Fremdsprachenerwerb Fremdsprachendidaktik
0810
2020
978-3-8385-5403-7
978-3-8252-5403-2
UTB
Jörg Roche
Der Band stellt die Grundfragen, Grundkonzepte und Grundpositionen der Spracherwerbsforschung und -didaktik verständlich, übersichtlich und anschaulich dar. Linguistische, kognitionslinguistische, psycholinguistische, lernpsychologische, inter- und transkulturelle, medien- und handlungsdidaktische Aspekte bilden den Leitfaden für die kohärente Darstellung der komplexen Thematik. Der Band nimmt stets unmittelbar auf die Lern- und Lehrpraxis Bezug. Zahlreiche Beispiele aus verschiedenen Sprachen und eine Fülle von Illustrationen erleichtern den Zugang ebenso wie die unkomplizierte Sprache. Fachbegriffe und Fachpositionen werden leicht verständlich erklärt und Zusammenhänge zwischen ihnen immer wieder hergestellt. Für die vierte Auflage wurden die Literaturangaben und Referenzmaterialien aktualisiert und neue Themen ergänzt bzw. ausgebaut, z.B. digitale Lehr- und Lernprogramme (Serious Games, Apps, Animationen, Lernplattformen), Szenariendidaktik und Handlungsorientierung oder Bildungs- und Berufssprache.
<?page no="0"?> Jörg Roche Fremdsprachenerwerb Fremdsprachendidaktik 4. Auflage <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 2691 <?page no="2"?> Prof. Dr. Jörg Roche lehrt am Institut für Deutsch als Fremdsprache der Ludwig-Maximilians-Universität und an der Deutsch-Jordanischen Universität in Amman. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Sprachenerwerb, Mehrsprachigkeit, Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen, Interkulturelle Kommunikation, Medien in der Sprach- und Kulturvermittlung und die Didaktiken von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. <?page no="3"?> Jörg Roche Fremdsprachenerwerb Fremdsprachendidaktik 4., überarbeitete und erweiterte Auflage Narr Francke Attempto Verlag Tübingen <?page no="4"?> 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2020 3., vollständig überarbeitete Auflage 2013 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2008 1. Auflage 2005 © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart unter Verwendung eines Gemäldes von Pieter Bruegel, The Tower of Babel, Rotterdam, Museum Boymans - Van Breuningen. CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 2691 ISBN 978-3-8252-5403-2 (Print) ISBN 978-3-8385-5403-7 (ePDF) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 1 13 1.1 14 1.2 17 1.3 21 1.4 23 1.4.1 27 1.4.2 28 1.5 29 1.6 33 1.7 35 1.8 36 2 39 2.1 40 2.2 43 2.3 44 2.4 46 2.5 51 2.6 53 2.7 54 2.8 54 3 59 3.1 61 3.2 65 3.3 73 Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung . . . . . Die Grammatik-Übersetzungsmethode (GÜM) Behavioristische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitivistische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Konstruktivistische Verfahren . . . . . . . . . . . . . Moderater Konstruktivismus . . . . . . . . Aufgaben- und Handlungsorientierung Kommunikative Didaktik und alternative Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kernelemente einer Fremdsprachendidaktik . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernervariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernerfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lerntraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alter und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlechtsspezifische Unterschiede . . . . . . . Sprachanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Die kognitive Hardware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gehirnzentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungskonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 3.4 75 3.5 78 3.6 81 3.7 88 3.7.1 91 3.7.2 92 3.8 97 3.9 114 3.10 116 3.11 116 4 121 4.1 122 4.2 124 4.3 131 4.4 139 4.5 141 4.6 148 4.7 152 4.8 165 4.9 173 4.10 180 4.11 181 5 189 5.1 194 5.2 198 5.3 199 5.4 207 5.5 212 5.5.1 215 5.5.2 218 Informationsspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Bildverarbeitung . . . . . . . . . . . . . Sprachverstehen und Sprachproduktion . . . . . Die Organisation des mentalen Lexikons . . . . Der Erwerb des einsprachigen mentalen Lexikons . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Erwerb des bilingualen mentalen Lexikons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachverarbeitung und Fehlerkorrektur . . . . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdsprachenerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesteuerter und ungesteuerter Spracherwerb Der pragmatische Modus und die Basisvarietät Diagnose, Evaluation und Leistungsmessung Vom Chunking zur Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerbshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachenlernen und kognitive Entwicklung . Erwerbssequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachumgebung und Eingabe . . . . . . . . . . . . . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachbeschreibung und Sprachnormen . . . . Allgemeinsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachvariation und Sprachwandel . . . . . . . . . Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schulgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valenz-, Dependenzgrammatik . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 5.6 222 5.7 238 5.7.1 242 5.7.2 247 5.8 250 5.9 259 5.10 264 5.11 265 6 271 6.1 271 6.2 279 6.3 287 6.4 290 6.5 295 6.6 298 6.7 303 6.8 308 6.8.1 308 6.8.2 314 6.8.3 318 6.9 326 6.10 329 6.11 332 6.12 335 6.13 343 6.14 345 6.15 350 6.16 350 7 357 7.1 358 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Aspekte der Sprache . . . . . . . . . . . . Grundlagen einer kognitiven Sprachdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Metaphern in Animationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatik und Fremdsprachenunterricht . . . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards . . . . . . . Lehrziele, Lernziele, Kompetenzen . . . . . . . . . Vom Lehrplan zum Lernplan . . . . . . . . . . . . . . Handlungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategientraining Leseverstehen . . . . . . . . . . Hörverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikation von Medien . . . . . . . . . . Mehrwerterzielung durch elektronische Medien . . . . . . . . . . . . . . Elektronische Lernplattformen . . . . . . Hierarchie der Lernarten . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsbezogener Unterricht . . . . . . . . . . . Lehrqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelle Sprachdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 7.2 366 7.3 373 7.4 374 7.4.1 378 7.4.2 379 7.4.3 381 7.4.4 382 7.5 384 7.6 384 8 393 9 399 9.1 399 9.2 401 401 10 403 10.1 403 403 408 410 Interkulturelle Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . Bildkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturvermittlung und „Landeskunde“ . . . . . . Kulturstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelle/ transkulturelle Landeskunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrnehmungsmuster und Erinnerungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Parameter zukünftiger Fremdsprachendidaktik . . . . . . . . . Referenzmaterialien zu Forschung und Didaktik . . . . . . . . Handbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitschriften mit einem Bezug zu Sprachenlernen, Fremdsprachenerwerb und Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungs- und Quellenverzeichnis . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 8 <?page no="9"?> Einführung Das Lernen von Sprachen gehört zu den alltäglichen Dingen der Welt. Fast jeder Mensch beherrscht mindestens ein sprachliches Zeichensystem, viele sogar mehrere, manchmal ohne sich dessen bewusst zu sein. Bestimmte Sprachen scheinen wir dabei leicht erwerben zu können, bei anderen, den so genannten fremden, fällt es aber anscheinend schwer. Wie kommt es, dass der Zugang zu den Sprachen und zum Sprachenlernen oft so schwerfällt und wie ließen sich Sprachen leichter lernen und vermitteln? Hierauf will die Einführung Fremdsprachenerwerb − Fremd‐ sprachendidaktik all denen einen leicht verständlichen Überblick bieten, die sich aus privatem, akademischem, beruflichem oder öffentlichem Interesse damit beschäftigen. Es geht diesem Buch in erster Linie um die Darstellung der Grundlagen des Sprachen‐ erwerbs und der Sprachenvermittlung. Zu Grunde liegt dabei die Erkenntnis, dass sich erst dann sinnvolle Ableitungen für die Lernpraxis und die Unterrichtsmethodik entwickeln lassen, wenn es auf theoretisch fundierten Grundlagen geschehen kann. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich viele gutgemeinte un‐ terrichtsmethodische Bemühungen in einem Methodenaktionis‐ mus verlieren. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht in diesem Buch daher immer die Perspektive des Lerners, also die der kognitiven Di‐ mension des Sprachenerwerbs. In den Köpfen der Lernerinnen und Lerner muss sich schließlich der Spracherwerb abspielen, nicht in den Grammatiken oder Lehrplänen. Diese Einführung stellt aus diesem Grund den verbreiteten Praktiken und Annah‐ men der Sprachvermittlung immer wieder die wichtigsten Grundlagen von Lerntheorien und Informationsverarbeitungs‐ prozessen, die neuesten Erkenntnisse der Spracherwerbsfor‐ schung, Modelle der Sprachbeschreibung und Grammatik und die Variation der Zielsprache gegenüber. Neuere Forschungser‐ gebnisse bestätigen, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Strukturen von Erst- und Fremdsprachen von geringerer Re‐ <?page no="10"?> levanz sind, als die kognitiven Prozesse (Strategien, Techniken) der Lerner, die sich mit unterschiedlichen Lernerfahrungen und unter unterschiedlichen Gewichtungen der motivationalen Fak‐ toren dynamisch verändern. Eine Unterrichtsmethodik, die sich vor allem an strukturbezogenen Vergleichen zwischen Erst- und Zweitsprache orientiert, hat sich als nicht mehr zeitgemäß er‐ wiesen. Diese Einführung ist für Leserinnen und Leser gedacht, die sich auf die Abenteuer Sprache und Sprachenerwerb einlassen wollen. In diesem faszinierenden und mit zunehmender Globa‐ lisierung immer bedeutender werdenden Bereich muss man mit vielen Überraschungen und ungelösten Fragen rechnen. Das Buch zeigt auf, wo es sich lohnt nachzuforschen. Es ermutigt die Leserinnen und Leser, selbst mit Sprachen und ihrem Erwerb zu experimentieren, und verweist daher immer wieder darauf, wie das Funktionieren der natürlichen inneren Mehrsprachigkeit des Menschen („Wie im richtigen Leben“) als gute Grundlage für den Erwerb von weiteren Sprachen fungieren kann. Damit will es gleichzeitig jetzigen und zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern die nötigen Grundlagen vermitteln, mit denen sie selbständig, kompetent, energisch und mutig an einer Optimierung des Fremdsprachenunterrichts in ihrem eigenen Bereich, in ihren Schulen und in Gesellschaft und Bildungspolitik mitarbeiten können. Auf der Grundlage der theoretischen Erkenntnisse skiz‐ ziert dieses Buch didaktische Leitlinien und methodische Ver‐ fahren so, dass sie sich mit der Lern- und Lehrerfahrung der Le‐ serinnen und Leser verknüpfen lassen und eine Umsetzbarkeit in der Lehr- und Lernpraxis ermöglichen. Fremdsprachenerwerb − Fremdsprachendidaktik ist eine erste Einführung in das spannende Gebiet des Lernens und Lehrens von fremden Sprachen, die ihre Fremdheit verlieren sollen. Um die Breite und Tiefe des Gegenstandsbereiches darzustellen, muss das Buch in dem vorgegebenen Rahmen und Format der utb-Bände oft zusammenfassend verfahren. Es ist hier nicht immer möglich, einzelne Positionen und die innerfachliche Diskussion so genau nachzuzeichnen, wie es für die weitere wissenschaftliche Ausein‐ andersetzung erforderlich ist. Durch die weiterführenden Litera‐ turangaben im Anschluss an die einzelnen Kapitel erhalten Lese‐ Einführung 10 <?page no="11"?> rinnen und Leser jedoch eine Orientierung für das weitere, vertiefende Lesen und für eine weiterführende wissenschaftliche Beschäftigung. Die Literaturangaben sind nach Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Zugänglichkeit ausgewählt. Die zentralen Begriffe werden auf verständliche Art erklärt und, wo das for‐ schungsbedingt sinnvoll erscheint, mit den englischen Fachbegrif‐ fen ergänzt. Zur besseren Orientierung sind Kernbegriffe im Text fett hervorgehoben und die Themen in der Randspalte genannt. Das kostenfrei zugängliche Digitale Lexikon Fremdsprachendi‐ daktik (www.lexikon-mla.de) erklärt die meisten Fachbegriffe in verständlicher Sprache. Die Beispiele zur Illustration stammen aus verschiedenen Sprachen, orientieren sich aber aus Gründen der besseren Ver‐ ständlichkeit meist am Deutschen als Fremdsprache oder am Englischen. Damit sollte es allen Leserinnen und Lesern leicht‐ fallen, die dargestellten Sachverhalte ohne sprachliche Schwie‐ rigkeiten, aber dennoch aus der Perspektive eines fremdsprachi‐ gen Lerners, nachvollziehen zu können. Bei der Darstellung ist auf Kürze, Prägnanz und Anschaulich‐ keit geachtet worden. Das schließt den sprachlichen Ausdruck mit ein. Wo es um Lehrerinnen und Lehrer, Lernerinnen und Lerner und ähnliche Personengruppen geht, werden aus Grün‐ den der Kürze in der Regel abwechselnd feminine und/ oder mas‐ kuline Bezeichnungen verwendet, zur Orientierung an der eng‐ lischsprachigen Fachliteratur gelegentlich auch nur maskuline (zum Beispiel learner oder instructor im Englischen). Eine Gleich‐ setzung von grammatischem (Genus) und natürlichem Ge‐ schlecht (Sexus) zu vermuten, wäre jedoch − zumal in der heu‐ tigen Zeit − geradezu töricht. Übungsaufgaben zu jedem Kapitel ermöglichen die Wissens‐ kontrolle, ein Register erleichtert die Orientierung im Band. Die Lösungen zu den Übungen können unter www.utb-mehr-wiss en.de eingesehen werden. Einige Materialien und Unterlagen wurden von freundlichen Kolleginnen und Kollegen für dieses Buch zur Verfügung gestellt. Ihnen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Die Quellen und Urheber sind entsprechend vermerkt. Ferran Suñer und Elisa‐ betta Terrasi-Haufe haben wertvolle Rückmeldungen und Mate‐ Einführung 11 <?page no="12"?> rialien zum Manuskript einer früheren Auflage geliefert, Patricia Boos und Laura Sommer haben kompetent, gewissenhaft und zuverlässig an der Neuauflage bibliographisch und redaktionell mitgewirkt und Kathrin Heyng hat die Umsetzung durch den Verlag wieder sachkundig und professionell geleitet. Einführung 12 <?page no="13"?> 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die grundlegenden Orientierungen und Praktiken der Vermittlung von Spra‐ chen und über theoretische Leitlinien moderner Ansätze des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen. Damit werden wichtige Elemente der geschichtlichen Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts für ihre Bedeutung heute nach‐ gezeichnet und neue lernpsychologische, erwerbslinguisti‐ sche und didaktische Leitlinien für die weitere Entwicklung der Fremdsprachendidaktik skizziert. Gängige Unterrichts- und Lernverfahren und ihre Grundlagen werden präsentiert. Aus diesem Überblick ergibt sich ein Bezugsrahmen für den Fremdsprachenerwerb und die Fremdsprachendidaktik und damit für die weiteren Kapitel dieses Buches. Wie lernen wir (fremde) Sprachen und wie und wann lernen wir sie am besten? Lernen wir Fremdsprachen so, wie wir unsere Erstsprachen lernen? Welche Rollen spielen dabei die Strukturen der vorerworbenen Sprachen, die Sprache der Umgebung, ange‐ borene Fähigkeiten, Sprachverarbeitungssysteme und Imitati‐ onsverhalten? Auf welche Weise beeinflussen sich die erworbe‐ nen und im Erwerb befindlichen Sprachen gegenseitig? Die Antworten auf diese Fragen − das ist ein typisches Merkmal von Wissenschaften − sind zwar umstritten, aber an Versuchen, ver‐ schiedene Modelle auszuprobieren, fehlt es nicht. Ein Blick auf die am weitesten verbreiteten Methoden wird dies zeigen. Im Anschluss daran wird versucht, den lerntheoretischen Rahmen dieser Methoden und der aus ihnen entstandenen Mischmetho‐ den und neuen Verfahren abzustecken. Eines der Hauptmerkmale traditioneller Methoden des Fremd‐ sprachenunterrichts, die auch die Praxis heutiger, weitgehend ek‐ <?page no="14"?> Kompetenzorientierung lektischer Unterrichtsverfahren und Lehrmaterialentwicklungen bestimmen, ist ihre Fixierung auf die grammatischen Strukturen der beteiligten Sprachen in Lehrzieldefinitionen, der Progression, der Fehlerdiagnose und Fehlerkorrektur, der Gewichtung von In‐ terferenz und der Übungstypologie. Die beliebig dosierbare Steu‐ erbarkeit des Unterrichts und des Lernerverhaltens sind darin fest verwurzelte Vorstellungen. Dabei zeigt sich in der neueren For‐ schung, dass das Verständnis der Prozesse des Sprachenerwerbs, das heißt wie Lerner mit den sprachlichen Strukturen in ihren Strategien und Techniken umgehen, mindestens ebenso wichtig für die Lehrmethodik ist. Mit der Kompetenzorientierung neuer didaktischer Ansätze wird versucht, diesen Paradigmenwechsel über neue Lernzielbestimmungen in der Unterrichtsmethodik ab‐ zubilden. Die eklektische Praxis des Unterrichts ist jedoch noch stark von strukturellen Inputtraditionen und -modellen be‐ stimmt. Bei den Modellen der Structured Input Activities von Wong (2004), der Inputverarbeitung von van Patten (2004) und der Verarbeitungssteuerung nach Sharwood Smith (1993) zum Beispiel stehen die Kernfrage der Steuerbarkeit des Erwerbs durch bestimmte Strukturen im Input und Verfahren der Hervorhebung und Verstärkung beziehungsweise der Regelkonstruktion im Mit‐ telpunkt des Vermittlungsansatzes. Viel Aufmerksamkeit wird in diesem und ähnlichen Modellen darauf verwendet sicherzustel‐ len, dass der Input für den Lerner möglichst optimal strukturiert ist, und Übungen zu konstruieren, mit denen der Lerner zur Be‐ achtung wichtiger struktureller Merkmale gebracht werden kann. Auch in den bekanntesten traditionellen Unterrichtsmethoden spielt die Inputorientierung eine zentrale Rolle. Aus diesem Grunde und weil diese Methoden auch heute noch eklektisch und wenig reflektiert eingesetzt werden, sollen sie im Folgenden skiz‐ ziert werden. 1.1 Die Grammatik-Übersetzungsmethode (GÜM) Es gibt zwar kaum verlässliche Aussagen darüber, wie die Men‐ schen in früheren Zeiten miteinander kommunizierten, wir wis‐ sen aber, dass bereits früher verschiedene Sprachsysteme neben‐ 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 14 <?page no="15"?> Grammatik einander existierten, also auch Kommunikation über kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg und Fremdsprachenerwerb stattgefunden haben müssen. Man kann dies zum Beispiel an verschiedenen Schriftzeichensystemen wie den Hieroglyphen oder verschiedenen Petroglyphen (in Stein geschlagene oder ge‐ ritzte Schriften) rekonstruieren und an verschiedenen anderen Aufzeichnungen aus den vergangenen Jahrhunderten und Jahr‐ tausenden ablesen. Noch heute lässt sich der Austausch von Sprachen an Entlehnungen, Scheinentlehnungen, Analogiebil‐ dungen und Fremdwörtern in den lebenden Sprachen erkennen. Schließlich gibt es aber auch die eine oder andere explizite Aus‐ sage zum Dilemma der Vielsprachigkeit. So wissen wir aus der Bibel (Genesis 11,1−11,9) vom Sprachengewirr in Babel und vom Hochmut der Menschen, der − wie auch heute noch oft − die funktionierende Kommunikation zu Fall gebracht hat. Spätes‐ tens seit der Einführung von privaten und später auch öffentli‐ chen Bildungssystemen versuchen Gesellschaften, das Schicksal Babels zu vermeiden, indem sie den müh- und wundersamen Weg des Sprachenlehrens und -lernens beschreiten. In den Anfangszeiten des Sprachunterrichts galten die Klas‐ siker der Antike als Orientierung, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Es galt, den Vorbildern aus der ruhmreichen Geschichte Griechenlands und Roms nachzueifern und die Grundlagen der abendländischen Geisteskultur verstehen zu ler‐ nen. Ziel war es, die Originaltexte von Aristoteles, Homer, Cae‐ sar, Cicero oder Catull zu verstehen und zu übersetzen. An den sprachlichen Strukturen der frühen Leitbilder sollten die eigenen sprachlichen Fertigkeiten und die Fähigkeiten des Geistes allge‐ mein geschult werden. Am Beispiel der klassischen Sprachen sollten sich auch die Strukturen und Wurzeln der eigenen am besten erklären lassen, so eine heute noch weit verbreitete An‐ nahme. Die Grundstrukturen der lateinischen Grammatik wur‐ den als der Generalschlüssel zu den Sprachen unseres Kultur‐ kreises betrachtet, wenn nicht sogar zu den Sprachen schlechthin. Nach diesem klassischen Modell des Fremdspra‐ chenunterrichts wurde zunächst auch der Unterricht der moder‐ nen Fremdsprachen mit der Einführung des öffentlichen Schul‐ wesens im 19. Jahrhundert abgehalten. Es ging auch hier 1.1 Die Grammatik-Übersetzungsmethode (GÜM) 15 <?page no="16"?> German One zunächst vor allem um die Grammatikbeherrschung als Ziel und die Übersetzung als Methode des Unterrichts. Ein lerntheoreti‐ sches Konzept gibt es für dieses Verfahren jedoch nicht. Es re‐ flektiert lediglich die damals geltenden bildungspolitischen Vor‐ stellungen vom Sprachenlernen. Schematisch dargestellt werden kann das Prinzip dieser so genannten Grammatik-Überset‐ zungsmethode (GÜM) etwa folgendermaßen: Abb. 1.1: Schematische Darstellung der Grammatik-Übersetzungsme‐ thode Beispiel Das amerikanische Deutsch-Lehrwerk German One von 1949 veranschaulicht die Verfahren der Grammatik-Über‐ setzungsmethode: Am Anfang steht ein Lesetext, der weit über dem Niveau der Lerner liegt (hier Anfänger) und daher in der Regel mit verschiedenen Begriffserklärungen verse‐ hen werden muss (meist in der Randspalte oder wie hier im Glossar im Anhang). Die Wörter werden wie eine Glei‐ chung als Übersetzung angegeben (zum Beispiel Landkarte = map). Mit umfangreichen grammatischen Erklärungen soll der Textinhalt erschlossen werden. Diese Grammatik‐ regeln werden sofort in Übungen und Textübersetzungen verwendet. 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 16 <?page no="17"?> Abb. 1.2: Grammatik-Übersetzungsmethode am Beispiel des An‐ fängerlehrwerks German One 1.2 Behavioristische Verfahren Als sich die Vorstellungen vom - und die Anforderungen an das - Sprachenlernen zu ändern begannen, intensivierte sich auch die Suche nach alternativen Verfahren des Fremdsprachenun‐ terrichts. Er sollte nicht mehr nur an klassischen Vorbildern und auf eine kleine Bildungselite ausgerichtet sein, sondern zuneh‐ mend praktische Zwecke erfüllen. Eine europäische Reformbe‐ wegung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand (Viëtor, Gouin, Jespersen und andere, vergleiche dazu: Wilhelm Viëtor: Der Sprachunterricht muss umkehren. Heilbronn 1882), machte sich 1.2 Behavioristische Verfahren 17 <?page no="18"?> praktische Orientierung audiolinguale und audiovisu‐ elle Methode diese pragmatische Ausrichtung zum Ziel, allerdings für weitere 60 Jahre ohne durchschlagenden Erfolg. Ein zu großes Umden‐ ken und Umhandeln hätte diese Neuorientierung verlangt, zu eingefahren waren die Methoden des Unterrichts. Erst in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts schien schließlich ein Verfahren, das scheinbar nach den Prinzipien des Erstsprachen‐ erwerbs (L1-Erwerb) modelliert war, einen leichteren Weg zum Erfolg zu versprechen: die audiolinguale Methode. Im Zen‐ trum dieser Methode steht das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner. Man nahm an, dass dies dem L1-Erwerb von Kindern entspräche. Auch sie imitierten einfach das, was sie hörten. Man müsse also nur lange und oft genug hinhören, um die richtigen Laute in der richtigen Reihenfolge zu produzieren. Der Fremdsprachenunterricht machte aus dieser Beobachtung eine Methode. Indem den Lernern entsprechende Modelle in Form von einfachen Lauten, Lautkombinationen, Wörtern und Sätzen vorgegeben und diese Muster, so genannte Patterns, durch ein Reiz-Reaktionsverfahren immer wieder eingeübt und gedrillt wurden, sollten sich die Fertigkeiten zur eigenständigen Nutzung der Fremdsprache entwickeln. Lerntheoretisch ist die‐ ses Pattern-Drill-Verfahren als verhaltensformendes, also be‐ havioristisches Lernen bekannt geworden, und zwar nicht nur im Bereich der Fremdsprachen, sondern beim Lernen allgemein. Behavioristisches Lernen ist also ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Re‐ aktion (Response) auf diesen Reiz besteht. Gelernt wird ein Ver‐ halten, und zwar in erster Linie am Modell, an dessen Imitation und mechanischer Wiederholung. 18 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung Imitation Audiolinguale und audiovisuelle Methode Army Method/ la méthode derts schien schließlich ein Verfahren, das scheinbar nach den Prinzipien des Erstsprachenerwerbs (L1-Erwerb) modelliert war, einen leichteren Weg zum Erfolg zu versprechen: die audiolinguale Methode . Im Zentrum dieser Methode steht das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner. Man nahm an, dass dies dem L1-Erwerb von Kindern entspräche. Auch sie imitierten einfach das, was sie hörten. Man müsse also nur lange und oft genug hinhören, um die richtigen Laute in der richtigen Reihenfolge zu produzieren. Der Fremdsprachenunterricht machte aus dieser Beobachtung eine Methode. Indem den Lernern entsprechende Modelle in Form von einfachen Lauten, Lautkombinationen, Wörtern und Sätzen vorgegeben und diese Muster, so genannte Patterns , durch ein Reiz-Reaktionsverfahren immer wieder eingeübt und gedrillt wurden, sollten sich die Fertigkeiten zur eigenständigen Nutzung der Fremdsprache entwickeln. Lerntheoretisch ist dieses Pattern-Drill-Verfahren als verhaltensformendes, also behavioristisches Lernen bekannt geworden, und zwar nicht nur im Bereich der Fremdsprachen, sondern beim Lernen allgemein. Behavioristisches Lernen ist also ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Reaktion (Response) auf diesen Reiz besteht. Gelernt wird ein Verhalten, und zwar in erster Linie am Modell, an dessen Imitation und mechanischer Wiederholung. Abb. 1.3 Grundschema behavioristischer Lernmodelle S (timulus/ Reiz) R (esponse/ Reaktion) Je nach Schwerpunkt der Reizauslösung unterscheidet man zwischen audiolingualer (AL) und audiovisueller Methode (AV) im Fremdsprachenunterricht. Die erste (AL-)Methode wurde besonders in den 40er und 50er Jahren in den USA propagiert und massiv gefördert, vor allem weil man sich davon versprach, möglichst schnell möglichst viele Soldaten auf den Einsatz in den schnell wechselnden Kriegsgebieten vorzubereiten. Sie wird deshalb auch ‚Army Method‘ genannt. Die AV-Methode entstand in Frankreich, vermischte sich später mit der AL-Methode und wurde so als „la méthode“ ( die Methode) für eine ganze Sprachlehrgeneration prägend (bis in die frühen 70er Jahre). Um das mechanische Verfahren zu optimieren, bietet es sich an, auf Abb. 1.3: Grundschema behavioristischer Lernmodelle Je nach Schwerpunkt der Reizauslösung unterscheidet man zwi‐ schen audiolingualer (AL) und audiovisueller Methode (AV) im Fremdsprachenunterricht. Die erste (AL-)Methode wurde beson‐ ders in den 40er und 50er Jahren in den USA propagiert und 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 18 <?page no="19"?> massiv gefördert, vor allem weil man sich davon versprach, mög‐ lichst schnell möglichst viele Soldaten auf den Einsatz in den schnell wechselnden Kriegsgebieten vorzubereiten. Sie wird des‐ halb auch ‚Army Method‘ genannt. Die AV-Methode entstand in Frankreich, vermischte sich später mit der AL-Methode und wurde so als „la méthode“ (die Methode) für eine ganze Sprach‐ lehrgeneration prägend (bis in die frühen 70er Jahre). Um das mechanische Verfahren zu optimieren, bietet es sich an, auf elek‐ tronische Medien zurückzugreifen. Das wurde schon früh mit Tonbändern, Kassetten und Sprachlaboren praktiziert und wird auch heute noch in der Werbung mittels Schlagworten wie „in 30 Tagen Spanisch, Französisch etc. lernen“ angepriesen. Die äl‐ teren Medien wie Kassetten sind mittlerweile durch neue Medien wie CD-ROMs, DVDs und teilweise das Internet ersetzt worden. Das Lernschema dieser Programme bleibt aber das gleiche. Nach Issing (2002: 156) kann man behavioristisch vermittelte Verfah‐ ren deshalb folgendermaßen grafisch darstellen: 19 Behavioristische Verfahren Elektronische Medien Gesteuertes Lernen elektronische Medien zurückzugreifen. Das wurde schon früh mit Tonbändern, Kassetten und Sprachlaboren praktiziert und wird auch heute noch in der Werbung mittels Schlagworten wie „in 30 Tagen Spanisch, Französisch etc. lernen“ angepriesen. Die älteren Medien wie Kassetten sind mittlerweile durch neue Medien wie CD-ROMs, DVDs und teilweise das Internet ersetzt worden. Das Lernschema dieser Programme bleibt aber das gleiche. Nach Issing (2002: 156) kann man behavioristisch vermittelte Verfahren deshalb folgendermaßen grafisch darstellen: Medienentwickler Methoden und Medien Lehrer Lerner Abb. 1.4 Erweitertes Schema behavioristischer Verfahren: der Lerner als Rezipient (nach Issing 2002: 156) Die Medien können nach den Vorstellungen dieses Ansatzes den Unterricht vor allem dadurch optimieren, dass sie die entsprechenden Stimuli in der richtigen Dosis und in ausreichendem Maße, in muttersprachlicher Qualität und gegebenenfalls auch ortsunabhängig (also nicht nur im Unterrichtsraum) zur Verfügung stellen und positive Reaktionen durch akustische und visuelle Signale verstärken (Applaus, Trompetenfanfaren, grüne Ampeln und ähnliches). Die Medien lassen eine im Sinne des Behaviorismus optimale Steuerbarkeit des Lernablaufes und damit ein optimales Training der Lerner zu. Der Fachbegriff, mit dem diese Verhaltensschulung gefasst wird, lautet Konditionierung . Die Effekte der Konditionierung sind übrigens vor allem in psychologischen Experimenten (und zunächst mit Mäusen und Ratten) untersucht worden. Der größte Versuch am Menschen bleibt aber wohl der Sprachunterricht. Wie dieser Versuch auch heute noch in eleganter Verpackung fortgesetzt wird, zeigt folgendes Beispiel. Beispiel In einem der am weitesten verbreiteten Lernprogramme heißt es: „Mit unserer Lernmethode übersetzen Sie nicht in Ihre Muttersprache. Stattdessen schafft das Programm eine interaktive Lernumgebung, die Ihnen intuitiv das Vokabular, die Grammatik und die Aussprache Ihrer neuen Sprache direkt vermittelt. Diese wissenschaftlich fundierte Methode greift auf die natür- Rosetta Stone Abb. 1.4: Erweitertes Schema behavioristischer Verfahren: der Lerner als Rezipient (nach Issing 2002: 156) Die Medien können nach den Vorstellungen dieses Ansatzes den Unterricht vor allem dadurch optimieren, dass sie die entspre‐ chenden Stimuli in der richtigen Dosis und in ausreichendem Maße, in muttersprachlicher Qualität und gegebenenfalls auch ortsunabhängig (also nicht nur im Unterrichtsraum) zur Verfü‐ gung stellen und positive Reaktionen durch akustische und vi‐ suelle Signale verstärken (Applaus, Trompetenfanfaren, grüne Ampeln und Ähnliches). Die Medien lassen eine im Sinne des Behaviorismus optimale Steuerbarkeit des Lernablaufes und da‐ mit ein optimales Training der Lerner zu. Der Fachbegriff, mit 1.2 Behavioristische Verfahren 19 <?page no="20"?> gesteuertes Lernen „Dynamic Immersion“ dem diese Verhaltensschulung gefasst wird, lautet Konditionie‐ rung. Die Effekte der Konditionierung sind übrigens vor allem in psychologischen Experimenten (und zunächst mit Mäusen und Ratten) untersucht worden. Der größte Versuch am Men‐ schen bleibt aber wohl der Sprachunterricht. Wie dieser Versuch auch heute noch in eleganter Verpackung fortgesetzt wird, zeigt folgendes Beispiel. Beispiel In einem der am weitesten verbreiteten Lernprogramme heißt es: „Mit unserer Lernmethode übersetzen Sie nicht in Ihre Muttersprache. Stattdessen schafft das Programm eine interaktive Lernumgebung, die Ihnen intuitiv das Vokabu‐ lar, die Grammatik und die Aussprache Ihrer neuen Sprache direkt vermittelt. Diese wissenschaftlich fundierte Methode greift auf die natürlichen Lernkapazitäten des Gehirns zu‐ rück und trainiert Sprache spielerisch“ (www.rosettastone. de/ methode). Diese vollmundig als „Dynamic Immersion“ bezeichnete Methode besteht im Wesentlichen aus dem Hören (und gelegentlichen Lesen) einzelner Wörter, Satz‐ teile, Sätze oder kürzerer Redebeiträge, die den Prozess des L1-Erwerbs im L2-Erwerb simulieren und beschleunigen sollen. In Wirklichkeit finden hier vor allem das behavio‐ ristische Prinzip des Nachsprechens auf Bild- und Tonim‐ pulse und das Prinzip der Benennung einzelner, meist kon‐ textloser Elemente Anwendung. Im Wesentlichen wiederholt der Lerner das Gehörte/ Gelesene, ohne es je in natür‐ liche Lern- und Handlungszusammenhänge einbetten zu können. Bezeichnend für dieses mechanistische Verfahren des Sprachdrills ist der Mangel an kulturspezifischen Ele‐ menten: das verwendete Bildmaterial ist bei allen Sprachen identisch. Konkrete Hinweise auf die angebliche wissen‐ schaftliche Fundierung bleiben die Webseiten schuldig. Da‐ gegen beeindruckt das Programm mit kleineren techni‐ schen Finessen, deren Wirksamkeit in der Forschung jedoch nicht belegt ist. 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 20 <?page no="21"?> Lernerautono‐ mie Informationsverarbeitungsprozesse Die klassischen Unterrichtsverfahren der Grammatik-Überset‐ zungsmethode und die behavioristischen Verfahren, die vorwie‐ gend mit vorstrukturierten Lehrelementen und lehrergesteuert vorgehen, gelten in neuerer Terminologie als die typischen In‐ struktionsverfahren und die Medien, die sie nutzen, als die typischen Instruktionsmedien (im Englischen spricht man hier auch von „interventionist methods“). Damit können sie von zwei anderen Hauptverfahren des Spracherwerbs unterschieden werden, die stärker auf die Selbständigkeit (Autonomie) des Lerners und des Lernens Bezug nehmen: den so genannten kog‐ nitivistischen Verfahren, die auf die Vermittlung von meta‐ sprachlichem Wissen ausgerichtet sind, und den konstrukti‐ vistischen, die von selbst-generierenden Prozessen der Wissenskonstruktion gesteuert sind. Diese unterscheiden sich zu‐ mindest theoretisch in einer Reihe von Aspekten, ergänzen und überlappen sich aber auch in einigen Annahmen, Zielen und Methoden. In einer Mischgruppe von Ansätzen kommen sie mit unterschiedlicher Gewichtung und Funktion zur Geltung. Auch hier spielt die mediale Realisierung eine entscheidende Rolle. 1.3 Kognitivistische Verfahren Bei den kognitivistischen Lernverfahren stehen Struktur und Prozesse des Gehirns im Mittelpunkt des Interesses der unter‐ richtlichen Steuerung. Der Spracherwerb als komplexer Prozess der Informationsverarbeitung erfolgt über die Stufen Wahrneh‐ men, Erkennen/ Identifizieren, Sortieren, Klassifizieren, Verstehen, Behalten und Automatisieren. Lernen gilt dem‐ nach als das gezielte Erinnern an Aufgenommenes und die gekonnte Anwendung des Gelernten. Bearbeitet und aktiv ge‐ halten wird das Gelernte in verschiedenen Gedächtnisspei‐ chern, und zwar im Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitge‐ dächtnis. Diese Speicher sind jedoch keine passiven Schubladen, wie häufig angenommen wird, sondern dynamische Wissens‐ netze mit bestimmten Arbeitsfunktionen. So lassen sie sich da‐ nach bestimmen, wie lange und in welcher Form Information im Arbeitsgedächtnis bearbeitet wird, ob die Daten als einmaliges 1.3 Kognitivistische Verfahren 21 <?page no="22"?> Lernstrategien Ereignis (episodisches Gedächtnis) oder ob sie universell nutz‐ bar gespeichert werden (semantisches Gedächtnis). Unter‐ schieden werden muss weiterhin zwischen dem Faktenwissen, das heißt dem propositionalen oder auch deklarativen Ge‐ dächtnis, und dem Methoden- und Vorgangswissen, das heißt dem prozeduralen Gedächtnis. In Kapitel 3 wird noch genauer auf die Prozesse der Sprach-, Bild- und Informationsverarbeitung eingegangen. Hier soll nur festgehalten werden, dass verschie‐ dene Speicherfunktionen bei der Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle spielen und dass diese vom Gehirn ständig orga‐ nisiert, vernetzt und umorganisiert werden. Bei den kognitivis‐ tischen Unterrichtsverfahren, die die dargestellte Dynamik der Verarbeitung jedoch nicht berücksichtigen, geht es darum, die relativ komplexe, vernetzte Speicherung von Wissen und den Zugang zu den Speichern durch metasprachliche Regeln und eine regelgeleitete (deduktive) Steuerung des Unterrichts und Lehrmaterials zu optimieren. Kognitivistische Verfahren und „Kognitivierung“ beschreiben äußere Steuerungsverfahren des Unterrichts mit dem Ziel der metasprachlichen „Sprachbewusst‐ heit“, nicht den Versuch, die natürlichen Erwerbs- und Verarbei‐ tungsprozesse des Lerners zu ergründen und in Lernverfahren zu modellieren (Ellis 1994, Norris/ Ortega 2000, Jessner 2006). Interessanterweise haben die kognitivistischen Verfahren da‐ mit eine Reihe von grundsätzlichen Gemeinsamkeiten mit den behavioristischen Instruktionsverfahren, vor allem die äußere Steuerbarkeit des Lerners. Allerdings stehen hier die Speiche‐ rung, die Einsicht und die Übertragbarkeit des Wissens als Ziele des Lernens über den mechanistischen Reflexen. Kognitivisti‐ schen Modellen geht es um die Vermittlung von Einsichten in den Lernprozess selbst und um die Übertragbarkeit des Gelern‐ ten auf neue Wissensfelder. Die Lerner sollen die Lernverfahren also auch durchschauen und daraus entsprechende Lernstrate‐ gien für das selbständige Weiterlernen ableiten. Dieses Lernziel des Durchschauens der Lern- und Verarbeitungsprozesse wird metakognitive Reflexion genannt. Die zur Optimierung ein‐ gesetzten Lernmedien sind dabei als Mittler grundsätzlich un‐ terschiedlich geeignet. Sie sind aber immer nur Hilfsmittel, die Inhalte transportieren. Ohne Inhalte sind sie praktisch wirkungs‐ 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 22 <?page no="23"?> los. Das erklärt, warum der Motivationscharakter der Medien überschätzt wird und sich ihr Neuigkeitseffekt im Unterricht so schnell abgreift. Das gesamte kognitivistische Verfahren lässt sich nach Issing ungefähr so darstellen: Lernstrategien selbst und um die Übertragbarkeit des Gelernten auf neue Wissensfelder. Die Lerner sollen die Lernverfahren also auch durchschauen und daraus entsprechende Lernstrategien für das selbstständige Weiterlernen ableiten. Dieses Lernziel des Durchschauens der Lern- und Verarbeitungsprozesse wird metakognitive Reflexion genannt. Die zur Optimierung eingesetzten Lernmedien sind dabei als Mittler grundsätzlich unterschiedlich geeignet. Sie sind aber immer nur Hilfsmittel, die Inhalte transportieren. Ohne Inhalte sind sie praktisch wirkungslos. Das erklärt, warum der Motivationscharakter der Medien überschätzt wird und sich ihr Neuigkeitseffekt im Unterricht so schnell abgreift. Das gesamte kognitivistische Verfahren lässt sich nach Issing ungefähr so darstellen: Abb. 1.6 Schema kognitivistischer Verfahren: Die Medien und Methoden der Lehrer, Lehrbuchautoren und Medienentwickler wirken von außen auf die internen Verarbeitungsprozesse des Lerners, die er zwar durchschauen, aber kaum beeinflussen kann (nach Issing 2002: 156) Lerner Kenntnisse kognitive Fähigkeiten etc. Prozesse Medienentwickler Lehrer Methoden und Medien Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 22 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 22 26.04.2018 12: 41: 26 Abb. 1.5: Schema kognitivistischer Verfahren: Die Medien und Methoden der Lehrer, Lehrbuchautoren und Medienentwickler wirken von außen auf die internen Verarbeitungsprozesse des Lerners, die er zwar durch‐ schauen, aber kaum beeinflussen kann (nach Issing 2002: 156) 1.4 Konstruktivistische Verfahren Konstruktivistische Verfahren basieren auf der Annahme, dass Informationen nicht 1: 1 im Gehirn abgebildet werden, sondern dass sie im Wechselspiel mit der Umwelt individuell erzeugt und mittels permanenter Erkennungs- und Organisationsprozesse in bestehende Wissensnetze eingebettet werden (Assimilation). Gleichzeitig finden Akkommodationsprozesse statt, durch die das bestehende Wissenssystem an die Umwelt und das in ihr verfügbare neue Wissen angepasst wird. Lernen heißt somit, kognitive Konstruktionen neu aufzubauen und existierende ständig umzugestalten. Das beste Lernmaterial im Sinne kon‐ struktivistischer Theorien stellen demnach Baumaterialien und Werkzeuge dar, die es dem Lerner ermöglichen, in seiner Lern‐ umgebung eigene Wissenssysteme beliebig zu gestalten. Kon‐ struktivistische Ansätze (siehe Wendt 1996 oder Wolff 2002) be‐ 1.4 Konstruktivistische Verfahren 23 <?page no="24"?> Gehirn als selbst-referenzielles System ziehen sich häufig auf die philosophischen, biologischen und neurophysiologischen Grundlagen des Radikalen Konstruk‐ tivismus, der in den 1960er und 70er Jahren von Ernst von Gla‐ sersfeld und seinen Kollegen am Biological Computer Laboratory in Illinois entwickelt wurde, aber nicht für die unmittelbare An‐ wendung in Lehr- und Lernverfahren gedacht war. Das Radikale daran ist, dass Organismen als Systeme betrachtet werden, die sich selbst organisieren und begründen, also selbst-referenziell und selbst-explikativ sind. So auch das menschliche Gehirn, das nur über eine Umsetzung der physikalisch-chemischen Umwelt‐ ereignisse in die Sprache des Gehirns mit der Umwelt korre‐ spondiert. Konstruktivistisches Lernen lässt sich in Anlehnung an Issing folgendermaßen darstellen: Abb. 1.6: Schema konstruktivistischer Verfahren (nach Issing 2002: 156) Beim Sprachenlernen sind im konstruktivistischen Sinne opti‐ male Lernumgebungen praktisch nur durch ein komplettes, be‐ grenztes oder modelliertes Eintauchen (Immersion) in die ziel‐ sprachige Kultur gegeben. Im Unterricht sind diese idealen Ausgangsbedingungen nicht automatisch vorhanden, aber durch verschiedene Medien und didaktische Verfahren leicht herstell‐ 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 24 <?page no="25"?> handlungs- und aufgabenbasier‐ tes Lernen bar. Zu den Verfahren, mit denen solche komplexen, natürlichen Lernumgebungen hergestellt oder simuliert werden können, ge‐ hören bilinguale Klassen und Immersionsschulen, in denen Lern‐ stoff in der Fremdsprache unterrichtet wird. Auch der klassische Schüleraustausch und das Nutzen fremdsprachiger und fremd‐ kultureller Ressourcen am Lernort basiert auf dem Immersions‐ prinzip. Immersion funktioniert nicht wegen der „Beschallung“ durch die fremdsprachige Umgebung, sondern durch die aktive Auseinandersetzung damit. Daher lassen sich mit Themen und Materialien, die für die Lerner Relevanz haben, sowie mit hand‐ lungs- und aufgabenbasierten Lernverfahren wie etwa der Sze‐ nariendidaktik oder dem Projektlernen auch im Unterricht rei‐ che Lernumgebungen im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien modellieren. Da aber all diese Maßnahmen nicht überall möglich (und er‐ folgreich) sind, kommt gerade den Medien bei der Schaffung rei‐ cher Lernumgebungen eine herausragende Rolle zu. Durch sie werden authentische Situationen realitätsnah und materialreich präsentiert, zum Beispiel in Simulationsspielen. Dabei geht es nicht nur um Abwechslung, Realitätsnähe und Nähe zur Ziel‐ kultur. Lerntheoretisch entscheidend ist, dass authentisch reiche Lernumgebungen das Lernen kontextualisieren, verschiedene Zugangsmöglichkeiten und Perspektiven bei der Bearbeitung ei‐ ner Aufgabe fördern, die reale Kommunikationssituation mit den vielfältigen sprachlichen und außersprachlichen Bezügen abbil‐ den (Pragmatik) und daher auch vielfältige und echte Rückmel‐ dungen in der Kommunikation enthalten, die für das Weiterler‐ nen elementar sind. Diese sind auch deshalb nötig, weil der Sprachenerwerb in reichen Lernumgebungen weitestgehend als Teil einer Handlung nebenbei erfolgt, damit also viel komplexer und differenzierter ablaufen kann als in einem strikt geplanten und vorstrukturierten Unterricht. Man spricht hier von inzi‐ dentellem Lernen. Beispiel Verzweigende und auf mehreren Ebenen verlinkte Lern‐ umgebungen (Hypermedia) und mediale Werkzeuge zum selbständigen Arbeiten, mit denen etwa eine Webseite oder 1.4 Konstruktivistische Verfahren 25 <?page no="26"?> ein Text produziert werden können, eignen sich am besten für die Bearbeitung komplexer Situationen. Den CD-ROM-Sprachprogrammen Berliner sehen (Deutsch für Fortgeschrittene) und Dans un quartier de Paris (Französisch für Fortgeschrittene) lag zum Beispiel bereits in der frühen Mediennutzung ein strikt konstruktivistisches Lernmodell zu Grunde. Sie enthalten eine Reihe unverbundener Res‐ sourcen zu einem bestimmten Stadtviertel in Berlin oder Paris. Der Lerner kann sich mit diesen authentischen Inter‐ views, Kartenausschnitten, Dokumentaraufnahmen und anderem selbständig, ohne Grammatikerklärungen und ohne andere Vermittlungshilfen einen Zugang zu dem Le‐ ben im Stadtviertel, seiner Geschichte und den Anliegen der Bewohner verschaffen. Nach Möglichkeit soll er sich aber auch darüber hinaus über die besprochenen Themen und die verwendete Sprache informieren (siehe Softwareliste Kapitel 6.8.3). Abb. 1.7: Beispiel für konstruktivistisch verfahrende Sprachpro‐ gramme: Berliner sehen 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 26 <?page no="27"?> Xtranormal: Storytelling 1.4.1 Moderater Konstruktivismus Konstruktivistisches Arbeiten setzt eine eigene, relativ starke Arbeitsmotivation und meist auch schon recht gute Fremdspra‐ chenkenntnisse voraus. Lerner können ohne diese Grundaus‐ stattung unter Umständen überfordert werden. Sind Lerner zum Beispiel einer sehr reichen Lernumgebung ausgesetzt, wie sie fremdsprachige Internetseiten bieten, um selbständig und ohne Hilfen Aufgaben zu bearbeiten, können sie leicht in der Flut der fremden Sprache und Kultur untergehen, wenn sie nicht über die nötigen Sprach- und Navigationskenntnisse verfügen. Um dieser Gefahr zu begegnen, hat sich in der Unterrichtspraxis eine Reihe von theoretisch begründeten Mischformen entwickelt, die die Stärken instruktionistischer und konstruktivistischer Verfahren gleichermaßen nutzen. Dieser moderate Konstruktivismus wird im Softwarebereich häufig auch als instruktionales De‐ sign der zweiten Generation oder Anchored Instruction bezeichnet. Seine Verfahren fördern das Lernen in einer kom‐ plexen und kontextualisierten Lernumgebung, wobei allerdings der Erwerb hierfür wichtiger kognitiver Grundlagen mehr oder minder stark durch Unterrichtsmaßnahmen gefördert werden kann. Aufgaben werden im Unterricht vorbereitet, Hilfsmittel werden erklärt und zur Verfügung gestellt und die Lehrerin be‐ gleitet das Lernen wie eine Trainerin. Die Lerner sind an der Entwicklung des Themas soweit wie möglich direkt beteiligt, setzen das gemeinsam Erarbeitete um, erproben es selbständig, experimentieren damit und entwickeln es (auch nach individu‐ ellen Interessen) selbständig weiter. Beispiel Als mediale Realisierung bieten sich offene Lehr-/ Lernsys‐ teme mit Betreuungsmöglichkeiten durch Lehrkräfte (tuto‐ riellen Komponenten) an, wie beispielsweise das Programm zur Erstellung von Cartoons Xtranormal: Storytelling (www. xtranormal.com). Mit diesem Programm können Schüler ei‐ gene Drehbücher in verschiedenen Sprachen schreiben und verfilmen. Es ist als Spielprogramm, nicht als Sprachlernpro‐ gramm, entwickelt worden. Diese authentische Gebrauchs‐ 1.4 Konstruktivistische Verfahren 27 <?page no="28"?> funktion ist eine Grundbedingung für sinnvolles und rele‐ vantes Sprachhandeln von Lernern. Für das Erlernen der Fremdsprache Englisch eignet es sich besonders gut, weil die Lerner verschiedene Szenen und Charaktere aus vorgegebe‐ nen Menüs auswählen und auf eine Reihe von weiteren Hil‐ fen zurückgreifen können. Figurenbeschreibungen, Skript‐ vorgaben und Dialogteile sind schon vorhanden. Die Lerner können sie übernehmen, ändern oder eigene produzieren. Bestimmte Geräusche, Stimmlagen, Bewegungsanweisun‐ gen und der Dialogtext lassen sich dabei maschinell sofort in Ton oder Bild umsetzen und ausprobieren. Der für den Spracherwerb so wichtige Bezug zur Umsetzung der Sprache ins Handeln wird also gleich mitgeliefert (Parallelinforma‐ tion). Das Programm verfügt auch über deutsche, französi‐ sche und viele andere Stimmen. Die englischsprachigen An‐ weisungen müssen für den Unterricht in anderen Sprachen aber unter Umständen in diese Sprachen übertragen wer‐ den, sofern die Schülerinnen und Schüler nicht über Eng‐ lischkenntnisse verfügen oder diese nicht genutzt werden sollen. Die Produktionen können prinzipiell auch nach dem Unterricht weiterbearbeitet, einer Filmkritik und Preisverlei‐ hung im Unterricht unterzogen oder im Internet veröffent‐ licht werden (vergleiche auch die Programme puppet pals, comic life oder letter quiz für andere Zielgruppen). 1.4.2 Aufgaben- und Handlungsorientierung Die Prinzipien der aufgaben- und handlungsorientierten Sprach‐ didaktik, die auf konstruktivistischen Lernmodellen basieren, lassen sich gut anhand des Lehrwerks Berufsdeutsch illustrieren, das sich an Schülerinnen und Schüler von Berufsschulen wendet, und zwar bisher besonders in den Ausbildungszweigen Hotel- und Gaststättengewerbe, Einzelhandel und Metallbau. Im Mit‐ telpunkt steht dabei die Vermittlung von sprachlichen und fach‐ lichen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler in dem von ihnen gewählten Beruf brauchen, unabhängig davon, ob sie Deutsch als Erst- oder Zweitsprache haben. Damit verfährt das 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 28 <?page no="29"?> integrative Sprachförderung Lehrwerk im Gegensatz zu vielen Modellen der Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht segregativ sondern integrativ. Alle Inhalte sind darauf abge‐ stimmt und mit realistischen Aufgaben versehen, die im Berufs‐ leben und in der Ausbildung anfallen können. Zu den Aufgaben gehören unter anderem die Anfertigung eines Bewerbungsport‐ folios, die kontinuierliche Sammlung von selbst bearbeiteten oder erstellten Tabellen, Diagrammen, Ressourcen und Check‐ listen für den Beruf und die authentische Kommunikation in Ge‐ sprächen, Verhandlungen und Präsentationen mit Kolleginnen und Kollegen, der Geschäftsführung, Zulieferern und Kunden, mündlich und schriftlich. Traditionelle Sprachübungen gibt es dabei kaum mehr, da sie sich berufsnah und für Lerner interes‐ santer im Rahmen realistischer Aufgaben durchführen lassen (siehe hierzu Abbildung 6.6). Eine grundlegende Darstellung konstruktivistischer Lernver‐ fahren findet sich in Wendt 1996, eine Einführung in die Hand‐ lungsdidaktik mit einer Kritik gängiger Inputverfahren und den Ergebnissen einer explorativen Studie einer Kinder-Akademie liegt in Roche/ Reher/ Simic 2012 vor, weitere Ausführungen zur aufgaben- und handlungsorientierten Sprachdidaktik mit Hin‐ weisen für die Umsetzung im Unterricht finden sich in Mül‐ ler-Hartmann/ Schocker-von Ditfurth 2005, Bausch et al. 2006, Hölscher/ Piepho/ Roche 2006, Bach/ Timm 2013, Roche/ Terrasi-Haufe 2017, Roche/ Uth 2019. 1.5 Kommunikative Didaktik und alternative Methoden Als wichtigster methodischer Ansatz der Periode von 1970 bis 2000 gilt die kommunikative Sprachdidaktik. Sie schließt an die Ziele der Reformbewegung des 19. Jahrhunderts an (siehe Kapitel 1.2). Konzipiert wurde sie im Kontext allgemeiner gesellschaft‐ licher Reformen als ein soziologisch begründetes Modell des Sprachenlernens, das entsprechend von einem sozio- und prag‐ malinguistischen Sprachenkonzept untermauert wurde. Es ging dabei in erster Linie darum, die Demokratisierung gesellschaft‐ 1.5 Kommunikative Didaktik und alternative Methoden 29 <?page no="30"?> Sprachpraxis licher Strukturen durch eine stärkere Ausrichtung auf den Lerner auch im Unterricht um- und fortzusetzen. Dies geschah wesent‐ lich in Anlehnung an den soziologischen Begriff der kommu‐ nikativen Kompetenz (Habermas 1981). In der Soziologie steht dieser Begriff für die Befähigung der Bürgerinnen und Bürger einer Gesellschaft, eigenverantwortlich die politischen und wirt‐ schaftlichen Entscheidungsprozesse ihrer Gesellschaft mitzube‐ stimmen. Dazu bedarf es eines gleichberechtigten Zugangs zu den gesellschaftlichen Ressourcen, wie zum Beispiel Bildung, sowie transparenter und durchlässiger Entscheidungsprozesse und Machtstrukturen. Auf den Sprachunterricht übertragen be‐ deutete dieses Modell die Abschaffung oder zumindest Verrin‐ gerung elitärer Strukturen, wie sie in verschiedener Form bis zu dieser Zeit üblich waren: Der Lerner wird nicht mehr als ‚leerer Behälter‘ behandelt, der von oben befüllt oder konditioniert wer‐ den muss und im Wesentlichen reagiert. Er ist eigenständig und mündig und kann seine Bedürfnisse selbst artikulieren und steu‐ ern. Die Lehrkraft ist folglich auch nicht die Allwissende, die sämtliche Prozesse zu steuern hat, also vorschreibt, was, wie und in welcher Zeit zu lernen und was richtig und falsch ist. Auch das Lehrbuch verliert seinen elitären Charakter. Es ist nicht mehr die einzige und nicht in jeder Hinsicht Norm gebende Quelle des Lehrmaterials. Es bietet vielmehr eine sprachliche Auswahl, die sich vor allem am Lebensalltag der Menschen und nicht an der abgehobenen Sprache (meist nämlich der schriftsprachlichen li‐ terarischen) einer höheren Bildungsschicht orientiert. Im kom‐ munikativen Ansatz strebt der Lerner den sprachlichen, vorwie‐ gend den alltagssprachlichen Stand eines „Muttersprachlers“ an. Er soll auch handeln wie ein solcher. Er erwirbt die kommuni‐ kative Kompetenz eines „Muttersprachlers“. Dieses Hauptziel der muttersprachlichen Kompetenz unter‐ scheidet sich bei genauerem Hinsehen aber interessanterweise kaum von den früheren Unterrichtsansätzen, lediglich die Art und Weise, wie es erreicht werden soll, und welche sprachlichen Va‐ rietäten vermittelt werden, sind anders. Und so wurden im Laufe der Entwicklung des Ansatzes die theoretischen Annahmen und Ziele zunehmend durch die direkten Anforderungen der Sprach‐ praxis und die eigenen Lerntraditionen der Lehrerinnen und Leh‐ 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 30 <?page no="31"?> Outputorientierung rer überschrieben. Als Folge davon erscheint der kommunikative Sprachunterricht, also die Praxis, nicht der theoretische Ansatz, heute als ein variantenreiches, oft diffuses Konzept, das fast alles bezeichnen kann, was sich im Unterricht abspielt, ob es in eine kommunikative Systematik passt oder von beliebigen nichtkom‐ munikativen Vorstellungen der Praktiker bestimmt wird. Für manche bedeutet Kommunikativität schlichtweg mündliche Kommunikation (inklusive des Vorlesens oder Diktierens von Dialogen), für andere Alltagssprache und für wieder andere sprachliches und nichtsprachliches Handeln. Waren die Entwicklung des kommunikativen Ansatzes in der Anfangszeit, wie auch die Umwälzungen in den Gesellschaften allgemein, zum großen Teil einfach eine Bewegung gegen beste‐ hende Prinzipien, so ergab sich daraus im Laufe der Zeit ein auf eigenen Prinzipien aufbauender und an theoretische Konzepte angelehnter Ansatz, der schließlich verschiedene Elemente älte‐ rer Methoden in neuer Kombination zusammenbrachte. So kam es neben der Anlehnung an das soziologische Konzept der kom‐ munikativen Kompetenz zu einer stärkeren Gewichtung herme‐ neutischer Aspekte beim Lesen und später auch beim Schrei‐ ben, nun aber im Rahmen eines Konzeptes von Literatur, das vom Leser als deren Mittelpunkt ausgeht. Nach diesem Ansatz liegt der literarische Text nur bedingt als fertiges Produkt eines Autors vor. Der Text entsteht erst im Prozess des Lesens durch den Leser, den Rezipienten (rezeptionsästhetischer Ansatz/ Reader- Response Criticism). So bringt der kommunikative Fremd‐ sprachenunterricht jenseits der diffusen Praxis eine Reihe von theoretisch begründeten Ansätzen zusammen, die wesentliche Gemeinsamkeiten haben: den Prozess- und Handlungscharakter von Kommunikation und die konstruktive Rolle der Kommuni‐ kationspartner für das Entstehen von Kommunikation. Lernthe‐ oretisch ergänzt wird dieses Grundkonzept in neuerer Zeit durch eine Abwendung von instruktionistischen Inputverfahren und eine Ausrichtung auf eine Kompetenzorientierung des Lerners (Outputorientierung). In diesem Sinne ist das Konzept der kom‐ munikativen Didaktik ein konstruktivistisches Modell. In jedem beliebigen Arbeitsgebiet, das wenig klare Konturen aufweist und in dem keine verbindlichen Ausbildungsnormen 1.5 Kommunikative Didaktik und alternative Methoden 31 <?page no="32"?> alternative Methoden herrschen, können einzelne Aspekte zur Grundlage eines neuen Arbeits- oder Lehrkonzeptes gemacht werden. Das scheint be‐ sonders attraktiv, wenn die bestehenden Methoden nicht die er‐ warteten Ergebnisse erbringen. Zur treibenden Kraft werden dann die eigenen Erfahrungen, Beobachtungen oder Vermutun‐ gen. So etwa lässt sich auch die Entstehung zahlreicher alterna‐ tiver Methoden im Anschluss an die Phase behavioristischer Methodik beschreiben, die zwar hohe Erwartungen weckten, diese aber in keiner Hinsicht erfüllen konnten. Alternativ sind die Methoden daher auch nur in dem Sinne, dass sie andere Schwerpunkte setzen, als die bereits bestehenden Methoden. Ge‐ meinsam ist ihnen, dass auch sie einzelne psychische oder päd‐ agogische Aspekte isolieren, wie es etwa die Values-Clarifica‐ tion and Problem-Posing Approaches durch Einstellung auf die Werte und Ziele der Lerner oder das Counceling-Learning Community Language Learning durch Berücksichtigung der psychischen und sozialen Verfasstheit der Lerner tun. Die Sug‐ gestopädie postuliert im Wesentlichen eine Umgehung der Ko‐ gnition und betont − ebenfalls ohne wissenschaftlich belastbare Basis − den Vorteil psychischer Entspannung für die Steigerung von Aufnahmefähigkeit und Behaltensleistung. Sie baut darauf ihr gesamtes Lehrkonzept auf und nennt es aus Marketinggrün‐ den Superlearning. In tranceartige Zustände versetzt, sollen die Lerner Sprachen geradezu unbewusst aufsaugen. Auch die zahl‐ reichen Methoden, die im Gegensatz zur Suggestopädie ohnehin nur lokale oder regionale Anwendung (primär in USA) gefunden haben, weisen einen ähnlichen Mangel an wissenschaftlicher Belastbarkeit auf, bei der Total Physical Response beispiels‐ weise führen die Lernerinnen sprachliche Anweisungen und Be‐ schreibungen unmittelbar als Handlungen aus. Wenn die Lehre‐ rin sagt asseyez-vous, setzen sich zwar die Schüler im Erfolgsfalle, aber der Anwendungsbereich dieser Methode ist insgesamt sehr beschränkt, weil alltägliche Aktivitäten wie das Aufstehen und Setzen im Unterricht natürliche Grenzen haben. Auch die wei‐ teren alternativen Methoden aus dem Zeitraum 1965−1985 lassen sich in stärker verstehens- und stärker produktionsorientierte aufteilen und nur als Gegenbewegung zu den strikten form- und drillorientierten Methoden erklären. Außer der Total Physical 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 32 <?page no="33"?> Diglot-Weave Input Methode Methodenmix Response Methode stellen auch die folgenden Methoden das Verstehen in den Vordergrund: Delayed Oral Response, Draw the Picture, Optimal Habit Reinforcement, The Natural Approach und die Diglot-Weave Input Method. Der Natural Approach hat dabei die weiteste Verbreitung in Lehrmaterialien gefunden. Diesem Ansatz liegt die Annahme zu Grunde, die Ler‐ ner könnten auch ohne Fehlerkorrekturen durch entsprechende Inputsteuerung korrekt eine Fremdsprache erlernen. Die Dig‐ lot-Weave Input Methode baut teilweise auf sprachlichen Ge‐ meinsamkeiten von Erst- und Fremdsprache auf und versucht gleichzeitig, eine pragmatische Nutzung der L1 bei der Vermitt‐ lung der L2 − im Gegensatz zu den lange Zeit propagierten ein‐ sprachigen Methoden − zu verfolgen. Zu den produktionsorien‐ tierten alternativen Methoden gehören unter anderem die Silent Way Methode, bei der der Lehrer mit möglichst wenig eigenem sprachlichen Input die Schüler zum Sprechen und Ausprobieren von Sprache animiert und das Sheltered Initiation Language Learning, in dem die Schülerinnen die Möglichkeit haben, von Anfang des Unterrichts an eigene Ausdrucksformen bis hin zu kleinen Erzählungen zu entwickeln, ohne ständig korrigiert oder auf Korrektheit gedrillt zu werden. Das Outreach Learning wird mit dem Verfahren immersiven Lernens realisiert, wie der Nutzung vorhandener fremdsprachiger Ressourcen und der Be‐ wältigung von Aufgaben in der Lernumgebung. Trotz einzelner beachtenswerter Elemente, die ohne Zweifel Vorteile für das Sprachenlernen besitzen, hat keine der genannten Methoden ihre Eignung bewiesen, eine ernsthafte Basis für eine systematische, theoretisch fundierte Sprachdidaktik zu bilden. 1.6 Kernelemente einer Fremdsprachendidaktik Theoretische Lehr- und Lernansätze funktionieren in der Praxis in den seltensten Fällen in absoluter Reinkultur. Außerdem kön‐ nen verschiedene Verfahren je nach den Umständen zu gleich guten oder gleich schlechten Ergebnissen führen. In der prakti‐ schen Welt des Sprachunterrichts führen solche Erfahrungen sehr häufig zu einem Methodenmix, bei dem die verschiedenen 1.6 Kernelemente einer Fremdsprachendidaktik 33 <?page no="34"?> Methoden relativ willkürlich kombiniert und ausprobiert wer‐ den. Diese jeweils unterschiedlich dosierte Mischung von Me‐ thoden beschreibt wahrscheinlich am besten den verbreiteten Zustand des Fremdsprachenunterrichts. Eine kohärente Gesamt‐ systematik für DEN Fremdsprachenunterricht ist bisher trotz vieler gut ausgearbeiteter Einzelansätze nicht erkennbar. Im Kontext der Entwicklung von europäischen Lern- und Lehrstan‐ dards und Verfahren der Qualitätsentwicklung und des Quali‐ tätsmanagements steht die Fremdsprachendidaktik aber heute vor der Herausforderung, eine kohärente und komplexe Ge‐ samtsystematik entwickeln zu müssen. Dabei sind unter ande‐ rem folgende Aspekte zu berücksichtigen: Lerntheorien, Lern‐ ervariablen, Lernuniversalien, kognitive Prinzipien des Spracherwerbs, strukturelle und pragmatische Aspekte der Sys‐ tematik, Variation und Entwicklung von Sprachen, individuelle Faktoren der Lehr- und Lernziele, Kompetenzniveaus und Bil‐ dungsstandards. Mit den Lernervariablen befasst sich eingehend Kapitel 2 dieses Buches. Die Prozesse der Informationsverarbeitung und des Sprachen- und Wissenserwerbs steuern die Lernuniversa‐ lien. Sie sind Gegenstand von Kapitel 3. Beide Faktorenkom‐ plexe zusammen stellen den Ausgangspunkt und die Grundlage des gesamten Lernkontextes eines Lerners dar. Spracherwerb ist durch innere Gesetzmäßigkeiten gesteuert. Die Grundlagen dieser Steuerung durch Spracherwerbsstrate‐ gien und -techniken werden in Kapitel 4 genauer vorgestellt und an Originalaufnahmen von Lernern illustriert. Da die Ent‐ wicklung des Sprachenerwerbs immer im Wechselspiel mit der sprachlichen Umgebung verläuft, wird hier auch erklärt, wie vielfältig die Eingabe im Sprachenerwerb ist und wie das Wech‐ selspiel zwischen Lernersprache und Sprachenumgebung ab‐ läuft. Der Erwerb von Sprachen wird jedoch immer weniger als von außen gesteuerter - oder steuerbarer - Prozess (Instruktion) verstanden. Entscheidend ist, was der Lerner mit all dem Input machen kann und macht. Daher beschäftigt sich die moderne Spracherwerbsforschung schon lange (und die Sprachdidaktik etwas verlangsamt) mit den kognitiven Prozessen des Lernens und Lehrens und mit den kognitiven Aspekten von sprachlichen 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 34 <?page no="35"?