Balladen
Didaktische Grundlagen und Unterrichtspraxis
0914
2020
978-3-8385-5389-4
978-3-8252-5389-9
UTB
Juliane Dube
Carolin Führer
Die Ballade ist als klassischer Unterrichtsgegenstand fester Bestandteil des Literaturunterrichts. Ihr Potential für literarisches Lernen mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen will der Band neu entdecken, indem sowohl kanonische als auch jüngere Balladen im Konzept eines themenorientierten und mediensensiblen Unterrichts präsentiert werden. Den Schwerpunkt bilden balladendidaktische Grundlagen, praktische Unterrichtsvorschläge sowie vielfältig einsetzbare Kopiervorlagen, die als Zusatzmaterial online zur Verfügung gestellt werden. Der Band gibt damit Lehramtsstudierenden, ReferendarInnen und Lehrenden des Faches Deutsch Einblick in aktuelle fachliche Diskussionen um die Ballade und deren Vermittlung.
<?page no="0"?> Juliane Dube Carolin Führer Balladen Didaktische Grundlagen und Unterrichtspraxis <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5389 <?page no="2"?> Dr. Juliane Dube ist Lehrerin an einer Sekundarschule in Bochum für die Fächer Deutsch und Sozialwissenschaft. Zuletzt arbeitete sie als Vertretungsprofessorin an der Universität Duisburg-Essen sowie als wissenschaftliche Koordinatorin eines Forschungs- und Nachwuchskollegs an der TU Dortmund. Prof. Dr. Carolin Führer lehrt und forscht im Fachbereich Deutsche Philologie/ Didaktik der deutschen Literatur an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Unterrichtshilfen verfügbar unter: https/ / utb-shop.de/ 9783825253899 <?page no="3"?> Juliane Dube, Carolin Führer Balladen Didaktische Grundlagen und Unterrichtspraxis Narr Francke Attempto Verlag Tübingen <?page no="4"?> © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5389 ISBN 978-3-8252-5389-9 (Print) ISBN 978-3-8385-5389-4 (ePDF) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 1 9 2 19 2.1 19 2.2 28 3 45 3.1 45 3.2 50 4 63 4.1 63 69 4.2 71 4.3 77 4.4 82 4.5 86 4.6 92 99 4.7 101 4.8 106 4.9 111 115 4.10 117 4.11 122 Inhalt Einführung: Balladen im Deutschunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachwissenschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff der Ballade und gattungsbezogene Definitionsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte der Ballade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Inszenierungen im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion . . Balladendidaktische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladen auswählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesen - mit Texten und Medien umgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich über Balladen austauschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladen analysieren und interpretieren . . . . . . . . . . . . . . Balladen werten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladentexte in Bild und Ton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladen in neuen medialen Formaten . . . . . . . . . . . . . . . . Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Referierendes und argumentatives Schreiben zu Balladen Operatives Schreiben zu Balladen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textproduktives Schreiben zu Balladen . . . . . . . . . . . . . . . Sprechen und Zuhören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladen vorlesen und vortragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladen auswendig lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 125 4.12 127 4.13 131 5 137 5.1 137 5.1.1 137 5.1.2 144 5.1.3 152 5.1.4 159 5.1.5 168 5.2 179 5.2.1 179 5.2.2 187 5.2.3 197 5.2.4 203 5.2.5 210 5.2.6 220 Sprache und Sprachgebrauch untersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balladen übersetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache in Balladen reflektieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenorientierte Unterrichtsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freundschaft und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freundschaft hat viele Gesichter - „Die Freunde“ von Wilhelm Busch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Abhandenkommen der Liebe - „Sachliche Romanze“ von Erich Kästner . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschwisterneid, ein tödliches Motiv: „Die zwei Schwestern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzenloser Liebesbeweis - „Der Handschuh“ von Friedrich Schiller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingungslose Freundschaft über den Tod hinaus - „Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller . . . . . . . Unheimliches und Geisterhaftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Semantik und Ästhetik des Bösen in der Literatur - „Gespenster“ von Alexander S. Puschkin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstüberschätzung als Entwicklungsmoment - „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Leben und Tod - „Der Erlkönig“ von Johann Wolfgang von Goethe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „O, schaurig“ - „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Poetische Wirkkraft rational kalkulierter Dichtung - „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe . . . . . . . . . . . . . Vergänglichkeit als Bestandteil des Lebens - „Toten-Tanz“ von Johann Wolfgang von Goethe, Rainer Maria Rilke und „Berliner Totentanz 1 + 2“ von Thomas Kling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 5.3 232 5.3.1 232 5.3.2 238 5.3.3 246 5.3.4 256 5.4 267 5.4.1 267 5.4.2 275 5.4.3 286 5.4.4 294 5.4.5 302 313 341 343 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung . . . . . . . . . . Gewagte Sprünge in luftiger Höhe - „Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil“ von Michael Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ökologische Nachhaltigkeit - „Holger, die Waldfee“ von Lars Ruppel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zivilcourage auf hoher See - „Nis Randers“ von Otto Ernst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die übernatürliche Macht der Poesie - „Die Kraniche des Ibykus“ von Friedrich Schiller . . . . . Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik . . . . . . . . . . . Dominium terrae - „Der kleine Vogelfänger“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben . . . . (Ohn-)macht gegenüber der Natur - „Die Brück’ am Tay“ von Theodor Fontane . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt und Religion - „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationalsozialismus und Folgen - „Und es war ein Tag“ von Nora Gomringer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedankenfreiheit bis zum Tod - „Der Flüchtling“ von Fritz von Unruh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht Juliane Dube und Carolin Führer Abb. 1.1: Illustration zu Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“ von Ferdinand Barth (1842-1892). Während Balladen in der gegenwärtigen Unterhaltungskultur eher mit ro‐ mantischer Pop- und Rockmusik assoziiert werden, sind sie im schulischen Kontext untrennbar mit einer Reihe von Klassikern wie „Der Zauberlehr‐ ling“ (Abb. 1.1), „John Maynard“ oder „Der Handschuh“ und ihren unter‐ schiedlichen künstlerischen Adaptionen verbunden. Balladen gehören zu den wenigen (traditionsreichen) Gegenständen im Deutschunterricht, die auch mit der Kompetenzorientierung z.T. noch explizite Benennung in den aktuellen Bildungsplänen finden. Entgegen der Einwände einiger Literatur‐ wissenschaftler/ -innen (vgl. u. a. Laufhütte 1979), welche die Ballade eher der epischen Gattung zuordnen würden, ist sie in den Bildungsplänen bzw. der Unterrichtspraxis häufig Gegenstand des Lyrikunterrichts im 7. und 8. Jahrgang. Auch wenn sie sprachlich weniger komplex zu sein scheint als ihre lyrischen Verwandten, stellt die Ballade aufgrund von unmarkierten Sprecherwechseln, mehrgliedrigen Handlungssträngen sowie veraltetem Sprachgebrauch die Schüler/ -innen immer wieder vor Herausforderungen. <?page no="10"?> Unterstützungsversuche durch die Lehrperson münden dabei allzu oft ent‐ weder in der „Verselbstständigung formaler Betrachtungen“ oder im Erpro‐ ben von „intuitiven Textzugängen“ (Kammler 2009: 4). Die Auseinanderset‐ zung mit den in Balladen verhandelten Themen und Inhalten, die den Leser/ -innen zum (moralischen) Urteilen herausfordern können, geht dabei oft unter. Ebendieses Eingefahrensein scheint den Nährboden für den in‐ zwischen vielfach zitierten Appell Hans Magnus Enzensbergers an die Deutschlehrer/ -innen zu liefern, auf die Thematisierung von Lyrik im Deutschunterricht lieber ganz zu verzichten: „Zwingen Sie nie einen wehr‐ losen Menschen, den Mund aufzusperren und ein Gedicht hinunterzuschlin‐ gen, auf das er keine Lust hat! “ (Enzensberger 1975/ 1991: 40). Die Unbe‐ liebtheit von und das mangelnde Interesse an Lyrik (Spinner 1995) scheinen bei der überwiegenden Mehrheit der Heranwachsenden mit steigendem Al‐ ter zuzunehmen - trotz einer vitalen Slamszene und der Gründung junger Verlage (z. B. Voland & Quist, kookbooks, Edition Azur). Das große Potenzial der Ballade ist damit in Vermittlungszusammenhän‐ gen nur unzureichend ausgenutzt. Dabei sind die klassischen Volksballaden sowie ihre vielseitigen Nachkommen (Romanze, Bänkelsang, Zeitungslied, Politsong etc.), mit Ausnahme der Kunstvariationen, aus dem Bestreben heraus entstanden, Ereignisse (singend) vorzutragen, die für das Publikum von besonderem Interesse waren. Aus diesem Grunde sind die in Balladen behandelten Stoffe oft so vielseitig wie das Leben selbst und können es mit ihrem dramatischen Charakter „mühelos mit den bei Kindern so beliebten Grusel- und Abenteuergeschichten“ (Rathmann/ Wildemann 2013: 1) auf‐ nehmen. Insbesondere ihre Epizität (womit hier ein leicht fasslicher Erzähl‐ kern gemeint ist) erleichtert den Zugang zur Dichtung. Die Vielzahl der Veröffentlichungen im Bilderbuchformat verweist darüber hinaus auf die Anschaulichkeit und den Bildreichtum der Balladen, die es leicht machen „in die Geschichte einzusteigen und der Atmosphäre nachzuspüren“ (Franz 1987: 40). Mit ihrem unverwechselbaren Reim, Klang und Rhythmus schließen sie formal an (früh-)kindliche literarische Erfah‐ rungen an und bieten aufgrund ihrer Leerstellen und damit verbundenen Spannungserzeugung genügend Raum für kindliche Vorstellungsbildung und Identifikation. Mit zunehmender geistiger und literarischer Lernreife eignen sie sich hervorragend als Mittel der Welterschließung und Ich-Fin‐ dung (vgl. Spinner 1995). Und nicht zuletzt stellen Balladen durch ihre Sym‐ bol- und Konfliktstruktur sowie Kontext- und Epochenspezifiken einen an‐ spruchsvollen Lerngegenstand bis in die Oberstufe dar. Die besonders in den 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 10 <?page no="11"?> Gattungsgrenzen feststellbare performative und (musikalische) Dimension dieser Texte macht sie in einer medialen Gesellschaft, in der Präsentation und Wirkung(-ssteuerung) zentrale Schlüsselfunktionen darstellen, zu ei‐ nem interessanten literarischen Genre. Angesichts einer sozial, sprachlich und kulturell heterogen zusammen‐ gesetzten Schülerschaft stellt sich der Band folgenden Aufgaben: ▸ Balladen mit Blick auf ihr Potenzial für die Kompetenzvermittlung ▸ auszuwählen, ▸ eine Auseinandersetzung mit Balladen in allen Jahrgängen der Se‐ ▸ kundarstufe I+II anzuregen, ▸ und dementsprechend didaktisch neu zu konturieren. ▸ Damit will der Band das kulturelle Erbe einerseits erhalten und andererseits über die institutionelle Tradition hinausschauen. Dem Anspruch folgend, didaktische Überlegungen auch fachwissenschaft‐ lich verorten und begründen zu können, beschäftigt sich der erste, theore‐ tische Abschnitt mit den Definitionsschwierigkeiten der Ballade. Entlang der Prinzipien Analogie und Differenz wurde neben einer Ein‐ führung in theoretische (Kapitel 2) und didaktische Grundlagen (Kapitel 3 und 4) eine Vielzahl von Balladen(-didaktisierungen) für ein heterogenes und medienintegratives Klassenzimmer zusammengestellt (Kapitel 5). Hier‐ unter finden sich neben kanonischen Werken auch Beispiele aus der aktu‐ ellen kulturellen Praxis, z. B. in Form von populärer Musik und Perfor‐ mance-Lyrik. Die ausgewählten modernen und zeitgenössischen Balladen zeichnen sich dabei thematisch über die „Zunahme eines reflexiven Mo‐ ments“ (Bogosavlevic/ Woeseler: 6), z.T. über die Verhandlung der „Trivialität des Alltags“ (Piontek 1964) und formal über ihren Performance- Charakter und das bewusste Herstellen von Intertextualitäten (vgl. Bogosavlevic/ Woeseler 2009) aus. Die jeweiligen Unterrichtsimpulse für die Praxis wurden um ausgewählte literaturwissenschaftliche Diskurse zum jeweiligen Text ergänzt. Diese ausgewählten didaktischen Analysen sind darum bemüht, Leserbzw. Subjektorientierung in heterogenen Klassengemeinschaften mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit des Textes und seiner spezifischen kultu‐ rellen und literarischen Verfasstheit zu verbinden. Angesichts der Bandbreite der literarischen Gattung stellte sich auch für die Konzeption und Textauswahl dieses Bandes die Frage nach der Gat‐ tungszuordnung der Ballade. Dabei erweist sich die vor fast 200 Jahren von 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 11 <?page no="12"?> 1 Vergleiche hierzu die literaturwissenschaftliche Diskussion um die Ballade als „episches Gedicht“ (Fromm 1965: 393), als „Erzählgedicht“ seitens Kurt Bräutigam (1968) und Heinz Piontek (1964) sowie als „erzählendes Gedicht“ bei Woeseler (2009: 35). Goethe stammende Definition der Ballade als „Ur-Ei“, in der die später ge‐ trennten Gattungen der Lyrik, Epik und Dramatik noch vereint sind, als ebenso unzureichend wie jüngere Definitionsversuche als Erzählgedicht 1 (vgl. Piontek 1964) oder als Gedicht, das dramatische Geschichten erzählt (Segebrecht 2012). Neuere Balladenanthologien verzichten angesichts der Vielfältigkeit der Balladentypen daher teilweise auf Ausführungen zur Gat‐ tungszuordnung. In der Erarbeitung dieses Bandes haben wir uns entschieden, eine Samm‐ lung von obligatorischen und fakultativen Merkmalen zusammenzustellen, die uns vor allem didaktisch ergiebig scheinen. Balladen sind danach litera‐ rische Texte kürzeren Umfangs, die in lyrisch gebundener Form ungewöhn‐ liche konflikthafte bis ins Dramatische hinein gestaltete Begebenheiten und Ereignisse aufgreifen, wodurch sie ein starkes emotionales Moment besitzen. Häufig in Balladen vertreten, aber nicht zwingend, sind eine vershaft und strophisch verfasste, lineare, konzise in einprägsamen Szenen dargestellte abgeschlossene Handlung, in deren Zentrum wenige Figuren stehen (Kap. 2.1). Ausgehend von diesen mehr oder weniger distinkten Merkmalen zeich‐ nen die ersten Kapitel die Entstehung und Entwicklung der Ballade nach, deren Bedeutung für die Literaturgeschichte nur von wenigen bestritten wird. Thematisiert werden das französische Tanzlied mit Refrain („balada“), sowie die spanische „Romance“ des 14./ 15. Jahrhunderts. Auch die „erzäh‐ lenden Lieder im volkstümlichen Ton“ („walad“, „balad“) aus dem skandi‐ navischen Sprachraum, die später den englischen „ballads“ und damit auch den deutschen Volksballaden als Vorlage dienten (vgl. Weißert 1993) werden aufgegriffen. Als besonders reiche Quellen für die zukünftigen Balladen‐ dichter erwiesen sich die systematischen Sammlungen von Volksballaden in Ancient English Poetry von Thomas Percy (1765) und The English and Scottish Ballads von F. J. Child (1889) sowie die Sammlung von Volksliedern von Jo‐ hann Gottfried Herder (1778/ 1779). Insbesondere die letztgenannte hatte wesentlichen Anteil an der Verbreitung der Ballade im deutschen Sprach‐ raum. Inspiriert von den Balladen des keltischen Barden Ossian, sammelte Herder eine Vielzahl von Volksliedern, deren ‚natürliche‘ ungekünstelte Philosophie den Menschen dazu bewegen sollte, sich aus seiner ihm von 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 12 <?page no="13"?> Kant vorgeworfenen ‚selbstverschuldeten Unmündigkeit‘ zu befreien (vgl. Quasthoff/ Quasthoff 2007: 12). Durch vielseitige Einflüsse entstand in den darauffolgenden Jahrzehnten eine Variationsvielfalt balladesker Dichtung. Neben der klassischen Volks‐ ballade des Spätmittelalters erweitern die romantische Ballade und die Kunstballade, das Erzählgedicht, das Zeitungslied, der historische und mo‐ derne Bänkelsang sowie die Kabarett- und Protest-Ballade des frühen 20. Jahrhunderts die Tradition dieser literarischen Gattung. Diese enorme Wandlungsfähigkeit sichert der Ballade ihr Fortbestehen bis in die heutige Zeit. Der zweite theoretische Teil widmet sich der Ballade als schulischem Lerngegenstand (Kapitel 3). Hier werden aus der langen Tradition der Bal‐ lade im Deutschunterricht und ihren didaktischen Inszenierungsmustern und -wendepunkten sowie den gegenwärtigen kompetenzbezogenen Ent‐ wicklungen der Deutschdidaktik mögliche aktuelle Zugänge zum Umgang mit der Ballade diskutiert. Balladen galten im Deutschunterricht lange Zeit als literarischer Gegenstand, an dem generationsübergreifende Verständigung stattfinden kann (vgl. Köster 2001). Im Wilhelminismus dienten sie als Fun‐ dus von (auswendig gelernten) Lebensmaximen; auch in der Weimarer Re‐ publik und dann erst recht im Nationalsozialismus ist der Umgang mit Bal‐ laden von einer affirmativ-ideologisierenden Didaktik geprägt. Mit der ideologiekritischen Wende im Umfeld der 68er-Bewegung plädieren u. a. Heinz Ide und Rudolf Wenzel in der alten BRD für eine veränderte Auswahl und diskursive Verfahren im Umgang mit Balladen. Als Mittel der Verstän‐ digung wird die Ballade in der alten BRD erst Mitte der 1980er-Jahre im „Neben- und Gegeneinander verschiedener Texttraditionen und darin sich spiegelnder, ästhetisch modellierter Bewußtseinslagen“ (Merkelbach 1984: 185 zit. n. Köster 2001) wiederentdeckt. In der ehemaligen DDR genießt sie durch die Berufung auf das humanistische Erbe und die damit verbundene Vermittlung ideologischer und ästhetischer Erziehungsmaximen von Be‐ ginn an relativ hohe Wertschätzung. Der Blick in die Deutschbücher der 1990er-Jahre zeigt, dass sich nunmehr im Lese- und Literaturunterricht der Sekundarstufen ein „bereinigter Restbestand von im Schnitt vier bis fünf Kunstballaden“ (Köster 2001: 180) findet. Deren didaktische Aufbereitung ist aber durch eine „starke Fixierung auf Formales, Gattungsspezifisches und handwerklich Spielerisches“ charakterisiert und vergibt damit ihr Potenzial zur Positionierung und Wertediskussion (vgl. Köster 2001). 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 13 <?page no="14"?> Neben der Option, der Ballade auch im Kontext ihrer jeweiligen Rezeption als Ausdruck von Werten, Normen und Kulturmustern sowie ihren (histori‐ schen) Veränderungen unterrichtlich zu begegnen, ist sie auch für jüngere, mehrsprachige und inklusive Lerngruppen ein Gewinn. Ihre vielfältigen medialen Adaptionen und ihr enormes performatives Potential bieten Mög‐ lichkeiten, Textzugänge für alle Lernenden zu schaffen. Dabei besteht die besondere Schwierigkeit in der angemessenen Analyse und/ oder dennoch kreativen, individuellen Annäherung: biographische, politische und soziale Umstände der Textentstehung sowie intertextuelle Bezüge des Werkes dür‐ fen weder überfordern noch auf eine (relativ) eindeutige (didaktisch redu‐ zierte) Textaussage verengt werden. Eine Auslotung von (neuen) Bedeu‐ tungspotentialen durch die Rezeption aus dem jeweiligen (gegenwärtigen) Kontext des Lesers/ der Leserin heraus darf nicht in ein willkürliches Über‐ schreiten von Bedeutungsspielräumen ausarten (vgl. Kammler 2009: 9). Diese Problematik kann aus unserer Sicht behoben werden, indem es bei‐ spielweise zu einer Teilung von Kompetenzen im Klassenverbund und deren Relationierungen zueinander am konkreten Gegenstand kommt. In solchen Lernprozessen kann die Lehrkraft Balladenunterricht beispielsweise zuneh‐ mend so organisieren, dass sie Sequenzen bildet, die nicht einen Gegenstand unsystematisch in den Blick nehmen, sondern in der Sequenz fachliche Kontexte modellhaft zeigen. Die zunehmend eigenständige Erarbeitung der Balladen und eine Text‐ erschließung, die auch textinterne Wertungen wahrnimmt und mit eigenen Positionierungen verbindet, ist an die jeweiligen Jahrgangs- und Kompe‐ tenzstufen gebunden. Daher plädieren wir für einen systematischen Einbe‐ zug der Ballade, der die Verstehensanforderungen des allgemeines Text‐ verstehens zunehmend erweitert um die Besonderheiten literarischen Verstehens und - nicht zuletzt- die wertende Reflexion zur Welt und zu sich selbst aus dem Text heraus. Anregungen hierzu finden sich in den balladendidaktischen Grundlagen (Kap. 4), die mit Blick auf die Kompetenzbereiche der Bildungsstandards schulstufenunspezifisch zunächst verschiedene methodisch-didaktische Anregungen aus der aktuellen fachdidaktischen Forschung erläutern. Die jeweiligen Grundlagentexte erheben im Anbetracht ihres Umfangs keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sodass die Ausführungen um weiterführende bzw. vertiefende Literaturhinweise am Ende der einzelnen Überblicke er‐ gänzt sind. 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 14 <?page no="15"?> Zielsetzung des sich anschließenden umfangreicheren balladendidakti‐ schen Kapitels zur Unterrichtspraxis (Kap. 5) ist es, themenorientiert und systematisch aufbauend konkrete Textarbeit im Unterricht zu präsentieren. Dabei wird ein Zusammenspiel analytischer Verfahren sowie handlungs- und produktionsorientierter Methoden favorisiert. Handlungs- und produk‐ tionsorientierte Verfahren werden hierbei jedoch nicht nur vor dem Hin‐ tergrund motivationaler und subjektiver Erwerbsaspekte berücksichtigt, sondern wir versuchen, auch ihr heuristisches Potenzial für die Intensivie‐ rung von Verstehensprozessen zu zeigen. So fällt ihnen im Rahmen des äs‐ thetischen Erlebens und Wahrnehmens, z. B. von sprachlichen Verdichtun‐ gen in der Ballade, aus unserer Sicht eine besondere Erkenntnisfunktion zu. Die (durch solche Verfahren besonders betonte) Pluralität der Betrach‐ tungsweisen und des Umgangs mit dem Gegenstand wird in den didakti‐ schen Konzeptionen im Hinblick auf einen Erwerbsaspekt der in den Bil‐ dungsplänen verankerten Kernkompetenzen fokussiert: Sprechen und Zuhören - Schreiben - Lesen - mit Texten und Medien umgehen - Sprache und Sprachgebrauch untersuchen. Ausgehend vom jeweiligen Kompetenzfeld bzw. den für den Umgang mit den ausgewählten Texten relevanten Kom‐ petenzen aus den Bildungsstandards für Primarstufe, Mittleren Schulab‐ schluss und Allgemeine Hochschulreife werden die didaktischen Anregun‐ gen vorgestellt. Bei deren Konzeption wurde Wert darauf gelegt, vielfältige literarische und mediale Praktiken aus der Alltagswelt der Kinder und Ju‐ gendlichen aufzugreifen, um die bestmöglichen Voraussetzungen für die Partizipation dieser am Literarischen Leben zu schaffen. Selbstredend ist dabei, dass es den didaktischen Königsweg dafür nicht gibt, sodass alle An‐ regungen für die individuelle (von den konkreten Gegebenheiten und Über‐ zeugungen abhängige) Gestaltung des Unterrichts angepasst werden müs‐ sen. Die Vorstellung der Unterrichtssequenzen entlang fokussierter Kompe‐ tenzen verfolgt dabei nicht das Ziel, Balladen für diese Kompetenzziele zu instrumentalisieren. Vielmehr sind es textspezifische Angebote um lesend, schreibend, sprechend sowie sprachreflektierend literarische, sprachliche und poetische Erfahrungsräume zu eröffnen. Der Band basiert damit auf der Idee, dass auch mit Kompetenzorientierung eine auf Ganzheitlichkeit aus‐ gerichtete Deutschdidaktik möglich ist, „die weder den dichterischen Text als bloßes Transportmittel für Inhalte, noch als rein formales Gebilde auf‐ faßt, sondern ihn als Gestaltung und Medium der Auseinandersetzung be‐ greift“ (Spinner 1995: 5). 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 15 <?page no="16"?> Jedem Textbeispiel sind folglich Gedanken zur Textauswahl und zur di‐ daktischen Schwerpunktsetzung vorangestellt. Dem folgen mögliche Kom‐ petenzzuordnungen hinsichtlich des jeweiligen Angebots zur didaktischen Umsetzung. Vor dem Hintergrund eines kontextorientierten Lernens, das bei fortgeschrittenen Leser/ -innen durch Sequenzen des vergleichenden li‐ terarischen und ästhetischen Lernens abgelöst wird, sind so 22 Unterrichts‐ angebote entstanden. Diese sollen allen Schüler/ -innen unabhängig von ih‐ ren kulturellen, sozialen und sprachlichen Ausgangsbedingungen einen lebendigen und reflektierenden Umgang mit Balladen ermöglichen. Eine Vielzahl der didaktisierten Textvorschläge wurde um zusätzliche Un‐ terrichtshilfen ergänzt, die Sie im utb-Shop unter https: / / utb-shop.de/ 978 3825253899 zu diesem Band finden. Im Text sind die Verweise auf diese Materialien mit einem Maus-Symbol in der Marginalspalte versehen. Zur besseren Orientierung im Buch sind manche Abschnitte in Textkästen gefasst und mit Icons versehen, die unterschiedliche Funktionen haben. Es handelt sich dabei um Abschnitte, in denen auf Material im Internet verwiesen wird, das für die Vorbe‐ reitung oder Gestaltung des Unterrichts interessant sein könnte (Homepages, youtube-Videos, Tutorials …); in denen wesentliche Kapitelinhalte zusammengefasst werden; in denen konkrete Unterrichtsvorschläge vorgestellt werden. Die Balladen wurden in Anlehnung an das Prinzip der thematischen Se‐ quenzbildung (vgl. u. a. Spinner 1995) so zusammengestellt, dass sie eine möglichst große Vielfalt der in Balladen behandelten Themen sowie ent‐ wicklungsspezifischen Rezeptionsinteressen und -kompetenzen berück‐ sichtigen. Liebe und Freundschaft, dämonisch-spukhafte Stoffe, Schicksal, menschliche Bewährung und Hybris, historische Begebenheiten sowie Kri‐ tik an sozialen und politischen Zuständen sind Themenkreise, die in der 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 16 <?page no="17"?> Geschichte der Ballade bis heute Modellcharakter haben. Sie sind darüber hinaus institutionell im Literaturunterricht verankert und regen zur Aus‐ einandersetzung mit anthropologischen Grundfragen an (vgl. Spinner 1999). Die starke Berücksichtigung der bisherigen literarischen und schulischen Traditionen in diesem Teil soll deren kulturelle Bedeutsamkeit untermauern und durch intermediale und methodisch vielfältige Lehr-/ Lernarrangements beleben. Die Auswahl und ihre jeweiligen didaktischen Inszenierungen ver‐ folgen zudem das grundlegende Ziel, Schüler/ -innen für formale und sprach‐ liche Unterschiede zu sensibilisieren und einen differenzierten Blick auf die im jeweiligen Text verhandelten Problemaspekte zu fördern. 1 Einführung: Balladen im Deutschunterricht 17 <?page no="19"?> 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen Juliane Dube 2.1 Begriff der Ballade und gattungsbezogene Definitionsschwierigkeiten Als nicht „reinrassiges Geschöpf unter den Musenkindern“ und „merkwür‐ diges poetisches Gebilde“ (vgl. Grimm 2002: 11) wird die Ballade zuweilen als „Grenzgängerin zwischen Lyrik, Epik und Dramatik“ (Pinkerneil 2000: 10) eingeführt. So finden sich in Balladen von Sagen und Mythen sowie geschichtlichen und alltäglichen Ereignissen geprägte Erzählungen zu viel‐ fältigen Themen (u. a. Schicksal, Liebe, Tod etc.) (vgl. Woeseler 2009: 35). Inszeniert sind sie unter Verwendung unterschiedlicher Redeformen, teil‐ weise sogar innerhalb einer Ballade, (u. a. Einzelrede, Wechselrede, Erzähler- und Figurenrede) sowie sprachlicher und formaler Mittel. Die Schwierig‐ keiten, die mit diesem Grenzgängertum einhergehen, werden bereits nach einem kurzen Blick in verschiedene Erläuterungen zur Ballade deutlich. Nur selten finden sich heute noch knappe Formulierungen wie z. B. bei Duden online: Die Ballade ist ein [volkstümliches] Gedicht, in dem ein handlungsreiches, oft tragisch endendes Geschehen [aus Geschichte, Sage oder Mythologie] erzählt wird. oder im Lexikon Deutschdidaktik (Kliewer/ Pohl 2006: 36): Die Ballade ist eine erzählende Gedichtform, Verbreitung seit dem Ende des 18. Jh. als Kunstballade. Vorläufer sind die (meist) gesungene Volksballade und die Morität. Für moderne Formen der Ballade wird z.T. auch die Gattungsbezeichnung Erzählgedicht verwendet. Die Ballade vereinigt in sich lyrische, epische und dra‐ matische Elemente; immer wieder wird J.W. Goethes Zeitschriftenartikel „Ballade. Betrachtung und Auslegung“ von 1821 zitiert, in dem er auf diesen gattungsver‐ bindenden Aspekt hinweist und die Ballade mit einem „lebendigen Ur-Ei“ ver‐ gleicht, weil in ihr die poetischen „Elemente“ noch nicht getrennt sind. <?page no="20"?> 1 Kursivsetzungen erfolgten in den Definitionsversuchen durch die Autorin des vorlie‐ genden Beitrags. Die nicht nur hier im Lexikon der Deutschdidaktik angeführte Rekurrenz der Ballade als „lebendiges Ur-Ei“ dient auch in einer Vielzahl von Sprach- und Lesebüchern sowie zahlreichen fachwissenschaftlichen Balladenantho‐ logien als Grundlage. Mit Verweis auf Goethes Ausführungen in seinem 1821 veröffentlichten Aufsatz „Ballade, Betrachtung Auslegung“ vereinen Balla‐ den die „drey Grundarten der Poesie“ durch ihre epische Erzählweise mit lyrischer Grundform und dramatischer Gestaltung. So heißt es bei Goethe: Die Ballade hat etwas mysterioses ohne mystisch zu seyn; diese letzte Eigenschaft eines Gedichts liegt im Stoff, jene in der Behandlung. Das Geheimnißvolle der Ballade entspringt aus der Vortragsweise. Der Sänger nämlich hat seinen prä‐ gnanten Gegenstand, seine Figuren, deren Thaten und Bewegung, so tief im Sinne daß er nicht weiß wie er ihn ans Tageslicht fordern will. Er bedient sich daher aller drey Grundarten der Poesie, um zunächst auszudrücken was die Einbil‐ dungskraft erregen, den Geist beschäftigen soll; er kann lyrisch, episch, drama‐ tisch beginnen, und, nach Belieben die Formen wechselnd, fortfahren, zum Ende hineilen, oder es weit hinausschieben. Der Refrain, das Wiederkehren ebendes‐ selben Schlußklanges, giebt dieser Dichtart den entschiedenen lyrischen Cha‐ rakter. (Goethe 1981, Bd. 1: 400) Obwohl die Metapher des Ur-Eis die Balladenforschung bis heute dominiert (vgl. Bartl 2017: 22), scheint sie allein nicht auszureichen, um die Vielfalt der Ballade zu erfassen. Auch deutlich ausführlichere Definitionsversuche zur Ballade verweisen durch ihre verstärkte Verwendung von Abtönungsparti‐ keln wie meist, oft und manchmal überdeutlich, auf die bis heute vorherr‐ schende Schwierigkeit, eine „greifbare Kategorisierung und abschließende - oder zumindest als Arbeitsdefinition funktionale - Definition“ (Bartl 2017: 23) auszugeben. So beschreibt Hartmut Laufhütte (vgl. 1979/ 1992: 25) die Ballade z. B. als „eine episch-fiktionale Gattung. Sie ist immer in Versen, meist gereimt und strophisch, manchmal mit Benutzung refrainartiger Be‐ standteile und oft mit großer metrisch-rhythmischer Artistik gestaltet“. Auch im Definitionsversuch von Fauser (2000) heißt es: „Innerhalb des Gefüges der Gattungen verschieden eingeordnet, steht die Ballade formal oft der kurzen Verserzählung am nächsten“ (Fauser 2000: 14) 1 . Zu diesen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass es keine „spezifisch balla‐ dischen Themen gibt“ (Laufhütte 1979, Nachwort: 613). Zumbach beschreibt 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 20 <?page no="21"?> die bisherigen Versuche der Fachwissenschaft, eine konzise Balladendefini‐ tion aufzustellen, in Folge dessen als „schwammige Umkreisungen“ (Zum‐ bach 2008: 7). Es verwundert daher nicht, dass jüngste Versuche, eine Ant‐ wort auf die Frage: „Was ist eine Ballade? “ zu geben, inzwischen ganze Kapitel füllen (vgl. hierzu aktuell Segebrecht 2012, Nachwort; Bartl 2017: 9−19). Im Vergleich zu den umfassenderen Ausführungen der jüngsten Zeit macht der erneute Blick auf die Ur-Ei-Metapher deutlich, dass es Goethe damit geradezu charmant gelingt, sich der Frage zu entziehen, zu welcher Gattung die Ballade nun eigentlich gehört (vgl. Weißert 1993: 5). Folglich entstand der Eindruck, die Ur-Ei-Definition und ihre Anhänger/ -innen wür‐ den als Mittler zwischen den lange Zeit konkurrierenden Sichtweisen zur Gattungszuordnung der Ballade fungieren. Auf der einen Seite wurde die Ballade als eine „epische Grundstruktur mit Zusatzmerkmalen“, die ein „Vorgangskontinuum“ (Laufhütte 1979: 350; vgl. aber auch u. a. Hamburger 1957, Steffens 1971) beinhaltet, bzw. als „Handlungsgedicht mit einem Kon‐ fliktpotential“ charakterisiert (Grimm 2002, aber auch Segebrecht 2012); auf der anderen Seite als lyrischer Text in dessen Zentrum die subjektiven Be‐ findlichkeiten eines lyrischen Ich stehen (vgl. u. a. Müller-Seidel 1963, Wag‐ ner 1972 und Müller 1980). Während sich die Fachwissenschaft inzwischen von der Zuordnung zur Lyrik verabschiedet hat, hält der Diskurs um die Ballade als „Gattungshybrid“ (Conrad 2017: 22) vs. „episch-fiktionale Gat‐ tung“ weiter an (vgl. die Beiträge im Sammelband Bartl et al. 2017). Wenngleich auch die neueren Publikationen zur Ballade Goethes Ur-Ei-Definition viel Gutes abgewinnen können, da sie sich einer „apodik‐ tischen Einordnung“ verwehrt und damit den Facettenreichtum der Balla‐ dendichtung nicht unzulässig reduziert (vgl. Bartl 2017: 15), dominiert der seit den 1960er-Jahren etablierte Terminus der Ballade als Gedicht mit Er‐ zählfunktion den heutigen fachwissenschaftlichen Diskurs (vgl. Knezevic 2017: 288). Deutlich wird jene starke Verankerung des Epischen, die sich deutlich von traditionellen lyrischen und dramatischen Texten abgrenzt, wenn die gebundene Sprache vieler Balladen aufgebrochen wird. Schnell zeigt sich dann, dass mit nur wenigen Eingriffen in den Text das Umschrei‐ ben in eine Erzählung gelingt. Hierzu tragen nicht nur der Einsatz eines allwissend-distanzierten Erzählers oder eines Ich-Erzählers in Rollenballa‐ den bei, der die ungewöhnlichen konflikthaften bis ins Dramatische hinein gestalteten Begebenheiten und Ereignisse im Ur-Tempus des Epischen, dem 2.1 Begriff der Ballade und gattungsbezogene Definitionsschwierigkeiten 21 <?page no="22"?> Präteritum, wiedergibt, sondern auch die lineare und konzise Darstellung der abgeschlossenen Handlung. Ungeachtet der Zuordnung zur Epik zeigt sich, dass die Erzählfunktion in den Balladen jedoch ganz unterschiedlich ausgeprägt sein kann. So finden sich einerseits zahlreiche Balladen wie z. B. Ruppels „Holger, die Waldfee“ (vgl. Kap. 5.3.2) oder Hacks „Vom schweren Leben des Ritters Kauz vom Rabensee“, die fast ausschließlich durch einen Erzähler vorgetragen werden. Andererseits ist die Erzählfunktion zum Beispiel in Goethes Ballade vom „Erlkönig“ (Kap. 5.2.3), auf eine die dramatische Wechselrede zwischen Va‐ ter, Kind und Erlkönig rahmende Einführungs- und Abschlussstrophe be‐ grenzt. Zu jenen Balladen mit schwach ausgeprägter Erzählfunktion zählt auch Schillers „Die Kraniche des Ibykus“ (Kap. 5.3.4). Nur kurz wird hier die dramatische Wechselrede durch Einschübe unterbrochen, die sich wie Re‐ gieanweisungen lesen lassen und zusammen mit dem oftmals musterhaften Freytagschen Schema eines Spannungsbogens aus knapper Exposition, Spannungssteigerung, Peripetie (Höhepunkt), abfallender Handlung (ggf. mit retardierendem Moment) und der Lösung des Konflikts die Nähe zum Drama zeigen (vgl. Bartl 2017: 16). In anderen Balladen wie z. B. Eichendorffs „Waldgespräch“ oder diversen Rollenballaden fehlt der Erzähler ganz. Ein‐ mal mehr zeigt sich die Ballade auch in diesen Beispielen als Grenzgängerin. Folglich verwundert es nicht, dass die Forderungen lauter werden, die fach‐ wissenschaftlichen Diskussionen zur Dominanz des episch-fiktionalen Ge‐ halts der Ballade erneut zu öffnen(vgl. hierzu u. a. Bartl 2017: 15). Ob die vielseitigen Formen der Balladen mit den veränderten gesell‐ schaftlichen Gegebenheiten zu einem Abschluss gekommen sind oder ob sie sie sich an die neuen Gegebenheiten und Möglichkeiten angepasst haben, ist nach wie vor offen (vgl. Kohl 2011: 94). Kohl verweist hier dezidiert auf die Problematik, dass jeder Definitionsversuch von zeitlichen Abhängigkei‐ ten geprägt ist. Einerseits von der Zeit, in der die Gattungsbestimmung for‐ muliert wurde und andererseits von der Balladenauswahl. Mit diesem Band möchten wir fachliches Wissen für die didaktische In‐ szenierung von Lernarrangements zum Thema Balladen vermitteln - ins‐ besondere im Hinblick auf die Thematisierung von gattungsspezifischen Fragen im Unterricht. Insofern müssen auch wir zu jenen definitorischen Schwierigkeiten Stellung beziehen. Die Aufgabe, in einem didaktischen Lehrbuch eine Definition zu Balladen voranzustellen, wird indes jedoch nicht leichter, indem man auf die vielseitigen Schwierigkeiten verweist, die damit einhergehen. Vielmehr blickt man ernüchternd auf die zahlreichen 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 22 <?page no="23"?> Diskussionen insbesondere dann, wenn man eine allgemeingültige Defini‐ tion zur Ballade formulieren möchte, welche die „Grenzüberschreitung und Veränderung“ als Kern der Ballade (vgl. Bartl 2017: 10) anerkennt. Ausgehend von jener fachwissenschaftlichen Position der neueren germa‐ nistischen Forschung, wird die Reduktion der Ballade, z. B. auf eine be‐ stimmte historische Erscheinungsweise, ein Thema, eine Gattung oder ein zu vermittelndes Bild (z. B. Heldenideal) dieser Kunstform nicht gerecht (vgl. u. a. Knezevic 2017: 287), weil sie eine große Anzahl von Texten ausschließt. Insofern möchten wir keine allgemeingültige Definition der Ballade geben. Auch wenn mit unserem Modell der Verlust „einer überschaubaren Gat‐ tungseinheit“ (Grimm 1988: 11) einhergeht, bietet die Zusammenstellung obligatorischer und fakultativer Merkmale der Ballade (Abb. 2.1) eine Dy‐ namisierung, die nicht nur den gattungsüberschreitenden Impetus der Bal‐ lade betont, sondern für textanalytische Aushandlungsprozesse im schuli‐ schen Kontext besonders fruchtbar gemacht werden kann. Folglich sind die Merkmale sowohl formaler als auch struktureller Natur so ausgewählt, dass sie einerseits eine epochenübergreifende Gültigkeit besitzen (diachrone Ebene) und die Bandbreite der durch sie erfassten Texte (synchrone Ebene) nicht künstlich eingrenzen. Durch die Verbildlichung der um das Modell herum aufgeführten zentralen Balladenformen und Nachbargattungen wird zudem der anhaltende Wandlungsreichtum der Ballade, der im oberen Be‐ reich des Modells zusätzlich durch die Pfeile symbolisiert wird, als existenz‐ bejahende Voraussetzung der Gattung betont. Wenngleich sich der hybride Charakter der Ballade und damit Goethes „Ur-Ei“-Definition auch in den obligatorischen Merkmalen wiederfindet, erlaubt die Ergänzung um fakultative Merkmale, deren Zusammenstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, jeden einzelnen Text ergebnis‐ offen zu reflektieren. Ob die epische Funktion die lyrischen Bestandteile bestimmt oder die Vorgangsgestaltung einem dominierenden lyrischen Ich untergeordnet ist, gilt es folglich am Einzelbeispiel zu prüfen. Zusammen dient die Merkmalsaufstellung als Grundlage, um mit den Lernenden im Zuge einer analytischen Lektüre, die „Naturformen“ (Segebrecht 2012: 787), die an der Ballade Anteil haben, in ihrer Mehrdeutigkeit herauszuarbeiten. Dadurch sollen die Schüler/ -innen für die Vielfalt von Balladen als Kern dieser Gattung sensibilisiert werden. 2.1 Begriff der Ballade und gattungsbezogene Definitionsschwierigkeiten 23 <?page no="24"?> Abb. 2.1: Strukturmodell zur Balladendefinition Mit Bezug zum Modell verstehen wir Balladen als literarisch-fiktionale Texte kürzeren Umfangs, die in lyrisch gebundener Form von „konflikthaften“ (vgl. Wagenknecht 2007: 192), bis ins Dramatische hinein gestaltete Bege‐ benheiten (vgl. Segebrecht 2012: 738) berichten. Grund für den Konflikt sind zumeist das Aufeinandertreffen von mindestens zwei weltanschaulichen, ethischen, politischen, psychologischen oder ästhetischen Gegensätzen, de‐ ren Schilderung zwischen tragisch-ernst und komisch changiert (vgl. Lauf‐ hütte 1979: 372 f.). Während sich „Nis Randers“ in der gleichnamigen Ballade von Otto Ernst z. B. über die Bedenken der Mutter hinwegsetzt und der Edelmann Dolorges in Schillers Ballade vom „Handschuh“ mit seiner pro‐ vokanten Geste die Grenzen des gesellschaftlichen Spiels der hohen Minne bricht, stehen sich im Brechts Ballade „Der Schneider von Ulm“ weltliche und göttliche Anschauungen und in Fontanes „Die Brück’ am Tay“ Natur und Technik gegenüber. Neben hier beispielhaft aufgeführten ethischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Differenzen überwinden „Der Knabe im Moor“ von Droste-Hülshoff oder „Felix Fliegenbeil“ von Michael Ende auch topografische Grenzen (vgl. Unterrichtsvorschläge zu den ge‐ nannten Balladen im Band, Kapitel 5). Folglich ist die Ballade nicht nur durch ihren gattungsüberschreitenden Impetus, sondern auch durch Grenzüber‐ schreitungen auf inhaltlicher Ebene charakterisiert. 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 24 <?page no="25"?> Konsequenterweise können im Unterricht ausgewählte Texte zum Thema Ballade auch einen inneren Vorgang beschreiben, jedoch muss dieser durch äußere Gesten umgesetzt oder von ihnen getragen werden. Die Einsträn‐ gigkeit der Handlung ist dabei nicht maßgebend, sondern vielmehr die räumlich-zeitliche bzw. kausale Verknüpfung der einzelnen Szenen. Ein Textbeispiel, welches „keinen solchen integralen Vorgang entstehen lässt, sondern - eventuell bei verkümmerten Ansätzen zu dessen Bildung - le‐ diglich einen, wenn auch vom „lyrischen Ich“ verselbstständigten, statischen Zustand entwirft, kann keine Ballade im eigentlichen Sinne sein“ (Bogo‐ savljevic 2009: 42). Die in der Ballade geschilderten Begebenheiten können sowohl exempla‐ risch als auch sinnbildlich gedeutet werden und tragen damit wesentlich zur Popularität der Gattung bei (vgl. ebd.: 14). Zu denken ist in diesem Zusam‐ menhang an Goethes „Zauberlehrling“ (Kap. 5.2.2), an Buschs Ballade „Die Freunde“ (Kap. 5.1.1) oder Hoffmanns „Der kleine Vogelfänger“ (Kap. 5.4.1), deren Schicksalsschilderungen mal in Form eines direkt formulierten Merk‐ satzes mal als exemplarische Begebenheit den Leser/ -innen in zur Reflexion zumeist anthropologischer Grundfragen anregen sollen. Mit der damit ein‐ hergehenden doppelten Ausrichtung der Ballade auf die Horaz’schen Pole delectare (lat. unterhalten) und prodesse (nützen) erweist sich die Ballade erneut als Grenzgängerin. Folglich verwundert es nicht, dass Balladen lange Zeit als „Chronotop“ (Köster 2001: 175) eingesetzt wurden, an dem genera‐ tionsübergreifende Verständigung stattfand (Kap. 3.1). Wenngleich die Balladen fiktionale Texte sind, besitzen sie jedoch häufig einen „Wirklichkeitsanker“ (Bartl 2017: 10). Folglich werden in Balladen historische, politische und ethische, mitunter aber auch alltägliche Situatio‐ nen in einprägsamen Szenen beschrieben. Die dramatische Darstellungs‐ weise jener Situationen ist geprägt durch die gehäuften Verwendung rhe‐ torischer Redemittel wie direkte Ansprache, Anklage und starke Wechselrede, welche zusätzlich „eine imaginierte Kommunikationssitua‐ tion“ (Wojcik 2017) mit starkem emotionalen Wirkungspotential schaffen, sodass die Ballade als „eine Gattung mit besonders hohem Leser/ -innenbe‐ zug“ bezeichnet werden kann (Bartl 2017: 14). Zudem verweist Bartl darauf, dass erst diese Dopplung von Fiktionalität und Realität die Wirkmacht des Fantastischen entfaltet (vgl. ebd.). Im Mittelpunkt der linearen zumeist einsträngigen Handlung, die „keine Exkurse, Nebenhandlungen oder Weitschweifigkeiten“ enthält stehen meist 2.1 Begriff der Ballade und gattungsbezogene Definitionsschwierigkeiten 25 <?page no="26"?> wenige Figuren, deren Erlebnisse bisweilen vershaft, strophisch und/ oder in Reimform angelegt sind. Die Ausbildung einer gattungskritischen Haltung ist nicht zuletzt not‐ wendig, um die hier bereits angedeutete unzureichende Anwendung jener Goethe’schen Definition herauszuarbeiten. So ist z. B. nicht nur eine Verla‐ gerung vom naiven zum reflektierten Erzählen (Woesler 2009: 6), sondern auch eine zunehmende Abwendung von der Linearität der Handlung zu be‐ obachten. Folglich wäre die Ballade als „Ur-Ei“ nicht primär als Ursprung und Ausgangspunkt lyrischer, epischer und dramatischer Formen zu ver‐ stehen, „sondern als Ferment [dieser Gattungen], das sich als ein produktiver Unruhefaktor bemerkbar macht: Die Ballade verstört die Lyrik mit drama‐ tischer Handlung, der Prosa verordnet sie die gebundene Verssprache, das Dramatische erzählt sie“ (Segebrecht 2012: 788). Diese Grenzüberschreitun‐ gen sind jedoch nicht dem Zufall geschuldet, sondern bewusste Setzungen, die wiederum in einen Reflexionsprozess zur Gesamtgestalt der Ballade ein‐ bezogen werden müssen. Diesen Reflexionsprozess anzuleiten, ist das Ziel der in Abbildung 2.1 aufgeführten Merkmalsübersicht zur Ballade, welche sich im Sinne von Rüdiger Zymners literaturtheoretischer Gattungstheorie als „ein[en] systematische[n] und auf Prinzipienwissen ausgerichtete[n] Versuch der theoretischen Reflexion über literarische Gattungen“ (2003: 9) versteht. Thematisiert wird die Ballade im Deutschunterricht seit vielen Jahren je‐ doch nicht nur aufgrund ihres epischen Gehalts, sondern vor allem aufgrund ihrer häufig lyrisch-liedhaften Elemente. So veranlassten ihr oft dominanter Klangcharakter, ihre markante Rhythmik sowie ihre refrainartigen Passa‐ gen, die die Stimmung und Empfindungen des Subjekts widerspiegeln, aber auch ihre metrische Form (Vers, Strophe, Reim) nicht nur Hegel, sondern später auch Müller-Seidel (1963), Wagner (1972) und Müller (1980) dazu, die Ballade der Großgattung der Lyrik zu zuordnen. Unterrichtshilfen fokus‐ sieren heute sogar den lyrischen Charakter ausgewählter Balladen, indem sie fächerverbindende Unterrichtsvorschläge konzipieren, in deren Zentrum nicht nur die Ballade, sondern auch ihre musikalische Inszenierung stehen (vgl. Berghaus 2012). Allein die Reduzierung der Ballade auf ihre lyrischen Elemente wird der Gattung, wie bereits mehrfach betont, nicht ausreichend gerecht, gibt es doch sowohl Texte, die ausschließlich in Metren und Reimen organisiert sind, als auch solche, insbesondere unter den modernen Balla‐ den, die vers-, reim- und strophenfrei inszeniert sind. Als obligatorisches 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 26 <?page no="27"?> Merkmal der Ballade lässt sich folglich nur ihre lyrisch gebundene Form festhalten. Wenngleich die kritische Sammlung von Definitionsmerkmalen zur Bal‐ lade in Abbildung 2.1 die Schwierigkeit der Bestimmung nur spiegelt, kön‐ nen die zusammengetragenen Merkmale die Reflexionsprozesse zur gat‐ tungsspezifischen Einordnung der behandelten balladesken Texte leiten. Als didaktisches Gerüst stellen sie Hilfen, um die unterschiedlichen Erschei‐ nungsformen der Ballade entlang ihrer historischen Veränderung intersub‐ jektiv zu verhandeln (vgl. hierzu die Ausführungen von Zymner zur Gat‐ tungsforschung und -theorie als Sprachspiel 2003: 69-76). Damit verbindet das Strukturmodell vordergründig geltende epische Zuordnungsversuche mit neueren Vorschlägen, in deren Kern die flexible Zuordnung zwischen „epischen, lyrischen und dramatischen Balladen“ (vgl. Wagenknecht 2007: 195) oder die Einführung hybrider Gattungen bzw. „Brückengattungen“ (vgl. u. a. Pinkerneil 1978: X, Neumann 1980: 25, Bartl 2017: 17 f.) steht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Gespräche über Balladen ent‐ lang des Strukturmodells zeigen, dass die Geschichte der deutschen Balla‐ dendichtung keinesfalls abgeschlossen und die Ballade mitnichten eine „tote Gattung“ ist, wie es Baumgärtner 1979 festhält. Daher ist die Rahmung der zentralen Merkmale der Ballade immer wieder durchbrochen, nicht zuletzt auch um für die Gemeinsamkeiten mit den Nachbargattungen zu sensibili‐ sieren (vgl. Abb. 2.1). So finden sich an den definitorischen Außengrenzen der Ballade musikalisch inszenierte (Kunst-)Formen wie das Volkslied, der Bänkelsang, das Chanson (der Kabarettsong und der Schlager), Versdich‐ tungen ohne dramatischen Gehalt wie das moderne Erzählgedicht (vgl. Pi‐ ontek 1964), (Vers-)Erzählungen längeren Umfangs und dramatische Erzäh‐ lungen ohne Versbindung. Folglich soll das Balladenmodell nicht nur dazu dienen, einen Text als Ballade zu definieren, sondern auch um für die Ab‐ grenzung zu anderen Textgattungen zu sensibilisieren. Vor dem Hintergrund der vorgestellten Merkmale der Ballade, die mit einer Neubelebung gattungsspezifischer Zuordnungsversuche einhergehen kann, finden sich in diesem Band kanonische Beispiele neben nichtkanoni‐ schen Texten bzw. Texten, die ganz bewusst mit vermeintlich gattungsspe‐ zifischen Merkmalen (v. a. aus der Klassik) spielen. Thematisch besprechen wir in diesem Band Balladen, die spannende, traurige und schaurige Geschichten erzählen, das Gemüt bewegen und uns das Blut in den Adern gefrieren lassen (vgl. Zumbach 2008: 7), aber auch moderne Balladen mit ironischen und komischen Tendenzen. 2.1 Begriff der Ballade und gattungsbezogene Definitionsschwierigkeiten 27 <?page no="28"?> Mit der gesetzten Auswahl ist der Versuch verbunden, der Verengung der literarischen Gattung auf die Kunstballade der deutschen Klassik - wie sie nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch in zahlreichen Balladenan‐ thologien dominiert - entgegenzuwirken. Dabei wurde in der hier vorge‐ nommenen Auswahl die lange Tradition der Identitätsstiftung dennoch nicht außer Acht gelassen, wohl wissend, dass diese im Rahmen ideologi‐ scher Erziehungspraktiken funktionalisiert wurde und in der Gegenwarts‐ gesellschaft die Herstellung einer kollektiven Identität in dieser Form nicht mehr angemessen ist. Die Grundfunktionen der Ballade, ▸ menschliche Widerfahrnisse zu thematisieren, ▸▸ kollektive Mythen zu transportieren, ▸▸ Werte und Normen zu verhandeln, ▸▸ Handlungsorientierung anzubieten (vgl. Matuschek/ Wiesing 2017), ▸ sind jedoch Momente, die auch und gerade in Zeiten fehlenden Zugehörig‐ keitsbewusstseins und fehlender demokratischer Verantwortung zur Posi‐ tionsbestimmung auffordern sollen. Damit scheint naheliegend, dass die Ballade nicht nur Poesie für das Gefühl, sondern auch für den Verstand ist. Verstärkt wird diese Wirkung zusätzlich durch ihr hohes performatives Po‐ tenzial, der sich in unterschiedlichen medialen Kontexten entfalten kann (Rezitation auf Tonträgern, in Musikclips, als Liveauftritt usw.). Auch des‐ halb darf sie im heutigen Deutschunterricht nicht fehlen. Literatur zur Vertiefung B A R TL , Andrea / E R K , Corina / H ANAU S KA , Annika / K R AU S , Martin (2017). Die Ballade. Neue Perspektiven auf eine traditionsreiche Gattung. Würzburg: Königshausen & Neumann. S E G E B R E C HT , Wulf (2012). Deutsche Balladen. Gedichte, die dramatische Geschichten erzählen. München: Hanser. 2.2 Geschichte der Ballade Wenngleich die Wirkung der Ballade in anderen Ländern nicht so ein Aus‐ maß wie im englischen und deutschen Sprachraum entfaltete, gab die Bal‐ lade in Italien, Frankreich, Spanien und später auch in Russland den volks‐ tümlichen Erzählungen - teilweise abgewandelt - eine literarische Form. 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 28 <?page no="29"?> Früheste Aufzeichnungen finden sich in Italien. Dort thematisierten be‐ reits im 12./ 13. Jahrhundert Dante und Petrarca in ihren romantischen Bal‐ laden Leid und Glück der Minne. In ihrer stark lyrischen Erzählweise grenz‐ ten sich diese jedoch deutlich von den im Spätmittelalter (15. Jh.) in Frankreich entstandenen lasterhaften Balladen des François Villon (z.B.: „Sommerballade von der armen Louise“) ab. Im 19. Jahrhundert belebte Jean Arthur Rimbaud, einer der wirkungsmächtigsten französischen Dichter, diese Gattung wieder, der durch die Übersetzungen von Paul Zech bald auch über die Grenzen Frankreichs hinweg bekannt wurde. In Spanien entwi‐ ckelte sich in den Anfängen des Siglo de Oro („goldenes Zeitalter“) im 14./ 15. Jahrhundert die Romanze. Als narrativ-lyrische Gedichtform in beliebiger Länge in Achtsilbern mit Assonanzen bei den Versen der geraden Zahlen wurde sie zunächst singend von Spielleuten vorgetragen, bevor sie sich spä‐ ter zum Volkslied entwickelte, das bis heute gesungen wird. Die im 16. Jahr‐ hundert entstandenen Kunstromanzen u. a. von Lope de Vega und Luis de Góngora y Argote, die nunmehr in großen Sammelbänden wie z. B. den Romancero general (1600) veröffentlicht wurden, beeinflussten auch die deutsche Balladendichtung (vgl. Simson 2001). Lange Zeit u. a. von Goethe als Synonym für Balladen verwendet, erhielten sie erst später mit ihrem deutlich „komischeren Charakter“ einen eigenen Stellenwert. In der moder‐ nen spanischen Literatur wurde die mittelalterliche Gattung der Romanze in verschiedenen Werken (z. B. „Romance de la Guardia Civil espanõla“) von Federico Garcia Lorca wieder aufgegriffen. War schon die Antwort auf die Frage nach einer allgemeingültigen Defini‐ tion der Ballade ernüchternd, verwundert es nicht, dass auch die Erwartung an eine lineare, einsträngige Entwicklungsgeschichte zur Ballade enttäuscht werden muss. Denn allein schon die etymologische Betrachtung auf die Gattungsbezeichnung Ballade „ist geeignet, irrezuführen“ (Fromm 1982: 383). Hier verweisen die vielseitigen Begriffsdefinitionen stets auf den la‐ teinischen Ursprung von ballare - tanzen. Damit ergeben sich verschiedene Entwicklungsstränge, welche neben dem provenzialischen (ballada) und dem italienischen Tanzlied (ballata) auch das alt-französische balete und das englische ballad, ein volkstümlich-episches Lied, als den Ursprung der Bal‐ lade ausweisen. Diese etymologischen Ausführungen betonen die Verbin‐ dung der Ballade zu Tanz und Gesang sowie ihre unterschiedlichen euro‐ päischen Einflüsse, die in den Frühformen der Balladen weiterleben, insbesondere der Volksballade, die vor allem singend vorgetragen wurde. 2.2 Geschichte der Ballade 29 <?page no="30"?> Sie umfassen jedoch längst nicht alle Formen deutscher Balladendichtung. Im folgenden Kapitel soll der Blick deshalb nicht nur auf nationale und internationale „Anknüpfungslinien“ (Franz 1987: 38) der Ballade, wie das spätgermanische Heldenlied, die in England verbreitete volkstümliche-epi‐ sche ballad oder das provenzialische Tanzlied gerichtet werden, sondern auch auf verschiedene, sich teilweise parallel herausbildende literarische Nachbargattungen wie das Zeitungslied, den Bänkelsang, die Moritat und die Romanze. Erst dieser umfangreiche Blick ermöglicht es, nicht nur die Kunstballade, die Ballade „im eigentlichen Sinn“ (ebd.) zu erfassen, sondern auch die Besonderheiten der „modernen Ballade“ (u. a. Piontek 1964, Riha 1965 und 1975, Pratz 1967), die eben jene Nachbargattungen wie den Bän‐ kelsang und die Moritat teilweise erneut aufgreift, zu beschreiben. Ausgehend von den formalen und inhaltlichen Vorläufern der Ballade führt der Blick zurück bis ins 9. Jahrhundert zum spätgermanischen, episch-dramatischen Heldenlied. Das älteste von diesen bis heute erhaltenen Liedern, ist das „Hildebrandslied“ - ein germanisches Stabreimgedicht, wel‐ ches in althochdeutscher Sprache eine Episode aus dem Sagenkreis um Diet‐ rich von Bern thematisiert. Diese Form balladesker Dichtung, in der vor‐ nehmlich heroisch-kämpferische Motive in einer ritterlich-aristokratischen Kultur von Spielleuten und Sängern an Fürstenhöfen vorgetragen wurden, findet zwar mit Ausnahme einiger Wächter- und Taglieder im christlichen Mittelalter keine Fortsetzung, wird inhaltlich jedoch in den später entstan‐ denen Balladen, u. a. bei den Vertretern des Literaturkreises Tunnel über der Spree um Strachwitz, immer wieder aufgegriffen. Ein weiterer wichtiger Strang in der Entstehungsgeschichte der Ballade ist die Volksballade, die in Deutschland gegen Ende des 13. Jahrhunderts, in einer Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen (u. a. Ablösung der höfisch-feudalen Kultur durch städtisch-bürgerliche Lebensverhält‐ nisse), entsteht. Wie ihr Name bereits betont, zählt sie nicht zur höfischen Poesie, sondern öffnet sich bewusst dem wachsenden bürgerlich-städtischen Publikum. Während im ‚alten‘ „Hildebrandslied“ aus dem 9. Jahrhundert noch das altgermanische, tragisch-heroische Schicksalsdenken dominiert (Hildebrand tötet seine Söhne), versöhnen sich Vater und Sohn in der jün‐ geren Fassung. Die meist anonymen Verfasser schreiben nun mehr über‐ wiegend über zeitgemäße Themen und Konflikte, mit denen sich die Bürger identifizieren können, insbesondere in der Blütezeit der Volksballade zwi‐ schen dem 13. und 15. Jahrhundert (vgl. Grimm 2002). Hierzu zählen „Kin‐ desmord, Unschuld und Verführung, Treue und Verrat, ständische Herr‐ 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 30 <?page no="31"?> schaft und Unterwerfung, soziale Not und Erniedrigung, religiöse Gegensätze zwischen Juden und Christen, Recht- und Gesetzlosigkeit sowie soziale Vergehen aller Art“ (Pinkerneil 1978: Vorwort). Dies sind auch die Themen, die in den mit der Ballade verwandten Gattungen des Zeitungslie‐ des, des Bänkelsangs und der Moritat aufgegriffen werden. Wenngleich in ihrer Dramaturgie leichte Unterschiede liegen, eint sie doch ihr Bericht von spektakulären Tagesereignissen wie Hexenverbrennungen, Naturkatastro‐ phen, Unglücksfällen und im Fall der Moritat von Mord, Überfall und Hin‐ richtung. Dabei überzeugen jene literarischen Inszenierungen neuster Nach‐ richten fahrender Sänger auf öffentlichen Plätzen vor allem durch die in Strophen gefasste und gereimte Vortragskunst und nicht durch literarische Qualität. Abb. 2.2: Bänkelsänger mit Frau und ländlichem Publikum, Cornelius Suter d. J., Bero‐ münster, Eglomisé auf Glas, 25,5 x 19 cm, Schweizerisches Landesmuseum, Zürich Unterstützt wird der Vortrag des Zeitungsliedes ab dem 18. Jahrhundert, wie auf der nebenstehenden Radierung von Meil (1765) dargestellt, durch die Illustration des gesungenen Textes. Vortrag und Demonstration erfolgen dabei von einem erhöhten Standpunkt (Bank, Bänkel) aus, von dem der Sän‐ 2.2 Geschichte der Ballade 31 <?page no="32"?> ger mit einem Stab auf die seinen Bericht illustrierenden Bilder verweist und der jener Form der Inszenierung den Namen Bänkelsang gegeben hat. Als „Übermittler von - gereimten - Sensationsnachrichten“ (Berger/ Püschel 1961: 6) in Form von schauerlich-rührseligen Mordgeschichten, Naturkata‐ strophen oder Kriegsläufen, sind sie bis ins 19. Jahrhundert hinein auf Jahr‐ märkten und Messen in ganz Europa anzutreffen (Abb. 2.2). Unterstützt wird der Bänkelsänger meist von seiner Frau, die ihn im Gesang oder Zeigen der Bilder ablöst. Kennzeichnend für den Bänkelsang als Textgattung sind Mo‐ ralappelle auf der einen und Wahrheitsbekundungen wie „zweifelt an der Wahrheit nicht“ (Hinck 1972: 84) auf der anderen Seite. Damit kann er zwar nicht als Ballade im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, sein Charakter ist jedoch ein ähnlich dramatischer. Wiederbelebt wird die Tradition der Volksballade im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Hier vor allem durch die Veröffentlichung von leicht singba‐ ren englischen und schottischen Gedichten im Reliques of Ancient English Poetry (1765) von Thomas Percy, in Gesänge des Ossians (1762/ 63) von James Macpherson sowie in The English and Scottish Ballads (1889) von F. J. Child. Die Echtheit der Gesänge aus keltischer Vorzeit, die MacPherson 1762/ 1763 veröffentlicht, ist bereits zur Entstehungszeit angezweifelt wor‐ den - zu Recht, wie sich bereits kurze Zeit später rausstellte. Macpherson gab zu, die Gesänge selbst geschrieben zu haben. Dieser Betrug tat ihrer Verbreitung jedoch keinen Abbruch. In einer Zeit, die sich zunehmend von der gekünstelten Hofdichtung des Barock abwendet, treffen die Gedichte und Gesänge, in denen kämpferisch und anklagend gestaltete Schicksale aus dem Leben des Volkes bzw. auser‐ wählter edler Helden thematisiert werden, auf fruchtbaren Boden. In An‐ lehnung an die Gesänge des Ossian und der Reliques of Ancient English Poetry ruft Johann G. Herder 1777 in einem Essay alle Deutschen dazu auf, gleich‐ falls die deutschen Kunstformen wie Volkslieder und -balladen sowie Ro‐ manzen zusammenzutragen: Deutschland, du hast keinen Shakespeare, hast du keine Gesänge deiner Vorfah‐ ren, deren du dich rühmen könntest? Die Stimme eurer Väter ist verklungen und schweigt im Staube? […] Du hast keine Abdrücke deiner Seele die Zeiten hinunter? Kein Zweifel! Sie sind gewesen, sie sind vielleicht noch da; nur liegen sie unter Schlamm, sind verkannt und verachtet […]. Nun müssen wir Hand anlegen, aufneh‐ men, suchen! […] Legt also Hand an, meine Brüder, und zeigt unserer Nation, was sie ist und nicht ist, wie sie dachte und fühlte, oder wie sie denkt und fühlt! 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 32 <?page no="33"?> Ergebnis von Herders Aufrufes ist eine große Volksliedersammlung, die er 1778/ 79 als Stimmen der Völker in Liedern veröffentlicht. Darin enthalten sind jedoch weniger deutschsprachige Originale als vielmehr eine Reihe von Übersetzungen aus dem Englischen, Spanischen, Dänischen, Litauischen, aber auch Nachdichtungen, u. a. aus Percys Sammlung. Neben Herders Volksliedsammlung tragen aber auch der Band von Carl Friedrich Wairz Romanzen und Balladen der Deutschen (1799/ 1800), die von 1805 bis 1808 in drei Bänden zusammengestellten Volksliedtexte von Clemens Brentano und Achim von Arnim unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn herausgegebene Sammlung sowie die Zusammenstellung Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder von Ludwig Uhland (1844) zur Verbreitung balladesker Texte bei, die derzeit zum „Muster für die nun erwachende deutsche Balladendichtung werden“ (Elsner 1955: 14). Die ersten Balladen, die hier genannt werden müssen, sind „Adelstan und Röschen“ (1772) und „Die Nonne“ (1775) von Ludwig Christoph Heinrich Hölty sowie „Leonore“ (1773) von Gottfried Au‐ gust Bürger. Je nach Auswahl der Kriterien gilt mal der eine, mal der andere Literat als Begründer der Kunstballade, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vielerorts in Deutschland entsteht. Beeinflusst wird die deutsche Kunstballade, welche von manchen als die Ballade „im eigentlichen Sinn“ (Franz 1987: 38) bezeichnet wird und damit das Bild der Gattung für lange Zeit prägt, folglich weniger vom germani‐ schen Heldenlied der frühen Feudalzeit oder dem italienischen und franzö‐ sischen Tanzlied, sondern im Wesentlichen durch die zuvor beschriebene wiederbelebte Tradition der Volksballaden. Besonders deutlich ist dies in Bürgers Ballade „Leonore“ sichtbar, die eine Reihe vertrauter Elemente der Volksballaden, wie „ihren liedhaften, rezitativen Grundton, Reime, Lautma‐ lereien, refrainartige Wiederholungen, dialogischen Erzählablauf und ihre dramatische Handlungszuspitzung“ (Pinkerneil 1978/ 2000: IX) aufnehmen. In Verbindung mit einer größeren Zeitnähe, Individualisierung und symbo‐ lischen Durchdringung der einzelnen Vorgänge schafft Bürger jedoch eine Erneuerung volkstümlicher Poesie, die ihn und jene neue Form der Kunst‐ ballade überall bekannt macht (vgl. ebd.). Die Ballade als „Grenzgängerin zwischen Lyrik, Epik und Dramatik“ (Pin‐ kerneil 1978/ 2000: X) eröffnet dem Sänger des Sturm und Drang, so Goethe, nun eine Vielzahl von Möglichkeiten: „Er kann lyrisch, episch, dramatisch beginnen, nach Belieben die Formen wechseln, fortfahren, zum Ende hinei‐ len oder es weit hinausschieben. Der Refrain, das Wiederkehren eben des‐ selben Schlußklanges, gibt dieser Dichtart den entschieden lyrischen Cha‐ 2.2 Geschichte der Ballade 33 <?page no="34"?> rakter“ (Goethe, zit. n. Trunz 1974: 400). Diese grundsätzliche Dynamik und Offenheit jener erzählenden Gedichte ist auch Merkmal der Balladen von Goethe und Schiller, deren Schaffenskraft im so genannten Balladenjahr (1797) ihren Höhepunkt erreicht. „Aristokratisiert“ (Hinck 1978: 12) werden die Züge des Volksliedes in einer Reihe von Balladen aufgenommen, die bis heute zu den bekanntesten dieser Gattung zählen. Zu nennen sind hier Goe‐ thes „Zauberlehrling“ (Kap. 5.2.2), „Braut von Korinth“ und die Ballade „Der Schatzgräber“ sowie Schillers „Der Taucher“, „Der Handschuh“ (Kap. 5.1.4), „Die Kraniche des Ibykus“ (Kap. 5.3.4) oder der „Ring des Polykrates“. Aber auch in anderen europäischen Nationen entstanden Balladen, die heute zu den Klassikern der jeweiligen Nationalliteraturen zählen. Etwa zeitgleich entwickelt sich in Spanien die Romanze als literarische Übermittlerin bedeutender nationaler Geschehnisse und fröhlicher Ereig‐ nisse aus dem Alltag. Diese neue literarische Form kann sich in jener Zeit nicht nur als eigenständige Dichtform in Deutschland etablieren, sondern gilt neben den englischen ballads ebenfalls als Quelle der deutschen Balla‐ dendichtung. Die Übergänge zwischen beiden Dichtformen sind fließend, bisweilen kaum sichtbar. Lediglich in der thematischen Ausgestaltung sind feine Unterschiede auszumachen. Während sich die Ballade jener Zeit zu‐ nächst auf die Darstellung des düster-tragischen und fabelhaften Gesche‐ hens beschränkt, werden in der Romanze heitere Begebenheiten, die - im Gegensatz zur Ballade - zumeist friedlich enden, geschildert. Dabei vermi‐ schen sich die zweizeilig gereimten Strophen im Refrain der Ballade jedoch bald mit den ungereimten vierzeiligen Strophen der spanischen Romanze und lassen neue Vers- und Strophenformen sowie Reimstellungen entstehen (vgl. Berger/ Püschel 1961). Dementsprechend verwundert es nicht, dass auch in den berühmten Briefwechseln zwischen Goethe und Schiller jene Texte, die wir heute als Ballade bezeichnen, von den Briefautoren mal als Romanzen und mal als Balladen bezeichnet werden. Heute getrennt, be‐ zeichneten sie bis zu Fontane ein und dieselbe Gattung (vgl. Hinck 1978): ein erzählendes Gedicht mit einer stark dramatischen Handlung. Beeinflusst durch ihr starkes emotionales Moment, dem die Ballade ihren volkstümlichen Charakter verdankt, ist sie vor allem für den lauten Vortrag bzw. das Vorsingen geschaffen. Folglich haben sich schon früh so genannte Balladenlieder entwickelt. Besondere Berühmtheit erlangte das Balladenlied „Der König von Thule“, welches Gretchen in Goethes Faust singt (V. 2759- 2782). Inzwischen mehr als sechzigmal vertont, entstehen in der Folgezeit 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 34 <?page no="35"?> nicht nur klassische Inszenierungen von Franz Schubert, Franz Liszt und Robert Schumann, sondern bis heute auch moderne Umsetzungen. Eine besonders interessante musikalische Umsetzung der Ballade „Der König in Thule“ von J .W. v. Goethe veröffentlichte das deutsche A-cappella-Pop-Quartett Maybebop (https: / / www.youtube.com/ watch ? v=gxmEv-6evOk). Entgegen traditionellen Setzungen, welche die Ballade mit dem Ende der Spätromantik, dem Beginn der eigentlichen modernen Dichtung, schon fast am Ende sehen bzw. jene Zeit als eine „Nachblüte, ein letztes Aufflackern über einer fast völlig erloschenen Glut“ (Baumgärtner 1979: 66) bezeichnen, entstehen auch im 19. und 20. Jahrhundert noch weitere Balladen. Dabei haben sich gleich zwei Literaturvereine, der Tunnel über der Spree (Mitte des 19. Jh.) und der Göttinger Kreis (um 1900), intensiv um die „programmatische Pflege oder Wiederbelebung der Ballade“ (Hinck 1978: 87) bemüht. Orien‐ tiert an der „,zeitlosen‘ Kunst eines Percy“ (Weißert 1980: 89) werden diese z. B. im Tunnel über der Spree, u. a. von Moritz Graf von Strachwitz, Theodor Fontane, Gottfried Keller, Hoffmann von Fallersleben, Theodor Storm und Gottfried Keller, vorgetragen und von den Zuhörenden bewertet. Vorzugs‐ weise referiert werden Geschichtsballaden, welche sich bewusst von der Auseinandersetzung mit der Gegenwart abgrenzen und sich vielmehr der eigenen vaterländischen, brandenburgisch-preußischen Geschichte wid‐ men (vgl. Weißert 1980). Dadurch wird die Ballade im Laufe des 19. Jahr‐ hunderts „[w]ie keine andere literarische Gattung“, so Riha 1975, „zum ‚Walhall‘ der deutschen Literatur […], zum Ort, an dem Vaterländisches sich verklärt; die Nachfolger im zwanzigsten Jahrhundert drehen sie dann zum dünnen Ende einer betont nationalen und völkischen und schließlich natio‐ nalsozialistischen Literatur“ (72). Wenngleich die Texte von Börries von Münchhausen, Agnes Miegel, Lulu von Strauß und Torney von Walter Hinck als „aufgeblähtes Kraftmeiertum in schlechten Versen“ (1978: 87) und von Gunter E. Grimm als „hoffnungslos anachronistisch“ (2002: 19) beschrieben werden, gehören die vielfach ver‐ tonten Balladen, u. a. über die „romantische Sehnsucht nach der aristokra‐ tischen Zeit des Mittelalters“ (Weißert 1980: 90) wie bei Strachwitz, zum Kanon der Jugendbewegung der damaligen Zeit. Von Ignaz Hub werden sie gar in seiner Sammlung Deutschlands Balladen und Romanzendichter (1849/ 1850) als beliebteste Dichtart der Deutschen vorgestellt. 2.2 Geschichte der Ballade 35 <?page no="36"?> Die starke identitätsstiftende Funktion der Balladen nutzend, sind jene Texte von einem starken vaterländischen Pathos und antisemitischen Geist sowie einer unkritischen Heldenverehrung geprägt, die sich in der Behand‐ lung historischer Stoffe in traditionellen Formen niederschlägt (vgl. Pinker‐ neil 1978/ 2000). Deutlich wird hieran, dass die Herstellung einer kollektiven Identität durch Balladen auch missbraucht werden kann. Nur marginal sind daher die Ausführungen in literaturwissenschaftlichen Abhandlungen zu der „historisch-heroischen Kostümierung“ (Köpf 1976: 8) jener Zeit, durch welche die Ballade einen „Teil ihrer vielfältigen Möglichkeiten wie ihres Ansehens verloren“ (ebd.) hat. Nur vereinzelt sind sie folglich in aktuellen Balladenanthologien (u. a. bei Segebrecht 2012) zu finden. Dieses Kapitel der Entwicklungsgeschichte der Ballade als „deutsche Gat‐ tung“ (Kayser 1936: 295) aufzuarbeiten, gestaltet sich daher als besonders schwer. Auch Hinck schreibt 1972: „Wer sich heute mit der Gattung (Ballade) ernsthaft noch einläßt, meidet den Begriff oder hilft sich aus der Verlegenheit mit dem neutralen ‚Erzählgedicht‘. […] Wo sonst die Ballade noch beibehal‐ ten wird, ist es zumeist Signal für Parodie“ (80). So steht sie in den 1950er-Jah‐ ren immer wieder im Brennpunkt literaturwissenschaftlicher und literatur‐ didaktischer Kritik. Diese richtet sich jedoch nicht gleichermaßen gegen alle Formen der Ballade, sondern fast ausschließlich gegen die „Heroisierung eines militanten Nationalismus und [das]der idealistischen Geisteswelt des 19. Jahrhunderts verpflichtete […] Bildungsgut […]“ (Köpf 1976: 13) jener historisierenden Ritter- und Heldenballade. Denn im 19. und 20. Jahrhundert finden sich nicht nur Balladen, in denen die mittelalterlichen und heldischen (u. a. Moritz Graf von Strachwitz, Börris von Münchhausen) sowie historischen Stoffe (u. a. Conrad Ferdinand Meyer) wiederbelebt werden, sondern auch Balladen, welche die Verarbeitung des Ausgeliefertseins des Menschen „gegenüber den unheimlichen und über‐ mächtigen Kräften der Natur“ (Grimm 2002: 16 f.; u. a. Anette von Droste-Hülshoff), die Auseinandersetzung mit sozialen Themen (u. a. Adel‐ bert von Chamisso, Georg Weerth, Heinrich Heine, Theodor Fontane, Arno Holz) sowie Fragen zum Fluch und Segen der zunehmenden Industrialisie‐ rung (u. a. Theodor Fontane, Heinrich Heine, Detlev von Liliencron) the‐ matisieren. So versucht Fontane, bis in die 1860er-Jahre hinein Mitglied des Tunnels über der Spree, die lauten Töne der historischen Ballade zu meiden und sich, u. a. auch in der im Band besprochenen Ballade „Die Brück’ am Tay“ (Kap. 5.4.2), aktuellen Themen seiner Zeit zu widmen. Auch Heinrich Heine ist die historisierende Tendenz der Ritter- und Heldenballaden fremd. 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 36 <?page no="37"?> Viel eher widmet auch er sich, u. a. in seiner Ballade „Die schlesischen We‐ ber“, den Stoffen der Gegenwart. „Die grundsätzliche Bereitschaft der Ballade, Gattungsgrenzen zu über‐ schreiten, hat Neuerungen und Erneuerungen zur Folge […]“ (Segebrecht 2012: 789) bzw. „Verästelung, Modifizierung, Feinarbeit“ (Piontek 1964: 5). Auf der einen Seite wird die inhaltliche Variationsbreite der Gattung, die keineswegs allein auf die historisch-heldische Fokussierung beschränkt bleibt, u. a. durch Heinrich Heine um soziale sowie humoristische Themen erweitert, womit bereits Entwicklungen der Ballade des 20. Jahrhunderts durch Wedekind, Brecht und Kästner vorgezeichnet werden (vgl. Weißert 1980). So betonen auch Berger und Püschel 1961 in ihrem Vorwort: „Das Menschenleben in seiner ganzen Vielfalt ist der Ballade zugänglich“ (5). Die Themenvielfalt lässt sich daher wie folgt umreißen: Heldentaten, oft von tragischem Heroismus umwittert, Schlachten und Ereignisse der Weltgeschichte wie lokale Kämpfe und persönliche Fehden, Schuld und Sühne, Verbrechen und Strafe, über einzelne oder Gemeinschaften hereinbre‐ chende Katastrophen, stolze Bewährung oder unabwendbarer Untergang unter dem verhängten Schicksal, Empörung und Hybris des leidenschaftlich über sich hinaus greifenden Menschen, die mit grausiger Selbstvernichtung endet, Liebe und Kampf der Geschlechter, in mancherlei Spielarten, aber auch häufig Zauber und Geisterspuk, Volksglauben, die Holden und Dämonen, Märchenmotive und Überlieferungen der Volks- und Heldensagen. Eingreifen der Naturmächte ins Menschendasein oder Traumgesichte und Ängste der Einsamen erschüttern den Hörer. (Elsner 1955: 9) Andererseits finden sich in den Texten der Expressionisten Georg Heym und Else Lasker-Schüler im 20. Jahrhundert auch zunehmend Veränderungen auf formaler und sprachlicher Ebene. So verzichtet Lasker-Schüler z. B. in ihrer Ballade „Peter Baum“ auf konventionelle metrische und strophische Bin‐ dungen sowie feste Reim- und Versmaße. Peter Baum (Else Lasker-Schüler) Er war des Tannenbaums Urenkel, Unter dem die Herren zu Elberfeld Gericht hielten. Und freute sich an jedes glitzernd Wort Und ließ sich feierlich plündern. 2.2 Geschichte der Ballade 37 <?page no="38"?> Dann leuchteten die beiden Saphire In seinem fürstlichen Gesicht. Immer drängte ich, wenn ich krank lag, „Peter Baum soll kommen! ! “ […] (L A S K E R -S C HÜL E R , Else (1917). Die gesammelten Gedichte. Leipzig: Verlag der Wei‐ ßen Bücher, 148 f.) Auch Bertolt Brecht, „dritter der großen deutschen Balladendichter“ (Grimm 2002: 21), richtet sich in seinen dem Bänkellied und der Moritat naheste‐ henden Balladen gegen die „förmliche Balladomanie des 19. Jahrhunderts“ (Pinkerneil 1978/ 2000: XI). So fehlt in Brechts berühmter Ballade „Von des Cortez Leuten“ nicht nur der Refrain, den Goethe in seinem Aufsatz „Über die Betrachtung und Auslegung der Ballade“ als wesentlich für den lyrischen Charakter dieser Dichtart bezeichnete (vgl. Goethe 1821: 591), sondern ebenso die strophische Gliederung. Ähnlich wie zuvor schon bei Las‐ ker-Schüler zeigt sich auch hier die Versgestalt ohne markante Einschnitte und Reimstruktur. Von des Cortez Leuten (Bertolt Brecht) Am siebten Tage unter leichten Winden Wurden die Wiesen heller. Da die Sonne gut war Gedachten sie zu rasten. Rollten Brantwein Von den Wägen, machten Ochsen los. Die schlachteten sie gegen Abend. Da es kühl wurd Schlug man vom Holz des nachbarlichen Sumpfes Armdicke Äste, knorrig, gut zu brennen. Dann schlangen sie gewürztes Fleisch hinunter Und fingen singend um die neunte Stunde Mit Trinken an. Die Nacht war kühl und grün. Mit heisrer Kehle, tüchtig vollgesogen Mit einem letzten, kühlen Blick nach großen Sternen Entschliefen sie gen Mitternacht am Feuer. […] (P I O NT E K , Heinz (1964). Neue deutsche Erzählgedichte. Stuttgart: DVA, 26) 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 38 <?page no="39"?> Je nachdem, ob jene zaghaften Erneuerungen, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in eindrücklicher Weise vor allem von Frank Wedekind und Bertolt Brecht fortgeführt und intensiviert werden, ignoriert oder wert‐ geschätzt werden, kommt es in der literaturwissenschaftlichen Diskussion erst zu Todeserklärungen der Ballade, u. a. zunächst durch Käte Hamburger (1957) und dann durch Müller-Seidel (1963), und kurze Zeit später zum Aus‐ ruf der Zeit der „modernen Ballade“ (Riha 1965/ 1975, Pratz 1967) bzw. des „modernen Erzählgedichts“ (Piontek 1964: XX). Jene letztgenannten „mo‐ dernen Neuansätze zur Ballade“ (Riha 1975: 8) besitzen gleichfalls ein starkes Erzählmoment, unterscheiden sich auf inhaltlicher und formaler Ebene je‐ doch stark vom klassischen Balladentyp des 18. und 19. Jahrhunderts. So wenden sie sich bewusst gegen die Heldeninszenierung sowie das Pathos der „alten“ Ballade und öffnen sich einer sachlichen und kühlen, lebensna‐ hen und unpathetischen Darstellung, in der - wie in der modernen Ballade „Heillos“ von Walter Helmut Fritz - mehr ein Nebeneinander als ein Nach‐ einander der Szenen dominiert (vgl. Bräutigam 1968). Heillos (Walter Helmut Fritz) 1 Eine Tochter verläßt sie, die andere ertränkt sich. Ihr Mann stirbt bei einem Unfall. Sie arbeitet als Putzfrau, wird krank, verliert ihre Wohnung, schläft in Kellern, Baracken, im Freien. Sie braucht Hilfe, soll ihre Bitte schriftlich begründen auf Formularen, die sie kaum versteht, muß warten auf Überprüfung und die Bestätigung von Behörden. Unbequeme Bittstellerin, 2.2 Geschichte der Ballade 39 <?page no="40"?> für die zuerst keiner zuständig sein will. Der Beamte, mit dem sie spricht, fertigt sie ab, mit dem Blick auf die Uhr. (S E G E B R E C HT , Wulf (2012): Deutsche Balladen: Gedichte, die dramatische Geschich‐ ten erzählen. München: Hanser, 81) Verstanden als Medium unverstellter Zeitkritik und Zeitanalyse sowie ge‐ schichtlicher Aktualisierung, thematisieren sie gesellschaftliche Verbre‐ chen, soziales Elend sowie Krankheit und Verfall des „passiven, negativen Helden, des Durchschnittsmenschens unserer Tage im Getriebe des Alltags“ (Bräutigam 1968: 7), den „Mann ohne Eigenschaften“ (Piontek 1964: 8). Riha hält hierzu fest: „Protest […] ist der Ursprung der modernen Ballade, formale und gehaltliche Aktualität ihre Forderung“ (Riha 1965: 15) und auch Piontek beschreibt jene neuen Gedichtformen als „Gedicht mit dem antibürgerlichen Effekt, das Schreck- und Scheuchengedicht, das direkt provozieren möchte“ (1964: 8). Damit wird die moderne Ballade weniger vom volkstümlichen Charakter vorangegangener Balladenformen als vielmehr von jenen bereits skizzierten Nebengattungen, wie der Moritat, dem Chanson und dem Bän‐ kelsang beeinflusst. Die Stilmittel, derer sich die Balladendichtung in jener Zeit gehäuft bedient, sind Ironie, Parodisierung und Sarkasmus. Eine jener jüngeren Balladen, für die wir stellvertretend die Texte „Und es war ein Tag“ (Nora Gomringer) und „Berliner Totentanz 1+2“ (Thomas Kling) in diesem Band aufgenommen haben, ist auch die Ballade „Freitag“ von Günter Grass. Freitag (Günter Grass) Grüne Heringe, in Zeitung gewickelt, trug ich nach Hause. Sonnig und frostig, war das Wetter. Hausmeister streuten Sand. 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 40 <?page no="41"?