Neue Betriebswirtschaft
Theorien, Methoden, Geschäftsfelder
1125
2019
978-3-8385-5327-6
978-3-8252-5327-1
UTB
Wilhelm Schmeisser
Wolfgang Becker
Markus Beckmann
Alexander Brem
Peter Eckstein
Matthias Hartmann
Die Betriebswirtschaft erfindet sich immer wieder neu. Sie entwickelt regelmäßig Theorien und Methoden und verfängt sich nicht in den methodischen Fehlschluss, die Wirtschaftswissenschaften müssten nach naturwissenschaftlichen-mathematischen Gesetzmäßigkeiten in der Wirtschaft suchen.
Vor diesem Hintergrund ist die neue Betriebswirtschaft ein Ansatz, die klassische Betriebswirtschaft mit aktuellen Fragestellungen zu verbinden.
Dieses Buch stellt deshalb klassische Themen wie Buchhaltung, Kosten-, Erfolgs- und Umsatzrechnung, Finanzierung dar, aber auch explizit Statistik zur Datengewinnung und Datenauswertung. All diese Themen werden stets im Lichte der aktuellen Entwicklungen von Digitalisierung, Internationalisierung und innovativen Geschäftsmodellen behandelt.
Die Autoren wenden sich klassischen Funktionen des Betriebes zu, aber auch Themen wie Security, Compliance, Nachhaltigkeit, Online-Marketing, Innovationsmarketing, Strategisches Controlling, Cross-Mergers and Acquisitions, u.a. in Verbindung mit der Unternehmensbewertung, sowie Risk-Management.
Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften sowie an Unternehmer und Manager, die sich mit betriebswirtschaftlichen
Themen in Theorie und Praxis auseinandersetzen.
<?page no="0"?> Schmeisser | Becker | Beckmann Brem | Eckstein | Hartmann (Hg.) Neue Betriebswirtschaft Theorien, Methoden, Geschäftsfelder Neue Betriebswirtschaft 2. A. Schmeisser | Becker | Beckmann Brem | Eckstein | Hartmann (Hg.) Die Betriebswirtschaft erfindet sich immer wieder neu. Sie entwickelt regelmäßig Theorien und Methoden und verfängt sich nicht in den methodischen Fehlschluss, die Wirtschaftswissenschaften müssten nach naturwissenschaftlichen-mathematischen Gesetzmäßigkeiten in der Wirtschaft suchen. Vor diesem Hintergrund ist die neue Betriebswirtschaft ein Ansatz, die klassische Betriebswirtschaft mit aktuellen Fragestellungen zu verbinden. Dieses Buch stellt deshalb klassische Themen wie Buchhaltung, Kosten-, Erfolgs- und Umsatzrechnung, Finanzierung dar, aber auch explizit Statistik zur Datengewinnung und Datenauswertung. All diese Themen werden stets im Lichte der aktuellen Entwicklungen von Digitalisierung, Internationalisierung und innovativen Geschäftsmodellen behandelt. Die Autoren wenden sich klassischen Funktionen des Betriebes zu, aber auch Themen wie Security, Compliance, Nachhaltigkeit, Online-Marketing, Innovationsmarketing, Strategisches Controlling, Cross-Mergers and Acquisitions, u.a. in Verbindung mit der Unternehmensbewertung, sowie Risk-Management. Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften sowie an Unternehmer und Manager, die sich mit betriebswirtschaftlichen Themen in Theorie und Praxis auseinandersetzen. Betriebswirtschaftslehre Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2. Auflage ,! 7ID8C5-cfdchb! ISBN 978-3-8252-5327-1 53271 Schmeisser_XLgeb-5327.indd 1 23.10.19 13: 35 <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5327 UTB (XL) Impressum_19.indd 1 20.02.19 12: 37 <?page no="3"?> UVK Verlag · München Wilhelm Schmeisser, Wolfgang Becker, Markus Beckmann, Alexander Brem, Peter P. Eckstein, Matthias Hartmann ma (Hg.) Neue Betriebswirtschaft 2., überarbeitete Auflage Mit Beiträgen von Björn Baltzer, Uwe Christians, Leonhard Gebhardt, Ralf Hafner, Bastian Halecker, Jens Heidingsfelder, Ilka Heinze, Thomas Henschel, Christoph Lechner, Günter Müller-Stewens, Kai-Christian Muchow, Sugirtha Murugaiah, Rebecca Popp, Irene E. Rath, Anna Riedel, Patrick Ulrich, Ralf Waubke <?page no="4"?> Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag München 2020 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © iStockphoto - LP-mrfiza Printed in Germany UVK Verlag Nymphenburger Straße 48 · 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 5327 ISBN 978-3-8252-5327 <?page no="5"?> Neue Betriebswirtschaft Vorwort oder Zum Adjektiv „neu“ in der Betriebswirtschaft Seit ca. 5000-7000 Jahren haben Betriebswirte und Kaufleute zwar in der Geschichte nicht in spektakulärer Weise theoretisch-praktisches, instrumentelles Wissen erarbeitet, aber Wissen, das die Betriebswirtschaft permanent bereichert hat. Die landwirtschaftliche Revolution vor ungefähr 12 000 Jahren lieferte die Voraussetzungen der Entstehung von Dörfern mit ersten Spezialisierungen und Tauschhandel, der immer mehr auch durch fahrende Kaufleute international wurde. Mythen und Religion lieferten für Stadtstaaten „…eine vollständige Beschreibung der Welt und bieten uns einen detaillierten Vertrag mit vorgegebenen Zielen. Gott existiert. Er befahl uns, uns auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Wer Gott gehorcht, wird Aufnahme im Himmel finden. Wer ihm nicht gehorcht, wird in der Hölle schmoren. Allein schon die Klarheit dieser Abmachung erlaubt es einer Gesellschaft, gemeinsame Normen und Werte festzulegen, die das menschliche Verhalten regeln.“ (Harari, Homo Deus, 2017, S. 252) Und wenn man seinem Gott einen Tempel, eine Kirche oder eine Moschee baut, muss diese(r) verwaltet werden und Steuern müssen erhoben werden. Dadurch entstehen die Buchhaltung, die Mathematik, die Statistik, die Schrift und der Handel. Leider gibt es bis heute keine Geschichte der Betriebswirtschaft dazu, die die Anfänge bis ins 21. Jahrhundert behandelt, und die belegen könnte, dass die Betriebswirtschaft die grundlegende Wissenschaft der Wirtschaftswissenschaften ist. Durch den Handel, den Tausch mit Schafen, Ziegen, Wolle, Silber Gold, Sklaven und später mit Geld sammelt die Betriebswirtschaft immer mehr kaufmännisches Wissen an. Durch unterschiedlichste Währungen und Geldeinheiten werden Tauschgeschäfte durch erste Börsen in Venedig, Amsterdam und Chicago eingerichtet. Seit ca. 200-250 Jahren schreibt sich alle betriebswirtschaftlichen Errungenschaften die Volkswirtschaftstheorie selbst zu. Weiterhin hat sich die Volkswirtschaft selbst als neue Wissenschaft erklärt, indem sie das methodische und mathematische Vorgehen eines Isaac Newtons in der Physik kopierte, und damit einem naturalistischen Fehlschluss unterlag. Die Volkswirtschaft glaubt bis heute, dass betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Phänomene mit naturwissenschaftlichen Theorien zu beschreiben, zu erklären, zu prognostizieren und zu gestalten sind. Selbst aus permanenten Fehlern lernt die Volkswirtschaft nichts, wie zuletzt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/ 2008, die sie weder erkannt noch prognostiziert hat, noch kann sie bis heute dafür eine Lösung anbieten. Hätte die Volkswirtschaft auf Buchhaltung, Bilanzanalyse und Rating zurückgegriffen und die 10 größten Banken der Welt 2007 analysiert, hätte sie die Finanz- und Bankenkrise 2007 voraussagen können. Erst heute greift man in Bankentest in Europa auf derartige alte und neue Techniken der Betriebswirtschaft zurück. Deshalb findet man auch in der Neue Betriebswirtschaft Statistik und deren Anwendung bei Basel III und Rating. Volkswirtschaftliche Theorieansätze helfen dabei nicht weiter. Schumpeter ist wahrscheinlich der einzige Volkswirt, der in seinen Werken implizit versucht hat, eine volkswirtschaftliche Theorie auf der Grundlage betriebswirtschaftlicher Aktivitäten und Buchungssätze zu entwickeln. Die Betriebswirtschaft hat nie den Anspruch gehabt, eine generelle, universelle, naturwissenschaftlich geprägte Theorie zu entwickeln. Auch die „neue“ Betriebswirtschaft geht wie vor tausenden von Jahren Probleme pragmatisch theoretisch an, wie z.B. das Strategische Management, die Kosten- und Leistungsrechnung, das Controlling, Corporate Governance und Compliance, Finanzierungstheorien, Organisationstheorien, personalwirtschaftliche Theorien, Online-Marketing, Digita- <?page no="6"?> 6 Vorwort lisierung, neue Geschäftsmodelle und Innovationen, Statistik, Rating, Nachhaltigkeitsmanagement usw. Legt man das klassische Werk von G. Wöhe „Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaft“ als wissenschaftlichen Maßstab für unser Buch zugrunde, so wollen die Verfasser/ innen in der „Neuen Betriebswirtschaft“ die Inhalte hervorheben, die im Buch von Wöhe nur rudimentär oder gar nicht thematisiert worden sind. Wir, die Verfasser/ innen, wollen es auch nicht versäumen, Herrn Dr. Jürgen Schechler für die Betreuung unseres Buches und für seine konstruktive Kritik zu danken. Ohne seine Weitsicht und umsichtige Geduld könnte ein derartiges Werk nicht in dieser kurzen Zeit entstehen. Wir wünschen unseren Studentinnen und Studenten, unseren Kolleginnen und Kollegen, viel Spaß beim Lesen. Bamberg, Berlin, Hamburg, Nürnberg, St. Gallen Die Verfasser/ innen <?page no="7"?> Neue Betriebswirtschaft Inhaltsübersicht Vorwort oder Zum Adjektiv „neu“ in der Betriebswirtschaft.................................................................. 5 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................................... 15 Tabellenverzeichnis......................................................................................................................................... 21 Alexander Brem 1 Das Neue in der Betriebswirtschaft: Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien ....................................................................................... 25 Uwe Christians 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung...................................................................... 39 Peter P. Eckstein 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille .......... 103 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung ........................................................................................... 177 Rebecca Popp 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE ............................................................................... 207 Wilhelm Schmeisser 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement ............ 219 Ralf Hafner 7 Einführung in die Unternehmensbewertung .................................................................................. 229 Rebecca Popp 8 Unternehmenszusammenschlüsse..................................................................................................... 249 Sugirtha Murugaiah, Wilhelm Schmeisser 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften ........................................................................................................................................... 267 Thomas Henschel, Ilka Heinze 10 Governance, Risk & Compliance ...................................................................................................... 339 Günter Müller-Stewens, Christoph Lechner 11 Der Strategic Management Navigator: Ein Bezugsrahmen zur Strukturierung der Strategiearbeit ....................................................................................................................................... 371 Kai-Christian Muchow 12 Strategisches Controlling .................................................................................................................... 391 <?page no="8"?> 8 Inhaltsübersicht Matthias Hartmann, Bastian Halecker, Ralf Waubke 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle ...........................................................................................425 Rebecca Popp 14 Standortentscheidungen ......................................................................................................................453 Irene E. Rath 15 Einführung in das Personalmanagement..........................................................................................469 Wilhelm Schmeisser 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen .......................................................511 Anna Riedel 17 Online-Kommunikation......................................................................................................................539 Markus Beckmann, Jens Heidingsfelder 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement ............................................549 Matthias Hartmann, Leonhard Gebhardt 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum ................................................................................593 Über die Autoren ..........................................................................................................................................619 Index ...............................................................................................................................................................621 <?page no="9"?> Neue Betriebswirtschaft Inhaltsverzeichnis Vorwort oder Zum Adjektiv „neu“ in der Betriebswirtschaft.................................................................. 5 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................................... 15 Tabellenverzeichnis......................................................................................................................................... 21 1 Das Neue in der Betriebswirtschaft: Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien...................................................................................25 Hintergrund ......................................................................................................................................... 25 Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaftslehre........................................................................ 25 Angewandte Forschung als Zwischenform .................................................................................... 26 Spielregeln für anwendungsorientierte, qualitativ-empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre........................................................................................................................................... 28 Konzeption einer betriebswirtschaftlich orientierten, qualitativen Forschungsstrategie ......... 31 Einschränkungen, Ausblick und weiterer Forschungsbedarf....................................................... 35 Literatur ................................................................................................................................................ 36 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung ...................................................................39 Funktion und Teilgebiete des Rechnungswesens und der Buchführung ................................... 39 2.2 Inventur, Bilanz und Bilanzaufbau ................................................................................................... 47 2.3 Erfolgsunwirksame Geschäftsvorfälle, Veränderung der Bilanz und laufende Kontenbuchhaltung ............................................................................................................................ 54 2.4 Eigenkapitalkonto und dessen Veränderung, Verbuchung erfolgswirksamer Geschäftsvorfälle und Erfolgsrechnung............................................................................................................ 66 2.5 Berücksichtigung von Verlusten und Risiken im Jahresabschluss ............................................... 87 2.6 Kapital-/ Finanzflussrechnung als Ursachenrechnung für Liquiditätsveränderung ................. 94 Anlage: Bilanzgliederung nach § 266 HGB .................................................................................. 101 Literatur .............................................................................................................................................. 102 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille..... 103 3.1 Vorbemerkungen............................................................................................................................... 103 3.2 Historische Notizen zur Statistik.................................................................................................... 104 3.3 Statistische Grundbegriffe ............................................................................................................... 107 3.4 Datenerhebung .................................................................................................................................. 113 3.5 Verteilungsanalytische Betrachtungen ........................................................................................... 118 Wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen .......................................................................... 138 Zusammenhangsanalytische Betrachtungen ................................................................................. 149 <?page no="10"?> 10 Inhaltsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Regressionsanalytische Betrachtungen...........................................................................................165 Schlussbemerkungen und Literaturhinweise.................................................................................174 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung........................................................................................... 177 4.1 Zielsetzung und Aufbau des Beitrags.............................................................................................177 4.2 Die Stellung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung in der Betriebswirtschaftslehre....177 4.3 Einführender Überblick über die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung .............................181 4.4 Angebotskalkulation .........................................................................................................................184 4.5 Marktorientiertes Kostenmanagement ..........................................................................................190 4.6 Ermittlung und Analyse des Erfolgs ..............................................................................................192 4.7 Planung und Kontrolle der Wirtschaftlichkeit..............................................................................195 4.8 Business Cases zur Produkteinführung .........................................................................................196 4.9 Kalkulation besonderer Kostenträger ............................................................................................199 4.10 Konkrete Entscheidungssituationen ..............................................................................................200 Literatur zur Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung .................................................................204 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE............................................................................ 207 Rechtsformwahl.................................................................................................................................207 SE, Aktiengesellschaft und Börse ...................................................................................................211 Literatur ..............................................................................................................................................217 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement......... 219 Finanzierungstheorien, deren terminologische Grundlagen, Logik und Ziele .......................219 Wertorientiertes Finanzierungsmanagement ................................................................................224 Literatur ..............................................................................................................................................227 7 Einführung in die Unternehmensbewertung ................................................................................ 229 Anlässe für Unternehmensbewertungen .......................................................................................229 Methoden der Unternehmensbewertung ......................................................................................230 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals ....................................................................243 Literatur ..............................................................................................................................................247 8 Unternehmenszusammenschlüsse ............................................................................................... 249 Begriffsabgrenzung ...........................................................................................................................249 Motive .................................................................................................................................................251 Phasen von M&A ..............................................................................................................................256 Erfolgsfaktoren und Risiken von M&A-Transaktionen..............................................................259 Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions ..............................................................................260 Trends bei Unternehmenszusammenschlüssen............................................................................261 Literatur ..............................................................................................................................................264 <?page no="11"?> Inhaltsverzeichnis 11 Neue Betriebswirtschaft 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften........................................................................................................................................ 267 Abstract............................................................................................................................................... 267 Fundamentale Grundlagen zum Risiko......................................................................................... 267 Ratings ................................................................................................................................................ 277 Rechtliche Grundlagen..................................................................................................................... 292 Risikosteuerung ................................................................................................................................. 308 Literatur .............................................................................................................................................. 331 10 Governance, Risk & Compliance ................................................................................................... 339 Einführung in die Thematik von Governance, Risk & Compliance ........................................ 339 Corporate Governance..................................................................................................................... 341 Risikomanagement............................................................................................................................ 346 Compliance Management ................................................................................................................ 357 Governance, Risk & Compliance Quick -Check ......................................................................... 364 Übungsaufgaben/ Fragen zu Governance, Risk & Compliance ................................................ 365 Literaturempfehlungen..................................................................................................................... 366 Literatur .............................................................................................................................................. 366 11 Der Strategic Management Navigator: Ein Bezugsrahmen zur Strukturierung der Strategiearbeit .................................................................................................................................. 371 Einleitendes zum Unternehmen/ Umwelt-Verhältnis ................................................................. 372 Der Aufbau des Strategic Management Navigator ...................................................................... 373 Strategische Gestaltungsebenen...................................................................................................... 383 Pfade durch den SMN...................................................................................................................... 385 Besonderheiten und Grenzen des SMN........................................................................................ 388 Zusammenfassung ............................................................................................................................ 390 12 Strategisches Controlling ................................................................................................................ 391 Konzeptionelle Grundlagen ............................................................................................................ 391 Aufgaben des strategischen Controllings ...................................................................................... 396 Instrumente des strategischen Controllings.................................................................................. 399 13 Das neue Modell der Geschäftsmodelle....................................................................................... 425 Eine systematische Perspektive des Geschäftsmodells ............................................................... 425 Begrifflichkeit des Geschäftsmodells ............................................................................................. 426 Funktion eines Geschäftsmodells................................................................................................... 435 Struktur eines Geschäftsmodells .................................................................................................... 438 Prozess eines Geschäftsmodells ..................................................................................................... 441 Lenkung eines Geschäftsmodells ................................................................................................... 446 Literatur .............................................................................................................................................. 448 <?page no="12"?> 12 Inhaltsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft 14 Standortentscheidungen ................................................................................................................. 453 Determinanten der betrieblichen Standortentscheidung ............................................................453 Literatur ..............................................................................................................................................466 15 Einführung in das Personalmanagement ..................................................................................... 469 Einführung in die Thematik und personalwirtschaftliche Grundlagen ...................................469 Theoretische Grundlagen ................................................................................................................472 Personalwirtschaftliche Kernaufgaben ..........................................................................................476 Trends im Personalmanagement und Arbeit 4.0 ..........................................................................504 Schlussbemerkung .............................................................................................................................507 Literatur ..............................................................................................................................................507 16 Grundlegende Überlegungen zu den Organisationsansätzen ................................................... 511 Toyotas Just-in-Time: Eine organisatorische Erfolgsgeschichte................................................512 Organistionsziele: Ohne Ziele keine Performance-Messung .....................................................516 Zur Notwendigkeit von Organisationsansätzen...........................................................................518 Organisationsansätze und Prämissen .............................................................................................520 Betriebliche Organisationstheorie als Wissenschaft, Organisationsprobleme zu erkennen, zu analysieren und zu gestalten .......................................................................................................527 Zur traditionellen deutschen Organisationslehre nach Kosiol ..................................................529 Organisationsanalyse.........................................................................................................................534 Fragen..................................................................................................................................................537 17 Online-Kommunikation.................................................................................................................... 539 Einführung .........................................................................................................................................539 Suchmaschinenmarketing.................................................................................................................541 Display Advertising ...........................................................................................................................542 Affiliate Marketing ............................................................................................................................542 Email Marketing ................................................................................................................................543 Online-PR und Storytelling .............................................................................................................543 Social Media Marketing ....................................................................................................................544 Crowdsourcing...................................................................................................................................544 Mobiles Internet ................................................................................................................................545 Corporate Website.............................................................................................................................545 Social Collaboration ..........................................................................................................................546 Literatur ..............................................................................................................................................546 <?page no="13"?> Inhaltsverzeichnis 13 18 Einführung in das unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement....................................... 549 Einleitung und Aufbau dieses Buchabschnitts ............................................................................. 549 Nachhaltigkeit und Unternehmen: Vor welchen neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen Unternehmen heute? .............................................................................................. 551 Unternehmen für Nachhaltigkeit.................................................................................................... 557 Stakeholder-Management ................................................................................................................ 569 Normen und Standards des Nachhaltigkeitsmanagements ........................................................ 574 Nachhaltigkeitsmanagement und die Funktionen des Unternehmens..................................... 582 Fazit ..................................................................................................................................................... 590 Literatur .............................................................................................................................................. 591 19 Die neue Nachhaltigkeit im Unternehmertum ............................................................................ 593 Nachhaltiges Unternehmertum ...................................................................................................... 593 Funktion nachhaltigen Unternehmertums.................................................................................... 596 Struktur nachhaltigen Unternehmertums ..................................................................................... 603 Prozesse nachhaltigen Unternehmertums .................................................................................... 608 Lenkung nachhaltigen Unternehmertums .................................................................................... 611 Literatur .............................................................................................................................................. 615 Über die Autoren........................................................................................................................................ 619 Index .............................................................................................................................................................. 621 <?page no="15"?> Neue Betriebswirtschaft Abbildungsverzeichnis Abb. 1-1 Abgrenzung von Beratung gegenüber anwendungsorientierter Forschung und akademischer Forschung ........................................................................................................ 27 Abb. 1-2 Levels of mutual engagement task content and outcomes .............................................. 27 Abb. 1-3 Angewandte Wissenschaft im Theorie- und Praxisbezug................................................. 30 Abb. 1-4 Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Methoden .................................. 32 Abb. 1-5 Der standardisierte Prozess theoriegenerierender Forschung ......................................... 34 Abb. 2-1 Überblick über die Güter- und Finanzströme im Unternehmen .................................... 41 Abb. 2-2 Systeme des Rechnungswesens ............................................................................................. 43 Abb. 2-3 Grundbegriffe des Rechnungswesens im Kontext der Leistungserstellung .................. 44 Abb. 2-4 Stromgrößen des Rechnungswesens. ................................................................................... 45 Abb. 2-5 Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (I) ............................................................................. 46 Abb. 2-6 Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (II) ........................................................................... 47 Abb. 2-7 Von der Inventur zur Bilanz .................................................................................................. 48 Abb. 2-8 Bilanz - Mittelherkunft und Mittelverwendung ................................................................. 49 Abb. 2-9 Grobstruktur einer Bilanz nach HGB ................................................................................. 53 Abb. 2-10 Vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen ........................................................................... 55 Abb. 2-11 Organisation der Buchführung ............................................................................................. 58 Abb. 2-12 Auflösung der Bilanz in Konten ........................................................................................... 59 Abb. 2-13 Aktivische und passivische Bestandskonten - Buchung von Anfangsbeständen, Zugängen, Abgängen und Endbeständen........................................................................... 61 Abb. 2-14 Umsatzsteuersystem im Inland ............................................................................................. 63 Abb. 2-15 Zusammenfassung der (Bestands-)Konten zur Bilanz...................................................... 64 Abb. 2-16 Ablauf der Buchungen von der Eröffnungsbilanz zur Schlussbilanz ............................ 66 Abb. 2-17 Veränderung des Eigenkapitals ............................................................................................. 67 Abb. 2-18 Veränderung des Eigenkapitalkontos................................................................................... 67 Abb. 2-19 Geschäftsprozesse in Handel und Industrie (vereinfachte Darstellung) und Wertbewegungen in der Bilanz. ............................................................................................ 69 Abb. 2-20 Buchungsprozess zum Schlussbilanzkonten ....................................................................... 71 Abb. 2-21 Abschreibungsarten und Determinanten ............................................................................ 73 Abb. 2-22 Übersicht über die Abschreibungsverfahren ...................................................................... 75 Abb. 2-23 Anlagengitter ............................................................................................................................ 76 Abb. 2-24 Beispiel für Anlagengitter....................................................................................................... 76 Abb. 2-25 Herstellungskosten .................................................................................................................. 78 Abb. 2-26 Vergleich von Gesamtkostenverfahren (GKV) und Umsatzkostenverfahren (UKV) bei Bestandserhöhung ............................................................................................................ 85 Abb. 2-27 Vergleich von GKV und UKV bei Bestandsminderung .................................................. 85 <?page no="16"?> 16 Abbildungsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Abb. 2-28 Übersicht über die Bewertungen nach dem Niederstwertprinzip ................................... 87 Abb. 2-29 Interdependenzen zwischen Bilanz, Erfolgsrechnung und Kapitalfluss-/ Finanzrechnung.................................................................................................................................... 95 Abb. 3-1 Gebrauchtwagenmarkt..........................................................................................................108 Abb. 3-2 Verkehrsunfall ........................................................................................................................108 Abb. 3-3 Palette von Hühnereiern.......................................................................................................109 Abb. 3-4 Größenklassifikation von Hühnereiern .............................................................................112 Abb. 3-5 Datendatei, Basis: 150 Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa .....................................115 Abb. 3-6 Datendatei, Basis: 857 Hühnereier .....................................................................................116 Abb. 3-7 Datendatei, Basis: 1109 befragte Parkhausnutzer.............................................................117 Abb. 3-8 Fragebogenauszug, Basis: Mehrfachnennungen...............................................................117 Abb. 3-9 Kreissegmentdiagramm, Basis: 1104 Befragte ..................................................................120 Abb. 3-10 Ordinales Struktogramm......................................................................................................123 Abb. 3-11 Stabdiagramm.........................................................................................................................125 Abb. 3-12 Stabdiagramm.........................................................................................................................126 Abb. 3-13 Stamm-Blatt-Diagramm, Basis: 857 Hühnereiergewichte...............................................127 Abb. 3-14 Normiertes Histogramm mit Normalverteilung ..............................................................129 Abb. 3-15 Boxplot, Basis: 857 Hühnereiergewichte ...........................................................................130 Abb. 3-16 Verteilungsfunktion, originäre Werte .................................................................................137 Abb. 3-17 Verteilungsfunktion, standardisierte Werte .......................................................................138 Abb. 3-18 Zahl und Wappen ..................................................................................................................139 Abb. 3-19 Gaußsche Normalverteilung................................................................................................141 Abb. 3-20 Standardnormalverteilung N(0, 1) ......................................................................................145 Abb. 3-21 Bivariate absolute Häufigkeitsverteilung ............................................................................152 Abb. 3-22 Konditionalverteilungen als Struktogramme ....................................................................153 Abb. 3-23 Konditionalverteilungen als Struktogramme ....................................................................154 Abb. 3-24 Zufriedenheits- und kategoriespezifische Konditionalverteilungen..............................160 Abb. 3-25 Streudiagramm .......................................................................................................................161 Abb. 3-26 Streudiagramm .......................................................................................................................164 Abb. 3-27 Streudiagramm mit linearer Regression .............................................................................166 Abb. 3-28 Logarithmische Regression ..................................................................................................170 Abb. 3-29 Linearisierte Regression........................................................................................................171 Abb. 3-30 Marginale Zeitwertneigungen als Tangenten ....................................................................172 Abb. 4-1 Etappen der Entwicklung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung .......................178 Abb. 4-2 Kreislauf des wertschöpfungsorientierten Controllings .................................................180 Abb. 4-3 Teilgebiete der laufenden Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung ...............................181 Abb. 4-4 Schematischer Abrechnungsweg in der Voll- und Teilkostenrechnung ........................182 Abb. 4-5 Abgrenzung der Kosten von den Aufwendungen ...........................................................186 <?page no="17"?> Abbildungsverzeichnis 17 Neue Betriebswirtschaft Abb. 4-6 Progessive und retrograde Kalkulation.............................................................................. 193 Abb. 4-7 Berechnungsschema bei Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren ........ 193 Abb. 4-8 Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung ......................................................................... 194 Abb. 4-9 Grafische Darstellung der Break-Even-Analyse............................................................... 197 Abb. 4-10 Phasen des Produktlebenszyklus ........................................................................................ 198 Abb. 4-11 Kostenvergleichsrechnung ................................................................................................... 202 Abb. 5-1 Umwandlung in eine SE....................................................................................................... 212 Abb. 6-1 Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien ................................................................................................................................... 223 Abb. 6-2 Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien ................................................................................................................................... 224 Abb. 6-3 Aspekte eines „Wertorientierten Finanzmanagements“ ................................................. 226 Abb. 7-1 Unternehmensbewertungsanlässe (Beispiele) ................................................................... 229 Abb. 7-2 Discounted-Cashflow-Bewertung ...................................................................................... 231 Abb. 7-3 Bilanz zu Buchwerten ........................................................................................................... 232 Abb. 7-4 Bilanz zu Buchwerten (saldiert) .......................................................................................... 232 Abb. 7-5 Bilanz zu Marktwerten ......................................................................................................... 233 Abb. 7-6 Bilanz aus finanzwirtschaftlicher Sicht .............................................................................. 233 Abb. 7-7 Enterprise-DCF- und Equity-DCF-Methode .................................................................. 234 Abb. 7-8 Zwei-Phasen-DCF-Modell (Beispiel mit Detailplanungszeitraum von fünf Jahren) . 235 Abb. 7-9 Football-Field-Format zur Ergebnisdarstellung einer Multiplikatorenanalyse........... 241 Abb. 7-10 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals ........................................................ 244 Abb. 8-1 Der Begriff „Unternehmenszusammenschlüsse“ ........................................................... 250 Abb. 8-2 Autonomie und Führungsanspruch ................................................................................... 259 Abb. 9-1 Übersicht von Risiken........................................................................................................... 269 Abb. 9-2 Gleichgewichtsbedingungen im Risikotragfähigkeitskalkül............................................ 273 Abb. 9-3 Kreislauf des Risikomanagementprozesses ...................................................................... 274 Abb. 9-4 Überblick der Risikosteuerung ............................................................................................ 275 Abb. 9-5 Ratingnotationen der drei größten Ratingagenturen ....................................................... 280 Abb. 9-6 Insolvenzprognose ................................................................................................................ 281 Abb. 9-7 Traditionelle Bonitätsanalyse ............................................................................................... 282 Abb. 9-8 Univariate Diskriminanzanalyse .......................................................................................... 283 Abb. 9-9 Multivariate Diskriminanzanalyse mit Trennlinien .......................................................... 284 Abb. 9-10 Kennzahlenbasierte Diskriminanzanalyse ......................................................................... 285 Abb. 9-11 Grundlegender Aufbau eines neuronalen Netzes ............................................................ 286 Abb. 9-12 Zusammenhänge des Netzes BP-14 .................................................................................. 287 Abb. 9-13 Aufbau des BVR-II-Ratings ................................................................................................ 288 Abb. 9-14 Beispiel für Risikogewichte im Standardansatz ................................................................ 289 <?page no="18"?> 18 Abbildungsverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Abb. 9-15 Vergleich KSA und IRB-Ansatz..........................................................................................291 Abb. 9-16 Aufteilung der Risikoanrechnungsfaktoren gemäß Basel I.............................................294 Abb. 9-17 Die drei Säulen von Basel II ...............................................................................................296 Abb. 9-18 Systematik des Eigenmittels nach Basel III.......................................................................299 Abb. 9-19 Entwicklung der Kapitalanforderungen ............................................................................300 Abb. 9-20 Veränderte Kapitalanforderungen von Basel II und Basel III.......................................301 Abb. 9-21 Beispielrechnung Liquidity Coverage Ratio ......................................................................303 Abb. 9-22 Beispielrechnung Net Stable Funding Ratio .....................................................................305 Abb. 9-23 Erwartete und unerwartete Verluste ...................................................................................308 Abb. 9-24 Grundgleichung der Kalkulation vom erwarteten Verlust..............................................309 Abb. 9-25 Wahrscheinlichkeitsverteilung von Kreditverlusten .........................................................311 Abb. 9-26 Kumulierte Mortalitätsraten 1971-1944.............................................................................314 Abb. 9-27 Ein-Jahres-Migrationsmatrix................................................................................................314 Abb. 9-28 Entwicklung der bedingten (In-)Solvenzwahrscheinlichkeit für die Ratingklasse BBB..........................................................................................................................................315 Abb. 9-29 Laufzeitspezifische bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit ohne Berücksichtigung der Migrationen. ...........................................................................................................................315 Abb. 9-30 Systematisierung von Kreditportfoliomodellen................................................................321 Abb. 9-31 (Forward-)Zerobondrenditen und Kreditbarwerte ..........................................................324 Abb. 9-32 Recovery Rates. ......................................................................................................................325 Abb. 9-33 Wahrscheinlichkeitsverteilung der Marktwerte .................................................................325 Abb. 9-34 Kreditrisikomodelle im Überblick ......................................................................................328 Abb. 10-1 House of Governance ..........................................................................................................339 Abb. 10-2 Systematik des Risikobegriffs ..............................................................................................347 Abb. 10-3 Aufgabenzuordnung in den Risikofeldern ........................................................................349 Abb. 10-4 Regelkreislauf des Risikomanagement-Prozesses ............................................................352 Abb. 10-5 Zielsystem der Top-Serv-GmbH ........................................................................................354 Abb. 10-6 Kernkomponenten der ISO 31000.....................................................................................356 Abb. 10-7 ISO 31000: Risikomanagement-Prozess............................................................................356 Abb. 10-8 Ziele effektiver Compliance .................................................................................................359 Abb. 10-9 Die Compliance Pyramide ...................................................................................................360 Abb. 10-10 Komponenten des ISO 19600.............................................................................................362 Abb. 11-1 Der Strategic Management Navigator................................................................................373 Abb. 11-2 Die Positionierung eines Unternehmens in seiner Umwelt............................................377 Abb. 11-3 Der Ablaufprozess der Positionierungsarbeit ...................................................................378 Abb. 11-4 Schematische Darstellung des Einflusses der Digitalisierung auf die Wertkette einer Versicherung .................................................................................................................379 Abb. 11-5 Pfade durch den SMN ..........................................................................................................385 <?page no="19"?> Abbildungsverzeichnis 19 Neue Betriebswirtschaft Abb. 12-1 Die systemorientierte Konzeption des Managementprozesses ..................................... 394 Abb. 12-2 Aufgabenbereiche der Unternehmensführung mit ihren Steuerungsgrößen .............. 395 Abb. 12-3 Strategische Kontrolle .......................................................................................................... 397 Abb. 12-4 Das formale Verfahren der Geschäftsstrategieplanung .................................................. 399 Abb. 12-5 Prinzipdarstellung einer Strategy Map ............................................................................... 402 Abb. 12-6 Ursache-Wirkungs-Ketten in einer Strategy Map ............................................................ 403 Abb. 12-7 Grundstruktur einer Balanced Scorecard .......................................................................... 404 Abb. 12-8 Messung der Zielerreichung in einer fünfdimensionalen Balanced Scorecard............ 405 Abb. 12-9 Konzeption eines wertorientierten Controllingsystems.................................................. 409 Abb. 12-10 Der PDCA-Zyklus zur kontinuierlichen Verbesserung .................................................. 410 Abb. 12-11 Die X-Matrix zur Dokumentation des Hoshin-Kanri-Prozesses.................................. 412 Abb. 12-12 House of Quality des QFD................................................................................................. 413 Abb. 12-13 Der Value Proposition Canvas am Beispiel Twitter......................................................... 416 Abb. 12-14 Der Business Model Canvas ................................................................................................ 417 Abb. 12-15 Die drei Ebenen der Geschäftsmodellentwicklung ......................................................... 418 Abb. 12-16 Design und Test von Geschäftsmodellen.......................................................................... 419 Abb. 13-1 Dimensionen eines Geschäftes ........................................................................................... 427 Abb. 13-2 Ausprägungsformen von Modellen.................................................................................... 428 Abb. 13-3 Einordnung von Geschäftsmodellen anhand von Ausprägungen ................................ 433 Abb. 13-4 Die drei Kategorien der Funktionsbereiche von Geschäftsmodellen .......................... 435 Abb. 13-5 Das Business Model Canvas ................................................................................................ 439 Abb. 13-6 Prozess eines Geschäftsmodells ......................................................................................... 441 Abb. 15-1 BSC-Ansatz zur Rechenbarkeit. .......................................................................................... 475 Abb. 15-2 Vorteile interner und externer Personalbeschaffung ....................................................... 482 Abb. 15-3 Mulitmodales Interview ....................................................................................................... 485 Abb. 15-4 Häufige Beurteilungskriterien .............................................................................................. 488 Abb. 15-5 Bedürfnispyramide von Abraham Maslow........................................................................ 491 Abb. 15-6 Herzberg Zwei-Faktoren-Modell........................................................................................ 492 Abb. 15-7 Überblick über Personalfreisetzungsnahmen ................................................................... 498 Abb. 15-8 Theorie X und Theorie Y .................................................................................................... 502 Abb. 15-9 Varianten des Führungsverhalten ....................................................................................... 503 Abb. 15-10 Trends und Entwicklung in der Arbeitswelt .................................................................... 506 Abb. 16-1 Zusammenhang Rechnungswesen, Organisatuinsstellen und Kostenträgerrechnung ................................................................................................................................. 515 Abb. 16-2 Multikontextuale Organisationsansätze ............................................................................. 520 Abb. 16-3 Erkenntnisgewinnungsprozess einer Theorie bzw. eines Organisationsansatzes ....... 529 Abb. 16-4 Aufbau- und Ablauforganisation ........................................................................................ 530 Abb. 16-5 In modifizierter Anlehnung an die traditionelle Organisationslehre nach Kosiol ...... 530 <?page no="20"?> 20 Abbildungsverzeichnis Abb. 16-6 Methodisches Vorgehen bei der traditionellen Organisation .........................................531 Abb. 16-7 Organisationsanalyse zum Problem der Delegation von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz mit der potenziellen Erfassung von Konflikten in der Aufbau- und Ablauforganisation, die die Zusammenarbeit der Stellen gefährdet .....................536 Abb. 16-8 Zum problematischen Zusammenhang zwischen Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz in der Stellenanalyse und der Stellenabstimmung im Rahmen der Organisationsanalyse.............................................................................................................536 Abb. 16-9 Methodisches Vorgehen der Organisationsanalyse..........................................................537 Abb. 17-1 Inhalte - Online-Kommunikation .......................................................................................536 Abb. 18-1 Aufbau des Kapitels zu Nachhaltigkeitsmanagement. ....................................................550 Abb. 18-2 Schematische Darstellung der Wechselwirkungen zwischen Unternehmen und ihrem gesellschaftlichen und ökologischen Umfeld. Durch Nachhaltigkeit ergeben sich dabei Änderungen im Umfeld des Unternehmens. .................................................556 Abb. 18-3 Vergleichende Darstellung von Wert- und Schadschöpfung ..........................................563 Abb. 18-4 Zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Verhältnis von Wertschöpfung und Vermeidung von Schadschöpfung. .....................................................................................564 Abb. 18-5 Vereinfachte Darstellung einer produktbezogenen Wertschöpfungskette. ..................566 Abb. 18-6 Erweiterter Betrachtungsrahmen der unternehmerischen Wert- und Schadschöpfung................................................................................................................................567 Abb. 18-7 Macht-Interesse-Matrix. .......................................................................................................572 Abb. 18-8 Zusammenhang zwischen Normen & Standards, den Funktionen des Unternehmens und operativen Instrumenten. ............................................................................586 Abb. 19-1 Wechselwirkungen zwischen Sach- und Wertebene.........................................................597 Abb. 19-2 Leistungsfähigkeit von Technologien, dargestellt mit zwei S-Kurven ..........................599 Abb. 19-3 Fahrzeuge der deutschen Post (Streetscooter) mit Elektro-Antrieb .............................601 Abb. 19-4 Differenzieren des Kundennutzen nach Potenzial...........................................................603 Abb. 19-5 Ein Basis-Modell für den unternehmerischen Prozess ...................................................606 Abb. 19-6 Kreislauf ökologischer Nachhaltigkeit...............................................................................610 Abb. 19-7 Management-Cockpit für die ökonomische Nachhaltigkeit eines E-Commerce- Unternehmens........................................................................................................................612 Abb. 19-8 Stakeholderanalyse nach Dreuw et al. ................................................................................614 <?page no="21"?> Neue Betriebswirtschaft Tabellenverzeichnis Tab. 2-1 Bilanz am 31.12.t0 (Gründungsbilanz) ................................................................................... 54 Tab. 2-2 Beispiel Anfangsbilanz 1.1.t1 ................................................................................................... 55 Tab. 2-3 Beispiel Bilanzen und Vier klassische Geschäftsvorfälle ..................................................... 56 Tab. 2-4 Beispiel - Eröffnungsbuchungen 1.1.t1 ................................................................................. 60 Tab. 2-5 Beispiel - Die vier typischen Geschäftsvorfälle auf Hauptbuchkonten ........................... 62 Tab. 2-6 Beispiel - Abschlussbuchungen Geschäftsjahresende t1 ................................................... 65 Tab. 2-7 Beispiel - SBK am 31.12.t1 ...................................................................................................... 65 Tab. 2-8 Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertuntergrenze................................................ 79 Tab. 2-9 Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertobergrenze ................................................. 80 Tab. 2-10 Beispiel - Anfangsbilanz zum 1.1.t2 ....................................................................................... 80 Tab. 2-11 Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Bestandskonten in t2............................................................................................................................................... 81 Tab. 2-12 Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Erfolgskonten in t2............................................................................................................................................... 82 Tab. 2-13 Beispiel - Buchungen auf dem GuV-Konto in t2 ................................................................ 83 Tab. 2-14 Beispiel - SBK am 31.12.t2 ...................................................................................................... 83 Tab. 2-15 Bsp. einer Ergebnisrechnung nach dem Gesamtkostenverfahren und dem Umsatzkostenverfahren .......................................................................................................................... 86 Tab. 2-16 Beispiel - Anfangsbilanz 1.1.t3 ................................................................................................ 91 Tab. 2-17 Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen im Hauptbuch..................... 92 Tab. 2-18 Beispiel - Buchungen auf den Erfolgskonten in t3 ............................................................. 93 Tab. 2-19 Beispiel - GuV-Konto in t3...................................................................................................... 94 Tab. 2-20 Beispiel - SBK 31.12.t3............................................................................................................. 94 Tab. 2-21 KFR in t1..................................................................................................................................... 97 Tab. 2-22 KFR in t2..................................................................................................................................... 97 Tab. 2-23 KFR in t3..................................................................................................................................... 98 Tab. 2-24 Beispiel - Vermögensveränderung, GuV und KFR über alle Perioden t0 bis t3 ............ 98 Tab. 3-1 Häufigkeitstabelle, nominales Merkmal ................................................................................ 119 Tab. 3-2 Fallzusammenfassung, Mehrfachantworten......................................................................... 122 Tab. 3-3 Häufigkeitstabelle, Mehrfachantworten ................................................................................ 122 Tab. 3-4 Häufigkeitstabelle, ordinales Merkmal .................................................................................. 123 Tab. 3-5 Häufigkeitstabelle, diskretes metrisches Merkmal............................................................... 124 Tab. 3-6 Häufigkeitstabelle, Basis: äquidistante Gewichtsklassen .................................................... 128 Tab. 3-7 Mittelwerttabelle ....................................................................................................................... 132 Tab. 3-8 Mittelwerttabelle ....................................................................................................................... 134 <?page no="22"?> 22 Tabellenverzeichnis Neue Betriebswirtschaft Tab. 3-9 Häufigkeitstabelle .....................................................................................................................134 Tab. 3-10 Mittelwerttabelle, Basis: originäre und standardisierte Werte............................................135 Tab. 3-11 Häufigkeitstabelle .....................................................................................................................136 Tab. 3-12 Preistabelle .................................................................................................................................146 Tab. 3-13 Erlöshochrechnung ..................................................................................................................148 Tab. 3-14 Kontingenztabelle vom Typ (2 × 2).......................................................................................150 Tab. 3-15 Nutzerbefragung, Basis: verarbeitete Fälle ...........................................................................151 Tab. 3-16 Zufriedenheitsspezifische Konditionalverteilungen ...........................................................153 Tab. 3-17 Geschlechtsspezifische Konditionalverteilungen ................................................................154 Tab. 3-18 χ²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-14.........................................................................155 Tab. 3-19 Kontingenztabelle mit beobachteten und erwarteten Werten...........................................156 Tab. 3-20 Anzahl der Freiheitsgrade df = 1 ..........................................................................................158 Tab. 3-21 Kontingenztabelle vom Typ (2 × 2).......................................................................................159 Tab. 3-22 χ²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-21.........................................................................159 Tab. 3-23 Mittelwerttabelle .......................................................................................................................161 Tab. 3-24 Unabhängigkeitstest .................................................................................................................163 Tab. 3-25 (3 × 3)-Korrelationsmatrix ......................................................................................................163 Tab. 3-26 Partielle Maßkorrelation ..........................................................................................................164 Tab. 3-27 (2 × 2)-Korrelationsmatrix ......................................................................................................165 Tab. 3-28 Regressionsparameter ..............................................................................................................167 Tab. 3-29 Modellkennzahlen ....................................................................................................................168 Tab. 3-30 Heuristische Modellwahl .........................................................................................................169 Tab. 3-31 Linearisierte Regression...........................................................................................................171 Tab. 3-32 Modellkennzahlen ....................................................................................................................173 Tab. 3-33 Korrelationsmatrix ...................................................................................................................174 Tab. 4-1 Abgrenzung von externem und internem Rechnungswesen.............................................179 Tab. 4-2 Überblick über Kalkulationsverfahren ..................................................................................185 Tab. 4-3 Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation ....................................................................189 Tab. 4-4 Schema zur Kalkulation des Angebotspreises .....................................................................190 Tab. 4-5 Unterschiede zwischen Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren .............193 Tab. 4-6 Integration von Prozesskostensätzen in die Zuschlagskalkulation...................................199 Tab. 8-1 Motive aus Käufer- und Verkäufersicht ................................................................................252 Tab. 8-2 Phasen in Unternehmenszusammenschlüssen ....................................................................258 Tab. 8-3 M&A Deals nach Volumen (Mrd. USD) - 2013 Q3 bis 2017 Q2. ..................................262 Tab. 14-1 Beispiel für die Kapitalwertmethode .....................................................................................457 Tab. 14-2 Beispiel für Umfeld- und Performancefaktoren..................................................................459 Tab. 19-1 Weiter- und Wiederverwertung von Rohstoffen im Betriebsablauf. ................................600 <?page no="23"?> Tabellenverzeichnis 23 Tab. 19-2 Rückstände in Abhängigkeit vom Output eines Unternehmens. ..................................... 604 Tab. 19-3 Rückstandsnutzung nach Horneber. ..................................................................................... 609 Tab. 19-4 Sustainability Balanced Scorecard mit beispielhaften Kennzahlen .................................. 611 Tab. 19-5 Beispiel einer Betriebsbilanz („Ökobilanz“) nach Balderjahn und Specht. .................... 613 Tab. 19-6 Prinzip-Modell einer Input-Output-Analyse nach Horneber. .......................................... 614 <?page no="25"?> Neue Betriebswirtschaft 1 Das Neue in der Betriebswirtschaft: Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien Alexander Brem Hintergrund Befasst man sich im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften mit empirischerabb Forschung, wird nach wie vor vorwiegend auf quantitative Verfahren zurückgegriffen. Einzig in Form der amerikanischen „Case Study“ scheinen sich nun auch langsam qualitative Verfahren zu etablieren - wobei in den Bereichen der Marketing-, Management- und Organisationsforschung bereits eigenständige, wenn auch nicht dominante, qualitative Forschungsansätze Eingang gefunden haben. Jedoch ist in diesem Zusammenhang ein starker Mangel an wissenschaftlicher Fundierung und Validierung des Vorgehens zu bemängeln. Dies äußert sich insbesondere in einer großen Bandbreite verschiedenster Verwendung von Begrifflichkeiten, Methoden und Interpretationen. Qualitative Forschung in der Betriebswirtschaftslehre - ein nach wie vor oft vernachlässigtes Thema. Denn schwerpunktmäßig werden qualitative Verfahren vorwiegend in soziologischen Bereichen angewandt, obwohl in vielen Lehrbüchern zur empirischen Forschung die Zusammengehörigkeit von quantitativen und qualitativen Verfahren - auch in der Betriebswirtschaftslehre - beschworen wird. Vor diesem Hintergrund stellt vorliegender Beitrag die historische Entwicklung der Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaft dar, um über die Mischform der angewandten Forschung auf die Rahmenbedingungen für anwendungsorientierte, qualitativ-empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre zu sprechen zu kommen. Nach der Definition elementarer Begrifflichkeiten wie Bezugsrahmen, Modell und Theorie und der Abgrenzung quantitativer zu qualitativer Forschung schließt der Beitrag mit dem Vorschlag einer theoriegenerierenden Forschungsstrategie für qualitative Untersuchungen im betriebswirtschaftlichen Kontext. Mit dem vorliegenden Kapitel soll ein erster Schritt in Richtung gemeinsamer, konzeptionellmethodischer Basis geschaffen werden. Dies soll nicht implizieren, dass die hier eingeführten Begrifflichkeiten und Strategieansätze als allgemeingültig oder alleinig richtig anzusehen sind - im Gegenteil: Hierdurch soll eine wissenschaftlich-konstruktive Diskussion angeregt werden, um nicht nur das Ansehen und die Relevanz qualitativer Forschung an sich zu steigern, sondern diese insbesondere für Studierende und Wissenschaftler leichter einsetzbar zu machen. Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaftslehre Verhaltenswissenschaftlich vs. theoretisch-ökonomisch In der wissenschaftlichen Diskussion sind im deutschsprachigen Bereich generell zwei unterschiedliche Wissenschaftsauffassungen vorzufinden: Auf der einen Seite die anwendungsorientierte-verhaltenswissenschaftliche Wissenschaft, die Probleme und Themen der Praxis aufgreift und versucht, für diese Entscheidungshilfen zu konzipieren. Auf der anderen Seite ist die theoretisch-ökonomische Forschung zu sehen, die ohne direkten Anwendungsbezug auskommt. (Böttger 1993, S. 34) „Die Betriebswirtschaftslehre ist überall dort erfolgreich gewesen, wo sie dem Praktiker handfeste Instrumente zur Lösung seiner Probleme in die Hand gab. Es hieße, eine Chance zu vertun, wenn <?page no="26"?> 26 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft der Wissenschaftsprozeß abgebrochen wird, bevor die Forschungsaussage bis zu ihrer nutzenstiftenden Instrumentalisierung vorangetrieben ist.“ (Witte 1981, S. 38) Unter einer konstruktiven Betriebswirtschaftslehre versteht Steinmann in diesem Kontext eine Wissenschaft, die „praktisch ausgerichtet ist insofern, als sie ihr Tun als unmittelbare Weiterführung praktischen betriebswirtschaftlichen Handelns begreift und durch methodische Bemühungen zu einer vernünftigeren Gestaltung dieses Handelns beitragen will.“ (Steinmann 1978, S. 98) Neben der normativen beeinflusst demnach insbesondere die technische Problematik den Beitrag der Betriebswirtschaftslehre zur Bewältigung praktischer Probleme. Demnach soll die Betriebswirtschaftslehre insbesondere der Beratung von Menschen dienen, die nicht wissen, mit welchen Mitteln sie welche ökonomischen Ziele erreichen können. (Steinmann & Böhm et al. 1976, S. 51) Auf den Punkt bringt es Kappler: „Soweit Wissenschaftler praktische Vorschläge machen, machen sie sie als Praktiker. Als Wissenschaftler sind sie eher Hebamme, die nicht zeugt, aber durch Praxisnachvollzug Neuem mit ans Tageslicht hilft.“ (Kappler 1994, S. 53) Albert sieht im Gegensatz dazu die Betriebswirtschaftslehre als eine Wissenschaft, die eine Theoriegenerierung zum Gegenstand hat: „Die Leistung dieser (empirischen) Wissenschaft besteht ja darin, immer tiefer in die Beschaffenheit der Realität einzudringen durch Versuche der Erklärung auf theoretischer Grundlage, das heißt: durch die Erfindung, Entwicklung, Anwendung und Beurteilung erklärungskräftiger und damit gehaltvoller Theorien. Je größer deren Erklärungskraft, desto vielseitiger werden im Allgemeinen die Möglichkeiten ihrer technologischen Verwertung und damit auch ihrer politischen Anwendung sein.“ (Albert 1972, S. 22) In einem solchen Umfeld stellt Albert weiterhin fest: „Die Art von Aussagen, auf die wir hinzielen, beansprucht nicht, nomologische Erklärungen darzustellen. Solche Erklärungen scheinen uns bei der gestellten Thematik nicht erreichbar; darum suchen wir nicht nach ihnen. Die Art von Erklärungen, die wir für erreichbar halten, sind ‚rationale Rekonstruktionen‘, d.h. Angabe von Gründen für die Existenz - auch für Entstehung und Wandel - bestimmter dauerhaft beobachtbarer insitutioneller Phänomene.“ Angewandte Forschung als Zwischenform Als eine Zwischenform der genannten Bereiche kann wohl der Begriff der angewandten Forschung gesehen werden. Der reine Wissenschaftler hat demzufolge „Rätsel“ zum Ausgangspunkt, die aus erklärungsbedürftigen Phänomenen oder Diskrepanzen zwischen Theorie und Beobachtung entstammen. Der angewandte Forscher hingegen geht von Problemen praktisch handelnder Menschen aus, zu deren Lösung noch kein befriedigendes Wissen zur Verfügung steht. (Ulrich 1981, S. 5) Unter empirischen Forschungsmethoden werden solche Methoden subsumiert, die zur Informationsgewinnung über die Realität eingesetzt werden können. (Stier 1999, S. 4f) In diesem Kontext ist es wichtig, die anwendungsorientierte Forschung von dem Bereich der Beratung von Unternehmen abzugrenzen (vgl. Abbildung 1-1). Demnach strebt wissenschaftliche Forschung nach allgemeingültigen Aussagen, die über Einzelfälle hinausgehen. Dem Neuen in der Welt soll somit ein Gesicht gegeben werden, das über eine subjektive Wahrnehmung hinausgeht. Der Forscher muss eine auf Forschungshypothesen basierende systematische Analyse erbringen, die dann die Grundlage für die Formulierung von Aussagen bildet. Im Gegensatz zur Beratung müssen die daraus gewonnenen Erkenntnisse vom Einzelfall abstrahiert werden, um die bei der akademischen Forschung notwendige Distanz zum Erkenntnisobjekt zu wahren und allgemeingültige Aussagen treffen zu können. Dazu gehört auch eine systematische und konsistente Datenerhebung, um die wissenschaftliche Stringenz und praktische Relevanz der Erkenntnisse sicherzustellen (vgl. hierzu auch Abbildung 1-2). (Wilkesmann & Latniak 2005, S. 25ff); (Kilper & Latniak et al. 2000, S. 309f) <?page no="27"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 27 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 1-1: Abgrenzung von Beratung gegenüber anwendungsorientierter Forschung und akademischer Forschung. Quelle: Wilkesmann/ Latniak 2005, S. 28 Abbildung 1-2: Levels of mutual engagement task content and outcomes. Quelle: Emery/ Emery et al. 1977, S. 201 Im Weiteren soll geklärt werden, welche Bestandteile anwendungsorientierte Forschung kennzeichnen. Ulrich nennt in diesem Kontext fünf Merkmale angewandter Forschung: (Ulrich 1982, S. 3f) Die Problemstellungen stammen aus der Praxis, Gegenstand ist hier nicht die Gültigkeit von Theorien, sondern die Anwendbarkeit von Modellen in der Praxis, die betrachteten Probleme sind ihrem Wesen nach interdisziplinär, <?page no="28"?> 28 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft angewandte Forschung hat den Entwurf einer „neuen Wirklichkeit“ zum Ziel und nicht die Wahrheit der wissenschaftlichen Aussagen ist die Norm, sondern der Nutzen der zu schaffenden Entwürfe für die Praxis. Diese müssen sich an Kriterien wie Leistungsgrad, Zuverlässigkeit und universeller Anwendbarkeit der Problemlösung messen lassen. Als Ziel steht dabei eine „konzeptionelle Forschung“, die komplexe Phänomene problemorientiert erfasst und „geistig manipuliert“, um begriffliche und methodische Modelle zu entwerfen. (Ulrich 1981, S. 21) Nach Ulrich braucht die angewandte Wissenschaft somit „nicht nur Erklärungsmodelle im Sinne des Rationalismus, sondern auch Erkenntnisse, die man als Verstehensmodelle bezeichnen könnte.“ (Ulrich 1984, S. 193) Auf den Punkt bringt es Kubicek, der die betriebswirtschaftliche Forschung als einen zweckbezogenen Prozess zur Erkenntnisgewinnung auffasst, indem Lösungen für praktische Organisationsprobleme durch praxeologische Aussagen vermittelt werden: „Ihren wissenschaftlichen Charakter erhalten Aussagen zur Problemlösung dadurch, dass sie sich nicht nur auf ein einziges Problem beschränken, sondern nach Zusammenhängen suchen, die über einzelne Ereignisse in der Realität hinausgehen und mittels Abstraktion und Verallgemeinerung zur Lösung einer größeren Anzahl ähnlicher Probleme verhelfen. Auf diese Weise soll die individuelle Problemlösung in der Praxis ökonomisiert werden, und hierin liegt der praktische Sinn wissenschaftlicher Forschung als „Umweghandlung“ begründet.“ (Kubicek 1975, S. 14) Spielregeln für anwendungsorientierte, qualitativ-empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre 1.4.1 Allgemein Um qualitative Verfahren zielgerichtet zum Einsatz bringen zu können, müssen zunächst einige „Spielregeln“ definiert und elementare Begriffe wie Bezugsrahmen, Modell und Theorie geklärt werden. Ausgangspunkt hierfür bildet die anwendungsorientierte Forschung, da diese dem aktuellen Status Quo am nähesten kommt. Merkmal dieses anwendungsorientierten Vorgehens ist es, vorhandene Theorien zu verwenden und Erklärungsmodelle zu konstruieren, welche die Theorien wie auch relevante Realitätsaspekte umfassen. In die Modellkonstruktion gehen somit theoretische Aussagen, Annahmen über Randbedienungen als auch empirische Regelmäßigkeiten einzelner Tatbestände mit ein. (Martin 1989, S. 240f) Um die Methoden der heuristischen Sozialforschung anwenden und somit die Entwicklung einer Theorie erreichen zu können, müssen vier grundsätzliche Regeln beachtet werden: (Kleining 1995, S. 23ff) Offenheit der Forschungsperson bzw. des Forschungsobjekts: Der Forscher muss dem Gegenstand, dem Neuen gegenüber „offen“ sein und das Vorverständnis ändern können und wollen, wenn die Daten ihm entgegenstehen. Offenheit des Forschungsgegenstands: Die Kenntnis vom Gegenstand und dessen Bestimmung sind vorläufig und so lange der Änderung unterworfen, bis der Gegenstand „vollständig“ entdeckt ist. Maximale, strukturelle Variation der Perspektiven: Der Gegenstand soll von maximal vielen unterschiedlichen Seiten erfasst werden. Dies geschieht durch Variation aller Bedingungen der Forschung, die einen Einfluss auf die Abbildung des Gegenstandes haben oder haben könnten. Die Variation sucht demnach strukturelle, dem Gegenstand eigene Aspekte, die aus den verschiedenen Perspektiven erkennbar sind. Analyse auf Gemeinsamkeiten: Die verschiedenen Seiten oder Bilder des Gegenstandes werden auf ihren Zusammenhang hin untersucht, oder das Verfahren entdeckt das Gemeinsame in den <?page no="29"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 29 Neue Betriebswirtschaft Verschiedenheiten. Alle Daten müssen im strukturellen Zusammenhang als Teile des Gesamten erkenn- und verstehbar sein. Zudem wird ein „Triangulieren“ empfohlen, was auf die regelmäßige Variation der Erhebungsmethoden abzielt, dass sich der Forscher einem bestimmten Phänomen auf unterschiedlichen Wegen annähert. (Flick 1987, S. 251) Dies kann erreicht werden durch eine strukturierte Analyse von Dokumenten und Dokumentationen, die Durchführung von (explorativen) Experteninterviews, Beobachtungen, die Beteiligung an unternehmensinternen und -externen Workshops und Fachtagungen, und der abschließenden Darstellung von Praxisbeispielen anhand von Fallstudien. In diesem Zusammenhang gibt Gygi für betriebswirtschaftliche Forschungstätigkeiten folgende methodologische Regeln vor: (Gygi 1982, S. 183ff) Verwende zur Beschreibung der Phänomene und Fragestellungen der Betriebswirtschaftslehre die Systemperspektive. Suche nach Systemen, Sub- und Supersystemen, Inputs und Outputs, Elementen, Beziehungen, Strukturen, Prozessen, Verhalten, Stabilität Anpassung, Gleichgewicht, Störungen usw. Beschreibe die Probleme der Praxis als Störungen von Gleichgewichten in Systemen bzw. Subsystemen eines bestimmten Typs, und ihre Lösung als Vornahme von Lenkungseingriffen zwecks Störungsbeseitigung. Nimm dabei die allgemeinen kybernetischen Lenkungsmechanismen als Gerüst für die Beschreibung der Problemsituation zu Hilfe. Verwende bei der inhaltlichen Interpretation der abstrakten Systemterminologie - sei es zur Beschreibung, zur Erklärung oder zur Gestaltung - empirisches und methodisches Wissen aus verschiedenen Fachbereichen sowie auch aus der Praxis. Entwickle eine allgemeine Problemlösungsmethode, die den Problemherd als black box betrachtet. Versuche, sein Verhalten durch probeweise Eingriffe in den Griff zu bekommen. Überprüfe zu diesem Zweck die Lösungsversuche durch Beobachtung des bewirkten Verhaltens auf ihre Tauglichkeit und ersetze sie gegebenenfalls durch bessere. Je besser das Übertragungsverhalten des Systems bekannt ist, umso gezielter können die Eingriffe geplant und vollzogen werden. Öffne zu diesem Zweck die black box, bis bestimmte Outputwerte durch Inputmanipulation ohne Umweg herbeigeführt werden können (= Simulation). Falls es dir an empirischem Wissen (Theorien) über problemrelevante Wirkungszusammenhänge mangelt, so versuche bewährte Theorien aus anderen Fachbereichen, die formal, nicht aber materiell ähnliche oder gleiche Zusammenhänge zum Gegenstand haben, für deine Zwecke zu nutzen: ˗ Ermittle die formale Struktur der fachfremden Theorie ˗ Formuliere eine Isomorphievermutung zwischen den Problemstrukturen der beiden Disziplinen ˗ Interpretiere den formalen Kalkül für den betriebswirtschaftlichen Sachverhalt ˗ Auf diesem Weg aufgefundene Hypothesen bedürfen der empirischen Überprüfung. 1.4.2 Zielgrößen der Forschung: Bezugsrahmen, Modell und Theorie Bezugsrahmen „Bezugsrahmen erleichtern es dem Praktiker, akzeptable Problemdefinitionen zu formulieren, komplexe Probleme in einfache Teilprobleme zu zerlegen und hierfür Lösungshypothesen zu generieren. Für all diese Schritte gibt es keine Algorithmen, und die Existenz eines begrifflichtheoretischen Bezugsrahmens macht diese Prozesse keineswegs zu einer Routineangelegenheit mit Lösungsgarantie. Bezugsrahmen können aber helfen, äußerst schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme der Praxis <?page no="30"?> 30 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft etwas besser zu strukturieren, ohne sie gleich zu wohl definierten Entscheidungen zu machen.“ (Kirsch 1970, S. 242f) Durch Induktion werden letztendlich auch Hypothesen generiert, die in den Bezugsrahmen eingehen und diesen entsprechend weiterentwickeln. (Hill 1957, S. 171ff); (Schanz 1988, S. 44) Weitere Merkmale von theoretischen Bezugsrahmen beschreibt Kirsch wie folgt: (Kirsch 1981, S. 198f) Bezugsrahmen leisten zwar keine direkte Erklärung von Phänomenen, aber sie ermöglichen Erklärungsskizzen, die Zusammenhänge verdeutlichen. Ein theoretischer Bezugsrahmen ist nicht als Basis für die Abgabe von Prognosen geeignet. Ein theoretischer Bezugsrahmen kann mit großer Reichweite und Reichhaltigkeit eine heuristische Kraft für die Formulierung und Bewältigung praktischer Probleme besitzen. Bezugsrahmen können helfen, schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme der Praxis zu strukturieren, ohne diese gleich zu wohl strukturierten Entscheidungen zu machen. Nach Grochla lassen sich Bezugsrahmen in drei Schritten systematisch entwickeln: (Grochla 1969) Erarbeitung eines begrifflichen Instrumentariums zur Formulierung und empirischen Erfassung der als relevant erachteten Phänomene (terminologische Aussagen) Anwendung des begrifflichen Instrumentariums zur Beschreibung und Diagnose entsprechender Problemsituationen in der Realität (deskriptive Aussagen Erklärung von Zusammenhängen zwischen einzelnen Größen des Konzeptes im Hinblick auf Annahmen über Ursache-Wirkungsbeziehungen (empirisch-kognitive Aussagen) Abbildung 1-3 veranschaulicht abschließend den gesamten Forschungsprozess, der nach Ulrich zur Entwicklung eines Bezugsrahmens herangezogen werden kann. Abbildung 1-3: Angewandte Wissenschaft im Theorie- und Praxisbezug, Quelle: Ulrich 1984, S. 193 Somit sind Bezugsrahmen eine Vorstufe von Theorien, sie ermöglichen Erklärungsskizzen, die zu einem Verständnis von Zusammenhängen führen. So gesehen kann ein theoretischer Bezugsrahmen eine heuristische Methode für die Formulierung und Bewältigung praktischer Probleme sein. Dar- <?page no="31"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 31 Neue Betriebswirtschaft über hinaus kann ein solcher Bezugsrahmen dazu dienen, das Neue in der Welt systematisch mit dem Wissen der Welt im Sinne der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur abzugleichen. Modell Ein Modell ist hingegen ein symbolisches System, das ein anderes - konkret den theoretischen Bezugsrahmen - in vereinfachender Weise abbildet. Somit stellt ein Modell eine vereinfachte Form des Bezugsrahmens dar. (Kirsch 1984, S. 758-762) Um Systeme, Strukturen und vorhandene Informationen vom Menschen erfassbar zu machen, sind somit Modelle notwendig. (Zimmermann 1981, S. 281) Dabei sind an die Modellqualität spezifische Anforderungen zu stellen: Logische Richtigkeit bzw. Wahrheit, Aussagefähigkeit (gewünschte und genaue Information), Realitätsentsprechung und Effizienz (entsprechende Aufwand-Nutzen-Relation). (Zimmermann 1981, S. 288f.) Theorie Der Theoriebegriff ist in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion generell umstritten. Unter einer betriebswirtschaftlichen Theorie versteht Koch die Bildung von bedingten Allgemeinsätzen, die ein Wirtschaftsunternehmen betreffen, z.B. Theoreme über optimale Losgrößen. (Koch 1982, S. 149) Schanz sieht in einer Theorie beispielsweise ein System nomologischer Hypothesen. (Schanz 1988, S. 24) Für das Begriffsverständnis dieser Arbeit soll folgende Definition Ausgangspunkt sein: „A theory is a set of systematically related propositions specifying causal relationships among variables.“ (Black & Champion 1976, S. 56) Eine Theorie hat somit zwei Zielrichtungen. Zum einen die Darstellung von komplexen Sachverhalten zur direkten Anwendung in der betriebswirtschaftlichen Praxis, zum anderen eine Bildungsfunktion. Diese soll dem Praktiker durch das Studium der Theorie systematisch zur gedanklichen Erfassung von Zusammenhängen zwischen den Unternehmensvariablen anleiten und anregen. (Koch 1975, S. 223f) Zusammenfassend sind nach Rost folgende Gütekriterien an Theorien anzulegen: Empirischer Bestätigungsgrad, Innere Konsistenz, Einfachheit, Geltungsbereich, Relevanz und Brauchbarkeit. (Rost 2005, S. 3) Konzeption einer betriebswirtschaftlich orientierten, qualitativen Forschungsstrategie 1.5.1 Qualitative vs. quantitative Forschung „Die Erkenntnis beginnt nicht mit Wahrnehmungen oder Beobachtungen oder der Sammlung von Daten oder von Tatsachen, sondern sie beginnt mit Problemen.“ (Popper 1969, S. 104) Ausgehend von der jeweiligen Problemstellung stellt sich die Frage nach einer geeigneten Methodik zur Bearbeitung eines Themas. Generell ist je nach Themen- und Aufgabenstellung sowohl ein quantitativer als auch ein qualitativer Ansatz möglich (vgl. Abbildung 1-4), wobei die genaue Abgrenzung der Begriffe durchaus umstritten ist und die Anwendungsbereiche nicht überschneidungsfrei sind. (Rost 2005, S. 1f.); (Schreier 2005, S. 7) „Da Start- und Endpunkt eines jeden Forschungsprozesses die Theorie ist, ergibt sich die differentielle Indikation zwischen qualitativen und quantitativen Methoden aus dem vorfindbaren Zustand der Theorie zu Beginn des Forschungsprozesses und des angestrebten Zustands der Theorie am Ende des Prozesses. (Rost 2005, S. 1) Bei quantitativen Erhebungen stehen bestehende Theorieaussagen bereit, die durch konkrete Hypothesen und korrespondierenden Variablen überprüft werden. Qualitative Ansätze hingegen haben die Entdeckung bzw. Generierung von Theorieaussagen anhand empirischer Daten zum Gegenstand, wobei ein konkreter Fall als analytischer Bezugspunkt <?page no="32"?> 32 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft vorhanden ist. Ziel ist hierbei die Rekonstruktion der auf den Fall bezogenen Deutungsmuster, Handlungsorientierung und Wissensbeständen in Hinblick auf eine allgemeine Theorie, die das Fallgeschehen erklärt. (Brüsemeister 2000, S. 21ff.) Abbildung 1-4: Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Quelle: Brüsemeister 2000, S. 55. Beispiele für qualitative Forschung sind Analysen von Lebenswelten und Organisationen oder Evaluationsforschung. (Flick & von Kardoff et al. 2000, S. 19) Qualitative Forschung kann quantitative Ergebnisse valide erweitern und vertiefen, meist ist jedoch die qualitative Forschung der quantitativen vorgelagert, indem diese das Forschungsfeld erschließt und theoretisch aufarbeitet. (Krotz 2005, S. 21); (Kleining 1995, S. 15) Diese Erkenntnis hängt mit den verschiedenen Erkenntniszielen der beiden Forschungsarten zusammen. Bei quantitativen Methoden stehen bestehende Theorieaussagen bereit, um konkrete Hypothesen über einen Sachverhalt aufzustellen, die mit Hilfe von Variablen überprüft werden können. Qualitative Ansätze hingegen zielen auf die Entdeckung bzw. Generierung von Theorieaussagen anhand empirischer Daten ab, da für dieses Feld noch entsprechende theoretische Grundlagen fehlen. Insofern liegt der Hauptunterschied zwischen beiden Verfahren in den Begriffen „Überprüfung“ und „Entdeckung“ (Brüsemeister 2000, S. 21); (Rost 2005, S. 1) Anders formuliert abstrahiert die qualitative Forschung die Technik des Vergleichs auf Gemeinsamkeiten, die quantitative Forschung hingegen auf Unterschiede. Qualitative Techniken sollen Beziehungen auf- und entdecken, quantitative Techniken sollen Beziehungen beschreiben sowie ggf. be- oder widerlegen. (Kleining 1995, S. 16ff) <?page no="33"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 33 Neue Betriebswirtschaft Oft jedoch scheitert die skizzierte „Übergabe“ zwischen quantitativer und qualitativer Forschung schon zu Beginn der Vorhaben, da z.B. schon elementare Bestandteile wie eine gemeinsame Sprache fehlen. Kromrey definiert qualitative Forschung über deren Ziele, Ausgangspunkte, Vorgehensweise bei der Informationssammlung und Informationsauswertung wie folgt: (Kromrey 2005, S. 5f) Ziele: Entdeckung von Strukturen und Zusammenhängen Einbettung des Einzelfalls in Strukturen Herausarbeiten individueller Besonderheiten Entdeckung empirisch gestützter Theorien Ausgangssituation: „Ungenaue Themenstellung“ Ein nur grob und vorläufig abgegrenzter Gegenstandsbereich Informationsbedarf über Strukturen und Zusammenhänge Informationssammlung: (kontrollierte) „Subjektivierung“ der Informationserhebung: Tiefe, Reichweite, Kontext von Informationen Breite Informationssammlung aus möglichst vielfältigen Perspektiven und möglichst wenig selektiv Nur „sensibilisierende“ Hypothesen Offenheit gegenüber allen unerwarteten Erkenntnissen Dadurch Notwendigkeit der „Deutung“ der Informationen zur Gewinnung von „Daten“ Verwendung gegenstandsnaher Daten Auswertung: Rekonstruktion der in den Informationen enthaltenen Konzepte, Strukturen, Regelhaftigkeiten mittels hermeneutischer Strategien Fallorientierte Analyse: Klassifikation gleichartiger Fälle, Kontrastierung mit gleichartigen Fällen (Typenbildung), ggf. erneute Informationsbeschaffung Formulierung empirisch gestützter, gegenstandsbezogener Hypothesen/ Theorien Entwicklung des methodischen Forschungsdesigns Erst nach der Bildung einer grundlegenden Theorie ist es möglich, daraus quantitative Forschungsansätze zu generieren, welche die Theorie überprüfen und gegebenenfalls - im Sinne des kritischen Rationalismus - falsifizieren. (Flick 1999, S. 56f) Dadurch dienen die qualitativen Erhebungen - wie angedeutet - als Vorstufe zu korrespondierenden quantitativen Ergebnissen. Das vorgeschlagene wissenschaftliche Arbeiten in diesem Sinne hat demnach nicht die Repräsentanz der Ergebnisse, sondern ein aktives Lernen mit dem Ergebnis von generalisierbaren Resultaten zum Ziel. (Martin 1989, S. 219) 1.5.2 Prozess der Theoriekonstruktion Die Abbildung 1-5 veranschaulicht den exemplarischen Prozess theoriekonstruierender 1 Forschung, die relativ leicht auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen übertragen werden kann. 1 Die Begriffe theoriegenerierend und theoriekonstruierend werden im Folgenden synonym verwendet. <?page no="34"?> 34 Alexander Brem Neue Betriebswirtschaft Abbildung 1-5: Der standardisierte Prozess theoriegenerierender Forschung. Quelle: In Anlehnung an Krotz, 2005 S. 135 Der Prozess startet mit dem Vorwissen und der Forschungsfrage. Im Feld erhebt der Forscher Daten, die analog ausgewertet werden, um Theoriebausteine und Ideen zu entwickeln. Liegen bereits Theoriebausteine oder ältere Daten vor, so müssen diese entsprechend abgeglichen und weitere Schlussfolgerungen gezogen werden. Sind die Daten ausgewertet, so muss das Wissen neu zusammengefasst und strukturiert werden. Auch sollen offene Fragen notiert und die Notwendigkeit weiterer empirischer Schritte geprüft werden. Der Prozess ist erst dann abgeschlossen, wenn der Kreislauf so oft durchlaufen ist, dass der Forscher eine hinreichende Theorie entwickelt hat. Ab diesem Zeitpunkt beginnt der wissenschaftliche Diskurs. (Krotz 2005, S. 134ff) Der theoriegenerierende Prozess hat die Suche nach Gemeinsamkeiten zum Gegenstand, um daraus Verallgemeinerungen im abstrakt-logischen Sinn abzuleiten. Diese Gemeinsamkeiten entstehen somit nicht durch formal-logisches Verallgemeinern oder Abstrahieren, sondern durch eine dialektische Forschung: Die Gemeinsamkeit entsteht durch den Bezug der Dinge zueinander. (Krotz 2005, S. 223ff) Die Methoden der Datenerhebung hängen vom konkreten Forschungsgegenstand bzw. -kontext ab, standardmäßig werden z.B. Interviews, Experimente, Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Fallstudien und Dokumentenanalysen angewandt. (Krotz 2005, S. 138) Somit bietet diese Methodik einen sehr guten Ausgangspunkt für Probleme, die wegen deren Neuheit oder auch Schwierigkeit der genaueren Erforschung bis dato nur rudimentär bearbeitet werden konnten. Denn bisher mussten bzw. konnten Forscher nach eigenem Ermessen die Forschungsstrategie und -umsetzung bestimmen. Dies ist für den quantitativen Bereich nahezu undenkbar, da insbesondere durch die modernen Verfahren der Statistik genaue Vorgaben nicht nur üblich, sondern auch verpflichtend sind. Ein gemeinsames methodisches Grundverständnis bezüglicher qualitativer Forschungsansätze ist jedoch unerlässlich, weil nur dann gewährleistet ist, dass Ergebnisse auch weiter- und wieder verwendbar sind, und darüber hinaus mit anderen Resultaten verglichen werden können. Somit kann für Problemstellungen aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre ein qualitativer Forschungsansatz gewählt werden, wenn die genannten Voraussetzungen dafür entsprechend erfüllt sind. Auch andere Verfahren, die im Bereich der Soziologie bereits große Verbreitung gefunden haben, können hierbei herangezogen werden. Als Beispiel hierfür kann das problemzentrierte Interview nach Witzel angeführt werden (Witzel 2000). Die letztendliche Generalisierbarkeit muss jedoch auch immer kritisch hinterfragt werden (Mayring 2007). <?page no="35"?> 1 Ansätze zur qualitativen Forschung und Konzeption theoriegenerierender Forschungsstrategien 35 Einschränkungen, Ausblick und weiterer Forschungsbedarf Der vorliegende Beitrag soll dazu dienen, die weitere wissenschaftliche Diskussion anzuregen - mit dieser Losung begannen die gegenwärtigen Darstellungen. Insofern kann und muss dieser Beitrag auch als erster Schritt in diese Richtung gesehen werden. So konnten zwar viele Bausteine und Themenbereiche aufgegriffen und angesprochen, jedoch nicht in der Tiefe bearbeitet werden, wie dies sicherlich noch notwendig wäre. Das gleiche gilt für die genaue Ausgestaltung theoriegenerierender Forschungsansätze, z.B. mit welcher Methodik diese zu bewerkstelligen sind, ob und ggf. inwiefern Unterschiede bezüglich Branche, Umsatz oder Alter der zu betrachtenden Unternehmen zu berücksichtigen sind usw. Auch im Hinblick auf „moderne“ Methodiken wie Case Study Research sollte eine kritische Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn qualitativer Forschung im unternehmerischen Zusammenhang stattfinden. Genau hieraus ergeben sich auch vielfältige Ansatzpunkte zukünftiger Forschung: Welche Besonderheiten haben qualitative Verfahren im betriebswirtschaftlichen Kontext? Welche Methodiken aus der Soziologie lassen sich anwenden, bzw. müssen noch entsprechend modifiziert werden? Wie könnten interdisziplinäre Teams aussehen, welche Themen könnten diese bearbeiten? Wie auch immer die Diskussion weitergehen wird: Es wäre schade um das enorme Potenzial, das noch in qualitativen Verfahren im betriebswirtschaftlichen Kontext steckt, wenn dies weiter so ungenutzt bleiben sollte. <?page no="36"?> Neue Betriebswirtschaft Literatur Albert, Hans (1972). Aufklärung und Steuerung. Gesellschaft, Wissenschaft und Politik in der Perspektive des kritischen Rationalismus. 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Die empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre: eine Untersuchung über die Logik der Hypthesenprüfung , die empirische Forschungspraxis und die Möglichkeit einer theoretischen Fundierung realwissenschaftlicher Untersuchung. Stuttgart: Poeschel Mayring, Philipp (2007). Generalisierung in qualitativer Forschung. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(3), Art. 26, http: / / www.qualitative-research.net/ fqs-texte/ 3-07/ 07-3-26-d.htm 24.10.2007 Popper, Karl (1969). Die Logik der Sozialwissenschaften. In Adorno, Theodor W. (Hrsg.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (S. 103-115). Neuwied [u.a.]: Luchterhand Rost, Jürgen (2005). Differentielle Indikation und gemeinsame Qualitätskriterien als Probleme der Integration von qualitativen und quantitativen Methoden, Symposium: Qualitative und quantitative Methoden in der Sozialforschung: Differenz und/ oder Einheit? 1. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung, 24.-25. Juni. 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Mohr <?page no="39"?> Neue Betriebswirtschaft 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung Uwe Christians Funktion und Teilgebiete des Rechnungswesens und der Buchführung 2.1.1 Inhalt und Aufgaben des Rechnungswesens Das betriebliche Rechnungswesen ist das Basisinstrument zur „systematischen Erfassung, Aufbereitung, Darstellung und Auswertung aller betriebswirtschaftlich relevanten … Zustände und Handlungen eines Unternehmens, die zahlenmäßig zum Zwecke der Rechnungslegung und/ oder der Steuerung der Unternehmenstätigkeit unter Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften“ zu erfassen sind. 2 In Abhängigkeit davon, welche Personengruppen durch das betriebliche Rechnungswesen mit Informationen versorgt werden, unterscheidet man zwischen dem internen und dem externen Rechnungswesen. Das interne Rechnungswesen dient vor allem dem Unternehmer bzw. dem Management zur Entscheidungsunterstützung sowie der Verhaltenssteuerung im Unternehmen. Es unterliegt keinen gesetzlichen Bestimmungen und umfasst (nach klassischer Einteilung) die Kosten- und Leistungsrechnung, die Statistik und die Planung. Es kann beliebig ausgestaltet werden. Das externe Rechnungswesen (Finanzbuchhaltung), welches auch gleichzeitig die Datengrundlage des internen Rechnungswesens ist, dient nicht nur dem Unternehmer als Informationsbasis, sondern ist insbesondere auch auf die Information von unternehmensfremden Stakeholdern, wie z.B. Gläubigern, Anteilseignern, Fiskus, ausgerichtet. Im Zuge der in der jüngeren Vergangenheit bedeutender werdenden wertorientierten Managementphilosophie (Shareholder Value-Ansatz) rücken internes und externes Rechnungswesen näher zusammen und überschneiden sich in ihren Ausrichtungen. 3 Es werden verschiedene Aufgaben des betrieblichen Rechnungswesens unterschieden. 4 Zu nennen ist zunächst die Aufgabe der Dokumentation. Diese wird von der Finanzbuchhaltung übernommen, und zwar anhand von Belegen systematisch (zeitlich und sachlich geordnet) und lückenlos alle wirtschaftlich relevanten, gewöhnlichen (Beschaffung und Absatz, Aufwendungen aus dem Fertigungsprozess), aber auch nicht gewöhnlichen Ereignisse des Unternehmens (Spekulationsgewinne, Vernichtung bzw. Wertverluste von Vermögensgegenständen) aufzuzeichnen. 5 Grundlage hierfür bilden die handels- und steuerrechtlichen Vorschriften (§§ 238ff. HGB; 140ff. AO) zur Führung von Büchern und zu den Aufzeichnungspflichten der Geschäftsaktivitäten des Unternehmens. Durch das Rechnungswesen wird das Unternehmensgeschehen zur Information der Adressaten (z. B. Eigentümer, Gläubiger, Management) zahlenmäßig erfasst und anschaulich aufbereitet. 6 „Darin werden die finanziellen Konsequenzen von Entscheidungen und Ereignissen im Unternehmen aus der Sicht des Unternehmers abgebildet. Die Abbildungen werden zu Finanzberichten zusam- 2 Känel, S. (2007), S. 16f. 3 Vgl. Mertins, C. (2013). 4 Vgl. Känel, S. (2007), S. 18f. 5 Vgl. Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P. (2012), S. 4. 6 Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P. (2012), S. 3. <?page no="40"?> 40 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft mengefasst und dann Entscheidungsträgern im Unternehmen unterbreitet.“ 7 In diesem Zusammenhang hat das betriebliche Rechnungswesen u.a. die Aufgabe, mindestens jährlich einen Jahresabschluss (Bilanz, Erfolgsrechnung und zum Teil Anhang) nach den gültigen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften zu erstellen (Informations- und Rechenschaftslegungsaufgabe). Das Rechnungswesen hat auch eine Zahlungsbemessungsfunktion, denn auf der Basis der Ergebnisse des Jahresabschlusses wird die Höhe der möglichen Gewinnausschüttungen, der Steuerbelastung und oft auch der erfolgsabhängigen Vergütungen ermittelt. 8 Die Aufgaben der Überwachung und Kontrolle der Rentabilität, Wirtschaftlichkeit und der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) sowie der Disposition des Unternehmens sind weitere zentrale Aufgaben des Rechnungswesens. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben werden sowohl Daten als auch Instrumente aus der Kosten- und Leistungsrechnung, der Statistik, der Vergleichsrechnung und der Planungs- und Kontrollrechnung benötigt. Denn Planungen und Entscheidungen über zukünftige Aktionen (z.B. über Investitionen, Produktsortiments- oder Preisgestaltungen) können mit Hilfe von aufbereitetem Zahlenmaterial in der Regel besser getroffen werden (Planungsfunktion). Mit Hilfe von Soll-Ist-Vergleichen wird schließlich überprüft, ob die geplanten Ziele und Maßnahmen auch erreicht wurden (Kontrollfunktion). Allerdings gibt es nicht „das“ Rechnungswesen, sondern es wird vielmehr je nach Verwendungszweck der Informationen, der wiederum abhängig ist von der Rechtsform und der Organisationsstruktur 9 , sowie der „Stakeholder“ unterschiedlich ausgestaltet. 2.1.2 Buchführungspflicht „Jeder Kaufmann“ ist nach § 238 I HGB gesetzlich verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen die Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen. 10 Der handelsrechtlichen Buchführungspflicht (Doppelte Buchhaltung - Doppik = „Doppelte Buchführung in Konten“) unterliegen mithin gewerbetreibende Einzelunternehmen, wenn sie einen in kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern und sich nicht nach § 241a HGB von der Buchführungspflicht haben befreien lassen 11 , Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften und eingetragene Genossenschaften. Die Doppik kennt nicht nur Bestandskonten, sondern auch eigenständige Erfolgskonten (zweigeteiltes Rechnungswesen) und in der erweiterten Version (dreigeteiltes Rechnungswesen) auch Finanzkonten. 12 Nichtbuchführungspflichtige im Sinne der Doppik haben „nur“ eine einfache Buchhaltung anzuwenden und eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung (kurz: EÜR oder 4/ 3-Rechnung: § 4 III EStG) zu erstellen. Sie betrifft diejenigen Unternehmer, welche nicht per Gesetz zur Buchführung verpflichtet sind, sondern aus steuerlichen Gründen Aufzeichnungen erstellen müssen. Hierzu zäh- 7 Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 4. 8 Vgl. Wöltje, J. (2019b), S. 21. 9 Vgl. Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 8f. 10 Wir gehen an dieser Stelle nicht weiter auf den Begriff und die Abgrenzung des Kaufmannsbegriffs und dem des Gewerbebetriebes nach § 15 II EStG ein, der davon zu unterscheiden ist, und verweisen auf die reichhaltige Literatur. Zum Kaufmannsbegriff § 1 HGB mit größenabhängigen Erleichterungen für Einzelkaufleute gem. § 241a HGB vgl. dazu im Überblick Buchholz, R. (2009), S. 6ff. 11 Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als jeweils 600 000 Euro Umsatzerlöse und jeweils 60 000 Euro Jahresüberschuss aufweisen, brauchen danach die §§ 238 bis 241 nicht anzuwenden. 12 Vgl. Schierenbeck, H / Wöhle, C.B. (2012), S. 599. <?page no="41"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 41 Neue Betriebswirtschaft len in der Regel Freiberufler, die Kleingewerbetreibenden und diejenigen Ist-Kaufleute, welche sich nach § 241a HGB von der Buchführungspflicht befreien lassen. Der wesentliche Unterschied zwischen der Gewinnermittlung durch Bilanzierung im Vergleich zur Gewinnermittlung im Rahmen einer Einnahme-Überschuss-Rechnung besteht darin, dass bei der Einnahme-Überschuss-Rechnung die Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen in dem Jahr berücksichtigt werden, in dem sie zu- oder abgeflossen sind. Bei der Gewinnermittlung durch Bilanzierung wird nicht auf den Zahlungsabfluss abgestellt, sondern es gilt das Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung. Das bedeutet, dass die Betriebseinnahmen und die Betriebsausgaben in dem Wirtschaftsjahr zu berücksichtigen sind, in das sie wirtschaftlich gehören. 13 2.1.3 Teilgebiete des Rechnungswesens und deren Rechengrößen Je nach Teilgebiet des Rechnungswesens werden unterschiedliche Informationen nachgefragt und mit jeweils anderen Größen gerechnet. Gebiete des Rechnungswesens, die auf die Generierung von Informationen über Geldflüsse/ Liquidität ausgerichtet sind, erfordern eine Rechnung, die sich auf Zahlungsgrößen (und evtl. zahlungsäquivalente Größen) stützt. Dagegen müssen Teilgebiete, die über die Einkommenserzielung im Unternehmen informieren wollen, mit Erfolgsgrößen operieren. Aus der folgenden Graphik sind zunächst die Güter- und Finanzbewegungen in einer Unternehmung im Rahmen der Systemanalyse zu entnehmen: Abbildung 2-1: Überblick über die Güter- und Finanzströme im Unternehmen Unternehmen beschaffen sich Arbeitskräfte, Werkstoffe, Energie, Räume, Maschinen o.ä. am Markt (A), für die sie Gehälter, Kaufpreise oder Miete zahlen (1). Die eingekauften Güter (Rohstoffe, Maschinen) werden gelagert (Rohstofflager) bzw. im Fall der Anlagegegenstände benutzt (B), sodann in der Produktion verarbeitet (C). Die produzierten Waren werden, nachdem sie ggf. noch eingelagert werden (Erzeugnislager) (D), an den Absatzmarkt (E) abgegeben und führen zu Umsatzerlösen/ Einzahlungen (2). 13 Beispiel dazu unter http: / / www.existenzgruender.de/ DE/ Unternehmen-fuehren/ Unternehmenssteue rung/ Unternehmenszahlen-erfassen-Rechnungswesen/ Einfache-Buchfuehrung/ inhalt.html (abgerufen am 28.3.2018) A Beschaffungsmärkte Absatzmärkte Staat (Steuern, Gebühren, Subventionen etc.) Gesellschaft und Natur (Kultur, Normen und Werte, Bodenschätze, Boden, Emissionen etc.) Kredit- und Kapitalmärkte Input Output Produktionsprozess finanzielle Mittel 5 B C D E 1 3 2 4 <?page no="42"?> 42 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Unternehmen nehmen von außen Finanzierungsmittel auf, entweder in Form der Eigenfinanzierung (Einlagen von Einzelkaufleuten oder persönlich haftenden Personengesellschaftern, in Form von GmbH-Anteilen, Aktienemissionen, Genossenschaftsanteilen, Kommanditanteilen bei KGs) oder Fremdfinanzierung, wie z.B. Bankkredite, Wertpapieremissionen oder andere Kreditformen, oder aus Mezzaniner Finanzierung (bspw. Stille Gesellschaft, Genussrechte, nachrangige Darlehen). Hieraus resultieren Zahlungsströme (Zinsen, Gewinnausschüttungen, Kreditaufnahme, Tilgungen, Kapitaleinlagen) zwischen der Unternehmung und den Kredit- und Kapitalmärkten (3). Finanzmittel können umgekehrt aber auch bei Kreditinstituten, Versicherungen bzw. am Geld- oder Kapitalmarkt angelegt werden, z.B. in Form von Bankeinlagen, Kauf von Wertpapieren, wie Anleihen oder Aktien etc. (3). Finanzierungsbeziehungen zum Staat bestehen bei der Steuerzahlung und im Falle von Gebühren und Subventionen (4). Die Gesellschaft wie auch die Natur wirken sich in vielfältiger Weise auf die Leistungs- und Zahlungsströme in einer Unternehmung aus. Sollten sich Unternehmung bspw. nicht an Rechtsnormen und Werte der Gesellschaft halten, können direkte Strafzahlungen die Folge sein. Indirekt könnte dies über Reputationsverluste zu Einnahmeeinbußen oder Ausgaben führen (5). 14 Mit Hilfe des Rechnungswesens können je nach Teilgebiet unterschiedliche Informationen vermittelt werden. Mit einer periodenorientierten Erfolgsrechnung (Gewinn- und Verlustrechnung) wird das Ziel verfolgt, den Adressaten Informationen über die Einkommensentwicklung (d.h. die wirtschaftliche Entwicklung) des gesamten Unternehmens in einer Periode aus handelsrechtlicher Sicht (Einzelabschluss oder Konzernabschluss/ Handelsbilanz I und II) 15 zu geben. Hierbei stehen nicht allein die Geldflüsse, sondern auch Güterbewegungen im Blickpunkt. Für die Ermittlung der Erfolgsbesteuerung wird nicht die Handelsbilanz zu Grunde gelegt, sondern eine sog. Steuerbilanz erstellt. Die Steuerbilanz gleicht im Aufbau der Handelsbilanz, berücksichtigt allerdings spezielle steuerliche Sachverhalte. Darunter fallen beispielsweise steuerliche Abschreibungen, die u.a. aus wirtschaftspolitischen Gründen gewährt werden und entsprechend keinen tatsächlichen Werteverzehr abbilden (s. z.B. § 7 g und h EStG). 16 Bedingt durch den maßgeblichen Einfluss auf die Steuerlast des Unternehmens verwundert es nicht, dass innerhalb der Steuerbilanz ein möglichst geringer Gewinnausweis angestrebt wird. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen kommt es häufig vor, dass lediglich eine Steuerbilanz erstellt wird. 17 Da diese Bilanz hinsichtlich steuerlicher Aspekte optimiert ist, kann es für das bilanzierende Unternehmen durchaus vorteilhaft sein, potenziellen Kreditgebern diese Art der Bilanzpolitik offenzulegen. Damit wird sichergestellt, dass z.B. die Hausbank über die Motivation eines möglichst geringen Gewinnausweises informiert ist und den betreffenden Jahresabschluss entsprechend interpretieren kann. Im Rahmen von zahlungsstromorientierten Liquiditäts-/ Finanzrechnungen wird aufgezeigt, ob die Unternehmung im Zuge ihrer gesamten Geschäftstätigkeit in der Lage ist, fristgerecht die Zahlungsansprüche Dritter bedienen zu können und damit eine Insolvenz (durch Zahlungsunfähigkeit) - Insolvenztatbestände sind Zahlungsunfähigkeit bzw. drohende Zahlungsunfähigkeit sowie bei 14 Vgl. zum Reputationsrisiko https: / / www.controlling-wiki.com/ de/ index.php/ Reputationsrisikomanage ment (abgerufen am 12.2.2018). 15 Zum Unterschied zwischen HB I und HB II vgl. Buchholz, R. (2009), S. 181. 16 Vgl. https: / / www.haufe.de/ unternehmensfuehrung/ profirma-professional/ sonderabschreibungvoraussetzungen-hoehe-und-buchung_idesk_PI11444_HI2808789.html (abgerufen am 12.2.2018). 17 Vgl. Schwamberger, G., http: / / www.di-vis.com/ flycms/ Herausforderungen+fuer+KMU+bei+der+ Jahresabschlusserstellung+durch+BilMoG+-+Teil+I-0137415255.html (abgerufen am 12.2.2018). <?page no="43"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 43 Neue Betriebswirtschaft Kapitalgesellschaften zusätzlich die Überschuldung - zu vermeiden. 18 Zweckmäßige Controllinginstrumente wären hierbei die Liquiditäts-, Kapitalfluss- und Investitionsrechnung. Die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR), ausgestaltet als Planungs-/ Steuerungsbzw. Kontrollrechnung, ist i.d.R. einperiodig auf die sachzielbezogene Geschäftstätigkeit hin orientiert. Im Unterschied zum externen Rechnungswesen wird bei der KLR mit Erlösen und Kosten statt mit Erträgen und Aufwendungen operiert. Die folgende Übersicht zeigt die Systeme des Rechnungswesens: Abbildung 2-2: Systeme des Rechnungswesens. Quelle: Küting, P. / Lorson, P., 1998, S. 484. Die Abbildung 2-3 gibt einen Überblick über die jeweils geeigneten Rechengrößen bei den verschiedenen Teilgebieten des Rechnungswesens. Wie die Abbildung zeigt, werden Auszahlungen, Ausgaben, Aufwendungen und Kosten auf der einen Seite und Einzahlungen, Einnahmen, Erträge und Leistungen auf der anderen Seite unterschieden. Der Zahlungsmittelbestand (Fonds Liquide Mittel), bestehend aus Bargeld und Sichtguthaben bei Banken, wird durch Einzahlungen positiv und durch Auszahlungen negativ verändert. Die Stromgrößenrechnung hierfür wird als Kapitalfluss- oder Geldflussrechnung (Cash Flow-Rechnung) bezeichnet. Werden zum Zahlungsmittelbestand die Forderungen addiert und davon die Verbindlichkeiten abgezogen, so erhält man das Geldvermögen. Die dazugehörigen Stromgrößen heißen „Einnahmen“ und „Ausgaben“. Sie werden in der Finanzrechnung dargestellt. Addiert man zum Geldvermögen das sonstige Vermögen (Sachvermögen und bestimmte Finanzanlagen), so ergibt sich das Nettovermögen oder Reinvermögen. Eine Zunahme des Reinvermögens entsteht im Rahmen der Erfolgsrechnung (GuV) durch Erträge, eine Reduzierung durch Aufwendungen. Zu unterscheiden ist schließlich die Ebene der GuV von der Betriebsergebnisrechnung, die auf die Veränderung des Betriebsnotwendigen Vermögens fokussiert. Hinsichtlich der Stromgrößen wird hier von Kosten und Leistungen gesprochen. 18 Vgl. zu den Insolvenztatbeständen https: / / www.boeckler.de/ pdf/ mbf_rechtsfragen_kapitel7.pdf (abgerufen am 12.2.2018). <?page no="44"?> 44 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-3: Grundbegriffe des Rechnungswesens im Kontext der Leistungserstellung Quelle: Wöltje, J., 2019a, S. 27. Leistungen und Kosten sollen als Erfolgsgrößen das Management (interne Adressaten) bei Entscheidungen unterstützen. Man betrachtet daher in der Kosten- und Leistungsrechnung nur solche Änderungen des Reinvermögens, die betrieblich bedingt sind, d. h. durch die Erfüllung der gewöhnlichen Aufgaben des Betriebs (Herstellung und Absatz von Gütern und Leistungen) verursacht worden sind. Neutrale Aufwendungen und Erträge (z.B. betriebsfremder, außerordentlicher oder periodenfremder Aufwand) werden somit aus der GuV eliminiert. Zudem ist es zweckmäßig, auch Größen im Kalkül zu berücksichtigen, die nicht Ertrag oder Aufwand sind, sog. kalkulatorische Leistungen und Kosten. Letzteres erlangt insbesondere bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften Bedeutung, die Leistungen der Unternehmer/ Gesellschafter für das Unternehmen nicht als Aufwand erfassen können. Kalkulatorische Kosten sind Positionen, die nur innerhalb des internen Rechnungswesens berücksichtigt werden. Dazu zählen z.B. entgangene Zinsen auf das für die Unternehmung eingesetzte Kapital. Würde der Gesellschafter einer GmbH das eingezahlte Stammkapital alternativ z.B. auf einem Tagesgeldkonto anlegen, könnten Zinseinkünfte erzielt werden. Diese entgangenen Zinserträge auf das Eigenkapital eines Unternehmens bezeichnet man als kalkulatorische Zinsen. 