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Empirisch forschen

Die Planung und Umsetzung von Projekten im Studium

0420
2020
978-3-8385-5303-0
978-3-8252-5303-5
UTB 
Theo Hug
Gerald Poscheschnik

Der Band bietet einen Überblick über die wichtigsten Schritte bei der Planung und Umsetzung von empirischen Forschungsprojekten. Weil es dem Ablauf der Forschung folgt, kann das Buch auch als Leitfaden verwendet werden. Die gut verständliche Darstellung wird durch zahlreiche Übersichten, Literaturtipps und Internetquellen ergänzt. Die 3. Auflage enthält vertiefende und ergänzende Textabschnitte zu Erkenntnistheorie und Forschungsethik sowie zu qualitativen Erhebungs- und Auswertungsmethoden und eine Werkzeugkiste zur Erstellung von Interviewleitfäden. Was ist und wie funktioniert empirische Forschung? Welche Forschungsdesigns und -methoden gibt es? Wie präsentiert man die Forschungsergebnisse?

<?page no="0"?> ,! 7ID8C5-cfdadf! ISBN 978-3-8252-5303-5 Theo Hug Gerald Poscheschnik Empirisch forschen Der Band bietet einen Überblick über die wichtigsten Schritte bei der Planung und Umsetzung von empirischen Forschungsprojekten. Weil es dem Ablauf der Forschung folgt, kann das Buch auch als Leitfaden verwendet werden. Die gut verständliche Darstellung wird durch zahlreiche Übersichten, Literaturtipps und Internetquellen ergänzt. Die 3. Auflage enthält vertiefende und ergänzende Textabschnitte zu Erkenntnistheorie und Forschungsethik sowie zu qualitativen Erhebungs- und Auswertungsmethoden und eine Werkzeugkiste zur Erstellung von Interviewleitfäden. ● Was ist und wie funktioniert empirische Forschung? ● Welche Forschungsdesigns und -methoden gibt es? ● Wie präsentiert man die Forschungsergebnisse? Schlüsselkompetenzen Empirisch forschen 3. A. Hug | Poscheschnik Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 3. Auflage Studieren, aber richtig 53035 Hug_M-3357.indd 1 53035 Hug_M-3357.indd 1 06.03.20 15: 17 06.03.20 15: 17 <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 3357 <?page no="2"?> Studieren, aber richtig Herausgegeben von Theo Hug, Michael Huter und Otto Kruse Die Bände behandeln jeweils ein Bündel von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das gesamte Paket versetzt Studierende in die Lage, die wesentlichen Aufgaben im Studium zu erfüllen. Die Themen orientieren sich an den wichtigsten Situationen und Formen des Wissenserwerbs. Dabei werden auch das scheinbar Selbstverständliche behandelt und die Zusammenhänge erklärt. Weitere Bände: Otto Kruse: Lesen und Schreiben (UTB 3355) Klaus Niedermair: Recherchieren und Dokumentieren (UTB 3356) Gerlinde Mautner: Wissenschaftliches Englisch (UTB 3444) Jasmin Bastian, Lena Groß: Lerntechniken und Wissensmanagement (UTB 3779) Melanie Moll, Winfried Thielmann: Wissenschaftliches Deutsch (UTB 4650) Otto Kruse: Kritisches Denken und Argumentieren (UTB 4767) <?page no="3"?> Theo Hug, Gerald Poscheschnik Empirisch forschen Die Planung und Umsetzung von Projekten im Studium Unter Mitarbeit von Bernd Lederer und Anton Perzy 3., überarbeitete und ergänzte Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> UVK Verlag - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Nymphenburger Straße 48 · 80335 München www.uvk.de © 2020 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen www.narr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © shutterstock eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck UTB-Nr.: 3357 ISBN 978-3-8252-5303-5 Print ISBN 978-3-8385-5303-0 ePDF ISBN 978-3-8463-5303-5 ePub Zu den Autoren Theo Hug lehrt an der Fakultät für Soziale und Politische Wissenschaften der Universität Innsbruck. Gerald Poscheschnik lehrt am Studiengang Soziale Arbeit der Fachhochschule Kärnten. Bernd Lederer lehrt an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck. Anton Perzy lehrt im Bereich Psychologie an der Universität Flensburg. Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. <?page no="5"?> 7 10 11 I 13 1 15 2 20 3 29 4 35 5 49 II 55 1 57 2 66 3 72 III 79 1 81 2 82 3 85 4 89 Inhalt Worum es in diesem Buch geht und wie man es benützt (TH, GP) . . . . . . . . Vorwort zur 2. Auflage (TH, GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur 3. Auflage (TH, GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangspunkte (TH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachdenken - Wozu überhaupt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung . . . . . . . . . Empirisch forschen - Was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . Mein erstes Forschungsprojekt - Was brauche ich? . . . . . . . . Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am Anfang steht eine Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie komme ich von meinen Ideen zu einem Thema? . . . . . . Wie komme ich von einem Thema zu einer Forschungsfrage? Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) . . . . . . Wie verstehe ich den Gegenstand meiner Forschung? (GP) . Die Rolle von Argumenten im Prozess der Forschung (GP) . Step by step - Sinn und Zweck von Ablaufmodellen (GP) . . Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 5 101 6 106 7 114 IV 125 1 127 2 143 3 168 4 178 V 187 1 189 2 207 3 228 VI 237 1 239 2 252 3 253 4 257 271 Der methodische Dreischritt empirischer Forschung: Erhebung, Aufbereitung, Auswertung (GP) . . . . . . . . . . . . . . . Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) . . . . . . . . . . Qualitative Erhebungsmethoden (GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative Erhebungsmethoden (BL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbereitungsmethoden (AP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenauswertung (GP, BL, TH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitative Auswertungsmethoden (GP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative Auswertungsmethoden (BL) . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Darstellung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Problematik der »fake science« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick oder wie entwickle ich meine Methodenkompetenz weiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nützliche Internetquellen und Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6 <?page no="7"?> Worum es in diesem Buch geht und wie man es benützt (TH, GP) Empirische Forschung ist ein zentrales Thema nahezu jeder wissenschaft‐ lichen Ausbildung. Im Studium werden Sie bald die Erfahrung machen, dass sie nicht nur in den Lehrveranstaltungen zu Theorien und Methoden, son‐ dern auch in anwendungsorientierten Kursen eine Rolle spielt. Immer wie‐ der wird dabei auf empirische Forschungsergebnisse Bezug genommen. Sie sind aufgefordert, Forschungsberichte auch selbst nachzuvollziehen und zu beurteilen. Mehr noch: Spätestens bei der abschließenden Qualifizierungs‐ arbeit stellt sich die Frage, wie Sie Ihr eigenes erstes Forschungsprojekt auf‐ setzen und realisieren können. Empirische Forschung wird Ihnen also wäh‐ rend Ihres ganzen Studiums auf Schritt und Tritt begegnen. Methodenkurse zählen im Allgemeinen nicht gerade zu den beliebtesten Lehrveranstaltungen. Es gibt sogar Studierende, die die Auseinandersetzung mit Forschung und Forschungsmethoden als Zumutung empfinden. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Einerseits befürchten sie, mit abs‐ trakten und komplexen Inhalten überfordert zu werden. Andererseits kon‐ kurriert die empirische Forschung auch mit Lehrveranstaltungsangeboten, die schon im Titel lebens- und berufspraktische Bedeutung versprechen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Statistik- und Methodenkurse da und dort dazu missbraucht werden, um mit Knock-out-Prüfungen den Andrang von Studierenden zu bewältigen. Grundsätzlich ist empirische Forschung allerdings weder komplizierter noch uninteressanter als andere Teile Ihres Studiums. Was haben das Kochen eines feinen Menüs, das Einstudieren eines neuen Musikstücks, die Programmierung einer tollen Website, das Erlernen einer Fremdsprache, das Einüben neuer Tanzschritte und der Erwerb forschungsmethodischer Kompetenzen gemeinsam? - Alle diese Tätigkeiten können Befriedigung verschaffen, Spaß ma‐ chen und Freude bereiten - und: sie bedeuten auch Arbeit, sie er‐ fordern eine gewisse Liebe zur Sache, und sie brauchen Zeit und Geduld. <?page no="8"?> Mit diesem Buch wollen wir Ihnen den Einstieg in Methodenfragen erleich‐ tern und Ihnen helfen, sich im weiten Feld der empirischen Forschung zu orientieren. Wir möchten Sie ermutigen, über Methodenthemen nachzu‐ denken, Anwendungen zu erproben und Schritt für Schritt forschungsme‐ thodische Kompetenzen zu erwerben. Deshalb konzentrieren wir uns auf zentrale Themen und Schlüsselfragen. Indem wir Sie mit grundlegenden Erfordernissen und Prinzipien vertraut machen, wollen wir Ihre Neugier wecken und gleichzeitig allfällige Befürchtungen im Zusammenhang mit empirischer Forschung zerstreuen oder zumindest mildern. Das Buch kann Ihnen als Lösungshilfe für praktische Probleme in der Forschung dienen, sowohl im Studium als auch in der beruflichen Praxis. Darüber hinaus hilft es Ihnen auch, empirische Forschungsarbeiten anderer besser zu verstehen. Die inhaltliche Gliederung des Bandes folgt der Logik, nach der empiri‐ sche Forschung üblicherweise abläuft. Damit dient er auch als Leitfaden für die Durchführung Ihres eigenen Forschungsprojekts. Bevor Sie Ihr erstes eigenes empirisches Forschungsprojekt in Angriff nehmen, können Sie das Buch von Anfang bis zum Ende durchlesen und dabei alle Schritte Ihres Vorhabens planen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, einzelne Kapitel zu lesen, und verschaffen sich damit einen raschen Überblick über ein be‐ stimmtes Thema. Wenn Sie zum Beispiel Information über qualitative In‐ terviews brauchen, lesen Sie einfach Abschnitt IV.1. Im Inhaltsverzeichnis sind die wichtigsten Themen der empirischen Forschung benannt. In jedem Fall wird Ihnen der Band dabei helfen, die begrenzte Zeit mit Lehrenden oder Tutoren möglichst sinnvoll und effektiv zu nutzen. Beim Schreiben haben wir die Dinge absichtlich vereinfacht. Das soll Ih‐ nen den Einstieg ins Thema erleichtern. Es gibt kaum einen Punkt, den man nicht relativieren und diskutieren könnte, aber um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren, haben wir darauf weitgehend verzichtet. Damit nehmen wir bewusst in Kauf, dass Sie wahrscheinlich eines Tages, wenn Sie über eine gewisse methodologische Expertise verfügen, auf dieses Büchlein milde lächelnd zurückschauen können. Es ist nicht mehr als eine Leiter, die dazu dient, das nächsthöhere Plateau des Wissens zu erklimmen. Dort angelangt, können Sie darauf verzichten und sie getrost umstoßen. Wir weisen also auf die Grenzen dieses schmalen Büchleins hin. Wir möchten Ihnen nicht vormachen, dass alles, was man über empirische For‐ schung wissen kann, in diesem Buch steht. Wenn Sie in einem bestimmten Gebiet Expertise erlangen möchten, müssen Sie weiterlesen. Aus diesem Grund enthält das Buch auch am Ende jedes Abschnitts einen oder mehrere 8 Worum es in diesem Buch geht und wie man es benützt (TH, GP) 8 <?page no="9"?> Literaturtipps. Außerdem haben wir eine Reihe von Internetquellen zusam‐ mengestellt, die beim Erwerb forschungsmethodischer Kompetenzen hilf‐ reich sind. Damit können Sie Ihr Wissen gezielt ausbauen. Fragen, die Ihnen dieser Band beantwortet • Worin unterscheidet sich wissenschaftliche Erkenntnis von Alltagserkenntnis? • Was ist und wie funktioniert empirische Forschung? • Wie kann ich Hypothesen und Forschungsfragen finden? • Wie plane ich mein erstes empirisches Forschungsprojekt? • Wie läuft ein empirisches Forschungsprojekt ab? • Welche Forschungsdesigns und Forschungsmethoden gibt es? • Was ist der Unterschied zwischen qualitativen und quantita‐ tiven Forschungsmethoden? • Welche Forschungsdesigns und Forschungsmethoden soll ich verwenden? • Wodurch zeichnet sich eine gute wissenschaftliche Studie aus? • Welche Methoden zur Erhebung von Daten gibt es? • Welche Methoden zur Aufbereitung von Daten gibt es? • Welche Methoden zur Auswertung von Daten gibt es? • Wie kann ich Software und digitale Medien für mein For‐ schungsprojekt nutzen? • Wie kann ich meine Forschungsergebnisse erfolgreich präsen‐ tieren? In die Erstellung dieses Buchs sind freilich weitaus mehr Texte eingeflossen als im Rahmen der wenigen Literaturtipps Erwähnung finden. Eine voll‐ ständige Liste aller verwendeten Literaturangaben befindet sich aus Platz‐ gründen nicht in diesem Buch, sondern im Internet (star.huterundroth.at). Abgesehen von wissenschaftlicher Literatur sind auch Gespräche mit Stu‐ dierenden sowie mit Kolleginnen und Kollegen, denen wir für ihre Anre‐ gungen und Hinweise danken möchten, in die Texte eingeflossen sind. Das gesamte Buch ist übrigens ein gemeinsames Produkt der Herausgeber und Autoren, nichtsdestotrotz zeichnet Theo Hug (TH) hauptverantwortlich 9 Worum es in diesem Buch geht und wie man es benützt (TH, GP) 9 Überblick <?page no="10"?> für die Abschnitte I.1 bis I.4, IV.4, V.3 und VI.1 bis VI.3. Gerald Poscheschnik (GP) hat die Abschnitte III.1 bis III.7, IV.1 und V.1 erstellt. Aus der Feder Bernd Lederers (BL) stammen die Abschnitte IV.2 und V.2. Anton Perzy (AP) schließlich hat die Abschnitte II.1 bis II.3 und IV.3 geschrieben. Noch ein letzter Hinweis: Nur keinen falschen Respekt vor Büchern! Bei diesem Bändchen handelt es sich nicht um eine heilige Schrift, sondern um ein Werkzeug. Aus dem Grund ist es auch in Ordnung zu unterstreichen, Randnotizen einzufügen, Eselsohren zu machen, Post-its reinzukleben usw. Wissenschaftliche Bücher sind dazu da, verwendet zu werden. Man benützt ja auch einen Hammer und lässt ihn nicht nur im Werkzeugkoffer liegen. Vorwort zur 2. Auflage (TH, GP) Es freut uns, dass der vorliegende Band offenbar als so brauchbar empfunden wurde, dass eine zweite Auflage nötig wurde. Wir haben uns alle Mühe gegeben, Tippfehler zu korrigieren, Literaturtipps zu aktualisieren und da und dort Ergänzungen einzufügen. Selbstverständlich ist und bleibt Empi‐ risch forschen ein Einführungs- und Grundlagenwerk, das speziell auf die Bedürfnisse von Studierenden in den ersten Semestern ihres Bachelorstu‐ diums zugeschnitten ist. Es hat sich aber auch gezeigt, dass der Band auch für höhersemestrige Studierende nützlich ist und vielfach als Study Com‐ panion verwendet wird. Vielen Rückmeldungen konnten wir entnehmen, dass das Buch als hilfreich auch für die Planung von Abschlussarbeiten und Forschungsprojekten erachtet wurde. Flankiert wird die aktualisierte Buchauflage auch von einer aktualisierten Homepage (star.huterundroth.at), auf der sich nicht nur Vertiefungs- und Ergänzungstexte zum freien Download befinden, sondern auch Hinweise auf weitere Teilbände der Buchreihe »STAR - Studieren, aber richtig«, Sinn und Zweck dieser Bände ist es, interessierten Studierenden wichtige Schlüs‐ selkompetenzen für das Studium zu vermitteln. Diese »Basics«, wie bei‐ spielsweise Lesen und Schreiben, Recherchieren und Dokumentieren, Ar‐ beiten mit Medien, Visualisieren und wissenschaftliches Englisch sind häufig nur ungenügend oder gar nicht in den Studienplänen verankert, wer‐ den aber trotzdem in Lehrveranstaltungen mehr oder weniger vorausge‐ setzt. Um relativ unleserliche Wortungetüme, wie z. B. »jedeR StudentIn« oder »der/ die Forscher/ in« zu umschiffen, haben wir einen pragmatischen Weg 10 Vorwort zur 2. Auflage (TH, GP) 10 <?page no="11"?> eingeschlagen und einen bewusst lockeren Umgang mit dem eigentlich heiklen Thema gendersensibler Formulierungen gewählt. Wir hoffen, weder Frauen noch Männer vor den Kopf zu stoßen, wenn wir abwechselnd mal die weibliche und mal die männliche Form benutzen, aber trotzdem stets beide Geschlechter meinen; in den seltenen Fällen, in denen nur eines der beiden Geschlechter gemeint ist, haben wir das einfach durch die Adjektive weiblich resp. männlich kenntlich gemacht. Abschließend möchten wir die Gelegenheit nutzen, um uns erneut bei Studierenden, Kolleginnen und Freunden für Unterstützung und Rückmel‐ dungen zu bedanken! Vorwort zur 3. Auflage (TH, GP) Wir freuen uns, dass Empirisch forschen von seinen Lesern als so nützlich empfunden wurde, dass eine dritte Auflage nötig geworden ist. Da der Feh‐ lerteufel niemals schläft, waren auch diesmal kleinere Korrekturen nötig. Zudem haben wir Literaturtipps und Linksammlungen fürs vertiefende Stu‐ dium aktualisiert und ergänzt. Der Illusion, nunmehr alle Tippfehler besei‐ tigt zu haben und auf sämtliche interessante Quellen verwiesen zu haben, wollen wir uns allerdings nicht hingeben. Deshalb bleiben wir all jenen Le‐ serinnen verbunden, die uns auf Fehler und brauchbare Literatur hinweisen. Dynamiken der Digitalisierung, Medialisierung und Globalisierung sich auch in der Wissenschaft und Forschung von herausragender Bedeutung. Entsprechend werden ständig neue Methoden und Analysetechniken ent‐ wickelt. Die Vielfalt qualitativer und quantitativer Forschungsansätze und die Komplexität empirischer Verfahren, die auf analogen und digitalen Da‐ ten beruhen, lassen sich heute kaum mehr in einem Band darstellen. Wir haben versucht, die Komplexität der Methodenlandschaften so zu reduzie‐ ren, dass der Einstieg in die Thematik und der Erwerb grundlegender Kennt‐ nisse niederschwellig bleiben. Einige der bestehenden Kapitel haben wir um zusätzliche Abschnitte er‐ gänzt. Unter anderem enthält das Buch nun vertiefende und ergänzende Textabschnitte zu Erkenntnistheorie (s. I.1.), dem Einsatz der Themenzent‐ rierten Interaktion im Prozess der Forschung (s. Kap. I.4.), zu Forschungs‐ ethik (s. Kap. III.7.) weiteren qualitativen Erhebungs- und Auswertungsme‐ thoden (s. Kap. IV.1., V.1.) sowie einer Werkzeugkiste zur Erstellung von Interviewleitfäden (s. Kap. IV.1.). 11 Vorwort zur 3. Auflage (TH, GP) 11 <?page no="12"?> Erwähnen wollen wir auch, dass die Buchreihe »STAR - Studieren, aber richtig« seit dem Erscheinen der letzten Auflage um weitere Bände ergänzt worden ist, von denen wir denken, dass sie fürs Studium hilfreich sind. Wir wünschen allen Büchern der STAR-Reihe weiterhin viel Erfolg. 12 Vorwort zur 3. Auflage (TH, GP) 12 <?page no="13"?> Ziel dieses Kapitels ist es, Sie beim Einstieg in die Thematik mit brauchbaren Anregungen und Hinweisen zu versorgen. Gleichzeitig wollen wir Ihr Verständnis für grundlegende Fragen der empirischen Forschung wecken und Sie zur Entwicklung eigener Standpunkte und Begründungen ermuntern. Sie werden sehen, dass es sich lohnt, methodische und methodenreflexive Kompetenzen zu erwerben - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auch im Alltag und in der beruf‐ lichen Praxis als nützlich erweisen können. I Ausgangspunkte (TH) T. Hug 1. Nachdenken - wozu überhaupt? 2. Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung 3. Empirisch forschen - Was ist das? 4. Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 5. Mein erstes Forschungsprojekt - Was brauche ich? <?page no="15"?> 1 Nachdenken - Wozu überhaupt? Wer anfängt, sich mit wissenschaftlicher Forschung zu beschäftigen, sieht sich schnell einer Vielzahl von Ergebnissen, Methoden und Ansätzen ge‐ genüber. Die Ausdrucksweise und die Fachbegriffe sind schwer verständlich, man sehnt sich nach Überblick und Durchblick. Das Bedürfnis nach Orien‐ tierung ist nur zu gut verständlich, denn im Studium wird ja erwartet, dass Sie Forschungsergebnisse analysieren und kommentieren. Andererseits müssen Sie lernen, eigene Forschungsprojekte zu planen, durchzuführen und zu präsentieren. Auf den ersten Blick mag das etwas viel verlangt erscheinen, vor allem wenn man dabei an große Würfe wie die Evolutionstheorie oder die Psy‐ choanalyse denkt. Aber keine Sorge: Die meisten Forscherinnen produzieren keine nobelpreisverdächtigen Ergebnisse und von studentischen Qualifizie‐ rungsarbeiten werden keine bahnbrechenden Neuigkeiten erwartet. Beachten Sie also: Zwischen groß angelegten Forschungsprojekten, für die viele Millionen Euro zur Verfügung stehen, und kleinen Studien, die im Rahmen von Lehrveranstaltungen, im Zusammenhang von Weiterbildung oder in beruflichen Kontexten gemacht werden, liegt ein weites Feld unter‐ schiedlich anspruchsvoller Forschungsbemühungen. Grundsätzlich geht es aber darum, dass Sie sich Gedanken darüber machen, • wie sich alltagsweltliche und wissenschaftliche Erfah‐ rungen zueinander verhalten • welche Bilder und Vorverständnisse von wissenschaftlicher Forschung Sie haben • was »Wissenschaft« und »empirisches Forschen« bedeuten • wo die Freiheit der Forschung und wo ihre Grenzen liegen • was auf dem Weg zu Ihrem ersten Forschungsprojekt wichtig ist. Wissenschaftliche Forschung geht immer von Vorannahmen und Voraus‐ setzungen aus. Darüber nachzudenken lohnt sich doppelt: Es wird nach‐ 15 1 Nachdenken - Wozu überhaupt? 15 Reflexion <?page no="16"?> vollziehbar, wie Problembeschreibungen entstehen. Und: die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Vorgangsweise lässt sich differenzierter dis‐ kutieren und begründen. Über Ausgangspunkte nachzudenken, heißt auch, Zielsetzungen, Interes‐ senslagen und Relevanzen von Forschungsergebnissen besser zu verstehen. Dabei rücken theoretische Vorannahmen, institutionelle Rahmenbedingun‐ gen, gesellschaftliche Zusammenhänge, individuelle oder kollektive Vor‐ aussetzungen inhaltlicher Art ins Blickfeld. In jedem Fall wird deutlich, dass Tatsachen etwas »Gemachtes« sind. Parforceritt durch die Erkenntnistheorie (BL) Wenn Sie ein Forschungsprojekt planen oder durchführen, stehen Sie in einer über zweieinhalbtausendjährigen Tradition empirischer Forschung. Die ersten Forscher, die daran gingen, die Welt aufgrund von Beobachtung nach logischen Grundsätzen zu erklären und zu verstehen, waren die sogenannten »Naturphilosophen« der vorklas‐ sischen Epoche Griechenlands (ca. 700-500 v.u.Z.). Ab ca. 600 v.u.Z. war es das Verdienst einer Reihe großer Denker, an die Stelle des mythischen Denkens ein Denken auf Basis von Beobachtung und Vernunft gesetzt zu haben. Dieser geistesgeschichtliche Übergang vom »Mythos« zum »Logos« (griechisch für: das Wort, im weiteren Sinne aber auch »Vernunft«, »Argument«, »Lehrsatz«) markiert den Beginn abendländischen Denkens im Allgemeinen und abendländi‐ scher Wissenschaft im Speziellen. Wo somit einst Blitz und Donner auf das Werk eines zornigen Gottes zurückgeführt wurde, dem man schutzlos ausgeliefert war, werden heute vielmehr physikalische Gesetzmäßigkeiten zur Erklärung herangezogen, die auf Beobach‐ tungen, Messungen und überprüfbaren Vorhersagen gründen. Statt also all das unhinterfragt zu übernehmen, was die Altvorderen in mündlicher oder schriftlicher Form über die Entstehung und Be‐ schaffenheit der Welt (die meistens göttlichen Taten und Untaten geschuldet waren) berichteten, trat nun statt dessen das Bemühen, Vermutungen und Erklärungen über die Natur auf eigene Beobach‐ 16 I Ausgangspunkte (TH) 16 Exkurs <?page no="17"?> tung zu gründen. Eine schöne Anekdote etwa besagt, dass Aristarch von Samos (310-230 v. Chr.) auf die Kugelgestalt der Erde schloss, nachdem er beobachtete, wie Schiffe am Horizont nicht gleichmäßig kleiner wurden, bevor sie letztlich aus dem Sichtbereich entschwan‐ den, sondern vielmehr an der Horizontlinie »untergingen«, was eine Krümmung der Oberfläche impliziert. Weitere wichtige »Pioniere« der Empirie waren, stellvertretend für viele andere, deren Nennung den Rahmen sprengen würde: • Thales von Milet (624-546), der den Urgrund allen Seins und aller Dinge (»arché«) im Urstoff Wasser vermutete und somit an die Stelle eines persönlichen Urhebers eine Ursache rückte. • Pythagoras (540-497), der bemüht war, den Kosmos (von grie‐ chisch: »Ordnung«) nach zahlenmäßigen, mathematischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären. • Anaxagoras (500-428), der das Ziel des Lebens in der vernunft‐ gemäßen Schau (»Theoria«) der Dinge und der Welt erkannte und so für rationale Naturerklärungen plädierte. • Demokrit (460-370), dem das folgende Zitat zugeschrieben wird: »Lieber eine einzige Ursachenerklärung als König von Persien sein« und strikt zwischen Wahrheit und Meinung so‐ wie zwischen Erscheinungen und der Wesenhaftigkeit unter‐ schied und letztlich berühmt wurde durch das Postulat kleins‐ ter, unteilbarer Teilchen (»Atome«) als Grundbausteine der physischen Welt. • Protagoras (485-415), der erklärte, dass Wahrheit stets subjek‐ tiv-relativ sei und es somit keine absolute Wahrheit geben könne (»Der Mensch ist das Maß aller Dinge«). Als bedeutendster »Gründervater« der Wissenschaft wird meist Aristoteles (384-322) angeführt, der die Logik als eigenständige Wis‐ sensdisziplin und zudem eine Vielzahl anderer wissenschaftlicher Fächer (Zoologie, Geologie, Botanik u. v. a. m.) begründete und sich prinzipiell darum bemüht war, die Welt kategorisierend zu systema‐ tisieren. Bereits im Mittelalter war unter erkenntnisgeschichtlichen Gesichtspunkten bei weitem nicht so »finster«, wie oft behauptet wird. Hier finden sich vielmehr einige wichtige »Meilensteine« der Wissenschaftsgeschichte. In dieser als »Scholastik« bezeichneten Epoche, die sich vor allem dem Bemühen widmete, Vernunft und 17 1 Nachdenken - Wozu überhaupt? 17 <?page no="18"?> Glauben zu versöhnen, fällt etwa die explizite Formulierung des Ge‐ dankens des »Experimentes« als beliebig oft wiederholbare Repro‐ duktion wissenschaftlicher Ergebnisse durch Roger Bacon (1214-1292). Auch William of Ockhams (1285-1349) berühmtes Ver‐ nunftprinzip, wonach keine unnötigen Hypothesen aufzustellen sind, ist hier im Rahmen dieser exemplarischen Kurzskizze anzu‐ führen. Ockham postuliert also, dass es vernünftig ist, bei der Erklä‐ rung von Sachverhalten von der naheliegendsten Erklärung auszu‐ gehen, und auf überflüssige Teile einer Theorie zu verzichten. Francis Bacon (1561-1626) markiert bereits den Beginn der Neuzeit in den Wissenschaften. René Descartes (1596-1650) formulierte sein berühmtes »cogito ergo sum« als oberstes Prinzip gesicherter Er‐ kenntnis. Er gilt als Begründer des Rationalismus, einer erkenntnis‐ theoretischen Position, der zufolge es der menschliche Verstand ver‐ mag, die objektive Struktur der Wirklichkeit zu erkennen, und zwar sowohl auf physikalischem, metaphysischem wie moralischem Ge‐ biet. Wichtige weitere Vertreter dieser Auffassung, wonach die Welt prinzipiell aufgrund von Verstandestätigkeiten und angeborenen geistigen Strukturen erkenn- und erklärbar ist, waren etwa Georg Wilhelm Leibniz und Baruch de Spinoza. Als Empirismus hingegen bezeichnet man die Gegenposition des Rationalismus: ein auf John Locke (1632-1704) und David Hume (1711-1776) zurückgehendes philosophisches System, in welchem alle Erkenntnisse einzig und allein als aus der Erfahrung abgeleitet angesehen wird. Der menschliche Verstand ist in dieser heute in sei‐ ner Einseitigkeit als überholt zu betrachtenden Auffassung bei der Geburt demnach zunächst nur eine »leere Tafel« (eine »tabula rasa«). Alles Wissen, das wir Menschen über die Welt besitzen, ist das Ergebnis sinnlicher Erfahrung, resultiert also aus Gesehenem, Gehörten, Gespürten. Die geistesgeschichtliche Strömung des Idealismus (Fichte, Schel‐ ling, Hegel u. v. a. m.) stellt nicht zwingend eine erkenntniskritische Position dar. Sie ist zudem als nicht-empirisch zu bezeichnen, weil sie behauptet, dass die uns umgebende Welt letztlich Produkt unserer Vorstellungswelt ist und somit nicht auf (äußeren) Erfahrungen gründet, sondern vielmehr Ergebnis einer Innenschau ist. Das Ge‐ genteil dieser Auffassung bildet zeitlich später der Positivismus (Comte, Carnap, Mach, Wittgenstein, Popper) der sich in seiner 18 I Ausgangspunkte (TH) 18 <?page no="19"?> strengen Form nur mit unmittelbar-konkret Wahrnehmbarem bzw. sprachlich exakt Benennbarem zu beschäftigen gewillt ist. Die erkenntnistheoretische und zugleich philosophische Denkrich‐ tung der Phänomenologie (Edmund Husserl, Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty u. a.) wendet sich gegen den um die Wende zum 20 Jahrhundert grassierenden »Psychologismus« (die Auffas‐ sung, dass alle Erkenntnis letztlich das Ergebnis psychologischer Gesetzmäßigkeiten ist) und »Historismus« (Betonung der Ge‐ schichtlichkeit des Menschen und seiner Kultur) in den Geisteswis‐ senschaften. Sie widmet sich mittels bestimmter Denktechniken dem »Wesen« der Objektwelt. Wichtiger Bestandteil phänomenologi‐ schen Denkens ist zudem das Bemühen, das subjektive Erleben des Individuums nachzuvollziehen. Gerade für subjektbezogene Diszi‐ plinen wie Psychologie und Pädagogik sind Kenntnisse der Reprä‐ sentation der (vermeintlich) objektiven Außenwelt im innerlichen Empfinden unverzichtbar. Im 20. Jahrhundert postulierte Karl Pop‐ per (1902-1992) seinen kritischen Rationalismus, wonach sich Hy‐ pothesen nie vollends beweisen, sehr wohl hingegen widerlegen (»falsifizieren«) lassen. Bekannt ist das Beispiel, wonach die These »Alle Schwäne sind weiß« sich niemals empirisch vollends beweisen lässt, da es forschungspraktisch unmöglich ist, alle Schwäne, die je existierten, irgendwo auf der Welt existieren oder gar je existieren werden, hinsichtlich ihrer Farbe zu messen. Hingegen reicht ein ein‐ ziger nicht-weißer, z. B. ein schwarzer Schwan, um die Hypothese zu kippen. Durchaus geistesverwandt ist diese bescheidende, weil letzt‐ gültige Wahrheiten vermeidende Position mit dem Pragmatismus (Charles S. Pierce, William James, George Herbert Mead, John Dewey), der als temporäre »Wahrheit« die zu einem Zeitpunkt von einer Diskursgemeinschaft der Experten pragmatisch als zutreffend empfunden wird, bis zum Zeitpunkt einer Widerlegung oder Wei‐ terentwicklung des Forschungsstandes. Systemtheorie, Strukturalismus bzw. Poststrukturalismus und Kon‐ struktivismus sind erkenntnistheoretische Positionen und Denk‐ strömungen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart, die bei al‐ ler Verschiedenheit, auf Sprache und Diskurse als Medien der Herstellung von Bedeutung abzielen. Erscheinungen und deren Kon‐ texte, subjektive Wahrnehmungsweisen und Konstruktionsprinzi‐ pien von Realität sind hierbei von zentralem Interesse. Ihre wissen‐ 19 1 Nachdenken - Wozu überhaupt? 19 <?page no="20"?> schaftlichen »Stoffe« entdecken diese Geistesströmungen vor allem in der Literatur und Kunst, im Populären und Diskursiven. Dieser mehr als oberflächliche Überblick auf ausgewählte Meilen‐ steine der Erkenntnistheorie sollte zweierlei bewirken: erstens sollte Ihr Interesse geweckt werden, sich eingehender mit den weiterhin lebendigen Fragen und Positionen der Wissenschaftsgeschichte zu beschäftigen, um zweitens in der Lage zu sein, Ihre eigenen For‐ schungsprojekte ideengeschichtlich zu verorten. 2 Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung Alltagserfahrungen dienen häufig als didaktisches Hilfsmittel beim The‐ meneinstieg, zur Veranschaulichung von Kernaussagen und als Hintergrund und Gegensatz für wissenschaftliche Erfahrungen. Aber was sind Alltags‐ erfahrungen? Diese Frage lässt sich doch einfach beantworten, werden Sie sich vielleicht denken: Das sind Erfahrungen, die wir im alltäglichen Leben machen, zum Beispiel: Einkaufen gehen, eine Fahrkarte lösen, jemanden grüßen, einen Waldlauf machen, Radio hören, einen Weblog-Beitrag schreiben, sich einen Drink an der Bar genehmigen, usw. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Das mag schon sein, werden Sie nun vielleicht einwenden, aber wir können doch diese Erfahrungen mit einem Begriff zusammenfassen, zum Beispiel so: All‐ tagserfahrungen sind Erfahrungen, die wir im alltäglichen Leben immer wieder machen, ohne dass sie eine besondere Bedeutung für uns haben. - Gut, damit haben wir eine erste einfache Definition, man könnte auch sagen: eine alltagsweltliche Definition, also eine Begriffsbestimmung, die aus dem Alltagsleben stammt und in diesem für viele Zwecke bestens funktioniert. Diese Definition ist insofern unscharf, als sie auf wiederholte Erfahrungen abzielt und die Abgrenzung zu besonderen Erfahrungen offenlässt. Offen bleiben weiters auch Abgrenzungen zu einmaligen Erlebnissen und nicht zuletzt zu jenem weit verbreiteten Alltagsverständnis von Erfahrung, dem‐ zufolge unter Erfahrung einer Person auch deren ausgeprägte Handlungs‐ kompetenzen in einem speziellen Arbeitsbereich, einem beruflichen Feld oder auch einer Sphäre der Freizeit gemeint sind. Denken Sie zum Beispiel an das Handlungswissen des erfahrenen Installateurs, der auch mit begrenz‐ 20 I Ausgangspunkte (TH) 20 <?page no="21"?> ten Ressourcen und unter raum-zeitlichen Beschränkungen gut improvisie‐ ren und dauerhafte Lösungen schaffen kann. Oder stellen Sie sich eine er‐ fahrene Seglerin vor, die viele Tausend Meilen gesegelt ist, die viele schöne und auch viele schwierige Situationen erlebt hat, und die sich in den aller‐ meisten maritimen Lebenslagen gut zu helfen weiß. Kurzum: Wir sehen, dass wir bereits im Alltagsleben verschiedene Begriffe von ›Alltagserfah‐ rung‹ verwenden. Auch wenn wir sie nicht ausdrücklich voneinander un‐ terscheiden, so kommen wir im Allgemeinen mit ihnen gut zurecht. Auch in der Philosophie und den Sozial- und Kulturwissenschaften sind unterschiedliche Begriffe von ›Alltagserfahrung‹ diskutiert worden. Die Akzentsetzungen fallen dabei alles andere als einheitlich aus. So wird das Augenmerk beispielsweise auf sinnliche Aspekte der Wahrnehmung, die Strukturierung von Alltagsrationalität, soziale Dimensionen der Erfahrung, einfühlendes Verstehen von Ereignissen sowie auf Fragen von Macht und Herrschaft gelegt. Für unsere Zwecke genügt die folgende Kurzdefinition: Unter Alltagserfahrungen verstehen wir jene sinnlichen Wahr‐ nehmungszusammenhänge, die sich auf soziale Ereignisbereiche des täglichen Lebens beziehen, in denen die Mehrheit der Gesellschafts‐ mitglieder über Wissen und Handlungskompetenzen verfügt. Wichtig ist nun, dass wir uns vor Augen führen, wie wir solche Alltagser‐ fahrungen kommunizieren und dokumentieren. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Kollege bekommt einen Anruf einer Werbeagentur, die seine Tele‐ fonnummer ausfindig gemacht hat und die ihn für ein Interview über Life‐ style-Fragen gewinnen will, das nur 10 Minuten dauert. Er lehnt dankend ab, nachdem der Zeitpunkt ungünstig ist und er sich auf das Gespräch mit seiner Freundin konzentrieren will. Die anrufende Person schwärmt ihm trotzdem von tollen Preisen vor, die er gewinnen kann und will das Telefonat ungeachtet seiner Erklärungen führen. Er wird ungeduldig und bricht den Telefonkontakt mit einem kurzen »Danke, nein« ab. Tags darauf treffen Sie ihn beim Sport und er erzählt Ihnen: Du, gestern hat eine Dame von so einer Agentur angerufen. Die wollte unbedingt wissen, ob ich ein Auto hab’ und was für eines, und welches Shampoo ich ver‐ 21 2 Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung 21 Definition <?page no="22"?> wende, und was weiß ich noch was alles. Du, die war ganz schön aufdringlich - unglaublich, wie die da vorgehen. Eigentlich wollte ich mich nachher beschweren, aber da war keine Nummer und ein Brief, na ja, der landet sowieso im Papier‐ korb. - Lass’ uns von was Erfreulicherem reden: Wie war denn die Party am Wochenende …. Überlegen wir kurz: Was charakterisiert diese Alltagsbeschreibung? - Es handelt sich um eine mündliche Erzählung. Sie enthält wertende Züge (z. B. »von so einer Agentur«) und drückt die subjektive Sicht des Erzählers recht einseitig aus. Die Beschreibung hat den Charakter des »So-und-so-ist-es« und enthält Verallgemeinerungen (z. B. »wie die da vorgehen«) sowie auch spekulative Elemente (z. B. »der landet sowieso im Papierkorb«). Weiters werden Gesten der Distanzierung von der Interviewerin und der persönliche Bezug zur Person deutlich, die Erfahrung erzählt bekommt. Einige dieser Merkmale sind für die meisten Alltagsbeschreibungen cha‐ rakteristisch. Wie steht es nun aber um die wissenschaftliche Erfah‐ rung? Eine erste Antwort haben Sie schon, ohne sie vermutlich bemerkt zu haben: Indem wir uns zwar kurz, aber doch reflektiert mit der obigen All‐ tagsbeschreibung befasst haben, haben wir bereits eine reflexive Distanz zur Darstellung hergestellt - die Alltagsbeschreibung ist zum Gegenstand un‐ serer Betrachtungen geworden. Freilich müssten bei einer wissenschaftli‐ chen Analyse einer solchen Alltagsbeschreibung je nach Erkenntnisziel et‐ liche weitere Gesichtspunkte beachtet werden. Fassen wir kurz zusammen: 1. Die Wissenschaft stellt alltagsweltliche Grundannahmen und Selbst‐ verständlichkeiten in Frage und bricht mit der fraglos angenommenen Perspektive des »So-und-so-ist-es«. 2. Vielfach geht es in Wissenschaft darüber hinaus auch um die Über‐ windung nicht nur gewohnter alltagsweltlicher, sondern auch einge‐ spielter wissenschaftlicher Sichtweisen. 3. Im Unterschied zu Alltagserfahrungen sind wir bei wissenschaftlichen Erfahrungen immer aufgefordert, die Methoden ausdrücklich zu be‐ nennen, mit denen die Erfahrungen gemacht worden sind. 4. Weiters ist die Auswahl der Methoden jeweils zu begründen und der institutionelle Zusammenhang deutlich zu machen. 22 I Ausgangspunkte (TH) 22 <?page no="23"?> Wissenschaftliche Erfahrungen Unter wissenschaftlichen Erfahrungen verstehen wir jene Formen der Ver- und Entflechtung von Wahrnehmungen und Beobachtun‐ gen, die in speziellen institutionellen Zusammenhängen und häufig mithilfe von spezifischen Instrumenten oder Apparaten hergestellt und reflektiert werden. Dabei spielen zwei weitere Aspekte eine be‐ sondere Rolle: a. die Beschreibung und Kritik der jeweiligen Theoriebezüge und der Methodenverwendung b. das Erfordernis von Sonderwissen und speziellen Handlungs‐ kompetenzen Schauen wir noch einmal auf unser Beispiel: Wie könnte eine wissenschaft‐ liche Beschreibung hier aussehen und was zeichnet die wissenschaftliche Erfahrung aus? Je nach Fragestellung, Zielsetzung und Erkenntnisinteresse sind hier sehr verschiedene Methoden und Beschreibungen möglich. Wir begnügen uns der Einfachheit halber mit einer qualitativen und einer quan‐ titativen Version: Eine Beschreibung im Kontext qualitativer Sozialforschung könnte zum Beispiel auf die Untersuchung eines Teilbereichs der Medienkommunikation abheben. Die qualitativen Daten könnten etwa in Form eines Interviewdoku‐ ments vorliegen, das als Grundlage für Prozesse der Interpretation und Hypo‐ thesengenerierung dient. Sofern die qualitative Beschreibung den Standards guter wissenschaftlicher Praxis genügt, wäre sie im Vergleich zur Alltagsbe‐ schreibung weniger subjektiv gefärbt sowie weniger wertend und weniger spe‐ kulativ. Die Fokussierung wäre mit der Forschungsfrage begründet, die Be‐ schreibung wäre weiters tendenziell abstrakter und auch systematischer. 23 2 Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung 23 Definition <?page no="24"?> Alltagsweltliche und wissenschaftliche Erfahrungsformen weisen folgende Gemeinsamkeiten auf: • Filterprozesse und Auswahl von Perspektiven der Betrachtung (Figur-/ Grund-Relation) • erfahrungsorientierter Umgang mit Wirklichkeit (Hypothe‐ senbildung, Erfolgskriterien) • interaktive Realisierung von Handlungsplänen (Intersubjekti‐ vität der Orientierungen) • begrenzte Möglichkeiten der Darstellung und der Versprach‐ lichung des Wissens • Bedürfnis möglichst verlässlicher Voraussagen (prognostische Ansprüche) • Theoriecharakter des Wissens (Alltagstheorien vs. wissen‐ schaftliche Theorien) Die korrespondierenden Beschreibungsformen lassen sich unter‐ scheiden insbesondere nach dem Abstraktionsgrad niedriger vs. höherer Grad dem Grad ihrer Systematisie‐ rung schwach vs. stärker systematisiert dem Begründungsanspruch fraglos gegeben vs. explizit begründet der Sprache erfahrungsnahe vs. erfahrungsfern dem institutionellen Kontext informell vs. formell dem Erkenntnisinteresse alltagspraktisch vs. wissenschaftlich Eine Beschreibung im Kontext quantitativer Sozialforschung könnte ebenfalls auf die Beantwortung einer Forschungsfrage im Bereich der Me‐ 24 I Ausgangspunkte (TH) 24 Überblick <?page no="25"?> dienkommunikation zielen. Sie könnte zum Beispiel auf die Akzeptanz di‐ gitalisierter Telefonumfragen in einer bestimmten Region abheben. Die quantitativen Daten könnten in Form einer standardisierten Befragung on‐ line oder mittels gedruckter Fragebögen erhoben werden. Die korrekt aus‐ gefüllten Bögen könnten dann als Grundlage für eine statistische Analyse und Interpretation der Ergebnisse dienen. Sofern die quantitative Be‐ schreibung den Standards guter wissenschaftlicher Praxis genügt, wäre sie im Vergleich zur Alltagsbeschreibung ebenfalls weniger subjektiv gefärbt sowie weniger wertend und weniger spekulativ. Angesichts der Selektion der zu quantifizierenden Aspekte wäre die Fokussierung spezieller als bei der qualitativen Beschreibung. Im Vergleich zu letzterer wäre sie überdies noch abstrakter (vgl. die mathematische Sprache) und weniger nahe am le‐ bendigen Geschehen. Überlegen Sie, welche Unterschiede zwischen alltagsweltlichen und wissenschaftlichen Erfahrungsformen Ihnen besonders wichtig erscheinen. Begründen Sie Ihre Auffassungen und diskutie‐ ren Sie das Resultat Ihres Nachdenkens mit Studien- oder Arbeits‐ kollegInnen. Nehmen Sie das Diskussionsergebnis nochmals unter die Lupe und schauen Sie nach, ob und in welcher Form Sie auch einzelne der folgenden Aspekte behandelt haben: • Ansprüche des Verstehens, der Erklärung, der Kritik und der Prognose • Formen und Grade der Regelgeleitetheit • Funktionen des Reflexions-, Handlungs- und Orientierungs‐ wissens • Mittel und Methoden der Problembearbeitung • Aufgaben der Innovation und Tradierung • Funktionen der Bewältigung von individuellen und gesell‐ schaftlichen Lebenslagen Runden Sie Ihre Diskussion ab, indem Sie Beispiele benennen, mit de‐ nen sich die Bedeutung der einzelnen Punkte für alltagsweltliche und wissenschaftliche Erfahrungszusammenhänge veranschaulichen lässt. 25 2 Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung 25 Diskussion <?page no="26"?> Wir haben es also bei alltagsweltlichen und wissenschaftlichen Erfahrungs‐ formen nicht mit absoluten, sondern mit relativen Gegensätzen zu tun. Ana‐ loges gilt für Theorien, Wissen, Denken und Handeln. Es lassen sich jeweils ähnliche Gegenüberstellungen machen, in denen es kritisch abzuwägen gilt: Alltagswissen vs. wissenschaftliches Wissen, Alltagstheorien vs. wissen‐ schaftliche Theorien, etc. Die Anhaltspunkte für Gemeinsamkeiten und Unterschiede alltagswelt‐ licher und wissenschaftlicher Erfahrungsformen zeigen in einer kompri‐ mierten Form dreierlei: Einmal wird plausibel, dass und wie zwischen den verschiedenen Welten des Alltagslebens, der beruflichen Praxis und der wissenschaftlichen Forschung diverse Übergänge und Zusammenhänge be‐ schrieben werden können; zum Zweiten wird die Diskussionswürdigkeit der Anhaltspunkte einsichtig; und zum Dritten sehen wir auch hier, dass Wis‐ senschaft ein vielgestaltiges Unterfangen ist. Wir wollen Sie mit unseren Ausführungen dazu verführen, sich auf wis‐ senschaftliche Erfahrungsformen einzulassen. Dazu legen wir Ihnen nahe, dass Sie sich zunächst Ihre Vorstellungsbilder und Ihr Vorverständnis von wissenschaftlicher Forschung vor Augen führen. Nehmen Sie ein Blatt Papier und notieren Sie Ihre Assoziationen und Vorstellungsbilder zum Thema Wissenschaft und Forschung in Stichworten. Welche Metaphern fallen Ihnen ein? Welche Farben stehen im Vor‐ dergrund? Denken Sie an Ihre Studienziele im Bereich wissenschaftlicher Theo‐ rie und Methodik und formulieren Sie einen Zweizeiler in der Ter‐ minologie von Wettervorhersagen. Überlegen Sie weiters anhand von drei, vier der oben genannten Anhaltspunkte, was wissenschaftliche Forschung für Sie gegenwär‐ tig bedeutet. Fallen Ihnen auch Anhaltspunkte ein, die wir nicht er‐ wähnt haben? Diskutieren Sie Ihre Überlegungen mit Studien- oder Arbeitskolle‐ ginnen und -kollegen. 26 I Ausgangspunkte (TH) 26 Reflexion <?page no="27"?> Das Nachdenken über Vorstellungsbilder und Vorverständnisse ist inso‐ fern wichtig, als diese den Zugang zur empirischen Forschung erschwe‐ ren oder erleichtern können. Oft wird das, was Wissenschaft leisten kann, über- oder auch unterschätzt - und nicht selten werden die eigenen Ent‐ wicklungsmöglichkeiten im Bereich empirischer Forschung verkannt. Ehrfurcht vor den »heiligen Hallen« der Wissenschaft, Illusionen über deren Problemlösungskapazitäten und Mystifizierungen von Forscherper‐ sönlichkeiten helfen nicht weiter, wenn es um Ihre wissenschaftlichen Arbeiten geht. »Aber was ist nun Wissenschaft? «, werden Sie sich an dieser Stelle viel‐ leicht fragen, und: »Was macht meine Arbeit wissenschaftlich? « Diese Fra‐ gen sind nicht leicht zu beantworten und es besteht in der Wissenschaft allenfalls Konsens über sehr allgemeine und abstrakte Bestimmungen. Hier zwei Beispiele für mögliche Antworten: Wissenschaft meint Prozesse und Ergebnisse der Forschungstätigkeiten, die in besonderen gesellschaftlichen Institutionen (z. B. Hochschulen, Uni‐ versitäten) durchgeführt werden. Ihre Arbeit ist dann wissenschaftlich, wenn sie in einem solchen institutionellen Zusammenhang gemacht wird, Sie dabei entsprechende Basisanforderungen des Recherchierens, Doku‐ mentierens, Zitierens, Schreibens sowie der Erhebung, Auswertung und Darstellung von Daten erfüllen, und wenn die Resultate von Wissenschaft‐ lerinnen akzeptiert werden. »Moment mal,« werden Sie nun mitunter einwenden: »und was ist mit der nicht-empirischen, theoretischen Forschung? Was ist mit der For‐ schung in Unternehmen und öffentlichen Institutionen wie Schulen, Ver‐ einen oder sozialpädagogischen Einrichtungen? Wo bleiben die Erforder‐ nisse logischer Widerspruchsfreiheit? Was ist mit der Lehre und dem forschenden Lehren und Lernen? Und überhaupt: Da gibt es doch auch allerhand Irrtümer und Glaubensbekenntnisse, politischer Aktionismus, Intrige, Betrug und Täuschung - nicht wahr? « - Ja, wir stimmen Ihnen zu: Selbstverständlich erfüllen viele theoretische und nicht-akademische For‐ schungen wissenschaftliche Basisansprüche. Freilich ist lange nicht alles, was Wissen schafft, auch Wissenschaft, und auch nicht alles, was als sol‐ che verkauft wird, verdient den Namen Wissenschaft. Wir müssen aller‐ dings in Rechnung stellen, dass im Zuge der historischen Ausdifferenzie‐ rung wissenschaftlicher Bemühungen eine große Vielfalt von Wissenschaftsverständnissen entstanden ist, die teils international und teils nur in lokalen Wissenschaftskulturen Gehör und Anerkennung finden. Auf die 27 2 Alltagserfahrung vs. wissenschaftliche Erfahrung 27 <?page no="28"?> Frage nach allgemein verbindlichen Kriterien für die Unterscheidung von Wissenschaft, Nichtwissenschaft und Pseudowissenschaft hat die Wissen‐ schaftstheorie bis heute keine eindeutige und gemeinhin akzeptierte Ant‐ wort. Wenn sich die Erkenntnisbemühungen jedoch hauptsächlich auf In‐ tuition oder mystische Versenkung berufen und die Ergebnisse nur einem kleinen Kreis »Wissender« zugänglich sind, dann werden sie von den Ver‐ treterinnen etablierter Wissenschaftszweige in aller Regel nicht als wissen‐ schaftliche anerkannt. Auch wenn sich die Auffassungen von Wissenschaft unterscheiden, so gibt es durchaus Kriterien, die fach- und disziplinübergreifend anerkannt werden. So wird zum Beispiel in der Welt der Wissenschaft eine unreflek‐ tierte Vorgangsweise nicht akzeptiert. Damit unterscheidet sich die Wis‐ senschaft tendenziell von alltagsweltlichen und künstlerischen Methoden sowie insbesondere von mystischen oder magischen Erkenntniswegen. In‐ tuitionistische Verfahren, kryptische Darstellungen, widersprüchliche Be‐ hauptungen, Kritikverweigerungen und unsystematische Argumentations‐ formen sind in der Wissenschaft auch nicht annehmbar. Andererseits sagt die Erfüllung der angeführten Basisanforderungen noch nichts darüber aus, wie wissenschaftliche Erkenntnisse im Detail ge‐ wonnen werden. Wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, sind die Wahlmöglichkeiten hier sehr groß. Welche Vorgangsweise jeweils ange‐ messen ist und welches Verfahren konkret in Betracht kommt, hängt dabei ganz wesentlich von den Forschungsfragen, der angestrebten Reichweite der Aussagen und den verfügbaren Ressourcen ab. Wissenschaft ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche Formen des gesellschaftlich organisierten Forschungshandelns, die in methodisch reflektierter und nachvollziehbarer Weise auf die Bear‐ beitung spezifischer Gegenstände und abgegrenzter, historischer oder zeitgenössischer Fragestellungen zielen. Wichtige Basisanfor‐ derungen sind dabei 28 I Ausgangspunkte (TH) 28 Definition <?page no="29"?> • die Beschreibung der Erkenntnisinteressen und Ziele • die intersubjektive Überprüfbarkeit der Prozesse und Ergeb‐ nisse der Forschungsaktivitäten • die Klärung zentraler Begriffe und relevanter Theorien • die Entwicklung möglichst widerspruchsfreier Aussagezu‐ sammenhänge • die möglichst eindeutige sprachliche und mediale Darstellung der Methoden und Resultate • die Begründung der Reichweiten der Aussagezusammenhänge und der Relevanzen für gesellschaftliche und kulturelle Pro‐ blemlagen • die Kritisierbarkeit der Methoden, Konzepte, Ansprüche, Pro‐ zesse und Ergebnisse 3 Empirisch forschen - Was ist das? Empirisch forschen heißt wissenschaftliche Erfahrungen machen. Die Arten und Weisen, wie das geschieht, haben sich im Laufe der Geschichte sehr verändert. Und die Zeiten, in denen »Empirie« allein mit statistischen und experimentellen Verfahren assoziiert wurde, sind längst vorbei. Heute existieren viele verschiedene Formen, die in unterschiedlichen Wissen‐ schaftskulturen gepflegt und weiterentwickelt werden. Die Geschichte des empirischen Forschens reicht weit zurück. Man‐ che Wissenschaftshistoriker setzen den Beginn mit der Verwendung von Steinwerkzeugen durch den homo habilis um ca. 1.800.000 vor unserer Zeit‐ rechnung (v.u.Z.) an. Manchmal wird der Beginn mit den Anfängen der Kul‐ tivierung von Getreide um ca. 8.000 v.u.Z., der Kupferbearbeitung (ca. 4.000 v.u.Z.) oder der Erfindung des Pflugs in China (ebenfalls ca. 4.000 v.u.Z.) angesetzt. In den Jahrtausenden bis zum Beginn unserer Zeitrechnung wur‐ den viele weitere Forschungsleistungen erbracht (Bsp. Kalender, Zählsys‐ teme, Kompass), die sich als frühe Vorformen dessen beschreiben lassen, was wir heute unter empirischer Forschung verstehen. Auch wenn die Entwicklungen dieser Vorformen über den Globus ver‐ streut gemacht wurden, so werden in den meisten historischen Darstellun‐ gen die Anfänge wissenschaftlicher Forschung mit der antiken Kultur im 29 3 Empirisch forschen - Was ist das? 29 <?page no="30"?> 8. Jahrhundert v.u.Z. angesetzt. Als historische Meilensteine werden dabei häufig die Naturphilosophie der vorklassischen Zeit Griechenlands (ca. 700- 500 v.u.Z.), die Vorsokratiker (z. B. Pythagoras und Heraklit) und die Wende genannt, die Sokrates (469-399) eingeleitet hat, in dem er den Menschen statt Zahlenverhältnisse, Bewegungsgesetze und metaphysische Prinzipien in den Mittelpunkt des Denkens rückte. Wie immer hier die Schwerpunkte gesetzt werden, entscheidend sind die Neuakzentuierungen im Spannungs‐ feld von Mythos und Logos. Bis dahin waren der Mythos und die Epen die zentralen Erklärungs- und Darstellungsformen. In der weiteren Folge wur‐ den rationale und vernunftgeleitete Formen favorisiert und durchgesetzt. Ein neuer Typ des Geschichtenerzählens war entstanden, bei dem abstrakte Begriffe und vor allem die schematisierte Erzähldynamik wichtig wurden. Letztere unterlag nicht mehr dem äußeren Zwang einer Tradition, sie war sozusagen von innen her geregelt: Das Ende der Geschichte folgte jeweils aus der »Natur der Dinge«. Zwar waren die neuen Darstellungsweisen we‐ niger komplex und ärmer an Details, dafür waren die Ergebnisse aber ein‐ deutiger und (scheinbar) weniger von der erzählenden Instanz abhängig. Für die Geschichte der abendländischen Wissenschaft, die in dieser Zeit beginnt, sind zwei Aspekte bis heute wichtig geblieben: • Argumentation und Logik • Abstraktion und sprachliche Darstellung Hinzu kommt die globale Verbreitung wissenschaftlicher Terminologien mit sprachlichen Wurzeln im Griechischen und Lateinischen. Für das empirische Forschen sind im 20. Jahrhundert viele weitere Strö‐ mungen und Denkrichtungen bedeutsam geworden, so zum Beispiel: Neo‐ positivismus, kritischer Rationalismus, Neomarxismus, Kritische Theorie, erkenntnistheoretischer Anarchismus, Strukturalismus bzw. Poststrukturalismus, Postkolonialismus, Feminismus, Postmodernismus, Neue Phäno‐ menologie, Systemtheorie, Konstruktivismus, Kontextualismus etc. Auf die verschiedenen Ismen und Theorieansätze und die korrespondierenden Auf‐ fassungen von empirischer Forschung können wir hier nicht weiter einge‐ hen. Für die erste Orientierung reicht es aus, wenn Sie die folgenden Merk‐ punkte beachten: • Am Anfang empirischer Forschung stehen beschriebene Problem‐ konstellationen, theoretisch oder praktisch motivierte Forschungs‐ 30 I Ausgangspunkte (TH) 30 <?page no="31"?> fragen, Vorannahmen über Regelmäßigkeiten und Strukturzusam‐ menhänge, alltagsweltliche Erfahrungen und deutungsbedürftige Einzelbeobachtungen sowie Sehnsüchte, Hoffnungen, Ärgernisse und Nutzenerwartungen aller Art. • Die Annahme, dass »reine Beobachtung« und »reine Theorie« strikt voneinander abgegrenzt werden können, gilt seit einigen Dekaden als überholt. • Die Auffassung, dass wissenschaftliche Verfahren eine zwar mitunter etwas verzerrte, aber tendenziell objektive Repräsentation von Wirk‐ lichkeit ermöglichen (positivistisches Empirieverständnis), wurde in der Wissenschaftsphilosophie in vielfacher Hinsicht in Frage gestellt und massiv kritisiert. • Auch wenn in der Wissenschaft alles andere als Einigkeit über die Beziehungen zwischen Wirklichkeit und Wissen besteht: Empirisch forschen wird heute überwiegend als eine institutionalisierte Form der Wirklichkeitskonstruktion mit spezifischen methodischen Hilfs‐ mitteln verstanden. • Sowohl »natürliche« oder besser: kultürliche Alltagserfahrungen als auch streng methodisch hergestellte Erfahrungen (Bsp. Experiment) können zum Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion gemacht wer‐ den (Stichwort »Beobachtungen zweiter Ordnung«). • Empirische Forschung kann einerseits auf die Ansammlung von Wis‐ sen und die Entwicklung von methodischen Routinen im Sinne von bestätigenden Erfahrungen zielen. Andererseits kann sie auch auf die Bearbeitung wissenschaftlicher Vorurteile und Scheinprobleme, die Konfrontation von Forschungsergebnissen mit der Komplexität realer Lebenszusammenhänge oder auf Irritationen und Enttäuschungen im Zusammenhang vermeintlicher Sicherheiten abheben (Bsp. Einsprü‐ che, widerlegende Erfahrungen, Generierung neuer Hypothesen). • Hand in Hand mit den Digitalisierungsprozessen ist auch in der em‐ pirischen Forschung eine Neubewertung der Rolle der Medien im Forschungsprozess im Allgemeinen und der bildhaften Darstellungen im Besonderen zu verzeichnen. • Empirische Forschung ist allemal eine Verdichtungsleistung - sowohl im Sinne von »komprimierter« Darstellung als auch im äs‐ thetischen Sinne von Dichtkunst (»Herstellung«). 31 3 Empirisch forschen - Was ist das? 31 <?page no="32"?> Meilensteine in der abendländischen Geschichte der Methodenre‐ flexion Aristoteles (384- 322) Begründung der Logik als eigenständige Wissens‐ disziplin William von Ock‐ ham (ca. 1285-1349) Prinzip der Eliminierung aller unnötigen Begriffe und Hypothesen René Descartes (1596-1650) Begründung der »rationalen Methode«, Subjektu‐ nabhängigkeit als Prinzip systematischer Wissen‐ schaft John Locke (1632-1704) und David Hume (1711-1776) Ideen sind nicht angeboren, sie stammen aus der Erfahrung; Ursachenerkenntnisse gehen auf wie‐ derholte Erfahrungen zurück und sind durch bloße Vernunft nicht zu gewinnen (Empirismus) Auguste Comte (1798-1857) Verlässliche wissenschaftliche Erkenntnis ist als höchste Form menschlicher Geistesentwicklung nur auf der Basis sinnlich gegebener und wieder‐ holt positiv bestätigter Tatsachen möglich (Posi‐ tivismus) Karl Marx (1818-1883) Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusst‐ sein der Menschen, Forderung nach weltverän‐ dernder Praxis anstelle von Gelehrtenstreitereien über die Wirklichkeit des Denkens (Marxismus) Edmund Husserl (1859-1938) Realität hat keinen selbständigen Status, sie kann als Erscheinendes, Intentionales und Bewusstes 32 I Ausgangspunkte (TH) 32 Überblick <?page no="33"?> mittels Wesensschau untersucht werden (Phäno‐ menologie) Charles Sanders Peirce (1839-1914), William James (1842-1910) und John Dewey (1859-1952) Bedeutungen von Begriffen und Handlungen so‐ wie die Wahrheit von Aussagen sind in ihren prak‐ tischen Konsequenzen und Wirkungen auszuloten, auch das wissenschaftlich-theoretische Wissen ist im praktischen Umgang mit den Gegenständen fundiert (Pragmatismus) Eine streng systematische Abgrenzung zur nicht-empirischen Forschung ist schwierig. Als Beispiele für Formen theoretischer Forschung lassen sich die philosophischen Methoden der Hermeneutik, Phänomenologie, Logik und Sprachanalyse nennen. Aber schon die Gegenüberstellung sozialwis‐ senschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Methoden macht nur be‐ grenzt Sinn, wenn man etwa an die sozialwissenschaftliche Hermeneutik denkt. Ein verbreitetes Verständnis nicht-empirischer Forschung, mit dem An‐ fänger oft konfrontiert werden, wird mit dem Terminus »kompilatorische Arbeit« ausgedrückt. Damit ist gemeint, dass der Stand der Forschungser‐ gebnisse auf einem bestimmten Gebiet oder zu einer spezifischen Frage zu‐ sammengetragen, zusammenfassend dargestellt und in vergleichender Ab‐ sicht bewertet wird. Solche Übersichtsarbeiten (»desk studies«) werden typischer Weise in akademischen Seminaren, aber auch im Zusammenhang wirtschaftsorientierter Bedarfserhebungen gemacht. Häufig stehen sie auch am Anfang von empirischen Untersuchungen. 33 3 Empirisch forschen - Was ist das? 33 <?page no="34"?> Empirisches Forschen ist eine Sammelbezeichnung für unter‐ schiedliche Formen der institutionalisierten, zielgerichteten und be‐ gründeten Anwendung wissenschaftlicher Methoden und Techni‐ ken zur kommunikativen Stabilisierung von Forschungsgegenständen und lösungsorientierten Bearbeitung von Forschungsfragen. Wichtig sind dabei die Beachtung der wissenschaftlichen Basisan‐ forderungen (s. o.) sowie die folgenden Punkte: • Anpassung der Vorgangsweise im Lichte der Fragen, Ziele und Rahmenbedingungen (Spezifikation des Ablaufmodells) • Begründung der Auswahl eines geeigneten Forschungsdesigns und der passenden Forschungsmethoden • Verortung im Spannungsfeld von Anwendungs- und Grund‐ lagenforschung sowie von Nutzenorientierung (Bsp. Praxis‐ besserung) und zweckfrei gedachter Erkenntnis (Bsp. Verste‐ hen) • Bestimmung des Exaktheitsniveaus und der angestrebten Reichweite der Aussagezusammenhänge • Klärung historischer und systematischer Ansprüche und Ar‐ beitsweisen • Ausbalancieren der Nähe-Distanz-Thematik (Bsp. Selbst‐ betroffenheit, politisches Engagement, intervenierende Sozi‐ alforschung vs. teilnahmslose Aufzeichnung oder strikte me‐ thodische Distanzierung von Untersuchungsgegenständen und ForschungspartnerInnen) • Beachtung internationaler Dimensionen und lokaler Fachkul‐ turen, methodenspezifischer Gütekriterien und forschungs‐ methodischer Spielregeln (»relative Regelgeleitetheit«) 34 I Ausgangspunkte (TH) 34 Definition <?page no="35"?> 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen In einigen Ländern ist die Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre als bürgerliches Grundrecht verankert. Dass die Wissenschaft wie auch die Kunst nicht einfach alles darf, ergibt sich schon im Zusammenhang ethischer oder strafrechtlicher Überlegungen. Andererseits kann man auch ohne groß angelegtes empirisches Projekt leicht sehen, dass das Bild des Forschers, der von alltagsweltlichen Verpflichtungen weitgehend entbunden ist, der in al‐ ler Ruhe seinen Lieblingsthemen nachgehen kann und der über die ökono‐ mische Verwertbarkeit der Ergebnisse nicht nachdenken muss, längst über‐ holt ist. Mittlerweile hält ökonomisches Denken mehr und mehr auch in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen Einzug. Der Druck öko‐ nomisch verwertbares Wissen zu produzieren steigt. Leistungsvereinbarun‐ gen und output-orientierte Mittelverteilung, Steuerungsgremien und Ziel‐ vorgaben, Exzellenzversprechungen und verschulte Massenbetriebe, politische Einflussnahmen auf die Gestaltung von Forschungsprogrammen, Technologiemilliarde - das sind nur ein paar Stichworte, die deutlich ma‐ chen, dass die Grenzen der Freiheit der Forschung verschoben wurden. Daraus resultiert für angehende Forscherinnen eine Reihe von Fragen, die es auch im Zusammenhang erster eigener Forschungsprojekte zu reflektie‐ ren gilt: Werde ich von staatlicher oder wirtschaftlicher Seite gefördert oder nicht? Ist mit der Förderung die Erwartung verbunden, dass die Forschungs‐ ergebnisse in eine bestimmte Richtung gehen? Habe ich einen fairen Vertrag oder muss ich im Forschungsprojekt unentgeltlich mitarbeiten, um meinen Abschluss schaffen zu können? Wie bringe ich persönliche, berufliche, fa‐ miliäre und ausbildungsbezogene Ziele in gelingender Weise unter einen Hut? Was kann ich alleine machen und was kann, soll, muss und will ich zusammen mit anderen beforschen? Wie steht es um die Ethik der Forschung im wissenschaftlichen Alltag? Akademische und kommerzielle Forschung Die Unterscheidung akademischer und kommerzieller Forschung stellen Sie sich am besten als Pole eines Kontinuums vor: 35 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 35 <?page no="36"?> Kontinuum akademischer und kommerzieller Forschung Akademische Forschung wurde lange mit rein theoretisch motivierter Grundlagenforschung an Hochschulen und Universitäten gleichgesetzt. Kommerzielle Forschung hingegen wurde meist mit angewandter For‐ schung oder gewinnorientierter Industrieforschung verbunden. Diese Si‐ tuation hat sich geändert. Einfache Gegenüberstellungen wie etwa Nutzen bringend vs. nutzlos, gesellschaftsrelevant vs. l’art pour l’art oder ökono‐ misch aussichtsreich vs. gesellschaftskritisch greifen zu kurz. Vielfach wer‐ den heute Studierende in laufende Forschungsaktivitäten mit eingebunden. Was müssen Sie beachten, wenn Sie während des Studiums bezahlte For‐ schungsmöglichkeiten wahrnehmen wollen? Forschen gegen Bezahlung Die Zusammenarbeit muss für beide Seiten fair sein. Achten Sie dar‐ auf, dass Geben und Nehmen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Verschaffen Sie sich Klarheit über den Nutzen, den Ihre Ar‐ beit für den Auftraggeber und für Sie selbst hat. Bei der Zusammen‐ arbeit mit Partnern außerhalb der Universität betreten Sie wahr‐ scheinlich Neuland. Achten Sie darauf, dass Sie von einer erfahrenen Person in fachlicher und methodischer Hinsicht beraten werden. Die Durchführung des Projekts bietet Ihnen wahrscheinlich auch die Chance, besondere Kompetenzen zu erwerben. Machen Sie sich klar, welche das sind, und entwickeln Sie Ihre Expertise. In der ange‐ wandten Forschung sind auch ethische Aspekte stärker zu berück‐ sichtigen. Denken Sie daran, dass Sie für Forschungsprozesse und Ergebnisse eine Verantwortung im Sinne der Grundsätze guter wis‐ senschaftlicher Praxis haben. 36 I Ausgangspunkte (TH) 36 Tipp <?page no="37"?> Das sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren: • Klarheit über den Inhalt und Umfang des Auftrags, die Ziel‐ setzung und Methoden • Eindeutigkeit hinsichtlich der Verteilung von Zuständigkeiten und Verantwortung • schriftliche Vereinbarung von Leistungsumfang und Bezah‐ lungsmodalitäten Selbst gewählte und vorgegebene Themen Am Anfang einer Forschungsarbeit steht oft die Frage: Kann ich mir mein Thema selbst aussuchen oder wird mir das Thema vorgegeben? Vor allem bei Qualifizierungsarbeiten bestehen hier oft große Spielräume. Anders als in unternehmerischen Kontexten, wo die Forschungsthemen in aller Regel von der Geschäftsleitung im Lichte der Unternehmensziele vorgegeben sind, und anders als in Schulen, in denen Selbstevaluationsprojekte durchgeführt werden, kann bei wissenschaftlichen Seminar- oder Abschlussarbeiten in vielen Einrichtungen das Thema selbst gewählt werden. Manchmal werden von den Dozentinnen auch Listen mit aktuellen und diskussionswürdigen Themen zur Verfügung gestellt, seltener sind die Themenstellungen im De‐ tail vorgegeben. Es kommt allerdings häufig vor, dass angesichts von Prü‐ fungsberechtigungen, fachlichen Spezialgebieten und Zuständigkeiten, me‐ thodischen Präferenzen sowie lokalen Forschungsschwerpunkten und -traditionen die Wahlmöglichkeiten begrenzt werden. • Wägen Sie die Wahl von Themen und Forschungsfragen nach Möglichkeit immer auch unter der doppelten Perspektive der fachlichen Qualifikation und der kommunikativen Kompetenz der betreuenden Person ab. • Verlassen Sie sich dabei in erster Linie auf Ihre eigenen Wahr‐ nehmungen und nicht auf die Gerüchteküche. • Wählen Sie Themen, die Ihnen wichtig sind oder am Herzen liegen und nicht x-beliebige Themen. 37 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 37 Tipps <?page no="38"?