> Im Treppenhaus erst begannen Heringe die Zeitung zu durchnässen. So mußte ich Zeitungspapier von Heringen kratzen, bevor ich Heringe ausnehmen konnte. Schuppen sprangen und lenkten mich ab, weil Sonnenlicht in die Küche fiel. Während ich Heringe ausnahm, las ich in jener Tageszeitung, die feucht und nicht neu war. Sieben Heringe bargen Rogen, voller Milch waren vier; die Zeitung jedoch war an einem Dienstag erschienen. Schlimm sah es in der Welt aus: Kredite wurden verweigert. Ich aber wälzte grüne Heringe in trockenem Mehl. Als aber Heringe in der Pfanne erschraken, wollte auch ich düster und freudlos über die Pfanne hinwegsprechen. Wer aber mag grünen Heringen vom Untergang predigen? (P I O NT E K , Heinz (1964): Neue Deutsche Erzählgedichte. Eine Anthologie. Stuttgart: DVA, 255) Diese thematisiert ganz im Stil der modernen Ballade im nüchternen Ton sowohl die Erschütterungen an der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 als auch den totalen Zusammenbruch am darauffolgenden „Schwarzen Dienstag“. Entgegen den situativen Erzählgedichten (Müller 1969), in denen Geschehnisse ohne zeitliche und kausale Zusammenhänge skizzenhaft und punktuell umrissen werden, monologisiert der negative Held und „Durch‐ schnittsmensch unserer Tage“ (Bräutigam 1968: 7) in der modernen Ballade 2.2 Geschichte der Ballade 41 <?page no="42"?> von Günter Grass seine persönlichen Erinnerungen (aktional-handlungsbe‐ tontes Erzählgedicht). Weitere Formen bilden das balladeske Erzählgedicht, meist in Form des Protestliedes vorkommend, das in Reihen von Einzelszenen menschliche und gesellschaftliche (Miss-)stände mit dem „moralisierend erhobenen Zei‐ gefinger“ (Müller 1969: 104) anprangert, und das groteske Erzählgedicht, des‐ sen Poetik sich durch ein „sprachliches Spiel mit dem Absurden“ (ebd.: 105), sei es durch das Fehlen eines Sinnzusammenhangs oder das Spiel mit dem Unsinn, auszeichnet. Allen gleich ist ihr offenes Ende, welches als weiteres Merkmal der Weiterentwicklung zu werten ist. Heute als Fortsetzung der Balladentradition anerkannt, findet sich eine Vielzahl jener modernen Balladen, u. a. von Christa Reining, Hans Carl Art‐ mann und Ror Wolf (alias Raoul Tranchirer), aus der erstmals 1965 erschie‐ nen essayistischen Anthologie von Karl Riha Moritat, Bänkelsang, Protest‐ ballade auch in den jüngeren und jüngsten Anthologien von Pinkerneil (1978/ 2000) Grimm (2002), Quasthoff und Quasthoff (2007) und Segebrecht (2012) wieder. In der Tradition der Ballade stehend, ist ihre moderne Form auch heute noch durch die Genauigkeit der Berichterstattung und einen Er‐ zähler charakterisiert, der als lyrisches Ich aus der epischen Distanz berich‐ tet. Die Themen- und Motivvielfalt jener modernen Balladen bleibt indes groß (vgl. hierzu den Band von Heinz Piontek 1964). So bedienen sich die Autoren, allen voran Bertolt Brecht, der Ereignisse „aus dem Alten und Neuen Tes‐ tament, an den christlichen Legenden, der Geschichte vergangener Jahr‐ hunderte - wobei Höhepunkte revolutionärer Entwicklungen wie die Fran‐ zösische Revolution häufig aufgegriffen werden - und an den unmittelbaren Zeitgeschehen eines Ersten Weltkrieges“ (Pinkerneil 1978/ 2000: XI-XII). Was wir indes kaum noch finden, sind Stoffe der (Natur-)Magie, Hexerei und Dämonie. Auch Themen wie Schicksal und Verhängnis sowie Sagen‐ haftes werden - wenngleich zentral für die klassische Balladendichtung - kaum noch in Balladen verarbeitet. Überdauert haben hingegen die Schil‐ derungen von persönlichen Schicksalen, Liebe und Leid und nicht zuletzt vom Kampf um die Würde und Freiheit des Menschen (vgl. Berger/ Püschel 1961). Bei Bürger einst als Volkspoesie verstanden, kehren diese Themen heute zurück - wenn auch unter „veränderten formalen und sozialen Be‐ dingungen“ (Grimm 2002: 23). Denn, so hält Grimm weiter fest, die „Balladen der Protestsänger und Liedermacher sind ‚Volksdichtung‘, in bewußtem Ge‐ gensatz zur hermetischen Elitelyrik, deren ‚Schreibe‘, die erst nach intensi‐ 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 42 <?page no="43"?> ver Interpretation ihren Sinn erschließt, setzen sie gesungenes Wort und ‚Rede‘, die auf Anhieb verstanden werden sollen“ entgegen (ebd.: 23). In der historischen Zusammenschau wird schließlich klar, dass es keinen Stoff gegeben zu haben scheint, der nicht in einer Ballade aufgegriffen wurde. So sind es einerseits die hohe Wandlungsfähigkeit bzw. das Spiel der Ballade mit den drei Großgattungen und andererseits eine Themenvielfalt mit hohem Identifikationspotenzial, welche die sieben Jahrhunderte wäh‐ rende Entwicklung der Ballade charakterisieren. Diese ist geprägt von einem Wechselspiel zwischen langanhaltenden, teilweise euphorischen Blütezei‐ ten und Phasen literarischer Stagnation (vgl. Pinkerneil 1978/ 2000). Tot hin‐ gegen, wie es in einigen Texten der 1960er-Jahre tönt, ist sie nicht. Recht‐ fertigung finden diese Aussagen nur noch vor dem Hintergrund einer immer enger und fantasieloser werdenden Balladendefinition: Ließ man in der Ära Goethe noch eine Vielzahl von Sujets gelten. So zog man später die Grenzen enger und enger. Schließlich wurde als „reine „Ballade“ kaum mehr als die aufgepulverte Geschichtsanekdote anerkannt. Wie die Historien‐ schinken in der Malerei wurden in den Balladendichtungen die Räuber- und Rit‐ terstücke für höchste Kunst erklärt. So musste es kommen, daß man mit dem faschistischen Ruin dieses Genre die Balladendichtung insgesamt für erledigt hielt. (Piontek 1964: 5) Wenngleich die Todeserklärungen der Ballade nicht für die Ballade an sich gelten, treffen sie zumindest einen Teil von ihr. So sucht man Nachahmer der historischen Ballade des 19. Jahrhunderts mit ihrem starken völkischen Charakter heute - zum Glück - vergeblich. Lässt man sich also ein auf eine breitere Balladendefinition, wie sie mit Riha (1965) und Piontek (1964) ins Leben gerufen wurde, stellt man fest, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Lyrikerinnen und Lyrikern, u. a. Hans Carl Artmann (Aus meiner Botanisiertrommel: Balladen u. Naturgedichte, 1975), Wolf Biermann (Affenfels und Barrikade. Gedichte, Lieder und Balladen, 1986), Hans Magnus Enzensberger (Mausoleum- Siebenunddreißig Balladen aus der Geschichte des Fortschritts, 1994) oder Michael Ende (Trödelmarkt der Träume: Mitternachts‐ lieder und leise Balladen, 1986) erneut dieser Gattung bedient haben. Obwohl es nicht an neuzeitlichen balladesken Texten fehlt, muss indes eine Lücke im Bereich diesbezüglicher literaturwissenschaftlicher For‐ schung konstatiert werden. So ist es in der literaturwissenschaftlichen Dis‐ kussion seit den 1970er-Jahren (vgl. Riha 1975, Müller-Seidel 1976 und 1980 (Sammelband), Hinck 1978, Freund 1978) lange Zeit still gewesen. Dies er‐ 2.2 Geschichte der Ballade 43 <?page no="44"?> kannten auch Andrea Bartl, Corina Erk, Annika Hanauska und Martin Kraus und riefen unter dem Titel Die Ballade. Neue Perspektiven auf eine traditi‐ onsreiche Gattung zur Wiederaufnahme der Diskussion auf. Mit Blick auf die Gegenwartsliteratur werden im sehr lesenswerten Band nicht nur die Defi‐ nition zur Ballade und ihre Gattungszuordnung noch einmal neu diskutiert, sondern auch unterschiedliche Variationen balladesker Dichtung themati‐ siert - von komplexen lyrischen Modifikationen bis zu Songtexten der Pop- und Hip-Hop-Musik (vgl. ebd. 2017). Literatur zur Vertiefung B A R TL , Andrea / E R K , Corina / H ANAU S KA , Annika / K R AU S , Martin (2017). Die Ballade. Neue Perspektiven auf eine traditionsreiche Gattung. Würzburg: Königshausen & Neumann. G R IMM , Gunter E. (2002). Gedichte und Interpretationen: Deutsche Balladen. Stuttgart: Reclam. H IN C K , Walter (Hrsg.) (1978). Die deutsche Ballade von Bürger bis Brecht. 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. P I O NT E K , Heinz (1964). Neue Deutsche Erzählgedichte. Eine Anthologie. Stuttgart: DVA. 2 Fachwissenschaftliche Grundlagen 44 <?page no="45"?> 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) Carolin Führer 3.1 Didaktische Inszenierungen im Wandel Sind Balladen eine Frage des Alters? Wenn man die aktuellen Lehrpläne der einzelnen Bundesländer zur Hand nimmt, ist offensichtlich, dass die inzwischen historische ‚Theorie der Le‐ sealter‘ in Bezug auf die Ballade nach wie vor Wirkungsmacht besitzt: Fest verankert scheinen die (kanonischen) Balladen in der Klassenstufe 7 und 8 (vgl. inhaltsbezogene Kompetenzen in entsprechender Jahrgangsstufe im Bildungsplan Baden-Württemberg 2016), in anderen Jahrgangsstufen sucht man sie selbst in fakultativen Hinweisen zumeist vergebens. Die Leseal‐ ter-Theorie geht vor allem auf die Entwicklungspsychologin Charlotte Büh‐ ler zurück. Bereits 1918 veröffentlichte sie eine Schrift „Das Märchen und die Phantasie des Kindes“ (Bühler 1954), in der sie drei Lesealterstufen des Kindes umschrieb: ▸ Struwwelpeteralter (2−4 Jahre): Lektüren, die Normverletzungen ▸ und die Frage des normgerechten Verhaltens zum Gegenstand haben ▸ Märchenalter (4−7 Jahre): Märchen als Typus des Phantastischen ▸▸ Robinsonalter (7−12 Jahre): Abenteuererzählungen ▸ Susanne Engelmann erweiterte 1928 in ihrem Werk „Methodik des deut‐ schen Unterrichts“ (Engelmann 1957) dieses Modell um ▸ das Dramen- und Balladenalter (12−15 Jahre) und ▸▸ das lyrische und Romanalter (15−20 Jahre). ▸ Bühler und Engelmann sind bei ihren Stufen weitgehend von der damals gewählten schulischen Lektüre ausgegangen, die jedoch vielfach wiederum vorgegeben war. Sie verknüpfen die Lesealtersstufen mit ganz bestimmten Textsortengattungen und Großgattungen anstelle heutiger Kategorien wie Lesemotivationen, Lesemodi, Lesetempi usw. Sie stellen damit ein Konstrukt vor, das weder historische Entwicklungen noch sozialisatorische Kontexte <?page no="46"?> berücksichtigt, stattdessen wird der Eindruck einer quasi natürlichen Lese‐ genese vermittelt. Lesestoff und Leseentwicklung werden aber sowohl in‐ stitutionell (Schule) als auch außerinstitutionell (in der Familie, unter den Peers) modelliert. Eine Entsprechung zwischen Inhalt und entwicklungspsychologischem Status ist vor dem Hintergrund der Vielfalt von Lesesozi‐ alisationen heute noch weniger als damals haltbar. Lesesozialisation und -entwicklung begründet sich nicht nur über die bereits genannten Instanzen und die damit verbundenen Bildungsmilieus sowie die sozioökonomischen Hintergründe der Lernenden, sondern auch und nicht zuletzt über kulturelle und sprachliche Hintergründe. Wir vertreten daher zum einen den Grund‐ satz, dass unter Einbezug medialer Adaptionen ein Umgang mit Balladen bereits im Vorschulalter beginnen kann (man denke beispielweise an Kurz‐ filme, Lieder und Bilderbücher zu Ribbeck) und bis in das Erwachsenenalter hineinreicht. Gerade die Produktivität und der Variantenreichtum der Gat‐ tung (Keller 2017: 9) als auch deren mediale Adaptionsvielfalt und hohe Performativität laden zu einem solchen alters- und zeitlosen Gebrauch ein. Diese Einladung zum Gebrauch in allen Lebensaltern bedeutet jedoch nicht, dass entwicklungsspezifische Unterschiede in der Textverstehens‐ kompetenz und im literarischen Lernen nivelliert werden. Sie werden in Kapitel 5 vielmehr umfassend berücksichtigt: ▸ In ihren Themenzuweisungen stellen die Textbeispiele altersgemäße ▸ Angebote von der Orientierungsstufe bis hin zur Oberstufe dar und ▸ in ihren methodischen Aufbereitungen tragen sie Kompetenzent‐ ▸ wicklungsprozessen systematisch (anhand der nationalen Bildungs‐ standards) Rechnung. Das bedeutet in Bezug auf den Themenbereich Freundschaft und Liebe bei‐ spielsweise, dass der Text von Busch in den Klassenstufen 4 bis 6 verortet wird und den thematischen und sprachlichen Herausforderungen entspre‐ chend „Der Handschuh“ von Schiller dann in der Mittelstufe, die „Bürg‐ schaft“ von Schiller aufgrund ihrer hohen Alterität und dem textlichen An‐ spruch dann in der Oberstufe. Natürlich sind derartige didaktische Entscheidungen diskutabel und selbstverständlich verstehen wir die Frage der Passung immer als multifaktorielle Herausforderungen, daher sind un‐ sere Zuordnungen nur ein (Vor-)Entlastungsangebot um eigene Erfahrun‐ gen zu machen. 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 46 <?page no="47"?> Zwischen Ideologisierung und Gegenstandsfixierung Balladen galten lange als Chronotop, an dem generationsübergreifende Ver‐ ständigung stattfinden konnte (Köster 2001: 175). Heute, in einer pluralen und multikulturellen Gesellschaft scheint eine damit verbundene Festlegung von Norm- und Wertvorstellungen nicht mehr denkbar, zumal die bekannten Gestalten dieser identitätsstiftenden Balladenkultur wie „Der Knabe im Moor“, „Der Zauberlehrling“, „John Maynard“ etc. wenig moderne Ideale zu befördern scheinen. Dennoch bildet besonders die Rezeptionsgeschichte dieser Balladenhelden einen Ansatzpunkt, sich mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Literatur sowie den Veränderungen von Werten, Normen und Kulturmustern im Laufe der historischen Entwicklung auseinanderzusetzen: Im 19. Jahrhundert konnten Primaner am Ende ihrer Schullaufbahn dut‐ zende Gedichte, darunter auch Balladen, auswendig aufsagen. Die Dekla‐ mationskultur des höheren Schulwesens ist auch und nicht zuletzt in Lite‐ ratur von Goethe, Kotzebue, Klingemann, Johanna Schopenhauer, Raabe oder Stinde bezeugt worden und demonstriert dort den schmalen Grat zwi‐ schen deklamatorischem Triumph und gesellschaftlicher Blamage ( Jakob 2017). Im Wilhelminismus dienten die Balladen weitestgehend als Fundus von (auswendig zu erlernenden) Lebensmaximen; auch in der Weimarer Republik und dann erst recht im Nationalsozialismus war der Umgang mit Balladen von einer affirmativ-ideologisierenden Didaktik geprägt, die sich den performativen Charakter von Balladen zunutze machte. So änderte sich die Auswahl der Balladen und die damit verbundene schulische Rezitati‐ onspraxis in Abhängigkeit von den jeweiligen Erziehungszielen: Im Kaiser‐ reich waren das gesellschaftliche Integration und Patriotismus, weshalb die eingangs genannten kanonischen Balladen hier durch Titel wie Theodor Fontanes „Der alte Derfflinger“, Friedrich Rückerts „Barbarossa“ oder Fer‐ dinand Freiligraths „Trompete von Vionville“ ersetzt sind. In der Weimarer Republik finden sich die auch in aktuellen Lehrbüchern vertretenen Balladen wie „Die Bürgschaft“, „Der Zauberlehrling“ etc. Im Nationalsozialismus werden insbesondere Schillers „Das Lied von der Glocke“, Ludwig Uhlands „Schwäbische Kunde“ u. a. für völkische Ideale nutzbar gemacht. Nach 1945 findet hier eine ideologische Bereinigung statt, indem wieder „religiöse Werte im Kontext von Verbrechen und Strafe profiliert werden“ (Köster 2001: 178), etwa Heines „Belsatzar“ oder Meyers „Füße im Feuer“. Robert Ulshöfers seit den 1950er-Jahren besonders einflussreiche Methodik betont zum einen „den besonderen Wirklichkeitsgehalt der jeweiligen Dich‐ 3.1 Didaktische Inszenierungen im Wandel 47 <?page no="48"?> tung auf dem Boden einer gültigen Ordnung“ (Ulshöfer 1961: Vorwort) und zielt zum anderen (in Anlehnung an vorherige Traditionen) pädagogisch auf die Involvierung der Erfahrung der Lerner/ -innen. Im Umfeld der 68er-Bewegung findet dann eine ideologiekritische Wende im Umgang mit Balladen statt. Heinz Ide und Rudolf Wenzel plädieren in der alten BRD für eine veränderte Auswahl und eher diskursive Verfahren im Umgang mit den Balladen. Texte wie der „Erlkönig“, die vorher auf die konkrete Erfahrung der „Wirklichkeit des Irrationalen“ angelegt waren, werden nun „in einem kritischen, emanzipatorischen Deutschunterricht ge‐ gen den Strich gelesen“ (Köster 2001: 179). Diese Entwicklung führt zur in‐ tensiven Diskussion um den Gegenstand, insofern die Ballade aufgrund ihrer Wertsetzungen und ihrer ideologischen Instrumentalisierung für den schu‐ lischen Lektürekanon sogar disqualifiziert werden sollte (ebd.). Erst Mitte der 1980er-Jahre wird die Ballade in der alten BRD im „Neben- und Gegen‐ einander verschiedener Texttraditionen und darin sich spiegelnder, ästhe‐ tisch modellierter Bewußtseinslagen“ (Merkelbach 1984: 185 zit. n. Köster 2001) unter dem Postulat der Verständigung wiederentdeckt. In der DDR-Methodik erfuhren Balladen hingegen unter Herstellung des Zusammenhangs von politisch-ideologischer und ästhetischer Erziehung von Beginn an hohe Wertschätzung: Kanonische Texte - wie beispielsweise Balladen der Weimarer Klassik, die im Rahmen der Betonung des humanis‐ tischen Erbes in das sozialistische Erbe ebenso integriert werden konnten wie Heines „Die Weber“ oder Fontanes „John Maynard“ - wurden im Un‐ terricht bis weit nach der politischen Wende auswendig rezitiert. Diese Re‐ zitationskultur war in der DDR verbunden mit einem hohen, auch historisch zu verortenden, interpretatorischen Anspruchsniveau (Brekle 1992: 89) so‐ wie der grundlegenden Zielstellung einer hohen Allgemeinbildung für alle Schulformen. Vor dem Hintergrund dieser deutsch-deutschen Geschichte der Balladen‐ didaktik verwundert es nicht, dass die Lektüre von Deutsch-Lehrmitteln der 1990er-Jahre folgendes Fazit zur Folge hat: Im Lese- und Literaturunterricht der Sekundarstufen findet sich ein „bereinigter Restbestand von im Schnitt vier bis fünf Kunstballaden“. Dieser weise eine „starke Fixierung auf For‐ males, Gattungsspezifisches und handwerklich Spielerisches“ auf und ver‐ gebe damit das ganze Potenzial der Positionierung und Wertdiskussion von Balladen (Köster 2001: 180). Auf den zuletzt genannten Aspekt soll hinsicht‐ lich der Texterschließung noch genauer eingegangen werden, deutlich ist aber, dass die Rezeptionsgeschichte der Ballade in Schulbüchern Anlässe 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 48 <?page no="49"?> schafft, genau diesen Wertewandel im Umgang mit ästhetischen Medien zu diskutieren. Heute werden Balladen in Lehrmaterialien stark im Bereich der Mündlichkeit verankert und als Ausgangspunkt zur Erprobung unterschied‐ licher Ausdrucks- und szenischer Darstellungsformen genutzt, die gattungs- und inhaltsbezogene Dimension scheint dabei in den Hintergrund zu treten. Auch scheint generell nach einer exemplarischen Sichtung von Lehrwer‐ ken für die Klassenstufe 7-9 die Bedeutung handlungs- und produktions‐ orientierter Verfahren zugenommen zu haben, die Auswahl der Balladen beschränkt sich hier aber nach wie vor weitestgehend auf die von Köster genannten deutschen Kunstballaden. Zu finden sind hier v. a. „Der Zauber‐ lehrling“, „Der Handschuh“, „Der Knabe im Moor“, „Erlkönig“ und z.T. „Die Bürgschaft“ sowie „John Maynard“. Diese inhaltliche Kontinuität kann mög‐ licherweise mit der Kompetenzorientierung erklärt werden. In Zeiten von Zentralabitur und ‚Standardsicherung‘ besinnt man sich in Lehrmitteln häu‐ fig auf (schul-)kanonische Balladen, die einen „traditionellen, mit der Lese‐ biographie der Lehrenden verbundenen Zuschnitt“ aufweisen (Bluhm 2016: 251). Veränderungen in den Bildungshintergründen der Lehramtsstudier‐ enden werden hier langfristig möglicherweise Wandlungsprozesse in den Gang setzen. Maiwald skizziert einen Niedergang der literarischen Bildung und des literarischen Leseinteresses bei Lehramtsstudierenden und damit dem Literaturunterricht (vgl. ebd. 2016). Empirische Befunde zur Ganz‐ schriftlektüre deuten jedoch eine Berücksichtigung von literarischer Bil‐ dung, Leseverstehen und Lerner/ -innen-Orientierung seitens der Lehrenden an (vgl. Bertschi-Kaufmann et al. 2018), für die Ballade liegen aber bisher noch keine Befunde vor. Es ist eine Orientierung am Lehrmittel anzuneh‐ men, da die Lektüre von Balladen augenscheinlich weniger bedeutsam ist als die Wahl der Ganzschrift und zudem die Neuerscheinungen des Marktes hier weniger intensiv wirken dürften. Die kulturelle, soziale und sprachliche Heterogenität der Schüler/ -innen wird durch die derzeitige Balladenauswahl der Lehrmittel jedoch kaum berücksichtigt, sozialisationsbedingte Unter‐ schiede in den Bildungschancen somit verstärkt. Der textbezogenen Viel‐ seitigkeit und Weiterentwicklung der Gattung selbst wird man damit ebenso wenig gerecht. Mit diesem Band stellen wir daher für den etablierten „heimlichen Kanon“ adaptive Verarbeitungen, methodische Erweiterungen sowie andere, weni‐ ger etablierte Texte zum Vergleich bereit, um innerhalb der heterogenen Erfahrungsräume der Lernenden Wege zum Textverstehen (und literari‐ schen Lesen) dieser konventionellen Balladen für alle zu eröffnen. Damit 3.1 Didaktische Inszenierungen im Wandel 49 <?page no="50"?> sollen diese Texte als Teil des kulturellen Gedächtnisses erhalten und Mög‐ lichkeiten generationenübergreifender Verständigungen genutzt werden, ohne die Lesegewohnheiten, -motivationen und den medialen Wandel voll‐ kommen zu vernachlässigen (ausführlicher dazu vgl. Balladen auswählen, Kap. 4.1). Nicht zuletzt soll dabei auch das bereits erwähnte, in Misskredit geratene performative Potential der Ballade wieder didaktisch fruchtbar ge‐ macht werden (vgl. Praxisbeispiele zu Kästners „Sachlicher Romanze“, zu Goethes „Erlkönig“, zu Gomringers „Und es war ein Tag“ uvm.). Literatur zur Vertiefung J AK O B , Hans-Joachim (2017). Der Diskurs über Deklamation und über die Praktiken auditiver Literaturvermittlung. Der Deutschunterricht des höheren Schulwesens in Preußen (1820-1900) (= Siegener Schriften zur Kanonforschung, Bd. 13.) Frank‐ furt a.M.: Peter Lang. M AC KA S A R E , Manuel (2017). Klassik und Didaktik 1871-1914. Zur Konstituierung eines literarischen Kanons im Kontext des deutschen Unterrichts (= Deutsche Literatur. Studien und Quellen, Bd. 22), Berlin / Boston: de Gruyter. V O R E IN , Christian (2012). „Von der Erziehung durch Literatur zur Erziehung zur Li‐ teratur. Literaturtheorie und -methodik der DDR in Beiträgen der Zeitschrift ‚Deutschunterricht‘“. In: Cölln, Jan / Holznagel, Franz-Josef (Hrsg.). Positionen der Germanistik in der DDR. Berlin / Boston: de Gruyter, S. 294-311. 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion Zwischen Gegenstands- und Kompetenzorientierung Aufgrund der bereits mehrfach angesprochenen Kompetenzorientierung in den Bildungsstandards findet man in der aktuellen fachdidaktischen Dis‐ kussion keine explizite Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Ballade. Zentral scheint hier vielmehr zu sein, mit welchen Intentionen das Lesen von Balladen verbunden wird. Besonders entscheidend sind hier die Anfor‐ derungen, die literarische Texte an die Leser/ -innen stellen. So müssen die Schüler/ -innen eine spezifische (ästhetische) Lese- und Verstehenshaltung entwickeln, die sich beispielsweise von der informatorischer Texte unter‐ scheidet. Balladen und ihre vielfältigen medialen Adaptionen können im Rahmen literarischen Lernens dazu beitragen, literar-ästhetisches und in‐ termediales Verstehen zu schulen. Die literarische Verstehenskompetenz 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 50 <?page no="51"?> zeichnet sich u. a. durch einen spezifischen Umgang mit (inhaltlicher) Un‐ bestimmtheit oder Mehrdeutigkeit und überstrukturierter Sprache aus. Der Inhalt des Textes generiert sich hier erst vollständig über das Verständnis und die Deutung des Lesers/ der Leserin, auch können Leser/ -innen ihr Ver‐ stehen bei mehrmaligem Lesen verändern. So positiv das hier formuliert ist, stellt sich doch in der Unterrichtspraxis zuweilen das Gefühl einer starken Beliebigkeit oder Verrätselung solcher Texte ein, die nur von Experten bzw. der Lehrkraft entschlüsselt werden kann. Im Verbund mit den sprachlichen Anforderungen, Metaphern und Symbolen stellen die Balladen die Schü‐ ler/ -innen sowohl in der kognitiven als auch in der emotionalen Verarbei‐ tung vor Schwierigkeiten, die bis zum Nichtverstehen führen können. Daher ist es zentral, Textbegegnungen mit Balladen besonders in der Einführungs‐ phase so zu gestalten, dass eine Frustration verhindert und Toleranz gegen‐ über den Besonderheiten der mentalen Inszenierung eines Balladentextes möglich wird. Das heißt auch, dass das Erlebnishafte, also das Ereignis Bal‐ lade zunächst in den Mittelpunkt gestellt werden kann oder die Artikulation bzw. Konkretisierung von Nichtverstehen erlernt wird. Dabei sollten eigene Vorstellungen und Verknüpfungen frei gebildet werden bzw. in Form einer miterlebenden oder (immer wieder) neu kontextualisierenden Lektüre voll‐ zogen werden. Denn jedes Detail und die Struktur der Textoberfläche kann von Bedeutung sein, d. h. Sinn erschließt sich nicht nur über die Syntax, sondern auch in der Struktur der Wortbedeutungen und -laute sowie deren Ähnlichkeiten und Gegensätze (Zabka 2016: 157). Beispielsweise können die Anaphern in „Und es war ein Tag“ von Nora Gomringer die Wiederholungen und die Gleichförmigkeiten eines Waggons auf den Gleisen abbilden, auch die Wiederholungen von Wörtern wie „Ruck“, „Stunden“ oder verschiedene Wortfelder eröffnen neben den syntaktischen Informationen einen unter‐ schwelligen semantischen Zusammenhang der Deportation, konstituieren jedoch gleichzeitig symbolische oder parabolische Sinnebenen und damit die literarische Mehrdeutigkeit („Und es war“ als Anspielung auf das Mär‐ chen o. ä.). Die hier beschriebenen Aspekte können grundsätzlich mit jeder Literatur vertieft werden; zu Kompetenzen werden sie jedoch immer erst in der Aus‐ einandersetzung mit einem konkreten Gegenstand - die für die Lektüre li‐ terarischer Texte notwendige Vorläufigkeit der Sinnbildung kann nicht abs‐ trakt erlernt werden. Demnach schalten auch wir in diesem Band im Kapitel 5 allen Praxisanregungen eine didaktische Textanalyse vor, die die spezifischen Verstehensanforderungen des jeweiligen Textes genau heraus‐ 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion 51 <?page no="52"?> arbeitet. Das heißt auch, dass es nicht darum geht, alle literaturtheoretischen und -historischen Kategorien für den Text in ihrer Vollständigkeit abzubil‐ den, sondern v. a. jene Aspekte, die aus unserer Sicht verstehensleitend sind und sinnstiftende Lehr-/ Lernprozesse initiieren können. Das birgt in der Praxis zuweilen die Gefahr, den artifiziellen Charakter der jeweiligen Ballade deterministisch zu vereinfachen und themenzentriertes statt ästhetisches und literarisches Lernen anzuleiten. Dennoch: Aus unserer Sicht reicht allein die Konfrontation mit einer aus gegenstandsbezogener Sicht normativ als relevant erachteten Ballade nicht aus, um eine subjektive Relevanz herzu‐ leiten. Dem begegnen wir durch eine Auswahl von Kontexten, die eine Er‐ schließung gegenstandsspezifischer Sachstrukturen durch den Anschluss an die Interessen der Lernenden, deren kognitive Denk- und Handlungsmuster in der jeweiligen Entwicklungsstufe sowie gesellschaftliche Diskurse er‐ möglichen. Selbstredend müssen diese Gerüste mit zunehmender Ler‐ ner/ -innenerfahrung abgebaut werden, dennoch glauben wir, dass sie gerade auch in literaturfernen Milieus oder bei Schüler/ -innen mit anderer Mutter‐ sprache Zugänge zur Ballade als Kunstprodukt schaffen können. Damit ver‐ bunden ist auch die Abwehr eines verengten Subjekt- und Kompetenzbe‐ griffs, der die ästhetische Auseinandersetzung auf einen subjektivistischen Prozess reduziert. Uns erscheint hier vielmehr die Relationalität konstitutiv: Sie zeigt sich als triadischer Bezug von Selbst, Mitmenschen und Welt. Dem‐ entsprechend ist neben der Sachstruktur und der Einbindung der Ballade in ein personales Verständnis auch das Bildungspotenzial gemeinsamer Bezüge und geteilten Verstehens zentral. Im Kapitel 5 finden sich diese Überlegun‐ gen einerseits in der fokussierten Auswahl didaktischer Analysen und darüber hinaus in der didaktischen Umsetzung. Diese ist u. a. darauf ausge‐ richtet, eine Ballade lernzieldifferent so zu erarbeiten, dass sie durch jeweils unterschiedliche Leistungen in einem heterogenen Klassenverbund erst ge‐ meinsam erschlossen werden kann. Besonders die ‚Teilung von Kompeten‐ zen‘ bzw. das in Beziehung setzen dieser zueinander anhand eines konkreten Gegenstandes im Klassenverbund eröffnet aus unserer Sicht Wege ästheti‐ scher Erfahrung und literarischen Lernens für alle Lernenden. Wissen und Können im Umgang mit Balladen Die Anforderungen in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz - wie die Erschließung zentraler Inhalte literarischer Texte, deren Deutung sowie Wertung (ausführlicher Köster 2016: 96) - sind allgemein und komplex 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 52 <?page no="53"?> formuliert. Um daraus auf konkrete Gegenstände bezogene und (strategisch) auch einzeln lösbare Aufgaben zu modellieren, bedarf es einer genauen Textanalyse (vgl. Texterschließung und -Interpretation), die v. a. besondere Verstehensherausforderungen der einzelnen Balladen in den Blick nimmt. In der Erarbeitung der Unterrichtsbeispiele sind in Hinblick auf Balladen besonders folgende Untersuchungsdimensionen hilfreich: ▸ Figurenkonstellationen ▸▸ Erzähltechnik (Perspektiven und Perspektivwechsel, Handlungslogi‐ ▸ ken, Zeit …) ▸ historischer und/ oder poetischer Sprachgebrauch ▸▸ Formen sprachlicher Indirektheit (Metaphern, Allegorien, Ironie …) ▸▸ Versformen ▸▸ literarisches Wissen bzw. die hohe Referenzialität von Balladen (in ▸ Hinblick auf Gattungswissen, literaturgeschichtliches Wissen etc.) Diese Dimensionen stellen regelmäßig besondere Verstehensherausforde‐ rungen der Ballade dar. Diesen je einzelnen Phänomenen kann begegnet werden, indem aus der intensiven didaktischen Textanalyse gekonnt vom Lehrenden moderierte und explizit auf den Text bezogene Aufgabenstellun‐ gen folgen. Diese Aufgaben müssen wiederum geschickt grundlegende Kompetenzen und Wissen (z. B. sprachliches, historisches, poetologisches Wissen usw.) verbinden, um den jeweils stets spezifischen Verstehensan‐ forderungen der konkreten Ballade gerecht zu werden. Neben der Textaus‐ wahl ist hier auch die Organisation des Balladenunterrichts zu bedenken, der sich nicht in einzelnen, unsystematischen Stunden erschöpfen sollte, sondern als Sequenz geplant werden kann, die mehrere Balladen neben- und miteinander anbietet. Als Ordnungsprinzip können sie nach den genannten Schwerpunkten des Bandes sortiert werden, aber auch Motive, Epochen und Strömungen sowie Themenkreise und Poetiken können hier leitend sein. Wichtig ist in dieser Sequenzbildung, dass der Blick immer wieder auf die Gegenstände und deren Vergleich gerichtet wird und die genannten Ord‐ nungsprinzipien in den Hintergrund treten und nicht zum eigentlichen Thema der Balladensequenz werden. Die zentrale Funktion im Zusammenspiel von Wissen und Können jen‐ seits uneingeschränkter Aufträge wie „Interpretiere“, „Deute, „Erläutere“ und „Bewerte“ ist es Aufgabenfolgen zu entwickeln, die mittels Gattungs- und Textsignalen an die Lösung des Problems heranführen. Im Folgenden soll dies am Beispiel des Gattungswissens, welches eine besondere Stellung 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion 53 <?page no="54"?> im Umgang mit Balladen einnimmt (Kap. 2), genauer ausgeführt werden. Obwohl die Frage nach der Bedeutung von Gattungswissen im literaturdi‐ daktischen Diskurs kontrovers diskutiert wird (u. a. Frickel 2012, Nickel- Bacon 2011, Pfeiffer 2010), stellt dessen Vermittlung im Deutschunterricht traditionell einen zentralen Bestandteil dar. Dabei wird dem Gattungswissen - als Bedingung für die Rekonstruktion der formalen Textorganisation - seitens der kognitionspsychologischen Leseforschung eine verstehenssteu‐ ernde Wirkung (vgl. Miall 2006, Schaffner 2009) zugeschrieben. Für Balladen ist dies besonders relevant, da intertextuelle Bezüge und gattungsspezifische Anknüpfungen als konstitutives Merkmal von Balladen identifiziert werden können (Kellner 2017: 9). In Balladen, die konventionalisierte Textmuster aufbrechen und transformieren, indem sie beispielsweise mit Gattungswis‐ sen spielen, kann sich in Abhängigkeit von deren Kenntnis und den damit verbundenen Leseerwartungen literarisches Verstehen verändern. Ein Beispiel: Thomas Klings „Berliner Totentanz“ könnte als Beschrei‐ bungstext gelesen werden: so wäre es eine Annäherung an das Totentanzfresko in der Berliner Marienkirche. Als Gedicht eröffnet es in seinen lyri‐ schen Annäherungen an den Tod bzw. dessen Personifikation vielfältige li‐ teraturgeschichtliche Bezüge: Goethes „Totentanz“ und die Auferstehung der Untoten dort steht dann im Kontrast zum ‚Gespräch‘ zwischen Figur, Tod und Arzt bei Kling. Zum dramatischen Text wird Klings Ballade durch seine Sprecherfiguren, die sich wie Rollenvergaben lesen lassen. Erzähle‐ risch ist der Text insbesondere in seiner medizinischen Narration bzw. einer fragmentarischen Krankheitsgeschichte. Dieses (Zusammen-)Spiel mit konventionalisiertem Gattungswissen kann jedoch nur aufgrund eines vielfältigen Vorwissens abgerufen werden. Der Grad der Flexibilität im Umgang mit diesen Vorwissensbeständen steu‐ ert dann auch den Genuss der Lektüre. Wenn Schüler/ -innen diese Gat‐ tungsreflexion bzw. (metafiktionale) Gattungsdiskussion nicht vollziehen, geben sie sich möglicherweise eher selbstbezogenen (wenn nicht gar sub‐ jektivistischen) und wenig gegenstandsbezogenen Reflexionen eines Textes hin (Frickel/ Nosic 2018). Für den unterrichtlichen Umgang ist es daher an‐ gezeigt, die Relevanzstrukturen des Gattungswissens (gerade auch in ihren Grenzfällen wie dem o. g. Beispiel) aufzuzeigen und für die Schüler/ -innen nachvollziehbar zu machen, damit auch eine Rückkopplung an erarbeitetes deklaratives fachliches Vorwissen erfolgt. Ein (vorheriges) Erlernen von Merkmalen anhand von abstrakten Merkkästen erscheint hier demnach eher hinderlich, Köster (2016) empfiehlt den Vergleich von merkmalsähnlichen 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 54 <?page no="55"?> Texten, mit denen sich die Schüler/ -innen zunächst intensiv auseinander‐ setzen, um gemeinsame Merkmale herauszuarbeiten und auf den Begriff zu bringen. Die Klassifizierung eines Texts als Typus darf daher nicht nur Aus‐ sagen über gattungsrelevante Ähnlichkeiten („Das ist ein Gedicht, denn es reimt sich.“) implizieren, sondern muss das konkrete Beispiel mittels Begrif‐ fen (z. B. aus der Erzähltheorie, vgl. Unterrichtshilfe „Erzählformen in zeit‐ geschichtlichen Balladen“) auf ein abstrahiertes verstehensrelevantes Merk‐ mal zuspitzen. Auch für literaturgeschichtliches Wissen ist die flexible Nutzung wesent‐ lich: Ein Lernen am Modell, bei dem der Lehrer/ die Lehrerin mit lautem Denken die Relevanz und Anwendung von ausgewählten Epochenkennt‐ nissen im Rahmen des Verstehens verdeutlicht, kann zu Beginn hilfreich sein. „Die Brück’ am Tay“ von Fontane eröffnet in einer Balladensequenz z. B. Möglichkeiten der Relevanzsetzung intertextueller literaturgeschichtlicher Bezüge: Sie knüpft an die Irrationalismen und das Bild der beseelten Natur der ‚Sturm und Drang‘-Balladen Bürgers und Goethes an, aber auch an die drei Hexen als personifizierte Naturgewalten in Shakespeares Mac‐ beth. Diese Traditionsbezüge werden durch das reale zeitgeschichtliche Ei‐ senbahnunglück aktualisiert. Der technikkritische Hintergrund der Ballade gibt Ausblicke auf die Gesellschaftskritik in Balladen zu Beginn des 20. Jahr‐ hunderts. Diese gegenstandsbezogenen Kontexte können didaktisch zur Herausbildung literaturgeschichtlichen Bewusstseins genutzt werden. Das bedeutet jedoch nicht, die Kontexte oder Vergleichstexte (mühselig und oft überfordernd) mit den Schüler/ -innen zu erarbeiten, sondern zuweilen durch starke inhaltliche Vorgaben lediglich die literaturgeschichtliche Fle‐ xibilität im einzelnen Text zu bestimmen. Balladen interpretieren Die Ballade sollte trotz ihrer didaktischen Vielschichtigkeit im Unterricht keinem Relativismus der Interpretationen ausgesetzt werden. Aus literatur‐ wissenschaftlicher Sicht sind zunächst 4 Gruppen der Texterschließung als Rahmen zu nennen, die Balladen Bedeutung zusprechen können (in Anleh‐ nung an das Kommunikationsmodell von Kindt/ Köppe 2008): ▸ Unter konventionellen am Autor orientierten Interpretationskonzep- ▸ tionen können beispielsweise biografische Ansätze subsumiert wer‐ den, die ein Werk mit der Lebensgeschichte des Autors in Verbindung 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion 55 <?page no="56"?> bringen oder unter Bedeutung das verstehen, was der Autor mitzu‐ teilen beabsichtigte (Intentionalismus). ▸ Zugänge, die am Text orientiert sind, zeigen sich beispielsweise in ▸ Form werkimmanenter Interpretationen, formalistisch-strukturalis‐ tischer Überlegungen, die eine linguistische Methode zur Beschrei‐ bung literarischer Texte nutzen oder positivistischer Ansätze, die mit‐ tels Editionen verlässliche Texte herstellen usw. Allesamt sind diese Zugänge darum bemüht, ahistorische, aus dem Text allgemein be‐ schreibbare Regularitäten zu extrahieren. ▸ Aus Sicht von am Leser/ der Leserin orientierten Theorien ist die Bedeu‐ ▸ tung eines Textes wesentlich als Zuschreibungsleistung durch den Rezipienten bzw. die Rezipientin anzusehen. Im Fokus stehen hier die leser/ -innenseitige Konstruktion von Textbedeutungen und die damit einhergehenden Wirkungen. Welche Bedeutung der Leser/ die Leserin dem Text zuweist, ergibt sich dabei zu einem wesentlichen Teil daraus, wie er den Text verarbeitet, über welche kognitiven Voraussetzungen (z. B. ein bestimmtes Wissen) er verfügt und unter welchen äußeren Bedingungen der Verstehensprozess abläuft. ▸ Ergänzend zu nennen ist schließlich noch viertens die Gruppe, die vor ▸ allem auf „symptomatische Interpretationen“ ausgerichtet ist (Descher et al. 2015: 15). Dies kann in Form eines Bezugs zur historischen Wirklichkeit sein, z. B. wenn danach gefragt wird, wie sich Herr‐ schaftsstrukturen in Wolf Biermanns Ballade „Briefträger William L. Moore“ spiegeln, oder wie sich „Der Erlkönig“ zur Epoche des Sturm und Drang verhält. Auch das Vorgehen der Intertextualitäts- und Intermedialitätsforschung, die sich auf die gegenseitigen Beziehungen zwischen Texten und Medien konzentriert, kann hierzu gezählt wer‐ den. Es handelt sich dabei um eine für die interpretative Praxis aus‐ gesprochen wichtige Norm dessen, was als Bedeutung eines Textes untersucht werden kann. Der „Kontext“ als Interpretationsbezug liegt auf einer anderen Ebene als die drei vorangehend genannten, weil er sich v. a. darauf bezieht, inwiefern der Text Indikator für etwas darüber Hinausgehendes ist. Wenn man eine Bedeutungskonzeption von Balladen entlang solcher Linien akzeptiert, heißt das nicht, dass man Interpretationen relativieren muss, sondern dass man im Literaturunterricht Interpretationsziele transparent benennen sollte, um klar definierte Argumentationsweisen entwickeln bzw. 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 56 <?page no="57"?> vorlegen zu können. Hinsichtlich der altersgemäßen Entwicklung und För‐ derung von Analyse- und Interpretationskompetenzen sollte nicht zu stark und vor allem nicht zu früh der Eindruck vermittelt werden, dass Interpre‐ tationen nicht objektiv richtig oder falsch sein können, sondern allenfalls relative Geltung besitzen. Einige einschlägige (für den Unterricht adaptier‐ bare) Interpretationsziele werden daher im Folgenden kurz anhand der je‐ weiligen o. g. Interpretationsgruppierungen illustriert. Im Einklang mit ihrer Auffassung von Bedeutung kann es am Autor ori‐ entierten Interpretationen darum gehen, die kommunikativen oder auch gestalterischen Absichten des Autors kennenzulernen oder sein Werk in den biografischen Kontext einzuordnen (ausführlicher, auch zu den didaktischen Schwierigkeiten: Führer/ Heins 2018). Strukturalistische und textzentrierte Ansätze verfolgen bei der Interpre‐ tation das Ziel, die Beschaffenheit des Textes, etwa seine Struktur im Rah‐ men einer Gattungstheorie oder Narratologie zu beschreiben. In der Schul‐ praxis spricht man hier häufig von „textimmanenten Interpretationen“, beispielhaft wäre hier die in diesem Band auffindbare didaktische Analyse zu Conrad Ferdinand Meyers „Füße im Feuer“). In der symptomatischen Auffassung von Bedeutung kann der Text An‐ zeichen sein für sozialgeschichtlich oder auch kulturwissenschaftlich be‐ schreibbare Gegebenheiten der Entstehungszeit, für Geschlechterverhält‐ nisse oder (Post-)Kolonialismus. Das entsprechende Ziel lässt sich allgemein beschreiben als Ermittlung von etwas, das zur Zeit der Entstehung des Textes der Fall war. Ausführliche didaktische Überlegungen zur Verwendung von Kontextwissen beim Interpretieren und zum systematischen Aufbau ent‐ sprechender Kompetenzen finden sich bei Stark (2016). Er hebt hervor, dass die Beschäftigung mit den Kontexten sowohl in der Qualität der Sekundär‐ texte als auch in der notwendigen Navigation zunächst nicht dem Anforde‐ rungsgrad der Primärtexte entsprechen oder diesen gar übersteigen sollte, um die kognitive Kapazität auf das Primärwerk zu lenken. Ein Literaturunterricht, der der Vielschichtigkeit der Interpretation einen großen Stellenwert beimisst, verfolgt damit hauptsächlich philologische Zielsetzungen. Die literaturwissenschaftlichen Interpretationstheorien sind nur teilweise Ausgangspunkt für Verfahrensweisen der Texterschließung und -interpretation im Literaturunterricht, und dies auch nicht gleicherma‐ ßen umfänglich. So sind für Balladen relevant: 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion 57 <?page no="58"?> ▸ Autor- und werkgeschichtliche Texterschließungen, ▸▸ werkimmanente Interpretationen (v. a. zu kanonischen Texten), ▸▸ Erziehung zu Kritikfähigkeit und Mündigkeit, ▸▸ handlungs- und produktionsorientierte Analysen, ▸▸ dekonstruktive und diskursanalytische Methoden der Interpretation, ▸▸ identitätsorientierte Zugänge, ▸▸ medienintegrative Verfahren. ▸ Diese Ansätze werden im Unterricht selbstverständlich miteinander kom‐ biniert und herrschen kaum in Reinform vor. In ihrer Erschließung von Bal‐ laden haben sie unterschiedliche Reichweiten und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Kammler (2009) hat für den Lyrikunterricht, in dem die Balladen konventionell verortet werden, eine „Hermeneutik des Erschließens“ und eine „Hermeneutik des Verdachts“ identifiziert, die beide die Gefahr problematischer Lesarten bergen. Erstere, wenn biographische, politische und soziale Umstände der Textentstehung sowie intertextuelle Bezüge zu einer (relativ) eindeutigen Textaussage verengt würden. Letztere, indem durch die Auslotung von (neuen) Bedeutungspotentialen und der Re‐ zeption aus dem jeweiligen (gegenwärtigen) Kontext des Lesers / der Leserin heraus ein „willkürliches Überschreiten des Bedeutungsspielraums“ erfolge (Kammler 2009: 9). Methodisch solle daher laut Kammler ein grundsätzliches Bewusstsein für die Historizität sowie formale und sprachliche Beschaffen‐ heit des Gegenstandes im Rahmen analytischer Verfahren entwickelt wer‐ den, die emotionalen und imaginativen (subjektiven) Zugänge sollten dann über handlungs- und produktionsorientierte Verfahren geschaffen werden. Diese daraus entstehenden unabschließbaren Deutungsoptionen können in dieser Konzeption durch das „unverzichtbare“ Unterrichtsgespräch sowie den Einbezug verschiedener Adaptionen und Rezeptions(kon)texte zusam‐ mengeführt werden. In einem Literaturunterricht, der Lektüremotivation und sprachliche Fähigkeiten von Schüler/ -innen entwickeln will, hat die strenge Interpretation zu Unrecht einen sehr großen Stellenwert, auch ihr „Missbrauch“ im Sinne eines „Teaching to the test“ (Zentralabitur). Wenn der Umgang mit Balladen dennoch auf die Interpretation fokussiert werden soll, dann lohnt es sich aus unserer Sicht, das Potential zu Wert- und Normdiskussion auf der Grundlage textinterner Signale zu nutzen. Denn Balladen sind in ihrer langen Tradition als Gegenstand des Schulunterrichts (vgl. Kap. 3.1) in verschiedenem Maße in Anspruch genommen worden zur Vermittlung von Werten, Idealen, Weltbildern - aber auch zu deren kriti‐ 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 58 <?page no="59"?> scher Hinterfragung. Heute wird sie in Unterrichtsmodellen kaum noch als Ausdruck eines jeweiligen (politischen) Zeitgeistes hinterfragt oder in ihrem Wert(ungs)charakter diskutiert. Unterrichtsentwürfe konzentrieren sich weitestgehend auf formale (Gattungs-)Merkmale oder die Nutzung ihrer medialen Vielfalt. Dies verkennt neben dem Potential der Wertdiskussion auch den hohen appellativen Charakter der Ballade, der durch dramatische Elemente teilweise besonders verstärkt wird. Köster betont, dass die Wahl der methodischen Verfahren bei Balladen hier besonders entscheidend sei, da von ihnen die Verstehens- und Deutungstiefe, die die Schüler/ -innen er‐ reichen, abhängt. Sie schlägt aus diesem Grunde ein Zusammenspiel von „Text, Produktion und (aus-)wertendem Diskurs“ vor (2001: 183). Den Ana‐ lyserahmen gibt hier der Lehrer/ die Lehrerin durch eine sinnvolle produk‐ tionsorientierte Aufgabe vor; Köster nennt beispielsweise einen Vergleich zwischen den Knaben im Moor und im Erlkönig, der die Schüler/ -innen an Schlüsselstellen im Text führt und somit ein Verständnis des Textes hervor‐ bringe. Mit produktionsorientierten Verfahren soll dann die analytische Distanz überwunden und in eine konkrete Vorstellungsbildung überführt werden. Dieses Vorgehen wird dann in einem auswertenden Diskurs zu‐ sammengeführt, um einerseits den Argumentationszusammenhang des Tex‐ tes analytisch und involviert zu erfassen, aber auch dessen Mehrstimmigkeit nicht vollständig aufzulösen. Dabei ist es wichtig, konträre Perspektiven im gegebenen - auch historisch aufgeladenen Argumentationsrahmen - des Textes zu entwickeln, um die Unterschiede zu heutigen Deutungshorizonten nicht zu nivellieren (Bsp. Bedeutung des Birnenverschenkens in Fontanes „Ribbeck“ heute und zur Zeit der Balladenentstehung). Übergeordnete Ziele wie die Aneignung von Weltwissen, Identitätsfragen oder die Entwicklung von Fremdverstehen können damit gut verbunden werden. Zabka (2012) betont, dass es methodisch betrachtet durchaus verschie‐ dene Operationen gibt, die unterschiedliche Komponenten literarischen Lernens fokussieren können: ▸ Schlussfolgerndes Lesen/ Erkennen von Sachverhalten über die ▸ Satzgrenze hinaus: fördert und fordert Vorstellungsbildung und In‐ volviertheit, ▸ Verknüpfen von Informationen: ermöglicht das Verstehen von ▸ Erzählstrukturen und inhaltlichen Zusammenhängen, ▸ Globales Verstehen: fordert das Fragen nach den Sinnebenen einer ▸ Ballade heraus, 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion 59 <?page no="60"?> ▸ Identifikation von Gestaltungselementen und dem Aufbau einer ▸ Ballade: sensibilisiert für deren literarische Beschaffenheit und Gat‐ tungsspezifik (vgl. Zabka 2012: 152). Wichtig ist, dass diese Verfahren nicht nacheinander abgearbeitet werden, sondern die Relevanz der Operationen ergibt sich aus der konkreten Ballade. Die vielfältigen handlungs- und produktionsorientierten Methodenbau‐ steine und Unterrichtsbeispiele in diesem Band beziehen sich auf diese Überlegungen. Dem häufig geäußerten Verdacht, dass eine Meta-Ebene der Textreflexion durch die Schüler/ -innen in diesen Verfahren fehlt, kann und soll begegnet werden, indem die Verfahren so angelegt sind, dass sie sehr stark textinterne Brüche, Handlungszusammenhänge und/ oder Strukturen in ihrer Bearbeitung erfordern. Der Pluralität (nicht Relativität! ) des Um‐ gangs mit dem Gegenstand Ballade versuchen wir gerecht zu werden, indem sich die didaktischen Konzeptionen auf den Erwerb einer im Unterricht zu fokussierenden Kompetenz konzentrieren, die immer aus der textlichen Ba‐ sis hergeleitet ist. Denn aus unserer Sicht kann es nicht den Königsweg, wie sich einer bestimmten Ballade genähert werden sollte, geben. Zu vermeiden sind jedoch methodische Eintönigkeit, die sich sowohl im „Verharren auf intuitiven Textzugängen“ als auch in der „Verselbstständi‐ gung formaler Betrachtungen“ manifestieren kann (Kammler 2009: 4), oder methodische Arrangements, die zu wenig mit den Gegebenheiten des Textes operieren. Balladen im Kontext ästhetischer Erfahrung Neben der Förderung literarischer Kompetenzen, die auch mit der Einübung unterschiedlicher Verstehensmodi einhergeht, kann mit Balladenrezeption zudem ein ästhetischer Erlebensraum verbunden werden. In Erweiterung des vorher skizzierten literarischen bzw. literarästhetischen Verstehens meint das, dass die Schüler/ -innen z. B. durch aufmerksames Lesen die Spra‐ che auch sinnlich erfahren und die alltägliche (Zeit-)Erfahrung und Zweck‐ orientierung durchbrechen können, um eine Zeit der Fiktion zu ‚erleben‘. Dies ist insofern wichtig, weil das Spiel mit Sprache nicht von allen Kin‐ dern als Teil ihrer Kindheit erlebt und erfahren wird, die damit verbundene Vorstellungsbildung sollte also in der Schule ebenso gefördert werden wie die Fähigkeit, einen anderen Blick auf das Alltägliche zu gewinnen. Dies wird v. a. durch eine spezielle ästhetische Lesehaltung gefördert, die sich nicht nur 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 60 <?page no="61"?> auf die sachlichen Sinn- und Kausalzusammenhänge des Textes und die un‐ mittelbar verwertbaren Informationen konzentriert, sondern die Lebendig‐ keit und Eigenheit des Textes bewusst wahrnimmt. Das heißt beispielsweise, kognitive und emotionale sowie leibliche Aspekte der Lektüre verbinden sich hier zu einem untrennbaren Ganzen. Diese Unteilbarkeit der ästhetischen Er‐ fahrung kann besonders im Umgang mit Balladen und Lyrik, die sich durch eine hohe sprachliche Verdichtung auszeichnet, erzielt werden. Da wir diesem Aspekt aufgrund seiner geringen Bedeutung in zentralen Prüfungsanforderungen und den KMK-Bildungsstandards im praktischen Teil kaum bzw. nicht ausreichend Raum gegeben haben, möchten wir an dieser Stelle einige Hinweise zur Anbahnung derartiger poetischer Erfah‐ rungen im Umgang mit Balladen geben. Der Kern des Ästhetischen ist in der Wirkung der Ballade auf das Individuum und dessen vorgeprägte Wahr‐ nehmung zu suchen, genauer noch in der Kraft, mit der die Ballade die Rou‐ tinen des Fühlens und Denkens, auf die sie trifft, unterwandern kann. An‐ geleitet werden kann dies nach Mitterer und Wintersteiner (2015) u. a. durch: ▸ Entselbstverständlichung: Indem die poetische Sprache als eine ▸ „Fremdsprache“ erkennbar und wie eine solche befragt wird. Das be‐ deutet auch, dass einzelne Begriffe nicht aus dem Text herausgerissen und unter alltagssprachlichen Oberbegriffen ‚gelistet‘ werden dürfen, sondern dass das Bezugssystem eines jeden Textes seine individuelle Gesamtbedeutung ist. ▸ Passivität: Wesentlich in der Auseinandersetzung mit einem Kunst‐ ▸ werk ist hier die Art und Weise, in der sich das rezipierende Subjekt vom Objekt ergreifen und in seinen Gewissheiten beirren lässt. Frag‐ lichkeiten, die der Text hervorruft, müssen erst einmal wirksam wer‐ den, weil nur auf dem (Ab-)Grund dieser Ungewissheiten ein authen‐ tisches Reden über Literatur stattfinden kann. Eine solche Rede über das Ungewisse ist nicht abprüfbar, zeigt aber deutliche qualitative Unterschiede, deren Beurteilung der Lehrperson obliegt. ▸ Intensiver Blick: Ästhetisches Lesen zeichnet sich nicht durch Brei‐ ▸ ten-, sondern durch Tiefenwirkung aus und kann sich in einem Detail verlieren, ohne das Ganze dabei aus dem Blick zu lassen. Eine Schu‐ lung dieses intensiven Blicks leitet dazu an, sich auf das vermeintlich unauffällige Detail, den fast übergangenen Stolperstein im Text zu konzentrieren. Über die erste spontane Textbegegnung hinaus ist ein Vergleich der ersten Erwartungen mit dem weiteren Textverlauf bzw. 3.2 Zum Stand der aktuellen fachdidaktischen Diskussion 61 <?page no="62"?> der ständigen Anpassung der Erwartungen an die (unerwartete) Ent‐ wicklung wichtig. Einige dieser Überlegungen überschneiden sich sicherlich mit dem literarischen Lernen bzw. Verstehen. Wir möchten diese hier nicht streng vonein‐ ander trennen, vielmehr dafür sensibilisieren, dass beim Erschließen einer Ballade nicht nur im Rahmen der Kompetenzbereiche, sondern auch inner‐ halb literarästhetischen Lernens unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden können, die auch die Lehr- und Lernkultur wesentlich verändern. Der Aspekt der ästhetischen Erfahrung ist aus unserer Sicht auch deshalb nicht zu vernachlässigen, weil er Literatur als Raum der Selbst-Infragestellung und Möglichkeit eines anderen Denkens zeigt. Zudem kann Motivation, Genuss und Freude am Umgang mit Literatur (außerhalb und über die Schulzeit hin‐ aus) in solchen Unterrichtsphasen wesentlich befördert werden. Literatur zur Vertiefung Deutschunterricht (5/ 2017): „Balladen“. Braunschweig: Westermann. F R I C K E , Gunnar / H E I S E R , Ines (Hrsg.) (2019). „Balladen erschließen“. Deutsch 5-10 58. Hannover: Friedrich Verlag. Deutschunterricht (3/ 2017): „Balladen und Erzählgedichte“. Braunschweig: Wester‐ mann. 3 Didaktische Entwicklungen und Theorie(n) 62 <?page no="63"?> 4 Balladendidaktische Grundlagen 4.1 Balladen auswählen Carolin Führer Seit PISA und der damit einhergehenden empirischen Wende in der wissenschaftlichen Fachdidaktik kann eigentlich vom Ende der Schul‐ kanon-Diskussion gesprochen werden. Die Post-PISA-Rahmenlehr‐ pläne, welche in Anlehnung an die KMK-Bildungsstandards entstan‐ den, verzichten für die Primar- und Sekundarstufe I angesichts einer kompetenzorientierten Didaktik auf konkrete Vorgaben in Form von Titelnennungen. Dies scheint weniger zur Marginalisierung konkreter Werkverbindlichkeiten zu führen, sondern zur Tradierung von im in‐ stitutionellen Rahmen bereits etablierten Titeln (sogenannter ‚heim‐ licher Kanon‘): Fragt man in Lehrerkollegien nach ihrer Balladenaus‐ wahl, so werden spontan zumeist „Der Handschuh“, „Der Zauberlehrling“, „Knabe im Moor“ u. ä. genannt. Diese Titel suggerieren, dass die schulische Auswahl primär von der literarischen Kanonbildung und einem materialen Kanon geprägt ist (das meint konkrete Werktitel anhand literaturgeschichtlich zentraler Autoren, Werke, Gattungen und Literaturepochen), de facto sind es jedoch eine Vielzahl von Kri‐ terien, die die Auswahl bestimmen. Grundschule: Lesemotivation und literarische Bildung verbinden Für die Grundschule haben Richter und Plath (2012) anhand von Lehrer- und Schüler/ -innenbefragungen festgestellt, dass die Lehrer/ -innen zwar anga‐ ben, kindliche Interessen bei der Auswahl der Lektüre zu berücksichtigen, sich jedoch ein starker Widerspruch zwischen Themen und Genres, die die Kinder interessierten, und dem, was die Lehrer/ -innen behandelten, zeigt (Richter/ Plath 2012: 75 ff.). Ute Andresen (2004) schlägt aus demselben Grund für den Umgang mit Lyrik vor, dass die Lehrpersonen die bereitge‐ <?page no="64"?> stellte Auswahl stets durch weitere Texte, die von den Lernenden ausge‐ wählt werden, ergänzen, damit die Schüler/ -innen eine persönliche Bezie‐ hung zu „ihren“ Gedichten aufbauen können. Es kann zudem sinnvoll sein, die Gedichtauswahl zunächst ohne Verfassernamen und Angabe der Ent‐ stehungszeit vorzulegen. Dadurch wird vermieden, dass Voreingenommen‐ heit gegenüber bestimmten Autoren oder Epochen den Zugang verstellt (Spinner 1995: 34). Zu den Auswahlkriterien der Lehrkräfte für Grundschulliteratur gehören v. a. neben den zu erwartenden inhaltlichen und pädagogischen Erziehungs‐ zielen auch stark technisch-formale Kriterien wie Gliederungen in Ab‐ schnitte, kindgerechte Illustrationen etc. Eine Tendenz zur einfachen Ge‐ schichte, die selbst erlesen werden kann, ist erkennbar. Die konkrete Titelauswahl lässt trotz des angegebenen Bemühens um literarische Vielfalt zum einen eine vordergründig pädagogische Orientierung auf den ‚Nutzen‘ von Literatur erkennen, zum anderen betont sie die Entwicklung von Lese‐ fähigkeiten und -fertigkeiten. Hierdurch ist eine intellektuelle Unterforde‐ rung für Grundschüler/ -innen feststellbar. Das Kriterium Lesemotivation und der Blick auf die (ästhetische) Besonderheit des Mediums Literatur und seine Wirkungsweise scheint nach Richter und Plath (2012) für die Grund‐ schule unverhältnismäßig unterrepräsentiert. Diese Aspekte sollten dem‐ nach bei der Auswahl von Balladen für Grundschüler/ -innen Berücksichti‐ gung finden. Richter (2013, 2015: 182-214) hat sich damit bereits unterrichtspraktisch beschäftigt und Möglichkeiten gesucht, wie ein an‐ spruchsvoller Literaturunterricht bereits in der Grundschule unter Berück‐ sichtigung des literarischen Reichtums (bei Richter meint dies v. a. auch sog. Klassiker) mit der Berücksichtigung kindlicher Medieninteressen verbun‐ den werden kann. Wir schließen an diese Überlegungen an, indem die Be‐ handlung literarisch bedeutsamer Autoren und Balladen mit handlungs- und produktionsorientierten (vgl. „Erlkönig“, „Und es war ein Tag“), medienin‐ tegrativen Verfahren (vgl. „Der Knabe im Moor“, „Die Bürgschaft“ etc.) sowie bildlichen Adaptionen (vgl. „Füße im Feuer“, „Herr von Ribbeck“) verbunden wird. 4 Balladendidaktische Grundlagen 64 <?page no="65"?> 1 Gute Auswahl unter http: / / www.handmann.phantasus.de/ balladen.html (12.02.2012). 2 Anregungen auch unter http: / / www.lyrikline.org/ de/ (12.02.2019). Sekundarstufe I: Textbegriff erweitern und Auswahlkriterien kombinieren Im Folgenden wird versucht, der eingangs beschriebenen Komplexität der Auswahl durch Gliederung einzelner Aspekte gerecht zu werden, hierbei ist deren Einbezug bzw. Gewichtung jedoch immer stark von den jeweiligen Lehrpersonen, deren (berufs-)biografischen Überzeugungen sowie Erfah‐ rungen abhängig: a. Inhaltliche Auswahl a. ▸ Pädagogische Ziele: Kind- und jugendspezifische Themen (Iden‐ ▸ titätsbildung, z. B. Selbstbild, soziale Rollenfindung, Freundschaft, Geschlecht), Diskurs zu anthropologischen Grunderfahrungen wie Leben und Tod (Spinner 2001) oder Denkbildern (Müller-Mi‐ chaels 1999) bezeichnet damit menschliche Schlüsselerfahrungen (z. B. Liebe, Gewalt, Streben) ▸ Literarische Ziele: Strukturierung der Texte nach Themen (Ge‐ ▸ heimnisvolles und Übersinnliches, Liebe und Freundschaft etc.), Motiven (Geschwisterneid, Flucht, Mord etc.), Formen, Autoren innerhalb von Strömungen/ Epochen ▸ Sprachliche Ziele: Sprachliche Komplexität in Relation zum Ni‐ ▸ veau der Lerngruppe; Anlässe für sinnvolle Spracharbeit (z. B. Wortfelder, Register); Verhältnis Dialog und Beschreibung; Inter‐ pretierbarkeit i.S.v. Personenkonstellationen, dichte Passagen ▸ Ziele der literarischen Sozialisation bzw. Meinungen zum (zu för‐ ▸ dernden) Verlauf der literarischen Sozialisation der Schüler/ -innen - Tradierung der Hochkultur („kanonische Balladen“ 1 ) - - erweiterter Textbegriff unter Einbezug des gesamtgesell‐ - schaftlichen kulturellen und medialen Paradigmenwechsels (Beispiele hierfür wären: Subway to Sally: „Grausame Schwestern“, Blumentopf: „Max Mustermann“, Lars Ruppel: „Holger die Waldfee“ etc. 2 ) b. Ästhetische Auswahl b. ▸ Anschlussleistungen an Balladen anderer Epochen bezüglich ▸ Sprache, Gestaltungsmitteln, Motiven, Formen, Strömungen/ Epochen 4.1 Balladen auswählen 65 <?page no="66"?> ▸ Literaturgeschichtliche Bedeutsamkeit (literarischer Kanon) ▸ - diachrone Vergleiche („Kurzgefasster Lebenslauf “ von Käst‐ - ner, „Max Mustermann“ von Blumentopf oder die Liebe im Wandel der Epochen, Kap. 5) - synchrone Vergleichsmöglichkeiten (Perspektivgestaltung - zwischen „Und es war ein Tag“ und „Mörder Ratzek weißer Mond“) ▸ Adaptive Verarbeitungen des Themas (in Bildmedien wie „Herr ▸ von Ribbek“ und „Die Füße im Feuer“, Hörmedien wie in „Und es war ein Tag“ oder dem Bänkelsang zu „Der Rabe“, Film [z. B. Filmkritik zu „Die Bürgschaft“], Theater zur „Ballade vom Seil‐ tänzer Felix Fliegenbeil“) c. Lern- und lehrprozessorientierte sowie institutionsbedingte c. Auswahl ▸ Lesemotivation fördern durch Interesse und/ oder Identifikations‐ ▸ möglichkeiten (z. B. in Form einer gendersensiblen Lektüreaus‐ wahl) ▸ finanzielle Erwägungen zur Anschaffung ▸▸ lektürebegleitende Angebote bzw. Unterrichtsmaterial der Ver‐ ▸ lage ▸ Passung eines Werkes oder Autors mit den Vorgaben des Rah‐ ▸ menlehrplans ▸ Leistungen des Werkes für Aufbau ästhetischer Rezeptionskom‐ ▸ petenzen nach Anforderungen der Bildungsstandards ▸ Absprachen und Empfehlungen innerhalb des Kollegiums etc. ▸ Durch die Zusammenstellung wird ersichtlich, dass im Umgang mit Balladen in der Sekundarstufe kleinere Kanonisierungshandlungen stattfinden, die in ihrer Gewichtung auch stets Wertungshandlungen sind (Kap. 4.4 sowie Buss 2008: 158). Daher ist es wichtig, zum einen als Lehrperson die eigenen Aus‐ wahlaspekte zu reflektieren und zum anderen die Schüler/ -innen auch in eine Auswahl einzubeziehen - dies bietet sich z. B. für den Vortrag einer Ballade an (vgl. Kap. 4.1.1 Balladen auswendig lernen). Natürlich sollte hier ein Aus‐ wahl-Angebot zusammengestellt werden (Anregungen bieten aktuelle Balla‐ denanthologien, z. B. von Segebrecht 2012, Grimm 2002 und Laufhütte 2000), das neben den Kompetenz- und Wissenszielen auch Erfahrungsziele im Sinne eines anthropologischen Bildungsbegriffes mit im Blick hat. Dementspre‐ 4 Balladendidaktische Grundlagen 66 <?page no="67"?> chend ist auch die im Band vorgenommene Auswahl zu verstehen, mit der auch sprachliche und inhaltliche Alteritäten erfahren werden sollen. Sekundarstufe II: Das Zentralabitur als Lektüre-, Steuerungs- und Reflexionsinstrument Durch die Kernlehrpläne im Zentralabitur und die Nennung obligatorisch zu behandelnder Werke in der Sekundarstufe II besteht die Gefahr, dass Bal‐ laden in der Oberstufe marginalisiert werden und sich dies auch auf die Sekundarstufe auswirkt. In den verbindlich vorgeschriebenen lyrischen Werken sind seit Jahren jedoch nur die Epochen Romantik, Expressionismus und z.T. Gegenwart vorgegeben, sodass aufgrund der fehlenden Nennung konkreter Titel in der Schulpraxis auch Balladen ihren Platz finden können. Wichtig wäre es zu wissen, auf welcher Entscheidungsbasis welche Werke für den Abiturkanon nominiert werden. Da dies in den meisten Fällen durch eine häufig anonym agierende Kommission ohne Offenlegung der Kriterien geschieht, kann an dieser Stelle nur auf die nach wie vor vorhandenen bil‐ dungsbürgerlichen und nationalen Schwerpunkte der Festlegungen verwie‐ sen werden, wobei in den letzten Jahren gerade auch im Bereich der Lyrik zunehmend Gegenwartsliteratur einbezogen wird. Ein neuer Kanon, der die Vielfalt sprachlicher und kultureller Merkmale vor dem Hintergrund der Migration, der zunehmenden Medialisierung sowie die damit verbundenen neuen Leit- und Subkulturen durch einen erweiterten Textbegriff berück‐ sichtigt, findet sich von administrativer Seite her bisher nicht. Hier ist es auch Aufgabe des Lehrers/ der Lehrerin im Rahmen individueller Gestal‐ tungsmöglichkeiten im Unterricht einer thematischen Einseitigkeit und instrumentalistischen Bildungsorientierung entgegen zu wirken. Literatur zur Vertiefung G R IMM , Gunter E. (2002). Gedichte und Interpretationen: Deutsche Balladen. Stuttgart: Reclam. N E UHAU S , Stefan / S C HA F F E R S , Uta (Hrsg.) (2016). Was wir lesen sollen. Kanon und literarische Wertung im 21. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann. S I E B E NHÜN E R , Steffen / D E P N E R , Simone / F ÄS S L E R , Dominik/ K E R N E N , Nora / B E R T S C HI -K AU F MANN , Andrea / B ÖHM E , Katrin / P I E P E R , Irene (Hrsg.) (2019). „Unterrichtstextauswahl und schülerseitige Leseinteressen in der Sekundarstufe I: Ergebnisse aus der binationalen Studie TAMoLi“. Didaktik Deutsch 47, 44-64. 4.1 Balladen auswählen 67 <?page no="69"?> Lesen - mit Texten und Medien umgehen <?page no="71"?> 4.2 Sich über Balladen austauschen Carolin Führer Sich über Balladen auszutauschen meint v. a., Gespräche über Balladen zu führen. Dieses Gespräch kann eine Erwerbsform von Gesprächs‐ kompetenz oder ein Medium für den Erwerb bestimmter literarischer Kompetenzen darstellen. Als Lernform schult es die Teilhabe am Dis‐ kurs über ästhetische Gegenstände ebenso wie die Teilhabe am Dis‐ kurs über soziale, moralische und politische Belange. Als Medium li‐ terarischen Lernens ist das Gespräch besonders geeignet für die Schulung ästhetischer Urteilskompetenz, verstanden als Interpretati‐ ons- und Wertungskompetenz. Die Ballade eignet sich grundsätzlich für beide Lern-, Bildungs- und Verstehensziele, die Wahl der jeweili‐ gen Gesprächsform sollte v. a. aus der konkreten Ballade bzw. deren Inhalt abgeleitet werden. Die im Folgenden dargestellten Beispiele modellieren den Austausch über Balladen in einem Kontinuum von Gesprächen, die eher die Lernform be‐ tonen, hin zu Formen, die als Lernmedium verstanden werden können. In den zuerst beschriebenen Gesprächsformen geht es v. a. darum, eine mög‐ lichst offene, Deutungspluralität gewährleistende „Suchbewegung“ zu in‐ itiieren (Spinner 2006: 13). Hierfür eignen sich besonders Balladen, die viele Leerstellen oder ambige Strukturen aufweisen. Die andere Form zielt stärker auf einen konkreten Erkenntnisgewinn ab und die Möglichkeit, sich an der Auslegung bestimmter Texte zu beteiligen sowie deren kulturelle und soziale Bedeutung gemeinsam zu erarbeiten. Beide Formen bedingen einander auch. Die Wahl der jeweiligen Form hängt neben dem Text nicht zuletzt auch von den Anschlussaktivitäten ab: Geht es um Verdichtung zur Sicherung einer Unterrichtseinheit, die Eröffnung einer Sequenz usw.? Grundsätzlich müssen Schüler/ -innen die Fähigkeiten und Handlungsformen beider Hand‐ lungsfelder erwerben: erstere, indem mit bestimmten Gesprächsritualen eine Expression und Wertungen unterstützende Gesprächsform gefördert wird; letztere, indem mit anderen Vorgaben, Regeln, und Lenkungsimpulsen ein von Textuntersuchung und Kontextualisierung geprägtes Interpretati‐ onsgespräch gefördert werden kann. 4.2 Sich über Balladen austauschen 71 <?page no="72"?> Heidelberger literarisches Unterrichtsgespräch Gesprächsleitung ist hier eine bestimmte Haltung, die seitens der Lehrper‐ son ein ernstes Interesse daran erfordert, mit Schüler/ -innen zu dem ge‐ wählten Text ins Gespräch zu kommen. Die Lehrkraft spricht den Schü‐ ler/ -innen grundlegend die Fähigkeit der Partizipation am Gespräch und dem Verstehen des Textes zu. Die Gesprächskultur ist von Respekt und Ver‐ trauen geprägt. Sechs Phasen strukturieren den Ablauf eines solchen Gespräches (nach Steinbrenner/ Wiprächtiger-Geppert 2006): 1. Leitende Person wählt eine Ballade aus, die sie anspricht und bei der 1. Sprache und/ oder Thema möglicherweise anregend für die Schü‐ ler/ -innen sein könnten. Geeignet sind Balladen, die mehrdeutig, un‐ gewöhnlich in Sprache und Inhalt oder gar rätselhaft oder voller in‐ haltlicher Leerstellen sind (z. B. „Metonymie, wir“ von Ann Cotten, „Der Knabe im Moor“ von Anette Droste-Hülshoff). 2. Durch einen Sitzkreis soll eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre 2. geschaffen werden, in größeren Klassen kann auch ein wechselnder Gesprächs-Innenkreis und ein beobachtender Außenkreis gebildet werden. 3. Vorlesen der Ballade, im Anschluss Möglichkeit der stillen individu‐ 3. ellen Lektüre. 4. Mit einem anregenden Impuls wird allen Teilnehmenden sowie der 4. Leitung ein kurzer Beitrag ermöglicht. 5. Eine offene, freie Gesprächsrunde lädt dazu ein, Irritationen, Nicht‐ 5. verstehen und Beziehungen zwischen eigenen Erfahrungen und Text zu artikulieren. 6. Die leitende Person gestaltet einen Gesprächsabschluss, wichtige Ver‐ 6. stehensaspekte können gespiegelt werden. Ziel dieses literarischen Gespräches ist die gemeinsame Suche nach Sinn‐ möglichkeiten. Unterschiedliche Bedeutungsmöglichkeiten und das Erleben der Ballade stehen dabei im Mittelpunkt. Vorlesegespräche Kaspar H. Spinner hat ein Konzept des Vorlesens entwickelt, das auf Dia‐ logizität von größeren Gruppen basiert. Die sogenannten Vorlesegespräche 4 Balladendidaktische Grundlagen 72 <?page no="73"?> sind im Gegensatz zum Heidelberger literarischen Unterrichtsgespräch zwar gelenkt, aber nicht lehrerzentriert, auch wenn es sich bei dem/ der Vorle‐ senden um eine erwachsene Person handelt. Sie gehen durchaus auf kind‐ liche bzw. jugendliche Gefühle und Meinungen ein. Vorlesende sollten sich mit Meinungen und Deutungen zurückhalten und den Schüler/ -innen die Möglichkeit geben, sich mit dem Text auseinanderzusetzen. Der/ die Vorle‐ sende sollte eine stimmungsvolle Atmosphäre schaffen und den Text mit Betonungen vorlesen. Er/ sie kann an einer besonderen Stelle eine Pause machen und Lernende mit Aufgaben, die das literarische Gespräch ermög‐ lichen, zum Sprechen einladen. Der/ die Vorlesende leitet das Gespräch, kann auch eigene Eindrücke nennen und sollte den Schüler/ -innen Zeit lassen, eigene Gedanken zu entwickeln und diese zu formulieren. Die zentrale Frage ist, wann der/ die Vorlesende an welchen Stellen den Lernenden Gelegenheit dazu gibt und mit welchen Impulsen er das Vorlesen unterbricht und das Gespräch aufgreift. Spinner (2004) schlägt hierbei fünf Impulstypen vor: 1. Aktivierung eigener Erfahrungen: Impulse sollen das Vorwissen 1. aktivieren und Anknüpfungspunkte aufgreifen. Eigene Erfahrungen können angesprochen werden, aber auch Gefühle, z. B. durch die Frage „Kennt ihr diese Situation? “. 2. Entwickeln von Antizipation: Das Unterbrechen einer besonders 2. spannenden Textstelle fordert die Zuhörenden heraus, darüber nach‐ zudenken, wie es weitergehen könnte. Anregungen, wie sich die Ge‐ schichte entwickeln könnte, sind wichtige Impulse für ein literari‐ sches Gespräch. 3. Perspektivenübernahme: Geschichten ermöglichen es, Situationen 3. aus der Perspektive einer oder mehrerer Figuren zu sehen. Man kann Gefühle nachvollziehen und lernt zudem ganz neue Situationen ken‐ nen - wie empfinden die Lernenden das Verhalten der Dame im „Handschuh“? Es sollte im Gespräch auch nach der Entwicklung, den Gefühlen und der Darstellung der Figuren gefragt werden - entspricht die Darstellung der Dame ihrem Verhalten? 4. Reflexion von Figurengestaltung: Das Verhalten der Figuren kann 4. unterschiedlich wahrgenommen werden. Durch geeignete Fragen im Vorlesegespräch reflektieren die Schüler/ -innen die Meinungen der Figuren und vergleichen sie mit der eigenen Situation: „Wie würdet ihr an der Stelle des Ritters im ‚Handschuh‘ reagieren? “ 4.2 Sich über Balladen austauschen 73 <?page no="74"?> 5. Herstellung von deutenden Bezügen im Text: Hierzu gehören 5. zum Beispiel Fragen nach den Motiven der Figuren: „Warum reagiert der Ritter im „Handschuh“ so? “ usw. Diskursivität von Gesprächen über Balladen fördern Für das Sprechen über Balladen benötigen die Schüler/ -innen Diskurskom‐ petenzen. Sprachwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Kinder und Jugendliche in ihren Familien (Morek 2012, Heller 2012, Isler 2014) und Peergroups (Morek 2014) in teils sehr unterschiedlichem Ausmaß mit den schulisch so relevanten Diskurspraktiken in Kontakt kommen und dement‐ sprechend sehr unterschiedliche Diskurserfahrungen mitbringen. Vogt (2009: 25) beobachtete in einer 8. Klasse, dass die Schüler/ -innenbeiträge im Unterrichtsgespräch oft weniger als 10 Wörter umfassen, mithin also keine eigenen Diskurseinheiten darstellen. Auch im Literaturunterricht findet üb‐ licherweise nur ein „orchestriertes Erklären“ statt, d. h. eine erläuternde Diskurseinheit wird auf mehrere Schüler/ -innen verteilt, denen die Lehr‐ person „Erkläreinsätze“ (Morek 2012: 163) gibt. Eine Diskurskompetenz impliziert aber Fähigkeiten zur Kontextualisie‐ rung, zur Vertextung und zur Markierung. Kontextualisierung meint z. B., dass von einem Sprecher ein bestimmter Typ von globalem Gesprächsbei‐ trag als nächster Zug relevant gesetzt und dieser Zugzwang vom Gegenüber erkannt wird. Vertextung bedeutet, dass ein umfassender Zusammenhang kohärent hergestellt wird, dies verlangt argumentative Verknüpfungen, u. a. adversative, Ursache-Wirkungs- oder Mittel-Zweck-Relationen. Markierun‐ gen müssen angesichts der Flüchtigkeit der Kommunikation mittels sprach‐ licher, prosodischer und gestischer Mittel vorgenommen werden, um klar anzuzeigen, welcher Typ von Diskurs umgesetzt wird. Das Sprechen generell - in zusammenhängenden Sätzen - stellt keine ausreichende Förderung dar (Becker-Mrotzek, Vogt 2009: 71). Die Ge‐ sprächsdidaktik hat inzwischen Praktiken identifiziert, die Diskurskompe‐ tenzen im Rahmen fachlichen Lernens fördern können (Heller/ Morek 2015): ▸ Problematisieren/ Problemstellung artikulieren ▸▸ Schüler/ -innen kommunikativ involvieren ▸▸ „Vorladungsfragen“ stellen (Einfordern von Reaktionen) ▸▸ Wiedereinsetzen von Zugzwängen (z. B. Was erscheint dir sinnvoll? ) ▸ 4 Balladendidaktische Grundlagen 74 <?page no="75"?> ▸ Reformulierung von Beiträgen (z. B. Modelle metareflexiv [nicht per‐ ▸ sönlich] herausstellen und mit einer geringen sprachlichen, syntak‐ tischen und lexikalischen Komplexität reformulieren sowie dessen Strukurbestandteile für Lerner/ -innen sichtbar machen [Pausen, Kon‐ junktionen]) Besonders hervorzuheben ist also, dass der institutionelle Erwerb von Dis‐ kursfähigkeit an alltägliche außerschulische Interaktionen anknüpfen sollte, z. B. in der Eltern-Kind/ Jugendlicher-Relation, in denen Erwachsene die Rolle des Zuhörers/ der Zuhörerin anbieten um die Kinder/ Jugendlichen bei der Hervorbringung der Diskurseinheiten zu unterstützen und fortlaufend die wechselseitige Verständigung zu sichern. Im institutionellen Kontext geht die Lehrkraft über dieses „intime Modell“ hinaus, indem nicht der Er‐ wachsene, also der Lehrer/ die Lehrerin, die Durchführung der Diskursein‐ heit übernimmt, sondern eine modellhafte Erklärung an einem schüler/ -in‐ nenseitigen Beitrag entfaltet werden sollte. Eine zusammenfassende Wiederholung von Schüler/ -innenaussagen ist hier also durchaus sprach- und lernförderlich, auch wenn häufig gefordert wird, sog. „Lehrerechos“ zu vermeiden. Es soll dabei kein Diskurs-Ideal vom Profi vorgegeben, sondern die kommunikative Funktionalität an schüler/ -innenseitigen Praktiken vor Augen geführt werden - dies erhöht die Chance, bildungssprachliche Prak‐ tiken nicht nur als fremde Normen zu erfahren. Interpretationsfördernde Gesprächsimpulse Zabka (2015) weist darauf hin, dass die Ausbildung der Gesprächs- und In‐ terpretationsfähigkeit durch Impulse gestützt werden kann bis Schüler/ -in‐ nen selbst in der Lage sind, Interpretationsgespräche eigenständig zu führen. Er verweist jedoch auf die Problematik, dass die Lerner/ -innen durch zu stark unterstützende Impulse behindert werden können. Schüler/ -innen könnten andererseits jedoch angesichts eines allzu offenen Impulses hilflos bleiben, wenn sie das Problem nicht erkennen und keinen Ansatzpunkt des Nachdenkens finden. Er nennt daher eine Reihe wichtiger Impulse, die der Lehrer/ die Lehrerin flexibel und situationsangemessen einsetzen kann (Abb. 4.1). 4.2 Sich über Balladen austauschen 75 <?page no="76"?> Impuls Beispiel Wiederholen lassen* Wie hat A diese Textstelle verstanden? Akzentuieren lassen* Was ist neu an dieser Überlegung? Zusammenfassen lassen* Was sprach jetzt insgesamt alles für diese Deutung? Problematisieren lassen* Spricht etwas gegen diese Deutung? Bewerten lassen Wie überzeugend findet ihr diese Deutung? Weiterführen lassen* Was folgt daraus für die anderen Textstellen? Bezüge herstellen lassen* Lassen sich die Aussagen von A u. B verbinden? Fundieren lassen Auf welche Textstelle / eigene Erfahrung beziehst du dich? Erklären lassen Was wird durch deine Deutung besser verständlich? Begründen lassen Kannst du das am Text / mit einer Erfahrung begründen? Abb. 4.1: Gesprächsimpulse (zitiert n. Zabka 2015: 184) Literatur zur Vertiefung H E L L E R , Vivien / M O R E K , Miriam (2015). „Unterrichtsgespräche als Erwerbskontext: Kommunikative Gelegenheiten für bildungssprachliche Praktiken erkennen und nutzen“. Literalität im Schnittfeld von Familie, Frühbereich und Schule. Lesefo‐ rum.ch 3, 1-23. Online unter: http: / / www.leseforum.ch/ fokusartikel1_2015_3.cfm (12.02.2019). S T E IN B R E NN E R , Marcus / W I P RÄC HTI G E R -G E P P E R T , Maja (2006). „Verstehen und Nicht-Verstehen im Gespräch. Das Heidelberger Modell des Literarischen Unter‐ richtsgesprächs“. Literatur im Unterricht 7: 3, 227-241. Online unter: http: / / www. leseforum.ch/ myUploadData/ files/ 2010_3_steinbrenner_wipraechtiger.pdf (08.02.2019). S P INN E R , Kaspar (2004). „Gesprächseinlagen beim Vorlesen“. In: Härle, Gerhard / Steinbrenner, Marcus (Hrsg.). Kein endgültiges Wort. Die Wiederentdeckung des Gesprächs im Literaturunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 291- 307. Z AB KA , Thomas (2015). „Konversation oder Interpretation? Überlegungen zum Ge‐ spräch im Literaturunterricht“. Leseräume 2, 169-187. Online unter: http: / / Leserä ume.de/ wp-content/ uploads/ 2015/ 10/ lr-2015-1-zabka.pdf (12.02.2019). 4 Balladendidaktische Grundlagen 76 <?page no="77"?> 4.3 Balladen analysieren und interpretieren Carolin Führer Dieses Kapitel thematisiert die Analyse und Interpretation von Balla‐ den, indem exemplarische Einblicke in die aktuelle fachdidaktische Diskussion zur Funktion und Umsetzung von Analyse- und Interpretationsaufgaben gegeben werden. Hervorgehoben wird v. a. der Zusammenhang von Aufgabenkonstruktion und Textverstehensprozessen sowie möglichen Alternativen zur „globalen Interpretationsaufgabe“ und der konventionellen Form-Inhalts-Interpretation. Ein zentrales Problem der Operatoren „analysieren“ und „interpretieren“ ist nach wie vor deren Komplexität und ihr Abstraktionsgrad, da sie unter‐ schiedliche geistige Tätigkeiten miteinander kombinieren und in ihrer Offenheit für einen Großteil der Schüler/ -innen kaum oder nur teilweise bewältigbar sind. Köster (2016) plädiert daher für eine stärkere Verständ‐ lichkeit von Operatoren bzw. geforderten Operationen, indem hochkom‐ plexe Definitionen aus den Bildungsstandards geschärft werden. Dadurch soll eine „wilde Komplexitätsreduktion“ durch Lerner/ -innen in Form einer Beschränkung auf bekannte Operationen oder den Rückgriff auf vertraute Routinen verhindert werden. Grundlegend ist bereits zu Beginn zu definieren, worauf Interpretations- oder Analyseaufgaben im Schwerpunkt zielen. Das heißt z. B. bei einem Text wie Klings „Totentanz“ kann mit den Aufgaben auf folgende Verstehensan‐ forderungen gezielt werden: ▸ allgemeines Textverstehen und Vertiefung einzelner Teilkomponen‐ ▸ ten des Verstehens, ▸ Besonderheiten literarischen Verstehens (z. B. Intertextualität oder ▸ Umgang mit den Leerstellen von „Totentanz“), ▸ über sich selbst und die eigene Vergänglichkeit nachdenken und sich ▸ dabei auf den „Totentanz“ Klings beziehen. Diese unterschiedlichen Verstehensanforderungen können auch zur Bin‐ nendifferenzierung im Klassenzimmer eingesetzt werden, wobei die beiden 4.3 Balladen analysieren und interpretieren 77 <?page no="78"?