> Systemen. Kapitel 4.6 und 5.7 erklären den Weg von der Kogni‐ tiven Linguistik zur Kognitiven Sprachdidaktik. Im Unterricht stellt sich die Frage, wie die Eingabe am besten zu strukturieren und zu dosieren ist. Die Grundlagen verschiede‐ ner Inputmodelle werden daher in den folgenden Kapiteln aus‐ führlich dargestellt. Dabei spielen die Beschreibung der relevan‐ ten Perspektiven auf Sprache und die Darstellung der Grammatik eine zentrale Rolle (Kapitel 5). Mit der Umsetzung der Ergebnisse der Grundlagenforschung in Lehrplänen, Bil‐ dungsstandards, Instrumenten des Qualitätsmanagements, Lehrmaterialien und dem Unterricht befasst sich Kapitel 6. Hier wird besonders auf handlungs- und aufgabenbezogene Kon‐ zepte des Fremdsprachenunterrichts eingegangen. Wie Sprache am besten in die fremde Konzeptwelt der Lerner zu vermitteln ist, wird im Kapitel Interkulturelle Sprachdidaktik (Kapitel 7) dar‐ gestellt. Mit ihrer Ausrichtung auf Fremdheit und im Kontext der Handlungsorientierung und der Fokussierung auf kognitive Pro‐ zesse des Lernens kann diese auch als grundlegendes Gesamtkon‐ zept einer modernen Sprachdidaktik verstanden werden. 1.7 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. Versuchen Sie, Ihren eigenen Fremdsprachenunterricht oder 1. -erwerb mit Hilfe der hier genannten Merkmale zu charak‐ terisieren. Wo erkennen Sie klare Elemente eines bestimm‐ ten Ansatzes, wo vielleicht mögliche Mischformen? 2. Welche Verfahren, Aufgaben, Ereignisse und Medien sind 2. Ihnen aus dem Fremdsprachenunterricht und -erwerb in besonders guter Erinnerung? Was hat besonders gut funk‐ tioniert, was besonders schlecht? An welche sprachlichen Strukturen erinnern Sie sich zum Beispiel noch sehr gut? Notieren Sie sich bitte ein paar Stichpunkte für später. 3. Was sind die Merkmale und Auswirkungen der Inputori‐ 3. entierung gängiger Unterrichtsmethoden? 4. Welche vier wichtigen lerntheoretischen Richtungen las‐ 4. sen sich unterscheiden? 5. Was sind ihre wichtigsten Unterscheidungsmerkmale? 5. 1.7 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 35 <?page no="36"?> 6. Was sind die Grundlagen des handlungsorientierten An‐ 6. satzes der Sprachvermittlung und welche Auswirkungen haben sie auf den Unterricht? 7. Was wissen Sie bereits über die genannten Arbeitsbereiche 7. der Fremdsprachendidaktik, welche Fragen haben Sie dazu? Wie könnten sich Erkenntnisse zu den Bereichen auf den Unterricht auswirken? 1.8 Weiterführende Literatur Bach, Gerhard/ Timm, Johannes-Peter (Hg.) (2013). Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichts‐ praxis. Tübingen: Francke. 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Mahwah, New York: Erlbaum, 33-63. 1 Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung 38 <?page no="39"?> Lernerbiografien 2 Lernervariablen Geschwindigkeit, Verlauf, Qualität und Fertigkeitsniveaus des Spracherwerbs werden wesentlich von individuellen In‐ teressen, Motiven, Vorkenntnissen und Anlagen gesteuert. Diese Faktoren interagieren in individueller Ausprägung und sie verändern sich im Laufe der Zeit. Sie bilden also ein dynamisches System, in dem sowohl Sprachenzuwachs als auch Fossilisierung, Sprachenabbau und Mischformen von Sprachen (Hybridisierungen) möglich sind. Zu den Lerner‐ variablen gehören interne und externe, von der Umwelt be‐ stimmte Faktoren sowie physiologisch bedingte Faktoren wie das Lernalter oder die Sprachlernfähigkeit. Obwohl ge‐ rade den physiologisch bedingten Faktoren und dem ver‐ meintlichen Lerntyp verbreitet ein großer − oder gar aus‐ schließlicher − Einfluss zugeschrieben wird, ist die Wirkung gerade dieser Faktoren in Wirklichkeit schwer bestimmbar. Spracherwerb ist auch in der Erstsprache ein nicht endender Prozess. Selbstzuschreibungen von Menschen, die davon ausge‐ hen, keine ausreichende Sprachlernfähigkeit zu besitzen oder kein Sprachentyp zu sein, haben in dieser Pauschalität keine be‐ legbare Basis, aber sie beeinflussen über die motivationalen Fak‐ toren den Erwerb oder Nicht-Erwerb von Sprachen. Wie in an‐ deren Bereichen des Lernens nutzen Menschen das ihnen verfügbare Inventar jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunk‐ ten und in unterschiedlicher Intensität. In dieser Hinsicht ist Sprachenerwerb - im Rahmen der erwerbslinguistischen Mög‐ lichkeiten und kognitiven Bedingungen - individuell (idiosyn‐ kratisch). <?page no="40"?> Ökonomie und Ökologie 2.1 Lernerfaktoren Durch das Lebensumfeld werden bestimmte Anlagen und Mög‐ lichkeiten, die jeder Mensch mit sich bringt, aktiviert und im günstigen Fall weiterentwickelt. Je früher dies geschieht, desto früher werden die Weichen für ein nachhaltiges und anhaltendes Lernen gestellt. Das Umfeld ändert sich jedoch ständig und der Mensch passt sich an dieses veränderte Umfeld an. So kann auch die Notwendigkeit, eine Fremdsprache zu lernen, erst später im Leben, zum Beispiel aus beruflichen oder familiären Gründen, auftreten und durchaus zum perfekten Erwerb einer neuen Spra‐ che führen. Entscheidend für den Erfolg ist das Vorhandensein einer grundsätzlichen Anpassungs- und Aufnahmefähigkeit. In‐ tegrative Motive, die die Lernmotivation bestimmen, und die subjektive Einschätzung der Relevanz des Sprachenlernens in Relation zum geschätzten Aufwand spielen eine besonders wich‐ tige Rolle. Die Lernmotivation ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die sich gegenseitig beeinflussen und einer lernöko‐ nomischen Einschätzung des Lerners unterliegen. Aus der Ver‐ änderbarkeit aller Faktoren und ihrer gegenseitigen Abhängig‐ keit ergibt sich die Dynamik und Ökologie des Faktorensystems. Externe Anreize (Anerkennung und Zertifizierung von Qualifi‐ kationen, berufliche Anforderungen, gesellschaftliche Wert‐ schätzung von Sprachen und Sprachkenntnissen) sowie instruk‐ tionale Maßnahmen und institutionelle Rahmenbedingungen (Lehrplan, Lehrkraft, Unterricht, Zeit, Prüfungsvorgaben) kön‐ nen die Lernmotivation positiv oder negativ beeinflussen. Um die Wirkung solcher Maßnahmen zu optimieren, bedarf es je‐ doch einer guten Kenntnis der Interessen und Lernpotenziale der Lerner sowie der Einsicht der Lerner in die Relevanz der zu er‐ werbenden Sprachkompetenzen. Bereits durch frühes Spielen und Experimentieren mit Sprachen, Dialekten, Registern und Varietäten der Sprache können wichtige Grundlagen für das In‐ teresse an und das Bewusstsein für Sprache(n) geschaffen und gefördert werden. Geschieht dies nicht, dann können die Ent‐ wicklung sprachlicher Kompetenzen und die Ausbildung sprach‐ licher Bewusstheit (auch in der Erstsprache) behindert werden. Bei rudimentären Kenntnissen kommt es auch leicht zum Ein‐ 2 Lernervariablen 40 <?page no="41"?> Sprachenmanagement Lernprofile schleifen verfestigter Routinen, die den weiteren Sprachener‐ werb schwieriger machen können. Der Erwerb weiterer Spra‐ chen kann sich dadurch stabilisieren oder fossilisieren. Zu den wichtigen Modellen, die die Dynamik der Lernerfak‐ toren im Management mehrsprachiger Kompetenzen abbilden, gehören das Dynamic Model of Multilingualism (DMM) (Herdina/ Jessner 2002), das biotische Modell/ ökologische System (Aronin/ Ó Laoire 2004), das Faktorenmodell (Hufeisen 2010) und das Rollen-Funktionsmodell (Williams/ Hammar‐ berg 1998). Lernerfaktoren Mit den folgenden für das Lernen von Fremdsprachen wich‐ tigen inneren Faktoren lassen sich Profile für Lerner erstel‐ len, die eine Grundlage für den Erwerb und Unterricht von Sprachen sein können: ▸ Interesse, Zielorientierung, Leistungsmotive, Zukunfts- ▸ perspektiven, ▸ Selbständigkeit, Vorstellungen von der eigenen Selbst‐ ▸ verwirklichung, Selbstbewusstsein, Selbsteinschätzung (Selbstkonzepte), ▸ Vitalität, ▸▸ Akzeptanz von Offenheit (Ambiguitätstoleranz und Ri‐ ▸ sikobereitschaft) / Angst, ▸ Extrovertiertheit/ Introvertiertheit, ▸▸ (Un-)Abhängigkeit von einer Regelorientierung, ▸▸ Reflexivität und Impulsivität, ▸▸ Fähigkeit und Bereitschaft zu kritischem Denken und ▸ zur Selbstreflexion (kritische Kompetenz), ▸ Fähigkeit zu analytischem und ganzheitlichem (holis‐ ▸ tischem) Lernen, Merkfähigkeit, ▸ Empathie/ soziale Einstellungen zu Menschen der eige‐ ▸ nen und der fremden Kultur, Fremdenfreundlichkeit (Xenophilie) oder Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie), ▸ Aufnahmefähigkeit aus der Umwelt, ▸▸ integrative Motivation sich in eine fremde Kultur ein‐ ▸ zupassen, 2.1 Lernerfaktoren 41 <?page no="42"?> interessengesteuerter Unterricht Emotion ▸ Einstellungen zum Lernen allgemein, ▸▸ Einstellungen zu Unterricht und Lehrkräften, ▸▸ Präferenzen für bestimmte Aufnahmekanäle und ▸ Kenntnis der eigenen Lernorientierung (visuell, analy‐ tisch, haptisch und Ähnliches), ▸ Einstellungen zur Sprache, Sprachbewusstsein, sprach‐ ▸ liche Sensibilität, ▸ emotionale Stabilität, Emotionen, Stimmungen, Tem‐ ▸ perament. Ein interessegesteuerter Unterricht, das heißt ein Unterricht, in dem Lerner eigene (intrinsische) Zielperspektiven entwickeln, lässt sich am besten mit einer Aufgaben- und Handlungsorien‐ tierung verbinden. Wenn Lerner an der Entwicklung der Aufga‐ ben und ihrer Umsetzung direkt beteiligt sind, übernehmen sie Verantwortung und erfahren die Reaktionen der Umgebung auf ihre Handlungen und Sprache unmittelbar. Damit werden die Lerner so weitreichend wie möglich beteiligt, zu selbständigen Entscheidungen (kritischem reflexivem Denken) angeleitet und zu einer Fortsetzung des Lernens über die Grenzen des Klassen‐ zimmers hinaus motiviert. Versuche, Lerner vor allem mit „äu‐ ßeren“ (extrinsischen) Mitteln zu motivieren, wie bunten Fotos in Lehrbüchern oder Zusatzmedien im Unterricht, führen dage‐ gen nicht unbedingt zum Erfolg, zumal dann nicht, wenn da‐ durch kein Übergang von einer rein extrinsischen Motivation zur Generierung eines eigenen Interesses gelingt. Sprachenlernen kann immer dann besonders erfolgreich sein, wenn ein Lerner die Relevanz extrinsischer Faktoren für die Verwirklichung sei‐ ner intrinsischen Motivationsziele erkennt. Eine wichtige Rolle beim Sprachenlernen spielen daher auch die emotionalen Einstellungen des Lerners, das heißt die affek‐ tiven Faktoren des Sprachenerwerbs. Eine besonders weitrei‐ chende, aber in der Forschung und in der Praxis oft zu gering bewertete Bedeutung hat unter diesen Faktoren die emotionale Stabilität des Lerners. Sie bestimmt den Spielraum eines Lerners und beeinflusst seine Risikobereitschaft und Belastbarkeit. Lern‐ potenziale und mögliche Hürden für ihre Entfaltung lassen sich nur vor dem Hintergrund der emotionalen Stabilität realistisch 2 Lernervariablen 42 <?page no="43"?> Sozialisation kulturspezifi‐ sche Präferen‐ zen einschätzen. So kann es sein, dass sich Lerner in ähnlichen Lern‐ umgebungen unterschiedlich entwickeln: Der eine erreicht schnell und leicht einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand, während ein anderer wegen einer instabilen affektiven Disposi‐ tion nur zu einer niedrigen Kompetenz gelangt. Zu der Dynamik der Faktoren gehört auch, dass der Erfolg beim Sprachenlernen nicht nur durch positive Einstellungen ausgelöst wird, sondern dass er gleichzeitig positive Einstellun‐ gen bewirken kann. Schließlich trägt auch das Umfeld entschei‐ dend dazu bei, wie sich die einzelnen Faktoren entfalten kön‐ nen, zum Beispiel wie der Sprachenerwerb bewertet und gewürdigt wird, welche Art von Rückmeldungen Lerner bekom‐ men und in welcher Weise Fehler als natürliche Entwicklungs‐ stufen betrachtet, statt formell sanktioniert werden. 2.2 Lerntraditionen Die Art und Weise, wie Menschen aufwachsen, prägt ihr Lern‐ verhalten über Fachgrenzen hinweg sehr nachhaltig. Lernme‐ thoden werden im Laufe der Sozialisation so verinnerlicht, dass sie sich der bewussten Kontrolle oder Reflexion entziehen. Dies ist bei der Curriculumsentwicklung und der Erstellung von Lehr‐ material zu berücksichtigen. Bei der Lehrzielbestimmung und Formulierung von Kompetenzen wird häufig übersehen, dass von außen bestimmte Lehrziele und Lehrmethoden für die Ler‐ ner zunächst meist etwas Fremdes darstellen und deshalb auch die Methoden der Lehrzielerreichung nicht unbedingt und für jeden Lerner unmittelbar einsichtig oder nutzbar sind (zu den Lehrzielen vergleiche Kapitel 6). Lerner, die einen lehrerzent‐ rierten Unterricht gewöhnt sind, müssen daher zum Beispiel erst mit den Methoden und Zielen eines kommunikativen, Autono‐ mie fördernden Sprachunterrichts vertraut werden, wenn der Unterricht erfolgreich sein soll. Kulturspezifische und individu‐ elle Lerntraditionen, die sich eher an der traditionellen Steue‐ rung durch Regeln, am systematischen strukturbasierten Vorge‐ hen, oder an der Autorität der Lehrkraft orientieren, sind daher auch dann im interkulturellen Sprachunterricht zu berücksich‐ 2.2 Lerntraditionen 43 <?page no="44"?> Dimensionen nach Kolb tigen, wenn in der Zielkultur eher kommunikative, autonome, auf Kompetenzerwerb ausgerichtete Bildungsziele angestrebt werden. Selbst stark internalisierte Lerntraditionen inklusive averser Lernverhalten sind offenbar veränderbar, wenn Lerner aufgabenbasiert und mit Interesse lernen. Bildungsziele und Lehrmethoden gehören damit zum Vermittlungsstoff eines mo‐ dernen Fremdsprachenunterrichts. 2.3 Lernertypen Durch die Zusammenstellung von mehreren Personenmerkma‐ len lassen sich Einzelprofile von Lernern erstellen. Auf diese Weise lassen sich Lehrmaterialien, Lehrprogramme und der Un‐ terricht auf Lernertypen ausrichten. Wenn gleiche Faktoren‐ merkmale von verschiedenen Lernern zusammengefasst werden können, entsteht eine Art Lernertypologie. Die gängigen Lern‐ ertypologien beschreiben zwischen drei und fünfzig verschie‐ dene Typen. Jeder Lernertypus verlangt demnach eine besondere Art von Aufmerksamkeit im Unterricht. Ein reflektierender Ler‐ ner ist beispielsweise nicht unbedingt zurückhaltend oder ängst‐ lich. Unter Umständen benötigt er lediglich etwas mehr Zeit, eine bestimmte Art von Ermutigung oder bessere Gelegenheiten zu Wort zu kommen. Andererseits fordert ein gesprächiger Typ in der Regel ein etwas strikteres Moderieren durch die Lehrkraft, und zwar vor allem aus folgenden Gründen: erstens, weil er dazu neigt, die anderen Kursteilnehmer einzuschüchtern, und zwei‐ tens, weil er seine Stärken nutzen kann, um mangelnde Kompe‐ tenzen in anderen Bereichen auszugleichen. Eines der bekann‐ testen und am besten ausgearbeiteten Klassifikationssysteme von „kognitiven Lernstilen“ stammt von Kolb (1984). Es bildet zwei Achsen (Dimensionen) ab: eine horizontale zwischen den Polen „aktives Experimentieren“ und „reflektiertes Beobachten“ und eine vertikale zwischen den Polen „konkrete Erfahrung“ und „abstrakte Begriffsbildung“. Demnach ergeben sich vier Haupt‐ typen: die Akkomodatoren, die mit aktivem Experimentieren am besten durch konkrete Erfahrungen lernen, die Konverger, die theoriegeleitet aktiv experimentieren, die Assimilatoren, die 2 Lernervariablen 44 <?page no="45"?> Lernorientierungen durch Beobachtungen und Erfahrungen theoriegeleitet einen Sachverhalt erschließen und die Diverger, die vor allem mittels konkreter Erfahrungen und reflektierendem Beobachten lernen. Das in weitere Typen unterdifferenzierte Grundmodell lässt sich folgendermaßen darstellen: 41 Alter und L ernen Lernorientierungen 2.4 Abb. 2.1 Kognitive Lernstile nach Kolb 1984 (Todorova 2009: 50) Die bisherigen Versuche, Lerner nach Stilen oder Typen zu klassifizieren, wie das Modell von Kolb, sind jedoch immer wieder an der Komplexität der Lernerfaktoren gescheitert. Es gibt sehr viele Merkmale und ihre Konturen sind nicht immer deutlich erkennbar. Außerdem verändert sich die Ausprägung und Gewichtung der Merkmale von Kultur zu Kultur. Mit den Dimensionen des Lernens kann zumindest die genannte Variationsbreite von Lernern und Lernkulturen abgebildet werden. Überprüf bare Kriterien einzelner oder kombinierter Lernerfaktoren erlauben die dafür nötige Messbarkeit unterschiedlich ausgeprägter, dynamisch veränderbarer Tendenzen der Lerner. Statische Typologien sind dafür wenig geeignet. Zur Illustration des Einflusses physiologisch bedingter Faktoren im Spracherwerb können die folgenden dienen: das Alter, geschlechtsspezifische Unterschiede und die Sprachanlage. Spielen diese physiologisch bedingten Faktoren beim Spracherwerb eine Rolle und wenn ja, wie wirken sich diese auf die Lernerfaktoren aus? Alter und Lernen Es wird weithin angenommen, dass Alter ein wichtiger Einflussfaktor beim Sprachenlernen ist. Mit steigendem Alter lasse die Fähigkeit zum Sprachenlernen nach. In jüngeren Jahren falle dagegen das Sprachenlernen leichter, weil es spielerisch erfolge. Abb. 2.1: Kognitive Lernstile nach Kolb 1984 (Todorova 2009: 50) So sinnvoll das Vorgehen auch erscheinen mag, die bisherigen Versuche, Lerner nach Stilen oder Typen zu klassifizieren, wie das Modell von Kolb, sind immer wieder an der Komplexität der Lernerfaktoren und ihrer Dynamik gescheitert. Es gibt sehr viele Merkmale und ihre Konturen sind nicht immer deutlich erkenn‐ bar. Außerdem verändert sich die Ausprägung und Gewichtung der Merkmale von Kultur zu Kultur. Mit den Dimensionen des Lernens kann zumindest die genannte Variationsbreite von Ler‐ nern und Lernkulturen abgebildet werden. Überprüfbare Krite‐ rien einzelner oder kombinierter Lernerfaktoren erlauben die dafür nötige Bestimmung unterschiedlich ausgeprägter, dyna‐ misch veränderbarer Tendenzen der Lerner. Statische Typolo‐ gien sind dafür wenig geeignet. Zur Illustration des Einflusses physiologisch bedingter Fakto‐ ren im Sprachenerwerb können die folgenden dienen: altersbe‐ 2.3 Lernertypen 45 <?page no="46"?> spielerisches Lernen zogene Faktoren, geschlechtsspezifische Unterschiede und die Sprachanlage. Spielen diese physiologisch bedingten Faktoren beim Sprachenerwerb eine signifikante Rolle und wenn ja, wie wirken sich diese auf die Lernerfaktoren aus? 2.4 Alter und Lernen Es wird verbreitet angenommen, dass das Alter ein wichtiger Einflussfaktor beim Sprachenlernen ist. Mit steigendem Alter lasse die Fähigkeit zum Sprachenlernen nach. In jüngeren Jahren falle dagegen das Sprachenlernen leichter, weil es spielerisch er‐ folge. Diese Vermutung hat sich aber nur bedingt als haltbar er‐ wiesen. Kinder, besonders in Kindergarten oder Vorschule, ler‐ nen tatsächlich spielerisch. Sie lernen in dieser Zeit aber praktisch alles spielerisch und haben dafür auch genügend Zeit. Außerdem ist das, was sie lernen, anfangs jedenfalls noch von geringer Komplexität und konkret erfahrbar. Mit Schule und Be‐ ruf fallen diese günstigen Rahmenbedingungen häufig weg. Mit dem eigentlichen Lebensalter und dem Sprachenlernen hat dies aber nur indirekt zu tun. Natürlich bringt der Alterungsprozess gewisse Nebeneffekte mit sich. Die Wahrnehmung, die Gedächt‐ nisfunktionen, die Flexibilität und die Reaktionsgeschwindigkeit können im Alter bekanntlich beeinträchtigt sein, aber das gilt für das Denken und Lernen allgemein, ist also keine sprachenspezi‐ fische Erscheinung und in der Wirkung (oft) weniger verheerend als weitläufig angenommen. In einem neueren Forschungs- und Entwicklungsprojekt zu einem neuartigen Sprachstandsdiagno‐ severfahren für Kinder konnte das Forscherteam zeigen, dass Alter, Kontaktdauer zur Zielsprache und andere zeitliche Fakto‐ ren keinen ausschlaggebenden Einfluss auf die Geschwindigkeit des Sprachenlernens und den Beherrschungsgrad der Zielspra‐ che haben müssen. Wenn dies dennoch beobachtet werden kann, dann sind oft andere, vorwiegend soziale und motivationale Fak‐ toren für solche Effekte verantwortlich (Roche et al. 2019, Czing‐ lar 2014; 2019; vergleiche Kapitel 4.7). Birdsong (2009) wendet sich deutlich gegen eine Überbetonung des Alters als Einfluss‐ 2 Lernervariablen 46 <?page no="47"?> Lebenserfah‐ rung faktor und schlägt die Bezeichnung ‚age-related effects‘, also altersbezogene Effekte,vor. Das Lernen wird mit fortgeschrittenem Alter in verschiedener Hinsicht sogar einfacher, zum Beispiel dadurch, dass man an be‐ reits erworbenes Wissen, erprobte Strategien und komplexe Wissensnetze, Schemata und Modelle sowie an Sprachlernerfah‐ rungen aus anderen Sprachen besser anknüpfen kann. Für das Sprachenlernen bedeutet das konkret, dass bestimmte Sachver‐ halte oder Vorgänge, die einem erwachsenen Lerner aus der ers‐ ten oder einer weiteren Sprache bereits bekannt sind, von ihm in der zweiten Sprache schneller angewandt oder angepasst wer‐ den können als von einem Kind. Logische Abläufe, kausales Denken, Raum- und Zeitkonzepte und abstrakte Sachverhalte gehören genauso dazu wie die gesamte Begriffswelt und das Strategienrepertoire (Weltwissen), die bei einem Erwachsenen auf Grund der Lebenserfahrung viel ausgeprägter sind als bei einem jungen Lerner. Das Weltwissen stellt wichtige, zeitspa‐ rende Brücken zur Verfügung, die älteren Lernern den Erwerb einer Fremdsprache erleichtern. Eingeschränkt werden diese positiven Effekte nur insofern, als bekanntes Wissen und eingespielte Verhaltensweisen immer auch den Zugang zu Neuem verbauen können. Am deutlichsten wird das im Bereich der Aussprache. Hier müssen wir uns im Deutschen mit einem limitierten Inventar von 37 Lauten in ei‐ nem eingeschränkten Variationskanal behelfen. Dieses Inventar wird naturgemäß so häufig benutzt, dass es schnell zu einer Ver‐ festigung der Ausspracheroutinen kommt. Ist das Inventar erst einmal fest eingefahren (fossilisiert), kann dadurch unter Um‐ ständen das akkurate Erlernen des Lautinventars einer fremden Sprache behindert werden. Ein Lerner produziert dann eine nicht ganz zielgerechte Aussprache, die zu der Annahme verleiten kann, er beherrsche die fremde Sprache nicht richtig. Inwiefern der Lerner den Wortschatz und die Grammatik wirklich be‐ herrscht, kann auf Grund der Aussprache von außen jedoch kaum entschieden werden. Aus verschiedenen Perspektiven heraus ist versucht worden festzustellen, ab wann die genannten Stabilisierungen oder Fos‐ silisierungen einsetzen. Der Physiologe Eric Heinz Lenneberg 2.4 Alter und Lernen 47 <?page no="48"?> Lenneberg Prägungsphasen (1921−1975) hat hierzu als einer der ersten einen Vorschlag ge‐ liefert, indem er die kritische Periode (Critical Period Hy‐ pothesis, CPH) benannt hat. Diese Zeitspanne relativer Flexi‐ bilität koppelt Lenneberg an die Phasen der Entwicklung des Gehirns (Maturation). Diese Koppelung hat in der Folge zu der Annahme geführt, mit dem Abschluss des Gehirnwachstums in der Pubertät (mit circa 15 Jahren) ende dann auch die besonders günstige Aufnahmephase für fremde Sprachen. Damit kann aber nicht gemeint sein, dass Spracherwerb nach der kritischen Peri‐ ode nicht mehr möglich oder sinnvoll sein kann, so wie es fälsch‐ licherweise etwa Esser (2006) polemisch im Kontext der Integ‐ rationsdebatte behauptet hat. Offensichtlich gelingt es nämlich vielen Lernern, auch im nach-pubertären Alter noch, ihr Wissen zu erweitern und fremde Sprachen so gut zu lernen, dass kaum Unterschiede zu Sprechern der Zielsprache feststellbar sind. Da‐ her gilt die CPH als überholt (und das ist eine entspannende Nachricht für spätzündende Teenager jeden Alters, überambi‐ tionierte Eltern und notorische Integrationsskeptiker). Vielmehr ergibt sich ein differenzierterer Blick auf Erwerbs- und Prä‐ gungsphasen (vergleiche Traoré 2000). So ist davon auszugehen, dass die primäre Prägungsphase für das Lautsystem in den ersten sechs Lebensmonaten stattfindet, unter Umständen auch schon vor der Geburt einsetzt. In diesen Phasen ist das Lautinventar des Kindes zunächst noch völlig offen und kann in jede Richtung geprägt werden (Oerter/ Montada 1995, Miller/ Eimas 1995, Jusczyk 1997, Saffran/ Werker/ Werner 2006, Leist 2006). Kinder erfahren in dieser Zeit, welches die wichtigen Laute ihrer Sprach‐ umgebung sind und richten ihr Wahrnehmungssystem und spä‐ ter auch die eigene Sprachproduktion nach diesen Lautparame‐ tern aus. Mit anderen Worten: In diesen ersten Lebensmonaten findet eine Einengung des Lautinventars statt. Dafür benötigen die Kinder viel Zeit und Aufmerksamkeit. Für die eigene Sprach‐ produktion ist daher erst nach weiteren Entwicklungsschritten im Anschluss an diese Prägungsphase Zeit (vergleiche hierzu ausführlicher Kapitel 4.6). Mehrsprachig aufwachsende Kinder haben entsprechend eine umfangreichere Aufgabe bei der Ana‐ lyse, Zuordnung und Entwicklung der Sprachsysteme und be‐ nötigen für diese Aufgaben etwas länger. Ihre eigene Sprachpro‐ 2 Lernervariablen 48 <?page no="49"?> Laterialität des Gehirns duktion setzt daher unter Umständen etwas später ein als bei einsprachigen Kindern. Allerdings wird dieser Rückstand (von ein paar Wochen) in der Regel schnell eingeholt. Kinder, die mit dem Erwerb mehrerer Sprachen eine entsprechende Sprachbe‐ wusstheit entwickeln, können von ihrer Grundinvestition ihr ganzes Leben lang profitieren, in den Sprachen, aber auch beim Lernen allgemein. In aufsehenerregenden Studien mit älteren Bilingualen und in Studien mit Dementen konnten Craik, Bia‐ lystok und ihr Team in Toronto nachweisen, dass Bilinguale sel‐ tener oder später an altersbedingten Erkrankungen leiden als Einsprachige. Auch zeigte sich in ihren Studien, dass das Einset‐ zen von Demenzerkrankungen wie Alzheimer sich durch mehr‐ sprachliche Tätigkeiten und durch Sprachenlernen verzögern lässt. Chowdhury zeigt zudem in einer Studie zum Sprachverlust bei Mehrsprachigen, dass sich Attritionseffekte oft nur sehr lang‐ sam zeigen und vor allem durch mangelnden Gebrauch der be‐ treffenden Sprachen bedingt sind (siehe Craik et al. 2010). Exkurs: Lernfähigkeit des Gehirns Woran es liegen könnte, dass bestimmte Sprachbereiche sich im Spracherwerb flexibler verhalten als andere, versucht eine Einteilung des Gehirns in unterschiedliche Schichten zu er‐ klären, die sich zu verschiedenen Zeiten entwickelt haben. So werden der Hirnstamm, der Hypothalamus und das Kleinhirn als der entwicklungsmäßig älteste Teil des Ge‐ hirns angesehen. Dieser Teil ist aus dem ursprünglichen Reptiliengehirn unserer Vorfahren hervorgegangen und re‐ gelt die instinktiven Vorgänge im Menschen. Das jüngere Säugetiergehirn oder lymbische System regelt die Emotio‐ nalität und das junge Großhirn, der so genannte Neokor‐ tex, ist unter anderem für das rationale Denken verantwort‐ lich. Dementsprechend verhält es sich mit der Lernfähigkeit der Gehirnschichten: je evolutionsgeschichtlich älter sie sind, desto geringer ist ihre Lernfähigkeit. Der Hirnstamm weist daher naturgemäß die niedrigste Lernfähigkeit auf und gilt als kaum beeinflussbar. (Das mag auch verstehen helfen, warum manche Mitmenschen so bissig sein müssen oder aggressiv auf neue Ideen reagieren.) 2.4 Alter und Lernen 49 <?page no="50"?> Das lymbische System lässt sich dagegen bei einfachen Operationen, wie einer reflexartigen Reaktion des Brem‐ sens vor einer roten Ampel, durch Konditionierung beein‐ flussen. Am ehesten reagiert das Großhirn auf Lernim‐ pulse, und zwar auf verschiedene (kognitive) Arten. Natürlich interagieren die verschiedenen Schichten inten‐ siv, sind also ohne die anderen Schichten nicht operations‐ fähig. Das bedeutet auch, dass bei Lehr- oder Lernvorgän‐ gen auch die Instinkte und Emotionen in einer gegebenen Situation angesprochen und sinnvoll integriert werden soll‐ ten, zum Beispiel dadurch, dass Lernen in komplexere Handlungsprozesse eingebunden ist (siehe Kapitel 3.1). Das Alter spielt als pauschale Erklärung für den Erwerb oder Nicht-Erwerb von Srprachen nur eine untergeordnete Rolle. Viel produktiver ist es, den sekundären Effekten des Alters mehr Aufmerksamkeit zu schenken: der zur Verfügung stehenden Lernzeit, dem Interesse, dem Vorwissen und den fördernden konzeptuellen Grundlagen der zuvor erworbenen Sprachen so‐ wie der Bearbeitung altersangemessener Aufgaben und Szena‐ rien. So kommt es, dass erwachsene Lerner aufgrund ihrer Le‐ benserfahrung und ihrer damit verbundenen fokussierten Einstellung zum Lernen sowie einem stärkeren Interesse im Un‐ terricht häufig erfolgreicher als jüngere Lerner sind und sich ak‐ tiver beteiligen. Wegen ihrer Lebenserfahrung fällt es ihnen meist leichter, über einen größeren Themenbereich zu sprechen und Verbindungen zu anderen Aspekten des Weltwissens und Interessen zu erkennen. Dadurch spüren sie den kommunikati‐ ven Druck, die nötigen sprachlichen Mittel effizient und akkurat zu erlernen (siehe hierzu die Arbeiten von Berndt 2003, Häcki Buhofer/ Hofer 2003, Singleton/ Ryan 2004, Aguado/ Grotjahn/ Schlak 2005, Grotjahn 2006, Pagonis 2009, Birdsong 2009, Molnár 2010, Schmelter 2010, Stemmer 2010, Edmondson 2010, Weg‐ mann/ Pomino 2010, Czinglar 2014). 2 Lernervariablen 50 <?page no="51"?> grenzenlos Unterschiede in Lernwegen und Lernergebnissen 2.5 Geschlechtsspezifische Unterschiede Auch bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden entschei‐ den weniger die genetische Prägung oder Sprachanlagen als die sekundären Effekte (Lernstoff, Art, Aufmachung und Vermitt‐ lung des Lernmaterials, Zeit) über den Zugang zur fremden Spra‐ che und den Erwerbserfolg. Die Forschungslage in diesem Be‐ reich ist nicht eindeutig, das Spracherwerbsverhalten hängt sehr von den Sozialisierungsvariablen ab (Klann-Delius 2005). Das kann exemplarisch an einer kleinen, aber instruktiven Studie il‐ lustriert werden. Studie In einer Untersuchung zum geschlechtsspezifischen Deutsch‐ erwerb von Kindern, die mittels des CD-ROM-Programms grenzenlos (Hölscher/ BMW Group 2003) Deutsch als Zweit‐ sprache lernten, wurde untersucht, ob es nennenswerte (si‐ gnifikante) Unterschiede in Umfang (quantitativ) und der Art und Weise (qualitativ) des Wortschatzerwerbs zwischen den beteiligten Mädchen und Jungen gab. Untersucht wurden insgesamt 52 Jugendliche im Alter von 13 Jahren. Dazu wurde ein Eingangstest durchgeführt, bei dem die Jugendlichen eine Auswahl von Bildern aus den CD-ROMs benennen sollten. In der Abb. 2.2 ist dies in den Werten links dargestellt (Vortest). Nach einem Zeitraum von 6 Wochen, in dem die Jugendli‐ chen mit den CD-ROMs im Großen und Ganzen frei arbeiten konnten, wurde ein weiterer Test durchgeführt, und zwar mit den gleichen Bildern, aber in anderer Anordnung. Dabei zeigten sich gravierende Unterschiede zwischen den Ge‐ schlechtern (in der Abbildung die Werte rechts, Nachtest). Beide Gruppen konnten sich von einem gemeinsamen Aus‐ gangsniveau signifikant verbessern, was zunächst für die CD-ROMs spricht. Aber die Mädchen haben ihre lexikali‐ schen Kenntnisse von 50 % auf 90 % fast verdoppelt, die Jungen (circa 70 %) also bei weitem überholt. Aufschluss‐ reich für die Erklärung des Erfolgs und der deutlichen Un‐ terschiede sind dabei die Listen der am häufigsten gelernten Wörter, weil sie klar zeigen, wie positiv die Orientierung 2.5 Geschlechtsspezifische Unterschiede 51 <?page no="52"?> auf bestimmte Themen und Begriffe den Spracherwerb be‐ einflussen. Abb. 2.2: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Nutzung von Lernsoftware zum Wortschatzerwerb: Eingangs- und Aus‐ gangswerte (Padlo 2004: 48) Abb. 2.3: Liste der am häufigsten gelernten Wörter einer Ver‐ gleichsstudie von 52 Jungen und Mädchen (Padlo 2004: 55) Diese Auswertungen zeigen, dass offensichtlich das Inter‐ esse der Jugendlichen durch die CD-ROMs unterschiedlich 2 Lernervariablen 52 <?page no="53"?> Spracherwerbs‐ apparat angesprochen wurde. Die Mädchen fanden als Gruppe ins‐ gesamt einen besseren Zugang zu bestimmten Themenbe‐ reichen der CD-ROMs als die Jungen. In weiteren Befra‐ gungen konnte die Beobachtung bestätigt werden, dass die Mädchen die Programme insgesamt viel interessanter fan‐ den als die Jungen. Spielsoftware sei ihnen lieber als Lern‐ software, gaben die Jungen an. Aussagen über genetische Voraussetzungen oder eine geschlechtsspezifische Eignung für das Sprachenlernen lassen sich aus diesen und anderen vergleichbaren Ergebnissen nicht ableiten. Bei der Erstel‐ lung von Lehr- und Lernmaterialien sind aber geschlechts‐ spezifische Präferenzen für bestimmte Themen, Aufgaben‐ stellungen und Lernverfahren zu berücksichtigen (Pavlenko 2001, Schmenk 2002). 2.6 Sprachanlage Unter Sprachanlage wird gewöhnlich zweierlei verstanden: im weiteren Sinn der gesamte Spracherwerbsapparat mit seiner Hardware und Software, im engeren Sinn auch das Talent, eine Sprache zu erwerben. In der Literatur wird der Erwerbsapparat, also die Sprachlernfähigkeit, auch Language Acquisition De‐ vice (LAD) genannt. Jeder Mensch besitzt die genetischen Grundanlagen dazu von Geburt an. Im Laufe der Entwicklung werden diese allerdings durch die verschiedenen lernerinternen und lernerexternen Faktoren unterschiedlich aktiviert und aus‐ geprägt. Diese Ausbildung des Grundinventars spielt eine be‐ sonders wichtige Rolle beim Grad und der Geschwindigkeit des Erwerbs. Beide Faktorenbündel sind durch Umweltfaktoren wie zum Beispiel den Unterricht beeinflussbar. Die ausschließende Wirkung einer (vermeintlich) begrenzten Sprachanlage wird je‐ doch weitgehend überschätzt. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum eine L2 grundsätzlich nicht mindestens genau so gut er‐ lernbar sein sollte wie eine L1, wenn die motivationalen Faktoren entsprechend gegeben sind. 2.6 Sprachanlage 53 <?page no="54"?> 2.7 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welches sind die wichtigsten Lernerfaktoren beim Fremd‐ 1. sprachenlernen, wie ermittelt man Lernstile? 2. Was bedeutet emotionale Stabilität und welche Rolle spielt 2. sie beim Sprachenerwerb? 3. Inwiefern fördert und beeinträchtigt fortgeschrittenes Al‐ 3. ter den Spracherwerb? 4. Wie gestaltet sich die Lernfähigkeit unterschiedlicher Be‐ 4. reiche des Gehirns und welche Folgen hat das für die Prä‐ sentation und die Bearbeitung von Lehrmaterialien im Un‐ terricht? 5. Welchen Nutzen haben Lernerprofile, die nach Lerndimen‐ 5. sionen gestaltet sind? 6. Wie würden Sie bei der Konzeption eines Sprachunter‐ 6. richts auf die verschiedenen Interessen und Lerngewohn‐ heiten von weiblichen und männlichen Lernern eingehen? 7. Wie würden Sie die Lerntraditionen einer Lernergruppe 7. ermitteln und im Fremdsprachenunterricht darauf reagie‐ ren? 2.8 Weiterführende Literatur Aguado, Karin/ Grotjahn, Rüdiger/ Schlak, Torsten (2005). Erwerbsalter und Sprachlernerfolg. Theoretische und methodologische Grundla‐ gen eines empirischen Forschungsprojekts. Zeitschrift für Fremd‐ sprachenforschung 16 (3), 275-293. Aronin, Larissa/ Ó Laoire, Muiris (2004). Exploring multilingualism in cultural contexts: towards a notion of multilinguality. In: Hoffmann, Charlotte/ Ytsma, Jehannes (Hg.). Trilingualism in Family, School and Community. Bilingual Education and Bilingualism. Clevedon/ Buffalo: Multilingual Matters, 11-29. Berndt, Annette (2003). Sprachenlernen im Alter. Eine empirische Studie zur Fremdsprachengeragogik. München: iudicium. 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Die Verarbeitung der eingehenden Informationen erfolgt da‐ bei parallel und koordiniert über die zur Verfügung stehen‐ den Kanäle (Medialität) und der Art (Kodalität) entspre‐ chend. Die Verarbeitung der eingehenden Informationen erfordert eine Anpassung (Assimilation) an die bereits vor‐ handenen Wissensbestände und gleichzeitig eine Anpassung (Akkomodation) dieser Bestände an die eingehende Infor‐ mation. Diese Prozesse der Sprach- und Informationsverar‐ beitung sind Gegenstand dieses Kapitels. Die Struktur unse‐ res Gehirns, seine Zentren und Mittel für die Informationsverarbeitung und die Koordination von Sprach- und Bildverarbeitung werden ausführlich behandelt. Anhand ei‐ nes psycholinguistischen Modells des Sprachverstehens und der Sprachproduktion wird anschließend illustriert, wie die einzelnen Phasen der Sprachverarbeitung von der Konzep‐ tualisierung über das mentale Lexikon bis zur Grammatik und Aussprache ablaufen. Es wird gezeigt, warum die Orga‐ nisationsprinzipien des mentalen Lexikons und der Zugang zum Wortschatz beim Sprachenlernen eine herausragende Rolle spielen und wie sich die Erkenntnisse aus der For‐ schung in der Unterrichtspraxis umsetzen lassen. Das Kapi‐ tel berichtet von zahlreichen spannenden Ergebnissen sprachwissenschaftlicher, psycholinguistischer, psychologi‐ scher und physiologischer Forschung mit der Perspektive, die Ergebnisse für das Sprachenlernen und den Fremdspra‐ chenunterricht nutzbar zu machen, zum Beispiel in Bezug <?page no="60"?> Spracherkennung Sprachverarbeitung auf die Konzeption, Automatisierung und Korrektur von sprachlichen Äußerungen und in Bezug auf Memorisie‐ rungstechniken für den Wortschatz. Wie kommt es eigentlich, dass Menschen sprachliche Informa‐ tionen von unwichtigen Nebengeräuschen unterscheiden kön‐ nen? Wie gelingt es uns, auch unbekannte sprachliche Laute von Tier- oder Maschinengeräuschen zu unterscheiden oder unvoll‐ ständige und unverständliche Sprache zu rekonstruieren? Woran erkennen wir, dass Ansagen an Bahnhöfen, Flughäfen oder in Telefonschleifen maschinell produziert sind? Warum spielt der ‚foreign accent‘ beim Verstehen oft gar keine Rolle? Wieso läuft uns schon das Wasser im Mund zusammen, wenn wir die tro‐ ckenen Wörter einer Speisekarte hören oder lesen? Wie und warum entstehen Versprecher, wann entdecken wir sie und wie korrigieren wir sie? Menschen verfügen offenbar über einen gut entwickelten und effizienten Sprachverarbeitungsapparat. Dieser Sprachapparat, der aus Wahrnehmungs-, Verarbeitungs-, Produktions-, Organi‐ sations- und Speicherprozessen und der dazu nötigen Hardware besteht, erledigt alle anfallenden Aufgaben. Er ist offensichtlich so flexibel und konstruktiv, dass er sich auf verschiedene Spra‐ chen, Akzente und auch Lücken einstellen lässt. Wie wir mit dem angeborenen Inventar umgehen, hängt natürlich von der jewei‐ ligen Umgebung ab, in der wir aufwachsen, leben und kommu‐ nizieren, sowie von unserer individuellen Fertigkeit und Bereit‐ schaft, dieses zu nutzen. Mit etwas Phantasie ließe sich die Sprachanlage mit einem Auto vergleichen: Ob wir damit dann nur in den 30er Zonen im Stadtverkehr fahren, Sonntagsfahrer bleiben, einen ramponierten Schrotthaufen bewegen, uns zu Fern- oder Rennfahrern entwickeln, in- und ausländische Mo‐ delle chauffieren, liegt im Großen und Ganzen an unseren In‐ teressen und Möglichkeiten und natürlich immer auch an dem Wartungszustand unseres Straßennetzes und den Witterungs‐ verhältnissen. Die genannten Komponenten der Sprach- und Informations‐ verarbeitung, die allen Menschen gemeinsam sind, lassen sich 3 Die kognitive Hardware 60 <?page no="61"?> Hemisphären unter dem Begriff der Lernuniversalien zusammenfassen. Die beteiligten Bereiche im Gehirn und ihre vernetzten Nervenver‐ bindungen, die Hardware also, sowie die dort rapide ablaufenden Prozesse lassen sich nur schlecht direkt beobachten. Man kann ja nicht so einfach in die Köpfe hineinschauen. Zwar gibt es Mess- und bildgebende Verfahren für elektromagnetische Strö‐ mungen und Blutströme im Gehirn oder deutliche Anzeichen für Sprachstörungen, wenn bestimmte Teile des Gehirns oder Arti‐ kulationsapparates ausfallen. Auch an Versprechern lässt sich ablesen, wie, wo und warum Sprache funktioniert und welche Prozesse für korrektes und vollständiges Kommunizieren erfor‐ derlich sind. Aber das, was wir bisher wissen, reicht für eine umfassende Theorie, die auf den Sprachunterricht angewendet werden könnte, noch nicht aus. Dennoch gibt es eine Reihe von Erkenntnissen, die für das Sprachenlernen und den Sprachun‐ terricht schon jetzt fruchtbar gemacht werden können. 3.1 Gehirnzentren Die beiden Hälften des Gehirns führen spezifische Funktionen aus. Der linken Hälfte werden logisches und analytisches Den‐ ken und die lineare Verarbeitung von Information zugeschrie‐ ben. Die rechte Hälfte gilt als verantwortlich für die Aufnahme und Erinnerung visueller, taktiler und auditiver Information. In ihr werden ganzheitliche und integrative Informationen sowie Gefühle effizienter verarbeitet als in der linken Gehirnhälfte. In‐ nerhalb dieser groben Unterteilung (Lateralität) lassen sich zu‐ dem Teilzentren für spezifische Verarbeitungsfunktionen iden‐ tifizieren. Diese Verarbeitungszentren sind auf vielfältige Weise miteinander vernetzt und können ihre Funktionen zumindest zu einem bestimmten Grad gegenseitig übernehmen (siehe auch den Exkurs in Kapitel 2.4). Für die Sprachverarbeitung sind vor allem zwei Zentren von Bedeutung: das Broca-Zentrum, das die Strukturierung von Sprache und sprachlicher Information steuert sowie die Sprachverarbeitung koordiniert und automa‐ tisiert, und das Wernicke-Zentrum, in dem die Bedeutung der sprachlichen Elemente verarbeitet wird. Sind diese Zentren 3.1 Gehirnzentren 61 <?page no="62"?> Aphasie durch einen Unfall oder durch eine Krankheit beschädigt wor‐ den, dann können bei den Patienten bestimmte sprachliche Funktionen beeinträchtigt sein oder komplett ausfallen. Solche Störungen bezeichnet man als Aphasien. Bei den Broca-Apha‐ sikern ist die Fähigkeit, sprachliche Äußerungen zu strukturie‐ ren, beeinträchtigt. Das führt vor allem zu grammatischen Aus‐ fällen und Umstrukturierungen, die jedoch nicht immer agrammatisch sind, wie lange angenommen wurde (vergleiche auch die pragmatischen Strukturierungsprinzipien in Kapitel 4.3). Bei den Wernicke-Aphasikern ist vor allem die Fähigkeit beeinträchtigt, Äußerungen inhaltlich (semantisch) zu koordi‐ nieren (Heeschen 1985, Kolk/ van Grunsven 1985). Die oft flüs‐ sige und grammatisch korrekt erscheinende Sprache besteht aus Wörtern, die kaum Sinn ergeben und deshalb oft schwer zu ver‐ stehen sind. Die wichtigsten Verarbeitungszentren für Sprache lassen sich wie folgt darstellen: Abb. 3.1: Übersicht über die wichtigsten Verarbeitungszentren des Ge‐ hirns Die wichtigsten Sprachverarbeitungszentren sind über starke Nervenbahnen für den Informationsaustausch und die Koordi‐ nation von sprachlichen Komponenten verbunden. An der Sprachverarbeitung beteiligt sind zudem die Sehrinde (visueller Cortex), das Hörzentrum (primärer auditorischer Cortex) sowie 3 Die kognitive Hardware 62 <?page no="63"?> verschiedene motorische Bereiche, die die Steuerung der Bewe‐ gungen von Armen, Beinen, Artikulationsmuskeln und von Ge‐ sichtsausdrücken (Mimik) übernehmen. Die Zentren sind alleine kaum funktionsfähig, können aber bestimmte Funktionen ge‐ genseitig übernehmen. Ist die Verbindung der beiden wichtigsten Sprachzentren gekappt, kann Sprache nur rudimentär oder gar nicht verarbeitet werden. Wie die Informationsübermittlung in‐ nerhalb der Zentren und der Zentren untereinander verläuft, zeigt die folgende Abbildung der Struktur der Nervenbahnen (neuronale Struktur). Abb. 3.2: Die Struktur von Nervenzellen (Kandel et al. 1995: 23) Eine Nervenzelle (Neuron) bekommt zunächst über die wurzel‐ artig verzweigten Ausläufer ihrer Zellkörper, die so genannten Dendriten, eine Information in Form eines elektrischen Impul‐ ses. Entlang ihres langen unverzweigten Fortsatzes, dem Axon, gibt sie diese Information an andere Nervenzellen weiter. Durch einen schmalen Zwischenraum, den synaptischen Spalt, treten die Nervenzellen in Kontakt. Hier sorgen chemische Botenstoffe, so genannte Neurotransmitter, für die Signalübermittlung, das heißt für die Weitergabe der Stärke und Richtung des elektri‐ schen Impulses. Durch diese elektrische Aktivierung verbreiten sich Informationen nicht willkürlich, sondern in einer durch die synaptische Verbindung wohldefinierten Richtung. 3.1 Gehirnzentren 63 <?page no="64"?> Aktionspotenzial Vernetzung Das elektrische Potenzial für die Übermittlung entsteht in der Nervenzelle selbst, indem elektrisch geladene Atome (zum Bei‐ spiel Natrium-, Kalium-, Calcium-, Magnesiumione) zwischen dem Inneren und Äußeren der Zelle durch die Zellhülle (Zell‐ membran) strömen. Dabei entsteht ein elektrischer Spannungs‐ unterschied zwischen den Potenzialen auf beiden Seiten der Zell‐ membran. Bei Überschreitung einer bestimmten Schwelle kommt es zu einer Spannungsentladung. Zu ihrer Verstärkung werden die Signale flächenmäßig oder zeitlich gebündelt. Un‐ terschieden werden daher gleichzeitig ankommende Signale durch unterschiedliche synaptische Verbindungen (räumliche Summation) und die Kombination zeitlich getrennter Signale (zeitliche Summation). Eine Nervenzelle hat zwischen 1.000 und 10.000 Axone. Demnach kann das Aktionspotenzial enorm groß sein. Für den Sprachenerwerb bedeutet das unter anderem, dass über die Nervenzellen eine sinnvolle Koordination der ver‐ schiedensten Eingangsimpulse erfolgen sollte. Je mehr Verbin‐ dungen in den Nervenzellen bei der Sprach- und Informations‐ verarbeitung beteiligt sind, desto intensiver ist die Aktivierung und desto nachhaltiger wirkt sie. So lässt sich leicht erkennen, dass oberflächliche Drillübungen kaum zu einer intensiven Ak‐ tivierung führen können, während fordernde Themen, Aufgaben und Handlungen dazu sehr wohl in der Lage sind. Die Neuronen gehen keine festen Verbindungen ein, sondern eröffnen nur verschiedene mögliche Verbindungswege zur Ak‐ tivierung von anderen Neuronen. Nicht alle Neuronen sind zu‐ gleich aktiv. Die Neuronen, die gleichzeitig aktiv sind, bilden ein Aktivierungsmuster. Es ist also grundsätzlich von vernetzten Strukturen und Pro‐ zessen des Gehirns auszugehen, auch wenn es bestimmte Zen‐ tren mit verstärkten Aktivitäten gibt. Daher kann es Sprechern mit aphasischen Störungen auch gelingen, eine Sprache in einem bestimmten Maße wiederzuerlernen. Dann übernehmen andere Teile des Gehirns die Funktionen der gestörten oder fehlenden Zentren. Obwohl der Mensch mit fast allen Nervenzellen, die er jemals haben wird, auf die Welt kommt, sind die Verbindungen zwischen ihnen noch wenig entwickelt. Diese Verbindungen er‐ geben sich als Folge von Lernprozessen. Lernen heißt dabei, 3 Die kognitive Hardware 64 <?page no="65"?> dass bestimmte Verbindungen wiederholt aktiviert werden und sich in diesem Prozess zu Zellverbänden oder Aktivierungsmus‐ tern zusammenschließen. Je stärker die Verbände ausgebildet sind, desto stabiler und nachhaltiger sind sie und desto weniger Energie ist nötig, um sie wieder zu aktivieren. Meist genügt dann ein schwacher Reiz, um einen ganzen Verband zu aktivieren. Ein umfangreiches Bedeutungsmuster entsteht offenbar aus einem verzweigten neuronalen Netz. Dazu gehören unter Umständen auch verschiedene Aktivierungsmodi durch die einzelnen Sin‐ nesorgane. Der Name eines Getränkes wie Türkischer Kaffee, Cappuchino, Pisco Sour oder Sex on the Beach kann so auch durch den Geruch oder den Geschmack mitaktiviert werden bezie‐ hungsweise ein Wort kann entsprechende geschmackliche und geruchsbedingte Sinneseindrücke hervorrufen. Unsere Sprache ist also über unterschiedliche Kanäle in mehrere Richtungen vernetzt, zum Sprachverstehen, zur Sprachproduktion und zur ausführenden Handlung. Dies zeigt auch, dass der erste Aufwand bei der Herstellung von Verbindungen zum Informationsaus‐ tausch vergleichsweise groß ist und zur schnellen Aktivierung eine gewisse Aktivierungsroutine (Automatisierung) gehört. Um diese zu erreichen, könnte man im Fremdsprachenunterricht in der passenden Phase durchaus auch auf traditionelle Verfahren zur Automatisierung, zum Beispiel auf Pattern Drills, zurück‐ greifen (vergleiche Kapitel 1.2). Sind die Wege eingefahren, rei‐ chen minimale Impulse für das Verstehen oder Produzieren von Sprache aus. So wird beispielsweise bei einem geübten Sprecher einer Fremdsprache ein unvollständiger Begriff genügen, um ein ganzes Wort- oder Bedeutungsfeld zu aktivieren. Ein solcher Sprecher wird seine Gesprächspartner oder schriftliche Texte auch dann verstehen, wenn er nicht jedes Wort erkennt. 3.2 Bedeutungskonstruktion Wie entsteht eigentlich Bedeutung? Sie ist nicht objektiv gege‐ ben, wie Glossare es suggerieren, sondern wird aus den übermit‐ telten Informationen, aus der Situation, aus der körperlichen Er‐ fahrung der Welt und dem Weltwissen sowie aus den eigenen 3.2 Bedeutungskonstruktion 65 <?page no="66"?> Wahrnehmungs‐ prinzipien Absichten konstruiert. Daraus entwickeln sich bestimmte Bedeu‐ tungsmuster von dem, was wir überhaupt wahrnehmen und wie wir es zu interpretieren haben. Die Dekodierung der eingehenden Informationen erfolgt dabei nicht direkt, sondern vermittelt. Durch die Sinnesorgane werden verschiedene Eingangsinforma‐ tionen, wie Schall- und Lichtwellen, aufgenommen und zur Wei‐ terverarbeitung an die verschiedenen Bereiche des Gehirns wei‐ tergeleitet. So wird visuelle Information als Lichtenergie wahrgenommen und über einen photochemischen Prozess in Ner‐ venimpulse umgewandelt. Über die Nervenbahnen gelangt die Information dann zur Sehrinde ins Gehirn. Ähnliche Prozesse laufen bei der Verarbeitung von Schallwellen (auditive Informa‐ tion), Informationen über den Tastsinn (taktile Information), In‐ formationen über den Geruchssinn (olfaktorische Information) und Informationen über den Geschmackssinn (gustatorische In‐ formation) ab. Dabei werden bereits Vorentscheidungen getrof‐ fen, welche Teile der eingehenden Informationen wichtig sind und welche nicht. Die erhaltene Information muss anschließend in den zuständigen Bereichen des Gehirns verarbeitet werden. Die Informationen, die zusammengehören, kommen dort in un‐ terschiedlicher Form und unterschiedlich schnell an und werden auch unterschiedlich schnell verarbeitet, dennoch erscheinen sie uns als eine Einheit (vergleiche dazu auch Kapitel 3.5 und 3.6). Die sprachliche Information wird dabei kategorisiert, strukturell, bedeutungsmäßig und funktional zusammengehörige Elemente werden verbunden, unbekannte Wörter oder Strukturen werden analog zu bekannten verarbeitet. Bei der Interpretation der eingehenden Informationen, dem Er‐ kennen oder Verstehen, folgen wir bestimmten Wahrnehmungs‐ prinzipien, die uns das Zusammensetzen der Informationen er‐ leichtern. Diese Prinzipien basieren auf unseren Fähigkeiten, ▸ Die Welt in Domänen zu organisieren, ▸▸ Bildschemata zu entwickeln zu nutzen und zu übertragen, ▸▸ Muster zu erkennen, die nichtsprachlichen und später auch ▸ die sprachlichen Handlungen und Verhaltensweisen zeit‐ lich zu gliedern und zu strukturieren, 3 Die kognitive Hardware 66 <?page no="67"?> ▸ diese beiden gegliederten Welten, also die gegenständliche ▸ und ereignishafte einerseits und die abstrakte andererseits, lautlich, gestisch und handlungsbestimmt in Beziehung zu bringen, ▸ symbolische Beziehungen zu erkennen (zum Beispiel Wör‐ ▸ ter als Symbole für Gegenstände), ▸ Sprache kreativ zu gebrauchen. ▸ Vorwissen und Kontext spielen bei der Informationsverarbeitung eine ganz wesentliche Rolle, denn das, was wir wahrnehmen, wird von uns instinktiv mit bekannten Mustern oder Elementen (Merkmalen) von Mustern, mentalen Modellen und Schemata abgeglichen und abgestimmt. Bekanntes lässt sich daher auch schneller und besser erkennen. Fehlende Informationen lassen sich bei dieser Mustererkennung meist aus dem Kontext er‐ schließen. Häufig genügen daher wenige Elemente eines Gan‐ zen, um das Erkennen und Verstehen zu sichern, zum Beispiel die ersten Takte einer Melodie oder wenige Wörter eines Slogans (wenn’s ums Geld geht, alle reden vom Wetter …). In gleicher Weise sind beim Lernen oder Sprechen von Fremdsprachen wenige Elemente ausreichend, um ein ganzes Wortfeld zu aktivieren oder in eine fremde Sprache zu wechseln. Wahrnehmung bedeutet allerdings nicht, wie man vielleicht denken könnte, dass objektive Eigenschaften (Formen, Größe, Umfang) eines Gegenstandes erkannt werden. Vielmehr erfolgt die Wahrnehmung vor allem in Form von Kontrasten zu einem Hintergrund. Das heißt, bei der Wahrnehmung von visuellen In‐ formationen werden die von den Lichtwellen übertragenen Diffe‐ renzen zwischen Hintergrundflächen und den davon abgehobe‐ nen Objekten wahrgenommen. Die Silhouette einer Bergkette oder einer Stadt erkennen wir zum Beispiel als Differenz zum Ho‐ rizont. Buchstaben erkennen wir dadurch, dass sie sich von der meist helleren Hintergrundfläche des Papiers oder der Tafel ab‐ heben. Weiß ist deshalb geeigneter als etwa das Schwarz von Schiefertafeln, weil es - bei entsprechend salientem Vordergrund - maximalen Kontrast und damit optimales Erkennen ermög‐ licht. Dieses visuelle Verfahren gilt in ähnlicher Form auch für die Wahrnehmung auditiver Informationen in mündlicher Kommu‐ 3.2 Bedeutungskonstruktion 67 <?page no="68"?> Sinnkonstruk‐ tion nikation. Die salienteren Laute (Druckwellen) der Sprache heben sich von den weniger auffälligen Hintergrundgeräuschen ab. Für den Spracherwerb sind diese Prinzipien höchst relevant: Durch Lautstärke, Betonung oder Herausgreifen einzelner sprachlicher Elemente heben wir das Wichtige in der Sprache auch aus dem textlichen Hintergrund hervor. Das betrifft besonders die Inhalts‐ wörter und diejenigen Silben der Wörter, die die Hauptinforma‐ tion (Wortakzente, Satzakzente) tragen. Durch sie lassen sich komplexe Bedeutungen leichter erschließen. Abb. 3.3: Darstellung des Bezugs von realer Welt und ihrer symboli‐ schen Abbildung durch Sprache sowie (in umgekehrter Richtung) der weltschaffenden Funktion von Sprache (nach Evans/ Green 2006: 7) Unser Wahrnehmungsapparat bemüht sich demnach ständig um die Konstruktion von Bedeutung. Einer bestimmten Größe, Dar‐ stellung, Farbmarkierung, Umrahmung und ähnlichen visuellen Elementen, sprachlichen Versatzstücken und selbst fehlerhaften, unvollständigen oder durch Geräusche überlagerten Wörtern und Äußerungen wird Bedeutung zugeschrieben. Wir ordnen dabei die wahrgenommenen Elemente − und seien sie noch so rudimentär − bedeutungstragenden, also für uns meist bekann‐ ten Einheiten zu. So verstehen wir auch Sprache, wenn sie elip‐ tisch, unvollständig, ungrammatisch oder von Nebengeräuschen 3 Die kognitive Hardware 68 60 Die kognitive Hardware Beziehungsmuster Gestaltgesetze Abb. 3.3 Darstellung des Bezugs von realer Welt und ihrer symbolischen Abbildung durch Sprache sowie (in umgekehrter Richtung) der weltschaffenden Funktion von Sprache (nach Evans/ Green 2006: 7) Mit der Bedeutung bildenden Wahrnehmung befasst sich vor allem die Gestaltpsychologie . Die Gestaltpsychologie, begründet Anfang des 20. Jahrhunderts von Max Wertheimer (1880−1943), Wolfgang Köhler (1887−1967) und Kurt Koff ka (1886−1941) in der Berliner Schule, beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Menschen Probleme lösen. Anhand von Wahrnehmungsgesetzen zeigt sie auf, dass Problemlösen weniger durch zielloses Ausprobieren (trial and error, Behaviorismus), sondern durch Einsicht geschieht. Dabei spielt die Berücksichtigung der Wahrnehmung von Beziehungen der beteiligten Elemente eine zentrale Rolle (Koff ka 1962, Wertheimer 1967, Köhler 1971). Dazu gehören das menschliche Bestreben, nahe und ähnliche Elemente aufeinander zu beziehen, das heißt eine Zugehörigkeit herzustellen, von glatten Verläufen von Ereignissen auszugehen und auch aus verstreuten Punkten visuelle Muster zu bilden. Diese Erkenntnisse lassen sich in den folgenden Gesetzen zusammenfassen: das Gesetz der Nähe das Gesetz der Ähnlichkeit das Gesetz des glatten Verlaufs das Gesetz der Geschlossenheit und der guten Gestalt. 60 Die kognitive Hardware Beziehungsmuster Gestaltgesetze Abb. 3.3 Darstellung des Bezugs von realer Welt und ihrer symbolischen Abbildung durch Sprache sowie (in umgekehrter Richtung) der weltschaffenden Funktion von Sprache (nach Evans/ Green 2006: 7) Mit der Bedeutung bildenden Wahrnehmung befasst sich vor allem die Gestaltpsychologie . Die Gestaltpsychologie, begründet Anfang des 20. Jahrhunderts von Max Wertheimer (1880−1943), Wolfgang Köhler (1887−1967) und Kurt Koff ka (1886−1941) in der Berliner Schule, beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Menschen Probleme lösen. Anhand von Wahrnehmungsgesetzen zeigt sie auf, dass Problemlösen weniger durch zielloses Ausprobieren (trial and error, Behaviorismus), sondern durch Einsicht geschieht. Dabei spielt die Berücksichtigung der Wahrnehmung von Beziehungen der beteiligten Elemente eine zentrale Rolle (Koff ka 1962, Wertheimer 1967, Köhler 1971). Dazu gehören das menschliche Bestreben, nahe und ähnliche Elemente aufeinander zu beziehen, das heißt eine Zugehörigkeit herzustellen, von glatten Verläufen von Ereignissen auszugehen und auch aus verstreuten Punkten visuelle Muster zu bilden. Diese Erkenntnisse lassen sich in den folgenden Gesetzen zusammenfassen: das Gesetz der Nähe das Gesetz der Ähnlichkeit das Gesetz des glatten Verlaufs das Gesetz der Geschlossenheit und der guten Gestalt. <?page no="69"?> Gestaltgesetze Wahrnehmungs‐ hintergrund überlagert ist. Texte und Filme konstruieren wir als solche, auch wenn sie eigentlich nur aus einer Folge von konstruierten Buch‐ staben oder Einzelbildern bestehen. Mit der Bedeutung bildenden Wahrnehmung befasst sich vor allem die Gestaltpsychologie. Die Gestaltpsychologie, begrün‐ det Anfang des 20. Jahrhunderts von Max Wertheimer (1880−1943), Wolfgang Köhler (1887−1967) und Kurt Koffka (1886−1941) in der Berliner Schule, beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Menschen Probleme lösen. Anhand von Wahrneh‐ mungsgesetzen zeigt sie auf, dass Problemlösen weniger durch zielloses Ausprobieren (trial and error, Behaviorismus), sondern durch Einsicht geschieht. Dabei spielt die Berücksichtigung der Wahrnehmung von Beziehungen der beteiligten Elemente eine zentrale Rolle (Koffka 1962, Wertheimer 1967, Köhler 1971). Dazu gehören das menschliche Bestreben, nahe und ähnliche Elemente aufeinander zu beziehen, das heißt eine Zugehörigkeit herzustellen, von glatten Verläufen von Ereignissen auszugehen und auch aus verstreuten Punkten visuelle Muster zu bilden. Diese Erkenntnisse lassen sich in den folgenden Gesetzen zu‐ sammenfassen: ▸ das Gesetz der Nähe, ▸▸ das Gesetz der Ähnlichkeit, ▸▸ das Gesetz des glatten Verlaufs, ▸▸ das Gesetz der Geschlossenheit und der guten Gestalt. ▸ Für das Sprachenlernen sind diese Gesetze von großer Relevanz, weil sie uns erlauben, viele Erwerbsfehler der Lerner besser zu verstehen und weil sie es uns ermöglichen, Lehrmaterialien so zu strukturieren, dass Fehler frühzeitig vermieden werden können. Die Wahrnehmung ist nämlich durch das Vorwissen und durch bestehende mentale Modelle entscheidend geprägt. Auch Lerner konstruieren bestimmte Zeichen, Symbole und Bilder vor dem Hintergrund ihres bisherigen Wissens, das heißt, sie konstruieren Bedeutung aus einzelnen Elementen, ohne unbedingt zu wissen, dass die konstruierten Bedeutungen und Bedeutungsmuster in der fremden Kultur unter Umständen eine andere Funktion haben. Ein umgekehrtes Frage- oder Ausrufezeichen wird Lerner des Spani‐ schen anfangs irritieren oder von ihnen als Schreibfehler inter‐ 3.2 Bedeutungskonstruktion 69 <?page no="70"?> Kognitive Linguistik pretiert werden, bis sie gelernt haben, dass diese Markierungen am Anfang eines Satzes den Satzmodus kennzeichnen. Lerner des Deutschen als Fremdsprache werden auf Grund der Gestaltprin‐ zipien anfangs immer in der Nähe des Verbs seine wichtigsten Teile suchen und ohne Hilfe die Klammerbildung im Deutschen kaum verstehen, widerstrebt sie doch dem Gesetz der Nähe. Bedeutung und Wissen werden in Form vieler Details reprä‐ sentiert, deren Verbindungen zueinander im Gehirn hergestellt werden. Diese Details werden im Sinne des Gestaltprinzips der Geschlossenheit erst wirksam, wenn sie ein zusammenhängendes mentales Bild (mental image) ergeben, das einen Bezug zu einer visuellen Vorstellung herstellt. So sind die Linien, Striche, Flächen und Objekte einer Landkarte an sich genommen völlig belanglose Elemente. Erst dadurch, dass sie als Symbole eine Landschaft ab‐ bilden, lassen sie sich entziffern. Geübte Kartenleserinnen sehen daher kartografische Darstellungen nicht nur als oberflächliche, wahllose graphische Elemente oder zweidimensionale Symbole, sondern sie konstruieren daraus tatsächlich dreidimensionale Ge‐ bilde und mentale Miniaturlandschaften. Die Wahrnehmung ist zwar nicht objektiv, aber sie basiert auf realen Erfahrungen. Die Kognitive Linguistik geht davon aus, dass diese realen Erfahrungen symbolisiert in Sprache und ihrer Gram‐ matik abgebildet werden. Die Zuordnung von Erfahrungen und Sprache erfolgt dabei in Basisdomänen, die das konzeptuelle Gerüst für die Strukturierung von Inhalten bereithalten. Dieses konzeptuelle Gerüst ist aus unserer perzeptuellen Wahrneh‐ mung und unseren körperbasierten Erfahrungen abgeleitet (Bewegung, Raum, Gravitation, Kraft, Widerstand). Ausgebildet sind die Domänen in Bildschemata, mit denen wir die Welt strukturieren. Bildschemata sind rekurrente, kombinierbare und in Clustern gruppierbare Muster des konzeptuellen Systems. Sie ergeben sich aus den unterschiedlichen Perzeptionsmodalitäten optisch, auditiv, haptisch, motorisch und olfaktorisch und lassen sich transformieren, zum Beispiel von einem Ursprung-Weg- Ziel-Fokus zu einem Fokus auf den Zielraum, wie er sich in den Wechselpräpositionen ausdrückt. Die körperbasierten Erfahrungen werden aber von Sprache zu Sprache unterschiedlich genutzt. So heißt es im Deutschen im Re‐ 3 Die kognitive Hardware 70 <?page no="71"?> körperbasierte Erfahrungen gen, im Spanischen und Französischen unter dem Regen (bajo la lluvia; sous la pluie). Dabei werden also unterschiedliche Konzep‐ tualisierungen des Regens zu Grunde gelegt: Im Spanischen und Französischen wird der Regen als eine Entität (Fläche) über uns, und somit nach dem Bildschema oben-unten konzeptualisiert; im Deutschen wird er hingegen als ein Behälter repräsentiert. Das Russische nutzt beide Konzepte: neben der Konzeptualisierung der Sonne als Behälter können sich Sprecher des Russischen auch da‐ für entscheiden, die besonnte Oberfläche auf dem Boden zu pro‐ filieren (Russ. Я стою на солнце, Dt. ich stehe auf der Sonne). Abb. 3.4: Konzeptualisierung des Regens im Deutschen und Englischen Abb. 3.5: Konzeptualisierung des Regens im Spanischen, Französischen und Russischen 3.2 Bedeutungskonstruktion 71 <?page no="72"?