19 Analog spricht man von kalkulatorischen Wagnissen für die Vergütung des Risikos der Unternehmenstätigkeit sowie kalkulatorischen Abschreibungen für die, unabhängig von gesetzlichen 19 Vgl. Bleis, C. (2009), S. 19ff. <?page no="45"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 45 Neue Betriebswirtschaft Vorgaben, den tatsächlichen Werteverzehr abbildenden Abschreibungen. Weiterhin sind bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften kalkulatorische Mieten und kalkulatorische Unternehmerlöhne zu berücksichtigen. Bsp. Kalkulatorischer Unternehmerlohn und kalkulatorische Miete Beispielsweise möchte ein Einzelunternehmer für seine Tätigkeit im eigenen Betrieb eine angemessene Entlohnung erzielen. Immerhin hätte er alternativ auch als Angestellter in einer vergleichbaren Managerposition in einem anderen Unternehmen tätig werden können. Würde ein derartiger kalkulatorischer Unternehmerlohn (kalkulatorische Kosten) nicht bei der Preissetzung berücksichtigt, würde der Unternehmer unter Umständen nicht genügend Zahlungsüberschüsse im Monat erwirtschaften, um sich eine angemessene Entlohnung für seine Tätigkeit entnehmen zu können. Stellt ein Einzelunternehmer oder ein Gesellschafter einer Gesellschaft dem Unternehmen Räume oder ein Gebäude unentgeltlich zur Verfügung, dann sollte die dafür ortsübliche Miete als kalkulatorische Miete in die Kostenrechnung einfließen. Damit wird sichergestellt, dass im Falle einer Änderung dieses Umstandes, die Mietkosten auch in der Kalkulation berücksichtigt sind. Aus der folgenden Tabelle gehen die positiven und negativen Stromgrößen als auch die Größen der Bestandsrechnung der in der Tabelle beschriebenen Ebenen (mit deren Rechnungen) hervor: Stromgrößen (Zunahme; +) Stromgrößen (Abnahme; -) Stromgrößenrechnung Bestandsrechnung Einzahlung Auszahlung Liquiditäts-/ Kapitalflussrechnung (KFR) Bargeld + Sichtguthaben = Zahlungsmittelbestand (Liquide Mittel) Einnahme Ausgabe Finanzierungsrechnung Zahlungsmittelbestand + Forderungen - Verbindlichkeiten = Geldvermögen Ertrag Aufwand Erfolgsrechnung (GuV) Geldvermögen + sonst. Vermögen = Nettovermögen (Reinvermögen) Leistung Kosten Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) (Betriebsergebnisrechnung) Reinvermögen - nicht betriebsnotwendiges Vermögen = betriebsnotwendiges Vermögen Abbildung 2-4: Stromgrößen des Rechnungswesens Quelle: Wöltje, J., 2019a, S. 28f.; Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P., 2012, S. 4. Die vier Ebenen überschneiden sich zum Teil, zum Teil aber sind sie auch nicht deckungsgleich (siehe Abbildung 2-5). So gibt es Auszahlungen, die gleichzeitig Ausgaben sind (z.B. Barkauf von Waren), es gibt aber auch Auszahlungen, die keine Ausgaben sind (z.B. Zahlung einer Rechnung über in der Vorperiode gekaufte Waren) sowie Ausgaben, die keine Auszahlungen darstellen (z.B. Zielkauf von Waren). Ausgaben, die gleichzeitig Aufwendungen sind, wären bspw. Kauf von Rohstoffen zum sofortigen Verbrauch in der Produktion. Ausgaben, die keine Aufwendungen sind: Kauf von Rohstoffen auf Lager zum Verbrauch in späteren Perioden. Der Materialverbrauch aus Lagerbeständen wären Aufwendungen, die keine Ausgaben darstellen. Nachfolgend werden weitere Beispiele zu den Begriffsabgrenzungen aufgeführt. 20 20 Quelle: http: / / www.eduhi.at/ dl/ grundbegriffe_RW_fh_wedel.pdf (abgerufen am 3.4.2018) <?page no="46"?> 46 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Auszahlungen Auszahlung ≠ Ausgabe Auszahlung = Ausgabe Ausgabe ≠ Auszahlung Zahlung einer Rechnung über in der Vorperiode gekaufte Rohstoffe Barkauf von Rohstoffen Zielkauf von Rohstoffen Ausgaben Ausgabe ≠ Aufwand Ausgabe = Aufwand Aufwand ≠ Ausgabe Kauf von Rohstoffen auf Lager (Verbrauch in späteren Perioden) Kauf von Rohstoffen zum sofortigen Verbrauch Materialverbauch aus Lagerbeständen Aufwand Aufwendungen, die keine Kosten sind / neutraler Aufwand Zweckaufwand / Grundkosten Kosten, denen kein Aufwand gegenübersteht / Zusatzkosten Betriebsfremder Aufwand (z.B. Spenden) Periodenfremder Aufwand (z.B. Steuernachzahlungen aus früheren Jahren) Außerordentlicher Aufwand (Brandschaden, Veräußerungsverluste von Sachanlagen) Rohstoffeinsatz, Energieaufwendungen, Versicherungsaufwendungen u.v.a. Kalkulatorische Miete und kalkulatorischer Unternehmerlohn Kosten Abbildung 2-5: Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (I) Einzahlungen Einzahlung ≠ Einnahme Einzahlung = Einnahme Einnahme ≠ Einzahlung Zahlung für Erzeugnisse, die in der Vorperiode an den Kunden abgegeben wurden Barverkauf von Erzeugnissen Zielverkauf von Erzeugnissen Einnahmen Einnahme ≠ Ertrag Einnahme = Ertrag Ertrag ≠ Einnahme Anzahlung für Erzeugnisse, die erst in einer späteren Periode erstellt werden Verkauf von Erzeugnissen, die in der Periode erstellt wurden Produktion von Erzeugnissen auf Lager <?page no="47"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 47 Neue Betriebswirtschaft Ertrag Erträge, die keine Leistungen sind/ neutraler Ertrag Zweckertrag / Grundleistung Leistungen, denen kein Ertrag gegenübersteht / Zusatzleistungen Betriebsfremder Ertrag (z.B. Verkauf eines nicht betrieblich genutzten Grundstücks über Buchwert) Periodenfremder Ertrag (z.B. Steuerrückzahlungen) Außerordentlicher Ertrag (z.B. Versicherungsentschädigungen für Brandschaden) Erträge aus betriebsbedingter Tätigkeit (Verkauf von betrieblichen Erzeugnissen) Differenz zwischen Wertansatz für Bestände in Kostenrechnung und Bilanz Leistungen Abbildung 2-6: Begriffsabgrenzungen mit Beispielen (II) Übung: Handelt es sich bei den folgenden Geschäftsvorfällen um Ausgaben, Aufwendungen oder um beides? Geschäftsvorfall Ausgabe/ Auszahlung Aufwand beides a) Lohnzahlung b) Zahlung von Zinsen c) Aufnahme eines Darlehens d) Rückzahlung eines Bankkredits e) Rückzahlung von Eigenkapital an ausscheidenden Gesellschafter f) Buchung einer Rückstellung g) Barankauf von Material h) Abschreibung einer Maschine i) Verarbeitung von aus dem Lager entnommenen Materials 2.2 Inventur, Bilanz und Bilanzaufbau 2.2.1 Inventur und Inventar Jeder Kaufmann hat gem. § 240 I und II HGB zu Beginn seines Handelsgewerbes sowie immer zum Schluss eines jeden Geschäftsjahres (welches 12 Monate nicht überschreiten darf) „seine Grundstücke, seine Forderungen und Schulden, sein bares Geld sowie seine sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen und dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden anzugeben“. <?page no="48"?> 48 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Um ein solches Inventar erstellen zu können, bedarf es vorab der Erfassung der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden im Rahmen einer Inventur. Inventur bedeutet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Wirtschaftsgüter des Unternehmens durch Zählen, Messen oder Wiegen im Rahmen einer körperlichen Bestandsaufnahme unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur (GoI) erfasst werden. Zu den GoI, die sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchhaltung ableiten lassen, zählen die Grundsätze der Vollständigkeit ( → § 246 I HGB), Richtigkeit, Einzelerfassung und Einzelbewertung (Ausnahmen: Fest- und Gruppenbewertung gem. § 240 III u. IV HGB), Nachprüfbarkeit und Klarheit. 21 Die mit der Inventur verbundenen Ziele sind, die tatsächlichen Bestände zu erfassen, Mengen zu kontrollieren und Werte zu überprüfen und mit den Buchbeständen der Konten („der EDV“) abzustimmen und ggf. zu bereinigen. 22 ( → Kontrollfunktion der Inventur). Alle Wirtschaftsgüter, welche nicht physisch ermittelt werden können, wie beispielsweise Forderungen und Verbindlichkeiten, ergeben sich regelmäßig aus den Zahlen in der Buchführung und werden dort entnommen. Die Buchbestände werden dann mit den tatsächlichen Verhältnissen (z.B. durch Saldenbestätigungen) abgeglichen. In diesem Zusammenhang spricht man von einer Buchinventur. Im Rahmen der Inventursysteme wird hinsichtlich des Umfangs der Bestandsaufnahme die vollständige von der Stichprobeninventur (§ 241 I HGB) unterschieden, bzgl. des Zeitpunktes der Bestandsaufnahme wird die klassische bzw. die zeitnahe bzw. ausgeweitete Stichtagsinventur (§ 240 I und II HGB), die zeitlich vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur (§ 241 III HGB) und die permanente Inventur (§ 241 II HGB) differenziert. 23 Nachfolgend ist noch einmal der Weg von der Tätigkeit der Inventur über das Inventar zur Bilanz - auf die wir jetzt näher eingehen wollen - dargestellt. Abbildung 2-7: Von der Inventur zur Bilanz 24 21 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, C. / Oßmann, S. (2012), S. 22. 22 Abweichungen zwischen Buchbestand und Inventur können sich ergeben aus Fehlern bei der Ein- und Auslagerung, aus Buchungsfehlern, aus Alterung und Verderb, Schwund und Diebstahl oder unberechtigten Entnahmen. 23 Vgl. hierzu im Einzelnen https: / / axel-schroeder.de/ die-inventur-arten-durchfuehrung-fallstricke/ (abgerufen am 5.12.2017). 24 Quelle: https: / / www.wiwiweb.de/ externes-rechnungswesen/ buchfuehrung/ bilanz/ gliederung-der-bilanz. html (abgerufen am 3.4.2018) <?page no="49"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 49 Neue Betriebswirtschaft 2.2.2 Bilanzinhalt und Bilanzstruktur Die Bilanz liefert eine „schnelle Übersicht über die am (Inventur-)Stichtag vorhandenen Bestände“. Sie ist eine verdichtete Abschrift des Inventars, dessen Bedeutung dagegen vor allem in der mengenmäßigen (Einzel)Darstellung der im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände und Schulden liegt. 25 In der Bilanz dürfen grundsätzlich nur die Vermögenswerte und Schulden abgebildet werden, welche betrieblich veranlasst sind. Das bedeutet, die Vermögensgegenstände und Schulden müssen zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehören. Vermögenswerte, welche beispielsweise zum Privatvermögen des Unternehmers gehören, dürfen nicht in der Bilanz erscheinen. Die Aktivseite der Bilanz (linke Seite des Bilanzkontos) repräsentiert die Vermögensgegenstände, die sich im wirtschaftlichen Eigentum des Kaufmanns befinden. Anhand der rechten Seite (Passiva) ist zu erkennen, welche Kapitalgeber (Gläubiger: Fremdkapital, Eigentümer: Eigenkapital) die unternehmerische Tätigkeit ermöglichen. Die Aktivseite zeigt also die Mittelverwendung , die Passivseite die Mittelherkunft. Abbildung 2-8: Bilanz - Mittelherkunft und Mittelverwendung Eine Bilanz (ital. bilancia = Balkenwaage) muss stets im Gleichgewicht sein. Die Summe aller Aktiva (Vermögen = Anlagevermögen + Umlaufvermögen) muss der Summe aller Passiva (Kapital = Eigenkapital + Fremdkapital) entsprechen. Vermögen und Kapital müssen der Höhe nach gleich sein, da schließlich alles Vermögen, das ein Unternehmen besitzt, den Mitteln der Eigen- oder Fremdkapitalgeber entstammen muss. Aus diesem Gleichgewicht lässt sich die allgemeine Beziehung Eigenkapital = Vermögen - Fremdkapital ableiten ( → Definition für Reinvermögen). Nach § 247 I HGB sind in der handelsrechtlichen Bilanz das Anlage- und das Umlaufvermögen, das Eigenkapital, die Schulden sowie die Rechnungsabgrenzungsposten gesondert auszuweisen und hinreichend aufzugliedern. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Transparenz werden die Vermögensgegenstände auf der Aktivseite nach dem Grad ihrer Liquidierbarkeit geordnet. Das bedeutet, dass alle Vermögensgegenstände, die sich weniger zeitnah in Barkapital umwandeln lassen, auf der Aktivseite ganz oben stehen, wie beispielsweise Grundstücke und Gebäude. Alle Vermögensgegenstände, welche sich sehr zeitnah in Barliquidität umwandeln lassen, stehen ganz unten auf der Aktivseite. Dies sind vor allem die Guthaben der Kasse und der Bankkonten. Nach § 247 II HGB gehören nur die Gegenstände, die bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen („gebraucht werden“), zum Anlagevermögen. Es setzt sich zusammen aus (1) Immaterielle Vermögensgegenstände: z.B. Konzessionen, derivativer Firmenwert, geleistete Anzahlungen; (2) Sachanlagen: z.B. Grundstücke und Bauten, technische Anlagen und Maschinen, Betriebs- 25 Schneider, W. (2008), S. 47. Aktiva Passiva Mittelherkunft - Eigentümer - Gläubiger Mittelverwendung - Anlagevermögen - Umlaufvermögen <?page no="50"?> 50 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft und Geschäftsausstattung; (3) Finanzanlagen: z.B. Teilhaberpapiere (z.B. Beteiligungen, Anteile an verbundenen Unternehmen) und Gläubigerpapiere (Fremdkapital; befristet, verzinslich). Werden immaterielle Posten entgeltlich erworben, besteht eine Ansatzpflicht. Um einen selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenstand nach § 248 II S. 1 HGB ansetzen zu können, muss der Posten zuerst die Merkmale eines Vermögensgegenstandes 26 aufweisen, insbesondere eigenständige Bewertbarkeit und Verwertbarkeit der aktivierten Aufwendungen, d.h. auf Dritte übertragbar sein. Für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare Vermögensgegenstände des Anlagevermögens besteht nach § 248 II S. 2 HGB ein Aktivierungsverbot. Die Herstellung derartiger immaterieller Vermögensgegenstände ist deshalb stets sofort aufwandswirksam. Während für derivative Geschäfts- / Firmenwerte 27 eine Ansatzpflicht besteht (gesetzliche Fiktion eines Vermögensgegenstandes gem. § 246 I S. 4 HGB), gilt für den originären, d.h. selbst geschaffenen Geschäfts- / Firmenwert - obwohl seine Bestandteile sonstige wirtschaftliche Vorteile darstellen - ein Ansatzverbot. Umlaufvermögen ist die Sammelbezeichnung für Vermögensgegenstände, die nicht dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen („verbraucht werden“) und nicht Posten der Rechnungsabgrenzung sind. Hierzu gehören: Vorräte, Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände, Wertpapiere, Schecks, Kassenbestände, Guthaben bei Kreditinstituten. Wertpapiere gehören nur zum Umlaufvermögen, wenn sie zur Veräußerung oder als kurzfristige Liquiditätsreserve bestimmt sind; andernfalls sind sie im Anlagevermögen auszuweisen. Ob nun z.B. ein Wertpapier im Anlagevermögen oder im Umlaufvermögen bilanziert werden muss, ist von der bei Kauf des Wertpapiers beabsichtigten Haltedauer abhängig. Die Wertpapiere, welche kurz nach Erwerb wieder veräußert werden sollen, werden im Umlaufvermögen bilanziert. Soll das Wertpapier jedoch langfristig dem Betrieb des Unternehmers dienen, wird dieses dem Anlagevermögen zugeordnet. Zum Bilanzstichtag muss der Unternehmer jede einzelne Forderung überprüfen, ob diese noch werthaltig und einbringlich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, muss die Forderung zum Bilanzstichtag in ihrem Wert entsprechend nach unten korrigiert werden. Zur Buchführung verpflichtete Unternehmer dürfen - worauf später noch ausführlicher eingegangen wird - nur die Erträge und Aufwendungen in der Buchführung erfassen, welche in ihrer wirtschaftlichen Verursachung in dem betreffenden Jahr liegen. ( → Grundsatz der periodengerechten Gewinnermittlung, § 252 I Nr. 5 HGB). Gehören Aufwendungen und Erträge teilweise in ein anderes Jahr als das Jahr der Zahlung, so müssen diese anteilig auf die Jahre ihrer wirtschaftlichen Verursachung aufgeteilt werden. Es muss also eine wirtschaftliche Abgrenzung vorgenommen werden. ( → Rechnungsabgrenzungsposten). Die Passivseite der Bilanz zeigt die Schulden und das Eigenkapital des Unternehmers. Das Eigenkapital zeigt das (Rein-)Vermögen, welches sich ergibt, wenn alle Vermögenswerte der Aktivseite aufsummiert und davon die Summe der auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesenen Schulden subtrahiert werden. Im Hinblick auf das Eigenkapital wirken sich bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften neben dem Einfluss des Jahresüberschusses insbesondere die Einlagen und Entnahmen der Eigentümer auf den Endbestand des Eigenkapitals aus. 26 Vgl. hierzu Buchholz, R. (2009), S. 38. Kriterien wären wirtschaftlicher Vorteil, selbständige Bewertbarkeit und selbständige Verwertbarkeit. 27 Sie entstehen, wenn ein ganzes Unternehmen entgeltlich erworben wird und der Kaufpreis den Wert des bilanziellen Eigenkapitals (z.B. aufgrund stiller Reserven oder dem Vorhandensein immaterieller Faktoren) übersteigt. <?page no="51"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 51 Neue Betriebswirtschaft Aktiva Passiva A. Anlagevermögen B. Umlaufvermögen C. Rechnungsabgrenzung D. Aktiver Unterschiedsbetrag aus Vermögensmehrung A. Eigenkapital Anfangsbestand + Einlagen + Jahresüberschuss - Entnahmen = Endbestand B. Fremdkapital C. Rechnungsabgrenzung Mittelverwendung Mittelherkunft Das dargestellte Beispiel zeigt das Eigenkapital für ein Einzelunternehmen bzw. eine Personengesellschaft. Bei Kapitalgesellschaften untergliedert sich das Eigenkapital wie folgt: Aktiva Passiva A. Anlagevermögen B. Umlaufvermögen C. Rechnungsabgrenzung D. Aktive latente Steuern E. Aktiver Unterschiedsbetrag aus Vermögensmehrung A. Eigenkapital Gezeichnetes Kapital Kapitalrücklagen Gewinnrücklagen Gewinnvortrag/ Verlustvortrag Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag B. Fremdkapital C. Rechnungsabgrenzung D. Passive latente Steuern Mittelverwendung Mittelherkunft Das gezeichnete Kapital wird bei Aktiengesellschaften als Grundkapital, bei GmbH als Stammkapital bezeichnet. In die Kapitalrücklage wird bei Aktiengesellschaften vornehmlich das für Aktien über den Nennwert hinausgehende Aufgeld (sog. Agio) eingestellt. Bei GmbH sind z.B. Zuzahlungen von Gesellschaftern in das Eigenkapital (§ 272 HGB) unter den Kapitalrücklagen auszuweisen. Die Verbindlichkeiten werden nach ihrer Laufzeit unterschieden und nach § 266 HGB in die folgenden Einzelpositionen unterteilt: [1] Anleihen [2] Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten [3] Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen [4] Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung [5] Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen [6] Sonstige Verbindlichkeiten (beispielsweise aus Steuern oder sozialer Sicherheit) <?page no="52"?> 52 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Um einen vollständigen Ausweis der Schulden eines Unternehmens sicher zu stellen, sind neben den Verbindlichkeiten, wie z.B. Darlehensverpflichtungen, auch Schulden abzubilden, die zwar wahrscheinlich, hinsichtlich Höhe und / oder Fälligkeitstermin aber noch ungewiss sind. Steht für den Unternehmer vor Erstellung seiner Schlussbilanz auf den 31.12. des jeweiligen Jahres fest, dass er im Folgejahr oder in den Folgejahren mit hoher Wahrscheinlichkeit Zahlungen aus Verpflichtungen zu leisten hat, deren Höhe jedoch zum Bilanzstichtag noch nicht abschließend feststehen, bucht er in der voraussichtlich zu erwartenden Höhe eine Rückstellung in die Bilanz ein. Eine Auswahl derart ungewisser Verpflichtungen ist nachfolgend aufgeführt: bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen Pensionen Drohverluste Garantieleistungen mit rechtlicher Verpflichtung Prozesskosten öffentlich-rechtliche Verpflichtungen Sozialplanverpflichtungen Steuerzahlungen wirtschaftliche Verpflichtungen Garantieleistungen ohne rechtliche Verpflichtung Obwohl über die definitiven Eigenschaften der Schuld also noch keine Gewissheit besteht, gebietet die kaufmännische Vorsicht dennoch die Erfassung über eine Rückstellung. Der Aufwand wird gewissermaßen von der Periode des Mittelabflusses (z.B. Ersatzleistung an den Kunden) in die Entstehungsperiode (z.B. Auslieferung eines fehlerhaften Produkts) vorgezogen. Gewinnrücklagen basieren demgegenüber nicht auf antizipierten Aufwand, sondern auf thesaurierten Gewinnen. Diese, nicht an die Anteilseigner ausgeschütteten, Gewinne verbleiben im Unternehmen und dienen z.B. der Selbstfinanzierung. Neben den offenen Rücklagen, worunter auch die Gewinnrücklagen fallen, gibt es noch sog. stille Rücklagen, die auch als stille Reserven bezeichnet werden. Während die offenen Rücklagen der Bilanz entnommen werden können, entstehen stille Rücklagen durch eine (für Außenstehende nicht ersichtliche) Überbewertung der Schulden bzw. Unterbewertung des Vermögens. Es werden folglich Gewinnbestandteile als Aufwand deklariert, um die entsprechenden finanziellen Gegenwerte im Unternehmen zu binden. Mit Hilfe eines Rechnungsabgrenzungspostens soll eine korrekte Ermittlung des Periodengewinns ermöglicht werden. Dafür müssen die Aufwendungen und Erträge der Periode zugeordnet werden, in der sie verursacht worden sind. Es muss eine periodengerechte Abgrenzung nach § 252 I Nr. 5 HGB stattfinden. (s. dazu Ausführungen w.u. zur periodengerechten Gewinnermittlung). Latente Steuern entstehen immer dann, wenn es in der Handelsbilanz im Vergleich zur Steuerbilanz zu unterschiedlich hohen Ansätzen von Vermögenswerten oder Schulden kommt. Dadurch ergibt sich ein unterschiedlicher Gewinn in beiden Bilanzen. Dieser wird dann durch die Positionen „aktive latente Steuern“ und „passive latente Steuern“ wieder ausgeglichen. 28 28 Vgl. zu einem Beispiel Buchholz, R. (2009), S. 132ff. <?page no="53"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 53 Neue Betriebswirtschaft Für aktive latente Steuern besteht ein Ansatzwahlrecht in der Handelsbilanz. Bei Ausweis unterliegen sie nach § 268 VIII HGB einer Ausschüttungssperre (soweit sie passive latente Steuern übersteigen). Laut § 274 a Nr. 4 HGB sind von dieser Vorschrift lediglich mittlere und große Kapitalgesellschaften betroffen. Nach 274 HGB müssen große und mittelgroße Kapitalgesellschaften passive latente Steuern als solche in der Bilanz ausweisen. Kleine Kapitalgesellschaften sowie Einzelunternehmen und Personengesellschaften haben dem § 249 I HGB folgend passive latente Steuern als Steuerrückstellungen auszuweisen. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Grobstruktur einer Handelsbilanz nach § 266 HGB: Abbildung 2-9: Grobstruktur einer Bilanz nach HGB Die ausführliche Bilanzgliederung, die gem. § 266 HGB für große und mittelgroße Kapitalgesellschaften vorgesehen ist, ist aus der Anlage ersichtlich. Nach § 266 HGB ist die Bilanz in Kontenform zu erstellen. Hierbei ist neben den jeweiligen Posten auch auf die Reihenfolge zu achten. Aber es gibt die Möglichkeit von Erleichterungen, so dass nur eine verkürzte Bilanz zu erstellen ist. Bei der verkürzten Bilanz wird nur bis auf die 2. Ebene unterteilt (Buchstaben sowie römische Zahlen). Die ungekürzte Bilanz enthält in der 3. Ebene eine genauere Unterteilung. 2.2.3 Fallbeispiel zur Gründungsbilanz Wir betrachten die Karl‘s-Horst-GmbH, deren Gesellschafter im Jahr t0 Finanzmittel als Eigenkapital in Höhe von 40.000 € in die Firma einbringen. Zusätzlich nimmt die GmbH noch ein Darlehen in Höhe von 35.000 € bei der OSW-Volksbank eG auf. Mit diesem Kapital finanziert sie den Kauf von Maschinen (Sachanlagen) und Waren, die sie in der nächsten Periode t1 verkaufen möchte. Die Bilanz am 31.12.t0 hat folgendes Aussehen: <?page no="54"?> Neue Betriebswirtschaft Tabelle 2-1: Bilanz am 31.12.t0 (Gründungsbilanz) Aktiva Bilanz 31.12.t0 Passiva Sachanlagen 67.000 € 40.000 € Eigenkapital (EK) Waren 5.000 € 35.000 € Bankdarlehen Kasse 3.000 € - € Bilanzsumme 75.000 € 75.000 € Bilanzsumme Die Liquiden Mittel setzen sich (als sog. „Fonds“) 29 aus der Summe des Kassenbestands, der jederzeit verfügbaren Bankguthaben und evtl. weiterer geldnaher Vermögensgegenstände (z.B. Schecks und kurzläufiger Wertpapiere) zusammen. Jeder Vorgang, bei dem diese Liquiden Mittel zunehmen, ist eine Einzahlung, jeder Vorgang, der zu einer Abnahme dieses Fonds führt, ist eine Auszahlung (s.o. S. 43). Das Geldvermögen wird aus der Summe der Liquiden Mittel, den Forderungen sowie dem sonst. Finanzvermögen (ohne Wertpapiere, die bei dem Fonds der Liquiden Mittel schon zugerechnet wurden) abzüglich dem Fremdkapital (hier: Bankdarlehen) gebildet. Als Einnahme wird jeder Geschäftsvorfall bezeichnet, der zu einer Geldvermögenszunahme und Ausgabe, der zu einer Abnahme führt. Dieses Geldvermögen wird negativ, wenn das Fremdkapital größer ist als die positiven Bestandteile. Bei der Ermittlung von Einnahmen und Ausgaben werden also nicht nur Veränderungen des Bestandes an Zahlungsmitteln berücksichtigt, sondern ebenso Vorgänge, bei denen heute bereits rechtlich ein Anspruch (Forderung) auf den künftigen Erhalt von Finanzmitteln bzw. eine Verpflichtung (Verbindlichkeit) zu einem künftigen Abfluss von Zahlungsmitteln begründet wird (z.B. Zieleinkäufe und Zielverkäufe). Als Netto- oder Reinvermögen wird schließlich die Summe aus Geldvermögen und sonstigen Vermögen bezeichnet. Zum sonstigen Vermögen zählt jenes Vermögen, das in Geldvermögen noch nicht berücksichtigt ist, das wäre Immaterielles Vermögen, Sachanlagevermögen und sonstiges Umlaufvermögen. Zunächst wird von erfolgswirksamen Geschäftsvorfällen abgesehen. In unserem Fall der Karl´s-Horst-GmbH belaufen sich die Liquiden Mittel auf 3.000 €, das Geldvermögen (Kasse - Bankdarlehen) beträgt -32.000 € und das Eigenkapital = Reinvermögen auf 40.000 €. 2.3 Erfolgsunwirksame Geschäftsvorfälle, Veränderung der Bilanz und laufende Kontenbuchhaltung Der Gesetzgeber schreibt zwar keine konkrete Ausgestaltung der Buchführung vor, er hat gleichwohl Rahmenbedingungen genannt, die bei der Buchführung zu beachten sind. So müssen die Bücher nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) geführt werden (§ 238 I S. 1 HGB). Die GoB sind ein „allgemein anerkanntes, über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehendes Ordnungssystem von Regeln, die angeben, wie Bücher zu führen sind und wie die Erstellung des Inventars und des Jahresabschlusses zu erfolgen hat.“ 30 Es werden Dokumentationsgrundsätze (z.B. Belegprinzip; systematischer Aufbau der Buchführung; vollständige und verständliche Auf- 29 Es können auch andere „Fonds“ gebildet werden, z.B. den Fonds der bald verfügbaren Mittel. 30 Scheffler, W. / Köstler, C. / Oßmann, S. (2012), S. 9. 54 Uwe Christians <?page no="55"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 55 Neue Betriebswirtschaft zeichnung der Geschäftsvorfälle; Aufbewahrungsfristen gem. § 257 I HGB), Systemgrundsätze (Going concern-Prinzip; Grundsatz der Einzelerfassung und -bewertung; Pagatorikprinzip), das Vorsichtsprinzip i.w.S. und Rahmengrundsätze unterschieden. 31 Die Buchführung muss danach so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 I S. 2 HGB). Des Weiteren müssen sich die Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung nachvollziehen lassen (§ 238 I S. 3 HGB). Und zwar gem. § 239 I HGB in einer „lebenden Sprache“. Gem. § 239 II HGB sind die Eintragungen in die Handelsbücher vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet durchzuführen. Nach § 239 III HGB muss der ursprüngliche Inhalt feststellbar bleiben. Die Rahmengrundsätze lassen sich differenzieren in den Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit, der Richtigkeit (Bilanzwahrheit), der Vollständigkeit, der Vergleichbarkeit (Bilanzidentität, Bilanzstetigkeit) und der Wirtschaftlichkeit (Wesentlichkeit, Relevanz). 32 Jeder Geschäftsvorfall ist im Rahmen der handelsrechtlichen Buchführungspflicht zu dokumentieren (§§ 238-263 HGB). Geschäftsvorfälle können entweder gleichzeitig auf der Aktivsowie der Passivseite der Bilanz oder nur auf einer der beiden Seiten Veränderungen hervorrufen. Jede Verbuchung eines Geschäftsvorfalles verändert die Bilanzstruktur. 2.3.1 Vier Grundtypen der Bilanzveränderung am Fallbeispiel In Abhängigkeit davon, welche Bilanzseiten verändert werden, wird zwischen vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen unterschieden. Im Falle des Aktivtauschs / Passivtauschs vergrößert sich ein Aktivposten / Passivposten, ein anderer verringert sich. Bei einer Bilanzverlängerung vergrößern sich Aktiv- und Passivposten zugleich, während dies bei einer Bilanzverkürzung umgekehrt ist: Aktivposten Passivposten Bilanzsumme Aktivtausch + unverändert unverändert Passivtausch unverändert + unverändert Bilanzverlängerung + + + Bilanzverkürzung - - - Abbildung 2-10: Vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen Im Folgenden wurden die vier typischen GF beispielhaft dargestellt. Zunächst noch einmal die Anfangsbilanz zum 1.1.t1: Tabelle 2-2: Beispiel Anfangsbilanz 1.1.t1 Aktiva Anfangsbilanz 1.1.t1 Passiva Sachanlagen 67.000 € 40.000 € Eigenkapital Waren 5.000 € 35.000 € Bankdarlehen Kasse 3.000 € - € Bilanzsumme 75.000 € 75.000 € Bilanzsumme 31 Vgl. ebd. S. 10 32 Vgl. ebd. S. 11. <?page no="56"?> 56 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Im ersten GF (Aktivtausch) wurden aus der Kasse auf das Bankgirokonto 2.500 € eingezahlt. Der Buchungssatz lautet: GF 1: Bankkonto an Kasse 2.500 € Der zweite GF (Aktiv-Passiv-Mehrung/ Bilanzverlängerung) werden Waren für 3.500 € auf Kredit eingekauft (Gegenkonto: Verb. aus Lieferungen und Leistungen). GF 2: Waren an Verb. LuL 3.500 € Im dritten GF (Aktiv-Passiv-Minderung / Bilanzverkürzung) werden 2.000 € per Bank zurückgezahlt, wodurch sich die Verb.LuL verringern. GF 3: Verb. LuL an Bank 2.000 € Schließlich werden im vierten GF (Passivtausch) die Verb. LuL in Bankdarlehen umgewandelt. GF 4: Verb. LuL an Darlehen 1.500 €. Auf der linken Seite ist die jeweilige Bilanz nach den Geschäftsvorfällen (GF) zu finden. Auf der rechten Seite wird parallel noch einmal die Bilanz abgetragen. Es wird dort jedoch dargestellt, welchen Stand die Liquiden Mittel, das Geldvermögen und das Reinvermögen nach den jeweiligen GF aufweisen. Die GuV wurde hier noch nicht berührt, weil es sich jedes Mal um erfolgsunwirksame GF handelte. Deshalb hat sich auch das Reinvermögen in keinem der Fälle geändert. Tabelle 2-3: Beispiel Bilanzen: vier klassische Geschäftsvorfälle Aktiva Bilanz (GF1) Passiva GF 1 (Aktivtausch) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 3.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 5.000 € 35.000 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 2.500 € Fremdkapital (-/ +) 35.000 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 32.000 € BS 75.000 75.000 BS sonst. Vermögen (+/ -) 72.000 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.000 € Aktiva Bilanz (GF2) Passiva GF 2 (A-P-Mehrung) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 3.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 8.500 € 35.000 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 2.500 € 3.500 € Verb. LuL Fremdkapital (-/ +) 38.500 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 35.500 € BS 78.500 78.500 BS sonst. Vermögen (+/ -) 75.500 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.000 € <?page no="57"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 57 Neue Betriebswirtschaft Aktiva Bilanz (GF 3) Passiva GF 3 (A-P-Minderung) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 1.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 8.500 € 35.000 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 500 € 1.500 € Verb. LuL Fremdkapital (-/ +) 36.500 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 35.500 € BS 76.500 76.500 BS sonst. Vermögen (+/ -) 75.500 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.000 € Aktiva Bilanz (GF 4) Passiva GF 4 (Passivtausch) Bilanz Liquide Mittel (+/ -) 1.000 € Sachanlagen 67.000 € 40.000 € EK sonst. Finanzvermögen (+/ -) 0 Waren 8.500 € 36.500 € Darlehen Forderungen (+/ -) 0 Bank 500 € - € Verb. LuL Fremdkapital (-/ +) 36.500 € Kasse 500 € - € = Geldvermögen - 35.500 € BS 76.500 76.500 BS sonst. Vermögen (+/ -) 75.500 € = Nettovermögen / Reinvermögen 40.0 € BS = Bilanzsumme 2.3.2 Auflösung der Bilanz in Konten Jeder GF wirkt sich auf die Höhe und die Zusammensetzung des Unternehmensvermögens und / oder des Kapitals aus und führt damit zu einer Veränderung einzelner Bilanzpositionen. Prinzipiell müsste die Bilanz ständig geändert werden, um die tatsächliche Lage des Unternehmens darzustellen. Da die Bilanz nur zu Beginn eines Handelsgewerbes sowie für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres aufzustellen ist (§ 242 I S. 1 HGB) und die permanente Bilanzfortschreibung unübersichtlich und unpraktikabel ist, werden die Geschäftsvorfälle auf besonderen „Verrechnungsstellen“, den (Bestands-)Konten, erfasst. 33 Die Bilanz selbst bleibt von den laufenden GF unberührt und erst zum Geschäftsjahresende aufgrund des zu diesem Zeitpunkt zu erstellenden Inventars (neu) aufgestellt. Die beiden Seiten des Kontos werden mit Soll (S; linke Seite) und Haben (H; rechte Seite) bezeichnet. Anm.: Die Bezeichnungen Soll und Haben sind historisch und wurden willkürlich gewählt. Sie haben nichts mit den Verben sollen oder haben zu tun. 34 Wenn nun für jede aktive und passive Position aus der Bilanz mindestens ein eigenes Unterkonto eröffnet wurde, können für alle Geschäftsvorfälle, die unterjährig im Unternehmen stattfinden, die 33 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 37. 34 Vgl. Nickenig, K. (2016), S, 52. <?page no="58"?> 58 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft jeweiligen Buchungssätze gebildet werden. Diese werden dann unterjährig auf den einzelnen Konten verbucht. Ein Buchungssatz besteht immer (mindestens) aus einer Sollbuchung und einer Habenbuchung (es können jedoch, z.B. bei Berücksichtigung von Geschäftsvorfällen mit Umsatzsteuerpflicht, weitere Konten hinzukommen). „Buchungsregel 1: Habe ich ein aktives Bestandskonto, welches mehr wird, so buche ich dieses im Soll. Buchungsregel 2: Habe ich ein passives Bestandskonto, welches mehr wird, so buche ich dieses im Haben. Buchungsregel 3: Habe ich ein aktives Bestandskonto, welches weniger wird, so buche ich dieses im Haben. Buchungsregel 4: Habe ich ein passives Bestandskonto, welches weniger wird, so buche ich dieses im Soll.“ 35 Durch die Formulierung von Buchungssätzen werden Geschäftsvorfälle in eindeutiger Weise in zeitlicher Reihenfolge im Grundbuch (Journal) festgehalten. Anschließend erfolgt eine Übertragung in das Hauptbuch, in welchem die Geschäftsvorfälle nach sachlichen Kriterien den betroffenen Konten zugeordnet werden. Abbildung 2-11: Organisation der Buchführung Quelle: in Anlehnung an Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P., 2012, S. 9. Bestandskonten werden oft weiter untergliedert, es werden insbesondere aus Gründen der besseren Überwachung von Zahlungsvorgängen für die einzelnen Kunden und/ oder Lieferanten Nebenbücher in Form von personenspezifischen Konten geführt (Nebenbuchhaltung in Form der Kontokorrentbuchhaltung; Debitoren- und Kreditorenkonten). 36 Weitere Nebenbuchhaltungen sind oft das Anlagenverzeichnis, die Lohn- und Gehaltsbuchhaltung, das Wareneingangsbuch. 35 Geismann, U. (2017), S. 55f. 36 Vgl. hierzu Schneider, W. (2008), S. 97f. Grundbuch Hauptbuch Nebenbücher Belege Datum Text Soll Haben ..... Bestandskonten Erfolgskonten Bilanzbuch <?page no="59"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 59 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-12: Auflösung der Bilanz in Konten 2.3.3 Eröffnungsbuchungen über ein Eröffnungsbilanzkonto (EBK) Die buchhalterischen Aufzeichnungen eines Geschäftsjahres beginnen mit einer Eröffnungsbilanz (=Anfangsbilanz bei bereits bestehenden Unternehmen) und enden mit einer Schlussbilanz, die gemäß des Grundsatzes der Bilanzidentität (§ 252 I Nr. 1 HGB) wiederum Ausgangspunkt für die Anfangsbilanz der nächsten Periode ist. Die Buchführung bedient sich zur Darstellung der interperiodischen Veränderungen der in der Anfangsbilanz aufgeführten Vermögens- und Kapitalpositionen der doppelten Buchführung. Sie ist - wie schon erwähnt - dadurch charakterisiert, dass jede Buchung eine Gegenbuchung erfordert, also jeweils zwei Konten angesprochen werden. Bei der Auflösung der Eröffnungs-/ Anfangsbilanz in Konten werden zu Beginn des Geschäftsjahres die Anfangsbestände der einzelnen Bilanzpositionen auf die entsprechenden aktiven Bestandskonten (Vermögenspositionen) bzw. passiven Bestandskonten (Kapitalpositionen) gebucht Soll Haben Kasse (AB ) € Soll Haben Waren (AB ) € Soll Haben Maschinen (AB ) € Soll Haben EK (AB ) € Soll Haben Darlehen (AB ) € Aktiva Passiva Bilanz Geschäftsausstattung Waren Kasse Eigenkapital Verbindlichkeiten Bilanzsumme Bilanzsumme <?page no="60"?> 60 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft (s. Abb. 2-11). Aus rein formalen Gründen wird das Eröffnungsbilanzkonto, ein technisches Hilfskonto, das die Anfangsbestände der Eröffnungsbilanz übernimmt, herangezogen. 37 Die Anfangsbestände sind auf den aktiven Bestandskonten stets im Soll zu nennen. Korrespondierend werden die Anfangsbestände der passiven Bestandskonten auf der Habenseite ausgewiesen. Bildet man das Eröffnungsbilanzkonto (EBK) als T-Konto ab, so entsteht eine seitenverkehrte Eröffnungsbilanz. Das EBK dient insbesondere der Kontrolle, ob alle Anfangsbestände der Eröffnungsbilanz auf Bestandskonten verbucht wurden. Das EBK darf keinen Saldo aufweisen, d.h. die Sollseite muss betragsmäßig mit der Habenseite übereinstimmen. Eröffnungsbuchungen: Aktivkonto a n EBK bzw. EBK a n Pa ssivkonto Tabelle 2-4: Beispiel - Eröffnungsbuchungen 1.1.t1 Soll EBK Haben EK 40.000 € Maschinen 67.000 € Bankdarlehen 35.000 € Waren 5.000 € 75.000 € Kasse 3.000 € 75.000 € Soll Kasse Haben Soll Eigenkapital Haben AB) 3.000 € AB) 40.000 € Soll Waren Haben Soll Bankdarlehen Haben AB) 5.000 € AB) 35.000 € Soll Maschinen Haben AB) 67.000 € 2.3.4 Laufende Buchungen Für jede Bilanzposition wird also mindestens ein Konto eingeführt. Es handelt sich um Bestandskonten, weil sie Bestände der unterschiedlichen Bilanzpositionen wiedergeben. Bei Aktivkonten werden die Anfangsbestände und Zugänge (= Erhöhungen des Anfangsbestandes) im Soll, die Abgänge (= Minderungen des Anfangsbestandes) und der Endbestand im Haben gebucht. Bei den Passivkonten ist dies genau spiegelverkehrt: Die Anfangsbestände und Zugänge auf der Habenseite, die Abgänge auf der Sollseite und der Endbestand als Saldo wird auf der Sollseite gebucht. (s. Abb. 2-12). 37 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 49. <?page no="61"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 61 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-13: Aktivische und passivische Bestandskonten - Buchung von Anfangsbeständen, Zugängen, Abgängen und Endbeständen Die Buchungssätze der vier Geschäftsvorfälle lauten wie folgt: 1) Bank an Kasse 2.500 € 2) Waren an Verb. LuL 3.500 € 3) Verb. LuL an Bank 2.000 € 4) Verb.LuL an Bankdarlehen 1.500 € Bilanz Aktiva Passiva Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben Soll Haben AB AB AB AB AB AB AB AB +Zugänge +Zugänge +Zugänge +Zugänge +Zugänge +Zugänge - Abgänge - Abgänge - Abgänge - Abgänge EB EB <?page no="62"?> 62 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Das folgende Tabellenbild zeigt die relevanten Konten und deren Veränderungen (Zugänge / Abgänge) im Zusammenhang mit den vier typischen Geschäftsvorfällen: Tabelle 2-5: Beispiel - Die vier typischen Geschäftsvorfälle auf Hauptbuchkonten Aktivtausch Soll Kasse Haben Soll Bank Haben AB) 3.000 € 1) 2.500 € AB) 0 € 1) 2.500 € Bilanzverlängerung Soll Waren Haben Soll Verb. LuL Haben AB) 5.000 € AB) - € 2) 3.500 € 2) 3.500 € Bilanzverkürzung Soll Verb. LuL Haben Soll Bank Haben AB) - € AB) - € 3) 2.000 € 3) 2.000 € 2) 3.500 € 1) 2.500 € Passivtausch Soll Bankdarlehen Haben Soll Verb. LuL Haben AB) 35.000 € 3) 2.000 € AB) - € 4) 1.500 € 4) 1.500 € 2) 2.500 € 2.3.5 Behandlung der Umsatzsteuer 38 Das Grundprinzip der Umsatzsteuer liegt darin, dass ein umsatzsteuerpflichtiger Unternehmer, der etwas („Lieferung oder sonstige Leistung“) gegen Entgelt verkauft, Umsatzsteuer hinzurechnen und „kassieren“ muss. Die Umsatzsteuer hat er dann an das Finanzamt abzuführen. Der private Endkunde ist nicht zum Abzug der Umsatzsteuer berechtigt und somit nach dem Gesetz derjenige, der die Steuerlast tragen soll. Die (vorsteuerabzugsberechtigten) Unternehmen sollen prinzipiell nicht durch die Steuer belastet werden. Allerdings trifft sie der Verwaltungsaufwand für die Erhebung der Steuer. Die von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Umsatzsteuer wird als Vorsteuer, die vom Unternehmer selbst in seinen Rechnungen ausgewiesene Steuer wird als Umsatzsteuer bezeichnet. Im Rahmen der Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung errechnet der Unternehmer seine zu zahlende Umsatzsteuer oder sein Vorsteuerguthaben selbst. Ist die vereinnahmte Umsatzsteuer höher als die gezahlte Vorsteuer, ergibt sich für den Unternehmer eine Zahllast, die er an das Finanzamt ab- 38 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 106ff. <?page no="63"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 63 Neue Betriebswirtschaft führen muss. Ist die Vorsteuer höher als die Umsatzsteuer, ergibt sich ein Vorsteuerguthaben für den Unternehmer. Neben dem Steuersatz von 19 Prozent gibt es noch den Steuersatz von 7 Prozent. Umsatzsteuer und Vorsteuer sind beim Unternehmer als durchlaufende Posten erfolgsneutral zu behandeln. Im Rahmen der Buchführung werden die Konten, die die Umsatzsteuer betreffen, gesondert verbucht (s. Abb. 2-13). Ein umsatzsteuerpflichtiger Unternehmer kauft Produkt für 1.000 € zzgl. 190 USt und verkauft es an einen anderen umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer für 1.500 €, so wird dem Abnehmer noch die Umsatzsteuer in Höhe von 19 % USt = 285 € auf den Kaufpreis aufgeschlagen. Die Differenz zwischen erhaltener Umsatzsteuer über 285 € und gezahlter Umsatzsteuer (Vorsteuer) von 190 €, also 95 € in diesem Fall, bezeichnet man als Umsatzsteuer-Traglast. Diese schuldet U1 seinem Finanzamt. Abbildung 2-14: Umsatzsteuersystem im Inland <?page no="64"?> 64 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Wenn durch Rabatte, Skonti oder Boni der Rechnungsbetrag gemindert wird, muss der Unternehmer nachträglich auch die Vorsteuer bzw. die Umsatzsteuer aus dieser Rechnung korrigieren. 39 2.3.6 Abschlussbuchungen Am Jahresende müssen für alle aktiven und passiven Bestandskonten die Salden ermittelt werden. Diese Salden werden dann in das so genannte Schlussbilanzkonto (SBK) gebucht. Buchungssätze: SBK a n Aktivkonten bzw. Pa ssivkonten a n SBK Abbildung 2-15: Zusammenfassung der (Bestands-)Konten zur Bilanz 39 Vgl. hierzu ausführlich Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 142 ff. Soll Haben Kasse (AB ) € Soll Haben Waren (AB ) € Soll Haben Maschinen (AB ) € Soll Haben EK (AB ) € Soll Haben Darlehen (AB ) € Aktiva Passiva Bilanz Geschäftsausstattung Waren Kasse Eigenkapital Verbindlichkeiten Bilanzsumme Bilanzsumme (EB ) € (EB ) € (EB ) € (Zugänge) € (Zugänge) € (Zugänge) € (Abgänge) € (Abgänge) € (Abgänge) € (Zugänge) € (Zugänge) € (Abgänge) € (Abgänge) € (EB ) € (EB ) € <?page no="65"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 65 Neue Betriebswirtschaft Der Unterschied zwischen Schlussbilanzkonto und der Schlussbilanz besteht darin, dass die Seiten der Schlussbilanz als Aktivseite und Passivseite und die Seiten des Schlussbilanzkontos mit Soll und Haben bezeichnet werden. Die Schlussbilanz kann Positionen des SBK zusammenfassen. Tabelle 2-6: Beispiel Abschlussbuchungen Geschäftsjahresende t1 Soll Maschinen Haben Soll EK Haben AB) 67.000 € SBK 67.000 € SBK 40.000 € AB) 40.000 € 67.000 € 67.000 € 40.000 € 40.000 € Soll Waren Haben Soll Bankdarlehen Haben AB) 5.000 € SBK 36.500 € AB) 35.000 € 2) 3.500 € SBK 8.500 € 4) 1.500 € 8.500 € 8.500 € 36.500 € 36.500 € Soll Bank Haben AB) - € 3) 2.000 € Soll Verb. LuL Haben 1) 2.500 € SBK 500 € 3) 2.000 € AB - € 2.500 € 2.500 € 4) 1.500 € 2) 3.500 € SBK - € Soll Kasse Haben 3.500 € 3.500 € AB) 3.000 € 1) 2.500 € SBK 500 € 3.000 € 3.000 € Aus den Abschlussbuchungen entsteht das Schlussbilanzkonto zum 31.12.t1: Tabelle 2-7: Beispiel - SBK am 31.12.t1 Soll SBK 31.12.t1 Haben Maschinen 67.000 € 40.000 € Eigenkapital Waren 8.500 € 36.500 € Bankdarlehen Bank 500 € 0 € Verb. LuL Kasse 500 € Summe 76.500 € 76.500 € Summe <?page no="66"?> 66 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Zusammenfassend: Die Gegenkonten für Anfangs- und Schlussbestände bei Bestandskonten: Die folgende Ablaufschaubild zeigt noch einmal übersichtlich den Weg von der Eröffnungs-/ Anfangsbilanz über das EBK, die laufenden Buchungen auf den Bestandskonten, zu den Abschlussbuchungen: Eröffnungsbilanz EBK Eröffnungsbuchungen o Aktivkonten o Passivkonten Laufende Buchungen Abschlussbuchungen SBK Schlussbilanz Abbildung 2-16: Ablauf der Buchungen von der Eröffnungsbilanz zur Schlussbilanz Wie aus dem Beispiel ersichtlich wird, erfolgt durch die hier durchgeführten Buchungen auf Bestandskonten nur eine Vermögensumschichtung. Das Eigenkapital blieb in jedem Fall unverändert. Es wurde mithin weder ein negativer noch ein positiver Unternehmenserfolg erzielt. Geschäftsvorfälle, die das Eigenkapital (oder das Reinvermögen) nicht berühren (also weder positiv noch negativ verändern), werden als erfolgsneutrale Buchungsvorgänge bzw. erfolgsneutrale Geschäftsvorfälle bezeichnet. Im nächsten Abschnitt werden betriebliche Vorgänge dargestellt, die zu einer Mehrung oder Minderung des Eigenkapitals (= erfolgswirksame Buchungsvorgänge) führen. 2.4 Eigenkapitalkonto und dessen Veränderung, Verbuchung erfolgswirksamer Geschäftsvorfälle und Erfolgsrechnung 2.4.1 Eigenkapitalkonto und dessen Veränderung Die bisher verbuchten und als erfolgsneutral charakterisierten Geschäftsvorfälle führten nur zu Bestandsänderungen beim Vermögen bzw. bei den Schulden, nicht jedoch zu Veränderungen des Eigenkapitals bzw. des Eigenkapitalkontos. Die betrachteten Geschäftsvorfälle waren mithin erfolgsunwirksam, d. h. der Betrieb verbuchte weder Gewinn noch Verlust. Der Erfolg wird dabei am Eigenkapital (EK) gemessen, wobei der Begriff „Erfolg“ als Oberbegriff für „Gewinn und Verlust“ steht. •Seitenverkehrte Darstellung der Eröffnungsbilanz: • Bestände der Aktivseite auf der Habenseite • Bestände der Passivposten auf der Sollseite Eröffnungsbilanzkonto ( EBK ) •Weist nach Einbuchung der Salden den gleichen Aufbau wie die Schlussbilanz auf Schlussbilanzkonto ( SBK ) <?page no="67"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 67 Neue Betriebswirtschaft Im Folgenden soll zunächst das Eigenkapitalkonto betrachtet werden. Die Höhe des Eigenkapitalkontos resultiert aus der Differenz zwischen Vermögen und Fremdkapital. Die Bestandsposition „Eigenkapital“ umfasst diejenigen Mittel, die die Eigentümer der Unternehmung (Betriebssphäre) durch Zuführung von außen (Privatsphäre) oder durch Ausschüttungsverzicht zur Verfügung stellen. Geschäftsvorfälle, die bilanziell eine Wirkung als Aktiv-Passiv‐Mehrung, Aktiv‐Passiv‐Minderung oder Passiv‐Tausch haben, können dabei die Bestandshöhe des Eigenkapitals beeinflussen. Abbildung 2-17: Veränderung des Eigenkapitals Das Eigenkapital wird durch erfolgswirksame Vorgänge, verbucht auf den Aufwands- und Ertragskonten, verändert, die in der GuV zusammengefasst und als Saldo in das EK-Konto übertragen werden. Darüber hinaus verändert sich das Eigenkapital, wenn dem Unternehmen von außen „etwas“ als Einlagen (z.B. bei Eintritt eines neuen Gesellschafters in die GmbH) hinzugefügt oder „etwas“ entnommen wird (z.B. Gewinnausschüttungen an die Anteilseigner). Entnahmen und Einlagen stellen dabei erfolgsneutrale Vorgänge dar. Abbildung 2-18: Veränderung des Eigenkapitalkontos Vermögen Eigenkapital Fremdkapital Δ Eigenkapital Δ Eigenkapital = = Gewinn oder Verlust Erträge - Aufwendungen + / - Einlagen / Entnahmen GuV Bilanz Aktiva Passiva Veränderung des Eigenkapitals erfolgsneutrale Veränderung / Privatkonto Einlagen Entnahmen erfolgswirksame Veränderung / GuV-Konto Erträge Aufwendungen <?page no="68"?> 68 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft 2.4.2 EK-Veränderung durch Einlagen/ Entnahmen; Kapitalerhöhung und -herabsetzung Beim Einzelkaufmann gibt es in der Buchhaltung nur ein Eigenkapitalkonto, das nach oben und unten voll variabel ist. Das Privatkonto wird als Unterkonto des EK-Kontos geführt. Die OHG - als Idealtypus einer Personengesellschaft - hat mindestens zwei unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftende Gesellschafter. In der Buchhaltung werden darum für jeden Gesellschafter ein eigenes Kapitalkonto sowie ein eigenes Privatkonto (als Unterkonto zum jeweiligen EK-Konto) geführt. 40 Das Kapitalkonto kann nochmals in ein festes und ein variables Konto unterteilt werden, um die Veränderungen des veränderlichen Teils des EK-Anteils jedes Gesellschafters festzuhalten. 41 Während bei Einzel- und Personenunternehmen Übertragungen aus dem Privatvermögen in das Betriebsvermögen als Einlagen bezeichnet werden, heißen sie bei Kapitalgesellschaften Kapitalerhöhungen. Entnahmen liegen dann vor, wenn ein Gesellschafter des Unternehmens Geld, Nutzungen oder Sachgüter in sein Privatvermögen überführt oder private Ausgaben über ein betriebliches Geldkonto bezahlt. Bei Kapitalgesellschaften werden die Entnahmen als Gewinnausschüttungen oder als Kapitalherabsetzungen bezeichnet. 42 Bei Kapitalgesellschaften gibt es kein „einfaches“ EK-Konto, sondern es ist in verschiedene Eigenkapitalpositionen unterteilt. Das „Gezeichnete Kapital“ („Stammkapital“ bei GmbHs; „Grundkapital“ bei AGs) stellt das feste Kapital dar, das den Nennwert der ausgegebenen Anteile widerspiegelt. Eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals ist z.B. bei einer AG nur durch Emission neuer Aktien möglich. Sollte sich bei der Ausgabe neuer Aktien ein Agio / Aufgeld ergeben, dann wäre dies der Kapitalrücklage zuzuweisen. Bei den Rücklagen handelt es sich nicht um Zahlungsmittel, wie oft fälschlich vermutet wird. Denn die Kapitalrücklage kann auf der Aktivseite für diverse Zwecke verwendet werden, so z.B. für Investitionszwecke in Anlagen, natürlich kann sie auch in der Kasse verbleiben, was dauerhaft jedoch ökonomisch kaum nachvollziehbar wäre. Wurde ein Jahresüberschuss erzielt, so wird der Saldo des GuV-Kontos zunächst auf das EK- Konto Jahresüberschuss gebucht. Damit aus dem Gewinn bei einer Kapitalgesellschaft ( → eigene Rechtspersönlichkeit) eine Dividende an die Gesellschafter werden kann, muss die Gesellschafterversammlung über die Gewinnverwendung beschließen. Zu Beginn des neuen Geschäftsjahres erfolgt daher zunächst eine Umbuchung auf das Konto Gewinnverwendung (Unterkonto des EK- Kontos). Dieses Konto wird aufgelöst, nachdem die Gesellschafterversammlung über die Gewinnverwendung entschieden hat. Werden die Gewinne der abgelaufenen oder früheren Perioden nicht ausgeschüttet bzw. nicht voll ausgeschüttet, so fließen die thesaurierten Gewinnbestandteile in die Gewinnrücklage. Wird der Gewinn in voller Höhe einbehalten, so findet ein Passivtausch statt. Das Konto Gewinnverwendung verringert sich um den Thesaurierungsbetrag, das Konto Gewinnrücklagen nimmt um diesen Betrag zu. Erfolgt hingegen eine vollständige Ausschüttung, so handelt es sich um eine Bilanzverkürzung. Sollte über die Gewinnverwendung nicht entschieden worden sein, so wird der Posten Gewinnvortrag/ Verlustvortrag (§ 266 III A. IV HGB) bebucht. 43 Bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften gibt es - wie zuvor gezeigt - keine Gewinnbzw. Kapitalrücklagen. Bei den Privatentnahmen oder unentgeltlichen Wertabgaben (früher: Eigenverbrauch) handelt es sich um Entnahmen von Gütern, Leistungen oder Geld aus dem unternehmerischen Bereich für den nicht- 40 Vgl. Kudert, S. / Sorg, P. (2011), S. 188. 41 Vgl. ebd., S. 188. 42 Vgl. ebd., S. 185. 43 Vgl. ebd. 190f. <?page no="69"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 69 Neue Betriebswirtschaft unternehmerischen Bereich. Das Konto gehört zu den Unterkonten des Eigenkapitals und wird auch per Saldo hierüber abgeschlossen. Bei der reinen Geldentnahme, d. h. betriebliches Geld wird in die private Sphäre durch Entnahme transferiert, fällt keine Umsatzsteuer an. Es handelt sich um einen nicht steuerbaren Vorgang. Grundsätzlich werden betriebliche Gegenstände, die mit Umsatzsteuer eingekauft wurden, vom vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer unter Abzug der Vorsteuer in der Buchführung erfasst. Dies ist in den Fällen möglich, wo der Unternehmer weiß, dass er den Gegenstand für betriebliche Zwecke benötigt: entweder nutzt er diesen selbst (z. B. Maschine) oder er verkauft ihn. Sofern aber der Gegenstand nach Erfassung in der Buchführung unter Abzug der Vorsteuer vom Unternehmer für private Zwecke entnommen wird, ist hier ein fiktiver (unterstellter) Verkauf anzunehmen und zu buchen. 2.4.3 Erfolgswirksame Geschäftsvorfälle Wir werden in unserem Beispielunternehmen zunächst davon ausgehen, dass es Handel betreibt, also Waren einkauft, diese wieder verkauft und dadurch einen Warenrohgewinn erzielt. Darüber hinaus produziert und verkauft diese Firma auch Erzeugnisse. Außerdem tätigt sie die gewöhnlichen Auszahlungen wie Gehaltszahlungen, Miete und Zinsen. Die Investitionen und Finanzierungsvorgänge wurden in t0 bereits vorgenommen. Die typischen Wertbewegungen in der Bilanz eines Produktionsbetriebes kann man wie nachfolgend gezeigt charakterisieren: Abbildung 2-19: Geschäftsprozesse in Handel und Industrie (vereinfachte Darstellung) und Wertbewegungen in der Bilanz 44 . Quelle: Reichhardt, M., 2017, S. 148. In der betrieblichen Praxis wie auch in der handelsrechtlichen Definition des Jahresabschlusses gem. § 242 III HGB stehen die Bilanz und die Erfolgsrechnung (GuV) und damit das zweiteilige ReWe im Vordergrund der Betrachtung. Während der Bilanzgewinn in der Bilanz die Veränderung des Eigenkapitals bzw. die Veränderung der Finanzierungsstruktur eines Unternehmens mit erklären hilft, zeigt die Erfolgsrechnung (GuV) durch Gegenüberstellung der Erträge und Aufwendungen auf, wie dieser Jahresüberschuss oder Jahresfehlbetrag zustande gekommen ist. 45 44 Ein Ertrag ist bilanztechnisch ebenfalls eine Aktiv-Passiv-Mehrung und ein Aufwand ist eine Aktiv-Passiv- Minderung. Anm.: RHB = Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. 45 Vgl. Auer, K. (2000), S. 21f. Eigenu. Fremdkapital aufnehmen (Bilanzverlängerung) RHB und Waren einkaufen (möglich: Aktivtausch, Bilanzverlängerung oder Bilanzverkürzung) RHB bei der Produktion verbrauchen (Aufwand) Gehälter, Miete und Zinsen zahlen (Aufwand) Fertige Produkte und Waren verkaufen (Ertrag) <?page no="70"?> 70 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Aufwendungen stellen den gesamten Werteverzehr an Gütern, Dienstleistungen und Abgaben dar, die zu einer Verminderung eines Vermögenspostens (z.B. RHB, Maschinen, Bankguthaben) führen und somit schließlich zu einer Eigenkapitalverminderung. Typische Aufwandsposten sind Verbrauch von Roh‐, Hilfs‐ und Betriebsstoffen (RHB‐Stoffe), Büromaterialverbrauch, Weiterverarbeitung von Vorprodukten und Fremdteilen, Fahrzeugkosten, Porto und Telefon, Personalaufwand (Löhne, Gehälter, Sozialabgaben etc.) 46 , Zinsaufwand (Kredit‐ und Überziehungszinsen), Mietaufwand (Mietzahlungen für gemietete Räumlichkeiten), Ausgaben für Werbung, Kfz‐Steuer, Grundsteuer, Rechts‐ und Beratungskosten, Abschreibungen (Werteverzehr beim abnutzbaren Anlagevermögen) sowie außerordentliche Aufwendungen (z. B. Diebstahl, Schwund, Verderb). Oft wird der Unterschied zwischen Zinszahlung und Kreditrückzahlung nicht verstanden. Bsp. Folgende Zeitungsmeldung irritiert: „Mannheim: Rosengarten macht Defizit: Der R. hat mit einen Defizit von 2,6 Mio. € abgeschlossen. Der Geschäftsführer der Kongressgesellschaft macht dafür die „hohen Tilgungsraten“ verantwortlich, mit denen der Kredit für den Ausbau des Gartens bedient werden muss.“ Während die Zinszahlungen erfolgswirksame Vorgänge sind und Aufwendungen darstellen, die den Gewinn schmälern, zählen Tilgungen zu den erfolgsunwirksamen Geschäftsvorfällen. Insofern können „hohe Tilgungsraten“ kaum zur Begründung für ein „Defizit“ in der GuV herhalten. Erträge bezeichnen die Mehrungen des Erfolges durch die Erstellung, die Bereitstellung oder den Absatz von Gütern und Dienstleistungen. Stammt der Ertrag aus dem Prozess der betrieblichen Leistungserstellung und ‐verwertung, so handelt es sich um einen Betriebsertrag, andernfalls wird er als neutraler Ertrag bezeichnet. Erträge erhöhen das Eigenkapital. Typische Erträge sind beispielsweise Umsatzerlöse aus dem Warenverkauf oder Dienstleistungen, sonstige Erlöse (Verkauf von Sachanlagen über Buchwert), Zinserträge, Provisionserträge, Mieterträge aus vermieteten Räumlichkeiten, Beteiligungserträge, Wertzuwachs beim Anlage- und Umlaufvermögen sowie außerordentliche Erträge. Buchungen auf Aufwandskonten führen zu Minderungen des Eigenkapitals (des Reinvermögens). Buchungen auf Ertragskonten zu Erhöhungen des Eigenkapitals. Während die Bestandskonten am Jahresanfang mit Hilfe des Eröffnungsbilanzkontos bereits eröffnet werden, müssen die Aufwands- und Ertragskonten unterjährig je nach Bedarf eröffnet werden. Am Jahresende müssen dann neben allen aktiven und passiven Bestandskonten auch die Erfolgskonten abgeschlossen werden. Während die Salden der Bestandskonten in das Schlussbilanzkonto am Jahresende zu buchen sind, werden die Salden der Erfolgskonten (Aufwandskonten und Ertragskonten) am Jahresende über das GuV-Konto abgeschlossen. Der Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung ist dann Gewinn oder Verlust. Dieser wird am Jahresende über das Eigenkapitalkonto abgeschlossen: Ein Gewinn führt dann zu einer Erhöhung des Eigenkapitals des Unternehmers. Ein Verlust führt dementsprechend zu einer Verminderung des Eigenkapitals. Das folgende Bild zeigt das Gesagte noch einmal anschaulich: 46 Vgl. ausführlich Schmidt, M. (Hrsg.) / Auer, B. / Schmidt, P. (2012), S. 138ff. <?page no="71"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 71 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 2-20: Buchungsprozess zum Schlussbilanzkonten Die Buchungssätze für die Abschlussbuchungen lauten: SBK an alle aktiven Bestandskonten; alle passiven Bestandskonten an SBK GuV-Konto an alle Aufwandskonten; alle Ertragskonten an GuV-Konto EK-Konto an Privatkonto (falls Privatentnahmen > Privateinlagen) oder Privatkonto an EK-Konto (Privateinlagen > Privatentnahmen) GuV-Konto an EK-Konto (Gewinnübertrag) oder EK-Konto an GuV-Konto (bei Verlustübertrag) EK-Konto an SBK (falls EK > 0) oder SBK an EK-Konto (falls EK < 0 → § 268 III HGB) 2.4.4 Periodengerechte Gewinnermittlung und zeitliche Abgrenzung Die Periodenabgrenzung von Zahlungsflüssen gehört zu den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Buchführung. Die Entstehung von Aufwendungen und Erträgen und die dazugehörigen Zahlungsvorgänge können und werden oft zeitlich auseinanderfallen. Solange die beiden Vorgänge innerhalb eines Geschäftsjahres stattfinden, ist dies für die Buchführung grundsätzlich unerheblich. Fallen die beiden Vorgänge allerdings in verschiedene Geschäftsjahre, kann eine periodengerechte Gewinnermittlung nur erfolgen, wenn die Aufwendungen und Erträge in dem Jahr erfolgswirksam erfasst werden, in dem sie wirtschaftlich verursacht sind und den Erfolg beeinflussen. Um dies zu gewährleisten, ist nach dem Grundsatz der Periodisierung (§ 252 II Nr. 5 HGB) eine zeitliche Abgrenzung vorzunehmen. Grundsätzlich sind also beim Bilanzierenden Aufwendungen und Erträge unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Zahlung nach ihrer wirtschaftlichen Verursachung zu berücksichtigen. Erstellt der Unternehmer lediglich eine Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 III EStG, kommt es grundsätzlich nicht auf die wirtschaftliche Verursachung an. Hier wird grundsätzlich auf den Zahlungsfluss abgestellt. Bestandskonten Aktivische Konten Konten des AV Konten des UV Passivische Konten Fremdkapitalkonten Eigenkapitalkonto Privatkonto GuV-Konto Ertragskonten Aufwandskonten SBK <?page no="72"?> 72 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Fallen Leistung und Zahlung auseinander, sind vier Fälle zu unterscheiden: 47 [1] Die Zahlung erfolgt vor der Gegenleistung: • vor einer Lieferung (geleistete und erhaltene Anzahlung) • vor einer sonstigen Leistung (Transitorische Posten: aktive und passive RAP) [2] Die Zahlung erfolgt nach der Gegenleistung • nach einer Lieferung (Forderungen u. Verbindlichkeiten) • nach einer sonstigen Leistung (Forderungen u. Verbindlichkeiten). Anzahlungen: Der zur Lieferung verpflichtete Unternehmer ist eine Sachleistungsverpflichtung eingegangen, die erst bei Lieferung getilgt wird. Es erfolgt eine Habenbuchung auf dem Passivkonto „Erhaltene Anzahlungen“. Der Kunde besitzt bis zum Erhalt der Ware eine Sachleistungsforderung, die auf dem Aktivkonto „Geleistete Anzahlungen“ erfasst wird. Gemäß § 266 II und III HGB sind zum Ausweis von Anzahlungen drei Positionen auf der Aktivseite und eine Position auf der Passivseite vorgesehen (s. im Anhang die Bilanz nach § 266 HGB). Zur periodengerechten Erfolgsermittlung für Fälle, in denen die Perioden der Zahlung und zeitraumbezogenen Leistung auseinanderfallen, werden alternativ zu den Anzahlungen, die ja nur bei zeitpunktbezogenen Leistungen greifen, Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) gebucht. Gemäß § 250 I und II HGB müssen vor dem Bilanzstichtag getätigte Ausgaben, die Aufwand im Jahr nach dem Bilanzstichtag darstellen, als aktive Rechnungsabgrenzungsposten (ARAP) in der Bilanz dargestellt werden. Analog dazu müssen vor dem Bilanzstichtag erzielte Einnahmen, welche Ertrag für einen Zeitraum nach dem Bilanzstichtag darstellen, als passive Rechnungsabgrenzungsposten (PRAP) auf der Passivseite der Bilanz abgebildet werden. Voraussetzung ist, dass die Vorauszahlungen Aufwand „für eine bestimmte Zeit“ (besser: Zeitraum) nach dem Abschlussstichtag sind. Insofern würden Ausgaben für Werbefeldzüge nicht als RAP erfasst werden können. Ihnen fehlt das Objektivierungsmerkmal „für eine bestimmte Zeit“. Buchungen: Aktive Abgrenzung (Erfolg ohne Abgrenzung zu niedrig): „Von uns im Voraus bezahlter Aufwand für kommende Perioden“ (z.B. Mietauszahlung): ARAP an Aufwandskonto Passive Abgrenzung (Erfolg ohne Abgrenzung zu hoch): „Im Voraus vereinnahmter Ertrag für kommende Perioden“ (z.B. Mieteinzahlung): Ertragskonto an PRAP Forderungen und Verbindlichkeiten entstehen, wenn der Bilanzierende eine Leistung auf Ziel erbracht bzw. erhalten hat. 48 Bei antizipativen Posten liegt der Leistungsvor dem Zahlungsvorgang. Die nach dem Bilanzstichtag stattfindende Zahlung wird vorweggenommen. Aktive antizipative Posten werden auf dem Konto Sonstige Vermögensgegenstände (Forderungen) verbucht, passive bei den Sonstigen Verbindlichkeiten. Oft kommt es vor, dass der Kaufmann bei einer Bank ein Darlehen aufnimmt, welches z.B. nur zu 95 Prozent ausbezahlt wird, obwohl es zu 100 Prozent zurückzuzahlen ist. Dieses Disagio über 5 Prozent stellt wirtschaftlich eine Vergütung für die Kapitalüberlassung dar, die im Voraus erbracht wurde (vorweg gezahlte Zinsen bzw. Bereitstellungsprovision/ Bearbeitungsgebühr). Gemäß § 250 III HGB hat der Bilanzierende ein Aktivierungswahlrecht, welches im Jahr der Darlehensaufnahme ausgeübt werden kann und durch planmäßige Abschreibungen zu tilgen ist. 49 47 Vgl. Kudert, S. / Sorg, P. (2011), S. 164. 48 Da die Umsatzsteuer bereits mit der Leistungserbringung gebucht wird, stellen die Forderungen bzw. Verbindlichkeiten Bruttobeträge dar. 49 Vgl. Rabeneck, J. / Reichert, G. (Wist 6/ 2003), S. 372. <?page no="73"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 73 Neue Betriebswirtschaft 2.4.5 Abschreibungen und Anschaffungskosten Die Nutzung eines Anlagegegenstandes im Unternehmen führt zu einem Wertverzehr (verbzw. gebrauchsbedingte, wirtschaftlich bedingte, zeitbzw. rechtliche bedingte Wertminderung). Dieser Wertverzehr wird in der Buchführung durch Abschreibungen erfasst. Sie sollen den Abschreibungsausgangbetrag für einen Anlagegegenstand dem tatsächlichen Wertverzehr entsprechend auf die Jahre der Nutzung als Aufwand verteilen (→ Periodengerechte Aufwandsverrechnung). Der erwartete Wertverzehr während des Nutzungszeitraumes wird durch planmäßige Abschreibungen erfasst, darüber hinaus können außerplanmäßige Abschreibungen notwendig werden, wenn unerwartete Wertminderungen eintreten. Rechtsgrundlagen für die Vornahme planmäßiger Abschreibungen des Anlagevermögens sind § 253 I und III HGB. § 253 Abs. 1 HGB: Vermögensgegenstände sind höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um die Abschreibungen nach den Absätzen 3 bis 5, anzusetzen. Abs. 3: Bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, sind die Anschaffungs- oder die Herstellungskosten um planmäßige Abschreibungen zu vermindern. Der Plan muss die Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf die Geschäftsjahre verteilen, in denen der Vermögensgegenstand voraussichtlich genutzt werden kann. Ein Abschreibungsplan ist für jeden einzelnen Vermögensgegenstand des Anlagevermögens im Zeitpunkt des Zugangs zum Unternehmensvermögen aufzustellen. Er umfasst den Abschreibungsausgangsbetrag (Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Höhe des erwarteten Restverkaufserlöses), die erwartete Nutzungsdauer und das Abschreibungsverfahren. Abbildung 2-21: Abschreibungsarten und Determinanten Abschreibung auf Gegenstände des Anlagevermögens Planmäßige Abschreibung Anschaffungskosten Festlegung der Nutzungsdauer Abschreibungsmethode Wahl einer Vereinfachnungsmethode (GWG) Außerplanmäßige Abschreibung durch gesunkene Marktpreise oder Einschränkung der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten <?page no="74"?> 74 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die Anschaffungskosten oder die w.u. behandelten Herstellungskosten eines Vermögensgegenstandes bilden die Grundlage zur Berechnung der Abschreibung für diesen Vermögensgegenstand. Werden diese vom Bilanzierenden nicht korrekt ermittelt, ergibt sich für alle Folgejahre auch ein falscher Wert im Rahmen der Abschreibung. Gemäß § 255 HGB gehören zu den Anschaffungskosten alle Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Aufwendungen dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Auch nachträgliche Anschaffungskosten sind einzubeziehen. Die Vorsteuer gehört bei umsatzsteuerpflichtigen Unternehmern nicht zu den Anschaffungskosten. Anschaffungspreisminderungen sind von den errechneten Anschaffungskosten abzusetzen. Finanzierungskosten dürfen im Rahmen der Anschaffungskosten nicht berücksichtigt werden. Schema zur Ermittlung der Anschaffungskosten: Anschaffungspreis / Kaufpreis + Anschaffungsnebenkosten (auch nachträgliche) - Anschaffungspreisminderungen = Anschaffungskosten (AK) Bsp.: Kauf eines Anlagegegenstandes auf Ziel zu 94.000 € netto zzgl. Transport und Montage i.H.v. 6.000 € netto. Rechnung wird ausgeglichen mit 2% Skontoabzug per Banküberweisung. Anschaffungskosten: Anschaffungspreis 94.000 € + Anschaffungsnebenkosten 6.000 € 100.000 € - Anschaffungskostenminderungen 2.000 € = AK 98.000 € Bsp. Buchung en Eing a ng srechnung : Anlagenkonto 100.000 € Vorsteuer 19.000 € ( ← USt auf gesamte AK) an Verbindlichkeiten LuL 119.000 € Rechnung sa usg leich: Verbindlichkeiten LuL 119.000 € an Anlagenkonto 2.000 € Vorsteuer (Berichtigung) 380 € Bank 116.620 € Würden die Anschaffungsnebenkosten nicht aktiviert, sondern sofort als Aufwand verbucht, wäre der Gewinn im Jahr der Anschaffung um diesen Betrag geringer. Dafür wäre der Abschreibungsbetrag in den Jahren der Nutzung aber auch niedriger. (→ Zweischneidigkeit der Bilanz! ) <?page no="75"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 75 Neue Betriebswirtschaft Die Nutzungsdauer hat der Bilanzierungspflichtige zu schätzen, womit er natürlich einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum besitzt. In der Praxis werden oft die sog. steuerlichen AfA- Tabellen herangezogen. (s. http: / / afa-tabelle.net/ ). Für die Festlegung des Abschreibungsplanes können verschiedene Abschreibungsverfahren genutzt werden. Folgende Verfahren können handelsrechtlich eingesetzt werden: 50 Abbildung 2-22: Übersicht über die Abschreibungsverfahren Die lineare Abschreibung ist die am häufigsten verwendete Abschreibungsform. Sie ist relativ einfach umzusetzen und ist anwendbar auf alle beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgüter. Grundsätzlich teilt man bei der linearen Abschreibung einfach die Abschreibungssumme durch die voraussichtliche Nutzungsdauer (→ jährlicher Abschreibungsbetrag). Anders als bei der linearen Abschreibung wird bei der degressiven Abschreibung (auch Buchwert-AfA genannt) der Abschreibungsbetrag von Jahr zu Jahr weniger. Lediglich im ersten Jahr wird der Abschreibungsbetrag auf Basis der Anschaffungskosten und dem Abschreibungsprozentsatz errechnet. Für die weiteren Jahre hingegen wird der Abschreibungsbetrag aus dem Restbuchwert des Anlagegutes und dem Abschreibungsprozentsatz bestimmt. Die Abschreibung nach Maß der Inanspruchnahme (leistungsbezogene, zeitunabhängige Abschreibung) hängt an der tatsächlichen Inanspruchnahme des Abschreibungsgutes. Sie wird deshalb vor allem bei Anlagegütern mit starker Nutzungsschwankung verwendet. Entsprechend muss natürlich bei dieser Abschreibungsform auch nachgewiesen werden, in welcher Höhe die jährliche Leistung angefallen ist. 50 http: / / www.rechnungswesen-grundlagen.com/ abschreibungsverfahren-rechnungswesen.php (3.8.2017) <?page no="76"?> 76 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Alle buchführungspflichtigen Kaufleute müssen zum Tag der Aufstellung der Bilanz auch ein so genanntes Anlageverzeichnis aufstellen. In diesem hat der Kaufmann alle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens auszuweisen, welche sich am Bilanzstichtag in seinem Unternehmen befinden. Auch die Wirtschaftsgüter, welche zum Zeitpunkt der Aufstellung des Anlageverzeichnisses bereits vollständig abgeschrieben sind, erscheinen dort ebenso. Das Anlageverzeichnis stellt einen Bestandteil des Jahresabschlusses des Kaufmanns dar. In ihm wird quasi der Abschluss der einzelnen Anlagekonten vollzogen. Für Kapitalgesellschaften ist, größenabhängig, die Erstellung eines sog. Anlagengitters - wahlweise in der Bilanz oder im Anhang - Pflicht. Das Anlagengitter ist nach § 284 III HGB aufzustellen. Nach dieser geforderten Gliederung muss die Entwicklung der einzelnen Anlageposten ausgehend von den historischen Anschaffungsbzw. Herstellungskosten (AHK) dargestellt werden. Ferner müssen die Zugänge, Abgänge, Umbuchungen und Zuschreibungen des Bilanzjahres sowie die Abschreibungen in ihrer gesamten Höhe ausgewiesen werden. Das Anlagengitter (früher: Anlagenspiegel) gewährt dem Bilanzadressaten einen Einblick in die Altersstruktur bzw. in die Investitionstätigkeit der Unternehmung. Kleine Kapitalgesellschaften sind nach § 288 I Nr. 1 HGB von der Verpflichtung zur Aufstellung eines Anlagegitters befreit. Auch Personengesellschaften und Einzelunternehmen sind von der Aufstellungspflicht befreit, soweit im Publizitätsgesetz nicht anders geregelt. Folgende Angaben sind im Anlagengitter darzustellen: Abbildung 2-23: Anlagengitter Bsp.: Im nachfolgend beispielhaft dargestellten Anlagengitter fällt insbesondere der geringe Zugang bei den technischen Anlagen auf, welcher auf eine sehr niedrige Investitionstätigkeit hindeuten könnte. Position gesamte (historische) AK/ HK Zugang Abgang Umbuchung AfA (kumuliert) Zuschreibungen Endbestand AfA lfd. Jahr lfd. Jahr Vorjahr technische Anlagen 400 +5 -40 +20 -175 +10 220 250 -25 … Abbildung 2-24: Beispiel für Anlagengitter 2.4.6 Buchung der Erzeugnisse und Bestandsveränderungen und Bestimmung der Herstellungskosten Das Konto „Fertigerzeugnisse“ gehört zu den aktivischen Bestandskonten. Die in die Fertigerzeugnisse eingehenden Vorleistungen (Produktionsfaktoren) werden auf diesem Konto nicht direkt als Zugänge gebucht. Die bei der Fertigung in Anspruch genommenen Produktionsfaktoren werden vielmehr als Aufwendungen auf den entsprechenden Aufwandskonten erfasst und gehen dementsprechend in die GuV-Rechnung ein. <?page no="77"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 77 Neue Betriebswirtschaft Beispiel Verbrauch von Rohstoffen in der Fertigung: RHB-Verbrauch (Aufwand) an RHB Einsatz von Arbeitnehmern in der Fertigung: Lohnaufwand an Bank Das Konto „Fertigerzeugnisse“ enthält den Anfangsbestand, der aus der Schlussbilanz des Vorjahres übernommen wird. Dieser Anfangsbestand gibt den Wert der Lagerbestände an Fertigerzeugnissen am Anfang des Geschäftsjahres an. Am Schluss des Geschäftsjahres wird der Endbestand der Erzeugnisse durch Inventur ermittelt (s.o.). Dieser Lagerbestand wird mit Herstellungskosten bewertet. Sind Anfangs- und Endbestand gleich groß, verändert sich das Konto Fertigerzeugnisse nicht. Die abgesetzte Menge entspricht der produzierten Menge. In der Regel treten jedoch Abweichungen auf. Die folgenden zwei Fälle sind zu unterscheiden: 1. Produktionsmenge > Absatzmenge - → Erhöhung des Lagerbestandes → EB der FE > AB der FE Das Konto „Fertigerzeugnisse“ weist demnach einen Sollsaldo auf. Dieser Saldo gibt die Bestandserhöhung der Fertigerzeugnisse an. Der Saldo (Bestandserhöhung) wird als Ertrag in die GuV-Rechnung gebucht. 2. Produktionsmenge < Absatzmenge - → Erhöhung des Lagerbestandes → EB der FE < AB der FE Das Konto „Fertigerzeugnisse“ weist demnach einen Habensaldo auf. Dieser Saldo gibt die Bestandsminderung der Fertigerzeugnisse an. Der Saldo (Bestandsminderung) wird als Aufwand in die GuV-Rechnung gebucht. Die Aufwandskomponenten beziehen sich auf die Produktionsmenge, sie wurden also durch die produzierte Menge verursacht. Die Umsatzerlöse resultieren hingegen aus der Absatzmenge. Sollte die Absatzmenge kleiner sein als die Produktionsmenge, werden Umsatzerlösen zu hohe Aufwendungen gegenübergestellt. Der Aufbau des Lagers würde komplett negativ erfolgswirksam sein. Tatsächlich sind durch die Produktion jedoch Vermögensgegenstände entstanden. Der Aufbau des Lagers (Bestandserhöhung) wird dementsprechend als Ertrag in der GuV-Rechnung erfasst. Dadurch werden Erträge und Aufwendungen in der GuV-Rechnung gleichnamig und somit vergleichbar gemacht. Der Lagerbestand an Erzeugnissen wird mit den Herstellungskosten bewertet. Die Begründung hierfür ist im weiteren Sinne im Vorsichtsprinzip, das dem Gläubigerschutz entspricht, zu finden. Nach § 252 I Nr. 4 HGB muss die Bewertung vorsichtig erfolgen. Es muss eine ungleiche Behandlung von Risiken (Verlusten) und Chancen (Gewinnen) erfolgen, die als Imparitätsprinzip („Ungleichheitsprinzip“) bezeichnet wird. 51 Erträge sind nach dem Realisationsprinzip - welches mit ganz wenigen Ausnahmen für alle Bilanzposten gilt - auszuweisen. Ertrag ist im Regelfall erst dann entstanden, wenn ein Unternehmer alle vertraglichen Pflichten zur Durchführung des Geschäfts erfüllt hat (z.B. beim Kaufvertrag erst dann, wenn der Unternehmer die Ware an den Kunden übergeben hat). 52 Im Gegensatz zu den Erträgen sind die Aufwendungen eher früh auszuweisen. Grundsätzlich muss ein Verlust schon berücksichtigt werden, wenn er sich abzeichnet ( → Aufwandsantizipationsgebot). Hierzu werden - wie später noch ausführlicher beschrieben - das Niederstwertprinzip für Vermögensgegenstände und das Höchstwertprinzip für Schulden angewendet. 53 51 Vgl. zu den Prinzipien im Überblick Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 14ff. 52 Vgl. Buchholz, R. (2009), S. 25. 53 Vgl. Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 16ff. <?page no="78"?> 78 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Herstellungskosten liegen vor, wenn das Wirtschaftsgut, welches der Unternehmer in der Bilanz abbilden muss, von dem Unternehmer nicht per Fremdbezug erworben wird, sondern selbst hergestellt wird. Gemäß der gesetzlichen Definition des § 255 HGB stellen Herstellungskosten alle Aufwendungen dar, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder Verbesserung anfallen. Bei der Berechnung der Herstellungskosten muss zwischen den so genannten Pflichtbestandteilen und den Wahlbestandteilen unterschieden werden. Zu den Pflichtbestandteilen gehören alle zur Herstellung des Vermögensgegenstandes notwendigen Einzelkosten (Materialkosten, Fertigungskosten, Sonderkosten der Fertigung) sowie angemessene Teile der Gemeinkosten, die durch die Herstellung angefallen sind (Materialgemeinkosten, Fertigungsgemeinkosten). Zu den Wahlbestandteilen gehören angemessene Teile der Verwaltungsgemeinkosten. Diese müssen jedoch zwingend auf den Zeitraum der Fertigung entfallen; Fremdkapitalzinsen dürfen nur angesetzt werden, sofern sie der Finanzierung der Herstellung des Vermögensgegenstandes dienen. Gemeinkosten können im Vergleich zu den Einzelkosten dem Vermögensgegenstand nur indirekt zugerechnet werden. Die Gemeinkosten werden meist nur mit Hilfe von Zuschlagssätzen oder über entsprechende Umlageschlüssel auf die einzelnen Vermögenswerte verteilt. 54 Element der Herstellungskosten Fertigungsmaterial + Fertigungslöhne + Sondereinzelkosten der Fertigung + Materialgemeinkosten (soweit „angemessen“) + Fertigungsgemeinkosten (soweit „angemessen“) = Mindestansatz Herstellungskosten + Verwaltungsgemeinkosten (soweit „angemessen“) + Fremdkapitalzinsen (unter bestimmten Bedingungen) + freiwillige Sozialleitungen (unter bestimmten Bedingungen) = Höchstansatz Herstellungskosten Abbildung 2-25: Herstellungskosten Mit der Herstellung der Vermögensgegenstände verbundene Forschungskosten und Vertriebskosten dürfen nicht einbezogen werden. Das Verbot zur Einbeziehung der Forschungskosten und Vertriebskosten liegt darin begründet, dass diese Kosten nur schwer dem einzelnen Vermögensgegenstand zugeordnet werden können. Forschungskosten beispielsweise dienen zumeist der Entwicklung mehrerer Vermögensgegenstände gleichzeitig. Beispiel Im folgenden Beispiel werden die Lagerbestände einmal zur Wertuntergrenze (Fall A), zum anderen zur Wertobergrenze (Fall B) ausgewiesen. Es werden zwei Perioden betrachtet. In die Herstellungskosten sind die Fertigungskosten (hier: Personalaufwand) sowie die Materialaufwendungen einzubeziehen. Bezüglich der Einbeziehung der Verwaltungskosten besteht ein Wahlrecht. In der ersten Periode werden alle produzierten Stücke auf Lager gelegt; der Umsatz ist folglich Null. 54 Vgl. https: / / www.boeckler.de/ pdf/ mbf_grundlagen_ja_kapitel4.pdf (abgerufen am 13.2.2018). <?page no="79"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 79 Neue Betriebswirtschaft Die Bewertung der Lagerbestände erfolgt zur Wertuntergrenze (also zu 55 + 50 = 105). Es entsteht ein Verlust von 10. In der zweiten Periode hingegen wird die Produktion eingestellt und nur noch das Lager veräußert (Umsatzerlöse = 120). Der Gewinn beträgt 15. Über die zwei Perioden (Totalperiode) errechnet sich ein Gewinn von 5. Auch im Fall B ergibt die Totalperiode einen Gewinn von 5. Hier wird aber zur Wertobergrenze bewertet, sodass die Herstellkosten für das Lager nun bei 115 liegen und in der ersten Periode kein Verlust entsteht, während in der zweiten Periode der Gewinn bei 5 liegt. Man erkennt, dass die Lagerbewertung intertemporär zu einer Verschiebung des Gewinnausweises führen kann. Die Bewertung der Herstellungskosten zählt zu den bilanzpolitischen Wahlrechten. Tabelle 2-8: Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertuntergrenze Fall A EBK Bilanzierung der Herstellungskosten zur Wertuntergrenze Soll Haben Barmittel 135 135 EK Periode 1 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verwaltungskosten 10 0 Umsatz Fertigerz. 105 125 EK Personalaufwand 55 105 Bestandserh. FE Barmittel 20 Materialaufwand 50 10 Verlust BS 125 125 BS 115 115 Periode 2 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verw.kosten 0 120 Umsatz Fertigerz. 0 140 EK Personalaufwand 0 Barmittel 140 Materialaufwand 0 BS 140 140 BS Bestandsminderung FE 105 Gewinn 15 120 120 Periode 1 und 2 GuV-K. Soll Haben Verw.kosten 10 120 Umsatz Personalaufwand 55 Materialaufwand 50 Gewinn 5 120 120 <?page no="80"?> 80 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Tabelle 2-9: Bilanzierung von Herstellungskosten zur Wertobergrenze Fall B EBK Bilanzierung der Herstellungskosten zur Wertobergrenze Soll Haben Barmittel 135 135 EK Periode 1 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verw.kosten 10 0 Umsatz Fertigerz. 115 135 EK Personalaufwand 55 115 Bestandserh. FE Barmittel 20 Materialaufwand 50 0 Verlust BS 135 135 BS 115 115 Periode 2 GuV-K. SBK Soll Haben Soll Haben Verw.kosten 0 120 Umsatz Fertigerz. 0 140 EK Personalaufwand 0 Barmittel 140 Materialaufwand 0 BS 140 140 BS Bestandsminderung FE 115 Gewinn 5 120 120 Periode 1 und 2 GuV-K. Soll Haben Verw.kosten 10 120 Umsatz Personalaufwand 55 Materialaufwand 50 Gewinn 5 120 120 2.4.7 Fortsetzung des Fallbeispiels: Periode 2 Ausgangspunkt ist die Anfangsbilanz des Jahres t2: Tabelle 2-10: Beispiel - Anfangsbilanz zum 1.1.t2 Soll Anfangsbilanz 1.1.t2 Haben Maschinen 67.000 € 40.000 € EK Waren 8.500 € 36.500 € Bankdarlehen Bank 500 € 0 € Verb. LuL Kasse 500 € BS 76.500 € 76.500 € BS <?page no="81"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 81 Neue Betriebswirtschaft Folgende Geschäftsvorfälle tätigt die Karl´s-Horst-GmbH also in t2: In der nächsten Periode t2 verkauft die Firma Waren (Barverkauf) zum Wert von 25.000 € (GF 1). Der Wareneinsatz zur Realisierung der Umsatzerlöse durch den Verkauf betrug 8.500 € (GF 2). Die Unternehmung produziert ein Produkt, zu dem sie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB) als Materialaufwand verwendet. Die Unternehmung kauft zunächst RHB im Wert von 10.000 € und bezahlt diese per Bank noch in dieser Periode (GF 3). Desweiteren verkauft sie Produkte an die Kundschaft in Höhe von 40.000 € auf Ziel (GF 4). An Aufwendungen entstanden sind neben dem Wareneinsatz (GF 2) Personalauszahlungen (GF 6), Mietzahlungen (GF 7) und planmäßige Abschreibungen auf Maschinen (GF 5). Für die Produktion werden 7.500 € an RHB verbraucht (Materialaufwand! ) (GF 8). Auf Lager liegen Fertigerzeugnisse im Wert von 4.000 € (GF 9), die zu einer Bestandserhöhung in dieser Höhe führen. Hinzu kommt nun eine Tilgungsrate des Bankdarlehens (1.000 €) und Zinszahlungen für das Darlehen in Höhe von 250 € (GF 10 und 11). Die Buchungssätze zu den Geschäftsvorfällen im Journal lauten wie folgt: Buchungssätze 1) Bank an Umsatzerlöse Waren ......................................25.000 € 2) Wareneinsatz an Waren ................................................8.500 € 3) RHB an Bank.................................................................10.000 € 4) Ford. aus LuL an Umsatzerlöse Erz. ..............................40.000 € 5) Abschreibungen auf SA an Maschinen...........................6.700 € 6) Personalaufwand an Bank .............................................5.000 € 7) Mietaufwand an Bank ...................................................2.000 € 8) Materialaufwand an RHB ..............................................7.500 € 9) FE an Bestandsveränderung FE .....................................4.000 € 10) Zinsaufwand an Bank .....................................................250 € 11) Bankdarlehen an Bank ................................................1.000 € Diese Journalbuchungen werden nun in die Hauptbuchkonten übertragen: Tabelle 2-11: Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Bestandskonten in t2 Soll Maschinen Haben Soll EK Haben AB) 67.000 € 5) 6.700 € SBK 79.050 € AB) 40.000 € SBK 60.300 € GuV 39.050 € 67.000 € 67.000 € 79.050 € 79.050 € Soll RHB Haben Soll Bankdarlehen Haben 3) 10.000 € 8) 7.500 € 11) 1.000 € AB) 36.500 € SBK 2.500 € SBK 35.500 € 10.000 € 10.000 € 36.500 € 36.500 € <?page no="82"?> 82 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Soll Waren(einkauf) Haben Soll Bank Haben AB) 8.500 € 2) 8.500 € AB) 500 € 3) 10.000 € SBK - € 1) 25.000 € 6) 5.000 € 8.500 € 8.500 € 7) 2.000 € 10) 250 € Soll Fertigerzeugnisse Haben 11) 1.000 € 9) 4.000 € SBK 4.000 € SBK 7.250 € 4.000 € 4.000 € 25.500 € 25.500 € Soll Ford. LuL Haben Soll Kasse Haben 4) 40.000 € SBK 40.000 € AB) 500 € SBK 500 € 40.000 € 40.000 € 500 € 500 € Im Beispiel wurden in der Inventur Fertigerzeugnisse-Lagerbestände im Wert von 4.000 € ermittelt. Da der Lagerbestand am Anfang des Jahres Null war, hat sich der Bestand also um 4.000 € erhöht. Die wird auf dem Konto „BV Fertigerzeugnisse“ dokumentiert. Tabelle 2-12: : Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen auf den Erfolgskonten in t2 Soll Umsatzerlöse Waren Haben GuV-K. 25.000 € 1) 25.000 € Soll Umsatzerlöse Erzeugnisse Haben GuV-K. 40.000 € 4) 40.000 € Soll BV Fertigerzeugnisse Haben GuV 4.000 € 9) 4.000 € Soll Wareneinsatz Haben 2) 8.500 € GuV-K. 8.500 € Soll Abschreibungen SA Haben 5) 6.700 € GuV-K. 6.700 € Soll Personalaufwand Haben 6) 5.000 € GuV-K. 5.000 € Soll Mietaufwand Haben 7) 2.000 € GuV-K. 2.000 € Soll Materialaufwand Haben 8) 7.500 € GuV-K. 7.500 € Soll Zinsaufwand Haben 10) 250 € GuV-K. 250 € <?page no="83"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 83 Neue Betriebswirtschaft Nun folgen die Buchungen auf dem GuV-Konto. Die Erfolgsrechnung weist als Resultat aus der Gegenüberstellung von Aufwendungen (linke Seite) und Erträgen (rechte Seite) den Jahresüberschuss (JÜ) bzw. den Jahresfehlbetrag (JF) aus. Im Beispiel hat die Fa. Karl´s-Horst-GmbH einen Gewinn von 39.050 € erwirtschaftet. Tabelle 2-13: Beispiel - Buchungen auf dem GuV-Konto in t2 Soll GuV-Konto Haben Materialaufwand 7.500 € Umsatzerlöse FE 40.000 € Wareneinsatz 8.500 € Umsatzerlöse Waren 25.000 € Personalaufwand 5.000 € BV FE 4.000 € Mietaufwand 2.000 € Abschreibungen Sachanlagen 6.700 € Zinsaufwand 250 € JÜ 39.050 € 69.000 € 69.000 € Aus der folgenden Tabelle sind die Salden der Bestandskonten farblich hervorgehoben. Die Abschlussbuchungen lauten nun wie folgt: SBK an Maschinen ........................................60.300 € SBK an RHB ......................................................2.500 € SBK an FE .........................................................4.000 € SBK an Ford. LuL ............................................40.000 € SBK an Bank .....................................................7.250 € SBK an Kasse ......................................................500 € EK an SBK ......................................................79.050 € Darlehen an SBK ............................................35.500 € Das Schlussbilanzkonto hat schließlich folgendes Aussehen: Tabelle 2-14: Beispiel - SBK am 31.12.t2 Soll SBK 31.12.t2 Haben Maschinen 60.300 € 79.050 € EK RHB 2.500 € 35.500 € Bankdarlehen FE 4.000 € Ford. LuL 40.000 € Bank 7.250 € Kasse 500 € BS 114.550 € 114.550 € BS Das Eigenkapital erhöhte sich um 39.050 € auf jetzt 79.050 €. Das Bankdarlehen wurde zu einem geringen Teil getilgt. Die Bilanzsumme erhöhte sich von 76.500 € auf 114.500 €. Die Eigenkapitalerhöhung resultiert allein aus der GuV (private Vorgänge fanden hier ja nicht statt). <?page no="84"?> 84 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft 2.4.8 Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren als Verfahren der GuV- Rechnung Für Kapitalgesellschaften erlaubt § 275 II und III HGB in Staffelform die Aufstellung der GuV nach zwei Verfahren: Gesamtkosten- und Umsatzkostenverfahren. Die Berücksichtigung von Bestandsveränderungen der Erzeugnisse in der GuV-Rechnung ist nur im Gesamtkostenverfahren (GKV) notwendig. Das GKV (Produktionsverfahren) ermittelt den Erfolg aus dem Produktionsvorgang, indem der gesamte im Geschäftsjahr erzielte Produktionsertrag dem gesamten Aufwand aus der Produktion gegenübergestellt wird. Alle Produkte, die im Geschäftsjahr hergestellt wurden, werden als Ertrag ausgewiesen. Der Ausweis umfasst sowohl die im Geschäftsjahr verkauften Güter als auch die noch nicht verkauften Produkte, die als unfertige oder fertige Erzeugnisse auf Lager liegen. Diesen Erträgen werden die gesamten Herstellungskosten, die für den Produktionsprozess aller abgesetzten sowie aller produzierten Güter angefallen sind, als Aufwendungen gegenübergestellt. → Aufwand = Produktionsaufwand der Periode → Ertrag = Gesamtleistung der Periode Die folgende Abbildung zeigt den Aufbau des Gesamtkostenverfahrens nach dem BilRUG 2015: Auszuweisende Positionen nach § 275 II HGB: 1. Umsatzerlöse +/ - 2. Erhöhung oder Verminderung des Bestands an fertigen und unfertigen Erzeugnissen + 3. andere aktivierte Eigenleistungen + 4. sonstige betriebliche Erträge = Gesamtleistung - 5. Materialaufwand - 6. Personalaufwand - 7. Abschreibungen - 8. sonstige betriebliche Aufwendungen = Betriebsergebnis + 9. Erträge aus Beteiligungen + 10. Erträge aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzanlagevermögens + 11. sonstige Zinsen und ähnliche Erträge - 12. Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens - 13. Zinsen und ähnliche Aufwendungen +/ - 14. Steuern vom Einkommen und vom Ertrag = 15. Ergebnis nach Steuern +/ - 16. sonstige Steuern = 17. Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag Beim UKV (Umsatzkostenverfahren) hingegen werden nur jene Aufwendungen erfasst, die Produkten oder Leistungen zugeordnet werden können, welche tatsächlich in der abgelaufenen Periode veräußert und damit umsatzwirksam wurden. Veränderungen im Bestand (wie beim Gesamtkostenverfahren) werden nicht erfasst. <?page no="85"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 85 Neue Betriebswirtschaft Auszuweisende Positionen nach § 275 III HGB: 1. Umsatzerlöse - 2. Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen = 3. Bruttoergebnis vom Umsatz - 4. Vertriebskosten - 5. allgemeine Verwaltungskosten + 6. sonstige betriebliche Erträge - 7. sonstige betriebliche Aufwendungen = Betriebsergebnis + 8. Erträge aus Beteiligungen + 9. Erträge aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzanlagevermögens + 10. sonstige Zinsen und ähnliche Erträge - 11. Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens - 12. Zinsen und ähnliche Aufwendungen +/ - 13. Steuern vom Einkommen und vom Ertrag = 14. Ergebnis nach Steuern +/ - 15. sonstige Steuern = 16. Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag Die beiden folgenden Schaubilder geben noch einmal anschaulich den Unterschied zwischen den beiden Verfahren wieder, und zwar einmal bei einer Bestandserhöhung … Abbildung 2-26: Vergleich von Gesamtkostenverfahren (GKV) und Umsatzkostenverfahren (UKV) bei Bestandserhöhung … und zum anderen bei einer Bestandsminderung: Abbildung 2-27: Vergleich von GKV und UKV bei Bestandsminderung <?page no="86"?> 86 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die Gruppierung der Aufwendungen im GKV ähnelt einer Gruppierung nach Kostenarten (Personal, Material). Beim UKV wird eine Gruppierung nach Funktionen (Verwaltung, Vertrieb) vorgenommen. Hier werden den Umsatzerlösen die Umsatzaufwendungen, oder genauer gesagt, nur die durch die abgesetzten Produkte bedingten Herstellungskosten sowie die restlichen Aufwendungen des Betriebes gegenübergestellt. Wobei die übrigen Aufwendungen meist nach den betrieblichen Teilbereichen oder Teilfunktionen wie Vertrieb, Verwaltung und „Sonstiges“ gegliedert sind. Die Thematik Bestandsveränderungen sowie aktivierte und bewertete Eigenleistungen werden hier nicht dargestellt. Lediglich die den Funktionsbereichen nicht zurechenbaren Aufwendungen werden als sonstige Aufwendungen des Betriebes gezeigt. Aufwendungen für Material und Personal, Abschreibungen und sonstige primäre Aufwendungen des Betriebes in der Darstellung des Gesamtkostenverfahrens müssen nach definierten Schlüsseln für Kosten und Aufwand den verschiedenen Funktionsbereichen als sekundäre Aufwendungen zugerechnet werden. Die Schwierigkeit dabei ist die Schaffung der Zuordnung von Aufwendungen zum Herstellungs-, Vertriebs- oder Verwaltungsbereich sowie zu den Produkten, die abgesetzt wurden. Da die Aufwendungen nicht gleichwertig aus der nach konventionellem Kontenrahmen gegliederten Finanzbuchhaltung übertragbar sind, erfordert dies eine durchdachte Kosten- und Leistungsrechnung. 55 Bsp. Tabelle 2-15: Bsp. einer Ergebnisrechnung nach dem Gesamtkostenverfahren und dem Umsatzkostenverfahren Gesamtkostenverfahren Produkt A Produkt B Summe Erlöse 280.000 € 375.000 € 655.000 € Fertigungseinzelkosten 120.000 € 125.000 € - 245.000 € Gemeinkosten - 300.000 € Herstellkosten der Bestandsminderung A (-) - 60.000 € Herstellkosten der Bestandsmehrung B (+) + 45.000 € Gewinn = 95.000 € Umsatzkostenverfahren Produkt A Produkt B Summe Erlöse 280.000 € 375.000 € 655.000 € Selbstkosten 210.000 € 350.000 € - 560.000 € Gewinn = 95.000 € 55 Vgl. Heesen, B. (2016), S. 4. <?page no="87"?> 2 Buchhaltung und Bilanzierung 87 Neue Betriebswirtschaft 2.5 Berücksichtigung von Verlusten und Risiken im Jahresabschluss 2.5.1 Vorsichtsprinzip Das Vorsichtsprinzip ist eines der tragenden Prinzipien der Rechnungslegung nach HGB. Damit soll Ungewissheiten im Jahresabschluss Rechnung getragen werden. Solche Ungewissheiten treten im Rahmen des Wirtschaftsprozesses bei den unterschiedlichsten Ereignissen und Umständen auf. „Daraus resultierend sollten Vermögenswerte oder Erträge nicht zu hoch und Schulden oder Aufwendungen nicht zu niedrig angesetzt werden.“ 56 Das Vorsichtprinzip wird durch folgende Unterprinzipien ausgestaltet: Niederstwertprinzip (NWP) / Höchstwertprinzip (HWP): Wertminderungen von Vermögensgegenständen bzw. bewertungsbedingte Zunahme von Schulden sind - über eine Aufwandsbuchung - in der Bilanz zu berücksichtigen. Abbildung 2-28: Übersicht über die Bewertungen nach dem Niederstwertprinzip Zwischen der Bilanz und der GuV bestehen systembedingte Zusammenhänge derart, dass z.B. eine Abwertung von Vermögensgegenständen im Rahmen des Niederstwertprinzips (NWP) und eine Aufwertung von Schulden im Rahmen des Höchstwertprinzips (HWP), die in der Bilanz vorgenommen werden, gleichzeitig einen Ausweis von Aufwendungen und somit eine Ergebnisminderung in der GuV zur Folge haben. Realisations-/ Anschaffungswertprinzip: Potenzielle Gewinne, Erträge oder Chancen, die bis zum Stichtag noch nicht verwirklicht sind, dürfen nicht gewinnmehrend berücksichtigt werden. Aus der Perspektive der GuV soll das Realisationsprinzip verhindern, dass u.a. Wertsteigerungen, die im Zeitablauf über die historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (AHK) (Anschaffungswertprinzip) hinaus eintreten, als Ertrag erfasst werden, wenn derartige Gewinne nicht über Verkaufsvorgänge mit Dritten verwirklicht, also realisiert worden sind. Selbst erstellte Vermögensgegenstände (im Anlagevermögen: aktivierte Eigenleistungen; im Umlaufvermögen: fertige und unfertige Erzeugnisse) sollen in der Bilanz nicht mit ihren unsicheren potenziellen Verkaufspreisen ausgewiesen werden. 57 Dementsprechend sind diese Vermögensgegenstände - wie oben gezeigt - 56 Auer, K. (2000), S. 218. 57 Vgl. Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 15. <?page no="88"?> 88 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft mit ihren (maximal aufwandsgleichen) Herstellungskosten zu bewerten und korrespondierend zur GuV in der Bilanz anzusetzen. „Die Gewinnspanne als Differenz zwischen einem potenziell unsicheren Verkaufspreis und den Herstellungskosten soll erst in der Periode als Gewinn(bestandteil) ausgewiesen, besteuert und ausgeschüttet werden, in der sie vereinnahmt wurde.“ 58 Das Imparitätsprinzip besagt, dass - umgekehrt - potenzielle, nicht realisierte Verluste sowie mit Wahrscheinlichkeit drohende Risiken oder Belastungen, die am Bilanzstichtag erkennbar sind und mit deren Eintritt nach dem Bilanzstichtag ernsthaft zu rechnen ist, bereits im Jahresabschluss des abgelaufenen Jahres über eine ergebnismindernde Aufwandsbuchung berücksichtigt (antizipiert) werden sollen. Risiken werden somit im Vergleich zu Chancen ungleich behandelt. Das Imparitätsprinzip dient auf dem Wege der stillen Selbstfinanzierung der Stärkung der Innenfinanzierungskraft der Unternehmung. 59 2.5.2 Ausgewählte Beispiele Wir werden uns im Folgenden auf einige gängige Beispiele konzentrieren, um die Behandlung von Risiken bzw. Verlusten im Rahmen der Abschlussbuchungen deutlich zu machen. 2.5.2.1 Außerplanmäßige Abschreibungen im Anlage- und Umlaufvermögen Außerplanmäßige Abschreibungen sind dann vorzunehmen, wenn ein Vermögensgegenstand - egal ob im Anlage- oder im Umlaufvermögen - eine unerwartete Wertminderung erfährt und diese voraussichtlich von Dauer ist. (Nur) bei Finanzanlagen können (Wahlrecht! ) außerplanmäßige Abschreibungen auch bei voraussichtlich nicht dauernder Wertminderung vorgenommen werden. Bei Sachanlagen müsste in solchen Fällen zusätzlich zur planmäßigen Abschreibung noch eine weitere Abschreibung, eben eine, die außerplanmäßig wäre, berücksichtigt werden. Im Umlaufvermögen spielt die Dauerhaftigkeit der Wertminderung keine Rolle, hier gilt stets das strenge Niederstwertprinzip ( → § 253 Abs. 3 Satz 3 und 4 HGB). Bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung besteht eine Abwertungspflicht auf den niedrigeren beizulegenden Wert. Die Bestimmung dieses Wertes ist bei den meisten Bilanzpositionen schwierig. Während der Tageskurs bei börsennotierten Wertpapieren anhand des verhältnismäßig objektiven Vergleichsmaßstabs „Börsenkurs am Bilanzstichtag“ ermittelt werden kann, sind andere Wertermittlungen, wie z.B. für Patente, Urheberrechte, Grundstücke, Beteiligungen, Handelswaren oder Forderungen oftmals nur nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung, d.h. möglichst willkürfreier Schätzung, möglich. Die Bewertung ist damit „eine mehr oder weniger subjektive Entscheidungshandlung des Bilanzierenden, die allerdings reale Konsequenzen für die Innenfinanzierung eines Unternehmens hat.“ 60 Denn je vorsichtiger die Bewertung ausfällt, desto geringer sind (zwischenzeitlich) die Mittelabflüsse für Steuer- und Ausschüttungsauszahlungen. Für die Unternehmen besteht mit dieser Regelung („voraussichtlich dauerhaft“) ein außerordentlich hoher Gestaltungsspielraum, weil letztlich die Argumente, ob die Wertminderung von Dauer oder doch nur vorübergehend ist, entscheiden. Je nach Zielsetzung bei der Bilanzerstellung wird der Bilanzierende die Auslegung in seinem Sinne betreiben: Gewinn-Minimierer (Maximierer) werden bestrebt sein, möglichst viele (wenige) Vermögenspositionen zu finden, bei denen sie eine außerplanmäßige Abschreibung vornehmen können. 61 Letztlich ist die Nutzung der außerplanmäßigen 58 Ebd. 59 Vgl. hierzu Zantow, R. (2004), S. 197f. 60 Bossert, R. / Hartmann, P. (2005), S. 19. 61 Er muss allerdings sicherstellen, dass z. B. der Abschlussprüfer, die Finanzbehörden oder die Analysten, die angeführte Argumentation und die Nachweise (sofern überhaupt verfügbar) für die dauerhafte Wertminderung nachvollziehen können und akzeptieren. <?page no="89"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 89 Neue Betriebswirtschaft Abschreibung also stark davon abhängig, inwiefern der Bilanzierende die Bilanzierungsgrundsätze ordnungsgemäß auslegt und anwendet bzw. inwieweit Externe Kenntnis von dem jeweiligen Sachverhalt haben. 62 Kleine und mittlere Unternehmen, die keiner Jahresabschluss-Prüfungspflicht unterliegen (betrifft insbesondere die Einzelunternehmen und Personengesellschaften sowie kleinere GmbHs), können das Ermessen stärker nutzen als prüfungspflichtige größere Unternehmen. Fällt der Grund für die außerplanmäßige Abschreibung weg, besteht handels- und steuerrechtlich ein Wertaufholungsgebot bis zum theoretisch fortgeführten Anschaffungswert (außer beim Geschäfts- oder Firmenwert, hier: Wertaufholungsverbot). Nimmt der Bilanzersteller eine Wertaufholung vor, was zu einer Gewinnerhöhung führt. Im Jahresabschluss werden drei Typen von Forderungen unterschieden: Einwandfreie Forderungen, Zweifelhafte Forderungen und Uneinbringliche Forderungen. Bei einwandfreien Forderungen wird mit einem Zahlungseingang in voller Höhe gerechnet. Sie müssen mit ihrem Nennwert in der Bilanz angesetzt werden, d.h. mit dem Rechnungsbetrag einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer (Bruttobetrag). Zweifelhafte Forderungen (oder Dubiose) - aktives Bestandskonto - unterliegen dem Ausfallrisiko; der Zahlungseingang wird also unsicher. Beispiele: Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des säumigen Kunden; Debitor zahlt nach Mahnung nicht; Wechsel oder Schecks werden nicht eingelöst. Im Umlaufvermögen gilt das strenge Niederstwertprinzip, so dass diese Forderungen wertberichtigt werden müssen. Zweifelhafte Forderungen werden mit dem wahrscheinlichen Wert, den sie noch besitzen, in der Bilanz angesetzt. Die Bestimmung der Höhe der Einbringlichkeit erfolgt auf Basis der individuellen Beurteilung des Schuldners. Die Höhe des Ausfallrisikos kann häufig nicht exakt beziffert werden. Deshalb wird hier regelmäßig ein Schätzwert angesetzt. Der Rest der Forderung wird dann abgeschrieben (wertberichtigt). Insofern besteht bei der Festlegung von Einzelwertberichtigungen ebenfalls ein Ermessensspielraum des Bilanzierenden. Aus Gründen der Bilanzklarheit werden die zweifelhaften Forderungen von den einwandfreien Forderungen unterschieden. Die erfolgsneutrale Buchung lautet: „Zweifelhafte Forderungen an Forderungen“. Erst wenn ein Teil dieser zweifelhaften Forderungen abgeschrieben wird, wird der Forderungsausfall dem Aufwand zugerechnet. Die Abschreibung darf allerdings nur vom Nettobetrag erfolgen. Gemäß § 17 UStG wird die Umsatzsteuer erst bei einem tatsächlichen Forderungsausfall berichtigt. Bei den uneinbringlichen Forderungen steht am Bilanzstichtag fest, dass keine Zahlung erfolgt, z.B. wenn eine Zwangsvollstreckung fruchtlos ist, das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt wird oder die Forderungen verjährt ist. Diese Forderungen müssen in voller Höhe abgeschrieben und die Umsatzsteuer korrigiert werden: „Abschreibungen auf Forderungen und USt an Forderungen“. Wenn auf eine Forderung ein Verlust zu erwarten ist, wird am Bilanzstichtag oft eine indirekte Buchung auf das Konto Einzelwertberichtigungen (EWB) mit der zu erwartenden Ausfallsumme (netto) durchgeführt. Das EWB-Konto stellt die kalkulierten Abschreibungen auf die Forderungen dar. Der Buchungssatz lautet: „Abschreibung auf Forderungen an EWB auf (zweifelhafte) Forderungen“. Steht es fest, dass eine Forderung uneinbringlich ist, wird die Forderung direkt über ein entsprechendes Konto abgeschrieben. Die EWB bleibt dabei unberührt, wird aber zum Jahresende angepasst. Da eine Einzelbewertung für jede Forderung aus Lieferung und Leistungen bei einem großen Kundenkreis schwer zu realisieren ist, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit allerdings mit Ausfällen von Forderungen zu rechnen ist, wird eine Pauschale auf Forderungsausfälle angesetzt. Sie gibt dann das allgemeine („latente“) Ausfallrisiko von Forderungen (netto! ) wieder. Normalerweise wird der (rechnerisch nachweisbare) Pauschalsatz aus den Forderungsausfällen (der nicht einzel- 62 Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (2010), S. 14. <?page no="90"?> 90 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft wertberichtigten Forderungen) der letzten Jahre ermittelt. Gebucht wird die Pauschalwertberichtigung (PWB), ähnlich wie die EWB, indirekt. Zum Bilanzstichtag muss die PWB an den neuen Forderungsbestand angepasst werden. Dabei kann es zu einer Heraufstufung oder Herabsetzung des Pauschalwertes kommen. Besteht für eine Forderung eine Delkredereversicherung (Forderungsausfallversicherung), so ist die Wertberichtigung nur für den nichtversicherten Forderungsteil vorzunehmen. In der Praxis ist häufig eine Kombination beider Verfahren anzutreffen. So werden zunächst die betragsmäßig großen Forderungen einer Einzelbewertung unterzogen, im Anschluss erfolgt dann eine Pauschalwertberichtigung aller verbleibenden, nicht bereits einzeln bewerteten, Forderungspositionen. Gemäß § 253 V HGB darf ein niedrigerer Wertansatz nach § 253 III S. 5 oder 6 und IV nicht beibehalten werden, wenn die Gründe dafür nicht mehr bestehen (Zuschreibungsgebot). Bei der Auflösung der EWB können drei mögliche Fälle eintreten, die Ausfallsumme könnte zu niedrig, zu hoch oder genau mit der geschätzten Ausfallsumme übereinstimmen. Falls eine unerwartete Einzahlung auf eine abgeschriebene Forderung eingeht, ist der Zahlungseingang als aperiodischer Ertrag mit entsprechender Umsatzsteuer zu buchen. Wenn das Unternehmen nach HGB oder dem Publizitätsgesetz dazu verpflichtet ist, seine Bilanz zu veröffentlichen, dürfen PWB und EWB nicht in der Bilanz erscheinen. Die Wertberichtigungen werden von der Aktivposition abgesetzt (Nettoausweis). 2.5.2.2 Rückstellungen und deren Verbuchung Rückstellungen sind als Fremdkapital anzusehen und stets zweckgebunden. Unabhängig von den Ursachen der Bildung einer Rückstellung handelt es sich bei allen Rückstellungsarten um eine buchhalterische Vorwegnahme zukünftiger Auszahlungen. Da die exakte Auszahlungshöhe und/ oder der genaue Zahlungstermin im Zeitpunkt der Rückstellungsbildung noch nicht bekannt sind, beruht die Bildung einer Rückstellung immer auf einer Schätzung. 63 Für die Rückstellung ist der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag anzusetzen (§ 253 I S. 2 HGB). Es sind zukünftige Preis- und Kostensteigerungen zu berücksichtigen. Rückstellungen dürfen stets nur „netto“, d.h. ohne Umsatzsteuer ausgewiesen werden. Grundsätzlich lassen sich Schuldrückstellungen, Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und Aufwandsrückstellungen unterscheiden. Bei den Schuldrückstellungen steht der Schuldcharakter im Vordergrund. Rückstellungen werden für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet, die dem Grunde nach, in ihrer Höhe und/ oder von ihrem Zeitpunkt her noch nicht sicher feststehen. 64 Bei einer Verbindlichkeitsrückstellung besteht eine Verpflichtung gegenüber Dritten. Eine typische Verbindlichkeitsrückstellung ist z. B. die Rückstellung für Pensionszusagen: Für eine in der Regel erst Jahre nach der Zusage zu zahlende Pensionsverpflichtung wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufwandswirksam eine Rückstellung gebildet. Für Verbindlichkeitsrückstellungen besteht eine Bilanzierungspflicht. Im Zusammenhang mit dem Ansatz von Rückstellungen in der Bilanz ergibt sich i. d. R. ein Ermessensspielraum bezüglich der Höhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit der Rückstellung. Neben den genannten Rückstellungsarten kennt das Handelsrecht desweiteren die Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. Die zivilrechtliche Grundlage schwebender Geschäfte ergibt sich aus § 320 BGB. Wer danach aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vor zu leisten verpflichtet ist. Die aus einem 63 Vgl. Scheffler, W. / Köstler, M. / Oßmann, S. (2012), S. 271. 64 Beispiele bei Schneider, W. (2008), S. 300ff. <?page no="91"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 91 Neue Betriebswirtschaft Vertrag im Sinne des § 320 BGB entstehende Pflicht bezieht sich sowohl auf Sachals auch auf Dienstleistungsverpflichtungen, die entweder aus einem Einzelschuldverhältnis (z.B. Kaufvertrag, §§ 433 ff. BGB) oder einem Dauerschuldverhältnis (z.B. Mietverträge, §§ 535 ff. BGB) resultieren können. Soweit beide Seiten ihre Vertragspflicht noch nicht erfüllt haben, handelt es sich um ein schwebendes Geschäft, in dem weder handelsnoch steuerrechtlich der Gewinn oder Verlust bereits realisiert ist. 65 Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft dürfen in der Bilanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (Grundsatz des Bilanzierungsverbotes). Ein Bilanzausweis ist nur geboten, wenn und soweit das Gleichgewicht solcher Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist oder aus diesem Geschäft ein Verlust droht. Diese Bilanzierungsgrundsätze gelten nicht nur für gegenseitige Verträge, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, sondern auch für Dauerschuldverhältnisse. Die Pflicht zur Bildung einer Verlustrückstellung ergibt sich aus dem bilanzrechtlichen Imparitätsprinzip. Durch die Rückstellung dürfen jedoch nur objektiv zu erwartende (drohende) Verluste antizipiert werden; die bloße Möglichkeit, dass das eingeleitete Geschäft mit einem Verlust abgeschlossen wird, reicht hierfür nicht aus. Ein Verlust „droht“, wenn konkrete Anzeichen dafür vorliegen, dass der Wert der eigenen Verpflichtungen aus dem Geschäft den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt (sog. Verpflichtungs- oder Aufwendungsüberschuss), wobei die objektiven Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend sind. Bei der Gruppe der Aufwandsrückstellungen steht die Abgrenzungsfunktion im Vordergrund. Dies bedeutet, dass die zukünftigen Ausgaben in den gegenwärtigen Aufwand transferiert werden. Erlaubt ist die Bildung von Rückstellungen für Abraumbeseitigung und für Instandhaltungsaufwendungen, die im vergangenen Geschäftsjahr unterlassen wurden, jedoch innerhalb der ersten drei Monate des folgenden Geschäftsjahres nachgeholt werden. Zum Zeitpunkt der Rückstellungsbildung ist erfolgswirksam ein Aufwand auf das Aufwandskonto zu buchen, welches sachlich zutreffend ist. Im Haben wird das jeweilige Rückstellungskonto (pass. Bestandskonto) angesprochen. „Aufwandskonto an Rückstellungen“. Eine Rückstellung ist aufzulösen, wenn der Grund, für den die Rückstellung gebildet wurde, eingetreten oder eine Inanspruchnahme nicht mehr wahrscheinlich ist. Es sind drei Fälle zu unterscheiden: 66 Es kommt zu einer erfolgsneutralen Bilanzverkürzung, wenn Auszahlung mit dem Rückstellungsbetrag übereinstimmt. Ist die tatsächliche Zahlung niedriger (höher) als der Rückstellungsbetrag, so entsteht in der Höhe der Differenz zwischen Rückstellungsbetrag und Auszahlung ein sonstiger betrieblicher Ertrag bzw. ein sonstiger betrieblicher Aufwand. 2.5.3 Fortsetzung des Fallbeispiels: Periode 3 In der dritten Periode t3 muss die Karl´s-Horst-GmbH zusätzlich einige Risiken bzw. Verluste berücksichtigen und „verkraften“. Die Anfangsbilanz zum 1.1.t3: Tabelle 2-16: Beispiel - Anfangsbilanz 1.1.t3 Soll Anfangsbilanz 1.1.t3 Haben Maschinen 60.300 € 79.050 € EK RHB 2.500 € 35.500 € Bankdarlehen FE 4.000 € 65 Beispiel hierzu unter http: / / www.welt-der-bwl.de/ Drohverlustrückstellung (abgerufen am 3.4.2018) 66 Vgl. Schneider, W. (2008), S. 304ff. <?page no="92"?> 92 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Ford. LuL 40.000 € Bank 7.250 € Kasse 500 € Bilanzsumme 114.550 € 114.550 € Bilanzsumme Zunächst verkauft die Fa. Erzeugnisse zu 10.000 €, die bar bezahlt werden (GF 1). Die Unternehmung zahlt nun für Gehälter 5.000 €, für Miete nach wie vor 2.000 € (GF 2 und 3). Der Lagerbestand wird komplett an den Markt abgegeben, woraus eine Bestandsminderung an FE resultiert. (GF 4). Die Kunden zahlen ihre Schulden nur in Höhe von 37.000 € statt 40.000 € zurück. 3.000 € fallen mithin wahrscheinlich aus (GF 5 und 11). Es wird für die Produktion 2.500 € an RHB verbraucht (GF 6). Zinsen werden wie in der vergangenen Periode 250 € gezahlt (GF 7). Planmäßige Abschreibungen in Höhe von 6.700 € an (GF 8). Eine Maschine fällt unvorhergesehen aus, die Wertminderung beträgt 3.000 €. (GF 9). Die Unternehmung muss aufgrund Gewährleistung mit einer Inanspruchnahme in späteren Perioden in Höhe von wahrscheinlich 1.500 € rechnen (GF 10). Buchungssätze 1) Bank an Umsatzerlöse ............................................. 10.000 € 2) Personalaufwand an Bank ......................................... 5.000 € 3) Mietaufwand an Bank ............................................... 2.000 € 4) Bestandsveränderung an FE ...................................... 4.000 € 5) Bank an Ford. LuL .................................................... 37.000 € 6) Materialaufwand an RHB .......................................... 2.500 € 7) Zinsaufwand an Bank ................................................... 250 € 8) Abschreibungen SA an Maschinen ............................ 6.700 € 9) Abschreibungen SA an Maschinen ............................ 3.000 € 10) Gewährleistungsaufwand an Rückstellungen ......... 1.500 € 11) Abschreibungen Forderungen an Ford. LuL .......... 3.000 € Die Buchungssätze werden in den Bestandskonten …. Tabelle 2-17: Beispiel - Laufende Buchungen und Abschlussbuchungen im Hauptbuch Soll Maschinen Haben Soll EK Haben AB) 60.300 € 8) 6.700 € GuV/ JF 17.950 € AB) 79.050 € 9) 3.000 € SBK 61.100 € GuV/ JÜ - € SBK 50.600 € 79.050 € 79.050 € 60.300 € 60.300 € Soll Bankdarlehen Haben Soll Fertigerzeugnisse Haben SBK 35.500 € AB) 35.500 € AB 4.000 € 4) 4.000 € 35.500 € 35.500 € 4.000 € 4.000 € Soll Rückstellungen Haben Soll RHB Haben SBK 1.500 € 10) 1.500 € AB) 2.500 € 6) 2.500 € 1.500 € 1.500 € SBK - € 2.500 € 2.500 € <?page no="93"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 93 Neue Betriebswirtschaft Soll Bank Haben Soll Ford. LuL Haben AB) 7.250 € 2) 5.000 € AB) 40.000 € 5) 37.000 € 1) 10.000 € 3) 2.000 € 11) 3.000 € 5) 37.000 € 7) 250 € SBK - € SBK 47.000 € 40.000 € 40.000 € 54.250 € 54.250 € Soll Kasse Haben AB) 500 € SBK 500 € 500 € 500 € …und Erfolgskonten des Hauptbuches wie folgt abgebildet: Tabelle 2-18: Beispiel Buchungen auf den Erfolgskonten in t3 Soll Umsatzerlöse Haben Soll Personalaufwand Haben GuV-K. 10.000 € 1) 10.000 € 2) 5.000 € GuV-K. 5.000 € 10.000 € 10.000 € 5.000 € 5.000 € Soll BV Fertigerzeugnisse Haben 4) 4.000 € GuV 4.000 € Soll Mietaufwand Haben 4.000 € 4.000 € 3) 2.000 € GuV-K. 2.000 € 2.000 € 2.000 € Soll Abschreibungen SA Haben 8) 6.700 € GuV-K. 9.700 € Soll Materialaufwand Haben 9) 3.000 € 6) 2.500 € GuV-K. 2.500 € 9.700 € 9.700 € 2.500 € 2.500 € Soll Gewährleistungsaufwand Haben Soll Zinsaufwand Haben 10) 1.500 € GuV-K. 1.500 € 7) 250 € GuV-K. 250 € 1.500 € 1.500 € 250 € 250 € Soll Abschreib. Forderungen Haben 11) 3.000 € GuV-K. 3.000 € 3.000 € 3.000 € Das GuV-Konto weist einen Jahresfehlbetrag von 17.950 € auf. <?page no="94"?> 94 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Tabelle 2-19: Beispiel - GuV-Konto in t3 Soll GuV-Konto t3 Haben Materialaufwand 2.500 € Umsatzerlöse FE 10.000 € Personalaufwand 5.000 € BV FE - € Mietaufwand 2.000 € Abschreibungen (planm. und außerplanm.) 9.700 € Zinsaufwand 250 € BV FE 4.000 € Gewährleistungsaufwand 1.500 € Abschr. Forderungen 3.000 € JÜ - € JF 17.950 € 27.950 € 27.950 € Das SBK nimmt schließlich zum 31.12.t3 folgende Gestalt an: Tabelle 2-20: Beispiel - SBK 31.12.t3 Soll SBK 31.12.t3 Haben Maschinen 50.600 € 61.100 € EK RHB € 35.500 € Bankdarlehen FE € 1.500 € Rückstellung Ford. LuL € Bank 47.000 € Kasse 500 € Bilanzsumme 98.100 € 98.100 € Bilanzsumme Was passiert, wenn sich statt eines Jahresüberschusses ein Jahresfehlbetrag ergibt? Es besteht zum einen die Möglichkeit, den Bilanzverlust in der Bilanz auszuweisen. Zum anderen können auch Rücklagen aufgelöst und dadurch unter bestimmten Voraussetzungen Verluste ausgeglichen werden (§ 150 AktG). 2.6 Kapital-/ Finanzflussrechnung als Ursachenrechnung für Liquiditätsveränderung Prinzipiell kann das traditionell zweigeteilte Rechnungswesen auch dreigeteilt dargestellt werden, und zwar durch eine Bilanz (Bilanzkonten), durch eine Erfolgsrechnung (Erfolgskonten) und durch eine Finanzrechnung (Finanzkonten). Letztere stellt die (Perioden-)Einzahlungen/ Einnah- <?page no="95"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 95 Neue Betriebswirtschaft men den (Perioden-)Auszahlungen/ Ausgaben unter Berücksichtigung der Zahlungsmittelanfangsbestände entgegen und ermittelt auf diese Weise den Zahlungsmittelendbestand (oder Liquiditätssaldo). Im herkömmlichen, praktisch gebräuchlichen zweigeteilten Rechnungswesen erhält man keine systematisch mit der Bilanz und Erfolgsrechnung verzahnte Finanzrechnung. „Liquiditätswirksame Geschäftsvorgänge werden also undifferenziert auf ein Zahlungsmittelkonto gebucht und nicht wie im dreiteiligen System zunächst ohne unmittelbare Aufrechnung von Einnahmen und Ausgaben und gegliedert nach Zahlungsarten auf eigenständigen Finanzkonten.“ 67 Geschäftsvorfälle, die (wie oben bereits gezeigt) zu einer Veränderung der Liquiden Mittel führen, werden in der Bilanz und in der Kapitalflussrechnung abgebildet. Geschäftsvorfälle, die das Geldvermögen verändern, werden allein in der Bilanz abgebildet. Die Veränderung des Reinvermögens geschieht in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Das folgende Bild soll diese Verzahnungen zwischen den drei Rechnungswesenteilen noch einmal veranschaulichen: Abbildung 2-29: Interdependenzen zwischen Bilanz, Erfolgsrechnung und Kapitalfluss-/ Finanzrechnung Quelle: Wöltje, J. (2019b), S. 30. Die Veränderung der Liquiden Mittel tragen in der Bilanz zur Abbildung der Entwicklung der Liquiditäts- und Vermögenslage bei, in der Finanz- oder Kapitalflussrechnung (KFR) werden dann die Ursachen für diese Veränderungen deutlich. Zu diesem Zweck werden die Einzahlungen und Auszahlungen hinsichtlich zentraler Unternehmensbereiche (nämlich operative Tätigkeit, Investitions- und Finanzierungstätigkeit) differenziert. 67 Schierenbeck, H. / Wöhle, C.B. (2012), S. 603. <?page no="96"?> 96 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Aufbau einer Kapital-/ Finanzflussrechnung (KFR) Im Allgemeinen werden die Zahlungsströme in drei Stufen des Cash-Flows unterschieden: Cash-Flow aus operativer Tätigkeit Cash-Flow aus Investitionstätigkeit Cash-Flow aus Finanzierungstätigkeit Um diese Cash-Flow zu errechnen, werden alle Ein- und Auszahlungen einer Periode betrachtet und ihrer Wirkung nach entsprechend zugeordnet. Dabei gibt es zwei Methoden: die indirekte und die direkte Methode. In der Praxis findet die indirekte Methode am häufigsten Anwendung, da bei dieser Methode die Cash-Flows aus dem Jahresüberschuss der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt werden können. Im Folgenden werden beide Berechnungen kurz skizziert. 68 Die indirekte Methode geht vom Jahresüberschuss aus und korrigiert diesen durch Hinzufügen der nicht zahlungswirksamen Aufwendungen, wie zum Beispiel Abschreibungen oder Einstellungen in die Rückstellungen. Zudem werden zahlungsunwirksame Erträge heraus gerechnet, wie zum Beispiel Zuschreibungen oder Erträge aus der Auflösung von Rückstellungen. Daraus ergibt sich der Cash-Flow der laufenden Geschäftstätigkeit. Die direkte Methode berechnet die Cash-Flows nicht über den Jahresüberschuss der Gewinn- und Verlustrechnung, sondern betrachtet Veränderungen aus internen Ein- und Auszahlungen, welche nur bedingt aus dem Jahresabschluss hervorgehen. Dafür werden die Einzahlungen von Kunden, aufgrund von Erzeugnisverkäufen mit sonstigen, nicht der Investition und Finanzierung zuzuordnenden, Einzahlungen addiert und um entsprechende Auszahlungen, wie zum Beispiel die Bezahlung von Lieferanten, reduziert. Daraus ergibt sich der Cash-Flow der laufenden Geschäftstätigkeit. Im Anschluss wird bei beiden Methoden gleich der Cash-Flow der Investitionstätigkeit gebildet. Dafür werden Einzahlungen aus dem Abgang von Anlagevermögen ermittelt und um Auszahlungen für den Erwerb von Anlagevermögen reduziert. Der Cash-Flow der Finanzierungstätigkeit wird in der direkten und indirekten Methode ebenfalls gleich berechnet. Dabei werden Einzahlungen in das Eigenkapital oder aus der Kreditaufnahme zusammengefasst und reduziert um Auszahlungen an Gesellschafter oder Kredittilgungen. Um den Finanzmittelbestand der betrachteten Periode zu ermitteln, werden die gebildeten Cash-Flows addiert und ggf. um wechselkursbedingte Wertveränderungen bereinigt. Die Summe daraus wird mit dem Anfangsbestand der Periode addiert und ergibt somit den Finanzmittelbestand am Ende der Periode. Aussagekraft der Kapital-/ Finanzflussrechnung (KFR): Die Information, die eine KFR enthält, ist in der Bilanz und der GuV zwar enthalten, aber nicht explizit aus ihnen ersichtlich. Eine KFR hilft dem Informationsempfänger, die liquiditätsmäßigen Rahmenbedingungen eines Unternehmens einzuschätzen, damit die Entscheidungen des Managements besser zu beurteilen und zukünftige Zahlungsströme besser zu prognostizieren sind. Sie ermöglicht darüber hinaus die Fähigkeit des Unternehmens einzuschätzen, Zinsen und Darlehenstilgungen aufzubringen und Gewinnausschüttungen vorzunehmen. 69 Die Gewinnung von positiven Zahlungsströmen aus dem operativen Bereich ist für Unternehmen wesentlich. Sollten dauerhaft zu geringe Zahlungsmittel zufließen, würde das Überleben bedroht sein. Bei genügend positiven Zahlungsmittelströmen hingegen kann das Unternehmen wachsen, hat bei Bedarf ausreichend Geld für F&E sowie für gut bezahlte Mitarbeiter. 68 Quelle: https: / / www.controllingportal.de/ Fachinfo/ Grundlagen/ Die-Kapitalflussrechnung.html (abgerufen am 14.8.2017) 69 Vgl. Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 305. <?page no="97"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 97 Neue Betriebswirtschaft Mit den Daten einer KFR lassen sich problembeladene Unternehmen relativ gut identifizieren. 70 „Negative operative Zahlungsströme sollten spätestens ab dem zweiten Jahr ernsthaft betrachtet werden. Ohne einen positiven Zahlungsstrom aus dem operativen Bereich kann ein Unternehmen nicht bestehen. Es genügt dann nicht, auf positive Zahlungsströme aus dem Investitions- oder Finanzbereich zu hoffen.“ 71 In unserem Fallbeispiel sieht die KFR für das Jahr t1 wie folgt aus. Tabelle 2-21: KFR in t1 Umsatzeinzahlungen 0 € Wareneinkauf - 3.500 € Personalzahlungen 0 € Mietzahlungen 0 € Saldo operativer Bereich (1) - 3.500 € Saldo Investitionsbereich (2) 0 € Aufnahme Bankdarlehen 1.500 € Saldo Finanzierungsbereich (3) 1.500 € Δ Fonds „Liquide Mittel" (1+2+3) - 2.000 € Stand Liquide Mittel per 1.1.t2 3.000 € Stand Liquide Mittel per 31.12.t2 1.000 € In der Periode 1 wurden keine Umsatzerlöse erzielt, sondern lediglich Waren für 3.500 eingekauft, zunächst auf Kredit (GV 2), dann zu 2.000 teilbezahlt (GV 3), die Verbindlichkeiten aus LuL wurden getilgt, wofür ein Bankdarlehen über 1.500 aufgenommen wurde (GV 4). Die liquiden Mittel (Bank + Kasse) haben sich dadurch um 2.000 vermindert. Die KFR der Periode2 sieht wie folgt aus: Tabelle 2-22: KFR in t2 Umsatzeinzahlungen 25.000 € (nur Barverkäufe) RHB-Einkauf - 10.000 € Personalzahlungen - 5.000 € Mietzahlungen - 2.000 € Fremdkapitalzinszahlung - 250 € Saldo operativer Bereich (1) 7.750 € Saldo Investitionsbereich (2) 0 € Tilgung Bankdarlehen - 1.000 € Saldo Finanzierungsbereich (3) - 1.000 € Δ Fonds „Liquide Mittel" (1+2+3) 6.750 € Stand Liquide Mittel per 1.1.t3 1.000 € Stand Liquide Mittel per 31.12.t3 7.750 € 70 Vgl. Krehl, H. / Hauschildt, J. (1988), S. 91ff. 71 Möller, H.P. / Hüfner, B. (2007), S. 322. <?page no="98"?