> letztgenannten Punkte den ersten bereits voraussetzen und daher bei den leistungsstärkeren Leser/ -innen zum Einsatz kommen sollten. Mithilfe einer mehrstufigen Analyse im Vorfeld ist es möglich, als Lehr‐ kraft die konkreten Verstehensanforderungen einer Ballade zu den oben ge‐ nannten Kategorien besser zu identifizieren. Zabka (2012) schlägt beispiels‐ weise eine Analyse auf der Basis folgender kognitionspsychologischer und literarischer Lernkategorien vor: a. Manifeste Informationen und Informationsverknüpfungen verstehen a. (z.B.: Welche Wörter könnten unbekannt oder schwierig sein? Welche Satzstrukturen sind unverständlich/ komplex? etc.) b. Implizite Informationen und lokale Informationszusammenhänge er‐ b. schließen (z. B. Welche Sinnzusammenhänge sind über den Text ver‐ teilt und müssen erst gebündelt identifiziert werden? Welche Meta‐ phern und Allegorien enthält der Text? etc.) c. Globale Zusammenhänge im Text verstehen (z.B. Welches [kohä‐ c. rente] Mindestverstehen des Textinhalts ist notwendig? ) d. Textinhalte konzeptuell bündeln (z. B. Welche übergeordneten Kon‐ d. zepte, Begriffe, Vorstellungen verhandelt der Text? ) e. Sprach- und Textgestaltung interpretieren (z.B. Welche Strukturen, e. Sprachbesonderheiten usw. müssen für die Interpretation erkannt und aufgegriffen werden? ) Das „Analysieren“ im unterrichtlichen Zusammenhang meint häufig die Ableitung von Form- und Strukturelementen. Die unter 1. bis 3. aufge‐ führten Kategorien werden im Unterricht der Sekundarstufen oft unter das grundlegende Leseverstehen subsumiert, stellen im Einzelfall jedoch häu‐ fig ein enormes Anforderungspotential dar. Analysieren kann und sollte daher auch als ein Verständnisgewinn konzipiert werden, z. B. durch text‐ nahes Lesen, erzähltechnische oder sprachliche Analysen. Für „Die Füße im Feuer“ bietet es sich beispielsweise an, mittels der Analyse der Kom‐ munikationsstruktur tieferliegende Bedeutungszuweisungen zur Konstel‐ lation Gast-Gastgeber herauszuarbeiten - so ist die Analyse nicht nur eine bloße inhaltliche Ableitung aus der Form (Negativ-Gegenbeispiel dafür wären Überlegungen wie die Folgende: Die dunklen Vokale schaffen eine düstere Stimmung etc.). Lösener (2009) hat sich mit dem hörenden Lesen bemüht, Alternativen zur Form-Inhalt-Interpretation zu entwickeln, die auch im Deutschunter‐ richt Anwendung finden könnten und über zeichenkodierte Annahmen der 4 Balladendidaktische Grundlagen 78 <?page no="79"?> Interpretation hinausgehen sollen. Sein Prinzip eines hörenden Lesens be‐ ruht auf der sprachtheoretischen Prämisse, dass es sich bei Texten um schriftlich gestaltete Äußerungsakte handelt und dieses Wie des Sprechens, also der Sprechduktus, der das Gesagte modelliert, erfahrbar werden muss. Er modelliert sechs Fragen zur Lektüre eines Gedichtes, die sich einerseits auf die Erfahrung der Wirkung bei der Rezeption und anderseits auf die Wirkungsweise des Textes selbst beziehen: 1. Wie wirkt das Gedicht auf mich beim ersten Lesen? 1. 2. Wie wirkt es beim lauten Lesen? 2. 3. Welche Sprechgestaltungen, d. h. insbesondere Sprechformen, Sprech‐ 3. stimmungen, Sprechhaltungen, kann ich aus dem Text heraushören? Auf welche Art und Weise suggeriert der Text sie? 4. Gibt es durchgehende rhythmische Gestaltungen, die den Text durch‐ 4. ziehen? 5. Welche Perspektivität (Sichtweise) ist in dem Text wirksam? 5. 6. Was wird in den Wahrnehmungen thematisiert? Welche Motive bil‐ 6. den thematische Felder? (Lösener 2009: 15 f.) Lösener schlägt vor, diese Annäherung besonders bei Gedichten zu wählen, die durch starke Metaphorisierungen eigentlich zu einer entschlüsselnden Auslegung anregen. Damit könne der Gefahr entgegengewirkt werden, dass die poetischen Bilder durch die gefundenen Bedeutungen ersetzt werden und das im Gedicht Gesagte auf ein Gemeintes reduziert wird, das erst die Interpretation formuliert (Lösener 2009: 21). In Zeiten des Zentralabiturs sind Wege zur interpretativen Annäherung wie die Löseners im Klassen‐ zimmerdiskurs zu kultivierende Lernformen um die Unabschließbarkeit des Verstehensprozesses deutlich zu machen. Die 6 Fragen können auch ge‐ meinsam durch ein kollaboratives Schreiben in Kleingruppen beantwortet werden; die Beiträge der einzelnen Teilnehmer können gleichzeitig (in Echt‐ zeit) erfolgen (etwa im Etherpad oder bei Google Docs). Die o. g. Unab‐ schließbarkeit des Verstehens kann durch die Möglichkeit, die früheren Antwortversionen sichtbar zu machen, schriftlich dokumentiert und (im Nachgang) diskutiert werden. Zudem kann es nicht das Ziel sein, dass Analysen nur als Vorspiel auf das Finden von Deutungen hinauslaufen. Vielmehr kann die Analyse als Haupt‐ aufgabe dazu genutzt werden, Deutungshypothesen zu prüfen. In Analogie zu Köster (2016: 54) ein Beispiel dafür: Der Totentanz ist ein Motiv, dass seit 4.3 Balladen analysieren und interpretieren 79 <?page no="80"?> dem Mittelalter zum Gruseln bringen soll. Überprüfe anhand der Ballade „Der Totentanz“ von Goethe, inwiefern es sich hier um eine Geisterballade handelt. Es soll mit derartigen Aufgabenstellungen vermieden werden, dass die Schüler/ -innen versuchen, dem Text allgemeines Kontextwissen (z. B. zur Gattung) zuzuschreiben, das zwar grob zum Text passt, aber nicht dessen individuellen Besonderheiten gerecht wird. Es greift zudem das Problem auf, dass Analyse und Interpretation entweder zu stark auseinanderdividiert werden, sodass nur Teilaussagen getroffen werden können ohne ein schlüs‐ siges Konzept herzustellen; oder ein zu enger Zusammenhang zwischen Form und Inhalt hergestellt wird, der in dieser Form im Einzelfall wiederum nicht vorliegt (was z. B. bei modernen Balladen sehr häufig der Fall ist). Interpretationshypothesen lassen sich demnach weniger aus der Analyse (die v. a. nachträglich-prüfende Funktionen übernehmen kann) gewinnen. Vielmehr kann aus Formulierung von Leseeindrücken, Assoziationen im Rekurs auf Gattungswissen und Aktivierung weiteren Kontextwissen eine individuelle Sinnhypothese gewonnen werden. Um Lernenden diese Ope‐ rationen zu erleichtern, wird sich im literaturdidaktischen Diskurs dafür stark gemacht, eine oder mehrere Sinnaussagen oder Kontextualisierungen zur Prüfung von Interpretationsleistungen vorzugeben (vgl. das obige Bei‐ spiel zum Totentanz), da so ein kommunikativer Rahmen vorgegeben ist. Für Interpretationen oft zur Kontextualisierung herangezogenes Wissen (z. B. weitere Materialien), was nicht aus dem Verstehenskontext erschlossen werden kann, ist dabei nur sparsam einzusetzen, da es zunächst ebenfalls verstanden und integriert und dann noch mit diesem verbunden werden muss (Zabka 2010: 84). Im Fall der in Kapitel 5 vorgestellten Beispiele ist z. B. fragwürdig, inwieweit der von Thomas Kling explizit in der Ballade artiku‐ lierte Kontext des Berliner Totentanzes zu St. Marien zum Verstehen des Tex‐ tes beiträgt bzw. dieser Bezug mit zusätzlichen Informationen vertieft wer‐ den sollte. Förderlich in Hinblick auf die Fokussierung erscheinen jedoch Interpre‐ tationsaufgaben, ▸ die von einer Textstelle bzw. einem gedanklichen Kern ausgehen, ▸▸ Textaspekte auf den gesamten Text beziehen, ▸▸ inner- oder intertextuell vergleichen, ▸▸ Adaptionen in anderen Medienformaten vergleichen, ▸▸ Figurencharakteristiken oder Werthaltungen thematisieren, ▸ 4 Balladendidaktische Grundlagen 80 <?page no="81"?> ▸ literarische Erörterungen (Entscheidungen und Entwicklungen wer‐ ▸ ten etc.) darstellen. Für den interpretatorischen Textvergleich kann neben immer wieder auch zu problematisierenden Gattungs- und Epochen-Bezügen auch ein inhaltli‐ ches Konzept vorgegeben werden. So kann im Vergleich von „Max Muster‐ mann“ von Blumentopf mit „Kurzgefasster Lebenslauf “ von Erich Kästner geprüft werden, ob und auf welche Weise Kritik an einem geradlinigen Le‐ bensweg, Optimierung von Biografien bzw. bürgerlichen Lebensentwürfen geübt wird. Im Hinblick auf die Bewertung schriftlicher Interpretationsleistungen sollte trotz aller vereinfachten Formulierungen inhaltlicher Erwartungen in den Erwartungshorizonten nicht der Inhalt des Interpretationsresultats son‐ dern das Niveau der schriftlichen Erprobung bzw. Überprüfung angemes‐ sener Interpretationsmöglichkeit(en) ausschlaggebend sein (vgl. Zabka 2010: 86). Kammler (2012) betont, dass in den derzeitigen zentralen Leis‐ tungsüberprüfungen v. a. inhaltsreproduzierende Lösungen, jedoch nicht das Textganze oder deutungsoffene Symbolinterpretationen in den Blick genommen werden. Er schlägt mit Berger vor, in nichtzentralisierten Leis‐ tungssituationen v. a. gestufte Aufgabenformate zu erproben, die (inhalts‐ reproduzierende) Testformate und (wertende) Interpretationsanteile von‐ einander trennen und überprüfen. Literatur zur Vertiefung A B R AHAM , Ulf (1994). Lesarten - Schreibarten. Wiedergabe und Besprechung literari‐ scher Texte. Stuttgart: Klett. P HILI P P , Maik (2015). Schreibkompetenz. Komponenten, Sozialisation und Förderung. Tübingen: Francke. R O E D E L , Michael (2016). Interpretationsaufsätze schreiben: Ein Handbuch. Baltmanns‐ weiler: Schneider Hohengehren. L ÖS E N E R , Hans (2009). „Gedichtanalyse als didaktisches Problem. Gibt es eine Al‐ ternative zur Form-Inhalt-Interpretation? “ In: Haueis, Eduard / Klotz, Peter (Hrsg.). Ästhetik der Sprache - Sprache der Ästhetik (= OBST, Bd. 76), 85-105. On‐ line unter: http: / / sprachtheorie.de/ wp-content/ uploads/ 2014/ 06/ obst7607loesene r.pdf (12.01.2019). 4.3 Balladen analysieren und interpretieren 81 <?page no="82"?> 4.4 Balladen werten Carolin Führer In den Bildungsstandards der allgemeinen Hochschulreife ist festgelegt, dass literarische Texte auf der Basis von nachvollziehbaren, sachlich fundierten Kriterien zu bewerten und dabei auch textexterne Bezüge wie Produktions-, Rezeptions- und Wirkungsbedingungen zu berücksichtigen sind (KMK 2012: 19). Die Wertung von Balladen ist dabei nicht nur gezielt zu fokussieren, sondern erklärt sich aus ihrer Rezeptionsgeschichte und Struktur: Balladen haben in der Geschichte des Literaturunterrichtes eine lange Tradition und sind aufgrund ihrer inhärenten Wertkonzepte z.T. didaktisch instrumentalisiert worden. Daher eignen sie sich in besonderer Weise, Wertungskompetenz zu schulen. Wertungen im Umgang mit Texten werden nur selten bewusst wahrgenom‐ men, obwohl die Wertung als eine starke Komponente der Rezeption, des literarischen Lernens und der literarischen Sozialisation bezeichnet werden kann. Das Ziel im Umgang mit Balladen besteht somit in der Schärfung der Wahrnehmung von Wertungen und deren Differenzierung. Dass Balladen starke Gefühle hervorrufen können, liegt an den emotio‐ nalen Beteiligungsmöglichkeiten, die Inhalte und Darstellungsweisen über Atmosphären, Gefühle und Motivationen erzeugen. Begibt man sich in den literarischen Raum, so nimmt man diesen nicht als objektive Gegebenheit wahr, sondern erfährt ihn stimmungsmäßig getönt - beispielhaft sind hier besonders die Balladen im Kapitel 5, die im Themenbereich Geheimnisvolles und Übersinnliches aufgeführt werden. Die hier entstehende unheimliche Atmosphäre ist ein diffuses Erlebnis, das auf den ersten Blick oftmals keinen unmittelbaren Auslöser zu haben scheint und sich quasi automatisch zwi‐ schen Leser/ -in und Text einstellt. Es gilt, im didaktischen Kontext dafür zu sensibilisieren, wie diese Atmosphären bei der Lektüre entstehen, wovon sie abhängen und welche Funktionen ihnen innerhalb der jeweiligen Ballade zukommen. Eine Sensibilisierung beginnt beispielsweise damit, dass Schü‐ ler/ -innen im Normalfall nicht zögern, Figuren Gefühle zuzuschreiben, als wären sie Personen mit einer komplexen Psychologie in einer sozialen Si‐ 4 Balladendidaktische Grundlagen 82 <?page no="83"?> tuation. Dass diese Gefühle des Balladenpersonals allerdings nicht ohne die des Lesers/ der Leserin denkbar sind, kann durch eine Analyse der Ausfor‐ mung der erlesenen Gefühle erarbeitet werden, ebenso ihre (z.T.) unter‐ schiedlich (wahrgenommenen) Intensitäten und Qualitäten. Dazu können Schüler/ -innen ihre Wertungen zum Ersteindruck notieren und mit denen nach der intensiven Lektüre vergleichen, Ersteindrücke können in Klein‐ gruppen-Lesegesprächen untereinander verglichen werden usw. Hierbei können Schüler/ -innen Wertungen anderer nachvollziehen lernen und er‐ fahren, dass die Ebene des in einem Text Dargestellten (lnhalt) von der Ebene der literarischen Darstellung (Gestaltung) zu unterscheiden ist. Auch ist es möglich, über Antizipationsimpulse dem Leser/ der Leserin ihre Abhängigkeit von Atmosphären- und Gefühlserlebnissen deutlich zu machen, z. B. durch Ausformulierung von Wünschen zum möglichen Fort‐ gang der Handlung oder die Entwicklung des Protagonisten (Balladen bieten sich mit ihrer Dramatik und z.T. strukturellen Wendepunkten in besonderer Weise an: Was soll mit dem Kind im „Erlkönig“ geschehen? Was wünschst du Felix Fliegenbeil, wenn er ohne Seil bzw. Draht balanciert? ). Hier kann Schüler/ -innen deutlich werden, dass sie sich nach einem glimpflichen Aus‐ gang sehnen, ein glückliches Ereignis für die Hauptfigur oder die Bestrafung des Bösewichts herbeiwünschen und ihre Wertungen sie einer bestimmten ‚sozialen Gruppe‘ zuordnen, indem ähnliche Wünsche auf gemeinsame Wertnormen verweisen. Wichtig ist hier auch, dass Schüler/ -innen zuneh‐ mend dazu befähigt werden, diese Werturteile sprachlich zu differenzie‐ ren und nicht nur - wie in der medialen Alltagswelt der Lerner/ -innen üb‐ lich - positiv oder negativ zu werten. Abb. 4.2: ‚gefällt mir‘-Icons von Facebook Dies kann durch einen Vergleich inhaltlich ähnlicher Balladen erfolgen („Kurzgefasster Lebenslauf “ und „Max Mustermann“), zu denen die Wer‐ tungsstufen identifiziert und benannt werden sollen. Aber auch ein Aus‐ tausch zu Wertungsveränderungen über sprachliche Änderungen in einer 4.4 Balladen werten 83 <?page no="84"?> Ballade (z. B. „Sachliche Romanze“; „Metonymie, wir“) im Rahmen operati‐ ven Schreibens (vgl. Methodenbaustein ) kann hier explizite und implizite Wertungen zu Tage fördern. Wenn beispielweise eine Ballade als spannend o. ä. wahrgenommen wird, so können diese Wertausdrücke Wirkungen be‐ schreiben, die auf bestimmten Wertmaßstäben beruhen. Diese sichtbar und explizierbar zu machen, kann auch durch das Schreiben wertender Texte angeregt werden (Rezension, Empfehlung, Kritik etc.). Damit im Zusammenhang steht auch das Wechselverhältnis zwischen Werten und Verstehen: Das Verstehen steuert die Wertung, die Wertung steuert das Verstehen (Zabka 2013). Im Fall von Balladen kann dies besonders gravierend sein, denn ihre Sprache und Dramatik evozieren starke Wertun‐ gen und Gefühle, die Themen und Motive sind jedoch oft zeitbezogen ver‐ handelt, sodass ein Ausgehen von individueller Moral den Lern- und Re‐ zeptionsprozess verhindern kann. Wenn Schüler/ -innen aufgrund der eigenen positiven Besetzung von ‚Zuhause‘ und ‚Heimat‘ nicht wahrneh‐ men können, warum der „Knabe im Moor“ nicht sofort weiter zum heimi‐ schen Licht eilt, sondern sich umdreht und verweilt, hilft es, für die spezi‐ fischen Zeitbezüge sensibel zu machen, indem beispielweise Kontexte zur Kindheit im 19. Jahrhundert thematisiert werden. Es ist jedoch auch denkbar, dass Schüler/ -innen sich aufgrund der starken Alterität der Texte (sei es sprachlich und/ oder lebensweltlich) diesen verwehren, das heißt, bereits negativ „bewerten“, bevor ein Verstehen beginnen kann. Das in diesem Band anvisierte kontextorientierte Lernen kann hier Wege des Verstehens anbah‐ nen: Möglicherweise haben Lerner/ -innen eines 8. Jahrgangs bezogen auf das o. g. Beispiel nicht grundlegend Lust, sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur in anderen Zeiten auseinanderzusetzen. Ein Bezug zu sinnstiftenden Inhalten ihrer Umgebung - ohne Differenzen zu nivellieren - kann hier jedoch ein anderes Bewusstsein und damit Problemlösebzw. Leseverhalten anbahnen. Auch können Schüler/ -innen dafür sensibilisiert werden, wie einzelne Balladen in unterschiedlichen Zeiten rezipiert wurden - dies bietet sich für einige kanonische Balladen an, indem instrumentali‐ sierende Interpretationen vorgelegt, oder Werturteile diskutiert werden. Schließlich kann zu unterschiedlichen Balladen ein stärker oder geringer ausgeprägtes Lektüreinteresse begründet werden. Hinweis: Die Wertung von Balladen scheint fast noch bedeutsamer als für andere literarische Texte. Balladen sind Texte, die durch Struktur und Inhalt Leser/ -innen in besonderer Weise zu einer Positionsbestimmung „zwingen“. Die darin beschriebenen Konflikte können Moral- und Wertdiskussionen 4 Balladendidaktische Grundlagen 84 <?page no="85"?> herausfordern, die einerseits eine emotionale Parteinahme evozieren, ande‐ rerseits durch die starke historische Gebundenheit der jeweiligen Themen und Motive zugleich auch wieder relativieren. Ziel ist eine Kultur des Wer‐ tens, in der die Texte in ihrer Vielfältigkeit entdeckt und differenziert wahr‐ genommen sowie fremde Wertungen toleriert werden. Literatur zur Vertiefung B R E ND E L -P E R P INA , Ina (2019). Literarische Wertung als kulturelle Praxis. Kritik, Ur‐ teilsbildung und die digitalen Medien im Deutschunterricht. Bamberg: Bamberg University Press. B RÜG G E N , Niels (2017). Medienaneignung und ästhetische Werturteile. Zur Bedeutung des Urteils „Gefällt mir! “ in Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik. München: kopaed. Z AB KA , Thomas (2013). „Literarische Texte werten. Basisartikel“. Praxis Deutsch 241, 4-12. H E IN S , Jochen (2017). „Wertungen wahrnehmen. Mit Wertungen bewusst umgehen - Zugänge zur Literatur ermöglichen.“ Die Grundschulzeitschrift 31 (301), 6-12. 4.4 Balladen werten 85 <?page no="86"?> 4.5 Balladentexte in Bild und Ton Carolin Führer Im Rahmen eines medienintegrativen Unterrichts werden in Folge exemplarisch Herausforderungen und Besonderheiten grafisch und auditiv erzählter Balladen beschrieben. Zunächst bieten derartige Adaptionen in einer heterogenen Klassensituation einen inklusiven Einstieg bezüglich Inhalt und Struktur einer Ballade, mit Blick auf ein vertieftes literarisches Verstehen darf die Komplexität der medialen Verstehensangebote jedoch nicht unterschätzt werden. Die spezifische mediale Verfasstheit ist daher nicht nur im Nachgang der Erarbeitung zu reflektieren, sondern von Beginn an intensiv in die Aneignung der Ballade einbeziehen. Balladen grafisch erleben Bilderbücher, Comics und Graphic Novels gelten im Lese- und Literaturunterricht nach wie vor als „Brückenmedium“ - als Leseförderinstrument um zum Lesen „richtiger“ Literatur (mit viel schriftsprachlichem Text) zu kommen oder zur geschlechtsspezifischen Motivation. Dahinter stehen Vor‐ stellungen schneller und leichter Unterhaltung, die speziell den jüngsten Publikationen grafischer Balladenliteratur nicht gerecht werden. Vielmehr könnte man diese auch als eine printbasierte Vorbereitung auf die nichtlinearen Texte des Internets betrachten, denn sie sind ähnlich wie Hyper‐ texte mit ihrer Text-Bild-Botschaft komplex aufgebaut und fordern die Antizipation von Bild und Text heraus. Darüber hinaus müssen in sogenannter grafischer Literatur Text und Bild so miteinander integriert werden, dass z.T. auch widersprüchliche und/ oder unbestimmte Informationen sowie aufeinanderfolgende (auch inkohärente) Informationen und Offenheiten miteinander in Verbindung gebracht wer‐ den müssen. Widersprüche und Leerstellen entstehen in diesem Rezeptionszusammenhang auch dann, wenn für die Bilder keine Referenzen im ikonischen Gedächtnis vorhanden sind (Unbestimmtheiten des Bildes) oder die Leerstellen zwischen und innerhalb der Bildfolgen weit sind und daher neben dem Sichtbaren eines pictures auch das Nichtsichtbare des images 4 Balladendidaktische Grundlagen 86 <?page no="87"?> (z. B. durch Imagination, Kenntnis kultureller Konventionen) entscheidend zur Rezeption beiträgt (vgl. Dehn 2008). Bezüge müssen dann durch eigene Erfahrungen, Imagination, Affektivität usw. hergestellt werden. Speziell in postmodernen Bilderbüchern, Comics und Graphic Novels sind häufig nicht nur dem Text, sondern auch dem Bild und einer gesamten Sequenz polyval‐ ente Lese- und Sehangebote eingeschrieben; so kann das Verstehen der Bil‐ der oder der Text-Bild-Beziehungen dann einen ebenso komplexen wie an‐ spruchsvollen Prozess wie das Textverstehen darstellen. Im Fall von Thieles Collagen der Ballade „Die Füße im Feuer“ ist das beispielsweise hinsichtlich der Gefühlsregungen der dargestellten Figuren der Fall - durch das Zusam‐ mensetzen verschiedener Schnipsel entsteht eine Physiognomie, die für den Betrachter oft nicht eindeutig entzifferbar ist und damit die Perspektivüber‐ nahme zu Gast und Gastgeber möglicherweise erschwert. Eine bloße Be‐ gegnung dieser Unbestimmtheiten mit kreativen Aufgaben führt dazu, dass die Erschließung zu einer rein subjektiven Leistung wird. Wichtig ist jedoch, darüber hinaus im Unterricht ein Spannungsverhältnis zwischen diesen in‐ dividuellen Rezeptionsvorgängen und den literarischen und künstlerischen Konventionen aufzubauen. Comics haben hier den Vorteil, dass sie Lektüre (vor-)strukturieren: Pik‐ togramme, Typographien, Konturlinien von Denk- und Sprechblasen sowie die Anordnung und Umrandung der einzelnen Panels sind kulturell enko‐ dierbar und können eingeübt werden (vgl. Unterrichtshilfe „Bildsprache in Comics und Graphic Novels erkunden“) um Verstehen zu befördern. Mögliche Interdependenzen zwischen Text und Bild können durch ko‐ gnitiv schlussfolgernde Operationen im Unterricht bewusst angesteuert werden, z. B. indem eine Abfolge von Ereignissen durch wiederkehrende Elemente wie Figuren, Gegenstände oder Räume rekonstruiert werden. Spe‐ ziell die comicspezifische Zeichensprache (dazu gehören u. a. auch Sound‐ wörter usw.) leitet und lenkt Gefühle bereits während der Rezeption und evoziert damit eine Wertung (vgl. Führer 2016). Diese rezeptionsimmanen‐ ten Wertungen kann man in einem gesprächsförmigen Lernarrangement anregen: z. B. durch Vorlese/ Seh-Gespräche unter Leitung wie im Fall von „Herr von Ribbeck“ in der Primarstufe, oder mittels Lesegesprächen mit Gleichaltrigen in der Sekundarstufe (vgl. Unterrichtsbeispiel „Füße im Feuer“, Kap. 5). Kreative Aneignungen/ Produktionen, die vor allem weg von rein schriftbasierten Annäherungen hin zu schreibend-(zeichnenden-)digi‐ talgestaltenden Formaten gehen, und analytische Anteile des Verstehens enthalten (z. B. über die Erstellung von Strukturbildern über Figurenent‐ 4.5 Balladentexte in Bild und Ton 87 <?page no="88"?> wicklungen, zeitliche Abfolgen etc.), schaffen eine Balance aus Gegen‐ standsorientierung und individueller Anverwandlung. Grafisch erzählende Balladenadaptionen erfordern unterschiedliche so‐ ziale Formen des ‚Schmökerns‘, sodass gemeinsam an der Entwicklung einer basalen Bild- und Lesekompetenz auf der Prozessebene als auch individuell am literarischen Verstehen auf unterschiedlichsten Lernniveaus gearbeitet werden kann (vgl. Unterrichtsvorschläge zu „Herr Ribbeck im Havelland“, „Die Füße im Feuer“, „Felix Fliegenbeil“ uvm.) Erweitert werden sollte das didaktische Spektrum dann um performative bzw. theatrale Auseinander‐ setzungen zu intermedialen Formaten, z. B. in Form von szenischen Lesun‐ gen zu grafischer Literatur. Denn auch wenn eine Bilderbuch-/ Comic- Lesung oder Aufführung eine Leichtigkeit zu sein scheint - die oben be‐ schriebenen inter- und innermodalen Inkongruenzen lassen genügend ima‐ ginativen Raum für eine durch den Rezipienten bzw. die Rezipientin ge‐ schaffene eigene Lesemodalität (ausführlicher dazu Führer 2017) und tragen auch zu einem intensiven Bewusstsein für Intermedialitäten bei. Balladen auditiv erleben Lyrische Texte werden heutzutage auf der Bühne gesprochen und aufgeführt - in Lesungen und Spoken-Word-Events -, sie werden von den Dichter/ -in‐ nen oder von professionellen Sprecher/ -innen im Tonstudio eingesprochen, manchmal werden sie auch mit Musik oder Sounds unterlegt. Neben der klassischen Publikation in Buchform werden Balladen auch auf CDs und DVDs distribuiert, als popkulturelle ‚Poetry Clips‘ oder künstlerische ‚Video Poems‘ inszeniert. Gegenwartslyrik findet sich darüber hinaus auch als di‐ gitale Poesie, die Schrift- und Soundelemente experimentell einsetzt. So kann es im Unterricht nicht allein um die Frage des Übersetzens schriftlicher Parameter wie Verse, Strophen und Interpunktion in körperlich-stimmliche Präsenzen gehen, sondern um das grundlegende Wechselverhältnis von schriftlicher und mündlicher Modalität. Denn eine Ballade wie die von Lars Ruppel (Kapitel 5.3., „Holger die Waldfee“) wird bei einem Live-Auftritt in‐ nerhalb eines Poetry Slams durch das Veranstaltungsformat (mehrere Slam‐ mer/ -innen, Wettbewerbscharakter, Publikumsbewertung etc.) situational gerahmt. Die online gestellten Video-Aufzeichnungen und deren Kommen‐ tierungen auf YouTube zeugen hiervon; eine Aneignung von Balladen, z. B. auch auf modularen Plattformen wie www.lyrikline.org, muss in diesem Sinne auch als performativer Akt verstanden werden. 4 Balladendidaktische Grundlagen 88 <?page no="89"?> 1 Zum Beispiel unter https: / / www.vorleser.net/ , www.lyrikline.org (12.02.2019). Der Begriff des „Hörbuches” bleibt durch die Buchmetapher der print‐ medialen Perspektive verpflichtet und erfasst den Eigenwert auditiver Medientexte begrifflich nicht wirklich. Der Begriff des Hörtextes meint in der Regel nur die gespeicherten und mithilfe technischer Reproduktionsgeräte (Schallplatte, Kassette, CD, MP3-Player etc.) rezipierbaren Formen auditiver Texte. Mit Jutta Wermke (vgl. 2007) sind zwei Grundtypen von Hörtexten zu unterscheiden: Lesung und Hörspiel. Bei der Lesung wird eine printmediale literarische Vorlage zumeist nur mit der Stimme erschlossen. Die Lesung bezieht ihren Reiz aus der Stimme des Sprechers, der mit ihr dem Text und den Figuren Leben verleiht. Die wichtigsten Gestaltungsmittel sind Artikulation, Sprechmelodie, Lautstärkewechsel, Tempo und Pausen. Das literarische Hörverstehen - wie der Leseprozess - ist ein Rekonstruk‐ tionsprozess, ein Dialog zwischen Hörer/ -in und Gehörtem, an dessen Ende ein mentales Modell des Gehörten steht, eine plausible Interpretation. Im Internet findet man eine Vielzahl verschiedener Lesungen 1 , aber auch Ver‐ lage vertreiben derartiges (z. B. Hörtexte von Lutz Görner, aber auch Sylvia Schopf: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind - Balladen für Kinder erzählt im Igel-Records-Verlag). Diesen Hör-Lesungen kann man sich selbstver‐ ständlich aus einer vergleichenden ästhetischen Perspektive zu Fragen der Atmosphäre, Interpretation usw. annähern. Im Hinblick auf einen differenz‐ sensiblen Unterricht sei aber darauf verwiesen, dass bereits das Verfügen über Sprachmuster zur Beschreibung der o. g. Phänomene und die Wahr‐ nehmung dieser ästhetischen Unterschiede nicht allen möglich ist. Das Potential von Hörlesungen liegt also auch darin, besonders schwachen Lesern oder Leserinnen ein literarisches Verstehen und ästhetisches Erleben von Balladen zu ermöglichen, das textbezogene Zugänge alleine verwehren. Gailberger (2011, 2013) hat beispielweise gezeigt, dass ein simultanes Lesen und Hören von Buch und Hörtext die Leseflüssigkeit, Imaginationsfähigkeit und damit einhergehend die Lesemotivation der Schüler/ -innen fördert. Beim Mit-Lesen von Hörtexten (nicht Hörspielen! ) kann während des Unterrichts ein Hörtext in angenehmer Zimmerlautstärke abgespielt wer‐ den, sodass die Schüler/ -innen leise ihre eigenen Balladentexte mitlesen können. Durch regelmäßige stille Lesezeiten mit den Hörtexten (z. B. im Rahmen von Balladenwerkstätten oder häuslichem Hören) kann das Kind auf der Ebene kognitiver Lesefähigkeiten die Fähigkeit zum Dekodieren verbessern, Automatisierungen des Leseprozesses vorantreiben und ein Be‐ 4.5 Balladentexte in Bild und Ton 89 <?page no="90"?> wusstsein für angemessene Lesegeschwindigkeit und -intonation entwi‐ ckeln. Das Mit-Lesen eines Hörtextes mit verschiedenfarbigen Stiften, mit denen lokale (Absatzebene) ebenso wie globale Kohärenzen (über Absätze hinaus) markiert werden, hilft, die roten Fäden eines Textes nachzuverfolgen. Bei der Hörlektüre einzelner Balladen ist der Nutzen v. a. im Bereich des literarischen Lernens zu sehen, z. B. indem die kognitive Entlastung vom Leseverstehensprozess Ressourcen für das inhaltliche Verstehen der Balla‐ den schafft, sodass eine Imagination der dargestellten Inhalte möglich wird, die Schüler/ -innen sich in Figuren einfühlen können usw. Durch die auditive Inszenierung des Balladentextes ist es zudem möglich, z. B. auch Schü‐ ler/ -innen mit einem nichtmuttersprachlichen Hintergrund Zugänge zur Ballade zu verschaffen: Stimmungen können auch mit geringer Sprach‐ kenntnis erfasst werden. Zudem kann man bei allen Schüler/ -innen eine emotionale Involvierung und sinnliches Erleben zum Gegenstand befördern, wenn ein stimmlich ansprechender und adäquater Hörtext ausgewählt wurde. Besonders bei Gegenwartslyrik, die stark mit dem Klang der Sprache arbeitet (vgl. Gomringers „Und es war ein Tag“, Kap. 5.4). So kann hier eine Rezitation der Autorin bzw. der Hörtext die Konzentration auf die Klang- und Sprachwahrnehmung befördern. Während sich die Hörtext-Lesung am Buch orientiert, ist das Hörspiel durch eine Dramatisierung der Vorlage gekennzeichnet - sofern eine Vorlage vor‐ handen ist. Gegenüber der Lesung kommt beim Hörspiel als weiteres Ele‐ ment der ästhetischen Gestaltung die Vielzahl an Stimmen und Figuren hinzu, die miteinander interagieren. Geräusche, Klänge, akustische Effekte und Mu‐ sik werden benutzt, um die Spielhandlung zu veranschaulichen. Hier bietet v. a. der intermediale Vergleich von literaler Vorlage und Hörfassung wich‐ tige Erkenntnismöglichkeiten. Untersucht werden kann mit Schüler/ -innen, ob die Textvorlage im Hörtext verändert wurde, ob es Kürzungen, Ergänzun‐ gen oder Wiederholungen von Textpassagen gibt, wie viele Vorlesende be‐ teiligt sind, ob Erzählerkommentare eingefügt sind oder musikalische oder andere auditive Rahmungen oder Untermalungen gewählt wurden etc. Wenn es mehrere Hörfassungen zu einer printmedialen Vorlage gibt, lassen sich die unterschiedlichen auditiven Interpretationen natürlich gut miteinander ver‐ gleichen (vgl. z. B. zum „Zauberlehrling“ Schilcher 2004: 27 ff.) Zu denken ist auch an Unterbrechungen einer Hörbuch- oder Hörspiel‐ rezeption, um Schüler/ -innen produktiv-kreative Anschlusshandlungen zu ermöglichen - durch das Schreiben einer Fortsetzung, das Nach- oder Wei‐ 4 Balladendidaktische Grundlagen 90 <?page no="91"?> terspielen des gehörten Textauszuges etc. Die Schüler/ -innen könnten auch selbst auditive Formate erstellen, indem sie ▸ eine Hörfassung zu einer literalen Textvorlage gestalten, beispiels‐ ▸ weise, indem sie den Text stimmlich erschließen, ▸ einen Balladen-Audioguide erstellen (vgl. Anders/ Löhden 2014) oder ▸▸ eine literarische Vorlage szenisch gestalten und enstsprechend in ein ▸ Hörspiel verwandeln (vgl. Ausführungen zum „Totentanz“ von Goe‐ the, Rilke und Kling, Kap. 5.2.). Außerdem ergeben sich nach der Beschäftigung mit Hörtexten vielfältige Anschlussmöglichkeiten, die auch andere Kompetenzen fördern: Schreib‐ impulse (z. B. Rollenbiographien, Rezensionen, „Schreibgespräche“), szeni‐ sche Umsetzungen von Schlüsselpassagen (szenisches Spiel), kleine Vi‐ deo-Produktionen, und schließlich auch Vergleiche der eigenen Arbeit mit professionellen Medialisierungen. Literatur zur Vertiefung A ND E R S , P E T R A / L ÖHD E N , M AIK E (2014). Barocklyrik mit Audioguides erschließen. Praxis Deutsch 245, 48-55. A B R AHAM , Ulf / S OWA , Hubert (2016). Bild und Text im Unterricht. Seelze: Klett/ Kall‐ meyer. H O F F MANN , Jeanette (2015). „Graphic Novels als Einladung zum Lesen, Sehen und Imaginieren“. In: Dehn, Mechthild / Merklinger, Daniela (Hrsg.). Erzählen - vor‐ lesen - zum Schmökern anregen (= Beiträge zur Reform der Grundschule, Bd. 139). Frankfurt a.M.: Grundschulverband, 209-222. K R U S E , Iris (2010). „Das Vorlesen lernförderlich gestalten. Astrid Lindgrens Märchen ‚Sonnenau‘ - Ein Unterrichtsbeispiel zum ‚Höreraktivierenden Vorlesen‘“. Grund‐ schulunterricht Deutsch 1, 18-22. M ÜL L E R , Karla (2012). Hörtexte im Deutschunterricht. Poetische Texte hören und spre‐ chen. Seelze: Klett/ Kallmeyer. 4.5 Balladentexte in Bild und Ton 91 <?page no="92"?> 4.6 Balladen in neuen medialen Formaten Juliane Dube Überwiegend dem Bereich Lesen und Schreiben bzw. Rechtschreiben zugeordnet, besitzen multimediale Texte in den Bildungsstandards der KMK und den Lehrplänen der Länder inzwischen einen festen Platz. Damit berücksichtigt die Bildungspolitik die sich zunehmend verän‐ dernde (Medien-)Sozialisation heutiger Heranwachsender auch in den schulischen Curricula. Auf dieses veränderte Nutzungsverhalten ha‐ ben inzwischen auch die Verlage reagiert und bieten neben dem klas‐ sischen Printmedium viele weitere Medienformate an. So gibt es bei‐ spielsweise zu beliebten Kinderbüchern inzwischen Comics, diverse Tonträger, (Comic-)Filme, Computerspiele, Handy-Apps und vieles mehr, deren Einbindung in den Deutschunterricht systematischer Überlegungen bedarf, um qualitativ hochwertige und gegenstandsan‐ gemessene medienintegrative Lernarrangements zu konstruieren. Gleiches gilt für Balladen, die insbesondere in ihren klassischen For‐ men vielfach medial verarbeitet, adaptiert oder erweitert wurden bzw. werden. Angesichts des multimedialen Alltags von Heranwachsenden haben sich auch die Ziele des Deutschunterrichts im Umgang mit neuen Medien ver‐ ändert. Wurden Schüler/ -innen anfänglich noch als passive Opfer betrach‐ tet, die vor den neuen Medien bewahrt werden sollten (vgl. Wildemann/ Vach 2015), ist es nun das Ziel, sie zu kompetenten Medien-Nutzern zu erziehen und sie in der selbstbestimmten Wahrnehmung kultureller, sprachlicher, li‐ terarischer sowie medialer Vielfalt zu unterstützen (vgl. KMK 2004). Ent‐ sprechend Dieter Baackes Konzept von Medienkompetenz, auf das sich letz‐ lich alle nachfolgenden Modelle zurückführen lassen ( Jarren / Wassmer 2009, 48), bedeutet dies, bei den Lernenden die Fähigkeit auszubilden, „Me‐ dien und die dadurch vermittelten Inhalte den eigenen Zielen und Bedürf‐ nissen entsprechend effektiv nutzen zu können“ (Baacke 1997: 1). Später ausdifferenziert umfasst Medienkompetenz nach Baacke (1999, 34) zwei Dimensionen und vier Fähigkeiten: 4 Balladendidaktische Grundlagen 92 <?page no="93"?> ▸ Dimension der Vermittlung ▸ - die Fähigkeit, Medien kritisch zu untersuchen und kritisch zu - nutzen (Medienkritik). - das Wissen über heutige Medien und Mediensysteme sowie deren - Bedienung (Medienkunde). ▸ Dimension der Zielorientierung ▸ - die Fähigkeit, Medien zu rezipieren und anzubieten (Medien‐ - nutzung). - Medien innovativ, aber auch kreativ weiterzuentwickeln (Medi‐ - engestaltung). Auf den Versuch von Baacke Medienkompetenz zu konzeptionalisieren, folgten Adaptionen für die Nutzung des Internets im Allgemeinen (Kuzmi‐ nykh 2009) und für spezifische digitale Textformate wie das Computerspiel (Kepser 2012) im Besonderen. Ausdifferenzierungen aus dem Bereich der Deutschdidaktik sind das Medienkompetenzmodell von Norbert Groeben (2006) mit sieben Dimensionen und das Modell zur „digitalen Textkompe‐ tenz“ (Frederking & Krommer 2019), welches zehn Teilkompetenzen be‐ schreibt, die zum Rezipieren und Produzieren digitaler Texte in ihrer mul‐ timodalen, symmedialen, hypermedialen, interaktiven und diskursiven Strukturiertheit und zur Erfassung ihrer spezifischen Intentionalität, Funk‐ tionalität und Rekursivität benötigt werden (Frederking / Krommer 2019, 2). Für die Grundschule sei an dieser Stelle zusätzlich auf das didaktische Stufenmodell von Karin Vach (2005) verwiesen, das kognitive, emotionale, ästhetische sowie sozial-integrative Dimensionen und auch technische Fer‐ tigkeiten berücksichtigt. Um jedoch die in den unterschiedlichen Modellen beschriebenen Kompetenzen zu vermitteln, muss sich der Deutschunterricht von seiner oftmals noch vorzufindenden „monomedialen“ Unterrichtspraxis lösen (Frederking 2004: 46). Sein Leitprinzip sollte vielmehr ein symmedialer Einsatz von ‚neuen‘ und ‚alten‘ Medien als „innovative Lese-, Schreib-, Prä‐ sentations-, Wissens- und Kommunikationswerkzeuge“ sein, der im stärke‐ ren Maße auf Komplementarität, Integration und Synergie von Konzepten, Methoden und Materialien zu multimedialen Texten setzt, anstelle eines be‐ liebigen Nebeneinanders (vgl. Frederking/ Krommer/ Maiwald 2012). Hier‐ durch reagiert der Deutschunterricht nicht nur auf den inzwischen in einer Vielzahl von Studien belegten positiven Einfluss multimedialer Angebote auf die Lernmotivation, sondern erweitert auch das bestehende Angebot an Lerngegenständen und Lernformen. 4.6 Balladen in neuen medialen Formaten 93 <?page no="94"?> Balladen im Medienverbund In diesem Band knüpfen wir nicht nur an die Rezeptionsgewohnheiten der Heranwachsenden an, sondern zeigen Möglichkeiten auf, sich den thema‐ tisierten Balladen über vielfältige mediale Darstellungen zu nähern. Das Re‐ pertoire hierfür wächst zunehmend. ▸ Hörfassungen (vgl. hierzu 12 schauerliche Balladen der Klassik und ▸ Romantik gelesen von Frank Suchland, 2002 [guanako audio] oder Balladen gelesen von Lutz Görner [naxos]). ▸ Bilderbücher (vgl. die Reihe Poesie für Kinder im Kindermann-Verlag ▸ oder die Reihe Kerle im Herder Verlag) ▸ Comics und Graphic Novels (alternativ zu kostenintensiven Print‐ ▸ versionen bieten sich auch diverse Online-Comics an, u. a. http: / / ww w.mycomics.de/ comic/ 4443-erlkoenig.html) ▸ Rapsongs, u. a. durch Dopple-U (Rap trifft Klassiker. Balladen einmal ▸ ganz anders, 2 CDs erschienen im Schroedel-Verlag) ▸ Kurzfilme (z. B. www.diebuergschaft.com/ ) ▸▸ … ▸ Multimediale Texte zur Analyse von Balladen Multimediale Texte können eingesetzt werden, um balladeske Texte zu ana‐ lysieren. Hier kann beispielsweise auf das Schreiben von Hypertexten oder das Erstellen von Poesiefilmen zurückgegriffen werden. Beide Lernformen erfordern eine intensive Analyse des literarischen Textes, die durch den Umgang mit neuen Medien noch vertieft wird. So müssen sich die Lernenden einerseits eine netzwerkartige Textstruktur für das Umschreiben der Ballade in einen Hypertext überlegen und andererseits die Verknüpfung des Textes mit bewegten Bildern, Tönen, Animationen und Grafiken im Rahmen der Erstellung eines Poesiefilms intensiv reflektieren. Hinzu kommt, dass die Fragen geklärt werden müssen, ob Bild- und Tonmaterial der textlichen Il‐ lustration dienen oder substitutiv eingesetzt werden sollen und welche Wis‐ sensvoraussetzungen, Interessen und Lesegewohnheiten bei den Rezipien‐ ten/ innen vorausgesetzt werden können (vgl. Baurmann/ Weingarten 1999). Eine weitere Möglichkeit, multimediale Texte für einen vertieften Um‐ gang mit Balladen zu nutzen, bietet ihr Einsatz im Rahmen der Vorbereitung von Gedichtvorträgen. Hierbei kann über Lernvideos einerseits das Aus‐ wendiglernen unterstützt werden. Andererseits können Schüler/ -innen-Bei‐ 4 Balladendidaktische Grundlagen 94 <?page no="95"?> träge mithilfe einfachster Videotechnik konserviert werden. Die Aufnahmen bilden dann den Ausgangspunkt für individuelle und gemeinsame Reflexi‐ onsgespräche im Hinblick auf Stimmigkeit, Ausdruckskraft, Tempo, Laut‐ stärke etc. (Kap. 4.11). In den letzten Jahren hat zudem der Einsatz von Webquests besondere Aufmerksamkeit erfahren. Dabei erhalten die Lernenden genau definierte Arbeitsaufträge der Lehrkraft auf einer gesonderten Internetseite und stel‐ len ihre Ergebnisse dann mithilfe von Präsentationsmedien vor. Durch die direkte Anbindung an das Internet werden Zugriffsmöglichkeiten erhöht und das Auffinden von Textstellen erleichtert. Zudem können für die Ana‐ lyse zusätzliche Informationen zum Autor oder weitere Primärtexte des Au‐ tors (vgl. hierzu das Projekt Gutenberg-DE) genutzt und damit Deutungs‐ versuche erweitert werden. Multimediale Texte zur Anschlusskommunikation Eine weitere gewinnbringende Form des symmedialen Deutschunterrichts bietet der Einsatz von digitalen und sozialen Medien im Rahmen der An‐ schlusskommunikation. Abb. 4.3: ZUM-Wiki-Eintrag zum Begriff ‚Ballade‘. Hier können die Lernenden ge‐ meinsam an einer Definition arbeiten. https: / / wiki.zum.de/ wiki/ Ballade (12.02.2019). 4.6 Balladen in neuen medialen Formaten 95 <?page no="96"?> Hierfür werden gegenwärtig vielerorts so genannte Wikis eingesetzt (Abb. 4.3), die als virtuelle Kommunikationsräume in Blended-Learning-Sze‐ narien eine weitere Möglichkeit bieten, z. B. selbstverfasste oder umge‐ schriebene Balladen im Rahmen kooperativer Schreibsettings intensiv zu thematisieren. So können im Wiki z. B. Textänderungen, Hinzufügungen und Löschungen grafisch und farblich dargestellt werden und es ist genau nachvollziehbar, welche Veränderungen am Text vorgenommen wurden. Das Nebeneinander von document mode, welcher das eigentliche Doku‐ ment bzw. den Text enthält und thread mode, in dem der Text diskutiert wird, ermöglicht zudem ein Wechselspiel von Produkt und Prozess. Die auf diesem Wege entstehenden Diskussionsbeiträge in Form von Ideen, Anmerkungen und Verbesserungsvorschlägen bilden anschließend die Grundlage für Schreibkonferenzen. Zusätzlich bieten aber auch Chaträume und Personen‐ seiten Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation, manchmal sogar mit dem Dichter persönlich (vgl. die Homepages von Lars Ruppel und Nora Gomringer). Eine mögliche Plattform für die Arbeit mit jüngeren Schüler/ -innen bietet die Seite myMoment, auf der Kinder und Jugendliche nicht nur eigene Texte verfassen, bearbeiten und im Internet veröffentlichen, sondern auch von anderen Kindern bewerten lassen können. Multimediale Texte zur Differenzierung im Deutschunterricht Der Einsatz von multimedialen Texten empfiehlt sich jedoch auch als Un‐ terstützungsroutine für die individuelle Balladenrezeption im Kontext eines differenzierenden Deutschunterrichts (Kap. 4.7). So lässt sich dem Balladen‐ vortrag nicht nur leichter folgen, wenn der Text printmedial oder digital mitgelesen werden kann, sondern auch wenn die Texte z. B. von der Lehr‐ person in Hörfassungen umgewandelt und auf unterschiedlichen Endgerä‐ ten, z. B. auf dem Computer oder Smartphone, zur Verfügung gestellt werden (Kap. 4.10 und Kap. 4.11). Zudem können die bereits angesprochenen Kurz‐ filme, wie sie zu den klassischen Balladen teilweise in Internetportalen zu finden sind oder die Vielzahl von Bilderbüchern einen anderen Zugang zum literarischen Gegenstand bieten. 4 Balladendidaktische Grundlagen 96 <?page no="97"?> Ein Kurzfilm zur Ballade „Erlkönig“ findet sich unter: http: / / www.bing .com/ videos/ search? q=erlk%c3%b6nig&&view=detail&mid=73D36F3B 9A59C1FFB77E73D36F3B9A59C1FFB77E&FORM=VRDGAR Formen der Differenzierung können durch den Einsatz digitaler Medien je‐ doch auch am Text selbst vorgenommen werden. Ein Beispiel hierfür ist die Gestaltung der bereits erwähnten Hypertexte sowohl durch die Lehrperson als auch durch die Lernenden, in denen heute kaum noch verwendete Worte und Redewendungen gleich mit einem entsprechenden Beitrag in einem Wörterbuch oder Kontextinformationen zum Autor oder literaturgeschicht‐ lichen Hintergrund verlinkt sind (Kap. 5.3.3). Zahlreich sind die Anregungen, die sich in Praxiszeitschriften und -hand‐ büchern (vgl. u. a. Anders 2013) und Internetforen zur multimedialen Um‐ setzung von Texten finden. In den wenigsten Fällen sind dafür umfangreiche technische Fertigkeiten auf Seiten der Lehrenden oder teuer gestaltete Me‐ dienumgebungen vorausgesetzt. Meist reichen schon die klassischen Funk‐ tionen der Kamera und des Diktiergerätes auf dem Smartphone oder Tablet. Apps wie MadPad und iMaschine unterstützen hier die Aufnahme und das Abspielen von ausgewählten Klängen. Software zur Erstellung von Videosequenzen auf dem Computer gibt es inklusive niedrigschwelliger Einführungen zur Nutzung z. B. auf YouTube (Filme erstellen mit Windows Live Movie Maker. Dauer: 14 Mi‐ nuten, https: / / www.youtube.com/ watch? v=_nR97ROMG8s) oder als kostenlose Downloadangebote, z. B. Windows Live Moviemaker oder iMovie. Auch beim Wiki-Schreiben ist der technische Aufwand eher gering gehalten. So sind die meisten Wiki-Dienste frei zugänglich, lassen sich ohne Codekenntnis editieren und können sogar kostenlos angelegt werden (vgl. Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet, ZUM e. V.). Unabhängig davon, wie multimediale Texte in ein Lernarrangement zu Bal‐ laden eingebunden werden, erweitern sie in jedem Fall die im Deutschun‐ terricht herkömmlich eingesetzten Texte um auditive, audiovisuelle und multimediale Textformate und bieten damit eine Chance, Kinder und Ju‐ gendliche für das Lesen von Balladen zu begeistern und ihre Medienkom‐ petenz und -reflexion zu intensivieren. Die wachsenden Anforderungen an die Lernenden, die mit einem multimedialen Lernarrangement verbunden 4.6 Balladen in neuen medialen Formaten 97 <?page no="98"?> sind, werden bisher jedoch kaum thematisiert. Dies ist umso bemerkens‐ werter, weil die neuen Textformate in Verbindung mit Fix- und Bewegtbil‐ dern sowie mit Grafiken und Schaubildern, aber auch der Aufhebung des modularen Aufbaus zur kognitiven Überlastung führen können (vgl. Balls‐ taedt 2005,). Folglich empfiehlt es sich, die Ballade zunächst nur monomedial (z. B. ohne Printtext) zu präsentieren und anschließend Schritt für Schritt weitere Medienformate sowohl zur Initiierung von Rezeptionsals auch Produktionsprozessen hinzuzuziehen (vgl. Anders 2013). Der Mangel an jenen Beiträgen ist ggf. auf die Tatsache zurückzuführen, dass die an die Arbeit mit multimedialen Texten gebundenen Chancen viel‐ fach nicht genutzt werden konnten (vgl. Kerres 2003). Der Einsatz von mul‐ timedialen Texten erhöht demzufolge zwar die Wahrscheinlichkeit, inten‐ sivere Lernprozesse zu gestalten, jedoch existiert „keine zwangsläufige Beziehung zwischen dem Besitzen eines Computers, dessen Nutzung und den Lern-Outcomes“ (Hattie 2013: 261). Für den Einsatz von multimedialen Texten ist es daher umso wichtiger, die bisherigen Erkenntnisse bei der Un‐ terrichtsgestaltung zu berücksichtigen. So zeigt die von Hattie durchge‐ führte Meta-Analyse zum Einsatz von neuen Medien (vgl. ebd.), dass diese zu einem besseren Lernen führen, wenn ▸ es eine Vielfalt an Lernstrategien gibt (z. B. ein Angebot an printme‐ ▸ dialen und digitalen Texten), ▸ ein Vortraining zur Nutzung von Computern als Lehr- und Lernwerk‐ ▸ zeug absolviert wurde, ▸ multiple Lerngelegenheiten existieren (z. B. Lernen an und mit neuen ▸ Medien). Literatur zur Vertiefung B E I SS W E N G E R , Michael (2012). „Kompetenzen für das Schreiben mit webbasierten Schreibtechnologien“. In: Feilke, Helmuth / Köster, Juliane / Steinmetz, Michael (Hrsg.) Textkompetenzen in der Sekundarstufe II. Freiburg: Fillibach, 233-267. G AIL B E R G E R , Steffen / W I E TZK E , Frauke (Hrsg.) (2018). Deutschunterricht in einer di‐ gitalisierten Gesellschaft. Unterrichtsanregungen für die Sekundarstufen. Wein‐ heim/ Basel: Beltz. F R E D E R KIN G , Volker / K R O MM E R , Axel / M ÖB I U S , Thomas (2014). Neue Medien im Deutschunterricht (= Deutschunterricht in Theorie und Praxis, Bd. VII). Balt‐ mannsweiler: Schneider Hohengehren. 4 Balladendidaktische Grundlagen 98 <?page no="99"?> Schreiben <?page no="101"?> 4.7 Referierendes und argumentatives Schreiben zu Balladen Carolin Führer Im Folgenden ist eine Auswahl jener Schreibformen zusammenge‐ fasst, die einen analytisch erschließenden Zugang zu Balladen wählen. In der schulischen Praxis sind diese Formen stark in Bewertungskontexte eingebunden, die v. a. das Produkt fokussieren. Um die dafür notwendigen methodisch-strategische Kompetenzen zu vermitteln, sollten diese als solche kontinuierlich in den Unterricht integriert werden: Schreibkonferenzen, Rückmeldungen durch Erwachsene und Schreibpaten, Schreibgespräche mit der Lehrkraft und sprachreflexive Übungen sollten hier im Rahmen einer prozessorientierten Schreib‐ entwicklung fest etabliert werden. Balladeninhalte referieren Das Wiedergeben bzw. Zusammenfassen der Inhalte einer Ballade ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe. Aufgrund der Leerstellen, die Balladen bereithalten, fließt in die sachliche Darstellung dessen, was der literarische Text ästhetisch darstellt, immer auch eine Interpretation ein. Vieldeutige Textelemente sollten von Schüler/ -innen in der Inhaltsangabe daher als sol‐ che markiert werden, z. B. durch modale Strukturierungen wie ‚offenbar‘, ‚vielleicht‘ oder durch Formulierungen wie „Die Ballade lässt offen, ob …“ (Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 228). Zunächst ist die Erschließung des inhaltlichen Zusammenhangs (‚Ma‐ krostruktur‘) notwendig, d. h. es muss die Abfolge von Ursache und Wirkung bzw. Motiv und Handlung herausgearbeitet werden, die von einer Aus‐ gangssituation (Herausforderung, Konflikt) zu einem Resultat oder einem offenen Ende führt. Besonders bei (Gegenwarts-)Balladen, die in hohem Maße intertextuell und sprachlich experimentierfreudig sind, kann das für Schwierigkeiten sorgen. Im Umgang mit älteren Texten treten häufig zu‐ nächst sprachliche Schwierigkeiten auf, wenn es darum geht, den Inhalt der Ballade in eigenen Worten wiederzugeben. Hilfestellungen für Texterarbei‐ 4.7 Referierendes und argumentatives Schreiben zu Balladen 101 <?page no="102"?> tung und -(re)konstruktion können Schreibstrategien sein. Becker-Mrotzek und Böttcher (2015) unterteilen hier in: 1. Reduzieren, 1. 2. Zusammenfügen, 2. 3. Verknüpfen, 3. 4. ggf. Kommentieren. 4. Leubner, Saupe und Richter (2016: 227 f.) schlagen Folgendes vor: 1. Reflektierte Nutzung von W-Fragen: Schüler/ -innen muss klar werden, 1. dass die Reihenfolge des Textes nicht der von W-Fragen entspricht und zudem Ort und Zeit oft vage bleiben. 2. Bilden zusammenfassender Aussagen: Die Formulierung von Zwi‐ 2. schenüberschriften zu Abschnitten ist für die Schüler/ -innen irrefüh‐ rend, da Überschriften Appellstrukturen haben; besser ist ein Notieren von Handlungsstichworten. Für schriftliche Inhaltszusammenfassungen ist eine vermeintlich objektive Bewertung besonders schwierig, denn es ist nicht klar, was in der Ballade explizit und was nur implizit, z. B. auf einer metaphorischen Ebene, gesagt wird. Eine schriftliche Inhaltszusammenfassung kann daher vor allem zur Diagnose des grundlegenden Textverständnisses (das oft vorschnell als ge‐ sichert eingeschätzt wird) oder der Erarbeitung von (verschiedenen) Inter‐ pretationsansätzen dienen. Die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen bzw. das Vorwissen der Schüler/ -innen sind für das Verstehen wesentlich, weshalb es wichtig ist, zur Erstellung der Zusammenfassung Fragen und Methoden an die Hand zu ge‐ ben, die den Blick für den größeren Textzusammenhang weiten und Raum für Imagination lassen (Bsp.: „Erklärt, worum es in der Ballade ‚Der Erlkönig‘ geht. Versucht euch dabei die Handlung bildlich vorzustellen! “). Engma‐ schige Fragestellungen, wie die in vielen Arbeits- und Lehrmaterialien zu findende pauschale Aneinanderreihung der W-Fragen, verstellen oft den Blick auf die Gesamtaussage des Textes und zielen auf Einzelaspekte ab, die der Komplexität des Textes und Aspekten der Sinnlichkeit im Umgang mit Balladen (Wirkung des Klangs etc.) nicht gerecht werden. Sinnvoll sind hier Fragen, die ausgehend von einer konkreten Textstelle den Blick auf die Ge‐ samtheit des Textes richten. Ein Beispiel hierfür zur Ballade „Herr von Rib‐ beck auf Ribbeck im Havelland“, in der es in der letzten Strophe heißt: 4 Balladendidaktische Grundlagen 102 <?page no="103"?> So spendet Segen noch immer die Hand Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Die Frage Worin besteht der Segen des von Ribbeck? zielt auf die zentralen Aussagen der Ballade und bietet dennoch Spielraum in der Beantwortung, was zum einen in Hinblick auf die literarische Vielschichtigkeit wichtig ist, zum anderen kann eine Konzentration auf Einzelaspekte umgangen werden. Zabka plädiert (mit steigender Jahrgangsstufe) daher zudem für flankie‐ rende Übungen zur reinen Inhaltsangabe wie der Beschreibung ästhetischer Darstellungsweisen oder Übungen zum Stil (Zabka 2015: 71). Balladen diskursiv erschließen In der Mittel- und Oberstufe tritt neben dem Schreiben als Erschließungs- und Aneignungsform von Balladen ein „Wissen schaffendes Schreiben“ in den Vordergrund. Es ist zum einen eng an das vorher dargestellte inhaltliche Verstehen geknüpft, zum anderen verlangt es eine permanente Distanz zum Text als Gegenstand des Verstehens. Aus diesem Grunde bedarf es vielfälti‐ ger Übungsaufgaben, um diese Distanz zu erwerben und aufrecht zu erhalten (Köster 2016: 82). Hilfreich für ein derartiges Schreiben zu Balladen ist sicher, den Balladen ein allgemeines Gattungs- und Epochenwissen zuzuschreiben sowie den In‐ halt mit Form und Sprache in Verbindung zu bringen. Diese Orientierungs‐ hilfe darf jedoch nicht dazu führen, grob über individuelle Besonderheiten des Textes hinwegzugehen. Lösener (2009) betont, dass besonders die Form-Inhalt-Analyse in den höheren Klassen der weiterführenden Schulen nach wie vor als einzig mögliche und durchaus problematische Form der Gedichtanalyse gehandelt wird. Er schlägt mit dem hörenden Lesen eine mögliche Alternative vor. Es geht dabei vor allem darum, zunächst die Er‐ fahrung der Wirkung zu machen und dann die Wirkungsweise zu reflek‐ tieren (vgl. auch Kap. 4.3). In dieser Form sollen Anreize geschaffen werden, Deutungsmöglichkeiten zu entdecken und nicht nur die Durchführung vor‐ gegebener Muster abzuarbeiten. An dieser Stelle sollen nur einige Schreibanregungen genannt werden, die eine Interpretationshypothese (im weitesten Sinne) zum Ausgangspunkt haben, in der der Sinn des Textes nicht auf eine Aussage (z. B. die des Autors) reduziert wird, sondern eine (ideologiedistanzierende) Rezeption (vgl. Kap. 3.2) möglich wird: 4.7 Referierendes und argumentatives Schreiben zu Balladen 103 <?page no="104"?> 1 Ausführlicher Unterrichtsentwurf in Führer 2019. ▸ „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff: ▸ Warum hält der Knabe inne, bevor er am (heimatlichen) Ziel ist? Er‐ örtere dies vor dem Hintergrund dessen, was den Knaben daheim er‐ warten könnte. ▸ „Der Erlkönig“ von Johann Wolfgang von Goethe: ▸ Wovor „grauset’s“ dem Vater? Diskutiere dies vor dem Hintergrund möglicher Gedanken und Gefühle des Vaters. ▸ „Holger, die Waldfee“ von Lars Ruppel: ▸ Worin besteht die in den letzten beiden Strophen der Ballade genannte „Lehre“? Erörtere dies unter Einbezug des Handlungsverlaufs aus Sicht von Holger und aus Sicht des Forstamts! ▸ „Stein“ von Christoph Meckel: ▸ In der letzten Strophe heißt es: „Kann sein.“ Was spricht für bzw. gegen die Reaktion der Frau? Begründe, welche alternativen Reaktionen denkbar gewesen wären! 1 Diese Schreibanregungen entsprechen unserem eingangs formulierten An‐ spruch, die in den Balladen formulierten Konflikte auf der Grundlage von Erfahrungen und Kontexten zu reflektieren, die bei den Schüler/ -innen be‐ reits vorhanden sind. Nicht zuletzt verfolgt dies auch den Zweck, in diesen anspruchsvollen Schreibformen die Schreibmotivation zu erhalten. Zudem ist über die geforderten Identifikationen (mit dem Knaben, mit dem Vater) und Perspektiveinnahmen (Holger, das Forstamt) zunächst eine Nähe zum Text herzustellen, diese Position muss jedoch aufgegeben werden - sowohl auf der Basis der Textkenntnis als auch aufgrund der lebensweltlichen Er‐ fahrung. Damit kann die für den Umgang mit Balladen wichtige Distanz zu ideologisch-moralischen (textnahen) und ideologiekritischen (textfernen) Lektüren) gewonnen werden um (neue) Positionen zu diskutieren (vgl. ideo‐ logiedistanzierende Rezeption bei Köster 2001: 182 sowie Wertungen im Umgang mit Balladen, Kap. 4.4). Literatur zur Vertiefung B E C K E R -M R O TZ E K , Michael / B ÖTT C H E R , Ingrid (2015). Scriptor Praxis: Schreibkom‐ petenz entwickeln und beurteilen. Berlin: Cornelsen. 4 Balladendidaktische Grundlagen 104 <?page no="105"?> F E IL K E , Helmuth / P O HL , Thorsten (Hrsg.) (2014). Schriftlicher Sprachgebrauch. Texte verfassen (= Deutschunterricht in Theorie und Praxis, Bd. 4). Hohengehren: Schneider. P HILI P P , Maik (2014): Selbstreguliertes Schreiben: Schreibstrategien erfolgreich vermit‐ teln. Weinheim: Beltz. 4.7 Referierendes und argumentatives Schreiben zu Balladen 105 <?page no="106"?> 4.8 Operatives Schreiben zu Balladen Carolin Führer In operativen Verfahren des Schreibens werden ähnlich wie im Grammatikunterricht, durch einfache Umstellungen, Erweiterungen u. ä. mit und aus dem Text Erkenntnisse gewonnen. Das bedeutet im Rahmen literarischen Lernens, dass mit einer konkreten Ballade sprachlich und/ oder inhaltlich experimentiert wird. Auf diese Weise können Schüler/ -innen tiefere Einblicke in Form, Wortschatzbeson‐ derheiten, Rhythmus und Inhalt des Originals gewinnen und im Ver‐ gleich der Wirkungen und Wirkungsweisen gewahr werden. Operative Verfahren können konzeptuell im Bereich des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts verortet werden. Den theoretischen Hintergrund bilden hier Formalismus und Strukturalismus, auch kann der Einsatz operationaler Verfahren als „Vorschule der Dekonstruktion“ (Spin‐ ner 2000: 235) betrachtet werden, da die inhaltliche und formale Geschlos‐ senheit des Textes aufgebrochen wird. Es gibt in der Literaturdidaktik hin‐ sichtlich des Zusammenhangs zwischen Textanalyse und der eigenaktiven Umformung unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Haas betonte in sei‐ nem grundlegenden Werk 1984 v. a. die Möglichkeit, allen Schüler/ -innen einen (Text-)Zugang zu ermöglichen und eigenaktiv zu werden. Rupp (1987) betont, dass die produktiven Antworten der Schüler/ -innen dem Original‐ text zugunsten einer kulturellen Handlungsfähigkeit gegenübergestellt wer‐ den sollten. Fingerhut hat bereits früh „strenge und disziplinierte Ausein‐ andersetzungen mit dem Ausgangstext“ (Fingerhut 1982: 6) gefordert. Waldmann (2007) betont v. a., dass und wie das Verstehen literarischer Texte strukturell durch schüler/ -innenseitige Eigenproduktion bestimmt werden sollte. Konsens scheint dennoch, dass Text und operative Verfahren so aufein‐ ander abgestimmt werden, dass sie Verstehensprozesse befördern und ver‐ tiefen sowie funktional und nachvollziehbar zum Gegenstand gewählt sind. Gerade bei operationalen Verfahren darf nicht der kognitive Anspruch un‐ terschätzt werden, besonders „schwächere Schüler/ -innen“ scheinen durch eine strukturierte Analyse von Texten z.T. besser gefördert zu werden (Heins 4 Balladendidaktische Grundlagen 106 <?page no="107"?> 2017). Mit dem Umschreiben von (literarischen) Vorlagen wird dem Analy‐ sieren und Interpretieren eine Methode des produktiven Schreibens zur Seite gestellt, das eine kreative Verarbeitung des zuvor erworbenen deklarativen Textsortenbzw. Textmusterwissen in prozedurales Handlungswissen er‐ möglicht (vgl. Fix 2008: 11). In Folge werden an einzelnen Balladen (v. a. aus dem Kapitel 5) exempla‐ risch einfache Operationen demonstriert, die die formale und inhaltliche Gestaltung der gesamten Ballade in den Blick nehmen: ▸ Änderung der Perspektivgestaltung: Indem die Lernenden bei‐ ▸ spielsweise in Ann Cottens „Metonymie, wir“ (vgl. https: / / www.lyrik line.org/ de/ gedichte/ metonymie-wir-4404) die Ballade vom Ich in die Sicht des Du umschreiben, wird der sprachliche Stil ebenso wie die emotionale Beziehung der beiden reflektiert. Anhand der vom Ich ab‐ gegebenen Beschreibungen des Dus muss eine eigenständige Imagi‐ nation und ein Schreibstil des Anderen entwickelt werden. ▸ Entflechtungen von ineinander geschobenen Texten: ▸ - Variante 1: ältere und neuere Balladen/ Liedtexte mit ähnlichem - Inhalt anhand ihres Stils voneinander unterscheiden: z. B. „To‐ tentanz“ von Johann Wolfgang von Goethe kombiniert mit Deutschrock „Totentanz“ von Max Kretzenbacher oder „Kurzge‐ fasster Lebenslauf “ von Erich Kästner/ „Max Mustermann“ von Blumentopf - Variante 2: Rekonstruktion von Texten über den Inhalt, z. B. in‐ - dem verschiedene Gedächtnisperspektiven zum Nationalsozialis‐ mus erkannt werden müssen: „Und es war ein Tag“ von Nora Gomringer/ „Mörder Ratzek weißer Mond“ von Thomas Brasch (vgl. 5.4. sowie Unterrichtshilfe „Erzählformen in zeitgeschicht‐ lichen Balladen analysieren“) ▸ Reflexionen bzw. Begründungen der Rekonstruktionsarbeiten hy‐ ▸ brider Balladen, z. B. durch Fragen nach den Kriterien der Entflech‐ tung. Entscheidend ist hier also weniger die korrekte Entflechtung als vielmehr die dadurch geschaffene Möglichkeit der Charakterisierung der beiden Balladen verbunden mit ersten Deutungen. ▸ Präsentation einer Ballade oder ggf. ihrer Teile in Originalsprache ▸ oder Übersetzung: Die Übertragung von „The Raven“ ins Deutsche, aber auch die Präsentation verschiedener englischer Übersetzungen Goethes „Der Erlkönig“ sensibilisiert Schüler/ -innen durch die jewei‐ 4.8 Operatives Schreiben zu Balladen 107 <?page no="108"?> lige individuelle Übertragung oder Übersetzungsdiskussion für Spra‐ che, Stimmen und Stimmung. ▸ (Re-)Integration herausgenommener Original-Verse: bietet sich an, ▸ wo Wiederholungen in Balladen die Wirkung beeinflussen: z. B. kann man „nichts weiter mehr“ und „Nimmermehr“ in Edgar Alan Poes „Der Rabe“ wieder einsetzen lassen. ▸ Reihenfolgen wiederherstellen: z. B. bei Lars Ruppels „Holger, die ▸ Waldfee“ oder Erich Kästners „Sachliche Romanze“ ist es reizvoll zu diskutieren, wie sich unterschiedliche Anordnungen des Inhalts auf die Gesamtaussage des Gedichtes auswirken. Die Aufgabe kann aber (ohne größere Metareflexionen) nur gestellt werden, um den Blick auf die Textstruktur und die inhaltlichen Zusammenhänge zu lenken, so stellt diese Aufgabe für längere, klassische Balladen wie Friedrich Schiller: „Die Bürgschaft“ oder Johann Wolfgang von Goethe: „Der Zauberlehrling“ bereits hohe Verstehensanforderungen an die Schü‐ ler/ -innen. Um den Blick auf die lokale bzw. Wort-Ebene einer Ballade zu lenken, bieten sich folgende Operationen an: ▸ Formulierungsangebote auswählen: In Gomringers „Und es war ▸ ein Tag“ könnte man reflektieren, wie Wirkung und Aussage sich beim Austauschen der Anapher „Und es war“ durch „Und es ist“ än‐ dern. Hier wäre es besonders interessant, im Vorfeld zu eruieren, wel‐ che der beiden Varianten bei den Schüler/ -innen mehr Stimmen erhält und aus welchen Gründen. In Christoph Meckels „Stein“ (vgl. Führer 2019) können unterschied‐ liche Titelvarianten in Hinblick auf ihre klangliche und inhaltliche Wirkung diskutiert werden. Zur Reflexion von Dingwelten in der Li‐ teratur empfiehlt sich für fortgeschrittene Lerner/ -innen anstelle des Steins Blümlein (Goethe), (blaue) Blume (Novalis), Aster (Benn) zu variieren. So können literaturgeschichtliche Aspekte in einen histo‐ rischen Kontext des Wandels von Paarbeziehungen eingebettet wer‐ den. ▸ Wörter einsetzen: Hans Magnus Enzensbergers „Das Treppenhaus“ ▸ (u. a. in Segebrecht 2012: 69) könnte den Schüler/ -innen als Lückentext mit verschiedenen Multiple-Choice-Variationen vorgelegt werden, um sowohl klangliche als auch semantische Reflexionen notwendig 4 Balladendidaktische Grundlagen 108 <?page no="109"?> zu machen, die wiederum die Gesamtsicht auf den Text und die Struk‐ tur des Textes beeinflussen. In Hugo von Hofmannsthals „Die Beiden“ (vgl. https: / / www.deutsche lyrik.de/ die-beiden.html) führt die Aufgabe, fehlende Reimwörter zu ergänzen, zu einer genaueren Wahrnehmung der formal-inhaltlichen Konstruktion des Textes. Zur Sensibilisierung der Schüler/ -innen für die Form der Balladen kann konzentriert an rhythmischen Veränderungen, am Satzbau oder den Versanordnungen gearbeitet werden: ▸ In Verse umbrechen: Balladen werden als fortlaufend geschriebene ▸ Texte ausgegeben, Schüler/ -innen müssen selbst eine mögliche Ver‐ sstruktur herstellen. In H.M. Enzensbergers „Das Treppenhaus“ kann dies ein einfacher Einstieg sein, da hier nur die Wiederholung des „wer ich bin“ entdeckt werden muss. ▸ Entnommene Sätze/ Interpunktionen diskutieren: Die Lernen‐ ▸ den reflektieren die Interpunktion von „Die Füße im Feuer“ und rea‐ lisieren in den vielen Frage- und Ausrufesätze in Conrad Ferdinand Meyers Ballade den dramatischen Charakter der Ballade. Durch eine eigene Einsetzung für das Weglassen von „Und es war“ in Gomringers Ballade können Wortwiederholungen und das Präteritum auf ihre Wirkung und Wirkungsweisen im Vergleich mit der eigenen Variante gezielt in Blick genommen werden. Durch medienbasierte operationale Verfahren können die oben be‐ schriebenen Verfahren vereinfacht bzw. gestützt werden. Zur tieferen Er‐ schließung oder Erweiterung von Assoziationsräumen bieten sich darüber hinaus eigenständige, medienspezifische Möglichkeiten der Arbeit an und mit Balladen an, hier v.a.: ▸ Einfügen von Kommentaren in den Text, z. B. Verstehensfragen, ▸ Verlinkungen zu unbekannten Wörtern, Vergleichstexten, zu Verto‐ nungen etc. ▸ Recherche zum Autor, zu Sekundärliteratur, zu motivähnlichen Bal‐ ▸ laden etc. ▸ Schlüsselbegriffe mit Thesaurus-Funktion thematisieren, durch ▸ vorgeschlagene Bedeutungsfelder kann Deutung der Ballade ge‐ schärft werden 4.8 Operatives Schreiben zu Balladen 109 <?page no="110"?> ▸ Visualisierung des Textes über Präsentationsprogramme (passende ▸ Bilder einfügen, Experimentieren mit Typographie, Farbgebung zum Text etc.) ▸ Weiterschreiben oder Verändern von im Internet in Foren, Chats ▸ usw. auffindbaren Interpretationen, Zitaten … Wichtig ist, dass operationale Verfahren stark prozessorientiert genutzt werden, d. h. sie tragen nur zur Textanalyse und -interpretation bei, wenn die von den Schüler/ -innen selbst geschaffenen Produktionsanteile reflexiv und präzise an den Text zurückgebunden werden. Dies ist ein Aspekt, der auch in der Bewertung derartiger Schreibprozesse Berücksichtigung finden sollte (Kap. 4.9). Die Freude am Spiel mit der Sprache und an der Entdeckung der Sinnaktivtität des Textes sollte hierbei jedoch mit Blick auf die Lese- und Schreibmotivation, besonders in Erarbeitungsphasen, selbstverständlich nicht in den Hintergrund treten. Literatur zur Vertiefung M E R Z -G RÖT S C H , Jasmin (2010). Texte schreiben lernen. Grundlagen, Methoden, Unter‐ richtsvorschläge. Seelze: Klett/ Kallmeyer. L ÖS E N E R , Hans / S I E BAU E R , Ulrike (2014). hochform@lyrik. Konzepte und Ideen für einen erfahrungsorientierten Lyrikunterricht. Regensburg: edition vulpes. 4 Balladendidaktische Grundlagen 110 <?page no="111"?> 4.9 Textproduktives Schreiben zu Balladen Carolin Führer Nach Spinner (1993) sollte textproduktives Schreiben nach den Prin‐ zipien Irritation, Imagination und Expression organisiert werden. In Folge werden daher speziell für Balladen in Frage kommende Mög‐ lichkeiten der Umsetzung dieser Prinzipien vorgestellt. Textproduktive Verfahren umschließen mehr als andere Schreibzugänge kognitive, emotionale und imaginative Schreibprozesse. Nach dem Prinzip der Irritation (Spinner 1993) sollten Gelegenheiten für divergentes Denken geschaffen werden, hierfür bieten sich u. a. folgende Möglichkeiten an: ▸ Eine Fortsetzung schreiben: Eine Ballade wird nur bis zu einer be‐ ▸ stimmten Stelle vorgelegt oder als Hörbuch gehört, die Schüler/ -innen antizipieren dann mögliche Fortsetzungen. Um sich auf die Hand‐ lungsstruktur zu fokussieren, könnte man z. B. den Text zu Schillers „Der Handschuh“ nach der Aufforderung der Dame weiterschreiben lassen oder einen alternativen Schluss ab der Zeile „Kann sein“ in Meckels „Stein“ formulieren lassen. ▸ Stilistisch verändern: Die Übertragung älterer Balladen in Leichte ▸ Sprache kann je nach Vorgaben bezüglich der Nähe zum Original auch ein operatives Verfahren sein (vgl. Balladen in leichter Sprache, Kap. 5.4). ▸ Nach dem Muster einer Ballade einen neuen Text schreiben: z. B. ▸ kann mit Balladenelementen aus Kästners „Kurzgefaßter Lebenslauf “ und Blumentopfs „Max Mustermann“ gespielt und eine eigene Balla‐ denvariation verfasst werden. Ein inhaltliches Neuverfassen kann hier meinen, die Gesamtaussage vom (spieß-)bürgerlichen Lebenslauf aufzugreifen. Eine stilistisch andere Variante (z. B. lakonischer Stil Kästners abändern oder imitieren) kann die Lernenden für sprachliche und strukturelle Besonderheiten sensibilisieren. ▸ In andere Textsorte umschreiben: Es bietet sich v. a. bei Balladen aus ▸ der Themeneinheit Gesellschafts- und Sozialkritik an, diese in eine/ n Zeitungsreportage oder einen -bericht umzuwandeln. 4.9 Textproduktives Schreiben zu Balladen 111 <?page no="112"?> ▸ In andere Zeit setzen: „Die Füße im Feuer“ könnte in eine heutige ▸ Situation übertragen werden oder zunächst nur daraufhin umgedeu‐ tet werden, wie die Schüler/ -innen selbst in der Situation des Gastge‐ bers handeln würden. Der „Herr von Ribbeck“ bzw. die Bedeutung des Birnbaums soll übertragen werden in heutige Umstände usw., indem ein anderes Symbol gewählt wird etc. Solche Umschreibungen von Balladen sind v. a. sinnvoll, um Schüler/ -innen für den Kontrast zwi‐ schen Ballade und ihrer eigenen Erfahrungswelt zu sensiblisieren und die (historische) Alterität zu überbrücken. Es geht in diesen o. g. kreativen Verfahren v. a. um die Vermittlung zwischen Kreativität und bekannten Textmustern, unerheblich ist hierbei, ob hier ein analoges oder digitales Schreiben erfolgt. Hinsichtlich der Überprüfung der Referenzialität (Bezug zum Originaltext) ist die Nutzung von Schreibpro‐ grammen wie word sicher sogar schreibförderlich, da Varianten leichter überarbeitet/ ausprobiert werden können und zudem u. a. Rechtschreib- und Formulierungshilfen (Thesaurus etc.) in das Repertoire der Schreibstrate‐ gien integriert werden. Darüber hinaus kann mit operativen Verfahren das Prinzip der Expression als Ausdruck des individuellen Selbst oder als Teilkompetenz im Rahmen literarischer Geselligkeit gestärkt werden: ▸ Figuren in Ich-Form vorstellen: Schüler/ -innen erstellen eine Rol‐ ▸ lenbiografie (vgl. Unterrichtshilfe „Rollenbiographie schreiben“) zu Hauptfiguren in „Holger, die Waldfee“, „John Maynard“ oder Bruder/ Schwesterfigur aus „Mörder Ratzek weißer Mond“. ▸ Zu einem oder mehreren (selbstgewählten) Schlüsselwörtern/ ▸ Dingsymbolen aus einer Ballade einen eigenen Text schreiben: Bie‐ tet sich für die Titel aus den Themensequenzen Schicksal und Selbst‐ bestimmung (Kap. 5.3) besonders an, ebenso für Freundschaft und Liebe (Kap. 5.1). Als drittes Prinzip kreativen Schreibens nennt Spinner die Imagination, diese kann durch folgende Aufgabenformate besonders gefördert werden: ▸ Interviews mit Figuren verfassen, z. B. Interview mit der Dame aus ▸ „Der Handschuh“, „Mörder Ratzek“ usw. ▸ Tagebucheinträge sowie Briefe von und an Figuren schreiben: Mit ▸ dem identifizierenden Schreiben zu „Felix Fliegenbeil“, „Der Hand‐ 4 Balladendidaktische Grundlagen 112 <?page no="113"?> schuh“, „Die Bürgschaft“ etc. können Handlungen aus (verschiede‐ nen) Figurenperspektiven reflektiert werden (im Hinblick auf die ge‐ nannten Balladen mit aufsteigendem Anspruch). ▸ Träume von Figuren erfinden: Was träumt der Knecht des Königs ▸ aus „Die Füße im Feuer“ in der Nacht seiner Beherbergung? Wichtig ist es hier, Figuren auszuwählen, deren Gefühlswelt im Text implizit oder explizit literarisch gestaltet werden, bei der Auswahl geeigneter Fragen sind die Lernenden im Idealfall einzubeziehen. Der Austausch über die verfassten Träume kann unterschiedliche Interpretationsa‐ spekte zur Sprache bringen sowie ggf. einen Beitrag zum symboli‐ schen oder metaphorischen Verstehen leisten. ▸ Textstellen (oder Ballade) in die Perspektive einer Figur oder eines ▸ Gegenstandes umschreiben: In der Grundschule ist es für Kinder mitunter spannend, die Perspektive eines Gegenstandes einzuneh‐ men. So kann beispielsweise die Ballade vom „Zauberlehrling“ auch als kurze Erzählung, Haiku o. ä. aus Sicht des Besens gestaltet werden, weil dann Gefühle zunächst ausgespart werden können. Perspekti‐ venwechsel bzw. perspektivisches Erzählen ist an sich jedoch sehr anspruchsvoll, geeignet sind dafür u. a. Liebesballaden wie „Metony‐ mie, wir“ und „Die Beiden“. ▸ In der Ballade nur angedeutete Handlungen erweitern: Die Ballade ▸ „Das Treppenhaus“ von Enzensberger lädt zur Ausweitung ein, da sie in der Handlungslogik viele Leerstellen hat. Neben den ausgewählten Beispielen können im Rahmen textproduktiver Verfahren nicht nur „literarische“ Textformen, sondern auch pragmatische Texte zu Balladen gestaltet werden: Ein Lexikon-/ Wikipedia-Eintrag oder Essay zu Motiven, Handlungen und Figuren einer Ballade, eine Rezension, ein Informationsplakat/ Website zur Rezeption des Textes oder zur literatur‐ geschichtlichen Einbettung (vgl. Kap. 4.6 Balladen in neuen medialen For‐ maten). Beispiel für ein Webquest im Internet: Balladen - ein Forscherheft. http: / / www.webquests.ch/ balladensek1.html? page=99392 (08.02.2019). Mit den Techniken der kreativen Gestaltung literarischer Texte ist immer auch eine schreibende Aneignung von Gattungen und Formen, Genres und Stilen verbunden (vgl. Abraham 1994): Schreiben „nach“ einem oder wie ein 4.9 Textproduktives Schreiben zu Balladen 113 <?page no="114"?> Autor, die Verkürzung einer Ballade unter Beibehaltung von Form und Stil sowie Erprobung verschiedener Erzählhaltungen und -formen etc. Wichtig ist es hier, schreibdidaktisch auch die Planung und Überarbeitung eines sol‐ chen Textes ausreichend einzubeziehen und genau zu reflektieren, sonst kommt es schnell zur Situation, dass die kreativen Spontanäußerungen der Schüler/ -innen als nicht mehr verbesserungswürdig erscheinen. Ein Zu‐ wachs an produktiver Schreibkompetenz ergibt sich aber v. a. im Erproben und Durchdenken von Varianten. Hat man sich dazu entschieden, kreatives Schreiben auch in Bewertungs- und Benotungsprozesse einzubeziehen, so kann man hier in drei Dimensio‐ nen denken: Prozess, Produkt und Funktion. Berücksichtigen könnte man in Hinblick auf das kreative Schreiben zu Balladen die folgenden Aspekte: ▸ Adäquatheit: Bezug zum Ausgangstext (je nach Schreibaufgabe oder ▸ Entscheidung des Schreibers inhaltlich, stilistisch, formal) ▸ Kohärenz ▸▸ Ideenreichtum ▸▸ Sprachrichtigkeit ▸▸ Inhaltliches und stilistisches Wagnis (denen in kreativen Texten eine ▸ größere Bedeutung zukommt) ▸ Form-Inhalt-Relation ▸ Alle weiteren Aspekte sind produkt-, prozess- oder funktionsbzw. kon‐ textspezifisch. Ein Beispiel für einen konkreten Bewertungsbogen findet sich in den Unterrichtshilfen (vgl. Methodenhilfe „Kriterien zur Beurtei‐ lung“), ohne den Gang des vorherigen Unterrichts zu berücksichtigen ist die Funktionalität dieser Kriterien jedoch nicht voll gewährleistet. Literatur zur Vertiefung B ÖTT C H E R , Ingrid (Hrsg.) (2010). Kreatives Schreiben: Grundlagen und Methoden - Beispiele für alle Fächer und Projekte - Ab Jahrgangsstufe 2 (= Lehrerbücherei Grundschule). Berlin: Cornelsen. G AN S , Michael / P FÄF F LIN , Sabine / S C HMIDT , Thomas (2018). Lyrik verstehen - ver‐ fassen - vermitteln. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. R ITT E R , Michael / K O HL , Eva-Maria (2010). Schreibszenarien. Wege zum kreativen Schreiben in der Grundschule. Seelze: Klett/ Kallmeyer. S P INN E R , Kaspar H. (2001). Kreativer Deutschunterricht: Identität - Imagination - Ko‐ gnition (Sprechen und Zuhören). Seelze: Klett/ Kallmeyer. 4 Balladendidaktische Grundlagen 114 <?page no="115"?> Sprechen und Zuhören <?page no="117"?> 4.10 Balladen vorlesen und vortragen Juliane Dube Anders als in den meisten epischen Texten können bei Balladen die formale und semantische Gestaltung des Textes nicht voneinander getrennt betrachtet werden. In Anlehnung an Kliewer und Kliewer (2002) sind Balladen folglich wie Partituren in der Musik, die gespielt werden wollen. Demnach gilt: Balladen müssen gesprochen werden, denn erst das gestaltende Vorlesen für andere, aber auch ganz allein erzeugt die Sinneserfahrung und verleiht ihr jenen unverwechselba‐ ren Charakter (vgl. Lösener 2016). Ausgelöst durch die Abwendung von werkimmanenten Sprechfassungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts hin zu einem mehrdeutigen Vortragsstil sowie nicht zuletzt durch die wachsenden empirischen Forschungstätigkeiten in diesem Bereich gilt das Vorlesen inzwischen in unterschiedlichen Kooperationsfor‐ men stufenübergreifend wieder als besonders wirksames Leseförder‐ instrument Balladen eignen sich aufgrund ihrer Erzählstruktur sowie der Ver‐ wendung von klanglichen und rhythmischen Stilmitteln besonders gut zum Vorlesen. Methodische Settings im Bereich des lauten Vorlesens, des deutenden Vorlesens bis hin zum szenischen Vortragen (vgl. Baurmann/ Menzel 2006) können Aspekte des Verstehensprozesses im Kontext eines „dialogischen Modells Ästhetischer Kommu‐ nikation“ (Lämke 2004: 183), in dem sowohl die Sprecherals auch Hörerrolle bei der Reproduktion literarischer Texte berücksichtigt wird, in vielfältiger Weise unterstützen. Volkstümliche und klassische Balladen waren ebenso wie ihre neuzeitlichen Nachfahren, die Zeitungslieder und Moritaten des 20. Jahrhunderts sowie die story poems des 21. Jahrhunderts, für den mündlichen Vortrag bestimmt. Sie sind damit Gegenstand einer eigenständigen ästhetischen Vortrags‐ kunst. Dem ästhetischen und heuristischen Potenzial der Kulturtechnik des lauten Vortragens im Sinne eines „reproduzierenden Sprechdenkens“ (Geiss‐ ner 1986) wird jedoch oftmals zu wenig Beachtung geschenkt. 4.10 Balladen vorlesen und vortragen 117 <?page no="118"?> In Anlehnung an Baurmann und Menzel (2006) sind drei Schwerpunkte nach Form und Funktion beim Vortragen von Texten beschreibbar: Das laute Lesen, das deutende Vorlesen und das szenische Vortragen. Für alle drei gelten dabei folgende Grundannahmen: ▸ Es gibt nicht die richtige Sprechfassung. Jede Reproduktion ist auch ▸ wieder produktiv. ▸ Die Vortragstexte müssen verstanden sein, damit werkgerechte ▸ Sprechfassungen entstehen können (vgl. Lämke 2004). ▸ Das Vortragen ist ein „dialogischer Prozess“ (Ockel 2004: 85), in dem ▸ sich der Sprecher bzw. die Sprecherin mit dem Hörer bzw. die Hörerin über den Text verständigen will. Folglich gilt es, die Wirkung des Vortrags auf die Hörenden bereits bei der Erarbeitung einer Sprech‐ fassung zu berücksichtigen. ▸ Aufgabenformate zur Textdeutung sollten stets an die Erfahrungswelt ▸ der Lernenden anschließen. ▸ Die Textvorlagen sind stets im literarischen Gespräch zu erschließen ▸ bzw. in Gespräche einzubinden. ▸ Das Vortragen von Lyrik benötigt besondere Räume zum Vorlesen ▸ sowie Wertschätzung für die Vortragenden. Lautes Lesen Wie eine Vielzahl von nationalen Untersuchungen inzwischen belegt, be‐ nötigt eine Reihe von Schüler/ -innen beim lauten Lesen intensive Unter‐ stützung über die Grundschulzeit hinaus. Zur Förderung der Fähigkeit, einen Text gut artikuliert und in einem angemessenen Lesetempo vorzulesen, stel‐ len Ockel (2000) aber auch Rosebrock und Nix (2011) eine Reihe von (empi‐ risch) reflektierten Förderverfahren vor. Neben der Schulung basaler tech‐ nischer Lesefertigkeiten sollten die Lernenden auch vielseitige Möglichkeiten erhalten, Lese- und Hörkompetenzen zu verbinden, z. B. indem sie die Wirkung der eigenen Sprechgestaltung reflektieren (vgl. Lösener 2015). Beginnend beim Flüsterlesen (vgl. Lösener/ Rathmer 2012) einzelner Text‐ stellen zur Intensivierung des Leseaktes könnten einfache Vorlesetechniken anschließend anhand literarischer Klein(st)formen oder anhand von Sacht‐ exten mit einem möglichst wenig redundanten Sprachstil, ggf. auch unter Verwendung von fachsprachlichen Elementen, eingeübt werden. Aufgrund ihrer narrativen Struktur sind Balladen deutlich leichter vorzutragen als 4 Balladendidaktische Grundlagen 118 <?page no="119"?