> Diese Anregung können Sie gerne mit dem Spruch von Weinliebha‐ bern vergleichen: Das Leben ist zu kurz, um viel Zeit in nebensäch‐ liche Forschungsfragen zu investieren. Außerdem brauchen Sie auch bei der Durchführung kleinerer Forschungsprojekte viel Kraft und Ausdauer, und die lassen sich viel leichter aufbringen, wenn der Sinn der Sache für Sie klar ist und die Motive subjektiv bedeutsam sind. Weiters empfehlen wir Ihnen, die folgenden Punkte zu berücksichtigen: • Prüfen Sie vorab, ob Sie einen angemessenen Zugang zu den Quellen und Materialien sowie zum Forschungsfeld haben. • Loten Sie die Betreuungskapazitäten aus und machen Sie sich klar, was Sie können oder leicht selbst erlernen können und wozu Sie Un‐ terstützung brauchen. • Grenzen Sie die Themenstellung schon am Anfang so ein, dass sie mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gut bearbeitbar ist (s. dazu Kapitel II). • Vergewissern Sie sich über die politischen Dimensionen und relevan‐ ten Kontexte der Thematik und überlegen Sie, welchen Interessen Sie zuarbeiten wollen und welche Rolle Sie dabei einnehmen wollen oder zu akzeptieren bereit sind. • Wägen Sie im Fall der Möglichkeit der Einbindung in größere For‐ schungsprojekte ab, was für Sie und die anderen Beteiligten dabei die Vor- und Nachteile sind. • Achten Sie auf ein ausgewogenes Verhältnis von frohsinnigem Enga‐ gement und skeptischer Distanzierung - weder allzu heftige Emotio‐ nen oder intime persönlichen Verstrickungen noch frostige Indiffe‐ renz oder ängstliche Verschlossenheit gelten als Erfolg versprechende Faktoren für eine gelingende Themenbearbeitung. Institutionelle Rahmenbedingungen und persönliche Kontexte Im Zuge der gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse und gesetzlichen Veränderungen haben sich nicht nur die institutionellen Rahmenbedin‐ gungen im tertiären Sektor verändert. Auch die Milieus und Lebenswelten der Studierenden sind heterogener geworden. Lehrende an Hochschulen und Universitäten sind heute mit sehr unterschiedlichen Erwartungshal‐ 38 I Ausgangspunkte (TH) 38 <?page no="39"?> tungen konfrontiert. Das Spektrum reicht dabei vom Bild der fürsorglichen und kompetenten Fachberaterin über die für alles verantwortliche und not‐ falls durchgreifende Autorität bis zum Gutachtenlieferanten sowie zur gleichberechtigten Ansprechpartnerin zum Zwecke des wissenschaftlichen Austauschs. • Vermeiden Sie in Ihren Forschungsprojekten Rollenkonfusio‐ nen. Sie mögen als Supervisor, Leiterin einer Arbeitsgruppe, Mitarbeiter eines Teams, studentische Hilfskraft, neugieriger Forscher oder Firmenchefin erfolgreich tätig sein - aber ver‐ mischen Sie weder die Rollen noch die Funktionen, die mit den verschiedenen Arbeitsbereichen verknüpft sind. • Achten Sie auf angemessene Beziehungsökologien und degra‐ dieren Sie Ihre engsten Freunde nicht zu Datenlieferanten. • Sichern Sie sich möglichst regelmäßige Zeitfenster für Ihre Forschungsaktivitäten sowie auch für Erholung, Entspannung und körperliche Bewegung. Was die viel zitierte Work-Life-Balance betrifft, wollen wir hier nur einige Punkte hervorheben, die uns wichtig erscheinen. Die Durchführung eines empirischen Forschungsprojekts erfordert Konzentration, Aufmerksamkeit und viel Zeit. Achten Sie darauf, dass • Ihre Basisökonomie ausreichend gesichert ist und nutzen Sie verfüg‐ bare Forschungsstipendien • ein Mindestmaß an Zeit für Familie, Kinder sowie für Freundinnen bleibt • Sie bei unverhofften Ereignissen, die mit Zusatzbelastungen verbun‐ den sind, entsprechende Unterstützung organisieren und sich zeitli‐ che Spielräume verschaffen • die häusliche Arbeitsteilung in einer allseits akzeptablen Weise gere‐ gelt ist • Ihre Gesundheit nicht leidet und die sinnlichen Seiten des Lebens, die in der wissenschaftlichen Erfahrung keinen Platz haben, nicht zu kurz kommen. 39 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 39 Tipp <?page no="40"?> Die Forschungsaufgabe, die Gruppe und ich Vor allem an Massenuniversitäten werden Didaktiken, die das Lernen in kleinen Gruppen mit plenaren Lernsituationen verknüpfen, gerne einge‐ setzt. Auch an Fachhochschulen und in betrieblichen Zusammenhängen wird von Ihnen erwartet, dass Sie im Team arbeiten können und entspre‐ chende Fähigkeiten entwickeln. Was bedeutet das für das empirische For‐ schen? Die Antwort auf diese Frage hängt sehr vom jeweiligen Forschungskon‐ text ab. Es macht einen Unterschied, ob Sie Ihre Forschung als Ausbildungs‐ teil in einem Lehrveranstaltungsmodul, als Qualifizierungsarbeit (Bachelor, Master, Diplom), als Kooperationsprojekt mit einem Verein, einer Schule oder einem Unternehmen, oder als Teil eines umfangreichen kommerziellen Großprojektes durchführen. Die zeitlichen Handlungsbögen, die inhaltli‐ chen Verantwortlichkeiten und die Gruppendynamiken können hier sehr variieren. Wer z. B. eine Masterarbeit zu zweit oder zu dritt schreibt, dem wird es nicht erspart bleiben, sich mit seinen Kolleginnen auseinanderzusetzen. Die Arbeit in Gruppen kann - wie jeder aus eigener Erfahrung in und mit Gruppen weiß - sowohl Chancen als auch Risiken in sich bergen. Einerseits besteht die Chance, im Team die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern und sich selbst zu übertreffen, andererseits besteht das Risiko, sich in Konflikten mit den anderen Gruppenmitgliedern zu verzetteln und letztlich vielleicht sogar zu scheitern. Effektives Arbeiten in Gruppen erfordert Reflexionspro‐ zesse unterschiedlicher Art: Verantwortlichkeiten müssen geklärt werden, der Fokus der Aufgabenstellung sowie die gemeinsamen und individuellen Motive sollten besprochen werden, die Arbeit muss aufgeteilt werden, Ver‐ bindlichkeiten müssen kultiviert werden, Konflikte müssen thematisiert und bearbeitet werden, die Ergebnisse und deren Präsentation sollten als ge‐ meinsame Leistung erfahrbar werden. • Wie geht es mir in Gruppensituationen in der Freizeit, im Stu‐ dium bzw. im Beruf ? • Gibt es typische Erfahrungen, die ich immer wieder mache? Kann ich mutmaßliche eigene Anteile benennen? 40 I Ausgangspunkte (TH) 40 Reflexion <?page no="41"?> • Feedback geben und nehmen: Habe ich das gelernt? Wo und wie? • Arbeite ich gerne in Gruppen oder versuche ich Gruppensitu‐ ationen tendenziell zu meiden? • Denken Sie an eine Gruppe, in der Sie Mitglied sind: Sind Sie mit dem Platz und dem Raum, den Sie in dieser Gruppe haben, zufrieden? Wenn nicht: Wie wollen Sie damit künftig umge‐ hen? Was immer ihr nächster Schritt beim Erwerb forschungsmethodi‐ scher Kompetenzen ist: Formulieren Sie für sich selbst auch einen Schritt, den Sie in Sachen Gruppenlernen machen wollen, z. B. die Moderation übernehmen, im Namen der Gruppe präsentieren, eine Irritation artikulieren, ei‐ nen Konflikt ansprechen, sich weniger oft zu Wort melden, als erste das Wort ergreifen, ein Abstract zur gemeinsamen Forschungsauf‐ gabe entwerfen, eine neues Werkzeug ausprobieren (z. B. www.dood le.com), pünktlich zum vereinbarten Termin kommen etc. Wichtig ist, dass es Ihre Idee, Ihr Lernthema und Ihr Lernschritt ist. Ob Sie nun eine Wahl haben, Ihre Forschungsinteressen in der Gruppe zu bearbeiten, oder nicht: in jedem Fall sind es viele Aspekte, die förderlich oder hinderlich sein können. Erfolg und Misserfolg hängen von vielen Faktoren ab, und Sie werden vielleicht sagen: »Wenn ich all das, was in der Grup‐ penpädagogik wichtig ist, auch noch ständig im Auge haben soll, dann sin‐ ken doch die Chancen auf gelingende Lernprozesse? « In der Tat ist es so, dass man auch hier allzu leicht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen kann. Aber: Es fallen weder in der Forschung noch in der Gruppen‐ kommunikation die Meister einfach vom Himmel. Also: • Nehmen Sie sich immer nur einen oder zwei Lernschritte vor und lassen Sie sich Zeit für den Kompetenzerwerb. • Versuchen Sie die Herausforderungen auf den verschiedenen Ebenen des Forschungshandelns so auszubalancieren, dass bei Ihnen und Ih‐ ren Forschungspartnerinnen ein Grundgefühl der Zufriedenheit über‐ wiegt. • Lesen Sie nachfolgenden vertiefenden Exkurs, mit dem wir Ihnen zei‐ gen, wie zum Beispiel das Modell der Themenzentrierten Interaktion 41 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 41 <?page no="42"?> (TZI) auch in Forschungsprozessen fruchtbar angewendet werden kann. Themenzentrierte Interaktion (TZI) in der empirischen Forschung - Beispiel Gruppendiskussion und Gruppengespräch (TH) Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) wird vor allem im deutschen Sprachraum in unterschiedlichen Kommunikationszusammenhän‐ gen entwickelt und angewendet. Häufig werden dabei die folgenden Bereiche genannt: • Arbeit mit Gruppen und Teams • Unternehmens- und Mitarbeiterführung • Nachwuchs- und Führungskräfteentwicklung • Lehren und Lernen in Schule, Hochschule und Erwachsenen‐ bildung • Supervision, Beratung, Coaching, Training Was TZI an Universitäten und Hochschulen betrifft, so werden hauptsächlich hochschuldidaktische und gruppenpädagogische As‐ pekte fokussiert (vgl. Portele & Heger 1995). Die TZI bietet aber dar‐ über hinaus auch vielfältige Anknüpfungspunkte in der empirischen Forschung. Dies lässt sich am Beispiel des Gruppengesprächs als Er‐ hebungsmethode zeigen. Eine kurze Charakterisierung von TZI Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) ist gruppenpädagogisches Modell, das sowohl auf effektives Lernen und Arbeiten als auch auf Persönlichkeits‐ entwicklung zielt. Das Spektrum reicht dabei von allgemeinen Fragen der Lebenskunst bis zu konkreten Fragen der Leitung von Gruppen und der Ge‐ staltung von sozialen Situationen. Im professionellen pädagogischen Hand‐ lungskonzept werden didaktisch-methodische Aspekte und solche der per‐ sönlichen Haltung und Einstellung zusammen in den Blick genommen. Einerseits geht es um die Bearbeitung von Sachthemen und die Lösung von Aufgaben, andererseits geht es allemal auch um persönliches Wachstum, 42 I Ausgangspunkte (TH) 42 Exkurs <?page no="43"?> kongruente Kommunikation, Selbstaktivierung und Selbstverantwortung (Chairperson-Postulat). Neben den anthropologischen Grundannahmen (z. B. Autonomie und Interdependenz) spielt dabei das Konzept des dynami‐ schen Gleichgewichts zwischen den verschiedenartigen Bedürfnissen der Einzelnen, der Interaktion der Gruppe und deren Aufgabe (Ich-Wir-Es-Ba‐ lance) unter Berücksichtigung kontextueller Bedingungen im engeren oder weiteren Sinne (»globe«) eine besondere Rolle. Abbildung 1: Vier-Faktoren-Modell der TZI Im interaktionellen System der TZI steht • ICH für die einzelne Person, die auf andere Personen und eine ge‐ meinsame Aufgabenstellung bezogen ist, • WIR für die Gruppensituation und die Interaktion untereinander, • ES für den gemeinsamen Focus der Gruppenaktivität (Anliegen, In‐ teresse, Aufgabe), der ein Sachthema (z. B. Lernstoff), ein Beziehungs‐ thema (z. B. Gruppenprozess) oder etwa auch ein Selbsterfahrungs‐ thema sein kann, • GLOBE für Rahmenbedingungen der Gruppe (z. B. zeitliche, räumli‐ che, finanzielle Ressourcen), das soziokulturelle Umfeld (Alter, Ge‐ schlecht, Schichtzugehörigkeit, usw.) und andere Umweltbezüge. Gruppengespräche als TZI-Anwendungen in der empirischen Forschung Zur Erforschung interaktiver und kollektiver Phänomene werden im anglo-amerikanischen Sprachraum seit den späten 40er Jahren auch Grup‐ pendiskussionen als Erhebungsinstrument eingesetzt (sog. »focus groups« und »group discussions«). Seit etwa Mitte der 1950er Jahre werden Grup‐ pendiskussionsverfahren auch im deutschen Sprachraum angewendet. 43 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 43 <?page no="44"?> Manchmal wird der Ausdruck »Gruppendiskussion« auch als Sammelbe‐ zeichnung für unterschiedliche Methoden wie Gruppenbefragung, Grup‐ peninterview, Gruppengespräch, Gruppendiskussion (i.e.S.) verwendet. Un‐ terscheidungslinien werden in konzeptioneller und praktischer Hinsicht nicht ganz einheitlich gehandhabt. In einer ersten Annäherung lassen sich folgende Akzente nennen: • Gruppenbefragung und Gruppeninterview: 8 - 12 Teilnehmern wer‐ den mittels eines standardisierten Fragebogens oder Leitfadens be‐ fragt, gruppendynamische Aspekte werden dabei nicht reflektiert, wenig Interaktion - die Befragungssituation kann den Charakter von Einzelinterviews in Gegenwart anderer Gruppenmitglieder haben. • Gruppengespräch: Die Gesprächssituation hat weniger direktive Züge, tendenziell gleicht sie alltagsweltlichen Situationen. Gruppen‐ mitglieder verstehen sich meistens auch außerhalb der Erhebungssi‐ tuation als solche. Das Gespräch kann, muss aber nicht von der for‐ schenden Person initiiert werden. Es geht nicht nur um explizite Gesprächsinhalte, kollektive Orientierungsmuster oder informelle Gruppenmeinungen, sondern auch um deren Aushandlungscharakter und kommunikative Dynamiken. • Gruppendiskussion: Gruppenmitglieder können sich kennen (»Real‐ gruppe«) oder erst im Zusammenhang der Forschungssituation ken‐ nenlernen. Funktionen der Diskussionsleitung sind wahrnehmbar im Sinne tendenziell formaler Interventionen (Gestaltung der Eröff‐ nungsrunde, Setzen eines Grundstimulus, neutral gedachte Modera‐ tion und Steuerung von Themen und Dynamiken, mehr oder weniger direktive Gesprächsführung). In der empirischen Forschung kommen Gruppengespräche und Gruppen‐ diskussionen als Instrumente der Datenerhebung mit unterschiedlichen theoretischen Begründungen, manchmal auch einfach aus zeitlichen und ökonomischen Gründen zum Einsatz. Wenn bei der Planung, Durchführung und Auswertung das Modell der Themenzentrierten Interaktion Beachtung findet, dann spielen insbesondere die folgenden Charakteristika eine Rolle: • partizipierende Leitung statt »neutrale« Moderation, • stärkere Wahrnehmung und Akzentuierung der Gruppensituation auch als Lernsituation 44 I Ausgangspunkte (TH) 44 <?page no="45"?> • Formulierung bedeutsamer gemeinsamer Themen, Themenstellun‐ gen beziehen sich auf Sach- und Gruppenaspekte, sie werden im Aus‐ tausch aller Beteiligten bearbeitet • ausgehend von der Anerkennung subjektiver Anliegen und Interessen der Gesprächsteilnehmerinnen ist die Gestaltung der dynamischen Balance wichtig (kognitive und emotionale Dimensionen, Momente der Distanzierung und Beteiligung, vier Faktoren Ich, Wir, Es und Globe) • Förderung von Prozessen der Selbstreflexion im Forschungsprozess • Beachtung von Aspekten der Gruppenentwicklung Einschlägige Anwendungen sind in vielen erziehungs- und sozialwissen‐ schaftlichen Feldern denkbar. Exemplarisch sei hier auf ein Projekt aus der psychoanalytischen Sozialforschung zu ausgewählten Aspekten einer Sozi‐ alpsychologie der Arbeit verwiesen (s. Leithäuser & Volmerg, 1988, S. 225-233). zur Themenzentrierten Interaktion (TZI) Cohn, Ruth C. (2009): Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierte Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. 15. Aufl. (Erstauflage 1975). Stuttgart: Klett-Cotta. Langmaack, Barbara & Braune-Krickau, Michael (2010): Wie die Gruppe laufen lernt. Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen. Ein praktisches Lehrbuch. 8. Aufl. (Erstauflage 1985). Weinheim: Beltz Psycholo‐ gie-Verlags-Union. Portele, Gerhard & Heger, Michael (Hrsg.) (1995): Hochschule und Lebendiges Lernen. Beispiele für Themenzentrierte Interaktion. Weinheim: Deutscher Studienverlag. Schneider-Landolf, Mina; Spielmann, Jochen & Zit‐ terbarth, Walter (Hrsg.) (2009): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Göttingen: Vandenhoeck & Ru‐ precht. 45 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 45 Literaturtipps <?page no="46"?> zum Thema Gruppendiskussion, Gruppengespräch und Gruppeninterview Bohnsack, Ralf & Schäffer, Burkhard (2001): Gruppendiskussions‐ verfahren. In: Hug, Theo (Hrsg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Bd. 2, Baltmannsweiler: Schneider- Verlag Hohengehren, S. 324-341. Dreher, Michael & Dreher, Eva (1995): Gruppendiskussionsverfah‐ ren. In: Flick, Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialfor‐ schung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. München: Psychologie Verlags Union, S. 186-188. Lamnek, Siegfried (2005): Gruppendiskussion: Theorie und Praxis. Stuttgart: Beltz/ UTB für Wissenschaft. Leithäuser, Thomas & Volmerg, Birgit (1988): Psychoanalyse in der Sozialforschung. Eine Einführung. Opladen: Westdeutscher Ver‐ lag. Schmidt-Grunert, Marianne (2005): Das Gruppengespräch in der So‐ zialen Arbeit. Eine Einführung in qualitative Analyse und Eva‐ luation. Freiburg: Lambertus. Wie halte ich es mit Ethik und Moral in der Forschung? Im vorigen Abschnitt wurde bereits deutlich, dass empirische Forschung nicht einfach eine Sache der sturen Anwendung von ein paar Richtlinien ist. Es bestehen viele Gestaltungs- und Wahlmöglichkeiten und damit verbun‐ den auch Entscheidungsnotwendigkeiten. Wir gehen davon aus, dass qua‐ litätsvolle Forschung ihren Preis hat und werden uns im dritten Kapitel noch ausführlicher mit den Gütekriterien empirischer Forschung befassen. An dieser Stelle wollen wir Sie darauf aufmerksam machen, dass Überle‐ gungen zur Ethik und Moral in der Forschung nicht nur mit Blick auf tech‐ nologieintensive Zweige der Atom-, Gen- oder Rüstungsforschung eine Rolle spielen. Sie sollten in allen Forschungszweigen und Disziplinen ihren Platz haben. Zwei forschungsethische Prinzipien haben Sie bereits kennengelernt. Einmal handelt es sich um den Begründungsanspruch (Bsp. Auswahl der Themen und Methoden), und zum Zweiten um die Forderung der Methode‐ nexplikation, d.h. der ausdrücklichen Benennung und Beschreibung der je‐ 46 I Ausgangspunkte (TH) 46 <?page no="47"?> weiligen verwendeten Forschungsmethoden. Als empirische Forscherin sollten Sie weiters erläutern können, was die Ziele Ihrer Forschung sind und welchen Nutzen Sie sich von Ihrer Forschungsarbeit erwarten. Selbstver‐ ständlich müssen Sie auch die geltenden Datenschutzbestimmungen sowie Urheber- und Verwertungsrechte beachten. Als allgemeine Kriterien für qualitätsvolle Forschung gelten insbe‐ sondere Sorgfalt, Umsicht, Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Vielleicht wenden Sie hier ein, dass in den beschleunigten Lebensverhältnissen doch andere Kriterien wie etwa Schnelligkeit, Gewandtheit, List oder Trickreich‐ tum wichtig sind, dass es so etwas wie ein kollektives Gewissen einer For‐ schungsdisziplin doch sowieso nicht gibt, und dass heute hauptsächlich die Frechheit siegt, und alle, die auf Betrug und Täuschung verzichten, auf der Strecke bleiben. Auch wenn wir die Diagnose der beschleunigten Lebens‐ verhältnissen teilen und zugestehen, dass sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen in vielen Hinsichten auch die Bedeutung von Werten, Nor‐ men und ethischen Prinzipien verändert hat, so wollen wir doch an eini‐ gen Prinzipien festhalten. Hier einige ausgewählte Punkte, die uns im Hin‐ blick auf verantwortliche Forschungsaktivitäten wichtig erscheinen: • Klären Sie zu Beginn eines Projekts mit Ihren Forschungspartnern und den kooperierenden Einrichtungen die Motive, Ziele und Aufgaben‐ verteilungen. Achten Sie weiters darauf, dass dabei einvernehmlich festgelegt wird, wer in welcher Weise mit Materialien und Ergebnis‐ sen umgehen darf. • Machen Sie je nach Umfang und Reichweite des Vorhabens einen Vertrag. Im Fall von drei Interviews oder einer Gruppendiskussion in einem Ausbildungszusammenhang genügt im Allgemeinen ein mündlicher Vertrag. Bei Projekten mit größeren Reichweiten oder im Fall von bezahlten Forschungsaktivitäten sollte der Vertrag schriftlich sein. In jedem Fall sollte allen Beteiligten klar sein, wozu sie ihre Zustimmung geben. • Wenn Sie Kinder zu Forschungszwecken beobachten oder befragen, dann brauchen Sie dazu vorab das Einverständnis auch der Eltern. • Holen Sie den Rat erfahrener Forscherinnen ein, wenn Sie experi‐ mentelle Methoden verwenden wollen. • Achten Sie auf einen fairen Umgang mit allen Beteiligten hinsichtlich der Verwendung von Materialien (Stichwort »fair use«). Mitteilungen »off the records« bleiben »off the records«. 47 4 Die Freiheit der Forschung und ihre Grenzen 47 <?page no="48"?> • Tragen Sie Sorge für die Aufklärung der Befragten über Forschungs‐ resultate und achten Sie auf einen fairen Umgang mit Ergebnissen (Bsp. symbolische Namensordnungen bei Publikationen). • Achten Sie auf einen sorgsamen Umgang mit sich selbst (Bsp. eigene Schwächen, »Bekenntnisse«) und verzichten Sie auf Anbiederungen. Achten Sie weiters auf einen sorgsamen und geschlechtersensitiven Umgang mit allen Beteiligten auch hinsichtlich ihrer Herkünfte, Zu‐ gehörigkeiten zu Milieus oder Teilkulturen, Einkommensverhältnisse, etc. • Behandeln Sie personenbezogene Daten streng vertraulich und in an‐ onymisierter Form (Datenschutz). Bei Experten-Interviews oder Be‐ fragungen von Personen des öffentlichen Lebens gibt es da Ausnah‐ men (Bsp. Politik); diese sind aber ggf. einvernehmlich und schriftlich festzulegen. • Geben Sie der Verführung, Daten im Lichte erhoffter oder erwarteter Ergebnisse »hinzubiegen«, nicht nach und verzichten Sie auf Plagiate (Redlichkeit). • Achten Sie darauf, dass durch Ihre Forschungsaktivitäten niemand zu Schaden kommt. Manche dieser Punkte müssen zu Beginn eines Projekts besondere Beach‐ tung finden, andere werden erst später bedeutsam. Wichtig ist, dass Sie sich im Klaren darüber sind, dass die Erwägung forschungsethischer Themen keine Sache ist, die man einmal anschaut, und dann für den Rest der For‐ schungsarbeiten als abgehakt betrachten kann. Diese Erwägungen haben in der empirischen Forschung vielmehr den Charakter der Begleitreflexion. Dabei können die einzelnen Punkte selten einfach im Sinne simpler Regeln angewendet werden. Sie müssen vielmehr in fall- und kontextbezogener Weise reflektiert, interpretiert und fruchtbar gemacht werden. • Schauen Sie nach, welche Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und welche ethischen Standards von Seiten der Insti‐ tution, an oder mit der sie Ihre Forschungen durchführen, ver‐ öffentlicht sind. 48 I Ausgangspunkte (TH) 48 Tipps <?page no="49"?> • Recherchieren Sie, welche Richtlinien die für Sie wichtigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften zu forschungsethi‐ schen Themen beschlossen haben. • Lesen Sie die gefundenen Dokumente aufmerksam durch und überlegen Sie, welche der in ihnen angesprochenen Punkte für Ihre Forschungsvorhaben in welchen Hinsichten bedeutsam sind. 5 Mein erstes Forschungsprojekt - Was brauche ich? Zum Abschluss des ersten Kapitels wollen wir Ihnen einige praktische Tipps für Ihr erstes Forschungsprojekt mit auf die Reise geben. Wenn Sie auf‐ merksam gelesen und die Reflexionsaufgaben gemacht haben, dann haben Sie über viele Dinge nachgedacht, die für die erfolgreiche Durchführung eines seriösen empirischen Projekts zumindest in Ansätzen geklärt sein sollten. Das Forschungshandeln in empirisch ausgerichteten Projekten er‐ schöpft sich aber nicht im »Nachdenken und Reden über« - es geht dabei wesentlich auch um konkrete Interaktionen und die Verwendung methodi‐ scher Instrumente. Schließlich wollen Sie ja nicht stundenlang die Schier wachseln, sondern auch mal die Hänge hinunterfahren. Fassen wir kurz zusammen, was wir von den Dingen, die Sie für ihr erstes Forschungsprojekt brauchen, bereits angesprochen haben. Das sind insbe‐ sondere Zeit, Geduld, Ausdauer, Schaffenskraft, Lernbereitschaft, Bereit‐ schaft zur Übernahme von Verantwortung, kommunikative Kompetenz, Neugier und Liebe zur Sache. Freilich ist diese Liste alles andere als voll‐ ständig, und es ist auch nicht so, dass man all das einfach schon mitbringt oder eben nicht. Die entsprechenden Fähigkeiten, Fertigkeiten und Quali‐ täten sind vielmehr schrittweise weiter zu entwickeln. Nehmen wir zum Beispiel den Punkt Ausdauer. Wenn Sie das Verfassen einer Abschlussarbeit, die auf einem empirischen Forschungsprojekt basiert, mit der Anfertigung eines Werkstücks bei der Meisterprüfung vergleichen, was war dann das Gesellenstück? Was waren die entsprechenden Vorübun‐ gen? Aus welchen Fehlern konnten Sie auf dem Weg zum Meisterstück ler‐ nen? - Hatten Sie in der Schule mal die Gelegenheit, kurze Interviews durchzuführen? Haben Sie in Ihrem bisherigen Leben mal über Wochen 49 5 Mein erstes Forschungsprojekt - Was brauche ich? 49 <?page no="50"?> hinweg an einem Bild gemalt, ein Musikstück komponiert oder ein umfäng‐ licheres Wohnungsprojekt durchgeführt? Sind Sie gewohnt, über längere Zeit hinweg konzentriert zu lesen oder halten Sie es eher mit Weblog-Ein‐ trägen und kurzen Zeitschriftenbeiträgen? Bereits kleinere Forschungspro‐ jekte erfordern überdurchschnittlich lange Aufmerksamkeitsspannen und eine gewisse Kondition beim Recherchieren, Organisieren, Transkribieren, Dokumentieren, Lesen, Schreiben und nicht zuletzt bei der Überarbeitung von Rohfassungen. Auf einen besonders wichtigen Punkt wollen wir extra nochmals hinwei‐ sen: Die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel. Das bedeutet, dass im Zuge empirischer Forschungstätigkeiten ähnlich wie bei der Auseinander‐ setzung mit wissenschaftlichen Theorien die Begrenztheit vertrauter Sicht‐ weisen überschritten wird und verschiedene Erklärungs- und Deutungs‐ möglichkeiten ins Blickfeld rücken. Die »Normalität« des Alltagslebens erscheint dann mitunter fremd und reflexionswürdig. Differenziertere Be‐ trachtungsweisen und kritisches Denken lassen die Dinge komplexer er‐ scheinen, neue Formen der Wissensintegration und Komplexitätsreduktion erscheinen angezeigt. Empirische Forschung kann Ihr Leben sehr verändern. Der (scheinbar) sichere Boden des alltagsweltlichen »So-und-so-ist-es« wird fragwürdig, Vorurteile und stereotype Darstellungen fallen bei einem selbst und bei anderen gehäuft auf. Das Erfordernis Dinge neu denken zu müssen, geht Hand in Hand mit dem Abenteuer, sich selbst neu zu entdecken. Als Lohn für die Bemühungen um wissen‐ schaftliche Erfahrung winken vertiefte Einsichten und Kenntnis neuer Zusammenhänge, erweiterte Handlungsspielräume und dif‐ ferenziertere Betrachtungsweisen. 50 I Ausgangspunkte (TH) 50 Wichtig <?page no="51"?> Teil 1: Mein erstes Forschungsprojekt: Was bringe ich mit? Meine Selbsteinschätzung: niedrig mittel hoch Vorfreude ( ) ( ) ( ) Neugier ( ) ( ) ( ) gesicherte Basisökonomie ( ) ( ) ( ) kommunikative Fähigkeiten ( ) ( ) ( ) Kritikfähigkeit ( ) ( ) ( ) Medienkompetenz ( ) ( ) ( ) organisatorisches Talent ( ) ( ) ( ) Zeitmanagement ( ) ( ) ( ) Arbeitsplanung / Projektmanagement ( ) ( ) ( ) mathematische Kenntnisse ( ) ( ) ( ) Netzwerke, institutionelle Verbindungen ( ) ( ) ( ) Basiskompetenzen im wiss. Arbeiten ( ) ( ) ( ) Vorerfahrungen (Bsp. Schulprojekte) ( ) ( ) ( ) forschungsmethodische Kompetenzen ( ) ( ) ( ) unterstützendes Umfeld (Familie, Freunde, Studienkolleginnen) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( ) 51 5 Mein erstes Forschungsprojekt - Was brauche ich? 51 Fragebogen <?page no="52"?> Fragebogen Teil 2: Mein erstes Forschungsprojekt: Wo gibt es Schwächen und wo will ich erste Schritte setzen? Bereich Aktivitäten Forschungsmethoden (Überblick) spezielle Forschungsmethoden Basisökonomie Medienkompetenz kommunikative Fähigkeiten emotionale Aspekte kritisches Denken / Kritikfähigkeit Präsentieren und Moderieren Umfeld (Familie, Freunde, etc.) Projektmanagement 52 I Ausgangspunkte (TH) 52 <?page no="53"?> Wählen Sie zunächst lediglich 2-3 Bereiche aus und konzentrieren Sie sich auf höchstens 2-3 Aktivitäten. Kommen Sie allerdings in einigen Wochen wieder auf diese Aufgabe zurück und setzen Sie dann neue Akzente. Bevor Sie sich nun auf den Weg zu Ihrem ersten Forschungsprojekt machen, laden wir Sie zu einem Check up ein, der Ihnen dabei helfen soll, die Kräfte möglichst gut einzuteilen. Halten Sie dabei vor Augen, um welche Zielstel‐ lung es zunächst geht. So, wie Sie für einen Ausflug ins Nachbardorf, eine Wanderung auf eine nahe gelegene Alm oder eine Klettertour im hochalpi‐ nen Gelände jeweils andere Dinge mitnehmen, so sollten Sie sich vorab klar machen, ob Sie Ihre Selbsteinschätzung im Hinblick auf eine forschungs‐ methodische Seminararbeit, Ihre erste Bachelorarbeit oder zum Beispiel eine Masterarbeit vornehmen. Und das sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren auf dem Weg zu Ihrem ersten Forschungsprojekt: • gute Selbsteinschätzung (Stärken / Schwächen) • Forschungsneugier und ernsthafte Motive • angemessene Ressourcen (Zeitbudget, finanzielle Absicherung) • gute Kontakte und Zugänge (Internet, Bibliotheken, Forschungsfeld) • ein Umfeld, in dem Humor, Selbstachtung, Selbstironie sowie Wert‐ schätzung und Anerkennung für Ihre Bemühungen gepflegt werden. Sofern das Thema für Ihr erstes Forschungsprojekt nicht vorgegeben ist, brauchen Sie nur noch eine Idee und es kann losgehen. Wie Sie zu Ideen und von diesen zu Ihren Forschungsfragen kommen, erfahren Sie im nächsten Kapitel. 53 5 Mein erstes Forschungsprojekt - Was brauche ich? 53 Tipp <?page no="54"?> Zum Thema gibt es ein großes Informationsangebot in Form von Büchern, Aufsätzen und Internetquellen. Für den Einstieg in die Thematik empfehlen wir Ihnen als Ergänzung und Erweiterung zu diesem Band folgende Bücher: Baur, Nina & Blasius, Jörg (2019): Handbuch Methoden der empiri‐ schen Sozialforschung (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS. Flick, Uwe; Kardoff, Ernst v. & Steinke, Ines (Hrsg.) (2005): Qualita‐ tive Forschung. Ein Handbuch. (7. Aufl.) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Heinze, Thomas (2001): Qualitative Sozialforschung. Einführung, Methodologie und Forschungspraxis. München / Wien: Olden‐ bourg. Hug, Theo (Hrsg.) (2001): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? 4 Bände, Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. Hussy, Walter; Schreier, Margrit & Echterhoff, Gerald (2013): For‐ schungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften - für Bachelor. (2. Aufl.) Berlin u.a.: Springer. Kruse, Otto (2018): Lesen und Schreiben. Der richtige Umgang mit Texten im Studium. (3. Aufl.) Konstanz u.a.: UTB. Mautner, Gerlinde (2016): Wissenschaftliches Englisch. Stilsicher schreiben in Studium und Wissenschaft. Grundlagen und Anwen‐ dungen (2. Aufl.). Konstanz u.a.: UTB. Niedermair, Klaus (2010): Recherchieren und Dokumentieren. Der richtige Umgang mit Literatur im Studium. Konstanz u.a.: UTB. Raithel, Jürgen (2008): Quantitative Forschung: Ein Praxiskurs. (2. Aufl.) Wiesbaden: VS. Eine Auswahl relevanter Internetquellen finden Sie im Kapitel VI sowie online unter http: / / star.huterundroth.at 54 I Ausgangspunkte (TH) 54 Literaturtipps <?page no="55"?> In diesem Kapitel erfahren Sie, wie man von einer Idee zu einem Forschungsprojekt kommt. Die wesentlichen Schritte bestehen darin, Ideen zu finden, ein Thema zu wählen, die Forschungsfrage zu formulieren sowie eine Projektskizze zu entwerfen und ein Exposé zu schreiben. In den drei Abschnitten lernen Sie, was Idee, Thema und Fragestellung voneinander unterscheidet und wieso es wichtig ist, diese unterschiedlichen Konkretisierungsebenen auf dem Weg zu einem Forschungsprojekt zu beachten. II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) A. Perzy 1. Am Anfang steht eine Idee 2. Wie komme ich von meinen Ideen zu einem Thema? 3. Wie komme ich von einem Thema zu einer Forschungsfrage? <?page no="57"?> 1 Am Anfang steht eine Idee Forschungsvorhaben beginnen meistens mit einer Idee. Es ist allerdings nicht immer leicht, zu Ideen zu kommen oder aus mehreren die am besten geeignete zu bestimmen. Die Aufgabe, eine Idee zu finden oder auszuwählen, wird leichter, wenn Sie methodisch vorgehen. Eine Idee ist vorerst einmal einfach ein Einfall, ein erster Gedanke. Sie kann als Antwort auf eine Frage oder ein Problem auftauchen und sogar schon einen ersten Entwurf zu dessen Lösung enthalten. Für ein Forschungs‐ projekt ist eine Idee aber erst dann geeignet, wenn sie sich wissenschaftlich bearbeiten lässt. Das bedeutet, dass das Problem mit den wissenschaftlichen Methoden des jeweiligen Faches systematisch und für andere nachvollzieh‐ bar lösbar sein muss. Die Ergebnisse müssen als sachliche Aussagen formu‐ liert werden können und überprüfbar sein. Ziel ist die Gewinnung neuer und gesicherter - und wie Sie nun auch sagen können - wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die ersten Forschungsprojekte sind meistens durch den Studienplan vor‐ gegeben, etwa im Rahmen eines Forschungspraktikums oder von Abschluss‐ arbeiten, wenn diese einen empirischen Teil erfordern. Die inhaltliche Auf‐ gabenstellung eines Forschungsprojekts kann ebenfalls vorgegeben sein. Das erspart Ihnen die Mühe, sie selbst zu erarbeiten, und damit eine Menge Zeit. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Thema für eine Qualifizierungsarbeit ausgeschrieben wird. Dabei erübrigt sich auch die oft mühselige Suche nach einer Betreuung, weil diese mit der Ausschreibung eines Themas verbunden ist. Im Verlauf des Studiums werden Sie allerdings immer auch gefordert sein, selber Ideen zu finden und zu Themen weiter zu entwickeln. Das hat Vorteile: Erstens entwickeln und wählen Sie Ideen nach eigenen Interessen und Vor‐ stellungen. Zweitens erwerben Sie das wissenschaftliche Rüstzeug, um re‐ levante Fragen aufzugreifen und selbstständig wissenschaftlich zu bearbei‐ ten. Wie ein Forschungsprojekt beginnt Die ersten Fragen lauten: Was interessiert Sie? Womit möchten Sie sich nä‐ her beschäftigen? Nur wenn Sie eine Idee genügend reizt, bringen Sie auch das nötige Durchhaltevermögen für ein Forschungsprojekt auf. Ideen finden sich im Grunde überall. Alles, was Ihnen irgendwie auffällt, Ihr Interesse 57 1 Am Anfang steht eine Idee 57 <?page no="58"?> erregt, Fragen auslöst und den Wunsch nach Antworten weckt, kann Aus‐ gangspunkt für eine Idee werden. Neben Fachartikeln und anderen wissen‐ schaftlichen Veröffentlichungen können das Medienberichte oder genauso gut Begebenheiten aus dem Alltag sein. Der Prozess der Ideenfindung lässt sich gut organisieren und überblicken, wenn Sie schrittweise vorgehen: Beschaffen Sie sich zuerst die nötigen Un‐ terlagen (z. B. Artikel, Bücher, Skripten, Mitschriften von Lehrveranstaltun‐ gen). Schauen Sie diese nach interessanten Themen, offenen Fragen, unge‐ lösten Problemen, Gedanken und Ideen durch. Fertigen Sie Kopien von wichtigen Passagen an und legen Sie sie in einem Ordner ab. Beschäftigen Sie sich näher mit ihnen. Stellen Sie Fragen, vor allem die so genannten »W-Fragen«: Was? Wie? Warum? Wo? Was finde ich an der Thematik in‐ teressant? Was genau will ich wissen? Wie kann das beobachtete Ereignis A mit dem theoretischen Ansatz B erklärt werden? Warum ist Ereignis C eingetreten? Wo liegen die Ursachen? Wenn Sie die Fragen immer wieder umformulieren, lassen sich Sachver‐ halte aus anderen Blickwinkeln betrachten. Der Perspektivenwechsel lässt Sie weitere Aspekte entdecken und ermöglicht Ihnen in Folge neue Ideen. Das Umformulieren hilft außerdem, Fragen zu präzisieren. Der Auf‐ wand lohnt sich, Sie werden überrascht sein, wie viele inhaltliche Details und Ideen Sie dabei entwickeln. Kreativitätstechniken Ideen zu produzieren, kann eine der interessantesten und lohnendsten Ak‐ tivitäten des gesamten Studiums sein. Es gibt eine Reihe von Kreativitäts‐ techniken, mit denen Sie diesen Prozess unterstützen können. Sie dienen dazu, das eigene Denken anzuregen und Denkblockaden zu überwinden. Sie sind leicht anzuwenden und bedürfen auch keiner aufwendigen Vorberei‐ tung. Allerdings müssen einige Regeln beachtet werden, die für ihren Erfolg wichtig sind. Da es sich um aufeinander folgende Arbeitsschritte handelt, ist es wichtig, das Finden von Ideen und deren Bewertung zu trennen. 58 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 58 <?page no="59"?> Kreativitätstechniken unterstützen und fördern das Produzieren von Ideen und Einfällen, mit dem Ziel, konkrete Fragen zu lösen. In allen Kreativitätstechni‐ ken bildet das freie Assoziieren die methodische Grundlage. Es steht auch für sich selbst und stellt als Brainstorming die am häufigsten verwendete Technik dar. Brainstorming: Im freien Assoziieren entstehen Gedanken, die un‐ erwartete Perspektivenwechsel auf den untersuchten Gegenstand (die Frage) mit sich bringen. Entscheidend ist dabei, alle Ideen und Einfälle zuzulassen und diese nicht zu zensurieren! Brainwriting: Unterscheidet sich nur darin, dass es den Fokus auf das strukturierte Anknüpfen an eigene und fremde Ideen legt und die dabei entstehenden neuen Einfälle systematisch schriftlich fest‐ hält. Kärtchenmethode: Mit Hilfe von Kärtchen lassen sich Ideen nicht nur leichter parallel und damit gleichzeitig in der Gruppe sammeln, sondern vor allem immer wieder neu (an)ordnen und gegeneinander abwägen, um letztlich z. B. eine Übersicht, eine Gliederung oder auch einen Prozessablauf zu erstellen. Clustering: Man beginnt mit einem zentralen Begriff, kreist ihn ein und notiert alle Einfälle dazu rund um diesen und verbindet die ein‐ zelnen Einfälle ggf. durch Striche mit dem zentralen Thema und / oder anderen Einfällen. Wie die Kärtchenmethode erlaubt das Clustering (oder Assoziogramm) eine erste Strukturierung, die in Folge weiter bearbeitet werden kann. Mind Mapping: Ähnlich dem Clustering (oder Assoziogramm) be‐ ginnt man mit einem zentralen Begriff (Thema, Frage) in der Mitte. Anders als bei den Verfahren davor, ist hier das Ziel, ein struktu‐ riertes Diagramm zu erstellen, von Beginn an im Mittelpunkt. Der Wechsel zwischen freiem Assoziieren und Strukturieren kennzeich‐ net das Mind Mapping. 59 1 Am Anfang steht eine Idee 59 Überblick <?page no="60"?> Brainstorming Dabei handelt es sich um die einfachste und grundlegendste Methode, um das kreative Denken und damit das Generieren von Ideen zu fördern. Sie wurde von Alex F. Osborn in den 30er Jahren in den USA entwickelt. Wie der Name sagt, geht es darum, dass einem Gedanken zu einer bestimmten Frage nur so durch den Kopf »wirbeln«. Andere Bezeichnungen wie »Me‐ thode des freien Einfalls« und »Methode der freien Assoziation« sind eben‐ falls geläufig. Wesentlich ist dabei eine Atmosphäre, in der Sie sich wohl fühlen und bewusst keinen Leistungsdruck zulassen. Am leichtesten geht es, wenn Sie sich vorher mental entspannen. Damit verhindern Sie, dass Sie sich blockie‐ ren. Versuchen Sie also nicht, Ideen zu erzwingen! Lassen Sie sich treiben und von Ihren Gedanken überraschen, ohne sie zu zensurieren oder zu be‐ werten. Charakteristisch sind Sequenzen, wo Ihre Gedanken sprudeln. Daran erkennen Sie, dass Sie es richtig machen. Geben Sie aber nicht auf, wenn Ihnen anfänglich nichts einfällt. Entspannen Sie sich noch einmal und warten Sie, bis die Gedanken von alleine kommen. Ihre Aufgabe besteht allein darin, sie zuzulassen, wahrzunehmen und aufzuschreiben. Die Notizen werden erst später durchgesehen, geordnet, bewertet und »gesiebt«. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass Sie nicht nur zu neuen Ideen kommen, sondern auch das eigene Vorwissen rund um eine Idee aktivieren. Im Grunde basiert diese Methode auf der Fähigkeit, uns selbst Fragen zu stellen und Antworten aus unserem inneren Gedächtnisspeicher abzurufen. Die Ein‐ haltung der folgenden Regeln erhöht die Chancen auf Erfolg. Tipp Regeln für Brainstorming 1. Jede Idee wird sofort aufgeschrieben. 2. Ideen werden nicht kommentiert, kritisiert oder zensuriert. 3. Ideen dienen als Anregung für weitere Ideen. 4. Je mehr Ideen gefunden werden, desto besser. 60 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 60 <?page no="61"?> Wenn Sie nicht gerne alleine oder einmal mit anderen zusammenarbeiten wollen, lässt sich ein Brainstorming hervorragend in der Gruppe durchfüh‐ ren. Die Anzahl der Einfälle ist meist ungleich größer und die Ideen sind vielfältiger. Blockaden werden durch die Hilfe der anderen leichter über‐ wunden oder entstehen erst gar nicht. Viele spontane Fragen, Zweifel und Einschätzungen können im Anschluss an die Ideenfindung gleich in der Gruppe diskutiert werden. Die Gruppe berücksichtigt dabei meist mehr Ge‐ sichtspunkte. Die Dauer beträgt eine halbe Stunde oder auch mehr. Es gelten die gleichen Regeln wie für das individuelle Brainstorming. In der Gruppe müssen sie allerdings noch stärker beachtet werden. Es erfordert mehr Anstrengung von jedem einzelnen, sich auf die Aufgabe zu konzen‐ trieren und die gemeinsame Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Außer‐ dem ist es wichtig, in der Gruppe genauso an Ideen anderer anzuknüpfen wie an eigene. Damit der eigene Ideenfluss nicht durch die Gruppe blockiert wird, ist es jedoch vorteilhaft, zwischen Einzelarbeit und Bezugnahme auf die Ideen der anderen Teilnehmer zu wechseln. Methoden wie das Brain‐ writing und die Kärtchenmethode (siehe unten) leisten genau das. Gedanken sofort protokollieren Schreiben Sie die Ideen und Gedanken, so wie Sie Ihnen einfallen, sofort auf. Was Sie nicht gleich notieren, steht Ihnen dann oft nicht mehr zur Verfügung, wenn Sie es brauchen. Indem Sie die Ergebnisse dieses wissenschaftlichen Arbeitsprozes‐ ses - um einen solchen handelt es sich nämlich - schriftlich festhal‐ ten, dokumentieren Sie ihn. Indem Sie Ihre Gedanken aufschreiben, machen Sie diese außerdem sichtbar. Die Ideen und Gedanken stehen Ihnen in Folge nicht nur jederzeit zur Verfügung, sondern sie sind nun überschaubar und systematisch und schrittweise bearbeitbar. Brainwriting Nehmen Sie ein Blatt Papier (A4) und notieren Sie Ihre Ideen untereinander oder spaltenweise nebeneinander. Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, gehen Sie zum ersten Gedanken, den Sie aufgeschrieben haben, und notieren Sie 61 1 Am Anfang steht eine Idee 61 Tipp <?page no="62"?> alle Assoziationen. Gehen Sie anschließend zum zweiten Gedanken und set‐ zen Sie analog fort, bis Sie genügend Ideen beisammen haben. Wenn Sie in der Gruppe arbeiten, beginnen alle Teilnehmer mit einem eigenen Blatt und reichen es nach ein paar Minuten in die gleiche Richtung weiter. Ihre Ideen können nun von anderen als Anregung verwendet und auf dem Blatt dazugeschrieben werden. Die Blätter werden reihum weiter‐ gereicht, bis die Runde durch ist oder genug Ideen beisammen sind. Für die weitere Auswertung werden die Ideen geordnet und solche, die doppelt vor‐ kommen, eliminiert. Auch hier gilt das Brainstorming-Prinzip: Entscheidend ist es, den Gedanken freien Lauf zu lassen und sie bewusst nicht zu lenken. Überlassen Sie sich dem intuitiven Fluss Ihrer Assoziationen. Das hat den Vorteil, dass man sich aus festgefahrenen Denkmustern lösen und Gedanken auf bisher ungewohnte Art und Weise kombinieren kann. Wenn Ihnen nichts einfällt, warten Sie ruhig ein bisschen. Das Stocken des Gedankenflusses gehört dazu. Oft kündigt sich damit eine Phase an, in der Ihnen weitere Gedanken kommen. Drängen Sie sich nicht und brechen Sie nicht ab. In dieser zweiten Phase vertiefen sich Ihre Gedanken. Oft sind es weiterführende Assoziationen zu den schon vorliegenden Einfällen. Sie werden merken, wenn es genug ist. Es fällt Ihnen kaum mehr was ein und die Gedanken beginnen um die gleichen Details zu kreisen. Freuen Sie sich über das Erreichte und gönnen Sie sich eine Pause. Die Kärtchenmethode Für das Ordnen und Gruppieren hat sich die Kärtchenmethode bewährt. Sie lässt sich sehr gut alleine und in der Gruppe anwenden und ist vor allem in Vorbereitungs- und Klärungsphasen von Prozessen sehr nützlich. Mit Hilfe von Kärtchen lassen sich Ideen sammeln, ordnen und gegeneinander abwägen. Alle Ideen werden schriftlich festgehalten. Das ist deswegen wichtig, weil manche anfänglich für nebensächlich gehaltene Ideen im weiteren Verlauf wichtig werden können, während andere an Bedeutung verlieren. Die Kärt‐ chen (z. B. halbes oder viertel A5-Format) können nach Belieben ergänzt und sortiert werden. Sie lassen sich ohne Aufwand überall hin mitnehmen und übersichtlich anordnen. Ein bisschen Platz auf dem Tisch, Boden, Pinwand oder Flipchart genügt. Auf jedes Kärtchen kommt nur eine Idee. Kommen‐ tare und Anmerkungen lassen sich gut dazuschreiben, auf der Rückseite ist 62 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 62 <?page no="63"?> Platz für mehr (z. B. für Literaturtipps). In einem weiteren Schritt können Sie die Kärtchen nach unterschiedlichen Kriterien anordnen. Textverarbeitungsprogramme nutzen Wenn Sie Ihre Gedanken in eine Textdatei auf den Computer über‐ tragen oder gleich direkt in den Computer eingegeben haben, kön‐ nen Sie Ihre Ideen mühelos nach Interesse ordnen. Mit Drag and Drop können Sie die Reihenfolge Ihrer Einträge jederzeit ändern. Gehen Sie Ihre gesammelten und aufgelisteten Ideen immer wieder mal durch, entdecken Sie Zusammenhänge zwischen ihnen und ordnen Sie diese gegebenenfalls neu. Nach einigen Überarbeitungen, Ergän‐ zungen und Umreihungen haben Sie eine erste solide Auflistung Ih‐ rer Ideen nach Interesse. Clustering oder Assoziogramm Die assoziative Technik des Clustering wurde von Gabriele L. Rico in den USA in den späten 70-er Jahren entwickelt und in dem Buch »Garantiert schreiben lernen« 1984 ausführlich dargestellt. Das Clustering (»Anhäu‐ fen«) soll durch Anregung und Nutzung spontaner, freier Einfälle und As‐ soziationen helfen, Ideen zu finden und zu visualisieren. Wie allen anderen angeführten Kreativitätstechniken kann auch das Clustering vorhandenes Wissen aktivieren und sowohl einzeln wie auch in der Gruppe angewandt werden. Schreiben Sie den zentralen Begriff (»das worum es geht«) in die Mitte auf ein Blatt (A4 oder größer, unliniert, im Querformat) und kreisen Sie ihn ein. Er bildet den Ausgangspunkt. Verteilen Sie Einfälle räumlich um diesen und kreisen Sie diese ebenfalls ein. Wenn zwei Einfälle zusammenhängen, verbinden Sie diese mit Linien oder Pfeilen. Ein Einfall kann mit mehreren anderen verbunden sein oder unverbunden stehen. Zu den Linien und Pfei‐ len können Sie Angaben zur Art der Beziehung notieren. Sie können z. B. in der Mitte »Ideen für Themen« schreiben und rund‐ herum alle »Ideen«, die Ihnen einfallen. Alle weiteren Einfälle zu einzelnen Ideen können Sie dann jeweils enger um diese gruppieren. 63 1 Am Anfang steht eine Idee 63 Tipp <?page no="64"?> Clustering bzw. Assoziogramm Mind Mapping Entwickelt wurde die Methode des Mind Mapping durch Tony Buzan in den 70er Jahren ebenfalls in den USA. Man geht dabei von einem zentralen Begriff in der Mitte eines Blattes (A4 oder größer, unliniert, im Querformat) aus und zeichnet und beschriftet Linien, die sich wie die Äste eines Baumes immer weiter verzweigen lassen. Das ermöglicht es, Einfälle noch stärker zu strukturieren als mit den zuvor genannten Methoden. Es bedarf dazu einer Balance zwischen den spontanen und freien Einfällen und den Über‐ legungen, wohin sie sich am Blatt am besten inhaltlich platzieren lassen. Jeder Einfall wird durch einen neuen Hauptast, Ast oder Zweig dargestellt und entsprechend beschriftet. Nehmen Sie sich aber besonders zu Beginn noch nicht bewusst vor, Ihre Einfälle zu strukturieren, sondern tun Sie dies beiläufig, nebenher. Unser Denken erkennt und schafft Zusammenhänge auch ohne unser bewusstes Zutun. Die einzelnen Verzweigungen können mit unterschiedlichen Farben gezeichnet und beschriftet werden. Das erhöht die Übersicht und lässt die Struktur klarer hervortreten. Mind Mapping kann besonders sinnvoll im Anschluss an eine andere Kreativtechnik angewandt werden, um Einfälle zu strukturieren. Nehmen wir dafür zum Beispiel die »Geschichte der Me‐ 64 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 64 <?page no="65"?> dien« aus dem obigen Assoziogramm. Mit einem Mind Map (auch Mindmap geschrieben) können Sie Ihre Idee nun etwas vertiefen, präzisieren und vor‐ strukturieren. Der neue Titel heißt jetzt »Geschichte der Neuen Medien«. Sie grenzen damit den Themenbereich nicht nur ein, vor allem konkretisie‐ ren Sie sie dadurch weiter, eine Grundvoraussetzung, um letztlich zu einem bearbeitbaren Thema zu kommen, wie in den folgenden beiden Abschnitten genauer ausgeführt wird. Da es sich um iterative (sich wiederholende) Pro‐ zesse bei der Konkretisierung bzw. Präzisierung handelt, müssen die erstell‐ ten Vorlagen immer wieder überarbeitet werden, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht ist. Die weitere Ausführung des Beispiels bis hin zu einer konkret bearbeitbaren Fragestellung finden Sie auf der Website zum Buch. Allen angeführten Methoden ist eine visuelle Anordnung und Zuordnung der Einfälle gemeinsam. Wenn man die Ergebnisse am Blatt betrachtet, wer‐ den auch Strukturen ersichtlich. Das ist insofern von Vorteil, als diese bereits erste Möglichkeiten für die Gliederung in Kapitel, Unterkapitel und weitere Unterteilungen aufzeigen. Die Methoden sind einfach und zielführend. Sie müssen sich nur Zeit nehmen und die einzelnen Schritte sorgfältig nacheinander ausführen. Die vorgestellten Methoden sind keine in Stein gehauenen, unveränderlichen Vorgaben. Sie können auch Ihre eigene Variante finden und ausprobieren. Worauf es ankommt ist, dass Sie gut und gerne damit arbeiten! Es gibt noch andere Möglichkeiten, eigene Ideen zu finden bzw. zu pro‐ duzieren. Versuchen Sie es mit Kreativitätstechniken wie Phantasiereisen, Rollenspielen, kreativem Schreiben in der Gruppe oder auch systematischen Variationen der vorgestellten Methoden und Kombinationen von Einzel‐ aspekten. Wenn Sie Ihre Einfälle durchgehen, ordnen Sie diese nach thematischer Nähe in Gruppen (wenn nicht bereits geschehen) und reihen Sie die Gruppen nach dem Grad Ihres Interesses. Damit haben Sie noch keine Entscheidung für die Themenwahl getroffen. Sie haben aber eine gut strukturierte Vorlage an Ideen. 65 1 Am Anfang steht eine Idee 65 <?page no="66"?> Mind Mapping 2 Wie komme ich von meinen Ideen zu einem Thema? Im Gegensatz zu einer bloßen Idee wird ein Thema erst nach Überprüfung an Hand bestimmter Kriterien aus dieser entwickelt und formuliert: Es muss z. B. neues Wissen versprechen und an den aktuellen Stand der Forschung anknüpfen. Im Detail sind folgende Kriterien zu beachten: Fragen helfen, Ideen einzugrenzen und zu konkretisieren. Was genau meinen Sie mit der Idee oder einem verwendeten Begriff ? Was haben Sie sich dabei gedacht? Was möchten Sie herausfinden? Lässt sich der Sachver‐ halt einfacher, kürzer, klarer und präziser ausdrücken? Hat die Idee vielleicht mehrere Aspekte und lassen sich diese als eigene Themen formulieren? Versuchen Sie, die Fragen zu beantworten. Inhaltliche Kriterien für die Themenformulierung und Themenwahl 1. Das Thema muss wissenschaftlich relevant sein, z. B. neue Er‐ kenntnisse anstreben. 2. Das Thema sollte gesellschaftlich relevant sein, z. B. akute Fra‐ gen und Probleme unserer Gesellschaft behandeln. 66 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 66 Überblick <?page no="67"?> 3. Die Themenbearbeitung muss an aktuelles Fachwissen an‐ knüpfen und darauf Bezug nehmen. 4. Das Thema muss mit wissenschaftlichen Methoden bearbeit‐ bar sein. 5. Das Thema (Problemdarstellung) muss klar und eindeutig for‐ muliert sein. 6. Relevante Quellen (z. B. Fachliteratur) müssen verfügbar sein. 7. Die eigenen (methodischen) Vorkenntnisse müssen ausrei‐ chen, um das Thema im Rahmen der vorgegebenen Zeit und in der geforderten Tiefe bearbeiten zu können. Um von einer Idee zu einem bearbeitbaren Thema zu kommen, müssen Sie sich ausreichend Zeit nehmen und strukturiert vorgehen. Am einfachsten nach den oben angeführten Kriterien und wiederum in Form von Fragen: z. B. Was ist an dem Thema wissenschaftlich relevant? Für wen sind zu er‐ wartende Erkenntnisse von Bedeutung? Besonders zu Beginn fehlen meist klare Vorstellungen darüber, welche Ideen sich prinzipiell eignen. Deshalb müssen Sie die einzelnen Ideen auch inhaltlich und sprachlich überprüfen, präzisieren und in konkrete Themen umformulieren. Nehmen wir wieder unser Beispiel von oben: Geschichte der Neuen Medien. Das Thema ist freilich zu breit angelegt. Ein Tipp: Um das Thema zu kon‐ kretisieren und Interesse zu erwecken, versuchen Sie es »zum Leben erwe‐ cken«, indem Sie Wörter hinzufügen, die Handlungen oder Beziehungen ausdrücken. Mit Blick auf unser Beispiel bietet es sich an, einen Aspekt aus dem Mind Map herauszugreifen (z. B. »Bedeutung und Rolle der Neuen Me‐ dien«). Die vorläufige Themenformulierung könnte dann lauten: Die Aus‐ einandersetzung um den Einsatz Neuer Medien im Unterricht aus medienpä‐ dagogischer Sicht. Damit sind Sie einen Schritt weiter und haben auch schon einige Elemente für eine gute »story« skizziert: Einen Konflikt, eine Aus‐ einandersetzung, das erzeugt Spannung und Neugier. Gleichzeitig fokussiert es auf einen bestimmten thematischen Aspekt, nämlich den Einsatz Neuer Medien (das Verb »einsetzen« drückt wieder Aktivität aus). Weiter verengt wird es durch die Präzisierung des Untersuchungsbereichs »im Unterricht« und die fachspezifische Zuordnung »aus medienpädagogischer Sicht«. In der weiteren Folge ginge im gegenständlichen Beispiel darum zu klären, welche Instanzen sich auseinandersetzen, welche Bildungskontexte, Unter‐ richtsformen, Medientechnologien oder -angebote und Nutzungsweisen nä‐ 67 2 Wie komme ich von meinen Ideen zu einem Thema? 67 <?page no="68"?> herhin gemeint sind, welche medienpädagogische Perspektive forschungs‐ leitend sein soll, und welche Forschungsfragen konkret bearbeitet werden sollen. Weitere Voraussetzungen für die Themenwahl Neben der Beachtung von inhaltlichen Kriterien gilt es, schon im Vorfeld einige Voraussetzungen zu klären. Vor allem braucht es: a. eine Betreuungsperson, die das Thema annimmt: Findet meine Be‐ treuerin das Thema sinnvoll, interessiert es sie und kennt sie sich bei dem Thema aus? b. ausreichend Zeit, um alle anfallenden wesentlichen Teilaufgaben zu erledigen: Themenfindung, Recherche, theoretische Konzeption, Me‐ thodenwahl, Planung, Organisation, Durchführung, Aufbereitung der Ergebnisdaten, Auswertung, Beschreibung, Analyse, Interpretation, Texterstellung und -überarbeitung, dazu Einleitung, Zusammenfas‐ sung und Schlussfolgerungen, Layoutierung, mehrmaliges Korrek‐ turlesen c. ausreichende materielle Ressourcen: einen geeigneten Arbeitsplatz, einen gut funktionierenden Computer mit Internetzugang und Dru‐ cker, Papier und Kopiermöglichkeiten, ein Aufnahmegerät für Inter‐ views, ein Softwareprogramm zur Datenanalyse, ein Telefon für Re‐ cherche und Kommunikation, etc. d. persönliches Interesse und Motivation: Will ich mich mit der Idee weiter befassen? Wie sehr interessiert mich die Sache? Was genau will ich wissen und warum? e. die Bereitschaft, dabei systematisch und nach wissenschaftlichen Kri‐ terien vorzugehen, d. h. sich schrittweise den einzelnen Teilaufgaben zu widmen und dabei die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens zu beachten. Wie können Sie sich nun für ein Thema entscheiden? A. Formulieren Sie die Themen als Fragen Offene Fragen (W-Fragen: Was? Wer? Wann? Wie? Woran? Womit? Warum? etc.) haben den Vorteil, dass Sie zu ihrer Bearbeitung mehr Spiel‐ 68 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 68 <?page no="69"?> raum haben. Fragen müssen aus der wissenschaftlichen Diskussion begrün‐ det ableitbar und bearbeitbar sein. Sie korrespondieren entsprechend mit Annahmen, Thesen und Hypothesen. Hypothesen, Thesen und Annahmen Eine Hypothese ist eine wohlbegründete Annahme, die vorläufig weder erhärtet oder bestätigt noch widerlegt ist. Eine Hypothese ist dann wissenschaftlich, wenn sie durch Fakten und bisherige empi‐ rische Erkenntnisse herausgefordert oder plausibilisiert wird. Eine gute Hypothese eröffnet neue Beobachtungsmöglichkeiten und ist theoretisch anschlussfähig. Wörtlich heißt der aus dem Griechischen stammende Begriff »Unter-Stellung«. Eine These ist eine Behauptung oder ein »Lehrsatz«. Wissenschaft‐ liche Thesen haben den Charakter von begründeten »Setzungen«. Darüber hinaus spielen in empirischen Forschungsprojekten auch mehr oder weniger gut begründete Vorannahmen und Vorvermu‐ tungen eine Rolle. Das Spektrum reicht dabei von Menschen- und Weltbildannahmen bis zu Annahmen über die Bedeutung von kon‐ kreten Rahmenbedingungen. B. Ordnen sie die Themen nach ihrer inhaltlichen Nähe Gruppieren Sie als nächsten Schritt die Themen - so wie vorher die Ideen - nach ihrer inhaltlichen Nähe zueinander. Sie verschaffen sich damit einen ersten geordneten Überblick über alle Themen. Sie können erkennen, wel‐ che Themen inhaltlich zusammenhängen. Diese können Sie in Folge anhand noch zu benennender Kriterien einschätzen, miteinander vergleichen, in Bezug auf ein zu entscheidendes Forschungsprojekt gegeneinander abwä‐ gen und bewerten. C. Stellen Sie Kriterien zum Bewerten Ihrer Themen auf Sie müssen klären, was ein Thema braucht (siehe oben), damit es sich für das Vorhaben einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit (Bachelor-, Master- oder Diplomarbeit) eignet. Ihre Antworten darauf ergeben die verschiede‐ 69 2 Wie komme ich von meinen Ideen zu einem Thema? 69 Definition <?page no="70"?> nen Kriterien, mit denen Sie das jeweilige Thema bewerten können. Die Kriterien sollten sorgfältig gewählt und gewichtet werden und die für Sie und Ihre Betreuungsperson wichtigen Aspekte abdecken. D. Listen sie Kriterien nach ihrer Wichtigkeit auf Reihen Sie diese Kriterien nach ihrer Wichtigkeit. Damit sehen Sie, welche Kriterien wichtiger sind als andere. Anschließend bestimmen Sie auch das Ausmaß ihrer Wichtigkeit. Sie tun das, indem Sie die einzelnen Kriterien gewichten und dazu jedes Kriterium je nach Wichtigkeit mit einer bestimm‐ ten Anzahl an Punkten ausstatten. Unterscheiden sich einzelne Kriterien in Bezug auf ihre Wichtigkeit voneinander, so vergeben Sie eine unterschied‐ liche Anzahl an Punkten. Dadurch legen Sie fest, welches wichtiger als das jeweils andere ist und um wie viel. E. Reihen Sie die Themen nach der Punktezahl Sie brauchen die Themen nur mehr eines nach dem anderen nach den gerade festgelegten Entscheidungskriterien bewerten (»bepunkten«) und anschlie‐ ßend nach ihrer erreichten Gesamtpunktezahl auflisten. Dazu zählen Sie für jedes Thema die Punkte, die es bei den verschiedenen Kriterien bekommen hat, zusammen. Dies geschieht gleichsam »mechanisch«, zum Schluss haben Sie das Thema mit der höchsten Punktezahl an erster Stelle stehen, welches Ihren Kriterien zumindest nach Punkten am besten entspricht. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass Sie genau wissen, wie Sie zu Ihrer Entschei‐ dungsgrundlage gekommen sind und eine begründete Entscheidung treffen können. Häufig verwendet man dazu die so genannte Entscheidungs- oder Be‐ wertungsmatrix. Eine solche Matrix kann entweder mit Argumenten und inhaltlichen Hinweisen digital befüllt oder auf Flipchartpapier visualisiert und durch Diskussion in der Gruppe bewertet werden. Sie kann mehr oder weniger detailliert sein. Sie kann aber auch bloß die zu verteilenden Punkte enthalten (vgl. das Beispiel auf Seite 71). Wichtig ist, dass das Gesamtergebnis der Berechnungen überdacht und auf Stimmigkeit geprüft wird. Nachdem bei jeder Entscheidung auch ge‐ fühlsmäßige und intuitive Momente eine wesentliche Rolle spielen, gilt es, das Ergebnis noch einmal zu überprüfen. Erfüllt das an Punkten vorne liegende Thema auch wirklich die wissen‐ schaftlichen Anforderungen an ein Thema und dessen Bearbeitung? Und ist es ein Thema, dass Sie auch wirklich gerne bearbeiten wollen? Wenn ja, dann 70 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 70 <?page no="71"?> haben Sie Ihr Thema gefunden. Sonst nehmen Sie einfach das nächste in der Reihe. Thema 1 3 2 3 2 1 11 Thema 2 4 3 3 2 2 3 17 Thema 3 8 6 5 5 4 3 2 33 Thema 4 2 2 4 Entscheidungsmatrix Thema 3 hat mit Abstand die meisten Punkte erhalten. Sie haben Glück. Die Entscheidung wird Ihnen leichtfallen. Arbeiten Sie, wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, mit anderen zusammen. Studiengruppen können eine enorme Unterstützung sein. Die zusätzlichen Gesichtspunkte, die in einer Gruppe entwickelt werden, und deren unter‐ schiedliche Bewertung der einzelnen Kriterien ergeben insgesamt meist ein ausgewogeneres Bewertungsschema. Wenn Sie mit Flipchart oder Pinwand arbeiten, zeichnen, heften oder kleben Sie die Punkte in den entsprechenden Feldern dazu. 71 2 Wie komme ich von meinen Ideen zu einem Thema? 71 Kriterium 1 (15 Pt.) Kriterium 2 (10 Pt.) Kriterium 3 (10 Pt.) Kriterium 4 (10 Pt.) Kriterium 5 (08 Pt.) Kriterium 6 (06 Pt.) Kriterium 7 (05 Pt.) Summe Beispiel <?page no="72"?> Ablauf der Themenauswahl 1. Die gesammelten Ideen inhaltlich und sprachlich überprüfen, präzisieren, einschränken und in konkrete Themen umformu‐ lieren. 2. Die Themen als offene Fragestellungen (vgl. W-Fragen) for‐ mulieren, als Thesen nur dann, wenn sie aus der wissenschaft‐ lichen Diskussion gut begründet als solche ableitbar und be‐ arbeitbar sind. 3. Die Themen nach ihrer thematischen Nähe zueinander anord‐ nen, um einen besseren Überblick über die Themen zu bekom‐ men. 4. Alle wichtigen Entscheidungskriterien für die Themenaus‐ wahl aufstellen und nach ihrer Wichtigkeit auflisten 5. Die Themen nach diesen Kriterien bewerten und reihen, d. h. der erreichten Punktezahl nach auflisten. 6. Das Thema festlegen: Nach Überprüfung wird aus allen Alter‐ nativen das mit den meisten Punkten gewählt. 3 Wie komme ich von einem Thema zu einer Forschungsfrage? Nachdem Sie das Thema festgelegt haben, stellt sich die Frage, was Sie ei‐ gentlich genau herausfinden wollen. Die Antwort darauf führt zu Ihrer For‐ schungsfrage. Diese gibt Ihrem Thema eine Richtung und bildet den Aus‐ gangspunkt für die Planung des Forschungsprojektes. Sie kann zwar in weitere Fragen unterteilt sein, aber das zentrale Erkenntnisinteresse muss sich in einer einzigen Frage ausdrücken lassen und auch als solche formuliert sein. Wenn wir von der zentralen Forschungsfrage sprechen, meinen wir die in Form einer einzelnen Frage formulierte, konkrete Fragestellung, die dann nach Forschungsbedarf und -interesse durch Detailfragen ergänzt wird. Ausgehend von der zentralen Forschungsfrage können Sie eine Projekts‐ kizze entwerfen und ein Exposé erstellen. 72 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 72 Überblick <?page no="73"?> Um die zentrale Forschungsfrage aus einem Thema abzuleiten, können Sie deduktiv (»top-down-Ansatz«) oder induktiv (»bottom-up-Ansatz«) vor‐ gehen. Deduktiv heißt, dass Sie die Fragestellung aus einer allgemeinen, theoretischen Überlegung ableiten. Induktiv heißt, dass Sie die Fragestellung aus einem oder mehreren beobachteten Einzelfällen ableiten. Konkretisieren Sie Ihr Thema solange weiter, bis eine eindeutige, klare und überschaubare Aufgabenstellung übrigbleibt. Diese formulieren Sie anschließend als Frage. Damit haben Sie Ihre zentrale Forschungsfrage. Worin unterscheidet sich die Fragestellung von einem Thema? Das Thema ist der Fragestellung übergeordnet. Es bildet den inhaltlichen Rahmen der Fragestellung. Die zentrale Forschungsfrage ist in das Thema eingebettet und aus diesem abgeleitet. Wozu braucht es eine konkrete Fragestellung? Es ist wichtig, dass das Thema eingegrenzt wird, um die Forschungsabsicht bzw. das Forschungsvorhaben zu klären und zu definieren. Dies geschieht über die wiederholte Konkretisierung des Themas, der Präzisierung der Aufgabenstellung und deren Formulierung als Frage. Je präziser die Fragestellung letztlich gefasst ist, desto klarer lässt sich ein Forschungsvorhaben in Folge strukturieren, planen, organisieren, durch‐ führen, auswerten, analysieren, interpretieren und kritisch diskutieren. Desto leichter lässt es sich auch in ein Themengebiet einordnen. Ein anderer unmittelbarer Vorteil einer gelungenen Fragestellung zeigt sich in der Ent‐ wicklung einer ersten inhaltlichen Gliederung des Untersuchungsablaufs. An dieser Aufzählung können Sie sehen, dass viele grundlegende Akti‐ vitäten eines Forschungsprozesses eng miteinander verflochten sind, auf‐ einander einwirken und voneinander abhängen. Sie sind nur gedanklich voneinander zu trennen. Die Gefahr, während der Untersuchung den roten Faden zu verlieren, wird mit einer konkreten Fragestellung um Vieles ver‐ ringert. Aufwendige Klärungsschritte, die den Forschungsverlauf beein‐ trächtigen und aufhalten, entfallen so. Die Arbeit selbst wird dadurch we‐ sentlich erleichtert. 73 3 Wie komme ich von einem Thema zu einer Forschungsfrage? 73 <?page no="74"?> Woran erkenne ich eine gute Fragestellung? Denken Sie an das Ziel von Forschung. Sie wollen einen wissen‐ schaftlichen Beitrag zur Lösung einer relevanten Fragestellung leis‐ ten. • Lässt sich das Forschungsvorhaben mit Ihren Vorkenntnissen und den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln in der Ihnen zur Verfügung stehenden Zeit durchführen? • Ist Ihre Forschungsfrage prinzipiell mit empirischen Mitteln beantwortbar? • Ist der Untersuchungsgegenstand in der Fragestellung deutlich und präzise erfasst? • Haben Sie Annahmen und etwaige Hypothesen, die der Fra‐ gestellung zu Grunde liegen bzw. sich aus ihr ableiten lassen, berücksichtigt? Wenn Sie diese Fragen mit Ja beantworten können, haben Sie eine gute Fra‐ gestellung ausgearbeitet. Zusammen mit den Teilfragen bzw. Unter- oder Detailfragen ergibt sich eine provisorische erste Gliederung, Grundlage auch für das spätere Inhaltsverzeichnis. Außerdem kann zusammen mit dem Thema nun ein neuer Arbeitstitel gewählt werden Nochmals zu unserem Beispiel: Einigen wir uns auf den Arbeitstitel Note‐ book-Klassen zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Eine Fallstudie zur Er‐ kundung mediendidaktischer Innovationspotenziale am Beispiel des Englisch‐ unterrichts in der 8. Schulstufe eines Gymnasiums. Forschungsfragen könnten dann lauten: Wie nehmen Schüler, Lehrer und Eltern die Innovationsan‐ sprüche der Schulleitung wahr? Wie beschreiben Vertreterinnen der betei‐ ligten Gruppen gelingende und problematische Seiten der innovativen Be‐ mühungen? Welche mediendidaktischen Weiterbildungsangebote spielen für Lehrerinnen eine zentrale Rolle? Überlegen Sie Ihrerseits alternative Akzentsetzungen und Fragestellungen. Wenn Sie noch nicht so weit sind, dann helfen Eingrenzungskriterien, das Wesentliche herauszuarbeiten. Einfache Möglichkeiten sind zeitliche und örtliche Beschränkungen, eine spezielle Auswahl an zu beforschenden Personen, die Entscheidung für einen bestimmten theoretischen und methodischen Zugang. 