> 98 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die Liquiden Mittel haben um 6.750 € zugenommen. Diese Zunahmen resultieren im operativen Bereich aus Umsatzeinzahlungen (25.000 €) sowie (negativ) den Auszahlungen für den Einkauf von RHB und Waren, Personalzahlungen, Mietzahlungen sowie Zinszahlungen insgesamt über 17.250 €, sodass ein Einzahlungsüberschuss im operativen Bereich von 7.750 € verbleibt. Der Investitionsbereich weist keinen Zahlungssaldo auf, der Finanzierungsbereich hingegen durch die Rückzahlung eines Bankdarlehens einen Saldo in Höhe von -1.000 € auf. Eine Periode später ergibt sich dann folgende KFR: Tabelle 2-23: KFR in t3 Umsatzeinzahlungen 47.000 € Wareneinkauf - € Mietzahlungen - 2.000 € Personalauszahlungen - 5.000 € Fremdkapitalzinszahlung - 250 € Saldo operativer Bereich (1) 39.750 € Saldo Investitionsbereich (2) - € Aufnahme Bankdarlehen - € Saldo Finanzierungsbereich (3) - € Δ Fonds „Liquide Mittel" (1+2+3) 39.750 € Stand Liquide Mittel per 1.1.t3 7.750 € Stand Liquide Mittel per 31.12.t3 47.500 € Hier hat sich der Fonds der Liquiden Mittel um 39.750 erhöht. Dies resultiert aus Umsatzeinzahlungen von 47.000 (10.000 Barverkäufe + 37.000 Forderungseingänge aus t2) und Auszahlungen für Miete, Personal und Zinsen über 7.250. Das Bankdarlehen wurde nicht berührt, und es gab weder Investitionsauszahlungen noch sonstige Finanzierungs-/ Kapitalein- oder auszahlungen. Die folgende Tabelle zeigt zusammenfassend die Entwicklung der Bilanz, GuV und KFR über die drei Jahre unseres Beispielfalls: Tabelle 2-24: Beispiel - Vermögensveränderung, GuV und KFR über alle Perioden t0 bis t3 Bilanz t0 t1 t2 t3 Maschinen 67.000 € 67.000 € 60.300 € 50.600 € Waren/ RHB/ FE 5.000 € 8.500 € 6.500 € - € Forder. LuL - € - € 40.000 € - € Liquide Mittel (Bank/ Kasse) 3.000 € 1.000 € 7.750 € 47.500 € BS 75.000 € 76.500 € 114.550 € 98.100 € EK 40.000 € 40.000 € 79.050 € 61.100 € Darlehen 35.000 € 36.500 € 35.500 € 35.500 € Rückstellungen - € - € - € 1.500 € BS 75.000 € 76.500 € 114.550 € 98.100 € <?page no="99"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 99 Neue Betriebswirtschaft Δ Bilanz t0 t1 t2 t3 Liquide Mittel (+/ -) 3.000 € - 2.000 € 6.750 € 39.750 € sonst. Finanzvermögen (+/ -) - € - € - € - € Forderungen (+/ -) - € - € 40.000 € - 40.000 € Fremdkapital (-/ +) - 35.000 € - 1.500 € - 1.000 € - 1.500 € = Geldvermögen (+/ -) - 32.000 € - 3.500 € 45.750 € - 1.750 € Sachanlagen 67.000 € - € - 6.700 € - 9.700 € Waren/ RHB/ FE 5.000 € 3.500 € - € - 6.500 € = Reinvermögen (+/ -) 40.000 € - € 39.050 € - 17.950 € GuV t0 t1 t2 t3 Umsatzerlöse 65.000 € 10.000 € BV FE 4.000 € - 4.000 € Wareneinsatz/ RHB-/ Materialverbrauch - 16.000 € - 2.500 € Rohertrag - € - € 53.000 € 3.500 € Personal-/ Mietaufwand - 7.000 € - 7.000 € Abschreibungen Sachanlagen - 6.700 € - 9.700 € Abschreibungen Forderungen - € - 3.000 € Veränder. Rückstellungen - € - 1.500 € Betriebsergebnis - € - € 39.300 € - 17.700 € Zinsaufwand - 250 € - 250 € Finanzergebnis - € - € - 250 € - 250 € Jahresüberschuss - € - € 39.050 € - 17.950 € KFR t0 t1 t2 t3 Umsatzeinzahlungen - € - € 25.000 € 47.000 € Wareneinkauf - 5.000 € - 3.500 € - 10.000 € - € Personal-/ Mietauszahlungen - € - € - 7.000 € - 7.000 € Saldo operativer Bereich - 5.000 € - 3.500 € 8.000 € 40.000 € Kauf Maschinen - 67.000 € - € - € - € Saldo Investitionsbereich - 67.000 € - € - € - € Aufnahme Bankdarlehen 35.000 € 1.500 € - 1.000 € - € Kapitaleinzahlung 40.000 € - € - € - € Zinsauszahlungen - € - € - 250 € - 250 € Saldo Finanzierungsbereich 75.000 € 1.500 € - 1.250 € - 250 € Δ Fonds „Liquide Mittel" 3.000 € - 2.000 € 6.750 € 39.750 € Stand Liquide Mittel per 1.1.tx - € 3.000 € 1.000 € 7.750 € Stand Liquide Mittel per 31.12.tx 3.000 € 1.000 € 7.750 € 47.500 € <?page no="100"?> 100 Uwe Christians Neue Betriebswirtschaft Die vier Perioden sollen zusammenfassend noch einmal dargestellt werden. In der Periode Null wurden typische Gründungsaktivitäten (Kapitaleinzahlung und Darlehensaufnahme sowie Investition in Sachanlagen und Wareneinkauf) vorgenommen. Die erste Periode war ausschließlich durch erfolgsunwirksame Geschäftsfälle geprägt, und zwar wurden die vier klassischen Geschäftsvorfälle (Aktiv- und Passivtausch sowie Bilanzverlängerung und -verkürzung) gebucht. Insofern ergab sich keine Veränderung des Eigenkapitals (da auch keine Privatvorgänge vorkamen). Nur die Bilanzstruktur veränderte sich. Die liquiden Mittel nahmen leicht ab. In der Periode zwei wurden erfolgswirksame Geschäftsvorfälle verbucht. So wurden einige typische Auszahlungsvorgänge, wie Personal- und Miet- und Zinszahlungen vorgenommen. Darüber hinaus sind Abschreibungen auf Anlagen, Einkäufe von Materialien, Produktion von Erzeugnissen, Bestandsaufbau, also Lagerhaltung, und schließlich Verkäufe von Waren und Fertigerzeugnissen durchgeführt worden. Zum Teil wurden die Verkäufe in bar beglichen, zum Teil auf Rechnung geliefert. Das Jahresergebnis war relativ hoch, während der Liquiditätszuwachs demgegenüber deutlich zurückblieb. Die letzte, dritte, Periode war durch hohe Umsatzeinzahlungen, bei geringeren Umsatzerlösen, sowie Buchverlusten (Abschreibungen und Rückstellungsbildung) gekennzeichnet. Folge war ein deutliches Auseinanderfallen von Liquiditätssaldo (positiv) und Jahresergebnis (negativ). <?page no="101"?> 2 Buchhaltung, Bilanzierung und Finanzflussrechnung 101 Neue Betriebswirtschaft Anlage: Bilanzgliederung nach § 266 HGB <?page no="102"?> 102 Uwe Christians Literatur Auer, K.W., Externe Rechnungslegung, Berlin u.a. 2000. Bleis, C., Grundlagen Investition und Finanzierung, 2. Aufl., München-Wien 2009. Bossert, R. / Hartmann, P., Übungsbuch Jahresabschluss, Konzernabschluss nach HGB, IAS/ IFRS und US-GAAP, 3. Aufl., Stuttgart 2005. Buchholz, R., Grundzüge des Jahresabschlusses nach HGB und IFRS, 5. Aufl., München 2009. 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Die Grundlagen des modernen Finanzmanagements, München 2004. <?page no="103"?> Neue Betriebswirtschaft 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille Peter P. Eckstein Lernziele Die abschnittbezogenen Darstellungen sollen Ihnen anschaulich vermitteln, dass eine moderne Betriebswirtschaftslehre untrennbar mit der Angewandten Statistik verwoben ist, so, wie auf einer Medaille oder Geldmünze ein prägendes Wappen und eine Zahl ein einheitliches Ganzes bilden. die Statistik eine historisch gewachsene wissenschaftliche Disziplin ist, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung eine Zustandsbeschreibung eines realen Sachverhalts kennzeichnet, woraus sich ihre Etikettierung als „die Wissenschaft von der empirischen Erkenntnis“ erklärt. die Statistik aus methodischer Sicht zum einen in die Teilgebiete Deskriptive Statistik, Stochastik und Induktive Statistik und zum anderen in die Theoretische Statistik und in die Angewandte Statistik gegliedert wird. die Angewandte Statistik insbesondere mit der Verfügbarkeit moderner Rechentechnik und einschlägiger Softwarepakete einen vielfältigen Katalog von Verfahren und Methoden zur Gewinnung, Erfassung, Aufbereitung, Darstellung, Analyse, Modellierung und Vorhersage betriebswirtschaftlicher Daten zum Zwecke der Erkenntnisgewinnung und Entscheidungsfindung umfasst. die Erläuterung von statistischen Grundbegriffen unabdingbar ist für eine sachlogisch begründete und exakte Anwendung statistischer Analyseverfahren. die Verteilungsanalyse, die Korrelationsanalyse und die Regressionsanalyse klassische und in der betriebswirtschaftlichen Praxis häufig applizierte statistische Analyseverfahren kennzeichnen. sowohl deskriptive als auch induktive statistische sowie stochastische Betrachtungen ein integraler Bestandteil betriebswirtschaftlicher Anwendungen sind. 3.1 Vorbemerkungen Im Kontext des dritten Kapitels stehen statistisch-methodische und datenanalytische Betrachtungen im Zentrum der essayistischen Abhandlungen, die betriebswirtschaftlich motiviert und sachlogisch begründet sind. In Anlehnung an die Kapitelüberschrift werden dabei die Statistik mit der zahlenmäßig geschmückten Seite und die Betriebswirtschaft mit dem charakteristischen Wappen einer Medaille assoziiert. Während im Abschnitt 3.2 historische Notizen zur Statistik angeboten werden, stehen im Abschnitt 3.3 paradigmatische Erläuterungen von statistischen Grundbegriffen im Zentrum der Betrachtungen. Im Mittelpunkt des Abschnitts 3.4 stehen Anmerkungen zur Datenerhebung, worin die Erläuterung der im Rahmen der essayistischen Abhandlungen benutzten Realdaten eingeschlossen ist. Während im Abschnitt 3.5 anhand der vorgestellten Realdaten verteilungsanalytische Betrachtungen anschaulich dargestellt und erläutert werden, beinhaltet der Abschnitt 3.6 elementare wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen, in deren Zentrum der Wahrscheinlichkeitsbegriff, die Berech- <?page no="104"?> 104 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft nung von Wahrscheinlichkeiten sowie das theoretische Modell einer Normalverteilung stehen. Gleichwohl insbesondere die paradigmatischen Abhandlungen im Hinblick auf eine Erlöshochrechnung, die auf einem fiktiven Verkauf einer Palette von Hühnereiern basiert, in einem ersten Augenblick etwas skurril anmutet, ist die skizzierte Erlösprognose ein anschauliches und praxisrelevantes Beispiel für das Zusammenspiel von betriebswirtschaftlichen Kategorien und statistischen Analyseverfahren. Im Abschnitt 3.7 stehen Betrachtungen zur statistischen Korrelation im Vordergrund, die es stets kausalanalytisch zu begründen gilt, wenn man sich nicht auf das Glatteis von sogenannten Scheinkorrelationen begeben möchte. Im Abschnitt 3.8 werden regressionsanalytische Betrachtungen angeboten, die jeweils auf einem praxisrelevanten und realdatenbasierten Sachverhalt beruhen. Das Abschnitt 3.9 beinhaltet Schlussbemerkungen zu den angebotenen essayistischen Abhandlungen, worin auch Literaturempfehlungen eingeschlossen sind. 3.2 Historische Notizen zur Statistik Im Kontext des Abschnitts 3.2 werden historische Notizen zur Statistik angeboten, die eine Begründung dafür liefern, warum die Statistik eine historisch gewachsene Disziplin ist, die auf den fünf Säulen der materiellen Statistik, der Universitätsstatistik, der politischen Arithmetik, der mathematischen Statistik sowie der Stochastik fußt. 72 Materielle Statistik Johann Sebastian Bach (*1685, †1750), der Genius der spätbarocken Musik, lässt in Anlehnung an das Biblische Geschichtsbuch nach Lukas in der ersten Kantate seines Weihnachtsoratoriums nach dem Eingangschor Jauchzet! frohlocket! auf! preiset die Tage ... den Evangelisten in einem Tenor-Rezitativ mitteilen, ... daß ein Gebot von dem Kayser Augusto ausgieng , daß alle Welt geschätzet würde. Und jedermann gieng daß er sich schätzen liesse, ein ieglicher in seine Stadt ... Gleichwohl die biblische Weihnachtsgeschichte nach Lukas historisch nicht belegt ist, eignet sie sich dennoch zur Erleuchtung einer der historischen Quellen der Statistik, der sogenannten materiellen Statistik. Wann, wo und wie auch immer Menschen in einem Gemeinwesen lebten, sie bedurften zu dessen Verwaltung stets Kenntnisse über seine elementaren inneren Strukturen sowie über seine natürlichen und seine räumlichen Veränderungen. Das Motiv der Volkszählung, die in der Weihnachtsgeschichte erwähnt wird, liegt daher auf der Hand: Der römische Landpfleger Cyrenius konnte sich anhand dieser „Schätzung“ zum Beispiel nicht nur einen Überblick über die Anzahl der waffenfähigen Männer, sondern auch über die Anzahl der steuerpflichtigen Bevölkerung in Judäa verschaffen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang gleichsam die allegorische Darstellung dessen, was in der modernen Bevölkerungsstatistik unter dem Begriff der räumlichen und der natürlichen Bevölkerungsbewegung subsumiert wird: Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt David, die da heißet Bethlehem ..., daß er sich schätzen liesse mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie da selbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Unterschied zur biblischen Weihnachtsgeschichte nach Lukas der römische Zensus, der ihr zugrunde liegt, historisch verbrieft ist. Die 72 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 1.1, Seite 2 ff <?page no="105"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 105 Neue Betriebswirtschaft synonyme Verwendung des Begriffs Zensus für die Bevölkerungszählung eines bestimmten Territoriums findet ihren Ursprung in der Vermögensschätzung der freien Bürger des alten Roms und ihrer Erfassung in sogenannten Steuerlisten unter Angabe ihres Namens und ihres Wohnortes. Universitätsstatistik Interessant ist dabei, dass der heutzutage allseits geläufige Begriff Statistik allerdings erst ausgangs des 17. Jahrhunderts und eingangs des 18. Jahrhunderts in den Vorlesungstiteln deutscher Universitätsprofessoren auftauchte, die traditionell ihre Kollegien in lateinischer Sprache ministrierten. Der wohl bekannteste Vertreter der sogenannten Universitätsstatistik, die als eine zweite historische Quelle der Statistik angesehen werden kann, ist Gottfried Achenwall (*1719, †1772), der als Ordinarius für Staatenkunde an der Universität Göttingen lehrte und im Jahr 1748 begann, seine Kollegien zu den Staatsmerkwürdigkeiten mit dem originären lateinischen Titel Noticia politica vulgo statistica zu versehen und zu lesen. Achenwall bezeichnete erstmalig sein Kolleg als Statistik, weshalb ihm in der einschlägigen historischen Literatur auch der Ehrenname Vater der Statistik verliehen wurde. 73 Der etymologische Ursprung des Begriffs Statistik liegt letztlich in der Zustandsbeschreibung eines Staates bzw. von „Land und Leuten“ und koinzidiert mit den eingangs skizzierten Vorgängen und Zielstellungen der sogenannten materiellen Statistik. Die „verstaubte“ Kathederlehre der Universitätsstatistiker erfuhr allerdings eingangs des 18. Jahrhunderts eine „erfrischende“ und anfangs von den Universitätsstatistikern schärfstens befehdete Konkurrenz: die politischen Arithmetiker. Politische Arithmetik Im Unterschied zu der verbalen Kathederlehre der deutschen Universitätsstatistiker mit ihren vorrangig theoretischen Arbeiten zu den Staatsmerkwürdigkeiten waren die sogenannten politischen Arithmetiker mit Hilfe von Zahlen auf der Suche nach den Gesetzmäßigkeiten sozialer und wirtschaftlicher Zustände und Vorgänge. Der wohl bekannteste deutsche Vertreter der sogenannten Politischen Arithmetik, die als eine dritte historische Quelle der Statistik angesehen werden kann, war der Brandenburg-Preußische Feldprediger und spätere Probst zu Berlin-Cölln Johann Peter Süßmilch (*1707, †1767). Süßmilch erbat sich von seinen Pastorenkollegen aus insgesamt 1068 Dörfern der brandenburgischen Kurmark Kirchenbuchauszüge über Taufen, Trauungen und Sterbefälle und fasste seine fundamentalen und im Wesentlichen heute noch gültigen bevölkerungsstatistischen Erkenntnisse in seiner faszinierenden „Göttlichen Ordnung“ 74 zusammen. Bereits in der Vorrede des Verfassers, in der Süßmilch den Leser in seine Gedankenwelt einführt, vermag er diesen mittels seiner theologisch und allegorisch geprägten Sprache und durch sein geradezu modern anmutendes statistisches Denken zu fesseln, wenn er konstatiert: Alles ist hieben nach gewissen Zahlen und Verhältnissen eingerichtet. Die Menschen werden gebohren und sterben, aber allezeit in einer gewissen Verhältniß. Es werden Kinder, Söhne und Töchter durcheinander, geboren, aber ohne Verletzung der einmal von der Vorsehung beliebten Ordnung. Die Menschen sterben in Ansehung des Alters dem ersten Anblick nach ganz unordentlich untereinander, bey genauerer Wahrnehmung aber gleichfalls nach einer bestimmten Verhältniß. Da nun zu dem allen der Mensch wenig oder nichts beyträget, und ein ohngefehrer Zufall ein verlachungswürdiges Unding ist: so werden wir dadurch in dieser Wahrheit bevestiget, dass Gott für das menschliche Geschlecht Sorge trage. 75 73 Vgl. Tyszka, Carl von: Statistik, Teil I: Theorie, Methode und Geschichte der Statistik, Gustav Fischer Verlag, Jena 1924, Seite 84 ff 74 Süßmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, Tod, Fortpflanzung desselben erwiesen von Johann Peter Süßmilch, Prediger beym hochlöblichen Kalcksteinischen Regiment. Nebst einer Vorrede Herrn Christian Wolffens. Berlin, zu finden bey J. C. Spener 1741, Faksimile der Originalausgabe 75 Süßmilch, a.a.O., Seite 21 ff <?page no="106"?> 106 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Mathematische Statistik Als eine vierte Quelle der Statistik kann die sogenannte mathematische Statistik aufgefasst werden, die im Unterschied zur politischen Arithmetik nicht nur die bloße statistische Deskription massenhaft erhobener Informationen über soziale Phänomene, sondern ursprünglich die Beschreibung und Nachbildung massenhaft erhobener Informationen über natürliche Phänomene mit Hilfe mathematischer Verfahren zum Gegenstand hatte. Stellvertretend für die Phalanx berühmter mathematischer Statistiker sollen im Kontext der historischen Notizen zur Statistik lediglich zwei Berühmtheiten erwähnt und zugleich gewürdigt werden: zum einen der geniale deutsche Mathematiker, Astronom und Geodät Carl Friedrich Gauß (*1777, †1855) und zum anderen der englische Meteorologe, Biometriker und Statistiker Sir Francis Galton (*1822, †1911). Mit Gauß werden in der mathematischen Statistik vor allem die Methode der kleinsten Quadratesumme (vgl. Abschnitt 3.8) und das Modell einer Normalverteilung (vgl. Abschnitt 3.6) assoziiert, die er beide im Zuge der Auswertung massenhaft erhobener geodätischer Daten, die im Rahmen seiner langjährig währenden Landesvermessung des Königreichs Hannover anfielen, zum Zwecke der Ausgleichsrechnung von Messfehlern entwickelte bzw. als Messfehlergesetz entdeckte. Galton, der ein Cousin des Begründers der Evolutionstheorie Charles Darwin (*1809, †1882) war, wird als der geistige Vater der Korrelationsanalyse und der Regressionsanalyse gewürdigt, die er in seinem 1889 erschienenen Werk Natural Inheritance im statistischen Sinne anhand der Vererbung der menschlichen Körpergröße begründete und die beide ein spezieller Gegenstand der Abschnitte 3.7 und 3.8 sind. Galton ist zudem auch der Erfinder des nach ihm benannten Galton-Brettes 76 , das wegen seiner Originalität und Anschaulichkeit ein brillantes didaktisches Instrument zur bildhaften Verdeutlichung anspruchsvoller und substantieller statistischer Konzepte ist, worunter vor allem das schwache Gesetz großer Zahlen und die beiden theoretischen Verteilungsmodelle einer Binomialverteilung und einer Normalverteilung zu nennen sind. 77 Stochastik Der Vollständigkeit halber muss im Kontext der historischen Notizen zur Statistik noch die Stochastik 78 als eine fünfte historische Quelle der Statistik erwähnt werden, die im Unterschied zu den vorher vermerkten vier Quellen losgelöst von realen wirtschaftlichen, sozialen und natürlichen Phänomenen ihren Ursprung in theoretischen Abhandlungen über das Glücksspiel hat und in Anlehnung an ihren griechischen Wortursprung mit „geschicktem Erraten zufälliges Geschehens“ übersetzt werden kann. Ihr Kernstück ist die Wahrscheinlichkeitstheorie, die neben Verfahren und Modellen zur mathematisch-statistischen Beschreibung von zufälligen Ereignissen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten auch Aussagen über deren Gesetzmäßigkeiten liefert und ohne deren Axiome, Methoden und Modelle heute keine Entscheidungsfindung unter Risiko mehr denkbar erscheint, unabhängig davon, ob es sich um Entscheidungsprozesse in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften handelt. Als die geistigen Väter der Stochastik im Allgemeinen und der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Speziellen können der Schweizer Mathematiker Jacob Bernoulli (*1654, †1705) und der französische Physiker und Mathematiker Pierre Simon Marquis le Comte Laplace (*1749, †1827) angesehen werden. 76 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Seite 272 ff 77 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.6, Seite 205 ff 78 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Teil II, Seite 175 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6, Seite 133 ff <?page no="107"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 107 Neue Betriebswirtschaft Während Jacob Bernoulli (als Spross einer berühmten Schweizer Mathematiker-Familie) in seinem 1713 postum veröffentlichten Traktat Ars conjectandi dem Wahrscheinlichkeitsbegriff eine universelle Bedeutung zuweist und ihn damit von den Ketten befreit, die ihn ursprünglich an die bloße und pragmatische Betrachtung von Chancen beim Glücksspiel schmiedeten, fasste Laplace in seinem erstmals 1812 erschienenen Buch Théorie analytique des probabilités das wahrscheinlichkeitstheoretische Wissen seiner Zeit zusammen. Auf Laplace geht unter anderem der klassische Wahrscheinlichkeitsbegriff zurück, der aus didaktisch-methodischen Gründen und der Anschaulichkeit halber meistens im Kontext von Glücksspielen (etwa das Werfen einer Münze oder eines „idealen“ Spielwürfels) eingeführt wird. Nicht unerwähnt bleiben darf und soll in diesem Zusammenhang der russische Mathematiker Andrej Nikolajewitsch Kolmogorov (*1903, †1987), der in einem erstmals 1933 publizierten Traktat nicht nur den axiomatischen Wahrscheinlichkeitsbegriff begründete, sondern damit auch einen fundamentalen Baustein der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie legte, die heute ein integraler Bestandteil der akademischen Ausbildung auch und gerade auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften ist. Die Kernaussagen der drei Kolmogorovschen Axiome, die gemäß ihrem griechischen Wortursprung Lehrsätze sind, die allgemein gültig sind und die man nicht zu beweisen braucht, lassen sich mit der folgenden Kernaussage zusammenfassen: Die Wahrscheinlichkeit ist ein reellwertiges Maß für den Grad der Gewissheit bzw. Ungewissheit des Eintretens eines zufälligen Ereignisses, das nur Werte zwischen null und eins annehmen kann. Wenn auch losgelöst von den praktischen Dingen des Lebens, so leisteten die Wahrscheinlichkeitstheoretiker, aus deren Phalanx einmal nur drei Persönlichkeiten eine Erwähnung und kurze Würdigung fanden, zweifelsfrei einen unschätzbaren und substantiellen Beitrag zur inhaltlichen Gestaltung und methodischen Qualifizierung dessen, was heute unter dem „modernen“ Begriff der Statistik subsumiert wird. Statistik ist die Bezeichnung für die Gesamtheit von Verfahren und Methoden zur Gewinnung, Erfassung, Aufbereitung, Analyse, Darstellung, Modellierung und Vorhersage von (möglichst) massenhaften, zähl-, mess- und systematisch beobachtbaren Daten über reale Sachverhalte zum Zwecke der Erkenntnisgewinnung und Entscheidungsfindung (meist unter Ungewissheit). 3.3 Statistische Grundbegriffe Aus statistisch-methodischer Sicht ist analog zur Abbildung 3-1 ein Gebrauchtwagenmarkt eine endliche, allerdings hinsichtlich ihres Umfanges nicht näher bestimmte, jedoch sachlich, örtlich und zeitlich genau abgegrenzte Menge von gebrauchten Personenkraftwagen, die es hinsichtlich interessierender Eigenschaften wie Zeitwert, Alter, Fahrleistung etc. statistisch zu erfassen und zu beschreiben gilt. Dabei erscheint das reale Objekt in Gestalt eines PKW als das kleinste Element der angestrebten statistischen Beschreibung, das synonym auch als statistische Einheit, Merkmalsträger, Beobachtungseinheit, Erfassungs- oder Erhebungseinheit bezeichnet wird. Während man im konkreten Fall die Menge aller im dritten Quartal 2017 auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt zum Verkauf angebotenen PKW unter dem Begriff einer statistischen Grundgesamtheit subsumiert, bezeichnet man eine wohldefinierte, repräsentative und bezüglich ihres Um- <?page no="108"?> 108 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft fanges konkret bestimmte Teilmenge von gebrauchten PKW im Sinne der Deskriptiven Statistik als eine statistische Gesamtheit und im Sinne der Induktiven Statistik als eine Stichprobe, mit der man einen statistischen Schluss auf eine statistische Grundgesamtheit wagt. Abb. 3-1: Gebrauchtwagenmarkt Aus den einführenden und paradigmatischen Betrachtungen lassen sich die folgenden statistischen Grundbegriffe ableiten: Statistische Einheit Eine statistische Einheit γ (lies: Klein-Gamma) ist das kleinste Element in der Statistik. Eine statistische Einheit γ ist ein Träger von Informationen bzw. Eigenschaften, die für eine statistische Untersuchung von Interesse sind. Aus statistisch-methodischer Sicht ist zu beachten, dass eine statistische Einheit, die in einschlägigen und in englischer Sprache verfassten Fachbüchern als ein Fall (engl.: case) gekennzeichnet wird, einerseits ein reales Objekt (etwa eine Person, ein Unternehmen, ein Kraftfahrzeug, ein Hühnerei etc.) und andererseits ein Fall bzw. ein Vorgang (etwa ein Verkehrsunfall, ein Arztbesuch, ein Kriminalfall etc.) sein kann. Bei einer sogenannten Fallbzw. Vorgangsstatistik ist stets zwischen dem einzelnen Vorgang und den daran beteiligten realen Objekten zu unterscheiden. Abb. 3-2: Verkehrsunfall Die (aus Datenschutzgründen bewusst verwischte) Abbildung 3-2 mit dem Bild von einem Verkehrsunfall ist ein anschauliches Beispiel für eine statistische Einheit als ein Vorgang, an dem im speziellen Fall zwei Personen und zwei Personenkraftwagen in ihrer statistisch-methodischen Kennzeichnung als reale Objekte beteiligt sind bzw. waren. <?page no="109"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 109 Neue Betriebswirtschaft Statistische Gesamtheit Eine endliche Menge Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} wohl unterschiedener statistischer Einheiten γ i , die hinsichtlich sachlicher, örtlicher und zeitlicher Identifikationsmerkmale gleich abgegrenzt sind, heißt statistische Gesamtheit Γ n (lies: Groß-Gamma) vom Umfang n. Die eingangs des Abschnitts 3.3 indizierte Abbildung 3-1 von einem Gebrauchtwagenmarkt ist ein anschauliches Beispiel für eine statistische Gesamtheit, die hinsichtlich ihrer Identifikationsmerkmale inhaltlich wie folgt abgegrenzt ist: i) sachlich: gebrauchte und zum Verkauf angebotene PKW, ii) örtlich: auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt, iii) zeitlich: im dritten Quartal 2017. Die statistische Einheit γ i ist dabei ein reales Objekt in Gestalt eines Personenkraftwagens. Die Anzahl n der statistischen Einheiten ist im gegebenen Fall nicht näher bestimmt. Ein weiteres anschauliches Beispiel für eine statistische Gesamtheit gewährt die Abbildung 3-3, in der eine Palette von Hühnereiern indiziert wird, die aus didaktisch-methodischen Gründen für die weiteren Betrachtungen von praktischer Relevanz ist. Abb. 3-3: Palette von Hühnereiern Die statistische Einheit wird durch das reale Objekt eines Hühnereies γ i der Ordnung i repräsentiert. In Anlehnung an seinen lateinischen Wortursprung fungiert der Index i als ein auf der Menge der natürlichen Zahlen ℕ = {1, 2, 3, …} variierender Zeiger, der die Elemente γ i ∈ Γ n der betrachteten statistische Gesamtheit Γ n im Erscheinungsbild einer Palette von Hühnereiern zählt. Im Hinblick auf die paradigmatischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.4 beläuft sich im konkreten Fall die Anzahl n der auf einer Palette zusammengetragenen und statistisch erfassten Hühnereier auf n = 857 Hühnereier. Die statistische Gesamtheit ist im konkreten Fall wie folgt inhaltlich abgegrenzt: i) sachliche Identifikation: Hühnereier, gelegt von Hühnern der Rasse Loheimer Braun, ii) örtliche Identifikation: auf einer Hühnerfarm im Bundesland Brandenburg, iii) zeitliche Identifikation: zusammengetragen und statistisch erfasst im Oktober 2015. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der folgende Hinweis: Eine statistische Information gilt dann und nur dann als vollständig, wenn sie konkret nach Sache, Ort und Zeit abgegrenzt und identifizierbar ist. Im Zentrum einer statistischen Analyse stehen interessierende Eigenschaften, die an den statistischen Einheiten einer sachlich, örtlich und zeitlich wohldefinierten statistischen Gesamtheit erhoben wurden und in der statistischen Methodenlehre unter dem Merkmalsbegriff subsumiert werden, woraus sich wiederum die Kennzeichnung einer statistischen Einheit als Merkmalsträger einerseits und interessierender Eigenschaften als Erhebungsmerkmale andererseits erklärt. <?page no="110"?> 110 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Statistisches Merkmal Eine Eigenschaft einer statistischen Einheit γ ∈ Γ n , welche die zielführende Grundlage bzw. der interessierende Gegenstand einer statistischen Untersuchung ist, heißt statistisches Merkmal. Statistische Erhebungs- oder Beobachtungsmerkmale, die der eigentliche Gegenstand einer statistischen Erhebung und Analyse sind, variieren in der Regel hinsichtlich ihrer möglichen bzw. empirisch beobachteten und in einer Zustandsmenge definierten Ausprägungen. Dies ist eine Erklärung dafür, warum statistische Erhebungsmerkmale als Variablen gedeutet und vereinbarungsgemäß meistens mit den großen lateinischen Großbuchstaben ... X, Y, Z namentlich gekennzeichnet werden. Während für einen Gebrauchtwagen der Zeitwert, das Alter, die bisherige Fahrleistung, der Hubraum des Triebwerks oder eine Sonderausstattung typische statistische Erhebungsmerkmale sind, kennzeichnen zum Beispiel das Gewicht, die Breite und die Höhe interessierende und statistisch erhobene Eigenschaften eines Hühnereies. Merkmalsausprägung Eine merkmalsbezogene Aussage bzw. ein Wert, die bzw. der für eine statistische Einheit erhoben wird, heißt Merkmalsausprägung. Für eine Merkmalsausprägung werden in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Skalierung die Begriffe Modalität, Realisation, Datum, Beobachtung bzw. Merkmalswert synonym verwendet. Die Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals werden im Unterschied zum jeweiligen Erhebungsmerkmal in der Regel mit den jeweiligen kleinen lateinischen Endbuchstaben ... x, y, z bezeichnet. Bezeichnet X ein interessierendes Erhebungsmerkmal, das an n statistischen Einheiten γ i einer statistischen Gesamtheit Γ n beobachtet wird, dann kann eine beobachtete Merkmalsausprägung formal durch die folgende Zuordnung beschrieben werden: Jeder statistischen Einheit γ i ∈ Γ n der Ordnung i wird durch die Abbildung X: γ i ∈ Γ n → x i = X(γ i ) ∈ Ξ eine Merkmalsausprägung x i der zugehörigen Zustandsmenge Ξ zugeordnet. Zustandsmenge Die Menge Ξ = {ξ j , j = 1, 2, ..., m} aller m theoretisch möglichen bzw. aller m empirisch beobachteten und wohl voneinander unterschiedenen Merkmalsausprägungen eines statistischen Erhebungsmerkmals X, die an den n Merkmalsträgern γ i ∈ Γ n einer statistischen Gesamtheit Γ n erhoben werden können bzw. erhoben wurden, heißt Zustandsmenge Ξ (lies: Groß-Xi) des statistischen Erhebungsmerkmals X. Die Zustandsmenge eines statistischen Erhebungsmerkmals lässt sich bildhaft deuten als ein Verzeichnis aller möglichen bzw. empirisch beobachteten und voneinander verschiedenen Aussagen ξ j (lies: Klein-Xi) über eine interessierende Eigenschaft X einer wohldefinierten statistischen Gesamtheit Γ n von statistischen Merkmalsträgern γ i . Die voneinander verschiedenen Aussagen ξ j ∈ Ξ, die Elemente einer Zustandsmenge Ξ sind, können Begriffe und/ oder Zahlen sein. Die Betrachtung einer beobachteten Merkmalsausprägung x i = X(γ i ) ∈ Ξ eines statistischen Erhebungsmerkmals X, <?page no="111"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 111 Neue Betriebswirtschaft die ein Element der zugehörigen Zustandsmenge Ξ ist, führt unmittelbar zum statistischen Skalenbegriff. Statistische Skala Eine relationstreue Abbildung von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals auf eine Zeichenbzw. Zahlenmenge heißt statistische Skala. Eine Skala, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung eine Treppe kennzeichnet, ist (stark vereinfacht ausgedrückt) eine „gestufte Bewertung“ für Merkmalsausprägungen eines statistischen Erhebungsmerkmals. Die Anwendung statistischer Analyseverfahren hängt entscheidend von der Skala ab, mit deren Hilfe die Ausprägungen eines statistischen Merkmals erfasst wurden. In der Angewandten Statistik kommt vor allem den folgenden drei hierarchisch geordneten Skalentypen eine besondere praktische und theoretische Bedeutung zu: der nominalen, der ordinalen und der metrischen Skala. Nominale Skala Eine statistische Skala, mit der lediglich die Gleichartigkeit oder die Verschiedenartigkeit von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals zum Ausdruck gebracht werden kann, heißt nominale Skala. Gemäß ihrem lateinischen Wortursprung kennzeichnet eine Nominalskala eine Namensbzw. eine Attributskala. In der Statistik ist eine Nominalskala die niedrigstwertige Skala mit dem niedrigsten Informationsgehalt. Statistisch erfasste Ausprägungen eines nominalen Merkmals werden auch als Kategorien oder Attribute bezeichnet. Ein nominales Merkmal, das nur zwei mögliche Ausprägungen besitzt bzw. annehmen kann, heißt dichotom. Ein nominales Merkmal heißt häufbar, wenn sich auf ein und dieselbe statistische Einheit mehrere Ausprägungen eines Erhebungsmerkmals „häufen“ können. Ansonsten heißt es nicht häufbar. Beachtenswert ist dabei der folgende Hinweis: Der Häufbarkeitsbegriff ist wohl zu unterscheiden vom Häufigkeitsbegriff (vgl. Abschnitt 3.5). Aus personalwirtschaftlicher Sicht sind das Geschlecht, der Familienstand oder der Beruf nominale Merkmale einer Person. Ist für eine statistische Gesamtheit Γ n von n Personen γ i ∈ Γ n zum Beispiel das Merkmal X: Familienstand von Interesse, dann ergibt sich das folgende Bild: Die Zustandsmenge Ξ (lies: Groß-Xi) mit Ξ = {ξ j , j = 1, 2, ..., m} = {ξ 1 = ledig, ξ 2 = verheiratet, ξ 3 = geschieden, ξ 4 = verwitwet} ist laut amtlicher Statistik durch m = 4 wohl voneinander verschiedene, begrifflich gefasste und wertungsfreie Merkmalsausprägungen ξ j (lies: Klein-Xi) gegeben, mit deren Hilfe man lediglich eine Gleichartigkeit oder eine Verschiedenartigkeit von betrachteten Personen γ i ∈ Γ n bezüglich des Erhebungsmerkmals X: Familienstand mit seinen beobachteten Ausprägungen x i ∈ Ξ statistisch beschreiben kann. Die Geschlechtszugehörigkeit ist ein nominales und dichotomes Merkmal Y einer Person γ i ∈ Γ n . Diese Charakteristik erklärt sich daraus, dass die Zustandsmenge Ξ = {ξ j , j = 1, 2} = {ξ 1 = männlich, ξ 2 = weiblich) lediglich aus den beiden (theoretisch und praktisch) möglichen Merkmalsausprägungen männlich oder weiblich besteht. <?page no="112"?> 112 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Der Beruf Z(γ i ) ist ein häufbares nominales Merkmal Z einer Person γ i ∈ Γ n . Dies erklärt sich daraus, dass eine Person durchaus mehrere Berufe besitzen bzw. ausüben kann. Demgegenüber ist die Geschlechtszugehörigkeit Y(γ i ) ein nicht häufbares nominales Merkmal Y einer Person γ i ∈ Γ n . Ordinale Skala Eine statistische Skala, mit der sowohl die Gleich- und die Verschiedenartigkeit als auch eine natürliche Rangfolge von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals zum Ausdruck gebracht werden kann, heißt ordinale Skala. In Anlehnung an ihren lateinischen Wortursprung kennzeichnet eine Ordinalskala eine hinsichtlich der Intensität bzw. Stärke geordnete und in der Regel durch komparative Prädikate oder Rangplätze getragene Skala. Ein anschauliches, leicht nachvollziehbares und praxisrelevantes Beispiel für ein ordinales Merkmal ist im Hinblick auf die Abbildung 3-4 und in Anlehnung an die Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.4 die auf dem Gewicht von Hühnereiern beruhende Größenklassifikation, die durch die vierstufige ordinale Zustandsmenge Ξ = {ξ 1 = Small, ξ 2 = Medium, ξ 3 = Large, ξ 4 = eXtra Large} gekennzeichnet wird. Abb. 3-4: Größenklassifikation von Hühnereiern Metrische Skala Eine statistische Skala, die mit Hilfe der Menge der reellen Zahlen sowohl die Gleich- oder die Verschiedenartigkeit und die Rangfolge als auch mess- und zählbare Unterschiede (Abstand, Vielfaches) von Merkmalsausprägungen eines Erhebungsmerkmals zum Ausdruck bringen kann, heißt metrische Skala. Eine metrische Skala, die auch unter der Bezeichnung einer Kardinal- oder Hauptskala firmiert, ist die höchstwertige statistische Skala. Eine vereinfachte, aber anschauliche Charakteristik einer metrischen Skala ist die folgende: Ein statistisches Erhebungsmerkmal, dessen Ausprägungen das Resultat eines Zähl- oder Messvorgangs sind und mit Hilfe von Zahlen beschrieben werden, ist metrisch skaliert. Aus statistisch-methodischer Sicht unterscheidet man zudem noch zwischen diskreten und stetigen metrischen Merkmalen. Diskretes (metrisches) Merkmal Ein metrisches Merkmal, das in einem geschlossenen Intervall nur einzelne bzw. endlich viele Merkmalswerte annehmen kann, heißt diskretes Merkmal. <?page no="113"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 113 Neue Betriebswirtschaft In der Angewandten Statistik erweist sich im Hinblick auf die Identifikation eines metrischen Merkmals als ein diskretes Merkmal die folgende Faustregel als hilfreich: Merkmalswerte, die das Ergebnis eines Zählvorgangs sind, kennzeichnet man als diskret bzw. diskontinuierlich. Die Anzahl der Kinder X(γ) ist ein diskretes metrisches Merkmal X eines Arbeitnehmers γ ∈ Γ n einer statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n Arbeitnehmern. Die Zustandsmenge Ξ des Merkmals X ist durch die Menge der natürlichen Zahlen ℕ sowie der Zahl Null gegeben, so dass Ξ = {0} ∪ ℕ = {0, 1, 2,...} gilt. Für einen Arbeitnehmer γ i ∈ Γ n der Ordnung i symbolisiert die Zuordnungsvorschrift X(γ i ) = x i ∈ Ξ eine statistisch beobachtete Merkmalsausprägung, die als ein diskreter Merkmalswert x i ∈ Ξ definiert ist. Stetiges (metrisches) Merkmal Ein metrisches Merkmal, das in einem geschlossenen Intervall jeden beliebigen aller theoretisch möglichen (und potenziell unendlich vielen) Merkmalswerte annehmen kann, heißt stetiges Merkmal. Analog zu einem diskreten metrischen Merkmal erweist sich in der praktischen statistischen Arbeit die folgende Faustregel zur Identifikation eines stetigen Merkmals als hilfreich: Merkmalswerte sind ihrem Wesen nach stetig bzw. kontinuierlich, wenn sie das Ergebnis eines Messvorgangs sind. Das Gewicht (Angaben in Gramm) ist ein stetiges metrisches Merkmal X eines Hühnereies γ i ∈ Γ n der Ordnung i einer statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n Hühnereiern, die zum Beispiel analog zur Abbildung 3-3 auf einer Palette gelagert wurden. Die Zustandsmenge Ξ des stetigen Merkmals X ist durch die Menge der positiven reellen Zahlen ℝ + gegeben. Für ein statistisch erfasstes Hühnerei γ i ∈ Γ n der Ordnung i symbolisiert die Zuordnungsvorschrift X(γ i ) = x i ∈ Ξ eine statistisch beobachtete Merkmalsausprägung, die als ein stetiger Merkmalswert x i ∈ ℝ + in Gestalt einer positiven reellen Zahl definiert ist. Im Hinblick auf die Abbildung 3-5 wurde zum Beispiel für das Hühnerei der Ordnung i = 857 ein Gewichtswert von x i = 64,5 g erfasst. 3.4 Datenerhebung Eine statistische Erhebung, deren Kernstück die Datenerhebung 79 ist, bildet den Ausgangspunkt jeglichen statistischen Arbeitens. Im Vorfeld einer statistischen Erhebung ist es stets geboten, sich der statistischen Grundbegriffe zu bedienen, die im Kontext des Abschnitts 3.3 paradigmatisch eingeführt und erläutert wurden. Darin 79 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 3, Seite 31 ff <?page no="114"?> 114 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft eingeschlossen ist die exakte inhaltliche Abgrenzung einer zu analysierenden statistischen Gesamtheit, die Festlegung der Erhebungsmerkmale, die Definition der jeweiligen Zustandsmenge und der zugehörigen Skala. In Abhängigkeit davon, ob die Merkmalsträger einer statistischen Grundgesamtheit oder nur eine (möglichst repräsentative) Teilmenge von Merkmalsträgern in Gestalt einer Stichprobe erhoben werden, unterscheidet man im Kontext einer Datenerhebung zwischen einer Vollbzw. Totalerhebung oder einer Teilbzw. Stichprobenerhebung. Datenerhebung Für eine statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} mit einem Umfang von n Merkmalsträgern γ i heißt der Vorgang der Ermittlung und der Erfassung von Ausprägungen X(γ i ) = x i ∈ Ξ (mindestens) eines statistischen Merkmals X, das über einer Zustandsmenge Ξ definiert ist, Datenerhebung. Werden die Daten für eine statistische Untersuchung durch eine besondere Erhebung nach speziellen Ausprägungen von sachlichen, örtlichen und zeitlichen Identifikationsmerkmalen gewonnen, spricht man von einer Primärerhebung, deren Resultat eine Primärstatistik ist. Die Verwendung von bereits vorhandenem (im Allgemeinen nicht für die jeweilige Untersuchung erhobenem) Datenmaterial bezeichnet man als Sekundärerhebung bzw. Sekundärstatistik. Primärerhebungen werden in der Regel mit Hilfe von mündlichen bzw. schriftlichen Befragungen, Beobachtungen oder Experimenten bewerkstelligt. Die Ergebnisse einer Primärerhebung werden in einer statistischen Urliste erfasst. Urliste Ist X ein über einer Zustandsmenge Ξ definiertes Merkmal, das für die n Merkmalsträger γ i einer statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} erhoben wurde, dann heißt die Zusammenstellung der Merkmalsausprägungen X(γ i ) = x i ∈ Ξ in der Reihenfolge ihrer statistischen Erhebung (statistische) Urliste. Eine Folge von Merkmalsausprägungen aus einer Urliste wird auch als statistische Reihe oder Datenreihe gekennzeichnet. Eine Datenreihe, welche nur ein statistisches Erhebungsmerkmal zum Gegenstand hat, heißt univariat. Basiert eine Datenreihe auf zwei bzw. auf mehr als zwei Erhebungsmerkmalen, dann wird sie als bivariat bzw. multivariat bezeichnet und klassifiziert. In Anlehnung an die Begriffswelt der Informatik wird für alle weiteren Betrachtungen der statistische Datenbegriff inhaltlich wie folgt gefasst: Datenbegriff Eigenschaften von Merkmalsträgern einer sachlich, örtlich und zeitlich abgegrenzten statistischen Gesamtheit, die empirisch erhoben wurden, werden als Erhebungsmerkmale bezeichnet. Aussagen über Erhebungsmerkmale, die primärstatistisch erhoben und in einer Urliste erfasst wurden bzw. im sekundärstatistischen Sinne bereits aufbereitet vorliegen, heißen Merkmalsausprägungen. Merkmalsausprägungen, die für eine automatisierte statistische Verarbeitung mittels einer statistischen Software formalisiert werden, heißen Daten. Die für eine Menge von Erhebungsmerkmalen eines Merkmalsträgers aufbereiteten Daten bilden einen Datensatz. Die Menge aller im Kontext einer statistischen Erhebung erfassten Datensätze bilden eine Datendatei. <?page no="115"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 115 Neue Betriebswirtschaft Eine zweidimensionale Tabelle in Gestalt einer (n × m)-Matrix mit ihren n Zeilen und m Spalten ist eine bildhafte und anschauliche Betrachtung einer Datendatei. Projiziert man analog zum statistischen Programmpaket IBM SPSS Statistics die n Merkmalsträger einer statistischen Gesamtheit in die Tabellenzeilen und die m Erhebungsmerkmale in die Tabellenspalten, dann fungiert eine Tabellenzeile als ein Platzhalter für einen merkmalsträgerbasierten Datensatz, eine Tabellenspalte als ein Platzhalter für ein Erhebungsmerkmal und eine Tabellenzelle als Zeilen-Spalten-Schnittstelle als ein Platzhalter für eine Merkmalsausprägung. Abb. 3-5: Datendatei, Basis: 150 Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa Die in der Abbildung 3-5 auszugsweise dargestellte Datendatei lässt sich erfassungsstatistisch wie folgt interpretieren: Im SPSS Dateneditor sind insgesamt 150 Zeilen und 7 Spalten belegt. Die 150 mit Daten belegten Zeilen des Dateneditors kennzeichnen die statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} vom Umfang n = 150 gebrauchte Opel Corsa γ i ∈ Γ n , die im dritten Quartal 2017 auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt zum Verkauf angeboten und zufällig ausgewählt wurden. Die insgesamt sieben mit Daten belegten Spalten kennzeichnen die m = 7 Erhebungsmerkmale, die ursprünglich in einer zugehörigen statistischen Urliste vermerkt wurden. Das erste mit der Kennung Nummer versehene Erhebungsmerkmal fungiert als ein Identifikator für die statistisch erhobenen PKW. Das vorlagerte Piktogramm in Gestalt von drei gleichgroßen, aber unterschiedlich farbigen Kreisen ist ein Hinweis darauf, dass das Merkmal Nummer als eine nominale Variable definiert wurde, zumal ihre Funktion einzig und allein darin begründet liegt, die erfassten Merkmalsträger eindeutig zu identifizieren. Die beiden mit der Kennung Marke und Typ versehenen Größen sind ihrem Wesen nach nominale String- oder Zeichenkettenvariablen, die im konkreten Fall bezüglich ihrer Inhalte nicht variieren und daher als Identifikationsmerkmale aufgefasst werden können. Die restlichen vier Erhebungsmerkmale, die jeweils mit dem Piktogramm eines Metermaßes versehen sind, wurden als metrische Erhebungsmerkmale bzw. Variablen definiert. Während die Variablen Alter (Angaben in Jahren) und Hub(raum) (Angaben in 100 cm³) als diskrete Merkmale in Erscheinung treten, sind die Variablen Fahr(leistung) (Angaben in 1000 km) und (Zeit)Wert (Angaben in 1000 €) ihrem Wesen nach stetige Merkmale eines gebrauchten Opel Corsa Im Hinblick auf die Abbildung 3-6 ergibt sich das folgende Bild einer statistischen Datenerhebung: <?page no="116"?> 116 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-6: Datendatei, Basis: 857 Hühnereier Im auszugsweise dargestellten Dateneditor sind insgesamt 857 Zeilen und 5 Spalten mit Daten belegt. Die 857 belegten Editorzeilen kennzeichnen die statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n = 857 Hühnereiern γ i ∈ Γ n , die im Oktober 2015 auf einer Hühnerfarm im Bundesland Brandenburg statistisch erfasst wurden. Die insgesamt 5 mit Daten belegten Spalten kennzeichnen die m = 5 Erhebungsmerkmale. Für die weiteren paradigmatischen Betrachtungen sind zum einen die drei (jeweils mit dem Piktogramm eines Metermaßes gekennzeichneten) metrischen Variablen Gewicht (Angaben in Gramm), Breite und Höhe (Angaben jeweils in Millimetern) und zum anderen die ordinale Stringvariable Kategorie von Interesse, welche (analog zur Abbildung 3-4) die üblichen gewichtsbezogenen Größenkategorien von Hühnereiern beinhaltet. Beachtens- und bemerkenswert ist dabei, dass die ordinale und alphanumerisch definierte Variable Kategorie durch ein Piktogramm ergänzt wird, dass durch drei abgestufte, verschiedenfarbige und mit dem Kleinbuchstaben „a“ etikettierten Säulen getragen wird. Während die drei der Größe nach geordneten Säulen eine ordinale Skala symbolisieren, steht der Kleinbuchstabe „a“ für eine alphanumerische Variable, deren variierende Ausprägungen sowohl Buchstaben als auch Zahlen sein können. Da aller guten Dinge drei sind, gilt es noch, die auszugsweise dargestellte Datendatei innerhalb der Abbildung 3-7 kurz zu erläutern. Die Datendatei basiert auf einer Marktforschungsstudie, im Zuge derer im ersten Quartal 2015 in Berliner Parkhäusern insgesamt 1109 Parkhausnutzer zufällig ausgewählt und befragt wurden. Die insgesamt 1109 mit Daten belegten Zeilen des Dateneditors kennzeichnen die statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n = 1109 befragten Parkhausnutzern γ i ∈ Γ n , die aus statistisch-methodischer Sicht ein anschauliches Beispiel für eine Zufallsstichprobe sind. Während man im Sinne der Induktiven Statistik die zufällig ausgewählten und befragten Personen als eine Zufallsstichprobe deutet, kennzeichnet man alle mittels eines standardisierten Fragebogens erfassten Daten als eine realisierte Zufallsstichprobe vom Umfang n = 1109 Datensätzen. <?page no="117"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 117 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-7: Datendatei, Basis: 1109 befragte Parkhausnutzer Im Hinblick auf die verteilungsanalytischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.5 sind vor allem die acht nominalen, dichotomen und • -1-kodierten Variablen F5a bis F5h von Interesse, deren inhaltliche Bedeutung im zugehörigen Fragebogenauszug innerhalb der Abbildung 3-8 indiziert wird. Abb. 3-8: Fragebogenauszug, Basis: Mehrfachnennungen Aufgrund dessen, dass ein zufällig ausgewählter und befragter Parkhausnutzer bezüglich der Frage 5 entweder keine oder eine oder zwei oder mehr Antworten geben kann, subsumiert man diesen Sachverhalt der Häufbarkeit von Antworten in der Angewandten Statistik unter dem Begriff einer Analyse von Mehrfachantworten bzw. Mehrfachnennungen. Aufgrund dessen, dass vor allem in der empirischen Wirtschaftsforschung im Allgemeinen und in der Marktforschung im Speziellen die Mehrfachantwortenanalyse häufig appliziert wird, erfährt dieses Analysekonzept eine paradigmatische Darstellung und Erläuterung im Kontext des Abschnitts 3.5. Im Blickwinkel einer effektiven und praktikablen Datenerhebung ist es an dieser Stelle vor allem aus didaktischen Gründen noch geboten, den statistischen Vorgang einer Kodierung kurz zu erläutern. Kodierung Die Abbildung der Zustandsmenge eines nominalen oder ordinalen Erhebungsmerkmals auf die Menge der natürlichen bzw. ganzen Zahlen kennzeichnet den Vorgang einer Kodierung. Gemäß Abbildung 3-7 gab der befragte Parkhausnutzer γ i ∈ Γ n der Ordnung i = 1107 wegen F5a = 1 und F5b = 1 an, via Internet und Navigationssystem auf das Parkhaus aufmerksam gemacht worden zu sein. Demnach hat der Interviewer auf dem Fragebogen mit der Kennung 1107 analog zur Abbildung 3-8 die beiden Antwortoptionen F5a und F5b angekreuzt. Um bei der Dateneingabe in <?page no="118"?> 118 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Computer via Tastatur nicht die alphanumerischen Zeichenketten Internet bzw. Navigationssystem im PKW „zeitraubend und fehlerempfänglich einhacken zu müssen“, gibt man in die Datenfelder der Ordnung (1107 : F5a) und (1107 : F5b) lediglich die Zahl 1 als eine einziffrige und numerisch kodierte Information ein. Für die restlichen Datenfelder der Ordnung (1107 : F5..), die keine Information tragen, also leer sind, wird in SPSS automatisch ein -Zeichen gesetzt, woraus sich in logischer Konsequenz die Charakterisierung der acht Variablen F5a bis F5h als nominale, dichotome und -1-kodierte Variablen mit der Zustandsmenge = { für nicht genannt, 1 für genannt} erklärt. Analog sind im konkreten Fall die beiden nominalen Variablen Kategorie und Zufried(enheit) gleichfalls dichotom und kodiert, wobei die Zustandsmengen für die Variable (Parkhaus)Kategorie mit = { 1 für neu, 2 für alt} und für die Variable (Nutzer)Zufried(enheit)) mit = { 0 für unzufrieden, 1 für zufrieden} definiert sind. 3.5 Verteilungsanalytische Betrachtungen In der Angewandten Statistik subsumiert man unter einer Verteilungsanalyse eine Beschreibung und Charakterisierung der Häufigkeitsverteilung eines oder mehrerer Merkmale mit Hilfe tabellarischer und/ oder grafischer Darstellungen sowie geeigneter Maßzahlen. Der Anschaulichkeit halber werden im Rahmen dieses Abschnitts einmal nur univariate verteilungsanalytische Betrachtungen angeboten, worin der Anschaulichkeit halber nominale, ordinale und metrische Merkmale einbezogen sind. Die Wesenheit einer Verteilungsanalyse lässt sich vereinfacht wie folgt beschreiben: Man betrachtet, wie sich die Merkmalsträger einer statistischen Gesamtheit auf die beobachteten Merkmalsausprägungen eines Merkmals verteilen bzw. „häufen“. Aus dieser vereinfachten und zugleich anschaulichen Metapher von einer Verteilungsanalyse ist es geboten, die folgenden Begriffe kurz zu erläutern: Häufigkeit, Häufigkeitsverteilung und Häufbarkeit. Häufigkeit Ist X ein beliebig skaliertes statistisches Erhebungsmerkmal, das über einer Zustandsmenge = { j , j = 1, 2, ..., m} mit m n voneinander verschiedenen Merkmalsausprägungen j definiert ist und für eine endliche statistische Gesamtheit n = { i , i = 1, 2, ..., n} von n statistischen Einheiten i erhoben und in einer Urliste erfasst wurde, dann heißt die Anzahl n(X = j ) = n j der statistischen Einheiten i mit der Merkmalsausprägung j absolute Häufigkeit der Merkmalsausprägung j und die Anteilszahl p(X = j ) = p j = n j / n relative Häufigkeit der Merkmalsausprägung j . Im Hinblick auf den angebotenen Häufigkeitsbegriff erweisen sich die beiden Randglossen als hilfreich: Erstens ist die Summe der absoluten Häufigkeiten n(X = j ) = n j stets gleich der Anzahl n der Merkmalsträger i einer statistischen Gesamtheit n , wobei <?page no="119"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 119 Neue Betriebswirtschaft n n ... n n n m j m j = + + + = ∑ =1 2 1 gilt (lies: Summe aller n j für alle j gleich 1 bis m). Der griechische Großbuchstabe Σ (lies: Sigma) fungiert als Summenoperator. Zweitens gilt für die relativen Häufigkeiten p(X = ξ j ) = p j bzw. für die prozentualen relativen Häufigkeiten p* j = p j × 100 % stets 1 p ... p p p m 2 1 m 1 j j = + + + = ∑ = bzw. % * p m j j 100 1 = ∑ = . Dabei ist zu beachten, dass gemäß dem lateinischen Begriff per centum in seiner Übersetzung für hundert es sachlogisch und plausibel nachvollziehbar nur für eine statistische Gesamtheit Γ n mit einem Umfang von n > 100 Merkmalsträgern γ i sinnvoll ist, prozentuale relative Häufigkeiten zu bestimmen und zu interpretieren. Beachtenswert ist zudem, dass relative Häufigkeiten sich insbesondere als nützlich und hilfreich bei Vergleichen gleichartiger, aber unterschiedlich großer statistischer Gesamtheiten erweisen. Hinzu kommt, dass relative Häufigkeiten als „statistische Konstrukte“ die Grundlage für die Begriffsbestimmung sowohl einer empirischen Häufigkeitsverteilung als auch einer empirischen Verteilungsfunktion F(a) bilden. Häufigkeitsverteilung Ist X ein beliebig skaliertes Merkmal mit m voneinander verschiedenen beobachteten Merkmalsausprägungen ξ j (j = 1, 2, ..., m), dann heißt die Menge der geordneten Paare {(ξ j , n j ), j = 1, 2, ..., m} bzw. {(ξ j , p j ), j = 1, 2, ..., m} absolute bzw. relative (empirische) Häufigkeitsverteilung des Merkmals X. Das im Klammern vermerkte Adjektiv empirisch ist ein Hinweis darauf, dass man in der statistischen Methodenlehre zwischen einer theoretisch begründeten Verteilung (etwa einer Normalverteilung) und einer empirisch beobachteten Verteilung (etwa die Gewichtsverteilung von Hühnereiern) unterscheidet. Häufigkeitsverteilung eines nominalen Merkmals Die Tabelle 3-1 beinhaltet die Häufigkeitsverteilung des nominalen, dichotomen und 0-1-kodierten Erhebungsmerkmals Zufriedenheit, das analog zur Abbildung 3-7 auf einer Befragung von 1109 Parkhausnutzern basiert und eine Bewertung der Gesamtzufriedenheit mit dem Parkhausinneren zum Inhalt hat bzw. hatte. Tabelle 3-1: Häufigkeitstabelle, nominales Merkmal <?page no="120"?> 120 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Von den insgesamt 1109 befragten Parkhausnutzern gaben 1104 eine gültige bzw. statistisch auswertbare Antwort und lediglich 5 Befragte keine bzw. keine gültige Antwort auf die Frage nach der Gesamtzufriedenheit mit dem Parkhausinneren. Während in der Tabellenspalte Häufigkeit mit {(0 → unzufrieden, 208), (1 → zufrieden, 896)} die absolute Häufigkeitsverteilung des Erhebungsmerkmals Nutzerzufriedenheit indiziert wird, beinhaltet die Tabellenspalte Gültige Prozente mit {(0 → unzufrieden, 18,8 %), (1 → zufrieden, 81,2 %)} die prozentuale relative Häufigkeitsverteilung. Leicht nachvollziehbar ist der scheinbar triviale und doch so bedeutungsvolle statistische Sachverhalt, dass mit 208 + 896 = 1104 und 0,188 + 0,812 = 1 bzw. 18,8 % + 81,2 % = 100 % zum einen die Summe der absoluten Häufigkeiten identisch ist mit dem Umfang der statistischen Gesamtheit von Befragten, die eine gültige Antwort gaben, und zum anderen die Summe der relativen Häufigkeiten eins ist und die Summe der prozentualen relativen Häufigkeiten 100 ergibt. Die indizierten Tabellenspalten Prozent und Kumulierte Prozente sind im konkreten Fall ohne Belang. Eine sachlogische Interpretation der Analyseergebnisse ergibt dabei das folgende Bild: Demnach indizierten 896 bzw. 81,2 Prozent der befragten Nutzer, die eine gültige und statistische auswertbare Antwort gaben, dass sie mit dem Parkhausinneren insgesamt zufrieden sind. 208 bzw. 18,8 Prozent der Befragten gaben statistisch auswertbar an, dass sie mit dem Parkhausinneren nicht zufrieden sind. 5 bzw. 0,5 Prozent der Befragten gaben keine bzw. keine gültige Antwort auf die Frage nach der Zufriedenheit. Reduziert man die indizierte Häufigkeitsverteilung auf die Benennung charakteristischer Kennzahlen, so erweist sich im konkreten Fall nur eine Kennzahl als geeignet: die modale Merkmalsausprägung, auch Modus genannt, in Gestalt des Adjektivs zufrieden. In Anlehnung an das Französische la mode, woraus sich der omnipräsente Modebegriff erklärt, kennzeichnet ein Modus bzw. ein Modalwert eine Merkmalsausprägung, die im Ensemble aller beobachteten Ausprägungen am häufigsten beachtet wurde. Soweit es in der Angewandten Statistik sinnvoll und möglich erscheint, eine Häufigkeitstabelle durch eine geeignete grafische Darstellung zu ergänzen bzw. zu ersetzen, sollte dies gemäß dem Grundsatz, wonach ein Bild mitunter viele wohl gesetzte Worte und tabellarisch aufbereitete Zahlenkolonnen ersetzt, bewerkstelligt werden. Die Abbildung 3-9 beinhaltet ein sogenanntes Kreissegmentdiagramm auf der Basis der „gültigen“ prozentualen relativen Häufigkeiten. Abb. 3-9: Kreissegmentdiagramm, Basis: 1104 Befragte <?page no="121"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 121 Neue Betriebswirtschaft Kreissegmentdiagramm Ein Kreissegmentbzw. Kreisdiagramm ist eine grafische Darstellungsform der Verteilungsstruktur einer statistischen Gesamtheit durch die Aufteilung einer Kreisfläche in Segmente derart, dass sich die Flächen der Kreissegmente proportional zu den absoluten bzw. relativen bzw. prozentualen relativen Häufigkeiten eines Erhebungsmerkmals verhalten. Ein leicht nachvollziehbares Konstruktionsprinzip eines Kreisdiagramms lässt sich anhand der verfügbaren Daten wie folgt skizzieren: Multipliziert man eine relative Häufigkeit p j mit dem Winkelfaktor 360 0 , dann erhält man mit w j = p j × 360 0 den Kreisinnenwinkel, der das jeweilige Kreissegment „aufspannt“. Im Hinblick auf das grauunterlegte Kreissemgent innerhalb der Abbildung 3-9 ergibt sich zum Beispiel ein Kreisinnenwinkel von (208 / 1104) × 360 0 = 0,188 × 360 0 ≅ 67,9 0 . Im Kontext der skizzierten paradigmatischen Betrachtungen erweisen sich noch die folgenden Hinweise als bedeutungsvoll und hilfreich: Die Anzahl der Segmente eines Kreisdiagramms darf der Anschaulichkeit halber nicht allzu groß sein. Eine in praxi hilfreiche Faustregel lautet: Ist die Zustandsmenge eines nominalen oder ordinalen Merkmals für mehr als acht Ausprägungen definiert bzw. wurden mehr als acht voneinander verschiedene Ausprägungen beobachtet, dann ist eine grafische Darstellung der Verteilungsstruktur einer statistischen Gesamtheit mittels eines Kreisdiagramms in der Regel nicht geeignet. Eine alternative grafische Darstellung ist ein sogenanntes Pareto-Diagramm 80 in Form eines Stabdiagramms, das auf Merkmalsausprägungen beruht, die hinsichtlich ihrer Häufigkeiten in der Regel absteigend geordnet sind. Wird die Verteilungsstruktur einer statistischen Gesamtheit allein mit Hilfe eines sogenannten Struktogramms, was ein Kreisdiagramm seinem Wesen nach ist, dargestellt, dann ist es zur Vermeidung von statistischen Fehlinterpretationen stets erforderlich und geboten, die Basis bzw. den Umfang der zugrundeliegenden statistischen Gesamtheit anzuzeigen. Analyse von Mehrfachantworten Ein statistisches Analysekonzept, das vor allem in der empirischen Wirtschaftsforschung eine breite Anwendung erfährt, ist die sogenannte Analyse von Mehrfachantworten. Mit Bezug auf die paradigmatischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.4 soll unter Beachtung der Abbildungen 3-7 und 3-8 eine statistische Analyse der fragebogengestützten Frage 5 mit Hilfe des Programmpakets IBM SPSS Statistics bewerkstelligt werden. Dabei kommt das in SPSS implementierte Analysekonzept der multiplen Dichotomien zur Anwendung, das vereinfacht wie folgt skizziert werden kann: Ein Ensemble nominaler dichotomer und gleichartig kodierter Variablen wird algorithmisch „zu einem Bündel zusammengeschnürt“ und in diesem Variablenbündel eine interessierende und kodierte Ausprägung hinsichtlich ihres Erscheinens gezählt. Mit Bezug auf die Abbildungen 3-7 und 3-8 wurden im exemplarischen Fall alle die mit der Zahl 1 kodierten Aussagen gezählt. In den Tabellen 3-2 und 3-3 sind die Analyseergebnisse vermerkt, die sachlogisch wie folgt interpretiert werden können: 80 Vgl. Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 5.1, Seite 80 ff <?page no="122"?> 122 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Gemäß Tabelle 3-2 nannten von den insgesamt 1109 befragten Parkhausnutzern 386 bzw. (386 / 1109) × 100 % ≅ 34,8 % mindestens ein Kriterium hinsichtlich des Findens des benutzten Parkhauses. Tabelle 3-2: Fallzusammenfassung, Mehrfachantworten Tabelle 3-3: Häufigkeitstabelle, Mehrfachantworten Gemäß Tabelle 3-3 wurden insgesamt 441 Antworten gegeben und vermerkt. Demnach hat ein Parkhausnutzer, der sich hinsichtlich der Frage 5 geäußert hat, im Durchschnitt 441 / 386 ≅ 1,142 Kriterien genannt. Allein aus dieser Kennzahl, die größer als eins ist, wird augenscheinlich, dass es sich um Mehrfachantworten handeln muss, da augenscheinlich ein befragter Nutzer durchaus mehr als ein Kriterium nennen kann und auch im Durchschnitt genannt hat. Dieses Phänomen des sich Häufens von Merkmalsausprägungen auf einen Merkmalsträger subsumiert man in der Statistik unter dem Häufbarkeitsbegriff, der wiederum wohl zu unterschieden ist vom Häufigkeitsbegriff, der auf die Anzahl von Merkmalsträgern abstellt, die sich auf eine Merkmalsausprägung häufen. Erstaunlich ist im Hinblick auf die Tabelle 3-3 zudem, dass die traditionellen Hinweisschilder und der Zufall die am häufigsten genannten Kriterien sind, während im Vergleich dazu die modernen Medien wie Internet oder Navigationssystem eher „stiefmütterlich behandelt“ werden. Gleichwohl alle drei zahlenbeladenen Tabellenspalten in der Tabelle 3-3 eine gleichartige statistische Auswertung gewähren, legen sowohl Statistiker als auch Marktforscher letzten Endes ihr Augenmerk nur auf die letzte Tabellenspalte, die in Anlehnung an den englischen Merkmalsträgerbegriff case mit Prozent der Fälle überschrieben ist. Demnach gaben wegen (121 / 386) × 100 % ≅ 31,3 % 31,3 Prozent bzw. knapp ein Drittel aller befragten Parkhausnutzer, die mindestens ein Kriterium nannten, an, dass Hinweisschilder hilfreich und wegen ihres modalen Erscheinungsbildes auch dominierend waren beim Auffinden des benutzten Parkhauses. <?page no="123"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 123 Neue Betriebswirtschaft Häufigkeitsverteilung eines ordinalen Merkmals Was liegt in diesem Fall näher, als nochmals einen kurzen Blick auf die Abbildung 3-6 zu werfen und die Verteilung von insgesamt 857 Hühnereiern auf die vier im Handel üblichen und gewichtsbezogenen Kategorien S, M, L und XL zu betrachten. Das numerische Verteilungsprotokoll ist in der Tabelle 3-4 zusammengefasst und in der Abbildung 3-10 in einem Struktogramm in Gestalt eines Balkens bildhaft dargestellt. Tabelle 3-4: Häufigkeitstabelle, ordinales Merkmal Abb. 3-10: Ordinales Struktogramm Während in der ersten Tabellenspalte die ordinale Zustandsmenge mit den vier möglichen und voneinander verschiedenen ordinalen Merkmalsausprägungen S, M, L und XL des Erhebungsmerkmals Größenkategorie vermerkt ist, sind in der Tabellenspalte Häufigkeit die absoluten und in der Tabellenspalte Prozent die prozentualen relativen Häufigkeiten aufgelistet. Beachtenswert ist dabei, dass im konkreten Fall die beiden Tabellenspalten Prozent und Gültige Prozente identisch sind, da für alle 857 erfassten Hühnereier die interessierende Größenkategorie erfasst wurde. Ein besonderes Augenmerk gilt es auf die letzte Tabellenspalte zu lenken, die mit der Kennung Kumulierte Prozente versehen ist und in der statistischen Methodenlehre auch unter dem Begriff Summenhäufigkeit firmiert. Einer Kumulation, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung ein schrittweises Anhäufen kennzeichnet, kommt in der Angewandten Statistik dahingehend eine besondere praktische Bedeutung zu, da man mit ihrer Hilfe gewissermaßen eine statistische Gesamtheit stufenweise zweiteilt. Hinzu kommt noch, dass die Kumulation einen Zugang zum Konstrukt einer Verteilungsfunktion gewährt. Summenhäufigkeit Ist X ein mindestens ordinales Erhebungsmerkmal, dessen absolute bzw. relative Häufigkeitsverteilung gegeben ist, dann heißt die Kumulation ∑ = = ξ ≤ = j 1 r r j j n ) X ( n H bzw. ∑ = = ξ ≤ = j 1 r r j j p ) X ( p F der absoluten bzw. relativen Häufigkeiten n r bzw. p r derjenigen Merkmalsausprägungen ξ r (r ≤ j), welche die Merkmalsausprägung ξ j nicht überschreiten, absolute bzw. relative Summenhäufigkeit H j bzw. F j der Ordnung j (j = 1, 2, ..., m). <?page no="124"?> 124 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Bezeichnet G das Erhebungsmerkmal Größenkategorie eines Hühnereies, dann ergibt sich analog zur Tabelle 3-4 zum Beispiel wegen 436 425 11 2 1 2 = + = = ≤ = ∑ = r r n ) M G ( n H eine kumulierte absolute Häufigkeit von 436, die wie folgt interpretiert werden kann: In der statistischen Gesamtheit von 857 Hühnereiern konnten insgesamt 436 Hühnereier höchstens der Größenkategorie M zugeordnet werden. In logischer Konsequenz konnten offensichtlich wegen 857 - 436 = 421 = 394 + 27 insgesamt 421 Hühnereier einer Größenkategorie von mindestens L, also entweder L oder XL, zugeordnet werden. Diese kumulierten absoluten Häufigkeitsaussagen korrespondieren wegen 509 0 496 0 013 0 2 1 2 , , , p ) M G ( p F r r = + = = ≤ = ∑ = mit den folgenden kumulierten relativen bzw. prozentualen Häufigkeitsaussagen: In der statistischen Gesamtheit von 857 Hühnereiern konnten 50,9 Prozent der Hühnereier höchstens der Größenkategorie M, also entweder der Kategorie M oder der Kategorie S, zugeordnet werden. In logischer Konsequenz konnten offensichtlich wegen (1 - 0,509) × 100 % = 49,1 % in einem komplementären Sinne 49,1 Prozent der Hühnereier mindestens der Größenkategorie L bzw. den beiden höherwertigen Kategorien L und XL zugeordnet werden. Die Adverbien oder Umstandswörter höchstens bzw. mindestens sind verbale Kennzeichen kumulierter Häufigkeiten, die stets auf eine merkmalsbezogene Zweiteilung einer statistischen Gesamtheit hinweisen. Häufigkeitsverteilung eines diskreten metrischen Merkmals Die Statistik in der Tabelle 3-5 und die zugehörige Abbildung 3-11 basieren auf einer Befragung von Studierenden im Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin im Wintersemester 2015/ 16. In die Befragung wurden die sogenannten Erstsemester nicht einbezogen. Auf der Grundlage eines standardisierten Fragebogens wurden die Studierenden unter anderem nach der Anzahl der Prüfungswiederholungen im vergangenen Semester befragt. Tabelle 3-5: Häufigkeitstabelle, diskretes metrisches Merkmal <?page no="125"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 125 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-11: Stabdiagramm In der statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n = 189 Studierenden γ i gaben im Hinblick auf das interessierende Erhebungsmerkmal X: Anzahl der Prüfungswiederholungen 184 Studierende eine gültige und statistische auswertbare Antwort. Die Zustandsmenge Ξ = {ξ j , j = 1, 2, ..., m} = {0, 1, 2, 3, 4} des Erhebungsmerkmals wird im konkreten Fall durch die m = 5 voneinander verschiedenen Merkmalsausprägungen in Gestalt der natürlichen Zahlen von 1 bis 4 sowie der Zahl 0 getragen. Dies ist die Erklärung dafür, warum das Erhebungsmerkmal als ein diskretes metrisches Merkmal gekennzeichnet wird, dessen empirische relative Häufigkeitsverteilung mit Hilfe eines Stabdiagramms in der Abbildung 3-11 grafisch dargestellt wurde. Während das aus studentischer Sicht seelisch beruhigende Ereignis, mit keiner bzw. null Prüfungswiederholungen belastet zu sein, die modale Merkmalsausprägung kennzeichnet, ist die Last von vier Prüfungswiederholungen im konkreten Fall ein eher selten zu beobachtendes Ereignis. Während 57,7 Prozent der befragten Studierenden, die eine gültige Antwort gaben, von der Last einer Prüfungswiederholung befreit sind, müssen immerhin 42,7 Prozent mindestens eine Prüfung nachholen. Im sogenannten 100-Seelendorf der Statistik sind dies immerhin 43 prüfungsstressbelastete Seelen. Die nachfolgenden und mit einem grauen Balken versehenen Randglossen gilt es zu beachten und schmunzelnd zur Kenntnis zu nehmen: Allein eine Betrachtung des Stabdiagramms lässt die Vermutung aufkommen, dass die empirisch beobachtete Häufigkeitsverteilung durch das theoretische Verteilungsmodell einer sogenannten Poisson-Verteilung 81 beschrieben werden kann, die nach dem französischen Mathematiker Simeon Denis Poisson (*1781, †1840) benannt ist und in praxi vor allem dann zu einer Anwendung gelangt, wenn es gilt, voneinander unabhängige punktuelle Ereignisse hinsichtlich der Häufigkeit ihres Auftretens in festen meist kleinen Zeitabständen zu modellieren und zu prognostizieren. Ein Jeder, der in Eile ist und an einem Bankautomaten auch noch Bargeld abheben muss, zeigt sich entspannt, wenn keine Kunden am Bankautomaten warten. Aber wie es im Leben nun ein- 81 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 16.1.3, Seite 244 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.5.1, Seite 185 ff <?page no="126"?> 126 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft mal ist, scheint einem der Zufall gerade in diesem Moment „einen Strich durch die Rechnung zu machen“: Das scheinbar seltene Ereignis, das just in diesem Moment schon vier Kunden in der Warteschlange stehen, ist aus theoretischer Sicht nicht sehr wahrscheinlich, was aber nicht heißt, dass es doch zeitraubend und nervenaufreibend eintritt. Häufigkeitsverteilung eines stetigen metrischen Merkmals Im Hinblick auf die im Abschnitt 3.4 in der Abbildung 3-6 auszugsweise angezeigte Datendatei, die auf einer statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n = 857 Hühnereiern γ i basiert, sollen der Anschaulichkeit halber einmal nur die primärstatistisch erhobenen Gewichtsdaten X(γ i ) = x i ∈ Ξ verteilungsanalytisch betrachtet werden. Gleichwohl die erfassten Hühnereiergewichte nur auf ein zehntel Gramm genau gemessen wurden, sind die ihrem Wesen nach keine diskreten, sondern stetige bzw. reellwertige Merkmalsausprägungen, eine Charakteristik, die auch für die beiden metrischen Erhebungsmerkmale Breite und Höhe (Angaben jeweils in Millimetern) zutrifft. Die Zustandsmenge Ξ dieser drei stetigen metrischen Merkmale ist jeweils durch die Menge der positiven reellen Zahlen ℝ + gegeben. Einmal unterstellt, dass man das Gewicht eines jeden Hühnereies mit Hilfe einer modernen digitalen Waage messen und erfassen würde, dann hätte man zum Beispiel für das Hühnerei γ i der Ordnung i = 857 auf ein tausendstel Gramm genau ein Gewicht von X(γ i ) = x i = 73,213 g gemessen. Intuitiv leuchtet es ein, dass in einer Palette von Hühnereiern wohl nur wenige Hühnereier genau dieses reellwertige Gewicht besitzen, oder verteilungsanalytisch formuliert, dass sich nur wenige Hühnereier auf diese reellwertige Gewichtsausprägung häufen. Einzig und allein der Anschaulichkeit halber sind in der Abbildung 3-12 die fiktiven, auf ein tausendstel Gramm genau gemessenen Gewichte der 27 Hühnereier, die analog zur Tabelle 3-4 der gewichtsbezogenen Kategorie XL zugeordnet wurden, in der Abbildung 3-12 in einem Stabdiagramm bildhaft dargestellt, das einem Stichkode gleicht, mit dem handelsübliche Waren etikettiert sind. Abb. 3-12: Stabdiagramm Augenscheinlich „häuft“ sich immer nur ein Hühnerei auf die jeweilige reellwertige Ausprägung oder erfassungsstatisch formuliert: Für die 27 Hühnereier der Kategorie XL wurden 27 wohl voneinander verschiedene Gewichte gemessen und erfasst. Hinzu kommt noch, dass man mit einer solchen grafischen Darstellung das charakteristische Verteilungsbzw. Bewegungsgesetz, das den reellwertig erfassten Hühnereiergewichten innewohnt, nicht zufriedenstellend bewerkstelligt werden kann. Offensichtlich gewährt die semigrafische Darstellung mit Hilfe eines sogenannten Stamm-Blatt- Diagramms in der Abbildung 3-13 einen anschaulicheren Zugang zu der „verborgenen und aufzudeckenden“ Verteilung der Hühnereiergewichte. <?page no="127"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 127 Neue Betriebswirtschaft Die Idee eines Stamm-Blatt-Diagramms (engl.: Stem-and-Leaf-Plot) geht auf den US-amerikanischen Chemiker und Statistiker John Wilder Tukey (*1915, †2000) zurück und wird dem modernen und vergleichsweise „jungen“ Teilgebiet der Statistik, der sogenannten Explorativen Datenanalyse, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung eine erforschende und ergründende Analyse von Daten ist, zugeordnet. „Kippt“ man das Stamm-Blatt-Diagramm entgegen dem Uhrzeigersinn um 90 0 , so wird augenscheinlich, dass die empirische Gewichtsverteilung nicht nur unimodal bzw. eingipfelig, sondern zudem auch noch nahezu symmetrisch ist. Gewicht (g) Anzahl Stamm & Blatt 7 5 . 11 12 5 . 2233 39 5 . 4444555555555 57 5 . 6666666677777777777 108 5 . 888888888888888999999999999999999999 127 6 . 000000000000000000111111111111111111111111 150 6 . 222222222222222222222222222222333333333333333333333 121 6 . 4444444444444444444445555555555555555555 86 6 . 66666666666666667777777777777 65 6 . 888888899999999999999 43 7 . 00000000011111 23 7 . 22222333 17 7 . 444455 2 Extremwerte (>=77) Stammbreite : 10 Jedes Blatt : 3 Fälle Abb. 3-13: Stamm-Blatt-Diagramm, Basis: 857 Hühnereiergewichte Die Wesenheit des Stamm-Blatt-Diagramms in der Abbildung 3-13 kann wie folgt vermerkt werden: Die Spalte Anzahl beinhaltet die absoluten Häufigkeiten, mit denen die jeweiligen „Gewichtsstämme“ mit „Gewichtsblättern“ „belaubt“ sind. Da die Stammbreite eine Stammwertigkeit von 10 besitzt und jedes Blatt drei Gewichtsangaben symbolisiert, wurden zum Beispiel gemäß der zweiten Stamm-Blatt-Folge 12 5 . 2233 in der statistischen Urliste bzw. in der Datendatei insgesamt 4 × 3 = 12 Gewichtsangaben erfasst, deren Zehner eine 5 und deren Einer jeweils 2 × 3 = 6 entweder eine 2 oder eine 3 waren. Da im gegebenen Fall die reellwertigen Dezimalangaben ohne Belang sind, hat man offensichtlich 12 Hühnereier erfasst, die 52 g oder schwerer, aber leichter als 54 g waren. Diese quantitative Aussage ist identisch mit einer sachlogischen Deutung von stetigen metrischen Daten, die nach dem Klassierungsprinzip von … bis unter … aggregiert bzw. zusammengefasst wurden. Analog sind die restlichen Stamm-Blatt-Zusammenstellungen zu interpretieren, die als Gewichtsklassen in der Tabelle 3-6 zusammengefasst sind. Die auf dem Stamm-Blatt-Diagramm innerhalb der Abbildung 3-13 beruhende Häufigkeitstabelle gewährt aus verteilungsanalytischer Sicht weitere beachtenswerte statistisch-methodische Einblicke. Gemäß Tabelle 3-6 wurden die n = 857 erfassten und reellwertigen Gewichtswerte x i in m = 14 Gewichtsklassen K j = (x ju ≤ X < x jo ) für j = 1, 2, …, m in Gestalt von disjunkten Klassen K j (in Form sich gegenseitig ausschließender Merkmalswerteintervalle) eingeordnet und zusammengefasst. Aufgrund dessen, dass im konkreten Fall für alle <?page no="128"?> 128 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft j = 1, 2, …, 14 die m = 14 Gewichtsklassen K j wegen ∆ j = x jo − x ju = 2 = const mit einer Breite von jeweils 2 g gleichbreit sind, subsumiert man in der Statistik eine solche Datenaggregation unter dem Begriff einer äquidistanten Klassierung eines stetigen metrischen Merkmals. Tabelle 3-6: Häufigkeitstabelle, Basis: äquidistante Gewichtsklassen Die statistischen Kennzahlen der modalen Gewichtsklasse K 7 = (x 7u ≤ X < x 7o ) = (62 g ≤ X < 64 g) der Ordnung j = 7, deren semigrafisches Erscheinungsbild im Stamm-Blatt-Diagramm der „Gewichtsstamm ist, der mit den meisten Gewichtsblättern belaubt ist“, können sachlogisch wie folgt interpretiert werden: In der betrachteten Palette von n = 857 Hühnereiern besitzen n 7 = 150 Hühnereier ein Gewicht X von mindestens 62 g bis unter 64 g. Dies sind anteilmäßig bzw. prozentual p 7 = 150 / 857 ≅ 0,175 bzw. 17,5 % aller erfassten Hühnereier. Wegen F 7 = 0,583 sind 58,3 Prozent aller erfassten Hühnereier leichter als 64 g. In einer komplementären Betrachtung 1 - F 7 = (1 - 0,583) = 0,417 sind letztlich 41,7 Prozent der Hühnereier durch ein Gewicht von mindestens 64 g gekennzeichnet. Analog können die restlichen 13 Gewichtklassen interpretiert werden. Sowohl aus didaktisch-methodischen als auch aus theoretischen Gründen erweist sich eine nähere Betrachtung und Erläuterung der Abbildung 3-14, die auf der Tabelle 3-6 basiert und Ähnlichkeiten mit dem semigrafischen Stamm-Blatt-Diagramm in der Abbildung 3-13 besitzt, als geboten und vorteilhaft. <?page no="129"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 129 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-14: Normiertes Histogramm mit Normalverteilung In der statistischen Methodenlehre subsumiert man diese grafische Darstellung von klassierten metrischen Daten unter dem Begriff eines normierten Histogramms, das zudem noch durch die stetige und glockenförmige Dichtefunktion einer Normalverteilung ergänzt wurde. Ein Histogramm, das gemäß seinem griechischen Wortursprung als eine Gewebezeichnung gedeutet werden kann, ist die klassische Form der grafischen Darstellung der Häufigkeitsverteilung eines stetigen metrischen Merkmals. Im Hinblick auf die Abbildung 3-14 ist dabei beachtenswert, dass mit dem Adjektiv normiert eine Eigenschaft indiziert wird, die aus statistisch-methodischer Sicht von substantieller Bedeutung ist: Es ist die Eigenschaft der Flächenproportionalität der aneinander grenzenden rechteckigen Flächen in einem Histogramm, deren Gesamtfläche dem Werte nach eins ist. Das Prinzip der Flächenproportionalität soll der Anschaulichkeit halber einmal nur anhand der modalen bzw. „der am häufigsten besetzten“ Gewichtsklasse K j der Ordnung j = 7 paradigmatisch erläutert werden. Während die „größte“ Rechteckfläche eine bildhafte Darstellung der relativen Klassenhäufigkeit p 7 = 150 / 857 ≅ 0,175 ist, markiert die relative Häufigkeitsdichte p 7D = p 7 / ∆ 7 = 0,175 / 2 = 0,0875 die Rechteckhöhe und die Klassenbreite ∆ 7 = 2 die Rechteckbreite des Rechtecks der Ordnung j = 7 im normierten Histogramm, womit man zugleich auch eine nachvollziehbare Erklärung dafür gefunden hat, warum in der Abbildung 3-14 die Ordinate mit dem Etikett Häufigkeitsdichte versehen wurde. Leicht nachzuvollziehen ist dabei die Tatsache, dass die Gesamtfläche aller m = 14 aneinandergrenzenden Rechtecke ihrem Wert nach eins ist, eine Eigenschaft, die wahrscheinlichkeitstheoretisch von substantieller Bedeutung ist und im Kontext des Abschnitts 3.6 eine nähere Betrachtung erfährt. Während die n = 857 primärstatisch erfassten und reellwertigen Hühnereiergewichte X(γ i ) = x i ∈ Ξ gemäß Abbildung 3-14 in einem normierten Histogramm auf m = 14 disjunkte und äquidistante Gewichtsklassen K j „verdichtet“ wurden, wird mit dem sogenannten Boxplot in der Abbildung 3-15 die Datenaggregation noch erhöht bzw. verstärkt, indem alle 857 reellwertigen Gewichtsdaten auf m = 4 Gewichtsklassen K j „zusammengepresst“ werden, die ihrem Wesen nach nicht äquidistant, sondern äquifrequent, also nicht gleichbreit, dafür aber gleichhäufig sind. In der statistischen Methodenlehre wird diese Form der Klassierung mit dem Etikett äquifrequente Vierteilung einer statistischen Gesamtheit versehen. <?page no="130"?> 130 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-15: Boxplot, Basis: 857 Hühnereiergewichte Gleichsam wie das Stamm-Blatt-Diagramm in der Abbildung 3-13 ist ein Boxplot ein häufig appliziertes und aussagekräftiges statistisches Analyseinstrument der Explorativen Datenanalyse. Selbst wenn man ein Boxplot in Anlehnung an seine originäre Bezeichnung Box-and-Whisker-Plot als eine Schachtel-und-Schnurrhaar-Zeichnung deutet, ist diese skurril erscheinende Kennzeichnung dennoch hilfreich und angebracht. Unter Berücksichtigung der beigefügten Tabelle in der Abbildung 3-15, in der insgesamt fünf Gewichtskennzahlen vermerkt sind, lässt sich das plakatierte Boxplot der Hühnereiergewichte wie folgt sachlogisch interpretieren: Die Spannweite (engl.: range) R = x max - x min = 77,5 - 51,0 = 26,5 kennzeichnet die Ausdehnung des Boxplots. Demnach variieren alle n = 857 erfassten Hühnereiergewichte auf einem Niveau von 26,5 g zwischen dem größten beobachteten Gewichtswert von x max = 77,5 g und dem kleinsten Gewicht von x min = 51,0 g. In der unteren Gewichtsklasse K j = (x min < X ≤ Q 0.25 ) = (51,0 g < X ≤ 59,5 g) der Ordnung j = 1 sind (von Rundungsfehlern einmal abgesehen) 25 Prozent bzw. ein Viertel aller erfassten und der Größe nach geordneten Gewichte zusammengefasst. Diese Gewichtsklasse mit einer Breite von 8,5 g wird im Boxplot durch das linksseitige „Schnurrhaar“ bildhaft dargestellt. Die als obere Klassengrenze fungierende Kennzahl Q 0.25 firmiert in der Statistik unter dem Namen Quantil der Ordnung p = 0.25, das synonym auch als unteres oder erstes Quartil oder als 25-stes Perzentil bezeichnet und im Boxplot durch die linke Kante der Box symbolisiert wird. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die folgende Randglosse: Ein Quantil, das sowohl ein real beobachteter Wert als auch ein Fraktil im Erscheinungsbild eines berechneten und fiktiven Wertes sein kann, ist eine statistische Kennzahl, die eine geordnete Folge von Werten zweiteilt. Demnach kann das untere Gewichtsquartil in Höhe von Q 0.25 = 59,5 g wie folgt sachlogisch gedeutet werden: Ein Viertel bzw. 25 Prozent aller erfassten und ihrem Gewicht nach aufsteigend geordneten Hühnereier sind höchstens 59,5 g schwer. In logischer Konsequenz sind drei Viertel der erfassten Hühnereier schwerer als 59,5 g. Die Gewichtsklasse der Ordnung j = 2 K j = (Q 0.25 < X ≤ Q 0.5 ) = (59,5 g < X ≤ 62,5 g) mit einer Breite von 3 g wird durch den linken Teil der Box bildhaft sichtbar gemacht. Die obere Klassengrenze Q 0.5 wird in der Statistik als Median bezeichnet, der in Anlehnung an den lateinischen Begriff medianus den „mittleren Wert“ kennzeichnet und im Boxplot durch die „mittlere“ Boxtrennlinie markiert wird. <?page no="131"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 131 Neue Betriebswirtschaft Der Median, der synonym auch als mittleres oder zweites Quartil, als fünftes Dezil, als 50-stes Perzentil oder als Quantil der Ordnung p = 0.5 bezeichnet wird, ist eine wichtige Kennzahl in der Explorativen Datenanalyse. Die Bedeutungsschwere der medianen Kennzahl erklärt sich nicht nur aus ihrer Rolle als ein „Repräsentant der Mitte“, sondern insbesondere aus dem Faktum, dass sie (etwa im Unterschied zu einem arithmetischen Mittel) nicht durch Extremwerte affiziert und numerisch verzerrt wird. In einer sachbezogenen Interpretation liefert der Median als ein statistischer Lageparameter, der eine Gesamtheit in zwei gleich große Teile gliedert bzw. in Hälften teilt, die folgende Aussage: Während ein Hühnerei aus der „ersten bzw. unteren bzw. leichteren Hälfte“ aller erfassten Hühnereier höchstens 62,5 g schwer ist, besitzt ein Hühnerei aus der „zweiten bzw. oberen bzw. schwereren Hälfte“ der Hühnereier ein Gewicht von mehr als 62,5 g. Die Gewichtsklasse der Ordnung j = 3 K j = (Q 0.5 < X ≤ Q 0.75 ) = (62,5 g < X ≤ 66,0 g) ist ihrerseits durch eine Breite von 3,5 g gekennzeichnet und wird im Boxplot durch den rechten Teil der Box sichtbar gemacht. Die obere Klassengrenze Q 0.75 kennzeichnet dabei das obere oder dritte Quartil, das synonym auch als 75-stes Perzentil oder als Quantil der Ordnung p = 0.75 bezeichnet und im Boxplot durch die rechte Kante der Box augenscheinlich wird. Von allen erfassten und aufsteigend geordneten Hühnereiergewichten waren demnach drei Viertel bzw. 75 Prozent durch einen Wert von höchstens 66 g und ein Viertel bzw. 25 Prozent durch einen Wert größer als 66 g gekennzeichnet. Die angebotene bildhafte Deutung der drei Quartile in einem Boxplot liefert zugleich eine plausible Erklärung dafür, warum sie in der statistischen Verteilungsanalyse als Lageparameter gekennzeichnet und klassifiziert werden. Schlussendlich wird die Gewichtsklasse K j = (Q 0.75 < X ≤ x max ) = (66,0 g < X ≤ 77,5 g) der Ordnung j = 4 durch das rechtsseitige „Schnurrhaar“ einschließlich der beiden als kleine Kreise kennzeichneten Extremwerte bildhaft dargestellt. Der Anteil der Hühnereier, der dieser vierten Gewichtsklasse zugeordnet wird, beläuft sich auf 0,25 bzw. 25 Prozent oder verbal auf ein Viertel. Im Hinblick auf die praktizierte äquifrequente Vierteilung der 857 Hühnereiergewichte erweist sich aus statistisch-methodischer Sicht der folgende Hinweis als beachtenswert: Im Unterschied zur Tabelle 3-5, die auf dem Klassierungsprinzip „von … bis unter …“ basiert und vor allem in der amtlichen Statistik eine breite Anwendung erfährt, beruht die paradigmatisch skizzierte äquifrequente Vierteilung auf dem Klassierungsprinzip „größer als … bis einschließlich …“. Dieses Klassierungsprinzip findet vor allem in der mathematischen Statistik eine breite Anwendung. Beachtenswert ist dabei, dass statistische Analyseergebnisse auf der Basis einer gleichen Datendatei im Hinblick auf die Anwendung beider Klassierungsprinzipien voneinander abweichen können. Da „aller guten Dinge drei sind“, gilt es in diesem Zusammenhang noch zu vermerken, dass es in Anlehnung an die mediane Interpretation neben einer ersten und einer zweiten Hälfte auch noch eine dritte Hälfte zu erwähnen und zu erläutern gilt, die in einem Boxplot bildhaft durch die Breite der Box augenscheinlich wird und als statistische Kennzahl unter der Bezeichnung Interquartilsabstand firmiert. Im Hinblick auf die Abbildung 3-14 kennzeichnet der Interquartilsabstand QA 0.5 = Q 0.75 - Q 0.25 = 66,0 - 59,5 = 6,5 die Spannweite der mittleren Hälfte aller erfassten Hühnereiergewichte, die auf einem Niveau von 6,5 g zwischen dem oberen und unteren Gewichtsquartil von 66 g und 59,5 g variieren. Mit Hilfe des Interquartilsabstandes, der gleichfalls wie die Spannweite als ein statistisches Streuungsmaß definiert und interpretiert wird, ist es auch möglich, die beiden sogenannten Extremwerte, die im <?page no="132"?> 132 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Stamm-Blatt-Diagramm innerhalb der Abbildung 3-13 protokollarisch vermerkt und in der boxplotbasierten Abbildung 3-14 grafisch indiziert werden, exemplarisch zu erläutern. In der Explorativen Datenanalyse gilt für eine Identifizierung von Extremwerten eines metrischen Erhebungsmerkmals die folgende Regel: Merkmalswerte x i eines Erhebungsmerkmals X, die wegen x i < Q 0.25 - 1.5 × QA 0.5 bzw. x i > Q 0.75 + 1.5 × QA 0.5 mehr als das 1,5-Fache des Interquartilsabstandes QA 0.5 unterhalb des unteren Quartils Q 0.25 bzw. oberhalb des oberen Quartils Q 0.75 liegen, werden als Extremwerte gekennzeichnet. In Anlehnung an die Abbildungen 3-13 und 3-14 sind dies wegen x i > 66,0 + 1.5 × 6,5 = 75,75 alle erfassten Hühnereiergewichte x i , die größer als 75,75 g sind und im konkreten Fall durch die zwei Hühnereier γ i der Ordnung i = 327 und i = 390 mit einem Gewicht von X(γ 327 ) = x 327 = 76,5 g und X(γ 390 ) = x 390 = 77,5 g repräsentiert bzw. „getragen“ werden. Eine finale Betrachtung des symmetrischen Boxplots in der Abbildung 3-14 kulminiert analog zu den vorhergehend angebotenen verteilungsanalytischen Betrachtungen in der Aussage, dass das Ensemble aller n = 857 erfassten Hühnereiergewichte x i insgesamt durch eine symmetrische Verteilung gekennzeichnet werden kann. In Anlehnung an die Abbildung 3-14 und im Hinblick auf die wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitts 3.6 kann die Verteilung der Hühnereiergewichte schließlich und endlich hinreichend genau durch das theoretische Modell einer Normalverteilung beschrieben werden. Das theoretische Modell einer Normalverteilung wird dabei wiederum durch zwei statistische Kennzahlen getragen, die in der statistischen Methodenlehre mit den Etiketten arithmetisches Mittel und Standardabweichung versehen werden und in einer erklärenden und exemplarischen Betrachtung die folgenden Bilder ergeben: Arithmetisches Mittel Sind X(γ i ) = x i die Merkmalswerte eines metrischen Merkmals X, die an den n Merkmalsträgern γ i einer statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} erhoben wurden, dann heißt der Wert, der sich ergibt, wenn man die Summe aller n beobachteten Merkmalswerte X(γ i ) = x i gleichmäßig auf alle n Merkmalsträger γ i verteilt, wobei ) x ... x x ( n x n x n n i i + + + ⋅ = ⋅ = ∑ = 2 1 1 1 1 gilt, arithmetisches Mittel x (lies: x quer). Die in der Tabelle 3-7 zusammengefassten empirischen Befunde ergeben in ihrer sachlogischen Interpretation das folgende Bild: Tabelle 3-7: Mittelwerttabelle <?page no="133"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 133 Neue Betriebswirtschaft Das Gesamtgewicht aller n = 857 erfassten Hühnereier beläuft sich auf � x i = 53986,1 857 i=1 g. Denkt man sich dieses Gesamtgewicht von nahezu 54 kg gleichmäßig auf alle 857 Hühnereier γ i ∈ Γ n verteilt, dann besitzt im Durchschnitt ein Hühnerei ein Gewicht von x� = 1 857 ∙ 53986,1 ≅ 63 g. Allein aus diesen elementaren Betrachtungen erklärt sich auch die umgangssprachliche Interpretation eines arithmetischen Mittels als ein durchschnittlicher Wert in der Rolle eines mittleren Repräsentanten aller zugrundeliegenden Einzelwerte. Warum einem arithmetischen Mittel in der statistischen Methodenlehre eine zentrale und bedeutende Rolle zukommt, erklärt sich aus seinen charakteristischen Eigenschaften, von denen einmal nur die sogenannte Hochrechnungseigenschaft, die sogenannte Nulleigenschaft und die sogenannte quadratische Minimumseigenschaft kurz skizziert werden sollen: Die Hochrechnungseigenschaft 𝑛𝑛 ∙ 𝑥𝑥̅ = � 𝑥𝑥 𝑖𝑖 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 besagt, dass eine Merkmalswertesumme gleich ist dem Produkt aus der Anzahl der Merkmalswerte und dem arithmetischen Mittel. Dieser Sachverhalt lässt sich wiederum leicht anhand der Tabelle 3-7 verdeutlichen: Wenn ein Hühnerei im Durchschnitt 62,994 g schwer ist, dann beläuft sich das Gesamtgewicht von 857 Hühnereiern auf 857 ∙ 62,997 ≅ 53986,1 g. Die Nulleigenschaft besagt, dass wegen �(𝑥𝑥 𝑖𝑖 − 𝑥𝑥̅ ) = 0 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 die Summe der Abweichungen der Einzelwerte von ihrem arithmetischen Mittel null ist. Obgleich die einzelnen Gewichtsangaben von ihrem arithmetischen Mittel „nach oben und nach unten“ abweichen, ist das Ausmaß der Abweichungen in einer summierenden Betrachtung vergleichbar mit einem „Null-Summen-Spiel“. Dieses scheinbar kuriose und doch so markante und bemerkenswerte Phänomen von einer Nullsumme lässt sich unter anderem damit beheben, dass man nicht die „positiven und negativen“ Abweichungen, sondern die quadratischen (und stets positiven) Abweichungen der Einzelwerte von ihrem arithmetischen Mittel betrachtet, womit man einen nachvollziehbaren Zugang zur quadratischen Minimumseigenschaft gefunden hat. Die quadratische Minimumseigenschaft �(𝑥𝑥 𝑖𝑖 − 𝑎𝑎) 2 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 ≥ �(𝑥𝑥 𝑖𝑖 − 𝑥𝑥̅ ) 2 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 besagt, dass es keine reelle Zahl a gibt, für welche die Summe der quadratischen Abweichungen der einzelnen Merkmalswerte von dieser reellen Zahl a kleiner ist als für das arithmetische Mittel selbst. Die quadratische Minimumseigenschaft eines arithmetischen Mittels liefert wiederum eine plausible Erklärung dafür, warum in der statistischen Methodenlehre den beiden Kennzahlen einer Varianz einerseits und einer Standardabweichung andererseits als sogenannte Streuungsmaße für metrische <?page no="134"?> 134 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Merkmalswerte sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht eine zentrale Rolle beigemessen wird. Standardabweichung Ist X ein metrisches Merkmal, das für eine (endliche) statistische Gesamtheit bzw. Zufallsstichprobe Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} mit einem Umfang von n Merkmalsträgern γ i erhoben wurde, dann heißt die positive Quadratwurzel aus den durchschnittlichen quadratischen Abweichungen der einzelnen Merkmalswerte von ihrem arithmetischen Mittel ∑ = − ⋅ − = n i i X )² x x ( n s 1 1 1 Standardabweichung. Im konkreten Fall wurde die Berechnungsvorschrift für die sogenannte Stichprobenstandardabweichung vermerkt, die mittels der Beziehung d X = s X ∙ �n − 1 n in die sogenannte deskriptive Standardabweichung d X transformiert werden kann. Eingedenk des numerischen Befundes in der Tabelle 3-8, der auf der Stichprobenstandardabweichung beruht und für alle 857 erfassten Hühnereiergewichte mit Hilfe des Statistikprogrammpakets SPSS berechnet wurde, kann die Standardabweichung als ein Maß für die mittlere quadratische Abweichung wie folgt sachlogisch interpretiert werden: Tabelle 3-8: Mittelwerttabelle Im Durchschnitt weichen die n = 857 Hühnereiergewichte X(γ i ) = x i von ihrem arithmetischen Mittel in Höhe von 62,994 g um 4,901 g nach oben und nach unten ab. Im Hinblick auf das Zusammenspiel von arithmetischem Mittel und Standardabweichung gilt die folgende Regel: Im Intervall von arithmetischem Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung liegt stets die Mehrheit aller Einzelwerte eines metrischen Erhebungsmerkmals. Diese allgemeingültige Regel kann man anhand der Tabelle 3-9 exemplarisch und numerisch nachvollziehen. Tabelle 3-9: Häufigkeitstabelle Von den 857 erfassten Hühnereiergewichten x i befinden sich in diesem Merkmalswertebereich, der auf der Basis gerundeter Parameterwerte wegen <?page no="135"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 135 Neue Betriebswirtschaft [63 g ± 4,9 g] = [58,1 g, 67,9 g] durch das indizierte und geschlossene Intervall gekennzeichnet wird, insgesamt 564 bzw. (564 / 587) × 100 % ≅ 65,8 % der Gewichtswerte, die anteilmäßig und augenscheinlich mehr als die Hälfte aller Gewichtswerte ausmachen. Mit Bezug auf die Abbildung 3-14, in der die erfassten Hühnereiergewichte in einem normierten Histogramm dargestellt wurden, das wiederum hinreichend genau durch das theoretische Modell einer Normalverteilung beschrieben werden kann, ist es sinnvoll, diese allgemeingültige Regel auf die sogenannte Drei-Sigma-Regel zu erweitern, die im Abschnitt 3.6 eine nähere Erläuterung erfährt. Schlussendlich gilt es im Kontext der angebotenen verteilungsanalytischen Betrachtungen noch zwei Verfahren paradigmatisch zu erläutern, denen sowohl in der angewandten Statistik als auch in der statistischen Methodenlehre eine besondere praktische und theoretische Bedeutung zukommt und beigemessen wird: Es ist zum einen das statistische Analysekonzept einer Standardisierung und zum anderen das statistische Analyseinstrument einer Verteilungsfunktion. Standardisierung Ist X ein metrisches Merkmal, das für eine (endliche) statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} bzw. Zufallsstichprobe mit einem Umfang von n ≥ 2 Merkmalsträgern γ i erhoben wurde und für dessen Merkmalswerte X(γ i ) = x i mit ∑ = ⋅ = n i i x n x 1 1 und ∑ = − ⋅ − = n i i X )² x x ( n s 1 1 1 > 0 sowohl das arithmetische Mittel als auch die Standardabweichung gegeben sind, dann heißt die Transformationsvorschrift X i i s x x z − = Standardisierung der Merkmalswerte x i . Der Standardisierung, die auch als z-Transformation bezeichnet wird und nur für metrische Merkmale definiert und sinnvoll ist, kommt in der statistischen Datenanalyse nicht nur wegen ihrer Vereinfachungswirkung und ihrer Vergleichbarkeitsgarantie, sondern vor allem auch wegen ihrer charakteristischen Eigenschaften eine besondere Bedeutung zu, die verbal wie folgt vermerkt werden können: Standardisierte Werte sind dimensionslos, ihr arithmetisches Mittel ist null und ihre Standardabweichung ist eins. In der Tabelle 3-10 sind der Anschaulichkeit und der Vergleichbarkeit halber für die 857 Hühnereier die charakteristischen Kennzahlen sowohl für die empirisch erfassten originären Gewichtswerte x i als auch für die berechneten standardisierten Gewichtswerte z i zusammengefasst. Tabelle 3-10: Mittelwerttabelle, Basis: originäre und standardisierte Werte <?page no="136"?> 136 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Während zum Beispiel das Durchschnittsgewicht eines Hühnereies „dimensionsbeladen“ mit 62,994 g bemessen ist, ergibt das arithmetische Mittel der standardisierten Werte einen dimensionslosen Wert von null. Analog ergibt sich für das kleinste statistisch erfasste Gewicht von 51,0 g ein standardisierter und dimensionsloser Wert von z min = 51,0 g − 62,994 g 4,901 g ≅ −2,447 und analog für das größte erfasste Hühnereiergewicht ein dimensionsloser z-Wert von z max = 77,5 g − 62,994 g 4,901 g ≅ 2,960. Einmal unterstellt, dass man nur eine Datendatei mit standardisierten Werten verfügbar hat, die analog zur Abbildung 3-6 auf unterschiedlich bemessenen und dimensionierten metrischen Erhebungsmerkmalen beruhen, dann kann man allein anhand der verfügbaren z-Werte elementare Rückschlüsse auf die originären Daten ziehen, ohne diese verfügbar zu haben bzw. zu kennen. Während etwa negative bzw. positive z-Werte ein Hinweis auf unterdurchschnittlich bzw. überdurchschnittlich ausgeprägte originäre Merkmalswerte sind, markieren zum Beispiel alle z-Werte, die gleich oder größer als -1, jedoch gleich oder kleiner als 1 sind, sowohl das Ensemble der standardisierten als auch das Ensemble der originären Merkmalswerte im geschlossenen Intervall von arithmetischem Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung. Der letztgenannte und auf den sogenannten Ein-Sigma-Bereich bezogene Hinweis wird durch die Tabelle 3-11 numerisch untermauert, die im Vergleich zur Tabelle 3-9 einen identischen Analysebefund indiziert. Tabelle 3-11: Häufigkeitstabelle Vergleichbare statistische Aussagen sowohl für originäre als auch für standardisierte Werte gewährt auch das bedeutungsvolle Analyseinstrument einer empirischen Verteilungsfunktion, das wie folgt charakterisiert werden kann: Verteilungsfunktion Ist X ein mindestens ordinales, zahlenmäßig erfasstes und geordnetes Erhebungsmerkmal mit m voneinander verschiedenen Merkmalswerten ξ j , die in einer Zustandsmenge Ξ = {ξ j , j = 1, 2, ..., m} zusammengefasst sind, dann heißt die Funktion F(a) mit ≥ < ≤ < = + m 1 j j j 1 ξ a alle für 1 ξ a ξ alle für F ξ a alle für 0 F(a) , j = 1, 2, ..., m − 1, die jeder reellen Zahl a ∈ ℝ den Anteil der Merkmalsträger γ ∈ Γ n einer statistischen Gesamtheit Γ n mit einem Merkmalswert ξ j zuordnet, die diese reelle Zahl a nicht überschreiten, empirische Verteilungsfunktion. <?page no="137"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 137 Neue Betriebswirtschaft In der Abbildung 3-16 ist die empirische Verteilungsfunktion F(a) der 857 erfassten Hühnereiergewichte in Gestalt einer monoton wachsenden Treppenfunktion bildhaft dargestellt. Beachtenswert ist dabei, dass die jeweiligen Merkmalsträgeranteile in Prozent angegeben wurden, woraus sich der Ordinatentitel kumulierte Prozente erklärt. Abb. 3-16: Verteilungsfunktion, originäre Werte Einzig und allein der Anschaulichkeit halber wurde der Graph der empirischen Verteilungsfunktion F(a) noch durch gestrichelte Referenzlinien ergänzt, die auf den paradigmatischen Betrachtungen zum geschlossenen Intervall [arithmetisches Mittel ± Standardabweichung] basieren, worin die in den Tabellen 3-8 und 3-9 vermerkten statistischen Kennzahlen des arithmetischen Mittels und der Standardabweichung eingeschlossen sind. Die mittlere Referenzlinie, die auf der Abszisse ein Gewicht von 63 g markiert, das im konkreten Fall das ganzzahlig gerundete arithmetische Mittel aller 857 erfassten Hühnereiergewichte kennzeichnet, schneidet den Graphen der empirischen Verteilungsfunktion F(a) auf einer kumulierten prozentualen Niveaustufe von ca. 51 Prozent, wobei formal F(63 g) ≈ 51 % gilt. Demnach besitzen 51 Prozent der erfassten Hühnereier ein Gewicht von höchstens 63 g und 49 Prozent ein Gewicht über 63 g. Würde man in einer umgekehrten Betrachtung auf einem kumulierten prozentualen Niveau von F(a) = 50 Prozent parallel zur Gewichtsabszisse eine Referenzlinie ziehen, dann würde diese den Graphen der empirischen Verteilungsfunktion F(a) an der Stelle a ≅ 62,5 g „kreuzen“, einem Gewichtswert, der in der Abbildung 3-14 als das 50-ste Perzentil indiziert wird und den Median aller erfassten Hühnereiergewichte kennzeichnet. Ein analoges Bild ergibt sich aus einer näheren Betrachtung der beiden äußeren und parallel zur Ordinate kumulierte Prozente verlaufenden Referenzlinien auf einem Gewichtsniveau von a = 58,1 g und a = 67,9 g. Da im konkreten Fall F(58,1 g) ≅ 16,7 % und F(67,9 g) ≅ 82,5 % sowie F(67,9 g) - F(58,1 g) = 65,8 % gilt, überzeugt man sich anhand der Abbildung 3-16 leicht von der Tatsache, dass man das in der Tabelle 3-9 vermerkte numerische Protokoll des geschlossenen Intervalls [63 g ± 4,9 g] = [58,1 g, 67,9 g] <?page no="138"?> 138 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft zumindest näherungsweise, dafür aber elegant und anschaulich mit Hilfe der empirischen Verteilungsfunktion F(a) auch auf grafischem Wege lösen kann. Zu gleichen verteilungsanalytischen Aussagen gelangt man aus einer Betrachtung der Abbildung 3-17, in der die empirische Verteilungsfunktion F(a) der standardisierten Hühnereiergewichte gleichfalls in Gestalt einer monoton wachsenden Treppenfunktion grafisch dargestellt ist, deren Graph augenscheinlich kongruent ist mit dem treppenförmigen Graphen in der Abbildung 3-16. Abb. 3-17: Verteilungsfunktion, standardisierte Werte Im Vergleich zur Abbildung 3-16 besteht ein offensichtlicher und nachvollziehbarer Vorteil der Abbildung 3-17 darin, dass mit den indizierten gestrichelten Referenzlinien a = -1 und a = 1 für die standardisierten Gewichtswerte das geschlossene Merkmalswerteintervall von arithmetischem Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung markiert wird, für das F(-1) ≅ 16,7 % und F(1) ≅ 82,5 % sowie F(1) - F(-1) = 65,8 % gilt. Während man diese statistischen Aussagen ohne Zusatzinformationen allein aus der Abbildung 3-17 entnehmen kann, bedarf eine alleinige Betrachtung der Abbildung 3-16 des Zusatzhinweises, dass das interessierende und betrachtete Merkmalswerteintervall auf dem arithmetischen Mittel plus/ minus einmal Standardabweichung beruht. Der analytische Befund, wonach 65,8 Prozent der 857 standardisierten Hühnereiergewichte z i im geschlossenen z-Werte-Intervall von -1 bis 1 variieren, koinzidiert mit den Ergebnissen in der Tabelle 3-11, die wiederum identisch sind mit den Ergebnissen in der Tabelle 3-9, die auf den originären Gewichtswerten beruht. Bemerkenswert ist schlussendlich der Hinweis, dass die angebotenen verteilungsanalytischen Betrachtungen von originären und standardisierten Werten mit Hilfe einer empirischen Verteilungsfunktion im Hinblick auf das Abschnitt 3.6 auch für wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen etwa auf der Grundlage der Verteilungsfunktion einer Normalverteilung gelten. Wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtungen Die Allegorie von den zwei Seiten einer Medaille ist in unserer Alltagssprache omnipräsent und umspannt ein weites Feld inhaltlicher Deutungen und Interpretationen. Der Begriff Medaille selbst hat seinen Wortursprung im Französischen und kennzeichnet eine aus Metall gegossene und geprägte Geld- oder Schaumünze. Gleich, mit welchen Substantiven man ein zweiseitiges Erscheinungsbild verbal zu etikettieren gedenkt, ob mit Alternative, Dichotomie, Binäreinheit oder Paar, sie lassen sich allesamt wiederum mit vielen anschaulichen bildhaften Gleichnissen unterlegen. <?page no="139"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 139 Neue Betriebswirtschaft Die Abbildung 3-18 plakatiert das Gleichnis von Zahl und Wappen einer Münze, das eingedenk der Überschrift des dritten Abschnitts auf das Gleichnis von der Betriebswirtschaftslehre und der Angewandten Statistik erweitert werden kann. Abb. 3-18: Zahl und Wappen Apropos - Zahl und Wappen, oder besser: Zahl oder Wappen: Das Werfen einer Münze ist ein althergebrachtes, stets zufallsbedingtes und in der Regel nicht manipuliertes Hilfsmittel für eine dichotome Entscheidungsfindung. Bezeichnet man der Anschaulichkeit halber die beiden gleichmöglichen zufälligen Elementarereignisse, dass beim einmaligen Werfen einer Münze entweder das Wappen oder die Zahl oben erscheint, mit A = {Wappen} und B = {Zahl}, so leuchtet es intuitiv ein, dass die Vereinigungsmenge A ∪ B = Ω die Ergebnis- oder Grundmenge Ω = {Zahl, Wappen} (lies: Omega) des Münzwurfexperiments kennzeichnet, die auch als ein sicheres Ereignis aufgefasst werden kann, da „es sicher ist“, dass beim einmaligen Münzwurf „entweder das Wappen oder die Zahl oben erscheint“. Analog ist es leicht nachvollziehbar, dass die Schnittmenge A ∩ B = ∅ aus den beiden disjunkten bzw. elementefremden Elementarereignissen A und B eine leere Menge ist, die als ein unmögliches Ereignis ∅ = { } gedeutet werden kann, da „es unmöglich ist“, dass beim einmaligen Werfen einer Münze „sowohl das Wappen als auch die Zahl oben erscheinen“. Aufgrund dessen, dass die beiden gleichmöglichen Elementarereignisse A und B als Ergebnismengen wegen n(A) = 1 und n(B) = 1 jeweils nur ein günstiges Ergebnis beinhalten und wegen n(Ω) = 2 in der zugehörigen Grundmenge Ω zwei gleichmögliche Ergebnisse gezählt werden, kann man die beiden klassischen Ereigniswahrscheinlichkeiten P ( A ) = n ( A ) n(Ω) = 1 2 und P ( B ) = n(B) n(Ω) = 1 2 bestimmen, die in Würdigung des französischen Mathematikers Pierre Simon Marquis de Comte Laplace (*1749, †1827) auch als Laplace-Wahrscheinlichkeiten bezeichnet werden. Da die beiden zufälligen Ereignisse A und B eine gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit besitzen, werden sie auch als gleichwahrscheinliche Ereignisse charakterisiert. <?page no="140"?> 140 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Es war im Jahr 1933 als der junge russische Mathematiker Andrej Nikolajewitsch Kolmogorov (*1903, †1987) im Julius Springer Verlag Berlin ein Traktat mit dem Titel Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung veröffentlichte, in dem er den modernen Wahrscheinlichkeitsbegriff mittels dreier Axiome begründete, die gemäß ihrem griechischen Wortursprung drei postulierte Lehrsätze sind, die man „für recht hält und nicht zu beweisen braucht“. 82 Axiomatischer Wahrscheinlichkeitsbegriff Ist Ω ≠ ∅ eine (nichtleere) Ergebnismenge eines Zufallsexperiments und kennzeichnen die Teilmengen A, B ⊆ Ω zwei zufällige Ereignisse, dann heißt eine auf den Teilmengen von Ω definierte reellwertige Funktion P Wahrscheinlichkeitsmaß und P(…) Ereigniswahrscheinlichkeit, wenn die drei Axiome erfüllt sind: Erstens das Nichtnegativitätsaxiom P(A) ≥ 0, zweitens das Normierungsaxiom P(Ω) = 1 und drittens das Additionsaxiom: P(A ∪ B) = P(A) + P(B) für A ∩ B = ∅. Inwieweit sich Kolmogorov dabei vom russischen Sprichwort Бог любит тройцу, wonach Gott die Dreifaltigkeit liebt, hat inspirieren lassen, ist nicht überliefert und bleibt eine nicht uninteressante Vermutung. Die drei Wahrscheinlichkeitsaxiome können in einem Merksatz wie folgt zusammengefasst werden: Eine Wahrscheinlichkeit ist ein reellwertiges Maß zur Beschreibung zufälligen Geschehens, das nur Werte zwischen null und eins annehmen kann. Die benutzte Funktionsbezeichnung P zur reellwertigen Beschreibung eines zufälligen Ereignisses A hat sich in Anlehnung an das Lateinische probabilitas zur Kennzeichnung einer Wahrscheinlichkeit als ein Standard durchgesetzt. Aufgrund dessen, dass gemäß dem Additionsaxiom für das Münzwurfexperiment P ( A ∪ B ) = P ( A ) + P ( B ) = 1 2 + 1 2 = 1 = P(Ω) gilt, hat man auch eine axiomatische und anschauliche numerische Begründung dafür gefunden, warum eine Wahrscheinlichkeit ein reellwertiges Maß zur Beschreibung zufälligen Geschehens ist, das stets nur Werte zwischen null und eins annehmen kann und gemäß dem Normierungsaxiom ein sicheres Ereignis eine Wahrscheinlichkeit von eins zugewiesen bekommt. Das Normierungsaxiom, wonach die Wahrscheinlichkeit eines sicheren Ereignisses per Definition eins ist, schlägt eine Brücke zur Abbildung 3-14, in der 857 erfasste Hühnereiergewichte mit Hilfe eines normierten Histogramms grafisch dargestellt wurden, dessen aneinandergrenzenden Säulen eine Gesamtfläche von eins besitzen. Doch mehr noch! Neben dem normierten Histogramm mit einer gesamten Säulenfläche von eins besitzt auch die stetige und glockenförmige Funktion über dem normierten Histogramm eine charakteristische und mit dem Normierungsaxiom verwobene Eigenschaft: Die Fläche oberhalb der Abszisse bzw. Gewichtsachse und unterhalb der glockenförmigen Funktion ist auch ihrem Wert nach eins, woraus sich wiederum ihre Kennzeichnung als eine Dichtefunktion erklärt und analog zur Abbildung 3-18 einen anschaulichen Zugang zum theoretischen Modell einer Normalverteilung gewährt. 82 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 13, Seite 190 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.2, Seite 142 ff <?page no="141"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 141 Neue Betriebswirtschaft Das Modell einer Normalverteilung ist zweifelsfrei eines der beeindruckendsten mathematischen Konstrukte, das erstmals vom französischen Mathematiker Abraham de Moivre (*1667, †1754) formuliert wurde und erst nahezu einhundert Jahre später vom deutschen Mathematiker Carl Friedrich Gauß (*1777, †1855) als Verteilungsgesetz für Beobachtungsfehler im Rahmen der Vermessung des Königreichs Hannover in den Jahren 1820 bis 1844 identifiziert und angewandt wurde. Allein das Erscheinungsbild dieses Verteilungsmodells auf einer Banknote ist ein würdigender Hinweis auf seine eminente theoretische und praktische Bedeutung, der nicht im Geringsten durch den Sachverhalt geschmälert wird, dass die in der Abbildung 3-19 dargestellte Banknote mit dem verbalen Geldwert-Etikett Zehn Deutsche Mark seit 2002 als allgemein anerkanntes Äquivalent des Warenaustausches nicht mehr im Umlauf ist. Abb. 3-19: Gaußsche Normalverteilung Eine Kernbotschaft dieser Banknote wird augenscheinlich mit einem Bildnis von Carl Friedrich Gauß vermittelt, das in einer seitenverkehrten Darstellung auf einem Gemälde des dänischen Malers Christian Albrecht Jensen (*1792, †1870) aus dem Jahr 1840 beruht. Eine weitere Kernbotschaft, die man keinesfalls übersehen darf, aber durchaus leicht übersehen kann und daher in der Abbildung 3-19 linksseitig eine gesonderte und vergrößerte Darstellung erfährt, ist die faszinierende mathematische Funktion 𝑓𝑓(𝑥𝑥) = 1 𝜎𝜎 ∙ √2 ∙ 𝜋𝜋 ∙ 𝑒𝑒 − (𝑥𝑥−𝜇𝜇) 2 2∙𝜎𝜎 2 , deren grafisches Erscheinungsbild ein glockenförmiges Gebilde ist, das auch als Gaußsche Normalverteilung oder Gaußsche Glockenkurve bezeichnet wird. Während in der für alle reellwertigen x definierten stetigen und nichtnegativen Funktion f(x) die beiden irrationalen und transzendenten Konstanten e und π (lies: Pi) mit den „tragenden Säulen eines Glockengestühls“ assoziiert werden können, fungieren die beiden reellwertigen Größen µ (lies: My) und σ > 0 (lies: Sigma) als die charakteristischen Parameter einer Normalverteilung. Im grafischen Erscheinungsbild einer Glockenkurve können die beiden Parameter als morphologische Kennzahlen gedeutet werden, da die Kennzahl µ den Gipfel einer Glockenkurve f(x) auf der Abszisse an der Stelle x = µ markiert und die Kennzahl σ den Wölbungsgrad einer Glockenkurve kennzeichnet. 83 83 Eine anschauliche Erläuterung der beiden Konstanten findet man unter anderem bei Eckstein, Peter P.: Alea iacta est - Faszinierende Geheimnisse eines ungewöhnlichen Spielwürfels, UVK Verlagsgesellschaft mbH Konstanz und München 2017, Kapitel 2.4, 2.5 und 3.4 <?page no="142"?> 142 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Aufgrund dessen, dass das uneigentliche Integral � 𝑓𝑓(𝑥𝑥)𝑑𝑑𝑥𝑥 = 1 +∞ −∞ über der stetigen, nichtnegativen und glockenförmigen Funktion f(x) in den Grenzen von „minus unendlich“ bis „plus unendlich“ seinem Wert nach eins ist, kennzeichnet man die Funktion f(x) als eine Dichtefunktion und verwendet sie als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. In ihrer Verwendung als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung erweist es sich als vorteilhaft, die Dichtefunktion nach durch die zugehörige Verteilungsfunktion 𝐹𝐹 𝑋𝑋 (𝑎𝑎) = 𝑃𝑃(𝑋𝑋 ≤ 𝑎𝑎) = � 𝑓𝑓(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑡𝑡 𝑎𝑎 −∞ zu ergänzen, deren grafisches Erscheinungsbild analog zur Abbildung 3-19 eine stetige, monoton wachsende und s-förmige Funktion ist, die für eine reelle Zahl a mit 0 ≤ 𝐹𝐹 𝑋𝑋 (𝑎𝑎) ≤ 1 stets nur Funktionswerte zwischen null und eins annehmen kann. Das theoretische Modell einer Normalverteilung erweist sich zum Beispiel für die Nachbildung und Beschreibung des Bewegungsgesetzes einer stetigen Zufallsgröße X allerdings nur dann als praktikabel und hilfreich, wenn man zum Beispiel den wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtungen ein Normalverteilungsmodell zugrunde legt, dass analog zur Abbildung 3-18 mit 𝑋𝑋~𝑁𝑁(𝜇𝜇 = 3, 𝜎𝜎 = 1) hinsichtlich seiner Parameter als vollständig spezifiziert angesehen werden kann. Setzt man die beiden Parameterwerte in die Dichtefunktion 𝑓𝑓(𝑥𝑥) = 1 √2 ∙ 𝜋𝜋 ∙ 𝑒𝑒 − (𝑥𝑥−3) 2 2 ein und stellt die vollständig spezifizierte Funktion f(x) im Definitionsbereich 0 ≤ 𝑥𝑥 ≤ 6 grafisch dar, dann erhält man die auf der Banknote plakatierte Glockenkurve f(x), deren Gipfel „mit Hilfe eines senkrechten Lots“ augenscheinlich auf der Abszisse an der Stelle x = 3 markiert werden kann. Würde man die Glockenkurve jeweils noch durch eine senkrecht auf der Abszisse stehende Linie an den beiden Stellen 𝑥𝑥 = 𝜇𝜇 − 𝜎𝜎 = 3 − 1 = 2 und 𝑥𝑥 = 𝜇𝜇 + 𝜎𝜎 = 3 + 1 = 4 ergänzen, dann hätte man an den beiden Stellen x = 2 und x = 4, wo die jeweilige Senkrechte die Glockenkurve schneidet, zugleich auch noch die beiden Wendepunkte der Glockenkurve sichtbar markiert. Deutet man den Wertebereich zwischen den beiden Wendepunkten von als den sogenannten Ein- Sigma-Bereich [𝜇𝜇 ± 𝜎𝜎] = [3 ± 1] = [2, 4] , dann würde man unter Verwendung der vollständig spezifizierten Dichtefunktion mit Hilfe des bestimmten Integrals � 𝑓𝑓(𝑥𝑥)𝑑𝑑𝑥𝑥 ≅ 0,683 4 2 <?page no="143"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 143 Neue Betriebswirtschaft einen Wert erhalten, der die Größe der Fläche unterhalb der Dichtefunktion f(x) und oberhalb der Abszisse x im reellwertigen Bereich von 2 bis 4 beschreibt. Im stochastischen Sinne interpretiert man diesen Flächeninhalt wegen 𝑃𝑃(𝐴𝐴) = 𝑃𝑃(2 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 4) = � 𝑓𝑓(𝑥𝑥)𝑑𝑑𝑥𝑥 ≅ 0,683 4 2 als die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines zufälligen Ereignisses 𝐴𝐴 ≔ {2 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 4}, das darin besteht, dass eine stetige und N(3, 1)-verteilte Zufallsgröße X Werte oder Realisationen annimmt, die sich auf mindestens 2, höchstens jedoch auf 4 belaufen. In Anlehnung an das schwache Gesetz großer Zahlen 84 würde man im statistischen Sinne für eine große und aus mehr als einhundert Merkmalsträgern bestehende Gesamtheit hinsichtlich eines stetigen metrischen und N(3, 1)-verteilten Erhebungsmerkmals X lakonisch vermerken, dass für 68,3 Prozent der Merkmalsträger jeweils ein reeller Merkmalswert zwischen 2 und 4 empirisch erhoben wurde. Erweitert man den um den Parameter µ = 3 symmetrischen Streuungsbereich auf einen sogenannten Zwei-Sigma-Bereich [𝜇𝜇 ± 2 ∙ 𝜎𝜎] = [3 ± 2 ∙ 1] = [1, 5] , dann berechnet man für das zufällige Ereignis 𝐵𝐵 ≔ {1 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 5}, das darin besteht, dass eine stetige und N(3, 1)-verteilte Zufallsgröße X Werte von mindestens 1 und höchstens 5 annimmt, eine Wahrscheinlichkeit von 𝑃𝑃(𝐵𝐵) = 𝑃𝑃(1 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 5) = � 𝑓𝑓(𝑥𝑥)𝑑𝑑𝑥𝑥 ≅ 0,955 5 1 . Im Hinblick auf den sogenannten Drei-Sigma-Bereich [𝜇𝜇 ± 3 ∙ 𝜎𝜎] = [3 ± 3 ∙ 1] = [0, 6] würde man unter sonst gleichen Bedingungen für das zufällige Ereignis 𝐶𝐶 ≔ {0 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 6} eine Ereigniswahrscheinlichkeit von 𝑃𝑃(𝐶𝐶) = 𝑃𝑃(0 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 6) = � 𝑓𝑓(𝑥𝑥)𝑑𝑑𝑥𝑥 ≅ 0,997 6 0 ≈ 1 bestimmen. Demnach ist es „nahezu sicher“, dass bei Unterstellung einer stetigen und N(3, 1)verteilten Zufallsgröße X das Ereignis C eintritt, wonach sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nahezu alle möglichen Realisationen im geschlossenen Intervall von null bis sechs befinden. Die drei paradigmatisch skizzierten wahrscheinlichkeitstheoretischen Aussagen können als eine allgemeingültige Regel, die in der Stochastik auch unter der Bezeichnung der sogenannten Drei- Sigma-Regel firmiert, wie folgt zusammengefasst werden: 84 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 17, Seite 268 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6.6, Seite 205 ff <?page no="144"?> 144 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Drei-Sigma-Regel Kann eine stetige Zufallsgröße X durch eine Normalverteilung beschrieben werden, wobei 𝑋𝑋~𝑁𝑁(𝜇𝜇, 𝜎𝜎) gilt, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, das eine reellwertige Realisation a in das geschlossene Intervall [𝜇𝜇 − 𝑘𝑘 ∙ 𝜎𝜎, 𝜇𝜇 + 𝑘𝑘 ∙ 𝜎𝜎] fällt, 𝑃𝑃(𝜇𝜇 − 𝑘𝑘 ∙ 𝜎𝜎 ≤ 𝑋𝑋 ≤ 𝜇𝜇 + 𝑘𝑘 ∙ 𝜎𝜎) = �0,683 𝑓𝑓ü𝑟𝑟 𝑘𝑘 = 1 0,955 𝑓𝑓ü𝑟𝑟 𝑘𝑘 = 2 0,997 𝑓𝑓ü𝑟𝑟 𝑘𝑘 = 3. Im Kontext der verteilungsanalytischen Betrachtungen im Abschnitt 3.5 wurde im Hinblick auf die statistische Analyse des Gewichtes von 857 Hühnereiern vermerkt, dass sich 65,8 Prozent der erfassten Gewichtswerte im sogenannten Ein-Sigma-Bereich befinden. Dass dieser empirische Befund nur geringfügig vom prozentualen Anteil von 68,3 Prozent abweicht, den man bei normalverteilten Gewichtswerten theoretisch erwarten würde, ist im Hinblick auf die Abbildung 3-14 ein weiterer Hinweis darauf, dass die erfassten Hühnereiergewichte nicht nur im deskriptiven Sinne als symmetrisch und nahezu glockenförmig verteilt, sondern zugleich auch im stochastischen Sinne als Realisationen einer normalverteilten Zufallsgröße aufgefasst werden können. Im Kontext einer paradigmatischen Darstellung des theoretischen Modells einer Normalverteilung ist es unabdingbar, im Hinblick auf die Abbildung 3-19 das „unikate Konstrukt“ der sogenannten Standardnormalverteilung kurz zu beleuchten. Allein das verbale Etikett Standardnormalverteilung in seiner formalen und verkürzenden Notation N(0, 1) zieht wiederum das bereits im Abschnitt 3.5 paradigmatisch skizzierte statistische Verfahren einer Standardisierung auf die Bühne des Geschehens. Eine stetige und N(µ, σ)-verteilte Zufallsgröße X kann wegen 𝑍𝑍 = 𝑋𝑋 − 𝜇𝜇 𝜎𝜎 mit Hilfe der sogenannten z-Transformation in eine stetige und N(0, 1)-verteilte Zufallsgröße Z umgewandelt werden, wobei für den Erwartungswert 𝜇𝜇 𝑍𝑍 = 𝐸𝐸(𝑍𝑍) = 0 und für die Standardabweichung 𝜎𝜎 𝑍𝑍 = 1 gilt. Diese Transformation erweist sich nicht nur im Zuge einer vergleichenden Betrachtung unterschiedlich spezifizierter Normalverteilungsmodelle als vorteilhaft, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Herleitung und theoretische Begründung von statistischen Schätz- und Testverfahren als substantiell und tragend. 85 In diesem Zusammenhang dürfen keineswegs die Vorteile der Standardnormalverteilung unerwähnt bleiben, die sich vor allem in der statistischen Methodenlehre sowohl zur anschaulichen Erläuterung wahrscheinlichkeitstheoretischer Sachverhalte als auch zur Berechnung bzw. Bestimmung von interessierenden Ereigniswahrscheinlichkeiten als hilfreich erweisen, zumal man in praxi nicht zu jeder 85 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 19, Seite 294 ff, Kapitel 20, Seite 310 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 7.2, Seite 228 ff, Kapitel 7.3, Seite 246 ff <?page no="145"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 145 Neue Betriebswirtschaft Zeit und an jedem Ort moderne und leistungsfähige Rechentechnik verfügbar hat, mit deren Hilfe man in der Regel rechenaufwändige Wahrscheinlichkeitsberechnungen bewerkstelligen kann. Da auch für die reellwertige und nichtnegative Dichtefunktion 𝜑𝜑(𝑧𝑧) = 1 √2 ∙ 𝜋𝜋 ∙ 𝑒𝑒 − 𝑧𝑧 2 2 der Standardnormalverteilung N(0, 1) wegen � 𝜑𝜑(𝑧𝑧)𝑑𝑑𝑧𝑧 = 1 +∞ −∞ die Fläche unterhalb des eingipfeligen, glockenförmigen und um die Zahl Null symmetrischen Graphen ϕ(z) dem Wert nach eins ist, leuchtet es ein, dass analog zur Abbildung 3-20 die beiden disjunkten zufälligen Ereignisse A = {Z < 0} und B = {Z ≥ 0} wegen P(A) = P(B) = 0,5 gleichwahrscheinlich sind. Aufgrund dessen, dass an der Stelle z = 0 die „Einserfläche“ unterhalb der symmetrischen Glockenkurve ϕ(z) halbiert wird, kennzeichnet man den Erwartungswert E(Z) als den Median der stetigen und N(0, 1)-verteilten Zufallsgröße Z, der als „der in der Mitte stehende“ Wert ein aufsteigend geordnetes Ensemble von Realisationen bzw. Merkmalswerten in zwei gleichgroße Teile bzw. in Hälften gliedert. Abb. 3-20: Standardnormalverteilung N(0, 1) Im speziellen Fall einer stetigen und standardnormalverteilten Zufallsgröße Z ist analog zur Abbildung 3-20 die zugehörige Verteilungsfunktion 𝛷𝛷(𝑧𝑧) = 𝑃𝑃(𝑍𝑍 ≤ 𝑧𝑧) = � 𝜑𝜑(𝑧𝑧)𝑑𝑑𝑧𝑧 𝑧𝑧 −∞ in Gestalt eines im Wertebereich 0 ≤ 𝛷𝛷(𝑧𝑧) ≤ 1 monoton wachsenden und s-förmigen Graphen bildhaft dargestellt. In einschlägigen Fachbüchern und Tabellenwerken sind die Funktionswerte Φ(z) der Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung N(0, 1) in der Regel für alle z-Werte im Bereich von 0 bis <?page no="146"?