> klassische Gedichte. Die Arbeit mit ihnen eignet sich daher in besonderem Maße dazu, die Lernenden für die Prosodie zu sensibilisieren, also für die Gestaltung und Gliederung des Vortrages nach sprachlich-artikulatorischen Erscheinungen wie Betonung, Lautstärke, Sprechtempo und Pausen. Deutendes Vorlesen Jene Sprechfassungen, die im Rahmen von Lesenächten und Flurlese-Ak‐ tionen erprobt werden können, bedürfen zumeist mehr als eines distanzier‐ ten Vortrags. Vielmehr geht ihnen eine intensive Beschäftigung mit dem Text voraus, die nach Neuber (2011) u. a. folgendes berücksichtigen sollte: ▸ die situativen Gegebenheiten, ▸▸ die Kontextbedingungen des Textes, ▸▸ die Hauptaussagen, ▸▸ die sprachliche Ausgestaltung des Textes (insbesondere der sprachli‐ ▸ chen Leerstellen), ▸ die emotionalen und motivationalen Gehalte beim „Ersprechen“ des ▸ Textes. All jene Beobachtungen tragen dazu bei, dass der Sprecher eine Haltung gegenüber dem Text entwickelt, der „rhythmische, dynamische und metho‐ dische Aspekte“ verbindet (Ockel 2000: 19 ff.). Vortragsfassungen sind daher sowohl auf Seiten der Sprechenden als auch auf Seiten der Hörenden nie objektiv, sondern stets individuelle Interpretationen („Ästhetische Kom‐ munikation“). Textuelle Grundlagen für deutendes Vorlesen können vor allem polyvalente Texte bilden, zu denen in Partner- oder Kleingruppenar‐ beit eigene Lesepartituren angelegt und anhand von Life-Performances und Audioaufnahmen kritisch reflektiert werden (vgl. Lösener/ Siebauer 2014). Unterstützung bei der Erarbeitung einer Sprechfassung bietet die Kon‐ frontation mit besonders gelungenen Realisierungsvariationen. Diese soll‐ ten jedoch, um die Kreativität der Lernenden nicht einzuschränken, entwe‐ der nur in Auszügen vorgespielt oder für Texte präsentiert werden, für welche die Lernenden keine Sprechfassung erstellen sollen. Im Kontext eines inklusiven Balladenunterrichts kann das deutende Vor‐ lesen, aber auch das szenische Vortragen sowohl über die Auswahl der Texte (Länge, sprachliche Komplexität, Sprechweisen etc.), zusätzliche Hilfsmittel (vergrößertes Schriftbild, zusätzliche Bilder) und die Methoden der Darstel‐ lung variiert werden. Diese reichen von einer stummen, körpersprachlichen 4.10 Balladen vorlesen und vortragen 119 <?page no="120"?> Darstellung der Pantomime bis hin zum Einsatz neuer Medien (vgl. hierzu die Unterrichtsvorschläge in Kap. 5.2) Szenisches Vortragen Texte mit dramatischen Elementen in Form von Balladen eignen sich eben‐ falls gut, um über das deutende Vorlesen hinaus einen szenischen Vortrag vorzubereiten (vgl. hierzu die Unterrichtsvorschläge in Kap. 5.2). Wenn die Lernenden noch wenig Erfahrung mit dem szenischen Vortragen von Texten haben, kann es hilfreich sein, sich zunächst mit ihnen ein paar Beispiele anzusehen bzw. anzuhören. Mögliche Leitfragen zur Vorbereitung einer sze‐ nischen Lesung könnten sein: ▸ Wie setzt sich mein Publikum zusammen? (wer - wem? ) ▸▸ Welche Ballade möchte ich vortragen? (was? ) ▸▸ Welche spezifischen Ziele (z. B. Originalität, Kontrastbildung, Ver‐ ▸ fremdung etc.) möchte ich mit meiner Interpretation der Ballade bei den Hörenden erreichen? (warum? ) ▸ In welchem künstlerischen Kontext steht meine Balladen-Präsenta‐ ▸ tion und wie wird sich die zeitliche und räumliche Situation auf die Rezeption auswirken? (wo & wann? ) ▸ An welchen Stellen kann ich meinen Balladen-Vortrag durch Gestik, ▸ Mimik oder weitere Requisiten sowie weitere Medien (Geräusche, Musik, Bilder etc.) unterstützen? (wie? ) Der Rezitator Lutz Görner unterstützt in seiner Version des „Zauber‐ lehrlings“ seinen Balladenvortrag, indem er durch den Einsatz des Ru‐ fes eines Nachtvogels, von Glockenschlägen, Windgeräuschen und Türenquietschen in die unheimliche Atmosphäre der Hexenküche ein‐ führt (vgl. Lutz Görner 4: 14 Min.). Darüber hinaus wird auch die Sprechweise der Figuren durch Effekte unterstützt. So wird z. B. das gebieterische Sprechen des Zaubermeisters mit einem leichten Echo unterlegt. Vorlesen und Vortragen in unterschiedlichen Sozialformen Für das Ziel, möglichst vielen Schüler/ -innen den Sinn, die Freude und den Genuss am Vorlesen und Vortragen von Balladen zu vermitteln, für das der 4 Balladendidaktische Grundlagen 120 <?page no="121"?> Lehrende im besten Falle Vorbild ist, sollten sozial vielfältig gestaltbare Lehr-/ Lernsituationen umgesetzt werden. Im Erwerbskontext bietet sich in vielen Fällen zunächst ein Modelllernen an (der Lehrer/ die Lehrerin im Vor‐ lesegespräch, das Hörmedium, der lesestarke Partner/ die lautstarke Partne‐ rin im Lautlesetandem etc.), dessen Vorgehen auch metareflexiv besprochen werden kann. Mit zunehmender Lese- und Sprechgestaltungskompetenz sowie Reflexionsfähigkeit kann anschließend über Partner- (Lesegespräche führen) und Gruppenarbeiten (szenische Gestaltungen, in verteilten Rollen lesen etc.) auch der Einzelvortrag eingeübt werden. Literatur zur Vertiefung D E HN , Mechthild / M E R K LIN G E R , Daniela (2015). Erzählen - vorlesen - zum Schmökern anregen (= Beiträge zur Reform der Grundschule, Bd. 139). Frankfurt a.M.: Grund‐ schulverband. L ÖS E N E R , Hans / S I E BAU E R , Ulrike (2014). hochform@lyrik. Konzepte und Ideen für einen erfahrungsorientierten Lyrikunterricht. Regensburg: vulpes. O C K E L , Eberhard (2000). Vorlesen als Aufgabe und Gegenstand des Deutschunter‐ richts. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. P AU L E , Gabriela (Hrsg.) (2015). „Vorlesen - Vortragen“, Deutschunterricht 6. B AU R MANN , Jürgen / M E NZ E L , Wolfgang (2006). „Vorlesen - Vortragen“. Basisartikel. Praxis Deutsch 199, 6-13. R O S E B R O C K , Cornelia / N IX , Daniel / R I E C KMANN , Carola / G O LD , Andreas (2011). Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe. Seelze: Klett/ Kallmeyer. S P INN E R , Kaspar H. (2000). Szenisches Vortragen von Gedichten. In: Ensberg, Claus et al. (Hrsg.) Deutschunterricht: Zugang zu den Lernenden finden. Braunschweig: Westermann, 101-111. 4.10 Balladen vorlesen und vortragen 121 <?page no="122"?> 4.11 Balladen auswendig lernen Juliane Dube Mit der Verankerung der freien ästhetischen Vortragskunst in den Bildungsstandards kehrt das einstige Interesse an dieser Lernform zu‐ rück in den Deutschunterricht. Jedoch stellt das Auswendiglernen von Gedichten, an dessen Ende nach anstrengender Arbeit der gekonnte und freie Vortrag steht, die Lernenden, unabhängig vom Alter, immer wieder vor Herausforderungen. Die zumeist negativen Erfahrungen mit dem Gedichtvortrag prägen die Einstellung zu Lyrik maßgeblich, sodass ein sinngebender Lyrikunterricht angestrebt werden sollte, in dem sich die Lernenden einen individuellen Zugang zu fremden Tex‐ ten erarbeiten, sich diese durch eine wertschätzende Vorlesepraxis aneignen und deren Wirkungen auf eine Zuhörerschaft erproben. „An viele Gedichte, die ich aus der Schule kenne, erinnere ich mich gerne, doch nicht an den ‚Herrn Ribbeck‘: auswendig gelernt, Note fünf dafür be‐ kommen.“ Um solche Schüler/ -innenaussagen wie in der Befragung von Beisbart (1993) zu vermeiden, bildet die freie Wahl aus einem Angebot an verschiedenen Texten den Ausgangspunkt für das Auswendiglernen einer Ballade (Kap. 4.1). Im fortführenden Umgang mit dieser löst sich der bzw. die Lernende durch den freien Vortrag von der schriftlichen Vorlage. Dabei befindet er sich in einem dauerhaften Reflexionsprozess, in dem die drei Größen: Sprechende/ er, Hörende/ er und Text in ein stimmiges Verhältnis gebracht werden müssen, um sich den Text zu Eigen zu machen. Damit die erarbeitete Ballade Gegenstand eines vertiefenden Wiederholens sein kann und nicht nur kurzfristig aufgrund der sinnlich körperlichen Erfahrung des freien Vortrags eine Bedeutung für die Lernenden erhält, empfiehlt Lösener (2007) das Erarbeiten eines kleinen individuellen Gedichtkanons. Dieser kann in verschiedenen Projektkontexten wieder hervorgeholt werden und so den Lernenden verdeutlichen, dass es nicht nur um das Auswendigler‐ nen, sondern auch um das Auswendigkönnen geht. Damit der freie Vortrag ausgewählter Texte in den entsprechenden Situationen auch gelingt, for‐ muliert Lösener (2007) zehn Bausteine für eine Didaktik des Auswendig‐ sprechens, in deren Rahmen positive Lerner/ -innenerfahrungen mit dem 4 Balladendidaktische Grundlagen 122 <?page no="123"?> Auswendiglernen von Texten gesammelt werden sollen. Die gesammelten Ideen lassen sich mit einer Reihe von Methoden verbinden, die sowohl vor, während als auch nach dem Lernprozess angewendet werden können. Vor dem Auswendiglernen Vor jedem Gedichtvortrag gilt es, die Situation des Vorsprechens zu antizi‐ pieren und gemeinsam Rahmenbedingungen zu gestalten. Hierfür müssen Zielsetzung(en) besprochen, Bewertungskriterien, die weniger zum per‐ fekten Vortrag als vielmehr zum „In-Besitz-Nehmen und Gestalten der Text‐ partitur“ (ebd.: 169) ein Feedback geben, abgestimmt und Verhaltensregeln ggf. auch Rituale für die Vortragspraxis erarbeitet werden. Ziel ist die Schaf‐ fung eines geschützten Rahmens, in dem die Heranwachsenden die Her‐ ausforderung des freien Vortragens freiwillig annehmen. In diesem Zusam‐ menhang ist es wichtig, dass die Schüler/ -innen erfahren, dass das mündliche Vortragen des Textes wichtiger als das bloße Auswendiglernen ist. Üben und Wiederholen des Textes können lediglich Etappen auf dem Weg zum freien Sprechen darstellen (vgl. Lösener/ Lösener 2008). Sobald die schriftsprachlichen Fähigkeiten dies zulassen, sollte der zu ler‐ nende Text, der aus einer Vielzahl ästhetischer Texte selbst ausgewählt wird, abgeschrieben und anschließend gestaltet werden. Die Praxis in der Primar‐ stufe zeigt, dass nach diesem Schritt viele Lernende ihren Text bereits gut beherrschen. Für stärker polyvalente Texte in der Sekundarstufe bietet es sich an, den Gedichtvortrag mit Sprechnotationen zu versehen. Während des Auswendiglernens Die wohl schwerste Arbeit folgt nach der Erarbeitung der Sprechfassung, das eigentliche Auswendiglernen. Hierzu bietet es sich an, auf kind- und jugendgerechte musikalische Umsetzungen von Balladen zurückzugreifen. Neben dem Projekt Rap macht Schule bietet auch das Programm von Junge Dichter und Denker eine Auswahl klassischer Balladen, welche die Lernen‐ den durch die rhythmische Gestaltung der Texte beim Auswendiglernen unterstützen. Fehlen musikalische Umsetzungen der Texte, können diese in fächerübergreifenden Projekten mit dem Musikunterricht erarbeiten wer‐ den. Stehen hierfür keine Ressourcen zur Verfügung, kann zudem auf sprachliche Fassungen oder den eigenen Vortrag zurückgegriffen werden, dessen abschnittsweise Erarbeitung ebenfalls medial unterstützt erfolgen 4.11 Balladen auswendig lernen 123 <?page no="124"?> kann. Hier wird der Text erst möglichst neutral vorgesprochen, anschlie‐ ßend soll er mithilfe des Textes allein in verschiedenen Versionen rezitiert werden, bevor in der dritten Phase ein gemeinsames Sprechen folgt. Im Internetportal Wortwuchs finden sich neben Informationen zu Literatur, Deutschunterricht und Germanistik auch Lernvideos zum Auswendiglernen von Balladen (http: / / wortwuchs.net/ zusammenfassu ngen/ der-erlkoenig-inhaltsangabe/ ). Nach dem Auswendiglernen Aufgrund der fehlenden Rückmeldungen durch die Hörenden beim Aus‐ wendiglernen mit Lernvideos empfiehlt es sich, den eigenen Vortrag an‐ schließend mit einem Partner/ einer Partnerin oder einem heute in allen Smartphones verfügbaren Diktiergerät aufzunehmen und anhand von Be‐ wertungskriterien (vgl. Unterrichtshilfe „Einen Balladenvortrag kriterien‐ orientiert reflektieren“) selbst zu überprüfen. Hierbei ist stets darauf zu ach‐ ten, dass die Lernenden ein Bewusstsein für den formativen Charakter eigener Sprechfassungen entwickeln, in denen Pausen-, Melodie- und Be‐ tonungszeichen immer wieder neu gesetzt werden können. Zudem ist zu überlegen, ob der Vortrag von besonders schwierigen Textstellen durch die Verwendung von Stichwortzetteln unterstützt werden darf oder ob ein vom Vortragenden bestimmter Mitschüler bzw. Mitschülerinnen die Rolle des Souffleurs übernehmen kann. Literatur zur Vertiefung F R ANZ , Kurt (2006). „Warum man Gedichte auswendig lernen soll“. In: Franz, Kurt / Hochholzer, Ruppert (Hrsg.) Lyrik im Deutschunterricht. Grundlagen - Methoden - Beispiele. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. G E I SS N E R , Hellmut (1982). Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. Königstein: Scriptor. H AHN , Ulla (2001). Gedichte fürs Gedächtnis zum Inwendig-Lernen und Auswen‐ dig-Sagen. 11. Aufl. Stuttgart: DVA. L ÖS E N E R , Annegret (2007). Gedichte sprechen. Ein didaktisches Konzept für alle Stu‐ fen. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. 4 Balladendidaktische Grundlagen 124 <?page no="125"?> Sprache und Sprachgebrauch untersuchen <?page no="127"?> 4.12 Balladen übersetzen Juliane Dube „Die gegenwärtige Lesewirklichkeit“, so konstatieren Abraham und Kepser (2008), „ist also dominiert von übersetzter Literatur - nicht, wie das der traditionelle Deutschunterricht immer noch fokussiert, von „einheimischer“ (ebd.: 6). Diese einsprachige Fokussierung ist nicht nur vor dem Hintergrund der zunehmenden kulturellen und sprachlichen Heterogenität in den Klassenzimmern bedauerlich, sondern auch aufgrund des ungenutzten Potenzials, welches das Lesen und Schreiben von Übersetzungen, auch im Kontext der Thematisie‐ rung von Balladen, für die Vermittlung literarischer Kompetenzen besitzt. Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Übersetzen von Texten als sehr schwierige Aufgabe gestaltet. Nicht selten gelingt sie nur, wenn sie von den Autor/ -innen selbst vorgenommen wird, denn „der sie übernimmt, muss nicht nur verfügen über die Sprache aus der, sondern auch über die Sprache, in die er übersetzen will“ (Enzensberger 2002: 781). Abraham und Kepser (2008) zitieren zu dieser Problemstellung den Übersetzer Holger Fock (2006): „Um einem Wort treu zu sein, bedarf es wenig, um einem Werk treu zu sein, muss der Übersetzer tausenderlei Dinge beachten: Grammatik, Stil, Ton, musikalische Eigenschaften der Sprache, Rhythmus (sowohl des Lautklangs wie der Bilder), Redewendungen, Sprichwörter, Metaphern, rhetorische Fi‐ guren“ (Fock 2006: o.S.). Sie verweisen damit zugleich auf die Bedeutung der Übersetzung als eigenständige literarische Leistung. Unabhängig davon, welche Übersetzungsvariante vorliegt, unterscheiden Abraham und Kepser (2008) folgende Übersetzungen voneinander: ▸ interlinguale Übersetzungen zwischen Sprachen (z. B. deutsch - eng‐ ▸ lisch) ▸ interlinguale historische Übersetzungen innerhalb einer Sprache (z. B. ▸ Althochdeutsch - Neuhochdeutsch) ▸ intralinguale varietätenspezifische Übersetzungen (alte Sprache - Ju‐ ▸ gendsprache) 4.12 Balladen übersetzen 127 <?page no="128"?> 1 Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.10.2002, online unter: https: / / www.perl entaucher.de/ buch/ federico-garcia-lorca/ zigeunerromanzen.html (27.07.2016). ▸ intersemiotische Übersetzungen (etwa die Adaption eines Textes in ei‐ ▸ nen Comic) Die größte Schwierigkeit bei Übersetzungen besteht darin, die sinnkonsti‐ tuierenden sprachlichen Stilmittel und ihre Wirkung auch im übersetzten Text zu berücksichtigen. Nicht selten geht dabei, insbesondere bei reim- und rhythmusgebundenen Texten in Übersetzungen ein Teil ihrer Wirkung ver‐ loren. Deshalb haben sich vor allem philologische Übersetzungen etabliert, in denen der übertragene Sinn den Kern der Übersetzung bildet. Überset‐ zungen wie von Paul Zech, die sich der Aufgabe verschreiben, den lautma‐ lerischen und rhythmischen Gehalt der Texte aufrechtzuerhalten, verstehen sich eher als Nachdichtungen mit eigenem Wert. Die Beschäftigung mit mehr und weniger gelungenen Übersetzungen stellt einen Teilaspekt lite‐ rarischer Bildung und Sprachreflexion dar, auch wenn diese nicht wortge‐ treu und nicht selten mit kulturellen und historischen Anpassungen verse‐ hen sind (vgl. Abraham/ Kepser 2008). Potenziale und Grenzen sollen deshalb im Folgenden für interlinguale und intralinguale Übersetzungen vorgestellt werden. Interlinguale Übersetzungen zwischen zwei Sprachen Welche große Herausforderung in der Übersetzung von derartigen lyrischen Texten liegt, zeigt einmal mehr die 2002 von Fritz Rudolf Fries verfasste Rezension zur deutschen Ausgabe der Werksausgabe von „Romance de la Guardia Civil espanola“ von Ferderico Garcia Lorca, in dessen Notiz es heißt: „Denn der Übersetzer habe das Original so sehr ‚entschlackt‘, dass es beinahe schon ‚als komische Reprise‘ vor einem Supermarkt angeboten werden könne. So man des Spanischen und des Originals kundig sei, habe man in vielen Passagen den Eindruck, dass hier ein Lektor durch Abwesenheit ge‐ glänzt habe […] und rät dem/ der Leser/ -in, sich aus dem Original und ver‐ schiedenen Übersetzungen selbst einen ‚Lorca für den Hausgebrauch‘ zu schneidern.“ 1 Beeinflusst von der deutschen Dichtung des Sturm und Drang, der Klassik und der Romantik sind mit der Zeit auch im russischen Sprachraum bedeu‐ tende Balladen, z. B. von Vasily Andreevich Zhukovsky (1783-1853) oder 4 Balladendidaktische Grundlagen 128 <?page no="129"?> Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799-1837) entstanden. Aus Russland stammt zudem der wohl berühmteste Streit zu Balladenübersetzungen, der als „Leonorenstreit“ (Aden 2000: 159) in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Streitpunkt dieser Auseinandersetzung zwischen klassizistisch und ro‐ mantisch orientierten russischen Literaten war die Übersetzung zu Bürgers „Leonore“, die 1808 von Wassili Andrejewitsch Shukowski (1783-1852) un‐ ter dem Namen „Ludmilla“ ins Russische übertragen wurde und dessen er‐ habene und stark poetische Sprache jüngeren Dichtern wie P. A. Kantenin (1792-1853) missfiel. Kantenin legt daraufhin ebenfalls eine Übersetzung unter dem Namen „Olga“ vor, die mit einer einfachen poetischen Sprache auskam (vgl. ebd.) und damit die russische Balladendichtung der anschlie‐ ßenden Zeit stark prägte. Bisher spielen im Deutschunterricht jedoch sowohl die Öffnung gegen‐ über mehrsprachigen Lyrikvorträgen als auch der Vergleich verschiedener Übersetzungen eines Gedichtes kaum eine Rolle (z.T. übertragbare Anre‐ gungen für die Primar- und Sekundarstufe im Bereich Kinder- und Jugend‐ literatur bieten Weinkauff/ Josting 2013). Obwohl die Balladendichtung in Europa zahlreiche Dichter zur Nachahmung und Weiterentwicklung ange‐ regt hat, gibt es derzeit kaum gute Übersetzungen, die, beim Ausbleiben entsprechender Fremdsprachenkenntnisse, neben dem Original im Deutsch‐ unterricht zum Einsatz kommen könnten. Als geeignet erscheinen die fran‐ zösischen Balladen des Villon, die vor allem durch die Sprechplatten von Klaus Kinski im deutschen Sprachraum Berühmtheit erlangt haben. Eben‐ falls zu nennen sind hier die Übersetzungen von Enrique Beck zu den Wer‐ ken des Spaniers Federico G. Lorca sowie die Übersetzungen zu den Texten des Franzosen Rimbaud durch Paul Zech, dessen dichterische Übersetzun‐ gen jedoch eher einer Nachdichtung entsprechen. Neben der simultanen Arbeit mit Original und Übersetzung bietet es sich jedoch auch an, fremd‐ sprachig verfasste Balladen zum Gegenstand eigener Übersetzungsversuche seitens der Lernenden zu machen (vgl. didaktische Anregungen von Abra‐ ham/ Kepser 2008). Hierbei sollte sich eine „natürliche Art des textnahen Lesens“ (Paefgen 1998: 14) einstellen, etwa wenn Textstellen zur Rechtfer‐ tigung der Übersetzungsleistung herangezogen werden. Interlinguale Übersetzungen innerhalb einer Sprache Aufgrund ihrer in knapper und konzentrierter Form dargestellten Handlung sowie ihrer vergleichsweise geringeren sprachlichen Komplexität bieten 4.12 Balladen übersetzen 129 <?page no="130"?> Balladen gute Anknüpfungspunkte für das gemeinsame Lernen in sprach‐ lich heterogenen Klassengemeinschaften. Im Zuge interlingualer Überset‐ zungsversuche von Balladen innerhalb einer Sprache, z. B. von Bildungs‐ sprache in Leichte Sprache (vgl. Unterrichtsvorschlag zu Fontanes „Brückʼ am Tay“ in Kap. 5.4.2) ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text erforderlich: Während des Übersetzungsprozesses stehen hier vor allem die Fragen zur Art (wie? ) und zur Begründung der Übersetzung (warum? ) im Mittelpunkt der Unterrichtssituation. Während sich die Übersetzung von Texten in Leichte Sprache durch den Einsatz von Synonym-Wörterbüchern und praktischen Orientierungshilfen (vgl. Maaß 2015, Bredel/ Maß 2016) (vgl. Unterrichtshilfe „Checkliste Leichte Sprache“) zunehmend einfacher gestal‐ tet, bekommt die Frage nach den Formen einer passenden Textbearbeitung, insbesondere im Umgang mit polyvalenten Texten bzw. Texten mit vielen Leerstellen, einen besonderen Stellenwert. Um in Diskussionen bestehen zu können, muss eine intensive Reflexion der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung des Textes - stets gerichtet auf die adressierte Zielgruppe - er‐ folgen. Erfahrungen im Zuge der Arbeit mit Studierenden an der Techni‐ schen Universität Dortmund, der Ruhr-Universität-Bochum sowie der Uni‐ versität zu Köln zeigen, dass Textverstehensprozesse sowohl in der anfänglichen Einzelarbeit als auch in der vergleichenden Gruppenarbeit durch das Übersetzen der Texte in Leichte Sprache deutlich intensiviert werden. Übersetzungen, unabhängig von ihrer Ausgestaltung, führen also nicht vom Deutschunterricht weg, sondern sind wertvolle Hilfen, um Inter‐ pretationshypothesen zu finden und vom behauptenden zum erklärenden und erörternden Interpretieren zu gelangen (vgl. Anders 2013). Literatur zur Vertiefung A B R AHAM , Ulf / K E P S E R , Matthis (2008). „Übersetzungen lesen und schreiben“. Ba‐ sisartikel. Praxis Deutsch 212, 6-13. H ÄU P TL E -B A R C E LÓ , Marianne / W IL L E R I C H -T O C HA , Margarete (2008). „‚Love That Dog‘ oder ‚Der beste Hund der Welt‘? Möglichkeiten und Grenzen von Überset‐ zungen ausloten“. Praxis Deutsch 212, 20-28. W E INKAU F F , Gina / J O S TIN G , Petra (2013). Literatur aus zweiter Hand: Anregungen zum Umgang mit Übersetzungen im Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. 4 Balladendidaktische Grundlagen 130 <?page no="131"?> 4.13 Sprache in Balladen reflektieren Carolin Führer Balladen zum Ausgangspunkt eines Nachdenkens über Sprache zu machen, stellt nicht nur im Hinblick auf historische Balladen eine herausfordernde Lernaufgabe dar, sondern auch mit Blick auf einen sprachaufmerksamen Unterricht in einer heterogenen Klassensitua‐ tion. In der Perspektive des mehrsprachigen Literaturunterrichts kön‐ nen Schüler/ -innen für die Nutzung verschiedener Varietäten sowie Merkmale und Funktionen konzeptioneller Schriftlichkeit und Münd‐ lichkeit sensibilisiert werden. Angesichts der Lernpotentiale - z. B. auch eines Vergleichs von Wortschatz, sprachlichen Strukturen und Gebrauchskontexten - sollte eine Instrumentalisierung für Sprach‐ lernzwecke dennoch vermieden werden. Historischer Sprachwandel in Balladen Sprachen unterliegen einem Wandel, der von den Sprechern und Spreche‐ rinnen initiiert und beobachtet wird - z.T. ergeben sich durch die Sprecher und Schreiber Innovationen, die sich dann in der sozialen und medialen Praxis erweisen müssen. Im Umgang mit historischen Balladen ist festzu‐ stellen, dass die Lerner/ -innen mit der „veralteten Sprache“ häufig Schwie‐ rigkeiten haben; diese bestehen jedoch nicht zwangsläufig in den für Lite‐ raturunterricht konstitutiven Problemen eines mangelnden Umgangs mit poetischer Sprache oder der ausgebauten konzeptionellen Schriftsprach‐ lichkeit. Denn im Gegensatz zu Lyrik zeichnen sich Balladen oft durch eine starke Dialogizität aus, die einen Zugang erleichtert, wenn auf vertraute Strukturen aus der konzeptionellen Mündlichkeit zurückgegriffen wird. Im „Totentanz“ und „Erlkönig“ von Goethe finden sich beispielsweise (im Ver‐ gleich zu seinen epischen Texten) einfache Satzstrukturen, Verknüpfungs‐ mittel und Wortbildungsmuster. Sprachliche Herausforderungen ergeben sich hier oft auf der semantischen Ebene. Lerner/ -innen stolpern über lexi‐ kalische Wendungen, die einen historischen Wandel durchlaufen haben: „gebeut“ in Goethes Totentanz (vgl. Unterrichtshilfe „Historischen Sprach‐ gebrauch übertragen“) als ältere Verb-(Kurz-)Form zu nhd. ‚geboten‘, ‚ge‐ 4.13 Sprache in Balladen reflektieren 131 <?page no="132"?> beten‘, ‚gebieten‘ kann möglicherweise nicht mehr aus dem Kontext er‐ schlossen werden: Und weil nun die Scham hier nun nicht weiter gebeut, Sie schütteln sich alle: da liegen zerstreut Die Hemdlein über den Hügeln. Die Toten legen alle Scham ab und tragen keine Totenhemden mehr. In die‐ sem Falle erfordert das Verstehen im Sinne einer Herleitung des Wandels strenggenommen Kenntnisse über die Entwicklung von Flexionsformen vom Althochdeutschen über das Mittelhochdeutsche bis ins Neuhochdeut‐ sche, was sicherlich den Rahmen des Unterrichts sprengen muss. Das mhd. ‚bieten‘ wird im Neuhochdeutschen normalerweise zu / i / monophtongiert, die Nebenform / eu/ ist von Goethe möglicherweise als bewusster Archais‐ mus eingesetzt worden. Diese Form erinnert an lutherische Formen wie kreucht und fleucht (nhd. ‚kriechen‘, ‚fliegen‘). „Ergetzen“ (Strophe 2, Vers 1) wird den Lernenden als ‚sich erfreuen‘, ‚genießen‘ ebenfalls nicht sofort geläufig sein, auch hier kann der Griff zum Wörterbuch ggf. in die Irre führen - denn selbst wenn die Rundung zum ö seitens der Lernenden erfolgt, sind lexikalische Engführungen mit dem Götzen (falscher Gott) hier irreführend. Weitere Beispiele des „Totentanz“ zeigen darüber hinaus, dass die fehlende Vertrautheit mit den pragmatischen (historischen) Verwendungskontexten, genauer das (fehlende) kulturelle Wissen hier oftmals sprachliches und li‐ terarisches (Un-)Verstehen zusammenfallen lässt: Welche Aufgaben hatte ein Türmer? Wie sah sein Arbeitsumfeld aus? Welche soziale Stellung hatte er, welche gesellschaftliche Funktion kam ihm zu? Wörter transportieren auch Vorstellungen der Kulturgeschichte: Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht, Da gilt auch kein langes Besinnen, Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht Und klettert von Zinnen zu Zinnen. Nun ist’s um den armen, den Türmer getan! Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan, Langbeinigen Spinnen vergleichbar. Eine einfache „Übersetzung“ oder eine Wortannotation von „Zierat, Zinnen, Schnörkel“ in der Textpräsentation als Sprachentlastung griffe hier zu kurz, um die umfassenden Wissensbestände zur gotischen Architektur, die in der Ballade zum Türmer weiterhin wirksam werden, zu fassen. Diese inhaltliche 4 Balladendidaktische Grundlagen 132 <?page no="133"?> Alterität wird im „Türmer“ noch zusätzlich durch Lautmalereien, Metapho‐ rik und Goethes Spiel mit älteren Sprachstufen verstärkt. Auch im „Erlkönig“ finden sich Verstehensherausforderungen aufgrund von Veränderungen in der Gebrauchssemantik: Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein. In der Strophe wird dem Knaben versprochen, dass die Töchter sich um ihn kümmern und mit ihm tanzen. Dass die Schüler/ -innen dies nicht gleich verstehen, liegt mitunter in der Unkenntnis der (zunehmend) historischen Semantik von „warten“ und „nächtlichen Reihn“ begründet. Dieser internen Sprachreflexion kann eine Metareflexion zu Sprach‐ wandlungsprozessen zur Seite gestellt werden, die öffentlichen Polemiken eines Sprachverfalls aus der konkreten historischen Sprachreflexion begeg‐ net. Das Thema ist in den Bildungsplänen von der Primarstufe bis zur Se‐ kundarstufe vorgesehen. In vielen Kernlehrplänen ist es auch in der Ober‐ stufe fest verankert, im Umgang mit Literatur und Medien bildet oft die Sprachkrise um 1900 den Ausgangspunkt (Hugo von Hofmannsthals „Chan‐ dos-Brief “). Zudem ist Sprachwandel immer wieder in den Abiturklausuren bzw. der Standardüberprüfung Thema gewesen, in NRW rekurrierten seit 2010 beispielsweise 6 von 32 Aufgaben darauf. Tophinke betont im Praxis Deutsch-Heft „Sprachwandel“, dass Schüler/ -innen erkennen sollen, dass ein Wandel der Sprache nicht mit deren Verfall einhergeht, sondern dass auch kodifizierte Normen sich wandeln. So ist es hier besonders wichtig, zu er‐ arbeiten, dass in unterschiedlichen sprachlich-sozialen Situationen unter‐ schiedliche Normen existieren. Im Sinne des entdeckenden Lernens könnte man die Autorennamen (und damit die zeitliche Verortung) zu den im Band präsentierten Totentanzballaden zunächst weglassen und den Schüler/ -in‐ nen folgende Aufgabe stellen: Die vorliegenden Balladen stammen aus verschiedenen Zeiten. Markieren Sie, welche Merkmale bezüglich der Verwendung der deutschen Sprache Ihnen auf‐ fallen, auch im Vergleich zueinander. Die Besonderheiten können dabei den fol‐ genden Kategorien zugeordnet sein: ▸ Orthographie ▸▸ Bedeutung von Wörtern ▸ 4.13 Sprache in Balladen reflektieren 133 <?page no="134"?> ▸ Satzbau / Wortstellung ▸▸ Fremdwörter ▸▸ Umgangssprache ▸ Legen Sie eine Reihenfolge gestuft nach dem Alter der Texte fest und begründen Sie diese anhand der Kategorien. Die unvoreingenommene Erkundung der Wandelprozesse im Totentanz von Goethe, Rilke und Kling könnte bereits vor der interpretatorischen Erschlie‐ ßung verdeutlichen, dass vereinfachte Aussagen zu einem Verfall der Spra‐ che der Vielschichtigkeit sprachlicher Entwicklungen und der Bedeutung von Varietäten zur Markierung gesellschaftlicher Zusammenhänge nicht gerecht werden und der Bezug der darin enthaltenen Wertung völlig unklar ist. Nicht nur der Sprachvergleich auch die einzelne Betrachtung moderner Balladen lädt zur Reflexion über Sprache ein, besonders geeignet sind hier u. a. die Slams über Redensarten von Lars Ruppel. Die im Band präsentierte Ballade „Holger, die Waldfee“ ist dabei sowohl auf der inhaltlichen Ebene (Welche Funktionen haben Redensarten im Sprachgebrauch? usw.) als auch hinsichtlich der sprachlichen Realisierung (Vielzahl an Neologismen u. a. im Bereich der Komposita, Metaphorisierungen im Text) didaktisch ergiebig. Produktiver und reflexiver Sprachvergleich zu Balladen Das operative Schreiben zu Balladen (vgl. Kap. 4.4) sollte immer auch mit einer sprachlichen Reflexion einhergehen, dabei können Vergleiche in Hin‐ blick auf historische, mediale und pragmatische Verwendungszusammen‐ hänge angestellt werden. Häufig sind kreative Unterrichtsvorschläge im Umgang mit Balladen zu‐ nächst darauf ausgerichtet, historische Texte medial und/ oder sprachlich zu modernisieren, sei es durch Umwandlung in ein modernes, zeitgemäßeres Genre (Rocklied, Rap …) oder eine Adaption in ein anderes Medium (vgl. Unterrichtshilfe „Ein Hörspielskript erstellen“, „Einen Balladentrailer er‐ stellen“). Diese produktiven Aneignungen sollten unbedingt auch genutzt werden um Sprach- und Medienreflexionen zu ermöglichen, d. h. die Pro‐ duktion sollte zum Ausgangstext ins Verhältnis gesetzt werden. Schüler/ -in‐ nen können im Rahmen dessen ihre eigene Transformation begründen. Die Funktionen der Sprache könnten zunächst zu einzelnen Teilaspekten in den 4 Balladendidaktische Grundlagen 134 <?page no="135"?> Blick genommen werden, um undifferenzierte Aussagen („so ist es ver‐ ständlicher, einfacher“ etc.) zu vermeiden: ▸ An welchen Stellen wurden Wörter bzw. Wortgruppen gestrichen ▸ oder deren Bedeutung veändert? ▸ Weshalb wurden zusätzliche Wörter eingefügt? ▸▸ Wie verändern sich Wortgruppen und Satzgefüge? ▸▸ Wie verändern sich damit die Aussagen des Textes? ▸ Die produktive Adaption und Reflexion kann sich neben der historischen und medialen Perspektive aber auch auf regionale oder soziale Sprachver‐ wendungszusammenhänge beziehen. Ein schönes Beispiel hierfür ist Tho‐ mas Braschs „Mörder Ratzek weißer Mond“ (Kopiervorlage 23), zu der man den Schüler/ -innen folgende Aufgaben zur Sprachreflexion stellen könnte: 1. Markieren Sie zur Ballade „Mörder Ratzek weißer Mond“ sprachliche 1. Auffälligkeiten/ Besonderheiten, die nicht dem ‚Standarddeutsch‘ ent‐ sprechen. 2. Ordnen Sie Ihre Beobachtungen den Kategorien „Umgangssprache“ 2. „Mündlichkeit“ und „Regiolekt“ (Regionalsprache) und „Soziolekt“ zu und erläutern sie ggf. auch Mehrfachbesetzungen. 3. Definieren Sie anhand ihrer Zuordnungen, was sie darunter verstehen 3. würden und welche Aufgaben diesen unterschiedlichen „Sprachen“ im Alltag zukommen. 4. Setzen Sie anstelle der Auffälligkeiten andere Beispiele in den Balla‐ 4. dentext ein und überlegen Sie, wie sich der Sinn der Ballade dadurch verändert. Es ist darüber hinaus auch möglich, bereits vorliegende mediale Adaptio‐ nen (Kurzfilme, Hörspiele, Lieder, Bilderbücher, Comics etc.) in den Blick zu nehmen und auf ihre jeweils spezifischen sprachlichen Leistungen und Potentiale hin zu untersuchen. Besonders vielversprechend sind hier Höra‐ daptionen: Welche Wirkungen erzeugen die sprachlichen Veränderungen in einer musikalischen Umsetzung? Dies kann mit umfassenden Neuinterpre‐ tationen (z. B. in „Rap trifft Klassiker. Balladen einmal ganz anders“ im Schroedel-Verlag), oder aber auch in gering veränderten Texten untersucht werden, z. B. zu Balladen im klassischen Liedgut (Franz Schuberts „Erlkö‐ nig“). Die bild-textliche Adaption einer Ballade kann zur Reflexion von Sprache anregen, hier lohnt sich der Blick in Comics, weil der Ursprungstext dort durch die Sequenzierung in Panels und die damit einhergehende Zeit- 4.13 Sprache in Balladen reflektieren 135 <?page no="136"?> und Narrationsstruktur meist verändert werden muss, was in Bilderbucha‐ daptionen nicht immer der Fall ist (vgl. „Herr von Ribbeck“ etc.). Unter Berücksichtigung sozialer und kultureller Sprachvielfalt (Varietä‐ ten, Mehrsprachigkeit) kann zum einen mit Texten in der Herkunftssprache (vgl. Balladen übersetzen) gearbeitet werden, wobei beachtet werden muss, dass Migrationssprachen aufgrund des Sprachkontakts z.T. einen spezifi‐ schen Wandel erfahren und Lerner/ -innen aus unterschiedlichen Gründen (vgl. Dirim 2017: 332) nicht unbedingt über schriftsprachliche Kompetenzen in ihrer Erstsprache verfügen. Es muss jedoch vorher geprüft werden, in‐ wieweit Vergleiche unterschiedlicher Sprachen hier nicht nur auf einer oberflächlichen Ebene bleiben, dies ist im Wesentlichen von den bereits vorhandenen metasprachlichen Kompetenzen der Lerner/ -innen sowie der Sprachkompetenz der Lehrkräfte abhängig. Generell muss zwischen sprachlicher Reflexion (in funktionalen Kontex‐ ten, in Beobachtung und Reflexion des Sprachgebrauchs) und Sprachrefle‐ xion unterschieden werden. Letzteres, welches mit dem Ausbau fachlicher Terminologien verbunden ist, sollte erst in den Sekundarstufen und mit deutlichem Kompetenzzuwachs/ -erwerb im erstgenannten Bereich eine Rolle spielen (vgl. Müller 2017: 298). Literatur zur Vertiefung T O P HINK E , Doris (2002). „Sprachwandel“. Praxis Deutsch 215, 4-13. M ÜL L E R , Astrid (2017). „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“. In: Baurmann, Jürgen / Kammler, Clemens / Müller, Astrid (Hrsg.) Handbuch Deutschunterricht. Seelze: Klett/ Kallmeyer, 201-205, 296-302. W IMM E R , Rainer (2009). „Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachverfall - eine Positions‐ bestimmung“. Der Deutschunterricht 5, 5-12. 4 Balladendidaktische Grundlagen 136 <?page no="137"?> 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 5.1 Freundschaft und Liebe 5.1.1 Freundschaft hat viele Gesichter - „Die Freunde“ von Wilhelm Busch Juliane Dube Thema: Wie eine Reihe von Befragungen zeigen, rücken Freundschaf‐ ten immer mehr und mehr ins Zentrum des gesellschaftlichen Miteinanders. Auch für heutige Kinder und Jugendliche besitzt Freund‐ schaft eine größere Bedeutung als noch für ihre Großelterngeneration (vgl. Mietzel 2002). Damit die Heranwachsenden jedoch im sozialen Kontext angemessen handeln können, gilt es, die Vielschichtigkeit von freundschaftlichen Beziehungen sowie die feinen Nuancen und Abstu‐ fungen kennenzulernen (vgl. Jütte 2016). Hierfür kann einmal mehr auf das Potenzial von Literatur für Sozialisations- und Enkulturationsprozesse, aber auch für die damit verbundene individuelle Entwicklung zurückgegriffen werden. Im Rahmen der thematischen Sequenzbildung „Freundschaft hat viele Gesichter“ bietet es sich an, eine Vielzahl unterschiedlicher Texte zum Thema Freundschaft zusammenzustellen. Auswahlprinzipen können je nach Schwerpunktsetzung berühmte Freundschaftsbeziehungen in der Literatur (literarisches Wissen), das Freundschaftsmotiv und seine literarische Verarbeitung (literarischhistorischer Fokus) oder der Austausch zu jenen in den Texten darge‐ stellten Freundschaftsbeziehungen sein (Imagination und Perspektiv‐ übernahme). Auch in Balladen taucht das Motiv der Freundschaft immer wieder auf. Dabei sind die dort verhandelten Freundschaftsbeziehungen, wie es die dramatische Handlungsstruktur der Texte nicht anders erwarten lässt, oftmals mit Untreue, Verrat und Täuschung verbunden. Folglich fun‐ gieren sie nicht nur als Texte, an denen beispielhaft Kompetenzen zur Figuren- und Handlungsanalyse erworben werden können, sondern <?page no="138"?> bieten gleichfalls anregende Gesprächsimpulse über den Text hinaus. Anders als in klassischen Kinder- und Jugendbuchtexten, in denen das Freundschaftsmotiv häufig im Zusammenhang mit Treue und Zuver‐ lässigkeit thematisiert wird, ist in der modernen Literatur u. a. in den Texten der Autoren Bertolt Brecht und Alfred Döblin auf Freunde oft‐ mals kaum Verlass. Auch die Ballade „Die Freunde“ von Wilhelm Busch bricht mit gesellschaftlichen Konventionen und irritiert damit die Leser/ -innen. Intension: Ziel der Unterrichtsreihe ist es, den Schüler/ -innen die Mög‐ lichkeit zu geben, sich erfahrungs- und textorientiert über die Freund‐ schaften auszutauschen. Unterricht in der Orientierungsstufe (4. bis 6. Schuljahr): Hierzu erstellt jeder Lernende zunächst ein Lapbook zur Ballade, in dem sowohl textals auch themenbezogene Pflicht- und Wahlaufgaben kreativ und selbstständig bearbeitet werden sollen. Anschließend kommen die die Schüler/ -innen zusammen, um sich über Formen und Bedeutung von Freundschaft auszutauschen. Ausgewählte didaktische Analyse Seit der Antike in zahlreichen Werken der Philosophie, Religion und Sozio‐ logie, aber auch der Bildhauerei, Malerei und Literatur thematisiert, findet sich das Motiv der Freundschaft bis heute bundeslandübergreifend auch in den Rahmenrichtlinien und Kerncurricula des Deutschunterrichts wieder. Entsprechend breit sind die literarischen Vorschläge, auf die bei der Arbeit im Rahmen der thematischen Sequenzbildung zurückgegriffen werden kann. Die hier zusammengestellte Auswahl an Kurzgeschichten und Kin‐ derbüchern bietet für die Orientierungsstufe einige Anregungen: ▸ Der Freund von Gina Ruck-Pauquèt ▸▸ Samir und Jonathan von Daniella Carmi ▸▸ Freunde der Nacht von Matthias Morgenroth ▸▸ Reihe: Die Muskeltiere von Ute Kraus ▸▸ Reihe: Krümel und Pfefferminz - Allerbeste Freunde von Delphine ▸ Bournay (aus dem Französischen) ▸ … ▸ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 138 <?page no="139"?> Weil Freundschaft aber keineswegs immer gleich ist und uns in den ver‐ schiedensten Facetten begegnen kann, können Geschichten und Freund‐ schaftsmotive immer wieder auch neu entdeckt werden. Während viele Kinderbücher sich an einem Freundschaftsideal orientieren, in dem auf Streit immer auch die Versöhnung folgt und Proben der Freundschaft stets bestanden werden, bieten gerade die Texte der modernen Literatur neue Blickwinkel. Einer dieser Texte ist die Ballade „Die Freunde“ von Wilhelm Busch. Die Freunde (Wilhelm Busch) Zwei Knaben, Fritz und Ferdinand, Die gingen immer Hand in Hand, Und selbst in einer Herzensfrage Trat ihre Einigkeit zutage. Sie liebten beide Nachbars Käthchen, Ein blondgelocktes, kleines Mädchen. Einst sagte die verschmitzte Dirne: Wer holt mir eine Sommerbirne? Recht saftig, aber nicht zu klein? Hernach soll er der Beste sein. Der Fritz nahm seinen Freund beiseit Und sprach: Das machen wir zu zweit; Da drüben wohnt der alte Schramm, Der hat den schönsten Birnenstamm. Du steigst hinauf und schüttelst sacht, Ich lese auf und gebe acht. Gesagt, getan. Sie sind am Ziel: Schon als die erste Birne fiel, Macht Fritz damit sich aus dem Staube, Denn eben schlich aus dunkler Laube, In fester Faust ein spanisch Rohr, Der aufmerksame Schramm hervor. Auch Ferdinand sah ihn beizeiten Und tät am Stamm heruntergleiten In Ängstlichkeit und großer Hast. 5.1 Freundschaft und Liebe 139 <?page no="140"?> Doch eh er unten Fuß gefaßt, Begrüßt ihn Schramm bereits mit Streichen, Als wollt er einen Stein erweichen. Der Ferdinand, voll Schmerz und Hitze, Entfloh und suchte seinen Fritze. Wie angewurzelt blieb er stehn. Ach, hätt’ er es doch nie gesehn: Die Käthe hat den Fritz geküßt, Worauf sie eine Birne ißt. Seit dies geschah, ist Ferdinand Mit Fritz nicht mehr so gut bekannt. (B O HN E , Friedrich (Hrsg.) (1960). Wilhelm Busch. Historisch-kritische Gesamtaus‐ gabe. Bd. 4, Wiesbaden: Vollmer, 294) Ähnlich wie in den Erzählungen zu Max und Moritz beginnt das lyrische Ich in der hier ausgewählten Ballade, die über alle sechs Strophen im Paarreim verfasst ist, mit der Vorstellung der beiden Figuren Fritz und Ferdinand. Die Leser/ -innen erfahren in einer Art Einleitung von der innigen Freundschaft, die beide verbindet („gingen immer Hand in Hand“) und ihren ähnlichen Vorlieben, auch im Hinblick auf das Mädchen Käthchen. Um diese zu er‐ obern, gilt es jedoch, in einem Wettstreit zwischen den beiden Freunden, eine saftige Birne zu ernten und Käthchen zu bringen. Dass sich beide auf diesen Wettstreit einlassen, zeugt jedoch bereits von der minderen Qualität ihrer Freundschaft. Wenngleich Fritz vorschlägt, den Wunsch von Käthchen mit vereinten Kräften zu erfüllen - so wie es sich für echte Freunde gehört - trennen sich beide nach kurzer Zeit. Denn bereits „als die erste Birne fiel“, macht sich Fritz von dannen, als er den Nachbarn Schramm erblickt. Seinem Freund Ferdinand schickt er weder Warnungen auf den Baum, noch versucht er, den Nachbarn aufzuhalten bzw. abzulenken. Ferdinand, von seinem vermeintlich besten Freund im Stich gelassen, wird nun allein vom Bauern hart bestraft („Als wollt er einen Stein erweichen“). Glaubt man bis zum Ende der fünften Strophe noch, dass Fritz sich nur selbst vor der Bestrafung des Herrn Schramm bewahren wollte, verwirft man diesen Gedanken schnell wieder, als man erfährt, dass Fritz anstatt seinem Freund zu helfen, die gelbe Birne lieber Käthchen bringt. Erneut bricht er damit die Erwartungen, die an einen 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 140 <?page no="141"?> Freund gestellt werden, sodass Ferdinand nichts übrigbleibt als mit dem Freund zu brechen. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ arbeiten die zentralen Inhalte der Ballade „Die Freunde“ von Wilhelm ▸ Busch selbstständig mithilfe eines Lapbooks heraus. Dabei wenden sie einfache Verfahren der Textuntersuchung und -beschreibung an (z. B. Texte inhaltlich zusammenfassen, Gliederung und grafische Darstel‐ lungen erstellen, Überschriften finden etc.); ▸ präsentieren die erstellten Lapbooks der Klasse; ▸▸ setzen sich vor dem Hintergrund literarischer und eigener Erfahrun‐ ▸ gen mit dem Motiv der Freundschaft auseinander. Abb. 5.1: Beispiel für ein Lapbook (Starchildmom, English Wikibooks) Essentiell für Gespräche über literarische Texte ist ein grundlegendes Ver‐ ständnis. Schwierigkeiten bereiten hier oftmals unmarkierte Schauplatz- und Sprecherwechsel oder die Rekonstruktion chronologischer Ereignisfol‐ gen wie sie in der ausgesuchten Ballade vorkommen. Als Alternative zur gemeinsamen Texterschließung im Lehrer/ -innen und Schüler/ -innen-Ge‐ spräch hat sich in den letzten Jahren zunehmend die Gestaltung von so ge‐ nannten Lapbooks (auch Schoßbücher) etabliert (Abb. 5.1). Ursprünglich 5.1 Freundschaft und Liebe 141 <?page no="142"?> aus den USA kommend, kombinieren jene kleinen oder größeren Faltbüch‐ lein (Leporellos, Stufenbücher, Kreisbücher usw.) kurze Texte und kreative Gestaltungselemente (z. B. Taschen, Klappkarten, Pop-ups, Umschlägen mit Kärtchen). Damit bilden sie in einem differenzierten Deutschunterricht die Möglichkeit, Leseeindrücke und Arbeitsergebnisse ganz individuell zu do‐ kumentieren. Den Einstieg in die Unterrichtssequenz bildet ein Vortrag der Ballade durch die Lehrperson. Je nach Klassenzusammensetzung kann dieser ggf. durch Bilder der Protagonisten und Symbole erweitert werden, deren Stel‐ lung an der Tafel während des Balladenvortrags verändert wird. Anschlie‐ ßend erhalten die Lernenden die Ballade als Textfassung zusammen mit dem Auftrag zur Ballade ein Lapbook zu gestalten, in dem sie sich mithilfe von Wahl- und Pflichtaufgaben sowohl mit dem Text als auch mit dem dort ver‐ handelten Motiv der Freundschaft auseinandersetzen. Diese können im Vor‐ feld gemeinsam im Plenum gesammelt oder von der Lehrperson vorgegeben werden, sodass sichergestellt ist, dass auch alle für die Ballade relevanten Informationen von den Lernenden herausgearbeitet werden. Mögliche An‐ regungen finden Sie hier: ▸ Pflichtaufgaben ▸ - Wer hat die Ballade geschrieben? Suche Informationen zum Autor. - - Wie heißt die Ballade? Findest du die Überschrift passend? Wie - hätte die Überschrift noch lauten können? - Beschreibe in einem Satz, wovon die Ballade erzählt. - - Zeichne mit kleinen Bildern das Geschehen nach. - - Wie wird die Freundschaft zwischen Fritz und Ferdinand zu Be‐ - ginn der Ballade beschrieben? Schreibe die Textstelle ab. - Gestalte in deinem Lapbook ein Bild zur Ballade. - - … - ▸ Wahlaufgaben ▸ - Freundschaft ist für mich … - - Von einem Freund würde ich mich trennen, wenn … - - Kannst du verstehen, dass Ferdinand nicht mehr mit Fritz be‐ - freundet sein will? Wie hättest du anstelle von Ferdinand gehan‐ delt? - Die Ballade „Die Freunde“ von Wilhelm Busch finde ich … - - Suche im Internet und Poesiebüchern nach einem Spruch über - Freundschaft. Schreibe ihn auf. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 142 <?page no="143"?> - Mein schönstes Erlebnis mit meiner Freundin/ meinem Freund - war … Sollten die Kinder zuvor noch kein Lapbook erstellt haben, muss dessen Erstellung vorher besprochen werden. Zur Einführung in die Arbeit mit den Lapbooks eignet sich nicht nur das Vorstellen von unterschiedlichen Bei‐ spielen aus vergangenen Bearbeitungen (ggf. auch mit Hilfe des Internets), sondern auch die Bereitstellung unterschiedlicher Lapbook-Vorlagen. Je häufiger die Heranwachsenden anschließend mit dem Lapbook arbeiten, desto größer kann ihr Gestaltungsfreiraum abgesteckt werden. Sind die Lapbooks erstellt, können sie anschließend an einer Leine im Klassenzimmer aufgehängt oder auch im Rahmen einer Vernissage präsen‐ tiert werden. Ausgestattet mit drei farbigen Klebezetteln hat jeder Besucher anschließend die Möglichkeit, zu Inhalt und Gestaltung der Lapbooks ein kurzes schriftliches Feedback zu geben. Beispielsweise: ▸ Deine alternative Überschrift finde ich sehr passend. ▸▸ Mir gefällt dein ausgewählter Spruch zum Thema Freundschaft. ▸▸ Bei der Gestaltung des Lapbooks hast du dir viel Mühe gegeben. ▸ In größeren Klassen bietet es sich an, die Gruppe zu teilen. Während eine Gruppe leise die Lapbooks erkundet, können sich die Teilnehmer/ -innen der anderen Gruppe zur Leitfrage: Freundschaften heute: notwendig oder aus‐ tauschbar? bereits Notizen für die anschließende Gruppendiskussion ma‐ chen. In Sozialen Netzwerken werden Freunde katalogisiert, abonniert oder der Freundeskreis nach verschiedenen Kriterien systematisiert, Freundschaften mit fremden Menschen durch einen Klick geschlossen oder langjährige Freundschaften ebenso schnell beendet. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Aushöhlung des Freundschaftsbegriffs sollen die Kinder zum Aus‐ tausch über Freundschaft und ihre Bedeutung innerhalb und außerhalb der digitalen Welt zusammenkommen. Zur Beantwortung der Leitfrage, wie sie oben formuliert wurde, können die Schüler/ -innen sowohl auf ihre Auf‐ zeichnungen aus den Lapbooks zurückgreifen als auch eigene Erfahrungen einbringen. Auf die Fragen: Wann ist Freundschaft auch wirklich Freund‐ schaft bzw. was sind echte und was unechte Freunde? oder Was hält eine Freundschaft zusammen und was bricht sie? Wird es vermutlich keine ein‐ deutigen Antworten geben. Jedoch kann die Auseinandersetzung mit den 5.1 Freundschaft und Liebe 143 <?page no="144"?> unterschiedlichen Texten dazu beitragen, das eigene Gefühl für Freund‐ schaft zu stärken und zu bereichern. 5.1.2 Vom Abhandenkommen der Liebe - „Sachliche Romanze“ von Erich Kästner Juliane Dube Thema: Reportageliteratur und Gebrauchslyrik sind die zentralen lite‐ rarischen Genres der Neuen Sachlichkeit, um Alltagsfragen, die Bezie‐ hungen zwischen den Geschlechtern innerhalb der Anonymität der Großstadt, Fragen der Moral und des Umgangs des Staates mit seinen Bürger/ -innen zu thematisieren. Neben zentralen Vertretern wie Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht und Erich Weinert prägen auch die Schriften des Lyrikers, Romanisten, Essayisten und Kinderbuchautoren Erich Kästner jene literarische Phase nachhaltig. Von der Literaturkritik als Schlüsselautor der deutschen Zwischenkriegszeit und als „typischer Volksschriftsteller“ (Marcel Reich-Ranicki 1974) bezeichnet, verstand sich Kästner nicht als Sprachartist wie so viele seiner zeitgenössischen Kollegen. Vielmehr wollte er mit seinen klar formulierten Beschreibun‐ gen der Realität und der Alltagssorgen die Menschen wachrütteln und motivieren, ihre Gesellschaft selbst zu formen. „Nie wollte er aufhören zu glauben, dass die Menschen besser werden könnten, wenn man sie oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht“, so Reich-Ranicki im Vorwort zu Kästners Montagsgedichten (2012: 11). Eines seiner be‐ sonderen Werke jener Zeit ist die Ballade „Sachliche Romanze“, die nicht nur bereits im Titel, sondern im gesamten Erzählgedicht die vermutlich alltägliche Distanz zweier sich einst Liebender thematisiert. Intension: Als Abweichung von der klassischen Balladenform u. a. durch die Einbindung eines reflektierenden Erzählstils ist Kästners Ballade ein Beispiel für die Vielseitigkeit jener literarischen Gattung. So erscheint die Ballade wenig polternd und emotional, ja nahezu fern von Dramatik. Durch die angeleitete Szenische Interpretation von Ballade und Bild durch den Einsatz eines Hilfs-Ich erfahren die Lernenden je‐ doch im aufgezeigten Unterrichtsvorschlag, dass auch hier ein emotio‐ nal konflikthaftes Thema behandelt wird, das sich bis ins Dramatische hineinsteigert, ohne dass diese Emotionalität auf sprachlicher Ebene 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 144 <?page no="145"?> wiederzufinden ist. In der abschließenden Reflexion einer filmischen Umsetzung der Ballade können die Lernenden ihre Erfahrungen zum Füllen der Leerstellen in der Ballade erneut reflektieren. Unterricht im 7. und 8. Schuljahr: Nach dem ersten Lesen der Ballade sind die Lernenden aufgefordert, ein Standbild zu einer selbstgewählten Szene zu erstellen und den Einsatz eines Hilfs-Ich zu erproben. Ausgewählte didaktische Analyse Als Erich Kästner das Erzählgedicht „Sachliche Romanze“ 1928 veröffent‐ licht, beträgt die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland fast fünf Millionen. Nur die Hälfte von ihnen ist durch die Arbeitslosenversicherung abgesichert. Die wirtschaftlichen und psychologischen Folgen der Weltwirtschafts‐ krise sowie des Ersten Weltkriegs bestimmen den Alltag eines Großteils der deutschen Bevölkerung. Anders als die vorherrschende Kunstrichtung des Expressionismus und ihrem radikalen Ausdruck von Subjektivität bzw. der Darstellung des Unsagbaren, ist das literarische Schaffen geprägt von Ro‐ manen in der hybriden Gattung der literarischen Reportagen (Reportageli‐ teratur) und Gedichten mit distanzierenden Beschreibungen sowie einem ironischen oder satirischen Blick auf: ▸ Alltagsprobleme (z. B. Arbeitslosigkeit, Arbeitsdruck, Krankheit), ▸▸ Beziehungen zwischen den Geschlechtern innerhalb der Anonymität ▸ der Großstadt, ▸ Fragen der Moral bzw. den Einstellungen zum Krieg, ▸▸ den Umgang des Staates mit seinen Bürgern. ▸ Verbunden mit der Idee, über die einfache und leicht verständliche Beschrei‐ bung der Tatsachen, den Leser bzw. die Leserin wachzurütteln, ihm die Au‐ gen für beobachtete Missstände im Alltag, aber auch im Arbeitsleben zu öffnen und ihn zur Initiative aufzurufen (Gebrauchslyrik), schrieben Auto‐ ren wie Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht und Erich Weinert. Zu jenen wachrüttelnden Texten zählt auch Kästners Ballade „Kurt Schmidt, statt einer Ballade“ (1930), in der er die sozialen Lebensumstände sowie den alles beendenden Selbstmord des gewöhnlichen Glasfabrikarbeiters Kurt Schmidt nach Arbeitsschluss thematisiert. Beendet wird die literarische Phase der Neuen Sachlichkeit mit der Machtergreifung der Nationalsozia‐ 5.1 Freundschaft und Liebe 145 <?page no="146"?> listen 1933, in der man zu einem pathetischen, volkstümlichen Literaturstil zurückkehrt. Auch Erich Kästner erhält nach 1933 Schreibverbot. Vor dem Hintergrund der geschilderten Lebensumstände der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts thematisiert Kästner in seiner modernen Ballade, wie das Oxymoron im Titel bereits vermuten lässt, anstatt einer Romanze die Trennung eines unbekannten Paares. Entgegen der üblichen literarischen und gesellschaftlichen Konventionen einer Romanze fasst er mit nüchter‐ nem Blick nicht nur bereits in der ersten Strophe den Inhalt der Ballade zusammen, sondern dokumentiert die Trennung des Paares, welches sich zunehmend seiner fehlenden Liebe zueinander bewusst wird, mit einer Nüchternheit als wäre es Teil des alltäglichen Geschehens. Dabei zeigt sich die Distanz zwischen den namenlosen Figuren im vierstrophigen Erzählge‐ dicht jedoch nicht nur zwischen ihnen, sondern auch zwischen ihnen und der Außenwelt, die weiterhin ihren Alltäglichkeiten nachgeht. Ähnlich wie bei der Ballade Kurt Schmidt liegt die Dramatik folglich nicht in der Erzähl‐ haltung, sondern in den gegebenen Lebensumständen. Sachliche Romanze (Erich Kästner) Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen: sie kannten sich gut) kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut. Sie waren traurig, betrugen sich heiter, versuchten Küsse, als ob nichts sei, und sahen sich an und wussten nicht weiter. Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei. Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken. Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. Nebenan übte ein Mensch Klavier. Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 146 <?page no="147"?> Am Abend sassen sie immer noch dort. Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen. (L E I SS , Ingo / S TADL E R , Hermann (2003). Weimarer Republik. München: dtv, 376- 378) Trotz jener für Kästner und die Zeit der Neuen Sachlichkeit typischen leicht zugänglichen Sprache der Texte verhandelt die Ballade eine komplexe The‐ matik, die sich auch auf formaler Ebene widerspiegelt. Während Kästner in den ersten drei Strophen noch mit vierzeiligen Kreuzreimen (abab) arbeitet, wird der Lesefluss in der vierten Strophe durch einen zusätzlichen Vers und der damit einhergehenden Erweiterung a-b-a-(a)-b irritiert. Durch die struk‐ turell herbeigeführte Zäsur ist die Distanz zwischen beiden namenlosen Fi‐ guren fast greifbar. Auf sprachlicher Ebene wird die Wirkung durch das eingefügte „und“ sowie das verabsolutierende „kein“ verstärkt: „Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort“. Entsprechend der emotionslosen Spra‐ che zur Zeit der Neuen Sachlichkeit schließt die moderne Ballade mit der nüchternen Feststellung, dass nicht nur das Gespräch miteinander ver‐ stummt, sondern auch ihre Liebe. Durch den Wechsel auf eine weibliche Kadenz und die Einfügung einer zusätzlichen Silbe im Vers „und konnten es einfach nicht fassen“ wirkt das Ende jedoch offen. Interessante autobiografische Bezüge, die ins Gespräch über die Ballade einfließen können, weist die Ballade insofern auf, als dass auch Erich Kästner mit Ilse Julius eine achtjährige Beziehung führte, die in einer langen tren‐ nenden Aussprache endete. Während Kästner in einem Brief an seine Mutter jedoch erzählt, dass Ilse ihn, „nie geliebt“ hat, „deswegen“, so Kästner weiter, „bist Du, trotz aller Tränen, froh, daß es aus ist“ sind sich in der balladesken Umsetzung beide Partner ihres Verlustes bewusst, „wenngleich die üblichen Geschlechterrollen“ beibehalten werden (vgl. Hanuschek 2003: 115). Jene Erfahrung prägt Kästner noch lange, sodass er bis zu seinem Tode keine derartige Beziehung mehr eingeht (vgl. Kordon 1998). 5.1 Freundschaft und Liebe 147 <?page no="148"?> Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen ▸ untersuchen die ausgewählte Ballade und weitere (audio-)visuelle ▸ Umsetzungsformate im Hinblick auf die Konstellation der Figuren bzw. ihrer Beziehung zueinander. ▸ entwickeln durch den Vergleich mit bildlichen und szenischen Be‐ ▸ gleitmaterialien ein intensives und differenziertes Textverständnis zur Ballade. ▸ inszenieren kurze Szenen im Standbild und erproben den Einsatz eines ▸ Hilfs-Ichs. Um die konträr zur sprachlichen Darstellung liegende angedeutete Dramatik der Ballade zu erfahren, sollen sich die Lernenden die Textvorlage über das produktionsorientierte Verfahren der Szenischen Interpretation erschließen (vgl. Scheller 2014). Fachdidaktisch vor allem in den zahlreichen seit den 1980er-Jahren veröffentlichten Arbeiten von Ingo Scheller, Albrecht Schau und Marcel Kunz aufgearbeitet, haben sich Szenische Interpretations‐ verfahren nicht nur durch die Konjunktur handlungsorientierter Unter‐ richtsmethoden etabliert, sondern auch, weil sie sowohl den Lehrenden als auch den Lernenden einen anderen Umgang mit Literatur ermöglichen. Ein‐ gangs vor allem für offene, später geschlossene Dramentexte gedacht, liegen Ausführungen zur Szenischen Interpretation inzwischen auch zu Romanen, Kurzgeschichten, Filmen, Bildern und journalistischen Texten vor. Die Aus‐ führungen adressieren dabei neben Deutsch auch alle stärker künstlerisch orientierten Fächer, aber auch den Fremdsprachen-, Politik-, Geschichts- und Religionsunterricht aller Schulformen und -stufen (vgl. die Literatur‐ übersicht in Scheller 2014: 17 f.). Szenen, so Scheller, stehen stets in einem Handlungszusammenhang, der jedoch von epischen und dramatischen Texten auf Dialoge und/ oder erzäh‐ lende Abschnitte eingegrenzt ist (ebd.: 24). Folglich geht es beim Szenischen Spiel nicht darum, Textszenen nachzuspielen, sondern sich z. B. durch den Einsatz von Stimme, Gestik und Mimik sowie dem eigenen Körper, syste‐ matisch in die Rolle und die Szenen einzufühlen. Einen Überblick zur Vielfältigkeit szenischer Interpretationsverfahren bietet die Zusammenstellung im Sonderheft von Praxis Deutsch zu „Drama-Theater-Szenisches Spiel“ von Abraham und Kammler (2005). 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 148 <?page no="149"?> Mit dem Ziel, sich zu Beginn der Unterrichtsreihe im szenischen Spiel der eigenen Haltung zum Text bewusst zu werden und sich in intensiven Inter‐ pretationsgesprächen z. B. über inhaltliche Zusammenhänge und Perspek‐ tiven von Figuren auszutauschen, bietet es sich an, die Klasse nach dem ersten Lesen der Ballade zunächst in Kleingruppen einzuteilen. Versehen mit dem Auftrag, die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren der Ballade herauszuarbeiten, sollen die Lernenden ein Standbild entwickeln. Dabei sol‐ len sie den Einsatz eines Hilfs-Ichs erproben. Hierzu tritt ein Schüler bzw. eine Schülerin hinter eine der beiden Figuren im Standbild und spricht deren Gedanken aus (vgl. Unterrichtshilfe „Balladen szenisch interpretieren“). Un‐ abhängig von der Form der szenischen Umsetzung können auch mehrere Hilfs-Ichs eingebunden werden (vgl. Spinner 2016: 102), die am Ende der Doppelstunde zusammen mit dem Standbild der Klasse präsentiert werden. Wichtig für die szenische Erarbeitung von Medien ist deren anschließende Reflexion. Schellers Ausführungen zur Reflexion orientieren sich hierfür an dem Muster, das Brecht in der „Straßenszene“ als Grundsituation des epi‐ schen Theaters beschreibt. Beobachter/ -innen und Spieler/ -innen tauschen sich folglich nicht nur darüber aus, was sie wahrgenommen haben, sondern demonstrieren dies auch. „Sie deuten und verfremden das Wahrgenommene so, dass Voraussetzungen und Wirkungen, eventuell auch Alternativen er‐ kennbar werden. Das zwingt zur Konkretisierung, zum Sichtbarmachen von Verhaltensnuancen zur Diskussion unterschiedlicher Wahrnehmungswei‐ sen“ (Scheller 2014: 56). Spinner begrenzt seine Ausführungen zur Refle‐ xion szenischer Verfahren hingegen auf den mündlichen Austausch zum Dargestellten z. B. anhand von folgenden Leitfragen (vgl. Spinner 2016: 102): ▸ Wie hast du dich in deiner Figurenrolle gefühlt? ▸▸ Welche Teilaspekte kamen in der Darstellung zum Tragen? ▸▸ Wie haben die Zuschauer die Darstellung empfunden? Stimmen In‐ ▸ tention der Gruppen und Darstellung überein? Alternativ zur Arbeit mit den Methoden der Szenischen Interpretation ist auch der vergleichende Einsatz von Bildern denkbar, um ein intensives und differenziertes Textverständnis zur Ballade aufzubauen. Ungeachtet der alltäglichen Omnipräsenz und schulischen Funktionali‐ sierung sind Bilder, so Abraham, ein „weithin missachtetes Basismedium (…), das Schriftlichkeit oft auf ideale Weise ergänzt“ (2017: 224). Folglich sind Methoden zur Transformation von Texten in Bilder oder die Ergänzung von Texten durch Bilder eine beliebte Methode im handlungs- und produktions‐ 5.1 Freundschaft und Liebe 149 <?page no="150"?> orientierten Unterricht. Den Ausführungen des Bandes Bild und Text im Un‐ terricht von Abraham und Sowa (2016) folgend können: ▸ Bilder zu Texten gemalt werden z. B. in Form von Illustrationen und ▸ Strukturbildern ▸ Texte zu Bildern geschrieben werden z. B. in Form von kleinen Ge‐ ▸ dichten ▸ Texte und Bilder im Wechselspiel aufgegriffen werden z. B. bei der ▸ Gestaltung eines eigenen Bilderbuchs Unabhängig von der Wahl der Methode sollte jedoch darauf geachtet wer‐ den, die unangemessene Verzweckung eines ästhetischen Gegenstands an‐ zubahnen, indem einem Gespräch über das Bild ebenfalls Raum gegeben wird (vgl. Abraham/ Sowa 2016: 75). Damit erfolgt ein Wechsel vom Bild als Methode zum Bild als Unterrichtsgegenstand. Zu diesem können die Ler‐ nenden im Proberaum des Literarischen Gesprächs nicht nur ihre ästheti‐ schen Wahrnehmungs- und Äußerungsfähigkeiten einüben, sondern auch die ,Gemachtheit‘ des Kunstwerks reflektieren. Abb. 5.2: Room in New York, Edward Hopper (1932) Im Rahmen der Unterrichtssequenz zu Kästners Ballade bietet sich der Ein‐ satz des Bildes Room in New York von Edward Hopper (1932) an (Abb. 5.2). Wenngleich sich Hoppers Bild nicht auf Kästners Ballade bezieht, themati‐ siert dieses ebenfalls, wie der Titel Room in New York bereits deutlich macht, 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 150 <?page no="151"?> eine jener alltäglichen Situationen einer Ehe, die in Routine gefallen ist. Auch hier findet sich die sprachliche Nüchternheit und Bescheidenheit, jene Öko‐ nomie der erzählerischen Mittel der von Kästner beschriebenen Szenerie wie‐ der. Hopper gelingt es dadurch auf visueller Ebene, viel über die Beziehung zwischen beiden Figuren zu erzählen, ohne dass scheinbar etwas passiert. Fragen, die nach dem Lesen und Besprechen der Ballade ein Bildgespräch in Kleingruppen anleiten können, konzentrieren sich auf die Darstellung der Personen, die Raumgestaltung und den Einsatz der technischen Mittel (vgl. Unterrichtshilfe „Ein Bildgespräch führen“). Unabhängig davon, ob Interpretationsprozesse zur Ballade über die Sze‐ nische Interpretation oder über Sehgespräche zu Hoppers Bild angeregt werden, sollen die Schüler/ -innen in beiden Fällen den Einsatz eines Hilfs-Ichs erproben. In Anerkennung der Interpretation als intersubjektives und dynamisches Ereignis des Bestimmens von Bedeutung sollte auch hier der Reflexion des Hilfs-Ichs ausreichend Raum gegeben werden. Dabei sollte weder die eine objektive Sinnzuschreibung noch allein der rein affektive Zugang der Ler‐ nenden überbetont werden, sondern vielmehr das gemeinsame Aushandeln von Bedeutungen als eine unserer Kultur immanente Basiserfahrung im Mittelpunkt stehen. Während Hoppers Bild eine Vielzahl von Leerstellen bietet, die von den Lernenden mit einem Hilfs-Ich gefüllt werden können, ist der 13-minütige Kurzfilm zur Ballade der Fachhochschule Dortmund und kreatiFilm (2007) bereits stark interpretierend angelegt. So wird die Szenerie der Ballade einerseits um die wiederkehrende Präsenz des Autors, der in einem Café sitzt und seine Beobachtung eines Paares scheinbar als Anregung für die Ballade nimmt, ergänzt. Andererseits sind die Leerstellen der Ballade durch Rückblenden in Momente der intimen Zweisamkeit, aber auch in Situatio‐ nen heftigen, auch körperlich geführten Streits ersetzt. Den Kurzfilm zur Ballade „Sachliche Romanze“ von kreatiFilm (2015) finden Sie unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=kX6pFjBvi7g (12.02.2012). Als Abschluss der Unterrichtssequenz bietet es sich folglich an, den Kurzfilm gemeinsam mit der gesamten Klasse zu reflektieren. Jener abschließende Vergleich der unterschiedlichen medialen Umsetzungsformen verlangt ei‐ nen intensiven Rezeptionsprozess sowohl auf textlicher als auch auf visu‐ 5.1 Freundschaft und Liebe 151 <?page no="152"?> eller Ebene. Folglich sollte der Fokus nicht nur auf den ergänzten Szenen liegen, sondern ebenso auf der Wirkung, die durch den Montagestil sowie den Einsatz unterschiedlicher Perspektiven und Einstellungsgrößen ent‐ steht. Folgende Fragen bieten sich als Beobachtungsaufträge an: ▸ Worum geht es in dem Kurzfilm? ▸▸ Welche Szenen wurden im Vergleich zu Kästners Ballade ergänzt? ▸▸ Welche filmischen Mittel (z. B. Musik, Farbgestaltung, Kameraein‐ ▸ stellungen) wurden an welchen Stellen zur Verstärkung der Wirkung eingesetzt? 5.1.3 Geschwisterneid, ein tödliches Motiv: „Die zwei Schwestern“ Juliane Dube Thema: Während Neid in der römisch-katholischen Lehre als Todsünde gilt, wird er in der Soziologie als grundsätzlicher sozialer Antrieb („Ur‐ kraft“) zur Befriedigung individueller Bedürfnisse verstanden (vgl. Scho‐ eck 1968). Die wohl berühmteste Neid-Erzählung, die auch in einer Viel‐ zahl europäischer Volksballaden verarbeitet wurde, findet sich in der biblischen Geschichte von Kain und Abel. Stellvertretend für diese wurde im Unterrichtsvorschlag die Volksballade „Die zwei Schwestern“ ausgewählt. Intension: Ziel der Unterrichtsreihe ist es, den Schüler/ -innen einer‐ seits Raum zur Auseinandersetzung mit den grundlegenden Emotionen Neid und Eifersucht zu geben und andererseits die gattungsspezifischen Besonderheiten der Volksballade herauszuarbeiten. Unterricht im 7. und 8. Schuljahr: Hierzu werden zwei motivgleiche Texte für die Arbeit in Kleingruppen ausgeteilt, in denen sowohl die thematischen, sprachlichen als auch formalen Besonderheiten der je‐ weiligen Textgattung erarbeitet werden sollen. Im Anschluss an die ge‐ meinsame Sammlung und Systematisierung der Ergebnisse, die hier noch einmal die Besonderheiten der Volksballade verdeutlicht, vertiefen die Lernenden ihr Wissen zu den textsortenspezifischen Merkmalen, indem sie die Volksballade in ein Märchen und das Märchen in eine Volksballade umschreiben. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 152 <?page no="153"?> Ausgewählte didaktische Analyse Die Volksballade, wie sie vor allem in Nord- und Westeuropa im 15. und 16. Jahrhundert verbreitet war, versteht sich als eine Art „narrative[s], mündlich überlieferte[s] Volkslied, das sich auf eine einzige Episode kon‐ zentriert, in medias res beginnt und strophisch verfasst ist“ (Kaufmann 2013: 12). Stets anonymer Natur berichten sie ohne die Verwendung eines aukto‐ rialen oder Ich-Erzählers über Ereignisse meist heldenhafter oder abenteu‐ erlicher Art. Dabei sind es jedoch nicht mehr die Abenteuer historischer Sagengestalten, sondern die Erlebnisse der Gegenwart, manchmal sogar aus der nächsten Umgebung. Typische Motive sind der Abschied, das Wieder‐ sehen, der Tod des Geliebten, Treue und Untreue, aber auch Verbrechen und Rache wie in der skandinavischen Volksballade „Die zwei Schwestern“, die im volkstümlichen Ton von der Missgunst unter Schwestern erzählt. Verschiedene Varianten der Ballade „Die zwei Schwestern“ finden Sie in englischer Sprache unter dem Titel „The Twa Sisters“ in The English and Scottish Popular Ballads von Francis James Child unter: http: / / www .sacred-texts.com/ neu/ eng/ child/ ch010.htm (12.02.2019). Eine Liedver‐ sion der Mittelalter-Rock-Band Subway to Sally aus dem Jahr 2014 mit dem Titel „Grausame Schwestern“ finden Sie unter: https: / / www.youtu be.com/ watch? v=sUtA5w44ZCU (12.02.2019). Wie so häufig, entstanden zu dieser Volksballade durch mündliche Überlie‐ ferungen ebenfalls verschiedene weitere Versionen (vgl. hierzu die verschie‐ denen Varianten in The English and Scottish Popular Ballads von Francis Ja‐ mes Child), u. a. auch Märchen und Sagen (vgl. Roth 1968: 71). So wird die Geschichte der zwei Schwestern bis heute besungen, beispielsweise von der Mittelalter-Rock-Band Subway to Sally. Die mit ihrem typisch lyrischen Stil bekannt gewordene Band gewann 2008 den Vorausscheid beim Bundesvision Song Contest in Brandenburg. Die zwei Schwestern (Unbekannt) Es wohnt ein König in Engeland, - Hört ich ein Vöglein singen - Zwei jungfräuliche Töchter sein Eigen er nannt’. - Denn nun steht der Wald in Blüte. 5.1 Freundschaft und Liebe 153 <?page no="154"?> Und die eine Schwester sprach zu der anderen: „Komm lass hinab zum Strande uns wandern.“ Die Jüngste glänzte wie Sonnenschein, die Älteste war schwarz wie der Erde Gestein. Voran ging die Jüngst mit wellendem Haar, die Älteste voll böser Gedanken war. Und als sie am grünen Meeresrand ruhten, stieß sie ihre Schwester in die wilden Fluten. Und die Schwester streckte die schneeweiße Hand: „Lieb Schwesterlein, hilf mir wieder an Land. Ach liebe Schwester, hilf mir an Land, und ich gebe dir mein goldenes Band.“ „Auch so wird dein rotes Goldband mein, doch auf Gottes Erden sollst nie mehr du sein.“ „Ach liebe Schwester, hilf mir an Land, ich gebe dir auch meines Bräutigams Hand.“ „Und ich helfe dir nicht wieder an Land, bekomme auch so deines Bräutigams Hand.“ In die dunkle Nacht die Fischer zogen, sie fanden die Jungfrau in den Wogen. Als sie den traurigen Fund gemacht, auf den Strand legten Sie den Fund gar sacht. Und des Weges kam ein Spielmann daher, eine Harfe aus ihrem Leib schuf er. Der Jungfrau schneeweiße Brust er nahm, der Harfe gab er so lieblichen Klang. Er nahm die Fingerlein so klein, fügte der Harfe als Wirbel sie ein. Und aus der Jungfrau goldenem Haar, macht er die Saiten wunderbar. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 154 <?page no="155"?> Mit seinem Arm er die Harfe umfing, und zu dem Hochzeitshause er ging. Vor des Königs Hof ihr Spiel erklingt: Hör, junge Braut, was die Harfe singt. Beim ersten Schlag der Harfe es klang: Die Braut trägt heute mein goldenes Band. Und der zweite Klang von der Harfe kam: Verlobt war mir einst der Bräutigam. Und als zum dritten die Harfe schlug: In die Wogen stieß mich die Schwester voll Trug. Am Sonntag trug die Schwester die Goldkrone rot, - Hört ich ein Vöglein singen - Am Montag starb sie den Flammentod. - Denn nun steht der Wald in Blüte. (Q UA S TH O F F , Thomas / Q UA S TH O F F , Michael (2007): Ach, hört mit Furcht und Grauen. Mein Brevier der schönsten Balladen. Berlin: Ullstein, 61-63) In der Tradition dieser strophischen Erzähllieder des Spätmittelalters steht der Mensch mit seinen martialischen Sehnsüchten und Konfliktmustern im Zentrum, die in der ausgewählten Volksballade sogar zum Mord an der ei‐ genen Schwester führen. Die gefundenen Überreste dieser werden jedoch, inspiriert durch den heidnischen Glauben, dass sich in Blut, Speichel, Haar und Knochen die Seele und Lebenskraft des Menschen konzentriere, von einem Spielmann zum Bau einer Harfe verwendet. Ihr Lied ist es, das am Hochzeitstag die grausame Tat der älteren Schwester aufdeckt und am Ende zu ihrem Tod führt. Geschwisterneid sowie der Bau eines Instrumentes aus den Überresten der Toten, das am Ende die Wahrheit der Geschichte offenbart, sind auch die zentralen Motive des Volksmärchens „Der singende Knochen“ der Brüder Grimm, das die zweite Textgrundlage für das Lernarrangement zur Gat‐ tungsspezifik der Ballade bildet (vgl. Unterrichtshilfe „Der singende Kno‐ chen“). Anders als in der zuvor thematisierten Ballade stehen sich im Grimmschen Märchen zwei Brüder gegenüber, die das Reich von dem zer‐ störerischen Wüten eines Ebers befreien wollen, um des Königs einzige Tochter zur Gemahlin zu erhalten. Die bereits in der Ballade verarbeitete 5.1 Freundschaft und Liebe 155 <?page no="156"?> märchentypische Gegenüberstellung von Gut und Böse findet sich auch in der Beziehung zwischen den Brüdern wieder. Weil das Herz des jüngeren gut und unschuldig ist, gelingt es ihm mithilfe eines kleinen Männleins, den Keiler zu erstechen. Auf dem Rückweg zum König trifft er auf seinen älteren Bruder, der ihm den Gewinn neidet und ihn von einer Brücke ins Wasser stürzt, um sich selbst als Sieger der Keilerjagd auszugeben. Heraus kommt der Schwindel erst als ein Schäfer beim Gang über die Brücke einen Knochen des Opfers im Wasser findet und sich daraus ein Mundstück für sein Horn schnitzt, das beim ersten Blasen die Wahrheit verkündet: Ach, du liebes Hirtelein, du bläst auf meinem Knöchelein, mein Bruder hat mich erschlagen, unter der Brücke begraben, um das wilde Schwein, für des Königs Töchterlein. Aufgrund der ausgeprägten narrativen Struktur der Ballade im Allgemeinen gibt es fortwährende Diskussionen zu ihrer gattungsspezifischen Zuord‐ nung, die sich auch bei Schiller offenbart, wenn er 1797 seinem Werk „Der Handschuh“ nicht den Untertitel „Ballade“, sondern „Erzählung“ zuweist. Folglich richtet sich der Vorschlag zur didaktischen Umsetzung auf die sys‐ tematische Abgrenzung beider Textgattungen. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen: ▸ untersuchen die epische Kleinform des Märchens und der Volksbal‐ ▸ lade und erarbeiten deren Merkmale und Funktion. ▸ experimentieren mit Texten und ihren Merkmalen, indem sie diese in ▸ eine andere Textgattung umschreiben. Neid, als grundlegende Emotion gegenüber einer Person, die mehr (nicht)materielle Güter besitzt als man selbst, haben viele Schüler/ -innen vermutlich schon einmal erfahren. In manchen Fällen schlug der Neid viel‐ leicht sogar in Missgunst um, indem der Wunsch entstand, die beneidete Person würde die Güter verlieren bzw. selbst Schaden erleiden. Aufgrund des hohen Identifikationsgehaltes der gewählten Thematik bietet es sich an, den Lernenden zunächst Raum zu geben, sich offen zum Thema Neid im 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 156 <?page no="157"?> Allgemeinen und im Besonderen unter Geschwistern und Freunden auszu‐ tauschen. Aufgrund der sensiblen Thematik sollten die Erfahrungen jedoch nicht im Plenum, sondern anhand von Leitfragen zunächst in Kleingruppen thematisiert werden: ▸ Was ist Neid? ▸▸ In welchen Situationen kommt es unter Geschwistern/ Freunden zu ▸ solchen Gefühlsausdrücken? ▸ In welchen Situationen hat Neid positive bzw. negative Folgen? ▸▸ Welche Einflüsse verstärken den Neid zwischen Geschwistern/ Freun‐ ▸ den? Die in den Kleingruppen erarbeiteten Antworten können zentral in der Klasse gesammelt und systematisiert werden. Für den konzeptuellen Aufbau von Neid wäre es einerseits wichtig, die Abgrenzung zur Eifersucht und andererseits den positiven und negativen Charakter sowie verstärkende Einflüsse von Neid herauszuarbeiten. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Thematik kann durch den Verweis auf die Geschichte von Kain und Abel im Koran (Sûra 5: 27-28, 30.) auch mit interkultureller Perspektive im Fach Religion oder im Rahmen der ethischen Grundbildung auch im Fach Ethik vorgenommen werden. So wird im Islam Neid beispielsweise als üble Krankheit des Herzens beschrieben, die zu Fehlverhalten und schlechtem Benehmen führt. Anders als im katholischen Glauben wird dieses Wetteifern jedoch als lobenswert angesehen, solange es auf Rechtschaffenheit basiert. Durch die Auseinandersetzung mit dem psychologischen Phänomen von Neid und Eifersucht sind die Lernenden anschließend gut vorbereitet, um sich auf Analyse zwei motivgleicher Texte (Volksballade vs. Märchen) ein‐ zulassen und die speziellen inhaltlichen, sprachlichen und formalen Beson‐ derheiten dieser herauszuarbeiten. Denn mit der Verarbeitung unterschied‐ licher Elemente anderer Gattungen in der Ballade ist seit jeher die Schwierigkeit verbunden, sie einer der literarischen Großgattungen zuzuordnen (Kap. 2.1). Zur Vorbereitung der Diskussion werden die zwei vorgestellten Texte auf Kleingruppen mit der Aufgabe verteilt, den Inhalt sowie die sprachlichen und formalen Besonderheiten herauszuarbeiten. Die gewonnenen Erkennt‐ nisse sollen anschließend in den Gruppen auf größere Karteikarten notiert und mithilfe der Lehrperson unter den Gattungsbegriffen Volksballade und Märchen systematisch an der Tafel gesammelt werden. Mögliche Leitfragen 5.1 Freundschaft und Liebe 157 <?page no="158"?> und Kategorien, die je nach Leistungsstand der Klasse auch bereits im Vor‐ feld vorgegeben werden können, sind z.B.: ▸ Worum geht es im Text und wie ist die dort beschriebene Handlung ▸ aufgebaut (Handlungsverlauf, Handlungsstränge, Ort und Zeit der Handlung …)? ▸ Was erfährst du über die Figuren (Figurenanzahl und -konstellation, ▸ explizite und implizite Figurenbeschreibungen …)? ▸ Wer spricht und wer sieht? ▸▸ Welche formalen Besonderheiten fallen dir auf (Textumfang, stro‐ ▸ phisch vs. in Sätzen, gereimt vs. ungereimt …)? ▸ Welche sprachlichen Besonderheiten fallen dir auf (sprachliche Stil‐ ▸ mittel: Wiederholungen, bildreiche Sprache, formelhafte Wendun‐ gen …)? ▸ Was fällt dir bei der zeitlichen Struktur auf (chronologische Ordnung/ ▸ achronologische Ordnung: Rückwendung, Vorausdeutung; Erzählge‐ schwindigkeit: Zeitraffung/ Aussparung, Zeitdeckung …)? ▸ Wie wirkt der Text auf dich und warum? ▸ Mit dieser Strukturierungsmethode werden die Merkmale und Funktionen beider Textgattungen nicht nur visuell noch einmal deutlich, sondern bieten aufgeklebt auf ein großes Plakat für die Schüler/ -innen auch in den weiteren Stunden eine Orientierung. In der anschließenden vergleichenden Analyse sollte herausgearbeitet werden, dass beide Texte aufgrund ihrer behandelten Thematik ein starkes emotionales Wirkungspotential besitzen und sich in ihrer Auffassung einer beseelten Natur bzw. beseelter Gegenstände gleichen. Zudem enden beide Erzählungen tragisch mit dem Tod der guten Schwester bzw. des guten Bru‐ ders, die anders als sonst üblich im Märchen auch am Ende nicht wieder zum Leben erweckt werden. Das emotionale Wirkungspotenzial der Erzählung verstärkt sich in der Volksballade jedoch durch die lyrisch gebundene Form. Zudem besitzt die szenenhafte, lineare Darstellung der Erzählung in der Volksballade als er‐ zählendes Gedicht im Vergleich zum Märchen einen deutlich kürzeren Umfang. Mit dem Verweis auf das Spiralcurriculum sollte jedoch an dieser Stelle bereits darauf verwiesen werden, dass sich die Volksballade weiter‐ entwickelt hat, sodass inzwischen ganz verschiedene Umsetzungen der Gat‐ tung Ballade existieren, die in den kommenden Schuljahren in ihrer unter‐ schiedlichen Form immer wieder thematisiert werden. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 158 <?page no="159"?> Mit dem Ziel, das zunächst analytisch erarbeitete Gattungswissen zu den zwei Textgattungen zu vertiefen, bietet es sich an, die Textvorgabe entspre‐ chend der erarbeiteten Merkmale der anderen Gruppe umzuschreiben. Dies bedeutet, dass die Gruppe, welche sich zunächst mit der Volksballade „Die zwei Schwestern“ beschäftigt hat, nun versucht, diese - möglichst zu zweit - in die Gattung des Märchens umzuschreiben. Die andere Gruppe setzt sich mit den Merkmalen der Ballade genauer auseinander, indem sie versucht, das ihr vorliegende Märchen entlang der erarbeiteten Merkmale in jene Textgattung umzuschreiben. Dem Analysieren von Texten wird mit dem Umschreiben von literarischen Vorlagen am Ende der Reihe eine klassische Methode des produktiven Schreibens zur Seite gestellt, durch deren kreative Textarbeit das zuvor erworbene deklarative Gattungswissen bzw. Textmus‐ terwissen nun in prozedurales Handlungswissen umgewandelt werden kann (vgl. Fix 2008: 11). 5.1.4 Grenzenloser Liebesbeweis - „Der Handschuh“ von Friedrich Schiller Juliane Dube Thema: In der Ballade „Der Handschuh“, die 1798 im Musen-Alma‐ nach, einer von Schiller mit herausgegebenen Literaturzeitschrift, er‐ schien, verarbeitet der unbesoldete Professor für Geschichte an der Uni‐ versität Jena wie bereits in seinem ihm zum Durchbruch verhelfenden Drama Die Räuber erneut einen historischen Stoff. Diesmal dient die Anekdote des Edelmanns Delorges als Vorlage, welcher am Hofe des französischen Königs Franz I einer Dame den Handschuh ins Gesicht geworfen haben soll, nachdem er ihrer Bitte nachkam, diesen als Lie‐ besbeweis aus der Mitte einer Löwengruppe zu bergen. Delorges muss sich damit, ähnlich wie der Knappe in der drei Tage später fertiggestellten Ballade „Der Taucher“, bewegt durch die Liebe zu einer jungen Frau, einer scheinbar unmöglichen Situation stellen. Während sich der Knappe in Schillers Ballade vom Taucher den wiederholten Aufforderungen des Königs beugt und dafür mit dem Leben zahlen muss, zeigt Delorges entgegen aller höfischen Etikette offen seine Missbilli‐ gung gegenüber den Wünschen seiner Angebeteten. 5.1 Freundschaft und Liebe 159 <?page no="160"?> Intension: Ziel der Unterrichtsreihe ist es einerseits, die Lernenden an‐ zuleiten, den historischen Kontext als Interpretationshilfe zu nutzen und andererseits die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren produk‐ tionsorientiert herauszuarbeiten. Die hierfür geplante Erstellung eines Balladentrailers soll nicht nur zu einer produktionsorientierten audio‐ visuellen Verdichtung des Leseeindrucks führen, der über ein vertieftes Textverstehen hinausreicht, sondern auch Schüler/ -innen z. B. aus der Nachbarklasse zum Lesen der Ballade motivieren. Eine abschließende Reflexion über die Wirkung der eingesetzten filmischen Mittel soll zu‐ dem zur Ausbildung einer reflektierten Medienkompetenz beitragen. Unterricht im 9. und 10. Schuljahr: Zunächst erschließen sich die Lernenden die Ballade und das unerwartete Verhalten der Hauptfiguren im literarischen Gespräch. Anschließend werden sie in das Videoverarbeitungsprogramm iMovie eingeführt. Unter der Nutzung vorgegebener Trailervorlagen und Screendesigns erstellen sie individu‐ elle Textfelder für die audiovisuelle Darbietung der Ballade. Ausgewählte didaktische Analyse Um die Tragweite der Handlung des Edelmanns Delorges im Schlussteil von Schillers Ballade zu erfassen, gilt es, sich das Konzept der hohen Minne, das im 12. und 13. Jahrhundert häufig anzutreffen war, zu vergegenwärtigen. Die hohe Minne, in der der Mann die Rolle des Verehrers einnahm, folgte stets einem wiederkehrenden Handlungsverlauf. Zunächst verliebte sich der Mann in eine Frau, meist adlig, zuweilen sogar verheiratet, die dessen Liebe jedoch nicht erwiderte. Den Liebesverzicht annehmend, ,diente‘ der Mann der verehrten Frau fortan z. B. als Sänger treu und ergeben. Diese Beziehung brachte ihm innere Erfüllung und gesellschaftliche Anerkennung. Von der Frau wurde hingegen erwartet, dass sie ihren Verehrer immer wieder zu‐ rückweist. Folglich ist auch der Wurf des Handschuhs in die Mitte der Lö‐ wengruppe und die Aufforderung diesen zurückzuholen, nicht als charak‐ terloses Handeln zu verstehen, sondern Teil eines (übertriebenen) Spiels zwischen den Geschlechtern. Bis heute ist der Wahrheitsgehalt jener mit‐ telalterlichen Flirtversuche, die vor allem in der Gesellschaftskunst des Min‐ nesangs gepflegt wurden, jedoch umstritten. Ob jene Versuche um die Gunst einer Frau zu werben also tatsächlich auch im realen Ritterleben stattfanden 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 160 <?page no="161"?> oder ob es sich eher um ein frei erfundenes literarisches Motiv handelt, ist bis heute ungeklärt. Der Handschuh (Friedrich Schiller) Vor seinem Löwengarten, Das Kampfspiel zu erwarten, Saß König Franz, Und um ihn die Großen der Krone, Und rings auf hohem Balkone Die Damen in schönem Kranz. Und wie er winkt mit dem Finger, Auf tut sich der weite Zwinger, Und hinein mit bedächtigem Schritt Ein Löwe tritt, Und sieht sich stumm Rings um, Mit langem Gähnen, Und schüttelt die Mähnen, Und streckt die Glieder, Und legt sich nieder. Und der König winkt wieder, Da öffnet sich behend Ein zweites Tor, Daraus rennt Mit wildem Sprunge Ein Tiger hervor, Wie der den Löwen erschaut, Brüllt er laut, Schlägt mit dem Schweif Einen furchtbaren Reif, Und recket die Zunge, Und im Kreise scheu Umgeht er den Leu Grimmig schnurrend; Drauf streckt er sich murrend Zur Seite nieder. Und der König winkt wieder, 5.1 Freundschaft und Liebe 161 <?page no="162"?> Da speit das doppelt geöffnete Haus Zwei Leoparden auf einmal aus, Die stürzen mit mutiger Kampfbegier Auf das Tigertier, Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen, Und der Leu mit Gebrüll Richtet sich auf, da wird’s still, Und herum im Kreis, Von Mordsucht heiß, Lagern die greulichen Katzen. Da fällt von des Altans Rand Ein Handschuh von schöner Hand Zwischen den Tiger und den Leun Mitten hinein. Und zu Ritter Delorges spottenderweis Wendet sich Fräulein Kunigund: »Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß, Wie Ihr mir’s schwört zu jeder Stund, Ei, so hebt mir den Handschuh auf.« Und der Ritter in schnellem Lauf Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger Mit festem Schritte, Und aus der Ungeheuer Mitte Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger. Und mit Erstaunen und mit Grauen Sehen’s die Ritter und Edelfrauen, Und gelassen bringt er den Handschuh zurück. Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde, Aber mit zärtlichem Liebesblick - Er verheißt ihm sein nahes Glück - Empfängt ihn Fräulein Kunigunde. Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht: »Den Dank, Dame, begehr ich nicht«, Und verläßt sie zur selben Stunde. (B O X B E R G E R , Robert (Hrsg.) (1888). Schillers Werke 2. Gedichte. Berlin, 75) 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 162 <?page no="163"?> Unterteilt in fünf Abschnitte (vgl. Herbst 1996: 244; Laufhütte 1979: 124): ▸ Exposition (1. Strophe), ▸▸ erster Hauptteil mit Tierstrophen (2., 3., 4. Strophe), ▸▸ Wendepunkt (5. Strophe), ▸▸ zweiter Hauptteil mit Aufforderung den Handschuh zu bergen (6., 7. ▸ Strophe), ▸ Pointe: Delorges wirft der Dame den Handschuh ins Gesicht (Strohe ▸ 7; Vers 65), bietet die Ballade verschiedene Ansatzpunkte zur Interpretation. Neben der fast obligatorischen Struktur-und Sprachanalyse können, wie eingangs be‐ reits vorgestellt, auch der symbolische Gehalt vom Wurf des Handschuhs bzw. die damit einhergehende Darstellung der hohen Minne sowie Delorges Af‐ front thematisiert werden. Denn unabhängig vom Realitätsbezug der Minne wiederspricht das Verhalten Delorges jener höfischen Tradition der hohen Minne. Entgegen der Erwartung, dass Delorges sich mit diesem Verhalten die Zuwendung der hohen Damen verspielte, hat diese, laut Sage, mehrfach um ein Wiedersehen gebeten, welches der Edelmann jedoch immer wieder aus‐ schlug. Folglich bietet jenes Themenfeld nicht nur interessante Diskussions‐ punkte zur Darstellung der Geschlechter, insbesondere im Hinblick auf das umgekehrte soziale Gefälle zwischen Verehrer und Angebeteter, sondern auch, um sich über Situationen Gedanken zu machen, in denen der Rollen‐ konformität zugunsten von Selbstachtung aufgegeben werden sollte,. Als Nachbzw. Gegenstück zur Ballade „Der Handschuh“ (vgl. Goethe n. Beetz 1990: 359) entsteht nur wenige Tage später die Ballade „Der Taucher“. Anders als noch im Stück zuvor, in dem Delorges durch seine Handlung selbstbewusst aus seiner ihm zugedachten Rolle des Opfers heraustritt (vgl. Laufhütte 1979: 122), kommt der Knappe in der Ballade vom Taucher bei der Erfüllung der sich zunehmend absurd gestalteten Aufforderungen des Kö‐ nigs ums Leben. Aufgrund der zeitlichen Nähe und der thematischen Ge‐ meinsamkeiten beider Balladen sowie aufgrund des unterschiedlichen Bal‐ ladenausgangs ist es ebenso möglich, anstelle des hier vorgestellten Unterrichtsvorschlags jeweils eine der beiden Balladen mit einem Teil der Klasse zu lesen. Wenngleich der Knappe in der Ballade vom Taucher gesell‐ schaftlich anders zum König steht als der Ritter zur Dame in der Ballade vom Handschuh, ist es interessant darüber nachzudenken, wie jenes Verhalten zu werten ist. Versteht sich der Tod des Knappen als Konsequenz eines blin‐ den Gehorsams gegenüber der Obrigkeit, den Schiller damit in Frage stellt, 5.1 Freundschaft und Liebe 163 <?page no="164"?> oder sollte das Verhalten des Knappen als Weiterentwicklung bzw. Korrektur zum Vorstück gelesen werden, dessen tragisches Schicksal die Herrschenden wachrütteln sollte? Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ lernen eigene Leseerfahrungen und Verstehensansätze zu artikulie‐ ▸ ren, anderen Lesarten zuzuhören und sich darüber zu verständigen, sowie Erfahrungen des Nicht-Verstehens und der Fremdheit als Teil des Verstehensprozesses zu betrachten; ▸ erschließen sich die Ballade „Der Handschuh“ von Friedrich Schiller ▸ auch unter Einbeziehung historischer und gesellschaftlicher Frage‐ stellungen im literarischen Gespräch; ▸ bringen ihr Textverstehen zur zentralen Beziehung zwischen Delor‐ ▸ ges und Kunigunde mit bewegten Bildern, Text und Musik im Format eines Balladentrailers zum Ausdruck; ▸ vertiefen ihr Verständnis von filmischen Elementen und reflektieren ▸ ihren Einsatz mithilfe eines Beurteilungsbogens. In Anlehnung an die Phasen des literarischen Gesprächs im Heidelber‐ ger Modell wird die Ballade zu Beginn der Unterrichtsreihe durch die Lehr‐ person vorgetragen, bevor diese an die Schüler/ -innen mit dem Auftrag des nochmaligen leisen Lesens ausgeteilt wird. Anregt durch die Frage zu De‐ lorges Handlungsmotiv wird das Gespräch eröffnet und jeder, der möchte, bekommt die Möglichkeit, sich mit Bezug zum Text und zu eigenen Erfah‐ rungen zur Frage zu äußern. Gemeinsam können im Anschluss an die Eingangsfrage jedoch auch noch weitere Fragen ergründet werden (vgl. u. a. Herbst 1996: 247): ▸ Worauf gründet sich der Mut des Ritters? Inwieweit ist er mitverant‐ ▸ wortlich? Hätte er das Verhängnis, in das er geriet, abwenden können? ▸ Warum verweigern die Tiere den Kampf ? ▸▸ Versteht sich die Ballade als verdeckte Kritik am König? Oder wird ▸ hier eher die hohe Minne kritisiert? ▸ Welches ist die eigentliche, tiefe Tragik dieser Ballade? ▸▸ Ist Delorges’ Akt als „revolutionär“ zu bezeichnen? ▸ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 164 <?page no="165"?> ▸ Legt uns die Ballade aktuelle Bezüge nahe? Was bedeuten Entschei‐ ▸ dungsfreiheit und Selbstachtung heute? Zum Abschluss des Gesprächs werden die wichtig gewordenen Verstehen‐ saspekte noch einmal gesammelt und reflektiert. Um den Lernenden einen breiteren Interpretationsrahmen zu eröffnen, führt die Lehrperson die Schü‐ ler/ -innen anschließend in das Konzept der hohen Minne ein. Im Anschluss an die einführende Doppelstunde zur Ballade sollen die Lernenden durch die produktionsorientierte Auseinandersetzung mit dem Text in Form eines Balladentrailers nicht nur das eigene Leseverstehen hinterfragen und diskutieren, sondern darüber hinaus auch bereits vorhan‐ dene Kenntnisse zu filmischen Mitteln vertiefen (Abb. 5.3). Abb. 5.3: Übersicht zu zentralen Filmelementen (vgl. Frederking/ Krommer/ Maiwald 2012: 177-185). Eigentlich als Marketinginstrument von Filmverlagen etabliert, finden sich seit geraumer Zeit sogenannte Buchtrailer im Internet. Nicht- und Wenig‐ leser/ -innen sollen durch die szenische Inszenierung des Stoffes angespro‐ 5.1 Freundschaft und Liebe 165 <?page no="166"?> chen und für das Lesen der Lektüre motiviert werden. Überlegungen, wie die Gestaltung von Trailern klassenübergreifend auch zum Lesen von Bal‐ laden eingesetzt werden können, sollen folgend vorgestellt werden. Unab‐ dingbar für eine gelingende Umsetzung ist jedoch die Einführung bzw. Wie‐ derholung filmischer Elemente, wie sie u. a. von Frederking, Krommer und Maiwald (2012) vorgestellt werden. (Abb. 5.3) Sind Endgeräte mit Internetzugang an der Schule vorhanden, kann zur Einführung und Wiederholung auch die App Top Shot der FILM‐ SCHULE NRW im Unterricht eingesetzt werden, die kostenlos für alle iOS- und Android-Geräte verfügbar ist. Mithilfe der App erhalten die Lernenden Informationen zu den wichtigsten Elementen des Films wie Einstellungsgrößen, Kameraperspektiven, Look, Musik sowie Film‐ schnitt und können diese in ihrer Wirkung interaktiv selbst erfahren. Für die Gestaltung der Balladentrailer sollten die Computer oder Tablets an der Schule mit leicht zugänglichen Videoschnittprogrammen wie Windows Live Moviemaker oder iMovie ausgestattet sein. Beide sind kostenlos aus dem Internet herunterzuladen. Zur Erstellung der Balladentrailer können die Lernenden zudem auf reichhaltige webbasierte Bild-, Geräusch- und Mu‐ sikdatenbanken wie soundgator oder pixelio zurückgreifen, welche zahlrei‐ che Dateien ebenfalls kostenlos für den nichtkommerziellen Gebrauch an‐ bieten. Wenngleich im vorgestellten Beispiel so genannte iMovie-Trailer favorisiert werden, da sie sich bereits mit niedrigem technischen und ge‐ stalterischen Aufwand umsetzen lassen, sollen in Anlehnung an Maurer (2013: 3 ff.) auch noch zwei weitere Varianten vorgestellt werden, die alle in Gruppenprozessen umgesetzt werden können. Unabhängig von der Umset‐ zungsform gilt stets, dass die Produktion des Trailers unterschiedliche Auf‐ gaben wie z. B. schauspielern, technische Umsetzung, Filmgestaltung, Regie etc. umfasst und damit vielseitige Formen der Differenzierung bietet. Jeder Lernende kann sich folglich entsprechend seiner Stärken in die Gestaltung einbringen. Der iMovie-Trailer Die iPad-App iMovie eignet sich vor allem für Gruppen mit wenig Vorer‐ fahrung in der Filmarbeit, da die App bereits eine Auswahl an vorgefertigten Trailervorlagen zur Verfügung stellt. Diese geben nicht nur die Anzahl und die Längen der zu filmenden Einstellungen vor, sondern sind in ihrer Wir‐ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 166 <?page no="167"?> kung auch verschiedenen Genres (Horror, Abenteuer, Romantik etc.) zuge‐ ordnet. Diese bestehen aus vorgegebenen Screendesigns, welche durch in‐ dividuell beschreibbare Textfelder mit Versen aus der Ballade ergänzt werden können. Zur Gestaltung der iMovie-Trailer in Kleingruppen im Anschluss an das literarische Gespräch zur Ballade bieten sich folgende Arbeitsschritte an. Für die Umsetzung sollten ca. sechs Unterrichtsstunden eingeplant wer‐ den (vgl. Unterrichtshilfe „Einen Balladentrailer erstellen“): ▸ Ideenfindung: Die Lernenden lesen die Ballade und machen sich ▸ währenddessen erste Notizen zu möglichen geeigneten Requisiten, passender Musik oder Szenen für die Verfilmung. ▸ Materialsammlung: Die Lernenden recherchieren passende Bilder ▸ in analogen und digitalen Medien, ggf. werden auch eigene Zeich‐ nungen angefertigt bzw. eigene Szenendarstellungen abfotografiert. ▸ Balladentrailer schreiben: Die Lernenden wählen eine für sie pas‐ ▸ sende Trailervorlage bei iMovie und erstellen ergänzende Textele‐ mente. ▸ Balladentrailer erstellen: Die Lernenden fügen ihre Ideen zum ▸ Trailer in das iMovie-Storyboard ein. Sind die Trailer erstellt, sollen diese natürlich auch im Klassenverband prä‐ sentiert werden. Äußere Anreize bieten dabei die Präsentation der Trailer in den Nachbarklassen, die sich ggf. ebenfalls mit Balladen beschäftigt haben oder die Vergabe eines Trailerpreises. Einen Vorschlag zur Gestaltung eines Juryzettels, der die Lernenden ebenfalls zur Reflexion der Wirkungsweisen der eingesetzten filmischen Mittel anregen soll, finden Sie als Arbeitsblatt im digitalen Anhang (vgl. Unterrichtshilfe „Einen Balladentrailer bewerten“). Weitere Trailer-Varianten Der Plansequenz-Trailer: Der Plansequenztrailer verbindet zeichneri‐ sches Schaffen mit literarischem Erzählen unter Einbezug von Textele‐ menten, Geräuschen und einer Erzählerstimme aus dem Off. Die Planse‐ quenz erzählt eine Geschichte oder Szene in einer einzigen Einstellung, daher kommt sie ohne Schnitt und Montage aus. Vor der Produktion wird geplant, wie der Bildausschnitt gestaltet wird und welche Kameraund/ oder Objektbewegungen sinnvoll sind. Produziert wird der Trailer live mit Stimme, Geräuschen, Hintergrundarrangement und Textelementen. 5.1 Freundschaft und Liebe 167 <?page no="168"?> Der szenische Trailer: Beim szenischen Trailer wählen die Lernenden in Gruppenprozessen eine oder mehrere Szene(n) aus der Ballade aus, die in einem Drehbuch gestaltet und filmisch umgesetzt werden sollen (vgl. hierzu auch das Kapitel 4.2. Textproduktives Schreiben und 4.12 Balladen in neuen medialen Formaten). Um das Bewusstsein für filmi‐ sches Denken zu fördern, können die bis zu fünf ausgewählten Ein‐ stellungen zunächst auch erst zeichnerisch umgesetzt werden, bevor sie abgefilmt werden. 5.1.5 Bedingungslose Freundschaft über den Tod hinaus - „Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller Juliane Dube Thema: Basierend auf der Erzählung über die Freundschaft zwischen Möros und Selinuntius aus dem mythographischen Handbuch Fabulae des Hyginus (2. Jahrhundert n. Chr.) verfasste Schiller 1798 mit der Bal‐ lade „Die Bürgschaft“ eines seiner berühmtesten Werke. Der ästheti‐ schen Erziehung des Menschen verpflichtet, erleben die Leser/ -innen die Konfliktlösung eines Helden, der sich weder magischer noch natür‐ licher Kräfte bedient, sondern allein mit seinem edlen Wesen ‚das Böse‘ in Person des Tyrannen Dionys bezwingt. Mit dem damit thematisierten Humanitätsideal zählt die Ballade „Die Bürgschaft“ zu den Ideenballa‐ den, die vor allem durch die Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller im berühmt gewordenen Balladenjahr (1797) entstanden sind. Intension: Im aktuellen Poesiefilm der Regisseurin Kerstin Höckel wird aus der antiken Geschichte um die Freundschaft zwischen Damon und Phintias ein aktuelles Abschiebungsdrama. Durch die filmische Neube‐ arbeitung nehmen die Schüler/ -innen einen Perspektivwechsel vor, der ihnen die Relevanz des in der Ballade behandelten Freundschaftsbew‐ eises intensiv verdeutlicht. Als finales Lernergebnis dient das Schreiben einer Filmkritik dazu, die Eindrücke aus den Lese- und Sehgesprächen ggf. auch unter Hinzuziehung weiterer Informationen vertieft zu bear‐ beiten, eigene Urteile zu verdichten und damit ihre Selektions- und Be‐ urteilungskompetenz weiterzuentwickeln. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 168 <?page no="169"?> Unterricht in der Sekundarstufe II: Zunächst werden Eindrücke, Assoziationen und Deutungshypothesen zur Ballade im Plenum ausge‐ tauscht. Anschließend arbeiten die Lernenden in Kleingruppen Textbelege für die Beweggründe von Damons Handelns heraus und disku‐ tieren, wodurch die Rachlust des Tyrannen Dionys schließlich über‐ wunden wird. Im zweiten Teil der Themenreihe schauen die Lernenden den Kurzfilm „Die Bürgschaft“ der Regisseurin Kerstin Höckel. An aus‐ gewählten Szenen vergleichen sie die narrative Struktur des Films mit dem Originaltext und besprechen die Figurendarstellung sowie die ge‐ stalterische Umsetzung. Ihre Ergebnisse und Wertungen führen die Ler‐ nenden in einer Filmkritik zusammen. Ausgewählte didaktische Analyse Was hält eine Freundschaft aus, wenn die Bürgschaft für diese das eigene Leben ist, und was kann diese innige menschliche Verbindung bewirken? Diesen Fragen geht Friedrich Schiller in seiner Ballade „Die Bürgschaft“ nach. Statt wie in der üblichen Form der Bürgschaft aus dem Finanz- und Wirtschaftsbereich, in der sich der Bürgende gegenüber dem Gläubiger ver‐ pflichtet, finanziell für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Dritten ein‐ zustehen, falls dieser nicht in der Lage ist, sie rechtzeitig zu entrichten, hin‐ terlässt der nach einem vereitelten Mordanschlag auf den Tyrannen Dionys, je nach nationaler und internationaler Geschichtsschreibung als „Wider‐ stands- oder Terrorismusakt“ bezeichnet (vgl. Kronauer 2014), verurteilte Damon seinen Freund als Pfand. Dieser soll an seiner Stelle sterben, wenn er es nicht schafft, rechtzeitig von der Hochzeit seiner Schwester zurück‐ zukehren. Mit hoher dramatischer Dichte schildert Schiller Damons quä‐ lenden Heimweg nach der Hochzeit seiner Schwester. Die Hindernisse, die sich ihm während der Rückkehr zu seinem treuen Freund in den Weg stellen - sintflutartiger Regen, starke Sturmböen, unendlicher Durst und mörderi‐ sche Räuber, können Damon jedoch nicht aufhalten. Selbst als ihm kurz vor seiner Ankunft Philostratus, Diener des Königs, rät umzudrehen, um sein eigenes Leben noch zu schützen: „Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, / So rette das eigene Leben! “ lässt Damon kein Zweifeln zu. So erreicht er kurz vor der Hinrichtung seines Freundes die Szenerie und ruft: „Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget! “ und bietet sich zum Vollzug seiner Strafe an. Der angesichts des anstehenden Todes erfolgende 5.1 Freundschaft und Liebe 169 <?page no="170"?> innige Abschied der beiden Freunde berührt jedoch nicht nur die Menge, sondern auch den König, der nun nicht mehr wie ein Tyrann agitiert. Mit der Bitte, Teil dieser tiefen Freundschaftsverbindung zu sein, lässt er folglich ab von seinem Todesurteil gegen Damon und schenkt ihm die Freiheit. Die Bürgschaft (Friedrich Schiller) Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande, „Was wolltest du mit dem Dolche? sprich! “ Entgegnet ihm finster der Wüterich. „Die Stadt vom Tyrannen befreien! “ „Das sollst du am Kreuze bereuen.“ „Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben: Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn’ ich, erwürgen.“ Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken: „Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, Eh’ du zurück mir gegeben bist, So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“ Und er kommt zum Freunde: „Der König gebeut, Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben. Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande, Bis ich komme zu lösen die Bande.“ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 170 <?page no="171"?> Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus dem Tyrannen; Der andere ziehet von dannen. Und ehe das dritte Morgenrot scheint, Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint, Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle. Da gießt unendlicher Regen herab, Von den Bergen stürzen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen. Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, Da reißet die Brücke der Strudel herab, Und donnernd sprengen die Wogen Des Gewölbes krachenden Bogen. Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch spähet und blicket Und die Stimme, die rufende, schicket. Da stößet kein Nachen vom sichern Strand, Der ihn setze an das gewünschte Land, Kein Schiffer lenket die Fähre, Und der wilde Strom wird zum Meere. Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, Die Hände zum Zeus erhoben: „O hemme des Stromes Toben! Es eilen die Stunden, im Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht Und ich kann die Stadt nicht erreichen, So muß der Freund mir erbleichen.“ Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, Und Welle auf Welle zerrinnet, Und Stunde an Stunde ertrinnet. Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut Und wirft sich hinein in die brausende Flut Und teilt mit gewaltigen Armen Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen. 5.1 Freundschaft und Liebe 171 <?page no="172"?> Und gewinnt das Ufer und eilet fort Und danket dem rettenden Gotte; Da stürzet die raubende Rotte Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort, Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord Und hemmet des Wanderers Eile Mit drohend geschwungener Keule. „Was wollt ihr? “ ruft er vor Schrecken bleich, „Ich habe nichts als mein Leben, Das muß ich dem Könige geben! “ Und entreißt die Keule dem nächsten gleich: „Um des Freundes willen erbarmet euch! “ Und drei mit gewaltigen Streichen Erlegt er, die andern entweichen. Und die Sonne versendet glühenden Brand, Und von der unendlichen Mühe Ermattet sinken die Kniee. „O hast du mich gnädig aus Räubershand, Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, Und soll hier verschmachtend verderben, Und der Freund mir, der liebende, sterben! “ Und horch! da sprudelt es silberhell, Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, Und stille hält er, zu lauschen; Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, Und freudig bückt er sich nieder Und erfrischet die brennenden Glieder. Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün Und malt auf den glänzenden Matten Der Bäume gigantische Schatten; Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, Will eilenden Laufes vorüber fliehn, Da hört er die Worte sie sagen: „Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 172 <?page no="173"?> Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, Ihn jagen der Sorge Qualen; Da schimmern in Abendrots Strahlen Von ferne die Zinnen von Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hauses redlicher Hüter, Der erkennet entsetzt den Gebieter: „Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben! Den Tod erleidet er eben. Von Stunde zu Stunde gewartet’ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“ „Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, Ein Retter, willkommen erscheinen, So soll mich der Tod ihm vereinen. Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht, Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue! “ Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor, Und sieht das Kreuz schon erhöhet, Das die Menge gaffend umstehet; An dem Seile schon zieht man den Freund empor, Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor: „Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget! “ Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, In den Armen liegen sich beide Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Augen tränenleer, Und zum Könige bringt man die Wundermär’; Der fühlt ein menschliches Rühren, Läßt schnell vor den Thron sie führen, 5.1 Freundschaft und Liebe 173 <?page no="174"?> Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen; Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn - So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte! “ (Aus: Schiller, Friedrich (Hrsg.) (1799). Musen-Almanach für das Jahr 1799. Tübingen: J.G. Cotta, 176-182) Damons Handlungen, so glaubt man vornehmlich, zielen darauf, den Freund auszulösen und ihn vor dem unverschuldeten Tode zu bewahren. Dass es neben dem individuellen Schicksal jedoch um mehr geht, nämlich um Schil‐ lers Menschenbild, der das Individuum als autarken Handlungsträger sieht, weshalb Safranski (2004) ihn als einen der ersten Vertreter des deutschen Idealismus bezeichnet, offenbart sich, als Damon den Rat des Philostratus mit den Worten „[…] und glaube an Liebe und Treue“ ausschlägt und seinen Weg zum König fortsetzt. Damon steht mit seinem Verhalten damit, ähnlich wie Delorges in der Ballade „Der Handschuh“ (Kap. 5.1.4), für Schillers Ide‐ albild einer „schönen Seele“, die fast gänzlich als zivilisatorische Errungen‐ schaft durch Kunst (Theater oder Dichtkunst) befördert werden kann. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ analysieren die filmische Umsetzung der literarischen Vorlage „Die ▸ Bürgschaft“ in ihrer narrativen Struktur und ästhetischen Gestaltung; ▸ setzen sich mit den Perspektiven und Handlungsmustern von Akteu‐ ▸ ren und Figuren in Film und literarischer Vorlage auseinander. ▸ diskutieren die Bedeutung historisch-gesellschaftlicher Bezüge der ▸ Ballade „Die Bürgschaft“ kritisch am aktuellen Beispiel der Flücht‐ lingsthematik. ▸ führen ihre Ergebnisse zu einer in sich schlüssigen Deutung (Sinn‐ ▸ konstruktion) des Films in Form einer Filmkritik zusammen. Diskussionen zum Menschenbild und zu Wertvorstellungen, vor allem zu freiheitlichen und moralischen, haben in den turbulenten Zeiten der begin‐ nenden 2010er-Jahre Hochkonjunktur. Sei es in Form von Diskussionen zum 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 174 <?page no="175"?> Umgang mit der Krise liberaler Gesellschaften durch den Aufstieg autoritä‐ rer Kräfte oder den Umgang mit vor Krieg und Hunger flüchtenden Men‐ schengruppen aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Stets geht es um die Frage: (Wie) wollen wir zusammenleben und welche Werte sollen unser Zu‐ sammenleben prägen? Diese Diskussionen sind nicht neu. Vielmehr sind sie der stetige Begleiter von kriegerischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. So auch zu Schillers Lebzeiten, welche geprägt sind durch die Französische Revolu‐ tion, den Aufstieg Napoleons und die Auswirkungen der Frühindustriali‐ sierung. Ebenfalls nicht neu ist, dass zentrale gesellschaftliche und politische Umbrüche in Kunst und Kultur thematisiert und verarbeitet werden. Folg‐ lich dienen auch literarische Texte, nicht zuletzt aufgrund ihres starken emotionalen Moments, immer wieder zur Beschreibung aktueller Zeitum‐ stände. Das Repertoire umfasst dabei neue, aber auch immer wieder ältere Texte, die im Medienzeitalter nicht nur printmedial, sondern auch auditiv und audiovisuell aufgearbeitet sind. Ein Beispiel für die filmische Inszenie‐ rung einer literarischen Vorlage ist der Kurzfilm von Kerstin Höckel (2015) zu Schillers Ballade „Die Bürgschaft“. Überwiegend unterlegt mit der Rezi‐ tation der klassischen Originalverse, erzählt die filmische Adaption die dra‐ matische Geschichte der beiden befreundeten Berliner Flüchtlinge Mihriban (Mateja Meded) und Ashana (Deleila Piasko). Anders als Schillers Ballade, die mit einem Mordversuch auf den Tyrannen Dionys II. beginnt, wird Höckels Film mit einem Brief an Mihriban einge‐ leitet, der sie über ihre bevorstehende Abschiebung informiert. Um ihrer Freundin ein letztes Zusammensein mit ihrem ‚Freund‘ zu ermöglichen, tauscht Ashana kurzerhand mit Mihriban ihre Identität (Treuebeweis, Abb. 5.4). Der durch den Tausch ermöglichte Zeitaufschub wird damit nicht von einer europäischen Institution zur Regulierung der Zuwanderung ge‐ währt, die im Film analog zum Tyrannen fungiert, sondern durch die Freun‐ din selbst. 5.1 Freundschaft und Liebe 175 <?page no="176"?> Abb. 5.4: Screenshot: Mihriban und Ashana tauschen ihre Identität Als Ashana, statt Mihriban, am Tag der Abschiebung von den Behörden abgeholt wird, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Dabei kämpft Mihriban in der modernen Inszenierung nicht wie in Schillers Original gegen sint‐ flutartigen Regen, starke Sturmböen, unendlichen Durst und mörderische Räuber, sondern gegen akribisch arbeitende Fahrkartenkontrolleure, be‐ trunkene Männer und rote Ampeln. Nur mit Hilfe von ‚Philostratus‘, in Per‐ son einer deutschen Grenzpolizistin, schafft sie es noch, das Flugzeug, wel‐ ches bereits auf die Startbahn gerollt ist, einzuholen und ihren Platz anstelle ihrer Freundin einzunehmen. Wie in Schillers Ballade sind auch die mitrei‐ senden Fluggäste von der Szenerie der Wiedersehensfreude und Abschieds‐ trauer der beiden treuen Gefährtinnen so bewegt, dass sie aufstehen und damit einen Weiterflug der Maschine verhindern. Ob durch diese von Höckel (2015) inszenierte bunte Initiative der Willkommenskultur, die sich im Früh‐ jahr 2016 in der realen Berliner-Kampagne „#Aufstehen gegen Rassismus“ weiterorganisiert, Mihribans Abschiebung jedoch langfristig verhindert wird, bleibt unbeantwortet. Der Film lässt - anders als die Ballade - das Schicksal der zentralen Figur offen. Eingebettet in einen medienintegrativen Deutschunterricht kann, wie im vorzustellenden Unterrichtsbeispiel, die Analyse und Bewertung auditiver und audiovisueller Umsetzungen literarischer Texte thematisiert werden. Im Zentrum steht dabei stets - ganz unabhängig von den behandelten Texten - die Förderung multimodaler Kompetenz(en). Spiralcurricular werden diese in den unteren Klassen zunächst durch die Analyse, den Vergleich und die Bewertung bzw. Eigenproduktion einzelner Szenen aufgebaut, bevor die 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 176 <?page no="177"?> auditive und audiovisuelle Umsetzung in ihrer Ganzheit thematisiert wird. Im Sinne einer sich zunehmend durchsetzenden funktionalen Perspektive auf Textprodukte bietet sich hierzu für die Oberstufe die Präsentation der Analyseergebnisse aus dem Lese-Sehgespräch im Rahmen einer Filmkritik an (vgl. Unterrichtshilfe: „Eine Filmkritik schreiben“). Als finales Ergebnis der Lerner/ -innen dient das Schreiben einer Filmkri‐ tik dazu, die Eindrücke aus den Lese- und Sehgesprächen, ggf. auch unter Hinzuziehung weiterer Informationen, vertieft zu bearbeiten, eigene Urteile zu verdichten und damit Selektions- und Beurteilungskompetenz weiterzu‐ entwickeln. Dazu bedarf es im Vorfeld einer Analyse unterschiedlicher Aspekte (Handlung, Figuren und schauspielerische Leistung, gestalterische Umset‐ zung), die entsprechend einer für Komplexität sensiblen Aufgabendidaktik im Deutschunterricht kleinschrittig angebahnt und ggf. auch in Kleingrup‐ pen bearbeitet werden sollte. Voraussetzung für die Umsetzung der folgen‐ den Unterrichtsidee ist, dass bereits zentrale Aspekte der Ballade bekannt sind. Folglich sollte sie zu Beginn der Reihe einmal gemeinsam mit den Schüler/ -innen gehört werden. Anschließend können im Plenum erste Ein‐ drücke, Assoziationen und Deutungshypothesen gesammelt und an der Ta‐ fel festgehalten werden, bevor die Lernenden in Kleingruppen einerseits Textbelege für die Beweggründe von Damons Handeln herausarbeiten (1. versuchter Tyrannenmord; 2. Sorge um die Schwester; 3. Ablösung des Freundes) und andererseits begründen, wodurch die Rachlust des Tyrannen Dionys schließlich überwunden wird. Ist die Kleingruppenarbeit am Text beendet und besprochen, kommen die Lernenden zusammen, um gemeinsam den Kurzfilm „Die Bürgschaft“ zu schauen. Einen möglichen Ausgangspunkt für das Schreiben einer Filmkritik bildet im Anschluss die Analyse der narrativen Struktur des Films an aus‐ gewählten Szenen mit dem Originaltext z. B. mit der folgenden Aufgaben‐ stellung: Ergänzen Sie zum jeweiligen Filmausschnitt den/ die im Kurzfilm formulierten Verse (vgl. Unterrichtshilfe „Narrative Strukturen vergleichen - Eine Filmkritik vorbereiten“). Zur Vorbereitung der Filmkritik können die Schüler/ -innen bereits an dieser Stelle in den Austausch darüber kommen, wie die teilweise fehlende inhaltliche Übereinstimmung sowie die Auslas‐ sungen zwischen den Filmszenen und der Ballade bewertet werden müssen (vgl. Unterrichtshilfe: „Narrative Strukturen vergleichen - Eine Filmkritik vorbereiten“). In der darauffolgenden Stunde sollen sich die Lernenden beim erneuten Sehen des Kurzfilms auf die Filmfiguren konzentrieren. Hierzu 5.1 Freundschaft und Liebe 177 <?page no="178"?> kann die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Während sich Gruppe 1 mit der Beschreibung der äußerlichen Merkmale der Hauptcharaktere in Film und Ballade beschäftigt, sammelt Gruppe 2 Erklärungen für das Figu‐ renhandeln bzw. Informationen zu den sozialen und persönlichen Hinter‐ gründen der Charaktere. Mithilfe der Lehrperson werden die Ergebnisse an der Tafel gesammelt und systematisiert. In einem dritten Schritt bietet es sich an, den Film erneut anzuschauen und dabei gemeinsam mit den Schüler/ -innen darauf zu achten, wie die zu‐ vor besprochenen Szenen gestalterisch umgesetzt wurden. Mithilfe von Be‐ obachtungsaufgaben zu Musikeinsatz, Geräuschen, Kameraperspektive so‐ wie zur Farbgebung (vgl. Unterrichtshilfe „Gestalterische Umsetzung reflektieren - Eine Filmkritik vorbereiten“) bauen die Lernenden ihre visual literacy, d. h. ihre Fähigkeit, „Bilder zu lesen […][,] ihnen verstehend Sinn und Bedeutung zu geben“ (Abraham 2009: 27) weiter aus. Das inhaltliche Grundmotiv eines Films ist häufig durch die Auseinan‐ dersetzung (des Autors/ der Autorin) mit einer gesellschaftlichen Problema‐ tik geprägt. Auch im vorliegenden Beispiel motivierte die Regisseurin ihre eigene Arbeit mit Flüchtlingen zur Filmproduktion und prägte damit nach‐ haltig die Auswahl der Figuren und die Darstellung der sie betreffenden Ereignisse. Hintergründe zur Idee zum Film finden Sie unter dem Punkt Regieno‐ tizen auf der Homepage zum Kurzfilm: http: / / www.diebuergschaft.com / ? page_id=17 (12.02.2019). Dies kritisch zu reflektieren, bildet den abschließenden Teil der zu schrei‐ benden Filmkritik. Folglich sollten die Schüler/ -innen in ihren Filmkritiken nicht nur ihre Ergebnisse der narrativen Analyse, sowie die Ergebnisse zur Figurendarstellung und gestalterischen Umsetzung fokussiert zusammen‐ tragen, sondern am Ende auch zu folgenden Fragen Stellung beziehen (vgl. Unterrichtshilfe „Eine Filmkritik schreiben“): ▸ Inwieweit ist die Übertragung der Figur eines Königsmörders auf eine ▸ Geflüchtete gelungen? ▸ Inwieweit ist eine tyrannische Handlung mit gesetzlicher Pflichter‐ ▸ füllung gleichzusetzen? ▸ Inwieweit sind die drohende Hinrichtung im Original und eine Ab‐ ▸ schiebung im Film übereinzubringen? 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 178 <?page no="179"?> ▸ Wie ist das von der Ballade abweichende offene Ende im Film zu be‐ ▸ werten? ▸ … ▸ Aus den eigenständig erstellten Filmkritiken können anschließend von einer Schüler/ -innen-Jury die drei besten Kritiken ausgewählt und im Weblog der Schule bzw. auf der Schulhomepage veröffentlicht werden. 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 5.2.1 Die Semantik und Ästhetik des Bösen in der Literatur - „Gespenster“ von Alexander S. Puschkin Juliane Dube Thema: Viele Kinder werden bereits in jungen Jahren mit dem Bösen, welches sich gemeinhin als Abwesenheit jedes moralisch gebotenen Tuns versteht (vgl. Bohrer 2004), in der Literatur konfrontiert. Sei es beim Vorlesen klassischer Märchen oder in Kindergeschichten. Das Böse offenbart sich in verschiedenen Tierfiguren (z. B. Wolf), Men‐ schen (Stiefmutter/ -schwester, Räuber) oder Zauberwesen (z. B. Hexe). Es lebt aus der Spannung zum Guten, bedarf des Guten - und markiert damit sogar ein eigenes Charakteristikum märchenhafter Texte. Intension: Leitend für die Auseinandersetzung mit dem Bösen in der Literatur können in der Orientierungsstufe zwei unterschiedliche Sichtweisen auf das Böse sein: Einerseits die vorrangig moralische, vor allem im Märchen zu findende Darstellung des Bösen, welche mit der Frage: Warum wirkt die Figur böse? thematisiert werden kann. Andererseits kann auch schon mit den Jüngsten unter der Frage: Wie wird das Böse dargestellt? die ästhetische Seite des Bösen reflektiert wer‐ den und damit die enge Verbindung von Inhalt, Sprache und Form an‐ gedeutet werden. Unterricht in der Orientierungsstufe (4. bis 6. Schuljahr): Eingeführt in die literarische Verarbeitung des Bösen am Beispiel des slawischen Märchens „Hexe Baba Jaga“ erweitern die Lernenden ihre Leseeindrücke anschließend durch die Arbeit an der russischen Ballade 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 179 <?page no="180"?> „Geister“ von A. S. Puschkin. Durch die produktionsorientierte Methode des Erstellens eines Echotextes experimentieren die Schüler/ -innen ab‐ schließend mit verschiedenen sprachlichen Mitteln zur Ästhetisierung des Bösen und reflektieren deren Wirkung. Ausgewählte didaktische Analyse Das Böse findet sich in der Literatur nicht nur in Märchen und Kinderge‐ schichten wieder, sondern - nicht zuletzt aufgrund der thematischen Ver‐ arbeitung dramatischer Geschichten - auch in vielen balladesken Texten. Sei es personifiziert in der berühmtesten Femme Fatale des 19. Jahrhun‐ derts, der Loreley von Heinrich Heine, oder dem diebischen Schurken Mac‐ kie Messer in der gleichnamigen Moritat von Bertolt Brecht. Und der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht Und Macheath, der hat ein Messer Doch das Messer, sieht man nicht. Folglich lohnt es sich, der literarischen Darstellung des Bösen im Kontext der thematischen Sequenzbildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Egal ob Stiefmutter, Räuber, Dieb oder Hexe - die Liste hartherziger und skru‐ pelloser Figuren in der Literatur ist lang und ihre Taten lassen einen er‐ schaudern. Ausgestattet mit List, Zauberkräften oder Säbeln und Räuber‐ pistolen schrecken sie nicht, dies belegt auch ihre Namenlosigkeit, vor Mord und Totschlag zurück. Sprachlich besonders intensiv, wenngleich unsichtbar, tritt das Böse in Puschkins Ballade „Gespenster“ (1832) zu Tage. In dieser gelingt es Puschkin, dessen Werke für die Russen einen ähnlichen Stellenwert besitzen wie die von Goethe und Schiller für die Deutschen oder die von Shakespeare und Byron für die Engländer (vgl. Kluge 2000), dem Bösen durch die lyrische Form nicht nur eine ästhetische Gestalt zu geben, sondern auch sie aus der fiktionalen Erzählung des Märchens in die suggerierte Realität zu holen. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 180 <?page no="181"?> Gespenster (Alexander S. Puschkin) Wolken türmen, Wolken schieben, schneeverhangen ohne Macht glimmt der Mond, die Flocken stieben, fahl der Himmel, schwarz die Nacht. Und ich fahre frei ins Weite, Schlittenglöckchen ding, ding, ding. Ring’s verklärt sich’s, ich entgleite, fremd das Feld, fremd jedes Ding. „Kutscher, ho! “ Ach Herr, die Pferde mühen sich, so gut es geht, ich selber sehe kaum die Erde, die Wege sind im Schnee verweht. Nun verliert sich noch die Spur. Himmel hilf, wir sind verwirrt. Ein böser Spuk beherrscht die Flur, ich seh’s, wie er im Kreis uns führt. Schaut nur Herr, dort, wie es rackert, wie es pfeift und sprotzt und weht, jetzt wie wildes Feuer flackert, bald züngelnd um den Schluchtrand steht. Dort auf jener Teufelswerst hat der Spuk begonnen. Da, seht doch, blitzt es - eben erst … und schon ist’s in nichts zerronnen.“ Wolken türmen, Wolken schieben, schneeverhangen ohne Macht glimmt der Mond, die Flocken stieben, fahl der Himmel, schwarz die Nacht. Die Kraft versiegt. Wir sind am Ende, nun auch das Schlittenglöckchen stumm. Die Pferde starr. Dort im Gelände - Ein Wolf vielleicht? ein alter Trumm? Der Schneesturm gellt. Das Wetter schreit. Die Pferde schnauben aufgeregt. Glutaugen aus der Dunkelheit! 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 181 <?page no="182"?> Dort, wieder hat es sich bewegt. Die Pferde reißen, und wir fahren, Schlittenglöckchen ding, ding, ding … Ja, ich seh die weißen Scharen der Gespenster weit im Ring. Spielhaft und gestaltlos wallen in des Monds verschneitem Licht wie Blätter im November fallen Gespenster, Spuk und Spukgesicht. Wie viele nur! Wohin sie jagen, welchen Sing Sang singen? Sind es ihre Totenklagen, ob sie Hochzeitsständchen? Wolken türmen, Wolken schieben, schneeverhangen ohne Macht glimmt der Mond, die Flocken stieben, fahl der Himmel, schwarz die Nacht. Geisterschwärme taumeln, jagen endlos fallend erdenwärts, und ihr schmerzerfülltes Klagen gräbt sich langsam in mein Herz. (Aus dem Russischen von: A D E N , Menno (2000). Puschkin. Russland und sein erster Dichter. Tübingen: Attempto, 107-108) Die gewählte strophenfreie Meisterballade, die u. a. auch unter den Titeln „Die bösen Geister“, „Die Dämonen“ oder „Gespenster“ (russ. besy) bekannt geworden ist, zählt zu jenem Genre der Ballade, in dem die Naturkräfte durch die menschliche Fantasie ins Numinose erhoben werden. Im vorliegenden Text entfalten sie sich während einer einsamen Fahrt durch das nächtliche Schneetreiben in der russischen Steppe. Mit der Dauer der Fahrt nimmt die Hilflosigkeit der beiden Figuren (Kutscher und Herr) sowie die Angst vor unbekannten übermenschlichen Kräften („Ein böser Spuk beherrscht die Flur“) mit Fortschreiten der Ballade immer weiter zu. Auf dem Höhepunkt der Erzählung verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie vollends, das Glöckchen verstummt („Ja, ich seh die weißen Scharen der Gespenster weit im Ring“). Kurze Zeit später begleiten die Gespenster wie‐ der hektisch die Weiterfahrt der Figuren, die nun vollends im intensiven 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 182 <?page no="183"?> fantastischen Erleben der Naturkräfte gefangen sind, die sich als Gespenster, Wölfe und Geisterschwärme ins Herz eingraben. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen ▸ tauschen sich über die semantische Darstellung des Bösen im Märchen ▸ aus und erweitern ihre Leseeindrücke, indem sie sich auch mit der ästhetischen Gestaltung auseinandersetzen. ▸ entwickeln fremde Texte durch das Einfügen von Worten, Kommen‐ ▸ taren oder Gegentexten weiter. ▸ sprechen gestaltend in vorgegebenen Situationen. ▸ Viele der jungen Schüler/ -innen haben bereits genaue Vorstellungen vom Bösen in der Literatur. Zu Beginn der Unterrichtseinheit soll den Lernenden daher zunächst Raum gegeben werden, sich über ihre Eindrücke zum Bösen in Literatur und Medien auszutauschen. Als Gesprächsimpuls bietet sich die Arbeit mit einem Bild wie z. B. dem Gemälde „Die Hexe“ von Hans Thoma an (Abb. 5.5), das nebenstehend zu sehen ist, oder die Arbeit mit mehreren Bildern in Form eines Galerieganges. Sind die Lernenden für die Thematik der nächsten Stunden sensibilisiert, wird ihnen - im Rahmen eines Deutschunterrichts, der seinen Blick auf die Vielfalt der Sprachen und Kulturen richtet - das slawische Märchen von der Hexe Baba Jaga präsentiert. Den Text zum Märchen „Hexe Baba Jaga“ finden Sie u. a. online auf der Seite Märchenbasar (http: / / maerchenbasar.de/ klassische-maerchen/ ost europa/ russland/ 4164-baba-jaga.html). Inzwischen umfasst der Medi‐ enverbund zum Märchen neben der klassischen literarischen Vorlage u. a. auch einen Kurzfilm mit Carolin Kebekus als Erzählerin. Sie finden diesen unter: Die Sendung mit der Maus (WDR, 09.05.2015, http: / / www 1.wdr.de/ mediathek/ video/ sendungen/ die-sendung-mit-der-maus/ vid eo-baba-jaga-100.html, 12.02.2019). Zudem gibt es im Internet einen Zeichentrickfilm, der im Rahmen der Reihe Sagenhaft - Märchen aus aller Welt entstanden ist. Erzählt und vertont wird dieser von Bastian Pastewka: (http: / / bastianpastewka.de/ pastewkarium/ synchron/ sagen haft-maerchen-aus-aller-welt.html, 12.02.2019). 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 183 <?page no="184"?> Abb. 5.5: Rückwärts reitende Hexe auf einem Ziegenbock, Albrecht Dürer, Kupfer‐ stich ca. 1500 als mögliches Einstiegsmedium in das Thema ‚Das Böse in Kunst und Literatur‘ Wenngleich verschiedene Deutungen zur Figur der Hexe Baba Jaga existie‐ ren, taucht sie in vielen Märchen als unberechenbare und bösartige Gestalt auf, die in einer kleinen Hütte, welche auf riesigen (Hühner-)Beinen steht, mitten im Wald wohnt. Dorthin schickt die Schwester Baba Jagas ihre Stief‐ tochter, gegen die sie einen großen Groll hegt („Von Anfang an hasste sie die Tochter des Mannes, schimpfte und schlug sie sogar“), wohlwissend, dass sie diese Reise nicht überleben wird. Doch dank des familiären Rates gelingt dem Mädchen die Flucht vorbei an verschiedenen mit der Hexe verbündeten Figuren, die sich ihm eigentlich in den Weg stellen sollten. Dabei erfahren die Leser/ -innen weitere Details zur Boshaftigkeit Baba Jagas: 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 184 <?page no="185"?> Da sprach der Kater: ‚Ich diene Dir schon viele Jahre, doch niemals erhielt ich von Dir auch nur einen Knochen! Aber das Mädchen hat mir sofort ein gutes Stück Fleisch geschenkt! ‘ Da öffnete Baba Jaga die Tür, rannte hinaus und sah ihre beiden Hunde das Brot essen. Wütend sagte sie zu ihnen: ‚Warum habt Ihr das Mädchen nicht in Stücke gerissen? Warum habt Ihr sie laufen lassen? ‘ Da meinten die Hunde: ‚Wir stehen in Deinen Diensten schon viele Jahre, doch niemals er‐ hielten wir von Dir auch nur eine alte Brotrinde! Aber das Mädchen hat uns sofort ein ganzes frisches Brot geschenkt! ‘ Da lief Baba Jaga zum Tor und rief ihm zu ‚Warum bliebst Du nicht geschlossen? Warum hast Du das Mädchen durch ge‐ lassen? ‘ Da seufzte das Tor: ‚Ich bin Dir zu Diensten schon viele Jahre und quietschte bereits jämmerlich. Doch niemals hast Du auch nur Wasser auf meine Angeln gegossen. Das Mädchen hat mich mit Öl geschmiert! ‘ Da rannte Baba Jaga durch das Tor und kam an der Birke vorbei. Sie sprach zu ihr: ‚Warum hast Du das Mädchen mit Deinen Ästen nicht aufgehalten? Warum hast Du ihr nicht in die Augen gestochen? ‘ Der Baum antwortete: ‚Ich diene Dir schon viele Jahre. Du hast mich nicht einmal mit einem Faden zusammen gebunden. Das Mädchen hat mir ein schönes Band geschenkt! ‘ Da sah Baba Jaga die Magd und schimpfte sie: ‚Du dumme Göre! Warum hast Du sie nicht aufgehalten? ‘ Die Magd antwortete: ‚So viele Jahre diene ich Dir. Doch nie warst Du freundlich zu mir. Das Mädchen aber hat mir ein feines Tuch geschenkt und war sehr höflich und nett.‘ Im Märchen Baba Jaga nimmt das Böse einen zentralen Stellenwert ein. Es ist unverkennbar sowohl in den literarischen als auch in den anderen me‐ dialen Vorlagen in den Figuren der Stiefmutter und der bösen Hexe perso‐ nifiziert. Die grundlegenden bösen Eigenschaften der beiden Figuren kön‐ nen folglich bereits von Lernenden der Orientierungsstufe gut herausgearbeitet werden. Hinweise im Primärtext (z. B. markierte Abschnitte, Zei‐ lenangaben etc.) oder Aufgaben mit einem klar umrissenen Suchraum (z. B. Warum wenden sich die Tiere gegen das Interesse von Hexe Baba Jaga? ) können die Verstehensprozesse in einem differenzierenden Deutschunter‐ richt zusätzlich unterstützen und den Vergleich der Ergebnisse erleichtern. Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der semantischen Darstel‐ lung des Bösen im Märchen bietet es sich weiterführend an, der Frage nach‐ zugehen, wie das Böse in der Literatur dargestellt wird. Hierzu hören und lesen die Schüler/ -innen die Ballade „Gespenster“ von A.S. Puschkin zu‐ nächst gemeinsam im Plenum. In Partner- oder Kleingruppenarbeit tau‐ schen sich die Lernenden anschließend fragengeleitet zu ihren Hör- und Leseeindrücken aus. Mögliche Fragen könnten hierzu sein: 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 185 <?page no="186"?> ▸ Was passiert in der Geister-Ballade von Alexander S. Puschkin? ▸▸ Wie wirkt die Ballade auf euch? ▸▸ Überlegt gemeinsam, warum die Ballade so wirkt. Notiert eure Ideen ▸ auf dem Arbeitsblatt. ▸ Schaut euch die Adjektive und Verben in der Ballade an. Welche Stim‐ ▸ mung vermitteln sie? ▸ In Strophe 4 und 5 nehmen die bösen Kräfte der Natur zum ersten Mal ▸ Gestalt an. Wie wird das Böse in diesen beiden Strophen beschrieben? Zur Beantwortung der letzten Frage müssen metaphorische Beschreibungen wie „Glutaugen“ als äußere Attribute oder Ausdrücke wie „weiße Scharen der Gespenster“ als Gestaltbild erkannt und Vergleiche wie „wie Blätter im Wind“ als Verbildlichung von Bewegung gedeutet werden. Gleichfalls gilt es, die scheinbare Unsichtbarkeit der Gestalten „dort wieder hat es sich be‐ wegt“ durch Inferieren zu rekonstruieren. Zur Unterstützung der Textana‐ lyse bietet es sich an, den Lernenden Kategorien (Eigenschaften, Aussehen, Fortbewegung) zur Beschreibung des Bösen vorzugeben. Den Abschluss der Unterrichtsreihe zum Bösen in der Literatur bildet der handlungs- und produktionsorientierte Umgang mit der ästhetischen Ge‐ staltung der ausgewählten Ballade. Grundlage dieser dem Aufbau von lite‐ rarischer Kompetenz dienlichen Aufgabe bildet die Erstellung so genannter Echotexte. Hierzu sollen die Lernenden in Kleingruppen zunächst Stellen im Text markieren, die besonders gruselig wirken. Anschließend diskutieren die Lernenden, wie diese Wirkung entsteht und sammeln Ideen, wie sie die Wirkung des Textes durch die Ergänzung von Worten, Kommentaren, Ge‐ räuschen, Musik etc. noch weiter verstärken können. Dadurch entsteht nicht nur eine neue Schreib-, sondern auch Sprechgestalt, die von den Lernenden zunächst in ihrer Kleingruppe erfahren und ggf. durch den Einsatz unter‐ schiedlicher Sprecher/ -innen weiter ausgestaltet werden kann (vgl. Unter‐ richtshilfe „Echotexte vortragen“). In der letzten Stunde der Reihe sollten die erstellen Echotexte in einem abschließenden Vortrag Würdigung und kriteriengeleitetes Feedback z. B. unter dem Gesichtspunkt, welche Text‐ veränderungen die Wirkung des Textes besonders verstärkt haben, erhalten (vgl. Unterrichtshilfe „Echotexte vortragen“). Zuletzt sei an dieser Stelle auf das hohe Potenzial des Themas für den fächerübergreifenden Unterricht verwiesen. Anknüpfungspunkte ergeben sich auf der einen Seite an die Farbenlehre und Buchillustrationen des Bösen in den Märchen der Brüder Grimm (Kunst), dessen Ergebnisse z. B. auch für 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 186 <?page no="187"?> die Gestaltung von eigenen Illustrationen, etwa zu Puschkins Geisterballade genutzt werden könnten, und auf der anderen Seite an die Doppelstruktur des Bösen anhand der Frage: Gibt es auch Situationen, in denen Böses Gutes bewirkt? (vgl. z. B. Evas Sündenfall als Aufbruch in die Selbstständigkeit) im Religions- und Ethikunterricht. 5.2.2 Selbstüberschätzung als Entwicklungsmoment - „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe Juliane Dube Thema: Eine ähnliche Bekanntheit wie Merlin, Krabat oder Harry Potter besitzt auch der Zauberlehrling aus Goethes gleichnamiger Bal‐ lade von 1798. Obwohl die Figur des Lernenden weniger aus dem Originaltext „Der Lügenfreund oder der Ungläubige“ von Lucian von Samosata (griech. Schriftsteller) oder der Balladenfassung von Goethe bekannt sein dürfte, hat der stetig wachsende Medienverbund dazu bei‐ getragen, dass sich die Lernenden an die Figur bzw. ihre Geschichte er‐ innern. Im größeren Medienformat wurde die Geschichte des jungen Zauberlehrlings erstmals durch die Musical-Zeichentrickverfilmung mit Micky Maus (1937) bekannt. Inzwischen ist der Medienverbund um ein Musical von Michael Wempner (2009), einen Kurzfilm von ‚Kultur Kubik‘ (2013) und zahlreiche Vertonungen, u. a. von der Gruppe ‚Junge Dichter und Denker‘ gewachsen. Intension: Die für die Ballade typische leicht zugängliche semantische Struktur, die hohe dramatische Dichte sowie die liedhaften Elemente ermöglichen es, dass bereits in der Orientierungsstufe gewinnbringende Auseinandersetzungen auch mit klassischen Kunstballaden wie z. B. den „Zauberlehrling“ stattfinden können. Aufgrund ihres erzählerischen Spannungsreichtums, ihrer sprachlichen Farbigkeit und der hohen Er‐ fahrungshaftigkeit (vgl. Dehn 2014), bietet sie jedoch auch besondere Anknüpfungspunkte, wenn die Förderung einer strukturierten mündli‐ chen Erzählfähigkeit im Zentrum des Deutschunterrichts steht. Unterricht in der Orientierungsstufe (4. bis 6. Schuljahr): Im Un‐ terrichtsvorschlag wird die gemeinsame Erarbeitung einer Erzählkurve zur ausgewählten Ballade vorgestellt, welche die Bedeutung der Hand‐ lungsstruktur für das mündliche und schriftliche Erzählen verdeutlichen 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 187 <?page no="188"?> soll. Der kreative Einsatz japanischer Erzähltheater, so genannter Ka‐ mishibais, soll die Lernenden am Ende der Unterrichtsreihe beim Nach‐ erzählen der Ballade visuell unterstützen. Ausgewählte didaktische Analyse Die Ballade gilt nicht nur bei Schiller lange Zeit als eine Form der Überlie‐ ferung von historischen und sagenhaften Stoffen, sondern ist nicht selten auch Anstoß für den Leser/ die Leserin bzw. den Hörer/ die Hörerin, „das Handeln der Balladenfiguren und deren Motivation mit eigenen Vorstellun‐ gen zu vergleichen“ (Giehrl/ Müller 1994: 128). Die im „Zauberlehrling“ thematisierte Problematik, in scheinbar unbeob‐ achteten Momenten Tätigkeiten nachzugehen, die kompetenten Erwachse‐ nen vorbehalten sind und bei fehlender Ausführungsroutine in manchen Fällen unkontrollierte Folgen nach sich ziehen, dürfte den jungen Ler‐ ner/ -innen dabei nicht gänzlich fremd sein. Schließlich werden über das Nachahmen von Tätigkeiten bereits in jungen Jahren wichtige Erfahrungen gesammelt. Folglich empfiehlt Karin Richter in ihrer didaktischen Einfüh‐ rung Vom Sockel geholt (2013) zu Schiller und Goethe die kanonischen Klas‐ siker auch schon in den unteren Klassen zu lesen. Der Zauberlehrling ( Johann Wolfgang von Goethe) Hat der alte Hexenmeister Sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben. Seine Wort und Werke Merkt ich und den Brauch, Und mit Geistesstärke Tu ich Wunder auch. Walle! Walle Manche Strecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe, 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 188 <?page no="189"?> Und mit reichem vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße. Und nun komm, du alter Besen! Nimm die schlechten Lumpenhüllen; Bist schon lange Knecht gewesen: Nun erfülle meinen Willen! Auf zwei Beinen stehe, Oben sei ein Kopf, Eile nun und gehe Mit dem Wassertopf! Walle! Walle Manche Strecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe, Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße. Seht, er läuft zum Ufer nieder; Wahrlich! ist schon an dem Flusse, Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier mit raschem Gusse. Schon zum zweiten Male! Wie das Becken schwillt! Wie sich jede Schale Voll mit Wasser füllt! Stehe! stehe! Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemessen! - Ach, ich merk es! Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende Er das wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen! Immer neue Güsse 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 189 <?page no="190"?> Bringt er schnell herein, Ach! und hundert Flüsse Stürzen auf mich ein. Nein, nicht länger Kann ichs lassen; Will ihn fassen. Das ist Tücke! Ach, nun wird mir immer bänger! Welche Miene! welche Blicke! O, du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen? Seh ich über jede Schwelle Doch schon Wasserströme laufen. Ein verruchter Besen, Der nicht hören will! Stock, der du gewesen, Steh doch wieder still! Willst am Ende Gar nicht lassen? Will dich fassen, Will dich halten Und das alte Holz behende Mit dem scharfen Beile spalten. Seht, da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nur auf dich werfe, Gleich, o Kobold, liegst du nieder; Krachend trifft die glatte Schärfe. Wahrlich! brav getroffen! Seht, er ist entzwei! Und nun kann ich hoffen, Und ich atme frei! Wehe! wehe! Beide Teile Stehn in Eile Schon als Knechte Völlig fertig in die Höhe! 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 190 <?page no="191"?> Helft mir, ach! ihr hohen Mächte! Und sie laufen! Naß und nässer Wirds im Saal und auf den Stufen: Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister, hör mich rufen! - Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los. „In die Ecke, Besen! Besen! Seids gewesen! Denn als Geister Ruft euch nur, zu seinem Zwecke, Erst hervor der alte Meister.“ (G O E TH E , Johann Wolfgang von (1798). „Der Zauberlehrling“. In: Schiller, Fried‐ rich (Hrsg.) Musen-Almanach für das Jahr 1798. Tübingen: J.G. Cotta, 32-37) Weit bekannt ist die wiederkehrende Beschwörungsformel „Walle! Walle! “ im berühmten Refrain von Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“ mit ihrer pathetisch wirkenden Alliteration und dem ungewöhnlich anmutenden Reimschema a-b-b-c-a-c. Die im Trochäus verfassten 14 Strophen sind schnell wieder in Erinnerung, welche die Wut und Verzweiflung eines jun‐ gen, unerfahrenen Zauberlehrlings thematisieren, der sich einen Besen zum wasserholenden Knecht macht und wegen eines vergessenen Zauber‐ spruchs, an der von ihm herbeigeführten Situation scheitert. Obwohl die Ballade „Der Zauberlehrling“ zum Balladenkanon der siebten und achten Jahrgangsstufe gehört, bietet insbesondere die Darstellung des Geschehens aus der Perspektive des Zauberlehrlings (personaler Ich-Erzäh‐ ler), die nahezu die gesamte Ballade beherrscht, bereits für jüngere Lernende ein hohes Identifikationspotenzial. Trotz des ungewohnten Sprachstils bie‐ tet die Ballade damit einen niedrigschwelligen Einstieg in die sprachlichen und nicht-sprachlichen Versuche des Lehrlings, sich das Leben durch Zau‐ berei zu erleichtern und anschließend die entfesselten Kräfte wieder einzu‐ fangen. Erst in der vorletzten Strophe folgt die Anrede an den im letzten Moment hinzukommenden Meister, dem es gelingt, dem verzauberten Besen souverän Einhalt zu gebieten. 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 191 <?page no="192"?> Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ halten Hör- und Leseeindrücke in kurzen schriftlichen Kommentaren ▸ und/ oder in Bildern fest. ▸ erfassen die narrative Struktur der vorgestellten Ballade mithilfe einer ▸ Erzählkurve. ▸ erzählen literarische Texte anschaulich und lebendig mit Unterstüt‐ ▸ zung eines Kamishibai nach. ▸ sammeln Erzählerfahrung und reflektieren diese. ▸ Eine weitere HipHop-Adaption zur Ballade „Der Zauberlehrling“ ent‐ stand im Rahmen des Projektes „Rap macht Schule“ mit dem Rapper Doppel-U (https: / / www.rap-macht-schule.de/ ). Mit einer Kombination aus modernen Gedichtvertonungen und Rap-Workshop zu klassichen Gedichten ist er bereits seit 2005 weltweit an Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Goethe-Instituten unterwegs. Zur Einführung der Ballade bietet es sich an, auf die kindgerechte musikali‐ sche Inszenierung der Ballade durch die Gruppe ‚Junge Dichter und Denker‘ zurückzugreifen. Der zum Vortrag verwendete Hip-Hop-Stil kann dabei in einem ersten Schritt helfen, einen Zugang zur besonderen Sprache der Bal‐ lade zu finden. Dennoch sollten die Lernenden nach dem Hören und Lesen der Ballade Raum bekommen, um sich verständniserschwerende Wörter zu erschließen. Als Gegengewicht zu jener im Hauptteil der Unterrichtsreihe geplanten analytischen Arbeit ist es wichtig, den Schüler/ -innen nach dem Balladenvortrag auch ausreichend Raum für die Artikulation des Eigenen im Fremden und damit für das Formulieren erster Lese- und Höreindrücke zur Verfügung zu stellen. Hierzu sollen die Lernenden nach dem Anhören und stillen Lesen der Ballade besondere Hör- und Leseeindrücke in einem Text und/ oder in einem Bild festhalten. Dies können z. B. schriftliche und visuelle Anmerkungen zu besonders interessanten und spannenden Textstellen sein. Zu Beginn der Unterrichtssequenz soll folglich zunächst ein Möglichkeits‐ raum geschaffen werden, persönlich bedeutsame Vorstellungen zur Ballade zu äußern und Szenen zu extrahieren, die als besonders erzählwürdig emp‐ funden werden, sodass sich bei der gemeinsamen Vorstellung der Bilder und/ oder Texte die Vielseitigkeit des Erzählwürdigen der Ballade offenbart. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 192 <?page no="193"?> In Bezug auf den Kern der Ballade ist in der Literatur vielfach darauf ver‐ wiesen worden, „dass die Ballade ‚Der Zauberlehrling‘ falsch verstanden ist, wenn sie dazu dient, ‚die ‚Autorität‘ des Meisters als eine unveränderliche Größe zu bestimmen“ (Giehrl/ Müller 1994: 131). Statt einer am Ende der Ballade formulierten Moral sollte die Lehrperson die Lernenden im Gespräch anregen, sich mit der Frage zu beschäftigen, wofür das Handeln des Lehr‐ lings und des Meisters steht. Der Fokus dieser Gespräche würde damit auf der Fähigkeit zur Einschätzung eigener Fähigkeiten als Teil eines natürli‐ chen Lern- und Entwicklungsprozesses liegen und der in diesem Zusam‐ menhang bedeutenden Rolle fehlertoleranter übergeordneter Personen. Be‐ sonders interessant ist demnach der Blick auf den Meister, der auf die Darstellung des Schadens und eine Bestrafung des Lehrlings vollkommen verzichtet. Die im Anschluss an die Balladenrezeption geführten Gespräche setzen damit auf individuelle Lesarten der berühmten Ballade des Zauberlehrlings, die den jungen Lernenden verdeutlichen sollen, dass die in der Ballade be‐ schriebene Erfahrung eng mit ihrer eigenen Lebenswelt verbunden ist. Die Erweiterung der Bedeutungsebene auf die gesellschaftliche Handlungs‐ ebene kann im Sinne eines Spiralcurriculums hingegen stärker in den hö‐ heren Klassen mit ergänzenden wissenschaftlichen Texten z. B. zum ‚Zau‐ berlehrling-Effekt‘ vorgenommen werden (u. a. Henke 2016) . In der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen wie der Erfindung der Atom‐ spaltung, den derzeitigen Möglichkeiten der gentechnischen Manipulation oder Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz abstrahieren die älteren Schüler/ -innen von individuellen Lernprozessen auf das menschli‐ che Eingreifen in natürliche Prozesse und deren unkontrollierte Folgen. Im Anschluss an das literarische Gespräch zur Ballade konzentrieren sich die weiteren Stunden auf die Erarbeitung und Reflexion der Erzählstruktur als einer der ersten didaktischen Bezugspunkte des Erzählens. Denn „[gut] erzählen und gern zuhören sind zwei Seiten einer Medaille“ (Claussen 2006: 13). Claussen verweist damit einerseits auf die Bedeutung der Zuhörmoti‐ vation in Erzählsituationen, in denen das eigene Leben mit fremdem Blick reflektiert werden kann (vgl. ebd.) und andererseits auf die hohen Ansprü‐ che, die mit gutem Erzählen verbunden sind. Wenngleich in einem schüler/ -innenorientierten Deutschunterricht dar‐ auf geachtet werden sollte, dass die Lernenden immer wieder eigene Er‐ zählinteressen einbringen können, darf nicht vergessen werden, dass das strukturierte Erzählen, z. B. in Form des Nacherzählens, als zentraler Ge‐ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 193 <?page no="194"?> genstand des Deutschunterrichts auch planmäßig eingeübt werden muss (vgl. Werani 2009). So haben unterschiedliche Untersuchungen zu Erzähl‐ fertigkeiten bei Kindern immer wieder gezeigt, dass diese überwiegend be‐ reits in jungen Jahren implizit auf literale Erfahrungen beim Erzählen von Geschichten sowohl hinsichtlich der Akteure, der Handlung aber auch des Geschichtenaufbaus zurückgreifen (vgl. u. a. Andresen 2004), ohne diese jedoch explizit nennen zu können. In den Untersuchungen zeigte sich darüber hinaus, dass neben dem Aus‐ denken fiktiver Geschehnisse auch deren zusammenhängende und chrono‐ logische Darstellung (Serialität) immer wieder zu Schwierigkeiten beim Er‐ zählen führt. Insbesondere wenn eine ,Ungewöhnlichkeit‘ oder eine ,Komplikation‘ in dramatisierter Form den Kern der Erzählung bildet, wird häufig auf das Strukturmuster der Höhepunkterzählung zurückgegriffen. Zu deren erfolgreichen Umsetzung bedürfen Kinder jedoch nicht nur eines ausrei‐ chenden Wortschatzes, sondern insbesondere einer „Strukturierungsfähig‐ keit“ (Werani 2009: 51). In den nächsten zwei Stunden der Unterrichtsreihe steht folglich die Ar‐ beit mit einer Erzählkurve zur Ballade im Zentrum, um mit den Lernenden den rezeptiven Aufbau von Erzählschemata einzuüben. Dabei geht es jedoch weniger um die detailgetreue Wiedergabe der Erzählung als vielmehr um die Verständlichkeit der Geschichte im umfassenden Sinne. Abb. 5.6: Tafelbild: Erzählkurve zum „Zauberlehrling“ von Johann W. v. Goethe 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 194 <?page no="195"?> Hierzu werden die Lernenden zunächst eingeladen, die Ballade gemeinsam mithilfe einer unbeschrifteten Erzählkurve nachzuerzählen. Im Idealfall können hierzu auch die Bilder und Textstellen der Lernenden aus der Ein‐ stiegsphase genutzt werden. Zur Unterstützung der Nacherzählung erhalten die Lernenden im An‐ schluss an die zunächst grob zusammengetragene Nacherzählung zwei Ar‐ beitsblätter, auf denen sie die Erzählkurve noch einmal eigenständig mithilfe von Textstellen und Aktionen rekonstruieren können (vgl. Unterrichtshilfe „Erzählkurven zum ‚Zauberlehrling‘ gestalten“). Die eigenständige Zuord‐ nung der zentralen Handlungselemente auf dem Arbeitsblatt hilft nicht nur, den Verlauf der in der Ballade erzählten Geschichte zu verinnerlichen und die Bedeutung der Kohärenz für eine (spannende) Erzählung zu erfahren, sondern kann in mündlichen Erzählsituationen auch als Stichpunktzettel dienen. Der Vergleich der beschrifteten Erzählkurve mit einem Partner/ einer Partnerin sowie die gemeinsame Rekonstruktion der Ballade an der Tafel (vgl. Abb. 5.6) sichert abschließend die Ergebnisse der Arbeitsphase. Die Höhepunkterzählung in vielen literarischen Texten, insbesondere in Balladen, muss von den Lernenden immer wieder herausgearbeitet werden. Trotzdem sollte von der Lehrperson explizit darauf verwiesen werden, dass sie nur eine von vielen möglichen Handlungsschemata darstellt, um einen Automatismus dramatischer Höhepunkte und sprachlicher Banalitäten in Schülertexten zu vermeiden,. In weiteren Unterrichtssequenzen, in denen Erzählstrukturen thematisiert werden, sollte folglich auf eine breite Varianz dieser geachtet werden. Zum Erwerb mündlicher Erzählkompetenzen gehört jedoch nicht nur das fachliche Verständnis des Aufbaus von Erzählungen, sondern gleichfalls die eigenproduktive Umsetzung. Die hier ausgewählte Ballade eignet sich dafür in besonderem Maße, da ihre festen sprachlichen Wendungen und formel‐ haften Wiederholungen, wie „Walle, walle“ oder „Stehe, stehe“, zahlreiche Ankerstellen bieten, die sich beim wiederholten Erzählen der Ballade be‐ sonders gut einprägen und damit dem Erzähler/ der Erzählerin einen „Ru‐ hepunkt“ bei der Improvisation der Nacherzählung ermöglichen (Klein/ Merkel 2009: 14). Im Sinne eines differenzierenden Deutschunterrichts werden in der dar‐ auffolgenden Stunde je nach Leistungsstand auch noch einmal die Merkmale einer Nacherzählung wiederholt und den Lernenden im Anschluss drei ver‐ schiedene Möglichkeiten des mündlichen Nacherzählens angeboten. Wäh‐ rend die einen Lerner/ -innen mit der erstellten Erzählkurve arbeiten, kön‐ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 195 <?page no="196"?> nen andere auf die Möglichkeit einer dialogischen „Geflecht-Erzählung“ (Wagner 1986) zurückgreifen, in der sich die Kinder gegenseitig unterstützen oder ein selbstgestaltetes Kamishibais als visuelle Hilfe der Nacherzählung nutzen. Aufgrund des hohen Motivationspotenzials möchte ich im Folgen‐ den insbesondere auf die dritte der hier aufgeführten Möglichkeiten einge‐ hen. Das didaktische Medium des japanischen Erzähltheaters („Kamishibai“ - jap. 紙芝居 von jap. Kami = Papier; shibai = Drama) ist eine traditionelle japanische Erzählform. Jenes zu Papier gebrachte Drama war besonders in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Japan stark verbreitet. Mit Unter‐ stützung eines kleinen bühnenähnlichen Rahmens, für den inzwischen auch in Deutschland Bausätze zu erwerben sind, u. a. von Don Bosco, können die Schüler/ -innen in Kleingruppen (max. 4 Personen) eigene Bilder zu ihrer Nacherzählung gestalten (Abb. 5.7). Abb. 5.7: Kamishibai von Don Bosco zur kreativen Auseinandersetzung mit erzäh‐ lenden Texten Je nach Leistungsstand und Medienausstattung der Schule können die Kleingruppen bei der Bildauswahl auf Screenshots (Stills) aus der Ver‐ filmung von Walt Disney aus dem Jahr 1937 (https: / / www.youtube.com / watch? v=nb7qd2zJMKc, 23.02.2019) oder der 2014 entstandenen kostenpflichtigen filmischen Umsetzung von Kerstin Höckel http: / / ww w.filmsortiment.de/ der-zauberlehrling/ dvd/ unterrichtsfilm-lehrfilm-s chulfilm/ 83551) zurückgreifen. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 196 <?page no="197"?> Für eine gute Strukturierung der Gruppenarbeitsphase empfiehlt es sich, die Lernenden anzuregen, zunächst Anzahl und Auswahl der Szenen festzule‐ gen. Anschließend sollten die Szenen zur Gestaltung arbeitsteilig verteilt werden, bevor die Lernenden überlegen, wer in welcher Form die Nacher‐ zählung übernimmt. Auch an dieser Stelle bietet es sich an, differenziert zu arbeiten und die Schüler/ -innen wählen zu lassen, ob sie sich das Nacher‐ zählen der Ballade und/ oder deren Darbietung aufteilen und wie sie die Le‐ bendigkeit und Spannung der Ballade in ihrer Nacherzählung gestalten wol‐ len. Die Ergebnisse der Diskussion sollten in die intermediale Verschriftlichung der Nacherzählung einfließen, d. h. den entstandenen Bildern wer‐ den eigene Textteile der Nacherzählung geordnet. Hierfür sollten die Vie‐ rergruppen zugunsten von Partnerarbeit aufgelöst werden, um das gemein‐ same Schreiben des Textes zu erleichtern. Nach vier bis fünf Stunden der Gruppen-/ Partnerarbeit sollten die Nach‐ erzählungen präsentiert und entlang gemeinsam besprochener Kriterien re‐ flektiert werden. Folgende Kriterien sollten dabei zwingend Berücksichti‐ gung finden: Vollständigkeit der Erzählung, chronologische Reihenfolge, Nähe zur Lebendigkeit und Spannung des Originals, Erzählzeit und szeni‐ sche Darbietung. Weitere Kriterien können darüber hinaus noch bei Bedarf ergänzt werden. 5.2.3 Von Leben und Tod - „Der Erlkönig“ von Johann Wolfgang von Goethe Carolin Führer Thema: Die Erschließung der berühmten Ballade „Der Erlkönig“ kann im Rahmen der Beschäftigung mit dem Thema „Mensch - Natur“, aber auch „Unheimliches und Vernunft“ u. ä. erfolgen. Intension: Mit der Aufführung und Analyse von ‚Lesetheatern‘ der Schüler-/ innen sollen alle Lernenden zu gemeinsam erarbeiteten Inter‐ pretationsansätzen kommen, die der ambivalenten Struktur der Ballade gerecht werden können, ohne vorschnell (analytisch nicht oder wenig gestützte) Deutungen des „Erlkönigs“ vorzunehmen. Unterricht im 7. und 8. Schuljahr: Für den hier gemachten Unter‐ richtsvorschlag sollten die Schüler/ -innen bereits mit Grundlagen der Textsorte Ballade vertraut sein (epische, lyrische, dramatische Aspekte). 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 197 <?page no="198"?> Denn die Schüler/ -innen müssen sich mit der Ballade eigenständig aus‐ einandersetzen, indem sie ein ‚Lesetheater‘ (vgl. Unterrichtshilfe „Lese‐ theater“) zum Balladentext vorbereiten und einstudieren. Die Auffüh‐ rungen des ‚Lesetheaters‘ werden als stimmliche Interpretationen unter verschiedenen analytischen Schwerpunkten von den zuhörenden Schü‐ ler/ -innen ausgewertet: a) Figuren und Sprecherzuweisungen identifi‐ zieren bzw. überprüfen; b) (stimmliche) Charakterisierungen von Vater, Sohn und Erlkönig einschätzen und bewerten; und c) Beziehungsge‐ flecht der Figuren untereinander beschreiben. Ausgewählte didaktische Analyse In thematischer Hinsicht steht die zu behandelnde Ballade in Analogie zu der Ballade „Der Knabe im Moor“, die das Bild einer bedrohlichen Natur zeichnet, die dem Menschen feindlich gegenübersteht und Angstzustände bzw. Angstphantasien bei den Protagonisten (und Leser/ -innen) auslöst. Demgegenüber stellen andere kanonische Balladen wie „Die Brück’ am Tay“ und „John Maynard“ von Theodor Fontane Versuche des Menschen dar, sich durch Technisierung vor diesen Bedrohungen zu schützen und sich Naturräume gefügig zu machen. Während in Goethes und Droste-Hülshoffs Balladen ‚unheimliche‘ Zustände ästhetisch greifbar werden, hinterlässt das letztendliche Scheitern dieser anmaßenden menschlichen Versuche der Na‐ turbeherrschung in den letzten beiden Balladen beim Rezipienten/ der Re‐ zipientin ein beunruhigendes Gefühl. In einer Unterrichtsreihe zu Balladen oder einer Balladenwerkstatt können diese Motive bzw. Stoffe einander kontrastierend gegenübergestellt werden (so können neben den bereits ge‐ nannten beispielsweise auch Balladen mit Geistern einbezogen werden - Zauberlehrling, Heinzelmännchen, [ebenfalls im Band enthalten]). Die Ballade „Der Erlkönig“ wurde erstmals 1782 veröffentlicht und ob‐ wohl sie integraler Bestandteil des Singspiels Die Fischerin ist, das Goethe für den Tiefurter Kreis der Herzogin-Mutter Anna Amalia geschrieben hat, wird das Werk seit jeher als aus dem ursprünglichen Kontext isolierte Bal‐ lade gelesen (vgl. Ueding 1988). 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 198 <?page no="199"?> Der Erlkönig ( Johann Wolfgang von Goethe) Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? - Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif ? - Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. - „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? - Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. - „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? - Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau. - „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! - Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Kind, 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 199 <?page no="200"?> Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot. (G O E TH E , Johann Wolfgang von (1987). „Erlkönig“. In: Eibl, Karl (Hrsg.) Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Berlin: Deutscher Klassiker Verlag, 107-108) In der ersten und letzten Strophe tritt ein lyrisches Subjekt auf, das in die Balladenhandlung einführt und deren Ausgang darlegt. Die eigentlichen Geschehnisse der Handlung werden hingegen in szenischer Form durch die Dialoge der Figuren (Vater, Sohn, Erlkönig) entfaltet, wobei die un‐ terschiedlichen Sprechakte auch auf formaler Ebene voneinander ge‐ trennt sind: Strophen zwei, vier und sechs geben das Gespräch zwischen Vater und Sohn wieder, das in der dritten und fünften Strophe durch die „Lockmonologe“ des Erlkönigs unterbrochen wird. In der siebten Strophe dringt die Erlkönig-Welt schließlich in das bisher vertraute Dialogschema ein: Zum ersten Mal sind Sohn und Erlkönig in einer Strophe (zwangs‐ weise) vereint, was als formale Vorausdeutung auf das inhaltliche Ende der Ballade verstanden werden kann: Der Vater hat den Sohn im Verlauf des nächtlichen Ritts (an den ‚Erlkönig‘? ) verloren - als er den rettenden Hof erreicht, ist sein Kind bereits tot. Durch den dialogisch organisierten Gesprächsinhalt der Protagonisten wird eine semantische Unschlüssigkeit im Sinne von Tzvetan Todorovs (1972) Literaturtheorie erzeugt, da in Rede- und Gegenrede des Vaters und des Sohnes die Monologe des Erlkönigs unterschiedlich perspektiviert werden. Der Vater verbürgt sich für eine ‚realistische Weltsicht‘, in der die vom Sohn wahrgenommenen Erscheinungen und Geräusche als dessen kindliche Angst vor dem nächtlichen Nebel, dem stürmischen Wind und den bewegten Baumwipfeln rationalisiert werden. Die Perspektive des Sohnes eröffnet hingegen eine wunderbare Welt, in die der Erlkönig und dessen Töchter den Knaben locken bzw. gewaltsam entführen möchten. Im Text halten sich wunderbare (Sohn) und realistische (Vater) Weltsicht (in struktureller Perspektive) die Waage, so dass der Tod des Knaben am Ende der Ballade in zweifacher Hinsicht gedeutet werden kann: Nach der ‚rationalistischen Erklärung‘ versucht der Vater, den (vermutlich kran‐ ken) Jungen zu einem anderen Hofgut zu transportieren, wobei der Junge (vermutlich im Fieberwahn) phantasiert und den nächtlichen Ritt nicht überlebt; nach der ‚wunderbaren Erklärung‘ wird der Sohn vom Erlkönig tatsächlich überwältigt. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 200 <?page no="201"?> Als kanonischer Text des Deutschunterrichtes hat diese ambivalente Struktur des Textes immer wieder für verschiedenste Interpretationsansätze gesorgt (Erlkönig als Wiedergänger, als Repräsentation der erwachenden männlichen Natur des Knaben [Pubertät des Knaben], Albtraum eines Ver‐ gewaltigungsopfers etc.), zentral hierfür war und ist die semantische Leer‐ stelle des Textes, wie der „Erlkönig“ zu deuten ist. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen ▸ analysieren die semantische Unschlüssigkeit im Gesprächsverlauf der ▸ Ballade „Der Erlkönig“. ▸ bereiten selbstständig Sprechfassungen zu den Dialogen und Mono‐ ▸ logen vor. ▸ präsentieren die Ballade „Der Erlkönig“ in Form eines Lesetheaters ▸ (vgl. Nix 2006). ▸ unterstützen sich gegenseitig anhand von gemeinsam erarbeiteten ▸ Feedback-Kriterien in der Reflexion ihrer Präsentation. Die genaue Vorbereitung eines Lesetheaters (vgl. Unterrichtshilfe „Lesethe‐ ater“) in Kleingruppen kann helfen, die Leerstelle des Textes zu füllen, indem der Aufbau (wer spricht? ) und der grobe Handlungsablauf der Ballade (was passiert? ) am Text erarbeitet werden, folgende Aufgabenstellungen können hierfür hilfreich sein: ▸ Erklärt, worum es in der Ballade geht. Versucht euch dabei die Hand‐ ▸ lung bildlich vorzustellen! ▸ Bestimmt gemeinsam für jede Strophe, welche Figuren sprechen, no‐ ▸ tiert die entsprechende Figurenbezeichnung links vor die Verse! ▸ Verteilt die Figurenrollen untereinander und übt, die entsprechenden ▸ Verse ausdrucksstark vorzulesen. ▸ Erarbeitet gemeinsam ein Lesetheater, in dem die Figuren durch die ▸ sprecherische Gestaltung des Textvortrags charakterisiert werden! Aus didaktischer Sicht ist es unerlässlich, vorschnelle Interpretationen der Schüler/ -innen, die direkt auf eine Deutung des Erlkönigs abzielen, als Aus‐ druck einer ersten subjektiven Auseinandersetzung mit der Ballade kennt‐ lich zu machen und zu sammeln. Mit der hier vorgestellten Aufgabenstellung sollen im ersten Schritt die Textbasis und ein genaues mentales Modell von 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 201 <?page no="202"?> dem Ablauf und dem dialogischen Aufbau der Balladenhandlung erarbeitet werden. In der sich anschließenden ersten Präsentation des Lesetheaters gilt es für die Zuhörenden, darauf zu achten, ob sie die gleiche Zuordnung der Rollen vorgenommen haben. Dies kann unterstützend von der Lehrperson am Text (z. B. auf einer OHP-Folie) im Nachgang fixiert werden. Im Rahmen einer zweiten Lesetheatervorführung erhalten die hörenden Schüler/ -innen den Auftrag, sich während des Vortrags Adjektive zu notie‐ ren, die die stimmliche Charakterisierung von a) Vater, b) Sohn und c) Erl‐ könig durch die Gruppe beschreiben. Über Moderationskarten kann man sich in der Auswertung im Plenum auf die Personenmerkmale einigen, die dann genutzt werden, um in der dritten Aufführung des Lesetheaters die Ver‐ hältnisse bzw. Beziehungen von a) Vater und Sohn, b) Vater und Erlkönig sowie c) Erlkönig und Sohn zu erarbeiten. Es können für die einzelnen Aufgabenstellungen auch mehrere Lesethea‐ teraufführungen miteinander kontrastiert werden, sodass ggf. auch alle Ver‐ sionen zur Aufführung gebracht werden könnten (hier muss gut erwogen werden, inwieweit dies dann sachdienlich und motivierend ist). Die Schwierigkeit besteht v. a. darin, im Rahmen der ambivalenten Struk‐ tur der Ballade die Zentralfigur des Erlkönigs metaphorisch aufzulösen. Je nach Interpretationsansatz ist der Erlkönig Ausdruck von Tod, Krankheit, Natur, Emotionalität, einem romantischen Gedankengut usw. während die Figur des Vaters im Gegensatz zum Erlkönig als Verkörperung von Leben, Gesundheit, Kultur, Vernunft, usw. verstanden werden kann (vgl. Ueding 1988, Stockhammer 1998). In einem Unterrichtsgespräch, in dem Hörein‐ drücke mit dem Text abgeglichen werden, kann anhand der bereits vorhan‐ denen Moderationskarten und der Figurenbeziehungen der Dualismus zwi‐ schen ‚rationaler‘ und ‚phantastischer‘ Weltsicht gemeinsam in einem Tafelbild erarbeitet werden. Alternativ könnten die letzten beiden Analyseaufträge aber auch auf Gruppen verteilt werden und der Vergleich der Rollenaufteilung in der Bal‐ lade gemeinsam vor der Präsentation erfolgen. Dies ist v. a. dann sinnvoll, wenn in der Erarbeitung Zeit gespart werden soll und/ oder die Lernenden in der Gruppenphase sichtbare Probleme beim Erkennen der Sprecherfigu‐ ren haben. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 202 <?page no="203"?> 5.2.4 „O, schaurig“ - „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff Juliane Dube Thema: Neben der Novelle Die Judenbuche (1842) zählt die Ballade „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff heute zu den bedeu‐ tendsten Werken der deutschen Literatur. In diesem zunächst 1844 unter dem Titel „Haidebilder“ veröffentlichten Werk wendet sich Droste-Hülshoff vom ‚romantisch Phantastischen‘, ‚Märchenhaften‘ und ‚Wunderbaren‘ der Romantik ab, um sich den ein‐ fachen und volksliedhaften Elementen der biedermeierlichen Lyrik so‐ wohl in der Formals auch Inhaltsgestaltung zu öffnen. Die in natur‐ magischen Balladen thematisierte emotionale Gefangenschaft in den dunklen Kräften der Natur, denen das Kind im Erlkönig am Ende un‐ terliegt, bändigt Droste-Hülshoffs Figur in der ausgewählten Ballade je‐ doch mit religiöser Überzeugung. Intension: Mit der verwendeten bildreichen Sprache sowie der dadurch erzeugten unheimlichen Stimmung und mit der Beschreibung einer feindlich gesinnten Gegenwelt knüpft die Ballade auf der einen Seite an die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Grusel- und Schauerge‐ schichten an. Auf der anderen Seite ergeben sich zahlreiche Möglich‐ keiten, die Wirkung von sprachlichen Mitteln z. B. beim Erstellen eines Poesiefilms zu analysieren. Damit steht sowohl die Förderung ästheti‐ schen Lesens als auch der Erwerb von Medienkompetenz im Zentrum der Unterrichtsreihe. Unterricht im 7.-9. Schuljahr: Die Lernenden erarbeiten sich zu‐ nächst mit Unterstützung die inhaltliche und sprachliche Gestaltung der Ballade und vertiefen anschließend ihr Textverständnis sowie ihr Wis‐ sen um die Wirkung sprachlicher, akustischer und visueller Mittel beim Erstellen von Poesiefilmsequenzen. Ausgewählte didaktische Analyse Kinder- und Jugendliteratur wird im schulischen Kontext mit unterschied‐ lichen Zielsetzungen verbunden. So dient sie im Rahmen der Leseförderung einerseits dem Aufbau und der Weiterentwicklung von Lesekompetenz und 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 203 <?page no="204"?> -motivation, andererseits bietet sie vielseitige thematische Zugänge für die in Kindheit und Jugend gesammelten Erfahrungen und ist zuletzt auch Ge‐ genstand von literarischen Lernprozessen, „die sich speziell auf die Beschäf‐ tigung mit literarischen Texten […] beziehen“ und „verschiedene Fähigkei‐ ten im Umgang mit Literatur“ umfassen (Spinner 2006: 6). Hierzu zählt der Erwerb eines genauen und vertieften Verstehens von literarischen Aus‐ drucksweisen, indem die Lernenden z. B. literarische Gestaltungsmittel und ihre Wirkung kennen und anwenden lernen. Zur Vermittlung jener Kom‐ petenzen eignet sich der Einsatz von Grusel- und Schauergeschichten, die im Rahmen des didaktischen Konzepts der thematischen Sequenzbildung auch genreübergreifende Texte wie die hier vorgestellte naturmagische Bal‐ lade von Annette von Droste-Hülshoff umfassen können. Der Knabe im Moor (Annette von Droste-Hülshoff) O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Haiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt - O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest hält die Fibel das zitternde Kind Und rennt, als ob man es jage; Hohl über die Fläche sauset der Wind - Was raschelt drüben am Hage? Das ist der gespenstige Gräberknecht, Der dem Meister die besten Torfe verzecht; Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! Hinducket das Knäblein zage. Vom Ufer starret Gestumpf hervor, Unheimlich nicket die Föhre, Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme wie Speere; Und wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin, 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 204 <?page no="205"?> Das ist die gebannte Spinnlenor’, Die den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran, nur immer im Lauf, Voran, als woll’ es ihn holen; Vor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen Wie eine gespenstige Melodei; Das ist der Geigenmann ungetreu, Das ist der diebische Fiedler Knauf, Der den Hochzeitheller gestohlen! Da birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh, da ruft die verdammte Margret: „Ho, ho, meine arme Seele! “ Der Knabe springt wie ein wundes Reh, Wär’ nicht Schutzengel in seiner Näh’, Seine bleichenden Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwehle. Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide, Die Lampe flimmert so heimathlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief athmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: Ja, im Geröhre war’s fürchterlich, O, schaurig war’s in der Haide! (S C HÜKIN G , Levin (Hrsg.) (1879). Gesammelte Schriften von Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Bd. 1: Lyrische Gedichte. Stuttgart: J.G. Cotta, 115-116) In der zur Behandlung vorgeschlagenen Ballade wird der seit Jahrhunderten weitergetragene Aberglaube über das Moor als Ort, an dem die Seelen der unerlösten Toten umherwandeln, thematisiert. Neben dem Friedhof, verfal‐ lenen Häusern sowie alten Schlössern und Burgen zählen Moore zu jenen Orten, die in der ästhetischen Überformung der Landschaft Gegenstand zahlreicher Gedichte sind. Die durch sie seit Jahrhunderten ausgelöste Fas‐ zination changiert dabei zwischen unheimlich und anziehend. 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 205 <?page no="206"?> Balladentypisch zeigt sich die Erzählung vom Knaben im Moor als regel‐ mäßig und geschlossen. Während die erste Strophe das Geschehen einleitet, schließt die sechste Strophe mit der Rettung des Knaben durch den Schutz‐ engel die unheimliche Schilderung ab. Bis es jedoch dazu kommt, erfährt der Leser/ die Leserin durch eine sehr bildhafte Sprache, vielfältige Klangfiguren und lautmalerische Verben von unerlösten Moorgeistern (Strophe 2−5), die den Knaben auf dem Weg durchs Moor begleiten. Ihren Höhepunkt erreicht die Ballade in Strophe fünf, als das Moor birst und ein Seufzer aus der klaf‐ fenden Höhle hervorgeht. Damit steht die Schilderung der Natur in der Bal‐ lade im Gegensatz zum romantischen Ideal der Natur als Ort der Geborgen‐ heit und als Rückzugsmöglichkeit für Bedrohlichkeit und Gefahr, die zuweilen auf die Figuren eine maligne-angsteinflößende, aber auch eine verführerisch-lockende Wirkung ausüben kann. Die damit einhergehende Polyvalenz der Texte lädt dabei zu unterschiedlichen Deutungsaushandlun‐ gen ein. Neben dem Wechsel der Erzählperspektive zwischen auktorial und per‐ sonal sowie dem durchgängigen Reimschema a-b-a-b-c-c-a-b treibt vor al‐ lem die fast durchgehende Schilderung der Begebenheit im Präsens, das nur im 8. Vers der 6. Strophe ins Präteritum wechselt, die Flucht des Jungen an. Aufgrund der bereits erwähnten Vielfalt sprachlicher Mittel, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird, bietet sich die Ballade nicht nur thematisch, sondern auch sprachanalytisch für eine vertiefte experimentie‐ rende Auseinandersetzung im Kontext handlungs- und produktionsorientierter Verfahren an. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen ▸ untersuchen die in der naturmagischen Ballade „Der Knabe im Moor“ ▸ verwendeten sprachlichen Mittel auf ihre Wirkung sowie unter‐ schiedlichen kommunikativen Absichten. ▸ erweitern ihr Wissen zur Wirkung von sprachlichen Mitteln beim Er‐ ▸ stellen von aktuellen Literaturformaten wie dem Poesiefilm um Er‐ fahrungen zur Wirkung von visuellen und akustischen Elementen. ▸ sammeln grundlegende Erfahrungen bei der Medienarbeit mit Com‐ ▸ putern und Videoschnittprogrammen. ▸ lesen fremde Texte wirkungsvoll vor. ▸ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 206 <?page no="207"?> In der Ballade von Droste-Hülshoff dominieren die regionstypischen Moor‐ geister wie der „gespenstische Gräberknecht“, die „unselige Spinnerin“, der „diebische Fiedler Knauf “, der „ungetreue Geigenmann“ sowie die „ver‐ dammte Margret“, die zunächst erklärend eingeführt werden sollten (vgl. Unterrichtshilfe „Die Ballade: ‚Der Knabe im Moor‘ mit Worterklärungen“), bevor Ideen zu Deutungen dieser gesammelt werden. So können sie einer‐ seits auf den Volksglauben an unerlöste Seelen (Darstellung z. B. durch die Einbindung eines lyrischen Subjekts), aber auch auf die Angstvorstellungen des Jungen (Darstellung z. B. durch verschiedene verzerrte Bilder) und letzt‐ lich auch auf Geräusche der Natur zurückgeführt werden (akustische Un‐ termalung). Neben den Moorgeistern sollte zudem über die Verwendung der Vielzahl an Stilmitteln gesprochen werden, die zur unheimlichen Stimmung der Ballade beitragen. So fordern ▸ Klangfiguren: „wenn aus der Spalte es zischt und singt“, ▸▸ lautmalerische Verben: „knistert“, „brodelt“, ▸▸ Deiktika: „Da ist“, ▸▸ Interjektionen: „Hu, hu“, ▸▸ Wiederholung des Eingangsverses, ▸▸ Begriffssteigerungen: „Riesenhalme“, ▸▸ Vergleiche: „wie ein wundes Reh“, „wie Phantome die Dünste drehn“ ▸ etc. die Lesenden geradezu heraus, ihre Eindrücke mit den phantasmatischen Überblendungen des Knaben in Beziehung zu setzen. Ebenso lohnt natürlich auch ein Blick auf die verwendeten Zeiten (Präsens - Präteritum) und Er‐ zählperspektiven (Perspektivwechsel von der durch die Erzählstimme ge‐ schilderten Szenerie hin zu der Perspektive des Knaben). Auch der Schluss der Ballade, an dem Droste-Hülshoff jene Moorgeister durch christliche Motive wie den Schutzengel und das (ewige) Licht ver‐ drängt und der Knabe topographisch vom Dunkel (Moor) ins Licht (zu Hause) tritt, sollte eingehender besprochen werden, bevor den Schüler/ -in‐ nen anschließend Raum gegeben wird, sich über ihre Erfahrungen mit Ge‐ räuschen an unheimlichen Orten auszutauschen. Im Anschluss an die Textanalyse erhalten die Lernenden den Auftrag, die Ballade visuell und akustisch in Form eines Poesiefilms (Gedichtverfil‐ mung) zu gestalten. Hierbei werden die Lernenden zum textnahen Lesen angeregt, wodurch sich ihr Textverständnis erweitert. Die kurzweilige Form der Textinszenierung in Form eines Poesiefilms kommt nicht nur den TV-ge‐ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 207 <?page no="208"?> prägten Rezeptionsgewohnheiten der Jugendlichen entgegen, sondern soll sie auch motivieren, sich mit Literatur und Sprache produktiv auseinander‐ zusetzen (vgl. Anders 2013). So können die Lernenden ihr Wissen über die Wirkung von sprachlichen Gestaltungsmitteln durch die Auseinanderset‐ zung mit der Textvorlage vertiefen und um Erfahrungen mit visuellen und akustischen Mitteln im Poesiefilm ergänzen. Gemeinsam reflektieren sie ihre verstärkenden, aber auch abschwächenden oder ironisierenden Wir‐ kungsmöglichkeiten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Lernenden ihre Gefühle und Eindrücke artikulieren können. Ihnen sollte folglich immer wieder die Gelegenheit zum Sprechen, Zuhören, Rückmeldung geben und erneuten Erproben der eingesetzten sprachlichen, visuellen und akustischen Mittel gegeben werden. Bei der Gestaltung von kurzen Poesiefilmen sind der Gestaltungskreati‐ vität der Heranwachsenden keine Grenzen gesetzt. Die Klassenstufe be‐ rücksichtigend, bietet es sich jedoch an, die einzelnen Strophen der Ballade auf drei bis sechs Kleingruppen zu verteilen, um die Lernenden nicht nur kognitiv, sondern auch zeitlich zu entlasten. Aufgrund der sprachlichen Komplexität empfiehlt sich auch hier, auf die Version mit den Worterklä‐ rungen zurückzugreifen (vgl. Unterrichtshilfe „Die Ballade: ‚Der Knabe im Moor‘ mit Worterklärungen“). Die Zusammenführung der einzelnen Film‐ teile sollte abschließend von der Lehrperson übernommen werden. Für die Erstellung von „mehrsträngigen Medientexten“ (Langermann 2010) markieren die Kleingruppen zunächst in ihrer ihnen zugteilten Stro‐ phe Wörter oder Szenen, die verklanglicht oder verbildlicht werden sollen. Durch das Setzen der Markierungen entstehen weitere Imaginationen zum Balladeninhalt sowie erste Ideen zur Klang- und Bilderzeugung. Ihre Ideen kann die Gruppe dabei auf einem Planungspapier festhalten (vgl. Un‐ terrichtshilfe „Einen Poesiefilm erstellen“). Im nächsten Schritt erhalten die Lernenden Zugang zum Internet bzw. zu ihren Smartphones um Bilder und Geräusche im Internet zu suchen bzw. selbst zu erstellen, welche die Stimmung der Ballade untermalen. Alle Er‐ gebnisse werden anschließend in der Gruppe gesichtet und hinsichtlich ihrer Wirkung reflektiert, bevor die Ton- und Bildergebnisse in einem Kurzfilm zusammengeführt werden. Zur Unterstützung bei der Filmerstellung bietet sich die Arbeit mit leicht zugänglichen Videoschnittprogrammen wie Win‐ dows Live Moviemaker oder i-Movie an. Beide sind kostenlos aus dem Internet herunterzuladen. Je nach Kompetenzstand der Klasse sollte hier jedoch eine angeleitete Einführung durch den Lehrer/ die Lehrerin ggf. auch unter Rück‐ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 208 <?page no="209"?> griff auf frei zugängliche Einführungsvideos z. B. auf YouTube (14 Min.) vorgeschaltet werden. In einem letzten Schritt sollen sich die Lernenden zum wirkungsvollen Vortrag der Ballade aus dem Off (Kap. 4.10) austauschen und diese im Film ergänzen (vgl. Unterrichtshilfe „Einen Poesiefilm erstellen“). Ein niedrigschwelliges Einführungsvideo zum Erstellen von Filmen mit Windows Live Movie Maker finden Sie unter https: / / www.youtube.co m/ watch? v=_nR97ROMG8s (12.02.2019). Zum Anschluss der Reihe wird der von der Lehrperson zusammengeschnit‐ tene Poesiefilm über den Beamer präsentiert. Leitfragen für ein Feedback‐ gespräch sollten u. a. den wirkungsvollen Einsatz der sprachlichen und non‐ verbalen Stilmittel reflektieren. Abb. 5.8: Die berühmteste Ballade „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff ist auch Teil der Reihe Poesie für Kinder. Sind die technischen Voraussetzungen eines Computers und Softwareprogram‐ mes zum Videoschnitt nicht an der Schule vorhanden, kann die Erstellung von Poetry-Clips eine Alternative darstellen. Hierfür wird die Ballade speziell für die Kamera, die heute in jedem Smartphone integriert ist, live vorgetragen. Apps wie MadPad und iMaschine unterstützen hier die Aufnahme und das Ab‐ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 209 <?page no="210"?> spielen von ausgewählten Klängen. Anders als bei der Unterlegung der Bal‐ lade mit fertigen Bildern und Geräuschen müssen sich die Lernenden in die‐ sem Fall jedoch noch zur Performance (Gestik, Mimik etc.), Requisiten, filmischen Mitteln, Drehort usw. austauschen. Zudem gilt das Prinzip: „Ein Text - ein Autor - ein Ort“ (vgl. Anders/ Abraham 2008: 8), sodass verschie‐ dene Aufgabenbereiche bei der Erstellung und Umsetzung entstehen. Bei fehlenden technischen Voraussetzungen und noch unzureichend aus‐ gebildeten technischen Fertigkeiten bietet die Erstellung von multimedia‐ len Sprechpartituren in einem differenzierenden Deutschunterricht eine weitere Option. Hierzu soll die in einem klassischen Balladenvortrag her‐ vorgerufene Stimmung ebenfalls durch den Einsatz einer Vielzahl neuer und alter Medien verstärkt werden. So bieten sich die Einbindung der von Rein‐ hard Michl eindrücklich illustrierten Bilder im Bilderbuch Der Knabe im Moor aus der Reihe Poesie für Kinder (2010) (Abb. 5.8) oder eigene Zeich‐ nungen zu Gespensterbäumen an (z. B. Gräberknecht und Geigenmann). Auch die digitalen Geräusch- und Musiksequenzen können durch den Einsatz von Orff-Instrumenten, die für Schüler/ -innen leicht zugänglich sind und zum rhythmisch-perkussiven Tun anregen, ersetzt werden (vgl. San‐ der-Steinert 2016). Unabhängig davon, welche Variante für die eigene Klasse gewählt wird, gilt stets, den Produktionsprozess kleinschrittig entlang des Textes zu planen (vgl. Unterrichtshilfe „Einen Poesiefilm erstellen“) und den Lernenden ausreichend Raum für Austausch und Reflexion zu geben. 5.2.5 Poetische Wirkkraft rational kalkulierter Dichtung - „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe Juliane Dube Thema: In einer Zusammenstellung von balladesken Werken, welche Düsteres, Schauriges, Abgründiges, ggf. auch Übernatürliches themati‐ sieren, dürfen die Texte von Edgar Allan Poe nicht fehlen. Als einer der Väter des heutigen Kriminalromans ist neben seinen Kurzgeschichten, z. B. „The Tell-Tale-Heart“, vor allem seine Ballade „The Raven“ in Er‐ innerung geblieben. 1845 in unterschiedlichen Zeitungen veröffentlicht, gehört die Ballade um einen mitternächtlichen Besuch eines sprechen‐ den Raben bei einem Trauernden, dessen Geliebte verstorben ist, heute zu den bekanntesten US-amerikanischen Werken. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 210 <?page no="211"?> Als prototypischer Autor der ‚Moderne‘ steht Poe in der Tradition der deutschen Romantik. Folglich ist seine Dichtung mit dem Ziel verbunden, die Rezipient/ -innen allein über die poetische Wirkkraft und weniger über einen moralisierenden Inhalt zu fesseln. Anhand des Entstehungsprozes‐ ses (modus operandi) seines Gedichtes „The Raven“ (1845) beschreibt er in The Philosophy of Composition (1846) die für ihn wichtigsten Kompositi‐ onsprinzipien, die einer ähnlich rationalen Gesetzmäßigkeit folgen wie die Lösung eines mathematischen Problems. Dass sich literarisches und ma‐ thematisches Kalkül wunderbar ergänzen, belegt die breite Rezeptionsge‐ schichte des Werkes. So existieren heute verschiedene Illustrationen z. B. von Gustav Doré, szenische Umsetzungen wie in der Simpsons Episode „Treehouse of Horror“ und der Fantasy-Komödie von Roger Corman, aber auch zahlreiche Übersetzungen, z. B. ins Französische von Charles Baude‐ laire oder ins Deutsche von Hans Wollschläger. Intension: Durch die Vielfalt an Rezeptionen bietet die Ballade großes Potenzial, sich ihrer poetischen Wirkkraft über die kontrastierende Ar‐ beit mit Übersetzungen bewusst zu machen und damit eine Lernumge‐ bung zu schaffen, in der Sprachreflexion und Literarisches Lernen eng miteinander verbunden sind. Die dabei gewonnenen Erfahrungen kön‐ nen im Rahmen eines Deutschunterrichts, der nicht nur die analy‐ tisch-rezeptive, sondern auch die produktionsästhetische Seite des Um‐ gangs mit Literatur betont, in das Erstellen von interlingualen Vers- Collagen einfließen. Unterricht im 9. und 10. Schuljahr: Eingeführt wird die Original- Ballade im Rahmen einer Projektwoche durch die Hörfassung z. B. von James Earl Jones. Nachdem die Lernenden den Inhalt der Ballade ver‐ standen und die sprachlichen, formalen und symbolischen Besonder‐ heiten herausgearbeitet haben, erhalten sie unterschiedliche Überset‐ zungen zu den zentralen Strophen des Textes. Diese sollen sie in Kleingruppen lesen und hinsichtlich ihrer inhaltlichen, sprachlichen und formalen Umsetzung reflektieren. Nicht zu kurz kommen soll dabei auch ein Blick auf die Besonderheiten der Übersetzung als eigenständige literarische Leistung. Zum Abschluss des Projekts erstellen die Lernen‐ den aus eigenen Translationen und bestehenden Übersetzungen inter‐ linguale Textcollagen der Ballade, die sie am Ende der Projektwoche den anderen Klassen präsentieren. 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 211 <?page no="212"?> Ausgewählte didaktische Analyse „Ich meine in der üblichen Art eine Erzählung aufzubauen, steckt ein grund‐ sätzlicher Fehler“, kritisiert Poe 1846 in seinem berühmt gewordenen Auf‐ satz The Philosophy of Composition die von vielen Schriftstellern verfolgte Intention, eine Erzählung auf dem Inhalt statt auf dem Effekt aufzubauen (Poe 1846, in der Übersetzung von Schumann/ Müller 1976: 531f.). Wie Poe weiter ausführt, kann dieser Effekt ganz unterschiedlicher Natur sein. Die entsprechende Wahl ist dabei jedoch keinesfalls zufällig, sondern Ergebnis einer strengen Folgerichtigkeit; ähnlich dem eines mathematischen Lö‐ sungsprozesses (vgl. ebd.). In Anbetracht der vielseitigen Überlegungen, u. a. zu Umfang, Gebiet, Tonart, Refrain, Gegenständen etc., die dem 10jährigen Entstehungsprozess eines der berühmtesten US-amerikanischen Gedichte vorangehen, verwundert es nicht, dass sich die bewusst inszenierte Melan‐ cholie „als Angelpunkt, um den sich das ganze Gedicht dreht“ (ebd.: 537), bis heute in unterschiedlichen Abwandlungen und intertextuellen Bezügen wiederfindet. Melancholie und Schönheit treffen in Poes Ballade „The Raven“ im lyri‐ schen Subjekt zusammen, das sich in der Figur eines Gelehrten durch sein Bücherstudium Erlösung von seiner Trauer um den Tod seiner Geliebten Leonore erhofft. Doch Poe geht es nicht um eine philosophische Auseinan‐ dersetzung mit der Frage zum Leben nach dem Tod, sondern ganz im Sinne seines Hangs zum Düsteren und Übernatürlichen um die Szenerie, die sich nun nach und nach um das von Leid geplagte und von Trauer erschöpfte lyrische Subjekt aufbaut. Beginnend mit einem leisen Klopfen an der Tür wird sich der Trauernde seiner Umgebung gewahr, die nun entweder durch die Lektüre oder den Erschöpfungszustand in einem ganz anderen Licht erscheint. Denn nun schafft das Verglimmen der Kohlen ein Geisterlicht, die Bewegungen der Vorhänge bedrängen ihn und die Frage, wer zur späten Stunde noch zu ihm kommt, lässt ihn erschaudern. Nach dem ergebnislosen Blick vor die Tür öffnet er das Fenster und ein schwarzer Rabe flattert ins Zimmer. Auf das krächzende Wort „nevermore“ des Rabens, wechselt die zunächst durch den nächtlichen Besuch des Raben ausgelöste Heiterkeit des Gelehrten schnell wieder in selbstquälerische, melancholische Gedanken, die ihn am Ende der Ballade im Schatten des Raben seine Seele wiedererkennen lassen, die nim‐ mermehr aufsteigen wird. Damit steht der Rabe nicht nur symbolisch für Unheil, sondern ist auch zum Sinnbild für eine trauervolle und nie endende Erinnerung (vgl. ebd.) geworden. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 212 <?page no="213"?> The Raven (Edgar Allan Poe) Once upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary, Over many a quaint and curious volume of forgotten lore— While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping, As of some one gently rapping, rapping at my chamber door. “‘Tis some visitor,” I muttered, “tapping at my chamber door— Only this and nothing more.” Ah, distinctly I remember it was in the bleak December, And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor. Eagerly I wished the morrow; —vainly I had sought to borrow From my books surcease of sorrow—sorrow for the lost Lenore— For the rare and radiant maiden whom the angels name Lenore— Nameless here for evermore. And the silken sad uncertain rustling of each purple curtain Thrilled me—filled me with fantastic terrors never felt before; So that now, to still the beating of my heart, I stood repeating “‘Tis some visiter entreating entrance at my chamber door— Some late visiter entreating entrance at my chamber door; This it is and nothing more.” Presently my soul grew stronger; hesitating then no longer, “Sir,” said I, “or Madam, truly your forgiveness I implore; But the fact is I was napping, and so gently you came rapping, And so faintly you came tapping, tapping at my chamber door, That I scarce was sure I heard you”—here I opened wide the door— Darkness there and nothing more. Deep into that darkness peering, long I stood there wondering, fearing, Doubting, dreaming dreams no mortals ever dared to dream before; But the silence was unbroken, and the stillness gave no token, And the only word there spoken was the whispered word, “Lenore? ” This I whispered, and an echo murmured back the word, “Lenore! ”— Merely this and nothing more. 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 213 <?page no="214"?> Back into the chamber turning, all my soul within me burning, Soon again I heard a tapping something louder than before. “Surely,” said I, “surely that is something at my window lattice; Let me see, then, what thereat is and this mystery explore— Let my heart be still a moment and this mystery explore; — ‘Tis the wind and nothing more.” Open here I flung the shutter, when, with many a flirt and flutter, In there stepped a stately Raven of the saintly days of yore. Not the least obeisance made he; not a minute stopped or stayed he, But, with mien of lord or lady, perched above my chamber door— Perched upon a bust of Pallas just above my chamber door— Perched, and sat, and nothing more. Then the ebony bird beguiling my sad fancy into smiling, By the grave and stern decorum of the countenance it wore, “Though thy crest be shorn and shaven, thou,” I said, “art sure no craven, Ghastly grim and ancient Raven wandering from the Nightly shore— Tell me what thy lordly name is on the Night’s Plutonian shore! ” Quoth the Raven, “Nevermore.” Much I marvelled this ungainly fowl to hear discourse so plainly, Though its answer little meaning—little relevancy bore; For we cannot help agreeing that no living human being Ever yet was blessed with seeing bird above his chamber door— Bird or beast upon the sculptured bust above his chamber door, With such name as “Nevermore.” But the Raven, sitting lonely on that placid bust, spoke only That one word, as if its soul in that one word he did outpour Nothing farther then he uttered; not a feather then he fluttered— Till I scarcely more than muttered: “Other friends have flown before— On the morrow he will leave me, as my Hopes have flown before.” Then the bird said “Nevermore.” Startled at the stillness broken by reply so aptly spoken, “Doubtless,” said I, “what it utters is its only stock and store, Caught from some unhappy master whom unmerciful Disaster Followed fast and followed faster till his songs one burden bore— 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 214 <?page no="215"?> Till the dirges of his Hope that melancholy burden bore Of ‘Never—nevermore.’” But the Raven still beguiling all my sad soul into smiling, Straight I wheeled a cushioned seat in front of bird and bust and door; Then, upon the velvet sinking, I betook myself to linking Fancy unto fancy, thinking what this ominous bird of yore— What this grim, ungainly, ghastly, gaunt, and ominous bird of yore Meant in croaking “Nevermore.” This I sat engaged in guessing, but no syllable expressing To the fowl whose fiery eyes now burned into my bosom’s core; This and more I sat divining, with my head at ease reclining On the cushion’s velvet lining that the lamp-light gloated o’er, But whose velvet violet lining with the lamp-light gloating o’er She shall press, ah, nevermore! Then, methought, the air grew denser, perfumed from an unseen censer Swung by Seraphim whose foot-falls tinkled on the tufted floor. “Wretch,” I cried, “thy God hath lent thee—by these angels he hath sent thee Respite—respite and nepenthe from thy memories of Lenore! Quaff, oh quaff this kind nepenthe and forget this lost Lenore! ” Quoth the Raven, "Nevermore." “Prophet! ” said I, “thing of evil! —prophet still, if bird or devil! — Whether Tempter sent, or whether tempest tossed thee here ashore, Desolate, yet all undaunted, on this desert land enchanted— On this home by Horror haunted—tell me truly, I implore— Is there—is there balm in Gilead? —tell me—tell me, I implore! ” Quoth the Raven, “Nevermore.” “Prophet! ” said I, “thing of evil! —prophet still, if bird or devil! By that Heaven that bends above us—by that God we both adore— Tell this soul with sorrow laden if, within the distant Aidenn, It shall clasp a sainted maiden whom the angels name Lenore— Clasp a rare and radiant maiden whom the angels name Lenore.” Quoth the Raven, “Nevermore.” “Be that our sign of parting, bird or fiend! ” I shrieked, upstarting— “Get thee back into the tempest and the Night’s Plutonian shore! Leave no black plume as a token of that lie thy soul has spoken! 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 215 <?page no="216"?> Leave my loneliness unbroken! —quit the bust above my door! Take thy beak from out my heart, and take thy form from off my door! ” Quoth the Raven, "Nevermore." And the Raven, never flitting, still is sitting, still is sitting On the pallid bust of Pallas just above my chamber door; And his eyes have all the seeming of a demon’s that is dreaming And the lamp-light o’er him streaming throws his shadows on the floor; And my soul from out that shadow that lies floating on the floor Shall be lifted—nevermore. (S C HUMANN , Kuno/ Müller, Hans Dieter (1976). Edgar Allan Poe. Das gesamte Werk in zehn Bänden. Olten/ Freiburg i.P.: Walter) In der Rezeptiongsgeschichte der Ballade wird ihr musikalischer Rhythmus vielfach betont. Hierzu trägt insbesondere die Verwendung des Trochäus (betont-unbetont) und die ungewöhnliche Reimstruktur bei. Darüber hinaus wirken sich vor allem die zahlreichen Binnenreime (z. B. “While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping, / As of some one gently rapping, rapping at my chamber door”) und die mehrmalige Wiederholung des Wortes „more“ bzw. „nevermore“ sowie die gehäufte Verwendung von Worten mit ,o‘ (z. B. door, explore, shore etc.) auf den melodischen Klang aus. Insbesondere jenen Gestaltungselementen gilt es folglich in verglei‐ chender Arbeit mit Original und Übersetzung Beachtung zu schenken. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ verstehen komplexere balladeske Texte und schätzen deren Wir‐ ▸ kungsweise ein. ▸ erwerben ein Verständnis von der Übersetzung als eigenständige, ▸ kreativ-künstlerische Leistung, welche die Wahrnehmung von Wer‐ ken wesentlich beeinflusst. ▸ erwerben ein vertieftes Textverständnis sowie ein intensives Ver‐ ▸ ständnis für den Einsatz von sprachlichen Stilmitteln und ihrer Wir‐ kung, indem sie verschiedene Übersetzungen der Ballade „The Ra‐ ven“ / „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe rezipieren und vergleichend diskutieren. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 216 <?page no="217"?> ▸ erarbeiten gestaltend im Rahmen eines auf Produktionsästhetik aus‐ ▸ gerichteten Deutschunterrichts unter Zuhilfenahme unterschiedli‐ cher Übersetzungen eigene Texte, die sie in Form von interlingualen Vers-Collagen vorstellen. Obwohl ein Großteil der Ganzschriften in der Grundschule und Sekundar‐ stufe I auf Übersetzungen basiert - man denke hier an die Geschichten von Pettersson und Findus des Autoren Sven Nordqvist, den Grüffelo von Julia Donaldson oder Astrid Lindgrens Geschichten von Pippi Langstrumpf, Wil‐ liam Goldings Herr der Fliegen oder Morton Rhues Die Welle - spielt die differenzierte Wahrnehmung von Übersetzungen im Deutschunterricht kaum eine Rolle. Dies betrifft, so Abraham und Kepser (2008), sowohl die kritische Reflexion der wörtlichen als auch der ästhetischen Umsetzung. Für die kritische Rezeption literarischer Texte ist ein Verständnis der Heraus‐ forderungen beim Übersetzen und der damit eingehenden veränderten Wir‐ kung des jeweiligen Textes jedoch zentral. Übersetzungen sind stets eigen‐ ständige literarische Leistungen, da es für gute Übersetzungen mehr bedarf als einer wörtlichen Übertragung. Vielmehr, so Holger Fock (2006), „muss der Übersetzer tausenderlei Dinge beachten: Grammatik, Stil, Ton, musika‐ lische Eigenschaften der Sprache, Rhythmus (sowohl des Lautklangs wie der Bilder), Redewendungen, Sprichwörter, Metaphern, rhetorische Figuren.“ Beim Übersetzen begibt sich der Schriftsteller/ die Schriftstellerin damit in einen stetigen Balance-Akt, der sich insbesondere an Texten der gebun‐ denen Rede intensiv nachempfinden lässt, wenn es um die Frage geht, ob Eigenarten des Ursprungstextes bezüglich Metrik und Reim beibehalten werden, auch wenn dies bedeutet, dass eine sinngetreue Übersetzung nur schwer umzusetzen ist. Haben die Lernenden dies verstanden, ist der Weg zum textnahen Lesen nicht mehr weit, etwa wenn Textstellen zur Rechtfer‐ tigung der eigenen oder fremden Translationsleistungen herangezogen wer‐ den müssen. Als idealer Kontext für das Arbeiten mit Originalen und ihren Überset‐ zungen bietet sich die Thematisierung im Fächerverbund an. Leider lassen die alltäglichen Rahmenbedingungen jene Form des Unterrichtens nur sel‐ ten zu. Wenngleich Fördersituationen zur Sprachreflexion und zum Litera‐ rischen Lernen durch die Übersetzung von kürzeren ungebundenen Texten bereits in kleinen Sequenzen des Deutschunterrichts angebahnt werden können (Beispiele hierfür finden sich z. B. in der Ausgabe von Praxis Deutsch „Übersetzungen lesen und schreiben“), bieten sich insbesondere die regel‐ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 217 <?page no="218"?> mäßig stattfindenden Projektwochen zur fächerintegrativen Arbeit an län‐ geren lyrischen Texten in gebundener Sprache an. Die hier ausgewählte Ballade eignet sich aufgrund ihrer Vielzahl an Übersetzungen im Besonderen für das kooperative Arbeiten über die Grenzen der Fächer Deutsch und Englisch hinaus. Hierzu präsentiert die Lehrperson den Schüler/ -innen die Ballade „The Raven“ von Edgar Allan Poe zunächst im englischen Original. Medial un‐ terstützt eignet sich dafür die besonders intensive Rezitation des US-ameri‐ kanischen Schauspielers James Earl Jones, der mit seiner tief tönenden Stimme bereits zahlreiche Figuren in Film- und Fernsehen synchronisierte. Sie finden die Rezitation unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=sX U3RfB7308 (19.06.2019). 2011 wurde er mit einem Ehrenoscar für seine Verdienste um den Film ge‐ ehrt. In einem zweiten Hördurchgang erhalten die Lernenden die englische Ballade dann als Textvorlage. Im anschließenden Unterrichtsgespräch, in dem die Lehrperson als partizipierender Leiter/ partizipierende Leiterin fun‐ giert, sollen die Schüler/ -innen deutlich machen, was sie verstanden haben, was ihnen aufgefallen und was ihnen unklar geblieben ist. Impulsfragen der Lehrperson, zum geschilderten Geschehen, zur empfundenen Stimmung, der Bedeutung des Raben etc., regen die Heranwachsenden an, erste vor‐ läufige Deutungshypothesen zu formulieren. Ihre Ideen, Anmerkungen und Fragen notieren die Lernenden dabei entlang des Textes. Kleinere Überset‐ zungsversuche zu den berühmt gewordenen ersten und letzten Strophen sollen die Schüler/ -innen in Folge dessen für den Umgang mit Übersetzun‐ gen sensibilisieren. Im Anschluss an die Arbeit am Original, im Rahmen von zwei Doppel‐ stunden, erhalten die Lernenden vier unterschiedliche Übersetzungen (z. B. von Hedwig Lachmann, Carl Theodor Eben, Alexander Neidhardt und Hans Wollschläger). Diese sollen sie gemeinsam in der Kleingruppe lesen und an‐ schließend diskutieren, welche dieser Übersetzungen die äußere Form, den Inhalt und die vermittelte Stimmung des Originaltextes am besten wieder‐ gibt (vgl. Unterrichtshilfe „Übersetzungen vergleichen“). Hierbei sollen sie insbesondere auf den Umgang mit den im Original verwendeten sprachli‐ chen Stilmitteln achten. Zugleich sollen die Lernenden aber auch ins Ge‐ spräch über die Eigenheiten der Übersetzungen kommen wie z. B. die un‐ aufgeregte Stimmungsbeschreibung des Lyrischen Subjekts in der Über- 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 218 <?page no="219"?> setzung von Hedwig Lachmann oder die veränderte rhythmische Gestaltung in der Übersetzung von Alexander Neidhardt. Durch den Vergleich der Übersetzungen erhalten die Schüler/ -innen einen Einblick in das kreative Spiel der Autor/ -innen mit dem Originaltext, das sich einige der Lernenden bei der eigenen Übersetzungsarbeit vermutlich gewünscht, aber in Achtung vor dem Original nicht durchzuführen getraut haben. Sensibilisiert und motiviert für den kreativen Umgang mit literarischen Übersetzungen erhalten die Schüler/ -innen anschließend den Auftrag, unter der Verwendung bestehender Übersetzungen oder eigener Translationen interlinguale Vers-Collagen zu erstellen. Hierzu kann auf einen breiten Fundus an frei zugänglichen Übersetzungen zurückgegriffen werden: ▸ Carl Theodor Eben (1869) ▸▸ Hewig Lachmann (1891) ▸▸ Elise von Hohenhausen (1853) ▸▸ Alexander Neidhardt (1856) ▸▸ Luise von Ploennies (1857) ▸▸ Adolf Strodtmann (1862) ▸▸ Eduard Mautner (1874) ▸▸ Anna Vivanti-Lindau (1878) ▸▸ Betty Jacobson (1880) ▸▸ Bertha Rombauer (1889) ▸▸ Alexander Baumgartner (1892) ▸▸ Ernst Schmidt (1903) ▸▸ Theodor Etzel (1908) ▸▸ Hans Wollschläger (1974) ▸ Verschiedenen Übersetzungen, die teilweise auch um Audiodateien er‐ gänzt sind, finden Sie u. a. bei wikisource (https: / / de.wikisource.org/ wi ki/ Der_Rabe_(%C3%9Cbersetzung_Eben). Dabei zwingt gerade die Vielfalt dieser zum genauen Lesen und Analysieren des Originals und seiner Übersetzung. Denn je mehr Möglichkeiten den Re‐ zipient/ -innen für diesen Produktionsprozess angeboten werden, desto be‐ wusster müssen sie sich mit der Adäquatheit der Texte auseinandersetzen. Die Arbeit am Text wird dadurch jedoch umso spannender und kreativer. So kann das „Aufheben von historischen, autorenbedingten Gegebenheiten 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 219 <?page no="220"?> und das Schaffen eigener Koordinatensysteme, in denen die individuelle, wie‐ derum zeitlich bedingte Annäherung“ an die Ballade möglich wird, „einen fruchtbaren Zugang zu literarischen Texten ermöglichen“ (Breddin 2004: 28). In einem differenzierenden Deutschunterricht können die so entstande‐ nen Vers-Collagen zusätzlich durch die Verwendung unterschiedlicher Schriftarten und -größen visuell die Zweisprachigkeit der Werke betonen. Am Ende der Projektwoche werden alle interlingualen Verscollagen im Kursraum/ Klassenraum präsentiert. 5.2.6 Vergänglichkeit als Bestandteil des Lebens - „Toten-Tanz“ von Johann Wolfgang von Goethe, Rainer Maria Rilke und „Berliner Totentanz 1 + 2“ von Thomas Kling Carolin Führer Thema: Der Totentanz ist eine im 14. Jahrhundert aufkommende (zu‐ nächst bildliche) Darstellung des Einflusses und der Macht des Todes auf bzw. über das Leben der Menschen. Damals wüteten in Europa Pest, Krankheit und Krieg. In der Gegenwart wird Krankheit, Verfall und Tod hingegen verdrängt oder als zu beherrschende Dimension rationalisiert. Der Mensch muss immer jung, dynamisch und leistungsfähig sein. Die umfängliche literarische Tradition zum Totentanz, hier im Praxisbeispiel repräsentiert anhand von Balladen Goethes, Rilkes und Klings, betrach‐ tet Tod und Leben, Krankheit und Gesundheit nicht als Gegensätze, sondern als ein zusammenhängendes Ganzes. Intension: Über die schriftliche Erarbeitung eines Balladenhörspiel‐ scripts müssen die Schüler/ -innen sich einerseits mit den historisch be‐ dingten Unterschieden in Darstellung und Ästhetik des Totentanz-Mo‐ tivs analytisch auseinandersetzen, andererseits mündet diese auch in einen künstlerischen, eigenen Umgang mit Vergänglichkeit. Unterricht in der Sekundarstufe II: Die Erstellung eines Hörspiels‐ kripts, welches nahe an den literarischen Vorlagen bleibt, bietet den Vorteil, das szenische Schreiben (weiter-)zuentwickeln sowie die Mög‐ lichkeit, den Tod - anders als in Alltagskontexten - auch als vitales Ele‐ ment zu perspektiveren. Alternativ wäre auch die Entwicklung eines Audioguides möglich, um stärker einen historischen Vergleich im Pro‐ dukt anzustreben. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 220 <?page no="221"?> Ausgewählte didaktische Analyse Im 14. Jahrhundert wütete in Europa die Pest. Dazu grassierten Typhus und Ruhr, es tobte der Hundertjährige Krieg. Der Priesterstand brach zusammen und konnte nicht mehr das Personal aufbieten, um jedem Opfer die Abso‐ lution oder letzte Ölung zu erteilen. Darum häufte sich der Eindruck, dass das Jüngste Gericht Gottes nicht irgendwann im Jenseits zu erwarten sei, sondern schon auf der Erde. Der Totentanz war ein Ausdruck dessen, den Tod bewusst zu halten, und damit leichter und gelassener zu leben. Er stellt den Tod als Skelett dar, der die Vertreter aller Stände mit ihren sehr unter‐ schiedlichen Lebenswerken und -werten in denselben Reigen zieht. Die Idee einer Auferstehung taucht hier nicht mehr auf - das Streben nach irdischem Glück ist in diesem Zeitdenken noch nicht möglich, dieses entsteht erst mit der Aufklärung. Mit Blick auf die Gegenwartskultur finden sich dem Toten‐ tanz ähnliche Brauchtümer nur am Día de los Muertos in Mexiko, ein far‐ benprächtiges Volksfest zu Ehren der Toten. Nach dem Volksglauben kehren die Seelen der Verstorbenen an diesen Tagen zu den Familien zurück, um sie zu besuchen. Wenn im Totentanz die eigene Vergänglichkeit bewusst ge‐ macht wird, tritt auch die Beschaffenheit des Menschen klarer in den Vor‐ dergrund: Er neigt zu Fehlern, Irrtümern und Lastern. Dieses Bewusstsein des Todes steht dem Lebensgefühl einer Gegenwart entgegen, das Leis‐ tungsfähigkeit, Jugend, Gesundheit als erstrebenswerte Ziele definiert. Die Einsicht in die Kurzlebigkeit und Bedeutsamkeit solcher Ziele kann durch den bewussten Umgang mit der Endlichkeit menschlichen Lebens nicht nur ersichtlich, sondern über den betont heiteren Charakter der Totenballaden auch zugespitzt werden. Die Ballade „Der Totentanz“ von Goethe (vgl. Unterrichtshilfe „Histori‐ schen Sprachgebrauch übertragen“) ist für derartige Reflexionen insofern besonders geeignet, weil sie eine enge Verbindung von Ernst (des Todes) und Komik eingeht. Johann Wolfgang von Goethe: Totentanz Der Türmer, der schaut zu mitten der Nacht Hinab auf die Gräber in Lage; Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht: Der Kirchhof, er liegt wie am Tage. Da regt sich ein Grab und ein anderes dann: Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann, in weißen und schleppenden Hemden. 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 221 <?page no="222"?> Das reckt nun, es will sich ergötzen sogleich, Die Knöchel zur Runde, zum Kranze, So arm und so jung und so alt und so reich; Doch hindern die Schleppen am Tanze. Und weil nun die Scham hier nun nicht weiter gebeut, Sie schütteln sich alle: da liegen zerstreut Die Hemdlein über den Hügeln. Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein, Gebärden da gibt es, vertrackte; Dann klippert‘s und klappert‘s mitunter hinein, Als schlüg‘ man die Hölzlein zum Takte. Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor; Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr: Geh! hole dir einen der Laken. Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell Nun hinter geheiligte Türen. Der Mond, und noch immer er scheinet so hell Zum Tanz, den sie schauderlich führen. Doch endlich verlieret sich dieser und der, Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher, Und husch! ist es unter dem Rasen. Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt Und tappet und grapst an den Grüften; Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt, Er wittert das Tuch in den Lüften. Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück, Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück: Sie blinkt von metallenen Kreuzen. Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht, Da gilt auch kein langes Besinnen, Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht Und klettert von Zinnen zu Zinnen. Nun ist‘s um den armen, den Türmer getan! Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan, Langbeinigen Spinnen vergleichbar. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 222 <?page no="223"?> Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt, Gern gäb‘ er ihn wieder, den Laken. Da häkelt - jetzt hat er am längsten gelebt - Den Zipfel ein eiserner Zacken. Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins, Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins, Und unten zerschellt das Gerippe. (Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1- 16], Band 1, Berlin 1960 ff., 145-147) Das Motiv des geraubten Totenhemdes und des Totentanzes war seit dem Mittelalter weit verbreitet, ist der Schüler/ -innenschaft jedoch nicht be‐ kannt, weshalb zuerst die Ausgangssituation erschlossen werden muss. Zur Geisterstunde spielt sich ein makabrer Tanz im Mondschein vor den Augen des Turmwärters ab, der die irdischen Regeln von Stand, Alter usw. deutlich überschreitet. Der Türmer klaut eines der Totenhemden und wird zum Ende des Tanzes vom Besitzer gejagt. Der Türmer wirft ihm das Laken zu, dennoch zerschellt der Tote an der Kirchenmauer, da die Stunde ein Uhr schlägt und das Hemd am Dach hängen bleibt. Goethe bricht mit den Erwartungen der kundigen Leser/ -innenschaft numinoser Balladen, denn der „Vorwitz“ bzw. „Übermut“ des Türmers bleibt ungestraft (Laufhütte 1979: 67, 69). Der iro‐ nische, spaßhafte Unterton lässt den Text neben seiner Sprachdiktion aber auch zur besonderen Herausforderung werden (Hochholzer 2001: 102). Der Text entstand in einer Phase, als Goethe über eine Fortsetzung von Faust I nachdachte (Mahlmann-Bauer 2014: 130) und nach Teplitz reiste. Goethe befand sich auf der Flucht aus Weimar, um den Unruhen, dem Chaos und der Gewalt des Krieges gegen Napoleon zu entkommen. Es war zu diesem Zeitpunkt noch in keinster Weise absehbar, dass man sich von der franzö‐ sischen Fremdherrschaft werde befreien können. Die Ballade wurde mitt‐ lerweile mehrfach vertont, u.a. von Carl Friedrich Zelter und Carl Loewe. Sie ist ein Beispiel dafür, dass Goethe in dieser Gattung eine archaische Ausdrucksform für die Auseinandersetzung des Menschen mit den ihn be‐ drohenden unfaßbaren Naturmächten, die er sich als Gespenster, Fabelwei‐ sen usw. veranschaulichte, sah (Mahlmann-Bauer 2014: 129). Die Inszenie‐ rung dieses Totentanzes wirkt jedoch nicht fürchterlich, sondern komisch, grotesk und makaber. Dies liegt v. a. daran, dass die Daktylen durch den Reim besonders verbunden werden: die ersten vier Verse bilden mit Hilfe des Kreuzreims zwei Paare, die aus sieben Daktylen gefüllt sind. Der siebte 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 223 <?page no="224"?> Vers ist metrisch gleichgebaut wie der zweite und vierte. Onomatopoetische Wörter und Assonanzen evozieren zudem Geräusche des Knochengeklap‐ pers: „[…] Dann klippert’s und klappert’s mitunter hinein […] der trippelt und stolpert zuletzt / Und tappet und grapst an den Grüften“. Für diese in‐ haltliche und formale Erschließung der Ballade ist auch eine intensive Be‐ schäftigung mit der sprachlichen Ausgestaltung hilfreich (vgl. Unterrichts‐ hilfe „Sprache in Balladen reflektieren“ und Kopiervorlage „Historischen Sprachgebrauch übertragen“). Rilkes „Toten-Tanz“ ist demgegenüber aufgrund der Länge und weniger lexikalischer Herausforderungen (betreßt, Stunden-Buch etc.) zunächst scheinbar einfacher zugänglich: TOTEN-TANZ (Rainer Maria Rilke) Sie brauchen kein Tanz-Orchester; sie hören in sich ein Geheule, als wären sie Eulennester. Ihr Ängsten näßt wie eine Beule und der Vorgeruch ihrer Fäule ist noch ihr bester Geruch. Sie fassen den Tänzer fester, den rippenbetreßten Tänzer, den Galan, den echten Ergänzer zu einem ganzen Paar. Und er lockert der Ordensschwester über dem Haar das Tuch; sie tanzen ja unter Gleichen. Und er zieht der wachslichtbleichen leise die Lesezeichen aus ihrem Stunden-Buch. Bald wird ihnen allen zu heiß, sie sind zu reich gekleidet; beißender Schweiß verleidet ihnen Stirne und Steiß und Schauben und Hauben und Steine; sie wünschen, sie wären nackt 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 224 <?page no="225"?> wie ein Kind, ein Verrückter und Eine: die tanzen noch immer im Takt. (R IL K E , Rainer Maria (1919). Toten-Tanz. In: Der neuen Gedichte anderer Teil. Leipzig: Insel-Verlag, 25) Dieses Beispiel changiert jedoch deutlich an den Gattungsgrenzen der Bal‐ lade, wenn nicht gar außerhalb dieser: dominant ist die lyrische Dimension, auch ist der Text relativ handlungsarm und verfügt kaum über dramatische Elemente. Dies kann im Sinne der in Kapitel 3.2 angemahnten Flexibilisie‐ rung von Gattungstypiken und -wissen eine unterrichtliche Chance dar‐ stellen, setzt aber gattungsbezogene Kenntnisse seitens der Schüler/ -innen voraus. Rilke bezieht sich klar auf den mittelalterlichen Ursprung des To‐ tentanzes und seine Nivellierung von Ständeunterschieden, wenn er den „Galan“ und die „Ordensschwester“ als Repräsentanten des geistlichen und des weltlichen Standes aufführt. In seiner mittleren Schaffensphase zwi‐ schen 1902 und 1910 fällt neben die Neuen Gedichte, aus denen der Text stammt, auch der Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. In Rilkes Briefwechsel findet sich die Feststellung, dass das Totenreich „ein einziges unerhörtes Dasein darstelle“, demgegenüber die Lebensfrist „nur eine kleine Ausnahme“ darstellt (Engel/ Lauterbach 2013: 36). Rilke entfaltet im Totentanz eine Welt menschlicher Grunderfahrungen wie Hässlichkeit, Trieb, Tod usw., in einer das Subjekt zurückdrängenden symbolischen Spie‐ gelung dieses Innen im Erleben. „Sie hören in sich ein Geheule […]“, es wird also eine innere Welt der Figuren erkennbar, wenn „sie wünschen, sie wären nackt wie ein Kind, wie ein Verrückter […]“ Diese Wunschpoetik fungiert quasi als Fiktion innerhalb der Fiktion des Totentanzes, und gibt uns Einblick in die Abgründe menschlicher Innenwelt. Dass Sinneseindrücke den Auftakt und das Ende des Stückes dominieren, verweist auf den Symbolismus Rilkes, der diese im Reim auch durch ihren Klang in neue Kontexte stellt. Thomas Klings Werk ist wie die gesamte Gegenwartslyrik in didaktischer Hinsicht bisher noch wenig erschlossen (Ausnahme: Paefgen 2011) und un‐ terrichtspraktisch kaum bekannt, obwohl er für die deutschsprachige Lyrik nach 1990 als stilbildend eingeschätzt werden kann. Thomas Kling hat sich mit den Werken Rilkes und Celans (Trilcke 2012: 61) intensiv beschäftigt und darüber hinaus auch grundlegend mit dem Tod und den Totentänzen im Wandel der Geschichte: 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 225 <?page no="226"?> Die Totentänze ab dem 14./ 15. Jahrhundert - ich habe jetzt gerade eine Kompi‐ lation aus den Berliner und den Lübecker Totentänzen gemacht und einige Sachen für mich übersetzt - sind ja lebensgroße Monumentalgemälde der Gewalt des Endlichen. Die gaben durchaus ausgezeichnete Bühnenbilder ab für die DJs des Spätmittelalters, also die Spitzenwanderprediger, die ja mit einem ganzen Staff unterwegs gewesen sind, Ort für Ort ihre tränengesättigten Raves abgefahren haben und den Leuten in ihren Bußpredigten so an die Nerven gegangen sind, daß zwischen Veitstanz und Massendepression alles abgearbeitet werden konnte. (Kling 2001: 2227-28) Kling charakterisierte das Dichterhandwerk sogar als „Ausübung des Pa‐ thologenberufs am Körper Geschichte“ (Trilcke 2012: 444). In den Balladen zum Totentanz von Kling verhält sich Sprache und Kunst entgegengesetzt zu den anderen intermedialen Beispielen in diesem Band (Bilderbuch zu Fontanes „Herr von Ribbeck“, Graphic Novel zu Meyers „Füße im Feuer“): Das Bild gibt hier den Anlass zur sprachlichen Vergegenwärtigung von Bildinhalten. Das mittelalterliche Wandgemälde des Totentanzes in der Turmhalle der St. Marienkirche gehört zu den berühmtesten und ältesten Denkmälern Berlins. Als einem der letzten am ursprünglichen Ort erhalte‐ nen Vertreter der monumentalen Totentänze des Mittelalters nördlich der Alpen kommt ihm eine Bedeutung zu, die weit über Berlin hinausreicht. Das Wandbild zeigt einen Reigen aus geistlichen und weltlichen Ständevertre‐ tern, die sich in einem Schreittanz mit jeweils einer Todesgestalt befinden. Die geistlichen und weltlichen Ständevertreter werden durch eine Kreuz‐ igungsszene, welche das Zentrum der Darstellung bildet, getrennt. Die da‐ zugehörigen Textverse stellen die älteste Berliner Dichtung dar. In den Ver‐ sen des kirchlichen Freskos beklagen die Ständevertreter ihr Leid und bitten den Tod um einen Aufschub. Berliner Totentanz 1 zu St. Marien (Thomas Kling) fig.1: ›Ich habe die edlen herren wert Als ein herzog regieret - mit dem schwert! ‹ ›In knochenkleid steh ich nu im glanz: Kein entkommen hier beim totntanz‹ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 226 <?page no="227"?> fig.2: tod: Berliner Totentanz 2 herr doktor - meister der arznei ich habs euch dreimal schon gesagt: meint wohl ihr könnt noch länger leben und wollt euch nicht zu Gott begeben stellt ab die probe - verabschiedet euch man und seht wie gut ich euch vortanzen kann arzt: ach gott hier gibts kaum einen rat der urin sieht schlecht aus in der tat - die farbe ist schwarz und grün und rot: ich sehe darin den bitteren tod in der apotheke gibts nicht ein kraut womit man gegen den tod was ausrichten kann (Aus: K LIN G , Thomas (1999). Fernhandel. Köln: DuMont Literatur und Kunst Verlag) Abb. 5.9: Ausschnitt aus dem Berliner Totentanzfresko in St. Marien Kling greift die Bitten aus dem Berliner Totentanzfresko auf (Abb. 5.9), in‐ dem er Verse aus dem Totentanz im ersten Teil zitiert und fokussiert auf den Ausschnitt, in dem auch der hohe weltliche Fürst, der vormals mit dem Schwert über Leben und Tod bestimmte, nun dem Tod nicht entkommt. Im „Berliner Totentanz 2“ setzt Kling dieser historischen Perspektive nun eine gegenwärtige aktuelle Perspektive entgegen - der „höchste Fürst […]“ über 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 227 <?page no="228"?> Leben und Tod in der modernen Welt - der Arzt wird scheinbar vom Tod direkt angesprochen, der ihn daran erinnert, wie gut er ihm vortanzen könne. Kling spielt hier mit der Redewendung „auf der Nase tanzen“, indem der Tod dem Bestreben des Arztes „ein kraut […]“ gegen den Tod zu finden, eine Absage erteilt. So räumt auch der Arzt ein, dass der „bittere Tod“ letzt‐ lich unausweichlich ist. Kling greift in seinem Totentanz eindrucksvoll die Tradition der Gattung auf, die Macht des Todes über das Leben aller Men‐ schen zu demonstrieren, darüber hinaus schafft er es, die Allegorien des Totentanzes, besonders die Personifikation des Todes, mit einem Zeiten‐ sprung vom Mittelalter in die Moderne fortzuschreiben: Während im histo‐ rischen Zitat der Herzog sein weltliches Kleid gegen das Gerippe des Todes wechselt, findet der Tanz im „Berliner Totentanz 2“ in die andere Richtung statt: der Tod tanzt dem Arzt vor, der sich nicht zu Gott begeben will. Be‐ zogen auf die Tanzmetapher ergibt sich so ein Reigen, der immer wieder leitmotivisch vom Tod durchbrochen wird - mit wechselnden weltlichen Akteuren. Diesbezüglich fällt auf, das Gott losgelöst vom Tod auftritt und gegenüber diesem nicht die Erzählinstanz ist, sondern der Tod über Gott spricht, als er dem Doktor, der diesen ebenfalls anruft, darauf hinweist, dass der Tod zu Gott führt. Das dahinterstehende Gottesbild muss für die Annä‐ herung an den Text nicht zwangsläufig differenziert erschlossen werden, auch wenn sich z. B. zu Goethes Totentanz historische Vergleiche ergeben können. Denn auch Goethes Totentanz enthält implizit religiöse Bezüge: Wer „versucht“ bei Goethe den Türmer, das Hemd des Toten zu stehlen (mögliche Anspielung auf das Böse)? Warum wird der Türmer (von Gott) nicht für sein Verhalten bestraft usw.? Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ lernen die bildliche und literarische Bedeutung des Totentanzmotivs ▸ in der europäischen Kulturgeschichte kennen; ▸ vergleichen literarische Totentanz-Texte im Hinblick auf die unter‐ ▸ schiedlichen Verarbeitungen des Motivs; ▸ Schreiben in produktiver Verarbeitung der literarischen Vorlagen ein ▸ eigenes Hörspiel, dass Inhalte oder Zitate aus den Texten von Kling, Goethe und/ oder Rilke u. a. verarbeitet; ▸ übertragen hörakustische Merkmale auf die Textvorlagen; ▸ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 228 <?page no="229"?> ▸ reflektieren Wirkungen von unterschiedlichen Versionen des Hör‐ ▸ spielskripts als Ausdruck einer individuellen Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit. Aufgrund der Bedeutung des Totentanzes in der bildlichen, musikalischen und literarischen Kulturgeschichte ist es lohnenswert und für den fächer‐ verbindenden Unterricht vielversprechend, ein Hörspielprojekt als Unter‐ richtsprojekt anzulegen: Von der Entwicklung eines Hörspielskripts aus den literarischen Vorlagen, über Schauspiel, Aufnahmetechnik und Schnitt mit‐ tels Computer und Mikrofon, bis hin zu Musik und Covergestaltung. An dieser Stelle konzentrieren wir uns nur auf die Skripterstellung im Deutsch‐ unterricht. Im Fach Kunst wäre eine Coverentwicklung vorstellbar, die sich sowohl mit der kunstgeschichtlichen Entwicklung und den Elementes des Totentanzes als auch dem Cover auseinandersetzt, im Fach Musik könnten Tonaufnahmen stattfinden und mit einer Analyse von Totentanzwerken in der Musikgeschichte (Liszts Totentanz, Hector Berliozs Symphonie fantas‐ tique, Modest Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes etc.) einhergehen. Im Fach Informatik kann an einer digitalen Bearbeitung und Ausgestaltung des Hörspiels gearbeitet werden. Um hier einen möglichst kreativen Umgang zu initieren, sollte nicht davor zurückgescheut werden, zur Einführung in das Thema auch popkulturelle und mediale Kontexte zu nutzen (Musik-Videos von Robbie Williams [„Rock DJ“], Daft Punk [„Around the World“]; Filme wie Rendezvous mit Joe Black, Monty Pythons Der Sinn des Lebens, Nosferatu, Die letzte Nacht des Boris Gruschenko). Im Rahmen eines Literaturunterrichts, der Interkulturalität einbezieht, können und könnten hier aber auch ganz andere, religiöse und kulturelle Artefakte eine Rolle spielen. Für die spätere Erstellung des Hör‐ spielskripts ist es sicher ein Gewinn, kulturell geprägte Besonderheiten im Umgang mit Vergänglichkeit (in Form von Geräuschen, Klängen, Musik, Texten anderer Kulturen) zu Beginn abzurufen, um einerseits einen Zugang zu den deutschen Texten zu schaffen und andererseits im Vergleich dann auch Kategorien des „Anders-gemacht-werdens“ (in anderen Kulturen) zu perspektivieren. Lerner/ -innen können so möglicherweise zu einer bewuss‐ ten Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen kulturellen und histori‐ schen Mustern des literarischen Gegenstands motiviert werden. Diese Vorkenntnisse können für Plenumsdiskussionen darüber genutzt werden, welchen Text man als Hörspielskript umsetzen will und welcher sich besonders eignet. Es empfiehlt sich für die Erstellung eines Hörspiels‐ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 229 <?page no="230"?> 1 Herunterzuladen unter http: / / www.chip.de/ downloads/ Celtx_24383242.htm (13.02.2019). kripts, das literarische Verstehen eines konkreten Textes abzusichern, indem zuerst ein Exposé in Großgruppen angefertigt wird, in dem sich die Gruppe auf einen Handlungsbzw. Sprecherverlauf und künstlerische Umsetzungs‐ fragen einigt. Das Exposé sollte folgende grundlegende Informationen klä‐ ren: ▸ Welche Textausschnitte, welche Themen/ Motive, welche narrativen ▸ Elemente der literarischen Vorlage eignen sich um in ein Hörspiel umgewandelt zu werden? ▸ Was aus den Balladenbeispielen soll aufgegriffen werden und wie ▸ muss diese Textvorlage verändert werden? ▸ Wie viele Szenen soll es geben? ▸▸ Was geschieht in den einzelnen Szenen? ▸▸ Wie viele Sprechrollen werden benötigt? Welcher Protagonist handelt ▸ wo und warum? ▸ Welche Stimmung sollte die einzelnen Textpassagen beim Lesen/ ▸ Sprechen beherrschen? Aus dem Exposé könnten dann in Kleingruppen festgelegte einzelne Szenen erarbeitet werden, die zu einem Skript aus den Großgruppen zusammenge‐ fügt werden. Es stellt bereits eine erhebliche Leistung dar, aus einzelnen Gruppenbeiträgen die Transformation/ Übersetzung einer Ballade in ein Hörspielskript unter Beibehaltung des Inhalts, der Figuren, des Stils usw. zu leisten. Der Dialog aus Klings Totentanz ist ein guter Ausgangspunkt für Schüler/ -innen, die mit einem solchen (szenischen) Schreiben noch nicht vertraut sind. Alternativ könnte auch ein Dialog zwischen dem Türmer und dem bestohlenen Toten aus Goethes Ballade entwickelt werden, mit einem Erzähler, der die Rahmenbedingungen einspricht. Sicher ist dies im Hinblick auf die geringe Handlungsdichte und Figurenanzahl der Balladen nicht ein‐ fach - es bietet jedoch die Möglichkeit, die Texte nicht nur auf einer inhalt‐ lich-oberflächlichen Ebene zu adaptieren, sondern eine genaue Wahrneh‐ mung für Tonlagen und Atmosphären zu entwickeln und diese in einer kreativen Anverwandlung (Tonexperimente mit Klang, Musik) umzusetzen. Arbeiten kann man zur Erstellung des Hörspielskripts (vgl. Kopiervorlage „Hörspielskript“) grundsätzlich mit jedem Schreibprogramm, es gibt aber auch für Drehbücher ausgelegte Programme wie Celtx. 1 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 230 <?page no="231"?> Im Abfassen der konkreten Hörspielszene müssen dann neben der for‐ malen Strukturierung des Skripts (vgl. Kopiervorlage) folgende Aspekte be‐ rücksichtigt werden: ▸ Ausarbeitung von Figurencharakteren: Möglicherweise kann bereits ▸ im Vorfeld eine Entwicklung von Rollenbiografien (vgl. Kopiervorlage „Rollenbiografie“) notwendig werden, um vielschichtige Charaktere und nicht Stereotype zu reproduzieren und jedem Charakter eine ei‐ gene Sprache/ eigenes Vokabular zu geben. ▸ Wortwahl, die nicht unbestimmt ist oder in die subjektive Wahrneh‐ ▸ mungssphäre gehört, um die Imagination der Situation zu ermögli‐ chen; Vermeidung von Wortwiederholungen. ▸ Hörbares nicht in Beschreibungen aufnehmen. ▸▸ Erzählperspektive für Erzähler (falls einer eingesetzt wird) festlegen ▸ und durchhalten. ▸ ‚Natürliche‘ Dialoge, mit der richtigen Dosierung an Beschreibung ▸ und Aktion entwickeln. ▸ Regieanweisungen und Klangsowie Musikelemente einarbeiten (vgl. ▸ Bsp. Kopiervorlage): - Welche Geräusche ergeben sich aus dem Text und wie bzw. an - welchen Stellen könnte der Text musikalisch unterlegt werden oder lässt er dies offen? ▸ Alles immer wieder auf Logik überprüfen. ▸▸ Gestaltung eines Spannungsbogens/ Endes. ▸ Am Ende der Erarbeitung des Skripts kann es durchaus einen „Wettbewerb“ geben, in dem die Schüler/ -innen ihr Skript vorstellen (Kopien oder Vortrag) und ihre Darstellung erläutern. Ein mehrstufiges Auswahlverfahren zu Wir‐ kungsweisen und den Intentionen des Skripts könnte das gelungenste Skript zur weiteren Arbeit bzw. Aufnahme auswählen. Als Lehrperson sollten sie die Lernenden darauf aufmerksam machen, dass in der Beurteilung der künstle‐ rischen Adaption die literarische Vorlage eine zentrale Rolle spielen muss: ▸ Totentanz-Thematik muss in seiner spezifischen Ausformung aufge‐ ▸ griffen werden (bei Goethe die Versuchung des Türmers, bei Rilke die Spiegelung des Innenlebens, bei Kling in Form des Zwischspiels von Arzt und Tod) ▸ Atmosphäre der jeweiligen Totentanzballaden ▸▸ Totentanz als spielerisches Element ▸ 5.2 Unheimliches und Geisterhaftes 231 <?page no="232"?> 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 5.3.1 Gewagte Sprünge in luftiger Höhe - „Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil“ von Michael Ende Juliane Dube Thema: Eng verknüpft mit dem Namen Michael Ende sind die mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichneten Abenteuer um Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer, aber auch die Erinnerungen an Bastian und seine Erlebnisse in der Parallelwelt Phantásien im Roman Die un‐ endliche Geschichte (1979) oder an Momo (1973), dem Kind, das den Men‐ schen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Weniger bekannt sind hingegen Endes balladeske Texte wie „Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil“, die von einem ehrgeizigen jungen Seiltänzer berichtet, der auf dem Weg zu neuen Herausforderungen täg‐ lich über sich hinauswächst, bis er eines Tages von einem Windstoß weggetragen wird. Intension: 1986 erstmals in seinem Gedichtband Trödelmarkt der Träume veröffentlicht, besitzt Endes Ballade nicht nur durch ihre sprach‐ liche Einfachheit und das leicht zugängliche Reimschema (Kreuz- und Paarreime) sowie ihre spannende Erzählgestaltung, sondern vor allem durch ihre Mehrdeutigkeit ein hohes Potenzial, um literarische Lern‐ prozesse in der Orientierungsstufe anzuregen. Unterricht im 4. bis 6. Schuljahr: Mit der Veröffentlichung der Bal‐ lade als Bilderbuch im Rahmen der Reihe Poesie für Kinder im Berliner Kindermann-Verlag eröffnet sich unter der Zielstellung der Ausbildung von visual literacy (Bildverstehen) zudem die Möglichkeit, die Kinder für die illustrative Gestaltung der Ballade zu sensibilisieren. Dafür wer‐ den sie zur Bild-Text-Betrachtung aufgefordert und erfahren die Wir‐ kung visueller Gestaltungsmittel durch die eigenständige Illustration des Textes. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 232 <?page no="233"?> Ausgewählte didaktische Analyse Michael Andreas Helmuth Ende zählt zu den erfolgreichsten deutschen Kin‐ der- und Jugendbuchautoren des 20. Jahrhunderts. Seine Bücher sind in über vierzig Sprachen übersetzt und wiederholt szenisch und akustisch adaptiert worden. Neben seinen großen Werken Momo und Jim Knopf befinden sich auch viele andere seiner Kinderbücher wie z. B. Norbert Nackendick oder Das nackte Nashorn (1984), Das Traumfresserchen (1978) oder Tranquilla Tram‐ peltreu, die beharrliche Schildkröte (1972) in Grundschulbibliotheken. In sei‐ nem Band Trödelmarkt der Träume: Mitternachtslieder und leise Balladen veröffentlichte Ende 1986 hingegen das erste und einzige Mal eine Samm‐ lung an lyrischen Texten, aus der auch die folgende Ballade stammt. In neun Strophen erzählt „Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil“ vom Leben des größten Seiltänzers aller Zeiten auf seiner stetigen Suche nach neuen Herausforderungen. Doch egal, wie gewagt seine Sprünge ohne Netz auch werden, er fällt niemals. Da ihn jedoch weniger die Bewunderung der Zuschauer als die Kunst selbst begeistert, setzt er sich selbst immer wieder neue Ziele, indem er beginnt, die Dicke des Seiles zu verändern: Erst tanzt er auf einem Draht, dann auf einem Haar und schließlich stellt er sich dem Balanceakt ohne Seil. Dabei wird er jedoch vom Wind wegge‐ trieben. Statt vom Tod des Künstlers erfahren die Zuhörenden, dass dieser von nun an im Himmelsraum von Stern zu Stern seine Kunststücke präsen‐ tiert. Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil (Michael Ende) Es war ein Tänzer auf dem Seil mit Namen Felix Fliegenbeil, der größte aller Zeiten, das kann man nicht bestreiten. Ihm lag nicht viel an Gut und Geld, nichts an der Menge Gunst, ihm ging’s nicht um den Ruhm der Welt, ihm ging es um die Kunst. Schon in der Seiltanzschule war er bald der Beste in der Schar, und als ein Jahr vorüber, war er dem Lehrer über. Da sagte der in mildem Ton: 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 233 <?page no="234"?> „Du Wunderkind, ade! Ich kann dich nichts mehr lehren, Sohn, drum geh mit Gott - doch geh! “ So zog er in die Welt hinaus, wohin er kam, erscholl Applaus. Die ganze Welt bereist’ er Und suchte seinen Meister. Doch keiner tanzte so genial die Sprünge des Balletts hoch droben auf dem Seil aus Stahl und immer ohne Netz! Da er den Meister nirgends fand, beschloß er endlich kurzerhand, statt andre zu begeistern, sich selber zu bemeistern. „Mein Tanz“, sprach Felix Fliegenbeil, „ist noch kein Meisterstück. Zwar kann ich alles auf dem Seil, doch ist das Seil zu dick! “ Drum spannte er von Haus zu Haus nun einen Draht anstatt des Taus und übte, drauf zu springen. Das sollte bald gelingen. Dann nahm er einen dünnern Draht und einen dünnsten noch - es dauerte zwei Jahr grad, dann konnte er’s jedoch. Und schließlich kam das siebte Jahr, da tanzte er auf einem Haar, gespannt von Turm zu Turme, dort schritt er hin im Sturme. Das Publikum sah schweigend zu Und hielt die Hüte fest. dann aber kam der letzte Clou, der sich kaum glauben läßt: Denn eines Tages um acht Uhr früh, da spannt er nichts mehr zwischen sie: Er tanzte auf der Leere, 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 234 <?page no="235"?> als ob dort etwas wäre! Hoch überm Abgrund ging er zwar Mit leichtem Tänzerschritt, doch weil er ohne Halt nun war, nahm ihn ein Windstoß mit. Wer weiß, wohin der Wind ihn trieb? Ein Astronom allein beschrieb, was er im Fernrohr schaute, im Sternbild Argonaute: Es sei, sprach er, gewiß kein Traum. Er habe ihn gesehn, von Stern zu Stern im Himmelsraum wie ein Tänzer gehn! Es war der Tänzer ohne Seil mit Namen Felix Fliegenbeil, der größte aller Zeiten, das wird man nicht bestreiten. Ihm lag nichts mehr an Gut und Geld, nichts an der Menge Gunst, ihm ging’s nicht um den Ruhm der Welt, ihm ging es um die Kunst! (E ND E , Michael (2011). Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil. Berlin: Kin‐ dermann) Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ beteiligen sich aktiv an der Gestaltung von Vorlese-Seh-Gesprächen. ▸▸ setzen für Deutungsversuche Text und Bild miteinander in Verbin‐ ▸ dung. ▸ reflektieren die Wirkung der Text-Bild-Verbünde. ▸▸ entwickeln mit Hilfestellung eigene Ideen zur illustrativen Gestaltung ▸ der Ballade. Mithilfe digitaler Unterstützung wird das Cover des Bilderbuchs zur Ballade von Felix Fliegenbeil aus dem Kindermann Verlag (2011) präsentiert (Abb. 5.10). Zu sehen ist dort in einem gelben Trikot und gelben Ballett‐ 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 235 <?page no="236"?> schuhen Felix Fliegenbeil. Neben einem kleinen Vogel auf einem gespannten Seil mit leicht lächelnden Zügen sitzend, schaut er die Leser/ -innen direkt an. Neben ihm fliegen zwei weiße Schmetterlinge. Sowohl die Farbgebung des gelben Trikots als auch die ihn begleitenden Tiere symbolisieren Leich‐ tigkeit und Freiheit. Doch noch bewegt er sich nicht auf dem Seil. Vielmehr verstärkt sein aufrechter Sitz auf diesem die Wirkung der Bildmitte. Abb. 5.10: Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil von Michael Ende. Mit Bildern von Henrike Robert. Berlin: Kindermann 2011. Nachdem sich die Lerngruppe zum Cover und dem Titel der Ballade ausge‐ tauscht hat, liest die Lehrperson, begleitet durch die digitalisierten Illustra‐ tionen des Bilderbuchs mit Smartboard oder Beamer, die ersten Strophen der Ballade laut vor. Im Rahmen dieses Literarischen Sehgesprächs (vgl. Mö‐ bius 2008) werden unbekannte Wörter geklärt, aber auch immer wieder be‐ wusst Pausen gesetzt, um sich in der Lerngruppe über den Fortgang der Handlung auszutauschen. Geeignete Stellen für jene Haltepunkte sind u.a.: „Drum spannte er von Haus zu Haus“ oder „dann aber kam der letzte Clou, der sich kaum glauben läßt“. Neben dem Austausch zur inhaltlichen und textlichen Gestaltung im traditionellen Vorlesegespräch soll der Blick der Lernenden auch immer wieder auf die Illustrationen von Henrike Robert gelenkt werden. Den Bildern wird damit ein Erzählraum zugestanden und den Lernenden die Möglichkeit gegeben, die Bedeutung im Beziehungsge‐ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 236 <?page no="237"?> flecht zwischen Bild und Text beim gemeinsamen Betrachten und Vorlesen auszuhandeln. Impulsfragen könnten etwa die Gestaltung der Figuren oder die Farbwahl von Felix‚ seiner Kleidung oder den sparsam gestalteten Hin‐ tergrund betreffen. Je nach Kompetenzstand können auch Deutungsaus‐ handlungen zur Symbolhaftigkeit der visuellen Darstellungen, z. B. der Schmetterlinge, der Vögel oder des Balls durch die Lehrperson angeregt werden. Sensibilisiert für die Illustration der Ballade durch Henrike Robert, kön‐ nen sich die Schüler/ -innen im Anschluss an das literarische Sehgespräch selbst an der illustrativen Gestaltung der Ballade versuchen. Damit wird der Forderung Rechnung getragen das im Deutschunterricht so lange vernach‐ lässigte Bild, das in der medial geprägten Sozialisation heutiger Kinder und Jugendlicher eine immer größere Rolle spielt, stärker in den Deutungspro‐ zess miteinzubeziehen. In seiner Komplexität lange unterschätzt, ist mit den heutigen Ergebnissen aus der Kognitionspsychologie und der Hirnfor‐ schung, aber auch dank neuerer Arbeiten aus der Literaturdidaktik klar (vgl. Abraham 2009, Dehn 2014), dass sich Prozesse des Bildverstehens (visual literacy) ähnlich komplex gestalten wie jene des Leseverstehens (Kap. 4.5). Besondere Bedeutung erfährt das Sehen jedoch nicht nur im Zuge der Di‐ gitalisierung, sondern auch durch die zunehmend komplexer gestalteten Text-Bild-Verbünde. Komplexe Text-Bild-Verbünde finden sich u. a. in den Bilderbüchern zu den Märchen Schneewittchen von Benjamin Lacombe (2011) oder Hänsel und Gretel von Lorenzo Mattotti (2014). Damit diese Komplexität jedoch auch von den kindlichen Leser/ -innen er‐ fasst werden kann, bedarf es, analog zum Leseverstehen, eines kumulativen Aufbaus des Bildverstehens. Neben der angeleiteten Rezeption gilt es auch hier, analytische Textbzw. Bildzugänge immer wieder durch produktions‐ orientierte zu erweitern. Während die Illustrationen von Henrike Robert in klaren Farben über‐ wiegend die Hauptfigur der Ballade fokussieren, bietet es sich an, die Kinder zur Gestaltung der Ballade aus unterschiedlichen Perspektiven anzuregen und ihnen damit einen ersten Zugang zu basissemiotischen Gestaltungs‐ mitteln anzubieten. Im Kontext eines auf Differenzierung bedachten Deutschunterrichts werden die Lernenden angeregt, den Blick des Seiltän‐ zers in den Darstellungen wiederzugeben, z. B. auf ein immer dünner wer‐ 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 237 <?page no="238"?> dendes Seil (Vogelperspektive), und hierbei die Höhe durch die Gestaltung der Umgebung noch stärker zu betonen, als es im Bilderbuch geschieht. Ebenso denkbar sind jedoch auch der von unten gerichtete Blick des Publi‐ kums auf den besten Seiltänzer aller Zeiten (Froschperspektive) oder die Gestaltung unterschiedlicher Nahaufnahmen, z. B. des Gesichtes, welches allein durch die Mimik den Handlungsverlauf der Ballade wiederspiegelt. Im abschließenden Galeriegang können die angefertigten Bilder von den Lernenden begutachtet werden. An ausgewählten Beispielen fasst die Lehr‐ person die unterschiedlichen Möglichkeiten der Perspektivgestaltung noch einmal zusammen und reflektiert mit der gesamten Gruppe deren Wirkung. 