> Metaphorisie‐ rungsprozesse Prototypen Die Mehrdimensionalität von Sprachen lässt sich demnach nur durch mentale Bilder von ihren Kulturen wirklich ergründen. Nirgends wird dies deutlicher als bei Metaphern und in Rede‐ wendungen. Vergleiche zum Beispiel Englisch To make hay while the sun shines − Deutsch Das Eisen schmieden, solange es heiß ist oder Sitting on the fence gegenüber Zwischen den Stühlen sitzen. Metaphorisierungsprozesse zeigen sich in allen Berei‐ chen der Sprache und in der Sprachverarbeitung (Mapping; La‐ koff/ Johnson 1980 und Lakoff 1987). Psycholinguistische Expe‐ rimente belegen daher auch, dass insbesondere abstrakte Begriffe wie Angst, Liebe, Neid eine Vielzahl von Bildern evo‐ zieren und daher besonders vielfältig metaphorisch konzeptua‐ lisiert werden (Roche 2006, Grady 2007, Danesi 2008, Littlemore 2009, Ramdan 2019). Bedeutungen werden als Bedeutungsinhalte oder schematisch gespeichert. Man spricht daher von propositionalen Repräsen‐ tationen bei den Inhalten und von Schema-Repräsentationen bei der schematischen Speicherung. Propositionale Repräsentatio‐ nen sind Einheiten aus einzelnen Bedeutungselementen (atomare Bedeutungseinheiten), die den Inhalt von Äußerungen oder Sät‐ zen als lineare Kette oder als Netzwerk darstellen. Durch diese inhaltlichen Elemente wird Wissen gespeichert und lässt sich er‐ weitern. Die Bemerkung eines Fußballtrainers „Spieler X spielt wie Flasche leer“ stellt ungefähr dar, wie man sich eine solche atomare Aneinanderreihung von Grundbedeutungen vorstellen muss, wobei die Vergleichsfunktion hier durch das Verbindungs‐ element wie ausgedrückt wird (van Dijk/ Kintsch 1983: 14). Wei‐ tere Beispiele finden sich in der Darstellung von Lerneräußerun‐ gen in Kapitel 4. Bei den Schema-Repräsentationen erfolgt die Speicherung oder Wissensrepräsentation in Form typischer Konzepte, Kate‐ gorien oder Muster (Prototypen; zum Beispiel der Schäferhund als prototypischer Hund in westlichen Kulturen oder die Sym‐ bolverwendung in Piktogrammen). Anhand der Schemata kann neues Wissen angedockt und abgespeichert werden (dazu ver‐ tiefend Rosch/ Lloyd 1978, Clausner/ Croft 1999, Grady op. 2005, Aurnague/ Hickmann/ Vieu 2007, Oakley 2007, Taylor 2008). 3 Die kognitive Hardware 72 <?page no="73"?> Der Sprachenerwerb ist von solchen Symbolen, Modellen und Schemata stark beeinflusst. Das zeigt sich unter anderem darin, dass Lerner Raum-, Zeit- und andere Konzepte transferieren (konzeptueller Transfer) sowie in semantischem und prag‐ matischem Transfer. Zeitangaben sind in vielen Sprachen von Raumangaben abgeleitet. Asiatische Sprachen verwenden dafür gerne räumliche Körperkonzepte wie am Kopf oder am Fuß einer Zeitperiode. Deutsch und andere europäische Sprachen nehmen dafür gerne Situierungen auf der horizontalen und vertikalen Achse, wie am Anfang, am Ende, down in history (dazu Radden 2011). An der sprachlichen Oberfläche zeigen sich diese Trans‐ fererscheinungen am ehesten in entlehnten Wörtern (lexika‐ lischer Transfer) und Kommunikations- und Textmustern, die aus vorerworbenen Sprachen übertragen werden. Abb. 3.6: Darstellung der Präposition bis. Die Bedeutung von bis wird mit der Bewegung des Busses parallel zum mitlaufenden Pfeil und auf den Endpunkt fokussiert illustriert. 3.3 Aufmerksamkeit Zur Verarbeitung der eingehenden Informationen muss unser Gehirn die nötigen Kapazitäten bereithalten. Mit diesen Kapazi‐ täten (Aufmerksamkeit) muss ein Lerner ökonomisch wirt‐ 3.3 Aufmerksamkeit 73 <?page no="74"?> Gliederungsprinzipien Salienz schaften, damit er die anstehenden Verarbeitungsaufgaben be‐ wältigen kann. Daher kann nur eine begrenzte Anzahl von Aufgaben in einem bestimmten Zeitrahmen bearbeitet werden. Dabei spielt die Anzahl von sieben Einheiten eine wichtige Rolle, wobei der Umfang einer Einheit weder zeitlich noch mengen‐ mäßig genau fixiert ist. Es handelt sich also um eine flexible Ver‐ arbeitungsgröße, die zum Beispiel auf Silben, Wörter, Aufgaben und Bearbeitungsschritte bezogen sein kann. Diese grundle‐ gende Erkenntnis lässt sich übrigens, wie vieles andere auch, auf Lehr- und Lernsituationen übertragen und dort in einer entspre‐ chenden Taktung operationalisieren, etwa in Bearbeitungsein‐ heiten von circa 7 Minuten. In diesem Sinne ergeben sich für eine Unterrichtsstunde von 45−50 Minuten sieben Unterrichtsphasen als optimales Gliederungsprinzip. Der Nebeneffekt dieses Prin‐ zips ist ein kurzweiliger und in der Regel effizienter Unterricht für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler. Ist der Bearbeitungsaufwand wesentlich größer, kann er da‐ durch besser bewältigt werden, dass größere Aufgaben in klei‐ nere Teilaufgaben unterteilt werden. Lange Kontonummern, Bankleitzahlen oder Telefonnummern lassen sich auch besser behalten, wenn wir sie in kleinere Blöcke aufteilen und somit Kapazitäten des Verarbeitungsapparates frei werden (Chun‐ king Prinzip). Lange Wörter merken sich Lerner, indem sie sie trennen oder die Anfangs- und Endsilben zusammenziehen. Auch durch visuelle oder akustische Signale, zum Beispiel durch einen Rhythmus oder eine Betonung, können Lernstoff und Be‐ arbeitungsaufwand gegliedert und die Aufmerksamkeit ver‐ stärkt werden. Beim Sprachenerwerb spielen die lautlichen Elemente eine sehr wichtige Rolle, und zwar nicht nur die, die durch Betonung eine Hervorhebung (Salienz) bewirken. Bei der Suche nach Be‐ deutungen schreiben Kinder im Erstsprachenerwerb (und Lerner im Fremdsprachenerwerb) gemäß den genannten Gestaltprinzi‐ pien Lauten ganz allgemein eine große Bedeutung zu. Dieses Prinzip prägt uns offensichtlich derart, dass wir auch später noch unterscheiden, ob jemand einen Akzent hat oder nicht, auch wenn das für das Verstehen gar nicht relevant ist. 3 Die kognitive Hardware 74 <?page no="75"?> 3.4 Informationsspeicherung 65 Informationsspeicherung Semantische Prinzipien Aktivierungsgrad weitergeleitet, den aktiven Teil des Gedächtnisses. Die Verarbeitung der sprachlichen Information von bis zu sieben Einheiten erfolgt vorwiegend nach der Lautstruktur (phonemisch) und kann bis zu vier Minuten dauern. Die Ergebnisse der Verarbeitungsprozesse im Kurzzeitgedächtnis werden dem Langzeitgedächtnis zugeführt. Hier finden die Integration in das bestehende Wissen und die dadurch nötigen Anpassungen sowohl des neuen Wissens als auch des Wissensbestandes statt. Der Langzeitspeicher kann Wissen lebenslänglich speichern, unterliegt durch die neu eingehenden Informationen aber ständigem Reorganisieren. Die Speicher sind keine passiven Informationsschubladen, sondern umfassen verschiedene Verarbeitungs- und Organisationsprozesse. Die Bezeichnung Arbeitsgedächtnis ) bringt die entsprechende Dynamik der Prozesse besser zum Ausdruck. Sie wird verwendet, um Prozesse der (auch sprachlichen) Informationsauf bereitung, -aktualisierung und -integration, auch über verschiedene Untersysteme des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, zu benennen (Baddeley 2007, Baddeley/ Hitch 2007, Towse/ Hitch 2007, Baddeley/ Eysenck/ Anderson 2009). Ganz wichtig für das Sprachenlernen und den Sprachunterricht: Die Organisation des Wissens erfolgt in erster Linie nach der Bedeutung, also nach semantischen Prinzipien, nicht nach der (grammatischen) Form. Bei der Verarbeitung spielt die Intensität oder Tiefe der Aktivierung im Kurzzeitgedächtnis eine entscheidende Rolle. Je tiefer oder intensiver die Aktivierung eines Musters oder mentalen Bildes/ Modelles im Kurzzeitgedächtnis ist, desto besser kann es sich an Abbildung des Speichermodells Abb. 3.4 Selektive Wahrnehmung Prüfung/ Vergleich Sensorisches Register: Ultrakurzzeitgedächtnis Vorläufige Konstruktion von Bedeutungen Kurzzeitgedächtnis Arbeitsgedächtnis Integration Assimilation Verknüpfungen Langzeitgedächtnis Kapazität: 16.000 bit Dauer: 250 Millisekunden Format: sensorisch Kapazität: 7 Elemente Dauer: 1-4 Minuten Format: phonemisch Kapazität: gesammeltes Wissen Dauer: Lebenszeit Format: semantische Organisation Eingabe 30.07.13 17: 29 26.04.2018 12: 41: 33 Abb. 3.7: Abbildung des Speichermodells Ein zentrales Element der Sprach- und Informationsverarbeitung ist die Speicherung von relevantem Wissen. Nicht alles, was ver‐ arbeitet wird, ist aber wirklich relevant und sollte deshalb schnellstens vergessen, das heißt nicht gespeichert werden. 3.4 Informationsspeicherung 75 <?page no="76"?> Speichermodell Dynamik der Verarbeitungs‐ prozesse Wie laufen die Prozesse des Speicherns und Vergessens ab? Wie können sie für das Sprachenlernen besser nutzbar gemacht und im Sprachunterricht gefördert werden, besonders natürlich das Vergessen von Fehlern und das Behalten von korrekten Strukturen? Um diese Prozesse systematisch zu erfassen, stellen ältere Mo‐ delle die Verarbeitung der eingehenden Information in verschie‐ denen Speichern dar, in denen die verarbeitete Information un‐ terschiedlich lange zwischengelagert oder dauerhaft gespeichert wird. Im Ultrakurzzeitgedächtnis oder sensorischen Regis‐ ter verbleibt demnach die eingehende, bereits gefilterte Infor‐ mation nur sehr kurz, nämlich nur einen Bruchteil einer Se‐ kunde. Im Grunde werden hier die sprachlich relevanten Eingangsinformationen als Input vorverarbeitet und koordiniert. Es entsteht eine vorläufige Konstruktion von Bedeutung auf Grund einer bestimmten Kommunikationssituation. Das daraus entstehende Produkt wird dann an das Kurzzeitgedächtnis weitergeleitet und schließlich dem Langzeitgedächtnis zuge‐ führt. Der Langzeitspeicher kann Wissen lebenslänglich spei‐ chern, unterliegt aber durch die ständig neu eingehenden Infor‐ mationen stetigen Reorganisationsprozessen. Die Verarbeitung der Information wird also nicht nur in passiven Informations‐ schubladen geleistet, sondern es sind verschiedene Verarbei‐ tungs- und Organisationsprozesse beteiligt. Deswegen müssen die älteren Gedächtnismodelle erweitert werden, auch wenn man die Begriffe alltagssprachlich gerne und oft verwendet. In der Sprach- und Spracherwerbsforschung spielt die Bezeichnung Arbeitsgedächtnis (Working Memory) daher eine wichtige Rolle. Sie bringt die entsprechende Dynamik der Verarbeitungs‐ prozesse besser zum Ausdruck. Im Arbeitsgedächtnis werden In‐ formationen nicht nur abgespeichert, sondern auch sortiert und weiterverarbeitet. Geleistet werden müssen auch die Integration in das bestehende Wissen und die dadurch nötigen Anpassungen sowohl des neuen Wissens als auch des Wissensbestandes. Im Arbeitsgedächtnis laufen also Prozesse der (auch sprachlichen) Informationsaufbereitung, -aktualisierung und -integration ab (Baddeley/ Eysenck/ Anderson 2009). Ganz wichtig für das Spra‐ chenlernen und den Sprachunterricht: Die Organisation des 3 Die kognitive Hardware 76 <?page no="77"?> Aktivierungs‐ grad Automatisierung Assoziationen Wissens erfolgt in erster Linie nach der Bedeutung, also nach semantischen Prinzipien, nicht nach der (grammatischen) Form. Bei der Verarbeitung spielt die Intensität oder Tiefe der Aktivierung eine entscheidende Rolle. Je tiefer oder intensiver die Aktivierung eines Musters oder mentalen Bildes/ Modelles ist, desto besser kann es sich an die schon gespeicherten Muster und Schemata (das bestehende Wissen) im Langzeitgedächtnis an‐ docken. Die inhaltliche Verarbeitung, das heißt die Aktivierung der inhaltlichen und der dafür relevanten grammatischen Merk‐ male, also vor allem der semantischen und für die Bedeutung wichtigen syntaktischen, morphologischen und phonologischen Information, ist meist besonders intensiv. Die Verarbeitung der Lautstruktur, die rein phonemische Ver‐ arbeitung also, erfolgt in der Regel als mitteltiefe Aktivierung, in kürzerer Zeit und mit weniger Aufmerksamkeit/ Kapazität. Die Verarbeitung lautlicher (phonetischer) und sensorischer Merk‐ male erfolgt in der Regel als flache Aktivierung, also reflexartig. Hierfür wird wenig Aufmerksamkeit benötigt. Wenn das Laut‐ inventar verankert ist, wird ein hoher Automatisierungsgrad der Verarbeitung erreicht, der sich der bewussten Kontrolle weitge‐ hend entzieht und daher eine flache Aktivierung bewirkt. Das ist ein ungünstiger Befund für alle Methoden, die sich vor allem auf die Vermittlung von Lauten oder das Erinnern von bedeutungs‐ schwachen Lautketten stützen, also zum Beispiel die audiolin‐ guale Methode. Kann der flache Aktivierungsgrad im Aussprachebereich durch eine erhöhte Wiederholungsaktivität gesteigert werden? Da das Wiederholen eines Musters ein mechanischer Prozess ist, wird der Aktivierungsgrad mit erhöhter Wiederholungsrate eher noch fla‐ cher (Ebbinghaus-Effekt nach Ebbinghaus 1885). Ein Lerner kann dann vielleicht Wiederholtes eher wiedererkennen oder imitie‐ ren, aber nicht unbedingt besser erinnern und nutzen. Werden aber beim Wiederholen neue Informationen mitverarbeitet und andere Verarbeitungsbereiche mitaktiviert, dann vertieft sich der Aktivierungsgrad, und die Chancen zum Andocken an bestehen‐ des Wissen erhöhen sich. Dies kann zum Beispiel durch die Bil‐ dung von Assoziationen geschehen oder durch die Aktivierung neuer semantischer Merkmale im Wiederholungsprozess, etwa 3.4 Informationsspeicherung 77 <?page no="78"?> visuelle Information Verarbeitungs‐ prinzipien wenn Lerner eine Aufgabe auf andere Bereiche übertragen oder anderen Wortschatz dafür verwenden (zyklisches Lernen oder elaborierte Wiederholungen). Auch bei elaborierten Wieder‐ holungen spielt die Wissensorganisation nach semantischen Kri‐ terien die wichtigste Rolle. Je besser und schneller sie gelingt, desto nachhaltiger ist die Einbettung, das heißt das Behalten. 3.5 Sprache und Bildverarbeitung Visuelle Information spielt bei der Verarbeitung und beim Lernen von Sprache eine sehr wichtige Rolle. Im Fremdsprachenunter‐ richt und bei der Entwicklung von Lehrmaterialien werden zu‐ nehmend Bilder, Animationen und grafische Elemente verwen‐ det. Wie aber verhindert man dabei visuellen Aktionismus, der die Lerner ablenkt oder überfordert? Wie muss man sich genau die Verarbeitung visueller und sprachlicher Information vorstel‐ len, wenn sie einen Mehrwert produzieren soll? Diese und an‐ dere Fragen treten seit dem Vormarsch der neuen Medien in der Wissensvermittlung zunehmend in den Vordergrund. In Theo‐ rien zum multimedialen Lernen wird daher versucht, konkrete Empfehlungen für das Design von Lernmaterialien zu geben. Eine der einflussreichsten Theorien ist die Cognitive Theory of Multimedia Learning. Sie behandelt drei entscheidende Prinzipien für die Verarbeitung visueller und sprachlicher Infor‐ mation: 1. die duale Kodierung, 1. 2. die Auslastung des Arbeitsspeichers und 2. 3. das konstruktive oder generative Lernen. 3. 1. Das Prinzip der dualen Kodierung fasst die Verarbeitung 1. sprachlicher und bildlicher Information in unterschiedlichen Zentren zusammen, die allerdings aufeinander bezogen und miteinander koordiniert sind (siehe Kapitel 3.1). Bei der gleichzeitigen Aufnahme von sprachlicher und bildlicher Information werden also zwei unterschiedliche mentale Re‐ präsentationen produziert, so die Annahme. Diese werden in (mindestens) einem weiteren Verarbeitungsschritt zu‐ 3 Die kognitive Hardware 78 <?page no="79"?> cognitive load sammen mit dem Vorwissen in ein Gesamtmodell integriert oder regelmäßig abgeglichen. Beide mentalen Repräsenta‐ tionen werden gleichzeitig im Kurzzeitgedächtnis gespei‐ chert, wodurch eine Verbindung, ein so genannter Konti‐ guitätseffekt, entsteht. Damit die Verarbeitung der parallelen Information auch effizient erfolgen kann, ist vor al‐ lem eine zeitliche und räumliche Koordinierung der Prä‐ sentation von Bild und Text nötig. 2. Das Kurzzeitgedächtnis kann, wie bereits gezeigt wurde, nur 2. eine begrenzte Informationsmenge bewältigen. Wird diese überschritten, tritt eine Überlastung ein. Das ist beispiels‐ weise der Fall, wenn zusammengehörige bildliche (piktori‐ ale) und sprachliche Information zeitlich und räumlich nicht aufeinander abgestimmt ist. Im Unterricht passiert dies häu‐ fig dann, wenn neue Begriffe eingeführt werden, aber die Lerner erst später an einem Bild (Parallelinformation) er‐ kennen, um welchen Gegenstand es sich dabei handelt. Um eine Verbindung herstellen zu können, müsste die sprachli‐ che Information lange im Arbeitsgedächtnis aktiviert blei‐ ben, die maximale Aufbereitungsdauer beträgt hier jedoch nur vier Minuten, und dies auch nur, solange die Kapazitä‐ ten nicht anderweitig belegt sind. Je kürzer der zeitliche Ab‐ stand zwischen sprachlicher und bildlicher Information ist, desto besser. Wird dagegen die maximale Bearbeitungszeit des Arbeitsgedächtnisses überschritten, ist ein kombiniertes Erinnern fast aussichtslos. Gleiches gilt, wenn zu viele In‐ formationen auf einmal präsentiert werden und dabei auf die limitierten Aufmerksamkeitsressourcen verteilt werden müssen. Hier spielt die Millersche Zahl von 7 +/ - 2 eine wichtige Rolle. Demnach können sich die meisten Men‐ schen Zahlenreihen von maximal 7 +/ - 2 merken. 3. Das konstruktive oder generative Lernen ergibt sich, 3. wenn die verschiedenen Informationen in ein gemeinsa‐ mes mentales Modell integriert werden. Das kann aber nur unter Rückgriff auf das Vorwissen und vorangehende Er‐ fahrungen geschehen, also durch Ankoppelung an mentale Bilder und Schemata. Visualisierungen sind immer dann sinnvoll, wenn sie einen Bezug zur sprachlichen Informa‐ 3.5 Sprache und Bildverarbeitung 79 <?page no="80"?> Visualisierungs‐ formen tion haben beziehungsweise bereits vorhandene mentale Schemata aufrufen. Sie sind hingegen unproduktiv, wenn sie mehr der Unterhaltung oder Ablenkung dienen. Zuord‐ nendes Lernen kann durch Überflutungen mit visuellen Reizen (wie oft in den elektronischen Medien gegeben) ge‐ radezu verhindert werden. Bildmaterial im Unterricht: was und wann? Animation, statische Illustration oder kompletter Verzicht auf Illustrationen, das ist die Frage, die sich im Unterricht oder bei der Erstellung von Lehrmaterial häufig stellt. Wo liegen die Stärken der einzelnen Visualisierungsformen? Statische Bilder Sie eignen sich besonders als Orientierungshilfe, zur Ver‐ ständlichmachung komplexer Inhalte, zur Aufmerksam‐ keitsfokussierung und zur Behaltensförderung. Sie sind hilfreich, wenn sie Vorwissen aktivieren und zur Entlastung des Arbeitsspeichers beitragen. Prozessinformationen kön‐ nen sie dagegen nur bedingt abbilden, zum Beispiel durch Pfeile oder andere Symbole der Dynamik, da ihnen die zeit‐ liche Komponente fehlt. Sie sind auch da vorzuziehen, wo die Komplexität der Aufgabe eine schrittweise Verarbeitung durch die Lerner erfordert. Dynamische Wissensrepräsen‐ tationen könnten hier zu einer Überforderung der Auf‐ merksamkeitskapazitäten führen oder zu einer nur ober‐ flächlichen Verarbeitung verleiten. Eine scheinbar problemlose Verständlichkeit der Lerninhalte durch Ani‐ mationen führt nicht notwendigerweise zu einer intensive‐ ren Auseinandersetzung mit den Inhalten. Dynamische Bilder Dynamische Bilder eignen sich zur Darstellung sequenzi‐ eller oder kausaler Sachverhalte, aber nur solange dies nicht zu einer Reizüberflutung oder Ablenkung führt. Bewegun‐ gen, Farbänderungen und Ähnliches lenken automatisch die Aufmerksamkeit auf sich. An der falschen Stelle einge‐ setzt, ziehen sie daher wichtige Aufmerksamkeitsressour‐ cen von anderen essenziellen Verarbeitungsaufgaben ab. 3 Die kognitive Hardware 80 <?page no="81"?> Verarbeitungs‐ modell Auch muss die Präsentationsgeschwindigkeit der Verarbei‐ tungsgeschwindigkeit der Lerner angepasst sein. Eine schnelle Abfolge von Informationseinheiten verlangt zu‐ sätzliche Ressourcen und kann daher die Verarbeitung der eigentlichen Aufgabe sogar erschweren. Es ist daher grund‐ sätzlich ratsam, bei Animationen Steuerungsmechanismen zur Verfügung zu stellen, die auf die Lernbedürfnisse flexi‐ bel reagieren können. Animationen sind dann effizient, wenn die Lerner über das nötige Vorwissen zur Veranke‐ rung der neuen Information verfügen. Sonst wird die prä‐ sentierte Information nur oberflächlich interpretiert und schafft damit den subjektiven Eindruck, das Material gut verstanden zu haben, verhindert aber in Wirklichkeit eine stärkere kognitive Aktivierung. Ungeeignet sind Animatio‐ nen auch, wenn es um die Verarbeitung von Detailinfor‐ mationen geht. Hier eignen sich eher statische Bilder oder gegebenenfalls auch bildlose Präsentationen. Visuelle Information, ob bewegt oder statisch, sollte stets der entsprechenden Aufgabe angepasst, mit der Textverar‐ beitung koordinierbar sein und mit Bedacht eingesetzt wer‐ den. Die Masse macht es nicht. In einer beachtenswerten Studie hat Suñer (2011) widerlegt, dass die Menge oder Viel‐ falt unterschiedlicher Medien in der Sprachverarbeitung eine entscheidende Rolle spielen. Vielmehr lassen sich po‐ sitive Effekte dann erzielen, wenn der Einsatz der Medien auf die entsprechende Aufgabe abgestimmt ist. 3.6 Sprachverstehen und Sprachproduktion Im Folgenden sollen die spezifischen Elemente und Funktionen der Sprachverarbeitung genauer dargestellt werden. Dazu dient ein Modell aus der Psycholinguistik, einer inter‐ disziplinären Wissenschaft (seit etwa Anfang der 1970er Jahre), als Orientierung. Die Psycholinguistik übernimmt Erkenntnisse aus der Psychologie, wie zum Beispiel zur Informationsverar‐ beitung und zu den Speicherverfahren des Wissens, und aus der 3.6 Sprachverstehen und Sprachproduktion 81 <?page no="82"?> Sprachverste‐ hen Linguistik, beispielsweise zu den grammatischen Regeln der Teilbereiche der Sprache, und entwickelt daraus Modelle der Sprachverarbeitung. Sie gliedert sich in vier große Teilbereiche: die Erforschung des Sprachverstehens, der Sprachproduktion, des Sprachenerwerbs und des Sprachenverlustes (Attrition, Aphasie). Das folgende Modell illustriert das Sprachverstehen (Rezeption, links) und die Sprachproduktion (rechts). Derartige Modelle sind Darstellungen von Prozessen. Sie machen keine di‐ rekten Aussagen über die Verkabelung des Gehirns oder die Struktur der Wissensspeicher. Das Sprachverstehen, das hier exemplarisch am Beispiel des Hörens erläutert werden soll, beginnt mit der Wahrnehmung von verschiedenen Lauten, Tonhöhen, Pausen und Ähnlichem, die in Form von Schallwellen auf die Sinnesorgane einströmen. Die Schallwellen müssen nun auf sinnvolle Weise identifiziert wer‐ den, und zwar in Form von Lauteinheiten (Silben, Clustern) oder Phonemen. Das heißt, wir nehmen nicht nur die einzelnen Laute wahr, sondern wir lernen als Kinder bereits, Laute zu Lautein‐ heiten zu gruppieren. In der Regel tragen oder unterscheiden diese Einheiten Bedeutung. Die Äußerung Ich liebe in Wein un‐ terscheidet sich so von der Äußerung Ich lebe in Wien zwar nur in zwei Lauteinheiten, aber es kann hier schnell erkannt werden, welche Bedeutungsunterschiede eine einzelne Lauteinheit aus‐ drücken und welche gravierenden Konsequenzen das haben kann. Sobald die Einheiten identifiziert sind, müssen sie Bedeu‐ tungen zugeordnet werden. Wir müssen also irgendwie verste‐ hen können, dass Wien und Wein nicht das Gleiche bedeuten. Dazu bilden wir Verbindungen von Lauten (so genannte Clus‐ ter), die auf unseren Wortspeicher (mentales Lexikon) zugrei‐ fen und versuchen, dort passende Sinneinheiten zu finden. Dabei hilft einmal der Kontext, durch den bestimmte Bedeutungsmög‐ lichkeiten schon voraktiviert sind, wahrscheinlich werden oder ausgeschlossen sind. Es helfen aber auch grammatische Eigen‐ schaften der gefundenen Begriffe sowie Bedeutungsverwandt‐ schaften. So wissen wir, dass an bestimmten Stellen in deutschen Sätzen ein Verb stehen muss (oder kann) und dass manche Be‐ griffe besser zueinander passen als andere. Zusätzlich können − wie bereits dargestellt − auch Sinneseindrücke die Aktivierung 3 Die kognitive Hardware 82 <?page no="83"?> von Begriffen bewirken. Eine Lautkette essen wird deshalb in bestimmten grammatischen, aber auch von Hunger, Gerüchen oder Kochshows bestimmten Kontexten ohne Probleme als die Tätigkeit essen verstanden werden, in anderen als die Großstadt im Ruhrgebiet. Abb. 3.8: Modell der Sprachverarbeitung: links der Prozessablauf beim Sprachverstehen, rechts bei der Sprachproduktion. Zentrales Element: das mentale Lexikon, das durch verschiedene Kanäle akti‐ viert wird 3.6 Sprachverstehen und Sprachproduktion 83 <?page no="84"?> Korrekturen Wissen In einem weiteren Schritt müssen wir versuchen, die einzelnen Lautelemente zu einem zusammenhängenden Ganzen zusam‐ menzufügen und in unser bestehendes Wissen von der Welt und von der aktuellen Gesprächssituation einzubetten. Weil aber bei so vielen Aufgaben das eine oder andere übersehen werden oder verloren gehen kann, läuft parallel dazu ein Monitor mit, der normalerweise immer dann Alarm schlägt und Korrekturen ver‐ anlasst, wenn irgendetwas nicht plan- oder schemagemäß funk‐ tioniert. Das Verstehen ist ein Prozess, der von der konkreten sprachlichen, das heißt hörbaren Oberfläche (im Modell auf der unteren Ebene angesiedelt) zu den versteckten Konzepten (oben) führt, also als Bottom-Up-Prozess verläuft. Bei der Sprachproduktion läuft der Verarbeitungsprozess um‐ gekehrt ab, das heißt von oben nach unten, also top down. Der Sprachproduktionsprozess − wir betrachten stellvertretend die Produktion mündlicher Sprache, also das Sprechen − beginnt mit der Konzeptualisierung oder Planung einer Nachricht im Kon‐ zeptualisator. Hier werden die Sprechabsichten (die auf Sche‐ mata basierenden Pläne) in einen konkreten Ablaufplan umge‐ setzt, der auf einzelnen Scripts basiert. Inwieweit dies sprachlich oder außersprachlich geschieht, ist nicht ganz klar. Da die Pro‐ duktion aber stets in Situationen eingebettet ist, die auch durch Sprache bestimmt sind, kann von einer beträchtlichen sprachli‐ chen Beeinflussung des Konzeptualisierungsvorganges ausge‐ gangen werden. Die Sprachproduktion ist daher grundsätzlich vom Sprachverstehen und von der Wahrnehmung der Umwelt beeinflusst, greift also auf das Situationswissen inklusive den vorangehenden Verlauf der aktuellen Sprechsituation zurück. Sie hat darüber hinaus Zugang zum bestehenden Weltwissen (en‐ zyklopädisches oder deklaratives Wissen, das heißt das Wis‐ sen des Sprechers von der Welt) und zu dem Prozesswissen (prozedurales Wissen, das heißt das Wissen über die Ablauf‐ organisation des Weltwissens). Zum Welt- und Prozesswissen gehört auch die Kenntnis von allgemeinen Handlungsabläu‐ fen und ihren sprachlichen Abbildungen in Form von Diskurs‐ mustern, Textsorten oder sprachlichen Ritualen. Bei der Erstellung der Nachricht wählt der Konzeptualisator zunächst die für die Versprachlichung relevanten Informationen 3 Die kognitive Hardware 84 <?page no="85"?> Monitor Formulator aus, ordnet sie und wertet gleichzeitig die eingehenden Nach‐ richten aus. Der Monitor gleicht nicht nur die eingehenden, son‐ dern auch die geplanten Nachrichten mit den tatsächlich produ‐ zierten auf möglicherweise bestehende Diskrepanzen ab. Das Ergebnis des Konzeptualisierungsprozesses ist der Sprech‐ plan (die präverbale Nachricht). Er wird anschließend an den Formulator weitergeleitet, dessen Aufgabe die Konstruktion von Äußerungen ist. Der Formulator hat Zugang zum mentalen Lexikon, in dem lexikalisches Wissen in sogenannten Listemen, das heißt, nicht weiter auflösbaren Einheiten als Form (Lexem) und Inhalt (Lemma) gespeichert ist. Die lexikalischen Einträge enthal‐ ten die Bedeutung der Wörter, eine Beschreibung der möglichen syntaktischen Umgebungen, zum Beispiel, welche Ergänzungen ein Verb benötigt, und eine Liste der möglichen Endungen. Unterschieden wird zwischen Inhaltswörtern (Substantiven, Ver‐ ben, Adjektiven, Adverbien, Pronomen) und Funktionswörtern (Artikel, Präpositionen, Konjunktionen). Die Lexeme enthalten die Information über die äußere Form der Wörter (Phoneme, Mor‐ pheme, Silbenstruktur etc.). Dieses Lexikon sieht aber nicht aus wie ein normales Wörterbuch, in dem sich zielsprachliche und muttersprachliche Begriffe gegenüberstehen. Vielmehr muss man es sich als multidimensionales und dynamisches Netz mit zahlrei‐ chen semantischen und phonetischen Knoten und Verbindungen vorstellen, das alle Sinneskanäle miteinander verbindet. Wenn ein Element aktiviert wird, schwingen eine ganze Reihe weiterer semantischer Merkmale, lautlicher Beziehungen und Sinnesein‐ drücke mit. Aufgrund des gelieferten Sprechplans werden also im Formu‐ lator die Lemmata aktiviert, deren grammatische Spezifikationen zur Auswahl und Produktion eines syntaktischen Rahmens füh‐ ren (grammatische Kodierung). Dieser kann dann vorüberge‐ hend in einem so genannten syntaktischen Speicher abgelegt wer‐ den, während bereits die Produktionsprozesse für weitere Äußerungen ablaufen (inkrementelle Verarbeitung). Das Er‐ gebnis dieses Formulierungsprozesses ist der Äußerungsplan (Oberflächenstrukturen). Dieser wird an einen Prozessor weiter‐ geleitet, der ihm die äußere Form gibt. Diese Prozesskomponente im Formulator umfasst die phonologische Kodierung der ein‐ 3.6 Sprachverstehen und Sprachproduktion 85 <?page no="86"?> Reparaturen zelnen Äußerungselemente und der Äußerung als Ganzes. Das schließt die Endungen, Umlaute und Weiteres (Flexion) und die Intonation mit ein. Als Produkt entsteht ein phonetischer Plan in Form von innerer Sprache. Er wird anschließend im Artikula‐ tor in Anweisungen an den Artikulationsapparat (die circa 400 Sprechmuskeln) umgesetzt, wobei die Pläne offensichtlich schnel‐ ler produziert als ausgeführt werden können, das heißt, sie müs‐ sen vorübergehend gespeichert werden. Über diese Umsetzungsprozesse machen wir uns als geübte Sprecher unserer Sprache kaum Gedanken. Sie werden von un‐ serem Monitor überwacht, wenn er nicht durch Alkohol, Mü‐ digkeit oder belangloses Gerede unserer Gesprächspartner be‐ nebelt ist. Das heißt, er überprüft, ob unsere Gesprächsabsicht korrekt realisiert wird und die gewünschten Ergebnisse produ‐ ziert. Nötigenfalls veranlasst er auch die entsprechenden Kor‐ rekturen von Versprechern und Missverständnissen und löst kommunikative Reparaturstrategien aus. Diese Versprecher (slips of the tongue), Missverständnisse, Aktivierungsprobleme und Korrekturverfahren sind für das Verständnis der Sprachver‐ arbeitungsprozesse höchst interessant, weil sie uns zeigen, was im Verborgenen eigentlich passiert, wenn alles glatt läuft. Die Tatsache etwa, dass Sprecher in der Lage sind, an ganz unter‐ schiedlichen Stellen Selbstkorrekturen vorzunehmen und sich selbst zu unterbrechen, selbst dann, wenn etwas noch gar nicht gesagt wurde (zum Beispiel das „Ja genau“ oder „ich meine“ am Anfang eines Referats), verweist auf verschiedene Planungspha‐ sen. Die Tatsache, dass diese Korrekturen oft auch während des Sprechens als unmittelbare Reaktion auf einen Gesprächspartner stattfinden, und zwar auch mitten im Wort oder Satz, zeigt, dass trotz einer linearen (seriellen) inkrementellen Verarbeitung Ver‐ arbeitungsprozesse parallel ablaufen und interaktiv sind. Wenn ein Sprecher etwa sagt: „Dahinter verbircht sig“ statt „Dahinter verbirgt sich“, so zeigt der Versprecher an, dass beide Wörter gleichzeitig aktiviert worden sind und vermutlich wegen der semantischen Abhängigkeit, der lautlichen Nähe und der Ähnlichkeit der lautlichen Umgebung vertauscht wurden. Der Sprecher kommt aus einer Gegend, in der aus „Siegburg" oft „Siechburch" wird. Interessant ist auch, dass die übrigen Endun‐ 3 Die kognitive Hardware 86 <?page no="87"?> Automatisierung Methoden des Fremdsprachen‐ unterrichts gen, wie das -t bei „verbircht“, am richtigen Platz bleiben, der syntaktische Rahmen also vorgegeben sein muss. Die Prozesse der Sprachverarbeitung benötigen Übung/ Auto‐ matisierung. Diese ist aber erst dann sinnvoll, wenn zuvor kon‐ zeptuell verankert ist, was Inhalt, Funktion und Ziel der Nachricht sein soll. Reines Nachsprechen ist also denkbar ungünstig zum Sprachenlernen. Auch hat es wenig Zweck, einem Lerner gram‐ matisches Wissen einzutrichtern, wenn die weiteren Prozesse der Konzeptualisierung, Formulierung und Artikulation vernachläs‐ sigt werden. Umgekehrt ist es aber auch sehr schwierig, einmal eingeschliffene Kommunikationsroutinen wieder zu ändern. Das ist häufig bei Lernern der Fall, die eine Fremdsprache ungesteuert und ohne strukturelle Hilfen und Korrekturen erworben haben, bevor sie strukturiert und mit Korrekturen die Sprache lernen. Sie verwenden mehr oder weniger systematische Mischformen und sind gegenüber Korrekturen resistent. Die klassischen, auch heute gelegentlich noch eingesetzten Pattern-Drill-Übungen haben daher am ehesten im Bereich der Automatisierung der Artikulation ihren Einsatzort, und zwar zum Erreichen einer flüssigen und zielsprachengerechten Aus‐ sprache oder auch zum Auffinden der nötigen Lemmata und Lexeme, wenn diese im Lexikon der Lerner schon gespeichert sind. Andere Produktionsprozesse wie die Konzeptualisierung der Äußerungen sind dagegen nicht oder nur wenig automati‐ siert, es sei denn, jemand „sagt immer dasselbe“. Sie verlangen Planung und binden einen großen Teil der Verarbeitungskapa‐ zitäten des Gehirns, und zwar besonders dann, wenn Kreativität und Kontextgebundenheit gefordert sind, also zum Beispiel in Gesprächen oder bei der Bearbeitung von anspruchsvollen Tex‐ ten. Der beschränkte Erfolg vieler Methoden des Fremdsprachen‐ lehrens kann dadurch erklärt werden, dass sie wesentliche Schritte der Sprachproduktion und des Sprachverstehens ent‐ weder völlig übergehen oder vernachlässigen. So wird dem Be‐ reich der Konzeptualisierung weder in behavioristischen Lern‐ methoden noch in den meisten alternativen Methoden oder in den strukturellen, inputbasierten Methoden ausreichend Auf‐ merksamkeit geschenkt. In der Grammatik-Übersetzungsme‐ 3.6 Sprachverstehen und Sprachproduktion 87 <?page no="88"?> Aktivierung thode wird zum Beispiel impliziert, dass die Lerner den Prozess der Konzeptualisierung im Wesentlichen selbst leisten, in Wirk‐ lichkeit fehlt ihnen jedoch meist der Zugang zu den angemesse‐ nen Konzepten und Kontexten der fremden Kultur und Sprache (Weltwissen). Darüber hinaus wird in dieser Methode wenig Wert auf die weiteren Verarbeitungsschritte gelegt. Im Mittel‐ punkt steht der Aufbau des grammatischen Monitors, und zwar als System, das relativ unabhängig von den pragmatischen und funktionalen Bezügen der Grammatik und der Kommunikation existiert. Informationsaufnahme im richtigen Leben erfolgt aber gerade durch die Einbettung in bestehende Beziehungsgeflechte, wobei den Sprecher der Inhalt mehr interessiert als die Form. 3.7 Die Organisation des mentalen Lexikons Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte läßt sich trefflich glauben, Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben. So spricht Mephistopheles zum Schüler im Studierzimmer in Jo‐ hann Wolfgang von Goethes Faust (Der Tragödie erster Teil). Im Zentrum der Sprachverarbeitung steht also das mentale Lexikon als aktiver Speicher unseres Sprachwissens. Die Aktivierung des mentalen Lexikons kann über verschiedene Sinneseindrücke er‐ folgen, zum Beispiel über die Lautung. Hört ein Sprecher eine Silbe au, so werden über die Lautung viele Wörter mit diesem Anlaut aktiviert, also Au, Auto, autonom, Aurora, Aurelia und andere aus der au-Kohorte. Allerdings ist die Stärke der Akti‐ vierung je nach Kontext unterschiedlich. Das heißt, dass inhalt‐ liche Aspekte (Relevanz, Salienz, Perspektive, Spezifik/ Präzision) bei der Auswahl der aktivierten Lemmata und Lexeme eine we‐ sentliche Rolle spielen. Diese Aktivierung funktioniert wie ein Netz von Beziehungen. Zentrale semantische Elemente (Kno‐ 3 Die kognitive Hardware 88 <?page no="89"?> Konzeptknoten ten) werden dabei stärker aktiviert, entferntere werden schwä‐ cher aktiviert oder ko-aktiviert. Das zeigt der folgende Versprecher anschaulich: „Das ist ein Programm, das den künftigen Bedarf abdenkt." Hier bestehen nicht nur phonologische Kohorteneffekte (deckt/ denkt), sondern auch semantische (abdecken/ bedenken). So kommt es zu dieser innovativen Mischung. Abb. 3.9: Darstellung eines einsprachigen semantischen Netzes am Beispiel des Visual Thesaurus (webbasiertes dynamisches Programm) zur Illustration der Arbeitsweise des mentalen Lexikons Beim Suchen nach passenden Wörtern für die Konzepte werden somit gleichzeitig benachbarte, das heißt über verschiedene se‐ mantische Beziehungen verbundene Konzeptknoten mitaktiviert. Der Visual Thesaurus, ein webbasiertes dynamisches Programm, das ähnlich (nur viel langsamer) funktioniert wie das mentale Le‐ xikon, illustriert dies auf anschauliche Weise (vergleiche Abbil‐ dung 3.9). Bei der Aktivierung des Wortes go werden gleichzeitig benachbarte Wörter ko-aktiviert, die allerdings unterschiedlichen grammatischen Klassen angehören (Nomen, Verben, Adjektive, 3.7 Die Organisation des mentalen Lexikons 89 <?page no="90"?> WordNet semantische Beziehungen Adverbien). Verschiebt sich dabei der Schwerpunkt auf andere semantische Elemente, weil go in dem gegebenen Kontext viel‐ leicht nicht spezifisch genug ist, so ändert sich die Aktivierung des gesamten Netzes. Es entsteht dadurch ein neues Feld mit anderen und anders gewichteten Knoten. Die lexikalischen Konzepte, die wir normalerweise als Wörter bezeichnen, stellen also Bezie‐ hungsgefüge dar, in denen die Bedeutung die Gesamtheit der Ver‐ bindungen mit anderen Konzeptknoten umfasst. Visual Thesaurus Der Visual Thesaurus basiert auf dem so genannten Word‐ Net, einer an der Universität Princeton entwickelten elek‐ tronischen Datenbank zur semantischen Darstellung und Nutzung des Wortschatzes für die englische Sprache (www .visualthesaurus.com). Anwendungen für andere Sprachen wurden im Rahmen des EuroWordNet entwickelt, sind aber nur teilweise öffentlich zugänglich. EuroWordNet ist ein eu‐ ropaweites Forschungsprojekt verschiedener Universitäten zum Aufbau einer Datenbank von mehrsprachigen Wort‐ verbindungen (semantischen Netzen). Wörter der vier großen Inhaltswortklassen (Nomen, Verb, Adjektiv und Adverb) werden dabei nach semantischen Be‐ ziehungen verknüpft. Dazu gehören die Kategorisierung nach Über- und Unterordnung (Hyperonymie/ Hypony‐ mie), die Verbindung über Bedeutungsähnlichkeiten (Sy‐ nonymie), die Verbindung über Gegensätze (Antonymie) und die Verbindung über Teilsegmente. Die Bezüge zwi‐ schen den Wortbedeutungen sind als gestrichelte Linien dargestellt. Fährt man mit der Maus über diese Linien, wird die Art des Bezuges angezeigt. Jeder Wortbedeutung selbst ist ein kleiner Kreis (Knoten) zugeordnet, wobei jede Wort‐ art in einer anderen Farbe erscheint. Fährt man mit der Maus über ein Wort, so werden zum entsprechenden Ein‐ trag Kurzdefinitionen und Beispielsätze angezeigt. Wird ein Wort angeklickt, rückt es ins Zentrum und neue Netze bauen sich auf. Das Programm eignet sich durch die Dar‐ stellung der semantischen Beziehungen sowie weiterer Werkzeuge (Hörbeispiele, Rechtschreibhilfe, grammatische 3 Die kognitive Hardware 90 <?page no="91"?> inzidentelles Lernen Zuordnungsfunktionen) auch als Werkzeug zum Erlernen der verfügbaren Sprachen. 3.7.1 Der Erwerb des einsprachigen mentalen Lexikons Wenn Kinder beginnen, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzu‐ setzen, dann versuchen sie als Erstes, Dinge und Vorgänge zu erkennen, von anderen zu unterscheiden und zu benennen. Kin‐ der nehmen dafür einfache Wörter oder Wortfetzen, die sie auf‐ schnappen, weil sie für sie besonders wichtig sind (Auto, Mama, Papa) oder weil sie besonders häufig vorkommen. Wichtiger als die Häufigkeit sind allerdings die Inhalte und die Bedeutung, also die Semantik der Wörter, ihre Auffälligkeit, Relevanz und Reich‐ weite. So bauen Kinder zu Beginn ihres Spracherwerbs ein Re‐ pertoire von Inhaltswörtern auf, später kommen Funktionsele‐ mente wie Präpositionen, Endungen und Artikel hinzu. Den Wortschatz erwerben sie dabei zum größten Teil nicht durch ex‐ plizites Training, sondern eher nebenbei in der Interaktion mit ihrer Umgebung, also inzidentell (siehe Kapitel 1.4). Die Inhaltswörter oder Inhaltselemente des frühen Spracher‐ werbs bestehen häufig aus Wortfetzen, also Teilen von Wörtern oder Eigenkreationen der Kinder, die sie verwenden, weil sie sie selbst so wahrnehmen (Wauwau) oder noch nicht zielgerichtet produzieren können (zum Beispiel Schlaganzug statt Schlafanzug, Musser statt Großmutter). Hierbei sind die Anfangs- und Endlaute von Wörtern oder Wortkonstituenten für die Kinder am auffälligs‐ ten. Sie werden deshalb besser behalten, auch wenn die Kinder sie nicht immer gleich selbst umsetzen können. Ähnlich ist es auch beim Zweitsprachenerwerb von Erwachsenen. Nur unterscheiden sich die Begriffe und es gibt Unterschiede in der Geschwindigkeit des Erwerbs. Aber auch hier gibt es Abkürzungen, Zusammenzie‐ hungen, Neuschöpfungen, Lautschöpfungen, Gestik- und Mimik- Begleitungen und Ersetzungen durch andere Begriffe. 3.7 Die Organisation des mentalen Lexikons 91 <?page no="92"?> Organisations‐ prinzipien gemeinsame Konzeptquelle 3.7.2 Der Erwerb des bilingualen mentalen Lexikons Welche Rolle spielen die Organisationsprinzipien des einspra‐ chigen mentalen Lexikons beim Erwerb des fremdsprachigen Lexikons? Unterstützen sich beide, teilen sie sich die begrenzten Ressourcen der Informationsverarbeitung oder sind sie sich ge‐ genseitig im Weg? Mit den folgenden drei älteren Modellen las‐ sen sich die Beziehungen zwischen einsprachigem und zwei‐ sprachigem Lexikon vereinfachend illustrieren. 78 Die kognitive Hardware 3.7.2 Organisationsprinzipien Zuordnung Gemeinsame Konzeptquelle Gestik- und Mimik-Begleitungen und Ersetzungen durch andere Begriffe. Der Erwerb des bilingualen mentalen Lexikons Welche Rolle spielen die Organisationsprinzipien des einsprachigen mentalen Lexikons beim Erwerb des fremdsprachigen Lexikons? Unterstützen sich beide, teilen sie sich die begrenzten Ressourcen der Informationsverarbeitung oder sind sie sich gegenseitig im Weg? Mit den folgenden drei Modellen lassen sich die Beziehungen zwischen einsprachigem und zweisprachigem Lexikon vereinfachend illustrieren. Abb. 3.7 Die drei klassischen Modelle der Organisation des bilingualen Lexikons am Beispiel des englischen und russischen Begriffes für Buch nach Weinreich (1953: 9 f.) book book kniga book = kniga / buk/ / kniga/ / buk/ / kniga/ / buk/ / kniga/ unterordnend koordiniert verbunden Die unterordnende Form entspricht der klassischen Wortassoziation , wie sie aus Glossaren bekannt ist. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Gehirn findet eine direkte Zuordnung eines fremdsprachigen Begriffes zu einem bereits bekannten Konzept und Begriff in der Erstsprache statt. In dem Modell des koordinierten Bilingualismus sind die Konzepte der Erst- und Zweitsprache und ihre Begriffe voneinander unabhängig. Die Speicherung und Verarbeitung verläuft also parallel. Das Modell des verbundenen Bilingualismus geht dagegen von einer „gemeinsamen“ (gemischten) Konzeptquelle aus, die aber zwei unterschiedliche Benennungen ermöglicht. Das Konzept Buch in dem Beispiel umfasst demnach Merkmale verschiedener Kulturen, ist also gegenüber einem einsprachigen Lexikon erweitert. Der Begriff aus einer der beteiligten Sprachen aktiviert primär das für seine Kultur typische semantische Feld, die semantischen Elemente des anderen Begriffsfeldes können aber mitaktiviert sein. Der verbundene Zugang zum Lexikon bietet Sprechern einen erweiterten Wortschatzhorizont und mehr Wortauswahl. Geübte Sprecher, wie etwa Bilinguale oder Dolmetscher, können wahlweise und Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 78 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 78 26.04.2018 12: 41: 35 Abb. 3.10: Die drei klassischen Modelle der Organisation des bilingualen Lexikons am Beispiel des englischen und russischen Begriffes für Buch nach Weinreich (1953: 9 f.) Die unterordnende Form entspricht der klassischen Wortassozi‐ ation, wie sie aus Glossaren bekannt ist. Nicht nur auf dem Pa‐ pier, sondern auch im Gehirn findet eine direkte Zuordnung ei‐ nes fremdsprachigen Begriffes zu einem bereits bekannten Konzept und Begriff in der Erstsprache statt. Neuere Untersu‐ chungen zeigen, dass Lerner, die die ganze Schulzeit bis zum Ab‐ itur vor allem mittels Wortassoziationen Wörter gelernt haben, trotz der langen Unterrichtsdauer kaum über die unterordnende Form der Organisation des bilingualen Lexikons hinauskommen (Plieger 2006). Hieraus lässt sich schließen, dass bei diesen Ler‐ nern die Zweitsprache nur als oberflächliche Übersetzung der Erstsprache verarbeitet wird. In dem Modell des koordinierten Bilingualismus sind die Konzepte der Erst- und Zweitsprache und ihre Begriffe voneinander unabhängig. Die Speicherung und Verarbeitung verläuft also parallel. Im Fremdsprachenunterricht werden in diesem Sinne oft Wörter (und die ganze Sprache) so vermittelt, als hätten die Erst- und Fremdsprachen wenig bis gar 3 Die kognitive Hardware 92 <?page no="93"?> nichts miteinander zu tun. Das Modell des verbundenen Bilin‐ gualismus geht dagegen von einer „gemeinsamen“ (gemischten) Konzeptquelle aus, die aber jeweils zwei unterschiedliche Benen‐ nungen ermöglicht. Das Konzept BUCH in dem Beispiel umfasst demnach Merkmale verschiedener Kulturen, ist also gegenüber einem einsprachigen Lexikon erweitert. Der Begriff aus einer der beteiligten Sprachen aktiviert primär das für seine Sprachkultur typische semantische Feld, die semantischen Elemente des ande‐ ren Begriffsfeldes können aber mitaktiviert sein. Der verbundene Zugang zum Lexikon bietet Sprechern einen erweiterten Wort‐ schatzhorizont und mehr Wortauswahl, nämlich einen gemeinsa‐ men Bereich und angedockte sprachspezifische Teillexika. Im sukzessiven Spracherwerb kommt es dabei zu konzeptuellen Übertragungen von der einen Sprachkultur auf die andere. Das äußert sich zum Beispiel an Raumkonzepten, die zunächst in die Fremdsprache übertragen werden oder an die sich Lerner anleh‐ nen. Bei der Äußerung Ich habe fertig wird zum Beispiel die Be‐ sitzbeziehung bei Eigenschaften in romanischen Sprachen auf die Identitätsbeziehung im Deutschen übertragen, schematisch dar‐ gestellt also Ich + fertig statt Ich = fertig, wie auch bei Altersanga‐ ben (französisch) J’ai 16 ans/ *Ich habe 16 Jahre gegenüber Ich bin 16). Damit entspricht die Struktur derjenigen in Äußerungen wie Ich habe Hunger, Geld …, trage die schwere Last meines (jugendli‐ chen) Alters. Das Modified Hierarchical Model (Pavlenko 2009) bil‐ det die Stärke und Richtung der gegenseitigen Einflüsse der Spra‐ chen folgendermaßen ab: 3.7 Die Organisation des mentalen Lexikons 93 <?page no="94"?> Abb. 3.11: Modified Hierarchical Model (Pavlenko 2009: 147), ergänzt durch den Dritten Ort Das heißt, dass die Wörter der L1 besonders eng mit den ihnen zugrundeliegenden Konzepten verbunden sind und daher auch für nachfolgend erworbene Sprachen eine wichtige Referenzfunktion haben. Neben dem Transfer auf die L2 bilden sich gemeinsame Konzepte aus, an denen sich Lerner orientieren, während sie suk‐ zessive zwischen L1- und L2-Einträgen differenzieren. Die lexika‐ lischen Verbindungen zwischen L1 und L2 sind hier unterschied‐ lich stark ausgeprägt. Sie wirken stärker von der L2 auf die L1, das heißt, Lernern fällt es auf Grund ihres Vorwissens und ihrer kon‐ zeptuellen Basis leichter, lexikalische Elemente in der Fremdspra‐ che zu erkennen, als sie von der L1 in die L2 zu übersetzen. Aus diesem Grund erkennen wir Internationalismen so gut und schnell und fällt es Deutschsprachigen so leicht, Wörter aus dem Niederländischen und den skandinavischen Sprachen zu erken‐ nen: Ja, dat kan. Geübte Sprecher, wie etwa mehrsprachig auf‐ wachsende Lerner (ausgeglichene Mehrsprachigkeit) oder Dol‐ metscher, können aus all den genannten Gründen wahlweise und ohne wahrnehmbare Verzögerungen aus jeder der beteiligten Sprachen Wörter auswählen. 3 Die kognitive Hardware 94 <?page no="95"?> Pilotstudie Das Modell von Pavlenko wurde in unserer Darstellung er‐ gänzt. Denn bei ausgeglichener Mehrsprachigkeit entsteht oft noch ein weiterer semantischer und lexikalischer Bereich, der über die Summe von L1- und L2-Wortschatz hinausgeht: eine Art „Dritter Ort“, der durch weitere Sprachen noch ergänzt werden kann. Nicht jeder ist sich dessen bewusst und nur wenige Un‐ terrichtsansätze fördern die dadurch entstehenden Mehrwerte gezielt. In der Interkulturellen Sprachdidaktik, in der Mehrspra‐ chigkeitsdidaktik und in der Literaturdidaktik des Dialogs ist diese dritte Qualität jedoch ein wichtiges Ziel. Bei mehrsprachi‐ gen Autorinnen und Autoren gehört sie zur Grundausstattung ihres Erfolges (siehe Kapitel 7, Roche/ Schiewer 2018/ 2019, Huf‐ eisen/ Marx 2007, Hufeisen 2010). Abb. 3.12: Versuch der Koordinierung der Wortfelder von gehen und go in einer Pilotstudie des Visual Thesaurus Anhand einer Pilotstudie des Visual Thesaurus zu den Beziehun‐ gen der Wortfelder von gehen und go lässt sich die Komplexität der Koordinierungs- und Zuordnungsaufgaben des bilingualen Lexikons illustrieren (siehe Abbildung 3.12). Dieses Modell geht 3.7 Die Organisation des mentalen Lexikons 95 <?page no="96"?> Erwerbsmodus von einer verbundenen Struktur des mentalen Lexikons aus. Da‐ her müssten den englischen Begriffen in der Oberfläche des The‐ saurus deutsche Entsprechungen zugeordnet werden können, oder es müsste sprachunabhängige Konzepte von laufen geben, die unterschiedlich realisiert sind. Diese Zuordnungen funktio‐ nieren nur bedingt, etwa bei go away und fortgehen. Nicht zu allen Begriffen der einen Sprache gibt es Entsprechungen in der anderen. Im oberen Teil der Abbildung gibt es mehrere Verbin‐ dungen zu der englischen Bedeutung von to go steady (travel, move, locomote), aber nur einen Eintrag zum Deutschen (fortbe‐ wegen), auch wenn reisen mit vielen Varianten (bereisen, verrei‐ sen, abreisen, anreisen …) denkbar wäre. Zu funktionieren im Sinne von gehen im unteren Teil der Abbildung gibt es mehrere kontextabhängige Ausdrücke im Englischen (operate, function, work). Hieraus ergibt sich, dass die Speicherung von Wörtern im bilingualen Lexikon von fortgeschrittenen Sprechern ▸ stark abhängig vom Kontext, ▸▸ differenziert, ▸▸ und dynamisch ist. ▸ Für Fremdsprachenlerner ist der Wortschatzerwerb wegen der Differenzierung, Dynamik und Kontextabhängigkeit so schwie‐ rig. Auch bei den Lernern, die relativ spät beginnen, fremde Spra‐ chen in mehrsprachigen Lernumgebungen zu erwerben, kann davon ausgegangen werden, dass sie den Zweitsprachenerwerb mit dem unterordnenden Modus beginnen. Bei ihnen ändert sich im Laufe des Erwerbsprozesses die Form des Erwerbsmodus vom unterordnenden über den koordinierten bis zum verbundenen, wenn die Sprachen in entsprechenden Kontexten genutzt wer‐ den (Entwicklungshypothese). Aufnahmen von den Zentren des Gehirns, die an der Verar‐ beitung von Sprache beteiligt sind, bestätigen diese Beobachtung (Kim/ Relkin/ Lee/ Hirsch 1997): Bei ausgeglichen Mehrsprachi‐ gen sind die beteiligten Sprachen (je nach Kontext) stärker ver‐ netzt und zeigen eine stärkere Ko-Aktivierung, auch wenn nur eine der Sprachen aktiv verwendet wird. Bei der Aktivierung und Ko-Aktivierung der Sprachen unterscheidet Green (1993) ver‐ 3 Die kognitive Hardware 96 <?page no="97"?> Matrixsprache schiedene Stärken: die ausgewählte (selective) oder Matrixspra‐ che, weitere mitlaufende, aber nur nach Kommunikationsbedarf aktivierte Sprachen (active languages, embedded languages) und nicht aktivierte/ nicht benötigte Sprachen (dormant languages). Um Sprachen zu aktivieren oder zu reaktivieren, bedarf es einer Mindestkompetenz (Grosjean 2010) in diesen Sprachen, die von der Häufigkeit und Intensität der aktuellen Gebrauchsgeschichte eines Sprechers (Recency) abhängig ist. Inwiefern diese Sprachen und ihre mentalen Lexika tatsäch‐ lich sprachenspezifisch oder unspezifisch im Gehirn gespeichert und koordiniert sind, ist Gegenstand weiterer Forschungen: möglicherweise sind die Sprachen über eine zentrale Schaltstelle, den Sprachenknoten (language node) hierarchisch geordnet und werden sowohl allgemein im Konzeptualisator als auch spezi‐ fisch in den einzelnen nachgeschalteten Verarbeitungsmodulen aktiviert (Subset-Hypothese von de Bot 2004). Die großen strukturellen, semantischen und pragmatischen Unterschiede von Sprachen, die bei separater Verarbeitung einen hohen Auf‐ wand erfordern würden und bei Sprachwechseln zu großen Ver‐ zögerungen führen müssten, sprechen andererseits für eine teil‐ weise gemeinsame, parallele Verarbeitung und eine gute Koordinierung der unterschiedlichen Teilsysteme. 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht In diesem Abschnitt geht es um die Vermittlung von Wortschatz im Unterricht. Dazu ist es hilfreich, sich als Erstes anzusehen, wie die Wortschatzvermittlung in Schulbüchern erfolgt und wel‐ che anderen Wortschatzquellen (Wörterbücher, Thesauri) es gibt. Nach der Grammatik stellen die Vokabeln für viele Lerner das größte Problem beim Erlernen einer Fremdsprache dar. Schon der Anblick langer Listen von Wörtern am Ende eines Kapitels oder im Glossar ist oft angsteinflößend. Hinzu kommt dann meist noch das Kleingedruckte, nämlich die grammatische und lautli‐ che (phonetische) Information zum Eintrag, die das Behalten, das 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 97 <?page no="98"?> koordinierendes Modell Memorieren der Wörter als schier überwältigende Aufgabe er‐ scheinen lässt. Die Einträge im Glossar haben heute meist die Form wie in dem Englisch-Schulbuch Green Line oder dem Fran‐ zösisch-Schulbuch Découvertes: Wortschatz als Lernaufgabe Beispiel Green Line Beispiel Découvertes Einsprachige Erklärung In diesem Abschnitt geht es um die Vermittlung von Wortschatz im Unterricht. Dazu ist es hilfreich, sich als Erstes anzusehen, wie die Wortschatzvermittlung in Schulbüchern erfolgt und welche anderen Wortschatzquellen (Wörterbücher, Thesauri) es gibt. Nach der Grammatik stellen die Vokabeln für viele Lerner das größte Problem beim Erlernen einer Fremdsprache dar. Schon der Anblick langer Listen von Wörtern am Ende eines Kapitels oder im Glossar ist oft angsteinflößend. Hinzu kommt dann meist noch das Kleingedruckte, nämlich die grammatische und lautliche (phonetische) Information zum Eintrag, die das Behalten, das Memorieren der Wörter als schier überwältigende Aufgabe erscheinen lässt. Die Einträge im Glossar haben heute meist die Form wie in dem Englisch-Schulbuch Green Line oder dem Französisch-Schulbuch Découvertes: to hope [h ə up] hoffen station [’steı ʃ n] Look, the train is coming into the station now. Haltestelle, Bahnhof. fish and chips [¸fıƒ˛n˛’tƒıps] Fisch und Pommes frites un hôpital [ ε n ɔ pital] Mme Rigot est infirmière. Elle travaille dans ~. ein Krankenhaus les parents (m., pl.) [lepar-] M. et Mme Lacroix sont ~ de Julie et d’Isabelle die Eltern Die einfache Übersetzung eines fremdsprachigen Begriffes durch einen Begriff der Ausgangssprache der Lerner bildet bei dieser Vermittlungsart das Grundprinzip. In verschiedenen Phasen der Entwicklung von Unterrichtsmethoden ist diese Paarassoziation durch einsprachige Erklärungen ersetzt worden. Damit sollte der Erstspracherwerb, bei dem Kinder aus ihrer Umgebung einspra- Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 81 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 81 26.04.2018 12: 41: 36 Die einfache Übersetzung eines fremdsprachigen Begriffes durch einen Begriff der Ausgangssprache der Lerner bildet bei dieser Vermittlungsart das Grundprinzip. In verschiedenen Phasen der Entwicklung von Unterrichtsmethoden ist diese Paarassozia‐ tion durch einsprachige Erklärungen ersetzt worden. Damit sollte der Erstspracherwerb, bei dem Kinder aus ihrer Umgebung einsprachige Erklärungen erhalten, simuliert werden. Aus den Beispielen ist zu erkennen, dass heute beide Verfahren gerne da‐ durch gemischt werden, dass gelegentlich fremdsprachige Bei‐ spielsätze oder Erklärungen angeführt werden. Aus dem unter‐ ordnenden Modell des bilingualen Lexikons ist ersichtlich, dass sich die Fremdsprache wie eine Folie über die Erstsprache legt. Dass dies jedoch die Weite der semantischen Felder nicht adäquat abdeckt, zeigen wörtliche Übersetzungen, zum Beispiel mittels einer Übersetzungsmaschine (vergleiche dazu Kapitel 7.2). Geht man dagegen nach dem koordinierenden Modell davon aus, dass der Zweitsprachenerwerb ohne die Anbindung an die Erstsprache auskommt, dann könnte man auch einsprachige Er‐ klärungen in der Fremdsprache, wie etwa die genannten Bei‐ spielsätze der Glossare, angeben und hoffen, dass sich dadurch ein Verstehen einstellt. Aber wird dadurch der Erwerb nicht eher konfuser und weiter erschwert? Hier ein einfacher Test: Ist die französische Erklärung von un hôpital in dem obigen Beispiel ohne die deutsche Übersetzung so klar, dass daraus nur die Be‐ 3 Die kognitive Hardware 98 <?page no="99"?> Konnotation kreative Schöpfungen deutung Krankenhaus erschließbar ist? Wohl kaum. Eher schon träfe dies zu, wenn bekannt ist, dass infirmière die Bedeutung von Krankenschwester trägt. Aber selbst dann gibt es eine Reihe weiterer möglicher Bedeutungen und Kontexte, auf die die Er‐ klärung zutreffen könnte und die daher weitere Andockungs‐ punkte in den Vorsprachen der Schüler erfordern würden. Die einsprachige Erklärung funktioniert nur, wenn die dort verwen‐ deten Begriffe den Lernern bekannt oder von ihnen erschließbar sind. Weder Paarassoziation noch Einsprachigkeit führen in Rein‐ natur offensichtlich zu einem optimalen Ergebnis. Das liegt vor allem daran, dass Übersetzungen nicht das gesamte Bedeutungs‐ spektrum von Begriffen abdecken können: Bei der Übertragung in eine andere Sprache gehen wichtige Bedeutungselemente ver‐ loren. Außerdem fehlt die sprachliche und kulturelle Anbindung an die Ausgangssprache. Einsprachigkeit funktioniert in der Re‐ gel nicht, da Unbekanntes mit Unbekanntem erklärt wird. Die Schwierigkeit wird noch dadurch potenziert, dass die Erklärun‐ gen meist komplex und situationsabhängig sind. Um diesem Di‐ lemma aus dem Weg zu gehen, halten sich Glossare und Wör‐ terbücher an die Grundbedeutung eines Wortes (denotative Bedeutung). Davon zu unterscheiden sind die Konnotatio‐ nen, die sich aus bestimmten pragmatischen Konstellationen er‐ geben. Die denotative Bedeutung von Baum umfasst zum Beispiel die wichtigsten Merkmale des Gewächses Baum. Die konnotativen Bedeutungen umfassen Übertragungen und Bilder (Metaphern), wie sie als Stammbaum, Diagramm, Baum des Lebens oder auch als Symbole für Stärke oder die Umwelt bekannt sind. Es hängt also immer vom Kontext und den Kommunikationspart‐ nern und -bedingungen ab, welche Bedeutung gerade die zutref‐ fende ist. Die Vielfalt der begrifflichen Entsprechungen wird dadurch erhöht, dass Sprecher kreativ mit den Begriffen umgehen und immer wieder neue Kontexte oder Bedeutungen erfinden kön‐ nen. Das passiert unter anderem in der Jugendsprache, in poeti‐ scher Sprache, im Kabarett, in der Werbesprache, in Berufs- und Fachsprachen und bei Übertragungen aus Fremdsprachen, so ge‐ 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 99 <?page no="100"?> Fremdwort / Lehnwort nannten Entlehnungen, die dadurch zum Teil Neuschöpfungen werden. Bei der Entlehnung aus anderen Sprachen entstehen die gleichen grundsätzlichen Verfahrensfragen wie bei der Worter‐ klärung in Glossaren und Wörterbüchern. Auch hier muss zwi‐ schen zwei unterschiedlichen Konzeptwelten vermittelt werden. Die natürlichen Prinzipien der Entlehnung aus fremden Spra‐ chen könnten deshalb ein Muster für die didaktisierte Wort‐ schatzvermittlung sein. So entstehen neue Lehnwörter Sprecher von Sprachen, die in Kontakt mit anderen Spra‐ chen sind, entdecken dort oft interessante Begriffe, die sie selbst noch nicht haben. Wie lassen sich diese am besten in die eigene Begriffs- und Ausdruckswelt übertragen? Dafür gibt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten: Man über‐ nimmt das Wort in identischer Form (Fremdwort) oder man passt es lautlich, grammatisch, lexikalisch und semantisch an die eigene Sprachumgebung an (Lehnwort). Die identi‐ sche Übernahme ist dabei eher die Ausnahme. Selbst eng‐ lische Wörter wie to download werden im Deutschen gram‐ matikalisch und lexikalisch angepasst zu downloaden oder downgeloadet, Wörter wie airconditioning oder mail werden zu ärkondischen und Mehl verarbeitet und der Plural wird schon mal nach deutschem Muster gebildet: Biker welcome statt Bikers heißt es an vielen Restaurants in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Sie sind keine Fremdwörter, sondern geborgte Wörter, also Entlehnungen oder Lehn‐ wörter. Bedeutungen können auch ohne die fremden Wör‐ ter importiert werden, wenn diese eine zu große Hürde dar‐ stellen. Dann werden die semantischen Elemente direkt in die Begriffswelt der eigenen Sprache übertragen. Hier einige Beispiele aus einer exotischen Sprache, der Maori-Sprache. Maori ist eine Sprache der Ureinwohner Neuseelands, die noch von ungefähr 120.000 Menschen ge‐ sprochen wird. Neue technische Entwicklungen lassen sich nicht einfach in das Konzeptgeflecht dieser Sprache inte‐ grieren. So kennt Maori zwar auch den Begriff Kamuputa als Lehn-Übertragung des englischen Computer. Die Silben‐ 3 Die kognitive Hardware 100 <?page no="101"?> Rückentlehnungen Scheinentlehnungen struktur ist dabei an die eigene Sprache angepasst, in diesem Falle die strikte Konsonant-Vokal-Abfolge. Konzeptuell in‐ teressanter ist aber der gängige Begriff rorohiko, der so viel wie Gehirnblitz bedeutet (roro = das Gehirn; hiko = der Blitz oder übertragen auch die Elektrizität). Auch für das Wort Password gibt es in Maori ursprünglich keinen Begriff, weil er zuvor genauso wenig gebraucht wurde wie Türschlösser an Bauernhöfen in Deutschland. Hier hilft sich die Sprache mit drei Varianten: entweder kupu huna (kupu = Wort; huna = versteckt), hiporete (hipo = passieren; rete = erlauben) oder whakatoha, was so viel bedeutet wie auf einem anderen Pfad hereinkommen. Manchmal kommen von fremden Sprachen entlehnte Be‐ griffe sogar zurück in die Ausgangssprache. Für das Wort Karaoke trifft dies zum Beispiel zu: Das Japanische hat sich dafür oke als angepasste Kurzform des englischen Wortes orchestra entlehnt und mit der japanischen Vorsilbe kara (leer) ein neues Hybrid-Kompositum gebildet. Als neues Wort ist es dann ins Englische und in andere Sprachen (zu‐ rück-)entlehnt worden und beglückt seitdem, je nach den präsentierten Talenten, einen größeren oder geringeren Teil des Publikums weltweit. Übrigens sind viele neuere Lehn‐ wörter im Deutschen eigentlich Rückentlehnungen aus dem Deutschen oder sie haben eine alte gemeinsame Basis: zum Beispiel ist das alt- und mittelhochdeutsche turnen von lateinisch tornare abgeleitet, das auch die Basis für Englisch to turn und spätere Ableitungen wie turn on oder turn up bildet und damit auch für das Neudeutsche antörnen. Viele neudeutsche Wörter sind Scheinentlehnungen, wie Handy (cellphone, mobile), Service-Point (customer service) oder Public Viewing (Leichenschau), die es so im Englischen gar nicht gibt oder die dort anders verwendet werden. Im Fremdsprachenunterricht können nicht alle Bedeutungen ei‐ nes Begriffes auf einmal vermittelt werden. Das wäre eine Über‐ forderung der Lerner, und außerdem könnten zu viele Begriffe mit ähnlichen Bedeutungen zu einem konzeptuellen Chaos beim Lerner führen. Eine Auswahl ist also nötig. Andererseits kann 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 101 <?page no="102"?