> 146 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft 3,5 tabelliert. Da im konkreten Fall 𝛷𝛷(0) = 𝑃𝑃(𝑍𝑍 ≤ 0) = � 𝜑𝜑(𝑧𝑧)𝑑𝑑𝑧𝑧 = 0,5 0 −∞ und 𝛷𝛷(1) = 𝑃𝑃(𝑍𝑍 ≤ 1) = � 𝜑𝜑(𝑧𝑧)𝑑𝑑𝑧𝑧 ≅ 0,841 1 −∞ gilt, leuchtet es intuitiv ein, dass die Wahrscheinlichkeit für das zufällige Ereignis 𝐴𝐴 ≔ {0 ≤ 𝑍𝑍 ≤ 1}, das darin besteht, dass die stetige und N(0, 1)-verteilte Zufallsgröße Z einen Wert zwischen 0 und 1 annimmt, in ihrem Erscheinungsbild als die markierte Fläche unter der Glockenkurve wegen 𝑃𝑃(0 ≤ 𝑍𝑍 ≤ 1) = � 𝜑𝜑(𝑧𝑧)𝑑𝑑𝑧𝑧 ≅ 0,341 1 0 ungefähr mit 0,34 bemessen ist, ein Wert, der mit der Differenz 𝛷𝛷(1) − 𝛷𝛷(0) = 0,841 − 0,5 ≅ 0,341 aus dem Verteilungsfunktionswert Φ(z) der oberen Intervallgrenze z = 1 und dem der unteren Intervallgrenze z = 0 identisch ist. Was ist leichter, ein bestimmtes Integral zu berechnen oder einen Funktionswert aus einer Tabelle zu entnehmen bzw. näherungsweise an einem s-förmigen Graphen abzulesen? Eine glaubwürdige und überzeugende Antwort erübrigt sich, es sei denn, man bedient sich, wie in den nachfolgenden paradigmatischen Betrachtungen einschlägiger Software etwa mit SPSS oder Microsoft Excel. Erlöshochrechnung Eine Bäuerin betreibt im Land Brandenburg einen Öko-Bauernhof und hat sich auf die Produktion von Öko-Eiern spezialisiert, die von Hühnern der Rasse Loheimer Braun gelegt werden. Auf den Berliner Wochenmärkten sind die von der Bäuerin feilgebotenen Öko-Eier sehr begehrt. Welchen Erlös würde die Bäuerin auf einem Berliner Wochenmarkt erwartungsgemäß erzielen, wenn sie eine Palette von insgesamt 2000 Öko-Eiern verkauft und ein Hühnerei der jeweiligen Gewichtskategorie zu den Preisen veräußert, die in der Tabelle 3-12 aufgelistet sind? Kategorie Gewichtsklasse Preis S(mall) G < 53 g 0,20 €/ Stück M(edium) 53 g ≤ G < 63 g 0,25 €/ Stück L(arge) 63 g ≤ G < 73 g 0,30 €/ Stück (e)X(tra)L(arge) G ≥ 73 g 0,35 €/ Stück Tabelle 3-12: Preistabelle In Anlehnung an die Betrachtungen im Abschnitt 3.5 soll davon ausgegangen werden, dass das Gewicht G eines Hühnereies (Angaben in Gramm) eine stetige und zugleich eine normalverteilte Zufallsgröße ist, wobei G ∼ N(µ, σ) <?page no="147"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 147 Neue Betriebswirtschaft gilt. Aus Praktikabilitätsgründen wurden die beiden unbekannten Parameter µ und σ des unvollständig spezifizierten Normalverteilungsmodells N(µ, σ) aus den empirisch erhobenen Gewichtsdaten von 857 Hühnereiern geschätzt, wobei für den Erwartungswert µ G = E(G) = 62,78 g ≈ 63 g und für die Standardabweichung σ G = 4,9 g ≈ 5 g gelten soll. Die angestrebte Erlöshochrechnung kann unter Zuhilfenahme des Statistik-Programm-Pakets SPSS und unter Beachtung der eingangs formulierten Prämissen wie folgt bewerkstelligt werden: Für das zufällige Ereignis S : = {G < 53 g}, das darin besteht, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei der Gewichtskategorie S zugeordnet wird, berechnet man eine Wahrscheinlichkeit von P(G < 53) = F G (53) = CDF.NORMAL(53, 63, 5) ≈ 0,023. Die Funktion CDF.NORMAL basiert auf dem englischen Terminus C(umulative) D(istribution) F(unction of) Normal (Distribution) und kennzeichnet den Wert der Verteilungsfunktion F G der N(63, 5)-verteilten Zufallsgröße G an der Stelle 53, der sachlogisch wie folgt interpretiert werden kann: Unter der Annahme, dass das Hühnereigewicht G eine normalverteilte Zufallsgröße ist, wobei G ∼ N(63 g, 5 g) gilt, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei leichter als 53 g ist, 0,023. Aufgrund dessen, dass die Bäuerin 2000 Hühnereier „zu Markte trägt und veräußert“, kann die Bäuerin erwartungsgemäß davon ausgehen, dass sich in der Verkaufsmenge von 2000 Eiern insgesamt 2000 × 0,023 = 46 Eier der Kategorie S befinden, für die sie gemäß Preisliste einen Verkaufserlös von (46 Stück) × (0,20 € je Stück) = 9,20 € erzielen kann. Für das zufällige Ereignis M : = {53 g ≤ G < 63 g}, das darin besteht, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei der Gewichtskategorie M zugeordnet wird, also mindestens 53 g schwer, aber leichter als 63 g ist, berechnet man unter sonst gleichen Umständen eine Wahrscheinlichkeit von P(53 ≤ G < 63) = F G (63) − F G (53) = CDF.NORMAL(63, 63, 5) − CDF.NORMAL(53, 63, 5) ≈ 0,477 und interpretiert sie wie folgt: Unter der Annahme, dass das Hühnereiergewicht G eine N(63 g, 5 g)-verteilte Zufallsgröße ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei der Gewichtskategorie M zuzuordnen ist, 0,477. Demnach kann die Bäuerin erwarten, dass sich in der Verkaufsmenge von 2000 Eiern insgesamt 2000 × 0,477 = 954 Eier der Kategorie M befinden, für die sie erwartungsgemäß einen Erlös von (954 Stück) × (0,25 € je Stück) = 238,50 € erzielen kann. <?page no="148"?> 148 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Für das zufällige Ereignis L : = {63 g ≤ G < 73 g}, berechnet man ceteris paribus, also unter sonst gleichen Bedingungen, eine Wahrscheinlichkeit von P(63 ≤ G < 73) = F G (73) − F G (63) = CDF.NORMAL(73, 63, 5) − CDF.NORMAL(63, 63, 5) ≈ 0,477, die im konkreten Fall und in logischer Konsequenz identisch ist mit der Wahrscheinlichkeit für das Ereignis M. Erwartungsgemäß kann die Bäuerin für die Anzahl von 2000 × 0,477 = 954 Hühnereiern der Gewichtskategorie L laut Preisliste mit einem Erlös in Höhe von (954 Stück) × (0,30 € je Stück) = 286,30 € rechnen. Für das zufällige Ereignis XL : = {G ≥ 73 g}, berechnet man schließlich und endlich eine Wahrscheinlichkeit von P(G ≥ 73) = 1 − F G (73) = 1 − CDF.NORMAL(73, 63, 5) ≈ 0,023, eine theoretisch zu erwartende Anzahl von 2000 × 0,028 = 46 XL-Eiern und aus deren Verkauf einen Erlös in Höhe von (46 Stück) × (0,35 € je Stück) = 16,10 €. In der Tabelle 3-13 sind die Ergebnisse der angestrebten und paradigmatisch skizzierten Erlöshochrechnung zusammengefasst. Kategorie Wahrscheinlichkeit Stückzahl Erlös S 0,023 46 9,20 € M 0,477 954 238,50 € L 0,477 954 286,30 € XL 0,023 46 16,10 € insgesamt 1,000 2000 550,00 € Tabelle 3-13: Erlöshochrechnung Das Bemerkenswerte an diesen betriebswirtschaftlichen und statistischen Betrachtungen besteht darin, dass sich die Bäuerin bereits im Vorfeld ihrer Verkaufsaktivitäten ein Bild darüber verschaffen kann, welchen Erlös sie allein aus einem Verkauf von 2000 Hühnereiern theoretisch zu erwarten hätte, ohne auch nur ein Ei gesammelt, gewogen, in die jeweilige Gewichtskategorie einsortiert und veräußert zu haben. Was allerdings aus sachlogischen und Plausibilitätsgründen nochmals repetiert werden muss, sind die Prämissen, unter denen die Erlöshochrechnung bewerkstelligt wurde: <?page no="149"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 149 Neue Betriebswirtschaft In Anlehnung an die Betrachtungen im Abschnitt 3.5 kann man empirisch belegen, dass für eine hinreichend große statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von Hühnereiern γ i das Gewicht G(γ i ) hinreichend genau durch das theoretische Modell einer Normalverteilung mit den Parametern µ G = 63 g und σ G = 5 g beschrieben werden kann. Diese empirisch unterlegte Aussage ist äquivalent mit der wahrscheinlichkeitstheoretischen Annahme, wonach das Gewicht G eines Hühnereies eine normalverteilte Zufallsgröße ist, wobei G ∼ N(63 g, 5 g) gilt. Unterstellt man weiterhin, dass die in der Tabelle 3-12 vermerkten Gewichtskategorien marktübliche Gewichtsklassifikationen sind, dann hat man im Zuge der praktizierten Erlöshochrechnung letzten Endes nichts anderes getan, als die nicht näher bestimmte und sachlogisch nur für die Menge ℝ + der positiven reellen Zahlen definierte Gewichtsspanne in vier disjunkte Gewichtsintervalle aufgeteilt, die mengentheoretisch das sichere Ereignis Ω = {S} ∪ {M} ∪ {L} ∪ {XL} beschreiben, das im konkreten Fall darin besteht, dass ein zufällig ausgewähltes Hühnerei „mit Sicherheit“ in eine der vier disjunkten Gewichtskategorien eingeordnet werden kann. Da die vier Gewichtskategorien paarweise disjunkt sind, sich also paarweise gegenseitig ausschließen, wobei im konkreten Fall {S} ∩ {M} = ∅, {S} ∩ {L} = ∅, {S} ∩ {XL} = ∅, {M} ∩ {L} = ∅, {M} ∩ {XL} = ∅ und {L} ∩ {XL} = ∅ gilt, addieren sich gemäß dem Kolmogorovschen Normierungs- und dem Additionsaxiom die zugehörigen Ereigniswahrscheinlichkeiten P(S) + P(M) + P(L) + P(XL) = P(Ω) = 1 zu eins, die unter der vollständig spezifizierten Normalverteilungsannahme G ∼ N(63 g, 5 g) theoretisch zu erwartenden kategoriespezifischen Stückzahlen n e zu n e (S) + n e (M) + n e (L) + n e (XL) = 46 + 954 + 954 + 46 = 2000 Stück und der zu erwartende Gesamterlös E e aus einem Verkauf von 2000 Hühnereiern schlussendlich zu E e (S) + E e (M) + E e (L) + E e (XL) = 9,20 + 238,50 + 286,30 + 16,10 = 550 €. Zusammenhangsanalytische Betrachtungen Dieser Abschnitt hat eine paradigmatische Darstellung von Verfahren der statistischen Zusammenhangsanalyse zum Gegenstand, die in der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung häufig appliziert werden. In einer statistischen Zusammenhangsanalyse, die stets sachlogisch zu begründen ist und keine Kausalitätsanalyse ersetzt, steht das Messen der Intensität und/ oder der Richtung von Zusammenhängen zwischen zwei oder mehreren Merkmalen mit Hilfe geeigneter graphischer Darstellungen und Maßzahlen im Vordergrund. <?page no="150"?> 150 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft In Abhängigkeit davon, ob eine statistische Zusammenhangsanalyse auf nominalen, ordinalen oder metrischen Merkmalen beruht, unterscheidet man in der statistischen Methodenlehre zwischen einer Kontingenzanalyse, einer Rangkorrelationsanalyse und einer Maßkorrelationsanalyse. Aus dem breitgefächerten Katalog zusammenhangsanalytischer Verfahren werden in den nachfolgenden Betrachtungen einmal nur die Grundidee einer bivariaten Kontingenzanalyse und einer bivariaten und einer partiellen Maßkorrelationsanalyse paradigmatisch und realdatenbasiert erläutert. 3.7.1 Kontingenzanalyse Die Grundlage einer statistischen Kontingenzanalyse, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung „das Zusammenfallen von Ereignissen“ beschreibt, bildet analog zur Tabelle 3-14 eine sogenannte Kontingenzbzw. Kreuztabelle, die in der angewandten Statistik in der Regel nur für kategoriale, d.h. für nominale und/ oder ordinale Erhebungsmerkmale mit wenigen sich voneinander unterscheidenden Merkmalswerten erstellt wird. Tabelle 3-14: Kontingenztabelle vom Typ (2 × 2) Die in der Tabelle 3-14 mit dem Etikett Nutzerzufriedenheit * Geschlecht Kreuztabelle versehene Kontingenztabelle basiert auf einer Nutzerbefragung in Berliner Parkhäusern im ersten Quartal 2015. Die zugrundeliegende SPSS Datendatei wurde bereits im Rahmen der exemplarischen Betrachtungen zur statistischen Datenerhebung im Abschnitt 3.4 in der Abbildung 3-7 auszugsweise dargestellt. Für die Parkhausbetreiber und für das Parkhausmanagement bestanden Sinn und Zweck der Nutzerbefragung unter anderem darin, eine empirisch unterlegte Antwort auf die sachlogisch plausible Fragestellung zu finden, ob und in welcher Intensität die Zufriedenheit mit dem Parkhausinneren und die Geschlechtszugehörigkeit von Parkhausnutzern in einem Zusammenhang stehen. Da man über diesen interessierenden Sachverhalt keine Kenntnisse besitzt, geht man in der empirischen Wirtschaftsforschung in der Regel wie folgt vor: Aus der hinsichtlich ihres Umfanges N nicht näher bestimmten, jedoch sachlich, zeitlich und örtlich abgegrenzten statistischen Grundgesamtheit Γ = {γ i , i = 1, 2, …, N} von Parkhausnutzern γ wählt man zufällig und unabhängig voneinander eine hinreichend große Anzahl n < N von Parkhausnutzern γ aus, befragt sie (in der Regel auf der Grundlage eines standardisierten Fragebogens) und überträgt die erhobenen Informationen in eine Datendatei. Die Teilmenge Γ n = {γ i , i = 1, 2, …, n} ∈ Γ zufällig ausgewählter und befragter Parkhausnutzern γ vom Umfang n < N subsumiert man in der Induktiven Statistik 86 unter dem Begriff einer Zufallsstichprobe und die zugehörige Datendatei unter dem Begriff einer realisierten Zufallsstichprobe. 86 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Teil III, Seite 275 ff und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 7: Statistische Induktion, Seite 211 ff. <?page no="151"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 151 Neue Betriebswirtschaft Im Zuge der Befragung wurden analog zur Tabelle 3-15 insgesamt 1109 Parkhausnutzer zufällig ausgewählt und befragt, wobei hinsichtlich der beiden interessierenden Erhebungsmerkmale Nutzerzufriedenheit und Geschlecht(szugehörigkeit) 12 Befragte keine bzw. keine gültige und 1097 Befragte eine gültige bzw. auswertbare Antwort gaben. Tabelle 3-15: Nutzerbefragung, Basis: verarbeitete Fälle Während im konkreten Fall die Zufallsstichprobe durch die Menge der n = 1097 zufällig ausgewählten und befragten Parkhausnutzer γ i gekennzeichnet ist, die hinsichtlich der beiden interessierenden Erhebungsmerkmale gültige Antworten gaben, ordnet man die beiden interessierenden Eigenschaften X: Nutzerzufriedenheit (mit dem Parkhausinneren) und Y: Geschlecht in die Gruppe kategorialer Erhebungsmerkmale ein, die erfassungsstatistisch durch die folgenden jeweils 0-1-kodierten Zustandsmengen gekennzeichnet sind: X(γ i ) = x i ∈ Ξ X = {ξ 1 = 0 → unzufrieden, ξ 2 = 1 → zufrieden} Y(γ i ) = y i ∈ Ξ Y = {υ 1 = 0 → männlich, υ 2 = 1 → weiblich}. Aufgrund dessen, dass die Zustandsmengen Ξ X und Ξ Y der beiden Erhebungsmerkmale X und Y per Definition mit ξ j (j = 1, 2) (lies: Klein-Xi) und υ k (k = 1, 2) (lies: Klein-Ypsilon) jeweils nur zwei wohl voneinander verschiedene Ausprägungen beinhalten, mit deren Hilfe man lediglich eine Gleich- oder eine Verschiedenartigkeit der befragten Parkhausnutzer γ hinsichtlich der interessierenden Eigenschaft begrifflich beschreiben kann, kennzeichnet man beide Erhebungsmerkmale als nominal und dichotom und die Kontingenztabelle 3-14 als eine quadratische Vierfeldertafel vom Typ (2 × 2), da sie in ihrem „Inneren“ aus r × c = 2 × 2 = 4 Feldern besteht. In Anlehnung an die englischen Begriffe row und column symbolisieren die Variablen r und c die Anzahl der „inneren“ Zeilen und Spalten einer Kontingenztabelle. Jedes der vier „inneren Felder“ der Kontingenztabelle 3-14 beinhaltet bezüglich des jeweiligen Ausprägungspaares (ξ j , υ k ) die „gemeinsam“ beobachtete absolute Häufigkeit n(ξ j , υ k ) = n jk mit j = 1, 2, …, r und k = 1, 2, …, c. Demnach gaben von den insgesamt n = 1097 befragten Parkhausnutzern, die gültige Antworten gaben, zum Beispiel wegen n 11 = n(ξ 1 , υ 1 )) = 136 Parkhausnutzer an, sowohl mit dem Parkhausinneren unzufrieden als auch männlich zu sein. Das Symbol n 11 kennzeichnet dabei die absolute Häufigkeit im Kontingenztabellenfeld der Ordnung j = 1 (Zeile 1) und k = 1 (Spalte 1) im „Inneren“ der Kontingenztabelle 3-14. Aus mengentheoretischer Sicht bilden die n 11 = n(ξ 1 ∩ υ 1 ) = 136 Parkhausnutzer die Schnittmenge aus der Teilmenge aller n(ξ 1 ) = 207 Parkhausnutzer, die angaben, wegen ξ 1 = unzufrieden zu sein und aller n(υ 1 ) = 719 Parkhausnutzer, die wegen υ 1 = männlich waren. <?page no="152"?> 152 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Die Randbzw. Marginalverteilung {(ξ j , n(ξ j )), j = 1, 2} = {(unzufrieden, 207), (zufrieden, 890)} des nominalen und dichotomen Erhebungsmerkmals X: Nutzerzufriedenheit (mit dem Parkhausinneren) kennzeichnet die univariate empirische Verteilung in der realisierten Zufallsstichprobe der n = 1097 befragten Parkhausnutzer γ i auf die zwei nominalen Ausprägungen ξ 1 = unzufrieden und ξ 2 = zufrieden. Während n(X(γ i ) = ξ 1 ) = n(ξ 1 ) = 207 Parkhausnutzer γ i angaben, mit dem Parkhausinneren ξ 1 = unzufrieden zu sein, waren n(X(γ i ) = ξ 2 ) = n(ξ 2 ) = 890 Parkhausnutzer γ i mit dem Parkhausinneren ξ 2 = zufrieden. Im konkreten Fall überzeugt man sich leicht von der Tatsache, dass für das dichotome Erhebungsmerkmal X: Nutzerzufriedenheit die Summe der absoluten Randhäufigkeiten n = n(ξ 1 ) + n(ξ 2 ) = 207 + 890 = 1097 identisch ist mit dem Stichprobenumfang n = 1097 Parkhausnutzer. Analog kennzeichnet die Marginalverteilung {(υ k , n(υ k )), k = 1, 2} = {(männlich, 719), (weiblich, 378)} des nominalen Erhebungsmerkmals Y: Geschlecht(szugehörigkeit) die univariate empirische Verteilung in der „gültigen“ realisierten Zufallsstichprobe der n = 1097 der befragten Parkhausnutzer γ i auf die dichotomen Ausprägungen υ 1 = männlich und υ 2 = weiblich. In logischer Konsequenz ist auch die Summe n = n(υ 1 ) + n(υ 2 ) = 719 + 378 = 1097 der c = 2 absoluten Randhäufigkeiten für das Erhebungsmerkmal Y: Geschlecht identisch mit dem Stichprobenumfang von n = 1097 befragten Parkhausnutzern γ i , die jeweils valide bzw. gültige Antworten gaben. In der Abbildung 3-21 ist die in der (2 × 2)-Kontingenztabelle 3-14 zusammengefasste bivariate absolute Häufigkeitsverteilung mit Hilfe eines dreidimensionalen Balkendiagramms bildhaft dargestellt. Abb. 3-21: Bivariate absolute Häufigkeitsverteilung <?page no="153"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 153 Neue Betriebswirtschaft Aus dem 3D-Balkendiagramm in der Abbildung 3-21 wird bereits ersichtlich, dass zum Beispiel die geschlechtsspezifischen Zufriedenheitsbewertungen der befragten Parkhausnutzer ungeachtet des unterschiedlichen absoluten Niveaus verhältnismäßig nahezu gleichartig sind. Diese erkennbar „verhältnismäßig gleichartigen“ geschlechtsspezifischen Häufigkeitsverteilungen führen unmittelbar zur Betrachtung der zugehörigen Konditionalverteilungen. Aus der rechteckigen (2 × 2)-Kontingenztabelle 3-14 können insgesamt r + c = 2 + 2 = 4 bedingte Verteilungen bzw. Konditionalverteilungen entlehnt werden, die der Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit halber in den Tabellen 3-16 und 3-17 aufgelistet sind und wie folgt interpretiert werden können: Tabelle 3-16: Zufriedenheitsspezifische Konditionalverteilungen Betrachtet man einmal nur die Menge der befragten Parkausnutzer γ i , die angaben, mit dem Parkhausinneren unzufrieden (ξ 1 = 0) zu sein, so zeigt sich, dass von diesen n(X(γ i ) = ξ 1 ) = n(ξ 1 ) = 207 unzufriedenen Parkhausnutzern p(υ 1 | ξ 1 ) = n(υ 1 ∩ ξ 1 ) / n(ξ 1 ) = 136 / 207 ≅ 0,657 bzw. 65,7 % männlichen Geschlechts (υ 1 = 0) und in logischer Konsequenz wegen p(υ 2 | ξ 1 ) = n(υ 2 ∩ ξ 1 ) / n(ξ 1 ) = 71 / 207 ≅ 0,343 bzw. 34,3 % weiblichen Geschlechts (υ 2 = 1) waren. Analog können auch die bedingten relativen bzw. prozentualen Häufigkeiten für die Teilmenge der zufriedenen (ξ 2 = 1) Parkhausnutzer berechnet und interpretiert werden. Abb. 3-22: Konditionalverteilungen als Struktogramme <?page no="154"?> 154 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Da augenscheinlich die r = 2 in der Tabelle 3-16 indizierten zufriedenheitsspezifischen Konditionalverteilungen, deren prozentuale Angaben sich auf einem Gesamtwert von 100 Prozent addieren, nahezu kongruent, also nahezu deckungsgleich sind, kann dies als ein Indiz dafür gewertet werden, dass die beiden betrachteten Erhebungsmerkmale X: Nutzerzufriedenheit und Y: Geschlecht im kontingenzanalytischen Sinne voneinander unabhängig sind. Dieser kontingenzanalytische Befund wird durch die r = 2 jeweils auf 100 Prozent normierten und kongruenten zufriedenheitsspezifischen Struktogramme der Geschlechtszugehörigkeit in der Abbildung 3-22 bildhaft untermauert. Zu einer vergleichbaren Aussage gelangt man bei Betrachtung der c = 2 geschlechtsspezifischen Konditionalverteilungen in der Tabelle 3-17, die der Anschaulichkeit halber in der Abbildung 3-23 mit Hilfe zweier normierter Struktogramme grafisch dargestellt sind. Tabelle 3-17: Geschlechtsspezifische Konditionalverteilungen Abb. 3-23: Konditionalverteilungen als Struktogramme Die geschlechtsspezifischen Konditionalverteilungen basieren auf der Betrachtung der Nutzerteilmengen, die durch die c = 2 Ausprägungen υ k (k = 1, 2) des Erhebungsmerkmals Y: Geschlecht definiert sind. So bestimmt man zum Beispiel für die weiblichen (υ 2 = 1) Parkhausnutzer γ i , die folgende „Zufriedenheitsverteilung“: Von den insgesamt n(Y(γ i ) = υ 2 ) = n(υ 2 ) = 378 weiblichen Parkhausnutzern γ i gaben p(ξ 1 | υ 2 ) = n(ξ 1 ∩ υ 2 ) / n(υ 2 ) = 71 / 378 ≅ 0,188 bzw. 18,8 % an, mit dem Parkhausinneren unzufrieden (ξ 1 = 0) und p(ξ 2 | υ 2 ) = n(ξ 2 ∩ υ 2 ) / n(υ 2 ) = 307 / 378 ≅ 0,812 bzw. 81,2 % <?page no="155"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 155 Neue Betriebswirtschaft mit dem Parkhausinneren zufrieden (ξ 2 = 1) zu sein. Da offensichtlich auch die c = 2 durch die Geschlechtszugehörigkeit bedingten Verteilungen der Nutzerzufriedenheit, deren prozentuale Angaben sich auf einem Gesamtwert von 100 Prozent addieren, in ihrem paarweisen Vergleich gleichfalls nahezu deckungsgleich sind, wird auch mit diesem konditionalverteilungsbasierten Analysebefund angezeigt, dass die beiden kategorialen Erhebungsmerkmale X: Nutzerzufriedenheit und Y: Geschlecht im kontingenzanalytischen Sinne nicht voneinander abhängig, also voneinander unabhängig sind. So eindeutig im konkreten Fall der auf einer alleinigen Betrachtung von Konditionalverteilungen beruhende kontingenzanalytische Befund auch sein mag, aus statistisch-methodischer Sicht ist dieser Analysebefund ein „rein deskriptiver Befund“, den es im Sinne der Induktiven Statistik ist noch durch ein geeignetes Testverfahren zu ergänzen gilt. Ein statistisches Verfahren, das eine kausalanalytisch begründete statistische Überprüfung einer kontingenzanalytischen Vermutung ermöglicht und vor allem auch in der empirischen Wirtschaftsforschung eine breite Anwendung erfährt, ist der sogenannte Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest 87 , der wie folgt charakterisiert werden kann: Der Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest ist ein Ein-Stichproben-Test, mit dem man auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau α prüft, ob zwei kategoriale Erhebungsmerkmale mit wenigen voneinander verschiedenen Ausprägungen X(γ i ) ∈ Ξ X = {ξ j , j = 1, 2, ..., r < n} und Y(γ i ) ∈ Ξ Y = {υ k , k = 1, 2, ..., c < n}, die mittels einer Zufallsstichprobe Γ n = {γ i , i = 1, 2,..., n} vom Umfang n in einer (r × c)- Kontingenztabelle abgebildet wurden, in einer statistischen Grundgesamtheit Γ = {γ i , i = 1, 2, ..., N} vom Umfang N als unabhängig voneinander angesehen werden können. Auf der Basis der Kontingenztabelle 3-14 erhält man für den Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest das in der Tabelle 3-18 zusammengefasste Ergebnis, das in seinen Bestandteilen wie folgt interpretiert werden kann: Tabelle 3-18: χ²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-14 Der mit dem Etikett Chi-Quadrat nach Pearson versehene und anhand der Tabelle 3-19 berechnete Testvariablenwert χ 2 = �� (𝑛𝑛 𝑗𝑗𝑗𝑗 − 𝑛𝑛 𝑗𝑗𝑗𝑗 𝑒𝑒 )² 𝑛𝑛 𝑗𝑗𝑗𝑗 𝑒𝑒 𝑐𝑐 𝑗𝑗=1 𝑟𝑟 𝑗𝑗=1 = (136 − 135,7)² 135,7 + ⋯ + (307 − 306,7)² 306,7 ≅ 0,003 87 Vgl. i) Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 20.2.5, Seite 341 ff, ii) Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 8.1.2, Seite 300 ff und iii) Eckstein, Peter P.: Angewandte Statistik mit SPSS, Praktische Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 5.1.2, Seite 168 ff <?page no="156"?> 156 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft ist ein aggregierter Gradmesser für das Ausmaß der normierten quadratischen Abweichungen der empirisch beobachteten absoluten Häufigkeiten n jk von den unter der Unabhängigkeitshypothese theoretisch erwarteten absoluten Häufigkeiten n ejk . Tabelle 3-19: Kontingenztabelle mit beobachteten und erwarteten Werten Das analytische Konstrukt einer unter der Unabhängigkeitsannahme erwarteten absoluten Häufigkeit n ejk kann man sich anhand der Tabelle 3-19 etwa für die erwartete Anzahl von n e11 ≅ 137,5 männlichen Parkhausnutzern, die mit dem Parkhausinneren unzufrieden sind, wie folgt verdeutlichen: Gemäß dem klassischen Wahrscheinlichkeitsbegriff beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein zufällig ausgewählter und befragter Parkhausnutzer mit dem Parkhausinneren unzufrieden ist (Ereignis ξ 1 ), P(ξ 1 ) = n(ξ 1 ) / n = 207 / 1097 ≅ 0,1887 und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Parkhausnutzer männlich ist (Ereignis υ 1 ), P(υ 1 ) = n(υ 1 ) / n = 719 / 1097 ≅ 0,6554, zwei Ereigniswahrscheinlichkeiten, die zum einen in der Tabelle 3-17 und zum anderen in der Tabelle 3-16 jeweils in der Rubrik Gesamt als eine prozentuale relative Häufigkeit p*(ξ 1 ) = 65,5 % bzw. p*(υ 1 ) = 18,9 % vermerkt sind. Unter der Annahme, dass die beiden interessierenden zufälligen Ereignisse ξ 1 → unzufrieden und υ 1 → männlich stochastisch voneinander unabhängig sind, gilt gemäß der Multiplikationsregel für zwei stochastisch unabhängige zufällige Ereignisse die Gleichung P(ξ 1 ∩ υ 1 ) = P(ξ 1 ) × P(υ 1 ). Demnach ist die Wahrscheinlichkeit P(ξ 1 ∩ υ 1 ) für ein gemeinsames Eintreten zweier voneinander unabhängiger zufälliger Ereignisse gleich dem Produkt P(ξ 1 ) × P(υ 1 ) aus den beiden Ereigniswahrscheinlichkeiten P(ξ 1 ) und P(υ 1 ), woraus sich wiederum die Berechnungsvorschrift für die unter der Unabhängigkeitsannahme theoretisch zu erwartende Anzahl n e11 = n e (ξ 1 ∩ υ 1 ) = n × P(ξ 1 ) × P(υ 1 ) = n(ξ 1 ) × n(υ 1 ) / n von unzufriedenen männlichen Parkhausnutzern erklären lässt, die im gegebenen Fall leicht nachvollziehbar durch eine fiktive reelle Zahl n e11 = 1097 × (207 / 1097) × (719 / 1097) = 207 × 719 / 1097 ≅ 135,7 getragen wird. Da offensichtlich wegen <?page no="157"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 157 Neue Betriebswirtschaft n 11 = 136 ≈ n e11 ≅ 135,7 die empirisch beobachtete Anzahl n 11 unzufriedener männlicher Parkhausnutzer nur geringfügig von der theoretisch erwarteten Anzahl n e11 abweicht, ist dieser numerische Befund ein Hinweis darauf, dass die beiden zufälligen Ereignisse ξ 1 → unzufrieden und υ 1 → männlich als zwei stochastisch voneinander unabhängige zufällige Ereignisse aufgefasst werden können. Analog können die restlichen numerischen Befunde in der Tabelle 3-19 berechnet und interpretiert werden. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass jedes einzelne Feld die inneren vier Felder der Tabelle 3-19 immer nur eine Aussage über die Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit zweier zufälliger Ereignisse gewährt und erst der aggregierte Testvariablenwert χ² ≅ 0,003 im kontingenzanalytischen Sinne einer Aussage darüber ermöglicht, ob die beiden interessierenden dichotomen Erhebungsmerkmale Nutzerzufriedenheit und Geschlecht als voneinander unabhängig gedeutet werden können oder nicht. Da im theoretisch „idealen“ Fall einer stochastischen Unabhängigkeit die beobachteten und erwarteten Anzahlen in einer Kontingenztabelle identisch sind, also n jk = n ejk bzw. n jk - n ejk = 0 und χ² = 0 gilt, muss im konkreten Fall noch geklärt werden, wie der Testvariablenwert in Höhe von 0,003, der im Bereich der positiven reellen Zahlen variiert und für den man keine Norm kennt, sowohl kontingenzanalytisch als auch induktiv zu bewerten ist. Im Sinne einer „klassischen“ statistischen Testentscheidung vergleicht man im Zuge eines Chi- Quadrat-Unabhängigkeitstests auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau α einen aus einer realisierten Zufallsstichprobe berechneten Testvariablenwert χ² mit einem sogenannten Schwellenwert χ² p, df , der seinem Wesen nach ein Quantil der Ordnung p = 1 − α einer Chi-Quadrat- Verteilung mit df Freiheitsgraden ist, und verwirft die Unabhängigkeitshypothese, sobald der Testvariablenwert den Schwellenwert überschreitet. Auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von α = 0,05 ermittelt man mit Hilfe des Programmpakets SPSS für p = 1 - 0,05 = 0,95 und df = 1 einen Schwellenwert von χ² 0.95, 1 = IDF.CHISQ(0.95, 1) ≅ 3,84 und behält „aus Mangel an Abweichungen der beobachteten Anzahlen n jk von den erwarteten Anzahlen n ejk “ schlussendlich wegen χ² ≅ 0,003 < χ² 0.95, 1 ≅ 3,84 die Ausgangshypothese H 0 bei, wonach in der statistischen Grundgesamtheit von Parkhausnutzern Nutzerzufriedenheit und Geschlechtszugehörigkeit zwei voneinander unabhängige Merkmale sind. Zu einem gleichen Testergebnis gelangt in Anwendung des sogenannten p(robabilitiy)-value- Konzepts, das auf den Vergleich eines vorab vereinbarten Signifikanzniveaus α mit einem aus einer realisierten Zufallsstichprobe berechneten und sogenannten empirischen Signifikanzniveau α* hinausläuft und eine Ausgangshypothese H 0 verworfen wird, sobald ein empirisches Signifikanzniveau kleiner ist als ein vorab vereinbartes Signifikanzniveau. Da im konkreten Fall und im Hinblick auf die Tabelle 3-18 α* ≅ 0,958 > α = 0,05 <?page no="158"?> 158 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft gilt, besteht kein Anlass, die Unabhängigkeitshypothese H 0 zu verwerfen. Allein anhand der indizierten SPSS Berechnungsvorschrift α* = 1 - CDF.CHISQ(0.003, 1) ≅ 0,958 ist zu erkennen, dass gemäß Tabelle 3-18 das empirische Signifikanzniveau auf einer χ²-Verteilung (lies: Chi-Quadrat-Verteilung) mit df = 1 Freiheitsgraden und auf dem Testvariablenwert χ² ≅ 0,003 beruht, der wiederum auf der Basis der realisierten Zufallsstichprobe mit einem Umfang von n = 1097 befragten Parkhausnutzern berechnet wurde. Im Hinblick auf das Testergebnis ist zu beachten, dass man mit dem praktizierten χ²-Unabhängigkeitstest keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass in der hinsichtlich ihres Umfanges N nicht näher bestimmten statistischen Grundgesamtheit von Parkhausnutzern die beiden Erhebungsmerkmale Nutzerzufriedenheit und Geschlechtszugehörigkeit „auch wirklich voneinander unabhängig sind“. So, wie zum Beispiel ein Gericht „aus Mangel an Beweisen“ von einer nicht bewiesenen Schuld eines Angeklagten ausgeht, so hält man in der Induktiven Statistik „aus Mangel an Abweichungen eines empirisch beobachteten Befundes von einem theoretisch erwarteten Befund“ an der Ausgangsbzw. Nullhypothese H 0 fest, ohne damit allerdings ihre „Richtigkeit oder Gültigkeit“ nachgewiesen zu haben. Einzig und allein der Verständlichkeit und Anschaulichkeit halber soll das theoretisch nicht einfache Konstrukt von Freiheitsgraden noch kurz und paradigmatisch erläutert werden. Tabelle 3-20: Anzahl der Freiheitsgrade df = 1 Einmal unterstellt, dass man analog zur Tabelle 3-20 die 1097 befragten Parkhausnutzer dahingehend identifiziert hat, dass sowohl die zufriedenheitsbezogene als auch die geschlechtsbezogene Marginalverteilung vollständig und fixiert ist, dann leuchtet es intuitiv und augenscheinlich ein, dass man für eine (2 × 2)-Kontingenztabelle wegen r = c =2 und df = (r - 1) × (c - 1 ) = 1 hinsichtlich des zahlenmäßigen Besatzes der inneren vier Felder zahlenmäßig stets nur eine freie Wahloption besitzt, die in Anlehnung an den englischen Terminus degrees of freedom und der darauf beruhenden Abbreviatur df die Anzahl der Freiheitsgrade kennzeichnet. Setzte man analog zur Tabelle 3-20 gewollt oder zufallsbedingt die Zahl 136 in das Feld der Ordnung j = 1 und k = 1, so wären in logischer Konsequenz die restlichen drei Anzahlen festgelegt und somit nicht mehr frei wählbar, womit im Hinblick auf die Tabelle 3-19 bereits der Parameter df = 1 eine anschauliche und fassbare Erklärung gefunden hat. An dieser Stelle ist es geboten, noch zwei historische Notizen zu vermerken: Während das theoretische Wahrscheinlichkeitsmodell einer Chi-Quadrat-Verteilung 88 auf den deutschen Mathematiker 88 Vgl. Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Seite 319 ff, 387 und Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Seite 259 ff <?page no="159"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 159 Neue Betriebswirtschaft Friedrich Robert Helmert (*1843, †1917) und den englischen Statistiker Karl Pearson (*1857, †1936) zurückgeht, werden sowohl das Verfahren eines Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests als auch die Idee des p-value-Konzepts dem englischen Statistiker Sir Ronald Aylmer Fisher (*1890, †1962) zugeschrieben. Einen aus didaktisch-methodischer Sicht ergänzenden Einblick in die statistische Kontingenzanalyse gewährt die Tabelle 3-21, in deren Zentrum die Überprüfung der Annahme steht, dass für Nutzer von Berliner Parkhäusern die Zufriedenheit mit dem Parkhausinneren unabhängig ist von der Parkhauskategorie. Tabelle 3-21: Kontingenztabelle vom Typ (2 × 2) Auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von α = 0,05 verwirft man in Anwendung des pvalue-Konzepts nach Fisher und im Hinblick auf die Tabelle 3-22 wegen α* ≅ 0,000 < α = 0,05 die Unabhängigkeitsannahme bzw. -hypothese und geht mit einer sogenannten Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,05 davon aus, dass in der statistischen Grundgesamtheit von Parkhausnutzern eine Kontingenz zwischen der Nutzerzufriedenheit und der Parkhauskategorie besteht und somit beide Nutzermerkmale nicht als voneinander unabhängig gedeutet werden können. Tabelle 3-22: χ²-Unabhängigkeitstest, Basis: Tabelle 3-21 Der mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von 0,05 bemessene Irrtum bei dieser Testentscheidung besteht darin, die Unabhängigkeitshypothese zu verwerfen, obgleich sie richtig ist. Zu einem gleichen Testergebnis gelangt man gemäß Tabelle 3-22 im Sinne einer klassischen Testentscheidung mit χ² ≅ 30,97 > χ² 0.95, 1 ≅ 3,84 aus einem Vergleich des Testvariablenwertes χ² mit dem Schwellenwert χ² p, df der Ordnung p = 1 α = 0,95 mit df = 1 Freiheitsgraden. Aufgrund dessen, dass der aus der realisierten Zufallsstichprobe auf der Basis von 1104 befragten Parkhausnutzern berechnete Testvariablenwert die „Schwelle eines freien Spiels des Zufalls weit überschreitet“, kann dieser empirische Befund keineswegs mehr mit einer „Unabhängigkeitsvermutung in Einklang gebracht werden“. Das Ergebnis des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests koinzidiert in logischer Konsequenz mit den 2 + 2 = 4 Konditionalverteilungen, die auf der Kontingenztabelle 3-21 basieren und in der Abbildung 3-24 jeweils als normierte und nicht deckungsgleiche Struktogramme grafisch dargestellt sind. <?page no="160"?> 160 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-24: Zufriedenheits- und kategoriespezifische Konditionalverteilungen Wohl hat man sowohl anhand des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests als auch angesichts der Konditionalverteilungen statistische Befunde vorzuweisen, dass für Parkhausnutzer die beiden dichotomen Merkmale X: Nutzerzufriedenheit und Y: Parkauskategorie als voneinander abhängig aufgefasst werden können. Was man allerdings allein anhand dieser Befunde nicht beantworten kann, ist die Frage nach der Intensität der statistischen Kontingenz. Ein in der angewandten Statistik häufig appliziertes Maß zur Messung der Stärke bzw. Intensität einer statistischen Kontingenz zwischen zwei nominalen Merkmalen ist das dimensionslose und normierte Kontingenzmaß 𝑉𝑉 = � χ 2 𝑛𝑛 ∙ (𝑚𝑚 − 1) , das vom schwedischen Mathematiker Harald Cramér (*1893, †1983) vorgeschlagen wurde und für das 0 ≤ V < 1 und m = min(r, c) gilt. Unter Verwendung der Ergebnisse aus der Tabelle 3-22 berechnet man für das Kontingenzmaß V nach Cramér einen Wert von 𝑉𝑉 = � 30,97 1104 ∙ (2 − 1) ≅ 0,167 und interpretiert ihn wie folgt: Auf der Basis von 1104 befragten Parkhausnutzern kann eine schwach ausgeprägte statistische Kontingenz zwischen der Nutzerzufriedenheit und der Parkhauskategorie gemessen werden, die darin kulminiert, dass Parkhausnutzer von neuen Parkhäusern mit dem Parkhausinneren eher zufrieden sind als mit dem Parkhausinneren von alten Parkhäusern. Gleichwohl dieser kontingenzanalytische Befund in einem ersten Augenblick mit den verbalen Etiketten „trivial und selbstverständlich“ versehen und kommentiert wird, besteht seine praktische Bedeutung darin, dass man mit ihm eine sachlogisch nachvollziehbare Aussage empirisch untermauert hat. 3.7.2 Maßkorrelationsanalyse Unter dem Begriff einer Maßkorrelationsanalyse fasst man in der statistischen Methodenlehre die sachlogisch begründete Analyse von statistischen Zusammenhängen zwischen zwei oder mehreren metrischen Erhebungsmerkmalen zusammen. Dabei erweist es sich stets als vorteilhaft, einer Maßkorrelationsanalyse eine explorative Datenanalyse vorzulagern. Bei einer explorativen Datenanalyse kommt dem grafischen Analysebausteins eines sogenannten Streudiagramms eine besondere praktische Bedeutung zu. <?page no="161"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 161 Neue Betriebswirtschaft Bivariate Maßkorrelation Unter Verwendung der in der Abbildung 3-6 auszugsweise plakatierten SPSS Datendatei Palette.sav soll statistisch analysiert werden, ob und in welcher Intensität und Richtung zwischen den metrischen, extremwertbereinigten und hinreichend genau normalverteilten Erhebungsmerkmalen X: Breite (Angaben in mm) und Y: Gewicht (Angaben in g), die für eine statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, …, n} von n = 857 Hühnereiern γ i , die von Hühnern der Rasse Loheimer Braun gelegt wurden, empirisch erhoben wurden, ein statistischer Zusammenhang besteht. Im Vorfeld der angestrebten Maßkorrelationsanalyse erweist es sich als vorteilhaft, das in der Abbildung 3-25 dargestellte Streudiagramm einer näheren Betrachtung zu unterziehen, welche die folgenden explorativen Erkenntnisse liefert und gewährt: Abb. 3-25: Streudiagramm Die gestreckte Punktewolke, die das Ensemble der erfassten Hühnereier in einer zweidimensionalen Hyperebene bildhaft beschreibt, indiziert einen linearen Verlauf, der trotz einer augenscheinlichen und zufallsbedingten Streuung erkennen lässt, dass breitere Eier in der Regel ein größeres Gewicht besitzen als weniger breite Eier und umgekehrt. Aus sachlogischer Sicht deutet diese noch recht unscharfe Gewichts- und Breitenkonkordanz auf einen positiven linearen statistischen Zusammenhang hin. Die gestrichelten Mittelwertlinien, die analog zur Tabelle 3-23 jeweils auf dem zugehörigen arithmetischen Mittel beruhen und die Streufläche in vier Quadranten teilen, ermöglichen eine anschauliche Darstellung der Grundidee einer Maßkorrelation: Das Studium der Gleich- oder der Gegenläufigkeit der Merkmalswerte zweier metrischer Merkmale um ihre Mittelwerte. Tabelle 3-23: Mittelwerttabelle Zeigt sich anhand eines Streudiagramms, dass die überwiegende Mehrheit der Merkmalsträger bezüglich zweier Merkmale im ersten und im dritten Quadranten angesiedelt ist, dann ist dies ein Indiz für eine positive statistische Maßkorrelation. Streuen hingegen die Punkte der Punktewolke vorwiegend im zweiten und im vierten Quadranten, so ist dies ein Indiz für eine negative Maßkorrelation. <?page no="162"?> 162 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Beachtenswert dabei ist, dass in der Geometrie die vier Quadranten „im Uhrzeigersinn entgegengesetzt“ nummeriert werden. Da in der Abbildung 3-25 augenscheinlich die überwiegende Mehrheit der Hühnereier entweder unterdurchschnittlich leicht und breit (bzw. schmal) oder überdurchschnittlich schwer und breit ist, spricht man auch von einer ausgeprägten positiven Kovariation von Gewicht und Breite der Hühnereier, die mit Hilfe der Maßzahl der Kovarianz 𝑠𝑠 𝑋𝑋𝑋𝑋 = 1 𝑛𝑛 − 1 ∙ �(𝑥𝑥 𝑖𝑖 − 𝑥𝑥̅ ) ∙ (𝑦𝑦 𝑖𝑖 − 𝑦𝑦�) 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 als ein durchschnittliches Abweichungsprodukt der Merkmalswerte von ihrem arithmetischen Mittel numerisch beschrieben werden kann. Im konkreten Fall berechnet man für die n = 857 Hühnereier eine Breite-Gewicht-Kovarianz von 𝑠𝑠 𝑋𝑋𝑋𝑋 = 4525,135 857 − 1 ≅ 5,286 , die sich im gegebenen Fall als eine mit der Dimension „Millimeter-Gramm“ beladene Maßzahl des Zusammenwirkens von Breite und Gewicht einer plausiblen Interpretation verschließt. Hinzu kommt noch, dass man für eine Kovarianz insbesondere für alle von null verschiedenen Werte keine Norm kennt. Eine Lösung des Problems vermittelt eine durch die in der Tabelle 3-23 angezeigten Standardabweichungen 𝑠𝑠 𝑋𝑋 ≅ 1,246 𝑚𝑚𝑚𝑚 und 𝑠𝑠 𝑋𝑋 ≅ 4,901 𝑔𝑔 normierte Kovarianz 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑋𝑋 = 5,286 𝑚𝑚𝑚𝑚 ∙ 𝑔𝑔 1,246 𝑚𝑚𝑚𝑚 ∙ 4,901 𝑔𝑔 ≅ 0,865, die in der statistischen Methodenlehre als Maßkorrelationskoeffizient bezeichnet wird und wie folgt interpretiert werden kann: Wegen 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑋𝑋 = 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑋𝑋 ≅ 0,865 besteht zwischen der Breite X und dem Gewicht Y von 857 (zufällig und unabhängig voneinander ausgewählten) Hühnereiern ein starker positiver linearer statistischer Zusammenhang. Demnach sind in der Regel überdurchschnittlich breite Hühnereier überdurchschnittlich schwer und unterdurchschnittlich breite Eier in der Regel unterdurchschnittlich schwer bzw. überdurchschnittlich schwere Hühnereier überdurchschnittlich breit und unterdurchschnittliche schwere Hühnereier unterdurchschnittlich breit. Aus der angebotenen sachlogischen Interpretation wird bereits deutlich, dass ein bivariater linearer Maßkorrelationskoeffizient seinem Wesen nach ein symmetrisches und dimensionsloses Zusammenhangsmaß ist, welches nur Werte zwischen -1 und 1 annehmen kann und mit dessen Hilfe man stets nur in der Lage ist, die Stärke und die Richtung eines linearen statistischen Zusammenhangs zwischen zwei metrischen Merkmalen zu messen. Während wegen −1 ≤ 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑋𝑋 = 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑋𝑋 ≤ 1 ein Maßkorrelationskoeffizient nahe 1 bzw. -1 einen starken positiven bzw. negativen linearen statistischen Zusammenhang zwischen zwei metrischen Merkmalen X und Y indiziert, ist ein Maßkorrelationskoeffizient um 0 ist ein Indiz dafür, dass zwischen zwei metrischen Merkmalen kein linearer statistischer Zusammenhang nachweisbar ist. In praxi erweisen sich der Maßkorrelationskoeffizient und der daraus entlehnte Unabhängigkeitstest vor allem dann von Vorteil, wenn es zu prüfen gilt, ob zwischen zwei metrischen und normalverteilten Merkmalen ein signifikanter linearer statistischer Zusammenhang besteht. <?page no="163"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 163 Neue Betriebswirtschaft Tabelle 3-24: Unabhängigkeitstest Auf einem (stets vorab zu vereinbarenden) Signifikanzniveau von α = 0,05 verwirft man gemäß Tabelle 3-24 auf der Basis des p-value-Konzepts wegen α* ≅ 0,000 < α = 0,05 die zweiseitige Unabhängigkeitshypothese H 0 : ρ XY = ρ YX = 0 und deutet den „wahren“ Maßkorrelationskoeffizienten ρ XY = ρ YX (lies: rho) in der statistischen Grundgesamtheit aller Hühnereier der Rasse „Loheimer Braun“ als verschieden von null. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass zwischen dem Gewicht Y und der Breite X von Hühnereiern ein linearer statistischer Zusammenhang besteht bzw. dass beide Merkmale eines Hühnereies nicht voneinander unabhängig sind. Aus historischer Sicht ist es im Kontext der angebotenen paradigmatischen Betrachtungen noch geboten, darauf zu verweisen, dass die Idee eines bivariaten Maßkorrelationskoeffizienten als eine durch Standardabweichungen normierte Kovarianz auf den französischen Physiker Auguste Bravais (*1811, †1863) zurückgeht. Seine breite Anwendung als ein Korrelationsmaß verdankt es dem englischen Statistiker Karl Pearson (*1857, †1936), woraus sich die in der einschlägigen Literatur und in Statistik-Software-Paketen übliche Notation eines Maßkorrelationskoeffizienten als Korrelationskoeffizient nach Bravais und Pearson erklärt. Partielle Maßkorrelation Die Grundidee einer partiellen statistischen Maßkorrelation soll in Anlehnung an die vorhergehenden Betrachtungen zu einer bivariaten Maßkorrelation für die 857 Hühnereier, an denen die drei metrischen Merkmale X: Breite (Angaben in mm), Y: Gewicht (Angaben in g) und Z: Höhe (Angaben in mm) statistisch erhoben wurden, motiviert und erläutert werden. In der Tabelle 3-25 ist die symmetrische und quadratische (3 × 3)-Matrix der bivariaten linearen Maßkorrelationskoeffizienten dargestellt. Tabelle 3-25: (3 × 3)-Korrelationsmatrix Bemerkenswert ist dabei, dass in der statistischen Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, …, n} der n = 857 Hühnereier γ i der in der Korrelationsmatrix in der Tabelle 3-25 grau unterlegte lineare statistische Zusammenhang zwischen X: Breite und Z: Höhe wegen 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑍𝑍 = 𝑟𝑟 𝑍𝑍𝑋𝑋 ≅ 0,421 <?page no="164"?> 164 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft nicht allzu stark ausgeprägt ist. Hinzu kommt noch, dass im Ensemble der drei statistisch erhobenen Merkmale X: Breite, Y: Gewicht und Z: Höhe dieser Teilzusammenhang nicht plausibel zu begründen ist, wenn er für eine Menge mehr oder weniger gleichgewichtiger Hühnereier betrachtet wird. In diesem Falle würde man erwarten, dass sich Breite und Höhe eher diskordant, also eher umgekehrt zueinander verhalten, etwa derart, dass breitere Eier in der Höhe eher kleiner ausfallen, als weniger breite Eier und umgekehrt. In der Tat findet man diese sachlogischen Überlegungen auch statistisch anhand der Ergebnisse einer partiellen Maßkorrelationsanalyse bestätigt, deren Ergebnisse in der Tabelle 3-26 zusammengefasst sind. Tabelle 3-26: Partielle Maßkorrelation Wegen 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑍𝑍.𝑋𝑋 = 𝑟𝑟 𝑍𝑍𝑋𝑋.𝑋𝑋 ≅ −0,583 besteht für die 857 Hühnereier zwischen der Breite X und der Höhe Z ein umgekehrter bzw. negativer linearer statistischer Zusammenhang mittlerer Stärke, wenn der Einfluss des Gewichts Y ausgeschaltet bzw. kontrolliert bzw. als konstant angenommen wird. Verwendet man die bivariaten Korrelationskoeffizienten aus der (3 × 3)-Korrelationsmatrix innerhalb der Tabelle 3-25, so erhält man wegen 583 0 720 0 1 865 0 1 720 0 865 0 421 0 1 1 2 2 , )²) , ( )²) , ( ( , , , ) r ( ) r ( r r r r YZ XY YZ XY XZ Y . XZ − ≅ − ⋅ − ⋅ − = − ⋅ − ⋅ − = ein gleiches Ergebnis. Beachtenswert ist dabei, dass man im konkreten Fall insgesamt drei wohl zu unterscheidende partielle Maßkorrelationskoeffizienten berechnen kann. Die beiden verbleibenden partiellen linearen Maßkorrelationskoeffizienten 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑋𝑋.𝑍𝑍 ≅ 0,894 und 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑍𝑍.𝑋𝑋 ≅ 0,784 belegen zahlenmäßig und augenscheinlich, dass die jeweilige Kontrollvariable den zugrundeliegenden bivariaten linearen statistischen Zusammenhang „nicht wesentlich verzerrend überlagert“. Abb. 3-26: Streudiagramm <?page no="165"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 165 Neue Betriebswirtschaft Eine anschauliche Darstellung der Grundidee einer Maßkorrelation im Allgemeinen und einer partiellen Maßkorrelation im Speziellen vermittelt letztlich die Abbildung 3-26, die das Breite-Höhe- Streudiagramm für die Teilmenge von 33 Hühnereiern beinhaltet, die durch ein „gleiches und konstantes“ Gewicht von 64 g gekennzeichnet sind. Die Punktewolke im Streudiagramm indiziert mit ihrem gestreckten und fallenden Verlauf einen ausgeprägten negativen linearen statistischen Zusammenhang zwischen Breite und Höhe für die 33 gleichgewichtigen Hühnereier. Demnach sind überdurchschnittlich breite gleichgewichtige Hühnereier in der Regel unterdurchschnittlich hoch und umgekehrt. Tabelle 3-27: (2 × 2)-Korrelationsmatrix Dieser diskordante grafische Analysebefund wird analog zur quadratischen Korrelationsmatrix vom Typ (2 × 2) in der Tabelle 3-27 durch einen bivariaten Maßkorrelationskoeffizienten in Höhe von 𝑟𝑟 𝑋𝑋𝑍𝑍 = 𝑟𝑟 𝑍𝑍𝑋𝑋 ≅ −0,877 zahlenmäßig untermauert. Regressionsanalytische Betrachtungen Dieser Abschnitt hat die statistische Regressionsanalyse 89 zum Gegenstand, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung ein Analyseverfahren kennzeichnet, im Zuge dessen einseitig gerichtete statistische Abhängigkeiten zwischen zwei oder mehreren (in der Regel metrischen) Merkmalen auf ein mittleres Niveau zurückgeführt und mit Hilfe geeigneter Modelle und Maßzahlen beschrieben werden. Analog zur statistischen Zusammenhangsanalyse, die im Abschnitt 3.7 paradigmatisch skizziert wurde, gelten auch für eine statistische Regressionsanalyse die folgenden Prämissen: Eine statistische Regressionsanalyse ist stets sachlogisch zu begründen und ersetzt keine Kausalitätsanalyse. Mit Hilfe einer Zusammenhangs- und Regressionsanalyse ist man stets nur in der Lage, Kausalitäten aufdecken und/ oder bestätigen zu helfen. Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, anhand praktischer Problemstellungen paradigmenorientiert zu zeigen, wie unter Verwendung grafischer und numerischer Verfahren für metrische Erhebungsmerkmale eine Regressionsanalyse mit Hilfe eines bivariaten linearen und eines bivariaten nichtlinearen Regressionsmodells bewerkstelligt werden kann. Dabei stehen Bau und Interpretation der jeweiligen Modelle im Vordergrund. 89 Vgl. i) Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Kapitel 7, Seite 97 ff, ii) Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 9, Seite 331 ff und iii) Eckstein, Peter P.: Angewandte Statistik mit SPSS, Praktische Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2016, Kapitel 6, Seite 197 ff <?page no="166"?> 166 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft 3.8.1 Lineare Regression Unter Verwendung der SPSS Datendatei Corsa.sav, die im Abschnitt 3.4 zur Datenerhebung in der Abbildung 3-5 vermerkt wurde, soll für eine statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, …, n} von n = 150 zufällig ausgewählten Personenkraftwagen γ i vom Typ Opel Corsa, die im dritten Quartal 2017 auf dem Berliner Gebrauchtwagenmarkt angeboten wurden, die statistische Abhängigkeit des Zeitwertes Y(γ i ) = y i ∈ ℝ + , Angaben in 1000 €, vom Alter X(γ i ) = x i ∈ ℝ + , Angaben in Jahren, mit Hilfe einer bivariaten inhomogenen linearen Regressionsfunktion 𝑦𝑦 𝑖𝑖 = 𝑓𝑓(𝑥𝑥 𝑖𝑖 ) = 𝛽𝛽 0 + 𝛽𝛽 1 ∙ 𝑥𝑥 𝑖𝑖 + 𝑒𝑒 𝑖𝑖 beschrieben werden. In der Abbildung 3-27 ist das Streudiagramm für die n = 150 gebrauchten Opel Corsa γ i dargestellt, das zudem noch durch die gestrichelten Mittelwertlinien und durch den Graphen einer bivariaten inhomogenen linearen Regressionsfunktion des Zeitwertes Y über dem Alter X ergänzt wurde. Abb. 3-27: Streudiagramm mit linearer Regression Allein aus einer näheren Betrachtung des Streudiagramms wird ersichtlich, dass im betrachteten Marksegment von Gebrauchtwagen keine eindeutige bzw. funktionale Abhängigkeit zwischen dem Zeitwert Y und dem Alter X existiert, wohl aber eine diskordante statistische Abhängigkeit, die im skizzierten Fall durch eine fallende Gerade mit einem „mittigen Verlauf durch die Punktewolke“ sichtbar gemacht wird. Denkt man sich virtuell die Punktewolke derart „auf ein mittleres Maß zusammengedrückt“, dass alle Punkte auf der Geraden zu liegen kommen, dann hat man eine bildhafte Vorstellung davon gewonnen, was Statistiker (in Anlehnung an die im Abschnitt 3.2 vermerkten historischen Notizen) unter dem Begriff einer statistischen Regression subsumieren. Da man über die beiden Modellparameter ß 0 und ß 1 sowohl in der statistischen Grundgesamtheit Γ = {γ i , i = 1, 2, …, N} in Gestalt des hinsichtlich seines Umfanges N nicht näher bestimmten Marktsegments von Gebrauchtwagen γ i des Typs Opel Corsa als auch in der Zufallsstichprobe <?page no="167"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 167 Neue Betriebswirtschaft Γ n = {γ i , i = 1, 2, …, n} von n = 150 Opel Corsa keine Kenntnisse über die beiden Modellparameter ß 0 und ß 1 besitzt, schätzt man sie anhand empirisch erhobener Daten in Gestalt einer realisierten Zufallsstichprobe. Aus dem breiten Spektrum von Schätzverfahren, die in der Statistik und Ökonometrie im Kontext einer Regressionsanalyse angewandt werden, kommt der Methode der kleinsten Quadratesumme nach Carl Friedrich Gauß (*1777, †1855) eine besondere praktische Bedeutung zu. Eine Kleinste-Quadrate-Regression kann dabei wie folgt gekennzeichnet werden: Ist {(x i , y i ), i = 1, 2, ..., n} eine Menge von n beobachteten Wertepaaren zweier metrischer Merkmale X(γ i ) = x i und Y(γ i ) = y i , die für eine statistische Gesamtheit Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} vom Umfang n erhoben wurden, dann heißt die bivariate inhomogene lineare Funktion 𝑦𝑦 𝑖𝑖∗ = 𝑓𝑓(𝑥𝑥 𝑖𝑖 ) = 𝛽𝛽 0 + 𝛽𝛽 1 ∙ 𝑥𝑥 𝑖𝑖 , für welche die Summe der quadrierten Residuen 𝑆𝑆(𝛽𝛽 0 , 𝛽𝛽 1 ) = �(𝑦𝑦 𝑖𝑖 − 𝑦𝑦 𝑖𝑖∗ ) 2 = �(𝑦𝑦 𝑖𝑖 − (𝛽𝛽 0 + 𝛽𝛽 1 ∙ 𝑥𝑥 𝑖𝑖 )) 2 = � 𝑒𝑒 𝑖𝑖2 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 𝑛𝑛 𝑖𝑖=1 ein Minimum wird, Kleinste-Quadrate-Regression von Y auf X. Tabelle 3-28: Regressionsparameter In der Tabelle 3-28 sind die mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadratsumme geschätzten Parameter der bivariaten inhomogenen linearen Regression 𝑦𝑦 𝑖𝑖∗ = 𝑓𝑓(𝑥𝑥 𝑖𝑖 ) = 13,284 − 0,901 ∙ 𝑥𝑥 𝑖𝑖 ≡ 𝑦𝑦 ∗ (𝑥𝑥) = 13,284 − 0,901 ∙ 𝑥𝑥 des Zeitwertes Y über dem Alter X der 150 Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa zusammengefasst. Eine sachbezogene Interpretation der geschätzten Regressionsparameter ergibt dabei das folgende Bild: Wegen x 0 = 0 Jahre und 𝑦𝑦 0∗ = 𝑓𝑓(0) = 13,284 − 0,901 ∙ 0 = 13,284 würde man mit Hilfe der bivariaten inhomogenen linearen Kleinste-Quadrate-Regression den Wert eines Neuwagens auf 13,284 (1000 €) bzw. 13284 € schätzen. Dieser Schätzwert für einen Neuwagen vom Typ Opel Corsa, der mit dem geschätzten Wert der sogenannten Regressionskonstanten ß 0 identisch ist und den es hinsichtlich seiner Realitätsnähe noch kritisch zu hinterfragen gilt, wird in der Abbildung 3-25 durch den Schnittpunkt der Regressionsgeraden mit der Ordinate in Gestalt der senkrechten Zeitwertachse grafisch dargestellt. <?page no="168"?> 168 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Aufgrund dessen, dass die Ableitung erster Ordnung der stetigen und differenzierbaren linearen Regressionsfunktion y*(x) nach x wegen 𝑑𝑑𝑦𝑦 ∗ 𝑑𝑑𝑥𝑥 = −0,901 identisch ist mit dem geschätzten Wert des sogenannten Regressionskoeffizienten ß 1 , ermöglicht sie in ihrer Deutung als marginale Zeitwertneigung die folgende sachlogisch plausible Aussage: Steigt unabhängig vom jeweiligen Altersniveau x 0 das Alter X eines gebrauchten Opel Corsa um ein Jahr, dann fällt sein Zeitwert Y unveränderlich und im Durchschnitt um 0,901 (1000 €) bzw. um 901 €. Im Sinne der Induktiven Statistik verwirft man auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von α = 0,05 gemäß dem p-value-Konzept und der Tabelle 3-28 wegen α* ≅ 0,000 < α = 0,05 die sogenannte Nullhypothese H 0 : ß 1 = 0 und deutet den geschätzten und dimensionsgeladenen Regressionskoeffizienten in Höhe von -0,901 (1000 € je Altersjahr) als signifikant verschieden von null und damit zugleich auch das Alter eines gebrauchten Opel Corsa als einen wesentlichen Zeitwertfaktor. Tabelle 3-29: Modellkennzahlen Im Hinblick auf die Tabelle 3-29 ist man wegen des sogenannten Bestimmtheitsmaßes R² ≅ 0,879 bereits in der Lage, mit Hilfe der bivariaten inhomogenen linearen Kleinste-Quadrate-Regression 𝑦𝑦 ∗ (𝑥𝑥) = 13,284 − 0,901 ∙ 𝑥𝑥 die Varianz des Zeitwertes Y zu 87,9 Prozent allein aus der Varianz des Alters X statistisch zu erklären. Während in der Regressionsanalyse das Bestimmtheitsmaß R², das stets nur Werte zwischen null und eins annehmen kann, als ein normiertes und dimensionsloses Gütemaß zur Einschätzung der statistischen Erklärungsfähigkeit einer Regression verwendet wird, fungiert der sogenannte Residualstandardfehler als ein ergänzendes Gütemaß, das in der Regel dimensionsgeladen ist und für das man im Unterschied zum Bestimmtheitsmaß allerdings keine Norm kennt. Demnach streuen im Durchschnitt die beobachteten Zeitwerte y i zu beiden Seiten um 1,542 (1000 €) bzw. um 1542 € um die Regressionsgerade, wobei in der „Bandbreite“ des sogenannten Toleranzintervalls [y* − 1,542, y* + 1,542] mindestens die Hälfte der 150 erfassten Gebrauchtwagen vom Typ Opel Corsa bezüglich ihres Zeitwertes Y liegt. Ist man schließlich und endlich daran interessiert, im Marktsegment von Gebrauchtwagen zum Beispiel den Zeitwert für einen zehn Jahre alten Opel Corsa zu bestimmen bzw. abzuschätzen, dann kann man ceteris paribus und unter Verwendung der bivariaten inhomogenen linearen Kleinste- Quadrate-Regression wegen 𝑦𝑦 ∗ (10) = 13,284 − 0,901 ∙ 10 = 4,274 erwartungsgemäß mit einem Zeitwert von 4274 € rechnen, der unter Einbeziehung des Residualstandardfehlers von 1542 € durch einen Toleranzbereich von <?page no="169"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 169 Neue Betriebswirtschaft [4274 € ± 1542 €] = [2732 €, 5816 €] ergänzt werden kann. Spätestens an dieser Stelle kommen jedoch bei einer genaueren Betrachtung sowohl der Abbildung 3-25 als auch der geschätzten Regressionsparameter einige berechtigte Zweifel auf, die wie folgt begründet sind: Während einerseits eine Schätzung des Neuwertes eines Opel Corsa mit 13284 € offensichtlich etwas zu gering ausfällt, wird andererseits bei einem „konstanten“ jahresdurchschnittlichen Zeitwertverlust von 901 € wegen 𝑥𝑥 > 13,284 0,901 ≅ 14,74 ≈ 15 spätestens ab dem fünfzehnten Altersjahr ein negativer Zeitwert indiziert, der sich einer sachlogisch plausiblen Interpretation verschließt, es sei denn, man interpretiert den numerischen Befund eines negativen Zeitwertes dahingehend, dass ein Käufer eines gebrauchten Opel Corsa, der älter als 15 Jahre ist, noch mit einer Kaufprämie „beglückt“ wird. Der augenscheinlich nichtlineare Verlauf der Punktewolke in der Abbildung 3-27 ist ein Hinweis darauf, dass nicht eine lineare Regression, sondern eine nichtlineare Regression ein geeignetes Modell zur Beschreibung der einseitig gerichteten Abhängigkeit des Zeitwertes vom Alter für Gebrauchtwagen der Marke Opel Corsa ist. Bau und Interpretation eines geeigneten nichtlinearen Regressionsmodells sind der Gegenstand der nachfolgenden paradigmatischen Betrachtungen. 3.8.2 Nichtlineare Regression In der angewandten Statistik und Ökonometrie hat sich auf der Suche nach einem geeigneten Regressionsmodell für empirisch erhobene Daten mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Software eine sogenannte heuristische Modellwahl als hilfreich erwiesen. In der Tabelle 3-30 sind einige der im Statistik-Programm-Paket SPSS in der Rubrik Kurvenanpassung angebotenen Modelle in Anwendung auf die Zufallsstichprobe Γ n = {γ i , i = 1, 2, ..., n} von n = 150 Gebrauchtwagen γ i der Marke Opel Corsa bezüglich der beiden metrischen Erhebungsmerkmale Zeitwert Y und Alter X aufgelistet, deren Merkmalswerte Y(γ i ) = y i > 0 und X(γ i ) = x i > 0 von null verschieden und im Bereich der positiven reellen Zahlen definiert sind. Tabelle 3-30: Heuristische Modellwahl Im Hinblick auf die Tabelle 3-30 ist es beachtenswert, dass (einmal vom linearen Modellansatz abgesehen) die vier bivariaten nichtlinearen Modellansätze durch geeignete Transformationen auf eine <?page no="170"?> 170 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft linearisierte Funktion zurückgeführt werden können, sobald garantiert ist, dass die originären und zu transformierenden Merkmalswerte größer als null sind. Charakteristisch für diese Familie von linearisierten Funktionen ist, dass sie nichtlinear in ihren Variablen, jedoch linear in ihren Parametern sind, so dass die Methode der kleinsten Quadratesumme zur Bestimmung der Funktionsparameter ohne Einschränkungen anwendbar ist. In der angewandten Statistik und Ökonometrie hat es sich im Kontext einer heuristischen Modellwahl als vorteilhaft und praktikabel erweisen, als Auswahlkriterium das normierte und dimensionslose Bestimmtheitsmaß 0 ≤ R² ≤ 1 zu verwenden. Offensichtlich ist im Ensemble der in der Tabelle 3-30 aufgelisteten fünf Modellansätze das grauunterlegte logarithmische Modell in Gestalt der bivariaten inhomogenen logarithmischen Regressionsfunktion 𝑦𝑦 ∗ (𝑥𝑥) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙𝑛𝑛(𝑥𝑥) mit einem Bestimmtheitsmaß von R² = 0,965 am „höchsten bestimmt“. Demnach können mit Hilfe der logarithmischen Regression 96,5 Prozent der Zeitwertevarianz allein aus der Altersvarianz statistisch erklärt werden, ein numerischer Befund, der in der angewandten Statistik und Ökonometrie als ein Indiz für eine geeignete Modellspezifikation gewertet wird. Dass eine logarithmische Regressionsfunktion als ein geeignet spezifiziertes Modell zur Beschreibung der Abhängigkeit des Zeitwertes Y vom Alter X für die 150 zufällig ausgewählten Gebrauchtwagen der Marke Opel Corsa angesehen werden kann, wird letztendlich auch durch die Abbildung 3-28 bildhaft untermauert. Abb. 3-28: Logarithmische Regression Der konvexe Graph der logarithmischen Regressionsfunktion „passt und schmiegt sich“ augenscheinlich recht gut an die empirische beobachtete und nichtlinear fallende Punktewolke an. Der stetige und nichtlineare Funktionsgraph, der augenscheinlich „in der Mitte der Punktewolke verläuft“, gewährt zudem ein anschauliches Bild vom statistischen Regressionsprinzip, das gemäß seinem lateinischen Wortursprung auf ein „Zurückführen auf ein mittleres Maß“ abstellt. Der Nachvollziehbarkeit und Anschaulichkeit halber ist in der Abbildung 3-29 das Streudiagramm mit den gestrichelten Mittelwertlinien und dem Graphen der linearisierten bivariaten inhomogenen Kleinste-Quadrate-Regressionsfunktion 𝑦𝑦 ∗ (𝑧𝑧) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑧𝑧 für 𝑧𝑧 = 𝑙𝑙𝑛𝑛(𝑥𝑥) des Zeitwertes Y über dem logarithmierten Alter Z bildhaft dargestellt. <?page no="171"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 171 Neue Betriebswirtschaft Abb. 3-29: Linearisierte Regression Gleichwohl die nachfolgende Metapher etwas skurril anmutet, soll sie dennoch einzig und allein der Anschaulichkeit halber zur Erklärung der praktizierten logarithmischen Transformation z i = ln(x i ) der originären Altersangaben x i > 0 benutzt werden: Würde man im Streudiagramm in der Abbildung 3-26 die Abszisse, auf der die originären Altersangaben vermerkt sind, die auf einer Spannweite von 20 Jahren variieren, derart „stauchen“, dass sie nur noch im reellwertigen Bereich zwischen 0 und 3 variieren, dann würde analog zur Abbildung 3-27 die ursprünglich gekrümmte Punktewolke einen linear fallenden Verlauf indizieren und der ursprünglich konvexe Graph der Regression auf eine Gerade mit einem negativen Anstieg „gestaucht“ werden. In diesem Sinne kann eine logarithmische Transformation allegorisch als ein „Stauchen von positiven reellen Zahlen“ gedeutet werden. Beachtenswert ist dabei, dass die Methode der kleinsten Quadratsumme auf die n = 150 Wertepaare {(z i = ln(x i ), y i ), i = 1, 2, …, n} angewandt wurde, woraus sich die in der Tabelle 3-31 vermerkten Parameterwerte ergeben, die in logischer Konsequenz mit den grauunterlegten Parameterwerten in der Tabelle 3-30 übereinstimmen. Tabelle 3-31: Linearisierte Regression Analog zu den paradigmatischen Betrachtungen im Kontext des Abschnitt 3.8.1 verwirft man im induktiven Sinne auf einem vorab vereinbarten Signifikanzniveau von α = 0,05 gemäß dem pvalue-Konzept wegen α* ≅ 0,000 < α = 0,05 die sogenannte Nullhypothese H 0 : ß 1 = 0 und deutet den geschätzten Regressionskoeffizienten in Höhe von -5,084 als signifikant verschieden von null und somit letztlich das Alter eines gebrauchten Opel Corsa als einen wesentlichen Zeitwertfaktor. Im Hinblick auf die bivariate inhomogene logarithmische Kleinste-Quadrate-Regression <?page no="172"?> 172 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft 𝑦𝑦 ∗ (𝑥𝑥) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(𝑥𝑥) mit 𝑥𝑥, 𝑦𝑦 > 0 ergeben sich die folgenden Parameterinterpretationen: Während der Wert der Regressionskonstanten in Höhe von 15,296 (1000 €) wegen x = 1 und 𝑦𝑦 ∗ (1) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(1) = 15,296 − 5,084 ∙ 0 = 15,296 als ein durchschnittlicher Marktpreis in Höhe von 15296 € für einen Einjahreswagen vom Typ Opel Corsa gedeutet werden kann, ist eine sachbezogene Interpretation des Regressionskoeffizienten in Höhe von -5,084 mit Hilfe der nichtlinearen Grenzfunktion 𝑑𝑑𝑦𝑦 ∗ 𝑑𝑑𝑥𝑥 = − 5,084 𝑥𝑥 für 𝑥𝑥 > 0 in Gestalt der Ableitung erster Ordnung der logarithmischen Regressionsfunktion y*(x) nach dem Alter x nur bedingt möglich. Ist man zum Beispiel an den Werten der Grenzfunktion an den Stellen x 0 = 1 und x 0 = 10 interessiert, so bestimmt man mit 𝑑𝑑𝑦𝑦 ∗ 𝑑𝑑𝑥𝑥 �𝑥𝑥 0 = 1 = − 5,084 1 = −5,084 (1000 € pro Jahr) und 𝑑𝑑𝑦𝑦 ∗ 𝑑𝑑𝑥𝑥 �𝑥𝑥 0 = 10 = − 5,084 10 ≅ −0,508 (1000 € pro Jahr) die zugehörigen marginalen Zeitwertneigungen und interpretiert sie wie folgt: Während man für einen Einjahreswagen vom Typ Opel Corsa ceteris paribus im Verlaufe eines Jahres im Durchschnitt mit einem Zeitwertverlust von 5084 € rechnen muss, bemisst sich unter sonst gleichen Bedingungen der Zeitwertverlust im Verlaufe eines Jahres für einen zehn Jahre alten Opel Corsa erwartungsgemäß und im Durchschnitt auf „nur noch“ 508 €. Eine anschauliche grafische Darstellung erfahren der beiden marginalen Zeitwertneigungen in der Abbildung 3-20 in Gestalt zweier Tangenten, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung die beiden gestrichelten und fallenden Geraden kennzeichnen, welche den konvexen Graphen der logarithmischen Regression an den Stellen x 0 = 1 und x 0 = 10 „berühren“. Abb. 3-30: Marginale Zeitwertneigungen als Tangenten Allein aus einem Vergleich der beiden marginalen Zeitwertneigungen wird bereits ersichtlich, dass ein durchschnittlich zu erwartender Zeitwertverlust von vergleichbaren Gebrauchtwagen mit zunehmendem Alter in seinem absoluten Niveau immer geringer ausfällt. Diese scheinbar triviale <?page no="173"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 173 Neue Betriebswirtschaft und sachlogisch nachvollziehbare Aussage ist wohl zu unterscheiden von einer Aussage, die sich auf eine relative Veränderung des Zeitwertes bezieht und unmittelbar zum analytischen Konstrukt einer Elastizitätsfunktion und zum Begriff einer sogenannten Punkt-Elastizität führt. Die gebrochen rationale Funktion 𝜀𝜀 𝑦𝑦 (𝑥𝑥) = −5,084 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(𝑥𝑥) für 𝑥𝑥 > 0 symbolisiert die zur geschätzten logarithmischen Regressionsfunktion 𝑦𝑦 ∗ (𝑥𝑥) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(𝑥𝑥) mit 𝑥𝑥, 𝑦𝑦 > 0 gehörende Elastizitätsfunktion, deren Funktionswerte an den Stellen x 0 = 1 und x 0 = 10 als Punkt- Elastizitäten gekennzeichnet werden und wie folgt interpretiert werden können: Während ceteris paribus für einen x 0 = 1 Jahr alten Opel Corsa wegen 𝜀𝜀 𝑦𝑦 (1) = −5,084 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(1) = − 5,084 15,296 ≅ −0,33 und |−0,33| < 1 einer einprozentigen Alterszunahme im Durchschnitt ein unterproportionaler Zeitwertverlust von 0,33 Prozent gegenübersteht, muss man wegen 𝜀𝜀 𝑦𝑦 (10) = −5,084 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(10) = − 5,084 15,296 ≅ −1,42 und |−1,42| > 1 für einen x 0 = 10 Jahre alten Opel Corsa im Durchschnitt mit einem überproportionalen Zeitwertverlust von 1,42 Prozent bei einer einprozentigen Alterszunahme rechnen. Neben den paradigmatisch skizzierten und zeitwertbezogenen Sensibilitätsbetrachtungen für gebrauchte Opel Corsa eines bestimmten Alters mittels einer Grenzwertfunktion einerseits und einer Elastizitätsfunktion andererseits wird in der angewandten Statistik und Ökonometrie einer regressionsanalytisch begründeten Zeitwertabschätzung eine besondere praktische Bedeutung beigemessen. Ist man daran interessiert, im betrachteten Gebrauchtwagenmarktsegment den marktüblichen Zeitwert y*(x 0 ) für einen Opel Corsa in Abhängigkeit vom Alter x 0 zu bestimmen, dann kann man dies mit Hilfe der bivariaten inhomogenen logarithmischen Kleinste-Quadrate-Regression zum Beispiel wie folgt bewerkstelligen: Während man unter sonst gleichen Bedingungen zum Beispiel für einen zwei Jahre alten Opel Corsa wegen 𝑥𝑥 0 = 2 und 𝑦𝑦 ∗ (2) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(2) ≅ 11,772 den Zeitwert erwartungsgemäß und im Durchschnitt auf 11772 € schätzt, würde man etwa für einen zehn Jahre alten Opel Corsa wegen 𝑥𝑥 0 = 10 und 𝑦𝑦 ∗ (10) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(10) ≅ 3,590 erwartungsgemäß und im Durchschnitt einen Zeitwert von 3590 € bestimmen. Diese Zeitwertabschätzungen kann man auch anhand der Abbildung 3-26 auf grafischem Wege und in ausreichender Näherung bewerkstelligen, indem man auf dem jeweiligen Altersniveau parallel zur Zeitwertachse eine Linie zieht und dort, wo die senkrechte Linie den Graphen der logarithmischen Regression schneidet, eine Parallele zieht zur Altersachse, deren Schnittstelle mit der Zeitwertachse den zugehörigen Zeitwert auf der Zeitwertachse markiert. Tabelle 3-32: Modellkennzahlen <?page no="174"?> 174 Peter P. Eckstein Neue Betriebswirtschaft Unter Einbeziehung des Residualstandardfehlers von 0,825 (1000 €), der in der Tabelle 3-32 indiziert ist, können die „punktuellen“ Zeitwertabschätzungen noch durch Toleranzbereiche ergänzt werden, wobei für einen zwei Jahre alten Opel Corsa [11772 € ± 825 €] = [10947 €, 12597 €] und für einen zehn Jahre alten Opel Corsa [3590 € ± 825 €] = [2765 €, 4415 €] gilt. Im Hinblick auf die paradigmatisch skizzierten Zeitwertabschätzungen ist gemäß der sogenannten ceteris-paribus-Prämisse zu beachten, dass die zugrundeliegende logarithmische Regressionsfunktion auf beobachteten Alterswerten von mindestens einem, jedoch höchstens zwanzig Jahren basiert und Zeitwertabschätzungen, die außerhalb dieser Altersspannweite bewerkstelligt werden, hinsichtlich ihrer Realitätsnähe kritisch zu hinterfragen sind. Während zum Beispiel für einen Opel Corsa, der ein halbes Jahr alt ist, wegen 𝑥𝑥 0 = 12 und 𝑦𝑦 ∗ �12� = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛 �12� ≅ 18,820 eine Zeitwertabschätzung in Höhe von 18820 € noch realistisch erscheint, verschließen sich im Gegensatz dazu zum Beispiel wegen 𝑥𝑥 0 = 1 12 und 𝑦𝑦 ∗ � 1 12� = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛 � 1 12� ≅ 27,930 und 𝑥𝑥 0 = 21 und 𝑦𝑦 ∗ (21) = 15,296 − 5,084 ∙ 𝑙𝑙 𝑛𝑛(21) ≅ −0,182 die Zeitwertabschätzungen für einen ein Monat bzw. 21 Jahre alten Opel Corsa in Höhe von 27930 € bzw. -182 € einer sachlogisch plausiblen Deutung. Schlussendlich ist es aus statistisch-methodischer Sicht noch geboten, einen kurzen Blick auf die Korrelationsmatrix in der Tabelle 3-33 zu werfen. Tabelle 3-33: Korrelationsmatrix Während der Maßkorrelationskoeffizient für die originären Daten, die analog zur Abbildung 3-26 in einem nichtlinearen Zusammenhang stehen, mit -0,937 vermerkt wird, ist er für die originären Zeitwerte und logarithmierten Altersangaben, die analog zur Abbildung 3-27 in einem linearen Zusammenhang stehen, mit -0,982 in seinem Wert noch höher bemessen. Allein anhand dieser beiden Maßzahlen wird die Aussage numerisch unterlegt, dass der Maßkorrelationskoeffizient nach Bravais und Pearson stets nur die Stärke und die Richtung eines linearen statistischen Zusammenhangs zwischen zwei metrischen Merkmalen zu messen vermag. Schlussbemerkungen und Literaturhinweise Das Ziel der vorliegenden essayistischen Abhandlungen bestand darin, sowohl historische Notizen als auch exemplarische Erläuterungen mathematischer und statistischer Begriffe, Verfahren und Methoden, die in der Betriebswirtschaftslehre zu einer breiten Anwendung gelangen, anzubieten. <?page no="175"?> 3 Neue Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Statistik - zwei Seiten einer Medaille 175 Im Zentrum der angebotenen Abhandlungen stand dabei nicht die Herleitung und Begründung praxisrelevanter quantitativer Analyseverfahren, sondern einmal nur eine paradigmatische und anschauliche Erläuterung und Anwendung ausgewählter Verfahren auf der Basis realer Daten. Einzig und allein zum Zwecke eines besseren Verständnisses der dargebotenen Sachverhalte wurden in die historischen und sachbezogenen Erläuterungen bewusst zahlreiche Wortursprungserklärungen und bildhafte Darstellungen eingeflochten. In der stillen Hoffnung, dass Sie als interessierte Leser die essayistischen Abhandlungen nicht mit dem ernüchternden Urteil von einem „schwerverdaulichen Sauerteig“ abtun, sondern diese „trotz alledem“ als erkenntnisgewinnend betrachten und bewerten, haben alle verbalen, begrifflichen, zahlenmäßigen und bildhaften Darstellungen sowohl ihren zeitraubenden Aufwand gerechtfertigt als auch ihre allgemeinbildende Zweckbestimmung erfüllt. Für vertiefende Betrachtungen, inhaltliche Ergänzungen und theoretische Erweiterungen der vorliegenden essayistischen Abhandlungen erweisen sich die folgenden Literaturempfehlungen als hilfreich und zielführend: Eckstein, Peter P.: Kostproben aus der Hexenküche der Statistik - Skurriles, Leichtbekömmliches und Schwerverdauliches, Rainer Hampp Verlag München und Mehring 2009 Eckstein, Peter P: Eine Banknote als Ausgangspunkt historischer und datenanalytischer Betrachtungen, in: Wilhelm Schmeisser, Peter P. Eckstein, Ralf Hafner, Gerfried Hannemann, Jörg K. Stengel: Handbuch Wertorientiertes Management, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015, Kapitel 2, Seite 27 ff Eckstein, Peter P.: Repetitorium Statistik - Deskriptive Statistik, Stochastik, Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2014 Eckstein, Peter P.: Angewandte Statistik mit SPSS - Praktische Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2016 Eckstein, Peter P.: Statistik für Wirtschaftswissenschaftler - Eine realdatenbasierte Einführung mit SPSS, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2016 Eckstein, Peter P: Alea iacta est - Faszinierende Geheimnisse eines ungewöhnlichen Spielwürfels, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017 Eckstein, Peter P.: Datenanalyse mit SPSS - Realdatenbasierte Übungs- und Klausuraufgaben mit vollständigen Lösungen, 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Gabler Fachmedien Wiesbaden 2017 <?page no="177"?> Neue Betriebswirtschaft 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich 4.1 Zielsetzung und Aufbau des Beitrags Die Zielsetzung dieses Beitrags besteht darin, den Leserinnen und Lesern einen umfassenden Überblick über den Themenbereich der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung (im Folgenden abgekürzt KEER) zu geben. Neben dem klassischen Kern der KEER werden entsprechend der Konzeption des Gesamtwerks auch moderne Entwicklungen der KEER dargestellt. Da somit die KEER in ihrer Breite vorgestellt werden soll, müssen notgedrungen an einigen Stellen Abstriche in der Tiefe der Darstellung gemacht werden. Um jedoch den Leserinnen und Leser im Anschluss an die Lektüre dieses Beitrags eine vertiefende Beschäftigung mit den behandelten Themen zu ermöglichen, werden am Ende dieses Beitrags (siehe letzten Abschnitt dieses Kapitels) zahlreiche, kommentierte und thematisch geordnete Literaturempfehlungen gegeben. Hinsichtlich der Struktur des Beitrags erfolgt zunächst eine Einordnung der KEER in die Betriebswirtschaftslehre, sowohl aus historischer wie auch aus fachlicher Perspektive. Im Anschluss daran werden die wesentlichen Teilgebiete und methodischen Varianten der KEER einführend dargestellt. Alle darauffolgenden Kapitel behandeln dann spezifische Fragestellungen, die mit dem Instrumentarium der KEER beantwortet werden können. Jedem Abschnitt sind Lernziele in Frageform vorangestellt, die sich durch Lektüre des Abschnitts beantworten lassen und somit gleichzeitig als Wiederholungsfragen zur Kontrolle des Lernfortschritts dienen. 4.2 Die Stellung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung in der Betriebswirtschaftslehre Lernziele Welche Bedeutung hatte die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung für die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre? Welche Entwicklungsstufen hat die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung durchlaufen? Welche Unterschiede bestehen zwischen dem internem und dem externen Rechnungswesen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung und dem Controlling? 4.2.1 Historische Bedeutung Die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung stellte von Anfang an einen bedeutsamen Themenkomplex innerhalb der Betriebswirtschaftslehre dar und ist mit wichtigen Meilensteinen der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft verbunden. Als sich die Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Volkswirtschaftslehre abzugrenzen begann, beschäftigten sich bedeutende Fachvertreter dieser Gründergeneration mit Aspekten der KEER. So befasste sich beispielsweise Eugen Schmalenbach mit der Kalkulation industriell gefertigter Güter (siehe Abschnitt 4.4) und legte mit seiner Kostenlehre, in der zwischen fixen und variablen Kosten <?page no="178"?> 178 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft unterschieden wurde (siehe Abschnitt 4.3), einen der ersten theoretischen Bausteine des neuen Fachs Betriebswirtschaftslehre. Johann Friedrich Schär identifizierte unter Einbezug der Erlöse mit dem sog. toten Punkt diejenige Produktionsmenge, bei der die Erlöse gerade die Kosten decken. Heute verwenden wir hierfür üblicherweise den Begriff Gewinnschwelle oder anglisiert Break Even-Punkt (siehe Abschnitt 4.8.1). Auch beim Wiederaufbau der Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war die KEER von großer Bedeutung. So entwickelte Erich Gutenberg, der prägende Betriebswirt dieser Zeit, ausgehend von der Produktions- und Kostentheorie ein mikroökonomisch fundiertes, geschlossenes Konzept des Unternehmens. Auch heute noch ist die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung ein fester Bestandteil im Grundlagenbereich jedes betriebswirtschaftlichen Studiengangs und wird in jedem einführenden Lehrbuch der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre ausführlich behandelt. Darüber hinaus wird die KEER in der Regel auch in den branchenorientierten Speziellen Betriebswirtschaftslehren thematisiert, da es hier oftmals branchenspezifische Fragestellungen gibt, die eine Anpassung des Instrumentariums der KEER erfordern. Auch die KEER selbst hat sich im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt und dabei sowohl neue Fragestellungen aufgegriffen als auch ihre Methodik und ihr Instrumentarium erweitert und verfeinert. Wie aus Abb. 4-1 ersichtlich ist, lassen sich hierbei drei wesentliche Etappen unterscheiden. In der ersten Etappe von etwa 1900 bis etwa 1950 herrschte eine retrospektive Orientierung vor. Der Fokus der KEER lag in dieser Zeit darauf, ein geschlossenes Kostenrechnungssystem aufzubauen, mit dem die tatsächlich angefallenen Kosten erfasst und verarbeitet werden konnten. Der wesentliche Rechnungszweck bestand darin, die vollen Selbstkosten der Produkte als Grundlage für eine Preisermittlung zu bestimmen (siehe Abschnitt 4.4). In der zweiten Etappe von etwa 1950 bis etwa 1990 dominierte eine prospektive Orientierung. Basierend auf einer Analyse des Verhaltens der einzelnen Kostenpositionen insb. in Abhängigkeit von der Beschäftigung (gemessen z.B. über den Arbeitseinsatz oder die Produktionsmenge) stand die Planung und Prognose der Kosten im Vordergrund. Durch Vergleich mit den dann tatsächlich angefallenen Kosten konnten unterschiedliche Arten von Abweichungen analysiert werden (siehe Abschnitt 4.7). In der dritten Etappe seit etwa 1990 herrscht eine antizipative Orientierung vor. Der Schwerpunkt liegt nun darauf, alle relevanten Einflussfaktoren für die Höhe, die Struktur und den Verlauf der Kosten zu identifizieren und vor diesem Hintergrund die Kosten durch strategische Entscheidungen aktiv zu beeinflussen (siehe u.a. Abschnitt 4.8.2). Abb. 4-1: Etappen der Entwicklung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung <?page no="179"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 179 Neue Betriebswirtschaft 4.2.2 Einordnung in die Betriebswirtschaftslehre Unterscheidet man zwischen einer Sach- und einer Verhaltensebene des Wirtschaftens in Unternehmen, so ist die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung zunächst der Sachebene zuzuordnen. Als Teilgebiet des Finanz- und Rechnungswesens dient die KEER dazu, die Leistungsebene der Realgüter durch die Umwandlung in monetäre Größen abzubilden. Da die Sach- und die Verhaltensebene jedoch stets zusammenspielen und daher allenfalls gedanklich getrennt werden können, kann auch die KEER beabsichtigte oder unbeabsichtigte Verhaltenswirkungen entfalten. Dieser Aspekt hat in den vergangenen Jahren unter dem Begriff Behavioral Accounting verstärkte Beachtung gefunden. Während sich das Finanzwesen mit Zahlungsströmen befasst, d.h. mit Fragen der Kapitalbeschaffung und der Liquiditätssicherung, so ist das Rechnungswesen auf die Erfolgssphäre ausgerichtet. Hierbei wird üblicherweise zwischen dem externen Rechnungswesen und dem internen Rechnungswesen unterschieden, wobei die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung dem internen Rechnungswesen zuzuordnen ist. Die beiden Teilbereiche des Rechnungswesens können anhand von verschiedenen Kriterien voneinander abgegrenzt werden, wie aus Tabelle 4-1 hervorgeht. Tabelle 4-1: Abgrenzung von externem und internem Rechnungswesen Kriterium Externes Rechnungswesen Internes Rechnungswesen Informationsadressaten primär unternehmenssextern (insb. Eigentümer, Gläubiger, Fiskus) primär unternehmensintern (insb. Manager) Normierung gesetzlich (insb. Handelsrecht, Steuerrecht) kaum, folgt betriebswirtschaftlichen Konzepten Bezeichnung Rechengrößen Aufwendungen und Erträge Kosten und Erlöse Herleitung Rechengrößen pagatorisch kalkulatorisch Wesentliche Rechnungszwecke Zahlungsbemessung (Ausschüttung, Steuern) und Rechenschaftslegung Information für Planung, Steuerung und Kontrolle Betrachtungsobjekt primär Unternehmen als juristische Einheiten in ihrer Gesamtheit Unternehmen als wirtschaftliche Einheiten, detailliert untergliedert in ihre Bestandteile Blickrichtung primär vergangenheitsorientiert vergangenheits- und zukunftsorientiert Berichtsfrequenz quartalsweise bis jährlich variabel, i.d.R. mind. monatlich Namensgebend und von zentraler Bedeutung sind hierbei die Empfänger der jeweiligen Informationen: Während die Informationen des externen Rechnungswesens das Unternehmen verlassen und von Unternehmensexternen verarbeitet werden, verbleiben die Informationen des internen Rechnungswesens im Regelfall im Unternehmen und werden von unternehmensinternen Informationsadressaten verarbeitet. Entsprechend bildet das externe Rechnungswesen auch primär die Beziehungen und Transaktionen des Unternehmens mit seiner Umwelt ab. Die KEER hingegen bildet vorrangig diejenigen Aktivitäten ab, die innerhalb des Unternehmens ablaufen. Mit der KEER kann man somit einen ausgezeichneten Einblick in die Strukturen und Prozesses jedes Unternehmens gewinnen. Da die KEER kaum gesetzlich normiert ist, kann sie von jedem Unterneh- <?page no="180"?> 180 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft men entsprechend seinen konkreten Informationsbedürfnissen ausgestaltet werden. Hierfür existieren teilweise unterschiedliche methodische Konzepte, die alternativ oder in Ergänzung zueinander eingesetzt werden können. Das externe und das interne Rechnungswesen im deutschsprachigen Raum werden in der Regel als Zweikreissystem geführt, d.h. die Datengrundlage weicht voneinander ab. Dies wird auch durch unterschiedliche Begrifflichkeiten zum Ausdruck gebracht: Im externen Rechnungswesen wird mit Aufwendungen und Erträgen gerechnet. Hierbei handelt es sich um pagatorische, d.h. aus Zahlungen abgeleitete Größen. Auf lange Frist entsprechen also die Aufwendungen eines Unternehmens wertmäßig den Auszahlungen, während die Erträge wertmäßig mit den Einzahlungen identisch sind. In der KEER wird hingegen mit Kosten und Erlösen gerechnet, wobei es sich hierbei um kalkulatorische Größen handelt. Kosten und Erlöse lassen sich demnach nicht immer aus Ausbzw. Einzahlungen ableiten, sondern es können in der KEER bspw. auch Kostenpositionen angesetzt werden, die einen entgangenen Nutzen repräsentieren (sog. Opportunitätskosten). Kosten basieren demnach im deutschsprachigen Raum auf dem sog. wertmäßigen Kostenbegriff: Wertmäßiger Kostenbegriff: Kosten stellen den bewerteten Verzehr von Gütern und Dienstleistungen zur Erstellung und zum Absatz der betrieblichen Produkte und zur Aufrechterhaltung der hierfür notwendigen Betriebsbereitschaft dar. Die Unterscheidung zwischen externem Rechnungswesen (engl. Financial Accounting) und internem Rechnungswesen (engl. Managerial Accounting) existiert gleichermaßen auch im angloamerikanischen Raum. Dort findet jedoch üblicherweise ein Einkreissystem Anwendung, d.h. die Datengrundlage besteht - von Sonderrechnungen abgesehen - einheitlich aus pagatorischen Größen. Auch im deutschsprachigen Raum wird unter dem Begriff Harmonisierung des Rechnungswesens seit den 1990er Jahren über die Vorteile des Einkreissystems diskutiert, es konnte sich hierzulande jedoch bislang nicht in der Fläche durchsetzen. Aus einer anderen Perspektive können in Unternehmen die von Managern ausgeübten Führungsaktivitäten einerseits sowie ausführende Aktivitäten andererseits unterschieden werden. Die ausführenden Aktivitäten bilden hierbei den Wertschöpfungsprozess im engeren Sinne ab, bestehend aus Einkauf, Transport und Lagerung, Fertigung und Montage sowie Marketing, Vertrieb und Kundendienst. Zu den Führungsaktivitäten werden üblicherweise die Organisation, die Personalführung sowie der Managementzyklus bestehend aus Planung, Steuerung und Kontrolle gezählt. Planung, Abb. 4-2: Kreislauf des wertschöpfungsorientierten Controllings <?page no="181"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 181 Neue Betriebswirtschaft Steuerung und Kontrolle werden heute üblicherweise insb. in der Unternehmenspraxis unter dem Begriff Controlling zusammengefasst. Controlling hat dabei die Funktion, das gesamte betriebliche Handeln auf den Zweck der Wertschöpfung hin auszurichten, anzustoßen und in Gang zu halten (Lokomotionsfunktion). Hierbei werden die Manager von den Controllern als Führungsgehilfen unterstützt, die die Übereinstimmung von Informationsangebot, -nachfrage und -bedarf sicherstellen (Informationsfunktion) und die einzelnen Führungsaktivitäten koordinieren sollen (Abstimmungsfunktion). Bei einem solchen wertschöpfungsorientierten Controlling-Verständnis lässt sich die Wertschöpfung auch als Kreislauf aus der strategischen Führungsgröße Erfolgspotenziale sowie den operativen Führungsgrößen Erfolg und Liquidität darstellen (siehe Abb. 4-2). Hierdurch wird offensichtlich, dass die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung auch ein zentral bedeutsames Instrument des operativen Controllings darstellt, da mit der KEER die operative Führungsgröße Erfolg aus unternehmensinterner Perspektive geplant, gesteuert und kontrolliert werden kann. 4.3 Einführender Überblick über die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung Lernziele Welche Teilgebiete werden in der laufenden Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung unterschieden? Welcher Unterschied besteht zwischen Ist- und Plankostenrechnungen? Wie lassen sich Kosten in Abhängigkeit von Beschäftigungsveränderungen einteilen? Worin besteht der Unterschied im Abrechnungsweg zwischen Voll- und Teilkostenrechnungen? Eine wesentliche Unterscheidung innerhalb des Instrumentariums der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung besteht zwischen der laufenden und den fallweisen Rechnungen. Fallweise Rechnungen werden lediglich bei konkreten Anlässen durchgeführt. Bei der laufenden KEER handelt es sich um den klassischen Kern der Kostenrechnung, bei der üblicherweise täglich Transaktionen erfasst werden sowie ausgewählte Rechenvorgänge in der Regel zum Monatsende durchgeführt werden, um monatliche Berichte erstellen zu können. Bei der laufenden KEER handelt es sich im Idealfall um ein integriertes System, d.h. die Informationen werden von einem Teilgebiet zum nächsten weitergegeben und dort weiterverarbeitet. Die laufende KEER wird üblicherweise in die folgenden Teilgebiete unterteilt (siehe Abb. 4-3): Abb. 4-3: Teilgebiete der laufenden Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung <?page no="182"?> 182 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Die Kostenrechnung besteht hierbei aus drei Teilgebieten, in denen jeweils spezifische Fragen beantwortet werden: Kostenartenrechnung: Welche verschiedenen Kostenarten sind im Unternehmen angefallen? Kostenstellenrechnung: Wo, d.h. in welchen organisatorischen Teilbereichen des Unternehmens sind die Kosten angefallen? Kostenträgerrechnung: Wofür, d.h. für welche internen Leistungen oder Absatzleistungen sind die Kosten angefallen? Bei einer integrierten KEER gibt die Kostenartenrechnung ihre Informationen an die Kostenstellenrechnung und an die Kostenträgerrechnung weiter. Die Kostenstellenrechnung wiederum gibt ihre Informationen an die Kostenträgerrechnung sowie ggf. an die Ergebnisrechnung weiter. Die Kostenträgerrechnung gibt genauso wie die Erlösrechnung ihre Informationen an die Ergebnisrechnung weiter, so dass in der Ergebnisrechnung letztlich alle Kosten- und Erlösinformationen zusammenlaufen und der Erfolg als Differenz von Erlösen und Kosten ermittelt werden kann. Eine weitere wichtige Unterscheidung innerhalb des Instrumentariums der KEER ist die Frage, welche Art von Informationen verarbeitet werden. Wenn bei vergangenheitsorientierter Blickrichtung tatsächlich angefallene Kosten (und Erlöse) verarbeitet werden, so spricht man von Istkostenrechnungen. Bei der zukunftsgerichteten, gedanklichen Vorwegnahme angestrebter bzw. prognostizierter Kosten (und Erlöse) spricht man von Plankostenrechnungen. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht gänzlich trennscharf, da teilweise auch in Istkostenrechnungen Planwerte oder durchschnittliche Vergangenheitswerte (sog. Normalkosten) Verwendung finden. Eine letzte wichtige grundsätzliche Differenzierungsmöglichkeit innerhalb des Instrumentariums der KEER ist die methodische Unterscheidung zwischen Voll- und Teilkostenrechnungen. Zunächst wurde in der ersten Etappe der KEER (siehe Abschnitt 4.2.1) die Vollkostenrechnung entwickelt, die Teilkostenrechnung wurde - von einigen Vorarbeiten abgesehen - erst in der zweiten Etappe entwickelt. Heutzutage finden sich in den Unternehmen beide methodische Ansätze, häufig auch parallel, was angesichts der heutigen leistungsfähigen IT-Unterstützung leicht realisierbar ist. Der wesentliche Unterschied zwischen Voll- und Teilkostenrechnung besteht darin, in welchem Umfang Kosten aus der Kostenstellenrechnung in die Kostenträgerrechnung bzw. in die Ergebnisrechnung weitergegeben werden (siehe Abb. 4-4): Abb. 4-4: Schematischer Abrechnungsweg in der Voll- und Teilkostenrechnung In der Vollkostenrechnung werden alle Kosten, also die vollen Kosten, zunächst in der Kostenträgerrechnung verarbeitet und von dort in die Ergebnisrechnung weitergegeben. In der Teilkostenrechnung wird hingegen nur ein Teil der Kosten von der Kostenstellenrechnung in die Kostenträgerrechnung weitergegeben, während die übrigen Kosten direkt von der Kostenstellenrechnung in die Ergebnisrechnung übertragen werden. Wichtig ist jedoch die Feststellung, dass schlussendlich sowohl in <?page no="183"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 183 Neue Betriebswirtschaft der Vollwie auch in der Teilkostenrechnung alle Kosten in die Ergebnisrechnung Eingang finden und somit Voll- und Teilkostenrechnung prinzipiell zu demselben Erfolgsausweis führen. Exkurs: Erfolgsausweis in der Voll- und Teilkostenrechnung Die oben getroffene Aussage, dass Voll- und Teilkostenrechnung zu demselben Erfolgsausweis führen, gilt in einer Periode (Monat, Jahr etc.) genau genommen nur unter der Bedingung, dass exakt die in dieser Periode produzierten Erzeugnisse am Markt abgesetzt wurden, d.h. dass es in dieser Periode keine Lagerbestandsveränderungen gab. Im Falle von Lagerbestandsveränderungen bei Erzeugnissen in einer Periode führen Voll- und Teilkostenrechnungen aufgrund der unterschiedlichen Bestandsbewertung in dieser Periode zu abweichenden Erfolgsausweisen. Bei gesamthafter Betrachtung aller Perioden (sog. Totalperiode) gleicht sich dieser Unterschied jedoch wieder aus. Grundlage für die Differenzierung zwischen Voll- und Teilkostenrechnungen ist die Unterscheidung von fixen und variablen Kosten. Dabei wird die Frage beantwortet, ob sich eine Kostenposition bei einer Veränderung der Beschäftigung verändert (variable oder proportionale Kosten) oder unverändert bleibt (fixe Kosten). Bei einer detaillierteren Unterscheidung können (bei einem Beschäftigungsanstieg) folgende Fälle unterschieden werden: Absolut fixe Kosten: Die Kostenposition bleibt auch bei einer großen Erhöhung der Beschäftigung unverändert Sprungfixe Kosten: Die Kostenposition bleibt innerhalb einer bestimmten Bandbreite der Beschäftigung unverändert. Wenn jedoch ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird, dann steigen die Kosten an und bleiben dann wiederum bis zum Erreichen des nächsten Schwellenwerts unverändert Linear-proportionale Kosten: mit jeder zusätzlichen Beschäftigungseinheit steigen die Kosten um denselben konstanten Betrag an Unterproportionale Kosten: die Kosten nehmen zwar mit jeder zusätzlichen Beschäftigungseinheit zu, jedoch um einen kontinuierlich sinkenden Betrag Überproportionale Kosten: die Kosten nehmen mit jeder zusätzlichen Beschäftigungseinheit nicht nur zu, sondern auch um einen kontinuierlich ansteigenden Betrag Zur Trennung von fixen und variablen Kosten existieren verschiedene Verfahren der Kostenspaltung (auch Kostenauflösung genannt). Exkurs: Veränderlichkeit und Abbaubarkeit von fixen und variablen Kosten Entgegen dem umgangssprachlichen Wortgebrauch sind fixe Kosten nicht etwa unveränderlich und variable Kosten nicht notwendigerweise stark schwankend. So kann theoretisch der Fall eintreten, dass von einer Periode zur nächsten bei gleichbleibender Beschäftigung die fixen Kosten ansteigen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn unser Vermieter den Preis für eine angemietete Lagerhalle erhöht. Gleichermaßen kann der Fall eintreten, dass die variablen Kosten trotz eines Anstiegs der Beschäftigung von einer Periode zur nächsten konstant bleiben. Dies wäre bspw. der Fall, wenn die Produktionsmenge ansteigt, jedoch der Einstandspreis für einen wichtigen Rohstoff stark gefallen ist und dieser Preisvorteil die höhere Verbrauchsmenge genau kompensiert. Hinsichtlich der Abbaubarkeit von fixen und variablen Kosten gilt tendenziell, dass variable Kosten relativ leicht abbaubar sind. Wenn weniger produziert werden soll, dann wird auch weniger vom besagten Rohstoff bestellt. Fixe Kosten hingegen sind nicht so leicht abbaubar, da <?page no="184"?> 184 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft es einerseits häufig Mindestvertragsdauern gibt (z.B. mehrjähriger Mietvertrag für die Lagerhalle) und andererseits häufig keine Teilbarkeit gegeben ist (man kann die Lagerhalle entweder ganz oder gar nicht mieten, nicht jedoch halb). Wenn fixe Kosten trotz fallender Produktionsmenge nicht kurzfristig abgebaut werden können, so spricht man von Kostenremanenz. 4.4 Angebotskalkulation Lernziele Welchen Einfluss haben der Prozesstyp der Produktion und die Produktvielfalt auf das Kalkulationsverfahren? Wie leiten sich die Kosten aus dem Aufwand ab? Was ist ein Kostenartenplan, und welche Anforderungen muss er erfüllen? Worin besteht der Unterschied zwischen Einzel- und Gemeinkosten, und wie erfolgt ihre Weitergabe aus der Kostenartenrechnung? Welcher Unterschied besteht zwischen Vor- und Endkostenstellen? Was versteht man unter sekundären Kosten und welche Verfahren der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung gibt es? Wie werden die Zuschlagssätze bei der Zuschlagskalkulation gebildet? Wie sieht das Kalkulationsschema zur Ermittlung der Selbstkosten in der Zuschlagskalkulation aus? Was versteht man unter Maschinenstundensätzen? Wie lässt sich aus den Selbstkosten ein Angebotspreis ermitteln? Bei der klassischen, Istkosten-basierten Kalkulation besteht die Zielsetzung darin, die vollen Selbstkosten eines Kostenträgers zu ermitteln, um darauf basierend einen Angebotspreis ermitteln zu können. Die üblichen Kostenträger sind demnach die von einem Unternehmen am Markt angebotenen Sach- und Dienstleistungen. Darüber hinaus können z.B. auch Prozesse (siehe Abschnitt 4.9.1) oder Projekte (siehe Abschnitt 4.9.2) kalkuliert werden. Im üblichen Falle eines Unternehmens, welches zahlreiche verschiedene Produkte und Dienstleistungen anbietet, findet die differenzierte Zuschlagskalkulation Anwendung. In Abhängigkeit vom Prozesstyp der Produktion und damit verbunden von der Produktvielfalt existieren aber auch andere, einfachere Kalkulationsverfahren (siehe Tabelle 4-2). <?page no="185"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 185 Neue Betriebswirtschaft Tabelle 4-2: Überblick über Kalkulationsverfahren Prozesstyp der Produktion Produktvielfalt Kalkulations verfahren Erläuterung Einzelfertigung Mehrere unterschiedliche Produkte als Einzelstücke Zuschlagskalkulation (siehe Erläuterung in diesem Abschnitt) Serienfertigung Mehrere unterschiedliche Produkte in jeweils größeren Mengen Massenfertigung Ein Produkt in sehr großer Menge Divisionskalkulation Die Gesamtkosten werden durch die Produktionsmenge geteilt. Sortenfertigung Mehrere ähnliche Produkte in jeweils größeren Mengen Äquivalenzziffernkalkulation Die Produktionsmengen der Produkte werden mit Äquivalenzziffern gewichtet, wobei das Verhältnis der Äquivalenzziffern zueinander näherungsweise die Verursachung der Gesamtkosten durch die einzelnen Produkte repräsentieren soll. Die Gesamtkosten werden dann durch die Summe der mit den Produktionsmengen multiplizierten Äquivalenzziffern geteilt. Aus den so ermittelten Kosten pro Äquivalenzziffer lassen sich die Kosten pro Produkt berechnen. Kuppelproduktion Mehrere Produkte gehen aus einem einheitlichem Produktionsprozess hervor Bei Haupt- und Nebenprodukten: Divisionskalkulation Bei mehreren Hauptprodukten: Äquivalenzziffernkalkulation Bei der Divisionskalkulation werden zunächst die Erlöse der Nebenprodukte von den Gesamtkosten in Abzug gebracht und anschließend die korrigierten Gesamtkosten durch die Produktionsmenge des Hauptprodukts geteilt. Es wird hierbei also nur das Hauptprodukt kalkuliert. Die Äquivalenzziffernkalkulation erfolgt wie bei der Sortenfertigung beschrieben. Bei der Zuschlagskalkulation werden die drei Teilgebiete der Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung als integriertes System durchlaufen (siehe Abschnitt 4.3). Die wesentlichen Schritte werden nachfolgend dargestellt. 4.4.1 Schritt 1: Abgrenzung der Kosten von den Aufwendungen Der Ausgangspunkt der in der Kostenrechnung verarbeiteten Daten ist die Finanzbuchhaltung des externen Rechnungswesens. Aufgrund des im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Zweikreissystems (siehe Abschnitt 4.2.2) wird diese Datenbasis jedoch für die Zwecke der Kostenrechnung angepasst, d.h. es kommt zu einer Selektion, Korrektur und Ergänzung der Daten (siehe Abb. 4-5). <?page no="186"?> 186 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Abb. 4-5: Abgrenzung der Kosten von den Aufwendungen Es werden nur diejenigen Aufwandspositionen in die Kostenrechnung übernommen, die weder betriebsfremd (z.B. Spenden), außerordentlich (z.B. außerordentliche Abschreibung für eine Maschine nach Brandschaden) noch periodenfremd (z.B. Steuernachzahlung) sind. Die meisten Positionen werden dabei wertmäßig unverändert als Grundkosten in die Kostenrechnung übernommen, z.B. Personalkosten. Bei manchen Positionen erfolgt jedoch eine Umbewertung, da der gesetzlich vorgeschriebene Wertansatz der Finanzbuchhaltung als nicht geeignet für die Zwecke der Kostenrechnung angesehen wird. Ein typisches Beispiel für diese Anderskosten sind kalkulatorische Abschreibungen auf Basis von erwarteten Wiederbeschaffungswerten anstelle der historischen Anschaffungskosten. Darüber hinaus werden in der Kostenrechnung ausgewählte Positionen zusätzlich gebildet, deren Ansatz in der Finanzbuchhaltung aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht möglich ist. Ein typisches Beispiel für diese Zusatzkosten sind kalkulatorische Zinsen für Eigenkapital, da auch die Eigenkapitalgeber eine Renditeerwartung haben, die vom Unternehmen am Markt erwirtschaftet werden muss. Da Anders- und Zusatzkosten nicht den pagatorischen Aufwandspositionen entsprechen, bilden beide zusammen die kalkulatorischen Kosten. 4.4.2 Schritt 2: Erfassung der Kosten im Kostenartenplan Um eine strukturierte Erfassung und Auswertung der angefallenen Kosten zu ermöglichen, werden alle Kostenpositionen jeweils einer Kostenart zugeordnet. Die in einem Unternehmen verwendeten Kostenarten werden in einem unternehmensindividuellen Kostenartenplan zusammengefasst. An Kostenartenpläne sind die folgenden Anforderungen zu stellen: Vollständigkeit: Um alle Kostenpositionen erfassen zu können. Überschneidungsfreiheit: Um eine unbeabsichtigte Erfassung ähnlicher Positionen in unterschiedlichen Kostenarten zu vermeiden. Systematischer Aufbau: Um die Übersichtlichkeit und damit die Handhabbarkeit des Kostenartenplans sicherzustellen. Üblicherweise ist der Kostenartenplan nach einer Produktionsfaktorenlogik aufgebaut und enthält als wesentliche Kategorien Materialkosten, Personalkosten, Abschreibungen, Zinsen, Dienstleistungskosten, Wagniskosten und Steuern. Stetigkeit: Um die Entwicklung von Kostenarten über mehrere Perioden hinweg vergleichen zu können. Differenziertheit: Um die Kostenstruktur im gewünschten Detailgrad analysieren zu können. <?page no="187"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 187 Neue Betriebswirtschaft 4.4.3 Schritt 3: Unterscheidung von Einzel- und Gemeinkosten Die Unterscheidung von Einzel- und Gemeinkosten ist wichtig, da hiervon ihre Weitergabe aus der Kostenartenrechnung in die anderen Teilgebiete der Kostenrechnung abhängt: Während Einzelkosten direkt von der Kostenartenrechnung in die Kostenträgerrechnung übergeben werden, werden Gemeinkosten zunächst in die Kostenstellenrechnung weitergegeben und erst von dort in die Kostenträgerrechnung übernommen. Der Unterscheidung in Einzel- und Gemeinkosten liegt die Frage zu Grunde, ob sich eine Kostenposition einem bestimmten Kostenträger eindeutig zurechnen lässt oder nicht. Einzelkosten lassen sich direkt aufgrund einer Kausalitätsbeziehung einem Kostenträger zuordnen: Bspw. wird ein bestimmter Rohstoff nur deshalb verbraucht, weil daraus ein konkretes Produkt gefertigt wird. Gemeinkosten lassen sich hingegen nicht aufgrund einer Ursache-Wirkungs-Beziehung einem einzelnen Kostenträger zuordnen, sondern fallen immer für mehrere Kostenträger zugleich an. Wenn bspw. mehrere Produkte auf einer Maschine gefertigt werden, dann fallen die zeitabhängigen Abschreibungen für diese Maschine sowie die Mietkosten für die Produktionshalle, in der diese Maschine steht, für alle auf der Maschine gefertigten Produkte zugleich an. Will man nun die Abschreibungen und die Mietkosten für den Zweck der Kalkulation auf die einzelnen Produkte verteilen, so kann dies nur auf Basis einer als fair und logisch angenommenen Schlüsselung erfolgen. Keine Schlüsselung ist aber jemals als richtig beweisbar und damit letztlich immer willkürlich. Als wesentliche Schlüsselungsprinzipien lassen sich unterscheiden: Gleichverteilung: Jeder Kostenträger muss einen gleichen Anteil der Kostenposition tragen. Tragfähigkeit: Diejenigen Produkte, welche z.B. höhere Erlöse am Markt erzielen können, müssen einen größeren Anteil der Kostenposition tragen. Die wesentlichen Kostenpositionen, die sich als Einzelkosten direkt den Kostenträgern zurechnen lassen, sind Materialeinzelkosten (Rohstoffe, zugekaufte Bauteile) sowie Fertigungseinzelkosten (Fertigungslöhne). In manchen Fällen gibt es zudem noch Sondereinzelkosten der Fertigung (z.B. Abschreibungen auf produktspezifische Spezialwerkzeuge) sowie Sondereinzelkosten des Vertriebs (z.B. Spezialverpackungen für den Versand). Exkurs: Zusammenhang zwischen Einzel- und Gemeinkosten sowie fixen und variablen Kosten Grundsätzlich ist jede der vier Kombinationsmöglichkeiten möglich, auch wenn sie unterschiedlich häufig auftreten. Bei Einzelkosten handelt es sich in der Regel um variable Kosten, bspw. die für ein Produkt benötigten Rohstoffe. Es gibt aber auch fixe Einzelkosten, wenn z.B. für die Fertigung eines Produkts eine jährliche Lizenz von einem anderen Unternehmen erworben werden muss. Gemeinkosten sind häufig fixe Kosten, bspw. die bereits erwähnten zeitabhängigen Abschreibungen der Produktionsmaschine oder die Mietkosten für die Produktionshalle. Ein Teil der Gemeinkosten sind jedoch auch variable Kosten, z.B. die für den Betrieb der Produktionsmaschine notwendigen Energiekosten oder die Kosten für Licht und Wärme in der Produktionshalle. 4.4.4 Schritt 4: Erfassung der Gemeinkosten auf Kostenstellen Da sich die Gemeinkosten nicht direkt einem Kostenträger zurechnen lassen, werden sie zunächst als primäre Kosten auf derjenigen Kostenstelle erfasst, auf welcher sie angefallen sind. Als Kostenstelle bezeichnet man dabei einen für die Zwecke der Kostenrechnung abgegrenzten Teilbereich des Unternehmens. In aller Regel folgt die Bildung von Kostenstellen der Aufbauorganisation eines Unternehmens, d.h. Kostenstellen sind in vielen Fällen mit Abteilungen identisch. <?page no="188"?> 188 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Kostenstellen werden in Vor- und Endkostenstellen unterschieden. Endkostenstellen sind mehr oder weniger direkt am Wertschöpfungsprozess beteiligt. Vorkostenstellen sind dagegen nur indirekt am Wertschöpfungsprozess beteiligt, indem sie interne Leistungen für andere Kostenstellen erbringen. Wenn es sich bei den Empfängern dieser internen Leistungen um eine große Zahl von anderen Vorkostenstellen sowie Endkostenstellen handelt, so spricht man von allgemeinen Hilfskostenstellen. Beispiele sind die Kantine, der IT-Bereich oder der Werkschutz. Wenn die Vorkostenstelle dagegen nur für eine kleine Anzahl von i.d.R. Endkostenstellen interne Leistungen erbringt, so spricht man von bereichsbezogenen Hilfskostenstellen. Beispiele sind hier die Arbeitsvorbereitung und die Instandhaltung, die für die Endkostenstelle(n) der Produktion interne Leistungen erbringen. 4.4.5 Schritt 5: Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung Im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung geben die allgemeinen und bereichsbezogenen Hilfskostenstellen die Kosten für die von ihnen erbrachten internen Leistungen an die jeweiligen Leistungsempfänger weiter. Die Zielsetzung besteht darin, dass die Vorkostenstellen nach Durchführung der innerbetrieblichen Leistungen abgerechnet sind, d.h. alle ihre gesamten Kosten als sekundäre Kosten weitergegeben haben. Für die Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung existieren unterschiedliche Verfahren, die sich hinsichtlich ihrer Genauigkeit unterscheiden. Eine größere Genauigkeit bringt jedoch unweigerlich eine größere Komplexität des Verfahrens mit sich. Bei ansteigender Komplexität und Genauigkeit unterscheidet man die folgenden wesentlichen Verfahren: Anbauverfahren: Vorkostenstellen geben sekundäre Kosten ausschließlich an Endkostenstellen weiter. Stufenleiterverfahren: Die Vorkostenstellen werden in eine eindeutige Abrechnungsreihenfolge gebracht, wobei zunächst die allgemeinen und anschließend die bereichsbezogenen Hilfskostenstellen abgerechnet werden. Eine einmal abgerechnete Vorkostenstelle wird nicht wieder mit sekundären Kosten belastet. Iterationsverfahren: Es werden alle Leistungsbeziehungen berücksichtigt, wobei die Abrechnung der Vorkostenstellen solange wiederholt wird, bis auf den Vorkostenstellen nur noch geringfügige Kosten verbleiben. Gleichungsverfahren: Auch hier finden alle Leistungsbeziehungen Berücksichtigung, wobei die Abrechnung einmalig und simultan erfolgt. Hierzu wird ein lineares Gleichungssystem aufgelöst, wobei für jede Vorkostenstelle eine Gleichung aufgestellt wird, bei der die Kostenbelastung der Kostenentlastung entspricht. 4.4.6 Schritt 6: Ermittlung der Zuschlagssätze Nach Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung tragen die Endkostenstellen jeweils primäre und sekundäre Kosten. Für jede Endkostenstelle wird nun ein Zuschlagssatz gebildet. Diese Zuschlagssätze bilden das Vehikel, mit dem die Gemeinkosten auf die Kostenträger verteilt werden können. In allgemeiner Darstellung werden die Zuschlagssätze wie folgt gebildet: 𝑍𝑍𝑍𝑍𝑠𝑠𝑍𝑍ℎ𝑙𝑙𝑎𝑎𝑔𝑔𝑠𝑠𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧 = 𝐺𝐺𝑒𝑒𝑠𝑠𝑎𝑎𝑚𝑚𝑡𝑡𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑑𝑑𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒 𝐺𝐺𝑒𝑒𝑒𝑒𝐺𝐺𝑔𝑔𝑛𝑛𝑒𝑒𝑡𝑡𝑒𝑒 𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡𝑚𝑚äß𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑧𝑧𝑍𝑍𝑔𝑔𝑠𝑠𝐵𝐵𝑎𝑎𝑠𝑠𝐺𝐺𝑠𝑠 Welche wertmäßige Bezugsbasis als geeignet anzusehen ist, hängt von der jeweiligen Endkostenstelle ab. Üblicherweise werden die folgenden Zuschlagssätze gebildet: Materialgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Einkauf & Logistik / gesamte Materialeinzelkosten des Unternehmens Fertigungsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Produktion / gesamte Fertigungslohnkosten des Unternehmens. Im Falle einer mehrstufigen Fertigung werden hier üblicherweise entsprechend viele Fertigungsgemeinkostenzuschlagssätze gebildet. <?page no="189"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 189 Neue Betriebswirtschaft Verwaltungsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Verwaltung / gesamte Herstellkosten des Unternehmens (zur Zusammensetzung der Herstellkosten siehe Schritt 7) Vertriebsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Vertrieb / gesamte Herstellkosten des Unternehmens Entwicklungsgemeinkostenzuschlagssatz = Gesamtkosten der Endkostenstelle Forschung & Entwicklung / gesamte Herstellkosten des Unternehmens 4.4.7 Schritt 7: Ermittlung der Selbstkosten Mithilfe der Zuschlagssätze können nun die bereits pro Kostenträger erfassten Einzelkosten um anteilige Gemeinkosten ergänzt werden. Im Ergebnis lassen sich die vollen Selbstkosten pro Kostenträger nach dem folgenden Kalkulationsschema ermitteln (siehe Tabelle 4-3). Tabelle 4-3: Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation Pos. Kalkulationsposition Ermittlung 1 Materialeinzelkosten Übernahme aus der Kostenartenrechnung 2 Materialgemeinkosten Materialgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 1 3 Materialkosten Summe aus Pos. 1 und 2 4 Fertigungseinzelkosten Übernahme aus der Kostenartenrechnung 5 Fertigungsgemeinkosten Fertigungsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 4 6 Sondereinzelkosten der Fertigung Übernahme aus der Kostenartenrechnung 7 Fertigungskosten Summe aus Pos. 4, 5 und 6 8 Herstellkosten Summe aus Pos. 3 und 7 9 Verwaltungsgemeinkosten Verwaltungsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 8 10 Entwicklungsgemeinkosten Entwicklungsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 8 11 Vertriebsgemeinkosten Vertriebsgemeinkostenzuschlagssatz auf Pos. 8 12 Sondereinzelkosten des Vertriebs Übernahme aus der Kostenartenrechnung 13 Selbstkosten Summe aus Pos. 8, 9, 10, 11 und 12 Im Falle einer anlagenintensiven Produktion wird das Kalkulationsschema im Bereich der Fertigungskosten häufig um Maschinenstundensätze ergänzt. Hierzu werden die Fertigungsgemeinkosten in maschinenabhängige Gemeinkosten (z.B. kalkulatorische Abschreibungen, Energiekosten) und Restgemeinkosten unterteilt. Während die Restgemeinkosten wie oben dargestellt über Zuschlagssätze verrechnet werden, erfolgt die Verrechnung der maschinenabhängigen Gemeinkosten über Stundensätze pro Maschine. Dazu werden die maschinenabhängigen Gemeinkosten für jede Maschine durch die jeweilige Maschinenlaufzeit geteilt. Die Verrechnung auf die Kostenträger erfolgt dann in Abhängigkeit von der zeitlichen Inanspruchnahme der jeweiligen Maschine durch die Kostenträger, multipliziert mit dem entsprechenden Maschinenstundensätzen. <?page no="190"?> 190 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Exkurs: Herstell(ungs)kosten Auch wenn im externen Rechnungswesen mit Aufwendungen und nicht mit Kosten gerechnet wird, so verwendet das die Finanzbuchhaltung normierende Handelsgesetzbuch dennoch an mehreren Stellen den Begriff Kosten. So wird in § 275 Abs. 3 HGB bspw. von Herstellungskosten gesprochen. In Abgrenzung hierzu spricht man in der KEER dagegen von Herstellkosten. Bei den Herstell(ungs)kosten handelt es sich um eine wichtige Schnittstelle zwischen internem und externem Rechnungswesen. Will man eine präzise Bewertung der Bestände an fertigen und unfertigen Erzeugnissen zu Herstellungskosten vornehmen, so bilden hierzu die in der Zuschlagskalkulation der KEER ermittelten Herstellkosten die Grundlage. 4.4.8 Schritt 8: Ermittlung des Angebotspreises Auf Basis der Selbstkosten wird nun unter Berücksichtigung einer angestrebten Gewinnmarge ein Angebotspreis ermittelt (siehe Tabelle 4-4). Wenn dieser Angebotspreis am Markt durchgesetzt werden kann, so sind die vollen Selbstkosten des Produkts gedeckt und es wird der angestrebte Gewinn erwirtschaftet. Tabelle 4-4: Schema zur Kalkulation des Angebotspreises Pos. Kalkulationsposition Ermittlung 13 Selbstkosten 14 Gewinn Gewinnmarge auf Pos. 13 15 Netto-Angebotspreis Summe aus Pos. 13 und 14 16 Umsatzsteuer Umsatzsteuersatz gemäß gesetzlicher Vorschriften auf Pos. 15 17 Brutto-Angebotspreis Summe aus Pos. 15 und 16 Wenn das Unternehmen erwartet, dass Erlösschmälerungen in Form von Skonti, Rabatten oder Boni anfallen, so ist dies sinnvollerweise bei der Kalkulation des Angebotspreises bereits entsprechend zu berücksichtigen. 4.5 Marktorientiertes Kostenmanagement Lernziele Was versteht man unter Cost Benchmarking und welche Alternativen gibt es? Welcher Unterschied besteht zwischen der progressiven und der retrograden Kalkulation? Wie können beim Target Costing die Zielkosten der einzelnen Produktkomponenten ermittelt werden? Die Vorgehensweise der in Abschnitt 4.4 vorgestellten Angebotskalkulation bestand darin, dass Unternehmen die vollen Selbstkosten ihre Produkte ermitteln und unter Berücksichtigung eines angestrebten Gewinns den Preis definieren, den ihre Kunden zu entrichten haben. Dieser Ansatz ist in ausgewählten Bereichen durchaus anwendbar, so z.B. bei Angebotsmonopolen oder bei kunden- <?page no="191"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 191 Neue Betriebswirtschaft individuell hergestellten Produkten. Angesichts der hohen Wettbewerbsintensität in vielen Branchen und der Tatsache, dass viele Märkte inzwischen Käufermärkte sind, kommen Unternehmen jedoch nicht umhin, die Marktgegebenheiten zu berücksichtigen. Im Folgenden werden daher mit dem Cost Benchmarking und dem Target Costing zwei Ansätze des marktorientierten Kostenmanagements vorgestellt. 4.5.1 Cost Benchmarking Unter Benchmarking versteht man allgemein einen systematischen Vergleich mit ausgewählten Benchmarking-Partnern. Hierbei geben die Benchmarking-Partner - ggf. anonymisiert unter Einschaltung einer Benchmarking-Organisation - auf Basis festgelegter Kriterien Informationen Preis, die einen gegenseitigen Vergleich ermöglichen. Liegt der Fokus auf dem Austausch und der Analyse von Kosteninformationen, so spricht man von Cost Benchmarking. Objekte des Cost Benchmarking können dabei sowohl Funktionsbereiche und deren Prozesse (z.B. Logistik) als auch Produkte sein. Hinsichtlich der Benchmarking-Partner können folgende Alternativen unterschieden werden: Internes Benchmarking: Hier werden die verschiedenen (ggf. international verteilten) Standorte eines Unternehmens/ Konzerns miteinander verglichen. Konkurrenzbezogenes Benchmarking: Hier beteiligen sich Unternehmen, die in einem direkten Wettbewerbsverhältnis zueinanderstehen, am Benchmarking. Branchenübergreifendes Benchmarking: Hier vergleichen sich Unternehmen aus verschiedenen Branchen miteinander. Unter der Annahme vergleichbarer Produkte und ähnlicher Gewinnerwartungen hat dasjenige Unternehmen Wettbewerbsvorteile, welches die geringsten Kosten aufweist. Die Zielsetzung aller Varianten des Cost Benchmarkings besteht demnach darin, sich an den Kosten des besten Benchmarking-Partners, also am Best Practice, zu orientieren. Es gilt zu analysieren, durch welche Maßnahmen dieses Kostenniveau - unter Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Gegebenheiten - auch im eigenen Unternehmen erreicht werden kann. 4.5.2 Target Costing Beim Target Costing werden nicht andere Unternehmen, sondern die Kunden in den Fokus genommen. Die zentrale Annahme besteht darin, dass nicht das Unternehmen selbst den Preis seiner Produkte bestimmen kann, sondern dass gegebene Marktpreise existieren, welche die Kunden bereit sind zu zahlen. Die Kalkulationslogik dreht sich damit um: Während bei der klassischen, progressiven Kalkulation der Preis das Resultat aus den eigenen Kosten und der Gewinnerwartung ist, so sind bei der retrograden Kalkulation des Target Costings die maximal erlaubten Kosten das Ergebnis des Abzugs der Gewinnerwartung vom gegebenen Marktpreis (siehe Abb. 4-6). Diese maximal erlaubten Kosten werden als Zielkosten (engl. target costs) bezeichnet. Abb. 4-6: Progressive und retrograde Kalkulation <?page no="192"?> 192 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Häufig werden die nach progressiver Kalkulationslogik abgeschätzten Kosten (die sog. drifting costs) höher als die Zielkosten liegen. Es gilt daher, alle Komponenten des Produkts auf Kosteneinsparpotenziale hin zu untersuchen. Dabei gilt die Grundregel, dass der Kostenanteil einer Produktkomponente an den Zielkosten in etwa dem Beitrag dieser Komponente an der Erfüllung der verschiedenen Produktfunktionen entsprechen sollte. Der Bedeutung der Produktfunktionen aus Kundensicht kann dabei z.B. mittels der Conjoint-Analyse des Marketings ermittelt werden. 4.6 Ermittlung und Analyse des Erfolgs Lernziele Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kosten- und Erlösträgern? Welche beiden Varianten bestehen bei der Erstellung einer Nettoergebnisrechnung, und warum führen beide zu demselben Ergebnis? Was versteht man unter einem Deckungsbeitrag? Welche Varianten der Bruttoergebnisrechnung können unterschieden werden? Welchen typischen Aufbau hat die Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung? In der (Betriebs-)Ergebnisrechnung wird wie in Abschnitt 4.3 erläutert der Erfolg durch Abzug der Kosten von den Erlösen ermittelt. Da dies i.d.R. für eine Abrechnungsperiode (insb. Monat) erfolgt, spricht man auch von der Kostenträgerzeitrechnung. 4.6.1 Erlösrechnung Auch die Erlöse der KEER werden aus den Erträgen der Finanzbuchhaltung abgeleitet (siehe Abschnitt 4.4, Schritt 1). Hierbei gilt gleichermaßen, dass nur solche Ertragspositionen Zweckerträge darstellen, die weder betriebsfremd (z.B. Gewinne aus Spekulationsgeschäften), außerordentlich (z.B. Eingang bereits abgeschriebener Forderungen) noch periodenfremd (z.B. Steuergutschrift) sind. Auch in der Erlösrechnung gilt, dass die meisten Positionen Grunderlöse darstellen, die wertmäßig unverändert aus der Finanzbuchhaltung übernommen werden. Wertmäßig angepasste Anderserlöse treten bspw. bei einer von den Vorschriften der Finanzbuchhaltung abweichenden Bewertung von Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen auf. Zusatzerlöse entstehen bei Eigenleistungen, die in der Finanzbuchhaltung nicht aktiviert werden dürfen. In der Erlösartenrechnung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Strukturierung. Ein Zeitungsverlag könnte beispielsweise zwischen Erlösen aus Abonnements und Erlösen aus Einzelverkauf oder zwischen Erlösen für gedruckte Exemplare und Erlösen für digitale Exemplare differenzieren. Bei den meisten Erlöspositionen handelt es sich um Einzelerlöse, die einem Erlösträger eindeutig zugeordnet werden können. In der Regel herrscht somit Identität zwischen den Kosten- und Erlösträgern des Unternehmens, d.h. pro Produkt können die Erlöse den Kosten gegenübergestellt werden. Gemeinerlöse treten bspw. dann auf, wenn ein Kunde bei einem aus mehreren Produkten bestehenden Auftrag einen pauschalen Paketpreis zahlt. In diesem Fall müssen die Erlöse den einzelnen Produkten des Kundenauftrags zugeschlüsselt werden, bspw. im Verhältnis der Produktkosten, was bei diesem Auftrag zu einer einheitlichen Gewinnmarge bei allen Produkten führen würde. 