziehen 93 <?page no="316"?> Körperbehinderung 77 Kugellager 89, 265 Learning by Doing 271 Leitfragen 200 Leittext 261, 298 Lernlandschaft 258, 260 Lernposter 258, 260 Lerntempoduett 267 Lesegeschwindigkeit 75 Likert-Skala 204 Listenpriorisierung 209 Lob 306, 307 Losverfahren 95 Matrixanalyse 211 Meta-Methoden 297 Mindmap 163, 278 Mit Hand und Verstand 127 morphologischer Kasten 220 Multifaktorenmethode 215, 218 Murmelgruppen 126 Nummern zuweisen 96 Nutzwertanalyse 215 Onkel-Otto-Zettel 180 Open Space 195, 197 Orakel von Delphi 205 Osborn-Methode 238 Osborn-Regeln 133 paarweiser Vergleich 211, 214 Pareto-Analyse 143 Parkinson 41 PARTizipieren 97 Partnerinterview 86 Pausenrätsel 127 Peyton-Schema 291 Pinocchio-Methode 88 Priorisierung 208, 210, 259 Prototyp 303 Provokationstechnik 184 Punktabfrage 112 QFD 135, 138 rasender Reporter 250 Regeln 38 Reihenfolge 100 Reizbildtechnik 190 Reizwortanalyse 187 Rollen 29 Sandwich 50, 298 Schneeball 119, 121 schneller Brüter 175 Scientific Learning 271 Seenot 119, 120 Selbststudientext 261 semantisches Netz 255 Service Design (Thinking) 300 SIL-Methode 231 SIT-Methode 242 Sortieraufgabe 253 Speed-Dating 89 Stilles Meinungsbild 112 Stimmungsbarometer 112, 115 Struktur-Lege-Technik 255 Superposition 187 SWOT-Analyse 146 Synektik 233 Synergie 27, 63, 249 Systematic Innovative Thinking 242 Thermometer 112, 115 TILMAG-Methode 223 Turbo-Brainstorming 158 Vernissage 172 Verstärkung 306 Walt-Disney-Methode 175 Wetterkarte 115 World-Café 195 Zufallstechnik 187, 189 zwei W 274 Zwiebelschale 265 316 Register <?page no="317"?> ,! 7ID8C5-cfchei! ISBN 978-3-8252-5274-8 Martin Baumann Christoph Gordalla Gruppenarbeit Methoden - Techniken - Anwendungen 2. Auflage Sie kennen Brainstorming und SWOT, aber wissen Sie auch, was die Walt-Disney-Methode oder das Gruppenpuzzle sind? Die vorliegende 2. Auflage der „Gruppenarbeit“ stellt neben ausführlichen Hinweisen zur Organisation von Gruppenarbeiten mehr als 70 Methoden für Teambuilding, Ideenfindung, Konzeption und Priorisierung vor. Aber auch Meta-Methoden, diverse Belohnungssysteme und Gruppen werden angesprochen. Interdisziplinäre Gruppen arbeiten damit in Seminaren, Workshops oder Projekten effizient und erfolgreich zusammen. Ein grafisches Orientierungssystem hilft Trainern beim Finden geeigneter Methoden. Schlüsselkompetenzen Gruppenarbeit 2. A. Baumann | Gordalla Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 52748 Baumann_M-4223.indd 1 52748 Baumann_M-4223.indd 1 03.03.20 15: 57 03.03.20 15: 57
