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Sportwissenschaft

Themenfelder, Theorien und Methoden

0217
2020
978-3-8385-5312-2
978-3-8252-5312-7
UTB 
Verena Burk
Marcel Fahrner

Sportwissenschaft von allen Seiten beleuchtet Das Studium der Sportwissenschaft ist vielfältig und beliebt. Studienanfänger:innen setzen sich darin bereits zu Beginn mit Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Sportpädagogik, Sportpsychologie, Sportsoziologie, Sportgeschichte, Sportmedizin und Sportökonomik auseinander. In diesem Lehrbuch stellen ausgewiesene Sportwissenschaftler:innen diese Teildisziplinen im Detail vor. Jedes Kapitel wird mit Lernzielen eingeleitet und durch ein Praxisbeispiel und Kontrollfragen abgeschlossen. Als Service bietet das Buch Wichtiges zum wissenschaftlichen Arbeiten und skizziert Berufsfelder für Absolvent:innen sportwissenschaftlicher Studiengänge.

<?page no="0"?> Verena Burk Marcel Fahrner (Hg.) Sportwissenschaft Themenfelder, Theorien und Methoden Sportwissenschaft 2. A. Burk | Fahrner (Hg.) Sportwissenschaft von allen Seiten beleuchtet Das Studium der Sportwissenschaft ist vielfältig und beliebt. StudienanfängerInnen setzen sich darin bereits zu Beginn mit Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Sportpädagogik, Sportpsychologie, Sportsoziologie, Sportgeschichte, Sportmedizin und Sportökonomik auseinander. In diesem Lehrbuch stellen ausgewiesene SportwissenschaftlerInnen diese Teildisziplinen im Detail vor. Jedes Kapitel wird mit Lernzielen eingeleitet und durch ein Praxisbeispiel und Kontrollfragen abgeschlossen. Als Service bietet das Buch Wichtiges zum wissenschaftlichen Arbeiten und skizziert Berufsfelder für AbsolventInnen sportwissenschaftlicher Studiengänge. Sportwissenschaft | Gesundheit ,! 7ID8C5-cfdbch! ISBN 978-3-8252-5312-7 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2. Auflage 53127 Burk_L-3975.indd 1 53127 Burk_L-3975.indd 1 22.01.20 11: 23 22.01.20 11: 23 <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 3974 <?page no="2"?> Dr. Verena Burk ist Akademische Oberrätin am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen. Dr. Marcel Fahrner ist Akademischer Oberrat am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen. <?page no="3"?> Verena Burk, Marcel Fahrner (Hg.) Sportwissenschaft Themenfelder, Theorien und Methoden 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Mit Beiträgen von Prof. Dr. Stefan König (Pädagogische Hochschule Weingarten), Prof. Dr. Inga Krauß (Universitätsklinikum Tübingen), Prof. Dr. Christoph von Laßberg (Universitätsklinikum Tübingen), Prof. Dr. Andreas Luh (Universität Bochum), Prof. Dr. Christian Maiwald (Universität Chemnitz), Prof. Dr. Tim Pawlowski (Universität Tübingen), Prof. Dr. Ines Pfeffer (Medical School Hamburg), Prof. Dr. Mark Pfeiffer (Universität Mainz), Dr. Lars Riedl (Universität Paderborn), Prof. Dr. Petra Wagner (Universität Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Wegner (Universität Kiel) UVK Verlag · München <?page no="4"?> © UVK Verlag 2020 - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen info@narr.de · www.narr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © iStock - ZamoraA Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck UTB-Nr.: 3974 ISBN 978-3-8252-5312-7 (Print) Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. <?page no="5"?> 9 11 1 13 2 17 2.1 17 2.1.1 18 2.1.2 20 2.1.3 22 2.2 25 2.2.1 26 2.2.2 30 2.2.3 35 2.2.4 38 2.3 47 3 53 3.1 53 3.1.1 55 3.1.2 58 3.1.3 65 3.1.4 70 3.2 80 3.2.1 80 3.2.2 84 3.2.3 89 3.2.4 98 3.3 106 3.3.1 108 Inhalt Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung (Verena Burk, Marcel Fahrner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . Sportwissenschaft in der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportwissenschaft in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportwissenschaft in Deutschland seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung des Sports . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansätze zur Definition des Sportbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modelle zur Beschreibung von Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Sportbezogene) Video- und Computerspiele: „E-Sport“? . . . . . . . . . . . . Integrative Sportwissenschaft vs. additive Sportwissenschaften . . . . . . . Sportwissenschaftliche Teildisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportpädagogik (Stefan König) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Phänomene und Themen der Sportpädagogik . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Sportpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenfelder, Theorien und Methoden der Sportpädagogik . . . . . . . . . Verhältnis der Sportpädagogik zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportgeschichte (Andreas Luh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Die Bedeutung (sport-)historischen Denkens . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Sportgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenfelder, Theorien und Methoden der Sportgeschichte . . . . . . . . . Verhältnis der Sportgeschichte zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) . . . . . . Einführung - Phänomene und Themen der Sportpsychologie . . . . . . . . <?page no="6"?> 3.3.2 110 3.3.3 110 3.3.4 121 3.4 127 3.4.1 129 3.4.2 132 3.4.3 133 3.4.4 142 3.5 149 3.5.1 150 3.5.2 155 3.5.3 156 3.5.4 165 3.6 173 3.6.1 173 3.6.2 176 3.6.3 184 3.6.4 190 3.7 195 3.7.1 196 3.7.2 198 3.7.3 200 3.7.4 209 3.8 213 3.8.1 214 3.8.2 221 3.8.3 223 3.8.4 235 4 245 4.1 245 4.1.1 246 4.1.2 247 4.1.3 250 4.1.4 254 Entstehung und Entwicklung der Sportpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenfelder und Theorien der Sportpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis der Sportpsychologie zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportsoziologie (Lars Riedl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Themen/ Phänomene der Sportsoziologie . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Sportsoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenfelder, Theorien und Methoden der Sportsoziologie . . . . . . . . . . Verhältnis der Sportsoziologie zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportökonomik (Tim Pawlowski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Charakterisierung der Sportökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Sportökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenfelder der Sportökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis der Sportökonomik zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Phänomene und Themen der Sportmedizin . . . . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Sportmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenfelder der Sportmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis der Sportmedizin zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Charakterisierung der Bewegungswissenschaft . . . . . . . . Entstehung und Entwicklung der Bewegungswissenschaft . . . . . . . . . . . Themenfelder, Theorien und Methoden der Bewegungswissenschaft . . Verhältnis der Bewegungswissenschaft zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung - Phänomene und Themen der Trainingswissenschaft . . . . Entstehung und Entwicklung der Trainingswissenschaft . . . . . . . . . . . . Themenfelder, Theorien und Methoden der Trainingswissenschaft . . . Verhältnis der Trainingswissenschaft zur Sportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsproblem und zentrale Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick und theoriegeleitete Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsdesign/ Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung und Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6 <?page no="7"?> 4.2 258 4.3 263 4.3.1 264 4.3.2 266 4.3.3 268 5 277 5.1 278 5.1.1 278 5.1.2 282 5.1.3 283 5.2 287 5.2.1 288 5.2.2 290 5.2.3 293 5.2.4 295 5.2.5 297 5.2.6 299 5.2.7 301 5.2.8 303 5.2.9 305 6 309 313 316 Informationsbeschaffung und Literaturrecherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten . . . . . . . Gliederung wissenschaftlicher Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche und formale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Standards bei Quellenangaben und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge (Verena Burk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Aspekte zur Berufstätigkeit von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschäftigungsverhältnisse von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an sportwissenschaftliche Berufseinsteiger aus Arbeitgebersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzanforderungen an Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern . . . . . Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hochschule und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privatwirtschaftliche Sportanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Sportverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport und Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick (Verena Burk, Marcel Fahrner) . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt 7 <?page no="9"?> Vorwort zur 2. Auflage Mit der „Einführung in die Sportwissenschaft“ war 2013 die Zielsetzung verbunden, Abiturienten und Studienanfängern sportwissenschaftlicher Studiengänge Einblicke in die Sportwissenschaft zu ermöglichen, ihnen Orientierung für das Studium zu geben und sie auf potenzielle Berufsfelder aufmerksam zu machen. Zahlreiche posi‐ tive Rückmeldungen zeigen, dass dies offensichtlich gelungen ist und das Buch seine Zielgruppen gefunden hat. An dieser Stelle deshalb ein herzliches Dankeschön an die zahlreichen Leser der ersten Auflage. Unser Dank gilt auch dem UVK Verlag für das Vertrauen in den Erfolg der Neuauflage sowie Senior Produktmanager Rainer Berger und Nadja Hilbig für die sehr gute Zusammenarbeit. Mit der Neuauflage wird einem wesentlichen Kritikpunkt der Scientific Community an der Erstauflage begegnet: nun ist auch die Sportmedizin mit einem eigenen Teilka‐ pitel vertreten. Prof. Dr. Inga Krauß und Prof. Dr. Christoph von Laßberg, beide von der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen, haben sich dankens‐ werterweise auf dieses Projekt eingelassen. Außerdem erhalten die Teilkapitel mehr Eigenständigkeit, indem die Literaturhin‐ weise jeweils am Ende jedes Teilkapitels (der zweiten Gliederungsebene) aufgeführt sind. Ansonsten hält die Neuauflage an den Erfolgsprämissen der Erstauflage fest. Alle Autoren haben ihre Teilkapitel jedoch an neue fachspezifische Entwicklungen ange‐ passt und entsprechend auch neue Fachliteratur eingepflegt. Seit Erscheinen der Erstauflage scheinen sich sportwissenschaftliche Forschung und Lehre weiter differenziert zu haben. In der Forschung zeigt sich eine fortschreitende Orientierung an jeweilige mutterwissenschaftliche Fächer und Disziplinen. In der Lehre ist die ohnehin schon große Vielfalt und teilspezifische Ausrichtung von Bachelor- und Masterstudiengängen weiter vorangeschritten. Vor diesem Hintergrund scheinen die Bindungskräfte der Sportwissenschaft sukzessive nachzulassen, mit er‐ kennbaren Problemen in der Positionierung und im Selbstverständnis „der“ Sportwis‐ senschaft. Ommo Grupes Vision einer integrativen Sportwissenschaft (im Singular! ) ist aus unserer Sicht jedoch weiterhin ein (insbsondere hochschulpolitisch) relevantes Ideal. Auch in dieser Hinsicht erfüllt die Neuauflage der „Einführung in die Sportwis‐ senschaft“ hoffentlich wichtige Funktionen. <?page no="10"?> Wir sind uns der vielschichtigen Diskussion um sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter bewusst. Gleichwohl verzichtet auch die Neuauflage auf entsprechende Anpassungen, insbesondere um Beeinträchtigungen der Lesbarkeit und eine Über‐ schreitung des verfügbaren Textumfangs zu vermeiden. Wird das generische Masku‐ linum verwendet, sind dabei immer auch Frauen und Menschen, die sich nicht im bi‐ nären Geschlechtersystem wiederfinden, mitgedacht. Tübingen, im Januar 2020 Dr. Verena Burk und Dr. Marcel Fahrner 10 Vorwort zur 2. Auflage 10 <?page no="11"?> Vorwort zur 1. Auflage Das vorliegende Lehrbuch zielt darauf ab, Abiturienten und Studienanfängern sport‐ wissenschaftlicher Studiengänge Einblick in die Sportwissenschaft zu ermöglichen, ihnen Orientierung für das Studium zu geben und sie auf potenzielle Berufsfelder auf‐ merksam zu machen. Ohne in die Tiefe der sportwissenschaftlichen Teildisziplinen einzutauchen, führt es in kompakter Form in grundlegende studien- und berufsrele‐ vante Themen der Sportwissenschaft ein und regt diesbezüglich zur kritischen Refle‐ xion an. Die Vielfalt der Sportwissenschaft und ihre Differenziertheit beispielsweise in geistes-, sozial- und naturwissenschaftliche Teildisziplinen wiederum erfordern in den Kapiteln 3.1 bis 3.7 die Einbindung mehrerer Sportwissenschaftler, deren fachliche Ex‐ pertise eine angemessene inhaltliche Tiefe in den betreffenden Teilkapiteln ermöglicht. Um eine für das Lehrbuch angestrebte inhaltliche Stringenz aller Kapitel gewährleisten zu können, sind Lernziele und Kapitelstruktur aller Teilkapitel aufeinander abge‐ stimmt. Unser herzlicher Dank geht an Prof. Dr. Stefan König (Pädagogische Hochschule Weingarten), Prof. Dr. Andreas Luh (Universität Bochum), Junior-Prof. Dr. Christian Maiwald (Universität Chemnitz), Prof. Dr. Tim Pawlowski (Universität Tübingen), Dr. Ines Pfeffer (Universität Leipzig), Prof. Dr. Mark Pfeiffer (Universität Mainz), Dr. Lars Riedl (Universität Paderborn), Prof. Dr. Petra Wagner (Universität Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Wegner (Universität Kiel), die sich auf diese Vorgaben eingelassen und mit ihren Beiträgen zum Gelingen des vorliegenden Bands beigetragen haben. Allein aus Gründen der angestrebten sprachlichen Abstraktion und Prägnanz wer‐ den im Text ausschließlich männliche Personenbezeichnungen verwendet. Das Lehr‐ buch geht jedoch von der Selbstverständlichkeit aus, dass damit jeweils auch Frauen eingeschlossen sind. Bleibt zu wünschen, dass die hier zusammengestellten Inhalte möglichst vielen Le‐ sern anregende Lektüre und Reflexionsgrundlage bieten. Tübingen, im August 2013 Dr. Verena Burk und Dr. Marcel Fahrner <?page no="13"?> 1 Einführung (Verena Burk, Marcel Fahrner) Sport ist eines der gesellschaftlichen Massenphänomene unserer Zeit, das eine Vielzahl von Aktivitäten in unterschiedlichen Varianten umfasst, z. B. Ballspiele auf dem Sport‐ platz oder in der Sporthalle, Jogging im Wald oder im Stadion, Schwimmen in Bädern oder in Seen. Entsprechende Angebote unterbreiten Sportvereine und gewerbliche Sportanbieter, oder werden etwa als Laufen oder Radfahren selbst organisiert. Neben Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind heute gerade auch die älteren Genera‐ tionen sportlich aktiv. Und auch zeitlich gibt es hierfür kaum Limitierungen. Als Folge dieser Versportlichung der Gesellschaft ist es heute nicht mehr begründungsbedürftig, Sport zu betreiben, sondern sich ihm zu verweigern (Bette, 2010). Die gesellschaftliche Relevanz des Sports zeigt sich auch daran, dass Wettkampfer‐ eignisse, Sportler, Teams, Trainer und Funktionäre von Sportvereinen und -verbänden selbstverständlich Themen der Alltagskommunikation darstellen. Beispielsweise dis‐ kutiert man im Freundes- und Bekanntenkreis über Spielverläufe und -ergebnisse der großen Sportligen im Fußball, Handball oder Basketball, über Wettkämpfe der Olym‐ pischen Spiele ebenso wie über Welt- und Europameisterschaften, etwa im Biathlon. Auch weil „nahezu jeder über Primärerfahrungen im Sport verfügt, gibt es einen pro‐ blemlosen Anschluss an das, was alle schon wissen oder zumindest ansatzweise am eigenen Leib in sportiven Situationen bereits erfahren haben. Selbst ein Laienpublikum kann verstehen, was in einem Stadion oder einer Sporthalle passiert, wenn es … durch den schulischen Sportunterricht … vorsozialisiert wurde“ (Bette, 2010, S. 7). Über das Pflichtfach „Sport“ kommen in Deutschland alle Kinder und Jugendlichen mit sportlichen Bewegungsmustern und Regeln in Berührung. Darüber hinaus sind rund 5,48 Mio. Kinder und Jugendliche unter 15 Jahre Mitglied in einem der 89.121 Sportvereine in Deutschland (Deutscher Olympischer Sportbund, 2019). Gemeinsames Üben und Trainieren, das Eingehen von Bewährungssituationen in sportlichen Wett‐ kämpfen und die Teilhabe an sozialen Sportanlässen wie Ausflügen oder Vereinsfesten sind für viele junge Menschen sinnvolle Freizeitbetätigung. Insofern überrascht es kaum, dass viele Jugendliche nach Abschluss ihrer Schulkarriere den Wunsch haben, ihr „Hobby zum Beruf “ zu machen, d. h., „irgendetwas“ mit Sport studieren und später <?page no="14"?> „im Sport“ beruflich tätig sein zu wollen - sei es in der Schule (z. B. als Sportlehrer), im Sportverein (z. B. als Trainer) oder im Sportverband (z. B. als Manager). Nur selten ist ihnen jedoch bewusst, was ein sportwissenschaftliches Studium von ihnen verlangt - und inwiefern etwaige berufliche Tätigkeiten im Sport etwas mit ihrem bisherigen Hobby gemein haben können - außer dem im weitesten Sinne gemeinsamen Gegen‐ stand „Sport“. Aktuell bieten in Deutschland rund 65 sportwissenschaftliche Hochschuleinrich‐ tungen Möglichkeiten, das Fach Sport zu studieren. Infolge des Bologna-Prozesses kam es zu zahlreichen Profilierungen und Spezialisierungen, vom Lehramtsstudium über gesundheits- und trainingsorientierte Studiengänge bis hin zu Sportmanagement und Sportkommunikation/ -publizistik. Im Wintersemester 2017/ 18 waren 28.199 Studie‐ rende für das Fach Sport immatrikuliert (Statistisches Bundesamt, 2019). Zu einem sportwissenschaftlichen Studium gehört dabei im Kern eine Auseinandersetzung mit Themen- und Fragestellungen verschiedener sportwissenschaftlicher Teildisziplinen, z. B. Sportpädagogik, Sportsoziologie, Sportpsychologie, Bewegungswissenschaft, Trainingswissenschaft, sowie eine aktive und reflektierte Auseinandersetzung mit un‐ terschiedlichen Sportarten/ -aktivitäten. Das vorliegende Lehrbuch zielt darauf ab, Abiturienten und Studienanfängern sport‐ wissenschaftlicher Studiengänge Einblick in die Sportwissenschaft zu ermöglichen, ihnen Orientierung für das Studium zu geben und sie auf potenzielle Berufsfelder für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge aufmerksam zu machen. Das Lehr‐ buch führt deshalb in kompakter Form in grundlegende studien- und berufsrelevante Themen der Sportwissenschaft ein. Im Einzelnen geht es darum, ■ sich mit der Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft als wissen‐ schaftliche/ akademische Fachdisziplin auseinanderzusetzen; ■ Teildisziplinen der Sportwissenschaft kennen und deren Erkenntnisinteressen und Forschungszugänge unterscheiden zu lernen; ■ sich mit generellen Anforderungen (sport-)wissenschaftlichen Arbeitens ver‐ traut zu machen; ■ Berufsfelder sportwissenschaftlicher Absolventen mit ihren jeweils relevanten Kompetenzanforderungen und Beschäftigungspotenzialen kennenzulernen. Mit dem übergreifenden Ziel eines Einblicks in generelle Bedingungen, fachspezifische Zugänge, Problem-/ Fragestellungen und Methoden der Sportwissenschaft führt das Buch in zahlreiche studienrelevante Kernthemen ein und regt diesbezüglich zur kriti‐ schen Reflexion an. Die Inhalte sind in sechs großen Kapiteln dargestellt: 1. Einführung, 2. Sportwissenschaft als Fachdisziplin, 3. Sportwissenschaftliche Teildisziplinen, 4. Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft, 5. Berufsfelder von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge, 6. Zusammenfassung und Ausblick. 14 1 Einführung (Verena Burk, Marcel Fahrner) 14 <?page no="15"?> Um die Leser in ihrer inhaltlichen Auseinandersetzung zu unterstützen und eine mög‐ lichst effektive Lektüre zu gewährleisten, sind die Themen im Folgenden didaktisiert aufgearbeitet. Zu diesem Zweck werden in den Kapiteln der zweiten Gliederungsebene ■ zum Einstieg explizite thematische Zielsetzungen festgehalten, um den Lesern einen inhaltlichen Überblick zu geben und ihnen Orientierung zu ermöglichen; ■ am Ende wesentliche Inhalte anhand eines Praxisbeispiels zusammengeführt, um den Lesern einen Nachvollzug der dargestellten thematischen Zusammenhänge zu erleichtern; ■ am Ende Kontrollfragen formuliert, um die Leser bei einer abschließenden Wie‐ derholung und Reflexion der dargestellten Inhalte zu unterstützen. Literatur Bette, K.-H. (2010). Sportsoziologie. Bielefeld: Transcript-Verlag. Deutscher Olympischer Sportbund (2019). Bestandserhebung 2018. Fassung vom 1. November 2018. Frankfurt/ Main: DOSB. Statistisches Bundesamt (2019). Bildung und Kultur. Fachserie 11, Reihe 4.1: Studierende an Hoch‐ schulen. Sommersemester 2018. Zugriff am 27. Juli 2019 unter www.destatis.de/ DE/ Themen/ Gesellschaft-Umwelt/ Bildung-Forschung-Kultur/ Hochschulen/ Publikationen/ Downloads-H ochschulen/ studierende-hochschulen-ss-2110410187314.pdf ? __blob=publicationFile&; v=4 15 1 Einführung (Verena Burk, Marcel Fahrner) 15 <?page no="17"?> 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) Als gesellschaftliches Phänomen ist Sport in seinen vielfältigen Ausprägungen heute gesellschaftlich hoch angesehen - er wird allerdings nur selten mit Wissenschaft in Verbindung gebracht. Entstehung, Entwicklung und Anerkennung der Sportwissen‐ schaft als akademische Fachdisziplin sind folglich nicht selbstverständlich. Auch bleibt selbst im universitären Kontext häufig unklar, was Sportwissenschaft letztlich ist und was genau von ihr geleistet wird. Die gesellschaftliche Vielfalt des Sports, die sich u. a. vom gesundheitsorientierten Walking oder Aquajogging bis zum professionellen Fußball oder Handball erstreckt, macht außerdem erklärungsbedürftig, was „Sport“ als Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft eigentlich umfasst. Und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Vielfalt des Sports ist auch die Singularbezeichnung des Fachs als „Sportwissenschaft“ keine Selbstverständlichkeit. 2.1 Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft Sport ist ein schillerndes Phänomen, dem heute enorme gesellschaftliche Relevanz zu‐ gesprochen wird, z. B. in erzieherischer, politischer, ökonomischer oder massenmedia‐ ler Hinsicht. Insofern liegt auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sport nahe. Gleichwohl sind Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft als wissenschaftliche/ akademische Fachdisziplin nicht selbstverständlich. Gerade im Wis‐ senschaftssystem wurde und wird Sport mitunter als eine rein körperliche Betätigung gesehen, der scheinbar nichts Wissenschaftliches anhaftet. Lernziele ■ Die Leser erkennen, unter welchen Bedingungen die Sportwissenschaft als wissenschaftliche und universitäre Fachdisziplin in Deutschland entstanden ist. <?page no="18"?> ■ Sie lernen Unterschiede der Entstehung und Entwicklung der Sportwissen‐ schaft in BRD und DDR kennen. Eine Anerkennung als Wissenschaft setzt aus Sicht der Scientific Community typi‐ scherweise eigenständige Gegenstandsbereiche, spezifische Forschungsansätze, -fra‐ gestellungen und -konzeptionen, Fachsprachen und -organe sowie explizite organisa‐ torische Verankerungen voraus (Willimczik, 1980). Als sportwissenschaftliche Vorläufer im weitesten Sinn können u. a. die Philantropen verstanden werden, die an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert körperliche As‐ pekte einer ganzheitlichen Erziehung theoretisch reflektierten, systematisierten und in gymnastische Leibesübungen transferierten. Auch die Turnlehrerbildungsanstalten des 19. Jahrhunderts lassen sich als vorwissenschaftliche Einrichtungen verstehen, ebenso die 1920 in Berlin gegründete Deutsche Hochschule für Leibesübungen und die ab 1925 entstandenen universitären Institute für Leibesübungen. Gleichwohl kann hier „von der universitären Institutionalisierung der Sportwissenschaft [noch] nicht die Rede sein“ (Grupe, 1996, S. 362), zumal allein die Universität Leipzig 1925 eine Außer‐ ordentliche Professur für Pädagogik der Leibesübungen einrichtete und die Ausbildung an den Instituten insgesamt kaum über eine vorwissenschaftliche Stufe hinauskam. Erst ab 1930 wurde das Studium der Leibesübungen - zuerst in Bayern, Österreich und Preußen - akademisch aufgewertet und mit anderen Fächern gleichgestellt. Im Zuge der nationalsozialistischen Politik ab 1933 erhielt das Fach Leibesübungen dann eine Schlüsselposition im Erziehungssystem und war ab 1936 mit der Reichsakademie für Leibesübungen organisatorisch prominent vertreten. Doch wurden damit akademische Lehre und Forschung auch in weltanschaulich reglementierte Bahnen gezwungen und inhaltlich auf eine straff geführte, insbesondere körperliche Ausbildung fokussiert (Ber‐ nett, 1987). Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg machen es die unterschiedlichen gesell‐ schaftlichen und akademischen Bedingungen von BRD und DDR erforderlich, wesent‐ liche Antriebskräfte, Meilensteine und Entwicklungsetappen der Sportwissenschaft zwischen 1949 und 1989 getrennt nachzuzeichnen, bevor die gemeinsame Entwicklung nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 skizziert wird. 2.1.1 Sportwissenschaft in der BRD Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der BRD zwar an einigen deutschen Hoch‐ schulen Ausbildungsgänge für Sportlehrer eingeführt, jedoch war damit - insbeson‐ dere unter dem Eindruck der politischen Korrumpierung des Sports im Nationalsozia‐ lismus - keine generelle akademische Anerkennung verbunden. „Noch 1947 hatte sich eine große und renommierte rheinische Universität gegen eine ‚facultas für Bauch‐ welle‘ ausgesprochen … und … das Verhältnis der Universitäten zum Sport blieb in den Nachkriegsjahrzehnten [der BRD] ein ‚Unverhältnis‘“ (Grupe, 1996, S. 362-363). 18 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 18 <?page no="19"?> Vor diesem Hintergrund wird „die Geburt der Sportwissenschaft als akademische In‐ stitution und damit als autonome Fachdisziplin … ab Mitte der 60er bis zum Beginn der 70er Jahre [des 20. Jahrhunderts] angesetzt … Der Weg dahin war nicht gerade mit Wohlwollen von seiten der etablierten, nicht selten leibfeindlichen Wissenschaften be‐ dacht worden. Vor allem wurde die Wissenschaftswürdigkeit des Gegenstandes ‚Sport‘ in Zweifel gezogen“ (Drexel, 2002, S. 211). Zwar lieferte der Sport zahlreiche themati‐ sche Anknüpfungspunkte und Fragestellungen für wissenschaftliche Auseinanderset‐ zungen und Analysen, jedoch schienen sie aus Sicht der etablierten Universitätsdiszi‐ plinen selten bearbeitungswürdig. Sport hielt man bestenfalls für eine praktische Disziplin. Die heutigen Institute für Sportwissenschaft hießen deshalb zunächst auch „Institute für Leibesübungen, was für die ihnen zugedachten Aufgaben in den beiden Nachkriegsjahrzehnten kennzeichnend war“ (Grupe, 1996, S. 363; Hervorhebungen im Original). Hinzu kam, dass sportspezifische Problem- und Fragestellungen wegen ihres komplexen Charakters häufig zwischen den tradierten wissenschaftlichen Fachper‐ spektiven gelagert waren, so dass sich keines der Fächer hierfür wirklich zuständig fühlte (Grupe, 1995). Die Entstehung der Sportwissenschaft war in der BRD ganz wesentlich auf wis‐ senschaftsexterne Einflüsse angewiesen. Vor allem der gesellschaftliche Bedeu‐ tungsgewinn des Sports, seine verstärkte Abbildung in den Massenmedien sowie die ökonomisch und politisch zunehmend relevante Zuschauernachfrage mach‐ ten eine fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung immer dringlicher (Bette, 2010). Auch und gerade der Sport selbst - insbesondere in Gestalt des Deutschen Sportbunds (DSB) - verlangte vermehrt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ratschlägen. Nicht zuletzt die Überlegenheit der DDR, die bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt mehr Medaillen gewann als die BRD, fungierte dabei als wichtiger poli‐ tischer Katalysator. Denn für die Olympischen Spiele in München 1972 drohte dem westdeutschen Sport die Gefahr, als unterlegener Gastgeber vorgeführt zu werden. „Diese neue Interessenlage, vor allem aber auch das Vorhandensein von Sportlehre‐ rausbildungsstätten, die um ihre akademische Anerkennung bemüht waren, führten schließlich (seit 1966) zur Einrichtung zahlreicher sportwissenschaftlicher Lehrstühle“ (Digel, 1995, S. 136). Nachdem 1965 an der Universität Frankfurt ein erster Außeror‐ dentlicher Lehrstuhl für „Theorie der Leibeserziehung“ entstand, richtete die Univer‐ sität Tübingen 1967 hierfür die erste Ordentliche Professur in der BRD ein. 1970 folgte dann die akademische Anerkennung der Deutschen Sporthochschule in Köln, an der ab 1971 auch sportwissenschaftliche Promotionen und Habilitationen möglich waren (Willimczik, 2001). Die bis dahin in den Instituten für Leibesübungen vorrangig aus‐ geführten sportpraktischen Tätigkeiten galt es nun wissenschaftlich zu fundieren und zu entwickeln - wie dies in der DDR und in anderen sozialistischen Staaten insbeson‐ dere im naturwissenschaftlichen Bereich bereits mehrere Jahre erfolgte (Digel, 1995). 19 2.1 Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft 19 <?page no="20"?> 1 BISp-Errichtungserlass in der Fassung vom 18. November 2010. Die spezifischen Entwicklungsbedingungen hatten für das Fach Sportwissen‐ schaft Vor- und Nachteile. „Vorteile lagen vor allem darin, daß die Entwicklung … vergleichsweise rasch vor sich ging und, jedenfalls in den Anfangsjahren, auch eine vergleichsweise zügige Personalvermehrung und Ausstattung mit Haus‐ haltsmitteln erfolgte. Der Nachteil liegt darin, daß eine sorgsame Entwicklungs‐ planung, die gründliche Diskussion des Gegenstandes, der mit dem Allerwelts‐ wort ‚Sport‘ vergleichsweise ungenau beschrieben wird [,] … unterblieb“ (Grupe, 1996, S. 366). Im Zuge der gesellschaftlichen Aufwertung des Sports und des generell gestiegenen Bedarfs an wissenschaftlichen Erkenntnissen gründete 1970 der DSB einen „Wissen‐ schaftlichen Beirat“ und einen „Bundesausschuss für Wissenschaft und Bildung“. Dem DSB-Bundesausschuss Leistungssport wurde außerdem ein sportmedizinisches und trainingswissenschaftliches Beratungsgremium zugeordnet, während auch in den Lan‐ dessportbünden ähnliche Entwicklungen erfolgten (Grupe, 2007). Ein weiterer Meilenstein der BRD-Sportwissenschaft war 1970 die Einrichtung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) als nachgeordnete Behörde des Bundes‐ ministeriums des Innern (BMI). In seinem Errichtungserlass wird ihm vor allem zur Aufgabe gemacht, „Forschungsvorhaben, die zur Erfüllung der dem Bundesministe‐ rium des Innern auf dem Gebiet des Spitzensports obliegenden Aufgaben beitragen (Ressortforschung), zu initiieren, zu fördern und zu koordinieren [,] … den Forschungs‐ bedarf in Zusammenarbeit mit dem Spitzensport zu ermitteln, Forschungsergebnisse zu bewerten und diese zu transferieren … [sowie] das BMI bei seiner Aufgabenerfüllung auf dem Gebiet des Sports fachlich zu beraten“ (§ 2 BISp-Errichtungserlass 1 ). Ebenfalls 1970 wurde mit der Zeitschrift „Sportwissenschaft“ ein eigenes Fachorgan ins Leben gerufen. Im Vorwort zur ersten Ausgabe heißt es zum angestrebten Spektrum der Veröffentlichungen: „Es soll neben sportpädagogischen, -psychologischen, -sozio‐ logischen, -historischen und -medizinischen Arbeiten im engeren Sinne, Arbeiten zur Biomechanik, Bewegungsforschung … und Sensomotorik auch Arbeiten zu sportrele‐ vanten Themen aus den Gebieten der Anthroplogie und Philosophie, der Psychiatrie und Verhaltensforschung umfassen; angestrebt wird dabei ein ausgewogenes Verhält‐ nis von theoretischen und empirischen Arbeiten“ (Grupe, 1971, S. 15). 1976 kam es dann zur Gründung der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) als Interessenvertretung der an den sportwissenschaftlichen Instituten beschäf‐ tigten wissenschaftlichen Mitarbeiter. 2.1.2 Sportwissenschaft in der DDR In der DDR wurde in enger Anlehnung an die sowjetische Sportwissenschaft und deren Zentren in Moskau und Leningrad bereits 1950 die Deutsche Hochschule für Körper‐ 20 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 20 <?page no="21"?> kultur (DHfK) in Leipzig gegründet. Der 1952 ebenfalls nach sowjetischem Vorbild geschaffene und dem Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport unterstellte Wissenschaftliche Rat sowie die Errichtung einer koordinierenden Forschungsstelle an der DHfK sind weitere Beispiele dafür, dass in der DDR „die politische Instrumentali‐ sierung der Wissenschaft von Anfang an zum Ziel erklärt und auf den Weg gebracht“ (Hinsching, 1996, S. 15) wurde. Die Verleihung des Promotionsrechts 1955 und des Ha‐ bilitationsrechts 1965 stärkte die wissenschaftliche Leitfunktion der DHfK enorm (Ber‐ nett, 1980; Wonneberger, 2007; Krüger & Kunath, 2001). Neben der DHfK existierten in der DDR acht universitäre Institute für Körpererzie‐ hung und weitere sportwissenschaftliche Institute an Pädagogischen Hochschulen (Hinsching, 1996; Krüger & Kunath, 2001). Maßgebliche sportwissenschaftliche Publi‐ kationsorgane wurden ab 1952 die „Theorie und Praxis der Körperkultur“ und ab 1959 die „Wissenschaftliche Zeitschrift der DHfK“ (Willimczik, 2001). Ohne die vielfältigen Konturen der DDR-Sportwissenschaft im Detail nachzeichnen zu können, ist wichtig zu erkennen, dass es „hinsichtlich der Themenzuweisung, der administrativen Unter‐ stellung, in der Forschungsplanung wie in der Mittelbereitstellung … einen gravieren‐ den Unterschied zu akzeptieren [gab] zwischen einer privilegierten, dafür umso stärker von Kommandostrukturen bestimmten und völlig abgeschirmten Leistungssportför‐ derung und einer … Nicht-Leistungssportforschung“ (Hinsching, 1996, S. 16). Breitensportliche Forschung und Schulsportforschung erfolgten vor allem an den universitären Instituten. Die DHfK hingegen fokussierte ausschließlich den Spitzen‐ sport und verlagerte folglich ihre wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte auf die Trainingswissenschaft. Ein deutlich sichtbares Zeichen für diese Schwerpunktsetzung war 1968 die Einrichtung des Leipziger Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport (FKS), das in enger Verflechtung zur DHfK stand. Insbesondere die Trainingswissen‐ schaft/ -lehre als „das ‚Kernstück‘ der sozialistischen Sportwissenschaft … [war] auch ihr Paradestück: Ihre Erfolge haben der DDR zu dem Ruf einer führenden Sport-Nation verholfen“ (Bernett, 1980, S. 383). Die Sportwissenschaft der DDR war damit schon Ende der 1960er Jahre „eine elaborierte Fachwissenschaft …, ideologisch gefestigt, wissenschaftstheoretisch durchdacht, akademisch etabliert, nach Plan organisiert und praxiswirksam“ (Bernett, 1980, S. 377). Insbesondere die vielfältigen wissenschaftspolitischen Be‐ schlüsse der Partei- und Staatsführung sicherten ihr eine ansehnliche materielle Basis und eine einheitliche Entwicklung - vor allem im Bereich der Spitzen‐ sportforschung in den schwerpunktmäßig geförderten olympischen Sommer- und Wintersportarten. In dieser Hinsicht stand 1965 auch die Gründung der Berliner Forschungs- und Ent‐ wicklungsstelle für Sportgeräte (FES), deren Aufgabe in der Entwicklung und Fertigung von Sportgeräten bestand - in Sportarten, in denen die sportliche Leistung maßgeblich vom Sportgerät mit bestimmt wird, z. B. Kanu, Rudern, Bobfahren. Ein Entwicklungs‐ problem der DDR-Sportwissenschaft war hingegen die mit der Zeit sich verengende 21 2.1 Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft 21 <?page no="22"?> Rekrutierungs- und Diskussionsbasis. Dies resultierte etwa an der DHfK vor allem aus der strikten Geheimhaltung in der Spitzensportforschung sowie der bevorzugten Ein‐ stellung eigener Absolventen. Dadurch „wurde zwar der Anwendungsbezug auf einem sehr hohen Niveau gehalten, der Forschungsgewinn für die Grundlagen jedoch immer geringer“ (Krüger & Kunath, 2001, S. 360). Insgesamt betrachtet war die Sportwissenschaft der DDR „eine zumindest staats‐ nahe, wenn nicht staatstragende Wissenschaft im Sozialismus“ (Hinsching, 1996, S. 19). Sozialistisch-kommunistische Staatsideologie und parteipolitische Vorgaben der SED spielten eine wesentliche Rolle, was letztlich auch zur Kennzeichnung als „marxis‐ tisch-leninistische“ Sportwissenschaft führte und z. B. ein gesellschaftswissenschaftli‐ ches Grundstudium zum Bestandteil sportwissenschaftlicher Studiengänge machte. Darüber hinaus hatten politisch-ideologische Vorgaben auch Auswirkungen auf die Gegenstandsbestimmung der Sportwissenschaft, die sich zunächst kaum von der west‐ deutschen Perspektive unterschied und vor allem den sich bewegenden Menschen fo‐ kussierte. Später wurde offiziell jedoch die körperliche Vervollkommnung des Men‐ schen als Gegenstand der Sportwissenschaft aufgefasst. Die politische Relevanz und gesellschaftliche Rechtfertigung der Sportwissenschaft in der DDR zeigte sich außer‐ dem darin, dass sie gegenüber dem ideologisch bedeutsamen Begriff „Körperkultur“ bestehen konnte (Bernett, 1980). 2.1.3 Sportwissenschaft in Deutschland seit 1990 Im Zuge der staatspolitischen Wende 1989 und der Vereinigung von BRD und DDR am 3. Oktober 1990 änderten sich auch die gesellschaftlichen Bedingungen der Sportwis‐ senschaft, insbesondere in den vormals zur DDR gehörenden östlichen Bundesländern. Die in vielen Fällen als problematisch eingeschätzte Enge der politischen Verflechtung von Organisationen und Personen der DDR-Sportwissenschaft überlagerten dabei in der Wendezeit und nach 1990 manchen Blick auf fachliche Kompetenzen und wissen‐ schaftliche Leistungspotenziale. In Leipzig wurde schon Anfang 1991 die DHfK abgewickelt, d. h., aufgelöst, und ihr letzter Rektor beauftragt, eine sportwissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig zu etablieren. Ende 1993 wurde sie als kleinste Leipziger Fakultät gegründet und ent‐ sprach von ihrer Größe her nun den in der BRD etablierten sportwissenschaftlichen Instituten (Wonneberger, 2007). Auch das Leipziger FKS mit seinen zum Ende der DDR mehr als 600 Mitarbeitern wurde 1991 abgewickelt. Als deutlich kleinere Nachfolge‐ organisation fungiert seit 1992 das Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissen‐ schaft (IAT), dessen Aufgaben vor allem in der prozessbegleitenden Trainings- und Wettkampfforschung im Spitzensport liegen. Das Berliner FES wurde ebenfalls um‐ strukturiert und führt seit 1992 ihre Arbeit als Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten fort. FES und IAT werden beide von einem gemeinsamen Trägerver‐ ein betrieben, dem Sportfachverbände, Landessportbünde, die Trainerakademie Köln und der DOSB als Mitglieder angehören. 22 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 22 <?page no="23"?> Für die gesamtdeutsche Sportwissenschaft spielt nach wie vor das BISp eine wichtige Rolle, da es im Auftrag des BMI Forschungsaufträge für den Spitzensport fördert, ko‐ ordiniert und den Transfer der Forschungsergebnisse in die Sportpraxis begleitet. Hier‐ für stellt das BMI jährlich rund 4,0 Mio. Euro zur Verfügung (Haushaltsgesetz 2019 in der Fassung vom 17.12.2018). Wesentliche Forschungsbereiche sind u. a. Talentsuche und Nachwuchsförderung im Spitzensport, Doping-Analytik und bundesweit relevante Fragestellungen zur Sportentwicklung. Zentrale Förderprogramme der jüngeren Zeit sind beispielsweise das „Programm zur Schwerpunktsetzung sportwissenschaftlicher Forschung des BISp“ und das „Langfristige strategische Forschungsprogramm für das Wissenschaftliche Verbundsystem im Leistungssport (WVL)“. Damit strebt das BISp eine Optimierung der wissenschaftlichen Unterstützung des Spitzensports an (Bun‐ desinstitut für Sportwissenschaft, 2019). Die eigentlichen Forschungstätigkeiten erfol‐ gen jedoch an den sportwissenschaftlichen Instituten der Universitäten und orientieren sich folglich weitgehend an den jeweiligen Universitäts- und Institutsleitlinien sowie an den persönlichen Interessensgebieten der dort arbeitenden Professoren. Praxisbeispiel: Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) Die 1976 gegründete Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) ist seit 1990 die Interessenvereinigung der Sportwissenschaft in ganz Deutschland. Ihre Mitglieder sind rund 1.000 an sportwissenschaftlichen Einrichtungen in Lehre und/ oder Forschung tätige Personen, Absolventen sportwissenschaftli‐ cher Studiengänge, sowie Organisationen, deren Zielsetzungen mit den Auf‐ gaben der dvs in Einklang stehen (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft, 2019a). Als Aufgaben verfolgt die dvs unter anderem die Förderung sportwissenschaft‐ licher Forschung, die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, die Veröffent‐ lichung von Forschungsergebnissen in Form von Tagungen, Kongressen und Publikationen, die Förderung sportwissenschaftlichen Nachwuchses sowie die nationale und internationale Vertretung der Sportwissenschaft. Ihre wissenschaftlichen Kongresse, Tagungen und Symposien dokumentiert die dvs in den „Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft“. Seit 2006 ist die dvs außerdem gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Sportwis‐ senschaft (BISp) und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Heraus‐ geberin der Zeitschrift „Sportwissenschaft“ (seit 2017 „German Journal of Exer‐ cise and Sport Research“), in der Originalbeiträge und Forschungsberichte aus der Sportwissenschaft sowie Kongressberichte und Rezensionen veröffentlicht werden. Die fachlichen Diskussionen im Rahmen von Tagungen und Symposien erfol‐ gen in Sektionen und Kommissionen, denen sich die Mitglieder jeweils gemäß ihren Interessen zuordnen können. Die Sektionen und Kommissionen spiegeln 23 2.1 Entstehung und Entwicklung der Sportwissenschaft 23 <?page no="24"?> die Vielfalt der Sportwissenschaft beispielhaft wider. Gleichzeitig werden in ihren Bezeichnungen aber auch begrifflich-systematische Schwierigkeiten und Widersprüche der Sportwissenschaft deutlich: Die Sektionen der dvs gliedern sich nach sportwissenschaftlichen Disziplinen: Biomechanik, Sportgeschichte, Sportinformatik, Sportmedizin, Sportmotorik, Sportökonomie, Sportpädagogik, Sportphilosophie, Sportpsychologie, Sports‐ oziologie, Trainingswissenschaft. Die Kommissionen der dvs wiederum befassen sich mit Problem- und Fragestellungen einzelner Sportarten oder Sportbereiche: Bibliotheksfragen, Dokumentation, Information (BDI), Fußball, Gerätturnen, Geschlechterforschung, Gesundheit, Kampfsport und Kampf‐ kunst, Leichtathletik, Schneesport, Schwimmen, Sport und Raum, Sportspiele, Wissenschaftlicher Nachwuchs (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft, 2019b). Kontrollfragen 1. In der BRD etablierte sich die Sportwissenschaft in den 1960er und 1970er Jahren als wissenschaftliche Disziplin und universitäres Fach. Welche Barrieren mussten dabei überwunden werden? Welche gesellschaftlichen Einflüsse beförderten maßgeblich die Entwicklung der Sportwissenschaft? Welche Meilensteine der organisatorischen Verankerung der BRD- Sport‐ wissenschaft wurden vor allem in den 1970er Jahren gesetzt? 2. In der DDR wurde die Sportwissenschaft bereits in den 1950er Jahren poli‐ tisch und organisatorisch fest verankert. Welche Wegmarken sind diesbe‐ züglich von Bedeutung? Welche grundlegenden, insbesondere forschungs‐ relevanten Trennlinien existierten zwischen der DHfK und anderen sportwissenschaftlichen Einrichtungen der DDR? 3. Im Zuge der Vereinigung von BRD und DDR kam es ab 1990 insbesondere in den östlichen Bundesländern zu einer massiven Reorganisation der Sport‐ wissenschaft. Welche in der DDR maßgeblichen sportwissenschaftlichen Einrichtungen waren dabei in welcher Form betroffen? Literatur Bernett, H. (1980). Entwicklung und Struktur der Sportwissenschaft in der DDR. Sportwissen‐ schaft, 10, 375-403. Bernett, H. (1987). Zur Entwicklungsgeschichte der Deutschen Sportwissenschaft. Stadion: In‐ ternationale Zeitschrift für Geschichte des Sports, 13, 225-239. Bette, K.-H. (2010). Sportsoziologie. Bielefeld: Transcript-Verlag. 24 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 24 <?page no="25"?> Bundesinstitut für Sportwissenschaft (2019). Forschungsprogramme & -schwerpunkte. Zugriff am 30. Januar 2019 unter www.bisp.de/ DE/ ForschungFoerdern/ Forschungsprogramme_Schwer punkte/ programmeschwerpunkte_node.html Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (2019a). Aufgaben und Ziele der dvs. Zugriff am 30. Januar 2019 unter www.sportwissenschaft.de/ die-dvs/ aufgaben-und-ziele-der-dvs/ Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (2019b). Sektionen und Kommissionen. Zugriff am 30. Januar 2019 unter www.sportwissenschaft.de/ die-dvs/ struktur-und-gremien/ struktur/ Digel, H. (1995). Probleme sportwissenschaftlicher Interdisziplinarität und Theoriebildung. In H. Digel (Hrsg.), Sportwissenschaft heute: eine Gegenstandsbestimmung (S. 135-150). Darm‐ stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Drexel, G. (2002). Paradigmen in Sport und Sportwissenschaft. Schorndorf: Hofmann. Grupe, O. (1971). Einleitung in die „Sportwissenschaft“. Sportwissenschaft, 1, 7-18. Grupe, O. (1995). Uneingelöste Ansprüche. Vergessene Interdisziplinarität. In H. Digel (Hrsg.), Sportwissenschaft heute: eine Gegenstandsbestimmung (S. 151-160). Darmstadt: Wissenschaft‐ liche Buchgesellschaft. Grupe, O. (1996). Kultureller Sinngeber. Die Sportwissenschaft an deutschen Universitäten. Forschung & Lehre: Mitteilungen des Deutschen Hochschulverbandes, o. J. (7), 362-367. Grupe, O. (2007). Der Sport und die Wissenschaft vom Sport - keine einfache Beziehung. In S. Schröder & M. Holzweg (Hrsg.), Die Vielfalt der Sportwissenschaft (S. 23-32). Schorndorf: Hofmann. Hinsching, J. (1996). Ostdeutsche Sportwissenschaft vor und nach 1990. dvs-Informationen, 11 (4), 15-25. Krüger, A. & Kunath, P. (2001). Die Entwicklung der Sportwissenschaft in der SBZ und DDR. In W. Buss & C. Becker (Hrsg.), Der Sport in der SBZ und frühen DDR: Genese - Strukturen - Bedingungen (S. 351-365). Schorndorf: Hofmann. Willimczik, K. (1980). Der Entwicklungsstand der sportwissenschaftlichen Wissenschaftstheo‐ rie. Eine international vergleichende Analyse. Sportwissenschaft, 10, 337-359. Willimczik, K. (2001). Sportwissenschaft interdisziplinär. Ein wissenschaftstheoretischer Dialog. Band. 1: Geschichte, Struktur und Gegenstand der Sportwissenschaft. Hamburg: Czwalina. Wonneberger, G. (2007). Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) 1950-1990 - Überblick. In G. Lehmann, L. Kalb, N. Rogalski, D. Schröter & G. Wonneberger (Hrsg.), Deutsche Hoch‐ schule für Körperkultur Leipzig 1950-1990. Entwicklung, Funktion, Arbeitsweise (S. 14-28). Aa‐ chen: Meyer & Meyer. 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft Für die Sportwissenschaft liegt es nahe, Sport als Gegenstandsbereich zu fokussieren. Allerdings ist eine Abgrenzung des Sportbegriffs voraussetzungsvoll, weshalb er den exklusiv sportwissenschaftlichen Zuständigkeitsraum nicht ohne Weiteres klärt. Sport stellt heute zwar einen gängigen Bestandteil der Umgangssprache dar - Suchmaschi‐ nen liefern hierfür Millionen Treffer - jedoch bleibt der Sportbegriff vage und unbe‐ 25 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 25 <?page no="26"?> 1 Der Begriff „Deutschland“ wird hier verwendet, auch wenn es Ende des 18./ Anfang des 19. Jahr‐ hunderts noch keinen deutschen Nationalstaat gibt. Die zur damaligen Zeit fragmentierte Staaten‐ welt wird ab 1815 weitgehend im Deutschen Bund zusammengefasst, ab 1871 existiert dann das Deutsche (Kaiser-)Reich. 2 Die inhaltliche Nähe zwischen Gymnastik und Turnen zeigt sich u. a. darin, dass GutsMuths Werk „Gymnastik für die Jugend“ von 1793 später (1817) als „Turnbuch für die Söhne des Vaterlandes“ neu aufgelegt wurde. Außerdem weist Jahns und Eiselens „Die Deutsche Turnkunst“ von 1816 inhaltlich große Überschneidungen zu GutsMuths „Gymnastik für die Jugend“ auf (Willimczik, 2001). stimmt. Häufig ist in Gesprächen oder Diskussionen unklar, ob alle Beteiligten damit das Gleiche bezeichnen - und wenn ja - was damit jeweils genau gemeint ist. Lernziele ■ Die Leser lernen historische Entstehungshintergründe des Sports kennen und setzen sich mit ausgewählten Entwicklungsaspekten des modernen Sports auseinander. ■ Sie erfahren, was mit Versportlichung der Gesellschaft und Entsportlichung des Sports gemeint ist. ■ Sie lernen ausgewählte Definitionsansätze und Beschreibungsmodelle von Sport kennen und kritisch reflektieren. ■ Sie setzen sich kritisch mit Argumenten für und gegen die Anerkennung (sportbezogener) Video- und Computerspiele als „E-Sport“ auseinander. 2.2.1 Entstehung und Entwicklung des Sports Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ist in Deutschland 1 von „Sport“ keine Rede. Aller‐ dings reflektieren Philantropen genannte Reformpädagogen unter dem Eindruck der europäischen Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts die Ideen einer ganzheitlichen Erziehung. Zur Entwicklung etwa von Tugendhaftigkeit, Ausdauer, Abhärtung und Gesundheit systematisieren die Philantropen - u. a. Basedow, Salzmann, GutsMuths, Vieth - zahlreiche gymnastische Leibesübungen, wie Laufen, Springen, Werfen, Schwimmen, Klettern, und konzipieren hierzu methodische Übungsreihen. Dies ist für die spätere Sportentwicklung von enormer Bedeutung (Bernett, 1965; Cachay, 1988). Die gymnastischen Übungen der Philantropen ergänzt dann zu Beginn des 19. Jahr‐ hunderts v. a. Jahn um Geräte wie Reck und Barren. 2 Vor allem aber lädt Jahn diese als Turnen bezeichneten Aktivitäten mit politisch-weltanschaulichen Ideen auf, insbeson‐ dere mit Blick auf vaterländische, national-patriotische Erziehungsziele für den Kampf gegen Napoleon und zur Überwindung der Kleinstaaterei. Turnen bleibt bis zum Ersten Weltkrieg die beherrschende Form der Leibesübun‐ gen in Deutschland. Bereits 1816 wird mit der Hamburger Turnerschaft der erste 26 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 26 <?page no="27"?> Turnverein gegründet, 1868 folgt mit der Deutschen Turnerschaft der erste Dach‐ verband (Krüger, 2010; Krüger, 2005a). Der Sport hingegen hat seine Ursprünge in England, das umgangssprachlich auch als „Mutterland des Sports“ bezeichnet wird. Hervorgegangen ist das englische Wort „Sport“ aus dem französischen (se) de(s)porter - (sich) zerstreuen, (sich) vergnügen (Röthig & Prohl, 2003). Bereits im 18. Jahrhundert existieren auf den britischen Inseln als „sports“ bezeichnete Spielformen von Konkurrenz und Wettstreit. „Weitgehend un‐ behelligt von obrigkeitlichen Eingriffen und befreit von religiösen Zusammenhängen, konnten sich die ‚sports‘ im frühneuzeitlichen England zu einem festen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens entwickeln. Dabei wurden ihnen durch die frühe Kommer‐ zialisierung der Wirtschaft wichtige Impulse gegeben“ (Eisenberg, 1999, S. 29). Während Athleten in zahlreichen Disziplinen - z. B. Pferderennen, Boxen, Lau‐ fen, später auch Schwimmen, Rudern, Rugby, Tennis - gegeneinander antreten, schließen die mitunter mehreren Tausend Zuschauer Wetten auf die Ergebnisse ab, zum Teil mit extrem hohen Einsätzen (Eisenberg, 2010). Sportkonsum bedeu‐ tet folglich „nicht nur, den Wettkämpfen zuzusehen und die Unterhaltungsange‐ bote in ihrem Umfeld … wahrzunehmen … [, sondern] auch und vor allem, Geld zu verwetten“ (Eisenberg, 1999, S. 29). Ursprünglich sind meist wilde, mitunter tödliche Spiele und Wettkämpfe an der Ta‐ gesordnung, die sich im Zeitverlauf zivilisieren, d. h., modernisieren. Insbesondere, „damit Wetten als ‚business‘ betrieben werden konnte, hatten die ‚sports‘ bestimmten Anforderungen zu genügen. Zunächst einmal mußten Sieg und Niederlage eindeutig feststellbar sein … Eine zweite Anforderung war die Ungewißheit des Ergebnisses … Das Wetten um beträchtliche Summen setzte schließlich voraus, daß man vor Kampf‐ beginn Regeln vereinbarte und ihre Einhaltung von einer unabhängigen Instanz über‐ wachen ließ“ (Eisenberg, 1999, S. 33). Um vergleichbare Bedingungen für Wettspiele und Wettrennen zu schaffen, werden deshalb im Verlauf des 18. Jahrhunderts einheit‐ liche Regeln schriftlich verfasst. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für Leistungs‐ vergleiche und Rekorde über Zeit und Raum hinweg und macht den Sport bis heute erkennbar zu einem besonderen Gesellschaftsbereich. Eine umfassende Typologie von Sportregeln unterscheidet folgende Gruppen von Regeln (Digel, 2003; Drexel, 1998): ■ Universelle ethisch-moralische Regeln des Sports beschreiben wünschens‐ werte Verhaltensweisen einer fairen sportlichen Praxis, z. B. faires Verhalten gegenüber dem Gegner, Akzeptanz von Niederlagen in sportlichen Wett‐ kämpfen als „guter“ Verlierer. ■ Grundlegend sind außerdem die Regeln zur Sportidee, d. h., ungeschriebene Grundsätze der Sinnstiftung sportlicher Aktivitäten, z. B. möglichst viele 27 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 27 <?page no="28"?> 3 Am Sport kritisierten die Turner v. a. dessen (vermeintliche) Einseitigkeit, Spezialistentum, Wett‐ kampf- und Leistungsstreben, Sensationsgier und Internationalität. Dieser Konflikt führte u. a. dazu, dass Turner nicht an Sportwettkämpfen teilnehmen durften und umgekehrt. Tore zu schießen oder schneller zu laufen und zu schwimmen als die Kon‐ kurrenz. ■ Darüber hinaus existieren konstitutive Regeln als sportartspezifische Aus‐ führungsbestimmungen, z. B., dass beim Fußball der Ball nicht mit der Hand gespielt werden darf, und ■ strategische Regeln, die jeweils zulässige Alternativenräume sportlicher Handlungen definieren, z. B. Taktiken oder Spielsysteme/ -züge. Im England des 19. Jahrhunderts wird Sport schließlich mit weiter ausgefeilten Regel‐ werken mehr und mehr zur Angelegenheit der bürgerlichen Mittelschicht und zu einem festen Bestandteil des englischen Erziehungssystems (Eisenberg, 2010). „Von den britischen Inseln aus begannen die sports [außerdem] ihren Siegeszug um die Welt. Überall wo Briten Kolonien gründeten, Handelsstützpunkte eröff‐ neten oder … bei der Industrialisierung mitwirkten, ein Studium aufnahmen, … betrieben sie ihre sports, und nach kurzer Zeit machten die Einheimischen mit“ (Eisenberg, 2010, S. 182; Hervorhebungen im Original). Aus diesem Grund hat der Sport auch in Deutschland von Anfang an internationalen Charakter und ent‐ wickelt erst später nationale, regionale und lokale Besonderheiten (Eisenberg, 1999; Luh, 2010). Der Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland politisch maßgebliche Adel orientiert sich vor allem in den Großstädten und Regionen, in denen es soziale und wirtschaftliche Berührungspunkte gibt, am Lebensstil der englischen Gentlemen. Man imitiert folglich auch deren Sportausübung, insbesondere Segeln, Golf und Tennis. Im Zuge der Grün‐ dung von Sportvereinen gegen Ende des 19. Jahrhunderts - 1878 wird beispielsweise in Hannover der erste Fußballverein gegründet - eröffnet sich im Deutschen Reich nach und nach breiten Bevölkerungskreisen Möglichkeiten, Sport zu treiben (Grupe & Krüger, 1998; Krüger, 2005b). Vor diesem Hintergrund entwickelt sich in Deutschland eine Parallelität von Turnen und Sport, die bis zum Ende der Weimarer Republik auf Organisations- und Personen‐ ebene durch z. T. enorme ideologische Spannungen und Konflikte geprägt ist. 3 Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg büßen die Turner ihr bis dahin bestehendes Monopol auf Leibesübungen ein - beanspruchen von ihrem Selbstverständnis her jedoch wei‐ terhin alle zur Stärkung des Volkes geeigneten Leibesübungen für sich, insbesondere auch Leichtathletik, Schwimmen, Handball. Während der NS-Zeit werden diese Span‐ nungen dann im Wesentlichen von der politisch enorm forcierten und gelenkten Lei‐ beserziehung überdeckt (Luh, 2010). 28 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 28 <?page no="29"?> 4 Schließlich entspricht auch das heute z. B. bei Welt-/ Europameisterschaften und Olympischen Spielen praktizierte Turnen dem, was Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts als „Sport“ bezeichnet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg führt man in der DDR beide Begriffe Turnen und Sport weiter, u. a. dokumentiert in der Namensgebung des 1957 gegründeten Deutschen Turn- und Sportbunds (DTSB). In der BRD verfolgt man hingegen mit der Gründung des Deut‐ schen Sportbunds (DSB) 1950 die Einheit des organisierten Sports. Vor diesem Hinter‐ grund hat sich bis heute eine Universalität des Sportbegriffs entwickelt, der de facto als Sammelbezeichnung für alle - ursprünglich unterschiedlich bezeichneten - Formen von Leibesübungen steht. 4 Gleichwohl waren (und sind) alle als Gymnastik, Turnen und Sport bezeichneten Phänomene auch Gegenstand einer (vor-)wissenschaftlichen Auseinander‐ setzung ihrer jeweiligen Zeit. Versportlichung der Gesellschaft vs. Entsportlichung des Sports Sport ist heute in der Alltagskommunikation ein gängiger, fest etablierter Begriff. Im Zeichen des Sports finden riesige Events statt, werden rauschende Fanfeste gefeiert, widmen Massenmedien sportlichen Ereignissen viel Raum und Zeit. Auch entstehen immer neue Sportaktivitäten, etwa als Varianten bisheriger Sportarten, z. B. Nordic Walking, Kite Surfing, oder als etablierte Formen vormals subkultureller Bewegungs‐ muster, z. B. Snowboarding. Sportlichkeit ist außerdem zu einem gesellschaftlichen Leitbild geworden, das z. B. auch Kleidung und Ernährung beeinflusst, sowie in viel‐ fältiger Weise von der Wirtschaft aufgegriffen und in stark nachgefragte Produkte und Dienstleistungen überführt wird. Bereits 1988 beschreibt Grupe, dass sich „‚Sportlichkeit‘, die lange kennzeichnend war sowohl für den in Vereinen und Verbänden organisierten Sport als auch für diejenigen, die ihm als Sportler verbunden waren, … vom Sport sozusagen abge‐ löst [hat]: Sportlich kann man heute sein, ohne noch Sportler zu sein oder einem Verein anzugehören. ‚Sportlichkeit‘ prägt - unabhängig vom Sport - Verhalten, Interessen und Vorlieben vieler Menschen durch alle Schichten und Altersstufen hindurch. Sportlich wollen Manager, Politiker, Gewerkschaftsführer, Journalis‐ ten, Funktionäre, Autofahrer und sogar Raucher sein; auch Kleider-, Schuh- und Hutmoden, Urlaubsorte, Autos und Parfüms sind sportlich. Die Werbung bedient sich sportlicher Motive“ (Grupe, 1988, S. 49). Diese Versportlichung der Gesellschaft steht sinnbildlich für die hohe gesellschaftliche Attraktivität und Bedeutung des Sports. Allerdings geht sie einher mit einer „Art Ent‐ sportung des Sports, und dies heißt zugespitzt, daß das ihn bislang tragende Selbst‐ verständnis unschärfer wird“ (Grupe, 1988, S. 50). Heute ist nicht mehr klar abgrenzbar, was als Sport gilt. Vielmehr ist seine ursprüngliche Eindeutigkeit mehr und mehr ver‐ schwommen. „Aus einer relativ eng begrenzten Zahl von menschlichen Handlungs‐ mustern, die man mit dem Sammelnamen Sport meinte, ist … ein diffuses Gemisch an Mustern entstanden, dessen Zuordnung zum ‚Gesamtsortiment Sport‘ in hohem Maße 29 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 29 <?page no="30"?> 5 Für den englischen Sprachraum ist u. a. die Abgrenzung von Sport, games und play als Ansatz zu nennen: „All sports are games, but not all games are sport, and all games are play, but not all forms of play are games“ (Loy, 1978, S. 73). von subjektiven Werturteilen abhängt. Atemgymnastik, Wandern, Baden, Yoga oder Jogging sind je nach Standort des Urteilenden ‚richtiger Sport‘ oder ‚auf keinen Fall Sport‘“ (Digel, 1990, S. 77). Die Unterscheidung von Versportlichung und Entsportlichung ist auf den ersten Blick sehr treffend. Auf den zweiten Blick fehlt ihr jedoch eine begriffliche Trenn‐ schärfe. Denn der Begriff der Versportlichung suggeriert, „daß man einen klar ab‐ grenzbaren Breich ‚ver‘größert. Er gibt vor, daß man weiß, wo die Grenzen dessen sind, was man als Sport bezeichnet. In gewisser Weise steckt somit die vielfach gemachte Annahme im Gebrauch dieses Begriffes, es gebe das sogenannte ‚Authentische des Sports‘“ (Digel, 1990, S. 87). Dieser Einwand verdeutlicht: Die Abgrenzung des Sport‐ begriffs - und damit die Klärung der Authentizität des Sports - ist ungeachtet ver‐ meintlich offensichtlicher Grenzlinien sehr voraussetzungsvoll. 2.2.2 Ansätze zur Definition des Sportbegriffs Die Unschärfe des Sportbegriffs führt dazu, dass man „sich nie ganz sicher sein [kann], was mit dem Begriff ‚Sport‘ gemeint ist“ (Digel, 1995a, S. 149). Wissenschaftstheoreti‐ sche, aber insbesondere auch wissenschaftspolitische Überlegungen führten deshalb zu Bemühungen der Sportwissenschaft und der Sportorganisationen um eine möglichst trennscharfe Begriffsdefinition. Ein Ansatzpunkt für die Abgrenzung des Sportbegriffs besteht in der Fokussie‐ rung sporttypischer Charakteristika, insbesondere in Abgrenzung zu Gymnastik und Turnen, aus einer meist historischen Perspektive (Elias, 1975). Exemplarisch hierfür steht u. a. Diems Kennzeichnung: „Sport als Leibesübung ist im Lebensbereich zweckfreien Tuns ein von Wertgefühl und Festlichkeit erfülltes, natur- und kampf‐ frohes, verfeinert und typisiert geregeltes Vervollkommnungsstreben. Der Gegner im Sport ist Freund als Träger der vergleichbaren Wettbewerbsleistung“ (Diem, 1960, S. 21-22). 5 Dieses Zitat verdeutlicht auch, dass solche definitorischen Festle‐ gungen nicht statisch, sondern immer auch ein Spiegel ihrer Zeit sind. Die sportwissenschaftliche Auseinandersetzung umfasst außerdem sprachphiloso‐ phische Analysen zum Sportbegriff (Drexel, 2002; Haverkamp & Willimczik, 2005). Diese Analysen des Sprachgebrauchs erfassen Sport als Familienbegriff, der für ganz vielfältige, aber untereinander ähnliche und teilweise fließend ineinander übergehende Phänomene verwendet wird. Gleichzeitig ändern sich Gebrauch und Verständnis des Sportbegriffs über die Zeit hinweg infolge soziokultureller Entwicklungen. Diesbezüg‐ liche empirische Befunde liegen u. a. von Mrazek (1982), Haverkamp und Willimczik 30 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 30 <?page no="31"?> 6 Weitere sportwissenschaftliche Arbeiten fokussieren weniger den Sportbegriff, als vielmehr das ge‐ sellschaftliche Phänomen Sport. Beispielsweise arbeitet Guttmann (1979) u. a. den Rekord als zen‐ trales Sportmerkmal heraus. Schimank (1988) und Stichweh (1990) wiederum erfassen mit ihren systemtheoretisch angeleiteten Analysen Sport als gesellschaftliches Teilsystem. (2005) und Stahl (2007) vor. 6 In Abhängigkeit der gewählten Perspektive und des ver‐ folgten Erkenntnisinteresses existieren somit jeweils andere Begriffsverständnisse (u. a. Haverkamp & Willimczik, 2005; Stahl, 2007). Für die kritische Auseinandersetzung mit Begriffsbestimmungen von Sport kann folgende Unterscheidung Orientierung geben: Realdefinitionen gehen vom Ge‐ brauch und der Bedeutung des zu definierenden Begriffs im alltäglichen Sprach‐ gebrauch aus und zielen darauf ab, sein (alltagssprachliches) Wesen zu erfassen. Nominaldefinitionen hingegen basieren auf dem gemeinsamen Verständnis des zu definierenden Begriffs z. B. innerhalb einer (Scientific) Community, für die sie als Konventionen zur Begriffsverwendung fungieren (Heinemann, 1983; Willim‐ czik, 2001). Definition von Heinemann (1980) In seiner „Einführung in die Sportsoziologie“ legt Heinemann 1980 eine Nominaldefi‐ nition des Sportbegriffs vor. Dabei unterscheidet er insgesamt vier Variablengruppen, wobei seiner Ansicht nach die konstituierende Variable allen Erscheinungsformen und Varianten des Sports gemeinsam ist (Heinemann, 1983). Kernbestandteile seiner kon‐ stituierenden Variable sind: ■ Körperbezogenheit/ körperliche Bewegung: Sport ist durch einen spezifischen Um‐ gang mit dem Körper gekennzeichnet. Laufen, Springen, Schwimmen, Ball spie‐ len - jeweils bestimmen spezifische koordinative und konditionelle Fähigkeiten und Fertigkeiten (motorische Aktivitäten) eine konkrete Sportart. Sie „sind das Thema des Sports“ (Heinemann, 1983, S. 33). ■ Leistungsbezogenheit: Sportliche Aktivitäten sind immer auf körperliche Dimen‐ sionen hin leistungsbezogen: schnell laufen, hoch springen, weit werfen etc. ■ Soziale Regelung/ Normen: Soziale Normen/ Regeln sind konstitutiv für Sport. Sie spielen „eine Rolle (a) in der Festlegung des Ziels …, (b) in der Bestimmung der legitimen Mittel, die eingesetzt werden dürfen, um das Ziel zu erreichen, (c) in der Definition der Regeln … und (d) in der Haltung, dem Sportethos“ (Heine‐ mann, 1983, S. 34). ■ Unproduktivität: Sportliche Aktivitäten sind nicht darauf ausgerichtet, Produkte zu erstellen oder Werke zu schaffen. Vielmehr erfährt Sport gerade dadurch „einen spezifischen Bedeutungsinhalt, daß er nicht unter … Nützlichkeitserwä‐ gungen und existenzielle Zwänge fällt; er ist weitgehend konsequenzenlos und verweist in seinen Ergebnissen ausschließlich auf sich zurück“ (Heinemann, 1983, S. 35). 31 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 31 <?page no="32"?> Weitere, den Sport prägende Bedingungen erfasst Heinemann in einer strukturprägen‐ den Variablen, der er sportspezifische Organisationskontexte, z. B. Schule oder Verein, mit deren jeweiligen Möglichkeiten des Sporttreibens zuordnet. Als einwirkende Va‐ riable nennt Heinemann u. a. öffentliches Publikumsinteresse, Berichterstattung der Massenmedien, sowie wirtschaftliche Unterstützung und politische Interessen. Als begleitende Variable versteht er z. B. kontextspezifische Karrierechancen und Füh‐ rungsstile. Heinemanns Definition gibt wichtige Anhaltspunkte für eine Diskussion des Sportbegriffs. Allerdings fehlen hier z. B. Leitlinien für den Umgang mit Grenz‐ fällen, d. h., mit Sportaktivitäten wie Reiten, Segeln, Angeln oder Schach spielen, für die motorische Aktivität gegenüber kognitiven Anforderungen eher nach‐ rangig ist oder im Wesentlichen in der Beherrschung spezifischer Sportgeräte besteht. Auch ist der Leistungsbegriff jeweils personenbezogen interpretierbar und aufgrund der vielfältigen Leistungsdimensionen kaum abschließend zu er‐ fassen. Der unbekannte Begriff Sport wird also mit vermeintlich Bekanntem wie Leistung oder Unproduktivität konkretisiert, als wüsste man über Sport nichts, über dessen Merkmal Unproduktivität hingegen mehr. Konsequenterweise sind folglich alle bei Nominalde‐ finitionen verwendeten weiteren Begriffe ebenfalls zu definieren, was streng genom‐ men zu einem unendlichen (sprachlichen) Regress führt (Drexel, 2002). „Nominaldefi‐ nitionen eignen sich deshalb nicht für eine Gegenstandsbestimmung, weil sie nach Maßgabe ihres Eigenanspruchs nur den Sprachgebrauch ökonomisieren, aber nichts über die ‚Realität‘, die Erscheinung des Sports aussagen, deshalb nichts erklären und deshalb auch nicht als ‚falsch‘ oder ‚richtig‘, sondern lediglich als ‚nützlich‘ oder ‚un‐ nütz‘ beurteilt werden können“ (Drexel, 1995, S. 118). Definition des Deutschen Sportbunds (1980) Ebenfalls 1980 legt der Wissenschaftliche Beirat des DSB einen im Auftrag des DSB-Prä‐ sidiums erarbeiteten Merkmalskatalog zur Beschreibung von Sport vor. Ziel ist eine Abgrenzung dessen, was (nicht) als Sport gilt. Insbesondere sollen damit Entscheidun‐ gen über die Aufnahme von Sportverbänden in den DSB nachvollziehbar gemacht, ein Sprachkonsens ermöglicht sowie eine Bewusstseins- und Identitätsbildung des orga‐ nisierten Sports gefördert werden. Als Bezugspunkt für seine definitorische Eingren‐ zung dient dem Wissenschaftlichen Beirat die aus seiner Sicht existierende Realität des Sports, aus der heraus er sieben idealtypische, für Sport konstitutive Kriterien destilliert (Wissenschaftlicher Beirat des DSB, 1980): ■ Motorische Aktivität ist fundamentales Kernelement sportlicher Aktivitäten, weshalb insbesondere koordinative Fähigkeiten und konditionelle Fertigkeiten erlernt und trainiert werden müssen. Demnach gelten Aktivitäten, für die Mo‐ 32 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 32 <?page no="33"?> torik nicht unmittelbar leistungsbestimmend ist, z. B. Hunderennen, nicht als Sport. ■ Bedeutungsinhalt: Sportliche Aktivitäten zeichnen sich durch einen besonderen Bedeutungsinhalt aus. Denn sie sind als „geregelte Formen der Alltagsbewe‐ gungen … gegenüber manchen Alltags-/ Arbeitsbewegungen … unproduktiv; sie fallen ihrem Sinn nach nicht unter kommerzielle Nützlichkeitserwägungen und unterliegen keinen existentiellen Zwängen“ (Wissenschaftlicher Beirat des DSB, 1980, S. 438). ■ Leistung: Für sportliche Aktivitäten sind Leistung und Wettbewerb konstitutiv, weshalb Erwerb, Erhalt und Optimierung motorischer Fertigkeiten sowie damit verbundene Anstrengungen und Belastungen zentrale Kennzeichen von Sport sind. ■ Sportorganisationen: Sport wird im Rahmen spezifischer Organisationskontexte betrieben, z. B. Mannschaften, Sportvereinen, Sportverbänden. ■ Sportregeln: Sport wird durch verbindliche, sportartübergreifende und sportart‐ spezifische Regeln bestimmt. ■ Ethische Werte: Grundwerte und Leitideen wie Fairplay, Unversehrtheit des Konkurrenten, Chancengleichheit und Teamgeist sind konstitutive Kennzei‐ chen von Sport. Körperliche Aktivitäten, „die ausschließlich auf Profitgewinn und Eigennutz … abzielen, lösen die für Sport unverzichtbaren Werte nicht ein“ (Wissenschaftlicher Beirat des DSB, 1980, S. 439). ■ Erlebnisformen: Sportliche Aktivitäten eröffnen spezifische, die ganze Person des Sportlers berührende Erlebnisse und Erfahrungen, z. B. Leistungsfähigkeit, Selbstvertrauen und -beherrschung, Spannung, Unsicherheit. Der Kriterienkatalog des Wissenschaftlichen Beirats gibt wichtige Orientie‐ rungspunkte für eine Reflexion des Sportbegriffs. Realdefinitionen wie die des DSB eignen sich jedoch insbesondere deshalb kaum für eine generelle Gegen‐ standsbestimmung, weil hier zwangsläufig verbandspolitische Interessen und entsprechende Wertungen einfließen, z. B. hinsichtlich typischer Organisations‐ formen und ethischer Werthaltungen. Außerdem greift eine argumentative Eng‐ führung auf motorische Aktivität für die Kennzeichnung von Sport zu kurz, denn sportliche Aktivitäten sind stets auch durch kognitive Anforderungen, z. B. Kon‐ zentration oder Aufmerksamkeit, und nichtmotorische Größen, etwa Pferde, Boote oder Schlitten, charakterisiert. Auch ist der Verweis auf Alltagsbewegungen und deren Unproduktivität nur wenig tragfähig, da Sport beispielsweise mittel‐ bare Funktion zugesprochen werden kann, z. B. hinsichtlich Persönlichkeitsent‐ faltung und Identitätsstabilisierung. Und schließlich muss Leistung immer per‐ sonenbezogen interpretiert werden, weshalb sich dieses Kriterium kaum als Trennlinie zwischen Sport/ nicht-Sport eignet (Hägele, 1982; Drexel, 2002). 33 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 33 <?page no="34"?> Ein durchgängiges Problem aller Ansätze einer generellen Begriffsbestimmung des Phänomens Sport liegt in der Auswahl und Konkretisierung von Hauptmerkmalen, deren Grenzen angesichts unterschiedlicher soziokultureller und sozioökonomischer Situationen - und damit jeweils verbundenen Wertsetzungen, Sinndeutungen und Funktionszuschreibungen - sowie immer neuer Aktivitätsformen infolge gesellschaft‐ lichen Wandels eng gesetzt sind. „Prinzipiell muß es deshalb als sehr unwahrscheinlich gelten, daß sich eine wissenschaftliche Festlegung so behaupten könnte, daß alle Sport‐ wissenschaftler mit dem Wort Sport auf denselben Gegenstand referieren“ (Digel, 1995b, S. 5). Gleichwohl ist festzuhalten, dass ungeachtet der Vielfalt sportiver Aktivitäten die Einheit des Sports darin besteht, dass es sich hierbei jeweils um eine körperliche Hand‐ lung (nicht zwingend: Bewegung) handelt, „die auf die Leistungsfähigkeit des an ihr beteiligten Körpers schließen läßt“ (Stichweh, 1990, S. 379). Ihr Sinn liegt also insbe‐ sondere darin, zeigen zu können, was man körperlich zu leisten im Stande ist. Dies kann - muss aber nicht - in einen Wettkampfkontext eingebettet sein. Oder anders formu‐ liert: „Sport ist jenes Funktionssystem, das aus allen Handlungen besteht, deren Sinn die Kommunikation körperlicher Leistungsfähigkeit ist“ (Stichweh, 1990, S. 379-380; Hervorhebungen im Original). Der Maßstab für solche Leistungen kann dabei neben sozialen Bezugsnormen, etwa einem Deutschen Rekord, jeweils auch ein individueller (Erwartungs-)Horizont auf Basis vorangegangener Leistungen sein. In der Scientific Community der Sportwissenschaft wird mitunter für eine Abwen‐ dung vom Sportbegriff plädiert, oder zumindest eine explizite Ergänzung um den Be‐ wegungsbegriff gefordert (u. a. Zschorlich, 2000). Einige universitäre Einrichtungen haben diesen Schritt mittlerweile vollzogen, z. B. das Fachgebiet für Sport- und Bewe‐ gungswissenschaften der Universität Erfurt, der Fachbereich Sport- und Bewegungs‐ wissenschaften der Universität Duisburg-Essen sowie das Institut für Sport- und Be‐ wegungswissenschaft der Universität Stuttgart. Begriffe wie Bewegungsstatt Sportwissenschaft, Bewegungsstatt Sportaktivitäten, Bewegungserziehung statt Sportunterricht sind dabei auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar - denn kör‐ perliche Aktivität ist ein fundamentales Kennzeichen des Sports. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass Bewegung allein nicht ausreicht, um eine körperliche Akti‐ vität als sportliche Handlung erkennbar zu machen. Eine sportliche Bewegung zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass sie „entsprechend den jeweiligen Zielen, Vorschriften und Regeln sowie innerhalb eines bestimmten sozialen und situativen Bezugsrahmens und unter Beachtung der Besonderheiten der einzelnen Sportarten“ (Grupe, 2000, S. 57) ausgeübt und allein über die motorische Aktivität, also durch die Kommunikation einer körperlichen Leistung, Sinn erzeugt wird. Mit einer Abkehr vom Sportbegriff wird aber der ohnehin unscharfe Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft weiter verwässert und möglicherweise auch die - bislang durchaus wohlwollende und stabile - Unterstützung durch Sportverbände und Sportpolitik infrage gestellt. 34 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 34 <?page no="35"?> 2.2.3 Modelle zur Beschreibung von Sport Angesichts der Schwächen aller Definitionsansätze zum Sportbegriff wurden in der Sportwissenschaft weitergehende Versuche unternommen, das gesellschaftliche Phä‐ nomen des Sports zu erfassen und mittels Modelle zu beschreiben. Sportmodell von Hägele (1982) Hägele (1982) unterscheidet in seinem Modell einen inneren und äußeren Horizont des Sports, sowie einen nicht-sportlichen Grenzbereich (vgl. Abb. 2.2.1). ■ Der innere Horizont des Sports steht dabei für „das Ideal des rein authentischen Sports“ (Hägele, 1982, S. 198; Hervorhebungen im Original) und dessen idealty‐ pischen Bedeutungskern als kleinsten gemeinsamen Nenner: „Typisch sportliche motorische Aktivität …, typisch sportlicher Bedeutungsgehalt (Sich-Erleben vom Leibe her; Selbstverwirklichung), typisch sportliche Leistung (personge‐ bunden; erlebnisorientiert) sowie typisch sportliche soziale Beziehung (Fairplay; Solidaritätsprinzip)“ (Hägele, 1982, S. 198). In diesem Sinne idealtypische Sport‐ aktivitäten orientieren sich an einem allgemein gültigen Regelwerk und sind durch diszipliniertes Training sowie organisierten Wettkampfbetrieb gekenn‐ zeichnet. ■ In der lebensweltlichen Realität des Sports sind jedoch individuelle Spielformen, selbst bestimmte Regeln, nicht-standardisierte Räume und sport-externe Motive, z. B. Gesundheit oder Fitness, beobachtbar. Denn die idealtypischen Formen des Sporttreibens stehen generell in einem wechselseitigen Austausch- und Span‐ nungsverhältnis mit einer nicht-sportlichen gesellschaftlichen Umwelt. Eine daraus praktisch zwangsläufig folgende Zersplitterung der idealtypisch konsti‐ tutiven Merkmale macht den Sport de facto zu einem heterogenen, sphinxhaften Phänomen (Hägele, 1982). ■ Den äußeren Rand bildet in Hägeles Modell der nicht-sportliche Grenzbereich, in dem motorische Aktivität nur sehr entfernt den idealtypischen Kriterien des Kerns entspricht. Hier sind vor allem gesundheitliche, massenmediale, wirt‐ schaftliche und politische Motive bedeutsam, sodass „sportliches Handeln auf dieser Ebene direkt auf äußere, nicht-sportliche Ziele gerichtet“ (Hägele, 1982, S. 200; Hervorhebungen im Original) ist und dementsprechend für eine umfas‐ sende Instrumentalisierung und Funktionalisierung steht. 35 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 35 <?page no="36"?> 7 Beide Autoren sind über die Jahre ihren ursprünglichen Ansätzen im Grundsatz treu geblieben, haben sie aber im Zeitverlauf vor allem begrifflich weiterentwickelt (Digel & Burk, 2001; Heine‐ mann, 2007). In den hier zusammengestellten Überblicken stehen die jüngeren Begriffsverwen‐ dungen jeweils am Zeilenanfang und die ursprünglichen Begriffe in Klammern direkt dahinter. Abb. 2.2.1: Hägeles Sportmodell (Hägele, 1982) Hägeles Modell erweist sich als tragfähig, auch weil es der weitgehenden Unbe‐ stimmbarkeit der lebensweltlichen Sportrealität Rechnung trägt. Offen bleibt, inwiefern das Modell eine Überlappung verschiedener Sportkonzepte erfasst, also wie trennscharf die Grenzlinien zwischen innerem und äußerem Horizont sowie nicht-sportlichem Grenzbereich sind. Etwas irritieren können die wertenden Be‐ grifflichkeiten „rein authentisch“ und „der völlig entfremdete Sport“ (Hägele, 1982, S. 200) im nicht-sportlichen Grenzbereich (Willimczik, 2001). Sportmodelle von Digel (1984) Weitere Modelle zur Beschreibung des gesellschaftlichen Phänomens Sport haben Digel (1984) und Heinemann (1986) vorgelegt. 7 Die unterschiedlichen realen Formen des Sporttreibens, „die z. T. auch konkurrieren und zueinander in Beziehung treten“ (Digel, 1984, S. 61), erfasst Digel in fünf Sportmodellen (Digel & Burk, 2001). Im Ein‐ zelnen unterscheidet er: ■ organisierten Wettkampfsport (Wettkampfsport als Freizeitsport), für den insbe‐ sondere Siege/ Niederlagen im Rahmen sportlicher Leistungsvergleiche kenn‐ zeichnend sind. Mit dem Ziel einer Teilnahme an Wettkämpfen, die gemäß in‐ ternational gültigen Regeln unter Sportverbandshoheit durchgeführt werden, sind sportliche Aktivitäten hier im Sinne eines meist langfristig ausgerichteten 36 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 36 <?page no="37"?> disziplinierten Trainings konzipiert. Typischerweise findet dieses in vereinsge‐ bundenen Trainingsgruppen/ Mannschaften statt. ■ Sport ohne organisierten Wettbewerb (Freizeitsport), der von Sportvereinen an‐ geboten wird, aber auch in offenen Organisationsformen/ -kontexten erfolgt. Er bildet für breite Bevölkerungskreise eine attraktive Gegenwelt zum Alltag und erhält folglich einen expliziten Selbst- und Eigenwert. Dieser ergibt sich im We‐ sentlichen über besondere körperliche, personale, soziale und materiale Erfah‐ rungen, die mit diesen Sportaktivitäten verbunden sind (auch Grupe, 2000). ■ instrumentellen Sport (instrumentellen Sport), der als soziale Dienstleistung wich‐ tige gesellschaftliche Funktionen übernimmt. Einerseits geht es hier um die So‐ zialisation von Kindern und Jugendlichen sowie die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund oder mit körperlichen/ geistigen Behinderungen. Andererseits wird hier vor allem auf Gesundheitswirkungen motorischer Akti‐ vitäten Bezug genommen, also auf deren präventive und rehabilitative Funk‐ tionen verweisen. Neben Sportvereinen bieten u. a. auch spezifische (medizini‐ sche) Dienstleistungsunternehmen solche Angebote an. ■ Alternativsport (alternative Körperkultur), der als spezifische Bewegungs- und Körperkultur für kreative, alternative Lebensstile/ -formen steht. Charakteris‐ tisch sind hier vor allem offene Organisationsformen, wie beispielsweise Wa‐ keboarding, Slacklining oder ursprüngliche Formen von Snowboarding und BMX zeigen. ■ Berufssport (kommerzieller Zirkus-/ Mediensport), dessen Wettbewerbe insbeson‐ dere auf eine ökonomische und massenmediale Verwertung ausgerichtet sind - und für den folglich Erwartungen der Zuschauer hinsichtlich Spannung und Sensation Bedeutung haben. Gerade in den großen Teamsportarten werden des‐ halb Spieler, Trainer und weiteres Personal mittels Arbeitsverträge auf einen gewerblichen, professionell geführten Betrieb verpflichtet. Sportmodelle von Heinemann (1986) Eine ähnliche Modell-Systematik zur Abbildung der vielfältigen Formen der Sportre‐ alität entwickelte Heinemann (Heinemann, 1986, 2007). Im Einzelnen unterscheidet er: ■ traditionellen Wettkampfsport (traditionelles Sportkonzept) und damit Sportakti‐ vitäten, die durch eindeutig bestimmte Leistungsziele und sportartspezifische Regelwerke, einheitliche Wertestrukturen sowie einheitliche Sportlerrollen ge‐ kennzeichnet sind und deren typische Organisationsform die Freiwilligenver‐ einigung Sportverein ist. ■ traditionelle Spielkulturen (--), die als ehemals vorindustrielle Spiel- und Bewe‐ gungsformen neu aufgegriffen werden, u. a. zur Rückbesinnung auf die eigene Kultur und zur Abgrenzung von kulturellen Globalisierungstendenzen. ■ ein funktionalistisches Sportmodell (--), das motorische Aktivitäten als Instru‐ mente spezifischer körperbezogener Funktionen in den Mittelpunkt rückt, u. a. hinsichtlich Entspannung, Gesundheit, Körpererleben. 37 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 37 <?page no="38"?> ■ ein expressives Sportmodell (expressiver Freizeitsport), in dem Sportaktivitäten aufgrund vielfältiger Motive - insbesondere Spaß, Freude, Abenteuer, Erleben, Ausgleich zum Alltag - ausgeübt werden, meist in nicht standardisierten Räu‐ men und nach situativ ausgehandelten Regeln. ■ professionellen Showsport (kommerzialisierter Schausport), der sportliche Wett‐ bewerbe als Unterhaltungsprogramm für Zuschauer versteht - vor Ort im Sta‐ dion und via Massenmedien. Dabei sind ökonomische Interessen der Beteiligten maßgeblich prägend, was u. a. auch zu einer Verberuflichung der Sportlerrolle führt. Die Modelle von Digel und Heinemann ermöglichen angesichts der faktischen Vielfalt des Sports und seiner unübersichtlichen Realität wichtige Orientierung. Beide Modelle zielen dabei auf eine Systematisierung der Sportrealität mittels (a) des Ausprägungsgrads typischer, den traditionellen Sportbegriff im Kern kenn‐ zeichnender Merkmale, z. B. Wettkampf, Training, Regeln und (b) des Instru‐ mentalisierungsgrads der jeweiligen Sportaktivität. Allerdings erweisen sich die Trennlinien zwischen den jeweiligen Teilmodellen als brüchig: Beispielsweise kann auch traditioneller Sport ohne organisierten Wettbewerb aus gesundheit‐ lichen Motiven betrieben werden und vielfältige Erlebniswerte vermitteln; ebenso sind Übergänge vom organisierten Wettkampfsport zum Berufs- oder Showsport, sowie zwischen expressivem Alternativsport und instrumentellem Sport fließend, z. B. ist auch Berufssport/ professioneller Showsport in gewissem Sinn instrumenteller Sport (Willimczik, 2001; Heinemann, 2007). 2.2.4 (Sportbezogene) Video- und Computerspiele: „E-Sport“? Nachdem die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD 2018 in ihrem Koalitionsvertrag das politische Ziel einer Anerkennung wettkampfmäßiger Computerspiele („E-Sport“) als Sport formuliert haben, hat die lange Jahre kaum (mehr) beachtete Auseinander‐ setzung mit dem Sportbegriff Dynamik und sportpolitische Relevanz erhalten. Denn die Diskussion, ob „E-Sport“ als Sport gelten kann, „setzt notwendigerweise eine Klä‐ rung der Begriffe Sport und eSport voraus: Wer nicht sagt, was er unter Sport und was er unter eSport versteht, kann nicht argumentieren, warum eSport unter den Oberbe‐ griff Sport fallen sollte oder nicht“ (Willimczik, 2019, S. 1). Die Schärfe der öffentlichen Debatte ist dabei auch ein Hinweis darauf, dass die Klärung hiermit verbundener Fra‐ gen eine gesellschaftspolitisch bedeutsame Weichenstellung darstellt (Willimczik, 2019). (Sportbezogene) Video- und Computerspiele Bei Video- und Computerspielen handelt es sich um digitale Programme, die es einem oder mehreren Benutzern ermöglichen, interaktive Spiele zu steuern. Diese Steuerung, z. B. mittels Tastatur oder Spielekonsole, verlangt von den Spielern vor allem Schnel‐ 38 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 38 <?page no="39"?> ligkeit (u. a. Hand-Auge-Koordination), Präzision und Kombinationsfähigkeit. Darüber hinaus werden sie vom Spielgeschehen unter Druck gesetzt, etwa in der Zeitdimension. Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Video- und Computerspiele lässt sich al‐ lerdings kein konsistentes Bild dieses Phänomens zeichnen. Je nachdem, welche Kri‐ terien angelegt werden (u. a. Anzahl verkaufter Spiele, Anzahl aktiver Spieler, Summe der bei entsprechenden Turnieren ausgeschütteten Preisgelder) kommen unterschied‐ liche Ranglisten der „erfolgreichsten“ Spiele zustande. Grundsätzlich lassen sich Video- und Computerspiele aber in unterschiedliche Genres einteilen. Von besonderer Rele‐ vanz sind dabei: ■ First-Person Shooter-Spiele, u. a. „Counterstrike“ und „Overwatch“. Hier agieren die Spieler in einer frei begehbaren, dreidimensionalen Welt und bekämpfen andere Spieler oder computergesteuerte Gegner mit Schusswaffen. ■ Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) oder Action Real-Time Strategy (ARTS) gelten als Echtzeit-Strategiespiele, u. a. „League of Legends“, oder die „DotA-Se‐ rie“ (Defense of the Ancients). Hier treten mindestens zwei Teams gegeneinan‐ der an, mit dem Ziel, Gegner zu töten. ■ Virtuelle Sportsimulationen, u. a. „FIFA“ (Fußball), oder „NBA2K“ (Basketball). Hier üben ein oder mehrere Spieler virtuell Sportarten aus. In der Liste der 20 in Deutschland meistverkauften Spiele 2017 finden sich mit „FIFA 17“ und „FIFA 18“ lediglich zwei virtuelle Fußball-Simulationen - wobei „FIFA 18“ das insgesamt meistverkaufte Spiel war. Ansonsten sind insbesondere Spiele anderer Gen‐ res am stärksten nachgefragt (Game, 2018). Unzweifelhaft ist, dass Video- und Computerspiele ein Teil der aktuellen Jugend‐ kultur und der Lebenswelt vieler (junger) Menschen ist. Nach Angaben der Deutschen Spielewirtschaft spielen knapp 35 Mio. Deutsche Video- und Computerspiele, Tendenz steigend. Auch wirtschaftlich handelt es sich hierbei um einen Wachstumsmarkt. Allein in Deutschland wurden 2018 mit Video- und Computerspielen rund drei Mrd. Euro umgesetzt. Neben dem Smartphone, das mittlerweile das am meisten genutzte Spiel‐ gerät darstellt, verwenden die Spieler PC und Spielekonsolen. Entsprechende Spiele- Software ist z. B. per online-Streamingdienst, Download oder Spiele-App verfügbar (Game, 2018). Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass eine Anschlussfähigkeit des orga‐ nisierten Sports an diese boomende Branche - etwa durch die Anerkennung von „E-Sports“ als Sportart - die Erschließung neuer Zielgruppen eröffnen könnte (Deut‐ scher Olympischer Sportbund, 2018a). Die Spielewirtschaft wiederum könnte durch die Aufnahme (sportbezogener) Video- und Computerspiele in den organisierten Sport an der öffentlichen Sportförderung partizipieren und gleichzeitig enorme gesellschaftli‐ che Legitimations- und Imagegewinne erzielen. 39 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 39 <?page no="40"?> Argumente für und gegen die Anerkennung (sportbezogener) Video- und Computerspiele als „E-Sport“ Anders als der Koalitationsvertrag von 2018 suggeriert, ist es allein dem autonomen Sport, also den Sportorganisationen selbst, vorbehalten zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie (sportbezogene) Video- und Computerspiele als „Sport“ an‐ erkennen. Für den DOSB als Dachverband spielen dabei die in seiner Aufnahmeord‐ nung festgelegten Kriterien eine zentrale Rolle. Diese basieren im Wesentlichen auf den oben skizzierten Argumenten (Kapitel 2.2.2). Grundsätzlich gilt es, angesichts der Komplexität des Phänomens eine Klärung des Begriffs „E-Sport“ nicht nur auf Basis einzelner Aspekte (z. B. Wettkampf) zu führen. Dies wäre, wie Willimczik (2019, S. 12) formuliert, „extrem irreführend aber weit verbreitet.“ Im Kern stellt sich die Frage, ob und inwiefern „E-Sport“, also das Spielen von Video- und Computerspielen, eigene sportartbestimmende motorische Aktivität erfordert. Da‐ bei ist zunächst unstrittig, dass bei Video- und Computerspielen motorisch-koordina‐ tive Aktivitäten erforderlich sind, die (auch) angesichts der verschiedenen, den Spielen inhärenten Stress- und Drucksituationen körperlich beanpruchend sein können. Ferner würden ohne entsprechende motorische Impulse und Befehle der Spieler „die Avatare, Gegenstände und Spieleumgebungen aufgrund der fehlenden eigenen Substanz nicht agieren können“ (Wendeborn, Schulke & Schneider, 2018, S. 453). Daraus folgt aber nicht automatisch, dass die Handlungen der Spieler sportartbestimmend sind. Denn sie sind insofern ja gerade nicht für das virtuelle Spielgeschehen konstitutiv, da dieses in einer digitalen Umwelt stattfindet und der Spieler dort (mangels „Substanz“) körperlich überhaupt nicht vorhanden und damit aktiv sein kann. Die körperliche Aktivität fun‐ giert folglich allein als Schnittstelle zur virtuellen Spielwelt (Borggrefe, 2018a; 2018b). Darüber hinaus orientieren sich die Spieler bei Video- und Computerspielen zwangs‐ läufig an den Bewegungen der Avatare im digitalen Raum und nicht an den Steuer‐ ungsbewegungen der gegnerischen Spieler, welche sie ja überhaupt nicht beobachten können. „Und auch für Zuschauer wäre es doch sinnlos, allein auf die klickenden Hände zu blicken, unabhängig davon wie exzellent die koordinative Leistung auch sein mag“ (Borggrefe, 2018b, S. 457). Damit wird deutlich, dass bei Video- und Computerspielen keine spezifische, sportartbestimmende körperliche Aktivität vorliegt (Landessport‐ bund NRW, 2018). Oder anders formuliert: „Die motorische Aktivität ist vom eigentli‐ chen Spielgeschehen entkoppelt! “ (Landessportverband Baden-Württemberg, 2019, o. S.). Folgt man dieser Argumentation, ist klar, dass Video- und Computerspiele nicht als Sport gelten können und folglich der Begriff „E-Sport“ irreführend ist. Gleichwohl sind weitere Aspekte zu reflektieren, etwa die Einhaltung ethischer Werte, wie sie in § 3 der DOSB-Aufnahmeordnung gefordert ist. Ausgeschlossen sind vom organisierten Sport u. a. „Konkurrenzhandlungen, die … eine tatsächliche oder simulierte Körperverletzung bei Einhaltung der gesetzten Regeln beinhalten.“ Dabei ist offensichtlich, dass es bei praktisch allen Sportaktivitäten zu Verletzungen kommen kann. Sie sind aber nicht konstitutiv für Sport - und selbst beim Boxen geht es zwar um Körpertreffer, gleichwohl 40 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 40 <?page no="41"?> sind die Regelwerke darauf ausgelegt, das Risiko einer Verletzung zu minimieren (z. B. durch das verpflichtende Tragen von Handschuhen und Kopfschutz (bis zu einer ge‐ wissen Altersgrenze), das Verbot verletzungsgefährdender Gegenstände, sowie ent‐ sprechende Vorkehrungen in der Konstruktion des Boxrings). Auch für Boxen gilt so‐ mit, dass es gerade nicht - wie Wendeborn et al. (2018, S. 454) formulieren - „darauf ausgerichtet ist, die körperliche Unversehrtheit des Kontrahenten zu beeinträchtigen.“ Hingegen ist bei einigen Video- und Computerspielen die Vernichtung des Gegners entscheidend, um das strategische Spielziel zu erreichen. Die brutale und explizite Darstellung von Tötungsgewalt gegenüber menschenähnlichen Figuren wird dabei aus ethischer Sicht nicht dadurch gemindert, dass „hier nur virtuell getötet wird und nach jedem Kill ein Re-Spawn folgt“ (Borggrefe, 2018b, S. 457; Hervorhebungen im Original). Töten ist mit den Werten des organisierten Sports grundsätzlich nicht vereinbar (LSB NRW, 2018; LSV Baden-Württemberg, 2019). Für den DOSB und den organisierten Sport in Deutschland ist in der Diskussion schließlich ein weiterer, organisatorischer Aspekt von Bedeutung: Zwar gibt es seit 2017 einen eSport-Bund Deutschland (ESBD), der für sich in Anspruch nimmt, den organisierten „E-Sport“ bundesweit zu repräsentieren (ESBD, 2018). Allerdings sind dessen Mitgliedsorganisationen vor allem Vereine und Teams, die (professionell) an Wettbewerben von Video- und Computerspielen teilnehmen (ESBD, 2019). Damit liegt hier jedoch keine föderale Verbandsstruktur im Sinne des § 4 DOSB-Aufnahmeordnung vor. Darüber hinaus hat der ESBD keinen Einfluss auf Regeln, Inhalte und Wettkampf‐ strukturen von Video- und Computerspielen, die ausschließlich von den Spieleent‐ wicklern/ -herstellern, z. B. Tencent und Sony, bestimmt werden. Folglich besteht eine organisatorische und wirtschaftliche Abhängigkeit von gewinnorientierten Unterneh‐ men, deren Software und Nutzungslizenzen. Dies definiert wiederum auch enge Gren‐ zen der Partizipation und schließt z. B. situative Anpassungen von Regeln oder Ein‐ flussnahme auf die Spielgestaltung - etwa aus methodischen Überlegungen, also zu Übungs- und Trainingszwecken - aus. „E-Gaming“ vs. „virtuelle Sportarten“ Die sportpolitische Position des DOSB verdichtet sich 2019 dahingehend, dass er in Verbindung mit Video- und Computerspielen den Sportbegriff nicht verwendet bzw. nicht verwendet sehen will, also dem Begriff „E-Sport“ eine Absage erteilt. Stattdessen führt der DOSB die Unterscheidung von „virtuellen Sportarten“ und „E-Gaming“ in die Diskussion ein. Dabei fasst er elektronische Sportartensimulationen, d. h., die Erwei‐ terung bestehender analoger, „realer“ Sportarten in den virtuellen Raum, als „virtuelle Sportarten“. Demgegenüber stehen alle anderen Video- und Computerspiele, die der DOSB mit dem Begriff „E-Gaming“ bezeichnet (Deutscher Olympischer Sportbund, 2018b). Dies ist für den DOSB insofern eine (vermeintlich) attraktive sportpolitische Ent‐ scheidung, als eine solche Integration virtueller Sportsimulationen in den organisierten Sport Anschlussfähigkeit an diese jugendkulturellen Trends signalisiert und der DOSB 41 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 41 <?page no="42"?