> die Verkürzung auf eine beliebige Grundbedeutung, die nur mehr oder weniger repräsentative Bedeutungsausschnitte umfasst, bei einer Übertragung auf andere Kontexte Fehler provozieren. So erstrecken sich zwar die Bedeutungsfelder des englischen Be‐ griffes hope und des deutschen Begriffes hoffen über eine Reihe gemeinsamer Merkmale und Kontexte. Das gilt beispielsweise für den religiösen Kontext des Erhoffens und Erwartens einer besseren Welt. In alltagssprachlichen Kontexten gilt dies aber nur bedingt: Ein in deutscher Sprache verfasster Brief, der mit dem Satz Ich hoffe, Sie schreiben mir bald endet, drückt eine we‐ sentlich stärkere Einforderung aus, als eine erwartungsvolle, aber höfliche englische Formulierung: I hope to hear from you soon. Noch schwieriger wird die Übertragung bei Varianten der Begriffe: so müsste in Wörterlisten eigentlich die recht häufig vorkommende (frequente) Form to hope for mitangegeben wer‐ den. Diese hätte als stilistisch hervorgehobene Entsprechung im Deutschen auf etwas hoffen, liegt aber alltagssprachlich näher am Begriff etwas erwarten. Die Probleme der Übertragung in die Fremdsprache lassen sich demnach grundsätzlich nur im sprach‐ kulturellen (linguakulturellen) Kontext lösen. Kontextfreie Grundbedeutungen gibt es nicht. Wenn Wörter kontextfrei ge‐ lernt werden, sind Übertragungs- und Einbettungsfehler unver‐ meidbar. Beispiel Der folgende Auszug aus einem Wörterbuch für Lerner des Deutschen illustriert den Aufbau der Einträge in einspra‐ chigen Wörterbüchern. Er zeigt verschiedene Einträge zum Wortfeld hoffen und listet jeweils verschiedene (numme‐ rierte) Grundbedeutungen auf. In eckigen Klammern finden sich Hinweise zur Aussprache in Lautschrift, in spitzen Klammern grammatische Hin‐ weise, in runden Klammern Bemerkungen zur Sprachform (zum Beispiel ugs. für umgangssprachlich). Die wichtigsten Stammformen (3. Person Singular, Präteritum und Partizip Perfekt beim Verb, Pluralendung beim Nomen, Steigerungs‐ formen beim Adjektiv im Deutschen) sind ebenfalls aufge‐ 3 Die kognitive Hardware 102 <?page no="103"?> führt. Mit typischen Beispielsätzen wird versucht, Kontext‐ bezüge herzustellen. Abb. 3.13: Auszug aus dem Hueber Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache für die Grund- und Mittelstufe Exkurs Wörterbücher für den Unterricht Welche Begriffe von Wörterbüchern ausgewählt werden, wie viele Informationen zu Aussprache, Grammatik, Grund‐ bedeutungen, Konnotationen und fremdsprachigen Entspre‐ chungen in den Einträgen aufgeführt werden, hängt von dem Zweck oder der Funktion des Wörterbuches und der subjek‐ tiven Auswahl der Autoren ab. Manche Wörterbücher ori‐ 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 103 <?page no="104"?> entieren sich bei der Auswahl der Begriffe an sprachlichen Datensammlungen, so genannten Korpora, wie beispiels‐ weise Sammlungen von Zeitungstexten oder Gesprächen. Die folgende Auswahl gibt einen Überblick über verschie‐ dene Typen von Wörterbüchern und lexikalischen Hilfsmit‐ teln, die für das Erlernen des Deutschen als Fremdsprache zur Verfügung stehen. Es handelt sich dabei nicht um Lehrbuch‐ glossare, sondern ausschließlich um zusätzliche Hilfsmittel, so genannte Referenzwörterbücher. Referenzwörterbücher stellen unterschiedliche Aspekte des Wortschatzes in den Vordergrund. Die wichtigsten Wörter‐ bucharten sind hier am Beispiel des Eintrages abfahren dar‐ gestellt. Hueber Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache ab|fah|ren fährt ab, fuhr ab, abgefahren <itr.; ist>: einen Ort fahrend verlassen / Ggs. ankommen/ : der Bus fährt immer ganz pünktlich ab, er ist mit dem letzten Zug abgefahren. Syn.: abreisen. Abb. 3.14: Auszug aus dem Hueber Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache für die Grund- und Mittelstufe Dieses Wörterbuch wendet sich an Lerner der Grund- und Mittelstufe. Der Eintrag beginnt mit der Infinitivform des Verbs und den wichtigsten Grundformen: der 3. Person Sin‐ gular wegen der möglichen Lautwechsel (fahren > fährt), dem Präteritum wegen der möglichen Änderung des Stammvokals (fahren > fuhr) und dem Partizip Perfekt we‐ gen der unterschiedlichen Formen und Endungen von star‐ ken und schwachen Verben und Verben mit besonderen En‐ dungen (gegangen, gemacht, marschiert). Von diesen Grundformen lassen sich weitere Formen ableiten, vom Präteritum beispielsweise der Konjunktiv, vom Partizip un‐ ter anderem Perfekt und Passiv. Die Silbentrennung ist 3 Die kognitive Hardware 104 <?page no="105"?> DWDS durch Striche in der Infinitivform markiert. Die grammati‐ sche Hilfsinformation ist in spitzen Klammern angegeben. Dazu gehören Angaben zum Hilfsverb (ist) und zur Mög‐ lichkeit, Objekte zu nehmen (hier: intransitiv, itr., das heißt ohne Objekt). Die Einträge enthalten auch Informationen zur Verwendung, zu Begriffen mit gleicher Bedeutung (Syn‐ onymen) und zu Gegensätzen (Antonymen). Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache ab.fah.ren 1 etw. a. (hat) etw. mit e-m Fahrzeug wegtransportieren 2 etw. a. (hat/ ist) e-e Strecke suchend entlangfahren 3 etw. a. (hat) etw. durch häufiges Fahren abnutzen <e-n Reifen a.> 4 j-m etw. a. (hat) j-m e-n Körperteil durch Überfahren abtrennen: Ihm wurden bei dem Unfall beide Beine abgefahren; 5 (von Personen) = wegfahren 6 etw. fährt ab ein Fahrzeug setzt sich in Bewegung od. verläßt e-n Ort 7 (voll) auf j-n/ etw. a. gespr; von j-m/ etw. begeistert sein: auf ein Mädchen, auf Rockmusik a. || zu 5 u. 6 ab.fahr.be.reit Adj Abb. 3.15: Auszug aus dem Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache Die Zielgruppe dieses Wörterbuchs sind fortgeschrittene Lerner des Deutschen als Fremdsprache. Daher sind die Einträge stärker differenziert und es wird auf grundsätzli‐ che Angaben zur Grammatik und zur Aussprache weitge‐ hend verzichtet. Dafür enthalten die Einträge stilistische Varianten und zielsprachliche Erklärungen der Wortbedeu‐ tungen. Um Übersichtlichkeit zu gewährleisten, werden Symbole und verschiedene Schrifttypen (kursiv, fett) ver‐ wendet. Das größte derartige Wörterbuch für die deutsche Sprache, abgesehen von wissenschaftlichen Wörterbüchern wie dem Grimmschen Wörterbuch, ist das Digitale Wörter‐ buch der deutschen Sprache (DWDS, www.dwds.de). Ein 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 105 <?page no="106"?> Beispiel für ein einsprachiges Lernerwörterbuch ist das PONS Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache. DUDEN Sinn- und sachverwandte Wörter Abfahren: ↑abgehen, ↑abnutzen, ↑abreisen ↑sterben; a. lassen ↑ablehnen; auf jmd./ etwas a. ↑begierig; der Zug ist abgefahren ↑versäumen. Abb. 3.16: Auszug aus dem Duden Sinn- und sachverwandte Wör‐ ter Dieser Duden dient als Nachschlagewerk für Synonyme und sachverwandte Wörter. Die Einträge enthalten Verweise auf weitere Einträge im Wörterbuch (durch Pfeil markiert) und kurze Erklärungen zu Wörtern, Ausdrücken und Verwen‐ dungsformen. Derartige Wörterbücher finden hauptsächlich beim Verfassen eigener Texte Verwendung, als Hilfsmittel für die stilistische Variation. Thesauri (Singular: Thesaurus), also Wörterbücher, die Synonyme und verwandte Begriffe enthalten, gibt es auch in den meisten Textverarbeitungspro‐ grammen in elektronischer Form, zum Beispiel in Microsoft Word. Weitere umfangreiche Hilfen beim Auffinden angemesse‐ ner Wörter geben so genannte Stilwörterbücher, zum Bei‐ spiel das DUDEN Stilwörterbuch. Ein weiteres nützliches Wörterbuch ist der DUDEN Rich‐ tiges und gutes Deutsch. Dieser Duden gibt ausführliche Hinweise zu verbreiteten Problemfragen der deutschen Sprache, zum Beispiel zur Verwendung von Fugenelemen‐ ten und zur Lenkung der Aufmerksamkeit auf eingefahrene falsche Verwendungsweisen von Wörtern. Ähnlich verfährt auch der Duden zu den Zweifelsfällen der deutschen Sprache. Diese Wörterbücher werden besonders dann ver‐ wendet, wenn das Sprachgefühl Bedenken meldet, verschie‐ dene Varianten bestehen oder sich entwickeln und Klärung nötig ist (zum Beispiel bei korrekt es ergibt Sinn statt dem vom Englischen beeinflussten es macht Sinn). Wie alle Wör‐ 3 Die kognitive Hardware 106 <?page no="107"?> Rechtschreibung Diglossie terbücher lassen sich auch diese von Lernern nutzen und für gezielte Rechercheaufgaben im Sprachunterricht ein‐ setzen. Wörterbücher zur Rechtschreibung, zum Beispiel der DUDEN Die deutsche Rechtschreibung, Brockhaus Die deutsche Rechtschreibung, Narr Deutsche Rechtschrei‐ bung und Compact Großes Wörterbuch deutsche Recht‐ schreibung listen keine Bedeutungen oder grammatischen Merkmale, sondern nur die korrekte Schreibung, Silbentren‐ nung und gegebenenfalls Abkürzungen und Schreibalterna‐ tiven auf. Die Bedeutung der Rechtschreibung wird in den Kulturen unterschiedlich gewichtet. Im Französischen und Deutschen wird sie relativ streng gehandhabt und nötigen‐ falls auch sanktioniert, im Englischen wird sie dagegen auch wegen der zahlreichen regionalen Varianten relativ nachläs‐ sig behandelt (zum Beispiel drive thru statt drive through, 4U2drive). Durch die Flüchtigkeit neuer Textformen, wie sie etwa in den neuen Medien vorkommen (zum Beispiel Chat, E-Mail), entsteht allgemein eine größere Nachlässigkeit bei der Schreibung. Manche Sprachen sind rein mündliche Spra‐ chen und verfügen über keine standardisierte Schriftspra‐ che. In anderen haben mündliche und schriftliche Varianten eine andere Basis (Diglossie). Zweisprachige Wörterbücher geben in unterschiedli‐ cher Ausführlichkeit grammatische und semantische Infor‐ mationen wieder. Sie wenden sich vor allem an Lerner im Grund- und Mittelstufenbereich und enthalten daher nur die wichtigsten Grundeinträge ohne stilistische oder regio‐ nale Variationen. Informationen zur Grammatik und zur Lautung werden meist abgekürzt und, wo möglich, auch in Symbolen dargestellt. Zwei der umfangreichsten zweispra‐ chigen Wörterbücher für Deutsch − Englisch, Spanisch und Französisch sowie weitere Sprachen sind Leo oder Linguee (Webseiten http: / / dict.leo.org; www.linguee.de). Ein weite‐ res Online-Wörterbuch ist PONS Das Online-Wörterbuch (http: / / de.pons.eu/ ? l=deen). Zu berücksichtigen ist, dass es große Unterschiede in der Qualität der Online-Wörterbü‐ cher geben kann. Nutzer sollten darauf achten, dass die 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 107 <?page no="108"?> Modellierung im Unterricht Wörterbücher nach wissenschaftlichen Standards der Le‐ xikographie entwickelt werden. Abb. 3.17: Beispiel für ein Online-Wörterbuch: Linguee Wie lassen sich die Erkenntnisse zum Wortschatzerwerb konkret für den Fremdsprachenunterricht fruchtbar ma‐ chen? Es bietet sich an, die Organisationsprozesse des mentalen Lexikons im Sprachunterricht zu unterstützen, indem ihnen soweit wie möglich zugearbeitet oder ihre Verarbeitungs‐ prinzipien nachempfunden werden. Das kann auf unter‐ schiedliche Art geschehen: 3 Die kognitive Hardware 108 <?page no="109"?> Transferbasen Wichtige Techniken der Optimierung beim Fremd‐ sprachenlernen ▸ Durch Anknüpfen an bekannte Informationen und be‐ ▸ reits vorhandenes Wissen. Dabei ist nicht so wichtig, in welcher Sprache das Wissen vorhanden ist. Konse‐ quent einsprachige Vermittlung fremden Wortschatzes ist nur dann sinnvoll, wenn sie an entsprechend gesi‐ chertes Wissen beim Lerner anschließt. Ansonsten bleibt eine einsprachige Erklärung eine aufgesetzte Übung mit gegenläufigen Ergebnissen, nämlich Ver‐ wirrung oder Überforderung des Lerners. Gemischt‐ sprachige Glossare und Wortvermittlungsverfahren haben vor allem in den Anfangsphasen des Erwerbs in der Regel mehr Erfolg als einsprachige. ▸ Durch die Verwendung von Internationalismen und ▸ Lehnwörtern, die die Nachhaltigkeit der Vermittlung erhöhen. Selbst Hilfsübersetzungen oder andere Brü‐ ckenkonstruktionen wie Neuschöpfungen und Wort‐ spiele sind im Sinne der Anknüpfung an Bekanntes für Grammatik- und Worterklärungen vertretbar, solange sie nicht zum Einprägen von zielsprachlich falschen Wörtern führen. In der Diglott-Weave Method (Celce- Murcia 1991) ist versucht worden, dieses Verfahren zu systematisieren. Eine besonders wichtige Rolle kommt dabei den lateinischen und romanischen Begriffen zu, die als Grundbegriffe in vielen europäischen Sprachen vorkommen und so ein leichtes Anknüpfen ermögli‐ chen (Transferbasen). Das Eurolatein stellt eine Samm‐ lung wichtiger lateinischer Begriffe dar. In der neueren Mehrsprachigkeitsdidaktik wird versucht, internatio‐ nale Gemeinsamkeiten für die Entwicklung von Ge‐ samtsprachencurricula zu nutzen. Die Initiativen des EuroCom Konsortiums zu germanischen, romanischen und slawischen Sprachen haben dafür verschiedene Verfahren und Lehrmaterialien entwickelt (Kim/ Relkin/ Lee/ Hirsch 1997, Klein/ Stegmann 2000, Meiß‐ 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 109 <?page no="110"?> Strategien für den Unterricht ner 2004, Hufeisen/ Marx 2007, Tafel 2009, http: / / www. eurocomprehension.info). Die folgenden Strategien fassen die wichtigsten Konse‐ quenzen dieses Kapitels für die Lehr- und Lernpraxis zu‐ sammen. Wortschatz lässt sich am besten lehren und lernen: ▸ Durch Assoziogramme und andere Verfahren, die das ▸ Vorwissen sammeln und aktivieren. Damit lässt sich gleichzeitig bereits vorhandenes Wissen erweitern. ▸ Durch eine Beschränkung auf Basiswortschatz und ▸ Grundformen in den unmittelbaren Anfangsphasen des Erwerbs. ▸ Durch eine kategorisierende und ordnende (taxono‐ ▸ mische) Vermittlung des Wortschatzes und durch eine Darstellung der semantischen Vernetzung in Wortfel‐ dern. Sinnvoll eingebettetes Lernen ist effizienter als abgekoppeltes Lernen. Angeregt werden sollten Lern‐ aktivitäten, - die auf Bedeutungen und Konzepten aufbauen, - also konzeptuelles und bedeutungsbezogenes Lernen, - die den Lernstoff in sinnvoller Weise etwa nach - Zugehörigkeit zu einer Klasse oder nach Ober- und Unterbegriffen ordnen, also taxonomisches Ler‐ nen, - die Verbindungen zu anderem Wissen herstellen, - also assoziatives oder konnektives Lernen, - und die logisches und schließendes Denken for‐ - dern und fördern, also deduktives Lernen. ▸ Durch möglichst gleichzeitige und abgestimmte Akti‐ ▸ vierung verschiedener Kanäle (Lautung, Reim, Schriftzeichen und außersprachliche Information durch Bilder, Gesten, Geruch, Geschmack und Tasten). ▸ Durch zyklisches Lernen. Zyklisches Lernen mit stei‐ ▸ gendem Schwierigkeitsgrad oder neuen Aspekten be‐ wirkt abwechslungsreichere Wiederholungseffekte als mechanisches Wiederholen. Je kleiner die Lerneinhei‐ ten, desto geringer ist der Wiederholungsaufwand. 3 Die kognitive Hardware 110 <?page no="111"?> ▸ Durch Einbindung in authentische Handlungszu‐ ▸ sammenhänge mit einer möglichst realen Kommuni‐ kationsabsicht, wie in Lernszenarien oder anderen For‐ men des fallbasierten und aufgabenorientierten Lernens. Die Nachhaltigkeit des Behaltens lässt sich erhöhen, wenn Lerner Begriffe für den eigenen Gebrauch aktivie‐ ren und in Kontexte einbetten. Ganz wichtig ist also die Anwendung des Gelernten (Sprachhandeln). ▸ Durch Vermittlung von Strategien, Techniken und Res‐ ▸ sourcen der Wortschatzerschließung und Erinnerung (Mnemotechniken). Merksätze oder andere mecha‐ nische Hilfen wie farbliche Markierungen, Wortkarten und Ähnliches können helfen, Lernstoff wieder abzu‐ rufen. Sie garantieren aber nicht die korrekte Verwen‐ dung (siehe dazu den nächsten Abschnitt). ▸ Durch Vermittlung von Ausweichstrategien zum Über‐ ▸ brücken von Lücken im Wortschatz, die den Kommuni‐ kationsfluss behindern oder unterbrechen könnten. ▸ Durch geeignete Automatisierungsverfahren für ▸ die Aktivierung von Wörtern. ▸ Durch Vermittlung von produktiven Prinzipien der ▸ Wortbildung: Ableitung (Derivation), Komposition, Konversion, Neuschöpfung und Entlehnung. ▸ Durch die Übernahme von Chunks als größere lexika‐ ▸ lische Einheiten. ▸ Durch Abwechslung der Lernaktivitäten. Sie sollten ▸ im Unterricht häufig geändert werden. Das kann durch Texte, Themen, Fertigkeiten wie Lesen, Hören, Schrei‐ ben oder Sprechen und durch verschiedene Textsorten und Arbeitsformen erreicht werden. ▸ Durch Unterteilung in kleinere Einheiten. In den An‐ ▸ fangs- und Endphasen einer Lernaktivität ist die Auf‐ merksamkeit höher und damit die Behaltensleistung besser. Dazwischen fällt die Behaltensleistung graduell ab. Hilfreich sind daher kürzere Aktivitäten (mehr An‐ fangs- und Endphasen) und sinnvolle Abwechslung. Der Stoff mit seinem Wortmaterial sollte also in ver‐ schiedene kleinere Komponenten unterteilt werden. 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 111 <?page no="112"?> formale Techniken funktionale Techniken Mnemotechniken sind dazu da, um Brücken zwischen den Re‐ geln der Zielsprache und der vorhandenen Konzeptwelt des Lerners zu bauen. Funktionale und formale Mnemotechniken können unterschieden werden. Die Wirkung von formalen Mne‐ motechniken auf die korrekte Anwendung der betreffenden Re‐ geln ist jedoch beschränkt. Für das bessere Behalten des Genus im Deutschen sind beispielsweise Wörter vorgeschlagen wor‐ den, die sich aus den regelmäßigen Endungen der femininen, maskulinen und Neutrum-Wortgruppen ergeben: die Heitung‐ keiteischaftion, der Iglingorismus, das Tumchenmamentum. Ihr Ziel liegt im schnellen Erinnern oder Abrufen von Regeln bei der Grammatikkontrolle oder anderem reflektiven Sprachgebrauch, eignet sich also besonders für Überprüfungsfunktionen. Besonders effektiv sind die funktionalen Mnemotechniken, zum Beispiel für Regeln, die sich auf die weiter oben genannten Domänen und Bildbereiche beziehen. Die Verben, die im Deut‐ schen eine Bewegungsveränderung ausdrücken und daher mit sein gebildet werden, können beispielsweise beim Lernen mit dem mentalen Bild eines Gegenstandes wie einem Rennwagen oder einer passend schnellen Cartoonfigur zur schnelleren Er‐ innerung belegt werden. Große Teile der Grammatik ließen sich auch mit Hilfe der Metaphorik von Sportarten gut darstellen (siehe hierzu die Animationen von grammatischen Regeln und Wortbildungsprinzipien in der granima-App und Kapitel 6.8.3 (Hoffmann 2018, Kanaplianik 2016, Roche/ Suñer 2014, Suñer/ Roche 2019). Studien zur Messung des Lernerfolgs belegen, dass sich damit nachhaltige Verbesserungen erzielen lassen (Scheller 2009, Roche/ Scheller 2008, Roche 2013; vergleiche Kapitel 5.6). Die zufällige farbliche Markierung des Genus von Substantiven, das heißt der Artikel, etwa im Französischen oder Deutschen hat sich, vermutlich wegen des mangelnden Bedeutungszusammen‐ hangs, in empirischen Erhebungen dagegen bisher als nicht nachhaltig erwiesen. Die Studie von Gradel 2020 zeigt dagegen deutlich, dass bei der Transparentmachung semantischer Zu‐ sammenhänge sowohl bei Definitheit/ Indefinitheit also auch beim Kasus im Deutschen nachhaltige Verbesserungen möglich sind. 3 Die kognitive Hardware 112 <?page no="113"?> Memo Wortigel Beispiel Das Vokabellehrwerk Memo für Deutsch als Fremdsprache vermittelte die wichtigsten Mnemotechniken im Bereich des Wortschatzes durch: ▸ Eine thematische Organisation, ▸▸ Visualisierungen, ▸▸ Semantische Vernetzungen mittels Diagrammen, Ska‐ ▸ len, Tabellen, Assoziogrammen, ▸ Anordnungssystematiken (Taxonomien) wie Neben- ▸ oder Unterordnungen oder Gegensatzpaare, ▸ Entdeckende Spiele, ▸▸ Gedächtniskarten/ Mind Maps, ▸▸ Verlaufsdiagramme, ▸▸ Wortbildungsprinzipien, Analogien. ▸ Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht Formale und funktionale Techniken Beispiel Das Vokabellehrwerk Memo für Deutsch als Fremdsprache vermittelt die wichtigsten Mnemotechniken im Bereich des Wortschatzes durch: Eine thematische Organisation Visualisierungen Semantische Vernetzungen mittels Diagrammen, Skalen, Tabellen, Assoziogrammen Anordnungssystematiken (Taxonomien) wie Neben- oder Unterordnungen oder Gegensatzpaare Entdeckende Spiele Gedächtniskarten/ Mind Maps Verlaufsdiagramme Wortbildungsprinzipien, Analogien Memo Abb. 3.14 Kontextualisierung des Wortschatzes anhand von Wortfeldern und Assoziationsübungen in Memo Wortigel Die impliziten semantischen Merkmale eines Konzeptes oder Begriffes können mit solchen Wortigeln (Assoziogrammen) leicht aktiviert werden. In einem Klassenverband ergänzen sich die Beiträge der Lerner dabei meistens. Besonders interessant sind Assoziationsaufgaben in multikulturellen Lernergruppen, weil beim Sammeln der Elemente bereits kulturell unterschiedliche Perspektiven und Schwerpunkte deutlich werden, die Anlass zu weiterer Besprechung geben (Redeanlässe). Abb. 3.18: Kontextualisierung des Wortschatzes anhand von Wortfel‐ dern und Assoziationsübungen in Memo Die impliziten semantischen Merkmale eines Konzeptes oder Begriffes können mit solchen Wortigeln (Assozio‐ grammen) leicht aktiviert werden. In einem Klassenverband 3.8 Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht 113 <?page no="114"?> Fehlerursachen ergänzen sich die Beiträge der Lerner dabei meistens. Be‐ sonders interessant sind Assoziationsaufgaben in multikul‐ turellen Lernergruppen, weil beim Sammeln der Elemente bereits kulturell unterschiedliche Perspektiven und Schwerpunkte deutlich werden, die Anlass zu weiterer Be‐ sprechung geben (Redeanlässe). 3.9 Sprachverarbeitung und Fehlerkorrektur Zum Abschluss dieses Kapitels soll noch ein Blick darauf gewor‐ fen werden, was das vorgestellte Modell zur Sprachverarbeitung zum Problem der Fehler im Fremdsprachenerwerb sagen kann, ein Problem, das für jeden Fremdsprachenunterricht zentrale Bedeutung hat. Mit viel Akribie und Energie versuchen Lehr‐ kräfte meist, die Fehler ihrer Schülerinnen und Schüler zu kor‐ rigieren. Dazu gehören das korrekte Vorsagen und wiederholte Nachsprechen. Motivierend wirken vielfache Fehlerkorrekturen aber nur sehr selten, außerdem sind sie meist nicht erfolgreich. Fehler, die an der Oberfläche festgestellt, also vom Artikulator produziert werden, sind nicht unbedingt auch dort entstanden. Der Artikulator setzt nämlich nur mechanische Befehle um, die an einer ganz anderen Stelle auf dem Weg zum Artikulator ent‐ standen sind. Natürlich kann der Artikulator auch einen eigenen Defekt haben oder überlastet sein. In anderen Fällen können die falsche Planung und Schemawahl, ein unvollständiges mentales Modell, ein Griff ins falsche Wortrepertoire, eine mangelhafte grammatische Umsetzung oder eine unvollständige Program‐ mierung des Monitors Fehler hervorrufen. Lehrkräfte nehmen aber in der Regel an, dass ein Fehler auch da entstanden ist, wo er wahrgenommen wird, das heißt an der Oberfläche. So wird der Lerner häufig veranlasst, ein korrigiertes Wort nachzuspre‐ chen. Was ist der Effekt? Der Artikulator schaltet dabei vermut‐ lich auf Automatik, vor allem, wenn dadurch der Kommunikati‐ onsablauf gestört wird, aber es bleibt wenig davon haften. Wenn ein Lerner zum Beispiel den konzeptuellen Unterschied zwischen dir und Ihnen nicht kennt, nutzt auch das Nachsprechen wenig. 3 Die kognitive Hardware 114 <?page no="115"?> Neukonzeption Testqualitäten Wären wir in der Lage, Fehler da anzugehen, wo sie entstehen, dann könnten damit eine Reihe von Folgeproblemen und auf‐ wändige Korrekturen vermieden werden. Ein solches Vorgehen ist nicht immer einfach möglich, aber sicher wirkungsvoller als Korrekturen und Erklärungen, die nicht die Wurzeln des eigent‐ lichen Problems angehen. Daraus ergibt sich, dass Fehlerkorrek‐ turen und Strategien zur Produktion der korrekten Formen auf andere Weise als bisher konzipiert werden müssten: ▸ Vor der Fehlerkorrektur muss eine eingehende Fehlerana‐ ▸ lyse (Diagnose) erfolgen. Die Ursachen des Fehlers sollten in Bezug auf die Produktions- und Verstehensbereiche des psycholinguistischen Modells identifiziert werden. ▸ Bei der Fehleridentifikation sind die Gesetzmäßigkeiten des ▸ Fremdsprachenerwerbs zu berücksichtigen (siehe nächstes Kapitel). Viele Fehlproduktionen sind nämlich keine Fehler. Oft zeigen sie vielmehr einen Lernfortschritt an. ▸ Die Fehlerkorrektur sollte gezielt im identifizierten Feh‐ ▸ lerbereich und im entsprechenden kommunikativen Kon‐ text erfolgen. Die Wahl der falschen Anrede (du statt Sie) sollte zum Beispiel nicht grammatisch oder in der Aus‐ sprache korrigiert werden, sondern konzeptuell. ▸ Fehlerkorrektur muss nicht immer durch die Lehrkraft er‐ ▸ folgen. Entdeckende Verfahren eignen sich oft besser als direkte Erklärungen einer Lehrkraft (Selbstevaluation und -korrektur). ▸ Aus den genannten Gründen ist schon oft eine neue „Feh‐ ▸ lerkultur“ gefordert worden, die sich stark von dem unter‐ scheidet, was häufig noch frustrierende Praxis für Schüler und Lehrkräfte ist (vergleiche Grotjahn 2006, Kleppin 2009, Schoormann/ Schlak 2011). Tests, die sprachliche Kompetenzen verlässlich messen sollen, müssen zudem folgenden Kriterien entsprechen. Ein Test muss die Kompetenzen unabhängig von der Person und den Umstän‐ den messen (objektiv) sein. Er muss messgenau (reliabel) sein und damit unter gleichen Bedingungen die gleichen Ergebnisse produzieren können. Ferner muss er valide sein, indem er die Kompetenzen tatsächlich misst und nicht etwa ein prüfungs‐ 3.9 Sprachverarbeitung und Fehlerkorrektur 115 <?page no="116"?> strategisches Verhalten. Ein Test muss in Bezug auf die Aufga‐ benstellung, die Inhalte, die Durchführungsbedingungen fair sein und er sollte ohne allzu großen Aufwand durchführ- und auswertbar (ökonomisch) sein. 3.10 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie erfolgt die Informationsverarbeitung beim Sprachver‐ 1. stehen und welche Prozesse sind an der Sprachproduktion beteiligt? 2. Wie verläuft der Informationsaustausch im Gehirn? 2. 3. Was sind die wichtigsten Prinzipien der Gestaltpsychologie? 3. 4. Wie entstehen und verändern sich mentale Modelle und 4. Schemata und welche Funktionen haben sie? 5. Welche Rolle spielt der Aktivierungsgrad beim Behalten 5. und wie kann damit im Unterricht umggegangen werden? 6. Wie lassen sich Bilder lernfördernd im Unterricht einsetzen? 6. 7. Wie ist das bilinguale mentale Lexikon organisiert und 7. welche Rolle könnte es im Unterricht spielen? 8. Welche Funktionen hat der Visuelle Thesaurus? 8. 9. Was gehört zu einer neuen Fehlerkorrektur? 9. 10. Wie könnten Aspekte dieses Kapitels Ihren Unterricht oder 10. Spracherwerb unterstützen? 3.11 Weiterführende Literatur Aitchinson, Jean (1997): Wörter im Kopf. Eine Einführung in das mentale Lexikon. Tübingen: Niemeyer. Aurnague, Michel/ Hickmann, Maya/ Vieu, Laure (Hg.) (2007). The cate‐ gorization of spatial entities in language and cognition. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins. Baddeley, Alan D./ Eysenck, Michael W./ Anderson, Michael C. (2009). Memory. Hove [England], New York: Psychology Press. Bruner, Jerome (1987). Wie das Kind sprechen lernt. Bern: Huber. Celce-Murcia, Marianne (Hg.) (1991). Teaching English as a second or foreign language. Boston, Mass: Newbury House. 3 Die kognitive Hardware 116 <?page no="117"?> Cenoz, Jasone/ Hufeisen, Britta/ Jessner, Ulrike (Hg.) (2003). The Multi‐ lingual Lexicon. Dordrecht: Kluwer Academic Publication. Clausner, Timothy/ Croft, William (1999). Domains and image schemas. Cognitive Linguistics (10-1), 1-31. Danesi, Marcel (2008). 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Anhand von verschiedenen Originalaufnahmen von Lerneräußerungen wird gezeigt, wie sich die Prinzipien des natürlichen Fremdsprachenerwerbs in der Sprache der Lerner abbilden und dabei eine Reihe von strukturellen Gemeinsamkeiten mit bestimmten Sprachregi‐ stern und voll entwickelten Sprachen zeigen. Die Struktur dieser Art von Sprache lässt sich als pragmatischer Sprach‐ modus bezeichnen. Im Laufe der Zeit entwickelt er sich zu einer strukturell stärker ausgebildeten Form, dem syntakti‐ schen Modus. Dargestellt werden auch die wichtigsten Hypo‐ thesen zum Einfluss der Ausgangssprache und der Zielspra‐ che auf den Spracherwerb. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das Konzept der Erwerbsstufen, demzufolge Lerner trotz gemischter und chaotisch erscheinender Strukturen sys‐ tematisch eine Zielsprache erwerben. Es wird darüber hinaus gezeigt, warum der Erfolg des Spracherwerbs wesentlich von der Verständlichkeit der Sprache abhängt, die die Lerner in ihrer Umgebung wahrnehmen. Der abschließende Teil dieses Kapitels beschäftigt sich daher anhand eines authentischen Gesprächs mit den Strukturen der Eingabe im Spracherwerb und mit den Prozessen, mit denen sich Lerner und Sprecher der Zielsprache verständlich machen, das heißt, wie sie ver‐ ständlichen Input aushandeln. <?page no="122"?> Ziele der Er‐ werbsforschung 4.1 Gesteuerter und ungesteuerter Spracherwerb In den vorangehenden Kapiteln wurde gezeigt, welchen Einfluss die Lernervariablen und der Sprach- und Informationsverarbei‐ tungsapparat beim Sprachenerwerb haben. Ziel der Erforschung der internen (erwerbslinguistischen) Gesetzmäßigkeiten des Sprachenerwerbs ist es, durch das Studium der natürlichen (nicht durch Unterricht gesteuerten) Lernprozesse zu einer Optimie‐ rung des Sprachunterrichts zu gelangen. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass sich im natürlichen Sprachenerwerb erfolgrei‐ che Verfahren finden, die im Unterricht kopiert und mit unter‐ richtlicher Steuerung kombiniert werden können. Spracherwerb Mit ungesteuertem (Englisch: untutored) oder natürli‐ chem (natural) Fremdsprachenerwerb (foreign language acquisition, L2 acquisition) wird das Lernen von Sprachen außerhalb des Unterrichts oder ohne tutorielle Betreuung bezeichnet. Im Gegensatz dazu bezeichnet der gesteuerte Spracherwerb im Unterricht (tutored language acquisi‐ tion) die Steuerung von außen durch Lehrpläne, Lehrmate‐ rialien und Unterricht. Gesteuert sind aber beide Formen des Erwerbs, und zwar durch interne kognitive Prozesse. Natürlich sind beide ohnehin. Fundamentale Unterschiede zwischen Erwerb (acquisition) und Lernen (learning) sind bisher nicht belegt. Wer diesen terminologischen Proble‐ men ausweichen will, verwendet neutral den Begriff Spracherwerb und spezifiziert in den weiteren Ausführun‐ gen, um welche Art es sich handelt, also zum Beispiel Spracherwerb im Unterricht oder am Arbeitsplatz. Erst-, Zweit- und Drittsprachenerwerb (L1-, L2- und L3-Erwerb, first, second, third language acquisition) erfolgen oft nicht zeitlich und räumlich getrennt voneinander, sondern par‐ allel, überlappend oder spezifisch in bestimmten inhaltli‐ chen oder funktionalen Domänen. Der Erwerb von Spra‐ chen ist demnach ein dynamischer Prozess des Zuwachses, Austausches und der Abnahme sprachlicher Kompetenzen. 4 Fremdsprachenerwerb 122 <?page no="123"?> ungesteuerter Erwerb Das, was im ungesteuerten Sprachenerwerb, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder im Privatleben passiert, wurde lange Zeit, wenn überhaupt, nur negativ wahrgenommen. Vor allem fielen die vielen Fehler der Sprecher, das scheinbare Chaos der Gram‐ matik, die von der Zielsprache abweichende Aussprache, die Sprachmischungen und die unvollständigen und falschen Wör‐ ter auf. Gerade bei den vielen Menschen, die ungesteuert eine neue Sprache lernen − zum Beispiel auf Grund wirtschaftlich, beruflich, politisch oder familiär bedingter Migration − treten diese sprachlichen Probleme auch nach vielen Jahren unverän‐ dert wie am Anfang auf, oder stabilisiert auf einer frühen Stufe. Da die Wahrnehmung von Bildungschancen, die Beteiligung am gesellschaftlichen und schulischen Leben, der Zugang zum Ar‐ beitsmarkt und berufliche Karrieren von guten mündlichen und schriftsprachlichen (vor allem bildungssprachlichen) Kompeten‐ zen abhängen, haben schlechte Sprachkenntnisse negative Fol‐ gen für diese Migrantinnen und Migranten. Den Sprachenerwerb dieser Menschen als Maßstab für den Sprachunterricht zu nehmen, scheint vielen Lehrkräften bis heute nur schwer vermittelbar. Andererseits kann aber gerade die unverstellte Lernersprache darüber Aufschluss geben, wie Spracherwerb funktioniert. Die Spracherwerbsforschung der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hat sich daher bewusst nicht davon abhalten lassen, Lernergruppen in ihrem begrenzten sprachlichen und sozialen Umfeld zu untersuchen, und zwar nicht zuletzt um herauszufinden, warum einige der Sprecher dieser Lernergruppen sehr wohl und sehr schnell in der Lage sind, eine Zielsprache korrekt zu erlernen, während andere es nur schwer, spät oder nie zu schaffen scheinen. Mitunter errei‐ chen Lerner einer fremden Sprache sogar höhere Kompetenzen in der fremden Sprache als die Erstsprachensprecher. Man denke im deutschsprachigen Raum etwa an die Absolventinnen und Absolventen mit so genanntem Migrationshintergrund in den verschiedenen Schultypen und beruflichen Ausbildungszwei‐ gen, die oft als Beste ihrer Jahrgänge die Ausbildung abschließen, man denke an den subtilen Sprachhumor oder an die höchst dif‐ ferenzierte, stilbildende Sprachkenntnis der vielen Autorinnen 4.1 Gesteuerter und ungesteuerter Spracherwerb 123 <?page no="124"?> Fossilisierung und Autoren, die literarische Texte auf Deutsch publizieren, ob‐ wohl Deutsch nicht ihre Erstsprache ist. Aber auch die Gruppe der Lerner, deren Sprachentwicklung schnell zum Stillstand kommt, also stabilisiert oder fossilisiert, ist für die Forschung insofern interessant, als sich daraus die Ur‐ sachen der Fossilisierung und Blockade erfahren lassen. Wenn diese bekannt sind, lassen sich auch Reparaturmaßnahmen, also zum Beispiel passende Unterrichtsmethoden, entwickeln. Ein Blick auf reale Daten des natürlichen Sprachenerwerbs zeigt dabei, wie (un-)chaotisch und (un-)strukturiert er wirklich ist. Aufschlussreich ist auch ein Blick auf die einzelnen Fakto‐ ren, die den Sprachenerwerb in seinen Strukturen, in seinem Verlauf und in seiner Geschwindigkeit beeinflussen. Die folgenden Ausführungen betreffen vor allem den Erwerb des Deutschen und des Englischen und werden anhand authen‐ tischer Aufnahmen und Untersuchungen illustriert. Vieles, was dort beobachtet werden kann, ist aber symptomatisch für den Sprachenerwerb allgemein, gilt also prinzipiell auch für den Er‐ werb anderer Fremdsprachen. 4.2 Der pragmatische Modus und die Basisvarietät Die zwei folgenden Gespräche sind jeweils von einem deutsch‐ sprachigen Arzt/ einer Ärztin und ihren türkischen Patientinnen geführt worden. Sie wurden mit einem offenen Mikrofon aufge‐ nommen und anschließend verschriftlicht (transkribiert). Diese Transkription kann je nach Forschungsschwerpunkt mit unter‐ schiedlichen Verfahren erfolgen. In der Forschung verbreitet ist das Exmaralda-Transkriptionssystem (Rehbein et al. 2004, Schmidt et al. 2011). Mit Hilfe halbautomatischer Analyse- und Annotationsverfahren wie dem ELAN (https: / / archive.mpi.nl/ tla / elan) lässt sich die komplexe Aufgabe der Auswertung und Ar‐ chivierung vereinfachen. 4 Fremdsprachenerwerb 124 <?page no="125"?> Transkript 4.1 Ä = deutschsprachige Ärztin; P = türkische Patientin auf niedri‐ gem Erwerbsniveau (…) 1 Ä: Rauchen Sie noch Frau Eski? 2 P: Ah, nix zu viel (…) 3 Ä: Wie viel? 4 P: Zwei, drei Stück, jeden Tag, nicht so viel. 5 Ä: Zwei bis drei? 6 P: Früher war zwei Pakett. 7 Ä: Huijuijui. 8 P: Aber jetzt nix mehr, jetzt (…) 9 Ä: Mhm. 10 P: Wann ich nerven bin, ich rauch weg, ich hab nix lügen (…). 11 Ä: Mhm. 12 P: Aber wann nicht nerven (…). 13 Ä: Mhm. 14 P: ist nichts. 15 Ä: Mhm. 16 P: Aber wenn ich merk irgendwas, Probleme oder was, oder schlecht werd (…) 17 Ä: Mhm. 18 P: hören oder, oder irgendwas (…) 19 Ä: Mhm. 20 P: Oder bin ich 21 Ä: Mhm 22 P: Krank 23 Ä: Mhm 24 P: oder irgendwas mag ich rauchen (…) aber sonst (…) 25 Ä: Mhm, mhm sonst nicht. 26 P: Hmhm, nö nö. 27 Ä: Mhm, ja gut. Also jetzt füllen wir das nachher aus. (…) (Sancak 2004: 69 f.) 4.2 Der pragmatische Modus und die Basisvarietät 125 <?page no="126"?> Äußerungsmerkmale Skopos Mischformen Die türkische Patientin, die in diesem Gespräch mit ihrer Ärztin über ihre Beschwerden spricht, kann sich im Prinzip einigerma‐ ßen auf Deutsch verständlich machen. Zumindest versteht sie gut. Allerdings fällt es der Ärztin in diesem Ausschnitt schwer, die Informationen zum Rauchen auf die möglichen Ursachen der Beschwerden zu beziehen. Die Grammatik der türkischen Pati‐ entin ist nicht vollständig entwickelt. Zwar verwendet sie ver‐ schiedene Verbformen umgangssprachlich korrekt (bin, war, merk), aber diese sind nicht immer vollständig (war in Äuße‐ rung 6 entspricht hier habe ich geraucht oder waren es, hab nix lügen in 10 entspricht habe nichts verschwiegen). Formen wie wenn ich nerven bin in Äußerung 10 sind besonders interessant, weil sie unverständlich erscheinen. Wenn man aber weiß, dass diese Äußerung bedeutet wenn ich nervös bin, dann erschließt sich die Form wesentlich leichter. Es ist typisch für die Lerner‐ sprache, dass Verläufe und andauernde Aktionen mit Hilfsverben umschrieben werden, auch ohne Adjektive. Klar erkennbar ist trotz größeren Fortschritts in einigen grammatischen Bereichen und trotz verschiedener formelhafter Ausdrücke die vergleichs‐ weise einfache Wortstellung (Syntax): nix zu viel (Äußerung 2) zeigt die klare Entwicklungsstruktur einfacher Äußerungen. Das Entscheidende hier ist das Element zu viel. Es steht am Ende der Äußerung in der Position, in der das Wichtigste zu stehen hat. Durch die Voranstellung des verneinenden Elementes (Nega‐ tors) nix wird diese einfach negiert, wie auch später nix lügen oder nicht nerven in den Äußerungen 10 und 12. lügen fällt hier also in die Reichweite des Negators. Bekannte Elemente wie ich und rauche fallen dagegen ganz weg. Ähnlich ist es in Äußerung 6: Früher (war) zwei Pakett. Hier erscheint zwar ein verbindendes, leeres Element, nämlich war (Copula), das hier tatsächlich nur ein Platzhalter ist, der markiert ‚hier gehört ein Verb hin‘. An‐ sonsten finden sich nur zwei Elemente: das zeitlich rahmende früher und das zentrale und hervorgehobene zwei Pakett. Auch in Äußerung 8 ist das so, hier aber mit drei Elementen: aber − jetzt − nix mehr. Typisch für die Lernersprache sind Mischformen von ver‐ schiedenen Erwerbsstufen und auch die nahtlose Kombination von Phrasen und formelhaften Ausdrücken, die es dem ungeüb‐ 4 Fremdsprachenerwerb 126 <?page no="127"?> ten Zuhörer schwer machen, Sinneinheiten zu identifizieren. In diesem Ausschnitt wird das an vielen Stellen deutlich: etwa in der Reihung in Äußerung 4, in der sich Antwort und Kommentar nahtlos mischen, oder in den vielen Anbindungen mit oder und aber und den Verwendungen von Überbrückungsausdrücken wie irgendwas. In dem folgenden Gesprächsausschnitt, an dem zwei ganz an‐ dere Personen beteiligt sind, finden sich ebenfalls noch einfache neben weiter entwickelten Strukturen, auch wenn die türkische Patientin in ihrem Deutscherwerb schon weiter vorangeschrit‐ ten ist und das Gespräch insgesamt viel aktiver erscheint. Transkript 4.2 A = deutschsprachiger Arzt; P = türkischsprachige Patientin auf mittlerem Erwerbsniveau (…) 1 A: So, sie sind Frau Kücük? 2 P: Ja. 3 A: Also, wie geht es Ihnen? 4 P: Äh, danke gut, Herr Doktor, aber ich hab immer noch Husten, also ist noch nicht vorbei ganz und ab und zu mal es sticht bei mir, beim Einatmen. 5 A: Mhm. Wie oft ham Sie denn Schmerzen? 6 P: ((überlegend)) Mhm, seit dem Krankheit. Also 7 A: Seit dem, und wie oft am Tag husten Sie? 8 P: Äh, und ja nicht so stark, nicht so viel ab und zu mal so 9 A: Ab und zu? 10 P: aber jeden Tag. 11 A: Und der geht nach ein paar Minuten wieder vorbei? 12 P: Ja. 13 A: Und wie ist es nachts? 14 P: Nachts ok. 15 A: Nachts husten Sie nicht? 16 P: Nein. 17 A: (…) Und wo sticht es noch mal bitte? 4.2 Der pragmatische Modus und die Basisvarietät 127 <?page no="128"?> 18 P: Also hier. (…) 19 A: Mhm, seitlich im Brustbereich, immer nur beim Husten oder unabhängig vom Husten? 20 P: Unabhängig vom Husten. Äh, er ist nicht oft, aber beim Einatmen (…). 21 A: Können Sie alles machen, was Sie so normalerweise tun, ich glaub Sie kümmern sich ja auch ums Kind? 22 P: Ich habe drei Kinder. 23 A: Sie ham drei Kinder? Können Sie denn mit den Kindern alles machen? Die müssen Sie ja auch hochheben. 24 P: Ja. 25 A: und füttern. 26 P: Ja. 27 A: Das geht alles? 28 P: Das mach ich, ja, das geht alles ok, das wird nicht zu viel. 29 A: Sie können Ihren Haushalt normal führen? 30 P: Mhm. 31A: Aber manchmal merken Sie eben, dass es sticht, und das ist dann unangenehm. 32 P: Ja zum Beispiel beim äh beim unterwegs hab ich gefühlt, also, gefühlt diese Stiche. 33 A: Als Sie unterwegs waren, haben Sie die Stiche gefühlt? 34 P: Ja. 35 A: Wie waren Sie denn unterwegs, mit welchem Verkehrsmittel? 36 P: U-Bahn bin ich da, aber beim Laufen also 37 A: Ja. 38 P: hab ich (…) 39 A: Beim Laufen merken Sie die Stiche? 40 P: Mhm, aber es war natürlich zu Hause, ich geh nicht viel raus, aber zu Hause mach äh 4 Fremdsprachenerwerb 128 <?page no="129"?> 41 A: Sie gehen grundsätzlich wenig raus, ne? 42 P: Mhm. 43 A: Und wie ist das beim Einkaufen? 44 P: Ok (…), beim Einkaufen 45 A: Aus/ Einkaufen können Sie? Da müssen Sie 46 P: Ja. 47 A: auch eine Tasche tragen 48 P: Ja. 49 A: und auch ein Stück gehen. 50 P: Mhm, kann ich schon, Treppen, ich wohne in dritte Stock. Treppen kann ich schon, äh, schleppen, natürlich dann 51 A: Sie können die Einkaufstüte drei Stockwerke hochtragen 52 P: Ja. 53 A: und da bekommen Sie keine Schmerzen? 54 P: Nein, also es kommt ab und zu mal nicht so jeden, äh, Bewegungen oder jeden, äh, also (…) 55 A: Es kommt nicht bei jeder Bewegung? 56 P: Hmhm 57 A: Und es kommt auch unabhängig davon, ob Sie sich jetzt körperlich belasten? Weil wenn Sie die Einkaufstüten drei Stockwerke hoch tragen können, (…) dann 58 P: Mhm. Dann bin ich natürlich/ ich bin halt dann (…) 59 A: Dann sind Sie ein bisschen außer Atem. Ok. Darf ich noch mal die Lunge abhören bitte. (…) (Sancak 2004: 74f.) Auch diese Sprecherin verwendet gerne Füllwörter wie also und andere formelhafte Ausdrücke wie ab und zu, mal oder das mach ich und andere. Auch nimmt sie gerne Reihungen vor, die ein‐ zelne Aspekte herausgreifen und auf verschiedene Art ausdrü‐ cken, so dass es dabei zu Überschneidungen kommt: zum Beispiel 4.2 Der pragmatische Modus und die Basisvarietät 129 <?page no="130"?> Kommunikati‐ onsmanage‐ ment Selbsttest in Äußerung 8 „ja nicht so stark, nicht so viel ab und zu mal so“, Äußerung 40 „aber es war natürlich zu Hause, ich geh nicht viel raus, aber zu Hause mach äh“ oder Äußerung 54 „also es kommt ab und zu mal nicht so jeden, äh, Bewegungen oder jeden, äh, also“. Interessant ist auch, dass zwar an einigen Stellen korrekte Dativformen verwendet werden, aber dies wahrscheinlich in Form fester Ausdrücke oder Redewendungen geschieht (bei mir, beim Einatmen in Äußerung 4). An anderen Stellen verwendet die Sprecherin keine korrekte Form: „wohne in dritte Stock“ (Äußerung 50). Dies zeigt deutlich, dass die Sprecherin noch auf dem Weg zur richtigen Grammatik ist. In einer Reihe von Äuße‐ rungen greift sie auf eine einfache Syntax zurück: nachts okay (14) oder Treppen (50), was so viel bedeutet wie „trotz der vielen Treppen, die wir im Haus haben“ oder Ähnliches. Die Struktur unabhängig vom Husten (20), die als gehobenes Deutsch gelten kann, ist eine direkte Übernahme aus der Frage des Arztes. Ob die Sprecherin sie wirklich versteht oder auch grammatikalisch beherrscht, ist zweifelhaft. Aber solche Übernahmen sind durch‐ aus typisch für den Spracherwerb. Wahrscheinlich hat die Spre‐ cherin eine ungefähre Vorstellung von der Bedeutung und pro‐ biert diese nun einfach aus. Zu bemerken ist auch, dass sie die Systematik für Sprecherwechsel ganz gut beherrscht. Außerdem versteht sie die Fragen des Arztes offenbar korrekt und kann sich insgesamt verständlich machen, trotz begrenzter Grammatik und begrenzten Vokabulars. Aufgabe Machen Sie doch bitte mal folgenden Selbsttest: Nehmen Sie sich irgendein Aufnahmegerät, zum Beispiel an Ihrem Handy, und zeichnen Sie damit Ihre eigene Sprache und ge‐ gebenenfalls die Ihrer Freunde bei einem ganz normalen Gespräch auf. Oder beobachten Sie alternativ dazu genau die Sprechweise von Talkshowgästen oder Sportlern beim Interview. Ein paar Minuten eines alltagssprachlichen Ge‐ sprächs genügen völlig. Schreiben Sie das Gespräch bitte ab, wenn Sie können. Wenn Sie den Text dann noch einmal in Ruhe lesen, werden Sie wahrscheinlich sehr überrascht sein, wie einfach und häufig unvollständig Ihre Äußerun‐ 4 Fremdsprachenerwerb 130 <?page no="131"?> C-Test gen oder die der von Ihnen beobachteten Sprecher sind. Überraschen werden Sie vermutlich auch die zahlreichen Abbrüche, Neuansätze und Versprecher, die aber typisch sind für die gesprochene Sprache. Fairerweise müssten dann auch authentische Lerneräußerungen an einer sol‐ chen Norm gemessen werden. Duden-Deutsch darf auch von Sprechern, die Deutsch als Erstsprache erworben ha‐ ben, in gesprochener Sprache nicht immer erwartet werden. Vor allem im Deutschunterricht an den Schulen werden Schülerinnen und Schüler oft nach abstrakten grammati‐ schen Normen beurteilt, die die Variabilität der Sprache im situativen Kontext zu wenig berücksichtigen. Erst wenn die Diagnose korrekt ist, können aber auch angemessene Kor‐ rekturverfahren entwickelt werden. Das betrifft auch die Übergänge von der mündlichen Norm zur Schrift- und Bil‐ dungssprache. 4.3 Diagnose, Evaluation und Leistungsmessung Jeder Kompetenzbereich und (mündlicher und schriftlicher) Er‐ werbsmodus unterliegt eigenen Regeln. Eine flüssige Beherr‐ schung mündlicher Kommunikation führt nicht automatisch zu einer ebenso entwickelten Beherrschung der schriftlichen Kom‐ munikation. Umgekehrt lässt sich nicht von fehlenden Fertigkei‐ ten und Kompetenzen in einem Bereich auf Mängel im anderen schließen. Demnach sind auch Testergebnisse von sprachlichen Kompetenzen nur bedingt aussagekräftig für die Sprachbeherr‐ schung allgemein. Zwar gibt es valide exemplarische Testverfah‐ ren (zum Beispiel C-Tests), aber eine voreilige Diagnose von sprachlichen Fertigkeiten ohne die wissenschaftliche Fundierung solcher Tests kann verhängnisvoll werden. In der Schulpraxis passiert das unter anderem, wenn einer mangelhaften Rechtschrei‐ bung Hauptaussagekraft für die Diagnose oder Leistungsmessung zugeschrieben und damit über die weitere Schullaufbahn oder be‐ rufliche Karrieren entschieden wird. 4.3 Diagnose, Evaluation und Leistungsmessung 131 <?page no="132"?> Informations‐ prinzip pragmatische Prinzipien Hier zunächst ein Blick auf die Grammatik der stark reduzier‐ ten Äußerungen anhand eines etwas veränderten Beispiels aus Transkript 4.1. Diese Grammatik wird uns gleich auch in der Umgangssprache beschäftigen. früher − zwei Pakett Leicht lässt sich hier erkennen, dass die Äußerung aus einzelnen, aneinander gereihten Wörtern besteht, die ohne Endungen und ohne andere Funktionselemente wie Artikel, Präpositionen und Konjunktionen auskommen. Einzelne Wörter vertreten ganze Phrasen oder komplexere Konstituenten. Auch bekannte oder redundante Elemente sind nicht realisiert. Dazu gehören die be‐ teiligten Personen (zum Beispiel ich), Hilfsverben (zum Beispiel haben) und andere implizierte oder implizierbare Wörter (rau‐ chen). Chaotisch sind solche Äußerungen aber keineswegs. Die Anordnung der Elemente folgt einem klaren Informationsprin‐ zip, demzufolge die bekannte oder orientierende Information, das Thema, am Äußerungsanfang steht und die neue oder wich‐ tige Information, der Fokus oder das Rhema, am Ende. früher zwei Pakett Thema Fokus Das daraus ableitbare linguistische Grundprinzip bezeichnet der amerikanische Sprachforscher Givón als pragmatischen Sprach‐ modus. Dieser Modus zeichnet sich dadurch aus, dass die Äuße‐ rungen eine klare Thema-Fokus-Struktur aufweisen. Die Äuße‐ rungen sind höchstens lose aneinandergereiht, Nebensätze gibt es praktisch nicht. Es überwiegen Inhaltswörter. Funktionsele‐ mente, Endungen und dergleichen gibt es kaum. Nomen und Verben finden sich als wichtigste Inhaltswörter in ungefähr glei‐ chem Verhältnis. Es wird sehr langsam gesprochen, wobei die Betonung (Intonation) das Thema-Fokus-Prinzip stark unter‐ stützt. Zu diesen pragmatischen Prinzipien der Äußerungsstruk‐ turierung gehört darüber hinaus die Funktion der Intonation, den Satzmodus zu bestimmen. Die gleiche Anordnung von Wörtern kann so mit steigender oder fallender Intonation in eine Frage, einen Befehl (Imperativ) oder einen Aussagesatz verwandelt werden. Dazu kommt noch eine Reihe außersprachlicher Mittel 4 Fremdsprachenerwerb 132 <?page no="133"?> Beispiele der Zielsprache wie Gestik und Mimik, die Wörter und sprachliche Handlungen ersetzen oder diese ergänzen. Aus dem primär lexikalischen Inventar, also aus den Wörtern, entwickelt sich die Grammatik. Lerner konstruieren sie auf der Basis eines lexikalischen und pragmatischen Bestandes. Der pragmatische Sprachmodus findet sich nicht nur im Zweitsprachenerwerb, sondern auch im Erstsprachenerwerb. Außerdem liegt er Pidgin- und Kreolsprachen zu Grunde und hilft Patienten, deren Sprache durch einen Unfall oder Schlag‐ anfall gestört ist, sich mit einfachen Mitteln verständlich zu ma‐ chen oder ihre Sprache zumindest teilweise wieder zu erlernen. Auch verschiedene Register wie SMS, Überschriften, Ansagen oder Werbetexte sind aus unterschiedlichen medialen oder prag‐ matischen Gründen ähnlich strukturiert. So wirbt eine Flugge‐ sellschaft aus einem deutschsprachigen Land mit dem folgenden Thema und dem abgetrennten fortlaufenden, dreiteiligen Fokus, der die Chronologie eines Fluges (offenbar einer Kurzstrecke) abbilden soll: Austrian Airlines: In. Service. Out. Die Anordnung der Elemente in diesem Fokus folgt dem Prinzip der tatsächlichen chronologischen Abfolge. Aufgabe Hier zum Vergleich einige weitere Äußerungen aus anderen Bereichen der Zielsprache: 41 Einwohner, 1 Bürgermeister, 1 Lehrer, 1 Allianz Fachmann Grünenchefin blau im TV? Nächster Halt: Max-Weber-Platz. Bayerischer Landtag. Umsteigen. U4. Woher stammen diese Texte? Überlegen Sie bitte. Beim ersten Beispiel handelt es sich um den Anzeigentext einer Versicherung. Beim zweiten Beispiel um eine Über‐ schrift in der meist gelesenen deutschsprachigen Tageszei‐ tung, der Bild-Zeitung (vom 11.2.2003). Der dritte Text stellt eine typische Ansage in einem Münchner U-Bahnzug der Linie 5 dar. Diese Texte kommen fast ohne Funktionsele‐ 4.3 Diagnose, Evaluation und Leistungsmessung 133 <?page no="134"?> ökonomisches Kommunizieren Phylogenese, Ontogenese syntaktischer Modus mente oder Redundanzen aus. Dennoch ist völlig klar, was sie ausdrücken wollen: die Steigerung oder Pointe in der Reihung (1 Allianz Fachmann), die Frage in der Überschrift (auch ohne Fragewort oder Inversion), die telegrafische Be‐ schränkung auf die wichtigsten Informationen bei einer ra‐ santen U-Bahnfahrt (auf die Nennung architektonischer Besonderheiten des Gebäudes oder der aktuellen und his‐ torischen Zusammensetzung des Landtags und die gram‐ matischen Funktionselemente verzichten die Fahrer aus Zeitgründen). Nicht nur im Deutschen, sondern auch in vielen anderen Spra‐ chen wird die Bekanntheit oder Präsenz eines Bezugselementes im Kontext nicht explizit ausgedrückt. Das gilt zum Beispiel für die in einem Gespräch anwesenden Personen (ich, du, er, sie, es). In manchen Sprachen wie dem Lateinischen, Spanischen, Italie‐ nischen, Russischen oder Türkischen gibt es andere Möglichkei‐ ten der Referenzmarkierung, meist am Verb (vergleiche Spanisch te quiero/ Italienisch ti amo − ich liebe dich, Markierung der 1. Person Singular durch -o). Der pragmatische Sprachmodus hat eine wichtige Funktion: ökonomisches Kommunizieren. Er erlaubt es den Sprechern, mit ganz wenigen sprachlichen Mitteln fast alles auszudrücken, was sie wollen. Klein/ Perdue 1997 gehen daher davon aus, dass es sich um eine einfache, aber eigenständige natürliche Sprache handelt: die Basisvarietät. Entstehende Sprachen, die sich ent‐ weder kollektiv aus einer Sprachgemeinschaft (phylogenetisch) oder individuell im Spracherwerb (ontogenetisch) bilden, sind auf diesen Modus schlichtweg angewiesen. Erst mit zunehmen‐ dem Bedarf an Komplexität verfeinern sich auch die sprachlichen Mittel. Sie erlauben schließlich ein differenzierteres und damit für fortgeschrittene Sprecher ökonomischeres Kommunizieren, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die grammatischen Mittel automatisiert eingesetzt werden können. Es bildet sich ein syn‐ taktischer (grammatischer) Sprachmodus. Dieser syntaktische Modus weist hoch grammatikalisierte Strukturen auf: meist eine klare, strikte und komplexe Satzstruk‐ tur mit Subjekt, Verb und weiteren Nomen, die Markierung se‐ 4 Fremdsprachenerwerb 134 <?page no="135"?> Dynamik mantischer Beziehungen und anderer grammatischer Zugehö‐ rigkeiten durch Endungen, unterschiedliche Einbettungen durch verschiedene Nebensatzkonstruktionen, eine höhere Sprechge‐ schwindigkeit und eine differenzierte Intonation. Pragmatischer Modus Syntaktischer Modus (a) Thema-Fokus Struktur (a) Subjekt-Verb Struktur (b) lose Verbindungen (b) strikte Einbettungen (c) langsame Sprechgeschwin‐ digkeit mit einem Intonati‐ onsmuster (c) schnelle Sprechgeschwindig‐ keit mit verschiedenen Intonati‐ onsmustern (d) die Wortstellung wird von einem pragmatischen Prinzip gesteuert: alte Information zuerst, neue Information folgt (d) die Wortstellung signalisiert semantische Kasus-Beziehungen, kann aber auch pragmatische Be‐ ziehungen ausdrücken (e) ein ungefähres 1: 1-Verhält‐ nis von Verben und Nomen, wobei die Verben semantisch einfach sind (e) mehr Nomen als Verben, wo‐ bei die Verben semantisch kom‐ plex sind (f) keine grammatische Mor‐ phologie (f) entwickelte grammatische Morphologie (Endungen) (g) deutlicher Intonations‐ schwerpunkt markiert die neue Information, die thema‐ tische Position ist weniger klar markiert (g) ähnlich, aber unter Umstän‐ den mit weniger funktionaler Be‐ deutung oder gar nicht vorhan‐ den Abb. 4.1: Pragmatischer und syntaktischer Modus im Überblick (nach Givón 1979: 98) Sind die Strukturen voll ausgebildet, werden sie über eine gewisse Zeit erprobt. Da Sprachen dynamische Systeme darstellen, passen sie sich ständig an die Gebrauchsgewohnheiten an. Aus diesem dynamischen Anpassungsprozess ergibt sich in der Regel, dass einige grammatische Mittel redundant sind, dafür aber neue ge‐ braucht und entwickelt werden. Viele kommunikative Situationen verlangen nur nach wenigen sprachlichen oder außersprachli‐ chen Mitteln. Das gilt vor allem, wenn alle Beteiligten die Spielre‐ geln gut kennen, das heißt, die Situation standardisiert oder nor‐ 4.3 Diagnose, Evaluation und Leistungsmessung 135 <?page no="136"?> Wellenbewegungen miert ist und Sprecher auf Bekanntes zurückgreifen können. Formelhafte Sprache und Börsen- oder Wettertabellen sowie alle Arten fachsprachlicher Kommunikation sind dafür anschauliche Beispiele. Dass diese Entwicklungen nicht nur in einzelnen Teil‐ bereichen von Sprachen gelten, sondern das gesamte Struktursys‐ tem einer Sprache betreffen können, lässt sich am Englischen gut zeigen: Es besitzt nur noch ein einfaches Artikel- und Kasussys‐ tem, kaum noch Endungen bei der Personenmarkierung und nur noch wenige starke Verben. Dafür hat sich aber im Laufe der Zeit − auch wegen der vielen fremden Einflüsse − der Wortschatz des Englischen stark entwickelt und differenziert. Im Deutschen ist es nicht viel anders, nur etwas zeitversetzt: Genitiv und Dativ sind im Verschwinden begriffen, zunehmend werden starke Verben durch schwache ersetzt (zum Beispiel backte statt buk), synthetische Formen werden stark von analy‐ tischen verdrängt (das Präteritum durch das Perfekt mit den Hilfsverben haben und sein, der Konjunktiv wird durch würde-Formen ersetzt oder fällt ganz weg und Ähnliches), in verschiedenen Regionen verschleifen die Artikel und Präposi‐ tionen mit den Endungen (zum Beispiel ei’m statt einem, mi’m statt mit dem) oder Verben mit Pronomen und anderen Elemen‐ ten (so isses statt so ist es, musse statt musst Du, krisse fresse oder duischschlagdisch als Androhung roher Gewalt in Ruhrdeutsch und Kiezdeutsch) und so weiter. Sprachen entwickeln sich wellenartig: Zunächst sind es rein pragmatisch bestimmte Konstrukte, dann entwickeln sie sich bis zur grammatischen Blüte, schließlich verschleifen sie, bis sie sich dem pragmatischen Modus nähern und so weiter. Allerdings sind nicht immer alle Bereiche einer Sprache gleichermaßen betroffen und außerdem entwickeln sich parallel zu dem Abbau in einigen Bereichen neue Mittel in anderen. Ähnlich also wie es in anderen gesellschaftlichen Strukturen und Lebensbereichen vor sich geht: Aus einem Vakuum entsteht mit viel Nachbarschaftshilfe langsam ein soziales Netz, das sich immer weiter verfeinert, bis es schließlich einen Saturierungs-, Verwaltungs- oder Komple‐ xitätsgrad erreicht, der kaum mehr zu halten ist. Ähnlich ist es auch bei Sprechern, die ihre Sprache voll beherrschen, sie aber 4 Fremdsprachenerwerb 136 <?page no="137"?> Prinzipien des Sprachenerwerbs Zusammenspiel im Alltagsgebrauch aus den gleichen Gründen nur in verkürzter Form einsetzen. Zurück zum Lerner. Für seine frühen Äußerungen − die Ba‐ sisverietät − sind also die folgenden Prinzipien die entscheiden‐ den: ▸ Bekannte und gegebene Information steht vor neuer In‐ ▸ formation. ▸ Thematisierende Elemente stehen vor fokussierenden Ele‐ ▸ menten. ▸ Bedeutungsmäßig zusammengehörige Elemente stehen ▸ möglichsnahe beieinander. ▸ In einer Reihung von Nomen hat das erste Element den ▸ größten Einfluss. ▸ Funktionale Elemente wie kein, viel, alle werden einheitlich ▸ vor (oder einheitlich hinter) die von ihnen bestimmten Ele‐ mente gestellt. ▸ Orientierende Elemente wie Orts- oder Zeitangaben stehen ▸ am Anfang einer Äußerung. ▸ Ereignisse werden nach ihrer tatsächlichen (chronologi‐ ▸ schen) Reihenfolge berichtet. ▸ Die Betonung bestimmt, ob es sich um eine Aussage, eine ▸ Frage oder eine Anweisung handelt. ▸ Die Betonung markiert auch die fokussierten Elemente. ▸ Mittels dieser Prinzipien entwickelt sich die Sprache zunehmend, und zwar nicht nur in grammatischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf das Zusammenspiel der grammatischen, lexikalischen und pragmatischen Prinzipien untereinander und dabei vor al‐ lem auch beim Ausbau des Wortschatzes (Lexikons). Mit dem Fortschreiten des Erwerbs nehmen aber auch die Unterschiede zwischen den Lernern zu. Einige Lerner haben sich dann den zielsprachlichen Normen bereits sehr stark angenähert, während andere noch weit davon entfernt sind und zum Beispiel keine zielsprachlichen Nebensatzkonstruktionen oder andere komple‐ xere Strukturen produzieren können. Da diese Prinzipien Übergangsstrukturen im Spracherwerb darstellen, die den Lernern aus anderen Sprachen oder Sprach‐ varietäten bekannt sind, lassen sie sich auch als Hilfsmittel im 4.3 Diagnose, Evaluation und Leistungsmessung 137 <?page no="138"?> Sprachunterricht gut einsetzen. Ansätze dazu fanden sich in den Deutsch als Fremdsprache-Lehrbüchern Tangram und Schritte international. Abb. 4.2: Dialoggerüst zum Verständnis und als Sprechvorlage in Tan‐ gram aktuell (2004: 41), angelehnt an die Strukturprinzipien des prag‐ matischen Modus Besonders produktiv könnte der pragmatische Sprachmodus bei Lernern eingesetzt werden, in deren Sprachen ähnliche Struktu‐ rierungsprinzipien wie die oben dargestellten in der Grammatik wirken, wie etwa in der Hauptsprache Sri Lankas, dem Singhale‐ sischen. So entspricht die Grundwortstellung in singhalesischen Äußerungen der Struktur der dargestellten Lerneräußerungen. Der Elefant geht heute einkaufen hat im Singhalesischen übertragen etwa folgende Struktur: Elefant einkaufen heute oder Heute Elefant einkaufen. 4 Fremdsprachenerwerb 138 <?page no="139"?> Diglossie Auch im Japanischen sind die Äußerungen ähnlich: 今日象は買い物に行きます。 kyô zô ha kaimono ni ikimasu. Heute Elefant einkaufen gehen oder 象は今日買い物に行きます。 zô ha kyô kaimono ni ikimasu. Elefant heute einkaufen gehen. Auch die Schriftsprache bietet sich als Brücke in der Sprachver‐ mittlung an. Im Singhalesischen ist zum Beispiel die Schriftspra‐ che grammatikalisch betont deutlicher ausgebildet als die ge‐ sprochene Sprache und verlangt damit ganz bestimmte von der gesprochenen Sprache unterschiedene Wörter. Es herrscht eine Art Zweisprachigkeit (Diglossie) in der Sprache. Die Grammatik der Schriftsprache entspricht in vieler Hinsicht den Strukturen des Deutschen. Das heißt also, dass sich die grammatischen Prin‐ zipien der deutschen Sprache an Lerner aus Sri Lanka, im An‐ schluss an die Phasen ihrer reduzierten Lernersprache, am besten in Anknüpfung an die singhalesische Schriftsprache vermitteln ließen. Die gesprochene Zielsprache könnte in der ersten Phase über einfache Lernerstrukturen und in der zweiten über einen schriftsprachlichen Code der Ausgangssprache der Lerner ver‐ mittelt werden. Grammatische Prinzipien und Modelle der Ba‐ sisvarietät könnten also verschiedene produktive Funktionen beim Sprachenerwerb übernehmen. 4.4 Vom Chunking zur Regel Der Rückgriff auf die Prinzipien der Basisvarietät geht einher mit einer Fokussierung auf möglichst prägnante Wörter. Die prag‐ matischen Prinzipien und die Grammatik brauchen Lerner ei‐ gentlich erst, wenn sie feststellen, dass einzelne Wörter ihren Kommunikationsbedarf nicht mehr hinreichend ausdrücken können, wenn es also um die Anordnung verschiedener Ele‐ mente und deren Differenzierung oder, einfacher gesagt, um 4.4 Vom Chunking zur Regel 139 <?page no="140"?> sprachliche Mobilität sprachliche Mobilität geht. Wie kommen Lerner auf ihrer Suche nach mehr Mobilität aber zu den sprachlichen Regeln? Ein geschicktes Verfahren in diesem längeren Prozess ist zu‐ nächst die Übernahme von Mehrworteinheiten, Formeln oder Redewendungen, so genannten Chunks. Solange Lerner nur geringe Kenntnisse der neuen Sprache besitzen, übernehmen sie einzelne Elemente oder eben größere Chunks, ohne deren gram‐ matische Strukturen zu kennen, kennen zu wollen oder kennen zu müssen. Kinder, die eine Erstsprache lernen, gehen dabei gar nicht anders vor, und auch Erwachsene, die in ihrer eigenen Sprache neue Formulierungen lernen (zum Beispiel in einer Be‐ rufs- oder Fachsprache oder im Medienslang) übernehmen oft ganze Chunks und Formeln, ohne sie grammatisch zu analysie‐ ren. Solange die Übernahme ausreicht, müssen auch keine Ana‐ lyse und Regelbildung veranlasst werden. Interessierte, sensibi‐ lisierte und (durch frühere Sprachlernerfahrungen) geschulte Lerner beginnen in der Regel aber schnell, aus den Chunks Re‐ geln abzuleiten. Das geschieht bezogen auf einzelne Konstruk‐ tionen, vermutlich nur selten global und in unterschiedlichen Schritten: von der direkten Übernahme, über das Ausfiltern der Kernstruktur, Analogiebildungen, Differenzierungen und das genaue Überprüfen der Reaktionen der Umwelt auf die eigenen Übernahmen und die eigene Verwendung. Durch den Abgleich der eigenen Produktionen mit der zielsprachigen Umgebung entwickelt sich die Grammatik also in einzelnen Bereichen. Haben die Lerner Vorerfahrungen mit der Analyse fremder Sprachen und Kenntnis von oder Bewusstheit für sprachliche Ele‐ mente, Prinzipien und Regeln, kann dieser Prozess optimiert wer‐ den. Kenntnis oder Sprachbewusstheit müssen nicht in Form von metasprachlich abrufbaren Regeln vorhanden sein, es kann sich auch um eine implizite und nicht sprachenspezifische Kenntnis von Strukturen und Prozessen handeln (Wong-Fillmore 1979, To‐ masello 2006, Haberzettl 2007, Handwerker 2008, Lindstromberg/ Boers 2008, Handwerker/ Madlener 2009, Roche 2010, Baleghiza‐ deh 2011, Aguado 2012). Es geht also wieder eher um Prinzipien und Strategien der Lerner, nicht um Strukturkenntnisse einer be‐ stimmten Sprache. Diese Kenntnisse können durch jede Fremd‐ sprache und durch sprachliche Variation der eigenen Sprachen 4 Fremdsprachenerwerb 140 <?page no="141"?