74 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 74 Überblick <?page no="75"?> Andere wichtige Eingrenzungskriterien sind Innovation, Relevanz, Mach‐ barkeit und Bearbeitbarkeit: Eingrenzungskriterium Innovation: Bringt meine Forschung etwas Neues? Diese Frage ist für Ihr Forschungsprojekt entscheidend. Was gibt es bereits an Forschungen zu meinem potentiellen Thema? Welche Fragen sind offen? Wo gibt es Lücken? Forschen heißt etwas nach wissenschaftlichen Kriterien (neu) zu erkunden und Antworten auf ungelöste Fragen zu finden. Innovation ist in der Wissenschaft immer nur unter Bezugnahme auf den aktuellen Forschungsstand denkbar. Eingrenzungskriterium Relevanz: Welchen Sinn hat meine Forschung? Was erwarten Sie sich von den Ergebnissen? Welche Auswirkung soll die Beantwortung der Fragestellung haben? Was würde abgehen bzw. fehlen, wenn die Forschung nicht durchgeführt wird? Sie haben zwar vielleicht das Kriterium nach Neuheit erfüllt, aber das Ergebnis ist möglicherweise ohne jeden wirklichen praktischen oder theoretischen Nutzen. Ihre Forschung nimmt keinerlei Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Fragen und Probleme oder aktuelle wissenschaftliche Diskurse. Dann ist sie sehr wahrscheinlich belanglos, weil die Fragestellung für niemanden außer einem selbst von Be‐ deutung ist. Eingrenzungskriterium Machbarkeit: Kann ich das schaffen? Bei diesem Kriterium geht es darum, die eigenen Möglichkeiten einzuschätzen, vor al‐ lem im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden persönlichen und mate‐ riellen Ressourcen. Reicht die veranschlagte Zeit aus? Stehen alle notwen‐ digen Forschungsmittel dann bereit, wenn sie benötigt werden? Bringen Sie ausreichende Vorkenntnisse mit, um das Thema theoretisch, konzeptionell und empirisch zu bearbeiten? Was kann schief gehen und wie sorge ich für diese Fälle vor? Die Antwort bzgl. der Machbarkeit liegt im Detail versteckt. Hier entscheidet sich, ob das Forschungsvorhaben wie geplant umgesetzt werden kann oder nicht. Eingrenzungskriterium Bearbeitbarkeit: Ist die Frage mit empirischen Mitteln überhaupt zu beantworten? Die Frage setzt voraus, dass die zu be‐ obachtenden Phänomene in irgendeiner Form messbar und vergleichbar sind. Die empirische Forschung nützt Instrumentarien, die unsere Mittel, zu Erkenntnissen über die Welt zu kommen, erweitern. Indem Sie lernen, sie zu benützen, und so Kenntnisse in ihrer Anwendung erwerben, wird Ihnen 75 3 Wie komme ich von einem Thema zu einer Forschungsfrage? 75 <?page no="76"?> der Einsatz empirischer Mittel geläufig. Sie lernen Fragen danach abzu‐ schätzen, ob sie sich mit empirischen Mitteln beantworten lassen. Am Ende dieser Phase sollte eine Projektskizze stehen. Wenn diese auf meh‐ reren Seiten schriftlich ausgeführt ist, spricht man von einem Exposé. Für Qualifizierungsbzw. Abschlussarbeiten (Bachelor- oder Masterarbeit) wird in diesem Zusammenhang häufig ein schriftliches Exposé verlangt. Dieses kann Teil der Betreuungsvereinbarung sein und soll Angaben zu den fol‐ genden Punkten enthalten: Bestandteile eines Exposés • Wichtige Ausgangspunkte, Hinweise zum gewählten The‐ menbereich im übergreifenden Zusammenhang (Problemlage) und zu allfälligen Vorarbeiten • Begründung der Themenwahl (Erkenntnis- und Forschungs‐ interesse) • Hinweise zum Stand der Forschung im gegenständlichen For‐ schungsfeld • Vorläufige Fragestellung(en) und Zielsetzung der Arbeit • Auswahl relevanter Bezugstheorien • Überlegungen zur Methodenwahl und zum Design der Arbeit • Vorläufiges Verzeichnis von Literatur und Internetquellen • Vorläufige Gliederung • Grober Arbeits- und Zeitplan sowie Hinweise zu allenfalls be‐ nötigten Mitteln und Ressourcen Im Regelfall wird so ein vorläufiges Exposé zumindest ein bis zwei Mal überarbeitet und verfeinert, bevor mit der Datenerhebung begonnen wird. Wenn Sie jeden Punkt mit zwei bis drei Sätzen beantworten, haben Sie Ihr Exposé! Später können Sie Teile davon für Ihre Einleitung verwenden. 76 II Von der Idee zum Forschungsprojekt (AP) 76 Überblick <?page no="77"?> Booth, Wayne C.; Colomb, Gregory G. & Williams, Joseph M. (2016): The Craft of Research. 4. Aufl. Chicago & London: The University of Chicago Press. Ebster, Claus & Stalzer, Lieselotte (2017): Wissenschaftliches Arbei‐ ten für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. 5.  Aufl. Wien: fa‐ cultas wuv (UTB). 77 3 Wie komme ich von einem Thema zu einer Forschungsfrage? 77 Literaturtipps <?page no="79"?> Die Forschungsfrage (s. Kap. II), die Sie gefunden haben, richtet sich immer auf einen bestimmten Forschungsgegenstand. Dieser be‐ zeichnet das Phänomen, das empirisch untersucht werden soll und kann auf unterschiedliche Art und Weise verstanden werden. Wich‐ tig ist es dann, nicht nur Forschungsgegenstand und Forschungs‐ frage, sondern auch Ihr methodisches Vorgehen und Ihre For‐ schungsergebnisse mit guten Argumenten zu begründen. Behilflich bei der Planung Ihres Forschungsprojekts ist das Ablaufmodell, das eine logische Abfolge von Schritten vorgibt, wie Sie Ihr Ziel errei‐ chen. Ein wichtiges Element in der Umsetzung Ihres Forschungs‐ vorhabens ist das Forschungsdesign. Darunter versteht man den übergeordneten Versuchsplan, in dem dann unterschiedliche For‐ schungsmethoden zum Einsatz kommen. Es gibt Methoden zur Er‐ hebung von Daten, zur Aufbereitung von Daten und schließlich zur Auswertung von Daten. Dabei können Sie jeweils quantitativ und / oder qualitativ vorgehen. Eine Reihe von Gütekriterien hilft Ihnen, sowohl die Qualität Ihrer eigenen Studie einzuschätzen als auch an‐ dere wissenschaftliche Untersuchungen zu beurteilen. Auch for‐ schungsethische Fragen sind hierbei zu erwägen. III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) G. Poscheschnik, B. Lederer 1. Wie verstehe ich den Gegenstand meiner Forschung (GP) 2. Die Rolle von Argumenten im Prozess der Forschung (GP) 3. Step by step - Sinn und Zweck von Ablaufmodellen (GP) 4. Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 5. Der methodische Dreischritt empirischer Forschung: Erhebung, Auf‐ bereitung, Auswertung (GP) 6. Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) 7. Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) <?page no="81"?> 1 Wie verstehe ich den Gegenstand meiner Forschung? (GP) Die Möglichkeiten, den Forschungsgegenstand zu verstehen, sind in den Human- und Sozialwissenschaften nahezu unbegrenzt. Sie können Ihren Forschungsfokus unter anderem auf kognitive Schemata, emotionale Reak‐ tionen, Interaktionsmuster, subjektive Sichtweisen, Sinnkonstruktionen, Gruppendynamiken, historische Abläufe, soziale Beziehungen, neuronale Vorgänge, genetische Besonderheiten, Entwicklungsprozesse, gesellschaft‐ liche Trends, mediale Inszenierungen, interkulturelle Unterschiede, ethni‐ sche Besonderheiten usw. richten. Sie können Individuen und Kollektive, Menschen und Gegenstände, Sta‐ tiken und Dynamiken untersuchen. Den Forschungsgegenstand an und für sich zu finden, ist insofern leicht, als er durch die jeweilige Wissenschaft vorgegeben und Ihre Forschungsfrage eingegrenzt ist. Kompliziert ist aller‐ dings der Umstand, dass sich ein Forschungsgegenstand auf ganz unter‐ schiedliche Art und Weise verstehen lässt. Die Art und Weise, wie man den Gegenstand der Forschung versteht, hängt von disziplinären, theoretischen und methodologischen Vorausset‐ zungen ab. Meistens ist uns dieses Vorverständnis nicht bewusst. Am leich‐ testen können Sie sich Klarheit über Ihr Verständnis Ihres Forschungsge‐ genstandes verschaffen, wenn Sie die Ihnen vertrauten Theorien reflektieren (s.a. Abschnitt III.7). Das gelingt z. B., indem Sie diese mit anderen wissenschaftlichen Theorien über Ihren Forschungsgegenstand verglei‐ chen. Das ist nötig, weil die Wahl der Forschungsstrategie eng mit Ihrem Verständnis vom Forschungsgegenstand zusammenhängt. Deshalb müssen Sie sich ausführlich Gedanken darüber machen, wie Sie Ihren Forschungs‐ gegenstand verstehen. Ein Forscher, der verhaltenstheoretisch orientiert ist, wird seinen Gegen‐ stand anders verstehen und andere Forschungsmethoden verwenden als eine Forscherin, die ihren Forschungsgegenstand handlungstheoretisch ver‐ steht. Im ersten Fall lassen sich Methoden zum Einsatz bringen, die mensch‐ liche Verhaltensweisen erfassen, ohne sich um dahinterstehende mentale Prozesse zu kümmern. Es geht nur um sinnlich wahrnehmbare Aktivitäten eines Individuums, die sich in irgendeiner Form messen lassen. Im zweiten Fall hingegen werden menschliche Aktionen und Reaktionen als ein Han‐ deln verstanden, das von seinem Akteur als subjektiv sinnhaft empfunden und mit einer bestimmten Intention durchgeführt wird. Die Handlungsfor‐ scherin bringt demzufolge Forschungsmethoden zum Einsatz, die subjekti‐ 81 1 Wie verstehe ich den Gegenstand meiner Forschung? (GP) 81 <?page no="82"?> ven Sinn erfassen. Das können beispielsweise Interviews und qualitative Auswertungsmethoden sein. Es geht also nicht nur darum, WAS man zum Gegenstand seiner For‐ schung macht, sondern auch darum WIE man sich den Gegenstand vorstellt oder welches Modell man sich davon macht. Und wie Sie Ihren Forschungs‐ gegenstand verstehen, bestimmt wie Sie forschen werden. Dieses Verständ‐ nis bedingt die Wahl des Forschungsdesigns und der Forschungsmethoden, die dafür adäquat sind. 2 Die Rolle von Argumenten im Prozess der Forschung (GP) Argumente dienen dazu, eine Behauptung zu begründen oder zu widerle‐ gen. Eine Folge von Argumenten, mit der andere Leute von der Richtigkeit oder Falschheit von Behauptungen überzeugt werden sollen, nennt man Argumentation. Im Prozess der Forschung spielen Argumente eine zen‐ trale Rolle. Sie dürfen nämlich in den Wissenschaften nicht einfach irgend‐ etwas behaupten und diese Behauptung im Raum stehen lassen. Sie müssen diese Behauptung mit Argumenten begründen und wenn möglich mit em‐ pirischen Daten belegen. Stationen des Argumentierens 1. Forschungsfrage und Forschungsgegenstand 2. Methodisches Vorgehen 3. Ergebnisse Gleich zu Beginn des Forschungsprozesses geht es darum, Forschungs‐ frage und Forschungsgegenstand zu argumentieren. Sie müssen Argu‐ mente vorbringen, warum der Forschungsgegenstand und die Forschungs‐ frage diskussionswürdig und relevant sind. Hier kann man grob zwischen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz unterscheiden. Die wissenschaftliche Relevanz begründet man meist mit Lücken in der For‐ schung (gap of research). Als gesellschaftlich relevant gilt eine Studie dann, wenn sie zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt. Ob eine Forschungsfrage schon hinreichend beantwortet ist oder nicht, erfahren Sie durch das Studium der einschlägigen wissenschaftlichen Lite‐ ratur. Die Untersuchung einer Forschungsfrage gilt dann als wissenschaft‐ 82 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 82 <?page no="83"?> lich relevant, wenn sie bisher unbeforscht oder unbeantwortet geblieben ist. Im Rahmen dieser Begründung wird meistens das Forschungsprojekt ver‐ ortet, und zwar indem Sie angeben, welcher wissenschaftlichen Disziplin und Teildisziplin Ihre Studie angehört, und welchem Forschungsprogramm bzw. Paradigma Sie sich zugehörig fühlen (s. Kap. I). Nach dem Forschungsgegenstand und der Forschungsfrage wird das me‐ thodische Vorgehen mit Argumenten begründet. Das gilt zum einen für die Argumentation des wissenschaftstheoretischen und methodologischen Rahmens. Ist Ihr Grundverständnis kritisch-rational, empiristisch, herme‐ neutisch oder dialektisch (s. Kap. I)? Zum anderen müssen Sie auch begrün‐ den, warum Sie sich für ein bestimmtes Forschungsdesign und bestimmte Forschungsmethoden entschieden haben. Das machen Sie, indem Sie vor Augen führen, dass Ihre Methodik zur Untersuchung Ihres Forschungsge‐ genstands und zur Beantwortung Ihrer Forschungsfrage geeignet ist. Argumentation nimmt aber nicht nur in der Planung und Durchführung Ihres Forschungsprojekts eine zentrale Stellung ein, sondern auch bei der Präsentation der Ergebnisse. Sie müssen Ihre Ergebnisse geschickt mit Ar‐ gumenten untermauern. Das bedeutet, Sie müssen sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Ergebnisse Ihrer Studie benennen. Einerseits müs‐ sen Sie die Grenzen Ihrer Studie ausloten können (s. Abschnitt III.7.), ande‐ rerseits dürfen Sie das Licht Ihrer Studie aber auch nicht unter den Scheffel stellen. Deshalb ist es ebenso wichtig die Ergebnisse gegen mögliche Ein‐ wände anderer Wissenschaftlerinnen zu verteidigen wie Argumente für die Qualität und die Gültigkeit Ihrer Ergebnisse zu liefern. Auf allen Stufen der Argumentation können Fehler passieren und selbst Experten tappen dabei noch in Fallen. Ein Beispiel für eine solche Falle ist etwa der ethnozentrische Blickwinkel. Gerade in den Anfängen der Ethno‐ logie wurde an fremde Kulturen der Maßstab der eigenen Kultur angelegt, ohne dass das reflektiert worden wäre. Das hat dazu geführt, dass andere Ethnien als primitiv eingestuft wurden, weil gewisse Sitten und Gebräuche, die bei uns gang und gäbe sind, und bestimmte technische Errungenschaften, die hierzulande eine Selbstverständlichkeit sind, dort nicht vorkommen. Aus solchen »Zentrismen«, die einem - wenn man sie nicht reflektiert - gar nicht bewusst werden, ergeben sich blinde Flecken, die dazu führen, dass Forschungsergebnisse vorschnell überinterpretiert und übergeneralisiert werden. Es kommt auch häufig vor, dass deskriptive und normative Aspekte miteinander vermengt werden. Nicht selten wird vom Sein aufs Sollen »ge‐ 83 2 Die Rolle von Argumenten im Prozess der Forschung (GP) 83 <?page no="84"?> schlossen«. Wenn z. B. festgestellt wird, dass in der BRD nur ein geringer Prozentsatz der Grundschulklassen mit Computern ausgestattet ist, lässt sich daraus nicht zwingend der Schluss ziehen, dass man die restlichen Klassen auch mit PCs ausstatten sollte. Will man diese Forderung aufstellen, braucht man eine normative Vorgabe, dass z. B. Medienkompetenz ein wich‐ tiges Bildungsziel ist. Man könnte nämlich genauso gut die Forderung auf‐ stellen, dass die bestehenden Computer abgerüstet werden, wenn das nor‐ mative Ziel darin besteht, etwaigen Augenschäden bei Kindern vorzubeugen. Vermeiden Sie solche »Kurzschlüsse« und reflektieren Sie de‐ skriptive und normative Aspekte in Ihrem Forschungsprojekt. Empirische Forschung setzt voraus, dass Sie Ihren Forschungsgegenstand mit einer ge‐ wissen »Neutralität« betrachten. Drei häufige »Blindheiten« in der wissenschaftlichen Forschung 1. Geschichtsblindheit: Geschichtsblind wäre es, die Möglich‐ keiten der Manipulation von Menschen durchs Internet als noch nie dagewesen zu bezeichnen und dabei zu übersehen, dass es schon lange vor der Erfindung des Internets äußerst effektive Propaganda gegeben hat. 2. Geschlechtsblindheit: Wenn die Wirksamkeit einer be‐ stimmten Psychotherapiemethode bisher in erster Linie an Frauen überprüft wurde, die Ergebnisse dann aber ohne wei‐ tere Studien auf Männer übertragen werden, wäre das ge‐ schlechtsblind. 3. Gesellschaftsblindheit: Gesellschaftsblind schließlich wäre es, das vermehrte Auftreten von Depressionen auf Störungen im Neurotransmitterhaushalt des Gehirns zurückzuführen, ohne zu beachten, dass unsere neoliberale Gesellschaft einen enormen Druck auf ihre Mitglieder ausübt, sich ständig be‐ weisen und ständig Leistung erbringen zu müssen. Argumentation ist natürlich nicht gleich Argumentation. Es gibt Formen der Argumentation, die eher logisch ausgerichtet sind. Andere versuchen mit poetischen und rhetorischen Mitteln zu überzeugen. Die Wissenschaft hat 84 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 84 Überblick <?page no="85"?> sich zwar der Logik und Wahrheit verschrieben, nichtsdestotrotz enthalten auch wissenschaftliche Veröffentlichungen eine nicht zu unterschätzende Komponente an rhetorischen Raffinessen. Gerade erfolgreiche Wissen‐ schaftler sind oft auch gute Autoren, die gekonnt auf der Klaviatur sowohl logischer als auch poetischer Argumentation zu spielen wissen. 3 Step by step - Sinn und Zweck von Ablaufmodellen (GP) Empirische Forschung verläuft nicht irgendwie, sondern folgt einem Plan, der eine logische Abfolge von Schritten vorgibt. Ein Schritt folgt dabei immer dem anderen. Empirischer Forschung liegt also - im Unterschied zur All‐ tagserfahrung - ein systematischer Vorgehensplan zugrunde, der auf bis‐ herigen wissenschaftlichen Erfahrungen aufbaut und Schritt für Schritt durchgeführt wird. Diese Abfolge von Schritten oder »Master-Plan« wird als Ablaufmodell bezeichnet (Hug 2001). Das Ablaufmodell gibt an, wie man ein Forschungsprojekt beginnt, wie man es beendet und was man dazwischen tut. Es funktioniert wie ein Koch‐ rezept und sagt Ihnen, welche Zutaten Sie in welcher Reihenfolge wie ver‐ wenden müssen, um etwas Schmackhaftes zu bereiten. Die Devise lautet: step by step! Das heißt aber nicht, dass empirische Forschung immer ge‐ radlinig abläuft. Bei jedem Forschungsprojekt treten Schwierigkeiten auf und es wird Ihnen nicht erspart bleiben, hin und wieder auch einen Schritt zurück zu machen. Empirische Forschung läuft also nicht völlig linear ab, sondern enthält auch zirkuläre Elemente. Darauf kommen wir noch am Ende dieses Abschnitts zurück. Das hier vorgestellte Ablaufmodell empirischer Forschung ist für die meisten empirischen Forschungsprojekte anwendbar. Es kann Ihnen auch als Leitfaden für die Planung Ihres Forschungsprojekts dienen. Der Aufbau dieses Buchs folgt übrigens bis zu einem gewissen Grad ebenfalls der Logik so eines Ablaufmodells empirischer Forschung. 1. Vorbereitung: Am Anfang jedes Forschens steht der Forscher mit seinen Stärken und Schwächen, seinen Möglichkeiten und Begrenztheiten. Bevor Sie mit dem Forschen im engeren Sinne loslegen können, müssen Sie sich einmal darüber klar werden, was Sie können, was Sie sich notfalls noch aneignen können und was sie auf keinen Fall können. Sie müssen sich na‐ türlich auch fragen, was Sie überhaupt dürfen und was nicht. Wir haben ja 85 3 Step by step - Sinn und Zweck von Ablaufmodellen (GP) 85 <?page no="86"?> schon festgestellt, dass die völlige Freiheit der Forschung eine Illusion ist. Zur Vorbereitung gehört freilich auch, sich Klarheit über die äußeren Rah‐ menbedingungen zu verschaffen: Haben Sie genügend Zeit und Geld, um Ihr Forschungsprojekt zu realisieren? Auch eine erste Sichtung der wissen‐ schaftlichen Literatur wird nötig sein. Vor allem geht es in diesem Schritt auch darum, von den eigenen Ideen zu einem Thema zu gelangen und aus dem Thema eine konkrete Forschungsfrage herauszumeißeln, die mit em‐ pirischen Mitteln beantwortbar ist (s.a. Kap. I und II). Ablaufmodell 2. Planung: Bei der Planung geht es nun darum, Forschungsdesigns (s. Ab‐ schnitt III.4) und Forschungsmethoden (s. Kap. IV und V) zu wählen, die für den Gegenstand der Forschung und die Forschungsfrage adäquat, also an‐ gemessen und geeignet sind. An dieser Stelle steht für Sie die Entscheidung an, wie groß Ihre Stichprobe sein soll. Legen Sie auch fest, ob Sie ein Expe‐ 86 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 86 <?page no="87"?> riment durchführen oder Feldforschung betreiben. Überlegen Sie sich, wel‐ che Ziele Sie mit Ihrer Studie verfolgen. Machen Sie sich Gedanken, ob Sie mit quantitativen oder qualitativen Methoden arbeiten (s. Abschnitt III.6). In diesem Schritt geht es um die Konzeption und Begründung des konkreten Forschungsvorgehens. Das Ergebnis dieses Schritts ist dann ein konkreter Plan, der angibt, wie die Untersuchung ablaufen wird. Eine systematische Literaturrecherche wird Ihnen behilflich sein, den aktuellen Stand der For‐ schung herauszufinden und mit Ihrem Projekt an bereits bestehende Unter‐ suchungen anzudocken. 3. Erhebung: Bevor Sie mit der Aufbereitung und der Auswertung der Da‐ ten anfangen und daraus Ihre Schlüsse ziehen, müssen Sie diese erst einmal erheben. Zu diesem Zweck gibt es so genannte Erhebungsmethoden. Das sind all jene Methoden, die dem Zweck dienen, Daten über Ihren For‐ schungsgegenstand und zur Beantwortung Ihrer Forschungsfrage zu ge‐ winnen. Wichtige Erhebungsmethoden sind Befragungen und Beobachtun‐ gen. Eine andere Möglichkeit besteht hier darin, nicht erst eigene Daten zu erheben, sondern bereits bestehende Daten zu benutzen. Das könnten z. B. Tagebücher, Romane, Autobiographien, Internetdokumente, quantitative oder qualitative Datensätze anderer Studien sein. Hier besteht dann der Schritt der Erhebung in einer Recherche nach bereits existierenden Daten. Mehr dazu in Kapitel IV dieses Bands. 4. Aufbereitung: In diesem Schritt geht es darum, die erhobenen Daten nun so aufzubereiten, dass sie methodisch weiterverarbeitet und interpretiert werden können. Wenn Sie während Ihrer Beobachtungen Notizen gemacht haben, bringen Sie nun Ordnung ins Chaos und systematisieren diese No‐ tizen. Wenn Sie hingegen Interviews durchgeführt und diese audio- oder videoaufgezeichnet haben, schreiben Sie sie erst einmal nieder und produ‐ zieren so einen Text daraus. In diesem Schritt können und müssen Sie wohl auch entscheiden, ob Sie wirklich alle erhobenen Daten verwerten oder nur einen Teil davon. Oft wird nämlich mehr Material erhoben als man über‐ haupt verwenden kann. Überlegen Sie sich also, welche Teile Sie in die Aus‐ wertungen einbeziehen möchten und welche nicht. An dieser Stelle des For‐ schungsprozesses kann es auch nötig werden, die Daten für eine elektronische Weiterverarbeitung in entsprechende Computerprogramme einzutippen. Darauf kommen wir in Kapitel IV dieses Bands zurück. 87 3 Step by step - Sinn und Zweck von Ablaufmodellen (GP) 87 <?page no="88"?> 5. Auswertung: Nach der Erhebung und Aufbereitung der Daten beginnen Sie mit deren Auswertung. Die Auswertung der Daten ist wahrscheinlich das Herzstück jedes empirischen Forschungsprojekts. Dadurch kommt es zu einer Interpretation der Daten. Die Interpretation ist eine Art von Aussage über die Daten, die über ihre unmittelbare Bedeutung hinausgeht. Dazu gibt es eigene Auswertungsmethoden. Jene Auswertungsmethoden, die Sie in der Planungsphase Ihres Forschungsprojekts als geeignet für Ihre Forschungs‐ frage ausgewählt haben, wenden Sie nun aufs erhobene und aufbereitete Datenmaterial an. Einen Überblick über die Vielzahl von sowohl quantita‐ tiven als auch qualitativen Auswertungsmethoden bekommen Sie im Kapitel V dieses Bands. 6. Präsentation: Der letzte Schritt beschreibt die Präsentation der For‐ schungsergebnisse. Wenn alles ausgewertet ist, bringen Sie Ihre Ergebnisse in eine für andere verständliche Form. Meistens sind dies schriftliche Dar‐ stellungen, wie z. B. eine Bachelorarbeit, eine Masterarbeit, eine Dissertation oder wissenschaftliche Artikel für eine Fachzeitschrift oder ein Buch. Es gibt viele Möglichkeiten die Ergebnisse in den jeweiligen Texten zu präsentieren, darunter abstrakte Beschreibungen, anekdotenhafte Vignetten, mathemati‐ sche Formeln, Tabellen, Graphiken, Listen oder Bilder. Sie haben also viele Möglichkeiten, einen komplexen Sachverhalt auf den Punkt zu bringen. Heutzutage ist es sogar möglich, an eine Audio- oder Videopräsentation der Ergebnisse zu denken. Filme oder Podcasts mausern sich allmählich auch in den Wissenschaften zu anerkannten Medien. Überlegen Sie sich auch, Ihre Forschungsergebnisse auf wissenschaftlichen Tagungen vorzustellen. Mehr dazu in Abschnitt VI.1. Ablaufmodelle sind enorm hilfreich. Sie stellen nämlich eine Reihe von Wegweisern zur Verfügung, die uns zeigen, wie wir in der empirischen For‐ schung von A nach B kommen. Trotzdem haben sie auch ihre Grenzen. So ein Ablaufmodell stellt nämlich nur einen Idealtypus von empirischer For‐ schung dar, und Idealtypen haben es so an sich, dass sie in Wirklichkeit nicht existieren. Auch empirische Forschung läuft in der Praxis nicht ganz so strukturiert ab, wie uns das Ablaufmodelle suggerieren. Wenn sich die ge‐ wählten Methoden zur Beantwortung Ihrer Fragestellung als untauglich er‐ weisen sollten, werden Sie eben andere ausprobieren. Und wenn Sie eines Ihrer »Forschungsobjekte« plötzlich darauf hinweist, dass Sie in Ihrem Fra‐ gebogen etwas Wichtiges vergessen haben, ändern Sie ihn eben. Wissen‐ 88 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 88 <?page no="89"?> schaftliche Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass sie einem Plan folgt; gute wissenschaftliche Forschung dadurch, dass sie flexibel ist. Hug, Theo (2001): Erhebung und Auswertung empirischer Daten: Eine Skizze für AnfängerInnen und leicht Fortgeschrittene. In: Hug, Theo (Hrsg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Band 2: Einführung in die Forschungsmethodik und Forschungspraxis. Hohengehren: Schneider, S. 11-29. König, Eckard & Bentler, Annette (2013): Konzepte und Arbeits‐ schritte im qualitativen Forschungsprozess - ein Leitfaden. In: Friebertshäuser, Barbara; Langer, Antje & Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erzie‐ hungswissenschaft. 4. Aufl. Weinheim / München: Juventa, S. 173- 182. 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) Um sich im Dschungel empirischer Forschung besser orientieren zu können, unterscheidet man zwischen Forschungsdesign und Forschungsme‐ thode. Diese Unterscheidung ist auch für die Planung Ihres Forschungs‐ projekts wichtig. Forschungsdesigns und Forschungsmethoden Mit Forschungsdesign bezeichnet man die äußere Form einer em‐ pirischen Studie. Gelegentlich wird auch von Untersuchungsplan, Forschungsarrangement, Forschungstypus, Forschungsstrategie oder Forschungskonzeption gesprochen. Gemeint ist damit jeden‐ falls der übergeordnete methodologische Plan, nach dem die Studie aufgebaut ist. 89 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 89 Literaturtipps Definition <?page no="90"?> Mit Forschungsmethoden bezeichnet man konkrete Wege zur Er‐ hebung, Aufbereitung und Auswertung von Daten (s. Abschnitt III.5). Die Methoden sind dem Design in der Planung logisch nach‐ geordnet und kommen innerhalb des Designs zum Einsatz. Designs und Methoden dienen dazu Ihre Forschungsfrage in konkretes For‐ schungsvorhaben umzusetzen. Es gibt verschiedene Arten von Forschungs‐ designs (Mayring 2001; 2002; 2007). Wenn Sie die wichtigsten Forschungs‐ designs näher kennengelernt haben, können Sie entscheiden, welches Forschungsdesign für Ihre Forschungsfrage indiziert ist. Wichtige Forschungsdesigns Experiment Feldforschung Aktions- / Praxisforschung Survey Panel Einzelfallanalyse Dokumentenanalyse Evaluationsfor‐ schung Meta-Analyse Experimente eignen sich zur Überprüfung von kausalen Zusammenhän‐ gen zwischen einer Ursache und einer Wirkung. Ein Beispiel für ein beson‐ ders bekannt gewordenes Experiment ist das Milgram-Experiment, bei dem der Einfluss von Autoritätspersonen auf die Gehorsamsbereitschaft durch‐ schnittlicher Bürger untersucht wurde. Bei Einzelfallanalysen werden nicht mehrere, sondern nur eine einzige Person untersucht. Die Erstbe‐ schreibungen von Krankheiten sind häufig Einzelfallanalysen. So hat der deutsche Psychiater Alois Alzheimer die Symptome und den Verlauf der nach ihm benannten Demenzerkrankung bei nur einer einzigen Patientin beschrieben. Beim Survey wird eine mehr oder weniger große Anzahl von Personen zu bestimmten Themen befragt. Dieses Design wird in der Mei‐ nungsforschung vor politischen Wahlen eingesetzt. Beim Panel, einer Son‐ 90 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 90 Überblick <?page no="91"?> derform des Surveys, handelt es sich um eine Längsschnittuntersuchung, bei der dieselbe Gruppe von Personen nach einem gewissen Zeitraum zum sel‐ ben Thema nochmals befragt wird, um die Veränderung der untersuchten Merkmale über die Zeit verfolgen zu können. Bei einer Feldstudie begeben sich die Forscher in die natürliche Lebensumwelt ihrer Forschungsobjekte, um sie dort zu studieren. Berühmte Feldforscherinnen, die das Leben von Menschenaffen in freier Wildbahn beobachtet haben, sind Jane Goodall und Dian Fossey. Ausschnitte aus dem Leben Fosseys wurden sogar verfilmt un‐ ter dem Titel »Gorillas im Nebel«. Die Aktions- oder Praxisforschung zeichnet sich dadurch aus, dass der Forscher hier Teil des Untersuchungs‐ gegenstands ist; er will nicht nur forschen, sondern auch Verbesserungen herbeiführen. Das wäre der Fall, wenn ein wissenschaftlich geschulter Leh‐ rer einen neuen Unterrichtsstil erprobt, um die Lernleistungen und das Wohlbefinden seiner Schüler zu verbessern und seine dabei erzielten Er‐ gebnisse empirisch untersucht. Unter dem Begriff Evaluationsforschung fasst man Studien zusammen, die das Ziel verfolgen, die behauptete Wirk‐ samkeit einer bestimmten Intervention zu überprüfen. Pharmafirmen müs‐ sen die Wirksamkeit neuer Präparate zuerst im Tierversuch und dann am Menschen überprüfen bevor eine Substanz als Medikament auf den Markt kommen darf. Bei der Dokumentenanalyse werden nicht erst Daten er‐ hoben, indem man Menschen interviewt oder beobachtet, sondern man be‐ nutzt bereits vorhandene Daten. Solche Dokumente können z. B. die Romane eines Autors sein, von denen man versucht Rückschlüsse auf seine Biogra‐ phie zu ziehen. Es ist strittig, ob die Dokumentenanalyse als eigenes For‐ schungsdesign gilt, oder ob sie eine spezielle Form der Datenerhebung ist. Wir haben uns entschlossen, die Dokumentenanalyse im Abschnitt III.5 ausführlicher als eine Art der Datenerhebung zu behandeln. Eine Meta-Analyse schließlich bezeichnet eine Übersichtsstudie über viele ein‐ zelne Studien. Da eine einzelne wissenschaftliche Untersuchung für sich al‐ lein genommen noch nicht besonders aussagekräftig ist, kann es von Zeit zu Zeit nötig werden, die unterschiedlichen Studien zu einer Forschungs‐ frage zusammenzufassen, um empirisch gewichtigere Aussagen treffen zu können. Jedes dieser Forschungsdesigns hat seine Stärken und Schwächen. Prin‐ zipiell unter- oder überlegen ist keines einem anderen. Ein Design kann le‐ diglich für bestimmte Forschungsfragen besser und für andere schlechter geeignet sein. Das Design der Einzelfallanalyse bietet sich beispielsweise immer dann an, wenn ein bestimmter Fall eingehender und tiefgründiger 91 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 91 <?page no="92"?> untersucht werden soll als das bei Untersuchungen an größeren Stichproben möglich ist. Das Design der Feldstudie wiederum ist dann indiziert, wenn man befürchten muss, dass die Untersuchungsobjekte im Labor nicht ihr natürliches Verhalten an den Tag legen. Das Design ist lediglich das bloße Skelett der Studie, das erst mit dem Fleisch konkreter Methoden bestückt werden muss. Demzufolge ist das De‐ sign den Methoden in der Planung logisch vorgeordnet. Zuerst müssen Sie also ein geeignetes Design für Ihre Fragestellung finden, dann die passende Methode wählen. Welches Design und welche Methoden man für sein For‐ schungsprojekt als geeignet und passend erachtet, hängt in erster Linie von der Forschungsfrage ab. Innerhalb eines Forschungsdesigns können ganz unterschiedliche For‐ schungsmethoden zum Einsatz kommen; quantitative ebenso wie qualita‐ tive. Sicherlich gibt es zu den einzelnen Forschungsdesigns auch mehr oder weniger gut passende Methoden, allerdings ist das Verhältnis bestimmter Designs und Methoden nicht starr und unveränderlich. So wird bei Einzel‐ fallanalysen in der Regel eher mit qualitativen Methoden gearbeitet und bei Experimenten eher mit quantitativen. Es gibt allerdings auch quantitative Einzelfallstudien und qualitative Experimente. Mehr als eine gewisse Affi‐ nität zwischen bestimmten Designs und bestimmten Methoden ist so gesehen nicht da. Seien Sie also ruhig kreativ. Innerhalb einer Einzelfall‐ analyse lassen sich durchaus qualitative Methoden, wie z. B. ein narratives Interview, verwenden. Man kann aber auch quantitative Methoden, wie z. B. einen Fragebogen, einsetzen. Oder auch beides. In Experimenten können Sie ebenso schriftliche Befragungen wie Verhaltensbeobachtungen durch‐ führen. Datenmaterial aus Feldstudien können Sie sowohl statistisch ver‐ rechnen als auch qualitativ interpretieren. Die endgültige Entscheidung darüber, welche Methoden Sie innerhalb Ihres Forschungsdesigns zum Ein‐ satz bringen, hängt letztlich davon ab, was genau Sie wissen möchten. Auch die Forschungsdesigns selbst können Sie ruhig kombinieren! Ebenso wie bei den Ablaufmodellen empirischer Forschung handelt es sich auch bei Forschungsdesigns um Idealtypen. Da die oben erwähnten For‐ schungsdesigns in Wirklichkeit kaum in Reinkultur auftreten, lösen wir sie in drei Kontinuen auf. Diese Kontinuen orientieren sich an bestimmten Fra‐ gestellungen, die Sie bei der Planung Ihres Forschungsprojekts zu berück‐ sichtigen haben. Es sind das die Fragen nach erstens der Stichprobengröße, zweitens dem Ort der Untersuchung und drittens der Intention des Forschers. Kontinuum eins erstreckt sich zwischen den Polen Einzelfall und Vollerhe‐ 92 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 92 <?page no="93"?> bung, Kontinuum zwei zwischen den Polen Labor und Feld, Kontinuum drei zwischen den Polen Beschreibung und Bewertung. In Summe können Sie die drei Kontinuen als eine Art Koordinatensystem verstehen, auf dem Sie Ihr Forschungsprojekt positionieren können. Drei Kontinuen zur Positionierung von Forschungsprojekten Zwischen Einzelfall und Vollerhebung - Zur Frage nach der Stichprobengröße Eine erste grundsätzliche Frage, die Sie sich bei der Konzeption des For‐ schungsdesigns stellen müssen, ist die nach der Größe Ihrer Stichprobe. Wie viele Personen wollen Sie untersuchen? Hier gibt es ein Kontinuum zwischen Einzelfallanalysen auf der einen Seite und Vollerhebungen auf der anderen Seite. Einzelfallanalyse: Bei der Einzelfallanalyse erforschen Sie - wie der Na‐ men schon andeutet - nur einen einzigen Fall. Die Einzelfallanalyse ist im‐ mer dann indiziert, wenn Sie einen bestimmten Fall besonders eingehend 93 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 93 <?page no="94"?> und intensiv untersuchen wollen. Dabei kann es sich um besonders extreme, besonders typische, besonders durchschnittliche, besonders häufige oder besonders seltene Fälle handeln. Der Einzelfall muss nicht unbedingt ein einzelner Mensch, sondern kann auch ein soziales System sein, wie eine Familie, eine Institution oder eine gesellschaftliche Subgruppe. Entschei‐ dend ist dabei nur, dass dieses als Einzelfall begriffen wird, quasi als orga‐ nisches Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Mithilfe von Einzelfallanalysen kann man tiefer in die Komplexität des Falles eintauchen. Man kann den einzelnen Fall in seiner Ganzheit und sei‐ nem Facettenreichtum genauer und tiefgreifender erforschen als das bei großen Stichproben überhaupt möglich wäre. Insofern überrascht es nicht, dass aus Einzelfallstudien immer wieder bedeutsame Beiträge zu den Hu‐ man- und Sozialwissenschaften kommen. Denken Sie an die Patientenanal‐ ysen von Sigmund Freud, das Einzelfallexperiment mit dem kleinen Albert von Watson und Reyner, Piagets Beobachtungen an seinen eigenen Kindern, Ebbinghaus` Selbstversuche zum allmählichen Vergessen. In all diesen Fäl‐ len hat die Untersuchung an einzelnen Fällen bedeutende Erkenntnisse ans Licht gebracht, von denen sich viele auch im Rahmen von Überprüfungen an größeren Stichproben empirisch erhärten haben lassen. Einzelfallanalysen lassen sich auch ergänzend heranziehen, um die Er‐ gebnisse von Surveys zu vertiefen. Sie erfahren dann beispielweise, warum ein bestimmter Mensch zu einer bestimmten Einstellung neigt. Das hilft auch, statistische Ergebnisse besser zu verstehen. Die Einzelfallanalyse ist somit ein leistungsstarkes Instrument, egal ob als eigenständiges For‐ schungsdesign oder als Ergänzung anderer Designs. Aggregierte Einzelfallanalysen: Fließend sind die Übergänge zwischen der Einzelfallanalyse und aggregierten Einzelfallanalysen. Wir haben es jetzt nicht mehr mit einem einzigen Fall zu tun, sondern mit einigen wenigen Fällen, die zusammengefasst und miteinander verglichen werden können. Der Vergleich von Gemeinsamkeiten und Unterschieden erlaubt dann auch vorsichtige und vorläufige Generalisierungen. Survey: Ziel eines Surveys ist es, Aussagen über eine Grundgesamtheit von Personen zu machen, ohne alle diese Personen untersuchen zu müssen. Zu diesem Zweck wird aus der Grundgesamtheit aller Personen, über die eine Aussage gemacht werden soll (z. B. alle Deutschen, alle Frauen, alle Männer, alle Jugendlichen, alle Patienten mit einer Schizophrenie etc.), eine Stich‐ probe gezogen. 94 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 94 <?page no="95"?> Eine Stichprobe ist eine begrenzte Anzahl von Personen aus der Grundge‐ samtheit. Damit die Ergebnisse der Stichprobe auf die Grundgesamtheit über‐ tragen werden können, muss die Stichprobe repräsentativ sein. Eine Stich‐ probe gilt als repräsentativ, wenn sie die Grundgesamtheit hinsichtlich der wichtigsten Merkmale abbildet. Eine Stichprobe sollte also ein Miniaturbild der Grundgesamtheit sein. Erst dann können die Ergebnisse von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit übertragen bzw. generalisiert werden. Solche repräsen‐ tativen Umfragen sind Ihnen wahrscheinlich alle aus der Meinungsforschung bekannt. Man kann damit das Ergebnis von Wahlen vorhersagen. Dabei wer‐ den natürlich nicht alle wahlberechtigten Personen telefonisch befragt, wel‐ cher Partei sie ihre Stimme schenken werden, sondern lediglich eine Stich‐ probe von ihnen. Diese Stichprobe soll aber hinsichtlich der wichtigsten soziodemographischen Merkmale, wie Alter, Geschlecht, Wohngegend, sozi‐ oökonomischer Status, die Grundgesamtheit abbilden bzw. repräsentieren. Das ist insofern wichtig, als ältere Menschen ganz andere Präferenzen an den Tag legen könnten als jüngere. Leute in ländlichen Gegenden wiederum könnten anders denken als Menschen, die in Ballungszentren leben. Manche Einstel‐ lungen hängen auch mit dem Grad der Schulbildung und der Höhe des Ein‐ kommens zusammen. Um differenzierte und aussagekräftige Daten zu sam‐ meln, müssen Sie also auf die Repräsentativität ihrer Stichprobe achten (mehr dazu in den Abschnitten IV.2 und V.2). Vollerhebung: Bei der Vollerhebung untersuchen Sie alle Personen einer bestimmten Grundgesamtheit. Vollerhebungen werden in der Regel eher selten durchgeführt. Wenn die Grundgesamtheit (z. B. die Gesamtbevölke‐ rung eines Staates, alle Kinder, alle sechs Monate alten Säuglinge, alle Pati‐ enten mit einer bestimmten Hauterkrankung, alle Einwohner einer Groß‐ stadt) zu groß ist, verbietet sich die Vollerhebung aus ökonomischen Gründen. Selbst Regierungen machen sich nur die Mühe, alle zehn Jahre eine Volkszählung durchzuführen. Und sogar wissenschaftliche Multi-Millio‐ nen-Euro-Projekte verfügen im Regelfall nicht über die finanziellen Mittel, so viele Daten zu erheben und auszuwerten. Ist allerdings die Gruppe, die Sie untersuchen möchten, nicht allzu groß, dann ist eine Vollerhebung viel‐ leicht sogar im Rahmen eines kleineren Forschungsprojekts möglich. Sie können wahrscheinlich durchaus eine Fragebogenvollerhebung anpeilen, wenn Sie Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen von Menschen mit geschlechtsuntypischer Berufswahl, wie z. B. weiblichen Bauarbeiterin‐ nen in der Schweiz, erheben möchten. Möglich ist eine Vollerhebung viel‐ 95 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 95 <?page no="96"?> leicht auch im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts, bei dem Sie mit‐ arbeiten und eine Teilauswertung durchführen. Zwischen Labor und Feld - Zur Frage nach dem Ort der Forschung Das zweite Kontinuum des Forschungsdesigns ist aufgespannt zwischen den Polen Labor und Feld. Gemeint ist damit nicht nur der Ort der Forschung im engeren Sinn, also ob sich der Forscher ins Feld zu seinen Untersuchungs‐ objekten begibt oder ob sich die Untersuchungsobjekte ins Labor zu ihrem Erforscher begeben. Gemeint ist auch das Ausmaß des Naturalismus bzw. der Grad der Kontrolliertheit der Kontextbedingungen. Das natürliche Le‐ bensumfeld von Lebewesen wird durch eine Unzahl von Umgebungsbedin‐ gungen beeinflusst, die auch bei allergrößter Anstrengung weder kontrol‐ liert noch vollständig einkalkuliert werden können. Dadurch wird es schwierig zu sagen, wodurch ein bestimmtes Verhalten verursacht wird. Das Labor hingegen bietet die Möglichkeit, den Einfluss ganz bestimmter Be‐ dingungen auf die Untersuchungsobjekte zu studieren, indem Störfaktoren ausgeschaltet werden. Experiment: In der Laborforschung werden künstliche Bedingungen ge‐ schaffen. Man kontrolliert störende Einflüsse aus dem Umfeld und kreiert dadurch Mikrowelten, die in der gewöhnlichen Alltagsrealität so nicht vor‐ kommen. Die kontrollierteste und korrekteste Form der Laborstudie ist das Experiment. Obwohl mittlerweile viele Forschungsdesigns als Kinder der Wissenschaft gelten, bleibt das Experiment für viele Wissenschaftlerinnen ihr Kronprinz. Mit einem Experiment kann man Kausalzusammenhänge zwischen zwei Variablen empirisch überprüfen. Die eine Variable wird als unabhängige Variable bezeichnet und ist irgendeine Intervention des Ver‐ suchsleiters, von der vermutet wird, dass sie die andere Variable beeinflussen und verändern kann. Die andere Variable wird abhängige Variable ge‐ nannt, weil ihre Veränderung von der unabhängigen Variable abhängt. Wenn es tatsächlich einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen den beiden untersuchten Variablen gibt, dann müsste eine Veränderung der unabhängigen Variable eine Veränderung der abhängigen Variable nach sich ziehen. Um zu testen, ob die Veränderung der abhängigen Variable wirklich eine Folge der unabhängigen Variable ist, arbeitet man in Experimenten meist mit einer Versuchsgruppe und eine Kontrollgruppe. Die Versuchs‐ gruppe erhält die unabhängige Variable »verabreicht« und die Kontroll‐ 96 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 96 <?page no="97"?> gruppe eben nicht. Um ausschließen zu können, dass die Ergebnisse nicht das Resultat der Unterschiedlichkeit der Personen in den beiden Gruppen sind, werden die Versuchspersonen den beiden Gruppen entweder zufällig zugeordnet (Randomisierung) oder hinsichtlich bestimmter Merkmale wie z. B. Alter, Geschlecht, Persönlichkeit etc. gleich auf die beiden Gruppen verteilt (Parallelisierung). Durch die strenge Kontrolle möglicher Ein‐ flussfaktoren auf die Ergebnisse und die Standardisierung, sprich Verein‐ heitlichung der Untersuchungssituation, soll sichergestellt werden, dass das Experiment von anderen Forschern an anderen Orten der Welt wiederholt und überprüft werden kann. Man spricht hierbei von der Replizierbarkeit des Experiments. Wenn die Wirksamkeit eines neuen Psychotherapiever‐ fahrens zur Behandlung von Depressionen getestet wird, geht man experi‐ mentell vor. Man bildet (in Zusammenarbeit mit einer Klinik, wo die neue Therapie erprobt wird) per Zufallsauswahl zwei Gruppen von depressiven Patienten und erhebt mit entsprechenden Forschungsmethoden den Schwe‐ regrad ihrer Krankheitssymptome (abhängige Variable). Dann wird bei der Versuchsgruppe die Psychotherapie (unabhängige Variable) durchgeführt. Die andere Gruppe erhält keinerlei Intervention und kommt auf eine War‐ teliste. Nach Beendigung der Therapie erhebt man den Schweregrad der Depressivität bei beiden Gruppen erneut und vergleicht die Ergebnisse. Wenn die Intervention, in dem Fall die neue Psychotherapie, tatsächlich kausal wirkt, dann müsste es in der Versuchsgruppe im Vergleich zur Kon‐ trollgruppe zu einer Verbesserung der Symptomatik gekommen sein. Feldforschung: Das Pendant zur Laborforschung ist die Feldforschung. Bei der Feldforschung werden die Untersuchungsobjekte nicht in ein Labor ver‐ pflanzt, sondern der Forscher begibt sich in die natürliche Lebensumwelt seiner Untersuchungsobjekte, um sie dort zu erforschen. Dazu gehören un‐ ter anderem Babybeobachtungen oder Familienbeobachtungen im häusli‐ chen Umfeld oder Beobachtungen von Schulklassen während des Unter‐ richts. Auch weite Teile der ethnologischen Forschung kann man zur Feldforschung zählen. Bei ethnologischen Erkundungen begibt sich der For‐ scher in fremde Gefilde, um Angehörige anderer Kulturen in vivo zu stu‐ dieren. Margret Mead hat beispielsweise in den 30er Jahren Forschungsrei‐ sen nach Neuguinea unternommen, wo sie feststellen konnte, dass die uns bekannten Geschlechtsrollen kulturell und nicht biologisch geprägt sind. Bekannte Feldstudien stammen auch von Roland Girtler, der unter anderem am Leben von Obdachlosen in Wien teilgenommen hat, um ihre Lebenswelt 97 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 97 <?page no="98"?> zu verstehen. Die Beobachtungen finden also immer in der natürlichen Um‐ gebung der Betroffenen statt und können sich vorerst auf alle Verhaltens‐ weisen richten. Man bleibt also erstmal offen für überraschende Eindrücke und muss sich nicht schon vorab auf bestimmte Ausschnitte aus dem Ver‐ haltensgesamt begrenzen. Das eröffnet mitunter auch die Chance, solche Aspekte zu studieren, denen eine experimentell orientierte Forschung auf‐ grund der strengen Kontrolle störender Variablen nur wenig bis gar keine Aufmerksamkeit zollt. Man kann sehen, was die Leute tun, wenn sie nicht direkt von einem Versuchsleiter beeinflusst werden. Und man kann sehen, wie die Leute in vielen verschiedenen Situationen und nicht nur einer ein‐ zigen Testsituation handeln. Man kommt so näher an die Realität der Be‐ troffenen heran und kann Verzerrungen, die durch die fremde Umgebung des Labors zustande kommen, vermeiden. Quasi-Experimente und Feldexperimente: Auch was den Ort der For‐ schung anbelangt, sind die Übergänge zwischen den Designs fließend. Es gibt also unterschiedliche Varianten und Mischformen von Experimenten und Feldstudien. So z. B. Quasi-Experimente, bei denen die Zuteilung der Versuchspersonen zu den Versuchsgruppen nicht randomisiert oder paral‐ lelisiert ist und man mit natürlichen Versuchsgruppen arbeitet. Oder Feld‐ experimente, die nicht in einem Labor, sondern der natürlichen Umgebung der Betroffenen stattfinden. Die Versuchspersonen wissen dabei in der Regel nicht, dass sie beobachtet werden, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie ihr natürliches Verhalten an den Tag legen. Zwischen Beschreibung und Bewertung - Zur Frage nach der Intention des Forschers Wenn Sie forschen, müssen Sie sich überlegen, welche Ziele Sie mit Ihrer Forschung verfolgen. Wollen Sie einfach nur etwas wissen, eine Antwort auf Ihre Forschungsfrage haben? Wollen Sie mit Ihrer Forschung etwas verän‐ dern? In den Wissenschaften gibt es gewichtige Argumente für eine strikte Trennung von Beschreibung und Bewertung. Die Wissenschaft soll wert‐ frei sein, heißt es auf der einen Seite. Andererseits gibt es aber auch ein‐ dringliche Plädoyers dafür, dass wissenschaftliche Forschung nicht in uni‐ versitären Elfenbeintürmen verkümmern darf, sondern eingesetzt werden soll zum Wohle der Menschheit. Beide Ansichten haben etwas für sich. Wir wollen hier allerdings keine Stellungnahme dazu abgeben, sondern Sie le‐ 98 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 98 <?page no="99"?> diglich animieren, sich diesbezüglich Gedanken zu machen und Ihre Position zu finden. Wenn Sie ein Forschungsprojekt designen, müssen Sie sich über‐ legen, ob Sie den Gegenstand Ihrer Forschung rein beschreiben oder auch bewerten und vielleicht sogar verändern wollen. Das eine muss das andere gar nicht ausschließen, trotzdem gibt es Designs, die näher am Pol der Be‐ schreibung und Wertfreiheit stehen, und solche, die sich näher am Pol der Bewertung und Intervention befinden. Deskriptionsforschung: Viele wissenschaftliche Studien verfolgen das Ziel, Ihren Forschungsgegenstand möglichst genau zu beschreiben und zu analysieren, ohne dabei allerdings eine Bewertung vorzunehmen oder eine Veränderung desselben anzustreben. Der Einfachheit halber werden wir hierbei von Deskriptionsforschung sprechen. Wissenschaftler, die so vor‐ gehen, verfolgen ein Ideal der Objektivität und Neutralität gegenüber ihren Untersuchungsobjekten. Sie wollen möglichst keinen Einfluss nehmen auf den Untersuchungsgegenstand. Sie betrachten sich als Außenstehende, die möglichst unvoreingenommen beobachten. Beliebte Methoden, um sich nicht emotional involvieren zu lassen, sind bei solchen Sozialforschern Ein‐ wegspiegel oder versteckte Kameras. Viele psychologische und erziehungs‐ wissenschaftliche Experimente folgen dieser Logik. Gesellschaftliche Pro‐ bleme, wie z. B. Arbeitslosigkeit, Armut, Rassismus, Sexismus, würden in dieser Form von Forschung beschrieben und analysiert werden. Sie würden allerdings nicht bewertet, geschweige denn als Probleme definiert werden, an deren Lösung die empirische Forschung mitwirken könnte. Handlungsbzw. Aktionsforschung, Praxisforschung: Ein gänzlich anderes Forschungsethos vertritt die so genannte Handlungsbzw. Akti‐ onsforschung (action research). Hierbei verbindet sich jedenfalls der Impe‐ tus zu forschen mit dem Anspruch zu intervenieren und Verbesserungen zu erwirken. Das Ziel der Handlungsforschung ist nicht allein der Erkenntnis‐ gewinn, sondern die Lösung eines konkreten praktischen Problems. Hand‐ lungsforschung setzt also nicht so sehr an der Überprüfung einer Hypothese an, sondern an einem konkreten Problem, das es zu lösen gilt. Diese Wis‐ senschaftlerinnen möchten positive Veränderungen in Gang setzen. Allein nur Bücher zu schreiben ist dieser Form der Forschung zu wenig. In einem Aktionsforschungsprojekt über die Auswirkungen von Langzeitarbeitslo‐ sigkeit würden Sie nicht nur versuchen, das Befinden solcher Menschen zu erforschen, sondern auch den Versuch unternehmen, etwas zur Verbesse‐ rung ihrer Situation zu unternehmen. Als Aktionsforscher könnten Sie mit 99 4 Design matters - Über Sinn und Zweck von Forschungsdesigns (GP) 99 <?page no="100"?> Personengruppen arbeiten, die sich am Rande der Gesellschaft befinden. So z. B. mit jungen Müttern aus sozial benachteiligten Schichten, die massive Probleme mit ihren Kindern haben. Sie könnten bei diesen psychosoziale Arbeit leisten und sie ein wenig bei der Erziehung unterstützen. Aus den dabei gemachten Beobachtungen und Befragungen könnten Sie dann Theo‐ rien ableiten über mögliche Gründe für diese Probleme und Strategien ent‐ wickeln, wie man zur Problemlösung und Problembeseitigung beitragen kann. Die Ergebnisse der Forschung sollen also bei der Aktionsforschung schon im Prozess der Forschung in die Praxis umgesetzt und so den Be‐ forschten zu Gute kommen. Neuerdings ist aus der Tradition der action re‐ search die so genannte Praxisforschung hervorgegangen, die diese Ansprü‐ che fortführt. Mischformen: Auch hier lassen sich keine ganz sauberen Grenzen ziehen zwischen den Forschungsdesigns. Aktionsforscher wollen immer auch for‐ schen und etwas herausfinden, dass jenseits der unmittelbaren Forschungs‐ situation Geltung hat. Sie wollen also auch irgendwie objektiv sein und nicht nur subjektive Eindrücke zu Papier bringen, quasi Romane schreiben. Und deskriptiven Forschern ist es oft zu wenig, lediglich Bücher zu publizieren, die in den Kellerräumen von Universitätsbibliotheken verstauben; auch sie haben oft eine Mission und wollen gesellschaftliche Veränderungen bewir‐ ken. So gesehen kann man Handlungsforschungselemente auch in primär deskriptiv vorgehende Studien einfließen lassen. Eine Möglichkeit besteht z. B. darin, die Ergebnisse eines Forschungsprojekts nicht nur der Scientific community zu präsentieren, sondern auch Texte zu verfassen, die von Laien gelesen werden können. Auch ein leidenschaftliches Plädoyer, das Sie als ethische Forderung aus Ihren Forschungsergebnissen ziehen, könnte ein Element der Aktionsforschung im Rahmen deskriptiver Forschung sein. Wenn Sie z. B. die Biographie von Menschen in Ihrem Bundesland erfor‐ schen, die unter dem Existenzminimum leben müssen, könnten Sie die Öf‐ fentlichkeit und die Politik wachrütteln, indem Sie einen Artikel für eine lokale Tageszeitung verfassen. Sie könnten auf das Schicksal dieser Leute hinweisen und kritisieren, dass ein nicht geringer Teil unserer Gesellschaft in Armut leben muss. 100 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 100 <?page no="101"?> Mayring, Philipp (2016): Einführung in die Qualitative Sozialfor‐ schung. 6. Aufl. Weinheim: Beltz. Mayring, Philipp (2007): Designs in qualitativ orientierter For‐ schung. Journal für Psychologie 15, Ausgabe 2. www.journal-fuer -psychologie.de/ index.php/ jfp/ article/ view/ 127/ 111. Download am 15.04.2019. 5 Der methodische Dreischritt empirischer Forschung: Erhebung, Aufbereitung, Auswertung (GP) Das Wort Methode leitet sich vom Altgriechischen »methodos« ab und be‐ deutet so viel wie »der Weg zu etwas hin, Nachgehen«. Forschungsmetho‐ den beschreiben so gesehen eine Art von wissenschaftlichem Weg, den man beschreitet, um empirische Daten zu gewinnen und zu verarbeiten. Daten wiederum sind das empirische Rohmaterial, aus dem mithilfe von For‐ schungsmethoden Schlüsse gezogen und Theorien gewonnen werden. Das heißt, Methoden geben einen Weg vor, auf dem man von den ersten Roh‐ daten zum theoretischen Endergebnis kommt. Sie sorgen für die Stringenz einer wissenschaftlichen Untersuchung und machen den Prozess der For‐ schung auch für Außenstehende nachvollziehbar. Wir möchten nun auf eine Unterscheidung zurückgreifen, die wir bereits in Abschnitt III.3. über das Ablaufmodell empirischer Forschung ins Spiel gebracht haben. Dort wurden im methodischen Vorgehen drei Aspekte von‐ einander unterschieden: Erstens die Erhebung, zweitens die Aufbereitung und drittens die Auswertung (Hug 2001; Mayring 2002). Das methodische Vorgehen in der empirischen Forschung entspricht so gesehen einem Drei‐ schritt. Zuerst müssen die empirischen Daten einmal gewonnen bzw. erho‐ ben werden. Zu diesem Zweck gibt es eigene Erhebungsmethoden, die der Sammlung von Datenmaterial dienen. Danach müssen die erhobenen Daten für weitere Analysen und Interpretationen aufbereitet werden. Hierzu gibt es so genannte Aufbereitungsmethoden. Zu guter Letzt werden die er‐ hobenen und aufbereiteten Daten analysiert und interpretiert. Dafür gibt es spezielle Auswertungsmethoden. 101 5 Der methodische Dreischritt empirischer Forschung 101 Literaturtipps <?page no="102"?> Erhebungsme‐ thoden Aufbereitungs‐ methoden Auswertungsmethoden Recherche Dokumenten‐ analyse Beobachtung Befragung etc. Transkription/ Fixierung Selegierung Strukturierung etc. Inhaltsanalyse Grounded theory Psychoanalyse Typenbildung Diskursanalyse Konversations‐ analyse Metaphernanalyse etc. Häufigkeits‐ analysen Korrelations‐ analyse Signifikanztest Clusteranalyse Faktorenanalyse Pfadanalyse Varianzanalyse etc. Welche Forschungsmethoden Sie jeweils wählen, hängt - wie schon die Wahl des Forschungsdesigns - primär von Ihrer Forschungsfrage und Ihrem Forschungsgegenstand ab. Welche Methoden brauchen Sie, um Ihre For‐ schungsfrage beantworten zu können? Wichtig ist es, die Wahl der Metho‐ den aus Ihrer Forschungsfrage heraus zu begründen: Warum sind die ge‐ wählten Methoden für die Beantwortung Ihrer Forschungsfrage geeignet? Wir werden diese drei Methodengruppen nun kurz besprechen. Eine Ver‐ tiefung finden Sie in den Kapiteln IV und V. Erhebungsmethoden Im Großen und Ganzen gibt es drei Gruppen von Erhebungsmethoden in der empirischen Sozialforschung. Erstens die Recherche, zweitens die Be‐ obachtung und drittens die Befragung. 102 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 102 Überblick <?page no="103"?> Recherche/ Dokumentenanalyse: Die erste Möglichkeit besteht darin, bereits bestehende Daten zu verwenden. In dem Fall brauchen die Daten nicht erst eigens produziert zu werden. Man spricht hierbei entweder von einer Recherche nach bereits bestehenden Daten, gelegentlich auch vom Forschungsdesign der Dokumentenanalyse. In den Human- und Sozialwis‐ senschaften versteht man unter Dokumenten alle von Menschenhand ge‐ schaffenen Gegenstände. Diese lassen sich als Quelle zur Erklärung mensch‐ lichen Erlebens und Verhaltens heranziehen. Dokumente in diesem Sinne können also Schriftstücke, Texte, Audioaufzeichnungen, Filme, Fotografien, Kunstgegenstände, Gemälde, Skulpturen, Bauten, Werkzeuge, Gebrauchs‐ gegenstände usw. sein. Wir haben es also mit einer beeindruckenden Mate‐ rialvielfalt zu tun, die für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden kann. Bei einer Dokumentenanalyse entfällt der Schritt der Datenerhebung bis zu einem gewissen Grad bzw. erschöpft er sich in einem Zusammentragen von existierenden Daten. Gemeinsam ist diesen Zugängen, dass das Material nicht erst vom Forscher durch Beobachtung oder Befragung erschaffen wer‐ den muss, sondern schon vorliegt. Die Dokumentenanalyse bzw. Recherche kommt häufig in der Geschichts‐ wissenschaft, der Medienwissenschaft, der Entwicklungswissenschaft und der Literaturwissenschaft als eigenständiges Forschungsdesign vor. Wenn Sie z. B. etwas über die Lebenswelten von Jugendlichen erfahren möchten, können Sie die Tagebücher von Jugendlichen auswerten. Die Dokumenten‐ analyse kann aber auch als Ergänzung anderer Forschungsdesigns wertvolle Dienste leisten. In der biographischen Forschung können biographische In‐ terviews mit Fotos oder Videos aus dem Leben der Befragten flankiert wer‐ den. Sie können aber auch bereits vorhandene Datensätze bestehender Stu‐ dien verwenden und diese in neuem Licht mit anderen Auswertungsmethoden oder einem anderen theoretischen Kontext interpretieren. In so einem Fall spricht man auch von einer Re-Analyse bzw. Sekundär‐ analyse vorhandener Daten. Sie können dann die Ergebnisse anderer Wis‐ senschaftler dadurch kritisieren, bestätigen oder ergänzen. Beobachtung: Eine zweite Möglichkeit der Datenerhebung ist die Beob‐ achtung. Bei der Beobachtung handelt es sich um eine Forschungsmethode zur Erhebung nicht-sprachlicher Daten. Wissenschaftliche Beobachtungen erfolgen im Unterschied zu Alltagsbeobachtungen durch systematischere, geplantere, zielgerichtetere und strukturiertere Wahrnehmung. Das gelingt, indem zwischen den Beobachter und das Beobachtete quasi eine Methode 103 5 Der methodische Dreischritt empirischer Forschung 103 <?page no="104"?> geschoben wird, die die zu beobachtenden Aspekte der Realität hervorhebt und objektiviert. Dazu werden vorab Kategorien festgelegt, die bestimmen, was beobachtet wird und was nicht. Alle relevanten Aspekte des For‐ schungsgegenstands sollen dabei möglichst genau und nachvollziehbar er‐ fasst werden. Beobachtungen können sich auf alle Verhaltens- und Interak‐ tionsweisen von Lebewesen, aber auch Zustände lebloser Materie, richten. Beobachtungen können sich sowohl auf künstlich hergestellte Situationen, wie z. B. Laborexperimente, als auch auf natürliche Situationen beziehen. Der Grad der Standardisierung einer Beobachtung ist unterschiedlich hoch. Mehr darüber in den Abschnitten IV.1. und IV.2. Befragung: Die dritte wichtige Gruppe von Erhebungsmethoden sind Be‐ fragungen. Befragungen zielen darauf ab, Informationen zu erheben, die ei‐ ner Beobachtung nicht so leicht zugänglich sind. Es kann sich um Meinun‐ gen, Einstellungen, Wissen, Gedanken und Gefühle handeln. Auch hier ist der Grad der Standardisierung unterschiedlich groß. Fragen und Antwort‐ möglichkeiten können in unterschiedlich starkem Ausmaß festgelegt wer‐ den. Befragungen können schriftlich oder mündlich erfolgen. Das heißt, Sie können ihren Probandinnen entweder einen Fragebogen vorlegen oder aber mit diesen ein Interview durchführen. Befragungen kommen übrigens, wie auch Beobachtungen sowohl in der qualitativen als auch der quantitativen Forschung häufig vor. Auf unterschiedliche Formen der Befragung kommen wir noch in Abschnitt IV.1. und IV.2. zu sprechen. Aufbereitungsmethoden Daten liegen nach der Datenerhebung nur selten in so einer Form vor, dass Sie sich gleich in die Auswertung bzw. Interpretation stürzen könnten. Des‐ halb folgt auf die Datenerhebung ein Schritt der Datenaufbereitung. Zu die‐ sem Zweck gibt es eigene Datenaufbereitungsmethoden. Als Ergebnis dieses Schritts erhalten Sie einen Zwischenstand, von dem aus Sie die Auswertung in Angriff nehmen können. In der Aufbereitung der zuvor erhobenen Daten lassen sich drei Aspekte differenzieren: Erstens die Fixierung der Daten, zweitens die Selegierung der Daten und drittens die Strukturierung der Da‐ ten. Im Rahmen der Aufbereitung können die erhobenen Daten auch in spe‐ zielle Software eingespeist werden, die im nächsten Schritt die Auswertung der Daten erleichtert (s. dazu die Abschnitte IV.3, IV.4, V.3, VI.3). 104 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 104 <?page no="105"?> Fixierung: Eine erste wichtige Strategie der Datenaufbereitung ist die Fi‐ xierung. Wenn Sie beobachten, bleiben nur ein paar visuelle Eindrücke im Gedächtnis zurück. Und Worte von Interviews sind ja nichts als Schall und Rauch. Deshalb müssen Sie Ihre Beobachtungen und Befragungen irgendwie dingfest machen. Bei Beobachtungen geschieht das meist mit Protokollen, Memos, Beobachtungsbögen oder Videoaufzeichnungen. Mündliche Befra‐ gungen werden für gewöhnlich audio- oder videoaufgezeichnet und dann transkribiert, also niedergeschrieben. Durch die Transkription entsteht aus einem Interview ein Text, der ausgewertet werden kann. Durch die Fixie‐ rung werden die mithilfe von Befragung oder Beobachtung erhobenen Da‐ ten für die darauffolgende Auswertung überhaupt erst urbar gemacht. Selegierung: Ein zweites wichtiges Element im Rahmen der Datenaufbe‐ reitung ist die Selegierung. Hierbei geht es um die Auswahl der Daten, die in die Auswertung einbezogen werden. Oft werden nämlich mehr Daten erhoben als man überhaupt auswerten kann. Manchmal werden auch Daten miterhoben, die man gar nicht braucht. Jedenfalls haben Sie die Überlegung anzustellen, welche der Daten zur Beantwortung Ihrer Forschungsfrage notwendig sind und welche nicht. Selegieren Sie nun, was brauchbar ist und was nicht. Letzten Endes haben Sie eine begründete Auswahl aus den erho‐ benen Daten, die Sie in Ihre Auswertung einbeziehen. Strukturierung: Bei der Strukturierung, der dritten Aufbereitungsmetho‐ dik, geht es vereinfacht gesagt darum, Ordnung ins Chaos zu bringen. Ein Zettelsalat von Memos, den Sie während Ihrer Feldbeobachtungen angefer‐ tigt haben, will geordnet werden. Die Zeilen von Interviewtranskriptionen müssen durchnummeriert werden. Das macht es dann leichter, aus dem In‐ terview zu zitieren und sich darin zurechtzufinden bzw. Stellen, auf die man sich in der Auswertung bezogen hat wiederzufinden. Teilweise geht die Strukturierung der Daten schon fließend über in die Auswertung der Daten, wenn Sie bereits die Ergebnisse zusammenfassen, indem Sie Kategorien auf einem höheren Abstraktionsniveau bilden. Auswertungsmethoden Da sich die erhobenen und aufbereiteten Daten nicht von selbst interpre‐ tieren, muss man spezielle Auswertungsmethoden auf sie anwenden. So‐ wohl in der qualitativen Forschung als auch in der quantitativen Forschung gibt es mittlerweile einen ganzen Reigen von Auswertungsmethoden. 105 5 Der methodische Dreischritt empirischer Forschung 105 <?page no="106"?> In der qualitativen Forschung sind das unter anderem die Grounded theory bzw. gegenstandsbezogene Theoriebildung, die qualitative Inhalts‐ analyse, die psychoanalytische Textinterpretation, die qualitative Typenbil‐ dung, die Konversationsanalyse, die Diskursanalyse, die Metaphernanalyse (s. Abschnitt V.1.). In der quantitativen Forschung gibt es Häufigkeitsa‐ nalysen, Zusammenhangs- und Korrelationsanalysen, Signifikanztests, Cluster- und Faktorenanalysen, Varianzanalysen und Pfadanalysen (s. Ab‐ schnitt V.2.). Alle diese Methoden zielen auf unterschiedliche Ergebnisse ab und welche Auswertungsmethode Sie auf Ihre erhobenen und aufbereiteten Daten an‐ wenden, hängt wiederum davon ab, was Sie überhaupt wissen möchten. Hug, Theo (2001): Erhebung und Auswertung empirischer Daten: Eine Skizze für AnfängerInnen und leicht Fortgeschrittene. In: Hug, Theo (Hrsg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Band 2: Einführung in die Forschungsmethodik und Forschungspraxis. Hohengehren: Schneider, S. 11-29. Mayring, Philipp (2016): Einführung in die Qualitative Sozialfor‐ schung. 6. Aufl. Weinheim: Beltz. 6 Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) Dem Anspruch nach ruht die Wissenschaft auf dem Fundament von Logik und Rationalität. Nichtsdestotrotz gleicht gerade die Entscheidung für eine bestimmte wissenschaftliche Methode häufig einem Religionsbekenntnis. Vielleicht haben Sie ja auch schon die Erfahrung gemacht, dass manche Ihrer Professorinnen ein leidenschaftliches Plädoyer für quantitative Methoden abgeben und sich im selben Atemzug über qualitative Vorgehensweisen em‐ pören. Umgekehrt können Apologeten der qualitativen Methodik auch nur selten quantitativen Verfahren etwas abgewinnen. Kurzum, wir haben es mit einem Stellungskrieg zu tun, der von gegenseitigem Unverständnis gespeist wird. 106 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 106 Literaturtipps <?page no="107"?