> sich damit auch alle Optionen hinsichtlich einer zukünftigen Verschränkung analoger und digitaler Welten offen hält. Durch die Ausübung „realer“ Sportarten in virtuellen Umfeldern, etwa im Rahmen von Augmented Reality-Anwendungen, entsteht idealer‐ weise ein zukunftsfähiges „Lern- und Experimentierfeld für Vereine und Verbände“ (Deutscher Olympischer Sportbund, 2018a, S. 4). Damit wendet sich der DOSB offen‐ sichtlich von der Strategie ab, den organisierten Sport „als ‚analoges Refugium‘ in einer zunehmend digitalen Welt“ (Deutscher Olympischer Sportbund, 2018a, S. 5) zu posi‐ tionieren. Dies könnte dem organisierten Sport eventuelle Zielgruppenerweiterungen ermöglichen. Denn nach Empfehlung des DOSB sollen alle Aktiven der „virtuellen Sportarten“ unter den jeweiligen „realen“ Sportarten erfasst und als Mitglieder der Sportvereine und Sportverbände ihrer entsprechenden „realen“ Sportarten geführt werden (Deutscher Olympischer Sportbund, 2018b). Gleichwohl erscheint dies insofern riskant, als der DOSB selbst erkennt, dass es auch „virtuellen Sportarten“ an „der eigenmotorischen, durchweg sportartbestimmenden Bewegung“ (Deutscher Olympischer Sportbund, 2018b) fehlt. Damit stellt der DOSB also das einzige trennscharfe Kriterium zur Disposition. Dies erscheint jedoch in Ein‐ zelfällen an der Schnittstelle von Augmented und Virutal Reality durchaus gerechtfer‐ tigt. Denn mit der Einbettung „realer“ Sportaktivitäten in einen digitalen Rahmen las‐ sen sich Fragen nach der sportartbestimmenden Aktivität möglicherweise nur schwer trennscharf klären, etwa wenn Fußballspieler auf einem realen Spielfeld rennen, passen und schießen, alle aber - z. B. durch VR-Brillen vermittelt - ihre Handlungen in einer digitalen Welt wahrnehmen. Jedoch geht eine solche Strategie zweifellos mit zahlreichen Unwägbarkeiten und Fragen etwa im Hinblick auf die pädagogische Qualität eines (wie auch immer) digi‐ talisierten oder zu digitalisierenden Vereinssports oder Sportunterrichts in den Schulen einher. Dies erscheint nicht zuletzt auch deshalb problematisch, als die umfassende Nutzung digitaler Anwendungen und die damit typischerweise verbundene körperli‐ che Inaktivität gravierende gesundheitliche Risiken für die Gesellschaft bergen. Nicht nur ist Bewegungsmangel ein führender Risikofaktor für gesundheitliche Probleme (z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen), Video- und Computerspiele selbst sind mittlerweile von der WHO als potenziell suchtgefährdende Tätigkeit und damit als Gesundheitsrisiko anerkannt (WHO, 2018). Praxisbeispiel: Die virtuelle Bundesliga (VBL) Ungeachtet aller Diskussionen um den Begriff „E-Sport“ lässt sich am Beispiel des Profifußballs zeigen, dass es mittlerweile bereits Kooperationsformen zwi‐ schen den Organisationen des analogen, „realen“ Fußballs und den Spieleent‐ wicklern digitaler Fußball-Simulationen gibt. Zahlreiche Fußball-Bundesligisten, etwa VfL Wolfsburg, Werder Bremen, VfB Stuttgart, 1. FC Köln, RB Leipzig, und Hertha BSC Berlin, werden bei Video- 42 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 42 <?page no="43"?> und Computerspielen von Spielern und Teams ihrer Klubs repräsentiert. Dabei handelt es sich meist um Spieler/ Teams der Fußball-Simulation „FIFA“, aber z. B. weist der FC Schalke 04 auch ein „League of Legends“-Team aus. In diesem Kontext startete im Januar 2019 die von der Deutschen Fußball Liga (DFL) mitgegründete „Virtual Bundesliga“ (VBL). Die VBL ist ein von EA SPORTS veranstaltetes Videospiel, das als nationale Klub-Meisterschaft von 22 Teams ausgelegt ist. Gespielt wird die Fußball-Simulation „FIFA 19“ auf der XBox von Microsoft und auf der Sony Playstation. An 21 Spieltagen werden jeweils elf Paarungen mit drei Partien ausgetragen. Alle Teams treten einmal gegeneinander an. Je zwei Partien werden im Eins-gegen-Eins gespielt (jeweils eine auf der PlayStation und eine auf der XBox). Das dritte Spiel wird im Zwei-gegen-Zwei auf einer von der Heimmannschaft bestimmten Konsole durchgeführt (Electronic Arts, 2019). Der TV-Sender ProSieben MAXX überträgt live und exklusiv das jeweilige Top-Spiel eines Spieltags. Zusätzlich gibt es auf den Websites ran.de und pro‐ siebenmaxx.de ein Livestream-Angebot (ProSiebenSat.1 Digital, 2019). Kontrollfragen 1. Der moderne Sport entwickelte sich im England des 19. Jahrhunderts aus den ursprünglichen „sports“. Welche Entwicklungsaspekte sind dabei be‐ sonders relevant und wie erklärt sich die weltweite Ausbreitung des Sports? 2. Spezifische Regelwerke machen Sport zu einem besonderen Gesellschafts‐ bereich. Welche typischen Gruppen von Sportregeln sind grundsätzlich un‐ terscheidbar? 3. Sport ist heute allgegenwärtig, weshalb man auch von einer Versportlichung der Gesellschaft spricht. Was ist damit gemeint und inwiefern geht damit zwangsläufig eine Entsportlichung des Sports einher? Welche Stärken/ Schwächen hat diese Kennzeichnung der Sportentwicklung? 4. Heinemann benennt mit seiner Nominaldefinition eine konstituierende Va‐ riable von Sport, die allen sportiven Erscheinungsformen und Varianten ge‐ mein ist. Welche Bestandteile umfasst diese Variable? Welche weiteren, den Sport prägenden Variablen unterscheidet Heinemann? Welche generellen Einwände lassen sich gegen Nominaldefinitionen anführen? 5. Die Realdefinition des Wissenschaftlichen Beirats des DSB basiert auf sieben für Sport konstitutiven Kriterien. Welche sind dies? Welche generellen Ein‐ wände lassen sich gegen Realdefinitionen anführen? 6. Zur Beschreibung der vielfältigen Realität des Sports liegen verschiedene Sportmodelle vor. Welche Unterscheidungen trifft Hägele in seinem Modell? Welche Sportmodelle benennen Digel und Heinemann? Welche Stärken/ Schwächen haben diese Modelle jeweils? 43 2.2 Sport - Gegenstandsbereich der Sportwissenschaft 43 <?page no="44"?> 7. In der Sportwissenschaft wird vereinzelt eine Abkehr vom Sportbegriff oder zumindest eine Ergänzung um den Bewegungsbegriff befürwortet. Welche Argumente sprechen für/ gegen eine solche Ergänzung? 8. Welche Argumente lassen sich für und gegen die Anerkennung (sportbezo‐ gener) Video- und Computerspiele als „E-Sport“ anführen und welche Chan‐ cen/ Risiken können mit einer solchen Anerkennung für den organisierten Sport verbunden sein? Literatur Bernett, H. 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Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass sich das Fach Sportwissenschaft als Singular-Sport‐ wissenschaft und eben überwiegend nicht als Mehrzahl Sportwissenschaften etabliert hat. Lernziele ■ Die Leser lernen relevante Begründungen und damit verbundene Zielset‐ zungen für die Konstituierung der Sportwissenschaft als integrativer Quer‐ schnittwissenschaft kennen. ■ Sie erkennen den Status quo der Wissenschaftsdisziplin Sportwissenschaft, setzen sich kritisch mit ihren Binnendifferenzierungen auseinander und re‐ flektieren Bedingungen disziplinübergreifender sportwissenschaftlicher Forschungsarbeit. Wie bereits hinlänglich deutlich wurde, eignen sich Begriffsbestimmungen von Sport kaum zur Konstituierung des sportwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs. Alle de‐ finitorischen Ansätze werden von theoretischen, weltbildgeprägten Vorentscheidun‐ gen geleitet, die das inhaltliche Verständnis vorab bestimmen. Unterschwellige Inter‐ essen, Vorurteile oder Ideologien spielen für das Begriffsverständnis von Sport eine entscheidende Rolle (Drexel, 1995). Sport bietet außerdem vielfältige thematische An‐ knüpfungspunkte für wissenschaftliche Beobachtungen, z. B. pädagogische Fragen nach den erzieherischen Qualitäten von Sporttreiben, psychologische Fragen nach der 47 2.3 Integrative Sportwissenschaft vs. additive Sportwissenschaften 47 <?page no="48"?> 1 Drexel (2001, S. 10) verweist darauf, dass „die bisherigen Aussagen zu einer ‚integrativen’ oder ‚in‐ terdisziplinären’ Sportwissenschaft bestenfalls abstraktes Programm, im Normalfall aber bloße Uni‐ fikations-Rhetorik, zur gesellschaftlichen Durchsetzung der Institutionalisierung dieser Disziplin“ waren. Motivation zu entbehrungsreichen Trainingsprozessen, soziale Fragen nach den Be‐ dingungen gelingender Kommunikation in Sportmannschaften. Diese unterschiedlichen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen zum Sport er‐ fordern im Forschungsalltag eine intensive Reflexion von Theorien, die typischerweise aus den Mutterwissenschaften wie Soziologie, Psychologie oder Ökonomie übernom‐ men werden. Hinzu kommt jeweils eine entsprechend passende methodische Umset‐ zung. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei der Sportwissenschaft um ein beinahe undurchschaubares Nebeneinander spezialisierter Teildisziplinen, ein Geflecht geistes-, natur- und sozialwissenschaftlicher Zugänge - und eben nicht um eine einheitliche, in sich geschlossene Wissenschaftsdisziplin (Grupe, 1995; Nitsch, 2001; Drexel, 2002). Hinzu kommt, dass selbst innerhalb der Teildisziplinen unterschiedliche Theorien, Terminologien und Modelle miteinander konkurrieren und entsprechende Spezialisie‐ rungen sogar intradisziplinäre Verständigungsprobleme mit sich bringen, z. B. zwi‐ schen System- und Akteurtheorie in der sportsoziologischen Organisationsforschung. Gleichwohl ist seit jeher von der Sportwissenschaft die Rede, die sich „unter der Leitidee der Integration [konstituierte]. Kein loser Verbund von Einzeldisziplinen wollte sie sein, sondern eine Sportwissenschaft, welche die Teildisziplinen in sich vereint“ (Hägele, 1995, S. 90; Hervorhebungen im Original). Deshalb auch die Bezeichnung Sportwissenschaft statt Sportwissenschaften (Grupe, 1995). Eine die sportwissenschaftlichen Teildisziplinen übergreifende Integration ist jedoch auch heute allenfalls wissenschaftspolitisches Ideal. Denn (sport-)wissenschaftliche Er‐ kenntnisgewinne erfordern gerade eigenständige, an spezifischen theoretischen Zu‐ gängen ausgerichtete Forschungsarbeiten. Oder wie Drexel (2002, S. 253) formuliert: „Die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit einer Einheit der Wissenschaften existiert nicht: … es gibt nicht die eine Welt der Sportwissenschaft, nicht die eine Ver‐ nunft zu deren Erkenntnis, nicht die eine Wahrheit über sie.“ 1 Angesichts einer faktisch desintegrierten Forschungsrealität verliert die Vision einer integrativen Sportwissen‐ schaft an Attraktivität und Überzeugungskraft. Sinnbild hierfür sind z. B. jene sport‐ wissenschaftlichen Institute, die in ihrem Titel Sportwissenschaften in der Mehrzahl führen, z. B. das Institut für Sportwissenschaften der Universität Frankfurt am Main, das Institut für Sportwissenschaften der Universität Göttingen, das Institut für Sport und Sportwissenschaften der Universität Kiel. Gleichwohl wird (auch) in der Sportwissenschaft immer wieder die Forderung nach Interdisziplinarität erhoben. Begründet wird dies mit der komplexen Sportrealität, die eine Verknüpfung differenzierter Einzelbefunde erforderlich macht (Nitsch, 2001). Dem steht allerdings die prinzipielle Unübersetzbarkeit der jeweiligen disziplinspezifischen 48 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 48 <?page no="49"?> 2 Diese Verständnis-/ Verständigungsbarriere über Disziplingrenzen hinweg wird auch als Inkommen‐ surabilität bezeichnet (Drexel, 2002; Haverkamp, 2002). Modelle, Theorien und Begriffsverständnisse entgegen. 2 Beispielsweise hat der Begriff Bewegung in der Biomechanik eine andere Bedeutung als in der Anthropologie (Drexel, 2002). Insofern können die in sich „abgeschlossenen Disziplinen … nicht einfach so ohne Weiteres eine gemeinsame Sprache mit gemeinsamen Theorien und Methoden entwickeln, die nicht nur gegenseitiges Verstehen sichert, sondern es gleichzeitig auch erlaubt, einen wirklichen Erkenntnisfortschritt zu garantieren“ (Willimczik, 2011, S. 148). Eine Möglichkeit, Interdisziplinarität herzustellen, wird aus wissenschaftstheoreti‐ scher Perspektive in einer integrativen Theorienbildung gesehen (Nitsch, 2001; Drexel, 2001; Höner, 2002). Allerdings ist dies enorm voraussetzungsvoll, da entsprechende theoretische Perspektiven und Konzepte prinzipiell unvereinbar sind und nicht ohne Weiteres zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Hierfür braucht es Schnitt‐ stellen, die selten offensichtlich sind und mitunter gar nicht existieren (Schürmann & Hossner, 2012). In jedem Fall ist zu prüfen, ob es sich bei einem solchen Vorgehen wirklich um eine Theorien-Integration und nicht bereits um eine Theorien-Neukon‐ struktion handelt (Drexel, 2001). Wissenschaftliche Forschung „zwischen“ Teildisziplinen birgt die große Gefahr einer unzulässigen Vermengung von Erkenntnissen unterschiedlicher Theorien. Interdiszi‐ plinarität ist deshalb typischerweise als Zusammenarbeit über teildisziplinäre Grenzen hinweg zu verstehen - und ist folglich immer multidisziplinär. Gleichwohl bleibt eine Zusammenführung disziplinspezifischer Erkenntnisse auf einer übergeordneten Ebene möglich - und angesichts der komplexen Problemlagen im Sport auch erforderlich (vgl. Abb. 2.3.1). Vor diesem Hintergrund ist die gemeinsame Forschung von Vertretern un‐ terschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen eher als „Transdisziplinarität“ zu konzipieren (Willimczik, 2011). 49 2.3 Integrative Sportwissenschaft vs. additive Sportwissenschaften 49 <?page no="50"?> Abb. 2.3.1: Spannungsfeld integrative Sportwissenschaft vs. additive Sportwissenschaften Bedingung einer inter-/ transdisziplinären Zusammenarbeit ist dabei zunächst, dass sich die Vertreter beider „Disziplinen ihre jeweilige Blindheit für die Fragen vor Augen führen, die aufgrund der paradigmatischen Herangehensweise nicht in den Blick kom‐ men“ (Willimczik, 2011, S. 151). Darüber hinaus bedarf es zwischen den Beteiligten vor allem einer ■ Verständigung über das gemeinsam zu untersuchende Problem und die betref‐ fenden Fragestellungen; ■ Definition gemeinsamer Zielsetzungen der Forschungsarbeit, inklusive gemein‐ samer Standards für die Zielerreichung; ■ Klärung gemeinsamer Begriffsverständnisse; ■ wechselseitigen Beschreibung der jeweiligen disziplinären Erkenntnispotenzi‐ ale inklusive ihrer Relevanz für die gemeinsame Zielerreichung (Nitsch, 2001; Willimczik, 2011). Praxisbeispiel: Sportwissenschaftliche Dopingforschung Regelwidriger Gebrauch von Medikamenten zur Steigerung der Leistungsfä‐ higkeit im Spitzensport wird als Doping bezeichnet. Athleten, Trainer oder Manager verfolgen damit typischerweise das Ziel, Siege wahrscheinlicher und Niederlagen unwahrscheinlicher zu machen - also die Offenheit des Ausgangs sportlicher Wettbewerbe zu eigenen Gunsten zu manipulieren. Solche Regel‐ verstöße gefährden aber nicht nur die Gesundheit der Athleten, sondern gelten auch als Betrug insbesondere an Gegnern und Zuschauern. Doping führt au‐ 50 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 50 <?page no="51"?> ßerdem zu einem schleichenden Glaubwürdigkeitsverlust des Spitzensports, der die für ihn enorm bedeutsamen politischen, wirtschaftlichen und massen‐ medialen Unterstützungsleistungen unsicher werden lässt. Darüber hinaus lei‐ det auch die Attraktivität des Spitzensports für Nachwuchsathleten, die für eine Spitzensportkarriere nicht wissentlich eine medikamentöse Manipulation ihrer Körper eingehen wollen. Relevanz und Komplexität des Dopingproblems sind beispielhaft und geradezu prädestiniert für sportwissenschaftliche Analysen. Die Bearbeitung damit ver‐ bundener ethischer, juristischer, organisatorischer, ökonomischer, pädagogi‐ scher, psychologischer und soziologischer Forschungsfragen setzt dabei immer eine Orientierung an disziplinspezifisch relevanten Theorien sowie eine An‐ wendung entsprechender Methoden voraus: Sportpädagogen interessieren sich z. B. für Möglichkeiten, wie mittels Informa‐ tion und Aufklärung Fairplay und bewusster Verzicht auf leistungssteigernde Medikamente erreicht und somit Dopingprävention angeregt werden kann. Nach gesellschaftlichen und insbesondere spitzensportspezifischen Rahmen‐ bedingungen und Systemzwängen - die als sozialer Nährboden von Doping fungieren und Entscheidungsoptionen der Athleten limitieren - fragen hinge‐ gen Sportsoziologen. Inwiefern Doping auf bestimmte Persönlichkeitsdispositi‐ onen von Athleten oder Trainern zurückgeführt werden kann und welche Ef‐ fekte Doping auf die Selbstwahrnehmung der Beteiligten sowie deren Identitätsbildung hat, beleuchten Sportpsychologen. Sportökonomen wiederum reflektieren wirtschaftliche Chancen/ Risiken des Dopings für Athleten, Trai‐ ner, Sportverbände oder Sponsoren und diskutieren ökonomische Sanktion‐ spotenziale des Sportbetrugs. Sportrechtlich sind insbesondere juristische Sank‐ tionsmöglichkeiten von Doping, Gültigkeitsbereiche von Sportverbandsrecht und staatlichem Recht sowie das Verhältnis nationaler und internationaler Rechtssysteme von Interesse. Eine Zusammenführung dieser disziplinären Erkenntnisse im Sinne eines sportwissenschaftlichen Zugangs erscheint angesichts der Komplexität des Do‐ pingphänomens sehr erstrebenswert und ist beispielsweise im Rahmen ge‐ meinsamer, disziplinübergreifender Forschungsverbünde denkbar. Kontrollfragen 1. Trotz des weitgehend diffusen Gegenstandsbereichs Sport konstituierte sich die Sportwissenschaft als integrative Singular-Disziplin. Welche Begrün‐ dungen und Zielsetzungen waren damit verbunden? 2. Dem Anspruch einer in sich geschlossenen Querschnittsdisziplin wird die Sportwissenschaft bis heute kaum gerecht. Welche Triebkräfte führten zur Binnendifferenzierung der Sportwissenschaft und inwiefern setzt wissen‐ 51 2.3 Integrative Sportwissenschaft vs. additive Sportwissenschaften 51 <?page no="52"?> schaftliche Erkenntnis eine Orientierung an disziplinären Theorien und Me‐ thoden geradezu voraus? 3. Auch in der Sportwissenschaft wird disziplinübergreifende Zusammenar‐ beit immer wieder eingefordert. Welche Barrieren sind dabei typischerweise zu überwinden und welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Inter-/ Transdisziplinarität gelingen kann? Literatur Drexel, G. (1995). Zur Paradigmenabhängigkeit des Erkennens, Bestimmens und Verstehens der Gegenstände der Sportwissenschaft. In H. Digel (Hrsg.), Sportwissenschaft heute: eine Gegen‐ standsbestimmung (S. 99-134). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Drexel, G. (2001). Antworten zu einigen Fragen bezüglich „interdisziplinärer Theorienbildung“. Ze-phir, 8 (2), 8-13. Drexel, G. (2002). Paradigmen in Sport und Sportwissenschaft. Schorndorf: Hofmann. Grupe, O. (1995). Uneingelöste Ansprüche. Vergessene Interdisziplinarität. In H. Digel (Hrsg.), Sportwissenschaft heute: eine Gegenstandsbestimmung (S. 151-160). Darmstadt: Wissenschaft‐ liche Buchgesellschaft. Hägele, W. (1995). Integrative Sportwissenschaft: Leitidee oder Utopie? In H. Digel (Hrsg.), Sportwissenschaft heute: eine Gegenstandsbestimmung (S. 90-98). Darmstadt: Wissenschaftli‐ che Buchgesellschaft. Haverkamp, N. (2002). Zum Problem der Inkommensurabilität bei der interdisziplinären Theo‐ riebildung. Ze-phir, 9 (1), 18-25. Höner, O. (2002). Der Strukturalismus als metatheoretische Perspektive für interdisziplinäre Theorienbildung in der Sportwissenschaft. Sportwissenschaft, 32, 32-47. Nitsch, J. R. (2001). Interdisziplinäre Theorienbildung - eine Problemanalyse. Ze-phir, 8 (2), 18- 33. Schürmann, V. & Hossner, E.-J. (2012). Interdisziplinäre Sportwissenschaft: Vom Umgang mit Perspektivität. Spectrum der Sportwissenschaften, 24 (1), 41-52. Willimczik, K. (2011). Sportwissenschaft interdisziplinär. Ein wissenschaftstheoretischer Dialog. Band. 4: Die sportwissenschaftlichen Teildisziplinen in ihrer Stellung zur Sportwissenschaft. Hamburg: Czwalina. 52 2 Sportwissenschaft als Fachdisziplin (Marcel Fahrner) 52 <?page no="53"?> 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen Das vielfältige Phänomen Sport eröffnet zahlreiche thematische Anknüpfungspunkte für wissenschaftliche Beobachtungen, z. B. pädagogische Fragen nach den erzieherischen Qualitäten von Sporttreiben, psychologische Fragen nach der Motivation zu entbeh‐ rungsreichen Trainingsprozessen, soziale Fragen nach den Bedingungen gelingender Kommunikation in Sportmannschaften. Diese unterschiedlichen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen zum Sport erfordern im Forschungsalltag eine intensive Reflexion von Theorien, die typischerweise aus den Mutterwissenschaften wie Soziologie, Psycho‐ logie oder Ökonomie übernommen werden. Orientiert an jeweiligen geistes-, natur-, so‐ zial- und wirtschaftswissenschaftlichen Zugängen haben sich folglich zahlreiche spezia‐ lisierte sportwissenschaftliche Teildisziplinen entwickelt, sodass die Sportwissenschaft heute keine einheitliche, in sich geschlossene Wissenschaftsdisziplin darstellt. Historisch gesehen zählen dabei beispielsweise Sportpädagogik, Sportgeschichte, Sportmedizin, Bewegungswissenschaft, Trainingswissenschaft, Sportpsychologie, Sportsoziologie und Sportphilosophie zu den älteren, „klassischen“ sportwissenschaft‐ lichen Teildisziplinen. Als Reaktion auf jüngere Entwicklungen der Sportpraxis, die neue - z. B. juristische oder wirtschaftliche - Problem- und Fragestellungen mit sich bringen, differenzierten sich die sportwissenschaftlichen Erkenntnisinteressen ent‐ sprechend aus. Infolgedessen etablierten sich weitere disziplinäre Perspektiven, etwa Sportethik, Sportrecht, Sportökonomik und Sportpublizistik. Die große Zahl sportwis‐ senschaftlicher Teildisziplinen erfordert an dieser Stelle eine Auswahl. 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) Historisch betrachtet stand die Sportpädagogik am Anfang der Sportwissenschaft, wenn man die Erzieher des ausgehenden 18. Jahrhunderts als Sportpädagogen ansieht (Grupe & Krüger, 2007; Prohl, 2010). Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren Erfah‐ rungen und Vorstellungen einzelner Lehrer über den erzieherischen Wert von Gym‐ nastik, Turnen oder Leibesübungen. Sie führten zunächst zu einer Aufwertung und <?page no="54"?> einem pädagogischen Umgang mit Bewegung, später dann zu einer wachsenden ge‐ sellschaftlichen Bedeutung und Politisierung (Prohl, 2010). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich mit der Theorie der Leibeserziehung ein erstes Theoriege‐ bäude, das als bildungstheoretisch bezeichnet werden kann, weil es davon ausging, dass Leibeserziehung zur Gesamterziehung von Kindern und Jugendlichen gehören muss. Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung des Sports und seiner damit einhergehenden Verwissenschaftlichung wurde erstmals 1969 von der Sportpädagogik als Teilgebiet der sich ebenfalls entwickelnden Sportwissenschaft gesprochen. Heute ist die Sportpädagogik eine von vielen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen, in deren Fokus die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bildung und Erziehung in sport‐ lichen Kontexten steht (Grupe, 1984; Grupe & Kurz, 2003). Allerdings kennzeichnet sie ebenfalls eine Nähe zur Erziehungswissenschaft (Prohl, 2013, S. 6), auch wenn ihr dor‐ tiger Stellenwert als „ernüchternd gering“ (Beckers, 2001, S. 25) bezeichnet werden kann und die Sportpädagogik sich eher unabhängig von der Erziehungswissenschaft entwickelt hat (Grupe, 2001, S. 13). Eine Auseinandersetzung mit der Sportpädagogik und ihres „state of the art“ ist im Rahmen einer größeren Anzahl sportwissenschaftlicher Studiengänge, aber auch vieler anderer Ausbildungen im Bereich des Sports unabdingbar, wofür folgende Gründe, Entwicklungen und Überlegungen sprechen: ■ Traditionell hat sich die Sportpädagogik auf den Schulsport konzentriert (Grupe & Kurz, 2003, S. 527) und tut dies mit Blick auf die erzieherische Funktion von Schulsport immer noch (Fessler, Hummel & Stibbe, 2010; Serwe, 2011), sodass sie für akademisch gebildete Sportlehrkräfte zur Berufs- und Beratungswissen‐ schaft geworden ist (Haag & Hummel, 2001; Hummel, 2012; Prohl, 1994; Prohl & Gröben, 1997). ■ Allerdings hat sich die Sportpädagogik auch anderen Altersgruppen und Set‐ tings geöffnet. Dies hatte und hat zur Folge, dass heute ebenso die Einflüsse von Training und Wettkampf, Gesundheit, Abenteuer, Freizeit etc. hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Erziehung und Bildung untersucht werden (Grupe & Kurz, 2003; Haag & Hummel, 2001; Prohl & Lange, 2004). Damit wird sie zum Inhalt von Bachelor- und Master-Studiengängen unterschiedlichster Schwerpunkte und Profilierungen. ■ Schließlich bezeichnet die Sportpädagogik sowohl pädagogisches Handeln und sportpädagogische Praxis als auch das Reflektieren über diese sportpädagogi‐ sche Praxis in wissenschaftlichen Diskursen (Grupe & Krüger, 2007, S. 17). Damit ist letztendlich die Absicht verbunden, sportpädagogische Praxis zu verbessern. Insofern sind die Sportpädagogik und ihre Erkenntnisse auch für alle prakti‐ schen Tätigkeiten, wie Unterrichten, Trainieren und Lehren, von Bedeutung. Die Sportpädagogik ist folglich aus ihrem ursprünglichen Schatten einer reinen Schul‐ sportorientierung herausgetreten und befasst sich in der Zwischenzeit mit nahezu allen Bereichen des Sports. Deshalb kann sie die Bearbeitung ihrer zentralen Fragestellungen 54 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 54 <?page no="55"?> nach Erziehung und Bildung in sportlichen Kontexten nicht allein aus sich heraus vor‐ nehmen, sondern muss auch Ergebnisse aus anderen sportwissenschaftlichen Diszi‐ plinen, z. B. der sportpsychologischen Lernforschung (Schmidt & Conzelmann, 2011; Tietjens, Ungerer-Röhrich & Strauß, 2007), der trainingswissenschaftlichen Belas‐ tungsforschung (König, 2011; Thienes & Baschta, 2016) oder der bewegungswissen‐ schaftlichen Motorikforschung (Lutz, 2018; Scherer, 2015), aufnehmen und diese mit Blick auf deren Auswirkungen auf Bildung und Erziehung diskutieren (Grupe & Kurz, 2003, S. 527). Lernziele ■ Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Sportpädagogik be‐ schäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Sportpädagogik entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihrer Mutter‐ wissenschaft bestehen. ■ Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Sportpädago‐ gik kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Sportpädagogik den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Problem-/ Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportpädagogik zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungser‐ gebnissen beimisst. 3.1.1 Einführung - Phänomene und Themen der Sportpädagogik Blickt man aus heutiger Sicht auf die Sportpädagogik als Teildisziplin der Sportwis‐ senschaft, können ihre Grundfragen und Aufgaben in Anlehnung an Prohl (2010, S. 13-15) in einem ersten Schritt folgendermaßen umrissen werden: ■ Die Sportpädagogik begründet ihr wissenschaftliches Tun in der philosophi‐ schen Lehre vom Menschen, der Anthropologie, deren Vorannahmen - etwa in Form von Menschenbildern - jegliche erzieherische Entscheidung beeinflussen. ■ Sie orientiert sich einerseits an Theorien und Themen der Erziehungswissen‐ schaft, arbeitet andererseits aber auch mit dem Methodeninventar der Sport‐ wissenschaft. ■ Sie versucht, die Sportdidaktik als Theorie des Lehrens und Lernens sowie des Sportunterrichts zu beraten. Vor diesem Hintergrund ist zum einen eine bildungstheoretische Perspektive der Sport‐ pädagogik in den Blick zu nehmen. Diese wird in der Regel als normativ bezeichnet 55 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 55 <?page no="56"?> und befasst sich mit der Frage, welchen spezifischen Beitrag die Bewegungskultur zur Bildung des Menschen leisten kann. Diese Perspektive war und ist untrennbar mit der geisteswissenschaftlichen Pädagogik verbunden (Grupe & Krüger, 2007, S. 26; Gudjons, 2008, S. 30-32; Prohl, 2010, S. 17-18). Seit einigen Jahren erlebt sie im Rahmen der Dis‐ kussion um den Auftrag des Schulsports wieder eine deutliche Rennaissance (Balz, 2009; Beckers, 2001; Neuber, Golenia, Krüger & Pfitzner, 2013). Dem ist eine erfahrungswissenschaftliche Perspektive gegenüberzustellen, die mittels sozialwissenschaftlicher Verfahren sportpädagogisch relevante Phänomene beschrei‐ ben, analysieren und möglichst auch erklären möchte. Ihr geht es um die Erhebung und Prüfung von Tatsachen der Erziehungswirklichkeit (Prohl, 2010, S. 18). Betrachtet man diese beiden generellen Perspektiven als grundlegende Positionen, lassen sich in einem weiteren Schritt und in Anlehnung an Meinberg (1981), Scherler (1992) sowie Grupe und Krüger (2007) folgende zentralen Subdisziplinen der Sportpä‐ dagogik benennen: Eine Historische Sportpädagogik befasst sich mit der Geschichte des Gegenstands von Sportpädagogik, also insbesondere mit der Frage ihrer Entstehung, aber auch mit den erzieherischen Absichten, die mit Gymnastik, Turnen, Leibesübungen und Sport in un‐ terschiedlichen Epochen verfolgt wurden. Beispiel hierfür ist etwa eine problemge‐ schichtliche Betrachtung gesellschaftlicher Interessen und politischer Strömungen im 19. Jahrhundert, die letztendlich zur Institutionalisierung von Turnen als Schulfach ge‐ führt haben und somit im Kern sportdidaktische Konzeptionen der Neuzeit durchaus beeinflussen (Hummel & Balz, 1995). Im Detail wird auf diesen Bereich der Sportpäda‐ gogik in Kapitel 3.1.2 eingegangen. Die Systematische Sportpädagogik ist nach Scherler (1992) als Gegensatz zur histo‐ rischen Perspektive zu sehen und bemisst den Erkenntnisgewinn folglich und aus‐ schließlich an der Gegenwart. Demzufolge sind Themen wie die erkenntnis- oder handlungstheoretische Basis der Sportpädagogik, ihre wissenschaftstheoretische Dis‐ kussion und Positionierung sowie ihre methodologische Konzeption von zentralem Interesse (Scherler, 1992, S. 164). Exponierte Beispiele in der Entwicklung der Sportpä‐ dagogik hierfür sind zum einen die von Kurz (1992) und Scherler (1992) geführte Dis‐ kussion, ob die Sportpädagogik eine Teildisziplin der Sportwissenschaft oder aber in‐ tegrativer Kern ist, sowie die von Krüger und Grupe (1998) formulierten Thesen zum Erhalt des Begriffs „Sportpädagogik“ und gegen die Einführung eines Terminus „Be‐ wegungspädagogik“. Die Analyse der Sportpädagogik ist viele Jahre fast ausschließlich mit Blick auf ihre Entwicklung in Deutschland geführt worden (Grupe & Krüger, 2007; Prohl, 2010). Demgegenüber betrachtet die Vergleichende Sportpädagogik die Rolle von Bewegung, Spiel und Sport und deren Stellung in erzieherischen Kontexten in anderen Ländern oder Kulturen. Beispiele hierfür sind in jüngster Zeit verstärkt durchgeführte Analysen von Schulsportkonzepten in Europa (Onofre et al., 2012a, 2012b; Richter, 2007), die länderspezifische Leitideen schulischen Sportunterrichts heraus- und gegenüberstel‐ len. Hierbei werden beispielsweise unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zwischen 56 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 56 <?page no="57"?> Bewegungs- (Niederlande), Gesundheits- (Finnland) und Sporterziehung (Deutsch‐ land) deutlich. Die Anthropologische Sportpädagogik ist organisch aus der Theorie der Leibeserzie‐ hung hervorgegangen (Grupe & Krüger, 2007, S. 343). Meinberg (1981, S. 11-12) sieht in ihr eine Verknüpfung von anthropologischen Ansätzen mit fachdidaktischen Mo‐ dellen, um Wesenszüge des Menschen für didaktische Entwürfe aufzuarbeiten. Ein Beispiel für solche Überlegungen sind spieltheoretische Ansätze, mit deren Hilfe etwa Sutton-Smith (1978) und Grupe (1982) versucht haben, Gründe, Ursachen und Erklä‐ rungsansätze menschlichen Spielens zu beschreiben. Hierbei steht der Mensch zwar im Mittelpunkt, allerdings wäre eine anthropologische Vorgehensweise einseitig, wenn sie nur den Menschen in seiner Individualität betrachten würde. Vielmehr müssen auch kulturelle, soziale und gesellschaftliche Einflüsse auf das menschliche Handeln be‐ rücksichtigt werden. Damit wird auch der Gefahr entgangen, den Menschen nur als eine Konstante zu sehen; gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten verändern sich und ein solcher Wandel führt immer auch zu einer Veränderung des menschlichen Verhaltens; jüngstes Beispiel hierfür ist der enorme Aufschwung von E-Sport (Borg‐ grefe, 2018; Wendeborn, Schulke & Schneider, 2018). Die Schulsport-Pädagogik, die sich in Anlehnung an die Schulpädagogik mit Erzie‐ hung und Bildung im Schulsport befasst, steht in einem besonderen Spannungsfeld: Sie ist es, die einerseits der Fachdidaktik pädagogische Begründungen für Unterrichtsziele und -inhalte zu liefern hat (Prohl, 2010, S. 16), demgegenüber aber besonders kritisch die Erkenntnisse anderer sportwissenschaftlicher Teildisziplinen berücksichtigen muss (Kurz, 1992). Eng mit ihr verbunden ist deshalb die Fachdidaktik Sport, die wiederum in engem Zusammenhang mit einer Didaktik und Methodik der Sportarten bzw. der Sportaktivitäten steht (Grupe & Krüger, 2007, S. 85). Aktuelle Beispiele für schulsport‐ pädagogische Forschungsfragen sind unter anderem, welche Rollen Bewegung, Spiel und Sport in der Ganztagesschule (Naul, 2011) oder im schulischen Innovationsprozess respektive einer Schulprogrammentwicklung spielen, ob und wie Lehrpläne von der administrativen in die Unterrichtsebene transformiert werden können (Baumberger, 2018; Kölner Sportdidaktik, 2016) und inwiefern fachdidaktische Leitideen weiter zu entwickeln sind (Balz, 2009; Serwe, 2011; Stibbe, 2004; Thiele & Schierz, 2011). Schließlich ist die Außerschulische Sportpädagogik zu nennen, deren Aufgabe darin besteht, Fragen von Erziehung und Bildung in sportlichen Kontexten außerhalb der Schule wissenschaftlich zu beleuchten. Spielte sie lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle in der Sportpädagogik, ist sie heute mit ihren Themenfeldern der Freizeit-, Ge‐ sundheits- oder Leistungserziehung (Haag & Hummel, 2001) nicht mehr wegzudenken, zumal sie in der Zwischenzeit nicht nur für Sportlehrkräfte, sondern auch für Trainer und Übungsleiter zur Berufswissenschaft wurde (Haag & Hummel, 2001, S. 8). Beispielhaft kann die außerschulische Sportpädagogik am Thema einer edukativen Sportgeragogik (Pache, 2001) erläutert werden. Hierbei geht es um die Bildung älterer Menschen mittels Bewegung unter der Zielsetzung des lebenslangen Lernens - ein Thema, dessen zuneh‐ mende Bedeutung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels erst richtig deut‐ 57 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 57 <?page no="58"?> lich wird. Vergleichbare Überlegungen sind vor allem im Gesundheitssport, aber auch im Vereinssport wahrzunehmen. Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass die Sportpädagogik ei‐ nerseits zwei grundlegende wissenschaftliche Positionen - eine bildungstheore‐ tisch-normative und eine erfahrungswissenschaftlich-empirische - verkörpert, auf die im Rahmen der methodologischen Überlegungen und Analysen in Kapitel 3.1.3 noch näher einzugehen ist. Andererseits besteht die Sportpädagogik aus mehreren Subdisziplinen, die unterschiedliche thematische Schwerpunkte bear‐ beiten. Sie verdeutlichen letztendlich auch die Möglichkeit von interdisziplinärer Forschung mit Disziplinen außerhalb der Sportpädagogik sowie der Sportwis‐ senschaft; u. a. mit der Kulturanthropologie für die vergleichende Sportpädagogik und der Wissenschaftstheorie für die systematische Sportpädagogik (Grupe & Krüger, 2007; Scherler, 1992). Entscheidend ist bei all diesen charakteristischen Merkmalen und Phänomenen aller‐ dings auch die bereits zu Beginn angedeutete Überlegung, dass sportpädagogische Forschung und Lehre immer auch praktisches Unterrichtshandeln im Fokus hat (Grupe & Krüger, 2007, S. 17). Verbunden damit ist letztendlich eine Besinnung auf berufliche Anforderungs- und Anwendungsfelder, die im Zuge einer Zunahme zentrifugaler Kräfte in der Sportwissenschaft zunehmend verloren ging. Dieser Berufsfeldbezug, der den Zusammenhalt der sportwissenschaftlichen Teildisziplinen wesentlich beein‐ flusste, ist in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Gerade in diesem Zu‐ sammenhang steht die Sportpädagogik in einer besonderen Verantwortung, war doch die Entstehung und Etablierung der modernen Sportwissenschaft ursächlich mit den Erfordernissen einer wissenschaftlichen Sportlehrerausbildung und damit insbeson‐ dere mit einem sportpädagogischen Ansatz verknüpft (Hummel, 2012). 3.1.2 Entstehung und Entwicklung der Sportpädagogik Mit Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung der Sportpädagogik wird nach Prohl (2010) eine problemgeschichtliche Perspektive eingenommen, deren Aufgabe es ist, Fragen der Erziehung und Bildung durch Bewegung in historischen Kontexten zu analysieren. Bei diesem Vorgehen ist man sich heute einig, dass das ausgehende 18. Jahrhundert bzw. das Zeitalter der Aufklärung als Phase des „take off “ (Cachay, 1988) zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund sind folgende Etappen und Epochen als Meilen‐ steine der Entwicklung der Sportpädagogik zu betrachten: Der französische Pädagoge Rousseau (1712-1778) gilt als Wegbereiter der modernen Leibeserziehung und damit als Ahnherr der Sportpädagogik (Krüger, 2005, S. 26). Seine große Leistung bestand darin, dass er - erfüllt von einer radikalen Kritik an der Ge‐ sellschaft und der Erziehungspraxis seiner Zeit (Dietrich & Landau, 1990, S. 17; Prohl, 2010, S. 25) - in seinem Roman „Émile“ (1762) eine Vielzahl grundlegender Gedanken über die Erziehung und die Rolle von Körper, körperlichen und sinnlichen Erfahrungen 58 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 58 <?page no="59"?> sowie von Spiel und Körpertraining für die Erziehung entwickelte (Krüger, 2005, S. 28). Allerdings wird menschliche Bewegung bei Rousseau nicht für sich oder in ihrer me‐ chanisch-körperlichen Entwicklung betrachtet, sondern als ein Medium, mit dem das Kind die Welt in Erfahrung bringt und dabei Urteilskraft entwickelt (Dietrich & Landau, 1990, S. 19). Somit kann gesagt werden, dass die Wirkung, die Rousseau auf die Ent‐ wicklung der Sportpädagogik hatte, in der Tatsache liegt, dass er erstmalig die Leib‐ lichkeit des Menschen in den Mittelpunkt erzieherischer Überlegungen stellte (Cachay, 1988, S. 112; Dietrich & Landau, 1990, S. 20; Krüger, 2005, S. 28). Als Begründer einer Theorie der Leibeserziehung und damit letztendlich auch der Sportpädagogik gelten heute die Philanthropen, ein Kreis von Reformpädagogen in Deutschland, die sich Ende des 18. Jahrhunderts zusammenfanden, um unter anderem auch das Programm Rousseaus umzusetzen. Ihr von Bildungsoptimismus geprägtes Erziehungskonzept (Prohl, 2010, S. 30) zielte darauf ab, dass die Zöglinge vor allem vernünftig und natürlich erzogen wurden, um zu tüchtigen, praktischen und aufge‐ klärten Bürgern zu werden. In diesem Bestreben spielte auch die Gymnastik eine we‐ sentliche Rolle, wobei die Philanthropen diese Form der Leibesübungen unter rein funktionalen Nützlichkeitsaspekten betrachteten (Krüger, 2005, S. 29). Allerdings war das praktische Tun nur eine Seite der philanthropischen Bewegung; die andere war eine für die damalige Zeit stattliche Anzahl an Veröffentlichungen, die sich theoretisch mit dem Gegenstand der Leibesübungen auseinandersetzte (Grupe & Krüger, 2007, S. 126). Insofern können die Philanthropen als Begründer und Wegbereiter einer ersten pädagogischen Theorie der Leibeserziehung bezeichnet werden, wobei GutsMuths (1759-1839) und sein Buch „Gymnastik für die Jugend“ (1793) besonders hervorzuhe‐ ben sind. Jahn (1778-1852) prägte die erzieherischen Momente von Leibesübungen in einer völlig anderen Art und Weise. Aufgrund der politischen Situation Anfang des 19. Jahr‐ hunderts in Deutschland (u. a. französische Hegemonie, Kleinstaatentum) trat er an, Turnen unter der Leitidee einer Nationalerziehung zu realisieren. Zu diesem Zweck gründete er 1811 den ersten Turnverein in Berlin auf der Hasenheide. Damit wollte Jahn letztendlich durch Leibesübungen, die er Turnen nannte, zur politischen Erzie‐ hung seiner Zöglinge beitragen. Er tat dies, indem er sich mit seiner Turnbewegung an einer aus vielen Facetten bestehenden Nationalbewegung orientierte (Krüger, 2005, S. 43). Im Vergleich zu den Philanthropen und hier vor allem zu GutsMuths ging es Jahn weniger um eine individuelle Erziehung, sondern vielmehr um das „Vaterland“, also um eine gesellschaftliche bzw. politische Zielsetzung. Unabhängig von diesen Unter‐ schieden ist festzuhalten, dass auch das Jahnsche Turnen eine sportpädagogische Kon‐ zeption verkörpert, in deren Zentrum Leibesübungen als Instrument der Erziehung standen. Nach dem Schulturnerlass von 1842, der die gesetzliche Grundlage dafür schuf, dass Leibeserziehung in den Kreis der Volkserziehungsmittel aufgenommen wurde, sorgte Spieß (1810-1858) für eine inhaltliche Gestaltung des Schulturnens. Mit seinen Frei-, Ordnungs- und Gerätübungen entwickelte er ein Konzept, das der formalen und au‐ 59 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 59 <?page no="60"?> toritären Ordnung der Restauration in den deutschsprachigen Staaten nachkam (Ca‐ chay, 1988, S. 182). Auf diese Weise gelang es ihm, Turnen unterrichtsfähig zu machen und als reguläres Fach zu etablieren. Damit leistete Spieß - trotz seiner reaktionären Ausrichtung - Bahnbrechendes für das Fach und die Sportpädagogik, zumal seine Vor‐ stellungen auch vorsahen, dass der Unterricht von wissenschaftlich gebildeten Lehrern erteilt wurde (Grupe & Krüger, 2007, S. 136). Aus diesem Grund wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Turnleh-rerbildungsanstalten aufgebaut, in denen sportpäda‐ gogisches Wissen vermittelt wurde. Mit Blick auf die oben diskutierten Konzepte kann festgehalten werden, dass Spieß einerseits mit einer fast pedantischen Systematik zeigte, dass Turnen für einen geregelten Unterrichtsbetrieb geeignet war, und ande‐ rerseits - durch die Einführung und den Bau von Turnlehrerbildungsanstalten forciert - dafür sorgte, dass pädagogisch qualifizierte Fachkräfte ausgebildet wurden, was letztendlich auch zu einer großen Anzahl von Lehrbüchern und Schriften über Turnen führte (Grupe & Krüger, 2007; Krüger, 2005). Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sorgten verschiedene Ereignisse und Strömungen dafür, dass zunehmend eine Abkehr vom Spießschen Gliederpuppentur‐ nen erfolgte. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere reformpädago‐ gische Entwicklungen (Neuber et al., 2013, S. 413-414), aber vor allem auch die Ju‐ gendbewegung sowie die Spielbewegung, die durch den Spielerlass von 1882 enormen Aufschwung erfuhr. Insbesondere letztere richtete sich gegen die verschulte Künst‐ lichkeit des Spießschen Turnens (Dietrich & Landau, 1990, S. 25). Diese Gedanken wur‐ den durch Gaulhofer und Streicher mit ihrem Konzept des Natürlichen Turnens in die sportpädagogische Diskussion eingeführt. Grundgedanken dieser Phase der sportpä‐ dagogischen Entwicklung waren zum einen ein Rückgriff auf Rousseau und zum an‐ deren die Integration natürlicher Bewegungsformen. Natürliches Turnen bedeutet folglich Turnen und Leibeserziehung vom Kinde aus, d. h., Kinder sollen von sich aus Bewegungsformen entdecken und selbsttätig Aufgaben lösen (Grupe & Krüger, 2007, S. 146). Kinderturnen an Schulen hatte deshalb vom Grundsatz auszugehen, die natür‐ lichen Bewegungen der Kinder zu erhalten und zu entfalten (Prohl, 2010, S. 47). Fasst man diese Grundannahmen des Natürlichen Turnens zusammen, wird deutlich, dass es sich hierbei um eine sportpädagogische Konzeption handelt, in deren Mittelpunkt das Individuum stand, dessen Potenziale mit Bewegung zu fördern sind. Die bis zu diesem Punkt beschriebene Entwicklung der Sportpädagogik erfährt 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten einen Bruch, da das Erziehungssys‐ tem ab diesem Zeitpunkt den ideologischen Zielen der Partei (NSDAP) gleichgeschaltet wurde. Damit gab ausschließlich der Staat pädagogische Zielsetzungen und Inhalte vor, was die Leibeserziehung in den Dienst der menschenverachtenden Rassenideologie stellte. Insofern wird dieser zeitliche Abschnitt auch als politische Leibeserziehung be‐ zeichnet, eine Konzeption, die später in der DDR und der Sowjetunion (Grupe & Krüger, 2007, S. 160; Prohl, 2010, S. 60), aber auch in Ländern Lateinamerikas weiterverfolgt wurde. Für die heutige Sportpädagogik hat dieser Ansatz zumindest in Europa aller‐ dings fast keine Bedeutung mehr. 60 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 60 <?page no="61"?> Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Theorie der Leibeserziehung an‐ knüpfend an den pädagogischen Vorstellungen der Weimarer Zeit und damit an den Zielen und Inhalten des Natürlichen Turnens. Konsequenterweise standen erzieherische Aspekte wieder im Mittelpunkt sportpädagogischen Denkens, wobei die grundlegende Annahme darin bestand, dass Leibeserziehung ein unverzichtbarer Bestandteil der Ge‐ samterziehung zu sein habe. In der Folge wurden fachdidaktische Konzepte entwickelt, die aufzeigten, inwieweit allgemeine Bildungsgehalte (z. B. Spielen oder Wetteifern) anhand konkreter Bildungsinhalte (z. B. Handball) vermittelt werden konnten, welche letztendlich zu jener wünschenswerten Gesamtverfassung des Menschen - der Bildung - beitragen. Mit dieser Annahme ist eine eher distanzierte Position zu dem sich ständig entwickelnden und ausdifferenzierenden Sport verbunden, da die erzieherischen Mo‐ mente von Leibesübungen eindeutig dominierten. Die besondere Leistung dieser Phase in der Entwicklung der Sportpädagogik war, Leibesübungen nach dem politischen Missbrauch durch die Nationalsozialisten wieder als demokratischen Inhalt schulischer Bildung und Erziehung akzeptabel zu machen. Dies schlug sich unter anderem in einem Schulsportdokument, den Empfehlungen zur Förderung der Leibeserziehung (1956), und einer Fülle fachdidaktischer Entwürfe nieder, womit das Fach Leibeserziehung ab Mitte der 1950er Jahre wieder an Bedeutung gewann. Mit der kontinuierlichen Verbreitung des Sports in der Gesellschaft und im Vorfeld der Olympischen Spiele von München 1972 wurde eine Abkehr von der Theorie der Leibeserziehung immer deutlicher; zu theoretisch und zu abstrakt waren die dort ver‐ tretenen sportpädagogischen Überlegungen und vor allem zu weit von der Unter‐ richtspraxis und ihren methodischen Anforderungen entfernt. Darüber hinaus wurde im Kontext lern- und curriculumtheoretischer Überlegungen die Qualifizierung der Heranwachsenden eine zunehmend wichtige Aufgabe von Schule. Diese Entwicklun‐ gen führten zum Entstehen einer Theorie des Sportunterrichts. In deren Fokus stand eindeutig die Qualifizierung für den außerschulischen Sport, was für die Entwicklung der Sportdidaktik weitreichende Konsequenzen hatte. Es ging nicht mehr um die Ver‐ mittlung bildender Gehalte, sondern um die Vermittlung von Fertigkeiten, Fähigkeiten und auch Kenntnissen, womit letztendlich auch eine sportmethodische Perspektive in den Blick rückte. Eng mit diesen Überlegungen verbunden war die Operationalisierung von Lernzielen (Überprüfbarkeit) im Dienste qualifizierender Maßnahmen. Dieser sportpädagogische Paradigmenwechsel, der im Übrigen zu einem weiteren Schulsport‐ programm, dem 1. Aktionsprogramm für den Schulsport von 1972, führte, hatte nach‐ haltige Folgen, da ab diesem Zeitpunkt schulischer Sportunterricht eine hohe Affinität zum außerschulischen Sport entwickelte. Systematisiert man an dieser Stelle die bis hierher dargestellten sportpädagogischen Konzeptionen, lassen sich in Anlehnung an Prohl (2010) zwei Argumentationsfiguren herausarbeiten, die erzieherisches Wirken im Setting Bewegung seit den Anfängen bis heute kennzeichnen: 61 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 61 <?page no="62"?> 1. Das erste Argument findet sich bei Rousseau, bei den Reformpädagogen, vor allem aber in der Theorie der Leibeserziehung. Es geht vom Subjekt aus, d. h., die Erziehung des Kindes oder des Jugendlichen und das, was für sie gut ist, stehen im Mittelpunkt. Wenn also heute argumentiert wird, dass Heranwach‐ sende eine ganzheitliche Erziehung benötigen und diese auch eine körperliche Komponente zu umfassen habe, entspricht das einer aktuellen Konkretisierung dieser Denkweise. Die heute verwendete Formulierung diesbezüglich lautet Er‐ ziehung durch Sport; ihr Ziel ist letztendlich eine Persönlichkeitsbildung. Ein sol‐ cher Ansatz entspricht formalen Bildungskonzepten, die auf die Förderung der Kräfte, Fähigkeiten und Dispositionen des Individuums abzielen (Prohl, 2010). 2. Das zweite Argument setzt an gesellschaftlichen Fragen, Problemen oder wün‐ schenswerten Qualifikationen an und begründet Bewegung als Bestandteil von Erziehung aus diesen heraus. Nicht das Subjekt ist Ausgangspunkt erzieheri‐ schen Denkens, sondern gesellschaftliche Erwartungen. In einem solchen Fall wird von materialen Bildungskonzepten gesprochen (Prohl, 2010). Blickt man aus dieser Perspektive auf das Thema der Gesundheitserziehung und begründet diese mit der enormen Zunahme von Bewegungsmangelkrankheiten bei Kin‐ dern und Jugendlichen und den damit einhergehenden dramatischen volkswirt‐ schaftlichen Kosten, ist dies ein Beispiel für diese Argumentationsfigur. Aller‐ dings, und das darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, ist auch das heute dominant gebrauchte Argument einer Erziehung zum Sport und der Qualifizie‐ rung für den Sport anzufügen. Bezugspunkt ist in diesem Fall der außerschulische Sport als Massenphänomen und folglich Ansatzpunkt vielfältiger sportpädago‐ gischer Überlegungen, die den Sport einerseits abbilden und andererseits das Individuum und seine Motivation zu lebenslangem Sporttreiben in den Mittel‐ punkt rücken. Prohl (2010) hat diese beiden grundlegenden Argumente entlang der Entwicklung der Sportpädagogik aufgearbeitet und als Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft in der Leibeserziehung bezeichnet. Abbildung 3.1.1 stellt diese Entwicklung im Über‐ blick dar. 62 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 62 <?page no="63"?> Abb. 3.1.1: Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft in der Leibeserzie‐ hung (Prohl, 2010, S. 84) Deutlich wird in Abbildung 3.1.1, dass dieses Spannungsverhältnis heute zumindest mit Blick auf den Auftrag des Schulsports aufgelöst und unter der Leitidee eines Er‐ ziehenden Sportunterrichts beide Argumentationsfiguren vernetzt wurde. Dies bedeu‐ tet, dass Bewegung, Spiel und Sport, unter einer erzieherischen Perspektive betrieben, die Erziehungsziele der Qualifizierung („Sachgebietserschließung“) für den Sport in der Gesellschaft und der Persönlichkeitsbildung realisieren sollten. Bereits 1990 haben Dietrich und Landau eine ähnliche Sichtweise in Form einer Sys‐ tematisierung sportpädagogischer Grundpositionen vorgelegt, in der die Natur des Men‐ schen (Person) sowie die jeweilige gegenwärtige gesellschaftliche Lage (Gesellschaft) ei‐ nen Gegensatz darstellen. Dieser wird allerdings durch eine zusätzliche Achse erweitert (vgl. Abb. 3.1.2), nämlich einer Orientierung an der Tradition sowie an möglichen zu‐ künftigen Perspektiven. Hierbei geht man einerseits davon aus, dass Erziehung nicht unabhängig und außerhalb der geschichtlichen Entwicklung konzipiert werden kann; andererseits ist klar, dass Erziehung immer auch auf die Zukunft gerichtet sein sollte (Dietrich & Landau, 1990, S. 46-49). Diese Grundpositionen hat Wolters (2012) in einer schulsportpädagogischen Analyse aufgegriffen und die Gegenwarts- und Zukunftsori‐ entierung des Sportunterrichts gegenübergestellt. Deutlich wird hierbei, dass auch das 63 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 63 <?page no="64"?> Fach Sport zur Zukunftsorientierung von Schule beitragen muss, wenn es seinen Platz als Pflichtunterricht nicht verlieren will (Schierz, 2009, S. 63). Abb. 3.1.2: Grundpositionen der Sportpädagogik (Dietrich & Landau, 1990, S. 52) Betrachtet man abschließend die Entwicklung der Sportpädagogik mit Blick auf ihre Mutterwissenschaft, die Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft, stellt man fest, dass Sport in seinen vielfältigen Ausprägungen hier kaum anerkannt wird; nur sehr zögerlich nimmt ihn die Erziehungswissenschaft in ihren Diskurs auf. Stellen Grupe und Krüger (2007, S. 16) die Orientierung der Sportpädagogik zwi‐ schen Sportwissenschaft und Erziehungswissenschaft noch recht optimistisch dar, spricht die Analyse erziehungswissenschaftlicher Literatur eine andere Spra‐ che (Beckers, 2001, S. 26-28): Überlegungen zum Nachweis einer pädagogischen Relevanz von Leibeserziehung und Sport finden dort kaum Resonanz. Unabhän‐ gig davon hat sich die Sportpädagogik auf institutioneller Ebene Zugang zur Er‐ ziehungswissenschaft verschafft: Immerhin existiert unter dem Dach der Deut‐ schen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) bereits seit einigen Jahren eine Sektion Sportpädagogik, die regelmäßig Fragestellungen zum erzieherischen Wert von Bewegung, Spiel und Sport innerhalb der Scientific Community der Erziehungswissenschaft diskutiert. Somit kann im Hinblick auf die Entwicklung der Sportpädagogik festgehalten werden: ■ Die Phase ihres „take off “ ist im ausgehenden 18. Jahrhundert in der philanth‐ ropischen Bewegung angesiedelt, deren Mitglieder infolge der Aufklärung ein erstes „sportpädagogisches“ Konzept entwickelten. ■ Die Entwicklung der Sportpädagogik ist zweifelsohne durch Konzeptionen ge‐ prägt worden, in denen viele Jahre und Jahrzehnte eine Erziehung durch Sport 64 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 64 <?page no="65"?> im Mittelpunkt stand, deren Bezugspunkte gesellschaftliche Themen oder aber das zu erziehende Individuum waren. ■ Institutionell waren diese Konzeptionen zunächst in Einzelschulen, den Phi‐ lanthropinen, und in den Vereinen der ersten Generation verankert, weshalb sie nur bestimmten Schichten der Bevölkerung offenstanden. Erst mit der Öffnung der Turnplätze, der Einrichtung öffentlicher Schulen und der damit verbunde‐ nen Verbreitung des Schulturnens wurde Turnen breiteren Bevölkerungsschich‐ ten zugänglich (Cachay, 1988, S. 177). ■ Mit dem Aufkommen des Sports entstand schließlich die heute stark verbreitete pädagogische Zielsetzung einer Erziehung zum Sport, die in Anlehnung an Prohl (2010, S. 84) und das von ihm beschriebene Spannungsverhältnis (Abb. 3.1.1) auf eine Teilnahme am Sport unserer Gesellschaft - und damit auf den Bezugspunkt einer gesellschaftlichen Orientierung - abzielt. 3.1.3 Themenfelder, Theorien und Methoden der Sportpädagogik Die Sportpädagogik hat sich in Form zweier unterschiedlicher wissenschaftlicher Aus‐ richtungen entwickelt: einer empirisch-analytischen und einer normativen (Grupe & Krüger, 2007, S. 26). Sie lassen sich in einem ersten Schritt wie folgt beschreiben (Balz, 2009; Prohl, 1993): ■ Die normative Sportpädagogik entspringt der Tradition der Geisteswissenschaf‐ ten und der geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Pädagogik. Ihr Fokus liegt auf der Formulierung von wünschenswertem Handeln in sportlichen Kontexten, weswegen sie mittels geisteswissenschaftlicher Methoden Soll-Sätze formuliert (Danner, 2006; Grupe & Krüger, 2007; Rittelmeyer & Parmentier, 2001). Sie cha‐ rakterisiert das Paradigma der deutschen Sportpädagogik von ihren Anfängen bis heute und zeigt sich verstärkt in einer Orientierung an pädagogischen Per‐ spektiven für den Schulsport (Prohl, 2017, S. 74). ■ Die empirisch-analytische Sportpädagogik ist dagegen den Sozialwissenschaften nahe und arbeitet folglich bei der Beschreibung und Erklärung pädagogischer Sachverhalte mit qualitativen und quantitativen empirischen Verfahren. Sie zielt darauf ab, Ist-Sätze zu formulieren, also im Grunde genommen die Erziehungs‐ realität zu beschreiben. Zwar wurde diese Ausrichtung auch in Deutschland schon vor geraumer Zeit gefordert (Grupe, 1984; Widmer, 1978), dennoch hat sie sich letzten Endes erst mit der Rezeption anglo-amerikanischer Literatur, hierbei insbesondere aus der instructional theory, in Deutschland verbreiten können. In der Folge ist in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme empiri‐ scher Arbeiten zu beobachten (Balz, 2009, S. 7). Betrachtet man in einem zweiten Schritt die Forschungsmethodologie der Sportpäda‐ gogik genauer, lässt sich auch auf dieser Ebene eine Vielzahl an Perspektiven erkennen, die vereinzelt als defizitär (Kurz, 1987, S. 14) und unkonturiert (Prohl, 2010, S. 207) be‐ 65 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 65 <?page no="66"?> zeichnet wurde. Zwischenzeitlich wurden allerdings einige Überblicksbeiträge publi‐ ziert (Aschebrock & Stibbe, 2017; Balz, Bräutigam, Miethling & Wolters, 2011; Friedrich, 2002; Scheid & Wegner, 2001), die durchaus eine sinnvolle und durchdachte Systema‐ tisierung erkennen lassen: Normative und sinnorientierte Sportpädagogik arbeitet mit hermeneutischen Metho‐ den, die in erziehungswissenschaftlichen Disziplinen eine lange Tradition haben. Im Hinblick auf diese sportpädagogischen Forschungskonzepte hat insbesondere Mein‐ berg (1993) die hermeneutische Methode thematisiert und hierbei drei Erscheinungs‐ formen idealtypisch voneinander abgegrenzt (Scheid & Wegner, 2001, S. 110): ■ eine traditionelle Texthermeneutik, die vorgegebene und schriftlich fixierte Texte bearbeitet und auslegt; ■ eine Handlungshermeneutik, die sich auf soziale Situationen und Interaktionen in Lehr-Lern-Situationen bezieht und diese interpretiert; ■ eine Institutionshermeneutik, die versucht, latente und subjektunabhängige Strukturen, die Institutionen innewohnen, zu erschließen. Allen diesen Vorgehensweisen ist ein Verstehensprozess inhärent, den Dilthey in An‐ lehnung an Schleiermacher entwickelte und der als hermeneutischer Zirkel bezeichnet wird (siehe Abb. 3.1.3). Abb. 3.1.3: Der hermeneutische Zirkel (Danner, 2006, S. 62) Bei diesem Verfahren wird ausgehend von einem Vorverständnis (V) ein Text (T) er‐ schlossen, welcher zu einem erweiterten Vorverständnis (V 1 ) führt; dieses erlaubt wie‐ derum, den Text vertiefter und angemessener zu verstehen (T 2 ). Dieser Verstehens‐ prozess setzt sich in der Folge spiralartig fort und führt so zu einem höheren Verständnis des Textes bzw. des Gegenstandsbereichs (Danner, 2006). Folgendes Beispiel aus dem Grundschulsport macht hermeneutische Forschung in der Sportpädagogik nachvollziehbar: Ausgangspunkt ist die Annahme, dass eine Sport‐ lehrkraft der Überzeugung ist, dass Kinder bei der Ausübung von Bewegungsspielen eine hohe Zufriedenheit zeigen und z. B. Regeln lernen können. Dieser Sachverhalt entspricht dem oben beschriebenen Vorverständnis V 1 . Durch Lektüre spezifischer Quellen (Grupe, 1982; Sutton-Smith, 1978), in Abbildung 3.1.3 als T 1 bezeichnet, er‐ 66 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 66 <?page no="67"?> weitert die Lehrkraft ihr Verständnis, da sie etwas über Offenheit, Zweckfreiheit, Span‐ nung und Spannungslösung als psychologische und pädagogische Merkmale von Be‐ wegungsspielen erfährt (König, 2013). Damit wird ihr Vorverständnis vertieft (V 2 ), ggf. auch korrigiert. Dieser zirkuläre Prozess könnte durch die Aufarbeitung weiterer theo‐ retischer Aspekte (Schmidt, 2003; Thiele, 2008) fortgesetzt werden. Auf diese Weise entsteht ein vertieftes Verständnis des bearbeiteten Gegenstands. Die empirisch-analytische Sportpädagogik arbeitet mit dem methodischen Instru‐ mentarium der Sozial- und Verhaltenswissenschaften, worunter die folgenden zwei Paradigmen sowie deren Kombination fallen: ■ Der qualitative Forschungsansatz basiert auf der Grundannahme, dass Wissens‐ generierung an Beobachtungen, Phänomenen oder Fakten ansetzt und durch Verallgemeinerung, Abstraktion oder Theoriebildung erfolgt. Insofern ist qua‐ litative Forschung sehr häufig exploratorisch ( Johnson & Christensen, 2014; Creswell, 2009) und will die Perspektive der Handelnden möglichst authentisch und komplex erfassen (Mayring, 2002; Scheid & Wegner, 2001). Diese kurze Be‐ schreibung qualitativer empirischer Forschung in der Sportpädagogik erläutert folgendes Beispiel aus der Unterrichtsforschung zu den Belastungsfaktoren für Sportlehrkräfte (König, 2004): Zwölf Sportlehrkräfte wurden gebeten, mit Hilfe von Tagebucheinträgen, die sie unmittelbar nach einer Sportstunde vornahmen, festzuhalten, was sie in dieser Stunde am meisten psychisch und physisch be‐ ansprucht und belastet hat. Aus diesen Texten konnten mittels spezifischer Aus‐ wertungsverfahren (qualitative Inhaltsanalyse) 14 Kategorien entwickelt wer‐ den, die Belastungsfaktoren, wie z. B. Motivierung der Schülerinnen und Schüler oder Disziplinprobleme, abbilden. Ergebnis eines solchen Ansatzes ist folglich die Bildung einer Theorie (kleiner Reichweite). ■ Der quantitative Forschungsansatz möchte demgegenüber Hypothesen aus Theorien ableiten und diese überprüfen ( Johnson & Christensen, 2014; Scheid & Wegner, 2001). Quantitative Forschung ist deshalb in der Regel konfirmato‐ risch und arbeitet mit numerischen Daten sowie statistischen Analysen. Im Ge‐ gensatz zum qualitativen Paradigma ist quantitative Forschung nomothetisch, d. h., sie möchte möglichst allgemein gültige Aussagen treffen. Ein nahezu klas‐ sisches sportpädagogisches Themenfeld für quantitative Forschung sind Unter‐ suchungen zu den Wirkungen und Effekten ausgewählter Lern- oder Trainings‐ programme. Dies wird an einem Beispiel aus der Vermittlung von Sportspielen verdeutlicht (Memmert & König, 2007). Ziel der Studie war es, die theoretische Annahme zu überprüfen, ob sportspielübergreifendes und unangeleitetes Spie‐ len bei 6bis 10-jährigen Kindern zu messbaren Verbesserungen der spiele‐ risch-taktischen Kompetenz führt. Hierfür wurden auf quasi-experimenteller Basis ein Trainings- und ein Kontrollprogramm in einem Prä-Posttest-Design verglichen. Mittels deskriptiver und inferenzstatistischer Verfahren konnte be‐ legt werden, dass solche Lernprogramme tatsächlich zu messbaren Effekten führen. 67 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 67 <?page no="68"?> ■ Der Forschungsansatz der Mixed Methods (Hesse-Biber & Johnson, 2015; Teddlie & Tashakkori, 2009). Die beiden vorherigen Abschnitte haben unterschiedliche wissenschaftliche Denkweisen und Forschungsparadigmen gezeigt; damit sind immer Vor-, aber auch Nachteile verbunden. So ist beispielsweise qualitative Forschung wegen ihrer kleinen Fallzahlen selten repräsentativ, quantitative Forschung hingegen beachtet aufgrund ihres verallgemeinernden Anspruches den Einzelfall zu wenig. An diesem Punkt setzt nun ein Forschungsparadigma an, das als mixed methodology bezeichnet wird (Creswell, 2009). Herausragendes Merkmal ist die parallele oder sequenzielle Verknüpfung qualitativer und quan‐ titativer Untersuchungsstränge mit gleicher oder unterschiedlicher Gewichtung ( Johnson & König, 2016). Zwei Beispiele verdeutlichen die Grundideen dieses Ansatzes mit Blick auf sportpädagogische Forschung: Nimmt man die beschrie‐ bene Untersuchung zu den Belastungsfaktoren für Sportlehrkräfte (König, 2004) und möchte die dort getroffenen Aussagen verallgemeinern, dann ist dies im Rahmen einer zweiten quantitativen Studie möglich, die das Ziel verfolgt, die in Studie 1 qualitativ gewonnenen Daten durch eine schriftliche Befragung einer größeren Stichprobe zu validieren. Dies entspräche einem QUAL à QUAN Vor‐ gehen und wird als sequential design bezeichnet. Erweitert man im Rahmen einer Evaluationsstudie das Beispiel der bereits beschriebenen Überprüfung von Wir‐ kungen von Lernprogrammen um den Aspekt der Persönlichkeitsbildung der Adressaten, dann ist auch denkbar, neben der bereits erläuterten Studie von Memmert und König (2007) eine parallel angelegte zweite Studie durchzuführen, in der mittels Reflexion des eigenen Spielens erzieherische Momente der Sports‐ pielvermittlung herausgearbeitet werden (Greve, 2013). In einem solchen Fall läge eine QUAN + QUAL-Studie vor, die als concurrent design (Creswell, 2009, S. 210) bezeichnet wird. Unabhängig von diesen grundlegenden Forschungsparadigmen der Sportpädagogik haben sich unterschiedliche Themenfelder und Forschungsschwerpunkte gebildet, in denen sowohl normativ als auch empirisch gearbeitet wird. Sie werden im Folgenden unter Bezug auf verschiedene Zielgruppen näher betrachtet (Haag & Hummel, 2001). Bezieht man sich zunächst auf den Schulsport, sind aus heutiger Sicht vor allem folgende Themenfelder sportpädagogischer Forschung zu nennen: ■ Schulsportentwicklung, insbesondere mit Blick auf Überlegungen zur Rolle von Bewegung, Spiel und Sport in der Schule sowie zum Beitrag, den Schulsport im Rahmen des Gesamtauftrags von Schule leisten kann. Dies geht einher mit fach‐ didaktischen Forschungsbemühungen, so wie dies etwa beim Erziehenden Sportunterricht der Fall ist. Zunehmend in den Fokus kommt auch die besondere Situation von Ganztagesschulen, die für Bewegungsangebote eine besondere Herausforderung darstellen (Fessler, 2004; Naul, 2011). Die Hinzunahme inklu‐ siven Unterrichts ist die neueste Entwicklung in diesem Forschungskontext (u. a. Giese & Ruin, 2018). 68 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 68 <?page no="69"?> ■ Sportunterrichtsforschung. Ihr geht es in Anlehnung an die instructional theory (Schempp & de Marco, 1996; Silverman, 1991) vor allem darum, durch empirische Arbeiten Schulsportrealität zu beleuchten. Insofern haben sich auch in Deutsch‐ land mittlerweile tragfähige Vorschläge entwickelt (Aschebrock & Stibbe, 2017; Balz, 1997; Balz et al., 2011; Brettschneider, 1994; Dortmunder Zentrum für Schulsportforschung, 2008; Gröben, 2007; Friedrich, 2000; Friedrich & Miethling, 2004; König, 2002), die belegen, dass Sportunterricht auch in Zukunft ein zen‐ trales Forschungsfeld der Sportpädagogik sein wird (Hummel, 2012). Betrachtet man in einem zweiten Schritt den Breitensport, dann haben sich auch in diesem Setting pädagogische Fragestellungen und Themen entwickelt (Kapustin, 2001, S. 415). Spezifische Forschungsaktivitäten werden exemplarisch am Beispiel der Ge‐ sundheitserziehung und der Gesundheitsbildung erläutert, da diese pädagogischen Prozesse insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine zunehmend wichtige Rolle spielen und die in Bewegung, Spiel und Sport angelegten erzieherischen Möglichkeiten der Gesundheitsförderung deutlich über ein enges me‐ dizinisches Verständnis hinausgehen (Kolb, 1995, S. 336). Im Zentrum der sportpädagogischen Überlegungen steht hier die Ausbildung einer gesundheitsfördernden per‐ sönlichen Lebensführung, deren Entwicklung heutzutage in eine Gesundheitserzie‐ hung, eine Gesundheitsaufklärung und eine Gesundheitsbildung differenziert wird. In der allgemeinen Erziehungswissenschaft wird diesbezüglich von Gesundheitsbildung und -kompetenz gesprochen (Lang-Wojtasik & Klemm, 2017, S. 108-111). Aus sport‐ pädagogischer Sicht ist in diesem Zusammenhang die Beantwortung der Frage ent‐ scheidend, wie im Rahmen verhaltensorientierter Interventionsformen der Schritt zu einer Gesundheitsbildung, verstanden als „Initiierung der Reflexion eigenen Lebens und Entwicklung der Gestaltungsfähigkeit der eigenen Lebensführung in Bewegung“ (Kolb, 1995, S. 342), getan werden kann. In Anlehnung an Beckers (1991, S. 46) kann dies nur darin bestehen, durch Erfahrungen die Entstehung von Einstellungen und Haltungen zu fördern sowie die Bereitschaft wachzuhalten, sich weiterhin neuen Er‐ fahrungen zu stellen. Dies bedeutet, dass ein solcher Breitensport eine eindeutig bil‐ dungstheoretische Komponente enthalten muss. Auch der Spitzensport beinhaltet pädagogische Fragestellungen, gleichwohl diese auf den ersten Blick nicht ersichtlich erscheinen. Doch das dem Spitzensport innewoh‐ nende Handlungsmotiv des Wetteiferns geht auf bildungstheoretisches Gedankengut zurück (Hackfort & Schmidt, 2001, S. 418). Zentrale sportpädagogische Fragestellungen des Spitzensports sind u. a.: ■ Die Frage, ob Trainer Pädagogik brauchen, wird seit Jahrzehnten intensiv dis‐ kutiert (Cachay & Gahai, 1989; Krüger, 1994, 1989; Richartz, Hoffmann & Sallen, 2009). Krüger (1989, S. 32) plädiert für eine Erziehungsaufgabe des Trainers, Emrich (2004, S. 147-151) spricht von pädagogischen Kompetenzen als „Schmiermittel“ im Organisationsalltag des Spitzensports. Beispielhaft wird dies von Emrich, Altmeyer und Papathanasiou (1989) mit Blick auf die pädagogi‐ 69 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 69 <?page no="70"?> sche-soziale Betreuung von jugendlichen Spitzenathleten an Olympiastütz‐ punkten beschrieben. Somit kann die Frage nach der pädagogischen Kompetenz von Trainern und deren konkrete Gestalt, auch in der Trainerausbildung, als sportpädagogisches Forschungsthema betrachtet werden. ■ Auch die Frage nach den Wirkungen struktureller (Treml, 1982) bzw. institutio‐ neller Erziehung (Emrich, 2004, S. 133) ist mehr denn je aktuell, da anzunehmen ist, dass Strukturen und Institutionen des Spitzensports auch erzieherische Wir‐ kungen haben. So konnte Lenk (1976) zeigen, dass der Spitzensport zu Eigen‐ handeln und Eigenleistung führt, und Prohl (2004, S. 27-32) arbeitete formale Bildungspotenziale leistungssportlichen Handelns heraus. Insofern sind auch zukünftig die erzieherischen Wirkungen solcher Strukturen Thema sportpäda‐ gogischer Forschung. Zieht man an dieser Stelle ein weiteres Zwischenfazit, kann festgehalten werden, dass die Sportpädagogik sich einerseits als geisteswissenschaftlich-normative, andererseits als empirisch-analytische Teildisziplin der Sportwissenschaft zeigt. Dabei greift sie auf ein breites Methodeninstrumentarium zurück, verwendet dieses aber nach wie vor zu wenig konturiert (Prohl, 2010). Analog zu einer methodologischen Ausdifferenzierung erfolgte auch eine thematische Erweiterung, sodass die Sportpädagogik neben ihrem jahrzehntelangen Fokus, dem Schulsport, sich heute mit nahezu allen Settings des Sports unserer Gesellschaft auseinandersetzt. 3.1.4 Verhältnis der Sportpädagogik zur Sportpraxis Die Sportpädagogik befasst sich sowohl mit pädagogischem Handeln als auch mit dem Reflektieren über diese pädagogische Praxis aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel. Damit steht sie in einer Reihe mit der Sozial-, der Musik- und der Museumspädagogik, aber auch mit anderen Fächern wie der Medizin und der Psychologie, in denen stets Praxis und Theorie betrachtet werden (Grupe & Krüger, 2007, S. 17). Das Verhältnis von sportpädagogischer Praxis und Theorie wird zunächst an einem speziellen Beispiel aufgezeigt und anschließend verallgemeinernd dargestellt. Das Beispiel ist aus dem Bereich der Sportspieldidaktik gewählt und thematisiert die Frage nach der Gestaltung von Vermittlungsprozessen von Spielen vor dem Hinter‐ grund der pädagogischen Zielsetzung eines lebenslangen Sporttreibens. Betrachtet man diese Frage aus einer theoretischen Perspektive, dann hilft ein Modell von Côté, Baker und Abernethy (2003), das in Abbildung 3.1.4 dargestellt ist. 70 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 70 <?page no="71"?> Abb. 3.1.4: Developmental Model of Sport Participation (Côté, Baker & Abernethy, 2003) Das Modell zeigt, dass eine frühe Fokussierung auf eine Sportart, sprich ein Sportspiel, verbunden mit einer frühen Spezialisierung und relativ hohem Trainingsaufwand in einem Alter von 7-15 Jahren dazu führt, dass Spaß und Gesundheit, zwei zentrale Fak‐ toren aktiven Sporttreibens, mehr oder weniger deutlich reduziert werden und eine erhöhte Drop-out-Rate, sprich ein Abbruch der sportlichen Aktivitäten, zu erwarten ist. Demgegenüber führt eine breit angelegte sportliche Betätigung im Schulkindalter (etwa 7-12 Jahre), also das Ausüben mehrerer Sportarten oder Sportspiele, das sich zusätzlich durch viel unangeleitetes Spielen und eher wenig Üben auszeichnet, im Er‐ wachsenenalter zu einer höheren Leistungsfähigkeit, aber auch zu einer nachhaltigeren Sportteilnahme. Zieht man aus diesen Aussagen Konsequenzen für die Gestaltung di‐ 71 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 71 <?page no="72"?> daktisch-methodischer Maßnahmen (Kurz, 2003), können diese wie folgt zusammen‐ fassend dargestellt werden: ■ Sportspielvermittlung sollte im Anfängerbereich breit, d. h. sportspielübergrei‐ fend organisiert werden. Damit rücken auf einer inhaltlichen Ebene allgemeine Taktik-, Technik- und Koordinationsbausteine in den Mittelpunkt (Roth & Krö‐ ger, 2011). ■ Methodisch sollte eine Orientierung an der Strategie des unangeleiteten Spielens und Übens erfolgen, um der theoretischen Vorgabe des „deliberate play and practice“ zu folgen (Memmert, 2012). An diesem Beispiel wird deutlich, dass sportpädagogische Theorie durchaus prakti‐ sches Handeln in sportlichen Kontexten beeinflusst, wenn sie von der Sportpraxis um‐ gesetzt wird. Zweierlei Tendenzen können in diesem speziellen Fall berichtet werden: ■ Einerseits gibt es in der Tat Programme, z. B. die Heidelberger Ballschule, die auf eine Umsetzung dieser Ideen in Schule und Verein ausgerichtet sind und damit sportpädagogischer Beratung entsprechen (Prohl, 2010). ■ Andererseits werden insbesondere von Sportverbänden und -vereinen grobe Verstöße gegenüber diesen sportpädagogischen Erkenntnissen begangen, in‐ dem der eigene Spielbetrieb mit immer jüngeren Kindern organisiert („Pam‐ persligen“) und diesbezüglich ausschließlich auf Erfahrungswissen der Trai‐ ningspraxis zurückgegriffen wird. Versucht man an dieser Stelle die Ausführungen zum Thema „Vermittlung von Spielen“ zu verallgemeinern, kann das Verhältnis von sportpädagogischer Theorie und sportli‐ cher Praxis folgendermaßen charakterisiert werden: Einerseits wird die von der Sportpädagogik geforderte Beratungsleistung für den Schulsport umgesetzt (Prohl, 2010, S. 15-16); allerdings bleiben solche Ideen noch zu oft auf der Ebene der sportdidaktikischer Dokumente, z. B. den Lehrplänen, hängen und werden nicht konsequent in die Sportpraxis umgesetzt. Andererseits verhält sich die Sportpraxis nach wie vor gegenüber pädagogischen Aussagen diametral entgegengesetzt und akzeptiert Empfehlungen nur dann, wenn sie für das Erringen von Siegen nützlich scheinen (Cachay & Gahai, 1989, S. 30). Dies gilt insbesondere für die spitzensportlich orientierte Praxis, in der die Sportpä‐ dagogik ihre Funktionalität noch unter Beweis stellen muss. Insgesamt ist deshalb von einem ambivalenten Verhältnis zwischen der Sportpädagogik als Wissenschaft und der Sportpraxis zu sprechen, auch wenn sportpädagogische In‐ halte in der Zwischenzeit zunehmend Inhalte verschiedenster Übungsleiter- und Trai‐ nerausbildungen der Sportverbände geworden sind. Letzteres ist insofern zu begrüßen, als Erziehungs- und Bildungsprozesse in allen sportlichen Settings eine mehr oder we‐ niger wichtige Rolle spielen und folglich die Sportpraxis nicht nur effektsteigernde Beratungsleistungen verarbeiten sollte. 72 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 72 <?page no="73"?> Praxisbeispiel: Kinder und Jugendliche im Spitzensport - sportpädagogisch betrachtet Die Sportpädagogik befasst sich heute auch mit Erziehungs- und Bildungs‐ prozessen von Kindern und Jugendlichen im Spitzensport. Alleinstellungs‐ merkmal der Sportpädagogik ist im Kern, Bildungs- und Erziehungsprozesse zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Das bedeutet, ausgehend von den besonderen Bedingungen des Spitzensports, z. B. hohe Trainingsumfänge, Doppelbelastung Schule - Sport, Fremdbestimmung, zu fragen, inwieweit diese auf Kinder und Jugendliche erzieherisch einwirken. Beispielhaft sind folgende drei Studien skizziert: Kaminski, Mayer und Ruoff (1984) haben in einer vielbeachteten Studie gezeigt, dass sich Jungen und Mädchen im Spitzensport (z. B. Eiskunstlauf, Schwimmen, Kunstturnen) nicht wesentlich von normalen Kindern unterscheiden. Dies gilt vor allem für kognitive Leistungen in der Schule und für grundlegende moti‐ vationale Einstellungen oder Verhaltensweisen. Lediglich im Hinblick auf die Einschätzung der eigenen körperlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten zeigten sich gravierende Unterschiede; diesbezüglich zeichnen Kinder im Spitzensport ein wesentlich positiveres Bild von sich (Grupe & Krüger, 2007, S. 29). In der Folge der Kaminski-Studie hat Rose (1991) eine andere Art der inneren, seelischen kindlichen Wirklichkeit im Spitzensport ermittelt (Grupe & Krüger, 2007, S. 31). Sie konnte am Beispiel junger Kunstturnerinnen feststellen, dass diese Mädchen einen beträchtlichen persönlichen Gewinn aus ihrem leistungs‐ sportlichen Engagement ziehen, der sich vor allem in Anerkennung, Sicherheit und Akzeptanz äußert. Richartz, Hoffmann und Sallen (2009, S. 303-304) konn‐ ten dies in einer Vollerhebung bei spitzensportlich aktiven Kindern in Berlin und Sachsen bestätigen, wobei die Qualität der Beziehung zu den Eltern einen besonderen Stellenwert aufwies und folglich als wichtigste soziale Ressource einzuschätzen ist. Richartz und Brettschneider (1996) haben die Vereinbarkeit von Schule und Leistungssport untersucht, aber auch sie konnten - wie bereits Kaminski, Mayer und Ruoff (1984) - letztendlich keine Antwort auf die Frage geben, ob es wünschenswert ist, bereits im Kindesalter Spitzensport zu treiben; insofern können sich Kritiker wie Befürworter des Kinderleistungssports durch diese Studie bestätigt sehen (Richartz & Brettschneider, 1996, S. 312). Deutlich wird in der Zusammenschau der Erkenntnisse, dass aus den empiri‐ schen Ergebnissen keine normativen Folgerungen gezogen werden können. Diese müssen erst argumentativ durch die Sportpädagogik entwickelt werden. Erste Konzepte, die mit den Begriffen „kindgerechter“ und „humaner“ Spitzen‐ sport bezeichnet werden, sind hierzu entwickelt worden (Grupe & Krüger, 2007, S. 32). Prohl (2010, S. 335) weist diesbezüglich auf das Recht des Athleten zur Selbstbestimmung und Mündigkeit hin, womit eindeutig bildungs-theoretische 73 3.1 Sportpädagogik (Stefan König) 73 <?page no="74"?> Kategorien im Sinne Klafkis (1996) auch zum Leitbild des Kinderhochleistungs‐ sports werden. Somit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass eine empirisch ausge‐ richtete sportpädagogische Forschung einerseits zwar Zusammenhänge be‐ schreiben, erklären und ggf. vorhersagen kann, daraus andererseits aber keine normativen Aussagen im Sinne wünschens- oder ablehnungswerter Praxis ab‐ geleitet werden können. Dies bedarf vielmehr eines differenzierten sportpäda‐ gogischen Diskurses. Kontrollfragen 1. Die Sportpädagogik wird als sportwissenschaftliche Teildisziplin beschrie‐ ben, die eine geisteswissenschaftliche und eine empirische Perspektive auf‐ weist. Welche erzieherischen Grundpositionen verbergen sich hinter dieser Klassifizierung? 2. Während die historische Sportpädagogik eine problemgeschichtliche Per‐ spektive thematisiert, orientiert sich die systematische Sportpädagogik aus‐ schließlich an der Gegenwart. Worin besteht der generelle Unterschied die‐ ser beiden Subdisziplinen? 3. Historisch betrachtet steht die Sportpädagogik am Anfang der Sportwissen‐ schaft. Welche Argumentationsfiguren wurden in den letzten 200 Jahren verwendet, um den erzieherischen Wert von Gymnastik, Turnen, Leibes‐ übungen und Sport zu begründen? 4. Die Sportpädagogik arbeitet mit einem breiten Instrumentarium an For‐ schungsmethoden. Welche empirischen Paradigmen kommen hierbei zum Einsatz? 5. Die Sportpädagogik befasst sich heute mit fast allen sportlichen Settings. Welche zentralen Themen werden jeweils bearbeitet? Literatur Aschebrock, H. & Stibbe, G. (2017). Schulsportforschung. Wissenschaftstheoretische und metho‐ dologische Reflexionen. Münster, Newe York: Waxmann. Balz, E. (1997). Zur Entwicklung der sportwissenschaftlichen Unterrichtsforschung in West‐ deutschland. Sportwissenschaft, 27, 249-267. Balz, E. (2009). Beziehungen zwischen Sollen und Sein - Einführung. In E. Balz (Hrsg.), Sollen und Sein in der Sportpädagogik. Beziehungen zwischen Normativem und Empirischem (S. 7-10). Aachen: Shaker Verlag. Balz, E., Bräutigam, M., Miethling, W.-D. & Wolters, P. 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Obwohl oder gerade, weil das so ist, werden an dieser Stelle die Sportgeschichte und ihre Bedeutung im Rahmen eines sportwissenschaftlichen Studiums vorgestellt und begründet. 1 Die Sportgeschichte kann als humanwissenschaftlich orientierte sportwissenschaft‐ liche Teildisziplin wenig direkt verwertbares Wissen liefern, dafür allerdings ein brei‐ tes, tief gestaffeltes Orientierungswissen (Gissel, 2000). Der sporthistorische Blick in andere Zeiten und Kulturen kann gegenwärtige sportliche Phänomene in ihrer Bedeu‐ tung einordnen, erklären und verstehen helfen. Lernziele ■ Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Sportgeschichte be‐ schäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Sportgeschichte entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihrer Mutter‐ wissenschaft bestehen. ■ Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Sportge‐ schichte kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Sportge‐ schichte den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Problem-/ Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei ty‐ pischerweise zum Einsatz kommen. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportgeschichte zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungser‐ gebnissen beimisst. 3.2.1 Einführung - Die Bedeutung (sport-)historischen Denkens Geschichte liegt nicht einfach als gegebene Vergangenheit vor; Geschichte entsteht (ständig neu) im Kopf eines jeden Menschen. Jeder Studierende, jede Familie, jeder Sportverein, jede Schule, jede Sportfakultät, jede Stadt, jede Region und jeder Staat hat ihre/ seine Geschichte. Individuen wie Gruppen bilden ihre Identität durch Aufarbei‐ 80 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 80 <?page no="81"?> tung ihrer Vergangenheit. Sie verankern sich historisch, „indem sie sich in bestimmte Traditionen einordnen, denen sie wiederum ihre Identität entnehmen“ (Lorenz, 1997, S. 410). Die Identität von Menschen und menschlichen Gruppen ist dementsprechend ihre eigene historische Konstruktion. Ausgehend von diesem Gedankengang liegt den weiteren Ausführungen die folgende Begriffsbestimmung von Geschichte zugrunde: (Sport-)Geschichte ist ein bedeutungsvoller Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart, den Menschen erzählend herstellen, um Orientierung für ge‐ genwärtiges und zukünftiges Handeln zu gewinnen. Was den Menschen als Mensch ausmacht, ist die Fähigkeit zu denken, sich zu erinnern und Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. In jedem gelebten Moment wird Zukunft zur Gegenwart und Gegenwart zur Vergangenheit. In diesem unaufhaltsam ablaufen‐ den Prozess muss der Mensch seine Identität bewahren und entwickeln. Indem Men‐ schen ebenso wie Gemeinschaften Geschichten erzählen, verarbeiten sie die auf sie einströmende Natur-Zeit in gedeutete humane Zeit, wie es der Geschichtsdidaktiker Rüsen formuliert (Rüsen, 1983; 1986). Unverarbeitete Natur-Zeit kann den Menschen bedrohen. Nur in erzählter, verarbeiteter und gedeuteter humaner Zeit kann der Mensch planend Zukunftsabsichten, Erwartungen und Hoffnungen entwickeln. Die Verdrängung momentan nicht bewältigbarer Erlebnisse ist ein häufig anzutref‐ fender Umgang mit bedrohlicher Gegenwartserfahrung. Der Geschichtswissenschaft‐ ler Lorenz (1997) verweist darauf, dass „ein gewisses Maß an Verdrängung (jedenfalls nach Freud) der Preis für jede Kultur“ sei und der Verdrängungsmechanismus die per‐ sönliche Identität unter traumatisierenden Umständen oft auch schützt. Aber ein Über‐ maß an Verdrängung führe zu einer Destabilisierung der Identität. Je mehr Aspekte seiner persönlichen Vergangenheit man verwerfe, desto weniger bleibe übrig, mit dem man sich identifizieren könne. „Daß viele Menschen mit Identitätsproblemen schließlich einen Therapeuten aufsuchen, beweist, daß man unter seiner Vergangenheit leiden kann und daß es nicht möglich ist, sie einfach, wie eine Schlange ihre Haut, abzustreifen. Jeder Mensch verkörpert seine Geschichte, in die er ‚verstrickt‘ ist. Vergleichbare Pro‐ bleme treten in den Geschichten von Kollektiven auf, wenn die Beziehung zwi‐ schen Gegenwart und Vergangenheit durch einen abrupten Bruch gestört wird. Die deutsche Geschichte [von 1933 bis 1945 und] nach 1945 ist dafür ein treffen‐ des Beispiel“ (Lorenz, 1997, S. 411). Glücklicherweise hat der Mensch nicht nur mit Identität brechenden Zeiterfahrungen zu tun, sondern auch mit Identität bestätigender, Identität entwickelnder und Identität modifizierender Zeiterfahrung, die alltäglich in ganz unterschiedlicher Form erzählend in humane Zeit umgewandelt wird: Ein Student, der nach Hause kommt, erzählt stolz von einer guten Note oder verschweigt eine schlechte - und sieht sich hierdurch in seinem studentischen Lebens- und Arbeitsverhalten bestätigt oder infrage gestellt. 81 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 81 <?page no="82"?> Nach einem Besuch im Fußballstadion treffen sich viele Fans mit Gleichgesinnten in ihrer Stammkneipe zu einer Nachbesprechung der in der „Ostkurve“ oder auf der „Süd‐ tribüne“ erlebten Zeit, bestätigen ihre Identität als treue Vereinsanhänger und verab‐ reden sich für ein zukünftiges Heimspiel. Platziert ein Sportler, der lange verletzt war, nach einem mühevollen Aufbautraining einen gewonnenen Pokal an herausragender Stelle, ist das zweifellos auch eine Form der erzählenden Verarbeitung von bedeutsam erlebter Zeit bei gleichzeitigem Gewinn einer auf die Zukunft ausgerichteten Trai‐ nings- und Lebensperspektive. Als denkender „Homo sapiens“ ist der Mensch auch ein geschichtliches Wesen, ein „Homo historicus“, der sich reflektiert oder unreflektiert seiner Geschichte stellen und in ihr leben muss. Der Mensch hat (seine) Geschichte; Geschichtlichkeit ist ein Kenn‐ zeichen des Mensch-Seins. Abb. 3.2.1: Historisches Denken im Alltag des Menschen (Luh, 2004, S. 443) Orientierungsleistungen und didaktische Potenziale der Sportgeschichte Seit den 1970er Jahren haben Sporthistoriker auf verschiedenartige Orientierungsleis‐ tungen sporthistorischen Denkens verwiesen. Einige zentrale „didaktische Potenziale“ der Sportgeschichte werden im Folgenden vorgestellt. 82 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 82 <?page no="83"?> Die gegenwartsgenetische sporthistorische Orientierungsleistung ■ Historische Kenntnisse sind unverzichtbar für das Verständnis gegenwärtiger Institutionen und Verhaltensweisen, indem sie deren Ursachen, ihre Entste‐ hungsbedingungen und ihre Entwicklung aufdecken (Ueberhorst, 1980). Zum Beispiel ist die komplizierte, sich vielfältig überschneidende Organisations‐ struktur des bundesdeutschen Vereins- und Verbandssports mit dem DOSB an der Spitze, mit den Landessportbünden, mit den Spitzenverbänden und deren Untergliederungen nicht organisationssoziologisch erklärbar, „sondern wird nur verständlich, wenn man das zähe Ringen unterschiedlicher sportlicher und politischer Interessengruppen um einen Neu- und Wiederaufbau in den Jahren 1945-1950 kennt“ (Gissel, 2000, S. 320). Die strukturgeschichtliche sporthistorische Orientierungsleistung ■ Die strukturgeschichtliche Betrachtungsweise lenkt den Blick des Historikers auf „relativ dauerhafte, schwer veränderbare Phänomene, [auf strukturelle] Wirklichkeitsschichten mit langsamer Veränderungsgeschwindigkeit [und] auf die Erfassung übergreifender Zusammenhänge“ (Kocka, 1997, S. 192), die Spiel‐ räume und Bedingungen menschlichen Handelns aufdecken. Bewegungskultur und Sport waren in sogenannten vormodernen Gesellschaften eingebunden in andere gesellschaftliche Teilbereiche wie Religion, Standeskultur, Militär oder Erziehung. In sogenannten modernen Gesellschaften erbringt der Sport zwar weiterhin Leistungen für andere gesellschaftliche Teilbereiche, nimmt allerdings als institutionell ausgeformter, eigenständiger gesellschaftlicher Teilbereich eine eigene Gestalt an (Strohmeyer, 1984a; 1984b; Luh, 2008; Eisenberg, 2010). Die problemorientierte sporthistorische Orientierungsleistung ■ Die problemorientierte sporthistorische Betrachtungsweise untersucht in dia‐ chronen Längsschnitten, wie menschliche Gemeinschaften mit bestimmten Pro‐ blemstellungen umgegangen sind. Durch den historischen Blick auf begangene, unbegangene und ungangbare Wege, auf gescheiterte und erfolgreiche Lösun‐ gen vergangener gesellschaftlicher Konflikte und Lebenssituationen können Orientierungs- und Entscheidungshilfen bei aktuellen Problemstellungen im Sport gewonnen werden (Ueberhorst, 1980; Bernett, 1981; Uffelmann, 1997). In solcher Perspektive kann Sportgeschichte helfen zu klären, was Gewalt im kör‐ perlichen Umgang miteinander bedeutet, und welche (nicht) akzeptierten Ur‐ sachen, Formen und Intensitäten Gewalt zwischen Zuschauern und Gewalt zwi‐ schen sportlich Agierenden historisch und gegenwärtig haben kann. Dabei ist zu klären, was Gesellschaften historisch gesehen überhaupt als Gewalt definie‐ ren und wie sie mit Gewalt im Sport umgehen (Elias, 2003). 83 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 83 <?page no="84"?> Die Erweiterung des Erfahrungshorizonts ■ Der Blick auf Bewegungsformen, sportliche Sinnrichtungen und Normen sowie Organisationsformen zeitlich und räumlich sehr weit entfernter, fremder Kulturen liefert einen bedeutsamen sporthistorischen Erfahrungsschatz (Ueberhorst, 1980; Gissel, 2000). Sport, wie er heute betrieben, organisiert, verstanden und weiterent‐ wickelt wird, ist nicht das vernünftige Endprodukt einer zielgerichteten histori‐ schen Entwicklung, sondern nur eine historische Möglichkeit von Sportkultur. Erst der historisch-anthropologische Blick auf indianische, polynesische, ostasiatische u. a. Bewegungskulturen ermöglicht eine konstruktiv-kritische Distanz zu den ei‐ genen sportlichen Verhaltensweisen und ein Bewusstsein von Alternativen. Politische Bildung und ideologiekritische Orientierungsleistungen ■ Analysen eines politisch instrumentalisierten Sports finden sich insbesondere beim Umgang mit der NS- und der DDR-Sportgeschichte (Bernett, 1983; Spitzer, Teichler & Reinartz, 1998), da es in diesen politischen Systemen zu einer beson‐ ders engen Verflechtung zwischen Sport und Politik gekommen ist. Aber auch den Organisationsformen des Breiten- und Spitzensports in einem freiheit‐ lich-demokratischen System liegen politische Rahmenbedingungen und kon‐ krete, andere sportpolitische Entscheidungen zugrunde, die es zu analysieren und nicht als unpolitisch zu verklären gilt (Güldenpfennig, 1992; Niese, 1997). Es gehört zur aufklärerisch-kritischen Funktion von Sportgeschichte, die ver‐ schiedenen Sinnrichtungen, Wertvorstellungen, Normen und ideologischen Mo‐ mente aufzuzeigen, die in sportliches Handeln eingebettet sind (Bernett, 1981). Die Befriedigung sporthistorischer Neugier ■ Sporthistorische Museen, Ausstellungen und populärwissenschaftliche Bildbände zu Sportlerpersönlichkeiten, Sportverbänden, Sportarten, Sportereignissen u. a. haben insbesondere bei anstehenden Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeis‐ terschaften Konjunktur. Und selbstverständlich hat die „zweckfreie Beschäftigung mit Historie als Vergnügen bereitende Freizeitbeschäftigung“ (Ueberhorst, 1980, S. 16-17) ihre Berechtigung, wenn solche sporthistorischen Aufarbeitungen nicht hinter den sporthistorischen Forschungsstand zurückfallen und zu einer unreflek‐ tierten Traditionsstiftung und Legendenbildung beitragen. 3.2.2 Entstehung und Entwicklung der Sportgeschichte Die neuere Sportgeschichtsschreibung ist aus den Grundgedanken der Aufklärung entstanden. Die enzyklopädische Wissensbereicherung auf dem Gebiet der Leibes‐ übungen aller Völker der Vergangenheit und Gegenwart sollte als Anregung und auch als Vorbild für die Entwicklung der seit etwa 1800 entstehenden bürgerlichen Bewe‐ gungskultur dienen. In diesem Sinne sammelte Vieth (1767-1836), Philanthrop und 84 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 84 <?page no="85"?> Mitbegründer einer schulisch-erzieherisch ausgerichteten Leibeserziehung, Nachrich‐ ten und Zeugnisse von 41 Völkern aus allen historischen Epochen der ganzen Welt und veröffentlichte sie in einer dreibändigen Enzyklopädie (1794-1818) als ersten Versuch einer Universalgeschichte des Sports (Langenfeld, 2010). Inhaltlich in dieser Tradition stehen die für ihre Zeit ebenso anspruchsvollen Sammelbände von Bogeng mit seiner „Geschichte des Sports aller Völker und Zeiten“ (1926) und die sechsbändige Universal- „Geschichte der Leibesübungen“ von Ueberhorst (1972-1989). Wesentliche inhaltliche und methodische Impulse hat die Sporthistoriographie zudem vom frühen 19. Jh. bis in die heutige Zeit hinein von Altertumswissen‐ schaftlern erhalten, die sich in neuhumanistischem Geist mit dem weiten Feld der griechischen Athletik und Gymnastik beschäftigt haben. Ebenso kamen in jüngerer Zeit von Altertumswissenschaftlern wesentliche Impulse zur Erfor‐ schung der römischen Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe (z. B. Weeber, 1989), die einem engeren Sportbegriff nicht zuzuordnen sind und dementsprechend von Sporthistorikern lange Zeit gemieden wurden. Eine Vorform der heutigen Sport‐ geschichtsschreibung im Sinne einer systematischen Aufarbeitung der als rele‐ vant erachteten bewegungskulturellen Phänomene entstand in Deutschland seit den 1880er Jahren als sogenannte Turngeschichtsschreibung (Langenfeld, 2010). Das deutsche Turnen war die bestimmende Form der Bewegungskultur der Deutschen seit dem Kaiserreich. Für die Vorturnerausbildung in der Deutschen Turnerschaft und für die Ausbildung der Schulturnlehrer an den Landesturnanstalten erarbeiteten Turn‐ philologen historische Darstellungen über die deutschen Leibesübungen von den Ger‐ manen über das Mittelalter bis hin zu Friedrich L. Jahn und die weitere Entwicklung des deutschen Turnens. Die Darstellungen dienten als Prüfungsstoff für Turnlehrer‐ prüfungen und als Grundlage für Turnfestreden. Sie waren personen- und ereignisge‐ schichtlich orientiert, folgten dem Paradigma des frühen Historismus und dienten vor allem der turnerischen Identitätsbildung und der Legitimation gegenüber dem in Deutschland an Bedeutung gewinnenden englischen Sport. (Sport-)Geschichte ist in der Sicht des Historismus ein fortlaufender, von Menschen gestalteter, die eigene Gegenwart bestimmender Entwicklungsprozess. Hierbei geht es darum, die Geschichte auf der Grundlage von Hinterlassenschaften aus der Vergan‐ genheit (Quellen) nachvollziehend zu verstehen. Beim Historismus handelt es sich um eine individualisierende Geschichtsauffassung, die die Betrachtung von Ideen und das wirkungsmächtige Handeln großer Männer in den Vordergrund stellt und Generali‐ sierungen zu Lasten sozioökonomischer Strukturen ablehnt (Kolmer, 2008; Jordan, 2016). Für diese, dem Paradigma des Historismus verpflichtete Turngeschichtsschreibung stehen Namen wie Lion, Rühl, Cotta, Euler und Wassmansdorf im deutschen Kaiser‐ reich. In der Weimarer Zeit fand diese sporthistoriographische Ausrichtung ihre Nach‐ folger in den Werken Reclas, Neuendorffs sowie Saurbiers und Stahrs, die das völkischantisemitisch und großdeutsch ausgerichtete deutsche Turnen als die umfassende Form 85 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 85 <?page no="86"?