4.6.2 Nettoergebnisrechnung Die aus der Vollkostenrechnung resultierende Ergebnisrechnung bezeichnet man als Nettoergebnisrechnung. Wie auch in der Finanzbuchhaltung (siehe § 275 Abs. 2 und 3 HGB) besteht die Möglichkeit, die Nettoergebnisrechnung aus Basis des Gesamtkostenverfahrens oder auf Basis <?page no="193"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 193 Neue Betriebswirtschaft des Umsatzkostenverfahrens zu erstellen. Die Unterschiede zwischen beiden Verfahren ergeben sich aus Tabelle 4-5. Tabelle 4-5: Unterschiede zwischen Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren Kriterium Gesamtkostenverfahren Umsatzkostenverfahren Blickwinkel produktionsorientiert marktorientiert Erfassung der Erlöse Gesamtleistung, bestehend aus Umsatzerlösen, Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen sowie aktivierten Eigenleistungen nur Umsatzerlöse Erfassung der Kosten Gesamtkosten der Periode, strukturiert nach Kostenarten Kosten der in der Periode abgesetzten Leistungen, strukturiert nach Funktionsbereichen Beide Verfahren ermitteln dabei ein identisches Betriebsergebnis. Dies liegt daran, dass im Gesamtkostenverfahren auf der Kostenseite die Herstellkosten der erstellten, aber noch nicht abgesetzten Erzeugnisse sowie der aktivierten Eigenleistungen enthalten sind und diese Erzeugnisse und Eigenleistungen auf der Erlösseite genau zu ihren vollen Herstellkosten bewertet werden. Im Umsatzkostenverfahren finden die Erzeugnisse und Eigenleistungen weder auf der Kostennoch auf der Erlösseite Berücksichtigung. Das Schema zur Berechnung des Betriebsergebnisses nach Gesamt- und Umsatzkostenverfahren ist aus Abb. 4-7 ersichtlich. Abb. 4-7: Berechnungsschema bei Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren 4.6.3 Bruttoergebnisrechnung Die aus einer Teilkostenrechnung resultierende Ergebnisrechnung bezeichnet man als Bruttoergebnisrechnung. „Brutto“-Ergebnisrechnung deshalb, weil nicht die vollen Selbstkosten eines Produkts in einem Schritt von dessen Erlösen abgezogen werden, sondern einzelne Kostenschichten in mehreren Schritten in Abzug gebracht werden. Hierdurch ergeben sich Zwischenergebnisse, die als Deckungsbeiträge bezeichnet und i.d.R. nummeriert werden. Der allgemeine Aussagegehalt eines Deckungsbeitrags ist, dass der entsprechende Betrag zur Deckung der bislang noch <?page no="194"?> 194 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft nicht berücksichtigten Kosten beiträgt. Der konkrete Aufbau einer solchen Deckungsbeitragsrechnung ist unternehmensspezifisch, es existieren jedoch verschiedene grundsätzliche Varianten: Direct Costing: Basiert auf einer Unterscheidung von fixen und variablen Kosten, wobei die Fixkosten nicht weiter unterteilt werden. Es handelt sich um die historisch zuerst entwickelte, sehr einfache Form der Bruttoergebnisrechnung. Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung: Basiert auf einer Unterscheidung von fixen und variablen Kosten, wobei die Fixkosten in mehrere Fixkostenschichten unterteilt werden. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung des Direct Costing und um die in der Unternehmenspraxis am häufigsten anzutreffende Variante. Relative Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung: Basiert auf einer Unterscheidung von Einzel- und Gemeinkosten. Aufgrund ihrer Komplexität findet diese Variante in Reinform in der Unternehmenspraxis kaum Anwendung. Grundlage der stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung ist demnach eine Kostenspaltung in fixe und variable Kosten (siehe Abschnitt 4.3). In die Kostenträgerrechnung werden lediglich folgende Kosten übernommen: Variable Einzelkosten: Übernahme aus der Kostenartenrechnung Fixe Produkteinzelkosten: Übernahme aus der Kostenartenrechnung Variable Gemeinkosten: Übernahme aus der Kostenstellenrechnung. Die innerbetriebliche Leistungsverrechnung der Vorkostenstellen und die Bildung der Zuschlagssätze auf den Endkostenstellen beruht lediglich auf variablen Gemeinkosten. Die fixen Gemeinkosten verbleiben zunächst auf den Kostenstellen und werden von dort direkt in die Bruttoergebnisrechnung übernommen. Hierzu wird jede Vor- und Endkostenstelle (gesamthaft oder anteilig) derjenigen Fixkostenschicht zugeordnet, durch die ihr Kostenanfall verursacht wird. Typischerweise unterscheidet man neben den fixen Produkteinzelkosten folgende Fixkostenschichten: Produktgruppenfixkosten Spartenfixkosten Unternehmensfixkosten Abb. 4-8: Stufenweise Fixkostendeckungsrechnung <?page no="195"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 195 Neue Betriebswirtschaft Die Bruttoergebnisrechnung wird i.d.R. marktorientiert, d.h. nach dem Umsatzkostenverfahren erstellt. Statt einem produktorientierten Aufbau sind z.B. auch ein kunden- oder ein regionenorientierter Aufbau möglich. Eine typische Deckungsbeitragsrechnung ist aus Abb. 4-8 ersichtlich. Zur Ergebnisanalyse können Kennzahlen wie der Erlösanteil, der Deckungsbeitragsanteil oder die Erfolgsstärke herangezogen werden. Exkurs: Nachteile der Vollkosten- und Nettoergebnisrechnung Die Teilkosten- und Bruttoergebnisrechnung zielt darauf ab, die Nachteile der Vollkosten- und Nettoergebnisrechnung zu vermeiden bzw. zumindest zu reduzieren. Zu diesen Nachteilen zählen: - Schlüsselung von Gemeinkosten - Fehlende Unterscheidung von fixen und variablen Kosten und dadurch Proportionalisierung von Fixkosten 4.7 Planung und Kontrolle der Wirtschaftlichkeit Lernziele Welche Schritte laufen bei einer integrierten Plankostenrechnung ab? Welche Varianten der Plankostenrechnung gibt es? Was versteht man unter einer Abweichungsanalyse, und welche Abweichungsarten gibt es bei Einzelkosten? Auch bei der Plankostenrechnung (siehe Abschnitt 4.3) kann die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung in den folgenden Schritten als integriertes System durchgespielt werden: Planung der Einzelkosten auf Ebene der Kostenträger Planung der primären Gemeinkosten auf Ebene der Kostenstellen Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung mit Weitergabe der geplanten sekundären Kosten Belastung der Kostenträger mit Plan-Gemeinkostenzuschlägen Planung der Erlöse auf Ebene der Kostenträger Ermittlung des Planergebnisses Ebenso wie bei der Istkostenrechnung kann auch die Plankostenrechnung als Vollkosten- und Nettoergebnisrechnung oder als Teilkosten- und Bruttoergebnisrechnung durchgeführt werden. Es gibt hierbei die folgenden Varianten: Starre Plankostenrechnung: Es wird nicht zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden. Flexible Plankostenrechnung auf Vollkostenbasis: Es wird zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden. Diese Unterscheidung wird aber nur zur Abweichungsanalyse herangezogen, während die Kostenträger mit vollen (variablen und fixen) Gemeinkosten bezuschlagt werden. Grenzplankostenrechnung: Es wird zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden und die Kostenträger werden lediglich mit variablen Gemeinkosten bezuschlagt. Im Anschluss an die Planung werden die tatsächlichen Istkosten und Isterlöse erfasst. Durch Vergleich von Planwerten und Istwerten kann eine Kontrolle vorgenommen werden. Um Rückschlüsse <?page no="196"?> 196 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft für zukünftige Planungen und für ggf. zu ergreifende Maßnahmen zu treffen, ist es wichtig, im (Regel-)Falle von Abweichungen zwischen geplanten und tatsächlichen Werten die Ursachen dieser Abweichungen detailliert zu analysieren. Aus diesem Grunde werden sowohl bei der Kontrolle der Einzelkosten, der Gemeinkosten als auch der Erlöse jeweils verschiedene Abweichungsarten unterschieden. Dies soll am Beispiel der Kontrolle von Materialeinzelkosten erläutert werden. Alle Kosten setzen sich aus einer Preis- und aus einer Mengenkomponente zusammen, d.h. die Kosten ergeben sich aus der verbrauchten Menge einer Kostenposition, bewertet mit einem Preis. Die Plankosten für einen Rohstoff ergeben sich folglich dadurch, dass einerseits ein Planverbrauch und andererseits ein Planpreis bestimmt wird. Während die Ermittlung des Planpreises eine Expertise des Einkaufs ist, hängt die Ermittlung des Planverbrauchs zunächst von der zu produzierenden Menge des Erzeugnisses ab (Planbeschäftigung), für das der Rohstoff benötigt wird. Diese Information wird aus der Vertriebsplanung unter Berücksichtigung geplanter Bestandsveränderungen abgeleitet. Auf dieser Basis berücksichtigt der Produktionsleiter aufgrund seiner Erfahrungen auch Ausschussmengen. Die Istkosten des Rohstoffs ergeben sich aus dem tatsächlichen Istverbrauch und dem tatsächlichen Istpreis. Zu Beginn der Abweichungsanalyse ist jedoch zu beachten, ob auch die geplante Menge des Erzeugnisses produziert wurde (Planbeschäftigung) oder eine andere, höhere oder niedrige Menge (Istbeschäftigung). Falls die Istbeschäftigung von der Planbeschäftigung abweicht, sind für eine faire und aussagekräftige Abweichungsanalyse zunächst die Plankosten in Sollkosten umzurechnen: 𝑆𝑆𝐺𝐺𝑙𝑙𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 = 𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 ∗ 𝐼𝐼𝑠𝑠𝑡𝑡𝐵𝐵𝑒𝑒𝑠𝑠𝑍𝑍ℎä𝑓𝑓𝑡𝑡𝐺𝐺𝑔𝑔𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝐵𝐵𝑒𝑒𝑠𝑠𝑍𝑍ℎä𝑓𝑓𝑡𝑡𝐺𝐺𝑔𝑔𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 Eine etwaige Differenz zwischen Istkosten und Sollkosten kann nun entweder aus einem - unter Berücksichtigung der Istbeschäftigung - höheren Verbrauch des Rohstoffs oder aus einem vom Planpreis abweichenden Istpreis resultieren. Um diese beiden Effekte zu trennen, werden als nächstes die Istkosten zu Planpreisen ermittelt: 𝐼𝐼𝑠𝑠𝑡𝑡𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑧𝑧𝑍𝑍 𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑃𝑃𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒𝑛𝑛 = 𝐼𝐼𝑠𝑠𝑡𝑡𝐼𝐼𝑒𝑒𝑟𝑟𝐵𝐵𝑟𝑟𝑎𝑎𝑍𝑍𝑍𝑍ℎ𝑠𝑠𝑚𝑚𝑒𝑒𝑛𝑛𝑔𝑔𝑒𝑒 ∗ 𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑃𝑃𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑠𝑠 Nun können die beiden Abweichungsarten berechnet werden: 𝑃𝑃𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑠𝑠𝑎𝑎𝐵𝐵𝑤𝑤𝑒𝑒𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 = 𝐼𝐼𝑠𝑠𝑡𝑡𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 − 𝐼𝐼𝑠𝑠𝑡𝑡𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑧𝑧𝑍𝑍 𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑃𝑃𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑉𝑉𝑒𝑒𝑟𝑟𝐵𝐵𝑟𝑟𝑎𝑎𝑍𝑍𝑍𝑍ℎ𝑠𝑠𝑎𝑎𝐵𝐵𝑤𝑤𝑒𝑒𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 = 𝐼𝐼𝑠𝑠𝑡𝑡𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑧𝑧𝑍𝑍 𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑃𝑃𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒𝑛𝑛 − 𝑆𝑆𝐺𝐺𝑙𝑙𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 Da die Planpreise vom Einkauf bereitgestellt wurden, hat der Produktionsleiter lediglich die Verbrauchsabweichung zu verantworten. 4.8 Business Cases zur Produkteinführung Lernziele Welche Zusammenhänge gelten im Break-Even-Punkt? Welche Phasen werden in der Lebenszyklus-Kostenrechnung unterschieden, und wie ist jeweils der Anfall von Kosten und Erlösen in diesen Phasen? Unter einem Business Case soll im Folgenden der sich auf die Erfolgprognose beziehende Teil eines umfassenden Business Plans bezeichnet werden, mit dem aus finanzieller Sicht eine Beurteilung getroffen wird, inwieweit die Einführung eines neuen Produkts lohnenswert erscheint. Hierfür können die einfache Break-Even-Analyse sowie die detailliertere Lebenszyklus-Kostenrechnung angewendet werden. <?page no="197"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 197 Neue Betriebswirtschaft 4.8.1 Break-Even-Analyse Im Break-Even-Punkt (BEP) gilt, dass die mit der produzierten und abgesetzten Menge (Break- Even-Menge M * ) erwirtschafteten Umsatzerlöse (Break-Even-Erlöse E * ) genau zu einem Erfolg von Null führen, daher auch die deutsche Bezeichnung Gewinnschwelle. Bei einer Mengeneinheit weniger ist das Produkt noch in der Verlustzone, bei einer Mengeneinheit mehr gerade in der Gewinnzone. Bei einer Aufspaltung der Produktkosten in fixe und variable Anteile gelten im Break- Even-Punkt demnach folgende Zusammenhänge: 𝑈𝑈𝑚𝑚𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙ö𝑠𝑠𝑒𝑒 − 𝐺𝐺𝑒𝑒𝑠𝑠𝑎𝑎𝑚𝑚𝑡𝑡𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 = 0 𝑈𝑈𝑚𝑚𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙ö𝑠𝑠𝑒𝑒 = 𝑓𝑓𝐺𝐺𝑥𝑥𝑒𝑒 𝐾𝐾𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 + 𝐼𝐼𝑎𝑎𝑟𝑟𝐺𝐺𝑎𝑎𝐵𝐵𝑙𝑙𝑒𝑒 𝐾𝐾𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝐷𝐷𝑒𝑒𝑍𝑍𝑘𝑘𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝐵𝐵𝑒𝑒𝐺𝐺𝑡𝑡𝑟𝑟ä𝑔𝑔𝑒𝑒 = 𝑓𝑓𝐺𝐺𝑥𝑥𝑒𝑒 𝐾𝐾𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 Mittels der Break-Even-Analyse kann ein Unternehmen also analysieren, ob die prognostizierte Absatzmenge des potenziellen neuen Produkts ausreicht, um bei gegebenen Kosten- und Erlösfunktionen in die Gewinnzone zu gelangen (siehe Abb. 4-9). Abb. 4-9: Grafische Darstellung der Break-Even-Analyse Die Break-Even-Analyse wird i.d.R. für eine erste Erfolgsabschätzung eingesetzt. Es werden hierbei viele Vereinfachungen vorgenommen, insb. Keine Darstellung des zeitlichen Anfalls von Kosten und Erlösen Lineare Erlösfunktion Nur absolut fixe Kosten und nur linear-proportionale variable Kosten Exkurs: Hip-Roof-Chart Eine Break-Even-Analyse ist auch für mehrere Produkte anwendbar, wenn z.B. Produktgruppenfixe Kosten auftreten. Hierbei ist jedoch kein eindeutiger Break-Even-Punkt ermittelbar, sondern nur eine Bandbreite von Break-Even-Umsätzen. Die grafische Darstellung einer solchen Mehrprodukt-Break-Even-Analyse nennt man Hip-Roof-Chart. 4.8.2 Lebenszyklus-Kostenrechnung Der Lebenszyklus eines Produkts umspannt in Analogie zu Lebewesen die gesamte Phase von der Entstehung des Produkts bis zu seinem Verschwinden. Die dabei typischerweise unterschiedenen Lebenszyklus-Phasen sind aus Abb. 4-10 ersichtlich. <?page no="198"?> 198 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Abb. 4-10: Phasen des Produktlebenszyklus Auf dieser Grundlage werden in der Lebenszyklus-Kostenrechnung (engl. Life Cycle Costing) alle Kosten und Erlöse phasenspezifisch und (wie hier dargestellt) kumuliert erfasst. Dabei gelten folgende Zusammenhänge: Vorlaufphase: Hier fallen üblicherweise nur Kosten für Produktentwicklung, Marktforschung etc. an. Marktphase: Die Kostenseite besteht hier im Wesentlichen aus den Kosten für Herstellung und Vermarktung. Die Periodenerlöse beginnen in der Einführungsphase, steigen in der Wachstumsphase stark an und erreichen in der Reifephase ihren Höhepunkt. In der Sättigungsphase sinken die Periodenerlöse wieder und gehen in der Degenerationsphase stark zurück. Nachlaufphase: Hier fallen keine weiteren Erlöse für neue Produktverkäufe an, jedoch ggf. noch längere Zeit Erlöse für Ersatzteile und Wartung für die auf Kundenseite noch in Nutzung befindlichen Produkte. Neben entsprechenden Kosten fallen ggf. auch Kosten für eine Rücknahmeverpflichtung der Produkte an. Mit der Lebenszyklus-Kostenrechnung kann somit ebenfalls ein Break-Even-Punkt (BEP) ermittelt werden. Da hier der zeitliche Anfall von Kosten und Erlösen berücksichtigt wird, ist eine bessere Risikoanalyse möglich. Exkurs: Total Cost of Ownership Aus Sicht des Kunden besteht der Lebenszyklus eines Produkts aus der Nutzungsphase und der Entsorgungsphase. Auch hier kann man eine umfassende Kostenbetrachtung im Sinne einer Total Cost of Ownership (TCO) vornehmen. Die wesentlichen Kostenkategorien sind hierbei: - Kaufpreis und Anschaffungsnebenkosten - Kosten für Betrieb und Wartung - Entsorgungskosten, ggf. aber auch Verwertungserlöse <?page no="199"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 199 Neue Betriebswirtschaft 4.9 Kalkulation besonderer Kostenträger Lernziele Welche Prozesse eignen sich für die Prozesskostenrechnung? Wie kann die Prozesskostenrechnung in die klassische Zuschlagskalkulation integriert werden? Welche Abweichungsarten werden bei der Earned Value-Analyse unterschieden? Während bei der klassischen Kalkulation (siehe Abschnitt 4.4) die zum Absatz vorgesehenen Sach- und Dienstleistungen im Fokus stehen, können auch andere Kostenträger kalkuliert werden. Die beiden wichtigsten Anwendungen sind hierbei die Prozesskostenrechnung und die Projektkostenrechnung. 4.9.1 Prozesskostenrechnung Die Prozesskostenrechnung (engl. Activity-based Costing) wurde etwa ab Ende der 1980er Jahre entwickelt und damit zu einer Zeit, als in der Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen die Prozesse und die Ablauforganisation stärker in den Fokus rückten. Unter einem Prozess kann dabei eine abgeschlossene Abfolge logisch zusammenhängender Aktivitäten verstanden werden, bei denen ein Start- und ein Endzeitpunkt, der Ressourceninput sowie der Output ermittelt werden können. Für die Prozesskostenrechnung eignen sich insb. relativ häufig durchgeführte Prozesse ohne große Variationen zwischen den einzelnen Prozessdurchführungen. In der klassischen Zuschlagskalkulation erfolgt die Verteilung der Gemeinkosten auf die Produkte mittels Zuschlagssätzen pro Endkostenstelle, und damit in einer aufbauorganisatorischen Logik. Bei der Prozesskostenrechnung stehen hingegen Prozesse, die über mehrere Kostenstellen hinweg ablaufen und damit eine ablauforganisatorische Logik im Vordergrund. Die Beteiligung einer einzelnen Kostenstelle an einem übergreifenden (Haupt-)Prozess wird als Teilprozess bezeichnet. In der Prozesskostenrechnung wird nun ein Prozesskostensatz ermittelt, der die Kosten für die einmalige Prozessdurchführung angibt. Zu diesem Zweck werden alle auf den Kostenstellen erfassten Kosten für die Durchführung der Teilprozesse addiert und durch die Anzahl der Durchführungen des Hauptprozesses geteilt. Die Prozesskostensätze können dann in das Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation (siehe Tabelle 4-3) integriert werden und ersetzen oder ergänzen (siehe beispielhaft Tabelle 4-6) dort die üblichen Zuschlagssätze. Je nachdem, wie viele Prozessdurchführungen ein Produkt verursacht, wird die Anzahl der Prozesskostensätze ausgelöst. Tabelle 4-6: Integration von Prozesskostensätzen in die Zuschlagskalkulation Kalkulationspositionen in klassischer Zuschlagskalkulation Kalkulationspositionen bei integrierter Prozesskostenrechnung Materialeinzelkosten Materialeinzelkosten + Materialgemeinkostenzuschlag + Materialprozesskostensatz + Rest-Materialgemeinkostenzuschlag = Materialkosten = Materialkosten <?page no="200"?> 200 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Exkurs: Time-driven Activity-based Costing Eine Weiterentwicklung der Prozesskostenrechnung bzw. des Activity-based Costing ist das Time-driven Activity-based Costing. Die Ermittlung der Prozesskostensätze beruht hierbei auf der Dauer der Prozessdurchführung, was gegenüber der Prozesskostenrechnung zahlreiche Vorteile mit sich bringt. 4.9.2 Projektkostenrechnung Die Aktivitäten eines Projekts sind im Gegensatz zu Routinetätigkeiten typischerweise durch Neuartigkeit und Einmaligkeit, hohe Komplexität und Ressourcenaufwand sowie durch eine längere Dauer gekennzeichnet. Aus diesem Grund findet vor Projektstart i.d.R. eine Projektplanung aus zeitlicher Sicht (Projektablaufplan) sowie aus struktureller und finanzieller Sicht (Projektstrukturplan) statt. Im Projektstrukturplan wird das Gesamtprojekt hierarchisch in Teilprojekte und Arbeitspakete heruntergebrochen, denen jeweils Plankosten zugeordnet werden. In Analogie zur Plankostenrechnung (siehe Abschnitt 4.7) können anschließend die tatsächlich angefallenen Istkosten mit den Planbzw. Sollkosten verglichen werden und eine Kostenabweichung (Cost Variance) sowie eine Zeitabweichung (Schedule Variance) ermittelt werden. Diese beiden Kennzahlen sind der Kern des umfassenden Kennzahlensystems der sog. Earned Value-Analyse. 4.10 Konkrete Entscheidungssituationen Lernziele Wie lassen sich entscheidungsrelevante und entscheidungsirrelevante Kosten unterscheiden? Was versteht man unter sunks costs? Welche Kosten sind bei den Handlungsalternativen der make or-buy-Entscheidung zu berücksichtigen? Welche Bedeutung hat die prognostizierte Produktionsmenge bei der Kostenvergleichsrechnung zur Produktionsverfahrenswahl? Inwiefern hängt das Vorteilhaftigkeitskriterium bei der Produktionsprogrammwahl von der konkreten Entscheidungssituation ab? Was versteht man unter dem relativen Deckungsbeitrag? Wie ermittelt sich die kurzfristige Preisuntergrenze? Was versteht man unter Opportunitätskosten? Die Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung hat unter anderem auch den Zweck, Entscheidungsträger in Entscheidungssituationen mit Informationen zur Vorteilhaftigkeit der verschiedenen Handlungsalternativen zu versorgen. Im Folgenden werden entlang des Wertschöpfungsprozesses die wichtigsten dieser Entscheidungssituationen diskutiert und aufgezeigt, welches Instrumentarium die KEER hierfür anbietet: Einkauf/ Produktion: Entscheidung, ob ein Bauteil selbst gefertigt oder fremdbezogen werden soll (make or buy-Entscheidung). Produktion: Entscheidung, ob eine halb- oder eine vollautomatische Maschine angeschafft werden soll (Produktionsverfahrenswahl). <?page no="201"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 201 Neue Betriebswirtschaft Produktion/ Absatz: Entscheidung, welche Produkte priorisiert hergestellt werden sollen (Wahl des Produktionsprogramms). Produktion/ Absatz: Entscheidung, ob ein Zusatzauftrag angenommen werden soll. Die Analyse ist hierbei jeweils auf die Erfolgssphäre beschränkt, d.h. strategische, qualitative etc. Überlegungen bleiben bei den nachfolgenden Ausführungen außer Betracht. Bei der jeweiligen Entscheidung sind nur diejenigen Kosten (und Erlöse) zu berücksichtigen, die zur Fundierung der Entscheidung als relevant identifiziert werden können. Entscheidungsrelevant sind alle diejenigen Kostenpositionen, welche durch die konkrete Entscheidung verursacht werden, d.h. anfallen bzw. wegfallen. Entscheidungsirrelevant sind hingegen alle diejenigen Kostenpositionen, welche unabhängig von der konkreten Entscheidung anfallen. Dies ist der Fall, wenn die Kostenposition in keinem logischen Zusammenhang zur Entscheidung steht (z.B. Gehalt des Geschäftsführers bei einer make or buy-Entscheidung). die Kostenposition zwar in einem logischen Zusammenhang mit der Entscheidung steht, der Kostenanfall jedoch bereits durch eine vergangene Entscheidung determiniert wurde (z.B. zeitabhängige Abschreibung einer Fertigungsmaschine, für die das Produktionsprogramm bestimmt werden soll). Man spricht in diesem Fall von sunk costs (im Deutschen auch umgangssprachlich als „eh da-Kosten“ bezeichnet). Es ist offensichtlich, dass eine Kostenposition niemals per se entscheidungsrelevant bzw. entscheidungsirrelevant ist, sondern stets nur vor dem Hintergrund einer konkreten Entscheidungssituation. 4.10.1 Eigenfertigung oder Fremdbezug (make or buy) Die Handlungsalternativen bzgl. des Bauteils bestehen in der Herstellung im eigenen Unternehmen oder im Bezug von einem Lieferanten (bzw. von einem von mehreren möglichen Lieferanten). Es handelt sich bei einer make or buy-Entscheidung i.d.R. um eine langfristige Entscheidung, die nicht ohne weiteres widerrufen werden kann. Unter Erfolgsgesichtspunkten ist diejenige Handlungsalternative auszuwählen, welche für die prognostizierte Bedarfsmenge die niedrigsten Kosten verursacht. Zu den wesentlichen Kosten der beiden Handlungsalternativen zählen: Eigenfertigung: Die bekannten oder abzuschätzenden Herstellkosten, bestehend aus Material- und Fertigungskosten. Da es sich um eine langfristige Entscheidung handelt, sind hierbei sowohl variable als auch fixe Kostenbestandteile zu berücksichtigen. Sofern das Bauteil erst noch entwickelt werden müsste, so sind auch die einmaligen Entwicklungskosten zu berücksichtigen. Fremdbezug: Neben dem Einstandspreis sind auch alle Transaktionskosten der Lieferantenbeziehung zu berücksichtigen. Hierzu zählen z.B. die Kosten der Vertragsverhandlung, der Bestellabwicklung und des Transports, der Qualitätsprüfung und der Nachverhandlung bei Spezifikationsänderungen. 4.10.2 Produktionsverfahrenswahl Auch bei der Produktionsverfahrenswahl zwischen zwei (oder mehr) unterschiedlichen Maschinen handelt es sich i.d.R. um eine langfristige Entscheidung. Unter der Annahme, dass hinsichtlich Mengenoutput und Produktqualität identische Produkte gefertigt werden können, ist wiederum diejenige Handlungsalternative (im Beispiel halb- oder vollautomatische Maschine) auszuwählen, welche für die prognostizierte Produktionsmenge die geringeren Kosten verursacht. Es ist also eine Kostenvergleichsrechnung vorzunehmen, die zu den statischen Verfahren der Investitionsrechnung zählt. Oftmals werden sich die Handlungsalternativen hinsichtlich des Kostenverlaufs unterscheiden. Im gewählten Beispiel könnte dies bedeuten: <?page no="202"?> 202 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich Neue Betriebswirtschaft Halbautomatische Maschine: Sie verursacht geringere Anschaffungskosten (fixe zeitabhängige Abschreibungen), hat jedoch im laufenden Betrieb höhere Kosten (insb. variable Fertigungslöhne). Vollautomatische Maschine: Sie verursacht höhere Anschaffungskosten (fixe zeitabhängige Abschreibungen), hat jedoch im laufenden Betrieb geringere Kosten (insb. variable Fertigungslöhne). Hieraus wird deutlich, dass die Vorteilhaftigkeit der beiden Handlungsalternativen von der prognostizierten Produktionsmenge abhängt (siehe Abb. 4-11). Abb. 4-11: Kostenvergleichsrechnung Exkurs: Gewinnvergleichsrechnung Es ist auch denkbar, dass sich die Handlungsalternativen halb- und vollautomatische Maschine hinsichtlich Mengenoutput und/ oder Produktqualität unterscheiden. In diesem Falle würden beide Handlungsalternativen unterschiedliche Umsatzerlöse generieren, die bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssten. Die Kostenvergleichsrechnung wäre dann zu einer Gewinnvergleichsrechnung weiterzuentwickeln, die ebenfalls zu den statischen Verfahren der Investitionsrechnung zählt. 4.10.3 Wahl des Produktionsprogramms Bei der Wahl des Produktionsprogramms gehen wir von einer gegebenen, da kurzfristig nicht veränderlichen Maschinenkapazität sowie von aus vertrieblicher Sicht jeweils maximal absetzbaren Mengen der verschiedenen produzierbaren Produkte aus. Es gilt vor diesem Hintergrund zu entscheiden, welche der Produkte in welchen Mengen gefertigt werden sollen. Es handelt sich hierbei i.d.R. um eine kurzfristige, relativ leicht revidierbare Entscheidung. Da die Maschinen bereits vorhanden sind und ihre Kapazität kurzfristig nicht geändert werden kann, sind die fixen zeitabhängigen Abschreibungen nicht entscheidungsrelevant (sunk costs). Das Vorteilhaftigkeitskriterium bei der Wahl des Produktionsprogramms ist von der konkreten Situation abhängig: Kein Kapazitätsengpass: Alle Produkte sind zu fertigen, die einen positiven Deckungsbeitrag (siehe Abschnitt 4.6.3) pro Stück aufweisen. Ein Kapazitätsengpass und gleicher Kapazitätsbedarf pro Stück bei allen Produkten: Die Priorisierung der zu fertigenden Produkte entspricht der Höhe ihrer (positiven) Stück- Deckungsbeiträge. <?page no="203"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 203 Ein Kapazitätsengpass und unterschiedliche Kapazitätsbedarfe pro Stück bei den verschiedenen Produkten: Da die verschiedenen Produkte die limitierte Kapazität (z.B. gemessen als Maschinenlaufzeit in Stunden) nun unterschiedlich stark beanspruchen, ist nicht mehr der absolute Stück-Deckungsbeitrag als Vorteilhaftigkeitskriterium heranzuziehen, sondern der Stück- Deckungsbeitrag pro knapper Kapazitätseinheit. Dieser wird als relativer Deckungsbeitrag pro Stück bezeichnet. Mehrere Kapazitätsengpässe: Bei einer mehrstufigen Fertigung kann es vorkommen, dass bei mehreren unterschiedlichen Maschinen gleichzeitig ein Kapazitätsengpass auftritt. Der relative Stück-Deckungsbeitrag bleibt hierbei das Vorteilhaftigkeitskriterium, zur Lösung dieser Entscheidungssituation muss jedoch die lineare Programmierung genutzt werden. 4.10.4 Annahme von Zusatzaufträgen Unter einem Zusatzauftrag soll die Anfrage eines Kunden verstanden werden, kurzfristig und ungeplant eine bestimmte Menge eines Produkts abnehmen zu wollen. Häufig ist der Kunde hierbei nicht bereit, den Listenpreis zu bezahlen, sondern bietet einen Preis unterhalb des Listenpreises an. Es handelt sich erneut um eine kurzfristige Entscheidung, die vor dem Hintergrund gegebener Produktionskapazitäten zu beantworten ist, d.h. die zeitabhängigen Abschreibungen der Maschinen und ähnliche Kostenpositionen sind wiederum entscheidungsirrelevant. Die Handlungsalternativen bestehen darin, den Zusatzauftrag anzunehmen oder nicht (Unterlassensalternative). Auch bei dieser Entscheidungssituation sind verschiedene Fälle zu unterscheiden: Kein Kapazitätsengpass: Da genügend Produktionskapazität vorhanden ist, um den Zusatzauftrag zu fertigen, sollte der Zusatzauftrag dann angenommen werden, wenn er einen positiven Deckungsbeitrag aufweist. Die variablen Kosten stellen damit die kurzfristige Preisuntergrenze dar. Vorliegen eines Kapazitätsengpasses: Trotz eines bestehenden Kapazitätsengpasses könnte der Zusatzauftrag angenommen werden, wenn stattdessen auf die Fertigung einer entsprechenden Menge eines anderen Produkts verzichtet wird. Da mit diesem anderen Produkt jedoch annahmegemäß ebenfalls ein positiver Deckungsbeitrag erwirtschaftet wird, könnte dieser Deckungsbeitrag bei Annahme des Zusatzauftrags nicht mehr erwirtschaftet werden. Es handelt sich somit um Opportunitätskosten im Sinne eines entgehenden Nutzens. Das Vorteilhaftigkeitskriterium bleibt damit der Deckungsbeitrag des Zusatzauftrags, allerdings sind die Opportunitätskosten als Kostenposition mit zu berücksichtigen. <?page no="204"?> Neue Betriebswirtschaft Literatur zur Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung Der Zielsetzung dieses Beitrags entsprechend finden sich nachfolgend ausgewählte Literaturempfehlungen, die eine vertiefende Beschäftigung mit den einzelnen behandelten Themen ermöglichen. Zur historischen Entwicklung der Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung: Brockhoff, Klaus: Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, 5. Aufl. 2016 Schneider, Dieter: Entwicklungsschwerpunkte zur heutigen Kostenrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung, 1992, S. 87-96 Becker, Wolfgang: Entwicklungslinien der betriebswirtschaftlichen Kostenlehre, in: Kostenrechnungspraxis, Sonderheft 1/ 93, S. 5-18 Lehrbücher zur Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung: Kompakt: Becker, Wolfgang/ Holzmann, Robert: Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung, 2. Aufl. 2016 Klassischer Umfang: Jórasz, William: Kosten- und Leistungsrechnung, 5. Aufl. 2009 Ausführlich: Deimel, Klaus/ Erdmann, Georg/ Isemann, Rainer/ Müller, Stefan: Kostenrechnung, 2017 Mit besonderer Berücksichtigung der Verhaltensperspektive: Ewert, Ralf/ Wagenhofer, Alfred: Interne Unternehmensrechnung, 8. Aufl. 2014 Mit Abdeckung des externen Rechnungswesens: Eisele, Wolfgang/ Knobloch, Alois: Technik des betrieblichen Rechnungswesens, 9. Aufl. 2018 Zum anglo-amerikanischen Managerial Accounting: Zirkler, Bernd: Management Accounting in den USA, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 567-582 Zur Harmonisierung des Rechnungswesens: Trapp, Rouven: Konvergenz des Rechnungswesens, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 705-723 Zum Wertschöpfungsorientierten Controlling: Becker, Wolfgang/ Baltzer, Björn/ Ulrich, Patrick: Wertschöpfungsorientiertes Controlling, 2014. Zum Cost Benchmarking: Hoffjan, Andreas: Cost Benchmarking als Instrument des strategischen Kostenmanagements, in: Zeitschrift für Planung, 6. Jg. 1995, S. 155-166. Zum Target Costing: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick/ Güler, Hasan: Umsetzungsstand des Target Costing - Ergebnisse einer empirischen Erhebung, in: Controlling, 28. Jg. 2016, S. 136-143 Zur Erlösrechnung: Männel, Wolfgang: Bedeutung der Erlösrechnung für die Ergebnisrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung, 1992, S. 631-655 204 Wolfgang Becker, Björn Baltzer, Patrick Ulrich <?page no="205"?> 4 Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung 205 Zur Relativen Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung: Riebel, Paul: Einzelerlös-, Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung als Kern einer ganzheitlichen Führungsrechnung, in: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung, 1992, S. 247-299 Zur Ergebnisanalyse in der Stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung: Becker, Wolfgang/ Baltzer, Björn/ Ulrich, Patrick: Kennzahlenorientierte Erfolgsanalyse im Mehrproduktunternehmen, in: Das Wirtschaftsstudium, 40. Jg. 2011, S. 98-101. Zur Plankostenrechnung: Überblicksartikel: Pampel, Jochen/ Botzkowski, Tim: Plankostenrechnung in der Unternehmenspraxis, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 385-408 Ausführliches Lehrbuch: Kilger, Wolfgang/ Pampel, Jochen/ Vikas, Kurt: Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung, 13. Aufl. 2012 Zum Business Plan: Pott, Oliver/ Pott, André: Entrepreneurship, 2. Aufl. 2015 Zur Break-Even-Analyse: Schweitzer, Marcell/ Trossmann, Ernst: Break-Even-Analysen, 2. Aufl. 1998 Zur Lebenszyklus-Kostenrechnung: Hoch, Gero/ Heupel, Thomas/ Kachel, Timo: Life-Cycle-Costing in der Unternehmenspraxis: Techniken - Strategische Bedeutung - Umsetzungsprobleme, in: Becker, Wolfgang/ Ulrich, Patrick (Hrsg.): Handbuch Controlling, 2016, S. 329-344 Zur Prozesskostenrechnung: Kunz, Christian/ Baltzer, Björn: Gemeinkosten in der Produktkalkulation - Vergleich von Zuschlagskalkulation und prozessorientierten Verfahren, in: Das Wirtschaftsstudium, 38. Jg. 2009, S. 701-704 Baltzer, Björn/ Zirkler, Bernd: Time-driven Activity-based Costing, 2007 Zur Projektkostenrechnung: Überblicksartikel: Becker, Wolfgang/ Kunz, Christian: Earned Value Methode, in: Die Betriebswirtschaft, 69. Jg. 2009, S. 419-422 Umfassendes Lehrbuch: Fiedler, Rudolf: Controlling von Projekten, 7. Aufl. 2016 Zur Investitionsrechnung: Galli, Albert: Grundlagen der Investitionsrechnung, 2017 <?page no="207"?> Neue Betriebswirtschaft 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE Rebecca Popp Lernziele Sie sollen einige Kriterien kennenlernen, durch die die Rechtsformwahl bestimmt wird. Sie sollen einige privatrechtliche Gesellschaftsformen beschreiben können. Sie sollen wissen, welche Gründungsvoraussetzungen bei AG und SE vorliegen. Sie sollen wissen, worum es bei Diskussionen über die Mitbestimmung in Unternehmen geht und welche Vorschriften bei AG und SE vorliegen. Sie sollen einige Vor- und Nachteile der SE kennen. Rechtsformwahl 5.1.1 Kriterien bei der Rechtsformwahl Die Rechtsform regelt sowohl das Außenverhältnis mit Publikum und Lieferanten, als auch das Innenverhältnis zwischen Gesellschaftern, Anteilseignern und Mitarbeitern. Daher stellt die Rechtsform eine wesentliche Rahmenbedingung für die Handlungsfähigkeit der Unternehmen dar. Die Wahl der Rechtsform bedeutet eine essentielle unternehmerische Entscheidung - ist allerdings nicht unabänderlich und somit immer wieder zu überdenken (Schneidewind 2011, S. 210). Die Frage der Rechtswahl stellt sich unter anderem bei Gründung des Unternehmens, Neustrukturierung, Unternehmensnachfolge und weiteren Entscheidungssituationen (Schneidewind 2011, S. 211). Zu den wesentlichen Aspekten, die Entscheidungen der Rechtsformwahl beeinflussen, gehören: Haftung: Verpflichtung für Verbindlichkeiten und Schäden einzustehen. Finanzierungsmöglichkeiten: Möglichkeiten der Finanzierung durch Eigen- oder Fremdkapital durch die jeweilige Unternehmensform. Leitungsbefugnis: Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter und Vertretungsbefugnis nach außen. Innenverhältnisse sind vertraglich abänderbar, während Vorschriften zum Außenverhältnis i.d.R. rechtlich zwingend vorgegeben sind. Bei der Frage der Leitungsbefugnisse ist außerdem zu beachten, ob die Befugnisse delegiert werden können. Gewinn- und Verlustverteilung: betreffen Entnahmerechte und Gewinnbeteiligungen. Rechnungslegung und Publizität: Welche Art der Rechnungslegung ist vorgesehen und unter welchen Umständen ist diese zu veröffentlichen? Steuerbelastung: Welche Steuerarten (Gewerbesteuer/ Körperschaftssteuer etc.) greifen? <?page no="208"?> 208 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Rechtsformabhängige Kosten: Gründungskosten, sowie laufende Kosten, wie z.B. Honorare für den Aufsichtsrat, Kosten für Rechnungslegung und Publizierung Unternehmenskontinuität: Möglichkeit des Gesellschafterwechsels, Nachfolger. Firma: Wahl des Unternehmensnamens. Auch Kriterien wie Tradition, Branchenüblichkeiten oder Image der Rechtsform spielen eine Rolle (vgl. Schneidewind 2011, S. 211). 5.1.2 Wichtige privatrechtliche Gesellschaftsformen Rechtsgrundlage für privatrechtliche Rechtsformen stellt das Gesellschaftsrecht dar. Dieses wird allgemein definiert als „das Recht von privatrechtlichen Personenvereinigungen, die zur Erreichung eines bestimmten gemeinsamen Zwecks durch Rechtsgeschäft begründet werden“. Die Grundform der Gesellschaft i.e.S. bildet die BGB-Gesellschaft. Auf dieser Gesellschaftsform gründen handelsrechtliche Sonderformen wie OHG, KG, Stille Gesellschaft. All diese Gesellschaften haben keine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Grundform der Gesellschaft i.w.S. bietet der eingetragene Verein (e.V.). Die darauf basierenden handelsrechtlichen Sonderformen sind AG, GmbH oder Genossenschaft. Diese Gesellschaften haben eine eigene Rechtspersönlichkeit. Es gibt keine einheitliche Vorschrift für das Gesellschaftsrecht, vielmehr müssen verschiedene Rechtsquellen herangezogen werden: BGB, HGB, AktG, GmbH-Gesetze etc. Dieses Fehlen eines einheitlichen Gesellschaftsrechts verleiht dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung eine große Bedeutung. Hier sollten die laufende Zusammenarbeit, sowie besondere Vorkommnisse, wie z.B. das Ausscheiden eines Gesellschafters klar geregelt sein (Schneidewind 2011, S. 218). Einzelunternehmer Ein Einzelunternehmer haftet unbeschränkt mit dem gesamten Vermögen, d.h. mit dem Betriebssowie Privatvermögen. Der Eigenunternehmer hat auf der anderen Seite die vollkommene Entscheidungsfreiheit. Die Gründung ist formlos und einfach, es gibt keine Erfordernisse bezüglich des Mindestkapitals oder der Publizitätspflichten. Wesentliche Grundlagen liefert das HGB (Schneidewind 2011, S. 218). Allerdings sind die Finanzierungsmöglichkeiten von Einzelunternehmern beschränkt. Einzelunternehmer unterliegen der Einkommenssteuer. Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ist typischerweise auf einen überschaubaren Kreis miteinander vertrauter Gesellschafter ausgerichtet. Sie stellt den Zusammenschluss von Personen zu einem gemeinsamen Zweck auf einer vertraglichen Basis dar. Die Gesellschafter haften für Schulden der Gesellschaft unbeschränkt; diese Haftung lässt sich auch nicht durch eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag ausschließen. Die Gesellschafter können die Gläubiger nicht zunächst auf das Gesellschaftsvermögen verweisen, sondern stehen gesamtschuldnerisch für die Gesellschafterschulden ein. Gesamtschuldner: „Schuldner, die für eine Schuld in der Weise haften, dass jeder von ihnen die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist. Der Gläubiger kann die Leistung nach Belieben von jedem Schuldner ganz oder z.T. fordern (§ 421 BGB). Im Verhältnis untereinander sind die Gesamtschuldner zu gleichen Anteilen verpflichtet (§ 426 BGB). Verpflichten sich mehrere zu einer teilbaren Leis- <?page no="209"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 209 Neue Betriebswirtschaft tung, so haften sie im Zweifel als Gesamtschuldner (§ 427 BGB). Auch die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft haften als Gesamtschuldner (§ 128 HGB).“ (Gabler Wirtschaftslexikon). Jeder kann eine GbR gründen, wenn er mindestens einen Partner findet. Für die Gründung einer GbR reicht ein formfreier Vertrag, wobei aber ein schriftlicher Vertrag empfehlenswert ist (vgl. Schneidewind 2011, S. 220). Zudem ist kein Mindestkapital als Gesellschaftskapital vorgeschrieben. Mit Erreichen des Gesellschaftszwecks endet die Gesellschaft (vgl. Schneidewind 2011, S. 221). Es gibt einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags einer GbR. Wesentliche Fragen sind: Unter welchen Voraussetzungen dürfen Gründer aussteigen und Dritte sich beteiligen? Verfassung, Kompetenzordnung: wer führt die Geschäfte und welche Mitspracherechte haben die anderen Gesellschafter? Besondere Gewichtung der Beteiligungen: Welchen Betrag bringt jeder Gesellschafter ein? sollen Gesellschafter besondere Stimmrechte erhalten? Wie soll der Gewinn und Verlust verteilt werden? Sind besondere Haftungsfreistellungsregelungen erforderlich? Offene Handelsgesellschaft (OHG) Bei der offenen Handelsgesellschaft (OHG) handelt es sich um den Zusammenschluss von unbeschränkt haftenden Personen, deren Zweck allerdings auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinsamer Firma ausgerichtet ist. Die Gesellschafter der OHG haften unbeschränkt, unmittelbar und gesamtschuldnerisch für die Gesellschaftsschulden mit ihrem gesamten Privatvermögen. In der Gesellschafsvereinbarung können die Rechte zur Geschäftsführung, sowie die Gewinn- und Verlustbeteiligung geregelt werden. Werden keine besonderen Vereinbarungen getroffen, so sind alle Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt und die Gesellschafter werden in Höhe von 4 Prozent der jeweiligen Kapitalanlage beteiligt. Die Aufnahme neuer Gesellschafter kann die Eigenkapitalbasis erhöhen. Das Ausscheiden eines Gesellschafters erfolgt entweder auf Zustimmung aller Gesellschafter oder durch einseitige Kündigung mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende des Geschäftsjahres. Kommanditgesellschaft (KG) Die Kommanditgesellschaft unterscheidet sich von der OHG durch die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Gesellschaftern: Komplementär: Person die mit dem gesamten Privatvermögen unbeschränkt, unmittelbar und gesamtschuldnerisch für die Gesellschaftsschulden haftet Kommanditist: Person, deren Haftung auf eine im Handelsregister festgeschriebene Kapitaleinlage beschränkt ist. Der Kommanditist hat grundsätzlich keine Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung. Die Gesellschaftsgewinne werden durch eine 4%-ige Verzinsung der getätigten Kapitaleinlagen verteilt. Die Verteilung der verbleibenden Gewinne berücksichtigt das erhöhte Risiko der Vollhafter. Der eingetragene Verein (e.V.) Grundsätzlich muss man zwischen einem rechtsfähigen und einem nicht-rechtsfähigen Verein unterscheiden. Rechtsfähigkeit erlangt der Verein durch die Eintragung ins Vereinsregister. Beim nichtrechtsfähigen Verein haften die für den Verein Handelnden persönlich. Der Zweck eines Vereines darf nicht wirtschaftlich sein. Wirtschaftliche Vereine erlangen ihre Rechtsfähigkeit nicht durch einen Registereintrag, sondern benötigen staatliche Genehmigungen. <?page no="210"?> 210 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Zur Gründung eines Vereins sind mindestens sieben Gründer erforderlich, die die Satzung unterschreiben. In einer ersten Vollversammlung wird die Satzung beschlossen und die erforderlichen Organe werden gewählt. Diese bestehen aus der Mitgliedervollversammlung und dem Vorstand. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich und ist für die Geschäftsführung verantwortlich. Rechtsgrundlage für den Verein bietet das BGB. Die Satzung muss folgende Pflichtinhalte umfassen: Vereinszweck, Vereinsname, Vereinssitz, Ein- und Ausstritt von Mitgliedern, Vereinsbeiträge, Zusammensetzung des Vorstandes, Bestimmungen zur Mitgliederversammlung (vgl. Schneidewind, S. 220). Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die Gesellschaft mit beschränkter Hafung (GmbH) kann für jeden gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden. Für die Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern haftet bei der GmbH nur das Gesellschaftsvermögen. Die GmbH kann von einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen gegründet werden. Die GmbH wurde ursprünglich als Rechtsform für kleine oder mittlere Unternehmen gegründet. Die obligatorischen Organe der GmbH sind die Geschäftsführung und die Gesellschafterversammlung. Fakultativ gibt es noch einen Aufsichtsrat. Die Geschäftsführung vertritt die Gesellschaft. Die Gesellschafterversammlung ist Willensbildungs- und Kontrollorgan der GmbH. Der fakultative Aufsichtsrat übernimmt eine Überwachungs- und Beratungsfunktion. Gesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern müssen einen Aufsichtsrat haben. Der Gesellschaftsvertrag umfasst folgende Pflichtinhalte: Firma und Sitz der Gesellschaft, Gegenstand der Unternehmung, Stammkapital, Stammeinlage, Gesellschafterversammlung, Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Rechnungswesen, Geschäftsjahr. Die Einflussmöglichkeiten der Kapitalgeber und der Grad der Flexibilität sind im Gesellschaftsvertrag sehr individuell regelbar (vgl. Schneidewind 2011, S. 225). Die Mini GmbH - Unternehmergesellschaft (Haftungsbeschränkt) UG Das Mindestkapital der Minigesellschaft beträgt einen Euro. Eine Anmeldung im Handelsregister ist erst möglich, wenn das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt wurde. Die Mini GmbH verfügt über eine eigene Rechtspersönlichkeit und die Haftung ist beschränkt. Im Rechtsverkehr muss sie mit dem Zusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ firmieren. Aus den erwirtschafteten Gewinnen muss jährlich ein Viertel zurückgelegt werden, solange bis 25.000 EUR erreicht sind. Zu diesem Zeitpunkt kann die Mini GmbH in eine normale GmbH umgewandelt werden. Die Kosten für die notarielle Beglaubigung des Gesellschaftervertrages und die Eintragung in das Handelsregister richten sich nach dem Stammkapital und sind damit häufig vernachlässigbar (vgl. Schneidewind 2011, S. 225). Importmodell Limited Auch wenn Sitz und Verwaltung des Unternehmens in Deutschland liegen, können Unternehmen die Rechtsform aus anderen EU-Ländern wählen. Die am häufigsten gewählte ausländische Rechtsform ist die aus Großbritannien stammende Private Company Limited by Shares (Limited/ Ltd.) (vgl. Schneidewind, S. 226). Dies ist eine Kapitalgesellschaft auf Aktienbasis ohne Mindestkapital, wobei die Gesellschafter Haftungsschutz genießen wie bei der deutschen GmbH. Wie bei der GmbH haftet der Geschäftsführer für Gesetzesverstöße oder die Abführung von Steuern und Sozialversicherung persönlich. Eine Limited kann unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz gegründet werden. Eine Mindestzahl von Gesellschaftern/ Shareholdern ist nicht vorgeschrieben. Die Geschäfte führt der Geschäftsführer - der Director. Wenn die Ltd. von mehreren Directors geführt wird, spricht man von einem Board of Directors. Es kann ein Chairmann als Vorsitzender, sowie ein Managing Director benannt werden. Außerdem braucht die Ltd. einen Company Secretary, der vor allem für die korrekte Einhaltung der Formalien sorgt. Die Gründung erfolgt durch einen schriftlichen Gründungsvertrag. Die Namenswahl ist frei, wobei der Name den Zusatz Ltd. beinhalten muss. Die Eintragung hat in Großbritannien und Deutsch- <?page no="211"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 211 Neue Betriebswirtschaft land zu erfolgen. Der oder die Directors und der Company Secretary müssen benannt werden und ein Registered Office in Großbritannien eingerichtet werden. An diese Zustelladresse des Unternehmens gehen offizielle Schreiben. Der große Vorteil der Limited liegt im geringen Kapitaleinsatz. Auch ist die internationale Bekanntheit der Limited im internationalen Handel größer als die einer deutschen GmbH. Für Finanzierungsfragen ist die Rechtsform der Limited in Deutschland allerdings eher ungünstig. Auch der Verwaltungsaufwand wird durch die Doppelung in Deutschland und Großbritannien erhöht, da z.B. der Jahresabschluss in beiden Ländern eingereicht werden muss. SE, Aktiengesellschaft und Börse Die Societas Europaea (SE) hat einen langen Weg hinter sich, bevor sie im Oktober 2004 endlich in Kraft trat. Schon 1966 wurde eine Sachverständigengruppe beauftragt, einen Entwurf des Statuts für eine Europäische AG vorzulegen. Doch nationale Interessen legten der Sachverständigengruppe Steine in den Weg, da befürchtet wurde, dass die nationalen Gesellschaftsformen durch die Europäische AG gefährdet sein könnten. Einen wesentlichen Konfliktpunkt stellten dabei die national geltenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer dar. Seit der Umsetzung der entsprechenden Verordnung zur SE am 08.10.2004 (vgl. Art. 70 SE-VO und Art. 14 (1) SE-RL), steht die SE multinational agierenden europäischen Unternehmen als Gesellschaftsform zur Verfügung. Die folgenden Ziele standen bei der Schaffung dieser Gesellschaftsform im Vordergrund: Z.T. sehr komplexe Konzernstrukturen, mit nationalen Tochtergesellschaften gegründet nach dem Recht des jeweiligen Landes, sollten vereinfacht werden Die Möglichkeit einer Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedsstaat, ohne das bestehende Unternehmen auflösen zu müssen, sollte gewährleistet werden Die Wahlmöglichkeit zwischen einem dualistischen und monistischen Verwaltungssystem sollte geschaffen werden Die Gründung von Unternehmen im europäischen Raum sollte erleichtert werden 5.2.1 Gesetzliche Grundlagen Die Rechtsverhältnisse der SE werden durch das europäische Verordnungsrecht, sowie mitgliedsstaatliches Recht geregelt. Die SE-VO bietet ein europaweites Rahmenwerk für SE-Unternehmen. Dadurch existiert mit der SE eine supranationale Gesellschaftsform, mit gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, die in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen gültig sind. Insbesondere für multinationale Unternehmen erscheint dies attraktiv, da Kosten und Aufwand verringert werden können, wenn nur mit einer einzigen Rechtsform europaweit agiert werden kann. Außerdem wird durch die vereinheitlichte Regelung der SE die Sitzverlegung in den Mitgliedsstaaten vereinfacht. 5.2.2 Gründung der SE Die Stammkapitaleinlage für die Gründung einer SE ist relativ hoch und beträgt nach Art. 4 Abs. 2 SE-VO mindestens 120.000 EUR. Bei der AG sind im Vergleich 50.000 EUR Stammkapital notwendig. Außerdem muss das Unternehmen das Kriterium der Mehrstaatlichkeit erfüllen, um die Rechtsform SE annehmen zu können. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie eine SE entstehen kann: Durch Verschmelzung: es fusionieren verschiedene AGs, die unter dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründet wurden und ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung innerhalb der EU haben, zu einer SE. Voraussetzung hierfür ist, dass das Mehrstaatlichkeitsprinzip erfüllt ist. Mehrstaatlichkeitsprinzip: mindestens zwei Unternehmen unterliegen dem Recht verschiedener Mitgliedsstaaten <?page no="212"?> 212 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Es gibt noch zwei weitere Formen der Verschmelzung: Verschmelzung durch Aufnahme und durch Neugründung. Bei einer Verschmelzung durch Aufnahme geht das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaften auf die aufnehmende Gesellschaft über, die gleichzeitig die Rechtform einer SE annimmt. Die übertragenden Gesellschaften erlöschen. Bei der Verschmelzung durch Neugründung übertragen die Gründungsgesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf die neu entstehende SE und erlöschen ohne Liquidation. Gründung einer Holding-SE: Auch GmbHs können eine Holding-SE gründen. Dabei müssen lediglich zwei der beteiligten Unternehmen seit zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedsstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Zweitniederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat haben. Die Gründung wird dadurch vollzogen, dass die Anteilseigner ihre Anteile in die Holding einbringen und dafür im Austausch Aktien der neugegründeten SE erhalten. Voraussetzung für die Gründung ist, dass die in die Holding eingebrachten Gesellschaftsanteile mindestens 50 Prozent der Stimmrechte vermitteln. Die Gesellschaften, die die Gründung angestrebt haben, bleiben bei der Gründung der Holding-SE in ihrer ursprünglichen Form erhalten und bestehen unter dem Konzerndach der SE als abhängige Gesellschaften fort. Gründung einer Tochter-SE: auch Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts können eine Tochter-SE gründen. Auch SEs können Tochter-SEs gründen (so genannte sekundäre SE-Gründung). Zur Erfüllung der Mehrstaatlichkeit müssen mindestens zwei Gründer entweder dem Recht verschiedener Mitgliedsstaaten unterliegen und seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat haben. Umwandlung in eine SE: jede AG mit einer Tochtergesellschaft, die seit zwei Jahren dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates unterliegt, kann in eine SE umgewandelt werden. Dabei bleibt die bisherige Rechtspersönlichkeit erhalten. Abbildung 5-1: Umwandlung in eine SE Gründung einer Tochter-SE durch eine bereits bestehende SE: Eine SE kann selbst eine oder mehrere Tochtergesellschaften in Form einer SE gründen. Dabei handelt es sich um eine Einmanngründung. Die Erfüllung des Mehrstaatlichkeitsprinzips wird unterstellt, da sie für die Gründung der SE notwendig war. Die Hürden für die Gründung einer SE liegen also insgesamt höher als für andere Unternehmensformen. Zum einen muss mehr Stammkapital eingebracht werden, zum anderen muss auch dem Prinzip der Mehrstaatlichkeit genüge getan werden. D.h. insgesamt können die Voraussetzungen eher von großen Unternehmen mit internationaler Erfahrung erfüllt werden. 5.2.3 Organisationsform Die SE verfügt über eine Hauptversammlung als Forum der Anteilseigner und eine Verwaltung. Dabei gibt es bezüglich der Verwaltung zwei Alternativen: Entweder wird die Leitung und Kontrolle einem Aufsichtsorgan und einem Leitungsorgan (dualistisches System) oder nur von einem Verwaltungsorgan (monistisches System) übertragen. Diese Besonderheit kommt dadurch zu Stande, dass <?page no="213"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 213 Neue Betriebswirtschaft in manchen Mitgliedsstaaten teilweise das dualistische, teilweise das monistische System vorherrscht oder beide Möglichkeiten angeboten werden (vgl. Sokolowski 2005, S. 32). Beim dualistischen System wird Geschäftsführung und Überwachung getrennt. Dieses System entspricht auch dem gesellschaftsrechtlichen System mit Vorstand und Aufsichtsrat in Deutschland. Auch in Österreich, Dänemark, Finnland, Schweden und in den Niederlanden existiert ein rein dualistisches System. Die Mitglieder des Leitungsorgans werden vom Aufsichtsorgan bestellt und führen die Geschäft in eigener Verantwortung. Aufgaben des Aufsichtsorgans, das von der Hauptversammlung bestellt wird, sind die Überwachung des Leitungsorgans, die Teilnahme an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und die Auswahl des Führungspersonals. Nach dem Inkompatibilitätsgebot darf niemand gleichzeitig Mitglied beider Organe sein. Bei der monistischen Verwaltung hat die Gesellschaft nur ein Organ, das die Geschäftsführungskompetenz des Leitungsorgans und die Kontrollfunktion des Aufsichtsorgans vereint. Das monistische System findet sich in Großbritannien, der Schweiz, Spanien und Portugal wieder. Die Mitglieder des Verwaltungsorgans werden von der Hauptversammlung bestellt und führen die Geschäfte der SE. Allerdings können die laufenden Geschäfte einem oder mehreren Geschäftsführern in eigener Verantwortung übertragen werden. In diesem Fall ist zwischen laufender Geschäftsführung und Unternehmensleitung, die in die Zuständigkeit des ganzen Verwaltungsorgans fällt, zu unterschieden. Den übrigen Mitgliedern des Verwaltungsorgans obliegt die Überwachung der geschäftsführenden Mitglieder und sie sind nur an außergewöhnlichen Geschäften direkt zu beteiligen (vgl. Lambach 2004, S. 208). Über die Bestellung von Verwaltungsratsmitgliedern zu geschäftsführenden Direktoren können dieselben Personen Aufgaben und Befugnisse beider Organe innehaben, womit eine Struktur geschaffen werden kann, die dem amerikanischen Boardsystem gleicht (vgl. Eder, C. S. 545). Die Hauptversammlung ist die Versammlung der Eigentümer der SE. Die Aktionäre nehmen ihre Rechte durch dieses Organ wahr, dessen Aufgabe es ist, grundlegende Entscheidungen im Hinblick auf die Gesellschaft zu treffen, sowie dem Informationsaustausch zwischen Unternehmensführung und Aktionären Rechnung zu tragen. Die Hauptversammlung muss einmal im Jahr zusammentreten und kann jederzeit zusätzlich einberufen werden. Unabhängig davon, ob das dualistische oder das monistische System gewählt wird, gelten für die Hauptversammlung dieselben Regeln. Dabei verweist die SE-VO aber im Wesentlichen auf das nationale Recht des jeweiligen Sitzstaats (vgl. Jannott/ Frodermann 2005, S. 41; vgl. Brandt 2004, S. 66). 5.2.4 Mitbestimmung in der SE Die SE kann zwar prinzipiell mitbestimmungsfrei gegründet werden, entsteht die SE allerdings durch Umwandlung, muss das Thema mit den Arbeitnehmern verhandelt werden. Scheitern die Gespräche, darf niemand schlechter gestellt werden als vor der Umwandlung. D.h. falls schon zuvor paritätische Besetzung im Aufsichtsrat bestand, dürfen die Arbeitnehmer weiterhin die Hälfte der Sitze in Anspruch nehmen. Beteiligung der Arbeitnehmer wird dabei als jedes Verfahren - einschließlich Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung verstanden, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können. Mit Mitbestimmung ist die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten der Gesellschaft durch das Recht, Mitglieder des Aufsicht- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu bestimmen gemeint. Allerdings bietet die Form der SE den Unternehmen mehr Spielraum. Selbst Konzerne mit mehr als 20.000 Mitarbeitern können die üblichen 20 Mitglieder auf 6 reduzieren. 5.2.5 Einsatzmöglichkeiten in der Praxis In der Praxis gibt es drei Bereiche, in denen die SE-Gründung besonders häufig angewandt wird: bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen <?page no="214"?> 214 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft bei Reorganisationen im europäischen Konzern bei Reorganisation eines Unternehmens aus einem Drittstaat Grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen Vor der Schaffung der SE mussten grenzüberschreitende Fusionen von mehreren Unternehmen durch Anteilsaustausch der Gesellschafter erfolgen. Dazu musste entweder eine gemeinsame Obergesellschaft nationalen Rechts gegründet werden. In dieses Unternehmen konnten jedoch nur Unternehmen aus demselben Mitgliedsstaat verschmolzen werden und die anderen Unternehmen mussten zu Tochtergesellschaften der gemeinsamen Obergesellschaft werden. Die andere Möglichkeit war, dass eines der Unternehmen zur Obergesellschaft wurde, während die anderen Unternehmen zu Tochtergesellschaften umgewandelt wurden (vgl. Ruhwinkel 2004, S. 45-46). Die SE-VO gibt die Möglichkeit, dass sich mehrere Unternehmen grenzüberschreitend vollständig rechtlich und wirtschaftlich zusammenschließen. Der Vorteil liegt neben der vereinfachten Transaktionsstruktur in der Gleichberechtigung der Gesellschaften in organisatorischer und struktureller Hinsicht (vgl. Götz 2004, S. 153). Bei einem Zusammenschluss von Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten, die selbständige Rechtsträger bleiben wollen, bietet sich zudem die Errichtung einer Holding-SE an. Vorteilhaft ist hierbei wiederum die Gleichberechtigung der Gründungsgesellschaften (vgl. Kallmeyer 2003, S. 23). Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten, die eine längerfristige Zusammenarbeit im operativen Bereich planen, können ihre Aktivitäten diesbezüglich in einem Joint Venture oder in einer Tochtergesellschaft bündeln (vgl. Jannott/ Frodermann 2005, S. 4). Reorganisation im Europäischen Konzern Bei grenzüberschreitenden Akquisitionen erlaubt es die SE-VO, dass sich die erwerbende und die übernommene Gesellschaft zu einer SE verschmelzen (up-stream-merger) (vgl. Kallmeyer 2003, S. 201). Um die Konzernstruktur zu vereinheitlichen kann eine AG nationalen Rechts in eine SE umgewandelt werden (vgl. Götz 2004, S. 158) (re-engineering). Bestehen mehrere wirtschaftlich verbundene, aber rechtlich selbständige Tochtergesellschaften in der EU, ermöglicht die SE die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften zumindest in den Kernpunkten durch z.B. durch Umwandlung in eine Mutter-SE, sowie in verschiedene Sparten- und Tochter-SEs (Subsidiary-SE) (vgl. Wenz 2003, 193). Reorganisation eines Unternehmens aus einem Drittstaat Die SE ermöglicht die Reorganisation der Konzernunternehmen mit einer Muttergesellschaft in einem Drittstaat durch die Zwischenschaltung einer europäischen Holdinggesellschaft. 5.2.6 Vorteile der SE Die SE kann auf dem gesamten Gebiet der EU gegründet werden und es besteht keine Notwendigkeit verschiedene Gesellschaften in den verschiedenen Mitgliedsstaaten zu gründen. Europäische Kapitalgesellschaften können dadurch künftig mit nur einer einzigen Gesellschaft, anstelle von einer komplizierten Konzernstruktur mit einem Netz von Holding- und Tochtergesellschaften operieren. Dadurch wird die Effizienz erhöht und die Kosten gesenkt, da die Anzahl der Managementebenen sich reduzieren lässt (Thoma 2002, die Europäische Aktiengesellschaft, NJW 2002, S. 1449, Monti 1997, S. 607). Da die Konzerngröße deutscher Unternehmen überdurchschnittlich groß ist, kann insbesondere der Wirtschaftsstandort Deutschland von der Möglichkeit die Konzernstruktur zu vereinfachen profitieren. <?page no="215"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 215 Neue Betriebswirtschaft Auch grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen werden erleichtert, was wiederum optimal für Gesellschaften ist, die in verschiedenen Mitgliedsstaaten tätig sind. Die SE ist die einzige Gesellschaftsform, die es erlaubt, im Fall einer transnationalen Verschmelzung als eine Gesellschaft mit rechtlich unselbständigen Niederlassungen zu handeln. Gewinne können leichter eingezogen und Ressourcen somit besser eingesetzt werden, als dies z.B. umständliche Ausschüttungsverfahren von Tochtergesellschaften erlauben würden. Für den deutschen Mittelstand ist insbesondere die Bündelung europäischer Produktions- und Vertriebsgesellschaften durch die SE interessant. Auch eine identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung wird durch die SE erstmalig gesellschaftsrechtlich ermöglicht (vgl. Grundmann 2003, S. 47). Die Sitzverlegung in einen anderen europäischen Mitgliedsstaat hat weder die Auflösung der Gesellschaft noch die Gründung einer neuen juristischen Person zur Folge. Neben der SE-VO gelten alleinig die Rechtsvorschriften des neuen Sitzstaates für die Gesellschaft (vgl. Lange 2003, S. 301). Gerade große und wirtschaftlich bedeutende Aktiengesellschaften können dadurch politische Macht gewinnen, wenn sie den Druck durch Drohung der Verlagerung von Arbeitsplätzen und Steuerzahlungen auf die Gesetzgebung ausüben, um unternehmensfreundlichere Rahmenbedingungen zu erwirken. Allerdings kann man aus deutscher Sicht diesen Punkt auch auf der Nachteilsseite der SE vermerken, da sich zeigt, dass insbesondere kleinere EU-Staaten in der Lage sind, attraktivere Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies könnte zu einem Wegzug von Unternehmen ins Ausland führen und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen. Um dem entgegenzuwirken ist in der SE-VO geregelt, dass der satzungsmäßige Sitz einer SE immer in dem Mitgliedsstaat liegen muss, in dem auch die Hauptverwaltung ist. Bei der Schaffung dieser Regelung wurde davon ausgegangen, dass die Verlegung der Hauptverwaltung so kostspielig und aufwändig ist, dass sie von Unternehmen selten vorgenommen wird (Lange 2003, S. 302). Der Zusatz SE im Namen könnte als Teil der Marke definiert werden und den Unterschied zwischen europäischen und amerikanischen bzw. asiatischen Unternehmen hervorheben (vgl. Buchheim R. 2001, S. 242ff.). Das europäische Image der SE könnte zur Überwindung psychologischer Schranken im Management und bei Mitarbeitern sowie bei externen Stakeholdern (Kunden, Investoren, Kreditgebern, Lieferanten und öffentlichen Stellen) beitragen. Unternehmensintern dient dieses europäische Image zur Bildung einer europäischen Unternehmenskultur (corporate identity) und nach außen wird ein rechtsformspezifisches, europäisches Goodwill geschaffen (vgl. Kallmeyer 2003, S. 21). Ein weiterer Vorteil, den die SE für Unternehmen z.B. im Vergleich zur AG bietet, ist die Wahlmöglichkeit zwischen dualistischer und monistischer Organisationsverfassung. Deutsche Unternehmen, die als SE agieren, können zwischen einer Verfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat und dem anglo-amerikanischen Boardsystem entscheiden (Lange O. 2003, S. 301). Der Vorteil beim monistischen System liegt in der vereinfachten Entscheidungsfindung. Denn wenn es nur ein Gremium gibt, müssen auch die Unterschriften nur vom Verwaltungsrat als Leitungsgremium eingeholt werden. Auch die Vergütung des Aufsichtsratsvorsitzenden wird gespart. Die Wahlmöglichkeit zwischen monistischem und dualistischem System bietet die Möglichkeit eines Wettbewerbs der Systeme in der EU (vgl. Wenz 2003, S. 187). Auch bietet die SE die Möglichkeit die Größe des Aufsichtsrats festzulegen. Die Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland überlässt den Eigentümern mehr Flexibilität bezüglich der Verwaltungsorganisation, was wiederum den Zuzug ausländischer SEs nach Deutschland fördern könnte. So könnten z.B. nicht mitbestimmte Europäische Aktiengesellschaften vollständig auf die Implementierung von Aufsichtspersonen verzichten, während mitbestimmte Gesellschaften die Arbeitnehmervertreter sogar mit der Geschäftsführung betrauen könnten, um die Akzeptanz von Entscheidungen in der Belegschaft zu erhöhen (vgl. Lange O. 2003, S. 301). <?page no="216"?> 216 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft 5.2.7 Nachteile der SE Ein wesentlicher Nachteil der SE sind die hohen Anforderungen bei der Gründung. So muss ein Gründungskapital von 120.000 EUR aufgebracht werden. Dies führt dazu, dass insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen die SE als Rechtsform nicht in Frage kommt (vgl. Gutsche 1994, S. 237-239). Kritisiert wird an der SE auch, dass im Statut in wesentlichen Teilen auf das nationale Recht der Mitgliedsstaaten verwiesen wird. Die SE bringt die Gefahr eines so genannten „jurisdictionshopping“ mit sich, denn letztendlich gibt es nicht nur eine SE, sondern 28 nationale Formen der SE in Europa (vgl. Manz u.a. 2005, S. 28). Zudem bleiben die nationalen Gerichte für gesellschaftliche Streitfragen der SE zuständig. Insbesondere in Deutschland gibt es komplizierte Steuer-und Gesellschaftsregelungen. Dies kann Unternehmen dazu bewegen, sich den EU-Mitgliedsstaat auszusuchen, der durch die gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Gesetze die besten Bedingungen bietet (Thoma 2002, S. 1449). Dadurch lässt sich bezweifeln, ob es sich bei der SE letztendlich - wie eigentlich bezweckt - um eine einheitliche Rechtsform handelt (vgl. Hirte 2002, S. 2). Außerdem führt die Verflechtung von europäischem und nationalem Recht zu Rechtsunsicherheit, was wiederum die Transaktionskosten erhöht (vgl. Bartone/ Klapdor 2005, S. 10). Die Regelung bezüglich der Arbeitnehmermitbestimmung stellt einen weiteren Nachteil für den Standort Deutschland dar. Denn selbst durch Verhandlung zwischen Arbeitsnehmern und Vorstand kann bei Umwandlung einer AG in eine SE das Niveau der Arbeitnehmerbeteiligung nicht verringert werden. Auf der anderen Seite können die Arbeitnehmer der umzuwandelnden AG die Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung durch Verhandlung erreichen. Fusionspartner aus anderen europäischen Mitgliedsländern könnten allerdings davor zurückschrecken, sich die deutsche Mitbestimmung aufzuerlegen. Die Investoren könnten es als eine Art der Enteignung ansehen, wenn die Parität sich nicht nur auf das Überwachungsorgan, sondern auch auf das Geschäftsführungsorgan bezieht, das mit der unternehmerischen Geschäftsleitung betraut ist. Dadurch könnten insbesondere deutsche Kapitalgesellschaften, die der (fast) paritätischen Mitbestimmung unterliegen, einen Wettbewerbsnachteil erleiden, weil sie nicht als potenzielle Transaktionspartner einer SE attraktiv sind (vgl. Horn 2005, S. 152). Die Richtlinie vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten bietet eine Alternative zur SE, da sie Fusionen zwischen Kapitalgesellschaften verschiedener Mitgliedsstaaten erleichtert. Diese Richtlinie ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen interessant, die in mehr als einem Mitgliedsstaat, jedoch nicht europaweit agieren wollen und daher eher vor der aufwändigen Gründung einer SE zurückschrecken (vgl. http: / / europa. eu.int/ comm/ internal_market/ company/ mergers/ indes_de.htm). Empfohlene Literatur Popp, R. (2017): Societas Europae (SE), Aktiengesellschaft und Börse im Rahmen der Finanzierung internationaler Unternehmen. In: Brem, A., Reinhard H., Schmeisser, W. (Hg.): Internationale Betriebswirtschaft. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Konstanz: UVK, S. 175-195. Schneidewind, P. (2011): Die Rechtsform. In: Klein, Armin (Hrsg.) (2011): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München, 3. Aufl., S. 210-233., S. 2010. <?page no="217"?> 5 Rechtlicher Rahmen: Rechtsformwahl und SE 217 Neue Betriebswirtschaft Literatur Bartone, R., Klapdor, R. (2005): die Europäische Aktiengesellschaft. Recht, Steuer und Betriebswirtschaft. Berlin: Erich Schmidt. In: Klein, A. (Hrsg.) (2005): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München, Vahlen. Baums, Th.; Cahn, A. (Hg.) (2004): Die Europäische Aktiengesellschaft - Umsetzungsfragen und Perspektiven. Berlin: De Gruyter Recht. Bösl, K. (2004): Praxis des Börsengangs - ein Leitfaden für mittelständische Unternehmen. Wiesbaden. Brandt, Ulrich (2004): Die Hauptversammlung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Frankfurt a.M.: Peter Lang. Brem, A., Reinhard H., Schmeisser, W. (Hg.) (2017): Internationale Betriebswirtschaft. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Konstanz: UVK. Buchheim, R. (2001), Europäische Aktiengesellschaft. Eder, C. (2004): Die monistisch verfasste Societas Europaea - Überlegungen zur Umsetzung eines CEO-Modells, NZG 2004, Heft 12 Ferres, P. (2001): Motive für den Börsengang. In: Wieselhuber & Partner GmbH (Hg.): Börseneinführung mit Erfolg - Voraussetzungen, Maßnahmen und Konzepte. Wiesbaden: Gabler, S. 15- 28. Götz, Jürgen (2004): Chancen und Risiken der SE aus Unternehmenssicht. In: Theodor Baums und Andreas Cahn (Hg.): Die Europäische Aktiengesellschaft - Umsetzungsfragen und Perspektiven. Berlin: De Gruyter Recht. Grundmann, Stefan (2003): Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitende Fusion. In: Rüdiger von Rosen (Hg.): Die Europa AG - Eine Perspektive für deutsche Unternehmen? Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 21. Frankfurt a.M. Gutsche, Robert (1994): Die Eignung der Europäischen Aktiengesellschaft für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland. Baden-Baden: Nomos. Habersack, M.: Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt. Köln: O. Schmidt. Hirte, Heribert: Die Europäische Aktiengesellschaft. In: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (1), S. 1-10. Horn, Norbert (2005): Die Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrecht. In: Der Betrieb (3), S. 147-153. 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In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen 1997 (13), S. 607-608. o.V.: Grenzübergreifende Verschmelzung. Online verfügbar unter http: / / europa.eu.int/ comm/ internal_market/ company/ mergers/ index_de.htm. Popp, R. (2017): Societas Europae (SE), Aktiengesellschaft und Börse im Rahmen der Finanzierung internationaler Unternehmen. In: Brem, A., Reinhard, H., Schmeisser, W. (Hg.): Internationale Betriebswirtschaft. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Konstanz: UVK, S. 175-195. Rosen, Rüdiger von (Hg.) (2003): Die Europa AG - Eine Perspektive für deutsche Unternehmen? Studien des Deutschen Aktieninstituts. Frankfurt a.M. Ruhwinkel, Christine (2004): Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) durch Verschmelzung oder durch Anteilsaustausch. Frankfurt a.M.: Peter Lang. Schneidewind, P. (2011): Die Rechtsform. In: Klein, Armin (Hrsg.) (2011): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München, 3. 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(2013): Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 11. Aufl., München: Vahlen. <?page no="219"?> Neue Betriebswirtschaft 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement Wilhelm Schmeisser Lernziele Sie sollen die fünf Finanzierungstheorien benennen und sie kurz beschreiben und kritisch gegeneinander abgrenzen können. Sie sollen kritisch erklären können, warum die Betriebswirtschaftslehre sich mit volkswirtschaftlich geprägten Finanzierungstheorien für Industriebetriebe sehr schwer tut. Sie sollen die Anwendung der Portfoliotheorie nach Markowitz im Privatkundengeschäft einer Bank von der Portfoliomatrix unterscheiden lernen, die von der Segmentanalyse aus der Jahresabschlussanalyse eines Konzerns abgeleitet und erstellt wird. Sie sollen wissen, dass jede Finanzierungstheorie ihre eigenen Unternehmensbewertungsmodelle präferiert und argumentativ begründet. Sie sollen das wertorientierte Finanzmanagement aus der traditionellen Finanzierungslehre argumentativ ableiten und entwickeln lernen. Sie sollen die Grundzüge, Annahmen und Denkmodelle und Methoden des wertorientierten Finanzmanagements skizzieren, vorstellen und beschreiben können. Finanzierungstheorien, deren terminologische Grundlagen, Logik und Ziele Im Buch Schmeisser, W./ Hannemann, G./ Krimphove, D. u.a. (2012): Finanzierung und Investition, UTB basics, München, wird im ersten Kapitel von drei Finanzierungstheorien ausgegangen, und zwar von der traditionellen Finanzierungslehre, der kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie und der neo-institutionalistischen Finanzierungstheorie. Hier wird Schmidt, R./ Terberger, E. (1997) und Schäfer, H. (2002) gefolgt. In diesem Handbuch werden jetzt fünf Finanzierungstheorien diskutiert (vgl. Abb. 6-1 und 6-2). Es kommen in diesem Buch zum Einen die Behavioral Finance- Theorie und das Wertorientierte Finanzmanagement als weitere Finanzierungstheorien hinzu. Hintergrund der Erweiterung der Finanzierungstheorien sind mehrere Hypothesen, die dieses Buch leiten: (These 1): Die unterschiedlichen Sichtweisen der Finanzierungstheorien geben nicht nur die Spannweite der Beschreibung, Analyse, Erklärung und Gestaltungsmöglichkeiten von Finanzierungsphänomen wider, sondern bestimmen besonders, welche Instrumente und Methoden eines industriell geprägten, wertorientierten Finanzmanagements angewendet werden müssen, beispielsweise bei der Unternehmensbewertung das Ertragswertverfahren und der Economic Value Added (EVA)-Ansatz sowie die Segmentberichterstattung, um die Portfoliomethode zur Analyse der Segmente im Rahmen der Erfolgsanalyse, als Teil der Finanzanalyse, durchzuführen (nicht nach der Portfolioselektion-Theorie nach Markowitz, die nur für Aktien gilt, aber für Industriebetriebe mit ihren Geschäftsfeldern bzw. mit ihren Segmenten nicht anwendbar ist, da bei Geschäftsfeldern auf Synergieeffekte maßgeblich Wert gelegt wird). (These 2): Es wird davon ausgegangen, dass sich das wertorientierte Finanzmanagement aus der traditionelle Finanzlehre entwickelt hat, und zwar erstens durch den güter- und leistungswirtschaftlichen Bezug des Erfolgsmodells Industriebetrieb, zweitens durch den Shareholder Value-Ansatz, <?page no="220"?> 220 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft und drittens durch den International Financial Reporting Standard (IFRS), der zumindest die rechnungswesensorientierte Basis des wertorientierten Finanzmanagements bildet (vgl. Abb. 6-3). (These 3): Die kapitalmarkttheoretischen Finanzierungstheorien, die auf volkswirtschaftlichen Grundüberlegungen beruhen, brillieren zwar durch ihre mathematischen Modelle wie die Portfolio Selection Theory oder die Discounted Cashflow-Verfahren bei der Unternehmensbewertung, blenden aber die „Realwirtschaft“ mehr oder weniger aus und können deshalb nur begrenzt auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen angewandt werden. Hinzu kommt, dass über das Erfolgsmodell Börse bei den kapitalorientierten Finanzierungstheorien z.B. bei Hedgefonds, die eine 1000%- Rendite gegenüber Ländern, Währungen und sanierungsbedürftigen Unternehmen anstreben (ansonsten ist bereits bei 18 Prozent Rendite der rechtliche Tatbestand des Wuchers gegeben), eine gewisse „Piraterie“ auf globalen, nicht regulierten Finanzmärkten betreiben. (These 4): Sowohl bei den Banken im Firmenkundengeschäft, beim Rating, im Rahmen von Mergers and Acquisitions-Aktivitäten von internationalen Unternehmen, aber auch in der Wirtschaftsprüfungspraxis werden Unternehmen nach dem wertorientierten Finanzmanagement beurteilt. (These 5): Zum besseren Verständnis des wertorientierten Finanzmanagements und als modellmäßige Grundlage zur Reflexion des Buches wird die kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie ausführlich zugrunde gelegt, aber auch der Behavioral Finance- Ansatz behandelt, um das Spannungsfeld des betriebswirtschaftlichen Finanzmanagements deutlicher hervorzuheben und die Probleme der nicht-regulierten Finanzmärkte durch Schattenbanken wie Bad Banks, Hedge-Fonds, Private-Equity-Modelle mit internationalen, legalen Steuerhinterziehungsmodellen durch Banken deutlicher herauszuarbeiten. 6.1.1 Traditionelle Finanzierungstheorie In der Literatur wird der Begriff Finanzierung, aber auch der der Investition und deren Zusammenhang unterschiedlich beschrieben und definiert. Die traditionelle Finanzierungslehre wählt den Industriebetrieb als Erfolgsmodell und Ausgangspunkt ihrer wissenschaftlichen Betrachtungen. Ziel des Industriebetriebes ist es, im Sinne der klassischen volkswirtschaftlichen Auffassung, eine größtmögliche Bedürfnisbefriedigung oder maximale Nutzenerzielung der Konsumenten zu erreichen. Der historische Hintergrund der traditionellen Finanzierungstheorie ist, dass vor über 150 Jahren auch in Deutschland Industriebetriebe wie Siemens, AEG, Bosch, Bayer, BASF, Krupp und Thyssen, später Mercedes-Benz, VW oder BMW die junge Wissenschaft Betriebswirtschaftslehre stark geprägt haben. Der Industriebetrieb dient mit seinem Geschäftsmodell dabei der Güterbzw. Sachzielerzeugung der Volkswirtschaft und damit der Bevölkerung. Massenproduktion und Massenvertrieb (Marketing) erfordern umfangreiche Investitionen und ziehen entsprechende Finanzierungsprobleme nach sich. Die leistungswirtschaftliche Sphäre mit Beschaffung/ Logistik, Materialwirtschaft, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Absatz erfordern laufend Investitionen, die zu finanzieren sind. Die Finanzierung wird dabei als Hilfsfunktion des Betriebes angesehen, die für die Investitionen zur Sachzielerstellung notwendig ist. Die Finanzierung nimmt dabei folgende Aufgaben wahr: Deckung des Kapitalbedarfs für die Investitionen, Suche nach Finanzierungsformen für das Unternehmen zur Deckung ihres Kapitalbedarfs, Zins- und Tilgungszahlungen an den Kapitalgeber, Finanzierung der unterschiedlichen Finanzierungsanlässe (Gründung, Wachstum, Sanierung), Bei der Bilanzanalyse, als Teil der Finanzanalyse, versucht man mit ausgewählten Kennzahlen die „Goldene Bilanz- und Finanzregel“ zu erfüllen, um so rechtzeitig Insolvenzanzeichen des Unternehmens zu erkennen. <?page no="221"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 221 Neue Betriebswirtschaft Wahrung des finanziellen Gleichgewichts (d.h. der Liquidität), um beim laufenden Kapitalumschlag zwischen leistungswirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Sphäre eine Aufrechterhaltung des Güterstroms zu gewährleisten. Zu analysieren, wann und wo Liquiditätsengpässe beim Kapitalumschlag auftreten, und wie durch eine Finanzplanung und Finanzkontrolle eine Insolvenz vermieden werden kann. Wie beim Kauf und Verkauf von Unternehmen eine „objektive“ Unternehmensbewertung vorgenommen werden kann. Dabei bedient man sich des Substanzwertverfahrens und später des Ertragswertverfahrens. 6.1.2 Kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie auf der Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen Die Maximierung des Nutzens der oder des Konsumenten im Sinne der utilitaristischen Philosophie ist die Grundlage der Kapitalmarkttheorie. Die Güterversorgung der Volkswirtschaft durch das Unternehmen wird per Prämisse wegdefiniert, und es geht nur noch um den „Nutzen“ der Gelderhaltung bzw. Geldvermehrung mittels des Erfolgsmodells Börse, die symbolisch für den idealen, volkswirtschaftlichen Markt mit allen seinen Gütern steht. Die Börse, die durch ein ideales Portfolio im Sinne der Portfolio-Selection-Theory abgebildet werden kann, bestimmt wiederum, so die Annahme, die „Realwirtschaft“ der Volkswirtschaft bzw. die leistungswirtschaftliche Sphäre des Industrieunternehmens. Wenn in der traditionellen Finanzierungslehre noch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Investitionen und die Kapitalaufbringung mittels der Hilfsfunktion Finanzierung im Vordergrund des Industrieunternehmens standen, so werden diese Aufgaben des Finanzmanagements durch die Theoreme von Modigliani/ Miller wegdefiniert. Nach Modigliani/ Miller sind auf einem idealen Markt „Börse“ Investitions- und Finanzierungsentscheidungen gleich, und deshalb nur noch Geldanlageentscheidungen des Investors (z.B. des Hedge-Fonds). Der ideale Markt, die Börse, die mehr oder weniger dem Portfolio des (Konzern-)Unternehmens entsprechen soll, muss nach mathematisch-wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen gesteuert und gestaltet werden. D.h. ohne Synergieeffekte eines „normalen“ Industrieunternehmens, wobei auch die Argumentationen eines wertorientierten Strategischen Managements eines Industrieunternehmens keine Rolle spielen. Die Logik der Portfolio Selection Theory und der Kapitalmarkttheorie sind derartig verknüpft, dass behauptet wird, dass Menschen meist sparen wollen und können. Mit einer Transformation von Teilen des Einkommens in Aktien sichern sie sich ihren zukünftigen materiellen Wohlstand bzw. höheren Nutzen Im Zentrum der Portfolio Selection Theory steht die Frage des privaten, individuellen Anlegers oder Investors, welche Geldbeträge er in die einzelnen Aktienanlage-möglichkeiten binden will oder soll. Bei diesem Entscheidungsproblem spielen Rendite und Risiko unter verschiedenen Daten- und Erwartungskonstellationen eine entscheidende Rolle, insbesondere: Wie könnte ein optimales Portfeuille berechnet werden? Welche Einflussgrößen bestimmen den Kurs einer Aktie oder den Preis einer Option oder eines Futures? Welche statistischen Methoden und Tests (Varianz, Korrelation, Signifikanzniveau etc.) sind geeignet, die Modelle der Portfolioselektion-Theorie und die analytisch gewonnenen Aussagen der Kapitalmarkttheorie empirisch zu validieren? Kritisch muss dazu angemerkt werden, dass man versucht hat, die Überlegungen zu den Aktienportefeuilles auf die Problematik von Industrieunternehmen zu übertragen, was unweigerlich schief gehen musste und schief gegangen ist, wie die Banken- und Finanzkrise dies 2007 bis heute belegt. Beispiele hierfür sind Fragen wie diese: <?page no="222"?> 222 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Haben die aus der Portfolio Selection Theory übernommenen Annahmen das Anlageverhalten eines Industriebetriebes beeinflusst? Haben die gewonnenen Erkenntnisse der Portfolio Selection Theory Einfluss auf die Entscheidungen über Geschäftsmodelle, Strategische Geschäftsfelder, Strategische Geschäftseinheiten des wertorientierten, strategischen (Finanz-)Managements eines Industiebetriebes genommen? Kann und darf ein Konzernunternehmen, das auf den Kauf und Verkauf von Unternehmen im Rahmen von Mergers and Acquisitions-Aktivitäten setzt, die Unternehmensbewertung durch kapitalmarktorientierte Formeln lösen, wie sie aus dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) abgeleitet sind? Nimmt man die Kapitalmarkttheorie ernst, mit ihrer vollkommenen Information, Rationalität und unüberschaubaren vielen Anbietern und Nachfragern, braucht man auch keine Banken, Versicherungen, Kreditverträge, weitere rechtliche Verträge usw., da keiner den anderen Marktteilnehmer am Erfolgsmodell „Börse“ belügen und betrügen kann, keine nicht werthaltigen Papiere weiterverkaufen kann etc. Zugute kommt die kapitalmarkttheoretische Finanzierungstheorie sicherlich den Hedge-Fonds, die auf unregulierte Kapitalmärkte setzen. Dass diese Finanzmärkte theoretisch keine großen Finanz-Player im vollkommenen Markt per se vorsehen, wird ignoriert. Lieber bedient man sich der unregulierten Finanzmärkte, um z.B. sanierungsbedürftige Unternehmen über die Börse billigst zu erwerben. Diese sanierungsbedürftigen Unternehmen werden dann von den Hedge- Fonds in die Insolvenz begleitet, um ihre Unternehmensteile dann teuer zu verkaufen („zu filetieren“). Nur so können Hedge-Fonds auf dreistellige Renditen kommen, was wiederum einer modernen Piraterie gleichkommt. 6.1.3 Neo-institutionelle Finanzierungstheorie auf der Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen Im Gegensatz zur neoklassischen oder kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie, die Investition und Kapitalnehmer sowie Finanzierung und Kapitalgeber separiert betrachtet, führt die neoinstitutionalistische beide Seiten, d. h. die Investitions- und Finanzierungsseite wieder bewusst zusammen. Die volkswirtschaftliche Vorstellung in dieser Theorie beruht auf der Einsicht, dass Finanz- und Gütertransaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten nicht vollkommen marktmäßig durchgeführt werden können. Wobei der unvollkommene Markt zentrale, kostengünstige und effiziente Organisations- und Kontrollfunktionen in der Ausprägung des Unternehmens übernimmt und erzeugt, und dies alles zum höchsten Gesamtnutzen einer Volkswirtschaft. Demnach gehören unternehmerische Bereitstellungen der Güterversorgung durch Industriebetriebe, aber auch staatliche oder sonstige Formen von Unternehmenszusammenschlüssen zu den besondere Formen des Marktversagens aus kapitalmarktorientierter Sicht, aber sind „empirisch“ unvermeidbar. Nach North (1988, S. 207) wird unter Institutionen im Finanzsystem ein System von rechtlichen Regelungen, Kontrakten, Verträgen, Zustimmungsverfahren und ethischen Verhaltensregeln zwischen Banken, Versicherungen und Finanzintermediäre verstanden, das den Gläubigerschutz garantiert. Gerade in Situationen, wenn man glaubt, dass man anderen kein Vertrauen schenken darf, sind die Institutionen und rechtlichen Verträge wegen der Unvollständigkeit der Information und der Nicht- Rationalität der Akteure kaum zu vermeiden. In der neo-institutionellen Finanzierungstheorie wird aus volkswirtschaftlicher Sicht die Existenz von Unternehmen begründet bzw. warum es aus der Sicht der Property-Right-Theory nichtmarktmäßige Koordinationsmechanismen, wie Unternehmen existieren. Kritisch ist anzumerken, warum nicht diskutiert wird, dass nur Industriebetriebe ein langfristiges Innovationsmanagement mit langfristigen Investitionen betreiben können, aber keine Börse; und dass der Wettbewerb durch wertorientierte Geschäftsmodelle/ Strategische Geschäftsfelder, die <?page no="223"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 223 Neue Betriebswirtschaft technologisch orientiert sind, von Industriebetrieben strategisch-langfristig und global geführt werden müssen. Also Tatsachen, die das Erfolgsmodell „Börse“ nie leisten kann und wird. Ein Innovationswettbewerb kann über die Börse marktmäßig nicht abgewickelt noch langfristig finanziert werden. Deshalb sind Marktbzw. Börsenmodelle für langfristige, technologische Innovationswettbewerbe von Industriebetrieben nicht geeignet. 6.1.4 Behavioral Finance auf der Basis volkswirtschaftlicher und verhaltenswissenschaftlicher Überlegungen Phänomene wie den Bank-Run in Griechenland, dass z.B. sehr viele Griechen ihre Euros von ihren Banken holen und zu Hause verstecken bzw. ins Ausland überweisen, ist vielleicht nicht immer volkswirtschaftlich rational zu verstehen, aber aus der Sicht der Menschen, die einen Grexit fürchten, erklärbar. Als Facebook an die Börse ging, kauften sehr viele Internet-Freaks Facebook-Aktien, ohne beurteilen zu können, ob der Preis der Aktie zu hoch oder zu niedrig war. Es genügte für sie, dass Facebook ein Programm für sie entwickelt hatte, das sie benutzten. Also Grund genug, Facebook-Aktien zu kaufen. 1996 kauften sehr viele Bürger T-Aktien, da sie davon ausgingen, dass der Wert dieser Aktie nie fallen könnte, sie die Aktie immer zu einem hohen Preis verkaufen könnten und sie sicher immer hohe Dividenden ausgeschüttet bekommen würden. Als die T-Aktie um 90 Prozent sank, beschwerten die Aktionäre bzw. Bürger sich bei Politikern und bei der Regierung, klagten gegen das Unternehmen und wollten ihre Verluste ersetzt bekommen; gleichzeitig stiegen sie aus dem Aktiengeschäft aus und legten ihr Geld wieder in Sparbüchern an. Die verhaltenswissenschaftliche Finanzierungstheorie beschreibt, analysiert und erklärt das Verhalten der Menschen als volkswirtschaftlich nicht rational und fragt danach, welche Konsequenzen man aus einem derartigen Verhalten ziehen könnte. Beispielsweise spielen Mitläufer- und Machtaspekte beim Kauf von Aktien und/ oder Unternehmen eine bedeutende Rolle und nicht utilitaristische Überlegungen. Fazit: Die Behavioral Finance-Theory untersucht irrationales Anlageverhalten und systematisiert Anomalien am Kapitalmarkt als Resultat von volkswirtschaftlich irrationalem Verhalten. Abb. 6-1: Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien <?page no="224"?> 224 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abb. 6-2: Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien Wertorientiertes Finanzierungsmanagement Das „Wertorientierte Finanzierungsmanagement“ geht vom Unternehmensziel (The Goal of the Firm) bzw. vom wertorientierten Geschäftsmodell aus (vgl. Apple-Beispiel unten), um hohe Umsätze, Cashflows oder EBITs und einen hohen Unternehmenswert, z.B. in Form von EVAs, zu erzielen. Ansonsten muss das Portfoliomanagement seine Geschäftsmodelle/ strategischen Geschäftsfelder bzw. Segmente überprüfen, ob diese noch im Konzernportfolio gehalten werden können oder eliminiert werden müssen. Mittels der Konzernunternehmensbewertung und der Bewertung jedes einzelnen Geschäftsfeldes kann das Konzernportfolio überprüft werden. Gleichzeitig wird zu jedem einzelnen Geschäftsfeld eine Analyse des Strategisches Managements durchgeführt, inwiefern Überlegungen zum PIMS, der Erfahrungskurve, Synergieeffekte und ein kritischer Strategiediskurs hierbei mitberücksichtigt wurden. Es ergeben sich daraus Fragen gemäß IFRS, ob sich im internationalen Jahresabschluss bzw. Finanzcontrolling Strategieüberlegungen widerspiegeln (vgl. Abb. 6-3 und das Apple-Beispiel). „Apple Computer (AAPL) ignited the personal computer revolution in the 1970s with the Apple II and reinvented the personal computer in the 1980s with the Macintosh. But by 1997, it looked like it might be nearing the end for Apple. Mac users were on the decline, and the company didn´t seem to be headed in any real direction. It was at that point that Steve Jobs reappeared, taking back his old job as CEO of Apple, the company he cofounded in 1976. To say the least, things began to change. In fact, between then and September 2009, the price of Apple´s common stock has climbed by over forty-one-fold! How did Apple accomplish this? The company did it by going back to what it does best, which is to produce products that make the optimal trade-off between ease of use, complexity, and features. Apple took its special skills and applied them to more than just computers, introducing new products such as the iPod, iTunes, the sleek iMac, the MacBook Air, iPod Touch, and iPhone along with its unlimited “apps”. Although all these products have done well, the success of the iPod has been truly amazing. Between the introduction of the iPod in October 2001 and the beginning of 2005, Apple sold more than 6 million of the devices. Then, in 2004, it came out with the iPod Mini, about the length and width of a business card, which has also been a huge success, <?page no="225"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 225 Neue Betriebswirtschaft particularly among women. How successful has this new product been? By 2004, Apple was selling more iPods than its signature Macintosh desktop and notebook computers. How do you follow up on the success of the iPod? You keep improving your products and you keep developing and introducing new products that computers want. With this in mind, in March 2009, Apple unveiled its latest version of the iPod Shuffle. At the half the size of the previous generation iPod Shuffle, it has 4 GB of the storage, it is able to hold up to 1.000 songs, and is less than the size of a house key. It even has a new feature called Voiceover that, with the press of a button, tells you the song title or artist. How did Apple make a decision to introduce the original iPod and now the tiny iPodShuttle? The answer is by identifying a costumer need, combined with sound financial management. Financial management deals with the maintenance and creation of economic value or wealth by focusing on decision making with an eye toward creating wealth. As such, this text deals with financial decisions such as when to introduce a new product, when to invest in new assets, when to replace existing assets, when to borrow from banks, when to sell stocks or bonds, when to extend credit to a customer, and how much cash and inventor y to maintain. All of these aspects of financial management were factors in Apple´s decision to introduce and continuously improve the iPod, iPod Shuffle, and iPhone, and the end result is having a major financial impact on Apple.” (Keown, A. J./ Martin, J. D./ Petty, J. W.: Foundations of Finance, The Logic and Practice of Financial Management. 7 th Edition, Pearson, Boston, New York, San Francisco 2011). Das wertorientierte Finanzmanagement wird hier als Weiterentwicklung der traditionellen Finanzierungstheorie verstanden. Das Erfolgsmodell „Industriebetrieb“ ist sowohl Grundlage einer allgemeinen, internationalen Betriebswirtschaftslehre, eines wertorientierten Strategischen Managements einschließlich eines technologieorientierten Innovationsmanagements mit einem axiomatischen Geschäftsmodell als auch einer Shareholder Value-orientierten Finanzierungstheorie, die auf Rappaport (1986) zurückgeführt wird. Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Das wertorientierte Finanzmanagement basiert auf einen internationalen, betriebswirtschaftlichen operativen und strategischen Hintergrund mit ausgewählten Aspekten der Rechtswissenschaften, der Finanzmathematik, Mathematik und Statistik. Grundannahmen: Wie in der traditionellen Finanzierungstheorie wird von der Investitionsseite bzw. der leistungswirtschaftlichen Sphäre des Industriebetriebes ausgegangen, die aber nicht nur ein operatives Working Capital Management in der Beschaffung/ Logistik, Produktion, Marketing permanent optimieren muss (vgl. wertorientiertes Geschäftsmodell durch ein Lean-Management bei Toyota), sondern auch strategisch den Industriebetrieb ausrichten muss, z.B. durch den „Integrierten Berliner Innovationsansatz“ (vgl. oben das Apple-Beispiel bzw. Schmeisser 2013, S. 48 ff.). Neue intuitive Geschäftsmodell-Innovationen sind permanente Herausforderungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich und in der automatisierten Produktion („Digitale Industrie“), die enorme Investitionen nach sich ziehen und dabei in ein wertorientiertes Geschäftsprozessmodell im Sinne der Lean-Management-Philosophie zu implementieren sind (Schmeisser/ Höhne u.a., 2015). Strategien zur Verwirklichung der internationalen Massenproduktion mit internationalen Wertschöpfungsketten und der Umsetzung der Erfahrungskurve bei der internationalen Massenvermarktung stehen dabei im Fokus. Weiter stehen ausgewählte finanzwirtschaftliche Modelle und Aspekte des Rechnungswesens nach IFRS beim (Finanz-)Controllings im Fokus: [1] IFRS (International Financial Reporting Standards): Internationale Unternehmen versuchen die Ergebnisse ihrer wirtschaftlichen Handlungen sich selbst, aber auch den Investoren durch zahlenmäßige Abbildungen (Bilanz, Ergebnisrechnung, Kapitalflussrechnung, Segmentanalyse etc.) nach standardisierten Regeln transparent zu machen. Mit diesen Aufgaben dient das Rechnungswesen (vgl. Abb. 6-3 unten) aber auch dem wertorientierten Finanzmanagement. [2] Unternehmensbewertungsverfahren, wie das Ertragswertverfahren, aber auch das Economic Value Added-Verfahren, erlauben es, Strategische Geschäftsfelder (Segmente) und die Kon- <?page no="226"?> 226 Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft zernunternehmensbewertung permanent auf ihre Stimmigkeit mit der Konzernstrategie zu überprüfen. Letztendlich geschieht dies ebenfalls mit dem Konzern-Portfoliomanagement auf der Basis des Segmentberichtes. Damit wird das wertorientierte Portfoliomanagement ein Steuerungs- und Gestaltungsinstrument der Finanzholding der Konzerngeschäftsführung. Die Finanzholding lässt sich dann noch durch ein Internationales Cash- und Währungsmanagement flankierend unterstützen. Bei den unterschiedlichen Unternehmenslebenszyklusphasen des Konzerns helfen neben den Zahlen des Rechnungswesens auch ausgewählte Argumentationsaspekte des Strategischen und des Innovations-Managements (z.B. Synergieeffekte, Realisierung der Erfahrungskurve, Suche nach neuen Geschäftsmodellen, Strategische Bilanzanalyse usw.). Abb. 6-3: Aspekte eines „Wertorientierten Finanzmanagements“ <?page no="227"?> 6 Von der traditionellen Finanzierungslehre zum wertorientierten Finanzmanagement 227 Literatur Brem, A. Heyd, R. / Schmeisser, W. (2017): Internationale Betriebswirtschaftslehre, 2. Aufl., UVK, München Hungenberg , H. (2011): Strategisches Management in Unternehmen: Ziele - Prozesse - Verfahren. 6. Aufl., Wiesbaden Müller-Stewens, G. / Lechner, S. (2011): Strategisches Management, 4. Aufl. Schäffer Poeschel, Stuttgart Rappaport, A. (1986): Creating Shareholder. The New Standard for Business Performance. New York. London Schmeisser, W. (2013): Terminologische Grundlagen zum Innovationsmanagement sowie zu den Innovationstheorien. In: Schmeisser, W. / Krimphove, D. / Hentschel, C. / Hartmann, M. (2013): Handbuch Innovationsmanagement, UVK-Verlag, München, S. 17-52 Schmeisser, W. / Andresen, M. / Kaiser, S. (2012) Personalmanagement, UTB basics, Kapitel 1 und 3, Finanzorientiertes Personalmanagement Schmeisser, W. / Clausen, L. (2009): Controlling und Berliner Balanced Scorecard, Oldenburg Verlag, München Schmeisser, W. / Hannemann, G. / Krimphove, D. u.a. (2012): Finanzierung und Investition, UTB basics, München, Kapitel 1 Schmeisser, W. / Höhne, D. u.a. (2015): Wertorientierte Geschäftsmodelle (2015), UVK, München <?page no="229"?> Neue Betriebswirtschaft 7 Einführung in die Unternehmensbewertung 90 Ralf Hafner Anlässe für Unternehmensbewertungen Es gibt zahlreiche Anlässe für die Bewertung von Unternehmen oder Anteilen an Unternehmen: Abb. 7-1: Unternehmensbewertungsanlässe (Beispiele) Oft ist der beabsichtigte Übergang (Kauf oder Verkauf) von Unternehmensanteilen oder ganzen Unternehmen Auslöser für die Unternehmensbewertung. Daneben gibt aber auch Bewertungsanlässe, die unabhängig von Transaktionen sind, beispielsweise für steuerliche Zwecke. Ka uf und Verka uf von Unternehmen (M erg ers & Acquisitions, kurz M&A) Der Kauf eines Unternehmens stellt eine Investition dar. Investitionen sollten dann getätigt werden, wenn Sie vorteilhaft sind, den Wert des kaufenden Unternehmens erhöhen, wenn sie einen positiven Kapitalwert haben. Das ist dann der Fall, wenn die risikoadäquat abgezinsten Cashflows aus dem Investitionsobjekt „Unternehmenskauf“ größer sind als der zu leistende Kaufpreis. Beim Verkauf eines Unternehmens verzichtet der Veräußerer auf die künftigen Cashflows aus dem Unternehmen. Das macht nur dann Sinn, wenn die abgezinsten Cashflows niedriger sind als der Kaufpreis, den er erhält. Diese Überlegungen gelten gleichermaßen bei Fusionen, MBOs (Management-Buy-out), MBIs (Management-Buy-ins), beim Anteilsverkauf unter Gesellschaftern, bei IPOs (Initial Public Offerings, Börseneinführungen) und anderen Teilveräußerungen. Wertorientierte Unternehmensführung Akzeptiert man das Mantra der modernen Managementtheorie und -praxis, dann ist das unternehmerische Handeln am Unternehmenswert auszurichten. Maßnahmen, die den Unternehmenswert erhöhen, sollten umgehend umgesetzt werden. Unternehmensstrategie, Investitions- und Finanzierungsentscheidungen und Unternehmenswert bedingen sich gegenseitig. 90 Für eine ausführlichere Darstellung siehe Hafner, Unternehmensbewertung, in: Schmeisser/ Eckstein/ Hafner/ Hannemann/ Stengel, Handbuch Wertorientiertes Finanzmanagement, Konstanz/ München 2015, S. 81-158 <?page no="230"?> 230 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Portfolioma na g ement Private und professionelle Anleger und deren Berater, insbesondere Aktienanalysten, bewerten Unternehmen zur Unterlegung ihrer Anlageempfehlungen und/ oder -entscheidungen bei der Zusammensetzung ihres Portfolios. Gesetzliche Vorschriften Bei bestimmten Anlässen sind in vielen Staaten gesetzlich Bewertungen von Unternehmen oder Unternehmensanteilen vorgeschrieben. Der Squeeze-out, der erzwungene Auskauf von Minderheitsaktionären durch den Mehrheitsaktionär, ist ein Beispiel hierfür. In Deutschland sind bei Abschluss von aktienrechtlichen Unternehmensverträgen, Verschmelzungen sowie Auf- und Abspaltungen Unternehmensbewertungen vorgesehen. Vertra g liche und sonstig e Reg elung en Unternehmensbewertungen finden darüber hinaus statt bei Erbauseinandersetzungen, bei Ein- oder Austritt von Gesellschaftern in eine Personengesellschaft, bei Abfindungsfällen anlässlich von Ehescheidungen und anderen familienrechtlichen Auseinandersetzungen. Externe Rechnung sleg ung und steuerliche Zwecke Bei der sogenannten Purchase Price Allocation (Kaufpreisallokation der Anschaffungskosten einer Beteiligung in der Konzernbilanz) und den anschließenden jährlich erforderlichen Impairment-Tests (Werthaltigkeitstests) sind Unternehmensbewertungen vorzunehmen. Auch aus Steuergesetzen ergeben sich in vielen Staaten Anlässe zur Bewertung von Unternehmen. Methoden der Unternehmensbewertung Überblick In Theorie und Praxis wurden und werden zahlreiche Methodenansätze diskutiert. Inzwischen haben sich in der Unternehmensbewertungspraxis Standards etabliert. Ermittelt werden Bandbreiten für den Unternehmenswert, und zwar auf der Grundlage unterschiedlicher Bewertungsmethoden. Dazu gehören in der Regel investitionstheoretische Verfahren und marktwertorientierte Verfahren. Bei den investitionstheoretischen Verfahren hat sich die Discounted-Cashflow-Methode (DCF- Methode) international durchgesetzt. Die DCF-Methode wendet das aus der Investitionsrechnung bekannte Kapitalwertkalkül auf das Unternehmen als Investitionsobjekt an. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausprägungen. Bei der Equity-DCF-Methode wird der Wert des Eigenkapitals ermittelt, bei der Entity- oder Enterprise-DCF-Methode, dem in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Verfahren, der Wert des Eigen- und des Fremdkapitals, also ein von der Finanzierungsstruktur unabhängiger Wert. Die Grundüberlegung hinter den marktwertorientierten Verfahren ist, dass in effizienten Märkten Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur auch vergleichbare Marktpreise haben sollten. Aus Marktpreisen vergleichbarer Unternehmen werden mit Hilfe von Multiplikatoren Bandbreiten für den Wert des zu bewertenden Unternehmens hergeleitet. Auch hier gibt es unterschiedliche Verfahren. Bei der Comparable Company Analysis werden diese Multiplikatoren aus der Analyse vergleichbarer börsennotierter Unternehmen gewonnen; bei der <?page no="231"?> 7 Einführung in die Unternehmensbewertung 231 Neue Betriebswirtschaft Precedent Transactions Analysis Daten aus veröffentlichten Kaufpreisen aus Transaktionen von vergleichbaren Unternehmen. 7.2.2 Discounted-Cashflow-Methode Wie bei der Investitionsrechnung arbeiten wir auch bei der DCF-Methode mit Zahlungsgrößen (Ein- und Auszahlungen, Cashflows) und nicht mit Erfolgsgrößen (Erträgen und Aufwendungen). Die in den künftigen Jahren t=1, 2, 3, ... , n anfallenden freien Cashflows werden auf t=0 (den Bewertungsstichtag) abdiskontiert mit einem risikoadäquaten Zinssatz, den Kapitalkosten des zu bewertenden Unternehmens. Die Summe der sich so ergebenden Barwerte, der Kapitalwert, ist der Unternehmenswert. Abb. 7-2: Discounted-Cashflow-Bewertung Anders als bei der Investitionsrechnung gibt es bei der DCF-Methode der Unternehmensbewertung keine Anfangsauszahlung in t=0. Dieser Betrag, die Summe der Barwerte der künftigen freien Cashflows, ist die gesuchte Größe, der Unternehmenswert. Ist er ermittelt und setzt man diesen Unternehmenswert als Anschaffungsauszahlung mit einem negativen Vorzeichen in t=0 ein, so ergibt sich ein Kapitalwert von 0 und ein interner Zinsfuß in Höhe des Diskontierungssatzes, also der Kapitalkosten des Unternehmens. Gelingt es einem Käufer, das Unternehmen für einen geringeren Kaufpreis zu erwerben als die Summe der abdiskontierten künftigen freien Cashflows, so macht er ein gutes Geschäft. Der Kapitalwert seiner Zahlungsreihe ist dann nämlich positiv. Zahlt er mehr als die Summe der Barwerte der künftigen Cashflows, so führt dies zu einer höheren Anschaffungsauszahlung in t=0 und zu einem negativen Kapitalwert. Entsprechend der Entscheidungsregel für Kapitalwertrechnungen sollte er eine solche Investition nicht tätigen. Umgekehrtes gilt für den Verkäufer. Er verzichtet bei einem Verkauf auf die künftigen freien Cashflows. Sie gehen mit einem negativen Vorzeichen in seine Rechnung ein, der Kaufpreis in t=0 ist ein Zufluss bei ihm, eine Einzahlung. Entspricht diese dem Unternehmenswert, so ist auch der Kapitalwert seiner Zahlungsreihe 0. Erhält er mehr als die Summe der Barwerte der künftigen freien Cashflows, so macht er ein gutes Geschäft (Kapitalwert > 0), gibt er sich mit weniger zufrieden, so wird der Kapitalwert seines Zahlungsstroms negativ - gemäß der Entscheidungsregel sollte er dann lieber das Unternehmen behalten und weiter fortführen, da er sich bei dieser Alternative besserstellt als beim Verkauf. <?page no="232"?> 232 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Terminologie Starten wir mit der bei Unternehmensbewertungen üblichen Terminologie, und dort mit der Bilanz eines Unternehmens zu Buchwerten. Sie lässt sich wie folgt gliedern: Abb. 7-3: Bilanz zu Buchwerten Der Buchwert des Eigenkapitals lässt sich direkt aus der Bilanz ablesen. Gleiches gilt für den Buchwert der zinstragenden Verbindlichkeiten. Dazu gehören Bankdarlehen, Anleihen und andere Finanzierungsinstrumente, für die explizit Zinsen gezahlt werden. Verrechnen wir die Vermögensgegenstände mit den sonstigen Passiva, so erhalten wir das folgende Bild: Abb. 7-4: Bilanz zu Buchwerten (saldiert) Der Buchwert des Eigenkapitals und der zinstragenden Verbindlichkeiten entspricht also dem Buchwert der liquiden Mittel zuzüglich des Netto-Betriebsvermögens (Aktiva ohne liquide Mittel minus Passiva ohne Eigenkapital und zinstragende Verbindlichkeiten). Ersetzen wir die Buchwerte in der Bilanz durch Marktwerte, so führt dies, wenn es sich nicht um ein Unternehmen in einer Krisensituation handelt, auf der Aktivseite zur einer Bilanzverlängerung in Gestalt außerbilanzieller Vermögensgegenstände. Auf der Passivseite werden zinstragende Verbindlichkeiten und Eigenkapital zu ihren Marktwerten, dem Ergebnis einer Unternehmensbewertung und nicht zu Buchwerten gezeigt. Der Großteil der Abweichungen entfällt dabei in aller Regel auf das Eigenkapital. Bei börsennotierten Unternehmen ergibt sich der Marktwert des Eigenkapitals durch Multiplikation des Aktienkurses mit der Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Aktien. <?page no="233"?> 233 Neue Betriebswirtschaft Abb. 7-5: Bilanz zu Marktwerten Interpretieren wir das Unternehmen aus finanzwirtschaftlicher Sicht als ein Portfolio von Investitionsprojekten, dann ersetzen wir die einzelnen Vermögensgegenstände (bilanzielle und außerbilanzielle) durch die aus künftigen diskontierten Cashflows ermittelten Kapitalwerte der einzelnen Projekte: Abb. 7-6: Bilanz aus finanzwirtschaftlicher Sicht Der Barwert aller Investitionen des Unternehmens wird als Gesamtunternehmenswert, international und inzwischen auch in Deutschland als „Enterprise Value“ bezeichnet. Enterprise Value plus Wert der liquiden Mittel ergibt den „Firm Value“. Der Firm Value entspricht dem Marktwert des Eigenkapitals plus dem Marktwert der zinstragenden Verbindlichkeiten. In einem letzten Schritt saldieren wir die Positionen liquide Mittel und zinstragende Verbindlichkeiten. Daraus ergibt sich die so genannte „Nettoverschuldung“ des Unternehmens. Abbildung 7-7 verdeutlicht schließlich den Unterschied zwischen der Enterprise-DCF-Methode und der Equity- DCF-Methode. Die Enterprise-DCF-Methode ermittelt den Enterprise Value durch Diskontierung der Cashflows vor Finanzierungskosten (Zinsen) mit den Kapitalkosten (WACC). Der Wert des Eigenkapitals des Unternehmens ergibt sich nach Abzug der Nettoverschuldung vom Enterprise 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="234"?> 234 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Value. Die Equity-DCF-Methode hingegen ermittelt direkt den Wert des Eigenkapitals. Dabei werden Cashflows nach Finanzierungskosten (Zinsen) und nach Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten (Aufnahme und Rückzahlung von Fremdkapital) mit den Eigenkapitalkosten des Unternehmens diskontiert. Der Enterprise Value ergibt sich dann durch Addition des Eigenkapitalwerts und der Nettoverschuldung. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf das Enterprise-DCF-Verfahren. Die meisten DCF- Bewertungen in der Praxis haben es zur Grundlage. Equity-DCF-Verfahren finden sich beispielsweise bei der Bewertung von Banken und Versicherungen, da hier die zinstragenden Verbindlichkeiten einen anderen Charakter haben. Abb. 7-7: Enterprise-DCF- und Equity-DCF-Methode Enterprise-DCF-Methode Bei der Enterprise-DCF-Methode werden die künftigen freien Cashflows, das sind Cashflows vor Finanzierungskosten, also die Cashflows, die allen Kapitalgebern (Eigen- und zinstragendes Fremdkapital, „Equity“ und „Debt“) zur Verfügung stehen, abdiskontiert mit den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens. Resultat ist der Enterprise Value. Ziehen wir hiervon die Nettoverschuldung ab, so erhalten wir den Wert des Eigenkapitals. Bei der Prognose der künftigen freien Cashflows gibt es einen Unterschied zu den aus der Investitionsrechnung bekannten Kapitalwertberechnungen. In aller Regel wird dort ein endlicher Planungszeitraum unterstellt. Bei Unternehmensbewertungen geht man hingegen, falls dem in Ausnahmefällen nicht tatsächliche Gegebenheiten entgegen stehen (auf Zeit angelegte Unternehmen), von einem unendlichem Planungszeitraum, einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens aus. Bei der Prognose der künftigen freien Cashflows behilft man sich, da eine Planung bis in die Unendlichkeit nicht möglich ist, mit so genannten Phasenmodellen. Dabei wird der Planungszeitraum in zwei, manchmal drei Phasen unterteilt. In der ersten (und gegebenenfalls zweiten) Phase erfolgt eine Detailplanung und -prognose. Für die letzte Phase wird ein so genannter „Terminal Value“ ermittelt, der den Wert der freien Cashflows nach Abschluss der Detailplanungsphase repräsentiert. <?page no="235"?> 235 Neue Betriebswirtschaft Folgende „Zutaten“ benötigen wir demzufolge: die künftigen freien Cashflows, die Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens und den Terminal Value. Abb. 7-8: Zwei-Phasen-DCF-Modell (Beispiel mit Detailplanungszeitraum von fünf Jahren) Freie Cashflows Der freie Cashflow ist bei der Enterprise-DCF-Methode wie folgt definiert: EBIT Earnings before interest and taxes (Betriebsergebnis) minus Steuern auf EBIT (marginaler Steuersatz) EBIAT Earnings before interest after taxes (Betriebsergebnis nach Steuern) plus Abschreibungen minus Investitionen Investitionen in das Anlagevermögen minus (plus) Erhöhung (Verminderung) Working Capital Umlaufvermögen ohne liquide Mittel abzüglich kurzfristige Verbindlichkeiten und Rückstellungen ohne zinstragende Verbindlichkeiten Freier Cashflow Ausgangspunkt ist das Betriebsergebnis, das zunächst um Steuern zu vermindert ist. Steuern sind Auszahlungen und mindern den Cashflow. Bei der Enterprise-DCF-Methode werden sie auf das Betriebsergebnis vor Zinsen berechnet, da der allen Kapitalgebern zur Verfügung stehende Cashflow ermittelt und abdiskontiert wird. Der Steuerspar-Effekt aus der Abzugsfähigkeit der Zinsen von der Steuerbemessungsgrundlage (Tax Shield) wird bei der Berechnung der Kapitalkosten (WACC) berücksichtigt. 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="236"?> 236 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Üblich ist die Verwendung des marginalen Steuersatzes, also des Prozentsatzes, der auf die letzten 100 Euro des Ergebnisses zu leisten ist. In Deutschland sind dies bei Kapitalgesellschaften rund 30 Prozent (Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag). Der effektive Steuersatz (Steueraufwand/ Ergebnis vor Steuern) in der Vergangenheit wird in der Regel vom marginalen Steuersatz abweichen. Ursachen sind unterschiedliche Ansätze in Handels- und Steuerbilanz, steuerliche Verlustvorträge oder im Ausland zu anderen Steuersätzen versteuerte Einkünfte. Der Ansatz des marginalen Steuersatzes bei der Ermittlung der künftigen freien Cashflows unterstellt also, dass die aufgeführten Effekte in den Planungsperioden nicht auftreten. Je weiter die Planungsperiode in der Zukunft liegt, desto realistischer sollte diese Annahme sein. Unterschiede zwischen handels- und steuerrechtlichen Ansätzen gleichen sich im Zeitablauf aus (mit Ausnahme nicht abzugsfähiger Aufwendungen), Verlustvorträge sind endlich und beim Transfer von im Ausland erzielten Ergebnissen in das Inland erfolgt in einigen Staaten ein „Hochschleusen“ auf das heimische Steuerniveau. Trifft die Annahme nicht zu, so ist eine gegebenenfalls sehr detaillierte Steuerplanung vorzunehmen und es sind für die Planjahre die sich daraus ergebenden Steuersätze zu verwenden. Nach Abzug der Steuern auf den EBIT ergibt sich der EBIAT. Diese Größe ist, um zum Cashflow zu gelangen, um nicht zahlungswirksame Erträge und Aufwendungen sowie nicht ertrags- und aufwandswirksame Zahlungen zu korrigieren. Zunächst sind die Abschreibungen, die den EBIT gemindert haben, wieder hinzu zu addieren. Sie führen nicht zu Auszahlungen. Investitionen in das Anlagevermögen hingegen sind abzuziehen, sie sind nicht als Aufwand im EBIT berücksichtigt, mindern jedoch den Cashflow, da sie zu Auszahlungen führen. Dasselbe gilt für Investitionen in das Working Capital. Die sich nach diesen Korrekturen ergebende Größe ist der freie Cashflow des Unternehmens, der Einzahlungsüberschuss, der Eigen- und Fremdkapitalgebern des Unternehmens zur Verfügung steht, vor Berücksichtigung von Zinsen. Kapitalkosten (WACC) Als Diskontierungssatz werden die mit Marktwerten gewichteten Kapitalkosten des zu bewertenden Unternehmens herangezogen. Damit wird der Renditeerwartung sowohl der Fremdals auch der Eigenkapitalgeber Rechnung getragen. 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶 = 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 × 𝐸𝐸 𝐸𝐸 + 𝐷𝐷 + 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝑚𝑚𝑑𝑑𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑛𝑛𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ 𝑆𝑆𝑡𝑡𝑒𝑒𝑍𝑍𝑒𝑒𝑟𝑟𝑛𝑛 × 𝐷𝐷 𝐸𝐸 + 𝐷𝐷 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝐸𝐸 = 𝑀𝑀𝑎𝑎𝑟𝑟𝑘𝑘𝑡𝑡𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠 𝑍𝑍𝑛𝑛𝑑𝑑 𝐷𝐷 = 𝑀𝑀𝑎𝑎𝑟𝑟𝑘𝑘𝑡𝑡𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝑚𝑚𝑑𝑑𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠 Die Gewichtung wird dabei festgemacht an der Zielkapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens. Die Ermittlung der Eigenkapitalkosten beruht auf Erkenntnissen aus dem Capital Asset Pricing Model (CAPM). Trotz aller Kritik an den Modelprämissen und einer allenfalls geringen empirischen Bestätigung hat es in der Praxis eine weite Verbreitung gefunden und große Beliebtheit erlangt. Die Eigenkapitalkosten ergeben sich nach dem CAPM als: 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 = 𝑅𝑅𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺𝑙𝑙𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑍𝑍𝐺𝐺𝑛𝑛𝑠𝑠 + 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑡𝑡𝑎𝑎 × 𝑀𝑀𝑎𝑎𝑟𝑟𝑘𝑘𝑡𝑡𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺𝑃𝑃𝑟𝑟ä𝑚𝑚𝐺𝐺𝑒𝑒 Als risikoloser Zins dient in der Regel die Rendite von Staatsanleihen mit erstklassiger Bonität mit einer Laufzeit von mindestens 10 Jahren in der Währung, in der die Bewertung erfolgt. Die Marktrisikoprämie ist Zusatzrendite, die Anleger für eine Investition in eine Aktie mit einem durchschnittlichen Risiko gegenüber einer Investition in Staatsanleihen erwarten. In entwickelten Volkswirtschaften lag die Marktrisikoprämie in der Vergangenheit zwischen 3 und 8 Prozent mit Schwerpunkt zwischen 4 und 6 Prozent. Das Beta misst das systematische, nicht diversifizierbare Risiko. Es ist um 1 normiert, wobei ein Beta von 1 ein durchschnittliches Risiko, eine Beta von größer als 1 ein höheres <?page no="237"?> 237 Neue Betriebswirtschaft und ein Beta von unter 1 ein niedrigeres Risiko bedeuten. Betas zu börsennotierten Unternehmen sind inzwischen auch über kostenfreie Dienste wie Google Finance oder Yahoo Finance erhältlich. Die Fremdkapitalkosten entsprechen dem Zinssatz, den das Unternehmen bei einer Refinanzierung aller zinstragenden Verbindlichkeiten im Bewertungszeitpunkt zahlen müsste. In der Regel wird ein langfristiger Fremdkapitalzins zugrunde gelegt, um dem Langfristcharakter der Unternehmensbewertung Rechnung zu tragen. Im Unternehmen ist dieser Zinssatz bekannt. Hat der Bewerter keinen Zugang zum Management, so ist er zu schätzen. Am einfachsten ist das dann, wenn das Unternehmen eine Anleihe mit einer langen (10 Jahre) Restlaufzeit begeben hat, die notiert ist. Aus Kurs und Zinskupon lässt sich dann die Rendite errechnen; in den meisten Fällen ist sie direkt bei den entsprechenden Informationsdiensten ablesbar. Hat das Unternehmen ein Rating, so kann aus risikolosem Zins und dem für die Ratingklasse typischen „Spread“, dem Zuschlag, den die Kreditgeber auf den risikolosen Zins bei einer Kreditvergabe an ein Unternehmen mit vergleichbarer Bonität vornehmen, der Zinssatz geschätzt werden. Hat das Unternehmen kein Rating, so kann man versuchen, auf der Grundlage der Interest Coverage Ratio (EBIT/ Zinsaufwand) ein Rating zu schätzen. Schließlich kann auch die Rendite notierter Anleihen vergleichbarer Unternehmen mit vergleichbarer Bonität herangezogen werden. Zinsen auf Fremdkapital sind, anders als Dividenden an Eigenkapitalgeber, in den meisten Ländern steuerlich relevant, mindern also die Steuerlast. Insofern sind bei der Berechnung der Fremdkapitalkosten die Kosten nach Steuern anzusetzen. 