> Wir möchten die strenge Polarisierung zwischen qualitativ und quanti‐ tativ vermeiden und lieber einen pragmatischen Mittelweg einschlagen, denn bei nüchterner Betrachtung haben eigentlich alle Forschungsmetho‐ den gewisse Stärken und gewisse Schwächen. Jede Methode - egal ob qua‐ litativ oder quantitativ - ist für bestimmte Forschungsgegenstände und For‐ schungsfragen besser und für andere schlechter geeignet. Die Entscheidung für eine qualitative oder quantitative Methode machen Sie neben den Ge‐ pflogenheiten, die an Ihrem Institut herrschen (s.a. Abschnitt I.3), in erster Linie am besten von Ihrer Forschungsfrage abhängig. Wenn Sie beispiels‐ weise wissen möchten, wie häufig eine bestimmte Erkrankung in der Be‐ völkerung auftritt, werden Sie eine quantitativ-epidemiologische Studie durchführen. Qualitative Methoden helfen Ihnen dabei herzlich wenig. Wenn Sie allerdings wissen möchten, wie eine chronische Erkrankung von den Betroffenen subjektiv erlebt wird und welchen Einfluss sie auf ihren Alltag hat, dann werden Sie mit qualitativen Methoden arbeiten. Qualitative Forschung Quantitative Forschung Verstehen von Sinn Quantifizierung von Sachverhalten einzelne Fälle große Stichproben, Repräsentativität iterativer, zirkulärer Ablauf linearer Ablauf offenes, flexibles Vorgehen standardisiertes Vorgehen interessiert an subjektiven Sichtweisen interessiert an objektiven Fakten Feldforschung Laborforschung eher hypothesengenerierend eher hypothesentestend Was ist quantitative Forschung? Die Idee einer quantitativen Betrachtung der Welt lässt sich bis in die antike Philosophie zurückverfolgen. Bereits im sechsten vorchristlichen Jahrhun‐ dert hat Pythagoras gemeint, das Wesen der Wirklichkeit würde aus Zahlen bestehen und sich in Zahlen ausdrücken. Auch Galileo Galilei (1564-1642) war der Auffassung, dass das Buch der Natur mit mathematischen Symbolen geschrieben sei. Er gab auch die bis heute für die quantitative Forschung gültige Maxime aus: Alles messen, was messbar ist, und messbar machen, was noch nicht messbar ist! 107 6 Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) 107 <?page no="108"?> Quantitative Forschung In der quantitativen Forschung geht es darum, empirische Sachver‐ halte als Zahlen darzustellen und diese mittels mathematischer bzw. statistischer Methoden zu verarbeiten. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei quantitative Angaben wie Mittelwerte, Verteilungen, Prozentränge, Wahrscheinlichkeiten, Zusammenhangsmaße (s.a. Abschnitte IV.2. und V.2.; Hug 2001; Köhler 2004; Denz / Mayer 2001a; 2001b). Um überhaupt quantitativ forschen zu können, muss sich die erforschte Materie numerisch erfassen lassen. Beim Messen werden empirische Rela‐ tionen so in numerische Relationen umgewandelt, dass die Relationen zwi‐ schen den Zahlen die Relationen zwischen den empirischen Ausprägungen abbilden. Für unterschiedliche Möglichkeiten der Übertragung empirischer Sachverhalte in Zahlenverhältnisse siehe die Ausführungen über Skalenni‐ veaus in Abschnitt IV.2. Da die untersuchten Gegenstände und Personen für gewöhnlich nicht mit Zahlen auf dem Rücken durch die Gegend laufen, ist es oft nötig, Operatio‐ nalisierungen und Quantifizierungen vorzunehmen (s. Abschnitt I.2.). Manchmal kann man direkt messen, indem man z. B. einfach nach dem Alter, dem Geschlecht oder der Schuhgröße fragt. Häufig sind allerdings große gedankliche Anstrengungen nötig, denn komplexe Theorien und Begriffe lassen sich nicht in eine einzige operationale Definition bannen und müssen in ihre Einzelbestandteile seziert werden. Intelligenz ist so ein äußerst viel‐ schichtiges Phänomen. Dazu gehören unter anderem verbale Fähigkeiten, mathematische Fähigkeiten, Abstraktionsfähigkeit. Deshalb bestehen Intel‐ ligenztests auch aus einer ganzen Kolonne von Fragen, die sich dann wie‐ derum einzelnen Skalen und Intelligenzdimensionen zuordnen lassen. Auch in die Beurteilung der Schulleistung fließen viele einzelne Schularbeits-, Prüfungs-, und Mitarbeitsnoten ein. Gelegentlich ist die zu erfassende Größe einer direkten Messung gar nicht zugänglich, weshalb man indirekte Wege einschlägt. Man versucht dann einen Indikator zu finden. Ein Indikator ist eine erfassbare Größe, die das untersuchte Konstrukt zum Ausdruck bringt. 108 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 108 Definition <?page no="109"?> Das Ausmaß der Religiosität eines Menschen z. B. lässt sich als Anzahl der jährlichen Kirchenbesuche operationalisieren. Die Stabilität des Familien‐ systems wurde in einer Studie über die Entwicklung von Persönlichkeits‐ störungen als die Anzahl der Umzüge der Familie während der Kindheit der Probandinnen operationalisiert. Wenn sie quantitativ forschen möchten und keine entsprechenden Forschungsmethoden zur Beantwortung Ihrer For‐ schungsfrage vorhanden sind, werden Sie mitunter erfinderisch sein müssen in der Operationalisierung Ihres Forschungsgegenstands. Quantitative Forschungsmethoden kommen meist im Rahmen von Expe‐ rimenten und Surveys zum Einsatz. Hierbei ist jeder einzelne Schritt sorg‐ fältig geplant. Ein Anspruch quantitativer Forschung ist es auch, allgemein‐ gültige und repräsentative Ergebnisse zu erzielen. Um Aussagen über ganze Kollektive zu machen, untersucht man meist große Stichproben. Ein quan‐ titativer Forscher meidet auch eher das Feld und arbeitet lieber im Labor, wo die Möglichkeit besteht, störende Einflüsse auszuschalten. Er frönt dem Ideal der Objektivität und wahrt emotionale Distanz zu den Versuchspersonen, um die Ergebnisse nicht zu beeinflussen. Der Forschungsgegenstand wird so sachlich und so neutral wie nur irgend möglich behandelt. Quantitative Forschung ist also im Vergleich zu qualitativer Forschung, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden, planvoller und linearer im Ablauf, stärker den Forschungsgegenstand in theoretische Einzelbestandteile zergliedernd, mehr abstrahierend in der Theoriebildung und distanzierter im Verhältnis zu den Versuchsobjekten. Das Methodenspektrum der quantitativen For‐ schung umfasst formalisierte Beobachtungen, standardisierte Befragungen sowie alle Spielarten der Statistik (mehr dazu in Kapitel IV und V; Hug 2001; Denz / Mayer 2001a; 2001b; Köhler 2004). Was ist qualitative Forschung? Die historischen Vorläufer der qualitativen Sozialforschung lassen sich zu‐ rückverfolgen bis zum Werk von Aristoteles. Qualitative Forschung in ihrer modernen Form ist aus der geisteswissenschaftlichen Methodik hervorge‐ gangen: Sie unterscheidet sich aber von der Hermeneutik, der Phänomeno‐ logie und der Dialektik durch größere Regelgeleitetheit und höhere Genau‐ igkeit. Mittlerweile haben qualitative Forschungsmethode in allen Human- und Sozialwissenschaften weite Verbreitung gefunden. Qualitative Forschung ist sexy geworden. 109 6 Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) 109 <?page no="110"?> Qualitative Forschung In der qualitativen Forschung geht es um die Erkundung subjektiver Lebenswelten. Man versucht also die individuellen Weltsichten und Lebensweisen seiner Probanden zu erfassen. Erforscht werden unter anderem soziale Regeln, kulturelle Orientierungen und individuelle Sinnstrukturen. Häufig geht es nicht nur um die Entwicklung von Theorien, sondern auch um Anwendungen für die Praxis (Mayring 2002; Flick 2004; s.a. Abschnitte IV.1 und V.1). Qualitative Forschung interessiert sich für die Subjektivität des Beforschten. Das bedeutet, es geht um die persönliche Erlebniswelt einzelner Menschen. Um diese Subjektivität überhaupt erforschen zu können, ist eine gewisse Offenheit dem Beforschten gegenüber unabdingbar. Die beforschten Personen sollen die Möglichkeit erhalten, sich möglichst natürlich zu verhalten und ihre Persönlichkeit möglichst ungehindert zu entfalten. Das wiederum er‐ fordert eine gewisse Orientierung am einzelnen Fall. Das heißt, der einzelne ist nicht nur als Lieferant von Daten zur Berechnung eines Durchschnitts‐ werts interessant, sondern in seiner Besonderheit und Einzigartigkeit. For‐ schung mit qualitativen Methoden strebt eine Tiefgründigkeit der Untersu‐ chungen an, indem sie sich mehr Zeit nimmt für die Individualität des einzelnen Menschen. Diese Orientierung an einzelnen Fällen geht aber trotzdem Hand in Hand mit Generalisierungsversuchen. Es geht also schon auch um Verallgemeinerungen, diese erfolgen allerdings behutsam und step by step. In der qualitativen Forschung gilt der Forscher nicht als neutraler und objektiver Beobachter, sondern als eine Person, die im Prozess der For‐ schung präsent ist und auch einen Einfluss auf die Beforschten ausübt. Aus dem Grund reflektiert die Forscherin auch ihren möglichen Einfluss aufs Forschungsobjekt und benutzt ihre eigenen subjektiven Reaktionen auf das Forschungsprojekt als eine zusätzliche Datenquelle, die zusätzlichen Auf‐ schluss über das Beforschte geben können. Interpretationen mit qualitativen Forschungsmethoden richten sich übrigens meist auf Texte, also verschrift‐ lichte Gespräche, Szenen und Beobachtungen. Deshalb lässt sich qualitative Forschung auch als eine Textwissenschaft begreifen (Mayring 2002; Flick 2004; Lamnek 2010). 110 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 110 Definition <?page no="111"?> Qualitative Forschungsmethoden kommen häufig im Rahmen von Ein‐ zelfallanalysen und der Aktionsforschung zum Einsatz. Typisch sind sie also für Forschungsdesigns mit einem mehr iterativen und zirkulären Ablauf, bei dem Vorannahmen immer wieder von Neuem hinterfragt und korrigiert werden. Trotzdem weisen natürlich auch qualitativ orientierte Studien einen klaren Ablaufplan auf. Im Unterschied zur quantitativen Forschung ist qua‐ litative Forschung tendenziell offener und kontextorientierter gegenüber ihrem Forschungsgegenstand, flexibler im Ablauf, stärker auf einzelne Fälle und subjektive Sinnstrukturen ausgerichtet. Qualitative Forschung interes‐ siert sich für die natürlichen Lebensumwelten der untersuchten Personen. Aus dem Grund werden die Leute meist unter naturalistischen Bedingungen im Feld untersucht und künstliche Laborsituationen eher gescheut. Quali‐ tative Forschung will oft nicht nur beschreiben, sondern strebt auch Bewer‐ tungen an und will verändern. Das Methodenspektrum reicht von offenen Interviewformen und teilnehmenden Beobachtung bis hin zu verschiedenen Auswertungsverfahren (mehr dazu in Kapitel IV und V; Mayring 2002; Flick 2004; Flick et al. 2004; Lamnek 2010). Qualitativ oder quantitativ? - Qualitativ und quantitativ! Mittlerweile wird mehr und mehr klar, dass die strenge Trennung zwischen quantitativer Forschung auf der einen und qualitativer Forschung auf der anderen Seite ziemlich unsinnig ist. Obwohl es teilweise noch immer un‐ überwindlich erscheinende Gegensätze zwischen qualitativen und quanti‐ tativen Forscherinnen gibt, wächst doch die Anzahl der Leute, die sich be‐ mühen, diese Kluft zu überbrücken. In der Praxis der empirischen Forschung wird der kombinierte Einsatz von qualitativen und quantitativen Methoden immer häufiger. So eine Kombination kann auch für Ihr Forschungsprojekt überaus fruchtbar sein. Als Resultat erhalten sie vertiefte Erkenntnisse, die eine Methode allein nicht liefern kann. Wenn Sie beispielsweise Interviews mit Bewohnern eines Altenheims über deren Lebenszufriedenheit führen und diesen dann zu‐ sätzlich einen quantitativen Fragebogen zur Lebenszufriedenheit vorlegen, lassen sich die Ergebnisse hier gegenseitig empirisch erhärten. Wenn Sie ein statistisches Survey durchführen und dann bei einigen ausgewählten Pro‐ banden zusätzlich Interviews durchführen, dann lassen sich die statistischen 111 6 Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) 111 <?page no="112"?> Ergebnisse durch die qualitativen Daten aus den Interviews ergänzen und vertiefen (Mayring 2001; Kelle / Erzberger 2004). Qualitative und quantitative Forschung lassen sich auf verschiedenen Ebenen des Forschungsprozesses miteinander in Verbindung bringen. Auf der Ebene von Forschungsdesigns gibt es vier verschiedene Kombinations‐ modelle qualitativer und quantitativer Methoden (Mayring 2001; s.a. Flick 2004; Kelle / Erzberger 2004): Mixed Methodologies Die Kombination qualitativer und quantitativer Forschungsmetho‐ den im Rahmen eines Forschungsdesigns oder Forschungsprojekts nennt man Mixed methodologies. Die Methoden werden dabei par‐ allel oder sukzessive eingesetzt und die Resultate aufeinander bezo‐ gen. Die Ergebnisse der Methodentypen können sich dann gegen‐ seitig validieren oder einander ergänzen. Vorstudienmodell: Beim Vorstudienmodell wird zuerst eine qualitative Erhebung durchgeführt, um Hypothesen zu generieren, die in einem quan‐ titativen Teil der Studie überprüft werden. Qualitative Methoden werden hier also eingesetzt, um Neuland zu erkunden, und quantitative Methoden, um es dann zu vermessen. Sie könnten z. B. Probeinterviews oder Gruppen‐ diskussionen mit jugendlichen Drogenabhängigen führen und die hierbei gewonnenen Ergebnisse in die Konstruktion eines Interviewleitfadens oder Fragebogens einfließen lassen. Verallgemeinerungsmodell: Das Verallgemeinerungsmodell startet eben‐ falls mit einem qualitativen Analyseschritt. Der qualitative Teil beschränkt sich hier aber nicht auf die Hypothesengenerierung, sondern ist ein voll‐ wertiger Teil der Studie. Die qualitative Studie wird komplett durchgeführt und ihre Ergebnisse werden dann mithilfe einer quantitativen Studie an ei‐ ner größeren Stichprobe abgesichert und verallgemeinert. Um die Umset‐ zung eines Verallgemeinerungsmodells würde es sich handeln, wenn Sie z. B. den Prozess einer Psychotherapie empirisch-qualitativ an einem Einzelfall untersuchen und die Ergebnisse dann an einer größeren Stichprobe von vielen psychotherapeutischen Prozessen überprüfen. 112 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 112 Definition <?page no="113"?> Vertiefungsmodell: Genau umgekehrt verhält es sich beim Vertiefungs‐ modell. Hier beginnt man mit einer quantitativen Studie an einer größeren Stichprobe. Danach wird die qualitative Untersuchung an ausgewählten Fällen oder einer kleineren Teilstichprobe durchgeführt, um die quantitati‐ ven Ergebnisse zu vertiefen und zu interpretieren. Man versteht dann die gefundenen Korrelationen besser und kann die Ergebnisse mit Fallbeispielen illustrieren. Die Umsetzung eines Vertiefungsmodells wäre die Untersu‐ chung einer großen Stichprobe von Lehrern mit Fragebögen, wobei dann eine kleinere Stichprobe daraus vertiefend mit Interviews befragt wird. Triangulationsmodell: Das vierte und letzte Modell ist das Triangulati‐ onsmodell. Hierbei wird ein Forschungsgegenstand mit unterschiedlichen Methoden aus mehreren Blickwinkeln untersucht, um die Forschungsfrage möglichst differenziert zu beantworten. Die mit den einzelnen Methoden erzielten Resultate werden miteinander verglichen, um der Komplexität und Vielschichtigkeit der Materie Rechnung zu tragen. Das Triangulationsmo‐ dell sorgt auf diese Weise für ein vollständigeres und valideres Bild des For‐ schungsgegenstands. Auf das Konzept der Triangulation, das auch als ein Gütekriterium in der empirischen Forschung gilt, kommen wir noch in Ab‐ schnitt III.7. zu sprechen. Eine Einzelfallstudie über einen depressiven Men‐ schen, bei der die Entstehung der Krankheit mit mehreren verschiedenen quantitativen und qualitativen Methoden untersucht wird, entspräche ei‐ nem Triangulationsmodell. Quantitative Forschung versucht, empirische Sachverhalte in Zahlen um‐ zuwandeln und Berechnungen anzustellen. Qualitative Forschung versucht, subjektive Weltsichten zu erheben und zu verstehen. Obwohl es nach wie vor Verfechter eines Methodenpurismus gibt, wächst die Anzahl der For‐ scher, die eine Verbindung der beiden Methodentypen einfordern und auch praktizieren. Sie sind gut beraten, wenn Sie sich fundierte Grundkenntnisse sowohl in Statistik als auch qualitativer Sozialforschung aneignen, denn dann haben Sie die Möglichkeit, die Methoden zu verwenden, die für Ihren Forschungsgegenstand und Ihre Forschungsfrage am passendsten sind. Von der Art der angewandten Methode allein hängt es nämlich nicht ab, ob For‐ schung gehaltvolle Ergebnisse oder nur Banales hervorbringt, denn sowohl in der qualitativen als auch in der quantitativen Forschung gibt es gute und schlechte Studien. 113 6 Qualitativ oder quantitativ? Die Gretchenfrage in der Wissenschaft (GP) 113 <?page no="114"?> Köhler, Thomas (2012): Statistik.: Ein kurz gefasstes Lehrbuch für das Bachelorstudium der Psychologie, Pädagogik und Sozialwissen‐ schaften. Heidelberg: Asanger. Mayring, Philipp (2001): Kombination und Integration qualitativer und quantitativer Analyse. Forum Qualitative Sozialforschung 2 (1).http: / / www.qualitative-research.net/ index.php/ fqs/ article/ view/ 967/ 2111. Download am 15.04.2019. Poscheschnik, Gerald (2012): Macht und Ohnmacht des Szientismus. Oder: Die Chance qualitativer Forschung. Psychotherapie und So‐ zialwissenschaft 14 (2), 13-36. 7 Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) Gütekriterien Um die Qualität wissenschaftlicher Studien einschätzen zu können, gibt es Gütekriterien. Solche Gütekriterien definieren Mindestan‐ forderungen, denen ein empirisches Forschungsprojekt zu genügen hat, wenn es als wirklich gute wissenschaftliche Forschung gelten möchte. Gütekriterien sind Prüfsteine empirischer Forschung, die Ihnen behilflich sind einzuschätzen, wo die Stärken und wo die Schwächen einer wissenschaftlichen Untersuchung liegen (Steinke 2004; Mayring 2002; Flick 2004a; 2004b; Flick et al. 2004; Poschesch‐ nik 2005). In der methodologischen Literatur wird eine Vielzahl unterschiedlicher Gü‐ tekriterien diskutiert. Es gibt Gütekriterien, die speziell für bestimmte Me‐ thoden entwickelt wurden. Man spricht dann von methodenspezifischen Gütekriterien. Manche davon beanspruchen primär Gültigkeit für quan‐ titative Methoden, andere wiederum sind stärker auf qualitative Methoden 114 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 114 Literaturtipps Definition <?page no="115"?> zugeschnitten. Ein methodenspezifisches Gütekriterium für die qualitative Methode der teilnehmenden Beobachtung in der Feldforschung ist die Glaubwürdigkeit der Versuchspersonen. Es geht also um die Frage, ob diese offen und ehrlich sind oder ob sie eventuell versuchen, die Forscherin zu täuschen. Und ein methodenspezifisches Gütekriterium für quantitativ-psy‐ chologische Tests wäre die die Auswertungsobjektivität. Damit ist gemeint, dass die Auswertung eines Fragebogens so normiert sein muss, dass unter‐ schiedliche Forscher zum selben Ergebnis kommen. Meist können Sie die methodenspezifischen Gütekriterien der Literatur über die jeweilige Me‐ thode entnehmen. Neben diesen Gütekriterien existieren noch Gütekriterien, die nicht spe‐ ziell für eine bestimmte Forschungsmethode adaptiert sind, sondern den Anspruch erheben, für alle Methoden und den gesamten Forschungsprozess zu gelten. Hierbei handelt es sich um allgemeinere Leitlinien, die Ihnen eine Orientierung bieten können, was bessere und was schlechtere Forschung ausmacht. In dem Fall spricht man von allgemeinen Gütekriterien. Allgemeine Gütekriterien empirischer Forschung Objektivität Transparenz Reliabilität Indikation / Adäquatheit Validität Reflexivität Triangulation Diskussion von Limitationen Objektivität: Objektivität bedeutet in der empirischen Forschung das Be‐ mühen, eine Studie so durchzuführen, dass die Ergebnisse möglichst wenig durch Vorurteile des Forschers verzerrt werden. Da eine völlige Entsubjek‐ tivierung - sprich Reinigung von subjektiven Meinungen, Wünschen, Ge‐ fühlen, Neigungen und Interessen - de facto unmöglich ist, bemüht man sich wenigstens um intersubjektive Übereinstimmung. Dazu werden Forschungsmethoden so konstruiert, dass sie unabhängig vom Einfluss der 115 7 Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) 115 Überblick <?page no="116"?> Forscherin angewandt werden können. In der quantitativ-psychologischen Testtheorie unterscheidet man drei Formen von Objektivität bzw. intersub‐ jektiver Nachvollziehbarkeit: Die Durchführungsobjektivität meint eine möglichst große Standardisierung in der Durchführung der Methode, wobei die sozialen Kontakte zwischen der Forscherin und dem Beforschten mini‐ miert werden. Gäbe die Forscherin nämlich das Ziel ihrer Untersuchung preis, könnte das die Reaktionen der Versuchspersonen in eine bestimmte Richtung lenken. Die Auswertungsobjektivität verlangt, dass eine Me‐ thode so konstruiert ist, dass unterschiedliche Forscher zum selben Ergebnis kommen. Die Interpretationsobjektivität schließlich fordert, dass die mithilfe der Methode gewonnenen Werte von unterschiedlichen Forsche‐ rinnen gleich interpretiert werden. Kurzum, das Gütekriterium der Objek‐ tivität will, dass die Ergebnisse einer Untersuchung nicht Ausdruck der per‐ sönlichen Vorlieben und Ansichten eines bestimmten Forschers sind, sondern von anderen Forschern ebenso gewonnen werden könnten. Reliabilität (Zuverlässigkeit): Unter Reliabilität versteht man die Genau‐ igkeit, mit der ein bestimmtes Merkmal durch eine Methode gemessen wird. Als reliabel gilt eine Methode dann, wenn sie Ergebnisse liefert, die relativ frei von Zufallseinflüssen sind. Das heißt, die Wiederholung einer Untersu‐ chung mit einer reliablen Methode würde unter den gleichen Rahmenbe‐ dingungen auch dasselbe Ergebnis zeitigen. Dementsprechend überprüft man die Reliabilität, indem man dieselbe oder eine vergleichbare Methode wiederholt bei denselben Versuchspersonen anwendet und die Ergebnisse vergleicht. Je ähnlicher sich die Ergebnisse sind, umso höher ist die Relia‐ bilität. Wenn Sie beispielsweise mit einer Person einen Persönlichkeitstest durchführen und dieser bei einer Wiederholung zwei Wochen später völlig andere Ergebnisse erbringt, ist der Test nicht reliabel. Was Sie gemessen hätten, wäre vielleicht die Tagesverfassung dieser Person gewesen, nicht aber ihre Persönlichkeit, die definiert ist als zeitstabile Muster des Erlebens und Verhaltens eines Menschen. So gesehen ist die Reliabilität ein Kriterium, das auch etwas über die Replizierbarkeit einer Untersuchung verrät. Validität (Gültigkeit): Die Validität gibt an, inwiefern eine Methode auch wirklich das misst, was sie zu messen vorgibt. Eine valide Methode ist so konstruiert, dass sie alle relevanten Aspekte des zu untersuchenden Phäno‐ mens erfasst. Dabei soll sie ähnliche bis gleiche Ergebnisse wie andere Me‐ thoden erzielen, die ebenfalls ähnliche bis gleiche Merkmale erfassen (kon‐ vergente Validität). Das heißt, zwei unterschiedliche Intelligenztests 116 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 116 <?page no="117"?> sollten vergleichbare Ergebnisse zeitigen. Gleichzeitig sollen die Zusam‐ menhänge mit Methoden, die andere Merkmale untersuchen, nur gering sein (diskriminante Validität). Die Übereinstimmung der Ergebnisse eines In‐ telligenztests mit einem Persönlichkeitstest sollte also eher gering sein. Die Beurteilung der Validität kann auch über den Vergleich mit einem Außen‐ kriterium erfolgen (Kriteriumsvalidität). Man überprüft dann beispiels‐ weise, ob die durch einen Test gemessene Intelligenz mit dem Außenkrite‐ rium Schulnoten oder Berufserfolg korreliert. Transparenz: Dieses Gütekriterium gehört traditionell eher in den Bereich der Qualitativen Sozialforschung, schlägt aber in dieselbe Kerbe wie die Ob‐ jektivität. Die Transparenz verlangt, dass man den gesamten Prozess der Forschung akkurat dokumentiert und auf diese Weise intersubjektiv nachvollziehbar macht. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit meint, dass der Weg, den der Forscher von der Auswahl der Stichprobe und der Erhebung der Daten über die Aufbereitung bis hin zur Interpretation der Daten zurücklegt, möglichst genau dokumentiert wird. Ein Außenstehender, ein Dritter, muss prinzipiell in der Lage sein, alle Schritte des Forschungs‐ prozesses nachzuverfolgen und zu verstehen; vorausgesetzt natürlich er ist Willens, sich die dafür notwendigen Fachkenntnisse und Methodenkennt‐ nisse anzueignen. Die einzelnen Schritte des Forschungsprozesses müssen jedenfalls benannt und argumentiert werden. Dazu gehört die Begründung für die Auswahl der Stichprobe, die Dokumentation der Erhebung und Auf‐ bereitung der Daten sowie die Durchführung der Auswertung (s.a. Abschnitt III.2). Besondere Bedeutung kommt hierbei der Verwendung von regelge‐ leiteten und kodifizierten Methoden zu, die die Interpretationen Schritt für Schritt aus dem Datenmaterial ableiten. Indikation / Adäquatheit: Der Begriff der Indikation stammt aus der Me‐ dizin und thematisiert die Frage, ob eine bestimmte Behandlung für eine bestimmte Erkrankung angebracht ist. Aspirin ist beispielsweise gut gegen Kopfweh, hilft aber nur wenig, wenn man sich eine Oberschenkelknochen‐ fraktur zugezogen hat. Ähnlich ist es in der Forschung. Das gewählte For‐ schungsdesign und die gewählten Forschungsmethoden haben zum For‐ schungsgegenstand und zur Forschungsfrage zu passen. Die Frage lautet also: Which method for which question? Um die Designs und Methoden auszuwählen, die zur Beantwortung Ihrer Forschungsfrage am geeignetsten sind, müssen Sie um die Stärken und Schwächen, die Möglichkeiten und Grenzen bestimmter Designs und Methoden Bescheid wissen. Nur dann 117 7 Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) 117 <?page no="118"?> können Sie aus dem Pool all jener Methoden, die potenziell zur Verfügung stehen, jene wählen, die geeignet sind, um Ihre Forschungsfragen zu beant‐ worten. Um subjektiven Sinn zu erforschen, sind qualitative Methoden bes‐ ser geeignet. Geht es allerdings um bestimmte operationalisierbare Merk‐ male, sind quantitative Methoden indiziert. Reflexivität: Die Gefahr, dass die Subjektivität, insbesondere die persönli‐ chen Vorlieben, Vorurteile und Intentionen des Forschers, die Forschungs‐ ergebnisse in die eine oder andere Richtung verzerren, sind groß. Dieses Problem tritt speziell dann auf, wenn man sich diese Subjektivität nicht be‐ wusst macht und blind darauf vertraut, dass man allein schon objektiv genug ist, wenn man eine wissenschaftliche Methode verwendet. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse völlig unkontrolliert in gewisse Richtungen verzerrt werden, sprunghaft an. Deshalb ist es für eine gute em‐ pirische Forschung auch unabdingbar, die Reflexion der eigenen Subjekti‐ vität, der eigenen methodischen und paradigmatischen Präferenzen, in den Prozess der Forschung einzubeziehen. Folgende Fragen können dabei hilf‐ reich sein: Welche Ergebnisse möchten Sie gerne erhalten und wie sehr wünschen Sie sich das? Welche Methoden mögen Sie gerne und welche mö‐ gen Sie gar nicht und warum ist das so? Welche theoretischen Modelle spre‐ chen Sie an und welche stoßen Sie ab? Wann und wo reagieren Sie irritiert auf Ihren Forschungsgegenstand und fühlen sich unbehaglich? Es geht hier‐ bei also zum einen um die Reflexion des eigenen theoretischen und metho‐ dologischen Standpunkts und zum anderen um die Reflexion der eigenen emotionalen und kognitiven Reaktionen auf den Untersuchungsgegenstand. Triangulation: Der Begriff Triangulation stammt ursprünglich aus der Landvermessung und meint dort die exakte Bestimmung eines Ortes durch die Messung von zwei bekannten Punkten aus. In die Human- und Sozial‐ wissenschaften importiert ist damit die Idee gemeint, sich ein und denselben Forschungsgegenstand von mehreren Seiten anzuschauen. Einerseits ver‐ folgt die Triangulation den Zweck, die Ergebnisse gegenseitig abzusichern, andererseits dient sie dazu, durch die Ergänzung verschiedener Perspektiven eine vollständigere Sicht auf die Dinge zu erlangen. Vier Formen der Trian‐ gulation werden unterschieden (Denzin 1978): 1. Daten-Triangulation: Hierbei werden Daten miteinander kombiniert, die verschiedenen Quellen entspringen. Diese Daten werden zu verschiedenen Zeitpunkten, an ver‐ schiedenen Orten oder bei verschiedenen Personen erhoben. 2. Investiga‐ tor-Triangulation: Damit ist der Einsatz unterschiedlicher Beobachter 118 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 118 <?page no="119"?> oder Interviewer gemeint. Das hat den Sinn, subjektive Einflüsse des Ein‐ zelnen auszugleichen. Das wäre der Fall, wenn man Interviewdaten in einer Gruppe auswerten würde, um die subjektiven Sichtweisen der Einzelnen entweder zu korrigieren oder zu ergänzen. 3. Theorien-Triangulation: Darunter versteht man die Untersuchung des Forschungsgegenstands von verschiedenen theoretischen Perspektiven und Hypothesen aus. Unter‐ schiedliche theoretische Blickwinkel eröffnen oft völlig neue Verständnis‐ horizonte. 4. Methodologische Triangulation: Hierbei handelt es sich wohl um die bedeutendste Form der Triangulation, bei der ein und derselbe Forschungsgegenstand mit unterschiedlichen Methoden untersucht wird. Die beiden Methodentypen können gegenseitig blinde Flecken der jeweils anderen Methoden kompensieren. Diskussion von Limitationen: Es ist auch ein Qualitätsmerkmal empiri‐ scher Forschung, die Grenzen des eigenen Forschungsprojekts benennen und diskutieren zu können. In diesem Kontext ist es auch wichtig, zu erör‐ tern, welchen Weg die zukünftige Forschung einschlagen muss, um diese Begrenzungen zu überwinden. Für gewöhnlich geschieht das im Diskussi‐ onsteil von wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Sie können unter ande‐ rem im Zuge dessen die Frage aufwerfen, welche Aussagen auf der Grund‐ lage Ihrer Stichprobe gemacht werden können und welche nicht. Ist die Stichprobe repräsentativ? Ist es zulässig die Ergebnisse zu generalisieren? Es ist auch ratsam, zu überlegen, wo die Stärken und Schwächen der ange‐ wandten Methoden liegen. Welche Aspekte der Wirklichkeit können mit den eingesetzten Forschungsmethoden untersucht werden und welche nicht? Lohnenswert ist auch die Diskussion von widersprüchlichen Daten, die nicht so recht zu den Endergebnissen zu passen scheinen. Warum fügen sich gewisse Daten Ihrer Studie nicht ins Gesamtbild der Ergebnisse? Eine weitere wichtige Frage im Zuge der Überlegung über die Begrenzungen ei‐ ner Studie lautet, welche Argumente ganz allgemein gegen die Durchfüh‐ rung und die Ergebnisse ins Feld geführt werden könnten und wie sich diese entkräften lassen. In der Rhetorik nennt man diese Strategie Prokatalepsis. Darunter versteht man die Vorwegnahme und Widerlegung von kritischen Einwänden und Alternativdeutungen wissenschaftlicher »Kontrahenten«. Offen gebliebene Punkte, ungelöste Fragen und unauflösbare Widersprüche sollten allerdings einfach offengelegt und nicht verheimlicht werden. 119 7 Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) 119 <?page no="120"?> Mörtl, Kathrin; Lamott, Franziska (2010): Wie wird Veränderung in der Psychotherapieforschung gemessen? Ein Plädoyer für trian‐ gulierende Forschung. Psychotherapie und Sozialwissenschaft 12 (2), 95-102. Steinke, Ines (2015): Gütekriterien qualitativer Forschung. In: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative For‐ schung. Ein Handbuch. 11. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 319-331. Forschungsethik B. Lederer In der Wissenschaft herrschen nicht nur methodische, sondern auch ethische Regeln, denen Sie verpflichtet sind. Bevor, während und auch nach ihrem empirischen Forschungsprojekt müssen Sie sich deshalb wichtiger ethisch-normativer (auf ethische Regeln bezo‐ gene) Grundsätze vergewissern, andernfalls laufen Sie schlimms‐ tenfalls Gefahr, sich strafbar zu machen. Gerade in Zeiten dauerprä‐ senter Medienformate, die durch das regelrechte Ausschlachten menschlicher Emotionen und Bedürfnisse Quote und Umsatz ma‐ chen (man denke an »Big Brother« oder die zahllosen Castingshows) und der damit verbundenen Wertrelativierungen und Gewöhnungen an moralisch Fragwürdiges sind ethische Selbstverpflichtungen auch über den engeren Bereich der Wissenschaft hinaus von beson‐ derer gesellschaftlicher Relevanz. So wie sich Naturwissenschaftler Fragen hinsichtlich der individuellen und gesellschaftlichen Folgen ihres Tuns und Forschens zu stellen haben, müssen auch Sie sich vergewissern, ob z. B. eine geplante Beobachtung oder ein beabsich‐ tigtes Experiment in der von Ihnen gewählten Form ethischen Grundsätzen genügt. Nach Max Weber (1864-1920) sind grundsätz‐ lich zwei Typen von Ethik zu unterscheiden: Zunächst die Gesin‐ nungsethik, die nach Handlungsabsichten und -motiven fragt, also bspw. bestimmte gesellschaftliche oder politische Orientierungen, 120 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 120 Literaturtipp Exkurs <?page no="121"?> die Sie zu einem bestimmten Forschungsthema motivieren und ein bestimmtes Erkenntnisinteresse bedingen. (Max Weber plädierte entschieden für Werturteilsfreiheit und weltanschauliche Neutrali‐ tät als Kernprinzipien des wissenschaftlichen Ethos! ). Die Verant‐ wortungsethik hingegen bezieht sich auf den Aspekt der möglichen Folgen Ihres Handelns, derer Sie sich zu stellen haben. So kann etwa Ihre Gesinnungsethik Sie dazu motivieren, eine ver‐ deckte teilnehmende Beobachtung von Jugendlichen durchzufüh‐ ren, die in einem inszenierten Vorstellungsgespräch unter Druck ge‐ setzt oder sogar erniedrigt werden, um mehr über die Rahmenbedingungen autoritären Bewusstseins in Erfahrung zu bringen, mit der letztendlichen Zielsetzung (und Rechtfertigung), Strategien für die Stärkung von Widerstandspotentialen dagegen zu entwickeln. (Das hier gewählte Beispiel ist an die berühmten Studien zum »au‐ toritären Gehorsam« von Stanley Milgram in den 60er Jahren ange‐ lehnt). Ihre Verantwortungsethik hingegen zwingt Sie, die hierbei zu befürchtenden Persönlichkeitsschäden im Sinne möglicher Trau‐ mata zu berücksichtigen und die Frage zu reflektieren, inwiefern ein mögliches gesellschaftliches Interesse an den Ergebnissen Ihrer For‐ schung, also der letztliche Zweck, womöglich doch die Mittel heiligt, was in vielen Fällen einem gefährlichen Zynismus Vorschub leistet. Über diese ethischen Grundtypen hinaus gelten prinzipiell folgende beiden Rechtsgrundsätze der Forschungsethik: 1 Die informierte Einwilligung: Diesem Grundsatz zufolge gilt prin‐ zipiell, dass die an einer sozialwissenschaftlichen Studie Beteiligten freiwillig teilnehmen. Darüber hinaus erfolgt die Teilnahme auf Grundlage einer weitestmöglichen Information über die anvisierten Ziele und eingesetzten Methoden des Forschungsvorhabens. Im nicht seltenen Falle einer im Interesse des Gelingens zwingend er‐ forderlichen vorüberhegenden nötigen Täuschung der Versuchsteil‐ nehmerinnen, die z. B. in einer bestimmten Situation nicht wissen, dass sie beobachtet werden oder dass eine Situation und die sie be‐ gleitenden Ereignisse inszeniert sind, soll den Beobachteten nach einer anschließenden Aufklärung über Sinn und Zweck der Unter‐ suchung die Möglichkeit eingeräumt werden, die erhobenen Daten zurückzugewinnen. Der hier zugrundeliegende Rechtsgrundsatz ist das Prinzip des Rechts auf »informationelle Selbstbestimmung«, 121 7 Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) 121 <?page no="122"?> d. h. das Recht, über Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen. Entsprechend dürfen solche personenbezogenen Da‐ ten nur mit der Einwilligung der hiervon Betroffenen, die über Sinn und Zweck der Datenerhebung zu informieren sind, erhoben und verwendet werden. Natürlich stellen sich in der Forschungspraxis hierbei viele konkrete Probleme bis hin zu Gewissensnöten. Werden nur Daten von Frei‐ willigen gewonnen, besteht die Gefahr, eine wenig repräsentative Stichprobe zu erhalten, weil bspw. bestimmte Zielgruppen (bzgl. Al‐ ter, Beruf, Geschlecht etc.) mit Blick auf ihre informationelle Selbst‐ bestimmung eine Teilnahme an einer bestimmten (nicht-anonymen) Befragung verweigern. Speziell bei heiklen Forschungsfragen (»ge‐ hen Sie gelegentlich fremd? «) ist mit einer hohen Verweigerungsrate bzw. mit unterschiedlicher Kooperationsbereitschaft (auch hinsicht‐ lich der Bereitschaft, ehrlich zu antworten) unterschiedlicher sozia‐ ler Milieus zu befürchten. Auch die Frage, inwieweit Probanden über Forschungsziele und -methoden sowie mögliche Risiken informiert werden können, ohne die Forschungsergebnisse zu stark zu verzer‐ ren, ist jeweils gründlich abzuwägen. In solchen Fällen sollten Sie versuchen, durch angemessene Kommunikationsformen infor‐ mierte Einwilligung zu realisieren: So könnten Sie etwa strikte An‐ onymisierung garantieren oder der betreffenden Person den Nutzen Ihrer Untersuchung auch für die Person selbst vergegenwärtigen. Auch das gerade in der qualitativen Forschung oft gegebene Ver‐ trauensverhältnis in der Feldforschung (etwa bei teilnehmenden Be‐ obachtungen unter sozial benachteiligten Jugendlichen oder in Sub‐ kulturen) stellt nicht nur eine methodologische (fehlende Distanz), sondern auch eine ethische Problemstellung dar (Spannungsverhält‐ nis zwischen Sympathie und Erkenntnisinteresse). Darüber hinaus ist es in vielen Situationen (etwa teilnehmende Beobachtung »under cover« unter Fußballfans in einer Fankurve) praktisch gar nicht möglich, alle Beobachteten zu informieren. Grundsätzlich bleibt es Ihnen in solchen und ähnlichen Fällen nicht erspart, stets eine mög‐ lichst umfassende Güterabwägung dahingehend vorzunehmen, ob das Forschungsinteresse und die Art seiner Realisierung höher wiegt als die grundsätzlich anzustrebende umfassende Informierung der Untersuchungssubjekte. 122 III Erste Schritte: Die Planung eines Forschungsprojekts (GP, BL) 122 <?page no="123"?> 2 Das Prinzip des Schutzes der Untersuchungssubjekte vor Schädigun‐ gen: Nach diesem selbstverständlichen Grundsatz dürfen Personen durch Ihre Forschung keinerlei Nachteilen oder Gefahren ausgesetzt werden. In den meisten Fällen besteht weniger die Gefahr physischer Schäden als vielmehr solcher psychischer und seelischer Art, die in‐ des genauso schwerwiegend, wenn nicht folgeschwerer sind als kör‐ perliche Gefährdungen. Bei bestimmten Befragungen (etwa mit Ge‐ waltopfern) besteht etwa die reale Gefahr des Aufbrechens von Traumata. Das Prinzip der Vermeidung von Schäden aller Art gilt sowohl für das Forschungsprojekt selbst als auch für mögliche (und deshalb vorab abzuschätzende) Folgen einer erst nachträglichen Ver‐ letzung von Anonymitäts- und Diskretionszusagen und nicht zuletzt auch noch für Folgen der späteren Veröffentlichung der Forschungs‐ ergebnisse in Wort, Schrift und Bild, Wissen und Gewissen. 123 7 Es ist nicht alles Gold, was glänzt - Über Gütekriterien empirischer Forschung (GP) 123 <?page no="125"?> Dieses Kapitel ist der Erhebung und Aufbereitung von Daten gewid‐ met. Im ersten Abschnitt erhalten Sie einen Überblick über die wich‐ tigsten Erhebungsmethoden in der qualitativen Forschung. Dieser startet mit einer Vorstellung der bekanntesten Interviewformen. Anschließend werden die qualitativen Erhebungsmethoden der teil‐ nehmenden Beobachtung und der Gruppendiskussion erläutert. Im zweiten Abschnitt werden Ihnen ausgehend von einer kurzen Wie‐ derholung der wichtigsten Merkmale quantitativer Forschung die wichtigsten beiden Erhebungsmethoden quantitativer Sozialwissen‐ schaft detaillierter vorgestellt: die Beobachtung und die Befragung. Im dritten Abschnitt erfahren Sie, wie man erhobene Daten aufbe‐ reitet, um sie anschließend auswerten zu können. Sie lernen, wieso die Aufbereitung von Daten wichtig ist und was Sie dabei beachten müssen. Das Kapitel schließt mit einem eigenen Abschnitt über wichtige medienbezogene Aspekte und deren Bedeutung im For‐ schungszusammenhang. IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) G. Poscheschnik, B. Lederer, A. Perzy, T. Hug 1. Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 2. Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 3. Aufbereitungsmethoden (AP) 4. Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) <?page no="127"?> 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) In der qualitativen Forschung können unterschiedliche Erhebungsmethoden zum Einsatz kommen. Die drei wichtigsten Arten der Datenerhebung in der qualitativen Forschung sind das Interview, die Gruppendiskussion und die teilnehmende Beobachtung. Das qualitative Interview Interview Ein Interview ist eine besondere Form des Gesprächs, das von der Forscherin mit einer zu beforschenden Person geführt wird. Inter‐ views dienen der wissenschaftlichen Datenerhebung. Im Gegensatz zu einem Alltagsgespräch, bei dem man nur zu leicht vom hunderts‐ ten ins tausendste kommt, sind Interviews systematischer und krei‐ sen stärker um ein bestimmtes, von der Forschungsfrage definiertes Thema. Qualitative Interviews lassen sich hinsichtlich der Strukturiertheit bzw. Unstrukturiertheit der Fragen und der Offenheit bzw. Geschlossenheit der Antwortmöglichkeiten untergliedern. Bei vollkommen strukturierten Inter‐ views sind alle Fragen genau vorgegeben. Abweichungen sind nicht vorge‐ sehen. Das Gegenstück dazu ist ein völlig offenes, unstrukturiertes Ge‐ spräch, das keinen bestimmten Fokus verfolgt und sich ohne bestimmtes Ziel von einem Thema zum nächsten schlängelt. In der qualitativen Forschung schlägt man meist einen Mittelweg ein. Hier sind halbbzw. teilstrukturierte Interviews typisch, bei denen ein Inter‐ viewleitfaden entwickelt wird, der dem Gespräch als roter Faden dient. Dieser Interviewleitfaden enthält jene Fragen, die nötig sind, um all die Themen zur Sprache zu bringen, die für die Forschungsfrage von Relevanz sind. Meist behält man sich bei qualitativen Leitfadeninterviews die Mög‐ lichkeit vor, nachzufragen, wenn die Interviewerin das Gefühl hat, dass die Interviewte noch nicht genug Informationen zu einer Frage preisgegeben 127 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 127 Definition <?page no="128"?> hat. Es ist also zwar ein Katalog von Fragen vorgegeben, dieser kann aber bei Bedarf auch verlassen werden, um beispielsweise ein besonders inter‐ essantes Thema zu vertiefen. Während sich der Grad der Strukturiertheit auf die Freiheit des Inter‐ viewers bezieht, richtet sich das Ausmaß der Offenheit bzw. Geschlos‐ senheit eines Interviews auf die Freiheit des Interviewten. Bei einem völlig geschlossenen Interview sind alle Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Eine solche Form des Interviews wird in der qualitativen Forschung eigentlich nicht verwendet. Hier sind nämlich eher offene Interviews angezeigt, bei denen den Interviewten die Möglichkeit eröffnet wird, ihre Subjektivität zu entfalten und die gestellten Fragen möglichst frei und ungehindert zu be‐ antworten. Die wichtigsten Interviewtypen in der qualitativen Forschung sind das narrative Interview, das episodische Interview, das problemzentrierte Inter‐ view, das fokussierte Interview, das Tiefeninterview, das halbstandardisierte Interview und das Experteninterview (s.a. Flick 2004; Lamnek 2010; Mayring 2002). Diese sind freilich nur als Prototypen zu verstehen, die sich in Rein‐ kultur fast nirgends finden. Sie können modifiziert oder miteinander kom‐ biniert werden, um sich bestmöglich an die jeweilige Forschungsfrage an‐ zuschmiegen. Wenn Fragetypen aus diesen und jenen Interviewformen miteinander verbunden werden, spricht man gelegentlich auch von einem Konstrukt-Interview. Die wichtigsten Interviewformen in der qualitativen Forschung Narratives Interview: Offene, unstrukturierte Befragung für die Er‐ hebung von biographischen Erzählungen. Episodisches Interview: Offene, teilstrukturierte Befragung für die Erhebung von biographischen Erzählungen und von Regelwissen. Problemzentriertes Interview: Offene, teilstrukturierte Befragung für die Erhebung subjektiver Einstellungen in Bezug auf ein gesell‐ schaftliches Problem. Fokussiertes Interview: Offene, mehr strukturierte Befragung für die Erhebung subjektiver Sichtweisen in Bezug auf einen bestimmten Stimulus. 128 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 128 Überblick <?page no="129"?> Halbstandardisiertes Interview: Offene, teilstrukturierte Befragung für die Erhebung subjektiver Theorien über den Forschungsgegen‐ stand. Experteninterview: Befragung von Personen, die sich durch eine be‐ sondere Expertise über den Forschungsgegenstand auszeichnen. Tiefeninterview: Offene, nur wenig strukturierte Befragung zur Auf‐ deckung unbewusster Strukturen. Narratives Interview: Beim narrativen Interview handelt es sich um einen nur sehr wenig strukturierten und offenen Interviewtypus (Schütze 1983). Der Interviewpartner wird dabei nicht mit bestimmten standardisierten Fra‐ gen konfrontiert, sondern animiert, möglichst frei zu erzählen. Entweder wird der Interviewte aufgefordert über sein gesamtes Leben zu erzählen oder eine Geschichte zu einem bestimmten Thema aus seinem Leben zu erzählen. Die Eingangsfrage ist dabei möglichst breit formuliert und könnte beispiels‐ weise lauten: »Erzählen Sie mir bitte alles über die Geschichte Ihres Lebens. Beginnen Sie am besten mit der Geburt und der Zeit als Sie ein ganz kleines Kind waren und erzählen Sie dann alles was sich von da an im Laufe Ihres Lebens so ereignet hat. Sie können sich ruhig Zeit nehmen, auch für Details. Mich interessiert alles, was Ihnen wichtig ist«. Die Interviewerin soll den Fluss der Erzählung nicht durch Zwischenfragen beeinträchtigen und le‐ diglich am Laufen halten, indem sie wiederholt Interesse bekundet. Am Ende des Interviews können jene Bereiche, die in der Haupterzählung nur ge‐ streift wurden, durch vertiefende Fragen exploriert werden. So eine Frage könnte lauten: »Sie haben erwähnt, dass Sie in Ihrer Jugend Mitglied einer Gang waren. Können Sie mir mehr davon erzählen? «. Das narrative Inter‐ view könnte man auch biographisches Interview nennen, weil es auf die Erhebung autobiographischer Informationen abzielt. Problemzentriertes Interview: Eine weitere Interviewform ist das prob‐ lemzentrierte Interview (Witzel 2000). Das problemzentrierte Interview ist etwas stärker strukturiert als das narrative Interview. Bei dieser Interview‐ form dreht sich der Leitfaden um biographische Fragen zu einer relevanten gesellschaftlichen Problemstellung, ansonsten lässt man den Interviewten aber möglichst ungehindert zu Wort kommen. Um den Leitfaden zu kon‐ struieren, ist es nötig, sich bereits vorab mit der Thematik auseinanderge‐ 129 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 129 <?page no="130"?> setzt zu haben. Man beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Literatur und leitet daraus seine Fragen ab. Das Ergebnis ist ein Interviewleitfaden, der die Aufmerksamkeit der Probandinnen auf bestimmte Thematiken lenkt, über die sie dann offen erzählen können. Im Rahmen von problemzentrierten Interviews kommen allgemeine Fragen zum Gesprächseinstieg sowie di‐ verse Sondierungen zum Einsatz. Ein Gesprächseinstieg in einer Untersu‐ chung über Studienwahlmotive könnte lauten: »Sie haben sich fürs Studium der Medizin entschieden. Wie sind Sie darauf gekommen? Erzählen Sie doch einfach mal! « Sondierungen erfolgen durch gezieltes Nachfragen, wie z. B. »Wie genau war denn das damals? « Flankiert wird das problemzentrierte Interview häufig von einem Kurzfragebogen, mit dem alle wichtigen sozio‐ demographischen Daten erhoben werden. Dadurch erspart man sich das Abfragen dieses Bereichs im Interview und kann den Leitfaden reduzieren. In einem Postscriptum soll der Interviewer im Anschluss ans Interview alle wichtigen Eindrücke über die Person des Interviewten und die Interviewsi‐ tuation festhalten, um Kontextinformationen zu konservieren, die für die spätere Auswertung relevant werden könnten. Fokussiertes Interview: In eine ähnliche Richtung geht das fokussierte Interview, das ursprünglich für die Medienforschung entwickelt wurde (Merton / Kendall 1945). Nach der Präsentation eines bestimmten Reizes, beispielsweise eines Films oder einer Radiosendung, wird mithilfe eines In‐ terviewleitfadens dessen Wirkung auf die Probanden erfasst. Um den vor‐ gegebenen Reiz an sich mit dessen Wirkung aufs Publikum vergleichen zu können, wird dieser zuvor einer Inhaltsanalyse unterzogen. Der Leitfaden sollte alle für die Forschungsfrage wichtigen Aspekte thematisieren. Er ent‐ hält unspezifischere Fragen, die sich ganz allgemein auf die Wirkung des Stimulus beziehen (z. B. Was ist Ihnen an dem Film, den Sie eben gesehen haben, besonders aufgefallen? ). Zudem gibt es noch spezifischere Fragen, die sich auf bestimmte Elemente des Stimulus beziehen (z. B. Was empfanden Sie bei den Szenen des Films, in denen Neo realisiert, dass die Wirklichkeit nicht so ist, wie sie ihm erschien? ). Da beim fokussierten Interview eine gewisse Tiefgründigkeit erwünscht ist, wie der Proband das Reizmaterial erlebt hat, sind vertiefende Nachfragen möglich. Halbstandardisiertes Interview: Das so genannte halbstandardisierte In‐ terview ist eine weitere Form des Leitfadeninterviews und dient speziell der Rekonstruktion subjektiver Theorien (Scheele / Groeben 1988). Unter sub‐ jektiven Theorien versteht man die persönlichen Annahmen und den Wis‐ 130 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 130 <?page no="131"?> sensbestand eines Interviewten über einen bestimmten Gegenstand. Diese Annahmen sind entweder direkt verfügbar und können auf entsprechende Fragen geäußert werden, oder aber sie sind mehr implizit, können aber durch spezielle Frage- und Auswertungstechniken ans Licht gehoben werden. Er‐ gänzt wird das eigentliche Interview durch einen zweiten Termin, in dem die Aussagen des ersten Interviews gemeinsam mit dem Interviewten struk‐ turiert und geordnet werden. Im Zuge dieser so genannten »Struk‐ tur-Lege-Technik«, bei der die einzelnen Aussagen auf Kärtchen festgehal‐ ten und mit dem Interviewten in eine logische Ordnung gebracht werden, kommt es zu einer kommunikativen Validierung der Ergebnisse. Damit ist gemeint, dass hierbei die Zustimmung des Interviewten zu den Ergebnissen eingeholt wird. Er hat die Möglichkeit, die Aussagen nun umzuformulieren oder auch herauszunehmen. Im Rahmen des halbstandardisierten Interviews kommen offene Fragen, theoriegeleitete Fragen und Konfrontationsfragen zum Einsatz. Eine offene Frage zielt auf das direkt verfügbare Wissen der Interviewten über den Gegenstand der Untersuchung ab (z.B.: Warum er‐ kranken Ihrer Meinung nach Menschen überhaupt an Multipler Sklerose? ). Die theorie- oder hypothesengeleitete Frage erhebt die Einstellung zu be‐ stimmten Überlegungen, die der wissenschaftlichen Literatur entnommen wurden (z.B.: Glauben Sie, dass Multiple Sklerose durch den Einfluss von Umweltgiften entstehen kann oder halten Sie diese Idee für eher abwegig? ). Sinn und Zweck von Konfrontationsfragen ist es, die subjektiven Theorien des Interviewten mit alternativen Annahmen kritisch zu hinterfragen (z.B.: Sie haben gesagt, mit MS ist ein normales Leben unmöglich. Es gibt aller‐ dings auch Berichte von Patienten, die zwischen den Krankheitsschüben ein sehr glückliches und zufriedenes Leben führen. Was meinen Sie dazu? ). Episodisches Interview: Das episodische Interview geht davon aus, dass der Wissensbestand einer Person zu einem bestimmten Thema in zwei For‐ men vorliegen kann (Flick 1996). Zum einen sind die Erfahrungen der Sub‐ jekte in narrativ-episodischer Form gespeichert; das sind Erinnerungen an konkrete Situationen, die erzählt werden können. Zum anderen kann Wis‐ sen auch in semantischer Form vorliegen; damit sind abstrakte und verall‐ gemeinerte Annahmen gemeint. Um diese Wissensformen bei der Befragten anzuzapfen, werden diese immer wieder zum Erzählen von bestimmten Si‐ tuationen aufgefordert (z.B.: Wenn Sie sich einmal zurückerinnern, was war Ihre erste Begegnung mit dem Fernsehen? Können Sie mir die entsprechende Situation erzählen? ). Daneben wird aber auch nach allgemeineren, abstrak‐ 131 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 131 <?page no="132"?> teren Zusammenhängen gefragt, um den semantisch organisierten Wis‐ sensfundus zur Sprache zu bringen (z.B.: Was verbinden Sie mit dem Wort »Fernsehen«? Welche Bedeutung hat das für Sie? ). Experteninterview: Das Experteninterview definiert sich in erster Linie durch den Status, der der Interviewten zugeschrieben wird. Beim Experten‐ interview wird eine Person befragt, die über eine Expertise auf einem be‐ stimmten Gebiet verfügt. Sie wählen also Probandinnen, von denen Sie an‐ nehmen dürfen, dass diese über ein besonderes Wissensreservoir über das Gebiet Ihres Forschungsinteresses verfügen. Das Interesse des Forschers besteht nur am Experten bzw. der Expertise der Person, nicht aber an der Person selbst. Wenn Sie die Managementkultur einer großen Firma unter‐ suchen wollen, dann wären Manager die Experten (z.B.: Was hat ein Mana‐ ger zu tun, wenn Probleme mit Mitarbeitern im Betrieb auftauchen? ). Wenn Sie die Andersheit männlicher Kindergartenpädagogen im Vergleich zu weiblichen Kindergartenpädagoginnen untersuchen wollen, könnten Sie z. B. deren weibliche Kolleginnen interviewen und diese als »Expertinnen« betrachten (z.B.: Was denken Sie, wo liegen die wichtigsten Unterschiede zwischen weiblichen Pädagoginnen und ihren männlichen Kollegen im Um‐ gang mit kleinen Kindern? ). Tiefeninterview: Das Tiefeninterview ist ein Interviewverfahren, das von der Psychoanalyse inspiriert ist (s. Lamnek 2010; Banaka 1971). Insofern ist es eine wichtige Erhebungsmethode für Auswertungen mit der Psychoana‐ lytischen Textinterpretation (s. Kapitel V.1). Es handelt sich um ein nur sehr wenig strukturiertes, offenes Interview, das angewandt wird, um verbor‐ gene, normalerweise nur schwer zu erfassende, unbewusste Motive und Einstellungen der interviewten Personen zu Tage zu fördern. Das Tiefenin‐ terview folgt somit dem Prinzip der freien Assoziation. Das heißt, dem In‐ terviewten wird der Raum gelassen, seine Subjektivität möglichst ungehin‐ dert zu entfalten und alles zur Sprache zu bringen, was er für erzählenswert hält. Zur Aufdeckung unbewusster Einstellungen kommen im Tiefeninter‐ view unterschiedliche Frageformen zum Einsatz. Darunter befinden sich allgemeine erzählgenerierende Fragen, welche die als relevant definierten Themen anschneiden (z. B. Erzählen Sie mir doch einfach mal, was Ihnen so zu Ihrer Kindheit einfällt). Spricht die Interviewte Gebiete an, die nicht im Interviewleitfaden enthalten sind, aber vielversprechend erscheinen, be‐ steht die Möglichkeit zu vertiefenden Fragen (z. B. Sie haben gesagt, mit Ihrem Bruder hatten Sie es nicht immer so leicht. Wie meinen Sie das? ). 132 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 132 <?page no="133"?> Zusätzlich können spezielle Fragetechniken, wie beispielsweise Assoziati‐ onsfragen oder projektive Fragen zum Einsatz kommen. Eine Assoziations‐ frage ist eine Aufforderung des Interviewers, alles zu erzählen, was einem zu einem bestimmten Stimulus-Wort einfällt (z. B. Was fällt Ihnen spontan zum Begriff Weiblichkeit ein? ). Eine projektive Frage bezieht sich auf einen visuellen Reiz, der zu den besprochenen Inhalten passt und vom Interviewer ins Gespräch eingebracht wird (z. B. Was denken Sie über dieses Werbein‐ serat aus einer regionalen Tageszeitung? ). Werkzeugkiste zur Konstruktion von Interviewleitfäden Erzählgenerierende Fragen: Erzählgenerierende Fragen sind offen formulierte Fragen, die auf Wissen abzielen, das in Form von Episo‐ den vorliegt und narrativ berichtet werden kann. Solche Fragen können sich auf die gesamte Biographie (Lebensgeschichte), be‐ stimmte biographische Abschnitte (z. B. Kindheit, Jugend, Erwach‐ senenalter, letzte Woche etc.) oder bestimmte biographische Kon‐ texte (z. B. Schule, Ehe, Beziehung zu Eltern etc.) richten. Beispielfrage: »Könnten Sie mir die Geschichte Ihrer Volksschulzeit erzählen? Welche Erfahrungen haben Sie mit Lehrern und Mitschü‐ lern gemacht? Erzählen Sie doch bitte einfach alles, was Ihnen wich‐ tig erscheint! « Abstraktionsgenerierende Fragen: Abstraktionsgenerierende Fragen sind offen zu stellen und zielen auf Wissen ab, das in semantisch allgemeiner abstrakter Form vorliegt. Solche Fragen beziehen sich auf die Bedeutung von Begriffen oder Konzepten für die interviewte Person. Beispielfrage: »Was verbinden Sie persönlich mit dem Be‐ griff ›Tod‹? Welche Bedeutung hat der Tod für Sie? « Problemzentrierte Fragen: Problemzentrierte Fragen sollen - wie alle Fragen qualitativer Interviews - möglichst offen gestellt werden. Im Unterschied zu den ersten beiden Fragetypen geht es jetzt allerdings weniger um subjektive Erfahrungen und Theorien über Themen, die unmittelbar das eigenen Leben des Interviewten betreffen, sondern um gesellschaftliche oder institutionelle Themen und Problemfelder und deren Einfluss auf bzw. Zusammenhang mit dem eigenen Leben. 133 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 133 Überblick <?page no="134"?> Beispielfrage: »Was denken Sie über Soziale Medien? Welche Rolle spielen sie in Ihrem Leben? Was denken Sie, welche gesellschaftliche Bedeutung sie haben? « Reaktionsfragen: Reaktionsfragen richten sich auf die subjektiven Eindrücke, die ein bestimmter Stimulus in der interviewten Person geweckt hat. Bei diesem Stimulus kann es sich um einen Film, einen Text, ein Bild oder ähnliches handeln. Beispielfrage: »Welche Ein‐ drücke hat Paul Celans Gedicht ›Todesfuge‹ in Ihnen beim Lesen geweckt? « Konfrontationsfragen: Konfrontationsfragen sind Fragen, die die be‐ stehenden Annahmen des Interviewten gezielt herausfordern, in‐ dem sie eine Stellungnahme zu Ansichten einfordern, die der bisher artikulierten Sichtweise des Interviewten zuwiderlaufen. Konfron‐ tationsfragen müssen taktvoll und mit Respekt geäußert werden und dürfen keinesfalls vorwurfsvoll klingen. Beispielfrage: »Sie haben erwähnt, dass Sie als Manager in Ihrem Unternehmen von den Mit‐ arbeitern sehr geschätzt werden. Trotzdem hört man immer wieder, dass Manager den Unmut ihrer Belegschaft auf sich ziehen und dafür auch mediale Schelte ernten. Wie erklären Sie sich das? « Assoziationsfragen: Assoziationsfragen sind Aufforderungen des In‐ terviewers an den Interviewten, alles zu sagen, was diesem spontan zu einem bestimmten Stimuluswort einfällt. Dieser Fragentypus ist von der psychoanalytischen Grundregel der freien Assoziation ab‐ geleitet, alles zu sagen, was einem in den Sinn kommt, selbst dann, wenn es einem belanglos oder peinlich erscheint. Beispielfrage: »Sprechen Sie bitte alles aus, was Ihnen spontan zum Begriff ›Angst‹ einfällt! « Theorie-/ Hypothesengeleitete Fragen: Theoriebzw. hypothesengelei‐ tete Fragen lassen sich mehr oder weniger gut in jede der bereits erwähnten Frageformen packen. Gemeint ist damit nur, dass die in‐ haltliche Ausrichtung der Frage aus der wissenschaftlichen Literatur abgeleitet wird. Gefragt wird dabei nach subjektiven Einstellungen zu bereits existierenden wissenschaftlichen Theorien. Beispielfrage: »In der wissenschaftlichen Literatur werden sowohl Neurotrans‐ mitterentgleisungen im Gehirn als auch negative Kognitionen und emotionale Konflikte für die Entstehung einer Depression verant‐ 134 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 134 <?page no="135"?> wortlich gemacht. Wie sehen Sie als depressiver Patient diese Er‐ klärungsansätze? « Vertiefende Fragen: Vertiefende Fragen können alle bisher genannten Fragetypen ergänzen und definieren sich dadurch, dass der Inter‐ viewte gebeten wird, zusätzliche Informationen und Details zu ei‐ nem noch offen gebliebenen oder ungenügend besprochenen The‐ men preiszugeben. Solche Vertiefungsfragen können sich spontan im Interviewverlauf ergeben oder notiert und später gestellt werden, um den Fluss der Erzählung nicht zu unterbrechen. Beispielfrage: »Erzählen Sie doch mehr über Ihr Verhältnis zu Ihrem Bruder! Sie haben erwähnt, die Beziehung zu ihm war nicht immer glücklich. Was bedeutet das genau? « Interview ≠ Interview - Über Interviewführung und die Qualität qualitativer Daten Jenseits der Interviewtypologie und der Technik der Leitfadenentwicklung liegt die hohe Kunst der Interviewführung. Diese ist mindestens ebenso wichtig für die Qualität der Resultate wie die Wahl der Erhebungsmethode an sich. Interview ist nicht gleich Interview. Wenn Sie Suggestivfragen stel‐ len und Ihren Interviewpartnern jedes Wort in den Mund legen, ist das zwar eine tolle Bestätigung Ihrer Vorannahmen, der wissenschaftliche Wert sol‐ cher Erhebungen geht aber gegen null. Und wenn Sie jede Antwort, die nur im Geringsten vom Thema abweicht, abwürgen, wird sich Ihr Interview‐ partner alles andere als respektiert fühlen und auch nicht offen erzählen. Fehlt es Ihnen umgekehrt aber an der Fähigkeit, das Interview zu steuern, kann es leicht sein, dass Ihr Gesprächspartner vom hundertsten ins tau‐ sendste kommt und Sie alles Mögliche erfahren, nur eben das nicht, was Sie wissen wollen. Insofern ist es wichtig, bei der Interviewführung eine Reihe von Punkten einzuhalten, deren Befolgung erst die Qualität qualitativer Da‐ ten garantiert. Die Interviewführung erfordert ebenso wie die Datenaus‐ wertung eine gewisse Übung. Das Fingerspitzengefühl kommt erst mit der Zeit. Trotzdem gibt es eine Reihe von Daumenregeln, deren Beachtung empfehlenswert ist. 135 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 135 <?page no="136"?> Sechzehn goldene Regeln der Interviewführung 1. Technik beherrschen: Machen Sie sich mit der Technik vertraut, bevor Sie mit dem Interview beginnen. Studieren Sie die Be‐ dienungsanleitung des Aufzeichnungsgeräts und überprüfen Sie, ob alles funktioniert. Erstens wirkt es peinlich, wenn sie vor dem Start verzweifelt und ahnungslos auf den Knöpfen herumdrücken, und zweitens sollten Sie sich sicher sein kön‐ nen, dass nach dem Interview alles im Kasten ist und Sie nicht nur weißes Rauschen aufgezeichnet haben. 2. Ungestörtheit schaffen: Achten Sie auf eine entspannte und un‐ gestörte Atmosphäre bei der Durchführung des Interviews. Ein Gasthaus mit lauter Musik beispielsweise wird die Aufnahme stören. Räume, in denen ständig Leute ein- und ausgehen, werden den Interviewfluss immer wieder unterbrechen. Stö‐ rungen sind kontraproduktiv für ein gutes Interview und soll‐ ten ausgeschaltet werden. 3. Vertrauen aufbauen: Wichtig bei Interviews ist es, eine Ver‐ trauensbasis aufzubauen, damit der Interviewte auch wirklich erzählt, was ihn bewegt. Dazu müssen Sie ernsthaftes Interesse am Befragten und seinen Antworten vermitteln. Der Befragte darf sich weder ausgehorcht noch kritisiert fühlen. Bemühen Sie sich, die Erzählungen Ihres Interviewpartners zu akzeptie‐ ren, selbst dann, wenn sie Ihrem eigenen Weltbild zuwider‐ laufen. 4. Verständlichkeit beachten: Es geht nicht nur darum, dass Sie die Interviewten verstehen, sondern auch darum, dass die Inter‐ viewten Sie verstehen. Das heißt, Ihre Fragen müssen so for‐ muliert sein, dass die Probandinnen verstehen, was gemeint ist und worauf die Frage abzielt. Sie sollten Fachausdrücke eher vermeiden, es sei denn es handelt sich bei den Interviewten um Leute vom Fach. Die eigene Sprache muss an die Sprache der Interviewten angepasst werden 5. Gespräch steuern: Als Interviewer müssen Sie das Gespräch auf jene Bereiche lenken, die für Ihre Fragestellung relevant sind, ohne allerdings den Interviewten die Antworten in den Mund zu legen, die Sie gerne hören würden. Vermeiden Sie also Sug‐ 136 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 136 Überblick <?page no="137"?> gestivfragen. Wenn jemand abschweift, führen Sie ihn behut‐ sam zum Thema zurück. 6. Geduld haben: Haben Sie Geduld im Abwarten von Antworten. Ein Interview ist kein Alltagsgespräch. Wenn Pausen entste‐ hen, bemühen Sie sich, diese auszuhalten und nicht gleich mit der nächsten Frage vorzupreschen oder das Schweigen mit persönlichen Anekdoten zu überbrücken. Bleiben Sie zurück‐ haltend und lassen Sie der Interviewten Zeit zum Antworten. Wenn Ihnen jemand allerdings generell eine Antwort verwei‐ gert, respektieren Sie das; ein Interview ist kein Verhör. 7. Flexibel bleiben: Bleiben Sie flexibel in der Interviewführung. Wenn etwas Ihre Aufmerksamkeit oder Ihr Interesse weckt, lassen Sie sich die Möglichkeit offen, nachzufragen, auch wenn das Thema oder die Frage im Interviewleitfaden noch nicht berücksichtigt wurde. Sonst laufen Sie Gefahr, Opfer Ihrer ei‐ genen Leitfadenbürokratie zu werden und wichtige Aspekte zu übersehen. 8. Zustimmung erbitten: Bevor Sie mit dem Interview loslegen können, sollten Sie die Erlaubnis zur Aufzeichnung des Ge‐ sprächs von der Interviewten einholen und ihr völlige Anony‐ mität zusichern. 9. Einstiegsfrage finden: Bedenken Sie, dass Sie in den meisten Fällen - abgesehen von einem kurzen telefonischen oder schriftlichen Kontakt im Vorfeld des Interviews zur Termin‐ vereinbarung - für die interviewte Person ein Fremder sind. Finden Sie deshalb eine so genannte Einstiegsfrage (auch Warm-up- oder Aufwärmfrage genannt), die nicht zu persön‐ lich oder intim ist, trotzdem aber schon behutsam zum Thema des Gesprächs hinlenkt. Die Einstiegsfrage soll den Anfang erleichtern. 