5.3.2 Ökologische Nachhaltigkeit - „Holger, die Waldfee“ von Lars Ruppel Carolin Führer Thema: Einer der bekanntesten deutschsprachigen Slam-Poeten ist der 2014 zum „Deutschen Meister“ gekürte Lars Ruppel. Er reflektiert in seinen Slams bekannte Redensarten, die gemeinhin gedankenlos geäußert werden: „Alter Schwede“, „Heidewitzka“, „Mein lieber Herr Gesangsverein“ - Ruppel behandelt die so Titulierten als eigenständige Figuren und fragt, welche (Lebens-)Geschichten und Schicksale sich hinter den jeweiligen Aussprüchen verbergen: Wer ist der „Alte Schwede“? Was treibt den „Herrn Gesangsverein“ um? Was ist „Heide Witzka“ für ein Mensch? Intension: Die so entstandenen Texte sind moderne Balladen, die in der dramatisch-szenischen Gesamtanlage des Slam-Formats eine unge‐ wöhnliche und daher interessante Geschichte in ‚junger‘, aber rheto‐ risch ausgefeilter lyrischer Sprache darbieten. Ihre Figurenzentriertheit bietet didaktisch vielfältige Möglichkeiten der Entwicklung von Figu‐ renverstehen, Perspektivübernahme und Empathie. Unterricht im 7. und 8. Schuljahr: Der Unterrichtsvorschlag bahnt dies in der Kombination von analytischen sowie handlungs- und pro‐ duktionsorientierten Aufgaben an, u. a. mit Hilfe der Gestaltung einer Rollenbiografie. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 238 <?page no="239"?> Ausgewählte didaktische Analyse Fragt man nach der (Weiter-)Entwicklung der Gattung Ballade im 21. Jahr‐ hundert, so stößt man schnell auf Poetry Slams. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen lyrischen, dramatischen und erzählerischen Elementen; große Stilvielfalt, programmatische Offenheit gegenüber allen Genres sowie spielerischen Züge dominieren die Präsentationsformen. Die Ballade „Hol‐ ger, die Waldfee“ des Slampoeten Lars Ruppel zeigt eine Tendenz zur Münd‐ lichkeit bzw. zur Auslegung auf den öffentlichen Vortrag hin, sodass sie ihr volles Potential auch erst durch diesen entfaltet (Hanauska 2017: 418). Zu beachten ist hierbei jedoch, dass trotz der Tendenz zur Unterhaltung der Text nicht durch einmaliges Hören erschlossen werden kann, vielmehr ist er ge‐ prägt von Leerstellen und Anspielungen, die auf die Konzeption in der Schriftlichkeit verweisen. Daraus ergeben sich weitere Merkmale des Textes, die ihn mit der Ballade verbinden: relative Kürze und Konzentration auf spannungsbildendende Elemente, Zuspitzung auf einen Schluss - hier sogar in Form einer „Moral“ - Drastik und Anschaulichkeit des Geschehens sowie „Zugänglichkeit“ (Hanauska 2017: 420). Schnittmengen zwischen Slamkultur und Ballade ergeben sich aus den kritischen Betrachtungen (bürgerlichen) Lebens und der hohen Intertextualität, wobei im Slam auch die Populärkul‐ tur eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt (IKEA, RTL 2). Die Ballade „Holger, die Waldfee“ ist der titelgebende Text des 2014 er‐ schienenen Slambandes, in dem der Autor seine bisherigen Slams über Re‐ densarten gesammelt hat. Nach Ruppels eigener Aussage ist das Gedicht aus einem Verhören des bekannten Ausspruches „Holla die Waldfee“ entstan‐ den. Gemäß des bereits beschriebenen Erzählprinzips wird in der Ballade die Lebensgeschichte der Waldfee Holger - und mit ihr die spannungsreiche Entwicklung des Verhältnisses von Mensch, Natur und Wirtschaft - in fünf Handlungsteilen entwickelt. Holger, die Waldfee (Lars Ruppel) Jeden Morgen, wenn tief fliegende Sonnenstrahlen am Waldrand erst die Wurzeln kitzeln, federfein mit hellen Farben Graffiti in die Rinde kritzeln, zerbrechen und als Scherbenregen den Waldboden mit Glanz bedecken, 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 239 <?page no="240"?> mit einem Streicheln die Insekten unter Humusdecken wecken; wenn die Stille, die im Wald zur Nacht noch eben jeden Ton verbot, vertrieben durch den Klang der Welt, leicht angespielt vom Morgenrot, verschämt ein Stück zur Seite geht und Platz schafft für Konzerte; Akkorde, die das Leben greift, vom Hörer höchst verehrte Klänge, wie das Amselzwitschern, das, wenn man sich konzentriert, klingt, als singe eine Orgel, die im Regen explodiert. Der Strauch, der müde Knospen streckt, das Weidenkätzchenschnurren, Humus, der leis‘ Faulgas furzt, ein Wühlmausmagenknurren, Asseln, die mit lautem Groll nach Kellerschlüsseln suchen, und von oben raschelt sacht das Umblättern der Buchen. Welch Wohlklang, welch Balsam! Oh, Waldlebens Lied! Der Tag hat am Morgen den ersten Zenit. Der Schöpfung zu Ehren erhebet die Ohren: Euch wurde der Tag von der Sonne geboren! Kommt alle zum Reigen, heut wollen wir tanzen zum Lobe des Kleinen im Großen und Ganzen. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 240 <?page no="241"?> Zum Ärger des einen: Der, der nicht gerne tanzt, der, dessen Wohnung bepilzt und verranzt, der öffnet die verdreckten Fenster, holt tief Luft, und dann kawmmst er: „Halt die Fresse, du! “, und droht der ganzen Welt mit Hausverbot. Der Herr, der sich so echauffiert, ist großflächig und unrasiert und doch des Waldes treuester Geist: Es ist die Fee, die Holger heißt. Einst war der Holger die Fee aller Wälder, Herrscher der endlosen Baumkronenfelder, Patron aller Wesen, Vertreter des Lebens, Ausgleich im Kreislauf des Gebens und Nehmens, der Ruhepol des Pendels, das hinter den Dingen im rhythmischen Tanz aus harmonischen Schwingen die Teile des Puzzles, das einstmals entzweit, vereint‚ zu Gemälden in Rahmen aus Zeit. Nur Holger, die Welt und ein Beutel voll Samen Und Jahre, die gingen, genau wie sie kamen. So wurde aus Boden, der leblos und kalt, ein Kind dieser Erde in Kleidern aus Wald. Später, als Menschen in Baumwipfeln lebten, an Haaren und Händen die Harztropfen klebten, da wusste man noch seine Arbeit zu schätzen und lebte gar gerne nach seinen Gesetzen. Und heut? Hat er Wohnrecht im eigenen Heim, ist nicht mehr vonnöten und meistens allein - ein lebendes Denkmal aus schöneren Tagen. Im Wald hat seit Jahren das Forstamt das Sagen. Wie jeden Tag schaut bald sein Alltag vorbei, voll von Seufzern des Saufens und RTL 2. 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 241 <?page no="242"?> Die Waldfee von einst ist nun kaum mehr ein Schatten, geworfen von Tagen, die Sonnenschein hatten. Im Forstamt am Tisch bei Kaffee und Tee sitzen in Graustufen aufgereiht Männer mit Schlipsen; zu allem entschlossen, den Rotstift gezückt, den Arsch bis zur Ritze ins Leder gedrückt. Über dem Schlips ist kein Platz für Gefühle, IKEA braucht Rohstoff zum Bau neuer Stühle. „Die brauchen Stühle, und wir brauchen Geld.“ Alle gewinnen, so leicht ist die Welt. Einen Wildschweinfurz später schon flattern geschwind Im Rausch der Geschwindigkeit Schlipse im Wind. „Hü! “, rufen sie, und sie peitschen die Trucks, der Forstamtschef johlt und schwingt stolz seine Axt, bis schließlich am Waldrand die Rodhorde hält und einer ins amtseig’ne Megafon bellt: „Hier spricht der Sprecher der Forstamtsinsassen. Wir bitten die Tiere, den Wald zu verlassen! Die Baumfällarbeiten beginnen alsbald! Noch fünfzehn Minuten, dann wird dieser Wald kraft uns’rer Äxte zu Kleinholz gemacht und dann zur Verstuhlung nach Schweden gebracht.“ Die Tiere erstarren, nur Lider, die fallen, den Stahl ist viel härter als Schnäbel und Krallen. Das Leben sieht manchmal so hoffnungslos aus Wie Omas beim Ausflug ins Leichenschauhaus. Doch grad als man Abschied vom Walde genommen, hören sie Schreie vom Waldrand her kommen. Schon rennt ein Mann mit erhobenen Armen In Panik vorbei, und er fleht um Erbarmen. Dahinter kommt Holger, die Waldfee, gerannt, mit Wut in den Augen und Axt in der Hand. Von Weitem sind Rauchwolken gut zu erkennen: die Seelen der Trucks, die am Waldrand verbrennen. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 242 <?page no="243"?> Holger, verzeiht nicht, er tut lieber weh - Ein echter Chuck Norris im Kleid einer Fee. So erhielt Holger den alten Respekt, nach so vielen Jahren erfolgreich comebackt. Was lehrt dieses Märchen? Oder ist das Klischee? Sind wir nicht alle für irgendwen Fee? Unbemerkt wachend und gleichsam bewacht, geben wir gut auf den anderen acht. Denn steht einer mal mit dem Rücken zur Wand, steht dahinter ’ne Fee mit ’ner Axt in der Hand. (R U P P E L , Lars (2014). Holger, die Waldfee: 10 Gedichte über Redensarten, in: ders., Holger, die Waldfee. Zehn Gedichte über Redensarten. Berlin: Satyr Verlag, 9-14 In den ersten zehn Strophen wird zunächst ein idyllisches Bild der Natur gezeichnet, wobei der Autor auf ironische Weise mit Versatzstücken der ro‐ mantischen Naturlyrik (z. B. Eichendorffs „Abschied vom Walde“) spielt. Sprachgewaltig, aber mit Augenzwinkern, werden die Synästhesie des Wal‐ derlebens und die Allharmonie der Natur durch den Einsatz kreativer Me‐ taphern, Vergleiche und Personifikationen heraufbeschworen. Mit einem plötzlichen Schnitt wechselt die Perspektive von dem ganz‐ heitlichen Sosein der Natur zum individuellen Schicksal der „Fee, die Holger heißt“ (V. 52), von deren existentiellen Niedergang der Leser/ die Leserin in den Strophen 11-19 erfährt: Fungierte Holger in prähistorischen Zeiten ge‐ mäß der Naturgeisttradition als „Patron aller Wesen“ (V. 55) und hatte er die Besiedlung des Waldes durch die Menschen vermittelnd begleitet („Aus‐ gleich im Kreislauf des Gebens und Nehmens“; V. 56), wird er in der erzählten Zeit der Balladenhandlung als gescheiterte Existenz vorgeführt, die körper‐ lich verwahrlost, dem Alkohol und dem Massen-TV verfallen in einer ver‐ gammelten Wohnung haust. Wie es zu diesem Existenzverfall kam, wird nach einem weiteren Sze‐ nenwechsel im dritten Balladenabschnitt (Strophen 21-26) geschildert: Das „Forstamt“, bestehend aus grauen „Männern mit Schlipsen“ (V. 78), die in waldfernen Büros residieren, hat die Kontrolle über den Wald übernommen. Während sich unter Holgers sanfter Führung das Waldleben harmonisch und ganzheitlich vollzog, wird es nun durch die Herrschaft der Verwal‐ tungsbehörde fragmentiert und mit der kalten Logik eines entfesselten Ka‐ pitalismus konfrontiert, der mit seiner Maxime der Profitmaximierung auch 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 243 <?page no="244"?> vor dem Raubbau an der Natur nicht haltmacht: Um Geld in die Kassen zu spülen, soll das gerodete Holz an einen bekannten schwedischen Billigmö‐ belhersteller verkauft werden. Die Rechnung wurde jedoch ohne die Waldfee gemacht, die angesichts der drohenden Vernichtung aus ihrem lethargisch-depressiven Zustand er‐ wacht, sich auf ihre ursprüngliche regulative Aufgabe als Naturgeist besinnt und im Namen der Waldbewohner schließlich die Eindringlinge im vierten Handlungsteil (Strophen 26-28) gewaltsam zur Flucht zwingt. Holgers Rückkehr zum aktiven (politischen? ) Handeln schreit förmlich nach einer Deutung, die der Autor gleichsam „metakognitiv“ in den letzten beiden Strophen in Form einer verallgemeinerten „Lehre“ liefert: So wie Holger sich letztlich aufrafft, um sich für die Gemeinschaft einzusetzen, so seien auch wir alle „für irgendwen Fee“ (V. 114) und sollten gegenseitig auf‐ einander achtgeben. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ reflektieren sprachliche Mittel in der Darstellung des Waldes funk‐ ▸ tional hinsichtlich ihrer Wirkung nach dem ersten (emotionalen) Hör‐ erlebnis; ▸ fühlen sich in die Figur Holger die Waldfee ein, indem sie in einer ▸ Rollenbiografie Charakteristiken von ihm imaginieren; ▸ beurteilen die Darstellung des Forstamtes mittels handlungs- und ▸ produktionsorientierter Verfahren; ▸ diskutieren die Morallehre in der Ballade. ▸ In der Einstiegsphase sollte in jedem Fall eine gemeinsame Lesung der Bal‐ lade stattfinden. Durch einen vorab eingeübten Vortrag der Lehrkraft oder Mitschnitte von Lars Ruppels Auftritten im Internet wird der heitere Erst‐ eindruck der Ballade erfahrungsgemäß eingeholt. Die vertiefte Textbegeg‐ nung kann dann durch die untenstehenden Impulse eingeleitet werden. Ne‐ ben der traditionellen (arbeitsteiligen) Einzelarbeit mit anschließenden Auswertungsgesprächen sind vor allem Gruppenarbeiten oder kleinere Pro‐ jekte sinnvoll, bei denen die Lernenden ihre Einzelergebnisse zusammen‐ tragen, vergleichen, diskutieren, ggf. in einem gemeinsamen Produkt zu‐ sammenführen und dann der gesamten Lerngruppe abschließend präsentieren. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 244 <?page no="245"?> Wie in der didaktischen Analyse ausgeführt wurde, erschließt sich die Ballade kognitiv über den Nachvollzug der dargestellten Handlungsab‐ schnitte, deren Kohärenz vom Rezipienten zunächst für sich in der Abfolge als „roter Faden“ und dann in ihrem Bezug aufeinander in globaler Hinsicht hergestellt werden muss. Denn der Aufbau der Ballade ist strukturell durch‐ komponiert: Der Waldidylle im ersten Teil wird die verwaltete und ent‐ fremdete (post-)moderne Arbeitswelt im dritten Teil antithetisch gegen‐ übergestellt. Die Beschreibung von Holgers Lebensgeschichte im zweiten Teil verbindet die beiden Teile handlungslogisch miteinander und motiviert Holgers „Comeback“ im vierten Balladenabschnitt. Am Fallbeispiel der Waldfee werden so gesellschaftliche Probleme gespiegelt und in humoristi‐ scher Weise (politische) Diskussionsfragen aufgeworfen: Welchen Wert stellt die Natur heute für uns dar? Wie verändern sich Lebensbereiche, wenn sie unter rationalen Kriterien kalkuliert, bewertet und unter wirtschaftli‐ chen „Sachzwängen“ verwaltet werden? Was bedeutet es für Subjekte, wenn ihr Arbeitsplatz „wegrationalisiert“ wird und sie einer Lebensaufgabe be‐ raubt werden? Wie geht der Einzelne mit der Bürde um, gesellschaftliche Risiken internalisieren zu müssen? Welche (politischen) Handlungsmög‐ lichkeiten bleiben in einer bürokratisch verordneten „Wirklichkeit“, die als „alternativlos“ dargestellt wird? Wie können Zivilcourage und das Einsetzen für das Gemeinwohl heute gedacht und gelebt werden? Welche Formen des Engagements und des Protestes sind angemessen? Wie sind wir als Konsu‐ menten an der beschriebenen Entwicklung beteiligt? Um die Schüler/ -innen an diese Fragen heranzuführen, sollte zunächst die Textbasis sorgfältig erschlossen werden, so kann in einem ersten Schritt die Darstellung des Waldlebens im ersten Teil der Ballade (Strophen 1-10) un‐ tersucht werden: a. Lies dir die Beschreibung des Waldlebens (Strophen 1-10) genau a. durch und notiere deine spontanen Assoziationen und Gedanken dazu! b. Trage anschließend in einer Tabelle Beispiele für Personifikationen, b. Metaphern und Vergleiche ein und beschreibe deren Wirkung! c. Welche der Spontaneindrücke deiner Erstlektüre haben sich bestätigt, c. welche Ideen sind nach der genaueren Betrachtung noch hinzuge‐ kommen? In einem zweiten Schritt kann die Entwicklung der Figur Holgers in den Blick genommen werden. Mit der Entwicklung einer Rollenbiografie (vgl. 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 245 <?page no="246"?> Unterrichtshilfe „Rollenbiographie schreiben“), wird auf spielerische Weise hermeneutisch gearbeitet, um einerseits ein Einfühlen im Wechselspiel zwi‐ schen Identifikation und Alterität zur zentralen Figur der Ballade anzuregen und andererseits die Imagination (im Kontext der Gesamthandlung) zu be‐ fördern. Handlungs- und produktionsorientiert könnte dann die Auseinan‐ dersetzung mit der Darstellung des Forstamtes gestaltet werden, um über die Reflexion des holzschnittartigen Figurenverhaltens subjektive Stellung‐ nahme und genaue Textwahrnehmung miteinander ins Spiel zu bringen (vgl. Spinner 2006): a. Lies die Beschreibung des „Forstamtes“ (Strophen 20-25) genau a. durch! b. Stelle die Mitarbeiter des Forstamtes und den Chef in Form eines Bil‐ b. des, einer Zeichnung oder einer geklebten Collage dar! c. Füge Sprechblasen hinzu, in denen die Gedanken der Forstamtsmit‐ c. arbeiter (in „Ich-Form“) in Form eines‚Slogans‘ deutlich werden! Über‐ lege dazu, welche Werte und Prinzipien für sie wichtig sind und wo‐ nach sie ihr Handeln ausrichten! Eine Aufgabe zu der im Gedicht angelegten „Lehre“ (Strophe 29-39) könnte ein abschließendes Gespräch vorbereiten, bei dem die Lernenden ihr im Verlauf der Lektüre entstandenes mentales Modell der Ballade austauschen und (kontrovers) diskutieren können: In den letzten beiden Strophen der Bal‐ lade ist von einer „Lehre“ die Rede. Worin besteht diese Lehre aus deiner Sicht? Formuliere dazu einen kurzen Text! Durch den abschließenden Impuls sind auch spezifische Charakteristika der Slam-Poetry berücksichtigt, entgegen den „üblichen“ Tendenzen in der Gegenwartslyrik gesellschaftskritische Momente in Form einer (Mo‐ ral-)Lehre zu formulieren (vgl. Hanauska 2017: 419). 5.3.3 Zivilcourage auf hoher See - „Nis Randers“ von Otto Ernst Juliane Dube Thema: Im Jahre 1901 schrieb Otto Ernst die Ballade „Nis Randers“. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der trotz eines gefährlichen Sturmes und gegen den Willen seiner besorgten Mutter aufs Meer hin‐ ausfährt, um einen in Not geratenen Seemann zu retten, der sich am 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 246 <?page no="247"?> Ende als der vermisste Bruder der Hauptfigur herausstellt. Bereits mehr‐ fach literarisch in Balladen verarbeitet, beeindruckt das klare Plädoyer der Ballade für Zivilcourage bis heute. Intension: Das in der Ballade geschilderte Dilemma von Nis, sich zwischen dem Flehen der Mutter und dem in Not geratenen Seemann entscheiden zu müssen, bietet eine Reihe emotionaler Identifikations‐ momente, die in der Klasse kontrovers diskutiert werden können. Die Ballade eignet sich jedoch nicht nur, um die literarische Kompetenz der Schüler/ -innen zu erweitern, indem sie lernen zu moralischen Dilem‐ mata in literarischen Texten Stellung zu beziehen, sondern auch um den zentralen Konflikt unter Einbeziehung aktueller gesellschaftlicher Fragestellungen zu diskutieren, z. B. zur aktuell kontroversen privaten Seenotrettung im Mittelmeer. Unterricht im 9. und 10. Schuljahr: Im vorgestellten Unterrichtsvorschlag bildet die Ballade „Nis Randers“ den Kern einer Lernumgebung zum Kreativen Schreiben, in der die Lernenden einerseits Nis’ Dilemma herausarbeiten und andererseits vor dem Hintergrund der Originalballade einen Paralleltext mit Aktualitätsbezug verfassen. Dabei kann das Schreiben des Paralleltextes nur gelingen, wenn sich die Lernenden intensiv mit der inhaltlichen, sprachlichen und formalen Ebene des Ausgangstextes sowie mit den bereitgestellten Materialien auseinandersetzen. Hierfür gibt es im Unterrichtsvorschlag unterschied‐ liche Anregungen. Ausgewählte didaktische Analyse Eine zentrale Aufgabe des Deutschunterrichts und über diesen hinaus ist die Wertebildung, die ihren Fokus vor allem auf den Lernenden richtet, der mit Hilfe von Erziehung selbst Werte erwirbt (vgl. Schubarth 2010). Bidirektional angelegt, wird er folglich sowohl von den Lehrenden als auch von den Ler‐ nenden aktiv beeinflusst (vgl. Erbes 2013). Neben den Lehrenden fungieren aber auch Eltern, Freunde und weitere Bezugspersonen sowie die Literatur als Interaktionspartner der Wertebil‐ dung. Schön verweist in diesem Zusammenhang auf die soziale Bedeutung, die das erfahrungsorientierte oder intermediäre Lesen für Kinder und Ju‐ gendliche haben kann (vgl. Schön 1995). 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 247 <?page no="248"?> Individuen müssen folglich nicht nur im Alltag Entscheidungen fällen, die häufig in Abwägung konkurrierender Werte getroffen werden und damit einen Konflikt auslösen, sondern identifizieren sich auch mit den Konflikten literarischer Figuren. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass „die Perspektivenübernahme und die Entwicklung eines komplexen Perspekti‐ venverständnisses nicht ausschließlich, aber auch über das Lesen von lite‐ rarischen Texten gefördert werden können, insofern dieses Lesen und Ver‐ stehen durch Praktiken unterstützt wird, in denen die unterschiedlichen Perspektiven für die Schüler/ -innen relevant werden können“ (Gölitzer 2008: 27). Ein Text, der in der Literaturgeschichte ganz zentral für Wertebildung steht, ist „Nis Randers“ von Otto Ernst. In der Ballade sehen die gleichnamige Hauptfigur und seine Mutter ein Schiff im unruhigen und wilden Meer un‐ mittelbar vor der Küste auflaufen. Das Schiff droht zu zerschellen. Nis Ran‐ ders erkennt die Gefahr und möchte den verbleibenden Matrosen des hava‐ rierten Schiffes zur Hilfe eilen. Seine Mutter ist jedoch entschieden dagegen, da sie befürchtet, dass er dabei ähnlich wie ihr verstorbener Mann und ihr Sohn Momme Randers im Meer ertrinken wird. Sie erinnert Nis auch an den seit Jahren verschollenen Sohn Uwe Randers. Ungeachtet der Befürchtungen seiner Mutter hält Nis jedoch an seinem Rettungsvorhaben fest. Voller Angst um das Leben ihres Sohnes ist die Mutter zum Warten an der Küste ge‐ zwungen, kann jedoch nach dem glücklichen Ausgang der Rettung nicht nur ihren Sohn Nis, sondern auch ihren verloren geglaubten Sohn Uwe emp‐ fangen. Nis Randers (Otto Ernst) Krachen und Heulen und berstende Nacht, Dunkel und Flammen in rasender Jagd - Ein Schrei durch die Brandung! Und brennt der Himmel, so sieht mans gut. Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut; Gleich holt sichs der Abgrund. Nis Randers lugt - und ohne Hast Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast; Wir müssen ihn holen.“ Da faßt ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein: Dich will ich behalten, du bliebst mir allein, 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 248 <?page no="249"?> Ich wills, deine Mutter! Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn; Drei Jahre verschollen ist Uwe schon, Mein Uwe, mein Uwe! “ Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach! Er weist nach dem Wrack und spricht gemach: „Und seine Mutter? “ Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs: Hohes, hartes Friesengewächs; Schon sausen die Ruder. Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz! Nun muß es zerschmettern …! Nein, es blieb ganz …! Wie lange? Wie lange? Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer Die menschenfressenden Rosse daher; Sie schnauben und schäumen. Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt! Eins auf den Nacken des andern springt Mit stampfenden Hufen! Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt! Was da? - Ein Boot, das landwärts hält - Sie sind es! Sie kommen! - - Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt … Still - ruft da nicht einer? - Er schreits durch die Hand: „Sagt Mutter, ‘s ist Uwe! “ (E R N S T , Otto (1907). Siebzig Gedichte. Leipzig: L.Staakmann, 118-119) (E R N S T , Otto (2015). Nis Randers. Illustration: Krejtschi, Tobias. Berlin: Kinder‐ mann) Die Ballade besteht aus zwölf Strophen zu je drei Versen und entspricht sowohl in der Länge als auch hinsichtlich der sprachlichen Zugänglichkeit dem Anforderungsniveau in der Sekundarstufe I. Der Autor greift darin ei‐ nen Stoff auf, der in ähnlicher Form schon von anderen Literaten (beispiel‐ weise Julius Wolff 1895, Frida Schanz 1896 und Felix Dahn 1898) verarbeitet wurde. Zwar sind diese Versionen sprachlich und formal deutlich anspruchs‐ voller, u. a. durch die stärkere Verwendung sprachlicher Bilder und eine teilweise andere Perspektivierung - so legt Dahn den Fokus ihrer Version auf die Perspektive der bangenden Mutter während der Rettung und nicht 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 249 <?page no="250"?> auf die des Zivilcourage beweisenden Sohnes. Dennoch sind die grundsätz‐ liche Thematik (Notsituation auf hoher See) und das zentrale Motiv (Zivil‐ courage) in den gewählten Balladen deckungsgleich. Sie bereichern damit, insbesondere auch im Hinblick auf die Gestaltung von Paralleltexten, einen auf Differenzierung ausgelegten Deutschunterricht. Dreimal wirft sie die Brandung zurück, dann sind sie hinüber; bald hoch und steil saust auf den Kamm, bald wie ein Pfeil schießt tief ins Wellental der Bug des tapfern Boots auf seinem Zug, (W O L F F , Julius (1904). In Sturmes Not. In: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. Hrsg. von Maximilian Bern, Berlin: Otto Eisner, 311-313) Die Düne stäubt, die Brandung kracht Wie Kanonenschuß Wirft gegen die Klippen sie ihren Guß! […] „Der Tod! “ So ruft der Alte, „der sitzt schon im Boot. […]“ (D AHN , Felix (1898). Die Brüder, Gedichte, Zweiter Band, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 236ff.) In heissem Kampf mit des Wetters Wut. Das Wrack lag schon tief in der dunklen Flut; Die Wogen umspritzten es, wild und keck. Und Harro erklettert das sinkende Deck - Und schwingt sich hinauf in die steifen Wanten Und holt den Starren, den Frostgebannten, Und bettet ihn still in den schwanken Kahn. - Und als die Treuen dem Ufer nahn, Entronnen der Not und dem Sturmesgrimme, Hebt Harro fröhlich die kräftige Stimme (S C HANZ , Frida (1896). In Sturmes Not, Daheim-Kalender für das Deutsche Reich, Bielefeld/ Leipzig: Velhagen & Klasing, 110 f.) 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 250 <?page no="251"?> Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ erschließen und interpretieren inhaltliche sowie sprachliche und for‐ ▸ male Besonderheiten literarischer Texte am Beispiel der Ballade „Nis Randers“ auch unter Einbeziehung aktueller gesellschaftlicher Frage‐ stellungen. ▸ sichten und bewerten hierzu bereitgestellte Informationen, u. a. Zei‐ ▸ tungsartikel und Diagramme zur aktuellen Flüchtlingsbewegung über das Mittelmeer. ▸ verfassen in Anlehnung an die literarische Vorlage von „Nis Randers“ ▸ einen literarischen Paralleltext. ▸ nutzen die Umgestaltung des Textes als Mittel zu einem vertieften ▸ Verständnis thematischer Zusammenhänge. ▸ präsentieren ihre Paralleltexte in einer Ausstellung zum Thema Zi‐ ▸ vilcourage auf hoher See. Im Zentrum der Ballade steht Nis als Sohn einer Mutter, die bereits ihren Mann und ihren Sohn Momme ans Meer verloren hat. Ihr zweiter Sohn, Uwe, ist seit drei Jahren auf dem Meer verschollen. Vielleicht im Wissen, welchen Schmerz der Verlust eines Menschen verursacht, weist Nis seine Mutter darauf hin, dass auch der in Not geratene Mann eine Mutter hat, die nun um ihn bangt und stürzt sich in die Fluten. Wie der Einsatz der Ballade in Schule und Universität zeigt, bereitet das Erfassen des Grundkonfliktes sowie das Beziehungsgeflecht der Haupt- und Nebenfiguren bei einzelnen Lernenden immer wieder Schwierigkeiten, sodass die Lernenden in den ersten beiden Stunden der Unterrichtsreihe zur gemeinsamen inhaltlichen Erschließung des Textes angehalten werden sollten. Hierzu bietet es sich an, den Text zunächst selbstständig strophenweise zusammenzufassen (vgl. Unterrichts‐ hilfe „Eine Inhaltsangabe schreiben“). Nach einem Abgleich der Ergebnisse über den OHP oder das Smartboard erhalten die Lernenden Informationen zum Schreiben einer Inhaltsangabe, die sich nach Fritzsche besonders zu „literarischen Texten anbieten, die handlungs- und ereignisreich sind und deren Geschehnisse nach einer Erklärung verlangen“ (1994: 158) (vgl. Un‐ terrichtshilfe „Eine Inhaltsangabe schreiben“). Denn wie Unterrichtsanalysen zeigen, sind die Aufgaben und Erwartun‐ gen im Hinblick auf das Verfassen von Inhaltsangaben funktional oft unbe‐ stimmt (vgl. Reinert 2012: IX). Vor dem Hintergrund dessen, dass das Ver‐ 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 251 <?page no="252"?> fassen von Inhaltsangaben zu den anspruchsvollen Textformen im Deutschunterricht gehört (vgl. ebd.), ist es folglich unabdinglich im Vorfeld mit den Lernenden die wichtigsten Punkte noch einmal zu besprechen. Beim Schreiben der Inhaltsangabe ist darauf zu achten, dass … ▸ folgende Daten enthalten sind: Name des Autors, Titel des Ausgangs‐ ▸ textes, Entstehungsjahr, Bezeichnung der Gattung; ▸ alle inhaltlichen Gegebenheiten aufgenommen werden, d. h. worum ▸ geht es und wie kommt es dazu, was sind die wichtigsten Orte der Handlung, wer sind die Haupt- und Nebenfiguren, wie stehen sie zu‐ einander, welche Handlungsmotive besitzen sie; ▸ der Balladentext sachlich und reduziert im Präsens zusammengefasst ▸ ist; ▸ darüber berichtet wird, wer in welcher Situation und auf welche Weise ▸ das Geschehen wiedergibt (z. B. Abstraktionen von Erzählelementen, Anschaulichkeit, Dramatik etc.). Um zu verhindern, dass die Lernenden die Ballade nacherzählen, kann die Lehrperson den zusätzlichen Hinweis geben, die Erzählung vom Ende und nicht vom Anfang - wie bei der Nacherzählung - in den Blick zu nehmen (vgl. Zabka 2004). Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit bietet die Ar‐ beit mit fehlerhaften Inhaltsangaben, die schwächere Lernende sprachlich und strukturell entlasten, sodass sie sich auf das genaue Lesen bzw. die Er‐ gänzung fehlender inhaltlicher Angaben konzentrieren können. Aufgrund des hohen Anspruchgehalts von Inhaltsangaben bietet es sich an, dass die Lernenden ihre Texte zunächst im Lerntempoduett untereinan‐ der austauschen, bevor einzelne diese korrigiert im Plenum vorstellen. Dabei sollte die Lehrperson weniger auf die sprachliche Bearbeitung der Textvor‐ lage achten, als vielmehr auf die Erarbeitung eines korrekten Textverständ‐ nisses (vgl. Reinert 2012: IX), auf das sie im Plenum ggf. noch einmal korri‐ gierend eingreifen kann. Da allein die Rekonstruktion des Balladeninhalts der moralischen Wirk‐ macht des Textes nicht gerecht wird, sollten die Lernenden anschließend die Möglichkeit bekommen, sich zum Grundkonflikt der Ballade auszutauschen, der ambivalente Deutungen ermöglicht bzw. herausfordert. Indem die Ler‐ nenden angeregt werden, sich in die Situation von Nis und seiner Mutter hineinzuversetzen, werden nicht nur die Erfahrungen der Figuren simuliert, sondern auch ihre Handlungen vor dem eigenen Erfahrungs- und Werte‐ horizont beurteilt (vgl. Demmerling/ Ferran 2014: 20). Durch die intensive 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 252 <?page no="253"?> Auseinandersetzung mit den Einstellungen und Reaktionen der Charaktere gewinnen die Lernenden moralisches Wissen und entwickeln ihre Werte und moralischen Ideale weiter (vgl. ebd.: 21). Durch den Transfer der Problematik auf die aktuell sehr kontrovers dis‐ kutierte private Seenotrettung gewinnt die Diskussion in den folgenden fünf Stunden an weiterer Intensität. Zur Einführung in die aktuelle Situation bietet sich der Fall des im Juni 2018 angeklagten deutschen Lifeline-Kapitäns Reisch an. Dieser hatte 234 Flüchtlinge vor der libyschen Küste gerettet. Aufgrund einer wachsenden restriktiven Politik der europäischen Seenot‐ rettung war das Schiff danach tagelang über das Mittelmeer geirrt, bevor es in Malta anlegen durfte, wo es aber sofort beschlagnahmt wurde. Kurz dar‐ auf titelte eine große deutsche Zeitschrift „Oder soll man es lassen? “ und brachte damit eine bereits seit vielen Monaten kontrovers geführte Diskus‐ sion durch die Gegenüberstellung von Pro und Contra-Argumenten zur pri‐ vaten Seenotrettung erneut ins Rollen (vgl. ZEIT 29, 12. Juli 2018). Der Artikel wurde vor allem aufgrund des Titels heftig kritisiert, dagegen verteidigte sich das Herausgeberteam, mit dem Dilemma um die private Seenotrettung ein wichtiges Thema angesprochen zu haben. Der Artikel „Seenotrettung - Oder soll man es lassen? Private Helfer retten Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer aus Seenot. Ist das legitim? Ein Pro und Contra“ (ZEIT 29, 12. Juli 2018) können Sie unter: https: / / www.zeit.de/ 2018/ 29/ seenotrettung-fluechtlinge-privat-mittel meer-pro-contra (08.02.2019) lesen. Während die Schüler/ -innen im Deutschunterricht über einen Zeitungsar‐ tikel in die Thematik eingeführt werden, bietet es sich gleichfalls an das Thema im Politik und Gesellschaftslehre-Unterricht zu vertiefen. Das The‐ menfeld „Konflikt und Frieden“ bietet hierzu zahlreiche Anknüpfungs‐ punkte. Die Lernenden erhalten hierzu zunächst die Aufgabe in einer Tabelle die Pro- und Contra-Argumente des Zeitungsartikels in Kleingruppen her‐ auszuarbeiten, die ggf. um weitere ergänzt werden können. Anschließend kommen sie in der darauffolgenden Stunde zu einer Fish-Bowl-Diskussion zusammen. Unter der Verwendung der gesammelten Aspekte setzen sich hierzu ein bis zwei Sprecher/ -innen der Pro- und Contra-Gruppen in die Mitte eines Stuhlkreises und tragen die gesammelten Argumente vor. An‐ schließend eröffnet der Moderator (Lehrperson oder Schüler/ -in) die Dis‐ kussion zum Thema: Private Seenotrettung im Mittelmeer. Die übrigen 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 253 <?page no="254"?> Schüler/ -innen können jederzeit an der Diskussion teilnehmen, indem sie den Platz mit den zentralen Sprechern tauschen. Schüler/ -innen, die zu ei‐ nem anderen Thema als dem ihrer eigenen Gruppe etwas sagen möchten, haben die Möglichkeit, sich auf einen freien Stuhl in der Mitte zu setzen. Durch die hohe Variabilität der Diskutant/ -innen ergibt sich so ein hoher und breit angelegter Aktivierungsgrad für alle Schüler/ -innen. In einer ab‐ schließenden Reflexionsphase werden die von den einzelnen Gruppen ge‐ nannten Argumente erneut betrachtet, die in eine mögliche Entscheidungs‐ findung einfließen können, aber nicht müssen. Nach den zwei Stunden der intensiven inhaltlichen Arbeit kehren die Schüler/ -innen in der darauffolgenden Stunde mit dem Auftrag, einen Pa‐ ralleltext zu schreiben, zurück zum Ausgangstext. Bei der Texttransforma‐ tion soll der Schreiber/ die Schreiberin an die Thematik der Randers Ballade anknüpfen und auf diese Art einen textuellen Neuanfang ermöglichen, der „durch Distanzierung und Annäherung“ intertextuelle Bezüge für das Schreiben nutzt (vgl. Portmann 1996: 167 f.) Indem sie dabei Wirkungsweisen von Gestaltungsmitteln erproben und reflektieren, setzen sich die Lernenden noch einmal ganz intensiv mit Form und Sprache der ausgewählten Ballade auseinander und erfahren, inwieweit Original und Paralleltext durch ihre inhaltliche, sprachliche und formale Gestaltung Spannung erzeugen, Dramatik inszenieren oder subjektive In‐ volviertheit anregen. Dadurch, dass die Lernenden selbst einen Text unter Bezugnahme auf eine literarische Textvorlage sowie auf Materialien zu einer aktuellen gesell‐ schaftlichen Problemlage (private Seenotrettung im Mittelmeer) verfassen, werden sie für die Möglichkeiten und Hürden intertextuellen Schreibens sensibilisiert. In diesem Sinne können für das vorgestellte Unterrichtsvor‐ haben teilweise dieselben Zielformulierungen gelten wie für das Material‐ gestützte Schreiben, so beispielsweise die „zielgerichtete […] Nutzung verschiedener Informationsquellen“ durch die Lernenden und die kreative, d. h. vom Ursprungstext gelöste Weiterverarbeitung der bereitgestellten In‐ formationen für das eigene Schreibprodukt (vgl. Schütte 2017). Ergänzende Materialien für das Verfassen eines Paralleltextes bieten ver‐ schiedene Texte aus digitalen und analogen Medien (z. B. Themenhefte zu Flucht und Asyl von der Bundeszentrale für politische Bildung, Texte zu Ehrungen für Seenotretter und zivile Hilfsorganisationen, Grafiken zu ak‐ tuellen Zahlen zu Fluchtbewegungen über das Mittelmeer). Auch die deut‐ sche Rock-Band Die Toten Hosen thematisiert in ihrem Lied „Europa“ (2012), 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 254 <?page no="255"?> die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer im Rahmen von Fluchtbewe‐ gungen nach Europa. Ähnlich wie die ausgewählte Ballade, arbeitet auch der Songtext der Toten Hosen mit verschiedenen sprachlichen Bildern (z. B. „im Massengrab vom Mittelmeer“) und intertextuellen Bezügen („Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute“), durch deren lexikalische Veränderung am Ende des Liedes („Und wenn sie nicht gestorben sind, ster‐ ben sie noch heute“), die Tragik der aktuellen Flüchtlingssituation unter‐ strichen wird. Den Liedtext zum Song „Europa“ können Sie kostenlos unter: https: / / genius.com/ Die-toten-hosen-europa-lyrics abrufen. Das Transformieren von Textvorlagen ist ein wichtiges textproduktives Verfahren (Kap. 4.9), das in den letzten Jahren unter der Bezeichnung Krea‐ tives Schreiben in verschiedenen Abschlussprüfungen im Fach Deutsch Eingang gefunden war (vgl. Aufgabentyp: Gestaltendes Erschließen oder Gestaltende Interpretation literarischer Texte). Trotzdem ist das Verfassen für die Schüler/ -innen mit einigen Herausforderungen verbunden. Um den Aktualitätsbezug im Paralleltext herzustellen, müssen die Schüler/ -innen, ähnlich wie beim Materialgestützten Schreiben, in der Phase der Rezeption verschiedene Materialien zueinander in Beziehung setzen und die kohärente Einbindung der neuen Inhalte in die vorgegebene Textstruktur stetig re‐ flektieren. Sie müssen zudem Entscheidungen über den Austausch der Handlungsträger (z. B. Nis vs. Kapitän einer zivilen Seenotrettung; Mutter vs. ‚Festung Europa‘), über die Einleitung von Ortswechseln (Nordsee vs. Mittelmeer) über die Zahl der zu Rettenden (einer vs. viele) usw. treffen. Vorgeschaltete Planungsgespräche zu diesen Fragen können in Klein‐ gruppen den Produktionsprozess im Vorfeld entlasten. Zusätzliche Entlas‐ tung bietet die Freiheit der Lernenden über die Entscheidung, wie eng sie sich an die äußere Form des Ausgangstextes halten wollen. Mit dem Ziel, die produktionsorientierten Arbeiten der Lernenden in ihrer Kreativität und Diversität zu würdigen und den Schreibenden einen klaren Kontext und Adressatenkreis vorzugeben, bietet es sich an, die entstandenen Paralleltexte am Ende der Unterrichtsreihe in einer schuloffenen Ausstel‐ lung zum Thema Zivilcourage auf hoher See zu präsentieren. 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 255 <?page no="256"?> 5.3.4 Die übernatürliche Macht der Poesie - „Die Kraniche des Ibykus“ von Friedrich Schiller Juliane Dube Thema: Vom einflussreichsten deutschsprachigen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki 2009 zur schönsten Ballade erkoren, zählt das 1797 verfasste Werk von Friedrich Schiller um Ibykus, den Götterfreund, heute zu den bekanntesten Balladen. Obwohl zu Beginn noch Goethe die Fabel um den griechischen Dichter Ibykos (deutsch auch Ibykus), der auf seinem Weg zu den Isthmischen Spielen (antike Wettkämpfe) vor Korinth im 6. Jh. v. Chr. hinterrücks ermordet wurde, literarisch verarbeiten wollte, ist es letztlich Schiller, der nach mehrfachen Überarbeitungen in Folge des Briefwechsels mit seinem Freund Goethe die Ballade unter dem Titel „Die Kraniche des Ibykus“ vollendet. 1798 erscheint sie im Musenalmanach. Auch hier fesselt wieder die Dramaturgie der Ballade die Zuhörenden. Doch es sind vor allem die Einbindung des Chors der Eumeniden sowie die Einfügung des Theaters als Richtplatz der Mörder und damit als „Moralische Anstalt“ (Schiller 1784), welche den besonderen Charakter der Ballade ausmachen. Damit werden, ähnlich wie bereits in der Ballade „Die Bürgschaft“ (Kap. 5.1.5), Schillers Menschenbild und die Rolle deut‐ lich, die er dem Theater bei der ästhetischen Erziehung des Menschen zugedacht hat. Intension: Ziel der Unterrichtsreihe ist es, die Lernenden für den his‐ torisch-philosophischen Kontext der Ballade zu sensibilisieren. Unterricht in der Sekundarstufe II: Hierzu erstellen die Lernenden mithilfe digitaler Medien so genannte Hypertexte. Durch diese Form der medialen Aufbereitung der literarischen Vorlage werden sie nicht nur zum textnahen Lesen angeregt, sondern auch dazu animiert, weiterfüh‐ rende Informationen zur Ballade und zum Autor herauszusuchen. Da‐ durch soll ihnen die Bedeutung des ausgewählten Werkes auch unter historischer und philosophischer Perspektive deutlich werden. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 256 <?page no="257"?> Ausgewählte didaktische Analyse Vorgetragen vom allwissenden Er-Erzähler erfahren die Hörer/ -innen in Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ von der Ermordung des Sängers auf seiner Reise von Rhegium zu den Isthmien nach Korinth. In dem Mo‐ ment, als Ibykus nach vergeblichen Mühen, die Angreifer abzuwehren, zu Boden sinkt, überfliegt jedoch ein Schwarm Kraniche die Szenerie. Diese bittet er mit dem letzten Atemzug, dafür zu sorgen, dass seine Mörder ver‐ raten werden. Als das Volk kurze Zeit später von der Ermordung des be‐ liebten Sängers erfährt, fordert es Rache: Als Zufall soll es gelesen werden, so Schiller, dass die Mörder kurze Zeit später als Zuschauer des schaurigen Chors der Erinnyen, den Rachegöttinnen, beiwohnen. Gekleidet in riesen‐ große, lange, schwarze Mäntel, mit knochigen Händen, blutleeren Wangen und Schlangen auf dem Kopf singen sie von ihrer Aufgabe, Frevler bis in den Tod zu verfolgen. Gleichfalls zufällig erscheint auch über dieser Szenerie ein Schwarm Kra‐ niche, der einen der noch vom Drohgesang der Erinnyen tief ergriffenen Mörder an seine letzte Tat, die Ermordung des Ibykus, erinnert. Die über‐ natürliche Macht der Poesie veranlasst ihn, seinem Mordgenossen Ibykus’ Namen zuzurufen, wodurch er die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht. Dieses glaubt nun, dass sich die vom Chor verkündete Rache des Ver‐ brechens bewahrheitet und vollzieht die Bestrafung noch in der Theater‐ arena,. Mit diesem Schluss siegt die Gerechtigkeit innerhalb der Weltord‐ nung - ein wichtiges Motiv der Schiller’schen Werke, der mit jeder seiner literarischen und philosophischen Arbeiten unbedingt etwas bewirken wollte und dessen Texte sich daher besonders für das fächerintegrative Ar‐ beiten anbieten. Die Kraniche des Ibykus (Friedrich Schiller) Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf Korinthus’ Landesenge Der Griechen Stämme froh vereint, Zog Ibykus, der Götterfreund. Ihm schenkte des Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund Apoll, So wandert’ er, an leichtem Stabe, Aus Rhegium, des Gottes voll. 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 257 <?page no="258"?> Schon winkt auf hohem Bergesrücken Akrokorinth des Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein. Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme Von Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Südens Wärme In graulichtem Geschwader ziehn. „Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen! Die mir zur See Begleiter waren, Zum guten Zeichen nehm ich euch, Mein Los, es ist dem euren gleich. Von fernher kommen wir gezogen Und flehen um ein wirtlich Dach. Sei uns der Gastliche gewogen, Der von dem Fremdling wehrt die Schmach! “ Und munter fördert er die Schritte Und sieht sich in des Waldes Mitte, Da sperren, auf gedrangem Steg, Zwei Mörder plötzlich seinen Weg. Zum Kampfe muß er sich bereiten, Doch bald ermattet sinkt die Hand, Sie hat der Leier zarte Saiten, Doch nie des Bogens Kraft gespannt. Er ruft die Menschen an, die Götter, Sein Flehen dringt zu keinem Retter, Wie weit er auch die Stimme schickt, Nicht Lebendes wird hier erblickt. „So muß ich hier verlassen sterben, Auf fremdem Boden, unbeweint, Durch böser Buben Hand verderben, Wo auch kein Rächer mir erscheint! “ Und schwer getroffen sinkt er nieder, Da rauscht der Kraniche Gefieder, Er hört, schon kann er nichts mehr sehn, Die nahen Stimmen furchtbar krähn. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 258 <?page no="259"?> „Von euch, ihr Kraniche dort oben, Wenn keine andre Stimme spricht, Sei meines Mordes Klag erhoben! “ Er ruft es, und sein Auge bricht. Der nackte Leichnam wird gefunden, Und bald, obgleich entstellt von Wunden, Erkennt der Gastfreund in Korinth Die Züge, die ihm teuer sind. „Und muß ich dich so wiederfinden, Und hoffte mit der Fichte Kranz Des Sängers Schläfe zu umwinden, Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz! “ Und jammernd hören’s alle Gäste, Versammelt bei Poseidons Feste, Ganz Griechenland ergreift der Schmerz, Verloren hat ihn jedes Herz. Und stürmend drängt sich zum Prytanen Das Volk, es fordert seine Wut, Zu rächen des Erschlagnen Manen, Zu sühnen mit des Mörders Blut. Doch wo die Spur, die aus der Menge, Der Völker flutendem Gedränge, Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Täter kenntlich macht? Sind’s Räuber, die ihn feig erschlagen? Tat’s neidisch ein verborgner Feind? Nur Helios vermag’s zu sagen, Der alles Irdische bescheint. Er geht vielleicht mit frechem Schritte Jetzt eben durch der Griechen Mitte, Und während ihn die Rache sucht, Genießt er seines Frevels Frucht. Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle, Die dort sich zum Theater drängt. 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 259 <?page no="260"?> Denn Bank an Bank gedränget sitzen, Es brechen fast der Bühne Stützen, Herbeigeströmt von fern und nah, Der Griechen Völker wartend da, Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen; Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bis in des Himmels Blau. Wer zählt die Völker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammenkamen? Von Theseus’ Stadt, von Aulis’ Strand, Von Phokis, vom Spartanerland, Von Asiens entlegener Küste, Von allen Inseln kamen sie Und horchen von dem Schaugerüste Des Chores grauser Melodie, Der streng und ernst, nach alter Sitte, Mit langsam abgemeßnem Schritte, Hervortritt aus dem Hintergrund, Umwandelnd des Theaters Rund. So schreiten keine irdschen Weiber, Die zeugete kein sterblich Haus! Es steigt das Riesenmaß der Leiber Hoch über menschliches hinaus. Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden, Sie schwingen in entfleischten Händen Der Fackel düsterrote Glut, In ihren Wangen fließt kein Blut. Und wo die Haare lieblich flattern, Um Menschenstirnen freundlich wehn, Da sieht man Schlangen hier und Nattern Die giftgeschwollenen Bäuche blähn. Und schauerlich gedreht im Kreise Beginnen sie des Hymnus Weise, Der durch das Herz zerreißend dringt, Die Bande um den Sünder schlingt. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 260 <?page no="261"?> Besinnungsraubend, herzbetörend Schallt der Errinyen Gesang, Er schallt, des Hörers Mark verzehrend, Und duldet nicht der Leier Klang: Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nahn, Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen Des Mordes schwere Tat vollbracht, Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht! Und glaubt er fliehend zu entspringen, Geflügelt sind wir da, die Schlingen Ihm werfend um den flüchtgen Fuß, Daß er zu Boden fallen muß. So jagen wir ihn, ohn Ermatten, Versöhnen kann uns keine Reu, Ihn fort und fort bis zu den Schatten Und geben ihn auch dort nicht frei. So singend, tanzen sie den Reigen, Und Stille wie des Todes Schweigen Liegt überm ganzen Hause schwer, Als ob die Gottheit nahe wär. Und feierlich, nach alter Sitte Umwandelnd des Theaters Rund Mit langsam abgemeßnem Schritte, Verschwinden sie im Hintergrund. Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet Noch zweifelnd jede Brust und bebet Und huldigt der furchtbarn Macht, Die richtend im Verborgnen wacht, Die unerforschlich, unergründet Des Schicksals dunklen Knäuel flicht, Dem tiefen Herzen sich verkündet, Doch fliehet vor dem Sonnenlicht. 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 261 <?page no="262"?> Da hört man auf den höchsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen: „Sieh da! Sieh da, Timotheus, Die Kraniche des Ibykus! “ - Und finster plötzlich wird der Himmel, Und über dem Theater hin Sieht man in schwärzlichtem Gewimmel Ein Kranichheer vorüberziehn. „Des Ibykus! “ - Der teure Name Rührt jede Brust mit neuem Grame, Und, wie im Meere Well auf Well, So läuft’s von Mund zu Munde schnell: „Des Ibykus, den wir beweinen, Den eine Mörderhand erschlug! Was ist’s mit dem? Was kann er meinen? Was ist’s mit diesem Kranichzug? “ - Und lauter immer wird die Frage, Und ahnend fliegt’s mit Blitzesschlage Durch alle Herzen. „Gebet acht! Das ist der Eumeniden Macht! Der fromme Dichter wird gerochen, Der Mörder bietet selbst sich dar! Ergreift ihn, der das Wort gesprochen, Und ihn, an den’s gerichtet war.“ Doch dem war kaum das Wort entfahren, Möcht er’s im Busen gern bewahren; Umsonst, der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewußten kund. Man reißt und schleppt sie vor den Richter, Die Szene wird zum Tribunal, Und es gestehn die Bösewichter, Getroffen von der Rache Strahl. (S C HIL L E R , Friedrich (Hrsg.) (1798). Musen-Almanach für das Jahr 1798. Tübingen: J. G. Cotta, 267-277) 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 262 <?page no="263"?> 2 „Friedrich Schiller ‚Die Kraniche des Ibykus‘ - Text, Inhaltsangabe, Interpretation“. Friedrich Schiller Archiv (online). Online unter: https: / / www.friedrich-schiller-archiv.de / inhaltsangaben/ kraniche-des-ibykus-text-zusammenfassung-interpretation/ (11.02.2019) Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ entnehmen unterschiedlichen Textquellen zielgerichtet Informatio‐ ▸ nen zur Ballade „Die Kraniche des Ibykus“. ▸ ordnen, vergleichen, prüfen und ergänzen diese während sie die Bal‐ ▸ lade in einen Hypertext umschreiben. ▸ nutzen digitale Medien zur Präsentation ihrer Texte. ▸▸ diskutieren und reflektieren die Wirkungsweisen ihrer im Hypertext ▸ verwendeten medialen Strukturen und Gestaltungsmittel. Die Präsenz neuer Medien auf der einen und ihre rasante Entwicklung auf der anderen Seite stellen große Herausforderungen an alle Lernenden und Lehrenden. Ihre Potenziale für die Kompetenzvermittlung im Deutschun‐ terricht, aber auch ihre Hürden, gilt es daher stetig gemeinsam zu diskutie‐ ren. Als Gegenstand eines solch reflektierten Lernarrangements mit neuen Medien bieten sich literarische Texte an, die sich - wie im vorliegenden Beispiel - durch eine hohe sprachliche Komplexität sowie eine starke his‐ torische Kontextualisierung auszeichnen. Im Rahmen der eigenständigen Erstellung von so genannten Hypertexten können auf die Kompetenz der Lerngruppe abgestimmte, verstehensunterstützende Worterklärungen 2 , aber auch verstehensstützende kontextuelle historische und gesellschaftli‐ che Informationen im zu behandelnden Text ergänzt werden. Auf der Internetseite zum Schillerarchiv finden sich zahlreiche Infor‐ mationen zur Ballade: https: / / www.friedrich-schiller-archiv.de/ inhalts angaben/ kraniche-des-ibykus-text-zusammenfassung-interpretation/ (11.02.2019). Hypertexte bestehen aus einzelnen Textfragmenten und Bildern, die durch Knotenpunkte (Links) zu einem netzartigen Gebilde verknüpft sind. Die einzelnen Dokumente sind so gestaltet, dass sie für sich alleine stehen kön‐ 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 263 <?page no="264"?> nen. Die Leser/ -innen können dadurch die Abfolge und Anordnung der ge‐ wünschten Textteile selbst wählen. Hypertexte wurden entwickelt, um um‐ fangreiche Informationen zu organisieren, zum Beispiel im Internet. Abb. 5.11: Hypertextstrukturen Analog zu zahlreichen Videotools zum Erstellen eigener Filme finden sich auch Lernvideos und Programme zum Erstellen von Hypertexten im Inter‐ net. Wildemann und Vach (2015) betonen, dass schon Grundschüler/ -innen nach einer gemeinsamen Einführung Baumstrukturen mit drei hierarchi‐ schen Ebenen anlegen könnten (vgl. Wildemann/ Vach 2015). Zur Erstellung von Hypertexten bietet sich das Programm MindView an, zu dem auch Schullizenzen erworben werden können. Als umfang‐ reiches, visuelles Lernwerkzeug bietet es eine Vielzahl von Möglich‐ keiten, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Die erstellten Projekte können nach der Bearbeitung in verschiedene Formate ex‐ portiert werden (Word, PowerPoint, Excel, etc.). Im vorgestellten Unterrichtsarrangement setzen sich die Schüler/ -innen folglich nicht nur analytisch mit der Ballade auseinander, sondern erweitern auch ihre bereits vorhandenen medialen Kompetenzen. Diese umfassen nach den Ausführungen von Baacke nicht nur medienkundliches und me‐ dienkritisches Wissen sowie die reflektierte Nutzung medialer Angebote, sondern auch die Eigenproduktion derselben, um die Wirkungsweisen me‐ dialer Strukturen und Gestaltungsmittel besonders intensiv zu erfahren. Schüler/ -innen erwerben somit ein Verständnis dafür, wie Medienangebote aufgebaut sind, und auch, wie Informationen in Hypertexten dargeboten werden. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 264 <?page no="265"?> Bevor die Schüler/ -innen jedoch mit dem Erstellen von Hypertexten zur Ballade beginnen, empfiehlt es sich, die Ballade mit der Lerngruppe zunächst anzuhören. Aufgrund ihrer Popularität finden sich inzwischen zahlreiche Hörfassungen im Netz. Neben der kostenfrei abrufbaren Vertonung von Wolfgang Gerber unter: https: / / www.vorleser.net/ schiller_ibykus/ hoerbuch.html (11.02.2019) emp‐ fiehlt sich auch die kostenpflichtige Version von Karl Heinz Gabor (2017), die z. B. bei gängigen Streamingdiensten leicht und schnell zu erwerben ist. Nach dem ersten Hören sollen die Lernenden anschließend den Text noch einmal leise für sich lesen, Unverstandenes markieren und gemeinsam im Plenum ein erstes Textverständnis zur Ballade entwickeln. Mögliche Leit‐ fragen der Lehrperson zur Steuerung des Gesprächs lauten: ▸ Wohin war Ibykus unterwegs und was passierte ihm auf dem Weg? ▸▸ Welche Bedeutung besitzen die Kraniche in der Ballade? ▸▸ Was ist der Chor der Eumeniden und welche Aufgabe hat er? ▸▸ Welches Verständnis von Gerechtigkeit und Sühne wird in der Ballade ▸ deutlich? Und welche Rolle spielt die Poesie? ▸ … ▸ Insbesondere die beiden letzten Fragen können vermutlich in einem ersten Gespräch zur Ballade nur unzureichend beantwortet werden. Folglich bilden sie den Übergang zum Umschreiben der Ballade in einen Hypertext, indem mithilfe unterschiedlicher Medienquellen weitere Informationen zur Ballade zusammengetragen werden sollen. Hierzu wird die Klasse in Kleingruppen eingeteilt (max. 6 SuS). Ausge‐ stattet mit einem Großdruck der Ballade (möglichst A3 oder A2) werden die Lerngruppen angewiesen, gemeinsam zu überlegen, welche Textstellen schwierig zu erschließen sind, sodass sie der Verlinkung mit zusätzlichen Informationen bedürfen. Anschließend werden diese Stellen markiert und mithilfe des Internets weiterführende Informationen gesammelt. Die me‐ diale Vielfalt nutzend, kann hierfür bewusst auch die textuellen Ebene ge‐ öffnet werden, indem z. B. Bilder gesammelt werden, welche die Vorstel‐ lungsbildung zur Gestalt der Furien mit ihren Schlangenhaaren unterstützen. Die recherchierten Texte bzw. Textstellen und Bilder drucken die Schü‐ ler/ -innen anschließend im A5/ A6-Format aus und verbinden sie mit buntem 5.3 Schicksal, Selbstbestimmung und Bewährung 265 <?page no="266"?> Tesafilm mit dem Original. So entsteht nach und nach die Netzstruktur eines möglichen Hypertextes zur ausgewählten Ballade (vgl. Unterrichtshilfe „Hypertexte planen“). In einem reflektierenden Zwischenschritt sollten die Lernenden vor dem Übertrag ins Online-Format die Möglichkeit erhalten, ihre Netzstrukturen den anderen Gruppen vorzustellen. Im Austausch kön‐ nen noch offene Fragen und Unverständlichkeiten geklärt werden. Sind alle Fragen und Schwierigkeiten zum Erstellen der Netzstruktur ge‐ klärt, erhalten die Lernenden Zugang z. B. zum Microsoftprogramm Publis‐ her oder zum Mac-Programm TextEdit, um die Ballade und ihre ergänzende Netzstruktur Schritt für Schritt in einen Hypertext zu übertragen (vgl. hierzu die Schritte in der Unterrichtshilfe „Einen Hypertext erstellen“). Sind die Offline-Texte in Online-Texte übertragen, können insbesondere im Rahmen eines fächerintegrativen Unterrichts auch weitere Ebenen ein‐ gefügt werden, denen in den nächsten Schritten noch Bedienungsfunktio‐ nen zuzuordnen sind. In Gruppenarbeitsphasen könnten folglich Themen‐ bereiche auf der Startseite zu Schillers literarischem und philosophischem Wirken ergänzt werden, die sowohl mit entsprechenden Sachtexten als auch Primärtexten verlinkt sind. Hierdurch können die Lernenden nicht nur leichter intertextuelle Bezüge herstellen, sondern auch die enge Verbindung im literarisch-philosophischen Wirken Schillers besser nachvollziehen. Haben alle Gruppen die Erstellung ihrer Hypertexte erfolgreich beendet, erhalten die Gruppen jeweils zwei Minuten, um ihre Seite den anderen vor‐ zustellen. Anschließend können die Zuhörenden die Hypertexte selbst ent‐ decken (ca. 5-10 Min. pro Gruppe). Die Gruppenmitglieder des präsentierten Hypertextes stehen währenddessen als Ansprechpartner/ -innen zur Verfü‐ gung. Am Ende der Unterrichtsreihe wird die Ballade noch einmal als A3-Blatt in die Mitte des Raumes gelegt. Anschließend werden die Lernenden gebe‐ ten, sich in dem Abstand zum „Thema“ aufzustellen, der ihre Haltung bzw. ihre Einstellung oder ihr Textverständnis zu Beginn der Unterrichtsreihe sichtbar werden lässt. Je nach Größe der Gruppe können auch kurze Erklä‐ rungen von den Schüler/ -innen zu ihrer Position eingefordert werden. In einem zweiten Schritt sollen die Lernenden ihre Position so verändern, dass sie ihre Haltung/ ihre Einstellung oder ihr Textverständnis zum Ende der Unterrichtsreihe wiederspiegelt. Veränderungen der Positionen werden von der Lehrperson z. B. mit folgenden Fragen aufgegriffen: 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 266 <?page no="267"?> ▸ Wie hat sich durch die mediale Umsetzung der Ballade Ihre Haltung/ ▸ Ihre Einstellung oder Ihr Textverständnis verändert? ▸ Was hat Ihrer Meinung nach dazu beigetragen? ▸ 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 5.4.1 Dominium terrae - „Der kleine Vogelfänger“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben Juliane Dube Thema: Die Lieder von August Heinrich von Fallersleben sind sowohl Kindern als auch Erwachsenen (noch) bekannt. Lernt doch fast jeder Heranwachsende eines seiner zahlreichen Kinderlieder wie z.B. „Ein Männlein steht im Walde“, „Alle Vögel sind schon da“, „Der Frühling hat sich eingestellt“, „Der Kuckuck und der Esel“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Später ist es dann vor allem die dritte Strophe des 1841 geschriebenen Werkes „Lied der Deutschen“, welche heute als deutsche Nationalhymne gesungen wird, die uns das Leben und Wirken des Germanisten und Schriftstellers von Fallersleben wieder in Erinne‐ rung ruft. Das Leben von Fallersleben ist vor allem geprägt durch seine öffentliche Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit, in deren Folge er 1843 des Landes verwiesen wird. Seine kritischen Äußerungen finden sich jedoch nicht nur in Beiträgen für erwachsene Leser/ -innen wieder, sondern auch in einigen Kindergedichten wie z. B. im Werk „Der kleine Vogelfänger“. Intension: Fallersleben gesellschaftskritische Ballade aus dem Jahre 1843 spricht mit dem Machtverhältnis zwischen Mensch und Tier eine Thematik an, die bis heute nicht an Aktualität verloren hat. Durch die Kombination von analytisch-deutenden und produktionsorientierten Verfahren arbeiten die Lernenden die Stellung zwischen Mensch und Tier in der Ballade heraus und setzen sich anschließend vor dem Hin‐ tergrund aktueller Entwicklungen kritisch mit dieser auseinander. 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 267 <?page no="268"?> Unterricht in der Orientierungsstufe (4.-6. Schuljahr): Im Rahmen eines Vorlesegesprächs äußern die Lernenden zunächst erste Eindrücke zum Titel und zum möglichen Verlauf der Ballade, nehmen wechselnde Figurenpositionen ein und reflektieren diese. Nachdem erste Deutungen zum Text ausgetauscht sind, erhalten die Schüler/ -innen den Auftrag, den Text typografisch zu interpretieren. Im Rahmen eines binnendiffe‐ renzierenden Deutschunterrichts werden zudem digitale Inszenierungs‐ möglichkeiten besprochen, die ebenfalls in eine abschließende Präsen‐ tationsrunde einfließen können. Ausgewählte didaktische Analyse Während wohl jeder zumindest eines von Fallerslebens 550 Kinderliedern schon einmal gesungen hat, wissen die wenigsten etwas über das Leben des Verfassers, der 1798 im kleinen Ort Fallersleben bei Wolfsburg geboren wurde und bereits im jugendlichen Alter erste Gedichte schrieb. Wesentlich beeinflusst durch ein Zusammentreffen mit Jacob Grimm, widmet sich von Fallersleben mit großem Interesse der Sprache und Literatur, u. a. auch in seinem Studium. Spätere universitäre Arbeiten tragen nicht nur wesentlich zur Etablierung einer deutschen Philologie, sondern auch der niederländi‐ schen bei, als deren Begründer er gilt. Schlagartig ist es jedoch mit seiner universitären Karriere vorbei, als der „Wolf Biermann des 19. Jahrhunderts“ (www.von-fallersleben.de, S. 169) 1840 seine Gedichtsammlung Unpolitische Lieder veröffentlicht, in der er Kritik an den politischen und gesellschaftli‐ chen Zuständen in Deutschland übt. Die preußische Regierung verbietet den Gedichtband des Vormärzlyrikers, enthebt ihn pensionslos seiner Professur und entzieht ihm 1843 sogar die preußische Staatsbürgerschaft. Was folgt, sind Jahre voller Unruhe in verschiedenen Kleinstaaten, die ihn immer wie‐ der ausweisen. Dank guter Freundschaften findet er jedoch stets irgendwo Unterschlupf und damit Zeit, um sich schreibend mit den politischen und gesellschaftlichen Umständen seiner Zeit zu beschäftigen. Fast zehn Jahre verbringt von Fallersleben im Exil, bis ihn der preußische Staat wiederaufnimmt. Statt sich den Aktivitäten im Zusammenhang mit der Märzrevolution von 1848 anzuschließen, widmet er sich jedoch in den fol‐ genden Jahren seinen Sprachstudien und seiner Autobiografie, die, als sie fertig gestellt ist, sechs Bände umfasst. Heute erinnern neben zahlreichen Kinderliedern auch Schulen und Straßen an einen der berühmtesten deut‐ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 268 <?page no="269"?> schen Dichter, der sich - und dies soll hier nicht vergessen werden - in seinen Texten teilweise auch stark nationalistisch und antisemitisch äußert. Die vorliegende Ballade „Der kleine Vogelfänger“, die 1857 von Karl Gott‐ fried Wilhelm Taubert vertont wird, entsteht in jenen zuvor beschriebenen unruhigen Zeiten. Im Mittelpunkt der Ballade steht ein Junge, der sich eigens zu seiner Unterhaltung einen Vogel fängt. Der Vogel, der sich diesem ihm zugedachten Schicksal nicht fügen möchte, versucht, den Jungen zu über‐ reden, ihn wieder freizulassen. Der Junge lässt sich von dem Verweis des Vogels auf seine Unschuld jedoch nicht beeindrucken. Vielmehr stellt er in einer gottgleichen Position klar, dass der Vogel als Tier ihm als Menschen grundsätzlich untergeben ist. Die Widerrede und der Protest des Vogels werden mit dem Verweis: „Schweig’ still, schweig’ still! sonst brat’ ich dich / Und werde dich verspeisen! “ abgewürgt. Als der Junge jedoch kurze Zeit später in Eile aus dem Zimmer rennt, stürzt er die Treppe hinunter. Anstatt Hilfe zu holen, fliegt der Vogel allerdings still davon und stellt damit die Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Tier noch einmal neu. Der kleine Vogelfänger (August Heinrich Hoffmann von Fallersleben) Wart’, Vöglein, wart’! Jetzt bist du mein, Jetzt hab’ ich dich gefangen, In einem Käfig sollst du jetzt An meinem Fenster hangen! „Ach, lieber Bube, sag’ mir doch, Was hab’ ich denn begangen, Daß du mich armes Vögelein, Daß du mich hast gefangen? “ - Ich bin der Herr, du bist der Knecht: Die Thiere, die da leben, Die sind dem Menschen allzumal Und mir auch untergeben. „Das, lieber Bube, glaub’ ich nicht, Das sollst du mir beweisen! “ - Schweig’ still, schweig’ still! sonst brat’ ich dich Und werde dich verspeisen! - 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 269 <?page no="270"?> Der Knabe rannte schnell nach Haus, Da fiel er von der Stiegen. Das Vöglein flog zum Haus hinaus Und ließ das Büblein liegen. ( V O N F AL L E R S L E B E N , August H. H. (Hrsg.) (1843). Fünfzig Kinderlieder. Leipzig: Mayer und Wigand, 311) Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ sammeln Eindrücke und erste Ideen zum Titel und zum Inhalt der ▸ Ballade. ▸ setzen sich auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene mit dem in der ▸ Ballade thematisierten Herrschaftsverhältnis zwischen Mensch und Tier intensiv auseinander, indem sie den Balladentext typografisch interpretieren. ▸ präsentieren ihre typografischen bzw. multimedialen Interpretatio‐ ▸ nen. ▸ diskutieren das Verhältnis zwischen Menschen und Tier vor dem Hin‐ ▸ tergrund aktueller Entwicklungen. Zum Einstieg in die Unterrichtsreihe präsentiert die Lehrperson die Ballade im Rahmen eines Vorlesegesprächs (Kap. 4.2). Ausgerichtet auf die Dia‐ logizität von größeren Gruppen regt die Lehrperson die Lernenden dabei mit Impulsfragen immer wieder an, während des Balladenvortrags Gefühle und Eindrücke zu äußern. Weitere gesellschaftskritische Balladen finden sich im Balladenband des Slam-Poeten und Lehrers Alex Simm. Im Band Vom einsamen Emoeinhorn Erna, das wie alle sein wollte, der 2018 im Satyr-Verlag erschie‐ nen ist, thematisiert er gesellschaftliche Fehlentwicklungen wie Frem‐ denhass, Schönheitsideale, Ernährungsverhalten und Medienkonsum. Balladen zur Tierethik haben ebenfalls Eingang in den Band gefunden. Videos und Audioaufnahmen der Balladen finden sich auf der Home‐ page des Künstlers (https: / / www.alexsimm.de/ balladen/ ). 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 270 <?page no="271"?> Hierzu wird die Präsentation der Ballade bereits nach der Titelnennung un‐ terbrochen. Den Schüler/ -innen wird dadurch die Möglichkeit gegeben, sich sowohl zu Erwartungen an den Text als auch zu ähnlichen Situationen - Das Fangen von Tieren - auszutauschen (Impulstyp: Aktivierung eigener Erfahrungen). ▸ Welche Vögel wird der Junge wohl fangen und warum? ▸▸ Womit und wie werden Vögel gefangen? ▸▸ Warum heißt es im Titel der ,kleine‘ Vogelfänger? ▸▸ Hast du auch schon einmal ein Tier gefangen, wenn ja warum? ▸▸ Wie bist du dabei vorgegangen und was hast du mit dem Tier an‐ ▸ schließend gemacht? Im Anschluss an dieses erste freie Gespräch trägt die Lehrperson die Ballade nur bis zur zweiten Strophe laut vor, bevor sie die Lernenden einlädt, Ver‐ mutungen über den Fortgang der Ballade zu äußern (Impulstyp: Entwi‐ ckeln von Antizipation). Anschließend werden auch die übrigen Strophen vorgetragen. Im Wechselspiel zwischen Lehrperson und Lernenden sollen die Zuhörer/ -innen Stellung zum vom Jungen vorgetragenen Herrschafts‐ verhältnis zwischen Mensch und Tier sowie zum Schluss der Ballade neh‐ men (Impulstyp: Perspektivenübernahme und Reflexion von Figu‐ rengestaltung sowie Herstellung von deutenden Bezügen im Text). ▸ Wie steht ihr dazu, dass der Junge meint, die Tiere sind den Menschen ▸ untergeben? ▸ Warum widerspricht der Vogel dem Jungen so selbstbewusst? ▸▸ Was könnte der Junge bzw. der Vogel auch antworten? ▸▸ Warum stürzt der Junge am Ende der Ballade? ▸▸ Warum fliegt der Vogel weg, anstatt Hilfe zu holen? ▸ Da analytische und produktionsorientierte Methoden nicht unversöhnlich nebeneinanderstehen sollen, sondern stets in Verbindung miteinander, er‐ halten die Lernenden anschließend die Aufgabe, den Text typografisch zu gestalten. Zur erfolgreichen Bewältigung dieses produktionsorientierten Auftrags müssen die Schüler/ -innen die Ballade intensiv lesen. Wenngleich die Explizitheit der Bezüge zwischen den Sätzen den Text leicht zugänglich erscheinen lässt, unterstützt die typografische Bearbeitung des Textes die Herausarbeitung des Herrschaftsverhältnisses zwischen Mensch und Tier. In Vorbereitung auf die typografische Gestaltung des Textes sollte im Vorlesegespräch sowohl ein Austausch zu den vielen besitzanzeigenden 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 271 <?page no="272"?> Possesivpronomen als auch zu den herrschaftsdefinierenden Verben („ge‐ fangen“, „untergeben“) und Nomen („Knecht“, und „Herr“) stattfinden. Im Anschluss an das Vorlesegespräch zur Ballade erhalten die Lernenden eine Einführung in die Vielfalt typografischer Gestaltungsmöglichkeiten (Abb. 5.11). Diese können mithilfe des Smartboards und einfacher Textver‐ arbeitungsprogramme wie word oder pages zum Beispiel anhand der ersten Strophen besprochen werden. Abb. 5.12: Beispiel für typographische Gestaltung der erste Strophe aus „Der kleine Vogelfänger“ Durch die Arbeit mit dem Smartboard können die Lernenden die Änderun‐ gen der typografischen Gestalt unmittelbar nachvollziehen und über die Wirkung unterschiedlicher Schriftarten, Größen und Farben diskutieren. Ergänzend kann auch auf die typografische Anordnung der Verse und Strophen eingegangen werden, indem der Wort- und Zeilenabstand verän‐ dert, Absätze einfügt oder die Position des Textes variiert wird. Ist die technische Ausstattung zur typografischen Gestaltung der Bal‐ lade nicht gegeben, kann auch auf verschiedene Malutensilien z. B. Buntstifte, Tusche etc. zurückgegriffen werden. Anschließend kann die Lerngruppe je nach Klasse und technischer Ausstat‐ tung in unterschiedliche Sozialformen eingeteilt werden. Mindestens sollten jedoch zwei Kinder zusammenarbeiten, um sich sowohl zu den inhaltlichen als auch sprachlichen Besonderheiten des Textes sowie ihrer typografischen Überarbeitung austauschen zu können. Analog zum gestaltenden Gedichtvortrag oder der musikalischen Unter‐ malung eines Textes führt auch die typografische und visuelle Gestaltung 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 272 <?page no="273"?> zur Einschränkung der Mehrdeutigkeit eines Textes. Folglich gibt es insbe‐ sondere im Zusammenhang mit dem Einsatz von handlungs- und produk‐ tionsorientierten Methoden den Vorwurf, dass literarische Texte bei einer „Übermethodisierung“ (Kreft 2004: 131) nicht mehr für sich sprechen und das Entstehen von eigenen Vorstellungsbildern beim Leser bzw. bei der Le‐ serin eingeschränken). Inzwischen ist jedoch klar, dass Visualisierungen, egal in welcher Form, den Deutungsspielraum nicht zwingend einengen müssen, sondern gerade in der kreativen Textarbeit ein „wunderbares Spiel‐ feld mit unerschöpflichen Möglichkeiten“ bieten, dessen strenge Regeln je‐ doch „im Bedeutungsgehalt der lyrischen und der bildlichen Form festge‐ schrieben sind“ (ebd.: 38). Unabdingbar erscheint es folglich, die Lernenden dazu anzuleiten, die Schritte der Visualisierungen bewusst zu hinterfragen bzw. die Auswahl der Darstellungsformen von ihnen erläutern und begrün‐ den zu lassen. Im Rahmen eines binnendifferenzierenden Deutschunterrichts können sich einzelne Lerngruppen ergänzend mit der Inszenierung ihrer typogra‐ fisch und visuell aufgearbeiteten Ballade mithilfe von Präsentationspro‐ grammen wie powerpoint oder keynote auseinandersetzen. Durch das zeitversetzte Einfliegen, Einschweben oder Eindrehen von Textteilen aus unterschiedlichen Ecken der Folien kann die Dramatik der Ballade noch einmal verstärkt werden. Den Abschluss der analytisch-produktionsorientierten Textarbeit bildet die Präsentation der Texte, in der die Lernenden ihre Überlegungen ent‐ lang der typografischen Veränderungen und damit auch ihren Interpretati‐ onsprozess offenlegen. Als Ende der Reihe bietet es sich an, mit den Lernenden über das von Fallersleben angesprochene Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu dis‐ kutieren. 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 273 <?page no="274"?> Abb. 5.13: Ego vs. Eco (unbekannte Quelle) Hierzu kann das nebenstehende Bild als stummer Impuls eingeführt werden, auf dem sich ein ökologisches Weltbild, in dem alle Lebewesen gleicherma‐ ßen moralisch berücksichtigt werden, einem egoistischen Weltbild gegen‐ übersteht, bei dem der Mensch moralisch über allem steht. In der Diskussion sollten sowohl unterschiedliche Begründungen als auch die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier thematisiert werden. So begründet sich die Herrschaftsstellung des Menschen nicht nur im ersten Buch Moses: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht“, sondern auch mit der Sesshaf‐ tigkeit des Menschen, die vor ca. 11.000 Jahren dazu führt, dass Tiere do‐ mestiziert wurden. Inzwischen ist klar, dass die Domestizierung der Tiere zu weitgreifenden Veränderungen bei diesen führt. Durch die fehlende na‐ türliche Selektion in der Obhut des Menschen verändern sich ihre Organe, ihr Knochenbau, und ihr Sozialverhalten. Gefleckte Tiere, die in freier Wild‐ bahn sofort auffallen und von Raubtieren gefressen würden, leben nun wei‐ ter. Hunde müssen in der Obhut des Menschen nicht mehr so gut hören, sehen und riechen. Damit werden auch ihre Schädel kleiner. Über Tausende von Jahren hin gelingt es dem Menschen durch die Haltung der Tiere neue Arten - die Haustiere - zu schaffen. Etwa seit dem 19. Jahrhundert wächst die Einsicht, dass Tiere leiden kön‐ nen und man wendet sich zunehmend ab, von tierschädigenden Haltungen. Die bei Fallersleben beschriebene unangefochtene Machtposition: „Mensch oben, Tier unten“ beginnt zu verflachen. Dem Tier werden nun immer mehr 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 274 <?page no="275"?> Eigenschaften zugeschrieben, die auch der Mensch hat. Gleichzeitig gibt es weitere gesellschaftliche Veränderungen, die insbesondere in der Nach‐ kriegszeit ab Mitte des 20. Jahrhunderts dazu führen, dass sich Massentier‐ haltungssysteme wie Legebatterien für Hühner und Intensivhaltungen für Schweine entwickeln, um den wachsenden Fleischbedarf zu stillen. Der Blick auf diese Entwicklung und die unterschiedlichen Bereiche, in denen wir heute auf Tiere treffen, zeigt, dass wir inzwischen ein ambiva‐ lentes Verhältnis zu Tieren aufgebaut haben. Auf der einen Seite werden Tiere, die in Lebensgemeinschaften mit Menschen leben, als Wesen mit ei‐ gener Persönlichkeit und Gefühlen anerkannt. Sie erhalten einen Namen, gutes Essen, einen eigenen Schlafplatz und eine gute Gesundheitsvorsorge. Vereinzelt liest man zudem von Hundefriseuren, Tiermassagen, Tierbeklei‐ dungsgeschäften, Tierhotels und Tierfriedhöfen. Käfigvögel werden kaum noch nachgefragt. Viel eher geht es darum, den Haustieren möglichst viel Selbstbestimmung zu überlassen. Auf der anderen Seite werden Tiere in der Landwirtschaft und naturwissenschaftlichen Forschung in ihrer Bewegungs‐ freiheit eingeschränkt, die Brutpflege unterbrochen, der Tag-Nacht- Rhythmus gestört, Körperteile wie Schnäbel und Schwänze teilweise ohne Betäubung entfernt. Diese Nutztiere sind organischer Rohstoff. Jährlich werden in Deutschland etwa 58 Millionen Schweine und 750 Millionen Hühner getötet. weiterhin als bloße Ressourcen angesehen, wenngleich es auch hier zunehmend Initiativen gibt, um das Tierwohl zu erhöhen. 5.4.2 (Ohn-)macht gegenüber der Natur - „Die Brück’ am Tay“ von Theodor Fontane Juliane Dube Thema: Die Rückmeldungen auf Fontanes balladeske Behandlung des furchtbaren Eisenbahnunglücks bei Dundee am 28. Dezember 1879 sind unerwartet groß. An seine Freundin Mathilde von Rohr bezeichnet Fontane jenen Erfolg sogar als „eine Art Sensation“, und seine Ballade „Die Brück’ am Tay“ „vielleicht mehr als irgend was, was ich geschrieben habe“ (Fontane 1880). Für den jungen Fontane, der zuvor als Dramen- und Liedschreiber gescheitert war, bedeutet dieses Werk den Durch‐ bruch als Balladendichter. Mit dem anschließenden Eintritt in die Ber‐ liner literarische Vereinigung Tunnel über der Spree findet er fortan 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 275 <?page no="276"?> auch ein breiteres öffentliches Publikum (Kap. 2.2). Zu verdanken ist jener Erfolg vermutlich der Reaktualisierung der Gattung Ballade. Gibt Fontane doch zu, dass er zwar die klassischen numinosen Stoffe aus dem nordischen Raum für das Schreiben von Balladen favorisiert, während das Publikum nach jüngsten Geschehnissen verlangt (vgl. Fontane 1880: 203). In der Ballade „Die Brück’ am Tay“ gelingt es Fontane beide An‐ sprüche zu vereinen. Hierzu setzt er auf die Gestaltung einer naturma‐ gischen Rahmenhandlung mit Shakespeares Hexen aus Macbeth, welche das aktuelle Tagessgeschehen des Zugunglücks bei Dundee in die für Balladen häufig anzutreffende düstere Stimmung versetzen. Intension: Sowohl die Rahmenhandlung als auch die zeitlich-inhaltliche Rekonstruktion des Geschehens bereitet Schüler/ -innen jedoch immer wieder Schwierigkeiten. Insbesondere mit der gewachsenen Heterogenität in den Schulklassen der letzten Jahre gilt es, verschiedene Medien und Methoden differenziert einzusetzen, damit die Sicherung des Textverständnisses bei allen Schüler/ -innen gelingt. Eine von zahl‐ reichen Möglichkeiten zur Gestaltung eines inklusiven Unterrichts bie‐ tet die Bereitstellung von Übersetzungen der Originaltexte in Leichte Sprache. Unterricht im 7. und 8. Schuljahr: Im Unterrichtsvorschlag steht die textanalytische Arbeit mit Original und Übersetzung in Leichte Sprache im Mittelpunkt der inklusiven Kleingruppenarbeit, in der sich die Ler‐ nenden gemeinsam ein kohärentes Textverständnis erarbeiten sollen, bevor sie sich anschließend kritisch mit der sprachlichen Inszenierung beider Texte auseinandersetzen. Ausgewählte didaktische Analyse Die Vorlage zur Ballade „Die Brück’ am Tay“ lieferte der Einsturz der Tay-Rail-Bridge in Schottland. Mit dem Ziel, die Effektivität der Handels‐ wege zu erhöhen, war diese sieben Jahre lang unter enormem Aufwand er‐ baut wurden. Mit einer Länge von ca. 3,2 km ist die Brücke damals Weltre‐ kord. Sie wurde als technische Meisterleistung in ganz Großbritannien und als Erfolg des menschlichen Geistes gefeiert. Der Einsturz erfolgte knapp eineinhalb Jahre nach ihrer Eröffnung in der Nacht vom 28. auf den 29. De‐ zember 1879. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 276 <?page no="277"?> Der aus Süden kommende Postzug mit sechs Waggons befand sich zum Unglückszeitpunkt in der Mitte der Brücke. Augenzeugen aus dem Brücken‐ haus berichteten, dass der Zug wie ein Feuerstrahl von der Brücke ins Meer stürzte. 75 Menschen, die mit dem Zug auf dem Weg von Edinburgh über Wormit nach Dundee waren, kamen dabei ums Leben. Die Zahl der Unglücks‐ ursachen ist lang. So führte der eingesetzte Untersuchungsausschuss sowohl Konstruktionsfehler, die minderwertige Qualität der Eisenteile, ein den Er‐ fordernissen nicht standhaltender Untergrund, ein Übertreten der Höchstge‐ schwindigkeit sowie die zum Unglückszeitpunkt vorherrschenden Winde der Stärke 11 bis 12 an. Im Internet finden sich eine Reihe von Archiven, deren Original-Zeitungsartikel ausführlich vom Unfall berichten (u. a. Edinburgh Courant, 29 December von 1879) und zur Gestaltung eines (fächerübergrei‐ fenden) Unterrichts hinzugezogen werden können. Möchten Sie den Original-Zeitungsbericht mit in Ihren Unterricht ein‐ bauen, finden Sie diesen unter: „The Tay Bridge Disaster“. National Library of Schottland (https: / / digital.nls.uk/ scotlandspages/ timeline/ 18 79.html, 11.02.2019). Oder: „Tay Bridge Disaster: Report […]“ Railways Archive (http: / / www.railwaysarchive.co.uk/ docsummary.php? docID=1 07, 11.02.2019). Zudem hat die Größe des Unglücks auch andere Dichter, wie den schotti‐ schen Dichter William McGonagall tief bewegt. Seine Ballade „The Tay Bridge Disaster“ kann ebenfalls zur Gestaltung eines differenzierenden und fächerübergreifenden Deutschunterrichts eingesetzt werden. Ähnlich wie Fontane finden sich auch bei McGonagall naturmystische Elemente („De‐ mon of the air“) zur Erklärung des Unglücks: ’Twas about seven o’clock at night, And the wind it blew with all its might, And the rain came pouring down, And the dark clouds seem’d to frown, And the Demon of the air seem’d to say— “I’ll blow down the Bridge of Tay.” So ist es dann auch der personifizierte Nordwind Boreas, der verärgert einen schrecklichen Sturm entfacht und damit die Brücke zum Einsturz bringt. 