> der deutschen Leibesübungen darstellten. Saurbier und Stahr (1939) verherrlichten die Leibeserziehung in den NS-Formationen und den Wettlauf mit der Gasmaske als Krö‐ nung deutscher Leibesübung. Sporthistoriographisch mehr als bedenklich sind deshalb die acht (! ) Neuauflagen Saurbiers aus den 1950er, 1960er und 1970er Jahren, die, ge‐ kürzt um die NS-verherrlichenden Abschlusskapitel, bis in die 1970er Jahre hinein als sporthistorisches Standardwerk für die akademische Ausbildung westdeutscher Lei‐ beserzieher und Sportlehrer dienten. Ein Grund für die mangelhafte wissenschaftliche und kritische Qualität der deutschen Turn- und Sportgeschichtsschreibung lag vor al‐ lem in der fehlenden Anbindung an die Standards der deutschen Geschichtswissen‐ schaft, die den Sport als Untersuchungsgegenstand erst viel später zu entdecken be‐ gann. Im Gegensatz hierzu begann der dynamische Ausbau einer akademisch breit ausge‐ stellten Sportgeschichte in der DDR bereits in den 1950er Jahren. Historisch qualifi‐ zierte Autorenkollektive wurden von der SED-Führung beauftragt, die Geschichte der Körperkultur in Deutschland in systematischer Form aufzuarbeiten. Auf der Grundlage des marxistischen Geschichtsverständnisses des sogenannten historischen Materialis‐ mus sollte der Nachweis erbracht werden, dass die sozialistische DDR im Gegensatz zur kapitalistisch-reaktionären BRD in der Tradition der fortschrittlichen Kräfte der abendländischen und deutschen Geschichte stehe. Abgesehen von der indoktrinären und einseitigen ideologischen Grundausrichtung der Arbeiten, entstanden anspruchs‐ volle Grundlagenwerke von der Antike bis zur jüngeren deutschen und olympischen Sportgeschichte (Eichel, 1964-1973). Im wiedervereinigten Deutschland wurden die in der Regel mit dem DDR-System ideologisch eng verbundenen DDR-Sporthistoriker „abgewickelt“ und in den Ruhestand versetzt. In Westdeutschland führte die Entwicklung einer millionenstarken Breitensportbe‐ wegung in den 1970er und 1980er Jahren sowie der systematische Spitzensportausbau im Kontext der Olympischen Spiele von München 1972 zur Konstituierung der Sport‐ wissenschaft als anerkanntes akademisches Fach in Forschung und Lehre. Die bestehen‐ den akademischen Ausbildungseinrichtungen für Leibeserzieher wurden zu fachlich breit aufgestellten sportwissenschaftlichen Instituten und Fakultäten ausgebaut. Ein Wesensmerkmal der Sportwissenschaft war/ ist ihr interdisziplinärer Charakter mit sportmedizinischer, biomechanischer, trainingswissenschaftlicher, sportpädagogischer, sportpsychologischer, sportsoziologischer und sporthistorischer Ausrichtung. Im Rah‐ men dieser Querschnittswissenschaft spielte die Sportgeschichte zunächst eine durch‐ aus bedeutsame Rolle. An allen größeren Instituten und Fakultäten war Sportgeschichte ein akademisches Lehrfach; Sporthistoriker stellten an vielen Standorten die Instituts‐ leitung. In der 1976 gegründeten Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft bildete sich 1982 die Sektion Sportgeschichte, die auf einer Vielzahl von gut besetzten Tagun‐ gen ein breites sporthistorisches Themenspektrum behandelte. Anspruchsvolle Zeit‐ schriften mit unterschiedlicher thematischer Schwerpunktsetzung („Stadion“, „Nikepho‐ ros“, „Sozial- und Zeitgeschichte des Sports“, „SportZeiten“) dienten als Sprachrohr für aktuelle sporthistorische Forschungsbeiträge. 86 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 86 <?page no="87"?> Wissenschaftsorganisatorisch ist die Sportgeschichte angebunden an die Sportwis‐ senschaft, forschungsmethodisch orientierte sie sich zunehmend an den Standards der deutschen Geschichtswissenschaft, mit der sie allerdings personell und organisatorisch bis heute wenig vernetzt ist (Luh, 2018). Mit Blick auf die wissenschaftliche Qualität der bundesdeutschen, universitär ver‐ ankerten Sportgeschichte vollzog sich seit den 1970er Jahren ein qualitativer Sprung. Die Sporthistoriker um Bernett, Ueberhorst, A. Krüger, Lämmer, Decker, Langenfeld, Peiffer, Pfister, M. Krüger und Teichler mit ihrer Vielzahl von Schülern bearbeiteten nach geschichtswissenschaftlichen Standards das weite Feld sportlicher und bewe‐ gungskultureller Entwicklung insbesondere von den Philanthropen und Friedrich Lud‐ wig Jahn, über die Zeit der entstehenden Turnvereinsbewegung im 19. Jh., über das Kaiserreich, die Weimarer Republik bis hin zum Nationalsozialismus und zur deutschdeutschen Zeitgeschichte des Sports. Notwendigermaßen standen zunächst grundle‐ gende verbands- und organisationsgeschichtliche Aufarbeitungen der nationalen Turn- und Sportgeschichte, zeitgeschichtlich bedeutsame Turn- und Sportfeste, die Olympischen Spiele, ebenso die biographiegeschichtliche Betrachtung maßgebender sportpolitischer Handlungsträger wie die historische Entwicklung ausgewählter Sport‐ arten im Vordergrund. Zunächst dominierten politik- und ideologiegeschichtliche Ar‐ beiten zur sporthistorischen Vergangenheitsbewältigung mit einer Vielzahl von Stu‐ dien zum Sport im Nationalsozialismus, (leider weniger) zur Weimarer Zeit, zum Arbeitersport und zum Sport in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Ideolo‐ giekritisch wurde insbesondere die politische Vereinnahmung des Sports in der deut‐ schen Zeitgeschichte im Sinne sporthistorischer Aufklärungsarbeit thematisiert. Die Vielzahl von Veröffentlichungen folgte zunächst eher den methodischen Quali‐ tätsstandards und Paradigmen eines modernen Historismus auf der Grundlage herme‐ neutisch orientierter Primärquellenarbeit. Seit den 1980er Jahren wurde diese For‐ schungsrichtung ergänzt und erweitert durch sozialgeschichtliche, regional-, lokal-, alltags- und biographiegeschichtliche und schließlich auch durch körper- und ge‐ schlechtergeschichtliche Ansätze. Erkenntnisreiche Abstecher in den Bereich der Sportgeschichte finden sich zudem bei Volkskundlern und Kulturwissenschaftlern wie Bausinger (2006), Vertretern der historischen Verhaltensforschung wie Nitschke (1981) und Eichberg (1973) oder aber bei Kultur- und Sozialhistorikern wie Behringer (2012). Hierbei erscheint sportliches Verhalten als ein universales, sich historisch wandelndes Kulturmuster, das in Längsschnittanalysen über die Jahrhunderte hinweg in unter‐ schiedlichen europäischen und außereuropäischen Regionen verfolgt wird. Insbesondere von Sporthistorikern wie Wedemeyer-Kolwe (2004; 2010), Günther (2005) oder Reinold (2016) wird seit jüngerer Zeit vehement eine stärkere Ausrichtung der universitären Sportgeschichte auf das geschichtswissenschaftliche Paradigma der Neuen Kulturgeschichte gefordert (Daniel, 2001; Landwehr, 2009), um dem Bedeu‐ tungsverlust der Sportgeschichte innerhalb der Sportwissenschaft fachlich-inhaltlich entgegenzutreten und gleichzeitig eine engere Anbindung an die Mutterwissenschaft zu ermöglichen. Die aktuellen Jahrestagungen der wiederbelebten Sektion Sportge‐ 87 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 87 <?page no="88"?> schichte in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft der Jahre 2017 an der Ruhr-Universität Bochum und 2018 an der Leibniz Universität Hannover thematisieren in enger Kooperation mit Vertretern der historischen Mutterwissenschaft wie Eisen‐ berg, Martschukat oder Stieglitz insbesondere kulturgeschichtliche Ansätze bei der Aufarbeitung menschlicher Bewegungskultur (Luh & Gissel, 2018). Der Mensch ist in der Sichtweise der Neuen Kulturgeschichte ein „Kulturwesen“, „begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewusst zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen“ (Weber, 1988, S. 180). In allen Kulturen erschaffen Men‐ schen in allen gesellschaftlichen Teilbereichen wie Politik, Wirtschaft, Kunst, Archi‐ tektur, Wissenschaft, Rechtsprechung, Militärwesen und Sport, in den Lebensbereichen von Sprache, Krankheit, Sexualität, Körperlichkeit, Bewegung, Tanz, Festgestaltung, Erinnerungskultur, Geschlecht, Kindheit, Alter u. a. mit Sinn behaftete, gegenständli‐ che und nicht gegenständliche Artefakte. Die Neue Kulturgeschichte zielt auf der Grundlage der konstruktivistischen Sichtweise des „linguitic turn“ auf die Entzifferung des historischen Sinns dieser Artefakte und spricht davon, die symbolischen Ordnun‐ gen, die in den Artefakten enthalten sind und sich historisch wandeln, zu dekodieren (Landwehr, 2009). Waren die 1980er Jahre die Hochzeit der deutschen Sportgeschichte in Hinblick auf ihre akademische Verankerung als anerkannte sportwissenschaftliche Teildisziplin, so führt die Sportgeschichte heute „eher ein Schattendasein unter den mächtigeren an‐ deren Disziplinen der Sportwissenschaft“ (Krüger, 2005a, S. 9). Die Sportgeschichte lie‐ fert eine humanwissenschaftlich orientierte, nicht direkt verwertbare Grundlagenfor‐ schung innerhalb einer in weiten Teilen anwendungsorientierten Sportwissenschaft mit vielfältigen sportpraktisch und sportorganisatorisch umsetzbaren Erkenntnissen und Dienstleistungsfunktionen. In den aktuellen Studienordnungen sportwissen‐ schaftlicher Ausbildungseinrichtungen ist nur noch selten Platz für Sportgeschichte. An der Mehrzahl der sportwissenschaftlichen Ausbildungseinrichtungen ist Sportge‐ schichte inzwischen weder inhaltlich noch personell verankert (Luh, 2018). Dem Niedergang der akademischen Sportgeschichte steht allerdings ein zuneh‐ mendes Interesse der Öffentlichkeit an sporthistorischen Themen gegenüber, wie Fernsehdokumentationen, sporthistorische Ausstellungen und die vielfältig nachgefragte historische Aufarbeitung der olympischen Geschichte und der Ge‐ schichte des Fußballs zeigen. Auch die Geschichtswissenschaft zeigt inzwischen Interesse an sporthistorischen Themen, auch wenn sich eine systematische Be‐ arbeitung sporthistorischer Phänomene innerhalb der Mutterwissenschaft der Sportgeschichte nicht abzeichnet. Obwohl der Sport zu einem globalen und den Lebensalltag bestimmenden Phänomen geworden ist, gibt es an deutschen ge‐ schichtswissenschaftlichen Fakultäten Lehrstühle für Umwelt-, Technik-, Mili‐ tär-, Gendergeschichte u. a., aber noch keinen Lehrstuhl für Sportgeschichte. 88 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 88 <?page no="89"?> 3.2.3 Themenfelder, Theorien und Methoden der Sportgeschichte Untersuchungsgegenstände und Themen der Sportgeschichte Wenn man sich mit der Bewegungskultur verschiedener Völker in unterschiedlichen Zeiten beschäftigt, muss die Bestimmung des Begriffs Sport weit gefasst sein. Sport wird deshalb im Folgenden verstanden „als ein nach festen Regeln ablaufender Umgang mit dem Körper, der immer verbunden ist mit den in der jeweiligen Zeit bestehenden kul‐ turellen Normen und Werten, der also zeitabhängig, demnach wandelbar und verän‐ derbar ist“ (Beckers, 1995, S. 19). Die Untersuchungsgegenstände und Themen sporthistorischer Forschung sind nicht kanonisier- und eingrenzbar. Bewegungskulturelle Phänomene zu allen Zeiten und in allen Kulturen können mit unterschiedlichen Fragestellungen in den Blick genommen werden, z. B. das Bogenschießen der Pharaonen, die Leibeserziehung in Sparta, die an‐ tiken Olympischen Spiele, die Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen der Römer, das Schneeschuhlaufen der Germanen, die mittelalterlichen Ritterturniere, das Armbrust‐ schießen städtischer Schützengilden, die frühneuzeitlichen Fußball- und Tennisspiele, barocke Tänze an Fürstenhöfen, die Gymnastik der Philanthropen, das Jahnsche Tur‐ nen, die Turnvereinsbewegung in der Zeit der 1848er Revolution, die Deutsche Tur‐ nerschaft im Kaiserreich, die Entwicklung des Schulsports, Coubertin und die moderne olympische Bewegung, die Entwicklung des Fußballs zum Massenphänomen und die sozialistische Arbeitersportbewegung in der Weimarer Zeit, die Anpassung und Gleich‐ schaltung des deutschen Sports im NS, die Sportstrukturen in der BRD und in der DDR, der Strukturwandel der modernen olympischen Bewegung seit den 1980er Jahren, aber auch die Inlineskater auf der Kölner Domplatte, die Ballspiele der Maya, das japanische Sumo, ebenso wie die Geschichte von Sportarten, Sportverbänden oder die staatliche Sportpolitik u. v. m. Epocheneinteilung In der deutschen Sporthistoriographie werden sportliche Phänomene in der Regel dem abendländisch-europäisch orientierten, chronologischen Grundmuster von Antike, Mittelalter und Neuzeit zugeordnet. In ausdifferenzierter Form ergibt sich in abend‐ ländisch-deutscher Betrachtungsperspektive folgende chronologische Einteilung: Ur‐ sprungstheorien des Sports - die frühen Hochkulturen (z. B. Ägypten) - das antike Griechenland und Rom - Mittelalter - Renaissance, frühe Neuzeit und Aufklärung - das bürgerlich-industrielle Zeitalter des 19. Jh. bis zum Ersten Weltkrieg - die Weimarer Zeit - die NS-Zeit und die Zeitgeschichte des Sports in DDR und BRD. Das für deutsche Sportstudierende aktuell maßgebende, dreibändige sporthistorische Übersichtswerk ist dieser Epocheneinteilung verpflichtet (Krüger, 2004; 2005a; 2005b). Wie auch immer verschiedene Periodisierungsschemata zur orientierenden Einord‐ nung bewegungskultureller Phänomene aussehen, eine allgemeingültige Lösung für marxistisch, geistesgeschichtlich oder sozialwissenschaftlich orientierte Sporthistori‐ ker, japanische, europäische oder arabische Sporthistoriker kann es nicht geben. Denn 89 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 89 <?page no="90"?> Epocheneinteilungen ergeben sich nicht sachlogisch aus sich selbst heraus, sondern sind das Ergebnis deutender Erklärung vergangenen Geschehens. Epocheneinteilun‐ gen haben immer ihren spezifischen didaktischen Wert, der reflektiert zu begründen ist (Becher, 1997). Erkenntnistheoretische Besonderheiten sporthistorischen Arbeitens Die lebensweltliche Bedeutung historischen Denkens für den einzelnen Menschen wie für menschliche Gemeinschaften wurde bereits erläutert (vgl. Kap. 3.2.1). Im Folgenden soll nun nachgezeichnet werden, welchen besonderen Nutzen das systematische, me‐ thodisch reflektierte, wissenschaftlich ausgeformte historische Denken und seine Ver‐ ankerung in sportwissenschaftlichen Studiengängen bringen, welche erkenntnistheo‐ retischen Besonderheiten die (Sport-)Geschichtswissenschaft aufweist und was die methodischen Arbeitsschritte einer sporthistorischen Untersuchung sind. Zunächst ist festzustellen, dass das wissenschaftlich geformte historische Denken ähnliche Denkoperationen umfasst wie das alltägliche historische Denken. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass bei der alltäglichen Form historischen Denkens Orientierungsbedürfnis, deutendes Erinnern und erzählende Sinnstif‐ tung in der Regel eine unreflektierte, ineinander verwobene Einheit bilden (vgl. Abb. 3.2.1) wie etwa die lamentierende Aufarbeitung eines gerade erlebten Fußballspiels in der Stammkneipe des Lieblingsvereins. Orientierungsbedürfnis, deutendes Erinnern und erzählende Sinnstiftung spielen zwar auch bei einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Aufarbeitung eines sporthistorischen Phä‐ nomens eine zentrale Rolle. Aber die Operationen sporthistorischer Forschung, die einer solchen Analyse zugrunde liegen, treten reflektiert und methodisch geregelt auseinander, um den Plausibilitätsgehalt und den Objektivitätsanspruch der zu gewinnenden Erkenntnisse zu steigern (vgl. Abb. 3.2.2). Hierbei erweisen sich der Objektivitätsanspruch historischer Erkenntnis und „das Ver‐ hältnis von Fakten und Interpretation [als das methodologische] Kernproblem der Geschichtstheorie“ (Lorenz, 1997, S. 18-19). Dieses Kernproblem wird anhand der Arbeitsweise eines Sporthistorikers offensichtlich, der anhand eines Augenzeugenbe‐ richts das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern untersuchen möchte. Welche „Realität“ gibt die ausgewählte Primärquelle des Augenzeugenberichts („Rea‐ lität der Quelle“) mit Blick auf das „tatsächliche Ereignis“ („Realität des Geschehens“) überhaupt wieder? Interpretiert der Historiker den vorliegenden Augenzeugenbericht korrekt („Realität der Interpretation“) bzw. würde ihn eine andere Historikerin nicht ganz anders deuten? Der Historiker ordnet die interpretierten Aussagen des Augen‐ zeugenberichts in Form einer sprachlichen Darstellung. Aber was hat die „Realität der sprachlichen Darstellung“, die zudem von jedem Leser unterschiedlich verstanden werden kann („Realität der rezipierten Darstellung“), mit der „Realität des Endspiels“ überhaupt noch zu tun? 90 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 90 <?page no="91"?> Und wie steht es dann mit der Aussage von Leopold v. Ranke (1795-1886), einem der Begründer der deutschen Geschichtswissenschaft, dass es die Aufgabe des Historikers sei, zu zeigen, wie es wirklich gewesen ist? Leopold v. Ranke war als Vertreter des sogenannten Historismus der Ansicht, dass man sich nur lange und tief genug in die historischen Quellen versenken müsse, um die „Realität“ vergangenen Geschehens verstehend zu ergründen (Krüger, 2005a). In einer radikalen Auslegung des methodologischen Kernproblems historischer Er‐ kenntnis verwerfen postmoderne Vertreter und Vertreterinnen des sog. „linguistic“ oder „cultural turn“ und in ihrem Gefolge auch die (sport-)historischen Verfechter der Neuen Kulturgeschichte (s. o., s. u.) jeden historischen Objektivitätsanspruch. Es gebe keine ob‐ jektiven historischen Entwicklungen, die über erhaltene Quellen objektiv zu rekonstru‐ ieren sind. Geschichte ist demnach eine subjektive, gedanklich-narrative Konstruktion eines Historikers auf der Grundlage subjektiv gefärbter Hinterlassenschaften vergange‐ nen Geschehens. Dementsprechend ist die Geschichtsschreibung genauso fiktiv wie z. B. die Poesie oder andere Formen der Literatur (Lorenz, 1997; Luh, 2018). Im Angesicht dieser methodologischen Herausforderungen an den historischen Erkenntnisgewinn werden im Folgenden die spezifische Form der (möglichen) historischen Objektivität und die gesteigerten Vernunftchancen methodisch geregelten, wissenschaftlich verfassten historischen Denkens herausgearbeitet. Historische Methode Die Historische Methode konstituiert sich in der „Gesamtheit der Regeln des historischen Denkens. Sie bestimmen die Verfahren, nach denen die menschliche Vergangenheit als Geschichte vergegenwärtigt wird“ (Rüsen, 1997, S. 140). Der Begriff Historische Methode ist hierbei sehr weit gefasst und meint die übergreifenden methodischen Operationen eines historischen Forschungsprozesses, der die „Vielfalt der methodischen Verfahren, mit denen überprüfbar Informationen über die Vergangenheit aus deren empirischer Bekundung gewonnen werden“ (Rüsen, 1986, S. 92), einschließt. In diesem Sinne sind dem sog. Dreischritt von Heuristik, Kritik und Interpretation (vgl. Abb. 3.2.2) nicht nur qualitative (hermeneutisch-quellenkritische und inhaltsanalytische) Verfahren, son‐ dern auch quantitativ-statistische Vorgehensweisen zuzuordnen, abhängig von der Fragestellung des Forschenden und den relevanten Quellenbeständen. Die methodi‐ schen Operationen historischen Forschens sind wie folgt zu kennzeichnen: 91 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 91 <?page no="92"?> Abb. 3.2.2: Die methodischen Operationen historischen Forschens (Luh, 2004, S. 447) Thematisierung und Fragestellung Am Anfang einer (sport-)historischen Untersuchung (Rohlfes, 1997) steht das histo‐ risch-zeitliche Orientierungsbedürfnis des forschenden Historikers und seiner Rezipi‐ enten. Aus ihm erwachsen erkenntnisleitende Interessen, die in Form von Arbeitshy‐ pothesen oder Fragestellungen ausformuliert und offengelegt werden. Die Qualität der Fragestellungen bzw. Arbeitshypothesen entscheidet maßgebend über die Qualität des Forschungsprozesses insgesamt (Rüsen, 1986). Kriterien für sinnvolle Fragestellungen sind ■ die gesellschaftliche Relevanz der Fragestellungen, d. h. ihre Bedeutung für das menschliche Orientierungsbedürfnis, ■ die Orientierung der Fragestellungen am Stand der bereits geleisteten Forschung, so dass eine Wissens- und Erkenntniserweiterung möglich wird und ■ die methodische Durchführbarkeit der geplanten Untersuchung vor dem Hin‐ tergrund der vorhandenen Ressourcen der/ des Forschenden. 92 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 92 <?page no="93"?> Beispielsweise ist der weitere Erkenntnisgewinn bezüglich des Dopingsystems und der Dopingpraxis im Leistungssport der DDR und in der BRD von erheblicher gesellschaft‐ licher Relevanz für die Vielzahl der heute in sehr unterschiedlicher Weise von diesem historischen Phänomen Betroffenen: für die Geschädigten und Gedopten selber, für die damit befassten Juristen und für ehemalige und heutige Verbandsverantwortliche und Sportmediziner bezüglich ihres Umgangs mit Doping. Von der sporthistorischen For‐ schung bereits aufgearbeitet sind insbesondere das System des Dopings in der DDR und seine zentralen sportpolitischen und institutionellen Steuerungsmechanismen (Spitzer, 1998a). Weiterführende Erkenntnisse dagegen sind von personenbezogenen, lokalen Fallstudien mit Blick auf Opfer, Täter und Handlanger zu erwarten (Spitzer, 2007). Wünschenswerte flächendeckende Feldstudien über die Form der regionalen und lo‐ kalen Umsetzung der Dopingpraxis in den Sportclubs und Kinder- und Jugend-Sport‐ schulen sind allerdings forschungspragmatisch nur mit erheblichen personellen und materiellen Ressourcen zu leisten. Die Besonderheiten und die Praxis des Dopings in der BRD im Vergleich zur DDR sind dagegen überhaupt erst ansatzweise erforscht (Blume, 2012). Heuristik Ausgehend von seinen Fragestellungen und Arbeitshypothesen, begibt sich der Histo‐ riker auf die Suche nach Informationsquellen aus der Vergangenheit. Als Quellen sind hierbei alle historischen Hinterlassenschaften anzusehen, die Informationen und Er‐ kenntnisse zu der bearbeiteten Fragestellung liefern können (Brandt, 2007). Möglichst alle relevanten Quellenbestände werden gesammelt, gesichtet, klassifiziert und hin‐ sichtlich ihres Informationsgehalts eingeschätzt. Unterschiedliche Quellenarten sind bezüglich des methodischen Umgangs mit ihnen sorgfältig zu unterscheiden, wobei der Historiker - bis auf die systematische Befragung von Zeitzeugen in der Oral History - auf die Untersuchung von Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit angewiesen ist und sich keine Quellen selber schaffen kann. In der Vergangenheit eigens zum Zwecke der Überlieferung geschaffene Hinterlas‐ senschaften werden als Tradition klassifiziert (z. B. Siegerstatuen antiker Olympioniken im Heiligen Hain von Olympia, die Turngeschichtsschreibung des 19. Jh., Autobiographien von Sportfunktionären), im Gegensatz zu sogenannten Überresten, die nicht eigens zum Zwecke der Überlieferung hinterlassen wurden (z. B. altägyptische Kom‐ positbögen, das römische Kolosseum, Sportbekleidung, Sitzungsprotokolle oder Brief‐ wechsel aus dem Schriftgut des Nationalsozialistischen Reichsbunds für Leibesübun‐ gen). Gegenständliche Quellen (z. B. Sportstadien, Sportgeräte, mumifizierte Tote) sind von schriftlichen Quellen zu unterscheiden (z. B. die Sportberichterstattung in Zeitun‐ gen, Vereinsprotokolle, Festschriften, Vereinsregister, Mitgliederlisten, behördliches Schriftgut, Tagebücher, Verbandszeitschriften, Texte von Fangesängen in Fußballsta‐ dien, Gemälde und Fotos mit sportlichen Themen). 93 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 93 <?page no="94"?> Kritik „Mit der Quellenkritik betritt die historische Forschung den festen Boden der Tatsäch‐ lichkeit der historischen Erkenntnis … Die Quellenkritik ist das Nadelöhr zur histori‐ schen Objektivität“ (Rüsen, 1986, S. 107). Daten über vergangene menschliche Hand‐ lungen, Zustände und Entwicklungen werden intersubjektiv überprüfbar aus den empirischen Hinterlassenschaften der Vergangenheit erhoben und belegt, wodurch der Plausibilitätsgehalt der wissenschaftlich verfassten Geschichtsschreibung gesteigert wird. Bei hermeneutisch zu erschließendem, „klassischem“ Quellenmaterial (sport-)histo‐ rischer Untersuchungen ist zunächst dessen Echtheit und Vollständigkeit zu überprü‐ fen (äußere Quellenkritik). Abzuklären ist zudem: Wer ist der Urheber einer Quelle und was waren dessen Ziele? Wann, wo und in welchem zeitgeschichtlich-gesellschaftli‐ chen Kontext ist die Quelle entstanden, und wer waren die Adressaten? Vor diesem Hintergrund sind der Informationsgehalt der Quelle und seine innere Stimmigkeit zu erfassen (innere Quellenkritik). Fremdsprachige Quellen sind zu übersetzen, vorkom‐ mende Begriffe, Symbole, Personen u. a. sind abzuklären (Rüsen, 1986; Rohlfes, 1997). Interpretation Mit Bezug auf die forschungsleitenden Fragestellungen werden die quellenkritisch ge‐ wonnenen Informationen aus der Vergangenheit zu einer Vorstellung von der Verän‐ derung gesellschaftlicher Zustände, Lebensbedingungen und menschlicher Handlun‐ gen in der Form einer historischen Erklärung bzw. Deutung verknüpft (Rüsen, 1986; Rohlfes, 1997). Der Forschende muss sich hierzu in die vergangene Zeit hineinversetzen und gesellschaftliche Zustände und menschliche Vorstellungen nachvollziehend ver‐ stehen. Teil dieses hermeneutischen Prozesses sind allerdings ebenso das Wiederauf‐ tauchen aus den vergangenen Zeiten und die Konfrontation des Vergangenen mit den Wertmaßstäben der eigenen Gegenwart bei der Interpretation und Verknüpfung der quellenkritisch gesammelten Informationen. Historische, aber auch sozial- oder sprachwissenschaftliche Theoriebildungen, Modelle und Kategorien unterschiedlicher Reichweite können hierbei hilfreich sein (Rüsen, 1986; Lorenz, 1997; Rohlfes, 1997), wie die folgenden drei Fallbeispiele verdeutlichen sollen: Die theoriegeleitete Verwendung historischer Begriffskategorien wie Anpassung und Widerstand (Rüsen, 1986) ermöglicht beispielsweise eine differenziertere Deutung der quellenkritisch erhobenen Informationen zum Verhalten bürgerlicher, sozialdemokra‐ tischer und kommunistischer Sportfunktionäre im Zeitraum der nationalsozialisti‐ schen Machtergreifung und Herrschaftssicherung. Die Unterschiede zwischen dem frühneuzeitlichen Fußballspiel in England, dem „Hurling“, und unserem heutigen Fußballspiel sind genauer und gehaltvoller zu be‐ schreiben und zu erklären, wenn man zivilisationstheoretische Erklärungskonzepte hinzuzieht, um die quellenkritisch erhobenen Informationen zu den überlieferten Spielpraktiken zu deuten (Dunning, 1973; Elias & Dunning, 2003). „Vormoderne“ und 94 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 94 <?page no="95"?> „moderne“ sportliche Verhaltensweisen von Zuschauern und Spielern können dann klar voneinander abgegrenzt, typisiert und analytisch erklärt werden. Günther untersucht mit Hilfe des Habituskonzepts von Bordieu die Körper- und Bewegungsformung und die Festgestaltung der norddeutschen Turnbewegung im 19. und 20. Jh. Die theoriegeleitete Analyse verdeutlicht, dass die gesellschaftliche Verste‐ tigung polarer Geschlechterverhältnisse bei der Gestaltung des Frauenturnens erst seit Ende des 19. Jh. dominierte, während in der frühen Entwicklungsphase des 19. Jh. sogar emanzipatorische Momente im Frauenturnen vorherrschten (Günther, 2005). Darstellung Die historische Darstellung vermittelt die im Forschungsprozess gewonnene Vorstel‐ lung von der menschlichen Vergangenheit in Form einer Geschichte, deren Darstellung adressatenorientiert dem historischen Orientierungsbedürfnis der betroffenen Men‐ schen entsprechen sollte. Hierbei hat eine „wissenschaftliche Geschichte“ ihren Argu‐ mentationsgang zu reflektieren sowie offene Fragen aufzudecken, damit der Erkennt‐ nisfortschritt historischer Forschung in Gang gehalten wird (Rüsen, 1997). Die besonderen Leistungen eines wissenschaftlich ausgeformten, methodisch gere‐ gelten (sport-)historischen Denkens umfassen demnach: ■ die Offenlegung der forschungsleitenden Fragestellungen, ■ die begründete, möglichst umfassende, in einem hermeneutischen Zirkel zu er‐ weiternde Suche und Bearbeitung relevanter Quellenbestände, ■ die Offenlegung der Werte und Normen, auf deren Grundlage die aus den Quel‐ len ermittelten Informationen interpretiert werden und ■ das Mitdenken anderer, ergänzender und erweiternder, aber auch konkurrie‐ render Argumentationen, so dass es zu einer Perspektivenerweiterung in der eigenen Bewertung vergangenen Geschehens kommen kann. Die historische Methode führt nicht zu universalen, objektiv gültigen, einheitli‐ chen Aussagen und Deutungen im Sinne einer Produktobjektivität. Die histori‐ sche Objektivität, die durch wissenschaftlich verfasstes historisches Denken er‐ möglicht wird, ist eine als Begründungsobjektivität bezeichnete Form (Lorenz, 1997). In diesem Sinne sind der zu leistende „Wahrheitsanspruch“ und „Objekti‐ vitätsanspruch“ historischen Denkens zu verstehen (Rüsen, 1983), auch im An‐ gesicht der Herausforderungen durch den postmodernen „linguistic turn“. Theoretische Konzepte und Forschungsrichtungen in der Sportgeschichte Ein Großteil der Sporthistoriographie orientiert sich an dem klassisch-hermeneuti‐ schen Verfahren einer geisteswissenschaftlich orientierten Geschichtswissenschaft, bei dem es um die Rekonstruktion der Vergangenheit auf der Grundlage systematisch er‐ fasster Quellenbestände geht, ausgehend von heute interessierenden Fragestellungen. Bei den stärker sozialwissenschaftlich und kulturgeschichtlich orientierten Konzepten in 95 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 95 <?page no="96"?> der Sporthistoriographie geht es dagegen eher um die theoretisch begründete Um- und Neustrukturierung der quellenkritisch, inhaltsanalytisch und auch statistisch-quanti‐ tativ erhobenen Datenbestände (Rohlfes, 1997). In diesem Zusammenhang werden im Folgenden die Forschungskonzepte der Gesellschaftsgeschichte, der Zivilisationsge‐ schichte und der Neuen Kulturgeschichte vorgestellt. ■ Das geschichtswissenschaftliche Konzept der Gesellschaftsgeschichte distan‐ zierte sich seit den 1960er Jahren vom Wirkungskonzept des Historismus, das auf der historischen Gestaltunzugskraft großer Individuen und Ideen beruhte. Der Gesellschaftsgeschichte geht es um die Analyse der Austauschbeziehungen und der Wechselwirkungen der verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche, z. B. Politik, Wirtschaft, Sport, Medien, Wissenschaft, Religion, des Erziehungs- und des Gesundheitssystems u. a. Neben hermeneutisch-quellenkritische Ver‐ fahren des Erkenntnisgewinns treten vor allem statistisch-quantitative und in‐ haltsanalytische Verfahren, mit denen z. B. mit Blick auf sportliche Themenstellungen Zuschauerzahlen, Verbandsmitgliedschaften, soziale Schichtungen im Sport, der Wandel von Sporteliten, Einkommensstrukturen, Mentalitätsver‐ schiebungen u. a. erfasst werden (Eisenberg, 2010; 2018). Der Sport wird hierbei als autonomes Handlungssystem mit eigener Identität verstanden, das aufgrund seines Eigenwelt- und Spielcharakters Alleinstellungsmerkmale besitzt und Leistungen erbringt, die von keinem anderen gesellschaftlichen Teilbereich er‐ bracht werden (Schimank, 1995). Der Sport wird in dieser Perspektive als eine der zentralen „Ligaturen“ gesehen, die Individuen und gesellschaftliche Grup‐ pen in großen Nationalstaaten und darüber hinaus global über Kontinente hin‐ weg miteinander verbinden (Eisenberg, 2010). Die umfassende Darstellung der deutschen Turnbewegung und Körpererziehung im 19. Jh. von Krüger ist konzeptionell dem gesellschaftsgeschichtlich orientierten Kon‐ zept von Wehler und Langewiesche zuzuordnen, die den Prozess der deutschen Nati‐ onsbildung auf politischer, ökonomischer und kultureller Ebene verfolgen und mitein‐ ander vernetzen (Wehler, 1995; Langewiesche, 2000). Hierbei konzentriert sich Krüger in seiner erkenntniserweiternden Darstellung auf den in der Geschichtswissenschaft vernachlässigten Beitrag turnerischer Körperkultur zur deutschen Nationsbildung auf soziokultureller Ebene (Krüger, 1996). Ein anderes Beispiel für den gesellschaftsgeschichtlichen Forschungsansatz liefert die Potsdamer Forschungsgruppe um Hans Joachim Teichler (2001). Teichler u. a. un‐ tersuchten seit Ende der 1990er Jahre das Sportsystem der DDR mit Hilfe des Theo‐ rieansatzes von „Herrschaft und Eigen-Sinn“, wie er von dem Sozial- und Zeithistoriker Thomas Lindenberger zur Erforschung der DDR-Alltagsgeschichte entwickelt worden war (Lindenberger, 1999). Hierbei werden die Strukturen von Herrschaft auf der einen Seite dem Geflecht von sozialen Herrschaftsbeziehungen auf der anderen Seite gegen‐ übergestellt. DDR-„Herrschaft“ im Bereich des Leistungs-, Breiten- und Freizeitsports erscheint nach diesem Ansatz als vielfach divergierendes Kontinuum von typisierbaren 96 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 96 <?page no="97"?> systemtragenden, systemkonformen, systemdistanzierten und auch widerständigen Verhaltensweisen, wobei sich der DDR-Spitzensport plausiblerweise als ein stärker „durchherrschtes“ Teilsystem des DDR-Sports darstellt. ■ Geht es bei der Gesellschaftsgeschichte des Sports eher um Strukturen und Funktionen des Sports in der modernen Gesellschaft, beschäftigt sich die Zivi‐ lisationsgeschichte des Sports stärker mit der Erklärung langfristiger bewegungs‐ kultureller Wandlungen (Krüger, 2010). Die zivilisationsgeschichtliche Betrachtungsweise des Sports in ihren unterschiedlichen Varianten stammt ursprüng‐ lich von Vertretern der Kultursoziologie und der Kulturgeschichte (Elias; Eich‐ berg) sowie der Kulturanthropologie (Nitschke; Bausinger; Behringer) und hat von hier aus ihre Wirkung in der Sportgeschichte entfaltet. Nach Elias, einem der Hauptvertreter zivilisationstheoretischer Ansätze, ist der Mensch ein von Trieben und Affekten bestimmtes Wesen. Der Prozess der Zi‐ vilisation, der verbunden ist mit Bevölkerungswachstum, der Zunahme arbeits‐ teiliger Arbeitsformen und immer dichterer Kommunikation, erfordert eine Zu‐ nahme von Trieb- und Affektkontrollen sowohl auf der Ebene des einzelnen Individuums (Psychogenese) als auch auf der Ebene der Gesellschaft (Sozioge‐ nese). Die Zunahme der Gewaltkontrolle beim englischen Fußballspiel vom aus‐ gehenden Mittelalter bis in die Moderne (Elias & Dunning, 2003) oder die Zu‐ nahme der Gewaltkontrolle vom antiken olympischen Boxen bis zum modernen Boxen im 19. Jh. sind für Elias Ausdruck eines solchen Zivilisationsprozesses. In der zivilisationstheoretischen Perspektive kommt es zu weitreichenden Ver‐ netzungen der Sportgeschichte, der Sitten- und Verhaltensgeschichte und auch der politischen Geschichte. Für Elias sind beispielsweise die frühe Versportli‐ chung der Bewegungskultur wie die frühe Staatenbildung und Parlamentarisie‐ rung in England die Kehrseiten der gleichen Medaille. Denn sowohl bei der sportlichen als auch bei der politischen Auseinandersetzung ging es um den reglementierten Kampf um Macht und Interessen, um die Akzeptanz von Schiedsrichterentscheidungen, um Sieg und Niederlage, um die faire Behand‐ lung des Unterlegenen und dessen erneute Chance bei einer möglicherweise folgenden Auseinandersetzung. Zivilisationstheoretische Ansätze finden in der Sportgeschichte zunehmend Verwendung etwa zur Aufarbeitung der Entwick‐ lung von Gewalt im Zuschauersport (Dunning, Murphy & Williams, 1990), bei der Geschichte des Tanzes (Klein, 1992) oder bei der Entwicklung von Ge‐ schlechterbeziehungen im Sport (Malcolm & Waddington, 2008). ■ Im Sinn des „linguistic turn“ geht es der Neuen Kulturgeschichte des Sports nicht um die Analyse vermeintlich realer historischer Gegenstände und Strukturen, sondern um die Entzifferung von Machtstrukturen, die sprachlich über Erzähl‐ formen und Begriffe zum Ausdruck kommen. Der Blick auf Geschichte verändert sich vor dem Hintergrund dieses Paradigmenwechsels grundlegend. Historikern aus dem Kreis der Neuen Kulturgeschichte wollen mit Hilfe von Quellentexten und theoriegeleiteten Diskursanalysen nicht auf historische Wirklichkeiten 97 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 97 <?page no="98"?> schließen. Kulturhistorische Ansätze zielen vielmehr auf die Analyse von Sinn‐ strukturen und Bedeutungen, mit denen Individuen und Gesellschaften der Ver‐ gangenheit ihre vielfältige Lebenswirklichkeit verstanden und gedeutet haben (Daniel, 2001; Landwehr, 2009). Sporthistorische Forschungsvorhaben müssen in Zukunft nach Ansicht des Autors des vorliegenden Beitrags unabhängig von ihrer kategorialen Zuordnung zu bestimmten Forschungsparadigmen methodisch wie methodologisch den folgenden Anforderun‐ gen gerecht werden (Luh, 2018): ■ Ereignis- und organisationsgeschichtlich orientierte Details müssen in ihren Zusammenhängen quellenorientiert und theoriegeleitet erarbeitet werden. ■ Strukturelle Zusammenhänge verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche sind aufzudecken. ■ Handlungsspielräume von Funktionsträgern sind aufzuzeigen. ■ Mentalitäten und Wertvorstellungen gesellschaftlicher Gruppen sind zu analy‐ sieren. ■ Individuelle und kollektive Wahrnehmungs- und Deutungsmuster erfahrener Wirklichkeiten sind zu entziffern. ■ Themenadäquat sind verschiedenartige qualitative, quantifizierende, kompara‐ tive, verstehende und erklärende methodische Instrumentarien reflektierend anzuwenden. ■ Eigene Erkenntnisperspektiven und methodologische Grundlagen sind reflek‐ tierend in die Ergebnisdarstellung mit Blick auf die Erkenntnisreichweite ein‐ zubeziehen u. v. a. 3.2.4 Verhältnis der Sportgeschichte zur Sportpraxis Für das Verhältnis der Sportgeschichte zur Sportpraxis ist zunächst festzuhalten, dass Sportgeschichte keinen direkten „Nutzen“ etwa für die Konzeption schulischen Sport‐ unterrichts, für die Gestaltung eines Trainingsprozesses, für die rehabilitative Behand‐ lung von Sportverletzungen oder für die inhaltliche und organisatorische Neukonzep‐ tion eines Sportvereinsangebotes bietet. Anknüpfend an die Ausführungen zu der anthropologischen Bestimmung des Menschen als „Homo historicus“ und anknüpfend an die Herausarbeitung unterschiedlicher Orientierungsleistungen (sport-)histori‐ schen Denkens (vgl. Kap. 3.1.1), wird das Verhältnis der Sportgeschichte zur Sportpraxis anhand des Praxisbeispiels Kinder und Jugendliche im DDR-Spitzensport konkretisiert. Will ein Sporthistoriker ein komplexes gesellschaftliches Teilsystem wie den (Nach‐ wuchs-)Leistungssport in der DDR untersuchen, muss er sich vorher selbst Klarheit über aktuelle Fragen und Bezüge seines Untersuchungsgegenstands verschaffen. Eine solche Klärung ist ein zentraler Bestandteil des historisch-hermeneutischen Erkennt‐ nisprozesses. Denn vor allem „unsere Selbsterfahrung verschafft uns einen Zugang zur Fremderfahrung, und diese wiederum ermöglicht uns Selbsterfahrung“ (Rohlfes, 1997, 98 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 98 <?page no="99"?> S. 72), so ein erkenntnistheoretischer Grundsatz der Hermeneutik. In diesem Sinn er‐ fordert und fördert der analysierende und bewertende Blick auf das medaillenträchtige Nachwuchs-Leistungssportsystem der DDR die selbstkritische Klärung der eigenen leistungssportlichen Wertmaßstäbe und die Klärung der eigenen leistungssportlichen Zielvorstellungen auf Seiten des forschenden Sporthistorikers: Wie wichtig ist einer Ge‐ sellschaft bzw. dem kritisch wertenden Sporthistoriker der Erfolg bei Olympischen Spielen und welche materiellen und personellen Mittel bzw. zentralen Steuerungs‐ maßnahmen möchte bzw. soll eine (freie) Gesellschaft hierfür einsetzen? Ist die Ziel‐ vorstellung von Goldmedaillen oder Endkampfteilnahmen in allen medaillenträchtigen Sportarten überhaupt sportethisch sinnvoll und erstrebenswert? Sind Spitzenerfolge in allen Sportarten wirklich erwünscht, auch in Sportarten, in denen hochleistungs‐ sportliche Trainingsmaßnahmen schon im frühen Kindesalter notwendig bzw. Do‐ pingmaßnahmen weitverbreitet sind? Ist eine medial orientierte Gesellschaft bereit, auch fünfzehnte Plätze im Turnen der Frauen bzw. Kugelstoßen der Männer anzuer‐ kennen? Die sporthistorische Aufarbeitung der Zwangsdelegierung von Kindern und Ju‐ gendlichen an Trainingszentren und Sportschulen bzw. deren Zwangs-Ausdelegierung ohne Beteiligung der Erziehungsberechtigten wie im Leistungssportsystem der DDR (Wiese, 2012) sind in einer freien Gesellschaft im Sinne einer humanen Spitzensport‐ förderung nicht denkbar, ebensowenig die staatlich diktierte Beschränkung von olym‐ pisch (nicht) geförderten Sportarten oder gar das staatlich organisierte System eines flächendeckenden Zwangsdopings. Auf ganz andere Weise inhuman ist aber auch ein freiheitlich-demokratisches Leistungssportsystem, das junge, hochmotivierte Men‐ schen, die bereit sind, die spitzensportlichen Strapazen und Unsicherheiten auf sich zu nehmen, organisatorisch, materiell und personell nicht optimal fördert (Gienger, 2008). Inhuman ist deshalb auch ein teures, ineffizientes System des Nachwuchsleistungs‐ sports mit Mängeln in der organisatorischen Abstimmung von föderaler und zentraler Talentsichtung/ Talentförderung über Landes- und Bundeskader, mit Mängeln bei der Erstellung und Umsetzung von Rahmentrainingsplänen für Kaderstufen, mit struktu‐ rellen Mängeln bei der Arbeit und Zusammenarbeit von Olympiastützpunkten, Ver‐ bandsstützpunkten, schulischen Bildungsstätten und sportwissenschaftlicher For‐ schung (Emrich et al., 2008). Am Beispiel der sporthistorischen Untersuchung des Kinder- und Jugend-Spit‐ zensports in der DDR wird eine fundamentale Bedeutung der historischen Per‐ spektive deutlich: Indem der historisch-hermeneutisch denkende Mensch auf der einen Seite in die Strukturen und Entwicklungen des DDR-Nachwuchssports nachvollziehend eintauchen und auf der anderen Seite wertend wieder auftauchen muss, ist er gezwungen, seine eigenen Positionen zu zentralen Untersuchungs‐ fragen zu klären und weiterzuentwickeln. Der historisch forschende Blick auf das zeitlich „Andere“ wird damit zu einem reflektierenden Blick auf die eigene Iden‐ tität. 99 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 99 <?page no="100"?> Praxisbeispiel: Kinder und Jugendliche im DDR-Spitzensport aus sporthistorischer Perspektive Bundesdeutsche Sportwissenschaftler beschäftigen sich mit Blick auf das The‐ menfeld Kinder und Jugendliche im Spitzensport ausführlich mit sportmedizini‐ schen, trainingswissenschaftlichen, biomechanischen, sportpsychologischen, sportsoziologischen und sportpädagogischen Aspekten. Aus sporthistorisch-ent‐ wicklungsgeschichtlicher Perspektive ist eine kritische Aufarbeitung des The‐ menbereichs Kinder und Jugendliche im Spitzensport der BRD bislang nicht er‐ folgt. Dagegen haben sich bundesdeutsche Sporthistoriker vergleichsweise umfassend mit dem Spitzensport von Kindern und Jugendlichen in der DDR be‐ schäftigt. Das sportpolitisch-zeitgeschichtlich motivierte Erkenntnisinteresse der Sporthistoriker galt hier insbesondere der Frage, wie es möglich war, dass ein Land mit nur 17 Mio. Einwohnern neben den bevölkerungsreichen Großstaaten USA und UDSSR zu einer der drei führenden Welt-Sportnationen bei den Olympi‐ schen Spielen von 1972 bis 1988 aufsteigen konnte. Der Grund für die spitzen‐ sportliche Leistungsfähigkeit der DDR lag in einem weltweit einmaligen, zentral gesteuerten und flächendeckend umgesetzten Talentsichtungs- und Talentförder‐ system, das lückenlos alle Kinder vom frühen Schulkindalter bis zum jungen Er‐ wachsenen erfasste. Ziele waren die leistungssportliche Überflügelung des west‐ deutschen Konkurrenten und die internationale Anerkennung der DDR als sozialistisches deutsches Staatswesen. Die systematische Förderung jugendlicher Talente im Sport begann in der DDR auf Anregung von Walter Ulbricht und des SED-Zentralkomitees Anfang der 1950er Jahre. Über den Weg des Leistungs‐ sports sollte in der Zeit des Kalten Kriegs die Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftsmodells demonstriert werden. Auf Beschluss des ZK der SED er‐ folgte seit 1952 die Eröffnung der ersten Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) in Berlin, Leipzig, Brandenburg und Halberstadt. Bis Ende der 1950er Jahre waren die KJS frei zugängliche allgemeinbildende Schulen für sportbegabte Schüler mit erweitertem Turn- und Sportunterricht. Ihre leistungssportorientierte Ausrich‐ tung und internatsmäßige Abschließung erfolgte erst in den 1960er Jahren nach der Gründung des Deutschen Turn- und Sportbunds der DDR (DTSB) und der endgültigen Teilung Deutschlands durch den Bau der Mauer (Hartmann, 1998). Weitere Elemente des entstehenden leistungssportlichen Systems für Kinder und Jugendliche in der DDR waren seit 1965 die Spartakiadebewegung, die in der Folgezeit eingerichteten 1.700 Trainingszentren (TZ) für Schulkinder in allen größeren Städten und Gemeinden der DDR, das Programm der Einheitlichen Sichtung und Auswahl für die Trainingszentren und Trainingsstützpunkte des DTSB der DDR (ESA) seit Anfang der 1970er Jahre, die den sogenannten Sport‐ clubs angeschlossenen 25 Kinder- und Jugendsportschulinternate, das For‐ schungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS), der Sportmedizinische Dienst 100 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 100 <?page no="101"?> (SMD) und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES). In den 1970er Jahren wurden die einzelnen Elemente der Talentsuche und Talentför‐ derung im Spitzensport der DDR auf Beschluss des ZK der SED unter der Ägide des DTSB-Vorsitzenden und ZK-Mitglieds Manfred Ewald zu einem effizienten, eng miteinander verzahnten und hocheffektiven System der Spitzensportför‐ derung zusammengeschlossen (Hartmann, 1998; Teichler & Reinartz, 1999; Rei‐ chelt, 2006). Garanten des internationalen Erfolgs waren u. a. Tausende von akademisch qualifizierten, hauptamtlich bezahlten Trainern, politisch gesteu‐ erte einheitliche Umsetzungskonzepte, die Konzentration des Leistungssports auf medaillenträchtige olympische Sportarten, aber auch ein systematisch durch den Staat organisiertes, flächendeckendes Zwangsdopingsystem, das bei Kindern und Jugendlichen in den KJS einsetzte (Seppelt & Schück, 1999), und die bereits in den Trainingszentren beginnende systematische Überwachung durch Spitzel (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (Spitzer, 1998b). Mit Blick auf die in Kap. 3.2.3 vorgestellten sporthistorischen Konzepte sind Sporthistoriker bei der Erforschung des Kinder- und Jugend-Spitzensports der DDR unterschiedliche Wege gegangen. Die empirische Datengrundlage lieferte hierbei zweifellos die hermeneutisch orientierte Primärquellenanalyse. Frage‐ stellungen der Sporthistoriker betreffen beispielsweise die organisatorische Struktur der KJS, deren Wandel vom offenen Schulbetrieb zum Internat, die Finanzierung der Sportclubs, die Auswahl der Schulkinder für die Delegierung in die Trainingszentren, den Umfang der politischen Kontrolle der KJS. Quel‐ lengrundlage hierzu sind z. B. zeitgeschichtliche Veröffentlichungen in wissen‐ schaftlichen Zeitschriften der DDR, Reden der Parteivorsitzenden, Protokolle von Sitzungen des ZK der SED, Briefwechsel zwischen Funktionsträgern des Systems, Haushaltsunterlagen der TZ/ KJS, Trainingspläne der Sportverbände, sogenannte Treffberichte von Stasi-Mitarbeitern (IM), Gutachten und Proto‐ kolle von Sportärzten des Sportmedizinischen Dienstes, Trainingstagebücher von jungen Sportlern, Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen TZ/ KJS-Schülern und TZ/ KJS-Trainern. Bei der Analyse von Handlungsspielräumen von Trai‐ nern und jungen Athleten im Spitzensportsystem der DDR von 1952 bis 1989 war der theoretische Ansatz von „Herrschaft und Eigensinn“ (Teichler, 2001; Spitzer, 2007) zur interpretativen Bewertung des Primärquellenbefunds hilf‐ reich. In diesem Zusammenhang kommen biographiegeschichtliche historische Forschungsansätze auf der Grundlage von Zeitzeugeninterviews mit ehemali‐ gen TZ- und KJS-Schülern, mit ehemaligen Trainern und KJS-Schuldirektoren zum Tragen (Delow, 1999; Wiese, 2012). Eher entwicklungsgeschichtlich ori‐ entierte Untersuchungen stellen die Veränderungen in der Funktion, Organi‐ sation, Ausstattung und Arbeitsweise der KJS von 1952 bis 1990 im jeweiligen zeitgeschichtlichen Zusammenhang in den Vordergrund. Eher struktur- und gesellschaftsgeschichtlich orientierte Ansätze vernetzen das System des DDR-Nachwuchsleistungssports und dessen innen- und außenpolitische, öko‐ 101 3.2 Sportgeschichte (Andreas Luh) 101 <?page no="102"?> nomische, erzieherische, mediale Implikationen mit den Bereichen von DDR-Innenpolitik, DDR-Außenpolitik, DDR-Ökonomie und DDR-Erziehungs‐ system (Niese, 1997; Teichler & Reinartz, 1999). Lokalgeschichtliche Einzelfall‐ studien zu einer bestimmten KJS oder einem TZ stellen den Alltag des Kinder- und Jugend-Leistungssports als ergänzendes Korrektiv zu strukturgeschichtlichen Ansätzen in den Vordergrund. Komplexe Untersuchungen zum Thema Kinder- und Jugendleistungssport in der DDR verbinden die unter‐ schiedlichen entwicklungs-, struktur-, biographie-, alltags-, lokal- und kultur‐ geschichtlichen Forschungsansätze gewinnbringend miteinander (Wiese, 2012). Kontrollfragen 1. Der Mensch kann sich als denkendes Wesen an Vergangenes erinnern und Zukunftsvorstellungen entwickeln. Erläutern Sie die Bedeutung von Ver‐ gangenheit, Gegenwart und Zukunft für die Identitätsbildung des Menschen. 2. Sporthistoriker können auf verschiedenartige Orientierungsleistungen his‐ torischen Denkens verweisen. Nennen Sie vier dieser Orientierungsleistun‐ gen und erläutern Sie eine davon genauer. 3. Sportgeschichte war noch in den 1980er Jahren eine bedeutsame Teildiszi‐ plin der Sportwissenschaft. Skizzieren Sie die Stellung der Sportgeschichte dieser Zeit und erläutern Sie die Gründe für ihren akademischen Niedergang in Deutschland seit den 1990er Jahren. 4. Der Objektivitätsanspruch historischer Erkenntnis gilt als das methodolo‐ gische Kernproblem der Geschichtstheorie. Erläutern Sie diese Aussage un‐ ter Bezugnahme auf die sich gegenüberstehenden Argumentationslinien des sogenannten Historismus und des sogenannten „linguistic turn“. 5. Geschichtswissenschaftliches Denken konstituiert sich durch die „histori‐ sche Methode“. Erläutern Sie den Arbeitsgang einer (sport-)historischen Untersuchung und nennen Sie mögliche sporthistorische Untersuchungs‐ gegenstände. 6. Die lebensweltlich-alltägliche Bedeutung historischen Denkens unterschei‐ det sich vom wissenschaftlich ausgeformten (sport-)historischen Denken. Erläutern Sie die charkateristischen Unterschiede? 7. Erläutern Sie das geschichtswissenschaftliche Konzept einer Gesellschafts‐ geschichte des Sports, auch mit Blick auf dessen Distanzierung vom Wir‐ kungskonzept des Historismus. 8. Erläutern Sie das theoretische Konzept und die besonderen Erkenntnisinte‐ ressen einer Neuen Kulturgeschichte des Sports. 102 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 102 <?page no="103"?> 9. Nennen Sie die aufeinander aufbauenden Stufen des Kinder- und Ju‐ gend-Leistungssports in der DDR und wesentliche Charakteristika, die die‐ ses System international so erfolgreich gemacht haben. Literatur Bausinger, H. (2006). Sportkultur. Tübingen: Attempto. Becher, U. A. J. (1997). Periodisierung. In K. Bergmann, K. Fröhlich, A. Kuhn, J. Rüsen & G. Schneider (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik (S. 127-132). Seelze-Velber: Kallmeyer. Beckers, E. (1995). Vom Gang des Bewusstseins - und dem Schwinden der Sinne. Band. 1. Mythos, Sinnlichkeit, Körperlichkeit. Sankt Augustin: Academia-Verlag. Behringer, W. (2012). 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Hildesheim: Arete. 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) Siegen und Verlieren, Erfolg und Misserfolg im Sport hängen von zahlreichen Faktoren ab, von individuellen Leistungsvoraussetzungen, vom Trainingszustand, von der ak‐ 106 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 106 <?page no="107"?> tuellen „Form“, aber auch von der „Mentalen Stärke“, d. h. von der absoluten Bereit‐ schaft und vom Können, sein gesamtes Leistungspotential im Wettkampf nutzen zu können. Der Spitzensport ist eines unter mehreren Anwendungsfeldern der Sportpsy‐ chologie. Sportpsychologen arbeiten eng mit Spitzenathleten zusammen und vermit‐ teln beispielsweise Strategien, um mit dem Wettkampfstress und den aktuellen Bedin‐ gungen des Wettkampfs effektiv umgehen zu können. Der Gesundheitssport ist ein weiteres Anwendungsfeld. Personen mit Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes, denen vom Arzt geraten wird, durch körperliche Aktivität etwas für ihre Gesundheit zu tun, steigen vielleicht in eine Kam‐ pagne ihrer Krankenkasse ein, halten aber die Verhaltensänderung zu einem aktiven Lebensstil nicht über einen längeren Zeitraum aufrecht. Sie steigen aus, weil sie zu viele Beschwerden haben, alles zu aufwändig ist oder sie keine Lust haben. Aus der sportpsychologischen Gesundheitsforschung ist bekannt, dass soziale Unterstützung in diesem Stadium sehr wichtig ist. Wenn die Absicht, Sport zu treiben vorhanden ist, aber durch Schwierigkeiten und Barrieren behindert wird, sind sportpsychologische Prinzipien nutzbar: eine gezielte Planung des Sportengagements, das Vermitteln von Erfolgserlebnissen oder der Einsatz von sozialer Unterstützung durch Familie, Freunde oder Sportkollegen, um nachhaltig an der regelmäßigen sportlichen Aktivität festzu‐ halten. Auch im Schulsport greifen sportpsychologische Prinzipien, etwa können Schüler in zahlreichen Situationen an ihre Grenzen kommen. Das kann die geringe Bewegungs‐ erfahrung im Turnen sein, die Furcht beim Tauchen in tiefem Wasser, die Unerfahren‐ heit mit körperlicher Anstrengung bei einem Ausdauertraining oder die Angst vor Blamage in Leistungssituationen. Um entsprechend kompetent reagieren zu können, müssen Sportlehrer geschult sein, die Emotionen der Schüler zu deuten. Angst zeigt sich beispielsweise in körperlichen Reaktionen wie Blässe, übermäßigem Schwitzen oder in Zittern und Verkrampfungen. Andere Indikatoren können aus auffälligem Ver‐ halten geschlossen werden, wie dem Rückzug oder dem sozial übertriebenen Verhalten, das besondere Aufmerksamkeit hervorrufen soll. Derartigen Situationen kann im Sportunterricht vom geschulten Beobachter mit entsprechenden Angst reduzierenden Maßnahmen (z. B. Ermutigung, Sicherheitsstellung) begegnet werden. Anhand dieser exemplarischen Beispiele aus den Bereichen Spitzensport, Gesund‐ heit und Schule kann der Phänomenbereich der Sportpsychologie weiter spezifiziert werden. Die Sportpsychologie ist eine Disziplin, die als Forschungsfeld, universitäres Lehrfach und auch als Anwendungsbereich mittlerweile in Wissenschaft und Sport‐ praxis tief verankert ist. Nimmt man die Gegenstandsbereiche Sport und Psychologie, lassen sich zwei Ausrichtungen (Sportpsychologie oder Sportpsychologie) entsprechend der speziellen Schwerpunktsetzungen differenzieren. Schlicht (2009) klärt diese Frage mit einem „sowohl als auch“ auf. Dabei betont er die besonderen Möglichkeiten und Zugänge, die sich aus der „Kreuzung“ der beiden Disziplinen ergeben. Die Psychologie ist in ihren Theorien und Methoden die ältere und stärker differenzierte Disziplin, 107 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 107 <?page no="108"?> während die Sportpsychologie zwar als interdisziplinär ausgerichtet, aber als noch re‐ lativ junge Disziplin wahrgenommen wird. Lernziele ■ Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Sportpsychologie be‐ schäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Sportpsychologie entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihrer Mutter‐ wissenschaft bestehen. ■ Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Sportpsycho‐ logie kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Sportpsycho‐ logie den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Pro‐ blem-/ Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportpsychologie zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungser‐ gebnissen beimisst. 3.3.1 Einführung - Phänomene und Themen der Sportpsychologie Der Gegenstandsbereich der Psychologie und der Sportpsychologie wird gleicherma‐ ßen darin gesehen, das Verhalten und Erleben des Menschen und deren Ursachen und Wirkungen zu analysieren ( Janssen, 1995). Für den Kontext des Sports kann man sich an Brand (2010, S. 16) orientieren: „Definitorisch zusammengefasst beschäftigt sich die wissenschaftliche Sportpsy‐ chologie mit dem für körperliche Aktivität und besonders Sport relevanten Ver‐ halten und Erleben. Sie widmet sich insbesondere der Beschreibung, der Erklä‐ rung, der Vorhersage oder der Veränderung solchen Verhaltens und Erlebens und fundiert damit die praktische Anwendung sportpsychologischer Erkenntnisse im Feld.“ In der psychologischen Betrachtung von Erleben und Verhalten wird die Perspektive „Innenwelt“ - z. B. Ich erlebe „Ärger“ aufgrund eines Misserfolgs - vom Verhalten, d. h. der Perspektive „Außenwelt“ - z. B. Ich vermeide einen weiteren Versuch - getrennt. Diese Person-Umwelt-Interaktion wird im Grundmodell der Verhaltenserklärung nach Nolting und Paulus (2015) verdeutlicht (vgl. Abb. 3.3.1). Es sind vier Aspekte, mit denen Verhalten beschrieben und auch erklärt werden kann: (1) die aktuellen Prozesse im Individuum, (2) die Bedingungen der Situation, (3) die Merkmale (Eigenschaften) der Person und (4) Aussagen über den Hintergrund dieser Merkmale im Sinne der Ent‐ wicklungsbedingungen der Person. 108 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 108 <?page no="109"?> Abb. 3.3.1: Grundmodell der Verhaltenserklärung nach Nolting und Paulus (2015, S. 113) Für das Beispiel aus dem Schulsport bedeutet dies: Ein Schüler ist motiviert, beispiels‐ weise das Hindernis (Bock, Kasten, Pferd) zu überwinden, aber vielleicht nicht selbstsi‐ cher oder sogar gehemmt. Aktuelle Prozesse werden häufig von den situativen Bedin‐ gungen ausgelöst (Anreger) und spiegeln sich im inneren Erleben wider: Der Schüler will eigentlich am Sportunterricht aktiv teilnehmen, fühlt sich aber überfordert. Dieses innere Geschehen (innere Prozesse und Zustände) lässt sich weiter differenzieren. Die Situation wirkt auf das psychische System. Dazu gehören die „Wahrnehmung“, das „Denken“ (im Sinne von erfassen), die „Emotion“ (im Sinne von bewerten), die „Motiva‐ tion“ (im Sinne von anregen) und das „Denken“ (im Sinne von planen). Diese inneren Bewertungs- und Entscheidungsprozesse werden im äußeren Verhalten (Effekt) sicht‐ bar, z. B. als gehemmt ausgeführter Versuch, möglicherweise mit einem „hängen blei‐ ben“ am Kasten. In diesen aktuellen Prozessen zeigt sich einerseits das kognitive Erfas‐ sen der Aufgabe, andererseits können emotionale Bewertungen und daraus folgende motivationale Tendenzen die kognitive Planung soweit beeinflussen, dass das beobacht‐ bare Vermeidungsverhalten daraus folgt. In diese Beschreibung gehen noch weitere As‐ pekte ein: die Persönlichkeitsebene als personale Disposition und die individuellen Ent‐ wicklungsbedingungen als Reifung und Lernen. Möglicherweise ist der Schüler in seinem Persönlichkeitsprofil so ausgerichtet, dass er Situationen vermeidet, in denen die Gefahr besteht, Misserfolge zu erleben. Damit zeigt er eine Verhaltenstendenz, die in der Moti‐ vationspsychologie als „Furcht vor Misserfolg“ bezeichnet wird und die im Gegensatz zur Verhaltenstendenz „Hoffnung auf Erfolg“ steht. Bezieht man nun auch zusätzlich die 109 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 109 <?page no="110"?> Entwicklungsbedingungen ein, könnte man als Hintergrund für das Verhalten folgende Informationen nehmen: Der Schüler hat keine sehr aktive Sportsozialisation genossen und wurde von seinen Eltern nicht besonders ermutigt, Sport zu treiben. Das Grundmodell der Verhaltenserklärung (vgl. Abb. 3.3.1) - skizziert anhand des Beispiels aus dem Schulsport - lässt sich nutzen, um den komplexen Bezug von Erleben und Verhalten abzubilden und stellt eine Grundlage zum Verständnis psychologischer Prozesse dar. 3.3.2 Entstehung und Entwicklung der Sportpsychologie Historisch hat sich die Sportpsychologie als Disziplin in Deutschland aus der experi‐ mentell ausgerichteten Psychologie der 1920er Jahre entwickelt. Einen entscheidenden Aufschwung nahm die Sportpsychologie ab Mitte der 1960er Jahre, wobei hier die sportwissenschaftliche Orientierung einen wesentlichen Einfluss hatte. Im Zusam‐ menhang mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 1972 in München und einer politisch ausgerichteten Konkurrenzsituation zur DDR flossen zusätzliche Mittel in den Ausbau der Sportwissenschaft. Davon hat auch die Sportpsychologie profitiert (Gabler, 2004; Janssen, 2009). Heutzutage ist die Sportpsychologie in Deutschland institutionell an die sportwis‐ senschaftlichen Institute und Fakultäten der Universitäten sowie an die Sporthoch‐ schule Köln angegliedert. Sportpsychologie wird als Wissenschaft und auch als An‐ wendungsdisziplin betrieben, wobei Bezüge zu sehr unterschiedlichen Zielfeldern wie dem Spitzen- und Breitensport, der Prävention und Rehabilitation oder dem Schulsport gegeben sind. Die thematischen Bereiche sind ähnlich ausgerichtet wie in der Psycho‐ logie und umfassen z. B. Motivation, Volition, Emotion, Kognition oder sozialpsycho‐ logische Phänomene. Aktuelle Forschungsergebnisse werden in der Zeitschrift für Sportpsychologie präsentiert. Die Organisation und der Berufsverband für Sportpsy‐ chologen in Deutschland ist die Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie e. V. (asp). 3.3.3 Themenfelder und Theorien der Sportpsychologie Zentrale Themen der Sportpsychologie sind insbesondere Motivation, Volition, Emo‐ tion, Kognition und soziale Interaktion. Diese werden im Folgenden aufgegriffen und unter Bezug auf prominente Theorien und Anwendungsbereiche kurz dargestellt. Motivation Was bewegt Sportler, über Jahre hinweg in einer Sportart zu trainieren, auf vieles zu verzichten und trotz Rückschlägen an ihrem sportlichen Erfolg weiter zu arbeiten? Warum finden manche in sportlichen Leistungssituationen ihre Erfüllung während andere dem Sport nichts abgewinnen können? Versucht man diese Fragen zu beant‐ worten, beschäftigt man sich zwangsläufig mit Motiven zum Sporttreiben und dem sportpsychologisch relevanten Thema Motivation. 110 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 110 <?page no="111"?> Ein Motiv ist eine relativ stabile Persönlichkeitsdisposition (trait), die beschreibt, wie wichtig einer Person bestimmte, thematisch ähnliche Handlungsziele sind. Wenn Motive durch bestimmte situative Bedingungen (Anreize) angeregt wer‐ den, entsteht Motivation. Damit sind die inneren Prozesse im Sinne von Nolting und Paulus (2015) gemeint, die als Interaktion zwischen Person- und Situations‐ faktoren zu verstehen sind. Ein zentrales Motiv im Spitzensport, das seit Jahrzehnten Gegenstand vieler sportpsy‐ chologischer Forschungsarbeiten ist, stellt das Leistungsmotiv dar (Gabler, 2002; Hänsel, Baumgärtner, Kornmann & Ennigkeit, 2016; Heckhausen & Heckhausen, 2018; Wegner, Mirko, 2019). Innerhalb des Leistungsmotivs wird zwischen den beiden relativ stabilen Tendenzen Hoffnung auf Erfolg (HE; aufsuchende Tendenz) und Furcht vor Misserfolg (FM; vermeidende Tendenz) unterschieden. Personen mit einer hohen Hoffnung auf Erfolg sind erfolgszuversichtlich, während Personen mit einer hohen Furcht vor Miss‐ erfolg misserfolgsängstlich sind. Leistungsmotivation als Zustand (state) lässt sich als Bestreben charakterisieren, eine Aufgabe zu meistern und dabei einen sozialen (z. B. einen Konkurrenten im Wettkampf besiegen) oder individuellen (z. B. weiter springen als beim letzten Wettkampf) Gütemaßstab zu erreichen oder zu übertreffen (Stoll, Pfef‐ fer & Alfermann, 2010). Nach Atkinson (1974) entsteht Leistungsmotivation in der Tradition der Erwartungs-Wert-Theorien dann, wenn zum Leistungsmotiv situative Anreize treten. Das Risikowahlmodell (Atkinson, 1974) dient der Vorhersage von Leis‐ tungshandeln auf Basis individueller Leistungsmotivation, wobei die Situationspara‐ meter durch den Personfaktor (Leistungsmotiv) determiniert werden (Beckmann & Keller, 2009). Als situative Variablen gelten die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit und der Anreiz des Erfolgs. Der Anreiz hängt dabei von der subjektiven Erfolgswahr‐ scheinlichkeit ab, die Aufgabe lösen zu können, wobei eine invers-lineare Beziehung zwischen den beiden Variablen besteht: ist die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit sehr hoch, ist der Anreiz des Erfolgs gering und umgekehrt. Neben dem Leistungsmotiv können im Spitzensport auch das Machtmotiv, das An‐ schlussmotiv und das Aggressionsmotiv eine Rolle spielen. Diese Motive sind im Kon‐ text des Sports allerdings deutlich weniger untersucht (Beckmann & Keller, 2009). Um Menschen generell zu motivieren, scheint es wichtig zu sein, in erster Linie motivre‐ levante Anreize zu bieten und subjektive Erwartungen zu beeinflussen, da Motive im Sinne von Dispositionen schwer veränderbar sind. Mögliche Ansätze zur Förderung der Leistungsmotivation sind beispielsweise das Trainerverhalten, die generelle Ziel‐ setzung oder die Bewertungsmuster. Als weiteres Motiv ist das Gesundheitsmotiv für viele Menschen ein Beweggrund, sich regelmäßig und dauerhaft sportlich zu betätigen. Insbesondere für die Aufnahme eines kontinuierlichen Sportengagements sind Gesundheit und Wohlbefinden bedeu‐ tende Ziele. Vorausgesetzt, Bewegung und Sport sind gesundheitsrelevant und kör‐ perliche Inaktivität stellt einen sekundären Risikofaktor dar, ist für möglichst viele Menschen ein gesundheitswirksames Minimum an Bewegung anzustreben. In 111 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 111 <?page no="112"?> Deutschland erreichen allerdings noch immer vier Fünftel der erwachsenen Bevölke‐ rung nicht die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sich 2,5 Stunden pro Woche zu bewegen (Pfeffer, 2019; Krug et al., 2013). Vor dem Hintergrund eines immer spezifischeren Wissens um die Zusammenhänge regelmäßiger Bewegung und den verschiedenen Facetten von Gesundheit - physisch (z. B. Blutdruck), psychisch (z. B. Selbstbewusstsein), sozial (z. B. Einsamkeit), objektiv (z. B. Arzturteil), subjektiv (Wohlbefinden) - gewinnt damit ein Verständnis über die Mechanismen der Aufnahme und Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen und langfristigen Aktivitätsverhaltens an Relevanz. Eine mögliche und sportpsychologisch relevante Herangehensweise an das Problem der Änderung eines Gesundheitsverhaltens z. B. über regelmäßige sportliche Aktivität, kann über sogenannte Stadien- und Prozessmodelle beschrieben werden (Pfeffer & Wegner, Manfred, 2019; Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010). Im Gegensatz zu reinen Mo‐ tivations- oder Volitionstheorien wird davon ausgegangen, dass eine Verhaltensände‐ rung nicht kontinuierlich stattfindet, sondern das Ergebnis eines stufenförmigen Ver‐ laufs darstellt. Auch das Transtheoretische Modell (TTM) von Prochaska und DiClemente (1992) folgt der Annahme, dass sich Verhaltensänderung durch das Durch‐ laufen unterschiedlicher Stadien auszeichnet. Heute wird das Modell auf eine Vielzahl von Veränderungen von Verhaltensweisen angewendet, auch auf Bewegung und Sport als Gesundheitsverhalten (Pfeffer & Wegner, Manfred, 2019). Nach dem TTM nähert sich eine Person über fünf Stadien dem (stabilen) Zielverhalten. Die einzelnen Stadien unterscheiden sich nach dem Grad der Bereitschaft, ein Verhalten - z. B. eine regel‐ mäßige Sportaktivität - aufzunehmen: ■ Absichtslosigkeit (Präkontemplation): In diesem Stadium wird nicht nur kein Sport betrieben, sondern es besteht auch kein Interesse, dieses Verhalten für sich in Erwägung zu ziehen. ■ Absichtsbildung (Kontemplation): Dieses Stadium ist bereits durch das ernst‐ hafte Nachdenken über eine Änderung des bisherigen Verhaltens (körperliche Inaktivität) und das Abwägen möglicher Vor- und Nachteile einer Verhaltens‐ änderung gekennzeichnet. ■ Vorbereitung (Präparation): Der Entschluss zu regelmäßiger sportlicher Aktivi‐ tät ist gefasst. Ein sportlich aktives Verhalten wird ausprobiert. ■ Aktion: In diesem Stadium ist eine regelmäßige Ausübung sportlicher Aktivi‐ täten aufgenommen. Ab jetzt wird die Verhaltensänderung von außen direkt beobachtbar. ■ Aufrechterhaltung (Maintenance). Die körperlich-sportliche Aktivität wird über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeübt. Diese fünf Stadien („stages of change“) werden bei einer Verhaltensänderung nicht zwangsläufig als „Einbahnstraße“ durchlaufen (Pfeffer & Wegner, Manfred, 2019). Per‐ sonen können auch eine einmal begonnene Aktivität wieder beenden (Rückfall vom 112 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 112 <?page no="113"?> Handlungsin das Vorbereitungs- oder Absichtsbildungsstadium) oder lange Zeit kei‐ nen Handlungsbedarf sehen (Verharren im Stadium der Absichtslosigkeit). Als Erklärungstheorie beschäftigt sich das TTM mit der Frage, welche Faktoren den Übergang von einem zum nächsten Stadium steuern. Über die individuell wahrgenom‐ menen Kosten und Nutzen des Verhaltens (Konsequenzerwartungen) sowie die Selbst‐ wirksamkeitserwartungen hinsichtlich des Sporttreibens (Reed, 2001) können Techni‐ ken und Strategien genutzt werden, dass Personen von einem Stadium zum nächsten voranschreiten. Für Personen mit unterschiedlicher Bereitschaft zur Verhaltensände‐ rung haben Prochaska und DiClemente (1992) fünf kognitiv-emotionale Strategien und fünf verhaltensorientierte Strategien benannt (ausführlich Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010): ■ Die kognitiv-emotionalen Strategien umfassen (1) das Steigern des Problembe‐ wusstseins, (2) das emotionale Erleben, (3) die Neubewertung der persönlichen Umwelt, (4) die Selbstneubewertung, (5) das Wahrnehmen förderlicher Um‐ weltbedingungen. ■ Zu den verhaltensorientierten Strategien gehören (1) die Selbstverpflichtung, (2) die Kontrolle der Umwelt, (3) die Gegenkonditionierung, (4) das Nutzen hilfrei‐ cher Beziehungen und (5) die (Selbst-)Verstärkung. Es wird angenommen, dass die Änderungsstrategien an verschiedenen Übergängen wirksam sind. Trotz offener Fragen hat das TTM im Bereich der Interventionsfor‐ schung zur Förderung der Sportaktivität eine hohe Ausstrahlungskraft (Hutchison, Breckon & Johnston, 2009; Lippke & Kalusche, 2007; Pfeffer & Wegner, Manfred, 2019). Volition Mit der Motivation wird beschrieben, warum sich Menschen so und nicht anders ver‐ halten (Gabler, 2002; Heckhausen & Heckhausen, 2018). Allerdings gibt es viele Situa‐ tionen, in denen verschiedene Motivationstendenzen in Konkurrenz stehen oder ein erwartetes Verhalten gar nicht ausgeführt wird, obwohl die Person eigentlich dazu motiviert ist. Warum schaffen es einige Sportler im Leistungssport, sich immer wieder zu motivieren, regelmäßig mehrfach am Tag zu trainieren? Oder woran liegt es, dass beispielsweise Personen mit Übergewicht nicht sportlich aktiv werden, obwohl sie es eigentlich beabsichtigen zu tun? Hier bleibt es nur bei der Absicht, die aber nicht als Verhalten realisiert wird. Dieses „hätte“, „könnte“, „würde“ beschreibt den Fall, dass zwar eine Absicht be‐ steht, das gewünschte Verhalten aber nicht ausgeführt wird. Das Konstrukt, das hilft die Lücke zwischen der Absichtsbildung und der Handlung zu schließen, ist die Volition (Wille). Auf der Basis motivationstheoretischer Erkenntnisse wird die Willensbildung als Prozess verstanden (Kuhl, 1983). Besonders deutlich wird dieser Prozesscharakter im Rubikon-Modell (Heckhausen & Heckhausen, 2018; sportbezogen Bertrams & Englert, 2019; Hänsel et al., 2016; Wegner, 113 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 113 <?page no="114"?> Manfred, 2016). Hier werden vier Phasen beschrieben, die einen Handlungsprozess vorbereiten, begleiten und abschließen. In der (1) prädezisionalen Phase (motivational) werden unterschiedliche Motivationstendenzen beschrieben (z. B. zum Training gehen, Freunde treffen, Fernsehabend), bevor überhaupt die Entscheidung zu einer Handlung getroffen ist. (2) In der postdezisionalen Phase (volitional) wird sich für eine Motiva‐ tionstendenz entschieden, d. h. die Absicht für ein bestimmtes Verhalten formuliert. Die Planungsphase für das Zielverhalten (zum Training gehen) wird durch gezielte Pläne unterstützt. Das sind zum einen Handlungspläne, die als „Wenn-dann-Bezie‐ hungen“ formuliert werden („Wenn ich am Dienstag von der Arbeit nach Hause komme, nehme ich meine Sporttasche und gehe zum Training.“). Je konkreter diese Handlungspläne aufgestellt sind, desto wahrscheinlicher ist das Verhalten. Zum ande‐ ren können Bewältigungspläne formuliert werden. Hierbei handelt es sich um „Not‐ fallstrategien“, falls etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt („Bei schlechtem Wetter nehme ich nicht das Fahrrad, sondern es ist abgemacht, dass mich mein Trai‐ ningspartner mit dem Auto abholt.“). (3) Die aktionale Phase (volitional) beschreibt die Fortführung des Prozesses mit der Handlungsausführung. Faktoren der Handlungs‐ steuerung wie die Anstrengungsbereitschaft helfen, die Handlung entsprechend durchzuführen. (4) Die abschließende postaktionale Phase (motivational) dient der Be‐ wertung der Handlung (Ursachenzuschreibung). Als Kriterien für die Ursachenzuschreibung gelten in der Motivationstheorie (z. B. Weiner, 1974; Heckhausen & Heckhausen, 2018) zwei Bereiche mit vier Kernkriterien, (a) die Stabilität der Bewer‐ tung in den Bereichen stabil (Fähigkeit) oder variabel (Anstrengung) und (b) die Be‐ zugsebenen internal (Aufgabenschwierigkeit) und external (Zufall, Glück, Pech). Emotion Emotionen spielen im Sport eine bedeutende Rolle. Sehr häufig können in sportlichen Leistungssituationen sowohl positive als auch negative Emotionen erlebt und beob‐ achtet werden. Emotionen haben die Funktion, den Organismus in Handlungsbereitschaft zu versetzen, denn sie lösen auf einer subjektiv-gefühlsmäßigen und einer physio‐ logischen Ebene Reaktionstendenzen im Verhalten aus und regulieren somit Ver‐ haltensweisen (Egloff, 2009). Eine mögliche Beziehung, die den Zusammenhang von Emotionen und sportlicher Leistung beschreibt, wird über die Yerkes-Dodson-Funktion (Yerkes & Dodson, 1908) dargestellt. Das Aktivierungsniveau - verstanden als eindimensionaler psychophysi‐ scher Erregungszustand - wird zur sportlichen Leistung in einer umgekehrten U-Funk‐ tion dargestellt. Die Leistung ist bei einem mittleren Aktivierungsniveau am größten, während sie bei zu hoher aber auch zu niedriger Aktivierung abfällt. Dieser Zusam‐ menhang zeigt sich auch zwischen der somatischen Angst (Erleben körperlicher Angst‐ zeichen, z. B. feuchte Hände) und der sportlichen Leistung (Arent & Landers, 2003; Brand, 2010; Hänsel et al., 2016). 114 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 114 <?page no="115"?> Eine Erweiterung des einfachen Aktivierungs-Leistungs-Zusammenhangs wird im IZOF-Modell nach Hanin (2000; Individual Zone of Optimal Functioning) dargestellt. Es handelt sich um ein idiographisches Verfahren, das explizit für den Spitzensport entwickelt wurde. Das IZOF-Modell geht über die Betrachtung des Aktivierungsniveaus hinaus und postuliert, dass Athleten individuell unterschiedliche - positive wie negative - Emotionen erleben, die entweder leistungshemmend (dysfunktional) oder leistungsförderlich (funktional) wirken können. Dabei geht Hanin (2000) davon aus, dass negative Emotionen nicht per se hinderlich für eine sportliche Leistung sind und positive Emotionen nicht automatisch leistungsförderlich wirken. Vielmehr können auch negative Emotionen, wie Nervosität oder Ängstlichkeit, bis zu einer gewissen Intensität leistungsförderlich sein, demgegenüber positive Emotionen wie Gelassen‐ heit oder Selbstsicherheit bei bestimmten Personen zu Leistungseinbußen führen. In einem Emotionsprofil werden - bezogen auf einen erlebten Wettkampf - bis zu fünf positive (P) und negative (N) Emotionen benannt, die eine leistungsförderliche (+) und -hemmende (-) Wirkung hatten (P+, P-, N+ und N-). Im nächsten Schritt werden die Intensitäten der Emotionen jeweils in Bezug zum besten und schlechtesten Wettkampf eingeschätzt. Die Emotionen mit den entsprechenden Intensitäten werden dann zu‐ sammengefasst und grafisch dargestellt (Hanin, 2000). Dieses Profil kann als Grundlage für eine gezielte Emotionsregulation dienen, um die Emotionen - die leistungssteigernd oder leistungshemmend wirken können - gezielt einzusetzen oder zu hemmen. Das Verständnis und der Umgang mit Stress ist ein zentraler Schwerpunkt sport‐ psychologischer Arbeit. Drei Ansätze zum Verständnis von Stress können generell un‐ terschieden werden (z. B. Gerber, 2019; Fuchs & Gerber, 2018; Schlicht, 1989a; 1989b; Wegner, Manfred, 2001): (1) reaktionsorientierte Konzepte, (2) situationsorientierte Konzepte und (3) relationale Konzepte. ■ Im ersten Ansatz wird die Reaktion auf einen Stressor betont, womit eine Hand‐ lungsbereitschaft signalisiert wird, die sich dann in physiologischen oder psy‐ chischen Reaktionen zeigt (z. B. erhöhter Aktivierungszustand, störende und wiederkehrende Gedanken, Verspannungen der Muskulatur). ■ Der situationsbezogene Ansatz betont die Qualität von Umweltreizen, die als Stressindikatoren dienen. Das können einerseits einschneidende Lebensereig‐ nisse (Verletzung, Tod eines Angehörigen oder Heirat, persönlicher Erfolg etc.) sein, die eine individuelle Umorientierung verlangen und somit das System „aus der Balance“ bringen. Andererseits werden auch alltägliche Ärgernisse und Freuden (hassles and uplifts) mit einbezogen, die in ihrer summierten Wirkung ebenfalls die Balance gefährden können. ■ Der dritte Ansatz, das relationale Konzept, basiert auf den Überlegungen einer Wechselwirkung von Person und Umwelt (Nolting & Paulus, 2015), d. h. für das Verständnis von Stress ist immer die persönliche Einschätzung der Entstehung von Stressreaktionen wichtig. Das Stressmodell von Lazarus (Lazarus & Folk‐ man, 1984) verdeutlicht dieses Verständnis im Verhältnis von Ressourcen, Wis‐ sen und Können zu Anforderungen, Erfordernissen und Problemen. Befinden 115 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 115 <?page no="116"?> sich Ressourcen und Fähigkeiten auf der einen Seite mit Anforderungen und Problemen auf der anderen Seite im Gleichgewicht (Passung), wird kein Stress erlebt. Überwiegen Anforderungen, Erfordernisse und Probleme, während Res‐ sourcen, Wissen und Können als nicht ausreichend wahrgenommen werden, entsteht eine Überforderung. Anders herum kann eine Unterforderung entste‐ hen. Wichtig in der Beurteilung von Stress sind die einzelnen Bewertungsschritte (Wegner, Manfred, 2016) in Abwägung von persönlichen Ressourcen und der individuellen Ein‐ schätzung der Situation. Im ersten Schritt (1. Bewertung) wird geprüft, ob eine Situation überhaupt persönlich relevant oder irrelevant ist. Ist die Situation persönlich relevant, kommt die Bewertung hinzu, inwieweit diese Situation in ihren Konsequenzen be‐ drohlich, schädigend oder als Herausforderung empfunden wird. Im zweiten Schritt (2. Bewertung) wird geprüft, ob Ressourcen, Wissen oder Können ausreichend vorhanden sind, um die Situation zu bewältigen. Erst wenn sich nach dieser Bewertung ergibt, dass nicht ausreichende Fähigkeiten und Mittel zur Verfügung stehen, entsteht Stress und damit auch Gefühle wie Ärger oder Angst. Den Bewertungen folgt die Stressbewältigung, d. h. mit Hilfe der vorhandenen Res‐ sourcen mit der jeweiligen Situation umzugehen. Zwei Ansatzpunkte zeigen sich dabei vermehrt, (1) Veränderung der Problemlage („Ich gehe aktiv handelnd an das Problem heran.“) oder (2) Verbesserung der emotionalen Befindlichkeit („Ich bin zwar ärgerlich, komme aber mit der Situation zurecht, da ich sie für mich einfach anders bewerte.“). Beide Strategien können in unterschiedlichen Situationen erfolgreich und angemessen sein. Häufig kann dies aber misslingen oder aber einen langen Zeitraum erfordern, der immer wieder von Stressphasen begleitet ist. Kognition Kognitionen im Sport beziehen sich auf Prozesse der Informationsaufnahme, -verar‐ beitung und -speicherung, die u. a. beim Bewegungslernen oder bei taktischen Ent‐ scheidungen eine große Rolle spielen (Memmert, Hüttermann & Kreitz, 2019). Kognitionen sind eine wichtige Grundlage zielgerichteten Handelns. Da das Ge‐ hirn eine eingeschränkte Verarbeitungskapazität hat, müssen relevante Informa‐ tionen ausgewählt und weniger relevante ausgeblendet werden. Hier spielen die Aufmerksamkeit und die Konzentration eine wesentliche Rolle. Unter Aufmerk‐ samkeit wird die bewusste und gerichtete Verarbeitung von Informationen ver‐ standen, d. h. „man ist bei der Sache“. Konzentration ist die willentlich fokussierte und gesteigerte Aufmerksamkeit (Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010). Nideffer und Sagal (2002) unterscheiden den Aufmerksamkeitsfokus auf Basis zweier Achsen: internal (z. B. auf den Körper) und external (auf die Umwelt) sowie eng und weit. Kombiniert ergeben sich daraus vier Formen der Aufmerksamkeit: internal eng (z. B. Analyse der Atemfrequenz beim 10 km Lauf), internal weit (z. B. Analyse des psy‐ 116 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 116 <?page no="117"?> chischen und physischen Wohlbefindens), external eng (z. B. Analyse des direkten Ge‐ genspielers) und external weit (z. B. Analyse des gesamten Spielfelds). Je nach sportli‐ cher Aufgabe, ist ein spezieller Aufmerksamkeitsfokus vorteilhaft. Die Konzentration ist der besondere Fokus und die besondere Intensität der Auf‐ merksamkeit auf die zu bearbeitende Aufgabe. Für die Konzentration können drei be‐ sondere Funktionen herausgestellt werden (Wegner, Manfred, 1994): ■ Wahrnehmungsaspekt der Konzentration, d. h. besonders wichtige Details einer Situation im Sport werden schnell und richtig erfasst, um dies zu nutzen und entsprechend der Situationsbedingungen angemessen und effektiv zu handeln. ■ Abschirmungsaspekt der Konzentration, d. h. Störreize werden ausgeblendet, damit diese nicht bewusst werden und die Handlung stören könnten. ■ Regulationsaspekt der Konzentration, d. h. die Anpassung an eine Leistungssi‐ tuation gelingt, in dem die körperliche Anspannung und die Nervosität so kon‐ trolliert werden, dass angemessen und effektiv gehandelt werden kann. Um die Aufmerksamkeitslenkung, z. B. im Spielsport, zu verdeutlichen, hat sich das Beispiel des Lichtkegels einer Taschenlampe bewährt (Nideffer & Sagal, 2002). Die An‐ forderungen an den Sportler können dabei auf zwei Dimensionen (Weite und Richtung) eingestuft werden. In Übungen und im Training sind dann gezielt die Aufmerksam‐ keitsdauer und der Aufmerksamkeitswechsel zu erproben. Dies wäre die Lenkung zwi‐ schen einer engen („wo ist die Lücke“) und einer weiten Aufmerksamkeitsausrichtung („wie stehen die Mitspieler, wie werden sie verteidigt“) sowie das Wahrnehmen eines nach innen geleiteten Fokus im Sinne der Selbstaufmerksamkeit („was tue ich hier überhaupt“ bzw. „ich bin hellwach“) oder den nach außen auf die Umwelt gerichteten Fokus („also so stehen die Abwehrspieler“). Mit dem Abschirmungsaspekt der Konzentration können Simulationsaufgaben von Drucksituationen in das Training aufgenommen werden. Dazu gehören Anforderun‐ gen an die Wahrnehmung (z. B. Beobachtungsaufgaben von Signalen, gekoppelt mit Entscheidungssituationen wie Torwurf/ Torschuss). Auch ins Training eingebaute Druckbedingungen (z. B. Training unter Lärmeinfluss) können als Abschirmungsauf‐ gabe geübt werden. Neben äußeren Störbedingungen ist der Umgang mit „inneren“ Störreizen relevant. Beispielsweise wirkt die Selbstaufmerksamkeit häufig störend in den Handlungsablauf hinein. Gedanken wie „das schaffe ich nicht“, „ich verliere sowieso wieder“ oder „immer mir passiert so etwas“, lenken von der eigentlichen Handlung ab. Hier ist das Training von mentalen Strategien hilfreich, um die volle Konzentration bei der Aufgabe zu be‐ halten (Beckmann-Waldenmayer & Beckmann, 2012; Wegner, Manfred, 2016). Kognitive Verfahren werden in der Sportpsychologie auch zur zielgerichteten Verbesserung und Stabilisierung einer Bewegung eingesetzt. Unter mentalem Training wird das planmäßige, wiederholte und bewusste sich Vorstellen eines Bewegungsablaufs verstanden, ohne äußerlich beobachtbare körperliche Akti‐ vität. Hierzu wird eine interne Bewegungsrepräsentation aktiviert und in einem 117 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 117 <?page no="118"?> ausgewählten Kontext wiederholt mental durchgespielt (Eberspächer, 2007; Schack, 2006). Es gilt als wissenschaftlich belegt, dass mentales Training einen Leistungszuwachs in einer Bewegungsfertigkeit erzielen kann, besonders wenn es in Kombination mit phy‐ sischem Training eingesetzt wird. Warum mentales Training wirkt, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Neben der psychoneuromuskulären Hypothese werden die Pro‐ grammierungshypothese, die kognitive oder symbolische Hypothese und die kogni‐ tiv-perzeptuelle Hypothese diskutiert (Schack, 2006; Stoll, 2010). In den letzten Jahren wurde mentales Training auch zunehmend in der Rehabilitation von Schlaganfallpa‐ tienten oder nach Einsatz einer Knieendoprothese eingesetzt, um alltägliche Bewe‐ gungsabläufe, wie beispielsweise das Gangbild, zu verbessern (Mayer & Hermann, 2015). Soziale Interaktion zwischen Individuen Die soziale Dimension sportpsychologischer Arbeit zeigt sich in der Wechselwirkung von Personen. Dies können beispielsweise die Interaktion zwischen Trainer und Athlet sein, die soziale Unterstützung, um in einer Sportgruppe dazu zu gehören oder das Teambuilding einer Wettkampfmannschaft (Birrer & Seiler, 2008; Ohlert & Zepp, 2019). Im Spitzensport wird die Beziehung zwischen Trainer und Athlet als leistungsbes‐ timmender Faktor angesehen. Jowett, Paull und Pensgaard (2005) verstehen darunter allgemein eine Situation, in der Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen von Trainern und Athleten wechselseitig beeinflusst werden. Die Trainer-Athlet-Interak‐ tion bezieht im multidimensionalen Modell des Trainerverhaltens von Chelladurai (1993; Riemer, 2007) drei Verhaltensaspekte ein: 1) das von den situativen Bedingungen erforderte, 2) das von den Athleten bevorzugte und 3) das vom Trainer tatsächlich gezeigte (aktuelle) Verhalten. Die Zufriedenheit der Athleten und die sportliche Leis‐ tung hängen nach Chelladurai (1993) entscheidend von der Kongruenz, das heißt der Übereinstimmung der drei Dimensionen des Trainerverhaltens, ab (Riemer, 2007). Wenn das vom Trainer gezeigte Verhalten mit dem von den Athleten bevorzugten und dem von der Situation erforderten Verhalten übereinstimmt, werden die Zufriedenheit, die intrinsische Motivation der Athleten, der Gruppenzusammenhalt (Kohäsion) und die sportliche Leistung positiver ausfallen als wenn zwischen diesen eine Diskrepanz besteht (vgl. Abb. 3.3.2). 118 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 118 <?page no="119"?> Abb. 3.3.2: Das Multidimensionale Modell des Führungsverhaltens nach Chelladurai (1993, S. 648, eigene Übersetzung) Ein in der Gesundheitsforschung zentrales sozialpsychologisches Konzept bezieht sich auf den sozialen Rückhalt und die Sozialbeziehungen zwischen Personen. Aus psycho‐ logischer Sicht umfasst soziale Unterstützung zwei Aspekte, die wahrgenommene und die tatsächlich vorhandene Unterstützung. Baumann, Humer, Lettner und Thiele (1998, S. 103) subsumieren unter sozialer Unterstützung „Personen, Handlungen und Inter‐ aktionen sowie Erfahrungen und Erlebnisse, die der Person das Gefühl geben, geliebt, geachtet, anerkannt und umsorgt zu sein“. Schwarzer (1996) klassifiziert die emotio‐ nale, die instrumentelle und die informationelle Unterstützung als die drei wichtigsten Formen. Emotionaler Rückhalt bezieht sich z. B. auf Formen der Hilfe wie Trost, Mitleid oder Wärme. Die instrumentelle Unterstützung umfasst konkrete Hilfestellungen, bei‐ spielsweise das Erledigen von Haushalt und Einkäufen, damit eine Person regelmäßig sportlich aktiv sein kann. Die informationelle Unterstützung meint den Austausch von Informationen oder Ratschlägen. Eine geleistete soziale Unterstützung muss vom Empfänger nicht immer als solche erkannt oder gewünscht werden. Doch lässt sich im Grundtenor bisheriger Studien (Wagner, 2011) festhalten, dass sich durch sozial-kommunikative Prozesse und durch gemeinsames Gruppenerleben ein dichteres soziales Netz ergeben kann als bei Inakti‐ vität. Während soziale Unterstützung verschiedene Parameter physischer wie psychi‐ scher Gesundheit positiv beeinflusst und sportliche Aktivität mit höherer sozialer Un‐ terstützung im Sport einhergeht, steht der Nachweis aus, welche der beiden Variablen, Sporttreiben oder soziale Unterstützung, der jeweils anderen vorausgeht und die an‐ dere beeinflusst. Schlicht und Strauß (2003, S. 92) charakterisieren diese reziproke Be‐ ziehung folgendermaßen: „Sportliche Betätigung begünstigt über soziale Kontakte die Bildung von sozialen Netzwerken; erfährt eine Person darin Unterstützung, so erhöht das wiederum die Motivation zur Sportteilnahme und festigt auf diesem Wege die Bin‐ dung an das Sporttreiben, was wiederum dem sozialen Rückhalt zugute kommt“. Im Kontext von Sportspielmannschaften erfüllt die soziale Interaktion eine weitere wesentliche Funktion. Eine Gruppe kann beschrieben werden durch die Anzahl ihrer Mitglieder (mindestens zwei Personen), die Interaktion (sie kommunizieren miteinan‐ 119 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 119 <?page no="120"?> der), den persönlichen Kontakt (Face-to-face), durch gemeinsame Ziele und Normen und durch eine Gruppenidentität (Wir-Gefühl) ( Janssen, 1995; Wegner, Manfred, 2016). Im Sport ist häufig zu erleben, dass eine gute Zusammenarbeit in einem Team die Grundlage für besondere Leistungen ist. Beispielsweise schlägt eine unterklassige Mannschaft den vermeintlichen Favoriten in einem Pokalspiel oder eine Mannschaft steigert sich wider Erwarten im Verlauf einer Saison. Sportmannschaften werden be‐ sondere Merkmale zugeordnet: Sie haben eine eigenständige Qualität und Dynamik, die durch die Aussage „Eine Gruppe ist mehr als die Summe ihrer Teile“ gut zu cha‐ rakterisieren ist. Der Entwicklungsprozess von Gruppen ist vom amerikanischen Sozialwissenschaft‐ ler Tuckman schon 1965 über die einprägsamen Begriffe „Forming, Storming, Norming, Performing“ beschrieben worden (Birrer & Seiler, 2008; Hänsel et al., 2016; Oehlert & Zepp, 2019; Schlicht & Strauß, 2003; Tuckman, 1965). ■ In der ersten Phase formiert sich das Team neu (Forming: die Mitglieder lernen sich kennen, die Beziehungen sind unklar; von der Teamleistung ist nicht viel zu erwarten, da die Spieler nicht aufeinander abgestimmt sind), ■ dann werden Positionen und Rollen im Team „erstritten“ (Storming: häufige Konflikte, die Rollen im Team werden ausgehandelt, die Teamleistung ist un‐ beständig), ■ schließlich werden Regeln ausgehandelt und es kehrt „Ruhe“ ins Team ein (Nor‐ ming: Regeln und Beziehungen sind akzeptiert, man kann sich aufeinander ver‐ lassen, die Teamleistung wird stabil), ■ um dann zur funktionierenden Gruppe zu werden (Performing: es macht Spaß, Teil der Gruppe zu sein; die Einzelleistungen ergänzen sich zu besonderen Teamleistungen). Später wurde von der Arbeitsgruppe um Tuckman eine fünfte Stufe hinzugefügt, die Übergangsphase „Reforming“ oder „Adjourning“ (die Gruppe weiß, dass sie sich ver‐ ändern oder auflösen wird; dieser Übergang wird vorbereitet, die Teamleistung gerät etwas in den Hintergrund). Dieses Modell der Gruppenentwicklung hat einen hohen Erklärungswert für die Leistung und die Beziehungen in Gruppen. Dabei kann die zeitliche Länge der Phasen ebenso wie der Wechsel zwischen ihnen unterschiedlich ausgeprägt sein. Um in das Gefüge eines Teams einzuwirken, bieten sich Verfahren der Teambildung („Teambuilding“) an. Diese werden in einer Informations-, Aneignungs- und Festig‐ ungsphase (Birrer & Seiler, 2008; Wegner, Manfred, 2019; Wegner, Manfred & Dawo, 2012) umgesetzt. In der Informationsphase geht es um das „Bewusst machen“ von Stärken und Schwächen. Die Ziele der Aneignungsphase liegen darin, den Weg vom „Ich zum Wir“ zu gestalten. Es geht darum, sich in verschiedenen Situationen kennen‐ zulernen, Berührungsängste abzubauen und Respekt voreinander aufzubauen. Die Fes‐ tigungsphase umfasst eine Planungs- und Reflektionsphase, in der Aktionen und Re‐ aktionen dokumentiert, Absprachen über gemeinsame Ziele getroffen und Kriterien 120 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 120 <?page no="121"?> festgelegt werden, wie das Team zu gestalten ist. Hier können Rituale der Begrüßung und Verabschiedung entwickelt werden, Routinen des Helfens und der Interaktion er‐ arbeitet, Übungen für den gemeinsamen Rhythmus und zur gemeinsamen Aufgaben‐ lösung ausprobiert werden. Abschließend ist zu bewerten, inwieweit sich am Ende ein Team tatsächlich gebildet hat. Ein solches Programm zum „Teambuilding“ kann im Rahmen eines Schulprojekts genauso wie in einem Trainingslager einer Bundesliga‐ mannschaft umgesetzt werden. Im Spitzensport bietet es sich an, Teamentwicklung und Teambildung langfristig in den Saisonverlauf einzubinden. Lau (2005) hat in einem Teamentwicklungstraining die Möglichkeiten verschiedener Teambuilding-Maßnahmen im Saisonverlauf von Sports‐ pielmannschaften beschrieben. Im Verlauf einer Saison sind Phasen der Mannschafts‐ bildung mit gemeinsamen Teamtreffs und auch mit Teamauszeiten abzuwechseln. Falls notwendig, können diese Maßnahmen durch gezielte sportpsychologische Interven‐ tionen ergänzt werden. Ziel dieses Konzepts ist die langfristige Stärkung eines Teams durch das systematische Einbinden von Teamentwicklungsprozessen, was auch in vie‐ len Spitzenteams häufig nicht beachtet wird. Eine Übertragung dieses Ansatzes auf Gruppen mit weniger intensiven Leistungszielen ist durchaus möglich. 3.3.4 Verhältnis der Sportpsychologie zur Sportpraxis Die Theorien und empirischen Erkenntnisse zur Wirksamkeit sportpsychologischer Maßnahmen haben Beckmann und Elbe (2008) für die sportpsychologische Betreuung im Spitzensport zusammengefasst. Die Autoren unterscheiden zwischen drei Ebenen psychologischen Trainings: 1) Grundlagentraining, 2) Fertigkeitstraining und 3) Kri‐ senintervention. ■ Beim Grundlagentraining handelt es sich um grundlegende Techniken für jeden Sportler. Beckmann und Elbe (2008) ordnen zum Grundlagentraining Entspan‐ nungsansätze wie Atemübungen, Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training und auch Teambildungsmaßnahmen zu. ■ Das Fertigkeitstraining wird darauf aufbauend individueller gestaltet und leitet sich aus einer individuellen Diagnostik ab, die die Stärken und Schwächen der Athleten aufdecken kann. Zu den Maßnahmen gehören das Zielsetzungstrai‐ ning, Selbstgesprächsregulation, mentales Training oder Aufmerksamkeitsre‐ gulation. ■ Darauf folgt das Segment der Kriseninterventionen, das bei schweren Verlet‐ zungen, Konflikten im Team, Burnout, Karriereende oder bei Essstörungen um‐ setzbar ist. Insgesamt zeigt sich in dieser Konzeption die Ausrichtung der Sportpsychologie, die Qualität psychologischer Methoden und Interventionen in den Vordergrund zu stellen. Zum Betreuungsprozess gehört neben dem Einsatz gezielter Intervention auch die Evaluation der Wirksamkeit dieser Maßnahmen mit Hilfe geeigneter diagnostischer 121 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 121 <?page no="122"?