> Analysestrategien Forschungsrichtungen erworben oder verstärkt werden, zum Beispiel durch verschie‐ dene Dialekte und Erzählformen. Nötig dafür ist eine sprachrei‐ che und für den Lerner relevante Sprachenumgebung. Zu den wichtigsten Strategien der Lerner bei der Analyse der Umgebungssprache und der Synthese eigener Produktionen ge‐ hören die folgenden: ▸ Übernahme von Chunks, ▸▸ Auflösen der Chunks anhand von Analogien und Bruch‐ ▸ stellen (De-Chunking), ▸ Feststellen von Kernkonstruktionen, ▸▸ Ersetzen von Elementen (Paradigmabildung und -erpro‐ ▸ bung), ▸ Anpassungen und Annäherungen, ▸▸ Umschreibungen/ Paraphrasen, ▸▸ Neuschöpfungen, ▸▸ Transfer, Übersetzung, Sprachwechsel, ▸▸ Vereinfachungen, ▸▸ Vermeidungsstrategien, ▸▸ Bitten um Hilfe/ Verwendung von Hilfen. ▸ 4.5 Erwerbshypothesen In der Spracherwerbsforschung spielen − wie in jedem anderen Forschungsgebiet auch − verschiedene Forschungsrichtungen und -schulen eine Rolle. Die verschiedenen Richtungen der Spracherwerbsforschung sind stark von der jeweiligen Perspek‐ tive auf Sprache abhängig, also zum Beispiel ob Sprache primär als funktionales Kommunikationsmittel, als System phoneti‐ scher, grammatischer oder lexikalischer Stukturen, als Textsys‐ tem oder als Ausdruck von Beziehungen zwischen den Beteilig‐ ten und den übermittelten Nachrichten angesehen wird. Ein einheitliches Modell des Sprachenerwerbs gibt es nicht. Es soll daher im Folgenden versucht werden, die einflussreichsten Hy‐ pothesen zum Sprachenerwerb zu skizzieren, auch wenn sie nur einzelne Aspekte beleuchten und teilweise gegenläufig sind. 4.5 Erwerbshypothesen 141 <?page no="142"?> Strukturelle Aspekte: Zu den frühen Hypothesen der Sprach‐ erwerbsforschung gehören die Kontrastivhypothese und die Identitätshypothese, die nicht weiter nennenswert wären, wenn nicht einige ihrer Annahmen auch heute noch weit ver‐ breitet Einstellungen zum Lernen und Lehren von Sprachen be‐ einflussen würden. Die behavioristisch geprägte Kontrastivhy‐ pothese geht davon aus, dass der Zweitsprachenerwerb als Gegenstück zum Erstspracherwerb erfolgt. Die Erstsprache (L1) bildet demnach die Folie oder Matrix für den Erwerb weiterer Sprachen. Wo sich die Strukturen der beiden Sprachen unter‐ scheiden, treten dieser Hypothese zufolge die meisten Erwerbs‐ schwierigkeiten auf. Die Schwierigkeiten des Erwerbs, so die Annahme, zeigen sich durch entsprechende Fehler an der Ober‐ fläche, das heißt in der gesprochenen oder geschriebenen Spra‐ che, und zwar besonders dann, wenn die Lerner schon über eine gewisse Menge sprachlicher Mittel verfügen. Wo sich die Struk‐ turen gleichen, sind dagegen kaum Fehler zu erwarten. Es han‐ delt sich um Interferenz oder negativen Transfer, wo Fehler auftreten, und um positiven Transfer, wo die Strukturen der L1 ohne Fehler übertragen werden. Als typischer Interferenz‐ fehler ist zum Beispiel die undifferenzierte Verwendung von nehmen durch türkische Lerner bezeichnet worden: „Ich gehe einkaufen und nehme eine Käse.“ Als Ursache wird hier der Ver‐ wendungsbereich von almak (nehmen, bekommen) im Türki‐ schen vermutet. Auch sprachliche Mischungen, übermäßige Ver‐ allgemeinerungen der Zielsprache und Auslassungen können als Interferenzen erscheinen. Insbesondere die Kontrastive Linguistik der 1960er bis frü‐ hen 1980er Jahre hat sich der Kontrastivhypothese verschrieben. Aus dieser Schule sind zahlreiche Arbeiten hervorgegangen, in denen die strukturellen Unterschiede von Sprachpaaren (zum Beispiel Deutsch-Türkisch oder Deutsch-Russisch) herausgear‐ beitet und anschließend in Lehrübungen thematisiert wurden (Lado 1957, Kaplan 1966, Meyer-Ingwersen 1977, Clyne 1991, Baumann/ Kalverkämper 1992). Diese Übungen schließen an die Grammatik-Übersetzungsmethode an, der es schon früher darum ging, durch die Konfrontation von unterschiedlichen sprachlichen Strukturen zur korrekten Verwendung der Ziel‐ 4 Fremdsprachenerwerb 142 <?page no="143"?> Kritik an der Kon‐ trastivhypo‐ these sprache und zur Ausbildung eines sprachlichen Bewusstseins zu gelangen. Dass diese Hypothese aber nur teilweise trägt, zeigt sich be‐ reits an einfachen Beobachtungen des Sprachenerwerbs. Zwar hilft es natürlich, wenn ein Lerner auf bekannten Strukturen aufbauen kann, nur weiß er zunächst nicht, welche Elemente die Sprachen gemeinsam haben und welche nicht. Das heißt, Lerner müssten bereits über ein metasprachliches Wissen verfügen, um entscheiden zu können, wo sie Fehler machen. Außerdem ist die Kenntnis unterschiedlicher Strukturen nicht gleichbedeutend mit ihrer korrekten Verwendung. Noch schwerwiegender sind folgende Einwände gegen die Kontrastivhypothese: Erstens treten Fehler häufig und hartnäckig gerade bei ähnli‐ chen Strukturen der beteiligten Sprachen auf. Man denke zum Beispiel an die so genannten falschen Freunde, die gerade wegen ihrer Ähnlichkeiten zu Fehlern führen (Englisch become und teller − Deutsch werden und Bankkassierer, Niederländisch bellen und verhuren − Deutsch klingeln und vermieten, Spanisch irritar − Deutsch ärgern). Wer also mit I become a teller soup im Restau‐ rant etwas zu essen bestellen will, wird sich in „a blue wonder“ verflüssigen müssen, oder richtig gesagt, bewilderment (Verwun‐ derung) ernten. Auch Abweichungen in der Aussprache selbst bei Sprechern, die schon lange in der Zielkultur leben, illustrieren die Problematik des Ähnlichkeitsargumentes. Das wird zum Beispiel bei den Umlauten im Deutschen deutlich, mit denen Lerner auch dann oft Schwierigkeiten haben, wenn sie in ihren eigenen Spra‐ chen vorkommen, wie in tu (Du, ü) oder cœur (Herz, ö) im Fran‐ zösischen, a (ein, ä) und yearn (streben, ö) im Englischen, lütfen im Türkischen (bitte) oder im Städtenamen Jyväskylä (jüväsküllä) im Finnischen. Zu sehen ist das auch an den th- (in der Lautschrift als [θ] dargestellt) und v-Lauten im Englischen, die Deutsche ge‐ rade wegen der Ähnlichkeiten mit den deutschen s- und w-Lauten oft nicht wahrnehmen und daher auch nicht korrekt produzieren können. Auch syntaktische Ähnlichkeiten, wie sie etwa bei der Verbstellung im Deutschen und Niederländischen bestehen, pro‐ duzieren im Erwerb oft Übertragungsfehler (zum Beispiel … gehen müssen/ lassen gegenüber … moeten/ laten gaan). 4.5 Erwerbshypothesen 143 <?page no="144"?> universelle Sprachlernfähigkeit Monitorhypothese Zweitens wurde in systematischen Untersuchungen nachge‐ wiesen, dass viele vermeintliche Interferenzfehler auch da auf‐ treten, wo es gar keine Auslöser in der Ausgangssprache gibt. Ähnliche Äußerungen mit nehmen wie die obige finden sich so auch bei Lernern mit anderen Ausgangssprachen als dem Tür‐ kischen und auch bei solchen, in denen ähnliche Strukturen wie im Deutschen üblich sind (Dulay/ Burt 1974, Klein 1984, Keller‐ man 1986). So sind die Kontrastivhypothese zunehmend in die Kritik und die kontrastive Linguistik in der Sprachdidaktik in Vergessenheit geraten. Abgelöst wurde die Hypothese durch die nativistisch und kognitivistisch geprägte Identitätshypothese in den 80er Jahren, die besagt, dass L1- und L2-Erwerb sich im Wesentlichen gleichen, das heißt, von den gleichen Mechanismen gesteuert werden. Es gibt also so etwas wie eine universelle Sprachlernfä‐ higkeit, die unabhängig vom Einfluss der jeweiligen Erstsprache operiert (vergleiche Abschnitt 2.6). Demnach ist auch sekundär, welche Sprachen überhaupt betroffen sind, das heißt, welche Sprachen erworben werden und welche Sprachen der Lerner be‐ reits erworben hat. Die Tatsache, dass viele Lerner trotz ver‐ schiedener Ausgangssprachen beim Erwerb etwa des Deutschen ähnliche Fehler machen, spricht für diese Hypothese. Dass das bereits Erworbene einer anderen Sprache und Kultur keinen Einfluss auf den Erwerb einer zweiten oder weiteren Sprache haben soll, widerspricht jedoch den Regeln der Plausibilität und der Lern- und Entwicklungspsychologie (vergleiche die Ent‐ wicklung des bilingualen Lexikons, Abschnitt 3.7.2 und Liang 1991, Lehker 1997, Roche/ Roussy-Parent 2006, Longhi 2010). Im Fremdsprachenerwerb spielen verschiedene Aspekte eine Rolle, die nicht nur mit den Strukturen der L1 zusammenhängen und daher nicht allein mit der Identitäts- oder mit der Kontrastivhypothese erfasst werden können. ▸ Eingabe-Aspekte: Die Inputhypothese postuliert, dass ▸ die Eingabe erstens verständlich sein muss und zweitens am besten nur eine Erwerbsstufe (i) über dem Erwerbs‐ stand des Lerners liegen sollte, damit Spracherwerb opti‐ mal ablaufen kann (i + 1). Zusammen mit der Monitorhy‐ 4 Fremdsprachenerwerb 144 <?page no="145"?> pothese bildet sie den Kern von Krashens Erwerbs- und Lernmodell (Krashen 1980). In allgemeinerer Form wird sie weit verbreitet praktiziert: Die grammatische Progression, die didaktische Komplexitätszunahme und andere Kon‐ zepte von der graduellen Steigerung der Anforderungen an die Lerner basieren auf der gleichen Vorstellung. Das würde jedoch ein ganz genaues Inputmanagement bedeu‐ ten, das aber im Unterricht gar nicht leistbar wäre. Im wei‐ teren wird die Inputhypothese auch durch all die Hypo‐ thesen fortgeschrieben und ergänzt, die von einer Steuerbarkeit des Erwerbs durch eine entsprechende Be‐ tonung und Aufmerksamkeitssteuerung des Inputs ausge‐ hen (Noticing-Hypothese, Enhancement, Structured Input Activities; siehe hierzu die Erklärungen in Sharwood Smith 1993, Wong 2004, van Patten 2004 und Kapitel 1 in diesem Buch; zu einer kritischen Darstellung offener und ver‐ steckter Input-Instruktionsverfahren siehe Roche/ Reher/ Simic 2012). Die Struktur und Rolle des Inputs werden in Abschnitt 4.9 genauer beschrieben. ▸ Psycholinguistische Aspekte: Die Monitorhypothese ▸ unterscheidet zwischen einem Lern- und einem Erwerbs‐ modus. Diese Unterscheidung basiert auf der Annahme, dass sich das Lernen von Strukturen im Unterricht vom Erwerb fremdsprachlicher Fertigkeiten in ungesteuerten Situationen unterscheidet. Lernen bedeutet demnach eine gezielte Ausbildung des grammatischen Regelapparates im Monitor. Das heißt, die sprachlichen Äußerungen werden vor ihrer Produktion von einem Monitor in Bezug auf die korrekte Anwendung der Regeln überprüft. Erwerben er‐ folgt dagegen über den intuitiven Sprachgebrauch. Ob es sich dabei aber tatsächlich um verschiedene Arten der An‐ eignung von Sprache und um unterscheidbare Lernpro‐ zesse handelt, konnte bisher an konkreten Daten nicht überprüft werden. ▸ Interaktionale Aspekte: Eine Reihe von Spracherwerbs‐ ▸ hypothesen betont den interaktiven Charakter des Fremd‐ sprachenerwerbs. Sie betrachten ihn als Wechselspiel zwi‐ schen den Sprechern der Zielsprache und den Lernern, 4.5 Erwerbshypothesen 145 <?page no="146"?> wobei die Sprache und ihre Symbole zwischen den Beteilig‐ ten ausgehandelt werden müssen (symbolischer Interaktio‐ nismus). Die allgemeine Variante dieser Forschungsperspek‐ tive ist unter dem Namen Interaktionshypothese bekannt geworden. Die Pidginisierungshypothese beschreibt da‐ gegen genauer, wie es zu den hybriden Strukturen in der Lernersprache kommt und wie diese fossilisieren. Lerner und Sprecher der Zielsprache imitieren ihre fehlerhafte Sprache gegenseitig: die Lerner, weil ihnen die Kompetenz fehlt, die Sprecher der Zielsprache, weil sie ihre Sprache künstlich vereinfachen. Dadurch entsteht eine rudimentäre Mischsprache aus Lernersprache, Input und Xenolekt (siehe hierzu auch Kapitel 4.9). ▸ Motivationale Aspekte: Die Akkulturationshypo‐ ▸ these betont den sozialen und psychischen Antrieb der Lerner zum Sprachenerwerb. Dieser wird durch Nähe zur Zielsprache und Zielkultur verstärkt. Je positiver diese durch innere und äußere Faktoren bestimmte Nähe ausge‐ prägt ist, je größer also die Integrationsmotivation ist, desto erfolgreicher ist der Spracherwerb. Ist die Distanz dagegen groß, bleibt der Spracherwerb unvollständig. ▸ Stärker auf den Handlungscharakter des Sprachenerwerbs ▸ geht die Outputhypothese ein. Die aktive Verwendung der Fremdsprache verlangt vom Lerner die aktive Analyse der Sprache und die entsprechenden Anstrengungen zur korrekten Nutzung und Einbettung. Die Notwendigkeit, mit der Fremdsprache Ziele umzusetzen, bewirkt, dass der Erwerb vorangezogen (pull-Effekt) wird. ▸ Entwicklungsaspekte: Die Entwicklungshypothese ▸ besagt, dass im frühen Spracherwerb Wörter einer neuen Sprache den Wortkonzepten des bereits vorhandenen Wortschatzes zu- und untergeordnet werden. Im Laufe des Erwerbs entwickeln sich, je nach den Bedingungen der Er‐ werbssituation, eigene Konzeptknoten für die neue Spra‐ che, die im mentalen Lexikon mit den bereits vorhandenen zunehmend koordiniert und integriert werden (siehe Ka‐ pitel 3.7). 4 Fremdsprachenerwerb 146 <?page no="147"?> Entwicklungsfehler - Fehlerkultur ▸ Auch bei der Grammatik lässt sich eine Entwicklung dar‐ ▸ stellen, und zwar als Abfolge regelhafter Sequenzen. Mit der Interlanguage-Hypothese wurde der Blick von den Fehlern und dem Transfer auf die eigenen konstruktiven Prozesse des Sprachenerwerbs gerichtet. Der Fremdspra‐ chenerwerb folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sowohl von allgemeinen Prinzipien der Sprachverarbeitung als auch von den Einflüssen der Umgebung bestimmt sind. Die Systematik des Sprachenerwerbs drückt sich in Stufen und Sequenzen aus. Diese können je nach Forschungsperspek‐ tive stärker oder schwächer festgelegt sein. Ob sie univer‐ sell im Sinne von angeboren sind oder allgemeine Sprach‐ verarbeitungsprinzipien widerspiegeln, ist noch nicht hinreichend geklärt. In der Forschung ist hier allgemeiner von Erwerbssequenzen oder sich entwickelnden Gramma‐ tiken die Rede. Die Verarbeitungshypothese ist eine der jüngsten Entwicklungen dieses Forschungsansatzes. Sie findet ihren Ausdruck auch in den Teilhypothesen des An‐ satzes zur Lern- und Lehrbarkeit. ▸ In der Folge entwickelten sich verschiedene Modelle des ▸ sequenziellen Spracherwerbs, die in Kapitel 4.8 genauer vorgestellt werden. Dazu gehören das Konzept der Ent‐ wicklungsgrammatik (Developing Grammars), die Tea‐ chability- und Learnability-Hypothesen (Lern- und Lehrbarkeitshypothesen) und die Processability-Hypo‐ these (Verarbeitungshypothese) sowie Modelle, die auf ei‐ ner Progression des Konzepterwerbs aufbauen. ▸ Die Lernbarkeits-/ Lehrbarkeitshypothese besagt, dass ▸ nur das vom Lerner gelernt werden kann, was in einer Erwerbssequenz auf der jeweils nächsten Stufe erscheint. Und nur was gelernt werden kann, kann auch gelehrt wer‐ den. Es ergibt daher keinen Sinn, durch eine steilere gram‐ matische Progression schwierigere Strukturen der fremden Sprache vorwegzunehmen. ▸ Die Schwellenhypothese geht von zwei markanten ▸ Schwellen der muttersprachlichen und der fremdsprachli‐ chen Kompetenz aus, die erreicht sein müssen, damit sich positive Effekte auf die Sprachbeherrschung einstellen. 4.5 Erwerbshypothesen 147 <?page no="148"?> Wird die untere Stufe nicht erreicht, so wirkt sich der Er‐ werb einer neuen Sprache eher negativ auf beide aus. Es kann zu einer doppelten Halbsprachigkeit kommen. Wird die obere Stufe erreicht, so ergeben sich dagegen positive Effekte in beiden Sprachen. ▸ Die Interdependenzhypothese nimmt an, dass beim Er‐ ▸ reichen einer hohen Kompetenz in der zweiten Sprache (obere Schwelle) sich positive Effekte ergeben, die sich nicht nur auf die beteiligten Sprachen auswirken, sondern die übertragbar auf andere kognitive Leistungen sind, zum Beispiel auf künstlerische, aber auch mathematische Fer‐ tigkeiten. 4.6 Sprachenlernen und kognitive Entwicklung Bevor ein Kind laufen, springen, klettern oder turnen lernt, muss es erst das Stehen lernen. Und so ist es auch mit der Sprache. Der Erwerb bestimmter Wörter und Strukturen setzt beim Erstspra‐ chenerwerb den Erwerb einfacherer Wörter und Strukturen vor‐ aus. Auch die sprachlichen Konzepte von der Welt müssen sich erst ausbilden. So muss ein Kind erst lernen, was Kausalität be‐ deutet, bevor es richtig mit warum danach fragen und mit weil darauf antworten kann. Mit dem Prozess des Erwerbs der ersten Sprache vollzieht sich also ein Prozess der kognitiven Entwick‐ lung oder Maturation. Bei vielen, die nach Schuleintritt eine zweite Sprache lernen, ist dieser kindliche Prozess der Matura‐ tion abgeschlossen. Das heißt, sie können dann leicht und ohne zeitliche Verzögerung auf Konzepte aus der Erstsprache zurück‐ greifen und müssen diese vor allem mit den Begriffen der zweiten Sprache neu belegen oder differenzieren. Diese Beobachtung spricht gegen die bereits vorgestellte Identitätshypothese von Erst- und Zweitsprachenerwerb. Der Erwerb einer L2 profitiert von bereits erworbenem Wissen. Der Erwerb der Erstsprache bei Kindern lässt sich in folgende Phasen unterteilen: 4 Fremdsprachenerwerb 148 <?page no="149"?> Phasen nach Piaget Entwicklungsstufen im L1-Erwerb Monate (vor der Geburt) 0−6 Ausfiltern des offenen Lautinventars und Prägung intonatorischer Muster 6−10 Verstehen von einzelnen Wörtern 10−18 Wortproduktion (bis circa 50 Wörter, primär situativ verwendet) 18−20 Wachstum des Wortschatzes, primär zur Benennung konkreter Objekte in 1-Wort-Äußerungen, mit Übergenerali‐ sierungen und Überdiskriminierungen 20−24 Wortkombinationen (bis zu 250 Wörter) ab 24 Einsetzen der Grammatik in 2-Wort-Äußerungen Der Psychologe Jean Piaget (1896−1980) unterteilt die kognitive Entwicklung des Kindes in vier Phasen zunehmender Komple‐ xität. In der ersten Phase, die von der Geburt bis etwa zum 2. Lebensjahr dauert, entwickelt sich die Intelligenz der Kinder durch sensorische Erfahrungen und durch Bewegung, das heißt durch das Lernen mittels konkreter Objekte und durch motori‐ sche Kontrolle (sensumotorische Phase). Die zweite Phase, die vom 2. bis zum 7. Lebensjahr dauert, betrifft das Lernen von Symbolen, die Konzepte und Objekte repräsentieren, so wie es Bilder oder Wörter tun. Hierzu gehören auch das Benennen von Objekten und das intuitive Handeln (präoperationale Phase). In der dritten Phase, die vom 7. bis zum 12. Lebensjahr dauert, lernt das Kind anhand von konkreten physischen Beispielen lo‐ gisch zu denken. Der Umgang mit Zahlen und anderen abstrak‐ ten Bezügen gehört zu dieser Phase (konkret-operationale Phase). In der vierten Phase lernt das Kind, abstrakte Konzepte 4.6 Sprachenlernen und kognitive Entwicklung 149 <?page no="150"?> logisch und systematisch zu verarbeiten, das heißt anhand von formalen Operationen und unabhängig von der konkreten An‐ schauung. Diese Phase beginnt mit circa 12 Jahren und endet mit dem 15. Lebensjahr (formal-operationale Phase). Piaget geht davon aus, dass durch die Spannung von Ist- und Soll-Zustand Anpassungsprozesse ausgelöst werden. Die Spannung dieses Ungleichgewichts ist der treibende Motor des Lernens. Der Lerner passt sich in verschiedenen Formen den Anforderungen der Umwelt an, zum Beispiel dadurch, dass er neue Begriffe lernt, die ein Konzept oder mentales Modell er‐ weitern (beim Kind etwa neue Namen von Autos), oder dadurch, dass er die Wahrnehmung differenziert (etwa durch neue Wahr‐ nehmungskategorien wie LKW, Zug, Flugzeug für sich bewe‐ gende Gegenstände). So besteht Lernen aus Assimilations- und Akkomodationsprozessen. Die entscheidende Frage für die Sprachvermittlung ist demnach die nach der möglichen Förde‐ rung dieser Prozesse (Optimierung) durch geeignete Anforde‐ rungen, Aufgaben und Progressionen (Piaget 1972). Das Usage-based-Konzept hat eine weitreichende Bedeu‐ tung für den Spracherwerb. Anders als universalistisch-nativis‐ tische Modelle annehmen, erfolgt der Spracherwerb auf der Grundlage von konkreten, in bestimmten Kontexten gebrauch‐ ten sprachlichen Mustern, die eine unterschiedliche Komplexität aufweisen - und in dieser zunehmen -, deren Leerstellen zu‐ nehmend kreativ und frei besetzt werden und die sich zudem aus Prinzipien der allgemeinten Kognition speisen. In seiner Studie zeigt Nicolas Koch (2019) unter Bezug auf einschlägige Arbeiten den Anstieg der Komplexität von Äußerungen von Kindern im L1-Erwerb über mehrere Wochen (traceback-Studien). Demnach lässt sich der L1-Erwerb Deutsch der 2 - 2; 6 Jahre alten Kinder als ein sukzessiver Einstieg in einen produktiven und kreativen Umgang mit Sprache beschreiben. Die Kinder erweitern ihr sprachliches Inventar auf Grundlage lexikalisch teilspezifischer Schemata mit schematischen Leerstellen. Dabei kombinieren sie auch lexikalisch teilspezifische Schemata unterschiedlichen Ab‐ straktionsgrades. Diese Verbindungsoptionen versetzen die Kin‐ der in die Lage, eine prinzipiell indefinite Anzahl neuer Äuße‐ rungen zu bilden und so ihre sprachliche Beweglichkeit zu 4 Fremdsprachenerwerb 150 <?page no="151"?> De-Chunking erhöhen. Lexikalisch teilspezifische Schemata werden zudem auf der Grundlage einer begrenzten Menge von Äußerungen in Ver‐ bindung mit allgemeinen kognitiven Fähigkeiten gebildet. Im Spracherwerb orientieren sich Lerner demnach zunächst an Strukturen der Eingabe, die sie mehr oder weniger adäquat kopieren. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sie diese Elemente semantisch oder strukturell adäquat, sondern an die Zielsprache nur angenähert verwenden und mit diesen Annä‐ herungen in dem beschriebenen Sinne experimentieren. Es be‐ darf einer bestimmten kommunikativen Erfahrung, um die Be‐ deutung der Strukturen zu (re-)konstruieren und die relevanten Leerstellen zu identifizieren. Konzeptuell sind Lerner in diesem Prozess von ihren Vorerfahrungen geleitet. Strukturell aber ori‐ entieren sie sich nur bedingt an ihren Vorsprachen. Wie die Stu‐ dien von Becker und Carrol 1997 zeigen, erkennen Lerner durch‐ aus die Spezifika einer Zielsprache, auch wenn sie deren Inventar erst später erwerben. Den Prozess zu den Regeln einer Sprache haben wir als De-Chunking bezeichnet, das heißt als Experi‐ mentieren mit und Zerlegen von vorgefertigten Mustern. In der Literatur zur Gebrauchsbasiertheit tritt immer wieder der Begriff des skewed input auf, die Eingabe also, die möglichst viele relevante Strukturen enthält. Die Annahme ist, dass Lerner sich zu einem großen Teil an dieser Häufigkeit orientieren. Die zur Prüfung dieser These durchgeführten Studien enthalten je‐ doch kaum Angaben über die wirkliche Relevanz der Eingabe für die Lerner. Die kommunikativen Strategien von Xenolektspre‐ chern zeigen zum Beispiel, dass eine Erhöhung der Frequenz be‐ stimmter Strukturen im Input nicht unmittelbar zu einem kom‐ munikativen Erfolg bei den Lernern führt, obwohl die Eingabe als relevant erscheint. Wirkungsvoll sind hier vor allem Aus‐ handlungsstrategien, die zu einer besseren Verständlichkeit der Eingabe führen. Xenolektsprecher orientieren sich dabei an der Bedeutung: je wichtiger ihnen die Bedeutung ist, desto stärker passen sie sich an den Lerner an. Ähnliches lässt sich auch im Bereich der physischen Begleitung von Sprachlernaufgaben be‐ obachten, dem sogenannten Embodiment: dieses führt vor allem dann zu besseren und nachhaltigen Ergebnissen, wenn die Auf‐ 4.6 Sprachenlernen und kognitive Entwicklung 151 <?page no="152"?> Systematik Erwerbsstufen gabe nicht nur mechanisch ausgeführt werden soll, sondern tat‐ sächliche Bedeutung für die Lerner hat (siehe Kapitel 5.7). 4.7 Erwerbssequenzen Die Erforschung der linguistischen Regularitäten des Fremd‐ sprachenerwerbs hat sequenzielle Modelle hervorgebracht, die vor allem mit den Begriffen Interlanguage-Hypothese und Erwerbssequenzen in Verbindung stehen. Die Modelle gehen davon aus, dass sich ein Lerner graduell einer Zielsprache nähert und dabei sowohl von den generischen Prinzipien des Sprachen‐ erwerbs als auch von den Vorerfahrungen mit anderen Sprachen, seinen Persönlichkeitsmerkmalen und den spezifischen Proble‐ men der Zielsprache geleitet wird. Inwieweit das jeweils der Fall ist, welche Faktoren dabei stärker wirken als andere und ob und wie sie beeinflussbar sind, ist jedoch noch strittig. Im Mittelpunkt der sequenziellen Modelle stehen die Prozesse des Erwerbs und nicht die Ausrichtung auf Fehlerprodukte. Mit dem konzeptuel‐ len Ansatz, der eingangs ausführlicher dargestellt wurde (ver‐ gleiche hierzu Kapitel 4.2), wurde der grundlegende Verlauf der Erwerbsprozesse aus einer pragmatischen Perspektive bereits beschrieben. Einige Modelle heben aber besonders die angeborenen Er‐ werbsstrukturen hervor. Ihnen zufolge läuft der Erwerb der Fremdsprache auch in Stufen, aber in vorprogrammierten und daher wenig beeinflussbaren Sequenzen ab (siehe Identitätshy‐ pothese; Clahsen/ Meisel/ Pienemann 1983, Selinker 1985, van Patten/ Sanz 1995, Bardovi-Harlig 1995, Pienemann 1998 und 2005, Grießhaber 2006b, Keßler 2006). Das lässt sich in vereinfachter und idealisierter Form folgen‐ dermaßen darstellen. Horizontal sind dabei die verschiedenen Varianten der Zielsprache (V…) abgetragen. Das können das ein‐ fache Deutsch des Arbeitsplatzes, die Umgangssprache oder schrift- und bildungssprachliche Varietäten sein. Vertikal sind die verschiedenen Stufen abgetragen, über die sich der Lerner einer bestimmten Zielvariante nähert. 4 Fremdsprachenerwerb 152 <?page no="153"?> Chunks Abb. 4.3: Modell regelhafter Erwerbssequenzen der Grundgrammatik Die Erwerbssequenz beginnt nach diesem Modell für das Deut‐ sche im Bereich der Syntax (Wortstellung) mit einzelnen Wör‐ tern (1), Ein- und Zwei-Wortsätzen und einzelnen festen Formeln (Chunks) (2). Soweit bestehen auch Parallelen zur Basis-Varietät, allerdings werden diese von den Modellen jeweils anders inter‐ pretiert. Den grammatikbasierten, nativistisch geprägten Ansät‐ zen zufolge galt diese erste Stufe lange als vorgrammatisch und eigentlich nicht relevant für die linguistische Progression. Dem‐ nach beginnt die Erwerbssequenz mit einer Subjekt-Verb-Ob‐ jekt-Stellung und führt dann über die adverbiale Voranstellung einzelner Elemente ohne Inversion (3), die Verbtrennung bei mehrteiligen Verben (4), die Inversion (5) und die Verbendstel‐ 4.7 Erwerbssequenzen 153 <?page no="154"?> Mehrfachsequenzen Englisch als Fremdsprache lung in deutschen Nebensätzen (6) zu noch komplexeren Struk‐ turen der Zielsprache. Diesen Ansätzen zufolge kann der Lerner eine Stufe gar nicht oder nur schwer überspringen. Wenn er dennoch zum Überspringen gezwungen wird, kann es zu einer Bruchlandung kommen. Das heißt, der Lerner produziert Fehler, die er ansonsten vermieden hätte. Das passiert zum Beispiel, wenn durch eine lineare Grammatikprogression in den Lehr‐ werken komplexere Strukturen vor einfacheren eingeführt wer‐ den wie etwa Adjektivendungen vor dem einfachen Gebrauch der Adjektive. Erwerbssequenzen wurden in allen Bereichen der Grammatik und auch der Wortbildung festgestellt oder festgelegt. Sie können versetzt auftreten, das heißt, eine Position auf Stufe 3 des Syn‐ taxerwerbs bedeutet nicht, dass alle weiteren Strukturen in den anderen Bereichen der Grammatik auf dieser Position sind. Zwar gibt es eine Reihe erwerbslinguistischer Zusammenhänge zwi‐ schen verschiedenen sprachlichen Strukturen, aber keine nume‐ rische Korrespondenz der Stufen. Hier zunächst die angenommene Sequenz beim Erwerb der Syntax des Englischen als Fremdsprache, die nach Aussage eini‐ ger Forscher sprachübergreifende (universelle) Geltung hat (Pi‐ enemann 1998, 2005). Beispiel: ESL/ EFL Die Erwerbssequenzen für die Syntax des Englischen als Zweit-und Fremdsprache (ESL/ EFL) (Larsen-Freeman/ Long 1991: 276) Stufe 1: Subjekt − Verb − Objekt (SVO) Die Strukturen entsprechen auf dieser Stufe der als allge‐ mein gültig angenommenen SVO Struktur. You are student? I no like. I like Sydney. 4 Fremdsprachenerwerb 154 <?page no="155"?> Stufe 2: Auch bei Voranstellung von Elementen bleibt hier die SVO Reihenfolge intakt. In Vietnam, I am teacher. Do you have apartment? Why you not eat? Stufe 3: Veränderungen in der Wortstellung treten auf (hier Inver‐ sion) und trennbare Elemente werden verschoben. Have you job? I like to eat my friend house. You can take your coat off. Stufe 4: Auf dieser Stufe gelingt es den Lernern bereits, bestimmte grammatische Kategorien zu identifizieren und entspre‐ chende Veränderungen vorzunehmen. Diese Umstellungen sind auch nicht einfach Elemente fester Ausdrücke. Why did you go? (Hilfsverb in der 2. Position) She does not know. (Hilfsverb mit Anpassung der Endung der 3. Person) He gave the money to the police. (Dativ Nomen mit to) She eats too much. (3. Person, Singular -s) Stufe 5: Eingebettete Strukturen (Nebensätze) werden erkannt und korrekt integriert. She makes me work hard. (Strukturen mit make statt I have to work hard) He has never met her. (Adverbphrase) He didn’t leave, did he? (Nachfrage mit korrekter gramma‐ tischer Anpassung) 4.7 Erwerbssequenzen 155 <?page no="156"?> Die Erwerbsstufen in den anderen Bereichen der Grammatik se‐ hen nach Pienemann/ Johnston/ Brindley et al. (1988) folgender‐ maßen aus: Abb. 4.4: Tabellarische Darstellung der Erwerbssequenzen in allen Grammatikbereichen für die Fremdsprache Englisch 4 Fremdsprachenerwerb 156 <?page no="157"?> Temporalität In dem Rapid Profiling-Verfahren, das auf dem Modell der darge‐ stellten Sequenzen aufbaut, ist versucht worden, die Merkmale der Stufen so zu operationalisieren, dass damit eine Erwerbs‐ standsdiagnose möglich ist (Grießhaber 2006a, Pienemann/ Keßler 2011, Keßler/ Liebner 2011). Ob sich die Lerner jedoch tat‐ sächlich an strukturell fixierten Sequenzen orientieren, ist hoch umstritten. Die kognitions- und die psycholinguistische For‐ schung zeigen, dass die variationsreicheren konzeptuellen Grundlagen einen stärkeren Einfluss auf den Erwerbsverlauf ha‐ ben als formale Aspekte. Der Erwerbsprozess verläuft bei den wenigsten Lernern aber wirklich linear nach oben. Vielmehr machen Lerner in der Regel kreative Pausen, in denen sie das neue Material verdauen oder sich auf eine neue Struktur konzentrieren. Dabei können bereits erworbene Strukturen vorübergehend verloren gehen. Fehlt es am Lerndruck (Interesse und Motivation) oder ist die Eingabe nicht stimulierend genug, dann kommt es zu einer Stabilisierung oder Fossilisierung des Spracherwerbs auf einer unteren Stufe. Meist haben die Lerner entweder nur wenig Gelegenheit am Ar‐ beitsplatz oder außer Haus, die Zielsprache zu verwenden, oder sie suchen die bekannte Umgebung von Freunden und Famili‐ enmitgliedern, die ihre eigene Familiensprache sprechen, im Freundeskreis, in Vereinen und in ihrer Wohnumgebung. Fossi‐ lisierungen treten verstärkt dort auf, wo wenig auf formelle Kor‐ rektheit geachtet wird. Beispiel: Deutsch als Fremdsprache (DaF) Wie der sequenzielle Erwerbsverlauf anhand der Entwick‐ lung von Konzepten, mentalen Modellen oder Schemata als Erweiterung der Basisvarietät zu verstehen ist, zeigt fol‐ gendes Beispiel aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache. Demnach stehen beim Erwerb nicht die formellen Aspekte (wie hier) der Vergangenheitsformen (Tempus), sondern der funktionale Ausdruck der Temporalität im Mittelpunkt des Lernerinteresses (Stutterheim 1986, 1991): 4.7 Erwerbssequenzen 157 <?page no="158"?> ▸ In der Grundphase werden Zeitmarkierungen durch ▸ einzelne Wörter mit zeitlicher Bedeutung ausgedrückt. Heute kann so zum Beispiel auch gestern, morgen oder einfach Zeitmarkierung heißen. Diese Markierungen können auch unvollständig sein. Die meisten Zeitmar‐ kierungen stehen auch auf den späteren Stufen weiter‐ hin zur Verfügung. ▸ In der zweiten Phase erscheinen Perfekt Partizipien als ▸ mechanisch verwendete Formen von Verben. Diese ha‐ ben dann eine feste perfektive Bedeutung (zum Beispiel gefunden). Die morphologische Struktur des Partizips oder der Tempusmarkierung allgemein ist noch nicht erkannt. Die Formen werden nicht korrekt verwendet. ▸ In der dritten Phase gibt es diese genuin perfektiven ▸ Partizipien neben unmarkierten Formen des Verbs, die für andere Zwecke verwendet werden (zum Beispiel der Infinitiv finde(n) gegenüber einer Partizipialform (ge-)fund(-en)). Der Lerner erwirbt eine Regel der Zeit‐ markierung, die sich nur auf wenige Verben erstreckt. Meist sind dies starke Verben, weil diese auffälliger sind. ▸ In der vierten Phase erfolgt die Ausweitung der Regel ▸ auf alle Verben. In dieser Phase wird die perfektive Ka‐ tegorie dennoch nur selektiv im Gespräch markiert. Die Formen sind nicht immer ganz korrekt. Auch Formen wie gemachten, gehte und gegingen können hier er‐ scheinen. ▸ Erst in der fünften Phase erfolgt die nötige Markierung ▸ temporaler Kategorien beim Verb (Tempus), wie sie in der Zielsprache üblich sind, zum Beispiel sind gefah‐ ren, ging, machten. Dieses temporale Basissystem baut stark auf der Bedeutung ein‐ zelner Wörter auf. Erst langsam entwickelt sich daraus ein kom‐ plexes System lexikalisierter und grammatikalisierter Tempora‐ litätsmarkierungen mit komplexen Adverbialen und temporalen Nebensätzen. 4 Fremdsprachenerwerb 158 <?page no="159"?> Lernbarkeit, Lehrbarkeit pragmatische Situierung Nativistisch beeinflusste Ansätze gehen von der Annahme aus, die Abfolge der Erwerbssequenzen sei nicht veränderbar. Allerhöchstens variiere die Geschwindigkeit des Durchlaufens der Sequenzen. Nur was in der vorgegebenen Reihenfolge prä‐ sentiert werde, sei auch zu diesem Zeitpunkt lernbar. Und nur was zu einem bestimmten Zeitpunkt lernbar sei, sei auch tat‐ sächlich lehrbar. Insofern sei es sinnlos, die Formen der Hilfs‐ verben beim Perfekt einzuführen, wenn nicht die Grundfunktio‐ nen der Partizipien beherrscht werden. Es geht also um learnability und teachability (Lern- und Lehrbarkeitshypo‐ these, Verarbeitungshypothese). Verschiedene an grammati‐ schen Progressionen ausgerichtete Studien lassen jedoch Zweifel an der grammatisch determinierten Erwerbsreihenfolge auf‐ kommen (Diehl/ Christen/ Leuenberger/ Pelvat/ Studer 2000, Lund 2004, Terrasi-Haufe 2004, Fredriksson 2006, Winkler 2011, Terrasi-Haufe 2012). Aus verschiedenen Untersuchungen, die die Ergebnisse ein‐ schlägiger Sequenzstudien überprüfen, ergeben sich eine größere unterrichtliche Veränderbarkeit einzelner Sequenzen, Progressi‐ onsabweichungen, gegenläufige Tendenzen bei fortgeschrittenen Lernern oder Abweichungen zwischen schriftlichem und münd‐ lichem Sprachgebrauch auch bei den gleichen Lernern (Mellow 1996, Diehl/ Christen/ Leuenberger/ Pelvat/ Studer 2000, Terrasi- Haufe 2006). Hier zeigt sich, dass eine vorwiegend formale Be‐ trachtungsweise der Lernersprache ohne hinreichende Berück‐ sichtigung der pragmatischen Situierung kaum verlässliche Be‐ funde produzieren kann. Dennoch ist das allgemeine Konzept der Erwerbssequenzen entscheidend für Sprachstandsdiagno‐ sen, Leistungstestverfahren, die Entwicklung von Lehrmateria‐ lien und die Fehlerkorrektur. Werden die Lerneräußerungen etwa an den Normen der Hochsprache oder der Schriftsprache gemessen, dann lassen sich in der Regel viele Abweichungen feststellen, die so auch in der gesprochenen Alltagssprache vor‐ kommen, also gar keine echten Fehler sein müssen (deswegen das kleine Selbstbeobachtungsexperiment oben). Geht man aber davon aus, dass bestimmte Fehler entwicklungsbedingt auftre‐ ten, dann relativiert sich auch das Thema Fehlerkorrektur. 4.7 Erwerbssequenzen 159 <?page no="160"?> Wenn es wie auch immer geartete Sequenzen gibt, dann könn‐ ten viele Fehler als Zeichen einer Entwicklung, also als Entwick‐ lungsfehler oder Entwicklungsstufen angesehen werden. Sie markierten damit eher Fortschritt als Rückschritt. Zum Beispiel zeigt eine typische Äußerung aus dem Erstspracherwerb im Eng‐ lischen, die Verbform goed, dass der Lerner zwar noch nicht die starke Form des Partizips oder des Past Tense von to go erworben hat (gone, went), aber immerhin schon weiß, dass die Endung -ed im Englischen als Suffix des Verbstamms das Tempus der Ver‐ gangenheit (simple past) ausdrückt. Vermeintliche Fehler mar‐ kieren also einen bestimmten Fortschritt, bestehen nur vorüber‐ gehend und verschwinden teilweise ohne weiteres Zutun im Laufe der weiteren Sprachentwicklung. Das entlastet die Lehr‐ kräfte in vieler Hinsicht, vor allem aber von dem Zwang, jeden Lernerfehler korrigieren zu müssen. Aber es bleibt die Frage, wie genau sich die Sequenzen festlegen lassen, wie variabel und ver‐ änderbar sie sind und was genau für welche Lernergruppen in welcher Situation adäquates Kommunizieren und davon abwei‐ chende Fehler bedeuten. Studie zur Sprachstandsdiagnose Ein von der Daimler und Benz Stiftung gefördertes Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, ein innovatives Verfahren zur Sprachstandsmessung von 4bis 5-jährigen Kindern mit Deutsch als L1 oder L2 und mit bilingualen Kindern am Übergang von Kita und Kindergarten in die Schule zu ent‐ wickeln. Es orientiert sich dabei am natürlichen Sprachver‐ halten der getesteten Vorschulkinder und an der Funkti‐ onsweise von Computerspielen. Mit dem kindgerechten und spielerischen Verfahren werden damit die Sprachfä‐ higkeiten von Kindern in einer vertrauten und angstfreien Umgebung betrachtet - Situationen, in denen Kinder eine authentische Aufgabe erkennen, und in denen sie engagiert und unbekümmert sprechen. Das Spiel nutzt eine Spiel-App und eine Testleiter-App und ist so aufgebaut, dass die Kin‐ der in einer spannenden Geschichte dem schusseligen Kom‐ missarhund Wuschel helfen, unterschiedliche Abenteuer zu bestehen und knifflige Angelegenheiten sprachlich zu lö‐ 4 Fremdsprachenerwerb 160 <?page no="161"?> Norm sen, bis schließlich Wuschels Freundin, die liebenswerte Hexe Rita, ihre verlorenen Siebensachen wieder gefunden hat und dank der Hilfe der Kinder dann auch noch aus den Fängen eines bösen Drachen gerettet worden ist. Auf diese Weise werden die Kinder im Spiel zu Wuschels wichtigsten Verbündeten, indem sie ihm etwa präzise erklären, wo sich Ritas Gegenstände befinden oder sagen, wie er verschiedene Hindernisse überwinden kann. Hinter der Abenteuergeschichte verbirgt sich ein ausgeklü‐ geltes System aus (für das Kind verborgener) Spiel-Steue‐ rung, Datenaufnahme und -übertragung auf einen hochsi‐ cheren Server, dortiger Datenverwaltung, effizienten Verfahren zur Verschriftlichung der Tonaufnahmen und computerbasierten Auswertungsroutinen. Die Reaktionen der Vorschulkinder im Rahmen der App-Er‐ probung zeigen große Begeisterung. Die Kinder sprechen den Hund direkt an und sind sehr bemüht, ihren tierischen Freund zu unterstützen. Ferner bietet die interaktiv gestal‐ tete Spielumgebung motivierende Sprechanlässe, die reiches Datenmaterial und relevante Hinweise auf den Sprachstand der Kinder hervorbringen. Dabei wird der Sprachstand in verschiedenen konzeptuellen Domänen bewertet: in der Do‐ mäne Raum, im Bereich verschiedener Diskurstypen wie Narration und Beschreibung, im Bereich der Possession und im Bereich der Definitheit. Strukturelle Merkmale der Kin‐ dersprache werden ebenfalls erfasst, aber nur in Bezug auf die Realisierung der genannten Domänen bewertet, also nicht als konzeptuell unabhängige, generelle Merkmale. Als Vergleichsgröße dienen nicht normative Kriterien etwa der Schulgrammatik oder eines Sequenzmodells, sondern viel‐ mehr die Vergleichsdaten von gleichaltrigen deutschsprachi‐ gen Kindern. Die Hauptfragen sind dementsprechend: wie realisieren die Deutsch lernenden Kinder die Domänen im Vergleich zu Kindern mit Deutsch als Familiensprache, gibt es dabei sprachkulturspezifische Einflüsse aus ihren Famili‐ ensprachen und verlangen die Abweichungen nach speziel‐ ler sprachlicher Förderung. 4.7 Erwerbssequenzen 161 <?page no="162"?> Die folgenden Abbildungen zeigen eine Szene, in der Wu‐ schel mit dem Kind Ritas verloren gegangenen Hut zurück‐ holen soll. Leider hat ihm aber der feuerspeiende Drache den Weg versperrt. Die Aufgabe des Kindes besteht nun darin, seinem Spielkumpanen mitzuteilen, wie er zum Hut kommt. Wuschel hat nämlich tierische Angst, sich am Feuer zu verbrennen und übersieht in seiner Panik die Möglich‐ keit, einfach über das Feuer zu springen. Das Beispiel ver‐ deutlicht eine Interaktion zwischen einem Kind und Wu‐ schel zu dieser Szene. Aus dieser geht klar hervor, wie motiviert sich die getesteten Kinder beim Lösen dieser sprachlich anspruchsvollen Aufgabe zeigen. Abb. 4.5: Sprachstandsdiagnose-App für Kinder („Wuschel“) Szene mit 5-jährigem Kind mit Türkisch als Familiensprache: Wuschel macht ein irritiertes Gesicht und sagt zittrig „OOHHHHHHH“ „Dort ist des Hut. Wie sollst du denn machen. Spring. Spring am besten. Spring. Springen. Kannst du bitte springen.“ „Du musst springen.“ Nachfrage 1: „Wie komme ich zum Hut? “ „Du musst springen.“ Nachfrage 2: „Wie denn jetzt? “ „Du musst einfach hüpfen. Durch des Feuer.“ Aus Pilotierungen des Verfahrens mit knapp 200 Kindern ergeben sich einige Erkenntnisse, die zum einen die Nach‐ teile gängiger Verfahren beheben und zum anderen eine 4 Fremdsprachenerwerb 162 <?page no="163"?> Reihe von Annahmen zum Sprachstand und Spracherwerb von Kindern korrigieren können. ▸ Das Verfahren generiert viele Sprachdaten, auch von ▸ Kindern mit geringen sprachlichen Kompetenzen. An‐ ders als bei bestehenden Verfahren ist nur bei sehr schüchternen Kindern zu beobachten, dass sie nicht sprechen. Auch lassen sich andere pauschale Annah‐ men nicht bestätigen: Kinder mit anderen Familien‐ sprachen als Deutsch produzieren nicht grundsätzlich kürzere Äußerungen, besitzen nicht grundsätzlich we‐ niger Wortschatz oder rudimentäre Wortbildungsmit‐ tel und verwenden nicht grundsätzlich ungrammati‐ sche Strukturen. ▸ Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch in der Präzi‐ ▸ sion des Ausdrucks. Hier haben Kinder mit Deutsch als Familiensprache oft einen Vorteil und kommen daher mit kürzeren, elliptischen aber prägnanten Äußerun‐ gen aus. ▸ Die sprachliche Herkunft der Kinder spielt eine gerin‐ ▸ gere Rolle als oft angenommen. Viele Kinder mit Deutsch als zweiter oder fremder Sprache sind in Bezug auf den Bedarf an Sprachförderung unauffällig oder übertreffen in ihren sprachlichen Kompetenzen sogar Kinder mit Deutsch als Familiensprache. Auch unter den Kindern mit Deutsch als Familiensprache gibt es (erheblichen) Förderbedarf. ▸ Inwieweit die konzeptuellen Präferenzen der Famili‐ ▸ ensprachen in Bezug auf die Realisierung der Domänen eine Rolle spielen (Profilierung, Perspektivierung), muss noch geklärt werden. Die Ausgangssprachen spielen aber in struktureller Hinsicht offenbar eine ge‐ ringere Rolle als weitgehend angenommen wird. ▸ Alter und Kontaktdauer sind keine entscheidenden Kri‐ ▸ terien bei der Feststellung des Sprachstandes. Oft kor‐ relieren niedriges Alter und kurze Kontaktdauer zum Deutschen mit sehr guten sprachlichen Kompetenzen im Deutschen. 4.7 Erwerbssequenzen 163 <?page no="164"?> ▸ Die Sprachstandsdiagnose kann mit wenig Aufwand, ▸ ohne Beeinträchtigung des Lehrbetriebs und ohne Fachkenntnisse der Lehrkräfte oder Erzieherinnen durchgeführt werden. ▸ Die Förderung sprachlicher und kommunikativer ▸ Kompetenzen müsste individueller und weniger Gram‐ matik-basiert erfolgen, als das bisher oft der Fall ist. Es ist davon auszugehen, dass eine solche Förderung we‐ niger Zeit und Aufwand benötigt, dafür aber wesentlich effizienter sein kann, als es derzeitige Verfahren ver‐ muten lassen. Zusammenfassung Festzuhalten bleibt, dass Sprachenerwerb ein systemati‐ scher Vorgang ist, der nach bestimmten Prinzipien abläuft, auch wenn er manchmal chaotisch erscheint. Es gibt bisher jedoch keinen Forschungsansatz, der alle Faktoren dieser Systematik erklären könnte. Die frühere Eingrenzung des Sprachenerwerbs auf Kontrast- oder Identitätsaspekte zum Erwerb der Erstsprache wird den komplexen Erwerbspro‐ zessen nicht ausreichend gerecht. Die dargestellten Ansätze der Sprachentwicklung fassen dagegen die wichtigsten As‐ pekte der neueren Forschung zusammen. Konzeptuelle und pragmatische Ansätze erlauben eine funktionale und kognitive Erklärung der Strukturen von Äußerungen. Universalistische Ansätze in der Tradition der Identi‐ tätshypothese beschreiben dagegen verschiedene Sequen‐ zen als feste Abläufe der Sprachentwicklung, deren Fixie‐ rung sich jedoch aus neueren Studien als problematisch erwiesen hat. Wenn von der stärkeren Bedeutung funktio‐ naler, pragmatischer und konzeptueller Kriterien ausge‐ gangen wird, dann lässt sich je nach den Umständen und Zielen des kommunikativen Umfeldes auch die Variation in den Sequenzen besser erklären. Ansätze, die das Hauptge‐ wicht des Sprachenerwerbs vor allem auf diese kommuni‐ kative Umgebung des Lerners legen, also vor allem die Ein‐ flüsse des sozialen Umfelds und die Auseinandersetzung des Lerners damit betrachten, untersuchen daher vornehmlich 4 Fremdsprachenerwerb 164 <?page no="165"?> Definitionen Mehrwerte Lernerfaktoren wie den sozialen Status, das Milieu, den Bil‐ dungsstand, die Integrationsmöglichkeiten, die Bleibeab‐ sicht im Zielland und andere primär externe Faktoren. 4.8 Mehrsprachigkeit Der Begriff Mehrsprachigkeit lässt sich in Bezug auf den Be‐ herrschungsgrad von Sprachen unterschiedlich weit fassen: von rudimentären und rezeptiven Kenntnissen bis zur ausgegliche‐ nen Mehrsprachigkeit. Im Mittelpunkt der Forschung stehen meist die Formen von Mehrsprachigkeit, in denen ein Sprecher sich ähnlich flüssig und problemlos in den wesentlichen Berei‐ chen mehrerer Sprachen ausdrücken kann. Wie verhalten sich dort die erworbenen Sprachen zueinander, was sind die aus‐ schlaggebenden Erwerbs- und Managementfaktoren und welche Effekte hat die Mehrsprachigkeit auf die allgemeine Kognition? Eine Zeit lang ist vor allem aus politisch motivierten und ideo‐ logischen Gründen angenommen worden, dass Mehrsprachig‐ keit sich insgesamt negativ auf die beteiligten Sprachen (Pidgi‐ nisierung, Hybridisierung), die Sprecher (Überforderung, mangelnde Sprachbewusstheit) und die Erstsprache (Unterwan‐ derung durch Fremdeinflüsse) auswirken würde. Auch als poli‐ tisches Argument gegen die Eingliederung ethnischer Minder‐ heiten oder für die Konservierung von Sprachen wurden und werden diese vermuteten negativen Effekte der Mehrsprachig‐ keit immer wieder herangezogen. Damit soll Sprachenkontakt, gelegentlich auch sozialer Kontakt, eingeschränkt oder vermie‐ den werden. In der Nazizeit sind solche Ressentiments etwa ge‐ genüber slawischsprachigen Minderheiten in Deutschland deut‐ lich geworden und in vielen Ländern beschränken heute noch Sprachgesetze den Kontakt und Austausch von Sprachen, ent‐ weder um die Dominanz der Mehrheitssprache durchzusetzen oder um Minderheitensprachen zu schützen. Auch die Priorisie‐ rung von Einsprachigkeit (im Migrations- und Integrationsdis‐ kurs in Deutschland am deutlichsten zuletzt von Esser 2006 ver‐ treten), ist von diesen Ängsten bestimmt. Zu fragen ist in diesem 4.8 Mehrsprachigkeit 165 <?page no="166"?> Sprachensterben Kontext auch nach den Kriterien für die Wahl einer Fremdspra‐ che in der Schule. Welche Kriterien liegen den Angeboten für internationale Fremdsprachen wie Englisch, Französisch und La‐ tein zugrunde, lassen sich diese durch Forschungsergebnisse stützen, werden die Ziele erreicht? Welche belastbaren Ergeb‐ nisse sprächen eigentlich gegen eine stärkere Berücksichtigung der Bildungssprachen von Migrantengruppen oder anderer Nachbarsprachen in der Schulbildung (siehe die Postulate der EU-Sprachenpolitik)? Durch die Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte sind die skizzierten (bildungs-)ideologi‐ schen Einstellungen zur Sprachenwahl nicht belegt worden. Vielmehr erweist sich Mehrsprachigkeit als ein viel differenzier‐ teres, oft konstruktives und kreatives Produkt dynamischer Pro‐ zesse, die individuell zum Gewinn von Mehrwerten genutzt und gesteuert werden können. Neben kommunikationspragmatischen, erwerbslinguistischen, kognitionspsychologischen, affektiven und sprachenpolitischen Argumenten für Mehrsprachigkeit sollte auch der ökologische Aspekt des Sprachensterbens nicht übersehen werden. Laut An‐ gaben der Unesco (https: / / www.ethnologue.com), die zur Zu‐ standserhebung der Sprachen der Welt ein zehnstufiges Klassifi‐ kationssystem verwendet, sind weltweit 2387 Sprachen vom Aussterben bedroht (vergleiche auch Moseley 2010). Beispiele sind auf jedem Kontinent zu finden: Sawknah, eine Sprache der Berber in Libyen, Moklen, eine an den Küsten Thailands gesprochene Sprache oder Saami, das in Skandinavien beheimatet ist. Seit dem Beginn der systematischen Aufzeichnungen sind im Durch‐ schnitt pro Jahr 5 Sprachen ausgestorben. Schuld an dem Spra‐ chensterben sind jedoch nicht nur die Kontaktphänomene von größeren und kleineren Sprachgemeinschaften, sondern vor allem die Nachwirkungen rücksichtsloser Kolonialpolitik und die Aus‐ wirkungen vorwiegend ökonomisch motivierter Globalisie‐ rungsstrategien, wie sie sich etwa in der Bedrohung vieler indige‐ ner Sprachen in Nord- und Südamerika manifestieren, zum Beispiel den Coast Salish Sprachen im Westen Kanadas (Czay‐ kowska-Higgins/ Kinkade 1998, Mallon 2012) oder der Sprache der Rapanui („Osterinseln“) (Langdon/ Tryon 1983, Du Feu/ Fischer 1993). 4 Fremdsprachenerwerb 166 <?page no="167"?> Erwerbsschwellen Abb. 4.6: Verteilung der Sprachen der Welt nach Herkunftsgebiet nach Angaben der Unesco 2013 (Zählung nach Ursprungsgebiet der Spra‐ chen) Trotz der einschlägigen Ergebnisse der Erforschung der indivi‐ duellen Mehrsprachigkeit wird auch heute nicht immer verstan‐ den, welche Folgen die positiven Effekte gerade mit Blick auf die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder und die Integration von Migranten in Aufnahmegesellschaften haben können. Wichtige Hinweise lieferten hierzu zunächst zwei Hypothe‐ sen, die jedoch inzwischen differenziert worden sind: Die Schwel‐ lenhypothese und die Interdependenzhypothese (Toukomaa/ Skutnabb-Kangas 1977, Cummins/ Swain 1986, Skutnabb-Kangas 1988). Die Schwellenhypothese nimmt zwei Schwellen an, von denen aus sich unterschiedliche Effekte auf den Sprachenerwerb ergeben. Unterhalb der ersten Schwelle zeigen sich eher negative Effekte auf die erworbenen oder im Erwerb befindlichen Spra‐ chen. Das Ergebnis kann bei Zweisprachigen eine doppelte Halbsprachigkeit (doppelter Semilingualismus), eine sehr niedrige und bruchstückhafte Kompetenz in Erst- und Zweitspra‐ chen, sein. Ein typisches Beispiel hierfür sind Kinder von Migran‐ ten, die in mehreren sprachlich rudimentären Kontexten aufwach‐ sen. Hier kann die Zweitsprache die negativen Einflüsse auf die Erstsprache verstärken, besonders dann, wenn es den Lernern an Systematik fehlt und im Umfeld wenig auf sprachliche Korrekt‐ 4.8 Mehrsprachigkeit 167 <?page no="168"?> Interdependenz‐ hypothese heit geachtet wird. Zwischen dieser unteren Schwelle und der oberen Schwelle befinden sich die so genannten (meist den Fremd‐ sprachenerwerb in der Schule betreffenden) Standard- oder Nor‐ malfälle, in denen die Erstsprache gut entwickelt ist, die Zweit‐ sprache weniger. Positive und negative Effekte der Sprachen aufeinander halten sich die Waage. Das ist verständlich, denn der Fremdsprachenunterricht bleibt meist eine Akkumulation von neuem Wissen, aber zu einer echten Mehrsprachigkeit mit ähnli‐ chen Kompetenzen wie in der Erstsprache führt er selten. Erst oberhalb der zweiten Schwelle sind die Kompetenzen in beiden Sprachen sehr gut ausgebildet und beeinflussen sich auch gegen‐ seitig positiv (ausgeglichene oder additive Zweisprachigkeit). Die Interdependenzhypothese geht noch einen Schritt weiter. Sie besagt, dass mit zunehmendem Grad der Sprachbeherrschung die in einer der Sprachen erworbenen Kenntnisse, wie zum Bei‐ spiel fachliches Wissen, übertragbar sind und vor allem zuneh‐ mend positive Effekte auf die allgemeinen kognitiven Fertigkeiten haben. In dem Schema von Toukomaa/ Skutnabb-Kangas (1977) sind beide Hypothesen zur Illustration zusammengefasst: Abb. 4.7: Die Effekte der Mehrsprachigkeit und die Schwellen- und In‐ terdependenzhypothese (Toukomaa/ Skutnabb-Kangas 1977: 92) 4 Fremdsprachenerwerb 168 <?page no="169"?> muttersprachlicher Unterricht Familienspra‐ chen/ Bildungs‐ sprache Die Schwellenhypothese hatte unter anderem in Schulversuchen in Deutschland weitreichende Folgen: sie begründete die Ein‐ führung des „muttersprachlichen“ Unterrichts für Migranten‐ kinder als linguistische Grundlage für den Zweitsprachener‐ werb. Erst später kam Unterricht in der Zielsprache hinzu. Der muttersprachliche Unterricht hat sich in dieser Form jedoch im Großen und Ganzen nicht bewährt. Das hat mehrere Gründe: 1. zeigen Studien und praktische Lernerfahrungen, dass Fremd‐ sprachen auch ohne Strukturkenntnisse einer Erstsprache er‐ worben werden können. Häufig können Zweit- oder Fremdspra‐ chen die Erstsprache in dieser Hinsicht überholen. 2. ist Sprachbewusstheit nicht auf metasprachliche Kenntnisse be‐ schränkt, sondern drückt sich im pragmatisch richtigen Ge‐ brauch aus. 3. ist die Sprache des muttersprachlichen Unterrichts immer weniger die tatsächliche Muttersprache der dritten oder vierten im Ausland geborenen Generation. 4. gab es für den Un‐ terricht oft keine angemessenen Materialien und hinreichend qualifizierte Lehrkräfte. 5. hat der muttersprachliche Unterricht − wie viele Sprachfördermaßnahmen − (oft unbeabsichtigt) einen verstärkenden segregierenden Effekt: „Ausländerklassen“ haben kein hohes Prestige und es werden damit die Kontaktmöglich‐ keiten zum „Regelunterricht“ reduziert. Diese Befunde sind jedoch keine Einwände gegen den Unter‐ richt in Familiensprachen oder gegen Mehrsprachigkeit. Viel‐ mehr könnten die vorhandenen − oft rudimentären − mündli‐ chen Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler in der Schule in nicht-segregierenden, nach den Prinzipien der Mehrsprachig‐ keitsdidaktik und auf den Erwerb von bildungssprachlichen Kompetenzen ausgerichteten Verfahren verstärkt berücksichtigt werden. Im Alltag werden diese Kenntnisse, wie auch die in an‐ deren Varietäten, oft nebeneinander und miteinander verwendet. Sprecherinnen und Sprecher wechseln dann in einen anderen Code, eine andere Varietät oder eine andere Sprache, für kürzere Sequenzen oder auch dauerhaft. Diese Codewechsel sind kein Ausdruck von sprachlichen Mängeln, sondern eher pragmati‐ schen Bedingungen. Diese Art der „aufgeklärten Mehrsprachig‐ keit“ oder „pragmatischen Mehrsprachigkeit“ wird gelegentlich 4.8 Mehrsprachigkeit 169 <?page no="170"?> Longitudinalstudie Wissenstransfer auch als „translanguaging“, also nicht als Wechsel, sondern als Mehrspachigkeit in einem sprachlichen System genannt. Studie zur Interdependenzhypothese In einer langfristigen (longitudinalen) Untersuchung wollten Bournot-Trites und Reeder (2001) die Annahmen der Interde‐ pendenzhypothese überprüfen, indem sie die Entwicklung von Schülerinnen und Schülern mit der Erstsprache Englisch von der 4. bis zur 7. Klasse in einer bilingualen Schule in Ka‐ nada beobachteten. Es ging dabei um den Zuwachs sprachli‐ cher Kompetenzen in Englisch und Französisch und um sprachübergreifende Interdependenzeffekte in Bezug auf ihre Leistungen in Mathematik. Die eine der untersuchten Grup‐ pen hatte dabei nur 50 % des Unterrichts in der Zweitsprache Französisch, die andere 80 %, unter anderem den Mathema‐ tikunterricht. Die Rahmenbedingungen der beiden Gruppen wurden ansonsten so weit wie möglich identisch gehalten. So hatten beide Klassen bis auf wenige Ausnahmen die gleichen Lehrkräfte und wurden nach den gleichen Lehrplänen unter‐ richtet. Die Kernthesen der theoretischen Annahmen zur Mehrsprachigkeit bestätigen sich in der Studie nachdrück‐ lich: Zum einen zeigte sich, dass die Lerner beider Gruppen selbst im Englischunterricht die kanadischen Standards von gleichaltrigen einsprachigen (monolingualen) Schülern über‐ trafen, zum Beispiel in Leseverstehenstests. Das ist insofern bemerkenswert, als beide Gruppen höchstens die Hälfte des Unterrichts auf Englisch hatten, die eine Gruppe sogar nur 20 %. Genauso beachtlich sind auch die Ergebnisse der Ma‐ thematiktests, die in den beiden letzten Schuljahren der Un‐ tersuchung auf Englisch durchgeführt wurden, obwohl die 80 %-Gruppe Mathematikunterricht ausschließlich auf Fran‐ zösisch erhalten hatte. In allen getesteten mathematischen Bereichen des Stanford Diagnostic Mathematics Test schnitten die Schülerinnen und Schüler der 80 %-Französischgruppe deutlich besser ab als alle Schülerinnen und Schüler, die den Unterricht auf Englisch hatten. Das zeigt nicht nur, dass das in einer Sprache erworbene Wissen bei einem entsprechend gut entwickelten Sprachstand in andere Sprachen übertragen 4 Fremdsprachenerwerb 170 <?page no="171"?> konzeptionelle Schriftlichkeit werden kann, sondern auch, dass sich die vertiefte Fremd‐ sprachenkompetenz offensichtlich ebenso auf andere Fertig‐ keiten positiv auswirkt, also positive Interdependenz-Effekte auf die kognitive Entwicklung hat. Die Definition der Schwellen hat sich durch weitere Arbeiten als zu strikt erwiesen. Verantwortlich dafür sind unter anderem die sozio-ökonomischen Faktoren, mit denen versucht wurde, den Sprachentwicklungsstand der untersuchten Kinder zu bemessen. Studien, wie die von Bournot-Trites und Reeder (2001) weisen jedoch eindeutig auf Übertragungseffekte bei mehrsprachigen Kindern hin. Ob die Ursache dafür in der Ausprägung der Erst‐ sprache, der Zweitsprache oder der Art des Sprachenerwerbs begründet ist, kann bisher nicht zweifelsfrei gesagt werden. Vor allem die größere kognitive Flexibilität von Lernern, die über ei‐ nen längeren Zeitraum aus unterschiedlichen sprachlichen Sys‐ temen Sinn und Strukturen erschließen müssen, spricht für einen direkten Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und Ko‐ gnition. Dass bei der Bemessung des Interdependenzeffektes die Art des Sprachenerwerbs eine wichtige Rolle spielt, nimmt die von Cummins vorgenommene Differenzierung zwischen Bil‐ dungssprache (Cognitive Academic Language Proficiency, CALP) und instrumentellen umgangssprachlichen Fertigkeiten (Basic Interpersonal Communicative Skills, BICS) auf (Cummins/ Swain 1986), die mittlerweile auch in deutschspra‐ chigen Bildungsstudien Eingang gefunden hat. Im Sinne von Cummins’ globaler Unterscheidung der beiden Kompetenzpole lässt sich bei BICS-klassifizierten Schülerinnen und Schülern vor allem ein Mangel an Kompetenzen in konzeptioneller Schrift‐ lichkeit feststellen. Die schriftlichen Arbeiten in der Schule sind demnach von mündlichen Konzepten geprägt, die den Forman‐ forderungen der Schrift- und Bildungssprache nicht gerecht wer‐ den. Obwohl die Unterscheidung von allgemeinen mündlichen und schriftlich-bildungssprachlichen Kompetenzen sinnvoll und konstruktiv ist − und für die Kompetenzdiagnose und die Sprachförderung weitreichende Folgen hat −, muss berück‐ sichtigt werden, dass BICS und CALP keine linguistisch vali‐ 4.8 Mehrsprachigkeit 171 <?page no="172"?> Dynamik und Ökologie der Mehrsprachig‐ keit Identitätskonstruktionen dierten Kategorien darstellen. Sie können daher in dieser Form auch nicht in der Praxis operationalisiert werden. Als problematisch haben sich in der Mehrsprachigkeitsfor‐ schung auch die Klassifikationssysteme und Bezeichnungen er‐ wiesen, die von statischen Bedingungen der Sprecher ausgehen. Die sprachlichen Kompetenzen verändern sich meist im Laufe des Lebens. Es erweist sich daher als Vorteil, die sprachlichen Varietäten und fremden Sprachen, die ein Mensch beherrscht, als dynamisches Modell darzustellen, in dem Erwerbsfortschritte, gegenseitige Einflüsse der erworbenen Sprachen und Kompe‐ tenzrückgänge gleichermaßen berücksichtigt werden können. Zudem lässt sich Mehrsprachigkeit nicht nur auf fremde Spra‐ chen begrenzen, sondern vielmehr als Kontinuum von innerer (Variation innerhalb einer Sprache) und äußerer (fremdspra‐ chiger) Mehrsprachigkeit darstellen (List 2004). Die Übergänge zwischen den Sprachen und Varietäten sind oft fließend, wie etwa die Werbe-, Medien-, Mode-, Wirtschafts- oder Jugendspra‐ chen zeigen. Die individuelle Nutzung und der Erwerb von Spra‐ chen sind zudem von den Anforderungen des Umfeldes abhän‐ gig. Die sprachlichen Kompetenzen eines Menschen lassen sich demnach als ein dynamisches und ökologisches System darstel‐ len, das je nach der Bewertung der Relevanz einer Varietät oder Sprache durch den Sprecher oder Lerner von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird. Ausdruck des Managements meh‐ rerer Sprachen sind komplexe Dynamiken von Sprachenwech‐ seln (Codeswitching) und sprachlichen Mischungen, die die pragmatischen Kommunikationsbedingungen sowie bewusste und unbewusste Identitätskonstruktionen widerspiegeln (siehe translanguaging). Erwerb und Management der Sprachen verlangen daher nach einem Managementsystem, das die Dynamik der Weiterentwick‐ lung und der Rückentwicklung (Attrition) berücksichtigt. Die Relevanz der Sprachen kann auf rezeptive oder produktive, auf mündliche oder schriftliche Teilkompetenzen beschränkt sein oder das gesamte, elaborierte Inventar einer oder mehrerer Spra‐ chen umfassen. Das Ecological Model (Aronin/ Ó Laoire 2004), das Faktorenmodell von Hufeisen (2010) und das Dynamic Model of Multilingualism DMM (Herdina/ Jessner 2002) neh‐ 4 Fremdsprachenerwerb 172 <?page no="173"?> Aushandlungs‐ prozesse men an, dass diese Funktionsbündel für jede Sprache unter‐ schiedlich sind und je nach den Zielen eines Lerners/ Sprechers und den Bedingungen der Lern- und Sprachumgebung variieren. Dies kann bei Lernern eine hohe Individualität des Sprachener‐ werbs- oder des Sprachenlernprozesses bewirken und zu einer unscharfen Vorhersagbarkeit und schwierigen Steuerbarkeit von dessen Verlauf führen (siehe Kapitel 2 Lernervariablen). 4.9 Sprachumgebung und Eingabe In der bisherigen Darstellung haben die Erwerbsprozesse des Lerners die Hauptrolle gespielt. Dazu gehört auch die Ausein‐ andersetzung des Lerners mit der sprachlichen Umgebung, vor allem auch mit dem Input oder der Eingabe. Im Folgenden soll daher präsentiert werden, wie Sprecherinnen und Sprecher der Zielsprache mit fremdsprachigen Lernern kommunizieren. Diese Eingabe weist bemerkenswerterweise häufig ähnliche Struktu‐ ren auf, wie sie auch in den Äußerungen der Lerner erscheinen. Das lässt sich vor allem aus der Gesprächsabsicht der Spreche‐ rinnen und Sprecher erklären. Sie wird in Aushandlungsprozes‐ sen an das ungefähre Niveau der Lerner angepasst und stellt damit ein sehr wirksames Mittel der Erleichterung der Kommu‐ nikation und damit des Spracherwerbs dar. Wie groß der Einfluss des Inputs auf den Spracherwerb und seine Fossilisierung ist und wie er sich steuern lässt, um effektiv zu sein, ist allerdings noch nicht vollends geklärt. Es steht fest, dass Lerner von ihrer sprachlichen Umgebung geprägt werden, das heißt, dass die sprachliche Umgebung einen Modellcharakter besitzt, an dem sich die Lerner orientieren. Natürlich sind Lerner nicht nur auf die Imitation des Gehörten angewiesen, wie im Abschnitt zum Chunking gezeigt wurde. Sie tasten sich auch bei den produktiven Fertigkeiten hypothesenprüfend an die Regeln der Zielsprache heran und haben dabei ständig die Möglichkeit, die Sprache kreativ zu verändern. Lerner können, je nachdem wie weit fortgeschritten sie sind, immer nur einen Teil der Ein‐ gabe verstehen oder aufnehmen. Deshalb ist zwischen Intake im Gegensatz zum Input zu unterscheiden. Das, was sie aufneh‐ 4.9 Sprachumgebung und Eingabe 173 <?page no="174"?