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 277 <?page no="278"?> Anders als Fontane relativiert McGonagall in seiner letzten Strophe je‐ doch den Einfluss der Natur auf das Zugunglück, indem er auf die baulichen Mängel der Brücke hinweist. By telling the world fearlessly without the least dismay, That your central girders would not have given way, At least many sensible men do say, Had they been supported on each side with buttresses. (M C G O NA G AL L , William (2006). Collected Poems. Walker, Colin (Hrsg.). Edinburgh: Birlinn, 602) Der Bezug zum tatsächlichen Ereignis sollte jedoch nicht nur zur Kontex‐ tualisierung von Fontanes Ballade genutzt werden, sondern auch, um in die künstlerische Gesamtbewegung zwischen Tradition und Moderne am Ende des 19. Jahrhunderts und damit auch in die Veränderungen der Ballade ein‐ zuführen. Während die Ballade lange Zeit vor allem auf traditionell formal und sprachlich verpackte historische Begebenheiten oder Themen aus der nordischen Welt zurückgreift, in denen mal das Elegische mal das Heldische dominiert, erweitert Fontane durch die balladeske Bearbeitung eines aktu‐ ellen Ereignisses das als starr empfundene Korsett der Ballade. Durch die Einbindung des mythisch angehauchten Prologs und Epilogs durch den Auftritt der drei Naturgewalten Nordwind, Südwind und Ostwind in Gestalt der drei Hexen aus W. Shakespeares Tragödie Macbeth gelingt es ihm, Tra‐ dition und Moderne zu verbinden. Das kurz zuvor geschehene Zugunglück wird dadurch zu einem zufälligen Ereignis. Es wirkt damit „als in Wahrheit durchtriebener Plan dämonischer, personalisierter Naturmächte, die das Feuer, biblische Strafaktionen nachahmend vom Himmel fallen lassen“ (Kronauer 2014: 214). Die Brück’ am Tay 28. Dezember 1879 (Theodor Fontane) When shall we three meet again Macbeth „Wann treffen wir drei wieder zusamm’? “ „Um die siebente Stund', am Brückendamm.“ „Am Mittelpfeiler.“ „Ich lösche die Flamm’.“ „Ich mit.“ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 278 <?page no="279"?> „Ich komme vom Norden her.“ „Und ich von Süden.“ „Und ich vom Meer.“ „Hei, das gibt ein Ringelreihn, Und die Brücke muß in den Grund hinein.“ „Und der Zug, der in die Brücke tritt Um die siebente Stund’? “ „Ei der muß mit.“ „Muß mit.“ „Tand, Tand, Ist das Gebilde von Menschenhand.“ Auf der Norderseite, das Brückenhaus - Alle Fenster sehen nach Süden aus, Und die Brücknersleut’, ohne Rast und Ruh Und in Bangen sehen nach Süden zu, Sehen und warten, ob nicht ein Licht Übers Wasser hin „ich komme“ spricht, „Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug, Ich, der Edinburger Zug.“ Und der Brückner jetzt: „Ich seh einen Schein Am anderen Ufer. Das muß er sein. Nun Mutter, weg mit dem bangen Traum, Unser Johnie kommt und will seinen Baum, Und was noch am Baume von Lichtern ist, Zünd’ alles an wie zum heiligen Christ, Der will heuer zweimal mit uns sein, - Und in elf Minuten ist er herein.“ Und es war der Zug. Am Süderturm Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm, Und Johnie spricht: „Die Brücke noch! Aber was tut es, wir zwingen es doch. Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf, Die bleiben Sieger in solchem Kampf, Und wie’s auch rast und ringt und rennt, Wir kriegen es unter: das Element.“ 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 279 <?page no="280"?> „Und unser Stolz ist unsre Brück’; Ich lache, denk ich an früher zurück, An all den Jammer und all die Not Mit dem elend alten Schifferboot; Wie manche liebe Christfestnacht Hab ich im Fährhaus zugebracht, Und sah unsrer Fenster lichten Schein, Und zählte, und konnte nicht drüben sein.“ Auf der Norderseite, das Brückenhaus - Alle Fenster sehen nach Süden aus, Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh Und in Bangen sehen nach Süden zu; Denn wütender wurde der Winde Spiel, Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel’, Erglüht es in niederschießender Pracht Überm Wasser unten … Und wieder ist Nacht. „Wann treffen wir drei wieder zusamm’? “ „Um Mitternacht, am Bergeskamm.“ „Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.“ „Ich komme.“ „Ich mit.“ „Ich nenn euch die Zahl.“ „Und ich die Namen.“ „Und ich die Qual.“ „Hei! Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.“ „Tand, Tand, Ist das Gebilde von Menschenhand.“ (S E G E B R E C HT , Wulf (Hrsg.) (2012). Deutsche Balladen. München: Hanser, 349 ff.) Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ lesen sinnerfassend komplexere Texte bzw. Texte in Leichter Sprache, ▸ entnehmen Informationen und entwickeln ein allgemeines Verständnis des Textes, sodass sie in der Lage sind, Schlussfolgerungen zu ziehen. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 280 <?page no="281"?> ▸ reflektieren die inhaltlichen und sprachlichen Veränderungen sowie ▸ ihre Wirkung beim Vergleich des Originals und seiner Übersetzung in Leichte Sprache. Die Erfahrungen zum Einsatz jener Ballade in der Mittelstufe zeigen, dass sowohl die sprachliche als auch narratologische Ebene immer wieder Ver‐ ständnisschwierigkeiten bei den Schüler/ -innen hervorruft. So gibt es im Text eine Reihe von Wörtern, die vielen Lernenden heute so nicht mehr geläufig sind. Schwierigkeiten bereiten z. B. Wörter wie Ringelreihn (Z. 9), Tand (Z. 15), Brücknersleut’ (Z. 19), Bangen (Z. 20) usw. Für das Verstehen und die Wertung der Ballade sind dies jedoch zentrale Begrifflichkeiten. So drückt sich im Ringelreihn die Freude der Hexen über das vollbrachte Un‐ glück aus oder in Tand die Geringschätzung für die menschliche Baukunst. Darüber hinaus erschwert vor allem die fehlende oder versteckte Spre‐ cherzuweisung den Aufbau des Textverständnisses. Besonders markant ist dies in der ersten Strophe, in der nur die Leserin bzw. der Leser mit Wissen um die Zeilen aus Macbeth: „When shall we meet again“ erschließen kann, dass hier drei Hexen zusammentreffen. In den anderen Strophen, z. B. in der zweiten, ist der Sprecherwechsel zum Zug darüber hinaus weder explizit noch implizit markiert. Und die Brücknersleut’, ohne Rast und Ruh Und in Bangen sehen nach Süden zu, Sehen und warten, ob nicht ein Licht Übers Wasser hin „ich komme“ spricht, „Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug, Ich, der Edinburger Zug.“ Während jene Texterschließungsprozesse für einen Teil der Schüler/ -innen einen besonderen Reiz bieten, sind Lernende mit sonderpädagogischem För‐ derbedarf auch nach intensiver Textarbeit aufgrund ihres unzureichenden Textverständnisses von anschließenden Gruppenprozessen häufig ausge‐ schlossen. Mit dem Ziel einen Literaturunterricht zu gestalten, an dem alle Heranwachsenden teilnehmen können und der jedem Lernenden entspre‐ chend seiner nächsten `Zone der nächsten Entwicklung´ Anreize bietet, fin‐ den Sie im digitalen Anhang des Bandes eine Balladenversion in Leichter Sprache ( Unterrichtshilfe „Balladen in Leichter Sprache ‚Die Brück’ am Tay‘“). 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 281 <?page no="282"?> Analog zur Gebärden- und Blindensprache gilt sie als eine weitere Sprach‐ varietät des Deutschen, deren primäres Ziel es ist, die Be-Hinderungen bei der Teilnahme am gesellschaftlichen, politischen aber auch kulturellen Leben von Menschen mit einer kognitiven oder sensorischen Beeinträchti‐ gung (d. h. geistiger Behinderung oder Wahrnehmungseinschränkung) ab‐ zubauen. Neben ihrer systematischen Veränderung des in standard- und fachsprachlichen Texten verwendeten Satzbaus und Wortschatzes werden Texthürden vor allem durch eine besondere visuelle Gestaltung abgebaut (vgl. Maaß 2015) (vgl. Unterrichtshilfe „Checkliste Leichte Sprache“). Ver‐ stärkt durch die Inklusionsdebatte und das gewachsene Interesse, das Po‐ tenzial von Literatur für alle Lernenden offenzulegen (vgl. Hering/ Reiske 2013), in dem Texte so umgeschrieben bzw. vereinfacht werden, dass Zu‐ gänge für alle geschaffen werden, gibt es auch in der Deutschdidaktik eine intensive Diskussion. Mit Neuerungen und Veränderungen geht stets eine intensive Debatte einher, die jedoch in Bezug auf Leichte Sprache statt auf wissenschaftlichen Ergebnissen vielerorts auf Vermutungen, Einschätzungen und fehlender bil‐ dungsbürgerlicher Sensibilität für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten von Menschen mit kognitiven und sensorischen Beeinträchtigungen basiert. Die aktuellen Kontroversen und die Herausforderungen, die sich beim Überset‐ zen von literarischen Texten in Leichte Sprache ohne Frage ebenso ergeben wie beim Übersetzen von literarischen Texten (Kap. 4.12) in eine andere Sprache, können hier nicht nachgezeichnet werden. Verwiesen sei an dieser Stelle daher auf den Aufsatz von Dube und Priebe (2020), welcher die Her‐ ausforderungen, die beim Übersetzen von Balladen in Leichte Sprache ent‐ stehen, ausführlich bespricht. In diesem argumentieren Dube und Priebe, dass sich viele lyrische Texte aufgrund ihrer hohen poetischen Dichte zwar nicht für die Übersetzung in Leichte Sprache eignen, dies für Versdichtungen mit erzählendem Grund‐ charakter aber nicht unbedingt gilt. Zunächst genießt der/ die Leser/ -in in Balladen die Berichte von „dramatischen Vorfällen, von Liebesglück und Lebensleid, Heldentum und Misere, Schuld und Sühne, Mord und Totschlag“ (Segebrecht 2012: XX). Nur dem erfahrenen Leser/ der erfahrenen Leserin erschließt sich über die sprachliche und stilistische Ausgestaltung ein zu‐ sätzliches ästhetisches (Lese-)Erlebnis. So erinnert sich vermutlich ein jeder eindrücklich an die durch eine Vielzahl unheimlicher Beschreibungen er‐ zeugte beklommene Stimmung in der Ballade „Der Knabe im Moor“ und nicht an das Reimschema a-b-a-b-c-c-a-b. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 282 <?page no="283"?> Die ungewöhnlichen konflikthaften bis ins Dramatische hinein gestalte‐ ten Begebenheiten und Ereignisse, die in konzisen Szenen beschrieben wer‐ den, können jedoch häufig nicht von allen Schüler/ -innen erfasst werden. Damit gelingt es ihnen nicht, die für diese Gattung so zentrale Erzähl‐ funktion zu fassen. Schlussfolgernd kann weder die dramatische noch lyri‐ sche Gestalt der Ballade erschlossen werden. Ziel der Übersetzungen von Balladen in Leichte Sprache ist es folglich, auch jenen Schüler/ -innen einen Zugang zum zentralen Moment dieser Gattung zu schaffen, die sonst von der Lektüre und den anschließenden Gesprächen ausgeschlossen wären („Brückenfunktion“; Maaß 2015: 7). Sie bilden folglich die Grundlage für Lernsituationen, in denen sowohl das inhaltliche (vgl. Feuser 1995) als auch das soziale Lernen (vgl. Wocken 1998) im gemeinsamen Unterricht im Vor‐ dergrund steht. Damit kann ein Unterricht gestaltet werden, in dem „alle Kinder in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsni‐ veau nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Hand‐ lungskompetenzen in Orientierung auf die ‚nächste Zone der Entwicklung‘ an und mit einem ‚Gemeinsamen Gegenstand‘ spielen, lernen und arbeiten“ (Feuser 1995: 168). Kann wie im vorliegenden Fall auf eine fundierte Übersetzung des litera‐ rischen Textes in Leichter Sprache zurückgegriffen werden (vgl. Unter‐ richtshilfe „Balladen in Leichter Sprache ‚Die Brück’ am Tay‘“), ist im einem nächsten Schritt zu überlegen, wie die unterschiedlichen Textfassungen in der Klasse präsentiert werden. Das heißt, werden beide Texte der Idee von Inklusion folgend, allen Lernenden zur Verfügung gestellt oder separate Ar‐ beitsgruppen gebildet. Um einerseits allen Lernenden einen ersten Zugang zum Original zu ermöglichen und andererseits zu verhindern, dass Lernende durch die Zuweisung zur Ballade in Leichter Sprache negativ herausgehoben werden (vgl. Zurstrassen 2017), wird an dieser Stelle die Umsetzung des Universal Design for Learning (UDL) favorisiert. Dieses Konzept einer inklusiven Unterrichtsgestaltung ist vor allem im Bostoner Center for Ap‐ plied Special Technology (CAST) konzeptionell differenziert worden (vgl. Meyer/ Rose/ Gordon 2014: 51) und basiert auf der Idee, die spezifischen An‐ passungen für Schüler/ -innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf allen Lernenden anzubieten. Folglich kommen in Lernumgebungen des UDL nicht nur unterschiedliche Textvarianten und Informationsdarstellungen zum Einsatz, sondern auch z. B. Übersetzungen und assistive Lesehilfen. Ziel von UDL-Designs ist es, ein möglichst hohes Maß an kooperativen Unterrichts‐ situationen zu gestalten. 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 283 <?page no="284"?> Für die Erschließung der Ballade sollen die Lernenden in den nächsten Stunden in kooperativen Kleingruppen zusammenarbeiten. Als kooperative Unterrichtssituation bezeichnet Hans Wocken eine Lernsituation, in der „Aufgaben und Ziele aufeinander bezogen [sind], die Tätigkeiten und Ar‐ beitsprozesse koordiniert und wechselseitig abgestimmt [sind], es einen Fundus an gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnissen [gibt]“ (Wocken 1998: 23). Die Bedingungen für eine kooperative Unterrichtssituation sind im vorliegenden Fall erfüllt, wenn … ▸ alle Schüler/ -innen dazu in der Lage sind, substantielle Aussagen über ▸ den Text zu treffen; ▸ die Beiträge mehrerer Schüler/ -innen zu Erstellung des Endproduktes ▸ beitragen; ▸ von verschiedenen Schüler/ -innen unterschiedliche Aspekte des Tex‐ ▸ tes genannt werden; ▸ die Schüler/ -innen inhaltlich aufeinander Bezug nehmen. ▸ Nach einer ersten Präsentation der Ballade durch den Vortrag der Lehrper‐ son oder eine Hörfassung wählen die Schüler/ -innen einen der bereitge‐ stellten Texte für kooperative Kleingruppenarbeit aus (max. 4 Personen). Im Anschluss an die erneute Lektüre des Originals bzw. der Übersetzung in Leichte Sprache sollen sich die Gruppen gemeinsam um ein kohärentes Textverständnis bemühen. Hierzu bieten sich folgende Aufgaben an, die zu‐ sätzlich ebenfalls in Leichter-Sprache formuliert sein sollten (vgl. Unter‐ richtshilfe „Checkliste Leichte Sprache“): ▸ Was ist passiert? Notiert in einer Tabelle, was ihr über das Zugunglück ▸ erfahrt (Wer? Wann? Was? Wo? Wie? Warum? …) ▸ Fertigt eine Skizze zum Unfallgeschehen an. ▸▸ Fasst das Geschehen der Ballade zusammen. Schreibt hierzu einen ▸ kurzen Text. Denkbar sind jedoch auch Aufgaben zu sprachlichen Besonderheiten wie dem fehlenden oder versteckten Sprechwechseln sowie zu den unterschied‐ lichen Perspektiven des Erzählens auf die Fontane in den fünf Mittelstro‐ phen zurückgreift, wenn er von Norderseite, Süderturm und wieder der Norderseite berichtet, von wo aus die Katastrophe beobachtet wird. z. B.: ▸ Wer spricht in der ersten und der letzten Strophe? Stellt Vermutungen ▸ an. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 284 <?page no="285"?> ▸ Wer berichtet vom Geschehen? Notiert neben dem Text bzw. unter‐ ▸ streicht die Sprecher mit unterschiedlichen Farben. Insbesondere in diesem Aufgabenteil können sich die Schüler/ -innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Gruppenarbeit einbringen, da die sprachlichen Schwierigkeiten, z. B. durch die explizite Markierung der wört‐ lichen Rede, größtenteils getilgt wurden. In einer anschließenden gemein‐ samen Sicherungsphase können einzelne Ergebnisse vorgestellt und unter Anleitung der Lehrperson besprochen werden. Zur Vertiefung des Textverständnisses bietet es sich an, in einem nächsten Schritt die sprachliche und inhaltliche Gestaltung beider Fassungen noch einmal explizit in den inklusiven Gruppen zu kontrastieren und gemeinsam kritisch zu reflektieren: ▸ Unterstreicht im Leichte Sprache-Text diejenigen Stellen farbig, die ▸ ihr als nicht gelungen erachtet. Formuliert Alternativen. ▸ Lest die ersten Strophen des Originals und der Übersetzung laut vor. ▸ Tauscht euch anschließend dazu aus, welche der beiden Fassungen euch eher anspricht. Anschließend werden die Ergebnisse im Plenum vorgestellt und diskutiert. Hierbei zeigt sich, dass inhaltliche Leerstellen oder sprachliche Nuancen zur Beschreibung der inneren Verfasstheit der Figuren des Originals in der Übersetzung getilgt wurden. Auch konnten - wie häufig in Übersetzungen - die Reim- und Rhythmusstruktur des Originals nicht übernommen wer‐ den. Die Ästhetik der Ballade ist damit in der Übersetzung zwangsläufig stark reduziert. Dies führt im Wesentlichen dazu, dass das Original für wei‐ tere Aufgaben, z. B. für den Balladenvortrag (Kap. 4.10), von allen Lernenden favorisiert wird. Durch die Gegenüberstellung beider Fassungen werden, wie die empirische Unterrichtsstudie von Dube und Priebe (2020) zeigt, folglich nicht nur noch offene Fragen und Missverständnisse geklärt, son‐ dern auch ein Bewusstsein für die Bedeutung von Sprache und Form bei allen Lernenden geschaffen. In der letzten Stunde der Unterrichtseihe bietet es sich an, Fragen zur Wertung der Ballade in Bezug auf den dargestellten Urkampf der Elemente gegen das Menschenwerk in inklusiven Kleingruppen zu diskutieren, z. B.: ▸ Welche Bedeutung haben Anfang und Ende der Ballade? ▸▸ Vergleiche Fontanes Ballade mit den Berichten über das tatsächliche ▸ Zugunglück. Was ist Realität und was Fiktion? 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 285 <?page no="286"?> 5.4.3 Gewalt und Religion - „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer Carolin Führer Thema: Das dramatische Handlungsgedicht Conrad Ferdinand Meyers ist hochaktuell, denn es geht neben der vordergründigen Frage nach Rache u. a. auch um das Gast- und Anderssein in der Fremde. Die Ballade aus dem Jahre 1882 bietet die Möglichkeit, derzeitige Diskussionen um Zusammenleben und -halt in einer pluralen Gesellschaft aus einer fer‐ nen, jedoch das Zeitgeschehen durchleuchtenden Position zu initiieren. Intension: Die Erschließung der Graphic Novel zu „Die Füße im Feuer“ kann zur Vertiefung formal-inhaltlicher Analysekompetenzen im Um‐ gang mit Literatur und deren Transformation in Text und Bild genutzt werden. Unterricht im 9. und 10. Schuljahr: Für den folgenden Unterrichts‐ vorschlag sollten die Schüler/ -innen bereits mit Grundlagen der Erzähl‐ gestaltung vertraut sein. Die Schüler/ -innen müssen sich zunächst in sog. Lesegesprächen mit der anspruchsvollen Sprache Meyers und der ästhetisch eigenständigen grafischen Umsetzung Thieles in Partnerarbeit auseinandersetzen, die dann durch kooperative Arbeitsaufträge und ein anschließendes (lehrer-)geleitetes Plenum vertieft werden. Die Arbeitsaufträge werden hierbei unter folgenden analytischen Schwer‐ punkten ausgewertet: a) Kommunikationsgeflecht reflektieren; b) Bild‐ lichkeit und Naturdarstellung analysieren; c) innere und äußere Hand‐ lungsstruktur rekonstruieren; d) Rezeptionslenkung in Bild und Text untersuchen. Ausgewählte didaktische Analyse In thematischer Hinsicht geht es in der Ballade um Folter, Rache und Glaube; dies scheint zunächst eine rein historische Problemstellung zu sein. Moder‐ ner Terrorismus und der damit verbundene Glaubenskrieg können sicher nicht vereinfacht enggeführt werden, zeigen jedoch, dass scheinbar alltags‐ fremde historische Fragen durchaus ins Zeitgeschehen hineinstrahlen. Die 1882 von Meyer veröffentlichte Ballade ist in ihrer inhaltlichen Dichte kaum zu übertreffen - eine Nacherzählung ist dem Umfang der Ballade zu‐ 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 286 <?page no="287"?> meist ähnlich. Ein Kurier des Königs verlangt während eines Unwetters Un‐ terkunft, nach der Aufnahme erkennt er sukzessive, dass er die Frau des Hausherrn vor Jahren im Krieg zu Tode gefoltert hatte. Aus Angst vor der Rache des Hausherrn, verriegelt er sein Zimmer und träumt vom eigenen Verbrennen. Der Hausherr identifiziert den Gast zwar, geleitet ihn dennoch am nächsten Morgen unversehrt seiner Wege und verweist stattdessen auf die Rache Gottes. Die Ballade gilt damit als Paradebeispiel realistischer Poe‐ tik: Das rein Erlebnishafte, die subjektive Erfahrung, wird zunächst aus‐ führlich erzählt, der sich dem Edelmann eröffnende Gewissenskonflikt bleibt jedoch der Imagination des/ der Leser/ -in überlassen. Die damit ver‐ bundene Reflexion über menschliche und religiöse Werte verweist auf die Ideenballaden der Klassik, die symbolische Objektivierung (u. a. die Natur‐ darstellung) subjektiver Erfahrungen deutet bereits des Symbolismus des 20. Jahrhunderts an (vgl. Kellner 2017: 38). Die Füße im Feuer (Conrad Ferdinand Meyer) Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß, Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest. Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann … - „Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock! “ - „Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert’s mich? Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier! “ Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal, Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt, Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib, Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild … Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd Und starrt in den lebend’gen Brand. Er brütet, gafft … Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal … Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft. 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 287 <?page no="288"?> Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt … Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. - „Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal! Drei Jahre sind’s … Auf einer Hugenottenjagd … Ein fein, halsstarrig Weib … „Wo steckt der Junker? Sprich! “ Sie schweigt. „Bekenn! “ Sie schweigt. „Gib ihn heraus! “ Sie schweigt Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf … Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie Tief mitten in die Glut. „Gib ihn heraus! “ … Sie schweigt … Sie windet sich … Sahst du das Wappen nicht am Tor? Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr? Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.“ Eintritt der Edelmann. „Du träumst! Zu Tische, Gast …“ Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet. Ihn starren sie mit aufgerißnen Augen an - Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk, Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt! Müd bin ich wie ein Hund! “ Ein Diener leuchtet ihm, Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr … Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach. Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert. Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt. Die Treppe kracht … Dröhnt hier ein Tritt? … Schleicht dort ein Schritt? … Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht. Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut. Er träumt. „Gesteh! “ Sie schweigt. „Gib ihn heraus! “ Sie schweigt. Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut. Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt … - „Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt! “ Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt, Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr - ergraut, Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar. Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut. Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 288 <?page no="289"?> Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch. Friedsel’ge Wolken schwimmen durch die klare Luft, Als kehrten Engel heim von einer nächt’gen Wacht. Die dunkeln Schollen atmen kräft’gen Erdgeruch. Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn! “ Der andre spricht: „Du sagst’s! Dem größten König eigen! Heute ward Sein Dienst mir schwer. Gemordet hast du teuflisch mir Mein Weib! Und lebst! … Mein ist die Rache, redet Gott.“ (M E Y E R , Conrad Ferdinand (2013). Die Füße im Feuer. Illustrationen: Jens Thiele. Berlin: Jacoby & Stuart.) Die Ballade wurde von Reich-Ranicki in Der Kanon aufgenommen: sie bringt durch eine anspruchsvolle Erzählweise inhaltliche Ambivalenzen besonders stark zur Geltung und ist gekennzeichnet durch Interdependenzen zwischen (Natur-)Darstellung und inhaltlicher Spannung. Die Kommunikationsstruktur ermöglicht ein tieferes Verständnis der Bal‐ lade: Nur in der Anfangs- und der Schlussszene finden tatsächlich Dialoge zwischen den Protagonisten statt, in denen der Gast sein Handeln aus sei‐ nem Status als Diener des Königs begründet. Demgegenüber stehen die Wertvorstellungen des Gastgebers, die ohne Ansicht der Person bzw. gerade dem vom Gegenüber herausgestellten Status gelten. Eingangs ist es der Wert der Gastfreundschaft, am Ende der Wert eines durchlebten Glaubens; kom‐ munikativ äußert sich dies, indem der antwortende Gastgeber Kommentare bzw. Wertungen zu den Aussagen bzw. Fragen des Dialogpartners vornimmt. Die beiden Dialoge haben rahmende Funktion, wobei hier die besondere Rolle des Schlossherrn als eigentlichem (jedoch kaum erzählten) Hand‐ lungsträger deutlich wird. Auch andere kurze Einschübe des Gastgebers „Du träumst! Zu Tische“, und „Erwach! Es tagt! “ treiben die Handlung voran und symbolisieren die Autorität des Schlossherrn, die demnach eine kommuni‐ kative als auch moralische ist (Kellner 2017: 37). Die Glaubwürdigkeit des Kuriers hingegen wird im Rahmen der Kommunikationsstruktur in Frage gestellt, auch wenn dessen Erlebnisperspektive den Text bestimmt. So heißt es im Erzählerkommentar zu den Angstvorstellungen des Boten: „Ihn täuscht das Ohr! “. Der eigentliche dramatische Konflikt des Edelmannes 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 289 <?page no="290"?> wird nur angedeutet in seinem nächtlichen Ergrauen und muss in der Kon‐ struktion des/ der Leser/ -in entfaltet werden. Diese „Kunst des Indirekten“ (Laufhütte 2002: 320) ist in besonderer Weise auch in der Naturdarstellung hinterlegt, indem diese zunächst im Gegensatz zu den naturmagischen Bal‐ laden nicht als Spiegel, sondern in Differenz zum Seelenleben des Protago‐ nisten gestaltet zu sein scheint. So steht der Turm im „fahlen Licht“, als der Diener eine Herberge beansprucht, und während er am Schluss noch die Rache des Schlossherrn erwartet, zwitschern schon die „frühsten Vöglein“ und es herrscht „klare Luft“. Identifiziert man jedoch den Edelmann als ei‐ gentlichen Helden, so korrelliert die Darstellung am Schluß mit dem Prot‐ agonisten-Innenleben: im Gewissenkampf der „nächt’ge[n] Wacht“ steht am klaren Morgen das geläuterte Selbst. In dieser Lesart ist auch der Anfang logisch, der Blitz deutet den Konflikt an, das schimmernde Gitterfenster steht für die bedingungslose Hilfsbereitschaft des Schlossherrn. „Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad“ - ein Indiz für den inneren Kampf des Schlossherrn und seinen Wunsch nach Rache, der jedoch nicht obsiegt: „Friedsel’ge Wolken schwimmen durch die klare Luft“. Diese Bildlichkeit verweist den Leser/ die Leserin darauf, dass die Ballade durch eine innere und äußere Handlung strukturiert wird. Auf der Ebene der äußeren Hand‐ lung wird die aufsteigende Erkenntnis und Erinnerung des Gastes detail‐ reich entfaltet, während auf der Reflexionsebene bei ihm keinerlei morali‐ sche Entwicklung stattzufinden scheint. Seine Ängste werden in Erlebnisperspektive ausführlich entfaltet, während seine Schuld zu keinem Zeit‐ punkt in sein Bewusstsein gelangt, vielmehr scheint ihm sein Status bis zum Ende maßgeblich zu sein. Demgegenüber steht die umfassende Charakter‐ entwicklung vom Schlossherrn, dessen damit verbundener innerer Kampf auf der Textoberfläche jedoch nicht verhandelt wird. Er nimmt die göttliche Rache nicht vorweg, sondern verzichtet aufgrund seines damit verbundenen Glaubens an den „größten König“. Die Existenzialität dieses Glaubens‐ kampfs wird in der Ballade in der Darstellung dadurch noch zugespitzt, dass die Frau getötet wurde, weil sie den Aufenthaltsort ihres Mannes nicht ver‐ raten wollte. Auch wenn die damit verbundenen Konflikte und die Recht‐ fertigung einer Rache durch den Schlossherrn in der Ballade nicht ausge‐ staltet werden, bietet diese Andeutung für den Leser bzw. die Leserin Möglichkeiten einer Wertreflexion ohne deren explizite Verhandlung - eine besonders kunstvolle Form der Ideenballade. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 290 <?page no="291"?> Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ erarbeiten sich interaktiv im Gespräch Bilder und Texte der Graphic ▸ Novel Die Füße im Feuer; ▸ erschließen sich über die narrativen Besonderheiten die Symbolkraft ▸ und Komposition der Ballade; ▸ reflektieren die Kommunikation der Dialogpartner in der Ballade; ▸▸ analysieren die Naturdarstellung; ▸▸ rekonstruieren die Rezeptionslenkung in der Ballade im Vergleich zur ▸ Text-Bild-Adaption Jens Thieles; ▸ unterstützen sich gegenseitig anhand von gemeinsam erarbeiteten ▸ Feedback-Kriterien in der Reflexion ihrer Präsentation. Jens Thieles grafische Adaption des literarischen Werkes stellt eine eigen‐ ständige Auseinandersetzung damit dar, die bereits eine Deutung des Bal‐ ladengeschehens enthält. Die Collagetechnik Thieles liegt sicherlich jenseits der ästhetischen Alltagserfahrungen der Schüler/ -innen, gerade deshalb bie‐ tet sie aber (zusätzliche) Gesprächsanlässe und die Möglichkeit, die kompo‐ sitorische Raffinesse der Ballade zu erkennen. Für die Einstiegsphase wären daher zwei Möglichkeiten denkbar: Einerseits könnte über ein Bilder-Kino (meint z. B. das Aufblenden der gesamten Bilderzählung ohne Text über den Beamer) im Plenum ein Gespräch über den möglichen Inhalt der Ballade initiiert werden oder als Variante, nach einem ersten Durchgang zu jedem Bild, mögliche Gedankenblasen von Schüler/ -innen formuliert werden, die beim nächsten Bild die Handlungselemente der vorherigen Schüler/ -innen aufnehmen müssen. Dies fördert nicht nur die bewusste Auseinanderset‐ zung mit den Bildern, sondern es verhilft auch zu einem Antizipieren der Handlungslogik, dem Einfühlen in die Atmosphäre und die (anschließende) Wahrnehmung der Differenz der Bilder zum Balladentext. Denkbar wäre aber auch eine Positionierung von einzelnen Bildern an zusammengestellten Tischen, zu denen Schreibgespräche initiiert werden. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass nur Bilder präsentiert werden, die die beiden Welt‐ sichten im Text spiegeln können: z. B. die Szenen „Er auf das Lager“, „Er‐ wach! “, „Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln“ u.ä. Für die intensive Text(-Bild)-Erschließung bietet sich ein Lesegespräch in Kleingruppen an. Um die Lernenden für eine bewusste Bildwahrnehmung zu sensibilisieren, können die Schüler/ -innen durch ein Beispiel (z. B. durch 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 291 <?page no="292"?> lautes Denken) im Vorfeld dazu animiert werden, zu Bildern zu „erzählen“ (meint: keine Bildbeschreibung, sondern eine Geschichte zum Bild entwi‐ ckeln) und über deren Bezug zum Text sowie ihre Gefühle und Gedanken dazu zu reflektieren. In Kleingruppen (zwei bis drei Lernende) wird der Text abwechselnd vorgelesen und die Bilder werden interaktiv betrachtet. Der/ die jeweilige Vorleser/ -in hält dabei immer wieder inne, damit die Grup‐ penmitglieder Eindrücke und Kommentare zum Gelesenen und Gesehenen austauschen, Verständnisfragen klären und Lesearten gemeinsam entwi‐ ckeln können (vgl. Unterrichtshilfe „Graphic Novels ko-konstruktiv er‐ schließen“). In einzelnen Gruppenkonstellationen kann es sinnvoll sein, Bild- und Text-Experten zu bestimmen. Im Anschluss sollten die Lektüreer‐ fahrungen der Jugendlichen in einem Zwischenschritt auf der Basis von Notizen mit Beobachtungen/ Diagnosen aus den Kleingruppen-Lesegesprä‐ chen ausgewertet werden. Dabei können folgende Aspekte die vorherigen Beobachtungen bestimmen: ▸ Welche Text-/ Bildstellen werden von den Schüler/ -innen unterschied‐ ▸ lich gedeutet? ▸ Welche Figuren, welches Verhalten oder welche Bilder besitzen hohes ▸ Irritationspotenzial? ▸ Welche globalen Text-Bild-Zusammenhänge sind zu sichern? ▸ Als Lehrkraft kann man während der Lesegespräche einzelnen Gruppen auch flankierend Impulse geben, um 1. das globale Verstehen zu ermöglichen (Welchen inneren Kampf führt 1. der Edelmann? Wovor fürchtet sich der Gast? Worin besteht die Quintessenz in der Aussage des Schlossherrn? u. ä.) oder 2. für Differenzen und Offenheiten zwischen Bild und Text zu sensibili‐ 2. sieren (Warum ragt ein Frauenkopf aus dem Rahmen? Was erfahren wir im Text dazu? ) Um diese ersten Rezeptionseindrücke zu vertiefen, bearbeiten die Schü‐ ler/ -innen in Kleingruppen arbeitsteilig unterschiedliche Aufträge, die von ihnen frei gewählt und (zeitlich) selbstreguliert gelöst werden. Es empfiehlt sich, die Bearbeitung im Anschluss an das erste Vorlesegespräch zu legen, um eine Involvierung der Schüler/ -innen bei der Erstlektüre des Mediums zu gewährleisten. Die Schüler/ -innen organisieren sich in Kleingruppen, um: 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 292 <?page no="293"?> a. das Kommunikationsgeflecht zu reflektieren a. b. die Naturdarstellung zu analysieren b. c. die innere und äußere Handlungsstruktur zu rekonstruieren c. d. die ästhetische Gestaltung der Graphic Novel nachzuvollziehen, in‐ d. dem sie Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Erzähl- und Bildebenen herstellen/ beschreiben. Die zuletzt genannten Aufgabenfelder können u. a. mit folgenden Frageimpulsen initiiert werden: a. Kategorisieren Sie die Redeanteile sowie - in chronologischer Rei‐ a. henfolge - die Gesprächsarten von Schlossherrn und des Protagonis‐ ten. Welche Funktionen übernehmen diese Gesprächsbeiträge? Und wie sind sie hinsichtlich der Beziehung der Gesprächspartner und der Handlung einzuschätzen? b. Überprüfen Sie, inwieweit die Naturdarstellung als Spiegel zum b. Seelenleben des Protagonisten gestaltet ist! c. Beschreiben Sie die innere und äußere Dramaturgie der Handlung und c. deren Verbindung/ Zusammenhang auf der Textoberfläche! d. An welchen Stellen erweitern oder verändern die Bilder das Verständ‐ d. nis des Textes? In der abschließenden Auswertungsphase präsentieren die Schüler/ -innen ihre Gruppenergebnisse dem Plenum, so dass auf dieser Grundlage eine vertiefte Anschlusskommunikation geführt werden kann, die die verschie‐ denen Ebenen des komplexen Werkes erneut berührt. Die Auswertung sollte mit der Präsentation der Gruppenergebnisse zur inneren und äußeren Hand‐ lungsstruktur begonnen werden. Anschließend sollte die Auswertung der Kommunikationsstrukturen und der Naturdarstellung vorgenommen wer‐ den, um schlussendlich die bildlichen Adaptionsversuche in den Blick zu nehmen - so ist ein gemeinsames Voranschreiten vom inhaltlichen zum in‐ termedialen Verstehen gewährleistet. Als Abschluss können dann medien‐ ästhetische (a, anspruchsvoller) oder inhaltliche Ausblicke (b) gewagt wer‐ den: a) Die Kamera, die die Graphic Novel rahmt, lässt kann als Ausgangspunkt der Reflexion des „möglichen Filmcharakters“ (Genredis‐ kussion, Perspektive der Kamera) von Thieles Adaption dienen. b) Wie hät‐ test du an der Stelle des Gastgebers gehandelt? 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 293 <?page no="294"?> 5.4.4 Nationalsozialismus und Folgen - „Und es war ein Tag“ von Nora Gomringer Carolin Führer Thema: Die Ballade „Und es war ein Tag“ von Nora Gomringer ermög‐ licht eine Neuperspektivierung nationalsozialistischer Gewaltverbre‐ chen. Inhaltlich konzentriert sich die Ballade auf ein literarisch bisher selten ausgestaltetes Thema: die Umstände von Deportationen in die Konzentrationslager. Dabei ergibt sich im Text Gomringers eine Span‐ nung aus strenger Form, intertextueller Ästhetik und sinnlich-emotio‐ nalisierender Darstellung. Intension: Die historische Thematik soll nicht nur zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung werden, vielmehr wird ihre ästhetische Aus‐ gestaltung als Möglichkeit der emotionalen und sprachbewussten An‐ näherung an den Holocaust konzipiert. Unterricht in der Klassenstufe 9 und 10: Es werden Wirkungsweisen der Ballade im Vergleich von Sprechgestaltungen und anderen themen‐ ähnlichen literarischen Texten untersucht. Ausgewählte didaktische Analyse Nora Gomringers Eltern sind die Germanistin Nortrud Gomringer und der Schweizer Dichter Eugen Gomringer. Eugen Gomringer gilt als „Vater der konkreten Poesie“: In seinen Gedichten arbeitet er mit einer minimalen An‐ zahl von Wörtern, die, in signifikanter Weise grafisch angeordnet, die Le‐ ser/ -innen dazu bringen, Semantik und Anordnung spielerisch miteinander zu verbinden. Auch in der Ballade Gomringers ist diese Konzeption sichtbar, weshalb ich kurz darauf eingehe. Rein visuell vermittelt Gomringers Ballade „Und es war ein Tag“ den Eindruck von Gleichmäßigkeit und Wiederholung. Dieser Anschein wird während der Lektüre verstärkt: Wortgruppen wie‐ derholen sich, nur einzelne Worte werden ausgetauscht; eine Technik, die auch typisch für Eugen Gomringers Arbeiten ist, er spricht in diesem Zu‐ sammenhang von der Technik der Konstellation. Das Gedicht ist in E. Gom‐ ringers Konzeption „Spielanleitung“ bzw. „Gebrauchsgegenstand“, das Wort nicht mehr nur Bedeutungsträger, sondern materiales Gestaltungselement. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 294 <?page no="295"?> 3 Hörtext. 2: 01 Min. https: / / www.vorleser.net/ gomringer_und_es_war_ein_tag/ hoerbuc h.html (11.02.2019). Ein Beispiel, dass in anderen inhaltlichen Zusammenhängen öffentlich Aufsehen erregte (vgl. Unterrichtsvorschlag Magirius 2019), ist das Gedicht „avenidas“ von Eugen Gomringer: avenidas y flores alleen flores alleen und blumen flores y mujeres blumen avenidas blumen und frauen avenidas y mujeres alleen avenidas y flores y mujeres y alleen und frauen un admirador alleen und blumen und frauen und ein bewunderer (aus: Gomringer, Eugen (1965): Das stundenbuch. München: Max Hueber.) Die Erschließung der o. g. Konstellation muss sich an die Zusammenstellung der Wörter, an Gleichklänge oder Kontraste, an Wiederholungen, an die ty‐ pographische und graphische Anordnung und akustischen Kombinations‐ möglichkeiten halten. Das heißt, die Rückführung der Metapher auf die Vo‐ kabel wird zugleich benutzt, um neue Zusammenhänge zwischen den Wörtern herzustellen. Die Ballade Nora Gomringers ist desweiteren aber auch gekennzeichnet durch die Lautung bzw. den Klang, was ein frei zugänglicher Hörtext im Internet, welchen die Autorin selbst einspricht, eindrucksvoll beweist. 3 Gomringer selbst betont in Lesungen und Essays sowohl ihre Faszination für den Klang der Sprache als auch die Bedeutung des Vortrags für ihre Kunst (vgl. Gomringer 2015), ihre Lyrik erscheint demnach folgerichtig meist im Verbund mit Audiopaketen. Gomringer hat sich mit dem gesprochenen Wort viele Jahre intensiv auseinandergesetzt, so hat sie die deutsche Slampoetry-Szene mitgestaltet und gewann im Team 2005 die deutschen Slampoetry-Meisterschaften. Diese Erfahrungen aus der Spoken-Word-Szene fließen in ihre Texte wohl ebenso ein wie Grenzgänge zwischen Wort und Musik, so hat sie mit dem Wortart-Ensemble Vertonungen ihrer Texte erar‐ beitet und mit dem Jazzmusiker Philipp Scholz soeben eine Wort-Klang- Produktion (Peng, peng, peng) präsentiert. Tempo und Lautstärke spielen in 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 295 <?page no="296"?> ihren Texten eine wesentliche Rolle, die Musikalität des vorliegenden Textes inszeniert sie performativ im o. g. Hörbeitrag. Und es war ein Tag (Nora Gomringer) Und der Tag neigte sich Und es war Stehen und es war Warten Und es war eine Masse und es sah aus, wie ein Meer Und es waren Männer und es waren Frauen Und es waren Kinder und es roch nach Leder Und es waren Koffer und es war Dampfen Und es waren Münder und es war das Wort Und es war Stumpfes und es war Taubes Und es waren Große und es waren Mäntel Und es waren Hunde und es war Wimmern Und es war Weinen und es war ein Zug Und es waren Waggons und es war eine Rampe Und es war Eile und es hieß: Hinein Und es war Drängen und es war wieder Eile Und es war Härte und es war der Ton Und es waren Hände und es waren Blicke Und es waren Minuten und es war Enge Und es war kein Raum Und es war bald Nacht und es war ein Scherz Denn sie waren wie Rinder Und es war ein Riegel und es war ein Ruck Und es war Fahren und es war keine Luft Und es war Nacht und es war Zeit Und es war zu lang Und es war Flüstern und es war Raunen Und es war Mutmaßen und es waren Fragen Und es war Hitze und es war zu eng Und es war wieder Weinen und es war ein Eimer Und es waren vier Ecken und es war ein Geruch Und es war eine Scham Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es waren Stunden und es waren Stunden 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 296 <?page no="297"?> Und es war Durst und es war Wirre Und es war Sinken und es war Lehnen Und es war ein müdes Gebet Und es war trübes Wasser aus der Kelle Und es waren Gerüche Und es war ein Ruck Und es war ein Lauschen und es war eine Hoffnung Und es war eine Sprache und es war ein Land Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es waren Ahnungen und es waren Gerüchte Und es war ein Feuer, das lief Und es waren Fetzen und es waren Worte Und es war sicher nicht wahr Und es war ein Ruck Und es war wahr Und es war ein seltsamer Name Au-schwitz (G O M R IN G E R , Nora (2006). Sag doch mal was zur Nacht. Leipzig: Voland & Quist 73-74) Gomringer kommentiert den Zusammenhang zwischen einförmigem Klang und Thema wie folgt: „ […] diesem Text ist Bewegung hineingeschrieben, damit sein Thema und sein Nachwirken nicht zu lange harren und lähmen“ (2010). Der Zusammenhang von Klang und Unsagbarem in Bezug auf den Holocaust wird nicht zuletzt in der letzten Zeile der Ballade herausgestri‐ chen: Auschwitz ist „ein seltsamer Name“, die Gedanken- oder Betonungsst‐ riche suggerieren Unsicherheit bezüglich seiner Aussprache. Dies verweist zum einen auf den Generationskontext, aus dem auch die Autorin stammt ( Jahrgang 1980 und damit die 3. Generation nach dem Holocaust), zum an‐ deren weist es aber auch darauf hin, dass der Holocaust nach wie vor kein Thema ist, das nur als „historischer Sachverhalt“ im kulturellen Gedächtnis tradiert ist bzw. tradiert werden kann. Gomringer selbst verweist darauf, dass die Beschäftigung mit dem Holocaust vielen ihrer Texte anhängig sei (Gomringer 2010: 19): 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 297 <?page no="298"?> Irgendwie war die Begegnung mit diesem Thema, das Lebensthema meiner Mut‐ ter ist, auch das Kennenlernen meiner Mutter als Mensch und nicht nur als Mut‐ ter … so habe ich Mitfühlen gelernt, denke ich manchmal. Die Sprachprüfung kommt wohl auch daher. Was hält das Laut-Leise aus? Ist dieses Synonym für den Holocaust jemals wiederzurückzuerobern für die Sprache, die Reihe aller Namen? Wenn ich das Wort Au-Schwitz zerlege, begehe ich da schon ein Sakrileg? Habe ich es, wie die Diebe vor Weihnachten geklaut und zersägt? … habe ich wenigstens einen neuen Inhalt dafür gefunden? Nein, kein neuer Inhalt für das Auschwitz, das ich meine, wenn ich sage: Au-schw-itz. (ebd.) Gomringer verweist auf die Reihe der Namen bzw. Namenlosen, die mit dem Holocaust verbunden sind, und dass gerade in diesem Kontext ein Sprach‐ bewusstsein zentral ist, um sich dem Feld wieder neu zuzuwenden. Mit Be‐ zug auf den Holocaust bieten neue poetische und sprachliche Begegnungen wie die Gomringers die Möglichkeit, die Distanz der zunehmenden histori‐ schen Entfernung und die Nähe, die sich aus Spezifik der besonderen Erin‐ nerungskultur generiert, in ein Eigenes zu verwandeln. Gomringer macht dieses Angebot an ihre Leser/ -innen, indem der Balla‐ dentext mit seinen Anaphern die Wiederholungen und die Gleichförmig‐ keiten des Räderwerks auf den Gleisen spiegelt, und in Wort-Wiederholun‐ gen von „Ruck“, „Stunden“ wirksam den spezifischen Kontext der Deportation aktiviert, ohne diesen Begriff nennen zu müssen. Auffällig ist auch die Benennung konkreter Dinge (Eimer, Kelle, Mäntel, Leder …) in Kombi‐ nation mit einem sinnlichen und emotionalen Begriffsinventar (Hoffnung, Scherz, Geruch, Scham, Durst) ohne ausdifferenzierte Verwendung von Vollverben oder Abstrakta. Diese Dimension des Textes erlaubt ein sich Ein‐ lassen bzw. ein (ästhetisches) Erleben des Lesers bzw. der Leserin, das immer auf der Grenze zur Ästhetisierung des Holocaust changiert. Gomringers sprachliches Programm ermöglicht durch den Einsatz des „Es“ in allen Zei‐ len außer der ersten und letzten Zeile auch kritische Distanz. Historisch in‐ terpretiert erscheint das „Es“ als Verweis auf die Anonymität der Opfer, es deutet aber auch an, dass Täterschaft hier umfangreich definiert werden muss. Intertextuell ist das „Es“ aber auch eine Anspielung auf das Böse und das Freud’sche „Es“ der Psychoanalyse als unbewusste Struktur, deren Inhalt psychischer Ausdruck der Triebe, Bedürfnisse (z. B. Geltungsbedürfnis, An‐ genommenseinsbedürfnis) und Affekte (Neid, Hass, Vertrauen, Liebe) ist. Die Wiederholung des „Und es war(en)“ kann zudem mit dem „Es war einmal“ des Märchens assoziiert werden, interpretativ liegt hier der Schluss 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 298 <?page no="299"?> nahe, die Grausamkeit des Holocaust dem im Märchen evozierten Bösen gegenüberzustellen. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ lassen sich hörend auf den Klang der Ballade ein; ▸▸ entwickeln eigene Sprechgestaltungen und damit Empathie für die in ▸ der Ballade entwickelte (sinnliche) Perspektive auf den Holocaust; ▸ rekonstruieren die sprachlichen Wirkungsweisen der Ballade über ▸ ihre rhetorischen, stilistischen und erzählerischen Mittel; ▸ stellen Bezüge zu anderen fiktionalen Erinnerungstexten her. ▸ Die Ballade Gomringers bietet eine Vielzahl ästhetischer, literarischer und historischer Lerngelegenheiten. Einige davon sollen in der Folge kurz skiz‐ ziert werden, wobei zunächst die Sprachsensibilisierung und -reflexion hin zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung führen soll. Damit wird der lite‐ rarische Eigenwert zum Ausgangpunkt des historischen Erinnerns an den Holocaust, welches grundsätzlich immer mit einer Rekonstruktions- und Narrationsarbeit verbunden ist. Literaturunterricht sollte hier nicht als bil‐ liger Themenlieferant instrumentalisiert werden, sondern dazu beitragen, das Spannungsfeld zwischen „Universalismus und Partikularimus“ zum Na‐ tionalsozialismus (meint die Perspektivierungen von Opferschaft und Tä‐ terschaft gegenüber der Einzelbetrachtung ambivalenter Figuren und zu differenzierenden Handlungsrationalitäten) im Umgang mit dem National‐ sozialismus auszubalancieren (ausführlich dazu Köster 2001). Sinnlich-ästhetisches Wahrnehmen und Reflektieren In Hinblick auf die Nachhaltigkeit und die Wahrnehmung des Holocaust kann sich die Begegnung nicht auf eine Rekonstruktion „historischer Fak‐ ten“ beschränken. Gomringers Ballade ist eine künstlerische Annäherung an das Thema, die auf emotionales Erleben setzt, ohne hierbei einnehmen zu wollen. Dies kann im Unterricht für eine sprachliche und ästhetische Sensibilisierung genutzt werden. Beispiele hierfür wären: Die Schüler/ -in‐ nen … 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 299 <?page no="300"?> ▸ tragen die Ballade nach vorher festgelegten Kriterien (siehe Kopier‐ ▸ vorlage) vor und wählen bzw. beurteilen den besten Vortrag, abschlie‐ ßend kann auch die Version der Dichterin einbezogen werden; ▸ erhalten die Ballade ohne Zeilenumbrüche und legen diese fest (mit ▸ Erklärung); sie analysieren die Wirkung der selbsterstellten Zeilen‐ brüche im Vergleich zum Original; ▸ finden eine Ersetzung für die Anapher, beschreiben die Funktion der ▸ Anapher; ▸ erproben in Kleingruppen eine Sprechgestaltung mit klanglichen Ele‐ ▸ menten (z. B. durch Geräusche, Einspielung von Musik mit iphone etc.), die unterschiedliche Atmosphären erzeugt; im Anschluss Prä‐ sentation besonders ausdrucksstarker und angemessener Beispiele im Plenum; ▸ erstellen eine eigenen Ballade nach dem gleichen formalen Muster ▸ (Anapher, keine Verbwechsel etc.) oder inhaltlicher Vorlage (das Ge‐ dicht Eugen Gomringers könnte hier als formale Vorlage zur Binnen‐ differenzierung eingesetzt werden); ▸ suchen identische Reime und Wortwiederholungen, auffällige formale ▸ Brüche und interpretieren deren Bedeutung im historischen und lite‐ rarischen Kontext. Auch die Sprachreflexion zu anderen Balladen, die den Nationalsozialismus bzw. seine Folgen in den Blick nehmen (vgl. „Legende über Lilja“ von Sarah Kirsch oder „Mörder Ratzek weißer Mond“ von Thomas Brasch, Unter‐ richtshilfe „Erzählformen in zeitgeschichtlichen Balladen analysieren“) kann hier sinnvoll sein, und zwar zunächst durchaus im Hinblick auf die Wirkungsweisen. Brasch setzt dem Ernsthaften in Gomringers Ballade durch den Alltagsjargon und die Ellipsen einen Unterhaltungston entgegen, fast schon ein Amüsement, dass im makabren Gegensatz zu den Grausam‐ keiten im literarischen Text und dem historischen Kontext steht. Um ein Bewusstsein für diesen umgangssprachlichen Sprachgebrauch in Braschs Ballade zu entwickeln, ist es nicht zwangsläufig notwendig, mit Schüler/ -in‐ nen die Vielzahl der historischen Orte und motivgeschichtlichen Anspie‐ lungen bei Brasch aufzuarbeiten. Fakt und Fiktion Aufgrund des zunehmenden zeitlichen Abstands zum Nationalsozialismus und des Ablebens letzter Zeitzeugen ist der Umgang mit der geschichtlichen 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 300 <?page no="301"?> Wirklichkeit nationalsozialistischer Gewaltverbrechen inzwischen zuneh‐ mend von Distanz geprägt. Dennoch bewegen die Schicksale der Opfer Menschen heute weiterhin, besonders der Holocaust läuft hier jedoch Ge‐ fahr, ein emotional und medial wirksames „Argument“ zu sein, um Reflexi‐ onsprozesse zugunsten von Polemisierungen auszuschalten. Statt einer Be‐ troffenheitspädagogik gilt es, auch im Literaturunterricht Hilfestellungen zur moralischen Positionierung zu geben. Denn Holocaust und Nationalso‐ zialismus sind weiterhin keine Themen, die nur als historische Sachverhalte im kulturellen Gedächtnis tradiert werden können. Die fiktionalisierte Dar‐ stellung Gomringers leistet hier Besonderes, indem der Fakt Deportation mit Fiktion so verdichtet wird, dass Empathie jenseits einer reinen Betroffen‐ heitslage möglich wird. Im Deutschunterricht stellt sich die Frage, ob z. B. beim Zuhören unter Weglassung der letzten Zeile der historische Kontext antizipiert werden kann. Man könnte die Lesung an unterschiedlichen Stel‐ len stoppen um die Schüler/ -innen Vermutungen zum Thema anstellen zu lassen. Auch wäre es sicher passend, nach einer ersten Erschließung des Hörtexts als Ganzen, das „Es“ durch Namen, Organisationen, Abstrakta u. ä. mit Bezug zum historischen Kontext schriftlich auszutauschen. Im An‐ schluss kann dann über die Wirkung des Einsatzes von Konkreta gegenüber dem „Es“ diskutiert oder gar eine prüfende Interpretation (Kap. 4.3) verfasst werden, die die Funktion des „Es“ in diesem Kontext diskutiert. Als Erörte‐ rungsgrundlage wäre es auch möglich, die Ballade mittels Material in Bezug zu anderen Texten (Bibel, Märchen etc.) und Kunstwerken (Konkrete Poesie/ Kunst) zu setzen und diese Bezüge im Kontext der Holocaust-Thematik der Ballade bewerten zu lassen. Arbeitsteilige vertiefende Recherchen zu historischen „Belegen“ einzelner Angaben können hilfreich sein, um neben der sinnlich-konkreten Dimen‐ sion von Gomringers Text auch das europäische Ausmaß dieses Teils vom Nationalsozialismus zu erschließen. Seriöse Informationen bieten hierzu die Homepage zum „Zug der Erinnerung“ sowie das Bundesarchiv zur Chro‐ nologie der Deportationen. Statt dieser konventionellen, wissensbasierten historischen „Aufarbeitung“ kann aber auch weiter mit fiktionaler Erinne‐ rungskultur zum Thema Auschwitz gearbeitet werden: z. B. in Form von Robert Thalheimers Film Am Ende kommen die Touristen (2007), der den Ort bzw. die Gedenkstätte und die dort lebenden Menschen heute zeigt (aus‐ führliche didaktische Analysen vgl. Herz 2017). Art Spiegelmanns Comic Maus erzählt die Geschichte eines Auschwitzüberlebenden als Tierfabel um den Abstand zum erzählten Grauen wahren zu können (ausführlich Frahm 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 301 <?page no="302"?> 2010). Natürlich kann auch auf literarisches Vorwissen aus dem Unterricht zurückgegriffen werden, möglicherweise haben die Schüler/ -innen dort be‐ reits einen Roman wie Der Vorleser, Malka Mai, Der Junge im gestreiften Py‐ jama, Als Hitler das rosa Kaninchen stahl o. ä. gelesen. Sollte dies der Fall sein, könnte man erinnerungskulturelle Perspektiven miteinander verglei‐ chen, z. B. in Form der Frage, mit welchen erzählerischen Mitteln hier auf den Holocaust geblickt wird. Bernhard Schlinks Vorleser entwickelt das Thema beispielsweise wie Gomringer retrospektiv; während bei Gomringer jedoch die Perspektive der betroffenen Opfer eingenommen zu werden scheint, treten im Vorleser verstärkt Fragen nach dem Umgang mit den Tä‐ tern des Holocaust in den Fokus. Insgesamt sollte auf Multiperspektivität und Kontroversität im Vergleich der Texte geachtet werden; Köster hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, dass im Curriculum des Deutsch‐ unterrichts folgende Themen den literarischen Umgang mit Nationalsozia‐ lismus und Holocaust strukturieren könnten: 1. Heimkehren, 2. Kollabora‐ tion und Verrat, 3. Widerstehen, 4. Das Versteck, 5. Die Welt der Lager, 6. Die Nachgeborenen (Köster 2001: 212). 5.4.5 Gedankenfreiheit bis zum Tod - „Der Flüchtling“ von Fritz von Unruh Juliane Dube Thema: Wenngleich aktuelle Debatten zur Flüchtlingsthematik sugge‐ rieren, Flüchtlingsbewegungen innerhalb und nach Europa wären ein neues Phänomen, zeigt sich, dass diese Thematik bereits eine lange Ge‐ schichte besitzt. Ob aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zuge‐ hörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer poli‐ tischen Überzeugung - schon seit jeher haben Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Damals wie heute wird der Zuzug größerer Men‐ schengruppen kontrovers diskutiert und sowohl eigene als auch fremde Fluchterfahrungen literarisch verarbeitet. Diese Geschichten und Schicksale berühren immer wieder aufs Neue. Sie setzen Mahnmale in einem Europa, welches seit dem 9. Mai 1945 die längste Friedensperiode (mit Ausnahme des Bürgerkriegs in Jugoslawien) erlebt. Unterrichts‐ beiträge so zu gestalten, dass sie die Heranwachsenden „zur Gestaltung des eigenen Lebens in sozialer Verantwortung sowie zur Mitwirkung in 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 302 <?page no="303"?> der demokratischen Gesellschaft befähigen, ist Aufgabe aller Fächer“ (Bildungsstandards im Fach Deutsch für die allgemeine Hochschulreife 2012: 5). Intension: Durch die Behandlung von Exil- und Migrationslyrik kön‐ nen nicht nur historisches und politisches Wissen vermittelt werden, sondern auch Bezüge zum derzeitigen Weltgeschehen hergestellt wer‐ den. Unterricht in der Sekundarstufe II: Im Zentrum der Unterrichtsreihe steht die Ballade „Der Flüchtling“ von Fritz von Unruh, in der er seine eigenen Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeitet. Die für die Exillyrik häufig zentralen Motive wie Hunger, Flucht, Elend und Ausweisung werden auch in Unruhs Ballade unter der Verwendung einer Vielzahl sprachlicher Bilder beschrieben. Folglich bietet es sich an, die Metapho‐ rik der Ballade genauer zu erschließen. Ein erweiterter Blick auf die Metaphorik in aktuellen Medienberichten kann dabei den thematischen Brückenschlag zur Lebenswelt der Lernenden bilden. Ausgewählte didaktische Analyse In seiner Biographie zu Fritz von Unruh verweist Friedrich Rasche (1960) auf die Ignoranz der Deutschen gegenüber Dichtern seiner Zeit, die „an ihre Zeitgenossenschaft besondere geistige und moralische Ansprüche stellten, die im geheimen oder offenen Protest gegen ihre Gegenwart lebten und Botschaften für die Zukunft hatten“ (ebd.: 5 f.). Neben den zu Lebzeiten un‐ beachteten Autoren Heinrich von Kleist, Friedrich Hölderlin und Georg Büchner verweist Rasche auch auf das Wirken von Fritz von Unruh. Wenngleich die deutsche Öffentlichkeit ihm - im Gegensatz zu den zuvor genannten - zu seinen Lebzeiten zumindest eine Zeit lang ihre Aufmerk‐ samkeit schenkte, indem sie ihm eine Reihe namhafter Literaturpreise ver‐ lieh (Kleist-Preis 1915, Bodmer-Preis 1917, Grillparzer-Preis 1922, Schiller‐ preis 1926) und ihn von 1928 bis zu seinem Austritt 1932 in die Preußische Dichterakademie aufnahm, sind seine Werke heute fast gänzlich von deut‐ schen Bühnen verschwunden. Seine Bücher werden nicht mehr gedruckt. Dies ist umso bedauerlicher, da seine Werke stets auf eine Umgestaltung unserer Lebenswirklichkeit ausgerichtet waren: „Fritz von Unruh hat sich um Semikolon und Komma wenig gekümmert; seine Sorge waren die Fra‐ gezeichen, sein Glaube waren die Ausrufezeichen. Eben die aber hat er rich‐ 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 303 <?page no="304"?> tig gesetzt! “, heißt es 1965 im Plädoyer von Werner Koch zum 80. Geburtstag von Fritz von Unruh (vgl. Koch 1965). In Zeiten, in denen vor dem Hintergrund eines erodierenden demokrati‐ schen und auf Freiheits- und Gleichheitsrechten aufgebauten Systems Fra‐ gen der Humanität wieder verstärkt diskutiert werden müssen, bieten von Unruhs Texte, u. a. die Ballade „Der Flüchtling“, Jugendlichen einen unmit‐ telbaren und persönlichen Zugang zu Themen wie Flucht, Hunger, Vertrei‐ bung und Krieg. Durch die literarische Thematisierung von Fluchtschick‐ salen wird damit ein anderer Blick möglich, der in der aktuellen medialen Diskussion doch allzu häufig hinter Zahlen und rechtsgerichteten Beiträgen verschwindet. Der Flüchtling (Fritz von Unruh) Er spielte an der Spree den Marquis Posa - „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit! “ - Flieht Zerprügelt vom Pogrom dann nach Arosa - Trotz der zerquetschten Lunge aber zieht Der Emigrant, vom Büttel ausgewiesen, Durch erste Frühlingsblüten wie ein Dieb - Fiebergeschüttelt von der Gletscherbrisen Nach Frankreich. Doch ein neuer Häscherhieb Jagt ihn nach Belgien. Tags in den Ardennen Bei Tier und Angst vor Polizei versteckt, Läuft er des Nachts, daß ihn die Sohlen brennen - Wohin? Wohin? Ihm ist kein Tisch gedeckt. Zum Horizont träumt er mit hohlem Magen - Dort wo der Mohn so rot, vielleicht glüht da Ein Menschenherz? „Mut! Mut! … ich will es wagen …“ Er hinkt, er läuft, er hofft - nun ist er nah - Statt des Erbarmens heiliger Hände greifen Nach wüster Flucht ihn drei Gendarmen auf. Das Dorf entlang an vollen Küchen schleifen Sie den „Verbrecher“ vorm Revolverlauf Bis zum Gefängnis: „Einen Monat Buße! Weil er unangemeldet leben wollt’! “ - Nun hat er hinter Gitterstäben Muße, Zu sinnen, wie Fortunas Kugel rollt … 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 304 <?page no="305"?> Der Sommer duftet - Klee und Weizenernte … Im Schnitterlied erwacht ein holdes Bild: Die Heimat sieht er - Ach! die weit entfernte! Und Heimweh wühlt! doch welcher Heimat gilt Sein Tränenschauer? Vater, Mutter liegen Zerzaust, erschlagen irgendwo im Schutt - Statt Sohnesküsse - überkrabbeln Fliegen Ehrwürdige Form! „Ein überflüss’ger Jud“ - Kaut er das trockne Brot und zählt die Flöhe - Der Mond wird voll, nimmt ab - die Zeit ist um. Man führt ihn zu der Grenze auf die Höhe - Zeigt den Revolver: „Marsch! Sonst macht es bum! “ Wohin? wohin? o hohes Blau, o Himmel! Nach Deutschland! Nein! das wär’ der Schlachthaustod. - Entführe mich auf deinem Wolkenschimmel! Wohin? wohin? aus der durchhetzten Not … Und wieder schleicht er heimlich mit Gespenstern Zur Nebelstunde ein in Rousseaus Land. Als die Aurora spiegelt in den Fenstern Von Bauernhäusern - hebt er seine Hand - Begrüßt im Licht die Heimatlosen, Toten - Von Tyrannei Zertretenen! Hört die Uhr Im Kirchturm rufen wie des Schicksals Boten - Und murmelt leise einen Freiheitsschwur. Dann wandert er, am Tag versteckt in Wäldern, Bei Tier und Angst. - Des nachts längs der Chaussee Auf schattenschweren, tauverklebten Feldern - Ihn fliehen Sterne, Hasen, Mond und Reh … Als er Paris sieht - fallen schon die Blätter - Herbstlich umfriert es seine wunde Brust - Der Eiffelturm erscheint ihm wie ein Retter - Des Lebens Dunstkreis faßt nach ihm wie Lust! Er stiehlt sich in die ersten Straßen, zitternd, Daß ihn kein Wachmann sieht. - Rennt kreuz und quer Mit allen seinen Sinnen Leben witternd, Dreht er die Taschen um - doch sie sind leer. Ein Bettler, bartverwildert, irrt er - irrt er - Von Bar zu Bar. - Ergattert, wo was liegt - 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 305 <?page no="306"?> Treibt ihn der Hunger - girrt er, girrt er, girrt er Schauspielerhaft! Und dankt, wenn er was kriegt. Nacht unter Brücken mit den Allerärmsten Hüllt er sich im November in Papier. - Träumt von nem Bett! dem allerwärmsten - Und schaudert zu der Seine: ach, - ich frier’ … Von einer Radpatroullie angeblendet, Blinzelt er in das satte Dienstgesicht … „Sein Aufenthalt ist vorschriftsklar beendet! “ Neu ausgewiesen, hebt er in das Licht Die magre Hand - beschwört die Menschenrechte! Ruft die Erinnerung großer Tage an! Bastillestürmer! Freiheitstrunk’ne Nächte - Doch die Patrouille führt den müden Mann Zum Polizeirevier. Verhör, Befehle … Zur Schweizer Grenze fährt er wiederum hin - Zerfetzt, verhungert, wirr von dem Gequäle Verdunkelt sich allmählich nun sein Sinn. Und während der Bürger „fröhlich’ Weihnacht“ feiert - Wird dieser Flüchtling todkrank durch den Schnee Der Schweizer Pässe hoffnungsausgeleiert Den Weg sich suchen - bis ihn an dem See Der Wächter wiederum fängt. Und in der Zelle Die „Stille Nacht“ den Sterbenden umgibt … Daß solch Geschlecht der Höllenhund verbelle! Wo Mensch nicht mehr den Gott im Menschen liebt. (B E R G E R , Karl Heinz / Püschel, Walter (Hrsg.) (1961). Deutsche Ballade von Bürger bis Brecht. Berlin: Neues Leben, 351-354) Durch seine eigenen Kriegserfahrungen in Verdun, wo binnen weniger Mo‐ nate 600.000 deutsche Soldaten ihr Leben verloren, schworen von Unruh und eine Reihe anderer Offiziere ihren Verdun-Eid ‚Nie wieder! ‘. Folglich forderte er fortan nicht als Offizier der deutschen Armee, sondern als Kriegsgegner in seinen Werken „neuere tiefere Verpflichtungen einzugehen, um eine menschenwürdigere, der Gegenwart wie Zukunft dienende Verantwortung zu übernehmen“ (Rasche 1960: 14 f.). Zu eben jenen mahnenden Texten gehört auch die im Kreuzreim verfasste Ballade „Der Flüchtling“. Beginnend mit dem intertextuellen Verweis auf 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 306 <?page no="307"?> Friedrich Schillers Drama Don Karlos, in dem der Marquis Posa dem abso‐ lutistisch herrschenden König Philipp II zuruft „Sire, geben Sie Gedanken‐ freiheit! “ und damit einfordert, was vielen Menschen in der Zeit vor der Aufklärung verwehrt war, verweist der Text bereits zu Beginn auf die zen‐ trale Forderung der namenlosen Hauptfigur, die sich fortan auf der Flucht befindet. Diese führt ihn in eine Reihe von Ländern (Frankreich, Belgien, Schweiz), in denen er, so erfährt man vom personalen Erzähler, jedoch statt „Menschenherz“ und Rettung Armut, Hunger und Gefängnisaufenthalte er‐ lebt. Dabei unterstreicht die gewählte strophenfreie Form den fehlenden Platz der Ruhe zusätzlich. Zweimal des Landes verwiesen, ist er stets auf der Suche nach einer neuen Heimat. Eine Rückkehr nach Deutschland, in dem inzwischen der „Schlachthaustod“ droht, kommt für ihn nicht infrage. Und so irrt er hungernd und verarmt weiter, bis er in der Schweiz todkrank im Schnee verstirbt. Seinen Schwur auf die Menschenrechte schwört dabei zu‐ letzt auch noch die „magre Hand“. Vorschlag zur didaktischen Umsetzung Folgende Bezüge zu den Kompetenzen werden besonders berücksichtigt: Die Schüler/ -innen … ▸ analysieren die Ballade unter Verwendung der entsprechenden Fach‐ ▸ termini in Bezug auf die rhetorischen Stilmittel und erfassen die Be‐ deutung jener für die Erschließung und Darstellung zentraler The‐ men. ▸ rekonstruieren den biografischen Entstehungskontext der Ballade. ▸▸ reflektieren und bewerten die Darstellung von Flucht in der Exillyrik ▸ intertextuell. ▸ setzen sich mit der Verwendung von Metaphorik in expositorischen ▸ Texten der aktuellen Presse differenziert auseinander und erfahren im sprachkreativen Spiel die Wirkmacht von Sprache. Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen besitzt nicht nur die Wahl des Autors, sondern auch das ausgesuchte Werk einen hohen Aktualitätswert. Während in den Medien die Begriffe ‚Flüchtlinge‘ und ‚Migranten‘ häufig synonym verwendet wer‐ den, wodurch die Debatte verzerrt wird, soll sich die Unterrichtseinheit auf Themen und Texte von Flüchtlingen konzentrieren, womit nach der Genfer Flüchtlingskonvention (1951) jede Person gemeint ist, die „wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 307 <?page no="308"?> Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung […] den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“ (UNHCR 2015: 6). Die Zahl der Menschen, die in diesem Sinne vor Krieg, Konflikten und Verfolgung und nicht, wie in den Medien häufig dargestellt, vor Armut fliehen, war noch nie so hoch wie heute. Ende 2017 waren 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht (vgl. 2005: 37,5 Millionen). Wenngleich davon 40,3 Millionen Menschen zu den Binnenvertriebenen gehören und 9 von 10 Flüchtlingen in Entwick‐ lungsländern leben (vgl. UNO Flüchtlingshilfe 26.07.2018), hat die Diskus‐ sion in den deutschen Medien und im privaten Umfeld seit 2015 kaum an Kontroversität verloren. Dringlicher denn je scheint es daher, Aufgabe der Schule zu sein, Lerngelegenheiten zu schaffen, in denen die Heranwach‐ senden Einblicke in die Lebens- und Erfahrungswelt von Geflüchteten er‐ halten, um sie so für die Beweggründe dieser Menschen zu sensibilisieren. Literarische Zugänge für die Auseinandersetzung bieten die Texte der Exilliteratur, u. a. von Mascha Kalèko, Heinrich Heine, Else Lasker-Schüler, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht Aber auch aktuelle Werke könnten in einer Unterrichtsreihe zum Thema „Flucht in der Literatur“, u. a. von der tunesischen Lyrikerin Najet Adouani, die jüngst in Deutschland Asyl fand, aufgegriffen werden. Reise (Najet Adouani) Mein Reisepass ist ein grüner Revolver, eine Glocke am Körper, ich zieh in ein Land aus der Asche von Mythen. Die Mutter verlangt die verlorenen Jahre von mir zurück. Der Vater verlangt die Puppen zurück, die ich zum Fest bekam. Wem soll ich verkaufen mein Leben in diesem Himmel aus Abend-Jasmin? Ach Möwe, versengt von der sinkenden Sonne, in den Gelenken nistet die Kälte, Kamele zwingt der Sturm in die Knie 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 308 <?page no="309"?> Zwischen einer Mirage und der nächsten. Ach, kleine Heimat. Adouani, Najet (2015). „Reise“, in: dies., Meerwüste, Berlin: Lotos Werkstatt Besonders zu empfehlen ist die Einbindung des Poetry „Keschmesch. Hinter uns mein Land“ von Babak Ghassim und Usama Elyas (2015). Sie können dieses unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=IQBncz9 RmqA (11.02.2019) abrufen. Im Sinne eines differenzierenden Deutsch‐ unterrichts sollte die Lehrperson, den sprachlich-kulturellen Hinter‐ grund ihrer Schüler/ -innenschaft berücksichtigend, drei bis vier Werke vorstellen aus denen die Lernenden eines zur genauen Analyse aus‐ wählen. Fragen zur Texterschließung sollten sich dabei auf die inhaltliche, formale und sprachliche Gestaltung der Texte konzentrieren. Mögliche Fragen und Aufgaben zur Analyse der ausgewählten Ballade „Der Flüchtling“ könnten sein: ▸ Worum geht es in der Ballade? ▸▸ Warum muss die Hauptfigur immer wieder fliehen? ▸▸ Warum beginnt die Ballade mit dem Verweis „Sire, geben Sie Gedan‐ ▸ kenfreiheit! “ ▸ Markieren Sie die Stationen der Flucht im Text und auf einer Karte. ▸▸ Beschreiben Sie wie sich der Zustand des Flüchtlings im Verlauf der ▸ Ballade verändert. ▸ Markieren Sie die in der Ballade verwendeten sprachlichen Bilder, die ▸ den Zustand des Flüchtlings beschreiben und untersuchen sie diese auf ihre Wirkung. Welches Metaphernfeld wird hier verwendet? ▸ Untersuchen Sie die formale Ebene in Bezug auf Erzählzeit, erzählte ▸ Zeit und Erzählperspektive und beschreiben Sie deren Wirkung. ▸ Überlegen Sie, warum der Flüchtling in der Ballade namenlos bleibt? ▸ Aufgrund der stark autobiografischen Züge aller drei Texte kann der Zugang zu diesen im Anschluss an die Textanalyse über eine wechselseitige Be‐ trachtung von Biographie und Text erfolgen, wie es Bekes 2016 für eine Auseinandersetzung mit den Werken von Mascha Kalèko vorschlägt (vgl. Deutschunterricht 6/ 2016). 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 309 <?page no="310"?> Fragen, die in solch einem Lernkontext bearbeitet werden, könnten sich mit den Konsequenzen für die Lebensgestaltung der Autoren in Folge der Diktaturen in ihren Ländern, mit dem persönlichen Umgang mit dem Fa‐ schismus bzw. den gesellschaftlichen Repressalien der politischen Systeme sowie mit den Gründen für die Emigration und die dort gesammelten Er‐ fahrungen beschäftigen. So befindet sich auch von Unruh nach seinen Rufen gegen die wachsende Macht der Nationalsozialisten ab 1933 mit seiner Frau Friederike auf der Flucht. Er lebt zuerst in Zoagli an der ligurischen Küste (Italien), später in Frankreich, wo er jedoch 1940 interniert wird. Von dort gelingt ihm die Flucht über Spanien nach New York, wo Albert Einstein das Ehepaar von Unruh aus dem Lager der unerwünschten Flüchtlinge erlöst. Das Gefühl von Heimatlosigkeit und die Angst vor den staatlichen Kräften dürften von Un‐ ruh demnach vertraut gewesen sein. Dass er trotz dieser Zwänge, zu denen in Amerika auch noch der Hass auf die Deutschen hinzukommt, weiterhin an seinen Idealen und Werten festhält, belegen die zu jener Zeit veröffent‐ lichten Romane, Dramen und Reden. Anders als die Figur in der Ballade, kehrt von Unruh nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch für eine Zeit nach Deutschland zurück. Dort erhält er u. a. den Wilhelm Raabe- und den Goethe-Preis sowie 1955 das Große Bundesverdienstkreuz. Die wach‐ sende Aufrüstung zu Zeiten des Kalten Krieges lässt den „Soldat[en] des Friedens“ (Rasche 1960: 19) jedoch seine Warnrufe erneuern. 1961 verlässt von Unruh Deutschland erneut, kehrt jedoch nach einem Hurrikan, der sein ganzes Hab und Gut vernichtet, bereits ein Jahr später wieder zurück und verstirbt dort 1970. Im Anschluss an die selbstständige Textarbeit kommen die Lernenden in textspezifischen Kleingruppen zusammen, um sich zu ihren Ergebnissen auszutauschen. Schreibkonferenzen zur Aufgabe: Beschreiben Sie die in Ih‐ rem Text vorliegende Fluchterfahrung. Gehen Sie dabei insbesondere auf deren sprachliche Gestaltung ein, schließen die Gruppenarbeit ab. Die ausgesuchten Textbeispiele eint jedoch nicht nur ihr Einblick in die individuellen Ängste und Schmerzen von Flüchtenden sowie in deren Wech‐ selspiel von Hoffnung und Enttäuschung, sondern auch die starke Meta‐ phorik dieser. In der Ballade des ehemaligen Offiziers von Unruh wird das Wechselspiel der Gefühle besonders deutlich. Metaphorische Wendungen wie „Fortunas Kugel“, „Wolkenschimmel“ und „mit allen seinen Sinnen Le‐ ben witternd“ verstärken die Hoffnung auf Rettung während der Flucht im „Tränenschauer“ vor dem „Schlachthaustod“. 5 Themenorientierte Unterrichtsvorschläge 310 <?page no="311"?> Obwohl die Metapher nicht nur in den ausgewählten Texten zu den zen‐ tralen rhetorischen und poetischen Stilmitteln im Literatur- und Sprachun‐ terricht zählt (vgl. Dube/ Kammler 2018), stellt deren Analyse und Interpre‐ tation Lernende immer wieder vor Herausforderungen. Arbeiten zum Umgang mit Metaphorik haben in den letzten Jahren deshalb verstärkt auf die Berücksichtigung der kontextuellen Einbettung sowie die Einbeziehung unterschiedlicher Textsorten verwiesen (vgl. Katthage 2004 und 2006). Er‐ gänzend zu den poetischen Metaphern wie „Mein Reisepass ist ein grüner Revolver“ (Adouani 2015) aus den Texten der Einzel- und Gruppenarbeits‐ phase sollte in einem sprachsensiblen Deutschunterricht auch die Metapho‐ rik in expositorischen Texten zum aktuellen Zeitgeschehen besprochen werden. Durch die Arbeit mit Ankerbeispielen, wie z. B. aus dem Bereich der Naturkatastrophen-Metaphorik (‚Flüchtlingswelle‘, ‚Flüchtlingsflut‘ oder ‚einzudämmende Flüchtlingsströme‘) oder Kriegsmetaphern (‚Festung Europa‘, ‚Ansturm auf die Grenzzäune‘, ‚belagerte Aufnahmezentren‘ oder ‚Die Flüchtlingszahlen explodieren‘) und der Reflexion dieser erwerben die Lernenden ein Bewusstsein für die Wirkmacht von Sprache. Um diese Er‐ fahrungen zu verstärken, sollen die Lernenden in der letzten Stunde auch Raum für eigene metaphorische Sprachexperimente bekommen. Besonders intensive Spracherfahrungen können bei der wertenden Beschreibung von einfachen Gegenständen wie einem Ziegelstein gewonnen werden. Je nach‐ dem, ob die Stärke und Tragfähigkeit des Steines oder ihre Zerstörungskraft in die Formulierung der Metapher fließt, führt diese zu Zuspruch oder Ab‐ lehnung. Der Einbezug von Exil- und Migrationsliteratur und die Reflexion der eingesetzten Metaphorik erweitern damit nicht nur die Perspektive auf eine häufig emotional geführte Debatte, sondern zeigen den Lernenden auch die Komplexität sprachlicher Stilmittel. Als erfolgsversprechend im Umgang mit Metaphorik in Texten erweist sich demzufolge nicht nur das textnahe Lesen und der intersubjektive Austausch, sondern auch die eigene sprach‐ kreative Arbeit. 5.4 Geschichte, Gesellschafts- und Sozialkritik 311 <?page no="313"?> Literaturverzeichnis ABRAHAM, Ulf (1994). Lesarten - Schreibarten. Wiedergabe und Besprechung lite‐ rarischer Texte. Stuttgart: Klett. ABRAHAM, Ulf (2009). Filme im Deutschunterricht. 2. Aufl. Seelze/ Velber: Klett/ Kallmeyer. ABRAHAM, Ulf (2017). „Bild und Text“. In: Kammler, Clemens / Müller, Astrid (Hrsg.) 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Stuttgart: DVA, 255 © Steidl Verlag GmbH & Co. OHG, Göttingen. S. 146f.: Erich Kästner, „Sachliche Romanze“, aus: Lärm im Spiegel © Atrium Verlag AG, Zürich 1929 und Thomas Kästner. S. 150, Abb. 5.2: „Room in New York“, Edward Hopper (1932) / © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 S. 176, Abb. 5.4: „Die Bürgschaft“ © GEIST&BLITZE / Kerstin Höckel, Berlin 2015. S. 196, Abb. 5.7: Kamishibai mit Illustration von Antje Bohnstedt, aus: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ (Bildkartenset) © 2015 Don Bosco Medien, München / Foto: „DIY-Bausatz“ © 2014 www.donbosco-medien.de S. 209, Abb. 5.8: „Der Knabe im Moor“, Illustration: Reinhard Michl © Kindermann Verlag 2010. S. 233ff.: Michael Ende, „Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil“. Berlin: Kin‐ dermann 2011 © Michael Ende: „Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbein“ aus: Michael Ende: „Trödelmarkt der Träume. Mitternachtslieder und leise Balladen“, hockebooks, 2010., S. Rechte beim Nachlass von Michael Ende, vertre‐ ten durch: AVA-international GmbH, München (www.ava-international.de). S. 236, Abb. 5.10: „Felix Fliegenbeil“, Illustration: Henrike Robert © Kindermann Verlag 2011. S. 239-243: Lars Ruppel, „Holger, die Waldfee“, in: ders., Holger, die Waldfee. Zehn Gedichte über Redensarten. Berlin: Satyr Verlag, 9-14 © Satyr Verlag, Berlin 2014. S. 295: Eugen Gomringer, „avenidas“, in: ders., Das stundenbuch. München: Max Hueber © Eugen Gomringer 1965. S. 296f.: Nora Gomringer, „Und es war ein Tag“, in: dies., Sag doch mal was zur Nacht © Voland & Quist, Leipzig 2006. S. 308f.: Najet Adouani, „Reise“, in: dies., Meerwüste, Berlin: Lotos Werkstatt © Lotos Werkstatt Verlag, Berlin 2015. <?page no="343"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1: Illustration zu Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“ von Ferdinand Barth (1842-1892). . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abb. 2.1: Strukturmodell zur Balladendefinition . . . . . . . . . . . . . . 24 Abb. 2.2: Bänkelsänger mit Frau und ländlichem Publikum, Cornelius Suter d. J., Beromünster, Eglomisé auf Glas, 25,5 x 19 cm, Schweizerisches Landesmuseum, Zürich 31 Abb. 4.1: Gesprächsimpulse (zitiert n. Zabka 2015: 184) . . . . . . . . 76 Abb. 4.2: ‚gefällt mir‘-Icons von Facebook . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Abb. 4.3: ZUM-Wiki-Eintrag zum Begriff ‚Ballade‘. Hier können die Lernenden gemeinsam an einer Definition arbeiten. https: / / wiki.zum.de/ wiki/ Ballade (12.02.2019). . . . . . . . 95 Abb. 5.1: Beispiel für ein Lapbook (Starchildmom, English Wikibooks) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abb. 5.2: Room in New York, Edward Hopper (1932) . . . . . . . . . . . 150 Abb. 5.3: Übersicht zu zentralen Filmelementen (vgl. Frederking/ Krommer/ Maiwald 2012: 177-185). . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Abb. 5.4: Screenshot: Mihriban und Ashana tauschen ihre Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Abb. 5.5: Rückwärts reitende Hexe auf einem Ziegenbock, Albrecht Dürer, Kupferstich ca. 1500 als mögliches Einstiegsmedium in das Thema ‚Das Böse in Kunst und Literatur‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Abb. 5.6: Tafelbild: Erzählkurve zum „Zauberlehrling“ von Johann W. v. Goethe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Abb. 5.7: Kamishibai von Don Bosco zur kreativen Auseinandersetzung mit erzählenden Texten . . . . . . . . 196 Abb. 5.8: Die berühmteste Ballade „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff ist auch Teil der Reihe Poesie für Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Abb. 5.9: Ausschnitt aus dem Berliner Totentanzfresko in St. Marien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Abb. 5.10: Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbeil von Michael Ende. Mit Bildern von Henrike Robert. Berlin: Kindermann 2011. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 <?page no="344"?> Abb. 5.11: Hypertextstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Abb. 5.12: Beispiel für typographische Gestaltung der erste Strophe aus „Der kleine Vogelfänger“ . . . . . . . . . . . . . . 272 Abb. 5.13: Ego vs. Eco (unbekannte Quelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Abbildungsverzeichnis 344 <?page no="345"?> Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de ,! 7ID8C5-cfdijj! ISBN 978-3-8252-5389-9 Die Ballade ist als klassischer Unterrichtsgegenstand fester Bestandteil des Literaturunterrichts. Ihr Potential für literarisches Lernen mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen will der Band neu entdecken, indem er sowohl kanonische als auch jüngere Balladen im Konzept eines themenorientierten und mediensensiblen Unterrichts präsentiert. Den Schwerpunkt bilden balladendidaktische Grundlagen, praktische Unterrichtsvorschläge sowie vielfältig einsetzbare Kopiervorlagen, die als Zusatzmaterial online zur Verfügung gestellt werden. Der Band gibt damit Lehramtsstudierenden, ReferendarInnen und Lehrenden des Faches Deutsch Einblick in aktuelle fachliche Diskussionen um die Ballade und deren Vermittlung. Literaturdidaktik QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