> Instrumente (Brand, 2010). Generell sind ausschließlich Maßnahmen einzusetzen, de‐ ren Nutzen wissenschaftlich nachgewiesen ist. Beispiele der Umsetzung psychologi‐ scher Diagnostik und psychologischer Trainingsmaßnahmen in zahlreichen Sportdis‐ ziplinen finden sich bei Beckmann-Waldenmayer und Beckmann (2012). Weitere aktuelle Beiträge zur angewandten Sportpsychologie im Leistungssport finden sich bei Staufenbiel, Liesenfeld und Lobinger (2019). Praxisbeispiel: Umgang mit Drucksituationen im Wettkampf Im Spitzensport von Nachwuchsathleten, aber auch im Hochleistungssport, er‐ lebt man häufig das Phänomen, dass gute Sportler, die im Training auch gute Leistungen zeigen, unter dem Leistungsdruck des Wettkampfs versagen, was u. a. mit dem Begriff „choking under pressure“ beschrieben wird: In einem Handballspiel der A-Jugend-Bundesliga, das wichtig für die Qualifi‐ kation der Mannschaft im Jugendkonzept der Bundesligamannschaft dieses Vereins ist, beobachten wir den Rückraumspieler Christian. Er hat sich vorge‐ nommen, eine besonders gute Leistung zu zeigen. Er weiß, dass heute der Lan‐ destrainer anwesend ist und ihn sowie zwei andere Spieler aus der Auswahl‐ mannschaft besonders genau beobachten wird. Christian kommt nicht richtig ins Spiel. Es misslingen ihm Würfe, die sonst erfolgreich waren. Dann vergibt er eine klare Torchance. Er versucht es weiterhin, erzielt ein Tor und will es besonders gut machen, verwirft aber mehrfach aus z. T. ungünstigen Wurfpo‐ sitionen. In der Abwehr agiert er unglücklich. Er wirkt übermotiviert, agiert hastig und bekommt sehr schnell eine Verwarnung und dann die erste Zeitstrafe für überhartes Einsteigen in der Abwehr. Christian wird immer nervöser im Spiel. Im Angriff geht er mehrfach ungestüm mit dem Ball in die Abwehr und es wird Offensivfoul gegen ihn gepfiffen. Abspielfehler führen mehrfach zum Ballgewinn des Gegners und zu schnellen Gegenstoßtoren. Christian lässt im‐ mer mehr den Kopf hängen und hadert mit sich, aber auch mit anderen Spielern der Mannschaft, die sich mittlerweile im Rückstand befindet. Auf ein „Meckern“ hin wird er für zwei Minuten des Feldes verwiesen. Der Trainer lässt ihn die Zweiminutenstrafe absitzen und wechselt einen anderen Rückraumspieler ein. Christian ist am Ende. Immer muss ihm das passieren! Dieses Beispiel lässt sich aus psychologischer Perspektive auf der Grundlage des Modells von Nolting und Paulus (2015) analysieren (vgl. Abb. 3.3.1). Die inneren Prozesse und Zustände deuten an, dass Christian heute besonders motiviert ist, eventuell sogar „übermotiviert“ und Emotionen zeigt („er ist nervös“). Er will sich anstrengen und besonders gut spielen. Aus dem inneren Geschehen (Übermoti‐ vation) folgt allerdings kein geplantes und der Drucksituation angemessenes Verhalten. Das Programm A mit erfolgreichem Angriffs- und Abwehrverhalten funktioniert nicht. Ein Alternativplan (Plan B) für besondere Drucksituationen 122 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 122 <?page no="123"?> ist mit Christian nicht erarbeitet worden. Die Folge ist ein relativ planloses, von Misserfolgen dominiertes Verhalten. Auch die situativen Bedingungen spiegeln sich im inneren Erleben („Christian will in diesem wichtigen Spiel besonders den Landestrainer beeindrucken“). Hinsichtlich dispositioneller Bedingungen zeigt sich im Profil von Christian, dass er schnell ängstlich wird, wenn er Misserfolge erlebt. Das passiert ihm nicht im Training, aber immer wieder in Wettkämpfen, wenn es um etwas geht. Dann grübelt er über Misserfolge nach und fühlt sich stark unter Druck. Hinsichtlich seiner Entwicklungsbedingungen gilt Christian als Talent und ist erfolgsverwöhnt. Die Eltern haben ihn immer unterstützt und auf „Händen getragen“. Er wurde von ihnen gelobt, auch wenn seine reale Leis‐ tung dem nicht immer entsprochen hat. In schwierigen Konkurrenzsituationen (z. B. in Sichtungen) konnte er sich nie durchsetzen. Das Beispiel zeigt außerdem, dass Emotionen und auch die Motivation im Sinne innerer Prozesse Verhalten lenken und bestimmen können und sie in enger Wechselwirkung stehen zu kognitiven Prozessen der Informationsaufnahme oder auch der Handlungsplanung. Kommt es zu Konfliktsituationen oder zu Misserfolgserlebnissen, verlieren die inneren Prozesse an Effektivität und es kann unter dem Druck des Wettkampfs zu nicht angemessenen Bewertungen und Planungen kommen, die sich dann in einem Versagen unter dem Leis‐ tungsdruck („Choking under pressure“) im Verhalten zeigen kann. Greift man nun den vorher genannten Plan B auf, wäre es für diesen Nach‐ wuchsspieler wichtig, Strategien und Pläne kennen und Verhaltensweisen zu lernen, um mit Drucksituationen besser fertig zu werden. Hier kann an den Schritten des psychologischen Trainings von Beckmann und Elbe (2008) ange‐ setzt werden, die wiederum auf die inneren Prozesse im Modell von Nolting und Paulus (2015) zu beziehen sind. Über das Grundlagen- und Fertigkeitstrai‐ ning kann sowohl an emotionalen als auch an kognitiven und motivationalen Prozessen angesetzt werden. In der sportpsychologischen Arbeit - auch im Gesundheits- und Schulsport - sind Interventionen immer von einer guten Diagnostik zu begleiten. Außerdem sollte nicht „naiv“ interveniert werden, sondern psychologische Interventionen bedürfen der besonderen Qualifikation von ausgebildeten Sportpsychologen. Hier bietet die asp (Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie e. V.) ein quali‐ tätsgesichertes Fortbildungssystem, über das Psychologen und Sportwissen‐ schaftler nach Abschluss des Studiums (Diplom, Master) die notwendigen Handlungskompetenzen erwerben können. Über dieses System hinaus ist es aber Aufgabe der Disziplin „Sportpsychologie“, ihre Forschungs- und Anwen‐ dungsansätze transparent und nachvollziehbar zu machen. Denn auch der am‐ bitionierte Lehrer, Trainer oder Gesundheitsexperte benötigt ein gutes Grund‐ wissen über die Möglichkeiten und Grenzen sportpsychologischer Arbeitsmethoden. 123 3.3 Sportpsychologie (Petra Wagner, Manfred Wegner, Ines Pfeffer) 123 <?page no="124"?> Kontrollfragen 1. Das Transtheoretische Modell von Prochaska und DiClemente beschreibt den Prozess einer Verhaltensänderung. Welche Stadien und Prozesse der Verhaltensänderung unterscheidet das Modell und wie sind diese miteinan‐ der verknüpft? 2. Den Prozess zwischen Absichtsbildung und Handlung erfasst Heckhausens Rubikon-Modell. Welche Phasen unterscheidet das Modell und was kenn‐ zeichnet diese jeweils? 3. Das IZOF-Modell beschreibt das individuelle Erleben und die Auswirkungen von Emotionen in sportlichen Leistungssituationen. In welche Kategorien können Emotionen nach diesem Modell unterschieden werden und welchen Zusammenhang gibt es zur sportlichen Leistung? 4. Das transaktionale Stressmodell von Lazarus beschreibt, unter welchen Be‐ dingungen Stress entsteht. Welche zwei Formen der Bewertung werden da‐ bei unterschieden und wie stehen sie mit der Stressentstehung in Zusam‐ menhang? 5. Die Aufmerksamkeit spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen. Wie lässt sich Aufmerksamkeit definieren und welche vier Formen der Aufmerksamkeit können nach Nideffer unter‐ schieden werden? 6. Tuckman beschreibt die Entwicklung von Teams über verschiedene Stadien hinweg. Welche Stadien sind das und was beinhalten diese? Literatur Arent, S. M. & Landers, D. M. (2003). Arousal, anxiety, and performance: A reexamination of the inverted-U hypothesis. Research Quarterly for Exercise and Sport, 74, 436-444. Atkinson, J. W. (1974). The mainsprings of achievement-oriented activity. In J. W. Atkinson & J. O. Raynor (Eds.), Personality, motivation, and achievement (pp. 11-39). Washington, London: Hemisphere. 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Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18, 459-274. 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) Vermutlich sind die wenigsten Leser dieses Kapitels bereits vor ihrem sportwissenschaft‐ lichen Studium mit der Sportsoziologie in Kontakt gekommen. So manch einer mag sich daher fragen, was sich dahinter verbirgt und warum man sich damit überhaupt befassen solle. Sport ist doch in erster Linie eine körperliche Angelegenheit. Beim Laufen, Fußball‐ spielen oder Skifahren erproben sich vor allem menschliche Körper. Meistens geht es dabei um die Steigerung der Leistung, des Wohlbefindens oder der Gesundheit eben die‐ ser Körper. Und für viele Studierende der Sportwissenschaft scheinen gerade diese As‐ pekte eine latente, wenn nicht gar manifeste Motivation zur Aufnahme ihres Studiums zu sein. Insofern interessieren sie sich vor allem für die körper- und individuumsbezogenen Teildisziplinen, z. B. Sportpädagogik, Bewegungswissenschaft, Trainingswissenschaft oder auch Sportpsychologie, versprechen diese doch nützliches Wissen für das eigene Sporttreiben. Weit weniger offensichtlich ist, welchen Beitrag die Sportsoziologie leisten kann. Die soziale Dimension des Sports wird oftmals unhinterfragt vorausgesetzt bzw. nur selten explizit wahrgenommen. Dabei lassen sich im Sport mannigfaltige soziale Phänomene entdecken. Dies beginnt bereits mit den Fragen, was denn Sport überhaupt sei und wie man ihn von anderen körperlichen Bewegungspraktiken unterscheiden 127 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 127 <?page no="128"?> 1 Zum Vergleich: In Deutschland waren 2017 lediglich 1,22 Mio. Menschen in politischen Parteien organisiert (Niedermayer, 2018, S. 6) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zählte im gleichen Jahr 5,99 Mio. Mitglieder (DGB, 2018). könnte: Was macht beispielsweise den Unterschied zwischen der Leichtathletikdiszip‐ lin Gehen, dem Nordic Walking und dem sonntäglichen Spaziergang im Park aus? Wie verhält es sich mit Wrestling und Ballett? Handelt es sich dabei um Sport oder sind es vielmehr körperlich höchst anspruchsvolle Darbietungen aus den Bereichen Show und Kunst? Um auf diese Fragen eine Antwort geben zu können, bedarf es einer Definition von Sport. Und damit ist man bereits bei den sozialen Aspekten des Sports, denn Definitionen sind immer sozial ausgehandelte Festlegungen. Es lässt sich nämlich gar nicht „objektiv“ das Wesen des Sports ergründen, sondern es handelt sich immer um soziale Beschreibungen und Verständigungen darüber, was als Sport gelten soll. Dies wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass sich das Sportver‐ ständnis in der Gesellschaft immer wieder verändert. An der Grundkonstellation des sportlichen Wettkampfs wird die basale Sozialität des Sports deutlich: Mindestens zwei Sportler treten gegeneinander an und konkurrieren um das knappe soziale Gut sportlichen Erfolgs. Dabei werden sachliche Leistungsun‐ terschiede in die soziale Differenz von Siegern und Verlieren transformiert. Die Wett‐ kämpfe folgen dabei bestimmten, sportartenspezifischen Regeln. Neben der Rolle des Sportlers lassen sich weitere soziale Rollen bzw. Sozialfiguren identifizieren, z. B. Schiedsrichter, Trainer, Manager und Zuschauer. Und es gibt mit dem Fairplay sogar eine dem Sport eigene Moral (Schimank, 1988, S. 189). Der Sport verfügt auch über eigene Organisationsformen. Zu nennen sind hier vor allem die derzeit über 90.000 Sportvereine, die sportartenübergreifenden Sportver‐ bände, z. B. der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), Landessportverbände/ -bünde, Stadtsportbünde, und die sportartenspezifischen Fachverbände, wie der Deut‐ scher Fußball-Bund (DFB) oder der Deutsche Eishockey-Bund (DEB). Darüber hinaus existiert eine enorme Anzahl kommerzieller Sportanbieter, z. B. Fitness-Studios, Soccer Domes, Tennishallen. Und selbstverständlich wird Sport oftmals auch in informellen Arrangements, beispielsweise in Laufgruppen oder in gerade für Trendsportarten ty‐ pischen „Szenen“ betrieben. Die enorme gesellschaftliche Bedeutung des Sports wird schon an der großen Zahl an aktiven Sportlern wie auch an Zuschauern und Fans deutlich. Allein der DOSB ver‐ zeichnete 2017 über 27 Mio. Mitgliedschaften 1 , Länderspiele der deutschen Fußballna‐ tionalmannschaft erreichen oftmals ein ähnlich großes Publikum. Es gibt offensichtlich eine große gesellschaftliche Nachfrage nach Sport. Beispielsweise interessieren sich Wirtschaft und Massenmedien vor allem für den Spitzensport, weil sie das Sportpub‐ likum für sich als Kunden oder als TV-Zuschauer und Zeitungsleser gewinnen wollen. Die Politik fördert Spitzenwie auch Breitensport mit enormen Beträgen beispielsweise 128 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 128 <?page no="129"?> zum Zwecke des Aufbaus einer kollektiven Identität, der Repräsentation in der inter‐ nationalen Gemeinschaft oder der Integration von Menschen, die sonst aus der Ge‐ sellschaft weitgehend exkludiert sind. Und im Erziehungssystem wird Sport als geeig‐ netes Erziehungsmittel gesehen, auch wenn um Form und Umfang des Sportunterrichts gern gestritten wird. Und schließlich unterliegt der Sport selbst dem sozialen Wandel. Es entstehen neue Sportarten und Bewegungspraktiken, immer größere Bevölkerungsgruppen werden einbezogen und neue Sporträume erschlossen - unberührte Landschaften (z. B. Klet‐ tern, Canyoning) ebenso wie innerstädtische Räume (z. B. beim Stadtmarathon, Par‐ cours). All diese Beispiele deuten an, wie vielschichtig sich die soziale Dimension des Sports beobachten lässt. Aufgabe der Sportsoziologie ist es, auf der Grundlage von soziologi‐ schen Theorien und Methoden diese Phänomene in den Blick zu bekommen und zu analysieren. Es gilt also die klassische Frage der Soziologie - „Was ist der Fall und was steckt dahinter? “ (Luhmann, 1993) - mit Blick auf den Sport zu beantworten. Lernziele ■ Die Leser bekommen einen Einblick in die Vielfalt sozialer Aspekte des Sports und erfahren, welche Phänomene und Themen für die Sportsoziologie relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Sportsoziologie entstanden ist, inwieweit sie sich an den Universitäten etabliert hat und wie sich ihr Verhältnis zur allgemeinen Soziologie einerseits und zur Sportwissenschaft andererseits darstellt. ■ Sie lernen anhand zentraler Forschungsthemen wichtige Erkenntnisse der Sportsoziologie kennen und bekommen ihre grundlegenden Theorierich‐ tungen sowie die wichtigsten Forschungsmethoden aufgezeigt. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportsoziologie zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungser‐ gebnissen beimisst. 3.4.1 Einführung - Themen/ Phänomene der Sportsoziologie Die Sportsoziologie ist in Deutschland institutionell vor allem in der Sportwissenschaft verankert. Sie gewinnt jedoch ihre theoretischen und methodischen Vorgaben weit‐ gehend aus ihrer Mutterdisziplin, der Soziologie. Insofern gilt es, sich zunächst mit der Soziologie als Wissenschaftsdisziplin zu befassen, wenn man wissen will, was unter Sportsoziologie zu verstehen ist. Der Begriff Soziologie wurde vom französischen Wis‐ senschaftler Comte zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschaffen. Er besteht aus dem lateinischen Teil „socius“ (gemeinsam, verbunden, verbündet) und dem griechischen 129 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 129 <?page no="130"?> Teil „logos“ (Lehre, Sinn, Prinzipien) und diente zur Begründung einer neuen, sich am Vorbild der Naturwissenschaften orientierenden Disziplin. Es handelt sich demnach um die Wissenschaft, die nicht den einzelnen Menschen, sondern das Soziale, also das Zusammenleben von Menschen, in den Mittelpunkt stellt. Die Soziologie untersucht, wie Menschen miteinander interagieren und gemeinsam bzw. in Bezug aufeinander handeln und welche sozialen Prozesse und Strukturen dem zugrunde liegen. Ihre grundlegenden Fragen lauten: Wie ist so‐ ziale Ordnung möglich? Und: Auf welchen Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten ba‐ siert das Soziale? Dabei lässt sich zwischen der allgemeinen Soziologie einerseits und den speziellen Soziologien - den sogenannten Bindestrichsoziologien, z. B. Arbeits-, Wissen‐ schafts-, Familiensoziologie, politische Soziologie oder eben Sportsoziologie - an‐ dererseits unterschieden. Einem generellen Gültigkeitsanspruch folgend befasst sich die allgemeine Soziologie vor allem mit basalen Theorien und den Grundbe‐ griffen des Sozialen, z. B. soziales Handeln, Interaktion, Kommunikation, Normen, Rollen, Macht, Herrschaft, sozialer Wandel, soziale Ungleichheit, Sozialisation, Or‐ ganisation, Gruppe, Gesellschaft. Die speziellen Soziologien hingegen sind auf die Erforschung bestimmter gesellschaftlicher Teilbereiche und spezifischer Problem‐ stellungen ausgerichtet. Entsprechend erforscht die Sportsoziologie den Sport aus soziologischer Perspektive, indem sie die dort vorzufindenden sozialen Prozesse und Strukturen untersucht. Mit den eingangs genannten Beispielen deutete sich bereits an, dass sich das So‐ ziale im Kontext des Sports auf ganz unterschiedlichen Ebenen entdecken lässt. In der Soziologie ist es üblich, zwischen der Mikro-, Meso- und Makro-Ebene zu unter‐ schieden und damit soziale Strukturen unterschiedlichen Komplexitätsgrads zu be‐ zeichnen. ■ Beispielsweise rücken auf der Mikro-Ebene kleinere soziale Gebilde, wie Face-to-Face-Interaktionen in den Fokus der sportsoziologischen Analyse. Ge‐ rade im Sport gibt es eine Vielzahl solch kleinerer und häufig auch relativ flüch‐ tiger - deswegen aber nicht weniger bedeutsamer - sozialer Zusammenhänge. Man denke nur an die im Wettkampf aufeinandertreffenden Athleten, aber auch an das Gespräch zweier Fußballfans auf der Tribüne, an die Selbstinszenierun‐ gen von Bodybuildern in Fitnessstudios, das gesellige Beisammensein im Ver‐ einsheim, die Interaktion zwischen Trainer und Athlet während einer Auszeit oder die Kommunikation innerhalb einer Trainingsgruppe. ■ Dem gegenüber lassen sich auf der Meso-Ebene stabilere und komplexere so‐ ziale Ordnungsmuster identifizieren. Dabei handelt es sich vor allem um for‐ male Organisationen und Institutionen, die sich wiederum in unterschiedli‐ che Organisationsformen, z. B. Sportvereine, Verbände oder kommerzielle Sportanbieter, unterscheiden und hinsichtlich ihrer spezifischen Strukturbe‐ 130 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 130 <?page no="131"?> sonderheiten untersuchen lassen. An dieser Stelle begegnet man beispiels‐ weise Analysen zum Autonomiegrad, respektive zur Umweltabhängigkeit von Sportorganisationen. Ebenso wird danach gefragt, welche Ziele diese Organisationen verfolgen, wie sie ihre Mitglieder gewinnen und binden, über welche Abteilungen und Stellen sie verfügen, welche Formen der Machtver‐ teilung und Entscheidungsverfahren (z. B. Hierarchie oder Demokratie) sie entwickeln und welche spezifischen Werthaltungen und Organisationskul‐ turen sie hervorbringen. ■ Und schließlich lässt sich auf der Makro-Ebene, also der umfassenden Ebene von Gesellschaft und ihren Teilsystemen die Entwicklung des Sportsystems in Abhängigkeit von unterschiedlichen Gesellschaftsformen untersuchen, die Aus‐ wirkungen gesellschaftlichen Wandels, z. B. von Globalisierungs- und Individu‐ alisierungsprozessen, auf den Sport analysieren oder auch die Austauschbezie‐ hungen zwischen dem Sportsystem und seinen Umweltsystemen - vor allem Wirtschaft, Massenmedien, Politik und Erziehungssystem - in den Blick neh‐ men. Bereits mit der Differenzierung in diese drei Ebenen deuten sich die Komplexität des Gegenstandsbereichs der Sportsoziologie und damit auch die Vielzahl möglicher Forschungsfragen an. Prinzipiell unbeantwortet bleibt hierbei allerdings - und darauf hinzuweisen ist wichtig - die Frage, wie das Soziale sein soll? Mit anderen Worten: Die (Sport-)Soziologie analysiert zwar die soziale Ordnung und kann somit auf‐ zeigen, was der Fall ist und was dahintersteckt. Sie kann und will aber keine Aussagen darüber machen, ob diese soziale Ordnung „gut“ oder „schlecht“ ist. Es handelt sich vielmehr um ein weit verbreitetes Missverständnis, dass die Sozio‐ logie immer auch eine Vorstellung von „besserer“ Gesellschaft haben müsse. Die Soziologie versteht sich jedoch als eine Wissenschaftsdisziplin, welche die soziale Wirklichkeit wertfrei erforscht. Schon Weber, der als einer der Gründungsväter der Soziologie gilt, hatte darauf ver‐ wiesen, dass es in der Wissenschaft keine Möglichkeit gibt, Seins-Aussagen in Sol‐ lens-Aussagen zu transformieren (Weber, 1968, S. 229-279). Die Produktion wissen‐ schaftlichen Wissens orientiert sich an der Unterscheidung „wahr/ unwahr“, nicht aber an der Unterscheidung „moralisch gut/ moralisch schlecht“ oder „wünschenswert/ nicht wünschenswert“. Deshalb kann die (Sport-)Soziologie als Wissenschaftsdisziplin auch nicht sagen, in welche Richtung sich Gesellschaft im Allgemeinen und der Sport im Speziellen entwickeln sollen. Sie kann nur analysieren, welche Konsequenzen und nicht-intendierte Nebenfolgen möglicherweise aus einer (un-)gewünschten Verände‐ rung resultieren. 131 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 131 <?page no="132"?> 2 Folgt man Stichweh (1979, S. 83), sind typische Merkmale wissenschaftlicher Disziplinen erstens ein hinreichend homogener Kommunikationszusammenhang, der von einer Scientific Community mit eigenen Fachzeitschriften getragen wird, zweitens disziplinenspezifische Karrierestrukturen, drit‐ tens eine Mehrzahl aktueller Problem- und Fragestellungen, viertens ein Set an Forschungsmethoden und paradigmatischen Lösungen, und fünftens ein durch Lehrbücher stabilisierter Korpus wissen‐ schaftlichen Wissens. 3.4.2 Entstehung und Entwicklung der Sportsoziologie Wissenschaftliche Disziplinen entstehen nicht durch einen offiziellen Gründungsakt, sondern entwickeln sich vielmehr aus der Verdichtung vereinzelter Forschungen und Publikationen hin zu einem homogenen und selbstbezüglichen Kommunikationszu‐ sammenhang. 2 Befragt man dazu die Geschichtsschreibung der Sportsoziologie, fällt auf, dass derartige Arbeiten bislang weitgehend fehlen. Das derzeit wohl avancierte Werk hat Bette (2010, S. 15-64) vorgelegt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil er die Kärr‐ nerarbeit auf sich genommen hat, die ersten beiläufigen und unorganisierten Thema‐ tisierungen von Sport und Spiel sowie die ersten expliziten Spezialisierungsversuche zusammenzutragen. Diese Vorläufer der Sportsoziologie waren eine notwendige Vor‐ aussetzung für die Entstehung des disziplinären Kommunikationszusammenhangs. Um die Disziplin „Sportsoziologie“ jedoch zu stabilisieren und auf Dauer zu stellen, bedurfte es aber einer entsprechenden Institutionalisierung. ■ Dies meint erstens die Herausbildung einer Scientific Community, was sich u. a. an der Gründung wissenschaftlicher Vereinigungen sowie der Entstehung von Fachzeitschriften ablesen lässt. Das International Commitee for the Sociology of Sport (ICSS), welches auch die Zeitschrift International Review for the Sociology of Sport herausgibt, wurde 1964 gegründet (Bette, 2010, S. 51). Mit Blick auf Deutschland zeigt sich, dass mittlerweile sogar zwei Vereinigungen existieren: zum einen die Ende der 1970er Jahre gegründete Sektion Sportsoziologie in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), zum anderen gibt es seit 1984 die Sektion Soziologie des Sports und des Körpers in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Winkler, 1995, S. 10). Mit der Zeitschrift Sport und Gesellschaft verfügt die Sportsoziologie allerdings erst seit 2004 über ein eigenständiges deutschsprachiges Publikationsorgan. ■ Zweitens stellt die Etablierung des Fachs an den Universitäten einen weiteren wichtigen Aspekt der Institutionalisierung einer Disziplin dar. Der erste Lehr‐ stuhl entstand 1975 am Institut für Sportwissenschaft der Universität Oldenburg. 1978 folgte der Lehrstuhl für Philosophie und Sport an der FU Berlin und 1979 wurde die Professur für Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochschule be‐ setzt (Bette, 2010, S. 53). Auffällig ist, dass Lehrstühle für Sportsoziologie durch‐ weg im Bereich der Sportwissenschaft angesiedelt sind, nicht aber an soziolo‐ gischen Instituten oder Fakultäten. Das heißt, die Institutionalisierung der Sportsoziologie resultiert vor allem aus der Etablierung der Sportwissenschaft 132 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 132 <?page no="133"?> 3 Mit Blick auf die Etablierung der Sportsoziologie als sportwissenschaftliche Teildisziplin und das damit verbundene Merkmal der Wissensstabilisierung durch Lehrbücher wird z. B. auf Grieswelle (1978); Lüschen (1981); Rigauer (1982); Heinemann (1983); Winkler und Weis (1995); Cachay und Thiel (2000) verwiesen. Als neuere Einführungs- und Übersichtsliteratur bieten sich u. a. Riedl und Cachay (2007); Weis und Gugutzer (2008); Bette (2010); Thiel, Seiberth und Mayer (2013) an. an den Universitäten, nicht aber aus Ausdifferenzierungsprozessen ihrer Mut‐ terdisziplin. Die Zahl der ausschließlich sportsoziologisch ausgerichteten Lehrstühle ist relativ ge‐ ring. Bedingt durch die enge institutionelle Anbindung an die Sportwissenschaft, ste‐ hen sie in Konkurrenz insbesondere zu anderen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen, z. B. Sportpädagogik, Sportökonomie, Sportpsychologie, Sportgeschichte, was u. a. auch dazu geführt hat, dass viele sportsoziologische Lehrstühle Binde‐ strich-Professuren sind, also mehrere Teildisziplinen gleichzeitig vertreten. Unter die‐ sen Bedingungen ist die Sportsoziologie zwar regelmäßig, jedoch nur in sehr mäßigem Umfang in sportwissenschaftlichen Studiengängen vertreten. In der soziologischen Lehre hingegen taucht sie nur sehr sporadisch auf (Winkler, 1995, S. 14-15). 3.4.3 Themenfelder, Theorien und Methoden der Sportsoziologie Themen der Sportsoziologie Angesichts der im Sport vorzufindenden vielfältigen sozialen Phänomene ist es nicht verwunderlich, dass das sportsoziologische Themenspektrum sehr breit gefächert ist. Es ist daher nicht möglich, in diesem Abschnitt einen umfassenden Überblick zu ge‐ ben. 3 Zielführender scheint es daher, im Folgenden nur wenige ausgewählte For‐ schungsschwerpunkte darzustellen, an denen sich die soziologische Denkweise und die damit verbundenen Einsichten besonders gut verdeutlichen lassen. Ein zentrales Forschungsfeld der Sportsoziologie bildet die Sportentwicklung. Dabei geht es darum, über historische Beschreibungen hinausgehend zu erklären, wie es zur Entstehung und Etablierung des Sports in der Gesellschaft gekommen ist, in welchem Zusammenhang Sportentwicklung und gesellschaftlicher Wandel stehen und worauf die gesellschaftliche Bedeutung und Verankerung des Sports basiert. Aus dieser Perspektive heraus lässt sich zeigen, dass es den Sport, so wie wir ihn heute kennen, nicht schon immer gab, sondern er vielmehr ein Produkt der sich durchsetzenden modernen, funk‐ tional differenzierten Gesellschaft ist (Cachay, 1988b; Schimank, 1988; Bette, 1989; Stich‐ weh, 1990). Selbstverständlich gab es schon früher Handlungsbereiche, in denen Bewe‐ gung, körperliche Leistungsfähigkeit oder Wettkampf eine Rolle spielten, wie z. B. bei den in kultische und rituelle Handlungen eingebunden Wettkämpfe im antiken Griechen‐ land, im Bereich der (Leibes-)Erziehung, bei Formen des Spiels, wie z. B. den englischen Folk Games, oder bei den höfischen Turnieren im Mittelalter und den vor allem dem Adel vorbehaltenen Varianten des Amüsements und Zeitvertreibs. Doch von dem Sport - hier bewusst im Singular formuliert - lässt sich erst mit Blick auf die moderne Gesell‐ 133 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 133 <?page no="134"?> schaft sprechen (Stichweh, 2012). Denn ein wesentliches Kennzeichen vormoderner Ge‐ sellschaften war, dass viele Handlungsbereiche, wie z. B. Arbeiten, Erziehen, Herrschen, Rechtsprechen, Glauben, Heilen sowie auch Bewegen und Spielen miteinander ver‐ mischt waren. Erst im Übergang zur funktional differenzierten Gesellschaft haben sich diese Bereiche zunehmend voneinander getrennt und zu jeweils eigenständigen gesell‐ schaftlichen Teilsystemen ausdifferenziert, wie z. B. dem Wirtschaftssystem, dem Erzie‐ hungssystem, dem politischen System, dem Rechtssystem, dem Religionssystem und dem Gesundheitssystem. So auch der Sport: Mit dem Herauslösen aus unterschiedlichen Sinnkontexten, wie z. B. Religion, Erziehung oder politisch gesteuerter Gesunderhaltung der Bevölkerung, entstand erstmalig ein eigenständiges gesellschaftliches Teilsystem Sport mit einer eigenen Handlungslogik und darauf abgestimmten Strukturen. Im die‐ sem Sportsystem geht es nunmehr um die Erbringung körperlicher Leistungen, welche um des Leistens Willen, also als Selbstzweck, erbracht und permanent miteinander ver‐ glichen werden (Stichweh 1990). Folgt man dem amerikanischen Historiker Guttmann (1979), dann ist der moderne Sport dadurch gekennzeichnet, dass er ist erstens weltlich ist, also keine religiösen Bezüge mehr aufweist. Zweitens setzen die sportlichen Leis‐ tungsvergleiche das Prinzip der Chancengleichheit voraus. Drittens ist es zu einer Spezia‐ lisierung bzw. Differenzierung von Rollen gekommen, z. B. der strikten Trennung von Zuschauern und Sportlern, sowie weiterer sekundärer Funktionsrollen, wie Trainer, Betreuer, Funktionäre (Cachay & Thiel, 2000, S. 145). Viertens lässt sich eine Bürokra‐ tisierung des Sports feststellen. Damit sind zum einen Festlegung, Formalisierung und Überwachung der sportartenspezifischen Regeln, zum anderen diese Aufgaben über‐ nehmende Organisationen, z. B. Sportverbände, gemeint. Und schließlich wird durch die Merkmale Rationalisierung, Quantifizierung sowie Streben nach Rekorden das für den modernen Sport so bedeutsame Leistungsprinzip hervorgebracht und geprägt. All dies charakterisiert ein eigendynamisches gesellschaftliches Teilsystem, in dem sich alle Handlungen an der spezifischen Systemlogik ausrichten. Wer im Sportsystem agiert, der will eine körperliche Leistung erbringen und steigern, will seine Gegner besiegen und die eigene Niederlage vermeiden. Dabei ist das Sportsystem in seiner Logik autonom und strikt selbstbezüglich, d. h., in die Bewertung sportlicher Leistun‐ gen gehen keine außersportlichen Kriterien ein. Den 100-Meterlauf gewinnt der Schnellste, das Gewichtheben der Stärkste, das Speerwerfen derjenige, der am weites‐ ten wirft. Und das Fußballspiel gewinnt die Mannschaft, die die meisten Tore schießt. Es zählt aber nicht, ob ein Sprinter schön oder ein Gewichtheber reich ist, ob ein Speer‐ werfer über ein politisches Amt verfügt oder ob in einer Mannschaft besonders viele Spieler Abitur haben. Seine gesellschaftliche Bedeutung verdankt der Sport zum einen den spezifischen Leistungen, die er für andere Teilsysteme erbringt, insbesondere für die Wirtschaft, die Massenmedien, die Politik, das Erziehungssystem sowie das Gesundheitssystem (Schi‐ mank, 1988, S. 215-225; Riedl, 2006, S. 63-72). Zum anderen resultiert sie daraus, dass die moderne Gesellschaft durch ein eigentümliches Verhältnis von Körperverdrängung und Körperaufwertung gekennzeichnet ist (Bette, 1989). Viele Handlungsbezüge sind 134 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 134 <?page no="135"?> 4 Im Zuge dieser Entwicklung entstand sogar der Begriff des „nicht-sportlichen Sports“ (Dietrich & Hei‐ nemann, 1989). in so abstrakt, dass der Körper für die Teilhabe an ihnen nahezu bedeutungslos ge‐ worden ist. Beispielsweise zählen für die Übernahme der Rolle z. B. des Wählers/ Bürgers in der Politik, des Schülers im Erziehungssystem, des Zuschauers/ Lesers im Mediensystem und die Berufsrollen im Wirtschaftssystem ganz andere Kriterien und Qualifikationen als ein leistungsfähiger Körper. Gerade Letzteres markiert einen deut‐ lichen Unterschied zu vormodernen Gesellschaften, wo Arbeit meist körperliche Arbeit war. Als Kehrseite des körperverdrängenden Prinzips der funktionalen Differenzierung kommt es zur Körperaufwertung, denn Sport und körperbezogene Praktiken ermögli‐ chen durch ihren hohen Grad an Konkretheit und Präsenz dem Einzelnen attraktive Möglichkeiten der Sinnsuche, Identitätsbildung und Selbstvergewisserung - und dies in einer Gesellschaft, in der Kontingenz und Ungewissheiten zentrale Eigenwerte bil‐ den (Luhmann, 1992). Damit wird nachvollziehbar, dass es im Sport zu einem Größenwachstum gekommen ist. Das noch in den 1950er Jahren dominierende Sportverständnis, welches durch Be‐ griffe wie Wettkampf, Disziplin, Durchhaltevermögen und Askese gekennzeichnet war und vor allem Jungen und junge Männer ansprach, wurde zunehmend aufgeweicht. Ab den 1960er Jahren steigerte der Deutsche Sportbund (DSB) seine Inklusionsbemühun‐ gen, indem er sich mit verschiedenen Kampagnen an weitere Bevölkerungskreise - ins‐ besondere an Mädchen, Frauen, Senioren und Behinderte - wandte (Cachay, 1988a). Es kam nicht nur zu einem spürbaren Anstieg der Mitgliederzahlen, sondern auch neue, heterogene Motive des Sporttreibens hielten nunmehr Einzug in das Breitensportange‐ bot der Vereine, z. B. „körperliche Fitness“, „Bewegungserfahrung“, „Körperausdruck“, „Spannung“ oder „Wohlbefinden“. 4 Darüber hinaus entstanden vor allen ab den 1980ern - zumeist explizit als Gegenkultur zum Vereinssport - so genannte Trendsportarten wie Surfen, Skate- und Snowboarding, die das Erbringen körperlicher Leistungen eng mit Aspekten des Lifestyles, subkultureller Szenezugehörigkeit, Selbstinszenierung und -ästhetisierung verknüpften (vgl. Gugutzer, 2004). Allerdings zeigt sich dabei der ty‐ pische paradoxe Effekt subkultureller Phänomene: Je erfolgreicher sie als Gegenkultur sind, desto eher werden sie selbst zum Mainstream. Als populäres Massenphänomen nehmen sich ihnen nicht nur die Massenmedien und die Wirtschaft an, sondern letzt‐ lich versuchen auch die Sportverbände und -vereine diese Aktivitäten in ihre Struktu‐ ren einzubinden. Letztlich kann dies sogar dazu führen, dass ehemals subkulturelle Trendsportarten ins olympische Programm aufgenommen werden und somit die „höchsten Weihen“ des formal organisierten Sports erhalten (Lamprecht & Stamm, 1998). Ein zweites wichtiges Forschungsfeld der Sportsoziologie befasst sich mit Fragen nach der Sportbeteiligung und damit, wovon es abhängt, dass Menschen Sport trei‐ ben. Dies wird oftmals aus einer Perspektive auf soziale Ungleichheit verfolgt, denn trotz des angesprochenen Größenwachstums des Sports sind immer noch verschie‐ 135 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 135 <?page no="136"?> 5 Ein guter Überblick über die unterschiedlichen Perspektiven und theoretischen Annahmen der For‐ schungen zur sozialen Ungleichheit im Sport findet sich in Thiel, Seiberth und Mayer (2013, S. 309- 329). dene Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert, wie z. B. Personen aus bildungsfernen Schichten (Haut & Emrich 2011, S. 320). Um dies zu erklären, wird zum einen der Einfluss sozialstruktureller Variablen, z. B. Schichtzugehörigkeit (oftmals gemessen aus einer Kombination der Variablen Beruf, Bildung und Einkommen) untersucht. Zum anderen werden zur Schichtung quer liegende Ungleichheitsphänomene wie horizontale Dis‐ paritäten, z. B. Alter, Geschlecht und Ethnie, sowie so genannte „neue“ soziale Ungleich‐ heiten, bedingt u. a. durch ungleiche Arbeits-, Freizeit-, Wohn-, Umwelt- oder Infra‐ strukturbedingungen, in den Blick genommen und analysiert, inwieweit dadurch Sportaktivitäten befördert oder verhindert werden (Cachay & Thiel, 2008, S. 189-192). Paradigmatisch für die frühen sportsoziologischen Studien zur sozialen Ungleichheit im Sport war die Annahme eines engen und unmittelbaren Zusammenhangs von Schichtzugehörigkeit und Sportbeteiligung, wie z. B. in der großen Vereinsstudie von Schlagenhauf (1977). Ab den 1990ern kamen differenzierte Annahmen zum Tragen und es wurde deutlich, dass die betreffenden Sozialstrukturvariablen (z. B. Einkommen, Be‐ ruf, Bildung) weder zu einer formalen noch zu einer durchgängigen und systematischen Exklusion bestimmter Bevölkerungskreise führen (Lamprecht & Stamm, 1995). Viel‐ mehr bleibt der Sachverhalt, ob jemand Sport treibt oder nicht, letztlich immer auch Resultat einer Selbstexklusion, also eine Entscheidung des Einzelnen. Insofern handelt es sich um ein komplexes Feld, und zwischen den beiden Polen „freier, individueller Entscheidung“ und „sozialer Determination“ des Sportengagements schieben sich ver‐ mittelnde Variablen, wie Lebensstil und Milieuzugehörigkeit oder auch soziale Hier‐ archien der Sportarten, die maßgeblichen Einfluss auf das Sportengagement nehmen und ggf. entsprechende Inklusionsbarrieren aufbauen können. 5 Die Erforschung des Spitzensports und seiner Probleme ist ein drittes Forschungsfeld der Sportsoziologie. Dessen wohl markantestes Merkmal ist, dass hier, wie in keinem anderen Bereich der Gesellschaft, das Leistungsprinzip in dominanter Weise als zen‐ trale Handlungsorientierung zum Tragen kommt. Im sportlichen Wettkampf gilt es, seine Gegner zu besiegen und eigene Niederlagen zu vermeiden. Ein Spitzensportler ist zur permanenten körperlichen Leistungsüberbietung angehalten, um möglichst als Bester der Besten aus der Konkurrenz hervorgehen und Rekorde brechen zu können. Schneller, höher, weiter - dieses Motto verdeutlicht nur zu gut die Logik des Spitzen‐ sports, wonach immer nur einer gewinnen kann und letztlich nur der sportliche Erfolg zählt. Konsequenterweise sind daher die im Spitzensport aktiven Athleten gezwungen, enorme Trainingsumfänge von oftmals 20-30 Stunden pro Woche zu absolvieren, eine Vielzahl sportlicher Wettkämpfe zu bestreiten und nahezu ihre ganze Lebensführung auf den Sport auszurichten. Nicht von ungefähr resultiert aus dieser „Hyperinklusion“ (Göbel & Schmidt, 1998, S. 111) in den Spitzensport oftmals nicht nur eine spezifische 136 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 136 <?page no="137"?> biographische Fixierung auf die sportliche Laufbahn (Bette & Schimank, 1995, S. 109- 126), sondern häufig auch Probleme hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Schulkarriere (Richartz & Brettschneider, 1996; Teubert, Borggrefe, Cachay & Thiel, 2006), der Berufsausbildung (Borggrefe, 2012), dem Studium (Riedl, Borggrefe & Cachay, 2007) oder dem späteren Einstieg in das Berufsleben (Nagel, 2000). Die Eigenlogik des Spitzensports bringt noch ein weiteres, sportsoziologisch rele‐ vantes Problem mit sich: Doping. In der öffentlichen Wahrnehmung dieses Problems wird zumeist davon ausgegangen, dass Doping auf das Fehlverhalten einzelner Perso‐ nen bzw. Personengruppen zurückgeführt werden kann. Athleten, Trainern, Betreuern, Ärzten, Managern oder Sportfunktionären werden im Rahmen einer öffentlichen Do‐ ping-Diskussion gerne übertriebene Erfolgsorientierung, Ruhmsucht, ökonomische Interessen oder andere moralische Defizite vorgeworfen. Im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten Auffassung, die Dopingvergehen personalisiert, auf individuelles Fehl‐ verhalten reduziert und entsprechend auch moralisiert, machen sportsoziologische Forschungen allerdings deutlich, dass es sich beim Doping zuallererst um ein überin‐ dividuelles, also ein soziales Phänomen handelt, das dem Spitzensportsystem immanent ist (Bette & Schimank, 1995, S. 15). Denn in einem System, in dem weitestgehend nur die im sportlichen Wettkampf erbrachte körperliche Leistung zählt, werden zwangs‐ läufig nicht nur alle legitimen, sondern ebenso alle illegitimen Möglichkeiten der Leis‐ tungssteigerung ausgeschöpft. Und dies betrifft ja nicht nur die Sportler selbst, sondern auch Trainer, Manager, Vereine, Verbände und Veranstalter. Teilnahmen an Wettkämp‐ fen, Qualifikationen für Kaderplätze, Staatliche Sportförderung für den einzelnen Ath‐ leten wie auch für die jeweiligen Fachverbände, Arbeitsverträge für Spieler, Trainer und Manager, das Einwerben von Sponsoren- und Fernsehgeldern - all dies hängt im höchsten Maße von sportlichen Erfolgen ab. Insofern erhöht sich einerseits die Wahr‐ scheinlichkeit des Dopings durch die Systemlogik des Sports selbst, andererseits sinkt bei den Akteuren des Spitzensports das Interesse an der Entdeckung und Kontrolle von Doping. Eine derart soziologisch orientierte Perspektive führt dann auch zu völlig an‐ deren Überlegungen hinsichtlich Lösungsmöglichkeiten der Doping-Problematik, wie sie beispielweise von den Verbänden oder in der Öffentlichkeit diskutiert und gefordert werden (Bette & Schimank, 2006). Denn als ein direkt aus der Systemlogik resultie‐ render Effekt wird man Doping nie vollständig beseitigen, sondern immer nur ein‐ dämmen können. Entsprechend scheinen personenbezogene Maßnahmen, wie Kon‐ trollen und Strafen sowie pädagogische Intervention nur bedingt geeignet. Sportvereine und Sportverbände stellen nach wie vor die zentralen Organisationen des Sports da, auch wenn sie mittlerweile durch kommerzielle Sportanbieter und in‐ formelle Arrangements starke Konkurrenz bekommen haben. Entsprechend wird ein viertes sportsoziologisches Forschungsfeld durch vielfältige Studien zu diesem Orga‐ 137 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 137 <?page no="138"?> 6 Einen guten Überblick über die vielen organisationssoziologischen Arbeiten zum Sportverein liefert beispielsweise Anders (2005). Die Zahl grundlegender Arbeiten zu Sportverbänden (z. B. Winkler, Karhausen & Meier, 1985; Meier & Winkler, 1995; Fahrner, 2008; 2009) ist demgegenüber vergleichs‐ weise niedrig. nisationstypus gebildet. 6 Vergleicht man Sportvereine mit anderen Organisationen, wie Wirtschaftsunternehmen, Krankenhäusern, Museen oder Schulen, erkennt man, dass es sich hier um eine ganz spezifische Organisationsform handelt, nämlich um freiwil‐ lige Vereinigungen. Diese lassen sich anhand von fünf idealtypischen Merkmalen cha‐ rakterisieren (Heinemann & Horch, 1988): (1) Die Mitgliedschaft ist freiwillig, niemand kann dazu gezwungen werden. (2) Entsprechend orientieren sich die Organisations‐ ziele an den Mitgliederinteressen, und sie müssen dies auch tun, denn nur wenn die Interessen der Mitglieder zumindest ansatzweise befriedigt werden, werden diese ihre freiwillige Mitgliedschaft aufrecht erhalten. (3) Es bestehen demokratische Entschei‐ dungsstrukturen, da sie eine zentrale Voraussetzung für die Artikulation der Mitglie‐ derinteressen darstellen. Die Mitgliederversammlung bildet (formal) das oberste Ent‐ scheidungsgremium. (4) Die Mitgliederinteressen werden auf Basis freiwilligen Engagements und in Form von Ehrenamtlichkeit realisiert. (5) Die Vereine sind durch Mitgliederbeiträge und freiwilliges Engagement autonom und unabhängig vom Staat. Empirische Studien der Vereinsrealität zeigen jedoch, dass diese Merkmale in ideal‐ typischer Form oftmals nicht gegeben sind. Mit Blick auf die gern beschworene Auto‐ nomie der Vereine lassen sich z. B. Korporatisierungsprozesse identifizieren, indem die Politik über Förderprogramme und Steuererleichterungen den organisierten Sport mit‐ finanziert und ihrerseits - mit dem Verweis auf die Gemeinwohlorientierung - ver‐ sucht, politische Anliegen, z. B. Gesundheitsförderung, Integration von Ausländern, an die Sportvereine heranzutragen. Auch demokratische Entscheidungsstrukturen wer‐ den in der Praxis häufig unterlaufen, denn interne Koordinationszwänge und Notwen‐ digkeiten, den Verein nach außen durch feste Ansprechpartner zu vertreten, führen oftmals zur Ausbildung informeller Hierarchien und Informationsoligarchien, so dass Entscheidungen häufig nicht mehr von „unten“ durch die Mitgliederversammlung, sondern vorab von „oben“ durch den Vorstand getroffen werden. Auch wenn öffentliche und sportpolitische Diskurse immer wieder den Eindruck vermittelten, das Ehrenamt befände sich in der Krise, können die meisten Vereine ihre Ämter zumindest besetzen. Bedeutsamer sind hier vielmehr Fragen nach Leistungsfä‐ higkeiten und Qualifikationen der Amtsinhaber sowie nach deren möglicher Überfor‐ derung durch ihr freiwilliges Engagement. Es zeigt sich, dass wachsende Anforderun‐ gen im Sportbetrieb, erhöhte Qualitätsansprüche der Mitglieder sowie zunehmende Verrechtlichungs- und Bürokratisierungsprozesse die Komplexität der Vereinsführung und -verwaltung enorm gesteigert haben. Inwieweit es daher in den Vereinen zu einer ernst zu nehmenden Verberuflichung im Sinne von Hauptberuflichkeit kommt, hängt u. a. von der Mitgliederzahl, der Höhe des Vereinsetats, der Größe des Vereinsvorstands sowie der Organisationskultur bzw. -ideologie ab (Thiel, Meier, & Cachay, 2006). 138 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 138 <?page no="139"?> 7 Hier ist man vor allem auf die Körpersoziologie verwiesen, die ein eigenständiges Forschungsfeld darstellt, das jedoch große Überschneidungsbereiche mit der Sportsoziologie hat. Weitere Forschungsfelder und Themen der Sportsoziologie können an dieser Stelle nur aufgezählt werden: Sport und Gender, Sport und Sozialisation, Sport und Massen‐ medien, soziale Konflikte im Sport, Trainer-Athlet-Interaktion, Publikum und Fans, Gewalt im Sport, Migration, Integration, sozialer Wandel und Sportentwicklung, Nach‐ wuchsförderung, Extremsport, Behindertensport, Körperkult. 7 Theorien der Sportsoziologie Die hier aufgezeigte thematische Vielfalt bedingt, dass in der Sportsoziologie ganz un‐ terschiedliche Theorien zum Einsatz kommen. Die allgemeine Soziologie ist durch ei‐ nen enormen Theorienpluralismus und konkurrierende Paradigmen gekennzeichnet, was sich auch in der Sportsoziologie widerspiegelt. Dies bedeutet erstens, dass es nicht die eine soziologische Theorie gibt, mit der sich alle sozialen Phänomene gleichermaßen gut erklären ließen. Und zweitens lässt sich daraus folgern, dass soziologische Theorien nicht als Glaubensüberzeugungen oder dogmatische Weltanschauungen aufzufassen sind, sondern vielmehr Denkwerkzeuge darstellen, die, zusammen mit den Forschungs‐ methoden, die Erforschung der sozialen Realität anleiten. Soziologische Theorien sind komplexitätsreduzierende Annahmen und Beschreibungen des Sozialen. Sie bringen immer nur ganz spezifische Aspekte in den Blick. Wie in der Fotografie bestimmen z. B. Art des Objektivs, Brennweite, Belichtungszeit, Bildausschnitt, Standort und der Einsatz von Filtern, welche Objekte, Strukturen, Farben und Kontraste überhaupt auf das Bild gelangen und damit für einen Beobachter sichtbar werden. Das heißt, Theorien ermöglichen es, die Welt anders zu sehen, indem sie bestimmte Aspekte fokussieren und alles andere ausblenden. Wie soziologische Theorien unterschiedliche Perspektiven ermöglichen, lässt sich beispielsweise an der bereits eingeführten Unterscheidung von Mikro- und Makro- Ebene aufzeigen. ■ Eine Reihe an Theoretikern richtet den Fokus auf das Handeln individueller Akteure, auf deren Intentionen und Weltsichten, deren Abhängigkeiten von an‐ deren Akteuren sowie deren Zusammenwirken und Koordination mit diesen - um daraus schließlich die Entstehung sozialer Prozesse und Strukturen zu er‐ klären. Die bekanntesten Akteurmodelle sind wohl der homo sociologicus und der homo oeconomicus. Aus dieser Perspektive erwachsen das Soziale und die Gesellschaft, also die Makro-Ebene, gewissermaßen von unten aus der Mi‐ kro-Ebene heraus und wirken wieder auf diese zurück. Dies gilt sowohl für das interpretative Paradigma mit seinen Vertretern, wie Schütz, Goffman, Berger und Luckmann, wonach Gesellschaft vor allem aus den interaktiv und interpretativ vollzogenen kulturellen Konstruktionen der Menschen im Alltag entsteht, wie auch für utilitaristische Theorien, welche die Entstehung sozialer Ordnung durch die individuelle Interessenverfolgung von Akteuren zu erklären versuchen. De‐ 139 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 139 <?page no="140"?> ren prominenteste Variante ist wohl die Rational Choice Theorie, wie sie z. B. Colemann und Esser vertreten. In der Sportsoziologie lässt sie sich u. a. in For‐ schungen zu Sportvereinen, Mitgliederbindung und freiwilliger Mitarbeit finden (z. B. Nagel, 2006; Flatau, 2009; Schlesinger & Nagel, 2011). ■ Auf der anderen Seite gibt es Theorien, welche die Makro-Ebene fokussieren, also die Gesellschaft als Ganzes sowie ihre Teilsysteme in den Blick nehmen, z. B. die Theorie funktionaler Differenzierung (z. B. Parsons, Luhmann) oder auch der Marxismus (Marx). Der solchen Überlegungen zugrundeliegende Gedanke lässt sich mit dem Begriff der Emergenz beschreiben. Damit ist gemeint, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Das heißt, es wird davon ausge‐ gangen, die Gesellschaft bzw. das Soziale seien durch Eigengesetzlichkeiten und -dynamiken gekennzeichnet, die unabhängig von Weltsichten, Intentionen und Handlungen individueller Akteure existieren. Gesellschaftliche Teilsysteme, wie Wirtschaft oder eben auch Sport, folgen ganz bestimmten Logiken (Gewinnori‐ entierung, Leistungsorientierung), an die sich der einzelne Akteur (selbst im Kollektiv mit anderen) nur anpassen, sie aber nicht grundlegend verändern oder gar außer Kraft setzen kann. In der Sportsoziologie kommt dabei insbesondere die maßgeblich von Luhmann entwickelte Systemtheorie zum Einsatz (z. B. Bette, 1984; Cachay, 1988b; Schimank, 1988; Stichweh, 1990; Thiel, 1997; 2002). Zwischen diese beiden grundlegenden Perspektiven von Akteur und System schieben sich eine Reihe an Theorien, die stärker zwischen Mikro- und Makro-Ebene zu ver‐ mitteln suchen oder aber als so genannte Theorien mittlerer Reichweite ohne Anspruch auf universelle Gültigkeit nur spezifische Aspekte des Sozialen beleuchten: ■ Größere Resonanz in der Sportsoziologie erzeugten z. B. die Arbeiten von Bour‐ dieu. Seine Theorie sozialer Felder bildet wichtige Ansatzpunkte zur Erklärung sozialer Ungleichheit und Distinktion. Mit dem Konzept des Habitus hat er einen theoretischen Zugriff auf das Verhältnis von Gesellschaft und Körper geschaffen (Alkemeyer & Schmidt, 2003). Darüber hinaus ist er einer der wenigen allge‐ meinen Soziologen, der sich selbst mit dem Sport befasst hat (Bourdieu, 1986). ■ Ein weiterer für die Sportsoziologie einflussreicher Soziologie war Elias, dessen Arbeiten vor allem im anglo-amerikanischen Raum stark rezipiert wurden (Gi‐ ulianotti, 2004, S. 7). In seinem Werk über den Zivilisationsprozess zeigt er auf, wie es in der Gesellschaft über mehrere Jahrhunderte aufgrund steigender ge‐ sellschaftlicher Komplexität und verlängerter Interdependenzketten zur zuneh‐ menden Affektkontrolle, gesteigerten Fähigkeit zum Bedürfnissaufschub, Er‐ höhung der Scham- und Peinlichkeitsschwellen sowie einer Gewaltrücknahme auf Seiten der Individuen gekommen ist (Elias, 1980). Zusammen mit seinem Schüler Dunning hat er eine Reihe an Arbeiten zu verschiedenen Aspekten des Sports verfasst. Im modernen Sport sehen sie vor allem eine Antwort auf „the quest for excitement in unexciting societies“ (Elias & Dunning, 1986). 140 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 140 <?page no="141"?> 8 Grundlegende soziologische Einführungsbücher sind Diekmann (2007), Schnell, Hill und Esser (2011) sowie Lamnek (2010), für die Sportwissenschaft sind Bös, Hänsel und Schott (2000) sowie Singer und Willimczik (2002) zu nennen. ■ Mit seinen Studien zu Machtprozessen, zu Formen der Körperdisziplinierung und zur Diskursanalyse hat außerdem Foucault wichtige Einsichten zur Untersu‐ chung körperlicher, machtbasierter sowie diskursiver Praktiken im Sport ge‐ schaffen, die u. a. in der neueren Genderforschung im Sport (Kleindienst-Cachay & Heckemeyer, 2008) sowie auch bei der Analyse der Trainer-Athlet-Beziehung zum Tragen kommen (Denison, 2011). Methoden der Sportsoziologie Die in der Sportsoziologie genutzten Forschungsmethoden unterscheiden sich nicht von denen ihrer Mutterdisziplin. Oder anders formuliert: Es gibt keine originären sportsoziologischen Methoden. 8 Forschungsmethoden sind analog zu Theorien als Werkzeuge zu verstehen. Das meint vor allem, dass es nicht per se die beste Methode gibt, sondern die Angemessenheit ihres Einsatzes ist immer mit Blick auf das zugrun‐ deliegende Forschungsproblem zu reflektieren. Soziologische Methoden lassen sich dabei nach ihrem zugrundeliegenden Forschungsansatz, und nach ihrem Datenerhe‐ bungsverfahren unterscheiden. In der Soziologie gibt es zwei grundlegende Forschungsansätze: zum einen der qua‐ litative Ansatz, zum anderen der quantitative Ansatz. Beide Richtungen unterscheiden sich vor allem in der Art der Daten, die sie generieren. Qualitative Forschung zielt darauf ab, ihre empirischen Beobachtungen direkt zu verbalisieren und auf der Ebene von Sprache zu verarbeiten. Qualitativ ist an dieser Stelle also nicht im Sinne von „bes‐ ser“ zu verstehen, sondern dieser Forschungsansatz versucht mit Qualitäten, z. B. Be‐ griffen, Kategorien oder „dichten“ Beschreibungen (Geertz, 1987) etc., soziale Realität zu erfassen. Quantitative Forschung hingegen nimmt sich die Naturwissenschaften zum Vorbild und versucht soziale Realität zu messen, also in Zahlen abzubilden und diese mit statistischen Verfahren auszuwerten. Ihre Erhebungsverfahren sind notwen‐ digerweise standardisiert, was zu Informationsverlusten führt, aber die Vorteile der besseren Vergleichbarkeit und Aggregierbarkeit von Daten mit sich bringt. Quantita‐ tive Forschung eignet sich daher besonders für große Untersuchungspopulationen, z. B. Zuschauer im Stadion. Sie ist oftmals konfirmatorisch, also auf die Überprüfung von Zusammenhängen und Hypothesen ausgelegt. Im Gegensatz dazu eignet sich qualita‐ tive Forschung durch ihre geringe Standardisierung und den höheren Informations‐ gehalt ihres Datenmaterials für Fallstudien, also für die Analyse weniger, aber kom‐ plexer Untersuchungseinheiten, z. B. Entscheidungsstrukturen eines Sportverbands). Sie ist in vielen Fällen explorativ ausgerichtet, kommt also in Bereichen zum Einsatz, über die man noch wenig weiß, und dient häufig der Theorieentwicklung und Hypo‐ thesengenerierung. Quer zu der Unterscheidung von qualitativer und quantitativer Forschung liegen die drei grundlegenden Datenerhebungsverfahren: Befragung, Beobachtung und Inhalts‐ 141 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 141 <?page no="142"?> 9 Für diesen Wandel sind auch die Fördermöglichkeiten für Forschungsprojekte maßgeblich gewesen. Hier ist vor allem das 1970 gegründete Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) zu nennen, das entsprechende Auftragsforschungen insbesondere hinsichtlich der Problemlagen des Spitzensports vergibt. Darüber hinaus sind mittlerweile verschiedene Ministerien, Sportverbände und Kranken‐ kassen wichtige Geldgeber, die entsprechend anwendungsbezogenes sportsoziologisches Wissen er‐ warten. analyse. Befragungen erfassen vor allem Wissen, Erfahrungen, Einstellungen und Mei‐ nungen. Im Bereich der quantitativen Forschung kommen hier vor allem Fragebögen bzw. fragebogengestützte, standardisierte Interviews zum Einsatz. In der qualitativen Forschung greift man oftmals auf narrative Interviews, problemzentrierte Interviews oder Experteninterviews zurück, die zumeist lediglich durch einen so genannten In‐ terviewleitfaden grob vorstrukturiert werden. Mit Beobachtungsverfahren wird hinge‐ gen das tatsächliche Verhalten der Probanden untersucht. Auch hier kann das Verfah‐ ren standardisiert oder unstandardisiert sein, die Beobachtung kann offen oder verdeckt erfolgen und der Forscher kann an dem Geschehen selber teilnehmen oder dies nur von außen beobachten. Inhaltsanalysen befassen sich mit Texten aller Art, d. h. neben schriftlichen Dokumenten - Reden, Protokolle, Programme etc. - können dies auch Bilder, Filme, Kunstwerke oder Gebäude sein. Ihr Vorteil ist darin zu sehen, dass es sich hierbei durchweg um nicht-reaktive Verfahren handelt. Denn bei Befra‐ gungen und Beobachtungen läuft man stets Gefahr, dass man nicht die „wahren“ Daten erhält, weil die Probanden sich im Wissen um ihre Beforschung anders verhalten bzw. antworten, als sie es normalerweise tun würden (Stichwort: soziale Erwünschtheit). Bei Texten stellt sich jedoch dieses Reaktanzproblem nicht. 3.4.4 Verhältnis der Sportsoziologie zur Sportpraxis In ihrer Entstehungs- und frühen Etablierungsphase hatte die Sportsoziologie nur ge‐ ringe Berührungspunkte mit der Sportpraxis. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass die allgemeine Soziologie in Deutschland in den 1960er/ 1970er Jahren um ihre gesell‐ schaftliche Anerkennung und Legitimation kämpfen musste. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung dominierten insbesondere die Soziologen, die sich dem Programm der kritischen Theorie der Frankfurter Schule und ihren prominenten Vertretern, z. B. Adorno und Habermas, verpflichtet sahen und Soziologie vor allem als Kritik an be‐ stehenden Gesellschafts-, Macht- und Ausbeutungsverhältnissen verstanden. Eine sol‐ che Soziologie konnte für das sich radikal dem Leistungsprinzip verschreibenden Sportsystem kein anschlussfähiges Wissen produzieren. Denn damit wären Sinnhaf‐ tigkeit und Legitimation des Spitzensports und seiner dominierenden Organisationen fundamental in Frage gestellt, jedoch keine produktiven Lösungen für die Probleme des Sports erbracht worden. Auch wenn die (Sport-)Soziologie in den letzten Jahrzehnten weitaus systemaffir‐ mativer geworden ist, 9 erschwert die unterstellte fehlende direkte Verwertbarkeit sportsoziologischer Erkenntnisse weiterhin ein enges Verhältnis zur Sportpraxis. Denn 142 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 142 <?page no="143"?> im Vergleich zu anderen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen, z. B. Trainings‐ wissenschaft oder Sportpsychologie, gelingt es der Sportsoziologie nicht, ihre wissen‐ schaftlichen Erkenntnisse als Technologien bzw. als Technik in die Sportpraxis einzu‐ bringen. Technik, verstanden als funktionierende Simplifikation (Luhmann, 1997, S. 524), suggeriert Kausalität und damit leichte Interventionsmöglichkeiten. Scheinbar bedarf es nur eines spezifischen Inputs - z. B. ein Medikament, ein Trainingsplan, ein psychologisches Treatment - und man erhält als Output eine gesteigerte sportliche Leistung. Aber soziale Verhältnisse lassen sich eben nicht auf Technik reduzieren, ihre Eigendynamik basiert nicht auf Kausalität, sondern vielmehr auf Selektivität. Insofern kann die Sportsoziologie der Praxis nur Orientierungswissen liefern, Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und zur Reflexion anregen. Die dar‐ aus ableitbaren Veränderungs- und Lernprozesse müssen dann allerdings von der Sportpraxis selbst erbracht werden. Jedoch weiß man aus der (sport-)soziologischen Organisationsforschung, dass Orga‐ nisationen im Allgemeinen, Sportvereine und -verbände im Speziellen das Lernen durchaus schwerfällt, da eine Vielzahl struktureller Mechanismen und Barrieren Ver‐ änderungen und Innovationen scheitern lassen können (Bette, 1999; Thiel & Meier, 2004; Knudsen, 2006). Daher bleibt die soziologische Beratung von Sportorganisationen oftmals ein recht enttäuschendes und wirkungsloses Unterfangen, da das wissen‐ schaftliche Wissen - wenn nicht komplett ignoriert - oftmals nur zur Legitimation bereits vorgefertigter Entscheidungen oder für Akte symbolischer (Sport-)Politik ge‐ nutzt wird. Praxisbeispiel: Spitzensport und Schule „Weltmeister werden und die Schule schaffen“ lautet der Titel einer Studie von Richartz und Brettschneider (1996) und er lässt erahnen, welche Anforderungen an jugendliche Spitzensportler heutzutage gestellt werden. Zum einen gilt: Nur wer bereits im Kindes- und Jugendalter ein enormes Trainings- und Wett‐ kampfpensum leistet, hat überhaupt die Chance, im Erwachsenenalter inter‐ national konkurrenzfähig sein zu können. Zum anderen muss aber auch eine Schul- und Berufsausbildung absolviert werden. Denn entgegen dem vor allem durch die Massenmedien verbreiteten Bild der „millionenschweren“ Sportstars gilt für die allermeisten Athleten, dass sie ihren zukünftigen Lebensunterhalt nicht allein auf Basis ihrer spitzensportlichen Karriere werden sichern können. Deshalb sind ein Schulabschluss und eine daran anschließende Berufsausbil‐ dung oder ein Studium nicht hintergehbare Notwendigkeiten für „die Zeit da‐ nach“. Dies wird auch von der überwiegenden Mehrheit der Nachwuchssportler so gesehen. Die wenigsten von ihnen sind bereit, aufgrund ihres sportlichen 143 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 143 <?page no="144"?> Engagements größere Nachteile hinsichtlich ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung in Kauf zu nehmen. Im Konfliktfall würden sie sich daher eher gegen den Sport entscheiden (Riedl & Cachay, 2002, S. 229-234). Damit läuft der Spitzensport aber Gefahr, seine Talente entweder zu spät, auf einem zu niedrigen Leistungsniveau auszubilden - oder aber sie vorzeitig ganz zu ver‐ lieren. Beiträge der Sportsoziologie hinsichtlich des Problems der (Un-)Vereinbarkeit von sportlicher Karriere und schulischer Laufbahn werden deutlich, wenn man danach fragt, wie die Inklusion in die beiden gesellschaftlichen Teilsysteme Spitzensport und Erziehung erfolgt, welche generellen Anforderungen an die Rolle „Sportler“ und die Rolle „Schüler“ gestellt werden. Dann wird u. a. er‐ kennbar, dass erstens beide Rollen in dieselbe Lebensspanne fallen und sich nicht beliebig nach hinten verschieben lassen. Zweitens erfordern sie beide einen hohen Ressourcenaufwand, insbesondere in zeitlicher Hinsicht. Und drittens ist festzustellen, dass das Sportsystem und das Erziehungssystem jeweils nur nach Maßgabe ihrer eigenen Funktionslogik inkludieren und die Funktionserforder‐ nisse des anderen Systems gänzlich unberücksichtigt lassen (müssen). Man be‐ kommt in Mathematik keine bessere Note, nur weil man ein erfolgreicher Speerwerfer ist. Und man bekommt auch beim Schwimmwettkampf keinen Vorsprung, weil man in der letzten Deutscharbeit gut abgeschnitten hat. Das zentrale Problem der (Un-)Vereinbarkeit von Spitzensport und Schule ist dem‐ nach in der Simultaneität und Desintegration der beiden Inklusionsverhältnisse „Sportler“ und „Schüler“ zu sehen (Riedl, Borggrefe & Cachay, 2007, S. 164). Fragt man nach Lösungsmöglichkeiten, wird schnell deutlich, dass diese nicht in der Sachdimension zu finden sind. Im Erziehungssystem können keine bes‐ seren Noten für Spitzensportler gegeben werden, denn dies würde entspre‐ chende Schulabschlüsse entwerten. Und der Spitzensport kann keine Vergüns‐ tigungen aufgrund schulischer Leistungen gewähren, würde damit doch die sportliche Konkurrenzlogik unterlaufen werden. Möglichkeiten zur Abfede‐ rung der Problematiken sind nur in der Zeitdimension, z. B. durch die Flexibili‐ sierung oder Streckung der Schulzeit, sowie in der Sozialdimension, z. B. durch die Rekrutierung qualifizierten Personals zur Betreuung und Unterstützung der jugendlichen Athleten, gegeben. Derartige strukturelle Arrangements lassen sich allerdings nicht direkt in den gesellschaftlichen Funktionssystemen (Ma‐ kro-Ebene) etablieren. Will man die Problemlösung jenseits von heroischen Einzelleistungen der Nachwuchssportler und ihrer Eltern (Mikro-Ebene) insti‐ tutionell verankern, gilt es auf der Meso-Ebene Organisationen zu schaffen bzw. Kooperationen zwischen Sportorganisationen und Schulen zu initiieren, die ihre Strukturen - Zielsetzungen, Entscheidungsprozesse, Kommunikations‐ wege, Stellen, Personal, Organisationskultur - so ausrichten, dass sie den Er‐ fordernissen des Spitzensports und des Erziehungssystems gerecht werden bzw. die damit verbundenen Konflikte zumindest abfedern, um so dem Nachwuchs‐ 144 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 144 <?page no="145"?> sportler eine bessere Vereinbarkeit von schulischer Laufbahn und sportlicher Karriere zu ermöglichen. Unter Bezeichnungen, wie Partnerschule des Spit‐ zensports, Sportbetonte Schule und Eliteschule des Sports, gibt es in Deutsch‐ land bereits verschiedene institutionalisierte Lösungsansätze. Inwieweit sie aber das Problem der (Un-)Vereinbarkeit tatsächlich lösen können, ist eine wei‐ tere zentrale Frage sportsoziologischer Analysen (Teubert et al. 2006; Teubert, 2009; Flatau & Emrich, 2011). Kontrollfragen 1. Im Sport lassen sich mannigfaltige soziale Phänomene auf unterschiedlichen Ebenen finden. Wie können diese Ebenen bezeichnet werden und worin un‐ terscheiden sie sich? Benennen Sie jeweils drei Beispiele. 2. Die Sportsoziologie steht einerseits in Beziehung zur Soziologie, anderer‐ seits zur Sportwissenschaft. Wodurch sind diese beiden Verhältnisse jeweils gekennzeichnet? Worin unterscheiden sie sich? 3. Sportsoziologen gehen davon aus, dass der Sport erst im Zuge der Entste‐ hung und Durchsetzung der modernen, funktional differenzierten Gesell‐ schaft entstanden ist. Wie wird diese These begründet? 4. Die moderne Gesellschaft ist durch die Gleichzeitigkeit von Körperverdrän‐ gung und Körperaufwertung gekennzeichnet. Wie lässt sich dieses paradoxe Verhältnis erklären? 5. Doping ist ein zentrales Problem des Spitzensports. Welche Ursachen ma‐ chen sportsoziologische Forschungen deutlich und wieso kann der Sport dieses nicht vollends lösen? 6. Sportvereine sind freiwillige Vereinigungen. Durch welche idealtypischen Merkmale ist dieser spezifische Organisationstyp gekennzeichnet? Inwie‐ fern weicht die soziale Realität der Sportvereine hiervon häufig ab? 7. In der Sportsoziologie kommen quantitative und qualitative Forschungsan‐ sätze zum Einsatz. Worin liegen deren wesentliche Unterschiede, Vor- und Nachteile? 8. Typische Forschungsmethoden der Sportsoziologie sind Befragungen, Be‐ obachtungen und Inhaltsanalysen. Wie unterscheiden sich diese drei hin‐ sichtlich ihrer Datenerhebung? 9. Ein zentrales Problem für den Nachwuchs im Spitzensport ist die Simulta‐ nität und Desintegration der Rollen „Sportler“ und „Schüler“. Wie lassen sich soziologisch fundiert Möglichkeiten und Grenzen der Problemlösung auf‐ zeigen? 145 3.4 Sportsoziologie (Lars Riedl) 145 <?page no="146"?> Literatur Alkemeyer, T. & Schmidt, R. (2003). Habitus und Selbst. Zur Irritation der körperlichen Hexis in der populären Kultur. In T. Alkemeyer, B. Broschert, R. Schmidt & G. Gebauer (Hrsg.), Der aufs Spiel gesetzte Körper. Aufführungen des Sozialen in Sport und populärer Kultur (S. 77-102). Konstanz: Universitätsverlag. Anders, G. (2005). Soziologische Sportorganisationsforschung in der Bundesrepublik Deutsch‐ land. In T. Alkemeyer, B. Rigauer & G. Sobiech (Hrsg.), Organisationsentwicklungen und Deinstitutionalisierungsprozesse im Sport (S. 99-122). Schorndorf: Hofmann. Bette, K.-H. (1984). Die Trainerrolle im Hochleistungssport. System- und rollentheoretische Über‐ legungen zur Sozialfigur des Trainers. Sankt Augustin: Richarz. Bette, K.-H. (1989). Körperspuren. Zur Semantik und Paradoxie moderner Körperlichkeit. 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Dies sind die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, unter denen sich in den letzten Jahren die Sportökonomik als relevanter Wissenschaftszweig herausgebildet und ent‐ wickelt hat. Aber ist die Sportökonomik ein eigenständiger Wissenschaftszweig? Ist sie Teil der Sportwissenschaft oder Teil der Wirtschaftswissenschaften? Womit beschäftigt sich die Sportökonomik? Was machen Sportökonomen? Welche empirischen Studien gibt es? 149 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 149 <?page no="150"?> 1 Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Prof. Dr. h. c. Georg Anders für seine kritische Durchsicht dieses Kapitels und seine sehr hilfreichen Anmerkungen bedanken. Und warum wird das Kapitel Sportökonomik und nicht Sportökonomie oder Sportma‐ nagement genannt? Unter anderem diesen Fragen geht das vorliegende Kapitel nach. 1 Lernziele ■ Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Sportökonomik be‐ schäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Sportökonomik entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihrer Mutter‐ wissenschaft bestehen. ■ Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Sportökono‐ mik kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Sportökonomik den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Problem-/ Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportökonomik zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungser‐ gebnissen beimisst. 3.5.1 Einführung - Charakterisierung der Sportökonomik Bis heute besteht kein Konsens darüber, was Sportökonomik ist. Um die Perspektive dieses Kapitels zu verstehen, wird daher zunächst eine Begriffseingrenzung vorge‐ nommen und die anhaltende Debatte zur Einordnung dieser noch sehr jungen wissen‐ schaftlichen Disziplin kurz skizziert. Wenn Aspekte des Sports aus ökonomischer Perspektive beleuchtet werden, sind im deutschen Sprachgebrauch die Begriffe Sportökonomie, Sportökonomik und Sportma‐ nagement gebräuchlich. Daumann (2011) und Trosien (2009) definieren die Sportöko‐ nomie als Oberbegriff einer Betriebswirtschaftslehre (BWL) und Volkswirtschaftslehre (VWL) des Sports. Die Auseinandersetzung mit ausschließlich volkswirtschaftlichen Aspekten des Sports wird hingegen häufig als Sportökonomik bezeichnet (Dietl, 2011). Da die volkswirtschaftlichen Aspekte des Sports im Fokus des vorliegenden Kapitels stehen, wurde es mit dem Begriff Sportökonomik entsprechend spezifiziert. Unklar ist allerdings bis heute, in welchem Verhältnis Sportökonomie und Sport‐ ökonomik zu dem geläufigeren Begriff Sportmanagement stehen. Während Thieme (2011) Sportmanagement als spezielle Betriebswirtschaftslehre des Sports sieht, gehö‐ ren nach Parkhouse (2005) auch die volkswirtschaftlichen Aspekte des Sports zum Sportmanagement. Nach Daumann (2011) werden unter Sportmanagement ebenfalls 150 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 150 <?page no="151"?> sowohl betriebsals auch volkswirtschaftliche Aspekte des Sports subsummiert. Er versteht unter Sportmanagement allerdings nur die „technologische Nutzung der Theorien der BWL/ VWL des Sports“ (Daumann, 2011, S. 10). Breuer und Thiel (2005) fassen Sportmanagement noch weiter, indem sie den Begriff der Sportmanagement‐ wissenschaft als Oberbegriff von Sportökonomik, Sportpsychologie, Sportrecht und Sportsoziologie einführen. Unklar ist darüber hinaus, ob die Sportökonomik Teil der Wirtschaftswissenschaften oder Teil der Sportwissenschaft ist. Einerseits argumentiert beispielsweise Dietl (2011), dass die Sportökonomik eine Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften darstellt, weil sie auf dem grundlegenden wirtschaftswissenschaftlichen Fundament aufbaut. Ande‐ rerseits ist die institutionelle Anbindung der Sportökonomik in den Universitäten sportwissenschaftlich geprägt: in Deutschland gibt es entsprechende Professuren pri‐ mär in sportwissenschaftlichen, nicht aber in wirtschaftswissenschaftlichen Instituten. Gleichwohl forschen jedoch zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler an wirtschaftswis‐ senschaftlichen Instituten (u. a.) im Bereich der Sportökonomik. Ausgehend von der zuvor skizzierten Debatte ist Abbildung 3.5.1 der Versuch einer eigenen Einordnung der Sportökonomik im Schnittfeld von Sportwissenschaft und VWL sowie angrenzenden Disziplinen. Neben der Sportwissenschaft, der VWL und der BWL wurde in der Abbildung zudem die Perspektive der Medienwissenschaften ein‐ geführt, da einige medienökonomische Aspekte Relevanz für die Sportökonomik ha‐ ben. Wie die Abbildung andeutet, existieren keine klaren Abgrenzungen zwischen den einzelnen Disziplinen. Häufig sind die Übergänge fließend. Abb. 3.5.1: Die Sportökonomik im Schnittfeld von Sportwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und angrenzenden Disziplinen 151 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 151 <?page no="152"?> Dieser einführenden Einordnung folgend, beschäftigt sich die Sportökonomik mit den mikro- und makroökonomischen Aspekten des Sports. Allgemein werden im Rahmen der Mikroökonomik einzelne Elemente der Wirtschaft (Anbieter und Nachfrager) sowie deren Zusammenwirken auf Märkten betrachtet. Mikroökonomische Themen des Sports beziehen sich beispielsweise auf das Zuschauerverhalten im Spitzensport, das Verhalten von Profisportvereinen und -unternehmen sowie deren Zusammenwirken beispielsweise in Stadien. Im Rahmen der Makroökonomik werden gesamtwirtschaft‐ liche Phänomene betrachtet. Makroökonomische Themen des Sports beziehen sich entsprechend u. a. auf die wirtschaftliche Bedeutung des Sports oder die wirtschaftliche Bedeutung von Sportgroßevents (Mankiw & Taylor, 2008). Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine Reduzierung der Sport‐ ökonomik auf den Gegenstandsbereich des Spitzensports zu kurz greift. Die volkswirtschaftlichen Aspekte des Freizeit- und Breitensports sind von großer (sportpolitischer) Bedeutung und erfahren daher insbesondere in der jüngeren Vergangenheit eine zunehmende (wissenschaftliche) Beachtung. Bevor jedoch einzelne Themen der Sportökonomik näher spezifiziert und erläutert werden, ist zunächst die grundlegende Frage zu klären, warum die Sportökonomik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu verstehen ist. Nach Heinemann (1984; 1998) kann dies mit den zahlreichen Besonderheiten des Sports begründet werden, die ein einfaches Anwenden allgemeiner mikro- oder mak‐ roökonomischer Theorien und Methoden im Gegenstandsbereich des Sports erschwe‐ ren oder unmöglich machen (hierzu auch Daumann, 2011; Dietl, 2011; Hickel, 2002; Horch, 1999). Zugleich liefert ein Teil dieser Besonderheiten die Begründung für die zahlreichen (staatlichen) Interventionen im Sport. Nicht zuletzt aufgrund der Aktualität des Themas bietet es sich an, mit den Zielen von Profisportvereinen zu beginnen. In jedem Einführungsbuch zur VWL wird ange‐ nommen, dass Unternehmen ihren Gewinn maximieren. Sloane (1969; 1971) argumen‐ tierte als Erster, dass europäische Fußballclubs dagegen eher ihren sportlichen Erfolg maximieren. Diese Ausgangsüberlegung findet sich folglich in vielen theoretischen Modellen wieder, in denen Ligen mit sieg- und gewinnmaximierenden Teams vergli‐ chen werden (z. B. Késenne, 1996; 2004; Fort & Quirk, 1995). Klassischer Weise wird dabei in sportökonomischen Überlegungen angenommen, dass Teams in den nord‐ amerikanischen Profiligen (MLB, NBA, NFL, NHL) eher gewinnorientiert agieren, während Teams in den europäischen Profiligen eher ihren sportlichen Erfolg - unter der Nebenbedingung eines (Null-)Gewinns - maximieren. Allerdings ist durchaus kri‐ tisch zu hinterfragen, inwiefern Teams in den nordamerikanischen Profiligen tatsäch‐ lich gewinnorientiert agieren. Beispielsweise verzeichnete die NBA im Jahr 2010 einen Verlust von rund 215 Mio. Euro (Sportinformationsdienst, 2010). Auch die (Null-)Ge‐ winn-Bedingung ist in Anbetracht der enormen Verbindlichkeiten, die insbesondere im europäischen Profifußball angehäuft wurden, fraglich. Noch 2012 waren beispiels‐ weise die Clubs der spanischen La Liga und der englischen Premier League zusammen 152 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 152 <?page no="153"?> 2 Da das Phänomen der Kooperenz häufig als Ausnahmeerscheinung im Sportbereich gilt, sei darauf hingewiesen, dass Kooperenz auch in anderen Bereichen vorzufinden ist. So kooperieren beispiels‐ weise einzelne Länder im Handel, stehen aber zugleich in Konkurrenz zueinander. So kommt es auch dort teilweise zu widersprüchlichen Verhaltensweisen. mit mehreren Milliarden Euros verschuldet. Auch in anderen europäischen Profifuß‐ ballligen hatten sich Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe angehäuft - nicht zuletzt ein Grund für die Einführung des Finanziellen Fairplay (FFP)-Reglements durch die UEFA (Fahrner, 2014). Neben den Zielen von Profisportvereinen weist auch das Produkt des professionellen Sports einige Besonderheiten auf. So gilt die Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels oder einer Saison als ein wesentlicher nutzenstiftender Parameter für die Sta‐ dion- und Fernsehzuschauer. Es waren Rottenberg (1956) und Neale (1964), die vor diesem Hintergrund die sogenannte Unsicherheitshypothese begründeten. Obgleich bisher nur unzureichend empirisch validiert, dient die Unsicherheitshypothese als Rechtfertigungsgrund für zahlreiche Regulierungsmaßnahmen im Profisport. Bei‐ spielsweise existieren in den nordamerikanischen Ligen Gehaltsobergrenzen (Salary Caps), Nachwuchsrekrutierungs-Regeln (Entry Draft) und Einnahmenumvertei‐ lungs-Regeln (Revenue Sharing). Letztgenannte Regulierung findet sich auch in den meisten europäischen Profisportligen, wenn etwa die Medienrechte in Deutschland zentral durch die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) vermarket und dabei erzielte Einnahmen jährlich nach bestimmten Verteilungsschlüsseln an die 36 Profivereine der Fußball Bundesliga und 2. Bundesliga ausgeschüttet werden. All diese Regulierungs‐ maßnahmen dienen der Aufrechterhaltung einer gewissen Wettbewerbsintensität zwi‐ schen den teilnehmenden Teams und somit der Gewährleistung der Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels oder einer Saison. Die „besonderen“ Ziele der Profisportvereine und die Bedeutung der Unsicherheit über den sportlichen Ausgang gehen mit einem scheinbar widersprüchlichen Verhalten der handelnden Akteure im professionellen Sport einher. Einerseits konkurrieren die Vereine um knappe Ressourcen wie Spieler, Trainer oder fi‐ nanzielle Mittel. Zum anderen kooperieren sie beispielsweise bei der gemeinsa‐ men Vermarktung der Medienrechte, um durch die Einnahmenumverteilung eine größtmögliche Unsicherheit aufrechtzuerhalten. Dieses Phänomen wird Koope‐ renz genannt und wurde von Neale (1964, S. 2) mit der Maxime umschrieben: „Oh Lord, make us good, but not that good“. 2 Während die Bedeutung der Unsicherheit über den sportlichen Ausgang als Rechtfer‐ tigung für die zahlreichen Regulierungsmaßnahmen im Spitzensport dienen, sind es so genannte externe Effekte und öffentliche Guts-Eigenschaften, die zur Rechtfertigung der staatlichen Spitzensportförderung herangezogen werden. Unter einem externen Effekt wird im Allgemeinen die Auswirkung einer Handlung auf unbeteiligte Dritte verstan‐ den (Mankiw & Taylor, 2008). Die dem Spitzensport zugeschriebenen (positiven) ex‐ 153 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 153 <?page no="154"?> ternen Effekte können in Anlehnung an Langer (2006) als Prestigewert und Wachs‐ tumsexternalitäten umschrieben werden. Beispielsweise können sportliche Erfolge von Sportlern ebenso wie die Austragung von Sportevents das Zusammengehörigkeitsge‐ fühl auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene fördern. Ebenfalls ist denkbar, dass die Ausrichtung von Sportgroßevents zu positiven Wachstumsimpulsen innerhalb der jeweiligen Volkswirtschaft führen. Aufgrund der Identitätsstiftung und Repräsentati‐ onswirkung wird Spitzensport häufig auch als öffentliches Gut charakterisiert, da nie‐ mand vom Konsum ausgeschlossen werden kann und der Konsumnutzen eines jeden zusätzlichen Nachfragers nicht kleiner wird. Übersetzt bedeutet das: Jeder hat bei‐ spielsweise die Möglichkeit, sich über Sportereignisse zu informieren und Stolz für die sportlichen Erfolge der Athleten, z. B. bei Olympischen Spielen, zu empfinden. Zugleich ist das Ausmaß des persönlichen Empfindens von Stolz unabhängig von der Anzahl an Mitkonsumenten. Generell werden öffentliche Güter aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht oder nur in unzureichendem Umfang am Markt angeboten. Dieses Angebotsver‐ sagen erklärt, warum der Staat im Allgemeinen die Bereitstellung von öffentlichen Gütern fördert. Externe Effekte werden ebenfalls zur Rechtfertigung der staatlichen Förderung im Breiten- und Freizeitsport herangezogen. Beispielsweise wird argumentiert, dass kör‐ perliche Aktivität gesundheitsfördernde Effekte hat und eine sportlich aktive Bevöl‐ kerung maßgeblich zur Reduzierung der Gesundheitskosten beitragen kann. Darüber hinaus beschreibt Langer (2006) zahlreiche sozio-edukatorische Werte des (in Sport‐ vereinen) organisierten Sports, wie Sozialisation, Entfaltung der Persönlichkeit, Auf‐ bau von sozialen Beziehungen und Sozialkapital oder Integration verschiedener Be‐ völkerungsgruppen und -schichten. All diese Effekte hätten in aggregierter Form positive Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Volkswirtschaft. Dieser (externe) Nutzen wird allerdings nicht im Entscheidungskalkül der Einzelnen berücksichtigt. Insofern ist zu erwarten, dass nicht alle Individuen im (gesellschaftlich) wünschens‐ werten Umfang körperlich aktiv sind oder sich in Sportvereinen engagieren. Derartiges Nachfrageversagen ist die Eigenschaft sogenannter meritorischer Güter und entspre‐ chend eine Rechtfertigung dafür, dass der Staat beispielsweise Sportvereine subven‐ tioniert, um die Nachfrage nach körperlicher Aktivität und Engagement in Sportver‐ einen mit einem niedrigen Preis „anzukurbeln“. Wie die Unsicherheitshypothese sind jedoch auch die (externen) Effekte des Spitzensports und des Breiten- und Freizeitsports bisher nicht ausreichend em‐ pirisch validiert. Daher argumentiert Daumann (2011), dass sich die staatliche Förderung des Sports nur schlecht mit den externen Effekten und den öffentli‐ chen oder meritorischen Guts-Eigenschaften rechtfertigen lässt. Neben den zuvor diskutierten Besonderheiten werden von Heinemann (1998) und Daumann (2011) noch weitere Aspekte erläutert. Viele dieser Besonderheiten treffen jedoch auch auf andere Dienstleistungen zu, sodass auf eine weitere Erläuterung an dieser Stelle verzichtet wird. Nicht nur aufgrund der hier skizzierten einzelnen Beson‐ 154 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 154 <?page no="155"?> 3 Eine hervorragende Übersicht zu den Anfängen und der Entwicklung sportökonomischer For‐ schungsarbeiten findet sich bei Andreff und Szymanski (2009). Teile der folgenden Ausführungen sind ihrem Kapitel entnommen. derheiten, sondern insbesondere aufgrund des komplexen Zusammenwirkens zahlrei‐ cher Besonderheiten ist eine gesonderte und modifizierte ökonomische Analyse des Sports erforderlich. 3.5.2 Entstehung und Entwicklung der Sportökonomik Die Anfänge der Sportökonomik lassen sich mit den beiden Beiträgen von Rottenberg (1956) und Neale (1964) im amerikanischen Raum recht genau datieren. 3 Sloane (1969; 1971) war der erste, der diese sportökonomischen Analysen in England aufgriff. Er führte die Idee ein, dass europäische Fußballvereine ihren Nutzen maximieren, was nicht zwangsläufig mit der Maximierung des Gewinns einhergehen muss. Es folgten Arbeiten von Hart, Hutton und Sharot (1975), Bird (1982) und Jennett (1984) in England. Die Anfänge sportökonomischer Analysen in Frankreich gehen (z. T. soziologisch ge‐ prägt) auf Volpicelli (1966), Bourdieu (1979), Pociello (1981) und Andreff (1980) zurück. Erste Arbeiten im deutschsprachigen Raum legten Melzer und Stäglin (1965) zur „Öko‐ nomie des Fußballs“, Gärtner und Pommerehne (1978) zum Thema „Der Fußballzu‐ schauer - ein homo economicus? “, Büch und Schellhaaß (1978) zu „Ökonomischen Aspekten der Transferentschädigung im bezahlten Mannschaftssport“ sowie Heine‐ mann (1984) mit seinen „Texten zur Ökonomie des Sports“ vor (Daumann, 2011). Entsprechend bildeten sowohl im nordamerikanischen als auch im europäischen Raum ökonomische Analysen im Spitzensport den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Sportökonomik als eigenständige Disziplin. Darüber hinaus waren es Heinemann und Horch (1981) mit einer eher soziologisch geprägten Analyse der Sportorganisa‐ tionen, Andreff und Nys (1984) zur Bedeutung des Ehrenamts im Sport sowie Horch (1994) mit seinem Artikel zu den „Besonderheiten einer Sport-Ökonomie - ein neuer bedeutender Zweig der Freizeitökonomie“, die den Weg für eine ökonomische Analyse im Freizeit- und Breitensport bereiteten. Heutzutage arbeiten Wissenschaftler weltweit an diversen ökonomischen Analysen sowohl im Bereich des Spitzensports als auch im Bereich des Breiten- und Freizeit‐ sports. In Anbetracht der zuvor skizzierten historischen Entwicklung kann jedoch ge‐ sagt werden, dass ökonomische Analysen des Spitzensports ihren Ursprung in Nord‐ amerika hatten und ökonomische Analysen des Breiten- und Freizeitsports in Europa entstanden. Wie bereits eingangs erwähnt, sind Sportökonomik und Sportbetriebslehre nicht klar zu trennen. Vielmehr existieren fließende Übergänge, weshalb betriebswirtschaft‐ liche Analysen parallel zur ökonomischen Betrachtung zum Sport durchgeführt wur‐ den. Erste Arbeiten gehen auf Dreyer (1986) zur „Werbung im Sport“, Drees (1989) zum „Sportsponsoring“ und Freyer (1990) zum „Sportmarketing“ zurück. 155 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 155 <?page no="156"?> 4 Wie Andreff und Szymanski (2009) anmerken, hatte die Sportökonomik von Beginn an eine sehr enge Verbindung zur Arbeitsmarktökonomik (labour economics). Einen strukturierten Einblick zum Arbeitsmarkt Sport in Deutschland bietet der Aufsatz von Anders (1995). Mit der wissenschaftlichen Disziplin der Sportökonomik haben sich eigenständige Journals (z. B. Journal of Sports Economics, International Journal of Sport Finance) und wissenschaftliche Vereinigungen (z. B. Arbeitskreis (AK) Sportökonomie e. V., North American Association of Sports Economists (NAASE), European Sport Economics As‐ sociation (ESEA)) entwickelt. 3.5.3 Themenfelder der Sportökonomik Einen ersten Eindruck zu den Themenfeldern der Sportökonomik liefern einschlägige Lehrbücher. Für den nordamerikanischen Raum ist beispielsweise das Buch von Leeds und von Allmen (2005) zu nennen. Im europäischen Raum ist das Lehrbuch von Down‐ ward, Dawson und Dejonghe (2009) maßgeblich. Während die meisten deutschspra‐ chigen Lehrbücher in erster Linie die betriebswirtschaftliche Analyse des Sports beto‐ nen, fokussiert das Lehrbuch von Daumann (2011) ebenso wie das Handbuch Sportökonomik von Deutscher, Hovemann, Pawlowski und Thieme (2016) hauptsäch‐ lich die volkswirtschaftlichen Aspekte des Sports. Wie sich zeigt, unterscheiden sich die Lehrbuchinhalte zwar in den einzelnen Ländern, der Spitzensport wird aber in allen Lehrbüchern in sehr ähnlicher Form thematisiert. Im Fokus stehen dabei die Messung der Wettbewerbsintensität (Competitive Balance: CB) und deren Bedeutung für die Zuschauer (Uncertainty of Outcome Hypothesis: UOH) sowie der Arbeitsmarkt 4 und die öffentliche Sportförderung. Darüber hinaus thematisieren die nordamerikanischen Lehrbücher den College Sport, während die europäischen Lehrbücher eher ihren Fokus auf den Freizeit- und Breitensport richten. ■ Leeds und von Allmen (2005): Dieses Lehrbuch gliedert sich in fünf Teile und beinhaltet neben einer Einführung in das allgemeine ökonomische Instrumen‐ tarium die Bereiche Industrieökonomik, Finanzwissenschaften und Arbeits‐ marktökonomik im Sport. Darüber hinaus geht ein Kapitel auf den College Sport ein. ■ Downward, Dawson und Dejonghe (2009): Dieses Lehrbuch beginnt ebenfalls mit einer Wiederholung des allgemeinen ökonomischen Instrumentariums. In den folgenden Kapiteln werden auch die Besonderheiten des Sports in Europa explizit berücksichtigt. Im Gegensatz zu den nordamerikanischen Lehrbüchern liegt ein Schwerpunkt des Buchs (insgesamt vier Kapitel) auf den ökonomischen Aspekten des Freizeit- und Breitensports. ■ Daumann (2011): Nach kurzer Einführung zur wirtschaftlichen Bedeutung des Sports wird in diesem Lehrbuch erläutert, was Sportökonomie ist. Die übrigen Kapitel thematisieren verschiedene ökonomische Aspekte des Spitzensports, beispielsweise die Besonderheiten der Zuschauernachfrage bei sportlichen 156 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 156 <?page no="157"?> 5 Interessierte Leser seien auf das Handbuch Sportökonomik von Deutscher et al. (2016) sowie das 2019 erschienene SAGE Handbook of Sports Economics (Downward et al., 2019) verwiesen, welches über 50 Kapitel mit aktuellen und hoch relevanten Themen der Sportökonomik abbildet. Wettkämpfen, die ökonomischen Charakteristika sportlicher Wettkämpfe und deren Design bei Individualsportarten, die Produktion sportlicher Leistung bei Teamsportarten, die ökonomischen Besonderheiten einer Liga und den Arbeits‐ markt im Ligensport. Dem Freizeit- und Breitensport wird hingegen kaum Be‐ achtung geschenkt. ■ Deutscher et al. (2016): Nach einführenden Überlegungen zur Entwicklung und Einordnung der Sportökonomik thematisieren elf Kapitel verschiedene mikro‐ ökonomische Aspekte des Spitzensports. Im Gegensatz zu Daumann (2011) wird auch der Freizeit- und Breitensport in weiteren drei Kapiteln explizit berück‐ sichtigt. Insgesamt fünf Kapitel befassen sich mit den makroökonomischen As‐ pekten des Sports, wie beispielsweise dem Zusammenspiel zwischen Sport und Staat sowie der wirtschaftlichen Bedeutung von Sport im Allgemeinen und Sportvents im Speziellen. Im Folgenden werden einige Themenfelder der Sportökonomik weiter vertieft. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Es geht vielmehr um den exemplari‐ schen Einblick in aktuelle und relevante Forschungsarbeiten im Bereich der empiri‐ schen Sportmakro- und Sportmikroökonomik. 5 Sportmakroökonomik Auf makroökonomischer Ebene gibt es einerseits Studien, die sich mit (I) der Quanti‐ fizierung des sportbezogenen Anteils innerhalb der Volkswirtschaft beschäftigen. Der zweite Teilbereich makroökonomisch orientierter Studien fokussiert (II) die wirtschaft‐ lichen Effekte von Sportgroßevents. Studien zum Bereich (I) haben eine hohe sportpolitische Relevanz und wurden von der Europäischen Kommission explizit im White Paper on Sport von den Mitgliedsstaa‐ ten gefordert. Zu unterscheiden sind dabei Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung sowie zur finanzpolitischen Bedeutung des Sports. ■ Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung in mehreren europäischen Ländern wur‐ den von Jones (1989) und Andreff, Bourg, Halba und Nys (1995) publiziert. We‐ ber, Schneider, Kortlücke und Horak (1995), Meyer und Ahlert (2000) sowie Preuß, Alfs und Ahlert (2012) quantifizierten die wirtschaftliche Bedeutung des Sports in Deutschland. Eine aktuelle Übersicht zur Sportwirtschaft in Deutsch‐ land bietet die Zusammenfassung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (2018). Demnach gaben private Haushalte in Deutschland im Jahr 2015 knapp 56 Mrd. Euro für die aktive Sportausübung aus (über 20 Mrd. Euro davon entfielen auf Sportbekleidung und Sportausrüstung). Für die passive Sportaus‐ übung/ Sportinteresse wurden weitere knapp 9 Milliarden Euro ausgegeben (rund 2 Mrd. Euro davon entfielen auf Pay-TV-Ausgaben). Das Gesamtvolumen 157 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 157 <?page no="158"?> 6 Eine umfassende Studie mit Ergebnissen zu verschiedenen Sportarten liefern Gans, Horn und Ze‐ mann (2003). Simulationsrechnungen zur ökonomischen Bedeutung der FIFA Fußball-Weltmeister‐ schaft 2006 fasst Kurscheidt (2009) zusammen. Im Rahmen aktueller Studien wird auch versucht, intangible Effekte von Sportgroßevents zu erfassen (Kavetsos & Szymanski, 2010). Eine Übersicht hierzu ist in Downward et al. (2009) zu finden. für Werbung, Sponsoring und Medienrechte wurde im Jahr 2015 auf rund 4,5 Mrd. Euro abgeschätzt. Interessant ist dabei, dass das Sponsoring-Volumen (in‐ klusive Aktivierung) im Breitensportbereich mit rund 1,4 Mrd. Euro im Vergleich zum Spitzensport mit rund 0,9 Mrd. Euro fast doppelt so hoch ausfällt. ■ Pawlowski und Breuer (2013a) quantifizieren erstmals die finanzpolitische Be‐ deutung des Sports in Deutschland, die durch die sportrelevanten Nutzen- und Kostenkategorien der öffentlichen Haushalte (Bund, Länder, Gemeinden/ Kommunen) sowie die Sozialversicherungsträger operationalisiert wird. Hierzu gehören (1) direkte sportbezogene Einnahmen wie beispielsweise Steuerein‐ nahmen, (2) gesellschaftliche Nutzeneffekte des Sports wie beispielsweise In‐ tegrationsleistungen, (3) direkte sportbezogene Ausgaben wie beispielsweise Sportfördermittel sowie (4) der Verzicht auf Einnahmen zur Förderung des Sports wie bespielsweise Steuererleichterungen für Sportvereine. In Abhängig‐ keit des zugrunde gelegten Sportbegriffs stehen (in 2010) den direkten sportbe‐ zogenen Einnahmen in Höhe von bis zu 22,2 Mrd. Euro direkte sportbezogene Ausgaben und Steuermindereinnahmen in Höhe von bis zu 9,9 Mrd. Euro ge‐ genüber. Zahlreiche makroökonomisch orientierte Studien beschäftigen sich zudem mit (II) der Messung wirtschaftlicher Effekte von Sportgroßevents. Neben Studien, die hierbei ma‐ kroökonomische Verfahren anwenden (z. B. Baade & Matheson, 2004; Brenke & Wag‐ ner, 2007; Maennig, 2007), existieren zahlreiche Studien, die ausgehend von Individu‐ aldaten mögliche wirtschaftliche Effekte hochrechnen (z. B. Preuß, Kurscheidt & Schütte, 2009). Obgleich letztgenannte Ansätze mikroökonomisch geprägt sind, wer‐ den die Studien an dieser Stelle genannt, da ihr vordergründiges Erkenntnisinteresse in der Bereitstellung von aggregierten Zahlen liegt. Diese sogenannten Economic Impact Studien haben eine lange Tradition in der empirischen Sportökonomik. Dies liegt darin begründet, dass Sportgroßevents häufig mit der Vorstellung in eine Stadt oder ein Land „geholt“ werden, dass die Austragung einen wahren Geldsegen mit sich bringt. Wie Daumann (2011) zu‐ sammenfasst, scheinen von Sportgroßevents durchaus positive ökonomische Ge‐ samteffekte auszugehen. Die genaue Quantifizierung ist jedoch höchst komplex und fehleranfällig, sodass Studien zu ein und demselben Event durchaus unter‐ schiedliche Ergebnisse erbringen können. 6 Neben der Quantifizierung makroökonomischer Gesamteffekte von Sportgroßevents schlagen Pawlowski und Breuer (2013a) Ansätze zur Quantifizierung der finanzpoliti‐ 158 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 158 <?page no="159"?