10. Fragen formulieren: Um passende Fragen für Ihren Interview‐ leitfaden zu formulieren, ist es geschickt, wenn Sie sich selbst fragen, wonach Sie wie fragen müssen, um Antworten zu er‐ halten, deren Auswertung letztlich eine Beantwortung Ihrer leitenden Forschungsfrage(n) ermöglicht. Ihre Fragen sollen zielgerichtet sein, sprich darauf abzielen, die von Ihnen ge‐ suchten Informationen zu ermitteln. 137 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 137 <?page no="138"?> 11. Offene Fragen stellen: Versuchen Sie Ihre Fragen generell mög‐ lichst so zu formulieren, dass Sie dem Interviewten keine Ant‐ worten in den Mund legen, und er die Gelegenheit erhält, möglichst frei zu erzählen. Geben Sie die Chance, dass der In‐ terviewte selbst eine Antwort findet. Sonst finden Sie nur Ihre selbstversteckten Ostereier und produzieren Daten, die wis‐ senschaftlich wertlos sind. Wenn Sie etwas nicht verstehen oder genauer wissen möchten, fragen Sie nach, und lassen Sie sich mehr erzählen. Nehmen Sie sich und Ihre Privatmeinun‐ gen aber zurück, ein Interview ist kein Kaffeekränzchen. 12. Reihenfolge finden: Eine Leitfadenbürokratie im Sinne eines strikten Abhandelns einer Frage nach der anderen ist dem Ge‐ sprächsklima nicht gerade förderlich. Trotzdem empfiehlt es sich, eine sinnvolle Reihenfolge der Fragen zu finden, um nicht völlig willkürlich von einem Thema zum anderen zu springen. 13. Interview beenden: Zum Abschluss eines Interviews können Sie noch die Frage in den Raum stellen, ob etwas Wichtiges ver‐ gessen wurde. Sie können den Interviewten darauf hinweisen, wo er sich über Ergebnisse Ihrer Studie informieren können wird. Auf alle Fälle sollten Sie sich für das Gespräch bedanken! 14. Interviewleitfaden ausprobieren: Ein Probedurchgang Ihres In‐ terviewleitfadens - als »Opfer« bietet sich z. B. eine kritische Freundin an - wird Ihnen helfen, Schwachstellen zu eruieren, unverständliche oder mehrdeutige Fragen aufzuspüren und eine unlogische Abfolge der Fragen zu entdecken. Aufgrund dieser Ergebnisse können Sie Ihren Interviewleitfaden modi‐ fizieren! Bevor Sie dann mit den eigentlichen Interviews los‐ legen, sollten Sie sich intensiv mit Ihrem Leitfaden beschäfti‐ gen, ihn möglichst auswendig lernen, um nicht hölzern und emotionslos Fragen von einem Stück Papier abzulesen, denn das würde den emotionalen Rapport empfindlich beeinträch‐ tigen. 15. Kurzfragebogen erwägen: Wenn Sie auch objektive Daten, wie z. B. soziodemographische Variablen für Ihre Studie erheben müssen, können Sie diese auch in einen Kurzfragebogen aus‐ lagern. Ein solcher kann den Interviewleitfaden und damit den Interviewten vor einer wahren Fragenflut schützen. Sie kön‐ 138 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 138 <?page no="139"?> nen den Kurzfragebogen vor oder nach dem Interview ausfül‐ len lassen. 16. Reflexion schreiben: Unmittelbar nach dem Interview können Sie eine kurze Reflexion zu Papier bringen, um von Ihnen als wichtig erachtete Beobachtungen objektiver oder subjektiver Natur zu fixieren. Diese Notizen über beispielsweise die Dy‐ namik der sozialen Interaktion während des Interviews, be‐ sondere Vorkommnisse, Eindrücke über die interviewte Per‐ son usw. können die spätere Aufbereitung und Auswertung der Interviewdaten erleichtern und ergänzen. Gruppendiskussionen und Fokusgruppen Die Gruppendiskussion bzw. Fokusgruppe ist ein Gespräch von mehreren Personen über ein bestimmtes Thema, das von einem For‐ scher moderiert wird (Flick 2004; Lamnek 2010; Mayring 2002). Auch hier kann man - ähnlich wie bei Interviews - stärker strukturiert oder mehr offen vorgehen. Gruppendiskussionen sind immer dann geeignet, wenn man nicht nur an der Meinung und dem subjektiven Erleben eines Einzelnen interessiert ist, sondern etwas über den so‐ zialen Aushandlungscharakter von Meinungen erfahren möchte. Gruppendiskussionen sind ideal, um das Wechselspiel unterschied‐ licher Meinungen zu untersuchen. Zudem eignen sie sich zur Ex‐ ploration eines bisher nur wenig untersuchten Forschungsgegen‐ stands. Viele subjektive Sinnstrukturen sind so stark in soziale Kontexte eingebettet, dass sie überhaupt erst in Gruppendiskussionen zum Vorschein kommen. Einzelinterviews über antisemitische Vorurteile werden wahrscheinlich nur wenig ergiebig sein, lässt man jedoch eine Gruppe von Menschen diskutie‐ ren, kann es leicht vorkommen, dass sich das Gespräch hochschaukelt und Attitüden offenbar werden, die vom Einzelnen noch leicht hinter einer Fas‐ 139 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 139 Definition <?page no="140"?> sade von Rationalität und Besonnenheit verborgen werden konnten. Grup‐ pendiskussionen erschaffen ein alltagsnahes Diskussionsklima, das es Ihnen erlaubt, zu beobachten, wie Meinungen gebildet, verändert, unterdrückt und durchgesetzt werden. Die Gruppendiskussion ist vor allem geeignet, um kollektive Einstellungen, öffentliche Meinungen, Ideologien und Vorurteile zu explorieren. Nicht die Person an sich ist hierbei die Datenquelle, sondern die Diskussion über ein bestimmtes Thema. Gruppendiskussionen und Fokusgruppen erweisen sich in der empiri‐ schen Forschung aber auch dann als nützlich, wenn es darum geht, sich im Forschungsfeld zu orientieren und erste Hypothesen zu gewinnen. Mithilfe von Gruppendiskussionen lassen sich nämlich Meinungen und Ansichten zu einem bestimmten Forschungsgegenstand sammeln. Diese können dann auch für die Entwicklung von Interviewleitfäden und Fragebögen herange‐ zogen werden. Bei solchen Gruppendiskussionen kann man je nach Zielsetzung mit na‐ türlichen Gruppen, die auch außerhalb der Forschungssituation existieren (z. B. eine Familie oder ein Team), und künstlichen Gruppen, die eigens für die Gruppendiskussion zusammengestellt werden (z. B. mehrere Fließband‐ arbeiterinnen aus unterschiedlichen Betrieben), arbeiten. Auch die Frage, ob man eine homogene Gruppe von Menschen, die sich anhand bestimmter Merkmale ähneln (z. B. Studienabbrecher der Studienrichtung Physik), oder eine heterogene Gruppe, bei der sich die Teilnehmerinnen hinsichtlich der für die Forschungsfrage relevanten Merkmale unterscheiden (z. B. Studie‐ rende aus unterschiedlichen Fachrichtungen in unterschiedlichen Semes‐ tern), wählt, ist zu bedenken. Der Gruppenleiter kann auch je nach Zielsetzung unterschiedlich stark eingreifen. Er kann entweder viele Fragen vorgeben und die Diskussion stark moderieren oder der Gruppendynamik ihren Lauf lassen, ohne zu in‐ tervenieren. Den Auftakt zur Gruppendiskussion bildet in den meisten Fäl‐ len die Präsentation eines (oft provokanten) Reizes. Das kann ein kurzer Film, eine provokante These oder ein kleiner Text sein. In einer Studie über rechtsextremistische Tendenzen bei Schülern wurde diesen im Vorfeld der Gruppendiskussion ein kurzer Filmzusammenschnitt mit Interviewaus‐ schnitten von rechtsorientierten Musikgruppen vorgespielt. Der Reiz soll die Diskussion jedenfalls in Gang setzen. Der Gruppenleiterin obliegt dann die Aufgabe, die Diskussion in Gang zu halten. Das kann sie tun, indem sie formal eingreift und beispielsweise eine Rednerliste führt. Sie kann aber auch thematisch intervenieren, indem sie zusätzliche Fragen stellt und dafür 140 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 140 <?page no="141"?> sorgt, dass die Diskussion nicht ausschweift und beim Thema bleibt. Und sie kann auch dynamisch steuern, indem sie die Gruppendynamik ein wenig lenkt, z. B. Polarisierungen anspricht und auflöst oder provokante Fragen einwirft, um Polarisierungen zu erzeugen, oder schweigende Teilnehmer auffordert, ihre Meinung kundzutun. Teilnehmende Beobachtung Die teilnehmende Beobachtung ist eine für die qualitative For‐ schung typische Form der Beobachtung (Flick 2004; Mayring 2002). Hierbei nimmt die Forscherin - wie der Name schon andeutet - bis zu einem gewissen Grad selbst am Alltag der beforschten Subjekte teil, um deren Handlungen wahrnehmen zu können. Die teilneh‐ mende Beobachtung richtet ihren Fokus nicht nur auf verbalsprach‐ liche Daten, sondern auch auf die Verhaltensweisen und Handlun‐ gen der Menschen. Durch die Beobachtung im natürlichen Umfeld will der Forscher verstehen, welche Bedeutung Alltagssituationen für die Beteiligten haben. Die Forscherin ist bei der teilnehmenden Beobachtung also keine außenste‐ hende Beobachterin, sondern steht in direkter persönlicher Beziehung zu den Forschungspersonen. Sie nimmt teil am Leben der Beforschten und sammelt währenddessen ihre Daten. Diese Nähe zum Forschungsgegen‐ stand hilft dabei, gehaltvolle und tiefgründige Daten zu erhalten. Die Beob‐ achtung von Handlungsabläufen allein sagt nämlich noch nichts über die subjektive und kollektive Bedeutung für deren Akteure aus. Um die Innen‐ perspektive der Beteiligten rekonstruieren zu können, muss man sich ei‐ nerseits zwar den Status als Fremder bewahren, andererseits aber gleich‐ zeitig die kritische Außenperspektive aufgeben und selbst die Innenperspektive übernehmen (»going native«). Die teilnehmende Beobachtung zählt zum Standardrepertoire qualitativer Erhebungsmethoden und wird im Rahmen der Feldforschung (s. Kap. III.4) angewandt. Viele bedeutende Ethnologen haben ausgedehnte Forschungs‐ reisen unternommen, um bestimmte Kulturen »in vivo« zu studieren. Dabei 141 1 Qualitative Erhebungsmethoden (GP) 141 Definition <?page no="142"?> haben sie oft lange Zeiträume im natürlichen Lebensumfeld dieser Ethnien verbracht, mit diesen Menschen gelebt und wurden zum Teil sogar von die‐ sen in die Gemeinschaft integriert und in die Familien »adoptiert«. Die teil‐ nehmende Beobachtung kommt aber auch häufig zur Erforschung von Sub‐ kulturen und Randgruppen innerhalb der eigenen Gesellschaft zum Einsatz. Sie können z. B. delinquente Jugendliche, vornehme Leute oder Theologie‐ studenten mithilfe teilnehmender Beobachtungen untersuchen. Die teilneh‐ mende Beobachtung ist insbesondere dann indiziert, wenn die Studie eher explorativ ausgerichtet ist, der Forschungsgegenstand in soziale Kontexte eingebettet ist oder aus sozialen Kontexten besteht und von außen nur schwer beobachtbar ist. Nachdem Sie Ihre Fragestellung und diverse Beobachtungsdimensionen festgelegt haben, müssen Sie Zugang zum Feld finden, was je nach unter‐ suchter Subkultur unterschiedlich schwierig ist. Hilfreich können hierbei Schlüsselpersonen sein, die Sie in die jeweilige Kultur einführen bzw. dort vorstellig machen. Mit dem Eintauchen in die fremde Umgebung ist häufig ein gewisser kultureller Schock für die Beobachterin verbunden. Vertraut‐ heiten, Routinen, Werte und Selbstverständlichkeiten der eigenen Kultur verlieren ihre Normalität und zerbröseln einfach in der Konfrontation mit den fremden Werten, Gepflogenheiten, Normen und Idealen. Gerade zu Be‐ ginn kann es schwierig sein, die Andersheit der anderen zu ertragen. Die Irritation darüber ist aber eine wichtige Erkenntnisquelle, die nicht nur et‐ was über die unhinterfragten Annahmen der anderen Kultur, sondern auch die der eigenen Kultur verrät. Man kann zwischen systematischeren und unsystematischeren Formen der Beobachtung unterscheiden. Im ersteren Fall richten Sie Ihren Aufmerk‐ samkeitsfokus nicht schon vorab auf bestimmte Verhaltensweisen, sondern machen alle möglichen Handlungen zum Gegenstand ihrer Beobachtung. Die Beobachtung erfolgt in dem Fall sehr offen. Richten Sie allerdings Ihre Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte, vorab festgelegte Verhaltensweisen und erfassen nur diese, spricht man von systematischer oder strukturierter Beobachtung. Qualitative Forschung hat eine Affinität zu offenen, teilneh‐ menden Beobachtungen im Feld. Das heißt, es gibt wohl einen Beobach‐ tungsleitfaden, der in groben Zügen vorgibt, worauf sich der Fokus der Beobachtung richten soll. Einen exakten Beobachtungsbogen, der operatio‐ nalisierte Beobachtungseinheiten definiert, gibt es allerdings nicht. 142 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 142 <?page no="143"?> Flick, Uwe (2017): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 8. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Helfferich, Cornelia. (2019): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 5. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Lamnek, Siegfried & Krell, Claudia (2016): Qualitative Sozialfor‐ schung. 6. Aufl. Weinheim: Beltz. Mayring, Philipp (2016): Einführung in die Qualitative Sozialfor‐ schung. 6. Aufl. Weinheim: Beltz. Pzryborski, Aglaja & Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative So‐ zialforschung: Ein Arbeitsbuch. 4. Aufl. München / Wien: Olden‐ bourg. 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) Womöglich bekommen manche von Ihnen bereits ein mulmiges Gefühl, wenn sie das Wort »quantitativ« nur hören, klingt es doch allzu sehr nach Mathematik und formallogischem Denken, was bekanntlich nicht nach je‐ dermanns Geschmack ist. Wie Sie nachfolgend sehen werden, erfordert aber selbst die statistische Auswertung quantitativer Forschungsergebnisse keine höhere Mathematik. Und die Durchführung einer quantitativ orientierten Datenerhebung hat zwar nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten zu erfolgen, bedarf aber ebenfalls keiner höheren Logik. Eine erste und zugegeben knappe Einführung in die Materie soll Sie hier mit den allerwichtigsten An‐ sätzen, Begriffen und statistischen Größen vertraut machen, um Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt ein selbständiges Vertiefen der einzelnen Vorge‐ hensweisen zu erleichtern. Vorab aber eine ganz kurze Zusammenfassung für den Fall, dass Sie dieses Buch nicht von Anfang an gelesen haben: Eine Forschungsmethode ist das planmäßige und systematische Vorgehen, das zur Gewinnung wissen‐ schaftlicher Erkenntnisse erforderlich ist. Methodisch meint also, auf eine planmäßige, zielgerichtete, systematische und überlegte Art und Weise vor‐ zugehen (im Gegensatz etwa zu einem rein intuitiven Vorgehen oder gemäß dem Prinzip »Versuch und Irrtum«). Zum methodischen Arbeiten gehört 143 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 143 Literaturtipps <?page no="144"?> natürlich auch die Auswertung der erhobenen Daten auf eine Art und Weise, die hinsichtlich der Fragestellung Ihrer Forschung aussagekräftige und nachvollziehbare Ergebnisse liefert. Bei der quantitativen empirischen Sozialforschung geht es darum, Phänomene in Form von Modellen, Zusammenhängen und insbesondere zahlenmäßigen Ausprägungen auf möglichst objektivierte Weise zu be‐ schreiben, grundlegende Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge zu ent‐ decken und überprüfbar zu machen. Quantitative Methoden in der empiri‐ schen Sozialforschung umfassen alle Praktiken zur numerischen, d. h. zahlenmäßigen, also bspw. auf Prozentangaben fußenden Darstellung em‐ pirischer (auf Beobachtungen der Realität gründender) Sachverhalte. Es geht somit nicht um die planmäßige und strukturierte Darstellung von einzelnen Untersuchungseinheiten (wie bei der qualitativen Forschung), sondern stets um größere Fallzahlen, die dann mit geeigneten statistischen Methoden aus‐ gewertet werden, um letztlich zu nachvollziehbaren und überprüfbaren Schlussfolgerungen zu gelangen. Der quantitative Ansatz beinhaltet sowohl die Stichprobenauswahl, die Datenerhebung (»Messung«) selbst als auch die Auswertung (»Analyse«) des Datenmaterials. Hier noch einmal kurz die wichtigsten Merkmale sowie Unterschiede zwischen quantitativer und qualitativer Sozialforschung im Überblick (s.a. S. 86): Im Gegensatz zu einem rein qualitativen Vorgehen haben wir es bei der quantitativen Forschung immer mit größeren Fallzahlen zu tun, die einen Anspruch auf Repräsentativität erheben. D.h.: Die Auswahl (Stichprobe) der von Ihnen befragten oder beobachteten Personen (bzw. beobachteten Phänomene) sollte so gewählt sein, dass diese Auswahl (z.B.: 75 Gymnasi‐ asten zwischen 15 und 18 Jahren, die an einem entsprechenden Versuch teil‐ nehmen) bezüglich eines interessierenden Merkmals (z.B.: Verhalten in Stresssituationen) im Wesentlichen Rückschlüsse auf die Gesamtheit einer Untersuchung (z.B.: alle Gymnasiasten eines Landes) zulassen. Die Beob‐ achtungsstichprobe ist also dann repräsentativ für eine größere Untersu‐ chungseinheit (die sog. »Population«), wenn sie diese hinsichtlich der un‐ tersuchten Merkmale und Eigenschaften widerspiegelt, weshalb sich die Ergebnisse einer Untersuchung verallgemeinern (»generalisieren«) lassen. Mehr zum Kriterium der Repräsentativität finden Sie weiter unten, wenn es um die Auswertung statistischer Daten geht. 144 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 144 <?page no="145"?> Merkmale quantitativer Forschung Merkmale qualitativer Forschung hingegen • systematische, standardi‐ sierte Messung von empiri‐ schen (auf realen Fakten grün‐ denden) Sachverhalten • Verfahren zum Testen von Hy‐ pothesen • meistens Untersuchung großer Fallzahlen / großer Stichpro‐ ben • Objektive Messung und Quantifizierung von Sachver‐ halten • Messung zählbarer Eigenschaf‐ ten • Auswertung durch statistische Instrumente, Analyse statisti‐ scher Zusammenhänge • dienen oft der Entwicklung neuer Hypothesen (oft auf relativ neuen Forschungsgebieten) • Relativ offenes und flexibles Vor‐ gehen (oft ist nur ein grober thema‐ tischer Leitfaden gegeben) • kleine Zahl von Untersuchungs‐ personen, dafür tiefer gehende Be‐ trachtungen und Einzelfallanaly‐ sen • meistens kein Anspruch auf Repräsentativität • keine statistische Auswertung • auf das Verstehen von Sinn (etwa von persönlichen Handlungsmotiven, Absichten) bezogen • subjektive Faktoren stehen im Vordergrund, die nicht gemessen, sondern interpretiert werden Die quantitative Beobachtung Bei der quantitativen Beobachtung handelt es sich um eine vielschichtige Forschungsmethode, die sich sehr stark von einer Alltagsbeobachtung un‐ terscheidet. Ausgehend von einigen wichtigen Vorüberlegungen werden zunächst die unterschiedlichen möglichen Arten einer Beobachtung vorge‐ stellt, bevor Sie mit den wichtigsten Schritten und Begriffen für die Durch‐ führung einer wissenschaftlichen Beobachtung vertraut gemacht werden. Sie planen eine wissenschaftliche Untersuchung in Form einer Beobach‐ tung. Womöglich fragen Sie sich dabei zunächst: Was ist an so etwas Selbst‐ verständlichem wie einer Beobachtung eigentlich das Besondere? Anders gefragt: Wieso bzw. wann handelt es sich dabei um eine wissenschaftliche Methode? Als Menschen beobachten wir schließlich ständig die uns umge‐ bende Welt, die darin stattfindenden Prozesse und die Menschen in ihr. Was also unterscheidet eine Beobachtung mit wissenschaftlichem Anspruch von solch alltäglichen Beobachtungen und was kennzeichnet speziell eine quan‐ titative Beobachtung? Eine erste Definition hilft sicher weiter: 145 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 145 <?page no="146"?> Wissenschaftliche Beobachtung Bei einer wissenschaftlichen Beobachtung handelt es sich um ein systematisches Verfahren, das auf die zielorientierte Erfassung sinn‐ lich wahrnehmbarer Tatbestände gerichtet ist, wobei der Beobachter sich passiv gegenüber dem Beobachtungsgegenstand verhält und gleichzeitig versucht, seine Beobachtung zu systematisieren und die einzelnen Beobachtungen zu kontrollieren. Wie alle anderen wis‐ senschaftlichen Methoden auch, ist Beobachtung also systematisch und zielorientiert (im Gegensatz etwa zu einem Vorgehen nach der Methode »Versuch und Irrtum«) und sie ist selbstverständlich em‐ pirischer Natur, die Beobachtung wird also in überprüfbarer Weise (und nicht etwa in der Phantasie oder nach dem »Hörensagen«) vorgenommen. Zu Beginn jeder wissenschaftlichen Beobachtung steht somit das Gleiche, wie zu Beginn jeder quantitativen wissenschaftlichen Untersuchung, näm‐ lich die Formulierung von Hypothesen (Hypothesen sind Vermutungen über die Beschaffenheit der sozialen Welt in Form von Sätzen über Ursachen und ihre Wirkungen mit klar definierten Begriffen). Diese Aussagen über Ursa‐ chen und Wirkungen (sog. »Wenn-Dann-Sätze«) gilt es dann methodisch zu überprüfen (s. »Was ist Wissenschaft? «, star.huterundroth.at). Was müssen Sie vor einer Beobachtung bedenken und entscheiden? Bevor Sie Ihre Beobachtung beginnen, sind eine Reihe von Vorüberlegungen erforderlich. Diese betreffen den Gesamtplan Ihres methodischen Vorge‐ hens, also die gesamte Abfolge aller Schritte von der Hypothesenformulie‐ rung und den Begriffsdefinitionen, über die Festlegung der Inhalte und Rei‐ henfolge der einzelnen Arbeitsschritte, bis zur letztlichen Auswertung und Veröffentlichung der Ergebnisse. Sie müssen also zunächst Ihr »Forschungsdesign« planen und entwerfen: Damit wird der gesamte Vorgang der empirischen Überprüfung theoreti‐ scher Hypothesen an der Praxis bezeichnet, also die Gesamtheit aller ein‐ 146 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 146 Definition <?page no="147"?> zelnen, systematisch durchgeführten und jeweils nachvollziehbaren Schritte Ihres Forschungsablaufs (s. Kap. III). Los geht’s! Vor Beginn der Beobachtung steht somit zunächst einmal die Formulierung eines Forschungsbzw. Erkenntnisinteresses in Form einer Hypothese. De‐ ren Grundlage können etwa Einzelbeobachtungen sein, die noch nicht wei‐ tergehend wissenschaftlich untersucht wurden. Auch das Studium der Fach‐ literatur kann Sie auf interessante Fragestellungen stoßen. Ist Ihr forschungsleitendes Interesse einmal abgesteckt, haben Sie die folgenden Punkte abzuarbeiten: 1. Einen Beobachtungsplan erstellen Eine wissenschaftliche Beobachtung ist grundsätzlich eine strukturierte, planmäßige Beobachtung und kein reines »Drauflosbeobachten«. Ihr liegen ein vorab erstelltes Beobachtungsschema zugrunde, das Informationen darüber enthält, »was, wann, von wem und wie« beobachtet werden soll. Es existieren also noch vor Beginn der Durchführung der Beobachtung bereits präzise Angaben darüber, was, wie lange und auf welche Art und Weise beobachtet werden soll. Dazu wird ebenfalls vorab ein möglichst konkreter Beobachtungsplan erstellt. Natürlich sind diese Beobachtungspläne nicht »in Stein gemeißelt«. Sie können - und sollen! - stets den gegebenen Um‐ ständen und Schwierigkeiten angepasst werden. (Stellt sich bspw. während einer Beobachtung von Reaktionen von Menschen auf bestimmte Hinweis‐ schilder heraus, dass diese Schilder gar nicht richtig wahrgenommen werden können, ist natürlich eine Änderung des Beobachtungsprocederes nötig). Wichtig ist aber, dass der Beobachtung ein planmäßiges Schema zugrunde liegt, welches Sie aber natürlich erst einmal auf Basis von (Vor)Erfahrungen entwickeln (»designen«) müssen. Beim Beobachtungsplan handelt es sich also um ein Schema, in welchem alle relevanten Beobachtungskriterien angeführt sind oder an vorgege‐ bener Stelle leicht angegeben werden können (Uhrzeit, Ort, Anzahl beob‐ achteter Personen und - wenn nötig und möglich - Angaben zu einzelnen Merkmalen wie Geschlecht, Alter etc.), Anzahl der »Treffer« an vorher fest‐ gelegten Beobachtungsvariablen und Indikatoren (s. u.) für ein bestimm‐ tes zu beobachtendes Verhalten oder Ereignis, zudem weitere Besonderhei‐ ten, besondere Vorkommnisse usw.. Diese Art von Beobachtungsprotokoll 147 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 147 <?page no="148"?> muss somit alle relevanten Komponenten der Beobachtung beinhalten. Es lenkt die Wahrnehmung des Forschers sprachlich und inhaltlich und er‐ leichtert entsprechende Aufzeichnungen, die letztlich der Ergebnisauswer‐ tung zugrunde liegen. (Wer sich schon einmal mitten in einem Beobach‐ tungsfeld befand und darin eine große Zahl gleichzeitig auftretender Beobachtungsereignisse wahrzunehmen hatte und diese zudem auch noch möglichst zeitnah schriftlich festzuhalten gefordert war, der weiß um den Wert möglichst vollständiger und einfach zu handhabender Beobachtungs‐ pläne! ) 2. Mögliche Formen der Beobachtung Bei einer wissenschaftlichen Beobachtung gibt es verschiedene Durchfüh‐ rungsvarianten, die sich hinsichtlich der Rolle der Beobachterin und nach dem Grad der Einflussnahme auf das zu beobachtende Geschehen unter‐ scheiden lassen. Bezüglich des Beobachters stellt sich Ihnen also die Frage, welchen Beobachterstatus der Beobachter einnimmt und inwieweit er an der sozialen Situation, die beobachtet wird bzw. in der die Beobachtung stattfindet, teilnimmt bzw. eingreift. Grundsätzlich lassen sich die teilneh‐ mende und die nicht-teilnehmende Beobachtung unterscheiden. Nicht-teilnehmende Beobachtung: Bei dieser tritt der Beobachter nicht in den Verlauf der Handlungen ein und hat deshalb auch keinen direkten Kontakt mit den Personen und / oder Prozessen, die beobachtet werden sol‐ len (man spricht auch von »Forschungsobjekt«). Die Beobachterin befindet sich also in persönlicher und räumlicher Distanz zum Beobachtungsfeld (das ist der Bereich, in dem sich das Beobachtungsgeschehen abspielt), wodurch persönliche Unvoreingenommenheit und Neutralität durch die Forscherin gewährleistet ist. Die teilnehmende Beobachtung lässt sich wiederum in zwei Versionen unterscheiden: Teilnehmend-offene Beobachtung: Der Beobachter nimmt hier am zu beobachtenden Geschehen aktiv teil. Sie befinden sich als Beobachterin also mitten im selben sozialen, räumlichen und zeitlichen Umweltbereich, wie auch die Beobachtungspersonen. Diesen wiederum ist die Rolle des Beob‐ achters bekannt. Sie wissen also, dass sie beobachtet werden (wenngleich nicht unbedingt weshalb und woraufhin! ). Stellen Sie sich bspw. vor, Sie nehmen im Rahmen einer Feldforschung selbst an einer Weiterbildungs‐ maßnahme teil. Sie unterziehen sich denselben Übungen und Gesprächen 148 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 148 <?page no="149"?> wie die übrigen Kursteilnehmer auch. Diese und die Dozentinnen wissen aber, dass Ihre Teilnahme nicht eigener Weiterbildung, sondern vielmehr einem wissenschaftlichen Interesse dient. Bei diesem Beobachterstatus ist zu berücksichtigen, dass es zu dem Phänomen der »Reaktivität« kommen kann. D.h.: Das Wissen, beobachtet zu werden, ändert womöglich das Ver‐ halten der beobachteten Personen (oder kann es ändern), was dann die ganze Beobachtung zu verfälschen droht. Oder haben Sie Ihr Verhalten noch nie geändert, nachdem Sie bemerkt haben, gerade fotografiert oder gefilmt zu werden? Teilnehmend-verdeckte Beobachtung: Wiederum ist hierbei die Beob‐ achterin Teil des zu beobachtenden Geschehens im definierten Beobach‐ tungsfeld, diesmal aber, ohne dass die beteiligten Personen davon informiert sind, dass sie beobachtet werden (geschweige denn, wozu und woraufhin). Selbstverständlich wirft ein solches Vorgehen sehr schnell ethische Fragen auf, wenn Menschen womöglich in absichtlich herbeigeführten Situationen als - noch dazu unfreiwillige! - »Versuchskaninchen« herhalten müssen (klassisch sind etwa Beobachtungen aus dem Bereich der Sozialpsychologie, in welchen die Reaktion von Passanten auf Übergriffe im öffentlichen Raum untersucht wurden, wobei sich die unfreiwilligen Versuchsteilnehmer zu authentischen (Stress-)Reaktionen gezwungen sahen). Prinzipiell gilt auch bei teilnehmend-verdeckten Beobachtungen das forschungsethische Prinzip der »informierten Einwilligung«! Auch die nicht-teilnehmende Beobachtung lässt sich in zweierlei Varia‐ tionen durchführen: Nichtteilnehmend-offene Beobachtung: Der Beobachter beobachtet von außerhalb des Beobachtungsfeldes und ist somit nicht Teil des Gesche‐ hens. Jedoch wissen die Beobachteten, dass sie beobachtet werden und »Ge‐ genstand« einer Untersuchung sind. Sie nehmen zum Beispiel als Beobach‐ terin an einem innovativen Unterrichtsgeschehen teil. Schüler und Lehrkraft wissen, dass Sie etwas über Vor- und Nachteile dieser Unterrichtsvariante in Erfahrung bringen wollen. Auch hier treffen wir wieder auf das Problem der Reaktivität. Ein berühmtes Beispiel aus der Forschungsgeschichte für diese Reaktivität ist etwa der sog. »Hawthorne-Effekt«. Er ist nach einer gleichnamigen Fa‐ brik in den USA benannt, in der in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts Beobachtungen zur Motivation und Produktivität der Arbeitskräfte und de‐ ren jeweilige Einflussfaktoren stattfanden. Dabei zeigte sich, dass allein 149 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 149 <?page no="150"?> schon das Wissen der Arbeiter, beobachtet zu werden, die Motivation und Leistungsbereitschaft erhöhten, was die ursprüngliche Absicht der Unter‐ suchung natürlich unterlief (nämlich den Zusammenhang zwischen den Umgebungsbedingungen des Arbeitsplatzes wie etwa den Lichtverhältnis‐ sen sowie zwischen den sozialen Beziehungen in der Arbeit und der dadurch jeweils bedingten Arbeitsproduktivität herauszufinden). Nichtteilnehmend-verdeckte Beobachtung: Die Forscherin beobachtet in diesem Fall das Beobachtungsfeld von außen, wobei die Beobachteten aber nichts von ihrem »Glück« wissen, woraus natürlich wiederum das Problem fehlender Einwilligung und Information erwächst. Ein typisches Beispiel wäre etwa, vom Fenster aus ein bestimmtes Geschehen auf einem Platz unter Ihnen zu beobachten, ohne dabei wahrgenommen zu werden. Neben den genannten Unterscheidungen gibt es natürlich jede Menge mögliche Mischformen. Diese beinhalten auch den Sonderfall, dass Ihr Be‐ obachterstatus sich zeitlich wandelt. So könnten Sie etwa kurzfristig an einer sozialen Handlung teilnehmen, um diese zunächst einmal anzustoßen, da‐ nach ziehen Sie sich dann aber zurück und das Geschehen wird mit einer Kamera festgehalten. (Ist diese versteckt - was ein schwerwiegendes for‐ schungsethisches Problem darstellt - handelt es sich um eine verdeckte Be‐ obachtung, andernfalls um eine offene). Letztlich hängt Ihre Wahl der Be‐ obachtungsart von Ihrem Erkenntnisinteresse und der Frage ab, wie Sie die besten Ergebnisse erzielen: In der Regel ist bei einer quantitativen Beob‐ achtung im Interesse möglichst geringer Reaktivität und möglichst hoher Objektivität ein nicht-teilnehmendes und verdecktes Vorgehen anzustreben. Jedoch kann es manchmal auch nötig und geboten sein, sich einzubringen, um aus nächster Nähe zu beobachten oder um ein bestimmtes Prozessge‐ schehen zu starten. 3. Wahl und Eingrenzung des Beobachtungsfeldes Das Beobachtungsfeld umfasst zumeist mehr als nur den definierten räum‐ lichen Bereich, in welchem sich ein zu beobachtendes Geschehen ereignet. Vielmehr gibt das Beobachtungsfeld über das wo hinaus auch Auskunft dar‐ über, wer, wann und unter welchen Rahmenbedingungen beobachtet wird. Beobachtungseinheiten bezeichnen somit denjenigen Teilbereich eines so‐ zialen Geschehens, der konkreter Gegenstand der Beobachtung sein soll. Sie geben Antwort auf die Frage: Wer und was (z. B. Gespräche und Abläufe) werden wann beobachtet? Alle diese verschiedenen Beobachterrollen finden 150 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 150 <?page no="151"?> in (oder nahe an) einem Beobachtungsfeld statt, dass Sie im Beobachtungs‐ plan klar definieren sollten. Beobachten Sie z. B. das Spielverhalten von Kleinkindern und sondieren hierfür einen Kinderhort, ist Ihr Beobachtungs‐ feld der besseren Erfassung wegen der Spielbereich des Hortes und nicht dessen Gesamtfläche. 4. Bestimmung der Beobachtungseinheiten, Variablen und Indikatoren Der formale und planmäßige Charakter einer quantitativen wissenschaftli‐ chen Beobachtung wird v. a. darin deutlich, dass Sie benennen müssen, was neben Ihrem Beobachtungsfeld zudem Ihre Beobachtungseinheiten sowie Ihre zugehörigen Variablen, Kategorien und Indikatoren sind. Die Beobachtungseinheiten sind die konkret zu beobachtenden bzw. beobachtbaren Personen(gruppen) oder Gegenstände oder Prozesshaftig‐ keiten einer Beobachtung. In obigem Beispiel der Beobachtung des Spiel‐ verhaltens im Kinderhort sind es also ggf. sowohl die Kinder als auch die von Ihnen jeweils verwendeten Spielzeuge als auch unterscheidbare Spiel‐ phasen. Die Qualität Ihrer Beobachtung steht und fällt nun mit der Qualität Ihrer gewählten Beobachtungsvariablen und der sie auszeichnenden Indika‐ toren (»Anzeiger«). Dazu ein Beispiel: Angenommen, Sie planen eine pas‐ sive, nicht-teilnehmende Beobachtung zum Phänomen »Ehrlichkeit« von Studierenden. Sie formulieren die Hypothese: »Eine qualifizierte Mehrheit der Studierenden der Universität XYZ ist ehrlich« und bestimmen den abs‐ trakten Begriff Ehrlichkeit dahingehend, dass das Aufheben einer (von Ih‐ nen absichtlich) auf den Boden gelegten Geldbörse und das Zurückbringen derselben (entweder zum Fundamt, zum Pförtner der Uni, zur Polizei oder auch mittels Beförderung in den nächsten Briefkasten) als »ehrliches Ver‐ halten« zu verstehen ist. Sie legen sich sodann »auf die Lauer« und beob‐ achten Ihr Beobachtungsfeld (z. B. dem Uni-Campus) und die darin stattfin‐ denden Beobachtungseinheiten (die passierenden Studenten). Sie tun dies im Interesse höherer Verallgemeinerbarkeit (»Repräsentativität«) der Stich‐ probe an verschiedenen Tagen, zu verschiedenen Uhrzeiten und an ver‐ schiedenen Orten (z. B. Caféteria, Eingangsbereiche von Bibliotheken ver‐ schiedener Fachbereiche) und halten die Ergebnisse auf einem Beobachtungsbogen (im allereinfachsten Fall eine simple Strichliste) fest. Ein methodisch scheinbar narrensichereres Vorgehen? Von wegen! Was ist etwa in all den Fällen, in denen die Brieftasche mitsamt Ausweisen, Pa‐ pieren etc. zwar in den Briefkasten wandert, das darin befindliche Geld aber 151 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 151 <?page no="152"?> zuvor entnommen wurde? Wie verhält es sich in den Fällen, in denen sich Versuchspersonen beobachtet wähnen (was evtl. durch ein verunsichertes und verlegenes Schauen auf vorbeikommende Gruppen von Studentinnen bemerkbar ist)? Und was schließlich passiert in all den Fällen, wo die Geld‐ börse zwar eingesteckt wird (was einen entsprechenden Vermerk als »un‐ ehrlich« zeitigt), aber dann Tage später (wenn die Beobachtung längst ab‐ geschlossen ist) vielleicht doch noch und sogar persönlich abgeliefert wird? Sie merken schon: Ganz offensichtlich waren die Beobachtungsvariable (»Ehrlichkeit«) und die sie anzeigenden Indikatoren (Abgabe bei Polizei, Pförtner, Briefkasten etc.) keinesfalls lückenlos und widerspruchsfrei! Auch das Beobachtungsfeld war nicht sauber definiert (zählen lediglich Studie‐ rende, die sich »allein auf weiter Flur« befinden und sich unbeobachtet wähnen, oder doch auch Studierende, die in aller Öffentlichkeit einen Geld‐ beutel einstecken, oder beide? ). Damit Sie sich solcher methodischen Lücken und Ungereimtheiten noch rechtzeitig (d.h.: noch bevor Sie Ihre Beobachtung mit mehr oder weniger großem Aufwand durchführen) gewahr werden, ist es hilfreich (bzw.: un‐ verzichtbar! ), vorab einen Probedurchgang Ihres Forschungsdesigns mit zunächst einmal relativ wenigen Beobachtungseinheiten durchzuführen (der Fachausdruck hierfür ist »Pre-Test«). Ungereimtheiten können so noch rechtzeitig erkannt und Ihr Ablaufplan entsprechend revidiert werden. Ein zweites Beispiel soll Ihnen die Wichtigkeit brauchbarer Varia‐ blen / Indikatoren verdeutlichen: Sie unternehmen eine Beobachtung zum Thema »geschlechtsspezifisches Einkaufsverhalten«. Als teilnehmender, passiver Beobachter registrieren Sie an repräsentativen Orten (z. B. im Ausgangsbereich von Einkaufszentren als ihrem Beobachtungsfeld) nun das Einkaufsverhalten von Männern und Frauen. Ihre Hypothese lautet bspw.: »Männer kaufen gleich viel ein wie Frauen« und haben so Ihren ersten Fehler schon begangen, denn das »gleich viel« (bzw. »mehr« und »weniger«) ist ja nicht spezifiziert (geht es um gleich viel Geld oder um gleich viel Güter - und was ist eigentlich mit Dienstleistungen? ). Als In‐ dikator für die Einkaufsmenge legen Sie (auf nicht sehr originelle Weise) die Anzahl der Einkaufstaschen bei Verlassen des Einkaufsbereiches fest. Der entscheidende Denkfehler dabei - Sie ahnen es sicher selbst schon - ist nun die Gleichsetzung von Tütenzahl und Einkaufswert, könnte sich doch vielleicht herausstellen, dass Männer mitunter zwar mehr (an Geld‐ wert) einkaufen, aber in Form wenigerer Einheiten (z. B. teure Unterhal‐ tungselektronik), wohingegen Frauen zwar mehrere unterschiedliche Sa‐ 152 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 152 <?page no="153"?> chen erwerben, die wertmäßig aber jeweils einen geringeren Wert bilden - oder natürlich auch umgekehrt. 5. Auswertung und Publikation Nehmen wir an, Sie haben schließlich auf methodisch saubere Weise Ihre Beobachtung durchgeführt und die Beobachtungsereignisse (also die Be‐ obachtungseinheiten und ihr Verhalten) penibel in einem Beobachtungs‐ protokoll festgehalten (keine Angst: methodisches »Lehrgeld« ist von An‐ fängerinnen dabei fast immer zu zahlen - es ist eben noch kein Meister vom Himmel der empirischen Sozialforschung gefallen! ): dann verfügen Sie letzt‐ lich über eine Vielzahl empirischer Daten in Form bestimmter Auswer‐ tungskategorien (etwa: »trifft zu« / »trifft nicht zu«; »hebt Gegenstand auf / hebt Gegenstand nicht auf«; »zeigt aggressive Verhaltensauffälligkei‐ ten / zeigt keine aggressiven Verhaltensauffälligkeiten; »bleibt stehen / geht weiter«; »Ja / Nein« usw.usf.). Wie Sie diese angefallenen Daten statistisch auswerten und auch darstellen können, erfahren Sie weiter unten. Den Schlusspunkt Ihrer quantitativen Beobachtung - ebenso wie jeder anderen Forschungsbemühung - bildet schließlich die Veröffentlichung Ihrer Ergeb‐ nisse und die ausführliche und nachvollziehbare Darlegung Ihres schritt‐ weisen methodischen Vorgehens in Form eines Forschungsberichts. Eine wissenschaftliche Beobachtung bedarf zunächst eines For‐ schungsdesigns, in dem sämtliche Arbeitsschritte und deren Rei‐ henfolge festgelegt sind, mit denen letztlich die erkenntnisleitende Hypothese bestätigt oder abgelehnt werden kann. Der zugehörige Beobachtungsplan liefert die Antwort auf die Frage, »was, wann, von wem und wie« beobachtet wird und enthält zudem die Beobach‐ tungsvariablen (das, was konkret beobachtet wird) und deren Indi‐ katoren (Anzeiger). Der Beobachtungsplan legt auch fest, welcher Beobachtungsstatus dem Beobachter zukommt und legt damit die Form der Beobachtung fest. Unterschieden werden können dabei die teilnehmende und die nicht-teilnehmende Beobachtung (je nach Be‐ teiligung bzw. Nicht-Beteiligung an einem sozialen Geschehen), die beide wiederum auf offene und auf verdeckte Weise (d. h. mit er‐ kennbarem oder nicht-erkennbarem Beobachter) durchgeführt wer‐ 153 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 153 Zusammenfassung <?page no="154"?> den können. Nach der Bestimmung und Eingrenzung des Beobach‐ tungsfeldes und einem Probedurchgang (»Pre-Test«) werden die Beobachtungseinheiten und -ereignisse in einem Beobachtungspro‐ tokoll festgehalten, dessen angefallene Daten letztlich auf quantita‐ tive Weise ausgewertet und dargestellt werden. Die quantitative Befragung Diese kurze Einführung in die Methode der quantitativen Befragung soll Sie mit den wichtigsten Aspekten und Begriffen dieser Methode bekannt ma‐ chen und Ihnen die Vor- und Nachteile einer mündlichen und einer schrift‐ lichen Befragung benennen helfen. Sie lernen einige Spezialformen kennen und sollen insbesondere an die »Kunst« der Fragebogengestaltung heran‐ geführt werden. Vorüberlegungen Wenn Sie an Informationen über andere Menschen »aus erster Hand« in‐ teressiert sind (z. B. was deren Einstellungen oder Erfahrungen angeht) ist eine Befragung in der Regel das naheliegendste methodische Mittel. Es han‐ delt sich deshalb auch um diejenige Methode, die in den empirischen Sozi‐ alwissenschaften am häufigsten angewandt wird. Es vergeht wahrscheinlich kein Tag, an dem wir nicht auf irgendeine Art und Weise andere Menschen zu irgendeinem Thema befragen (und wenn es nur die aktuelle Uhrzeit oder Sportergebnisse betrifft). Eine Befragung, die hingegen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, unterscheidet sich aber, wie Sie sich schon denken können, in vielerlei Hinsicht von Alltagsbefragungen. Als Methode der empirischen Datengewinnung ist die Befragung (zu der auch das »Interview« als Sonderform zählt, siehe unten) zielgerichtet und hochgradig strukturiert. Neben der planmäßigen Vorbereitung einer Befra‐ gung ist v. a. die methodische Kontrolle jeder einzelnen Phase der Befragung ein wichtiges Kennzeichen wissenschaftlich-methodischen Vorgehens. 154 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 154 <?page no="155"?> Die einzelnen Phasen einer quantitativen Befragung sind: • Hypothesenformulierung • Planung des Forschungsdesigns inklusive Fragebogendesign • Durchführung der Befragung • Auswertung der Ergebnisse • Datenpräsentation. Die Antwortmöglichkeiten bei einer quantitativen Befragung sind weitge‐ hend vorgegeben (ganz im Gegensatz zur qualitativen Befragung, bei der auch in loser und unstrukturierter Form erzählt werden kann und darf). Vor allem bei schriftlichen Befragungen sind die Fragen »geschlossen« formu‐ liert, d.h.: alle Antwortmöglichkeiten sind vorgegeben. Zusammenfassend lässt sich eine empirische Befragung somit definieren als ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei der eine, i. d. R. aber eine größere Anzahl an Personen (wie in der quantitativen Forschung üblich) durch ein Reihe gezielter Fragen zu mündlichen oder schriftlichen Informa‐ tionen veranlasst werden. Diese Informationen (Antworten) umfassen etwa erlebte oder erinnerte Erlebnisse, Meinungen oder Bewertungen. Analog zur quantitativen Beobachtung sind auch bei der Befragung zu‐ nächst einige Vorüberlegungen anzustellen und wichtige Entscheidungen zu fällen. Diese betreffen wiederum das »Forschungsdesign«, also den Ge‐ samtplan aller in einer bestimmten Reihenfolge zu durchlaufenden Arbeits‐ schritte, von der Hypothesenformulierung bis zur Ergebnispräsentation. Wie bei anderen quantitativ-empirischen Methoden auch, müssen Sie zual‐ lererst natürlich einmal Ihr Forschungsinteresse bestimmen: Was wollen Sie durch eine Befragung eigentlich in Erfahrung bringen? Was interessiert Sie und warum? Den Ausgangspunkt Ihres weiteren Vorgehens bildet also die von Ihnen zu formulierende Forschungshypothese, die es durch die von Ih‐ nen durchgeführte Befragung auf nachvollziehbare Weise entweder zu be‐ legen oder aber zu widerlegen gilt. Zunächst aber müssen Sie sich für eine der unterschiedlichen Befragungsarten entscheiden. 155 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 155 Überblick <?page no="156"?> Wählen Sie die Art Ihrer Befragung! Je nach Forschungsfrage und der zu befragenden Anzahl von Menschen und vor allem je nach vorhandenen Ressourcen (Zeit, Geld, Personal), haben Sie sich erst einmal für eine der unterschiedlichen Formen der Befragung zu entscheiden, und zwar grundsätzlich zwischen: • mündlicher Befragung in Form des Interviews sowie einer • schriftlichen Befragung mithilfe von Fragebögen. Das Telefoninterview und die Online-Befragung stellen Sonderformen dar, wobei die Befragung per Internet eher dem schriftlichen Fragebogen ent‐ spricht, wohingegen das Telefoninterview zur mündlichen Befragung zählt (auch wenn die Anwahl der Nummern dabei oft nach dem Zufallsprinzip per Computer erfolgt, wie es etwa in der Marktforschung heute üblich ist. Finden hingegen Fragestellung und Auswertung der Antworten vollelek‐ tronisch statt, lässt sich die Methode auch als eigene Befragungstechnik zwischen schriftlich und mündlich charakterisieren). Sowohl schriftliche als auch mündliche Befragungen lassen sich hinsicht‐ lich zweier wichtiger Kriterien unterscheiden: 1. »Freiheitsgrad« des Befragten: Ist dieser in seinen Antwortmöglich‐ keiten frei (bzw. in welchem Ausmaß), kann also im Extremfall er‐ zählen solange und so viel er will, oder sind hingegen ganz klare Ant‐ worten vorgegeben, etwa »ja«/ »nein«/ »egal«? Ersteres ist bei (manchen) qualitativen Befragungen der Fall, letzteres bei quantita‐ tiven Befragungen, dazwischen gibt es Übergangsformen. 2. »Freiheitsgrad« der Fragenden: Kann diese ihre Fragen weitgehend spontan stellen (wie im sog. »narrativen Interview« als Methode der qualitativen Befragung) oder sind die Fragen bereits vorgegeben und können höchstens noch erläutert werden, wie für quantitative Befra‐ gungen typisch? Speziell bei mündlichen Befragungen gibt es zudem noch ein drittes Krite‐ rium: 3. Verhalten des Interviewers: Ist dieser in seinem Frageverhalten »hart« und nachfragend, gar nachbohrend, oder eher »weich« und zuhö‐ rend? 156 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 156 <?page no="157"?> In grundsätzlicher Hinsicht gilt also: quantitative Befragungen verfügen über einen geringen Freiheitsgrad sowohl der Fragerin als auch des Befrag‐ ten, der Interviewstil (bei mündlichen Befragungen) ist direkt und neutral. Sie sind, im Gegensatz zu qualitativen Befragungen (oder gar Alltagsbefra‐ gungen) in sehr hohem Maße strukturiert. Stärken und Schwächen der Befragungsarten Welche Befragungsart zum Einsatz gelangt, hängt wie gesagt von der je‐ weiligen Themenstellung und den Rahmenbedingungen der Forschung ab (v. a. Zeit und Geld, Zahl und Art der Interviewpartner, aber auch Grad der erforderlichen Anonymität etc.). Das Anfertigen eines Fragebogens, seine Verteilung / Versendung, das Warten auf den (hoffentlich hohen! ) Rücklauf sowie die statistische Auswertung der Ergebnisse ist sicherlich aufwendiger und erfordert mehr Vorkenntnisse als mündliche Interviews (die, wie Sie gleich sehen werden, aber auch etwas ganz anderes bedeuten als bloßes Fragenstellen! ). Dafür liefert die schriftliche Befragung in der Regel aber auch quantitativ aussagekräftigere Daten, schon allein wegen der i. d. R. größeren Zahl der Befragten und der meist eindeutigeren Antwortvorgaben. Die Vorteile einer schriftlichen Befragung, vor allem einer Online-Be‐ fragung, sind natürlich deren relativ geringe Kosten, weil Sie mit ein und derselben Vorlage, die dann vervielfältigt wird, viele Menschen auf einmal kontaktieren können. Auch ist der Organisationsaufwand i. d. R. geringer. Sie lässt sich mit wenigen Befragern (oder gar nur einem Frager) durchfüh‐ ren, weil die Befragten ja selbständig ausfüllen und niemand persönlich an‐ wesend sein muss, um die Antworten zu registrieren. Ein womöglich stö‐ render und verzerrender Einfluss des Befragers entfällt somit. Nur so ist auch absolute Anonymität gewährleistet, denn auch bei einem Verzicht auf Na‐ men und Adresse können sich Befragte bei einer »face-to-face-Befragung« schließlich nie wirklich sicher sein, ob sie nicht vielleicht doch »vom Sehen her« identifizierbar sind. (Sie kennen das vielleicht selbst aus vielen Bei‐ spielen von heiklen persönlichen Fragen, wo es auch einem persönlich un‐ bekanntem Befrager gegenüber als unangenehm oder peinlich empfunden wird, wahrheitsgemäß zu antworten, weshalb eben mit »Notlügen«, Ab‐ schweifungen oder Halbwahrheiten etc. operiert wird). Wie Sie sich bestimmt denken können, besteht der große Nachteil einer schriftlichen Befragung aber darin, dass Sie als Befragende den Antwort‐ prozess nicht kontrollieren können. Sie wissen also nicht: Hat die befragte 157 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 157 <?page no="158"?> 1 Wenig strukturierte Interviews, wie etwa offene Gruppendiskussionen, narrative In‐ terviews (Sie geben ein Stichwort oder eine »Impulsfrage vor und lassen den Befragten dann weitgehend frei reden) oder auch Leitfadeninterviews (die Antwortmöglichkeiten sind frei, der Interviewer orientiert sich lediglich an einem thematischen Leitfragen) sind deshalb auch klassischer Gegenstand qualitativer Befragungen. Person den Fragebogen wirklich selbständig ausgefüllt oder vielleicht zu‐ sammen mit anderen, die hierbei »beratend« tätig waren (ein gerade bei politischen Befragungen schwerwiegendes Problem! ). Bei eventuellen Un‐ klarheiten oder Missverständnissen, die womöglich trotz »Pre-Test« noch vorhanden sind, können Sie hier keinerlei Auskünfte geben und vor allem haben sie keinen Einblick, ob die befragte Person auch wirklich ernsthaft und konsequent ihren Fragebogen durchgeackert hat. Vielleicht wurden die Fragen ja vielmehr unter Zeitdruck und / oder abgelenkt durch etwas an‐ deres bearbeitet. Oder vielleicht auch nur »just for fun« und ohne womög‐ lich auch nur einen Blick auf die Fragen geworfen zu haben. Eventuell wurde nur deshalb (und vordergründig) kooperiert, um an eine bestimmte ausge‐ lobte Belohnung für die Teilnahme an der Befragung zu gelangen, oder um der Pflicht zur Teilnahme nachzukommen. (Lehrerinnen wissen ein Lied davon zu singen, welche teils haarsträubenden Antworten auf ernst ge‐ meinte Fragen gegeben werden, wenn die Teilnahme an einer anonymen Befragung verpflichtend ist. Häufig geschieht dies, um zu provozieren oder aus einer Trotzreaktion heraus.) Die mündliche Befragung hat dort ihre Stärken, wo die Zahl der zu Befragenden überschaubar bleibt und eine persönliche Befragung somit überhaupt erst möglich ist. Außerdem ist sie von Vorteil gegenüber einer Fragebogen-Befragung, wenn vereinzeltes Nachfragen und Erläuterungen sinnvoll oder unverzichtbar scheinen (was allerdings Fragen nach der Qua‐ lität des Fragebogens aufwirft, siehe unten). Das Problem welches sich Ihnen bei der mündlichen Befragung im Rahmen einer empirisch-quantitativen Methode stellt, ist das der gegenseitigen Beeinflussung. Befragender und Befragte befinden sich immer in einer bestimmten sozialen Situation (z. B., indem sie sich gegenübersitzen), in der sie sich wechselseitig beeinflussen (können). Das (kann) sich dann negativ auf das Kriterium der Objektivität und der möglichst hohen Strukturiertheit der Fragen und Antworten aus‐ wirken. Stellen Sie sich z. B. vor, ein Befragter stellt eine Verständnisfrage oder eine Rückfrage: Die Gefahr ist dann groß, dass Sie die Antwort (mit)be‐ einflussen oder sich vom vorgegebenen Schema des Fragebogens entfer‐ nen. 1 158 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 158 <?page no="159"?> Mündliche Befragung Sie haben sich nach Abwägung der jeweiligen Stärken und Schwächen der Befragungsarten für eine mündliche Befragung entschieden. Eine mündli‐ che quantitative Befragung ist ein stark strukturiertes Interview anhand ei‐ nes abzuarbeitenden standardisierten Fragebogens. Standardisiert meint, dass alle Befragten die jeweils gleichen Fragen in jeweils gleicher Formu‐ lierung und jeweils gleicher Reihenfolge von einem Interviewer gestellt be‐ kommen. Das heißt in der Praxis, dass Sie als Befragerin anhand eines vorab erstellten Interviewschemas in Form eines schriftlichen Fragebogens vor‐ gehen. Sie haben sich dabei exakt an die Vorgaben zu halten und müssen zudem strikt neutral bleiben. Bevor Sie ein stark strukturiertes Interview durchführen, sollten Sie aber vorher ein gering bzw. teil-strukturiertes Interview führen, das Ihnen im Sinne eines Probedurchlaufs (des sog. »Pre-Tests«) zunächst einmal diejenigen Fragen herausfiltern hilft, auf die in der Praxis der Interviewsituation auch wirklich sinnvolle Antworten gegeben werden (können). Oft genug stellt sich nämlich erst mitten im Interviewverlauf und damit zu spät heraus, dass bestimmte Fragen missverständlich formuliert, mehrdeutig oder sonstwie nicht oder kaum sinnvoll beantwortbar sind. Da sich ein solcher Fehler im Interview selbst kaum noch beheben lässt, kann Ihnen ein Vorab-Interview dabei helfen, einen strukturierten Interviewerfragebogen zu entwerfen. Da‐ bei müssen Sie präzise und sorgfältig vorgehen, weil der Fragebogen später die Befragungssituation stark einschränkt und reglementiert (siehe unten). Ein Improvisieren im Sinne eines kurzfristigen Austauschs von Fragen oder einer freien Interpretation missverständlicher Fragen verbietet sich im stan‐ dardisierten Interview. Auch bei der quantitativen mündlichen Befragung können Sie zwischen verschiedenen Formen wählen. Zu unterscheiden sind: Einzelinterview: Dabei handelt es sich um die am häufigsten verwendetet Form der Befragung. Sie wird anhand des bereits erläuterten stark struktu‐ rierten Fragebogens durchgeführt, der von Befragenden schrittweise vor‐ gelesen wird. Panelbefragung: Dabei handelt es sich um eine Befragung (die auch - und meistens - in schriftlicher Form durchgeführt werden kann), die eine Aus‐ wahl von Menschen zu einem ganz bestimmten Thema in regelmäßiger Rei‐ henfolge über einen bestimmten (oft auch längeren) Zeitraum hinweg be‐ 159 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 159 <?page no="160"?> fragt. Man spricht deshalb auch von einer »Längsschnittbefragung« oder »Längsschnittstudie«. Sie ist besonders gut geeignet, wenn Sie z. B. Verän‐ derungen bestimmter Einstellungen und Meinungen in Erfahrung bringen wollen (so könnte ein Lehrer bspw. seine Schüler über mehrere Jahre hinweg einmal jährlich zu ihren Freizeitinteressen oder zu ihrer Mediennutzung be‐ fragen). Expertenbefragung: Bei diesem Verfahren (das ebenso schriftlich durch‐ geführt werden kann) werden gezielt erwiesene Expertinnen eines Fachge‐ bietes zu einem bestimmten Sachverhalt befragt. Delphi-Methode: Einer Gruppe von zu Befragenden werden die Ergebnisse und Kernaussagen einer vorangegangenen Befragungsrunde vorgelegt. Je‐ der, der an solchen wiederholten schriftlichen Befragungen teilnimmt, muss die eigenen Antworten mit denen anderer vergleichen. (In diesem Fall sind in aller Regel Rückfragen und Erläuterungen angebracht, weshalb sich die Delphi-Befragung eher für eine nicht- oder teil-strukturierte Befragung eig‐ net, also einem eher qualitativen Vorgehen entspricht. Telefoninterview: Das Telefoninterview stellt einen Sonderfall der münd‐ lichen Befragung dar (während die Online-Befragung wie gesagt zur schrift‐ lichen Befragung zählt). Wie Sie wahrscheinlich selber schon erlebt haben (oder erleben mussten), greifen vor allem Markt- und Meinungsforschungs‐ institute auf dieses Erhebungsinstrument zurück. Um das Kriterium der Repräsentativität zu erfüllen, werden zu befragende Personen meist nach dem Zufallsprinzip (i. d. R. durch ein Computersystem) angerufen. Interes‐ sieren hingegen nur bestimmte Zielgruppen, wird auf Sozialdaten zurück‐ gegriffen, die sich aus unterschiedlichsten Quellen speisen (Einwohnermel‐ deämter, Adressregister) und etwas über die soziale Situation oder die Interessen von Personen aussagen. (Nicht selten werden solche personen‐ bezogenen Daten auch illegal von kommerziellen Adressenhändlern be‐ sorgt). Die Probleme einer Telefonbefragung können Sie sich sicher denken: Abgesehen davon, dass die Teilnahme meistens nicht freiwillig erfolgt (und deshalb oft auf eine Weise geantwortet wird, die eher einem »Abwimmeln« des Anrufers gleichkommt, weil man zum Auflegen dann doch zu feige oder zu höflich ist), können die Befragenden auch nicht überprüfen, wer am Te‐ lefon sitzt; den Befragten können keine schriftlichen »Denkhilfen« (Frage‐ bogen) angeboten werden, entsprechend müssen die Fragen sehr einfach gehalten sein und sind deshalb mitunter nicht sehr aussagekräftig. Schließ‐ 160 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 160 <?page no="161"?> lich muss im Sinne der quantitativen Forschung das ganze Interview stark strukturiert sein und erlaubt deshalb den Befragten wenig Freiraum für Antworten, was als demotivierend empfunden werden kann. Schriftliche Befragung mit Fragebogen Eine schriftliche Befragung bedeutet, dass die Befragten einen schriftli‐ chen Fragebogen ausfüllen sollen. Dabei können Sie als Befragende beim Ausfüllen anwesend sein, oder aber Ihre Funktion »beschränkt« sich darin, den Fragebogen anzufertigen (zu »designen«) und zu verteilen. Die Rück‐ sendung des ausgefüllten Fragebogens erfolgt dann entweder per Post oder - in zunehmendem Maße - per Email im Falle einer Online-Befragung. Die Hauptschwierigkeit bei der Durchführung schriftlicher Befragungen wurde vorher schon genannt: Wer garantiert Ihnen eigentlich, dass die be‐ fragte Personengruppe die Fragebögen tatsächlich 1.: wahrheitsgemäß aus‐ füllt und (ggf.) 2.: auch noch zurückschickt? Letzteres, das Zurückschicken des ausgefüllten Fragebogens, sollte deshalb so »niedrigschwellig« wie ir‐ gend möglich erfolgen. D.h.: Ein ausgefüllter und frankierter Rückumschlag ist auf alle Fälle beigelegt (zumindest dann, wenn die Befragten kein großes Eigeninteresse an einer bestimmten Befragung haben). Einfacher gestaltet sich das natürlich im Falle einer Online-Befragung; gleichzeitig besteht die Kunst hier aber zunächst schon mal darin, die kontaktierte Person überhaupt dazu zu bewegen, die Mail zu öffnen und nicht gleich als Spam zu löschen. Wie Sie bestimmt aus eigener (oft genug leidvoller) Erfahrung wissen, ver‐ suchen viele Marktforschungsinstitute, aber auch wissenschaftliche Insti‐ tutionen mit allerlei Anreizsystemen (Teilnahme an Preisausschreiben etc.), Sie zur Mitarbeit zu motivieren. Dass dergleichen Strategien meist nur bei bestimmten Zielgruppen anschlagen und deshalb auf Kosten der Repräsen‐ tativität gehen, zudem auch keinerlei Garantie bieten, dass tatsächlich wahr‐ heitsgemäße Antworten geliefert werden (die Teilnahme an der Verlosung ist schließlich unabhängig von der Qualität der Antworten), ist klar. Tat‐ sächlich gibt es für eine hohe Rücklaufwahrscheinlichkeit leider kein Pa‐ tentrezept: Zu sehr hängt diese an der Art der Befragung und am dahinter‐ stehenden Erkenntnisinteresse. Den höchsten Erfolg haben Sie diesbezüglich erfahrungsgemäß bei der Befragung geschlossener, gleichartiger Gruppen, die zudem einen Sinn in der durchgeführten Studie erkennen können, vielleicht deshalb, weil sie sel‐ ber Betroffene sind: Eine anonyme Befragung von alleinerziehenden Müt‐ 161 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 161 <?page no="162"?> tern (denen die Fragebögen bspw. in einer Beratungsstelle ausgehändigt wurden) zu deren sozialer Situation (sowie Möglichkeiten ihrer Verbesse‐ rung) hat bestimmt einen weitaus höheren Rücklauf als eine in der Hauspost befindliche Befragung zu persönlichen Reisegewohnheiten, für deren Be‐ antwortung eine Teilnahme an einer Verlosung winkt (über deren Modali‐ täten ich zu allem Überfluss meist nichts weiß). Die »Kunstfertigkeit« der Fragebogengestaltung Wenn es um die Gestaltung eines Fragebogens geht, ist die Bezeichnung »Kunst« durchaus angebracht, auch darf beim Fragebogendesign von ei‐ ner »Wissenschaft für sich« gesprochen werden. Schließlich hat ein brauch‐ barer Fragebogen gleich einer ganzen Reihe von Ansprüchen zu genügen: • Er muss die Fragen klar und unmissverständlich formulieren. • Seine Handhabung sollte leichtfallen (es bedarf also keiner »Betriebs‐ anleitung«, um ihn bearbeiten zu können). • Die Anleitung zum Ausfüllen muss exakt sein. • Die Struktur der Fragen sollte einer inneren Logik folgen • Die Antwortvorgaben sollten sowohl dem Inhalt angemessen als auch einer späteren Auswertung dienlich sein. Der letzte Punkt meint Folgendes: Es gibt genügend Beispiele für interes‐ sante Fragestellungen, die sich einer statistischen Auswertung aber entzie‐ hen: Wenn Sie etwa bestimmte Einstellungen von Menschen an jeweils ver‐ schiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten in Erfahrungen bringen wollen, ist dies sicher eine lobenswert differenzierte Vorgehensweise, die Auswertung der Ergebnisse erfordert aber eine entsprechend komplexe mehrdimensionale Darstellungsweise. Umgekehrt ist eine Darstellung der Art »X% sagen Ja, Y% sagen Nein« statistisch einfach darzustellen, bezogen auf viele Fragen aber nur wenig aussagekräftig und »unterkomplex«. Bei manchen Fragestellungen werden die Antwortmöglichkeiten »ja«, »nein«, »egal« dem Forschungsinteresse nicht entsprechen bzw. ihm nicht gerecht werden. Bei der Frage: »Sind Sie zufrieden mit dem Lehrangebot Ihrer Fakultät? « wäre ein sogenanntes »Polaritätsprofil« sicher aussage‐ kräftiger als eine rein geschlossene Antwort im Sinne von ja / nein: Die Antwort wäre dann vielmehr in einer Skala mit den Polen »Sehr« und »Überhaupt nicht« anzusiedeln und beinhaltet dazwischen etwa auch die Antwortmöglichkeiten »Ein wenig«, »Sowohl als auch« und »Kaum«. An‐ 162 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 162 <?page no="163"?> dererseits ist ein solches Antwortschema natürlich ein wenig aufwendiger auszuwerten als das bei einer bloßen Auszählung von Jas und Neins der Fall wäre. Nicht nur die Antwortvorgaben, sondern auch - und vor allem! - die Art und Weise, wie Sie Ihre Fragen formulieren, entscheidet in ganz erheblichem Maße darüber, ob ein Fragebogen überhaupt ausgefüllt wird und zudem auch wahrheitsgemäß (das gilt natürlich auch für mündliche Befragungen). So macht es etwa einen gravierenden Unterschied, ob Sie die Frage stellen: »Gehen Sie manchmal fremd? « oder ob Sie denselben Sachverhalt wie folgt formulieren: »Würden Sie jemanden moralisch verurteilen, der manchmal fremd geht? « Zwar ist damit nicht das Gleiche gefragt, dennoch lassen sich Rückschlüsse auf ein tatsächliches Verhalten ziehen. Genau darin besteht aber nun besagte Kunstfertigkeit des Fragebogendesigns: Fragen (gerade heikle Fragen, die etwas über die Persönlichkeit aussagen) so zu formulieren, dass sich niemand in die Enge getrieben fühlt und dabei dennoch aussage‐ kräftige Ergebnisse erzielt werden! Noch ein Beispiel: Wenn Sie fragen würden: »Sind Sie ein Ausländer‐ feind? « werden Sie mit Sicherheit ganz andere Ergebnisse erzielen als mit der Frage »Wäre es Ihnen Recht, wenn Ausländer in Ihrer Nachbarschaft leben oder wäre es Ihnen lieber, wenn das nicht der Fall wäre? « Wer sich für letztere Antwortvorgabe entscheidet, ist sicher noch nicht zwangsläufig und automatisch ein Ausländerfeind. Dennoch lässt eine solche Frage womög‐ lich substantiellere Rückschlüsse zu als die direkte Frage, die womöglich viele nicht mit »ja« beantworten wollen, weil sie sich selber nicht so ein‐ schätzen, obwohl ihr Denken von entsprechenden Stereotypen und Vorur‐ teilen bestimmt ist. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Tipps und Tricks für die Gestaltung möglichst »wasserdichter« Fragebögen: z. B. gilt es zu berücksichtigen, dass Befragte gegen Ende des Antwortprozesses sowohl ihre Aufmerksamkeit als auch ihr Interesse zu verlieren drohen. Deshalb sollten gegen Ende des Fragbogens die Fragen kürzer gefasst sein. Nachfolgend finden Sie einige wichtige Grundsätze für die Gestaltung von Fragebögen zusammengefasst. Es versteht sich von selbst, dass die konkrete Fragestellung und das Interesse Ihrer Befragung über die Gewichtung der einzelnen Punkte entscheidet. 163 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 163 <?page no="164"?> Regeln für das Design Ihres Fragebogens • Fragen müssen immer so einfach, eindeutig und verständlich und zudem so kurz wie möglich formuliert sein. Komplexe Sätze, doppelte Verneinungen, Fremd- und Fachwörter sind zu unterlassen. Entsprechend sollten sich die Fragen auch eher an der Umgangssprache orientieren (sofern es sich um keine Ex‐ pertenbefragung handelt). • Die Fragen müssen so konkret wie möglich sein, Unklarheiten bzw. Mehrdeutigkeiten sind zu vermeiden. (Die Frage: »Sind Sie mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart zufrieden? « ist natürlich viel zu unspezifisch. Auch eine Frage der Art: »Sind Sie für oder gegen die Hochschulreformen in Europa? « ist zu mehrdeutig). • Die Fragen sollten so neutral wie möglich formuliert sein, weshalb die Antwortvorgaben qualitativ entsprechend ausge‐ wogen sein müssen. (Dies ist z. B. nicht der Fall, wenn auf die Frage: »Sind Sie mit dem Studium zufrieden? « einerseits mit »Ja«, andererseits mit »Keinesfalls« antworten können). • Suggestivfragen sind zu unterlassen, ebenso rhetorische Fra‐ gen. (»Sind Sie auch der Meinung …? «, »Sind Sie wie die meis‐ ten Studierenden auch der Ansicht, dass …? «). • Die Anzahl der Antwortvorgaben muss überschaubar und doch aussagekräftig sein. (Bei einem Polaritätsprofil mit den beiden »Außenposten«: »bin absolut dafür / bin absolut dage‐ gen« bedarf es zwingend innerer Abstufungen. Andererseits muss die Anzahl an Antwortkategorien aber überschaubar bleiben, da sonst die Auswertung wenig Substanz liefert). Spe‐ ziell bei Polaritätsprofilen sollten links und rechts von der mittleren Position gleich viel Antwortmöglichkeiten vorhan‐ den sein, da sonst erfahrungsgemäß die Seite mit der Überzahl an Kategorien bevorzugt wird. • Die Fragen dürfen nicht überfordern. Das gilt zum einen für Expertenwissen, das Nicht-Experten abverlangt wird (»Was halten Sie von der aktuellen Gesetzesnovelle der EU-Kommis‐ 164 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 164 Wichtig <?page no="165"?