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝑚𝑚𝑑𝑑𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑛𝑛𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ 𝑆𝑆𝑡𝑡𝑒𝑒𝑍𝑍𝑒𝑒𝑟𝑟𝑛𝑛 = 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝑚𝑚𝑑𝑑𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑘𝑘𝐺𝐺𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝐼𝐼𝐺𝐺𝑟𝑟 𝑆𝑆𝑡𝑡𝑒𝑒𝑍𝑍𝑒𝑒𝑟𝑟𝑛𝑛 × (1 − 𝑆𝑆𝑡𝑡𝑒𝑒𝑍𝑍𝑒𝑒𝑟𝑟𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧) Terminal Value Die DCF-Methoden der Unternehmensbewertung diskontieren künftige Cashflows auf den Bewertungszeitpunkt ab. Dabei wird eine unendliche Lebensdauer des Unternehmens unterstellt. Da es nicht möglich ist, die Cashflows bis in die Unendlichkeit zu prognostizieren, teilt man, wie oben dargestellt, den Planungszeitraum in zwei (oder mehr) Phasen auf, einen Detailplanungszeitraum und den Zeitraum danach (bis in die Unendlichkeit). Der Terminal Value repräsentiert bei der DCF- Methode den Wert der freien Cashflows nach dem Detailplanungszeitraum. Er hat in der Regel den weitaus höheren Anteil am Gesamtunternehmenswert (75 Prozent und mehr sind durchaus normal) als der Wert der abgezinsten freien Cashflows der Detailplanungsphase. Seine Ermittlung bedarf demzufolge großer Sorgfalt. Zunächst ist darauf zu achten, dass der Detailplanungszeitraum so gewählt wurde, dass das letzte Planjahr als repräsentativ für die weitere Entwicklung, als „steady state“ angesehen werden kann und nicht das obere oder untere Ende eines Zyklus darstellt. Bei zyklischen Unternehmen ist ein „Durchschnittsjahr“ anzusetzen. Zwei Methoden finden in der Praxis Anwendung: Ewige Rente mit Wachstumsrate (Perpetuity Growth Method) und Multiplikatorenmethode. Bei der Perpetuity Growth Method ergibt sich der Terminal Value wie folgt: 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 = 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝑡𝑡+1 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶 − 𝑔𝑔 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝑡𝑡+1 = 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝐺𝐺𝑚𝑚 𝑒𝑒𝑟𝑟𝑠𝑠𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 𝐽𝐽𝑎𝑎ℎ𝑟𝑟 𝑛𝑛𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐷𝐷𝑒𝑒𝑡𝑡𝑎𝑎𝐺𝐺𝑙𝑙𝑃𝑃𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑃𝑃ℎ𝑎𝑎𝑠𝑠𝑒𝑒 = 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝑡𝑡 × (1 + 𝑔𝑔) 𝑍𝑍𝑛𝑛𝑑𝑑 𝑔𝑔 = 𝐾𝐾𝐺𝐺𝑛𝑛𝑠𝑠𝑡𝑡𝑎𝑎𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒 (𝑒𝑒𝑤𝑤𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒) 𝑊𝑊𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ𝑠𝑠𝑡𝑡𝑍𝑍𝑚𝑚𝑠𝑠𝑟𝑟𝑎𝑎𝑡𝑡𝑒𝑒 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="238"?> 238 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Den größten Einfluss auf die Höhe des Terminal Value hat die konstante Wachstumsrate g. Er wird umso größer, je mehr sich die Wachstumsrate den Kapitalkosten (WACC) annähert. Die Wachstumsrate sollte bei der Berechnung des Terminal Value indes nach oben begrenzt sein durch die Wachstumsrate der Volkswirtschaft eines Landes, bei international tätigen Unternehmen durch die Wachstumsrate der Weltwirtschaft. Jeder Wert darüber würde sonst dazu führen, dass zu einem Zeitpunkt in der Zukunft das Unternehmen größer ist als die Volkswirtschaft. Bei Unternehmen in reifen Branchen ist zu überlegen, g unterhalb der Wachstumsrate der Volkswirtschaft anzusetzen. In besonderen Fällen kann g auch negativ sein. Bei der Berechnung des Terminal Value nach der Multiplikatorenmethode wird eine Kenngröße des letzten Jahres des Detailplanungszeitraums, normalerweise EBIT oder EBITDA, mit einem Marktmultiplikator malgenommen. Dieser Marktmultiplikator, zum Beispiel 7-mal EBITDA, wird aus Multiplikatoren vergleichbarer börsennotierter Unternehmen und/ oder vergleichbarer Transaktionen der letzten Jahre gewonnen (siehe die folgenden Ausführungen zu den Multiplikatorenverfahren). Man kann dies interpretieren als einen Verkauf des Unternehmens zum Ende des Detailplanungszeitraums. Dies erklärt auch die häufig anzutreffende Bezeichnung als Exit Multiple Method. Wie bei der ewigen Rente ist auch hier wichtig, dass das letzte Planjahr als repräsentativ für die (lange) Zukunft angesehen werden kann. Außerdem ist darauf zu achten, dass in den aus Vergleichsunternehmen und vergleichbaren Transaktionen gewonnenen Multiplikatoren keine zyklischen Effekte enthalten sind. Bei der Verwendung der Methode sollte Klarheit darüber bestehen, dass der Großteil des Unternehmenswerts (Terminal Value) auf der Grundlage von Multiplikatoren ermittelt wird und nicht auf der Grundlage der Diskontierung künftiger freier Cashflows. Typischerweise werden bei der Analyse beide Methoden verwendet und jeweils die eine als Plausibilitätsprüfung für die andere verwendet. Wurde der Terminal Value als ewige Rente berechnet, so ergibt sich der implizite EBITDA-Multiplikator als: 𝐼𝐼𝑚𝑚𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑧𝑧𝐺𝐺𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴-𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 = 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑟𝑟𝑒𝑒𝑍𝑍ℎ𝑛𝑛𝑒𝑒𝑡𝑡 𝑛𝑛𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑃𝑃𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑒𝑒𝑡𝑡𝑍𝑍𝐺𝐺𝑡𝑡𝑦𝑦 𝐺𝐺𝑟𝑟𝐺𝐺𝑤𝑤𝑡𝑡ℎ 𝑀𝑀𝑒𝑒𝑡𝑡ℎ𝐺𝐺𝑑𝑑 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴 𝑡𝑡 Bei Verwendung der Multiplikatorenmethode lässt sich die implizite Wachstumsrate g berechnen als: 𝑔𝑔 = 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑟𝑟𝑒𝑒𝑍𝑍ℎ𝑛𝑛𝑒𝑒𝑡𝑡 𝑛𝑛𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟𝑒𝑒𝑛𝑛𝑚𝑚𝑒𝑒𝑡𝑡ℎ𝐺𝐺𝑑𝑑𝑒𝑒 × 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶 − 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝑡𝑡 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑟𝑟𝑒𝑒𝑍𝑍ℎ𝑛𝑛𝑒𝑒𝑡𝑡 𝑛𝑛𝑎𝑎𝑍𝑍ℎ 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟𝑒𝑒𝑛𝑛𝑚𝑚𝑒𝑒𝑡𝑡ℎ𝐺𝐺𝑑𝑑𝑒𝑒 + 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝑡𝑡 Der nächste und letzte Schritt, die Berechnung des Unternehmenswerts, ist technischer Natur: Die Barwerte der freien Cashflows der Detailplanungsphase sind zu ermitteln, ebenso der Barwert des Terminal Value. Die Summe der Barwerte ergibt den Enterprise Value, den Gesamtunternehmenswert. Beträgt der Detailplanungszeitraum 5 Jahre, so ergibt sich: 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 = 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 1 (1 + 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶) 1 + 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 2 (1 + 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶) 2 + 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 3 (1 + 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶) 3 + 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 4 (1 + 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶) 4 + 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 5 (1 + 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶) 5 + 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 (1 + 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶) 5 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 = 𝐹𝐹𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 5 × (1 + 𝑔𝑔) 𝑊𝑊𝐴𝐴𝐶𝐶𝐶𝐶 − 𝑔𝑔 𝐺𝐺𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑇𝑇𝑒𝑒𝑟𝑟𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑙𝑙 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 = 𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 × 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑧𝑧𝑍𝑍𝑔𝑔𝑠𝑠𝑔𝑔𝑟𝑟öß𝑒𝑒 (𝑧𝑧𝑍𝑍𝑚𝑚 𝐵𝐵𝑒𝑒𝐺𝐺𝑠𝑠𝑃𝑃𝐺𝐺𝑒𝑒𝑙𝑙 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴 5 ) Aufgrund der zahlreichen Annahmen, die bei der Unternehmensbewertung zu treffen sind, wird der Wert üblicherweise nicht als einwertige Größe, sondern als Bandbreite ermittelt. Dazu werden, wie bei Investitionsrechnungen, Sensitivitätsund/ oder Szenarioanalysen vorgenommen. <?page no="239"?> 239 Neue Betriebswirtschaft 7.2.3 Multiplikatorenverfahren Comparable Company Analysis Bei der Comparable Companies Analysis wird der Unternehmenswert aus Marktpreisen vergleichbarer börsennotierter Unternehmen abgeleitet. Da sich Aktienkurse verschiedener Unternehmen aufgrund der unterschiedlichen Anzahl im Umlauf befindlicher Aktien nicht einfach vergleichen lassen, ist eine Standardisierung erforderlich. Diese Standardisierung wird dadurch erreicht, dass der Wert der vergleichbaren börsennotierten Unternehmen ins Verhältnis gesetzt wird zu Größen wie Umsatz, EBITDA, EBIT, Buchwert oder anderen branchenspezifischen Kennzahlen wie Anzahl der Abonnenten, Hektoliterausstoß, Verkaufsfläche in m 2 oder Streckenkilometer des jeweiligen vergleichbaren Unternehmens. Ergebnis der Standardisierung sind Multiplikatoren - man spricht daher auch von Multiplikatorenverfahren. Multiplikatorenverfahren erfreuen sich in der Praxis großer Beliebtheit. Es gibt fast keine Unternehmensbewertung, in der nicht in detaillierter Form Multiplikatoren vergleichbarer Unternehmen, zumindest als Plausibilisierung, herangezogen werden. Jede Fairness Opinion enthält eine Comparable Companies Analysis, jeder Analystenreport. Selbst auf Entscheiderebene im Top Management sind sie gang und gäbe. Vermutlich werden mehr Entscheidungen auf der Grundlage von Multiplikatoren getroffen als auf der Basis von DCF-Bewertungen. Das Vorgehen, bei Bewertungen vergleichbare Sachverhalte heranzuziehen, ist tief in uns verankert. Wer ein Grundstück oder ein Haus erwerben oder eine Wohnung anmieten möchte, der informiert sich in der Regel auf den gängigen Immobilienportalen oder Mietspiegeln über Quadratmeterpreise und -mieten in der bevorzugten Wohngegend. Sicher, jedes Grundstück ist einzigartig, erst recht jedes Haus oder jede Wohnung. Gleichwohl dienen uns die gängigen Markt-Multiplikatoren, hier Quadratmeterpreise und -mieten, als Anker bei unserer Bewertung. Besonderheiten tragen wir durch Zu- und Abschläge Rechnung. Dasselbe gilt, wenn wir einen Gebrauchtwagen kaufen oder verkaufen wollen. Auch hier gilt, dass jedes Auto anders ist, aber aus Typ, Baujahr, Laufleistung und Ausstattung lassen sich auch hier Preise oder Bandbreiten von Preisen für vergleichbare Fahrzeuge herleiten. Dieselbe Grundidee liegt der Comparable Companies Analysis zugrunde. Sie ist, weil den menschlichen Vorlieben näher, verständlicher und leichter zu präsentieren als eine DCF-Bewertung. Im Vergleich zu den umfangreichen Annahmen, die zur Herleitung und Diskontierung künftiger freier Cashflows erforderlich sind, ist eine Aussage wie „marktüblich sind 8-mal EBITDA“ eine gewaltige Komplexitätsreduktion, die sich zudem auch viel leichter kommunizieren lässt. Übliche Multiplikatoren Der Price/ Earnings-Multiplikator oder das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist die bekannteste Standardisierung der Ergebnismessung börsennotierter Gesellschaften. Er ist definiert als: 𝑃𝑃 𝐸𝐸 ⁄ = 𝑀𝑀𝑎𝑎𝑟𝑟𝑘𝑘𝑡𝑡𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠 𝐽𝐽𝑎𝑎ℎ𝑟𝑟𝑒𝑒𝑠𝑠ü𝐵𝐵𝑒𝑒𝑟𝑟𝑠𝑠𝑍𝑍ℎ𝑍𝑍𝑠𝑠𝑠𝑠 = 𝐴𝐴𝑘𝑘𝑡𝑡𝐺𝐺𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑍𝑍𝑟𝑟𝑠𝑠 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑔𝑔𝑒𝑒𝐵𝐵𝑛𝑛𝐺𝐺𝑠𝑠 𝑗𝑗𝑒𝑒 𝐴𝐴𝑘𝑘𝑡𝑡𝐺𝐺𝑒𝑒 Bei der Comparable Companies Analysis findet er in aller Regel nur ergänzend Anwendung, da der Jahresüberschuss der in die Analyse einbezogenen Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Bilanzpolitik, unterschiedlichen Steuersätzen sowie unterschiedlichen Verschuldungsgraden nur bedingt vergleichbar und damit für die Comparable Companies Analysis nicht geeignet ist. Herzstück einer Comparable Company Analysis sind normalerweise EBITDAoder/ und EBIT- Multiplikatoren. EBITDA und EBIT sind unbeeinflusst von Steuersätzen. Auch Unternehmen aus unterschiedlichen Steuerhoheiten lassen sich so vergleichen. Außerdem sind beide Größen vor Zinsergebnis und damit unbeeinflusst von der Finanzierungsstruktur. EBITDA-Multiplikatoren 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="240"?> 240 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft finden häufiger Anwendungen, da sie zudem keine Effekte unterschiedlicher Abschreibungspolitik oder -zyklen enthalten. 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴-𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 = 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇-𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 = 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇 Umsatzmultiplikatoren finden vor allem dann Verwendung, wenn es sich bei dem zu bewertenden Unternehmen um ein Unternehmen in der Krise oder ein Start-up-Unternehmen handelt, also Unternehmen mit niedrigen oder negativen Ergebnissen. Damit ist auch gleich die Gefahr ihrer Verwendung umschrieben: Dass alle Unternehmen irgendwann positive freie Cashflows erwirtschaften müssen, um einen positiven Wert zu haben, wird leicht im Eifer des Gefechts vergessen. Auch bei der Bewertung von reifen Unternehmen werden regelmäßig Umsatzmultiplikatoren ermittelt, da der Umsatz die Größe im Jahresabschluss ist, die am wenigsten von bilanzpolitischen Maßnahmen beeinflusst ist. Der Umsatzmultiplikator ist definiert als: 𝑈𝑈𝑚𝑚𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧-𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 = 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝑈𝑈𝑚𝑚𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧 Gelegentlich findet sich in der Praxis auch das Verhältnis von Equity Value zu Umsatz als Umsatzmultiplikator, das nach herrschender Meinung jedoch als inkonsistent anzusehen ist, da es für Unternehmen mit einer hohen Verschuldung zu niedrigeren Umsatzmultiplikatoren führt und die Aggregation von Umsatzmultiplikatoren von Unternehmen mit unterschiedlichen Verschuldungsgraden erschwert. Weiterhin sind anzutreffen Buchwert-Multiplikatoren, bei denen der Equity Value ins Verhältnis gesetzt wird zum Buchwert des Eigenkapitals. Daneben finden sich branchenspezifische Multiplikatoren, bei denen normalerweise der Enterprise Value ins Verhältnis gesetzt wird zu den produzierten Hektolitern eines Getränks, den produzierten Tonnen an Stahl, der Anzahl von Hits auf einer Webseite, der Anzahl der Abonnenten, um nur einige Beispiele zu nennen. Vergleichbare Unternehmen Die Auswahl der vergleichbaren Unternehmen spielt die zentrale Rolle bei der Comparable Companies Analysis. Welche Unternehmen einzubeziehen sind, ist an der Zielsetzung der Analyse festzumachen, der Ableitung von Marktmultiplikatoren für Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarem Wachstum und vergleichbarem Risiko. Ausgangspunkt der Suche sind in der Regel die Wettbewerber des zu bewertenden Unternehmens. Viele Unternehmen geben diese im Geschäftsbericht an. Bei Bloomberg und auch bei Diensten wie Google Finance oder Yahoo Finance finden sich Comparable Companies. Marktanalysen sind eine weitere dankbare Quelle. Die so gewonnene Long List wird dann Stück für Stück zu einer Short List verdichtet, in der dann Unternehmen mit vergleichbaren Produktionsmethoden, vergleichbaren Vertriebssystemen, vergleichbaren Forschungsaktivitäten und vergleichbaren Endkunden aufgenommen werden. Auch Unternehmensgröße, Profitabilität, Wachstumspotenzial und Risikostruktur sollten vergleichbar sein. Regressionsanalysen können bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen wirklich „vergleichbar“ ist, helfen. Im Grundsatz kommen auch Unternehmen aus anderen Branchen in Betracht, sofern ihr Ergebnispotenzial, ihre Wachstumsperspektiven und ihr Risikoprofil mit dem zu bewertenden Unternehmen vergleichbar sind. Darauf wird in aller Regel aber nur zurückgegriffen, wenn es aus der Branchen nicht ausreichend vergleichbare Unternehmen gibt. Da es sich bei den vergleichbaren Unternehmen um börsennotierte Gesellschaften handelt, ist in der Regel umfangreiches Zahlenmaterial über die Webseiten, über kostenfreie Dienste (Google <?page no="241"?> 241 Neue Betriebswirtschaft Finance, Yahoo Finance und andere) oder kostenpflichtige Datenbanken (Bloomberg, Thomson Reuters und andere) verfügbar. Es gilt, für jedes vergleichbare Unternehmen den Marktwert des Eigenkapitals zu ermitteln (Anzahl ausstehender Aktien mal Aktienkurs) und daraus den Enterprise Value (Eigenkapitalwert plus Nettoverschuldung). Im Anschluss können dann für jedes Vergleichsunternehmen Umsatz-, EBITDA-, EBIT- und andere Multiplikatoren berechnet werden. Die Bandbreite der Multiplikatoren wird in einem nächsten Schritt dann verdichtet, indem Median, arithmetisches Mittel und andere statistische Größen herangezogen werden. Die so gewonnenen „marktüblichen“ Multiplikatoren werden dann in einem letzten Schritt auf das zu bewertende Unternehmen angewendet. Die nachfolgende Abbildung zeigt beispielhaft die Darstellung der Ergebnisse einer Comparable Company Analysis mit sechs verschiedenen Multiplikatoren im so genannten Football-Field-Format: Abb. 7-9: Football-Field-Format zur Ergebnisdarstellung einer Multiplikatorenanalyse Das Football-Field-Format eignet sich auch zur Darstellung der aus unterschiedlichen Bewertungsverfahren (DCF, Comparable Companies Analysis, Precedent Transactions Analysis etc.) gewonnenen Bandbreiten. Precedent Transactions Analysis Die Precedent Transactions Analysis ist genauso wie die Comparable Companies Analysis ein multiplikatorengestützter Bewertungsansatz. Die Grundidee ist dieselbe: Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur sollten in effizienten Märkten auch vergleichbare Marktpreise haben. Als Marktpreise dienen hier jedoch nicht die Börsenkurse vergleichbarer notierter Unternehmen, sondern gezahlte (oder gebotene) Preise bei Akquisitionen vergleichbarer Unternehmen. Die Multiplikatoren, die auf der Grundlage vergleichbarer Transaktionen ermittelt wurden, reflektieren zwei Sachverhalte, die in den Multiplikatoren, die aus den Börsenkursen vergleichbarer Unternehmen hergeleitet wurden, nicht enthalten sind: Kontrollprämie und Synergien. 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="242"?> 242 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Unter der Kontrollprämie versteht man den Betrag, den ein Erwerber über den Marktpreis der Aktien eines Unternehmens hinaus bereit ist zu bezahlen, um eine Mehrheit zu erhalten und damit Einfluss ausüben zu können auf Ergebnispotenzial, Wachstum und Risiko. Der Marktpreis einer Aktie spiegelt letztlich den Marktpreis eines Minderheitsanteils wider - an der Börse werden Minderheiten gehandelt. Auch Synergien, die ein strategischer Käufer mit dem zu bewertenden Unternehmen realisieren könnte, fließen in den Börsenkurs nicht ein (es sei denn, es liegt ein aktuelles Übernahmeangebot eines derartigen Käufers vor). Sie sind aber in den gezahlten (oder gebotenen) Kaufpreisen vergleichbarer Transaktionen und den daraus abgeleiteten Multiplikatoren enthalten. Wie die Comparable Companies Analysis, so gehört heute auch die Precedent Transactions Analysis zu jeder Unternehmensbewertung dazu. Sie führt, ceteris paribus, weil sie eben Kontrollprämien und Synergien implizit berücksichtigt, normalerweise zu höheren Multiplikatoren. Wie bei der Comparable Companies Analysis, so spielt auch bei der Precedent Transactions Analysis die Auswahl der vergleichbaren Transaktionen die zentrale Rolle. Auch hier gilt, dass Transaktionen von Unternehmen mit vergleichbarem Ergebnispotenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur zu suchen und in die Analyse einzubeziehen sind, denn nur sie führen zu belastbaren Multiplikatoren und damit Wertbandbreiten. Ohne Zugang zu kostenpflichtigen Datenbanken ist man hier schnell am Ende. Die Zeitschrift Finance veröffentlicht regelmäßig sogenannte Experten-Multiples für ausgewählte Branchen 91 , enthält aber (explizit) keine Analysen über konkrete Transaktionen innerhalb der Branchen. Über professionelle Anbieter (in alphabetischer Reihenfolge seien hier Bloomberg, Mergermarket, Thomson Reuters SDC und Zephyr genannt) hingegen lässt sich umfangreiches Datenmaterial zu Transaktionen weltweit beschaffen. Sektor-/ Branchenteams von Investmentbanken und Beratungsgesellschaften pflegen üblicherweise selber eine eigene Datenbank über Transaktionen in ihrer Branche (gespeist aus eigenem Research und kostenpflichtigen Diensten), so dass Transaktions-Multiplikatoren mehr oder weniger auf Knopfdruck abrufbar sind. Verfügt man nicht über diesen Luxus, so sind in einem ersten Schritt die Daten aus den vergleichbaren Transaktionen aufzubereiten. Insbesondere dann, wenn das Zielunternehmen ein privat gehaltenes Unternehmen war, werden die verfügbaren Informationen in aller Regel unvollständig sein. Von den für eine Multiplikatorenanalyse erforderlichen Inputdaten wie Umsatz, EBITDA, EBIT, Jahresüberschuss und Buchwert werden nicht alle verfügbar sein, ebenso wenig wie Informationen über zu bereinigende Ergebniseinflüsse. War das Zielunternehmen börsennotiert, dann sollte versucht werden, die LTM-Zahlen (letzte 12 Monate vor der Transaktion) der aufgeführten Größen zu ermitteln. Zu beachten ist weiterhin, welche Größe als Transaktionswert in der Datenbank angegeben wurde, Equity Value oder Enterprise Value. Zu ermitteln ist weiterhin der Wert der zinstragenden Verbindlichkeiten und der liquiden Mittel zum Zeitpunkt der Transaktion. Diese Größen sind erforderlich, um Multiplikatoren abzuleiten. Das Universum der Multiplikatoren entspricht dem der Comparable Company Analysis. Durch Vergleich von Precedent Transactions Analysis und Comparable Companies Analysis lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, wie hoch in der jeweiligen Branche die in der Vergangenheit gezahlten Kontrollprämien waren. Teilweise werden in Veröffentlichungen über große Transaktionen auch Angaben zu den erwarteten Synergien gemacht, so dass sich die Transaktionsmultiplikatoren weiter aufgliedern lassen in Multiplikatoren mit und ohne Synergieeffekte: 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴-𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 𝐺𝐺ℎ𝑛𝑛𝑒𝑒 𝑆𝑆𝑦𝑦𝑛𝑛𝑒𝑒𝑟𝑟𝑔𝑔𝐺𝐺𝑒𝑒𝑛𝑛 = 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐿𝐿𝑇𝑇𝑀𝑀 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴-𝑀𝑀𝑍𝑍𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑃𝑃𝑙𝑙𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝑆𝑆𝑦𝑦𝑛𝑛𝑒𝑒𝑟𝑟𝑔𝑔𝐺𝐺𝑒𝑒𝑛𝑛 = 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝐿𝐿𝑇𝑇𝑀𝑀 𝐸𝐸𝐵𝐵𝐼𝐼𝑇𝑇𝐷𝐷𝐴𝐴 + 𝑒𝑒𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒𝑡𝑡𝑒𝑒 𝑗𝑗äℎ𝑟𝑟𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑒𝑒 𝑆𝑆𝑦𝑦𝑛𝑛𝑒𝑒𝑟𝑟𝑔𝑔𝐺𝐺𝑒𝑒𝑛𝑛 91 http: / / www.finance-magazin.de/ research/ multiples/ <?page no="243"?> 243 Neue Betriebswirtschaft Die möglichen Fehlerquellen bei der Datenaufbereitung sind hoch. Folgende Sachverhalte sollten geprüft werden: Handelt es sich um eine mehrheitliche Übernahme? Falls nein, sollte die Transaktion gegebenenfalls nicht berücksichtigt werden, da vermutlich keine Kontrollprämie im Transaktionspreis enthalten ist. Wurden 100 Prozent der Anteile erworben? Falls nein, worauf beziehen sich die veröffentlichten Transaktionswerte oder Kaufpreise? Auf den erworbenen Anteil oder auf 100 Prozent der Anteile? Hier ist sicherzustellen, dass eine Umrechnung auf 100 Prozent erfolgt. Wurden Teile des Kaufpreises in Aktien des Erwerbers gezahlt, so sind Umtauschverhältnis und Kurs am Tag vor der Veröffentlichung zu beschaffen. Bei der Auswahl der vergleichbaren Transaktionen beginnt man wie bei der Auswahl vergleichbarer Unternehmen mit Transaktionen in derselben Branche wie das zu bewertende Unternehmen. Bei der Analyse vergleichbarer Transaktionen zu beachten, dass es sich um historische Daten handelt und nicht um aktuelle Börsenpreise wie bei der Comparable Companies Analysis. Es macht wenig Sinn, Multiplikatoren von Transaktionen zu verwenden, die aus Notverkäufen in 2009 während der letzten Finanzkrise resultieren oder von High-Tech-Unternehmen aus der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Das Marktumfeld, in dem die vergleichbare Transaktion stattfand, sollte mit dem aktuellen Marktumfeld vergleichbar sein. Generell gilt, dass den Transaktionen, die in den letzten zwei bis drei Jahren vor dem Bewertungsstichtag stattfanden, eine höhere Gewichtung zukommen sollte als den Transaktionen, die länger zurückliegen. Gibt es jedoch keine vergleichbaren Transaktionen in den letzten zwei bis drei Jahren, so wird man gleichwohl die älteren betrachten, da sie durchaus Trends in der Branche aufzeigen können. Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals Aus didaktischen Gründen sind wir bislang von der Gültigkeit der Beziehung 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑃𝑃𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 + 𝑙𝑙𝐺𝐺𝑙𝑙𝑍𝑍𝐺𝐺𝑑𝑑𝑒𝑒 𝑀𝑀𝐺𝐺𝑡𝑡𝑡𝑡𝑒𝑒𝑙𝑙 = 𝑊𝑊𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠 + 𝑧𝑧𝐺𝐺𝑛𝑛𝑠𝑠𝑡𝑡𝑟𝑟𝑎𝑎𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑑𝑑𝑒𝑒 𝑉𝑉𝑒𝑒𝑟𝑟𝐵𝐵𝐺𝐺𝑛𝑛𝑑𝑑𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑘𝑘𝑒𝑒𝐺𝐺𝑡𝑡𝑒𝑒𝑛𝑛 ausgegangen. Die meisten Lehrbücher verfahren ebenso. In der Praxis ist indes zwischen dem Enterprise Value und dem Wert des Eigenkapitals in vielen Fällen mehr als nur die Nettoverschuldung (zinstragende Verbindlichkeiten minus liquide Mittel). Abbildung 7-10 gibt einen (nicht abschließenden) Überblick. Wert g esondert bewerteter Vermög ensg eg enstä nde Beispiele sind zum Verkauf bestimmte Vermögensgegenstände und das so genannte nicht betriebsnotwendige Vermögen (Vermögensgegenstände, die ohne Beeinträchtigung des operativen Cashflows veräußert werden könnten). Exemplarisch sei hier das nicht genutzte Grundstück (Innenstadtlage in einer attraktiven Großstadt) aufgeführt. Hier erfolgt der Ansatz mit dem voraussichtlichen Veräußerungserlös. Ist die Veräußerung nicht sofort, sondern erst in einigen Jahren möglich, so ist er abzuzinsen. Steuereffekte, die aus einer Veräußerung resultieren, sind zu berücksichtigen. Ebenso Verbindlichkeiten, die mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zusammenhängen. Die Ergebnisse aus dem gesondert bewerteten Vermögen (und gegebenenfalls damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten) sind bei der Herleitung der freien Cashflows zu eliminieren (Vermeidung von Doppelzählungen). 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="244"?> 244 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft Abb. 7-10: Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals Anteile a nderer Gesellscha fter Hält das zu bewertende Unternehmen die Mehrheit, aber weniger als 100 Prozent der Anteile an einem Tochterunternehmen, so wird das Tochterunternehmen zu 100 Prozent konsolidiert und der Tatsache, dass nicht alle Anteile dem Mutterunternehmen gehören, dadurch Rechnung getragen, dass auf der Passivseite der Konzernbilanz ein Ausgleichposten „Anteile anderer Gesellschafter“ ausgewiesen wird. In der Konzernergebnisrechnung wird der Ergebnisanteil dieser Gesellschafter ebenfalls separat gezeigt. Es handelt sich wirtschaftlich um einen Anteil an einer Tochtergesellschaft und nicht um einen Anteil am Mutterunternehmen oder am Konzern. Erfolgt die Bewertung, die Prognose der künftigen freien Cashflows wie in der Praxis üblich auf Basis des Konzernergebnisses und nicht auf Basis einer Einzelbewertung der Unternehmen, so ist dem Rechnung zu tragen. Ein Teil der künftigen freien Cashflows wird nicht den Eigenkapitalgebern des Mutterkonzerns zufließen, sondern den „anderen Gesellschaftern“. Bei der Bewertung der Anteile anderer Gesellschafter ist zu beachten, dass die in der Konzernbilanz ausgewiesenen Werte Buchwerte sind. Sie sind zu ersetzen durch die Anteile am tatsächlichen Wert des oder der in den Konzernabschluss einbezogenen Tochterunternehmen. Dies ist dann relativ leicht, wenn diese Unternehmen börsennotiert sind. Der Börsenkurs kann als relativ gute Approximation für den Wert der Minderheitenanteile herangezogen werden. Gibt es keine Börsennotierung, so ist für das Tochterunternehmen eine eigene DCF-Bewertung vorzunehmen. Liegen die dafür benötigten Informationen nicht vor, dann sollte der Unternehmenswert mit Hilfe von Multiplikatoren (Comparable Companies Analysis oder Precedent Transactions Analysis) geschätzt werden. Als letzter Ausweg bleibt dann doch wieder der Buchwert. Und in den Fällen, in denen der Wert der Anteile anderer Gesellschafter verschwindend gering ist, mag man mit dieser Unschärfe auch leben wollen. <?page no="245"?> 245 Neue Betriebswirtschaft Außerbila nzielle zinstra g ende Verbindlichkeiten Hier sind in erster Linie Verbindlichkeiten aus „Operating Leases“, die unter und nicht in der Bilanz ausgewiesen werden, angesprochen. Wirtschaftlich handelt es sich bei Leasingverbindlichkeiten eindeutig um zinstragende Verbindlichkeiten. Der Barwert der künftigen Leasingverbindlichkeiten aus den nicht bilanzierten Operating Leases ist zu schätzen und zu den in der Bilanz ausgewiesenen zinstragenden Verbindlichkeiten zu addieren. Dasselbe gilt für vergleichbare außerbilanzielle Finanzierungsformen wie zum Beispiel das Factoring. Auch hier sollten die verkauften Forderungen aus Lieferungen und Leistungen wieder dem Working Capital zugerechnet und in gleicher Höhe die zinstragenden Verbindlichkeiten erhöht werden. Pensionszusa g en Künftige Verpflichtungen aus Pensionszusagen können einen erheblichen Anteil an der Bilanzsumme des zu bewertenden Unternehmens ausmachen. Für die Unternehmensbewertung relevant sind in erster Linie Leistungszusagen des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern (so genannte Defined Benefits). Diese Zusagen können durch den Aufbau eines eigenen Planvermögens oder durch Versicherungen „gedeckt“ sein. Dabei sind folgende Fallkonstellationen möglich: Das Planvermögen ist höher als der Wert der künftigen Verpflichtungen. Es liegt eine Überdeckung vor. Das Planvermögen entspricht dem Wert der künftigen Verpflichtungen. Die Pensionen sind voll gedeckt. Das Planvermögen ist geringer als der Wert der künftigen Verpflichtungen. Es liegt eine Unterdeckung vor. Es gibt überhaupt gar kein Planvermögen. Die künftigen Verpflichtungen sind ungedeckt. International ist es überwiegend gebräuchlich, für Pensionszusagen einen separaten Kapitalstock, ein eigenes Planvermögen aufzubauen. Es sind überdeckte, gedeckte und unterdeckte, nur selten vollkommen ungedeckte Pensionen anzutreffen. In Deutschland wurde lange Zeit kein Planvermögen in den Unternehmen für die Pensionsverpflichtungen aufgebaut. Es wurde unterstellt, dass der Rückfluss aus dieser Innenfinanzierung ausreichend sei, um im Leistungsfall für die notwendige Liquidität zu sorgen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde langsam mit dem Aufbau gesonderter, vom operativen Vermögen getrennter Planvermögen begonnen. Bei den DAX-Unternehmen sind inzwischen rund zwei Drittel der Pensionszusagen durch Planvermögen gedeckt (anders ausgedrückt: ein Drittel der Pensionszusagen sind ungedeckt). Bundesweit dürfte der Deckungsgrad deutlich unter denen der DAX-Konzerne liegen, so dass bei der Bewertung von Unternehmen mit Pensionszusagen in Deutschland in aller Regel von einer deutlichen Unterdeckung auszugehen ist. Zur Ermittlung des Ausmaßes der Unterdeckung ist ein ausführliches versicherungsmathematisches Gutachten erforderlich. Bei den DAX-Unternehmen werden die Annahmen, die hinsichtlich Sterbetafeln, Diskontierungszinssatz, erwartete Steigerungsraten bei Gehalt und bei Renten sowie erwartete Rendite des Planvermögens (soweit vorhanden) in den Jahresabschlüssen veröffentlicht. Ebenso werden in begrenztem Umfang Auswirkungen bei Änderungen einzelner Input-Variablen angegeben. Bei nicht notierten Unternehmen ist in aller Regel Input vom Management erforderlich, um zu einer belastbaren Bewertung der Pensionen zu kommen. Der Bilanzausweis bietet aufgrund von bestehenden handelsrechtlichen Übergangsregelungen oft nur einen groben Anhaltswert. Liegt insgesamt eine Überdeckung vor, so liegt es nahe, diese gesondert zum Enterprise Value hinzuzuaddieren. Jedoch ist zu prüfen, ob ein Zugriff auf diese Mittel rechtlich überhaupt möglich wäre. Außerdem sind steuerliche Auswirkungen zu berücksichtigen. In manchen Steuerhoheiten sind hohe Steuersätze vorgesehen, wenn auf das Planvermögen zugegriffen wird. Als Alternative 7 Einführung in die Unternehmensbewertung <?page no="246"?> 246 Ralf Hafner Neue Betriebswirtschaft bietet sich an, die Überdeckung (wenn sie signifikant ist) bei der Prognose der künftigen Aufwendungen zu berücksichtigen. Eine Unterdeckung ist wirtschaftlich betrachtet der versicherungsmathematische Barwert künftiger Cash-Outflows aus den eingegangenen Pensionsverpflichtungen. Sie ist vom Enterprise Value abzuziehen, wenn der Wert des Eigenkapitals ermittelt wird. Sonstig e fremdka pita lä hnliche Positionen Neben den Pensionsrückstellungen gibt es auf der Passivseite der Bilanz weitere Positionen, die sich weder den zinstragenden Verbindlichkeiten noch dem Working Capital zuordnen lassen. Als Beispiel seien hier einmalige Rückstellungen für Restrukturierungsaufwendungen genannt oder Rückstellungen für Prozessrisiken. Hierfür sollten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Eintrittswahrscheinlichkeiten, Nach-Steuer-Barwerte ermittelt und diese als fremdkapitalähnliche Positionen vom Enterprise Value abgezogen werden, um zum Eigenkapitalwert zu gelangen. Latente Steuern sind daraufhin zu analysieren, ob sie zum operativen oder zum nichtoperativen Bereich gehören, wann sie voraussichtlich fällig werden und dann gegebenenfalls vom Enterprise Value abzuziehen. Steuerliche Verlustvorträge stellen einen gesondert zu bewertenden Vermögensgegenstand dar und sind zum Enterprise Value hinzuzuaddieren. Optionswerte Viele börsennotierte Unternehmen gewähren ihrem Management Aktienoptionen als Bestandteil der Vergütung. Diese Optionen beinhalten das Recht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums Aktien des Unternehmens zu einem festgelegten Preis zu erwerben. Diese Optionen beeinträchtigen den Enterprise Value nicht, wohl aber den Eigenkapitalwert. Ausgeübt werden die Optionen nur, wenn der Aktienkurs über dem Bezugspreis liegt. In Höhe der Differenz erzielt der Ausübende einen Gewinn - er erwirbt beispielsweise zu einem Preis von 20 Euro eine Aktie, die für 25 Euro gehandelt wird. Gibt das Unternehmen dafür neue Aktien aus, dann kommt es zu einer Kapitalverwässerung. Der Anteil der Altaktionäre am Unternehmen sinkt, dem Marktpreis von 25 Euro steht nur ein Erlös von 20 Euro gegenüber. Das Unternehmen könnte die Aktien alternativ auch am Markt kaufen, müsste indes 25 Euro aufwenden, erhält aber nur 20 Euro. Dies reduziert den Cashflow an die Eigenkapitalgeber. Und damit den Eigenkapitalwert. Bewerten lassen sich die Optionen mit den gängigen Optionspreismodellen (Black Scholes oder Cox Ross Rubinstein) ermitteln. Üblicherweise sind diese Berechnungen auch im Anhang der Jahresabschlüsse der Unternehmen zu finden. Ist die Gewährung von Aktienoptionen an das Management beim zu bewertenden Unternehmen „ständige Übung“, so reicht es nicht aus, lediglich die bestehenden Optionen zu bewerten. Es sind darüber hinaus auch die Optionen ins Kalkül einzubeziehen, die in Zukunft voraussichtlich noch gewährt werden. Hat der Bewerter Zugang zum Management, so lassen sich hier in aller Regel belastbare Informationen zusammenstellen. Ist das nicht der Fall, so wird man sich mit groben Schätzungen (zum Beispiel auf der Grundlage historischer Relationen von Umsatz oder EBIT und gewährten Optionen) behelfen müssen. Neben Aktienoptionen des Managements können auch Wandel- und Optionsanleihen den Eigenkapitalwert mindern, da auch sie zu einer Verwässerung der Anteile der Altaktionäre führen, wenn sie ausgeübt werden. Im Gegensatz zu den Managementoptionen werden Wandel- und Optionsanleihen jedoch häufig an der Börse gehandelt. Der aktuelle Marktpreis ist, wenn der ermittelte Wert des Eigenkapitals nicht stark vom Marktwert des Eigenkapitals abweicht, eine hinreichend gute Approximation. Alternativ lassen sich auch hier mit Hilfe von Optionspreismodellen Werte ermitteln. <?page no="247"?> 7 Einführung in die Unternehmensbewertung 247 Literatur Internationale Standardwerke (Auswahl) Damodaran, Investment Valuation: Tools and Techniques for Determining the Value of Any Asset, 3. Aufl., 2012 Koller/ Goedhart/ Wessels, Valuation: Measuring and Managing the Value of Companies, 6. Aufl., 2015 Rosenbaum/ Pearl, Investment Banking, Valuation, Leveraged Buyouts, and Mergers & Acquisitions, 2. Aufl., 2013 Deutsche Standardwerke (Auswahl) Ballwieser/ Hachmeister, Unternehmensbewertung: Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl., 2016 Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl., 2015 DVFA-Arbeitskreis „Corporate Transactions and Valuation“, Best-Practice-Empfehlungen Unternehmensbewertung Hering, Unternehmensbewertung, 3. Aufl., 2014 Hommel/ Dehmel, Unternehmensbewertung case by case, 7. Aufl., 2013 Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.), IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1 i. d. F. 2008), Matschke/ Brösel, Unternehmensbewertung: Funktionen - Methoden - Grundsätze, 4. Aufl., 2012 Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., 2019 Web (Auswahl) http: / / www.damodaran.com http: / / macabacus.com/ learn <?page no="249"?> Neue Betriebswirtschaft 8 Unternehmenszusammenschlüsse Rebecca Popp Lernziele Sie sollen die Begriffe Unternehmenszusammenschluss und Merger&Acquisition richtig verstehen und verwenden können. Sie sollen einige Motive für Unternehmenszusammenschlüsse kennen. Sie sollen den Ablauf eines Unternehmenszusammenschlusses beschreiben können. Sie sollen Ansätze zur Erfolgsmessung von Unternehmenszusammenschlüssen kennen. Sie sollen einen Einblick in aktuelle Entwicklungen bei Unternehmenszusammenschlüssen gewinnen. Begriffsabgrenzung Unternehmenszusammenschlüsse entstehen durch Verbindung von bisher rechtlich sowie wirtschaftlich selbständigen Unternehmen, wobei zumindest bei einem der beiden Unternehmen die rechtliche oder wirtschaftliche Selbständigkeit aufgegeben werden kann, jedoch nicht aufgehoben werden muss. Je nach rechtlicher und wirtschaftlicher Selbständigkeit lassen sich Unternehmenszusammenschlüsse weiter unterteilen in Unternehmenskooperationen und Unternehmensverknüpfungen. Bei Kooperationen bleibt die rechtliche Autonomie unberührt und auch die wirtschaftliche Autonomie bleibt bis auf die vertraglich festgelegte Zusammenarbeit der kooperierenden Bereiche weiter bestehen. Zu diesen Unternehmenskooperationen gehören auch strategische Kooperationen wie z.B. Joint Ventures oder strategische Allianzen und andere Kooperationsformen wie Konsortien oder Kartelle. Bei Unternehmensverknüpfungen wird zumindest die wirtschaftliche Autonomie aufgegeben. Unternehmensverknüpfungen lassen sich in Mergers und Acquisitions unterteilen. Übersetzt man M&A - also Mergers and Acquisitions - wörtlich, so handelt es sich im um Fusionen (Mergers) und Unternehmensübernahmen (Acquisitions). Unter Acquisition wird der Erwerb ganzer Unternehmen oder einzelner Unternehmensteile verstanden, wobei das erworbene Unternehmen seine wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit zum Teil oder zur Gänze aufgibt (vgl. Pernsteiner, H/ Andeßner, R. 2014, S 79 f.; Wirtz 2012, S. 10). Die Akquisition erfolgt durch den Kauf von Gesellschaftsanteilen (share deal) oder als Übertragung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Zielunternehmens (asset deal). Bei einem Asset Deal handelt es sich um einen Unternehmenskauf in Form von Anlagevermögen, Wirtschaftsgütern und immateriellen Vermögensgegenständen. Auch die komplette Übernahme des Unternehmens ist dabei möglich. Der Vorteil von Asset Deals besteht darin, dass bestimmte Wirtschaftsgüter aus dem Verkauf ausgeschlossen werden können und der Verkäufer gegebenenfalls die bisher rentablen Geschäftsbereiche weiterführen kann. Auf der Käuferseite bestehen auf steuerlicher und finanzierungstechnischer Seite positive Effekte. Die erworbenen Wirtschaftsgüter gehen direkt in die Bilanz des Käufers über und können inklusive stiller Reserven und eventuell gezahlten <?page no="250"?> 250 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Goodwills 92 abgeschrieben werden. Die Finanzierung wird dadurch erleichtert, dass der Käufer die erworbenen Objekte bei der Bank besichern kann. Bei einem Share Deal werden die Anteile oder Beteiligungen eines Rechtsträgers erworben. Die Identität des gekauften Objekts bleibt also erhalten. Der Erwerber wird Mehr- oder Minderheitsanteilseigner. Garantien und Risikobeschränkungen sind oft Vertragsbestandteil. Die Bilanzierung der erworbenen Anteile erfolgt im Anlagevermögen als Beteiligung und lässt sich somit nicht steuermindernd abschreiben. Vorteilhaft ist beim Share Deal, dass der Käufer individuell mit den Anteilseignern des Target-Unternehmens verhandeln kann. Außerdem entstehen keine arbeitsrechtlichen Probleme aufgrund eines Arbeitgeberwechsels (vgl. Wirtz 2012, S. 286). Merger beschreibt die Fusion von zwei bisher rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen, wobei mindestens ein Unternehmen seine rechtliche Selbständigkeit aufgibt. Dabei kann zwischen einer Fusion durch Aufnahme und einer Fusion durch Neugründung unterschieden werden (vgl. Hinne 2003, S. 5f; Wirtz 2003 S. 13, Rademacher 2011, S 11, Picot 2012, S. 26). Die Verwendung des Begriffs M&A ist äußerst vielfältig und uneinheitlich. Hier werden die Begriffe M&A und Unternehmenszusammenschluss synonym verwendet. In Anlehnung an deutschsprachige Literatur sollen Unternehmenszusammenschlüsse durch Kooperation nicht unter den M&A Begriff fallen, d.h. der Begriff Unternehmenszusammenschluss wird als Unternehmenszusammenschluss im engeren Sinne verstanden. Abbildung 8-1: Der Begriff „Unternehmenszusammenschlüsse“ 92 Goodwill ist im Rechnungswesen die Bezeichnung für einen immateriellen Vermögensposten im Unternehmen, der durch entgeltlichen Erwerb von anderen Unternehmen oder Unternehmensteilen entsteht oder als selbst geschaffener Firmenwert eine Höherbewertung des eigenen Unternehmens darstellt. <?page no="251"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 251 Neue Betriebswirtschaft Es gibt verschiedene Ansätze wie sich Unternehmenszusammenschlüsse unterscheiden lassen. Eine erste Art der Unterscheidung ist gemäß des leistungswirtschaftlichen Zusammenhangs der Unternehmen. Schließen sich Unternehmen auf der gleichen Produktionsstufe zusammen, so bezeichnet man dies als horizontalen Zusammenschluss (vgl. Grill 2011, S. 18f., Gaughan 2002, S. 13). Horizontale Zusammenschlüsse können negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, insbesondere wenn es sich bei den fusionierenden Unternehmen um Unternehmen mit großer Marktmacht handelt. Kartellrechtliche Kontrollen sollen diese negativen Auswirkungen mindern (vgl. Gaughan 2002, S. 13f.). Bei vertikalen Zusammenschlüssen hingegen verbinden sich Unternehmen auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen. Der Zusammenschluss mit Unternehmen auf vorgelagerter Ebene hilft z.B. bei der Versorgung des Unternehmens mit Vorprodukten oder Rohstoffen. Man spricht hier von Rückwärtsintegration. Bei der Vorwärtsintegration werden Unternehmen der nachgelagerten Wertschöpfungsstufen integriert (vgl. Stein 1992, S. 9). Ein Konglomerat hingegen ist der Zusammenschluss von Unternehmen ohne leistungswirtschaftlichen Zusammenhang (vgl. Grill 2011, S18f.). Hinsichtlich der Finanzierung kann man zwischen Außen- und Innenfinanzierung und eigen- und fremdkapitalbasierter Finanzierung unterscheiden. Weiterhin kann nach der Übernahmetechnik unterschieden werden. Dabei kann man zwischen freundlichen und feindlichen Übernahmen unterscheiden. Bei einer freundlichen Übernahme führen Interessenten und Management des Akquisitionsobjekts Verhandlungen. Feindliche Übernahmen resultieren aus der Tatsache, dass bei Kapital- und Aktiengesellschaften Eigentümer und Managementfunktion auseinander fallen, woraus sich ein Interessenkonflikt ergibt. Ein Investor kann sich direkt an die Eigentümer eines Unternehmens wenden, um ein Unternehmen zu kaufen, ohne die Einwilligung des Managements eingeholt zu haben (vgl. Bauer 2011, S. 15). Die Bezeichnung „feindlich“ stellt oft nur die ablehnende Sicht des Managements des Übernahmekandidaten für den Kauf der Kapitalmehrheit an einem Unternehmen gegen den Willen von dessen Vorstand, Aufsichtsrat oder Belegschaft dar. Motive Unternehmenszusammenschlüsse können als Form der strategischen Unternehmensentwicklung gesehen werden, um auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu reagieren. Unternehmenszusammenschlüsse beeinflussen unterschiedlichste Beteiligte (z.B. Eigner, Management, Mitarbeiter und andere Stakeholder auf beiden Seiten). Dabei haben die verschiedenen Stakeholder unterschiedliche Beweggründe, die nicht unbedingt komplementär sind. Die folgende Tabelle zeigt unterschiedliche Motive für Unternehmenszusammenschlüsse aus Käufersicht und Verkäufersicht auf. Motive für Unternehmenszusammenschlüsse Motive aus Käufersicht strategische Motive finanzielle Motive persönliche Motive - Realisierung von Synergieeffekten und Wertzuwachs - Marktmotive - Leistungsmotive - Risikomotive kapitalmarktbedingte Motive bilanzpolitische und steuerliche Motive unterschiedliche persönliche Motive des Managements <?page no="252"?> 252 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Motive aus Verkäufersicht eigentümerspezifisch unternehmensspezifisch - Nachfolgeregelung und Ausstieg - Cash In finanzielle Notlage bessere Investitionsmöglichkeiten interne Differenzen zwischen Gesellschaftern fehlende Finanzmittel (Investitionen/ Wachstum) - Schuldenabbau, Liquiditätsengpässe - Kostensenkung, Steuervorteile - Konzentration auf Kernkompetenzen strategische Neuausrichtung - Mitarbeiterausstieg Tabelle 8-1: Motive aus Käufer- und Verkäufersicht Zu unterscheiden sind unterschiedliche Erwartungen zwischen strategischen Investoren, die reale Zusammenschlussmotive haben und reinen Finanzinvestoren. Das Kaufinteresse von reinen Finanzinvestoren ist meist ausschließlich finanziell. Reale Zusammenschlussmotive Reale Zusammenschlussmotive sind z.B. Synergieeffekte Diversifikation/ Risikominimierung Größere Marktmacht Verbesserung der Managementleistung Zu den Synergieeffekten gehören z.B. Kosten und Umsatzvorteile, die auf Unternehmenszusammenschlüsse bzw. - übernahmen zurückzuführen sind. Durch die Zusammenlegung bisher getrennter Unternehmensbereiche oder Funktionen, wie z.B. Verwaltung und Produktion können Doppelarbeiten vermieden und Kosten eingespart werden (vgl. Kurz 2006, S. 8). Einen weiteren Vorteil, der aus dem Zusammenschluss mehrerer Unternehmen resultiert, ist die Unternehmensgröße. Hierdurch entstehen so genannte Economies of Scale, denn die Fixkosten werden auf eine höhere Produktionsstückzahl verteilt, so dass die Fixkosten pro Stück sinken (vgl. Kurz 2006, S. 8). Man unterscheidet dabei zwischen Spezialisierungseffekten, Kapazitätseffekten und Erfahrungskurveneffekten (vgl. Balz 2007, S. 22f.). Spezialisierungseffekte werden dadurch erreicht, dass Aufgaben im Unternehmen besser bzw. effizienter bearbeitet werden können und dadurch die Stückkosten sinken. Werden die Stückkosten durch eine Vergrößerung der Stückzahlen ohne die Ausnutzung vorhandener Leerkapazitäten reduziert, spricht man von Kapazitätsgrößenvorteilen. Durch z.B. Mengenrabatte von Lieferanten sinken bei zunehmender Unternehmensgröße die Kosten pro Stück. Allerdings steigen, wenn eine bestimmte Unternehmensgröße überschritten wird, die Stückkosten manchmal sogar wieder. D.h. vor dem Zusammenschluss von Unternehmen ist dieser Effekt zu hinterfragen (vgl. Balz 2007, S. 23, Hinne 2008, S. 41). Erfahrungskurveneffekte stellen einen Bezug zwischen kumulierter Ausbringungsmenge und den Kosten pro Stück her. Die grundlegende Aussage des Ansatzes ist, dass bei einer Verdopplung der kumulierten Ausbringungsmenge die Kosten pro Stück um 15-30 Prozent verringert werden können. Durch einen Zusammenschluss zwischen Unternehmen können Erfahrungen zwischen den Unternehmen weitergegeben werden. Durch Skaleneffekte können Unternehmen mit größerer Produktionsmenge niedrigere Stückkosten erreichen und damit die Kostenführerschaft erlangen. <?page no="253"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 253 Neue Betriebswirtschaft Die Fixkostendegression ist umso intensiver je fixkostenintensiver die Produktion des Unternehmens ist. Ein Beispiel ist das Auftreten von M&A-Transaktionen in der Stahlindustrie durch die hohen Fixkosten für die benötigten Anlagen und Maschinen. Im Telekommunikationsbereich ist dieses Motiv durch die hohen Infrastrukturkosten zu erklären (vgl. Balz 2007, S. 22; Hinne 2008, S. 40). Außerdem entstehen so genannte Economies of Scope, also Verbundvorteile, die das Zusammenwirken von Entscheidungen, Tätigkeiten, Maßnahmen und Funktionsbereichen des Unternehmens darstellen. Durch finanzwirtschaftliche Synergien wird der Zugang zu internationalen Börsen und Kapitalmärkten erleichtert, da durch den Zusammenschluss eine bestimmte Unternehmensgröße erreicht wird (vgl. Budzinski/ Kerber 2003, S. 43). Durch den Zusammenschluss von Unternehmen werden zudem Kompetenzen und Erfahrungen auf ein anderes Erzeugnis übertragen und existierende Faktoren wie Technologien, Produktionsanlagen und Vertriebskanäle gemeinschaftlich genutzt (vgl. Lenhard 2009, S. 32f.). Ein wesentliches Motiv für M&A Aktivitäten liegt im Zugang zu Know-How und Ressourcen. D.h. beim Zusammenschluss steht der Zugang der im Zielunternehmen vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen im Vordergrund. Mit M&A Aktivitäten kann das Unternehmen Zugang zu Fähigkeiten erlangen, die nicht einfach gekauft werden können und auch nicht anders generiert werden können. Die durch den Kauf des Zielunternehmens erworbenen Fähigkeiten und Ressourcen sind für das Käuferunternehmen nur dann wertvoll, wenn sie uneingeschränkt transferiert, genutzt und evtl. kombiniert werden können (vgl. Hinne 2008, S. 43f.). Auch der Zugang zu Beziehungen zu Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern, Kooperationspartnern, Forschungseinrichtungen, Agenturen etc. gehört zu den M&A Motiven (vgl. Hinne 2008, S. 46). Ein weiterer Vorteil von Unternehmenszusammenschlüssen liegt in der Risikoreduktion. Hier kann man zwischen kurz- und langfristigen Risiken unterscheiden. Kurzfristige Risiken bestehen aufgrund der Abhängigkeit eines Unternehmens von bestimmten Produkten oder Branchen. Schließen sich Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zusammen, so wird das Risiko auf verschiedene Branchen gestreut. Für Zusammenschlüsse werden oft Unternehmen ausgesucht, deren Ertragsentwicklungen sich entgegenstehen, um Zahlungsströme auszugleichen. Durch die Diversifikation via Unternehmenszusammenschluss erreicht das Unternehmen größere Unabhängigkeit bei Marktschwankungen (vgl. Wirtz 2003, S. 64). Vertikale Zusammenschlüsse verringern die Abhängigkeit von Zulieferern und Abnehmern. Durch höhere Abnahmemengen lassen sich zudem die Einkaufskonditionen verbessern. Gerade beim produzierenden Gewerbe spielt der Zugang zu Ressourcen eine große Rolle. Durch den Zusammenschluss mit vorgelagerten Unternehmen lassen sich bedeutende Kostenvorteile erzielen, wenn nicht sogar ein exklusiver Zugang zu bestimmten Ressourcen erreicht wird. Dabei müssen diese Ressourcen nicht unbedingt materieller Natur sein. Auch Know- How stellt ein bedeutendes Asset dar. Um das langfristige Überleben eines Unternehmens zu sichern, ist das Vordringen in neue Wachstumsmärkte zur Risikobewältigung anzustreben, womit eine Verringerung der Bindung von wettbewerbsintensiven oder stagnierenden Märkten bewirkt wird (vgl. Wirtz 2003, S. 64). Durch Unternehmenszusammenschlüsse wird außerdem die Marktmacht vergrößert und die Anzahl der konkurrierenden Unternehmen verringert. Eine Wettbewerbsverdrängung wird durch die Gewinnung neuer Märkte und Vertriebswege und den indirekten Kauf von Marktanteilen des einstigen Mitbewerbers erreicht. Somit verringert sich die Wettbewerbsintensität. Bei horizontalen Zusammenschlüssen von Unternehmen, die vorher schon einen beachtlichen Marktanteil innehatten, verbessert sich durch den verringerten Preiswettbewerb deren Verhandlungsposition nicht nur gegenüber den Kunden am Absatzmarkt, sondern auch gegenüber den Lieferanten am Beschaffungsmarkt. Das Unternehmen kann mit der gewonnenen Marktmacht die abgesetzte Menge, den Marktpreis und andere Parameter beeinflussen und die Ertragskraft verbessern (vgl. Budzinski/ Kerber 2003, S. 52, vgl. Lenhard 2009, S. 34, vgl. Pauser 2007, S. 42). Derartige monopolistische Marktstrukturen führen zu einem Nachteil für die Zulieferer und Kunden. Die Kartellbehörde als <?page no="254"?> 254 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft nationale Instanz, die dazu befähigt ist, die Entstehung und den Missbrauch von Marktmacht von Beginn an abzuwenden, und die Diskussionen über eine eventuelle globale Weltkartellbehörde zeigen die Aktualität dieser Problematik (vgl. Lenhard 2009, S. 35; Pauser 2007, S. 43). Die Transaktionskosten-Theorie zeigt ein mögliches Motiv für die Durchführung von vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen, d.h. von Zusammenschlüssen mit Unternehmen aus einer vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufe. Hierbei ist es wichtig, dass die Kosten in Bezug auf die Entwicklung, Verhandlung, Durchführung und Kontrolle von Verträgen nach dem Zusammenschluss geringer sind, als sie es vor der Integration waren (vgl. Hinne 2008, S. 46). 8.2.2 Spekulative Zusammenschlussmotive Finanzinvestoren haben zudem spekulative Zusammenschlussmotive. Finanzinvestoren erwerben ein Unternehmen, um erhebliche Wertsteigerungen zu erlangen. In der Regel haben Finanzinvestoren kein strategisches Interesse, sondern versuchen in einem kurzen Zeitraum mit Hilfe finanzwirtschaftlicher und operativer Mittel, eine hohe Rendite zu erreichen. Die Investition wird meist nach einem Zeitraum von ca. 3-5 Jahren beendet und mit Gewinn weiterveräußert (vgl. Allert, A. 2014, S. 568). Im Rahmen von spekulativen Motiven sollen Arbitrage-Gewinne erzielt werden, die sich aus der Differenz zwischen Kaufpreis und Finanzierungskosten und einem höheren Verkaufserlös ergeben. Voraussetzung dafür, dass der Käufer solche Arbitrage-Gewinne realisieren kann, ist dass er die notwendige Akquisitionserfahrung und Markterfahrung hat. Außerdem muss eine Intransparenz des Markts vorliegen und der Käufer muss gegenüber anderen Marktteilnehmern einen Vorsprung haben. Ein Käufer mit der notwendigen Erfahrung sollte sich auf unterbewertete Unternehmen konzentrieren, um eine möglichst große Wertsteigerung zu erzielen (vgl. Jansen 1999, S. 156). Steueroptimierung ist ein weiteres finanzielles Motiv. Die Zusammenführung zweier Unternehmen bieten erhebliche steuerliche Potenziale. Z.B. kann der Verlustvortrag eines Unternehmens mit den Gewinnen eines anderen verrechnet werden. Je nach Gestaltung der Transaktion (Asset Deal) lässt sich der komplette Kaufpreis steuerlich geltend machen (vgl. Writz 2012, S. 76). Zudem ist durch die Hebung stiller Reserven eine Erhöhung der Abschreibungsbasis möglich. Des Weiteren kann der Zinsaufwand für eine Fremdkapitalfinanzierung des Zusammenschlusses steuerlich geltend gemacht werden (vgl. Jansen 2008, S. 138; Pauser 2007, S. 53). Ein Finanzinvestor arbeitet meist auf einen schnellen, rentablen Exit hin und ist nicht an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert. 8.2.3 Managementmotive Diese Motive bestehen meist vorrangig aus Macht- und Prestigestreben. Durch die Übernahme des Unternehmens wird der Einflussbereich des Managers vergrößert. Allerdings kann es wegen Selbstüberschätzung der Unternehmensleitung dazu kommen, dass sich der gewünschte Erfolg nicht einstellt („Hybris-Theorie). Folge der Selbstüberschätzung ist, dass Manager bereit sind Preise für Unternehmen zu zahlen, die oberhalb des Marktniveaus liegen (vgl. Jansen 2008, S. 138f; vgl. Lenhard 2009, S. 36). Stehen einem Unternehmen freie Mittel zur Verfügung so kommt es zu Interessenkonflikten zwischen Unternehmensführung und Eigentümern. Während die Eigentümer an einer Ausschüttung der Gewinne interessiert sind, möchte das Management den eigenen Einflussbereich erweitern und Unternehmenskäufe tätigen. Eine Ausschüttung des Free-Cashflows würde eine Verminderung der kontrollierten Ressourcen darstellen und somit den Einflussbereich des Managements reduzieren. Bei geringerem Free-Cash-Flow müsste das Management für Finanzierungen früher auf den Kapitalmarkt zurückgreifen, was wiederum den Handlungsspielraum des Managements einschneiden würde. Außerdem kann das Management nicht ausgeschüttete freie Mittel zur späteren Ertragsstabilisierung verwenden (vgl. Lenhard 2009, S. 37; Pause 2007, S. 55). <?page no="255"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 255 Neue Betriebswirtschaft Der wichtigste Vermögensgegenstand eines Managers, sein Humankapital, ist im Gegensatz zum Investment eines Aktionärs an ein einzelnes Unternehmen gebunden. Meist ist auch der Einkommensstrom weitgehend von der Unternehmensperformance abhängig. Um das Risiko des Einkommensverlustes zu minimieren, sind Manager daran interessiert auf Unternehmensebene einen hohen Diversifikationsgrad zu erreichen. Die zunehmende Größe des Unternehmens erhöht gleichzeitig den Einkommensstrom (vgl. Becker 2015, S. 51; Wirtz 2003, S. 71). Außerdem möchten Manager möglichst unentbehrlich sein. Häufig werden daher M&A Zusammenschlüsse in Geschäftsfeldern getätigt, in denen der Geschäftsführer besondere Expertise aufweist (vgl. Becker 2015, S. 52). 8.2.4 Motive aus Verkäufersicht Bei kleinen und mittleren Unternehmen ist häufig die fehlende Unternehmensnachfolge ein zentraler Verkaufsgrund. Wenn sich der oder die Eigentümer aus Altergründen oder anderen Gründen aus dem Unternehmen zurückziehen wollen und eine z.B. familiäre Nachfolge nicht bestimmt ist, ist eine Veräußerung oft der einzige Weg, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Auch Differenzen zwischen den Gesellschaftern können einen Beweggrund für den Verkauf des Unternehmens darstellen. In Folge von Erbschaften z.B. können neue Eigentümer in den Gesellschafterkreis eintreten, was zu einem erhöhten Potenzial für Streitigkeiten führen kann. Auch hier bietet der Unternehmensverkauf häufig den einzigen Ausweg. Der Verkauf erfolgt meist nicht an einen externen Käufer, sondern an bestehende Miteigentümer. Auch der berufliche Aufstieg des Alteigentümers im Falle eines Unternehmensverkaufs ist ein weiteres Motiv. Hierbei spekuliert der Gesellschafter darauf, dass wenn er die Gesellschaft an ein größeres Unternehmen weiterverkauft, er dort eine führende Position einnehmen und den Einflussbereich ausdehnen kann (vgl. Wirtz 2003, S. 73). Ein weiterer Grund für den Verkauf durch den Alteigentümer könnte sein, dass alternative Investitionsmöglichkeiten bestehen. Der Alteigentümer ist bemüht, sein Unternehmen zu verkaufen und die gewonnenen Mittel in alternativen Investitionsprojekten anzulegen. Auch finanzielle Engpässe stellen ein Verkaufsmotiv dar. Häufig ist der Zeitraum für den Verkauf so eng, dass ein Notverkauf des Unternehmens erfolgt, bei dem nur sehr niedrige Preise für das Unternehmen erzielt werden (vgl. Wirtz 2003, S. 74). Neben den genannten Eigentümermotiven lassen sich noch zahlreiche Motive aus Unternehmenssicht nennen. Veränderung der Rahmenbedingungen wie z.B. technologische Entwicklungen, können Investitionen erforderlich machen, die das Unternehmen nicht aufbringen kann. Durch Unternehmensverkauf an einen finanzkräftigen Investor können diese Mittel erlangt werden. Auch können die erforderlichen Mittel für Unternehmenswachstum aufgebracht werden. Bei Liquiditätsengpässen oder für den Schuldenabbau kann ein Unternehmensverkauf oder Teilverkauf notwendig sein, um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Durch die Veräußerung eines nicht-börsennotierten Unternehmens an ein an der Börse gelistetes Unternehmen können die Kapitalkosten verringert werden und steuerliche Vorteile erlangt werden. Das nicht-börsennotierte Unternehmen erwartet sich Zugang zum anonymen Kapitalmarkt und bessere Finanzierungsmöglichkeiten und günstigere Konditionen (vgl. Wirtz 2003, S. 74f.). Ein weiteres Verkaufsmotiv liegt in Re- und Umstrukturierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einer strategischen Neuausrichtung von Unternehmen. Zum Beispiel kann die strategische Positionierung in neuen Geschäftsfeldern dazu führen, dass sich das Unternehmen aus bisherigen Geschäftsfeldern zurückzieht, was zur Veräußerung von Unternehmensteilen führen kann. Auch wenn sich ein Unternehmen auf die Kernkompetenzen konzentriert und seine Unternehmenstätigkeiten wieder auf solche Bereiche konzentriert, in denen es sich schon in der Vergangenheit Wettbewerbsvorteile sichern konnte, werden Unternehmensbereiche, die nicht zum Kerngeschäft gehören, verkauft. Ziel ist es, durch die Bündelung der Ressourcen auf Kerngeschäfte die erreichten Wettbewerbsvorteile dauerhaft zu sichern (vgl. Wirtz 2003, S. 74f.). <?page no="256"?> 256 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Unternehmen können auch durch den Weggang von wichtigen Mitarbeitern in eine gefährliche Lage gebracht werden. Besonders in Dienstleistungs- und High-Tech-Branchen ist der Abgang von wichtigem Personal bedenklich, da Unternehmen besonders abhängig von den Fähigkeiten der Mitarbeiter sind. Im schlimmsten Fall kann auch der Weggang wichtiger Mitarbeiter den Verkauf des Unternehmens notwendig machen (vgl. Wirtz 2003, S. 75). Phasen von M&A Bei M&A Prozessen gibt es drei Hauptphasen: Preakquisitionsphase Transaktionsphase Post-Merger-Phase Dabei sind die einzelnen Phasen integrativ und iterativ zu sehen und aufgrund der Interdependenzen ist der Ablauf nicht rein chronologisch zu betrachten (vgl. Jansen 2008, S. 249). 8.3.1 Preakquisitionsphase In der Preakquisitionsphase wird zunächst die Ausgangslage analysiert, danach für das Target-Objekt ein Anforderungsprofil erstellt. Dazu muss eine Akquisitionsstrategie festgelegt werden, wobei die eigenen Unternehmensziele erörtert werden. Somit kann ein Soll-Profil erstellt werden, das das so genannte Screening erleichtert. Zu Kriterien des Screenings gehören z.B. Unternehmensgröße, Marktzugangsmöglichkeiten, Branche, Produktprogramm und Kapazitäten (vgl. Reißner 1992, S. 152). Die Informationen dafür können entweder durch eine Abteilung des Käufers oder durch externe Unternehmen wie z.B. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften besorgt werden. Häufig werden in einem Kurzprofil, auch Teaser genannt, auf ein bis drei Seiten, anonym die wichtigsten Informationen des Zielobjekts dargestellt. Wurde beim zu veräußernden Unternehmen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, kann im Teaser auch der Name des Unternehmens enthalten sein. Darauf folgt ein Information Memorandum, das nach der Unterzeichnung der Vertraulichkeits- und Geheimverhaltungsvereinbarung ausgehändigt wird. Das so genannte NDA (Non-Disclosure-Agreement) gilt als Grundvoraussetzung für weitere detaillierte Einblicke und Vertragsverhandlungen. Wurde allerdings ein Insolvenzverfahren gegen das Target-Objekt eröffnet, erübrigen sich die Regelungen zur Vertraulichkeit, da der Insolvenzantrag öffentlich gemacht wird. Das Ergebnis der Preakquisitionsphase sollte eine gut durchdachte strategische Vision sein, mit der die Akquisition erklärt werden kann und der Prozess gestaltet werden kann. Außerdem sollte eine klare Vorstellung darüber bestehen, welcher Nutzen aus der Akquisition gewonnen werden kann (vgl. Jansen 2008, S. 250ff.). 8.3.2 Transaktionsphase Die Transaktions- oder Merger-Phase kann in die Teilbereiche Kontaktaufnahme, Due Diligence, Unternehmensbewertung, Verhandlung und Vertragsgestaltung und -abschluss gegliedert werden. In einem ersten Schritt sind potenzielle Kandidaten auszuwählen und näher zu untersuchen. Dabei können externe Berater herangezogen werden. Die ermittelten Kandidaten (Long List) sind im Anschluss einer Vorauswahl zu unterzeihen (sog. Screening). Dabei soll geprüft werden inwieweit die Kandidaten den erstellten Anforderungen gerecht werden (Short List). Bei der Kontaktaufnahme geht es darum festzustellen, ob das Management des anderen Unternehmens überhaupt Interesse an der Transaktion zeigt. <?page no="257"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 257 Neue Betriebswirtschaft Im Rahmen der Unternehmensbewertung soll ein Kaufpreis für das Target-Objekt gefunden werden. Entsprechen die Kaufpreisvorstellungen den Interessen des Käufers ausreichend, so können erstmals konkretere interne Informationen herangezogen werden. Der Letter of Intent (LOI) ist ein erster juristischer Schritt zur Formalisierung der Vertragsverhandlungen und Bereitstellung von Informationen. Der LoI enthält die Definition des Transaktionsgegenstandes, Kaufpreisvorstellungen, Geheimhaltungsverpflichtungen und die Planung der Due Diligence. Due Diligence ist eine weitgehende Prüfung des Unternehmens im Rahmen einer M&A Transaktion. Insbesondere sollen dabei Sachverhalte aufgedeckt werden, wegen derer der Deal abgebrochen werden muss. Dabei wird auf die Einzelbereiche Financial, Marketing, Human Resources, Cultural, Legal and Tax, Organizational und IT eingegangen. Zur Durchführung der Due Diligence wird unter anderem ein - meist elektronischer - Datenraum zur Verfügung gestellt. Im Nachgang werden wesentliche rechtliche Fragen geklärt, vorhandene Risiken analysiert und konkret über den Kaufpreis verhandelt. Wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, kommt es zum Vertragsabschluss. Die Vertragsunterzeichnung wird dabei auch als Signing bezeichnet. Außerdem wird ein Stichtag festgesetzt, zu dem die Parteien alle festgelegten Bedingungen zu erfüllen haben. Dieser Termin wird auch als Closing bezeichnet. 8.3.3 Post-Merger-Phase Die Post-Merger-Phase beinhaltet die Integration des erworbenen Unternehmens und die Erfolgskontrolle des M&A Prozesses. Während der Integrationsphase werden das akquirierende Unternehmen und das verkaufte Unternehmen zusammengeführt. Die Integrationsmaßnahmen sollten dabei nicht erst nach der Transaktion erfolgen, sondern sind von Anfang an zu berücksichtigen und zu planen (vgl. Jansen 2008, S. 319). Die Post Merger Integration umfasst alle Bereiche unternehmerischen Handelns, d.h. nicht nur organisatorische Aspekte (z.B. Finanzbuchhaltung, Beschaffung, Produktion, Vertrieb, IT), sondern auch übergeordnete Aspekte (wie z.B. die Integration und Anpassung der Unternehmenskultur oder Kommunikation). Auch die Übernahme und Pflege von Kunden und Lieferanten ist zu beachten. Die Integration muss auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen: Strategische Integration: Überprüfung der Komplementarität der Strategien, strategische Neuausrichtung, Integration der Geschäftsfelder etc. Organisatorische/ Administrative Integration: Integration der internen Kontroll- und Bilanzsysteme, Integration der IT-Systeme, Vereinheitlichung des Schnittstellen- und Prozessmanagements etc. Personelle Integration: Schaffung einheitlicher Anreiz und Vergütungssysteme, Personalentwicklung, Konfliktmanagement, Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen etc. Kulturelle Integration: Integration der Unternehmenskulturen, Definition neuer Leitbilder, Visionen und Ziele, Führungsstil etc. Operative Integration: Zusammenlegung von Produktlinien, Fertigungsstätten, Projekten; Vereinheitlichung von Logistik, Einkauf, Vertrieb etc. Externe Integration: Kommunikation mit Analysten, Kunden, Lieferanten, Beratern, Stakeholdern <?page no="258"?> Neue Betriebswirtschaft Pre-acquisition-Phase Transaktions-Phase Post-Merger-Phase - Basisstrategie - Screening - Vorgeldsondierung - Grobbewertung und Finanzierungsplanung - Prüfung Genehmigungsfähigkeit - Planung M&A Organisation - Vorverträge (NDA, LOI) - Due Diligence - Pre-Closing-Integrations- Plan - Detailbewertung und Detail- Finanzierungsplanung interne Beschlüsse - Verhandlung & Signing der Kauf- und Umsetzungsverträge finale kartellrechtliche Prüfung - Eigentumsübergang (Closing) - Post-Closing-Integrations- Planung organisatorisch-rechtliche Umsetzung personelle & kulturelle Umsetzung marktliche Umsetzung weitere unternehmensabhängige funktionelle Umsetzungsfelder - Integrations-Evaluation - M&A Wissenstransfer Tabelle 8-2: Phasen in Unternehmenszusammenschlüssen Dabei kann die Integration enger oder weiter gestaltet werden: Stand alone Aquisition: das akquirierende Unternehmen behält die rechtliche Selbstständigkeit und die vorhergehende Management-, Organisations- und Personalpolitik bei. Bei diesem Ansatz stehen Synergien nicht im Vordergrund und es entstehen keine grundlegenden Organisations-oder Personalveränderungen, wodurch ein Kulturschock vermieden wird. Holding- und Turnaround Akquisition: Bei dieser Art der Integration bleibt auch die rechtliche Selbstständigkeit des Verkäufers erhalten. Dabei wird auf Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen zurückgegriffen. Außerdem wird das Management des akquirierten Unternehmens ausgetauscht und die Finanzierungs- und Kostensituation wird verbessert. Integrationsmaßnahmen haben im Vergleich eine geringe Relevanz. Bei der Symbiose oder partiellen Integration werden nur die Unternehmensteile integriert, die mit dem Käuferunternehmen eng verbunden sind. D.h. das Ziel ist es, die Unternehmen so gut wie möglich zusammenzuführen ohne deren Autonomie zu beeinträchtigen. Bei der Absorption werden ehemals selbständige Unternehmen zu einem zusammengefasst. Der Bedarf an Autonomie ist bei dieser Strategie gering und die strategischen Interdependenzen zwischen den Unternehmen sind stark ausgeprägt. Dazu werden umfangreiche Integrationsaktivitäten benötigt, weil auch von verschiedenen Seiten inklusive von den Mitarbeitern mit Widerstand zu rechnen ist (vgl. Haspeslagh/ Jemison). Es kann ein Zusammenhang zwischen Integrationsgrad und Führungsanspruch hergestellt werden. Der Integrationsgrad ist umso höher, je stärker der Führungsanspruch des akquirierenden Unternehmens ist und je geringer die Selbstständigkeit des akquirierten Unternehmens ist. 258 Rebecca Popp <?page no="259"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 259 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 8-2: Autonomie und Führungsanspruch Dabei besteht kein linearer Zusammenhang zwischen Integrationsgrad und Integrationserfolg. Eine vollständige Integration bietet die besten Möglichkeiten für Synergien, aber gleichzeitig auch die größten Risiken. Erfolgsfaktoren und Risiken von M&A-Transaktionen 8.4.1 Erfolgsfaktoren Der wahrscheinlich bedeutendste Erfolgsfaktor zum Erreichen der gesteckten Ziele im M&A Bereich ist die Erfahrung der beteiligten Parteien. Bei der Mitwirkung von erfahrenen Managern und Beratungsspezialisten an einer Transaktion wird der Erfolg des Zusammenschlusses wesentlich erhöht. Mit einer ansteigenden Anzahl von M&A-Transaktionen ist ein Unternehmen besser in der Lage, das Vorhaben realistisch zu beurteilen, die Due Diligence zu strukturieren und durchzuführen, die Unternehmensintegration abzuwickeln und die beabsichtigten Synergien zu verwirklichen. Erfahrende Manger und Beratungsspezialisten sind dazu fähig, auftretende Probleme im Rahmen der M&A Transaktion schnell und effizient zu lösen (vgl. Dreher & Ernst 2014, S. 39). Ein weiterer Erfolgsfaktor von Unternehmenszusammenschlüssen ist der so genannte Strategic Fit zwischen Käufer und Verkäufer. So wird die Harmonie zwischen Käuferunternehmen und Kaufobjekt genannt. Je unterschiedlicher die zusammengefügten Unternehmen sind, desto komplexer wird die Transaktion. Verschiedene Unternehmensvisionen, Unternehmensgrößen, Unternehmenskulturen und Geschäftsfelder der beteiligten Unternehmen und kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede können Auswirkungen auf den Strategic Fit haben. Management und Mitarbeiter des zu verkaufenden Unternehmens sind ein letzter wichtiger Faktor für den Erfolg der M&A Transaktion. Zusammenschlüsse, bei denen viele Mitarbeiter des Target-Objekts im Unternehmen verbleiben, sind erfolgreicher als Zusammenschlüsse, bei denen viele Mitarbeiter abwandern. Auf der anderen Seite können viele Synergien erst durch den Abbau von Arbeitsplätzen erzielt werden. Durch die Weiterbeschäftigung des Managements kann die Moral der Mitarbeiter positiv beeinflusst werden und zudem kann sich das Management im operativen Tagesgeschäft als hilfreich erweisen. Das Festhalten am alten Management bzw. Teilen davon kann nach der Transaktion dabei helfen, das Unternehmen zu stabilisieren (vgl. Dreher & Ernst 2014, S. 40). Wesentlich für den Erfolg des Zusammenschlusses ist eine gute Vorbereitung und schnelle Durchführung. Der Transaktionsprozess muss von allen Parteien akkurat vorbereitet und abgewickelt werden (vgl. Dreher & Ernst 2014, S. 42). 8.4.2 Risiken bei M&A-Transaktionen Werden M&A-Transaktionen aus rein finanziellen Motiven geschlossen, wie der Befriedigung des Shareholder-Value oder finanziellem Eigennutzen des Managements, sind die Transaktionen meist weniger erfolgreich. Das Problem bei rein finanziellen Unternehmenszielen ist die kurzfristige <?page no="260"?> 260 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Unternehmensbetrachtung. Wenn allerdings strategische Ziele überwiegen, sind die Erfolgsaussichten der M&A Aktivitäten deutlich höher. Eine weitere Gefahr birgt ein zu hoher Kaufpreis. Die Preisvorstellung kann daher rühren, dass die Bewertung des Unternehmens von den M&A Dienstleistern zu hoch angesetzt wird, weil diese damit einen Anreiz für die Durchführung der Transaktion geben wollen und sich damit besser als Berater platzieren wollen. Auch die Verbundenheit des Verkäufers mit dem eigenen Unternehmen kann dazu führen, dass der Kaufpreis zu hoch angesetzt wird. Die Verkäufer, die das Unternehmen aufgebaut haben, übersehen häufig Schwachstellen ihrer Unternehmen und setzen daher den Kaufpreis zu hoch an. Damit wird die Einigung auf einen Kaufpreis fast unmöglich und es besteht die Möglichkeit, dass damit der Unternehmensverkauf gescheitert ist (vgl. Dreher/ Ernst 2014, S. 41). Außerdem werden häufig von den Managern und Gesellschaftern irrationale und emotionale Entscheidungen getroffen. Solcherlei Fehlentscheidungen, die nur aufgrund von Prestigestreben und nicht aus rationalen Gründen getroffen werden, gibt es bei allen Unternehmensgrößen. Transaktionen die aus emotionalen Gründen durchgeführt werden, sind häufig nicht erfolgreich. Auch Vorhaben, die Kostensynergien in den Vordergrund stellen, haben häufig keine guten Erfolgsaussichten, da Ertragspotenzial und Synergieeffekte oft überschätzt werden oder erst verzögert realisiert werden können. Sind die kulturellen Aspekte und Unternehmenskulturen zu unterschiedlich, so kann dies ebenfalls zum Misserfolg der Transaktion führen. Vor allem in der Post-Merger-Phase kann es hier zu Problemen kommen. Auch die Komplexität der Transaktion und der damit verbundenen Zeitaufwand wird oft unterschätzt. Häufig wird viel zu spät realisiert, dass die Vorbereitung, Planung und Durchführung der Transaktion auch das operative Tagesgeschäft einschränkt. Erfolgsmessung von Mergers & Acquisitions Leider ist die Messung des Transaktionserfolgs nicht so einfach, wie in den Naturwissenschaften, wo unter Laborbedingungen immer ein Faktor verändert werden kann. Dennoch muss im Rahmen einer Transaktion ein Ziel definiert werden, woran später der Grad der Zielerreichung gemessen werden kann. Für die Eigentümer ist die Erhöhung des Unternehmenswerts ein wesentliches Ziel. 8.5.1 Quantitative Messmethoden Man kann bei den quantitativen Messmethoden zwischen jahresabschlussorientierten, kapitalmarktorientierten und ereignisorientierten Methoden unterscheiden. Bei der jahresabschlussbasierten Analyse wird auf Daten des Geschäftsberichts, wie Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht und Kennzahlen zurückgegriffen. Dabei spielt der Vergleich der Kennziffern ähnlich aufgestellter Unternehmen eine große Rolle. Bei der kapitalmarktbasierten Erfolgskontrolle wird die Börsenkursentwicklung analysiert. Erwarten Aktionäre aufgrund eines Unternehmenszusammenschlusses oder einer Akquisition eine positive Unternehmensentwicklung, kaufen sie Aktien, was wiederum zu Kursgewinnen führt. Die Kursreaktion kann aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen und erwarteten Börsenkurs hergeleitet werden. Der erwartete Börsenkurs ergibt sich aus der Fortführung des Kurses wie er ohne die M&A Transaktion zu erwarten gewesen wäre. Nachdem die Transaktionsabsicht bekannt geworden ist, beobachten Börsenunternehmen den eigenen Kurs und den des zu kaufenden Unternehmens genau. Die Kursentwicklung bereinigt um die Entwicklung der Branche, spiegelt wider, wie die <?page no="261"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 261 Neue Betriebswirtschaft Transaktion von den Aktionären aufgenommen wird. Falls die Bewertung schlecht ausfällt, kann die Transaktion noch in Frage gestellt oder sogar verhindert werden. So könnten die Aktieninhaber die erforderlichen Maßnahmen und Beschlüsse, wie den Umtausch von Aktien ablehnen. Außerdem hat sich in der Vergangenheit oft eine Korrelation zwischen der Erfolgsaussicht der Transaktion und dem Verhalten des Aktienkurses bei Bekanntgabe des Zusammenschlusses gezeigt (vgl. Balz 2007, S. 35). Auch für nicht börsennotierte Unternehmen sind Marktreaktionen auf den geplanten Zusammenschluss von Belang. So könnten sich z.B. Finanzgeber weigern, den Kreditrahmen zu erhöhen oder Eigentümer die erforderlichen Kapitalerhöhungen verhindern, wenn sie von der Transaktion nicht überzeugt sind und diese damit stoppen. Ein Nachteil an dieser Messmethode ist, dass Aktienkurse nur für gelistete Unternehmen ermittelt werden können. Auch Unternehmenskennzahlen wie Umsätze, Marktanteile, Umsatzrenditen, Cashflows und Kapitalverzinsung können zur Erfolgsmessung herangezogen werden (vgl. Balz 2007, S. 36f.). Finanzwirtschaftliche Kennzahlen hingegen stellen einen mittelbaren Bezug zur Wertentwicklung der Unternehmung her. Der Nachteil dieser Kennzahlen ist allerdings, dass das dahinter stehende Volumen nicht unbedingt gewinnbringend oder wertsteigernd für das Unternehmen ist. Bei der ereignisorientierten Erfolgskontrolle erfolgt die Analyse durch Wiederverkaufsanalysen und Fluktuationsraten von Führungskräften. Es wird zum einen geprüft, ob das akquirierte Unternehmen später wieder verkauft wird. Außerdem wird die Fluktuation bei Führungskräften und anderen Leistungsträgern des Unternehmens analysiert. Eine geringere Fluktuation bedeutet einen höheren Erfolg (vgl. Balz 2007, S. 37). 8.5.2 Qualitative Erfolgskontrolle Die qualitative Erfolgskontrolle erfolgt über das Befragen von Managern und Mitarbeitern sowie mit Hilfe von Expertenmeinungen. Vor allem um den kulturellen und strategischen Fit und Motive und Ziele zu bewerten wird auf diese Form der Erfolgskontrolle zurückgegriffen. Die qualitative Erfolgskontrolle erlaubt es, Probleme schon während der Merger-Phase aufzudecken, während die quantitative Erfolgskontrolle lediglich in der Post-Merger-Phase angewandt werden kann. Hingegen sind die Einschätzungen aus der qualitativen Erfolgskontrolle häufig eher subjektiv und können die Ergebnisse verzerren (Einschätzungen der Transaktionsverantwortlichen können dabei helfen, den Zielerreichungsgrad mit Hilfe von Kennzahlen zu deuten. Die Verantwortlichen sind dabei allerdings subjektiv (vgl. Balz 2007, S. 36f.). Trends bei Unternehmenszusammenschlüssen 8.6.1 Weltweite Entwicklung Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 ging auch die Anzahl der M&A-Transaktionen stark zurück. Im Jahr 2017 allerdings scheinen die Unternehmer weltweit wieder zuversichtlicher zu sein. In den USA überstieg das Volumen der Transaktionen 2017 das Spitzenvolumen aus 2008 um 50 Prozent. Die USA bleiben damit der größte Markt für M&A Deals, vor Westeuropa und dem asiatischpazifischen Raum. Die steigenden Zinssätze und Steuerrechtsreformen in den USA könnten sich außerdem weiterhin positiv auf den M&A Markt auswirken. Die Anzahl der transnationalen M&A Deals im asiatisch-pazifischen Raum ist seit 2008 kontinuierlich gestiegen, wobei vor allem chinesische Unternehmen stark auf Unternehmenskäufe drängten. <?page no="262"?> 262 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Allerdings wurden internationale Kontrollen der Kapitalmärkte verschärft, so dass M&A Deals heute genauer überwacht werden. Im Jahr 2017 ging daher auch die Anzahl der transnationalen M&A Aktivitäten zurück. Nachdem M&A-Transaktionen 2017 nach Anzahl und Deal Value auf einem Rekordniveau lagen, bleibt für 2018 noch ein weiterer Anstieg zu erwarten. Makroökonomische Faktoren, wie das niedrige Zinsniveau, die günstigen Finanzierungsbedingungen und anhaltendes globales Wachstum begünstigen diesen Trend. Solide Bilanzen, getragen von hohen Cash-Reserven und gute Ertragsaussichten begünstigen ebenfalls M&A-Transaktionen. Die politischen Unsicherheitsfaktoren, zum Beispiel in Korea, weniger kalkulierbare sicherheits- und wirtschaftspolitische Entscheidungen in den USA, die Auswirkungen des Brexit und auch die langen Verzögerungen in der Bildung der Bundesregierung scheinen der optimistischen Stimmung nicht zu schaden. In den USA gewinnen transnationale Transaktionen immer mehr an Bedeutung. Dies erklärt sich unter anderem durch die Lockerung der Restriktionen von grenzübergreifenden Fusionen. Allerdings überwiegt weiterhin die Anzahl nationaler Transaktionen in Nordamerika, genau wie im asiatisch-pazifischen Raum und Westeuropa. Acquirer Region Target Region asiatischpazifischer Raum Nordamerika Westeuropa asiatischpazifischer Raum 1308 186 139 Nordamerika 39 3743 280 Westeuropa 42 721 1493 Tabelle 8-3: M&A Deals nach Volumen (Mrd. USD) - 2013 Q3 bis 2017 Q2. Das größte Volumen an transnationalen Deals entsteht zwischen Westeuropa und Nordamerika. Allerdings spiegeln diese Zahlen teilweise die große Anzahl multinationaler Unternehmen mit Headquarter in den USA wieder. Einige der größten Deals sind das Ergebnis von USamerikanischen Unternehmen die ihren Sitz aus Steuergründen verlegt haben. 8.6.2 Wandel im Konsumentenverhalten und Auswirkungen auf M&A Es ist gibt zudem einige sektorspezifische Trends hinsichtlich M&A Aktivitäten. Bei den Verbrauchergütern verdeutlicht das Kaufangebot von Amazon an Whole Foods in Höhe von 13,7 Milliarden, dass sich die Kaufgewohnheiten der Konsumenten und die Vertriebskanäle ändern. Zudem hat der große Erfolg von Finanztechnologie (fintech) die Aufmerksamkeit von etablierten Finanzdienstleitern erregt, die versuchen ihre Geschäftsmodelle anzupassen. In der Telekommunikationsbranche überwiegen Transaktionen die Inhalte und Distributionskanäle vereinen. 8.6.3 Activist Investors So genannte Activist Investors spielen eine immer größere Rolle bei M&A-Transaktionen. Ein Activist Investor ist ein Individuum oder eine Gruppe, der eine große Menge an Aktien einer Unternehmung kauft und/ oder versucht einen Sitz im Vorstand eines Unternehmens zu erhalten, um große Veränderungen im Unternehmen zu erreichen. <?page no="263"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 263 Neue Betriebswirtschaft 8.6.4 Digitalisierung Die Digitalisierung und das Entstehen ganz neuer Industriezweige zwingt Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle umfassender anzupassen, als sie dies organisatorsch bewältigen können. Daher wollen viele Unternehmen die Anpassungen durch Zukäufe erreichen, insbesondere im Technologiebereich, mit denen sie digitale Geschäftsmodelle vorantreiben wollen. Der M&A Markt erhält Auftrieb durch Anlagedruck bei Finanzinvestoren, deren Fundraising in den vergangenen Jahren einen Rekordstand erreicht hat. Die Mittel sollen nun verwendet werden, was dazu führt, dass einige Private- Equity-Investoren in Bieterprozessen intensiv um attraktive Targets kämpfen. Auch chinesische Investoren und Family Offices drängen immer mehr in das Buy-out-Geschäft und heizen den Wettbewerb als zusätzliche finanzstarke Kaufinteressenten weiter an. Dieser Wettbewerb lässt den Kaufpreis steigen. Verkäufer erlangen durch diesen Wettbewerb um interessante Targets eine komfortable Position. Dies hat Auswirklungen auf die Vertragsverhandlungen und die Vertragsgestaltung von M&A-Transaktionen. Bei Auktionen und Transaktionen können maßgeblich die Verkäufer die Bedingungen diktieren. Häufig geben die Verkäufer extrem kurze Zeitspannen zwischen der Abgabe des finalen Angebots und dem Vertragsabschluss vor. Manchmal ist die Vorgabe 48 Stunden. Auch die Vertragsbedingungen können Verkäufer zu ihren Gunsten gestalten. Zum Teil führt dies soweit, dass die Bieter im Kaufvertrag Garantien streichen und ausschließlich auf einen Versicherungsschutz bauen, um ihr Angebot attraktiv zu machen. Um den kurzen Zeitplänen gerecht zu werden, muss insbesondere auch die Due Diligence so kurz wie möglich gehalten werden. Unternehmen benutzen M&A als strategische Hilfsmittel um grundlegende Innovationen vorzunehmen. Die Anzahl der Transaktionen, die durchgeführt wird, um grundlegend Kenntnisse und Technologien in den Bereichen Fintech, Artificial Intelligence, Robotics etc. zu erlangen wird immer größer. Weltweit gaben Unternehmen im Jahr 2016 291 Milliarden für M&A Deals im Bereich disruptiver Technologien aus, also 4x so viel wie im Jahr 2012. Die wichtigsten Bereiche waren das Internet der Dinge, Social Media und Digital. 8.6.5 Die Nutzung von M&A Aktivitäten und Wagniskapital Der Einsatz von Wagniskapital ist heute fester Bestandteil einer Innovationsstrategie. Es bietet Unternehmen die Möglichkeit Zugriff auf externe Technologien zu erhalten. Dabei wird in junge, nicht börsennotierte Technologieunternehmen investiert. Da solche Unternehmen für eine herkömmliche Kreditfinanzierung meist nicht genügend Sicherheiten aufbringen können, stehen vollhaftendes Eigenkapital sowie hybride Finanzierungsformen im Vordergrund. Beim Einsatz von Wagniskapital geht es nicht nur um finanzielle Erträge, sondern auch um den Zugang zu neuen Technologien, Geschäftsmodellen und Talent, die wichtig für ein Wachstum durch Innovationen sind. Das Zusammenspiel von technologischem Wandel, sich wandelnden Verbraucherbedürfnissen und einem sich wandelnde regulatorischen Rahmenwerk, ändern die Art und Weise wie Produkte und Services entwickelt, geliefert und konsumiert werden. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Sektoren und bieten neuartigen Wettbewerbern die Möglichkeit, neue Angebote zu machen. Unternehmen benutzen M&A und Wagniskapital dazu, in innovative Startups zu investieren, um ein innovatives Angebot zu schaffen. Es ist wichtig, dass Unternehmen genaue Vorstellungen davon haben, welche Rolle externe Innovationen spielen können, wenn es darum geht strategische Ziele umzusetzen. Innovationsgetriebene M&As und Wagniskapitalstrategien sollten diese langfristigen strategischen Ziele wiederspiegeln, so dass jeder Seite klar ist welche Ziele verfolgt werden. Wenn Unternehmen eine Vorgehensweise gewählt haben, ist es wichtig, dass sie diese Strategie über einen gewissen Zeitraum verfolgen, so dass sie auch die entsprechenden Signale an künftige Partner und Zielunternehmen vermitteln. <?page no="264"?> 264 Rebecca Popp Neue Betriebswirtschaft Es ist von Bedeutung, dass Unternehmen die Kompetenz entwickeln, Signale bezüglich technischer Veränderungen genauso wie bezüglich Veränderungen des Konsumentenverhaltens oder Veränderungen angrenzender Märkte zu beurteilen. Unternehmen sollten die Zusammenarbeit auch mit Unternehmen anderer Sektoren in Betracht ziehen. Die Konvergenz der Sektoren sollte Wettbewerbern unterschiedlicher Sektoren Anreiz geben, gemeinsam in neue Technologien zu investieren. Solche gemeinsamen Investitionen minimieren die Risiken und den Kapitalbedarf, während gleichzeitig Fähigkeiten und Erfahrungen ausgetauscht werden können. Durch die Zusammenarbeit können neuartige Angebote für Konsumenten geschaffen werden und die bestehenden Märkte verändert werden. Bedeutend für externe Innovationen mit Hilfe von M&A ist vor allem, dass die Unternehmensspitze sich voll hinter diese Strategie stellt und eine Unternehmenskultur für Innovationen schafft. Ein wichtiger Einflussfaktor für M&A Aktivitäten ist das Streben nach technologischer Innovation. Heute ist es notwendig, ständig neue Geschäftsmodelle oder Technologien zu entwickeln oder diese zu kaufen. Als ein gutes Beispiel dient der Kauf von Siemens Wind Power durch Gamesa. Durch Siemens Wind Power erlangt Gamesa die Marktführerschaft im Offshore-Windkraftbereich, während Siemens durch Gamesa neue Möglichkeiten erhält, den Onshore-Bereich weiterzuentwickeln. Ein wichtiges Geschäftsfeld im Bereich M&A sind Umwelttechnologien - Heizung, Dämmung, Belüftung - alles was mit der Minderung von CO 2 -Ausstößen zu tun hat. Empfohlene Literatur Balz, U. (2007): Praxisbuch Mergers & Acquisitions - Von der strategischen Überlegung zur erfolgreichen Integration. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Landsberg am Lech: mi-Fachverlag. Redline GmbH. Writz, B. (2012): Merger & Acquisition Management. Strategie und Organisation von Unternehmenszusammenschlüssen. 2. Aufl. Wiesbaden. Literatur Allert, A. (2014): Mergers & Acquisitions in der Krise. In: A. Crone und H. Werner (Hg.): Modernes Sanierungsmanagement. Sanierungskonzepte, Finanzierungsinstrumente, Insolvenzverfahren, Haftungsrisiken, Arbeitsrecht und Verhandlungsführung. 4. Auflage, S. 563-588. Balz, U. (2007): Praxisbuch Mergers & Acquisitions - Von der strategischen Überlegung zur erfolgreichen Integration. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Landsberg am Lech: mi-Fachverlag. Redline GmbH. Bauer, C.; Düsterlo, J. E. (Hg.) (2013): Distressed Mergers & Acquisitions. Kauf und Verkauf von Unternehmen in der Krise. Wiesbaden. Becker, R. (2015): Überschussliquidität des Käufers als strategischer Faktor bei Unternehmensakquisitionen. Wiesbaden: Gabler. Crone, A.; Werner, H. (Hg.) (2014): Modernes Sanierungsmanagement. Sanierungskonzepte, Finanzierungsinstrumente, Insolvenzverfahren, Haftungsrisiken, Arbeitsrecht und Verhandlungsführung. 4. Auflage. Deloitte: Fuelling growth through innovation. Deloitte M&AI ndex. Deloitte: The state of the Deal. M&A Trends 2018. Dreher, M./ Ernst, D. (2016): Mergers & Acquisitions - Grundlagen und Verkaufsprozess mittlerer und großer Unternehmen. München: UVK. <?page no="265"?> 8 Unternehmenszusammenschlüsse 265 Haspeslagh P.C.; Jemison, D. B. (1991): Managing Acquisions. Creating value through Corporate Renewal. New York. Herbert, Smith, Freehills (2017): M&A in a changing world: opportunities amidst disruption. Hinne, C. (2008): Mergers & Acquisition Management - Bedeutung und Erfolgsbeitrag unternehmensinterner M&A Dienstleister. Gabler: Wiesbaden. Jansen, S. A. (2008): Mergers & Acquisitions - Unternehmensakquisitionen und -kooperationen. Eine strategische, organisatorische und kapitalmarkttheoretische Einführung. Wiesbaden: Gabler. Lenhard, R. (2009): Erfolgsfaktoren von Mergers & Acquisitions in der europäischen Telekommunikationsindustrie. Wiesbaden: Gabler. Pauser, S. H. (2007): M&A in der Bauindustrie - Werteffekte und Erfolgsdeterminanten. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Pernsteiner, H., Andeßner, R. (2014): Finanzmanagement kompakt. Wien. Schauerte, F. (2013): Grundlagen von Distressed M&A-Projekten. In: C. Bauer und J. E. Düsterlo (Hg.): Distressed Mergers & Acquisitions. Kauf und Verkauf von Unternehmen in der Krise. Wiesbaden, S. 18-39. Strauss, Ingo (2018): Der M&A Boom geht auch 2018 weiter - Herausforderungen aus rechtlicher Sicht. In: Betriebsberater (5), S. 33-37. Wirtz, B. (2016): Merger & Acquisition Management. Strategie und Organisation von Unternehmenszusammenschlüssen. 4. Aufl. Wiesbaden. <?page no="267"?> Neue Betriebswirtschaft 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften Sugirtha Murugaiah, Wilhelm Schmeisser Abstract Kreditinstitute spielen eine zentrale Rolle in der Finanzwelt, vor allem die Vernetzung der global agierenden Banken übt einen bedeutenden Einfluss auf den Wirtschaftskreislauf aus. In erster Linie sind Banken für die Versorgung des Marktes durch Geldmittel verantwortlich. Sobald das Bankensystem ins Ungleichgewicht gerät, haben sich die Auswirkungen im Ausmaß der Subprime- Finanzkrise 2008 dargeboten. Des Weiteren hat die Bedeutung der betriebswirtschaftlichen Steuerung von Kreditrisiken im Rahmen der Gesamtbanksteuerung zugenommen. Ziel des Beitrages ist es, ein Bewusstsein für das Risikomanagement im Rahmen aktueller regulatorischer Vorschriften für Banken zu schaffen. Zu diesem Zweck wird der Umgang mit Risiken mittels eines notwendigen, betriebswirtschaftlichen Risikomanagementprozesses geführt. Die Risikopolitik von Banken wird durch den Kreditvergabeprozess unter Identifikation, Berücksichtigung und Bewältigung von Ausfallrisiken im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen und internen Richtlinien gesteuert. Im Rahmen des Risikomanagements sind Ratings entscheidende Indikatoren für die betriebswirtschaftliche Bepreisung eines Kredits. Dabei können unterschiedliche Ratings klassifiziert, sowie unterschiedliche Methoden zur Bonitätseinschätzung bzw. Kreditwürdigkeitsprüfung herangezogen werden. Die detaillierte Betrachtung ergibt, dass der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht mittels regulatorischer Maßnahmen in die Geschäftsmodelle der Banken eingreift, sodass Banken gezwungen sind, einen strukturellen Wandel zu durchlaufen. Als Konsequenz werden die Kreditinstitute zunehmend homogener und die zukünftige Erneuerung mittels „Basel IV“ bringt zugleich neue Herausforderungen für Banken mit sich. Fundamentale Grundlagen zum Risiko 9.1.1 Grundlagen Risiko Es gibt zahlreiche Definitionen für den Begriff Risiko, aber diese sind nicht einheitlich deklariert. Die Gemeinsamkeit jener Definitionen beschreibt ein mögliches Eintreten eines Verlusts oder Schadens. 93 Bei dem Risikobegriff wird zwischen Ursache und Wirkung unterschieden. Der Informationsstand vom Entscheidungsträger wird als Ursache angesehen und jegliche Abweichung von definierten Zielen wird als Wirkung verstanden. 94 Häufig wird dabei zwischen reinen und spekulativen Risiken differenziert. Erklärt wird das reine Risiko mit einem negativen Resultat und einem reinen Verlustpotenzial. Bei einem spekulativen Risiko gibt es zwei Ausprägungen, die Chance auf Gewinn bzw. die Möglichkeit zum Verlust. Das eingegangene Risiko und die mögliche Chance auf Rendite beeinflussen sich dabei gegenseitig. 95 93 Vgl. Buchhart, A./ Burger, A. [Risiko-Controlling, 2001], S. 20 ff. 94 Vgl. Martin, T.A./ Bär, T. [Grundzüge des Risikomanagements nach KonTraG, 2017], S. 71 95 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 27 ff <?page no="268"?> 268 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Allgemein sind zwei Grundprinzipien zu beachten: Zunächst werden die Risiken im Verhältnis zur Ertragsmöglichkeit nur dann übernommen, falls der mögliche Ertrag im Verhältnis zum Risikopotenzial rentabel erscheint. Die Risiken werden auf die Geschäftsstruktur abgestimmt. Im nächsten Schritt wird geprüft, inwiefern das Kreditinstitut die Übernahme der Kosten bewerkstelligen kann. Vorab ist eine Abstimmung zwischen den zu quantifizierenden Risikopotenzialen und den allokierten Risikodeckungspotenzialen des Kreditinstitutes notwendig. Die sogenannte Risikotragfähigkeitskapazität ist verantwortlich, um konsequent das bestehende Risikopotenzial zu begrenzen. 96 Gemäß MaRisk 97 sind die maßgeblichen Risiken zu ermitteln, zu messen und kontinuierlich entsprechend mit ökonomischen Eigenmitteln zu unterlegen. Eine Streuung der Risiken soll bezwecken, dass jedes Kreditinstitut jederzeit in der Lage ist, die resultierenden unerwarteten Verluste ohne negative Konsequenzen auf ihre Geschäftstätigkeit aus eigener Kraft abdecken zu können. Im MaRisk im Allgemeinen Teil (AT 2.2) sind die maßgeblichen Risiken wie Kredit-, Marktpreis- und Liquiditätsrisiken vorzufinden. 98 Bei der Risikoidentifizierung ist die strukturierte Erfassung von Risiken bedeutend, bspw. in Form einer Dokumentation eines Risikohandbuchs. Die erfassten Risiken werden durch geeignete Methoden festgelegt und bearbeitet. Hierfür ist eine Bereitstellung von Daten für die Risikoquantifizierung notwendig. Die Risikoidentifizierung sollte vorzugsweise flexibel auf Veränderungen bekannter bzw. neuer Risiken reagieren können, vor allem bei Aktivitäten in neuen Geschäftsfeldern. 99 Das systematische Risiko wird durch Liquiditätsprobleme einzelner Banken ausgelöst, wodurch das gesamte Finanzsystem gefährdet werden kann. In Folge einer Kettenreaktion können sich andere Banken durch Liquiditätsprobleme anstecken, da Banken untereinander agieren. 100 9.1.2 Risikoarten Adressenausfallrisiko bzw. Kreditrisiko Die Kreditvergabe ist immer mit dem Risiko verbunden, dass der Kreditnehmer seinen Zahlungsverpflichtungen nicht fristgerecht nachkommt, sei es teilweise oder gar nicht. Kreditinstitute gehen bei der Kreditgewährung entsprechend in Vorleistung, bevor die Gegenleitung in Form von Tilgungszahlungen bzw. Zinszahlungen vom Kreditnehmer erbracht werden. Häufig wird das Adressenausfallrisiko als Synonym für das Kreditrisiko verwendet. Oftmals wird in der Finanzbranche die Adresse als Geschäftspartner bzw. Marktteilnehmer bezeichnet. Die Adressenausfallrisiken sind als Risiken eines Verlusts aufgrund des Ausfalls eines Geschäftspartners sowie einer möglichen Wertänderung der eingegangenen Geschäfte bzw. aufgrund von Bonitätsveränderungen (Ratingmigrationen) des Kreditnehmers definiert. Dies beinhaltet, dass der Vertragspartner des Kreditinstituts seinen vertraglichen Zahlungsverpflichtungen gar nicht oder nicht fristgerecht leistet. Rudimentär betrachtet ist das Adressausfallrisiko als ein Risiko einer allgemeinen Bonitätsverschlechterung des Kreditnehmers zu verstehen, ohne dass diese Verschlechterung zwingend zum Ausfall führen muss. Der Ausfall deklariert eine Leistungsstörung der Gegenpartei. 101 96 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 19 ff. 97 Mindestanforderungen an das Risikomanagement 98 Vgl. Menningen, M. [Aufbau, Bestandteile und Problemfelder ökonomischer Risikotragfähigkeitskonzepte in Banken, 2014], S. 52 ff. 99 Vgl. Oesterreichische Nationalbank (OeNB) [Leitfaden zur Gesamtbankrisikosteuerung, 2017], S. 77 100 Vgl. Deutsche Bundesbank [Glossar, 2017] 101 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 435 f. <?page no="269"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 269 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-1: Übersicht von Risiken. Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 8 Marktpreisrisiko Das Marktpreisrisiko beschreibt die Unsicherheit, welches bei Veränderungen der Marktpreise bzw. marktabhängiger Bewertungsfaktoren für bilanzielle oder außerbilanzielle Positionen, negative Erfolgssituationen eines Kreditinstituts hervorgeht. 102 Dabei ist irrelevant, ob die Position bspw. als OTC-Geschäft (Over the Counter) oder an organisierten Märkten gehandelt wird. Das Marktpreisrisiko ist ein komplexes Konstrukt, da dieser einen entscheidenden Einfluss auf diverse Finanzinstrumente wie Zinssatz, Devisen- oder Aktienkurs haben kann. Zum Marktpreisrisiko zählen u.a. Fremdwährungs-, Aktienkurs- und Zinsänderungsrisiko. 103 Aktienrisiko Das Aktienrisiko stellt die Unsicherheit der Wertveränderung von Finanzprodukten bzw. Aktien aufgrund von Kursbewegungen dar. Die Aktienkursschwankungen können unterschiedliche Gründe zur Entstehung haben. Das Aktienrisiko kann sich mit anderen Risikokategorien überlappen, da das Aktienrisiko mit dem Kreditrisiko stark vernetzt ist. Das Aktien- und Kreditrisiko kann mittels der identischen Ursache ausgelöst werden. In Bezug auf die Bonität des Emittenten kann es durch einen teilweisen bzw. kompletten Ausfalls eines Investments, welches zu einer Bonitätsverschlechterung des Emittenten führt, Auswirkungen auf den Aktienkurs des Unternehmens mit sich bringen. Der Bereich Aktienrisiko zählt zu den Gegenparteienrisiken und ist stets bei der Steuerung des Kreditrisikos zu beachten. Das Aktienkursrisiko wird hinsichtlich des Marktpreisrisikos durch Kurschwankungen, bspw. im Zusammenhang von Angebot und Nachfrage, analysiert. 104 Zinsänderungsrisiko Banken erwirtschaften traditionell Erträge aus zinstragenden Geschäften, dementsprechend ist ein 102 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 22 103 Vgl. Menningen, M. [Aufbau, Bestandteile und Problemfelder ökonomischer Risikotragfähigkeitskonzepte in Banken, 2014], S. 55 104 Vgl. EIOPA [Zugrunde liegende Annahmen der Standardformel für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung (SCR), 2014], S. 16 ff. <?page no="270"?> 270 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft besonderes Augenmerk auf die Kontrolle der Risikokategorie Zinsänderungsrisiko wichtig. Das Zinsänderungsrisiko zählt zu den systematischen Risiken. 105 „Nicht zuletzt aufgrund der ausgeprägten Niedrigzinsphase ist es in den letzten Jahren Gegenstand verschiedener Regulierungsinitiativen geworden und hat vermehrt eine Risikobegrenzung durch operatives aufsichtsrechtliches Handeln ausgelöst.“ 106 Das Zinsänderungsrisiko entsteht aus einer negativen Beeinflussung des Marktwertes. Dieser kann als marktzinsbedingtes Vermögens- und Einkommensrisiko interpretiert werden. 107 Ein Zinsrisiko entsteht dann, wenn die potenziellen Verluste durch Veränderungen von einem oder mehreren Zinssätzen bzw. der gesamten Zinsstrukturkurve reagieren, welches wiederrum zu einer Wertminderung der Position führen kann. 108 Währungsrisiko Das Währungsrisiko wird durch Wechselkursänderungen in Form von negativer Beeinflussung des Marktwertes hervorgerufen. 109 Ein Währungsrisiko tritt nur auf, wenn Kreditinstitute Fremdwährungspositionen in ihrer Bilanz halten. 110 Emittentenrisiko Das Emittentenrisiko ist eine Sonderform von Kreditrisiko. Das Emittentenrisiko besteht darin, dass der Emittent (Herausgeber von Wertpapieren) nicht im Stande ist, seine Zahlungsverpflichtungen einzuhalten. Der Anleger erwartet einen teilweisen bzw. gesamten Verlust seines Kapitals. Der Käufer gewährt dem jeweiligen Emittenten mit dem Kauf dieser Wertpapiere ein Darlehen. Dafür geht der Herausgeber der Verpflichtung nach, das geliehene Geld zusätzlich einer Zinszahlung zurückzuzahlen. Oftmalig erwirbt der Käufer mit dem Kauf von Wertpapieren Anteile am Unternehmen oder an Institutionen des Staates. Größtenteils handelt es sich um Schuldverschreibungen in Form von Aktien, Staatsanleihen und Derivaten. 111 Kontrahentenrisiko Es wird von einem Kontrahentenrisiko gesprochen, wenn ein teilweiser bzw. kompletter Ausfall der Gegenpartei einen Werteverlust aus dem vertraglichen Finanzgeschäft eines Kapitalmarktgeschäfts auslöst. Oftmals wird der Handel von Wertpapieren über Kontrahenten wie einer Landesbank abgewickelt. 112 Ein bekanntes Beispiel ist sicherlich, die Überweisung von mehreren Millionen der staatlichen Förderbank KfW an die US-Investmentbank Lehman Brothers aufgrund eines Devisentermingeschäfts. Die Gegenleistung wurde infolge der Zahlungsunfähigkeit der Lehman Brothers nie erbracht. 113 Vermehrt wird der Begriff Kontrahentenrisiko in Zusammenhang mit Swap-Gegengeschäften verwendet, bspw. etwa bei Credit Default Swaps (CDS), die als Kreditversicherung für Anleihebesitzer zu verstehen sind. 105 Vgl. Deutsche Bundesbank [Zinsänderungsrisiken, 2011] 106 Vgl. Deutsche Bundesbank [Arbeitskreis Bankenaufsicht, 2017] 107 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Risikomanagement [Risikoaggregation in der Praxis, 2008], S. 189. 108 Vgl. Deutsche Bundesbank [Die Rolle des „Baseler Zinsschocks“ bei der bankaufsichtlichen Beurteilung von Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, 2012], S. 2 109 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 86 110 Vgl. Buschmeier, A. [Ratingagenturen, 2011], S. 14 sowie Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 16 111 Vgl. Brauweiler, H.-C. [Risikomanagement in Kreditinstituten, 2015], S. 17 112 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 26 ff. 113 Vgl. ebd., S. 19 <?page no="271"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 271 Neue Betriebswirtschaft Liquiditätsrisiko Im Rahmen der Liquiditätsrisiken fordert die MaRisk Kreditinstitute auf, ihren Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachzukommen, unter Berücksichtigung der Einhaltung von Liquiditätskennziffern, welche die zu erfüllenden Nebenbedingungen darstellen. Gemäß aufsichtsrechtlicher Liquiditätsvorschriften müssen Kreditinstitute ihre Mittel so anlegen, dass jederzeitig eine angemessene Zahlungsbereitschaft sichergestellt ist. Für die Liquiditätsrisikosteuerung ist die Gewährleistung der aufsichtsrechtlich ausreichenden Liquidität zwingend einzuhalten. Die Grundlage für die operative Risikosteuerung bilden die Liquiditätsrisikoauswertungen. Ziel der Risikosteuerung ist es, eine vorausschauende Sicherstellung der täglichen Zahlungsfähigkeit der Bank zu ermöglichen. 114 Die Aufsicht entscheidet anhand der Liquiditätskennziffern über den Regelfall, inwiefern die Liquidität eines Instituts angemessen sei. 115 Jedes Institut ist verantwortlich für die Erstellung der monatlichen Meldung zu den Liquiditätskennziffern gemäß LiqV 116 . Die Grundlage für die Durchführung des Controllings bildet ein EDV-System, dass durch den Bereich Risikocontrolling des Kreditinstituts betreut und genutzt wird. Die quantitativen Anforderungen der „Verordnung über die Liquidität der Institute (Liquiditätsverordnung)“ werden um qualitative Anforderungen ergänzt, um so ein effektives (Mindest-) Liquiditätsmanagement in den Instituten zu etablieren. Mit der Verabschiedung der CRR und anschließend der delegierten Verordnung fokussiert sich die Aufsicht nun zusätzlich auf die beiden quantitativen Kennziffern Liquidity Coverage Ratio und Net Stable Funding Ratio. 117 Operationelle Risiken Das operationelle Risiko wird gemäß CRR wie folgt definiert: „Operationelles Risiko ist das Risiko von Verlusten, die durch Unangemessenheit oder das Versagen von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder durch externe Ereignisse verursacht werden, einschließlich Rechtsrisiken.“ 118 Operationelle Risiken sind somit als spezifische Ereignisrisiken zu verstehen, die mit Eigenmitteln zu unterlegen sind. 119 Zielsetzung ist eine Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. des Schadensausmaßes unter Berücksichtigung eines optimalen Chancen-Risiko-Kalküls. 120 9.1.3 Risikoneigung Die Risikoneigung charakterisiert, inwiefern Chancen wahrgenommen werden. Die Einstellung der Entscheidungsträger mit entsprechender Kompetenz ist für die Festlegung einer geeigneten Strategie verantwortlich. Je nachdem agiert ein Institut konservativ bzw. risikofreudig. Die Risikoneigung findet ihre Konkretisierung in der Strategie, ferner mittels folgender Festlegungen, im Rahmen der regulatorischen Anforderungen: Bestimmung der zur Risikodeckung reservierten Kapitalbestandteile (z.B. Jahresüberschuss abzüglich Mindestgewinn) 114 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 26 115 Siehe Unterkapitel 4.3.2 116 Liquiditätsverordnung 117 Siehe Kapitel 4 118 EU-Verordnung [Capital Requirements Regulation, ] (1.Teil, Titel 1, Artikel 4, Absatz 52) 119 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 28 120 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 9 ff. <?page no="272"?> 272 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Definition des Risikohorizonts: Festlegung der Parameter zur Risikoquantifizierung (z.B. Konfidenzniveau, Haltedauer, Worst-Case-Szenarien) Vorgaben für die Implementierung eines Limitsystems und Festlegung, ab welcher Höhe Positionen abgesichert werden Zudem sollte beim Abschluss neuer Geschäfte einkalkuliert werden, in welcher Höhe der Verlust maximal getragen werden könnte, falls die erhofften Gewinnerwartungen nicht eintreten. 121 9.1.4 Risikokalküle Im Rahmen der ertragsorientierten Risikopolitik erschließen sich zwei Hindernisse: Zunächst ist sicherzustellen, dass das Kreditinstitut die Übernahme des Risikos bewältigen kann, sprich ob die Risikotragfähigkeit gegeben ist. Anschließend stellt sich die Frage, inwiefern die Übernahme der Risiken für das Kreditinstitut lohnenswert erscheint. Diese beiden Problemstellungen lenken im Risiko-Controlling zu unterschiedlichen Risikokalkülen. 122 Risikotragfähigkeitskalkül Das Risikotragfähigkeitskalkül gewährleistet, dass Kreditinstitute die eventuellen Verluste der übernommenen Risiken kompensieren können. Im Wesentlichen wird das Risikotragfähigkeitskalkül in zwei Segmente untergliedert: [1] Im Rahmen des Vorsichtsprinzips dürfen die kalkulierten Verlustpotenziale in Abhängigkeit der repräsentativen Risikobelastungsszenarien des definierten Risikotragfähigkeitspotenzials der Gesamtbank nicht übersteigen. [2] Unter der Prämisse, dass die Verluste der eventuellen Risiken eingetreten sind, werden diese durch die Festlegung eines abgestimmten Systems von Risikolimits beschränkt. Grundsatz (1) prüft, inwiefern die verfügbaren Risikodeckungsmassen des Kreditinstitutes für alternative Risikobelastungsszenarien genügen, sodass Kreditinstitute in keine kritische Lage versetzt werden. Grundsatz (2) beschränkt sich auf die Notwendigkeit einzelner Geschäftsbereiche des Kreditinstitutes um präzise Beschränkungen für die Übernahme von Risiken zu setzen. Es werden periodenspezifische Verlustlimits vorgegeben, welche für die entsprechenden Risikodeckungsmassen allokiert werden. Die Risikopotenziale für verschiedene Belastungsszenarien sind bereits definiert. Bei der Steuerungsphilosophie des Kreditinstituts ist zu klären, in welcher Höhe und welche Arten von Risikodeckungsmassen zur Risikoabdeckung verfügbar sind. In erster Linie kommt bei der Risikoabdeckung das regulatorische Eigenkapital in Betracht. Es richtet sich nach den vorhandenen bzw. den zu mobilisierenden Kapitalreserven, um das Institut in jedem Fall vor Verlustsituationen zu schützen. 121 Vgl. Hoffmann, W. [Risikomanagement, 2017], S. 43 122 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 3 f. <?page no="273"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 273 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-2: Gleichgewichtsbedingungen im Risikotragfähigkeitskalkül Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 15 ff. 9.1.4.2 Risiko-Chancen-Kalkül Als nächstes ist zu klären, inwieweit Risiken von Kreditinstituten übernommen werden, damit diese dem Kreditinstitut einen Ertrag bringen. Grundsätzlich ist es plausibel einen zusätzlichen Ertrag in Form eines Risikozuschlags zu erwirtschaften. Im Risiko-Chancen-Kalkül erfolgt die Allokation des Risikokapitals, um die Risikoperformance zu optimieren. Hierzu ergibt sich der risikogerechte Verdienst aus der risikolosen Ertragserwartung und dem Risikozuschlag. Hierbei bildet der Kern die risikoadjustierten Eigenkapitalkosten. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Fall die Kennziffer RORAC (Return On Risk Adjusted Capital). Diese kann sowohl als ISTals auch PLAN-Größe berechnet werden. 9.1.5 Risikomanagementprozess Alle wesentlichen Aktivitäten des systematischen Umgangs mit Risiken werden erfasst 123 , um ein erfolgreiches Bestehen und die Weiterentwicklung eines Unternehmens zu gewährleisten. Das Risikomanagement hat sich in der Vergangenheit stark verändert, welches von regulatorischen Vorschriften geprägt ist. Die Risikostrategie orientiert sich stark an den qualitativen Anforderungen der Säule II von Basel III bzw. MaRisk und schafft eine Risikobegrenzung. Die übergeordnete Zielsetzung ist es, für ein optimales Verhältnis von Rendite und Risiko Sorge zu tragen. Das Risikomanagement kann als Prozess angesehen werden, in dem der gesamte Prozess sich in verschiedene Phasen unterteilen lässt. Im Folgenden wird ein Überblick über alle Phasen dargestellt, in der die einzelnen Phasen näher erörtert werden. Grundsätzlich können die vier Phasen des Risikomanagementprozesses wie folgt definiert werden: Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikosteuerung und Risikokontrolle. Dabei ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass es zu inhaltlichen Überschneidungen kommen kann, da keine klare Trennung formuliert wurde. 123 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 40 ff. <?page no="274"?> 274 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Für die Darstellung des Risikomanagementprozesses eignet sich vor allem ein kreisförmiger Ansatz. Alle folgenden Phasen bzw. Prozessschritte sind wiederkehrende Elemente und werden regelmäßig durchlaufen. Der Kreislaufcharakter ermöglicht Raum für Verbesserungspotenzial. 124 Im Rahmen jedes Risikomanagement ist die Formulierung einer unternehmensspezifischen Risikopolitik durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung erforderlich. Die Risikopolitik sollte sowohl dem angestrebten Chancenbzw. Risikoprofil als auch stets der gesamten Unternehmenspolitik des Instituts entgegenkommen. Zudem soll eine Risikopolitik den „Risikoappetit“ des Institutes eingrenzen, um das Risikobewusstsein zu stärken und um besser die Wirkungsmöglichkeiten nachzuvollziehen. 125 Des Weiteren sollten die Geschäftsaktivitäten an das Risiko-Chancen-Kalkül angepasst werden, um eine grobe Abwägung vorzunehmen. Dabei wird geprüft, welche maximalen Risiken in Kauf genommen werden, in Abhängigkeit zu den ergebenen Chancen. Abbildung 9-3: Kreislauf des Risikomanagementprozesses Risikoidentifikation Zunächst erfolgt eine Erfassung aller relevanten Risikofaktoren, die über eine Wertgröße für das Kreditinstitut verfügen. Es werden Daten aktueller, zukünftiger, potenzieller und theoretisch denkbarer Risiken gesammelt. Der vorherige Schritt ist maßgeblich für die anschließenden Prozessschritte und für die zukünftigen Tätigkeiten. Die Identifikation der Risiken erfolgt grundsätzlich nach dem Top-Down- oder Bottom-Up-Ansatz. Die bereits genannten Arten von Risiken werden in diesem Prozess einzeln betrachtet und kategorisiert. Die Risikoidentifikation ist ein fortlaufender Prozess, welcher in regelmäßigen Abständen erfolgt. Kreditinstitute müssen entsprechend dynamisch auf Veränderungen der Umwelt reagieren, um die Risikosituation besser einschätzen zu können. Die Risikoidentifikation zeichnet die Ist- Situation des Kreditinstituts auf. Zudem werden Entstehungsursachen möglicher Risiken determiniert und hinsichtlich Schäden bzw. indirekter Folgen untersucht. 126 124 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 214 ff. 125 Vgl. Fiege, S. [Risikomanagement- und Überwachungssystem nach KonTraG, 2006], S. 145 ff. 126 Vgl. Hoffmann, W. [Risikomanagement, 2017], S. 23 <?page no="275"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 275 Neue Betriebswirtschaft Risikobewertung Der Kreislauf setzt sich mittels der Maßnahmen der Risikobewertung als Bestandteil der unternehmerischen Risikopolitik fort. Die Bewertung der Risiken erfolgt auf Grundlage der Qualität und Verfügbarkeit der Daten, wodurch Risiken identifiziert werden. Die Unterteilung erfolgt in einzelne Risikobereiche. Dabei werden Risiken differenziert, welche den Kernbestandteil eines Umsetzungsprozesses der Risikoanalyse ausmachen. Die Bewertung der Risiken verläuft in den Dimensionen der Eintrittswahrscheinlichkeit und der möglichen Schadenshöhe bei Eintritt. 127 Der bevorstehende Vermögensverlust bei Eintritt des Risikos muss klar erarbeitet werden, um eine Verbindung zwischen Risikoübernahme und Haftungskapital herzustellen. Die angewandten Verfahren zur Messung nehmen Einfluss auf das Ergebnis einer Risikobewertung. Es werden statistische Verteilungsfunktionen für die Eintrittswahrscheinlichkeit angewandt und deren Auswirkungen für das Konzernergebnis modelliert. Basierend auf den Ergebnissen der Risikobewertung werden unter Berücksichtigung von Kosten-/ Nutzen-Betrachtungen geeignete Maßnahmen einkalkuliert. 128 Risikosteuerung Die Risikosteuerung befasst sich mit den Ergebnissen der Risikoidentifikation und -quantifizierung. Auf Grundlage der Ergebnisse ist es erforderlich zu entscheiden, inwiefern Handlungsbedarf besteht und Aktivitäten eingeleitet werden müssen. In diesem Fall ist eine konzernweite Koordination notwendig. 129 Alle wesentlichen Risikosteuerungsansätze werden im Folgenden in einem kleinen überschaubaren Maß dargestellt: Abbildung 9-4: Überblick der Risikosteuerung Risikovermeidung Das Grundprinzip der Risikovermeidung stellt in erster Linie einen Steuerungsansatz dar. Dieser Grundgedanke soll bestimmte gesetzliche, politische, ethische und strategische Geschäftsaktivitäten und die entsprechenden Risiken unterbinden. Der Risikovermeidungsansatz hat vor allem für die operationellen Risiken einen hohen Stellenwert, da diese Risiken häufig im Vorfeld ungeplant und nicht voraussehbar sind. Jedoch wird im Gegensatz zu Kredit- und Marktrisiken keine (direkte) Risikoprämie vereinbart. Dem Kreditinstitut sollte bewusst sein, dass nichteingegangene Geschäftsaktivitäten auch keine potenziellen Zusatzchancen erwirtschaften. Risikoakzeptanz Die Risikoakzeptanz wird oftmals als passives Risikomanagement bezeichnet. Sobald Risiken eingegangen und beibehalten werden, sind diese mit Kapitalunterlegungen begleitet, um die anvisierte Ausfallwahrscheinlichkeit der Bank nicht zu gefährden. 127 Vgl. Fiege, S. [Risikomanagement- und Überwachungssystem nach KonTraG, 2006], S. 160 ff. 128 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Risikomanagement [Risikoaggregation in der Praxis, 2008], S. 175 ff. 129 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 176 <?page no="276"?> 276 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die traditionellen Methoden der Kreditrisikosteuerung bei Kreditvergabe, innerhalb der Laufzeit und beim möglichen Auftritt von Schwierigkeiten, geben dabei ein Instrumentarium wieder, dass von der Kreditwürdigkeitsprüfung, Vertragsgestaltung, laufenden Überwachung bis hin zum speziellen Umgang mit problembehafteten bzw. notleidenden Krediten sich erstreckt. Ziel ist es, das Risiko des einmal gewährten Kredits möglichst gering zu halten, um künftige Wertberichtigungen bzw. Abschreibungen zu verhindern. Gemäß einer asymmetrischen Informationsverteilung ist es schwierig eine sehr präzise Einschätzung über die Bonität des Kreditnehmers zu gewinnen. Um Risiken einzudämmen, werden laufende Überwachungen (Monitoring) und Maßnahmen zur Risikofrüherkennung sowie spezielle Mittel im Umgang mit problembehafteten oder notleidenden Engagements eingeleitet. Diese Engagements werden, wenn möglich, rechtzeitig vom Bereich Sanierung und Restrukturierung erkannt und bearbeitet. Aus diesem Bereich erfolgt die Abwicklung des Engagements, indem vorzeitig die Beendigung des Kreditvertrags mit der Verwertung der Sicherheiten bzw. Vermögenswerte veranlasst wird. Risikotransfer Unter einem Risikotransfer wird die teilweise bis vollständige Übertragung von Risiken auf Dritte verstanden. In Anbetracht können Risiken einzeln oder zusammengefasst als Portfolio transferiert werden. Im Wesentlichen kann der Risikotransfer durch Finanzinstrumente (z.B. Kreditderivate oder Versicherungen) erfolgen. Einer der häufig genutzten Kreditderivate ist der Credit Default Swap. Hierbei erhält der Sicherungsgeber eine bestimmte Prämie, geht jedoch die Verpflichtung ein, dass bei Eintritt eines vorab festgelegten Kreditereignisses eine Ausgleichszahlung an den Sicherungsnehmer zu entrichten ist. Risikodiversifikation Eine Risikodiversifikation strebt die bestmögliche Risikostreuung an. Dabei werden möglichst geringe Korrelationen zwischen den einzelnen Risikopositionen angepeilt. Das Vorhaben ist eine Verringerung unerwarteter Verluste, um so den Bedarf an Kapital besser zu lenken. Zusätzlich spielt die Verteilung des Kreditportfolios von Ratingklassen eine bestimmte Rolle für den unerwarteten Verlust, da schlechtere Ausfallklassen mit einer höheren Volatilität der Ausfallraten einhergehen und sich hierdurch eine Steigerung des unerwarteten Verlusts ergibt. Risikokontrolle Die Risikokontrolle umfasst qualitative und quantitative Aspekte, wie die laufende Risikoüberwachung der einzelnen Stufen des Risikomanagementprozesses über systematische Ist-Soll-Abgleiche. Basierend auf der Grundlage eines abgestimmten Risikoüberwachungssystems erfolgt die Überwachung und Kontrolle in den fünf folgenden Prämissen: [1] Inwiefern die allgemeinen risikostrategischen Vorgaben eingehalten sind [2] Inwiefern das Risikomanagement in aufbau- und ablauforganisatorischer Hinsicht adäquat sei [3] In welchem Verhältnis die tatsächliche Risikoposition zur angestrebten Risikoposition stehe [4] Welche Effekte aus den durchgeführten Steuerungsmaßnahmen hervorgerufen sind [5] Welche Erträge und Renditen auf das eingegangene Risiko erwirtschaftet sind Entsprechende Informationen werden in einem regelmäßigen Risiko-Report festgehalten. Der Report dient als zentrale Kontrollinstanz für Informationsbedürfnisse und Entscheidungskompetenzen. Die konzernweite Risikosituation wird periodisch überprüft und halbjährlich auf Basis einheit- <?page no="277"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 277 Neue Betriebswirtschaft licher Vorgaben als interner Bericht in aggregierter Form an die Konzernleitung und den Verwaltungsrat berichtet. 