> Vereinfachungen Variation men, ist dabei stark bestimmt von dem, was sie schon kennen oder wissen und was für sie zu einem gegebenen Zeitpunkt re‐ levant ist. Um den Lernern ihre Aufgabe des Verstehens zu ver‐ einfachen, verändern die Sprecher der Zielsprache oft ihre eigene Sprache. Kindern gegenüber zeigt sich das zum Beispiel in Kin‐ derwörtern oder einfachen Lautketten, für die sich manche Leute (zu Unrecht) schämen würden, wenn sie sie vorgehalten bekä‐ men. Ausländern gegenüber verwenden Deutsche in ähnlicher Weise gerne Infinitive und andere Vereinfachungsformen, sehr viel Gestik, auch Lautstärke und eine Menge seltsamer Wort‐ kreationen. Vieles von dem, was Ausländern und Lernern am Arbeitsplatz, in Geschäften oder auch in persönlichen Gesprä‐ chen zu Ohren kommt, entspricht nicht gerade den vertretbaren Normen der zielsprachlichen Grammatik. So soll es vorkommen, dass Fluggäste, denen Flugbegleiterinnen keine basalen Eng‐ lischkenntnisse unterstellen, nicht gefragt werden, ob sie chicken or beef möchten (die ultimative Frage im Luftverkehr), sondern in youtube-geeigneter Weise mit quackquack or moo? abgespeist werden. Daher könnte auch angenommen werden, wie es zeitweise getan wurde, dass eine dermaßen ungrammatische Eingabe zwangsläufig auch zu falschen Lerneräußerungen führen müsse. Wie sollen die ausländischen Lerner die Sprache verdauen, wenn sie sie ständig roh serviert bekommen? Echte (authentische) Gespräche mit fremdsprachigen Lernern etwa am Arbeitsplatz zeigen, dass sich die Sprecher der Ziel‐ sprache nicht ständig an einem (Quackquack-)Register verschlu‐ cken. Vielmehr variieren sie ihre Sprache sehr stark, und zwar gemäß den Anforderungen des Gesprächspartners, der Ge‐ sprächssituation und der Gesprächsabsicht, also à la carte. Um diese Systematik und ihre Variation begrifflich besser fassen zu können, bietet sich eine Analogie zu anderen -lektalen Variati‐ onsformen an, nämlich die Bezeichnung Xenolekte. Wie bei der Beschreibung von Lerneräußerungen strebt die Forschung auch bei Xenolekten eine konstruktive Perspektive der Beschreibung an. Es geht also nicht mehr so sehr um die Beschreibung der Fehler im Input, sondern vielmehr um die kommunikativen Kon‐ struktionsprinzipien. Wer sich auf diesen Perspektivwechsel ein‐ 4 Fremdsprachenerwerb 174 <?page no="175"?> lässt, kann leicht feststellen, dass das Inventar dieser Sprachform Xenolekt aus vier erstaunlich gut unterscheidbaren Äußerungs‐ ebenen (Anpassungsniveaus) besteht: ▸ einer Ebene umgangssprachlicher Strukturen, ▸▸ einer Ebene mit geringerer Sprechgeschwindigkeit, ▸▸ einer Ebene begrenzter Veränderungen oder einzelner Aus‐ ▸ lassungen: er geht Bahnhof/ Aldi, ▸ und schließlich einer Ebene von Inhaltselementen ohne ▸ Endungen und andere Funktionselemente: du gehen Bahn‐ hof. Hier ein Ausschnitt aus einem authentischen Gespräch, bei dem ein circa 30-jähriger deutschsprachiger Arbeiter, der nach Feier‐ abend als Allianz-Vertreter arbeitet (D), einem jungen türkischen Arbeiter (T) erklärt, was Haftpflichtversicherungen sind (ver‐ gleiche Roche 1986). Transkript 4.3 (…) 5 D: Du brauchst Wenn du hier in Deutschland bist Äh Jeder − junge Mann der achtzehn Jahre äh älter wie achtzehn Jahre ist und arbeiten tut oder nischt arbeit is egal brauch Haftpflicht in Deutschland 6 T: Haftpflicht? 7 D: Haftpflicht Siehst du? Un däs is däs 8 T: vas Haftpflicht? 9 D: is däs Wohnung Wenn was passiert Alles was in Deutschland passiert is über Haftpflicht abgeschlossen Gell? 4.9 Sprachumgebung und Eingabe 175 <?page no="176"?> däs is wichtigste Versicherung in Höchst türkische Familie Familie hinter Opel-Fabrik mal Haus brennen Die Familie hat nix gehabt. 10 T: Haus? Haus? 11 D: Ne? Feuer. Feuer. 12 T: Feuer. 13 D: Ne? Feuer. Haus kaputt. Alles abbrennen unt so. Alles mitnander. Siehst du? 14 T: Ja. 15 D: Feuer. Kinder mit − Streichholz. Genau wie du oder irgendwas passiert, ne? Und das is wichtig ne? Gell? äh Jetzt is wichtig für dich. äh Kostet. Ganze Jahr. Neunundneunzig Mark achtzig, ne? Däs is ganze Jahr für dich. Wenn du Frau hättest oder Kinder. Alles zusammen. Neunundneunzig achtzig, ne? Für ganze Jahr. Auch wenn du in Urlaub fährst. äh Gildet auf der ganzen Welt. Überall äh gildet die Versicherung, gell? 16 T: Ja, ich Türkei gehen, ja? 4 Fremdsprachenerwerb 176 <?page no="177"?> Pidginisierungs‐ hypothese 17 D: Türkei gehen und dir was passiert. Gildet Versicherung. Gell? Weil du ja hier in Deutschland wohnst. Jetzt. Und wenn du noch Türkei gehst bist du ja in Urlaub in Türkei, ne? Gildet auch, ne? Gell (…) Bemerkenswert sind in diesem Gespräch die stark veränderten Äußerungen des deutschsprachigen Versicherungsvertreters (D). Sie entsprechen dem pragmatischen Modus, wie ihn auch die Lerner selbst verwenden (siehe Kapitel 4.2). Vergleiche zum Beispiel die Ein- und Zwei-Wort-Äußerungen in 13: Feuer − Haus kaputt − Alles abbrennen unt so, die hier mit wenigen Worten illustrieren sollen, welche Schäden durch die Versicherung ab‐ gedeckt sind. In Äußerungen wie 17 werden ganze Texte nach den bekannten pragmatischen Prinzipien von Rahmung, Thema und Fokus produziert: „Türkei gehen und dir was passiert − Gil‐ det Versicherung“. Da auch der junge türkische Kunde einen ähnlichen Telegrammstil verwendet, liegt die Vermutung nahe, Lerner und Sprecher der Zielsprache imitierten sich gegenseitig (Pidginisierungshypothese). Aber das tun sie nicht. Vielmehr greifen sie aus verschiedenen Gründen auf die gleichen Verein‐ fachungsprinzipien zurück. Interessant daran ist, dass die Anpassungen in der Zielsprache besonders dort auftreten, wo es den Sprechern ganz wichtig ist, verstanden zu werden, also etwa in Erklärungen und bei den Kernelementen von Erzählungen. Häufig wird dabei das, was ausgedrückt werden soll, massiv verdichtet. In dem Gespräch ist das zum Beispiel deutlich an der Erzählung des Versicherungs‐ vertreters in der Sequenz 9 bis 11 erkennbar. Dabei will er dem türkischen Kunden eindringlich illustrieren, wie wichtig eine Haftpflichtversicherung ist. Um deren Bedeutung hervorzuhe‐ ben, greift er einzelne Begriffe aus dem Kontext heraus, wie die Namen des Ortes und der Fabrik, um zunächst die Grundlagen 4.9 Sprachumgebung und Eingabe 177 <?page no="178"?> Anpassungsniveaus zu verankern. Schnell kommt er zur dramatischen Pointe: Mal Haus brennen. Aber nur für kurze Zeit. Gleich kehrt er zu seiner Umgangssprache zurück, indem er das Geschehen kommentiert: Die Familie hat nix gehabt. Denn diese Art, reduziert zu sprechen, bedeutet für Sprecher, die normalerweise in ganzen Sätzen und Texten kommunizieren, eine erhebliche Mühe. Unsere Sprach‐ produktion ist zu stark automatisiert, als dass wir sie leicht ver‐ ändern könnten. Die Sprecher kehren daher schnellstmöglich wieder zu ihrer normalen Sprache zurück oder verwenden schwächere Anpassungen, die ihnen nicht so viel Mühe machen. So erscheinen vor allem rahmende Äußerungen (hier zum Bei‐ spiel in Äußerung 5 Wenn du hier in Deutschland bist), Klärungen als Folge von Nachfragen, Kommentare inklusive Schimpfwör‐ tern und Exkursen sowie Bewertungen, Bestätigungsbitten und metalinguistische Einleitungen zu direkter und indirekter Rede in der Regel als weniger stark veränderte Äußerungstypen oder umgangssprachlich. In dem Gespräch oben betrifft das unter an‐ derem Nachfragen wie Gell? , Ne? , Ja? oder Siehst Du? , aber auch Kommentare wie Alles was in Deutschland passiert is über Haft‐ pflicht abgeschlossen in Äußerung 9. Zitierte Rede (direkte oder indirekte Rede) erscheint dabei normalerweise in umgangs‐ sprachlichen Äußerungen oder der angenommenen beziehungs‐ weise imitierten Form des Originals (Türkei gehen in 17). Zusätz‐ lich finden sich in solchen Gesprächen immer semantische und lexikalische Vereinfachungen, auch wenn gar nicht klar ist, ob die Vereinfachung adäquat ist oder ob sie ihr Ziel erreicht. In dem obigen Gespräch sind das Ausdrücke wie gildet statt gilt, wohl wegen der besser wahrnehmbaren Silbenstruktur durch den ein‐ geschobenen Vokal -e, und kaputt statt abgebrannt, wohl wegen der angenommenen grammatischen und semantischen Prägnanz oder Internationalität des Begriffes. Die Anpassungsniveaus lassen erkennen, wie der Sprecher die kommunikative Relevanz des Gesagten einschätzt. Diese Ein‐ schätzung ergibt sich aus den Zielen und Absichten des Spre‐ chers und den von ihm vermuteten Verständnisfähigkeiten des Adressaten. Dass diese Einschätzungen in der Regel nicht statisch festlie‐ gen, sondern häufig erst ausgehandelt werden müssen, zeigen 4 Fremdsprachenerwerb 178 <?page no="179"?> kommunikative Relevanz Auswirkungen auf den Spra‐ chenerwerb auch in diesem Gespräch die zahlreichen Fehlansätze und Ver‐ zögerungsphänomene wie äh und so weiter. Zum Beispiel die Erklärung in Äußerung 5, warum Haftpflichtversicherungen sinnvoll sind: Du brauchst − Wenn du hier in Deutschland bist − äh − Jeder junge Mann, der 18 Jahre − äh −…. Vergleichsuntersu‐ chungen von verschiedenen Sprechern belegen, dass die struk‐ turellen Veränderungen der entsprechenden Äußerungen desto stärker sind, je höher sie die kommunikative Relevanz der In‐ formation einschätzen. Allerdings basiert diese Einschätzung auf subjektiven Prozessen, die von einer Reihe von zusammenhän‐ genden Faktoren abhängig sind. Sie muss die tatsächliche Er‐ werbsstufe des Adressaten daher nicht immer richtig erfassen. Darüber hinaus unterliegt die Realisierung xenolektaler Äuße‐ rungen bestimmten sozialen Normen, also situativen Kriterien. Sprecher berücksichtigen, was in einer Kultur als akzeptabel, hilfreich, lustig, höflich oder beleidigend betrachtet wird. Spra‐ chen besitzen verschiedene Möglichkeiten der Anpassung an Sprecher, die die Sprache nicht oder nicht gut sprechen, und sie lassen dabei verschiedene Grade der Anpassung zu. Diese Tat‐ sache kann erklären, warum xenolektale Veränderungen von Sprache zu Sprache variieren. So tauchen die beschriebenen Prinzipien im Deutschen zwar auch bei englischsprachigen Spre‐ chern auf, tendenziell aber mit dem Schwerpunkt auf einer sehr lauten Aussprache. Was bedeuten die Xenolekte für die Lerner? Fest steht, dass die Lerner im Migrationsalltag keiner beschränkten, sondern ei‐ ner komplexen Sprachumgebung ausgesetzt sind. Diese wird im öffentlichen Bereich durch Fernsehen, Radio, Presse und der‐ gleichen bestimmt und durch verschiedene Maßnahmen ver‐ stehbar gemacht. Zum Beispiel dadurch, dass Bedeutungen aus‐ gehandelt werden, durch Nachfragen, Erklärungen, einfachere Begriffe, kurze Äußerungen und Umschreibungen, Beschriftun‐ gen, Untertitel und visuelle Begleitinformation. In xenolektalen Gesprächen lässt sich immer wieder beobachten, dass Sprecher einem Lerner den gleichen Inhalt in verschiedenen sprachlichen Variationen anbieten, bis er ihn verstanden hat. So sind Xeno‐ lekte oft ein regelrechtes Lehrmittel, das gleichzeitig auch den Sprecher bei seinen Anpassungsaufgaben entlastet. In ähnlicher 4.9 Sprachumgebung und Eingabe 179 <?page no="180"?> Weise lässt sich die Eingabe auch im Unterricht gestalten. Ver‐ schiedene Vereinfachungsstrukturen könnten so helfen, Brücken zu bauen (vergleiche auch die Prinzipien der Verständlichen Sprache, https: / / verstaendliche-sprache.de/ was-koennen-wirfuer-sie-tun). Die Inputhypothese übernimmt die Vorstellung, die Eingabe solle verständlich sein, formalisiert sie aber so, dass sie in der Praxis nicht mehr umsetzbar ist. Sie schränkt den idealen Input darauf ein, dass er immer eine Stufe über der Erwerbsstufe (i) der Lerner sein soll (i + 1). Abgesehen davon, dass sich eine genaue Analyse des Sprachstandes von ungeübten Sprechern nicht vor‐ nehmen lässt (sie würde viel metasprachliches Wissen verlan‐ gen), lässt sich ein genau angepasster Input etwa in einer Klasse von zwanzig Schülern oder mehr nur schlecht realisieren. Die Sprachverarbeitungskette Auswirkungen auf den Spracherwerb im Deutschen zwar auch bei englischsprachigen Sprechern auf, tendenziell aber mit dem Schwerpunkt auf einer sehr lauten Aussprache. Was bedeuten die Xenolekte für die Lerner? Fest steht, dass die Lerner im Migrationsalltag keiner beschränkten, sondern einer komplexen Sprachumgebung ausgesetzt sind. Diese wird im öffentlichen Bereich durch Fernsehen, Radio, Presse und dergleichen bestimmt und durch verschiedene Maßnahmen verstehbar gemacht. Zum Beispiel dadurch, dass Bedeutungen ausgehandelt werden, durch Nachfragen, Erklärungen, einfachere Begriffe, kurze Äußerungen und Umschreibungen, Beschriftungen, Untertitel und visuelle Begleitinformation. In xenolektalen Gesprächen lässt sich immer wieder beobachten, dass Sprecher einem Lerner den gleichen Inhalt in verschiedenen sprachlichen Variationen anbieten, bis er ihn verstanden hat. So sind Xenolekte oft ein regelrechtes Lehrmittel, das gleichzeitig auch den Sprecher bei seinen Anpassungsaufgaben entlastet. In ähnlicher Weise lässt sich die Eingabe auch im Unterricht gestalten. Verschiedene Vereinfachungsstrukturen könnten so helfen, Brücken zu bauen. Die Inputhypothese übernimmt die Vorstellung, die Eingabe solle verständlich sein, formalisiert sie aber so, dass sie in der Praxis nicht mehr umsetzbar ist. Sie schränkt den idealen Input darauf ein, dass er immer eine Stufe über der Erwerbsstufe (i) der Lerner sein soll (i + 1). Abgesehen davon, dass sich eine genaue Analyse des Sprachstandes von ungeübten Sprechern nicht vornehmen lässt (sie würde viel metasprachliches Wissen verlangen), lässt sich ein genau angepasster Input etwa in einer Klasse von zwanzig Schülern oder mehr nur schlecht realisieren. Die Sprachverarbeitungskette Eingabe (Input) Aufnahme (Intake) Verarbeitung (Processing) Ausgabe (Output) reduziert oder komplex gefiltert nach Vorwissen und Interessen nicht linear, aber systematisch und konzeptuell geprägt, von Chunks ausgehende Regelkonstruktion unterschiedlich nahe an zielsprachlichen Normen Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 146 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 146 26.04.2018 12: 41: 52 Abb. 4.8: Die Sprachverarbeitungskette 4.10 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was fällt Ihnen an der Sprache von Freunden, Bekannten, 1. Kollegen auf, die mehrsprachig sind? Hören Sie genau zu und finden Sie heraus, wie und in welchen Situationen sie die Mehrsprachigkeit erworben haben. 2. Wie lassen sich einfache Äußerungsstrukturen von Ler‐ 2. nern am besten beschreiben? Welche Funktionen erfüllen sie? 3. In welchen wichtigen Bereichen unterscheiden sich prag‐ 3. matischer und syntaktischer Äußerungsmodus? 4 Fremdsprachenerwerb 180 <?page no="181"?> 4. Welchen Einfluss haben die strukturellen und die konzep‐ 4. tuellen Grundlagen der Ausgangssprache der Lerner auf den Sprachenerwerb? 5. Was besagt die Identitätshypothese und warum ist sie pro‐ 5. blematisch? 6. Warum ist es sinnvoll, von Sprachentwicklung auszugehen 6. und welche unterschiedlichen Ansätze gibt es dazu? 7. Welche Rolle spielen Chunks im Sprachenerwerb? 7. 8. Wie wirkt sich die kognitive Entwicklung der Kinder auf 8. deren Erstsprachenerwerb aus? 9. Welche Mehrwerte kann Mehrsprachigkeit produzieren 9. und worauf gründen sich diese Annahmen? 10. Was sind typische Merkmale der Eingabe im Sprachener‐ 10. werb und wie lässt sich die Variation der Eingabe erklären? 4.11 Weiterführende Literatur Aguado, Karin (2012). Progression, Erwerbssequenzen und Chunks. Zur Lehr- und Lernbarkeit von Grammatik im Fremdsprachenunterricht. In: Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache - Deutsch als Zweitsprache in der Schweiz - Rundbrief, Nr. 64/ 2012, Lehr- und Lernbarkeit, Teil 2, 7-22. Aronin/ Ó Laoire 2004 (siehe Literaturverzeichnis von Kapitel 2). Baleghizadeh, Sasan (2011). Linguistic and Interactional Modifications. Their Impact on Reading Comprehension. Saarbrücken: LAP Lambert Academic Publishing. Bardovi-Harlig, Kathleen (1995). The Interaction of Pedagogy and Na‐ tural Sequences in the Acquisition of Tense and Aspect. In: Eckman, Fred R. (Hg.). Second language acquisition theory and pedagogy. 22nd Linguistics symposium: Selected papers. Mahwah, NJ [u. a.]: Erlbaum, 151-168. Baumann, Klaus-Dieter/ Kalverkämper, Hartwig (Hg.) (1992). 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Daraus ergeben sich beschreibende und normative Schulgrammatiken, Referenz‐ grammatiken, systematische und wissenschaftliche Gram‐ matiken, funktionale, generative und kontrastive Gramma‐ tiken, Valenzgrammatiken, Text- und Diskursgrammatiken. Die Grammatiken eignen sich unterschiedlich für Lehr- und Lernzwecke. Im Konzept der didaktischen Grammatik wird versucht, auf Basis kognitionslinguistischer Erkenntnisse und der Spracherwerbsforschung funktionale Grammatik‐ beschreibungen zu entwickeln, die für unterschiedliche Lernzwecke angewendet werden können und sich am Lern‐ stand und den Lernbedingungen des Lerners ausrichten und damit den Hilfscharakter der Grammatik im Spracherwerb betonen. In diesem Kapitel werden die unterschiedlichen Grammatikarten an Beispielen illustriert, ebenso die unter‐ schiedlichen Wörterbucharten, die einem Lerner beim Spracherwerb als Referenzmaterialien zur Verfügung stehen. Schließlich wird auch auf die Art und Bedeutung sprachli‐ cher Variation eingegangen, deren Potenziale in Lehrwerken aus Gründen der Vereinfachung oft ungenutzt bleiben. Das Spektrum der Variation erstreckt sich von allgemeinsprach‐ lichen über dialektale, soziolektale bis zu fach- und wissen‐ schaftssprachlichen Varietäten, die jeweils anderen Normen unterliegen. Sprache ist der Hauptgegenstand des Sprachunterrichts, aber ihre Nutzerinnen und Nutzer scheinen immer weniger für ihre Ausdrucksmöglichkeiten, ihr Differenzierungspotential, ihre <?page no="190"?> Sprache im Unterricht Wirkung und ihre Strukturen sensibilisiert zu sein. Der Einfluss der Medien, vor allem die Dominanz der Bilder und die Schnell‐ lebigkeit der Kommunikation bewirken, dass die Bewusstheit für Sprache, vor allem die adäquate Anwendung schriftsprachlicher Normen, in der Gesellschaft allgemein schwindet. Auch vielen Schülerinnen oder Schülern ist so etwa kaum bewusst, dass - und wie - Zeitungssprache sich von SMS oder direkter mündli‐ cher Kommunikation unterscheidet. Mögliche Unterschiede zwi‐ schen Registern benennen oder die Grammatik der eigenen Spra‐ che zu erklären, fällt ohnehin vielen schwer. Blogs und Forumseinträge auf Webseiten zeigen in dieser Hinsicht ein er‐ nüchterndes Bild. Deshalb sollen in diesem Kapitel die Beschrei‐ bung und Funktionen von Sprache und daraus ableitbare Emp‐ fehlungen für den Fremdsprachenunterricht behandelt werden. Sollte bei der Vermittlung der Fremdsprache primär die kul‐ turhistorische Literatur Orientierung geben, sollte die Alltags‐ kommunikation als Vorbild dienen, weil sie sich um Praktikabi‐ lität und große Reichweite bemüht, oder gilt im Sprachunterricht das Primat der korrekten Grammatik, wie sie in Regelwerken beschrieben wird? Welche Varietät einer Sprache ist die maßge‐ bende? Ist es im Englischen etwa die der Queen oder die von Camilla, die aus Cambridge oder Oxford, die der Aussies oder der kanadischen Newfies? Welche Textsorten setzen die Normen: die schriftlichen der Zeitungssprache, die mündlichen der Bühnen‐ sprache, die der Umgangssprache? Wie steht es mit den situati‐ ven Aspekten des Sprachgebrauchs, welche Rolle spielen dia‐ lektale, regionale und soziolektale Varianten, wie lassen sich die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen und die Veränder‐ barkeit von Sprachen in Erwerb und Unterricht nutzen? Aus didaktischen Gründen beschränken Lehrkräfte sich im Unterricht nicht selten auf die eine oder andere Sprachvarietät, auf bestimmte Erklärungsverfahren und auf weitere Vereinfa‐ chungen, ohne diese später wieder in den Gesamtzusammen‐ hang zurückzuführen. Direkte Kontrastverfahren sprachlicher Strukturen ersetzen so zum Beispiel ein tieferes Verständnis vom Aufbau, vom Funktionieren und von den Entwicklungsprozes‐ sen der Sprachen. Meist bleibt hierfür keine Zeit. Sprache kommt im Sprachunterricht paradoxerweise oft zu kurz. 5 Sprache 190 <?page no="191"?> Bertolt Brecht, Die unbesiegliche Inschrift, 1973 Dabei sind Sprachen lebendige, dynamische Systeme, die sich − auch im Unterricht − nur schwer einengen lassen. Die krea‐ tiven Kräfte von Sprachen und ihren Nutzern sind so gewaltig, dass schon so mancher machtvolle Zensurapparat − wie das fol‐ gende Gedicht von Bertolt Brecht zeigt − daran gescheitert ist. Beispiel DIE UNBESIEGLICHE INSCHRIFT Zur Zeit des Weltkriegs In einer Zelle des italienischen Gefängnisses San Carlo Voll von verhafteten Soldaten, Betrunkenen und Dieben Kratzte ein sozialistischer Soldat mit Kopierstift in die Wand: HOCH LENIN! Ganz oben, in der haldbdunklen Zelle, kaum sichtbar aber Mit ungeheuren Buchstaben geschrieben. Als die Wärter es sahen, schickten sie einen Maler mit einem Eimer Kalk. Und mit einem langstieligen Pinsel übermalte er die dro‐ hende Inschrift. Da er aber mit seinem Kalk nur die Schriftzüge nachfuhr Stand oben in der Zelle nun in Kalk: HOCH LENIN! Erst ein zweiter Maler überstrich das Ganze mit breitem Pinsel So dass es für Stunden weg war aber gegen Morgen Als der Kalk trocknete, trat darunter die Inschrift wieder hervor: HOCH LENIN! Da schickten die Wärter einen Maurer mit einem Messer gegen die Inschrift vor. Und er kratzte Buchstabe für Buchstabe aus, eine Stunde lang. Und als er fertig war, stand oben in der Zelle jetzt farblos Aber tief in die Zelle geritzt, die unbesiegliche Inschrift: HOCH LENIN! Jetzt entfernt die Mauer! sagte der Soldat. 5 Sprache 191 <?page no="192"?> Wieso sich also im Sprachunterricht der freiwilligen Selbstkon‐ trolle unterwerfen? Hält das Schlagwort keine Zeit für Sprach‐ variation der Kraft der Kreativität stand? Die Sprachenvielfalt auf der Erde ist ein eindrucksvolles Zei‐ chen der Kreativität von Sprache und von ihren Sprechern: es gibt über 4.000 größere Sprachengruppen auf der Welt, mit hun‐ derten und tausenden von verwandten Sprachen und Dialekten, die gemeinsame Wurzeln haben. Die größten Gruppen bilden die sinotibetischen, niger-kongo-, afroasiatischen, austronesischen und indoeuropäischen Sprachen, zu denen Deutsch und andere germanische Sprachen gehören (siehe Abbildung 5.1). Was in Bezug auf die Verwandtschaft der Sprachen sprachen‐ übergreifend (interlingual) gilt, gilt in ähnlichem Umfang auch sprachintern (intralingual). Man denke nur an die verschiedenen regionalen Varianten (Dialekte), die verschiedenen Jargons und Register (zum Beispiel die Jugendsprache und Fachsprachen), Neuschöpfungen (wie die Kanak-Sprak oder fraudeutsch) oder Stile (zum Beispiel die Journalistensprache), Textsorten (zum Beispiel Brief, Zeitungsartikel, Theaterprogramm, Vortrag) und so weiter. Wie aber kann entschieden werden, welche Varianten im Sprachunterricht vorrangig zu behandeln sind? Lassen sich vielleicht sogar bestimmte Sprachformen für bestimmte Lern‐ zwecke besser verwenden als andere? Diesen Fragen soll im Fol‐ genden nachgegangen werden. 5 Sprache 192 <?page no="193"?> Abb. 5.1: Metaphorische Darstellung der Verwandtschaft der indoeu‐ ropäischen Sprachenfamilie im Sprachbaum 5 Sprache 193 <?page no="194"?> Sprache als Zeichensystem 5.1 Sprachbeschreibung und Sprachnormen Die Sprache ist ein Zeichensystem, das es uns erlaubt, die Welt zu benennen, zu kommentieren, zu begreifen und zu reflektieren und zu schaffen und damit auch nichtsprachliche (auch abs‐ trakte) Vorgänge zu vermitteln. Das geht nur erfolgreich, wenn die Beteiligten auf die gleichen Grundlagen zurückgreifen, also das gleiche System mehr oder weniger vollständig und überlap‐ pend beherrschen. Mit Sprache setzen Sprecher das, was ihnen wichtig erscheint, in Zeichen um, die für solche Zwecke schon vorhanden sind. Wo dies nicht möglich ist, schaffen sich Sprecher mit der Sprache neue Möglichkeiten. Sie nutzen das vorhandene Inventar und parallele Zeichensysteme, wie Gestik, Mimik, bild‐ liche Symbole, Zeichnungen und Icons. Dabei gehen sie nach ökonomischen Gesichtspunkten vor, das heißt, dass sie gar nicht alles immer ausdrücklich benennen müssen. Wo nach Einschät‐ zung der Sprecher klar ist, was gemeint ist, können sie ganz auf Wörter verzichten. So gelingt Kommunikation häufig auch da, wo sie unvollständig und unpräzise ist, und sie misslingt oft ge‐ rade da, wo übergenau definiert und spezifiziert werden muss, wie zum Beispiel bei Rechtsstreitigkeiten. Die Bezeichnungen, die Sprecher (und Sprachen) für das jeweilige Bezeichnete ent‐ wickeln, sind subjektiv gewählt. Sie unterscheiden sich von Spra‐ che zu Sprache. Sie sind insofern arbiträr, als zwischen sprach‐ lichen Symbolen und den Gegenständen und Ereignissen nur selten unmittelbare formale Abbildungsbeziehungen bestehen. In Bezug auf die Bedeutung sind die Beziehungen zwischen Sym‐ bol (Bezeichnendem) und Bezeichnetem nicht zufällig oder will‐ kürlich. Auch die formalen Aspekte der Sprache tragen demnach Bedeutung. Thematik, Ausführlichkeit, Genauigkeit, Perspektive und Schärfe des sprachlichen Ausdrucks in jeder Sprache richten sich grundsätzlich nach dem Interesse des Sprechers und den be‐ kannten oder vermuteten Verstehensmöglichkeiten des Zuhö‐ rers. Das gilt nicht nur über Sprachengrenzen hinweg, sondern auch bei der Wahl eines Registers oder einer Varietät in der glei‐ chen Sprache. Danach entscheidet sich auch, welche Wörter für einen bestimmten Gedanken ausgewählt werden und welche 5 Sprache 194 <?page no="195"?> Verstehensmöglichkeiten grammatischen und stilistischen Strukturen dafür am ehesten in Frage kommen. Das illustrieren die folgenden Beispiele, in denen die Perspektiven, die Genauigkeit und die Ausführlichkeit der Antworten inhaltlich und sprachlich variieren. Das Grundthema, die Antwort auf die gleiche (weltbewegende) Frage, ist aber in allen Versionen das gleiche. Beispiel: Sprachvariation Warum überquerte das Huhn die Straße? Kindergärtnerin: Um auf die andere Straßenseite zu kommen. Aristoteles: Es ist die Natur von Hühnern, Straßen zu überqueren. Karl Marx: Es war historisch unvermeidbar. Sigmund Freud: Die Tatsache, dass Sie sich überhaupt mit der Frage be‐ schäftigen, dass das Huhn die Straße überquerte, offenbart Ihre unterschwellige sexuelle Unsicherheit. Albert Einstein: Ob das Huhn die Straße überquerte oder die Straße sich un‐ ter dem Huhn bewegte, hängt von der Relativität des Refe‐ renzrahmens ab. Captain James T. Kirk, Raumschiff Enterprise: To boldly go where no chicken has gone before. Kanak-Sprak: Ej. Däs war krass, Mann. Wirtschaftsberatungsagentur: Deregulierung auf der Straßenseite, wo sich das Huhn be‐ fand, bedrohte seine dominante Marktposition. Das Huhn sah sich der signifikanten Herausforderung gegenüber, die Kompetenzen zu entwickeln, die erforderlich sind, um in den neuen Wettbewerbsmärkten bestehen zu können. In ei‐ ner partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Klienten 5.1 Sprachbeschreibung und Sprachnormen 195 <?page no="196"?> hat die Agentur dem Huhn geholfen, seine physische Dis‐ tributionsstrategie und Umsetzungsprozesse zu überden‐ ken. Unter der Verwendung des Geflügel-Integrationsmo‐ dells (GIM) hat die Agentur das Huhn befähigt, seine Fähigkeiten, Methodologien, Wissen, Kapital und Erfah‐ rung einzusetzen, um die Mitarbeiter, Prozesse und Tech‐ nologien des Huhns für die Unterstützung seiner Gesamt‐ strategie innerhalb des Programm-Management-Rahmens auszurichten. Die Besprechungen fanden in einer parkähn‐ lichen Umgebung statt, um eine wirkungsvolle Testatmo‐ sphäre zu schaffen, die auf Strategien basiert, auf die In‐ dustrie fokussiert ist und auf eine konsistente, klare und einzigartige Marktaussage hinausläuft. Die Agentur hat dem Huhn geholfen, sich zu verändern, um erfolgreicher zu werden. Trotz gleicher Frage ist die sprachliche Realisierung der Ant‐ worten jeweils gänzlich anders: Bemerkenswert ist, dass Captain Kirk auf seinen vielen Auslandsreisen bisher weder Deutsch noch eine andere Sprache gelernt hat. Vermutlich wären ihm da‐ durch einige Probleme erspart geblieben. Auch die Direktheit der Antworten, ihre Ausführlichkeit (Explizitheit), die Wahl von ein‐ gebetteten Strukturen (Attribute, Nebensätze) und die gewählten Aspekte unterscheiden sich in bemerkenswerter Weise. In systemischer Hinsicht beeinflussen folgende Faktoren Sprachvariation und Sprachwandel: Einflussfaktoren sprachlicher Variation ▸ Funktion (Register, Textsorte …), ▸▸ soziales Umfeld (Soziolekte), ▸▸ regionales Umfeld (Dialekte, Regiolekte, Ethnolekte), ▸▸ individuelle Präferenzen (Idiolekte), ▸▸ berufliches Umfeld (Berufssprachen, Fachsprachen), ▸▸ geschlechtsspezifische Präferenzen (Genderlekte), ▸▸ fremdsprachliche Einflüsse (Hybridsprachen, Pidgins, ▸ Entlehnungen), ▸ Mehrsprachigkeit (Codewechsel), ▸ 5 Sprache 196 <?page no="197"?> Sprachgebrauch und Normung ▸ ungleiche Kommunikationssituationen: ▸ - mit Ausländern: Xenolekte, - - mit Kindern (kindgerichtete Sprache), - - mit Alten, - ▸ eingeschränkte Kommunikationssituationen (einsei‐ ▸ tige Kommunikation, mediale Einschränkungen …), ▸ Sprachenerwerb (Erwerbsstufen), ▸▸ externe Normung (DIN, Sprachakademien …), ▸▸ Stil und Ästhetik (Literatur, Film, Parodie, Cartoons, ▸ Rap-Sprache …), ▸ Zensur (indirekte/ direkte, eigene oder externe), ▸▸ Medien (SMS, Twitter-Deutsch, Chat, Mails, Morse‐ ▸ code …), ▸ Medialität (schriftliche, mündliche, schriftlich-mündli‐ ▸ che Sprache, Zeichensprachen), ▸ Zeit (Epochen, Register …), ▸▸ Krankheiten (Aphasiesprachen, Zeichensprachen, Tast- ▸ sprachen …), ▸ Reduktionssprachen (Kryptolekte, Krankheiten, Medien). ▸ Da der Sprachgebrauch von einer Reihe subjektiver Faktoren und vom Kontext abhängt, kann man ihn und seine Systematik aus unterschiedlichen Perspektiven erforschen und nach unter‐ schiedlichen sprachlichen Normen beschreiben. Bei den obigen Beispielen kann ohne den situativen Kontext nicht entschieden werden, welche Äußerungen der Norm entsprechen und welche nicht. Sie sind alle in sich korrekt. So lässt sich auch nicht ent‐ scheiden, ob diese Äußerungen Fehler enthalten und wenn ja, worin sie bestehen und wie sie zu korrigieren sind. Selbst die Äußerung in der Kanak-Sprak entspricht den Normen, nämlich dieser Varietät. Zwar kann man hier die Differenz zu einer schriftsprachlichen Norm bestimmen, wie sie etwa der Duden vertritt, aber das würde den Regeln dieses besonderen Registers und seinen kommunikativen Bedingungen Sprecher nicht ge‐ recht. Vor sprachlicher Variation sollte man auch im Unterricht keine Angst haben, denn sie bildet nur realistisch ab, wie Sprache verwendet wird. Bei der Darstellung des Chunking-Ansatzes und der Behandlung der Eingabe wurde gezeigt, wie Lerner aus au‐ 5.1 Sprachbeschreibung und Sprachnormen 197 <?page no="198"?> gesprochene und geschrie‐ bene Sprache thentischem Input konstruktiv Regeln ableiten und erproben. Die authentischen Varietäten bilden zudem die Bedingungen der Kommunikation realistisch ab, zum Beispiel das Verhältnis des Sprechers zum Gegenstand, zur Situation und zum Adressaten. Die Behandlung von Äußerungen im Unterricht, die den Lernern sprachlich oder konzeptuell näher liegen, erhöht möglicherweise auch das Interesse an der Sprache und Kultur, die erworben wer‐ den sollen. 5.2 Allgemeinsprache Es gibt nicht nur verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten inner‐ halb von Sprachen, sondern auch verschiedene Möglichkeiten, diese Formen zu benennen. Die gängige Trennung von Allge‐ meinsprache/ Standardsprache und Fachsprache ist dafür zu grob. Zunächst wäre festzulegen, was allgemein ist. Einen Durchschnittsstandard gibt es nämlich nicht. Auch normierende Werke wie die Oxford Grammatik im Englischen, der Recht‐ schreib-Duden im Deutschen oder das spanische Wörterbuch der Real Academia Española beschreiben immer nur einen Teil des Sprachsystems und Sprachgebrauchs. Es gibt in Wirklichkeit verschiedene Möglichkeiten, allge‐ meine Normen festzulegen, denn die Normierung ist von dem Zweck der Sprachverwendung und der Perspektive auf Sprache (also ihrem Gebrauch) abhängig. Eine einfache Möglichkeit be‐ steht darin, eine Norm für die gesprochene und eine für die ge‐ schriebene Sprache auszuweisen. Für die gesprochene deutsche Sprache hat die Bühnensprache im Bereich der Aussprache diese Funktion übernommen (Siebs/ Boor/ Moser/ Winkler 1969, Schmidt 2005). In dieser Norm ist zum Beispiel festgelegt, dass die Endungen -ig im Standard der gesprochenen Hochsprache als ch (in der Lautschrift als [ç] dargestellt) und ik [ik] ausge‐ sprochen werden können, aber nicht als sch [ʃ]. Aber selbst wenn Sie Bundesministerin, hessischer oder rheinland-pfälzischer Mi‐ nisterpräsident (oder jeder andere Dialektsprecher) oder Fern‐ seh-Korrespondentin sind, kann Ihnen nichts passieren, wenn 5 Sprache 198 <?page no="199"?> Sie sich nicht an die Normen der Bühnenaussprache halten. Sie sind nicht rechtsverbindlich. Im Bereich der Rechtschreibung gilt dagegen eine gesetzlich verbindliche Norm, aber die hat nur im Rahmen des öffentlichen Sprachgebrauchs an Schulen und in der öffentlichen Verwaltung Geltung. Für Zeitungen, den Geschäftsbereich oder die private Nutzung gelten diese Normen nur als Orientierung. Was darüber hinaus als Allgemeinsprache verstanden wird, entspricht oft den (gefühlten) Normen der Zeitungs- oder Radio-/ Fernsehsprache. Im englischsprachigen Kanada etwa gilt MacLeans Magazine als Standard der geschriebenen Sprache, in Großbritannien setzt die BBC die Standards für die gesprochene Hochsprache. In Deutschland sind es vor allem die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung bei den Schriftstandards und die Nachrichtensendungen der tagesschau und tagesthemen bei den gesprochenen (Eisenberg 2007). Die orientierenden Standards der Allgemeinsprache ergeben sich als Schnittmenge von Merk‐ malen vieler Varianten. Sie lassen sich daher nur in Annäherun‐ gen fassen und werden im Fremdsprachenunterricht und in Lehrmaterialien meist im Sinne intuitiver Normen eines „ge‐ fühlten Standards“ zu Grunde gelegt. Folglich ist es problema‐ tisch, die Allgemeinsprache als Norm des Sprachunterrichts oder Lehrmaterials zu bemühen. 5.3 Fachsprachen Anders verhalten sich die Fachsprachen. Sie lassen sich mit ihrem eigenen Wortschatz sowie ihren speziellen Redewendungen und Strukturen klar von anderen Sprachformen unterscheiden (Kühl‐ wasserpumpe (KWP), Spannungsbegrenzungswiderstand, Lauf‐ stabilitätsüberwachung, Bildungsausländerhochschulzugangsver‐ ordnung). Allerdings teilen sich Fachsprachen die Grammatik bis auf wenige Ausnahmen mit der Allgemeinsprache. Darüber hin‐ aus überschneiden sich die Fachsprachen verschiedener Fachge‐ biete in Teilmengen. Fachsprachen erlauben eine möglichst ein‐ deutige und effiziente Abbildung und Behandlung der Sachverhalte einer Fachdisziplin. Gäbe es diese nicht, ließen sich 5.3 Fachsprachen 199 <?page no="200"?> Komplexitätsstufen Textkriterien technische Instrumente und Teile, regelnde Verfahren oder ge‐ naue Bezeichnungen der Gegenstände nicht herstellen (Bau‐ mann/ Kalverkämper 1992, Fluck 1996, Buhlmann/ Fearns 2018). Die gerichtlichen Instanzen sprechen bezeichnenderweise Recht, Verwaltungsakte und -regelungen müssen schriftlich niederge‐ legt sein, um Gültigkeit zu besitzen, in den Bio- und Lebenswis‐ senschaften gibt es hunderttausende Begriffe, um Pflanzen, Tiere, Krankheiten, Medikamente und vieles mehr zu benennen und in der Technik klären sprachliche DIN-Normen, wie die Konstruk‐ tion und Klassifizierungen von Gegenständen und Verfahren sprachlich ausgeführt sein müssen, damit sie zertifizierbar oder patentierbar sind. Fachsprachen werden in verschiedene Komple‐ xitätsstufen, je nach Sprecher- und Adressatengruppe, Kommuni‐ kationsfunktion oder Inhaltsdichte unterteilt. Hoffmann/ Kalver‐ kämper/ Wiegand (1999) unterscheiden zum Beispiel die Sprache der theoretischen Grundlagenwissenschaften von der Sprache der experimentellen Wissenschaften, der Sprache der angewandten Wissenschaften und der Technik, der Sprache der materiellen Produktion und der Sprache der Konsumption. Die disziplintypi‐ schen Sprachen differenziert Göpferich (1995: 124) nach unter‐ schiedlichen funktionalen (pragmatischen) Ebenen der Textsorten und Textvarianten. Die differenzierenden Kriterien und Textmerk‐ male ergeben sich aus dem Zweck eines Textes (aktuelle For‐ schung, Referenzmaterial, Unterricht/ Lehre/ Vermittlung, Nor‐ mierung) und damit aus einer jeweils unterschiedlichen Konstellation von Textautor, Zweck und Adressatengruppen. Aus diesen Konstellationen und Zwecken resultieren unter anderem der Grad der Fachlichkeit, Formalität, Komplexität, Anschaulich‐ keit und Verbindlichkeit. Tabellarisch lassen sich die wichtigsten Textkriterien folgendermaßen darstellen: 5 Sprache 200 <?page no="201"?> Abb. 5.2: Textkriterien (Göpferich 1995: 124) 5.3 Fachsprachen 201 <?page no="202"?> DIN-Normen Fachsprachliche Textsorten und -varianten sind unterschiedlich stark fachlich verdichtet und unterscheiden sich meist in der Be‐ grifflichkeit. Der Fachdiskurs ist jedoch meist nicht ausschließ‐ lich von Fachthemen und Fachbegriffen bestimmt. Auch Aspekte der Arbeitssituation, der Fachpolitik, der Planung oder der lo‐ gistischen Abstimmung bei Projekten, Tagungen oder Reisen sind darin wichtige Elemente. Aus der Vielschichtigkeit des Fachdiskurses entstehen daher unterschiedliche Mischformen von Allgemein- und Fachsprache. Bei so viel fachlicher und be‐ grifflicher Normung darf es nicht verwundern, dass auch die Sprache selbst durch DIN-Normen standardisiert ist. Diese schreiben vor allem genau vor, nach welchen Kriterien Begriffe gebildet werden müssen und in welcher Hierarchie sie zueinan‐ derstehen. Das Inhaltsverzeichnis der DIN 2330, der wichtigsten Sammlung relevanter Sprachnormen des Deutschen Instituts für Normung, verdeutlicht die Komplexität der sprachlichen Nor‐ mung in Fachsprachen (siehe Abbildung 5.3). 5 Sprache 202 <?page no="203"?> Abb. 5.3: Auszug aus den DIN-Normen 2330: Definition von Begriffen 5.3 Fachsprachen 203 <?page no="204"?> Fehlkommunika‐ tion Lernbarkeit Trotz ihrer Bestrebungen, Eindeutigkeit herzustellen, entsteht in Fachsprachen immer wieder ungewollter Interpretationsspiel‐ raum. So kommt es auch dort zur Fehlkommunikation und zu Problemen mit technischen Abstimmungen und Abläufen. Im Strafrecht sind beispielsweise die Begriffe „Raub“ und „Dieb‐ stahl“ zwar juristisch eindeutig definiert und klar voneinander zu unterscheiden, ihre Anwendung auf konkrete Fälle und deren Versprachlichung lassen jedoch einen erheblichen Interpretati‐ onsraum zu und können deswegen zu Meinungsverschiedenhei‐ ten (und langen Porzessen) führen. Wegen ihrer inhaltlichen Dichte und ihrer begrifflichen Stan‐ dardisierung auch über Sprachgrenzen hinweg sind Fach- und Berufssprachen für Fremdsprachenlerner meist leichter ver‐ ständlich und lernbar als allgemeinsprachliche Äußerungen und Texte. Die Lerner können vor allem durch einzelne, international oft ähnliche Begriffe (Transferbasen, cognates) an ihr Vorwis‐ sen anknüpfen und sich damit den Inhalt erschließen, selbst wenn sie nur einen geringen Teil der fremden Sprache wirklich verstehen. Das gilt besonders für Fachbegriffe in den Naturwis‐ senschaften, in der Medizin und in den Agrarwissenschaften, die auf lateinischem und griechischem Wortschatz aufbauen, für Fachbegriffe in der Wirtschaft, der Technik oder der internatio‐ nalen Flugsicherung, die sich stark an das Englische anlehnen, und für den Wortschatz der Musik, der Theologie, der Archäo‐ logie und der Philosophie, die international auf Begriffe des Deutschen und bedingt auch des Italienischen zurückgreifen. So eignen sich Fachsprachen, entgegen der verbreiteten Annahme, besonders gut für die Vermittlung von fremden Sprachen, und zwar gerade im Anfängerunterricht − zumindest dann, wenn die Lerner ein bestimmtes Sachwissen in einem Fachgebiet haben. Für das Funktionieren von Lehrverfahren, die in dem beschrie‐ benen Sinne das Vorwissen der Lerner im Unterricht produktiv nutzen, gibt es eine Fülle überzeugender Beispiele: zum Beispiel die CD-ROM Serie Reading German für Wirtschaftsdeutsch, Che‐ mie und Musik, das EuroTech-Programm an der Rice University in Texas und viele ähnliche Programme der Content-Based In‐ struction. In Europa werden diese eigentlich auf die Reformbe‐ wegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurückreichenden 5 Sprache 204 <?page no="205"?> Interkomprehen‐ sionsdidaktik 7 Siebe Verfahren auch unter dem Begriff Content and Language In‐ tegrated Learning (CLIL) behandelt (Mohan 1986, Marsh 2007). Ein Lehrwerk, das diesem Ansatz grob folgt, ist beispielsweise das English CLIL von Klett 2010. Konzeptuell verwandt sind ihnen Ansätze, die den erwerbs‐ didaktischen Nutzen des sprachlichen Vorwissens, genauer die sprachlichen Gemeinsamkeiten (Transferbasen) gezielt hervor‐ heben. Diese Ansätze sind unter verschiedenen Namen bekannt, Tertiärsprachenvermittlung (L3, wie Deutsch nach Englisch), Interkomprehensionsdidaktik, Mehrsprachigkeitsdidaktik oder Gemeinsames Sprachencurriculum. Sie finden in Materia‐ lien Anwendung, wie sie das EuroCom-Projekt erarbeitet, zum Beispiel EuroComRom für den Erwerb romanischer Sprachen, EuroComGerm für germanische Sprachen und EuroComSlav für slawische Sprachen. Beispiel: EuroComRom EuroComRom arbeitet in der Anfangsphase nur mit dem, was leicht ist, nämlich dem, was die Lerner bereits wissen. Hier liegt unerwartet viel ungenutztes Sprachenkapital. Diese Wissensbasis wird zunächst vor allem rezeptiv akti‐ viert, im Bereich der Lesekompetenz. Lesekompetenz ist für den jungen oder älteren Erwachsenen das leichteste und dadurch effektivste Fundament für die spätere Entwicklung von Hör-, Sprech- und Schreibkompetenzen. Das Wieder‐ erkennungsverfahren lässt sich in sieben Schritten durch‐ führen, in denen das bekannte Wissen herausgefiltert wird. Dieses Verfahren nennt sich deshalb: die 7 Siebe. Mit dem ersten Sieb schöpfen Lerner den internationalen Wortschatz aus der neuen Sprache. Der besteht bei einem erwachsenen Europäer aus circa 5000 Wörtern meist latei‐ nisch-romanischen Ursprungs, und ist in anderen Sprachen mühelos wiedererkennbar. Hinzu kommen noch interna‐ tional bekannte Namen von Personen, Institutionen, geo‐ graphische Begriffe und Ähnliches. Mit dem zweiten Sieb schöpfen Lerner zusätzlich den in der romanischen Sprachenfamilie gemeinsamen Wortschatz für den Erwerb einer anderen romanischen Sprache ab: den 5.3 Fachsprachen 205 <?page no="206"?> panromanischen Wortschatz. Etwa 500 Wörter aus der ge‐ meinsamen lateinischen Vergangenheit sind noch heute im Elementarwortschatz der meisten romanischen Sprachen vorhanden. Dieses zweite Sieb ist in ähnlicher Weise für die germanische und die slawische Sprachenfamilie wichtig, da auch der pangermanische und der panslawische Wortschatz zusätzlich zum internationalen Wortschatz Wörter erschlie‐ ßen lassen. Mit dem dritten Sieb werden die lexikalischen Verwandt‐ schaften systematisch genutzt: durch das Vermitteln der Lautentsprechungen. Wenn dem französischen nuit (Nacht) das spanische noche und das italienische notte entspricht, dann bestehen vermutlich ähnliche Korrespondenzen bei den Wörtern lait, leche und latte (Milch). Mit dem vierten Sieb werden die Graphien und Ausspra‐ chen durch die systematische Vermittlung von Aussprache‐ konventionen transparent gemacht und typische Besonder‐ heiten erklärt. Das fünfte Sieb nutzt den Vorteil, dass die Kernsatztypen in verwandten Sprachen strukturell identisch sind. In roma‐ nischen Sprachen etwa ist selbst in vielen Nebensätzen (Re‐ lativ-, Konditionalsätze) die Wortstellung leicht zu durch‐ schauen. Vor dem Hintergrund dieser syntaktischen Organisationsprinzipien lassen sich Besonderheiten einzelner Sprachen gut isolieren und mit kurzen Hinweisen verständ‐ lich machen. Mit dem sechsten Sieb werden die Basisformeln zur Verfü‐ gung gestellt, mit denen Sprachen ihre grammatischen Ele‐ mente oder Wortendungen formen (Morpho-Syntax). Das siebte Sieb enthält die Listen der Präfixe und Suffixe, mit denen sich der Sinn der zusammengesetzten Wörter er‐ schließen lässt. Diese sind in vielen Sprachen sehr ähnlich. (Vergleiche den Abschnitt 3.7.2 zu den Transfereffekten im Spracherwerb, 5.8 zur Wortbildung und http: / / www.euroco mprehension.info zu einzelsprachlichen Beschreibungen des Verfahrens). 5 Sprache 206 <?page no="207"?> diachrone Betrachtung 5.4 Sprachvariation und Sprachwandel Abb. 5.4: Sprachvariation am Beispiel von Wilhelm Tell: die literarische Sprache des Originals in den Einleitungs- und Überleitungspassagen, die Szenesprache der 80er und 90er Jahre in den Dialogen (Claus/ Kutschera 1985: 272) Jede Sprache durchläuft ständig Entwicklungsprozesse. Diese Prozesse sind nicht immer leicht zu bemerken, wenn man mit und in einer Sprache lebt. Am ehesten lassen sich die stetigen Veränderungen der Sprache beim Wortschatz und bei den Rede‐ wendungen feststellen, etwa in der Jugend- oder Mediensprache. Eine Betrachtung der Veränderungen von Sprachformen aus der Distanz (diachrone Betrachtung) macht deutlich, wie stark sich Sprachformen mit der Zeit verändern (Sprachwandel). Diese 5.4 Sprachvariation und Sprachwandel 207 <?page no="208"?> frühe Phasen der Sprachentstehung Bergmannsprache im Ruhrgebiet Veränderungen zeigen sich in der Schrift, der Aussprache, der Bedeutung von Wörtern und den grammatischen Strukturen. Zur Illustration hier eine Variation des Klassikers Wilhelm Tell. Die erzählenden Teile lehnen sich an Schillers Originaltext an. Die direkten Redeteile sind in einer neueren Variante (der Ju‐ gendsprache der 1980er Jahre) realisiert. Diese entspricht zwar nicht der heutigen Standardsprache, drückt aber deutlich den Generationenunterschied zwischen den beiden Texten aus. Für die Zwecke des Sprachenerwerbs besonders interessant sind die ganz frühen Phasen der Sprachentstehung, weil deutlich wird, dass sich dort ähnliche Entwicklungsprozesse abgespielt haben oder abspielen wie im Sprachenerwerb. Wie bereits in Ka‐ pitel 4.2 gezeigt wurde, bestehen die ersten Phasen von Sprach‐ entwicklung und Sprachenerwerb aus einem Wechselspiel von loser und starker Grammatikalisierung, dem wechselnden Bezug zu einem pragmatischen oder syntaktischen Modus. Dabei blei‐ ben bestimmte sprachliche Fossilien zurück, archaische Sprach‐ strukturen, wie sie besonders in Gedichten, Liedern, religiösen Texten oder auch Orts- und Eigennamen zu finden sind. Der folgende Auszug aus einem authentischen Interview mit zwei Bergleuten im Ruhrgebiet illustriert, nach welchen Aspek‐ ten die Entwicklung des Wortschatzes erfolgen kann. Beispiel: Regionale und sozial-bedingte Variation Die beiden ehemaligen Bergleute B und S werden in dem Interview von I über die Entwicklung der Bergmannsprache im Ruhrgebiet befragt. Beide nennen verschiedene Begriffe für den gleichen Gegenstand, einen Förderschacht, der kei‐ nen direkten Ausgang nach draußen hat (Blindschacht, Sta‐ pel, Aufbruch, Gesenk). In Zeile 13 gibt B einen Hinweis auf die sozial-bedingte Wahl des Ausdrucks Blindschacht als einem Element der Sprache der Vorgesetzten. Von dieser Sprache und anderen Varianten der Umgangssprache hebt sich der Ruhrdialekt der beiden Bergleute stark ab, wie das Beispiel zeigt. Bei Sprecher B wird an einzelnen Stellen deutlich, dass er zwi‐ schen Dialekt und Umgangssprache wechseln kann (zum Beispiel dat/ das), möglicherweise um sich der hochdeut‐ 5 Sprache 208 <?page no="209"?> schen Varietät des Interviewers anzupassen. Das Interview ist zur besseren Verständlichkeit in Partiturschreibweise verschriftlicht und in Bezug auf die Grammatik oder Lau‐ tung nicht verändert. Es finden sich in umgangssprachlich typischer Weise auch unvollständige und überlappende Formen und nicht abgestimmte Äußerungen der beiden In‐ terviewten. Unverständliche Teile des Interviews sind in ( ) angegeben. Dieses Interview ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Sprach‐ wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sich ihre Quel‐ len zugänglich machen − oft ein schwieriges Unterfangen des Zugangs zu authentischen Daten und ihrer Verarbei‐ tung (vergleiche auch die Hinweise zu Transkriptionssys‐ temen in Kapitel 4.2). Transkript 5.1 170 S prache Transkript 5.1 5.4 Sprachvariation und Sprachwandel 209 <?page no="210"?> (Schlickau 1995: 105 f.) Beispiel Ethnolekte: Die Kanak-Sprak Die Kanak-Sprak (auch Kiez-Deutsch genannt) ist ur‐ sprünglich die Varietät von türkisch- und russischstämmi‐ gen Jugendlichen, die in größeren deutschen Städten wie Berlin oder München vorwiegend in ihrer eigenen Gruppe Deutsch sprechen. Namensgeber war hier der Titel eines Buches des Chamisso-Autors Feridun Zaimolgu (1995). Für kabarettistische Zwecke wurde die Sprache übernommen und modifiziert (Sick 2007, Erkan und Stefan 2005; bei‐ 5 Sprache 210 (Schlickau 1995: 105f.) Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 170 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 170 26.04.2018 12: 41: 59 (Schlickau 1995: 105f.) Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 170 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 170 26.04.2018 12: 41: 59 <?page no="211"?> Ethnolekt spielsweise Superchecker oder Brontal) und hat sich inzwi‐ schen als In-Group-Kommunikationsmittel auch unter Ju‐ gendlichen etabliert, die nicht zur primären Nutzergruppe gehören. Auer 2003 spricht daher von einem Ethnolekt pri‐ märer, sekundärer und tertiärer Art (siehe auch Zaimoglu 2011, Wiese 2012). Primär dann, wenn die Varietät in ihrem authentischen Kontext verwendet wird, sekundär dann, wenn sie etwa für kabarettistische Zwecke kopiert wird und tertiär dann, wenn sie zur Stilisierung von Fremdartigkeit verwendet wird. Einige Elemente dieser Varietät haben sich auch in der Allgemeinsprache etabliert. Dazu gehören be‐ stimmte Ausspracheformen (zum Beispiel das gerollte / r/ ) und Ausdrücke wie Alder, Isch schwör oder Was guckstu? . Parallele Entwicklungen mit ähnlichen Erscheinungen gibt es übrigens auch in anderen europäischen Sprachen, etwa im Dänischen (Quist/ Jørgensen 2009: 383). Zur Illustration hier eine kurze Zusammenstellung von Begriffen aus der Kanak-Sprak. Abb. 5.5: Grammatikalisch-syntaktische Veränderungen in der Ka‐ nak-Sprak aus Wiese (2012: 60, 64) Auch wenn sprachliche Variation im Fremdsprachenunterricht nur auswahlweise behandelt werden kann, muss eine Lehrkraft bei der Diagnose, der Auswahl des Sprachmaterials, beim Fest‐ stellen von Parallelen in Ausgangs- und Zielsprache und bei der Korrektur von Fehlern die Reichweite der Sprachvariation ken‐ nen. 5.4 Sprachvariation und Sprachwandel 211 <?page no="212"?> Variantenreich‐ tum Variantenreichtum ist ein grundlegendes Merkmal der leben‐ digen und authentischen Sprache. Diese Authentizität zu ver‐ mitteln, ist daher auch eines der wichtigsten Anliegen des kom‐ munikativen Sprachunterrichts und eine der wichtigsten Grundlagen der kognitiven Linguistik. Sprache soll in ihrem na‐ türlichen Umfeld und in ihrer ganzen Breite dargestellt werden. Durch eine künstliche Vereinfachung fallen wichtige Ele‐ mente der natürlichen Sprache weg. Elemente, die so wichtig sind, dass ein Kommunizieren ohne sie in der Fremdsprache kaum möglich ist. Wenn Authentizität im Unterricht ein Ziel ist, muss zwischen den Bedingungen der Zielsprache und den je‐ weiligen Möglichkeiten des Lerners mit viel Fingerspitzengefühl und Kenntnis der zielsprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ver‐ mittelt werden. Dies gelingt am ehesten mit authentischen Tex‐ ten, die eine dem Entwicklungsstand der Lerner entsprechende reduzierte Komplexität aufweisen. Wie schon bei der Darstel‐ lung der Strukturen von Lerneräußerungen gezeigt wurde, eig‐ nen sich manche Werbetexte oder Zeitungsüberschriften dafür ausgezeichnet (siehe Kapitel 4.3 und Kapitel 5.1 zu weiteren Hin‐ weisen für den Unterricht). 5.5 Grammatik Die Beschreibungsvielfalt der Sprache, die sich in den linguisti‐ schen Teildisziplinen widerspiegelt, ist einerseits eine große Be‐ reicherung für das Sprachverständnis, andererseits stellt sie eine große Herausforderung für die Sprachvermittlung dar. Lerner kommen mit unterschiedlichen Konzepten und Begriffen von Sprache in den Unterricht. An dieses Vorverständnis muss der Unterricht möglichst unkompliziert anschließen können. So er‐ geben sich im Fremdsprachenunterricht zwei Erfordernisse: die Zusammenführung der verschiedenen linguistischen Perspekti‐ ven zu einem kohärenten System und die Abstimmung der Dar‐ stellungsverfahren auf das Vorwissen und die Erwartungen der Lerner. Die Grammatikvermittlung ist der zentrale Bereich für diese Aufgabe. 5 Sprache 212 <?page no="213"?> Grammatiktypologie Dabei ist zu beachten, dass sich viele Grammatiken in Lehr‐ werken und Referenzmaterialien für den Unterricht nicht an systematischen, wissenschaftlichen, sondern an schulgramma‐ tischen, formbasierten Darstellungen orientieren und eklektisch vorgehen. In den Lehrwerken und im Unterricht finden sich da‐ her oft Mischungen verschiedener Ansätze, die primär den Ge‐ brauch der Grammatik im Blick haben. Dazu gehören deskrip‐ tive (beschreibende), normative (Normen vorgebende) und didaktisierende (übungsorientierte) Grammatiken, die ihrer‐ seits auf die Vermittlung bestimmter Fertigkeiten abgestellt sein (Produktions- und Rezeptionsgrammatiken) und ein- oder mehr‐ sprachige Erklärungen enthalten können. Grammatiken, die vor allem Stilaspekte oder die Problemfälle einer Sprache heraus‐ greifen, lassen sich ebenfalls für Vermittlungszwecke nutzen. Zu den wichtigsten Ansätzen der Grammatikdarstellung gehören die folgenden: Die traditionelle Schulgrammatik, die Bezeichnungen für sprachliche Formen vorwiegend aus dem Lateinischen entlehnt und sich auf Laut-, Wort- und Satzstrukturen bezieht. ▸ Die kontrastive Grammatik, die aus der Gegenüberstel‐ ▸ lung von Strukturen verschiedener Sprachen Fehlerquellen ableitet und Verfahren zu ihrer Vermeidung und Korrektur vorschlägt. ▸ Die strukturalistische Grammatik, die mit einem strikt ▸ unterteilbaren Kategorieninventar für die einzelnen Berei‐ che der Sprache arbeitet und diese weitgehend isoliert als geordnetes System darstellt. ▸ Die generative Grammatik, die von stark formalisierba‐ ▸ ren, abstrakten Regeln einer universellen (angeborenen) Satz-Grammatik mit unterschiedlichen Oberflächen aus‐ geht. ▸ Die Valenz- und Dependenzgrammatik, die Abhängig‐ ▸ keitsverhältnisse innerhalb von Sätzen darstellt und dabei das Verb als zentrales steuerndes Element betrachtet (Rall/ Engel/ Rall 1985). ▸ Die funktionale und pragmatische Grammatik, die ▸ Sprache als Ausdruck von Handlungen zwischen Spre‐ 5.5 Grammatik 213 <?page no="214"?> universalistische Annahmen chern/ Hörern und als Ausdruck von deren Beziehung zu den Gegenständen betrachtet und daher die Funktionen sprachlicher und nichtsprachlicher Strukturen über die Satzebene hinausgehend beschreibt. Perspektivierungen in Bezug auf die Gewichtung bestimmter Äußerungsaspekte zur Erreichung eines kommunikativen Zwecks und die Be‐ wertung des Informationsgehalts sind ebenfalls wichtige Elemente funktionaler und pragmatisch ausgerichteter Grammatiken (Hengeveld/ Mackenzie 2008, Rehbein 1979). ▸ Die Diskursgrammatik und Gesprächsanalyse, die ▸ sprachliche Handlungsabläufe in der mündlichen Kommuni‐ kation − oft im institutionellen Rahmen von Behörden- oder Arzt-Patientenkommunikation − nach pragmatischen As‐ pekten behandeln und oft interkulturell vergleichen (Henne/ Rehbock 2019, Heine/ Kaltenböck/ Kuteva/ Long 2013). ▸ Die Textgrammatik, die die Vernetzungs-, Verweis- und ▸ Signalstruktur von Sprache als Wissen organisierendes Netz darstellt (Weinrich 2006, Bračič/ Fix/ Greule/ Orešnik/ Janko 2011). ▸ Die Kognitive Grammatik, die Sprache aus ihrem aktu‐ ▸ ellen Gebrauch heraus untersucht (usage-based) und die Grammatik als Organisationssystem kognitiver Prozesse versteht, die in einer unmittelbaren, körperlichen Lebens‐ erfahrung verhaftet sind. Hieraus entsteht eine unmittel‐ bare Transparenz und Konkretheit von Regeln, die sich auch für die Sprachvermittlung besonders eignet (Little‐ more/ Taylor 2013). Nicht alle Grammatikdarstellungen sind für Lerner von Fremd‐ sprachen von gleichem Nutzen. Viele Vertreter der generativen Grammatik stellen mit ihren universalistischen Annahmen gar den Sinn von Sprachunterricht in Frage, da sie davon ausgehen, dass Spracherwerb selbst bei inkorrektem Input zu den zielge‐ rechten Formen führt (etwa White 2003). Folglich muss es auch keine generativen Grammatiken für Lerner geben. Einen beacht‐ lichen Einfluss hat die generative Linguistik jedoch auf die Dar‐ stellung von Prozessen des Spracherwerbs und auf die Formu‐ 5 Sprache 214 <?page no="215"?> Wortarten Grammatik der deutschen Sprache lierung von Erwerbshypothesen genommen (Clahsen/ Balkhair/ Schutter/ Cunnings 2013 siehe auch Kapitel 4.7). Im Folgenden werden anhand von konkreten Beispielen die wichtigsten Ansätze der Behandlung von Grammatik im Fremd‐ sprachenunterricht skizziert. Der kontrastive Ansatz und seine Problematik sind bereits im Kapitel Fremdsprachenerwerb aus‐ führlich beschrieben worden, so dass hier auf eine weitere Be‐ handlung verzichtet wird (vergleiche Kapitel 4.5). 5.5.1 Schulgrammatik Schulgrammatik bezeichnet erstens Sprachbücher, die im Gram‐ matikunterricht eingesetzt werden und zweitens vor allem die traditionelle Art der Grammatikdarstellung, wie sie ursprünglich aus der lateinischen Grammatik abgeleitet wurde. Meist ist die Beschreibung auf die Klassifikation der Wortarten, also Nomen, Artikel, Adjektiv, Pronomen, Adverb, Verb und so weiter, be‐ schränkt, deren wichtigste Formmerkmale sowie gegebenenfalls kurze Beschreibungen ihrer wichtigsten Funktionen. Schul‐ grammatiken orientieren sich primär an den Erfordernissen des Unterrichts und unterscheiden sich somit von wissenschaftli‐ chen Grammatiken, die sich um eine systematische Darstellung bemühen. Ziel der Schulgrammatik ist es, die Normen der Spra‐ che in teilweise vereinfachter Form als Modell für die Ausbildung der eigenen Sprache der Schülerinnen und Schüler vorzugeben. Beispiel Die Grammatik der deutschen Sprache von Schulz/ Griesbach (1960) die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur tragenden Säule des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts (DaF-Un‐ terricht) entwickelte, gilt als Bezugspunkt vieler schulgram‐ matischer Lehrmaterialien im Fremdsprachenunterricht. Geschrieben wurde sie von einer deutschsprachigen Auto‐ rin und einem deutschsprachigen Autor für fremdsprachige Lerner im In- und Ausland. Ihre Vermittlungssprache ist Deutsch. Sie betont fast ausschließlich die formalen Aspekte des Sprachsystems. Auf den Sprachgebrauch wird nur am Rande und ohne funktionalen Bezug eingegangen. Die Bei‐ 5.5 Grammatik 215 <?page no="216"?> systematische Grammatik: German Gram‐ mar spiele orientieren sich an schriftsprachlichen Normen, sind vom Alltagsgebrauch abgehoben und haben kaum einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zueinander. Der folgende Ausschnitt illustriert die Darstellung des Perfekts. PERFEKT Das Perfekt wird mit dem Präsens der Hilfsverben haben oder sein [→ B 43] und dem Partizip II des sinntragenden Verbs gebildet. Dabei bleibt das Partizip stets unverändert und bildet den 2. Prädikatsteil. Ich habe gestern einen Brief geschrieben. Ich bin heute einem Bekannten begegnet. Die meisten deutschen Verben bilden das Perfekt mit dem Hilfsverb haben. Das sind: 1. alle transitiven Verben, d. h. alle Verben, die ein direktes Objekt im Akkusativ haben können; Mein Freund hat mich gestern besucht. - Ich habe das Heft gefunden. - Er hat das Buch gelesen. 2. alle reflexiven Verben, gleichgültig, ob das Reflexivpronomen im Akkusativ oder im Dativ steht; Der Mann hat sich nach dem Weg erkundigt. - Wir haben uns sehr gefreut. Du hast dir gute Kenntnisse in der deutschen Sprache angeeignet. Abb. 5.6: Auszug aus der Grammatik der deutschen Sprache von Schulz/ Griesbach 1960 Beispiel Auch die German Grammar von Hammer geht systema‐ tisch vor und bezieht sich sehr stark auf die formalen As‐ pekte der Sprache. Grammatiken aus dem Ausland bemü‐ hen sich oft um besondere Exaktheit und Vollständigkeit. So auch die German Grammar, die von englischen Auto‐ ren für anglophone Lerner geschrieben wurde und konti‐ nuierlich aktualisiert wird. Das hat zwei Ursachen: Zum 5 Sprache 216 <?page no="217"?> einen haben Grammatikautoren, die sich mit einer frem‐ den Sprache beschäftigen, einen geschärften Blick für die Besonderheiten der fremden Sprache und ihre Vermittel‐ barkeit. Ihnen fällt vieles auf, wozu L1-Sprechern die Dis‐ tanz fehlt. Zum anderen wollen diese Grammatiken den Lernern durch möglichst viele und differenzierte Regeln einen Ersatz für den fehlenden Kontakt mit der Fremd‐ sprache bieten, also in diesem Sinne auch Gebrauchs‐ grammatiken sein. Die Grammatik von Hammer be‐ schränkt sich daher nicht auf formale Beschreibungen, sondern liefert eine Reihe von Hinweisen zum regionalen Gebrauch verschiedener Strukturen und zu funktionalen Aspekten der Grammatik. Anders als die Grammatik von Schulz/ Griesbach verwendet die German Grammar die Ausgangssprache der Lerner als Vermittlungssprache. So wird sie auch für Lerner der Grundstufe zugänglich. Al‐ lerdings setzt auch die German Grammar die Vertrautheit mit den grammatischen Begriffen bereits voraus und geht in der Regel nicht explizit auf kontrastive Aspekte zum Englischen ein. Die Terminologie schließt nicht an die Konzepte der englischen Grammatik an. Die Beispiele sind in Bezug auf die praktische Verwendung im Alltag ge‐ wählt, allerdings nicht in einen zusammenhängenden Kontext eingebettet, der das Erinnern erleichtern würde. Zahlreiche Redewendungen und auch regionale und situ‐ ative Verwendungsbeispiele helfen dem Lerner bei der Orientierung und dem Auffinden von Antworten für kon‐ krete Sprachfragen. Hier wieder ein Auszug zum Thema Perfekt. 