> schen Bedeutung von Sportgroßevents vor. Dabei unterscheiden sie zwischen nach‐ frage- und angebotsorientierten Ansätzen: „Nachfrageorientierte Methoden beziehen sich auf die Wirtschaftssubjekte, die im Rahmen eines Events Leistungen nachfragen (z. B. Zuschauer) und dafür das vereinbarte Entgelt (welches die Umsatzsteuer enthält) zahlen. Angebotsorientierte Methoden beziehen sich auf Betriebe, die im Rahmen eines Events Leistungen anbieten (z. B. Hotelbetreiber), hierfür das vereinbarte Entgelt er‐ halten und die Umsatzsteuer an den Staat abführen müssen“ (Pawlowski & Breuer, 2013a, S. 293). Sportmikroökonomik Auf mikroökonomischer Ebene gibt es zahlreiche Forschungsarbeiten im Bereich der theoretischen Sportökonomik. Aktuelle Beiträge wurden beispielsweise von Dietl, Lang und Rathke (2011), Garcia-del-Barrio und Szymanski (2009), Gürtler (2007) oder Peeters (2012) verfasst. Ein umfassendes Buch zu „The Economic Theory of Professional Team Sports“ liefert Késenne (2007). Eine Betrachtung dieser theoretischen Modelle würde hier allerdings den Rahmen sprengen und den Anspruch eines Einführungska‐ pitels übersteigen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher (wie bei der Sportmakroökonomik) auf die empirischen Arbeiten in diesem Bereich. Dabei können relevante Studien im (I) Spitzensport und (II) Freizeit- und Breitensport unterschieden werden. Die Forschungsarbeiten im Bereich des Spitzensports thematisieren sowohl As‐ pekte des (I-1) Angebots als auch der (I-2) Nachfrage. Auf (I-1) der Angebotsseite werden beispielsweise Determinanten der sportlichen Leis‐ tung analysiert. Dabei kommen Gaede, Kleist und Schlaecke (2002, zusammengefasst von Daumann, 2011) bei einer Analyse von Spielern der Fußball-Bundesliga zu der Erkenntnis, dass zwischen dem Alter und der sportlichen Leistung der Spieler ein u-förmiger Zusammenhang besteht. Zudem stellen sie fest, dass die Leistung mit zu‐ nehmender Erfahrung steigt und zwischen der Leistung und dem Marktwert eines Spielers ebenfalls ein signifikant positiver Zusammenhang besteht. Der Spielermarkt und seine zahlreichen Regulierungen (insbesondere in den nord‐ amerikanischen Profiligen) stehen ebenfalls im Fokus bisheriger Forschungsarbeiten. Im europäischen Raum konzentrieren sich die Arbeiten dabei insbesondere auf das Bosman-Urteil, seitdem Transferentschädigungen (Ablösesummen) nach Ablauf eines Spielervertrags nur noch in Ausnahmefällen verlangt werden dürfen und die Be‐ schränkung auf drei ausländische Spieler in den Mannschaften aufgelöst wurde (Dau‐ mann, 2011). Wie Frick (2007) verdeutlicht, fiel der Anteil der in Deutschland geborenen Spieler in der Fußball-Bundesliga nach dem Urteil 1995 von rund 80% auf rund 45% massiv ab. Darüber hinaus zeigen Flores, Forrest und Tena (2010) für elf europäische Profifußball-Ligen, dass die durch das Bosman-Urteil ausgelöste Spielermobilität einen positiven Einfluss auf die Wettbewerbsintensität innerhalb der Ligen hatte. Die Bestimmung von Trends in der Wettbewerbsintensität von Sport-Ligen bildet ein weiteres zentrales Forschungsfeld der Sportökonomik. Es ist eng verbunden mit der empirischen Überprüfung der Unsicherheitshypothese sportlicher Wettbewerbe. Ge‐ 159 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 159 <?page no="160"?> nau genommen handelt es sich dabei um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Wettbewerbsintensität oder Competitive Balance (CB) wird in Anlehnung an Cairns, Jennett und Sloane (1986) in drei verschiedenen Dimensionen gemessen. Die kurzfris‐ tige Dimension thematisiert die Unsicherheit des Spielausgangs und wird häufig mit Indikatoren, die die Wettquoten oder Tabellenplatzierungen verwenden, gemessen. Die mittelfristige Dimension thematisiert die Unsicherheit des Meisterschaftskampfs und im europäischen Raum zusätzlich die Unsicherheit des Kampfs um die Qualifikations‐ plätze für die UEFA Champions und Europa Leagues ebenso wie die Unsicherheit des Abstiegskampfs. Die langfristige Dimension besteht aus der (dynamischen) Team- und der (statischen) Saison-Komponente. Bei der Team-Komponente geht es um die Leis‐ tung einzelner Teams im Zeitverlauf. Hier stellt sich die Frage, ob immer wieder die‐ selben Teams um die Meisterschaft, die Qualifikation für die Europapokalplätze und gegen den Abstieg kämpfen, oder ob Abwechslung im Zeitverlauf gegeben ist. Bei der Saison-Komponente fällt der Blick auf die Abschlusstabellen aufeinander folgender Spielzeiten. Hier stellt sich die Frage, wie sich die Leistungsunterschiede der Teams im Endtableau im Zeitverlauf entwickelt haben. Ein umfassendes Maß zu Erfassung der langfristigen Spannungsdimension, welches sowohl die Teamals auch die Sai‐ son-Komponente abbildet, ist das von Humphreys (2002) entwickelte Competitive Ba‐ lance Ratio (CBR). Das CBR nimmt Werte zwischen Null und Eins an und ist umso größer, je ausgeglichener der Wettbewerb ist. Abb. 3.5.2: Das CBR der Top-5-Teams in den Top-5-Ligen Europas vor und nach der Jahrtausend‐ wende (Pawlowski, Breuer & Hovemann, 2010) 160 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 160 <?page no="161"?> Durch einen Vergleich der CBR-Werte vor und nach der Jahrtausendwende zeigen Pawlowski, Breuer und Hovemann (2010), dass die Wettbewerbsintensität in den eu‐ ropäischen Top-5-Profifußball-Ligen von Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien nach der Jahrtausendwende signifikant abgenommen hat, da sich die Topteams entweder immer weiter von den anderen Teams absetzen konnten und/ oder ihre Leistungen konstanter wurden (Abb. 3.5.2). Diese Entwicklung kann (u. a.) mit der massiven Einnahmensteigerung der an der UEFA Champions League teilnehmenden Vereine seit der Jahrtausendwende erklärt werden (Abb. 3.5.3). Abb. 3.5.3: Die durchschnittlichen UEFA Champions League Einnahmen ausgewählter Teams vor und nach der Jahrtausendwende (Pawlowski et al., 2010) Auf (I-2) der Nachfrageseite werden beispielsweise Determinanten der Zuschauernach‐ frage analysiert. Zentrale Ergebnisse bisheriger empirischer Studien wurden von Breuer, Wicker und Pawlowski (2012) zusammengetragen. Sie unterscheiden ökono‐ mische Faktoren (Ticketpreis (-), Einkommen (+), Anzahl verfügbarer Substitute (-), Qualität verfügbarer Substitute (+)), soziodemographische Faktoren (Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung (-)), produktbezogene Faktoren (Alter des Sta‐ dions (+), Qualität des Stadions (-), Größe des Stadions (+), Spieltermin am Wochenende 161 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 161 <?page no="162"?> 7 In den Klammern ist dabei die jeweilige Einflussrichtung angedeutet [(+) positiver Einfluss; (-) ne‐ gativer Einfluss]. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung bei gleichzeitig kontroversen Studienergeb‐ nissen werden die Faktoren Ticketpreis und Spannung im Folgenden näher betrachtet. (+), Spannung (+)), nachfragebezogene Faktoren (Treue der Fans (+)) sowie exogene Fak‐ toren (gutes Wetter (+)). 7 ■ Neben der Einflussrichtung des Ticketpreises auf die Nachfrage interessiert zu‐ dem die Sensibilität der Nachfragereaktion. Zur Messung der Reagibilität der Nachfragemenge eines Guts auf Änderung seines Preises wird das Konzept der Preiselastizität der Nachfrage verwendet (Mankiw & Taylor, 2008). Die Preiselastizität der Nachfrage (ε) entspricht dem Verhältnis aus prozentualer Men‐ genänderung und prozentualer Preisänderung. Eine Preiselastizität von Eins (ε=1) bedeutet, dass beispielsweise eine 10-prozentige Preiserhöhung mit einem 10-prozentigen Nachfragerückgang einhergeht. Hat die Preiselastizität einen Wert kleiner Eins (ε<1), würde eine 10-prozentige Preiserhöhung mit einem Nachfragerückgang von unter 10 Prozent einhergehen. Entsprechend wird eine Nachfragereaktion bei ε<1 unelastisch genannt. Hat die Preiselastizität einen Wert größer Eins (ε>1), würde eine 10-prozentige Preiserhöhung mit einem Nachfragerückgang von über 10 Prozent einher. Entsprechend wird eine Nach‐ fragereaktion bei ε>1 elastisch genannt. Die Kenntnis der Preiselastizität der Nachfrage ist für Ökonomen von besonderem Interesse. Bei unelastischen Nach‐ fragereaktionen könnte der Umsatz durch eine Erhöhung des Preises gesteigert werden. Eine Preissenkung wäre hingegen bei elastischen Nachfragereaktionen umsatzsteigernd. Die Mehrheit der empirischen Studien im Profisport kommt zu dem Ergebnis, dass die Ticketpreiselastizität zwar kleiner (aber dennoch nahe) Eins ist (Késenne, 2009). Dies interpretieren einige Wissenschaftler als Indiz dafür, dass die Verantwortlichen in Profisportvereinen durchaus gewinn‐ orientiert agieren (z. B. Noll, 1974). Késenne (2009) weist allerdings darauf hin, dass das Konzept der Elastizität eher ungeeignet ist, um die Gewinnorientierung von Profisportvereinen zu belegen und nennt dafür vier Gründe: 1. Die Ticketeinnahmen machen heutzutage teilweise weniger als 30% der Einnahmen eines Profisportvereins aus. Da andere Einnahmearten wie bei‐ spielsweise Sponsoring positiv mit der Zuschauerzahl korrelieren, kann es durchaus auch gewinnmaximierend sein, wenn der Ticketpreis in einem Bereich ε<1 gesetzt wird, um das Stadion zu füllen. 2. Wenn die Grenzkosten eines zusätzlichen Besuchers nicht null sind, kann die gewinnmaximierende Preiselastizität auch größer Eins sein. 3. Vereine, die sehr beliebt sind, haben eine Überhangnachfrage nach Tickets. Sie können ihre Ticketpreise auch über das optimale Preisniveau hinaus anheben. 4. Schließlich ist zu bedenken, dass mit dem Besuch eines Spiels mehr Ausga‐ ben als nur für ein Ticket verbunden sind. Einige dieser Ausgaben (z. B. für 162 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 162 <?page no="163"?> 8 Eine aktuelle Übersicht zu diesen Studien liefern Budzinski und Pawlowski (2017). Getränke, Essen und Merchandising-Produkte) stellen weitere Einnahme‐ quellen für den Verein dar. Insofern kann es auch aus diesem Grund ge‐ winnmaximierend sein, wenn der Ticketpreis in einem Bereich ε<1 gesetzt wird. ■ Neben dem Ticketpreis ist die Bedeutung von Spannung und knappen Spiel‐ ausgängen die bisher sportökonomisch am häufigsten untersuchte Einfluss‐ größe auf die Stadion- und Live-TV-Nachfrage. Die eingangs in diesem Kapitel erläuterte Unsicherheitshypothese wurde bereits in zahlreichen Studien empi‐ risch überprüft. Obgleich die Unsicherheitshypothese häufig als Rechtfertigung für zahlreiche Regulierungsmaßnahmen im Profisport dient (vgl. Kapitel 3.5.1), sind bisherige empirische Befunde nicht eindeutig. Zwar hat die mittelfristige Spannungsdimension - also die Relevanz des Spiels für einzelne Wettbewerbe - tendenziell einen signifikanten (positiven) Einfluss auf die Zuschauernach‐ frage (z. B. Pawlowski & Anders, 2012). Hinsichtlich der kurz- und langfristigen Spannungsdimensionen widersprechen die meisten empirischen Befunde aller‐ dings der Unsicherheitshypothese. So werden sowohl im nationalen (Pawlowski & Anders, 2012) als auch im internationalen Kontext (Nalbantis & Pawlowski, 2019) häufig negative Korrelationen zwischen der ex-ante Ergebnisoffenheit ei‐ nes Spiels und der Anzahl an Stadion- und TV-Zuschauern dokumentiert (Über‐ sichten liefern Pawlowski, 2013b und Nalbantis & Pawlowski, 2016). Aus dieser Kontroverse heraus haben in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche For‐ schungsarbeiten versucht, den scheinbaren Widerspruch zwischen theoreti‐ scher und praktischer Relevanz der UOH mit verhaltensökonomischen Ansätzen zu erklären. So finden Coates, Humphreys und Zhou (2014) Hinweise für eine Referenzpunktabhängigkeit und das Vorliegen von Verlustaversion. Ihren Ergeb‐ nissen zu Folge ziehen zahlreiche Fans inbesondere einen Nutzen aus Überra‐ schungserfolgen. Dies wird von Pawlowski, Nalbantis und Coates (2018) mit Individualdaten zu Fans aus Deutschland bestätigt. Darüber hinaus werden Schwellenwerte und Diskontinuitätseffekte (Pawlowski, 2013a; 2013b; Pawlowski & Budzinski, 2013; Nalbantis, Pawlowski & Coates, 2017) gefunden, die darauf hindeuten, dass erst sehr unausgeglichene Spiele und Wettbewerbe eine (nega‐ tive) Nachfragereaktion erwarten lassen. 8 Ein Großteil der sportökonomischen Forschungsarbeiten zum Spitzensport in Europa ist bisher auf den Profifußball fokussiert. Sogar ganze sportökonomische Lehrbücher thematisieren die Ökonomik des Profifußballs (ein hervorragendes Buch wurde von Dobson und Goddard (2011) erarbeitet). Darin spiegelt sich die übermächtige wirtschaftliche (und auch gesellschaftliche) Relevanz des Fußballs in Europa im Vergleich zu anderen Sportarten wider. Hier wäre zukünftig eine diversifizierte Analyse auch in anderen Sportarten erkenntnisfördernd. 163 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 163 <?page no="164"?> Die mikroökonomischen Studien im Bereich (II) Freizeit- und Breitensport thematisieren ebenfalls sowohl Aspekte des Angebots als auch der Nachfrage. Studien zum Sportan‐ gebot umfassen jedoch vordergründig betriebswirtschaftliche Analysen, weshalb sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf bisherige Studien zur Sportnachfrage konzentrieren. Diese fokussieren sowohl Einflussfaktoren als auch Effekte von Frei‐ zeit- und Breitensport. ■ Im Fokus der meisten mikroökonomischen Forschungsarbeiten stand bisher die Analyse von Einflussfaktoren auf das individuelle Sporttreiben. Übersichten zu bisherigen Studienergebnissen, die z. T. auch auf soziologische oder psycholo‐ gische Theorien zurückgreifen, sind in Downward et al. (2009) sowie Breuer, Hallmann und Wicker (2011) zu finden. Beispielsweise wurde herausgefunden, dass ältere Menschen weniger Sport treiben als jüngere Menschen (z. B. Breuer, Hallmann, Wicker & Feiler, 2010), Männer im Vergleich zu Frauen sportlich ak‐ tiver sind (z. B. Humphreys & Ruseski, 2007), höhere Bildung (z. B. Scheerder et al., 2006) sowie höheres Einkommen (z. B. Farrell & Shields, 2002) zu vermehrtem Sporttreiben führen und die verfügbare Infrastruktur (z. B. Wicker, Breuer & Pawlowski, 2009) sowie deren Erreichbarkeit (z. B. Pawlowski, Breuer, Wicker & Poupaux, 2009) einen Einfluss auf das individuelle Sporttreiben haben. Hin‐ sichtlich Bildung und Einkommen existieren allerdings mittlerweile Zweifel, ob dies tatsächlich „Determinanten“ des Sporttreibens sind. Eine positive Korrela‐ tion zwischen Bildung und Sporttreiben oder Einkommen und Sporttreiben ist zwar unbestritten. Studien jüngeren Datums, die den Fokus auf die Identifikation der Effektrichtung legen, liefern allerdings empirische Evidenz dafür, dass Sport‐ treiben zu Bildungs- und Arbeitsmarkterfolgen führen kann. Folglich kann in‐ dividuelles Sporttreiben u. a. zu einem höheren persönlichen Einkommen führen (Lechner, 2009). Ein ähnliches Problem betrifft die Identifikation möglicher Ef‐ fekte auf Gesundheit und Wellbeing (Pawlowski, Downward & Rasciute, 2011) sowie den Aufbau von Sozialkapital (Schüttoff, Pawlowski, Downward & Lech‐ ner, 2018). Ein weiterer Fokus bisheriger Studien liegt auf dem (möglichen) Zusammenhang zwischen Spitzen-, Breiten- und Freizeitsport. Dabei geht es vor allem um die motivierende Wirkung von Spitzensporterfolgen und Sportgroßevents auf das individuelle Sporttreiben. Auch hier ist die Ergebnislage jedoch nicht eindeutig. So zeigen Befragungsdaten, dass Spitzensportler als Vorbilder durchaus zum Sporttreiben motivieren können (Mutter & Pawlowski, 2014a; 2014b; 2014c). An‐ dere Studien können hingegen keine positiven Effekte durch die Olympischen Spiele auf das individuelle Sporttreiben der Bevölkerung finden (Downward, Dawson & Mills, 2015 sowie für eine Übersicht Weed et al., 2015). 164 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 164 <?page no="165"?> ■ Wenngleich weitaus weniger häufig, wurde neben dem Sporttreiben zudem das Ausgabenverhalten im Sportbereich analysiert. Eine Übersicht zu bisherigen Stu‐ dien, die entweder die Höhe der individuellen Sportausgaben oder deren Ein‐ flussfaktoren analysiert haben, findet sich in Pawlowski und Breuer (2012c) (auch Pawlowski & Breuer, 2011; 2012b). Da die Ausgabenkategorien in den bisherigen Studien jedoch unterschiedlich stark aggregiert wurden und sowohl personenals auch haushaltsbezogene Ausgaben untersucht wurden, sind die bisherigen Forschungsergebnisse kaum vergleichbar. Ein spezielles Erkenntnis‐ interesse im Rahmen der Analysen zum Ausgabenverhalten liegt in der Ab‐ schätzung der Sensibilität der Nachfragereaktionen auf Einkommensänderun‐ gen. In Analogie zum Konzept der Preiselastizitäten der Sportnachfrage kann entsprechend die Einkommenselastizität der Nachfrage gemessen werden. Wenn beispielsweise ein 10-prozentiger Einkommensanstieg mit einer mehr als 10-prozentigen Ausgabensteigerung für ein bestimmtes Gut einhergeht (Ein‐ kommenselastizität ε>1), handelt es sich um ein Luxusgut. Branchen, in denen derartige Güter produziert werden, gelten (bei steigenden Reallöhnen) entspre‐ chend als Wachstumsbranchen. Bei einem (nur) unterproportionalen Anstieg der Ausgaben (0<ε<1) wird hingegen von Grundgütern gesprochen. In Abhän‐ gigkeit von der verwendeten Methodik können Sport- und Freizeitdienstleis‐ tungen als Grundgüter (0<ε<1) oder Luxusgüter (ε>1) klassifiziert werden (Paw‐ lowski & Breuer, 2012b). 3.5.4 Verhältnis der Sportökonomik zur Sportpraxis Wie bei allen wissenschaftlichen Disziplinen gibt es auch im Bereich der Sportökono‐ mik ein in Abhängigkeit vom Forschungsthema unterschiedlich ausgeprägtes Zusam‐ menspiel zwischen Wissenschaft und Sportpraxis. Einerseits gibt es Grundlagenfor‐ schungsarbeiten, deren Ergebnisse zwar nicht unmittelbar in der Praxis Anwendung finden, deren Erkenntnisse aber grundlegend für hierauf aufbauende, konkretere For‐ schungsvorhaben in Kooperation mit verschiedenen Interessenten aus der Sportpraxis sein können. Ein Beispiel für derartige Grundlagenforschungsarbeiten liefert das zuvor beschriebene Forschungsprojekt zur Bedeutung von Spannung in Sportwettbewerben, welches im Rahmen des UEFA Research Grant Programme gefördert wurde (Pawlow‐ ski, 2013a; 2013b). Allein die Tatsache, dass Institutionen wie die UEFA eigene Stipen‐ dienprogramme ausloben, zeigt, dass das Interesse seitens der Sportpraxis nicht nur an einer wissenschaftsbasierten Beratung, sondern auch an einer Förderung sportökono‐ mischer Grundlagenforschung gegeben ist. Neben Grundlagenforschungsstudien gibt es andererseits immer wieder sportöko‐ nomische Studien, die von der Sportpraxis - z. B. Sportverbänden und -vereinen - oder der Sportpolitik (z. B. dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft) mit einer bestimmten Fragestellung gezielt in Auftrag gegeben werden. Hierzu gehören beispielsweise auch 165 3.5 Sportökonomik (Tim Pawlowski) 165 <?page no="166"?> 9 In der Soziologie wird als Folge der funktionellen Ausdifferenzierung des Sportsystems auch von einem durchlässigen Säulenmodel des Sports gesprochen (u. a. Digel & Burk, 2001). die zuvor erwähnten Forschungsarbeiten im Rahmen des europaweiten Projekts „Sa‐ tellitenkonto Sport“ (z. B. Preuß et al., 2012). Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren zwischen Sportökonomik sowie Sportpraxis und Sportpolitik ein immer dichteres Netzwerk entwickelt, welches den Austausch von Informationen und die Möglichkeit der Kooperation begünstigt. Dies wird sich zukünftig voraussichtlich sowohl durch den zunehmenden Austausch auf Fachkonferenzen als auch durch die zunehmende Anzahl an gut ausgebildeten Absol‐ venten der einschlägigen sportökonomischen Studiengänge in relevanten Sportmana‐ gementpositionen weiter verbessern. Im Folgenden wird beispielhaft erläutert, welche Relevanz die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Bereich der Sportökonomik für die Praxis haben. Das Beispiel bezieht sich auf die Planung von Sportstätten für den Freizeit- und Breitensportbereich, da diesem als Basis des Spitzensports (im Rahmen der pyramidalen Struktur des deut‐ schen Sportsystems 9 ) eine große Bedeutung zukommt. Praxisbeispiel: Sportstättenplanung In Anbetracht der zunehmenden Knappheit öffentlicher Mittel stellt sich grund‐ sätzlich die Frage, wie diese möglichst effektiv und effizient investiert werden können. Mit 3,7 Mrd. Euro (in 2010) fließt mehr als ein Drittel der sportbezogenen öffentlichen Ausgaben in den Bereich Sportstätten (Pawlowski & Breuer, 2012a). Eine grundlegende Entscheidung bei der Verteilung der Gelder betrifft dabei die Standortwahl der Sportstätten: Sollen eher wenige große Sportstätten oder viele kleine Sportstätten gebaut werden? Aus Kostengesichtspunkten hätten wenige große Sportstätten insbesondere beim Betrieb Effizienzvorteile gegenüber vielen kleinen Sportstätten. Allerdings gehen wenige große Sportstätten mit einem ver‐ gleichsweise längeren Anreiseweg für die Freizeit- und Breitensportler einher. Dies wäre aus sportpolitischer Sicht dann problematisch, wenn längere Anreise‐ zeiten zu einem reduzierten Sporttreiben führen würden. Pawlowski et al. (2009) untersuchen in diesem Zusammenhang erstmals die Reisebereitschaft (Zeiteinsatz) von Sporttreibenden zur nächstgelegenen Sport‐ stätte. Sie finden heraus, dass das individuelle Sporttreiben von der Anreisezeit (negativ) beeinflusst wird. Steinmayr, Felfe und Lechner (2011) analysieren die Bedeutung der Entfernung zur Sportstätte für das individuelle Sporttreiben der Kinder. Sie finden heraus, dass die Entfernung zu Sportstätten in Kleinstätten und auf dem Land einen negativen Einfluss auf das Sporttreiben von insbeson‐ dere Kindergartenkindern hat. 166 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 166 <?page no="167"?> Insofern wurde empirisch belegt, dass die Bereitstellung von wenigen großen (aus Sicht der Sporttreibenden) weiter entfernten Sportstätten mit einem ge‐ ringeren Sporttreiben einhergeht. Dies gilt es (neben den Kostenüberlegungen) im Rahmen der Entscheidungsfindung zu beachten. Kontrollfragen 1. In der ökonomischen Auseinandersetzung mit Phänomenen des Sports ist häufig von Sportökonomie, Sportökonomik und Sportmanagement die Rede. Inwiefern können diese Begriffe voneinander abgegrenzt werden? 2. Die Sportökonomik hat sich mittlerweile als eigenständige Wissenschafts‐ disziplin etabliert. Welche Besonderheiten des Sports rechtfertigen eine ei‐ genständige Sportökonomik? 3. Sportökonomik fokussiert makro- und mikroökonomische Phänomene des Sports. Welche Themen werden im Rahmen der Sportmakroökonomik und der Sportmikroökonomik bearbeitet? 4. Preiselastizitäten spielen u. a. für die Ticketpreisgestaltung im Profisport eine Rolle. Was misst die Preiselastizität der Nachfrage? Welche empirischen Befunde zur Ticketpreiselastizität liegen vor? Warum kann die Gewinnori‐ entierung von Sportvereinen nicht mit den empirischen Befunden zur Ti‐ cketpreiselastizität belegt werden? 5. Mit Hinweis auf die Unsicherheitshypothese werden zahlreiche Regulierungs‐ maßnahmen im Profisport begründet. Was besagt die Unsicherheitshypo‐ these? Welche empirischen Befunde zur Unsicherheitshypothese liegen vor? 6. Mikroökonomische Studien setzen sich u. a. mit Fragen zu Angebot und Nach‐ frage im Freizeit- und Breitensport auseinander. Welche Einflussfaktoren auf das individuelle Sporttreiben kennen Sie? Sind „Bildungsniveau“ und „Ein‐ kommen“ Einflussfaktoren auf oder Effekte von individuellem Sporttreiben? Literatur Anders, G. (1995). Arbeitsmarkt Sport. In J. Kozel (Hrsg.), 20 Jahre Trainerakademie. Internatio‐ nales Trainersymposium (S. 62-79). Köln: Sport und Buch Strauß. Andreff, W. (1980). La gestion de l’association sportive. In R. Thomas (Ed.), Sport et Sciences (pp. 165-187). Paris: Vigot. Andreff, W., Bourg, J. F., Halba, B. & Nys, J.-F. (1995). Les enjeux économiques du sport en Europe: Financement at impact économique. Paris: Dalloz. Andreff, W. & Nys, J.-F. (1984). 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Es handelt sich dabei jedoch um ein interdisziplinäres Fach, wel‐ ches nicht nur aufgrund des Namens, sondern inhaltlich und personell auch sehr stark mit der Sportwissenschaft verknüpft ist. Dies zeigt sich durch die häufige organisatori‐ sche Anbindung sportmedizinischer Abteilungen und Institute an sportwissenschaftliche Institute. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über das Fach und seine Entstehung, wobei sowohl die praktische Versorgung von Sportlern und Patienten als auch die wis‐ senschaftlichen Bereiche der Sportmedizin berücksichtigt werden. Lernziele ■ Die Leser erfahren, wie sich das Fach Sportmedizin charakterisieren und verorten lässt und welchen Gegenstandsbereich es umfasst. ■ Sie erkennen, wie die Sportmedizin entstanden ist, wie sie sich bis zum heu‐ tigen Stand entwickelt hat und wie sie beispielsweise auch für politische Zwecke instrumentalisiert wurde und werden kann. ■ Sie lernen klinische Schwerpunkte der Sportmedizin kennen und bekommen einen Überblick über Diagnose- und Therapieverfahren, die in der Sport‐ medizin zur Anwendung kommen. ■ Sie bekommen einen Überblick über Forschungsbereiche und Forschungs‐ methoden der sportmedizinischen Grundlagenforschung und der ange‐ wandten Forschung in den Kontexten „Sport und Leistung“ sowie „Sport und Gesundheit“. ■ Sie erfahren an ausgewählten Beispielen die Praxisnähe der klinischen und wissenschaftlichen Sportmedizin. 3.6.1 Einführung - Phänomene und Themen der Sportmedizin Charakterisierung der Sportmedizin Um das Fach Sportmedizin zu charakterisieren, ist es dienlich, die Statuten der Deut‐ schen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention - Deutscher Sportärztebund e. V. (DGSP) einzusehen. Die DGSP vertritt und fördert die Sportmedizin. In ihrer Satzung ist die im Jahr 1958 formulierte Definition von Hollmann, dem wohl bekanntesten deutschen Sportmediziner unserer Zeit, hinterlegt: „Sportmedizin beinhaltet diejenige theoretische und praktische Medizin, welche den Einfluss von Bewegung, Training und 173 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 173 <?page no="174"?> Sport sowie den von Bewegungsmangel auf den gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufe untersucht, um die Befunde der Prävention, Therapie und Rehabilitation sowie den Sporttreibenden dienlich zu machen.“ Seit 1977 hat diese Definition auch offiziell der Weltverband für Sportmedizin (International Federation of Sports Medi‐ cine, FiMS) übernommen. Die Begriffe Bewegung, Training und Sport werden hierbei wie folgt definiert: „Körperliche Aktivität oder Bewegung ist jede Aktivität, die zu einer Steigerung des Energieumsatzes führt. Sie wird zu Übung und Training, wenn sie ge‐ zielt, strukturiert, wiederholt und zielgerichtet ausgeführt wird. Sport ist Training mit Wettkampfcharakter“ (Arndt, Löllgen & Schnell, 2012, S. 207). Als Interessenvertretung der Deutschen Sportmedizin sieht sich die DGSP in erster Linie der Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, sowie der Förderung der prä‐ ventiven und rehabilitativen Sportmedizin im wissenschaftlichen und praktischen Be‐ reich verpflichtet. Besondere Bedeutung hat hier die Prävention und Therapie von Erkrankungen der Bevölkerung durch Sport und Bewegung. Darüber hinaus setzt sie sich weitere Aufgaben im Bereich der Zusammenarbeit mit Organisationen und Mit‐ gliedern, der Förderung der sportmedizinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung, der Förderung von Bewegung, Sport und Spiel durch sportmedizinische Betreuung, Bera‐ tung und Begleitung, sowie der Förderung eines aktiven Kampfes gegen Doping (Arndt et al., 2012). Lehrstühle und Institute der Sportmedizin Bei der Sportmedizin handelt es sich primär um ein medizinisches Fach, welches eng mit der Profession des Humanmediziners verbunden ist. Durch ihre Charakterisierung als Querschnittsfach wird zudem deutlich, dass sie fast alle medizinischen und viele nichtmedizinische Bereiche berührt. Das Fach Sportmedizin hat keine eigene Facharztanerkennung. Die Erlangung der Zusatzbezeichnung Sportmedizin setzt jedoch die Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung voraus (Ausnahmen hiervon sind der Freistaat Bayern und die Ärztekammer Nordrhein). Die Aus‐ bildung zum Sportmediziner beinhaltet ferner 240 Stunden fachspezifische Kurs-Weiterbildung sowie 120 Stunden sportärztliche Tätigkeit in einem Sport‐ verein innerhalb eines Jahres (DGSP, 2019c). Derzeit sind 27 sportmedizinische Lehrstühle und Institute in der Bundesrepublik Deutschland verzeichnet (DGSP, 2019b). Diese werden in den meisten Fällen von einem Facharzt für Innere Medizin geleitet. Aber auch die klinischen Fächer der Orthopädie und Neurologie sind heute vereinzelt als Facharztausrichtung der leitenden Position sportmedizinischer Standorte zu finden. Die Zusatzbezeichnung Sportmedizin ist in allen Fällen die Regel. Obwohl sich die Sportmedizin als Fach der Humanmedizin zuordnet, ist es auffallend, dass die Lehrstühle für Sportmedizin insbesondere nördlich der Mainlinie im überwie‐ genden Teil als Institut bzw. Abteilung der Sport- oder Bewegungswissenschaft geführt 174 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 174 <?page no="175"?> werden und damit nicht den medizinischen Fakultäten angehören. Dies wird in Kreisen der Sportmedizin auch kritisch gesehen, insbesondere im Kontext der bisher nicht erfolg‐ reichen Facharztanerkennung (Meyer & Mayer, 2017). Aus Sicht der Sportwissenschaft verdeutlicht dieser Umstand jedoch auch die Interdisziplinarität und die Relevanz der sportwissenschaftlichen Disziplin für das Fach Sportmedizin. Sportmedizinische Lehr‐ stühle und Institute ohne direkte Anbindung an die medizinische Fakultät pflegen häufig enge Kooperationen mit den Universitätsklinika, da dies Voraussetzung für eine sport‐ medizinische Hochschulambulanz ist. Fast alle Institute bieten zudem Angebote zu Leis‐ tungsdiagnostik, Prävention und Trainingsberatung für Sportler und Nichtsportler an. Insgesamt 17 Institute sind zudem als Untersuchungszentren des Deutschen Olympi‐ schen Sportbundes lizenziert (Deutscher Olympischer Sportbund, 2017). Abb. 3.6.1: Sportmedizinische Institute in Deutschland (DGSP, 2019b) 175 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 175 <?page no="176"?> Gegenstandsbereich der Sportmedizin Als eine erste Untergliederung erscheint aus praktischer Sicht eine Einteilung in die klinischen Fachbereiche „Orthopädie“ und „Innere Medizin“ sinnvoll, die sowohl für die Leistungssportbetreuung, als auch für die Bereiche der sportmedizinischen Allge‐ meinversorgung und des Gesundheitssports Anwendung finden kann. Diese Einteilung entspricht im Grundsatz auch den Ausrichtungen der sportmedizinischen Hochschu‐ lambulanzen und den ergänzenden sportmedizinischen Leistungsangeboten. Aus wis‐ senschaftlicher Sicht bietet sich zudem eine Einteilung in Grundlagen- und Anwen‐ dungsforschung an. An dieses Schema wird im Folgenden angeknüpft. 3.6.2 Entstehung und Entwicklung der Sportmedizin Der folgende historische Rückblick greift relevante Entwicklungsaspekte auf, erhebt dabei aber keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Dies gilt zum einen hinsichtlich namentlicher Nennung wichtiger Vertreter der Sportmedizin, vor allem aber gilt dies hinsichtlich der Rolle sportmedizinischer Institutionen und Vertreter im Kontext der Instrumentalisierung des Faches für politische Zwecke. Heilkunde und Körperübungen vom Altertum bis ins Mittelalter Von der Antike bis in die Neuzeit wird auf die Bedeutung von Sport und Bewegung auf den Körper sowie die körperliche Leistungsfähigkeit hingewiesen. ■ Bereits im Altertum wurde körperliche Ertüchtigung mit Gesundheit in Verbin‐ dung gebracht. So gibt es in der indischen Zivilisation nachgewiesene Konzepte aus dem Zeitraum von 700 bis 100 v. Chr., die ein tägliches moderates Training im Sinne der Gesundheitsförderung und Therapie bei bestehenden Erkrankun‐ gen vorsehen. Auch in der chinesischen Antike wurde moderates Training zur Gesundheitsförderung und im Sinne des „Anti-Agings“ empfohlen (Tipton, 2014). ■ Im alten Griechenland spielte die körperliche Ertüchtigung ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie wurde zu Zeiten Homers (750 v. Chr.) von den Bürgern Griechenlands als nationale Pflicht angesehen (Tipton, 2014). Auch Pytagoras (570-490 v. Chr.), ins‐ besondere bekannt als exzellenter Mathematiker und Astronom, empfahl in seiner Rolle als ehemaliger Athlet und medizinischer Philosoph zur Gesunderhaltung tägliches körperliches Training sowie andere Lebensstilinterventionen. Als „Vater der Sportmedizin“ wird der Mentor und Lehrer von Hippokrates - Herodikus von Selymbra (um 484 v. Chr.) - tituliert. Er verband Sport und Medizin und unter‐ strich in seinen Lehren „den Wert der Körperübungen für die Gesunderhaltung und Heilkunde“ (Arndt et al., 2012, S. 21). Auch Hippokrates (460-370 v. Chr.) selbst schrieb drei Bücher zu Lebensstilinterventionen der körperlichen Aktivität und Ernährung (Berryman, 2012). ■ Claudius Galenus aus Pergamon (129-210 n. Chr.) war ein berühmter Vertreter des Faches des römischen Reichs. Die Hygiene und die mit ihr assoziierten Ge‐ 176 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 176 <?page no="177"?> sundheitsfaktoren, darunter auch körperliche Aktivität und Ruhe, waren in sei‐ ner medizinischen Theorie zentral verankert. Er postulierte, dass diese jeweils in Maßen gelebt werden sollten, da ein zu viel oder zu wenig den Körper in Ungleichgewicht bringen und zu Krankheiten führen würde (Berryman, 2010; 2012; Tipton, 2014). Galenus’ Theorien und Schriften dominierten die Medizin über das Mittelalter hinweg und fanden selbst in der Renaissance noch breite Anerkennung (Berryman, 2012). Er nahm damit nachhaltigen Einfluss auf den gesundheitlichen Stellenwert körperlicher Aktivität in der medizinischen Praxis der arabischen und europäischen Länder (Tipton, 2014). Neben der Bedeutung körperlicher Aktivität für die allgemeine Gesundheit gab es auch in der Antike bereits die Leistungssportbetreuung. Die Mitwirkung von Ärzten bei den antiken Olympischen Spielen war unentbehrlich und wohl vergleichbar mit der heu‐ tigen Leistungssportbetreuung durch die Sportmedizin. Die damaligen Ärzte waren häufig Trainer und Arzt in Personalunion. Sie begleiteten die Athleten im Vorfeld der Spiele über Monate hinweg. Hierbei wurden sie häufig von Badedienern und Masseu‐ ren assistiert. Neben der Wettkampfvorbereitung war eine weitere wichtige Funktion der Ärzte auch die Behandlung von Unfällen und Verletzungen. 394 n. Chr. wurden die Olympischen Spiele durch den römischen Kaiser Theodosius I verboten (Arndt et al., 2012). Während des Mittelalters war der Sport dem Rittertum vorbehalten. Die Rolle der Sportmedizin scheint keine bzw. eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Medizin und Körperübungen in der Neuzeit Der Beginn der Renaissance war zunächst geprägt durch die wiederauflebenden Werte der griechischen und römischen Antike und den damit verbundenen Erkenntnissen und Wissensgrundlagen. Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert beschäftigen sich mehrere Autoren bereits mit einzelnen Sportarten und differenzierten zwischen Ge‐ sundheits- und Leistungssport. Die Aufklärung und das damit einhergehende naturwissenschaftlich und rational geprägte Denkmodell führten zu wesentlichen Fortschritten in der Medizin. Wichtige ärztliche Vertreter der aktivitätsbezogenen Medizin der damaligen Zeit waren Friedrich Hofmann (1660-1742), Johann Peter Frank (1745 bis 1821) und Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836). Sie alle befassten sich mit den gesundheitsförderlichen Auswirkungen körperlicher Aktivität und empfahlen Leibesübungen zur Gesunder‐ haltung (Arndt et al., 2012). Relevante Entwicklungen im direkten Vorfeld der Grün‐ dung der ersten deutschen sportmedizinischen Vereinigung war der Aufschwung von Körperkultur und Medizin im 19. Jahrhundert. Um die Jahrhundertwende gab es rele‐ vante Veröffentlichungen zu medizinischen Aspekten der Leibesübungen und neue Entwicklungen im Bereich der apparativen Diagnostik und Trainingsintervention - auch im Kontext des Militärdienstes. „Die Förderung der Körperertüchtigung entsprach 177 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 177 <?page no="178"?> [dem; d. A.] Zeitgeist und dem sozialdarwinistischen und rassistischen Bestrebungen eines erstarkenden Deutschlands“ (Arndt et al., 2012, S. 29). Ein weiterer wichtiger Impulsgeber für die Etablierung der Sportmedizin war die Wiederbelebung der Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 in Athen. 1911 fand die mehrmonatige Internationale Hygieneausstellung in Dresden statt, die sich den The‐ men Prävention und Lebensstil zur Vermeidung von Krankheit und Gebrechlichkeit widmete. Im Rahmen dieser Ausstellung wurde den Besuchern auch ein Sportlabora‐ torium vorgestellt. Die Ausstellung gab der Sportmedizin richtungsweisende Impulse, da sie das Interesse der Ärzteschaft an Fragestellungen zu Belastung und Erholung sowie zur körperlichen Leistungsfähigkeit weckte (Arndt et al., 2012). Die national und weltweit erste offizielle Vereinigung der Sportmedizin wurde 1912 im Rahmen des ersten sportwissenschaftlichen Kongresses in Oberhof (Thüringen) gegründet. Die Benennung als „Deutsches Reichskomitee zur wissenschaftlichen Er‐ forschung des Sportes und der Leibesübung“ sollte hierbei sowohl den Vertretern der Turn-, als auch der Sportbewegung gleichermaßen Rechnung tragen. Aus dieser Ver‐ einigung ging die heutige Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention - Deutscher Sportärztebund hervor. Die Sportmedizin wurde zu Gründerzeiten noch als Sportwissenschaft deklariert, eigene sportwissenschaftliche Vereinigungen folgten erst im Nachgang. Am 1. August 1914 unterbrach der 1. Weltkrieg die Bestrebungen der jungen Vereinigung, kurz nachdem sie aus der Taufe gehoben wurde. Auch die für 1916 geplanten Olympischen Spiele wurden durch den Ausbruch des Krieges vereitelt. An‐ stelle dessen bündelte die Medizin alle Ressourcen, um die medizinische Versorgung der Verwundeten und Kriegsversehrten gewährleisten zu können. Sportliche Aktivi‐ täten und Bewegungstherapie wurden als Rehabilitationsmaßnahme zur schnellen Wiederherstellung der Soldaten fürs Feld bzw. für die Arbeit vorgehalten. Zudem soll‐ ten sportliche Aktivitäten auch zur Minderung der wachsenden Kriegsmüdigkeit ein‐ gesetzt werden (Arndt et al., 2012). Nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurde Deutschland 1920 und 1924 von den Olym‐ pischen Spielen ausgeschlossen. Der Versailler Vertrag verbot die Wehrpflicht und auch die Verbindung von Sportorganisationen und Militärbehörden - der Sport hatte dem‐ nach einzig der körperlichen Ertüchtigung nachzukommen. Dem gegenüber standen die bestehenden Ansichten der Vertreter des deutschen Reichsausschusses für Leibes‐ übungen und des Deutschen Olympischen Komitees, die in der Leibeserziehung auch eine vaterländische Aufgabe sahen und die Institutionalisierung von Sportstätten und Leibeserziehung in Freizeit und Schule forderten. Obwohl nicht alle deren Forderungen umgesetzt werden konnten, kam es in der folgenden Zeit zu einer Ausbreitung der Turn- und Sportbewegung. Ein wichtiger Meilenstein war die Gründung der Deutschen Hochschule für Leibes‐ erziehungen in Berlin. Die Schule kooperierte eng mit der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität und hielt ein umfassendes Lehrangebot und diagnostische Räum‐ lichkeiten vor (Arndt et al., 2012). In Kürze folgten weitere universitäre Einrichtungen der Sportmedizin bzw. Sportwissenschaft unter ärztlicher Leitung. Die gezielte Wie‐ 178 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 178 <?page no="179"?> deraufnahme der Aktivitäten des Deutschen Reichskomitees für die wissenschaftliche Erforschung des Sports und der Leibesübungen erfolgte erst 1924 durch die Sportärz‐ tetagung, im Rahmen derer der Deutsche Ärztebund zur Förderung der Leibesübungen gegründet wurde. Bis 1932 fanden insgesamt acht Folgekongresse mit unterschiedli‐ chen sportmedizinischen Themenschwerpunkten statt, sportärztliche Beratungsstellen wurden bereits ab 1920 eingerichtet und fanden im gesamten Deutschen Reich schnell Verbreitung, die ersten sportärztlichen Landesverbände wurden 1924 gebildet. 1928 wurde der Weltverband für Sportmedizin gegründet. Erste Ziele der Vereinigung waren die Förderung sportmedizinischer Forschung und sportmedizinischer Untersuchungen und die Durchführung internationaler Kongresse (Arndt et al., 2012). Der Weltverband trägt gegenwärtig die offizielle Bezeichnung „Fédération Internationale de Médecine du Sport“ (FIMS). Während des Nationalsozialismus wurde die Medizin und mit ihr auch die Sport‐ medizin in höchstem Maße für die Zwecke der Gesunderhaltung des deutschen Volks‐ körpers und der Wehrertüchtigung instrumentalisiert. Und damit einhergehend auch Sport, Krankengymnastik und Bewegungstherapie. Im Sinne der „Gleichschaltung“, der Reorganisation aller Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur gemäß den natio‐ nalsozialistischen Vorstellungen, wurden alle Institutionen, Vereine und Organisatio‐ nen der NS-Herrschaft unterworfen. Einflussreiche Positionen in sportmedizinischen Verbänden und universitären Forschungseinrichtungen wurden mit Ärzten besetzt, die Vertreter der NS-Ideologie waren. Jüdische Sportmediziner wurden hingegen im Fol‐ genden entrechtet und verfolgt und damit wie so viele andere Bürger Opfer des nazis‐ tischen Rassenwahns. Auch die sportmedizinischen Einrichtungen wurden im Kontext der „Gleichschaltung“ zunächst geschlossen und dann im Sinne der Führung neu be‐ setzt. Mit den universitären wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sollten be‐ völkerungspolitische, militärische und andere kriegswichtige Interessen wie die Be‐ gleitung des Pflicht-, Dienst- und Wehrsports verfolgt werden. In Hohenlychen entstand in den Anlagen der dort seit 1902 ansässigen Heilanstalten ein Zentrum zur Behandlung von Sport- und Arbeitsschäden sowie Wiederherstellungschirurgie. Ne‐ ben ihrer Funktion als Rehabilitationseinrichtung wurde sie für Funktionäre der NSDAP zum Mode-Kurort (Arndt et al., 2012). Während des 2. Weltkriegs wurde die Heilanstalt in ein Kriegslazarett umfunktioniert. Zudem diente sie als medizinische Versuchsanstalt unter der Leitung von Karl Gebhardt, in der Versuche am Menschen, zum Teil mit Todesfolgen, zur erschütternden Wahrheit wurden (Arndt et al., 2012; Jüttemann, 2019). Auch wenn es sich im Rahmen der vorliegenden Aufbereitung nur um eine lücken‐ hafte geschichtliche Darstellung der Sportmedizin handeln kann, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, wird immer wieder deutlich, dass die Entwicklung der Sport‐ medizin auch mit sehr dunklen Kapiteln der Geschichte einhergegangen ist. Weitere Beispiele sind: Zur Jahrhundertwende und in Vorbereitung auf den 2. Weltkrieg wurde die Sportmedizin zweckbezogen mit dem Nationalismus, der gewünschten Wehr‐ 179 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 179 <?page no="180"?> haftigkeit und dem Sozial-Darwinismus verbunden. Die Arbeiten von Ferdinand Hueppe zur Rassenhygiene und seine rassenideologische Determinierung der Sportanschauungen werden heute sehr kritisch hinterfragt. Auch die Ernennung von Leonardo Conti zum FIMS-Präsidenten von 1937 bis 1939 wirft dunkles Licht auf Vertreter und Institutionen der Sportmedizin. Conti war bekennender Na‐ tionalsozialist und SS-Mann, der während des 2. Weltkriegs als Reichsärzteführer die Verschärfung des Euthanasieprogramms mit zu verantworten hatte und die medizinischen Versuche in den Konzentrationslagern unterstützte (Cantini, 2007; Arndt et al., 2012; Jüttemann, 2019). Nach Ende des 2. Weltkriegs war es im westlichen Teil Deutschlands nach einer Di‐ rektive der alliierten Siegermächte verboten, jegliche Form des Sports zu militärischen Zwecken zu nutzen. Sport durfte nur noch lokal organisiert und rein zum Zwecke der Heilhygiene und des Ausgleichssports ausgeübt werden. Die Teilnahme an den Olym‐ pischen Spielen 1948 wurde ebenfalls untersagt. Aber auch die regionalen Strukturen machten bald sportärztliche Beratungen und Untersuchungen erforderlich, gleichsam galt es im Bereich der Ausbildung und des Studiums Kapazitäten bereitzustellen. In diesem Kontext wurde 1947 die Sporthochschule Köln (seit 1965 Deutsche Sporthoch‐ schule Köln) mit Carl Diem als Rektor eröffnet. In der Folge wurden weitere universi‐ täre Lehrstühle, Institute und Abteilungen gegründet (Arndt et al., 2012). Die Sportärzteschaft organisierte sich in den Jahren 1948-1950 zunächst über die Bildung von Landesverbänden, 1950 wurde dann der Deutsche Sportärztebund (DSÄB) wiedergegründet. In der Folgezeit wurden fortlaufend neue Sektionen und Ausschüsse ins Leben gerufen, die sich mit spezifischen Fragestellungen der Sportmedizin ausein‐ andersetzen. Beispiele sind die Sektionen Rehabilitation und Behindertensport, Brei‐ ten- Freizeit- und Alterssport und die Sektion Leistungssport. 1952 fand der erste offi‐ zielle Nachkriegskongress des DSÄB statt, weitere Kongresse folgten bis heute in zumeist 1bzw. 2-jährigem Turnus. Seit 1953 hält der DSÄB ein offizielles Organ vor, welches seit 1977 vom damals neu gegründeten „Verein zur Förderung der Sportmedi‐ zin“ herausgegeben wird (heutiger Titel: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin) (Arndt et al., 2012). Eine weitere wichtige Entwicklung war die 1970 vom Deutschen Ärztetag bewilligte Zusatzbezeichnung Sportmedizin, die bis heute durch fest vorgegebene Aus‐ bildungsinhalte erworben werden kann und von den Ärztekammern der Länder ver‐ geben wird. Die sportmedizinische Forschung war zunächst eher grundlagenorientiert, Mitte der 1970er Jahre kam es jedoch zunehmend zu einem Transfer der sportmedizinischen Forschung in die Praxis, insbesondere im Kontext der Rehabilitation. Vorreiter und Beispiel für viele nachfolgende bewegungsbezogene Interventionen bei internisti‐ schen, muskulo-skelettalen und anderen Erkrankungen waren die 1965 erstmalig am‐ bulant eingeführten Herzsportgruppen, für welche im weiteren Verlauf ein flächende‐ ckendes Angebot im Rahmen des Rehabilitationssports geschaffen wurde. Auch Bewegungs- und Sportangebote für die breite Masse (z. B. Trimm-Aktionen des Deut‐ 180 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 180 <?page no="181"?> schen Sportbunds) basierten auf der vorausgehenden sportmedizinischen Grundla‐ genforschung (Arndt et al., 2012). Ein weiterer wichtiger Baustein zur Forschungsför‐ derung war 1970 die Gründung des dem Bundesinnenministerium zugeordneten „Bundesinstituts für Sportwissenschaft“ (BISp). Das BISp hat sich der Initiierung, Ko‐ ordinierung und Förderung der sportwissenschaftlichen Forschung verschrieben. För‐ derfähig sind entsprechend der Grundsätze der Forschungsförderung Vorhaben, die ein Bundesinteresse voraussetzen und einen Bezug zum deutschen Spitzensport vorweisen (Bundesinstitut für Sportwissenschaft, 2019). Die Betreuung des Spitzensports wurde mit dem 1975 eingeführten Kadersystem und den obligatorischen sportmedizinischen Untersuchungen durch DSB bzw. DOSB lizenzierte Untersuchungsstellen systematisiert. Ziel dieser Vorsorgeun‐ tersuchungen ist es bis heute, Erkrankungen, Verletzungen und Einschränkun‐ gen der sportlichen Belastbarkeit frühzeitig zu erkennen, dem Auftreten von Sportschäden vorzubeugen und die Sportler in medizinischen Fragen zu beraten (Sportmedizin Tübingen, 2019). Die Gründung der Olympiastützpunkte in den 1980er Jahren mit der Möglichkeit der Athletenbetreuung vor Ort sowie, die sich stetig ausweitende Betreuung von Trainingslagern und Wettkämpfen durch Ver‐ bandsärzte und Physiotherapeuten ergänzen die Versorgung. Im Osten Deutschlands durchlief die Sportmedizin nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine andere Entwicklung. Das Recht der Bürger auf Bildung, Erholung und Sport war gesetzlich verankert und führte bereits kurz nach dem Krieg zu einer umfassenden Partizipation der Bürger in Sportgruppen, die einen schnellen Aufbau sportmedizini‐ scher Aktivitäten erforderlich machte. Die Sportmedizin war bereits 1950 institutionell im Gesundheitswesen verankert und wurde zunehmend auch an die Universitäten an‐ gegliedert (Arndt et al., 2012). Auch in der DDR organisierten sich die Sportärzte bereits 1954 in einer eigenen Organisation, die ab 1969 bis zum Ende der DDR die Bezeichnung Gesellschaft für Sportmedizin der DDR (GfSM) hieß, regelmäßige Jahrestagungen abhielt und ab 1961 mit der Zeitschrift „Medizin und Sport“ auch ein offizielles Organ hatte. Die Funkti‐ onsträger der GfSM wurden mit dem Staatssekretariat für Körperkultur und Sport (SKS) abgestimmt. Die sportmedizinische Qualifikation war zunächst durch den Erwerb der staatlichen Anerkennung als Sportarzt gewährleistet, 1963 wurde der Facharzt für Sportmedizin eingeführt (Arndt et al., 2012). Der Spitzensport spielte in der DDR eine zentrale Rolle. So wurden rein leistungs‐ sportlich orientierte Sportklubs und die Kinder- und Jugendsportschulen initiiert sowie ein lückenloses Talentauswahlsystem eingeführt. 1963 wurde der sportmedizinische Dienst (SMD) unter dem SKS etabliert und damit die sportärztliche Betreuung zentral organisiert, kontrolliert und überwacht. Der SMD berücksichtigte auch den Bereich der allgemeinen sportmedizinischen Betreuung im Freizeit-, Therapie- und Rehabili‐ tationssport, dieser spielte jedoch eine nachrangige Rolle. An den olympischen Erfol‐ gen wurden Nutzen und Effektivität der Sportmedizin für den Staat ausgemacht. Die 181 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 181 <?page no="182"?> Tätigkeiten im Spitzensport unterlagen strikter Geheimhaltung. Auf allen Ebenen des sportmedizinischen Dienstes wurden Instanzen der Staatspartei eingesetzt, um damit die politische Überwachung der sportmedizinischen Arbeit gewährleisten zu können. In diesem Zusammenhang wurde 1969 das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) gegründet, welches das einzige Institut für die Leistungssportforschung in der DDR war. Bis zu seiner Auflösung 1990 hatte es mehr als 600 Mitarbeiter. Die Fortführung des FKS nach der Wende wurde durch die Gründung des „Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft“ (IAT) nach einer Übergangsregelung mit perso‐ nellen Abstrichen gewährleistet (Arndt et al., 2012). Der Spitzensport in der DDR diente dem internationalen Renommee und es galt, dieses aufrecht zu erhalten und weiter auszubauen. Hierfür griff man auch systematisch auf Doping zurück, welches unter den Begriff der „unterstützenden Maßnahmen“ fiel. Der Begriff Doping war tabu und offiziell bekannte sich die DDR auch stets zur Anti-Doping-Charta. 1974 wurde das konsequente Staatsdoping etabliert (Geipel, 2018). Auch wenn das Thema Doping an dieser Stelle nicht adäquat abgebildet werden kann, darf es nicht unerwähnt bleiben. Im Kontext des in der DDR unter dem Deck‐ mantel der Staatssicherheit praktizierten Dopings wurden geschätzte 15.000 minder‐ jährige Leistungssportler geschädigt, von denen bis heute viele unter körperlichen und psychischen Erkrankungen leiden (Hass, 2017). Auch im Westen der Republik hat der Einsatz nicht erlaubter Substanzen stattgefunden und Doping ist auch heute noch ein Thema, welches Gesellschaft und Sport beschäftigen. Die organisierte Sportmedizin, vertreten durch die DGSP, hat sich seit jeher jeder Form des Dopings entgegenstellt und in den letzten Jahrzehnten aktiv an Diskussionen zu Werten und Inhalten des Sports und der Definition ärztlich rechtmäßiger und unrechtmäßiger Maßnahmen be‐ teiligt. Als DOSB-Fachverband ist sie zudem mit besonderen Aufgaben im Projekt „Ge‐ meinsam gegen Doping“ der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA) beteiligt (DGSP, 2019a). Auch das 2017 in Kraft getretene Anti-Doping-Gesetz, welches den Strafverfolgungsbehörden hilft, Dopingnetzwerke aufzudecken, zeigt Wirkung (Zeit Online, 2019). Trotz der Bemühungen sind und waren vereinzelt Sportmediziner, Mannschaftsärzte - bis hin zum Chefarzt der Olympiamannschaft - und eine univer‐ sitäre sportmedizinischen Einrichtung in Dopingaffären und langjähriges systemati‐ sches Doping eingebunden (dpa/ aerzteblatt.de, 2017). Festzuhalten bleibt, dass das aktive Vorgehen gegen Doping eine wichtige Auf‐ gabe der Sportmedizin sein und bleiben sollte, da der Missbrauch von Arznei‐ mitteln im Sport mit erheblichen gesundheitlichen Folgen bis hin zum Tod von Sportlern einhergehen kann. Dabei ist Doping nicht nur ein Thema im Spitzen‐ sport. Auch im Breitensport ist es weit verbreitet und die Risiken mangels ärzt‐ licher Kontrolle teilweise sogar höher (Siegmund-Schultze, 2013). Neben den ge‐ sundheitlichen Folgen für das Individuum widerspricht Doping dem Fairnessgedanken des Sports und schadet zudem in erheblichem Ausmaß dem öf‐ fentlichen Ansehen der Sportmedizin. 182 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 182 <?page no="183"?> Die gesamtdeutsche Sportmedizin bis heute Nach dem Mauerfall kam es schnell zum Austausch der west- und ostdeutschen Sport‐ ärzte und Organisationen. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bildeten sich rasch Landessportärzteverbände, die 1991 unter das Dach des DSÄB aufgenommen wurden. Jedoch trat nur ein geringer Teil der ehemals ostdeutschen Sportmediziner in den neuen Dachverband ein, nicht zuletzt aufgrund der vielfach erforderlichen beruflichen Neu‐ orientierung mangels sportmedizinischer Stellenangebote. Von den Institutionen der DDR wurden nur das IAT und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES, Berlin) übernommen (Arndt et al., 2012). 1992 wurde der DSÄB in die noch heute unter diesem Namen fungierende Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention - Deutscher Sportärztebund umbenannt, um auch dem präventiven Grundanliegen der Sportmedizin und dem Wandel in Ge‐ sellschaft und Gesundheitspolitik gerecht zu werden (Arndt et al., 2012). Inhaltlich hat sich das Fach in jüngerer Zeit neben dem traditionellen Bezug der Sportmedizin zum Spitzensport dahingehend entwickelt, die vielfältigen physiologischen und psycholo‐ gischen Wirkungen von Bewegung als Medikament genauer zu erforschen. Hollmann (2009, S. VI) hat die Wirkungen des „Medikaments Bewegung“ folgen‐ dermaßen formuliert: „Gäbe es ein Medikament, welches wie körperliches Training folgende Eigenschaften in sich vereinigen würde: den Sauerstoffbedarf des Herzens senkend, antiarrhythmisch, antihypertensiv wirkend, die Fließeigenschaften des Blutes verbessernd, Arterioskleroseentwicklung verhindernd, Hämodynamik und Metabolis‐ mus durch eine Vielzahl von physikalischen und chemischen Adaptationen bis in ein hohes Alter positiv beeinflussend, Psyche und Wohlbefinden anhebend, aber ohne physiologische Nebenwirkungen - mit welchen Worten würde ein solches Präparat angepriesen werden? Vermutlich käme ihm die Bezeichnung Medikament des Jahr‐ hunderts zu.“ Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die immer weniger gefordert ist, sich in Beruf und Alltag zu bewegen, erscheint es daher zunehmend erforderlich, dass sport‐ medizinische Forschung die multiplen negativen Auswirkungen dauerhaften Bewe‐ gungsmangels erfasst und evidenzbasierte Konzepte für die adäquate und einzelfall‐ bezogene Anwendung des „Medikaments Bewegung“ entwickelt. In Kooperation mit interdisziplinären Kompetenzen von Sportwissenschaftlern (aber auch von Biologen, Psychologen, Physiologen, Neurowissenschaftlern etc.) kann dieser Prozess wirkungs‐ voll unterstützt werden. Ein besonderes Potenzial der Sportmedizin liegt somit sicher in ihrer breiten, interdisziplinären Vielfalt. Dadurch ist die Sportmedizin allerdings nicht ohne weiteres mit einem Schlagwort fassbar. Der über das Fußballfeld eilende „Sportarzt“ ist zwar eine typische Assoziation der Sportmedizin, doch die moderne Sportmedizin umfasst weitaus mehr: Sie beinhaltet beispielsweise auch Sport mit Schlaganfallpatienten, Herzsportgruppen, Hüft- oder Kniesportgruppen bei Arthrose‐ patienten oder nach künstlichem Gelenkersatz, Sport bei Krebspatienten, Sport mit Älteren, Sturzprophylaxe für Ältere, Sport bei systemischen neurologischen Erkran‐ kungen, Sport bei psychischen Erkrankungen, traumatologische Rehabilitation, Sport 183 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 183 <?page no="184"?> bei Adipositas etc. sowie darüber hinaus die vielfältigen Bereiche sportmedizinischer Forschungsfelder der Grundlagen- und Anwendungsforschung. 3.6.3 Themenfelder der Sportmedizin Die Sportmedizin kann prinzipiell in die Fachbereiche „Orthopädie“ und „Innere Me‐ dizin“ unterteilt werden, welche ihrerseits in die Arbeitsbereiche „Klinik“ und „For‐ schung“ untergliedert werden können. Darüber hinaus können die inhaltlichen Schwerpunkte der genannten Bereiche prinzipiell der eher leistungssportbezogenen Be‐ treuung (Medizin für den Sport) oder der eher gesundheitsbezogenen Allgemeinversor‐ gung (Sport als Medizin) zugeordnet werden. Aufgrund der Interdisziplinarität des Fachs Sportmedizin ist eine scharfe Abgrenzung zwischen den genannten Bereichen nicht immer möglich und deren Übergänge sind oft fließend. Basierend auf der in Tab. 3.6.1 skizzierten Untergliederung werden im Folgenden die Bereiche „Klinische Versorgung“ und „Forschung“ detaillierter beleuchtet. Tab. 3.6.1: Übersicht über Fächer und Forschungsbereiche der Sportmedizin Klinische Versorgung Orthopädische Patientenversorgung Internistische Patientenversorgung Leistungssport Allgemeinversorgung Forschung Orthopädie Innere Medizin Diagnostik und Therapie im Leistungssport Gesundheitssport Interdisziplinäre Anwendungsforschung Interdisziplinäre Konzepte der Lebensstilintervention; Public Health, Ernährungswissenschaft, Psychologie u. a. m. Grundlagenforschung Fachspezifischer und interdisziplinärer Forschungsbereich (Medizin, Biologie, Physiologie, Sportwissenschaft, Biomechanik, Neurowissenschaft u. a. m.) Bereich „Sport und Leistung“ Bereich „Sport und Gesundheit“ 184 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 184 <?page no="185"?> Klinische Versorgung in der Sportmedizin Orthopädische Sportmedizin: Diagnostik und Therapie Die klinische Sportorthopädie bezieht sich auf die Behandlung von Erkrankungen oder Beschwerden am Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen, auf Funktionsstörun‐ gen im Bereich des peripheren Nervensystems (z. B. in Folge eines Bandscheibenvor‐ falls), sowie auf strukturelle oder funktionelle Defizite der neuromuskulären Bewe‐ gungsansteuerung. Sportmediziner verfügen hierbei über ein vertieftes Wissen sportspezifischer Überlastungsbeschwerden sowie über das Anforderungsprofil un‐ terschiedlicher Sportarten und daraus resultierende Beanspruchungen des Stütz- und Bewegungsapparats. Die Sportorthopädie nutzt prinzipiell sämtliche diagnostischen Möglichkeiten des Fachbereichs „Orthopädie und Traumatologie“, sowie darüber hinaus ergänzende funk‐ tionsdiagnostische Optionen. Die klassische orthopädisch-traumatologische Diagnos‐ tik umfasst neben der ausführlichen ärztlichen Untersuchung (sie ist das wichtigste diagnostische Instrument) diverse Verfahren der Bildgebung (z. B. Sonographie, Rönt‐ gen, Computertomographie, Kernspintomographie), labordiagnostische Verfahren, so‐ wie weitere Spezialverfahren (z. B. Knochendichtemessungen, Szintigraphie). Auf dia‐ gnostischer Ebene arbeitet die „Sportmedizin“ somit meist Hand-in-Hand mit orthopädisch-traumatologischen Kliniken oder radiologischen Einrichtungen. Die Übergänge zwischen der „klassischen Orthopädie“ und der „orthopädischen Sportme‐ dizin“ sind fließend. Neben den oben beschriebenen Bereichen der ärztlichen Diagnostik umfasst die sportmedizinisch-orthopädische Diagnostik ein umfassendes Instrumentarium weite‐ rer diagnostischer Verfahren, die nicht an eine ärztliche Ausbildung gebunden sind. Sie werden meist durch Sport- und Bewegungswissenschaftler durchgeführt und umfassen den gesamten Bereich der sogenannten „Funktionsdiagnostik“, der primär funktionelle und biomechanische Untersuchungstechniken beinhaltet. Hierzu gehören beispiels‐ weise Bewegungsanalysen unter Verwendung von Videobzw. Infrarotkameras oder elektrischen Goniometern, Inertialsensoren und Druckmessplatten, sowie elektromyographische Analysen zur Beurteilung neuromuskulärer Aktivität. Auch diverse Verfahren der isometrischen und dynamischen Kraftdiagnostik spielen als Teil der Funktionsdiagnostik eine wesentliche Rolle zur Diagnostizierung spezifischer Funkti‐ onsdefizite oder muskulärer Dysbalancen. Anhand der genannten Verfahren können funktionelle Ursachen für die Entstehung spezifischer Beschwerden oder Überlas‐ tungsreaktionen genauer eingegrenzt werden bzw. Defizite frühzeitig erkannt werden, um schließlich anhand adäquater Maßnahmen dauerhaften Fehlbelastungen und Ver‐ letzungsrisiken vorzubeugen. In größeren sportmedizinischen Einrichtungen werden diese Analysetechniken häufig in einem Fachbereich „Biomechanik“ zusammengefasst. Hier arbeiten meist Mediziner und Sportwissenschaftler eng zusammen, um schließlich eine individuell auf den Patienten oder Sportler zugeschnittene Trainingsempfehlung oder Therapieplanung zu ermöglichen. 185 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 185 <?page no="186"?> Neben operativen Eingriffen (meist in enger Kooperation mit orthopädisch-chirur‐ gischen Kliniken) zählen diverse nicht-operative (konservative) Therapieoptionen zum sportorthopädischen Behandlungsspektrum. Insbesondere bei primär funktionell ver‐ ursachten Beschwerdebildern können im Rahmen eines konservativen Behandlungs‐ regimes oftmals nachhaltigere Ergebnisse erzielt werden, als durch eine operative In‐ tervention (Ketola et al., 2013; Khan, Evaniew, Bedi, Ayeni & Bhandari, 2014; Svege, Nordsletten, Fernandes & Risberg, 2013). Die Wahl der jeweils adäquaten Behand‐ lungsform obliegt der Erfahrung und adäquaten Einschätzung des behandelnden Arz‐ tes und sollte sich stets an der individuellen Lebenssituation sowie dem sportbezogenen Anspruch des Patienten orientieren. Dies erfordert neben der Beurteilung rein ortho‐ pädisch-traumatologischer Aspekte eine fundierte Kenntnis funktionell-biomechani‐ scher Zusammenhänge sportartspezifischer Belastungs- und Beanspruchungsfaktoren. Ähnlich des oben ausgeführten diagnostischen Instrumentariums lassen sich auch die therapeutischen Maßnahmen der Sportmedizin in ärztliche und nicht-ärztliche Behandlungsmaßnahmen unterteilen. Zu den ärztlichen Therapieoptionen zählen grundsätzlich alle invasiven Maßnahmen (z. B. Operationen, Gelenkpunktionen, Injek‐ tions- und Infiltrationsbehandlungen) sowie die Verordnung medikamentöser, physi‐ kalischer, physiotherapeutischer oder trainingstherapeutischer Maßnahmen. Zu typi‐ schen ärztlichen Behandlungsformen zählen darüber hinaus in der Sportorthopädie manualtherapeutische Verfahren wie Chirotherapie oder Osteopathie, sowie teilweise auch alternativmedizinische Therapieformen wie Akkupunkturverfahren. Letztge‐ nannte Therapieoptionen können auch von entsprechend ausgebildeten Fachthera‐ peuten angewendet werden. Als Behandlungsformen, die nicht an die Voraussetzung einer ärztlichen Ausbildung gebunden sind, stehen zwei wesentliche Säulen im Rahmen des sportorthopädischen Behandlungsspektrums im Vordergrund: Die vielfältigen Maßnahmen der „Physiothe‐ rapie“ (inklusive physikalischer Anwendungen) sowie die „Medizinische Trainings‐ therapie“ bzw. die „Sport- und Bewegungstherapie“. Sie unterstützen das therapeuti‐ sche Spektrum durch eine gezielte Optimierung physiologisch-funktioneller und neuromuskulärer Prozesse und können in diesem Kontext insbesondere auch zur Prä‐ vention von Überlastungsreaktionen und zur wirksamen Prophylaxe von Verletzungs‐ risiken angewendet werden (Finch et al., 2016; Walden, Atroshi, Magnusson, Wagner & Hagglund, 2012; Webster & Hewett, 2018). Während für die Anwendung physiothe‐ rapeutischer Behandlungsformen (Synonym: „Krankengymnastik“) die Ausbildung zum Physiotherapeuten erforderlich ist, sind die Behandlungsformen der Sport- und Bewegungstherapie sowie der Medizinischen Trainingstherapie eine Domäne der Sportwissenschaft. Teilweise werden diese auch von Physiotherapeuten, Sport- und Gymnastiklehrern sowie von Übungsleitern mit entsprechenden Zusatzqualifikationen angeboten. Idealerweise greifen physiotherapeutisch-physikalische und trainingsthe‐ rapeutische Maßnahmen im gegenseitigen Austausch zwischen Ärzten und Therapeu‐ ten funktionell ineinander. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus Ärzten, Physio‐ therapeuten und Trainingstherapeuten ist somit ein wesentliches Merkmal der 186 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 186 <?page no="187"?> orthopädischen Rehabilitation - nicht nur in der Sportmedizin, sondern ebenso in or‐ thopädisch-traumatologischen Behandlungszentren und Rehabilitationskliniken. Internistische Sportmedizin: Diagnostik und Therapie Der Fachbereich der „Inneren Medizin“ (auch: internistische Medizin) bezieht sich - in Abgrenzung zur Orthopädie - nicht auf den Stütz- und Bewegungsapparat, sondern auf Erkrankungen der inneren Organe. Bezogen auf den sportmedizinischen Bereich nimmt dabei das Herz-Kreislauf-System als ein wesentlich determinierender Funkti‐ onskomplex sportlicher Leistungsfähigkeit eine zentrale Stellung ein. Zur internistischen Diagnostik zählt eine Vielzahl funktioneller, bildgebender und invasiver Untersuchungen. Von der einfachen Blutdruckmessung, über die Blutab‐ nahme zur Erstellung eines Blutbildes (Labor), über dynamische Verfahren der Bild‐ gebung (z. B. die Ultraschalluntersuchung des Herzens), bis hin zur kontrastmittelba‐ sierten Kernspintomographie, Katheter-Untersuchungen. Bezogen auf die internistische Sportmedizin steht die Diagnostik der körperlichen Leistungsfähigkeit (sog. Leistungsdiagnostik) im Kontext des Breiten- und Gesundheitssports sowie des Leis‐ tungssports klar im Vordergrund (Röcker & Abel, 2018). Die Leistungsdiagnostik be‐ inhaltet körperliche Belastungstests (meist auf dem Fahrradergometer oder Laufband mit stufenweiser Erhöhung der Belastung), um anhand von Herz-Kreislaufparametern (z. B. Blutdruck, Herzfrequenz, EKG), Blutparametern (Laktatdiagnostik) und optional ergänzenden Parametern aus der Atemluft (Spiroergometrie) die körperliche Leis‐ tungsfähigkeit des Patienten oder Athleten ermitteln zu können. Sollten im Rahmen dieser Untersuchungen pathologische Auffälligkeiten gefunden werden, können diese anhand weiterführender Untersuchungen gezielter diagnostiziert werden, um z. B. das Vorliegen einer Herz- oder Gefäßerkrankung oder sonstiger internistischer Erkran‐ kungen genauer einzugrenzen. Doch auch im Falle pathologisch unauffälliger Para‐ meter können diese dazu herangezogen werden, spezifische Empfehlungen für ein ge‐ zieltes und damit möglichst effektives Ausdauertraining zu geben (z. B. anhand von Empfehlungen des Herzfrequenzbereiches, innerhalb dessen das Training durchge‐ führt werden sollte). Der Vorteil der Erfassung medizinischer Leistungsparameter unter Belastung besteht darin, dass diese weitgehend motivationsunabhängig sind und daher ein objektiveres Bild der tatsächlichen körperlichen Verfassung geben, als dies z. B. im Rahmen reiner Leistungstests (Cooper-Test o. ä.) der Fall ist. Ein weiterer Vorteil der erhobenen medizinischen Parameter (insbesondere der Laktatwerte) ist die intra-indi‐ viduelle Vergleichbarkeit. Bei wiederholten Tests können somit konkrete Adaptati‐ onsvorgänge im Verlauf von Trainingsprozessen ermittelt werden, um darauf aufbau‐ end aktualisierte Trainingsempfehlungen ableiten zu können. Auf diese Weise kann der Trainingsprozess stets dem individuellen Leistungsniveau sowie den aktuellen Er‐ fordernissen angepasst und dadurch eine langfristige Leistungsentwicklung gezielt unterstützt werden (u. a. „laktatbasierte“ Trainingssteuerung). Neben der intra-indivi‐ duellen Entwicklung der Parameter können diese auch zum inter-individuellen Ver‐ gleich mit anderen Sportlern derselben Sportart herangezogen werden, um Trainern 187 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 187 <?page no="188"?> evtl. weitere Rückschlüsse zur individuellen Trainingsgestaltung und -planung zu er‐ möglichen. Der Bereich der internistischen Leistungsdiagnostik, Trainingssteuerung und Trainingsberatung wird in den meisten sportmedizinischen Einrichtungen in en‐ ger Kooperation zwischen Medizinern und Sportwissenschaftlern realisiert. In der Betreuung von Mannschaften oder Vereinen nimmt die allgemeinmedizini‐ sche Versorgung sicher den umfassendsten Raum ein. Vom grippalen Infekt bis zur adäquaten Einstellung einer Asthmamedikation; von der Versorgung einer Risswunde bis zur adäquaten Behandlung nach Schädel-Hirntrauma - hier ist der ärztliche „All‐ rounder“ gefragt. Daher ist das Feld der sportmedizinischen Trainings- und Wett‐ kampfbetreuung eher ein Feld der interdisziplinären Grundversorgung. Im ärztlichen Alltag des klinisch tätigen Sportinternisten gehören die Beurteilung und Überwachung spezifischer Vorerkrankungen unter dem Aspekt sportlicher Betätigung ebenso zu den Aufgaben wie die individuelle Patientenberatung in Bezug auf eine adäquate sportliche Betätigung bei Vorliegen internistischer Grunderkrankungen (z. B. Diabetes, Adiposi‐ tas, Hypertonie, Arteriosklerose, Zustand nach Herzinfarkt oder Schlaganfall). Eine ergänzende Aufgabe der universitären Sportmedizin besteht in der Jahres‐ hauptuntersuchung von Kaderathleten ( JHU). Diese sind für Athleten der Lan‐ des- und Bundeskader vorgeschrieben und beinhalten grundsätzlich eine aus‐ führliche orthopädische Untersuchung, eine allgemeinmedizinisch-internistische Untersuchung, einen Belastungstest mit Laktatdiagnostik, sowie bei Bedarf ergänzende funktionsdiagnostische oder weiterführende orthopädische oder internistische Untersuchungen. Der abschließende Bericht dient der Bestä‐ tigung der Sport- und Wettkampftauglichkeit, der frühzeitigen Erkennung oder Kontrolle von Erkrankungen oder Überlastungsbeschwerden (insbesondere im Wachstumsalter) sowie wichtigen Anhaltspunkten und Empfehlungen für die betreuenden Trainer. Die abschließenden Empfehlungen binden dabei sowohl die internistischen, die orthopädisch-funktionsdiagnostischen, als auch die leis‐ tungsdiagnostischen Befunde mit ein. Forschungsbereiche und Forschungsmethoden in der Sportmedizin Neben der klinischen Patientenversorgung bildet die Forschung den zweiten Pfeiler der universitären Sportmedizin. Entsprechend der Einteilung in Tab. 3.6.1 können die je‐ weiligen Forschungsschwerpunkte dabei eher grundlagenorientiert (Grundlagenfor‐ schung) oder eher anwendungsorientiert (Anwendungsforschung) ausgerichtet sein. Auch dieser Bereich kann fachbezogen, aber auch interdisziplinär ausgerichtet sein und gemäß seiner inhaltlichen Ausrichtung eher dem Bereich „Sport und Leistung“ oder dem Bereich „Sport und Gesundheit“ zugeordnet werden. Forschungsbereich „Sport und Leistung“ Die Schwerpunktlegung der leistungsmedizinisch orientierten Grundlagenforschung variiert je nach wissenschaftlicher Ausrichtung der sportmedizinischen Institute. Dies 188 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 188 <?page no="189"?> hängt von Faktoren des institutionellen Umfelds (kooperierende Institute) und der zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten ebenso ab, wie von traditionellen, personellen und finanziellen Faktoren. Themenbereiche sind meist grundlegende Adaptationsmechanismen des menschlichen Körpers auf körperliche Belastungsreize und überschneiden sich in großen Teilen mit sportwissenschaftlichen Forschungsthe‐ men. Dabei zeichnet sich die sportmedizinische Forschung insbesondere durch ihre Möglichkeiten der Nutzung medizinischer Methoden und Verfahren aus, die dem Sportwissenschaftler per se nicht zur Verfügung stehen. Insbesondere betrifft dies sämtliche invasive Untersuchungsverfahren, medizinische Laborverfahren oder medi‐ zinische Methoden der Bildgebung. Aufgrund der vielfältigen inhaltlichen Überschnei‐ dungen sportwissenschaftlicher und sportmedizinischer Forschung, sowie weiterer angrenzender Forschungsgebiete (z. B. Biologie, Neurologie, Neurowissenschaft, Ra‐ diologie, Physiologie) sind diese Forschungsbereiche meist im Rahmen interdiszipli‐ närer Kooperationen organisiert. Diese können beispielsweise folgende Aspekte be‐ treffen: ■ Belastungsabhängige molekularbiologische Reaktionen und deren Bedeutung für bestimmte Adaptationsmechanismen (z. B. Muskulatur, Energiestoffwech‐ sel). ■ Genetische Disposition und belastungsabhängige Adaptation. ■ Muskuläre Funktion und trainingsabhängige neuromuskuläre Adaptation. ■ Trainingsabhängige Adaptation des zentralen Nervensystems und der multi‐ modalen Sensointegration. ■ Grundlagenforschung zur Dopingbekämpfung im Sport. Ziel der leistungssportbezogenen Anwendungsforschung ist es, Erkenntnisse der Grundlagenforschung bzgl. konkreter sportpraktischer oder leistungsmedizinischer Nutzungsoptionen zu evaluieren. Forschungsbereich „Sport und Gesundheit“ Analog zum leistungssportbezogenen Forschungsbereich ergeben sich auch im Bereich „Sport und Gesundheit“ konkrete Forschungsschwerpunkte meist aus den jeweiligen institutionellen und personellen Rahmenbedingungen. Felder der Grundlagenforschung können beispielsweise im Rahmen folgender Themenbereiche verortet werden. ■ Belastungsabhängige kardio-pulmonale Adaptation und deren Auswirkungen auf Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. ■ Belastungsabhängige Adaptation und deren Auswirkungen auf erkrankte Struk‐ turen des Stütz- und Bewegungsapparates. ■ Kardio-pulmonale oder neuromuskulär-sensointegrative Veränderungen durch Bewegungsmangel oder Immobilisation. ■ Sporttherapeutische Wirkungen auf den Verlauf von Alterungsprozessen („Anti-Aging“). 189 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 189 <?page no="190"?> Im Vordergrund der Anwendungsforschung steht meist die Evaluierung spezifischer Maßnahmen in Bezug auf deren Effekte bzgl. bestimmter Krankheitsbilder oder deren Prophylaxe. Im orthopädischen Bereich sind dies häufig Aspekte der Prävention und Rehabilitation von chronischen Beschwerden, Überlastungsreaktionen oder degene‐ rativen Gelenkerkrankungen. Bezüglich der internistischen Sportmedizin stehen typi‐ scherweise Interventionsstudien bzgl. Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwech‐ selerkrankungen im Vordergrund, aber ebenso auch bzgl. neurologischer und neurodegenerativer Erkrankungen (u. a. Ahlskog, Geda, Graff-Radford & Petersen, 2011; Busse et al., 2013; Dalbello-Haas, Florence & Krivickas, 2008; Drory, Goltsman, Reznik, Mosek & Korczyn, 2001), bzgl. onkologischer Krankheitsbilder (u. a. Dimeo, Fetscher, Lange, Mertelsmann & Keul, 1997; Fong et al., 2012; Friedenreich, Neilson & Lynch, 2010; Strasser, Steindorf, Wiskemann & Ulrich, 2013), oder bzgl. verschiedener Aspekte sportlichen Trainings bei älteren Menschen (u. a. Fairhall et al., 2014; Klitgaard et al., 1990; Tarumi et al., 2013). Auf interdisziplinärer Ebene gewinnt die wissenschaftlich begleitete Weiterentwick‐ lung integrativer Behandlungskonzepte mit dem Ziel der langfristigen gesundheits‐ förderlichen Lebensstiländerung zunehmend an Relevanz. Neben der biomedizinischen Betrachtung des kranken Körpers geht es unter Berücksichtigung einer bio-psycho-so‐ zialen Perspektive bei der Gestaltung der Intervention auch um die Integration perso‐ nenspezifischer und umweltbezogener Kontextfaktoren. Hierfür ist eine integrative Wissenschaft erforderlich, die u. a. durch die Sozial- und Verhaltenswissenschaften, die Psychologie, die Gesundheitsforschung sowie andere mehr geprägt ist (Geidl, Sem‐ rau & Pfeifer, 2014). 3.6.4 Verhältnis der Sportmedizin zur Sportpraxis Die Sportmedizin ist als medizinische Disziplin per se ein praktisches Fach der klini‐ schen Versorgung und Betreuung von Sporttreibenden. Auch die medizinisch wirksa‐ men Sportinterventionen in der Prävention und Rehabilitation illustrieren den engen Bezug zur Sportpraxis. Als Praxisbeispiel wird daher an dieser Stelle ein spitzen‐ sportbezogenes Forschungsprojekt vorgestellt (Grundlagen- und Anwendungsfor‐ schung). Praxisbeispiel: Grundlagen- und Anwendungsforschung Im Folgenden werden aus dem Forschungsbereich der Arbeitsgruppe „Tech‐ nomotorik und sensointegrative Bewegungssteuerung“ (Abteilung Sportmedi‐ zin, Universitätsklinikum Tübingen) wesentliche Bezüge zwischen neurowis‐ senschaftlicher Grundlagenforschung und spitzensportbezogener Relevanz veranschaulicht. Grundlegender Ansatz des Forschungsbereichs ist die Her‐ ausarbeitung einer Systematik fundamentaler Prinzipien der menschlichen 190 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 190 <?page no="191"?> Auge-Kopf-Körperinteraktion und der intra- und intersegmentalen spinalmo‐ torischen Steuerung mit dem Ziel der Entwicklung eines integrierenden Ge‐ samtmodells der Prinzipien effizienten menschlichen Bewegens. Im Rahmen entsprechender Laborumgebungen (u. a. am Max-Planck-Institut Tübingen) und mit Hilfe der Entwicklung einer Spezial-Software können dabei erstmals okulomotorische, vestibuläre, elektromyographische und kinemetrische Daten während der Ausführung hochdynamischer Komplexbewegungen synchron abgeleitet und integriert werden. So konnte z. B. anhand des beschriebenen Verfahrens an Kunstturnern des Olympiastützpunkts Stuttgart ein umfassender Datenpool intersegmentaler Interaktionsmuster der Auge-Kopf-Körpersteue‐ rung während der Ausführung sportartspezifischer Elemente bis hin zu Höchst‐ schwierigkeiten erfasst und deren grundlegenden Interaktionsprinzipien sys‐ tematisch analysiert werden. Die Daten der Athleten erbrachten unter anderem, dass das komplexe Zusammenspiel intra- und intermuskulärer Ko‐ ordinationsmuster einer weitaus differenzierteren und kontextspezifischeren Steuerungsfähigkeit unterliegt, als bisher angenommen. Es konnte überdies gezeigt werden, durch welche funktionellen und intentionalen Aspekte die identifizierten Interaktionsprinzipien maßgeblich determiniert sind (Laßberg, Beykirch, Mohler & Bülthoff, 2014; Laßberg & Rapp, 2015; Laßberg et al., 2017). Insofern gehen die Erkenntnisse des primär eher grundlagenorientierten For‐ schungsbereichs Hand-in-Hand mit praxisbezogenen Ableitungen zur Effektivierung motorischer Lernvorgänge. So wird im Rahmen eines aktuellen Projekts am Olympiastützpunkt Stuttgart u. a. der Ansatz verfolgt, die in dieser Form erstmals identifizierten Interaktionsmuster bereits bei Nachwuchsathle‐ ten gezielt anzubahnen, um im Zuge einer dadurch angestrebten Bewegungs‐ effektivierung Lernzeiten evtl. systematisch zu verkürzen und Beanspru‐ chungsspitzen auf vulnerable Strukturen des Bewegungsapparates zu reduzieren (Laßberg & Krug, 2015). Kontrollfragen 1. Die moderne Sportmedizin untersucht den Einfluss von Bewegung, Training und Sport sowie Bewegungsmangel. Welche Zielgruppen schließt sie hierbei ein? 2. Womit lässt sich die Aussage „Körperliche Aktivität ist Medizin“ begründen? 3. Bereits in der Antike wurden die positiven Wirkungen körperlicher Aktivi‐ tät auf die Gesundheit beschrieben. Welche Protagonisten dieser Zeit wirken mit ihren damaligen Werken bis in die Neuzeit? 4. Welche Organisationsstrukturen ermöglichen heute die sportmedizinische Betreuung des Spitzensports in Deutschland? 191 3.6 Sportmedizin (Christoph von Laßberg, Inga Krauß) 191 <?page no="192"?> 5. Was verstand man in der DDR unter dem Begriff der „unterstützenden Maß‐ nahmen“? 6. Welche gesundheitsbeeinflussende gesellschaftliche Entwicklung ist eng mit dem Forschungs- und Anwendungsbezug der Sportmedizin verbunden? 7. Die Sportmedizin ist ein interdisziplinäres Fach mit Aufgaben der klinischen Versorgung und Forschung. In welche Hauptfächer lässt sie sich aus klini‐ scher Sicht unterteilen und welche Zielgruppen schließt sie dabei ein? 8. Worin unterscheiden sich die Aufgabenbereiche von Sportmedizinern und Sportwissenschaftlern in sportmedizinischen Einrichtungen? 9. Eine Aufgabe sportmedizinischer Einrichtungen besteht in der Durchfüh‐ rung der Jahreshauptuntersuchungen von Kadersportlern ( JHU). Welche Inhalte umfassen diese Untersuchungen und welche Funktionen erfüllen sie? 10. Ein Schwerpunkt der internistischen Sportmedizin ist die sportmedizinische Leistungsdiagnostik. Für welche Zielgruppen und Anwendungsbereiche ist sie von Nutzen? 11. Aus wissenschaftlicher Sicht kann die sportmedizinische Forschung grob in die Bereiche der Anwendungsforschung (Versorgungsforschung) und der Grundlagenforschung untergliedert werden. Welche angrenzenden Wissen‐ schaftsgebiete spielen in der sportmedizinischen Grundlagenforschung eine wesentliche Rolle? Literatur Ahlskog, J. E., Geda, Y. E., Graff-Radford, N. R. & Petersen, R. C. (2011). 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Welche Teilbewegungen sind für das Erlernen des Kippaufschwungs am Reck notwendige Voraussetzung? Haben professionelle Rad‐ sportler einen runderen Tritt als Amateure? Welche Methoden sind geeignet, derartige Bewegungen und die dabei auftretenden Belastungen und Beanspruchungen des menschlichen Körpers zu analysieren? Wie verändert sich die Belastung des Bewe‐ gungsapparats durch eine Modifikation der ausgeführten Bewegung? Führen be‐ stimmte Bewegungsausführungen kurz- oder langfristig zu einem erhöhten Verlet‐ zungsrisiko? Welche Rolle spielen dabei die Wahrnehmung und die koordinativen und sensorischen Fähigkeiten des Athleten? Wie läuft die Regulation sportlicher Bewe‐ gungen überhaupt ab, wie kann eine Bewegungsausführung beeinflusst werden? Der vorliegende Beitrag bezeichnet die verschiedenen Perspektiven, Grundpositio‐ nen und Zugangsweisen als unterschiedliche Ansätze der Bewegungswissenschaft. In‐ sofern ist die Bewegungswissenschaft ein heterogenes und vielseitiges Gebilde, ein „Sammelbecken für alle wissenschaftlichen Aussagen über den Problemkomplex der sportlichen Bewegung und des Bewegens im Sport“ (Roth & Willimczik, 1999, S. 11). 195 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 195 <?page no="196"?> Deshalb existieren zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, die Bewegungswissen‐ schaft, Bewegungslehre, Sportmotorik oder Verwandtes zum Thema haben und um‐ fassende Darstellungen des Forschungsgebiets auf Basis unterschiedlicher Ansätze, Grundpositionen und Paradigmen vornehmen. Wie unterschiedlich die wissenschaft‐ lichen Zugangsweisen zu diesem Problemkomplex ausfallen können, welche Frage‐ stellungen im jeweiligen Kontext relevant werden und mit welchen Methoden diese Fragestellungen analysiert werden, ist in diesem Kapitel in kompakter Form dargestellt. Lernziele ■ Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Bewegungswissen‐ schaft beschäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Bewegungswissenschaft entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihren Mutterwissenschaften bestehen. ■ Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Bewegungs‐ wissenschaft kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Be‐ wegungswissenschaft den für sie relevanten Phänomenen und Themen nä‐ hert, welchen Problem-/ Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Bewegungswissenschaft zur Sport‐ praxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren For‐ schungsergebnissen beimisst. 3.7.1 Einführung - Charakterisierung der Bewegungswissenschaft Die Bewegungswissenschaft ist eine, gemessen an traditionellen, etablierten Wissen‐ schaften wie etwa der Physik, noch relativ junge Wissenschaftsdisziplin. Als integra‐ tive Disziplin vereint sie Erkenntnisse und Methoden aus anderen Disziplinen und ist für ihre Arbeit auch auf diese angewiesen. Die Beschreibung der Bewegungswissen‐ schaft geschieht üblicherweise durch die Definition ihres Gegenstandsbereichs, ihrer Forschungsfragen, ihrer theoretischen Grundpositionen und ihrer Methoden. Als in‐ tegrative Wissenschaftsdisziplin besteht für die Bewegungswissenschaft sowohl auf der Ebene der Theorien als auch der Methoden eine große Schnittfläche zu anderen Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere zur Physik, zur Biologie, zur Psychologie und zur Medizin. Die Charakterisierung der Bewegungswissenschaft ist insofern mit der Entwicklung der gesamten Sportwissenschaft in Deutschland verbunden, als dass es unterschiedli‐ che Auffassungen darüber gibt, ob die Bewegungswissenschaft als eine Teildisziplin der Sportwissenschaft aufgefasst werden sollte, oder ob Teilbereiche der Sportwissen‐ schaft nicht eher einer übergeordneten Bewegungswissenschaft zugeordnet werden 196 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 196 <?page no="197"?> sollten (Zschorlich, 2000). Die Bewegungswissenschaft wird insofern als Teilgebiet der Sportwissenschaft aufgefasst, als die menschliche Bewegung mit all ihren Facetten ei‐ nen Kernbereich des Sports darstellt (Roth & Willimczik, 1999, S. 11). Innerhalb der deutschen Sportwissenschaft ist die Bewegungswissenschaft historisch eng verbunden mit der (pädagogisch inspirierten) Bewegungslehre des Sports. Der Begriff Bewegungs‐ wissenschaft verweist heute - vor allem im internationalen Kontext - allerdings we‐ niger auf eine aus sportpädagogischer Tradition heraus entwickelte Wissenschaftsdisziplin, sondern impliziert einen naturwissenschaftlichen Zugang zur Analyse menschlicher Bewegung, insbesondere auch in Kontexten abseits des Sports wie bei‐ spielsweise in der (Patho-)Physiologie oder der Ergonomie (Mechling & Munzert, 2003, S. 13-14). Im angelsächsischen Sprachraum wird Bewegungswissenschaft oftmals mit den Be‐ griffen human kinetics, kinesiology, motor control and learning, (sport) biomechanics oder etwas allgemeiner als human movement science bezeichnet. Diese Begriffsvielfalt deutet bereits an, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche theoreti‐ schen Perspektiven und Methoden innerhalb einer im deutschen Sprachraum als Be‐ wegungswissenschaft bezeichneten Wissenschaftsdisziplin zur Anwendung kommen, und wie sie im Kanon anderer (sport-)wissenschaftlicher Disziplinen verortet wird. Diese Vielfalt an theoretischen Zugängen zur Analyse menschlicher Bewegung wird im Abschnitt 3.7.3 näher thematisiert. Göhner (1992, S. 23) schlägt vor, dass die Bewegungslehre des Sports „als ein Lehr- und Forschungsgebiet zu sehen ist, das einerseits die sportliche Bewegungsvielfalt (bzw. früher die Bewegungen der Leibesübungen), andererseits aber (und inzwischen in fast ausschließlicher Weise) die Funktionsweise der sich bewegenden Person zum Gegenstand hat“. Loosch (1999, S. 23) fasst seine Definition etwas weiter: „Die Gegen‐ stände einer allgemeinen Bewegungslehre sind die Erscheinungsformen der mensch‐ lichen Motorik im Sport und angrenzenden Tätigkeitsfeldern, wie der sportorientierten Rehabilitation oder der bewegungstherapeutischen Ausbildungsrichtung. Der Kern‐ bereich der Darstellungen bezieht sich auf den Sport“. Den Gegenstandsbereich der Bewegungswissenschaft beschreiben Roth und Willim‐ czik (1999, S. 11) wie folgt: „Sie beschäftigt sich einerseits mit den beobachtbaren Pro‐ dukten (Bewegungen und Haltungen) sowie andererseits mit dem Gesamtsystem jener körperinternen Prozesse (Motorik, Emotionen, Motive, Sensorik, Kognitionen), die den Vollzügen zugrunde liegen. In Abhängigkeit von dem wissenschaftstheoretischen Standort werden dabei vielfältige Zielsetzungen und Analyseinteressen verfolgt“. Aus diesen Definitionen des Gegenstandsbereichs wird erkennbar, dass abseits aller kontroversen Diskussionen um Verortung, Einordnung und Bezeichnung der Wissen‐ schaftsdisziplin ein gemeinsamer Nenner erkennbar ist. Dieser besteht darin, dass Be‐ wegungswissenschaft und Bewegungslehre des Sports danach streben, die menschliche Bewegung (im Sport) sowie alle Prozesse, die Bewegung auslösen, steuern, regeln und beeinflussen, zu verstehen - das heißt, beschreiben, erklären und wenn möglich auch vorhersagen zu können. 197 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 197 <?page no="198"?> Wissenschaftsdisziplinen sind nicht allein durch ihren Gegenstandsbereich, sondern auch durch ihre Theorien und Methoden gekennzeichnet. So unterschiedlich die Aus‐ gangspositionen, das Selbstverständnis und die Zielsetzungen der Akteure innerhalb der Bewegungswissenschaft auch sein mögen, so zahlreich sind auch die Gemeinsam‐ keiten des bewegungswissenschaftlichen Methodenspektrums und ihrer Anwen‐ dungsbereiche. Beispielsweise sind Fragen nach den neurophysiologischen Grundla‐ gen von Bewegung und Bewegungslernen, nach der motorischen Entwicklung des Menschen, nach den Wahrnehmungsprozessen im Kontext von Bewegung oder aber auch nach der Pathomechanik des Bewegungsapparats sowohl Bestandteil einer all‐ gemeinen als auch einer speziell im sportwissenschaftlichen Kontext betriebenen Be‐ wegungswissenschaft (Mechling & Munzert, 2003, S. 13-15). Als Bewegungswissenschaft des Sports wird eine mehr grundlagenorientierte, zunehmend an internationalen Forschungstendenzen ausgerichtete Herange‐ hensweise an den Gegenstandsbereich bezeichnet, wohingegen die Bewegungs‐ lehre des Sports eine eher anwendungsorientierte Perspektive - insbesondere vor dem Hintergrund der im deutschen Sprachraum pädagogisch inspirierten Tra‐ dition der Sportwissenschaft - beschreibt. In beiden Begrifflichkeiten finden sich unterschiedliche Zielsetzungen und Zugangs‐ weisen zur Analyse sportlicher Bewegungen wieder. Diese erstrecken sich von einem auf sportpädagogisches Handeln orientierten, morphologischen Ansatz, über eine bi‐ omechanisch-physikalische Sichtweise, hin zu neurophysiologisch oder auch psycho‐ logisch geprägten Perspektiven auf den Bewegungsapparat, das Nerv-Muskelsystem und die zentralnervösen Prozesse der Bewegungssteuerung (Roth & Willimczik, 1999, S. 9-19; Wollny, 2007, S. 27-33). 3.7.2 Entstehung und Entwicklung der Bewegungswissenschaft Die ersten Bewegungswissenschaftler im engeren Sinne, die sich explizit mit dem Phä‐ nomen der menschlichen Bewegung auseinandersetzten, waren zum Ende des 19. Jahr‐ hunderts aktiv. Allerdings geht die bewegungswissenschaftliche Idee, die Bewegung des Menschen zu erklären, bis in die griechische Antike zurück. Eine umfassende Übersicht zur historischen Entwicklung von Bewegungslehre und Bewegungswissen‐ schaft liefern beispielsweise Göhner (1992, S. 13-23) sowie Mechling und Munzert (2003, S. 19-53). An dieser Stelle wird daher nicht die komplette historische Entwick‐ lung der Bewegungswissenschaft nachvollzogen, sondern für die heutige Situation der Bewegungswissenschaft entscheidende Aspekte herausgegriffen (Mechling & Munz‐ ert, 2003, S. 26-42). ■ Ein erster Meilenstein für die Entstehung einer Bewegungswissenschaft ist die Entwicklung der präzisen Zeitmessung, maßgeblich beeinflusst durch den nie‐ derländischen Physiker und Mathematiker Huygens (1629-1695). Bewegung zu 198 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 198 <?page no="199"?> erfassen und zu verstehen, erfordert die Einbeziehung von Zeit als Bezugsgröße und die Messung der Zeit ermöglichte vielen Wissenschaftsdisziplinen, insbe‐ sondere auch der Astronomie, einen großen Entwicklungssprung. Der Zeitbe‐ zug bzw. die zeitliche Komponente ist bis in die heutige Epoche ein fundamen‐ taler Eckpfeiler jeder Art von Bewegungsanalyse. ■ Ein weiterer Meilenstein wurde mit der Formulierung der Gesetze der klassischen Mechanik erreicht. Newton (1642-1726) leistete damit einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis für die Triebfeder der Bewegung von Körpern und den Antrieb unbelebter Materie in einem zunehmend mechanistischen Weltbild. Seine Erkenntnisse können als Basis für die Naturwissenschaft der Neuzeit an‐ gesehen werden. Eine solche Sichtweise wird bis heute im biomechanischen Ansatz der Bewegungswissenschaft gewählt. ■ Zur Zeit Newtons war jedoch weder im Bereich der Biologie noch der Medizin die Basis für die heutige Sichtweise menschlicher Bewegung gelegt. Beispiels‐ weise wurde der Antrieb für belebte Organismen immer noch in metaphysischen Erklärungen, z. B. der Seele als Antrieb des Lebens und der Bewegung, gesucht. Physiologische Erklärungen ließen noch bis Ende des 18. Jahrhunderts auf sich warten. Tierexperimentelle Untersuchungen in dieser Zeit legten nahe, dass es eine grundsätzliche Erregbarkeit und Eigenaktivität von Geweben gibt und damit keine zentrale Antriebsinstanz für Bewegungen erforderlich sein müsse. Die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts rasch voranschreitenden Erkenntnisse in der Physiologie und Neurophysiologie lassen erahnen, wieso die Bewegungs‐ wissenschaft insbesondere auch im internationalen Kontext bis heute eine starke physiologische Schwerpunktsetzung bekommen hat. Die Erkenntnisse zur Funktion des Gehirns, zur Innervation der Muskulatur oder aber auch zur messmethodischen Erfassung dieser elektrischen Potentiale stammen aus jener Zeit und eröffneten der Analyse menschlicher Bewegung völlig neue Wege. ■ Parallel dazu wurde mit der Perfektionierung der Fotografie ein geradezu ideales Werkzeug zur Bewegungsanalyse geschaffen. Die insbesondere auch für den deutschsprachigen Raum charakteristische Hinwendung zur Bewegungslehre der Leibesübungen war maßgeblich von bildlichen Darstellungen der Bewe‐ gungen inspiriert und getragen. Die Visualisierung von Bewegungsidealen, Technikleitbildern und Übungsreihen ist bis heute ein essenzieller Bestandteil einer pädagogisch orientierten Bewegungslehre des Sports. Die bildgebenden Verfahren haben jedoch in ebensolcher Weise eine biomechanische und mecha‐ nistische Sichtweise menschlicher Bewegung vorangetrieben. Die biomechani‐ sche Bewegungsanalyse profitiert heute wohl am meisten vom technischen Fortschritt der bildgebenden Verfahren, der sich mittlerweile in digitalen Bil‐ derfassungssystemen mit atemberaubender Bildfrequenz von mehreren Tau‐ send Bildern pro Sekunde manifestiert hat. ■ Eine der für die Entwicklung der Bewegungswissenschaft im 20. Jahrhundert bedeutendsten Persönlichkeiten ist der russische Biomechaniker und Physiologe 199 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 199 <?page no="200"?> Bernstein (1896-1966). Er integrierte die anatomisch-physiologischen, biome‐ chanisch-physikalischen und psychologischen Erkenntnisse seiner Zeit in eine bewegungswissenschaftliche Betrachtung der Koordination menschlicher Be‐ wegung. Dies wird umso deutlicher, als dass er als Pionier der Anwendung des systemdynamischen Ansatzes auf menschliche Bewegungen gesehen werden kann. Seine Erkenntnis, dass Variabilität und Schwankung biologischer Systeme keine Fehler oder unerwünschte Erscheinungen sind, sondern elementare Ei‐ genschaften der Anpassungsfähigkeit von Organismen an ihre Umwelt darstel‐ len, ist heute womöglich aktueller als je zuvor. Bei aller Begeisterung über den erreichten Fortschritt existieren auch Schattenseiten dieser Entwicklung. Wenn man sich die methodologische Genese der Bewegungswis‐ senschaft vor Augen führt, erkennt man - wie in anderen Humanwissenschaften auch - eine über den Verlauf des 20. Jahrhunderts hinweg beschleunigte Entwicklung hin zur experimentellen Forschung und der Generierung immer größerer Datenmengen in kurzer Zeit, nicht zuletzt getrieben durch eine Vielzahl neuartiger und finanziell er‐ schwinglicher Datenerhebungs- und Verarbeitungsmethoden, insbesondere auch durch die Methode der Computersimulation (Gramelsberger, 2010, S. 39-102). Die durch Mess- und Computertechnologie heute schnell und kostengünstig zu generie‐ rende Datenflut hat keinesfalls zu einem gleichsam beschleunigten Erkenntnisgewinn geführt. Sie schürt vielmehr die Gefahr, sich auf der Suche nach ursächlichen Erklä‐ rungen für die bewegungswissenschaftlichen Phänomene des Sports im Nebel statis‐ tischer Signifikanz und falsch interpretierter Daten zu verlieren. Diese Gefahr besteht nicht nur in der Bewegungswissenschaft, sondern in vielen anderen, empirisch ge‐ prägten Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen (Ziliak & McCloskey, 2012, S. 62-164; Peng, 2009; Guilak, 2017). Das Gebot der Stunde scheint deshalb auch in der Bewe‐ gungswissenschaft eine Rückbesinnung auf elementare theoretische Grundpositionen und deren systematische Weiterentwicklung zu sein. Nicht allein die Menge der durch‐ geführten Untersuchungen und erhobenen Daten ist entscheidend für den Erkennt‐ nisgewinn, sondern deren wohl durchdachtes theoretisches Fundament. Erkenntnis‐ gewinn lässt sich wohl am ehesten durch Methodenpluralismus, systematische experimentelle Wiederholung und einen im Sinne Mertons praktizierten, gesunden organisierten Skeptizismus über die ermittelten Resultate erreichen (Merton, 1985, S. 94). Das Konzept der Open Science stellt insbesondere auch für die Bewegungswissen‐ schaft einen interessanten Ansatz dar, derartigen Zielen gerecht werden zu können. 