> sion? «), zum anderen für überfordernde Schätzungen (»Wie viele Stunden verbringen Sie im Semester an der Uni? «). • Der Fragebogen muss die Messeinheiten und Relationen bein‐ halten, auf die sich die Frage bezieht. (Die Frage »Wie viel lesen Sie in der Woche durchschnittlich? « muss sinnvollerweise eine Minuten- oder Stundenskala enthalten). Zudem ist es ange‐ bracht, Skalen sinnvoll zu untergliedern. (Die Frage nach der Lesedauer kann etwa in der Form »unter einer Stunde, 1-2 Stunden…, mehr als 8 Stunden« o. ä. kategorisiert werden. Ein Pre-Test kann dabei Auskunft über die sinnvolle Anzahl und den Umfang der einzelnen Kategorien liefern). • Die Reihenfolge der Fragen muss bedacht werden: Weder darf diese zu lang sein (weil dann die Gefahr der Demotivation be‐ steht), noch sollte die Reihenfolge eine versteckte Wertung zum Ausdruck bringen. Nicht zu vergessen sind Ihrem Fragebogen natürlich Angaben zur Person hinsichtlich der Sie interessierenden Eigenschaften (diese Angaben werden meist zu Beginn des Fragebogens erhoben). Dabei müssen Sie natürlich darauf achten, dass solche Angaben evtl. nicht auf Kosten der Anonymität gehen. Durchaus üblich sind etwa An‐ gaben zum Geschlecht und Alter, evtl. auch zur Ausbildung oder zur Herkunftsregion. Bei der Anfertigung eines Fragebogens gilt eben wie überhaupt: Nur Übung macht den Meister! Aufbereitung quantitativer mündlicher Befragungen Nach Beendigung Ihrer schriftlichen oder mündlichen Befragung verfügen Sie (hoffentlich! ) über jede Menge ausgefüllter Fragebögen bzw. Befragungs‐ protokolle, die es nun nach den Regeln der quantitativen Sozialforschung auszuwerten gilt. In Abschnitt V.2 finden Sie eine Einführung in die üblichen Ansätze einer statistischen Auswertung quantitativer empirischer Daten. An dieser Stelle geht es deshalb nur kurz um einige Besonderheiten im spe‐ ziellen Zusammenhang der Auswertung von Befragungen. Grundsätzlich gilt, dass Sie jedes Interview in irgendeiner Weise »fest‐ halten«, also verschriftlichen müssen. Bei einer schriftlichen Befragung ha‐ 165 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 165 <?page no="166"?> ben Sie die Antworten ohnehin schon vorliegen. Bei einer mündlichen Be‐ fragung müssen Sie die zuvor per Video oder Tonträger mitgeschnittenen Interviews transkribieren, d.h.: wörtlich protokollieren (Sie haben übri‐ gens - leider - Recht, wenn Sie sich gerade denken sollten: »Ohne Zehn-Fin‐ ger-System ist sowas ja mitunter eine Menge Arbeit! «). Dabei lassen sich verschiedene Formen der Verschriftlichung unterscheiden (s.a. Abschnitt IV.3): Wörtliche Transkription: Die erhobenen Antworten werden vollständig in Schriftform übertragen Kommentierte Transkription: Auch nicht-mündliche Bestandteile eines Interviews (Pausen, Lachen, Grübeln, Betonungen etc.) werden (meistens in Klammern) angeführt. (Sie kennen das sicherlich aus Zeitungen und Zeit‐ schriften und wissen deshalb, dass eine Antwort mit der Einfügung [»über‐ legt lange, dann grinsend: «] die Interpretation und die Aussagekraft einer Aussage deutlich erhöhen kann). Zusammenfassendes Protokoll: Wenn lediglich inhaltliche Teilaspekte interessieren, kann ein Interview auch systematisch (mit Blick auf die in‐ teressierenden Aspekte) zusammengefasst werden. Dabei ist zu berücksich‐ tigen, dass unterschiedliche Aspekte / Themen auch nach der Zusammen‐ fassung gleichgewichtig angeführt werden, da andernfalls der Inhalt verzerrt würde. Selektives Protokoll: Auch hier geht es darum, anhand vorher festgelegter Auswahlkriterien nur ganz bestimmte Textstellen anzuführen, die für eine bestimmte Fragestellung von Bedeutung sind (z. B. in der Form, dass nur die Textstelle einer ausführlichen Transkription berücksichtigt werden, in de‐ nen bestimmte Schlüsselbegriffe [sog. »Ankerbegriffe«] und auf sie verwei‐ sende Begriffe berücksichtigt werden). Die einzelnen Arbeitsschritte einer Befragung Wie Sie sehen konnten, handelt es sich bei der Methode der Befra‐ gung angesichts der unterschiedlichen Befragungstypen und Aus‐ wertungsmöglichkeiten um eine komplexe Angelegenheit. Ab‐ schließend deshalb hier nochmal eine kompakte Zusammenfassung 166 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 166 Überblick <?page no="167"?> der typischen Vorgehensweise bei einer Befragung in Form von 10 Stichpunkten (die Reihenfolge gibt lediglich eine grobe Struktur an, im Einzelnen überlappen sich die Punkte durchaus): 1. Sammlung von Unterlagen zum Forschungsthema, Einlesen in die Untersuchungsmaterie, Vorüberlegungen, Formulierung der Arbeitshypothese 2. Zielgruppendefinition (abhängig von der Forschungsfrage), Entscheidung für die Erhebungsmethodik (mündlich / schrift‐ lich? Telefon, Internet, Brief ? ) sowie erste Kontaktanbahnung mit möglichen Interviewpartnern / zu Befragenden. 3. Entwicklung des Erhebungsinstrumentes (Design des Frage‐ bogens bzw. des Interviewleitfadens). 4. Zusammenstellung der Stichprobe(n) / Stichprobenauswahl (ist die Stichprobenziehung repräsentativ? ) 5. Einrichtung einer Datenbank / eines Erhebungsprotokolls 6. Auswahl und Schulung der Interviewerinnen / der Mithelfer‐ innen. 7. Durchführung der Befragung, wenn möglich nach einem vor‐ angehenden Probedurchlauf mit geringer Stichprobe. (Findet die Befragung »vor Ort«, also im »sozialen Feld« statt, spricht man auch von der »Feldphase«). 8. Überprüfung und Auszählung der Antworten. 9. Statistische Auswertung und Analyse des Datenmaterials (siehe nachfolgend). 10. Anfertigung des Forschungsberichts. In diesem wird das ge‐ samte methodische Vorgehen vorgestellt und ggf. auch kritisch diskutiert. Er beinhaltet also die Forschungshypothese, die Be‐ gründung und Darstellung des Erhebungsinstrumentes (z. B. die Art des Fragebogens), das methodische Vorgehen und die Durchführung im Einzelnen (»wer hat wann und wo wen über was befragt«? ) sowie letztlich die Darstellung, Auswertung und (selbstkritische! ) Interpretation der Daten. Jede Menge Arbeit? Stimmt! Und doch werden Sie sehen, dass eine methodisch sauber durchgeführte Befragung auch sehr viel Spaß machen kann. Nur Mut! 167 2 Quantitative Erhebungsmethoden (BL) 167 <?page no="168"?> Vor der Durchführung einer quantitativen Befragung müssen Sie sich zu‐ nächst entscheiden, ob Sie eine schriftliche oder eine mündliche Befragung (oder auch beides) durchführen wollen. Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile, die Sie mit Blick auf Ihre Forschungsfrage(n) abwägen müssen. Sowohl bei Fragebogenbefragungen als auch bei Interviews gibt es wie‐ derum spezielle Durchführungsmöglichkeiten, die mit je eigenen Anforde‐ rungen einhergehen. In allen Fällen der Befragung steht und fällt die Qualität der Ergebnisse mit dem Design des zugehörigen Fragebogens, bei dem eine Reihe wichtiger Grundsätze zu berücksichtigen sind. Letztlich gilt es dann, die erhobenen Antworten in auswertbare Kategorien zu überführen und diese dann nach quantitativen Kriterien auszuwerten. Atteslander, Peter (2010): Methoden der empirischen Sozialfor‐ schung. 13. Auflage. Berlin u.a.: ESV. Diekmann, Andreas (2007): Empirische Sozialforschung: Grundla‐ gen, Methoden, Anwendungen. 18., vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Reinbek: Rowohlt. Kromrey, Helmut (2009): Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenaus‐ wertung. 12. Auflage. Stuttgart: Lucius & Lucius. Mayer, Horst Otto (2012): Interview und schriftliche Befragung. Grundlagen und Methoden empirischer Sozialforschung. 6. Auf‐ lage. München / Wien: Oldenbourg. Raithel, Jürgen (2008): Quantitative Forschung: Ein Praxiskurs. Wiesbaden: VS. 3 Aufbereitungsmethoden (AP) Die Aufbereitung erhobener Daten ist ein - vor allem zu Beginn - oft unterschätzter und vernachlässigter Schritt in der empirischen Forschung. Es handelt sich hierbei um eine eigene Phase bei der Durchführung eines Forschungsprojektes. Sie liegt zwischen Erhebungs- und Auswertungs‐ phase. Ihr kommt eine besondere Bedeutung bei der vorbereitenden Zu‐ 168 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 168 Literaturtipps <?page no="169"?> sammenstellung und Auswahl der bereits erhobenen Daten für die weitere Datenanalyse und Datenauswertung zu. Die erhobenen Daten stellen das aufzubereitende Material dar. Sie können in unterschiedlichen Formen vorliegen, z. B. als Statistiken, Texte, Abbil‐ dungen, Filme und Tonaufnahmen. Aufgabe jeder wissenschaftlichen Arbeit ist es, Daten zu beschreiben, darzustellen und zu analysieren. Das Aufbe‐ reiten der erhobenen Daten, also des vorliegenden Datenmaterials, soll dies unterstützen. Aufbereiten meint dabei das Behandeln von erhobenen Daten mit dem Ziel, diese so auszuwählen und zu arrangieren, dass sie den Untersuchungs‐ zielen entsprechend, mit dem geringsten Aufwand und dem größtmöglichen Ertrag an Erkenntnissen ausgewertet und dargestellt werden können. Dazu gehört die Prüfung der vorliegenden Daten auf Sinnhaftigkeit und Plausi‐ bilität. Sind die Daten vollständig und die Daten(träger) richtig gekenn‐ zeichnet? Gibt es Unklarheiten, Auffälligkeiten und Widersprüche? Sind alle Daten, die es braucht, erhoben worden? Fehlen wichtige Informationen zur Beschreibung der Daten? Für die Aufbereitung quantitativer Daten gibt es eine Reihe an standar‐ disierten numerischen und graphischen Aufbereitungsmethoden, die zur Deskriptivstatistik (beschreibende Statistik) gehören und die die notwen‐ dige Voraussetzung für die Inferenzstatistik (prüfende Statistik) bilden. Für qualitative Daten gibt es eigene Möglichkeiten, wie z. B. Texte nach inhalt‐ lichen Gesichtspunkten auszuwählen, Oberbegriffe für inhaltlich zusam‐ menhängende Begriffe zu finden, Kategorien für die inhaltliche Zuordnung von Textstellen zu bilden, Zusammenfassungen von Texten zu erstellen und Schlagwörter zu definieren. Die Aufbereitung qualitativer Daten ist auf‐ grund der vielen notwendigen inhalts- und sprachbezogenen Denkarbeit besonders zeitintensiv. Zum Beschreiben, Analysieren und Erörtern eines Sachverhalts verwen‐ det die Wissenschaft in beiden Anwendungsbereichen grundsätzlich die wissenschaftliche Sprache. Das ist die Schriftsprache unter Hinzunahme wis‐ senschaftlicher Fachsprachen und unter Anwendung auf Logik basierender Prinzipien. Behauptungen müssen demnach begründet und belegt werden. Beschreiben, Analysieren, Begründen, Belegen und Erörtern lässt sich sprachlich nur hintereinander, d. h. linear. Beim Beschreiben von visuellen oder auditiven Eindrücken (wie z. B. eine Graphik, eine Abbildung, ein Bild, eine Geste bzw. Bewegung, ein Lied) lässt sich meist nur ein Detail nach dem 169 3 Aufbereitungsmethoden (AP) 169 <?page no="170"?> anderen schriftlich festhalten. Das Versprachlichen und in Folge Verschrift‐ lichen erzeugen also eine lineare Abfolge des erhobenen Datenmaterials. Transkription von Interviews Interviews sind eine Form der Befragung, die häufig in der qualitativen For‐ schung zum Einsatz kommen. Sie finden in der Regel mündlich statt und werden mit einem Aufnahmegerät (Tonträger oder Bild- und Tonträger, also einem Audio- oder Videogerät) festgehalten. Um Interviews auswerten zu können, müssen sie in einer verschriftlichten Form vorliegen. Das bedeutet, die für die Auswertung erheblichen Interviewpassagen zu bestimmen und nach bestimmten Regeln abzutippen. Es bedeutet also nicht, den Text von vornherein eins zu eins zu übertragen. Außer man entschließt sich aus in‐ haltlichen Gründen dafür, das gesamte Interview einzutippen. Der Begriff der Transkription leitet sich vom Lateinischen trans-scribere ab, was überschreiben bzw. übertragen, umschreiben, auch abschreiben und kopieren bedeutet. Das Übertragen von mündlichen Interviewstellen (den ausgewählten »Interviewdaten«) von einem entsprechenden Tonträger in eine Textdatei, also das Verschriftlichen von im Interview getätigten Aus‐ sagen, meist noch durch Abtippen mit der Hand, nennt man Transkription. Es kann aber auch sein, dass kein audio-visuelles Material vorliegt, sondern Texte und Notizen, die in der vorliegenden Form noch nicht auswertbar sind. Diese werden dann ebenfalls erst durch Umschreiben (Transkription) nutz‐ bar. Transkriptionen sollten auch äußere, auf das Interview bezogene und für das Forschungsprojekt relevante Gegebenheiten bzw. Daten festhalten. Wann und wo das Interview stattgefunden hat, wie lange es gedauert hat, die äußeren Umstände, die statistischen und anonymisierten Daten zu den befragten Personen, die Kodierungserläuterungen, u.a.m. Gründe, sich Gedanken über inhaltlich treffende Passagen zu machen und diese zu bestimmen, sind neben den inhaltlichen Gründen vor allem die zeitlichen und finanziellen Ressourcen, die es ökonomisch einzusetzen gilt. Ist das Budget vorhanden und ebenso genügend Zeit, kann man entspre‐ chend mehr oder alle Interviewpassagen (ausgewählter oder aller Inter‐ views) in eine Textdatei übertragen. Zweckmäßig ist es, für jedes Interview eine eigene Datei anzulegen. Wichtig ist neben einem einheitlichen und in Form von Transkriptionsre‐ geln (auch Transkribierregeln genannt) vorangestellten Modus die Zeilen‐ 170 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 170 <?page no="171"?> nummerierung des eingegebenen Textes (des Interviews). Mit der Zeilen‐ nummerierung am linken Rand des Textes kann jede Bezugnahme auf eine Interviewpassage präzise und nachprüfbar anhand der Originalaussage be‐ legt werden. Transkriptionsregeln gewährleisten eine verbindliche Bearbeitungs‐ weise und eine einheitliche Auswertung von einer gegebenen oder noch zu bestimmenden Auswahl an Interviews. Sie werden aufgrund der inhaltli‐ chen Absichten festgelegt. D.h. Transkriptionsregeln werden auf die jewei‐ ligen Untersuchungsziele bezogen formuliert. Sie können von Forschungs‐ projekt zu Forschungsprojekt durchaus unterschiedlich sein. Wenn z. B. in einem Fall Dialektforschung betrieben wird, so ist es nur folgerichtig, dass beim Verschriftlichen versucht wird, den Dialekt als sprachlichen Ausdruck zu erfassen und im Schriftbild zu erhalten. »Isch sell wiarklich a sou? « oder gar »Ma dai, isch sell a sou? « liest sich anders als »Ist das auch wirklich so? « Ebenso die Antwort »Sell jo« und die Übertragung »Ja logisch« oder »Ja, das ist so«. Stehen die inhaltlichen Aussagen im Vordergrund, wie in der sich nach der Schriftsprache ausrichtenden Variante im vorigen Beispiel, und nicht der Dialekt als solcher, dann wird man zwar wörtlich zu transkribieren trachten, aber dies in Schriftsprache übersetzter und grammatikalisch entsprechender Form. »S’woa leicht unt kana hot gmeckat« wird zu »Es war leicht und keiner hat gemeckert.« Man muss überlegen, ob beim Transkribieren der Lokalkolorit (die dia‐ lektische Einfärbung) erhalten bleiben soll und wenn ja wie stark, oder alle Aussagen in sachliche und der Schriftsprache entsprechende Formulierun‐ gen übertragen werden sollen. Im letzteren Fall ist die Fokussierung auf den Inhalt der Aussage stärker gegeben, da die Ablenkung durch den Dialekt wegfällt. Der Inhalt der Aussagen lässt sich so leichter erfassen und in der weiteren Bearbeitung handhaben. Es gilt auch zu klären, inwieweit nicht-sprachliche Äußerungen (Mimik, Gestik, Pausen, etc.) verschriftlicht werden sollen. Grundsätzlich ist jede Verringerung des Aufwands anzustreben. Wenn die vielen »hm « und »äh « nicht wichtig sind, lassen Sie sie weg. Wenn der Tonfall in der Stimme, das Zögern, der Zweifel nicht wichtig sind, ebenfalls. Transkribieren Sie nur das, was Sie für Ihr Untersuchungsziel brauchen. Am Anfang aber etwas mehr oder besser noch das eine oder andere Interview ganz, um die Wirkung des Textes zu spüren und nicht Gefahr zu laufen, zu wenig zu transkribieren. 171 3 Aufbereitungsmethoden (AP) 171 <?page no="172"?> Das Ziel der Transkription ist es, v. a. mündlich überlieferte Informationen (aus Interviews, Erzählungen, etc.) lesbar zu machen. Transkriptionsregeln helfen dabei. Die verschiedenen, dem jeweiligen Forschungszweck ange‐ passten Transkriptionsregeln haben trotzdem einige Regeln bzw. Punkte gemeinsam. Meist werden die Interviewpartner anonymisiert, um deren persönliche Identität zu schützen und dem Datenschutz gerecht zu werden. Die interviewende Person bekommt ein Kürzel, wie z. B. »I« für Inter‐ viewer und die interviewte bzw. befragte Person ein Kürzel wie z. B. »B« für befragte Person oder »E« oder »Ex« für befragte Expertin, u.ä. m. Diese Buchstabenkürzel werden zusätzlich nummeriert, also z. B. B1 oder »E1« für die erste befragte Person bzw. Expertin. Dies bezeichnet man als das Kodieren der Interviewpartner (die interviewenden Personen einbezogen). Eine Möglichkeit, Pausen im Gesprächsverlauf aufzuzeigen, also z. B. die Pausen, die die befragte Person beim Beantworten einer Frage macht, sind Punkte ohne Klammern, wobei ein Punkt einer Pause von ca. einer Sekunde entsprechen kann. Ein Beispiel: »Es war leicht und keiner hat gemeckert.« Da könnten die ca. 2 Sekunden ein Zögern und ein Suchen nach dem pas‐ senden Ausdruck bedeuten. Das muss aber nicht so gewesen sein. Vielleicht ist die befragte Person sonst wie abgelenkt worden. Deshalb ist es wichtig, in einem Interview auch die Umgebung im Auge zu behalten und etwaige Veränderungen (Störungen) in Klammern zu notieren. Gleiches gilt für non‐ verbale Laute bzw. Äußerungen und für von den Interviewten produzierte Geräusche, z. B. Niesen (niest). Egal, welche Transkriptionsregeln Sie erstellen und verwenden, Sie sollen Ihren Absichten gerecht werden. Es gibt keine verbindlichen anzuwenden‐ den Regeln dafür. Am einfachsten und sinnvollsten ist es, wenn Sie nach gründlicher Vorüberlegung eine Tabelle mit den Transkriptionsregeln er‐ stellen und nach einer oder zwei Transkriptionen überarbeiten und Ihren Bedürfnissen anpassen. Außerdem sorgen Sie damit auch für Transparenz der Aufzeichnungen und eine schnellere und optimale Orientierung bei ihrer Nutzung. 172 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 172 <?page no="173"?> Transkriptionszeichen Zeichen Bedeutung I Interviewer oder Interviewerin B Interviewter oder Interviewte (befragte Person) ? unverständliche Passage … Pause (ein paar Sekunden) () Kommentare (zur Situation, nicht-sprachlichen Handlungen, Störungen, Tonfall, usw.) Protokollierung, Feldnotizen, Tagebücher Gemeinsam ist den drei Methoden, in Forschungsprozessen Erlebtes, Ge‐ schehenes und Gedachtes systematisch festhalten zu wollen. Es handelt sich hierbei um verschiedene Varianten, relevante Daten im Forschungsprozess zu erheben. Sie spiegeln jeweils eine bestimmte Form der Auseinanderset‐ zung mit dem Forschungsfeld wider. Ihr Ziel ist nicht nur bloße Datenerhebung, sondern eine Art von Eintau‐ chen in das Forschungsgebiet mit dem Bestreben, dieses tiefer und gründ‐ licher zu erfassen. Ein wesentlicher Teil des Erkenntnisprozesses ergibt sich dabei aus der direkten Beobachtung von Ereignissen, selbst miterlebten Si‐ tuationen und eigenen, auch inneren Erfahrungen, Emotionen und Gedanken. Eine Möglichkeit, diese Erfahrungen festzuhalten, ist das genaue und de‐ taillierte Protokollieren augenscheinlich relevanter und noch nicht als re‐ levant einstufbarer Ereignisse. Die Bedeutung eines umfassenden Protokolls liegt u. a. darin, wesentliche Ergebnisse auch erst im Nachhinein, bei der 173 3 Aufbereitungsmethoden (AP) 173 Beispiel <?page no="174"?> Durchsicht und gedanklichen Konzentration auf die Aufzeichnungen, zu erkennen. Bei Befragungen ohne Aufnahmegerät lassen sich die entsprechenden Antworten stichwortartig, so nah am Wortlaut wie möglich, festhalten und unter der betreffenden Frage sammeln und ggf. auch zusammenfassen. So können sie systematisch verglichen und ausgewertet werden. Von Proto‐ kollierung spricht man auch, wenn man die Daten auf einem Ton- oder Ton- und Bildträger aufnimmt. Diese Daten müssen allerdings, wie schon zuvor bei der Transkription erläutert, zur weiteren Bearbeitbarkeit verschriftlicht werden. Eine andere Möglichkeit zum Festhalten von Daten in der Feldforschung ist das Anlegen von Forschungsnotizen, den so genannten Feldnotizen. Wie bei den beiden anderen Vorgangsweisen auch, handelt es sich hier ebenfalls um eine erste Art von Kodierung, bei der aus im Feld wahrgenom‐ menen Ereignissen und Begebenheiten und auch selbst erlebten Gescheh‐ nissen durch Aufschreiben Daten geschaffen werden. Mit dem Feld ist die alltägliche Umgebung der beforschten Personen gemeint, die Feldforschung findet demgemäß im Alltag der beforschten Personen statt, mittels Beob‐ achtung oder Befragung. Der Prozess des Niederschreibens beinhaltet dabei bereits eine Auswahl der erlebten Wirklichkeit durch die forschende Person, die zwar geplant ist, aber auch im Nachhinein reflektiert und auf ihre Auswirkungen hin unter‐ sucht werden kann. Die Rolle der Forschung treibenden Person wird in der Feldforschung dabei kritisch mit einbezogen. Anders als bei der bloßen Pro‐ tokollierung nimmt die Feldforschung die von der forschenden Person selbst erlebten Momente bewusst mit in den Erkenntnisprozess auf. Das Ergebnis der Feldforschung sind dann neben den Notizen auch die eigenen Erlebnisse und Rekonstruktionen dieser Erlebnisse, die gerade im Nachhinein weiter ergänzt, differenziert und verändert werden. Die Feldnotizen können in unterschiedlicher Form angelegt werden. Ent‐ scheidend sind Sinn und Zweck der Notiz, die sich nach dem Erkenntnisin‐ teresse der forschenden Person richten. Danach orientiert sich auch die Ausführung. Das kann von wörtlichen und nicht wörtlichen Notizen bis zu umfassenderen und sehr detaillierten Beschreibungen reichen. Eine weitere Möglichkeit zum Festhalten von Forschungsdaten, oder genauer, zur Erzeugung von Forschungsdaten, stellt das Führen eines For‐ schungstagebuches dar. Stärker noch als die Feldnotizen betont das For‐ schungstagebuch die persönliche Seite der Erfahrungen im Forschungs‐ 174 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 174 <?page no="175"?> prozess. Die Reflexion der eigenen, persönlichen Erfahrungen bezweckt nicht nur Erkenntnisse bezüglich des Forschungsgegenstandes, sondern auch auf die eigene Person bezogene Erkenntnisse. Das heißt, die eigene Person wird nicht nur in Bezug auf das Forschungs‐ vorhaben reflektiert. Sie wird auch im Hinblick auf persönliche Zielsetzun‐ gen überdacht. Tritt das forschungsbezogene Interesse überhaupt etwas in den Hintergrund, trifft deshalb manchmal der Begriff Tagebuch oder Lern‐ tagebuch besser. Spezifizierung von Datensätzen Grundsätzlich handelt es sich bei Daten um aufgezeichnete Informationen, die gesammelt werden, um eine Forschungsfrage zu klären. Diese Informa‐ tionen können Beobachtungen, Gedanken, Reaktionen, Messungen u. ä. m. betreffen. Aufgrund der Menge an Daten ist es wichtig, die für die Untersuchung wesentlichen Datensätze zu bestimmen. Ein Datensatz bezieht sich dabei auf eine Gruppe von Daten, die auf ein bestimmtes Auswertungsziel hin (Be‐ obachtungsziel) und für eine Beobachtungseinheit aus allen erhobenen Da‐ ten zusammengestellt wird. Eine Datenselektion findet in diesem Arbeits‐ schritt zumindest zweifach statt. Es sind die Beobachtungseinheiten (z. B. alle über 30-Jährigen) und Beobachtungsziele (z. B. ihr Bildungshintergrund) festzulegen. Daten können aus vorliegenden Quellen wie z. B. anderen Studien oder einem statistischen Zentralamt verwendet werden. Oder sie sind erst im Rahmen einer Forschungstätigkeit neu zu erheben. Die Datenerhebung er‐ folgt dabei systematisch, d. h. ausgehend von einem konkreten Forschungs‐ plan mit einer zentralen Forschungsfrage. Vom Messen spricht man in diesem Zusammenhang, wenn standardi‐ sierte Messwerkzeuge verwendet werden, die einen quantitativen (numeri‐ schen) Vergleich mit anderen Daten ermöglichen. Diese müssen auch sprachlich und schriftlich erläutert werden. Daten können auch qualitativ erhoben werden. Dabei wird zwischen der Erhebungsart und Dokumenta‐ tion der Daten unterschieden. Qualitative Daten lassen sich vor allem schriftlich, visuell und akustisch erheben und ebenso oder in Kombinationen davon darstellen. Zu ihrer Bearbeitung sind in der qualitativen Forschung deshalb neben der inhaltlich bestimmten Auswahl der Daten besonders deren Verschrift‐ 175 3 Aufbereitungsmethoden (AP) 175 <?page no="176"?> lichung (Transkription) wichtig, da gerade audio-visuelle Daten für eine sprachliche Weiterverarbeitung erst über ihre Verschriftlichung in wissen‐ schaftlich bearbeitbarer Form vorliegen. Unabhängig von den Aufzeich‐ nungsmodi (-arten) und ob quantitativ oder qualitativ, gilt es aus den vor‐ handenen Daten diejenigen zu bestimmen, die für eine weitere Bearbeitung in Frage kommen. Prüfung auf Messfehler und technische Aufbereitung Bei quantitativen und qualitativen Forschungsverfahren ist die Aufberei‐ tung der Daten, das Definieren von Datensätzen und deren Auswahl, also die Selektion von Datensätzen zur weiteren Auswertung, ein wesentlicher Faktor. Dazu gehört deshalb insbesondere die Prüfung der Daten auf etwaige Messfehler, auf Vollständigkeit und auf Schlüssigkeit. Bei Messfehlern spricht man in der Statistik von systematischen und zufälligen Messfehlern. Bei ersteren tritt bei Messwiederholungen immer der gleiche Messfehler auf, bei Letzteren ändern sich das Ausmaß und die Richtung des Messfehlers. Messfehler können aufgrund eines fehlerhaften Messinstruments oder anderen äußeren Einflüssen auftreten oder wegen eines Fehlers beim Ablesen der Werte. Messfehler werden auch Messab‐ weichungen genannt. Das Ergebnis sind ungenaue Messwerte. Es gibt aber einen Messfehler, der auftritt und auch einen ungenauen Messwert zur Folge hat, obwohl die Messinstrumente in Ordnung sind, keine Einwirkungen von außen den Messvorgang beeinträchtigen und richtig ge‐ messen wird. Wie das? Ganz einfach. Werden die Messungen nur an einer Zufallsstichprobe durchgeführt und nicht an der Grundgesamtheit, dann kommen deren Messwerte in einem abschätzbaren Bereich, um den soge‐ nannten echten oder wahren Wert aus der Grundgesamtheit zu liegen. Die Messwerte lassen sich dann als Funktion darstellen, bei der die Messwerte sich aus dem wahren Wert und dem Messfehler zusammensetzen. Zur Erläuterung: Eine (Zufalls-)Stichprobe ist eine Auswahl von Unter‐ suchungsobjekten aus einer Grundgesamtheit, die diese repräsentieren und bei der alle anderen Objekte der Grundgesamtheit die gleichen Chancen haben, in die Stichprobe zu gelangen. Da alle Stichproben die Grundge‐ samtheit nicht 1: 1 abbilden und damit nicht 1: 1 repräsentieren können (au‐ ßer die Stichprobe fiele mit der Grundgesamtheit zusammen), gibt es immer einen kleinen Unterschied zwischen den Messwerten einer Stichprobe und 176 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 176 <?page no="177"?> dem wahren Wert der Grundgesamtheit. Die Grundgesamtheit ist dabei die Menge aller potentiellen Untersuchungsobjekte, also die Menge der Objekte, über die Aussagen getroffen werden sollen. Ein weiterer wichtiger Faktor für eine entsprechende Spezifizierung von Datensätzen zur Datenselektion ist die Vollständigkeit der Daten bzw. des Datensatzes. Fehlende oder unbrauchbare Daten (Werte) können die Aus‐ wertung beeinträchtigen. Eine Möglichkeit, das Problem zu handhaben, bie‐ tet der Ausschluss von Datensätzen mit fehlenden Daten oder die Auswei‐ sung der fehlenden Daten in der Auswertung. Im ersten Fall spricht man auch vom Filtern der Daten. Neben der Vollständigkeit von Datensätzen gibt es noch andere Faktoren, die für die Überprüfung und Selektion von Daten eine wichtige Rolle spielen. Die Aktualität der Daten muss ebenso gegeben sein wie die Zuverlässigkeit der Datenquelle. Die Daten dürfen auch nicht widersprüchlich bzw. inkon‐ sistent sein. Das heißt, ihre Konsistenz muss gegeben sein. Dies bedeutet, dass ihre Verarbeitung kein Durcheinander und keine Unklarheiten erzeu‐ gen darf. Da besonders qualitative Daten immer wieder Prozessen der Umformu‐ lierung ausgesetzt sind, z. B. im Verlauf ihrer Verschriftlichung, kommt es dabei auch jedes Mal zu Selektionsentscheidungen. Diese gilt es inhaltlich auf Schlüssigkeit zu überprüfen, um zu gewährleisten, dass wesentliche In‐ halte erhalten bleiben und das Forschungsziel mit den entsprechenden Da‐ ten bestmöglich fundiert werden kann. Um die Daten für die weitere Bearbeitung verfügbar und handhabbar zu machen, muss besonderes Augenmerk auch auf die technische Aufberei‐ tung der Daten gelegt werden. Am wichtigsten ist dabei die Eingabe der Daten in ein entsprechendes Datenerfassungsbzw. Datenbankprogramm für die nachfolgende Datenauswertung. Daten in Form von Zahlenwerten sind problemlos einzugeben. Qualitative Daten wie Geschlecht oder höchs‐ ter Bildungsabschluss müssen noch vor der Eingabe für die späteren Aus‐ wertungen kodiert (umgewandelt) oder bei großen qualitativen Datenmen‐ gen vorher kategorisiert werden. Diese Kodierung geschieht mit Zahlen (numerisch) oder auch mit Buchstaben (alphanumerisch). Die Daten müssen nach ihrer Eingabe noch einmal kontrolliert und ggf. korrigiert werden. Es dürfen keine Datenwerte vorkommen, die nicht mög‐ lich sind oder die als Antwortmöglichkeit nicht vorgesehen waren. Der Vor‐ teil von Datenbanken ist neben der übersichtlichen und einfachen Ablage der Daten vor allem ihre leichte Überprüfung auf fehlende Werte, falsche 177 3 Aufbereitungsmethoden (AP) 177 <?page no="178"?> Eingaben etc. und ein vereinfachtes Auswertungsprozedere durch schnellen und unkomplizierten Zugriff auf die Daten. Dazu gehört die vorherige Ab‐ sicherung, dass mit den vorhandenen Daten die geplanten Auswertungen tatsächlich gerechnet werden können. Wichtig ist auch die Speicherung und Sicherung audio-visueller u. a. Rohda‐ ten auf verschiedenen Speichermedien (DVD, externe Festplatte, USB-Stick). 4 Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) In den vorigen Abschnitten dieses Kapitels haben wir Sie mit qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden sowie mit Methoden der Datenauf‐ bereitung bekannt gemacht. Abschließend wollen wir Sie in diesem Zusam‐ menhang auf die Bedeutung der Medien aufmerksam machen. Dabei finden historische Dimensionen, Anregungen zur Selbstreflexion sowie systema‐ tische und praktische Überlegungen Beachtung. Historische und systematische Überlegungen Medien spielen in der empirischen Forschung seit jeher eine wichtige Rolle. Das gilt nicht nur für naturwissenschaftliche Experimente, sondern auch für die ältesten Formen der zählenden Datenerhebung und der Aufzeichnung über fremde Kulturen in vorchristlichen Jahrhunderten, sowie für die Staats‐ beschreibungen der Neuzeit und die Vorläufer im 19. Jahrhundert (Bsp. Be‐ völkerungs- und Kriminalstatistik, ethnographische Forschungen). Die Frage nach der Bedeutung der Medien und ihren Wirkungen im gesell‐ schaftlichen Zusammenhang wurde zwar bereits Anfang des 20. Jahrhun‐ derts intensiv diskutiert. Ihre Bedeutung für die empirische Forschung ist allerdings erst in jüngster Zeit ein Thema geworden. Dabei zeichnet sich insgesamt eine Neubestimmung medialer Aspekte für Erkenntnis- und Wis‐ sensprozesse ab. Neubestimmung meint hier freilich nicht, dass altbekannte Fragen und Motive nicht wichtig wären. Ganz im Gegenteil: Auch in der aktuellen Dis‐ kussion sind Fragen wie die nach den Möglichkeiten der Schaffung von Wahrheit und Wissen von Belang. Was die Medien betrifft, so finden wir auch hier wie in der gesamten Geschichte des Nachdenkens über Medien und ihre Wirkungen tendenziell optimistische und pessimistische Sichtwei‐ 178 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 178 <?page no="179"?> sen. Es geht uns an dieser Stelle aber nicht nur um Stimmungen und Be‐ wertungstendenzen, sondern auch um die Bedeutung der Medien für unsere Wahrnehmung und unsere Bemühungen um Erkenntnisgewinnung. Erinnern wir uns zunächst an Alltagsdiskussionen, in denen verfälschte Medienwirklichkeiten der unverfälschten »wahren« Wirklichkeit gegen‐ übergestellt werden. Auf den ersten Blick scheinen die Beispiele entlarvter Lügengeschichten weiterzuhelfen. Bei näherer Betrachtung stellen wir aber schnell fest, dass es Fälle gibt, die sich nicht so leicht entscheiden lassen, und dass es mit der einen »wahren« Wirklichkeit nicht so einfach ist. Es sind nicht alleine die »subjektiven Einfärbungen«, die eine einfache Antwort problematisch erscheinen lassen. Es kommen Fragen nach dem Status und den Eigenheiten der Gegenstände und nicht zuletzt nach der Bedeutung der Vermittlungsinstanzen hinzu. Rufen Sie Gespräche in alltagsweltlichen Zusammenhängen in Er‐ innerung, in denen es um Themen wie »Medien und Wirklichkeit«, »Medien und Objektivität« oder »Medien und Wahrheit« ging: • Welche Positionen haben Sie dabei vertreten? • Wie schätzen Sie die Bedeutung Ihrer Positionen und die an‐ derer Sichtweisen, die Sie kennen gelernt haben, für die em‐ pirische Forschung ein? • Welche Ebenen und Aspekte spielen dabei eine Rolle? Diskutieren Sie das Resultat Ihres Nachdenkens mit Studien- oder Arbeitskollegen. Überlegen Sie weiters, in welcher Weise die Interaktionsdynamik im Forschungsprozess und auch die Ergebnisse variieren können, wenn zum Beispiel »printsozialisierte« Forscherinnen auf Jugendkulturen treffen, die sich durch einen »digital Lifestyle« auszeichnen. Nehmen Sie zum Beispiel die Forschungen von Galileo Galilei (1564-1642). Er verwendete als einer der ersten Menschen ein Fernrohr zur Himmelsbe‐ obachtung. Dies bedeutete eine Revolution in der Erforschung der Him‐ melskörper, denn bis dahin waren die Menschen auf Beobachtungen mit dem bloßen Auge angewiesen. Mit ihm begann die Teleskop-Astronomie. Im 179 4 Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) 179 Reflexion <?page no="180"?> Zuge seiner Beobachtungen kam er zum Schluss, dass die Erde keine Son‐ derstellung unter den Planeten einnimmt, und dass es auf dem Mond Berge geben musste und in der Sonne bemerkenswerte Flecken. Er bestätigte u. a. die Beobachtungen von Nicolaus Kopernikus (1473-1543) und dessen Über‐ legungen zur Bewegung der Himmelskörper um die Sonne. Galilei lag damit im Widerstreit zu den damaligen kirchlichen Lehren und hielt sich ange‐ sichts der Inquisitionsverfahren mit öffentlichen Äußerungen zum koper‐ nikanischen System zurück. Es geht uns aber nicht in erster Linie um das Problem von Irrlehren und deren Korrektur, sondern um die paradoxe Bedeutung der Verwendung von Beobachtungsinstrumenten: Galilei wollte der Sache näher kommen, indem er ein Hilfsmittel zwischen Auge und Gegenstand »schaltete«. Einmal abgese‐ hen von der Bedrohung, die die Hypothesen von Kopernikus und Galileo für die lieb gewonnen Auffassungen und das ptolemäische Weltbild bedeuteten, konnte in den Augen der Kirchenväter mit so einer Verfremdung sozusagen nichts von Bedeutung gesehen werden. Solcherart verfälschte Erkenntnis konnte und durfte die Wahrheit der Heiligen Schrift nicht tangieren. Auch wenn der Einsatz von Instrumenten nicht nur in der naturwissen‐ schaftlichen, sondern auch in der sozial- und kulturwissenschaftlichen For‐ schung längst selbstverständlich geworden ist, so sollten wir dabei zwei As‐ pekte nicht übersehen: (1) Die Annahme, dass die Forschungsgegenstände durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln gleichsam unberührt blei‐ ben, und (2) die Annahme, dass wir durch verbesserte Instrumentierungen den Dingen an sich näher kommen können. Beide Annahmen sind proble‐ matisch. Mit dem Einsatz von unterschiedlichen Technologien ergeben sich vielmehr jeweils andere, mitunter neue Perspektiven der Betrachtung, neue Themenhorizonte und Fragestellungen, und nicht zuletzt neue Methoden der Untersuchung. Die Tatsache, dass wir dabei Messfehler eingrenzen und teilweise auch ausgleichen können, bedeutet nicht, dass wir damit die Rea‐ lität ein für allemal richtig erfasst hätten und unbedingte Geltungsansprüche gerechtfertigt wären. Sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass es uns gelungen ist, einen Phänomenbereich medial und kommunikativ so zu stabilisieren, dass wir intersubjektiv brauchbare und vielleicht auch nützli‐ che Ergebnisse hervorgebracht haben - Ergebnisse, für die wir bis auf wei‐ teres und eingedenk der jeweiligen Reichweiten Geltung beanspruchen können. Ob wir dafür dann in einer Teildisziplin oder der »wissenschaftli‐ chen Gemeinde« eine gewisse Anerkennung bekommen, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. 180 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 180 <?page no="181"?> Halten wir als Zwischenergebnis fest: 1. Die Rolle der Medien bei der Erhebung und Aufbereitung von Daten wird gerne im Sinne eines blinden Flecks verkannt. Der zu einer bestimmten historischen Zeit in einer spezifischen Forschungskultur selbstverständliche Gebrauch von Hilfsmitteln täuscht allzu leicht darüber hinweg, dass Forschungsergebnisse in aller Regel in Abhän‐ gigkeit von Technologien, Apparaten und Instrumenten zustande ge‐ bracht und kritisch überprüft werden können. 2. Die besagte Rolle der Medien ist weiters in zweierlei Hinsicht diskus‐ sionswürdig: Einmal geht es um die Bedeutung technischer Hilfsmittel bei der Gewinnung, Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten; und zum Zweiten geht es um mediale Aspekte der Interaktions- und Kommunikationsprozesse im Sinne der Verwendung von Zeichen und ihrer Bedeutung. Medientheorie und Medienpraxis Harry Pross hat 1972 eine Unterscheidung eingeführt, die medientechnische Dimensionen und gesellschaftlich und kulturell bedeutsame Aspekte me‐ dialer Wirklichkeitserzeugung zusammen in den Blick nimmt. Er differen‐ ziert entlang von Graden der Technisierung primäre, sekundäre und tertiäre Medien wie folgt: • Zu den primären Medien zählen Sprache und nichtsprachli‐ che Vermittlungsinstanzen wie Mimik, Gestik oder Körperhal‐ tung. Die Kommunikationspartnerinnen verständigen sich hier ohne Geräte und technische Hilfsmittel. • Zu den sekundären Medien zählen jene Medien, die auf Pro‐ duktionsseite Geräte und Technologien erfordern (Bsp. Rauch‐ zeichen, verschriftlichte Produkte, Druckerzeugnisse). Tech‐ niken der materiellen Speicherung und Übertragung sind hier zwar auf der Angebotsseite, nicht aber auf Seiten der Empfän‐ ger erforderlich. 181 4 Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) 181 Definition <?page no="182"?> • Unter tertiären Medien versteht Pross jene Kommunikati‐ onsmittel, die sowohl auf Senderals auch auf Empfängerseite technische Mittel erfordern (Bsp. Telekommunikationsein‐ richtungen, elektronische Massenmedien wie Radio, Fernse‐ hen, AV-Technologien). Medien nach Pross (1972, S. 10 ff) In neuerer Zeit wird häufig eine vierte Option ins Spiel gebracht: Die quar‐ tären Medien. Diese zeichnen sich entsprechend dadurch aus, dass die KommunikationspartnerInnen vernetzte Computer verwenden und neue interaktive Möglichkeiten haben. Hand in Hand mit den Momenten der Di‐ gitalisierung und Vernetzung werden auch die traditionellen Rollenauftei‐ lungen von Sender- und Empfänger-Instanzen variiert und modifiziert. Medien bei der Erhebung und Aufbereitung von Daten primäre Medien teilnehmende Beobachtung, face-to-face-Befra‐ gung, Gruppengespräch, etc. sekundären Medien Fragebogenerhebung in Schriftform, Projektjour‐ nal, Forschungstagebuch, Fotodokumentation, Au‐ dio- oder Videoaufzeichnung, etc. tertiäre Medien »klassische« Telefonumfrage, Selbstevaluationen mittels AV-Technologien, etc. quartäre Medien Online-Befragung, Erhebungen mittels Chat-Kom‐ munikation, Kommunikationsforen auf der Basis digitaler Technologien, etc. 182 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 182 Überblick <?page no="183"?> Diese und auch andere Medien-Einteilungen werden meistens im Zusam‐ menhang medientheoretischer, kommunikationswissenschaftlicher oder gesellschaftskritischer Fragestellungen verwendet. Sie sind aber auch bei der Reflexion und Diskussionen von Forschungsprozessen und Methodenan‐ wendungen wichtig. Diese exemplarischen Hinweise im Lichte des Modells von Harry Pross geben eine erste Idee von der Tragweite der Rollen, die Medien bei der Er‐ hebung und Aufbereitung von Daten haben. Ihre Aufgabe ist es nun zu überlegen, welche Auswahl an Instrumenten im Lichte Ihrer Forschungs‐ fragen, der wissenschaftlichen Kommunikationskultur, in der Sie sich be‐ wegen, der Bedeutung der Medien für Sie selbst und die Beforschten, und der verfügbaren Ressourcen angemessen erscheint. In jedem Fall sollte als Basisausstattung ein Computer mit Internetanschluss und Drucker samt Software für Text- und Bildbearbeitung verfügbar sein. Eine solche werden Sie auch dann brauchen, wenn Sie mit gedruckten Materialien arbeiten (Bsp. Beobachtungsraster, Fragebögen, vorstrukturierte Bögen für Feldnotizen, Journale, Mitschriften und Gedächtnisprotokolle). Je nach Ausrichtung der Forschung können weitere Geräte wie ein mobiles Gerät für digitale Au‐ dio-Aufzeichnungen samt externem Mikrofon und Kopfhörer, ein MP3-Player, eine Digitalkamera, einen Camcorder, Mobiltelefone, Scanner, externe Festplatten etc. hinzu kommen. Machen Sie sich ggf. mit den Geräten und Apparaten sowie mit der zugehörigen Software vertraut, bevor Sie den Forschungsprozess starten. Nachdem empirische Forschung heute in vielen Bereichen mit digitalen Hilfsmitteln durchgeführt wird, wollen wir Sie abschließend auf einige nützliche Werkzeuge und Internetquellen hinweisen. Beachten Sie dabei, dass in den Forschungseinrichtungen mitunter nur bestimmte Produkte un‐ terstützt oder favorisiert werden, und dass praktisch hier jede Woche neue Angebote verfügbar werden, sodass ein Blick auf die Webseite zum Buch (star.huterundroth.at) und einschlägige Recherchen sehr lohnend sein kön‐ nen. Werkzeuge zur Datenaufbereitung sind häufig auch bei Werkzeugen zur Datenanalyse integriert. Weitere Hinweise zur Thematik finden Sie im fünf‐ ten Kapitel und im Internet unter der Adresse star.huterundroth.at. 183 4 Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) 183 <?page no="184"?> Beispiele für digitale Werkzeuge zur Erhebung und Aufbereitung von Daten Qualitative Forschung Ähnlich wie bei den diversen Aufnahmegeräten (AV-Recorder, Fo‐ toapparat, etc.), die offline eingesetzt werden, sind bislang für qua‐ litative Forschungen kaum eigene Werkzeuge entwickelt worden. Insofern nicht ohnedies bestehende Medienangebote untersucht werden, eignen sich für Erhebungszwecke je nach Fragestellung auch frei verfügbare Software-Anwendungen. Wer zum Beispiel ein eigenes Online-Forum als Werkzeug in der qualitativen Sozialforschung einsetzen will, findet hierfür u. a. auf den folgenden Internetseiten hilfreiche Werkzeuge: www.forumieren.de/ www.communityhost.de Wer Interaktionsdynamiken dokumentieren will und dafür Mit‐ schnitte von Bildschirm-Aktivitäten braucht, kann z. B. auf die fol‐ genden Software-Pakete zurückgreifen: http: / / camstudio.org/ www.wisdom-soft.com/ products/ autoscreenrecorder_free.htm www.techsmith.com/ camtasia.html Für das Aufnehmen und Editieren von Tondokumenten hat sich insbesondere Audacity ® bewährt (unterstützt WAV, AIFF, Ogg Vor‐ bis, MP3-Formate): http: / / audacity.sourceforge.net/ Digital Replay System (DRS) ermöglicht die Kombination von Sys‐ temlog-Dateien mit Audio- und Videoaufzeichnungen sowie die si‐ multane Betrachtung mehrerer synchronisierter Aufzeichnungen (PC & MAC) http: / / thedrs.sourceforge.net/ Transkriptionssoftware: f4 - Audiotranskription: www.audiotranskription.de/ f4.htm ELAN - Language Archiving Technology: www.lat-mpi.eu/ tools/ el an/ MoViQ - Movies and Videos in Qualitative Social Research: www.moviscript.net/ Transcriber unterstützt die händische Kommentierung von Sprach‐ aufzeichnungen (Bsp. Rundfunksendungen): http: / / trans.sourceforge.net/ Feldpartitur - Zur Transkription von Videodaten (Christine Moritz) www.feldpartitur.de/ Quantita‐ tive For‐ schung In der quantitativen Forschung sind inzwischen zahlreiche Erhe‐ bungsinstrumente verfügbar. Wir wollen uns hier auf einige aus‐ gewählte Beispiele beschränken, die alle das Erstellen von Frage‐ bögen und die Durchführung von Online-Befragungen unterstützen: SoSci Survey: www.soscisurvey.de/ GrafStat: www.grafstat.de/ Limesurvey: www.limesurvey.org/ SurveyMonkey: http: / / de.surveymonkey.com/ Statistische Datenauswertungen mit R: www.r-project.org/ 184 IV Datenerhebung und Datenaufbereitung (GP, BL, AP, TH) 184 <?page no="185"?> Beispiele für digitale Werkzeuge zur Erhebung und Aufbereitung von Daten Comprehensive R Archive Network (CRAN): http: / / cran.r-project.o rg/ SPSS (Statistische Datenauswertungen): www_01.ibm.com/ softwar e/ de/ analytics/ spss Spezielle Werkzeuge zur Datenaufbereitung stehen bei proprietären Software-Paketen für professionelle Anwendungen wie zum Bei‐ spiel SPSS zur Verfügung. Dort gibt es das Zusatzmodul PASW ® Data Preparation, mit dem zweifelhafte oder ungültige Fälle sowie Variablen und Datenwerte ermittelt werden und die Muster fehlen‐ der Daten angezeigt werden können (vgl. http: / / data.uni-klu.ac.at/ z id_software/ Dokumentationen/ SPSS/ ver_18/ DE/ SPSS_Data_Prepa ration_18.pdf SIMSTAT (http: / / provalisresearch.com/ products/ simstat/ ) Provalis Research bietet etliche weitere nützliche Analyse-Werk‐ zeuge an. Irion, Thomas (2002): Einsatz von Digitaltechnologien bei der Erhe‐ bung, Aufbereitung und Analyse multicodaler Daten [61 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 3(2), Art. 16, www.qualitative-research.net/ index.php/ f qs/ article/ view/ 855/ 1859. Download am 16.12.2013. Lewins, Ann & Silver, Christina (2014: ) Using Software in Qualitative Research: A Step-by-Step Guide. 2. Aufl. London: Sage Publicati‐ ons. 185 4 Die Rolle der Medien in der Erhebung und Aufbereitung von Daten (TH) 185 Literaturtipps <?page no="187"?> Auf den folgenden Seiten finden Sie eine Einführung in die gängigs‐ ten Auswertungsmethoden in der empirischen Forschung. Im ersten Abschnitt erhalten Sie einen Überblick über die wichtigsten Aus‐ wertungsmethoden in der qualitativen Forschung. Das sind die Qua‐ litative Inhaltsanalyse, die Grounded theory bzw. Gegenstandsbezo‐ gene Theoriebildung, die Qualitative Typenbildung, die Psychoanalytische Textinterpretation, die Diskurs- und die Konversations‐ analyse und schließlich die Metaphernanalyse. Der zweite große Ab‐ schnitt dieses Kapitels führt Sie in die Auswertung quantitativer Da‐ ten, wie sie etwa bei einer Beobachtung, einer Befragung oder einem Experiment anfallen, ein. Hierbei lernen Sie die allerwichtigsten Kenngrößen und Vorgehensweisen sowohl der beschreibenden als auch der vergleichenden Statistik kennen. Der dritte Abschnitt be‐ fasst sich mit wichtigen medientheoretischen und medienprakti‐ schen Aspekten im Auswertungszusammenhang. Dabei machen wir Sie auf die Bedeutung von Computerprogrammen bei der Auswer‐ tung empirischer Daten und eine Auswahl entsprechender nützli‐ cher Instrumente aufmerksam. V Datenauswertung (GP, BL, TH) G. Poscheschnik, B. Lederer, T. Hug 1. Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 2. Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 3. Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) <?page no="189"?> 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) Qualitative Auswertungsmethoden dienen der verstehenden Interpreta‐ tion von Texten, Situationen, Gesprächen und Gegenständen. Gemeinsam ist den qualitativen Auswertungsmethoden, dass die Auswertung in einem mehrgliedrigen, regelgeleiteten Prozess erfolgt. Man gelangt also Schritt für Schritt von den Daten zur Theorie. Damit wird völliger Interpretationswill‐ kür ein Riegel vorgeschoben. Die gängigsten qualitativen Auswertungsme‐ thoden sind die Qualitative Inhaltsanalyse, die Grounded theory, die quali‐ tative Typenbildung, die Psychoanalytische Textinterpretation, die Konversationsanalyse, die Diskursanalyse, die Narrationsanalyse, die Ob‐ jektive Hermeneutik und die Metaphernanalyse. Teilweise sind diese Me‐ thoden (z. B. Grounded Theory oder Diskursanalyse) mehr als nur Auswer‐ tungsmethoden und bilden fast schon ein eigenes Forschungsdesign (s. Abschnitt III.4). Der Einfachheit halber handeln wir sie aber hier ab. Qualitative Inhaltsanalyse Wie der Name schon andeutet, ist die qualitative Inhaltsanalyse eine Methode zur inhaltlichen Analyse von Texten (Mayring 2002; 2010). Hierbei wird das Textmaterial zunächst in Sinn-Einheiten zerglie‐ dert. Diesen Einheiten werden dann abstraktere Kategorien zuge‐ ordnet, die deren Inhalte prägnant beschreiben. Ausgehend von dem, was eine bestimmte Person ganz konkret gesagt hat, wird also eine etwas abstraktere Kategorie gebildet. Diesen Kategorien lassen sich dann ähnliche Aussagen derselben Person oder anderer Personen zuordnen. Durch die qualitative Inhaltsanalyse erzielt man eine große Reduktion der Datenmenge und ein System abstrakterer Kategorien, das ein Verständnis des Textmaterials erlaubt. Das funktioniert etwas vereinfacht gesagt, indem längere Aussagen auf ihre Quintessenz reduziert werden. Nehmen wir fol‐ gende Aussage eines Psychotherapeuten aus einem Interview über seine professionelle Entwicklung: »Naja, irgendwann wirft man die ganzen schö‐ 189 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 189 Definition <?page no="190"?> nen Theorien aus der Ausbildung auf den Müll, weil man merkt, dass die Praxis doch ganz anders ist. Man macht seine Erfahrungen und fängt dann an, seiner Intuition zu trauen.« Diese Aussage lässt sich in einem ersten Schritt paraphrasieren als »Verwerfen von Theorien aus der Ausbildung / Er‐ fahrungen machen, auf Intuition vertrauen«. Schließlich ließe sich das auf die Kategorie »Erfahrung und Intuition ersetzen Theorie« reduzieren. Die qualitative Inhaltsanalyse ist ein stark regelgeleitetes Verfahren, das einen hohen Strukturiertheitsgrad aufweist. Das heißt, die einzelnen Schritte sind relativ genau definiert. Zur Kategorienbildung sind zwei Stra‐ tegien denkbar: Erstens eine deduktive Kategorienanwendung und zweitens eine induktive Kategorienbildung. Bei der deduktiven Kategorienanwen‐ dung wird schon vor der Durchsicht des Textmaterials mithilfe von elabo‐ rierten Theorien ein Kategoriensystem entwickelt, dem dann die konkreten Aussagen des Interviews oder des Texts zugeordnet werden. Und bei der induktiven Kategorienbildung verfährt man genau umgekehrt, indem man sein Kategoriensystem Schritt für Schritt aus den konkreten Aussagen des Texts ableitet. Deduktive Kategorienanwendung und induktive Kategorien‐ bildung können natürlich einander ergänzen. Tatsächlich wird in den meis‐ ten Forschungsprojekten auch mit einer Kombination der beiden Strategien gearbeitet. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse lassen sich drei Grundformen unter‐ scheiden. Erstens die zusammenfassende Inhaltsanalyse, zweitens die struk‐ turierende Inhaltsanalyse und drittens die explizierende Inhaltsanalyse. Zusammenfassende Inhaltsanalyse: Ziel einer zusammenfassenden In‐ haltsanalyse ist es, das gesamte Textmaterial auf die wesentlichen Inhalte zu reduzieren. Durch die abstrakte Zusammenfassung oft langer, konkreter Textpassagen entsteht ein Miniaturbild des Ganzen, in dem sich die zentra‐ len Aussagen des Gesamtmaterials wiederspiegeln. Bei der zusammenfas‐ senden Inhaltsanalyse arbeitet man in erster Linie mit induktiver Kategori‐ enbildung. Man geht das Textmaterial Zeile für Zeile durch und sucht nach solchen Textstellen, die für die Untersuchung als relevant festgelegt wurden. Hat man so eine Textstelle gefunden, versucht man eine Kategorie zu bilden. Eine Kategorie ist ein Begriff oder ein Satz, der den Inhalt der Aussage ver‐ einfacht wiedergibt, also paraphrasiert. Wird im Verlauf der weiteren Ana‐ lyse eine Textstelle gefunden, die zu dieser Kategorie passt, wird sie ihr sub‐ sumiert. Eine Textstelle, die sich bestehenden Kategorien nicht zuordnen lässt, erfordert die Konstruktion einer neuen Kategorie. Wenn keine neuen 190 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 190 <?page no="191"?> Kategorien mehr gefunden werden können, wird das Kategoriensystem überprüft und überarbeitet. Das Resultat einer zusammenfassenden Inhalts‐ analyse ist ein System von Kategorien, das das Gesamtmaterial en miniature abbildet. Eine lange Aussage einer Interviewten über ihre Erfahrungen mit der beruflichen Weiterbildung, in der sie sich ausgiebig über ihre Lehrer mokiert, könnte zusammengefasst werden als »Unzufriedenheit mit den Lehrenden«. Strukturierende Inhaltsanalyse: Bei der strukturierenden Inhaltsanalyse schließlich geht es darum, aus dem Textmaterial eine bestimmte Struktur herauszuschälen. Unter Struktur werden hier inhaltliche Aspekte, be‐ stimmte Typen oder auch Skalierungen verstanden. In einer Untersuchung zur Lehrerarbeitslosigkeit (Ulich et al. 1985) mit qualitativer Inhaltsanalyse wurde z. B. eine Skala zur Ausprägung der subjektiven Belastung konstru‐ iert. Diese war unterteilt in »keine Belastung«, »schwache Belastung« und »starke Belastung«. Das aus den Strukturierungsdimensionen bestehende Kategoriensystem muss so exakt präzisiert werden, dass jede Textstelle ganz eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden kann. Um das zu bewerkstel‐ ligen, wird ein Kodierleitfaden entwickelt, der genaue Regeln enthält, wann eine bestimmte Textstelle einer bestimmten Kategorie zugeordnet wird und wann nicht. Dazu werden erstens die Kategorien möglichst exakt definiert. Das heißt, man gibt genau an, welche Textstellen einer bestimmten Kate‐ gorie zuordenbar sind. Zweitens werden so genannte Ankerbeispiele be‐ nannt. Ankerbeispiele sind konkrete Textpassagen, die zu einer bestimmten Kategorie gehören und als prototypische Beispiele für die Kodierung fun‐ gieren. Drittens werden Kodierregeln ausformuliert, die insbesondere dann eine unmissverständliche Zuordnung der Textstellen zu bestimmten Kate‐ gorien erlauben, wenn es Abgrenzungsprobleme zwischen verschiedenen, aber ähnlichen Kategorien gibt. Der so entwickelte Kodierleitfaden dient als Richtlinie für die Auswertung. Explizierende Inhaltsanalyse: Eine Sonderform der qualitativen Inhalts‐ analyse ist die explizierende Inhaltsanalyse. Hierbei geht es darum, eine fragliche oder sonstwie unverständlich gebliebene Textstelle mithilfe zu‐ sätzlichen Materials zu erklären. Dazu kann man sich entweder des direkten Textumfelds der fraglichen Stelle bedienen oder Material aus anderen Texten verwenden. Im ersten Fall wird zusätzliche Information eingeholt, die sich im Text selbst befindet und das zu klärende Element erhellt. Im zweiten Fall zieht man Informationen heran, die über den Text an sich hinausgehen. Das 191 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 191 <?page no="192"?> könnten beispielsweise je nach Fragestellung Informationen sein über den Autor des Texts, die Rezipienten des Texts oder auch das historische und kulturelle Umfeld, in dem der Text entstanden ist. Wenn Sie z. B. biographi‐ sche Informationen von Shakespeare heranziehen, um seine Stücke besser verstehen zu können, wäre das eine Form von explizierender Inhaltsanalyse. Die explizierende Inhaltsanalyse ist so gesehen eine Kontextanalyse. Grounded Theory bzw. Gegenstandsbezogene Theoriebildung Die Grounded theory bzw. gegenstandsbezogene Theoriebil‐ dung (Glaser / Strauss 1998; Flick 2004) ist eine Methode, die mithilfe der schrittweisen Interpretation von Texten oder Situationen Theo‐ rien generiert. Das Auswertungsverfahren der Grounded Theory nennt sich theoretisches Kodieren. Dazu werden einzelnen Elemen‐ ten des Textmaterials Begriffe bzw. Codes zugeordnet, die den Text anfangs möglichst konkret, später zunehmend abstrakter beschrei‐ ben und interpretieren. Insofern ist die Grounded Theory der quali‐ tativen Inhaltsanalyse nicht ganz unähnlich. Das theoretische Kodieren der Grounded Theory besteht aus drei Schritten, dem offenen, dem axialen und dem selektiven Kodieren. Diese drei Schritte sind im Prozess der Forschung nicht unbedingt klar voneinander unter‐ scheidbar, allerdings beginnt die Forschung mit offenem Kodieren und nä‐ hert sich dem Ende hin mehr dem selektiven Kodieren. Die gefundenen Codes werden im Prozess der Forschung miteinander verknüpft und zu Oberbegriffen zusammengefasst, ein Vorgang, der als Kategorisierung be‐ zeichnet wird. 1. Offenes Kodieren: Bei diesem ersten Schritt der Grounded Theory wird der Text bzw. das Datenmaterial in einzelne Sinneinheiten zergliedert und mit Begriffen bzw. Codes versehen. Meistens macht man das aufgrund des hohen Arbeitsaufwands nicht mit dem ganzen Text, sondern nur mit be‐ sonders signifikanten oder unklaren oder einleitenden Passagen. Im Zuge dessen entstehen oft hunderte von Codes, die dann in einem nächsten Aus‐ 192 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 192 Definition <?page no="193"?> wertungsschritt zu für die Fragestellung besonders wichtigen Kategorien gebündelt werden. Die dadurch entstandenen Kategorien werden erneut mit Codes versehen, die nun aber auf einem höheren Abstraktionsniveau liegen als die im ersten Schritt verwendeten. In einem Interview über seine beruf‐ liche Laufbahn sagt ein älterer Angestellter über seine Versetzung in eine andere Abteilung: »Ja das musste damals so sein, da kann man gar nichts machen.« Diese Aussage lässt sich kodieren als »Hinnehmen der Verände‐ rung« und / oder »Unterwerfung, kein Handlungsspielraum«. Das Ergebnis des offenen Kodierens ist eine Liste von Codes und Kategorien, die das Da‐ tenmaterial strukturieren und erläutern. Hilfreich bei der Entwicklung von Codes und Kategorien sind die W-Fragen: Was passiert hier? Wer ist betei‐ ligt? Wie wird gesprochen? Wann und wo ereignet es sich? Wie viel und wie stark sind die Erfahrungen? Warum ist das so? Wozu ist das passiert? Womit wurde das erreicht? 2. Axiales Kodieren: Das axiale Kodieren dient der Differenzierung und Verfeinerung der Kategorien, die beim offenen Kodieren gewonnen wurden. Beim axialen Kodieren werden diejenigen Kategorien ausgewählt, deren Weiterverfolgung am vielversprechendsten erscheint. Diese fungieren dann als Achsenkategorien, die mit möglichst vielen passenden Stellen aus dem Text angereichert werden. Wichtig ist in diesem Auswertungsschritt, dass die Beziehungen zwischen den Kategorien und Unterkategorien herausge‐ arbeitet werden. Beim axialen Kodieren wird also versucht, die gefundenen Codes in Beziehung zueinander zu setzen, um die Ursachen und Kontext‐ bedingungen eines Phänomens zu identifizieren. So kann man Ursache-Wir‐ kungs-, Mittel-Zweck- oder Zeit-Raum-Relationen auf die Spur kommen. In einer Studie über die medizinische Versorgung in Altenpflegeheimen könnte sich z. B. herauskristallisieren, dass oft dann Medikamente verabreicht wer‐ den, wenn die Heimbewohner Kummer und Sorgen aussprechen. 3. Selektives Kodieren: Das selektive Kodieren setzt das axiale Kodieren auf einem höheren Abstraktionsniveau fort. Ziel ist es hier, eine so genannte Kernkategorie herauszuarbeiten, um die sich alle anderen Kategorien grup‐ pieren lassen. Diese soll einen kurzen Überblick über das gesamte Material bieten, aber nicht mehr als ein paar Zeilen Umfang haben. Ergebnis dieses Schritts ist eine zentrale Kategorie und ein Phänomen, das das Zentrum der ganzen Theoriebildung darstellt. Letztendlich soll sich jedenfalls eine zen‐ trale Theorie ausformulieren und durchs Material überprüfen lassen. Hat sich z. B. in biographischen Interviews mit pensionierten Managern, die viel 193 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 193 <?page no="194"?> Anerkennung aus ihrem Beruf geschöpft haben, ergeben, dass diese sich nach einer verantwortungsvollen Arbeit sehnen, ließe sich als Kernkatego‐ rie »Wunsch nach Vertrautheit und Kontinuität im Leben« bilden. Qualitative Typenbildung Angenommen Sie finden heraus, dass manche Leute ihre Biographie so er‐ zählen als hätten Sie überhaupt keinen Einfluss darauf, was in ihrem Leben mit ihnen passiert; und andere erzählen ihre Biographie so, als würden sie durch die Entscheidungen, die sie treffen, die Kontrolle über ihr Leben ha‐ ben; dann können Sie hinsichtlich des Kriteriums der Kontrollüberzeugung zwei Biographietypen beschreiben und sie beispielsweise »Das Opfer des Schicksals« und »Des Schicksals Schmied« nennen. Typen werden auch im Bereich der Persönlichkeitsforschung konstruiert. Bestimmte Arten von Verhaltens- und Erlebensweisen im beruflichen und privaten Bereich lassen sich zu bestimmten Charaktertypen zusammenfassen. Denken Sie z. B. an introvertierte und extravertierte Persönlichkeiten. Es ist dabei unvermeid‐ lich, dass gewisse Gesichtspunkte einseitig gesteigert und andere im selben Atemzug unterschlagen werden. Eine Typologie unterschlägt also die Kom‐ plexität und Einzigartigkeit jedes Falls und sucht nach gewissen Ähnlich‐ keiten, sprich nach dem, was typisch ist. Typologische Analysen laufen für gewöhnlich in drei Schritten ab: Die qualitative Typenbildung versucht hinsichtlich bestimmter Merkmale eine Reihe von Typen zu eruieren, denen sich einzelne Fälle dann zuordnen lassen. Die Typenbildung rekurriert dabei auf Max Weber, der Idealtypen gebildet hat, um soziokulturelle Unter‐ schiede erklären zu können (z. B. die typisch katholische und die ty‐ pisch protestantische Ethik, der typische Unternehmer, der typische Arbeiter). Man geht also davon aus, dass es unterschiedliche Typen von Menschen gibt, die sich in Bezug auf bestimmte Merkmale von anderen Typen unterscheiden (s.z.B. Bohnsack 2007; Kelle / Kluge 2010; Mayring 2002). 194 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 194 Definition <?page no="195"?> 1. Herausfiltern von Typisierungsmerkmalen: In einem ersten Schritt wird bei der Typenbildung ein Korpus an Datenmaterial, meist eine Vielzahl von Fällen, in Bezug auf bestimmte Merkmale durchforstet. Diese zuvor festgelegten Merkmale (z. B. Persönlichkeitseigenschaften, ethische Haltun‐ gen, Erzählstile etc.) werden von einer vorab festgelegten Forschungsfrage definiert. Alle relevanten Formen und Ausprägungen dieses Merkmals, die sich im Datenmaterial finden lassen, werden dokumentiert. Als Endergebnis des ersten Schritts erhält man dann eine Liste mit einer begrenzten Anzahl von Formen und Ausprägungen des untersuchten Merkmals. Bei der typo‐ logischen Analyse des Datenmaterials kann man zwischen Typisierungska‐ tegorien und Typisierungsdimensionen unterscheiden. Erstere meinen klar abgegrenzte Merkmale, die auf einen Fall zutreffen oder nicht zutreffen; Letztere beschreiben das Ausmaß der Ausprägung eines Merkmals. 2. Konstruktion einer Typologie: Danach werden die einzelnen Fälle mithilfe der gefundenen Typisierungskategorien und Typisierungsdimensi‐ onen analysiert. Durch die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Fällen gelangt man zu einem Set von Typen. Dabei zeichnet sich jeder einzelne Typus durch das Vorhandensein bestimmter Typisie‐ rungsmerkmale und das gleichzeitige Nicht-Vorhandensein anderer Typi‐ sierungsmerkmale aus. Man filtert aus dem Gesamtmaterial also eine Gruppe von Typen heraus, die sich untereinander jeweils genügend ähneln, um sie zusammenzufassen; zugleich müssen sich diese aber von anderen Typen aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit abgrenzen lassen. 3. Zuordnung weiterer Fälle: Wenn das System von Typen einmal steht, kann man in weiteren Untersuchungsdurchgängen neue Fälle aufgrund ih‐ rer Merkmale einem oder mehrerer dieser Typen zuordnen. Die bestehende Typologie fungiert dann als Orientierungspunkt, um ihr weitere ähnliche Fälle zuzuordnen. Tauchen allerdings widersprüchliche und nicht-zuorden‐ bare Fälle auf, so kann die Typologie auch ergänzt werden. 195 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 195 <?page no="196"?> Psychoanalytische Textinterpretation Die psychoanalytische Textinterpretation geht von der An‐ nahme aus, dass sich hinter dem gesprochenen Wort eine unbe‐ wusste Bedeutung verbirgt. Diese latente, unbewusste Struktur ist zwar nicht direkt erkennbar, kann aber erschlossen werden, da sie den manifesten Inhalt des Texts determiniert. Die psychoanalytische Textinterpretation zielt darauf ab, diese latenten Strukturen ans Licht zu bringen, indem sie sich Schritt für Schritt von der Oberfläche des Textmaterials an diese herantastet (Leithäuser / Volmerg 1979). Da menschliches Verhalten ohne seine unbewusste Dimension oft nicht völlig verständlich ist, können Sie die psychoanalytische Tex‐ tinterpretation einsetzen, um die verborgenen Strukturen hinter den Erzählungen aufzudecken. Um die unbewussten Sinnstrukturen zu entschlüsseln, wird der ursprüngliche Text in einem mehrgliedrigen Prozess analysiert. 1. Logisches Verstehen: Im ersten Schritt der Analyse, der sich logisches Verstehen nennt, geht es darum, den manifesten Inhalt der Erzählungen zu erfassen. Hier geht es vereinfacht gesagt um die Frage, was die Leute sagen und was sie tun. Der erste Kodierungsschritt besteht in nichts anderem als der Anfertigung einer Paraphrase, die die wesentlichen Aspekte des Gesag‐ ten wiedergibt. Trotzdem beginnt bereits jetzt eine erste Suche nach Wi‐ dersprüchlichkeiten im Text, die einen Hinweis auf unbewusste Determi‐ nanten liefern. Das können z. B. freudsche Versprecher oder auch ausdrucksstarke Metaphern sein. Wenn ein Vorsitzender eine Sitzung eröff‐ net mit den Worten, »Ich begrüße alle Anwesenden und erkläre die Sitzung für beendet«, darf man vermuten, dass seine Worte etwas verraten über seine Einstellung zu dieser Sitzung. 2. Psychologisches Verstehen: Der nächste Kodierungsschritt ist das psy‐ chologische Verstehen. Dabei geht es nun nicht mehr darum, über was die Leute sprechen und was sie sagen, sondern wie sie sprechen und wie sie es sagen. Man versucht nun das innere Erleben, vor allem die Emotionen des Probanden zu erfassen. Dazu achtet man sowohl auf Mimik, Gestik und In‐ 196 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 196 Definition <?page no="197"?> tonation, als auch auf Aussagen, die sich unmittelbar aufs subjektive Erleben beziehen. Besonders interessant sind nun Widersprüche zwischen dem In‐ halt des Gesagten und dem Affekt. Stellen Sie sich jemanden vor, der mit weinerlicher Stimme und Tränen in den Augen sagt: »Mir geht es sehr gut, total super, alles ist bestens.