12.3.2 haben or sein in the perfect? Whether the perfect tense is constructed with haben or sein depends on the meaning of the verb. (a) The following groups of verbs form their perfect with sein All these verbs are intransitive, i.e. they do not have a direct object in the accusative case (see 18.3): 5.5 Grammatik 217 <?page no="218"?> Mittelpunkt Verb (i) Intransitive verbs of motion: Ich bin in die Stadt gegangen Wir sind aus dem Haus entkommen Sie war zu Boden gefallen Ihr wart auf die Mauer geklettert Um die Zeit werden wir schon angekommen sein NB: Some verbs of motion take sein or haben in different contexts, see (c) below. (ii) Intransitive verbs expressing a change of state. This group includes a large number of verbs which point to the beginning or end of a pro‐ cess, notably those with the prefixes erand ver(see 22.4): Sie ist schon eingeschlafen Die Bombe ist um zwei Uhr explo‐ diert Das Licht ist ausgegangen Mein Buch ist verschwunden Abb. 5.7: Auszug aus der German Grammar mit formellen und funktionalen Beschreibungen 5.5.2 Valenz-, Dependenzgrammatik Schwerpunkt der Valenzgrammatik oder Dependenzgrammatik ist es, die Beziehungen der Elemente eines Satzes zueinander zu beschreiben. Das betrifft alle Bereiche der Grammatik, also auch phonologische und morphologische Beziehungen neben Syntax und Semantik. Im engeren Sinne behandelt die Valenzgrammatik vor allem die Syntax und Semantik von Sprachen. Nur diese Be‐ reiche sind bisher auch für den Sprachunterricht nutzbar ge‐ macht worden. Der aus der Chemie entlehnte Begriff der Valenz bedeutet, dass ein bestimmtes Wort oder eine Wortklasse die Fä‐ higkeit hat, andere Wortklassen zu binden und ihnen bestimmte Rollen zuzuweisen. Diese Rollen oder Funktionen ergeben sich aus der Bedeutung der Wörter, sind also im mentalen Lexikon markiert (vergleiche die Struktur von Lexemen in psycholingu‐ istischen Produktions- und Verstehensmodellen, Kapitel 3.6). Die wichtigste Rolle in der deutschen Grammatik spielt dabei das Verb, denn es bestimmt, welche anderen Rollen im Satz besetzt 5 Sprache 218 <?page no="219"?> einheitliche Darstellung werden, also welche Spieler (Aktanten) mitspielen dürfen oder müssen. Jedes Verb hat eine bestimmte Wertigkeit oder Valenz, die angibt, ob ein Subjekt vorhanden sein muss (was in der Regel der Fall ist), ob dieses Subjekt gegebenenfalls ein leeres Subjekt wie in es regnet ist und ob und welche weiteren Ergänzungen (Objekte) vorhanden sein können oder müssen. Dementspre‐ chend gibt es ein-, zwei oder dreiwertige Verben im Deutschen. Darüber hinaus legt die Verbsemantik (die Bedeutung des Verbs) fest, welche weiteren Angaben im Satz gebraucht werden kön‐ nen, also zum Beispiel welche Adverbiale (Zeit, Ort, Instrument, Modalität und andere) realisiert sein sollen oder müssen. So las‐ sen sich mit recht wenigen Mitteln auf vergleichsweise einfache Art Satzstrukturen darstellen und erklären. Ein Hauptsatz mit zusammengesetztem Verb (V1 ist das Modalverb, V2 das dazu‐ gehörige Hauptverb) kann in diesem Ansatz mit einfachen Bal‐ ken für die Satzfelder folgendermaßen schematisiert werden: Abb. 5.8: Einfache Darstellung der Satzstruktur in der Valenzgrammatik des Deutschen von Rall/ Engel/ Rall (1985: 38) Das einfache Schema ermöglicht eine einheitliche Darstellung für die unterschiedliche Besetzung von Vor- und Mittelfeld. Im Vorfeld kann demnach bei gleicher Struktur das Subjekt oder ein Adverbial (hier Zeit- und Richtungsangabe) stehen. Im Mittelfeld hat die Reihung der Elemente keinen Einfluss auf die Gesamt‐ struktur. 5.5 Grammatik 219 <?page no="220"?> Wertigkeit der Verben Auch Nebensatzstrukturen lassen sich in der Valenzgramma‐ tik noch einfach darstellen: Abb. 5.9: Einfaches Schema von Nebensatzkonstruktionen in der Va‐ lenzgrammatik des Deutschen von Rall/ Engel/ Rall (1985: 40) Das Schema stellt die Struktur des einleitenden Hauptsatzes (HS) mit der Subjektergänzung (E s ; auch Nominativergänzung ge‐ nannt) dar. Der zweite Teil gibt die gleichen Elemente in der Ne‐ bensatzanordnung (NS) wieder. Dabei wandert das Modalverb (V1) als schließendes Element der Satzklammer an das Ende des Satzes. Die Wertigkeit der Verben wird gestuft angegeben. Avalent sind die Verben mit leeren Subjekten. Das Subjekt es in es friert zum Beispiel ist nur ein Platzhalter und semantisch leer. Mono‐ valent bezeichnet einwertige Verben, die meist Zustände be‐ schreiben und kein direktes Objekt haben, das heißt intransitiv sind wie in Der Rezensent stänkert unqualifiziert. Hier ist das Subjekt der Rezensent die einzige Ergänzung. Er kann Unsinn schreiben oder längst widerlegte Vorurteile und Ängste bedie‐ nen, aber diese nicht stänkern. Divalent heißen zweiwertige Ver‐ ben wie in Geld regiert die Welt. Hier sind Subjekt und Objekt realisiert. Trivalent sind dreiwertige Verben meist des Sagens oder Gebens wie in Der Boss trichtert seinen Kumpels den neuen Plan ein. Die Ergänzungen können notwendige (obligatorische) Ergänzungen sein, die also realisiert sein müssen, damit ein Satz Sinn ergibt, oder fakultative Ergänzungen, bei denen eine Stelle zwar vorgesehen ist, aber nicht besetzt sein muss, wenn die In‐ formation nicht wichtig erscheint. In Martina trinkt einen Ra‐ mazzotti nach dem anderen ist der Ramazzotti sprachlich ab‐ kömmlich, auch wenn er ansonsten (bis zu einer bestimmten 5 Sprache 220 <?page no="221"?> Grundlage didak‐ tisierter Gramma‐ tik Grenze) bekömmlich sein mag. Martina (das Subjekt) kann hier jedoch in keinem Fall fehlen. Die Ergänzungen sind von den An‐ gaben zu unterscheiden, die zusätzliche Informationen etwa zur‐ zeit, zur Art und Weise oder zum Ort geben (zum Beispiel nach Mitternacht mit ihren Freunden beim Schwimmbadfest). Ohne sie ist ein Satz nicht ungrammatisch, aber er müsste ohne die spe‐ zifizierenden Informationen auskommen. Viele Angaben sind in diesem Sinne freie Angaben. Wegen der relativ einfachen Darstellungsmöglichkeiten hat die Valenzgrammatik seit den 1970er Jahren besonders in Lehr‐ werken für Deutsch als Fremdsprache Einzug gefunden. Das erste und bekannteste ist Deutsch Aktiv. Außer schulgramma‐ tischen Darstellungen ist die Valenzgrammatik der einzige grammatische Ansatz, der überhaupt systematisch in Lehrwer‐ ken zum Einsatz gekommen ist. Allerdings ist er in mancherlei Hinsicht nur begrenzt verwendbar und daher auch in neueren Lehrwerken stark modifiziert oder ganz ersetzt worden. Für Lerner besonders schwer verständlich ist die Terminologie, die im Gegensatz zur Zielsetzung der Einfachheit der grammati‐ schen Darstellung zu stehen scheint. Begriffe wie Nominativ‐ ergänzung (statt Subjekt) oder obligatorische Akkusativergän‐ zung (statt direktes Objekt) und Ähnliches sind für Lerner schwer nachvollziehbar und kaum zu behalten, zumal für Ein‐ steiger. Kritisch ist aber nicht nur die Begrifflichkeit, sondern auch das semantische Vorverständnis, das hier von den Ler‐ nern erwartet wird. Die Funktionen der Ergänzungen und An‐ gaben sind für Lerner ohne sprachliches Vorwissen kaum er‐ sichtlich. Sie ergeben sich erst, wenn die Wörter bekannt sind und verstanden werden können. Ein weiterer Nachteil der Va‐ lenzgrammatik ist ihre Beschränkung auf Satzstrukturen. Grö‐ ßere sprachliche Einheiten wie Äußerungen, Gespräche oder Texte lassen sich damit nicht erfassen. Wegen seiner funktionalen Ausrichtung eignet sich der va‐ lenzgrammatische Ansatz in vieler Hinsicht aber dennoch als Grundlage für didaktisierte Grammatiken (siehe Kapitel 5.9). 5.5 Grammatik 221 <?page no="222"?> Deiktika 5.6 Text Die Textlinguistik untersucht Sprache in satzübergreifenden Einheiten. Damit sollen die Beschränkungen der bisher darge‐ stellten Grammatiken überwunden werden, die sich mit Sätzen als den größten Einheiten befassen. Die Textlinguistik geht von der Grundannahme aus, dass Sprache überhaupt nur in Texten vorkommt, schriftlichen und mündlichen. Die Textgrammatik ist in erster Linie eine wissenschaftliche Grammatik. Für Lern‐ zwecke ist sie bisher nur wenig genutzt worden. Ein besonde‐ res Verdienst der Textlinguistik ist die systematische Erfas‐ sung von Verweisstrukturen. Hierzu gehören vor allem Verweise auf vorangegangene (anaphorische) und folgende (kataphorische) Information. Neue Personen oder Gegenstände werden in der Regel mit dem unbestimmten Artikel ein, eine … eingeführt und dann mit dem zurückverweisenden bestimmten Artikel oder Pronomen wieder aufgenommen: Es war einmal ein kleines Mädchen … Es/ Das Mädchen war treu und lieb … Auch zeigende (deiktische) Verweise auf die jeweilige Sprechsitua‐ tion wie heute, ich, du, hier bauen Texte, das heißt Netze, auf. Sie haben keine eindeutig definierbare Bedeutung, sondern be‐ kommen diese erst durch den situativen Bezug auf die entspre‐ chenden Referenten. So kann hier trotz seiner eigenen Bedeu‐ tung unendlich viele Orte betreffen, von den Favelas in Rio, bis zum fürstlich geschmückten Präsidentenpalast in Ouagadou‐ gou, von Tongariki über den Ayers Rock bis zum Hühnerstall in Schimpflingsöd. Über sieben Milliarden Menschen könnten mit Fug und Recht den Begriff ich für sich als Patent anmel‐ den, und es werden jede Sekunde mehr. Ähnliche Verweis‐ strukturen gibt es auch in anderen Bereichen der Sprache, zum Beispiel beim Tempus (Verweis auf Sprech- und Ereigniszeit). Schließlich bilden sich in Texten bestimmte typische Struktu‐ ren aus, die zur Ausbildung von Textsorten führen. Textualität entsteht durch solche sprachlichen Mittel und den jeweiligen Verwendungskontext. Aus der expliziten Verbindung von Wörtern, Teilsätzen und Sätzen durch sprachliche Mittel wie Pronomen, Konjunktionen, Konjunktionaladverbien oder Arti‐ kel ergibt sich die Kohäsion eines Textes. Durch einen nach‐ 5 Sprache 222 <?page no="223"?> Text- und nutzer‐ zentrierte Kriterien vollziehbaren inhaltlichen Zusammenhalt logischer, zeitlicher oder anderer semantischer und pragmatischer Beziehungen, die nicht ausdrücklich markiert sein müssen, entsteht die Kohärenz eines Textes. Neben den textzentrierten Kriterien bestimmen vor allem die folgenden verwenderzentrierten Kriterien die Textualität sprach‐ licher Produktionen (Texte): die Einstellung und Absicht des Text‐ produzenten (Intentionalität), die Relevanz des Textes und seine Einbettung in einer bestimmten Situation (Situationalität), die Erfüllung bestimmter Akzeptabilitätsansprüche und Normen (Akzeptabilität), der Informationsgehalt (Informativität) und die Übereinstimmung von Merkmalen einer Textklasse und Text‐ sorte (Intertextualität). Da Sprache in Texten und nicht in ein‐ zelnen Sätzen oder Wörtern vorkommt und dabei viele Kriterien eine Rolle spielen, die kulturell bedingt (Situationalität, Akzepta‐ bilität, Intentionalität und Informativität) beziehungsweise sprachkulturell genormt sind (Intertextualität, Textsorten), kann Sprache auch nicht nur anhand der formellen Eigenschaften er‐ folgreich vermittelt werden. Woher sollten die Lerner die nötigen kulturellen und kontextuellen Kenntnisse haben? In den Aus‐ gangssprachen der Lerner werden die genannten Textualitätskri‐ terien oft anders gewichtet und realisiert. Beispiel Kontaktanzeige Zur Illustration hier ein Beispiel der Textsorte Kontaktan‐ zeige. Sie verfügt über folgende Komponenten: 1. Informationen zum Inserenten 1. 2. sucht oder ähnliche Begriffe 2. 3. Adressat 3. 4. Ziele 4. 5. Kommentar 5. 6. Adresse und Sonstiges 6. Hierzu eine Annonce aus dem Oberbayerischen Volksblatt vom 1.1.2005. Die Nummerierung und Zeilenaufteilung ist zur besseren Illustration geändert worden. 5.6 Text 223 <?page no="224"?> Textsorten (1.) Katja, 26 J., bin ein sehr hübsches, natürliches Mädl mit toller, schlanker Figur, kein Discotyp, deshalb schon län‐ ger allein. (2.) Ich hätte auch gerne (3.) einen netten, treuen Freund, (4.) der zu mir hält, es ehrlich meint und der sich auch Zeit für mich nimmt. (5.) Hab Mut und melde Dich gleich, ich freu mich, (6.) üb. Single-Service, kostenlos 0800-4466500 Diese Kontaktanzeige ist als Text von einer wahllosen An‐ sammlung von Wörtern unterscheidbar, weil sie alle Tex‐ tualitätskriterien erfüllt: Sie ist kohärent, weil sich die ein‐ zelnen Elemente sinnstiftend aufeinander beziehen lassen. Dabei entsteht unter anderem durch die Verwendung pro‐ nominaler Elemente (Ich, mir, mich, Dich, der), Artikel (ein, einen) und das Präsens eine innere Kohäsion des Textes. Dass diese Anzeige auf der Annoncenseite einer Zeitung erschienen ist und die typischen Merkmale einer Kontakt‐ anzeige erfüllt, unterstreicht die authentische Intention der Schreiberin (Partner finden) in der Situation (Suche) mit der dafür wichtigsten Information und in der textsortentypi‐ schen Gestaltung und Anordnung. Die textuelle Akzepta‐ bilität ist für Schreiberin, Zeitung und Leser erfüllt. Sollten sich dennoch keine geeigneten Interessenten melden, liegt das nicht an mangelnder Textualität. Textsorten sind Muster von bestimmten Verwendungsarten von Sprache. Nur die Füllung des Musters ist unterschiedlich, so wie in dem Beispiel der Textsorte Kontaktanzeige. Zeitungsartikel, Anzeigen, Protokolle, Gedichte, Fernsehberichte, Beratungsge‐ spräche, Reden, kurzum die ganze Sprache ist in Textsorten or‐ ganisiert (Adamzik 2000, Fix/ Habscheid/ Klein 2001). Textsorten sind in verschiedenen Kulturen meist unterschiedlich ausge‐ prägt, können aber auch international − etwa in Fachsprachen − genormt sein. Die typischen Merkmale von Textsorten ermögli‐ chen das schnelle und angemessene Erfassen und Produzieren von Sprache und sind damit für den Fremdsprachenunterricht als Vermittlungsgegenstand besonders wichtig (Adamzik 2004, 5 Sprache 224 <?page no="225"?> Schnotz 2006, Reeg 2006, Scheel 2007, Weinrich 2007, Venohr 2008, Fandrych/ Thurmair 2011). Textgrammatik Eine Textgrammatik lässt sich in Anlehnung an Weinrich (2007) mit acht Merkmalen fassen: ▸ Sie ist eine Textgrammatik, weil Sprache nur in na‐ ▸ türlichen Texten vorkommt. ▸ Sie ist eine Dialoggrammatik, weil die Grundeinheit ▸ der Kommunikation aus Sprecher und Hörer (Autor und Leser) besteht. ▸ Sie ist eine anthropologische Grammatik, weil sie ▸ die Beziehungen der an der Kommunikation Beteilig‐ ten, wie zum Beispiel das direkte Gegenüber der Ge‐ sprächspartner, die face-to-face-Position, thematisiert und veranschaulicht. ▸ Sie ist eine Instruktionsgrammatik, weil sie Wörter ▸ und andere sprachliche Strukturen als Anweisungen eines Sprechers an einen Hörer versteht. ▸ Sie ist eine Merkmalgrammatik, weil jeder gramma‐ ▸ tische Begriff durch die spezifische Verbindung (eines begrenzten Inventars) semantischer Merkmale defi‐ niert ist, zum Beispiel der Possessivartikel mein durch die Merkmale SPRECHER und BEKANNT. ▸ Sie ist eine deskriptive Grammatik, weil sie Texte ▸ untersucht und verwendet, die eine repräsentative Auswahl für die jeweilige Sprache darstellen. ▸ Damit ist sie auch eine landeskundliche Gramma‐ ▸ tik. ▸ Schließlich bildet sie die Grundlage für eine didakti‐ ▸ sche Grammatik, weil sie die konzeptuellen und ko‐ gnitiven Prinzipien von Sprache nachzuzeichnen und zu erklären versucht. In diesem Sinne erfasst und beschreibt sie Sprache auf verschie‐ denen Ebenen. Das kann am Beispiel des Tempus illustriert wer‐ den. 5.6 Text 225 <?page no="226"?> Beispiel Die Tempus-Perspektive Die Tempus-Perspektive ist eine Kategorie der Einstellung, mit der die Geltungsweise einer Prädikation zeitlich festgelegt wird. Bei den meisten Prädikationen (etwa 80 % der Vorkommen) spielt die zeitli‐ che Perspektive jedoch keine Rolle, und so gebraucht man, je nach dem Tempus-Register, entweder das besprechende Neutral-Tempus Präsens oder das erzählende Neutral-Register Präteritum. Bei diesen beiden Tempora ist also hinsichtlich der Tempus-Perspektive nichts Besonderes zu bemerken („Null-Perspektive“). Anders verhält es sich mit den Tempora, die eine Differenz-Perspek‐ tive zum Ausdruck bringen, und zwar entweder die Rückperspektive, die durch das semantische Merkmal <RÜCKSCHAU> gekennzeich‐ net ist, oder die Voraus-Perspektive, für deren Kennzeichnung das semantische Merkmal <VORAUSSCHAU> gewählt wird. Zur Über‐ sicht: 184 S prache Beispiel Abb. 5.10 Auszüge aus der Textgrammatik der deutschen Sprache von Weinrich (2007) zur Illustration der funktionalen Beschreibung von Textstrukturen Die Tempus-Perspektive Die Tempus-Perspektive ist eine Kategorie der Einstellung, mit der die Geltungsweise einer Prädikation zeitlich festgelegt wird. Bei den meisten Prädikationen (etwa 80% der Vorkommen) spielt die zeitliche Perspektive jedoch keine Rolle, und so gebraucht man, je nach dem Tempus-Register, entweder das besprechende Neutral-Tempus Präsens oder das erzählende Neutral-Register Präteritum. Bei diesen beiden Tempora ist also hinsichtlich der Tempus-Perspektive nichts Besonderes zu bemerken („Null-Perspektive“). Anders verhält es sich mit denTempora,die eine Differenz-Perspektive zum Ausdruck bringen, und zwar entweder die Rückperspektive, die durch das semantische Merkmal <RÜCKSCHAU> gekennzeichnet ist, oder die Voraus-Perspektive, für deren Kennzeichnung das semantische Merkmal <VORAUSSCHAU> gewählt wird. Zur Übersicht: TEMPUS-PERSPEKTIVE NEUTRAL-PERSPEKTIVE DIFFERENZ-PERSPEKTIVE PRÄSENS PRÄTERITUM RÜCK-PERSPEKTIVE VORAUS-PERSPEKTIVE PERFEKT PLUSQUAMPERFEKT FUTUR Es handelt sich bei den Bedeutungen der perspektivischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt und Futur ebenfalls, wie auch beim Tempusregister, um Instruktionen, die sich auf die Geltungsweise der jeweiligen Prädikation beziehen. 3.1.1.2.1 Formen des Perfekts Das Perfekt wird mit einer Tempusklammer gebildet, die als Vorverb eine Präsensform der Hilfsverben habe oder bin und als Nachverb das Rück-Partizip eines Verbs benutzt: VORVERB IM PRÄSENS NACHVERB IM RÜCK-PARTIZIP / wir haben die Altstadt besichtigt/ sind als Touristen gekommen/ TEMPUSKLAMMER Die Wahl entweder des Hilfsverbs habe oder des Hilfsverbs bin als Vorverb der Tempusklammer im Perfekt richtet sich nach der Valenz und Bedeutung der Verben. Dafür gelten die folgenden Regeln: (A) Hilfsverb habe Die meisten Verben der deutschen Sprache bilden ihr Perfekt mit dem Hilfsverb habe. Dieses steht immer bei objektwertigen Verben: (…) Es handelt sich bei den Bedeutungen der perspektivischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt und Futur ebenfalls, wie auch beim Tem‐ pusregister, um Instruktionen, die sich auf die Geltungsweise der jeweiligen Prädikation beziehen. 3.1.1.2.1 Formen des Perfekts Das Perfekt wird mit einer Tempusklammer gebildet, die als Vorverb eine Präsensform der Hilfsverben habe oder bin und als Nachverb das Rück-Partizip eines Verbs benutzt: 5 Sprache 226 <?page no="227"?> Signalcharakter PRÄSENS PRÄTERITUM RÜCK-PERSPEKTIVE VORAUS-PERSPEKTIVE PERFEKT PLUSQUAMPERFEKT FUTUR Es handelt sich bei den Bedeutungen der perspektivischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt und Futur ebenfalls, wie auch beim Tempusregister, um Instruktionen, die sich auf die Geltungsweise der jeweiligen Prädikation beziehen. 3.1.1.2.1 Formen des Perfekts Das Perfekt wird mit einer Tempusklammer gebildet, die als Vorverb eine Präsensform der Hilfsverben habe oder bin und als Nachverb das Rück-Partizip eines Verbs benutzt: VORVERB IM PRÄSENS NACHVERB IM RÜCK-PARTIZIP / wir haben die Altstadt besichtigt/ sind als Touristen gekommen/ TEMPUSKLAMMER Die Wahl entweder des Hilfsverbs habe oder des Hilfsverbs bin als Vorverb der Tempusklammer im Perfekt richtet sich nach der Valenz und Bedeutung der Verben. Dafür gelten die folgenden Regeln: (A) Hilfsverb habe Die meisten Verben der deutschen Sprache bilden ihr Perfekt mit dem Hilfsverb habe. Dieses steht immer bei objektwertigen Verben: (…) Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 184 30.07.13 17: 30 44038_Roche.indd 184 26.04.2018 12: 42: 04 Die Wahl entweder des Hilfsverbs habe oder des Hilfsverbs bin als Vorverb der Tempusklammer im Perfekt richtet sich nach der Valenz und Bedeutung der Verben. Dafür gelten die folgenden Regeln: (A) Hilfsverb habe Die meisten Verben der deutschen Sprache bilden ihr Perfekt mit dem Hilfsverb habe. Dieses steht immer bei objektwertigen Verben: (…) Abb. 5.10: Auszüge aus der Textgrammatik der deutschen Sprache von Weinrich (2007) zur Illustration der funktionalen Beschreibung von Textstrukturen In dieser Darstellung kommt der Signalcharakter der Textgram‐ matik deutlich zum Vorschein. Sprachliche Elemente enthalten Anweisungen zur Vor- oder Rückschau im Text. Andere Ele‐ mente drücken die Einstellung oder Perspektive des Sprechers oder Schreibers zum Sachverhalt (der Prädikation) aus, zum Bei‐ spiel durch Modalverben, Konjunktiv, Aktiv/ Passiv oder be‐ stimmte Profilierungen von Ereignissen (Aspekt). Für die Dar‐ stellung der grammatischen Regeln, wie hier beim Perfekt, verwenden Textgrammatiken daher ihre eigene Terminologie, wie zum Beispiel Tempus-Klammer, Rück-Partizip, Vor- und Nachverb. Dass Texte in Standardlehrwerken dagegen oft auf die einfa‐ che Aneinanderreihung von Sätzen reduziert werden, zeigt fol‐ gendes Beispiel: 5.6 Text 227 <?page no="228"?> Unterrichtsbezug Beispiel Abb. 5.11: Landeskundetext als Aneinanderreihung einzelner Sätze im Lehrwerk Tangram aktuell 2 (2005: 21) Aspekte der Textstruktur und ihrer Vernetzung (Textualität) spielen hier eine untergeordnete Rolle. Das heißt, solche Texte werden kaum in ihrer internen Struktur und Textsortenspezifik, sondern vor allem in ihrer Eigenschaft als grammatisches und lexikalisches Anschauungsmaterial behandelt. Auch literarische Texte oder Lieder dienen meist nur als Informationsquellen für ein bestimmtes Thema oder als Illustration eines grammatischen Merkmals. Wie Textualität auch im Anfängerunterricht behan‐ 5 Sprache 228 <?page no="229"?> Verweisstruktur delt werden kann, zeigt folgendes Beispiel aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache. Der Text und die dazu gehörenden Aufgaben illustrieren die internen textuellen Bezüge, das heißt den sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhang (Kohäsion und Kohärenz), an einer Fabel. Beispiel Abb. 5.12: Die textgrammatikalische Bahendlung der Fabel Der Rabe und der Fuchs von Lafontaine in Deutsch aktiv Neu (1986) Als Vertreter der Textsorte Fabel weist dieser grammatika‐ lisch und lexikalisch einfache Text eine Reihe typischer Merkmale auf wie zum Beispiel die bildliche Sprache (Me‐ taphern), den chronologischen Ablauf der Ereignisse und die Moral. Wenn Lerner diese Strukturierungsprinzipien kennen, unter Umständen auch aus ihrer Erstsprache, dann fällt ihnen das Verstehen leichter, weil sie die Information bereits an bestimmten Stellen erwarten und sie damit besser einordnen können. Allerdings werden gerade in Fabeln die Metaphern in verschiedenen Kulturen von anderen Bild‐ spendern gespeist. Der Fuchs gilt nicht in allen Kulturen als schlaues Tier, ein Rabe nicht als dummes. In Bezug auf die 5.6 Text 229 <?page no="230"?> Text als Prozess Textgrammatik ist dieser Text besonders durch seine viel‐ fältigen Bezüge interessant, die aus formaler Sicht viel Ver‐ wirrung stiften könnten. Die pronominalen Elemente er und seinem bezeichnen zum Beispiel eine 3. Person Singular. Formal gesehen könnte daher auch der Baum einen Schna‐ bel haben und ein Stück Käse halten. Nur das Weltwissen erlaubt es Lesern, eine korrekte Zuordnung zu schaffen. Die Visualisierung der Bezüge im Text (farbig im Lehrbuch) zeigt die verzweigte Verweisstruktur der pronominalen Ele‐ mente, die Leser zum korrekten Verstehen durchschauen müssen. Das Beispiel macht deutlich, dass eine satzbezogene Grammatik satzübergreifende Bezüge auf Sprache und Weltwissen nur schlecht erklären kann. Für das Verstehen der Sprache sind in‐ terne textuelle Bezüge und Bezüge auf den externen Kontext von grundsätzlicher Bedeutung. Das Verstehen eines Textes hängt weniger von den korrekten Endungen und der richtigen Wort‐ stellung als von den textuellen Bezügen und dem Weltwis‐ sen ab. Im Unterricht können diese Bezüge anhand verschiede‐ ner Textsorten gerade mit grafischen Mitteln gut dargestellt werden. Um die Bezüge zu erkennen oder herzustellen, bedarf es ent‐ sprechender Textkompetenzen der Leserinnen und Leser. Schmölzer-Eibinger nennt eine Reihe von Kompetenzen, die sie in „sprachenübergreifende, weitgehend transferierbare Kompe‐ tenzen“ (Kohärenzkompetenz, Kontextualisierungskompetenz, Kommunikationskompetenz, Textoptimierungskompetenz, stra‐ tegische Kompetenz) und „sprachengebundene, nicht transfer‐ fähige Kompetenzen“ (Formulierungskompetenz, Textgestal‐ tungskompetenz, Textmusterkompetenz) unterteilt (Schmölzer- Eibinger 2011: 51). Die neuen Medien bieten im Hinblick auf die Veranschauli‐ chung textueller Bezüge eine geeignete Hilfestellung, weil sie Texte nicht nur als Produkte, sondern als Prozesse darstellen und damit kognitive Prozesse der Sprachverarbeitung besser abbil‐ den können. Dazu gehören nicht nur farbliche und andere Her‐ vorhebungen, sondern vor allem die Abbildung dynamischer 5 Sprache 230 <?page no="231"?> Prozesse des Textaufbaus und der Textentstehung. Die folgende Abbildung zeigt zwei Momentaufnahmen aus einer Animation zum Textaufbau. Beispiel Abb. 5.13: Animationen zur Textkohärenz und Textkohäsion im Uni- Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com) Diese Animation (www.deutsch-uni.com) verdeutlicht durch gra‐ duellen Aufbau der zwei Textblöcke und durch farbige Hervor‐ hebung der Bezugselemente (Biodiesel − Biodiesel und auf dem Lande − dort) die Entstehung textueller Kohäsion im Prozess des Lesens. Die Animation lässt den Text parallel zur Leserichtung von links nach rechts und mit mittlerer Lesegeschwindigkeit er‐ scheinen. Ist der Text aufgebaut, leuchten die Bezugselemente auf und die Pfeile verdeutlichen den rückwärtigen Bezug auf die Vorgängerinformationen. 5.6 Text 231 <?page no="232"?> Prinzip der ko‐ gnitiven Plausi‐ bilität Zur Verdeutlichung der Entstehens- und Verstehensprozesse von Texten eignet sich die elektronische Gattung Hypertext wie kaum eine andere. Hypertexte sind grundsätzlich nichts anderes als gedruckte Texte, aber sie machen im elektronischen Medium plastisch deutlich, wie Texte aufgebaut und gelesen werden (Prinzip der kognitiven Plausibilität). Damit eignen sie sich her‐ vorragend als didaktisches Mittel. Hypertexte veranschaulichen, dass Texte grundsätzlich keine linearen Konstrukte sind, sondern aus vielfältigen Verzweigungen bestehen, auch wenn sie an der geschriebenen oder gesprochenen Oberfläche in einer linearen Ordnung erscheinen. Lesen wir aber Texte wirklich strikt von links nach rechts oder in anderen Lesekulturen von rechts nach links? Hören wir wirklich jeden Laut, bis wir am Ende der Äu‐ ßerung oder des Textes wissen, was gesagt wurde? Ganz im Ge‐ genteil. ▸ Texte bilden eine außersprachliche Wirklichkeit ab. Dabei ▸ entstehen inhaltliche Lücken, die ein Leser oder Hörer auf Grund seines Vorwissens füllen muss. ▸ Häufig ist das, was wir hören oder lesen, sprachlich un‐ ▸ vollständig. Hörer oder Leser müssen daher aktiv mitver‐ stehen (Sinn konstruieren), um Nachrichten zu entziffern. ▸ Beim Hören und Lesen bilden wir uns unwillkürlich eine ▸ Vorstellung davon, wie ein Text weitergehen könnte, noch bevor er zu Ende ist. Als Hörer und Leser entwickeln wir Suchfragen, mit denen wir Texte nach Anhaltspunkten für diese Ideen abtasten und damit die Hypothesen weiter‐ spinnen. ▸ Hören und Lesen sind also keine passiven oder rezeptiven ▸ Vorgänge, sondern setzen im Gegenteil eine äußerst aktive Tätigkeit des Gehirns voraus, auch wenn sich diese nicht immer unmittelbar produktiv äußert. ▸ Beim Lesen machen unsere Augen geradezu turnerische ▸ Übungen: sie tasten permanent den Text nach vorne und hinten, oben und unten ab, und zwar auf mehreren Ebenen: auf der Zeilen- und Satzebene, auf einer Seite und auch auf der Ebene des Textes. Welche Leserin springt nicht zur Zu‐ sammenfassung eines Zeitschriftenartikels, bevor sie den 5 Sprache 232 <?page no="233"?> Text als Konstruktion ganzen Text liest, und dann wieder zurück, falls sie dort etwas Interessantes entdeckt? Welcher Zeitungsleser springt nicht zuerst zu den Bildern eines Berichtes, bevor er anfängt, den Text zu lesen? Die Augenbewegungen sind natürlich schwer wahrzunehmen. Mit modernen Messver‐ fahren sind sie aber sehr deutlich nachweisbar. Im Zug oder in der Straßenbahn kann man übrigens leichter einen Ein‐ druck von der Art und Geschwindigkeit der Augenbewe‐ gungen bekommen, nämlich wenn man andere Fahrgäste beobachtet, die aus dem Fenster schauen und die Land‐ schaft scannen. Der wichtigste Unterschied zwischen Hypertexten und Wörter‐ büchern, Enzyklopädien, Konferenzprogrammen, Fahrplänen, Kochbüchern und Referenzmaterialien sowie bildlichen Darstel‐ lungen besteht darin, dass Letztere ursprünglich nicht elektro‐ nisch vermittelt werden. Sie werden in der Regel nicht systema‐ tisch von vorne nach hinten, sondern durch individuelle Zugänge und mittels unterschiedlicher Navigationspfade gele‐ sen. Was für diese Textsorten gilt, trifft auch auf literarische und alle anderen Texte mehr oder weniger stark zu. Die Leseverste‐ hensforschung hat sich mit den konstruktiven und aktiven Pro‐ zessen des Lesens seit den 1970er Jahren intensiv beschäftigt. Sie sieht den Leser und die Leserin als den eigentlichen Produzenten eines Textes an. Eine der zentralen Formeln dieser Forschung lautet: „Ein Text ist die Summe seiner Interpretationen.“ Diese Interpretationen basieren auf dem Vorwissen des Lesers und sei‐ ner Fähigkeit, die Informationen des Textes damit zu verknüpfen. Lesen bedeutet also Texte zu konstruieren. Die literarische Form von Hypertexten ist die so genannte Hyperfiction. In der Hyperfiction wird die gestaltende Rolle des Lesers (Rezipienten) dadurch besonders deutlich, dass er Ent‐ scheidungsmöglichkeiten ausdrücklich wahrnehmen muss. Ohne seine expliziten Entscheidungen geht die Geschichte nicht weiter. 5.6 Text 233 <?page no="234"?> Beispiel Dazu ein Beispiel aus dem Unterricht. Im Folgenden wird eine Online-Lerneinheit zur Hyperfiction beschrieben, in der unter anderem ein detektivisches Rätsel zu dem Hyper‐ fiction-Text Zwei Tote? von Romana Brunnauer enthalten ist. Der Einstieg in die Lerneinheit ist in fünf Teilen ange‐ ordnet und erlaubt den Lernern dauernden Zugang zu wei‐ teren offenen Internetressourcen. Abb. 5.14: Die Eingangsseite zum Hyperfiction-Kapitel Zwei Tote? in uni-deutsch.de. Der Lerner kann an verschiedenen Stellen in die Ge‐ schichte einsteigen und die Lösung des Kriminalfalles beginnen 5 Sprache 234 <?page no="235"?> Lernziele entdeckendes Lesen Die Lernziele der Unterrichtsarbeit mit diesem Hyperfiction Text bestehen in Folgendem: ▸ das Rätsel zu lösen, ▸▸ die Lösung weitgehend selbständig entdeckend zu er‐ ▸ arbeiten, ▸ sich an der Textentstehung aktiv zu beteiligen, ▸▸ Ressourcen nutzen zu lernen, ▸▸ aktiv die Sprache zu lernen, ▸▸ gesellschaftlich relevantes Wissen zu erfahren und mit ▸ bekanntem zu vergleichen, ▸ und den Text als Prozess verstehen und nachvollziehen ▸ zu können. Kern des Rätsels ist die detektivische Arbeit der Rekon‐ struktion der Ereignisse, die zum vermeintlichen Tod von zwei Bewohnern führen könnten. Der Leser kann sich dabei von Spuren oder Vermutungen leiten lassen und in zahlrei‐ chen Gesprächen mit Zeugen nach weiteren Hinweisen su‐ chen. Zur besseren Rekonstruktion der Ereignisse und tex‐ tuellen Verweise sind die Szenen mit Zeitangaben versehen. Je nach Zugang gehen viele textuelle Bezüge der Gespräche zwangsläufig zunächst ins Leere und müssen durch weitere Recherchen gefüllt werden. So wird in einzelnen Szenen auf Personen und Ereignisse Bezug genommen, von denen der Leser vorher nichts gehört oder gelesen haben dürfte. Es entstehen dadurch offene Fragen, die der Leser in krimina‐ listischer Arbeit und mit einer Reihe von Online-Hilfen lö‐ sen muss. Wo nötig kann er sich nachträglich Informationen durch andere bildliche, textliche, literarische und sonstige Quellen besorgen. Erst dadurch entstehen Sinn und Text. 5.6 Text 235 <?page no="236"?> didaktische und methodische Aspekte Abb. 5.15: Rätselkombination: Spurensuche über frei wählbare Szenen der Hausbewohner im Text von Romana Brunnauer (unideutsch.de) Merkmale von Hypertexten Interaktive Hypertexte eignen sich für den Fremdsprachen‐ unterricht demnach in folgender Weise: ▸ Sie sind authentisch im Sinne der modernen kommu‐ ▸ nikativen Sprachdidaktik. ▸ Hypertexte sind an elektronische Medien gebunden, ▸ werden also auch in Online-Lernprogrammen medien‐ adäquat verwendet. Sie erlauben darüber hinaus die Vermittlung neuer Schlüsselkompetenzen im Umgang mit den elektronischen Medien, wie sie in Lehrplänen zunehmend gefordert werden. ▸ Bild und Sprache lassen sich in Hypertexten verste‐ ▸ hensfördernd einsetzen. 5 Sprache 236 <?page no="237"?> ▸ Als interaktive Gattung kommen Hypertexte den For‐ ▸ derungen der Sprachdidaktik und der Lernpsychologie insofern entgegen, als sie sprachlich einfacher verwert‐ bare Strukturen bereitstellen und gleichzeitig das natür‐ liche Interesse der Lerner an Entdeckung und an kreati‐ ven Strukturen explizit einfordern und üben. Dies kann auch zum selbständigen Weiterarbeiten führen. ▸ Hypertexte entsprechen damit auch den Kriterien kon‐ ▸ struktivistischer und konstruktionistischer Lernmo‐ delle und der Rezeptionsästhetik, die die aktiven und schaffenden (aufgaben- und handlungsorientierten) Elemente der Informationsverarbeitung und des Ler‐ nens hervorheben. ▸ Sie sprechen verschiedene Lernertypen und sprachli‐ ▸ che Lernniveaus an, indem sie mit methodischer Leich‐ tigkeit zwischen gesteuerten Unterrichtselementen und Verfahren offenen Lernens vermitteln, sind also lerneradaptiv. ▸ Sie geben Lernern eine starke Autonomie über ihren ▸ Lernprozess und motivieren durch ihre (vordergrün‐ dige) Unvollständigkeit. ▸ Die Texte verweisen auf grundsätzliche Elemente an‐ ▸ derer Textsorten, von denen manche direkte Hyper‐ textstrukturen aufweisen, wie Wörterbücher, Fahr‐ pläne, Programme und Ähnliches, andere aber an der Oberfläche als lineare Texte erscheinen. Diese inter‐ textuellen Bezüge machen Textproduktionsprozesse für Leser und Lerner transparent. ▸ Hypertexte stehen im Netz in ausreichender Anzahl zur ▸ Verfügung und können auch von Lernern vergleichs‐ weise leicht selbst produziert werden. Die Halbwertzeit von literarischen Formen liegt dabei weit über der von Gebrauchstexten, da die Aktualität von Gebrauchstex‐ ten schneller altert als zeitungebundene Literatur. ▸ Hyperfiction stellt eine neue Gattung dar, möglicher‐ ▸ weise auch eine literarische Gattung, die jüngeren Le‐ sergenerationen leichter zugänglich ist als traditionelle Unterrichtsliteratur. Hierdurch wird unter Umständen 5.6 Text 237 <?page no="238"?> konzeptuelle Domänen Metaphorisie‐ rungsprozess Interesse für andere Textsorten geweckt. Die Ergeb‐ nisse: höhere Akzeptanz von neuen Textsorten, leich‐ terer Einstieg auch in literarische Texte, frühere Pro‐ duktion eigener Texte. ▸ Die Offenheit von Hyperfiction ermöglicht kreative In‐ ▸ terpretationen der Leser auch vor ihrem kulturspezifi‐ schen Hintergrund. 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache Die Kognitive Linguistik versucht − wie auch die Spracher‐ werbsforschung − zu ergründen, wie Sprache in den Köpfen der Lerner entsteht und funktioniert. Es ist nicht das vordringliche Ziel, das strukturelle System möglichst abstrakt zu beschreiben, sondern den Sprachgebrauch als Ausgangspunkt für die Erklä‐ rung von kognitiven Prozessen zu verwenden. Aus der Nähe zur kognitiven Realität ergeben sich unter anderem auch eine be‐ sondere Eignung für die Erklärung von Spracherwerbsprozessen und die spätere Ableitung von Lern- und Lehrverfahren (siehe auch Kapitel 3). Wie im konzeptuellen System üblich, werden auch in der Sprache konkrete physische Erfahrungen wie Bewegung, Druck, Kraft genutzt, um abstrakte Sachverhalte auszudrücken (Schne‐ ckentempo, blitzgescheit, jemand explodiert vor Ärger). Demnach tragen perzeptuelle Erfahrungen in Form von Metaphorisierun‐ gen wesentlich zum Auf- und Ausbau eines konzeptuellen Ge‐ rüsts der Sprache bei. Körper und Geist Die körperlichen Erfahrungen und mentalen Bilder werden zwar in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich verwendet, allen Sprachen ist jedoch der Prozess der Metaphorisierung gemein‐ sam, nach dem ein bestimmter konzeptueller Inhalt von einer Quellendomäne auf eine Zieldomäne übertragen wird (Lakoff/ Johnson 1980, Roche/ Roussy-Parent 2006). Bei konzeptuellen Metaphern handelt es sich nach Grady (2007: 188) nicht um reine linguistische Konventionen, sondern um konzeptuelle Assozia‐ 5 Sprache 238 <?page no="239"?> körperliche Interaktion tionen. Daraus lässt sich schließen, dass jeder Sprecher durch entsprechende konzeptuelle Prozesse neue Metaphern schaffen und bereits vorhandene weiter entwickeln kann, selbst wenn diese in der Fremdsprache vorkommen. Metaphern sind also dy‐ namisch und produktiv und können sich in allerlei Kontexten als ein wichtiges Mittel zum Ausdruck komplexer abstrakter Sach‐ verhalte erweisen. Da aber beim Verstehen solcher metaphori‐ schen Konstrukte auch der soziokulturelle und der pragmatische Kontext eine wichtige Rolle spielen, kann ihre erfolgreiche Er‐ schließung nicht alleine durch konzeptuelle Prozesse sicherge‐ stellt werden (de Cock/ Suñer 2017, Kövecses 2015: 15). Vielmehr situieren sich unbekannte Metaphern auf einem Kontinuum, das einerseits aus universellen körperlichen Erfahrungen und ande‐ rerseits aus kontextbedingter Variation besteht (Kövecses 2015: 14). Für eine erfolgreiche Erschließung sollte also der konzeptu‐ elle Inhalt der Metapher mit beiden Polen, der Universalität und der Kontextspezifik, vereinbar sein. Bildschemata Der Begriff des Bildschemas geht auf Johnson (1987) zurück, der Bildschemata als rekurrente sensorische Muster optischer, audi‐ tiver, haptischer, motorischer oder olfaktorischer Natur be‐ schreibt, die wir in unseren körperlichen Interaktionen mit der Umwelt erkennen und in schematischer Form speichern (siehe auch Evans/ Green 2006). Aus der körperlichen Bewegung, der Manipulation von Objekten, der Wahrnehmung von Druck und externen Kräften etc. leiten wir Bildschemata ab, die uns dann als eine Art Vorlage zur Strukturierung konzeptueller Inhalte zur Verfügung steht. Da diese Bildschemata ihren Ursprung in den sensorischen Erfahrungen haben, behalten sie auch die entspre‐ chenden modalitätsspezifischen Informationen und können durch Prozesse des bildlichen Denkens wie die mentale Simula‐ tion als sensorische Repräsentationen abgerufen werden ( John‐ son 2005: 20). Zu den wichtigsten konzeptuellen Domänen (do‐ mains) von Sprachen und diese abbildenden Bildschemata gehören die folgenden: 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache 239 <?page no="240"?> Abb. 5.16: Konzeptuelle Domänen von Sprache und Bildschemata nach Evans/ Green (2006: 234) Die Bildschemata haben folgende Merkmale: Erstens weisen sie oft eine komplexe innere Struktur auf, sodass sie auch in gewis‐ ser Weise Transformationen zulassen. Das Bildschema UR‐ SPRUNG-WEG-ZIEL kann aus pragmatischen Gründen durch eine Fokussierung auf den Ursprung oder das Ziel so transfor‐ miert werden, dass nur einzelne Teile davon evoziert werden (Path-Focus vs. Endpoint-Focus nach Johnson 1987). So geben wir bei Sätzen wie „ich gehe jetzt in den Unterricht“ nicht immer an, wo wir gerade herkommen, weil der Ursprung entweder bereits bekannt oder einfach irrelevant ist. Zweitens werden Bildsche‐ mata zwar aus konkreten sensorischen Erfahrungen abgeleitet, können jedoch in unterschiedlichen Modalitäten verarbeitet werden. Das Bildschema BLOCKIERUNG kann beispielsweise sowohl visuell als auch haptisch beziehungsweise motorisch mo‐ tiviert sein. Drittens lassen sich die verschiedenen Bildschemata nach Evans/ Green (2006: 187 f.) in Clustern gruppieren, die auf bestimmte Grunddomänen unserer Erfahrungen zurückzufüh‐ ren sind. Demnach haben alle Bildschemata der Gruppe einige Eigenschaften gemeinsam: So drücken alle Bildschemata in der Gruppe KRAFT Kausalität (es besteht immer eine Ursache der 5 Sprache 240 <?page no="241"?> metaphorische Kompetenz Kraft) und Direktionalität aus (die Kraft hat stets eine Richtung), und sie lassen sich anhand einer Intensitätsskala darstellen (die Kraft kann stärker oder weniger stark sein). Metaphern im Fremdsprachenerwerb Wenn man Metaphern aber aus kognitionslinguistischer Sicht betrachtet, so erweisen sie sich auch für L2-Lerner als ein wich‐ tiges Werkzeug des Denkens und Handelns, das sowohl für An‐ fänger als auch für Fortgeschrittene höchstrelevant ist. In dieser Hinsicht stellten Littlemore et al. (2014) fest, dass L2-Lerner auf allen Niveaustufen des GER metaphorische Ausdrücke nutzten, wobei sie mit zunehmendem Sprachniveau häufiger verwendet werden. Da aber gerade die adäquate konzeptuelle Enkodierung von Erfahrungen (unter anderem anhand von Bildschemata) eine wichtige Voraussetzung für eine qualitativ entwickelte Mehr‐ sprachigkeit ist, erweist sich der Erwerb einer solchen metapho‐ rischen Kompetenz als ein sinnvolles übergeordnetes Ziel der Sprachvermittlung (Roche 2013, Danesi 2008, Littlemore/ Low 2006). Studie Wie eine solche metaphorische Kompetenz gefördert wer‐ den kann, zeigen Azuma/ Littlemore (2010) in ihrer Studie, in der sie den Effekt unterschiedlicher Verfahren zur Stei‐ gerung des kreativen Umgangs mit Sprache und zur besse‐ ren Erschließung und Produktion metaphorischer Ausdrü‐ cke untersuchen. In einer Interventionsstudie vergleichen sie das sogenannte Attribute-Matching-Training (Zuordnen von gemeinsamen Eigenschaften zwischen Quellen- und Zieldomäne mit anschließender Reflexion) mit dem Ge‐ stalt-Training (Förderung der ganzheitlichen Wahrneh‐ mung). Die Ergebnisse zeigen, dass das Attribute-Mat‐ ching-Training zu einer signifikant besseren Rezeption und Produktion von metaphorischen Ausdrücken als das Ge‐ stalt-Training führt. Die Autorinnen erklären diesen Unter‐ schied dadurch, dass das Attribute-Matching-Prinzip die Schritte bei der Metaphernverarbeitung auf eine besser handhabbare Weise transparent macht. Dadurch fällt deren 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache 241 <?page no="242"?> Schematisierung Anwendung auf andere Bereiche leichter und es können damit grundlegende mentale Prozesse gefördert werden, die als Basis für die Verarbeitung von metaphorischen Ausdrü‐ cken dienen, wie zum Beispiel das assoziative und bildliche Denken sowie die Analogiebildung. Lexikon und Grammatik Ein zentraler Aspekt des Paradigmenwechsels in der Kognitiven Linguistik ist die Aufhebung einer grundsätzlichen Trennung zwischen Lexikon und Grammatik (Evans 2012, Langacker 2008) und damit der primären Fokussierung von Formaspekten in der Sprachvermittlung. Die kognitionslinguistischen Ansätze gehen vielmehr davon aus, dass Grammatik und Lexikon ein Kontinuum symbolischer Einheiten bilden, die jeweils einen phonologischen Pol (inklusive orthographischer Information) und einen semanti‐ schen Pol (inklusive diskursiver und pragmatischer Information) haben (Langacker 2008: 15). Daraus ergibt sich also, dass Lexikon und Grammatik eine Bedeutung haben. Eine eindeutige Abgren‐ zung der Bedeutung von Lexikon und Grammatik ist aber nicht einfach. So finden sich einerseits idiomatische Redewendungen wie „Jemandem auf den Wecker gehen“, die zwar symbolisch komplex sind, aber eine sehr spezifische Bedeutung haben. Ande‐ rerseits ist beispielsweise die Präposition „zu“ in Infinitivsätzen symbolisch einfach, besitzt jedoch eine äußerst abstrakte Bedeu‐ tung und gilt daher als stark schematisiert (Langacker 2007: 428). Weiterhin unterscheidet Talmy (2000, auch Meex/ Mortelmans 2002) zwischen dem konzeptuellen Inhalt von Erfahrungen, Sze‐ nen und anderem und der konzeptuellen Struktur. 5.7.1 Grundlagen einer kognitiven Sprachdidaktik Trotz der intensiven und qualitativ hochwertigen Forschungs‐ arbeiten im Bereich der Kognitiven Linguistik wurden die daraus gewonnenen Erkenntnisse von der Sprachlehr- und -lernfor‐ schung bisher kaum berücksichtigt (Littlemore/ Low 2006, Litt‐ lemore 2009, Tyler 2008). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Aspekte die Umsetzung kognitionslinguistischer Ansätze in Form von konkreten Materialien für die Grammatik‐ 5 Sprache 242 <?page no="243"?> Metaphorisie‐ rungsprozesse vermittlung berücksichtigen muss, damit der gewünschte Lern‐ mehrwert erreicht wird. Abb. 5.17: Ebenen der Kognitiven Didaktik Das Potenzial kognitionslinguistischer Ansätze für die Gram‐ matikvermittlung beruht vor allem auf der hohen Nachvollzieh‐ barkeit der verwendeten Beschreibungsparameter vor dem Hin‐ tergrund allgemeiner Kognitionsprozesse. Die konzeptuelle Motiviertheit von Grammatik wird - wie anhand der Metapho‐ risierungsprozesse oben dargestellt - nämlich anhand von all‐ gemeinen Wahrnehmungs- und Konzeptualisierungsprinzipien sowie Prozessen des menschlichen Denkens erklärt und erfahr‐ bar gemacht, sodass jeder Lerner fast unabhängig von seinem sprachlichen Vorwissen einen konzeptuellen Zugang zu den 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache 243 <?page no="244"?> Perspektivie‐ rung scheinbar abstrakten Strukturen der zielsprachlichen Gramma‐ tik finden kann. Das darauf basierende Modell einer kognitiven Sprachdidaktik unterscheidet insgesamt vier Ebenen, die hier am Beispiel verschiedener Grammatikanimationen veranschaulicht werden: 1. Ebene der Kognitiven Linguistik, 2. Ebene der Trans‐ ferdifferenz, 3. Ebene der grammatischen Metapher, 4. Ebene der Darstellung und Vermittlung. Diese Ebenen sollen im Folgenden erläutert werden. Die Ebene der Kognitiven Linguistik berücksichtigt die In‐ strumente und Prinzipien zur Beschreibung von Grammatik und Grammatikerwerb, die nicht nur eine hohe Vereinbarkeit mit den bisherigen Erkenntnissen aus den Kognitionswissenschaften an‐ bieten (siehe cognitive commitment bei Evans 2012, auch kon‐ vergierende Evidenz bei Langacker 2011), sondern auch die bis‐ her vorherrschenden formalistischen Begriffe auflösen. Alle Sinneseindrücke sind Bestandteile der mentalen Reprä‐ sentation von Konzepten und sind daher mit der entsprechenden Sprachform im mentalen Lexikon eng verbunden (siehe Lang‐ acker 1986, Roche 2013). Die Vernetzung der Sprache über un‐ terschiedliche Sinnesmodalitäten und in mehreren Richtungen kommt durch die mögliche Mitaktivierung dieser Sinneseindrü‐ cke in den Prozessen des Sprachverstehens, der Sprachproduk‐ tion sowie der ausführenden Handlungen zum Vorschein (Roche 2013: 112-114). Die Perspektivierung (bei Talmy 2000 die Konzeptualisierung) bezieht sich auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie Spre‐ cherinnen durch ihr „mentales Auge“ die Ereignisse sprachlich strukturieren (Talmy 2000: 217, Langacker 2008: 73). So liegen den Beispielsätzen Die Tür öffnete sich und er kam ins Zimmer und Er öffnete die Tür und ging ins Zimmer jeweils eine interne und eine externe Perspektive zugrunde, wobei die Position des Sprechers in Bezug auf die wahrgenommene Szene als Origo fungiert (Talmy 2000: 69, siehe auch Langacker 2008: 75-77). Die Nutzung dieses Prinzips spielt zum Beispiel im Englischen be‐ züglich der Unterscheidung zwischen dem progressiven und dem nicht-progressiven Aspekt eine wichtige Rolle. Bei perfektiven Verben werden Anfangspunkt und Endpunkt des Prozesses durch die Nutzung des progressiven Aspektes (be+Verb-ing) aus 5 Sprache 244 <?page no="245"?> Transferdifferenz der Szene ausgeblendet, so dass nur eine einzelne Komponente des Prozesses fokussiert wird (siehe Niemeier/ Reif 2008, Radden/ Dirven 2007, Reif 2012). Eine weitere Unterscheidung in Bezug auf die Perspektivie‐ rung betrifft die mitlaufende vs. die feste „Kameraperspektive“ (Talmy 2000: 217-218). So wäre im Satz Auf der Zugstrecke sind mehrere Tunnel eine feste Kameraperspektive anzunehmen, wäh‐ rend im Satz Auf der Zugstrecke fahren wir ab und an durch einen Tunnel eine mitlaufende Kameraperspektive eingenommen wird. Eine weitere Möglichkeit der Perspektivierung ist nach Talmy (2000) die wechselnde Betrachtung von Ereignissen an verschie‐ denen Orten, so zum Beispiel im Satz Der Zug fährt durch den Wald, dann am See vorbei etc. Zum Vergleich ist im Japanischen davon auszugehen, dass das Agens Zug bei den Situationswech‐ seln zwischen im Tunnel und außerhalb gar nicht genannt wird und sich dadurch agenslose Zustandsbeschreibungen ergeben (Roche 2013). Es sind derartige linguakulturelle Spezifika und Konzepte, aus denen sich die Aufgabe des Lerners ergibt, Bedeutung von und zwischen Sprachkulturen zu konstruieren. Die Aufgabe der Di‐ daktik ist es, die Lerner dabei zu unterstützen. Konzeptuell ähnelt der Begriff Transferdifferenz daher Wilhelm von Humboldts ‚Differenzerfahrung‘ (siehe Benner 1995), ein Begriff, der eine essenzielle kognitive Grundlage des Lernens von fremden Spra‐ chen bezeichnet. Aus der erfolgreichen Bewältigung der genann‐ ten Lernaufgabe entsteht ein Zustand, der in der Mehrsprachig‐ keitsforschung oft als ‚ausgeglichene Mehrsprachigkeit‘ und in der Kulturwissenschaft oft als ‚Transdifferenz‘ bezeichnet wird. Die Transferdifferenz bezeichnet also im Gegensatz zu den kon‐ trastiven Fehleranalysen nicht statische linguistische Systeme, zwischen denen vorwiegend formelle Unterschiede bestehen. Vielmehr werden Sprachen als linguakulturelle Systeme aufge‐ fasst, die zwar auf dieselben kognitiven Prozesse und Grundla‐ gen zurückgreifen (zum Beispiel Metaphorisierung, Perspekti‐ vierung, Bildschemata etc.), diese aber unterschiedlich nutzen (siehe Danesi 2008: 234). In diesem Zusammenhang konnten mehrere kognitionslinguistische Arbeiten belegen, dass die sprachspezifische Enkodierung von Erfahrungen keine beliebige 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache 245 <?page no="246"?> Profilierung konzeptuelle Kompetenz lexikalische Realisierung darstellt, sondern sehr wohl konzeptu‐ ell motiviert und in einem sozio-kulturellen Kontext verankert ist (siehe Danesi 2008, Kövecses 2010, Lakoff/ Johnson 1980). Unterschiede zwischen den konzeptuellen Systemen der Spra‐ chen schlagen sich ebenfalls in den jeweils bevorzugten Wegen zur Enkodierung von Erfahrungen nieder, wie zum Beispiel bei der Enkodierung (Profilierung) des Wegs in Bewegungssituati‐ onen (siehe satellite- und verb-framed languages bei Talmy (1985, auch Özçalışkan/ Slobin 1999) oder bei der Markierung bezie‐ hungsweise Nichtmarkierung des Endpunkts in Szenen (siehe von Stutterheim 2003). (Siehe hierzu auch die Abbildungen 3.4 und 3.5 zur Konzeptualisierung von Regen in unterschiedlichen Sprachen in Kapitel 3). Vor diesem Hintergrund betont Danesi (2008), dass der erfolg‐ reiche Sprachenerwerb sich nicht nur auf das Wissen um die formellen Eigenschaften einer Sprache und deren denotative Be‐ deutungen beschränkt, sondern auch den kultursensitiven Um‐ gang mit metaphorischen Extensionen und die adäquate kon‐ zeptuelle Enkodierung von Erfahrungen umfasst (siehe auch Pavlenko 2009, Roche 2013, Roche/ Roussy-Parent 2006). Der Er‐ werb einer solchen konzeptuellen Kompetenz (conceptual flu‐ ency, Danesi 2008, metaphoric competence, Littlemore/ Low 2006) wird folgerichtig als übergeordnetes Ziel der Sprachvermittlung angesehen. Dies erfordert jedoch die aktive Auseinandersetzung der Lerner mit den konzeptuellen Unterschieden sowie ihre In‐ tegration im kognitiven System durch die Herstellung entspre‐ chender konzeptueller Verbindungen zwischen der L1 und der L2. Die kognitiven Prozesse einer solchen konzeptuellen Inte‐ gration lassen sich aus kognitionspsychologischer Sicht durch die Veränderung mentaler Modelle und Schemata operationali‐ sieren (hierzu Ifenthaler 2010). Der Endzustand einer erfolgrei‐ chen Integration der konzeptuellen Unterschiede wird als Trans‐ differenz bezeichnet (Roche 2013). Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die anfäng‐ liche Transferdifferenz kein Hindernis für den Sprachenerwerb darstellt, sondern wichtige Prozesse der konzeptuellen Restruk‐ turierung (und Sprachbewusstheit) initiiert, die für den Erwerb konzeptueller Kompetenz von zentraler Bedeutung sind (siehe 5 Sprache 246 <?page no="247"?> Jessen/ Cadierno 2013, de Knop/ Dirven 2008, Odlin 2005, Pav‐ lenko 2009). Über die Transdifferenz als dynamisches Endergeb‐ nis einer erfolgreichen konzeptuellen Integration lässt sich also auch eine Brücke zwischen den in der Didaktik meist separat behandelten Bereichen der Sprach- und Kulturvermittlung (Lan‐ deskunde) herstellen. 5.7.2 Grammatische Metaphern in Animationen Kognitionslinguistische Darstellungsweisen sind jedoch nicht unbedingt auch die am besten geeigneten Mittel, um Lernern Grammatikphänomene plausibel und transparent darzustellen. Die in der Kognitiven Linguistik verwendeten graphischen Mit‐ tel erlauben nicht immer einen direkten Zugang zur konzeptu‐ ellen Basis der Grammatik. Nach Roche/ Suñer Muñoz 2014 (siehe auch Suñer Muñoz 2013) werden grammatische Metaphern da‐ her als innovative konzeptuelle Metaphern definiert, die anhand von Situationen aus dem Alltag der Lerner die konzeptuelle Basis der Grammatik transparent machen. Mit grammatischen Meta‐ phern lassen sich also lernrelevante Aspekte der konzeptuellen Motiviertheit der Grammatik (Grenzüberschreitung, Kraft-Dy‐ namik, Energietransfer etc.) erfahrbar machen, ohne auf abs‐ traktere Darstellungsweisen zurückgreifen zu müssen. Die ko‐ gnitive Verankerung von grammatischen Metaphern ist eine wichtige Voraussetzung für die Erzielung des gewünschten Mehrwerts, da sonst die verwendete Metapher eine reine Unter‐ haltungsfunktion ohne erkennbaren Bezug zum Lernprozess er‐ füllen würde. Die Formulierung und Anwendung von gramma‐ tischen Metaphern soll im Folgenden am Beispiel des Aktiv/ Passiv veranschaulicht werden. Eine umfangreiche Studie zu den Modalverben liegt in Kanaplianik 2016 vor und wird zur Lektüre empfohlen. Ausschlaggebend bei der unterschiedlichen Realisierung der Aktionskette im Aktiv und Passiv sind einerseits die Profilierung der konzeptuellen Basis und andererseits die Salienz der profilier‐ ten Elemente (Figur/ Grund) (Arnett 2004, Cornelis 1997, Lang‐ acker 2004/ 2008). Da die reine Darstellung einer Aktionskette an‐ hand von Kreisen und Pfeilen für den Lerner wenig zugänglich 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache 247 <?page no="248"?> Entrenchment Agonist und Antagonist bleibt, lassen sich in Anlehnung an Suñer Muñoz (2013, siehe auch Langacker 2004/ 2008, Arnett 2004) zwei unterschiedliche gram‐ matische Metaphern anwenden. Einerseits kann der Energietrans‐ fer der Aktionskette als konzeptuelle Basis anhand des Billards erklärt werden, da dieses eine erfahrbare Handlung aus dem All‐ tag der Lerner nutzt, um den Energietransfer anhand der dazuge‐ hörenden Partizipanten Agens, Instrument und Patiens anschau‐ lich zu machen (Langacker 2008: 355-356). Andererseits kann die unterschiedliche Salienz der Elemente im Satz (Figur-Grund-Prin‐ zip) durch eine weitere grammatische Metapher ausgedrückt wer‐ den, nämlich durch einen Scheinwerfer (Langacker 2004: 80), wie er auf Bühnen zur Hervorhebung des zentralen Schauspielers ver‐ wendet wird. Der Scheinwerfer hebt in den jeweiligen Realisie‐ rungen den primären Partizipanten hervor: Beim Aktiv ist es das Agens, beim Vorgangspassiv die Zustandsveränderung des Pati‐ ens und beim Zustandspassiv ist es der Nachzustand des Patiens nach der Zustandsveränderung (hierzu Suñer Muñoz 2013/ 2015). Durch Abstimmungsprozesse in der Sprachgemeinschaft eta‐ blieren sich die Konzepte (Entrenchment) und werden von Ge‐ neration zu Generation weiter tradiert und damit konventiona‐ lisiert, oder sie geraten in Vergessenheit (zum Beispiel tote Metaphern). Die Abbildung der metaphorischen Erfahrungen geschieht nicht nur in einzelnen Wörtern oder Redewendungen, sondern lässt sich auch in der Grammatik beobachten. Die Gram‐ matik ist in vielfacher Weise mit körperlichen Erfahrungen ver‐ bunden und konzeptuell begründet. Wie sich das darstellt, kann anhand der Modalverben beispielhaft beschrieben werden. Mit Sweetser (1990) und Tyler (2008) kann angenommen werden, dass Modalverben bestimmte gesellschaftlich relevante Kraft-Dynamik-Verhältnisse abbilden. Physische Kraft und Dy‐ namik werden über Metaphorisierungsprozesse auf die Kraft oder den Druck in sozialen und psychischen Interaktionen über‐ tragen (einen Druck nicht aushalten/ einer Belastung nicht gewach‐ sen sein/ vor Wut platzen). In solchen Kraft-Dynamik-Verhältnis‐ sen unterscheidet Talmy (2000, 2008) zwei wichtige Partizipanten: den Agonisten und den Antagonisten. Der Agonist hat eine innere Tendenz entweder zur Fortbewegung oder zur Ruhe; der Antagonist übt hingegen eine Gegenkraft oder einen Druck 5 Sprache 248 <?page no="249"?> auf den Agonisten aus. Als Ergebnis dieser Kraft-Dynamik-In‐ teraktion kann der Antagonist die innere Tendenz des Agonisten verändern. Die folgenden Aussagen stellen verschiedene Kraft- Dynamik-Verhältnisse zwischen Agonisten und Antagonisten dar (vergleiche Abbildung 5.18). In (1a) drückt das Modalverb können eine Fähigkeit des Ago‐ nisten (hier: Sebastian Vettel) aus, die auf eine gewisse Eigendy‐ namik hinweist und von keinem Antagonisten (zum Beispiel sei‐ nem Werbemanager oder die Sicherheit gefährdenden Fans) verhindert wird. Bei (1b) sieht die Situation jedoch etwas anders aus, und zwar kann die Gegenkraft des Antagonisten (zum Beispiel eine soziale oder rechtliche Konvention, ein Hindernis oder eine externe Au‐ torität wie die Rennleitung) die innere Fortbewegung/ Eigendy‐ namik des Agonisten (hier: Schumacher) erfolgreich verhindern. In (2a) wird die verhindernde Kraft von einem weiteren Ant‐ agonisten (zum Beispiel einem Schiedsgericht durch die entspre‐ chende Ampelschaltung) aufgelöst, so dass sich die innere Ten‐ denz des Agonisten zur Fortbewegung vollziehen kann. Wird aber die verhindernde Kraft nicht durch diesen weiteren Ant‐ agonisten aufgelöst (die Ampel steht auf Rot), dann bleibt die innere Fortbewegung des Agonisten aus (2b). Wenn die konzep‐ tuelle Struktur der hier geschilderten Kraft-Dynamik-Verhält‐ nisse als Basis zur Erklärung der Modalverben akzeptiert wird, können sie folgendermaßen bildhaft dargestellt werden: Abb. 5.18: Veranschaulichung der verschiedenen Kraft-Dynamik-Ver‐ hältnisse zwischen Agonisten und Antagonisten bei Modalverben 5.7 Kognitive Aspekte der Sprache 249 <?page no="250"?> Perspektivie‐ rung Funktionen Auch die Perspektivierung einer Nachricht ist konzeptuell be‐ dingt. Es ergibt sich beispielsweise ein deutlicher perspektivi‐ scher Unterschied in den folgenden beiden Äußerungen: (1) Hamilton verlor das Rennen wegen einer Reifenpanne. (2) Die Reifenpanne verursachte den Titelverlust. Diese Beispielsätze zeigen, dass durch die Formulierung ein be‐ stimmtes Element aus der Gesamtszene (Domäne) dem anderen gegenüber hervorgehoben werden kann. Hier liegt der Fokus entweder auf dem Fahrer oder der Reifenpanne. Durch die Into‐ nation kann der Fokus bei gleichbleibender Äußerungsstruktur ebenfalls auf unterschiedliche Elemente der Äußerung verlegt werden. Auch kann die Gesamtszene je nach der Perspektivie‐ rung des Sprechers unterschiedlich konstruiert werden: (3) Der Trophäenjäger hat mein Auto geklaut. (4) Er hat mein Auto mitgehen lassen. (5) Er hat mein Auto ausgeliehen. Perspektivierungen dieser Art entstehen auch auf Grund von Anpassungen in einer aktuellen Diskurssituation. 5.8 Handlung Sprachliche Zeichen haben, wie schon gezeigt wurde, mehrere Funktionen: zum einen bilden sie einen Sachverhalt ab (Darstel‐ lungsfunktion), zum anderen drücken sie eine bestimmte Inten‐ tion des Sprechers (Ausdrucksfunktion) und eine bestimmte Auf‐ forderung an den Hörer aus (Appellfunktion). Wenn wir sprechen oder schreiben, handeln wir also mit Sprache: wir verfolgen da‐ mit bestimmte Absichten, die sich in bestimmten Ergebnissen rea‐ lisieren sollen. Für das Erreichen der beabsichtigten Ergebnisse gibt es verschiedene sprachliche und außersprachliche Mittel. Wenn nur die strukturelle Ebene bei der Sprachbeschreibung und -vermittlung betont wird, gehen die wesentlichen Funktionen von Kommunikation wahrscheinlich verloren. Deshalb stellen die handlungsorientierten Ansätze der Sprachvermittlung nicht die Grammatik in den Vordergrund. Aus dem gleichen Grunde stellt 5 Sprache 250 <?page no="251"?> auch die linguistische Pragmatik die sprachlichen Strukturen immer in Bezug zu Ausdrucks- und Appellfunktionen. Dabei liegt ihr folgendes Schema von Kommunikation zu Grunde, das auf die Arbeiten des Sprachphilosophen Karl Bühler (1879−1963) zurück‐ geht. Bekannt ist es als das Organon-Modell (Werkzeug-Mo‐ dell) der Sprache. Abb. 5.19: Das Organon-Modell der Sprache von Karl Bühler (1934) zur Veranschaulichung der verschiedenen Funktionen des sprachlichen Zei‐ chens (Z) Diese Beziehungen der drei Seiten des Modells variieren mit den beteiligten Sprechern und Adressaten und in Bezug auf den Zweck der Kommunikation. Außerdem kann man darin unterschiedliche Schichten entdecken. Austin (1962) und Searle (1969) haben für diese Differenzierungen das Konzept des Sprechaktes eingeführt. Eine Äußerung besteht demnach aus verschiedenen Sprechakten. So ist ein Sprechakt Berlin Ost zunächst eine phonetische Kette (phonetischer Akt) von Elementen, die in einer strukturellen Form (phatischer Akt) eine Beziehung zur Welt herstellt und damit Be‐ deutungen erzeugt (rhetischer Akt) und sich in ihrer Gesamtheit auf ein Stadtviertel, Häuser, Straßen und so weiter bezieht (zu‐ sammen genommen als lokutionärer Akt bezeichnet), aber in der Situation Bahnhofschalter die Aufforderung zum Fahrkartenkauf im Sinne von bitte geben Sie mir eine Fahrkarte zum Ostbahnhof ausdrückt (illokutionärer Akt). Die Aushändigung und das Bezah‐ 5.8 Handlung 251 <?page no="252"?