130 Externe Berichterstattung erfolgt im Sinne von (Konzern-)Lagebericht, zudem sind auch Zwischen- und Ad-hoc-Berichte möglich. Dabei werden Risiken aufgenommen und deren künftige Entwicklung berücksichtigt. Der externe Bericht basiert auf bankaufsichtsrechtlichen Normen, insbesondere stehen Informationen über Risikotragfähigkeit, Risikobegrenzung und Funktionserhaltung des Finanzsystems im Vordergrund der Aufsicht. Die Offenlegungsvorschriften beziehen sich auf Säule III von Basel III und der Informationspflicht gegenüber den Marktteilnehmern. 131 Ratings Grundlagen Rating Ein Rating befasst sich mit der standardisierten Beurteilung einer Person, eines Instituts oder eines Objekts. Ratings werden durch eine Note gewertet, wobei die Bewertung meist anhand einer eindimensionalen ordinalen Skala erfolgt. Durch Nutzung unterschiedlicher festgelegter Informationen soll die Bonität des Kreditnehmers approximiert werden. Somit erfolgt eine Einordnung der betrachteten Objekte in einer Rangfolge. 132 Mittels Ratings werden Bonitäts- und Kreditrisikoermittlungen objektiviert. Dabei wird die Entscheidungssicherheit erhöht und die Basis für eine einheitliche Risikoermittlung und Risikoabbildung geschaffen. Zusätzlich wirkt das Rating entscheidungsunterstützend. Die verwerteten Informationen des Kreditnehmers müssen wahrheitsgemäß und zuverlässig sein, da ansonsten das Ratingergebnis verzerrt und der Kreditnehmer falsch klassifiziert wird. Hier wird sich mit der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit von Instituten, Objekten bzw. Personen beschäftigen. Um Unstimmigkeiten zu vermeiden wird der Begriff Rating als Synonym für Credit Rating verwendet. 133 Credit Rating Das Credit Rating baut auf dem Ansatz des Bonitätsrisikos auf. Der Begriff Rating entstammt aus dem englischen Wort „to rate“, welches übersetzt einschätzen, einstufen oder skalieren bedeutet. Es erfolgt eine Bewertung der wirtschaftlichen Verhältnisse, um die Bonität bzw. Kreditwürdigkeit einzuschätzen. Es wird eine Prognose einer voraussichtlichen zukünftigen Zahlungsfähigkeit des Schuldners festgestellt. Ein Rating gibt Auskunft, inwiefern ein Kreditnehmer in der Lage ist bzw. sein wird, dessen Zahlungsverpflichtungen in voller Höhe und fristgerecht nachzukommen. Das Ergebnis des Ratings, insbesondere die Kreditqualität des Schuldners, wird in Abhängigkeiten von externen bzw. internen Ratings festgesetzt. Eine positive (Upgrade) bzw. negative (Downgrade) Abweichung von dem bisherigen Credit Rating führt zu einer Ratingänderung. Die Abweichungen entstehen durch eine Verbesserung bzw. einer Verschlechterung der Bonität des bewerteten Kreditnehmers. 134 9.2.2 Ratingklassifizierung Bei der Ratingklassifizierung werden die drei am häufigsten vorkommenden Ratingarten näher erläutert. 130 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Risikomanagement [Risikoaggregation in der Praxis, 2008], S. 175 f. 131 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 83 ff. 132 Vgl. Horsch, A./ Schulte, M. [Risikomanagement, 2010], S. 94 f. 133 Vgl. Hundt, S. [Informationsgehalt von Credit Ratings, 2015], S. 20 f. 134 Vgl. Hundt, S. [Informationsgehalt von Credit Ratings, 2015], S. 20-25 <?page no="278"?> 278 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Externe und interne Ratings In der Regel wird zwischen externen und internen Ratings unterschieden. Beide Ratings zielen darauf ab, einen Kreditnehmer anhand seiner Bonität zu klassifizieren und das Risikogehalt eines Kreditnehmers im gesamten Kreditportfolio darzustellen. Gemäß Basel II soll eine Vergleichbarkeit der Bewertung von Unternehmen möglich sein. Externe Ratings Externe Ratings werden durch Ratingagenturen wie Moody’s, Fitch oder Standard and Poor’s erstellt. Unternehmen beauftragen Ratingagenturen zur Erstellung eines Ratings gegen Zahlung einer Gebühr. Das Rating soll unabhängig von den Interessen der zu analysierenden Bank erfolgen. In der Finanzkrise 2008 gerieten Ratingagenturen enorm in Verruf, denn im Hinblick auf die Objektivität war das eingeschätzte Rating nicht ganz zweifelsfrei, da einige Kreditnehmer besser eingeschätzt wurden, als sie tatsächlich waren. Seit Anbeginn der Zeitgeschichte der Ratingagenturen sind die drei genannten Ratingagenturen nicht wegzudenken. Im Mittel der langjährigen Erfahrungen der renommierten Ratingagenturen haben die erstellten Ratings eine hohe Akzeptanz bezüglich der Anerkennung der Ratingeinstufung. Darüber hinaus verfügen diese Ratingagenturen über ein großes Spektrum an statistischen Daten. Die angewandten Verfahren schätzen die Messgenauigkeit der Ausfallwahrscheinlichkeit sehr präzise ein. 135 Interne Ratings Es werden interne Ratings eigenständig von Banken im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung über ein bankindividuelles internes Verfahren ermittelt. Hierfür wird die Bonität des Kreditnehmers mittels einer Bonitätsprüfung eingeschätzt. Dabei werden in diesem Prozess die Kreditnehmer klassifiziert und die dazugehörige Ausfallwahrscheinlichkeit beurteilt. Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, nicht arglos großen Ratingagenturen zu vertrauen und im Gegenzug mehr Vertrauen den eigenen internen Ratings entgegenzubringen. Grundsätzlich ist die Festlegung des Zinsbetrages eines Kreditnehmers maßgeblich für interne Ratings. Das Kreditrisiko wird bei Vergabe eines Kredits mit einem entsprechenden Eigenkapitalanteil hinterlegt, sodass das Verlustrisiko so gering wie möglich für die Bank gehalten wird. Das interne Rating der Kreditinstitute wird nicht veröffentlicht und das angewandte Verfahren wird vertraulich gehandhabt. 136 Unsolicited Rating und Solicited Rating Ratings werden generell als Auftragsarbeiten durchgeführt. Eine spezielle Form des Ratings wird als Solicited Rating bezeichnet. Dabei ist das Unternehmen der Initiator und stellt freiwillig eine Vielzahl bonitätsrelevanter Informationen zur Verfügung. Geht die Initiative direkt aus einer Ratingagentur oder einem Investor hervor, handelt es sich um ein Unsolicited Rating. Hierbei basiert der Input auf veröffentlichten Informationen, die zur Erarbeitung des Ratings genutzt werden. Folglich werden keine unternehmensinternen Informationen einbezogen. 137 135 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 187 136 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 58 137 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 56 sowie Buschmeier, A. [Ratingagenturen, 2011], S. 156 f. <?page no="279"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 279 Neue Betriebswirtschaft Emittenten- und Emissionsrating Emittenten- und Emissionsratings beziehen sich auf ein Ratingobjekt. Ein Emissionsrating umfasst die Bewertung von einzelnen Finanztiteln wie z.B. Schuldverschreibungen. Einzelne Schuldverschreibungen eines Emittenten können unterschiedliche Ratings aufweisen, da Ausstattungsmerkmale wie Besicherung je nach Nachrangigkeit, unterschiedlichen Rechten, Laufzeiten und sonstigen Bedingungen für Zins- und Tilgungszahlungen in die Bewertung einfließen können. Beim Emittentenrating wird die allgemeine Fähigkeit eines Emittenten beurteilt, inwiefern der Emittent rechtzeitig und vollständig seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt. Diese Art von Rating bildet die Basis für das Emissionsrating. 138 Bedeutung von Ratingeinschätzungen Das Resultat eines Ratings wird von den Ratingagenturen in Form einer Buchstabenbzw. Buchstaben-Zahlen-Kombination als Ratingskala formuliert. Das Gesamtergebnis wird durch eine Skala von A bis D deklariert. Es wird ein spezifisches Risikoprofil erarbeitet. Die Untersuchung gibt die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit preis. Hierbei werden als Klassenbeschreibungen verbale Erklärungen über die Bonität dargeboten. 139 Die nachfolgende Abbildung 9-5 gibt einen Überblick über die Ratingskalen der drei größten Ratingagenturen wieder, dabei differenzieren sich die Skalen nur minimal voneinander. Jeder Ratingklasse wurde hierbei ein Intervall von Ausfallwahrscheinlichkeiten mit dem entsprechenden geometrischen Mittel, welches auf Basis historischer Ausfallquoten beruht, fest zugeordnet. Als Investment Grade wird die Bandbreite der Ratings von AAA bis BBB- benannt, die über ein geringes Risiko verfügen. Ratings, die schlechter als BBB- abschneiden, werden hingegen als Speculative Grade (relativ hohes Risiko) bezeichnet. 140 S&P Moody's Fitch Klassenbeschreibung AAA Aaa AAA Sehr gut: höchste Bonität; beinahe kein Ausfallrisiko Investment Grade AA+ AA AA- Aa1 Aa2 Aa3 AA+ AA AA- Sehr gut bis gut: sehr hohe Zahlungswahrscheinlichkeit; geringes Ausfallrisiko A+ AA- A1 A2 A3 A+ AA- Gut bis befriedigend: angemessene Deckung von Zins und Tilgung; vorhandene Risikoelemente können negative Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds auslösen BBB+ BBB BBB- Baa1 Baa2 Baa3 BBB+ BBB BBB- Befriedigend: angemessene Deckung von Zins und Tilgung; spekulative Elemente können Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds lostreten BB+ BB BB- Ba1 Ba2 Ba3 BB+ BB BB- Ausreichend: mäßige Deckung von Zins und Tilgung Speculative Grade 138 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 57 f. 139 Vgl. Horsch, A./ Schulte, M. [Risikomanagement, 2010], S. 94 140 Vgl. Hundt, S. [Informationsgehalt von Credit Ratings, 2015], S. 29 f. <?page no="280"?> 280 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft B+ BB- B1 B2 B3 B+ BB- Mangelhaft: geringe Deckung von Zins und Tilgung CCC CC Caa Ca CCC CC Ungenügend: niedrigste Qualität; akute Gefahr des Zahlungsverzugs SD 141 / D C DDD DD D Zahlungsunfähig: in Zahlungsverzug Abbildung 9-5: Ratingnotationen der drei größten Ratingagenturen Quelle: In Anlehnung an Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 68 Im Wesentlichen ähnelt das Rating einem Ranking, bei dem eine Rangfolge dargestellt wird. Mittels der einheitlich vergebenen Notation sind das Rating und die Bonität verschiedener Unternehmen vergleichbar. Die Abstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden, durch Symbole bzw. Ziffern, abgestuften Ratingklassen werden als sogenannte Notches betitelt. Zum Beispiel beträgt der Abstand zwischen den beiden Ratingklassen BB und B+ in der Ratingskala von Standard & Poor’s (S&P) zwei Notches. 142 Es können empirische Ausfallraten abgeleitet werden, welche die Basis der Risikoprämienkalkulation darstellt. Sollte sich ein Rating verschlechtern, so steigen die Kosten für das Risiko stark an, die dann im Preis ihren Niederschlag finden. Im Umkehrschluss sinkt bei einem besseren Rating der Preis für einen Kredit. 143 9.2.3 Bonitätseinschätzung In diesem Abschnitt werden sowohl die Kreditfähigkeitsprüfung als auch die Bonitätsprüfung näher erörtert. Des Weiteren werden ausgewählte Verfahren dargeboten. Kreditfähigkeitsprüfung Die Kreditfähigkeit bedeutet, dass der Kreditantragsteller in der Lage ist, rechtswirksame Kreditgeschäfte einzugehen. Die Geschäftsfähigkeit einer Person bzw. die Vertretungsmacht ist im Rahmen des BGBs 144 zu prüfen. Die Kreditfähigkeitsprüfung seitens des Kreditgebers ist grundlegend, da bei fehlerhafter Prüfung jeglicher Anspruch auf Rückzahlung des Darlehensbetrags gefährdet wird. 145 Bonitätsprüfung Die Bonitätsprüfung untersucht, inwieweit der Kreditnehmer voraussichtlich fähig ist Zins- und Tilgungszahlungen vertragsmäßig zu leisten. Insofern steht die Ermittlung und Beurteilung der Bonität eines Kreditnehmers im Zentrum der Betrachtung. Es wird zwischen persönlicher und materieller Bonität unterschieden. Unter persönlicher Bonität wird die Persönlichkeitsstruktur des Kreditnehmers beurteilt, inwiefern die beruflichen, fachlichen und unternehmerischen Eigenschaften des Kreditnehmers ausgeprägt sind. Die materielle Bonität beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers. 141 Selective Default 142 Vgl. Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 25-28 143 Vgl. Metzler, L.von/ Pohle, K. [Risikoaggregation im industriellen Controlling, 2004], S. 166 144 Bürgerliches Gesetzbuch 145 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 44 <?page no="281"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 281 Neue Betriebswirtschaft Grundsätzlich ist die Ertrags- und Liquiditätsstruktur sowie die Vermögens- und Kapitalstruktur entscheidend. Die momentane und zukünftige Situation des Kreditnehmers sollte geeignet sein, um eine gesicherte Zins- und Tilgungszahlung zu gewährleisten. Im folgenden Abschnitt werden ausgewählte Methoden hierfür vorgestellt. 146 Verfahren Unzählige Instrumente liegen Kreditinstituten und Ratingagenturen zur Analyse von Kreditnehmern vor. Der Einsatz technisch-moderner Verfahren objektiviert die Gewichtung der Prüfungsmerkmale. Er rationalisiert die Kreditwürdigkeitsprüfung durch Beschränkung der entscheidungsrelevanten Prüffelder und treibt den Prüfungsvorgang voran. Statistische Verfahren kategorisieren insolvente und solvente Kreditnehmer nach den jeweiligen Branchen und Größen. Der Einsatz von statistischen Verfahren ermöglicht eine Zeitersparnis, erleichtert den Kreditvergabeprozess, unterstützt Kreditsachbearbeiter und ergänzt im Gesamtbild den Kreditvergabeprozess. 147 Die beiden formellen Insolvenzprognoseverfahren „Induktives Verfahren“ und „Empirisch-statistisches Verfahren“ werden in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Gesondert wird die traditionelle Bonitätsanalyse betrachtet. Abbildung 9-6: Insolvenzprognose Quelle: In Anlehnung an Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 54 Traditionelle Bonitätsanalyse Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat die Bonitätsanalyse der Banken einen Wandel durchgemacht. Insbesondere in Deutschland galt bisher die fundamentale Bonitätsanalyse als richtungsweisend. STÜTZEL (1983, S. 33f.) vertritt die Auffassung, dass der Liquidität keine eigene analytische Aussagefähigkeit eingeräumt wird, weil die Liquidität nur zur Wiedergabe der Bonität dient bzw. als ein operatives Managementproblem angesehen wird. 148 146 Vgl. ebd., S. 45 ff. 147 Vgl. Hofmann, G. [Basel II und MaRisk, 2007], S. 116 148 Vgl. Stützel, W. [Bankpolitik heute und morgen, 1983], S. 33 f. sowie Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 276 f <?page no="282"?> 282 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die traditionelle Bonitätsanalyse beruht auf Jahresabschlüssen und gibt einen Einblick in alle wesentlichen Informationen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens anhand der vorhandenen Datenmaterialien. Diese können Rückschlüsse zur wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit des Unternehmens erschließen. Es soll ersichtlich sein, wie es um die Liquiditätslage des Unternehmens steht. 149 Der Jahresabschluss wird anhand festgelegter Kriterien ausgewertet und anschließend folgt eine Verdichtung von ausgewählten Kennzahlen. Basierend auf dem Jahresabschluss werden Zeitvergleich, Branchenvergleich sowie der Soll-Ist-Vergleich erstellt. 150 Der Zeitvergleich liefert unternehmensbezogene Entwicklungstendenzen. Bei einer Kreditvereinbarung wird die Werthaltigkeit bzw. die Verwertbarkeit von Sicherheiten des Kreditnehmers beurteilt, sodass mittels Sicherheiten Verluste von Kreditinstituten geschmälert werden können. 151 Abbildung 9-7: Traditionelle Bonitätsanalyse Quelle: Entnommen aus Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 76 Die traditionelle Bonitätsanalyse hat nur einen eingeschränkten Informationsgehalt auf Basis eines Jahresabschlusses. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, dass Jahresabschlüsse vergangenheits- und bilanzstichtagbezogen sind. 152 Gemäß Basel III (Säule III) wurden die Offenlegungsvorschriften verschärft. 153 Des Weiteren ist die Einschätzung problematisch hinsichtlich der Anwendung unterschiedlicher Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten bei HGB und IFRS. Unter Ausnutzung von Bewertungswahlrechten kann eine Unternehmenssituation modifiziert (besser) dargestellt werden, um die Chancen auf einen besseren Kredit zu erhöhen. Zwar ist der Kreditvergabeprozess weitgehend bei allen Kreditinstituten standardisiert, jedoch hat der Kreditsachbearbeiter einen gewissen Spielraum. Subjektive Attribute (wie bspw. ein Kundengespräch oder eine Betriebsbesichtigung) können in die Einschätzung einfließen. Das Kreditrisiko ist schwierig einzuschätzen, da bei langfristiger Laufzeit Veränderungen im Hinblick auf Zahlungsfähigkeit möglich sind. In diesem Zusammenhang prüfen Kreditinstitute nach Werthaltigkeit und Verwertbarkeit von Sicherheiten unter Berücksichtigung der aktuellen Risikoeinstufung. 154 Die traditionelle Bonitätsanalyse ist immer noch Bestandteil von Banken. 149 Vgl. Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 86-89 150 Vgl. Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 76 151 Vgl. Grunwald, E./ Grunwald, S. [Bonitätsanalyse im Firmenkundengeschäft, 2008], S. 125 ff. 152 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 47 153 Siehe Abschnitt 4.3 154 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 46 ff. <?page no="283"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 283 Neue Betriebswirtschaft Diskriminanzanalyse 155 Die Diskriminanzanalyse wird als ein Verfahren zur Analyse von Gruppenbzw. Klassenunterschieden angewandt. Das genannte Verfahren ermöglicht die Grundgesamtheit aller Objekte (bspw. zu klassifizierende Unternehmen) angesichts ihrer Merkmalsausprägungen (z.B. Bilanzkennzahlen) in solvente und insolvente Gruppen einzuteilen. Die Trennung leitet sich anhand der Diskriminanzfunktion, welche im Prozess der Diskriminanzanalyse ermittelt wird, wie folgt ab: 156 D = b 0 + b 1 X 1 + b 2 X 2 +. . . +b J X J 𝐷𝐷 = 𝐷𝐷𝐺𝐺𝑠𝑠𝑘𝑘𝑟𝑟𝐺𝐺𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑛𝑛𝑧𝑧𝐼𝐼𝑎𝑎𝑟𝑟𝐺𝐺𝑎𝑎𝐵𝐵𝑙𝑙𝑒𝑒 X j = 𝑀𝑀𝑒𝑒𝑟𝑟𝑘𝑘𝑚𝑚𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠𝐼𝐼𝑎𝑎𝑟𝑟𝐺𝐺𝑎𝑎𝐵𝐵𝑙𝑙𝑒𝑒 𝑗𝑗 (𝑗𝑗 = 1,2, . . , 𝐽𝐽) b j = 𝐷𝐷𝐺𝐺𝑠𝑠𝑘𝑘𝑟𝑟𝐺𝐺𝑚𝑚𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑛𝑛𝑧𝑧𝑘𝑘𝐺𝐺𝑒𝑒𝑓𝑓𝑓𝑓𝐺𝐺𝑧𝑧𝐺𝐺𝑒𝑒𝑛𝑛𝑡𝑡 𝑓𝑓ü𝑟𝑟 𝑀𝑀𝑒𝑒𝑟𝑟𝑘𝑘𝑚𝑚𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠𝐼𝐼𝑎𝑎𝑟𝑟𝐺𝐺𝑎𝑎𝐵𝐵𝑙𝑙𝑒𝑒 𝑗𝑗 b 0 = 𝑘𝑘𝐺𝐺𝑛𝑛𝑠𝑠𝑡𝑡𝑎𝑎𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐺𝐺𝑙𝑙𝐺𝐺𝑒𝑒𝑑𝑑 Die Formulierung der Diskriminanzfunktion erfordert die Auswahl von Merkmalsvariablen. Die Parameter b 0 und b j mit 𝑗𝑗 = 1,2, … , 𝐽𝐽 sind auf Basis der Daten für die Merkmalsvariablen zu schätzen. Mehrere Variablen werden bei minimalem Informationsverlust durch eine Linearkombination zu einer Variable zusammengeschlossen.157 Eine empirische Vorbereitung erfolgt mittels dem cut-off-point K T , dieser ermöglicht eine bestmögliche Trennung insolventer und solventer Unternehmen. Unterschieden wird dabei zwischen einer univariaten und einer multivariaten Diskriminanzanalyse. Bei der univariaten Diskriminanzanalyse werden einzelne Kennzahlen und Merkmale betrachtet. Abbildung 9-8: Univariate Diskriminanzanalyse Quelle: In Anlehnung an Uwe Christians [Rating und Kreditwürdigkeitsprüfung WiSS 2016/ 2017, 31.12.2016], HTW Berlin, S. 10 155 Christians, U. [Rating und Kreditwürdigkeitsprüfung WiSS 2016/ 2017, 31.12.2016], HTW Berlin 156 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 50 f. 157 Vgl. Backhaus, K./ Erichson, B./ Plinke, W./ Weiber, R. [Multivariate Analysemethoden, 2016], S. 220 f. <?page no="284"?> 284 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Im Rahmen einer Teststichprobe wird versucht einen geeigneten Trennpunkt (cut-off-point) aufzustellen, sodass die Anzahl der Fehlklassifikationen so gering wie möglich gehalten wird. Der Alpha- Fehler, auch Fehler erster Art genannt, bezeichnet insolvente Unternehmen, die fälschlicherweise als solvent tituliert werden. Der Beta-Fehler gibt die Wahrscheinlichkeit der solventen Unternehmen an, die irrtümlich als insolvent tituliert werden. Die univariate Diskriminanzanalyse ist leicht nachvollziehbar, bei der keine Verteilung der Kennzahlen erforderlich ist. Jedoch werden dabei nur Teilaspekte berücksichtigt. Die multivariate Diskriminanzanalyse ermöglicht die gleichzeitige Untersuchung von mehreren Merkmalsvariablen. Oftmals wird diese Methode beim Kreditgeschäft genutzt, um kreditsuchende Unternehmen in bestandsfeste Gruppen wie solvente bzw. insolvente Unternehmen einzuordnen. Abbildung 9-9: Multivariate Diskriminanzanalyse mit Trennlinien Quelle: In Anlehnung an Uwe Christians [Rating und Kreditwürdigkeitsprüfung WiSS 2016/ 2017, 31.12.2016], HTW Berlin, S. 17 [1] Zunächst wurden drei solvente Unternehmen fälschlicherweise in die insolvente Gruppe einsortiert. Im Gegenzug wurden irrtümlich zwei insolvente Unternehmen der solventen Gruppe zugeordnet. [2] Bei der zweiten univariaten Trenngerade wurden vier solvente Unternehmen falsch zur insolventen Gruppe klassifiziert. Des Weiteren wurden drei insolvente Unternehmen der solventen Gruppe zugeordnet. [3] Eine Kombination aus 1) und 2) ergibt eine Reduzierung der Fehleinschätzung. Beim dritten Versuch wurden nur noch zwei solvente Unternehmen bei der Gruppe der Insolventen eingeordnet. Nur ein insolventes Unternehmen wurde in die solvente Gruppe eingereiht. Zusätzlich zur Diskriminanzanalyse sollte stets die Nutzung von Jahresabschlüssen und Offenlegungsberichten erfolgen. <?page no="285"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 285 Neue Betriebswirtschaft Beispiel 158 Anhand des Z-Scores nach Bilanzratingmodell von ALTMAN ALTMAN erstellte eine kleine Datenbasis mit 33 insolventen und 33 solventen Unternehmen, die aus einer vergleichbaren Branche stammen und eine ähnliche Bilanzsumme aufweisen. Die fünf Variablen 𝑋𝑋 1 bis 𝑋𝑋 5 stellen ausgewählte aussagekräftige Kennzahlen dar. 𝑍𝑍 = 0,012 ∙ 𝑋𝑋 1 + 0,014 ∙ 𝑋𝑋 2 + 0,033 ∙ 𝑋𝑋 3 + 0,006 ∙ 𝑋𝑋 4 + 0999 ∙ 𝑋𝑋 5 𝑋𝑋 1 : Working Capital / Bilanzsumme 𝑋𝑋 2 : Gewinnrücklage/ Bilanzsumme 𝑋𝑋 3 : Earnings Before Interest and Taxes (EBIT)/ Bilanzsumme 𝑋𝑋 4 : Marktwert des Eigenkapitals / Bilanzsumme 𝑋𝑋 5 : Umsatz/ Bilanzsumme Der Ansatz von ALTMAN zur Insolvenzprognose stellt einen optimalen Trennwert von 2,675 in Bezug auf die Anzahl der Fehlklassifizierung auf. Tatsächlich stellte sich heraus, dass alle Unternehmen der Stichprobe mit einem Wert Z < 1,81 ein Jahr später insolvent wurden und die Unternehmen mit einem Wert Z > 2,99 ein Jahr später stets solvent waren. Es ergab sich die Entscheidungsregel, dass Unternehmen mit einem Wert Z > 2,99 als nicht insolvenzgefährdet kategorisiert wurden. Hingegen werden Unternehmen mit einem Wert Z < 1,81 als insolvenzgefährdet betrachtet. Unternehmen mit einem Wert 1,81 < Z < 2,99 werden in keiner der beiden Gruppen eingeordnet. 159 Die folgende Abbildung zeigt anhand von zwei Kennzahlen die Trennung von Unternehmen, die solvent bleiben und jenen die insolvent werden. Bei allen statistischen Verfahren gilt, dass sie auf Vergangenheitsentwicklungen basieren und die Ergebnisse in die Zukunft übermittelt werden. Abbildung 9-10: Kennzahlenbasierte Diskriminanzanalyse Quelle: Entnommen aus Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 98 f. 158 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 95 f. 159 Vgl. Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 176 <?page no="286"?> 286 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Neuronale Netze 160 Neuronale Netze agieren nach dem Prinzip der Mustererkennung. Die Idee der neuronalen Netze besteht darin, den biologischen Ablauf der Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns zu imitieren. Ein neuronales Netz umfasst eine Eingabeschicht, Mittelschicht(en) und eine Ausgabenschicht. Die erste Schicht, die sogenannte Eingabeschicht, ist verantwortlich für die Aufnahme von Informationen (z.B. finanzielle Kennzahlen) über Impulse mittels Neuronen. Diese werden mit Gewichten versehen und anschließend in die nächste Schicht weitergereicht. Dabei wird nach den wichtigsten Ausprägungsmerkmalen selektiert. In der Mittelschicht erfolgt die Informationsverarbeitung. In den Elementen der Mittelschichten (Neuronen) werden die eingehenden Informationen zu vernetzten Werten verknüpft. Diese stellen Inputwerte für die nachgelagerten Neuronen dar. Abschließend werden die Informationen an die Ausgabeschicht weitergeleitet, die zu einem Krediturteil verdichtet werden. 161 Wie das menschliche Gehirn lernen die Neuronen von Datensätzen. Neuronale Netze verarbeiten quantitative und qualitative Daten. 162 Abbildung 9-11: Grundlegender Aufbau eines neuronalen Netzes Quelle: Entnommen aus Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 171 f. Als Anwendungsbeispiel ist an dieser Stelle das sogenannte Baetge-Bilanzrating BP-14 heranzuziehen, welches auf der Grundlage von 14 Jahresabschlusskennzahlen basiert und zu einem neuronalen Netzwert komprimiert wird. Die Informationsbereiche lassen sich in Vermögens-, Finanz- und Ertragslage aufteilen. Anhand des ermittelten neuronalen Netzwerts wird ein Unternehmen einer bestimmten Klasse zugeordnet. In der nachfolgenden Abbildung sind sechs Güteklassen und vier Risikoklassen verzeichnet, aus der die jeweiligen Insolvenzwahrscheinlichkeiten berechnet werden können. 163 Eine Weiterentwicklung des Baetge-Bilanz-Ratings (BBR) wird von Moody's Analytics, dem sogenannten RiskCalc, genutzt. 164 Expertensysteme 165 Induktive Verfahren, sprich heuristische Methoden, dienen zur Erkenntnisgewinnung aus subjektiven Erfahrungen und Beobachtungen bzw. erwarteten betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen. Heuristische Methoden beruhen auf Erfahrungen aus dem Kreditgeschäft, die in der Vergangenheit 160 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 50 f. 161 Vgl. Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 171 f. 162 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 317 163 Siehe Abbildung 9-12 164 Vgl. Hutzschenreuter und Griess-Nega [Krisenmanagement, 2006], S. 130 ff. 165 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 46 - 88 <?page no="287"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 287 Neue Betriebswirtschaft hinsichtlich der Bonität eines Kreditnehmers gewonnen wurden. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass die Qualität heuristischer Modelle von der adäquaten Abbildung des subjektiven Expertenwissens beeinflusst wurde und weniger von der Datenbasis. Als Resultat ergab sich ein gewichteter Bonitätsdurchschnitt, mittels dessen eine Risikoeinstufung des Kreditengagements vorgenommen wurde. Die heuristischen Methoden zielen zu keinem endgültigen anerkennungsfähigen Risikogewicht ab. Abbildung 9-12: Zusammenhänge des Netzes BP-14 Quelle: In Anlehnung an Hutzschenreuter und Griess-Nega [Krisenmanagement, 2006], S. 131 Heutzutage findet das Expertensystem kaum Anwendung. In jener Zeit fand das Expertensystem in der Praxis vorwiegend im Firmenkundenbereich seine Verwendung. Expertensysteme wurden von statistischen Modellen bspw. mittels des BVR-II-Ratings abgelöst, welche Volks- und Raiffeisenbanken nutzen. Das Ratingsystem BVR-II-Rating besteht aus zwei Teilkomponenten: quantitative Kennzahlen zum Jahresabschluss (Teilscore JA) sowie qualitative Kriterien (Teilscore QU). Der quantitative Teil hat eine Gewichtung von 60 Prozent und die qualitativen Kriterien gehen mit 40 Prozent in die Bewertung ein. Der quantitative Teil basiert auf der Jahresabschlussanalyse. Der qualitative Teil wird in Form von strukturierten Fragebögen dokumentiert. Der Jahresabschluss, die betriebswirtschaftliche Auswertung und die Kontoführung sind ausgerichtet die Vermögenslage und Ertrags- und Finanzkraft einzuschätzen. Zusätzlich werden Absatz- und Beschaffungsmärkte sowie Veränderungen der branchenabhängigen Wettbewerbsposition im Markt des Kreditnehmers beobachtet. 166 Des Weiteren wird die Planung der zukünftigen Entwicklung zur Bewertung des qualitativen Teils herangezogen. Die Aggregation der quantitativen und qualitativen Teile ergibt vorerst eine maschinelle Ratingnote, die als ein „Vor-Rating“ gewertet wird. Anschließend wird dieses Rating durch Wissen von Kredit- 166 Vgl. Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 458 <?page no="288"?> 288 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft experten ergänzt ehe es zur Erstellung des endgültigen Ratings kommt. Zusammenfassend ergibt sich folgende Abbildung: Abbildung 9-13: Aufbau des BVR-II-Ratings Quelle: Entnommen aus Gleißner und Füser [Praxishandbuch Rating und Finanzierung, 2014], S. 459 Das BVR-II-Rating beurteilt die aktuelle Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und infolge dessen wird die zukünftige Unternehmensentwicklung in die Bonitätsanalyse integriert. Ein Maß für die Substanzentwicklung in der jüngeren Vergangenheit wird durch die wirtschaftliche Entwicklung, einschließlich der Kapitalstruktur, wiedergegeben. 9.2.4 Methoden der Kreditwürdigkeitsprüfung und Vergleich Seit Basel II wurde die Berechnung der Eigenkapitalunterlegung für Kreditrisiken mithilfe von Säule I verschärft. Kreditinstitute verfügen über die Wahl zwischen zwei Ansätzen, dem Kreditrisiko- Standardansatz (KSA), der auf einem externen Rating basiert und dem Internal Ratings Based- Ansatz (IRB-Ansatz). Bei dem IRB-Ansatz wird zwischen dem sogenannten IRB-Basisansatz und dem fortgeschrittenen IRB-Ansatz unterschieden. Zunächst werden die genannten Modelle vorgestellt, jedoch wird im Rahmen dieser Abschlussarbeit der IRB-Ansatz detaillierter vertieft. Kreditrisiko-Standardansatz (KSA) Die Standardmethode basiert auf externen Ratings und nutzt die durch die Aufsichtsbehörde vorgegebenen Risikogewichte. Diese sind abhängig einer externen Bonitätsbeurteilung (z.B. für Kredite an Staaten, Banken und Unternehmen). 167 Häufig wird dieser Ansatz für die Bemessung des Kreditrisikos, insbesondere von kleineren Banken, genutzt. Die nachfolgende Abbildung stellt die Risikogewichte im Standardansatz exemplarisch dar. 167 Vgl. Gleißner, W. [Grundlagen des Risikomanagements, 2017], S. 83 <?page no="289"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 289 Neue Betriebswirtschaft Forderungsklasse Staaten und deren Zentralbanken Banken Unternehmen kurzfristige Forderungen sonstige Forderungen Rating Risikogewicht AAA bis AA- 0% 20% 20% 20% A+ bis A- 20% 20% 50% 50% BBB+ bis BBB- 50% 20% 50% 100% BB+ bis BB- 100% 50% 100% 100% B+ bis B- 100% 50% 100% 150% Unterhalb B- 150% 150% 150% 150% Ohne 100% 20% 50% 100% Abbildung 9-14: Beispiel für Risikogewichte im Standardansatz Quelle: In Anlehnung an Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 273 f. Bei Basel I erhielten alle Unternehmenskredite ein einheitliches Risikogewicht, wohingegen in Basel II das Risikogewicht auf dem Rating des Schuldners basiert. Bei der Berechnung einer Forderung, mit entsprechend gewichtetem Risikoaktivum, wird der Forderungsbetrag mit dem Risikogewicht multipliziert. Folglich wird bei riskanteren Forderungen ein höheres Risikogewicht zugeordnet, somit sind bei Anwendung des Standardansatzes die Forderungen mit einem höheren Anteil an regulatorischem Eigenkapital refinanziert als vergleichsweise die Forderungen, die weniger risikobehaftetet sind. Die wesentliche Erweiterung unter Basel III besteht darin, dass die Institute vom aufsichtsrechtlichen Kreditrisiko-Standardansatz zur Eigenmittelbestimmung Gebrauch machen. Die Kreditinstitute sollen in der Lage sein das Risikogehalt ihrer Kredite durch den Einsatz interner Modelle einzuschätzen. 168 Basel III hat den Kreditrisiko-Standardansatz nur minimal modifiziert. Zudem hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) im Dezember 2014 das Konsultationspapier „Revisions of the Standardised Approach for credit risk“ veröffentlicht. Das Werk enthält Lösungsansätze hinsichtlich der Schwachstellen des bisherigen Ansatzes. 169 Einer der wesentlichen Kritikpunkte ist die zu hohe Abhängigkeit von externen Ratings. Diese führen häufig zu einer unzureichenden Risikobeurteilung und einem unzureichenden Risikomanagement auf Seiten der Kreditgeber. Hinzu kommt die fehlende Differenzierung zwischen unterschiedlichen Risikoprofilen innerhalb von Forderungsklassen. Einige Forderungsklassen haben ein einheitliches Risikogewicht, somit ist keine Unterscheidung zwischen Risikoprofilen gegeben. Des Weiteren kommt die Tatsache hinzu, dass die Vergleichbarkeit zwischen dem KSA und dem IRB-Ansatz unzulänglich sei, welche auf unterschiedlichen Definitionen und Geltungsbereichen ausgewählter Forderungsklassen zurückzuführen ist. Nationale Wahlrechte und Auslegungsspielräume erschweren den Kreditrisiko-Standardansatz. 170 Es soll stets die Grundstruktur des KSA bestehen bleiben. Zudem sollen die Forderungsklassen klar abgegrenzt werden. Das Inkrafttreten der neuen Gegebenheiten soll vorrausichtlich 2019 erfolgen. 168 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 25 ff. 169 Vgl. Genossenschaftsverband Bayern e.V. (GVB) [Kreditrisiko-Standardansatz, 2015] 170 Vgl. Budy et al. [Der neue Kreditrisikostandardansatz, 2015], S. 4-15 <?page no="290"?> 290 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft IRB-Ansatz Der bankinterne Ratingansatz wird mittels dem IRB-Basisansatz bzw. dem fortgeschrittenen IRB- Ansatz ermittelt. Banken nutzen hierbei individuell berechnete Risikogewichte. Die Verwendung von IRB-Ansätzen erfordert die Erfüllung von qualitativen Anforderungen, die den Ansprüchen der Mindestanforderungen an das Risikomanagement entsprechen. Die beiden IRB-Ansätze basieren mit verschiedenen Gewichtungsfunktionen auf Grundlage der folgenden Risikoparameter: 171 Probability of Default Die Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default) beruht auf Grundlage historischer Ausfalldaten. Der Risikoparameter gibt die Anzahl der Kredite einer Risikoklasse an, die voraussichtlich innerhalb eines Jahres ausfallen werden. Der Probability of Default (PD) beschreibt die Wahrscheinlichkeit im Rahmen eines einjährigen Zeitfensters, in dessen eine Gegenpartei ihren Verpflichtungen nicht partiell oder vollständig nachkommt, sodass es zu einem Ausfallereignis kommt. Demnach bildet dieser Risikoparameter die Ausfallwahrscheinlichkeit ab. Darüber hinaus kann der Probability of Default für durchschnittlich geschätzte Ausfallwahrscheinlichkeiten einzelner Kreditnehmer, welche einer bestimmten Risikoklasse zugehören, verwendet werden. Das ist nur der Fall, falls die Schätzungen mit einem statistischen Ausfallmodell ermittelt wurden. 172 Die Ausfallwahrscheinlichkeit richtet sich nach der Bonität des Schuldners. Exposure at Default Das Exposure at Default (EAD) ist die erwartete Höhe der ausstehenden Forderung zum Zeitpunkt des Ausfalls, in anderen Worten der Nominalbetrag inklusive Zinsen. Bei der Betrachtung der Kreditlinie ist die Höhe der Ausnutzung der Kreditlinie zu schätzen, um das Exposure at Default zu erhalten. Beim außerbilanziellen Geschäft des Exposure at Defaults wird oft auf den Credit Conversion Factor 173 (CCF) zurückgegriffen. Der CCF gibt den erwarteten prozentualen Anteil einer offenen Linie an, welcher bis zum Ausfall erfahrungsgemäß in Anspruch genommen werden kann. Der CCF wird im Basisansatz vorgegeben und im fortgeschrittenen Ansatz aus der Datenhistorie des Loss Given Defaults ermittelt. 174 An dieser Stelle wird ein stochastisches Exposure als Beispiel herangezogen. Dispokredite, welche zu den stochastischen Exposures zählen, basieren auf historischer Daten. Diese bestehen aus genau zwei Komponenten: einer sicheren und einer unsicheren Komponente. Die sichere Komponente ist der Betrag, welcher zum Zeitpunkt 𝑡𝑡 in Anspruch genommen wurde. Die unsichere Komponente ist der restliche Anteil des Dispokredits, welcher vor dem Ausfallzeitpunkt genutzt wurde. Zudem wird die unsichere Komponente CCF geschätzt. 175 Beispiel Angenommen es bestehe ein Dispolimit in Höhe von 1.000€, davon wurden 600€ in Anspruch genommen (sichere Komponente). Aus historischen Daten ergibt sich ein CCF von 70 Prozent. Erwartetes Exposure: 𝐸𝐸(𝐸𝐸𝐴𝐴𝐷𝐷) = 600€ + 70% ∙ (1000€ − 600€) = 880€ 171 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 83 f. 172 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 51 173 Zu Deutsch: Kreditumrechnungsfaktor 174 Vgl. Hofmann et al. [Auszug Publikationen 2005, 2005], S. 2 f. 175 Vgl. Kaposty, F.; Loederbusch, M.; Maciag, J.; Pfingsten, A. [Die Abbildung von Abhängigkeit zwischen PD, LGD, EAD, 06.03.2015], WWU Münster, S. 28 <?page no="291"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 291 Neue Betriebswirtschaft Loss Given Default Als Loss Given Default (LGD) wird die Verlustquote bei Ausfall bezeichnet, unter Berücksichtigung einer Sicherheitenverwertung. Dieser Risikoparameter gibt an, welcher Anteil einer ausstehenden Forderung durch den Ausfall uneinbringlich ist. Der uneinbringliche Teil berücksichtigt das Vermögen des Schuldners, die Rangstellung von Sicherheiten und deren Erlös aus der Verwertung. 176 Es wird eine prozentuale Verlustquote bei Ausfall des Kreditnehmers wiedergegeben. Der Loss Given Default entspricht allgemein dem Delta von Eins und der Wiedereinbringungsquote (Recovery Rate). 177 Die Recovery Rate steht für die Erlösquote bei Forderungsausfällen. 178 𝐿𝐿𝐺𝐺𝐷𝐷 = 1 − 𝑅𝑅𝑅𝑅 Die Quote beschreibt den anteiligen Mittelrückfluss aus dem nicht zu erbringenden Engagement. Angenommen der vereinfachte LGD weist einen Wert von 70 Prozent auf, entsprechend würde sich eine Recovery Rate in Höhe von 30 Prozent ergeben. Mit anderen Worten gibt die Recovery Rate Auskunft über den prozentualen Anteil, der bei einem Ausfall des Kreditnehmers wiederbeschafft werden kann. 179 Maturity Die Restlaufzeit des Kredits wird Maturity (M) genannt. Beim IRB-Basisansatz werden durchschnittlich 2,5 Jahre gewählt, falls die Geschäftsfelder Privatkunden bzw. Nicht-Privatkunden angesprochen werden. Bei der Wahl eines fortgeschrittenen Ansatzes kann eine Restlaufzeit von einem Jahr bis maximal fünf Jahren gewählt werden. 180 Vergleich: Abbildung 9-15: Vergleich KSA und IRB-Ansatz Quelle: in Anlehnung an Schelhowe [Einführung in die Kreditrisikomessung im Zuge von Basel II, 2007], S. 10 ff. 176 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 82 177 Vgl. Martin, M.R. W./ Wehn, C. [Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, 2014], S. 22 f. 178 Vgl. Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 23 179 Vgl. Wagner, E. [Credit Default Swaps und Informationsgehalt, 2009], S. 8 180 Vgl. Wernz, J. [Banksteuerung und Risikomanagement, 2012], S. 52 <?page no="292"?> 292 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Beim IRB-Basisansatz wird nur der Parameter der Ausfallwahrscheinlichkeit PD bankindividuell geschätzt. Die restlichen Komponenten werden von der Baseler Bankenaufsicht vorgegeben. Beim fortgeschrittenen IRB-Ansatz dagegen werden alle Komponenten vom Kreditinstitut intern geschätzt. Die angewandten internen Ratingsysteme werden von der Aufsicht kontrolliert und genehmigt. Hierfür werden mehrere Ratingansätze (wie bspw. multivariate Diskriminanzanalyse oder Neuronale Netzwerke) verwendet. Die Risikoparameter LGD und EAD basieren auf internen historischen Verlusterfahrungen. 181 Die CRR verwendet zur Absicherung von Risiken eine der geschilderten Methoden, die ein entsprechendes Eigenkapital hinterlegen. Interne Kreditrisikomodelle können das ökonomische Risiko eines Kreditengagements bzw. Kreditportfolios präziser einschätzen, da angepasste Gewichtungsfaktoren für Kreditnehmergruppen mittels interner Kreditrisikomodellen modelliert werden. Die im Durchschnitt ermittelten Kapitalanforderungen verfügen nach dem internen IRB-Ansatz über eine geringere Ausfallwahrscheinlichkeit, als vergleichsweise die nach dem Standardansatz ermittelten Kapitalanforderungen. Durch unterschiedliche Gewichtungsfaktoren wird ein Delta hervorgerufen. Folglich muss die Bank für diese Kreditnehmer weniger Eigenkapital vorhalten. 182 Ein weiterer Vorteil des IRB-Ansatzes stellt die Berücksichtigung der individuellen Situation des Kreditinstituts dar. Die Kreditinstitute kennen sowohl die lokalen, als auch die kausalen Komplexitäten ihres Geschäftes am besten, weswegen ein einheitlicher Ansatz - wie der Standardansatz - diesen Gegebenheiten nur eingeschränkt Rechnung tragen kann. Dementsprechend erfolgt eine präzisere Betrachtung beim IRB-Ansatz und folglich spart der Kreditgeber an Eigenkapital. 183 Rechtliche Grundlagen Dieser Abschnitt gibt Einblick in die rechtlichen Regularien. Vor allem wird ein besonderes Augenmerk auf die Vorschriften des Baseler Ausschusses geworfen. Es wird sowohl die Entwicklung von Basel I, II und III als auch MaRisk näher untersucht. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die Vorgaben und Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Kreditinstitute haben eine verantwortungsvolle Rolle als Finanzintermediäre. 184 Hierbei ist vor allem der professionelle und pflichtbewusste Umgang mit Kredit-, Markt-, Liquiditäts- und anderen Risiken enorm wichtig, denn die Risiken dürfen nicht zur Gefährdung der Solvenz der Institute und zu Instabilitäten im Finanzsektor führen. Neben der eigenen Risikovorsorge der Kreditinstitute werden zusätzlich spezielle Aufsichtsregeln für Kreditinstitute geschaffen, die zu einer Stärkung der Sicherheit und Solidität des Finanzsystems dienen. Umsetzung Die Empfehlungen des Baseler Ausschusses werden in Form der Richtlinie Capital Requirement Directive (CRD IV) und der Verordnung Capital Requirements Regulation (CRR) verwirklicht. 185 Die resultierenden Gesetzgebungen werden durch die EU erlassen und ins nationale Recht der jeweiligen Länder übernommen. In Deutschland werden die Anforderungen des Baseler Ausschusses 181 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 55 f. 182 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 515 ff. 183 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 57 184 Vgl. Springer, F. [Echtzeit- und Ereignisorientierung in Kreditinstituten, 2017], S. 12 f. 185 Vgl. Luz, G./ Neus, W./ Schaber, M./ Schneider, P./ Wagner, C.-P./ Weber, M. [CRR visuell, 2015], S. XII <?page no="293"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 293 Neue Betriebswirtschaft mithilfe einer Überarbeitung des Kreditwesensgesetzes (KWG) übertragen. Um dem herkömmlichen Geschäftsbetrieb der Kreditinstitute nachgehen zu können, bedarf es der Einhaltung von quantitativen Aufsichtsstandards hinsichtlich der Eigenkapitalanforderungen. Technische Details zu den Eigenkapitalanforderungen werden in der Solvabilitätsverordnung (SolvV) vermerkt. Zusätzlich erfolgt eine Konkretisierung mittels den Mindestanforderungen für das Risikomanagement (MaRisk), wobei SolvV die Säule I und III des Baseler Rahmenwerks konkretisiert. Die qualitativen Anforderungen der Säule II werden mittels MaRisk umgesetzt. 186 Zur Vervollständigung ist noch eine weitere Rechtsverordnung zu Groß- und Millionenkrediten (Gro-MIKV) zu erwähnen. Diese Rechtsverordnung regelte im Kreditvergabeprozess die Groß- und Millionenkredite, die nicht weiter thematisiert werden. 187 9.3.1 Basel I Vorgeschichte Nach dem Bankenzusammenbruch des deutschen Bankhauses Herstatt und den Schwierigkeiten mit der amerikanischen Franklin Bank wurde der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, auf Initiative der G10-Staaten, 1974 gegründet. Als Vertreter nationaler Zentralbanken und Aufsichtsbehörden stellt der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht ein Gremium dar. Das gebildete Gremium soll mittels einheitlicher Standards weitere Bankinsolvenzen vorbeugen. Das Gremium umfasst die Vertreter von Aufsichtsbehörden und Zentralbanken von ausgewählten Ländern 188 , die sich vierteljährlich in Basel treffen. Es besteht die Notwendigkeit, dass Kreditinstitute ihren Geschäftstätigkeiten angemessenen mit Eigenkapital zu unterlegen haben. Die Stärkung der international tätigen Geschäftsbanken und die Kooperation zwischen den Bankenaufsichtsbehörden soll die Stabilität des internationalen Finanzsystems verbessern. Eine Überwachung des internationalen Finanzsystems soll zukünftig Lücken und Fehlentwicklungen vermeiden. Mittels einer Aufstellung allgemeiner Grundsätze, Maßnahmen und Anregungen soll eine effektive Änderung nationaler Bankenaufsichtsnormen angestrebt werden. Die Empfehlungen des Baseler Ausschusses können als Leitlinien der beteiligten Staaten betrachtet werden. 189 Gesetzgebung und Anforderungen 1988 hat der Baseler Ausschuss die ersten Regelungen verabschiedet. Basel I schreibt den international tätigen Banken der G10-Ländern eine Unterlegung der Risikoaktiva mit 8 Prozent Eigenkapital vor. Ein angemessenes Eigenkapital soll Verluste abfedern und Risiken abdecken. Hierbei werden die Geschäfte der Banken begrenzt. Ausschlaggebend für die Maßnahme war die sehr dünne Eigenkapitaldecke in der Vergangenheit. Bei den risikogewichteten Aktiva werden zunächst die bilanziellen Forderungen mit einem Risikoanrechnungsfaktor betrachtet und anschließend mit 8 Prozent multipliziert. Jede Risikoklasse hat ihren jeweiligen Prozentsatz: 190 186 Vgl. BaFin [Mindestanforderungen an das Risikomanagement, 2006], S. 3 187 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 140 ff. 188 Dazu gehören Belgien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien und USA 189 Vgl. Michaelis, T./ Schmeisser, W. [Rating und Basel III, 2016], S. 17 f. 190 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 255 ff. <?page no="294"?> 294 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Risikoanrechnungsfaktor gemäß Basel I Aktivposten 0% für Forderungen gegenüber staatlichen Schuldnern (OECD 191 -Staaten) 20% für Forderungen gegenüber Kreditinstituten 50% für grundpfandrechtlich gesicherte Realkredite 100% für alle sonstigen Risikoaktiva, d. h. auch alle Kredite an Unternehmen Abbildung 9-16: Aufteilung der Risikoanrechnungsfaktoren gemäß Basel I Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 256 Zu Zeiten als Basel I rechtkräftig war, hatte die Zugehörigkeit der OECD 192 -Mitgliedschaft eine besondere Stellung hinsichtlich der Eigenkapitalunterlegung von Kreditinstituten. Denn gemäß Basel I waren OECD-Staaten risikolos und hatten keine spezielle Eigenkapitalunterlegung benötigt. 193 Die Berechnung der erforderlichen Eigenkapitalunterlegung sieht folgendermaßen aus: 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑓𝑓𝐺𝐺𝑟𝑟𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑒𝑒 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙𝑒𝑒𝑔𝑔𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 = 𝐹𝐹𝐺𝐺𝑟𝑟𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑠𝑠𝑍𝑍𝑚𝑚𝑚𝑚𝑒𝑒 × 𝑅𝑅𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺𝑎𝑎𝑛𝑛𝑟𝑟𝑒𝑒𝑍𝑍ℎ𝑛𝑛𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑓𝑓𝑎𝑎𝑘𝑘𝑡𝑡𝐺𝐺𝑟𝑟 𝐺𝐺𝑛𝑛 % × 8 % Beispiel Laut Basel I benötigt ein Unternehmenskredit in Höhe von 2 Mio. € eine Eigenkapitalunterlegung von 160.000€. 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑛𝑛𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙𝑒𝑒𝑔𝑔𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 = 2.000.000€ ∙ 100 % ∙ 8 % = 160.000€ Entwicklung von Basel I zu II Die Berechnungsmethode von Basel I teilt Kreditnehmer in vier Risikoklassen ein, dementsprechend wurde wenig differenziert. Beispielsweise wurde gefordert, dass Unternehmen mit einem Rating von AAA ebenso die starren 8 Prozent an Eigenkapital unterlegen wie ein Start-up Unternehmen mit einem Rating der Speculative Grade. Die auftretenden Quersubventionen sind für Kreditnehmer mit guter Bonität benachteilig gestaltet. Das heißt, dass der bonitätsstarke Kreditnehmer eine zu hohe Marge zahlt und unbegründet Risiken aller Kreditnehmer übernimmt. 194 Basel I besitzt kein verlässliches Maß. Angenommen ein Schuldner mit schlechter Bonität hat seinen Sitz in einem OECD-Land, so muss dieser aufgrund seines Sitzlandes weniger Eigenkapital vorhalten, als würde er in einem Nicht-OECD-Land beheimatet sein. Im Umkehrschluss werden Schuldner mit guter Bonität in einem nicht OECD-Land benachteiligt. Dementsprechend werden Fehlanreize gesendet. Die Risikokategorie Kreditrisiko und ihre Differenzierung wird in Basel I nur sehr spärlich gemessen. Die eingegangenen Risiken sollen künftig besser mit dem erforderlichen Eigenkapital korrespondieren. Zusätzlich sollen Risiken noch präziser quantifiziert werden. Die Kreditinstitute sind aufgefordert Risiken mit ausreichendem Eigenkapital zu unterlegen, um Banken in einer Krise vor Insolvenz zu schützen. 191 Organisation for Economic Cooperation and Development 192 Zu Deutsch: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 193 Vgl. Heinz-Peter Derrix-Belau [Basel I - III Historie und Ausblick, 2012], S. 1 f. 194 Vgl. Schmeisser, W./ Mauksch, C./ Schindler, F. [Ausgewählte Verfahren zur Analyse und Steuerung von Risiken im Kreditgeschäft, 2005], S. 20 <?page no="295"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 295 Neue Betriebswirtschaft 1999 wurde die Neuaufnahme der Verhandlungen, hinsichtlich der Baseler Eigenkapitalunterlegung eingeleitet.195 Die neuen Anforderungen in der Neuaufnahme werden im Sinne von drei grundlegenden Säulen ausgelegt. 196 9.3.2 Basel II Die seit 1988 geltende Eigenkapitalvereinbarung wurde zum 1.Januar 2007 revidiert. Die Eigenkapitalvereinbarung des Baseler Ausschusses in Form von Basel II wurde als verbindlich für Kreditinstitute erklärt. Es wurden mehrfach ergänzende Konsultationspapiere bis zur endgültigen Version vom Baseler Ausschuss verfasst. Im Juni 2004 wurde ein Reformpaket mit Verbesserungspotenzial veröffentlicht, insbesondere zur Regulierung der Eigenkapitalquoten von Kreditinstituten. Die Kreditinstitute wurden vorab über die Vorschläge unterrichtet, damit diese die Neuerungen in ihren Kalkulationen bis 2007 einplanen und berücksichtigen konnten. 197 Ein bedeutsamer Aspekt zum Nachtrag war, dass Kreditinstitute zur Erfüllung strengerer, qualitativer und quantitativer Standards interne Value at Risk Modelle nutzen konnten, statt wie bisher bei Basel I das Standardmessverfahren. Denn je riskanter ein Kreditgeschäft ist, desto höher sollten die Eigenkapitaleinlagen der Bank sein, um besser mit dem Risikogewicht des Kreditnehmers umzugehen. Individuelle Value at Risk Modelle sind auf die Kreditnehmer abgestimmt und entsprechend kann die Bank Eigenkapital einsparen. Der Zweck ist Kapitalanforderungen viel stärker in das eingegangene Risiko einzubeziehen sowie neuere Entwicklungen an den Finanzmärkten und im Risikomanagement der Institute zu beachten. 198 Drei-Säulen-Prinzip Das Regelwerk von Basel II basiert auf den drei Säulen: Mindestkapitalanforderung, aufsichtliches Überprüfungsverfahren und Marktdisziplin. Die drei Säulen bilden das Fundament und ergänzen sich gegenseitig. Basierend auf dem Grundprinzip von Basel I ist Säule I entstanden und zusätzlich kommen Säule II und III neu hinzu. 199 Säule I: Mindestkapitalanforderungen Die Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen wird weiterhin am sogenannten Kapitalkoeffizienten gemessen und soll mindestens 8 Prozent betragen. Ergänzend zu dem bisherigen Marktrisiko findet in Basel II das Kreditrisiko und das operationelle Risiko mehr Beachtung, welche mit mehr Eigenkapital zu unterlegen sind. Die Eigenmittelunterlegung in Deutschland wird gemäß §10 KWG berechnet. Darin werden die Anforderungen an die Eigenmittelausstattung von Kreditinstituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen festgelegt. 200 Die Eigenkapitalunterlegung soll zukünftig an die Marktentwicklung und an das Risikomanagement einzelner Banken angepasst werden. Dementsprechend ist für die Bemessung des Kreditrisikos und des operationellen Risikos sowohl der Kreditrisiko-Standardansatz als auch die verfeinerten Verfahren des IRB-Ansatzes zulässig. Die methodische Weiterentwicklung interner Verfahren fördert den Wettbewerb bei Kreditinstituten untereinander. 201 195 Vgl. Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 33-37 196 Siehe Abbildung 9-17 197 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 144 198 Vgl. Deutsche Bundesbank [Die neue Baseler Eigenkapitalvereinbarung (Basel II), 2001], S. 10-17 199 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 15 ff. 200 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 18-23 201 Vgl. Macht, C. [Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und Basel II, 2007], S. 35-39 <?page no="296"?> 296 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-17: Die drei Säulen von Basel II Quelle: in Anlehnung an Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 17 ff Säule II: Aufsichtliches Überprüfungsverfahren Das Ziel ist es vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für Kreditinstitute zu schaffen. Die zweite Säule von Basel II enthält einen sogenannten Überprüfungsprozess, Supervisory Review Process (SRP). In dem Prozess wird sichergestellt, dass interne Verfahren implementiert wurden, um ein besseres Verständnis für das eingegangene Risiko zu ermöglichen. Kreditinstitute sollen in der Lage sein, selbstständig Risiken zu messen, zu steuern und zu überwachen (Reporting) unter Berücksichtigung der Mindestkapitalanforderungen. Die angemessene Eigenkapitalausstattung wird ins Verhältnis zum Risikoprofil gesetzt. Das Kreditinstitut kann nun die Entwicklung und Einhaltung strategischer Pläne in Bezug auf Risikotoleranz und Überprüfung der Integrität der Bank mit Hilfe interner Kontrollsysteme unterstützen. 202 Die Kreditinstitute sind verpflichtet einen sogenannten Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP) vorzuweisen. Dieser dient dazu, dass Banken genügend Kapital zur Deckung aller relevanten Risiken zur Verfügung steht. Beim ICAAP werden adäquat die Risiken zu dem Risikodeckungspotenzial ins Verhältnis gesetzt. ICAAP kann als Synonym für den Risikotragfähigkeitsprozess interpretiert werden. Die Einhaltung wird über nationale Aufsichtsbehörden, wie der Supervisory Review and Evaluation Process (SREP), überwacht. 203 Ein regelmäßiger Austausch von Kreditinstituten und Aufsichtsbehörden ist notwendig, um die Gesamtbankbeurteilung und konstante Weiterentwicklung sicherzustellen. Die Aufsichtsbehörden besitzen weitreichende Informationsrechte und Eingriffsmöglichkeiten. 204 202 Vgl. ebd., S. 70 f. 203 Vgl. BaFin [Europäische Vorgaben zur Umsetzung des SREP, 2016], S. 3-7 204 Vgl. Hofmann, G. [Basel III und MaRisk, 2011], S. 19 f. <?page no="297"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 297 Neue Betriebswirtschaft Säule III: Marktdisziplin Das Hauptmerkmal der Säule III liegt in der Offenlegungspflicht. Zwar sind Wesentlichkeiten offenzulegen, zugleich soll der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet werden. Die Marktteilnehmer sollen nach einer risikobewussten Geschäftsführung handeln. Es wird bezweckt, dass die Marktteilnehmer erhöhte und risikoaffine Entscheidungen begrenzen. Die Transparenzvorgaben sind in den vier Bereichen Eigenmittelvorschriften, Eigenkapitalstruktur, Kapitaladäquanz und Eigenmittelausstattung vorzufinden: Die Eigenmittelvorschriften zeigen den Marktteilnehmern eine Übersicht über beteiligte Gesellschafter. Es wird die Eigenkapitalstruktur aufgezeigt, um ein besseres Verständnis der Fähigkeit zur Absorption potenzieller Verluste des Kreditinstitutes (z.B. Höhe des Kernkapitals) zu vermitteln. Nach der Kapitaladäquanz sind die Eigenmittelanforderungen für das Ausfallrisiko, Marktrisiko sowie das operationelle Risiko einschließlich der angewandten Verfahren wie Standardansatz bzw. IRB-Ansätze zu publizieren. Zusätzlich werden die Kernkapitalquote und die Gesamteigenmittelquote veröffentlicht. Das Risiko-Exposure ist in den Kategorien Ausfallrisiken, Marktrisiken und operationelle Risiken offenzulegen. 205 9.3.3 Basel III 9.3.3.1 Gesetzliche und aufsichtsrechtliche Vorgaben Im Baseler Ausschuss sind 27 Staaten vertreten. Seit der jüngsten Finanzmarktkrise 2008 soll künftig eine globale und rechtzeitige Umsetzung von Empfehlungen erfolgen. 206 Die drei tragenden Säulen von Basel II bleiben weiterhin bestehen. In Basel III werden die Anforderungen für Kreditinstitute unter anderem aufsichtsrechtliches Kapital, antizyklischer Kapitalpuffer, neue Standards hinsichtlich der Liquiditätssteuerung und Verlustquote weitgehend verschärft. Die Umsetzung von Basel III wird mittels der Europäischen Kommission mit dem Gesetzespaket CRD IV durchgesetzt. Das Gesetzespaket CRD IV besteht aus der Verordnung (CRR) und der Richtlinie (CRD). 207 Das Single Rulebook ist ein gesamteinheitliches Regulierungsrecht, das zur einheitlichen Anwendung der Basel-III-Regeln dient. 208 Die EU-Kommission regelt die Verordnungen, somit werden Eigenkapital, Liquidität und Verschuldungsquote über CRR abgewickelt. Richtlinien werden über CRD erlassen. Die Richtlinien sind grundsätzlich durch den nationalen Gesetzgeber umzusetzen. Durch rechtsgültige Verordnungen werden gewissermaßen Säulen I und II abgebildet. Die Richtlinie CRD bietet Anpassungsmöglichkeiten der entsprechenden Aufsichtsbehörden für den aufsichtsrechtlichen Überprüfungsprozess bei Kreditinstituten. 2011 wurde die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) gegründet, welche in London sitzt. Diese ist für die Bankenaufsicht im europäischen Raum zuständig. Zur Umsetzung von Basel III wird die EBA von der Europäischen Kommission aufgefordert, bindende Umsetzungsstandards offen zu legen. Mit der Zustimmung der EU-Kommission wird diese schlussendlich rechtskräftig. Die EBA erhält Unterstützung der nationalen Aufsicht, damit die Einhaltung der festgelegten Standards sichergestellt werden kann. Die Aufsicht für Banken wird in Deutschland von der Bundes- 205 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 148 f. 206 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 177 207 Vgl. Sabine Reimer [Bafin Journal, S. 8- 12 208 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [BaFin übersetzt Fragen und Antworten der EBA zum Single Rulebook, 2015] <?page no="298"?> 298 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft bank und von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kontrolliert. Die Bundesbank prüft laufend Auswertungen von aufsichtsrechtlichen Meldungen und die BaFin kann Anordnungen für aufsichtsrechtliche Maßnahmen durchsetzen. 209 Laut §11 KWG wird von Kreditinstituten verlangt, dass sie jederzeit eine ausreichende Zahlungsbereitschaft durch ihre verfügbaren Mittel sicherstellen. 210 Gemäß §25a KWG wird ein internes Kontrollverfahren gefordert, welches geeignete Regelungen zur Steuerung und Überwachung von Risiken der Banken liefert. Zusammenfassend werden von dem Basel III-Regelwerk Empfehlungen für international tätige Banken ausgesprochen, welche in die Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie (CRD) eingearbeitet werden. Mittels KWG, SolvV bzw. MaRisk werden diese ins nationale Recht übertragen. 211 Gemäß Basel III soll eine gemeinsame Regelung für die Beaufsichtigung, die Sanierung und Abwicklung von Banken geschaffen werden. In der europäischen Bankenaufsicht sind der einheitliche Aufsichtsmechanismus Single Supervisory Mechanism (SSM) und der einheitliche Abwicklungsmechanismus Single Resolution Mechanism (SRM) enthalten. Die systemrelevanten Banken agieren anhand ihrer Vernetzung international. Dabei können diese Banken durch eine mögliche Schieflage die gesamte Stabilität der Finanzmärkte maßgeblich beeinflussen. Dementsprechend sind spezielle verschärfte Anforderungen gefordert. Systemrelevante Banken sind definiert als „ein EU-Mutterinstitut, eine EU-Mutterfinanzholding gesellschaft, eine gemischte EU-Mutterfinanzholding gesellschaft oder ein Institut, dessen Ausfall oder Versagen zu einem Systemrisiko führen könnte.“ 212 Diese Banken haben eine höhere Verlustabsorptionsfähigkeit. Im Allgemeinen dient die Verlustabsorptionsfähigkeit zum Ausgleich anfallender Verluste im laufenden Geschäftsbetrieb, um die „too-big-to-fail“-Problematik einzudämmen. 213 Neue Anforderungen an das Risikomanagement Eigenkapitalanforderungen Präventive Maßnahmen wurden geschaffen, um krisenartige Situationen, wie die globale Finanzmarktkrise 2008, vorzubeugen. Die Bankenkrise hat gezeigt, dass die bisherigen Eigenkapitalbestandteile für Krisenfälle nicht ausreichen. Folglich können sie nicht als Verlustpuffer dienen. Die CRR sieht eine Verschärfung für bankaufsichtliche Eigenkapitalforderungen gemäß §10 KWG vor. 214 Verstärkung des qualitativen und quantitativen Eigenkapitals Ein wesentlicher Bestandteil von Basel III sieht eine Stärkung der Eigenmittelqualität vor, insbesondere dem Kernkapital. Die regulatorischen Eigenmittel umfassen zwei Bestandteile, das Kernkapital (Tier 1) und das Ergänzungskapital (Tier 2). Das „Going-Concern Capital“, welches als Kernkapital (Tier 1) bezeichnet wird, besteht aus dem harten und zusätzlichen Kernkapital. Das gesamte Kernkapital trägt Sorge dafür, dass laufende Verluste des Kreditinstituts gedeckt werden und der Fortbestand des Kreditinstituts gegeben ist. 209 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 2 ff. 210 Vgl. Noack et al. [Neue regulatorische Konzepte der Bankenaufsicht und ihre Auswirkungen auf die Gesamtbanksteuerung, 2014], S. 27 ff. 211 Vgl. Romeike und Binder [Rechtliche Grundlagen des Risikomanagements, 2008], S. 126 f. 212 idF v. CRD IV Art.3 Abs. 30 213 Vgl. Deutsche Bundesbank [Kapitalzuschläge für systemrelevante Banken in Deutschland, 2017] 214 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Jahresbericht der BaFin, 2013], S. 68 <?page no="299"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 299 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-18: Systematik des Eigenmittels nach Basel III Das Kernkapital soll insgesamt die Widerstandsfähigkeit des Kreditinstituts repräsentieren, wodurch die Geschäftsfähigkeit sichergestellt werden soll. Hartes Kernkapital soll eine Quote von 4,5 Prozent erfüllen und besitzt den Charakter vom qualitativ hochwertigen Eigenkapital. Das Kernkapital enthält Stammkapital oder rechtsformabhängige Eigenkapitalinstrumente. Unter rechtsformabhängige Eigenkapitalinstrumente sind (beispielsweise bei Genossenschaftsbanken die Genossenschaftsanteile, bei öffentlich-rechtlichen Sparkassen sind das stille Einlagen, Gewinnrücklagen und sonstige andere Rücklagen) zu verstehen. Das harte Kernkapital hat die Eigenschaft von effektiven Kapitaleinzahlungen und steht dem Kreditinstitut dauerhaft zur Verfügung. Zusätzlich sind sie nachrangig und besitzen eine uneingeschränkte Verlustteilnahme (Verlustabsorption). Darüber hinaus hat das harte Kernkapital keine obligatorischen Ausschüttungsverpflichtungen (Zahlungsflexibilität). Die Verschärfungen der CRD IV sollen sicherstellen, dass das harte Kernkapital an erster Stelle Verluste auffängt. 215 Das zusätzliche Kernkapital ist ähnlich zum harten Kernkapital aufgebaut. Die zusätzliche Kernkapitalquote soll 1,5 Prozent ausmachen. Es hat ähnliche Anforderungen wie das harte Kernkapital. Der Unterschied liegt darin, dass Emittenten unter besonderen Konditionen erst nach mindestens 5 Jahren kündigen können. 216 Falls die harte Kernkapitalquote unter 5,125 Prozent liegt, sieht die CRR eine Umwandlung des zusätzlichen Kernkapitals in hartes Kernkapital vor, sodass die Maßnahme (eine Beteiligung an der Verlustabsorption) vorgesehen ist. Die Mindestanforderung für das vollständige Kernkapital, ohne Kapitalpuffer, muss 6 Prozent betragen. Das Ergänzungskapital ist im Insolvenzfall zur Haftung heranzuziehen. Es dient der vollständigen Befriedigung von nicht nachrangigen Forderungen von Fremdkapitalgebern. Das Ergänzungskapital kann aus langfristigen Nachrangverbindlichkeiten oder Pauschalwertberichtigungen bestehen. Der Anteil des Ergänzungskapitals beträgt 2 Prozent. 217 Das harte Kernkapital, das zusätzliche Kernkapital und das Ergänzungskapital sollen zusammen 8 Prozent der risikogewichteten Aktiva ohne Einbeziehung des Kapitalpuffers ausmachen. Kapitalerhaltungspuffer Der Kapitalerhaltungspuffer, welches aus hartem Kernkapital besteht, dient gemäß CRD IV dem Erhalt der geforderten Risikodeckungsmasse des Eigenkapitals. Zusätzlich kann dieser in Stresspha- 215 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 58-62 216 Vgl. Sarialtin, M. [Eine Analyse zu den Auswirkungen von Basel III und Solvency II, 2015], S. 31 f. 217 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 6 <?page no="300"?> 300 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft sen als Verlustabsorption genutzt werden. In wirtschaftlich günstigen Phasen wird der Kapitalerhaltungspuffer aufgebaut und teilweise bzw. vollständig für Verluste aus dem laufenden Geschäftsbetrieb in Anspruch genommen. 218 Bei Beanspruchung des Puffers greifen Restriktionen wie eine Ausschüttungssperre ein, folglich wird der Impuls gesendet den Kapitalerhaltungspuffer erneut aufzufüllen. Ab 2016 sind Kreditinstitute verpflichtet den Kapitalerhaltungspuffer schrittweise mit 0,625 Prozent p.a. aufzubauen und abschließend 2019 auf eine Gesamthöhe von 2,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva zu erzielen. Antizyklischer Kapitalpuffer Bis 2019 soll der antizyklische Kapitalpuffer 2,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva ausmachen. In wirtschaftsstarken Zeiten soll durch übermäßiges Kreditwachstum der Kapitalpuffer aufgebaut werden, um später zyklischen Schwankungen entgegenzuwirken. Folglich sollen Kreditinstitute 2,5 Prozent Kapitalerhaltungspuffer, 2,5 Prozent antizyklischen Kapitalpuffer und mindestens 4,5 Prozent hartes Kernkapital vorhalten. In der Summe müssen Banken insgesamt 9,5 Prozent hartes Kernkapital bis 2019 vorhalten. 219 Die folgenden Abbildungen zeigen die stufenweise Einführung der Kapitalanforderungen und veranschaulichen den Aufbau des Kapitalpuffers. 220 Gemäß den Regelungen von Basel III sollen Kreditinstitute ab 2016 bis 2019 schrittweise zusätzliche Kapitalpuffer bilden, darunter zählen der Kapitalerhaltungspuffer und der antizyklische Kapitalpuffer. Die beiden Kapitalpuffer sind im Sinne von harten Kernkapital zu unterlegen. 221 Abbildung 9-19: Entwicklung der Kapitalanforderungen (Wesentliche Inhalte von Basel III) Quelle: in Anlehnung an Deutsche Bundesbank [Basel III, 2011], S. 19 f. Einen Überblick über die Veränderungen hinsichtlich der Kapitalanforderung von Basel II zu Basel III ergibt folgende Aufstellung: 218 idF v. KWG §10c Kapitalerhaltungspuffer Art.1 219 Vgl. Basler Ausschusses für Bankenaufsicht [Pressemitteilung, 2010], S. 3 ff. 220 Vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht [Basel III, 2010], S. 64 ff. 221 Vgl. Sarialtin, M. [Eine Analyse zu den Auswirkungen von Basel III und Solvency II, 2015], S. 13 <?page no="301"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 301 Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-20: Veränderte Kapitalanforderungen von Basel II und Basel III Quelle: in Anlehnung an Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 3 Offenlegung In der Säule III aus Basel III sind die Anforderungen der Offenlegung verankert. Die Kreditinstitute sind aufgefordert Informationen zur Solvabilität und Finanzanlage preiszugeben. Insbesondere sollen Kennzahlen zu Kapitalbestandteilen und deren Erhebung aufgezeigt werden. Sie dienen dem Zweck, dass Kreditinstitute ein besseres Verständnis hinsichtlich der Selbstregulierung erhalten. Es wird zwar eine Markttransparenz abverlangt, jedoch sollen geschäftsspezifische und vertrauliche Informationen der Kreditinstitute nicht veröffentlicht werden. Die Informationen, die veröffentlicht werden, müssen vergleichbar sein. 222 Beim Kontrahentenrisiko soll die Erhebung und Methodik publiziert werden. Hinzu sollen Verbriefungspositionen erkenntlich dargestellt werden. 223 Verschuldungsquote Basel III führt eine Höchstverschuldungsquote (sog. Leverage Ratio) ein. Diese soll die übermäßige Verschuldung von Kreditinstituten eingrenzen, sodass wirtschaftlich schädigende Schuldenabbauprozesse nicht erforderlich sind. 𝐿𝐿𝑒𝑒𝐼𝐼𝑒𝑒𝑟𝑟𝑎𝑎𝑔𝑔𝑒𝑒 𝑅𝑅𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝐺𝐺 = 𝐾𝐾𝑒𝑒𝑟𝑟𝑛𝑛𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙 𝐵𝐵𝐺𝐺𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑧𝑧𝐺𝐺𝑒𝑒𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒𝑠𝑠 𝑍𝑍𝑛𝑛𝑑𝑑 𝑎𝑎𝑍𝑍ß𝑒𝑒𝑟𝑟𝐵𝐵𝐺𝐺𝑙𝑙𝑎𝑎𝑛𝑛𝑧𝑧𝐺𝐺𝑒𝑒𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐺𝐺𝑒𝑒𝑠𝑠𝑍𝑍ℎä𝑓𝑓𝑡𝑡 > 3 % Der Quotient setzt sich im Zähler aus dem harten und zusätzlichen Kernkapital zusammen. Der Nenner besteht aus der Summe der bilanziellen und außerbilanziellen Positionen. 224 Halbjährlich ist der Durchschnitt der letzten Monatswerte in den Offenlegungsberichten anzugeben. Hierbei ist die Besonderheit, dass keine Einbeziehung von Sicherheiten sowie Risikovorsorge angesetzt werden. Die Verschuldungsrate muss mindestens 3 Prozent betragen. 222 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 71 f. 223 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 18 f. 224 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 46 f. <?page no="302"?> 302 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Der Leverage Ratio wird seit 2015 offengelegt und ist ab 2018 in Säule I fest verankert. Bisher war der Leverage Ratio in Basel III in Säule II integriert. Momentan dient die Verschuldungsrate als reine Informationskennzahl und Beobachtungsgröße, wohin durch sie als Frühwarnindikator für die Aufsicht fungiert. Der Leverage Ratio arbeitet einer einheitlichen und besseren Vergleichbarkeit des Kreditzyklus zu. Die CRD IV sieht für 2018 eine europaweit einheitliche Höchstverschuldungsquote vor. 225 Liquiditätsanforderungen Der Baseler Ausschuss formulierte mit Basel III neue Liquiditätsvorschriften, die aufgrund von Liquiditätsengpässen der Vergangenheit, insbesondere der Finanzkrise 2008, resultieren. Die Liquiditätskennzahlen sind in Artikel 411 bis 428 der Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013 verankert. Die Liquiditätsanforderungen sollen sicherstellen, dass Banken über ausreichend Liquidität in Stresssituationen verfügen. Hierfür wurden zwei Liquiditätskennzahlen, der Liquidity Coverage Ratio (LCR) und der Net Stable Funkdin Ratio (NSFR), ins Leben gerufen. 226 Liquidity Coverage Ratio Die Liquidity Coverage Ratio dient der Überwachung und Eingrenzung der Zahlungsunfähigkeit. Der Baseler Ausschuss will erreichen, dass Kreditinstitute in Liquiditäts-Stressszenario, genügend hochwertige Aktiva (sog. High Quality Liquid Assets, HQLA) vorhalten. Die Kreditinstitute sollen in der Lage sein, in dem von der Aufsicht vorgeschriebenen Stressszenario, mindestens 30-Tage lang den Nettoliquiditätsbedarf decken zu können. Notfalls könnte unter bestimmten Bedingungen die HQLA, in der von der Bankenaufsicht inszenierten Stresssituation, in Barmittel umgewandelt werden. Die Kennzahl ist definiert, als der Bestand der erstklassigen liquiden Aktiva dividiert durch den Nettomittelabfluss für ein 30-tägiges Zeitfenster unter Stressbedingungen. 227 𝐿𝐿𝐶𝐶𝑅𝑅 = 𝐿𝐿𝐺𝐺𝑙𝑙𝑍𝑍𝐺𝐺𝑑𝑑𝑒𝑒, 𝑙𝑙𝑍𝑍𝑎𝑎𝑙𝑙𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝐼𝐼 ℎ𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒 𝐴𝐴𝑘𝑘𝑡𝑡𝐺𝐺𝐼𝐼𝑎𝑎 (𝐻𝐻𝐻𝐻𝐿𝐿𝐴𝐴) 𝑁𝑁𝑒𝑒𝑡𝑡𝑡𝑡𝐺𝐺 − 𝑍𝑍𝑎𝑎ℎ𝑙𝑙𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡𝑡𝑡𝑒𝑒𝑙𝑙𝑎𝑎𝑍𝑍𝑠𝑠𝑔𝑔ä𝑛𝑛𝑔𝑔𝑒𝑒 𝐺𝐺𝑚𝑚 30 − 𝑇𝑇𝑎𝑎𝑔𝑔𝑒𝑒 − 𝑆𝑆𝑡𝑡𝑟𝑟𝑒𝑒𝑠𝑠𝑠𝑠𝑠𝑠𝑧𝑧𝑒𝑒𝑛𝑛𝑎𝑎𝑟𝑟𝐺𝐺𝐺𝐺 ≥ 100% Die LCR wurde bereits ab 2015 eingeführt. Es wurde schrittweise der Erfüllungsgrad angehoben, um Institute sukzessiv an die neue Mindestanforderung heranzuführen. 2018 wird die Kennzahl zu 100 Prozent erreicht und ist bindend für alle Kreditinstitute. Die stufenweise Steigerung soll den Kreditinstituten ermöglichen Härtefälle zu vermeiden und Raum für die notwendigen Anpassungen im Rahmen ihres Bilanzstrukturmanagements zu genehmigen. Die LCR dient zur Stärkung des kurzfristigen Liquiditätsprofils eines Instituts. Die Bestände an hochwertigen, liquiden Aktiva werden in zwei Stufen in Abhängigkeit zu dem Grad der Liquidierbarkeit unterteilt. Die Höhe des Wertabschlags, auch Haircut genannt, wird gemessen an der Liquidierbarkeit. Im Wesentlichen beinhaltet Stufe 1 Barmittel, Zentralbankguthaben und mit sehr guter Bonität garantierte Anleihen, Forderungen gegenüber Gebietskörperschaften, sonstigen öffentlichen Stellen. Ebenso sind Forderungen gegenüber staatlichen Banken bzw. Förderbanken aus Mitgliedstaaten (Risikogewicht 0 Prozent) oder multilateralen Entwicklungsbanken enthalten. Die Stufe 1 hat keinen Wertabschlag. Insgesamt muss Stufe 1 mind. 60 Prozent des Bestands an hochwertigen liquiden Aktiva ausmachen. 228 225 Vgl. Zirkler, B./ Hofmann, J./ Schmolz, S. [Basel III in der Unternehmenspraxis, 2015], S. 11 226 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Liquiditätsanforderungen, 2017] 227 Vgl. Noack et al. [Neue regulatorische Konzepte der Bankenaufsicht und ihre Auswirkungen auf die Gesamtbanksteuerung, 2014], S. 36 ff. 228 Vgl. Cluse et al. [LCR, 2013], S. 2-7 <?page no="303"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 303 Neue Betriebswirtschaft Die Stufe 2 besteht aus gedeckten Schuldverschreibungen und Unternehmensanleihen guter Bonität, aber auch garantierte Anleihen von Staaten, Zentralbanken, Gebietskörperschaften oder sonstigen öffentlichen Stellen. Die Stufe 2 hat einen Wertabschlagsfaktor von 15 Prozent. Der Gesamtwert der Aktiva aus Stufe 2 darf 40 Prozent des Bestandes an hochwertigen liquiden Aktiva ausmachen. 229 Beispiel LCR Liquide Aktiva € Liquide Passiva € LCR Stufe 1 Abflüsse von Barmitteln 100% Barreserve 700.000 € Stabile Privatkundeneinlagen/ KMU 1.600.000 € 5% 100% Zentralbankguthaben/ Staatsanleihen (KSA RW 0%) 100.000 € weniger stabile Privatkundeneinlagen/ KMU 1.700.000 € 10% Stufe 2 Einlagen öffentlicher Sektor 900.000 € 75% 85% Pfandbriefe (gutes Rating) 600.000 € unwiderrufliche Kreditzusagen an Unternehmen 320.000 € 10% 85% anrechenbare Unternehmensanleihen mit einem Rating AA- oder höher 800.000 € Sonstige Zahlungsmittelabflüsse 800.000 € 100% Zuschüsse von Barmitteln 50% Forderungen gegenüber Privatkunden 200.000 € 100% Forderungen gegenüber Kreditinstituten 800.000 € Abbildung 9-21: Beispielrechnung Liquidity Coverage Ratio Berechnung: Stufe 1 Aktiva: 100% ∙ 700.000€ + 100% ∙ 100.000€ = 800.000€ Stufe 2 Aktiva: 85% ∙ 600.000€ + 85% ∙ 800.000€ = 1.190.000€ Von den 1.190.000€ darf nur die Höchstgrenze von Stufe 2 Aktiva berücksichtigt werden, das entspricht 23 von Stufe 1 Aktiva: 23 ∙ 800.000€ = 533.333,33€ Erstklassiger Aktivabestand: 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖€ + 𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓. 𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓, 𝟓𝟓𝟓𝟓€ = 𝟏𝟏. 𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓. 𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓, 𝟓𝟓𝟓𝟓€ Gesamtabfluss von Barmitteln: 5% ∙ 1.600.000€ + 10% ∙ 1.700.000€ + 75% ∙ 900.000€ + 10% ∙ 320.000€ 229 Vgl. Klauck und Stegmann [Basel III, 2012], S. 120 ff. <?page no="304"?> 304 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft + 100% ∙ 800.000€ = 1.757.000€ Gesamtzufluss von Barmitteln: 50% ∙ 200.000€ + 100% ∙ 800.000€ = 900.000€ , jedoch darf nur maximal 85% des Gesamtabflusses berücksichtigt werden: 85% ∙ 1.757.000€ = 1.493.450€ . Da 900.000€ unter der Grenze von 1.493.450€ liegt, können die 900.000€ komplett angerechnet werden. Nettoabfluss von Barmitteln: 𝟏𝟏. 𝟕𝟕𝟓𝟓𝟕𝟕. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖€ − 𝟗𝟗𝟖𝟖𝟖𝟖. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖€ = 𝟖𝟖𝟓𝟓𝟕𝟕. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖€ 𝑳𝑳𝑳𝑳𝑳𝑳 = 𝟏𝟏. 𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓. 𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓𝟓, 𝟓𝟓𝟓𝟓 𝟖𝟖𝟓𝟓𝟕𝟕, 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖 = 𝟏𝟏𝟓𝟓𝟓𝟓, 𝟔𝟔% Die LCR des Beispiels für das Monatsende beträgt 155,6%, sodass die Kennzahl den regulatorischen Anforderungen standhält. Net Stable Funding Ratio Die Net Stable Funding Ratio ist eine Kennzahl, die langfristig die Widerstandsfähigkeit der Banken sicherstellen soll. Die strukturelle Liquiditätsquote NSFR bezieht sich auf den Zeitraum eines Jahres. Die NSFR wird ab dem 1.Januar 2018 in Kraft treten und optimiert die Fristenstruktur innerhalb der Bankbilanz. Die NFSR basiert auf der Grundlage der „Goldenen Bankregel“, denn die kurzfristige Refinanzierung soll von einer langfristigen Refinanzierung der Aktiva abgelöst werden. Die NSFR soll bewirken, dass Banken vermehrt auf stabile Quellen z.B. Kundeneinlagen setzen. Es soll verhindert werden, dass im Fall eines Ausfalls der Liquiditätspositionen die regulären Refinanzierungsquellen einer Bank beeinträchtigt werden, sodass sich das Ausfallrisiko erhöht. Zusätzlich soll eine systemweite Anspannung verhindert werden. 230 Die folgende Formel stellt das Verhältnis zwischen der Höhe der verfügbaren Refinanzierungsmittel und des Finanzierungsbedarfs für einen einjährigen Zeitraum dar. Es soll stets eine Quote von mindestens 100 Prozent eingehalten werden. Beim NSFR gibt es einen Gewichtungsfaktor, dieser Faktor variiert von 0 Prozent (vollständig instabil) bis 100 Prozent (vollständig stabil). 231 𝑁𝑁𝑆𝑆𝐹𝐹𝑅𝑅 = 𝑉𝑉𝑒𝑒𝑟𝑟𝑓𝑓ü𝑔𝑔𝐵𝐵𝑎𝑎𝑟𝑟𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑡𝑡𝑟𝑟𝑎𝑎𝑔𝑔 𝑠𝑠𝑡𝑡𝑎𝑎𝐵𝐵𝐺𝐺𝑙𝑙𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑅𝑅𝑒𝑒𝑓𝑓𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑛𝑛𝑧𝑧𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑓𝑓𝐺𝐺𝑟𝑟𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑡𝑡𝑟𝑟𝑎𝑎𝑔𝑔 𝑠𝑠𝑡𝑡𝑎𝑎𝐵𝐵𝐺𝐺𝑙𝑙𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑅𝑅𝑒𝑒𝑓𝑓𝐺𝐺𝑛𝑛𝑎𝑎𝑛𝑛𝑧𝑧𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔 > 100% Beispiel NSFR Aktiva € Passiva € NSFR erforderliche stabile Refinanzierung verfügbare stabile Refinanzierung 0% Barmittel, Zentralbankguthaben 2.000.000 € aufsichtliches Eigenkapital (Tier 1+2) 1.900.000 € 100% 20% Aktien, Pfandbriefe (gutes Rating und Restlaufzeit (RLZ) > 1 Jahr Staatsanleihen (KSA RW 0%) 10.000.000 € Verbindlichkeiten ggf. Kunden/ Institute (RLZ > 1 Jahr) 1.200.000 € 100% 230 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 16 231 Vgl. Paul, S./ Stein, S. [Finanzkommunikation, Basel III und die Unternehmensfinanzierung, 2013], S. 68 f. <?page no="305"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 305 Neue Betriebswirtschaft 50% Kredite an Nichtfinanzunternehmen mit RLZ 4.200.000 € Stabile Einlagen von Privatkunden/ KMU (RLZ < 1 Jahr) 450.000 € 90% 85% Kredite an Privatkunden/ KMU (RLZ < 1 Jahr) 1.060.000 € Verbindlichkeiten von Unternehmen (RLZ < 1 Jahr) 320.000 € 50% 100% Übrige Aktiva 80.000 € Sonstige 630.000 € 0% Abbildung 9-22: Beispielrechnung Net Stable Funding Ratio Erforderliche stabile Refinanzierung: 0% ∙ 2.000.000€ + 20% ∙ 10 .000.000€ + 50% ∙ 4.200.000€ + 85% ∙ 1.060.000€ + 100% ∙ 80.000€ = 5.081. 000 € Verfügbare stabile Refinanzierung: 100% ∙ 1.900.000€ + 100% ∙ 1. 200 . 000 € + 90% ∙ 450.000€ + 50% ∙ 320.000€ + 0% ∙ 630.000€ = 3.665.000€ 𝑵𝑵𝑵𝑵𝑵𝑵𝑳𝑳 = 𝟓𝟓. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟏𝟏. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖 𝟓𝟓. 𝟔𝟔𝟔𝟔𝟓𝟓. 𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖𝟖 = 𝟏𝟏, 𝟓𝟓𝟖𝟖𝟔𝟔𝟓𝟓% Der NSFR liegt mit 1,3863 Prozent über der geforderten Grenze und wurde somit erfüllt. Ausblick Basel IV 232 Offiziell handelt es sich um ein Reformpaket zur Finalisierung der Basel III-Vorschriften, aber viele Kreditinstitute untereinander bezeichnen das aktuelle Regulierungspaket als „Basel IV“, aufgrund der tiefgehenden Reformschritten. Eine geraume Zeit lang stand die Überarbeitung von Basel III noch in der regulatorischen Pipeline. Am 07. 12. 2017 wurde das überarbeitete Rahmenwerk: „Basel III Finalising post crisis reform“ zum Thema der risikogewichteten Aktiva und der Capital Floor wurde finalisiert. 233 Kernbestandteil der Änderung ist der weltweite Mindeststandard zur Eigenkapitalunterlegung für Banken sowie die Überarbeitung von risikogewichteten Aktiva und Capital Floors. 234 Momentan werden regulatorische Eigenmittelanforderungen von den meisten Banken (mittels interner Modelle) durchgeführt. Kreditinstitute können durch den Einsatz interner Risikomodelle die bankindividuellen Risiken und Zusammenhänge besser beurteilen, sodass das Kreditinstitut weniger Eigenkapital vorhalten muss. Mit dem Reformpakt werden zukünftig interne Modellverfahren eingeschränkt und es folgt eine Revision des Standardverfahrens im Rahmen der Eigenkapitalunterlegung. Dabei wird das IRB-Modell begrenzt. Die Kreditinstitute haben beim IRB-Modell hinsichtlich der Risikobewertung viel Handlungsspielraum, folglich können interne Risikomessmodelle manipuliert werden. Mittels Manipulationen können geringe Eigenkapitalanforderungen hervorgebracht werden, um somit ein besseres Potenzial für die Kreditvergabe und ggf. eine Dividendenausschüttung zu erreichen. Um den Missbrauch von internen Risikomodellen zu beschränken, wird eine Untergrenze für die Eigenkapitalausstattung eingeführt. Als Verbindung zwischen Modell- und Standardansatz sollen sogenannte Output Floors dienen. 232 Vgl. Jerzembek et al. [Diskussion um Basel IV, 2017], S. 7-19 233 Vgl. Wolfgarten und Cluse [Die Welt nach Basel III, 2017] 234 Vgl. Ogrinz et al. [Willkommen in der Welt von „Basel IV“, 2017-2018] <?page no="306"?> 306 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Die Überarbeitung des Kreditrisiko-Standardverfahrens wurde bereits angestoßen, dabei stehen Kreditinstitute bei der Umsetzung vor erheblichen, strategischen und operativen Herausforderungen. Der Baseler Ausschuss fordert Kreditinstitute zur Verwendung des risikosensitiveren Standardansatzes auf. Die Anwendung interner Modelle ist unattraktiver, da es zu kostspielig ist, neben dem Standardansatz zusätzlich ein zweites Konzept zu implementieren. Die Vergleichbarkeit soll durch die Verwendung des Standardverfahrens bezweckt werden. Hinzu soll die eigenständige Schätzung der LGD und EAD nicht mehr zulässig sein. Anfang März 2016 veröffentlichte der Baseler Ausschuss ein zweites Konsultationspapier, sodass das AMA Modell (Advanced Measurement Approach-interner Ansatz), welches die Erfassung der operationellen Risiken regelt, in Basel IV grundsätzlich nicht mehr anerkannt wird. Alle Kreditinstitute sollen künftig auf das Standardmodell zurückgreifen. 235 Basierend auf dem Standardansatz legte die Aufsicht, mit einem festgelegten Prozentsatz, eine minimale Kapitalanforderung für interne Modelle verbindlich fest (Floor). Im Oktober 2017 haben Europa und USA einen Kompromiss bei 72,5 Prozent gefunden. 236 Ohnehin befinden sich die Banken in einem schwierigen Niedrigzinsumfeld, sodass eine baldige Umsetzung der Neuerungen im Rahmen der Finalisierung von Basel III nicht zeitnah möglich wäre. Im Dezember 2017 konnte bezweckt werden, dass die Aufsicht den Banken für die Umsetzung der Basel IV-Neuerungen, eine längere Frist als bei den vorigen Neuerungen bzw. Regelungen einräumt. 237 Die Nutzung von Standardrisikomodellen wird künftig den Kreditinstituten die bisherigen Liquiditätsanforderungen gemäß Basel III (Bsp. Eigenkapitalquote) erschweren. 9.3.4 MaRisk In der Mindestanforderung für das Risikomanagement (MaRisk) werden die Anforderungen an Banken, die sich aus der Säule II von Basel II erschließen, festgehalten. Im MaRisk werden sämtliche allgemeine Vorgaben zum Bereich Risikomanagement, Dokumentation, Organisation, Ausgestaltung der internen Revision sowie interne Kontrollsysteme, einschließlich deren Aufbau- und Ablauforganisation im Kredit- und Handelsgeschäft, formuliert. Kreditinstitute sind verpflichtet, ein Risikotragfähigkeitskonzept zu entwickeln, darin sollen alle wesentlichen Risiken aus der Geschäftstätigkeit ins Verhältnis zu der vorhandenen Risikodeckungsmasse gesetzt werden. Die strikte Einhaltung der Anforderungen von MaRisk wird in regelmäßigen Abständen von der BaFin angeordnet. 238 Die Struktur von MaRisk besteht aus einem allgemeinen Teil (Modul AT) und einem besonderen Teil (Modul BT). Der allgemeine Teil (Modul AT) gibt die grundlegenden Anforderungen wieder, in dem die Ausgestaltung des Risikomanagements, die Organisation und die Dokumentation erfolgt. Der besondere Teil (Modul BT) ist für die Prozesse rund um das Management und Controlling von Risiken ausgelegt. Im Modul BT werden besondere Anforderungen für die Ausgestaltung des internen Kontrollsystems für bestimmte Geschäftsarten und Risikoarten sowie an die Ausgestaltung der Internen Revision festgelegt. Die MaRisk basiert im Wesentlichen auf dem §25a Abs. 1 des Kreditwesengesetzes. In dem Paragraphen wird die Sicherstellung der Risikotragfähigkeit von Banken dargeboten. Gemäß §25a muss 235 Vgl. Kemmer [Die Vollendung von Basel III oder schon Basel IV? , 2016], S. 2-12 236 Vgl. Maisch [Basel IV-Vor diesen Regeln zittert die Finanzbranche, 2017] 237 Vgl. Staub [Basel IV: Marathon, Marschhalt oder Makulatur? , 2017] sowie Schmergal [Deutsche Kreditwirtschaft: Einigung zu Basel IV darf nicht zu Lasten der Wirtschaft in Europa gehen, 2017] 238 Vgl. AT 4.1 MaRisk <?page no="307"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 307 Neue Betriebswirtschaft jede Bank über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen sowie die gesetzlichen Bestimmungen und die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährleisten. 239 Unter einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation wird das Vorhandensein eines wirkungsvollen Risikomanagements, einschließlich angemessener Regelungen, interpretiert. Diese sollen die finanzielle Lage der Bank passgenau bestimmen und zudem alle Geschäftstätigkeiten exakt dokumentieren, damit die Aufsicht die ordnungsgemäße Überwachung gewährleisten kann. Um den Begriff Risikomanagement allgemein zu determinieren, erfolgt eine kurze Deklaration an dieser Stelle. Die Ausgestaltung des Risikomanagements ist institutsspezifisch. Das Risikomanagement ist für die Festlegung von Strategie sowie der Verfahren zur Ermittlung und Sicherstellung des Risikotragfähigkeitskonzepts verantwortlich. In jedem Kreditinstitut sind technische Kontrollsysteme eingerichtet, sodass interne Kontrollverfahren die Geschäftstätigkeit überwachen. Zudem sollten genügend Personal und technisch-organisatorische Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Konkretisierung des Risikomanagements erfolgt im Rahmen des Rundschreibens der BaFin. 240 Es werden zwar prinzipienorientierte Rahmen abgesteckt, aber es sind noch genügend Handlungsspielräume zur individuellen Umsetzung des Risikomanagements vorhanden. 241 Die Einführung von inversen Stresstests wurde 2012 auf Grundlage der Vorgaben der EBA konzeptioniert. Die Überlebensfähigkeit bzw. Widerstandsfähigkeit der Kreditinstitute wird untersucht, indem die Kreditinstitute verschiedenen Stressszenarien ausgesetzt werden. Es soll die Überlebensfähigkeitsschwelle der Bank als maximaler tolerierbarer Verlust dargestellt werden. Die Geschäftsführung ist hierbei für die eingegangenen strategischen Entscheidungen und für den Stresstest verantwortlich. Die Ergebnisse des Stresstests sind kritisch zu reflektieren und ggf. sind Maßnahmen einzuleiten. Die aktuelle Fassung „Rundschreiben 09/ 2017 (BA)“ wurde von der BaFin veröffentlicht. 242 Wesentlicher Inhalt der Neuerungen sind im Bereich Datenaggregation, Risikoberichterstattung, Risikokultur und Auslagerung zu identifizieren. 243 Zahlreiche Änderungen haben sich mittels Globalisierung und Margendruck im Bankengeschäft ergeben. Das essentielle Hauptgeschäft von Kreditinstituten ist die Vergabe von Krediten. Kredite sind grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten, da möglicherweise Zahlungen teilweise bzw. nicht zurückgezahlt werden oder durch Ratingabstufungen beeinflusst werden können. Ein Risikomanagementsystem dient zur Koordination von Teilrisiken. Einzelne Teilrisiken von unterschiedlichen Geschäftsbereichen werden aggregiert und bilden ein Gesamtrisiko ab. Die Vorhersage der Kreditverluste können nur mit einer bestimmten statistischen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden. Absehbare Kreditverluste sind in die Kalkulation des Kreditgeschäfts einzubinden. Je akkurater die Kalkulation der Verluste ist, desto besser sind die risikoadjustierten Kreditkonditionen, um das Kreditinstitut vor einem Verlust zu bewahren. 239 Vgl. Romeike und Binder [Rechtliche Grundlagen des Risikomanagements, 2008], S. 136 f. sowie idF v. KWG §25a Besondere organisatorische Pflichten; Verordnungsermächtigung 240 Vgl. Hofmann, G. [Basel III und MaRisk, 2011], S. 557 ff. sowie Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Risikomanagement, 2017] 241 Vgl. Thomas, C. [Stresstests für das bankbetriebliche Liquiditätsrisiko, 2015], S. 7 242 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Rundschreiben 09/ 2017 (BA) - Mindestanforderungen an das Risikomanagement - MaRisk, 2017] 243 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [Risikomanagement, 2017] <?page no="308"?> 308 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Risikosteuerung 9.4.1 Messung der erwarteten und unerwarteten Verluste Es wurden bereits die zwei Ansätze der Risikobeurteilung, nämlich der Standardansatz, welcher sich auf externe Risikobeurteilung von Ratingagenturen bezieht und der IRB-Ansatz, der sich in zwei Varianten differenziert, diskutiert. 244 Mit den vier Komponenten Probability of Default, Loss Given Default, Exposure at Default und Maturity werden unter Verwendung der Risikogewichtsfunktion die Mindestkapitalanforderung berechnet. 9.4.2 Überblick 245 Im Kreditrisikocontrolling der Banken hat sich im Rahmen der sogenannten Kreditrisikomodelle die Unterteilung in den erwarteten Verlust (Expected Loss) und den unerwarteten Verlust (Unexpected Loss) auf der Basis von Verlustverteilungen durchgesetzt. 246 Abbildung 9-23: Erwartete und unerwartete Verluste Quelle: in Anlehnung an Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 15 Die erwarteten Verluste sollen im Kundengeschäft durch Risikoprämien, die der Kunde leistet, abgedeckt werden. Grundsätzlich beruhen Risikoprämien auf Vergangenheitswerten, aus denen durchschnittliche Ausfallraten ermittelt werden. Diese sollen Rückschlüsse auf künftig zu erwartende Verluste geben. 244 Vgl. Schroeter, U. [Ratings - Bonitätsbeurteilungen durch Dritte im System des Finanzmarkt-, Gesellschafts- und Vertragsrechts, 2014], S. 114 f. 245 Vgl. Daldrup und Schumann [Kreditrisikomodelle - State of the Art, 2003], S. 3-9 246 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 237 f. <?page no="309"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 309 Neue Betriebswirtschaft Falls die tatsächlich eingetretenen Kreditverluste in einer Periode größer sind als die vereinnahmten Risikoprämien, tritt ein Verlust auf, der das Ergebnis einer Bank belastet und die Eigenkapitalbasis gefährdet. Als unerwarteter Verlust wird eine negative Abweichung des eingetretenen Verlusts aus dem Kreditgeschäft benannt. 247 Sobald der konkrete Wert eines Ereignisses in negativer Weise vom erwarteten Wert abschweift, besteht ein Risiko. Entsprechend ist im Kreditgeschäft der tatsächliche Wertverlust eines Kredits höher als vermutet. 248 Erwarteter Verlust (EL ) 249 Bei den Steuerungsinstrumenten haben sowohl die Ermittlung risikoadjustierter Prämien als auch die Quantifizierung des Kreditrisikos einen bedeutenden Stellenwert. Der erwartete Verlust ist der Mittelwert der Verlustverteilung und hierbei hat das Kreditinstitut die Erwartungshaltung, dass dieser Verlust über einen ganzen Konjunkturzyklus im Durchschnitt potenziell zu verkraften ist. 250 Banken im Kreditgeschäft rechnen mit Verlusten in Form einer teilweisen oder vollständigen Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung bzw. Ratingabstufung. Diese sind mit statistischen Wahrscheinlichkeiten vorhersehbar und werden als sogenannte Standard-Risikokosten in den Kreditpreis eingerechnet. 251 Abbildung 9-24: Grundgleichung der Kalkulation vom erwarteten Verlust (mit Zahlenbeispiel) Quelle: Eigene Darstellung Die erwarteten Verluste, auch Expected Loss (EL) genannt, sind gewissermaßen planbar, da sich die Kreditverluste auf statistisch ermittelte Verluste aus speziellen Modellen beziehen, welche bei einem Kredit erwartet werden. Folglich erwarten Kreditinstitute den berechneten Verlust. Mit dem erwarteten Verlust wird der statistische Erwartungswert angesprochen. 252 Zur Ermittlung des erwarteten 247 Vgl. Wiedemann, A. [Risikotriade, 2008], S. 114 f. sowie Oehler, A./ Unser, M. [Finanzwirtschaftliches Risikomanagement, 2002], S. 21 f. 248 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 14-17 249 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 142 250 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 51 251 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 162 f. 252 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 290 <?page no="310"?> 310 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Verlusts wird ein Kreditportfolio aufgestellt: Der erwartete Verlust setzt sich multiplikativ aus den drei Komponenten PD, EAD und LGD zusammen. Dabei bilden PD und EAD zusammen den möglichen Verlustbetrag. 253 Beispiel Das Rating wird auf Basis von Ausfallwahrscheinlichkeiten kalibriert, d.h. verschiedene Ratingnoten werden Ausfallwahrscheinlichkeiten zugeordnet. Ein Ratingsystem muss eine bankweite Vergleichbarkeit der Risiken ermöglichen. Ferner sollte ein Rating intuitiv verständlich sein, damit qualifizierte Kreditanalysten diese richtig anwenden können. Der Expected Loss soll durch die Risikovorsorge abgedeckt werden. Unerwarteter Verlust (UEL) Von einem unerwarteten Verlust, dem sogenannten „Unexpected Loss“, ist die Rede, falls der Verlust aufgrund von Unsicherheiten bei den Schätzungen größer ausfällt als prognostiziert wurde. „Sie werden auf der Grundlage eines bestimmten Konfidenzniveaus (99.9%), den Niveau der angenommenen Korrelation zwischen Krediten usw. berechnet.“ 254 Das Risiko für Kreditinstitute resultiert aus den unerwarteten Verlusten. Der unerwartete Verlust führt zu einer negativen Abweichung vom Erwartungswert bzw. Expected Loss. In der Praxis wird häufig der Value at Risk Ansatz zur Bestimmung des unerwarteten Verlusts gewählt. Der unerwartete Verlust einer Position X definiert sich als die Differenz zwischen dem Value at Risk zum Konfidenzniveau 1-α sowie der Haltedauer T mit der Ausfallwahrscheinlichkeit und dem Expected Loss. 255 𝑈𝑈𝐿𝐿(𝑋𝑋) 1−𝛼𝛼,𝑇𝑇 = 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑅𝑅 (𝑋𝑋) 1−𝛼𝛼,𝑇𝑇 − 𝐸𝐸𝐿𝐿(𝑋𝑋) Im Gesamtkonzept werden alle wesentlich identifizierten Verlustrisiken des erwarteten und des unerwarteten Verlusts erfasst. Der erwartete Verlust ist kein Risiko und stellt nur eine Planungsgrundlage dar. Das Risiko besteht nur dann, wenn negative Abweichungen vom Erwartungswert vorliegen. 256 Der unerwartete Verlust charakterisiert die Abweichungen der auftretenden Verluste um den Erwartungswert. Unter Einbeziehung der Standardabweichung als Volatilitätsmaß wird der Unexpected Loss für ein Kreditengagement folgendermaßen dargestellt: 257 𝑈𝑈𝐿𝐿 = 𝐸𝐸𝐴𝐴𝐷𝐷 ∙ �𝑃𝑃𝐷𝐷 ∙ 𝜎𝜎 𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿 2 + (1 − 𝑅𝑅𝑅𝑅) 2 ∙ 𝜎𝜎 𝑃𝑃𝐿𝐿 2 mit 𝜎𝜎 𝑃𝑃𝐿𝐿 2 = 𝑃𝑃𝐷𝐷 ∙ (1 − 𝑃𝑃𝐷𝐷) Der im Wurzelterm beschriebene Ausdruck wird von den Varianzen (𝜎𝜎 𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿 , 2 𝜎𝜎 𝑃𝑃𝐿𝐿 2 ) , dem Probability Default und der Loss Given Default bestimmt. Angenommen 𝜎𝜎 𝑃𝑃𝐿𝐿 2 = 0 und 𝜎𝜎 𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿 2 = 0 , so würde es keine 253 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 14-17 254 Deutschen Bundesbank [Überprüfung der Eigenkapitalvorschriften für Banken und Wertpapierfirmen, 2010], S. 1 f. 255 Vgl. Menningen, M. [Aufbau, Bestandteile und Problemfelder ökonomischer Risikotragfähigkeitskonzepte in Banken, 2014], S. 60-62 256 Vgl. Volk und Wiesemann [Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte, 2012], S. 267-272 257 Vgl. Dunemann [Kreditportfoliomodelle, 2002], S. 5-11 <?page no="311"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 311 Neue Betriebswirtschaft Unsicherheit des Ausfalls geben. 258 Folglich ist der unerwartete Verlust gleich Null. Anhand des asymmetrischen Maßes wird der Value at Risk verwendet, welcher häufig auch als Credit Value at Risk bezeichnet wird. Der Credit Value at Risk wird mittels der Dichtefunktion der Kreditausfälle berechnet. 259 Beispiel Die Kredithöhe beim Ausfall eines Kreditnehmers beträgt 500.000€ (EAD). Die Ausfallwahrscheinlichkeit ist in Höhe von 0,95% (PD) angegeben. Die Wiedereinbringungsquote wurde auf 50% geschätzt. Die Standardabweichung der Verlustquote 𝜎𝜎 𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿𝐿 wurde in Höhe von 0,25% angegeben. Berechnung der Standardabweichung bzgl. der Ausfallwahrscheinlichkeit: 𝜎𝜎 𝑃𝑃𝐿𝐿 = �0,0095 ∙ (1 − 0,0095) = 0,0970 Berechnung des unerwarteten Verlusts: 𝑈𝑈𝐿𝐿 = 500.000€ ∙ �0,0095 ∙ 0,25 2 + (1 − 0,5) 2 ∙ 0,0970 2 = 27.138,53 Der unerwartete Verlust beträgt in diesem Beispiel 27.138,53€. Abbildung 9-25: Wahrscheinlichkeitsverteilung von Kreditverlusten Quelle: in Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 156 258 Vgl. Schmeisser, W./ Mauksch, C./ Schindler, F. [Ausgewählte Verfahren zur Analyse und Steuerung von Risiken im Kreditgeschäft, 2005], S. 96 259 Vgl. Daldrup und Professor Dr. Matthias Schumann [Kreditrisikomodelle - State of the Art, 2003], S. 8 <?page no="312"?> 312 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Im Allgemeinen ist der Expected Loss gegeben und der Unexpected Loss entspricht einem bestimmten Bereich der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Kreditverlusten. Die Modellierung der Risikokosten soll dazu beitragen, eine zutreffende Annahme über wahrscheinliche Verteilungen zu treffen. Die vorangegangene Abbildung 9-25 stellt graphisch den Zusammenhang zwischen Expected Loss und Unexpected Loss dar. Die Kreditverlustverteilung ist eine asymmetrische Verteilung, mit einer ausgeprägten rechtsschiefen Verteilung. Das Erscheinungsbild ist dadurch begründet, dass hohe Kreditverluste selten auftreten und dementsprechend eine geringe Wahrscheinlichkeit besitzen. Allerdings treten kleinere Verluste mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger auf. 260 Der erwartete Verlust wird durch Standard- Risikokosten gedeckt. Sobald die Risiken den erwarteten Verlust übersteigen, d.h., in den unerwarteten Verlust gehen, muss das Kreditinstitut mittels Kapital die Risiken abfangen, damit eine mögliche Insolvenz abgewendet werden kann. 261 Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von α % (Konfidenzniveau) wird kein Gesamtverlust, welches sich additiv aus Expected Loss und Unexpected Loss zusammenstellt, den Betrag (x) übersteigen. 262 Value at Risk Das Konzept zum Value at Risk wurde 1990 vom amerikanischen Investmenthaus J.P. Morgan entwickelt und fand seine Anwendung vor allem im Banken- und Versicherungsbereich. Der Value at Risk (VaR) ist ein Risikomaß, welches in komprimierter Form Informationen über eine Wahrscheinlichkeitsverteilung wiedergibt und zur Entscheidungsvorbereitung beiträgt. Das Risikomaß ermöglicht, ein Risiko in einer Entscheidungssituation messbar zu gestalten. In der Bankenlandschaft verbreitet sich vermehrt der Value at Risk. 263 Der Value at Risk �𝑉𝑉𝑎𝑎𝑅𝑅 𝛼𝛼 (𝑋𝑋)� ist definiert als der maximale Verlust, der bei einem gegebenen Konfidenzniveau 𝛼𝛼𝛼𝛼(0; 1) und gegebener Haltedauer 𝑇𝑇 nicht überschritten wird. Beim Marktpreisrisiko wird häufig eine Haltedauer von einem bis zehn Tagen verwendet und beim Adressausfallrisiko wird oft eine Haltedauer von zehn Tagen gewählt. 264 In der Praxis liegen die Werte üblicherweise für 𝛼𝛼 zwischen 0,05 und 0,01. Statistisch gesehen wird der Value at Risk als 𝛼𝛼 -Quantil der Verteilungsfunktion von 𝑋𝑋 betrachtet. Mit anderen Worten formuliert, gibt die Maßzahl des Value at Risks an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Verlust binnen einer vorgegeben Zeitspanne auftreten kann. Mit folgender Formel lässt sich der Value at Risk mit Konfidenzniveau 1 − 𝛼𝛼 ausdrücken: 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑅𝑅 1−𝛼𝛼 = 𝐹𝐹 𝑋𝑋−1 (𝛼𝛼) 𝐹𝐹 𝑋𝑋−1 (𝛼𝛼) ist die Quantilsfunktion zur Verteilungsfunktion 𝐹𝐹 𝑥𝑥 . Negativ bewertete Abweichungen von einem gewünschten bzw. erwarteten Ergebnis werden als Risiko betrachtet. 265 Ein Beispiel zum Value at Risk erfolgt im Unterkapital 4.2.2. Der Value at Risk kann mittels unterschiedlicher Methoden wie einer Monte-Carlo-Simulation, einer historischen Simulation oder eines analytischen Varianz-Kovarianz-Modells ermittelt werden. 266 260 Vgl. Schmeisser, W./ Mauksch, C./ Schindler, F. [Ausgewählte Verfahren zur Analyse und Steuerung von Risiken im Kreditgeschäft, 2005], S. 95 ff. 261 Vgl. Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 26 f. sowie Risk Consulting Group [Credit Analyzer, 2012], S. 16 f. 262 Siehe Abbildung 9-25 263 Vgl. Stier, C. [Risikomanagement und wertorientierte Unternehmensführung, 2017], S. 19 f. 264 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 330 265 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 308 <?page no="313"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 313 Neue Betriebswirtschaft Bei der historischen Simulation werden historische Daten bewertet. Mithilfe von vergangenheitsbezogenen Renditeverteilungen können Rückschlüsse auf die zukünftige Verteilung abgeleitet werden. Bedauerlicherweise lassen sich keine möglichen Marktentwicklungen in die Risikoeinschätzung integrieren. Die Monte-Carlo-Simulation basiert auf Zufallsvariablen. Es werden für Risikopositionen eigene bestimmte Verteilungsprämissen zugrunde gelegt. Üblicherweise wird eine Normalverteilung angenommen. Die Monte-Carlo-Simulation bietet eine hohe Flexibilität. Jedoch besteht durch die hohe Komplexität ein einhergehend hohes Modellrisiko. Das Varianz-Kovarianz-Modell, oftmals als Korrelationsansatz bezeichnet, beruht auf einem theoretischen Modell. Es werden die zu bewertenden Risikopositionen identifiziert und die Einflussfaktoren bestimmt. Für die Ausprägung der Risikofaktoren werden Wahrscheinlichkeiten verankert. Beim Varianz-Kovarianz-Modell werden sehr strikte und starre Annahmen getroffen. 267 Berechnungsmethodik (Migrationsmatrizen) „Eine Migrationsmatrix gibt die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall eines Kunden in Abhängigkeit von seiner Ratingnote und die Wahrscheinlichkeit für eine Änderung dieser Ratingnote an. Sie stellt das Kernstück der Messung bzw. der Bewertung des Risikos von gerateten Kreditnehmern dar.“ 268 Je nach Größe und den zu vergebenen Kredit fällt die Intensität der Prüfung unterschiedlich aus. Migrationsmatrix 269 Ratings verändern sich im Zeitablauf. Aufgrund dessen ist eine regelmäßige Aktualisierung des Ratingprozesses erforderlich, insbesondere bei langfristigen Krediten, um die zukünftige Situation des Kreditnehmers besser zu beurteilen. Veränderungen in Ratings während der Laufzeit werden in sogenannten Migrationsmatrizen übersichtlich verzeichnet. 270 Die Migrationsmatrix beruht auf historischen Beobachtungen und wird über einen längeren Zeitraum beobachtet, damit sich die relative Häufigkeit für potenzielle Veränderungen innerhalb eines Zeitraumes erschließen lässt. 271 Die Migrationswahrscheinlichkeiten der Migrationsmatrizen geben an, inwiefern der Kreditnehmer innerhalb eines bestimmten Zeitraumes in eine andere Ratingklasse migriert wurde. In anderen Worten, zeigt die Matrix an, inwieweit der Schuldner von seinem Ausgangsrating innerhalb eines festgelegten Zeitraums in eine andere Ratingklasse wandert. 272 Für diesen Zeitraum wird die Wahrscheinlichkeit, in der sich das Kreditrating ändert, bestimmt. Falls der Schuldner seinen Verpflichtungen gegenüber dem Kreditinstitut innerhalb von 90 Tagen nicht nachkommt, wird dieser Sachverhalt als Ausfall (Default) deklariert. Im Folgenden werden Ratingmigrationen dargestellt, in denen die Migrationswahrscheinlichkeit von Kreditnehmern in Abhängigkeit ihres anfänglichen Ratings und der Kreditlaufzeit angegeben wur- 266 Vgl. Fiege, S. [Risikomanagement- und Überwachungssystem nach KonTraG, 2006], S. 169 f. 267 Vgl. ebd., S. 170 sowie Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 424 268 Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 53 269 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 294-299 270 Vgl. Daldrup und Schumann, M. [Rating, Ratingsysteme und ratingbasierte Kreditrisikoquantifizierung, 2006], S. 86-89 271 Vgl. Daldrup und Schumann, M. [Kreditrisikomodelle - State of the Art, 2003], S. 34 f. 272 Vgl. Reichling, P. [Praxishandbuch Risikomanagement und Rating, 2007], S. 80 <?page no="314"?> 314 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft den. Hierbei wird von einem Expected Loss ausgegangen. Die Matrix zeigt die Ausfallrate des Kreditnehmers unter Berücksichtigung der Laufzeit an. 273 Kreditlaufzeit in Jahren Rating 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 AAA 0,00% 0,00% 0,00% 0,00% 0,08% 0,08% 0,08% 0,08% 0,08% 0,08% AA 0,00% 0,05% 1,11% 1,20% 1,20% 1,20% 1,20% 1,20% 1,26% 1,30% A 0,00% 0,19% 0,26% 0,47% 0,53% 0,59% 0,78% 0,98% 0,98% 0,98% BBB 0,41% 0,66% 0,97% 1,51% 2,39% 2,77% 2,86% 2,86% 3,44% 3,66% BB 0,50% 1,08% 5,19% 9,78% 10,79% 11,26% 13,64% 13,87% 14,55% 15,21% B 1,59% 8,60% 14,82% 21,02% 23,21% 28,21% 30,22% 31,70% 33,63% 35,91% CCC 8,32% 18,13% 33,30% 40,14% 45,63% 48,66% 49,94% 51,42% 57,39% N.A. Abbildung 9-26: Kumulierte Mortalitätsraten 1971-1944 (nach ALTMAN/ KISHORE 1996) Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 295 Bei einer längeren Kreditlaufzeit steigt die Ausfallrate: Je mehr Zeit vergeht, desto eher kann sich die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers ändern. Rating in t=0 Rating AAA AA A BBB BB B CCC Rating in t=0 AAA 90,81% 0,70% 0,09% 0,02% 0,03% 0,00% 0,22% AA 8,33% 90,65% 2,27% 0,33% 0,14% 0,11% 0,00% A 0,68% 7,79% 91,05% 5,95% 0,67% 0,24% 0,22% BBB 0,06% 0,64% 5,52% 86,93% 7,73% 0,43% 1,30% BB 0,06% 0,06% 0,74% 5,30% 80,53% 6,48% 2,38% B 0,12% 0,14% 0,26% 1,17% 8,84% 83,46% 11,24% CCC 0,00% 0,02% 0,01% 0,12% 1,00% 4,07% 64,86% Ausfall 0,00% 0,00% 0,06% 0,18% 1,06% 5,20% 19,79% Abbildung 9-27: Ein-Jahres-Migrationsmatrix Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 296 Mittels Ratingmigrationsmatrizen 274 werden bedingte Wahrscheinlichkeiten dargestellt. Es lassen sich empirische Erkenntnisse erschließen: Beispielsweise wird die Ratingklasse BBB zur statistischen Betrachtung herangezogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kreditnehmer dieser Ratingklasse im kommenden Jahr ausfällt, beträgt 99,82% (= 100% - 0,18%). 273 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 295 ff. 274 Siehe Abbildung 9-27 <?page no="315"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 315 Neue Betriebswirtschaft Im zweiten Jahr wird rückblickend die Wahrscheinlichkeit des Kreditengagements am Ende des ersten Jahres berücksichtigt, das heißt: 99,82% ∙ 0,18% = 0,179676% resp . 99,82% − 0,179676% = 99,6403% . Im dritten Jahr wird die Wahrscheinlichkeit analog zum zweiten Jahr berechnet: 99, 6403 % ∙ 0,18% = 0,179353% resp. 99,6403% − 0,179353% = 99,4609% . Abbildung 9-28: Entwicklung der bedingten (In-)Solvenzwahrscheinlichkeit für die Ratingklasse BBB Quelle: in Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 296 Die berechnete periodische Insolvenzwahrscheinlichkeit und das Gegenstück, die Solvenzwahrscheinlichkeit des Kreditnehmers, ergeben gemeinsam 100%. Die berechnete bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit der Ratingklasse BBB ist in der vierten Zeile vorzufinden. Bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit (ohne Migration) Rating 1.Jahr 2.Jahr 3.Jahr 4.Jahr 5.Jahr 6.Jahr AAA 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% AA 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% 0,00000% A 0,06000% 0,05996% 0,05993% 0,59890% 0,05986% 0,05982% BBB 0,18000% 0,17968% 0,17935% 0,17903% 0,17871% 0,17839% BB 1,06000% 1,04876% 1,03765% 1,02665% 1,01577% 1,00500% B 5,20000% 4,92860% 4,67326% 4,43025% 4,19988% 3,98148% CCC 19,78000% 15,86752% 12,72892% 10,21114% 8,19138% 6,57112% Abbildung 9-29: Laufzeitspezifische bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit ohne Berücksichtigung der Migrationen. Quelle: Entnommen aus Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 296 <?page no="316"?> 316 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Bisher wurde das Grundprinzip dargestellt. Bei großen Datenbeständen werden häufig die Kreditnehmer in Gruppen eingeteilt, in sogenannte Kohorten. Kohorten sind homogene Gruppen, deren Gruppenmitglieder über eine ähnliche Ausfallwahrscheinlichkeit verfügen. Im Folgenden werden zwei Migrationsmatrizen, nämlich die diskrete und kontinuierliche Migrationsmatrix, dargestellt. 275 Diskrete Migrationsmatrizen 276 Diskrete Migrationsmatrizen geben Aufschluss darüber, wie hoch die Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres von einem Rating-Level in ein anderes Rating-Level eingestuft zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rating 𝐺𝐺 nach Rating 𝑗𝑗 innerhalb eines Jahres migriert wird, ergibt sich aus der folgenden Formel: (𝐺𝐺 ≥ 𝑗𝑗) Ü𝐵𝐵𝑒𝑒𝑟𝑟𝑔𝑔𝑎𝑎𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑟𝑟𝑎𝑎𝑡𝑡𝑒𝑒 = 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑎𝑎𝑚𝑚 𝐸𝐸𝑛𝑛𝑑𝑑𝑒𝑒 𝑒𝑒𝐺𝐺𝑛𝑛𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐽𝐽𝑎𝑎ℎ𝑟𝑟𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐺𝐺𝑛𝑛 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑅𝑅𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑛𝑛𝑔𝑔𝑘𝑘𝑙𝑙𝑎𝑎𝑠𝑠𝑠𝑠𝑒𝑒 𝑗𝑗 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑓𝑓𝐺𝐺𝑛𝑛𝑑𝑑𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑆𝑆𝑍𝑍ℎ𝑍𝑍𝑙𝑙𝑑𝑑𝑛𝑛𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐾𝐾𝐺𝐺ℎ𝐺𝐺𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑆𝑆𝑍𝑍ℎ𝑍𝑍𝑙𝑙𝑑𝑑𝑛𝑛𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐺𝐺𝑛𝑛 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐾𝐾𝐺𝐺ℎ𝐺𝐺𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝑅𝑅𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑛𝑛𝑔𝑔𝑘𝑘𝑙𝑙𝑎𝑎𝑠𝑠𝑠𝑠𝑒𝑒 𝐺𝐺 𝑧𝑧𝑍𝑍 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑔𝑔𝐺𝐺𝑛𝑛𝑛𝑛 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐽𝐽𝑎𝑎ℎ𝑟𝑟𝑒𝑒𝑠𝑠 Beispiel Eine Bank besitzt über zwei Kohorte (Gruppe A und Gruppe B) mit folgenden Eigenschaften: Gruppe B Gruppe A Anzahl der Kreditnehmer 20.000 36.000 Migration nach Gruppe A 3.000 - Migration nach Gruppe B - 1.000 Ausfälle 200 700 Die Migrationsmatrix sieht folgendermaßen aus: - Teilschritte: o Wahrscheinlichkeit in der Gruppe B zu bleiben: 20.000 − 3.000 − 200 20.000 = 0,84 o Wahrscheinlichkeit von Gruppe B nach Gruppe A eingestuft zu werden: 3.000 20. 000 = 0,15 o Wahrscheinlichkeit von Gruppe B auszufallen: 200 20. 000 = 0,01 o Wahrscheinlichkeit in der Gruppe A zu bleiben: 36.000 − 1.000 − 700 36.000 = 0,9528 o Wahrscheinlichkeit von Gruppe A nach Gruppe B eingestuft zu werden: 1.000 36.000 = 0,0278 275 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 297 276 Vgl. Knöchlein, G. [Kreditrisikomanagement und Ratingverfahren WS 2007/ 2008, 2007], Johannes Gutenberg-Universität Mainz, S. 21-31 <?page no="317"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 317 Neue Betriebswirtschaft o Wahrscheinlichkeit von Gruppe A auszufallen: 700 36.000 = 0, 01944 Die zugehörige einjährige Migrationsmatrix 𝑀𝑀 1 sieht wie folgt aus: Von / Nach B A Ausfall Gruppe B 84% 15% 1% Gruppe A 2,78% 95,28% 1,94% Ausfall 0% 0% 100% Gelesen wird die Tabelle von links nach rechts, bspw. beträgt die Wahrscheinlichkeit von Gruppe B nach Gruppe A zu wandern 15%. Aus der einjährigen Migrationsmatrix können unter gewissen Annahmen mehrjährige Migrationsmatrizen berechnet werden, unter der Voraussetzung, dass diese über die gesamte Zeit konstant verlaufen. Die zweijährige Migrationsmatrix für das vorangegangene Beispiel sieht folgendermaßen aus: 1 1 2 M M M ⋅ = = ⋅ 1 0 0 0382 , 0 9120 , 0 0498 , 0 0213 , 0 2689 , 0 7098 , 0 1 0 0 0194 , 0 9528 , 0 0278 , 0 01 , 0 15 , 0 84 , 0 1 0 0 0194 , 0 9528 , 0 0278 , 0 01 , 0 15 , 0 84 , 0 Zur Berechnung der 𝑘𝑘 -jährigen Migrationsmatrix werden die einzelnen einjährigen Migrationsmatrizen multipliziert: ) 1 , 2 ( ) 2 , 1 ( ) 1 , ( ) 1 , ( 1 1 1 − + − + ⋅ ⋅ ⋅ + + ⋅ + = − + k t k t M t t M t t M k t t M k Kontinuierliche Migrationsmatrix 277 Die kontinuierlichen Migrationsmatrizen können eine präzise Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten für beliebige Laufzeiten angeben. Die Ausfallwahrscheinlichkeit wird mittels einer zeithomogenen Markov-Kette in kontinuierlicher Zeit modelliert. Die Markov-Kette wird durch eine Migrationsmatrix 𝑊𝑊(∆𝑡𝑡) erklärt, wobei die Elemente der Matrix 𝑤𝑤 𝑖𝑖𝑗𝑗 (∆𝑡𝑡) die Wahrscheinlichkeit wiedergeben, dass in einer Zeitspanne von ∆𝑡𝑡 Jahren die Migration von der Ratingklasse 𝐺𝐺 zur Ratingklasse 𝑗𝑗 stattfindet. Beispiel 𝑤𝑤 "A","𝐵𝐵𝐵𝐵" (4) : Hierbei wird die Höhe der Wahrscheinlichkeit angegeben, mit welcher der Kreditnehmer mit dem Rating A innerhalb von vier Jahren in die Ratingklasse BB migriert. Die Migrationsmatrix wird mittels einer sogenannten Generatormatrix Λ modelliert, deren Elemente 𝜆𝜆 ij den Grad einer Migration zwischen den Ratingklassen 𝐺𝐺 und 𝑗𝑗 wiedergeben. Es gilt: 𝑊𝑊(∆𝑡𝑡) = 𝑒𝑒 Λ∆𝑡𝑡 = 1 + Λ∆𝑡𝑡 + 1 2! Λ 2 Λ∆t 2 … (1.1) 277 Vgl. Germar Knöchlein [Kreditrisikomanagement und Ratingverfahren WS 2007/ 2008, 2007], Johannes Gutenberg-Universität Mainz, S. 32-50 <?page no="318"?> 318 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Der Grad einer Intensität einer Migration multipliziert mit einer kleinen Zeitspanne ∆𝑡𝑡 , ergibt die Wahrscheinlichkeit einer Migration in dieser Zeitspanne: Für 𝐺𝐺 ≠ 𝑗𝑗 gilt: 𝜆𝜆 ij ∙ ∆𝑡𝑡 = 𝑤𝑤 𝑖𝑖𝑗𝑗 (∆𝑡𝑡) Für jede gewählte Zeitspanne kann die Intensität der Ausfallwahrscheinlichkeit berechnet werden. Zunächst wird die Generatormatrix bestimmt. Dabei werden Ratingänderungen und Ausfälle berücksichtigt. Unter Verwendung des Maximum-Likehood-Schätzers sehen die Elemente der Generatormatrix folgendermaßen aus: Für 𝐺𝐺 ≠ 𝑗𝑗 gilt: 𝜆𝜆 ij = 𝑁𝑁 ij ∫ 𝑋𝑋 𝑖𝑖 (𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑠𝑠 ; 𝜆𝜆 ij = − ∑ 𝜆𝜆 ij 𝑖𝑖≠𝑗𝑗 𝑁𝑁 ij : Beobachtete Migrationen/ Übergänge der Ratingklassen von 𝐺𝐺 nach 𝑗𝑗 𝑌𝑌 𝑖𝑖 (𝑠𝑠) : Kreditnehmer in Ratingstufe 𝐺𝐺 zum Zeitpunkt s Mit dieser Formel können exakte Messungen gemacht werden. Beispiel Ein Kreditinstitut besitzt über zwei Kohorten: Kohorte A (gute Bonität) und Kohorte B (schlechte Bonität). Die Kreditnehmer sind entweder Kohorte A oder Kohorte B zugeordnet. Folgende Daten werden innerhalb eines Jahres aufgezeichnet: Zu Beginn des Jahres haben sowohl Kohorte A als auch Kohorte B jeweils 20 Kreditnehmer in ihrer Ratingklasse. Ein A-Kreditnehmer wird zum Monatsende des ersten Monats auf Rating B zurückgestuft und verbleibt mit dem Rating B für den Rest des Jahres. Ein B-Kreditnehmer wird zum Monatsende des zweiten Monats auf Rating A hochgestuft und verbleibt mit dem Rating A für den Rest des Jahres. Ein B-Kreditnehmer fällt am Ende des sechsten Monats aus. Zunächst wird der Sachverhalt in kleine Teilschritte unterteilt: Intensität einer Migration von Rating A nach Rating B 𝜆𝜆 AB = 𝑁𝑁 AB ∫ 𝑋𝑋 𝐴𝐴 (𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑠𝑠 = 1 20∙ 1 12 +19∙ 1 12 +20∙ 10 12 = 12 239 = 0,0502 Zähler: Nur ein Kreditnehmer wird von der Ratingklasse 𝐺𝐺 nach 𝑗𝑗 migriert. Nenner: Erster Summand: Im ersten Monat ( 1 12 ) sind 20 Kreditnehmer in der Ratingklasse A. Zweiter Summand: Im zweiten Monat wird einer der 20 Kreditnehmern herabgestuft. Folglich sind es 19 Kreditnehmer multipliziert mit 1 12 . Dritter Summand: Im dritten Monat wird ein B - Kreditnehmer in die Ratingklasse A hochgestuft somit sind es 20 Kreditnehmer, die bis zum Ende des Jahres ( 10 12 ) in der Ratingklasse A vorzufinden sind. Intensität einer Migration von Rating A nach Default (D) 𝜆𝜆 AD = 𝑁𝑁 AD ∫ 𝑋𝑋 𝐴𝐴 (𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑠𝑠 = 0 20∙ 1 12 +19∙ 1 12 +20∙ 10 12 = 0 <?page no="319"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 319 Neue Betriebswirtschaft Da kein A-Kreditnehmer als Default eingestuft wurde, steht im Zähler eine Null. ⇒ 𝜆𝜆 AA = − ∑ 𝜆𝜆 Aj 𝐴𝐴≠𝑗𝑗 = −𝜆𝜆 AB − 𝜆𝜆 AD = −0,0502 Intensität einer Migration von Rating B nach Rating A 𝜆𝜆 BA = 𝑁𝑁 BA ∫ 𝑋𝑋 𝐵𝐵 (𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑠𝑠 = 1 20∙ 1 12 +21∙ 1 12 +20∙ 4 12 +19∙ 6 12 = 12 235 = 0,0511 Intensität einer Migration von Rating B nach Default (D) 𝜆𝜆 BD = 𝑁𝑁 BD ∫ 𝑋𝑋 𝐵𝐵 (𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑠𝑠 = 1 20∙ 1 12 +21∙ 1 12 +20∙ 4 12 +19∙ 6 12 = 12 235 = 0,0511 ⇒ 𝜆𝜆 BB = − ∑ 𝜆𝜆 Bj 𝐵𝐵≠𝑗𝑗 = −𝜆𝜆 BA − 𝜆𝜆 BD = − 24 235 = −0,1021 Intensität des Defaultszustands (D) 𝜆𝜆 DA = 𝜆𝜆 DB = 𝜆𝜆 DD = 0 Die Generatormatrix sieht folgendermaßen aus: Λ = 0 0 0 0,0511 0,1021 - 0,0511 0 0,0502 0,0502 - (1.2.) Aus der Generatormatrix erschließt sich die Migrationsmatrix. Zur Berechnung der Migrationsmatrix wird die Formel aus (1.1) verwendet: 𝑊𝑊(∆𝑡𝑡) = 𝑒𝑒 Λ∆𝑡𝑡 = � Λ 𝑗𝑗 ∞ 𝑗𝑗=0 ∙ ∆𝑡𝑡 𝑗𝑗 𝑘𝑘! Grundsätzlich wird nach jenem Glied abgebrochen, dessen Ergebnis sich zum Vorgänger nur unwesentlich unterscheidet. Aus der Migrationsmatrix kann die Ausfallwahrscheinlichkeit für die Laufzeit in ∆𝑡𝑡 direkt entnommen werden. Beispiel In diesem Beispiel besteht die Generatormatrix aus genau vier Gliedern. 1. Glied: Λ 0 ∙ ∆𝑡𝑡 0 0! = �1 0 0 0 1 0 0 0 1� 2.Glied: Λ 1 ∙ ∆𝑡𝑡 1 1! = �−0,0502 0,0502 0 0,0511 −0,1021 0,0511 0 0 0 � ∙ 1 = �−0,0502 0,0502 0 0,0511 −0,1021 0,0511 0 0 0 � <?page no="320"?> 320 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft 3.Glied: Λ 2 ∙ ∆𝑡𝑡 2 2! = � 0,0051 −0,0076 0,0026 −0,0078 0,0130 −0,0052 0 0 0 � ∙ 0,5 = � 0,0025 −0,0038 0,0013 −0,0039 0,0065 −0,0026 0 0 0 � 4.Glied: Λ 3 ∙ ∆𝑡𝑡 3 3! = �−0,0006 0,0010 −0,0004 0,0011 −0,0017 0,0007 0 0 0 � ∙ 0,16 = �−0,0001 0,0002 −0,0001 0,0002 −0,0003 0,0001 0 0 0 � In Summe ergibt sich folgende Matrix: ⇒ Λ 0 ∙ ∆𝑡𝑡 0 0! + Λ 1 ∙ ∆𝑡𝑡 1 1! + Λ 2 ∙ ∆𝑡𝑡 2 2! + Λ 3 ∙ ∆𝑡𝑡 3 3! = �0,9522 0,0466 0,0012 0,0474 0,9041 0,0486 0 0 0 � Die Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit für einen A-Kreditnehmer beträgt 0,12%. Die Zwei- Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit für einen A-Kreditnehmer beträgt 4,86%. Das vorangegangene Beispiel sieht bei einer Darstellung in Form einer diskreten Migrationsmatrix folgendermaßen aus: Wahrscheinlichkeit in Rating A zu bleiben: 20−1 20 = 0,95 Wahrscheinlichkeit von Rating A nach Rating B zu wandern: 1 20 = 0,05 Wahrscheinlichkeit von A nach Default zu migrieren: 0 Beim analogen Vorgehen ergibt sich folgende Matrix (mit den restlichen Elementen): �0,95 0,05 0 0,05 0,9 0,05 0 0 0 � Zusammenfassend sind diskrete Migrationsmatrizen zeithomogen. Häufige Ratingänderungen führen zu Verzerrungen der Ergebnisse. Bei der kontinuierlichen Methode werden im Gegensatz zum diskreten Modell zusätzliche Informationen bezüglich des Zeitpunktes und der Häufigkeit des zu migrierenden Kreditnehmers einbezogen. Es können beliebige Laufzeiten mittels der kontinuierlichen Migrationsmatrix berechnet werden. Der Umgang mit neuen Kreditnehmern bzw. einem auslaufenden Kredit kann die kontinuierliche Methode bewerkstelligen. 9.4.3 Notwendigkeit der Portfoliosteuerung Die Zusammenstellung eines Portfolios zur Untersuchung der Risikostruktur eines Kreditengagements ist bedeutend, folglich untersucht das Portfoliomanagement von Kreditinstituten die Risikostruktur des Kreditengagements. Sorgfältig wird ein Limit für einen Kredit eingeräumt, sodass die Risikoposition begrenzt ist. 278 Kreditportfoliomodelle werden gemäß dem Prinzip Top-Down bzw. Bottom-Up gehandhabt. Im Top-Down-Ansatz werden Kreditengagements mit ähnlichen Risikomerkmalen (wie Alter oder 278 Vgl. Keiner, T. [Rating für den Mittelstand, 2001], S. 87 f. <?page no="321"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 321 Neue Betriebswirtschaft geographische Lage) auf Basis von historischen Daten zu homogenen Segmenten zusammengefasst. Die homogenen Segmente werden als statistisch identisch angesehen. Diese lassen auf das Gesamtrisiko schließen, ohne dabei die einzelnen Positionen des Segmentes gesondert zu betrachten. 279 Bei der Wahl eines Bottom-Up-Ansatzes erfolgt eine individuelle Beurteilung der Bonität einzelner Schuldner. Demzufolge hat jede spezifische Position ein spezielles Risiko-Rating. 