« In dem Fall wird man wohl zu Recht vermuten, dass es demjenigen alles andere als gut geht. 3. Szenisches Verstehen: Beim dritten Schritt, dem szenischen Verstehen, werden nun die ersten beiden Schritte zusammengebracht. Es geht nun um die Frage, was wird wie gesagt und / oder getan? Dabei lassen sich dann Szenen identifizieren. Unter Szenen versteht die Psychoanalyse unbewusste Interaktionsmuster, die als Schablonen für die Gestaltung von zwischen‐ menschlichen Beziehungen dienen. Diese artikulieren sich in Sprechakten und Handlungen. Die zentrale Szene können Sie herausarbeiten, indem Sie verschiedene vom Interviewten berichtete Beziehungsepisoden miteinander vergleichen und so sich wiederholende Muster erkennen. Wenn jemand wutentbrannt schreit, dass er sich nichts als Frieden und Verständnis wünscht, und dabei auch noch mit der Faust auf den Tisch schlägt, dann mag es schon sein, dass sich derjenige bewusst Frieden wünscht, ihm dürfte aber die nötige Friedfertigkeit dazu fehlen. 4. Rekonstruktives Verstehen: Im letzten Schritt, dem rekonstruktiven Verstehen geht es um die Aufdeckung von verdrängten und abgewehrten Inhalten. Die leitende Frage hierbei lautet: Was wurde verdrängt? Oder prä‐ ziser noch: Warum wurde was verdrängt und / oder abgewehrt? Der abge‐ wehrte Sinn und der Sinn der Abwehr lassen sich nur unter Einbezug aller vorhergehenden Analyseschritte verstehen. Besonders wichtig ist dabei das nochmalige Aufgreifen der im Text gefundenen Auffälligkeiten und Wider‐ sprüche. Als Beispiel folgende mit verbittertem Unterton getätigte Aussage: »Ich brauch überhaupt keine Menschen! Auf die ist sowieso kein Verlass! « Unter Einbezug weiterer Kontextinformationen ließe sich die Vermutung anstellen, dass hinter der Aussage ganz stark verdrängte Wünsche nach Nähe und Ängste vor Enttäuschung stecken. Diskurs- und Konversationsanalyse Bei den konversations- und diskursanalytischen Methoden geht es im Ver‐ gleich zu den anderen Auswertungsmethoden weniger darum, was Einzelne 197 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 197 <?page no="198"?> denken und erleben, sondern um den Austausch zwischen den Menschen. Es geht hierbei also stärker um Prozesse des Sozialen. Die Konversationsanalyse geht davon aus, dass soziale Interak‐ tionen eine permanente Koordination des eigenen Tuns mit dem Tun des Anderen erfordern, um funktionieren zu können. Kommunika‐ tive Ordnung wird im Gespräch Zug um Zug hergestellt. Die Kon‐ versationsanalyse untersucht diesen Ablauf von Interaktionshand‐ lungen (Deppermann 2008; Flick 2004). Ziel ist es, die Ordnung und die Ordnungsmechanismen von Gesprächen zu entdecken. Wie wer‐ den Gespräche begonnen? Wie werden Gespräche aufrechterhalten? Wie werden Gespräche beendet? Wenn sich zwei Menschen miteinander unterhalten, regulieren sie mithilfe feiner, bewusst kaum wahrnehmbarer Zeichen, wie Betonungen und kurzen Pausen, ihr Gespräch und die Sprecherwechsel. Beide Interaktionspartner haben dabei die Aufgabe, Signale fürs gegenüber auszusenden und die Si‐ gnale des Gegenübers zu interpretieren. Die Konversationsanalyse versucht diese impliziten Kommunikationsregeln, die die Konversationen zwischen Menschen steuern, zu identifizieren. Es geht der Konversationsanalyse also weniger um die Inhalte von Gesprächen und mehr um die formalen Regeln, nach denen Gespräche ablaufen. Teilweise werden dabei Alltagsgespräche untersucht. In so einem Fall kann es dann unter anderem um die Organisation von Sprecherwechseln oder auch die Eröffnung und die Beendigung von Gesprächen gehen. Teil‐ weise werden auch spezielle Formen von Alltagsgesprächen untersucht, darunter Klatsch und Tratsch, Familiengespräche und Telefongespräche. Neuerdings wird speziellen, auch asymmetrischen Gesprächsformen ver‐ mehrt Aufmerksamkeit von Seiten der Forschung geschenkt. Das wären z. B. Arzt-Patient-Interaktionen, Gerichtsverhandlungen oder psychothera‐ peutische Gespräche. Psychotherapeutische Gespräche beispielsweise wer‐ den meist von der Therapeutin mit einem unspezifischen Starter in Gang gesetzt, der dem Gegenüber auch signalisiert, dass das Organisationsprinzip von Alltagsgesprächen, über alles Mögliche reden zu können, nun außer Kraft gesetzt ist. Solche Starter sind z. B. »Was führt Sie zu mir? « oder 198 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 198 Definition <?page no="199"?> »Worum geht es denn? «. Gleichzeitig werden damit auch die Rollen festge‐ legt: derjenige, der die Frage stellt, ist der Zuhörer; der andere ist der Er‐ zähler. Mittlerweile werden auch schriftliche Produkte wie Gutachten oder Medienberichte konversationsanalytisch ausgewertet. Konversationsanalysen verlangen in einem ersten Schritt eine Aufzeich‐ nung der zu analysierenden Daten. Das Transkript dieser Daten muss akri‐ bisch genau angefertigt werden. Jede Pause, jedes noch so unbedeutend er‐ scheinende Füllwort und jede Betonung können bedeutsam sein. In einem nächsten Schritt werden solche Textstellen identifiziert, die ein Element der Ordnung im jeweiligen Gesprächstyp darstellen. Dann wird nach ähnlichen Stellen gefahndet, um eine Kollektion von solchen Ordnungselementen zu erhalten. Anschließend wird untersucht, wie das jeweilige Element verwen‐ det wird, um Ordnung in der Interaktion herzustellen. Die Diskursanalyse untersucht die Entstehung und Veränderung von Meinungen im sozialen Vollzug (Keller 2010). Dieser vollzieht sich im sozialen Bereich und erfolgt über den mehr oder weniger kontroversen Austausch von Perspektiven unterschiedlicher Perso‐ nen und Personengruppen. Die Diskursanalyse versucht diesen Pro‐ zess empirisch zu untersuchen, wobei sie der Konstruktion von un‐ terschiedlichen Versionen eines Geschehens in Berichten und Darstellungen besonderes Augenmerk schenkt. Unter einem Diskurs versteht man die Erörterung eines bestimmten Themas in der Gesellschaft. Es ist der Prozess der Konstruktion von Meinungen. Der Diskurs ist die institutionalisierte, gesellschaftliche Redeweise über eine Thematik, die die Handlungen der Menschen bestimmt. Diskurse spielen sich nur teilweise in direkten Gesprächen zwischen zwei oder mehreren Menschen ab und werden hauptsächlich über die Medien vermittelt. Deshalb werden in Diskursanalysen nicht nur Interviews und Gruppendiskussionen, sondern auch Fernseh-, Radio-, Internet- und Zeitungsberichte einbezogen. In den Medien und im Alltag lassen sich Diskurse über legale und illegale Drogen, Diskurse über Umweltschutz, Diskurse über Kriminalität, Diskurse über Gesetzesänderungen, Diskurse über Rassismus, Diskurse über Kriege 199 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 199 Definition <?page no="200"?> beobachten. Mit der Diskursanalyse kann man diese und andere Diskurse wissenschaftlich untersuchen. Das methodische Vorgehen von Diskursanalysen wird nur selten exakt dargelegt. Meist handelt es sich um ein Sammelsurium von unterschiedli‐ chen Erhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsmethoden, die um das Ziel kreisen, den Diskurs über ein bestimmtes Thema zu analysieren. Die Methoden müssen dabei an die jeweilige Fragestellung adaptiert werden. Hilfreiche Fragestellungen bei Diskursanalysen sind: Wann taucht ein be‐ stimmter Diskurs auf und wann verschwindet er wieder? Welche Strategien werden angewandt, um Standpunkte im Diskurs gegenüber anderen durch‐ zusetzen? Wie verändern sich bestimmte Diskurse im Laufe der Zeit? Wer ist Träger, wer Adressat und wer Publikum eines bestimmten Diskurses? Wer verfügt über Machtressourcen (Geld, Prestige etc.) im Diskurs, die es ihm ermöglichen, seine Perspektive gegenüber anderen durchzusetzen? Bei der Diskursanalyse wird in einem ersten Schritt der zu untersuchende Diskurs spezifiziert. Daran anschließend wird eine möglichst genaue Fra‐ gestellung expliziert. Daraus folgt eine Festlegung der zu untersuchenden Daten und eine Auswahl probater Erhebungsmethoden. Nach der entspre‐ chenden Aufbereitung werden die Daten mithilfe von Auswertungsmetho‐ den analysiert. Die gewählten Methoden müssen für die zur Untersuchung des Diskursfeldes und die Beantwortung der Forschungsfragen geeignet sein. Wie schon angedeutet, gibt es keine kanonisierte diskursanalytische Methode. In Diskursanalysen ist es eher so, dass die Texte, die audiovisuellen Formate (Werbung, Fernsehnachrichten, Filme usw.) und die Artefakte (Ge‐ bäude, Maschinen usw.) auf ihre Rolle und Bedeutung im jeweiligen Diskurs befragt und qualitativ-hermeneutisch interpretiert werden. Dabei kommen unterschiedliche Auswertungsmethoden wie z. B. Inhaltsanalyse, Psycho‐ analyse oder Grounded theory zum Einsatz. Metaphernanalyse Das Wort »Metapher« leitet sich vom Altgriechischen metaphorein ab und bedeutet so viel wie »von einem Ort zum anderen tragen, hinübertragen«. Bereits Aristoteles hat sich sprachphilosophisch mit Metaphern beschäftigt und diese definiert als die Übertragung eines Begriffs in einen anderen Kon‐ text, in dem er dann in uneigentlichem Sinne verwendet wird. Wenn wir von einem Tischbein sprechen, meinen wir das Gestänge, auf dem die Tisch‐ 200 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 200 <?page no="201"?> platte ruht, erwarten uns aber nicht, dass es sich um ein Bein im eigentlichen Sinne handelt, das gehen könnte. Unter Metaphernanalyse versteht man den wissenschaftlichen Versuch, Metaphern zu verstehen und zu erklären (Schmitt 2000; 2003). Welche Metaphern zur Beschreibung welcher Phänomene verwendet werden, soll Aufschluss geben, wie dieses Phänomen von den Menschen erlebt und gedacht wird. Die Metaphernanalyse baut dabei auf der allgemeinen menschlichen Sprachkompetenz auf, dem situativen Kontext entnehmen zu können, wann etwas wörtlich ge‐ meint ist und wann etwas metaphorisch gemeint ist. Die neuere kognitionswissenschaftliche Metapherntheorie hat der Meta‐ phernanalyse auch in der qualitativen Forschung Auftrieb verschafft. Ihr zufolge funktioniert menschliches Denken, Handeln und Sprechen nach metaphorischen Mustern (Lakoff / Johnson 2007). Menschen denken, ob‐ gleich ihnen das meist nicht bewusst ist, in Metaphern. Und dieses Denken wiederum artikuliert sich im Sprechen und prägt das Handeln. Nutzt man beispielsweise zur Beschreibung von Diskussionen bevorzugt militärische Metaphern (»Zweifrontenkrieg«, »Angreifen von Schwachpunkten«, »Po‐ sitionen beziehen«), dann wird Argumentieren implizit als Krieg angesehen. Die Verdichtung von gleichsinnigen Redewendungen zu einem so genann‐ ten metaphorischen Konzept lässt sich als Ausdruck einer kognitiven Tie‐ fenstruktur verstehen. Diese wiederum wird geprägt durch die jeweilige Kultur. Bei der Metaphernanalyse werden zuerst der Forschungsgegenstand, die Forschungsfrage und das Datenmaterial bestimmt. Die Metaphernanalyse kann sich unter anderem auf Metaphern in politischen Reden, Metaphern im Management oder Metaphern in der Wissenschaftssprache richten. Es lassen sich auch interkulturelle Unterschiede in der Verwendung von Me‐ taphern untersuchen, z. B. die AIDS-Metaphorik in europäischen und afri‐ kanischen Staaten. Auch die typische Metaphorik von Subgruppen, z. B. Punks, lässt sich wissenschaftlich erforschen. In der Biographieforschung lässt sich die Metaphernanalyse zur Untersuchung individueller Metaphern heranziehen; und in der Psychotherapieforschung lassen sich Metaphern als 201 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 201 Definition <?page no="202"?> Mittel der Kommunikation beschreiben. In einem zweiten Schritt wird das Datenmaterial in einer Wort-für-Wort-Analyse nach metaphorisch ge‐ brauchten Begriffen durchforstet. Das Resultat dieses Vorgehens ist ein »Le‐ xikon« von Metaphern, die für die untersuchten Fälle typisch sind. Diese gefundenen Metaphern können dann in einem dritten Schritt zu metapho‐ rischen Konzepten zusammengefasst werden. Die Metaphern und metapho‐ rischen Konzepte können anschließend auch mit anderen qualitativen und / oder quantitativen Methoden weiter analysiert und mit typischen Me‐ taphoriken anderer Fälle oder Gruppen verglichen werden. In der Meta‐ phernanalyse kommen ebenso wie auch in der Diskursanalyse unterschied‐ liche Forschungsmethoden zum Einsatz, die speziell zum Zwecke der Analyse von Metaphern adaptiert werden. Narrationsanalyse Unter Narrationsanalysen (s. z. B. Lucius-Hoene & Deppermann 2004) versteht man eine Gruppe von qualitativen Auswertungsme‐ thoden zur Untersuchung von Erzählungen bzw. Narrationen über Lebensereignisse. Narrationsanalysen sind insbesondere für die Auswertung biographischer Interviews geeignet. Ziel ist es, über die Inhalte sowie die Art und Weise der Erzählung Rückschlüsse auf die Person des Erzählers anzustellen. Neuerdings gewinnen hierbei ins‐ besondere die den Erzählungen der Probandinnen immanenten Identitätskonstruktionen an Bedeutung. Das heißt, die Narration über ein Ereignis wird nicht als Tatsachenbericht verstanden, son‐ dern als subjektiv gefärbte Konstruktion. Das ursprüngliche »ob‐ jektive« Ereignis wird vom Probanden auf eine bestimmte Art und Weise »subjektiv« erlebt; und dieses Erlebnis gelangt im Prozess des Erzählens zur Darstellung. Die Erzählung enthält also in gewisser Weise einen Informationsüberschuss; sie liefert nicht nur Informa‐ tionen über den Tatbestand an sich, sondern transportiert und verrät etwas über das Erleben, die Identität, die Persönlichkeit, das Selbst‐ verständnis des Sprechers. Somit geht es nicht um die Ermittlung von Fakten, sondern um die Rekonstruktion von Lebensentwürfen. 202 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 202 Definition <?page no="203"?> Dementsprechend spielt die Unterscheidung von ereignetem Leben, erlebtem Leben und erzähltem Leben eine wichtige Rolle. 1. Definition des Datenmaterials: Die Narrationsanalyse kann sich ent‐ weder lediglich auf die reinen Narrationen richten (in dem Fall werden alle nicht-narrativen Elemente, wie z. B. kommentierende Einschübe und abs‐ trakte Reflexionen über die erzählten Erlebnisse, aus dem Text eliminiert) oder auf den Text als Ganzes, wobei dann auch die in einem engeren Sinn nicht-narrativen Passagen in die Analyse einbezogen werden. 2. Segmentierung: Für gewöhnlich wird der zu untersuchende Text in ei‐ nem ersten Schritt in Segmente untergliedert. 3. Inhaltliche und prozessuale Narrationsanalyse: Die eigentliche Ana‐ lyse geht dann Schritt für Schritt vor. Dabei kann sowohl der Inhalt der Erzählung als auch der Prozess, sprich die Art und Weise der Erzählung, zum Gegenstand gemacht werden. Was erzählt jemand (Freudiges, Trauriges, Überraschendes ) und wie erzählt er es (lebendig, nüchtern, distanziert)? Es gibt einige Fragen, die man an den Text richten kann, um ihn verstehen zu können: Warum wird dieses Thema genau an dieser Stelle des Interviews eingeführt? Weshalb wird ein bestimmter Lebensabschnitt gar nicht er‐ wähnt? Welche Themen werden besprochen und welche nicht? Warum wird dieses Thema so ausführlich behandelt? Warum wird dieses Thema so spär‐ lich behandelt? Warum wird über dieses Thema flüssig gesprochen? Warum gerät der Erzähler bei diesem Thema ins Stocken? 4. Überprüfung der Interpretationen an weiteren Textstellen: Anhand der Analyse eines Interviewsegments lassen sich Hypothesen über den zu erwartenden Verlauf der Erzählung machen, die dann an konkreten weiteren Stellen überprüft und gegebenenfalls falsifiziert werden können. Bleibt bei‐ spielsweise am Beginn eines biographischen Interviews die Kindheit uner‐ wähnt und die Erzählerin startet stattdessen mit einem detaillierten Bericht über ihre schulische und berufliche Karriere, könnte man die Hypothese aufstellen, die Probandin meidet das Thema, weil die Erinnerungen daran zu belastend wären. Erzählt sie allerdings später ausführlich über schöne Kindheitserlebnisse, kann die Hypothese fallengelassen werden. 5. Ergebnis und Generalisierung: Als Ergebnis kann man je nach Ziel‐ setzung der Studie einen einzelnen Lebensentwurf rekonstruieren, einen 203 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 203 <?page no="204"?> Typus bilden oder allgemeine Aussagen über eine bestimmte Gruppe von Menschen wagen. Objektive Hermeneutik Die Objektive Hermeneutik ist eine qualitative Datenauswer‐ tungsmethode, die von Ulrich Oevermann (Oevermann 2002; Oe‐ vermann et al. 2010) begründet wurde. Ursprünglich entwickelt für die Analyse natürlicher Interaktionen, hat sich die Domäne der Ob‐ jektiven Hermeneutik mittlerweile auf alle Arten von Texten und Dokumenten ausgedehnt. Die Objektive Hermeneutik zielt darauf ab, die hinter den subjektiven Bedeutungen verborgenen objektiven Sinn-Strukturen zu dechiffrieren. Das heißt, ähnlich wie bei der Psy‐ choanalytischen Textinterpretation geht es um die Entdeckung von Strukturen, die das Datenmaterial in seiner vorliegenden Form be‐ stimmen. Man könnte auch sagen, die Objektive Hermeneutik re‐ konstruiert die zugrundeliegenden Strukturen eines Textes. Die Ob‐ jektive Hermeneutik (s.a. Flick 2004; Mayring 2002; Wernet 2009) differenziert zwischen zwei Ebenen des Textes: zum einen die sub‐ jektiven Bedeutungen, die eine Handlung für die erzählenden bzw. handelnden Akteure hat, zum anderen die dahinter liegenden ob‐ jektiven Bedeutungsstrukturen, also die latente Sinnstruktur der Handlung. Für gewöhnlich werden letztere vom Subjekt auch nicht unbedingt erkannt, können aber mithilfe der Objektiven Hermeneu‐ tik erschlossen werden. Der Objektiven Hermeneutik geht es also darum, den latenten Sinn bzw. die Struktur des Textes zu erschließen. Zu diesem Zweck wird soziales Handeln in einen Text transformiert, der dann auf handlungsgenerierende latente Sinnstrukturen unter‐ sucht wird. Das Ziel besteht darin, die objektiven Bedeutungsstruk‐ turen zu rekonstruieren. Den Kern des Verfahrens bildet ein sukzes‐ siver Vergleich von möglichen Bedeutungsfacetten einer Handlung mit seinem tatsächlichen Bedeutungsgehalt. Entscheidend für die Objektive Hermeneutik ist somit das Verhältnis zwischen den mög‐ lichen Bedeutungen und der tatsächlichen Bedeutung, denn aus die‐ 204 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 204 Definition <?page no="205"?> sem Spannungsfeld wird im Prozess der Analyse schrittweise die objektive Bedeutungsstruktur des Falles herausgefiltert. Grundlage der Interpretation ist die Annahme, dass die Sprache ein System intersubjektiv geteilter Regeln und Bedeutungen ist, das zwar nicht immer offensichtlich ist, sich aber rekonstruieren lässt. Vor dem Be‐ ginn der eigentlichen Analyse müssen eine Reihe von Erkenntnis‐ hindernissen aus dem Weg geräumt werden: So muss der unmittel‐ bare Interpretationsdruck aufgehoben werden zugunsten einer zeitintensiven Reflexion über den Sinn von Handlungen. Zudem müssen neurotische oder ideologische Tendenzen des Interpreten, die die Auswertung verzerren könnten, ausgeschaltet werden. Und zu guter Letzt müssen die Interpreten kundige Mitglieder der Sprach‐ gemeinschaft sein, um überhaupt potenziell verstehen zu können. Die Objektive Hermeneutik kann sinnvoll dort eingesetzt werden, wo es um die Aufdeckung von Strukturen geht, die hinter dem Text‐ material stehen. Eine objektiv-hermeneutische Interpretation sollte immer von einer Gruppe mehrerer Interpretinnen, die gemeinsam an einem Text arbeiten, vorgenommen werden. Ob die Objektive Hermeneutik auch für kleinere wissenschaftliche Studien geeignet ist, sei dahingestellt, denn das Verfahren ist sehr zweitaufwändig. Das konkrete Vorgehen bei der Objektiven Hermeneutik ist äußerst differenziert und komplex, weshalb die vorliegende Darstellung zwangsläufig vereinfachend bleiben muss: 1. Forschungsfrage festlegen: In einem ersten Schritt müssen Forschungs‐ frage und Forschungsgegenstand festgelegt werden. Ist der Gegenstand des Interesses die Persönlichkeitsstruktur des Interviewten oder seine Identi‐ tätskonstruktionen? Geht es um die Interaktionen zwischen Interviewerin und Interviewtem oder vielleicht um die Struktur eines Sozialsystems, über das der Interviewte erzählt? 2. Grobanalyse: Dem folgt eine Grobanalyse, in der die Rahmenbedingun‐ gen des Datenmaterials analysiert werden. Hierbei werden die äußeren Kontexte, in die die jeweiligen Handlungen eingebettet sind, analysiert. Diese soll offenbaren, wie der zu analysierende Text überhaupt entstanden ist. Eine Interaktion zwischen einem Psychotherapeuten und einem Patien‐ ten gehorcht einer anderen Logik als ein gewöhnliches Experteninterview. 205 1 Qualitative Auswertungsmethoden (GP) 205 <?page no="206"?> Die Rahmenbedingungen bilden den Kontext des Datenmaterials und sind somit auch Referenzpunkt des folgenden Analyseschritts. 3. Sequenzielle Feinanalyse: Der nächste und eigentliche Schritt der Ob‐ jektiven Hermeneutik ist die so genannte Sequenzielle Feinanalyse. Hierbei wird das Material in einzelne Interakte bzw. Sequenzen zergliedert, die nacheinander analysiert werden. Der Text wird Zug um Zug interpretiert. Dabei werden in einer Art Gedankenexperiment alle möglichen Bedeutun‐ gen einer Handlung exploriert. An die zu analysierende Textstelle wird die Frage gerichtet: Was könnte das bedeuten? Hierbei ist es wichtig dem Text quasi einen Sinnüberschuss zu unterstellen und möglichst viele, auch un‐ wahrscheinliche Lesarten zu bedenken. Im Unterschied zum Alltagsverste‐ hen wird also das Geschehen nicht nur auf eine einzige Art und Weise in‐ terpretiert, sondern viele verschiedene, auf den ersten Blick auch weniger wahrscheinliche Lesarten erwogen. Daraus lassen sich dann sukzessive all‐ gemeine Struktureigenschaften des Materials ableiten. Aus dem vorherigen Interakt werden dann mögliche Konsequenzen für den folgenden Interakt analysiert. Das geschieht unter anderem, indem man versucht gedankenex‐ perimentell zu erwägen, wie es mit dem Interaktionsprozess nun weiterge‐ hen könnte. Die tatsächliche nächste Äußerung wird dann kontrastiert mit den gefundenen Lesarten, was zu einem schrittweisen Ausschluss unzutref‐ fender Lesarten führt. Durch den sukzessiven Ausschluss alternativer Les‐ arten des Geschehens kristallisiert sich allmählich eine Bedeutungsstruktur heraus. 4. Strukturgeneralisierung: Im letzten Schritt der Objektiven Hermeneu‐ tik werden Strukturgeneralisierungen angestrebt. Dabei werden verschie‐ dene Fälle, die sich auf die anfangs definierte Fragestellung beziehen, mit‐ einander verglichen. Um von singulären Aussagen (Einzelfallstrukturrekonstruktion) zu allgemeinen Aussagen (Strukturgeneralisierung) zu ge‐ langen, arbeitet man mit dem so genannten Falsifikationsprinzip. Das heißt, die am einzelnen Fall entwickelte Interpretation wird als zu falsifizierende Heuristik verwendet, um weitere Fälle zu analysieren. Man kann also aus der objektiv hermeneutischen Fallanalyse Hypothesen ableiten, die an wei‐ teren Fällen geprüft werden können. Stimmt eine Textpassage mit der auf‐ gestellten Hypothese nicht überein, gilt diese als falsifiziert. Die Struktur‐ generalisierung strebt die Aufdeckung von Strukturgesetzlichkeiten an, die sowohl einzelfallspezifisch als auch allgemein sind. 206 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 206 <?page no="207"?> Deppermann, Arnulf (2008): Gespräche analysieren. Eine Einfüh‐ rung in konversationsanalytische Methoden. 4. Auflage. Opladen: Leske und Budrich. Glaser, Barney; Strauss, Anselm (2010): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. 3. Aufl. Bern: Huber. Kelle, Udo & Kluge, Susann (2010): Vom Einzelfall zum Typus. Fall‐ vergleich und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialfor‐ schung. 2. überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS. Keller, Rainer (2010): Diskursforschung. Eine Einführung für Sozi‐ alwissenschaftlerInnen. 4. Aufl. Wiesbaden: VS. Leithäuser, Thomas & Volmerg, Birgit (1979): Anleitung zur Empi‐ rischen Hermeneutik. Psychoanalytische Textinterpretation als sozialwissenschaftliches Verfahren. Frankfurt / Main: Suhrkamp. Lucius-Hoene, Gabriele & Deppermann, Arnulf (2004): Rekonstruk‐ tion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews. Wiesbaden: VS. Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12. Aufl. Weinheim: Beltz (UTB). Schmitt, Rudolf; Schröder, Julia & Pfaller, Larissa (2018): Systematische Metaphernanalyse. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Wernet, Andreas (2009): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. 3. Aufl. Wiesbaden: VS. 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) Es folgt ein erster einführender Überblick auf die gängigsten Verfahren bei der Auswertung quantitativer Daten, wie sie etwa bei einer Beobachtung, einer Befragung oder einem Experiment anfallen. Hierbei lernen Sie die al‐ lerwichtigsten Kenngrößen und Vorgehensweisen sowohl der beschreiben‐ den als auch der vergleichenden Statistik kennen. Sie haben eine Befragung, eine Beobachtung, eine Inhaltsanalyse oder gar ein Experiment durchgeführt und dabei jede Menge hierfür interessanter Daten erhoben. Jetzt geht es darum, diese Daten auszuwerten und sozusagen »in Form zu bringen«. Dies kann auf qualitative (siehe Abschnitt V.1) oder 207 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 207 Literaturtipps <?page no="208"?> eben quantitative Art und Weise geschehen, wobei sich diese beiden Ansätze aber keinesfalls gegenseitig ausschließen. Zur Auswertung quantitativer Daten gehören unvermeidlich zumindest grundlegende Kenntnisse der Statistik. Statistik bezeichnet die Befassung mit größeren Datenmengen, wie sie für die quantitative empirische Sozialfor‐ schung üblich sind. Sie sucht nach möglichen Regelmäßigkeiten und Ge‐ setzmäßigkeiten. Erfahrungsgemäß schreckt allein schon das Wort »Statistik« viele Studie‐ rende (womöglich auch Sie? ) regelrecht ab: Haben sich manche von Ihnen nicht sogar deshalb für ein Studium der Sozial- und / oder Geisteswissenschaften entschieden, um eben nicht mehr mit mathematischen Prozeduren belästigt zu werden? Keine Angst: Im Folgenden geht es hier auch gar nicht darum, Sie mit einem »Crashkurs« in Statistik zu bedienen (was auf den wenige Seiten ohne‐ hin nicht einmal denkbar ist! ). Vielmehr soll Ihnen hier ein allererster Über‐ blick auf die allerwichtigsten Kenngrößen, Begrifflichkeiten und Prozeduren einer Datenauswertung im Rahmen quantitativer empirischer Forschung ge‐ boten werden. Es wird Ihnen hier in aller Kürze sozusagen »die Spitze des Eis‐ bergs« präsentiert, wobei sich diese Spitze aber durchaus als Einstiegshilfe in die Thematik eignet. Damit soll Ihnen auch - so vorhanden - der Argwohn gegen alles, was mit Zahlen und Formeln zu tun hat genommen und so die weitere Annäherung an das Thema erleichtert werden. Schließlich werden Sie sehen, dass die Grundlagen einer beschreibenden und einer vergleichenden Statistik keine höhere Mathematik erfordern und im Grunde genommen viel einfachere Sachverhalte umfassen, als viele Studierende oft befürchten. Deskriptive Statistik Sie haben im Rahmen eines Forschungsprojekts also empirische Daten ge‐ sammelt, etwas durch eine Befragung oder eine Beobachtung, die es nun auszuwerten und letztlich auch zu präsentieren gilt. Daten sind beobachtete Merkmalsausprägungen von empirischen Beobachtungseinheiten, die letzt‐ lich auf Messskalen abgebildet werden (z. B. »Metermaß«, »Temperatur in Grad Celsius«, »Richterskala« etc., auch Diagramme gehören hierzu, etwa solche mit »X- und Y-Achse« usw.). Die »deskriptive Statistik« (»beschreibende Statistik«) beschäftigt sich mit der Zusammenfassung von Daten und mit der Präsentation aussagekräftiger Kennzeichen einer Datenmenge. Dabei bieten sich Ihnen verschiedene Mög‐ lichkeiten an, Daten zusammenfassend und aussagekräftig darzustellen. 208 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 208 <?page no="209"?> Tabellarische und graphische Darstellungen von Daten Eine der gängigsten Möglichkeiten, eine Auszählung von Daten optisch an‐ sprechend darzustellen, liefert etwa folgendes Beispiel. Es wurde das Brut‐ toeinkommen von insgesamt 200 Arbeiternehmerinnen erhoben. Die Stich‐ probe umfasst also 200 Personen, man sagt: n (Stichprobenumfang) = 200. Die Grundgesamtheit, aus der heraus die Stichprobe gezogen wurde, wird mit N bezeichnet. In unserem Beispiel also etwa alle Arbeitnehmerinnen eines bestimmten Unternehmens, also bspw. N = 2500. Häufigkeitentabelle 1 Katego‐ rie Bruttover‐ dienst von … bis absolute Häufig‐ keit f i relative Häufig‐ keit (%) kumu‐ lierte (d. h. aufsum‐ mierte) absolute Häufig‐ keit kumu‐ lierte relative Häufig‐ keit 1 2 3 4 5 1200-1599 1600-1999 2000-2399 2400-2799 2800-3200  8 46 68 64 14  4 23 34 32  7   8  54 122 186 200   4  27  61  93 100 Summe= 200 Summe= 100 Der besseren Übersicht halber wurden die Ergebnisse in unserem Beispiel in 5 Kategorien von Einkommensuntergruppen unterteilt. Die absolute 209 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 209 Beispiel <?page no="210"?> Häufigkeit von »Treffern« in jeder einzelnen Kategorie wird als f i bezeich‐ net, wobei »f« für »frequency« (Frequenz) steht und »i« für Index steht (also hier die Rangzahl der jeweiligen Kategorie). Ein anderes Beispiel für die mögliche tabellarische Darstellung von Daten liefert die folgende Tabelle. In ihr sind die Schulnoten (in sechs möglichen Kategorien in Form der Noten von 1 bis 6) und die Häufigkeiten, mit denen diese in einer Schulklasse mit 30 Schülern (n = 30) vergeben wurden, ge‐ genübergestellt. Häufigkeitentabelle 2 Noten x i (x steht für die Kategorie) Häufigkeit f i 1 2 3 4 5 6 3 6 7 8 4 2 Eine solche ganz und gar typische Tabelle kann auch in Form eines Bal‐ kendiagramms (in der Fachsprache ein sog. »Histogramm«) dargestellt werden. Dies ist optisch weitaus ansprechender und vor allem aussagekräf‐ tiger, wie Sie sicher bestätigen werden: 210 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 210 Beispiel <?page no="211"?> Histogramm 1 Verbindet man nun noch die Mittelpunkte der Balkenspitzen miteinander, erhält man ein sogenanntes »Polygon«, das gleich auf den ersten Blick nochmal etwas aussagekräftiger erscheint, wie folgendes Beispiel zeigt: Zunächst die zugehörige Häufigkeitstabelle (Der Stichprobenumfang bleibt der Gleiche, d. h. n = 30), die Häufigkeiten sind diesmal jedoch andere: 211 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 211 <?page no="212"?> Häufigkeitentabelle 3 Noten x i Häufigkeit f i 1 2 3 4 5 6 7 5 5 3 4 6 Histogramm 2 212 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 212 Beispiel <?page no="213"?> Oder in Form eines Polygons Bei den vorangegangenen Beispielen handelt es sich nur um einige der gän‐ gigsten Möglichkeiten, Datenmengen grafisch ansprechend und aussage‐ kräftig aufzubereiten. Geläufig sind Ihnen z. B. sicher auch die sog. »Tor‐ tendiagramme«, wie sie oft bei der Visualisierung von Wahlergebnissen genutzt werden. Die hier verwendeten Tabellen wurden mit dem gerade für Einsteiger sehr einfach zu bedienenden Programm »Excel« erstellt. Jedoch sind auch viele andere Anwendungen mit den einschlägigen Statistikprogrammen möglich. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick auf die wichtigsten statisti‐ schen Kenngrößen der beschreibenden (»deskriptiven«) Statistik, die aus solchen Grafiken wie den gezeigten nicht direkt ablesbar sind. Es handelt sich dabei um Angaben und Werte, die als zentrale Kennziffern wichtige Eigenschaften einer Datenmenge ausdrücken und diese dadurch beschrei‐ ben helfen. Welches also sind nun die wichtigsten und meist angeführten Größen der deskriptiven Statistik? Der Modus bzw. Modalwert Der grundlegendste Kennwert, der zur Beschreibung größerer Datenmen‐ gen herangezogen werden kann, ist der Modalwert, auch Modus genannt (die Abkürzung dafür ist x mod ). Der Modalwert ist einfach derjenige einzelne Messwert, der am häufigsten Auftritt, also die Kategorie mit der größten Häufigkeit. In den Beispielen 2 und 3 ist der Modus 4; in den Beispielen 4, 5 und 6 hingegen gibt es keinen Modus, weil es keinen häufigsten Wert gibt, da zwei 213 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 213 <?page no="214"?> Kategorien gleichauf liegen. Gibt es mehrere Merkmalsausprägungen mit der gleichen maximalen Häufigkeit, so existiert also kein Modalwert! Versuchen Sie doch einmal, den Modalwert in folgender Reihung zu bestim‐ men: 3 / 4 / 4 / 5 / 5 / 5 / 5 / 6 / 6 / 6 / 7 / 8 Richtig! Es ist die 5 In folgender Reihung hingegen 3 / 4 / 4 / 4 / 4 / 5 / 6 / 6 / 6 / 7 ist der Modalwert die 4. 1.3. Der Median Die zweite wichtige statistische Kenngröße ist der Median, auch Zentral‐ wert genannt (Kurzzeichen: x med ). Er ist derjenige Wert, also diejenige Merkmalsausprägung, die in der Mitte steht, sofern alle Daten nach ihrer Größe sortiert und aufgereiht sind (bei Daten, die nicht in eine Reihenfolge gebracht werden können, gibt es entsprechend auch keinen Median! ). Der Median halbiert aufgrund seiner Mittelstellung die Messwerte in zwei gleich große Teile. Im folgenden Beispiel (gesammelte Punkte in einem Test mit n = 9): 3 / 5 / 6 / 7 / 9 / 10 / 11 / 13 / 14 ist der Median wegen der ungeraden Zahl der Stichprobe »aufgerundet« die 5. Stelle in der Reihung, also die 9. Bei einer geraden Zahl von Werten (n = 8), etwa 3/ 5 / 6 / 7 / 9 / 10 / 11 / 13 ist der Median genau in der Mitte, also zwischen dem 4. und 5. Rangplatz; in diesem Beispiel liegt er also genau zwischen 7 und 9, der Median ist somit 8. Ein weiteres Beispiel soll Ihnen nun noch den großen Nutzen bzw. die große Aussagekraft des Medians verdeutlichen (und zudem vom nachfolgend vor‐ gestellten Mittelwert abgrenzen helfen). 214 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 214 <?page no="215"?> In einer Belegschaft wurden folgende Bruttoverdienste (in Euro) erhoben (n = 9): 970 / 980 / 1050 / 1090 / 1160 / 1180 / 1200 / 1800 / 6600 Der Median liegt am 5. Rangplatz, ist also der Wert 1160,- Euro. Wie Sie sehen können, gibt es einen »Ausreißer«, der den errechneten Durchschnitt der Einkommen (also die Summe der Gesamteinkommen geteilt durch 9) auf 1781,11 Euro anhebt. Der Durchschnitt täuscht aber gewaltig, weil 7 von 9 Angestellten höchstens 1200 Euro verdienen! Der Median als derjenige Wert, der in der Mitte einer Rangreihenfolge steht, ist hier sicher aussagekräftiger, weil atypische Ausreißer nach oben oder unten keine Rolle spielen! Das arithmetische Mittel An dieser Stelle wird es ein (klein) wenig komplexer, was die verwendeten Zeichen und Formeln angeht, nicht aber, was die Inhalte betrifft. Das »arithmetische Mittel« ist umgangssprachlich »der Durchschnitt« einer Datenmenge. Das Zeichen dafür ist x Die mathematische Formel für das arithmetische Mittel ist bei einfachen Datenreihen x1 + x2 + x3… usw. bis + xn : n Mathematisch formuliert lautet die Formel: x ¼ X n i 1 x i n bzw. (anders geschrieben) x arithm ¼ 1 n X n i¼1 x i ¼ x 1 þ x 2 þ : : : þ x n n Es besteht übrigens kein Grund zur Beunruhigung: Bereits Taschenrechner, ganz zu schweigen von Statistikprogrammen wie Excel oder SPSS, ersparen Ihnen komplexe Rechenoperationen und liefern die Lösung per Tastendruck bzw. Mausklick! 215 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 215 <?page no="216"?> Hier ein einfaches Beispiel zur Berechnung des arithmetischen Mittels: 4 Personen (n = 4) haben folgende Punktwerte in einem Test erzielt: 7 / 3 / 5 / 5 x ist dann (7 +3 +5 +5) : 4 = 20 : 4 = 5 Wenn mehrere Kategorien mit unterschiedlichen zugehörigen Daten vor‐ handen sind (wie im Beispiel 2 bzw. 3), gilt die Formel x = x i × f i : n (x i ist dabei die »i-te« Beobachtungskategorie, f i die Anzahl der zugehörigen Daten) In den Beispielen 2 und 3: x = (1×3 +2×6 +3×7 +4×8 +5×4 +6×2) : 30 = (3 +12 +21 +24 +20 +12) : 30 = 92 : 30 = 3,33 Varianz und Standardabweichung Die Varianz (S 2 , manchmal auch einfach mit V bezeichnet) und die Stan‐ dardabweichung (s. die Wurzel aus S 2 bzw. V) sind ein Maß dafür, wie stark die einzelnen Messwerte einer Untersuchung durchschnittlich um den Mit‐ telwert verteilt sind. Schauen Sie sich zur Verdeutlichung noch einmal die beiden Histogramme in den Beispielen 3 und 5 an: Ob Sie es auf den ersten Blick glauben oder nicht: das arithmetische Mittel beträgt in beiden Fällen das Gleiche! (Rechnen Sie es ruhig nach: Sie kommen auf den Wert 3,33) Dabei sind doch die Messwerte / Daten ganz offensichtlich völlig unterschiedlich um diesen Mittelwert herum verteilt! Hier nun kommen die Varianz bzw. die Stan‐ dardabweichung ins Spiel: Sie gibt Auskunft darüber, ob die erhobenen Da‐ ten weit um den jeweiligen Mittelwert herum gestreut sind oder ob sie eher eng um den Mittelwert herum zu liegen kommen. Die obigen Beispiele (3 und 5) verdeutlichen Ihnen den Nutzen und die Aussagekraft dieser statistischen Kenngrößen: Es macht eben einen großen Unterschied, ob das Ergebnis einer Klausur darin besteht, dass die meisten 216 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 216 <?page no="217"?> Noten um »die Mitte« herum zu liegen kommen oder ob es statt dessen einige sehr gute Zensuren auf der einen und einige sehr schlechte auf der anderen Seite des Spektrums gibt, hingegen kaum Durchschnittsleistun‐ gen - auch wenn der Mittelwert jeweils der Gleiche ist. Die zugegeben etwas abschreckende Formel für die Varianz lautet ausge‐ schrieben: s 2 ¼ 1 n X n i¼1 ðx i xÞ 2 Einen Spezialfall bildet die Formel bei sehr großen Grundgesamtheiten: s 2 ðoder ^ 2 Þ ¼ 1 n 1 X n i¼1 ðx i xÞ 2 Auch in diesen beiden Fällen gilt wiederum, dass entsprechende Programme Ihnen jedwede Rechenarbeit abnehmen! Da die Varianz (S 2 ) als quadrierte Größe vorliegt, wird der besseren An‐ schauung zuliebe die Wurzel gezogen und man erhält die Standardabwei‐ chung s (auch Streuung genannt), die aber die gleiche grundsätzliche Be‐ deutung für die Interpretation zahlenmäßiger Daten hat. Noch ein Beispiel, um Ihnen die Aussagekraft dieser Kenngrößen zu ver‐ deutlichen: In einer Gruppe von in etwa gleichgroßen männlichen Basket‐ ballspielern dürfte die durchschnittliche Körpergröße relativ eng um das arithmetische Mittel herum streuen. D.h., dass die einzelnen Abweichungen nach unten und nach oben nicht allzu stark ausfallen sollten. Ganz anders schaut das aber auf die Gesamtbevölkerung bezogen aus, wo es weitaus mehr (sehr) kleine und (sehr) große Menschen gibt und die Messwerte deshalb insgesamt breiter (um den Mittelwert herum) streuen als in der Stichprobe der Basketballspieler. 217 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 217 <?page no="218"?> Standardnormalverteilung Am besten lässt sich die Streuung anhand einer Normalverteilungskurve erklären: Sehr viele Datenerhebungen sind nämlich »normalverteilt«, wie es in der Statistik heißt: Ob Körpergröße, Intelligenzquotient oder durch‐ schnittliche Studiendauer: in allen Fällen gibt es einen Mittelwert, um den herum die meisten Einzelfälle zu liegen kommen, wohingegen Ausreißer nach oben und unten eher die Ausnahme bilden: Die allermeisten Menschen sind in Europa zwischen 1,60 m und 1,90 m groß, nur relativ wenige sind sehr klein oder sehr groß und kommen darunter oder darüber zu liegen. Als Dia‐ gramm (mit »X- und Y-Achse«) aufgetragen entsteht so eine »Normalver‐ teilung«. In Anlehnung an den Mathematiker Carl-Friedrich Gauß wird dabei auch von einer »Gauß’schen Glockenkurve« gesprochen. Definitionsgemäß werden bei einer Normalverteilung der Mittelwert mit µ und die Varianz mit σ 2 , die Standardabweichung mit σ symbolisiert. Be‐ tragen diese Werte 0 (Mittelwert) und 1 (Varianz), handelt es sich um eine Standardnormalverteilung (s. Abb. oben). Unterscheiden sich die Werte der Glockenkurve von 0 und 1, handelt sich um keine Standardnormalvertei‐ lung, sondern eine einfache Normalverteilung. 218 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 218 <?page no="219"?> Je enger bzw. steiler und schmaler nun diese Glockenkurve ist, desto ge‐ ringer ist die Varianz bzw. Standardabweichung, desto enger sind also die Daten um den Mittelwert versammelt. Je breiter und weniger steil die Ver‐ teilung hingegen, desto größer ist die Standardabweichung. Der Korrelationskoeffizient Da gerade von zweidimensionalen Diagrammen die Rede war (also solchen mit einer »x- und einer y-Achse«): Ein weiteres wichtiges Kriterium der beschreibenden Statistik ist der sog. »Korrelationskoeffizient«. Immer wenn zwei einander zugehörige Merkmale gegeneinander aufgetragen wer‐ den (z. B. die Anzahl von Personen auf der x-Achse und deren jeweiliges Einkommen auf der y-Achse), haben Sie es mit Diagrammen zu tun, die etwa die Form annehmen können, wie im Streudiagramm-Beispiel auf Seite 220 gezeigt. In diesem Beispiel weisen die beiden Variablen (einerseits der Preis einer Ware, andererseits deren verkaufte Stückzahl) offenbar keinen engeren Zu‐ sammenhang auf. Das Diagramm zeigt einen sog. »Schwarm« von Daten, Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von einem »Streudia‐ gramm«. Anders stellt sich Ihnen das im zweiten Beispiel-Diagramm auf der Seite 220 dar, wo die Kurve (»Graph« ist der Fachausdruck hierfür) ein stei‐ les, »exponentielles« Wachstum an den Tag legt. Im nächsten Beispiel sind die beiden Variablen so miteinander verbunden (»korreliert«), dass der Graph eine gleichmäßig steigende Gerade darstellt (s. S. 221). Man sagt, der Zusammenhang ist linear. 219 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 219 <?page no="220"?> Streudiagramm Exponentielles Wachstum 220 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 220 <?page no="221"?> Lineares Wachstum In den beiden Beispielen springt jeweils der Zusammenhang der beiden Größen geradezu ins Auge. Wie aber lässt sich unabhängig von solchen Graphen der jeweilige Zusammenhang zweier Merkmale berechnen? Schließlich kann dieser Zusammenhang offensichtlich ganz unterschiedli‐ cher Art sein und wie in Beispiel 8 oft auch überhaupt keine Gerade ergeben. Anders gefragt: Wie kann berechnet werden, wie die jeweiligen Variablen miteinander korreliert sind? Auskunft darüber gibt der sog. »Korrelationskoeffizient« (sein Zei‐ chen ist r). Die mathematische Formel ist zugegeben etwas kompliziert (sie weist Klammern, einen Bruch und eine Wurzel auf), erfordert aber dennoch keinerlei höhere Mathematikkenntnisse und hat uns an dieser Stelle auch nicht weiter zu interessieren (zumal verschiedene leicht zu bedienenden Statistikprogramme für den PC dergleichen »mir nichts, dir nichts« auszu‐ rechnen in der Lage sind.) Ist r berechnet, kann das Ergebnis jeden Wert zwischen -1 und +1 an‐ nehmen (d.h.: -1 ≤ r ≤ +1). Ist r = 0, heißt das, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Werten gibt (wie im Beispiel 7). Ist r gleich 1, sind die Daten positiv korreliert (d. h., große x-Werte entsprechen großen y-Werten, wie in den Beispielen 8 und 9), ist r gleich -1, sind die Daten umgekehrt negativ korreliert: Kleine y-Werte entsprechen dann großen x-Werten. Grundsätz‐ lich gilt: Je kleiner r, desto schwächer ist der Zusammenhang zweier Merk‐ male. 221 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 221 <?page no="222"?> Inferenzstatistik Bisher ging es darum, Ihre empirisch gewonnen Daten anhand markanter Merkmalsgrößen zu beschreiben. Hierfür zeichnet die vorangehend skiz‐ zierte deskriptive Statistik verantwortlich. Die Inferenzstatistik (»schlie‐ ßende Statistik«) hingegen beschäftigt sich mit der Frage, ob wissenschaft‐ liche Ergebnisse dem Zufall geschuldet sind oder ob ihnen eine wissenschaftliche Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt - in letzterem Fall spricht man von einem signifikanten Ergebnis. Die Frage nach »Zufall und Notwendigkeit« in der Wissenschaft hat auch viel zu tun mit dem Zusammenhang von Stichproben und den Grundge‐ samtheiten, aus denen diese Stichproben gezogen werden. Ist ein bestimmtes Untersuchungsergebnis zufällig nur für eine bestimmte Stichprobe gültig oder auch für andere, vergleichbare Stichproben einer interessierenden Grundgesamtheit von Untersuchungsobjekten (Menschen, Ereignisse usw.)? Es geht also auch um die Frage nach möglichen Rückschlüssen von der Stichprobe auf die Gesamtheit eines zu untersuchenden Phänomens (also z. B. danach, inwieweit eine bestimmte Merkmalsausprägung der Schüler einer bestimmten Schule in einer bestimmten Stadt typisch ist für alle Schü‐ ler eines bestimmten Bundeslandes). Von großer Bedeutung ist innerhalb der schließenden Statistik somit der Aspekt der Repräsentativität. Was aber bedeutet es aus Sicht der Wissenschaft eigentlich, wenn es beispiels‐ weise heißt: »Das Ergebnis ist repräsentativ? « Repräsentativität Prinzipiell gibt es verschiedene Arten von Stichproben: z. B. Zufallsstich‐ proben, bei denen jede Untersuchungseinheit einer Grundgesamtheit die gleiche Chance hat, in die Stichprobe zu gelangen. Das beste Beispiel einer solchen rein zufälligen Auswahl ist das Losverfahren. Zufallsstichproben weisen dabei die höchste Repräsentativität auf. Systematische Verfahren hingegen, etwa Quotenverfahren oder eine systematische Auswahl, »ziehen« eine Stichprobe nicht zufällig, sondern berücksichtigen (je nach Forschungs‐ interesse) bestimmte Gruppen bevorzugt oder auch ausschließlich. (Bei‐ spielsweise kann eine Gesamtheit von Personen nach Alter, Geschlecht, Bil‐ dungsabschluss etc. aufgeteilt werden. Die Stichproben werden dann gemäß 222 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 222 <?page no="223"?> der prozentualen Anteile dieser Gruppen an der Gesamtbevölkerung zu‐ sammengestellt). Repräsentativität heißt, dass die Stichprobe(n) so ausgewählt wurde(n), dass sich die Merkmale, um die es in der Untersuchung geht, hinsichtlich ihrer statistischen Kenngrößen (wie Median, Modalwert, arithmetisches Mit‐ tel, Streuung usw.) in Stichprobe und Gesamtpopulation nicht zu stark un‐ terscheiden, so dass sich von der Stichprobe auf diese Grundgesamtheit rückschließen lässt. Wie groß muss nun aber eine Stichprobe sein, um sie als repräsentativ bezeichnen zu können? Grundsätzlich gilt: Eine ganz be‐ stimmte Zahl (etwa: immer 10 % einer Gesamtheit) gibt es nicht, vielmehr hängt diese immer auch vom Untersuchungsgegenstand ab. (Bei manchen Merkmalen wie dem Wahlverhalten reichen schon relativ kleine Fallzahlen [gemessen an der Gesamtbevölkerung], um aussagekräftige Rückschlüsse ziehen zu können, denn die Zahl potentieller Wahlentscheidungen ist durch das Parteienspektrum relativ eng begrenzt. Hinsichtlich einer Befragung des »Lieblingsessens der Deutschen« bedürfte es hingegen umfangreicherer Stichproben.) Oft sind es auch wissenschaftlich-methodische Erfahrungswerte, mit der die notwendige Anzahl befragter (oder beobachteter) Menschen festgelegt wird, die mindestens erforderlich ist, um die gleichen (oder sehr ähnliche) Ergebnisse zu erzielen, wie sie größere (und damit repräsentativere) Stich‐ proben erzielen. Darüber hinaus gibt es in der Statistik aber auch (relativ komplizierte) mathematische Verfahren, um die optimale Stichprobengröße zu bestimmen. Ob Hypothesen, die anhand einer Stichprobe überprüft werden, nur zu‐ fällig bestätigt oder widerlegt werden, oder tatsächlich Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit zulassen, darüber geben bestimmte Testverfahren Aus‐ kunft. Hypothesentest Hypothesentests sagen also etwas darüber aus, ob von einer gezogenen Stichprobe auf die untersuchte Grundgesamtheit geschlossen werden kann. Bei diesem Verfahren geht es nun aber schon ein klein wenig stärker »ans Eingemachte« der Statistik. Entsprechend sollen Ihnen hier im Rahmen ei‐ ner ersten Einführung in die Thematik auch nur die Grundzüge skizziert werden. 223 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 223 <?page no="224"?> Wie Sie bereits wissen, bezeichnet Wissenschaft im Grunde nichts ande‐ res, als das Überprüfen von Hypothesen, die wiederum Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt sind, an der empirischen, d. h. wahrnehmbaren Realität. Ein Hypothesentest hilft festzustellen, wie groß die Irrtumswahr‐ scheinlichkeit dafür ist, eine bestimmte Hypothese fälschlicherweise anzu‐ nehmen oder abzulehnen. Voraussetzung für einen solchen Hypothesentest ist aber, dass die Messdaten normal verteilt sind, in einem Diagramm also eine Normalverteilung (»Glockenkurve«) bilden, was eigentlich bei den meisten statistisch interessanten Verteilungen der Fall ist. Das Praktische an einer solchen Normalverteilung ist nun: Die Gesamt‐ fläche unterhalb der Glockenkurve beträgt immer gleich 1. Deshalb lässt sich anhand einer vorgegebenen Tabelle die Wahrscheinlichkeit (in Prozent) ab‐ lesen, mit der ein bestimmter Messwert unterhalb einer bestimmten Grenze zu liegen kommt oder innerhalb eines bestimmten Intervalls liegt. Bspw. können Sie ohne Probleme eine Aussage darüber treffen, mit welcher Wahr‐ scheinlichkeit ein Mensch zwischen 1,70 m und 1,80 m groß ist, indem Sie die entsprechende Fläche zwischen den Werten 1,70 und 1,80 unterhalb des Graphen der besagten Tabelle ablesen (und in Prozentwerte übersetzen). Ohne hier im Rahmen dieser überblicksartigen Einführung auf die Détails des Verfahrens einzugehen, müssen Sie zunächst aber noch die Normalver‐ teilung eines vorliegenden Datensatzes in eine sog. »Standardnormalver‐ teilung« überführen (deren Mittelwert ist, wie Sie schon wissen, stets 0 und die Standardabweichung ist stets 1), da in der Regel die erwähnten Tabellen nur für Standardnormalverteilungen in den einschlägigen Lehrbüchern (oder auch im Internet) anzufinden sind. Diese Umwandlung geschieht mit‐ tels eines bestimmten mathematischen Verfahrens, welches aber keinerlei höhere Mathematikkenntnisse voraussetzt. Doch wie läuft so ein Hypothesentest nun im Einzelnen ab? Die Aus‐ gangsfrage dabei lautet zunächst ganz grundsätzlich: Ist eine bestimmte Hypothese gültig oder muss sie durch eine andere ersetzt werden? Die bis‐ herige bzw. bisher als gültig erachtete Hypothese (sozusagen der »Titelver‐ teidiger«) wird üblicherweise als Nullhypothese bezeichnet (H0), die Alter‐ nativhypothese ist sozusagen die »Herausforderin« (H1): Wer hat recht, welche Hypothese ist die Zutreffende? Im Kern funktioniert der Hypothe‐ sentest nun so, dass der Mittelwert der H0-Verteilung mit dem Mittelwert der H1-Verteilung verglichen wird. Behauptet H1 beispielsweise, dass dieser größer ist, wird H1 verworfen und H0 beibehalten, wenn dem tatsächlich so ist. 224 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 224 <?page no="225"?> Aber um wie viel bzw. wie stark müssen sich diese Mittelwerte vonein‐ ander unterscheiden, so dass Ihre Entscheidung, eine Hypothese anzuneh‐ men oder aber abzulehnen, nicht nur dem Zufall geschuldet ist? Man spricht hierbei von der »Irrtumswahrscheinlichkeit« oder auch vom »Signifikanz‐ niveau«. Wann ist mit anderen Worten ein Ergebnis signifikant (also nicht auf Zufall gründend)? Wiederum vereinfacht gesagt: Wenn der Mittelwert der Alternativhypothese in den äußeren Grenzbereichen der Glockenkurve der H0-Verteilung zu liegen kommt, wird dieser abgelehnt. Genauer gesagt: Ist die Irrtumswahrscheinlichkeit für eine fälschliche Ablehnung der Null‐ hypothese kleiner gleich 5 % (liegt also in den äußersten 5 % der Fläche un‐ terhalb der Verteilungskurve) wird ein Testergebnis als signifikant bezeich‐ net. Ist die Irrtumswahrscheinlichkeit sogar kleiner gleich 1 %, spricht man von einem hoch signifikanten Ergebnis. Die Hypothesenprüfung liefert also wie gesagt letztlich Aussagen dar‐ über, wie groß die sog. »Irrtumswahrscheinlichkeit« ist, d.h.: wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Alternativhypothese fälschlicherweise an‐ genommen oder aber abgelehnt wird. Falls Ihnen das etwas zu komplex anmutet, hier ein Beispiel zum besseren Nachvollziehen: Die Befragung aller Teilnehmer einer der meist gebuchten Fortbildungsveranstaltungen (»Grundlagen quantitativer Datenauswer‐ tung«) in einer von Ihnen geleiteten Volkshochschule ergab, dass nur 10 % der Teilnehmer mit der Veranstaltung nicht zufrieden waren. Sie haben nun‐ mehr die Entscheidung zu treffen, ob es einer (nicht ganz billigen) didakti‐ schen und medientechnischen Überarbeitung der Fortbildung bedarf. Damit Sie eine aussagekräftige Entscheidungsgrundlage gewinnen, beschließen Sie, 100 Teilnehmer per standardisiertem Fragebogen zu befragen. Sie legen vorab folgendes fest: Sind mindestens 10 Teilnehmerinnen mit der Qualität der Veranstaltung unzufrieden, soll diese überarbeitet und verbessert werden (Hypothese H0), sind es weniger, bedarf es keiner größeren Änderungen (Hypothese H1). Sa‐ gen wir, in Ihrer ersten Befragung erklärten 12 Teilnehmerinnen ihre Un‐ zufriedenheit. Da Sie sich der Zufälligkeit von Stichproben und darauf gründenden Er‐ gebnissen im Klaren sind, machen Sie die 2. Umfrage (n= 100). Sie entschlie‐ ßen sich, mit einer 95%igen Wahrscheinlichkeit zufrieden zu sein (d. h. mit einfacher, nicht hoher Signifikanz), dass Ihr Befragungsergebnis nicht dem Zufall geschuldet ist. In dieser Befragung erklären 8 Fortbildungsteilnehmer ihre Unzufriedenheit. 225 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 225 <?page no="226"?> Was heißt das nun mit Blick auf Ihre beiden Hypothesen? Bei Ihrer ersten Befragung erklärten wie gesagt 12 Teilnehmerinnen, mit der Qualität der Veranstaltung unzufrieden zu sein. Ihre H0- Hypothese wäre damit angenommen. Jedoch könnte dies aufgrund des zufälligen Cha‐ rakters Stichprobe auch täuschen: Dann nämlich, wenn der tatsächliche Anteil der nicht-zufriedenen in der Grundgesamtheit (alle Fortbildungsteil‐ nehmerinnen) im Gegensatz zur Stichprobe doch kleiner als 10 % ist. Sie würden also bei der Annahme der Hypothese H0 mit einer gewissen Irr‐ tumswahrscheinlichkeit einen Fehler begehen. Dieser Fehler berechnet sich aus der sog. Ablehnungswahrscheinlichkeit, die anhand der Verteilungsfunktion Ihrer Befragungsergebnisse ablesbar ist (nachdem diese, wie gesagt, auf mathematischem Wege in eine »Standard‐ normalverteilung« überführt wurde). Anhand einer schon erwähnten Ta‐ belle (»die Standardnormalverteilungstabelle«), die sich in jedem Statisi‐ tik-Lehrbuch bzw. im Internet findet, kann nun die Wahrscheinlichkeit abgelesen werden, dass es einem Stichprobenzufall geschuldet ist, dass we‐ niger oder gleich 9 Teilnehmer unzufrieden sind. Sie beträgt in unserem Fall 0,451. Was aber bedeutet dieser Wert? - Er bedeutet, dass es unter der An‐ nahme, dass tatsächlich 10 % aller Teilnehmer unzufrieden sind, bei der Be‐ fragung mit 45,1% Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlentscheidung hinsicht‐ lich der Annahme von H0 kommt. Da dieses Ergebnis natürlich nicht akzeptabel ist, können Sie H0 verwerfen. Natürlich gibt es über die vorangehend kurz vorgestellten statistischen Ansätze und die ihnen zugrundeliegenden Fragestellungen hinaus noch viele weitergehende Auswertungsmethoden quantitativer Sozialforschung: So ist es z. B. durchaus üblich, mehrere Variablen auf einmal miteinander in Bezug zu setzen (»zu korrelieren«): Bspw. könnten Sie bei einer Befragung zum Thema »Politische Einstellungen von jungen Frauen« deren verschie‐ dene Antworten noch mit weitergehenden Faktoren wie Ausbildungsstand oder Wohnort (Stadt / Land) in Zusammenhang setzen. Hierfür gibt es so‐ genannte »Multivarianz- und Diskriminanzanalysen«, die jedoch den Rahmen eines ersten Überblicks an diese Stelle überschreiten. Die vorangehenden Ausführungen zur beschreibenden und schließenden Statistik sollten Ihnen, wie eingangs schon erwähnt, lediglich einen aller‐ ersten Eindruck davon vermitteln, wie Sie bei der Auswertung quantitativer Daten im Wesentlichen vorzugehen haben. Dabei wurde Ihnen eine Auswahl der gängigsten Begriffe und Verfahrensweisen unterbreitet, die keinesfalls das gesamte Repertoire statistischer Verfahren abdeckt. 226 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 226 <?page no="227"?> Vielmehr ist hier zumindest eines hoffentlich gelungen: Sie davon zu überzeugen, dass auch bei der Auswertung quantitativer Forschungsergeb‐ nisse im Grunde nur »mit Wasser gekocht wird«. Einer intensiveren Be‐ schäftigung und Einarbeitung in das Thema (falls Ihr Forschungsprojekt größere und komplexere Datenmengen »abwirft«), sollte nun nichts mehr im Wege stehen. Die schließende Statistik (Inferenzstatistik) stellt die Frage, ob wis‐ senschaftliche Ergebnisse dem Zufall einer Stichprobe geschuldet sind oder ob es sich dabei vielmehr um wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten handelt. Entsprechend geht es auch darum, inwieweit eine Stichprobe Rückschlüsse auf die jeweilige Grundgesamtheit, aus der die jeweilige Stichprobe »gezo‐ gen« wurde, zulässt; d.h.: inwieweit sie repräsentativ ist. Das wichtigste Verfahren hierbei ist der Hypothesentest, der die Mittelwerte von Normal‐ verteilungen vergleicht und Aussagen darüber zulässt, ob die »alte« Hypo‐ these (H0) oder die »Herausforderin« (H1) signifikant (oder gar hoch signi‐ fikant) anzunehmen oder abzulehnen ist. Die beschreibende Statistik (deskriptive Statistik) fasst empiri‐ sche Daten anhand aussagekräftiger Kennzeichen zusammen. Gän‐ gige Verfahren sind dabei die tabellarische Darstellung von Daten, entweder in Form einer Häufigkeitstabelle oder mit Hilfe eines His‐ togramms bzw. Polygons. Die allerwichtigsten Kenngrößen der be‐ schreibenden Statistik sind der • Modalwert / Modus (der Messwert, der am häufigsten auftritt), • der Median (er halbiert die Datenmenge in zwei gleich große Teile), • das arithmetische Mittel (der »Durchschnitt«), • die Varianz und die Standardabweichung (sie geben darüber Auskunft, wie weit die Daten um den Mittelwert »streuen«) und nicht zuletzt • der Korrelationskoeffizient (der den Zusammenhang zwischen zwei Variablen charakterisiert). 227 2 Quantitative Auswertungsmethoden (BL) 227 Zusammenfassung <?page no="228"?> Bortz, Jürgen & Döring, Nicola (2016): Forschungsmethoden und Evaluation für Sozialwissenschaftler. 5. Auflage. Berlin: Springer. Bosbach, Gerd & Korff, Jens Jürgen (2011): Lügen mit Zahlen. Wie wir mit Statistiken manipuliert werden. 3. Auflage. München: Heyne Verlag. Crawley, Michael J. (2012): The R Book. 2. Auflage. Chichester: John Wiley & Sons. Friedrichs, Jürgen (1990): Methoden empirischer Sozialforschung. 14. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag. Kromrey, Helmut (2009): Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenaus‐ wertung. 12. Auflage. Stuttgart: Lucius & Lucius. Sachs, Lothar & Hedderich, Jürgen (2018): Angewandte Statistik. Methodensammlung mit R. 16. Auflage.Berlin: Springer. Schnell, Rainer; Hill, Paul B. & Esser, Elke (2018): Methoden der Em‐ pirischen Sozialforschung. 11. Auflage. München: Oldenbourg. Urban, Klaus (1996): Statistik. Einführung in die statistische Metho‐ denlehre. 4. Auflage. München / Wien: Oldenbourg. 3 Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) Zum Abschluss dieses einführenden Überblicks über Methoden der Daten‐ auswertung wollen wir auf einige medienbezogenen Aspekte hinweisen, die uns in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen. In einem ersten Schritt stellen wir Ihnen einige konzeptionelle Unterscheidungen vor, die an die medientheoretischen Überlegungen des vorigen Kapitels anknüpfen. Dabei lernen Sie die Begriffe ›multimedial‹, ›multimodal‹ und ›multicodal‹ ken‐ nen. Im zweiten Schritt machen wir Sie auf die Bedeutung von Computer‐ programmen bei der Auswertung empirischer Daten und eine Auswahl ent‐ sprechender nützlicher Instrumente aufmerksam. 228 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 228 Literaturtipps <?page no="229"?> Multicodierungen und Multimodalitäten Im IV. Kapitel haben wir gesehen, dass die Frage der Medien im For‐ schungsprozess in zweierlei Hinsicht diskussionswürdig ist. Das Thema lässt sich - vereinfacht gesprochen - als zwei Seiten einer Münze diskutie‐ ren: Einerseits haben wir es mit der sinnlich-materiellen Gestalt von Medi‐ entechnologien, Apparaten und Instrumenten zu tun - und andererseits ha‐ ben wir es immer auch mit deren symbolischen und zeichenhaften Dimensionen zu tun. Diese Verbindung von Technologie und medialer Dar‐ stellung spielt in allen alltagsweltlichen, künstlerischen und wissenschaft‐ lichen Zusammenhängen der Sinngebung und Bedeutungsproduktion eine wichtige Rolle. Wie immer Sie zum Beispiel die knappen Ausdrucksformen per SMS verbuchen - ob eher als kreative Leistungen, als nützliche Hilfs‐ mittel in manchen Situationen, als Verlust von Sprachkompetenz, als Modus der Belebung von Dialekten, u.s.w. - sie werden allemal im Zusammenspiel technischer und sozio-kultureller Aspekte so kreiert, dass sie als spezielle Formen der Medienkommunikation beschreibbar werden. Auch wenn in der empirischen Forschung die Tragweite solcher Überle‐ gungen erst langsam zu dämmern beginnt, so deuten Ausdrücke wie »Ap‐ paratemedizin«, »Bücherwissenschaften« oder »kognitive Werkzeuge« klar darauf hin, dass mit den angedeuteten medialen Formen gewisse Beson‐ derheiten verbunden sind, die für erkenntnistheoretische und prak‐ tisch-nutzenorientierte Aspekte gleichermaßen bedeutsam sind. Sie werden nun vielleicht einwenden, dass das Zusammenspiel von tech‐ nisch-materiellen und zeichenhaften Aspekten eine sehr abstrakte und all‐ gemeine Behauptung darstellt, die zwar plausibel ist, die Ihnen aber nicht viel weiterhilft beim Einstieg in die Welt der empirischen Forschung. An‐ gesichts des breiten Spektrums von empirischen Methoden, das wir Ihnen vorgestellt haben, würde dies von Fall zu Fall doch völlig Unterschiedliches bedeuten. Und außerdem hätten wir es doch ohnedies in den meisten Fällen mit einem Konglomerat von direkter Kommunikation, Texten, Bildern, Gra‐ fiken, Tondokumenten oder auch Videoclips zu tun. So gesehen sei doch heute jede empirische Forschung gewissermaßen »multimedial« - so what? Unsere Antwort ist ein klares Jein! Freilich können wir Ihnen zustimmen, dass bei der Erhebung und Auswertung qualitativer und quantitativer Daten allemal auch mündliche Gesprächsformen und schriftliche Formen der Text‐ kommunikation eine Rolle spielen usw. Aber das sagt noch nichts darüber aus, wie wir mit den Daten umgehen und was sie für wen bedeuten. Erinnern 229 3 Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) 229 <?page no="230"?> Sie sich an das Beispiel einer mündlichen Alltagserzählung im ersten Kapitel und die unterschiedlichen Akzente, die bei wissenschaftlich motivierten Be‐ schreibungsformen zum Tragen kommen. Wir haben u. a. argumentiert, dass mit den qualitativen und quantitativen Beschreibungsformen unterschied‐ liche Abstraktionsgrade verbunden sind, die sich auf einem Kontinuum ver‐ orten lassen. Wir wollen hier einen Schritt weitergehen und Sie zum Nach‐ denken über eingespielte Routinen in der empirischen Forschung anhand multimedialer Dimensionen anregen und zeigen, wie und warum dies ge‐ rade im Zusammenhang von Auswertungsperspektiven wichtig ist. Vielfach wird der Ausdruck »Multimedia« schlicht im Sinne einer Ver‐ knüpfung unterschiedlicher Medientechnologien und inhaltlicher Medien‐ angebote auf digitaler Basis verstanden. So gesehen wären die Inszenierun‐ gen antiker Rezitatoren beim Festmahl mit und ohne musikalische Unterstützung nicht als multimediale zu bezeichnen. Analoges würde für die Rezitationen mittelalterlicher Mönche oder im Fall von Stummfilmen mit Klavierbegleitung gelten. Andererseits reicht aber das Kriterium »Verknüp‐ fung auf digitaler Basis« nicht aus, wenn man an Kombinationen von Text-, Bild- und Tonelementen in digitalisierten Videoclips oder die in Büchern abgedruckten Darstellungen von Multimedia-Anwendungen denkt. Aber selbst wenn wir das Kriterium im Sinne einer rechnergestützten Integration von Speicher- und Übertragungsmedien sowie Datenbanken und Datenty‐ pen weiter konkretisieren, können wir so allenfalls die technische Seite der Thematik besser nachvollziehen. Für ein umfassenderes Verständnis von Multimedialität braucht es auch die Berücksichtigung von Dimensionen der Interaktivität, der Wahrnehmung, der Sensorik, der Gestaltung und des Ver‐ wendungszusammenhangs. 230 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 230 <?page no="231"?> Multimedialität lässt sich bestimmen als Zusammenspiel von • technischen Herstellungs-, Speicher- und Übertragungsmedien (Buchdruck, Radio, Film, TV, Computer, Internet, etc.), • semiotischen Kommunikationsmitteln (Bild, Sprache, Spre‐ chen, Schrift, Gestik, Zahl, Ton, Musik) und • interaktiven Nutzungsformen von Diensten und inhaltlichen Medienangeboten (Texte, Bilddarstellungen, Text-Bild-Kom‐ binationen, Radio-/ Fernsehsendungen, Animationen, Web‐ sites, etc.) • in sozio-kulturellen, politischen, ökonomischen und institu‐ tionellen Kontexten. Im Zusammenhang empirischer Forschung ist es nun wichtig zu sehen, dass - ähnlich wie in alltagsweltlichen Kontexten - Prozesse und Formen der Digitalisierung zunehmend bedeutsam geworden sind. Hand in Hand damit ändern sich wissenschaftliche Ansprüche, Routinen und Kommuni‐ kationspraxen. Neue Phänomenbereiche rücken ins Blickfeld, Vorgangs‐ weisen und Techniken werden vielfach adaptiert und mancherorts werden neue Methoden entwickelt. Heißt das, dass Sie statt Plakaten, Post-its, Karteikarten und Klebstoff un‐ ter allen Umständen geeignete Computerprogramme verwenden müssen, um qualitätsvolle Auswertungsergebnisse erzielen zu können? Die Antwort darauf lautet wieder Jein: Bei einfachen Fragestellungen in kleinen Praxis‐ forschungsprojekten können Sie mit einem Textverarbeitungsprogramm und einigen ausgedruckten Materialien mitunter leicht das Auslangen fin‐ den. Bei etwas komplexeren Fragestellungen kann es sehr hilfreich oder so‐ gar unerlässlich sein, geeignete Computerprogramme einzusetzen. Sie fin‐ den heute kaum mehr Forscherinnen, die »aus Prinzip« auf technische Hilfsmittel zur Komplexitätsbewältigung verzichten wollen oder die etwa auf die Verwendung von Lochstreifen oder Lochkarten bei statistischen Analysen bestehen. Wichtig ist zunächst, dass Sie sich klar vor Augen führen, dass sowohl auf der Ebene der von Ihnen untersuchten Phänomenbereiche als auch auf der 231 3 Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) 231 Definition <?page no="232"?