3.7.3 Themenfelder, Theorien und Methoden der Bewegungswissenschaft Wie bereits erwähnt, existieren innerhalb der Bewegungswissenschaft zahlreiche un‐ terschiedliche Themenfelder und Forschungsinteressen. Diese sind zum Teil historisch gewachsen, andere hingegen erst in jüngerer Zeit entstanden. Zu den eher traditio‐ nellen Themen gehört das funktionale Beschreiben und Kategorisieren sportlicher Be‐ wegungen. Themen wie beispielsweise die Bewegungsoptimierung im Spitzensport, 200 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 200 <?page no="201"?> die neurowissenschaftliche Analyse der Koordination von Teilbewegungen, das mo‐ torische Lernen im Sport, die Beanspruchung und Pathomechanik des Bewegungsap‐ parats oder die Optimierung von Sportgeräten kamen erst in den vergangenen Jahr‐ zehnten hinzu - als die Erkenntnisse der Mutterdisziplinen und die fortschreitende Entwicklung der Untersuchungsmethoden deren sinnvolle Bearbeitung ermöglichten. Abb. 3.7.1 gibt einen groben Überblick über die programmatische Vielfalt der Be‐ wegungswissenschaft. Sie manifestiert sich in unterschiedlichen Ansätzen der Bewe‐ gungswissenschaft, die jeweils mit unterschiedlichen theoretischen Vorannahmen und Grundpositionen einhergehen. In Anlehnung an Roth und Willimczik (1999, S. 12) werden biomechanische, fähigkeitsorientierte, funktionale und ganzheitlich orientierte Ansätze differenziert. Eine ähnliche Unterteilung findet sich bei Olivier, Rockmann und Krause (2013), Loosch (1999) und in Grundzügen auch bei Göhner (1992). Abb. 3.7.1: Unterschiedliche Ansätze und theoretische Grundpositionen innerhalb der Bewe‐ gungswissenschaft (Roth & Willimczik, 1999, S. 13) Theoretische Ansätze und Grundpositionen der Bewegungswissenschaft Der biomechanische Ansatz Die Newton’sche Mechanik stellt die theoretische Grundlage des biomechanischen Ansatzes dar. Sie beschreibt Bewegung als durch Kräfte verursachte Ortsveränderung von Körpern im Raum. Die dafür entscheidenden Größen sind die Länge, die Masse und die Zeit. Daraus abgeleitet werden Größen wie beispielsweise Geschwindigkeit, Beschleunigung und Kraft. Die besondere Rolle der Kinematik (Lehre von der Körper‐ bewegung im Raum) und der Dynamik (Lehre von den die Bewegung verursachenden Kräften) spiegelt sich sehr deutlich im Methodenspektrum dieses Ansatzes wider. 201 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 201 <?page no="202"?> Im Gegensatz zur klassischen Mechanik, die von unbelebten Körpern ausgeht, hat es die Biomechanik mit belebten Körpern zu tun. Diese sind von Natur aus variabel und weisen keine konstanten mechanischen Eigenschaften auf. Die biologischen Sys‐ temen innewohnende Variabilität steht damit einer deterministischen, d. h. eindeutig vorhersagbaren Betrachtung von Bewegung entgegen. Die Anwendung der Naturge‐ setze auf den sich bewegenden Menschen erfordert daher, dass man gewisse Abwei‐ chungen und Ungenauigkeiten bei Bewegungsausführungen erwarten und tolerieren muss - und damit in Konsequenz auch weniger präzise Vorhersagen über das Bewe‐ gungsergebnis entstehen. Daher wurden für die Analyse menschlicher Bewegungen im Sport biomechanische Prinzipien formuliert, die auf einer sehr allgemeinen Ebene Allgemeingültigkeit besitzen. Sie gestatten jedoch nur stochastische, d. h. auf Wahr‐ scheinlichkeiten beruhende Aussagen für einzelne Individuen (Roth & Willimczik, 1999, S. 55-56). Funktionale Ansätze Unter dem Begriff der Funktionalen Ansätze werden einige sehr unterschiedliche Kon‐ zepte subsummiert (insbesondere Roth & Willimczik, 1999, S. 127-226), deren gemein‐ samer Kern in der einer Bewegung zugrunde gelegten sinnhaften Prozessstruktur be‐ steht. Allen funktionalen Ansätzen gemein ist die Ansicht, dass Bewegung im Sport stets als Lösung einer Bewegungsaufgabe verstanden werden muss. Sportliche Bewe‐ gungen sind damit ziel- und zweckbezogen, die Frage nach dem wozu erhält Vorrang vor den Fragen nach dem anatomischen wodurch und dem biomechanischen wie (Roth & Willimczik, 1999, S. 127). Ein Beispiel eines funktionalen Ansatzes ist das Konzept der Funktionsanalysen (Göhner, 1992, S. 124-134). Bei Göhner bezieht sich diese vor‐ wiegend auf den Außenaspekt und die optisch wahrnehmbaren Bestandteile einer sportlichen Bewegung. Hier wird der Frage nachgegangen, welche Funktionen im Be‐ wegungsgeschehen zur Erreichung der Bewegungsziele zu erfüllen sind. Dabei werden Hauptfunktionsphasen (z. B. die Absprungbewegung beim Hochsprung) von Hilfs‐ funktionsphasen (z. B. dem Anlauf zum Absprung) unterschieden (Göhner, 1992, S. 131-134; Roth & Willimczik, 1999, S. 158-176). Andere funktionale Ansätze themati‐ sieren vorwiegend die Innenperspektive der Bewegungssteuerung aus psychologischer oder neurowissenschaftlicher Sicht. Sie beantworten eher die Frage, wie diese Funk‐ tionen erreicht werden (Roth & Willimczik, 1999, S. 131-158.). Der individuellen Wahr‐ nehmungsleistung des Menschen kommt hierbei entscheidende Bedeutung zu. Diese kann unbewusst oder bewusst erfolgen, und liefert oftmals wichtige Input-Daten zur Erklärung des Bewegungs-Outputs. Die verwendeten Begriffe input und output deuten bereits darauf hin, dass der sich bewegende Mensch und insbesondere dessen Informationsverarbeitung bis‐ weilen mit Hilfe der Metapher eines (zumeist seriell arbeitenden) Computers be‐ schrieben werden. Das bedeutet, dass die Steuerung von Bewegung letztendlich auf einen sequenziell ablaufenden Prozess von Wahrnehmung und Informati‐ onsverarbeitung, z. B. Entscheidungsregeln, Regelkreisgeschehen, oder auch Ab‐ 202 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 202 <?page no="203"?> 1 Einen umfassenden Überblick zur Motorikforschung liefern die Werke von Mechling und Munzert (2003) sowie Birklbauer (2006). ruf gespeicherter motorischer Programme, zurückgeführt wird (Roth & Willim‐ czik, 1999, S. 127-131). Der fähigkeitsorientierte Ansatz Grundlage des fähigkeitsorientierten Ansatzes ist die empirisch-analytische Motorik‐ forschung. 1 Diese ist bestrebt, individuell unterschiedliche motorische Leistungsfähig‐ keiten zu erklären. Dazu müssen der motorischen Leistungsfähigkeit zugrundeliegende individuelle Merkmale einer Person gefunden und wenn möglich trennscharf unter‐ schieden werden. Dieser Ansatz lehnt sich in seinen Grundzügen an die psychologische Persönlichkeitsforschung an (Roth & Willimczik, 1999, S. 227-229). Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist das Vorliegen individueller motorischer Merkmale, die einer‐ seits eine gewisse Streubreite zwischen Individuen aufweisen, andererseits aber über hinreichend lange Zeiträume intraindividuell stabil bleiben können. Als Beispiel ist hier die Kraftfähigkeit einer Person zu nennen, welche sich im Vergleich mit anderen Personen sehr gut differenzieren lässt, aber auf individueller Ebene auch über längere Zeiträume hinweg stabil bleibt und damit einer wiederholten Erhebung unter nahezu gleichen Rahmenbedingungen zugänglich ist. Eine solche Erhebung kann beispielsweise mittels sportmotorischer Tests erfolgen, die den Kernbestandteil einer fähigkeitsbezogenen Methodik der Bewegungswissen‐ schaft darstellen (Roth & Willimczik, 1999, S. 228). Dabei können sowohl motorische Fertigkeiten als auch motorische Fähigkeiten erhoben werden. Der Unterschied zwi‐ schen beiden Begrifflichkeiten ergibt sich durch eine Zuordnung zu eher spezifischen Bewegungsformen und Ausführungen (motorische Fertigkeiten, z. B. das einhändige Fangen eines Balls) oder aber den eher grundlegenderen motorischen Voraussetzungen für unterschiedliche Bewegungsformen (universelle motorische Fähigkeiten, z. B. kon‐ ditionelle Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit) (Roth & Willimczik, 1999, S. 231-257). Ganzheitliche Ansätze Unter der Bezeichnung Ganzheitliche Ansätze finden sich ähnlich wie bei den funktio‐ nalen Ansätzen einige, zum Teil sehr unterschiedliche Zugangsweisen zur Bewegungs‐ wissenschaft, die als gemeinsame Basis eine aus der Gestalttheorie entlehnte Grund‐ position vertreten. Diese besagt, dass das Ganze einer sportlichen Bewegung mehr ist als die Summe ihrer Teilbewegungen. Auf sportliche Bewegungen übertragen bezeich‐ net dies eine Sichtweise, in der eine analytische Zerlegung sportlicher Bewegungen, beispielsweise durch Analyse isolierter Teilbewegungen oder Bewegungsabschnitte, nicht als sinnvoll angesehen wird, da eine zeitliche Aneinanderreihung von Einzelbe‐ wegungen die sportliche Bewegung unzureichend repräsentiert. Es ist stets ein sub‐ jektorientierter Handlungs- und Wahrnehmungsbezug erforderlich. Diese theoretische 203 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 203 <?page no="204"?> Position findet ihren Niederschlag in einer Reihe ganz unterschiedlicher Herange‐ hensweisen an die Analyse menschlicher Bewegungen. So verfolgt die Morphologie ein explizit sportpädagogisches Interesse, die systemdynamischen Ansätze hingegen haben eine sportmotorische Basis und postulieren menschliche Bewegung als dynamisches Systemgeschehen (Roth & Willimczik, 1999, S. 75-78; Schubert, 2013). Ein einfaches Beispiel einer systemdynamischen Perspektive auf das Laufen ver‐ deutlicht die Intention einer ganzheitlichen Betrachtung sportlicher Bewegung. Ein Kennzeichen dynamischer Systeme ist, dass kleine Veränderungen einzelner Einfluss‐ größen mitunter große und sprunghafte Veränderungen des Gesamtsystems erzeugen können. Die Charakteristik einer sportlichen Laufbewegung (z. B. das koordinative Muster der Teilbewegungen des Läufers, der „Laufstil“) kann sich dabei während des Laufs, z. B. bei kleinen Geschwindigkeitssteigerungen oder aber dem Wechsel zu einem geringfügig anderen Laufuntergrund, mitunter deutlich verändern, um den Lauf als Ganzes zu stabilisieren oder zu ökonomisieren. Diese Übergänge von einem Zustand in einen anderen sind bei analytischer Zerle‐ gung des Laufs in anatomische und zeitliche Bestandteile - z. B. der detaillierten Ana‐ lyse einzelner Abrollvorgänge des Fußes - mitunter nicht mehr wahrnehmbar. Wenn also der Laufstil aus einer ganzheitlichen Perspektive heraus analysiert und beschrie‐ ben werden soll, dann müssen Variablen des Bewegungsablaufs und der Bewegungs‐ steuerung der Laufbewegung definiert werden, welche die Organisation des Gesamt‐ systems - also eine Beschreibung des „koordinativen Musters“ bzw. des „Laufstils“ als Ganzes - ermöglichen (Roth & Willimczik, 1999, S. 92-107). Methodenspektrum der Bewegungswissenschaft Die unterschiedlichen Ansätze der Bewegungswissenschaft unterscheiden sich nicht nur in den theoretischen Grundpositionen, aus welchen heraus das Phänomen der sportlichen Bewegung untersucht wird, sondern mitunter auch in der Art und Weise, wie solche Erkenntnisse gewonnen werden und mit welcher Art von Daten dies ge‐ schieht. Ein erheblicher Teil der heutigen bewegungswissenschaftlichen Forschung basiert auf quantitativer Empirie. Das bedeutet, dass mit Hilfe von durch Beobachtun‐ gen und Messungen erhobenen Daten Erkenntnisse über Bewegungsphänomene im Sport erlangt werden. Die Bewegungswissenschaft wird insbesondere auch durch ihre Methoden der Datenerhebung charakterisiert, die zum Großteil mehr oder weniger di‐ rekt zum Gebiet der Bewegungsanalyse zugeordnet werden können. In den folgenden Abschnitten sind diese überblicksartig zusammengefasst. Weitaus umfangreichere Darstellungen bewegungswissenschaftlicher Datenerhebungsmethoden finden sich beispielsweise bei Hamilton und Luttgens (2002), Roth und Willimczik (1999) oder auch Payton und Burden (2018). Methoden zur Analyse des Außenaspekts sportlicher Bewegungen Die Kinemetrie stellt eine direkte Methode der Erfassung äußerer Bewegungsmerkmale dar. Mit ihr werden Grundgrößen der Kinematik erfasst, also Ortsveränderungen von 204 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 204 <?page no="205"?> Körpern über die Zeit. Ein Großteil der kinemetrischen Verfahren basiert auf optischen, bildgebenden Verfahren, bei denen die Bewegung des zu analysierenden Objekts (z. B. Sportler, Sportgerät) durch eine Kamera erfasst und aufgezeichnet wird. Das Ziel ist, den Außenaspekt der Bewegung zunächst in Form einer Abbildung zu fixieren und damit einer zeitunabhängigen, detaillierten Analyse zugänglich zu machen. Insbeson‐ dere Bewegungsanalysen mit hohen Bewegungsgeschwindigkeiten der Objekte (z. B. Schlagtechniken im Golfsport, Körperpositionen beim Skispringen, Technikanalysen in der Leichtathletik) erfordern Bildmaterial, welches deutlich über das zeitliche Auf‐ lösungsvermögen des menschlichen Auges hinausgeht. Die Bildaufzeichnungsraten aktueller Systeme liegen daher oftmals deutlich jenseits von 1000 Bildern pro Sekunde. Mit dem Wandel von analogen zu digitalen Aufzeichnungstechniken ging auch der Wandel von zweizu dreidimensionalen kinemetrischen Systemen einher. Eine aus‐ führliche und sehr anschauliche Beschreibung der Funktionsweise derartiger Systeme liefern beispielsweise Payton und Hudson (2018) und Milner (2018). Allen bildgebenden Verfahren gemein ist die grundsätzliche Vorgehensweise, bei der das abgebildete Original der Bewegung in Form eines maßstäblich verklei‐ nerten Modells analysiert wird. Sämtliche am Modell erhobenen Messgrößen (z. B. Körperschwerpunktspositionen) können in realweltliche Daten umgerech‐ net und damit für die Praxis (z. B. eine Rückmeldung an den Athleten über die korrekte Position in einer bestimmten Bewegungsphase) nutzbar gemacht wer‐ den. Abseits der bildgebenden Verfahren werden in der Kinemetrie auch akustische und elektromechanische Verfahren genutzt. Anstelle von optischer Information zur Posi‐ tionsveränderung von Körpern im Raum kommen hierbei andere technische Prinzipien zum Einsatz. Die akustischen Verfahren beruhen auf Laufzeitdifferenzen von Ultra‐ schallsignalen (Time-of-flight-Prinzip), wohingegen die elektromechanischen Verfah‐ ren die Bewegung auf direkte mechanische Weise in ein elektrisch messbares Signal übertragen, beispielsweise in Form eines Elektrogoniometers (Wollny, 2007, S. 287- 291). Eine weitere kinemetrische Methode stellt die Akzelerometrie (Beschleunigungs‐ messung) dar. Aktuelle Beschleunigungssensoren arbeiten auf Basis der Massenträg‐ heit, welche eine Verformung der mikromechanischen Bauteile des Sensors bei Be‐ schleunigung desselben auslöst und dadurch (ähnlich der dynamometrischen Messungen) die Beschleunigung des Sensors messbar macht. Beschleunigungssensoren sind mittlerweile auf die Größe eines Stecknadelkopfes miniaturisierbar, dabei zugleich kostengünstig und extrem robust. Kombinationen aus Akzelerometern (Beschleuni‐ gungssensoren) und Gyrometern (Drehratensensoren) ergeben einen Inertialsensor. Dadurch ist es möglich, durch Kombination der ausgegebenen Signale die Orientierung des Sensors im Raum über die Zeit nachzuvollziehen. Wird ein solcher Sensor an einer definierten Position eines Probanden befestigt, z. B. am Schuh eines Läufers, können 205 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 205 <?page no="206"?> 2 Kraftmessplattformen sind in aller Regel ortsfest installierte Messvorrichtungen für Bodenreakti‐ onskräfte. Eine anschauliche Beschreibung der Funktionsweise findet sich bei Chockalingam und Healy (2018, S. 93-97) und auch bei Wollny (2007, S. 299-300). 3 Ein Dehnungsmessstreifen ist ein Kraftaufnehmer, welcher in vielen Bauformen und Größen exis‐ tiert. Er reagiert schon auf kleinste Verformungen mit einer messbaren Änderung des elektrischen Widerstands und eignet sich daher sehr gut für Anwendungen, bei denen die eingeleiteten Kräfte nur geringe Verformungen bewirken (Wollny, 2007, S. 299). dadurch einige kinemetrische Informationen wie Schrittfrequenzen und Rotationsge‐ schwindigkeiten des Schuhs beim Lauf ermittelt werden. Die Dynamometrie umfasst all jene Verfahren, die im Gegensatz zur Kinemetrie nicht die Bewegung, sondern die der Bewegung zugrunde liegenden oder daraus resultie‐ renden Kräfte erfassen. Sie bezieht sich dabei zunächst nur auf die extern am mensch‐ lichen Körper wirkenden und messbaren Kräfte. Eine direkte Erfassung interner Kräfte, z. B. Muskelkräfte, ist derzeit nicht möglich, deren Schätzung erfolgt durch die Methode der inversen Dynamik. Die klassische Dynamometie nutzt sowohl Kraftals auch Druckaufnehmer zur Erfassung der externen Kräfte. Es existieren zahlreiche unter‐ schiedliche Messprinzipien dieser Sensoren. Den meisten Messprinzipien ist gemein, dass eine durch die Krafteinwirkung hervorgerufene Verformung des Messelements ein elektrisch messbares Signal hervorruft. ■ Kraftaufnehmer kommen in vielen Bau- und Anwendungsformen zum Einsatz. Weitverbreitet sind die sogenannten Kraftmessplattformen 2 , welche zur Analyse von Lauf-, Sprung- und Gangbewegungen genutzt werden. Es existieren zahl‐ reiche weitere Arten der Kraftmessung im Sport, unter anderem durch auf Sportgeräte aufgebrachte Dehnungsmessstreifen. 3 Ein klassisches Beispiel hier‐ für ist die Messung der Pedalkraft im Radsport durch eine derart instrumentierte Kurbelgarnitur. ■ Bei Druckmessungen sind im Gegensatz zu reinen Kraftmessungen oftmals zahlreiche kleine, in Form einer Matrix ausgerichtete Sensoren im Einsatz. Dies hat den Vorteil, dass die in der Realität oftmals über Kontaktflächen in den Kör‐ per eingeleiteten Kräfte in ihrer örtlichen Verteilung im Detail dargestellt und analysiert werden können (Chockalingam & Healy, 2018, S. 108-112; Wollny, 2007, S. 301). Methoden zur Analyse des Innenaspekts sportlicher Bewegungen Die Elektromyografie (EMG) stellt eine indirekte Methode der Bewegungsanalyse dar, denn sie erfasst weder Kräfte noch Ortsveränderung von Körpern, sondern die elek‐ trische Aktivität des sich kontrahierenden Muskels. Dadurch wird es möglich, den motorischen (Innen-)Aspekt menschlicher Bewegung zu quantifizieren. Das Ziel der Elektromyografie ist, Informationen zur zeitlichen Koordination der an der Bewegung beteiligten Muskeln oder aber auch zu Ermüdungs- und Beanspruchungsreaktionen der Muskeln zu gewinnen (Wollny, 2007, S. 310-316). 206 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 206 <?page no="207"?> Die Elektromyografie wird entweder durch auf der Hautoberfläche angebrachte Elektroden oder aber per in den Muskel eingebrachten Nadel- oder Drahtelektroden durchgeführt. Erstere Variante stellt die im Sport einzig praktikable und häufig einge‐ setzte nicht-invasive Methode dar, deren Signalqualität aber durch die zwischen Muskel und Hautoberfläche liegenden Gewebeschichten beeinträchtigt wird. Bei invasiver Messung direkt am Muskel tritt dieses Problem zwar nicht auf, allerdings sind Nadel- oder Drahtelektroden weitaus schwieriger zu anzubringen und aufwändiger in der Handhabung. Ihr Einsatzgebiet liegt meist in der klinisch-neurologischen Bewertung der Muskelfunktion, weniger in der sportbezogenen Muskelaktivitätsmessung. Die Elektromyografie misst das bei Muskelkontraktion entlang der Muskelfaser ent‐ stehende elektrische Aktionspotential oder die überlagerten Summen mehrerer Akti‐ onspotentiale der an einem Muskel aktiven motorischen Einheiten. Für eine aussage‐ kräftige Anwendung der Elektromyografie sind daher detaillierte Kenntnisse der Muskelanatomie und -physiologie des Menschen erforderlich. Die gemessenen elek‐ trischen Signale bewegen sich dabei im Bereich von wenigen μV und müssen vor der Analyse erheblich verstärkt werden. Signalrauschen und Abschwächung der Signale kann daher rasch zur Unbrauchbarkeit der EMG-Daten führen. Aus diesem Grund können mit der Oberflächenelektromyografie auch lediglich Messungen an den nahe an der Körperoberfläche liegenden Muskeln vorgenommen werden, da die Signale der tiefer liegenden Muskelgruppen nicht bis zur Hautoberfläche durchdringen oder aber durch die Aktionspotentiale darüberliegender Muskelschichten überlagert werden. Viele der für sportliche Bewegungen interessanten Muskelgruppen sind aber für die Oberflächenelektromyografie gut zugänglich, beispielsweise die Beinstrecker und -beuger, die Bauch-, Schulter-, Arm- und Brustsowie bestimmte Anteile der Rücken‐ muskulatur. Motorische Testverfahren dienen zur Bestimmung der motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche für das direkt beobachtbare motorische Lösungsresultat einer Be‐ wegungsaufgabe zur Verfügung stehen. Diese stellen sich als Kraft-, Schnelligkeits-, Ausdauer-, Koordinationsund/ oder Beweglichkeitsfähigkeiten dar. Motorische Tests dienen damit der Leistungsbestimmung oder auch der Verlaufs- und Erfolgskontrolle von Trainings- und Vermittlungsmethoden sportlicher Bewegungsformen (Wollny, 2007, S. 51-55). Im Gegensatz zu den oben dargestellten bewegungsanalytischen Messverfahren wird bei motorischen Tests meist nicht der Bewegungsverlauf an sich betrachtet, son‐ dern das Resultat einer Bewegung erfasst. Dabei ist meist deutlich weniger instrumen‐ teller Aufwand notwendig, da mit simplen Messverfahren wie Zeitmessung, Längen‐ messung oder aber Abzählen der Anzahl an absolvierten Wiederholungen pro Zeiteinheit gearbeitet werden kann. Ihr Einsatz ist daher zumeist vergleichsweise ein‐ fach und kostengünstig, die Ergebnisse liegen meist unmittelbar nach Durchführung des Tests vor. Die Intention besteht auch gezielt darin, sportliche Bewegungsformen nicht analytisch in kleinste Bestandteile zu zergliedern, sondern die Lösungsqualität der Bewegungsaufgabe für einzelne Individuen zu beurteilen. Ein bekanntes Beispiel 207 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 207 <?page no="208"?> eines motorischen Tests ist der Cooper-Test: Hierbei wird die innerhalb von zwölf Mi‐ nuten zurückgelegte Laufdistanz zur Beurteilung der Ausdauerleistungsfähigkeit her‐ angezogen. Einen umfassenden Überblick zu motorischen Testverfahren liefert Bös (2017). Theoretische Modellierung sportlicher Bewegungen Die bewegungswissenschaftliche Modellbildung hat zum Ziel, die in der Realität sport‐ licher Bewegung oftmals durch die Eigenschaften biologischer Systeme bedingten Störgrößen in einem Experiment zu eliminieren und dabei prinzipielle Zusammen‐ hänge der erhobenen Variablen zu untersuchen. Wird ein Experiment unter Einbeziehung menschlicher Probanden durchgeführt, ist das Ziel, die unabhängige, beeinflussende Variable gezielt zu manipulieren und die dadurch verursachten Auswirkungen auf die abhängige, beeinflusste Variable zu er‐ fassen. Wenn also beispielsweise der vibrationsdämpfende und damit muskelentlas‐ tende Effekt von Faserverbundwerkstoffen im Sportgerätebau untersucht werden soll, kann dies in experimenteller Form nur durch wiederholte Versuchsreihen mit unter‐ schiedlichen Bauformen der Sportgeräte und der simultanen Erfassung der Zielgröße, z. B. der muskulären Beanspruchung und Ermüdung des Probanden, geschehen. Da‐ durch, dass unterschiedliche Versuchsreihen nacheinander absolviert werden müssen, womöglich mit zwischenzeitlichen Erholungspausen von mehreren Tagen, können Störgrößen (z. B. eine zwischenzeitliche Adaptation des Sportlers an das Gerät, eine durch Trainingseffekte eingetretene veränderte Leistungsfähigkeit) nicht vollständig eliminiert werden. Eine kausale Aussage, inwiefern die Bauform des Sportgeräts die Zielvariable Ermüdung verändert, ist daher stets mit statistischen Unsicherheiten und möglichen Interpretationsfehlern behaftet. Einen Ausweg aus der Omnipräsenz von Störgrößen in experimentellen Untersu‐ chungen stellt die theoretische Modellierung des untersuchten Sachverhalts dar. Hier‐ bei wird eine Modellumgebung definiert, in welcher die interessierenden Variablen unter absoluter Konstanthaltung aller weiteren Größen isoliert verändert werden kön‐ nen und eine direkte kausale Auswirkung auf die Zielvariable ersichtlich wird. Die Durchführung eines solchen theoretischen, auf Modellrechnungen basierenden Expe‐ riments nennt sich Modellsimulation. Im biomechanischen Ansatz der Bewegungswis‐ senschaft sind derartige Modellsimulationen weitverbreitet, es wird dabei zwischen einer invers-dynamischen und einer vorwärts-dynamischen Modellrechnung unter‐ schieden (Yeadon & King, 2018, S. 222-243). Der invers-dynamischen Modellrechnung liegt eine Bewegungscharakteristik aus kinemetrischen und dynamometrischen Messungen am Menschen zugrunde. Als Zielgrößen können die auf den Bewegungsapparat wirksamen internen Kräfte berechnet werden. Somit sind Aussagen über dessen innere Belastungen möglich. Der vorwärts-dynamische Modelltypus gibt demgegenüber die internen Muskel‐ kräfte vor und berechnet aus diesen die daraus resultierende Bewegung. 208 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 208 <?page no="209"?> Beide Vorgehensweisen erfordern zunächst eine geeignete Modellbildung, bei der die Eigenschaften des menschlichen Bewegungsapparats (unter anderem die Länge und Masseverteilung der Extremitäten, die Lage und mechanische Charakteristik der Mus‐ keln, Sehnen und Knochen sowie die Lage und Orientierung der Gelenkdrehachsen) in geeigneter Weise vereinfacht werden. Je simpler die Modelleigenschaften und je größer der Vereinfachungsgrad, je weiter die Modelleigenschaften vom Original abweichen und je weniger relevante Einflussgrößen im Modell berücksichtigt werden können, desto schlechter lässt sich das Ergebnis der Simulation auf die Realität übertragen. Je komplexer das Modell und je mehr relevante Einflussgrößen abgebildet werden kön‐ nen, desto besser wird die Übertragbarkeit der Resultate auf reale Sachverhalte. Aus‐ führliche Darstellungen der bewegungswissenschaftlichen Modellbildung finden sich beispielsweise bei Yeadon und King (2018, S. 222-243) und Wollny (2007, S. 335-343). 3.7.4 Verhältnis der Bewegungswissenschaft zur Sportpraxis Der unmittelbar in die Praxis überführbare Erkenntniswert der Bewegungswissen‐ schaft ist äußerst vielfältig. Zumeist besteht der primäre Nutzen bewegungswissen‐ schaftlicher Forschungsarbeiten darin, eine Beschreibung, Erklärung oder Bewertung der analysierten Bewegungen vor dem Hintergrund der Leistungsverbesserung, der Technikoptimierung, der Prävention und Rehabilitation von (Sport-)Verletzungen oder auch der Auswirkung von Sportgerätetechnologien auf den Sportler vorzunehmen. Eine Vielzahl sportpraktischer Anwendungsfelder profitiert damit von Ergebnissen bewegungswissenschaftlicher Forschung: Trainer und Athleten nutzen sie zur Leis‐ tungsoptimierung und Trainingsgestaltung, Ingenieure zur Entwicklung funktioneller Sportgeräte, Ärzte und Therapeuten zur adäquaten Gestaltung von Therapien sowie zur Prävention und Rehabilitation von Verletzungen oder auch Sportlehrer und Übungsleiter zur geeigneten Technikvermittlung und Visualisierung im Sportunter‐ richt. Bewegungswissenschaft spielt heute nicht nur im direkten Umfeld des Sports eine wichtige Rolle, sondern auch im gesamten Komplex des Gesundheitswesens. Bewe‐ gungsanalysen werden in vielen Bereichen des klinischen Alltags eingesetzt, insbe‐ sondere in der Beurteilung krankheitsbedingter Einschränkungen der körperlichen Mobilität, bei neurologischen Erkrankungen, in der prä- und post-operativen Diagnos‐ tik bei Gelenkersatz oder in der Diabetologie. Auch im industriellen Umfeld des Ge‐ sundheitswesens werden bewegungswissenschaftliche Erkenntnisse genutzt, um bei‐ spielsweise die Beurteilung der durch Lastenhandhabung verursachten Gefahren an Arbeitsplätzen vorzunehmen. Bewegungswissenschaftliche Methoden sind mittlerweile fester Bestandteil in der Förderung des Spitzensports. Zahlreiche Olympiastützpunkte arbeiten - wenngleich meist sportmedizinisch dominiert - mit bewegungswissenschaftlichen und bewe‐ gungsanalytischen Methoden. Gleichzeitig muss konstatiert werden, dass sich die Be‐ wegungswissenschaft auf institutioneller Ebene im Gesundheitswesen bislang keines‐ 209 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 209 <?page no="210"?> 4 Eine Valgus-Stellung im Kniegelenk ergibt sich aus einer frontalen Betrachtungsperspektive, wenn das Zentrum des Kniegelenks innerhalb (medial) der gedachten Verbindungslinie zwischen Hüft- und Sprunggelenk liegt (X-Bein Stellung). falls fest etabliert hat. Die Kosten bewegungswissenschaftlicher Analysen werden nur selten durch die Kostenträger im Gesundheitssystem abgedeckt, so dass deren An‐ wendung wohl auf absehbare Zeit optional bleibt. Praxisbeispiel: Verletzungsprävention im Kinder- und Jugendhandball Im Thema Kinder und Jugendliche im Spitzensport finden sich zahlreiche bewe‐ gungswissenschaftliche Forschungsbeispiele für die Anwendung motorischer Tests. Die grundlegende Forschungsfrage ist zumeist talentprognostischer Natur, d. h. man fragt danach, wie man die für die anvisierte sportliche Laufbahn ent‐ scheidenden physischen Leistungsfaktoren schon im möglichst frühen Alter er‐ mitteln kann, um Fördermaßnahmen wirksam und ökonomisch sinnvoll zu ka‐ nalisieren. Dieses sehr instrumentelle Verständnis einer bewegungswissenschaftlichen Forschung steht an dieser Stelle jedoch nicht im Vordergrund. Stattdessen wird auf ein Praxisbeispiel zurückgegriffen, in dem ein verlet‐ zungspräventiver Aspekt bei jungen Spitzenhandballerinnen untersucht wurde (Bencke et al., 2013). Ziel der Studie war, die Belastung des Kniegelenks bei schnellen Richtungswechseln zu ermitteln. Dadurch sollte sowohl ein theore‐ tisches Verständnis für den Verletzungsmechanismus des vorderen Kreuzband‐ risses (VKBR) als auch eine Erkenntnis über mögliche Präventions- und The‐ rapiestrategien gewonnen werden. Da das Verletzungsbild VKBR vermehrt bei Frauen auftritt, wurden hierfür junge Spitzenhandballerinnen untersucht. Das Untersuchungsdesign beinhaltete die Durchführung von je fünf maximal schnellkräftig ausgeführten Richtungswechseln, mit dem dominanten und nicht dominanten Bein. Während der Bewegungsausführung wurden sowohl eine Kinemetrie der Probanden als auch die Dynamometrie der Bodenreakti‐ onskräfte durchgeführt. In Kombination beider Methoden und unter Zuhilfe‐ nahme eines biomechanischen Körpermodells wurden durch inverse Dynamik die in den jeweiligen Gelenken wirkenden Kräfte und Momente geschätzt. Die Ergebnisse deuten an, dass offenbar keine systematische Seitendifferenz zwischen dominantem und nicht dominantem Bein vorliegt. Sie zeigen darüber hinaus, welche Muskelgruppen der unteren Extremität dafür verantwortlich sind, die unmittelbar nach dem Fußaufsatz auftretenden Spitzenwerte der wir‐ kenden Gelenkmomente abzufangen Insbesondere die medialen Anteile der is‐ chiocruralen Muskulatur können den auftretenden Valgus 4 -Momenten im Kniegelenk entgegenwirken. Für die Prävention des VKBR im Handball ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, diese Muskelgruppen besonders zu trainieren. 210 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 210 <?page no="211"?> Diese Untersuchung kann als ein klassisches Beispiel eines biomechanisch ori‐ entierten Forschungsansatzes gelten, in dem in empirisch-analytischer Weise und unter Zuhilfenahme aufwändiger Messmethoden, biomechanischer Model‐ lierung und statistischer Verfahren eine Belastung des menschlichen Körpers berechnet - oder besser: abgeschätzt - wurde. Allerdings bleiben auch nach der‐ art aufwändigen Studien viele Fragen offen. Ungeachtet einiger grundlegender Schwächen der eingesetzten Messmethodik kann man die berechtigte Frage stellen, inwiefern die in einer solchen Labor‐ studie untersuchte Bewegung das tatsächliche Verletzungsgeschehen im Spit‐ zensport überhaupt abbilden kann. Ganz im Sinne einer ganzheitlichen For‐ schungsperspektive müsste man Kritik dahingehend äußern, dass die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Handballpraxis aus folgenden Gründen fragwürdig erscheint: (a) der Laufweg der Athletinnen war vorgegeben, die Bewegung konnte also antizipiert werden, (b) es war keine Gegenspielerin vor‐ handen und es fand auch keine Ablenkung durch andere Akteurinnen auf dem Spielfeld statt. Womöglich wurde auch (c) ein vollkommen anderer Untergrund mit gänzlich anderen mechanischen Eigenschaften (Dämpfung, Reibung) ver‐ wendet - dieser Aspekt geht aus dem Artikel leider nicht hervor, wäre aber für die Interpretation der Ergebnisse und deren Übertragbarkeit in den Handball‐ sport sehr wichtig. Darüber hinaus (d) verletzte sich keine der Athletinnen bei den Tests. Dieser zunächst natürlich glückliche Umstand kehrt sich hinsichtlich der Aussagekraft der Ergebnisse ins Gegenteil um. Es wird schnell ersichtlich, dass der Rückschluss auf einen realen Verletzungsmechanismus aus solchen Labordaten notwendigerweise hypothetisch bleiben muss und die wirkenden Momente im Kniegelenk keinesfalls ursächlich für ein Verletzungsgeschehen sein müssen. Die Ergebnisse stellen insofern lediglich eine plausible Theorie dar, deren Bewährung jedoch noch aussteht. Ohne einen Methodenpluralismus - d. h. zum Beispiel eine zusätzliche bewe‐ gungsanalytische Aufarbeitung von tatsächlich stattgefundenen VKBR-Verlet‐ zungen im Handballsport - können die abgeleiteten theoretischen Aussagen der Studie jedoch kaum auf Plausibilität geprüft werden. Die Herausforderung der Bewegungswissenschaft besteht genau darin, die methodologischen Schwächen der einzelnen Ansätze durch Hinzunahme anderer Methoden und Ansätze zu kompensieren und damit zu einem möglichst umfassenden Erklä‐ rungsmodell für sportliche Bewegungsphänomene zu gelangen. 211 3.7 Bewegungswissenschaft (Christian Maiwald) 211 <?page no="212"?> Kontrollfragen 1. Die Bewegungswissenschaft kann als integrative Wissenschaftsdisziplin charakterisiert werden. Was ist unter einer solchen Charakterisierung zu verstehen? 2. Innerhalb der Bewegungswissenschaft existieren unterschiedliche Zugang‐ sperspektiven und Grundpositionen. Welche vier Ansätze werden in An‐ lehnung an Roth und Willimczik unterschieden und wie sind diese vonein‐ ander abzugrenzen? 3. Die Bewegungsanalyse gilt als eine sehr allgemeine, zentrale Methode der Bewegungswissenschaft, die sich dabei sowohl auf den Außenals auch den Innenaspekt von Bewegung beziehen kann. Erläutern Sie die Unterschei‐ dung zwischen Innen- und Außenaspekt sportlicher Bewegung. Welche Konsequenz hat diese Differenzierung auf die Anwendung bewegungsanal‐ ytischer Techniken? 4. Zwei zentrale Datenerhebungsmethoden der Bewegungswissenschaft sind die Kinemetrie und die Dynamometrie. Charakterisieren Sie typische Fra‐ gestellungen, welche mit diesen Methoden bearbeitet werden können. Wie lassen sich Kinemetrie und Dynamometrie gewinnbringend im schulischen Sportunterricht einsetzen? Literatur Bencke, J., Curtis, D., Krogshede, C., Jensen, L. K., Bandholm, T. & Kreutzfeldt Zebis, M. (2013). Biomechanical evaluation of the side-cutting manoeuvre associated with ACL injury in young female handball players. Knee Surgergy, Sports Traumatology, Arthroscopy, 21, 1876-1881. Birklbauer, J. (2006). Modelle der Motorik. Eine vergleichende Analyse moderner Kontroll-, Steuer‐ ungs- und Lernkonzepte. Aachen: Meyer & Meyer. Bös, K. (2017). Handbuch motorische Tests. Sportmotorische Tests, motorische Funktionstests, Fra‐ gebogen zur körperlich-sportlichen Aktivität und sportpsychologische Diagnoseverfahren (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe. Chockalingam, N. & Healy, A. (2018). Measurement of external forces. In C. J. Payton & A. Burden (Hrsg.), Biomechanical Evaluation of Movement in Sports and Exercise (pp. 91-115). Abingdon, New York: Routledge. Göhner, U. (1992). Einführung in die Bewegungslehre. Teil 1: Die sportlichen Bewegungen. Schorn‐ dorf: Hofmann. Gramelsberger, G. (2010). Computerexperimente. Zum Wandel der Wissenschaft im Zeitalter des Computers. Bielefeld: Transcript-Verlag. Guilak, F. (2017). New tools for Content Innovation and data sharing: Enhancing reproducibility and rigor in biomechanics research. Journal of Biomechanics, 54 (21), 1-3. 212 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 212 <?page no="213"?> Hamilton, N. & Luttgens, K. (2002). Kinesiology. Scientific basis of human motion (10. Auflage). Boston u. a.: McGraw-Hill. Loosch, E. (1999). Allgemeine Bewegungslehre. Wiebelsheim: Limpert. Mechling, H. & Munzert, J. (2003). Handbuch Bewegungswissenschaft, Bewegungslehre. Schorn‐ dorf: Hofmann. Merton, R.K. (1985). Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Aufsätze zur Wissen‐ schaftssoziologie. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Milner, C. E. (2018). Motion analysis using on-line systems. In C. J. Payton & A. Burden (Hrsg.), Biomechanical Evaluation of Movement in Sport and Exercise (pp. 69-90). Abingdon, New York: Routledge. Olivier, N., Rockmann, U. & Krause, D. (2013). Grundlagen der Bewegungswissenschaft und -lehre (2. Auflage). Schorndorf: Hofmann. Payton, C. J. & Burden, A. (Hrsg.). (2018). Biomechanical Evaluation of Movement in Sport and Exercise (2 nd edition). Abingdon, New York: Routledge. Payton, C. J. & Hudson, C. R. (2018). Motion analysis using video. In C. J. Payton & A. Burden (Hrsg.), Biomechanical Evaluation of Movement in Sports and Exercise (pp. 44-68). Abingdon, New York: Routledge. Peng, R. D. (2009). Reproducible research and Biostatistics. Biostatistics, 10 (3), 405-408. Roth, K. & Willimczik, K. (1999). Bewegungswissenschaft. Reinbek: Rowohlt. Schubert, P. (2013). Die Anwendung nichtlinearer Verfahren zur charakterisierung der mensch‐ lichen Variabilität aus Zeitreihen. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 64 (5), 132-140. Wollny, R. (2007). Bewegungswissenschaft. Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Aachen: Meyer & Meyer. Yeadon, M. R. & King, M. A. (2018). Computer simulation modelling in sport. In C. J. Payton & A. Burden (Eds.), Biomechanical Evaluation of Movement in Sport and Exercise (pp. 221-254). Abingdon, New York: Routledge. Ziliak, S. T. & McCloskey, D. N. (2012). The cult of statistical significance. How the standard error costs us jobs, justice, and lives. Ann Arbor, Mich: Univ. of Michigan Press. Zschorlich, V. (2000). Von der Sportwissenschaft zur Bewegungswissenschaft - Eine Entwick‐ lungsperspektive aus naturwissenschaftlicher Sicht. dvs-Informationen, 15 (4), 17-19. 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) Der Begriff Training findet im Kontext des Sports vielfältige Verwendung. Beispiels‐ weise sind sportliche Höchstleistungen, wie sie bei internationalen Großereignissen präsentiert werden, das Ergebnis eines langjährigen Trainings. Auch bei Breitensport‐ lern, die regelmäßig ein Fitnessstudio besuchen, um ihr Körpergewicht zu reduzieren, spricht man von Training. Manch anderer hat ein Training aufgenommen und hier‐ durch die alltagsbegleitenden Rückenschmerzen verringert oder der altersbedingten Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit entgegengewirkt. 213 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 213 <?page no="214"?> Aus den genannten Phänomenen lassen sich aus wissenschaftlicher Sicht zwei über‐ geordnete Fragen ableiten: 1. Welches sind die konkreten Ziele, die durch die Aufnahme eines Trainings verfolgt werden sollen? und 2. Wie ist das Training zu gestalten, um die gesetzten Ziele zu erreichen? Während die erste Frage auf den Anwendungsbereich von Training orientiert ist, ist die zweite Frage auf die Planung, Durchführung und Auswertung des Trainings ausgerichtet. Beide Fragen sind untrennbar miteinander verknüpft und bilden den übergeordneten Rahmen dessen, womit sich die Trainings‐ wissenschaft beschäftigt. Lernziele ■ Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Trainingswissen‐ schaft beschäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind. ■ Sie erkennen, wie die Trainingswissenschaft entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihrer Mut‐ terwissenschaft bestehen. ■ Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Trainings‐ wissenschaft kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Trai‐ ningswissenschaft den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Problem-/ Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen. ■ Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Trainingswissenschaft zur Sport‐ praxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren For‐ schungsergebnissen beimisst. 3.8.1 Einführung - Phänomene und Themen der Trainingswissenschaft Zum Gegenstand „Training“ Die Trainingswissenschaft trägt den zentralen Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Bemühungen bereits im Namen: Training. Allerdings erfordert die vielfältige Verwen‐ dung des Begriffs eine inhaltliche Abgrenzung. Wie bereits die eingangs geschilderten Phänomene verdeutlichen, ist Training für die Trainingswissenschaft ausschließlich im Sportkontext von Interesse, so dass andere Verwendungszusammenhänge, bei‐ spielsweise beim Gedächtnis-, Manager- oder Anti-Gewalt-Training hier unberück‐ sichtigt bleiben. Dabei wird der Sportbezug in erster Linie über die Ziele hergestellt, die mit Training erreicht werden sollen. Während von der Trainingslehre zunächst das Training und damit auch die Ziele ausschließlich im Leistungssport verortet wurden, wird aktuell in der Trainingswissenschaft durchgängig ein weiteres Begriffsverständ‐ nis proklamiert (Hohmann, Lames & Letzelter, 2010; Hottenrott & Neumann, 2010; Olivier, Marschall & Büsch, 2008; Schnabel, Harre & Krug, 2008; Martin, Carl & Lehn‐ 214 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 214 <?page no="215"?> ertz, 1991). Bereits Ballreich und Kuhlow (1975) führten verschiedene Lernzielkatego‐ rien ein, unterschieden zwischen verschiedenen Könnens- und Interessensstufen und begründeten damit den „offenen“ Trainingsbegriff. „Training ist offen für alle, vom Anfänger über den Fortgeschrittenen bis zum Spitzensportler, vom Schüler über den Jugendlichen, den Aktiven bis zum Al‐ terssportler, für den, der seine Leistung steigern, für den, der seine Fitness er‐ halten aber auch für den, der sie wiederherstellen will“ (Hohmann et al., 2010, S. 13). Aus Perspektive einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand „Training“ lässt sich nach Hohmann et al. (2010, S. 14) für die Zielebene eine weitere Begriffsdifferenzierung vornehmen. Training kann im Kontext von Sport sowohl auf Ziele im Sport ausgerichtet sein, z. B. die Verbesserung der Wettkampfleistung, als auch auf solche Ziele, die durch Sport erreicht werden, z. B. die Reduktion des Körperge‐ wichts. Aus der Öffnung der Trainingswissenschaft für Anwendungsfelder außerhalb des Leistungssports leitet sich gleichzeitig eine Öffnung gegenüber außersportlichen Zielen ab, wie sie beispielsweise im Integrations-, Schul- oder Abenteuersport verfolgt werden. Die besondere trainingswissenschaftliche Perspektive besteht in einer ganzheitli‐ chen Betrachtung des Trainings, die über die biologischen Anpassungsprozesse hinaus das menschliche Verhalten einschließlich des soziokulturellen Kontextes in den Blick nimmt. Mit diesem ganzheitlichen und umfassenden Trainingsbegriff grenzt sich die Trainingswissenschaft deutlich von anderen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen wie der Sportmedizin oder der Sportpsychologie ab. Aus der Erweiterung der Begriffsbedeutung von Training ergeben sich weitrei‐ chende Konsequenzen für den Zuständigkeitsbereich der Trainingswissenschaft, die jedoch nicht von allen Vertretern in dieser weitreichenden Form mitgetragen wird. Während Hottenrott und Neumann (2010) einen vergleichbar offenen Trainingsbegriff zugrunde legen, distanzieren sich andere Autoren hiervon und sehen die Ziele von Training ausschließlich in der Einwirkung auf die sportliche Leistung, die sportliche Leistungsfähigkeit, den Leistungszustand oder das sportmotorische Können (Martin et al., 1991; Schnabel et al., 2008; Olivier et al., 2008). Mit dieser Eingrenzung wird jedoch übersehen, dass dem Training als komplexem Handlungsprozess in den wenigsten Szenarien eine eindimensionale Zielperspektive zugrunde liegt. Insbesondere in den Anwendungsfeldern außerhalb des Leistungssports, z. B. dem Schulsport oder dem Breitensport, besteht zumeist ein Geflecht aus unterschiedlichen Zielen, deren Priori‐ täten sich unter Umständen im Trainingsverlauf auch verschieben können. Ferner las‐ sen sich innerhalb eines Anwendungsfelds zwischen den Individuen Unterschiede in der Zielhierarchie ausmachen (Schnabel, 2008b). Im Hinblick auf die forschungsstra‐ tegische Ausrichtung und damit das Selbstverständnis der Trainingswissenschaft ist dies von richtungsweisender Bedeutung, nicht zuletzt deshalb, weil mit der Öffnung 215 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 215 <?page no="216"?> 1 Zur kritischen Diskussion des offenen Trainingsbegriffs siehe Hohmann et al. (2010, S. 16-17). für sportexterne Ziele stärker Fragen der Prozessgestaltung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt werden. „Training ist die planmäßige und systematische Realisation von Maßnahmen (Trainingsinhalte und Trainingsmethoden) zur nachhaltigen Erreichung von Zielen (Trainingszielen) im und durch Sport“ (Hohmann et al., 2010, S. 14-15). Planmäßig bezieht sich hierbei auf die Angabe von Maßnahmen zur Zielerreichung, denen längerfristige Vorüberlegungen zugrunde liegen und die wissenschaftlich be‐ gründet oder zumindest erfahrungsgestützt sind. Ferner sind Kontrollverfahren in die Planung einzubeziehen, um zu überprüfen, inwieweit bereits realisierte Maßnahmen im Hinblick auf das formulierte Ziel erfolgreich gewesen sind. Eine systematische Durchführung der Maßnahmen ist gegeben, wenn Trainingsziele aus einer detaillierten Analyse des Anwendungsfelds abgeleitet werden (Zielkataloge) und zwar in einer ganzheitlichen und umfassenden Form. Trainingsinhalte und -methoden sind Merkmale zur Gestaltung des Trainings und müssen im Hinblick auf die Ziele bzw. Teilziele spe‐ zifiziert werden. Während mit den Inhalten die Art der Tätigkeit beschrieben wird, über deren Vollzug bestimmte Trainingsziele angesteuert werden, kennzeichnen die Methoden, wie die Trainingsinhalte zielgerichtet gestaltet werden. Nach Martin et al. (1991, S. 34) betreffen Inhaltsentscheidungen das „Was? “, Methodenentscheidungen das „Wie? “ von Training. Über Trainingsziele wird der Anwendungsbereich definiert. Legt man konsequent einen offenen Trainingsbegriff zugrunde, bestehen hier keinerlei Ein‐ schränkungen, lediglich die Nachhaltigkeit der Ziele muss gegeben sein, d. h., sie müs‐ sen über das durchgeführte Training hinausgehen (Hohmann et al., 2010, S. 15). Trai‐ ningsziele im Sport sind auf Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit oder der Wettkampfleistung ausgerichtet und dokumentieren eine leistungssportliche Orien‐ tierung. Das Leistungsniveau spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Durch Sport ver‐ folgte Trainingsziele sind primär aus dem jeweiligen Anwendungsfeld entlehnt. Ins‐ gesamt ist jedoch zu konstatieren, dass mit Training selten nur eine Zielstellung verfolgt wird, sondern sportinterne und -externe Ziele sich vor allem in Anwendungsfeldern außerhalb des Leistungssports gegenseitig bedingen (Schnabel, 2008b, S. 17-18). Be‐ steht beispielsweise das Ziel darin, gesundheitsfördernde Ressourcen zu stärken, das körperliche Wohlbefinden zu erhöhen oder Aggressionen abzubauen, um die soziale Integration zu befördern, erfolgt dies im Allgemeinen über eine Steigerung der kör‐ perlichen Leistungsfähigkeit bzw. ist diese eine unabdingbare „Begleiterscheinung“. 1 Ausgehend von der dargestellten Begriffsverortung ist das Erkenntnisinteresse der Trainingswissenschaft zum einen auf die inhaltliche und methodische Gestaltung des Trainingsprozesses ausgerichtet, was sowohl die einzelne Trainingseinheit als auch den längerfristigen Trainingsaufbau betrifft. Zum anderen werden die Zielgrößen des Trainings, beispielsweise die sportliche Leistungsfähigkeit oder die Wettkampfleis‐ tung, zum trainingswissenschaftlichen Gegenstand erhoben. 216 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 216 <?page no="217"?> Selbstverständnis und Forschungsstrategien Für die Trainingswissenschaft im Sinne einer Wissenschaftsdisziplin mit eigenem Ge‐ genstand gibt es in der angloamerikanisch geprägten internationalen Wissenschafts‐ landschaft keine Entsprechung. Die thematische Breite des Gegenstands „Training“ wird international durch verschiedene Gebiete wie „Exercise Physiology“, „Perfor‐ mance Analysis“, „Notational Analysis“, „Motor Control“, „Training and Testing“, „Sports Biomechanics“ usw. abgedeckt, deren wissenschaftliche Bearbeitung zum Teil völlig getrennt voneinander erfolgt. Dies ist vermutlich ein wesentlicher Grund dafür, dass bisher für die Trainingswissenschaft keine internationale Wissenschaftsorgani‐ sation existiert. In Westdeutschland wurde mit dem 1982 erschienen Band „Trainingswissenschaft“ (Ballreich, Baumann, Haase, Ulmer & Wasmund-Bodenstedt, 1982) eine Debatte zum Wissenschaftsverständnis der Trainingswissenschaft begonnen, die bis heute anhält (Lames, Pfeiffer, Hohmann & Horn, 2013). Anlass war die Feststellung, dass die Erfor‐ schung von Trainingsprozessen bis dato von verschiedenen Disziplinen mit ihrer je spezifischen Perspektive übernommen wurde, was im Ergebnis zu einer gewissen „Au‐ tonomie wissenschaftlicher Erklärungsmodelle“ (Martin, 1993, S. 10) führte. Die weit‐ gehend unabhängig voneinander generierten Erkenntnisse trugen durch additive An‐ ordnung kaum zum Verständnis der komplexen Phänomene von Training bei. Folglich ist die interdisziplinäre Integration von Teilaspekten anderer Wissenschaften seither ein zentrales Merkmal des Selbstverständnisses der Trainingswissenschaft. Sie impli‐ ziert eine umfassende, d. h. ganzheitliche Betrachtung des Trainings. Ungeachtet ver‐ schiedener Auffassungen in wissenschaftstheoretischen Detailfragen besteht heute weitgehend Konsens über die Einordnung der Trainingswissenschaft als integrative, empirische und angewandte Wissenschaft. Die integrative Funktion der Trainingswissenschaft lässt sich nach Hohmann (1999, S. 37) über eine Einordnung ihrer Aussagen auf einem Kontinuum „zunehmend kom‐ plexer Konstrukte“ mit den Polen molekularer Strukturen (Biologie, Chemie, Physik) und molarer praktischer Handlungskategorien (Sportpraxis) veranschaulichen (vgl. Abb. 3.8.1). Die vertikale Anordnung verweist auf die Mittlerfunktion der Trainingswissenschaft zwischen Basiswissenschaften und Trainingspraxis. Gleichzeitig werden trainingswis‐ senschaftliche Erkenntnisse auf einem mittleren Abstraktionsniveau verortet. Die ho‐ rizontale Verknüpfung zu anderen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen, die Aussa‐ gen zum sportlichen Training mit geringerem Abstraktionsniveau bereitstellen, dokumentiert den integrativen Anspruch der Trainingswissenschaft als „Querschnitts‐ wissenschaft“ (Hohmann, 1999, S. 38). 217 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 217 <?page no="218"?> Abb. 3.8.1: Die Trainingswissenschaft als integrative Wissenschaft zwischen Trainingspraxis und ausgewählten Basiswissenschaften (Hohmann, 1999, S. 38) Mit der Charakterisierung als empirische Wissenschaft wird eine wissenschaftstheo‐ retische Position vertreten, wonach die Prüfung der zunächst hypothetischen Aussagen und Theorien an der Erfahrung, d. h. der Realität vorgenommen wird (Westermann, 2000, S. 203-210; Willimczik, 2002). Diese Prüfung erfolgt in der Regel durch den Ein‐ satz wissenschaftlicher Verfahren und Methoden, deren Anerkennung eine Konvention der jeweiligen Scientific Community darstellt. Mit diesem Kriterium grenzt sich die Trainingswissenschaft, vor allem historisch betrachtet, von der Trainingslehre ab. Das Alleinstellungsmerkmal der Trainingswissenschaft gegenüber anderen sport‐ wissenschaftlichen Disziplinen ist die Beanspruchung einer dominanten Anwendungs‐ orientierung. Sie kann nach Lames (1999, S. 49) als „Wissenschaft der Interventionen im/ durch Sport“ bezeichnet werden. Den wichtigsten Ausgangspunkt trainingswis‐ senschaftlicher Fragestellungen stellt der Handlungsprozess sportlichen Trainings dar. Damit nimmt die Umsetzbarkeit in der Trainingspraxis bei der Zielperspektive trai‐ ningswissenschaftlicher Forschung eine führende Stellung ein (Lames et al., 2013). Die Ausrichtung von Forschungsstrategien in der Trainingswissenschaft, um das notwendige Wissen zur Fundierung von Training und Wettkampf zu generieren, ist eng verbunden mit ihrem Selbstverständnis. Hieraus abgeleitet wurden zunächst Me‐ thoden der Grundlagen- und Anwendungsforschung als zentrale Zugangsweisen zum Gegenstand Training herausgestellt. Basierend auf einer differenzierten Kennzeich‐ nung der Besonderheiten von Trainingsprozessen hat Lames (1999) die Evaluations‐ 218 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 218 <?page no="219"?> forschung als zu den beiden anderen Typen komplementäre Forschungsstrategie in die Trainingswissenschaft eingebracht. „Die Aufgabe der wissenschaftlichen Fundierung praktischen Handelns im Sport kann nur durch den Einsatz eines Spektrums an Forschungsstrategien be‐ wältigt werden. Die einzelnen Strategien generieren verschiedene Formen von Wissen, haben eigene Methoden und jeweils eigene Qualitätsmaßstäbe. Es wer‐ den die Forschungsstrategien der Grundlagenforschung, Anwendungsforschung und Evaluationsforschung unterschieden“ (Hohmann et al., 2010, S. 30; Hervor‐ hebungen im Original). Grundlagenforschung ist im allgemeinen Verständnis der Wissenschaft rein erkennt‐ nisorientierte Forschung mit dem Ziel, Hintergrundwissen zu fundamentalen Fragen und Problemstellungen einer Disziplin zu generieren. Sie fragt nicht nach dem Nutzen oder den Anwendungsmöglichkeiten ihrer Ergebnisse. In der Trainingswissenschaft ist hierfür ein breites Spektrum an gesichertem Hintergrundwissen sowohl zur Struk‐ tur der Trainingsziele als auch zu den grundlegenden Anpassungsmechanismen bei körperlicher Beanspruchung notwendige Voraussetzung. Während auf dem Gebiet der basalen Mechanismen der Trainingswirkung zentrale Forschungsarbeiten in den Ba‐ siswissenschaften geleistet werden (vgl. Abb. 3.8.1), liegen die Felder der trainingswis‐ senschaftlichen Grundlagenforschung vornehmlich in der Strukturierung von Ziel‐ größen sowie der Analyse von Trainingswirkungen. Theoretische Ansätze (Modellvorstellungen) werden u. a. zu folgenden Themen entwickelt: ■ Talentforschung: Determinanten des sportlichen Talents einschließlich ihrer Wechselwirkungen (Talentkriterien); ■ Strukturierung sportlicher Leistungen (Leistungsdiagnostik): Komponenten/ Leistungsvoraussetzungen sportlicher Leistungen einschließlich deren Wech‐ selwirkungen und ihrer Leistungsrelevanz; ■ Trainingswirkungsanalyse: Modelle zur prozessualen Abbildung der Relation von Training und Leistung. Anwendungsforschung ist hingegen am praktischen Nutzen der Ergebnisse orientiert und leitet ihr Forschungs- und Erkenntnisinteresse aus alltäglichen gesellschaftlichen Problemen ab (Martin, 1993, S. 17-18). Hierfür ist sowohl Veränderungswissen als auch Optimierungswissen zu generieren (Auhagen & Bierhoff, 2003, S. 2). Beim Veränder‐ ungswissen geht es um die Frage, wie das Training zu gestalten ist, damit der er‐ wünschte Effekt im Sinne des formulierten Trainingsziels eintritt. „Welche Form des Krafttrainings muss angewandt werden, um die Maximalkraft zu steigern? “ Demge‐ genüber soll Optimierungswissen dazu beitragen, den Trainingsprozess derart zu ge‐ stalten, dass das Ziel entweder durch einen geringeren Ressourceneinsatz oder zeitlich früher als mit bisher überprüften Trainingsmaßnahmen erreicht wird: „Wie ist bei ei‐ nem achtwöchigen Maximalkrafttraining die Pausenlänge zwischen den Serien zu ge‐ stalten, um einen möglichst großen Kraftzuwachs zu erreichen? “ Es gilt also, die Phä‐ 219 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 219 <?page no="220"?> nomene von Training zu beobachten, sie adäquat zu erfassen, zu erklären, vorherzusagen und daraus Handlungsempfehlungen für das Training abzuleiten. „Die Forschungsstrategie Anwendungsforschung versteht sich als opera‐ tiv-technologische Strategie mit dem Ziel, konkrete Handlungsanweisungen (technologische Regeln) wissenschaftliche zu begründen. Man kann sie als ‚Kern‐ geschäft‘ der Trainingswissenschaft betrachten“ (Hohmann et al., 2010, S. 32; Hervorhebungen im Original). Evaluationsforschung kennzeichnet die systematische Anwendung wissenschaftlicher Methoden zur Bewertung einer Intervention in Bezug auf ■ das Konzept (Sind die Maßnahmen aus nachvollziehbaren Annahmen abgelei‐ tet? ), ■ die Implementation (Ist es gelungen, dieses Konzept in der Anwendungssitua‐ tion umzusetzen? ), ■ die Wirksamkeit (Sind die erwünschten Wirkungen eingetreten und uner‐ wünschte Nebenwirkungen ausgeblieben? ) und ■ die Effektivität (Wurden die erwünschten Effekte mit einem vertretbaren Auf‐ wand erzielt? ) (Rossi & Freeman, 1993). Aus trainingswissenschaftlicher Sicht besteht das Ziel der Evaluationsforschung in der wissenschaftlichen Dokumentation und Bewertung von Trainingsmaßnahmen, und zwar aus ganzheitlicher Perspektive. Evaluative Forschungsansätze haben den Vorteil, dass mit ihnen inhaltliche, strukturelle und organisatorische Ebenen integrativ be‐ trachtet werden können. Nach Lames (1999, S. 60) ist die Vielfalt der Ursachen, die Scheitern oder Gelingen einer Trainingsintervention beeinflussen, unter dem Para‐ digma der Evaluationsforschung besonders adäquat abzubilden. Abschließend ist das Verhältnis von Trainingswissenschaft und Trainingslehre zu klären, weil 1. beide Begriffe sowohl im trainingspraktischen Handlungsfeld als auch in den sportwissenschaftlichen Studiengängen (einschl. der Lehrbücher zum Fach) Verwendung finden und 2. bisweilen der Unterschied zwischen beiden nicht deutlich genug herausgestellt wird (vgl. Abb. 3.8.2). 220 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 220 <?page no="221"?> Abb. 3.8.2: Wissensbestände von Trainingswissenschaft, Trainingslehre und Sportpraxis (Hoh‐ mann et al., 2010, S. 25) Trainingswissenschaft umfasst die Menge wissenschaftlich geprüfter Aussagen und Theorien zu den Gegenstandsbereichen Training, Leistung(-sfähigkeit) und Wett‐ kampf. Demgegenüber sammelt die Trainingslehre systematisch allgemeine hand‐ lungsrelevante Aussagen zum Training, sowohl aus wissenschaftlichen Beiträgen als auch aus Erfahrungswissen der am Trainingsprozess beteiligten Personen. Die Sport‐ praxis greift auf sämtliche handlungsrelevanten Aussagen zurück, wissenschaftlich bewährt oder nicht, allgemeingültig oder einzelfallbezogen, soweit hierin eine Opti‐ mierung des eigenen Tuns gesehen wird (Hohmann et al., 2010, S. 25). Abweichend von dieser Auffassung ist nach Hottenrott und Neumann (2010) die Trainingslehre ein Teil der Trainingswissenschaft, die „eine systematische Aufberei‐ tung aller handlungsrelevanten Aussagen für die Sportpraxis“ (Hottenrott & Neumann, 2010, S. 13) umfasst. 3.8.2 Entstehung und Entwicklung der Trainingswissenschaft Die Entstehung einer Wissenschaft kann nicht an einem konkreten Ereignis festge‐ macht werden, vielmehr handelt es sich um einen Prozess, einen Weg, der anhand markanter Einflüsse und ausgewählter Meilensteine beschrieben werden kann. Das Verhältnis von Trainingswissenschaft und Trainingslehre besteht nicht nur in einer gemeinsamen Schnittmenge an Wissensbeständen, historisch gesehen ist die Trai‐ ningswissenschaft aus der Trainingslehre hervorgegangen. 221 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 221 <?page no="222"?> Die Trainingslehre hat ihren Ursprung in den sportartspezifischen Trainingskon‐ zepten erfolgreicher Trainer und Athleten, den so genannten „Meisterlehren“ (Schna‐ bel et al., 2008, S. 13). Nach Harre und Schnabel (1993, S. 25) waren es die in den 1930er Jahren entwickelten Ansätze der Leichtathletik, auf deren Grundlage Anfang der 1950er Jahre die Allgemeine Trainingslehre erarbeitet wurde. Diese frühen Arbeiten bestanden zunächst darin, die Aussagen der Meisterlehren zu systematisieren und die Erkenntnisse angrenzender Wissenschaften wie Biologie oder Medizin hinsichtlich ih‐ rer Beitragsfähigkeit zum sportlichen Training zu prüfen. An der Trainerfakultät der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig wurde erstmals eine Lehr‐ veranstaltung zur Allgemeinen Trainingslehre abgehalten, was eine leistungssportli‐ che Ausrichtung implizierte. Mit der Aufnahme des Lehrgebiets in die Diplomsport‐ lehrerausbildung an der DHfK 1955/ 56 und der Einrichtung eines Lehrstuhls für Allgemeine Theorie und Methodik des Trainings 1956 rückten neben dem Leistungs‐ sport auch erstmals weitere Anwendungsfelder, z. B. Schulsport, in den Blickpunkt des Fachs. Die zeitgleiche Entwicklung der Sportmedizin, mit Beiträgen zur strukturellen und funktionellen Anpassung bei körperlicher Beanspruchung, trug ebenfalls zur wei‐ teren Ausarbeitung einer Trainingslehre bei. Sie wurde neben den naturwissenschaft‐ lichen Disziplinen weiterhin von pädagogisch-didaktischen Positionen der Körper-/ Leibeserziehung geprägt. Erste Ansätze einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin Trainingslehre bildeten sich Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre zunächst in der DDR, später auch in der BRD heraus. In der Zeit zwischen 1960 und 1980 erschienen im deutschsprachigen Raum zahlreiche Fachbücher zu Themen der Trainings. Die Orientierung an wissen‐ schaftstheoretischen Positionen und der Ausbau der empirischen Forschung führten Anfang der 1970er Jahre zum Gebrauch des Begriffs Trainingswissenschaft (Ballreich & Kuhlow, 1975). Nicht zuletzt aufgrund der Trennung von wissenschaftlich geprüften und nichtgeprüften Aussagen zum sportlichen Training wurde bis in die 1990er Jahre im akademischen Bereich (Fachbücher, Lehrveranstaltungen) - und wird manchen Orts noch heute - der Terminus „Trainingslehre“ verwendet. Mit der Gründung einer ei‐ genständigen Sektion „Trainingswissenschaft“ in der Deutschen Vereinigung für Sport‐ wissenschaft (dvs) erfolgte 1992 die institutionelle Verankerung in der Wissenschafts‐ organisation. Nach Lames et al. (2013) hat sich die Trainingswissenschaft „neben der Sportpädagogik/ Sportdidaktik und der Sportmedizin als ein Kernstück der Sportwis‐ senschaft und somit als Eckpfeiler der Grundausstattung eines universitären Sportins‐ tituts etabliert.“ Der Trainingswissenschaft ist es nach der Sportmedizin wohl am ehes‐ ten gelungen, auch in akademisch geprägte Einrichtungen außerhalb der Universitäten zu wirken. Neben den 22 Olympiastützpunkten zeigt sich dies am deutlichsten am Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), das seine trainingswis‐ senschaftliche Ausrichtung durch die prägnante Namensgebung dokumentiert. 222 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 222 <?page no="223"?> 2 Hohmann et al. (2010) verwenden hier die Bezeichnung „Leistungsfähigkeit“ und begründen dies in Anlehnung an das Fähigkeitskonzept mit der Behandlung relativ überdauernder sportlich relevanter Persönlichkeitsmerkmale sowie der Vermeidung von Überschneidungen mit dem Wettkampf. Sport‐ liche Leistungen, definiert als „Einheit von Vollzug und Ergebnis einer sportlichen Handlung bzw. einer komplexen Handlungsfolge, gemessen bzw. bewertet an bestimmten sozial determinierten Normen“ (Schnabel, 2008b, S. 39), können jedoch auch im Trainingsprozess oder im Sportunterricht, also außerhalb eines sportlichen Wettkampfs, erbracht werden. Im vorliegenden Beitrag wird deshalb der Begriff „sportliche Leistung“ verwendet und damit ist immer auch - falls nicht explizit darauf hingewiesen wird - die sportliche Leistungsfähigkeit mitgedacht. Die in einem Wettkampf erbrachte sportliche Leistung wird entsprechend begrifflich als Wettkampfleistung abgegrenzt. 3 Hier werden ausschließlich grundlegende Theorien und Modelle des Trainings erörtert. Die inhaltliche und methodische Spezifizierung im Hinblick auf eine Zielgröße ist dem Gegenstandsbereich „sportliche Leistung“ zugeordnet. 3.8.3 Themenfelder, Theorien und Methoden der Trainingswissenschaft Mit der definitorischen Abgrenzung des Trainingsbegriffs wurde zunächst der über‐ geordnete Rahmen dessen, womit sich die Trainingswissenschaft beschäftigt, abge‐ steckt. Dabei wurde mit der inhaltlichen und methodischen Gestaltung des Trainings die Prozessebene angesprochen, die Trainingsziele kennzeichnen die Produktebene. Auf der Produktebene haben solche Ziele, die auf eine Beeinflussung der sportlichen Leis‐ tungsfähigkeit zum Zweck der Präsentation in einem sportlichen Wettkampf abzielen, eine besondere Bedeutung. Solche Bewährungssituationen existieren ausschließlich im leistungssportlichen Anwendungsfeld, in dem sich Training und Wettkampf einander bedingen (Thieß, 1994, S. 6). Hiervon zu unterscheiden sind Ziele - auch im außer‐ sportlichen Anwendungsfeld -, die durch eine überdauernde Veränderung einzelner Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit oder ausschließlich durch die sport‐ liche Betätigung selbst (z. B. Freude am Sport/ an der Bewegung) erreicht werden sollen. Akzeptiert man diese zweigeteilte Differenzierung der Ziele, lassen sich drei Gegen‐ standsbereiche der Trainingswissenschaft ableiten: das sportliche Training, die sport‐ liche Leistung  2 und der sportliche Wettkampf. Nachfolgend werden typische Themenfelder und Forschungsmethoden der drei Ge‐ genstandsbereiche beschrieben, wobei das Training als zentraler Gegenstand der Trai‐ ningswissenschaft umfassender behandelt wird. Training 3 In der Trainingswissenschaft wurde das Belastungs-Beanspruchungs-Paradigma der Arbeitswissenschaft aufgegriffen, um Modellansätze zum sportlichen Training zu ent‐ wickeln (u. a. Schlicht, 1992; Olivier, 2001). Mit der Übernahme dieses Konzepts lassen sich in Anlehnung an Hohmann et al. (2010, S. 161-162) Theorien und Modelle zum sportlichen Training danach unterscheiden, ob sie die Belastung (Außenperspektive) oder die Beanspruchung (Innenperspektive) betreffen. Ein weiterer Arbeitsschwer‐ punkt der Trainingswissenschaft besteht in der Untersuchung von Trainingsmethoden zu verschiedenen Leistungsvoraussetzungen. 223 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 223 <?page no="224"?> Außenperspektive der Trainingssteuerung Hier stehen die operativen Interventionsstrategien, d. h. sämtliche Fragen der Gestal‐ tung des Trainingsprozesses im Vordergrund. Dieser Bereich wird in der Trainings‐ wissenschaft als Trainingssteuerung bezeichnet. Sie umfasst alle kurz-, mittel- und langfristigen Planungs-, Trainings-, Kontroll- und Lenkungsmaßnahmen zur Errei‐ chung der Trainingsziele (Martin et al., 1991, S. 29; Berger, 2008, S. 399; Hottenrott & Neumann, 2010, S. 244; Hohmann, Lames & Letzelter, 2007, S. 172; Olivier et al., 2008, S. 56). Modelle zur Trainingssteuerung sind überwiegend einem kybernetischen Ansatz verpflichtet, wonach der Ablauf des Trainingsprozesses mit Hilfe eines Regelkreises beschrieben wird. In Anlehnung an technische Regelkreise (z. B. ein Thermostat) wird davon ausgegangen, dass sich die sportliche Leistung durch die Stellgröße „Training“ exakt regeln lässt, auch wenn im Vergleich zum technischen Vorbild im Training er‐ heblich mehr unvorhersehbare Einflüsse (Störgrößen) wirken. Der Regelkreis der Trainingssteuerung beginnt mit der Trainingsplanung, die u. a. den Sollwert vorgibt. Anschließend erfolgt die Trainingsdurchführung mit dem Ziel, auf die Leistung/ Leistungsfähigkeit einzuwirken. Über die nachgeschaltete Trainingskontrolle werden relevanten Informationen des realisierten Trainings erfasst und für die Trainingsauswertung (Soll-Ist-Vergleich) aufbereitet (Hoh‐ mann et al., 2010, S. 172). Die Ergebnisse der Trainingsauswertung wirken auf die Trainingsplanung in der Art, dass im Fall der Deckung von Soll- und Istwert die Vorabplanungen bestätigt und bei Abweichungen diese korrigiert werden. Dar‐ über hinaus können aus der Trainingsauswertung konkrete Empfehlungen für die zukünftige Planung des Trainings abgeleitet werden (vgl. Abb. 3.8.3). Abb. 3.8.3: Modell der Trainingssteuerung (nach Hohmann et al., 2010, S. 179) 224 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 224 <?page no="225"?> Allerdings zeigen die Erfahrungen, dass eine präzise Steuerung von Leistungskenn‐ größen - wenn überhaupt - nur bei entsprechender Reduktion auf einzelne Teilpro‐ zesse und gleichzeitigem Ausschluss trainingstypischer Störgrößen gelingt. Die ky‐ bernetische Betrachtungsweise beschränkt sich wohl auch deshalb weitgehend auf die Übernahme metatheoretischer Grundgedanken, im Wesentlichen wird auf der Ebene von Strukturmodellen argumentiert. Dafür gibt es mehrere Gründe: ■ Anpassungsprozesse infolge körperlicher Belastungen sind dynamisch, d. h. Anpassungen erfolgen zeitlich verzögert und identische Reizreplikationen in‐ duzieren beim Trainierenden aufgrund des veränderten Leistungszustands kaum identische Beanspruchungen. ■ Anpassungsprozesse weisen sowohl hinsichtlich der Ausprägungsqualität und -quantität als auch hinsichtlich der zeitlichen Dimension eine hohe interindivi‐ duelle Variabilität auf. ■ Auch bei einem systematischen Trainingsaufbau werden die physiologischen Anpassungsmechanismen nur selten isoliert ausgelöst, d. h. Trainingsinterven‐ tionen wirken auf das „Gesamtsystem“ des Trainierenden und damit zeitgleich auf unterschiedliche motorische und psychische Dimensionen. Aus den genannten Gründen besteht zwischen dem Training - in Form der Trainings‐ belastung oder -beanspruchung - und der sportlichen Leistung oder deren Kompo‐ nenten eine nichtlineare Beziehung. Damit ist der kybernetische Ansatz mit den vor‐ gelegten linearen und deterministischen Modellen für das Verstehen und Erklären so komplexer menschlicher Verhaltensweisen unzureichend (Tschacher & Brunner, 1997; Kriz, 1999). Allein die große Zahl verschiedener Anpassungssysteme bis auf die Zell‐ ebene hinab verdeutlicht die Begrenzung linear-deterministischer Ansätze zur Be‐ schreibung und Erklärung menschlicher Anpassungsprozesse (Mester & Perl, 2000; Gerok, 1989). Die aufgrund dessen in vielen Natur- und Sozialwissenschaften eingekehrte Be‐ trachtungsweise der beforschten Phänomene als komplexe dynamische Systeme und der damit verbundene Paradigmenwechsel von linearen zu nichtlinearen mathemati‐ schen Modellen wurde jüngst von Lames (1996) und Hohmann et al. (2010) als „ganz‐ heitliche Perspektive“ in die Trainingswissenschaft eingebracht. Seither wurden sys‐ temdynamische Ansätze auch von anderen Autoren aufgenommen (Hottenrott & Neumann, 2010, S. 257; Hoffmann, 2008, S. 436-437). Insgesamt muss jedoch konstatiert werden, dass die systemdynamische Betrachtungsweise sachlogisch zur Analyse von Trainingsprozessen geeignet scheint, die verschiedenen Ansätze bislang jedoch eben‐ falls nicht über die metaphorische Übernahme grundlegender Gedanken und Begriff‐ lichkeiten der zugrundgelegten Theorie hinausgehen. Die Übertragung auf den ge‐ samten Komplex der Trainingssteuerung einschließlich der empirischen Überprüfung hat sich zu einer lohnenswerten Forschungsaufgabe entwickelt und kann erste Ergeb‐ nisse aufweisen (u. a. Rasche & Pfeiffer, 2018 zum Thema Trainingswirkungsanalyse oder Memmert, Lemmink, Koen & Sampaio, 2017 zur Spielanalyse). 225 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 225 <?page no="226"?> 4 Hier wird von der ursprünglichen Bezeichnung „Superkompensation“ abgewichen, da Anpassungen auf energetischer Ebene vielfältig und nicht in ihrer Gesamtheit mit diesem biologischen Modell er‐ klärt werden können. Mit „Adaptation“ wird sich der Terminologie von Hohmann et al. (2010, S. 162) angeschlossen. Innenperspektive des Trainings Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen hier funktionelle und strukturelle Anpassungs‐ vorgänge im Trainierenden, die für die Leistungsveränderungen verantwortlich sind. In Anlehnung an Schnabel (2008b, S. 60-62) sind hierbei zwei zentrale Mechanismen der Anpassung zu unterscheiden. Leistungsveränderungen durch Informationsorganisation beziehen sich auf die durch Training hervorgerufene funktionelle Höherorganisation bewegungskontrollierender Funktionssysteme. Demgegenüber werden Leistungsverän‐ derungen durch Adaptation  4 abgegrenzt. Sie basieren auf einer morphologisch-funktio‐ nellen Anpassung energieliefernder und energieübertragender Funktionssysteme. Leistungsveränderung durch Informationsorganisation: Erfahrungsabhängige und überdauernde Veränderungen organismischer Teilsysteme und -prozesse der Bewe‐ gungsinitiierung und -kontrolle werden als Informationsorganisation bezeichnet (Schnabel, 2008a, S. 61). Diese - auf die Leistungskomponenten „Technik“ und „Taktik“ bezogenen - Veränderungsprozesse sind bei der trainingswissenschaftlichen Betrach‐ tung zum sportlichen Training gesondert zu behandeln, da sie entgegen der energe‐ tisch-organischen Adaptation keine reaktiven Prozesse darstellen, sondern aktive Züge tragen. Die theoretischen Grundlagen zur Beschreibung und Erklärung dieser Phäno‐ mene stammen mehrheitlich aus Bewegungswissenschaft, Psychologie, Physiologie und Biomechanik. Im Einzelnen sind hier Modelle zur motorischen Kontrolle, zum motorischen Lernen (z. B. Programmtheorien, Informationsverarbeitungsansätze) und zum Entscheidungsverhalten (z. B. Motivationsmodelle, Erwartungs-Wert-Theorien) zu nennen. Hohmann et al. (2010, S. 169-170) schlagen als gemeinsame Konvergenz‐ basis zur Erklärung von Veränderungen im Bereich der Informationsorganisation das Modell der antizipativen Verhaltenskontrolle von Hoffmann (1993) vor. Leistungsveränderung durch Adaptation: Zur Erklärung grundlegender physiologi‐ scher Adaptationsmechanismen entwickelte die Trainingswissenschaft verschiedene Theoriepositionen, von denen das Modell der Superkompensation den größten Bekannt‐ heitsgrad erworben hat. Es gründet im Wesentlichen auf dem biologisch-medizinischen Ansatz, wonach körperliche Belastung zu einer Funktionsminderung (Ermüdung) und zu einer Restitution (Wiederherstellung) führt, die in verschiedenen biologischen Sys‐ temen unterschiedliche Zeitverläufe aufweisen können (Dickhuth & Gollhofer, 2007, S. 30). Um sich durch Training auf ein geändertes Homöostaseniveau, d. h. in Richtung einer geänderten Leistungsfähigkeit zu bewegen, erfolgt im Anschluss an die Restitu‐ tion bei manchen physiologischen Teilsystemen eine positive Adaptation. Ausgehend vom Phänomen der gegenüber Abbauprozessen potenziell intensi‐ veren Erholungsprozesse wurde von Jakowlew (1977) das Modell der Superkom‐ 226 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 226 <?page no="227"?> 5 Eine kritische Diskussion führt Tschiene (2006). pensation begründet, das die überschießende Adaptationsreaktion des Organis‐ mus nach Belastung beschreibt. Die Modellannahme der Superkompensation konnte anhand verschiedener physiolo‐ gischer Parameter nachgewiesen werden (Costill et al., 1988; Schmidt, 1999; Goto, Ishii, Kizuka & Takamatsu, 2005). Auch für Kenngrößen der sportlichen Leistungsfähigkeit konnte gezeigt werden, dass sich infolge isolierter, intensiver Trainingsbelastungen entsprechend der Modellvorstellung im Anschluss an die beanspruchungsbedingte Leistungsminderung kurzfristig eine Leistungserhöhung über das Ausgangsniveau einstellt (Clijsen, van de Linden, Welbergen & Boer, 1988). Nachdem das Phänomen der Superkompensation auch bei mittelfristig verzögerten Trainingseffekten (z. B. dem Effekt summierter Wirksamkeit) auftritt (Costill et al., 1991; Costill, 1999; Weineck, 1997), wurde der Gegenstandsbereich des Modells in der Vergangenheit bisweilen deutlich überstrapaziert und das organisch-biochemische Phänomen zu einem Grundprinzip des Trainings erhoben. Mit zunehmender For‐ schungstätigkeit auf dem Gebiet der Trainingswirkungsanalyse kam es zu größerer Kritik am Superkompensationsmodell und kontroversen Diskussionen (Martin et al., 1991; Friedrich & Moeller, 1999; Mester & Perl, 2000). 5 Insbesondere verstellt die in den Superkompensationsmodellen dominierende kurzfristige Betrachtung der Leistungs‐ entwicklung den Blick für die langfristigen Trainingswirkungen, die eher durch Ver‐ laufskurven mit Stagnationsphasen und Deckeneffekten oder plötzlichen Leistungs‐ einbrüchen und Leistungssprüngen zu beschreiben sind. Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Superkompensati‐ onsmodell stellen Martin et al. (1991, S. 95) mit dem Modell der individuellen Funkti‐ onskapazität einen trainingswissenschaftlichen Ansatz zur Diskussion. Belastungen werden modellseitig als optimal angesehen, „wenn die aktuellen Funktionsreserven bis in die Nähe der aktuellen Funktionskapazität beansprucht werden“ (Martin et al., 1991, S. 95). Integrative Ansätze zu Adaptation und Informationsorganisation: Im Mittelpunkt des Vier-Stufen-Modells der Anpassung von Neumann, Pfützner und Berbalk (2005, S. 37- 44) stehen überwiegend energetisch-organische Adaptationsprozesse beim Ausdauer‐ training, allerdings werden auch Aspekte der Bewegungssteuerung modellseitig ab‐ gebildet. In der ersten Anpassungsstufe (7.-10. Tag) werden die Bewegungsprogramme verändert, worauf in der nächsten Stufe die Vergrößerung der Energiespeicher folgt (10.-20. Tag). Die umgebauten und neu gebildeten Strukturen werden nun in der dritten Anpassungsstufe (20.-30. Tag) im Hinblick auf die sportartspezifischen Anforderungen optimiert, bevor in der letzten Stufe (30.-40. Tag) die Koordinierung aller leistungs‐ beeinflussenden Systeme verbessert wird. 227 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 227 <?page no="228"?> In der Beanspruchungstheorie sportlichen Trainings (Olivier et al., 2008, S. 27) werden mit Bezug zu einem ressourcentheoretischen Ansatz beide Anpassungsmechanismen vollständig integriert (vgl. Abb. 3.8.4). Abb. 3.8.4: Die wichtigsten Elemente und Beziehungen für ein Beanspruchungsmodell sportli‐ chen Trainings und Wettkampfs; a) Ressourcenauswahl und -einsatz, b) Ressourcenveränderun‐ gen (Olivier et al., 2008, S. 28, 33) Zwar wurde bislang der wissenschaftliche Erklärungsgehalt des ressourcentheoretisch begründeten Beanspruchungsmodells sportlichen Trainings im Rahmen trainingswis‐ senschaftlicher Forschung noch nicht umfassend überprüft, mit der Integration der beiden Mechanismen der Leistungsveränderung „Adaptation“ und „Informationsorga‐ nisation“ stellt dies jedoch einen lohnenden Ansatz dar. Untersuchung von Trainingsmethoden Neben den Modellvorstellungen zur Außenperspektive der Trainingssteuerung und zur Innenperspektive des Trainings besteht eine weitere zentrale Aufgabe der Trainings‐ wissenschaft in der Entwicklung, Evaluation und Optimierung von Trainingsmethoden zur nachhaltigen Veränderung von Komponenten sportlicher Leistungsfähigkeit (vgl. 228 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 228 <?page no="229"?> Tab. 3.8.1). Es existiert eine Vielzahl an Publikationen, die sich ausschließlich mit dem Training einzelner Leistungskomponenten oder -voraussetzungen beschäftigen (Aus‐ dauertraining, Krafttraining, Techniktraining, Schnelligkeitstraining usw.) und zum Teil ihrerseits das Thema mit einer zielgruppenspezifischen Ausrichtung einschränken. Aktuelle Themen der trainingswissenschaftlichen Forschung sind z. B. im Ausdau‐ ertraining das High-Intensity-Training (HIT) (Wahl, Hägele, Zinner, Bloch & Mester, 2010; Gibala, Little, Macdonald & Hawley, 2012), im Krafttraining die Nicht-Lineare Periodisierung (Kraemer & Fleck, 2007), die Elektromyostimulation (EMS), das Vibra‐ tionstraining (Friedmann, 2007), Einsatzvs. Mehrsatz-Training (Fröhlich, Emrich & Schmidtbleicher, 2010) oder im Techniktraining das Differenzielle Lernen (Schöllhorn, Mayer-Kress, Newell & Michelbrink, 2009; Frank, Michelbrink, Beckmann & Schöll‐ horn, 2008; Hossner & Künzell, 2012). Die zur Erfassung von Trainingsdaten eingesetzten Forschungsmethoden lassen sich in Anlehnung an das Belastungs-Beanspruchungskonzept wie folgt unterscheiden. Die Trainingsbelastungen können zum einen über quantitative Angaben zu vorher festge‐ legten Kategorien (Trainingsbelastungen, Trainingsbeanspruchungen, Trainingsinhal‐ ten, Trainingsmethoden usw.), d. h. anhand von Befragungen, erfasst werden. Zum an‐ deren besteht für bestimmte Trainingsinhalte und -formen die Möglichkeit, anhand biomechanischer Messmethoden (Dynamometrie, Kinemetrie) physikalische Belas‐ tungskenngrößen wie Geschwindigkeiten, Newton-Sekunden (Ns) oder Watt-Sekun‐ den (Ws) zu erheben (z. B. das SRM-Trainingssystem im Radsport). Zur Beschreibung der trainingsinduzierten Beanspruchung können zum einen leistungsphysiologische Parameter wie die Herzfrequenz oder Herzfrequenzvariabilität erfasst werden. Zum anderen hat sich in vielen Studien gezeigt, dass psychologische Fragebogeninventare zum subjektiven Belastungsempfinden eine ökonomische und valide Methode zur Ab‐ bildung des individuellen Beanspruchungsniveaus darstellen. Die fortwährende Wei‐ terentwicklung der Methodologie, nicht nur im Bereich des Trainings, ist eine zentrale Aufgabe trainingswissenschaftlicher Forschung. Leistung und Leistungsfähigkeit Die wissenschaftliche Fundierung von Training und Wettkampf als zentrale Aufgabe der Trainingswissenschaft impliziert, dass auch die Trainingsziele im jeweiligen An‐ wendungsfeld in den Blickpunkt des Interesses genommen werden müssen. Weil die Ziele im Allgemeinen mit einer Veränderung der sportlichen Leistung oder der Leis‐ tungsfähigkeit erreicht werden, sind für die Ableitung wissenschaftlich fundierter Handlungsempfehlungen detaillierte Kenntnisse über deren Struktur unerlässlich. Die sportliche Leistung ist die „Einheit von Vollzug und Ergebnis einer sportlichen Handlung bzw. einer komplexen Handlungsfolge, gemessen bzw. bewertet an bestimmten sozial determinierten Normen“ (Schnabel, 2008b, S. 36). Sie wird maßgeblich durch die sportliche Leistungsfähigkeit bestimmt, mit der die Gesamt‐ heit der personalen Leistungsvoraussetzungen gekennzeichnet wird. 229 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 229 <?page no="230"?> Nach Martin, Nicolaus, Ostrowski und Rost (1999, S. 69) ist die Leistungsfähigkeit das analysierbare äußere Erscheinungsbild (Außensicht) der sportlichen Leistung, wäh‐ rend die individuellen Leistungsvoraussetzungen die Potentiale der funktionell und strukturell beanspruchten Systeme und genetischen Dispositionen abbilden (Binnen‐ sicht). Mit Verweis auf die hauptsächlich beanspruchten physiologischen Strukturen werden die vier Voraussetzungskomplexe (Faktoren) Konstitution, Kondition, Koordi‐ nation/ Technik und Handlungskompetenz (einschl. Taktik) voneinander abgegrenzt (Hohmann et al., 2007, S. 48; Schnabel, 2008b, S. 40-42). Die Modellbildung zur Leistungsstruktur gehört zu den originär trainingswissen‐ schaftlichen Aufgaben und besteht in der Kennzeichnung des inneren Aufbaus der sportlichen Leistung (Schnabel, 2008b, S. 45; Hohmann et al., 2007, S. 41). Für Trainingsziele im Sport besteht die Aufgabe in der Identifikation wesentlicher Komponenten der sportlichen (Wettkampf-)Leistung, inklusive deren Wechselbezie‐ hungen. Weiterhin sind der jeweiligen Leistung zugrundeliegende Leistungsvoraus‐ setzungen zu integrieren. Die besondere wissenschaftliche Herausforderung besteht dabei darin, die verschiedenen horizontalen (zwischen Leistungskomponenten bzw. -voraussetzungen) und vertikalen (zwischen Leistungskomponenten und Wettkampf‐ leistung bzw. Leistungsvoraussetzungen und Leistungskomponenten/ Wettkampfleis‐ tung) Wechselbeziehungen genauer zu quantifizieren. Leistungsstrukturmodelle kön‐ nen somit dazu beitragen, Leistungsunterschiede zwischen einzelnen Sportlern oder zwischen Sportlergruppen zu erklären. Warum ist es dem einen Sportler möglich, 10.000m in einer Zeit von 30 min. zurückzulegen, während andere für dieselbe Strecke mehr als 45 min. benötigen? Worin unterscheiden sich Bundesligahandballer von sol‐ chen der Regionalligateams? Zur Beantwortung derartiger Fragen werden Modelle mit Kriteriumsleistung benötigt, die den Einfluss der Leistungskomponenten und der Leis‐ tungsvoraussetzungen auf die Wettkampfleistung (Zielgröße, Kriterium) im Blick ha‐ ben (Hohmann et al., 2010, S. 45). Auf der Grundlage dieser leistungsstrukturellen Be‐ funde lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen für das sportliche Training ableiten. Die Strukturierung sportlicher Leistungen in der hier beschriebenen Vorge‐ hensweise, ist nach Letzelter und Letzelter (1982) dem Bereich der trainingswissen‐ schaftlichen Leistungsdiagnostik zuzuordnen. Modelle ohne Kriteriumsleistung bilden die verallgemeinerte Struktur sportlicher Leistungen ab, indem die leistungsbeeinflussenden Faktoren benannt und deren Ver‐ knüpfungen mit Beziehungspfeilen gekennzeichnet werden. Auf eine Quantifizierung sowohl des Einflusses der Leistungskomponenten und -voraussetzungen auf die Leis‐ tung bzw. Wettkampfleistung als auch deren Wechselwirkungen wird modellseitig verzichtet. An der als „boxology“ bezeichnete Modellbildung wird kritisiert, dass der Auswahl der Komponenten (Elemente) eine gewisse Beliebigkeit zugrunde liegt und die Beziehungen zwischen den Elementen unklar sind (Ursache/ Wirkung, Wechselbe‐ ziehung, Voraussetzung) (Hohmann et al., 2010, S. 41-43). 230 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 230 <?page no="231"?> Gegenüber den bisherigen Darstellungen erfordern Trainingsziele, die weniger auf eine Veränderung der sportlichen Wettkampfleistung abzielen, sondern Anpassungen im Bereich der sportlichen Leistungsfähigkeit beinhalten, vornehmlich detaillierte Er‐ kenntnisse auf der Ebene der Leistungsvoraussetzungen. Beispielsweise kann im Be‐ reich des Breitensports die Verbesserung körperlichen Wohlbefindens durch Ausdau‐ ertraining erreicht werden. Dies setzt jedoch spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet der Ausdauerleistungsfähigkeit voraus. Gleiches gilt, wenn z. B. die Reduzierung des Kör‐ pergewichts als Trainingsziel formuliert wird (vgl. Tab. 3.8.1). Tab. 3.8.1: Komponenten der Leistungsfähigkeit mit Leistungsvoraussetzungen und typischen trainingswissenschaftlichen Themen Komponenten der Leis‐ tungsfähigkeit (Voraus‐ setzungskomplexe, Fakto‐ ren) Leistungsvoraussetzungen und spezielle Themen Kondition Leistungsvoraussetzungen: ■ Ausdauer ■ Kraft ■ Schnelligkeit ■ Beweglichkeit Koordination und Technik ■ koordinative Fähigkeiten ■ koordinatives Anforderungsprofil (u. a. Koordi‐ nations-Anforderungs-Regler nach Neumaier, 2006) ■ sportliche Technik/ sporttechnische Fertigkeiten Handlungskompetenz (Taktik und psychische Ei‐ genschaften) ■ Strategie und Taktik ■ Modelle/ Struktur taktischer Handlungen und Entscheidungen Abschließend ist der Einschätzung von Hohmann et al. (2010, S. 28) zu zustimmen, wo‐ nach die „Analyse der Leistungsfähigkeit mit ihren Komponenten … in der Vergangen‐ heit einen so großen Raum eingenommen [hat], dass vor einer Degenerierung der Trai‐ ningswissenschaft zu einer ‚Lehre der Leistungsvoraussetzungen‘“ gewarnt werden muss. Begründen lässt sich dieser Trend mit einem zunehmenden Legitimationsdruck der Trainingswissenschaft, dem mit der Anwendung etablierter diagnostischer Verfah‐ ren und Methoden versucht wird, zu begegnen (Hohmann et al., 2010, S. 28). Damit wer‐ den keineswegs Entwicklung und Evaluation leistungsdiagnostischer Inventare als zen‐ trale trainingswissenschaftliche Tätigkeitsfelder infrage gestellt. Die Trainingswissenschaft deckt unter Berufung auf den eingangs hergeleiteten offenen Trainings‐ begriff jedoch einen weitaus größeren Aufgabenbereich ab und hat folglich zukünftig die anderen Themengebiete in ähnlicher Weise in den Blickpunkt der Betrachtungen zu rücken. 231 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 231 <?page no="232"?> Die leistungsdiagnostischen Forschungsmethoden sind im Wesentlichen den Basis‐ wissenschaften entnommen. Bei den biomechanischen Messmethoden reicht das Spek‐ trum von technisch einfachen Verfahren wie der Zeitmessung bis hin zu apparativ sehr aufwendigen Methoden der Dynamometrie, Kinemetrie (z. B. 3D-Bewegungsanalysen) oder Elektromyographie. Aus der Sportmedizin stammen Methoden wie die Laktatdi‐ agnostik, die Ergospirometrie oder die in jüngster Zeit häufiger in trainingswissen‐ schaftlichen Untersuchungen eingesetzte Elektroenzephalographie (EEG). Methoden wie die Verhaltensbeobachtung (z. B. in den Sportspielen oder den technisch-kompo‐ sitorischen Sportarten), aber auch Befragungstechniken wie Ratingverfahren oder der Dominanzpaarvergleich sind der Sportpsychologie entlehnt. Eine Ausnahme stellen sportmotorische Tests dar, deren Entwicklung maßgeblich von Vertretern der Trainings- und Bewegungswissenschaft (Sportmotorik) vorangetrieben wurde. Sie können im weiteren Sinne als eigene Forschungsmethode angesehen werden, auch wenn das grundsätzliche Herangehen auf die Persönlichkeitsdiagnostik der differenziellen Psy‐ chologie zurückgeht. Wettkampf Die mit der Öffnung des Trainingsbegriffs verbundene Erweiterung des trainingswis‐ senschaftlichen Anwendungsbereichs auf Ziele außerhalb des Leistungssports hat zur Folge, dass mit dem Wettkampf einerseits ein Gegenstandsbereich aufgenommen wurde, der eine klare Zielgruppenspezifik aufweist. Dem Generalitätsanspruch der beiden anderen Bereiche „Training“ und „Leistung“ kann damit nicht gefolgt werden. Andererseits soll mit der Integration des Wettkampfs der zunehmenden Ausdifferen‐ zierung innerhalb der Trainingswissenschaft Rechnung getragen werden (Hohmann et al., 2010, S. 28). In den neueren Lehrbüchern zur Trainingswissenschaft wird der „Wettkampf “ als eigenständiger Gegenstandsbereich geführt, allerdings bestehen unterschiedliche Auf‐ fassungen hinsichtlich der zu bearbeitenden Themen (vgl. Tab. 3.8.2). Tab. 3.8.2: Themengebiete zum sportlichen Wettkampf Autoren Themen zum Gegenstandsbereich „Wettkampf“ Martin, Carl & Lehnertz (1991) ■ Gestaltung der Wettkampfperiode und -saison ■ Wettkampfvorbereitung Thieß (1994; 1995) ■ geistig-wissenschaftliche Grundlagen ■ System sportlicher Wettkämpfe ■ Vorbereitung von Sportlern auf Wettkämpfe ■ weitere Aspekte: Wettkampfauswertung, Wettkampfregeln und -bestimmungen, Wettkampfgeräte, Wettkampfgestaltung Hohmann, Lames & Letzelter (2010) ■ Modellvorstellungen zum Wettkampf ■ Wettkampfsteuerung ■ Wettkampfdiagnostik 232 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 232 <?page no="233"?> 6 Als weiteren Bestandteil führt Krug (2008a, S. 568) die Prognose von Wettkampfleistungen an. Soweit diese mittels wissenschaftlicher Methoden erstellt werden, in erster Linie mittels mathematischer oder informatischer Modelle, und weniger auf der Einschätzung von Experten beruhen, kann diese Auffassung geteilt werden. Schnabel, Harre & Krug (2008) ■ Wesen und Funktion sportlicher Wettkämpfe ■ Wettkämpfe im Nachwuchsbereich ■ Steuerung sportlicher Wettkämpfe ■ Organisation und Analyse der Wettkampfleistung ■ Prognose der Wettkampfleistung Hottenrott & Neu‐ mann (2010) ■ Struktur der Wettkampf- und Prognoseleistung ■ Ausdauer: Training und Wettkampf unter veränderten Umweltbe‐ dingungen Basierend auf dem Selbstverständnis der Trainingswissenschaft lassen sich in Anleh‐ nung an die aktuelle Literatur drei trainingswissenschaftliche Kernthemen im Bereich „Wettkampf “ abgrenzen: Theorien und Modelle zum sportlichen Wettkampf, Wettkampf‐ steuerung sowie Analyse der Wettkampfleistung (Wettkampfdiagnostik). 6 Theorien und Modelle zum sportlichen Wettkampf: Die definitorische Abgrenzung zentraler Begriffe wie sportlicher Wettkampf, sportlicher Erfolg, Wettkampfsystem usw. steht hier im Mittelpunkt. Der sportliche Wettkampf ist ein Vergleich sportlicher Leistungen zwischen ein‐ zelnen Sportlern oder Mannschaften nach festgelegten Regeln der jeweiligen Sportart mit dem Ziel, einen Sieger oder eine Rangfolge zu ermitteln (Krug, 2008b, S. 515; Hohmann et al., 2010, S. 198). Weitere Themen sind die Funktion sportlicher Wettkämpfe, das Wettkampfsystem, Analyse und Klassifikation der Wettkampfanforderungen, Modelle des Wettkampfs (Nicht-Linearität des sportlichen Erfolgs), Kopplung von Training und Wettkampf. Wettkampfsteuerung: Mit der aus der Kybernetik übernommenen Bezeichnung „Steuerung“ wird analog der Trainingssteuerung der zeitlich strukturierte Regelkreis von Wettkampfplanung/ -vorbereitung, Wettkampfdurchführung/ -lenkung und der Wettkampfauswertung/ -nachbereitung in den Blick genommen (Hohmann et al., 2010, S. 207). Die Wettkampfvorbereitung beginnt mit der Entwicklung einer erfolgverspre‐ chenden Strategie, in die sowohl die wesentlichen antizipierten Rahmenbedingungen des bevorstehenden Wettkampfs als auch diagnostische Erkenntnisse zum eigenen und gegnerischen Wettkampfverhalten einfließen. Die ausgearbeitete Wettkampfstrategie wird anschließend im Training vermittelt. Im Wettkampf besteht das Ziel der Wett‐ kampflenkung darin, durch gezielte Coachingmaßnahmen ein optimales Wettkampf‐ verhalten im Sinne der Zielerreichung zu bewirken. Anschließend erfolgt in der Wett‐ kampfnachbereitung eine Analyse des im Wettkampf erzielten Leistungsresultats, wobei die Ergebnisse der Wettkampfdiagnostik einen wesentlichen Beitrag leisten. Der Trainingswissenschaft kommt hier die Aufgabe zu, unterschiedliche Maßnahmen zu 233 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 233 <?page no="234"?> beschreiben und mögliche Wirkungszusammenhänge einer wissenschaftlichen Prü‐ fung zu unterziehen. Dies betrifft sowohl den gesamten Prozess als auch die Maßnah‐ men innerhalb der drei Instanzen. Wettkampfanalyse/ -diagnostik: Hiermit wird das methodische Vorgehen zur Erfas‐ sung und Beurteilung wesentlicher Faktoren der Wettkampfleistung auf Basis ver‐ schiedener Untersuchungsmethoden gekennzeichnet. Voraussetzung ist, dass die ein‐ gesetzten Methoden rückwirkungsfrei sind. Im Einzelnen sind hier das Expertenurteil, die Videoanalyse (u. a. zur Ermittlung kinematischer Kenngrößen), die Wettkampfbe‐ obachtung (z. B. Systematische Spielbeobachtung) und rückwirkungsfreie leistungs- oder biosignalerfassende Kontrollverfahren (z. B. Herzfrequenzmessungen) zu nennen (Hohmann et al., 2010, S. 217). Die Ergebnisse der Wettkampfdiagnostik dienen zum einen der Ableitung trainingspraktischer Handlungsempfehlungen und zum anderen der Generierung detaillierter Erkenntnisse zur Struktur der Wettkampfleistung (Stark, 2008, S. 559). Mit der Prüfung und Weiterentwicklung wettkampfdiagnostischer Ver‐ fahren und Methoden leistet die trainingswissenschaftliche Forschung zu beiden Be‐ reichen einen wichtigen Beitrag. Wechselwirkungen zwischen Training, Leistung/ Leistungsfähigkeit und Wettkampf In den bisherigen Ausführungen wurde mehrfach hervorgehoben, dass Training immer auf die Erreichung eines bestimmten Ziels - der Leistungsfähigkeit oder der Wett‐ kampfleistung - ausgerichtet ist. Betrachtet man den Trainingsprozess etwas genauer, zeigt sich, dass zwischen den drei Gegenstandsbereichen verschiedene Wechselwir‐ kungen bestehen (vgl. Abb. 3.8.5). Training kann entweder im Hinblick auf die sport‐ liche Bewährungssituation Wettkampf oder die zeitlich überdauernde Veränderung der sportlichen Leistungsfähigkeit durchgeführt werden (Hohmann et al., 2010, S. 29). Aus den im Wettkampf zu bewältigenden Aufgaben leiten sich die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit ab, die somit Voraussetzungen für die Erbringung der Wettkampf‐ leistung definieren. 