280 Der Zweck der Kreditrisikomodelle ist die Überprüfung der Risikopositionen von Krediten auf Portfolioebene, sodass eine exakte Prognose für Portfoliowerte ermittelt wird. Zu diesem Zweck werden drei Modelle ausgewählt, deren Ausfallwahrscheinlichkeiten sich durch die Monte-Carlo- Simulation bzw. Poisson-Verteilung darstellen lassen. Im Rahmen dieser Abschlussarbeit werden die drei folgenden Modelle erläutert: CreditMetrics TM von JP Morgan CreditRisk+ TM von Credit Suisse Financial Products CreditPortfolioView TM (CPV) von McKinsey & Company Das Kreditportfoliomodell zur Messung des unerwarteten Verlusts unterteilt sich in Firmenwert- und Ausfallraten-Modelle. Die nachfolgende Abbildung illustriert die schematische Untergliederung von Kreditportfoliomodellen. Abbildung 9-30: Systematisierung von Kreditportfoliomodellen Quelle: In Anlehnung an Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 28 f. Firmenwert-Modell Firmenwert-Modelle können sich durch mögliche negative Veränderungen der Bonität des Kreditnehmers ergeben, das heißt, hierbei ist das zu quantifizierende Bonitätsrisiko zu betrachten. Die Messung des Kreditrisikos basiert auf der Wanderung zwischen Bonitätsklassen und der damit verbundenen Wertänderung des Kredits. Ziel ist es, ein Kreditportfolio zu Marktpreisen zu bewerten und Marktwertänderungen aus der Bonitätsverschlechterung abzubilden. Eines der bekanntesten Modelle ist CreditMetrics. 281 279 Vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht [Entwicklung von Modellen zum Kreditrisiko: aktuelle Verfahren und Verwendung, 1999], S. 28f. 280 Vgl. Schmoll, A. [Kreditrisiken erfolgreich managen, 1999], S. 45 f. sowie Knapp, M. [Zeitabhängige Kreditportfoliomodelle, 2002], S. 48 f. 281 Vgl. Kroon, G. [Messung und Steuerung von Kreditrisiken, 2009], S. 48 <?page no="322"?> 322 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Ausfallraten-Modell Primär bildet das Kreditausfallrisiko ein stochastisches Ereignis ab, indem zwischen Kreditausfall und Nicht-Kreditausfall unterschieden wird. Es werden Ausfallwahrscheinlichkeiten mit potenziellen Verlustbeiträgen geschätzt. CreditRisk+ und CreditPortfolioView gehören dabei zu den Ausfallraten-Modellen. 282 CreditRisk+ CreditRisk+ ermittelt die Wahrscheinlichkeit für potenzielle Kreditausfälle. Verluste, die für eine kreditgebende Bank entstehen, sind ähnlich zu den Schadeneintrittswahrscheinlichkeiten. 283 Ein aktuarisches Kreditrisikomodell dient zur Orientierung der Entwicklung des CreditRisk+ Modells, da Kreditverluste stark den versicherungswirtschaftlichen Risiken ähneln. 284 1997 hat Credit Suisse Financial Products das aktuarische Basismodell zum CreditRisk+ weiterentwickelt, welches das Kreditrisiko und das Ausfallrisiko umfassen. 285 Die Quantifizierung aus dem Kreditrisiko und dem Ausfallrisiko ergibt auf Portfolioebene den Unexpected Loss, der für ein bestimmtes Konfidenzintervall und einen bestimmten Zeitraum festgelegt wird. 286 Als Risikokomponenten werden die Rückzahlungsquote des Ausfalls, das Exposure des Kreditausfalls, die erwartete Ausfallrate und die Volatilität des Ausfalls angegeben. 287 Der CreditRisk+ findet aufgrund seiner einfachen Handhabung und den geringen Anforderungen der Inputdaten häufig seine Anwendung bei Kreditinstituten. Als Grundlage zur Berechnung des Unexpected Loss dient der erwartete Kreditverlust des Portfolios. Die Anzahl an Kreditausfällen für ein Portfolio mit 𝑁𝑁 Krediten ergibt sich als Summe der einzelnen erwarteten Ausfallraten, welche den Erwartungswert 𝜇𝜇 darstellen: 𝜇𝜇 = ∑ 𝑃𝑃 𝑖𝑖 𝑁𝑁𝑖𝑖=1 mit 𝑃𝑃 𝑖𝑖 = 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒𝑡𝑡𝑒𝑒 𝐴𝐴𝑍𝑍𝑠𝑠𝑓𝑓𝑎𝑎𝑙𝑙𝑙𝑙𝑟𝑟𝑎𝑎𝑡𝑡𝑒𝑒 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐾𝐾𝑟𝑟𝑒𝑒𝑑𝑑𝐺𝐺𝑡𝑡𝑛𝑛𝑒𝑒ℎ𝑚𝑚𝑒𝑒𝑟𝑟𝑠𝑠 Die Wahrscheinlichkeitsverteilung wird näherungsweise durch die Poisson-Verteilung beschrieben, da diese keine identische Ausfallrate für alle Kreditnehmer fordert. 288 𝑊𝑊 𝑛𝑛𝑃𝑃𝑃𝑃𝑖𝑖𝑠𝑠𝑠𝑠𝑃𝑃𝑛𝑛 = 𝑒𝑒 −𝜇𝜇 ∙𝜇𝜇 𝑛𝑛 𝑛𝑛! mit 𝜇𝜇 − 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒𝑡𝑡𝑒𝑒 𝐴𝐴𝑛𝑛𝑧𝑧𝑎𝑎ℎ𝑙𝑙 𝑎𝑎𝑛𝑛 𝐾𝐾𝑟𝑟𝑒𝑒𝑑𝑑𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑍𝑍𝑠𝑠𝑓𝑓ä𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑊𝑊 𝑛𝑛𝑃𝑃𝑃𝑃𝑖𝑖𝑠𝑠𝑠𝑠𝑃𝑃𝑛𝑛 − 𝑊𝑊𝑎𝑎ℎ𝑟𝑟𝑠𝑠𝑍𝑍ℎ𝑒𝑒𝐺𝐺𝑛𝑛𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑘𝑘𝑒𝑒𝐺𝐺𝑡𝑡 , 𝑑𝑑𝑎𝑎𝑠𝑠𝑠𝑠 𝑛𝑛 𝐾𝐾𝑟𝑟𝑒𝑒𝑑𝑑𝐺𝐺𝑡𝑡𝑛𝑛𝑒𝑒ℎ𝑚𝑚𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑎𝑎𝑍𝑍𝑠𝑠𝑓𝑓𝑎𝑎𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒𝑛𝑛 𝑛𝑛 − 𝐴𝐴𝑛𝑛𝑧𝑧𝑎𝑎ℎ𝑙𝑙 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐾𝐾𝑟𝑟𝑒𝑒𝑑𝑑𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑍𝑍𝑠𝑠𝑓𝑓ä𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒 Es wird die Annahme getroffen, dass die Anzahl der Ausfälle unabhängig zu anderen Perioden sei. Die durchschnittliche Anzahl der Kreditausfälle, in einem bestimmten Zeithorizont, sei eine Zufallsvariable mit dem Mittelwert 𝜇𝜇 und der Standardabweichung √𝜇𝜇 . 289 282 Vgl. ebd., S. 49 f. 283 Vgl. Eller, R. [Kompaktwissen Risikomanagement, 2010], S. 31 284 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 442 285 Vgl. Zurek, J./ Karl-Werner [Kreditrisikomodellierung, 2009], S. 86 286 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 494 287 Vgl. Schwarz [Kreditrisikomodelle, 2004], S. 17-24 288 Vgl. Puhani, J. [Statistik, 2005], S. 148 f. 289 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 163-170 <?page no="323"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 323 Neue Betriebswirtschaft Beispiel In einer Betrachtungsperiode fällt kein Kredit aus, das heißt 𝑛𝑛 = 0 mit vier Krediten und den jeweiligen erwarteten Ausfallraten in Höhe von 2%, 5%, 7% und 8,5%. Die Anzahl der erwarteten Kreditausfälle beträgt: 𝜇𝜇 = � 𝑃𝑃 𝑖𝑖 = 2% + 5% + 7% + 8,5% = 22,5 % = 0,225 4 𝑖𝑖=1 𝑊𝑊 0𝑃𝑃𝑃𝑃𝑖𝑖𝑠𝑠𝑠𝑠𝑃𝑃𝑛𝑛 = 𝑒𝑒 −𝜇𝜇 ∙ 𝜇𝜇 0 0! = 𝑒𝑒 −0,225 = 79,85% Die Wahrscheinlichkeit, dass kein Kredit im angeführten Beispiel ausfällt, beträgt 79,85%. Jedem Kreditnehmer ist eine individuelle Standardabweichung zugeordnet. Des Weiteren wird angenommen, dass die Variable 𝜇𝜇 mit der Standardabweichung 𝜎𝜎 approximativ eine Gammaverteilung beschreibt. Diese lässt sich empirisch berechnen. Die Gammaverteilung hat den Vorteil, dass keine negativen Ausfallraten zustande kommen. Die Kreditinstitute können mithilfe von EDV-gestützten Systemen ein Portfolio innerhalb weniger Minuten erstellen. 290 CreditMetrics CreditMetrics wurde von JP Morgan 1997 zur Modellierung des Bonitätsrisikos entwickelt. Das Modell CreditMetrics ist ein multivariates Unternehmenswertmodell, welches auf dem Merton- Modell basiert. 291 In der Praxis wird das CreditMetrics-Modell mithilfe einer Monte-Carlo- Simulation durchgeführt. Die Zielsetzung dieser Methode ist es, die Ungewissheit wie ein zukünftiger Portfoliowert sich entwickelt im Voraus einem Risikohorizont zuzuweisen, welcher im Rahmen von Veränderungen der Kreditnehmerbonität entstehen könnte. 292 CreditMetrics lässt sich in drei Stufen unterteilen: Zunächst muss ein Exposure für jedes Finanzinstrument im betrachteten Portfolio bestimmt werden. Als nächstes wird eine mögliche Wertentwicklung der Finanzinstrumente bestimmt. In der letzten Stufe werden Korrelationsstrukturen berücksichtigt. CreditMetrics wird unter Berücksichtigung von Wertveränderungen, auf Grund von Ratingveränderungen und Ausfallereignissen, innerhalb eines bestimmten Zeitraums erstellt. In der Regel wird ein Zeitraum von einem Jahr gewählt. Bei Eintritt des Ausfallereignisses oder einer eventuellen Ratingveränderung werden Werte für jedes Einzelgeschäft (bzw. Gesamtportfolio) der möglichen Marktwerte zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Hilfe der Migrationsmatrix berechnet. Bonitätszustandsänderungen lassen sich durch die Migrationswahrscheinlichkeiten ausdrücken. Dabei wird die relative Häufigkeit der jeweiligen Ratingklassen auf Basis historischer Daten ermittelt. Diese werden Forward-Werte genannt 293 Die Abbildung 9-27 stellt bspw. eine Migrationsmatrix da. Es ist eine Neubewertung eines Kredittitels erforderlich, um alle möglichen Bonitätszustände am Risikohorizont zu erfassen, da dieser in seinem jetzigen Zustand eine stochastische Größe darstellt. 294 290 Vgl. Schwarz [Kreditrisikomodelle, 2004], S. 12 291 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 170-185 sowie Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 454-461 292 Vgl. Hans Rau-Bredow [Kreditrisikomodelle und Diversifikation, S. 7-15 293 Vgl. Martin, M.R. W./ Wehn, C. [Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, 2014], S. 173 294 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 458 <?page no="324"?> 324 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Es werden alle vertraglich vereinbarten anfallenden Cashflows, über den Risikohorizont hinaus, mit risikoadjustierten Forward-Nullkuponzinssätzen laufzeitadäquat auf den Zeitpunkt des Risikohorizonts diskontiert. 295 Die folgende Tabelle stellt bspw. den Risikohorizont eines Jahres hinsichtlich eines risikoadjustierten Forward-Nullkuponzinssatzes dar: Abbildung 9-31: (Forward-) Zerobondrenditen und Kreditbarwerte Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 456-459 Die Zahlungsströme werden mithilfe des ratingspezifischen Forward-Zinssatzes folgendermaßen erklärt: Allgemeine Form: � CF 𝑡𝑡 (1 + 𝑓𝑓𝑧𝑧 0 (𝑘𝑘, 𝐵𝐵, 𝑡𝑡)) 𝑡𝑡−𝑗𝑗 𝑇𝑇 𝑡𝑡=0 Beispiel 296 Ein A-Kreditnehmer hat einen Kredit in Höhe einer 1 Mio. EUR mit einer Nominalverzinsung von 8% und einer Laufzeit von 5 Jahren. Folglich weist der Kreditnehmer am Risikohorizont ein Rating von A auf: 80.000 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 + 80.000 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 (1 + 0,0372) 1 + 80.000 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 (1 + 0,0432) 2 + 80.000 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 (1 + 0,0493) 3 + 1.080.000 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 (1 + 0,0532) 4 = 1.177.657 € 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 295 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 483 296 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 178 ff. CF 𝑡𝑡 − 𝐶𝐶𝑎𝑎𝑠𝑠ℎ𝑓𝑓𝑙𝑙𝐺𝐺𝑤𝑤 𝑧𝑧𝑍𝑍𝑚𝑚 𝑍𝑍𝑒𝑒𝐺𝐺𝑡𝑡𝑃𝑃𝑍𝑍𝑛𝑛𝑘𝑘𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑓𝑓𝑧𝑧 0 − 𝐺𝐺ü𝑙𝑙𝑡𝑡𝐺𝐺𝑔𝑔𝑒𝑒𝑛𝑛 𝐹𝐹𝐺𝐺𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑑𝑑 𝑎𝑎𝑙𝑙𝑠𝑠 𝐹𝐹𝑍𝑍𝑛𝑛𝑘𝑘𝑡𝑡𝐺𝐺𝐺𝐺𝑛𝑛 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝐾𝐾𝑍𝑍𝑃𝑃𝐺𝐺𝑛𝑛𝑧𝑧𝐺𝐺𝑛𝑛𝑠𝑠𝑠𝑠𝑎𝑎𝑡𝑡𝑧𝑧 𝑚𝑚𝐺𝐺𝑡𝑡 𝑅𝑅𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺ℎ𝐺𝐺𝑟𝑟𝐺𝐺𝑧𝑧𝐺𝐺𝑛𝑛𝑡𝑡 𝑘𝑘 𝑍𝑍𝑛𝑛𝑑𝑑 𝑍𝑍𝑒𝑒𝐺𝐺𝑡𝑡𝑃𝑃𝑍𝑍𝑛𝑛𝑘𝑘𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑍𝑍𝑛𝑛𝑑𝑑 𝑅𝑅𝑎𝑎𝑡𝑡𝐺𝐺𝑛𝑛𝑔𝑔𝑘𝑘𝑙𝑙𝑎𝑎𝑠𝑠𝑠𝑠𝑒𝑒 𝐵𝐵 <?page no="325"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 325 Neue Betriebswirtschaft Sollte ein Kreditausfall eintreten, wird dieser aus dem Produkt des Recovery Rate und dem Nominalvolumen bestimmt. Basierend auf einer Studie von Moody’s wurden differenzierte Recovery Rates dargestellt: 297 Rangstellung Erwartungswert Standardabweichung Senior Secured 53,80% 26,86% Senior Unsecured 51,13% 25,45% Senior Subordinated 38,52% 23,81% Subordinated 32,74% 20,18% Junior Subordinated 17,09% 10,90% Abbildung 9-32: Recovery Rates. Quelle: In Anlehnung an Schwarz [Kreditrisikomodelle, 2004], S. 7 Nach reichlicher Überlegung kann jedem Bonitätszustand eines Kreditnehmers ein Marktwert und eine Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Kreditwertes lässt sich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit des Marktwertes bestimmen. 298 Unter Berücksichtigung einer Rangstellung des Kredits von „Senior Secured“ mit einem Anfangsrating von A ergibt sich für das vorangegangene Beispiel die folgende Verteilung: Rating Marktwerte 𝐌𝐌𝐌𝐌 𝒃𝒃 Wahrscheinlichkeit 𝒑𝒑 𝒃𝒃 𝐌𝐌𝐌𝐌 𝒃𝒃 ∙ 𝒑𝒑 𝒃𝒃 AAA 1.107.911 € 0.0009 997€ AA 1.183.166 € 0.0227 26.858 € A 1.177.657 € 0.9105 1.072.256 € BBB 1.165.996 € 0.0552 64.363 € BB 1.108.337 € 0.0074 8.202 € B 1.067.465 € 0.0026 2.775 € CCC 914.291 € 0.0001 91 € D 538.000 € 0.0006 323 € Erwartungswert 1.175.866 € Abbildung 9-33: Wahrscheinlichkeitsverteilung der Marktwerte Im Beispiel beträgt der Erwartungswert 1.175.866 €, welcher sich aus der Summe des gewichteten (ratingspezifischen) Marktwertes MW 𝑏𝑏 und der Eintrittswahrscheinlichkeit 𝑃𝑃 𝑏𝑏 zusammensetzt. Für die Erstellung der Abbildung 9-33 wurde folgende Formel verwendet: 299 297 Vgl. Schiller, B./ Tytko, D. [Risikomanagement im Kreditgeschäft, 2001], S. 270 f. 298 Vgl. Hartmann-Wendels, T./ Pfingsten, A./ Weber, M. [Bankbetriebslehre, 2015], S. 485 f. 299 Vgl. Claudia, S.; Pfeiffer, V.; Witzke, T. [Kreditportfoliomodelle, 2001], S. 22 ff. <?page no="326"?> 326 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft � MW 𝑏𝑏 ∙ 𝑃𝑃 𝑏𝑏 𝐵𝐵 𝑏𝑏=1 Der Expected Loss wird aus der Differenz aus dem aktuellen Kreditwert und dem Erwartungswert gebildet: 𝐸𝐸𝑥𝑥𝑃𝑃𝑒𝑒𝑍𝑍𝑡𝑡𝑒𝑒𝑑𝑑 𝐿𝐿𝐺𝐺𝑠𝑠𝑠𝑠 = 𝑎𝑎𝑘𝑘𝑡𝑡𝑍𝑍𝑒𝑒𝑙𝑙𝑙𝑙𝑒𝑒𝑟𝑟 𝐾𝐾𝑟𝑟𝑒𝑒𝑑𝑑𝐺𝐺𝑡𝑡𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 − 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑡𝑡𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 𝐸𝐸𝑥𝑥𝑃𝑃𝑒𝑒𝑍𝑍𝑡𝑡𝑒𝑒𝑑𝑑 𝐿𝐿𝐺𝐺𝑠𝑠𝑠𝑠 𝐵𝐵𝑒𝑒𝑖𝑖𝑠𝑠𝐵𝐵𝑖𝑖𝑒𝑒𝐵𝐵 = 1.177. 657𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 − 1.175.866 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 = 1.791€ Im angesprochenen Beispiel beträgt der erwartete Verlust 1.791€ . Zusätzlich kann der unerwartete Verlust als Value at Risk unter Nutzung der kumulierten Eintrittswahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden. Beispielsweise wird ein Vertrauensbereich von 99% angenommen. Zudem wird ein Marktwert gesucht, welcher eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 99% nicht überschreitet. Beginnend mit der Ratingklasse AAA wird die Eintrittswahrscheinlichkeit 𝑃𝑃 solange aufsummiert bis die kumulierten Eintrittswahrscheinlichkeiten von mindestens 99% erreicht sind. Der angefragte Quantilswert ist bei der Ratingklasse BB vorzufinden, da das Aufsummieren der Eintrittswahrscheinlichkeiten bis zur Ratingklasse BB einen Quantilswert von 0,09% + 2,27% + 91,05% + 5,52% + 0,74% = 99,67% ergibt. Der Value at Risk kann folgendermaßen berechnet werden: 𝑉𝑉𝑎𝑎𝑙𝑙𝑍𝑍𝑒𝑒 𝑎𝑎𝑡𝑡 𝑅𝑅𝐺𝐺𝑠𝑠𝑘𝑘(𝑥𝑥%) = 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑡𝑡𝑍𝑍𝑛𝑛𝑔𝑔𝑠𝑠𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 − 𝐻𝐻𝑍𝑍𝑎𝑎𝑛𝑛𝑡𝑡𝐺𝐺𝑙𝑙𝑠𝑠𝑤𝑤𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡 Im Beispiel ergibt sich ein Value at Risk für den unerwarteten Verlust in Höhe von 67.529 € für den Vertrauensbereich von 99%, welcher aus der Differenz zwischen 1.175.866 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 − 1.108.337 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 = 67.529 𝐸𝐸𝑈𝑈𝑅𝑅 hervorgeht. 300 Credit PortfolioView McKinsey & Co entwickelte CreditPortfolioView um eine Verbesserung und Weiterentwicklung des Ratingmigrationsansatzes zu ermöglichen. Dabei ist aufgefallen, dass bei einem Ausfallrisiko und einem Bonitätsrisiko makroökonomische Einflussgrößen zu beachten sind. 301 Untersuchungen am amerikanischen Markt haben gezeigt, dass der Markt in den Jahren 1973 bis 1993 einen ersichtlichen Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeit hatte. Das Credit PortfolioView ist ein Modell, in dem die Volatilität der Ausfallrate und die Rating-Migration des Kreditnehmers mit makroökonomischen Faktoren zusammenhängen. Kreditnehmer werden in Risikosegmente aufgeteilt, für jedes Segment wird eine Ausfallrate ermittelt. Zu den makroökonomischen Faktoren gehören unter anderem die Wachstumsrate, das Bruttoinlandsprodukt, die Geld- und Kapitalmarktzinssätze sowie die Arbeitslosenquote. Die Regressionsanalyse liefert Variablen, die in die Ausfallraten einfließen, um eine bestmögliche Messung des Kreditrisikos zu ermöglichen. Kreditnehmer derselben Branche verfügen über identische Ausfallwahrscheinlichkeiten. Die Bonität des Kreditnehmers hingegen spielt eine nachrangige Rolle. 302 300 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 178 ff. 301 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 461 302 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 180-185 <?page no="327"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 327 Neue Betriebswirtschaft Modellvergleich Die genannten Modelle können entweder ein Firmenwert- oder Ausfallwert-Modell sein. Die Modelle sind abhängig von der Anwendbarkeit, Transparenz und Wirtschaftlichkeit. 303 Heutzutage ist die technische Implementierung für alle drei Modelle gegeben. CreditRisk+ und CreditMetrics untersuchen die Bonität des Kreditnehmers. Das Modell Credit- PortfolioView arbeitet nicht unmittelbar mit der Bonität des Kreditnehmers. In der Praxis werden CreditMetrics und CreditPortfolioView mithilfe von zeitaufwendigen und umfangreichen Monte-Carlo-Simulationen durchgeführt, welche die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Kreditportfoliowerte liefert. Das liegt der Tatsache zugrunde, dass größere Kreditinstitute eine große Anzahl von Kreditnehmern aufweisen. Wirtschaftlich betrachtet, gibt das CreditPortfolioView Modell einen guten Gesamtüberblick, insbesondere werden makroökonomische Aspekte beachtet. Beim CreditMetrics beruht die Ausfallwahrscheinlichkeit auf Ratingklassen und beim CreditRisk+ wird eine einheitliche Ausfallwahrscheinlichkeit für alle Kreditnehmer aus einem Kreditsegment festgelegt. Beim CreditRisk+ Modell lassen sich Umwelteinflüsse problemlos unter geringem Aufwand in das Modell implementieren. Dagegen werden bei den beiden Modellen CreditMetrics und CreditPortfolioView Monte-Carlo-Simulationen genutzt, die eine hohe Rechenkapazität benötigen. Änderungen der Eingangsparameter der Simulation lassen sich nicht ohne weiteres einbauen, da sie sehr aufwendig und zeitintensiv sind. Zudem kommt die Tatsache hinzu, dass die hohe Rechenzeit eine Verzögerung nach sich zieht. Die Aufsicht für Kreditinstitute setzt strenge Anforderungen, insbesondere legt sie viel Wert auf geeignete Kreditrisikomodelle. Für kleine Banken ist es sinnvoll auf CreditRisk+ zurückzugreifen, da es kostenlos zur Verfügung steht. Je nach geschäftsbzw. institutsspezifischen Wünschen können Änderungen am CreditRisk+ Modell leicht vorgenommen werden. Kleineren Banken stehen in der Regel weniger Ressourcen zur Verfügung. Da nur kleinere Änderungen vorgenommen werden, gibt es nur einen geringen Implementierungs- und Umsetzungsaufwand. Im Gegensatz dazu nutzen größere Banken das CreditPortfolioView Modell, da diese für umfangreiche Kreditportfolios besser geeignet sind. Zusätzlich sind größere Kreditinstitute an einer Implementierung von makroökonomischen Aspekten in ihrem Risikomodell interessiert. Eine regelmäßige Kalibrierung der Modelle ist erforderlich, um eine Verbesserung der Qualität der Ausfallwahrscheinlichkeitsermittlung des erwarteten Verlusts zu erzielen. Die Kreditrisikomodelle dienen der rechtzeitigen Erkennung der Konzernrisiken. 304 303 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 474 ff. 304 Vgl. Oehler, A./ Unser, M. [Finanzwirtschaftliches Risikomanagement, 2002], S. 82 f. <?page no="328"?> 328 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Abbildung 9-34: Kreditrisikomodelle im Überblick Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 474 9.4.4 Gesamtbankorientierte Steuerungsinstrumente In diesem Abschnitt werden Steuerungsinstrumente, die das Gesamtrisiko verringern, genannt. Im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfungen stehen viele Steuerungsinstrumente zur Verfügung. Kreditinstitute benutzen Steuerungsinstrumente, um potenzielle Verluste zu begrenzen. In den nachfolgenden Unterkapiteln werden die vier gängigsten Steuerungsinstrumente (wie die Limitierung von Krediten oder die Quantifizierungen von Kreditrisiken im RAROCbzw. RORAC-Konzept) kurz vorgestellt. Heutzutage basieren alle Risikomanagementsysteme auf EDV-gestützte Verfahren. Risikokapitalsteuerung durch Limitierung Ein Limit beschreibt die Begrenzung einer Kreditlinie eines Kreditnehmers. Das eingeräumte Limit bestimmt eine Obergrenze für Einzelkreditnehmer bzw. für Kreditnehmer auf Portfolioebene. Limite können in Form von Value at Risk oder Worst-Case-Szenarien festgemacht werden. Das Risikocontrolling eines Kreditinstituts entscheidet in Abhängigkeit des Eigenkapitels über die Höhe der Ausgabe des Limits und an welche Unternehmensbereiche Limite ausgegeben werden. Bei Bedarf können zusätzliche Sicherheiten bestellt werden. 305 Darüber hinaus trägt der Bereich Risikocontrolling die Verantwortung der Limitüberwachung, d.h. es wird entschieden, welche Überschreitungen jener Limits geduldet werden bzw. strikt eingehalten werden müssen. Jedes Kreditinstitut verfügt über ein Limitsystem, um die entsprechenden Limite zu überwachen, jedoch sollte die Flexibilität nicht eingeschränkt werden. 306 305 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 35 306 Vgl. Horsch, A./ Schulte, M. [Risikomanagement, 2010], S. 44 f. <?page no="329"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 329 Neue Betriebswirtschaft Quantifizierung von Kreditrisiken (RAROC/ RORAC) 307 Seit Anfang der 90er Jahre beschäftigen sich Banken vermehrt mit der Entwicklung der Integration des Risikoaspekts. Dabei wurden die sogenannten risikoadjustierten Performancemaße wie RORAC (Return on Risk Adjusted Capital) und RAROC (Risk Adjusted Return on Capital) hervorgerufen. Aus Bankensicht wird das Ergebnis ins Verhältnis zum eingegangenen Risiko (sog. ökonomisches Kapital) betrachtet. 308 Das ökonomische Kapital dient zur Abdeckung des unerwarteten Verlusts. 309 Mittlerweile ist das Vorgehen bei allen Banken Routine, denn es wird eine Optimierung der Risikomessung und Risikokapitalbestimmung für eine bessere Allokation angestrebt. Die beiden Kennzahlen sind auf die Gesamtbankperspektive ausgerichtet. Hinzu wird die Risikoübernahme entsprechender Geschäftsfelder beobachtet. 310 Die risikoadjustierte Kennzahl RORAC bilden Risiken ab, welche bspw. aus Geschäften wie einer Transaktion oder aus einem Portfolio resultieren. 311 Ziel ist es, ein rentables Geschäft angemessen an der allokierten Eigenkapitalunterlegung zu erfassen. Banken verwenden diese Kennzahl zur internen Planung und Steuerung. 𝑅𝑅𝑅𝑅𝑅𝑅𝐴𝐴𝐶𝐶 = 𝑁𝑁𝑒𝑒𝑡𝑡𝑡𝑡𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟𝑔𝑔𝑒𝑒𝐵𝐵𝑛𝑛𝐺𝐺𝑠𝑠 𝑅𝑅𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙 ∙ 100% Das Risikokapital besteht zu gleichen Teilen aus dem ökonomischen Kapital, welches durch den Value at Risk ermittelt wird und zum anderen aus dem regulatorischen Kapital. 312 Das Nettoergebnis ergibt sich aus der Differenz zwischen Zinserlös und Zinsaufwendungen. 313 Beim RAROC soll das eingegangene Risikopotenzial durch das vorhandene Risikokapital abgedeckt werden. Zur Berechnung der Kennziffer RAROC wird das risikoadjustierte Nettoergebnis ins Verhältnis zum Risikokapital (oft dem ökonomischen Kapital) gesetzt. 𝑅𝑅𝐴𝐴𝑅𝑅𝑅𝑅𝐶𝐶 = 𝑟𝑟𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺𝑎𝑎𝑑𝑑𝑗𝑗𝑍𝑍𝑠𝑠𝑡𝑡𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒𝑠𝑠 𝑁𝑁𝑒𝑒𝑡𝑡𝑡𝑡𝐺𝐺𝑒𝑒𝑟𝑟𝑔𝑔𝑒𝑒𝐵𝐵𝑛𝑛𝐺𝐺𝑠𝑠 𝑅𝑅𝐺𝐺𝑠𝑠𝐺𝐺𝑘𝑘𝐺𝐺𝑘𝑘𝑎𝑎𝑃𝑃𝐺𝐺𝑡𝑡𝑎𝑎𝑙𝑙 ∙ 100% Das risikoadjustierte Nettoergebnis ist analog zum Nettoergebnis aus RORAC aufgebaut, nur das zusätzlich die Risikokosten abgezogen werden. Die Kennziffer ermittelt rentable Geschäftsbereiche .314 Diversifikation im Kreditportfolio Eine Diversifikation im Kreditportfolio strebt eine Risikostreuung und Risikoverteilung an. Grundsätzlich soll der unerwartete Verlust verringert werden, um eine bessere Steuerung des ökonomischen Kapitals zu ermöglichen. 315 Um eine Risikostreuung zu begünstigen, ist eine geringe Korrelation zwischen den einzelnen Risikopositionen notwendig. Im Kreditportfolio erfolgt eine Diversifikation durch die Verteilung des ausgereichten Kreditvolumens auf viele kleinere Kredite unterschiedlicher und vor allem unabhängiger Kreditnehmer. 316 Die Diversifikation eines Kreditportfo- 307 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 67 ff. 308 Vgl. ebd., S. 7 309 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 44-55 310 Vgl. Rudolph, B./ Hofmann, B./ Schaber, A./ Schäfer, K. [Kreditrisikotransfer, 2012], S. 232 ff. 311 Vgl. Hanker, P. [Management von Marktpreis- und Ausfallrisiken, 1998], S. 255 f. 312 Vgl. Daheim, M.Gero/ Thiele, M. [100 Bankkennzahlen, 2011], S. 68 f. 313 Vgl. Wrede, I. [Ökonomische Auswirkungen von Schätzfehlern bei der bankinternen Bestimmung von Kreditausfallwahrscheinlichkeiten, 2010], S. 30 f. 314 Vgl. Daheim, M.Gero/ Thiele, M. [100 Bankkennzahlen, 2011], S. 69 f. 315 Vgl. Schierenbeck, H. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2014], S. 484 316 Vgl. Strauß, M. [Wertorientiertes Risikomanagement in Banken, 2009], S. 81 ff. <?page no="330"?> 330 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft lios im Rahmen der Granularität kann am Ausmaß der Ergebnisstreuung des Erwartungswerts eines Portfolioverlusts gemessen werden. Unter einem schlecht diversifizierten Kreditportfolio fällt die Ergebnisschwankung um den Erwartungswert höher aus, als ein gut diversifiziertes Kreditportfolio. Unerwartete Ergebnisschwankungen lassen sich über die Standardabweichungen darstellen: 317 𝑆𝑆𝑇𝑇𝐷𝐷 = ��(𝑋𝑋 𝑖𝑖 − 𝐸𝐸𝑊𝑊�(𝑉𝑉)� 2 ∙ 𝑊𝑊(𝑋𝑋 𝑖𝑖 ) (𝑛𝑛) 𝑁𝑁 𝑖𝑖=1 𝑋𝑋 𝑖𝑖 − 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑛𝑛𝑧𝑧𝑒𝑒𝑙𝑙𝑒𝑒𝑟𝑟𝑒𝑒𝐺𝐺𝑔𝑔𝑛𝑛𝐺𝐺𝑠𝑠 𝑊𝑊(𝑋𝑋 𝑖𝑖 ) (𝑛𝑛) − 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑛𝑛𝑡𝑡𝑟𝑟𝐺𝐺𝑡𝑡𝑡𝑡𝑠𝑠𝑤𝑤𝑎𝑎ℎ𝑟𝑟𝑠𝑠𝑍𝑍ℎ𝑒𝑒𝐺𝐺𝑛𝑛𝑙𝑙𝐺𝐺𝑍𝑍ℎ𝑘𝑘𝑒𝑒𝐺𝐺𝑡𝑡 𝐸𝐸𝑊𝑊(𝑉𝑉) − 𝐸𝐸𝑟𝑟𝑤𝑤𝑎𝑎𝑟𝑟𝑡𝑡𝑒𝑒𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟 𝑉𝑉𝑒𝑒𝑟𝑟𝑙𝑙𝑍𝑍𝑠𝑠𝑡𝑡 𝑑𝑑𝑒𝑒𝑠𝑠 𝐾𝐾𝑟𝑟𝑒𝑒𝑑𝑑𝐺𝐺𝑡𝑡𝑃𝑃𝐺𝐺𝑟𝑟𝑡𝑡𝑓𝑓𝐺𝐺𝑙𝑙𝐺𝐺𝐺𝐺𝑠𝑠 Die Standardabweichung eines Portfolios, bei der die Ausfallkorrelation null ist, kann durch die Summe der Standardabweichung einzelner Kreditengagements folgendermaßen ausgedrückt werden: 𝑆𝑆𝑇𝑇𝐷𝐷 𝑃𝑃𝑃𝑃𝑟𝑟𝑡𝑡𝑃𝑃𝑃𝑃𝐵𝐵𝑖𝑖𝑃𝑃 = �� 𝑆𝑆𝑇𝑇𝐷𝐷 𝑖𝑖2 𝑁𝑁 𝑖𝑖=1 Korrelationsanalysen zeigen, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit bei positiv korrelierten Kreditnehmern steigt. Produkte des Kreditrisikomanagements Im aktiven Risikomanagement können Kreditinstitute die Risikoüberwälzung in Form von Kreditverkäufen, Kreditsyndizierungen, Kreditverbriefungen und Kreditderivaten tätigen. 318 Der Einsatz eines Risikotransfers ermöglicht die Risikokonzentrationen gewisser Branchen zu vermeiden, eine Verbesserung der Bilanz zu erreichen und die Erschließung neuer Finanzierungs- und Ertragsquellen. Der Transfer von Kreditrisiken ist stets mit der Informationsasymmetrie verbunden. Im Folgenden werden die genannten Kreditrisikoprodukte kurz vorstellt. Kreditverkäufe Kreditverkäufe sind auch als Forderungsverkäufe bekannt. Ein Kreditinstitut verkauft seinen Kreditvertrag an Dritte weiter. Dies ermöglicht dem Kreditinstitut eine zügige und kostengünstige Sanierung der Bilanzen. Zudem hat das Kreditinstitut die Möglichkeit sich schnell zu refinanzieren. Der Bundesgerichtshof verabschiedete 2008 das Risikobegrenzungsgesetz, welches den Verkäufer auffordert dem Käufer mehr Transparenz auf Grundlage der Informationspflicht anzubieten. Im Jahr 2010 wurden neue Anmerkungen von dem Bundesgerichtshof, bezüglich der Übernahme der Rechte aus dem ursprünglichen Kreditvertrag, eingeführt. 319 Kreditsyndizierung 320 Die Syndizierung erfolgt bei Krediten mit hoher Größenordnung, da das Gesamtkreditvolumen auf andere Banken verteilt wird. Die Form des Kredits wird als Konsortialkredit (oder als syndizierter 317 Vgl. Schierenbeck, H./ Lister, M./ Kirmße, S./ Kirmsse, S. [Ertragsorientiertes Bankmanagement, 2008], S. 203 ff. 318 Vgl. Brauweiler, H.-C. [Risikomanagement in Kreditinstituten, 2015], S. 9 319 Vgl. Hofmann, J./ Schmolz, S. [Controlling und Basel III in der unternehmenspraxis, 2014], S. 120 sowie Kern, M. [Kapitalmarktorientierter Kreditrisikotransfer, 2009], S. 55 320 Vgl. Everling, O./ Goedeckemeyer, K.-H. [Bankenrating, 2015], S. 76 f. <?page no="331"?> 9 Zur Anwendung des Ratings / Basel III / Basel IV im Rahmen neuerer Regulierungsvorschriften 331 Neue Betriebswirtschaft Kredit) bezeichnet. Bei einer Größenordnung von Großkrediten bzw. Millionenkrediten werden häufig Konsortialkredite verwendet, da sie melderechtliche Schwellen (insbesondere §13 KWG Großkredite) überschreiten. Für ein einzelnes Kreditinstitut ist es nicht möglich sehr hohe Kreditengagements selbstständig zu tragen, da diese mit viel Eigenkapital zu unterlegen sind und ein Ausfall dieser Größenordnung zur Insolvenz der Bank führen würde. Die Aufteilung des Gesamtkreditvolumens auf unterschiedliche und nicht konzernverbundene Kreditinstitute senkt das Risiko und die Eigenkapitalunterlegung. 321 Kreditverbriefungen 322 Kreditverbriefungen basieren auf dem Prinzip, dass illiquide nicht handelbare Vermögenswerte handelbar gemacht werden. Aus dem Kreditportfolio entnimmt das Kreditinstitut Forderungen aus dem Kreditgeschäft. Diese werden aus der ursprünglichen Kreditbeziehung abgetrennt und anschließend in marktfähige Wertpapiere umgewandelt. 323 Kreditderivate Kreditderivate sind Finanzkontrakte, welche dem Vertragspartner erlauben das Kreditrisiko eines Referenzschuldners zu isolieren und ihn damit handelbar zu machen, ohne dabei die vertragliche Beziehung zu verändern. Kreditderivate dienen zur Absicherung von Kreditrisiken, indem sie potenzielle Ausfälle neutralisieren. Häufig sind es OTC Produkte. 324 Literatur Backhaus, Klaus / Erichson, Bernd / Plinke, Wulff / Weiber, Rolf [Multivariate Analysemethoden, 2016]: Eine anwendungsorientierte Einführung. 14., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Berlin, Heidelberg: Springer Gabler. 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[Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, 2014], S. 13 <?page no="332"?> 332 Sugirtha Murugaiah und Wilhelm Schmeisser Neue Betriebswirtschaft Brauweiler, Hans-Christian [Risikomanagement in Kreditinstituten, 2015]: Eine Darstellung für Praktiker mit Fallbeispiel zum Liquiditätsrisiko, Wiesbaden: Springer Gabler (Essentials). Buchhart, Anton/ Burger, Anton [Risiko-Controlling, 2001] De Gruyter Oldenbourg (Lehr- und Handbücher der Betriebswirtschaftslehre). Budy, K.; Cremer, A.; Deng, G. [Der neue Kreditrisikostandardansatz,2015]: Mehr Risikosensitivität, mehr Komplexität, Hg. v. Deloitte, URL: https: / / www2.deloitte.com/ content/ dam/ Deloitte / de/ Documents/ financial-services/ WP%2065%20-%20Neuer%20KSA%20150611_neu.pdf, zuletzt geprüft am 11.01.2018. 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Einführung in die Thematik von Governance, Risk & Compliance Zahlreiche Unternehmenszusammenbrüche und -schieflagen haben den deutschen Gesetzgeber dazu bewogen die gesetzlichen Anforderungen an die Sorgfalts- und Aufsichtspflichten von Vorständen und Geschäftsleitung weiter zu verschärfen bzw. auszweiten. Damit Vorstand bzw. Geschäftsleitung ihren Sorgfalts- und Aufsichtspflichten sachgerecht nachkommen können, ist ein ganzheitliches Governance System im Unternehmen zu implementieren. Diese Anforderungen werden in einem „House of Governance“ in Abbildung 10-1 dargestellt (Gnändiger 2013, S. 183). Abbildung 10-1: House of Governance. Quelle Gnändiger (2013, S. 183) <?page no="340"?> 340 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Das „House of Governance“ besteht aus drei tragenden Säulen, die für eine erfolgreiche Unternehmensüberwachung erforderlich sind. Die Corporate Governance bildet den Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung des Unternehmens. Bei der Corporate Governance wird häufig in interne sowie externe Corporate Governance unterschieden. Zu der internen Corporate Governance zählen die Unternehmensführung durch den Vorstand, sowie die interne Überwachung durch den Aufsichtsrat, bzw. wenn dieser nicht vorhanden ist durch ein von den Inhabern eigerichtetes Aufsichtsgremium. Unterstützt wird der Aufsichtsrat bei seiner Überwachungsfunktion durch den Abschlussprüfer. Die externe Corporate Governance ist durch die Bereitstellung von verlässlichen Informationen durch das Unternehmen und der externen Überwachung durch die Aktionäre gekennzeichnet (Velte et al. 2013, S. 2). Damit Vorstand und Aufsichtsrat ihre Aufgaben sachgerecht erfüllen können, sind die folgenden Systeme - auch als Säulen der Corporate Governance bezeichnet - einzuführen: das Compliance-Managementsystem, das Risikomanagementsystem und das interne Kontrollsystem. Das Compliance-Managementsystem unterstützt die Unternehmensleitung dabei, die für das Unternehmen relevanten gesetzlichen Regelungen sowie die intern festgelegten Standards einzuhalten und Zuwiderhandlungen systematisch zu unterbinden. Dazu ist eine Compliance-Kultur zu schaffen, welche die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen, die auch durch die Geschäftsleitung gelebt werden definiert. Im nächsten Schritt sind die Compliance-Ziele festzulegen. Hierzu orientiert sich das Unternehmen an den Geschäftsbereichen bzw. den Geschäftsprozessen, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Auf dieser Basis können die Compliance-Risiken direkt bestimmt werden - dabei ergibt sich eine Schnittstelle zum Risikomanagement, dessen Aufgabe die systematische Erfassung und Bewertung aller für das Unternehmen relevanter Risiken sowie die Erarbeitung von adäquaten Strategien zur Steuerung bzw. Vermeidung dieser Risiken ist. Nach Gnändiger (2013, S. 185) sollten bei der allgemeinen Risikoerfassung die Compliance-relevanten Risiken explizit benannt und mit den geplanten Steuerungsmaßnahmen erfasst werden. Diese Risiken finden Eingang ins Compliance-Programm bzw. -handbuch. In diesem Zusammenhang werden auch die Verantwortlichkeiten für die Erfassung und Steuerung dieser Risiken sowie deren Kommunikation festgelegt (Compliance-Berichtswesen). Um die dauerhafte und ordnungsmäßige Funktionsweise des Compliance-Management- und Risikomanagementsystems zu gewährleisten, wird auf das interne Kontrollsystem zurückgegriffen. Dieses interne Kontrollsystem ist prinzipiell in jedem Unternehmen vorhanden und unterscheidet sich nur nach seinem Formalisierungsgrad. Ein solches internes Überwachungssystem unterstützt die Unternehmensleitung bei der generellen Steuerung und Überwachung der Unternehmensaktivitäten. Das interne Überwachungssystem wird dabei in prozessintegrierte (organisatorische Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen) und prozessunabhängige Überwachungsmaßnahmen (interne Revision) unterschieden (Gnändiger 2013, S. 186; Deloitte 2011, S. 8). Bei den prozessintegrierten Überwachungsmaßnahmen handelt es sich um permanente Aktivitäten, die in den jeweiligen Geschäftsprozessen integriert sind und von den verantwortlichen Mitarbeitern beachtet bzw. durchgeführt werden. Als organisatorische Sicherungsmaßnahme wären z. B. das IT-Berechtigungskonzept zu nennen sowie sämtliche Richtlinien und Arbeitsanweisungen. Die Kontrollen sind in den jeweiligen Arbeitsablauf bzw. Geschäftsprozess integrierte Maßnahmen, die von den verantwortlichen Mitarbeitern für diese Aktivitäten ausgeführt werden, um Fehler zu vermeiden oder Unrichtigkeiten aufzudecken. Als eine solche aufdeckende Kontrolle könnte z. B. die monatliche Abstimmung der Salden von der Debitorenbuchhaltung mit dem Hauptbuchkonto Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sein. <?page no="341"?> 10 Governance, Risk & Compliance 341 Neue Betriebswirtschaft Für die prozessunabhängige Überwachungsfunktion ist die interne Revision vorgesehen. Die interne Revision ist prozess- und funktionsunabhängig und überwacht durch fortlaufende Prüfung und Beurteilung das Interne Kontrollsystem (Gnändiger 2013, S. 186). Die interne Revision leitet ihre Feststellungen in Form eines Prüfungsberichts an die Unternehmensführung weiter. Dabei werden für festgestellte Mängel Verbesserungsmöglichkeiten sowie Lösungsvorschläge zu deren Umsetzung unterbreitet. Die Verantwortung für die Umsetzung dieser Maßnahmen zur Verbesserung des internen Kontrollsystems liegt jedoch bei der Unternehmensführung und diese Verantwortung kann nicht delegiert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Corporate Governance lediglich den konzeptionellen Rahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens bieten kann. Für eine wirkungsvolle und sachgerechte Steuerung und Überwachung der Unternehmensaktivitäten stellt das Risikomanagementsystem die Ausgangsbasis da. Nur wenn die Unternehmensleitung von den wesentlichen Geschäftsrisiken Kenntnis hat, können sachgerechte Maßnahmen zur Risikosteuerung ergriffen werden. Das Interne Kontrollsystem und das Compliance-Managementsystem können zur Dokumentation der vorgenommen Maßnahmen der Risikosteuerung genutzt werden. Daher werden diese Komponenten in den folgenden Unterabschnitten überblicksartig vorgestellt. Am Ende des Kapitels finden Sie dann noch Literaturhinweise für eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesen Themenkomplexen. Corporate Governance Definition von Corporate Governance In diesem Unterkapitel unternehmen wir den Versuch, den Begriff der Corporate Governance zu definieren und den Ausgangspunkt für die Corporate Governance Debatte in Deutschland zu erläutern. Wie Becker und Ulrich (2008, S. 261) feststellen, ist es der betriebswirtschaftlichen Literatur bisher nicht gelungen, eine einheitliche Definition der Corporate Governance zu entwickeln. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird in einer sehr engen Sichtweise von Corporate Governance die Sicherstellung der Rückzahlung der Kapitaleinlage an die Aktionäre einer Kapitalgesellschaft verstanden („Residualanspruch“; vgl. Shleifer und Vishny 1997, S. 737). In dieser engen Sichtweise wird also nur die Beziehung von den Eigentümern bzw. Aktionären, die als Shareholder bezeichnet werden und der Gesellschaft als solcher, vertreten durch ihre Geschäftsleitung verstanden. Weitergefasste Definitionen sprechen von einer nachhaltigen oder guten Unternehmensführung. Folgt man einer solchen weiten Definition wird deutlich, dass die Corporate Governance sich auch um die übrigen Interessenbzw. Anspruchsgruppen der Unternehmung - wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und andere Gläubigern (den sogenannten Stakeholdern ) - kümmert. Diese breite Definition verdeutlicht den Schwerpunkt auf folgenden Aspekten: Einführung einer wertorientierten Unternehmensführung, damit der Unternehmenserfolg nachhaltig gesteigert werden kann, Veränderung der Organisationsstrukturen um diese nachhaltige Wertsteigerung umzusetzen und Gestaltung von anreizkompatiblen Vergütungssystemen für angestellte Führungskräfte (Becker und Ulrich 2008, S. 261). Beiden Definitionen ist gemeinsam, dass Leitung und Kontrolle von Unternehmen, sowie die Akteure, die diese Kontrollen ausüben, im Zentrum der Betrachtung stehen (Becker et al. 2009, S. 6). Da die Principal-Agent-Theorie als Ausgangspunkt der Corporate Governance Debatte zu sehen ist, wird dieses Konzept nachfolgend kurz beschrieben Die Principal-Agent-Theorie hat ihren Ursprung in der Arbeit von Berle und Means (1932). Bei großen Kapitalgesellschaften besteht häufig eine Trennung von Eigentum und Leitung der Gesellschaft. <?page no="342"?> 342 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Berle und Means (1932) führen aus, dass mit zunehmender Unternehmensgröße die Komplexität der Kapitalgesellschaft zunimmt und daher externe Geschäftsführer - sogenannte Agents oder Manager - eingestellt werden müssen, um eine optimale Führung der Gesellschaft zu gewährleisten. Da der Eigentümer (Principal) eines Unternehmens dann nicht mehr in Geschäftsleitung und Vertretung des Unternehmens involviert ist, entsteht ein Informationsdefizit. Dieser angestellte Manager hat damit einen Informationsvorsprung gegenüber dem Eigentümer, was in der Literatur als Informationsasymmetrie bezeichnet wird. Diesen Informationsvorsprung versuchen nun die Manager zu ihrem Vorteil zu nutzen. Daher benötigen die Eigentümer ein System, welches in der Lage ist, die Informationsasymmetrien abzubauen und eine Überwachung der Manager ermöglicht, damit ihr Handeln im Sinne der Eigentümer erfolgt. Die Kontroll- und Steuerungsmechanismen der Corporate Governance können ein solches System für die Anteilseigener bereitstellen (Becker und Ulrich, 2008, S. 262). Ein wesentlicher Aspekt, der mit den Kontroll- und Steuerungsmechanismen verbunden ist, ist das Entstehen sogenannter Agenturkosten. Dabei handelt es sich zum einen um die Kontrollkosten der Principals und zum anderen um die Signalisierungskosten der Agents. Die Kontrollkosten entstehen dadurch, dass der Principal die Handlungen des Agents überwachen muss. In diesem Zusammenhang wäre zum Beispiel die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen unabhängigen Dritten - den Wirtschaftsprüfer - zu nennen. Mit Hilfe des Jahresabschlusses gibt das angestellte Management (also die Agents) Auskunft über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. In Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmensgröße ist der Jahresabschluss freiwillig oder gesetzlich vorgeschrieben von einem Wirtschaftsprüfer zu prüfen. Durch diese Beauftragung des Wirtschaftsprüfers entstehen dem Principal Kontrollkosten, die natürlich auf der anderen Seite zu einer besseren Absicherung und Disziplinierung des Agents führen. Die Signalisierungskosten des Agents entstehen zum Beispiel dadurch, dass dieser seinerseits versucht, die Informationsasymmetrie und die damit verbundenen Kontrollen durch den Principal zu reduzieren. Eine solche Reduzierung dieses Informationsvorsprungs könnte u. a. dadurch erreicht werden, dass die Informationspolitik und das Berichtswesen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage verbessert wird und die Eigentümer somit einen verbesserten Einblick in die Erfolgssituation des Unternehmens erhalten. Somit können Unternehmen mit guter Ergebnissituation aufgrund dieser verbesserten Transparenz weitere Aktionäre und Kapitalgeber gewinnen, was sich langfristig auch positiv für die Unternehmenswertentwicklung auswirken kann. Nach Jensen und Meckling (1976) sowie Fama und Jensen (1983) wird von einer positiven Principal- Agent-Theorie immer dann gesprochen, wenn die jeweiligen Agenturkosten so gering wie möglich gehalten werden. Die Etablierung eines Corporate Governance Mechanismus kann also zu einer solchen Optimierung der Agenturkosten beitragen (Becker und Ulrich 2008, S. 262). Die Principal-Agent-Theorie wurde vermehrt in jünger Zeit als nicht ausreichend zur Erklärung der Corporate Governance Theorie kritisiert (Hilb 2009 S. 5; Becker und Ulrich 2008, S. 263). Zum einen weist diese Theorie wenig Flexibilität auf und es muss mehr als kritisch gesehen werden, dass Manager sich immer opportunistisch verhalten und die Eigentümer nur an einer Steigerung des Unternehmenswertes interessiert sind. 10.2.2 Corporate Governance Systeme Im Rahmen der Corporate Governance Debatte werden zwei grundsätzliche Ansätze zur Unternehmenssteuerung und -überwachung unterschieden. Entwickelt wurden diese Ansätze jeweils für große, börsennotierte Aktiengesellschaften. Im Folgenden werden beide Ansätze mit ihrer grundlegenden Struktur vorgestellt und anschließend auf ihre Praktikabilität bzw. Einsatzfähigkeit untersucht. Nach dem Shareholder-Ansatz besteht die Hauptaufgabe der Manager (Agents) der Maximierung der Gewinne für die Eigentümer (Shareholder). <?page no="343"?> 10 Governance, Risk & Compliance 343 Neue Betriebswirtschaft Nach der Principal-Agent Theorie ist der Agent daher verpflichtet diese Gewinnmaximierung für die Eigentümer sicherzustellen. Den Ursprung hat dieses Modell im Anglo-Sächsischen Raum genommen und weist damit auch eine andere Gestaltung der Aufsichtsorgane der Gesellschaften auf. Beim Shareholder-Modell gibt es nur ein Aufsichts- und Leitungsorgan, das sogenannte Board. Dieses Board wird mit angestellten Managern besetzt (sogenannte Executives), die zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt und verpflichtet sind. Die übrigen Board- Mitglieder, also die Nicht-Geschäftsführenden Mitglieder (sogenannte Non-Executive Directors) sind mit der Überwachung der Geschäftsleitung, also der angestellten Manager, beauftragt. Die Non-Executive Directors sollten zum Zeitpunkt der Berufung in das Board keine wirtschaftlichen oder rechtlichen Beziehungen zum Unternehmen haben, in dem sie ihre Aufsichtstätigkeit ausüben. Der Ein-Board Struktur liegt der Gedanke zugrunde, dass eine effiziente Geschäftsführung und Überwachung durch nur ein Board leichter umzusetzen ist. Insbesondere die Information und Kommunikation zwischen den Board-Mitgliedern wird erleichtert. Darüber hinaus werden sogenannte Ausschüsse (Committees) eingerichtet, um die Boards nicht mit Arbeit zu überlasten. Insbesondere werden Ausschüsse für Prüfungsangelegenheiten wie die Jahresabschlussprüfung sowie die Auswahl und Berufung von neuen Boardmitgliedern und die Festlegung der Vergütung für die Executive Directors gebildet. Diese Ausschüsse werden zur überwiegenden Zahl mit Non- Executive Directors besetzt. Die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE) eröffnet die Möglichkeit sich auch in Deutschland für das international verbreitete System der Führung durch ein einheitliches Leitungsorgan zu entscheiden. Die Ausgestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung wird bei der Europäischen Gesellschaft durch eine Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung und der Arbeitnehmerseite festgelegt. (vgl. DCGK 2017, S. 1-2). Diese vorgestellte Struktur des Aufsichtsorgans ist für große börsennotierte Kapitalgesellschaften entwickelt worden. Kleinere mittelständische Kapitalgesellschaften sind natürlich auch dazu verpflichtet, ein solches Board einzurichten, aber hinsichtlich der Besetzung mit Blick auf Anzahl und Verhältnis von Executive Directors/ Non-Executive Directors bestehen Erleichterungen. In Klein- und Mittelständischen Unternehmen tauchen auf Grund der engen Verflechtung von Eigentümern und Geschäftsleitung in wesentlich geringerem Umfang die typischen Interessenkonflikte aus der Agent-Theorie auf. Der Principal (Eigentümer) und der Agent (Geschäftsleitung) sind bei kleinen Mittelständischen Unternehmen häufig in einer Person vereint. Bei diesen eigentümergeführten Unternehmen spielen daher die Non-Executive Directors keine so starke Rolle wie in KMU mit überwiegend angestellter Geschäftsleitung und geringer Vertretung der Eigentümer in der Geschäftsleitung. Während beim Shareholder-Ansatz das Interesse der Eigentümer und damit die Maximierung des Unternehmenswertes im Vordergrund steht, wird beim Stakeholder-Modell die Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Interessen aller Stakeholder, also aller Anspruchsgruppen, berücksichtigt (Spielmann 2012, S. 83). Nach Freeman (1984), Evan und Freeman (1988) und Blair (1995) ist es die Hauptaufgabe, das Vermögen aller Stakeholder zu maximieren. Zu den Stakeholdern zählen neben den Eigentümern die Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter bzw. Gewerkschaften, Kunden, Lieferanten, der Staat sowie die lokale Gemeinschaft, in die das Unternehmen eingebunden ist. Die Stakeholder-Theorie erweitert die Agency-Theorie bzw. den Shareholder-Ansatz auf alle Anspruchsgruppen. Zentrales Thema ist nach wie vor die Informationsasymmetrie, die jetzt auf die Gruppen Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten usw. ausgeweitet wird. Das Agency-Problem wird jetzt universeller gesehen (Spielmann 2012, S. 83), ist allerdings nicht hundertprozentig mit der Stakeholder-Agent-Beziehung identisch bzw. zu vergleichen, da die Eigentümer zwar die Geschäftsleitung (Agents) ernennen, aber nicht die übrigen Stakeholder. Das Unternehmen wird somit zur Koalition von verschiedenen Interessengruppen, die unterschiedliche Zielvorstellungen haben. Die Herausforderung besteht damit im Lösen von Zielkonflikten zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen. <?page no="344"?> 344 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Dazu wirkt das Board als Koordinator zwischen den Anspruchsgruppen und versucht, die verschiedenen Interessen mit den firmeninternen Zielen in Einklang zu bringen. Dies erfordert von den Board- Mitgliedern ein fundiertes Wissen über das Unternehmen und dessen Anspruchsgruppen sowie eine gute Beziehungs-Pflege. Daher sollen die Vertreter der wichtigsten Anspruchsgruppen einen Sitz im Board erhalten, damit sie ihre Aufgaben wirksam erfüllen können (Spielmann 2012, S. 85). Aus dieser Sichtweise hat sich das zweistufige Modell von Aufsichtsrat und Vorstand für Aktiengesellschaften in Deutschland entwickelt. Der Aufsichtsrat fungiert als Kontrollgremium und ist zur Überwachung der Geschäftsleitung (Vorstand) verpflichtet. Der Aufsichtsrat umfasst je nach Unternehmensgröße Arbeitnehmervertreter, Betriebsrat bzw. Gewerkschaftsvertreter und je nach Gesellschafterstruktur Vertreter aus diesen Reihen. Um seine Kontrollaufgaben besser ausführen zu können, kann der Aufsichtsrat Ausschüsse bilden, an die entsprechende Aufgaben zur Überwachung delegiert werden können. Solche Ausschüsse können z. B. für Abschlussprüfung, Nominierung von neuen Vorstandsmitgliedern gebildet werden. Aufgrund der Tragweite der Jahresabschlussprüfung bei börsennotierten Aktiengesellschaften sind diese sogar verpflichtet einen Prüfungsausschuss einzurichten, der sich schwerpunktmäßig mit der Jahresabschlussprüfung und der Kommunikation zwischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und dem Unternehmen auseinandersetzt. In diesem Prüfungsausschuss muss mindestens ein Mitglied mit ausreichenden Kenntnissen aus diesem Bereich vertreten sein. Der Vorstand wird durch den Aufsichtsrat gewählt und bestimmt. Die Vorstandmitglieder sind mit Arbeitsvertrag angestellt und zur Vertretung der Gesellschaft nach außen berechtigt und verpflichtet. Positiv wird an diesem zweistufigen System die klare Trennung von Geschäftsleitung und Überwachung der Gesellschaft gesehen. Kritisch wird in der Literatur der erhöhte Abstimmungsbedarf zwischen den beiden Gremien angesehen. Als weiteres kritisches Element wird die Unabhängigkeit von Mitgliedern des Aufsichtsrates gesehen. Anders als beim einstufigen Boardsystem, bei dem die Non-Executive Directors keine wirtschaftlichen bzw. rechtlichen Beziehungen zum Unternehmen unterhalten dürfen, sind diese Regelungen beim zweistufigen System nicht so streng formuliert. 10.2.3 Rechtliche Grundlagen und Empfehlungen zur Corporate Governance Einen wesentlichen Meilenstein in der deutschen Corporate Governance Debatte stellt die Entwicklung und Herausgabe des Deutschen Corporate Governance Kodex dar. Der Deutsche Corporate Governance Kodex präsentiert die wesentlichen gesetzlichen Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften und enthält darüber hinaus internationale und nationale Standards für verantwortungsvolle Unternehmensführung (DCGK 2017, S. 1; Gnändiger 2013, S. 182). Der Kodex verfolgt das Ziel, das deutsche Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar zu machen. Weiterhin soll das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften gestärkt werden (DCGK 2017, S. 1). Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtungen von Aufsichtsrat und Vorstand börsennotierter Gesellschaften und wird in jährlichen Zeitabständen an aktuelle Entwicklungen angepasst. Von seiner generellen bzw. grundsätzlichen Systematik her ist der deutsche Corporate Governance Kodex nach dem Vorbild des englischen Coporate Governance Code gestaltet. Es gilt der sogenannte „comply or explain“-Ansatz. Dies bedeutet, dass die zu berichtende Gesellschaft grundsätzlich von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex abweichen kann. Falls eine solche Abweichung vorgenommen wird, ist diese zu begründen und die abweichende Handhabung bzw. Verfahrensweise zu erläutern. Dies ermöglicht den Gesellschaften die Berücksichtigung branchen- oder unternehmensspezifischer Gegebenheiten. Somit trägt dieser Kodex gleichzeitig zur Flexibilisierung und Selbstregulierung der deutschen Unternehmensverfassung bei (DCGK, 2017, S. 2). Bei den Regelungsinhalten können drei verschiedene Stufen unterschieden werden: Anregungen <?page no="345"?> 10 Governance, Risk & Compliance 345 Neue Betriebswirtschaft Empfehlungen gesetzliche Vorschriften. Anreg ung en sind Hinweise, von denen ohne weitere Erläuterung, also ohne Offenlegung im Jahresabschluss, abgewichen werden kann. Dies kommt bei den jeweiligen Stellen im Corporate Governance Kodex durch das Wort „sollte“ zum Ausdruck. Von den Empfehlung en des Corporate Governance Kodex können die Unternehmen abweichen. Sie sind jedoch verpflichtet, jede Abweichung offen zu legen und zu begründen, warum von dem jeweiligen Standard abgewichen wurde. Im Corporate Governance Kodex wird für diese Empfehlungen das Wort „soll“ verwendet. Zusätzlich enthält der Corporate Governance Kodex Beschreibungen und Erläuterungen von wichtigen g esetzlichen Vorschriften vor allem aus dem Aktien- und Handelsgesetzbuch, die im Rahmen der deutschen Corporate Governance zu berücksichtigen sind. Der Deutsche Corporate Governance Kodex richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften und Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang im Sinne des § 161 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes. Auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften wird die Beachtung des Kodex empfohlen (DCGK 2017, S. 2). Die Beachtung des Corporate Governance Kodex wird auch anderen Unternehmen empfohlen, da die gesetzlichen Regelungen des Aktiengesetzes zur Corporate Governance wegen der Strukturähnlichkeit auch für die GmbH gelten. Nach Gnändiger (2013, S. 183) gelten diese Empfehlungen grundsätzlich auch für Personengesellschaften und Einzelunternehmen. Insbesondere sind diese Regelungen dann von Bedeutung, wenn die Zusammensetzung des Geschäftsleitungsorgans überwiegend durch angestellte Geschäftsführer bzw. Manager erfolgt. Wie empirische Studien aus Deutschland belegen, ist mit zunehmender Unternehmensgröße eine deutliche Verschiebung von der eigentümergeführten zu einer fremdgeführten Geschäftsleitung festzustellen (Spielmann 2012; Durst und Henschel 2014). Die börsennotierten Gesellschaften sind gem. § 289a HGB dazu verpflichtet, ein Corporate Governance-Statement (-erklärung) zu erstellen und dieses offen zulegen. Die Erstellung dieses Statements muss durch den Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam erfolgen, wobei sich jedes Organ nur zu den in § 289a HGB geforderten Angaben äußert, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen (Velte et al. 2013, S. 28). In der Entsprechungserklärung nach § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat zu erklären, ob sie den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex folgen und die Abweichungen von diesen Empfehlungen sind zu begründen. Unter den relevanten Angaben zu den Unternehmensführungspraktiken sind Aussagen zu den umgesetzten Anregungen des Corporate Governance Kodex zu berichten sowie eine Beschreibung des internen Steuerungssystems des Unternehmens (Velte et al. 2013, S. 28) darzulegen. Darüber hinaus sollte berichtet werden, welche unternehmensindividuellen Regelungen bzw. Kodizes zur Anwendung gelangen. Hierunter sind z. B. interne Verhaltensanweisungen (Code of Conduct) zu verstehen oder Anforderungen an die Besetzung von Organmitgliedern. Hinsichtlich der Darstellung und Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat macht der Corporate Governance Kodex keine konkreten Angaben. Nach Velte et al. (2013) werden unter der Arbeitsweise die internen Abläufe im Unternehmen verstanden, die unter anderem in der Geschäftsordnung niedergelegt sind. Als Hilfestellung für die berichtrelevanten Tatbestände kann auf die Empfehlungen der EU-Kommission zurück gegriffen werden. Dabei sollte zu folgenden Punkten Stellung genommen werden: Interne Organisation und Arbeitsweise der Leitungs- und Aufsichtsorgane, Erklärung zu den einzelnen Mitgliedern der jeweiligen Leitungs- und Aufsichtsorgane, sowie zur Anzahl der Sitzungen und Haupttätigkeiten, Umgang mit Risiken und Interessenskonflikten sowie die Unternehmensstrategie, Darstellung des Idealprofils der Aufsichtsratsbesetzung und Entsprechung durch die Offenlegung der bei den einzelnen Mitgliedern vorhandenen Kompetenzen sowie die Benennung aller als unabhängig erachteten Aufsichtsratsmitglieder. <?page no="346"?> 346 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Im Zusammenhang mit der Besetzung des Aufsichtsrat von börsennotierten Kapitalgesellschaften wird durch das BilMoG gefordert, dass dem Aufsichtsrat mindestens ein unabhängiges Mitglied angehört, welches über ausreichenden Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt. Alternativ erlaubt das BilMoG in § 324 Abs. 1 HGB und § 107 Abs. 3 (2) AktG auch die Einrichtung eines Prüfungsausschusses der sich mit den Fragen zur Rechnungslegung und Abschlussprüfung beschäftigt. Dies soll zu einer Verbesserung der Qualität der Unternehmensüberwachung beitragen. Hinsichtlich der Bekanntmachung des Corporate Governance-Statement besteht für die Unternehmen ein Ausweiswahlrecht. Das Corporate Governance-Statement kann entweder im Lagebericht mit einem gesonderten Abschnitt ausgewiesen werden oder auf der Homepage des Unternehmens veröffentlicht werden. Bei einer Bekanntgabe auf der Homepage des Unternehmens ist jedoch auf die Internetquelle im Lagebericht des Unternehmens hinzuweisen (vgl. § 289a Abs. 1 HGB). Der Deutsche Corporate Governance Kodex gliedert sich in sechs Bereiche: Aktionäre und Hauptversammlung Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat Vorstand Aufsichtsrat Transparenz Rechnungslegung und Abschlussprüfung. Laut von Werder und Bartz (2017) sind im Corporate Governance Kodex nach einer längeren Phase ohne nennenswerte materielle Neuregelungen im Jahr 2017 einige substantielle Erweiterungen erfolgt. So wurden z.B. erstmals Regelungen zur Einrichtung eines Whistleblowing-Systems für Beschäftigte und Dritte, zum Kompetenzprofil für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, zur Benennung der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder und zur Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden im Dialog mit den Investoren hinzugefügt. Für Mittelständische Unternehmen gibt es keinen separaten Corporate Governance Kodex. Allerdings wurde im Jahr 2004 von der INTES Akademie für Familienunternehmen und der Welt Am Sonntag der erste Governance Kodex für Familienunternehmen herausgegeben. Erklärtes Ziel dieses Kodex ist es, Familienunternehmen einen verlässlichen Rahmen für die Gestaltung und Verbesserung ihrer Governance-Strukturen zu geben (INTES, 2015, S. 2). Dieser Kodex wird ständig weiterentwickelt und verbessert. Der aktuelle Kodex kann online unter dem folgenden Web- Link www.kodex-fuer-familienunternehmen.de abgerufen werden. Von der Systematik her unterscheidet der Governance Kodex für Familienunternehmen ähnlich wie der Deutsche Corporate Governance Kodex bei seinen Verlautbarungen in Empfehlungen, die für eine gute Corporate Governance unverzichtbar sind, was mit der Formulierung „soll“ zum Ausdruck gebracht wird. Bei der Formulierung „es wird empfohlen“ handelt es sich dagegen um Empfehlungen, von denen in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden kann (INTES 2015, S. 4). Risikomanagement 10.3.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs Risiko und Risikomanagement Der Begriff Risiko wird in der Betriebswirtschaftslehre nicht einheitlich definiert. Einigkeit besteht darin, dass Risiko als etwas Negatives angesehen wird und damit subjektiv unsichere Entwicklungen ausgedrückt werden sollen. Das Spektrum der in der Betriebswirtschaftslehre angewandten Definitionen 325 reicht dabei von Risiko als Synonym für quantifizierbare, d. h. messbare Unsicherheit 325 Für eine ausführliche Zusammenstellung und Abgrenzung der in der betriebswirtschaftlichen Literatur verwendeten Risikobegriffe vgl. die Arbeit von Kessler (2000, S. 40). <?page no="347"?> 10 Governance, Risk & Compliance 347 Neue Betriebswirtschaft (vgl. Knight 1921, S. 20) bis zu komplexen Risikomassen wie dem Maß für „spekulatives Risiko” von Leitner (vgl. Leitner 1915, S. 95). Im vorliegenden Kapitel wird Risiko als die aus einer Entscheidung resultierende Verlustgefahr verstanden. In diesem Sinne wird Risiko häufig auch als spekulatives Risiko i.e.S. bezeichnet (vgl. Abbildung 10-2). Als Verluste werden dabei Nettovermögensminderungen angesehen (vgl. Baetge und Jerschensky 1999, S. 171). Abbildung 10-2: Systematik des Risikobegriffs. Quelle: in Anlehnung an Kless (1998, S. 93) und Münzel und Jenny (2005, S. 29) Die Übernahme von Risiken in diesem (letzteren) Sinne ist ein wesensbestimmendes Merkmal jedweder unternehmerischer Tätigkeit. Ein Unternehmen muss die von ihm bereits eingegangen Risiken identifizieren, messen und steuern, wenn es seinen Bestand langfristig sichern will (vgl. Hahn 1987, S. 139). Ziel des Risikomanagements ist es daher, die bereits bestehenden und die künftig entstehenden Risiken eines Unternehmens so zu steuern und zu regeln, dass der Wert eines Unternehmens durch die Verringerung von Risiken bei weiter bestehenden Ertragschancen gesteigert wird. Außerdem ist sicherzustellen, dass die Risikoposition eines Unternehmens - d. h. die Gesamtheit der von einem Unternehmen eingegangen Risiken - dessen Risikotragfähigkeit nicht übersteigt. Die Risikotragfähigkeit ist die Fähigkeit des Unternehmens, Verluste aus eingetretenen Gefahren tragen zu können, ohne insolvent zu werden. Risikomanagement ist somit eine wichtige Facette einer wertorientierten Unternehmensführung (vgl. Baetge und Jerschensky 1999, S. 172; Dickinson 2001, S. 360). 10.3.2 Organisation des Risikomanagements Bevor wir uns dem Prozess des Risikomanagement und damit auch der operativen Ebene zuwenden, sollen zunächst die Fragen der organisatorischen Eingliederung des Risikomanagement näher betrachtet werden. Der Erfolg des Risikomanagement-Systems hängt wesentlich davon ab, ob geeignete Voraussetzungen in der Aufbau- und Ablauforganisation des Unternehmens geschaffen werden. Ehrmann (2012, S. 162 ff) definiert dafür folgende Fragestellungen: Einflussfaktoren wie Unternehmensgröße, -art, Rechtsform, Struktur, Intentionen des Managements; Start top down, d. h. der Anstoß zum Aufbau und zur Durchführung des Risikomanagements muss stets von der Unternehmensführung ausgehen; organisatorische Einordnung, d. h. Aufbau- und Ablauforganisation sowie Fragen zur Zentralisation bzw. Dezentralisation; spekulatives Risiko Risiko i. e. S. „Gefahr" Risiko i. w. S. „Chance" Risiko echtes/ versicherbares Risiko (Gefahr/ Bedrohung) <?page no="348"?> 348 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Zuordnung der Aufgaben auf die Aufgabenträger; Nutzung vorhandener Instrumente, wie z. B. der Unternehmensplanung oder Balanced Scorecard für das Risikomanagement. Aus diesen Fragestellungen werden wir nun die organisatorische Einordnung näher betrachten. Auf die Zuordnung der Aufgabenverantwortung wird anschließend eingegangen. Bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hat Fayol in seinen allgemeinen Organisationsprinzipien beschrieben, dass die Zentralisierung natürlicher Bestandteil jeder Organisation ist, das optimale Ausmaß jedoch für jedes Unternehmen individuell gefunden werden muss (vgl. Fayol 1929, S. 19 ff). Im Zuge der Zentralisation werden gleichartige Aufgaben zentral zusammengefasst. Dieses Vorgehen bringt sowohl Vorals auch Nachteile mit sich (vgl. Ehrmann 2012, S. 166): Vorteile Nachteile Konsequente Durchsetzung des Leitungswillens Konzentration des Einflusses Straffung der Aufgabenerfüllung Verhinderung von Kompetenzstreitigkeiten Vermeidung von Doppelbzw. Mehrarbeit Räumliche Konzentration Behinderung der Initiativfreudigkeit der Mitarbeiter Überlastung der Zentralinstanzen Brachliegen von Spezialwissen Verlängerung des Weges von der Entscheidung zur Ausführung Gefahr der verspäteten Reaktion auf Veränderungen Bei einer Dezentralisation werden hingegen gleichartige Aufgaben dezentral, d. h. in verschiedenen Abteilungen, auf verschiedenen Stellen, oder an unterschiedlichen Standorten ausgeführt. Daraus resultieren die folgenden Vor- und Nachteile (vgl. Ehrmann 2012, S. 166): Vorteile Nachteile Wissen und Kenntnisse der Mitarbeiter werden besser genutzt Förderung der Selbstständigkeit und damit der Motivation der Mitarbeiter Erleichterung der Anpassung an Umweltveränderungen Entlastung der Zentraleinheiten Gefahr von Doppelbzw. Mehrarbeit und damit Unwirtschaftlichkeit Bereichsegoismus mangelnder Überblick in den dezentralen Einheiten Verlängerung des Weges von der Entscheidung zur Ausführung Gefahr von Informationslücken bei den Zentraleinheiten Wie Sie erkennen können, heben sich die Vor- und Nachteile teilweise gegeneinander auf. Wie soll nun das Risikomanagement am besten organisiert werden? Ehrmann (2012, S. 166) verweist auf empirische Studien in europäischen Ländern, nach denen wichtige Risikomanagement-Funktionen mehrheitlich dezentral ausgeübt werden. Diese Tatsache scheint auf der Logik zu beruhen, dass Risiken auf Entscheidungsebene entstehen und damit jeder Mitarbeiter, der mit Entscheidungen betraut ist, im Grunde auch Risikomanager sein muss, da <?page no="349"?> 10 Governance, Risk & Compliance 349 Neue Betriebswirtschaft er seinen Arbeitsbereich am besten kennt, somit Risiken schnell erkennen und einschätzen und Lösungen einleiten kann (vgl. Ehrmann 2012, S. 167). Natürlich treffen die vorstehend aufgezählten Nachteile einer dezentralen Organisation auch auf das Risikomanagement zu. So kann es vorkommen, dass ein Mitarbeiter ein Risiko aus seinem Entscheidungsbereich nicht erkennt, da er die Gesamtzusammenhänge nicht kennt oder nicht erkennt. Daher ist es wichtig, bei der Entscheidung über Zentralisation vs. Dezentralisation die Vor- und Nachteile unternehmensindividuell gegeneinander abzuwägen. Ev. stellen Lösungsansätze wie die abgemilderte Form der Zentralisierung (vgl. Ehrmann, 2012, S. 168) einen interessanten Kompromiss dar. An dieser Stelle möchten wir noch auf einige praktische Implikationen hinweisen. Häufig werden gerade kleinere und mittlere Unternehmen das Risikomanagement als Stabsstelle der Unternehmensführung einrichten. Bei dieser Entscheidung sollten sich die Unternehmen nicht nur an den Vorteilen wie Unabhängigkeit, Expertenwissen und Entlastung der Führungsinstanz orientieren, sondern sich auch der negativen Aspekte von Stabsstellen (keine Weisungsbefugnisse, häufig Konflikte zwischen Stab und Linie, Gefahr der Schattenhierarchie) bewusst sein. Mitunter wird die Auffassung vertreten, dass die interne Revision Aufgaben des Risikomanagement übernehmen sollte. Dies ist jedoch als kontraproduktiv anzusehen, da die originäre Aufgabe der internen Revision in der Kontrolle der Eignung und des fehlerfreien Funktionieren der Systeme (also hier dem Risikomanagementsystem) liegt. Wie bereits angesprochen, stellt die Zuordnung von Aufgaben und Verantwortungen einen wesentlichen Aspekt der organisatorischen Handhabung des Risikomanagements im Unternehmen dar. Da Risiken und Chancen in nahezu allen Unternehmensbereichen bei nahezu allen Mitarbeitern eine Rolle spielen, muss die Unternehmensführung überlegen, wie all diese Mitarbeiter strukturiert und effizient am Prozess des Risikomanagement teilnehmen können. Ehrmann (2012, S. 170) schlägt dazu ein schrittweises Vorgehen vor, bei dem zuerst Risikofelder mit den jeweiligen Aufgabenträgern identifiziert werden. Im zweiten Schritt werden dann die Einzelaufgaben detailliert aufgeführt. Abbildung 10-3 veranschaulicht dieses Vorgehen. GF = Geschäftsführung, B = Bereichsleitung, C = Controlling Abbildung 10-3: Aufgabenzuordnung in den Risikofeldern. Quelle: in Anlehnung an Ehrmann 2012, S. 171 Aus Abbildung 10-3 wird zum einen ersichtlich, dass sich die Verantwortung der Unternehmensleitung in vielen Risikofeldern über die Aufgaben Identifikation, Evaluation und Steuerung erstreckt. Damit wird nochmals verdeutlicht, dass das Risikomanagement stets einen wesentlichen Aspekt der Unternehmensführung darstellt. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass das Controlling häufig unterstützende Funktionen im Risikomanagement übernimmt. Da das Controlling selbst ein recht junger Funktionsbereich in den Unternehmen ist, bestehen auch heute noch Auffassungsunterschiede zur Gestaltung und Position. Auch bei der organisatorischen Einordnung des Control- Schritt 1 Identifikation der Risikofelder Identifikation GF, B, C GF, B, C GF, B, C, M GF, B, C, M GF, B, C, M B, C, M Evaluation GF, B, C GF, B, C GF, B, C, M GF, B, C, M Aufgabenzuordnung Schritt 2 Steuerung GF, B GF, B GF, B GF, B GF, B B, M Strateg. Risiken Marktrisiken Finanzrisiken Personalrisiken Vertragsrisiken sonstige Risiken <?page no="350"?> 350 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft lings müssen sich die Unternehmen ähnliche Gedanken wie im Risikomanagement zu Zentralisation vs. Dezentralisation machen. Größtenteils besteht Konsens, dass das Controlling geradezu prädestiniert ist, die speziellen Aufgaben eines Teilbereichs des Risikomanagement, nämlich des Risikocontrollings, zu übernehmen. Zu den Aufgaben des Risikocontrollings zählt zum einen die koordinierte Überwachung sämtlicher Unternehmensrisiken. Darüber hinaus sollen die Auswirkungen aktuell existierender und möglicher zukünftiger Risiken in das im Unternehmen bestehende Planungs- und Kontrollsystem integriert werden (Ehrmann, 2012, S. 176). Dies wird ebenfalls aus Abbildung 10-3 ersichtlich. Das Controlling kann bei Identifikation und Evaluation unterstützen, jedoch nur indirekt bei der Risikobewältigung. Unabhängig von der gewählten organisatorischen Eingliederung, sind im Rahmen des Risikomanagement eine Vielzahl von Einzelaufgaben zu bewältigen, die in die Komplexe konstitutive Aufgaben (dienen der Systembildung und -erhaltung) strategische Aufgaben (Umgang mit strategischen Risiken) operative Aufgaben (primärer Fokus sind die Risiken aus dem operativen Geschäft) gegliedert werden können. Aufgabe der Unternehmensführung ist es, gemäß Abbildung 10-3 die geeigneten Aufgabenträger zu identifizieren. Im Rahmen der Organisation des Risikomanagements ist weiterhin von der Unternehmensleitung die grundsätzliche Strategie zur Risikobewältigung festzulegen. Die operativen Bereiche müssen Mitarbeiter bestimmen, die für die Risikoerfassung und -bewertung sowie die Steuerung der Risiken verantwortlich sind. Nach Oehler und Unser (2001) stehen als Maßnahmen zur Steuerung und Regelung des Risikos in einem Unternehmen die folgenden vier Strategien zur Verfügung: [1] Risikovermeidung [2] Risikoverminderung [3] Risikoüberwälzung [4] Risikotragung oder -übernahme Ehrmann (2012) schlägt mit der Risikodiversifikation eine weitere Strategie vor, die von anderen Autoren unter der Kategorie Risikotragung subsumiert wird. Von den ersten vier Strategien können nach Smallman (1996, S. 14) je zwei zu einer ursachenbezogenen Risikopolitik (1 und 2), die an den Risiken selbst ansetzt (proaktives Risikomanagement), und einer wirkungsbezogenen Risikopolitik (3 und 4), die die Auswirkungen von eingetretenen Risiken begrenzt (reaktives Risikomanagement), zusammengefasst werden. Auch die Diversifikationsstrategie kann - aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit der Risikotragung-Strategie - zum reaktiven Risikomanagement gezählt werden. In den meisten Unternehmen mit proaktivem Risikomanagement werden alle genannten Instrumente mit unterschiedlicher Gewichtung eingesetzt. Wie ein solcher Risikostrategie-Mix aussieht, hängt von der Risikopräferenz des Unternehmens bzw. seiner Leitung und Art der Geschäftstätigkeit ab (vgl. Baetge und Jerschensky 1999, S. 173). Nachfolgend ein kurzer Überblick über die Ziele der einzelnen Strategien: Risikovermeidung bedeutet in der Regel, eine unternehmerische Chance nicht wahrzunehmen. Somit verzichtet das Unternehmen gänzlich auf risikobehaftete Geschäfte. Auf diese Weise kann das Risiko überhaupt nicht entstehen. Die Risikovermeidung sollte allerdings nur auf einzelne Risiken angewendet werden, da bei der Risikovermeidung zwar kein Risiko entsteht aber auch gleichzeitig, zumindest für systematische Risiken, auch auf mögliche Gewinnchancen verzichtet wird und das Sicherheitsziel vor andere Ziele des Unternehmens (Gewinnziele) tritt. Diese radikale Risikobe- <?page no="351"?> 10 Governance, Risk & Compliance 351 Neue Betriebswirtschaft seitigung ist also nur dann empfehlenswert, wenn eine effektive Risikoverminderung nicht möglich ist und ein folgender Schaden die Existenz des Unternehmens beträchtlich in Mitleidenschaft ziehen würde. Beispiel Die Funbike GmbH ist ein mittelständisches Unternehmen, welches Fahrräder produziert. Das Unternehmen hat die Produktion von Fahrrädern mit Elektro-Hilfsmotoren neu in sein Produktprogramm aufgenommen. Leider ist die Gewinnmarge aufgrund der hohen Materialkosten und Lohnkosten für die Montage der Bauteile des Elektromotors recht gering. Ein neuer Lieferant macht ein hervorragendes Preisangebot für die Komplettkomponente Elektromotor. Da die Geschäftsführung den Lieferanten nicht kennt und Qualitätsmängel und/ oder Lieferschwierigkeiten befürchtet, entscheidet sie sich gegen den Wechsel. Durch diese Vermeidung wird die Chance auf eine interessante Kosteneinsparung ausgeschlossen, dies kann einen erheblichen Wettbewerbsnachteil mit sich bringen. Daher sollte die Vermeidungsstrategie nur bei Entscheidungen mit Existenzgefährdung gewählt werden. Bei der Verminderung von Risiken werden die Entscheidungen, die die Risiken ausgelöst haben, nicht rückgängig gemacht, sondern es werden die Risiken selbst reduziert. Diese Verminderung kann an der Beeinflussung von Schadenshöhe bzw. Eintrittswahrscheinlichkeit des Einzelrisikos ansetzen. Hierbei soll durch die Steuerungsmaßnahme die Wahrscheinlichkeit und oder die Höhe des Vermögensverlusts verringert werden. Eine Risikoverminderung umfasst somit Maßnahmen, die zur Senkung des Schadenerwartungswertes beitragen. Hierbei werden ursachenbzw. wirkungsorientierte Maßnahmen ergriffen. Dazu gehören z. B. eine bessere Aus- und Weiterbildung des Personals, verstärkte Motivation der Mitarbeiter, Erweiterung der Sicherheitsvorkehrungen und schließlich auch Kontrollen. Weiterhin zählt zu diesen Maßnahmen auch die Vorgabe von Risikolimits, die im Rahmen der jeweiligen Tätigkeit eingegangen werden dürfen (Weber et al., 1999, S. 1715). Unter Risikoüberwälzung versteht man die Möglichkeit, Risiken gegen Entgelt auf Dritte zu übertragen. Dies geschieht häufig in Form einer Versicherung. Die Möglichkeit, Risiken zu versichern, ist die bekannteste Art der Überwälzung von Risiken und wurde lange Zeit als einziges Instrument des Risikomanagement gesehen (vgl. Hahn, 1987, S. 138; Dickinson, 2001, S. 361). Risiken, die insgesamt in Relation zu Art und Umfang der Geschäftstätigkeit als auch der Risikotragfähigkeit des Unternehmens als hoch eingestuft werden und bei denen eine Verminderung nur begrenzt möglich ist, können entweder vermieden oder übertragen werden. Das Risiko kann bei der Risikoüberwälzung mittels vertraglicher Festlegungen oder durch Versicherungen auf andere Wirtschaftssubjekte übertragen werden. Es erfolgt eine sofortige Transformation der Unsicherheitssituation. Einschränkungen sind bei dem Mittel der Versicherung zu nennen, da diese häufig mit hohen Kosten verbunden ist. Eine Versicherung ist allerdings nur für bestimmte Risiken möglich. Viele andere Risiken können dagegen nicht versichert werden. Diese nicht versicherbaren Risiken können aber durch spezielle Vertragskonstellationen auf den Vertragspartner überwälzt werden (Lück 1998b, S. 1929). Diese Sichtweise ist für Risiken, die nicht unmittelbar aus der Geschäftstätigkeit resultieren (wie das Feuerrisiko) und einige ausgewählte geschäftstypische Risiken (wie die Versicherung von Warenforderungen) angemessen. Risikoübernahme bedeutet Risiken selbst zu tragen, allerdings nicht im passiven Sinn. Die Strategie umfasst die aktive Vorsorge für den Fall, dass die Risiken tatsächlich eintreten. Diese Vorsorge geschieht durch die Bereitstellung von Deckungskapital (Rücklagen und Reserven). Für jede Risikokategorie wird eine individuelle Maßnahme festgelegt und in Form von Wertberichtigungen, Rückstellungen usw. ein entsprechender Betrag dafür vorgesehen. Bei Risiken deren Schadensausmaß sowie deren Eintrittswahrscheinlichkeit als gering einzustufen sind, kann diese Strategie sinnvoll sein. Auch mittlere Risiken, bei denen die Kosten möglicher Steuerungsmaßnahmen zu hoch sind <?page no="352"?> 352 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft sollten ebenfalls akzeptiert werden. Oftmals werden Risiken auch bewusst in Kauf genommen, wenn sich daraus auch neue Chancen für das Unternehmen ergeben können. Weiterhin muss beachtet werden, dass gerade Risiken, die als Ergebnis der Risikosteuerung akzeptiert werden, im Weiteren einer kontinuierlichen Beobachtung unterzogen werden müssen. Somit können mögliche Änderungen rechtzeitig berücksichtigt werden. Bei der Risikodiversifikation werden mehrere, voneinander unabhängige Einzelrisiken systematisch in der Form kombiniert, dass im Ergebnis das Gesamtrisiko vermindert wird. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Festlegung, dass nur eine bestimmte Anzahl an Führungskräften eines Unternehmens gemeinsam eine Flugreise antreten dürfen. Im Falle eines Unglücks wird damit vermieden, dass das Unternehmen ohne Management zurückbleibt. 10.3.3 Prozess des Risikomanagements Um den wesentlichen Zielen des Risikomanagements, nämlich der frühzeitigen Erkennung bestandsgefährdender operativer und strategischer Risiken aus sowohl dem internen wie auch dem externen Unternehmensumfeld sowie der rechtzeitigen Einleitung geeigneter Präventionsmaßnahmen gerecht zu werden, ist es erforderlich ein ganzheitliches Risikomanagementsystem im Unternehmen zu implementieren. Dabei orientieren sich die Unternehmen an einem definierten Risikomanagement-Prozess, den wir im vorliegenden Unterkapitel kurz vorstellen werden. Abbildung 10-4: Regelkreislauf des Risikomanagement-Prozesses. Quelle: in Anlehnung an Ehrmann 2012, S. 36 Wir haben bereits erfahren, dass für das Erkennen, Bewerten und Berichten von Risiken in den operativen Bereichen die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter einzubinden sind. Eine Koordination muss an zentraler Stelle stattfinden. Außerdem wissen Sie bereits, dass das Risikomanagement in den gesamten Management-Prozess einzubetten ist, der Risikomanagement-Prozess läuft somit nicht isoliert ab. Abbildung 10-4 bietet eine mögliche Darstellung des Ablaufs des Risikomanagement-Prozesses. In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit hinsichtlich der Ablaufphasen, die Zuordnung dieser Phasen in ein Ablaufschema sowie die in den Phasen angesiedelten Aufgaben werden jedoch unterschiedlich diskutiert. Im ersten Schritt werden durch eine Art Inventur Risiken identifiziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung evaluiert. Dabei werden insbesondere die Eintrittswahrscheinlichkeit und die potenzielle Scha- 4. Risikoüberwachung laufende Kontrolle - Frühwarnung 2. Planung der Strategie - Risikovermeidung - Risikoverminderung - Risikoüberwälzung - Risikodiversifikation - Risikoübernahme 1. Risikoanalyse - Risikoidentifikation - Risikobewertung - Risikoaggregation Risikomanagement System 3. Risikobewältigung - Auswahl der Instrumente - Organisation <?page no="353"?> 10 Governance, Risk & Compliance 353 Neue Betriebswirtschaft denshöhe bewertet. Mittels der Aggregation werden einzelne Risiken zum einem Gesamtrisiko zusammengefasst. Im nächsten Schritt werden die Maßnahmen zur Risikobewältigung festgelegt. Dazu sind grundsätzlich fünf Strategien möglich: Risikovermeidung, Risikoverminderung, Risikoüberwälzung, Risikodiversifikation und Risikotragung. Diese Strategien wurden bereits im Unterkapitel Organisation des Risikomanagements ausführlich angesprochen. Im dritten Schritt werden anhand der gewählten Strategie die Risiken gesteuert. Dabei ist neben der Auswahl geeigneter Instrumente auch die organisatorische Komponente von Bedeutung. Aus der Risikoüberwachung werden im vierten Schritt Informationen gewonnen, die der Unternehmensführung rechtzeitig und umfassend zur Verfügung zu stellen sind. Dafür ist ein geeignetes Risikoberichtswesen einzurichten. Aus der laufenden Risikokontrolle sowie aus Frühwarnimpulsen wird eine neue Risikoanalyse generiert und der Prozess startet wieder bei Schritt 1. Sie sehen also, dass es sich beim Risikomanagement-Prozess um ein fortlaufendes Vorgehen handelt. Bevor das Unternehmen den Risikomanagement-Prozess konzipiert und implementiert, müssen vorbereitende Maßnahmen ergriffen werden. Dazu zählen lt. Ehrmann (2012, S. 71): die Information der Mitarbeiter die Überprüfung des Informationsstandes die Einordnung der Risikoziele in das Zielsystem die Abstimmung mit anderen Managementsystemen sowie die Regelung organisatorischer Fragen. Wie bereits erläutert, sind eine Vielzahl von Mitarbeitern in das Risikomanagement einzubeziehen, da viele Risiken direkt im operativen Geschäft ersichtlich werden. Um den Mitarbeitern ihre Rolle im Risikomanagement-Prozess und die Erwartungen der Unternehmensleitung zu verdeutlichen, sind die Mitarbeiter vor der Implementierung entsprechend zu unterrichten. Insbesondere soll vermieden werden, dass die Mitarbeiter möglichst viele Risiken „jagen und sammeln“ (Gleißner 2011) und diese unstrukturiert und ohne Beachtung der Chancen weitergeben (Ehrmann 2012, S. 71). Beispiel: Für unser Beispielunternehmen, die Top-Serv GmbH, hat der Geschäftsführer Herr Clever eine e-mail sowie einen Aushang für das schwarze Brett vorbereitet. Darin werden das Vorhaben erläutert, der Zeitplan dargestellt und bereichsspezifische Workshops zur weiteren Diskussion angekündigt. Das Unternehmen muss sich zunächst fragen, wie gut der momentane Informationsstand ist. Ehrmann (2012, S. 72) empfiehlt hierzu die Verwendung von Checklisten, mittels derer beantwortet werden kann: welche Informationen regelmäßig (in welchen Intervallen) oder sporadisch erhoben werden; ob diese Informationen vollständig, und genau sind und ihren Zweck erfüllen; ob überflüssige und/ oder zu teure Informationen erhoben werden. Zur Beantwortung der letzten Frage ist es erforderlich, den Informationsbedarf zu ermitteln. Ehrmann (2012, S. 72) verweist dazu auf zwei mögliche Verfahren: Beim datenorientierten Ansatz werden bereits im Unternehmen vorhandene Daten, wie z. B. Organisations- und Produktionspläne analysiert und durch Beobachten von Arbeitsabläufen, schriftlichen Befragungen und Interviews ergänzt. Im letzten Schritt werden die Analysen durch empirisch-statistische Methoden wie Hoch- oder Rückrechnungen und Extrapolationen ergänzt. Beim entscheidungsorientierten Ansatz werden die Entscheidungsträger aufgefordert, für Teilaufgaben erforderliche Informationen zuzuordnen. Falls sich bei der Analyse des Informationsbe- <?page no="354"?> 354 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft darfs herausstellt, dass das Unternehmen zusätzliche Informationen benötigt, müssen neue Informationsquellen erschlossen werden. Bei internen Informationsquellen ist die liefernde Stelle innerhalb des Unternehmens angesiedelt, bei externen Informationsquellen außerhalb des Unternehmens und damit nur mittelbar beeinflussbar. Als nächstes erfolgt die Einordnung der Risikoziele in das Zielsystem des Unternehmens. Getreu dem Start Top Down-Ansatz sollen Risiken auch in der obersten Zielebene adressiert werden. Hier wird es sich regelmäßig um Risikogrundsätze handeln. Weiterhin werden Risiken in den verschiedenen Unternehmenszielen oftmals indirekt adressiert, da diese Ziele die Sicherung des Unternehmensfortbestands zum Inhalt haben. Abbildung 10-5 verdeutlicht dies an einem Beispiel. Abbildung 10-5: Zielsystem der Top-Serv-GmbH. Quelle: in Anlehnung an Ehrmann (2012, S. 76) Das oberste Unternehmensziel, einen ROI von 12 % erzielen zu wollen, definiert das Sicherheitsniveau. Das Marketingziel konkretisiert das oberste Unternehmensziel, die Produkt-, Personal- und Kommunikationsziele stellen die Bausteine zum Erreichen des Marketingziels und damit des ROI-Ziels dar. Somit haben all diese Ziele die Risikobewältigung zum indirekten Zielinhalt. Daneben werden die Risikoziele als direkte Risikobewältigungsziele in das Zielsystem aufgenommen. Häufig existieren in Unternehmen zur Erfassung der Geschäftsprozesse mehrere Systeme nebeneinander, ein ganzheitliches Managementsystem ist in nur wenigen Unternehmen anzutreffen. Daher ist es bei der Einführung eines Risikomanagementsystems sehr wichtig, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vorhandenen Systeme festzustellen und Schnittstellen sinnvoll zu setzen. Auf diese Art können Mehrarbeit, Kompetenzprobleme und Mehrkosten vermieden werden. 10.3.4 Standards zum Risikomanagement Der ISO-Standard 31000 Risk Management wurde im Jahr 2009 verabschiedet. Im Gegensatz zu anderen ISO Standards (wie z. B. ISO 9001) besteht für den ISO 31000 keine Zertifizierungspflicht. Die ISO 31000 ist inzwischen in ca. 60 Ländern weltweit als nationale Norm, bisher nicht aber vom Risikoziele ˗ Störungsvermeidung in der Produktion ˗ Vermeidung von Vakanzen Marketingziel Umsatzsteigerung um 20 % Kommunikationsziele ˗ Bildung einer Marke ˗ Know-How- Transfer Personalziele ˗ Mitarbeiterbindung ˗ Einstellung qualifizierter Projektleiter Produktziele ˗ Qualitätssicherung ˗ Verbesserung des Service Unternehmensziel Return on Investment 12 % <?page no="355"?> 10 Governance, Risk & Compliance 355 Neue Betriebswirtschaft DIN in Deutschland übernommen worden. Gründe dafür sind u.a. die Definition des Begriffs Risiko und die Sorge vor einem Zertifizierungsdruck. Diese ISO Normen werden alle 5 Jahre einer Revision unterworfen, um sie an die neuen Gegebenheiten anzupassen bzw. zu aktualisieren. Die ISO 31000 Norm befindet sich derzeit in der Revision; mit der Veröffentlichung der Aktualisierung wird in 2018 gerechnet. Der Standard zielt darauf ab, organisatorische und prozessuale Aspekte des Risikomanagements zu verbinden. Dabei ist es ein Hauptanliegen des ISO 31000, das Risikomanagement stärker mit den vorhandenen Unternehmenssteuerungs- und Managementsystemen zu verbinden. Nur so kann ein ganzheitliches Risikomanagement im Unternehmen implementiert werden. Um den Standard nicht zu überfrachten und besser lesbar zu halten, enthält der ISO-Standard 31000 keine Definitionen zum Risikomanagement. Damit aber sichergestellt ist, dass die wesentlichen Begriffe klar definiert und abgegrenzt sind und damit ein einheitliches Begriffsverständnis zum Thema Risikomanagement vorliegt, wird auf den ISO Guide 73 Risk Management - Vocabulary verwiesen. In diesem Guide sind alle zentralen Definitionen und Begriffe zum Thema Risiko und Risikomanagement auf rund 15 Seiten erklärt. Vom grundsätzlichen Aufbau her, werden in dem ISO Guide 73 Risk Management zunächst die grundlegenden Begriffe von Risiko und Unsicherheit sowie das Risikomanagement definiert. Die weiteren Definitionen sind in Form des klassischen Risikomanagementprozesses organisiert. Der ISO Standard 31000 gliedert sich in sechs Kapitel. Die Kapitel 4 bis 6 widmen sich den Themen Principles (Grundsätze des Risikomanagements), Organizational Framework (Organisatorischer Rahmen) und Risk Management Process (Risikomanagement-Prozess) und stellen damit das eigentliche Herzstück des Standards dar. Abbildung 10-6 veranschaulicht die Verbindung dieser Kapitel als Komponenten des Risikomanagements. In Kapitel 4 (Grundsätze zum Risikomanagement) wird ausgeführt, dass das Risikomanagement eine Führungsaufgabe darstellt und die Geschäftsleitung für die Implementierung und Weiterentwicklung des Risikomanagements verantwortlich ist. Weiterhin wird aus den in der Abbildung 10-6 unter den Buchstaben a) bis k) aufgezählten Grundsätzen deutlich, dass das Risikomanagement kein starres Konzept sein kann, sondern dynamisch an die sich verändernden internen (Unternehmensstruktur) und externen (Umfeld-) Bedingungen angepasst werden muss. Das Kapitel 5 liefert ein Rahmenkonzept für die Risikomanagement-Organisation. Die Organisation des Risikomanagements folgt dem sogenannten „Top-down“-Ansatz. Die Geschäftsleitung gibt die zentralen Risikomanagementgrundsätze vor und ist verantwortlich für die Einrichtung und Pflege des Risikomanagementsystems. Es findet eine laufende Überwachung der Wirksamkeit des Risikomanagements statt. Dies kann dann gegebenenfalls zu Veränderungen im Risikomanagementsystem führen. Abschließend beschäftigt sich Kapitel 6 mit dem laufenden Risikomanagement-Prozess. Aus Lesbarkeitsgründen wird im Folgenden die Abbildung zum Risikomanagement-Prozess aus der Abbildung 10-6 herausgelöst und in Abbildung 10-7 dargestellt. <?page no="356"?> 356 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Abbildung 10-6: Kernkomponenten der ISO 31000, Quelle: Henschel (2010, S. 260) Abbildung 10-7: ISO 31000: Risikomanagement-Prozess. Quelle: Henschel (2010, S. 261) <?page no="357"?> 10 Governance, Risk & Compliance 357 Neue Betriebswirtschaft Im sechsten Kapitel wird ebenfalls noch einmal hervorgehoben, dass ein wirkungsvoller Risikomanagement-Prozess unternehmensweit umgesetzt werden muss. Dies bedeutet, dass sich der Risikomanagement-Prozess auf alle Leistungsprozesse im Unternehmen erstrecken sollte. Die Mitarbeiter in den einzelnen Leistungsprozessen sind für die Überwachung der Risiken zuständig. Diese Risikoinformationen werden dann in das Berichtswesen für die Geschäftsleitung integriert. Somit ist sichergestellt, dass ein kontinuierlicher Informationsfluss über die wesentlichen Unternehmensrisiken gewährleistet ist. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Vorhandensein eines international gültigen Standards zu einer weiteren Vereinheitlichung des Risikomanagements führen wird. Um die Anwendung des ISO Standard 31000 weiter zu unterstützen und praktische Hilfestellung zu geben, wurde in 2013 der Standard ISO 31004 Risk Management - Guidance for the implementation of ISO 31000 herausgeben. Mit Hilfe dieses neuen Standards sollen zwei Ziele verfolgt werden. Zum einen wird den Anwendern ein Werkzeug an die Hand gegeben, mit dem sie ihr bisheriges Risikomanagementsystem evaluieren können, um zu sehen ob ihr Risikomanagement den Anforderungen des ISO Standard 31000 entspricht oder in welchen Bereichen noch Anpassungsbedarf besteht. Zum anderen bietet der neue Standard ISO 31004 weitere Erläuterungen zu den einzelnen Komponenten bzw. Fragestellungen des ISO Standard 31000. Um ein leichteres Auffinden dieser Sachverhalte bzw. Themenkomplexe zu ermöglichen sind die jeweiligen Themenblöcke (Abbildung 10-7) in separate Anhänge gegliedert. So verfügt der ISO 31004 über 12 detaillierte Anhänge die zu den jeweiligen Themenkomplexen detaillierte Ausführungen und Beispiele geben. Weiter gefördert wird dieser Prozess durch die Veröffentlichung des ISO/ IEC 31010 - Risk management - Risk assessment techniques. Er unterstützt damit den ISO 31000 durch Anleitungen zur Auswahl und Anwendung von geeigneten Methoden zur systematischen Risikobewertung. Dieser mehr als 90 Seiten umfassende Standard bietet eine umfassende aber dennoch kompakte Darstellung von über 30 verschiedenen Methoden zur Risikoerfassung und -bewertung an. Dabei werden qualitative und quantitative Methoden zur Risikobewertung vorgestellt. Jede Methode wird nach dem gleichen Schema abgehandelt und kann daher als eine Art Kurzreferenz genutzt werden, wenn sich der Anwender schnell über eine Methode informieren bzw. einen Überblick verschaffen möchte. Nach einem kurzen Überblick zur jeweiligen Methode, werden die benötigten Ressourcen sowie der formale Prozess zum Einsatz der Methode vorgestellt. Abschließend erfolgt eine Diskussion der Stärken und Schwächen der jeweiligen Technik. Für die Einrichtung eines Risikomanagementsystems im Unternehmen kann auch auf die Prüfungsstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Deutschland zurückgegriffen werden. Diese Prüfungsstandards sind zwar mit Schwerpunkt auf die Arbeit der Wirtschaftsprüfer bei der Überprüfung derartiger Systeme ausgerichtet, bieten aber auch gute Unterstützung bei der Implementierung und Verbesserung von Risikomanagementsystemen in Unternehmen an. Insbesondere der in 2017 verabschiedete IDW PS 981 - Risikomanagementsysteme zur freiwilligen Prüfung 326 beschreibt die Grundelemente eines Risikomanagementsystems, die Prüfungsanforderungen bei der Auftragsannahme, der Prüfungsplanung und -durchführung, sowie der Dokumentation und Berichterstattung eines Prüfers. Compliance Management 10.4.1 Definition und Begriffsverständnis von Compliance Bisher konnte sich ähnlich wie bei Risikomanagement und Governance keine einheitliche Definition für die Thematik „Compliance“ durchsetzen. Gemäß Wulf und Schäfer (2010) beschreibt Compliance die Gesamtheit der Systeme und Prozesse zur Sicherstellung der Einhaltung von Gesetzen 326 Vgl. IDW PS 340 zur Pflichtprüfung des Risikomanagementsystems bei börsennotierten Aktiengesellschaften <?page no="358"?> 358 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft und Rechtsverordnungen sowie der internen Standards bzw. Richtlinien des Unternehmens. Im Deutschen Corporate Governance Kodex (2017, S. 6) wird unter Randziffer 4.1.3. dagegen folgende Definition aufgeführt: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance). Er soll für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen und deren Grundzüge offenlegen. Beschäftigten soll auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben; auch Dritten soll diese Möglichkeit eingeräumt werden“ Unter Randziffer 5.2 wird die Empfehlung gegeben, dass der Aufsichtsratsvorsitzende regelmäßigen Kontakt zum Vorstand hält und sich über Fragen der Compliance austauscht. Im Governance Kodex für Familienunternehmen (INTES, 2015, S. 22) findet sich unter Randziffer 4.1.2 eine sehr ähnliche Definition. Damit wird die Wichtigkeit der Compliance auch für nicht börsennotierte Unternehmen verdeutlicht: „Die Unternehmensführung soll für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien (Compliance) sowie für ein angemessenes Chancen- und Risikomanagement im Unternehmen in Übereinstimmung mit den Werten und Zielen der Inhaber sorgen.“ Unter Compliance Management wird somit die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Sicherstellung des rechtmäßigen Verhaltens eines Unternehmens, seiner Organe sowie der Mitarbeiter im Hinblick auf die gesetzlichen und unternehmenseigenen Gebote und Verbote verstanden (Passarge 2011, S. 7). Auf der persönlichen Seite der Geschäftsleitung führt die Nichteinhaltung der entsprechenden Gesetze bzw. Regelungen (sog. „Non-Compliance“) zu zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen für die handelnden Personen (Hillmer 2011, S. 44; Scherer 2012, S. 204). Die Haftung beschränkt sich aber nicht nur auf Geschäftsleitung bzw. Vorstand, auch die Aufsichtsorgane bzw. Beiräte haben ihren Sorgfalts- und Überwachungspflichten nachzukommen, da sie ansonsten eine Pflichtverletzung begehen. Nach Hillmer (2011, S. 44) betrifft dies auch die handelnden Mitarbeiter eines Unternehmens. Das zentrale Element jeglicher Haftung ist also in der Pflichtverletzung (durch Tun oder Unterlassen) der jeweiligen Person zu sehen (Scherer 2012, S. 204). Scherer (2012) und Hennrichs (2006) machen darauf aufmerksam, dass mit der Einführung des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG, 2005) die Geschäftsführer hinsichtlich der eingehaltenen Sorgfaltspflichten eine verstärkte Rechtfertigungspflicht trifft. Zu diesen Sorgfaltspflichten zählt unter anderem, dass der Geschäftsführer bzw. Vorstand über aktuelles betriebswirtschaftliches Wissen verfügt und in der Lage ist, geeignete Systeme und Methoden zur Unternehmenssteuerung anzuwenden. Im Aktiengesetz wurde diese Sorgfaltspflicht - auch als sogenannte „Business Judgement Rule“ bezeichnet - in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ausdrücklich verankert. Dies bedeutet eine stärkere Reichweite bezüglich möglicher Pflichtverletzungen im Rahmen der Geschäftsführertätigkeit. Diese setzt unter anderem voraus, dass der Geschäftsführer sein betriebswirtschaftliches Wissen auf dem aktuellen Stand hält und anerkannte Werkzeuge und Methoden aus Recht, Technik und Wirtschaft einsetzt, um seinen Managementaufgaben gerecht zu werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Geschäftsführer allumfassende Fähigkeiten und Kenntnisse haben muss, er muss vielmehr sicherstellen, dass diese Aufgaben durch geeignete Maßnahmen, z. B. rechtssichere Delegation an Mitarbeiter oder Berater, umgesetzt sind (Scherer 2012, S. 206). In § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wird diese Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wie folgt festgelegt: <?page no="359"?> 10 Governance, Risk & Compliance 359 Neue Betriebswirtschaft „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ Wie aus der Vorschrift des § 93 AktG deutlich wird, trifft den Geschäftsleiter die Beweislast, dass er auf der Basis angemessener Informationen seine Entscheidungen getroffen hat. Dies setzt implizit voraus, dass der Geschäftsleiter über einschlägiges betriebswirtschaftliches, technisches sowie rechtliches Methodenwissen verfügt, da ansonsten eine angemessene Informationsbasis wohl kaum vorliegen bzw. beurteilt werden kann (Scherer 2012, S. 205). Diese Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wird für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) in analoger Weise in § 43 GmbHG festgelegt und ist damit auch für Mittelständische Unternehmen, die häufig in der Rechtsform einer GmbH geführt werden, gültig. Darüber hinaus gelten Sorgfaltspflichten sinngemäß auch für Einzelunternehmer und Personengesellschaften. So wird etwa in § 347 Abs. 1 HGB ausdrücklich auf die kaufmännischen Sorgfaltspflichten des Geschäftsführenden hingewiesen. Damit wird die Pflicht zur Sorgfalt zu einem zentralen Thema für alle KMU. Neben der persönlichen Haftung des Geschäftsleiters kann das Fehlen eines Compliance Management weitere signifikante Auswirkungen haben. Verstößt ein Unternehmen z. B. gegen geltende Umwelt- und Sicherheitsauflagen, führt dies mit Sicherheit zumindest zu einem Imageschaden, welcher bei einem stark regional verwurzeltem Unternehmen zu einem existenzbedrohenden Risiko werden kann. In besonders schweren Fällen kann auch die Betriebserlaubnis entzogen werden, was zur Einstellung des Geschäftsbetriebs und damit z. B. zum Verlust der Einkunftsquelle des Unternehmers führt (Passarge 2011, S. 7). Das Vorhandensein eines Compliance Management ist auch zunehmend als strategischer Wettbewerbsvorteil z. B. für die Gewinnung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter zu betrachten. Nach Passarge (2011, S. 9) kann ein systematisches Compliance Management dazu beitragen, die Unternehmenskultur zu verbessern und zu einer Reduzierung der Fluktuation beitragen. Im Überblick lassen sich die Ziele von effektiver Compliance wie in Abbildung 10-8 gezeigt zusammenfassen. Abbildung 10-8: Ziele effektiver Compliance Compliance Prävention • Kenntnis/ Anwendung von Gesetzen und Richtlinien • Vermeidung von Haftungsrisiken • Schutz vor wirtschaftlichem Schaden Information • Mitarbeiterschulungen • Übernahme von Verantwortung für individuelles Handeln • Transparenz Detektion • Monitoring von Schwachstellen • Prozessdokumentation, Reporting • Ahndung von Verstößen Reputation • Wahrnehmung durch Mitarbeiter, Kunden und weitere Anspruchsgruppen • Vertrauen in die Integrität des Unternehmens • Vermeidung von Reputationsrisiken <?page no="360"?> 360 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Um die Entwicklung und Einführung von Compliance Management-Systemen weiter voranzutreiben bzw. einheitliche Mindeststandards bei der Implementierung derartiger Systeme zu bieten, hat die ISO Organisation einen neuen ISO-Standard „Compliance Management Systems“ (ISO/ DIS 19600) entwickelt. Analog zum Risikomanagement-Standard 31000 ist der Standard zum Compliance Management ebenfalls nicht einer Zertifizierungsbzw. Prüfungspflicht unterworfen, sondern vielmehr als Leitfaden für Unternehmen jeder Größenordnung bei der Implementierung von Compliance-Systemen konzipiert. Weitere Einzelheiten finden Sie in Abschnitt 10.4.3 dieses Kapitels. 10.4.2 Die Compliance Pyramide Nach Behringer (2011, S. 39) kann der Umfang und die Ausgestaltung von Compliance in Unternehmen im Rahmen einer dreistufigen Pyramide dargestellt werden. Abbildung 10-9: Die Compliance Pyramide. Quelle: Behringer 2011, S. 41 Auf der untersten Stufe besteht die Compliance lediglich aus der Einhaltung von gesetzlichen Regelungen, die für die jeweilige Unternehmung relevant sind. Diese Compliance-Anforderungen sind zwingend zu erfüllen, da - wie im vorherigen Abschnitt bereits ausgeführt wurde -, die Non- Compliance im schlimmsten Fall zur Entziehung der Betriebserlaubnis und damit zur Schließung des Unternehmens führen kann. Darüber hinaus ist diese Non-Compliance auch mit der persönlichen Haftung der Geschäftsleitung bzw. den leitenden Mitarbeitern verbunden. Der ersten Stufe der Compliance Pyramide kommt daher eine wesentliche Bedeutung im Rahmen der Einrichtung eines Compliance Management-Systems im Unternehmen zu. Damit die Compliance unternehmensweit umgesetzt werden kann und von allen Mitarbeitern als nachhaltiges Instrument zur Unternehmenssteuerung und -überwachung erkannt wird, muss ein entsprechendes Problembewusstsein durch die Geschäftsleitung erzeugt werden. Dies wird in der Literatur häufig mit dem englischen Schlagwort „tone at the top“ bezeichnet (Scherer 2012) und bedeutet, dass die Geschäftsleitung die gewünschten Werte und Ideale vorleben muss und auch für sich selbst die jeweiligen Gesetze und Regelungen beachtet. Die zahlreichen Unternehmensskandale in den USA und Europa wurden vielfach vom obersten Management bzw. der Geschäftsleitung verursacht, was natürlich wenig für die Umsetzung eines funktionierenden Compliance Management im Unternehmen spricht. Daher ist es zwingend erforderlich, dass sich die Unternehmung entsprechende Leitlinien für gute Unternehmensführung vor- Soziale Verantwortung Best Practice Gesetzliche und andere verpflichtende Regeln <?page no="361"?> 10 Governance, Risk & Compliance 361 Neue Betriebswirtschaft gibt. Hierzu bieten die bereits im Unterabschnitt 1.2.3 zur Corporate Governance vorgestellten Verhaltenskodizes eine geeignete Ausgangsbasis. Darüber hinaus muss natürlich sichergestellt werden, dass die Unternehmensleitung Maßnahmen ergriffen hat, um jegliche Missbrauchstatbestände zu vermeiden. Ein wirksames Mittel zur Prävention ist hier die Einrichtung eines Internen Kontrollsystems (vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 10.1 dieses Kapitels). Auf der zweiten Stufe der Compliance Pyramide sind die sogenannten Best Practice-Lösungen angesiedelt. Das Unternehmen erkennt, dass neben der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen die freiwillige Befolgung von Branchenstandards, den „Best Practices“, sich als wertsteigernd für das Unternehmen auswirken kann. Die Idee dieser Best Practice-Lösungen basiert auf der Methode des Benchmarking. Dabei vergleicht sich das Unternehmen mit dem Branchenführer mit dem Ziel, durch eine Adaption der Erkenntnisse im eigenen Unternehmen genauso erfolgreich zu werden (Behringer 2011, S. 44). Diese Best Practice Regelungen bzw. Praktiken haben keinen rechtsverbindlichen Charakter, sie stellen vielmehr Selbstverpflichtungen des Unternehmens dar. Häufig fließen jedoch derartige Verhaltensanweisungen bzw. Leitlinien in sogenannte Branchenkodizies ein, die eine Verhaltenserwartung an das Unternehmen darstellen, aber nicht einklagbar sind (Behringer 2011, S. 44). Die Einhaltung dieser freiwilligen Branchenkodizes gewinnt auch im Rahmen der Kaufmännischen Sorgfaltspflicht und der sogenannten „Business Jugdement Rule“ (vgl. Abschnitt 10.1 dieses Kapitels) an Bedeutung. Dabei hat der Unternehmer im Falle eines Schadensersatzanspruchs durch Dritte nachzuweisen, dass er bei Ausführung seiner Geschäftsführertätigkeit die entsprechende Sorgfalt hat walten lassen und sich bei der Geschäftsausübung der betriebswirtschaftlichen bzw. technischen Methoden bedient, die gegenwärtig als geeignet - z. B. durch einen Branchenstandard empfohlen - angesehen werden. Damit kann er den Entlastungsbeweis erbringen, dass er die nötigen Sorgfaltspflichten im Rahmen des § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG eingehalten hat. Neben den Branchenstandards können aber auch die Nutzung von bestimmten Praktiken bzw. Übungen sowie die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Entwicklungen Eingang in die Best Practice-Lösungen finden. Wie Behringer (2011) feststellt, können dabei freiwillige Standards zu quasi verpflichtenden Standards werden, wenn z. B. große Konzerne zu den Kunden des Mittelständischen Unternehmens zählen und die weitere Auftragsvergabe von der Beachtung bzw. Einhaltung dieser Standards abhängig machen. Die dritte Stufe der Compliance Pyramide manifestiert sich in der freiwilligen sozialen Verantwortung des Unternehmens. Damit werden ökologische und soziale Belange in das unternehmerische Handeln integriert (Behringer 2011, S. 40). Hier spielen besonders die Erwartungen der verschieden Anspruchsgruppen des Unternehmens(Stakeholder) eine bedeutende Rolle. Damit wird der Corporate Social Responsibility ein hoher Stellenwert einräumt. Das Handeln auf dieser dritten Stufe unterliegt nach Behringer (2011, S. 40) jedoch auch einem betriebswirtschaftlichen Kalkül. Hierbei muss das Unternehmen abwägen, wie stark es bereit ist, in diese freiwillige Compliance zu investieren und welcher Nutzen davon erwartet wird. Diese Investitionen zur freiwilligen Compliance können durchaus Vorteile am Markt bringen. So wird z. B. die Personalbeschaffung unterstützt, da die potenziellen Bewerber das Unternehmen positiv wahrnehmen und den Beitrag zum Engagement in der Region honorieren. Unternehmen verfolgen diese Interessen mit der Konzentration auf die Entwicklung eines Employer Branding, welches dazu dient, das Unternehmen als Arbeitgeber erster Wahl am Markt zu etablieren und somit ein positives Arbeitgeberimage zu kommunizieren. 10.4.3 Standards zum Compliance Management Bisher fokussierten Compliance-Standards insbesondere internationale Empfehlungen und Richtlinien, auf einzelne Teilbereiche wie z. B. den Umgang mit Amtsträgern im Ausländischen Geschäftsverkehr bzw. Korruption oder der Vermeidung von nicht gesetztreuem Verhalten. Hierzu <?page no="362"?> 362 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft wurden von der OECD bzw. der Internationalen Handelskammer (ICC) Compliance Leitfaden bzw. Richtlinien herausgeben. Aufgrund der Ausrichtung dieser Regelungen bieten die Inhalte keine Unterstützung bei der Implementierung und der Überprüfung von Compliance Systemen. Der neue ISO Standard (ISO 19600 Compliance-Management-System) hat sich daher zum Ziel gesetzt, den Unternehmen eine Unterstützung bei der Einrichtung eines Compliance Management (sogenannte Frühphase) und dem späteren Betrieb dieses Systems (sogenannte Spätphase) zu bieten. Mit ca. 50 Paragraphen bzw. Klauseln, die auf insgesamt 33 Seiten abgehandelt werden, handelt es sich ähnlich dem ISO 31000 um einen relativ überschaubaren und flexiblen Leitfaden zur Umsetzung von Compliance Systemen in Unternehmen jedweder Größenordnung. Da sich der Standard grundsätzlich als Leitfaden zur Einrichtung bzw. Umsetzung von Compliance Management Systemen versteht, ist eine Prüfung bzw. Zertifizierungpflicht nicht vorgesehen. Die Unternehmen können den ISO 19600 als Rahmenkonzept und Vorgehensmodell zur Implementierung eines umfassenden Compliance Management für ihr Unternehmen nutzen. Wie Makowicz und Wüstemann (2015, S. 1196) bemerken, bietet der ISO 19600 Standard systematische und klare Handlungsempfehlungen, die mit zahlreichen Beispielen untermauert sind und damit die praktische Umsetzung eines Compliance Management Systems für die Unternehmen erleichtern. Abbildung 10-10: Komponenten des ISO 19600. Quelle eigene Darstellung in Anlehnung an Bleker, S./ Hortensius, D. 2014, S. 9 Von seiner Struktur her ist der ISO 19600 analog den bisherigen Managementstandards wie z. B. den ISO 14001 Umweltmanagementsystemen oder den Qualitätsmanagementstandards der ISO 9001-Familie aufgebaut. Dies bietet den Vorteil, dass die Compliance-relevanten Fragestellungen unmittelbar in die im Unternehmen bereits vorhandenen Managementsysteme integriert werden 4.1 Identifikation interner und externer Faktoren 4.2 Identifikation der Anforderungen der Stakeholder 4.3/ 4.4 Bestimmung des Projektumfangs & Aufbau des CMS Grundsätze guter Unternehmensführun g 5.2 Implementierung von Compliance- Regeln 4.5/ 4.6 Identifikation der Compliance Verpflichtungen & Evaluation der Compliance Risiken 5. Führungsunabhängig e Compliance- Funktion 5.3 Verantwortung auf allen Hierarchiestufen 7. Unterstützungs- 10. Management von Non-Compliance und KVP 6.1 Adressierung von Compliance Risiken und Planung der Zielerreichung 9. Evaluation von Performance und Compliance Reporting 8.1/ 8.2 Operative Planung und Steuerung von Compliance Risiken Optimierung Implementierung Pflege Entwicklung Evaluation Implementierung . Grundsätze guter Unternehmensführung <?page no="363"?> 10 Governance, Risk & Compliance 363 Neue Betriebswirtschaft können und damit die Compliance Aspekte quasi als eine Erweiterung der bisherigen Managementsysteme aufgenommen werden. Die wesentlichen Elemente und ihre Verbindung im Compliance Management Standard ISO 19600 können aus der vorangegangenen Abbildung 10-10 entnommen werden. Der obere Teil der Abbildung 10-10 stellt die Einrichtung eines Compliance Managements dar. Dieser Bereich wird häufig als Frühphase bezeichnet, in der die Ziele und der Anwendungsbereich eines Compliance Management Systems im Unternehmen festgelegt werden müssen. Hierzu bietet es sich an, mit Hilfe einer SWOT Analyse die externen und internen Compliance-Felder zu identifizieren. In diesem Zusammenhang sollten auch die Erwartungen der relevanten Stakeholder- Gruppen in Betracht gezogen werden. Darauf aufbauend kann nachfolgend die Compliance Politik des Unternehmens definiert und geeignete Compliance Programme für den jeweiligen Unternehmensbereich erarbeitet werden. In der zweiten Phase, der sogenannten Spätphase (im unteren Teil der Abbildung 10-10 dargestellt), werden die Compliance Risiken und Compliance-Verpflichtungen unter Zuhilfenahme eines risikobasierten Ansatzes identifiziert, bewertet und gesteuert. Dazu wird auf den standardisierten Risikosteuerungsprozess aus dem ISO Standard 31000 zum Risikomanagement zurückgegriffen (siehe Abschnitt 10.3.4 dieses Kapitels Standards zum Risikomanagement). Am Ende dieses risikoorientierten Prozesses erfolgen die Berichterstattung und Dokumentation zu den Compliance Risiken und dem Compliance Management System. Die in der ISO 19600 empfohlene umfassende Dokumentation wird von zunehmender Wichtigkeit für Unternehmen und Geschäftsleitung. Im Fall einer aufgedeckten Unregelmäßigkeit wird es dem Unternehmen mit einer sachgerechten Dokumentation eher gelingen, einen Entlastungsbeweis zu erbringen. Zudem plant der deutsche Gesetzgeber eine sanktionsmildernde Berücksichtigung von Compliance-Bemühungen bei der Festlegung eines Strafmaßes. Konkret wurde dies schon im Rahmen der GWB-Novelle (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) zur Bußgeldbemessung berücksichtigt (Makowicz und Wüstemann, 2015, S. 1198). In einem weiteren Schritt wird das Management von Non-Compliance und die ständige Verbesserung der Entwicklung und Pflege des Compliance Managements in den Fokus gestellt (siehe Punkt 10 in Abbildung 10-10). Für die Organisation und Umsetzung eines Compliance Management im Unternehmen bietet auch der Prüfungsstandard der Wirtschaftsprüfer (im Folgenden kurz IDW) PS 980 zur Prüfung von Compliance Management Systemen eine gute Orientierungshilfe beim Aufbau eines ganzheitlichen Compliance Managements. Der Prüfungsstandard IDW PS 980 ist wie folgt gegliedert: 1. Vorbemerkungen (Anwendbarkeit), 2. Begriffsbestimmungen, 3. Gegenstand, Ziel und Umfang der Prüfung, 4. Grundelemente eines Compliance Management System, 5. Prüfungsanforderungen, 6. Anwendungshinweise und Erläuterungen. In den Abschnitten 1 bis 5 werden die eigentlichen Fragen zur Prüfung von Compliance Management Systemen kompakt auf 15 Seiten abgehandelt. Damit handelt es sich bei dem neuen Standard um einen relativ kurzen und übersichtlichen Prüfungsstandard (Balk et al. 2010, S. 243). Im sechsten Abschnitt werden für das Verständnis tiefer gehende Anwendungshinweise sowie Erläuterungen gegeben, die äußert hilfreich für die Implementierung bzw. Prüfung solcher Systeme sind. Darüber hinaus werden in den zwei Anlagen Rahmenkonzepte für die Ausgestaltung von Compliance Management Systemen geben. Außerdem finden sich in den Anlagen auch Hinweise zur Berichterstattung. Nach Balk et al. (2010) sind für Unternehmen, die sich mit der Einrichtung eines <?page no="364"?> 364 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft Compliance Management System beschäftigen, die Abschnitte Begriffsbestimmungen (2), Gegenstand der Prüfung (3), sowie die Grundelemente (4) von besonderer Relevanz. Desweiteren können auch die Anwendungshinweise und Erläuterungen ganz hilfreich sein. Der Rest des Prüfungsstandards beschäftigt sich mit der Art und Weise wie ein Prüfer seine Prüfungshandlungen zu planen und durchzuführen hat sowie der Berichterstattung über die Ergebnisse der Prüfung. Die beiden Standards ISO 19600 und IDW PS 980 stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich sinnvoll. Der ISO 19600 kann insbesondere als eine konzeptionelle Konkretisierung der im IDW PS 980 vorgestellten Grundelemente eines Compliance Management Systems bewertet werden (Withus und Kunz 2015, S. 689). Alle wesentlichen Elemente bzw. Komponenten eines Compliance Management Systems werden sowohl im IDW PS 980 als auch im ISO 19600 angesprochen und sind weitestgehend identisch. Der ISO 19600 enthält allerdings keine Aussagen zur Prüfung bzw. Zertifizierung des eingerichteten Compliance Management Systems durch unabhängige Dritte, wie etwa den Wirtschaftsprüfer. Hier muss im konkreten Fall auf den IDW PS 980 zurückgegriffen werden. Hingegen bietet der neue ISO 19600 für Unternehmen mit umfangreichen Auslandsaktivitäten, wie z. B. mit vielen Tochtergesellschaften im Ausland, eine Hilfe zur Standardisierung und damit Einführung einer unternehmensweit einheitlichen Compliance Struktur (Withus und Kunz, 2015, S. 689). Governance, Risk & Compliance Quick -Check Die von Miles und Snow (2003) entwickelte Typologie zur Beurteilung des Organisationsverhaltens von Unternehmen stellt eine gute Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung zu einem umfassenden Bewertungsinstrument für Unternehmen da. Nach der Erweiterung bzw. Anpassung dieser Typologie um die Bereiche Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance ergibt sich ein umfassendes Bewertungsschema welches detaillierte Aussagen zur Unternehmensteuerung und Unternehmenskontrolle erlaubt. Mit diesem Tool können Unternehmer zielgerichtet ihre vorhandenen Systeme zur Unternehmensteuerung und Unternehmenskontrolle weiter ausbauen. Der Ansatz von Miles und Snow dient als Rahmen für die durch die Autoren vorgenommene ganzheitliche Bewertung von Risikomanagement- und Compliance-Aktivitäten. Dazu entwickelten die Autoren drei Typen von Risikomanagement- und Compliance-Verhalten. Die Typenzuordnung der empirisch ermittelten Ausprägungen der Studienteilnehmer wurde nicht auf dem mathematischen Weg ermittelt, sondern erfolgte auf Basis teilstrukturierter Interviews. Um die Charakterisierungen vorzunehmen, wurde untersucht, welche Determinanten in bestimmten Mustern bzw. Häufungen auftreten. Hierzu verwenden wir folgende drei Typenbezeichnungen zur Klassifikation der Leistungsfähigkeit von Unternehmen: Reactor Defender Analyser. Nach dieser Klassifikation verfügen Unternehmen der Kategorie „Reactor“ über keine realisierbare Strategie; ihre weitere Entwicklung, ggf. sogar ihr Überleben ist als kritisch anzusehen. Am anderen Skalenende befindet sich der „Analyser“. Unternehmen dieser Kategorie sind am besten für die dynamischen Entwicklungen ihres Geschäftsumfeldes gerüstet. Bei dem Kategorietyp „Defender“ handelt es sich um ein Unternehmen, welches sich in einer Marktnische gut etabliert hat und wenn keine starken Veränderungen im externen Umfeld entstehen, kann dieser Unternehmenstyp ohne größere organisatorische Veränderungen überleben. Der Quick Check erlaubt durch die Selbst-Evaluation in den Themenfeldern Strategie und Struktur Governance und Compliance Unternehmensplanung <?page no="365"?> 10 Governance, Risk & Compliance 365 Neue Betriebswirtschaft Performance-Messung Risikomanagement-Prozess Risikomanagement-Organisation Projektrisikomanagement eine individuelle und zielgerichtete Analyse der Stärken und Schwächen des Unternehmens. Für jeden Quick Check-Teilnehmer erfolgt eine klare Zuordnung zu einem der Unternehmenstypen. Auf dieser Basis können im nächsten Schritt zielgerichtete Verbesserungsvorschläge zur Umsetzung eines ganzheitlichen Risiko- und Compliance Management angeboten werden. Die Fundierung dieser Typologie ist durch mehre eigene empirische Untersuchungen an deutschen Kleinen und Mittelständischen Unternehmen belegt bzw. getestet. Welcher Unternehmer-Typ sind Sie? Sicher haben Sie durch die Lektüre der vorhergehenden Abschnitte bereits ein „Bauchgefühl" entwickelt, in welche Kategorie Sie sich bzw. Ihr Unternehmen einordnen würden. Um die Einordnung weitestgehend objektiv und anhand eigener Erfahrungen vorzunehmen, können Sie einen Online-Test zur Selbst-Evaluation verwenden. Dieser ist unter folgender Webadresse abrufbar und kann direkt online bearbeitet werden: www.wee-consult.de Nach der Beantwortung der Fragen erhalten Sie eine Zuordnung zu einem der drei Unternehmenstypen und auf Wunsch weitere zielgerichtete Anregungen zur Verbesserung Ihrer Unternehmensführung. Übungsaufgaben/ Fragen zu Governance, Risk & Compliance Corporate Governance [1] Bitte skizzieren Sie kurz Ihr Verständnis von Corporate Governance im Kontext einer sachgerechten Unternehmensführung. [2] Was ist als Kerninhalt bzw. als Grundgedanke der Principal-Agent-Theorie zu verstehen? [3] Wodurch unterscheiden sich die beiden Ansätze zur Corporate Governance, also der Shareholderbzw. Stakeholder-Ansatz, grundsätzlich? [4] Welche gesetzlichen Regelungen bzw. Richtlinien sind im Rahmen der Corporate Governance für ein Unternehmen zu beachten? Risikomanagement [1] In Ihrem Unternehmen wird in letzter Zeit häufig über „Risiko als Chance“ gesprochen. Wie ordnen Sie diese Aussage betriebswirtschaftlich ein? [2] Einer der Ausgangspunkte für das Risikomanagement sind die Unternehmensziele. Welche Aufgaben könnten sich daraus für das Risikomanagement ergeben? [3] Ihr Geschäftsführer hat sich in letzter Zeit mit der Frage beschäftigt, wie ein ganzheitliches Risikomanagement im Unternehmen eingeführt werden kann. Er überlegt nun, einen Werkstudenten mit der Entwicklung eines Konzeptes zu beauftragen. Was halten Sie von dieser Idee? [4] Warum entscheiden sich Ihrer Meinung nach viele europäische Unternehmen für die dezentrale Organisation ihres Risikomanagements? <?page no="366"?> 366 Thomas Henschel und Ilka Heinze Neue Betriebswirtschaft [5] Ein Unternehmen sieht sich in den letzten Jahren verstärkt mit der Problematik sinkender Bewerberzahlen und schlechterer Qualität der eingehenden Bewerbungen konfrontiert. a) Benennen Sie mögliche Risiken. b) Welche(s) Risikofeld(er) sehen Sie hier angesprochen? c) Wie sollten die Aufgaben für das identifizierte Risiko verteilt werden? [6] Warum sollte ein Unternehmen stets eine Kombination aus mehreren Risikostrategien anwenden? [7] Warum kann das Risikomanagement-System kein starres Konzept sein? Compliance Management [1] Was sind die Ziele einer effektiven Compliance? [2] Was ist unter einem Compliance-Management-System zu verstehen? [3] Warum verlangen Unternehmen nach einem flexiblen Compliance-Management-System? [4] Welche Standards bzw. Normen können für die Einrichtung eines Compliance- Management-Systems herangezogen werden? Literaturempfehlungen Wenn Sie sich mit dem Themenkomplex Governance, Risk & Compliance tiefer beschäftigen wollen, empfehlen wir die folgenden Literaturquellen als Einstieg. Behringer, S. (2012) Compliance kompakt. Best Practice im Compliance Management, Berlin. Ehrmann, H. (2012) Risikomanagement im Unternehmen, Herne. Gleißner, W. (2017) Grundlagen des Risikomanagements im Unternehmen, München. Henschel, T. und Heinze, I. (2016) Governance, Risk & Compliance im Mittelstand. Praxisleitfaden für gute Unternehmensführung, Berlin. Henschel, T. (2010) Erfolgreiches Risikomanagement im Mittelstand. Strategien zur Unternehmenssicherung, Berlin. Runzheimer, B. und Wolf, K. (2009) Risikomanagement und KonTraG, Konzeption und Implementierung, Wiesbaden. Ulrich, P. (2018) Corporate Governance. Leitfaden für wertschöpfungsorientierte Unternehmensführung, Wiesbaden. Vanini, U. 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