> Ebene der Forschungspraxis spezifische Modalitäten des Umgangs mit Kom‐ munikationsmitteln (Schreiben, mündliche Sprachen, Schriftsprachen, Gesten, Bilder, etc.) und Symbolsystemen (Schrift-, Zahlen-, Bild-, Notati‐ ons-, Präsentationssysteme, Clipformate, etc.) bedeutsam sind. Die einschlä‐ gigen Kommunikationsmodalitäten stellen mehr oder weniger gut einge‐ spielte Praxen dar, die jeweils bestimmte Aspekte eines Bedeutungszusammenhangs hervorheben. Dies lässt sich an beliebigen Beispielen leicht verdeutlichen. Denken Sie etwa an eine Untersuchung über Pilates als Trendsportart, in der es um die Analyse von »Fun-Faktoren« in ausgewähl‐ ten Trainingsgruppen geht. Sie haben es da auf der einen Seite u. a. mit »stylischen« Ausdrucksweisen, Gruppensprachen, flüchtigen Gesten und Vorstellungsbildern von körperlicher Fitness zu tun. Auf der anderen Seite sind viele der Modalitäten und ihr Zusammenspiel in einer textbasierten wissenschaftlichen Arbeit nur schwer darstellbar. Aber auch dann, wenn die Auswertung und Präsentation mit verschiedenen Symbolsystemen (Bsp. Text-Bild-Kombinationen, akustisch kommentierte Bewegungsbilder), also multicodal gemacht wird, bleiben auch die wissenschaftlichen Darstellun‐ gen notwendig partiell. In multicodalen Darstellungen werden unterschiedliche Symbol‐ systeme und Kodierungen verwendet (z. B. in Form numerischer und grafischer Darstellungen, Text-Bild-Kombinationen, Bild-Text- Ton-Dokumente). Multimodalität im Umgang mit Kommunikationsmitteln meint das Ensemble unterschiedlicher Darstellungs- und Ausdrucksweisen in einem Kommunikationsprozess (Bsp. mündliche Sprache, Gestik und Kleidungsstil; Set schriftsprachlicher, visueller und akustischer Ausdrucksformen; Kombination aus mündlicher Sprache, Gebär‐ densprache und grafischer Darstellung). Dabei wirken die Qualitä‐ ten einzelner Modalitäten zusammen (Bsp. Funktion der Stimme beim Sprechen, Sequenzierung und Linearität von Verschriftlichun‐ gen, Abstraktionsleistung der Formelsprache). Multisensorisch bezieht sich auf das Zusammenspiel mehrerer Sinne (z. B. visuelle, auditive, haptische Wahrnehmung). 232 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 232 Wichtig <?page no="233"?> Beachten Sie im Zusammenhang der Datenauswertung weiters die folgen‐ den Punkte: • Orientieren Sie sich bei der Auswertung an Ihren Forschungsfragen und Erkenntnisinteressen und setzen Sie Software-Produkte für Ihre Zwecke sein. Auch wenn die Leistungsfähigkeit der diversen Com‐ puterprogramme im Detail verschieden ist, so gibt es nicht jeweils ein Programm, das für einen methodischen Ansatz geeignet ist. Es gibt auch keine Software-Agenten, Bots oder e-dwarfs, die die Auswertung für Sie erledigen. Verstehen Sie sich also als Vorsitzenden auch der Auswertungsprozesse und lassen Sie diese nicht von der Technik di‐ rigieren. • Hand in Hand mit den Digitalisierungsprozessen sind sowohl er‐ weiterte Handlungsspielräume als auch Tendenzen der Reduktion in der Sozialforschung entstanden. Erstere beziehen sich insbesondere auf Möglichkeiten des eleganten Umgangs mit großen Datenmengen und der übersichtlichen Darstellung komplexer Zusammenhänge sowie auf neue Verfahren der Aufbereitung und Analyse multicodaler Daten (z. B. Videoclips, Filme). Letztere beziehen sich vor allem auf zweifel‐ hafte oberflächliche Auswertungsroutinen (z. B. von vielen Online‐ umfragen), Mängel bei der Prüfung der Datenqualität, die Orientie‐ rung von Fragestellungen am technisch Machbaren und die Normierung von Forschungsdesigns unter Vernachlässigung von As‐ pekten der Gegenstandsangemessenheit. • Achten Sie bei der Auswertung auch auf die verschiedenen Ebenen und Schichtungen medialisierter Darstellungen. Ähnlich wie die un‐ terschiedlichen Grade der Strukturiertheit bei Beobachtungen und Befragungen den Horizont von Antwortmöglichkeiten auf die For‐ schungsfragen mitbestimmen, verhält es sich auch mit den mündli‐ chen, schriftlichen und bildhaften Ausdrucksformen. Manchmal wird »gesprochen wie man schreibt« (Bsp. Rede auf Manuskriptbasis), ein andermal wird »geschrieben wie man spricht« (Bsp. Email). Und wenn Sie zum Beispiel ein Begriffsnetz grafisch darstellen, dann behalten Sie dabei den Prozess von dessen Herstellung - angefangen von all‐ fälligen schriftlichen Vorformulierungen (Notizen) für mündliche Antworten in der Gruppendiskussion bis hin zur autorisierten Tran‐ skription - im Auge. 233 3 Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) 233 <?page no="234"?> • Für die meisten Mitglieder jüngerer Generationen, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind, ist Multimodalität im Umgang mit Kom‐ munikationsmitteln zumindest außerhalb schulischer Sozialisations‐ prozesse zur Normalität geworden. Eine überwiegend monomodale wissenschaftliche Schriftkultur kann hier nur sehr begrenzt aus‐ sagekräftige Ergebnisse erzielen. Prüfen Sie ggf. die Angemessenheit der wissenschaftlichen Symbolsysteme, die Sie in Ihrem Auswer‐ tungsprozess anwenden. • Betrachten Sie sowohl die Forschungsprozesse als auch die For‐ schungsergebnisse als Interaktionsprodukte, die wesentlich mit den Modalitäten des Umgangs mit Kommunikationsmitteln zusam‐ menhängen. Die Datenauswertung stellt dabei eine besonders sensi‐ tive Phase auf dem Weg zur kommunikativen Stabilisierung der For‐ schungsergebnisse dar. Nützliche Computerprogramme für die Datenauswertung In der empirischen Sozialforschung lassen sich grosso modo zwei Foki des Einsatzes computergestützter Auswertungsinstrumente unterscheiden. Auf der einen Seite sind dies Programme zur Auswertung quantitativer (nume‐ rischer) Daten, auf der anderen Seite sind dies Programme zur Auswertung qualitativer (verbaler) Daten. Hinzu kommen Instrumente zur Analyse mul‐ ticodaler Videodaten. Die folgende Auswahl nützlicher Computerpro‐ gramme für die Datenauswertung gibt Ihnen eine erste Orientierung. Beispiele für Computerprogramme für die Datenanalyse qualitative Forschung QSR NVivo 8 - www.qsrinternational.com/ default.aspx Atlas ti 6 - www.atlasti.com/ MAXQDA - www.maxqda.com/ QDA Miner - http: / / provalisresearch.com/ products/ qualitative -data-analysis-software/ quantitative Forschung Die im Abschnitt 4 des vorigen Kapitels exemplarisch aufgeliste‐ ten Programme unterstützen auch die Verwaltung, Auswertung, Dokumentation und Präsentation quantitativer Daten. Hier ein paar ergänzende Hinweise betreffend komplexe Visualisierungs‐ verfahren für Interessierte: Statistische Visualisierung in LabVIEW www.ni.com/ white-paper/ 4158/ de Plattform zur Entwicklung maßgeschneiderter Visualisierungs‐ schnittstellen für komplexe Daten: 234 V Datenauswertung (GP, BL, TH) 234 <?page no="235"?> Beispiele für Computerprogramme für die Datenanalyse www.thinkmap.com/ InstantAtlas™ - Statistische Visualisierung in Kombination mit GIS-Daten www.instantatlas.com/ de/ Für lehrreiche Beispiele für Visualisierungen von komplexen so‐ zio-ökonomischen Entwicklungen im lokalen, nationalen und globalen Kontext siehe www.gapminder.org/ sowie www.wisdom.at/ Visualisierung/ Fo_Visualisierung.aspx Integrierte Analyse-Werkzeuge wie z. B. ProSuite werden insbe‐ sondere von Provalis Research angeboten: http: / / provalisresearc h.com/ Beispiele für Social- Media- Analyse- Tools Free Social Media Analytics in Excel & On The Web - http: / / sim plymeasured.com/ free-social-media-tools NodeXL - http: / / nodexl.codeplex.com/ Gephi - http: / / gephi.org/ Twitonomy - www.twitonomy.com/ Topsy - http: / / topsy.com/ Hashtracking - www.hashtracking.com/ yourTwapperKeeper - https: / / github.com/ 540co/ yourTwapperKeeper Angesichts der rasanten Entwicklungen in diesem Bereich sollten Sie den jeweils aktuellen Stand verfügbarer Versionen und neuer Werkzeuge zu Be‐ ginn Ihrer Forschung online recherchieren. Aber Achtung: Es macht wenig Sinn, jede Woche Stunden mit der Suche nach den allerneuesten digitalen Werkzeugen zu verbringen. Sie rufen ja während einer mehrtägigen Berg‐ tour auch nicht alle paar Stunden im Sportgeschäft an, um herauszufinden, ob nicht vielleicht doch noch ein besserer Imprägnierspray für ihre Schuhe erhältlich sein könnte. 235 3 Zum Einsatz von Medien bei der Auswertung von Datensätzen (TH) 235 <?page no="237"?> Wie immer linear oder zyklisch, geplant oder unverhofft, wohl strukturiert oder auch chaotisch Ihre Forschungsprozesse gelaufen sind, am Ende geht es darum, die Ergebnisse überzeugend zu prä‐ sentieren. Ziel dieses abschließenden Kapitels ist es Ihnen einige Möglichkeiten und Erfordernisse bei der Präsentation von Ergebnis‐ sen aufzuzeigen und Sie auf einige Besonderheiten im Umgang mit mündlichen, schriftlichen und visuellen Darstellungen aufmerksam zu machen. Ergänzend geben wir Ihnen einige Hinweise auf nützli‐ che Internetquellen, sowie auf einige Anhaltspunkte, die bei der Entwicklung Ihrer forschungsmethodischen Kompetenzen hilfreich sind. VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) T. Hug, B. Lederer 1. Die Darstellung der Ergebnisse (TH) 2. Zur Problematik der »fake science« (BL) 3. Ausblick oder wie entwickle ich meine Methodenkompetenz weiter (TH) 4. Nützliche Internetquellen und Werkzeuge (TH) <?page no="239"?> 1 Die Darstellung der Ergebnisse Im Einzelnen sind mit den verschiedenen Methoden der Erhebung, Aufbe‐ reitung und Auswertung unterschiedliche Möglichkeiten der Darstellung von Forschungsergebnissen verbunden. Wir konzentrieren uns hier auf ei‐ nige exemplarische Hinweise und Querschnittsthemen. Wie immer Sie in Ihrer Forschung konkret vorgegangen sind und welche empirischen Methoden Sie mit guten Gründen auch gewählt haben, verge‐ wissern Sie sich vor der abschließenden Darstellung Ihrer Ergebnisse noch‐ mals der Zielsetzungen und Erkenntnisinteressen, die Sie zu Beginn Ihres Projekts formuliert haben. Meine Zielsetzungen und Erkenntnisinteressen im Rückblick • Welche wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen, so‐ zialen oder persönlichen Ziele verfolge ich mit meiner For‐ schung? • Was treibt oder hemmt mich bei meinem Forschungsprojekt? • Was will ich aufzeigen, widerlegen, belegen, erhärten, »be‐ weisen«? • Will ich einen Problemzusammenhang primär erklären oder verstehen? • Welche praktischen und/ oder theoretischen Erkenntnisinte‐ ressen habe ich? • Habe ich den Anspruch eine Praxis zu verbessern oder zu ver‐ ändern? Wenn ja, inwieweit? Ziele und Interessen können und werden sich im Laufe eines Forschungs‐ prozesses verändern. Wichtig ist, dass Sie • sich diese Veränderungen und die damit verbundenen Kurskorrektu‐ ren selbst klar machen und sie angemessen darstellen • im Fall von bezahlten Forschungsarbeiten rechtzeitig das Einverneh‐ men mit dem Auftraggeber herstellen, wenn Inhalt oder Umfang des Forschungsbereichs sich ändern 239 1 Die Darstellung der Ergebnisse 239 Rückblick <?page no="240"?> • es auch mal gut sein lassen und sich mit dem Stand der Dinge, den Sie in und mit Ihrem Forschungsprojekt erreicht haben, (relativ) zufrie‐ dengeben. Zielgruppen und Zwecke Es ist völlig normal, wenn Sie im Laufe Ihrer Forschungsprojekts die Ziel‐ setzungen und Erkenntnisinteressen etwas nachjustieren. In vielen Fällen zählen neue, differenziertere Fragestellungen zu den besten Ergebnissen, die Sie erzielen können. Wenn Sie Ihre Ergebnisse für eine Präsentation aufbe‐ reiten, so sind damit meistens mehrere Zwecke verbunden. Einmal abgese‐ hen vom vordergründigen oder mitlaufenden Zweck der Aneignung for‐ schungsmethodischer Kompetenzen können sich diese auf verschiedene Dinge beziehen, wie zum Beispiel • den Zeugniserwerb in einer Lehrveranstaltung • die Zertifizierung in einem Lehrgang • den Abschluss eines Studiums mittels Qualifizierungsarbeit • die Veröffentlichung in einer Zeitschrift, einem Sammelwerk oder im Internet • die Berichtslegung an eine Auftraggeberin • die Überzeugung einzelner oder einer Gruppe von Ihren Resultaten und der Qualität der Forschungsleistung • die Kommunikation von Beobachtungsergebnissen oder Verbesse‐ rungsvorschlägen in einem praktischen Zusammenhang • die Mitteilung von Forschungserfahrungen und -resultaten an ein Evaluationsteam • etc. Je nach Projektzusammenhang und Sinn und Ziel Ihrer Forschungen kommen von Fall zu Fall unterschiedliche Kombinationen und Gewichtungen einzelner Zwecke in Betracht. Und je nach Ihren Erwartungen an die Institution oder an konkrete Zielgruppen sollten Sie bei Ihrer Präsentation angemessene Darstel‐ lungsmittel wählen. Dies gilt freilich auch für die Ergebnisse zweckfrei gedach‐ ter Forschungen, die in erster Linie verstehen oder rekonstruieren wollen. Wenn Sie den Anlass für die Darstellung von Forschungsergebnissen und diesbezügliche Bündel von Zwecken für sich geklärt haben, sollten Sie sich über Ihre Zielgruppe ein paar Gedanken machen. Ist sie groß oder klein, homogen oder heterogen, überwiegend ernsthaft interessiert, oder eher 240 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 240 <?page no="241"?> 1 http: / / creativecommons.org/ skeptisch, abweisend oder freundlich indifferent? Handelt es sich um No‐ vizen oder (leicht) fortgeschrittene Kollegen? Handelt es sich um einen Prü‐ fungssenat oder ein Expertinnengremium? Es macht einen Unterschied, ob Sie Ihre Ergebnisse • im vertrauten Kreis einer kleinen Seminarrunde oder vor 300 Studie‐ renden in einer Ringvorlesung vortragen • in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, auf der eigenen Homepage oder in einem populärwissenschaftlichen Magazin veröffentlichen • dem gesamten Kollegium, allen Vereinsmitgliedern, ausgewählten Mitarbeiter eines Betriebs oder nur der Geschäftsführung vorstellen • zu Open-Access-Bedingungen oder mittels Creative Commons 1 Li‐ zenz publizieren oder ob sie Firmengeheimnis bleiben müssen. Selbsttest Darstellung der Forschungsergebnisse für meine Zielgruppe(n) Meine Einschätzung: gering mittel hoch Durchschnittliches Vorwissen in der Zielgruppe ( ) ( ) ( ) Neugier und Interesse ( ) ( ) ( ) Zeitrahmen für die Präsentation ( ) ( ) ( ) Umfang für einen schriftlichen Bericht ( ) ( ) ( ) Grad der Genauigkeit und Detailliertheit ( ) ( ) ( ) Erfordernisse der Veranschaulichung ( ) ( ) ( ) Grad der Abstraktion ( ) ( ) ( ) Notwendigkeit der Klärung von Fachbegriffen ( ) ( ) ( ) Meine Kritikfähigkeit ( ) ( ) ( ) Kritikfähigkeit in der Zielgruppe ( ) ( ) ( ) Grad der Öffentlichkeit ( ) ( ) ( ) ………………………………………… ( ) ( ) ( ) 241 1 Die Darstellung der Ergebnisse 241 <?page no="242"?> Schriftliche und mündliche Darstellungen Die meisten Hinweise, die Sie in den Anleitungen zum wissenschaftlichen Schreiben und Präsentieren finden können (vgl. Seifert 2011, Kruse 2010), gelten sinngemäß auch für die Darstellung empirischer Forschungsergeb‐ nisse. Wir wollen uns hier deshalb auf einige wenige Anregungen beschrän‐ ken, die uns besonders wichtig erscheinen: (1) Unterscheiden Sie zwischen schriftlichen und mündlichen Darstellun‐ gen. Dieser Hinweis mag auf den ersten Blick trivial erscheinen. Wenn Sie sich aber Ihre eigenen Erfahrungen mit der Rezeption heruntergelesener Manuskripte vergegenwärtigen, dann wissen Sie, was wir hier meinen. Auch wenn Sie vielleicht einwenden, dass das nicht nur in vielen Hochschulse‐ minaren, sondern auch auf Tagungen und Kongressen international sehr verbreitet ist, wollen wir Sie zur Beachtung dieser Unterscheidung ermun‐ tern. Überlegen Sie also, welche Besonderheiten mit den Darstellungsmo‐ dalitäten verbunden sind, und nutzen Sie diese für Ihre Zwecke. In einer mündlichen Darstellung haben Sie mehr Möglichkeiten, flexibel auf Ihre Zuhörerinnen einzugehen, ergänzende Erläuterungen, Kürzungen oder Kurskorrekturen nach Bedarf vorzunehmen, Assoziationswissen auch spon‐ tan einzubringen, Stimmungen aufzugreifen und Akzente neu zu setzen, usw. (2) Beachten Sie bei mündlichen Darstellungen die vorhandenen oder fehlenden Vorkenntnisse der Teilnehmer, die situativen Besonderheiten und den angemessenen Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. Gliederungsskizze, Blick‐ kontakte, Veranschaulichungen, Überblickstabellen, Zitatsammlung, Manu‐ skriptauszüge, Flipchart). Überlegen Sie, was an Ihren Forschungsergebnis‐ sen besonders bemerkenswert ist, welche Zusammenhänge Sie herstellen können, und wie Sie die Resultate so aufbereiten können, dass Ihnen jemand gerne für eine halbe oder ganze Stunde zuhört. Vermeiden Sie die Inszenie‐ rung stereotyper Referatroutinen und versuchen Sie mit der Zeit Ihren ei‐ genen Stil zu entwickeln. Nutzen Sie je nach Gruppengröße interaktive und diskursive Elemente und vermeiden Sie dialektförmige Ausdrucksweisen. Strukturieren Sie Ihre Darstellung (z. B. Einleitung, Motivierung des Themas und der Forschungsfrage, Hauptteil, Fazit, Schluss) und machen Sie sich vor Ihrer Präsentation klar, welche Kernaussagen Sie mitteilen wollen. (3) In vielen Fällen ist es für das Verständnis Ihrer mündlichen Darstel‐ lungen hilfreich, wenn Sie ergänzend eine Handreichung (Handout) zur Verfügung stellen. Diese kann eine Kurzzusammenfassung der Forschungs‐ 242 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 242 <?page no="243"?> ergebnisse, Definitionen und begriffliche Erläuterungen, zentrale Thesen und Schlüsselzitate, Formeln und Diagramme, URLs (Uniform Resource Lo‐ cators), Eckdaten sowie exemplarische Veranschaulichungen usw. enthal‐ ten. Sie soll ca. eine bis drei Seiten umfassen, und sie soll in jedem Fall An‐ gaben zum Verwendungszusammenhang (Name, Datum, Ort, Anlass / Kontext, Titel des Beitrags) sowie zu den wichtigsten Literatur- und Inter‐ netquellen enthalten. Sie können erheblich an argumentativer Sicherheit und Überzeu‐ gungskraft gewinnen, wenn Sie Ihre Forschungsprozesse und -er‐ gebnisse in unterschiedlichen Varianten diskutieren und beschrei‐ ben: a) Wählen Sie drei bis fünf Personen, mit denen Sie in unterschied‐ lichen Kontexten zu tun haben, und stellen Sie jeweils kurz dar, wie Sie zu Ihren Resultaten gekommen sind. Diskutieren Sie die Resul‐ tate mit Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Bildungsni‐ veaus, mit Kolleginnen aus fachnahen oder anderen Disziplinen, Verwandten, Sportsfreunden, dem Briefträger, dem Barkeeper, etc. b) Eine gute Übung: Beschreiben Ihre Forschungsergebnisse min‐ destens in dreifacher Weise, z. B. in einem Satz, in drei bis fünf Sätzen, auf einer A4-Seite, in Form einer Handreichung (zwei bis drei A4-Seiten), eines Kurzberichts (7-10 A4-Seiten), eines wissenschaft‐ lichen Essays (20-30 A4-Seiten), etc. In beiden Fällen können Sie als Lohn für den Aufwand mit verbes‐ serten argumentativen und forschungsmethodischen Kompetenzen rechnen. 243 1 Die Darstellung der Ergebnisse 243 Tipps <?page no="244"?> (4) Schriftliche Darstellungen werden zumeist in Form von mehr oder weniger umfangreichen Forschungsberichten gemacht. Im Falle von ge‐ förderten Projekten sind dabei die Richtlinien der Auftrags- oder Subventi‐ onsgeber zu beachten. Analoges gilt für wissenschaftliche Zweckschriften (Bsp. Seminar- / Master- / Diplomarbeit oder Dissertation), bei denen die formellen Vorgaben der jeweiligen Institution zu berücksichtigen sind. Wei‐ ters kommen auch Internetpublikationen, Monografien, wissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Sammelwerke sowie Essays und journalisti‐ sche Darstellungsformen in Betracht. Ein guter schriftlicher Bericht über eine empirische Forschung enthält jedenfalls die folgenden Elemente: • aussagekräftiger Titel • Angaben zur Autorschaft sowie kontextuelle Hinweise (Orts- und Zeitangaben, ggf. erstellt »im Auftrag von«, »in Kooperation mit«, usw.) • Inhaltsübersicht • Kurzzusammenfassung (Summary oder Abstract in einer oder zwei Sprachen), in dem das Thema, die Forschungsfrage(n) und die zen‐ tralen Ergebnisse kurz skizziert werden • Angaben zur Themenstellung und Zielsetzung der Untersuchung (Er‐ kenntnis- und Forschungsinteresse) • Hinweise zum Stand der Forschung im gegenständlichen Forschungs‐ feld • Erläuterungen der Fragestellung(en) und Untersuchungsschwer‐ punkte • Darstellung des methodischen Vorgehens und des Designs der Arbeit einschließlich einer Begründung der Methodenwahl • Darstellung und Diskussion der Ergebnisse unter Berücksichtigung relevanter Bezugstheorien (Rückbindung an den Wissensstand) • Zusammenfassung (Fazit) und Schlussfolgerungen • Verzeichnis von Literatur- und Internetquellen • Anhangsteil (Bsp. Fragebögen, Transkriptionen, Videoaufzeichnun‐ gen) Visualisierungen und multimediale Darstellungen Auch wenn schriftliche und mündliche Forschungsberichte in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine zentrale Rolle spielen, so gibt es doch Gren‐ 244 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 244 <?page no="245"?> zen der sprachlichen Darstellung. Das gilt auch für das vorliegende Buch, das überwiegend lineare, druckschriftliche Beschreibungen sowie einige Bilddarstellungen enthält. Wenn Sie also nicht allzu müde sind und keine bewusstseinsverändernde Substanzen eingenommen haben, dann werden Sie sowohl die Buchstaben und Wörter als auch die Grafiken und Abbil‐ dungen als statische wahrnehmen. Der Band enthält keine bewegten Bilder und auch keine reinen Bilddarstellungen ohne schriftliche Erläuterungen. Das ist durchaus typisch für weite Teile der sozial- und kulturwissenschaft‐ lichen Forschung und hängt nicht nur mit rechtlichen, sondern auch mit historischen, erkenntnistheoretischen und methodologischen Aspekten der Thematik zusammen. Seit einiger Zeit mehren sich die Hinweise auf Begrenzungen und Ein‐ seitigkeiten des alphabetischen Codes und standardisierten »Papierspra‐ chen« (V. Flusser). Wie auch immer die Bedeutung des bildhaften Denkens und Darstellens für die empirische Forschung im Detail bewertet werden kann, beachten Sie, dass in verschiedenen Wissenschaftskulturen die Rela‐ tionen von poetischem und rationalem Wissen sowie von begrifflichen und bildhaften Denkformen durchaus unterschiedlich bestimmt werden. Begriffliche Klärungen sind wichtig, aber auch die empirische For‐ schung kommt nicht ohne Metaphern und Vorstellungsbilder aus. Die Ressourcen (Arten des Sprechens, Schreibens, Berechnens, Ana‐ lysierens, Aufzeigens, etc.), die in regionalen, nationalen oder glo‐ balen Wissenschaftskulturen als Mittel zur empirischen Bedeu‐ tungsproduktion Anerkennung finden, unterliegen einem stetigen Wandel. Beachten Sie weiters die Besonderheiten von unterschiedlichen Darstel‐ lungsmodalitäten, von denen wir nachfolgend einige exemplarisch auflisten: 245 1 Die Darstellung der Ergebnisse 245 Wichtig <?page no="246"?> 2 interaktive Datenlandschaften Besonderheiten von Darstellungsformen Sätze, Schrift‐ sprache • vorwiegend lineare Darstellung (Hintereinander von Ele‐ menten) • narrative und diskursive Beschreibungen in Textform • schreibendes Denken im Horizont sprachlichen Denkens Ziffern, Zah‐ len, Formeln • Reduktion von Mengenangaben auf Zahlenwerte (dis‐ krete Größen) • mathematische Operationen (insbesondere mathemati‐ sche Logik) • hochabstraktes Denken und numerische Darstellungen (Formalisierung) Bilder, Zeich‐ nungen • gleichzeitige Darstellung mehrerer Elemente und deren Relationen • Rezeption (»Lesbarkeit«) in mehreren Richtungen • visuelles Denken Auch wenn diese Besonderheiten kaum in »Reinkultur« anzutreffen sind, so zeigen sie doch gewisse Akzentsetzungen an, die bei der Darstellung em‐ pirischer Forschungsergebnisse bedeutsam sind. Hier einige ausgewählte Hinweise auf Themen, die in der Forschungspraxis häufig auftauchen: 1 Analytische Bilder, Abbildungen: Beispiele für Tabellen und Diagramme haben Sie im Kapitel V.2 über quantitative Auswertungsmethoden kennen‐ gelernt. In der Literatur über empirische Forschung finden Sie viele weitere Formen analytischer Bilder (z. B. Netzwerkdarstellungen, Flussdia‐ gramme, Flow-Charts, Cybermaps 2 , Verlaufskurven) sowie Abbildungen (z. B. Skizzen, Zeichnungen, Fotos, Videos). Wichtig ist, dass Sie sich klar machen, welche Funktionen die Bilddarstellungen haben (sollen). Diese können sich insbesondere beziehen auf die • Verdeutlichung, Veranschaulichung und Hervorhebung von Sachver‐ halten oder Zusammenhängen (illustrative und ästhetische Funktio‐ nen) • Steigerung von Chancen der Akzeptanz und Verständigung oder der strategischen oder taktischen Durchsetzung von Interessen (kommu‐ nikative Funktionen) 246 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 246 <?page no="247"?> • Unterstützung von Prozessen des Wissensaufbaus, der Sinnerzeu‐ gung und der Veränderung von Denkschemata (konstitutiv-episte‐ mologische Funktionen) • Unterstützung von Lehr- / Lernprozessen (didaktische Funktionen) • Förderung von innovativen Betrachtungsweisen und phantasievollen »Findungskünsten« (heuristische Funktionen) Der Umgang mit Bildunterschriften und Bildüberschriften • Bilder und Texte können sich gegenseitig erläutern, sie sind als verschiedene Ausdrucksformen aber nicht vollständig in‐ einander übersetzbar. Betrachten Sie das als Chance! • Überlegen Sie, welche primäre Funktion eine Bilddarstellung im konkreten Fall haben soll, treffen Sie eine angemessene Auswahl und Positionierung des Bildes, und bringen Sie Ihre Überlegung auch mittels einer entsprechenden Bildunter‐ schrift zum Ausdruck. • Bildunterschriften haben eine Brückenfunktion zwischen Bild- und Textdarstellung - achten Sie auf eine inhaltlich an‐ gemessene Gestaltung dieser Schnittstellen nach dem Motto »So viel wie nötig, so knapp und pointiert wie möglich«. • Bildunterschriften haben auch eine Rahmungsfunktion. Über‐ legen Sie, welche Akzente und Fokussierungen Sie setzen, wel‐ che »Lesarten« Sie nahelegen, und wie Sie Interpretations‐ spielräume einengen wollen. • Machen Sie eigene Darstellungen als solche kenntlich und ge‐ ben Sie die genauen Quellen von übernommenen Darstellun‐ gen an. Diese Liste ist freilich nicht erschöpfend und je nach Anwendungskontext spielen auch Bündel solcher Funktionen eine Rolle. Besonders lehrreich sind in diesem Zusammenhang die bildpädagogischen Überlegungen von Otto Neurath (1891-1945) und seinen Visualisierungsstrategien gesellschaft‐ licher Verhältnisse (vgl. Nemeth 2003). Auch die bekannten Piktogramme gehen auf sein Visualisierungssystem Isotype (International System of Ty‐ 247 1 Die Darstellung der Ergebnisse 247 Tipps <?page no="248"?> 3 Vgl. www.wisdom.at/ Visualisierung00.aspx pographic Picture Education) zurück (vgl. Hartmann / Bauer 2006). Beispiele zur Visualisierung von Fragebögen und Mikrodaten (Surveys, Panels) finden Sie im Internet. 3 2 Concept-maps, Mind-maps: Concept-maps (Begriffslandkarten) und Mind-maps (Gedächtniskarten) können in einem empirischen Forschungs‐ projekt in vielen Hinsichten sehr nützliche Instrumente sein. Das betrifft insbesondere die visuelle Darstellung von Themengebieten, Vorgangswei‐ sen und Ergebnissen. Der Unterschied zwischen den beiden Werkzeugen besteht im Wesentlichen darin, dass Mind-maps jeweils einen zentralen Ausgangspunkt haben, während Concept-maps mehrere solche haben, die in Beziehung zueinanderstehen. Concept-maps haben eine dezentrale Struk‐ tur, bei der Verknüpfungen zwischen Begriffen aufgezeigt werden, die einen mehr oder weniger komplexen Themenbereich auszeichnen. Während bei Concept-maps die Qualität der begrifflichen Beziehungen spezifiziert wird, geht es beim Mind Mapping mehr um das Prinzip der Visualisierung von Assoziationen zu einem Kernthema und dessen erster Strukturierung. Letz‐ teres steht im Mittelpunkt und wird je nach Grad der Ausdifferenzierung mit Teilaspekten und Einzelheiten in Form von Verästelungen (Zweige und Unterverzweigungen) dargestellt. Beide Methoden können händisch auf Pa‐ pier oder mittels geeigneter Softwareprogramme eingesetzt werden. 248 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 248 <?page no="249"?> Visualisierungsbeispiel für die Strukturierung eines Berichts mittels Mind-Map 3 Präsentationssoftware: Visualisierungen und multimedialen Darstellun‐ gen werden heute in vielen Bereichen, so auch in der empirischen Forschung sehr häufig mittels Präsentationssoftware erstellt und dargeboten. Unter diesen Präsentationsmedien, die manchmal auch salopp »slideware« ge‐ nannt werden, erfreut sich PowerPoint besonderer Beliebtheit. Jeden Tag werden viele Millionen Präsentationen mit diesem Programm abgehalten. Seine Funktionen sind zum De-facto-Standard geworden, obschon etliche andere Programme ähnliche Eigenschaften und Funktionalitäten aufweisen (vgl. die Liste am Ende des Kapitels). Die Attraktivität und weite Verbreitung dieser Präsentationsmedien soll allerdings nicht über deren problematische Seiten hinwegtäuschen. Edward Tufte (1997) hat als einer der ersten sehr eindrücklich auf die Schattenseiten aufmerksam gemacht. Er spricht von »chartjunk« und kosmetischen Dekorationen sowie von vergeblichen Hei‐ lungsversuchen inhaltlicher und argumentativer Schwächen (vgl. Tufte 1997, S. 34). 249 1 Die Darstellung der Ergebnisse 249 <?page no="250"?> Pro & Kontra von digitalen Präsentationsmedien - ausgewählte Aspekte Abhängigkeit von der Präsentations‐ technik technologiegestützte Erweiterung von Handlungsspielräumen Aufmerksamkeitsspaltung (Publikum, Inhalt, Technik) Gedächtnisstütze, »roter Faden« Tendenzen der Normierung und der Be‐ förderung stereotyper Präsentations‐ weisen kreative Gestaltungsmöglichkeiten und interaktive Nutzungsformen Schmuckelemente und Spielereien mit wenig oder ohne Informationswert Chancen der inhaltlichen Bereicherung und Vermittlung komplexer Zusam‐ menhänge Sedativum und Hypnosemittel Multimedialität und Potenziale lebendi‐ ger Darstellung Wägen Sie ab und entscheiden Sie selbst, inwieweit zeitgenössische Prä‐ sentationsmedien nützliche Hilfsmittel für Sie darstellen. Und vergessen Sie nicht: Man kann in Gruppen unschwer auch ohne PowerPoint Verwirrung stiften und Trancezustände auslösen. Das Spektrum von Möglichkeiten der Visualisierung und multimedialen Darstellung von Forschungsergebnissen ist damit nicht erschöpft. Digitale Werkzeuge, bildgebende Verfahren und multimediale Forschungskonzepti‐ onen werden ständig weiterentwickelt. Sie kommen künftig auch in Sozial- und Kulturwissenschaften verstärkt zum Einsatz. Wenn Sie Beispiele für dynamische und inhaltlich relevante Präsen‐ tationen suchen, dann recherchieren Sie doch mal auf der Webseite der gemeinnützigen Organisation Technology, Entertainment, Design (s. http: / / www.ted.com). Dort können Sie zahlreiche gelungene Bei‐ spiele sichten und die entsprechenden Dateien kostenlos herunter‐ laden. Zum Einstieg empfehlen wir Ihnen die Beiträge von Hans Rosling über »Einsichten in Armut« und »Mythen so genannter ›Entwick‐ lungsländer‹«: 250 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 250 Tipp <?page no="251"?> www.ted.com/ talks/ hans_rosling_reveals_new_insights_on_povert y.html www.ted.com/ index.php/ talks/ hans_rosling_shows_the_best_stats _you_ve_ever_seen.html Die Opposition technikfeindliche Geistes- und Kulturwissenschaf‐ ten versus techno-euphorische Ingenieur- und Naturwissenschaften ist historisch überholt. Wie auch immer diese Entwicklung in den nächsten Jahren weiter ver‐ laufen wird, ein Unterschied wird bleiben, auf den wir Sie aufmerksam machen wollen. Es ist dies der Unterschied zwischen lebendig gestalten und lebendig werden lassen. Es ist eine Sache, die Präsentation Ihrer Forschungsergebnisse »durchzukomponieren« und dann engagiert und lebendig vorzutragen - es ist eine andere Sache, bei einer Präsentation Raum für das zu lassen, was den Zuhörern wichtig wird und was leise Stimmen zu sagen haben. Im zweiten Fall heißt lebendig nicht notwendig unterhaltsam, sondern für die einzelnen Anwesenden subjektiv bedeut‐ sam. Last but not least gilt es zu bedenken, für welche Öffentlichkeit die Er‐ gebnisse präsentiert werden sollen. Die Verschriftlichungen und Visualisie‐ rungen, die Sie im Laufe Ihrer Projektarbeiten gemacht haben, sind entspre‐ chend zu überarbeiten und in einer geeigneten Darstellungsform zu verdichten. Entscheidend ist, dass Sie Ihre Forschungsergebnisse auf den Punkt bringen und so rahmen, dass Neugier und Nachvollziehbarkeit wahr‐ scheinlich werden können. 251 1 Die Darstellung der Ergebnisse 251 Wichtig <?page no="252"?> Bernstein, David (1991): Die Kunst der Präsentation. Wie Sie einen Vortrag ausarbeiten und überzeugend darbieten. Frankfurt/ Main, New York: Campus. Coy, Wolfgang & Pias, Claus (Hrsg.) (2009): Powerpoint: Macht und Einfluss eines Präsentationsprogramms. Frankfurt / Main: Fischer. Ziegaus, Sebastian (2009): Die Abhängigkeit der Sozialwissenschaf‐ ten von ihren Medien. Bielefeld: transcript. 2 Zur Problematik der »fake science« Der Prozess der Erhebung empirischer Daten wie auch ihre statistische Auswertung sind immer wieder Gegenstand von - absichtlichen wie unbe‐ absichtigten - Manipulationen, um gewünschte Ergebnisse als wissen‐ schaftlich belegt erscheinen zu lassen. Speziell im Kontext einer »Kultur der Quantität«, in der Wissenschaftler heute angehalten sind, so viel als möglich in einschlägigen Fachzeitschriften zu publizieren, werden Tricksereien me‐ thodischer Art zu einem drängenden Problem. So genannte »Raubjournale« (predatory journals) publizieren für viel Geld Forschungsergebnisse online, ohne aber (wie behauptet), die eingereichten Fachartikel einer Begutachtung durch ausgewiesene Experten (»peer-review-Verfahren«) zu unterziehen. Aber nur eine »intersubjektive«, d. h. unabhängige und kritische, fach- und methodenkompetente Überprüfung des gesamten Forschungsdesigns, also der Arbeitsschritte von der Hypothesenformulierung, über die Datenerhe‐ bung bis zur Auswertung und Interpretation des Ergebnisses, erfüllt die Kri‐ terien wissenschaftlicher Qualitätsansprüche (»Reliabilität« und »Validi‐ tät«). Jedoch sind es nicht immer (schwer zu erkennende) »fake journals« und darin veröffentlichte »fake science«, welche die Qualität und Glaubwürdig‐ keit von Wissenschaft untergraben. Oft sind es auch kleinere Tricksereien oder die selektive Auswahl von (erhobenen wie ausgewerteten) Daten, die ein Forschungsergebnis gerade noch über die »Signifikanzschwelle« rücken und somit als wissenschaftlich belegt (oder widerlegt) gelten lassen. (Man spricht in dem Zusammenhang bspw. vom »p-test-hacking«). Ganz allge‐ 252 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 252 Literaturtipps <?page no="253"?> mein spricht man derzeit von einer »Reproduktionskrise« der Wissenschaf‐ ten (speziell in der Psychologie ist dies derzeit ein großes Thema): Die Er‐ gebnisse vieler bereits veröffentlichter Studien lassen sich bei Wiederholung nicht bestätigen, aber nur reproduzierbare Ergebnisse sind in der Wissen‐ schaft von Wert, ein nur einmaliges Ergebnis bedarf stets der Überprüfung. Universitäten entwickeln derzeit ein verstärktes Problembewusstsein und Aktivitäten, um seriös begutachtete Wissenschaftsjournale von offen be‐ trügerischen oder auch nur qualitativ unzureichenden Fachjournalen einer Forschungsrichtung unterscheiden zu können. Die Bibliothek der Universi‐ tät Graz bspw. bietet diesbezüglich wichtige grundlegende Informationen und weiterführende Links: https: / / ub.uni-graz.at/ de/ dienstleistungen/ publi kationsservices/ fake-journals/ Das weite Feld der betrügerischen, aber auch ganz legalen, wenn auch unredlichen Manipulation mit Statistiken ist Gegenstand dieser beiden über‐ aus lesenswerten Bücher: Bosbach, Gerd & Korff, Jens Jürgen (2012): Lügen mit Zahlen. Wie wir mit Statistiken manipuliert werden. München: Heyne. Krämer, Walter (2015): So lügt man mit Statistik. Frankfurt am Main: Campus Verlag 3 Ausblick oder wie entwickle ich meine Methodenkompetenz weiter? Abschließend kommen wir noch einmal an den Anfang zurück. Wir sagten, dass wir Ihnen mit diesem Buch den Einstieg in Methodenfragen erleichtern und Ihnen helfen wollen, sich im weiten Feld der empirischen Forschung zu orientieren. Auch wenn wir Sie mit jeder einzelnen Seite ermutigen wollen, über Methodenthemen nachzudenken, Anwendungen zu erproben und Schritt für Schritt forschungsmethodische Kompetenzen zu erwerben, so kann es sein, dass es mit der Entwicklung der Methodenkompetenz langsa‐ mer weitergeht als erhofft. Manchmal misslingt ein Projekt, manchmal ist ein Plan zum Scheitern verurteilt, und mitunter können die Schwierigkeiten bei der Durchführung einer Studie so groß werden, dass die Verzweiflung überhandnimmt. Was tun? Wir wollen Ihnen an dieser Stelle noch ein paar nützliche Tipps mit auf den Weg geben, die bei der Überwindung solcher Hürden und der Weiterentwicklung Ihrer Methodenkompetenz nützlich 253 3 Ausblick oder wie entwickle ich meine Methodenkompetenz weiter? 253 <?page no="254"?> sein können. Hilfreich sind sie dann, wenn Sie sich die Tipps zunutze ma‐ chen und sie Ihnen in der weiteren Folge faktisch geholfen haben. 1. Betrachten Sie die Entwicklung forschungsmethodischer Kompeten‐ zen als ein kontinuierliches Projekt und nicht als eine Sache, die einmal gemacht und dann erledigt ist. Lesen Sie regelmäßig auch Methoden‐ literatur und konsultieren Sie Internetquellen, die sich mit empiri‐ schen Forschungsmethoden befassen. 2. Wenn es klemmt und »nichts weitergeht«, dann versuchen Sie her‐ auszufinden, auf welcher Ebene das Problem liegt: Geht es um Schwie‐ rigkeiten im Umgang mit Abstraktionen und mathematischen For‐ meln oder eher um Fragen der Kommunikation in der Gruppe? Geht es um medientechnische Probleme oder eher Fragen des Selbstwert‐ gefühls? Geht es um Versäumnisse im Studium oder eher um überzo‐ gene Ansprüche? usw. Machen Sie sich gemeinsam mit Ihrer Betreu‐ ungsperson, Studienassisteninnen und kritischen Freunden klar, woran es mutmaßlicher Weise hakt, und setzen Sie dort mit der Pro‐ blemlösung an. 3. Begrenzen Sie den Aufwand für fruchtlose Bemühungen. Sie kennen vielleicht den Witz, der von zusätzlichen Schildern handelt, die bei den Kreisverkehrszeichen in manchen abgelegenen Regionen ange‐ bracht werden sollen: Auf ihnen heißt es »Maximal 10 mal! « Haben Sie den Mut zu lösungsorientierten Ansätzen und hören Sie auf die »Affen zu füttern«, wie es im asiatischen Raum so schön heißt. Damit sind jene Formen der besonders kreativen Kommunikation mit sich selbst gemeint, die uns Ausreden und Ablenkungen aller Art immer dann für wichtig erachten lassen, wenn uns klar ist, welche Dinge geschehen sollen und wie die Reise gut weitergehen könnte. Wenn Ihre Selbstdiagnose Prokrastination, also krankhaftes Aufschieben von Arbeiten lauten sollte, dann nehmen Sie das ernst und gönnen sich ein paar Supervisionsstunden. 4. Orientieren Sie sich konsequent an qualitätsvollen Angeboten und achten Sie darauf, auf wessen Rat Sie hören. Horchen Sie sich im Zwei‐ felsfall nach Möglichkeit mehrere Expertinnen an und wägen Sie ab, wem Sie mit welchen Gründen Gehör schenken. Nutzen Sie verfüg‐ bare Unterstützungsangebote von Tutoren und Dozentinnen, und nehmen Sie Sprechstundentermine in wohl vorbereiteter Weise wahr. 254 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 254 <?page no="255"?> 5. In den empirischen Wissenschaften ist es wie in der Kunst: Häufig wird etwas präsentiert, das mit dem Alltagsverstand gar nicht oder jedenfalls nicht auf Anhieb nachvollzogen werden kann. Man muss Geduld haben und oft mehrere Anläufe machen, um »dahinter zu kom‐ men«, die »Nuss zu knacken« und ein »Aha-Erlebnis« zu haben. Er‐ innern Sie sich an Punkt 1 auf der Seite 15 im ersten Kapitel: Die Wis‐ senschaft stellt alltagsweltliche Grundannahmen und Selbstverständlichkeiten in Frage und bricht mit der fraglos angenommenen Perspektive des »So-und-so-ist-es«. 6. Achten Sie auf Kontraste wissenschaftlicher Wissensdarstellungen zu denen der medialen Alltagsdiskurse. Wenn Sie also in der Tagespresse lesen, dass »eine wissenschaftliche Studie ergeben hat, dass 90 % der Männer dies und das« tun würden, »die Jugendlichen politikverdros‐ sen« seien oder »Frauen im Alter zu diesem und jenem« neigen wür‐ den, dann prüfen Sie, ob sich die Auseinandersetzung lohnt und ach‐ ten Sie darauf, ob Sie Angaben zu den Quellen, zu den untersuchten Gruppen, zum Design der Studie und zu den Methoden finden können. 7. Achten Sie bei der Rezeption von empirischen Forschungsergebnissen auch auf methodische Aspekte und Fragen der Methodenbegründung. Wie werden dabei Erhebungs- und Auswertungsmethoden sowie Auswahlkriterien begründet? Wie angemessen erscheinen Ihnen diese Begründungen? Sowohl von guten Projekten wie auch aus den Fehlern anderer lässt sich viel lernen. 8. Sortieren Sie die Handlungsrollen als Rezipientin, Student, Planerin, Forscher, Produzentin, Vermittler, Controllerin etc. und halten Sie sich vor Augen, welche Rolle diese Rollen in Ihrem Forschungsprojekt spielen. Vermeiden Sie Vermischungen der Handlungsrollen und ho‐ len Sie sich differenziertes Feedback zu konkreten Fragen und Auf‐ gabenbereichen. 9. Betrachten Sie auch das soziale Umfeld der Orte, an denen Sie forschen und Methodenkompetenz erwerben. Welche Bedeutung haben die Bezugssysteme Technik, Wirtschaft, Politik und Recht? Wie ist die lo‐ kale Wissenschaftskultur gestaltet und wie lassen sich allzu enge Handlungsspielräume erweitern oder allzu große Spielräume so ein‐ grenzen, dass ein gedeihlicher Projektfortschritt wahrscheinlich(er) wird? 10. Machen Sie sich Reichweiten und Geltungsansprüche Ihrer Forschung klar. Fassen Sie diese weder zu eng noch zu weit. Auch ausgehend von 255 3 Ausblick oder wie entwickle ich meine Methodenkompetenz weiter? 255 <?page no="256"?> Einzelfällen lassen sich Aussagen über Muster und Strukturen treffen. Schränken Sie nicht zuletzt im Bereich webbasierter Forschung Ihre Ansprüche möglichst klar und konkret ein. Meine Methodenkompetenz entwickeln: Bisherige Schritte und next steps Tragen Sie in Stichworten die jeweiligen Aktivitäten ein! Ist-Stand Das habe ich zu‐ letzt gemacht: Soll-Stand Das will ich im nächsten Monat / Semester anpa‐ cken: Überblickswissen in Methodenfragen an‐ eignen Begründungen der Methodenanwen‐ dung argumentieren ein forschungsmethodisches Konzept kennenlernen (Erhebung, Aufbereitung, Auswertung) eine empirische Methode ausprobieren eine kleine Studie durchführen (Forschungserfahrungen sammeln) ein digitales Werkzeug für Forschungs‐ zwecke ausprobieren Beratung und Unterstützung in An‐ spruch nehmen (z. B. einen Sprechstun‐ dentermin vereinbaren) Berichte von empirischen Forschungs‐ projekten rezipieren ein für mich neues didaktisches Element in meine Präsentation der Forschungser‐ gebnisse einführen Andere Punkte: Betrachten Sie Ihre Aufstellung und beantworten Sie für sich die folgenden Fragen: • Wie wichtig sind mir die einzelnen Punkte und wie viel Zeit muss ich schätzungsweise für die einzelnen Vorhaben einräumen? 256 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 256 <?page no="257"?> • Wie viel Zeit steht mir dafür zur Verfügung und wie realistisch sind meine »Arbeitspakete«? • Wie steht es um den Zugang zum Forschungsfeld und welche Unter‐ stützung kann ich in welcher Form bekommen? • Wie ist das Verhältnis von Neugier und Lust am Ausprobieren zu Zwang und Verpflichtung? • Wie kann ich über meine Forschungsinteressen mit anderen ins Ge‐ spräch kommen? • Wie ist das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit in Sachen For‐ schungsmethoden und wie halte ich es sonst mit diesem Verhältnis? 4 Nützliche Internetquellen und Werkzeuge Unabhängig davon, wie sehr Ihre empirische Forschung in methodischer Hinsicht interbasiert ist (oder nicht), bietet das Internet mittlerweile zahl‐ reiche Ressourcen. Hier eine Auswahl relevanter Quellen: Empirische Forschung - Auswahl nützlicher Internetquellen Nachschlagewerke, Diskussionsforen, Sammlungen und Übersichten ILMES - Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung https: / / wlm.userweb.mwn.de/ ilmes.htm Sozialwissenschaftliche Überblicksseite http: / / sowiport.gesis.org/ GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (Tools & Standards, Dienstleistungen zu Daten, Methoden und Fachinformationen) www.gesis.org/ e-stat - Internetbasierte Lehr- und Lernumgebung in der angewandten Statistik https: / / www.mathe-online.at/ nml/ materialien/ eStat/ WISDOM - Wiener Institut für Sozialwissenschaftliche Dokumentation und Methodik www.wisdom.at/ Recherchekurs Sozialwissenschaften https: / / lotse.uni-muenster.de/ sozialwissenschaften/ index -de.php 257 4 Nützliche Internetquellen und Werkzeuge 257 <?page no="258"?> Empirische Forschung - Auswahl nützlicher Internetquellen Unterrichtsmaterial und Links für den Unterricht im Fach Statistik (Ulrich Rapp) www.ulrich-rapp.de/ stoff/ statistik/ index.htm Überblicksseite zur qualitativen Sozialforschung www.qualitative-forschung.de/ Forum Qualitative Sozialforschung: Mehrsprachiges Online-Journal zur qualitativen Forschung www.qualitative-research.net/ [werner.stangl]s arbeitsblätter https: / / paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/ internet/ arbeitsblaetter ord/ https: / / arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ FORSCHUNGSMET HODEN/ KHANACADEMY: Video-Statistik-Kurs www.khanacademy.org/ math/ probability Nachschlagewerke, Diskussionsforen, Sammlungen und Übersichten Suche nach wissenschaftlichen Publikationen scholar.google.com Social Science Open Access Repository www.ssoar.info/ Computer Assisted Qualitative Data AnalysiS (CAQDAS) www.surrey.ac.uk/ sociology/ research/ researchcentres/ caqdas Webpräsenz Buchreihe STAR - Studieren, aber richtig star.huterundroth.at Kollaboration und Kooperation Inhalte gemeinsam bearbeiten und online präsentieren www.zoho.com www.mikogo.de/ File Sharing & Collaboration www.box.com/ Google docs - Dokumente, Tabellen und Präsentationen online bearbeiten https: / / docs.google.com/ Webbasierte Plattform (incl. Audio- und Video-Unterstüt‐ zung) www.wiziq.com/ 258 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 258 <?page no="259"?> Empirische Forschung - Auswahl nützlicher Internetquellen Chat- und Videoconferencing-Tool https: / / tinychat.com/ Social Networking und Online-Conferencing: www.blackboard.com/ Platforms/ Collaborate/ Overview.aspx Siehe auch https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Kollaborationssoftware https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ List_of_collaborative_softw are Concept-mapping und Mind-mapping Concept Maps zur strukturierten Darstellung von Inhalten IHMC Cmap-Tools: https: / / cmap.ihmc.us/ Easy-Mapping-Tool: www.cognitive-tools.de/ PiCoMap™: www.hice.umich.edu/ hice/ picomap FreeMind: https: / / freemind.sourceforge.net/ Freeplane: https: / / freeplane.sourceforge.net/ xMind: https: / / sourceforge.net/ projects/ xmind3/ Siehe auch https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ List_of_mind_mapping_sof tware Präsentationssoft‐ ware Impress: www.openoffice.org/ de/ product/ impress.html Online-Präsentationen: http: / / prezi.com/ Keynote (für MacOS): www.apple.com/ de/ mac/ keynote/ PowerPoint-Präsentationen (online): https: / / de.slideshare. net/ nützliche Helferleins Freie Bürosoftware www.openoffice.org/ de/ PDF-Dateien erstellen www.pdfcreator.org https: / / freepdfxp.de/ Terminplanung und Terminvereinbarung https: / / terminplaner2.dfn.de/ www.doodle.com/ Zitieren www.zotero.org Screenshots und Bildbearbeitung www.techsmith.com/ jing.html www.blender.org/ 259 4 Nützliche Internetquellen und Werkzeuge 259 <?page no="260"?> Empirische Forschung - Auswahl nützlicher Internetquellen nützliche Helferleins Desktop Publishing-Programm www.scribus.net/ Facebook für AkademikerInnen www.academia.edu/ www.researchgate.net/ Skills for Learning - Ressourcensammlung https: / / skillsforlearning.leedsmet.ac.uk/ Online-Wörterbücher und Übersetzungshilfen https: / / dict.cc/ https: / / dict.leo.org/ https: / deepl.com www.duden.de/ https: / / pons.eu/ Software Downloads https: / / sourceforge.net/ www.hotscripts.com/ www.softonic.de/ https: / / openlab.esev.ipv.pt/ Spezialtipps: Überblick über freie Software (FLOSS) für Bil‐ dungszwecke: www.gnu.org/ software/ free-software-for-e ducation.html Openlab ESEV: https: / / ensinolivre.pt/ files/ guiasoftwareliv rev11.pdf (Meta-)Suchmaschi‐ nen https: / / curlie.org/ World/ Deutsch/ Computer/ Internet/ Suc hen/ Suchmaschinen/ Metasucher/ Gutes Gelingen und viel Freude sowie auch Kraft, Geduld und Ausdauer bei Ihren empirischen Forschungsaktivitäten wünschen Ihnen die Autoren! 260 VI Darstellung der Ergebnisse und Ausblick (TH) 260 <?page no="261"?> Literaturhinweise Titel, auf die im Text verwiesen wurde Banaka, William H. 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IV (Datenerhebung und Datenaufbereitung) Bohnsack, Ralf (2004): Gruppendiskussion. In: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Ham‐ burg: Rowohlt, S. 369-384. Garz, Detlef & Kraimer, Klaus (Hrsg.) (1991): Qualitativ-Empirische Sozialfor‐ schung. Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag. Hopf, Christel (2004): Qualitative Interviews - ein Überblick. In: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 349-359. Jones, Steve (Ed.) (1999): Doing Internet Reserach: Critical Issues and Methods for Examining the Net. London: Sage Publications. Lüders, Christian (2004): Beobachten im Feld und Ethnographie. In: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 384-402. Markham, Annette N. & Baym, Nancy K. 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Scheufele, Betram & Engelmann, Ines (2009): Empirische Kommunikationsfor‐ schung. Konstanz: UVK. Schmitt, Rudolf; Schröder, Julia & Pfaller, Larissa (2018): Systematische Metaphern‐ analyse. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Schnell, Rainer; Hill, Paul B. & Esser, Elke (2013): Methoden der Empirischen Sozialforschung. 10. Auflage. München: Oldenbourg. Strübing, Jörg (2008): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologi‐ schen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kap. VI (Darstellung der Ergebnisse und Ausblick) Baumgartner, Peter & Payr, Sabine (2001): Studieren und Forschen mit dem Internet. Innsbruck, Wien: Studien-Verlag. Seifert, Josef W. (2011): Visualisieren - Präsentieren - Moderieren. 33. Auflage. Speyer: Gabal. Sesink, Werner (2012): Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten in‐ klusive E-Learning, Web-Recherche, digitale Präsentation u. a. 9. Auflage, München: Oldenbourg. 266 Literaturhinweise 266 <?page no="267"?> Vögtli, Alexander & Ernst, Beat (2007): Wissenschaftliche Bilder. Eine Bildkritik. Basel (Schwabe). Weber, Karsten: Simulationen in den Sozialwissenschaften. In: Journal for General Philosophy of Science, Volume 38, Number 1 / April 2007, S. 111- 126. Titel, die in den Kästen aufscheinen Kap. I (Ausgangspunkte) Flick, Uwe; Kardoff, Ernst v. & Steinke, Ines (Hrsg.) (2015): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. (11. Aufl.) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Heinze, Thomas (2001): Qualitative Sozialforschung. Einführung, Methodologie und Forschungspraxis. München / Wien: Oldenbourg. Hug, Theo (Hrsg.) (2001): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? 4 Bände, Balt‐ mannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. Hussy, Walter; Schreier, Margrit & Echterhoff, Gerald (2013): Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften - für Bachelor. (2. Aufl.) Berlin u.a.: Springer. Kruse, Otto (2018): Lesen und Schreiben. Der richtige Umgang mit Texten im Stu‐ dium. 3. Aufl. Konstanz u.a.: UTB. Mautner, Gerlinde (2016): Wissenschaftliches Englisch. Stilsicher schreiben in Stu‐ dium und Wissenschaft. Grundlagen und Anwendungen. 2. Aufl. Konstanz u.a.: UTB. Niedermair, Klaus (2010): Recherchieren und Dokumentieren. Der richtige Umgang mit Literatur im Studium. Konstanz u.a.: UTB. Raithel, Jürgen (2008): Quantitative Forschung: Ein Praxiskurs. (2. Aufl.) Wiesbaden: VS. Kap. II (Von der Idee zum Projekt) Booth, Wayne C.; Colomb, Gregory G. & Williams, Joseph M. (2016): The Craft of Research. 4. Aufl. Chicago & London: The University of Chicago Press. Ebster, Claus & Stalzer, Lieselotte (2017): Wissenschaftliches Arbeiten für Wirt‐ schafts- und Sozialwissenschaftler. 5. Aufl.. Wien: facultas wuv (UTB). Kap. III (Erste Schritte - Die Planung eines Forschungsprojekts) Hug, Theo (2001): Erhebung und Auswertung empirischer Daten: Eine Skizze für AnfängerInnen und leicht Fortgeschrittene. In: Hug, Theo (Hrsg.): Wie kommt 267 Literaturhinweise 267 <?page no="268"?> Wissenschaft zu Wissen? Band 2: Einführung in die Forschungsmethodik und Forschungspraxis. Hohengehren: Schneider, S. 11-29. Köhler, Thomas (2012): Statistik.: Ein kurz gefasstes Lehrbuch für das Bachelorstu‐ dium der Psychologie, Pädagogik und Sozialwissenschaften. Heidelberg: Asanger. König, Eckard & Bentler, Annette (2013): Konzepte und itsschritte im qualitativen Forschungsprozess - ein Leitfaden. In: Friebertshäuser, Barbara; Langer, Antje & Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. 4. Aufl. Weinheim / München: Juventa, S. 173-182. Kromrey, Helmut (2009): Empirische Sozialforschung. 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Keller, Rainer (2010): Diskursforschung. Eine Einführung für Sozialwis‐ senschaftlerInnen. 4. Aufl. Wiesbaden: VS. 269 Literaturhinweise 269 <?page no="270"?> Kromrey, Helmut (2009): Empirische Sozialforschung. Modelle und Me‐ thoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung. 12. Auf‐ lage. Stuttgart: Lucius & Lucius. Kruse, Jan; Biesel, Kay; Schmieder, Christian (2011): Metaphernanalyse. Ein rekonstruktiver Ansatz. Wiesbaden: VS. Leithäuser, Thomas & Volmerg, Birgit (1979): Anleitung zur Empirischen Hermeneutik. Psychoanalytische Textinterpretation als sozialwissenschaft‐ liches Verfahren. Frankfurt / Main: Suhrkamp. Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 11. Vollständig überarbeitete Aufl. Weinheim: Beltz (UTB). Schmitt, Rudolf; Schröder, Julia & Pfaller, Larissa (2018): Systematische Metaphernanalyse. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Schnell, Rainer; Hill, Paul B. & Esser, Elke (2013): Methoden der Empiri‐ schen Sozialforschung. 10. Auflage. München: Oldenbourg. Urban, Klaus (1996): Statistik. Einführung in die statistische Methoden‐ lehre. 4. Auflage. München / Wien: Oldenbourg. Kap. VI (Darstellung der Ergebnisse und Ausblick) Ballstaedt, Steffen-Peter (2011): Visualisieren. Bilder in wissenschaftlichen Texten. Konstanz u.a.: UTB. Bernstein, David (1991): Die Kunst der Präsentation. Wie Sie einen Vortrag ausar‐ beiten und überzeugend darbieten. Frankfurt/ Main, New York: Campus. Coy, Wolfgang & Pias, Claus (Hrsg.) (2009): Powerpoint: Macht und Einfluss eines Präsentationsprogramms. Frankfurt / Main: Fischer. Moser, Heinz; Holzwarth, Peter (2011): Mit Medien arbeiten. Lernen - Präsentieren - Kommunizieren. Konstanz u.a.: UTB. Ziegaus, Sebastian (2009): Die Abhängigkeit der Sozialwissenschaften von ihren Medien. Bielefeld: transcript. 270 Literaturhinweise 270 <?page no="271"?> Register Abbildung 246 abhängige Variable 96 Ablaufmodell 85 absolute Häufigkeit 209 Adäquatheit 117 aggregierte Einzelfallanalyse 94 akademische Forschung 35 Aktionsforschung 99 Aktions- oder Praxisforschung 91 allgemeines Gütekriterium 115 Alltagsbeschreibung 22 Alltagserfahrung 20, 21 alltagsweltliche Erfahrung 15 alltagsweltliche Erfahrungsform 25 alltagsweltliche Gemeinsamkeit 24 Arbeit in Gruppen 40 Argument 82 Argumentation 82 arithmetisches Mittel 215 Assoziogramm 64 Aufbereitung 87, 168 Aufbereitungsmethode 101, 104 Auswahl an Instrumenten 183 Auswertung 88 Auswertungsmethode 101, 105, 189 Auswertungsobjektivität 116 axiales Kodieren 193 Balkendiagramm 210 Basisanforderung 27 Befragung 104 Beobachtung 103, 153 Beobachtungseinheit 151 Beobachtungsinstrument 180 Beobachtungskriterium 147 Beobachtungsplan 147 Beobachtungsprotokoll 147 Beobachtungsschema 147 Beobachtungsvariable 147, 151 Beobachtung zweiter Ordnung 31 Beschreibung 98 Bewertung 98 Bewertungsmatrix 70 bildhaftes Denken 245 Bildüberschrift 247 Bildunterschrift 247 blinder Fleck 181 Brainstorming 59, 60 Brainwriting 59 Clustering 59, 64 Concept-map 248 Creative Common 241 Daten 101 Datenschutz 48 Datenselektion 175 Daten-Triangulation 118 Delphi-Methode 160 Deskriptionsforschung 99 deskriptive Aspekte 83 Digitalisierung 231, 233 diskriminante Validität 117 Diskriminanzanalyse 226 Diskursanalyse 199 Diskussion von Limitationen 119 Dokumentenanalyse 91, 103 Durchführungsobjektivität 116 Eingrenzungskriterium 74 <?page no="272"?> Einzelfallanalyse 90, 93 Einzelinterview 159 Empirie 29 empirische Forschung 31, 50 Empirische Forschung 7 empirisch Forschen 29, 34 Entscheidungsmatrix 70 episodisches Interview 131 Ereignis 147 Erfolgsfaktor 53 Erhebung 87 Erhebungsmethode 101, 102 Erkenntnisinteresse 239 Erkenntnistheorie 16 ethisches Prinzip 47 Evaluationsforschung 91 Experiment 90, 96 Expertenbefragung 160 Experteninterview 132 explizierende Inhaltsanalyse 191 exponentielles Wachstum 220 Exposé 76 Feldexperiment 98 Feldforschung 97 Feldnotiz 174 Feldstudie 91 Fixierung 105 Flexibel bleiben 137 Fokusgruppe 139 fokussiertes Interview 130 Forschen gegen Bezahlung 36 Forschungsbericht 244 Forschungsdesign 89 Forschungsergebnisse als Interaktionsprodukte 234 forschungsethisches Prinzip 46 Forschungsfrage 72, 82 Forschungsgegenstand 81, 82 Forschungsmethode 90, 143 Forschungstagebuch 174 Fragebogendesign 162 Fragebogengestaltung 162 Fragen formulieren 137 Fragestellung 74 Funktion der Bilddarstellungen 246 Geduld haben 137 gegenstandsbezogene Theoriebildung 192 Geschichte des empirischen Forschens 29 Geschichtsblindheit 84 Geschlechtsblindheit 84 Geschlossenheit 128 gesellschaftliche Relevanz 82 Gesellschaftsblindheit 84 Gespräch steuern 136 Grounded Theory 192 Gruppendiskussion 139 Gütekriterium 114 Gütekriterium empirischer Forschung 115 halbstandardisiertes Interview 130 Handlungsforschung 99 Handlungsrolle 255 Handreichung (Handout) 242 Häufigkeitentabelle 210, 212 Histogramm 210 Hypothese 69 Hypothesentest 223 Idee 57 Indikation 117 Indikator 108, 147, 151 Inferenzstatistik 222, 227 institutionelle Rahmenbedingung 38 Interpretationsobjektivität 116 272 Register 272 <?page no="273"?> intersubjektive Nachvollziehbarkeit 117 intersubjektive Übereinstimmung 115 intersubjektiv nachvollziehbar 117 Interview 127 Interview beenden 138 Interviewführung 135 Interviewleitfaden 127 Interviewleitfaden ausprobieren 138 Interviewtechnik 136 Investigator-Triangulation 118 Kärtchenmethode 59, 62 kommentierte Transkription 166 kommerzielle Forschung 35 Kommunikationsmittel 231, 232 kompilatorischeArbeit 33 Kontrollgruppe 96 konvergente Validität 116 Konversationsanalyse 198 Korrelationskoeffizient 219, 221 Kreativitätstechnik 58, 59 Kriterien für qualitätsvolle Forschung 47 Kriteriumsvalidität 117 Kurzfragebogen erwägen 138 Laborforschung 96 lebendig gestalten 251 lebendig werden lassen 251 lineares Wachstum 221 logisches Verstehen 196 mediale Form 229 Median 214 Medienangebot 231 Medien im Forschungsprozess 229 Messabweichung 176 Messfehler 176 Meta-Analyse 91 Metaphernanalyse 200, 201 Methode 101 methodenspezifisches Gütekriterium 114 methodisches Vorgehen 83 Methodologische Triangulation 119 Mind-map 248 Mind Mapping 59, 64 Mixed Methodologies 112 Modalwert 213 Modus 213 monomodale wissenschaftliche Schriftkultur 234 multicodal 232 Multimedia 230 Multimedialität 231 Multimodalität 232 multisensorisch 232 Multivarianzanalyse 226 mündliche Befragung 156, 158 mündliche Darstellung 242 mündlicher Vertrag 47 Mythos und Logos 30 Nähe-Distanz-Thematik 34 Narrationsanalyse 202 narratives Interview 129 nicht-teilnehmende Beobachtung 148 nichtteilnehmend-offene Beobachtung 149 Nichtteilnehmend-verdeckte Beobachtung 150 Normalverteilung 218 normative Aspekte 83 Nutzen 36 Objektive Hermeneutik 204 Objektivität 115 Offene Fragen stellen 138 offenes Kodieren 192 Offenheit 128 273 Register 273 <?page no="274"?> Operationalisierung 108 Panel 90, 159 Parallelisierung 97 Perspektivenwechsel 50, 58 Planung 86 Polygon 211 positivistisches Empirieverständnis 31 Präsentation 88 Präsentationssoftware 249 Praxisforschung 99 Pre-Test 152 Pre-Tests 159 primäre Medien 181 Probedurchgang 152 problemzentriertes Interview 129 Prokastrination 254 Protokollieren 173 psychoanalytische Textinterpretation 196 psychologisches Verstehen 196 qualitative Beschreibung 23 qualitative Forschung 110 qualitative Inhaltsanalyse 189 qualitative Sozialforschung 23 qualitative Typenbildung 194 quantitative Befragung 154 quantitative Beobachtung 145 quantitative Beschreibung 25 quantitative empirische Sozialforschung 144 quantitative Forschung 108 quantitative Sozialforschung 24 quartäre Medien 182 Quasi-Experiment 98 Randomisierung 97 Re-Analyse 103 Recherche 103 Redlichkeit 48 Reflexion schreiben 139 Reflexivität 118 Regeln guter wissenschaftlicher Praxis 48 Reihenfolge finden 138 rekonstruktives Verstehen 197 relativeRegelgeleitetheit 34 Reliabilität (Zuverlässigkeit) 116 Replizierbarkeit 97 repräsentativ 95 Repräsentativität 222, 223 Rolle 39 schließende Statistik 227 schriftliche Befragung 156, 157, 161 schriftliche Darstellung 244 schriftlicher Bericht 244 schriftlicher Fragebogen 161 schriftlicher Vertrag 47 Sekundäranalyse 103 sekundäre Medien 181 Selegierung 105 selektives Kodieren 193 selektives Protokoll 166 signifikant 222, 225 Signifikanzniveau 225 slideware 249 So-und-so-ist-es 22, 255 Standardabweichung 216 Stärke 158 Stichprobe 93, 95, 209 Streudiagramm 220 strukturierende Inhaltsanalyse 191 Strukturiertheit 127 Strukturierung 105 Survey 90, 94 Symbolsystem 232 szenisches Verstehen 197 Technik beherrschen 136 274 Register 274 <?page no="275"?> technische Aufbereitung der Daten 177 teilnehmende Beobachtung 141 teilnehmend-offene Beobachtung 148 teilnehmend-verdeckte Beobachtung 149 Telefoninterview 160 tertiäre Medien 182 Themenauswahl 72 Themenformulierung 66 Themenwahl 66 theoretische Forschung 33 Theorien-Triangulation 119 These 69 Tiefeninterview 132 Tortendiagramm 213 transkribieren 166 Transkription 170 Transkriptionsregel 171 Transkriptionszeichen 173 Transparenz 117 Triangulation 118 Triangulationsmodell 113 Typisierungsmerkmale 195 Typologie 195 unabhängige Variable 96 Ungestörtheit schaffen 136 Unstrukturiertheit 127 unterscheiden 24 Unterschied 25 Validität (Gültigkeit) 116 Varianz S 216 Verallgemeinerungsmodell 112 Verdichtungsleistung 31 Verhalten 147 Verständlichkeit beachten 136 Versuchsgruppe 96 Vertiefungsmodell 113 Vertrauen aufbauen 136 Visualisierungsstrategie 247 Vollerhebung 95 Vorannahme 69 Voraussetzung Themenwahl 68 Vorbereitung 85 Vorstudienmodell 112 W-Frage 58, 68 Wissenschaft 28 wissenschaftliche Beobachtung 146 wissenschaftliche Erfahrung 15, 22, 23 wissenschaftliche Erfahrungsform 25 wissenschaftliche Relevanz 82 wissenschaftliches Präsentieren 242 wissenschaftliches Schreiben 242 Wissenschaftsverständnis 27 Work-Life-Balance 39 wörtliche Transkription 166 Zentralwert 214 Zentrismen 83 Zielgruppe 240 Zielsetzung 239 zusammenfassende Inhaltsanalyse 190 zusammenfassendes Protokoll 166 Zustimmung erbitten 137 275 Register 275 <?page no="276"?> Gerlinde Mautner Wissenschaftliches Englisch Stilsicher schreiben in Studium und Wissenschaft Studieren, aber richtig (STAR) 3., aktualisierte Au age 2019, 264 Seiten €[D] 19,99 ISBN 978-3-8252-5219-9 eISBN 978-3-8385-5219-4 In Studium und Wissenschaft ist Englisch keine Fremdsprache. Um die Sprache wirkungsvoll und stilistisch angemessen einzusetzen, braucht es aber besondere sprachliche Kenntnisse. Die kompakte Darstellung bietet die nötigen Grundlagen, um Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertationen oder sonstige wissenschaftliche Arbeiten in englischer Sprache zu verfassen. Das Buch richtet sich an Studierende mit deutscher Muttersprache und berücksichtigt typische Fehler von native speakers des Deutschen. LEHRBÜCHER \ RATGEBER UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (07071) 9797-0 Fax +49 (07071) 97 97-11 \ willkommen@uvk.de \ www.narr.de <?page no="277"?> ,! 7ID8C5-cfdadf! ISBN 978-3-8252-5303-5 Theo Hug Gerald Poscheschnik Empirisch forschen Der Band bietet einen Überblick über die wichtigsten Schritte bei der Planung und Umsetzung von empirischen Forschungsprojekten. Weil es dem Ablauf der Forschung folgt, kann das Buch auch als Leitfaden verwendet werden. Die gut verständliche Darstellung wird durch zahlreiche Übersichten, Literaturtipps und Internetquellen ergänzt. Die 3. Auflage enthält vertiefende und ergänzende Textabschnitte zu Erkenntnistheorie und Forschungsethik sowie zu qualitativen Erhebungs- und Auswertungsmethoden und eine Werkzeugkiste zur Erstellung von Interviewleitfäden. ● Was ist und wie funktioniert empirische Forschung? ● Welche Forschungsdesigns und -methoden gibt es? ● Wie präsentiert man die Forschungsergebnisse? Schlüsselkompetenzen Empirisch forschen 3. A. Hug | Poscheschnik Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 3. Auflage Studieren, aber richtig 53035 Hug_M-3357.indd 1 53035 Hug_M-3357.indd 1 06.03.20 15: 17 06.03.20 15: 17