234 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 234 <?page no="235"?> Abb. 3.8.5: Wechselwirkungen zwischen den Gegenstandsbereichen der Trainingswissenschaft (nach Hohmann et al., 2010, S. 30) Neben ihrer sportpraktischen Bedeutung stellen diese Wechselwirkungen aus Sicht der Trainingswissenschaft eine besondere Herausforderung dar, weil bei deren Erfor‐ schung „in der Regel multivariat, nicht univariat, und prozessanalytisch, nicht status‐ diagnostisch, vorgegangen werden muss“ (Hohmann et al., 2010, S. 30). Ein Blick in die Publikationslandschaft zeigt, dass diese Herausforderung vor allem bei der Prozess‐ analyse nur von einem verschwindend geringen Teil der Trainingswissenschaftler an‐ genommen wird. Dabei sind für eine ganzheitliche Betrachtung von Training gerade die Prozesse zwischen den Gegenstandsbereichen besonders von Interesse. So wie bei der Trainingswirkungsanalyse, wo zur Untersuchung der Relation von Trainingsver‐ laufs- und Leistungsverlaufsdaten zeitorientierte Prozessmodelle erfolgreich in ver‐ schiedenen Sportarten eingesetzt wurden (Banister, 1982; Mester & Perl, 2000; Taha & Thomas, 2003; Pfeiffer, 2008; Thomas, Mujika & Busso, 2009; Perl & Pfeiffer, 2011). Um das komplexe Wirkungsgefüge von Training, Leistung (einschließlich Leistungsfähig‐ keit) und Wettkampf ganzheitlicher zu betrachten, bietet sich als Forschungsstrategie die Evaluationsforschung an. 3.8.4 Verhältnis der Trainingswissenschaft zur Sportpraxis Zunächst ist zu klären, wer oder was die Sportpraxis überhaupt repräsentiert, zu der die Trainingswissenschaft in einem nachfolgend näher zu erörternden Verhältnis ste‐ hen könnte. Wie bereits einleitend dargelegt, findet Training auf sehr unterschiedli‐ chen Handlungsfeldern statt, die sich im Allgemeinen durch die Spezifik der verfolgten Trainingsziele voneinander abgrenzen lassen. In nur zwei aktuellen Lehrbüchern wer‐ 235 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 235 <?page no="236"?> den neben dem Leistungssport weitere Anwendungsfelder der Trainingswissenschaft behandelt, was wohl in der späten und nicht von allen Disziplinvertretern geteilten Öffnung des Trainingsbegriffs begründet liegt. Während Hohmann et al. (2010, S. 229- 282) näher auf den Leistungssport, den Fitnesssport, den Gesundheits- und Altensport sowie den Schulsport eingehen, nehmen Hottenrott und Neumann (2010, S. 15-25) eine weitere Ausdifferenzierung in die Bereiche Abenteuersport, Alltagssport, Alterssport, Behindertensport, Breiten- und Freizeitsport, Erlebnissport, Extremsport, Fitnesssport, Gesundheitssport, Integrationssport, Kinder- und Jugendsport, Leistungssport, Reha‐ bilitationssport und Schulsport vor. Sowohl die Zusammenarbeit mit Personen und Organisationen als auch die wissenschaftliche Fundierung von Training sind in den genannten Anwendungsfeldern sehr unterschiedlich entwickelt. Die enge Verbindung zur Sportpraxis hat ihren Ursprung in der Entstehungsge‐ schichte der Trainingswissenschaft, die aus einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit sportartspezifischen „Meisterlehren“ hervorgegangen ist (vgl. Kap. 3.8.2). Im Gegensatz zu anderen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen ist die Trainingswissenschaft ge‐ wissermaßen aus der Sportpraxis hervorgegangen. Dies hat nachhaltigen Einfluss auf das Selbstverständnis der Disziplin. Mit der wissenschaftlichen Fundierung von Trai‐ ning und Wettkampf wird die Ausrichtung auf das praktische Handeln, d. h. die An‐ wendungssituation von Training zum konstituierenden Merkmal der Trainingswissen‐ schaft erhoben. Die enge Beziehung zur Sportpraxis ist demzufolge ein genuiner Bestandteil des Selbstverständnisses der Trainingswissenschaft. Bedingt durch ihre dominante Anwendungsorientierung und ihre ganzheitliche Ausrichtung auf die Systemkomplexität von Training, Leistungsfähigkeit und Wett‐ kampf übt die Trainingswissenschaft eine Integrationsfunktion zwischen Wissenschaft und Sport aus (Lames et al., 2013). Ihre besondere Stellung beim Erkenntnistransfer in die Sportpraxis ist im Leistungssport am deutlichsten ausgeprägt und tritt u. a. anhand der Dominanz trainingswissenschaftlicher Inhalte im Rahmen der Traineraus- und -weiterbildung der Sportfachverbände oder im Aus- und Fortbildungsprogramm der Trainerakademie Köln des DOSB (z. B. Diplom-Trainer-Studium) zutage. Hier trägt die Trainingswissenschaft durch ihren Theorien- und Methoden-Vorlauf (Innovations‐ funktion) wesentlich zur Sicherung eines potenziellen Leistungsvorsprungs bei. Die Ergebnisse der trainingswissenschaftlichen Leistungssportforschung kommen dabei kurzfristig zunächst dem Spitzensport, mittel- und langfristig jedoch auch allen ande‐ ren Anwendungsfeldern des Sports zugute. Neben der universitären Trainingswissenschaft sichert das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig in ganz besonderer Art und Weise die Verbin‐ dung zum Spitzensport und stellt sicher, dass zum einen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in die Sportpraxis transferiert werden, zum anderen Fragestellungen von trainingspraktischer Relevanz in die wissenschaftliche Forschung gelangen. 236 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 236 <?page no="237"?> Praxisbeispiel: Talentdiagnostik und Nachwuchsleistungssport In den Rahmenrichtlinien zur Förderung des Nachwuchsleistungssports heißt es: „Der deutsche Leistungssport wird nur erfolgreich bleiben, wenn die För‐ derung von Talenten vom Nachwuchs bis zur Spitze durchgängig sichergestellt wird“ (Deutscher Olympischer Sportbund, 2010, S. 19). Aus Sicht der Trainings‐ wissenschaft gilt es zu klären, was überhaupt ein sportliches Talent ausmacht (Talentdiagnostik) und wie der langfristige Leistungsaufbau im Nachwuchstrai‐ ning zu gestalten ist, um zukünftig international konkurrenzfähige Spitzen‐ leistungen zu erreichen. Auf dem Gebiet der Talentdiagnostik konnte recht früh gezeigt werden, dass im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsbereichen wie der Musik, der Kunst oder der Mathematik, dem Kriterium der Leistungsauffälligkeit im Kindes- und Ju‐ gendalter ohne die Einbeziehung weiterer Merkmale nur ein begrenzter Aus‐ sagewert zukommt (Hohmann, 2009). Von der Trainingswissenschaft wurde daher ein dynamischer und weiter Talentbegriff geprägt und die Suche nach weiteren leistungsdiagnostischen Kriterien sportlicher Talente zum Gegen‐ stand der Talentforschung gemacht. Nicht zuletzt aus ökonomischen Überle‐ gungen besteht das Ziel darin, möglichst frühzeitig Talente für die unterschied‐ lichen Sportarten zu finden, um sie anschließend gezielt und intensiv fördern zu können. Nach aktuellem Erkenntnisstand sind im Rahmen der Talentdiag‐ nostik neben der Wettkampfleistung und den Leistungsvoraussetzungen (Leis‐ tungsauffälligkeit) die Zuwachsraten in der Leistungsentwicklung (Entwick‐ lungstempo), der Ausnutzungsgrad individueller Leistungsvoraussetzungen bei der Leistungserbringung (Utilisation) sowie die psychophysische Belast‐ barkeit zu berücksichtigen (Hohmann, 2001; Hohmann & Seidel, 2003). Das Nachwuchstraining hat perspektivischen Charakter, indem für die weitere sportliche Entwicklung sowie die Erhöhung der Trainingsanforderungen und der Belastbarkeit akzentuiert Leistungsvoraussetzungen geschaffen werden. Die konzeptionellen Lösungsansätze zur systematischen Entwicklung sportli‐ cher Spitzenleistungen werden als Zeit- und Etappenstruktur des langfristigen Leistungsaufbaus (LLA) bezeichnet. Allerdings bedingen die mit der Entwick‐ lung ablaufenden biologischen Prozesse beim Heranwachsenden, dass sich Kinder und Jugendliche hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, Leistungsent‐ wicklung, Trainierbarkeit und Belastbarkeit zum Teil deutlich von Erwachse‐ nen unterscheiden (Martin et al., 1999, S. 181). Inhalte, Methoden und Syste‐ matiken aus dem leistungsorientierten Erwachsenentraining können somit nicht ungeprüft in das Nachwuchstraining übertragen werden. Vielmehr bedarf es hier einer Betrachtung spezifischer Phänomene. Die Trainingswissenschaft übernimmt hierbei u. a. folgende Aufgaben: 237 3.8 Trainingswissenschaft (Mark Pfeiffer) 237 <?page no="238"?> ■ Erstellung von alters-, leistungs- und geschlechtsspezifischen Leis‐ tungsstrukturmodellen sowie Belastungs- und Anforderungsprofilen (Pfeiffer, 2003, S. 98-102), ■ Untersuchungen zur Trainierbarkeit von Leistungsvoraussetzungen in den unterschiedlichen Etappen des LLA (Konzept der sensitiven/ sensi‐ blen Phasen) sowie zur Nachhaltigkeit der Trainingseffekte, ■ Analyse individueller Leistungsentwicklungen im Kindes- und Jugend‐ alter. Neben der Bereitstellung eigener Erkenntnisse übt die Trainingswissen‐ schaft auch im Nachwuchstraining eine Integrationsfunktion aus, indem sie die Wissensbestände angrenzender Disziplinen wie der Sportmedizin (gene‐ tische Anlagen der Trainierbarkeit, körperliche Belastbarkeit), der Sportpsy‐ chologie (psychische Belastbarkeit), der Sportpädagogik (Gestaltung von Vermittlungsprozessen) und der Sportsoziologie (Vereinbarkeit von Schule und Spitzensport) sichtet, deren Beitragsfähigkeit zur Fundierung des prak‐ tischen Handelns im Nachwuchstraining prüft und falls erforderlich weitere Forschung initiiert. Kontrollfragen 1. Der Trainingsbegriff hat sich von einem „leistungssportlichen“ zu einem „offenen“ entwickelt. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „offen“? 2. Nach ihrem Selbstverständnis übt die Trainingswissenschaft eine Integrati‐ onsfunktion aus. Was ist hiermit gemeint? 3. Bei trainingswissenschaftlichen Forschungsstrategien wird zwischen Grundlagen-, Anwendungs- und Evaluationsforschung unterschieden. Welche der drei Forschungstypen wird als „Kerngeschäft“ der Trainingswissenschaft bezeichnet und warum? 4. In der aktuellen Fachliteratur wird zwischen Trainingswissenschaft und Trainingslehre unterschieden. Womit wird dies begründet? 5. Aus dem Gegenstand „Training“ werden drei Gegenstandsbereiche der Trai‐ ningswissenschaft hergeleitet. Welche sind dies und was sind ihre jeweils typischen Themen? 6. Der Wettkampf wurde erst in den 1990er Jahren zum Gegenstandsbereich der Trainingswissenschaft erhoben. Welche Kernthemen werden im Bereich „Wettkampf “ behandelt? 7. Zwischen den drei Gegenstandsbereichen der Trainingswissenschaft beste‐ hen unterschiedliche Wechselwirkungen. Welche Bedeutung haben diese für die Trainingspraxis und die wissenschaftliche Arbeit? 238 3 Sportwissenschaftliche Teildisziplinen 238 <?page no="239"?> 8. Die Trainingswissenschaft ist aus sportartspezifischen „Meisterlehren“ der Sportpraxis hervorgegangen. Welches Verhältnis besteht heute zwischen Trainingswissenschaft und Sportpraxis? Literatur Auhagen, E. & Bierhoff, H.-W. (2003). Angewandte Sozialpsychologie: Eine Standortbestim‐ mung. In H.-W. Bierhoff & E. Auhagen (Hrsg.), Angewandte Sozialpsychologie (S. 1-16). Wein‐ heim: Beltz. Ballreich, R., Baumann, W., Haase, H., Ulmer, H.-V. & Wasmund-Bodenstedt, U. (1982). Trai‐ ningswissenschaft. Bad Homburg: Limpert. Ballreich, R. & Kuhlow, A. (1975). Trainingswissenschaft - Darstellung und Begründung einer Forschungs- und Lehrkonzeption. Leistungssport, 5 (2), 95-103. Banister, E. W. (1982). Modeling Elite Athletic Performance. In J. D. MacDougall, H. W. Wenger & H. J. Green (Eds.), Physiological Testing of Elite Athletes (pp. 403-425). Champaign, IL: Hu‐ man Kinetics. Berger, J. (2008). Die Struktur des Trainingsprozesses. In G. Schnabel, D. Harre & J. 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Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens werden dabei typischerweise in Form wis‐ senschaftlicher Publikationen, d. h., Forschungsberichten, Doktorarbeiten, wissen‐ schaftlichen Zeitschriftenbeiträgen kommuniziert, die wiederum bestimmten formalen Kriterien/ Standards entsprechen müssen. 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess Wissenschaftliches Arbeiten zeichnet sich durch spezifische Kriterien und eigene Lo‐ giken aus. Diese sind jedoch nicht ohne Weiteres offensichtlich und somit ist für Au‐ ßenstehende mitunter fraglich, was „wissenschaftlich arbeiten“ heißt. Eine erste An‐ näherung an diese Frage gelingt z. B., wenn man sich vergegenwärtigt, wie stark Erfahrung und Routine im Alltag „von einer permanent mitlaufenden Selbst- und Fremdbeobachtung [entlasten]. Fragen, warum man das eine tut, das andere läßt, be‐ antwortet das Alltagsbewußtsein in der Regel mit einfachen Erklärungen … Der ein‐ zelne schützt sich so vor Unsicherheit und Überforderung“ (Bette, 1994, S. 215). Je nach Lebenserfahrung und persönlichem Lebensstil ist man beispielsweise Mitglied in einem Sportverein, treibt in seiner Freizeit Sport, isst und trinkt, auf was man Lust hat. Dabei hinterfragt man im Alltag seine Vereinsmitgliedschaft, sein Sporttreiben oder seine <?page no="246"?> Ernährungsgewohnheiten nur selten. Vielmehr sind „Reflexionsverzicht, Verdrängung und Komplexitätsabwehr … wichtige Bestandteile der individuellen Überlebenskunst“ (Bette, 1994, S. 215). Wissenschaft hingegen interessiert sich gerade für Hintergründe und Problemursa‐ chen und fragt nicht nur, was ist, sondern sucht v. a. nach Zusammenhängen und Er‐ klärungsmustern. Für den Alltag typische Täuschungen und Irrtümer, die sich aus der Verallgemeinerung situativer Erlebnisse ergeben, sind im wissenschaftlichen Arbeits‐ prozess möglichst auszuschließen (Willimczik, 2002). Die Produktion wissenschaftli‐ cher Erkenntnisse erfordert deshalb insbesondere einen kontrollierten Einsatz von Theorien und Methoden. Lernziele ■ Die Leser setzen sich mit der Bedeutung von Problem- und Fragestellungen für wissenschaftliche Arbeiten auseinander und reflektieren typische Schwierigkeiten, die bei der Formulierung von Problem-/ Fragestellungen bewältigt werden müssen. ■ Sie setzen sich mit der Funktion von Forschungsüberblicken und theoreti‐ schen Reflexionen für wissenschaftliche Arbeiten auseinander und erken‐ nen, was hierbei typischerweise zu beachten ist. ■ Sie setzen sich mit Bedeutung und Funktion empirischer Forschungsdesigns für wissenschaftliche Arbeiten auseinander und reflektieren typische Schwierigkeiten, die bei Methoden-Entscheidungen bewältigt werden müs‐ sen. ■ Sie lernen Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens kennen und Unter‐ suchungs-/ Forschungsdesigns diesbezüglich kritisch zu reflektieren. ■ Sie setzen sich mit der Darstellung empirischer Ergebnisse auseinander und erkennen, welche Bedeutung hierbei eine interpretative Rückbindung der Erkenntnisse auf die jeweils in Anschlag gebrachte Theorie hat. 4.1.1 Forschungsproblem und zentrale Fragestellungen Jeder wissenschaftliche Arbeits-/ Forschungsprozess beginnt mit der Identifikation ei‐ nes Forschungsproblems und der Formulierung darauf bezogener Forschungsfragen. ■ Die Entwicklung zentraler Forschungsfragen setzt zunächst voraus, aus der Fülle der realen Alltagsphänomene (mit Bezug zum Sport) eines herauszugreifen, das in besonderer Weise interessant erscheint. Beispielsweise lässt sich beob‐ achten, dass das Unterrichtsfach Sport in manchen Bundesländern mittlerweile seinen Abiturstatus eingebüßt hat und dass Sportlehrer gerade in Konzepten zur Ganztagsschule verstärkt von Vereinsübungsleitern ersetzt werden (sollen). 246 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 246 <?page no="247"?> ■ Die Beobachtung realer Alltagsphänomene rechtfertigt allein noch keine wis‐ senschaftliche Auseinandersetzung. Vielmehr gilt es in einem nächsten Schritt, das ins Auge gefasste Phänomen als Forschungsproblem zu konkretisieren, d. h., dem Phänomen immanente Problempotenziale, die eine wissenschaftliche Aus‐ einandersetzung gerechtfertigt erscheinen lassen, zu kennzeichnen. Beispiels‐ weise können ein negatives Image von Sportunterricht und eine geringe Wert‐ schätzung der Sportlehrerrolle den Sportlehrerberuf insgesamt infrage stellen (Kastrup, 2009). ■ Bezogen auf die mit dem Phänomen verbundenen Problempotenziale sind dann übergreifende/ zentrale Forschungsfragen zu formulieren, die inhaltlich das Un‐ tersuchungs-/ Forschungsinteresse der wissenschaftlichen Arbeit konkretisie‐ ren. Im Sportlehrerbeispiel sind dies u. a.: Wie ist die Wertschätzung der Sport‐ lehrerrolle im Vergleich zu anderen Fachlehrern? Welche Ursachen gibt es hierfür? Welche Folgen hat dies für den Sportlehrerberuf insgesamt? Mit der Formulierung der zentralen Forschungsfragen erfolgt eine wesentliche Eingrenzung des zunächst meist breiten Phänomenbereichs. Die Kernbestand‐ teile dieser Fragestellungen geben außerdem bereits erste Anhaltspunkte für ei‐ nen thematischen „roten Faden“ der wissenschaftlichen Arbeit und die weiteren Entscheidungen hinsichtlich Theorie und Methode. Typische Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Problem- und Fragestellungen sind insbesondere: ■ die Auswahl eines konkreten, potenziell interessanten - irritierenden, faszinie‐ renden, besorgt machenden - Alltagsphänomens aus der Vielzahl der situativ in den Blick geratenden Themen; ■ die sprachlich angemessene Formulierung des ausgewählten Problemspektrums, d. h., die gewählte Perspektive angemessen „auf den Punkt“ zu bringen; ■ die logisch konsistente Verbindung zwischen Phänomen, Problem- und Frage‐ stellung, insbesondere das Vermeiden von Perspektivenwechseln. 4.1.2 Forschungsüberblick und theoriegeleitete Reflexion Sind Forschungsproblem und zentrale Fragestellungen festgelegt, ist in einem nächsten Schritt der hierzu bereits vorliegende Erkenntnisstand zu erkunden - insbesondere durch Lektüre wissenschaftlicher Publikationen und Gespräche mit Fachkollegen. Ausgehend von diesem Forschungsüberblick erfolgt dann eine tiefer gehende, theo‐ riegeleitete Auseinandersetzung. Forschungsüberblick In einem Forschungsüberblick ist der bis dahin bereits existierende Stand der For‐ schung möglichst vollständig und systematisch zu erfassen und mit seinen wesentli‐ 247 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess 247 <?page no="248"?> chen Charakteristika darzustellen. Dabei gilt es, wissenschaftliche Analysen zum Thema selbst - aber auch zu ähnlichen Problem- und Fragestellungen, die potenziell einen erhellenden Transfer von Erkenntnissen erlauben - aufzuarbeiten. Insbesondere geht es darum zu zeigen, ■ inwiefern das ausgewählte Problem bereits von anderen - aus welchen Blick‐ winkeln heraus - untersucht wurde und welche zentralen Erkenntnisse damit verbunden sind; ■ welche (Forschungs-)Lücken die bislang vorliegenden Analysen aufweisen - inwiefern also weiterer Forschungsbedarf zu den Problem-/ Fragestellungen be‐ steht; ■ welche Blickwinkel angesichts der identifizierten Forschungslücken potenziell für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung lohnenswert erschei‐ nen. Theoriegeleitete Reflexion Vor dem Hintergrund der identifizierten Forschungsdefizite sind in einem nächsten Arbeitsschritt geeignete Theorien zur differenzierten Bearbeitung der zentralen For‐ schungsfragen auszuwählen. Mit dem Theoriebegriff sind typischerweise unterschiedliche Verständnisse ver‐ bunden (Willimczik, 2003). Dabei geht es in diesem Zusammenhang weniger um die umgangssprachliche Abgrenzung von Theorie als kognitive Auseinanderset‐ zung gegenüber körperlich-aktiver (Sport-)Praxis. Vielmehr bezeichnet Theorie hier ein mehr oder weniger stark formalisiertes, empirisch überprüftes (bewährtes) und allgemein gültiges Beziehungsgeflecht von Begriffen, Annahmen oder Aussa‐ gen zur Beschreibung und Erklärung von Zusammenhängen realer Sacherhalte/ Phänomene. Beispiele sind u. a.: ■ Rahmentheorien (Paradigmen) mit sehr weitgehenden Gültigkeitsbereichen, z. B. System- oder Handlungstheorie; ■ Sachproblem-Theorien mit enger gefassten konkreten Annahmegefügen, z. B. Modelle der Risikowahl und Leistungsmotivation im Sport. Theorien ermöglichen die Reduktion von Komplexität realer Phänomene, was im For‐ schungsprozess überhaupt erst einen spezifischen (Detail-)Blick ermöglicht. Generell dienen Theorien somit „als Suchscheinwerfer, mit denen die Durchdringung der Wirk‐ lichkeit besorgt wird. Sie unterscheiden sich untereinander dadurch, daß sie die Realität - bildlich gesprochen - mit unterschiedlichen Objektiven, Blenden und Lichtstärken beobachten und bearbeiten. Sie ordnen die Welt nach eigenen Präferenzen und defi‐ nieren, was als Problem zu verstehen oder zu vernachlässigen ist. Aufgrund ihrer re‐ duktiven und selektiven Perspektiven bekommen sie folgerichtig nur das zu sehen, was 248 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 248 <?page no="249"?> ihre Voraussetzungen und Sichtweisen zulassen. Jede wissenschaftliche Theorie hat insofern ihre spezifischen Möglichkeiten und Grenzen. Die Kunst … besteht darin, für die jeweilige Problemstellung die passenden ‚Objektive‘ zu finden und einzusetzen“ (Bette, 1994, S. 218). Die theoriegeleitete Auseinandersetzung ■ macht hintergründige Zusammenhänge erschließbar und legt potenzielle Er‐ klärungsansätze für die Beantwortung der zentralen Fragestellungen offen; ■ ermöglicht die Ableitung spezifischer, differenzierter (Teil-)Fragen, deren Bear‐ beitung zur Beantwortung der zentralen Fragestellungen beiträgt. Zum oben genannten Beispiel der Sportlehrerrolle liefern etwa Professions- oder Schultheorien Ansatzpunkte für Fragen (a) inwiefern der Sportlehrer die Komplemen‐ tärrollenkarriere seiner Schüler steuert oder (b) inwiefern zwischen Sportlehrern und Schülern eine ausgeprägte Experten-Laien-Differenz besteht (Kastrup, 2009). Werden im wissenschaftlichen Arbeitsprozess an bestehenden Theorien entlang spezifische Teilfragen zum Forschungsproblem abgeleitet, spricht man von deduktivem Vorgehen. Dieses ermöglicht auch eine Prüfung und ggf. Weiterentwicklung der in Anschlag gebrachten Theorien. Liegen zu einem Problemgegenstand allerdings nur wenige oder kaum bewährte theoretische Erkenntnisse vor, ist eine entsprechende Be‐ zugnahme im Forschungsprozess auch weniger differenziert möglich. Man spricht dann von induktivem Vorgehen, das im Wesentlichen auf Theoriebildung abzielt (Willimczik, 2002). Generell können wissenschaftliche Auseinandersetzungen allein auf einer Ver‐ knüpfung der in Form von wissenschaftlicher Literatur publizierten Erkenntnisse basieren. Ein solches hermeneutisch-interpretatives Vorgehen gilt gerade in den Geisteswissenschaften als wichtigster nicht empirischer Forschungsansatz (Sin‐ ger & Willimczik, 2002). Eine theoriegeleitete Reflexion schafft aber gleichwohl die Basis, empirische Forschungskonzeptionen zu entwickeln. „Methoden laufen nämlich leer, wenn keine Theoriearbeit im Vorfeld investiert wird“ (Bette, 1999, S. 88). Typische Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung von Forschungsüberblicken und the‐ oriegeleiteten Analysen sind insbesondere: ■ die angemessen vollständige Berücksichtigung und systematische Darstellung der zum Problemgegenstand bereits vorliegenden wissenschaftlichen Publika‐ tionen sowie ähnlichen, für einen Erkenntnistransfer potenziell dienlichen Ar‐ beiten; ■ die Einschätzung von Rahmentheorien/ Paradigmen hinsichtlich ihrer Angemes‐ senheit für die Auseinandersetzung mit den Problem-/ Fragestellungen; ■ die Auswahl der innerhalb eines Paradigmas anwendbaren spezifischen Sacht‐ heorien/ theoretischen Modelle und die analytische Überführung des Forschungs‐ problems in die entsprechende theoretische Systematik und Sprache. 249 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess 249 <?page no="250"?> 4.1.3 Untersuchungsdesign/ Forschungsmethoden Auf Basis der theoriegeleiteten Reflexion ergeben sich typischerweise spezifische, dif‐ ferenzierte Teilfragen, die beim ursprünglichen Blick auf das Forschungsproblem nicht erkennbar waren. Diese Teilfragen können auch als Hypothesen formuliert werden, d. h., in Form von Vermutungen über Zusammenhänge. Hypothesen sind typischer‐ weise als Wenn-dann- oder Je-desto-Beziehungen konstruiert und explizit auf eine empirische Überprüfung angelegt (Bös, Hänsel & Schott, 2000). Im Einzelnen unter‐ scheidet man: ■ Zusammenhangshypothesen, z. B., dass zwischen Schrittlänge und Laufge‐ schwindigkeit ein Zusammenhang besteht; ■ Unterschiedshypothesen, z. B., dass Personen mit unterschiedlicher Schrittlänge unterschiedliche Laufgeschwindigkeiten aufweisen; ■ Veränderungshypothesen, z. B., dass eine Änderung der Schrittlänge die Laufge‐ schwindigkeit beeinflusst. Basieren wissenschaftliche Arbeiten nicht allein auf einer hermeneutisch-interpreta‐ tiven Verknüpfung bereits vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, ist im weite‐ ren Fortgang eine empirische Analyse zu konzipieren. Vor dem Hintergrund der spe‐ zifischen Teilfragen oder Hypothesen gilt es dabei zunächst, die generelle Richtung der empirischen Analyse und damit das Untersuchungsdesign festzulegen. Hierbei sind ins‐ besondere geeignete: ■ Forschungsmethoden zu wählen. Bei der Auswahl von Methoden der Datener‐ hebung/ -auswertung geht es zunächst um eine Richtungsentscheidung zwi‐ schen einem quantitativen Vorgehen - das auf die Erhebung und Auswertung numerischer Daten abzielt - und einem qualitativen Vorgehen - das auf die Erhebung und Auswertung verbaler Daten abzielt. ■ Untersuchungsobjekte auszuwählen. Ob z. B. eine Einzelfall- oder Feldstudie durchgeführt wird, und ob die Stichprobengröße und -zusammensetzung theo‐ riegeleitet oder mittels Zufallsauswahl erfolgt, richtet sich meist nach den sach‐ lichen Anforderungen der Untersuchung und den faktischen Möglichkeiten der Untersuchungsdurchführung. Dabei ist insbesondere auf einen vom Untersu‐ chungsfeld unabhängigen Blick zu achten. Denn „Distanz und Handlungsent‐ lastung [sind] wichtige Bedingungen der Möglichkeit für eine anschließende analytische Nähe. Wer zu stark involviert ist und sich … mit Emphase engagiert, steht in der Gefahr, durch die unmittelbaren Handlungsnotwendigkeiten des Feldes absorbiert und blockiert zu werden“ (Bette, 1994, S. 217). ■ Untersuchungszeiträume zu definieren. Diese richten sich ebenfalls nach den sachlichen Anforderungen der Untersuchung und den faktischen Möglichkeiten der Untersuchungsdurchführung. 250 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 250 <?page no="251"?> Quantitative Forschungsmethoden Quantitative Forschungsmethoden zeichnen sich durch hohe Standardisierungsgrade bei der Datenerhebung und -auswertung aus. Mit ihrer auf mathematischen Kalkula‐ tionen basierenden, zahlenorientierten Vorgehensweise stehen sie für eine Form von Objektivität und Verlässlichkeit, die gerade auch im organisierten Sport hohes Ansehen genießt. Typische Methoden der Datenerhebung sind vor allem: ■ (sport-)motorische Tests, die Merkmale motorischer Leistungsfähigkeit erfassen, z. B. Lauf-, Wurf- oder Sprungtests unter spezifischen Umgebungs- und Testbe‐ dingungen; ■ schriftliche (Fragebogen) und mündliche (Interview) Befragungen, die mit ge‐ schlossenen Fragen und Antwortvorgaben operieren, z. B. bei Zuschauerbefra‐ gungen vor Ort im Stadion; ■ teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtungen, die mit geschlossenen Beobachtungsrastern und Antwortvorgaben operieren, z. B. zur Häufigkeitsbe‐ stimmung von Ballkontakten oder Spielzügen im Sportspiel; ■ Quantitative Inhaltsanalysen, die zur Analyse von Texten/ Dokumenten nume‐ rische Kategoriensysteme einsetzen, z. B. bei der Häufigkeitsbestimmung von Signalwörtern in der Sportberichterstattung. Typische Methoden der Datenauswertung sind dabei insbesondere: ■ Deskriptive Statistik, die empirische Daten durch Tabellen, Kennzahlen (z. B. Mittelwert, Median, Varianz, Standardabweichung) und Grafiken (z. B. Balken-/ Kreisdiagramme) übersichtlich darstellt und beschreibt; ■ Inferenzstatistik, die von Daten einer Stichprobe Rückschlüsse auf Werte in der Grundgesamtheit/ Population ermöglicht, z. B. mittels ▸ Signifikanztests, etwa t-Test oder Chi-Quadrat-Test (je nach Skalenniveau) zum Vergleich zweier Erwartungswerte (Mittelwerte, Varianzen), z. B. in‐ wiefern Schüler, die Mitglied im Sportverein sind, körperlich leistungsfähi‐ ger sind als Schüler, die nicht Sportvereinsmitglied sind (unabhängige Stich‐ proben); inwiefern sich die Leistungsfähigkeit einer Trainingsgruppe nach Abschluss einer achtwöchigen Trainingsphase verbessert hat (abhängige Stichproben), ▸ Korrelationsanalysen zur Analyse der Beziehung zwischen mehreren Varia‐ blen, z. B. inwiefern bestimmte Kraft- und Ausdauerleistungsfähigkeiten miteinander zusammenhängen, ▸ Regressionsanalysen zur Analyse der Beziehung zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen, z. B. inwiefern auf Basis von Persönlichkeitsmerkmalen Vorhersagen über die Leistungspotenziale von Spitzensportlern möglich sind, oder inwiefern Sprintleistungen Aussa‐ gen über die Leistungsfähigkeit im Weitsprung ermöglichen; 251 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess 251 <?page no="252"?> ■ Multivariate Statistik, die Zusammenhänge mehrerer Variablen parallel unter‐ sucht, etwa wenn mehr als zwei Stichproben miteinander verglichen werden, z. B. mittels ▸ Varianzanalysen zur Erklärung der Varianz einer oder mehrerer (abhängi‐ ger) Zielvariablen durch den Einfluss einer oder mehrerer (unabhängiger) Einflussvariablen, z. B. inwiefern sich verschiedene Trainingsprogramme auf die Leistungsfähigkeit von Sportlern einer Trainingsgruppe auswirken, ▸ Faktorenanalysen zur Reduktion einer Vielzahl von Variablen auf wenige, voneinander unabhängige (Hintergrund-)Faktoren, z. B. inwiefern Einzel‐ gründe, die zu einem Wettkampfverzicht von Spitzensportlern führen, für übergreifende Faktoren des Wettkampfverzichts im Spitzensport stehen, ▸ Clusteranalysen zur Einteilung großer Datenbestände in voneinander abge‐ grenzte, jeweils in sich aber möglichst ähnliche Gruppen (Cluster), z. B. inwiefern Trainer hinsichtlich ihrer beruflichen (Un-)Zufriedenheit be‐ stimmten Typen zugeordnet werden können, ▸ Diskriminanzanalysen zur Identifikation von Unterschieden zwischen zwei oder mehr Gruppen, z. B. inwiefern persönliche Stimmungsparameter Hin‐ weise auf den Trainingszustand von Mitgliedern einer Trainingsgruppe ge‐ ben (Normalzustand vs. Übertraining); ■ (Quantitative) Inhaltsanalyse, die zur Analyse von Texten/ Dokumenten nume‐ rische Kategoriensysteme einsetzt, z. B. wie häufig in bestimmten Medienpro‐ dukten über einen Sportverein berichtet wird. Das hohe Maß an Sachlichkeit und Seriosität wissenschaftlichen Arbeitens resultiert neben der von Theorie - und nicht von Intuition - geleiteten Reflexion auch aus der systematischen Anwendung der genannten Forschungsmethoden. Dabei sind insbe‐ sondere folgende wissenschaftliche Gütekriterien bedeutsam: ■ Objektivität steht für den Grad der Unabhängigkeit von Messergebnissen von der konkreten Person desjenigen, der das Verfahren durchführt und die gewonnenen Daten auswertet und interpretiert (Höner & Roth, 2002). ■ Reliabilität bezeichnet die Zuverlässigkeit eines Verfahrens, d. h., den „Grad der Genauigkeit, mit dem ein Messverfahren ein bestimmtes Merkmal misst“ (Höner & Roth, 2002, S. 73). ■ Validität steht für die Gültigkeit eines Verfahrens, d. h., für den „Grad der Genauigkeit, mit dem ein Messverfahren tatsächlich jenes Merkmal erfasst, für dessen Messung es konstruiert worden ist“ (Höner & Roth, 2002, S. 76). Quantitative Forschungsmethoden operieren also mit exakt messbaren Zahlenwerten. Dies führt latent dazu, „Eigenheiten, latente Sinnstrukturen, symbolische Bedeutungs‐ zuschreibungen und die impliziten Erfahrungsregeln des Sports auszublenden … Zah‐ 252 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 252 <?page no="253"?> len abstrahieren von den besonderen Beschaffenheiten der Personen oder Dinge, um die es geht, und erzeugen auf der Basis formaler Kalküle eine eigene Wirklichkeit. Nur diejenigen Erfahrungsdaten erhalten die Weihe der quantitativen Relevanz, die sich dem Zugriff einer mathematischen Standardisierung fügen und eine intersubjektive Überprüfung auf der Ebene des Nachrechnens zulassen“ (Bette, 1999, S. 87). Qualitative Forschungsmethoden Im Unterschied zu den quantitativen arbeiten qualitative Forschungsmethoden mit verbalen Daten - also Schrift und Sprache - die insbesondere für viele sozialwissen‐ schaftliche Problem-/ Fragestellungen angemessen sind. Im Gegensatz zum quantitati‐ ven Forschungsdesign zeichnen sich qualitative Methoden dabei durch eine besondere „Offenheit für Erfahrungswelten, ihre innere Verfasstheit und ihre Konstruktionsprin‐ zipien“ (Flick, Kardorff & Steinke, 2004, S. 17) aus. Folglich reflektieren sie die jeweili‐ gen Entstehungsbedingungen ihrer Daten jeweils explizit (Bette, 1999; Flick et al., 2004). Typische Methoden der Datenerhebung sind dabei vor allem: ■ schriftliche (Fragebogen) und mündliche (Interview) Befragungen, die mit offe‐ nen und halb-geschlossenen Fragen operieren, z. B. Tiefeninterviews mit aus‐ gewählten Experten eines Sportvereins; ■ teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtungen, die mit offenen und halb-geschlossenen Beobachtungsrastern operieren, z. B. im Rahmen der Teil‐ nahme an Mannschaftsbesprechungen zur Analyse sozialer Teamstrukturen; ■ qualitative Inhaltsanalysen (Dokumentenanalyse), die zur Analyse von Texten verbale Kategoriensysteme einsetzen, z. B. bei der Analyse von Karriereverläu‐ fen jugendlicher Spitzensportler. Qualitative Forschung kann außerdem Doku‐ mente als Ganzes zum Forschungsgegenstand haben. Dann bleibt die Authen‐ tizität der Daten in besonderer Weise erhalten, da die Dokumente bereits vorliegen und Daten nicht künstlich hergestellt werden (Ballstaedt, 1982). Als Methoden der Datenauswertung werden dabei typischerweise eingesetzt: ■ Sozialwissenschaftliche Hermeneutik, die ein methodisch kontrolliertes Deuten und Verstehen des Zustandekommens sozialer Realität ermöglicht - wobei mög‐ liche Vor-Urteile des Forschers und die sozialen Entstehungskontexte der un‐ tersuchten Realität explizit reflektiert werden (Soeffner, 2004). Sozialwissen‐ schaftliches Verstehen unterscheidet sich dabei „vom alltäglichen Verstehen … dadurch, dass die Interpretationsleistungen hier nicht unter Rückgriff auf den Alltagsverstand geschehen, sondern auf dem Rückgriff auf extensiv aktiviertes Wissen und auch auf einem Vorrat an professionellem Sonderwissen beruhen“ (Soeffner, 2004, S. 168). ■ Qualitative Inhaltsanalyse, die zur Analyse von Texten verbale Kategoriensys‐ teme einsetzt und sich von hermeneutisch-interpretativen Zugängen vor allem durch eine explizite Systematik in der Vorgehensweise unterscheidet (Mayring, 1996; 2003), z. B. Vorurteile und Stereotypen in der Sportberichterstattung. 253 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess 253 <?page no="254"?> Während für standardisierte Forschungsarbeiten Objektivität, Reliabilität und Validität gängige Qualitätsmaßstäbe sind, misst man qualitative Forschung üblicherweise an anderen Gütekriterien (Steinke, 2004; Bette, 1999): ■ Indikation des Forschungsprozesses bezeichnet die Angemessenheit qualitativen Vorgehens, d. h., seine Begründung mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand und die Fragestellungen. Theoriegeleitete Deutungen sind dabei idealtypisch an empirischem Datenmaterial zu prüfen. ■ Intersubjektive Nachvollziehbarkeit erfordert, im Rahmen des Forschungsproz‐ esses angewandte Methoden der Datenerhebung und -auswertung transparent zu machen. Im Einzelnen heißt dies, ▸ gängige, regelgeleitete Verfahren zu wählen und systematisch anzuwenden; ▸ Datenerhebung und -auswertung detailliert und nachvollziehbar zu doku‐ mentieren; ▸ empirisches Vorgehen und dessen Rückbindung an theoriegeleitete Refle‐ xionen mit Fachkollegen und ggf. den Untersuchten selbst zu diskutieren, d. h., kommunikativ zu validieren. ■ Reflektierte Subjektivität erfordert, dass der Forscher auf seine konstituierende Rolle im Forschungsprozess hinweist, d. h., sich selbst als Teil der erforschten sozialen Realität beobachtet und kritisch hinterfragt. Zu große Nähe zum For‐ schungsgegenstand gilt es zu vermeiden. In qualitativen Forschungsprozessen werden Forschungsmethoden häufig parallel ein‐ gesetzt (Methodentriangulation), um eine möglichst ganzheitliche Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu ermöglichen und Schwachstellen einzelner Methoden aus‐ zugleichen. Ferner ist mitunter auch ein Nebeneinander qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden gewinnbringend, wenn dies vom theoretischen Zugang her ge‐ rechtfertigt werden kann. Typische Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Untersuchungsdesigns und beim Umgang mit Forschungsmethoden sind insbesondere: ■ die Auswahl eines mit Blick auf die Forschungsfragen und die theoriegeleiteten Analysen angemessenen Untersuchungsdesigns; ■ die angemessene Planung und Durchführung von Datenerhebung und Daten‐ auswertung (Strategie, Umfang etc.), vor allem die regelgerechte Anwendung der jeweiligen Forschungsmethoden; ■ souveräner Umgang mit typischerweise großen Datenmengen. 4.1.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse Nach Abschluss der empirischen Untersuchung geht es um eine angemessene - sys‐ tematische, übersichtliche und möglichst nachvollziehbare - Darstellung der Untersu‐ chungsergebnisse. Die sprachliche und grafische Darstellung der Ergebnisse gewinnt dabei an Erklärungswert, wenn sie explizit auf die theoriegeleitete Reflexion bezogen 254 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 254 <?page no="255"?> wird. Eine solche Interpretation der eigenen empirischen Ergebnisse durch Rückbin‐ dung auf die in Anschlag gebrachte Theorie ist auch Bedingung für mögliche Weiter‐ entwicklungen der entsprechenden theoretischen Zugänge. Unter Bezugnahme auf die zu Beginn des Forschungsprozesses identifizierten For‐ schungslücken gilt es ferner, den Erkenntnisgewinn der eigenen Arbeit kritisch zu re‐ flektieren. Dabei ist unter Verweis auf nach wie vor offene Forschungsfragen auch ein Ausblick auf zukünftig wünschenswerte Analysen zum bearbeiteten Thema zu geben. Und schließlich ist eine mögliche Nutzbarkeit der Forschungsergebnisse seitens der „nicht-wissenschaftlichen Praxis“ zu diskutieren. Typische Schwierigkeiten bei der Ergebnisdarstellung sind insbesondere: ■ die angemessen detaillierte und gleichwohl übersichtliche Darstellung der Er‐ gebnisse in einer sprachlich nachvollziehbaren Form; ■ die explizite Rückbindung und Reflexion der eigenen Erkenntnisse vor dem Hin‐ tergrund der gewählten Theorie, insbesondere die Einschätzung potenzieller Beiträge zur Bestätigung oder Weiterentwicklung des entsprechenden theore‐ tischen Zugangs. Praxisbeispiel: Empirische Analysen zur Gesundheit im Spitzensport Verletzungen sind im Spitzensport ein fast alltägliches Phänomen. Häufig liest man von verletzungsbedingten Wettkampfabsagen, von Comebacks nach lang‐ wierigen Verletzungspausen oder von Leistungsdefiziten als Folge von Verlet‐ zungen. Athleten, Trainer, Ärzte und Manager des Spitzensports entwickeln dabei in ihrem Trainings- und Wettkampfalltag verletzungsspezifische Um‐ gangsformen. Gleichwohl sind Verletzungen ein massives Problem im Spitzen‐ sport: Sie wirken sich nachteilig auf die Leistungsentwicklung der Athleten aus, führen mitunter zu einem vorzeitigen Ende sportlicher Karrieren und verursa‐ chen teilweise gesundheitliche Langzeitschäden - insbesondere, wenn Spit‐ zensportler längerfristig mit Verletzungen trainieren oder an Wettkämpfen teilnehmen (Mayer, 2010). Theoretische und empirische Erkenntnisse wissenschaftlicher Analysen kön‐ nen Ansatzpunkte für ein Gesundheitsmanagement im Spitzensport aufzeigen. Dabei sind mit Blick auf den Umgang mit Verletzungen im Spitzensport grund‐ sätzlich quantitative und qualitative Untersuchungsdesigns denkbar, wie dies Thiel, Mayer und Digel (2010) in ihrer Studie zur Gesundheit im Spitzensport beispielhaft umgesetzt haben: Im Rahmen einer quantitativen Fragebogenstudie befragten sie 723 Spitzen‐ sportler im Handball und in der Leichtathletik, überwiegend mittels geschlos‐ sener Fragen, zu deren Gesundheitsverhalten und subjektiver Gesundheit. Eine exemplarische Fragestellung lautete z. B., wie häufig Spitzenathleten einen 255 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess 255 <?page no="256"?> Wettkampf in der vorangegangenen Saison aufgrund von gesundheitlichen Problemen abgesagt haben. Dabei zeigte sich u. a., dass von den Handballern nur 35,7% und von den Leichtathleten nur 41,0% ihre Saison ohne Wettkampf‐ pause infolge von Verletzungen oder Krankheiten bestreiten konnten (Thiel et al., 2010). In den qualitativen Fallstudien wurden 30 problemzentrierte Interviews mit Ath‐ leten, Trainern, Ärzten und Sportdirektoren durchgeführt, die jeweils durch‐ schnittlich 69 min in Anspruch nahmen. Exemplarische Fragestellungen richte‐ ten sich u. a. darauf, welche Ereignisse oder Symptome die Beteiligten überhaupt als Verletzung wahrnehmen, wie sie deren Schwere einschätzen, welche Tole‐ ranzschwellen existieren und inwiefern Beschwerdegrad, mögliche sportliche Karrierefolgen oder potenzielle gesundheitliche Risiken dabei eine Rolle spielen. Auf diesem Weg wurden spitzensportspezifische Rahmenbedingungen identifi‐ ziert, die Athleten zu einer Teilnahme an Trainingsmaßnahmen oder Wettkämp‐ fen motivieren, auch wenn sie (eigentlich) verletzt sind. Die Ergebnisse deuten u. a. auf eine Verdrängung von Schmerzen/ Verletzungen aufgrund von Leis‐ tungsdruck und Umfelderwartungen hin. Auch ist im Handball und disziplin‐ spezifisch in der Leichtathletik eine quasi kulturell verankerte Bagatellisierung von Verletzungen beobachtbar, die auch zu einer Ausblendung möglicher lang‐ fristiger körperlicher Schädigungen führt (Thiel et al., 2010). Kontrollfragen 1. Wissenschaftliche Forschungsprozesse beginnen mit der Identifikation ei‐ nes Forschungsproblems und der Formulierung darauf bezogener zentraler Forschungsfragen. Was müssen Problem- und Fragestellung jeweils leisten und welche typischen Schwierigkeiten treten bei deren Formulierung auf ? 2. Vor einer theoriegeleiteten Auseinandersetzung ist ein Forschungsüberblick über den bereits bestehenden Kenntnisstand zu erstellen. Welche Funktion hat dieser Überblick und mit welchen typischen Schwierigkeiten ist man bei dessen Ausarbeitung konfrontiert? 3. Theorien unterbreiten spezifische Perspektiven und Interpretationsansätze. Was hat eine theoriegeleitete Reflexion im wissenschaftlichen Forschungs‐ prozess zu leisten und welche typischen Schwierigkeiten sind dabei zu be‐ wältigen? 4. Die generelle Richtung empirischer Analysen wird vom Untersuchungsde‐ sign festgelegt. Welche Entscheidungen sind dabei insbesondere zu treffen? 5. Quantitative Forschungsmethoden zielen auf die Erhebung und Auswertung numerischer Daten. Was kennzeichnet ein quantitatives Vorgehen darüber hinaus und welche typischen Methoden der Datenerhebung und -auswer‐ tung stehen dabei zur Verfügung? 256 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 256 <?page no="257"?> 6. Qualitative Forschungsmethoden zielen auf die Erhebung und Auswertung verbaler Daten. Was kennzeichnet ein qualitatives Vorgehen darüber hinaus und welche typischen Methoden der Datenerhebung und -auswertung ste‐ hen dabei zur Verfügung? 7. Nach Abschluss empirischer Untersuchungen sind die Ergebnisse angemes‐ sen darzustellen und zu interpretieren. Was ist dabei insbesondere zu be‐ achten und welche Bedeutung hat gerade eine Rückbindung der Erkennt‐ nisse auf die jeweils in Anschlag gebrachte Theorie? Literatur Ballstaedt, S.-P. (1982). Dokumentenanalyse. In G. L. Huber & H. Mandl (Hrsg.), Verbale Daten (S. 165-176). Weinheim, Basel: Beltz Verlag. Bette, K.-H. (1994). Neuere Systemtheorie. In K.-H. Bette, G. Hoffmann, C. Kruse, E. Meinberg & J. Thiele (Hrsg.), Zwischen Verstehen und Begreifen: forschungsmethodologische Ansätze in der Sportwissenschaft (S. 215-258). Köln: Sport und Buch Strauß. Bette, K.-H. (1999). Systemtheorie und Sport. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Bös, K., Hänsel, F. & Schott, N. (2000). Empirische Untersuchungen in der Sportwissenschaft. Pla‐ nung - Auswertung - Statistik. Hamburg: Czwalina. Flick, U., Kardorff, E. von & Steinke, I. (2004). Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick. In U. Flick, E. von Kardoff & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 13-29). Reinbek: Rowohlt. Höner, O. & Roth, K. (2002). Klassische Testtheorie: Die Gütekriterien sportwissenschaftlicher Erhebungsmethoden. In R. Singer & K. Willimczik (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Forschungs‐ methoden in der Sportwissenschaft. Eine Einführung (S. 67-97). Hamburg: Czwalina. Kastrup, V. (2009). Der Sportlehrerberuf als Profession: eine empirische Studie zur Bedeutung des Sportlehrerberufs. Schorndorf: Hofmann. Mayer, J. (2010). Verletzungsmanagement im Spitzensport: eine systemtheoretisch-konstruktivisti‐ sche Analyse mit Fallstudien aus den Sportarten Leichtathletik und Handball. Hamburg: Czwa‐ lina. Mayring, P. (1996). Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken (3. Auflage). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Mayring, P. (2003). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (8. Auflage). Weinheim, Basel: Beltz. Singer, R. & Willimczik, K. (2002). Versuchsplanung. In R. Singer & K. Willimczik (Hrsg.), Sozi‐ alwissenschaftliche Forschungsmethoden in der Sportwissenschaft. Eine Einführung (S. 29-53). Hamburg: Czwalina. Soeffner, H.-G. (2004). Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. In U. Flick, E. von Kardoff & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 164-175). Reinbek: Rowohlt. Steinke, I. (2004). Gütekriterien qualitativer Forschung. In U. Flick, E. von Kardoff & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 319-331). Reinbek: Rowohlt. 257 4.1 Der (sport-)wissenschaftliche Forschungsprozess 257 <?page no="258"?> 1 Eine ausführliche Darstellung unterschiedlicher Recherchemöglichkeiten in der Sportwissenschaft kann Amendt und Schiffer (2015, S. 57-111) entnommen werden. Thiel, A., Mayer, J. & Digel, H. (2010). Gesundheit im Spitzensport. Schorndorf: Hofmann. Willimczik, K. (2002). Erkenntnistheoretische Grundlagen erfahrungswissenschaftlicher For‐ schung. In R. Singer & K. Willimczik (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden in der Sportwissenschaft. Eine Einführung (S. 13-28). Hamburg: Czwalina. Willimczik, K. (2003). Sportwissenschaft interdisziplinär. Ein wissenschaftstheoretischer Dialog. Band. 2: Forschungsprogramme und Theoriebildung in der Sportwissenschaft. Hamburg: Czwa‐ lina. 4.2 Informationsbeschaffung und Literaturrecherche Die Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit setzt zunächst Informationsbeschaf‐ fung und Literaturrecherche voraus. Quantität und Qualität der recherchierten Lite‐ ratur beeinflussen dabei die Güte der eigenen wissenschaftlichen Arbeit. Neben ent‐ sprechender Fachliteratur inklusive Fachzeitschriften können auch wissenschaftliche Abschlussarbeiten, die in Fakultäts- und Institutsbibliotheken archiviert sind, eine wichtige Literaturgrundlage sein. Für eine umfangreiche Literaturrecherche ist die am Ort zugängliche Literatur allerdings häufig nicht ausreichend. Eine weiterführende Suche in Bibliothekskatalogen anderer Universitäten (inkl. anschließender Fernleihe) und in einschlägigen Datenbanken ist daher zu empfehlen. 1 Lernziele ■ Die Leser lernen unterschiedliche Wege der Informationsbeschaffung und Literaturrecherche im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens kennen. ■ Sie setzen sich mit ausgewählten Möglichkeiten der Literaturrecherche in der Sportwissenschaft auseinander und erkennen, welche Vor- und Nach‐ teile diese Recherchemöglichkeiten haben. Bibliothekskataloge der Universitäts-, Fachbereichs- und Institutsbibliotheken bieten umfangreiche Recherchemöglichkeiten, die in der Regel als frei zugängliche On‐ line-Kataloge vorhanden sind - sogenannte OPAC (Online Public Access Catalogue“). Suchanfragen können beispielsweise nach dem Titel der Publikation, nach dem Namen des Autors oder nach der Signatur eines Buchs vorgenommen werden. Es bietet sich auch die Möglichkeit, nach Schlagwörtern und/ oder nach Stichwörtern zu suchen. Schlagwörter werden für den Inhalt einer Publikation aus einer Schlagwort-Normdatei gewählt und müssen nicht im Titel eines Buchs vorkommen (z. B. „Sportberichterstat‐ tung“, „Duales Rundfunksystem“). Stichwörter sind hingegen charakteristische Wörter 258 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 258 <?page no="259"?> im Titel der Publikation (z. B. „Sport im Fernsehen: Öffentlich-rechtliche und private Programme im Vergleich“). Die OPAC-Kataloge der einzelnen Bibliotheken sind wiederum in sogenannten Ver‐ bundkatalogen zusammengefasst, die den Medienbestand einer Region verzeichnen. Beispiele hierfür sind Bibliotheksverband Bayern (Gateway Bayern) oder HeBis (Ver‐ bund der Bibliotheken Hessens und der Region Rheinhessen des Landes Rhein‐ land-Pfalz). Meta-Kataloge wiederum bieten die Möglichkeit, parallel in mehreren Ver‐ bundkatalogen zu suchen. Der bekannteste Meta-Katalog ist der Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK). „Der KVK ist eine Meta-Suchmaschine zum Nachweis von mehreren hundert Millionen Medien in Bibliotheks- und Buchhandelskatalogen weltweit (KIT-Bibliothek, 2018, o. S.). Die eingegebenen Suchanfragen werden an mehrere Bib‐ liothekskataloge gleichzeitig weitergereicht und die jeweiligen Trefferlisten angezeigt. Der KVK verfügt selbst über keine eigene Datenbank. Die Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB) ist ein zusätzlicher Service an rund 630 Bibliotheken und Forschungseinrichtungen und ermöglicht schnellen Zugang zu wissenschaftlichen Volltextzeitschriften. Sie umfasst „96305 Titel, davon 20474 reine Online-Zeitschriften, zu allen Fachgebieten. … 61898 Fachzeitschriften sind im Volltext frei zugänglich. Die Anwenderbibliotheken bieten ihren Benutzern zusätzlich den Zu‐ griff auf die Volltexte der von ihnen abonnierten E-Journals“ (Universitätsbibliothek Regensburg, 2018, o. S.). Die Fülle unterschiedlicher sportwissenschaftlicher Zeit‐ schriften kann grob in übergreifende sportwissenschaftliche Zeitschriften (z. B. Ger‐ man Journal of Exercise and Sport Research - ehemals „Sportwissenschaft“) und dis‐ ziplinspezifische Zeitschriften (z. B. „Sportpädagogik“) sowie sportartübergreifende (z. B. „Leistungssport“) und sportartspezifische Fachzeitschriften (z. B. „Handballtrai‐ ning“) unterschieden werden. Einige sportwissenschaftliche Zeitschriften fungieren auch als Organe spezifischer Vereinigungen (z. B. „Sport und Gesellschaft“ als Organ der Sektion Sportsoziologie der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft). Ferner steht für die Literaturrecherche eine große Anzahl an Datenbanken zur Ver‐ fügung. Diese lassen sich in sportwissenschaftliche Datenbanken und Datenbanken der Mutterwissenschaften sowie in deutsche Datenbanken und Datenbanken aus dem Ausland/ internationale Datenbanken differenzieren. Bei den sportwissenschaftlichen Datenbanken ist in Deutschland das Angebot des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) besonders bedeutsam, das unter www.bisp -surf.de frei zugänglich ist. Mit einer Suchanfrage erhält man auf SURF (Sport und Recherche im Fokus) Informationen aus externen Datenquellen sowie den vier zusam‐ mengeführten BISp-Datenbanken (Bundesinstitut für Sportwissenschaft, 2019, o. S.): 1. SPOLIT (Sportwissenschaftliche Literatur): Seit 1970 wird in der größten euro‐ päischen Literaturdatenbank der Sportwissenschaft aktuelle Literatur des In- und Auslands aufgenommen und dokumentiert. Die SPOLIT informiert über Monografien, Beiträge in Sammelwerken, Aufsätze in Zeitschriften und andere Publikationen aus aller Welt, insbesondere jedoch aus dem deutsch- und eng‐ lischsprachigen Raum. Dabei werden alle sportwissenschaftlichen Teildiszipli‐ 259 4.2 Informationsbeschaffung und Literaturrecherche 259 <?page no="260"?> nen und Sportarten sowie verschiedene Sportbereiche (z. B. Behindertensport, Schulsport) und Sondergebiete (z. B. Olympische Spiele, Sport und Umwelt) be‐ rücksichtigt. Jede recherchierte Literaturstelle weist ausführliche Angaben auf, „bestehend unter anderem aus Autor(en), Titel, Quelle, Erscheinungsort und -jahr, Verlag, Dokumentenart, Dokumentsprache sowie einer Inhaltsbeschrei‐ bung … und einem informativen Kurzreferat“ (Bundesinstitut für Sportwissen‐ schaft, 2019, o. S.). 2. SPOFOR (Sportwissenschaftliche Forschungsprojekte): Diese BISp-Datenbank enthält Beschreibungen über laufende und abgeschlossene theoretische und empirische Forschungsprojekte aller sportwissenschaftlichen Disziplinen seit 1990 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Somit kann sich der Nutzer über aktuelle Forschungstätigkeiten in der Sportwissenschaft informieren. 3. SPOMEDIA (Audiovisuelle Medien): In dieser Datenbank sind ab 1983 produ‐ zierte Medien (u. a. wissenschaftliche Lehrfilme, Technik- und Taktikfilme) re‐ cherchierbar. Die Dokumentation umfasst dabei verschiedene Angaben, u. a. In‐ halt, Lernziele, Adressatengruppen, technische Details. 4. Fachinformationsführer Sport (Sportwissenschaftliche Internetquellen): Dieser BISp-Service ermöglicht einen direkten Zugriff auf elektronisch verfügbare wis‐ senschaftliche Texte und auf Internetseiten ausgewählter nationaler und inter‐ nationaler Sportorganisationen (z. B. Olympiastützpunkte, World Anti Doping Agency). Dadurch nimmt das BISp eine Vorauswahl sportwissenschaftlich und sportpolitisch relevanter Informationsquellen im Internet vor. Exemplarisch für fachspezifische Datenbanken und Suchmaschinen steht das Angebot des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) mit seiner vorwiegend auf den Leistungssport ausgerichteten Literatur (Institut für Angewandte Trainingswissen‐ schaft, 2019, o. S.). Dazu zählen u. a.: ■ Leistungssport-Archiv: die gemeinsame Datenbank von IAT, DOSB und dem philippka-Verlag umfasstBeiträge der Zeitschrift „Leistungssport“ seit dem Jahr‐ gang 1971 als Volltext; ■ LiDA: rund 50.000 Einträge zu sportartbzw. themenspezifischen wissenschaft‐ lichen Erkenntnissen; ■ SPONET: trainingswissenschaftliche Suchmaschine, für die monatlich ca. 250 neue Quellen ausgewertet und analysiert werden; ■ SPOWIS: ca. 120.000 Literatureinträge zur angewandten Trainingswissenschaft bis 1995 mit einem Schwerpunkt auf den sportwissenschaftlichen Forschungs‐ ergebnissen der DDR. In der internationalen Sportwissenschaft ist SPORTDiscus, eine kostenpflichtige Da‐ tenbank des Sport Information Resource Centres in Ottawa/ Kanada hervorzuheben. Sie umfasst ca. 1,3 Mio. Datensätze zu vorwiegend angloamerikanischen Zeitschriften und Monographien aus Sport(-wissenschaft), Fitness und verwandten Disziplinen (z. B. 260 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 260 <?page no="261"?> Sportrecht, Ernährung). Außerdem sind Nachweise von über 22.000 Dissertationen einsehbar. In den Mutterwissenschaften der sportwissenschaftlichen Teildisziplinen existiert eine nicht zu beziffernde Anzahl an Datenbanken. Dazu zählen u. a. PSYNDEX (Psy‐ chologie), MEDLARS und MEDLINE (Medizin) sowie das Fachportal Pädagogik. Eine weitere Recherchemöglichkeit bietet ViFa: Sport (Virtuelle Fachbibliothek Sportwissenschaft), ein Portal für sportwissenschaftliche Fachinformation im Internet. Hier werden sowohl gedruckte Medien als auch elektronische Informationen mit sportwissenschaftlicher Relevanz nachgewiesen. Es enthält insgesamt rund 2,1 Mio. Datensätze (Zentralbibliothek für Sportwissenschaften der Deutschen Sporthoch‐ schule Köln, 2019, o. S.). Weitere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Literaturrecherche bieten: ■ Bibliographien, z. B. erstellt das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in unre‐ gelmäßiger Folge Bibliografien zu bestimmten Themen, etwa Kinder- und Ju‐ gendleistungssport, Dopingprävention; ■ wissenschaftliche Abschlussarbeiten, z. B. Staatsexamens-, Master- und Bache‐ lorarbeiten; ■ Handbücher und Lexika, z. B. „Sportwissenschaftliches Lexikon“ von Röthig et al., 2003; ■ „Schneeballsysteme“, ausgehend von einer Publikation zu einem gewählten Thema können in deren Literaturverzeichnis Hinweise auf relevante Literatur gefunden werden (Haag & Mess, 2010, S. 416). Auch über Internetsuchmaschinen können Informationen gefunden werden. So dient Google Scholar der fachübergreifenden Literaturrecherche wissenschaftlicher Doku‐ mente (kostenlose Dokumente und kostenpflichtige Angebote). Die Treffer werden als Volltexte oder bibliographische Nachweise angezeigt. Mit ca. 389 Millionen Dokumente ist Google Scholar derzeit die weltweit größte akademische Suchmaschine. Die Infor‐ mationsbeschaffung über andere Internetquellen (z. B. Google) birgt hingegen Gefah‐ ren: „Im Internet finden sich viele Informationen, deren Quellen unklar sind und deren Zustandekommen weder nachvollziehbar noch überprüfbar ist und somit wissen‐ schaftlichen Kriterien nicht standhält“ (Haag & Mess, 2010, S. 418). Praxisbeispiel: Literaturrecherche zum Thema „Doping“ Möchte man eine wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema „Doping“ anferti‐ gen, können unterschiedliche Recherchemöglichkeiten genutzt werden. Sehr unspezifisch ist zunächst eine Recherche über eine Internetsuchmaschine. Bei Eingabe des Suchbegriffs „Doping“ erhält man z. B. bei Google ca. 53.100.000 Suchergebnisse (Stand: April 2019). Zielführender ist hingegen eine Literatur‐ recherche in der sportwissenschaftlichen Datenbank SURF des Bundesinstituts 261 4.2 Informationsbeschaffung und Literaturrecherche 261 <?page no="262"?> für Sportwissenschaft. Über verschiedene Suchoptionen (Schlagwort, Stich‐ wort, Inhalt/ Abstract) und die Eingrenzung auf bestimmte Sprachen und Zeit‐ räume lassen sich die Suchergebnisse beschränken. Beim Beispiel „Doping“ er‐ zielt man über die Schlagwortsuche (d. h. charakteristisches Wort für den Inhalt der Publikation) insgesamt 7.431 Suchergebnisse, bei der Suche über ein Stich‐ wort (charakteristisches Wort im Titel der Publikation) 3.638 Treffer. Grenzt man die Suche nach dem Schlagwort „Doping“ auf den Zeitraum 2010 bis 2018 ein, werden 3.030 Suchergebnisse angezeigt. Bei einer weiteren Auswahl von lediglich Publikationen in deutscher Sprache verringert sich das Suchergebnis auf 1.413 Treffer. Sinnvoll ist ferner, eine Eingrenzung beim Thema der Recherche vorzunehmen. Dies kann geschehen, indem man neben dem Schlagwort „Doping“ ein weiteres Schlagwort in die Suchanfrage integriert. Möchte man sich mit rechtlichen Fragen des Dopings auseinandersetzen und gibt die Schlagwörter „Doping“ und „Recht“ in die Suchanfrage ein, erhält man insgesamt 167 Suchergebnisse. Bei einer Beschränkung auf den bereits genannten Zeitraum 2010 bis 2018 und die Sprache Deutsch verringert sich das Suchergebnis auf insgesamt 64 Treffer. Diese eingeschränkten Suchergebnisse können dann einzeln aufgesucht und anhand des Kurzreferats (Abstract) in ihrer Relevanz für die eigene wissen‐ schaftliche Arbeit bewertet werden. Nicht alle in SURF aufgenommenen Publikationen (Bücher und Zeitschrif‐ tenaufsätze) sind an den Hochschulstandorten in Deutschland erhältlich. Daher müssen die SURF-Suchergebnisse mit dem OPAC-Bestand der ent‐ sprechenden Universitäts-, Fakultäts- oder Institutsbibliothek verglichen werden. Vorhandene Literatur kann ausgeliehen, nicht vorhandene über Fernleihe bestellt werden. Darüber hinaus ist eine Schlagwortsuche noch einmal am eigenen Hochschulstandort durchzuführen, da ggf. wissenschaft‐ liche Abschlussarbeiten wie Bachelor- und Masterarbeiten nur im Bestand der Universitäts-, Fakultäts- oder Institutsbibliothek enthalten, nicht aber bei SURF aufgeführt sind. Kontrollfragen 1. Für Informationsbeschaffung und Literaturrecherche im Rahmen wissen‐ schaftlichen Arbeitens gibt es unterschiedliche Wege. Benennen Sie diese und beschreiben Sie deren Vor- und Nachteile. 2. Bibliothekskataloge bieten umfangreiche Recherchemöglichkeiten. Welche Möglichkeiten der Suchanfragen bestehen? Welche Vor- und Nachteile bie‐ ten diese? 3. Für die Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten kann in sportwissenschaft‐ lichen Datenbanken recherchiert werden. Wie lassen sich diese Datenban‐ 262 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 262 <?page no="263"?> ken differenzieren und welche sportwissenschaftlichen Datenbanken gelten als die bedeutsamsten? Literatur Amendt, A. & Schiffer, J. (2015). Wissenschaftliches Arbeiten mit Literatur im Sportstudium (4., erweiterte und aktualisierte Auflage). Köln: Sportverlag Strauß. Bundesinstitut für Sportwissenschaft (2019). Sport und Recherche im Fokus. Zugriff am 4. April 2019 unter https: / / info.bisp-surf.de/ SURF/ DE/ Home/ home_node.html Haag, H. & Mess, F. (2010). Einführung in das Studium der Sportwissenschaft. Berufsfeld-, Studi‐ enfach- und Wissenschaftsorientierung (3., überarbeitete Auflage). Schorndorf: Hofmann. Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (2019). Datenbanken. Zugriff am 3. April 2019 unter www.iat.uni-leipzig.de/ service/ datenbanken KIT-Bibliothek (2018). KVK Kataloge. Zugriff am 19. September 2018 unter www.bibliothek.kit. edu/ cms/ kvk-kataloge.php Röthig, P., Prohl, R., Carl, K., Kayser, D.; Krüger, M. & Scheid, V. (2003). Sportwissenschaftliches Lexikon. Schorndorf: Hofmann. Universitätsbibliothek Regensburg (2018). Über die EZB. Zugriff am 19. Februar 2018 unter http s: / / rzblx1.uni-regensburg.de/ ezeit/ about.phtml? bibid=UBTUE&; colors=7&lang=de Zentralbibliothek für Sportwissenschaften der Deutschen Sporthochschule Köln (2019). Virtuelle Fachbibliothek Sportwissenschaft. Zugriff am 4. April 2019 unter www.vifasport.de 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten Die Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt typischerweise in Form von Publikationen - d. h. Forschungsberichten, Beiträgen in wissenschaftlichen Zeit‐ schriften, Bachelor-, Master- oder Doktorarbeiten. Dabei unterliegen diese Publikatio‐ nen bestimmten Regeln und Standards. Ziele der Ausarbeitung sind dabei „Übersicht‐ lichkeit, Lesbarkeit und formale Einheitlichkeit sowie inhaltliche Stringenz (‚roter Faden‘)“ (Amendt & Schiffer, 2015, S. 17). Ferner dienen Standards bei den Quellen‐ nachweisen dazu, eigene Gedanken von fremden Gedanken zu unterschieden und eine Nachprüfbarkeit verwendeter Literatur zu ermöglichen. Dabei müssen Quellen so an‐ gegeben werden, dass sie vom Leser mit einem Minimum an Arbeitsaufwand gefunden und überprüft werden können. Grundlage der in diesem Buch aufgeführten Zitier‐ richtlinien und Literaturangaben sind die Richtlinien für die Sportwissenschaft der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), die auf den Standards der Ameri‐ 263 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 263 <?page no="264"?> 1 Dabei ist zu beachten, dass sich in den sportwissenschaftlichen Teildisziplinen teilweise eigene Stan‐ dards etabliert haben, die sich von den dvs-Richtlinien unterscheiden. Auch folgen sportwissen‐ schaftliche Publikationen Vorgaben der Verlage, die partiell nicht den dvs-Standards entsprechen. can Psychological Association (APA) basieren (Deutsche Vereinigung für Sportwis‐ senschaft, 2013). 1 Lernziele ■ Die Leser erfahren, welche Standardkapitel wissenschaftliche Publikationen typischerweise umfassen und lernen „Strategien“ zur Erstellung wissen‐ schaftlicher Texte kennen. ■ Sie setzen sich mit sprachlichen und formalen Anforderungen auseinander, die an wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen gestellt werden. ■ Sie lernen Standards für Quellenangaben in sportwissenschaftlichen Arbei‐ ten kennen. 4.3.1 Gliederung wissenschaftlicher Arbeiten Der formale Aufbau wissenschaftlicher Arbeiten umfasst grundsätzlich folgende Ele‐ mente in der hier dargestellten Reihenfolge: 1. Titelblatt: Auf dem Titelblatt müssen typischerweise folgende Angaben enthal‐ ten sein: Titel und Untertitel der Arbeit, Art der Arbeit (z. B. Seminararbeit, Ba‐ chelorarbeit), Hochschule und Fakultät/ Fachbereich/ Institut, an der die Arbeit eingereicht wird, ggf. Name, Semester und Dozent der Lehrveranstaltung, Vor- und Familienname sowie Anschrift und Studiengang des Verfassers, Ort und Datum der Abgabe. Grundsätzlich werden diese Angaben zentriert auf dem Ti‐ telblatt ausgerichtet. 2. Vorwort (bei Bedarf): Im Vorwort werden Widmungen und Danksagungen aus‐ gesprochen, die Motivation zur Anfertigung der Arbeit erläutert oder Angaben zur Vertraulichkeit von Daten gemacht. Vorworte werden in der Regel nur bei größeren wissenschaftlichen Arbeiten formuliert, in der ersten Person Singular geschrieben und nicht in das Inhaltsverzeichnis der Arbeit aufgenommen. 3. Inhaltsverzeichnis: Alle Kapitelüberschriften im Text müssen wortgetreu in das Inhaltsverzeichnis übernommen werden. Die Anfangsseitenzahl der jeweiligen Kapitel wird im Inhaltsverzeichnis am rechten Rand rechtsbündig gesetzt. Dabei ist zu beachten, dass jede Gliederungsstufe aus mindestens zwei Positionen be‐ stehen muss. Kapitel mit nur einem Abschnitt und Abschnitte mit nur einem Unterabschnitt sind unlogisch und daher nicht zulässig. 4. Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen (bei Bedarf): In ein Abkürzungsver‐ zeichnis werden nur Abkürzungen aufgenommen, die weder im Duden ver‐ 264 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 264 <?page no="265"?> zeichnet sind und noch allgemein bekannt sind (wie z. B., u. a.). Das Abkür‐ zungsverzeichnis ist alphabetisch anzuordnen und dann anzulegen, wenn viele Abkürzungen im Text vorhanden sind. 5. Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen (bei Bedarf): Wird ein Abbildungsund/ oder Tabellenverzeichnis angefertigt, müssen alle Abbildungsunterschrif‐ ten und/ oder Tabellenüberschriften im Text mit Quellenangabe und Seitenzahl aufgenommen werden. Auch hier werden die Seitenzahlen, auf denen sich die Abbildungen und/ oder Tabellen befinden, am rechten Rand rechtsbündig ange‐ ordnet. 6. Text der Arbeit: Der Text einer wissenschaftlichen Arbeit besteht in der Regel aus einem einleitenden Kapitel („Einleitung und Problemstellung“ mit Einfüh‐ rung in die Thematik/ Phänomendarstellung, Problem- und zentrale Fragestel‐ lung, Bedeutung und Einordnung der Arbeit für die Forschung sowie Aufbau der Arbeit), einem Hauptteil (u. a. Kapitel zum Forschungsstand und theoreti‐ sche Reflexion, empirische Untersuchung mit Untersuchungsdesign und -durch‐ führung sowie Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse) sowie einem Schlussteil (u. a. Zusammenfassung zentraler Aspekte und Ergeb‐ nisse der wissenschaftlichen Arbeit, Forschungsperspektiven für nachfolgende Arbeiten). 7. Literaturverzeichnis: Jede in der Arbeit verwendete Quelle ist in das Literatur‐ verzeichnis aufzunehmen. Wichtig für die Lesbarkeit des Literaturverzeichnis‐ ses ist eine gute Unterscheidung der Referenzen (z. B. durch Einfügen von Leer‐ zeilen oder hängenden Absätzen - jedoch ohne Aufzählungszeichen) (vgl. ausführlich Kapitel 4.3.3). 8. Anhang (bei Bedarf): Im Anhang werden ergänzende Materialien wie vollständig transkribierte Interviews, Statistiken, Tabellen, Zeichnungen, Bild- und Über‐ sichtstafeln, die wesentlich zur Sicherung oder Veranschaulichung der im Haupttext dargestellten Inhalte beitragen, aufgenommen. Dies ist u. a. dann rat‐ sam, wenn sie einen solchen Umfang annehmen, dass ihre Einarbeitung im Fließtext den eigentlichen Textzusammenhang sprengen würde. 9. Erklärung: Sie ist vom Verfasser zu unterschreiben, mit Datum und Ort zu ver‐ sehen und beinhaltet typischerweise folgenden Wortlaut: „Ich erkläre, dass ich die Arbeit vollständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln angefertigt habe und dass alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Wer‐ ken entnommen wurden, durch Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht worden sind.“ Von besonderer Bedeutung ist die Verbindung der einzelnen Teile der Arbeit. Das Ein‐ leitungskapitel muss ausgehend vom beobachtbaren Phänomen die Problem- und Fra‐ gestellungen fokussieren. Es ist darzulegen, wie sich der Aufbau der Arbeit aus der Problem- und Fragestellung ergibt und welchen Beitrag die einzelnen Teile und Kapitel zur Beantwortung der zentralen Fragestellungen leisten. Der Theorieteil muss sich wiederum eng an den in der Einleitung aufgeworfenen Problem- und Fragestellungen 265 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 265 <?page no="266"?> orientieren. Folgt ein empirischer Teil, dient dieser der Überprüfung der am Ende des Theorieteils aufgestellten Hypothesen und in der abschließenden Diskussion werden die Ergebnisse der Hypothesenprüfung im Hinblick auf die Modifikation der theoreti‐ schen Vorstellungen über den Gegenstandsbereich beleuchtet. Der Gefahr, den „roten Faden“ zu verlieren, kann man dadurch begegnen, indem zu Anfang jedes Kapitels die Vorgehensweise und das Ziel des Kapitels dargestellt und bezogen auf die zentralen Fragestellungen begründet werden. Am Ende jedes Kapitels kann außerdem ein kurzes Resümee zum nächsten Kapitel überleiten. 4.3.2 Sprachliche und formale Anforderungen „Wissenschaftliche Texte beruhen auf Wissenschaft, d. h. sie verarbeiten wissenschaft‐ liche Erkenntnisse anderer, indem sie diese wiedergeben, zueinander in Beziehung set‐ zen, kommentieren und zur Grundlage eigener Erkenntnisse machen. Sie sind damit zugleich Teil der Wissenschaft, können ihrerseits zitiert und kommentiert werden“ (Bünting, Bitterlich & Pospiech, 2000, S. 13). Die Anfertigung wissenschaftlicher Ar‐ beiten verlangt jedoch nicht nur das Zusammentragen von Daten aus unterschiedli‐ chen Quellen, das Zusammenfassen und Einschätzen von Theorien, die Darstellung von Fakten und Ergebnissen, sondern auch die Verwendung einer für den wissen‐ schaftlichen Diskurs angemessenen Sprache. Nach Amendt und Schiffer (2015, S. 26-28) erfordert ein wissenschaftlicher Schreib‐ stil die geordnete Präsentation der Ideen (z. B. Kontinuität bei Wortwahl, Konzept und thematischer Entwicklung), Einfachheit und Ökonomie im Ausdruck (z. B. Vermeidung von langatmigen Darstellungen und Redundanzen) sowie Präzision und Klarheit (z. B. Wörter mit umgangssprachlicher Bedeutung sind zu vermeiden). Auch die Darstellung schwieriger Sachverhalte hat sich an dem Prinzip der Klarheit und Verständlichkeit zu orientieren (Frank, Haacke & Lahm, 2007, S. 63). Kruses (1995, S. 67-69) Regeln der Wissenschaftssprache können ebenfalls Anregungen geben: ■ Belegen: Behauptungen, vor allem Meinungen anderer Personen sind durch Zitieren und/ oder Paraphrasieren zu belegen. ■ Paraphrasieren: Ideen und Meinungen aus anderen wissenschaftlichen Tex‐ ten sind in eigenen Worten wiederzugegeben. ■ Zitieren: Wörtlich wiedergegebene Textstellen müssen zitiert werden (durch Anführungszeichen gekennzeichnet). ■ Begründen: Alle Aussagen sind zu begründen, ebenso das Vorgehen/ die an‐ gewandten Methoden. ■ Bezüge herstellen: Aussagen sind auf vorhandene Literatur zu beziehen. ■ Begriffe definieren und präzisieren: Erklärungen, wie Wörter/ Konzepte ver‐ wendet werden, sind unerlässlich. Meist ist dies mit der Zuordnung zu einer theoretischen Perspektive/ einem Paradigma verbunden. 266 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 266 <?page no="267"?> ■ Differenzieren: Gegenmeinungen sind zu diskutieren. ■ Widersprüche eliminieren und logisch schließen: Idealerweise sind wissen‐ schaftliche Texte widerspruchsfrei und Schlussfolgerungen logisch folge‐ richtig. ■ Werte explizieren: Wertfrei zu schreiben, ist fast unmöglich. Deshalb ist es aber wichtig, sie nicht als gegeben vorauszusetzen, sondern zu explizieren. Weiterführende Hinweise zu wissenschaftlichen Sprachstilen geben Bünting, Bitterlich und Pospiech (2000, S. 89-112) sowie Frank, Haacke und Lahm (2007, S. 63). Dabei ist zu beachten, dass Unterschiede in den Wissenschaftskulturen und somit auch in den sportwissenschaftlichen Teildisziplinen hinsichtlich der Verwendung von Sprache und Stil existieren. Einigkeit herrscht darüber, dass „die Ich-Form … nicht verwandt werden [sollte], da sie Subjektivität suggeriert. Stattdessen sollten Formulieren gewählt wer‐ den, die Objektivität ausdrücken, z. B. anstatt ‚Ich untersuchte 20 Personen‘ die Wen‐ dung ‚Es wurden 20 Personen untersucht‘ oder - bei interpretierenden Aussagen - nicht ‚Ich glaube, dass…‘, sondern ‚Verfasser dieser Arbeit ist der Meinung, dass…‘)“ (Amendt & Schiffer, 2015, S. 27). Ferner ist bei einer wissenschaftlichen Arbeit auf feh‐ lerfreie Orthographie, Interpunktion und Grammatik zu achten. Bei der formalen Gestaltung wissenschaftlicher Texte ist außerdem auf Schriftbild und Seitengestaltung zu achten. ■ Als Format ist DIN A4 zu verwenden, alle Seiten sind einseitig zu beschreiben. Der Rand auf jeder Seite beträgt mindestens 3 cm auf jeder Seite sowie oben und unten. ■ Bei der Schrift sind Schriftarten wie Times New Roman (Serifenschrift) oder Arial (Groteskschrift) zu verwenden. Der Schriftgrad beträgt 12 Pt, der Zeilen‐ anstand ist 1,5-fach zu wählen. Der Blocksatz (rechts- und linksbündige Aus‐ richtung) ist dem Flattersatz (linksbündige Ausrichtung) vorzuziehen. Bei bei‐ den Ausrichtungsarten muss eine Silbentrennung im Text vorgenommen werden. ■ Bei den Seitenzahlen der wissenschaftlichen Arbeit ist zu beachten, dass bei Vorwort, Inhaltsverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis und den Verzeichnissen der Tabellen und Abbildungen römische Ziffern verwendet werden. Alle ande‐ ren Bestandteile der Arbeit werden mit arabischen Seitenzahlen fortlaufend von der ersten Seite des Fließtexts (einleitendes Kapitel) paginiert. ■ Fußnoten werden gesetzt, wenn Ergänzungen zum Text (z. B. Übersetzungen fremdsprachiger Zitate) oder den Lesefluss störende Erläuterungen (z. B. Hin‐ weise auf weiterführende Literatur) notwendig sind. Fußnoten werden vom Text durch einen durchgängigen Strich getrennt und einzeilig geschrieben. Sie sind fortlaufend zu nummerieren und werden durch hochgestellte arabische Ziffern ohne Klammern gekennzeichnet. Eine Verwendung von Symbolen (z. B. Sterne) 267 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 267 <?page no="268"?> ist nicht zulässig, da dies zu Missverständnissen führen kann. Es ist zu beachten, dass die Fußnote auf der Textseite erscheint, auf die sie sich bezieht. ■ Tabellen und Abbildungen müssen für sich sprechen und verständlich sein. Die Platzierung einer Abbildung oder Tabelle erfolgt in unmittelbarer Nähe zu ihrer ersten Erwähnung. Im Text wird dabei nur auf die Nummer der Tabelle oder Abbildung und nicht auf deren Titel verwiesen. Die Kennzeichnung jeder Ta‐ belle erfolgt in einer Überschrift und die einer Abbildung in einer Unterschrift. Dabei wird zwischen selbst erstellten und fremden Tabellen bzw. Abbildungen unterschieden. Fremde Tabellen oder Abbildungen, die vom Autor übernommen werden, werden am Ende der Tabellenüberschrift bzw. Abbildungsunterschrift mit der betreffenden Quellenangabe (in Klammern) gekennzeichnet. Nimmt der Verfasser bei Tabellen von anderen Autoren Änderungen vor, ist der Quellen‐ angabe innerhalb der Klammern der Zusatz „modifiziert nach“ voranzustellen. Sowohl Tabellen als auch Abbildungen werden (je für sich getrennt) fortlaufend nummeriert. ■ Werden im Text Abkürzungen verwendet, für die kein Abkürzungsverzeichnis erstellt ist, müssen diese bei ihrer ersten Verwendung eingeführt werden (d. h. beim ersten Auftreten den Begriff ausschreiben und die Abkürzung in Klammern hinzufügen). Abkürzungen sind über die gesamte wissenschaftliche Arbeit bei‐ zubehalten. 4.3.3 Standards bei Quellenangaben und Literaturverzeichnis Bei Quellenangaben in wissenschaftlichen Arbeiten unterscheidet man zwei Fälle: (1) die Angabe im Fließtext, die als Verweis auf das Literaturverzeichnis dient, und (2) die Angabe im Literaturverzeichnis selbst. Die folgenden Erläuterungen führen nur aus‐ zugsweise das Vorgehen beim Erstellen der Quellenangaben und des Literaturver‐ zeichnisses aus. Weitere Angaben sind den Richtlinien für die Sportwissenschaft der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) zu entnehmen (Deutsche Vereini‐ gung für Sportwissenschaft, 2013). Grundsätze der Quellenangaben im Fließtext Sämtliche Aussagen einer Arbeit, die nicht vom Verfasser selbst stammen oder nicht allgemein bekannte Tatsachen beinhalten, müssen gekennzeichnet werden. Ihre Her‐ kunft ist so genau anzugeben, dass sie vom Leser jederzeit mit einem minimalen Ar‐ beitsaufwand überprüft werden können. Alle im Text angegebenen Literaturstellen müssen ins Literaturverzeichnis aufgenommen werden. Grundsätzlich werden Zitate in doppelte Anführungszeichen gesetzt. Zitate, die weniger als vier Zeilen umfassen, erscheinen im fortlaufenden Text. Zitate, die mehr als vier Zeilen umfassen, werden eingerückt und bilden unter Beibehaltung der Schriftgröße und des vorgeschriebenen Zeilenabstandes einen Block für sich. Die zitierte Stelle wird mit einem Quellenkurz‐ beleg versehen, der auf das Literaturverzeichnis verweist und dort eine eindeutige 268 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 268 <?page no="269"?> Identifikation ermöglicht. Er umfasst den Familiennamen des Autors, das Erschei‐ nungsjahr der Publikation und die Angabe der Seite, auf der das Zitat zu finden ist. Hat ein Text zwei Autoren, werden diese durch ein „&“ verbunden (z. B. Digel & Fahrner, 2003, S. 107). Bei drei bis fünf Autoren wird diese Autorengruppe bei der Erst‐ nennung vollständig, im weiteren Text nur noch der erstaufgeführte Autor mit dem Zusatz „et al.“ genannt (z. B. Digel et al., 2006, S. 144). Bei sechs und mehr Autoren wird bereits bei der ersten Nennung nur der erstaufgeführte Autor mit dem Zusatz „et al.“ erwähnt. Im Literaturverzeichnis müssen jedoch bis zu sechs Autoren aufgeführt wer‐ den. Zitate sind wörtliche Übernahmen fremder Aussagen in den eigenen Text. Sie sollten nur verwendet werden, wenn es sich um prägnante Sätze handelt, deren Wortlaut ent‐ scheidend ist. Die Übernahme längerer Zitate ist zu vermeiden. Die Übernahme von Zitaten muss buchstaben- und zeichengetreu erfolgen. Dabei ist auch die Übernahme der alten Rechtschreibweise zu beachten. Auch wenn Rechtschreib-, Zeichen- oder Grammatikfehler in der Originalquelle vorhanden sind, werden diese übernommen. Um Missverständnissen vorzubeugen, wird direkt nach dem Fehler ein „[sic]“ (in ecki‐ gen Klammern und kursiv) eingefügt. Bei einem Zitat gelten folgende Vorgaben: ■ Das Zitat steht im Text zwischen doppelten Anführungszeichen; die ein Zitat abschließenden Anführungszeichen stehen stets vor einem etwaigen Satzzei‐ chen. Folgt nach dem Ende des Zitats sofort die Quellenangabe, ist das Satzzei‐ chen immer erst nach dieser zu setzen. ■ Ist in der zitierten Stelle ein Wort oder Abschnitt zwischen doppelten Anfüh‐ rungszeichen, ist die entsprechende Stelle innerhalb des Zitats in einfache An‐ führungszeichen zu setzen. ■ Die Fundstelle des Zitats ist durch Angabe der Seitenzahl zu präzisieren. Dabei ist bei der Angabe der Seitenzahl darauf zu achten, ob das Zitat nur auf einer Seite steht (z. B. S. 20), ob die übernommene Stelle auch noch die folgende Seite des Werkes berührt (z. B. S. 20-21) oder ob die Aussagen sich über mehrere Seiten erstrecken (z. B. S. 20-25). Ist die Seitenzahl nicht bekannt, wird an deren Stelle „o. S.“ angegeben. Beispiel: „Betrachtet man die Sportvereinlandschaft in Deutschland, wird eine enorme Bandbreite von Mitgliederzahlen, Sportangeboten, ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeitern deutlich“ (Fahrner, 2012, S. 45). Beispiel: Nach Burk (2003, S. 241) „beschränkt sich auch SAT.1 in seinem Sport‐ programm auf wenige sogenannte Fernsehsportarten“. Änderungen an Zitaten sind grundsätzlich erlaubt. Hervorhebungen, Hinzufügungen und weitere Änderungen sind jedoch kenntlich zu machen. Hinzufügungen werden dabei in eckige Klammern gesetzt. Änderungen am Originaltext, z. B. Hervorhebungen durch Fett- oder Kursivdruck, müssen direkt nach der vorgenommenen Änderung ge‐ kennzeichnet werden. Werden in einem Zitat ein Wort oder mehrere Wörter ausge‐ 269 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 269 <?page no="270"?> lassen, wird dies durch drei Punkte „…“ angezeigt. Bei Auslassungen zu Beginn oder am Ende eines Zitats stehen keine Auslassungspunkte. Dies gilt auch, soweit ein Zitat unmittelbar in den eigenen Text eingebaut und dabei Anfang und Ende des zitierten Satzes weggelassen werden. Beispiel: „Einerseits ist von Sponsorenseite zu prüfen, inwieweit die eigenen Markenwerte inhaltliche Bezüge zu den Werten bzw. dem Image des … [poten‐ ziellen Sponsoringobjekts] aufweisen. Andererseits ist von … [diesen] zu reflek‐ tieren, inwieweit bestimmte Sponsorships mit der eigenen (distinktiven) Identität vereinbar sind“ (Schlesinger, 2010, S. 21). Die Übernahme eines Zitats, das bei anderen Autoren gefunden wurde (Sekundärzitat), ist zu vermeiden. Kann die Originalquelle jedoch nicht eingesehen werden, muss die Quellenangabe den Zusatz „zitiert nach …“ erhalten. Beispiel: „Diese sind leicht zu ermitteln und können für alle Vereinsmitglieder verständlich kommuniziert werden. Doch so gut sich diese Kriterien messen las‐ sen, so folgenlos bleibt es in der Regel, wenn sie nicht erreicht werden“ (Thiel & Mayer, 2008, S. 138 zitiert nach Fahrner, 2012, S. 87). Unter Zitat im Zitat ist eine Textstelle zu verstehen, die bereits im Original in Anfüh‐ rungszeichen steht und im Zitat in einfache Anführungszeichen gesetzt wird. Beispiel: „Die Parteienlandschaft der USA wird von zwei großen politischen Par‐ teien geprägt, den ‚Demokraten‘ und den ‚Republikanern‘“ (Digel, Burk & Fahr‐ ner, 2006, S. 109). Bei einer Paraphrase wird ein fremder Text nicht wortgetreu, sondern sinngemäß wie‐ dergegeben. Hat man dem Werk eines Autors einen Gedanken entnommen oder be‐ handelt man einen Sachverhalt mit anderen Worten als der Autor, ist dies kenntlich zu machen. Dabei entfallen die Anführungszeichen. Es muss jedoch durch Angabe des Autorennamens unmissverständlich erkennbar sein, dass es sich um die Wiedergabe fremder Gedanken handelt. Auf die Angabe der Seitenzahl der paraphrasierten Aussage kann verzichtet werden, was jedoch vor allem bei längeren Werken das Auffinden der Textstellen durch den Leser erschweren kann. Beispiel: Öffentlich-rechtliche TV-Programme legen einen Fokus auf die Ausstrahlung von Live-Berichterstattung, während private Sender eher redaktionell bearbeitete Sportsendungen bevorzugen (Burk, 2003, S. 209). 270 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 270 <?page no="271"?> Grundsätze der Quellenangaben im Literaturverzeichnis In das Literaturverzeichnis müssen alle in der Arbeit verwendeten und im Text aufge‐ führten Quellen aufgenommen weden. Wichtig für die Lesbarkeit des Literaturver‐ zeichnisses ist eine gute Unterscheidung der Referenzen, z. B. durch Einfügen einer Leerzeile oder hängende Absätze. Die Anordnung des Literaturverzeichnisses erfolgt alphabetisch nach den Familiennamen der Autoren. Werden mehrere Veröffentlichun‐ gen eines Verfassers in das Literaturverzeichnis aufgenommen, sind die Veröffentli‐ chungen chronologisch mit dem ältesten Titel beginnend zu ordnen. Titel mit Koauto‐ ren kommen erst nach der Auflistung aller Titel des erstgenannten Autors. Dabei gilt als erstes Kriterium die alphabetische Reihenfolge der Koautoren, als zweites Ord‐ nungskriterium das Erscheinungsjahr. Mehrere Titel eines Verfassers/ einer Autoren‐ gruppe aus demselben Jahr sind mit a, b, c zu kennzeichnen, dies gilt auch für die Angaben im Text selbst. Beispiel: Burk, V. (2003). Sportberichterstattung im dualen Fernsehsystem. Öffentlich-recht‐ liche und private Programme im Vergleich. Darmstadt: Wissenschaftliche Buch‐ gesellschaft. Burk, V. (2006a). Fußball auf europäischen Bildschirmen. In E. Müller & J. Schwier (Hrsg.), Medienfußball im europäischen Vergleich (S. 29-46). Köln: Herbert von Halem Verlag. Burk, V. (2006b). Russland - ein Land und sein Spitzensport im Umbruch. Olym‐ pisches Feuer, o. J. (4), 38-40. Burk, V. & Digel, H. (2002). Zur Entwicklung des Fernsehsports in Deutschland. In J. Schwier (Hrsg.), Mediensport. Ein einführendes Handbuch (S. 101-124). Balt‐ mannsweiler: Schneider Verlag. Burk, V. & Schauerte, T. (2007). Das Angebot von Sport in den Medien interna‐ tional. In T. Schierl (Hrsg.), Handbuch Medien, Kommunikation und Sport (S. 69-80). Schorndorf: Hofmann. Bei mehreren Autoren sind bis zu sechs Namen aufzuführen; das Vorhandensein wei‐ terer Autoren ist durch den Zusatz „et al.“ zu kennzeichnen. In Literaturverzeichnissen werden akademische Titel der Autoren nicht erwähnt. Ist ein Werk nicht von einer Person, sondern von einer Körperschaft, Gesellschaft oder dergleichen herausgegeben, wird diese an der Stelle des Verfassers angegeben. Wenn Veröffentlichungen keine Verfasser oder Herausgeber haben, rückt der Titel an die Position des Autors/ Heraus‐ gebers, wobei die alphabetische Einordnung nach dem ersten inhaltsbedeutsamen Be‐ griff erfolgt. Das Erscheinungsjahr folgt dem Autorennamen und ist in Klammern zu setzen. Fehlt das Jahr der Veröffentlichung, wird an Stelle der Jahreszahl die Kennzeichnung „o. D.“ (ohne Datum) angegeben. Texte, die für eine Veröffentlichung angenommen, aber noch nicht erschienen sind, werden an der Stelle der Jahreszahl durch „in Druck“ gekenn‐ zeichnet. 271 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 271 <?page no="272"?> Bei mehreren Verlagsorten werden bis zu sechs genannt, weitere werden durch „et al.“ festgehalten. Fehlender Verlagsort oder Verlag werden mit „o. O.“ (ohne Ort) bzw. „o. V.“ (ohne Verlag) angegeben. Eine Erstauflage wird nicht explizit gekennzeichnet. Alle weiteren Auflagen sind als solche zu kennzeichnen, gegebenenfalls mit den Zusätzen „erweitert“, „revidiert“, „überarbeitet“ etc. Beispiel: Fahrner, M. & Moritz, N. (2009). Doppelstunde Schwimmen. Unterrichtseinheiten und Stundenbeispiele für Schule und Verein. Schorndorf: Hofmann. Fahrner, M. & Moritz, N. (2011). Doppelstunde Schwimmen. Unterrichtseinheiten und Stundenbeispiele für Schule und Verein (2. Auflage). Schorndorf: Hofmann. Im Folgenden werden beispielhaft Quellenangaben in einem Literaturverzeichnis vor‐ gestellt. Dabei wird zunächst auf Printmedien eingegangen, bei denen man Bücher/ Sammelwerke, Beiträge in Sammelbänden, Beiträge in Zeitschriften (mit unterschied‐ licher Paginierung) und Beiträge in Zeitungen unterscheiden kann: Bücher und Sammelwerke Nachname, Vorname-Initial. (ggf. „Hrsg.“) (Erscheinungsjahr). Titel. Untertitel (ggf. Auflage). Verlagsort: Verlag. Fahrner, M. (2012). Grundlagen des Sportmanagements. München: Oldenbourg. Beiträge in Sammelbänden Nachname, Vorname-Initial. (Erscheinungsjahr). Titel. Untertitel. In Vorname-In‐ itial, Nachname des Herausgebers (Hrsg.), Titel des Sammelbandes (Seitenzahlen). Verlagsort: Verlag. Burk, V. & Schauerte, T. (2007). Das Angebot von Sport in den Medien international. In T. Schierl (Hrsg.), Handbuch Medien, Kommunikation und Sport (S. 69-80). Schorndorf: Hofmann. Beiträge in Zeitschriften mit Jahrgangsbzw. Bandpaginierung Nachname, Vorname-Initial. (Erscheinungsjahr). Titel. Name der Zeitschrift, Jahr‐ gang, Seitenangaben. Digel, H. & Burk, V. (1999). Die Entwicklung des Fernsehsports in Deutschland. Sportwissenschaft, 29, 22-41. Beiträge in Zeitschriften mit heftweiser Paginierung Nachname. Vorname-Initial. (Erscheinungsjahr). Titel. Name der Zeitschrift, Jahr‐ gang (Heft), Seitenangaben. Fahrner, M. & Merkle, B. (2019). Ausdauerschwimmen: Kompetenzorientiert un‐ terrichten. SportPraxis: Die Fachzeitschrift für Sportlehrer, Übungsleiter und Trainer, 60 (7-8), 55-58. 272 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 272 <?page no="273"?> Beiträge in Zeitungen Nachname, Vorname-Initial. (Erscheinungsdatum). Titel. Name der Zeitung, Aus‐ gabennummer, Seitenangaben. Kistner, T. (2002, 23./ 24. Februar). Bergab in die Armut. Eine Studie belegt, dass viele Olympioniken nach ihrer Zeit als Sportler am wahren Leben scheitern. Süd‐ deutsche Zeitung, 46, 50. Bei elektronischen Medien wird nur auf Quellen aus dem Internet eingegangen; weitere Quellenangaben bei elektronischen Medien (z. B. CD-ROM, DVD) sind den Richtlinien der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (2002) zu entnehmen. Die wichtigste Angabe ist der URL (Uniform Resource Locator), der eindeutig sein muss. Es wird empfohlen, nur Quellen zu verwenden, deren Beständigkeit zuverlässig eingeschätzt werden kann. Zudem ist darauf zu achten, dass die zu zitierenden Textstellen einge‐ grenzt werden können (z. B. durch Seitenzahlen bei pdf-Dateien und durch Textanker (#Textstelle) oder Absatznummerierungen bei html-Dateien). Bei der Angabe von In‐ ternetseiten aus dem World Wide Web ist auf die genaue Angabe des Datums zu achten. Neben dem Datum des Zugriffs ist das Datum der Erstellung oder der Revision (der letzten Aktualisierung) der Seite anzugeben. Internet Nachname, Vorname-Initial. ( Jahr, Tag (als Zahl), Punkt und Monat (ausgeschrie‐ ben).). Titel. Untertitel. Zugriff am Tag (als Zahl), Monat (ausgeschrieben), Jahr un‐ ter URL (vollständige Angabe) Burk, V. (2012, 8. Juni). Der Traum vom großen Geld. Zugriff am 14. Juni 2013 unter www.vocer.org/ de/ artikel/ do/ detail/ id/ 193/ der-traum-vom-grossen-geld.html 273 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 273 <?page no="274"?> Praxisbeispiel: Titelblatt einer Seminararbeit Eberhard Karls Universität Tübingen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Institut für Sportwissenschaft Seminar „Sportmedien und ihre Inhalte“ WS 2018/ 2019 Dozentin: Dr. Verena Burk Seminararbeit Sportberichterstattung im Magazin „Der Spiegel“ - eine inhaltsanalytische Untersuchung der Jahre 2017 und 2018 Max Mustermann Bachelor-Studiengang Sportwissenschaft mit dem Profil „Medien und Kommunikation“ Schillerstraße 24 72074 Tübingen Tübingen, 15. März 2019 274 4 Wissenschaftliches Arbeiten in der Sportwissenschaft (Marcel Fahrner, Verena Burk) 274 <?page no="275"?> Kontrollfragen 1. Der formale Aufbau wissenschaftlicher Arbeiten wird typischerweise über Standardkapitel vorgenommen. Welche Standardkapitel lassen sich unter‐ scheiden und in welcher Reihenfolge werden diese angeordnet? Was ist bei der Verbindung der einzelnen Kapitel zu beachten? 2. Bei wissenschaftlichen Texten muss eine dem wissenschaftlichen Diskurs angemessene Sprache verwendet werden. Was sind wichtige Kennzeichen eines wissenschaftlichen Schreibstils? 3. Wissenschaftliche Texte folgen in der formalen Gestaltung bestimmten Richtlinien und Regeln. Nennen Sie exemplarisch drei dieser Regeln. 4. Wissenschaftliche Arbeiten unterliegen Standards bei den Quellenangaben. Hierbei unterscheidet man u. a. zwischen Zitat und Paraphrase. Kennzeich‐ nen Sie beide Möglichkeiten der Quellenangabe und führen Sie jeweils ein Beispiel an. 5. Bei der Gestaltung eines Literaturverzeichnisses sind verschiedene Grund‐ sätze zu beachten. Nennen Sie zwei dieser Grundsätze. 6. Quellenangaben im Literaturverzeichnis erfolgen in Abhängigkeit der Art der Quelle (z. B. Monographie, Zeitschriftenbeitrag). Wie werden im Litera‐ turverzeichnis Quellenangaben für einen Beitrag in einem Sammelband und für eine Internetquelle angegeben? Literatur Amendt, A. & Schiffer, J. (2015). Wissenschaftliches Arbeiten mit Literatur im Sportstudium (4., erweiterte und aktualisierte Auflage). Köln: Sportverlag Strauß. Bünting, K.-D., Bitterlich, A. & Pospiech, U. (2000). Schreiben im Studium. Ein Leitfaden. Berlin: Cornelsen Scriptor. Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (2013). Richtlinien zur Manuskriptgestaltung in der Sportwissenschaft - Kurzfassung. Zugriff am 3. April 2019 unter www.sportwissenschaft.de/ f ileadmin/ pdf/ download/ dvs-Richtlinien-2013oV.pdf Frank, A., Haacke, S. & Lahm, S. (2007). Schlüsselkompetenzen: Schreiben im Studium und Beruf. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler. Kruse, O. (1995). Keine Angst vor dem leeren Papier. Ohne Schreibblockade durchs Studium. Frank‐ furt/ Main, New York: Campus. 275 4.3 Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten 275 <?page no="277"?> 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge (Verena Burk) In Bezug auf potenzielle Berufsfelder von Absolventen sportwissenschaftlicher Stu‐ diengänge ist es zu weitreichenden Veränderungen durch den sozialen Wandel, die zunehmende Relevanz von Sport in unserer Gesellschaft, die stetige Ausdifferen‐ zierung des Sportsystems und die unterschiedlichen Vorstellungen darüber, was man unter Sport verstehen kann und was zum Sport gehört, gekommen. Daneben ist in den letzten Jahren auch eine Differenzierung sportwissenschaftlicher Studi‐ engänge und -profile zu beobachten - ausgelöst und beschleunigt durch die Bolo‐ gna-Reformen Anfang der 2000er Jahre. Während in den 1980er und 1990er Jahren an den sportwissenschaftlichen Instituten der deutschen Hochschulen Studierende fast ausschließlich in Lehramtsstudiengängen „Sport“ ausgebildet und diese später durch Diplomstudiengänge verschiedener Profilierungen ergänzt wurden, sind heute flächendeckend Bachelor- und Masterstudiengänge in der sportwissenschaft‐ lichen Ausbildung anzutreffen. Insgesamt kann man derzeit von mehr als 300 uni‐ versitären sportwissenschaftlichen Bachelor- und Masterstudiengängen ausgehen (Stiftung für Hochschulzulassung & Bundesagentur für Arbeit, 2019), die an den rund 65 sportwissenschaftlichen Instituten, privaten Hochschulen und anderen In‐ stituten angeboten werden. Auswirkungen auf Berufsfelder, Beschäftigungsver‐ hältnisse und Tätigkeitsfelder haben ■ die Verkürzung der Ausbildungsdauer, ■ die Verschulung des Studienablaufs, ■ die von der Politik geforderte berufsqualifizierende Ausrichtung der Studienin‐ halte und somit ■ die Entwicklung vom Generalisten „Sportwissenschaftler“ zum Spezialisten in unterschiedlichen Sport-Teilbereichen. Eine besondere Herausforderung stellt sich auch für Absolventen von Lehramtsstu‐ diengängen, da es aufgrund demographischer Entwicklungen und bildungspolitischer <?page no="278"?> Weichenstellungen zukünftig wahrscheinlich weniger Lehrerstellen als ausgebildete Sportlehrer geben wird. Nicht im Schuldienst tätige Sportlehrer sehen sich zudem in den außerschulischen Berufsfeldern in starker Konkurrenz zu den Absolventen sport‐ wissenschaftlicher Bachelor- und Masterstudiengänge, die eine Spezialisierung für be‐ sondere Berufsfelder aufweisen. 5.1 Ausgewählte Aspekte zur Berufstätigkeit von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge Setzt man sich mit Berufsfeldern von Absolventen sportwissenschaftlicher Studien‐ gänge auseinander, ist es naheliegend, sich Studien zuzuwenden, die ehemalige Stu‐ dierende der Sportwissenschaft zu ihrem Berufs- und Tätigkeitsfeld befragen und somit Einblicke in Beschäftigungsverhältnisse geben. Eine weitere Orientierung bieten Ar‐ beitgeberbefragungen, die vor allem notwendige Qualifikationen und Kompetenzen für ausgewählte Berufsfelder in den Mittelpunkt stellen. Lernziele ■ Die Leser erkennen, welche unterschiedlichen Berufsfelder und Arbeits‐ möglichkeiten für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge exis‐ tieren. ■ Sie erfahren, wie und in welchen Berufsfeldern Absolventen sportwissen‐ schaftlicher Studiengänge in den vergangenen Jahren anschlussfähig waren und in welcher Art von Beschäftigungsverhältnis sie arbeiten. ■ Die Leser setzen sich mit Anforderungsprofilen ausgewählter sportwissen‐ schaftlicher Berufsfelder auseinander und erfahren aus Arbeitgebersicht, welche Kenntnisse, Kompetenzen und Qualifikationen jeweils als wichtig erachtet werden. 5.1.1 Beschäftigungsverhältnisse von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge Zahlreiche sportwissenschaftliche Institute in Deutschland führten und führen regel‐ mäßig Befragungen durch, um den beruflichen Verbleib von Absolventen ihrer Studi‐ engänge zu ermitteln (u. a. Emrich, 1988; Heinemann, Dietrich & Schubert, 1990; Hart‐ mann-Tews & Mrazek, 1994; 2002; 2007; Thiele & Timmermann, 1997; Cachay & Thiel, 1999; Cachay, Thiel & Meier, 1999; Emrich & Pitsch, 1994; 2003; Mrazek & Hart‐ mann-Tews, 2010). Gegenstand der Untersuchungen sind in der Regel die gewünschten Tätigkeitsfelder der Absolventen, erworbene (Zusatz-)Qualifikationen im und neben 278 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 278 <?page no="279"?> dem Studium, Stellensuche und Zugang zur Berufstätigkeit sowie gegenwärtige Be‐ schäftigungsverhältnisse, Tätigkeitsfelder und Einkommensverhältnisse. Absolventenstudien der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) erheben seit über 20 Jahren Daten zur Beschäftigungssituation ihrer Absolventen. Die fünf Diplom-Stu‐ dienschwerpunkte der DSHS (Training und Leistung, Freizeit und Kreativität, Präven‐ tion und Rehabilitation, Ökonomie und Management, Medien und Kommunikation) weisen außerdem eine sportwissenschaftliche Profilierung und Spezialisierung ähnlich den aktuell gängigen sportwissenschaftlichen Bachelor- und Masterstudiengängen auf. Deshalb werden im Folgenden exemplarisch die Absolventenstudien der DSHS heran‐ gezogen. Studien zu Berufskarrieren sportwissenschaftlicher Bachelor- und Masterab‐ solventen liegen derzeit in Deutschland nicht vor. Ergebnisse von Absolventenstudien der DSHS der Jahrgänge 2003-2005 (n = 525) und 2006-2008 (n = 417) wurden jüngst in einer vergleichenden Gegenüberstellung von Mrazek und Hartmann-Tews (2010) veröffentlicht. Ziel der vergleichenden Unter‐ suchung war zum einen die Analyse, „welche Beschäftigungschancen bzw. Arbeits‐ möglichkeiten sich gegenwärtig bieten, zum anderen kann ein Vergleich mit den vor‐ herigen Daten wichtige Hinweise auf Veränderungen der Berufswege und Trends im Berufsfeld ‚Sport‘ geben“ (Mrazek & Hartmann-Tews, 2010, o. S.). Bei der Frage nach dem momentanen Beschäftigungsverhältnis (Mehrfachnennun‐ gen waren möglich) der Absolventen des Diplomstudiengangs „Sportwissenschaft“ gaben die meisten Befragten an, in einer hauptberuflichen Anstellung zu sein. Für die Absolventenjahrgänge 2006 bis 2008 waren dies nahezu 65%. Freiberuflich tätig oder selbständig waren rund ein Viertel der Absolventen, von Arbeitslosigkeit betroffen waren hingegen nur 3,1% ( Jahrgänge 2003-2005) bzw. 2,6% ( Jahrgänge 2006-2008) (vgl. Abb. 5.1.1). Im Vergleich der beiden Jahrgänge sprechen Mrazek und Hartmann-Tews von einem Trend hin zu sportnahen Ganztagsstellen - jedoch in der Regel mit einer zeitlichen Befristung (Mrazek & Hartmann-Tews, 2010). 279 5.1 Ausgewählte Aspekte zur Berufstätigkeit von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge 279 <?page no="280"?> Abb. 5.1.1: Erwerbs- und Beschäftigungssituation von Diplom-Sportwissenschaftlern der DSHS Köln (Angaben in %) (Mrazek & Hartmann-Tews, 2010, o. S.) Die Berufsfelder, in denen die Diplom-Sportwissenschaftler der DSHS Köln nun arbei‐ ten, unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Jahrgängen kaum (vgl. Abb. 5.1.2). Der Bereich „Organisation/ Management“ liegt mit rund 30% an der Spitze, gefolgt von „Prävention“ und „Rehabilitation“, die zusammengefasst ebenso auf 30% kommen. Alle weiteren Berufs- und Arbeitsfelder spielen eine geringere Rolle (Mrazek & Hart‐ mann-Tews, 2010). 280 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 280 <?page no="281"?> Abb. 5.1.2: Berufsfelder von Diplom-Sportwissenschaftlern der DSHS Köln (Angaben in %) (Mra‐ zek & Hartmann-Tews, 2010) Fragt man die DSHS-Absolventen nach den Gründen, warum sie eine berufliche An‐ stellung gefunden haben, gibt die Mehrzahl (73,4% und 74,0%) Berufsfelderfahrungen wie Praktika an. Auch persönliche Kontakte und Beziehungen, das Diplom im Fach Sportwissenschaft und die Wahl des Studienschwerpunkts spielen eine Rolle (vgl. Abb. 5.1.3). Von geringerer Bedeutung sind nach Mrazek und Hartmann-Tews (2010) Aus‐ landserfahrungen, Zusatzqualifikationen im Sport, die Bereitschaft, eine unterbezahlte Stelle anzunehmen sowie die Examensnote. Als Fazit ihrer Studien sehen Mrazek und Hartmann-Tews (2010) die Berufsper‐ spektiven für Sportwissenschaftler trotz des schwierigen Arbeitsmarkts als gut an - obwohl der Einstieg ins Berufsleben oftmals nicht unmittelbar gefunden wird und al‐ leine ein abgeschlossenes Studium ohne praktische Erfahrungen und persönliche Kon‐ takte offensichtlich keine ausreichende Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt darstellt. Die Betonung berufspraktischer Erfahrungen wurde mit der Einführung sportwissen‐ schaftlicher Bachelor-Studiengänge Programm, da diese neben einer berufsqualifizie‐ renden Ausbildung oftmals explizit Berufsfelderfahrungen in Form von Praktika vor‐ sehen. 281 5.1 Ausgewählte Aspekte zur Berufstätigkeit von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge 281 <?page no="282"?> Abb. 5.1.3: Wichtige Einstellungsgründe für hauptberuflich angestellte Diplom-Sportwissen‐ schaftler der DSHS Köln (Angaben in %) (Mrazek & Hartmann-Tews, 2010) Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren, dass die Mehrzahl der sportwissen‐ schaftlichen Absolventen eine hauptberufliche Anstellung findet - wenn auch zu‐ nächst mit einer zeitlichen Befristung -, der Organisations-/ Managementbereich und gesundheitsorientierte Tätigkeitsfelder (Prävention und Rehabilitation) zu den am häufigen ausgeübten Berufsfeldern zählen. Vor allem praktische Erfahrungen (z. B. Praktika), persönliche Beziehungen und Kontakte erhöhen aus Sicht der Absolventen die Chancen auf eine berufliche Anstellung. 5.1.2 Anforderungen an sportwissenschaftliche Berufseinsteiger aus Arbeitgebersicht Empirisch fundierte Aussagen darüber, welche Qualifikationen, Kenntnisse und Fä‐ higkeiten Arbeitgeber in sportwissenschaftlichen Berufsfeldern von Absolventen er‐ warten, sind selten. Vorliegende Studien beschäftigen sich typischerweise mit den Be‐ schäftigungschancen von Sportwissenschaftlern und Anforderungen des Arbeitsmarkts aus der Perspektive eines spezifischen Berufsfelds (z. B. Gesundheitssektor, vgl. hierzu beispielhaft Cachay & Thiel, 1999). Exemplarisch wird im Folgenden auf die im Mai 2005 vom Career Service der Sport‐ hochschule Köln veröffentlichte Studie zum Anforderungsprofil des Arbeitsmarkts an Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge Bezug genommen. In dieser Studie 282 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 282 <?page no="283"?> beantworteten 99 von 305 befragten Arbeitgebern - vorwiegend aus den Bereichen „Freizeit- und Breitensport“, „Rehabilitation und Behindertensport“, „Gesundheitssport und Prävention“ sowie „Fitness und Wellness“ - Untersuchungsfragen wie „Wodurch ist die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt charakterisiert? “ und „Was müssen Sportwissenschaftler künftig mitbringen, um erfolgreich den Berufseinstieg zu schaf‐ fen? “ (Kortmann, Holtermann & Lohmar, 2005). In Bezug auf Berufsfelder und Arbeitsmöglichkeiten von Absolventen sportwissen‐ schaftlicher Studiengänge sind vor allem die Aussagen zu Tätigkeitsfeldern und Rek‐ rutierungskanälen von Interesse. Vollzeitmitarbeiter sind vor allem in Administration und Verwaltung (u. a. Management oder Abteilungsleitung) tätig, während Teilzeit- und Honorarkräfte im Trainings- und Kursleitungsbereich beschäftigt sind. Um geeig‐ nete Mitarbeiter zu finden, werden Bewerbungen über Jobbörsen und Anzeigen, Kon‐ takte zu Schulen und Hochschulen, Initiativbewerbungen, eigene Bewerberkarteien sowie persönliche Kontakte und Empfehlungen aus dem beruflichen und universitären Umfeld herangezogen (Kortmann et al., 2005). Beim Anforderungsprofil der Mitarbeiter schätzen Arbeitgeber insbesondere Orga‐ nisations-/ Verwaltungs-/ Managementkenntnisse als bedeutsam ein. Ferner spielen das Fachwissen in Sportdidaktik/ -methodik, Trainings-/ Bewegungslehre sowie sportprak‐ tische Fertigkeiten eine wichtige Rolle. Persönliche Eigenschaften wie Belastbarkeit, Verantwortungsbewusstsein, selbständiges Arbeiten und gute Auffassungsgabe wer‐ den von den befragten Arbeitsgebern ebenso wichtig eingeschätzt wie soziale Kom‐ petenzen. Von besonderer Bedeutung sind für die Arbeitgeberseite Zuverlässigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Freundlichkeit, Teamfähigkeit, Kontaktfreude und Motiva‐ tionsfähigkeit. Bei den Zusatzqualifikationen werden vor allem Lizenzen im Trainer- und Übungsleiterbereich benannt. Defizite bei den Absolventen sportwissenschaftli‐ cher Studiengänge sehen die Arbeitsgeber vor allem in fehlender Berufspraxis und in mangelnden kaufmännischen Kenntnissen (Kortmann et al., 2005). 5.1.3 Kompetenzanforderungen an Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge Kompetenzkonzepte sind heute in der Arbeitswelt allgegenwärtig. Unternehmen dif‐ ferenzieren spezifische Kernkompetenzen und richten beispielsweise ihre Personal‐ entwicklung an Kompetenzkonzepten aus. Nachfrage und Angebot von qualifizierten Mitarbeitern werden somit auf dem Arbeitsmarkt über spezifische Kompetenzerwar‐ tungen gesteuert. Auch wenn Kompetenzkonzepte heute weit verbreitet sind, liegt bislang kein generell konsensfähiges Kompetenzmodell vor. Vielmehr „lassen sich un‐ terschiedliche Klassifikationen von Kompetenzen finden“ (Schlesinger, Studer & Nagel, 2015, S. 181). In einem breiten Verständnis sind Kompetenzen erforderlich, um in un‐ terschiedlichen Handlungszusammenhängen angemessen agieren und entsprechende Aufgaben bewältigen zu können, unabhängig von formalen Qualifikationen oder Zeug‐ nissen (Fahrner & Schüttoff, 2019a). 283 5.1 Ausgewählte Aspekte zur Berufstätigkeit von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge 283 <?page no="284"?> Aus der Perspektive von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge gelten Kommunikationskompetenz, Planungs- und Organisationsfähigkeit sowie Teamfähig‐ keit typischerweise als wichtigste berufsfeldrelevante Kompetenzen. Jüngere empiri‐ sche Befunde aus der Sportwissenschaft deuten allerdings darauf hin, dass sich dies‐ bezüglich vor allem in Abgrenzung des Berufsfelds „Sport in der Schule“ zu anderen sportbezogenen Berufsfeldern sowie zu Berufsfeldern außerhalb des Sports Unter‐ schiede zeigen (Schlesinger, Studer & Nagel, 2016). Für das breit angelegte Berufsfeld „Sportmanagement“ untersuchten Fahrner und Schüttoff (2019b) den Zusammenhang beruflicher Kontextfaktoren und berufsbezoge‐ ner Relevanz von Kompetenzen. Ihre Studie basierte auf Daten von 142 bereits berufs‐ tätigen Absolventen der Tübinger Bachelor- und Masterstudiengänge mit Profil Sport‐ management. Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten Sportmanager unabhängig von ihrem beruflichen Kontext Organisations- und Kommunikationsfähigkeiten als sehr relevant für ihre aktuelle Berufstätigkeit einschätzen. Die Kompetenzbewertungen (Tab. 5.1.1) verdeutlichen, dass Indikatoren der Selbst‐ kompetenz und der Sozialkompetenz für alle beruflichen Zusammenhänge als hoch‐ gradig relevant bewertet werden. Im Hinblick auf die Methodenkompetenz werden insbesondere Problemlösefähigkeiten als sehr relevant eingeschätzt. In Bezug auf Sportmanagementkompetenz werden digitale Fähigkeiten und unternehmerisches Denken als wichtige Fähigkeiten gesehen. Tab. 5.1.1: Kompetenzbereiche und deren Berufsrelevanz aus der Perspektive von Sportmana‐ gern (modifiziert nach Fahrner & Schüttoff, 2019b) Kompetenzen (Relevanz für die aktuelle Berufstätigkeit von 1 - überhaupt nicht, bis 5 - in sehr hohem Maße) M SD Selbstkompetenz Organisationsfähigkeit: Sich selbst und seinen Arbeitsprozess effektiv organisie‐ ren 4,68 0,54 Selbständiges Arbeiten: Innerhalb eines abgesteckten Rahmens arbeitsrelevante Entscheidungen treffen und (ohne ständige Kontrolle) umsetzen 4,47 0,69 Zeitmanagement: Aufgaben innerhalb eines zur Verfügung stehenden Zeitraums erledigen 4,45 0,72 Selbstdisziplin: Auf ein Ziel hin arbeiten 4,30 0,74 Anpassungsfähigkeit: Sich auf veränderte Umstände einstellen 3,85 0,91 Belastungsfähigkeit: Unter physischen und psychischen Belastungen arbeiten 3,82 1,02 Sozialkompetenz Kommunikationsfähigkeit: Sich (mündlich und schriftlich) verständlich/ am Emp‐ fänger orientiert ausdrücken 4,73 0,50 284 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 284 <?page no="285"?> Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme: Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen 4,35 0,69 Teamfähigkeit: Mit anderen kooperativ zusammenarbeiten 4,20 0,81 Verhandlungsgeschick: Unterschiedliche Interessen abwägen und einen Interes‐ senausgleich herbeiführen 3,78 1,04 Konfliktfähigkeit: Eine Auseinandersetzung aufnehmen, aushalten und kon‐ struktiv bewältigen 3,63 1,03 Durchsetzungsfähigkeit: Sich anderen gegenüber durchsetzen 3,54 0,89 Führungsfähigkeit: Das Können anderer mobilisieren 3,27 1,17 Methodenkompetenz Problemlösungsfähigkeit: Probleme erkennen und Lösungen entwickeln 4,02 0,81 Präsentationsfähigkeit: Produkte, Ideen oder Berichte einem Publikum präsentieren 3,80 1,16 Transferfähigkeit: Vorhandenes Wissen auf neue Probleme/ Fragestellungen an‐ wenden 3,69 0,93 Informationsmanagement: Informationen aus verschiedenen Quellen erschlie‐ ßen, aufbereiten und adressatengerecht verfügbar machen 3,67 1,11 Analytische Fähigkeiten: Komplexe Sachverhalte erfassen, gliedern und Bezie‐ hungen zwischen einzelnen Aspekten herstellen 3,65 1,13 Wissenschaftliche Methodenanwendung: Wissenschaftliche Methoden anwenden 2,00 1,14 Wissenschaftliches Schreiben: Berichte, Protokolle oder wissenschaftliche Auf‐ sätze verfassen 1,89 1,21 Sportmanagement-Fachkompetenz Digitale Fähigkeit: Informationstechnologien (digitale Medien) anwenden 4,02 0,91 Unternehmerisches Denken: Über die Grenzen des eigenen Arbeitsplatzes hin‐ wegblicken und neue (unternehmerische) Potenziale entwickeln 3,69 1,21 Betriebswirtschaftliches/ kaufmännisches Fachwissen 3,50 1,17 Fremdsprachenkompetenz: In einer Fremdsprache schreiben und sprechen 3,13 1,35 (Volks-)Wirtschaftliches Fachwissen 2,67 1,10 Juristisches Fachwissen 2,43 1,10 Didaktisch-methodische Fähigkeit: Lehr-/ Lernsituationen gestalten und bewälti‐ gen 2,34 1,38 Fachwissen zu soziologischen und psychologischen Aspekten des Sports 2,20 1,21 Fachwissen zu bewegungs- und trainingswissenschaftlichen Aspekten des Sports 2,15 1,43 Sportpraktisches Können 1,80 1,20 285 5.1 Ausgewählte Aspekte zur Berufstätigkeit von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge 285 <?page no="286"?> Darüber hinaus macht die Studie deutlich, dass sich Berufsfelder von Sportmanagern in Bezug auf die jeweiligen Kompetenzanforderungen teilweise deutlich unterscheiden. Beispielsweise scheinen Belastungs- und Durchsetzungsfähigkeiten besonders in Non-Profit-Organisationen relevant zu sein; Befragte im Bereich „Marketing“ nennen die Anwendung wissenschaftlicher Methoden als besonders relevante Fähigkeit; kauf‐ männisches Fachwissen wiederum scheint vor allem in Verwaltungsbereichen mit Budgetverantwortung bedeutsam zu sein (Fahrner & Schüttoff, 2019b). Kontrollfragen 1. Welche unterschiedlichen Berufsfelder, Beschäftigungsverhältnisse und Ar‐ beitsmöglichkeiten existieren für Absolventen sportwissenschaftlicher Stu‐ diengänge in Deutschland? 2. Welche Kenntnisse, Kompetenzen und Qualifikationen erachten potenzielle Arbeitgeber von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge als wichtig? 3. Inwiefern kann es für aktuelle wie zukünftige Studierende des Fachs von Interesse sein zu wissen, in welchen Berufsfeldern welche Kompetenzen be‐ sondere Relevanz haben? Welches sind generelle Kompetenzen, die aus Sicht von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge besonders berufs‐ relevant sind? Literatur Cachay, K. & Thiel, A. (1999). Ausbildung ins Ungewisse? Beschäftigungschancen für Sportwis‐ senschaftlerinnen und Sportwissenschaftler im Gesundheitssystem. Aachen: Meyer & Meyer. Cachay, K., Thiel, A. & Meier, H. (1999). Berufsfeld Sport - Ergebnisse aus zwei Forschungspro‐ jekten. dvs-Informationen, 14 (4) 20-25. Emrich, E. (1988). Saarbrücker Diplom-Sportlehrer in Studium und Beruf. Sportunterricht, 37, 20-26. Emrich, E. & Pitsch, W. (1994). Saarbrücker Diplom-Sportlehrer in Studium und Beruf. Eine Wiederholungsstudie. Sportunterricht, 43, 286-293. Emrich, E. & Pitsch, W. (2003). … und zum Dritten: Saarbrücker Diplom-Sportlehrer in Studium und Beruf - eine erneute Wiederholungsstudie. dvs-Informationen, 18 (2), 34-40. Fahrner, M. & Schüttoff, U. (2019a). Kontextspezifische Relevanz von Kompetenzen: Theoreti‐ sche Überlegungen und empirische Befunde aus der Perspektive von Sportmanagern. In J. Königstorfer (Hrsg.), Innovationsökonomie und -management im Sport (S. 11-28). Schorndorf: Hofmann. Fahrner, M., & Schüttoff, U. (2019b). Analysing the context-specific relevance of competencies - Sport management alumni perspectives. European Sport Management Quarterly, doi 10.1080/ 16184742.2019.1607522. 286 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 286 <?page no="287"?> Hartmann-Tews, I. & Mrazek, J. (1994). Der berufliche Werdegang von Diplom-Sportlehrerinnen und Diplom-Sportlehrern. Köln: Sport & Buch Strauß. Hartmann-Tews, I. & Mrazek, J. (2002). Berufsfeld Sport im Wandel. Köln: Sport & Buch Strauß. Hartmann-Tews, I. & Mrazek, J. (2007). Vom Sportstudium zum Beruf - Berufsfelder und Ar‐ beitsmarktperspektiven im Wandel. F.I.T. Magazin der DSHS Köln, 12 (1), 22-29. Heinemann, K., Dietrich, K. & Schubert, M. (1990). Akademikerarbeitslosigkeit und neue Formen des Erwerbsverhaltens. Dargestellt am Beispiel arbeitsloser Sportlehrer. Weinheim: Deutscher Studien Verlag. Kortmann, T., Holtermann, S. & Lohmar, O. (2005). Studie zum Anforderungsprofil des Arbeits‐ marktes an Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge. Career Service der Deutschen Sporthochschule Köln: o. V. Mrazek, J. & Hartmann-Tews, I. (2010). Absolventenstudie 2010 der Deutschen Sporthochschule Köln. Diplom-Sportwissenschaftler/ in - was nun? Erwerbs- und Beschäftigungschancen der Absolventinnen und Absolventen der deutschen Sporthochschule Köln. KURIER, 33 (2), Bei‐ lage. Schlesinger, T., Studer, F. & Nagel, S. (2015). Sportwissenschaftliches Studium und Beruf in der Schweiz. Schorndorf: Hofmann. Schlesinger, T., Studer, F. & Nagel, S. (2016). The relationship between competencies acquired through Swiss academic sports science courses and the job requirements. European Journal of Sport Science, 16 (1), 115-127. Stiftung für Hochschulzulassung & Bundesagentur für Arbeit (2019). Studieren - Finder. Zugriff am 31. Juli 2019 unter https: / / studienwahl.de/ finder/ list? studytype=sport&; studyform=&stu‐ dyfield=&placeRadius=__PP_NONE__&place=&university_type=1%7C14&univer‐ sity_host_institution=0&exam_type=60%2C63&start=&canditature=#ffe Thiele, T. & Timmermann, J.-P. (1997). Sportwissenschaftler auf dem Weg in die Arbeitswelt. Eine Studie zum beruflichen Werdegang von Absolventen des Studiengangs Diplom-Sportwissenschaft an der Universität Hamburg. Hamburg: Czwalina. 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern Für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge kommen je nach Studien‐ schwerpunkt und Studienabschluss unterschiedliche Berufsfelder infrage. Folgt man beispielsweise der Systematik von Haag und Mess (2010) oder Lange (1995), arbeiten die Absolventen der Lehramtstudiengänge „Sport“ überwiegend im öffentlichen und privaten Schulwesen als Schulsportlehrer. Sportwissenschaftler der Diplom-, Bachelor- und Masterstudiengänge arbeiten nach ihrem Studium vorwiegend im außerschuli‐ schen Bereich. Tätigkeitsfelder sind in Sportvereinen und -verbänden, bei Sportver‐ anstaltern, im Behindertensport, im Betriebssport, in Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen, bei kommerziellen Sportanbietern (z. B. Fitnessbereich; Sport‐ tourismusbranche), bei Medienunternehmen, in der Sportartikelindustrie, in Vermark‐ 287 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 287 <?page no="288"?> tungsagenturen und in der öffentlichen Sportverwaltung vorhanden. Auch Hochschu‐ len und Forschungsinstitute bieten Sportwissenschaftlern Beschäftigungsmöglichkeiten. Lernziele ■ Die Leser lernen spezifische Kennzeichen ausgewählter Berufsfelder für Ab‐ solventen sportwissenschaftlicher Studiengänge kennen. ■ Sie erfahren aus beispielhaften Absolventenprofilen, welche Kenntnisse, Kompetenzen und Qualifikationen in den Berufsfeldern jeweils als wichtig erachtet werden. Durch die Einführung sportwissenschaftlicher Bachelor- und Masterstudiengänge fand eine zunehmende Spezialisierung hinsichtlich der Studieninhalte und somit der Vor‐ bereitung auf spezifische Berufsfelder statt. Im Folgenden werden neun Berufsfelder exemplarisch vorgestellt und von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge der Universität Tübingen beispielhaft charakterisiert, v. a. in Bezug auf den Zugang zu ihrer momentanen Arbeitsstelle, notwendige fachliche Qualifikationen, soziale Kom‐ petenzen und die Bedeutung von Berufsfelderfahrungen. Darüber hinaus geben sie Tipps für Studienanfänger zur Studiumsgestaltung. 5.2.1 Schule Der Beruf des Sportlehrers ist eines der bekanntesten Berufsfelder für Sportstudie‐ rende. Je nach Studienabschluss und Bundesland kann man als Sportlehrer an unter‐ schiedlichen Schularten (Grund-, Werkreal-, Gesamt-, Förder-, Berufsschulen, Gym‐ nasium) in verschiedenen Schulstufen (Primarstufe, Sekundarstufe I, Sekundarstufe II) unterrichten. Der Hauptbestandteil des Sportlehrerberufs stellt das Unterrichten dar. Einen Groß‐ teil nimmt dabei die Sportpraxis ein, aber auch die Vermittlung sportwissenschaftlicher Grundlagen spielt eine Rolle, vor allem in der gymnasialen Sekundarstufe II. Lehr- und Bildungspläne der Bundesländer sind dabei jeweils als Richtlinien zu verstehen, woran sich Sportlehrer beim Konzipieren und Durchführen des Sportunterrichts orientieren. Neben dem verpflichtenden Sportunterricht können Sportlehrer auch im außerun‐ terrichtlichen Schulsport aktiv sein. Hierzu zählen Sportfeste/ -tage, der Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“, Kooperationen Schule - Verein, Arbeitsgemeinschaften (AGs) und Exkursionen (z. B. Skilandschulheim). Weitere Tätigkeitsfelder sind ein Engagement im Deutschen Sportlehrerverband (DSLV) oder die Mitarbeit in der Schulverwaltung (z. B. Beantragung von Schulspor‐ tetats oder Mitarbeit bei der Schulentwicklung). Auch eine Tätigkeit in Kultusminis‐ 288 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 288 <?page no="289"?> terien oder an staatlichen Seminaren im Rahmen der Referendarsausbildung ist denk‐ bar. Das Anforderungsprofil eines Sportlehrers setzt sich aus dem typischen Anforde‐ rungsprofil eines Lehrers und den speziellen Anforderungen des Sportunterrichts zu‐ sammen. Neben der fachdidaktischen Kompetenz (u. a. Unterrichten in verschiedenen Sportarten) und der erzieherischen Kompetenz (u. a. Vorbildfunktion, Führungskom‐ petenz) müssen Sportlehrer Organisationskompetenz (u. a. Planung und Durchführung von Veranstaltungen), Selbstkompetenz (u. a. Belastbarkeit, Selbstbewusstsein), Ge‐ sprächskompetenz (u. a. Argumentationsfähigkeit, Vermittlungsfähigkeit), Bezie‐ hungskompetenz (u. a. Empathie, Konfliktfähigkeit) sowie Fach- und Sachkompetenz (u. a. Medienkompetenz, Fach- und Gesetzeswissen) täglich unter Beweis stellen. Die spezifischen Bedingungen des Sportunterrichts (u. a. Umgang mit diversen Stressfak‐ toren, z. B. durch den erhöhten Lärmpegel in der Sporthalle) komplementieren das An‐ forderungsprofil des Sportlehrerberufs. Fallbeispiel: Berufsfeld Schule Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Ich habe ein Lehramtsstudium für das Gymnasiallehramt in den Fächern Sport und Franzö‐ sisch absolviert. Als Zusatzqualifikationen im Sport konnte ich die C-Trainer‐ lizenzen im Tennis und in der Leichtathletik nachweisen, die sich als nützlich bei den Stellenausschreibungen für Sportlehrer erwiesen, da diese häufig eine Spezialisierung in einzelnen Sportarten fordern. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Mein Zugang erfolgte über das zen‐ trale Listenauswahlverfahren des Regierungspräsidiums. Entscheidend sind hier der regionale Bedarf (z. B. an Fächerkombinationen) und die Leistungszahl (gewichtete Gesamtnote aus der Ersten und Zweiten Lehramtsprüfung). Bei Bewerbungen an Privatschulen, die ihre Lehrer selbst aussuchen, wird neben der Abschlussnote auch Wert auf schulisches und außerschulisches Engage‐ ment gelegt (z. B. im Sportverein). Tätigkeitsfeld: Mein Tätigkeitsfeld umfasst das Unterrichten in allen Klas‐ senstufen, Aufgaben von Klassenlehrern und in der Schulentwicklung, Eltern‐ gespräche, die konzeptionelle Ausarbeitung und Umsetzung der „Bewegten Schule“ und der Kooperation Schule - Verein, die Schulhofgestaltung, die Pla‐ nung und Durchführung von Veranstaltungen (z. B. Klassenfahrten, Sporttage, Skilandschulheime) sowie die Teilnahme an fachlichen, methodischen und päd‐ agogischen Fortbildungen. Berufsfelderfahrungen: Ich habe bereits während meiner Schulzeit erste Er‐ fahrungen als Trainer im Kinder- und Jugendtraining (Tennis, Leichtathletik) gesammelt. Dies hat mir dabei geholfen, souverän vor Gruppen zu stehen und 289 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 289 <?page no="290"?> Übungsstunden zu strukturieren. Mein Zivildienst in einer Jugendeinrichtung war eine nützliche Erfahrung, da der Umgang mit problematischen Jugendli‐ chen aus bildungsfernen Schichten erprobt wurde. Während meines Studiums half mir das Engagement in der Fachschaft „Sport“, wichtige Erfahrungen in der Organisation von Veranstaltungen zu sammeln. Besondere Bedeutung hatte für mich auch das Schulpraktikum am Gymnasium, da ich mich hier als Leh‐ rerpersönlichkeit mit ausgearbeiteten Schulstunden in der Praxis beweisen musste. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Ein Lehrer sollte meiner Meinung nach psychische Stabilität besitzen (d. h. Fähigkeit zur Mis‐ serfolgsverarbeitung, Frustrationstoleranz, Erholungs- und Entspannungsfä‐ higkeit, Stabilität bei emotionalen Belastungen, Stressresistenz). Ferner spielen die Freude am Umgang mit Kindern und Jugendlichen, Verantwortungsbe‐ wusstsein, Begeisterungsfähigkeit und beruflicher Idealismus eine wichtige Rolle. Bei den sozialen Kompetenzen sind Durchsetzungsvermögen in kom‐ munikativen Situationen, Sensibilität, Freundlichkeit und sicheres Auftreten hervorzuheben. Einstiegsgehalt: Im öffentlichen Dienst ist als Einstieg die Entgeltgruppe A13 (entspricht an privaten Schulen E 13) üblich. Das Gehalt beträgt bei einer vollen Stelle ca. 3.300 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Man sollte sich bereits während des Studiums in einem Sportverein oder in der Jugendarbeit engagieren, um zu erfahren, ob die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Freude bereitet und den eigenen Fähigkeiten entspricht. Es ist sinnvoll, sich vor Beginn des Referendariats nach dem Bedarf der Schulen in den jeweiligen Fächern zu erkundigen. Auch haben Schulleiter bei der Vergabe der Stellen einen Einfluss. Sollte die Schule Bedarf haben, ist es empfehlenswert, sein Referendariat an dieser Schule zu absolvieren. Eine Garantie für eine spä‐ tere Anstellung ist dies jedoch nicht. Es kann auch sinnvoll sein, das Schul‐ praktikum und das Referendariat an der gleichen Schule abzuleisten. Voraus‐ setzung ist jedoch, dass man einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat. P. M. (28 Jahre, Gymnasiallehrer in den Fächern Sport und Französisch, Studi‐ enrat) 5.2.2 Hochschule und Wissenschaft Das Berufsfeld Hochschule und Wissenschaft ist zahlenmäßig einem kleinen Perso‐ nenkreis vorbehalten. Arbeitgeber sind die rund 65 sportwissenschaftlichen Hoch‐ schuleinrichtungen in Deutschland, Forschungsinstitute wie das Institut für Ange‐ 290 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 290 <?page no="291"?> wandte Trainingswissenschaft in Leipzig und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Köln. Voraussetzung für die Tätigkeitsfelder an den Hochschulen sind (sport-)wissen‐ schaftliche Qualifikationen (MA-Studienabschluss, Promotion, Habilitation) und päd‐ agogische Qualifikationen, das Interesse an sportwissenschaftlicher Forschung, der Nachweis von Verbandslizenzen sowie von Lehrtätigkeit und berufsspezifischen hoch‐ schul-/ sportpolitischen Aktivitäten (u. a. Übernahme von Funktionen in der Hoch‐ schulselbstverwaltung) (Lange, 1995; Haag & Mess, 2010). Bei der Stellenstruktur wird zwischen Hochschullehrern/ Professoren (W1bis W3-Professuren, Junior-Professu‐ ren), Akademischen (Ober-)Räten und wissenschaftlichen Mitarbeitern (auf Dauer/ Zeit) unterschieden. Das Tätigkeitsfeld an Hochschulen umfasst Forschung inklusive Einwerbung von Drittmitteln und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse, Durch‐ führung von Lehrveranstaltungen, Betreuung von Abschlussarbeiten und Prüfungen, Mitarbeit in der Scientific Community (u. a. Besuch/ Ausrichtung von wissenschaftli‐ chen Veranstaltungen, Mitarbeit in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft oder weiteren Berufsverbänden) sowie Tätigkeiten in der akademischen Selbstverwal‐ tung der Institute, Fakultäten und Hochschulen. Ferner kann der allgemeine Hochschulsport, der sich an Universitäten und Fachhoch‐ schulen an alle Studierenden und Hochschulangehörigen mit einem teilweise breit ge‐ fächerten Angebot (kostenlos/ kostenpflichtig) wendet, Berufsfeld sein. Dabei kann zwi‐ schen Leitungsstellen und Stellen für Sportlehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter und Verwaltungspersonal unterschieden werden. Das Tätigkeitsfeld erstreckt sich über die Konzeption, Organisation und Durchführung des Kurs- und Exkursionsangebots, die Betreuung und Weiterqualifizierung von Übungsleitern, die Ausrichtung von Deutschen Hochschulmeisterschaften und anderen wettkampf- oder breitensportlich orientierten Veranstaltungen sowie die Kooperation mit anderen Sportorganisationen (u. a. lokale Sportvereine, Sportämter). Als ein führendes Forschungsinstitut im Bereich des Sports ist das Institut für An‐ gewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig zu nennen, an dem über 100 Personen beschäftigt sind. Deren Aufgabe ist die Trainings- und Wettkampfforschung im deut‐ schen Spitzensport, die wissenschaftlich fundierte Trainerberatung und die Trainings‐ steuerung im Rahmen von Trainer-Beratersystemen. Darüber hinaus entwickelt das IAT Mess- und Informationssysteme und gewährleistet den Informations- und Wis‐ senstransfer zur Spitzensportpraxis (Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, 2013). Die rund 30 Mitarbeiter des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) in Bonn ha‐ ben die Aufgabe, den sportwissenschaftlichen Forschungsbedarf in Deutschland zu er‐ mitteln und Forschungsvorhaben auf dem Gebiet des Sports zu initiieren, zu fördern und zu koordinieren, die Forschungsergebnisse auszuwerten und den Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis vorzunehmen. Dies gilt u. a. für die Bereiche Spit‐ zensport, Sportgeräte, Dopinganalytik und Sportentwicklung. Ferner hat das Bundes‐ 291 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 291 <?page no="292"?> institut für Sportwissenschaft die Aufgabe, das Bundesministerium des Innern in Fra‐ gen des Sports fachlich zu beraten (Bundesinstitut für Sportwissenschaft, 2013). Fallbeispiel: Berufsfeld Hochschule und Wissenschaft Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Nach meinem Abschluss des Bachelorstudiums „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportma‐ nagement“ schloss ich ein Masterstudium „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ an. Anschließend erfolgte die Promotion. Zusatzqualifika‐ tionen habe ich in Form von C- und B-Trainerlizenzen im Fußball erworben. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Der Zugang zu meiner ersten (For‐ schungsstelle, befristet) und zweiten (Qualifikationsstelle, befristet) hauptbe‐ ruflichen Stelle erfolgte durch die persönliche Ansprache des Arbeitsbereich‐ leiters. Die jetzige Lehrstelle (unbefristet) wurde öffentlich ausgeschrieben. Allerdings hatte ich bereits durch meine bisherigen Stellen persönlichen Kon‐ takt zum Lehrstuhl, an dem die Stelle ausgeschrieben war. Tätigkeitsfeld: Mein Tätigkeitsfeld erstreckt sich über Lehrveranstaltungen (wissenschaftliche Seminare und Lehrveranstaltung in der Theorie und Praxis der Sportarten), Forschungsaktivitäten (Mitarbeit in Forschungsprojekten, theoretische und empirische Studien), wissenschaftliche Publikationen sowie akademische Selbstverwaltung (u. a. Organisation des Studientags für Studien‐ interessierte, Fachkoordination Fußball). Berufsfelderfahrungen: Während meines Sportmanagement-Studiums habe ich ein sechsmonatiges Praktikum in einer Eventagentur absolviert. Für die spätere hauptberufliche universitäre Tätigkeit spielte diese Berufsfelderfah‐ rung jedoch keine Rolle. Viel bedeutsamer für meine jetzige Arbeit an der Uni‐ versität war hingegen meine 11-monatige Tätigkeit als studentische Hilfskraft an einem sportwissenschaftlichen Lehrstuhl. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Für das Berufsfeld „Hochschule und Wissenschaft“ ist es meiner Meinung nach wichtig, leistungs‐ motiviert, flexibel, belastbar und gewissenhaft zu sein. Es ist von Vorteil, wenn soziale Kompetenzen wie Eigenverantwortung, Kritikfähigkeit, Team- und Kommunikationsfähigkeit vorliegen. Einstiegsgehalt: Meine erste hauptberufliche Stelle (0,5-Stelle) wurde nach dem Bundes-Angestelltentarif in der Gehaltsgruppe IIa vergütet. Dies ent‐ spricht der Gehaltsgruppe 13 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst und beträgt ca. 1.700 Euro (brutto/ Monat). 292 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 292 <?page no="293"?> Tipps: Man sollte sich bereits während des Studiums intensiv mit zentralen theoretischen Perspektiven und wissenschaftlichen Forschungsmethoden in verschiedenen sportwissenschaftlichen Teildisziplinien auseinandersetzen. Ferner empfehle ich den Besuch von Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Schreiben (z. B. über Career-Service an Hochschulen) und die Mitarbeit als stu‐ dentische Hilfskraft an einem Lehrstuhl. R. S. (32 Jahre, Akademischer Mitarbeiter an einem Institut für Sportwissen‐ schaft einer staatlichen Universität) 5.2.3 Sportverein In Deutschland sind rund 27 Mio. Sporttreibende in 91.080 Sportvereinen organisiert. Diese bieten eine große Bandbreite an Sportangeboten, aber auch an ehrenamtlichen und hauptberuflichen Tätigkeiten. Neben kleineren Sportvereinen, die hauptsächlich auf ehrenamtliche Mitarbeiter setzen, gibt es Sportvereine mit mehr als 10.000 Mit‐ gliedern, die hauptberuflich Mitarbeiter einstellen. Seit der Gründung des Deutschen Sportbunds (DSB) weist die zahlenmäßige Entwicklung der Sportvereine und ihrer Mitglieder enorme Zuwachsraten auf. Mit diesem Wachstum geht ein erhöhter Bedarf an Mitarbeitern in Sportvereinen einher. Generell unterscheidet man zwischen drei hauptberuflichen Zuständigkeitsberei‐ chen in Sportvereinen: Personal für den Übungs- und Wettkampfbetrieb, für die Or‐ ganisation und Verwaltung sowie für die Instandhaltung der Sportanlagen und -geräte (Lange, 1995). Ob Übungsleiter und Trainer für ihre Tätigkeit vergütet werden, hängt oftmals von der Sportart ab. Während im Fußball die Vereine ihren Teilzeittrainern in niedrigen Ligen dreistellige Monatsgehälter bezahlen, werden in weniger populären Sportarten ehrenamtliche Trainer und Übungsleiter gewöhnlich mit Aufwandsentschädigungen oder mit Sachgegenständen entlohnt. Durch Professionalisierung und Bürokratisierung im Sport ergab sich auch für Sportvereine die Möglichkeit, hauptberufliche Mitarbeiter in den Bereichen Organisa‐ tion, Verwaltung und Management einzustellen. In der Regel arbeiten diese hauptbe‐ ruflichen Mitarbeiter in den Geschäftsstellen der Sportvereine. „Typische Aufgaben‐ bereiche, die in Sportvereinen von Mitarbeitern der Geschäftsstelle abgedeckt werden, sind z. B. ■ Finanzbuchhaltung, Mitgliedsbeiträge, Spenden. ■ Personal. ■ Trainings- und Übungsleiterbetrieb, Übungsleiter, Kindersportschule. ■ Sportstätten, Vereinsanlagen. ■ PR/ Öffentlichkeitsarbeit, Medien. ■ Veranstaltungen/ Events“ 293 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 293 <?page no="294"?> (Fahrner, 2014). Ferner werden in Sportvereinen mittlerer Größe und in Sportgroßver‐ einen die Vorbereitung von Sitzungen und Versammlungen (z. B. Vorstandssitzung, Mitgliederversammlung) sowie der Wettkampfbetrieb der Mannschaften (Ligenbe‐ trieb) über bezahlte Mitarbeiter der Geschäftsstelle geregelt. Dennoch ist zu konsta‐ tieren, dass bis heute nur wenige Vereine in Management und Verwaltung bezahlte Mitarbeit aufweisen, wobei eher große als kleine Vereine ihre Mitarbeiter bezahlen. Zumeist handelt es sich hierbei um Teilzeitstellen. Sportvereine sind daher tendenziell noch durch eine „starke Zurückhaltung bei der Bereitstellung von Erwerbsarbeitsplät‐ zen“ (Cachay, Thiel & Meier, 2001, S. 213) gekennzeichnet. Mitarbeiter, die sich um die Instandhaltung von Sportanlagen und -geräten kümmern, sind in der Regel keine Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge. Daher wird auf dieses Tätigkeitsfeld an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Fallbeispiel: Berufsfeld Sportverein Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Ich habe zu‐ nächst ein Studium der Betriebswirtschaftslehre begonnen und dieses nach dem erfolgreichen Vordiplom beendet. Ich wechselte dann in das Studium „Sport‐ wissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ und schloss dieses mit dem Bachelor of Arts ab. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Die Stelle als Geschäftsführer war auf Internet-Plattformen ausgeschrieben (u. a. DOSB-Homepage, LSV Schles‐ wig-Holstein-Homepage, XING). Ein erster Kontakt wurde telefonisch herge‐ stellt. Nach der Einreichung meiner Bewerbung erfolgten zwei Bewerbungs‐ runden mit persönlichen Gesprächen. Anschließend wurde ich aus 80 Bewerbern aus dem gesamten Bundesgebiet für die Stelle als Geschäftsführer ausgewählt. Tätigkeitsfeld: Das Tätigkeitsfeld eines Vereinsgeschäftsführers ist abwechs‐ lungsreich: Es erstreckt sich über Mitgliederverwaltung, Führung der Ge‐ schäftsstelle inklusive der Personalverantwortung für die hauptberuflichen Mitarbeiter (u. a. Verwaltungspersonal, Sportlehrer, Hausmeister), Vorberei‐ tung von Vorstandssitzungen und -beschlüssen, Aufstellung und Überwachung des Vereinshaushalts, Neuaufbau und Betreuung von Kooperationen mit Part‐ nern (z. B. Schulen, Stadt, Landessportverband), Organisation von Sportveran‐ staltungen, Planung für die Erweiterung und den Neubau von vereinseigenen Sportstätten sowie den Verkauf von vereinseigenem Gelände. Berufsfelderfahrungen: Im Rahmen meines Bachelorstudiums absolvierte ich ein Praktikum bei einem Markt- und Sozialforschungsinstitut. Die dort ge‐ wonnenen Berufsfelderfahrungen spielten für mein jetziges Tätigkeitsfeld im 294 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 294 <?page no="295"?> Sportverein jedoch keine Rolle. Auch die Tätigkeiten meiner ersten Arbeits‐ stelle nach dem Studium (Firma für E-Payment-Systeme in Fußballstadien) wa‐ ren kaum relevant, da ich IT-spezifische Themen bearbeitete. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Übt man eine Lei‐ tungsfunktion in einem Sportverein mit rund 5.000 Mitgliedern aus, sind meh‐ rere Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen erforderlich. Beson‐ ders wichtig sind aus meiner Erfahrung heraus Offenheit, Kommunikationsbereitschaft und Verbindlichkeit. Einstiegsgehalt: Mein Einstiegsgehalt betrug ca. 3.250 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Ich kann raten, schon während des Studiums Aufgaben in einem Sport‐ verein zu übernehmen. Somit kann vor allem das Spannungsverhältnis zwi‐ schen ehrenamtlichen Funktionsträgern und hauptberuflichen Vereinsmitar‐ beitern sehr gut eingeschätzt werden. Auch Interesse und Begeisterung für verschiedene Sportarten ist gerade in einem Mehrspartenverein ein absolutes Gebot. M. M. (31 Jahre, Geschäftsführer eines Mehrsparten-Sportvereins mit ca. 5.000 Mitgliedern) 5.2.4 Sportverband Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge bieten auch Sportverbände, die als Interessenvereinigungen von Sportvereinen und teilweise auch anderen Sportverbänden fungieren. Sie lassen sich in sportartspezifische und sportartübergreifende Sportverbände differenzieren. Sportartspezifische Sportver‐ bände erfüllen ihre Aufgaben bezogen auf eine spezifische Sportart (z. B. Leichtathletik) auf kommunaler/ regionaler Ebene (z. B. Württembergischer Leichtathletik-Verband - Landesfachverband), auf überregionaler Ebene und Bundesebene (z. B. Deutscher Leichtathletik-Verband - Bundesfachverband) sowie auf internationaler Ebene (z. B. Internationaler Leichtathletik-Verband). In Deutschland existieren über 1.000 sport‐ artspezifische Verbände. All diese Verbände unterhalten Geschäftsstellen, deren haupt‐ berufliche Mitarbeiter neben den Ehrenamtlichen zahlreiche strategische und opera‐ tive Aufgaben erfüllen. Hierzu gehören u. a. Planung, Steuerung und Umsetzung des Wettkampf- und Spitzensports, des Kinder-, Jugend- und Seniorensports, des Breiten‐ sports, des Lehrwesens (z. B. Aus- und Fortbildungen von Trainern und Schiedsrich‐ tern), die Veranstaltung von Meisterschaften, die Talentsuche und Förderung von Nachwuchs- und Spitzenathleten, die Verwaltung des Verbands inklusive der Finanzen und des Personals sowie die Öffentlichkeitsarbeit. Sportartübergreifende Verbände sind ebenfalls auf der Ebene der Städte/ Kreise/ Bezirke, der Bundesländer und des Bundes vorhanden. Auch hier sind neben ehrenamtlich Täti‐ 295 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 295 <?page no="296"?> gen hauptberufliche Mitarbeiter in den Geschäftsstellen mit der Erfüllung spezifischer Aufgabenbereiche betraut. Diese ähneln den Aufgabenbereichen der sportartspezifischen Verbände, hinzu kommen jedoch auch noch die finanzielle Förderung des Sportstätten‐ baus sowie weitere sportverbandsspezifische Aufgaben (Fahrner, 2014). Der sportartübergreifende Dachverband auf Bundesebene ist der Deutsche Olympi‐ sche Sportbund (DOSB). „Der DOSB fungiert national und international als Lobbyist von Breiten- und Spitzensport insbesondere gegenüber Politik, Wirtschaft und Mas‐ senmedien, er vertritt den Sport in allen überverbandlichen und überfachlichen An‐ gelegenheiten“ (Fahrner, 2014, S. 74). Die DOSB-Geschäftsstelle im Haus des Sports in Frankfurt am Main weist fünf Geschäftsbereiche mit verschiedenen Ressorts auf, die Beschäftigungschancen für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge bieten: (1) Geschäftsbereich Generaldirektor (u. a. Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Interna‐ tionales), (2) Geschäftsbereich Leistungssport (u. a. Nachwuchsleistungssport, Wis‐ sensmanagement), (3) Sportentwicklung (u. a. Breitensport, Olympische Erziehung, Gesundheitsmanagement), (4) Jugendsport (u. a. Internationale Jugendarbeit) und (5) Finanzen (u. a. Finanzen/ Controlling, Personal) (Fahrner, 2014). Darüber hinaus finden Sportwissenschaftler hauptberufliche Anstellungen bei wei‐ teren Sportverbänden, wie den Verbänden mit besonderen Aufgaben (z. B. Allgemeiner Deutscher Hochschulsportverband, Deutsche Olympische Gesellschaft) und den inter‐ nationalen Sportverbänden (z. B. Internationales Olympische Komitee, Internationaler Universitätssportverband). Fallbeispiel: Berufsfeld Sportverband Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Nachdem ich mein Bachelorstudium „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ erfolgreich abgeschlossen hatte, absolvierte ich im gleichen Studienprofil noch ein Masterstudium. Ich habe zusätzlich die Judo B-Trainerlizenz erworben und war jahrelang in dieser Sportart Spitzensportlerin in der 1. Bundesliga. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Die Stelle (75%) war öffentlich ausge‐ schrieben und ich habe mich darauf beworben. Ich war den Verbandsfunktio‐ nären jedoch bereits als Spitzensportlerin bekannt. Dies hat sicherlich geholfen. Tätigkeitsfeld: Mein Tätigkeitsfeld umfasst das Eventmanagement (u. a. in‐ ternationale Sportgroßveranstaltungen, Breitensportevents zur Mitgliederbin‐ dung), die Öffentlichkeitsarbeit (u. a. Pressearbeit, Pflege der Verbandshome‐ page), das Verbandslehrwesen (u. a. Organisation und Durchführung von Maßnahmen), das Marketing und Sponsoring (u. a. Corporate Identity, Ver‐ marktung von Sportlern), das Sportvereins- und -verbandsmanagement (u. a. Entwicklung und Durchführung von Projekten zur Mitgliedergewinnung, -bin‐ dung und -zufriedenheit), das Qualitätsmanagement (u. a. Evaluation des Pro‐ 296 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 296 <?page no="297"?> jekts „Judo in der Schule“), Verwaltungsaufgaben (u. a. Meldewesen, Erstellung von Ausschreibungen) sowie Repräsentationsaufgaben bei Veranstaltungen. Berufsfelderfahrungen: Ich habe während meines Bachelor- und Masters‐ tudiums Praktika in einer großen Betriebssportgemeinschaft, bei einem Lan‐ desfachverband in der Sportart Golf und in einem Golfverein absolviert. Stu‐ dienbegleitend war ich als Kursleiterin in einer Kindersportschule, als Fitnesstrainerin und als Kursleiterin im Fitnessbereich tätig. Alle Berufsfelder‐ fahrungen waren wertvoll für mich, da ich mich bei den Tätigkeiten weiter‐ entwickelt und ein Netzwerk aufgebaut habe sowie flexibel in der Berufswahl geblieben bin. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Für mich sind Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein, Eigenorganisation, Selbständigkeit und Prä‐ sentationsfähigkeit die bedeutsamsten Persönlichkeitsmerkmale und sozialen Kompetenzen, die man in meinem Berufsfeld braucht. Einstiegsgehalt: Mein Einstiegsgehalt (75%-Stelle) betrug ca. 2.300 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Kontakte in das Berufsfeld „Sportverband“ zu hauptberuflichen Mitar‐ beitern und ehrenamtlichen Funktionären sollten bereits während des Studi‐ ums geknüpft und anschließend gepflegt werden. Wichtig sind auch Weiter‐ qualifikationen. Daher sollten alle zusätzlichen Qualifikationsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden. E. D. (25 Jahre, Sportmanagerin in einem Landesfachverband) 5.2.5 Privatwirtschaftliche Sportanbieter Zum Berufsfeld der privatwirtschaftlichen Sportanbieter zählen Fitness- und Body-Building-Studios, Ballettschulen, Segel-, Surf- und Tauchschulen, Reitschulen, große Freizeitanlagen, Tanzstudios, Sportschulen für asiatische Kampfsportarten, kom‐ merzielle Tennis-, Squash- und Badmintonhallen, Spaßbäder, Bowling- und Kegelbah‐ nen sowie Kindersportschulen und Reiseveranstalter mit sportbezogenen Dienstleis‐ tungen (z. B. Segelkurse, Golfkurse). In Deutschland sind zahlreiche Sportwissenschaftler bei privatwirtschaftlichen An‐ bietern angestellt. Häufig sind die Beschäftigungsverhältnisse befristet, auf Stunden beschränkt oder erfolgen auf Honorarbasis. Bereits während ihres Studiums arbeiten viele Studierende der Sportwissenschaft nebenberuflich oder als Honorarkräfte in Fit‐ nessstudios oder bei anderen privatwirtschaftlichen Sporteinrichtungen. In der Regel sind sportpraktische Fertigkeiten, sportwissenschaftliche Kenntnisse (z. B. Trainings‐ wissenschaft), Lizenzen in speziellen Sportarten bzw. im fitness- und gesundheitsori‐ 297 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 297 <?page no="298"?> entierten Sport bei der Konzipierung und Anleitung von Sportprogrammen bedeutsam. Ferner können betriebswirtschaftliche Kenntnisse wie Finanzplanung, Buchhaltung, Mitarbeiterführung sowie juristische Grundkenntnisse und Managementerfahrungen hilfreich sein - insbesondere, wenn eine Selbständigkeit angestrebt wird. Fallbeispiel: Berufsfeld Privatwirtschaftlicher Sportanbieter Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Nach dem Ba‐ chelor-Studium der „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ ab‐ solvierte ich auch ein Masterstudium mit dem Schwerpunkt Sportmanagement erfolgreich. Ich habe während meines Studiums die C-Lizenz „Vereinsmanager“ erworben und darüber hinaus meine EDV-Kenntnisse durch mehrere Kurse an der Universität erweitert. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Der Kindersportverein und die Kin‐ dersportschule wurden von mir gegründet. Daher war keine Bewerbung auf eine Stelle notwendig. Tätigkeitsfeld: In erster Linie plane und organisiere ich den gesamten Sport‐ betrieb. Dazu gehören die Lehrplangestaltung, das Hallenmanagement und das eigene Unterrichten von 2 bis 8 Unterrichtseinheiten pro Woche. Zusätzlich kommt die Personalführung der 15 angestellten Sportfachkräfte und des Ver‐ waltungspersonals, die Buchhaltung, die Beantragung von Fördergeldern und die Kooperationen mit der Stadt und den regionalen Sportverbänden hinzu. Berufsfelderfahrungen: Während meines Studiums habe ich Praktika bei ei‐ nem Sportverein und im vereinseigenen Fitnessstudio eines Sportgroßvereins absolviert. Zusätzlich war ich noch sechs Monate bei einer Event- und Sport‐ sponsoring-Agentur als Praktikantin beschäftigt. Nach meinem Studium ar‐ beitete ich zunächst als freie Mitarbeiterin für diese Agentur, um dann in den Bereich Sportveranstaltungen und Sponsoring einer anderen Agentur zu wech‐ seln. Die Berufsfelderfahrungen waren für mich sehr wichtig - ich habe gelernt, strukturiert zu arbeiten und mit Vorgesetzten und Mitarbeitern umzugehen. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: In meinem jetzigen Beruf sind alle organisatorischen Fähigkeiten von Vorteil. Darüber hinaus sind hohe Belastbarkeit, Empathie für Angestellte und Kunden sowie eine freund‐ liche, aber klare und vor allem ehrliche Mitarbeiterführung besonders wichtig. Einstiegsgehalt: Mein Einstiegsgehalt betrug ca. 2.000 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Hilfreich ist es, Erfahrungen in vielen Berufsfeldern zu sammeln. Jedes Praktikum hilft, ein späteres Berufsfeld zu finden und eigene Projekte umzu‐ 298 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 298 <?page no="299"?> setzen. Hat man ein Berufsziel gefunden, gilt es, dran zu bleiben und nicht aufzugeben. C. S. (32 Jahre, Geschäftsführerin eines Kindersportvereins und einer Kinder‐ sportschule) 5.2.6 Öffentliche Sportverwaltung Die öffentliche Sportverwaltung, die zweite Säule neben der Selbstverwaltung des Sports in Deutschland, lässt sich in drei Ebenen unterteilen: die Ebene des Bundes, die Ebene der Länder und die Ebene der Gemeinden und Kommunen. Auf der Ebene des Bundes existieren verschiedene Ministerien mit unterschiedlichen Tätigkeitsschwerpunkten im Sport. Darunter fallen z. B. das Bundesministerium des Innern, das in Deutschland für den Spitzensport zuständig ist. Im Bundesministerium für Verteidigung steht der Sport der Bundeswehr im Vordergrund. Auf der Ebene des Bundes ist ebenfalls das Auswärtige Amt angesiedelt. Seine Tätigkeiten im Sport zielen vor allem auf die Zusammenarbeit und Förderung des Sports in Ländern der Dritten Welt. Im Speziellen bedeutet dies u. a. die Ausbildung von Sportlehrkräften oder den Aufbau von Sportstrukturen in den entsprechenden Ländern. Als ein Schwerpunkt in der öffentlichen Sportverwaltung auf der Ebene der Länder gilt der Schulsport. Tätigkeitsfelder sind hier die Organisation und Durchführung von Bundesjugendspielen, die Fort- und Weiterbildung von Sportlehrkräften oder die Zu‐ sammenarbeit mit Sportorganisationen außerhalb der Schule. Neben dem Schulsport sind der Sportstättenbau, die Talentsichtung und -förderung sowie die Verwaltung der Sportbehörden wichtige Tätigkeitsfelder. Auf lokaler Ebene ist der Sport in den Kommunen und Gemeinden zu organisieren und zu fördern. Die Zusammenarbeit mit freien Trägern und der Sportstättenbau ge‐ hören ebenfalls zu diesem Berufsbild. Ein konkretes Tätigkeitsfeld ist die Arbeit im kommunalen Sportamt (z. B. Sportamtsleiter). Neben Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge werden in der öffentli‐ chen Sportverwaltung auch Absolventen eines Studiums des allgemeinen Verwal‐ tungswesens eingestellt. Da in vielen Bereichen der Anteil an sportfachlichen Aufgaben steigt, bestehen jedoch nach wie vor Chancen für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge, im Bereich der öffentlichen Sportverwaltung hauptberuflich tätig zu werden. 299 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 299 <?page no="300"?> Fallbeispiel: Berufsfeld Öffentliche Sportverwaltung Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Zunächst habe ich BA Sportwissenschaft mit dem Nebenfach Gesundheits- und Fitnessma‐ nagement studiert. Daran anschließend habe ich mich für das Masterstudium „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ entschieden. Studienbe‐ gleitend erwarb ich die Vereinsmanager C-Lizenz des DOSB sowie berufsori‐ entierte Zusatzqualifikationen im Bereich Projektmanagement und Organisa‐ tion. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Ich wurde direkt vom Oberbürger‐ meister der Stadt angesprochen. Er kannte mich von meiner früheren Arbeits‐ stelle. Formal musste meine jetzige Stelle zwar ausgeschrieben werden, jedoch war die Ausschreibung auf meine Person zugeschnitten. Tätigkeitsfeld: Meine Aufgaben liegen insbesondere in der Sportentwick‐ lungsplanung, der Entwicklung eines kommunalen Sportkonzepts, im Aufbau eines lokalen Netzwerks zur Bewegungs- und Sportförderung sowie in der Entwicklung eines lokalen Sportinformationsdiensts. Projektbezogen arbeite ich an der Weiterentwicklung der Sportinfrastruktur mit. Zudem unterstütze ich die Verwaltungsbereiche Sportförderung, Medien- und Öffentlichkeitsar‐ beit sowie Veranstaltungsmanagement. Berufsfelderfahrungen: Während meiner Studienzeit habe ich verschiedene Praktika absolviert: beim Organisationskomitee der Turn-WM in Stuttgart, bei der Marketing und Event GmbH eines Landesfachverbands und im Bereich Presse und Öffentlichkeitsarbeit eines Bundesfachverbands. Wichtig war für mich die Berufsfelderfahrung bei einem Verein, der die Zusammenarbeit zwi‐ schen Kommunen, Sportfachverbänden, Sportkreisen und einem Olympia‐ stützpunkt verbessern will. Dieser Verein beschäftigte mich als projektbezoge‐ ner Mitarbeiter der Geschäftsführung. Einen wichtigen Erkenntnisgewinn konnte ich auch durch mein vielfältiges ehrenamtliches Engagement in Sport‐ organisationen auf Landes- und Bundesebene erfahren, u. a. durch die Erpro‐ bung von Führungskompetenzen und internationale Kontakte. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Für mich sind bei meinen beruflichen Tätigkeiten strategisches Denken und Handeln, Kreativi‐ tät, Engagement und Leistungsbereitschaft sehr wichtig. Auch die Fähigkeit, sich schnell in Strukturen einarbeiten zu können, wird gefordert. Sicheres Auf‐ treten, Verhandlungsgeschick, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit und Loyalität sollte man ebenfalls mitbringen. 300 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 300 <?page no="301"?> Einstiegsgehalt: Der Bachelorabschluss führt i. d. R. zur Eingruppierung in die Gehaltsgruppen E 9 bis E 12. Für Absolventen von Masterabschlüssen sind E 13 bis E 15 möglich. Verbeamtungen sind nicht auszuschließen, jedoch für Be‐ rufsanfänger eher unüblich. Es ergibt sich beim Einstiegsgehalt somit eine Spanne zwischen 2.500 und 4.000 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Grundsätzlich kann ich jedem Studenten der Sportwissenschaft eine intensive studienbegleitende Erprobung potenzieller Berufsfelder empfehlen. Sei es im Praktikum, im Nebenjob oder im ehrenamtlichen Engagement - es lohnt sich und vermittelt profunde Kenntnisse von Sportstrukturen und Ar‐ beitsweisen. Besonders hervorzuheben ist der Aufbau eines persönlichen Netz‐ werks. C. K. (28 Jahre, Sportwissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem städtischen Sportamt) 5.2.7 Sport und Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen der Sportartikelindustrie, aber auch Unternehmen, die sport‐ bezogene Kommunikationsmaßnahmen (z. B. Öffentlichkeitsarbeit, Sportsponsoring, Sportwerbung) nutzen, können als potenzielle Arbeitgeber von Absolventen sportwis‐ senschaftlicher Studiengänge identifiziert werden. Ferner bieten Agenturen, die als Vermittler zwischen Sport und Wirtschaft fungieren (z. B. Agenturen zur Vermarktung medialer und werblicher Rechte), Arbeitsplätze. Das Tätigkeitsfeld erstreckt sich von der Planung, Durchführung und Evaluation von Konzeptionen zur ökonomischen Verwertung des Sports (u. a. Öffentlichkeitsarbeit und Werbung), über die Ausgestaltung von Sponsoringpartnerschaften (u. a. Konzep‐ tion und Durchführung von Sponsoringevents) bis hin zur Anbahnung von Koopera‐ tionen und Verhandlungen zur Vertragsgestaltung. Die Managementaufgaben, die von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge bewältigen werden müssen, lassen sich in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Sitzungen, Planung und Kontrolle des finanziellen Ressourceneinsatzes (Budgetierung), Personalauswahl, Per‐ sonalentwicklung und -führung, Strategieentwicklung zur Erreichung kurz-, mittel- und langfristiger Ziele sowie operative Umsetzung der strategischen Konzeptionen zusammenfassen. 301 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 301 <?page no="302"?> Fallbeispiel: Berufsfeld Sport und Wirtschaft Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Ich habe ein Bachelor-Studium der „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ abgeschlossen. Bereits während meines Studiums habe ich Zusatzqualifikatio‐ nen erworben, u. a. in Englisch, EDV, Lern- und Arbeitstechniken, Verhand‐ lungs- und Gesprächsführung. Nach dem Studium habe ich mich im Veranstal‐ tungsmanagement und in Kreativitätstechniken weitergebildet. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Ich habe mich auf eine ausgeschrie‐ bene Stelle beworben. Kontakte zum Unternehmen bestanden jedoch schon vor der Bewerbung durch meine Praktikantentätigkeit. Tätigkeitsfeld: Zu meinen Aufgaben gehört die Steuerung und Begleitung der lokalen, regionalen und nationalen Sponsoringengagements und Veranstaltun‐ gen sowie die Mitarbeit bei der Konzeption, Organisation, Umsetzung und Kontrolle von Sponsoringmaßnahmen. Auch die Mitarbeit bei der Organisa‐ tion, Abwicklung und Nachbearbeitung von internen Veranstaltungen und Kundenincentives gehört zu meinem Tätigkeitsfeld. Zusätzlich bearbeite und evaluiere ich Veranstaltungs- und Sponsoringkonzepte bis zur entscheidungs‐ reifen Vorlage. Berufsfelderfahrungen: Ich habe während meines Studiums Praktika bei Marketingagenturen absolviert. Auch war ich ehrenamtlich bei nationalen Ver‐ anstaltungen tätig. Praktika und freiberufliche Tätigkeiten sind essenziell für Berufseinsteiger in meiner Branche. Oftmals werden solche Berufsfelderfah‐ rungen auch bei einer Einstellung vorausgesetzt. Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Für mich sind Teamfähigkeit, hohe Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität (zeitlich/ örtlich), Umsetzungsstärke, Offenheit für neue Projekte und neue Kontakte, selbstän‐ diges und strukturiertes Arbeiten, Ehrgeiz und Leidenschaft für den zu verant‐ wortenden Tätigkeitsbereich die bedeutsamsten Persönlichkeitsmerkmale und sozialen Kompetenzen, die man in meinem Berufsfeld braucht. Natürlich sollte man sportliche Affinität besitzen - insbesondere zu den aktuellen Sponso‐ ring-Engagements. Einstiegsgehalt: Das Einstiegsgehalt ist abhängig von der persönlichen Qua‐ lifikation und dem Standort des Unternehmens. Es beträgt 2.900-3.750 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Berufsfelderfahrungen in unterschiedlichen Branchen und Organisa‐ tionen (z. B. Agenturen, Wirtschaftsunternehmen, Vereinen) bilden eine gute Basis, um verschiedene Akteure und die damit verbundenen Arbeitsweisen 302 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 302 <?page no="303"?> kennenzulernen. Praktika sollten daher nicht als Pflicht, sondern als Chance zur Vorbereitung für den angestrebten Beruf gesehen werden. Durch Praktika und ehrenamtliche Arbeit können sich Kontakte ergeben, die einen Berufsein‐ stieg erleichtern. Die sogenannten Soft Skills gewinnen auch an Bedeutung im Bewerbungsprozess und sollten daher im Hinblick auf den angestrebten Beruf entsprechend gewählt werden. L. A. (27 Jahre, Projektmanager Sponsoring/ Events in der Konsumgüterindus‐ trie/ FMCG) 5.2.8 Sport und Massenmedien Sport ist mit seinen vielen Facetten zu einer zentralen Erscheinung des heutigen ge‐ sellschaftlichen Lebens geworden und steht dadurch im Zentrum des Interesses der Massenmedien. Die mit den Massenmedien verbundene Berufsbezeichnung „Journa‐ list“ ist kein geschützter Begriff, die Tätigkeit daher kein anerkanntes Berufsbild. Aus diesem Grund gibt es auch keine zwingend vorgeschriebene und einheitliche Berufs‐ ausbildung. Vom Deutschen Journalistenverband wird als Journalist bezeichnet, wer hauptberuflich an der Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Massenmedien beteiligt ist. Das Berufsfeld „Sport und Massenmedien“ lässt sich in die Bereiche Print, Hörfunk, Fernsehen und Internet sowie Public Relations/ Öffentlichkeitsarbeit unterteilen. Die Zeitungsbranche kämpft seit Ende des 20. Jahrhunderts mit rückläufigen Auflagen und Einbrüchen am Anzeigenmarkt. Es werden immer weniger Redakteure fest eingestellt - der Trend geht zum freien Mitarbeiter, auch im Sportjournalismus der Tageszeitun‐ gen. Viele Zeitschriften suchen inzwischen den Erfolg im Internet, indem sie ihr On‐ lineangebot deutlich ausbauen, da auch der Zeitschriftenmarkt von der Krise nicht verschont bleibt. Doch ständige Neugründungen sorgen für einen gesättigten Markt. Unterschieden wird zwischen Sportfachzeitschriften und populären Sportmagazinen sowie zwischen Verlagspublikationen und Verbandszeitschriften. Frei, also ohne festes Arbeitsverhältnis, arbeiten auch viele Journalisten im Hörfunk, gerade bei lokalen An‐ bietern. Arbeitsplätze bieten öffentlich-rechtliche und private Radiostationen. Selbiges gilt für das Berufsfeld Sportfernsehen. Öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender expandieren im Bereich Sport, vor allem aufgrund hoher Einschaltquoten telegener Sportarten. Mögliche Tätigkeiten sind hier Moderator, Redakteur und Kommentator. Das Internet ist das jüngste Berufsfeld im Sport und bietet das wohl breiteste Tätig‐ keitsspektrum, da es multimedial gestaltet ist. Weil die meisten Internetinhalte kos‐ tenlos angeboten werden, ist die Einkommenssituation im World Wide Web nicht stabil und der Beruf des Internetjournalisten kaum angesehen. Dennoch wächst dieser Be‐ reich, da sich immer mehr Menschen über Internetportale und Social-Media-Plattfor‐ 303 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 303 <?page no="304"?> men informieren. Medienunternehmen bieten Tätigkeiten als Onlineredakteure und im Bereich Social Media an. Public Relations/ Öffentlichkeitsarbeit stellt ein weiteres Tätigkeitsfeld dar. Bei Me‐ dien- und PR-Agenturen, PR-Abteilungen von Vereinen und Verbänden, in Medienab‐ teilungen der Sportartikelindustrie oder bei Sportgroßveranstaltungen finden Absol‐ venten sportpublizistischer Studiengänge Arbeitsmöglichkeiten, sie müssen jedoch inhaltlich breit aufgestellt sein, um ihre Arbeit möglichst über mehrere Medienkanäle hinweg ausüben zu können. Fallbeispiel: Berufsfeld Sport und Massenmedien Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Ich habe den Bachelorstudiengang „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportpublizistik“ ab‐ solviert. Während meines Studiums habe ich meine Kenntnisse in den Sprachen Englisch und Italienisch in Kursen an der Universität und an der Volkshoch‐ schule verbessert. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Nach Abschluss des Bachelorstudiums bewarb ich mich auf eine Stelle als crossmedialer Volontär. Die dreijährige Vo‐ lontärstelle war ausgeschrieben, allerdings hatte ich bereits zuvor Kontakt zum Medienunternehmen über mehrere Praktika vor und während meines Studiums in der Lokal- und Sportredaktion (Printausgabe). Zudem habe ich über meine gesamte Studiendauer hinweg als freier Mitarbeiter für diese Zeitung geschrie‐ ben. Tätigkeitsfeld: In meiner Volontärszeit war ich in drei verschiedenen Lokal‐ redaktionen der Printausgabe eingesetzt. Während der Ausbildung standen zu‐ dem Ausbildungszeiten bei einem Hörfunksender und einem regionalen TV-Sender auf dem Programm. Zum Abschluss meines Volontariats durchlief ich die verschiedenen Ressorts der Print-Matelredaktion (Sport, Wirtschaft, Politik, Kultur, Online und Ipad). Nun arbeite ich als Redakteur in der Lokal‐ redaktion. Berufsfelderfahrungen: Nach dem Abitur absolvierte ich zunächst ein Prak‐ tikum in der Sportredaktion einer lokalen Zeitung. Während des Studiums folgten ein Praktikum in einer Lokalredaktion sowie die freie Mitarbeit in di‐ versen Sportredaktionen lokaler und regionaler Zeitungen. Rückblickend wa‐ ren diese Erfahrungen hilfreich, um den Alltag und die Arbeitsabläufe einer Zeitungsredaktion kennenzulernen. Der wichtigste Aspekt war jedoch der kontinuierliche Kontakt zu Personen aus der Medienbrache, die bei der Jobsu‐ che nach dem Studium hilfreich waren. 304 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 304 <?page no="305"?> Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Wichtige Merkmale und Kompetenzen in meinem derzeitigen Arbeitsumfeld sind Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein, Kritikfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Flexibilität. Einstiegsgehalt: Als Volontär habe ich 1.400 Euro (brutto/ Monat) verdient. Ein Jungredakteur in meinem Medienunternehmen erhält ein Gehalt von ca. 3.000 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Rückblickend waren die praktischen Arbeitserfahrungen als Praktikant und freier Mitarbeiter sehr wichtig. Die Mitarbeit an (sport-)journalistischen Projekten an der Universität ist ebenfalls zu empfehlen, da potenzielle Arbeit‐ geber auf Texte aufmerksam werden und die Beiträge als Arbeitsproben bei der Bewerbung geeignet sind. J. G. (28 Jahre, Redakteur in einem regionalen Medienhaus (Print/ Hörfunk/ TV)) 5.2.9 Sport und Gesundheit Vor dem Hintergrund einer wachsenden Bedeutung von körperlicher Aktivität bei Ge‐ sundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation, rücken diese Themenfelder ver‐ stärkt in den Fokus von Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge. Zahlreiche Bachelor- und Masterstudiengänge weisen den Studienschwerpunkt Sport und Ge‐ sundheit auf. „Prävention und Rehabilitation durch Sport“, „Bewegungsbezogene Ge‐ sundheitsförderung“, „Fitness- und Gesundheitsmanagement“ sowie „Sport, Gesund‐ heit, Prävention“ sind nur einige ausgewählte Titel (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft - Kommission Gesundheit, 2011). Arbeitgeber im Berufsfeld Sport und Gesundheit sind z. B. Kliniken und Kranken‐ häuser, Krankenkassen und -versicherungen, private Gesundheitsvorsorger, Rehabili‐ tationseinrichtungen, Sportvereine und -verbände sowie Ausbildungsstätten des Ge‐ sundheitswesens. Es existieren sowohl befristete als auch unbefristete Angestelltenverhältnisse, auch Honorartätigkeiten und projektbezogene Mitarbeit sind möglich. Die Tätigkeiten im Berufsfeld Sport und Gesundheit erstrecken sich über die Ar‐ beitsfelder ■ Prävention und Gesundheitsförderung/ -erziehung (Aufklärung und vorbeu‐ gende Maßnahmen zur Gesunderhaltung des Körpers), ■ Therapie und Sport (Behandlungsmaßnahmen zur Heilung von Krankheiten) sowie ■ ambulante und stationäre Rehabilitation und Rehabilitationssport (Wiederher‐ stellung des vormals existierenden körperlichen Zustands). In der Regel werden zielgruppenspezifische Gesundheits-, Bewegungs-, Freizeit- und therapeutische Maßnahmen entwickelt, geplant und durchgeführt. Ein wichtiger As‐ 305 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 305 <?page no="306"?> pekt ist hierbei die kontinuierliche Beratung und das Coaching der Maßnahmenteil‐ nehmer. Ferner werden Fitness- und Wellnessangebote konzipiert und organisiert. Or‐ ganisations- und Verwaltungstätigkeiten ergänzen - je nach Arbeitsfeld - die aufgeführten Tätigkeiten. Fallbeispiel: Berufsfeld Sport und Gesundheit Studium, weitere berufsqualifizierende Qualifikationen: Ich habe die Ba‐ chelorstudiengänge Sportwissenschaft mit den Profilen Sportmanagement und Gesundheitsförderung abgeschlossen. Anschließend habe ich den Masterstu‐ diengang „Sportwissenschaft mit dem Profil Sportmanagement“ absolviert. Zu‐ satzqualifikationen habe ich in Gesprächsführung und Rhetorik, im Team- und Konfliktmanagement, in Kommunikations- und Präsentationskompetenzen er‐ worben. Zusätzlich habe ich Trainerlizenzen in Sport nach Krebs und Ortho‐ pädischer Hüftschule erworben. Zugang zur hauptberuflichen Stelle: Während meines Masterstudiums habe ich ein Praktikum im Gesundheitsmanagement absolviert und danach freiberuflich diese Tätigkeit weitergeführt. Über diesen Kontakt wurde ich auf eine befristete Referentenstelle im Bereich Gesundheitsförderung in Kinderta‐ geseinrichtungen bei einer Krankenkasse aufmerksam, auf die ich mich be‐ worben habe. Nach sieben Monaten lief die Stelle aus und ich habe mich über freiberufliche Tätigkeiten (u. a. Kurse in Vereinen und an der Universität) über Wasser gehalten. Nach zahlreichen Bewerbungen und Bewerbungsgesprächen habe ich eine Führungsposition im medizinischen Bereich einer Stiftung ange‐ nommen. Nach acht Monaten Tätigkeit erhielt ich ein Angebot als Referentin Gesundheitsförderung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) bei der Krankenkasse, bei der ich meine erste Anstellung hatte. Tätigkeitsfeld: Mein Tätigkeitsfeld umfasst die konzeptionelle Ausarbeitung und Erweiterung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements für die Kran‐ kenkasse als fachliche Vorgesetzte. Berufsfelderfahrungen: Meine Berufsfelderfahrungen waren vielfältig. Ich absolvierte ein sechsmonatiges Praktikum bei einer städtischen Veranstal‐ tungsgesellschaft im Bereich Eigenveranstaltungen. Darüber hinaus war ich acht Wochen in der Sport- und Ernährungstherapie einer Klinik sowie im Ge‐ sundheitsmanagement eines BGM-Dienstleisters tätig. Parallel zu meinen Stu‐ dien habe ich Kurse im Hochschulsport, in Sportvereinen und an der Volks‐ hochschule gegeben und als wissenschaftliche Hilfskraft an einem sportwissenschaftlichen Lehrstuhl gearbeitet. 306 5 Berufsfelder und Beschäftigungsverhältnisse (Verena Burk) 306 <?page no="307"?> Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen: Für mich sind be‐ sonders sicheres Auftreten, Verhandlungssicherheit, rhetorische Fähigkeiten, motivierende Gesprächsführung, Team- und Konfliktmanagement besonders wichtig. Auch Durchsetzungsvermögen sowie Selbst- und Zeitmanagement sind von Bedeutung. Einstiegsgehalt: Mein Einstiegsgehalt betrug 2.500 Euro (brutto/ Monat). Tipps: Als besonders wichtig erachte ich neben dem Engagement im Studium Kontakte im Gesundheitsbereich zu knüpfen und zu pflegen und somit ein Netzwerk aufzubauen. Ebenso relevant sind meines Erachtens Praktika in allen interessanten Bereichen des angestrebten Berufsfelds. Geduld bei der Jobsuche, ehrliches Auftreten bei den Bewerbungsgesprächen und die Äußerung kon‐ kreter Vorstellungen zum Tätigkeitsfeld kann ich allen ans Herz legen. G. B.-L. (30 Jahre, Referentin Betriebliches Gesundheitsmanagement bei einer Krankenkasse) Kontrollfrage Die Berufsfelder für Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge weisen spezifische Kennzeichen auf. Charakterisieren Sie drei ausgewählte Berufsfelder mit ihren spezifischen Kennzeichen. Literatur Bundesinstitut für Sportwissenschaft (2013). Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte des Bundesin‐ stituts für Sportwissenschaft. Zugriff am 12. Februar 2013 unter www.bisp.de/ nn_15924/ DE/ U eber__uns/ Aufgaben/ aufgaben__node.html? __nnn=true Cachay, K., Thiel, A. & Meier, H. (2001). Der organisierte Sport als Arbeitsmarkt. Eine Studie zu Erwerbsarbeitspotenzialen in Sportvereinen und Sportverbänden. Schorndorf: Hofmann. Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft - Kommission Gesundheit (2011). Gesundheitsori‐ entierte Studiengänge in der Sportwissenschaft in Deutschland. Zugriff am 5. Mai 2013 unter www.sportwissenschaft.de/ fileadmin/ pdf/ download/ Gesundheitsorientierte_stud-spowi.pdf Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (2013). Wir über uns. Zugriff am 12. Februar 2013 unter www.iat.uni-leipzig.de/ wir-ueber-uns Fahrner, M. (2014). Grundlagen des Sportmanagements (2. Auflage). München: Oldenbourg. Haag, H. & Mess, F. (2010). Einführung in das Studium der Sportwissenschaft. Berufsfeld-, Studi‐ enfach- und Wissenschaftsorientierung (3., überarbeitete Auflage). Schorndorf: Hofmann. Lange, A. (1995). Arbeitsmarkt Sport: außerschulische Berufsfelder. Bochum: Brockmeyer. 307 5.2 Ausgewählte Berufsfelder und Profile von Sportwissenschaftlern 307 <?page no="309"?> 6 Zusammenfassung und Ausblick (Verena Burk, Marcel Fahrner) In diesem Lehrbuch wurden ausgewählte Themen der Sportwissenschaft aufgearbeitet, die aus Autorensicht für eine umfassende Orientierung von Studieninteressierten und Studienanfängern der Sportwissenschaft von Bedeutung sind. ■ Ausgangspunkt waren zunächst relevante Entwicklungsschritte der Sportwis‐ senschaft als Fachdisziplin. Daran anschließend wurde u. a. mit Blick auf aus‐ gewählte Definitionsansätze und Beschreibungsmodelle „Sport“ als Gegen‐ standsbereich der Sportwissenschaft fokussiert und Schwierigkeiten in der Abgrenzung des Sportbegriffs in ihren Auswirkungen auf den exklusiv sport‐ wissenschaftlichen Zuständigkeitsraum reflektiert. Eine Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Anspruch einer integrativen Querschnittwissenschaft und den tatsächlichen Binnendifferenzierungen in der Sportwissenschaft schloss den ersten Teil ab. ■ Vor diesem Hintergrund wurden ausgewählte sportwissenschaftliche Teildiszi‐ plinen beschrieben - Sportpädagogik, Sportgeschichte, Sportpsychologie, Sportsoziologie, Sportökonomik, Sportmedizin, Bewegungswissenschaft und Trainingswissenschaft - und mit ihren jeweiligen Erkenntnisinteressen, Frage‐ stellungen, Theorien und Forschungszugängen gekennzeichnet. Über die teil‐ disziplinären Kennzeichen hinaus wurde dabei deutlich, dass die Sportwissen‐ schaft heute keine einheitliche, in sich geschlossene Wissenschaftsdisziplin darstellt. ■ In einem weiteren Schritt wurden zentrale Kennzeichen wissenschaftlichen Ar‐ beitens skizziert. Neben typischen Schrittfolgen wissenschaftlicher Arbeitspro‐ zesse - Forschungsproblem, zentrale Fragestellungen, Forschungsüberblick, theoriegeleitete Reflexion, Forschungsdesign, Ergebnisdarstellung - umfasste dies typische Wege und Formen der Informationsbeschaffung und Literaturre‐ cherche sowie Anforderungen an die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten. ■ Abschließend erfolgte eine Beschreibung relevanter Berufsfelder von Absol‐ venten sportwissenschaftlicher Studiengänge - Schule, Hochschule und Wis‐ <?page no="310"?> senschaft, Sportvereine, Sportverbände, privatwirtschaftliche Sportanbieter, öf‐ fentliche Sportverwaltung, Sport und Wirtschaft, Sport und Massenmedien, Sport und Gesundheit. Dabei wurde auch deutlich, welche Kenntnisse, Kompe‐ tenzen und Qualifikationen in diesen Berufsfeldern jeweils als wichtig erachtet werden. Richtet man den Blick über dieses ausgewählte Themenspektrum hinaus, zeigt sich gleichwohl eine Reihe hier nicht ausgeleuchteter Perspektiven. Beispielsweise haben sich weitere sportwissenschaftliche Disziplinen ausdifferenziert, die auch über Sektio‐ nen in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft organisiert sind: ■ Sportphilosophie: Kennzeichnend für die Sportphilosophie ist ihr distanziertes, reflexives Verhältnis zum Gegenstandsbereich Sport. Dies ist Voraussetzung für die Bearbeitung ihrer zentralen Fragestellungen, z. B. nach dem Wesen des Sports, den anthropologischen Aspekten von Leiblichkeit und Körperlichkeit im Sport, der Ästhetik und Inszenierung sowie den ethisch-moralischen Kennzei‐ chen von Sport. ■ Sportinformatik: Datenaufnahme und -analyse, Modellbildung und Simulation sowie Datenbanken und Informationssysteme sind zentrale Bereiche der Sport‐ informatik. Damit unterstützt sie andere sportwissenschaftliche Disziplinen v. a. in der Ausgestaltung forschungsrelevanter Schnittstellen zur Informatik, etwa die Bewegungs- und Trainingswissenschaft. Als Reaktion auf jüngere gesellschaftliche und technische Entwicklungen, die neue - z. B. juristische oder wirtschaftliche - Problem- und Fragestellungen mit sich bringen, sind noch weitere spezialisierte Gebiete innerhalb der Sportwissenschaft entstanden. ■ Sportrecht: Aus juristischer Perspektive ist der Sport einerseits durch ein von Sportvereinen und Sportverbänden autonom gesetztes Recht gekennzeichnet. Andererseits existieren in der Sportpraxis zahlreiche Berührungspunkte zum staatlichen Recht, was vielfältige juristische Probleme mit teilweise sportspezi‐ fischen Rechtsnormen nach sich zieht, z. B. hinsichtlich gesellschaftsrechtlicher, arbeitsrechtlicher, wettbewerbs- und kartellrechtlicher Fragen sowie hinsicht‐ lich des Schutzes und der Vewertung medialer und werblicher Rechte im Sport. ■ Sportpublizistik: Forschungsfragen, die sich auf Sportberichterstattung in Mas‐ senmedien beziehen oder Öffentlichkeitsarbeit im Sport in den Blickpunkt neh‐ men, wurden lange Zeit innerhalb der Sportsoziologie aufgegriffen. Mit zuneh‐ mender Bedeutung des Sports in der Gesellschaft und dessen massenmedialer Vermittlung rückten entsprechende Themenfelder verstärkt in den Fokus wis‐ senschaftlicher Analyse. Dies machte es erforderlich, neben soziologischen As‐ pekten hinausgehende Expertise z. B. in den Bereichen Publizistik, Journalistik und Medienwissenschaft anzuwenden. 310 6 Zusammenfassung und Ausblick (Verena Burk, Marcel Fahrner) 310 <?page no="311"?> Neben dem an sportwissenschaftlichen Teildisziplinen orientierten Zugang können alternativ auch sportspezifische Themen und Problemfelder zur Orientierung heran‐ gezogen werden: ■ Sport und Gesellschaft: Zusammenhänge von Sport und Gesellschaft, die sich z. B. in der Entwicklung des Sports selbst, in seinen Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Teilsystemen sowie in den Abstimmungs- und Steuerungs‐ problemen von Sportorganisationen zeigen, können mittels soziologischer, öko‐ nomischer, philosophischer und historischer Zugänge in den Blick genommen werden. ■ Sport und Gesundheit: Unter Nutzung biologischer, medizinischer, bewegungs- und trainingswissenschaftlicher sowie sozial-psychologischer Erkenntnisse können Fragen der gesundheitlichen Prävention und Rehabilitation durch Sport analysiert werden. ■ Sport und Erziehung: Sportspezifische Erziehungspotenziale in pädagogischen Kontexten, z. B in Schule oder Sportverein, können unter Bezug insbesondere auf erziehungswissenschaftliche, psychologische, soziologische und historische Zugänge analysiert werden. ■ Sport und Wirtschaft: Beschäftigungswirkungen und ökonomische Wertschöp‐ fungen von Sport werden typischerweise aus volkswirtschaftlicher Perspektive analysiert. Ökonomische Bedingungen und Wirkungsweisen in organisierten Zusammenhängen („Betrieben“) stehen hingegen im Fokus betriebswirtschaft‐ licher Perspektiven und werden - als Sportmanagement bezeichnet - unter Zu‐ griff auch auf politische, soziologische und psychologische Erklärungsmuster bearbeitet. ■ Sport und Massenmedien: Die Beziehungen zwischen Sport und Massenmedien werden in der Regel aus soziologischer (z. B. Sport und Massenmedien als ge‐ sellschaftliche Subsysteme), psychologischer (z. B. Nutzung und Wirkung von Sportberichterstattung bei Rezipienten), pädagogischer (z. B. Vermittlung von Medienkompetenz bei der Nutzung massenmedialer Sportberichterstattung) und ökonomischer (z. B. ökonomische Verwertung medialer Rechte im Sport) Perspektive beleuchtet. Die aufmerksame Lektüre und kritische Auseinandersetzung mit den in diesem Lehr‐ buch dargestellten Themen ermöglicht eine umfassende Einführung in die Sportwis‐ senschaft. Bleibt den Lesern zu wünschen, dass sie in ihrem Studium die Möglichkeit erhalten, diese Inhalte im Rahmen ansprechender Lehrveranstaltungen kennenzuler‐ nen, mittels aktueller Forschungsergebnisse zu vertiefen und mit Blick auf zukünftige berufliche Tätigkeiten anwenden zu können. 311 6 Zusammenfassung und Ausblick (Verena Burk, Marcel Fahrner) 311 <?page no="313"?> Autorenverzeichnis Dr. Verena Burk arbeitet als Akademische Oberrätin am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen. Schwerpunkte ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit sind u. a. Medien und Kommunikation im Sport. verena.burk@uni-tuebingen.de Dr. Marcel Fahrner arbeitet als Akademischer Oberrat am Institut für Sportwissen‐ schaft der Universität Tübingen. Schwerpunkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind u. a. Governance und Organisationsentwicklung im Sport. marcel.fahrner@uni-tuebingen.de Prof. Dr. Stefan König arbeitet als Professor für Sportwissenschaft mit dem Schwer‐ punkt Empirische Sportpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Schwerpunkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind u. a. Schulsportforschung, Sportspielvermittlung und -training sowie Mixed Methods Research. koenig@ph-weingarten.de Prof. Dr. Inga Krauß leitet die Arbeitsgruppe Biomechanik/ Trainingswissenschaft der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen. Sie ist Sportwissen‐ schaftlerin und Physiotherapeutin und ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Konzeption und Evaluation sporttherapeutischer Interventionen bei chro‐ nischen Erkrankungen, sportartspezifische Leistungsdiagnostik und Überlastungsbe‐ schwerden im (Lauf-)Sport. inga.krauss@med.uni-tuebingen.de Prof. Dr. Christoph von Laßberg ist Sportmediziner und Bewegungswissenschaftler in der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen. Der Schwerpunkt seiner klinischen Tätigkeit ist die orthopädische Sportmedizin. Seine Forschungs- und Lehrtätigkeit bezieht sich primär auf Aspekte der sensointegrativen Bewegungssteue‐ rung in Alltag und Sport. christoph.lassberg@med.uni-tuebingen.de <?page no="314"?> Prof. Dr. Andreas Luh arbeitet als Akademischer Oberrat und apl. Professor an der Fakultät für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Schwerpunkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind die Sozial- und Zeitgeschichte des Sports und die Sportart Badminton. andreas.luh@rub.de Prof. Dr. Christian Maiwald (Technische Universität Chemnitz) leitet den Arbeits‐ bereich Forschungsmethoden und Analyseverfahren in der Biomechanik am Institut für Angewandte Bewegungswissenschaften der TU Chemnitz. Seine Forschung befasst sich vorwiegend mit methodologischen Aspekten der Analyse biomechanischer Daten. christian.maiwald@hsw.tu-chemnitz.de Prof. Dr. Tim Pawlowski leitet den Arbeitsbereich für Sportökonomik, Sportma‐ nagement und Sportpublizistik am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tü‐ bingen. Seine Forschung konzentriert sich auf die ökonomischen Aspekte im Zu‐ schauer- und Freizeitsport. tim.pawlowski@uni-tuebingen.de Prof. Dr. Ines Pfeffer ist Professorin für Medizinpädagogik mit Schwerpunkt Ge‐ sundheitswissenschaften an der Fakultät Humanwissenschaft der Medical School Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf motivationale und volitionale Aspekte des körperlichen Aktivitätsverhaltens und die Rolle der Selbstre‐ gulation zur Erklärung der Intentions-Verhaltens-Lücke. ines.pfeffer@medicalschool-hamburg.de Prof. Dr. Mark Pfeiffer leitet die Abteilung Theorie und Praxis der Sportarten am Institut für Sportwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Schwer‐ punkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind das Regenerationsmanagement, Sport im Kindes- und Jugendalter, die Leistungs- und Wettkampfdiagnostik, die Ana‐ lyse von Trainingsprozessen und die Sportspielforschung. mark.pfeiffer@uni-mainz.de Dr. Lars Riedl (Universität Paderborn) arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Sportsoziologie der Universität Paderborn. Schwerpunktthemen seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit bilden u. a. das Sportpublikum, organisationssoziologi‐ sche Analysen des Sports sowie kommunale Sportentwicklungsplanung. lars.riedl@uni-paderborn.de Prof. Dr. Petra Wagner leitet das Institut für Gesundheitssport und Public Health in der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Schwerpunkte ihrer so‐ zialwissenschaftlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit sind Gesundheits- und Rehabi‐ litationssport sowie körperliche Aktivität und Inaktivität über die Lebensspanne. petra.wagner@uni-leipzig.de 314 Autorenverzeichnis 314 <?page no="315"?> Prof. Dr. Manfred Wegner ist Leiter der Arbeitsbereiche Sportpsychologie und Be‐ wegungswissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Die Arbeits‐ schwerpunkte sind die Sportspiel- und Stressforschung, Teamentwicklung, Präventi‐ ons-, Rehabilitations- und Behindertensport, Familiensport und das Psychologische Training. mwegner@email.uni-kiel.de 315 Autorenverzeichnis 315 <?page no="316"?> Sachregister Absolventenstudien 278 Adaptation 226 Aktivität körperliche 34, 40, 107, 108, 154, 174 Akzelerometrie 205 Angebotsversagen 154 Anwendungsforschung 219 Berufsfelder 277 Hochschule und Wissenschaft 290 Öffentliche Sportverwaltung 299 Privatwirtschaftliche Sportanbieter 297 Schule 288 Sport und Gesundheit 305 Sport und Massenmedien 303 Sport und Wirtschaft 301 Sportverband 295 Sportverein 293 Bewegungslehre 197 Bewegungsmangel 174, 183, 189 Bewegungswissenschaft 195 Bibliothekskataloge 258 Biomechanik 49, 185, 202 Bundesinstitut für Sportwissenschaft 20, 259, 261, 292 Datenauswertung 251, 253 Datenbanken 259 Fachinformationsführer Sport 260 Leistungssport-Archiv 260 SPOFOR 260 SPOLIT 259 SPOMEDIA 260 SPORTDiscus 260 SPOWIS 260 ViFa Sport 261 Datenerhebung 251, 253 Qualitative 67 Quantitative 67 DDR-Spitzensport 98 Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention 178, 183 Deutsche Hochschule für Körperkultur 21, 222 Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft 23 Doping 50, 101, 137, 174, 182, 189, 261 Dynamometrie 206 E-Gaming 41 Einkommenselastizität der Nachfrage 165 Elektromyografie 206 Elektronische Zeitschriftenbibliothek 259 Erziehung durch Sport 62 Erziehung zum Sport 62 E-Sport 38, 39, 40, 41, 42 Evaluationsforschung 220 Externe Effekte 153 Formale Textgestaltung 267 Forschungsfrage 246 Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport 21 Forschungsmethoden 204, 229, 232, 250 Qualitative 253 Quantitative 251 Forschungsproblem 246 Forschungsstrategien 218 Forschungsüberblick 247 Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte 21 Funktionsanalysen 202 Geschichtswissenschaft 87 Gewinn 152 Google Scholar 261 Grundlagenforschung 219 Gütekriterien 252, 254 Gymnastik 26 <?page no="317"?> Hermeneutische Methode 66, 94, 249 Historische Methode 91 Hypothesen 250 Innere Medizin 174, 176, 184 Institut für Angewandte Trainingswissenschaft 22, 222, 260 Interdisziplinarität 48 Kinematik 204 Kinemetrie 204 Kooperenz 153 Kraftdiagnostik 185 Leistungsdiagnostik 175, 187, 188, 230 Leistungsstrukturmodelle 230 LiDA 260 Literaturrecherche 258, 259, 261 Literaturverzeichnis 271 Medizinische Trainingstherapie 186 Meisterlehren 222 Meritorische Güter 154 Meta-Kataloge 259 Modellsimulation 208 Morphologie 204 Motorikforschung 203 Nachfrageversagen 154 Neue Kulturgeschichte des Sports 97 Nominaldefinition 31 Öffentliches Gut 154 Orthopädie 184, 185, 186 Paraphrase 270 Philantropen 18, 26, 59, 84 Prävention 110, 174, 186, 190, 209, 210, 279, 283, 305 Preiselastizität der Nachfrage 162 Quellenangaben 268 Quellenkurzbeleg 268 Realdefinition 31 Regeln 27, 31, 33, 38, 120 Regulierung 153 Rehabilitation 110, 118, 174, 180, 187, 197, 209, 279, 283 Spannung 163 Spiroergometrie 187 Spitzensport 21, 22, 50, 69, 73, 100, 111, 115, 121, 136, 143, 149, 153, 159, 181, 190, 210, 236, 255, 291 SPONET 260 Sportarten virtuelle 41, 42 Sportärzteschaft 180 Sportbegriff 27, 30 Entsportung des Sports 30 Versportlichung der Gesellschaft 29 Sportgeschichte 80 Sportliche Leistung 229 Sportliche Leistungsfähigkeit 229 Sportmanagement 150 Sportmedizin 173 Sportmodelle 35 Sportökonomie 150 Sportökonomik 149 Sportpädagogik 53 empirisch-analytische 65 normative 65 Sportspieldidaktik 70 Sportstättenplanung 166 Superkompensation 226 Talentdiagnostik 237 Theorie 248 Training 213, 214, 223 Trainingsberatung 188 Trainingslehre 220 Trainingsmethoden 228 Trainingssteuerung 187, 224, 225 Trainingswissenschaft 214 Transdisziplinarität 49 Turnen 26, 59, 85 Unsicherheitshypothese 153 Untersuchungsdesign 250 Verbundkataloge 259 Verletzung 210, 255 Wettbewerbsintensität 159 Wettkampf 232 Wissenschaftliches Arbeiten 245 Wissenschaftliches Schreiben 266 317 Sachregister 317 <?page no="318"?> Zitate 269 Änderungen an Zitaten 269 Sekundärzitat 270 Zitat im Zitat 270 Zivilisationsgeschichte des Sports 97 318 Sachregister 318 <?page no="319"?> Reinhard Strametz Grundwissen Medizin für Nichtmediziner in Studium und Praxis utb M 3., überarbeitete und erweiterte Au age 2019, 259 Seiten €[D] 24,99 ISBN 978-3-8252-5216-8 eISBN 978-3-8385-5216-3 Ein unverzichtbarer Ratgeber für alle, die sich im Studium oder in der Arbeit mit dem Gesundheitssystem und der Medizin beschäftigen. Reinhard Strametz stellt medizinisches Grundwissen fundiert und leicht verständlich vor und führt kundig in Fachtermini ein. In den Mittelpunkt stellt er u. a. den Ablauf des medizinischen Behandlungsprozesses von der Anamnese bis zur Therapie sowie wichtige Methoden und Ansätze der Medizin, etwa die Evidenzbasierte Medizin und die Prävention. Auf Krankheitsbilder, wie etwa Adipositas, Diabetes mellitus, Schlaganfall oder Krebs, geht er ein. Auch Spannungsfelder der Medizin, die sich aus der Ökonomisierung und Digitalisierung (z.B. Künstliche Intelligenz, Apps) ergeben, nden Beachtung. Wie Wissenschaft funktioniert, erläutert der Kabarettist Vince Ebert in einem Gastbeitrag! MEDIZIN \ RATGEBER UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (07071) 9797-0 Fax +49 (07071) 97 97-11 \ willkommen@uvk.de \ www.narr.de <?page no="320"?> Jürg Häusermann Konstruktive Rhetorik Der Dialog als Schlüssel zum erfolgreichen Vortrag 2019, 300 Seiten €[D] 29,99 ISBN 978-3-7398-3007-0 eISBN 978-3-7398-8007-5 Wenn Menschen sich angeregt unterhalten, leidenschaftlich diskutieren und sich Antworten auf brennende Fragen geben, ist Kommunikation erfolgreich. Beim Halten einer Rede oder eines Vortrags dominiert aber oft der Monolog. Jürg Häusermann zeigt, dass es auch anders geht: Er ermutigt die LeserInnen seines neuen Buches dazu, auch in Vortragssituationen stets den Dialog zu suchen. Im ersten Teil zeigt er auf, wie sich öffentliches Reden vom alltäglichen Dialog unterscheidet. Im praktischen zweiten Teil geht er auf die konkreten Mittel des Dialogs in Vortragssituationen ein. Zahlreiche Illustrationen und abwechslungsreiche Beispiele machen dies begreifbar. Häusermann verrät, wie Sie mit Ihrer Körpersprache den Raum nutzen können und das Zeitproblem in den Griff bekommen. Er zeigt, wie Sie durch Ihre Stimme eine Rede gestalten und die ZuhörerInnen durch eine lebendige Sprache miteinbeziehen. Auch wie Ihr Publikum beim Einsatz von Präsentationsmedien aufmerksam bleibt, erklärt er praxisnah. RATGEBER UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (07071) 9797-0 Fax +49 (07071) 97 97-11 \ willkommen@uvk.de \ www.narr.de <?page no="321"?> Verena Burk Marcel Fahrner (Hg.) Sportwissenschaft Themenfelder, Theorien und Methoden Sportwissenschaft 2. A. Burk | Fahrner (Hg.) Sportwissenschaft von allen Seiten beleuchtet Das Studium der Sportwissenschaft ist vielfältig und beliebt. StudienanfängerInnen setzen sich darin bereits zu Beginn mit Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Sportpädagogik, Sportpsychologie, Sportsoziologie, Sportgeschichte, Sportmedizin und Sportökonomik auseinander. In diesem Lehrbuch stellen ausgewiesene SportwissenschaftlerInnen diese Teildisziplinen im Detail vor. Jedes Kapitel wird mit Lernzielen eingeleitet und durch ein Praxisbeispiel und Kontrollfragen abgeschlossen. Als Service bietet das Buch Wichtiges zum wissenschaftlichen Arbeiten und skizziert Berufsfelder für AbsolventInnen sportwissenschaftlicher Studiengänge. Sportwissenschaft | Gesundheit ,! 7ID8C5-cfdbch! ISBN 978-3-8252-5312-7 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2. Auflage 53127 Burk_L-3975.indd 1 53127 Burk_L-3975.indd 1 22.01.20 11: 23 22.01.20 11: 23