> kommunikativer Zweck len des Fahrscheins sind die nichtsprachlichen Akte des Ereignis‐ ses. Manche Handlungen werden ausschließlich durch Sprache vollzogen, beispielsweise eine Trauung, Verurteilung, Ernennung oder Taufe (perlokutionärer Akt). Die funktionale Beschreibung der Sprache als komplexes Verweis- und Beziehungssystem ist Teil der linguistischen Dis‐ ziplin der Pragmatik. Die Pragmatik beschäftigt sich darüber hinaus auch mit der Informationsverteilung in einer Äußerung, also damit, was als bekannt, neu oder wichtig positioniert oder anderweitig ausgedrückt wird. Auch hier steht der kommunika‐ tive Zweck im Mittelpunkt der Betrachtung. Er wird je nach den Bedingungen der kommunikativen Situation (Perspektivierung) sprachlich unterschiedlich realisiert. Wie sich die funktionalen Aspekte manifestieren, ist bei der Darstellung der Lerneräuße‐ rungen bereits erläutert worden (vergleiche Kapitel 4.2). Wenn der kommunikative Zweck der Umsetzung einer Hand‐ lung oder des Erreichens eines Zieles das Wichtigste ist, dann spielt die aktuelle Realisierung durch bestimmte grammatische Strukturen eine untergeordnete Rolle. Es sei denn, es handelt sich um formelhafte Ausdrücke und Sprachrituale. Das ist der Grund, warum Kommunikation auch mit unvollständiger Sprache er‐ folgreich sein kann. Wie bei den Textsorten bereits gezeigt, lässt sich Sprache in Form von genormten und immer wiederkehren‐ den Strukturen, hier in Form von Diskursabläufen und Diskurs‐ typen, beschreiben. Diese Strukturen sollten im Sprachunter‐ richt vermittelt werden. Das passiert bisher nur begrenzt, und zwar im Wesentlichen auf einfache sprachliche Rituale (Begrü‐ ßungen, Verabschiedungen) und Sprecherwechsel beschränkt. Größere Einheiten erweisen sich für den Unterricht, wie bereits gezeigt, oft als zu schwierig. Die pragmatische Perspektivierung und Nutzung des sprach‐ lichen Inventars erfolgt in den Sprachen unterschiedlich. So hal‐ ten Sprachen für die Weiterentwicklung ihres Wortschatzes un‐ terschiedliche Mittel bereit, etwa durch die Zusammensetzung (Komposition) von Wörtern oder bedeutungstragenden Grund‐ formen (Lexemen), die Ableitung durch Affixe (Präfixe, Infixe, Suffixe oder Zirkumfixe wie Ge-red-e), die Konversion (reden − das Reden), die Reduktion (Auto, ESA) oder die Entlehnung (der 5 Sprache 252 <?page no="253"?> Sprachtypen do- und becomelanguages Talk). Wieder andere modifizieren bestimmte Elemente in exis‐ tierenden Wörtern, um neue zu produzieren (gehen − ging; Mut‐ ter − Mütter). Sprachen können daher in verschiedene Sprachty‐ pen unterteilt werden, zum Beispiel solche, die die Elemente der Wörter aufeinander abstimmen und verschmelzen lassen (ag‐ glutinierende) wie Ungarisch, Japanisch oder Türkisch und ab‐ leitende (flektierende) wie viele westeuropäische Sprachen. Wie arbiträr die Beziehung von sprachlichem Zeichen und Bedeutung ist, zeigt deutlich die Vokalharmonie, etwa im Türkischen: ulum‐ luyum gegenüber von alamlayam ich komme aus Ulm oder Alm. Das grammatische Muster kann je nach Umgebung mit anderen Vokalen gefüllt werden. Auch in syntaktischer Hinsicht unterscheiden sich Sprachen. Die Verbstellung ist im Deutschen fest vorgegeben, während die anderen Elemente eines Satzes relativ flexibel nach kommuni‐ kativen Prinzipien und individueller Perspektivierung bewegt werden können. Das Englische hat demgegenüber eine feste Ab‐ folge der Elemente im Satz. Bekanntheit und Wichtigkeit sind kommunikative Faktoren, die die Wortstellung im Deutschen und Herausstellungen im Englischen perspektivisch regeln oder beeinflussen. Andere Sprachen, wie etwa das Chinesische oder Japanische, nutzen grammatikalisierte syntaktische Prinzipien dagegen fast überhaupt nicht. Hier sorgen semantische, lexika‐ lische und pragmatische Kriterien für die Zu- und Anordnung der Elemente. So werden Konzepte in einzelne Elemente aufge‐ teilt und in einer Zusammensetzung (Kompositum) benannt, statt in neuen Begriffen zusammengefasst (vergleiche rorohiko, Gehirnblitz für Computer im Maori, Kapitel 3.8, Abbildung 5.20 und weitere Beispiele unten). Ikegami (1991) unterscheidet daher zwischen ‚do-languages‘ und ‚become-languages‘. Im Japanischen wird so etwa in der Perspektivierung einer Äußerung nicht wie in westeuropäischen Sprachen automatisch die Subjektperspektive eingenommen (Ikegami 1991: 288 ff.). Er verweist zur Illustration auf den Er‐ öffnungssatz in Yukiguni (‚Snow Country‘) des Literaturnobel‐ preisträgers von 1968, Yasunari Kawabata, der wie folgt lautet: Kunizakai no nagai tonneru o nukeru to, yukiguni de atta. 5.8 Handlung 253 <?page no="254"?> Morpheminventar phonetische Cluster In wörtlicher Übersetzung bedeutet dies subjektlos: Grenze von langem Tunnel passieren als Schneelandschaft war (On passing the long tunnel at the border, (it) was a snow country). Während das fehlende Subjekt im Deutschen oder Englischen selbst mit dem behelfsmäßigen, Horizont eröffnenden (unpersönlichen) ‚es (it)‘ Irritationen auslöst, gilt der Satz im Japanischen als erwar‐ tungsvolle Eröffnung der folgenden Erzählung. Eine Überset‐ zung wie die des amerikanischen Japanologen Seidensticker gibt daher eher die westliche Erwartung als die japanische Perspek‐ tivik wieder: „The train came out of the long tunnel into the snow country.“ (Ikegami 1991: 288 ff.). Beim Erwerb des Morpheminventars einer fremden Sprache müssen die Lerner zuerst die relevanten Einheiten und ihre Grenzen und Variation identifizieren und dann lernen, worin die Bedeutung liegt, wodurch sie sich von anderen Elementen un‐ terscheiden und wie Morpheme kombiniert werden können. So steht im Deutschen ein Inventar von Markierungen für Einzahl und Mehrzahl (Numerus), die Personenmarkierungen, das gram‐ matische Geschlecht der Nomen (Genus) und die Funktionen der Nomen im Verhältnis zum Verb (Kasus) zur Verfügung. Synthetische Verfahren integrieren Elemente in einer mehr‐ funktionalen Form, wie zum Beispiel kam als gleichzeitiger Aus‐ druck für die erste Person und das Präteritum. Auch für die Realisierung der lautlichen Struktur verfügen Sprachen über verschiedene Prinzipien. So verwenden zahlrei‐ che Sprachen eine recht strikte Abfolge von Konsonanten (K) und Vokalen (V), die das Muster KVKV ergeben. Im Deutschen wechseln sich zwar auch Vokale und Konsonanten ab, aber auch Konsonantenverbindungen (Cluster wie ng, pr, s-st-r) sind im Deutschen üblich. Aussprechbar werden längere Konsonanten‐ cluster übrigens durch Einschieben von Vokalen: der Name Strzclzk kann so als St(-e-)r-e-lz-i-k auch für Sprecher aussprech‐ bar werden, die keine umfangreichen Konsonantencluster ge‐ wohnt sind. Auch andere Aufgaben der Artikulation und Intonation, wie die Betonung, Sprechgeschwindigkeit, steigende und fallende Intonation, Pausenstruktur und -häufigkeit, sind für Lerner nicht 5 Sprache 254 <?page no="255"?> pragmatische Prinzipien immer leicht zu bewältigen, haben aber in den verschiedenen Sprachen ein unterschiedliches Gewicht. Das Chinesische etwa arbeitet sehr intensiv mit der Tonqua‐ lität seines Lautinventars (Tonhöhen, tonale Sprache) und nutzt auch feinste Differenzen für Bedeutungsunterscheidungen, wäh‐ rend das Deutsche im Aussprachespektrum mit wenigen Diffe‐ renzierungen eine große Bandbreite abdeckt. Auch wenn Aus‐ sprache und Intonation vielleicht die auffälligste Ebene von Sprachen repräsentieren („Akzent“), haben sie nicht immer die größte Bedeutung für das Gelingen der Kommunikation. Wie die grammatischen Ebenen in der Realität zusammen‐ spielen, soll im Folgenden am Passiv und seinen Ersatzformen illustriert werden. Das Passiv im Deutschen wird lexikalisch durch die Hilfsverben werden (Vorgangspassiv) und sein (Zu‐ standspassiv) mit den entsprechenden Partizipien gebildet (et‐ was wird nicht gelernt). Die Kombination von Hilfsverb und Par‐ tizip schafft einen syntaktischen Rahmen, der bei bestimmten Ersatzformulierungen zwar auch noch, aber mit anderer lexika‐ lischer Realisierung, erhalten bleibt (kann/ darf/ soll man nicht lernen oder lässt sich nicht lernen). Das Passiv kann aber noch kompakter ausgedrückt werden (ist nicht zu lernen), oder in ei‐ nem Morphem ganz verschwinden (nicht lernbar). Hier über‐ nimmt also − im Deutschen − das Morphem -bar die lexikalische und syntaktische Funktion des Passivs und anderer Passivalter‐ nativen. Wie Höflichkeit ausgedrückt wird, welcher Sprachstil für wel‐ che Zwecke angemessen ist, wie ausführlich etwas ausgedrückt wird, ob dies mit illokutionären Akten in Fragen, Aussagen oder Befehlen oder im Aktiv oder Passiv getan werden muss und vie‐ les mehr, regeln die genannten pragmatischen Prinzipien. Um sie besser operationalisieren zu können, hat Oksaar (2003) hierfür das Konzept der kleinsten Handlungsbausteine der Kommuni‐ kation vorgeschlagen und sie Pragmeme genannt. Da Sprachen nicht nur intern eine große Variation aufweisen, sondern auch wegen der zu Grunde liegenden kulturellen Kon‐ zepte unterschiedlich vorgehen, lassen sich Pragmeme als kleinste kulturspezifische Einheiten (Kultureme) darstellen. Hiermit wird versucht, größere kulturelle Sequenzen wie Begrü‐ 5.8 Handlung 255 <?page no="256"?> Sensibilisierung Schrift als sekun‐ däres System ßungen, Verabschiedungen, Beschwerden, Glückwünsche, Prob‐ lemdarstellungen und andere kultur- und sprachenübergreifend angemessen zu beschreiben und vergleichbar zu machen. Viele Fehler, die bei Lernern feststellbar sind, entstehen aus mangelnder Kenntnis der pragmatischen und kulturellen Bedin‐ gungen der Kommunikation, die sich in einer nicht der Situation angemessenen Verwendung von Redemitteln oder zu langen oder zu kurzen Pausen manifestieren kann. Eine Lehrkraft und ein Schüler sollten grundsätzlich dafür sensibilisiert sein, dass Sprachen Gedanken auf ganz andere Art, mit unterschiedlichen strukturellen Mitteln oder implizit ausdrücken können. Die Be‐ handlung von Teilbereichen der Sprache und die Kenntnis wich‐ tiger sprachlicher Prinzipien kann diese Aufgabe wesentlich er‐ leichtern, bei der Diagnose von Redeabsichten und bei der Vermittlung des dafür nötigen Inventars. Diese Unterschiede schließen das Schreiben und die Schrift ein. Die Schrift wird − in der Regel als sekundäres System − zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen oder erworben, um mündliche Sprache zu fixieren. Dabei entwickelt das System na‐ türlich eigene Konventionen und Prinzipien, die ihrerseits wie‐ der auf die mündliche Sprache zurückwirken können. So passt sich der gehobene gesprochene Stil (zum Beispiel in den Nach‐ richten oder bei Vorträgen) an schriftsprachliche Normen an. Die Schriftzeichen orientieren sich oft an der mündlichen Sprache oder bilden diese nach. Es sind meist keine abstrakten Symbole, sondern sie verweisen in der Regel auf konkrete Ob‐ jekte. Diese konkrete Funktion der Schrift ist im lateinischen Al‐ phabet, aber auch in anderen Schriftsystemen wie dem Kyrilli‐ schen oder dem des Singhalesischen heute nicht mehr erkennbar. Dieser mangelnde Visualisierungseffekt hat für Lerner einen Nachteil: die Schrift kann nur einen bedingten behaltensfördern‐ den Effekt beim Lernen haben. In einigen Bereichen der japani‐ schen und chinesischen Schriftsysteme sind die visuellen Sym‐ bole dagegen noch präsent und produktiv und können daher als Gedächtnisstützen eingesetzt werden. Hier ein Beispiel für ja‐ panische Kanji-Schriftzeichen, die vom Chinesischen beeinflusst sind: 5 Sprache 256 <?page no="257"?> Abb. 5.20: Visuelle Symbole in japanischen Schriftzeichen Aus dem stilisierten Symbol für Feuer wird bei Verdoppelung eine Flamme. Das Flackern ist fast noch spürbar. Mit einem Dach dar‐ über, entsteht das Schriftzeichen für Asche. Aus dem Symbol für Frau wird bei einer Verdreifachung laut und einer Ergänzung mögen, aus dem Symbol für Baum wird bei Verdoppelung eine Baumgruppe, bei Verdreifachung ein Wald, fast so wie es in der Legende einer Landkarte verzeichnet würde. Auf ähnliche Weise lassen sich durch die Kombination verschiedener selbständiger Schriftzeichen neue Wörter und Zusammensetzungen bilden (vergleiche auch das Beispiel aus Maori oben): 203 Handlung Rongorongo deguchi („de“ = verlassen) + („kuchi“ = Mund) = Ausgang iriguchi („iri“ = hineingehen) + („kuchi“ = Mund) = Eingang shinbun („shin“ = neu) + („bun“ = hören) = Zeitung daigaku („dai“ = groß) + („gaku“ = lernen) = Universität ongaku („on“ = Ton) + („gaku“ = angenehm) = Musik ongakukai („ongaku“ = Musik) + („kai“ = Treffen) = Konzert shûshokukatsudou („shû“ = aufnehmen)+ („shoku“ = Arbeit) + („katsu“ = Leben) („dou“ = bewegen) = Arbeitssuche Abb. 5.20 Kombination visueller Symbole in japanischen Schriftzeichen Exkurs: Sprache und Schrift der Rapanui Am Beispiel der einzigen voreuropäischen Schriftsprache Ozeaniens kann dargestellt werden, welch hohen Entwicklungsstand heute bedrohte Schriftsprachen bereits in frühen Zeiten erlangt haben und wie sich die Schrift als Abbildungssystem möglichst an der Gestalt von Gegenständen und der realitätsnahen Darstellung von Ereignissen orientieren kann. Das Rongorongo der Rapanui umfasst circa 120 Symbole. Hiervon stellen etwa 40-bildhafte Motive (Götter, Vögel, Fische, Pflanzen) und 80 überwiegend geometrisch-abstrakte Formen dar. Diese Zeichen sind sowohl abbildende (logographische) Darstellungen realer physischer Objekte als auch Symbole von Vorgängen und Ereignissen. Die bisherigen Forschungen haben ergeben, dass rund 2000 Kompositionen aus den Bestandteilen des Basisinventars gebildet worden sind. Manche Symbole stehen für ganze Wörter, manche repräsentieren Klänge und andere abstrakte Begriffe. Einzelne Zeichen können, ebenso wie Zeichenkombinationen, vieldeutig (polysem) sein und − wie das in Sprachen üblich ist − in unterschiedlichen Kontexten bei gleicher Form Verschiedenes bedeuten (vergleiche Homophonie). In Texten wurden die einzelnen Zeichen als vertikales, nicht durch Zeilensprünge unterbrochenes Band auf Tafeln aneinandergereiht, so dass die Zeichen in jeder zweiten Zeile auf dem Kopf stehen, das heißt die Tafel zum Lesen nach jeder Zeile auf den Kopf gestellt werden muss. Abb. 5.21: Kombination visueller Symbole in japanischen Schriftzeichen 5.8 Handlung 257 <?page no="258"?> Rongorongo Exkurs: Sprache und Schrift der Rapanui 204 S prache 5.9 Lehrwerke Abb. 5.21 Ausschnitt aus einem Rongorongo-Text und allgemeiner Auszug der Zeichenerklärungen des Rongorongo (Fischer 1997: 407) Zeichen Aussprache Bedeutung Zeichen Aussprache Bedeutung Tangata Mensch moe schlafen, tot Toki Axt tea weiß Vai Wasser pua Blume, Weib ruhite paku trommeln rei kura Schmuck, ältester Sohn kohau rongorongo sprechende Hölzer pure Muschel, Gebet Koti schneiden, zerschnitten tapa Stoff aus Baumrinde, zählen Sprachen, die das lateinische Alphabet nutzen, repräsentieren Begriffe dagegen sehr abstrakt, geradezu formelhaft. Hier kommt es dann auch nicht mehr darauf an, das gesamte Symbol zu erkennen. Für die Erkennung der Zeichen genügen einzelne Silben und die oberen Teile der Buchstaben, die herausragenden Teile der Schrift, wie bei Silhouetten von Bergen oder Städten. Grammatik und Fremdsprachenunterricht Die Bezeichnung Grammatik findet sich verbreitet nicht nur als sprachwissenschaftlicher Begriff, sondern auch als Kategorie für verschiedene Gebrauchsformen. Die für Lehrwerke aufgearbeitete Form von Grammatik heißt daher Lehrbuchgrammatik , egal nach welchem System sie sich richtet. In Übungsgrammatiken wird der Gebrauchsaspekt der Wiederholung und des Trainings her- Abb. 5.22 Ein Teil der Schriftzeichen genügt zu ihrer Erkennung Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 204 30.07.13 17: 30 44038_Roche.indd 204 26.04.2018 12: 42: 11 Abb. 5.22: Ausschnitt aus einem Rongorongo-Text und allgemeiner Auszug der Zeichenerklärungen des Rongorongo (Fischer 1997: 407) Am Beispiel der einzigen voreuropäischen Schriftsprache Ozeaniens kann dargestellt werden, welch hohen Entwick‐ lungsstand heute bedrohte Schriftsprachen bereits in frü‐ hen Zeiten erlangt haben und wie sich die Schrift als Ab‐ bildungssystem möglichst an der Gestalt von Gegenständen und der realitätsnahen Darstellung von Ereignissen orien‐ tieren kann. Das Rongorongo der Rapanui umfasst circa 120 Symbole. Hiervon stellen etwa 40 bildhafte Motive (Götter, Vögel, Fische, Pflanzen) und 80 überwiegend geome‐ trisch-abstrakte Formen dar. Diese Zeichen sind sowohl ab‐ bildende (logographische) Darstellungen realer physischer Objekte als auch Symbole von Vorgängen und Ereignissen. Die bisherigen Forschungen haben ergeben, dass rund 2000 Kompositionen aus den Bestandteilen des Basisinventars gebildet worden sind. Manche Symbole stehen für ganze Wörter, manche repräsentieren Klänge und andere abs‐ trakte Begriffe. Einzelne Zeichen können, ebenso wie Zei‐ chenkombinationen, vieldeutig (polysem) sein und − wie 5 Sprache 258 <?page no="259"?> das in Sprachen üblich ist − in unterschiedlichen Kontexten bei gleicher Form Verschiedenes bedeuten (vergleiche Ho‐ mophonie). In Texten wurden die einzelnen Zeichen als vertikales, nicht durch Zeilensprünge unterbrochenes Band auf Tafeln aneinandergereiht, so dass die Zeichen in jeder zweiten Zeile auf dem Kopf stehen, das heißt die Tafel zum Lesen nach jeder Zeile auf den Kopf gestellt werden muss. Abb. 5.23: Ein Teil der Schriftzeichen genügt zu ihrer Erkennung Sprachen, die das lateinische Alphabet nutzen, repräsentieren Begriffe dagegen sehr abstrakt, geradezu formelhaft. Hier kommt es dann auch nicht mehr darauf an, das gesamte Symbol zu er‐ kennen. Für die Erkennung der Zeichen genügen einzelne Silben und die oberen Teile der Buchstaben, die herausragenden Teile der Schrift, wie bei Silhouetten von Bergen oder Städten. 5.9 Grammatik und Fremdsprachenunterricht Die Bezeichnung Grammatik findet sich verbreitet nicht nur als sprachwissenschaftlicher Begriff, sondern auch als Bezeichnung für verschiedene Referenzwerke, vor allem für den Sprachun‐ terricht (Lehrbuchgrammatik). Übungsgrammatiken bieten vor allem Wiederholungsmöglichkeiten für den Unterrichtsstoff und sind meist mit einer kurzen Regelwiederholung und Aufgaben mit Lösungsschlüsseln für alle wichtigen grammatischen Phä‐ nomene versehen. Es gibt sie zu verschiedenen linguistischen Ansätzen und für verschiedene Lehrbücher. 5.9 Grammatik und Fremdsprachenunterricht 259 <?page no="260"?> Grammatik mit Sinn und Verstand Auch die Bezeichnung Lernergrammatik hat mehrere Be‐ deutungen: zum einen bezeichnet der Begriff das interne, unbe‐ wusste Grammatikverständnis, das sich ein Lerner im Laufe des Erwerbs aufbaut, zum anderen aber auch die Grammatik, die Lerner für sich selbst bewusst entwickeln, indem sie Hypothesen über die fremde Sprache bilden und diese notieren. Darüber hin‐ aus bezeichnen Lernergrammatiken auch solche Grammatiken, die von Autorinnen speziell für Lernzwecke konzipiert werden. Solche Lernergrammatiken können Grammatiken in Lehrbü‐ chern oder Übungsgrammatiken sein. Lernergrammatiken stel‐ len keinen speziellen linguistischen Ansatz der Grammatikbe‐ schreibung dar. Die Grammatik mit Sinn und Verstand gehört als Lehr- und Übungsgrammatik zu den Gebrauchsgrammatiken. Beispiel Die Grammatik mit Sinn und Verstand ist von einem deutschsprachigen Autorenteam für fortgeschrittene Ler‐ ner des Deutschen geschrieben worden, die mit grammati‐ scher Terminologie vertraut sind (Mittel- und Oberstufe). Die Darstellung des Tempus beginnt die Grammatik bei‐ spielsweise mit dem funktionalen Aspekt, nämlich der Frage, wie Zeit überhaupt ausgedrückt werden kann. Dafür liefert sie sodann eine Liste von alternativen Ausdrucksfor‐ men, die den Lesern aus ihrem Unterricht bekannt sein müssten. In der folgenden Tabelle wird versucht, den funk‐ tionalen Bezug des Zeitausdrucks mit den formalen Ele‐ menten des sprachlichen Ausdrucks zu kombinieren. Diese funktionale Orientierung, die grafische Darstellung, das Vorhandensein eines Lösungsschlüssels, die Wahl des un‐ gewöhnlichen Beispiels, das in einer zusammenhängenden Sequenz angeordnet ist, sowie die funktionale Generalisie‐ rung der Regeln der haben/ sein-Verwendung bei der Dar‐ stellung des Perfekts im Deutschen machen deutlich, dass diese Grammatik für Lehr- und Lernzwecke konzipiert wor‐ den ist. Auf die Erklärung oder eine Variation der Termi‐ nologie im Sinne verschiedener linguistischer Ansätze wird in der Grammatik verzichtet. 5 Sprache 260 <?page no="261"?> Abb. 5.24: Grammatik mit Sinn und Verstand als Beispiel einer funk‐ tional und didaktisch ausgerichteten Grammatik 5.9 Grammatik und Fremdsprachenunterricht 261 <?page no="262"?> funktionale Aspekte Didaktische oder didaktisierte Grammatiken sind das Ver‐ bindungsstück zwischen Lernergrammatiken und wissenschaft‐ lichen Grammatiken. Ihnen geht es darum, die komplexen Be‐ schreibungen systematischer Grammatiken auf ein handhabbares Maß zu vereinfachen, ohne dabei stereotype oder falsche Generalisierungen zu produzieren. Didaktische Grammatiken konzentrieren sich auf die wichtigsten Funktionen eines gram‐ matischen Phänomens und vernachlässigen die Ausnahmen. Da sie nicht an einen bestimmten theoretischen Ansatz gebunden sind, können sie sich das für das Lernen Wichtigste aus ver‐ schiedenen Ansätzen heraussuchen und die Defizite der einzel‐ nen theoretischen Ansätze ausgleichen. So kommen verschie‐ dene linguistische Perspektiven zum Zuge, die jede für sich nur jeweils bestimmte Aspekte behandeln. Didaktische Grammatiken orientieren sich stark an funktio‐ nalen Gesichtspunkten der Sprachbeschreibung und kognitiven Aspekten der Sprachverarbeitung. Sie fungieren als Lernergram‐ matiken, indem sie die Entwicklungsperspektive der Lerner be‐ rücksichtigen, und wachsen mit dem Sprachstand des Lerners mit. Das schließt Anlehnungen an sowie Brückenkonstruktionen zur Ausgangssprache, Mnemotechniken und konzeptuelle Brü‐ ckenkonstruktionen ein. Didaktische Grammatiken zeichnen sich durch eine Reihe von Merkmalen in der Darstellung und Vermittlung aus (sekundäre Merkmale): ▸ Einfache Formulierungen im Sinne der „Verständlichen ▸ Sprache“, ▸ Reduktion metasprachlicher Erklärungen, ▸▸ Anbindung an die Begriffswelt der Lerner, ▸▸ anschauliche Beispiele (Exemplifizierungen), ▸▸ einprägsame Formeln, ▸▸ Visualisierungen, Illustrationen, ▸▸ Übersichtlichkeit, ▸▸ Benutzerfreundlichkeit, ▸▸ Entdeckendes Lernen, ▸▸ gegebenenfalls Verwendung der Ausgangssprache der Ler‐ ▸ ner. 5 Sprache 262 <?page no="263"?> Minigrammatik Am Beispiel des Tempussystems im Deutschen lässt sich der An‐ satz der didaktischen Grammatik an folgendem Beispiel illus‐ trieren: Beispiel In der Mini-Grammatik Deutsch als Fremdsprache (2009) werden die wichtigsten Elemente für Lerner der Grundstufe funktional und sprachlich einfach dargestellt. Die Ausnah‐ men von der Regel werden zusammengefasst, sofern sie für die betreffenden Lerner überhaupt eine Rolle spielen. Im Unterricht und in weiterführenden Grammatiken können die Regeln später ergänzt und erweitert werden. Abb. 5.25: Didaktische Grammatik am Beispiel der Darstellung des Perfekts in der Mini-Grammatik Deutsch als Fremdsprache (2009) Der Begriff der didaktischen Grammatik wird in der Literatur unterschiedlich gefasst (Thurmair 1997, Königs 1999, Helbig/ Buscha 1999, Götze 2001, Weinrich 2007, Eppert 2011, Olejarka 5.9 Grammatik und Fremdsprachenunterricht 263 <?page no="264"?> Pedagogical Grammar 2008). In Anlehnung an den englischen Begriff der pedagogical grammar wird auch in der deutschsprachigen Didaktik gelegent‐ lich von pädagogischen Grammatiken gesprochen. Als Weiter‐ entwicklung der didaktischen/ pädagogischen Ansätze kann die Kognitive Didaktik betrachtet werden. Die Erkenntnisse der Ko‐ gnitiven Linguistik erlauben vor allem über Metaphorisierungs‐ prozesse einen systematischen Zugang zur Bedeutung und Ver‐ ständlichkeit der Strukturen des Sprachsystems. Das Modell der Kognitiven Didaktik ist ausführlicher in Kapitel 5.7 dargestellt. Bei der systematischen Behandlung der Grammatik im Un‐ terricht werden meist zwei Verfahren unterschieden: die regel‐ geleiteten (deduktiven) Verfahren und die entdeckenden (in‐ duktiven) Verfahren. In Lehrwerken wird Grammatik oft anhand von Regeln, also normativ und deduktiv eingeführt, an Beispielen in Lehrbuchtexten illustriert und schließlich eingeübt. Die Regel steht zuerst. Die Übungen beginnen als geschlossene Übungen mit einfachen Einsetz- oder Umstellungsaufgaben und nehmen an Komplexität durch wachsende Offenheit zu. Bei in‐ duktiven Verfahren sind die Lerner am Entdecken der Regeln selbst beteiligt. Ihre Aufgabe ist es, anhand von Texten Struktu‐ ren zu beobachten, über die Regelhaftigkeit der Beobachtungen Hypothesen zu bilden, diese Hypothesen zu prüfen und zu fes‐ tigen und schließlich zu einer arbeitsfähigen Lösung zu gelan‐ gen. Lehrkräfte und Lehrmaterialien liefern dazu Hilfestellun‐ gen, geben die Regeln aber nicht vor. Ziel ist es, die Lerner (wie im L1-Erwerb und wie beim Chunk-Bearbeiten dargestellt) zu autonomem Lernen und aufmerksamem Beobachten anzuleiten. Sie sollen die Regeln später selbst weiter verfeinern, anwenden und übertragen. Geübt wird anhand von strukturierten Übungen oder offenen Aufgaben und weiteren Texten. 5.10 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie lässt sich Sprache beschreiben? 1. 2. Wie funktioniert das Zeichensystem Sprache in pragmati‐ 2. scher Hinsicht? 3. Wie entsteht sprachliche Variation und wie äußert sie sich? 3. 5 Sprache 264 <?page no="265"?> 4. Welche Rolle spielt die Valenzgrammatik im Fremdspra‐ 4. chenunterricht und warum? 5. Auf welchen Grunderkenntnissen baut die Kognitive Lin‐ 5. guistik auf ? 6. Welche Funktionen hat eine Textgrammatik? Welche Fol‐ 6. gen hat das für den Unterricht? 7. Wodurch zeichnen sich Hypertexte aus und was bedeutet 7. das für die Vermittlung von Lesekompetenzen? 8. Was ist das Besondere an Schriftsystemen? 8. 9. Unter welchen Gesichtspunkten können Lernergrammati‐ 9. ken beschrieben werden? 10. Welche Kriterien bestimmen didaktische Grammatiken 10. und wie können sie in Spracherwerb und Sprachunterricht eingesetzt werden? 5.11 Weiterführende Literatur Adamzik, Kirsten (Hg.) (2000). Textsorten. Reflexionen und Analysen. Tübingen: Stauffenburg. Adamzik, Kirsten (2004). Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübingen: Niemeyer. Altmann, Hans/ Hahnemann, Suzan (2005). Syntax fürs Examen. Studien- und Arbeitsbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Auer, Peter (2003). „Türkenslang“. Ein jugendsprachlicher Ethnolekt des Deutschen und seine Transformationen. In: Häcki Buhofer, Anne‐ lies/ Hofer, Lorenz (Hg.). Spracherwerb und Lebensalter. Tübingen: Francke, 255-264. Austin, John L. (1962). How to Do Things with Words. 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Sie dienen als Handlungsanwei‐ sung für Lehrkräfte und Lehrwerksautorinnen und -autoren, sollen Transparenz im Bildungsbetrieb herstellen und den Lernprozess durch die richtige Dosierung des Inputs steuern helfen. Gerade von diesen instruktionalen Steuerungsfunk‐ tionen will die Orientierung auf die Leistungen der Lerner, also den Output, Abstand nehmen. Für diesen Perspektiven‐ wechsel steht exemplarisch die Orientierung auf Kompeten‐ zen. Worum es bei den Kompetenzen geht, welche für den Sprachenerwerb die entscheidenden sind und wie sie in ei‐ nem System des Lehr-/ Lern- und Unterrichtsmanagements zur Qualitätsentwicklung und -sicherung eingesetzt werden können, soll in diesem Kapitel dargestellt werden. 6.1 Lehrziele, Lernziele, Kompetenzen Je nachdem, ob die Perspektive des Lerners oder des Lehrstoffes die Leitlinie des Unterrichtens darstellen soll, kann zwischen Lernzielen und Lehrzielen im Unterricht unterschieden werden. Traditionellerweise fassen Lehrpläne oder Curricula die Lehrziele einer Jahrgangsstufe oder eines Sprachniveaus zusammen und ordnen sie in Bezug auf die Spezifik unterschiedlicher Bereiche. Die Richtlehrziele (Leitziele) repräsentieren traditionellerweise die grundsätzlichen pädagogischen und bildungspolitischen Zielvor‐ gaben, die eine Gesellschaft und ihre Bildungsinstanzen für wich‐ tig erachten. In den Groblehrzielen werden diese nach relevanten fachspezifischen und pädagogischen Kriterien auf den institutio‐ nellen Rahmen des betreffenden Schulsystems zugeschnitten und <?page no="272"?> Kompetenzorientierung schließlich in den Feinlehrzielen für die Fertigkeitsbereiche kon‐ kretisiert und operationalisiert, in den Bereichen der Grammatik, des Lesens, Schreibens, Hörens und Sprechens. Lehrziele sollen in der Regel durch bevorzugte didaktische und methodische Verfahren umgesetzt werden. Hieraus ergibt sich eine zweifache Input-Orientierung: durch eine kontrollierte und steuernde sprachliche Eingabe sowie durch instruktionistisch steuernde Lehrmethoden (Englisch: Interventionist Methods). Da die sprachlichen und methodischen Steuerungsversuche der Komplexität des Sprachenerwerbs und -unterrichts nur be‐ dingt gerecht werden können, tritt in neueren Regelwerken, Lehrplänen und Qualitäts-Managementverfahren eine Orientie‐ rung auf den Output der Lerner in den Vordergrund. Diese ma‐ nifestiert sich vor allem in einer Orientierung auf Kompetenzen, Kriterien und Kompetenzstufen und verlangt folglich nach einer Lehrmethodik, die unterschiedliche − und somit individuelle − Zugänge zu den Zielen zulässt und autonomes Lernen fördert. Damit ist sie besonders mit aufgaben- und handlungsorientierten Verfahren vereinbar, die konstruktivistischen Lernmodellen ver‐ pflichtet sind. Kompetenzen werden als Qualifikationen defi‐ niert, die über verschiedene Indikatoren gemessen werden, die über verschiedene Lernwege erreicht werden können und die die Bedingungen der jeweiligen Lernumgebung und die Interes‐ sen und Möglichkeiten der Lerner berücksichtigen. Ein Beispiel für einen outputorientierten Lehrplan ist das Kerncurriculum für Hessen (2011). Die Kompetenzen gliedern sich in überfachliche Kompetenzen und Kompetenzbereiche eines Faches wie moderne Fremdsprachen. Personale, Sozial-, Sprach- und Lernkompetenzen werden als überfachliche Kompetenzen angeführt, die wiederum in Dimensionen und Aspekte differen‐ ziert werden (beispielsweise wird die Sprachkompetenz durch Lese-, Schreib- und Kommunikationskompetenz präzisiert). Das Leitziel im Bereich moderner Fremdsprachen ist die Diskursfä‐ higkeit. Diese soll mittels der Förderung kommunikativer, trans‐ kultureller und Sprachlernkompetenzen erreicht werden. Die in‐ haltliche Konzeption des Faches orientiert sich an drei Inhaltsfeldern: persönliche, öffentlich-gesellschaftliche und kul‐ turelle Lebenswelt. Diese benennen sprachliche Erscheinungs‐ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 272 <?page no="273"?> formen, zielorientierte Handlungsmuster und normative Ge‐ sichtspunkte. Sie dienen als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl von Lerngegenständen. (ein Auszug aus den Leitper‐ spektiven zur Kompetenz „Sprechen“ ist in Abbildung 6.11 dar‐ gestellt). Übersicht Lehr- und Lernziele im Fremdsprachenunterricht Zu den wichtigsten Lehr- und Lernzielen im Fremdspra‐ chenunterricht gehören die folgenden: Wissenserwerb: ▸ Sach- und Fachwissen über Ausgangs- und Zielkultur, ▸▸ Sprachwissen und Wissen über Konventionen, Nor‐ ▸ men, Texttypen und Textsorten, ▸ Wissen über die Funktionsweise und kulturelle Veran‐ ▸ kerung von Texten, ▸ Wissen über die Kultur (Landeskunde) und die Zwecke ▸ der Lehrinstitutionen und Bildungssysteme, ▸ Theorie- und Methodenwissen. ▸ Sprachliche Kompetenzen und Fertigkeiten: ▸ Ausgangs- und zielsprachliche Kenntnisse, ▸▸ Kulturkompetenzen, ▸▸ pragmatische Kompetenzen, ▸▸ Textverstehens- und -verarbeitungskompetenzen, ▸▸ Vermittlungsfertigkeiten, ▸▸ Ausdrucksfähigkeit und Stilempfinden schriftlich und ▸ mündlich, ▸ produktive Kompetenz in Bezug auf Texttypen und ▸ Textsorten ▸ kohärente und logische Gestaltung von Texten. ▸ Persönlichkeitsentwicklung: ▸ emotionale Stabilität, ▸▸ Kritik- und Reflexionsfähigkeit inklusive Selbstkritik, ▸▸ demokratische Kompetenz, ▸▸ Konzentrationsfähigkeit, ▸ 6.1 Lehrziele, Lernziele, Kompetenzen 273 <?page no="274"?> Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen ▸ Ausdauer, ▸▸ Flexibilität, ▸▸ Verantwortungsbewusstsein, ▸▸ Intuition, Aufgeschlossenheit, Empathie, ▸▸ Kreativität. ▸ Berufs- und Schlüsselqualifikationen: ▸ Analyse-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit (kriti‐ ▸ sche Kompetenz), ▸ Analogie- und Kontextualisierungsfähigkeit, ▸▸ Erschließungs- und Einarbeitungsfähigkeit, ▸▸ Recherchefertigkeiten, ▸▸ Medienkompetenzen, ▸▸ interpersonale und interkulturelle Vermittlungskom‐ ▸ petenzen. Überfachliche Kompetenzen: ▸ personale Kompetenz, ▸▸ Sozialkompetenz, ▸▸ Lernkompetenz, ▸▸ Sprachkompetenz. ▸ Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER), die ein‐ flussreichste Sammlung von Lehr- und Lernzielen, weist die Kompetenzen sechs Niveaustufen (A1, A2, B1, B2, C1, C2) zu, formuliert sie als allgemeine und spezifische Kann-Bestimmun‐ gen (was soll der Lerner können? ) und stimmt sie unter den Sprachen Europas ab. Dadurch entsteht eine Differenzierung und Vergleichbarkeit der Anforderungen unter den europäi‐ schen Sprachen, die der höheren Mobilität in Europa gerecht werden soll. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 274 <?page no="275"?> Exkurs Die Kompetenzen des Sprachverwenders und des Sprachenlernenden (GER: Kapitel 5) 1. Allgemeine Kompetenzen 1. 1. Deklaratives Wissen (savoir) 1. 1. Weltwissen 1. 2. Soziokulturelles Wissen 2. 3. Interkulturelles Bewusstsein 3. 2. Fertigkeiten und prozedurales Wissen (savoir-faire) 2. 1. Praktische Fertigkeiten 1. 2. Interkulturelle Fertigkeiten 2. 3. Persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir-être) 3. 4. Lernfähigkeit (savoir-apprendre) 4. 1. Sprach- und Kommunikationsbewusstsein 1. 2. Allgemeines phonetisches Bewusstsein und 2. phonetische Fertigkeiten 3. Lerntechniken 3. 4. Heuristische Fertigkeiten 4. 2. Kommunikative Sprachkompetenzen 2. 1. Linguistische Kompetenzen 1. 1. Lexikalische Kompetenz 1. 2. Grammatische Kompetenz 2. 3. Semantische Kompetenz 3. 4. Phonologische Kompetenz 4. 5. Orthographische Kompetenz 5. 6. Orthoepische Kompetenz 6. 2. Soziolinguistische Kompetenzen 2. 1. Sprachliche Kennzeichnung sozialer Beziehungen 1. 2. Höflichkeitskonventionen 2. 3. Redewendungen, Aussprüche, Zitate und sprich‐ 3. wörtliche Redensarten 4. Registerunterschiede 4. 5. Varietäten (sozial, regional, ethnisch usw.) 5. 3. Pragmatische Kompetenzen 3. 1. Diskurskompetenz 1. 2. Funktionale Kompetenz 2. 6.1 Lehrziele, Lernziele, Kompetenzen 275 <?page no="276"?> 6 Niveaustufen Diese Anforderungen gelten für alle europäischen Sprachen, werden aber zunehmend auch außerhalb Europas angewandt, weil es dort vergleichbare Rahmenwerke nicht gibt. Der GER verfolgt damit mehrere strategische Ziele: bei Kann-Bestimmun‐ gen ist zweitrangig, wo und wie die Lerner die Kompetenzen erwerben. Wichtiger ist das individuelle Sprachenprofil eines Lerners. Der GER setzt dynamische Sprachkompetenzen an, die lebenslang erweiterbar sind und deshalb in einem Sprachenport‐ folio verwaltet werden sollten. Allgemeinverbindliche Standards sorgen für eine transparente Vergleichbarkeit der Kompetenzen verschiedener Sprachen. Die sechs Niveaustufen von der ele‐ mentaren bis zur kompetenten Sprachverwendung fasst der Re‐ ferenzrahmen folgendermaßen zusammen: Abb. 6.1: Formulierung der sechs Niveaustufen im Gemeinsamen Eu‐ ropäischen Referenzrahmen (GER) 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 276 <?page no="277"?> Profile Deutsch In Profile Deutsch sind die Niveaustufen auf operationable Samm‐ lungen von Redemitteln heruntergebrochen. Detaillierte Kannbeschreibungen mit Beispielen: Produktion mündlich Kann mit einfachen, meist unverbundenen Ausdrücken sich selbst beschrei‐ ben, was er/ sie macht und wo er/ sie wohnt. Kann im Sprachkurs sagen, woher sie kommt und wo sie jetzt wohnt. Kann Kolleginnen sagen, was sie beruflich macht und was ihr liebstes Hobby ist. Kann einem Kollegen sagen, was sie derzeit an einem normalen Tag macht. Kann mit einfachen, meist unverbundenen Ausdrücken über sich, andere Personen und die unmittelbare Umgebung sprechen. Kann bei einer Party einem anderen Gast sagen, wie groß die eigene Familie ist. Kann mit einfachen Ausdrücken und Sätzen ihren Partner beschreiben. Kann beschreiben, wie die Firma heißt, in der sie arbeitet, und was sie dort macht. Kann Zahlen, wichtige Zeit- und Mengenangaben sowie Daten gut verständ‐ lich sprechen. Kann die eigene Telefonnummer so deutlich sprechen, dass sie mitge‐ schrieben werden kann. Kann auf einem Amt wichtige Angaben wie Geburtsdatum oder Adresse verständlich sagen. Kann in einem Geschäft wichtige Größenangaben mit einfachen sprach‐ lichen Mitteln nennen. Kann ein kurzes, eingeübtes Statement vom Blatt vortragen. Kann bei einem informellen Anlass einen Gast als Redner vorstellen. Kann bei einem Fest einen Toast sprechen. Kann nach einem offiziellen Essen die vorbereiteten Dankesworte spre‐ chen. Abb. 6.2: Mündliche Redemittel in Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2005: 13) 6.1 Lehrziele, Lernziele, Kompetenzen 277 <?page no="278"?> Proficiency Guidelines Sprachtests Das Vorgehen des GER und anderer Rahmenwerke ist nicht un‐ umstritten. Die Formulierung von Kann-Bestimmungen und Ni‐ veaustufen ist nicht weniger von subjektiven Gewichtungen ab‐ hängig als die traditionelle Definition von Lehr- oder Lernzielen. Auch wenn keine Inhalte vorgegeben werden, fördert der GER eine Verengung auf die Alltagskommunikation, etwa zu Lasten literarischer Sprache. Die Rolle des thematischen Interesses beim Sprachenlernen und die Rolle von thematischen Vorkenntnissen beim Erreichen einer Niveaustufe werden ausgeblendet. Erkennt‐ nisse der Spracherwerbsforschung werden nicht systematisch be‐ rücksichtigt. Vielmehr lehnt sich der GER an die früheren Profi‐ ciency Guidelines an, die ihre Wurzeln in den Lernmodellen und Zielsetzungen der 1950er Jahre, und damit besonders in den An‐ forderungen des US-Militärs in dieser Zeit, haben. Zudem müsste stärker betont werden, dass die dem GER zugrunde liegende Out‐ put-(Kompetenz-)Orientierung eine auf Handlungen und Auto‐ nomie ausgerichtete Unterrichtsmethodik verlangt, die ihrerseits eine entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte und ein geeignetes Lehrmaterial voraussetzt. Diese Methodik basiert auf konstrukti‐ vistischen Lernmodellen und verträgt sich nur bedingt mit in‐ struktionistischen Verfahren. Problematisch ist auch die Orientierung an den traditionellen Fertigkeitsbereichen, also Lese- und Hörverstehen, Sprechen und Schreiben. In authentischer Kommunikation wirken in der Regel alle Bereiche zusammen und sind voneinander abhängig. Jemand der spricht, hat zuvor gehört und gelesen und er schreibt im Anschluss daran vielleicht etwas auf. Wer den Kontext nicht berücksichtigt, kann in der Regel auch nicht adäquat kommuni‐ zieren. Jemand, der eine gute Aussprache besitzt, kann noch nicht unbedingt sprechen oder reden. Jemand, der die Orthogra‐ phie und die Interpunktion beherrscht, kann noch nicht unbe‐ dingt Texte adäquat verfassen. Bei der Vermittlung sprachlicher und sprachkultureller (linguakultureller) Kompetenzen stehen daher nicht mehr nur einzelne Fertigkeiten, sondern kommuni‐ kative Handlungskompetenzen im Mittelpunkt, die auf verschie‐ denen Fertigkeiten aufbauen. Nicht alle Sprachtests und Lehr‐ materialien reflektieren diese Verbindungen der Fertigkeiten an der Übungsoberfläche, aber sie tun es oft bei den Aufgaben. Bei 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 278 <?page no="279"?> Lehrplan Deutsch als Zweitsprache der wichtigsten deutschsprachigen Sprachprüfung für den Hochschulzugang, dem TestDaF, ergeben sich zum Beispiel fol‐ gerichtig Aufgaben zum Sprechen, die auch Hör- und Lesekom‐ petenzen erfordern (vergleiche Abbildung 6.3). Abb. 6.3: Berücksichtigung verschiedener Fertigkeiten im Kompetenz‐ bereich Sprechen in Fit für den TestDaF (Roche 2013: 134 f.) 6.2 Vom Lehrplan zum Lernplan Einen praktischen, von den verbreiteten Verfahren der Lehrziel‐ bestimmung abweichenden Ansatz vertritt der Lehrplan Deutsch als Zweitsprache (2002) für Grund- und Hauptschulen in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Er stellt Handlungs‐ kompetenzen und interkulturelle Kompetenzen in den Mittel‐ punkt, bezieht sich auf das aktive Lernen der Lerner (Lernziele, Interessen, Themen), berücksichtigt Erkenntnisse der Spracher‐ 6.2 Vom Lehrplan zum Lernplan 279 <?page no="280"?> werbsforschung zum Wortschatzerwerb und ist denkbar knapp formuliert. Allgemeine Entwicklungen in der Gesellschaft, neue Arbeitsweisen in den Schulen, differenzierte Interessen und Be‐ dürfnisse der Lehrkräfte und Lerner sowie die Erkenntnisse päd‐ agogischer und zweitbeziehungsweise fremdsprachendidakti‐ scher Forschung gaben Anstöße für eine Neugestaltung des früheren Lehrplans. Das Konzept setzt eine offene, handlungs- und aufgabenorientierte Unterrichtsgestaltung voraus, die auf die Lernerfahrungen und Perspektiven der Schülerinnen und Schüler eingeht und den Lernprozess im Sinne autonomer und konstruktivistischer Verfahren in den Mittelpunkt stellt und so zum Lernplan wird. Beispiel Lehrplan Deutsch als Zweitsprache (2002) Die Leitgedanken benennen Voraussetzungen der Lernen‐ den, Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung und Gesetzmäßigkeiten des Sprachlernprozesses, die einen effi‐ zienten Sprachunterricht bestimmen. Die Ausführungen in den Leitgedanken beziehen sich auf folgende Themen: ▸ Wachstum durch Sprachanwendung (Authentizität ▸ und Funktionalität), ▸ ganzheitliches Lernen, ▸▸ methodische, soziale und mediale Vielfalt, ▸▸ zyklischer Aufbau der Lernsituationen, ▸▸ lebensnahes Lernen, ▸▸ Mehrsprachigkeit als Chance, ▸▸ offene Unterrichtssituationen (Lernumgebung), ▸▸ selbstgesteuertes Lernen, ▸▸ Fehler als Lernanstoß (im Sinne von Lernsequenzen), ▸▸ Spielen als Probehandeln, ▸▸ narrative Elemente, ▸▸ Wortschatzerwerb, ▸▸ Nutzung von Medien, ▸▸ Fachsprache, ▸▸ Hören und Lesen als Basiskompetenz, ▸▸ Aussprache, ▸ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 280 <?page no="281"?> ▸ Arbeit an Texten (Textsorten), ▸▸ Schreiben, ▸▸ sprachliche Regeln als Reflexionshilfe (Sprachnormen ▸ und Sprachvariation), ▸ Diagnose und Evaluation (Fehlerkorrektur). ▸ Die Grundlagen des Konzeptes sind auch im Aufbau des zweiten Teils des Lehrplans, in der Konkretisierung der Lernfelder für den Unterricht, erkennbar. Entsprechend den Bedürfnissen und den der jeweiligen Altersgruppe eigenen Erfahrungswelten liegen für die Grundschulen und weiter‐ führenden Schulen jeweils eigene Lerninhalte vor. Jedes Lernfeld besteht aus: ▸ einem Signalthema mit zugeordneten Themen-Modu‐ ▸ len, ▸ Kerninhalten, ▸▸ lexikalischen Bereichen, ▸▸ syntaktischen Mitteln, ▸▸ Sprechakten und Strukturen, ▸▸ Schüleraktivitäten. ▸ Die Signalthemen lauten: ▸ Ich und du, ▸▸ lernen, ▸▸ sich orientieren, ▸▸ miteinander leben, ▸▸ was mir wichtig ist, ▸▸ sich wohlfühlen. ▸ Die Kerninhalte machen ersichtlich, dass jedes Ereignis im Unterricht dem sprachlichen Zuwachs, der Sprachgeläufig‐ keit und Sprachkorrektheit dient, und zwar im Rahmen der genannten Mittel und Kompetenzen. Hier werden Sprech‐ situationen benannt, in denen die Schülerinnen und Schüler zyklisch ihr Sprachwachstum erweitern können. Die Angabe von lexikalischen Bereichen gibt den Lehrkräf‐ ten und und Schülerinnen und Schülern die Freiheit, den 6.2 Vom Lehrplan zum Lernplan 281 <?page no="282"?> handlungsorien‐ tiertes Unter‐ richtskonzept Wortschatz individuell auszuwählen und je nach Lernsitu‐ ation zu konkretisieren. Unter dem Untertitel Syntaktische Mittel werden Muster‐ beispiele für den Schwierigkeitsgrad der sprachlichen In‐ halte gegeben. Damit wird deutlich, dass Grammatik nicht normativ, sondern gebrauchsorientiert, also kommunika‐ tiv-funktional, gelernt wird. Die Sprechakte und Strukturen stellen Minimalanforderun‐ gen dar und bilden eine ausbaufähige Basis für das weitere Lernen. Der Erwerb von sprachlich komplexeren Struktu‐ ren desselben Lernfeldes ist insbesondere im ersten Lern‐ jahr nicht zwingend von der Fähigkeit zum aktiven Ge‐ brauch der Ausdrucksformen abhängig. Das passive Verständnis soll jedoch gesichert sein. Die Rubrik Schüleraktivitäten gibt eine Fülle von Anre‐ gungen für einen zyklisch aufgebauten, schüler- und si‐ tuationsbezogenen Unterricht, der die eigene Lebenswelt der Lerner und deren interkulturelle Erfahrungen in den Mittelpunkt des Lernens stellt. Der kreative Prozess des Sprachenlernens wird unterstützt durch Lernszenarien, die Impulse für authentische Kommunikationssituationen und das Anwenden und Erproben geben. Die abwechselnd in verschiedenen Arbeitsformen (Sozialformen: Einzel‐ arbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, gesamte Gruppe/ Ple‐ num) durchführbaren Aufgaben schaffen die Basis für eine vielfältige mündliche und schriftliche Umsetzung der Lernziele und den Aufbau wichtiger kommunikativer Kompetenzen. Die Vielfalt der Anregungen des handlungsorientierten Un‐ terrichtskonzepts erlaubt eine Auswahl, die sich am Inter‐ esse, Bedarf und Leistungsstand der Lerner sowie den ört‐ lichen Gegebenheiten des Unterrichts orientiert. Wesentliche Kriterien des Lehrplankonzeptes zeigen sich auch in der Unterteilung der möglichen Schüleraktivitäten in fünf Bereiche. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 282 <?page no="283"?> Grund- und Aufbaukurs ▸ Unter dem Punkt Individuelles Lernen werden Anre‐ ▸ gungen für das selbständige Lernen gegeben, vor allem für die individuelle Wortschatzerweiterung, die eine zentrale Bedeutung für die Kommunikation und das Leseverstehen hat. ▸ Die Rubrik Gemeinsames Lernen bietet Aufgaben an, ▸ die, in verschiedenen Sozialformen durchgeführt, die Basis für eine vielfältige mündliche und schriftliche Umsetzung der Lernziele bilden. ▸ Unter Lernen außerhalb der Klasse werden Vor‐ ▸ schläge gemacht, wie die deutschsprachige Umgebung als effektiver Lernort für sprachliches Handeln genutzt werden kann. ▸ Mit dem Bereich Sprachliche und kulturelle Erfah‐ ▸ rungen nutzen sollen die interkulturelle Sensibilisie‐ rung in den Lerngruppen gefördert und unterschiedli‐ che Erfahrungen reflektiert werden. ▸ Unter dem in den Schüleraktivitäten auftauchenden ▸ Begriff Lernen lernen wird Lernen als ein aktiver, konstruktiver, selbstregulierender und kumulativer Prozess verstanden, der in einem sozialen und situati‐ ven Kontext stattfindet. Durch die Anregungen in die‐ ser Rubrik wird die Fähigkeit der Schülerinnen/ Schüler gefördert, Sprache selbständig und in Eigeninitiative zu erwerben und damit Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen. Für unterschiedliche Lernertypen werden unterschiedliche Lernstrategien angeboten. Weiterführende Schulen können zur Verbesserung des Ver‐ stehens von Fachtexten als zusätzliches Angebot die Rubrik Fachsprache anwenden nutzen. Der zyklisch aufgebaute Lehrplan ist in einen Grund- und Aufbaukurs gegliedert. Von den unterschiedlichen zeitlichen Vorgaben, den unter‐ schiedlichen Organisationsformen und dem individuellen Lernfortschritt hängt es ab, in welchem Zeitrahmen die Lernziele erreicht werden können. Auch hier ist der Lehr‐ plan ein offener Lernplan. 6.2 Vom Lehrplan zum Lernplan 283 <?page no="284"?> Grund- und Aufbaukurs einem sozialen und situativen Kontext stattfindet. Durch die Anregungen in dieser Rubrik wird die Fähigkeit der Lernenden gefördert, Sprache selbstständig und in Eigeninitiative zu erwerben und damit Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen. Für unterschiedliche Lernertypen werden unterschiedliche Lernstrategien angeboten. Weiterführende Schulen können zur Verbesserung des Verstehens von Fachtexten als zusätzliches Angebot die Rubrik Fachsprache anwenden nutzen. Der zyklisch aufgebaute Lehrplan ist in einen Grund- und Auf baukurs gegliedert. Von den unterschiedlichen zeitlichen Vorgaben, den unterschiedlichen Organisationsformen und dem individuellen Lernfortschritt hängt es ab, in welchem Zeitrahmen die Lernziele erreicht werden können. Auch hier ist der Lehrplan ein offener Lernplan. Abb. 6.4 Auszüge aus dem Lehrplan Deutsch als Zweitsprache: Grundschule (2002: 14) Lernfeld 1 Grundschule Grundkurs Ich und du Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 224 30.07.13 17: 30 44038_Roche.indd 224 26.04.2018 12: 42: 18 Kerninhalte Schulalltagsrituale auffassen Hinhören lernen Sich begrüßen und verabschieden Höflichkeitsformen anwenden Sich bekannt machen Voneinander etwas erfahren Vorlieben und Abneigungen äußern Hilfen erbitten Lexikalische Bereiche Syntaktische Mittel Begrüßung und Verabschiedung Guten Morgen! / Hallo! / Auf Wie‐ dersehen! Ich bin …. Unterricht Freizeitbeschäftigungen Ich mag (Pizza). Vorlieben der Schüler Und du? (Spinat) mag ich nicht. Ich auch / nicht. Ja. / Nein. Ich kann / nicht (schwimmen). Fragen Was? Wie heißt das? Was magst du? Wie heißt du? Zahlen Bitte. / Danke. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 284 <?page no="285"?> Mögliche Schüleraktivitäten zum Erwerb der Sprache Individuelles Lernen Wortschatzkartei / Wörterheft anlegen Gegenstände und Buchstaben / Wörter mit Knetmasse darstellen Großen Personenumriss auf Tapete mit Fotos und Zeichnungen ergän‐ zen Bildertagebuch anlegen (Ich, Familie, Freizeit, Lieblingsessen, …) Einfache Steckbriefe zusammenstellen Zahlendomino herstellen Glückwunschkarten gestalten Gemeinsames Lernen Sich mit Liedern und Spielen kennen lernen Das Hören und Sprechen durch Stimmmodulation trainieren (laut / leise, hell / dunkel) Wortschatz mit allen Sinnen lernen Gegenstände und Wortkarten zuordnen Gegenstände tasten und Wörter raten (Spiele zur Wahrnehmung und Merkfähigkeit) Tätigkeiten pantomimisch darstellen Wichtige Zahlen austauschen (Altersangabe, Telefonbuch erstellen, …) Mit Zahlen spielen (Klopf- und Horchspiele, Würfelspiele, …) Hitliste erstellen (Lieblingsfiguren, Essen, Tiere, Hobbys, …) Bei Rätselspielen mitmachen Eigenen Personenumriss der Klasse vorstellen „Wir“-Collage herstellen Wandfries gestalten (Selbstdarstellungen, Herkunftsländer, Vorlie‐ ben, …) Geburtstagskalender anfertigen Geburtstage feiern Einladungen entwerfen und gestalten Spiel- und Bewegungslieder hören und nachgestalten Minidialog mit Handpuppen hören und sich einschalten Gemeinsam essen (mit Eltern vorbereiten) Lernen außerhalb der Klasse Schülertutoren kennen lernen und ihre Hilfe annehmen Steckbriefe erstellen (Eltern, Freunde, …) Partnerklasse besuchen und einladen 6.2 Vom Lehrplan zum Lernplan 285 <?page no="286"?> Sprachliche und kulturelle Erfahrungen nutzen Begrüßungen in den anderen vorhandenen Sprachen hören In der Herkunftssprache zählen Bildwörterheft mehrsprachig anlegen Herkunftsländer an der Karte markieren Einfache Reime, Lieder und Gedichte einbringen (Abzählreime, Spiele, …) Alle Mittel zur Verständigung einsetzen (Mimik, Gestik, Mutterspra‐ che, …) Lernen lernen Hinhören und Nachfragen lernen und erproben Bedeutungen aufgrund nichtsprachlicher und sprachlicher Zeichen er‐ raten Mit Wortschatzkartei, Wörterheft und digitalen Lernprogrammen um‐ gehen Wortschatzspiele nutzen (Wortkarten, Dominos, …) Mit Arbeitsmitteln vertraut werden (Lineal, Tageslichtprojektor, …) Partner- oder Gruppenarbeit einüben Formelhafte Wendungen gebrauchen Abb. 6.4: Auszüge aus dem Lehrplan Deutsch als Zweitsprache: Grundschule (2002: 14) 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 286 <?page no="287"?> 6.3 Handlungskompetenzen Legende: Abb. 6.5 Lerngebiet „Selbstständiges Handeln und Verantwortung übernehmen“ aus dem Lehrplan für Berufsintegrations- und Sprachintensivklassen Kapitel: 6.3 Handlungskompetenzen Im Verzeichnis: Abb. 6.5: Lerngebiet „Selbstständiges Handeln und Verantwortung übernehmen“ aus dem Lehrplan für Berufsintegrations- und Sprach‐ intensivklassen 6.3 Handlungskompetenzen 287 <?page no="288"?> handlungsorien‐ tierter Fremd‐ sprachenunter‐ richt computerbasierte Programme Wie verschiedene Fertigkeiten integrierende Handlungskompe‐ tenzen in Lehrmaterialien und Unterricht realisiert sein können, soll exemplarisch an einem Kapitel des Lehrwerks Berufsdeutsch (2012) für berufsbildende Schulen illustriert und danach durch einige Beispiele aus elektronischen Lern- und Arbeitsprogram‐ men ergänzt werden. Bezeichnend für das Lehrwerk ist, dass es sich nicht ausschließlich als Fremd- oder Zweitsprachenlehr‐ werk versteht, sondern versucht, authentische sprachliche Handlungskompetenzen zu vermitteln, die zur Bewältigung rea‐ ler Aufgaben − hier in einem bestimmten Berufszweig − erfor‐ derlich sind. Die Inhalte sind jedoch austauschbar und das Hand‐ lungs- und Aufgabenkonzept kann auf andere Fächer, Schultypen und Inhalte übertragen werden (siehe hierzu auch die Ma‐ terialhinweise und Sekundärliteratur im Kapitel 6.16). Da es authentische Kommunikation behandelt, ist es auch für andere Lerner relevant, die einen Beruf erlernen oder ausüben wollen, also auch für deutschsprachige Berufsschülerinnen und -schüler. Um die Lernumgebung noch stärker an die lebenswelt‐ liche Erfahrung und Berufspraxis anzubinden, sind immer wie‐ der Recherchen und Aufgaben per Internet vorgesehen. Bei com‐ puterbasierten Lernmaterialien sind darüber hinaus Ressourcen zur Bearbeitung der Inhalte und Aufgaben gegeben (siehe Ab‐ bildung 6.7, linke Leiste), zum Beispiel elektronische Hilfs- und Arbeitsmittel, verschiedene Kommunikationskanäle inklusive der Social Media sowie Kurs- und Lernerverwaltungswerkzeuge (siehe Abbildung 6.7, obere Leiste). Dazu gehören auch Wörter‐ bücher, Grammatikhilfen, Lernhilfen, Landeskundelinks, syn‐ chrone und asynchrone Chats, E-Mails, Foren und Portale sowie die Klassenverwaltung. Über die vielfältigen kursintegrierten oder frei verfügbaren Kommunikationskanäle können die Lerner im und nach dem Unterricht interaktive Aufgaben bearbeiten und kommunizieren. Diese Kommunikationskanäle werden teil‐ weise von Lehrkräften und Tutorinnen betreut, können aber auch von Lernergruppen eigenständig genutzt und differenziert werden. Auch hier umfassen die Aufgaben in der Regel mehrere integrierte Fertigkeiten, da sie lebensnah und authentisch sind. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 288 <?page no="289"?> Abb. 6.6: Authentische Handlungssituation in Berufsdeutsch - Metall‐ bau (2012: 56) 6.3 Handlungskompetenzen 289 <?page no="290"?> propositionale Textbasis 6.4 Strategientraining Leseverstehen Die komplexen sprachlichen Fertigkeiten, wie das Leseverstehen und das Hörverstehen, lassen sich mit Hilfe von Techniken und Strategien in einzelne Phasen zerlegen und trainieren und damit für den Sprachunterricht didaktisch und methodisch operatio‐ nalisieren. Sinn haben diese Techniken und Strategien aber nur, wenn sie helfen, eine Repräsentation des Textes bei den Lese‐ rinnen und Lesern zu generieren. Das Lesen besteht nämlich nicht nur aus reinem Dekodieren von Wörtern, also der Text‐ oberfläche. Vielmehr wird beim Lesen eine Reihe von kognitiven Operationen in Gang gesetzt, mit denen der Leser oder die Le‐ serin aus den Wortbedeutungen (der propositionalen Textbasis) Sinn erzeugt und damit kohärente mentale Textrepräsentati‐ onen bildet. Diese verschiedenen kognitiven Operationen laufen meistens so schnell ab, dass wir uns dessen kaum bewusst sind. Beim Lesen werden demnach drei unterschiedliche mentale Textrepräsentationen gebildet: die Textoberfläche, die proposi‐ tionale Textbasis und das mentale Modell (vergleiche Kintsch 1998; Schnotz 2006). Diese mentalen Repräsentationen des Tex‐ tes werden von Leserinnen und Lesern mit der Absicht gebildet, die verschiedenen Wort- und Satzbedeutungen aus dem Text zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen. Die unterschied‐ lichen mentalen Textrepräsentationen können gleichzeitig ge‐ bildet werden und lassen sich auf einem Kontinuum zwischen starker Textgebundenheit (Textoberfläche) und schwacher Text‐ gebundenheit (mentales Modell) anordnen. An der Textober‐ fläche finden Prozesse der Erkennung der Wortbedeutung an‐ hand von graphemischen, syntaktischen und semantischen Wortinformationen aus dem Text statt, so dass daraus eine men‐ tale Textrepräsentation der genauen linguistischen Form des Textes entsteht (vergleiche Schiefele 2004: 199; vergleiche auch Grütz 2010). Auf der Ebene der Textoberfläche wird also die ge‐ naue Satzstellung, Deklination und Schreibweise der Wörter aus dem Text repräsentiert. Diese mentale Textrepräsentation be‐ halten wir nur für kurze Zeit im Kopf. Sie wird von der nächsten Verarbeitungsstufe, der propositionalen Textbasis, über‐ schrieben beziehungsweise weiter elaboriert (vergleiche Suñer 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 290 <?page no="291"?> Recency-Effekt 2011: 27). Die Tatsache, dass wir beim Lesen nur die zuletzt ver‐ arbeitete Information kurzfristig behalten, offenbart sich zum Beispiel dann, wenn wir versuchen, das bisher Gelesene wort‐ wörtlich zu wiederholen. Unter normalen Umständen werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die letzten zwei Sätze er‐ folgreich wiedergeben können, was in der kognitiven Psycholo‐ gie als Recency-Effekt bekannt ist (vergleiche Hoffmann & En‐ gelkamp 2013). Auf der Ebene der Textbasis ist die linguistische Form nicht mehr so relevant, sondern deren semantischer Gehalt. Das be‐ deutet, dass aus der Textoberfläche vorwiegend nur die entnom‐ mene Bedeutung erhalten bleibt und dass zum Beispiel die ge‐ naue Satzstellung nicht mehr mental repräsentiert wird. Daher gehen die meisten Leseforscherinnen und Leseforscher davon aus, dass die Textverarbeitung auf dieser Ebene mit sogenannten Propositionen als elementaren Bedeutungseinheiten operiert. Die Propositionen setzen sich aus zwei Komponenten zusam‐ men: einer Relation und einem oder mehreren Argumenten, wo‐ bei Relationen normalerweise durch Verben (aber auch durch Adverbien oder Adjektive) und Argumente meistens durch Sub‐ stantive ausgedrückt werden (Tapiero & Kintsch 2007). Beim Lesen werden aber aufgrund der begrenzten Verarbei‐ tungskapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht alle Textproposi‐ tionen langfristig behalten, sondern sie werden durch spezielle Mechanismen zusammengefasst und reduziert (vergleiche van Dijk & Kintsch 1983). Anhand dieser Verarbeitungsstrategien werden allgemeinere und abstraktere Propositionen gebildet, die sogenannten Makropropositionen, mit denen sich zum Beispiel die Handlung eines Romans leichter zusammenfassen lässt als anhand der einzelnen Textpropositionen, der Mikropropositio‐ nen. Schließlich können die Leser und Leserinnen ein sogenanntes mentales Modell des Textes bilden, indem sie über die Text‐ inhalte hinausgehen und Vorwissensbestände in den Leseprozess massenhaft integrieren, also Top-Down vom Vorwissen ausge‐ hen. Im Gegensatz zu den Ebenen der Textoberfläche und der propositionalen Textbasis dient das Vorwissen auf der Ebene des mentalen Modells der Interpretation, Beurteilung, Erweiterung 6.4 Strategientraining Leseverstehen 291 <?page no="292"?> rezeptive Kompetenzen der Textinhalte. Das Vorwissen wird also nicht eingesetzt, um zum Beispiel bestimmte Kohärenzlücken zu füllen. Vielmehr er‐ möglicht das Einsetzen von Vorwissen die Bildung einer menta‐ len Vorstellung, wie die im Text dargestellte Situation tatsächlich aussehen könnte. Dementsprechend sollten auch bei der Ver‐ mittlung von Lese- und analog dazu von Hörkompetenzen - mit Hilfe von Techniken und Strategien - die drei genannten Ebenen berücksichtigt werden. Am Beispiel des Leseverstehens lässt sich gleichzeitig die Handlungs- und Aufgabenorientierung in Lehrmaterialien gut illustrieren. Das Leseverstehen eignet sich darüber hinaus be‐ sonders gut, weil daran die Umsetzung der Lernerautonomie gezeigt werden kann. Lerner, die ihren eigenen Lernprozess aktiv mitgestalten sollen, benötigen dafür Arbeits-, Monitor- und Re‐ flexionsfertigkeiten, eine Art kritische Kompetenz. Und auch dafür brauchen sie Strategienkenntnisse und Techniken. Das Le‐ sen ist ein besonders wichtiger Kompetenzbereich, da die Ver‐ schriftlichung von Texten auch ein gutes Hilfsmittel zum Ver‐ stehen von Hörtexten sein kann. Schriftliche Texte weisen durch ihre Darstellung eine Reihe von entscheidenden Verständnishil‐ fen auf: so gibt die Getrenntschreibung von Wörtern Lernern wichtige Hinweise auf die Wort- und Bedeutungsgrenzen. Auch die Großschreibung bietet eine schnelle Orientierungshilfe, die besonders für das globale Lesen von großer Bedeutung ist, weil sie dem Leser eine schnelle Identifikation der wichtigsten Ele‐ mente einer Äußerung erlaubt. Ähnliches gilt auch für die Satz‐ zeichen. Die grundlegenden Informationen eines Textes lassen sich durch W-Fragen ermitteln: wer? , was? , wann? , wo? , wie? , warum? . Bei argumentativen Texten oder Erörterungen von Pro‐ blemen kann es sinnvoller sein zu fragen: Was ist das Problem? Wodurch wurde es verursacht? Wie kann es gelöst werden? Auch Konnektoren, die Aussagen miteinander verbinden, er‐ leichtern das Erfassen der Argumentationsstruktur eines Textes. Sie können beispielsweise zeitliche Bezüge ausdrücken (bevor, danach, anschließend, …), etwas begründen (denn, weil, …), ein Ziel oder einen Zweck angeben (damit, um … zu, …). Es empfiehlt sich den Text abschnittsweise zu erarbeiten. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 292 <?page no="293"?> Lesetechniken selektives und totales Lesen Bei der Vermittlung von Lesekompetenzen werden meist drei unterschiedliche Dekodierungs-Strategien empfohlen: 1. das globale Lesen zur (ersten) Groborientierung über das 1. Thema und die Darstellung im Text (Globalverstehen), 2. das selektive Lesen zur Aufnahme einzelner spezifischer 2. Informationen und 3. das totale oder intensive Lesen zur Aufnahme aller De‐ 3. tailinformationen eines Textes (Detailverstehen). Zwei Techniken zur globalen Lektüre können Lernern dabei die Aufgabe wesentlich erleichtern, fremde Texte schnell zu ent‐ schlüsseln: ▸ Das Skimming dient der ersten Orientierung des Lesers ▸ über Textsorte, Gliederung, grafische Präsentation und Kernbegriffe eines Textes (orientierendes Lesen). Es ver‐ mittelt durch ein „Absahnen“ des Textes nur einen groben Eindruck von den wichtigsten Informationen im Text und kann so helfen, erste Propositionen zu erkennen. Das ge‐ schieht zum Beispiel durch das Erkennen wichtiger Wörter wie etwa der (großgeschriebenen) Nomen im Deutschen. ▸ Das Scanning setzt voraus, dass der Leser bereits eine Idee ▸ von dem hat, was er liest. Das heißt, er versucht, bestimmte Begriffe wiederzufinden, die er auf Grund eines ersten mentalen Modells aus einer Kontextsituierung und mit Hilfe des Vorwissen erwartet oder die normalerweise zum Thema und Schema gehören (Lesen mit Suchfragen, su‐ chendes Lesen). Bei der Lektüre eines Unfallberichtes in der Zeitung sucht ein Leser erwartungsgemäß nach Angaben zu den Ursachen, Folgen und dem Ablauf des Geschehens. Sie gehören zum Schema eines Unfalls und zu den grund‐ legenden Elementen der Textsorte. Mit der Suche nach der Information füllt der Leser also vorhandene Leerstellen. Aus dieser Skizzierung von Lesestrategien und -techniken ergibt sich, dass das selektive und totale Lesen in der Regel nicht mit einem Lesedurchgang zu bewältigen sind, und auch nicht wort‐ weise von links nach rechts. Verschiedene Leseverfahren fassen daher die einzelnen Schritte programmartig zusammen. Eine der 6.4 Strategientraining Leseverstehen 293 <?page no="294"?> verständisför‐ dernde Techni‐ ken im Unter‐ richt bekanntesten, ältesten und erfolgreichsten Methoden ist die SQ3R-Methode, die aus den Schritten Survey (S), Question (Q), Read, Recite und Review (3R) besteht (Robinson/ Ellis 2008). In der Survey-Phase schaffen Leserinnen/ Leser sich mittels der Tech‐ niken des orientierenden Lesens einen groben Überblick über Inhalt und Aufbau des Textes. In der Question-Phase ermitteln sie für sich selbst potenziell relevante Fragen an den Text, das heißt, sie bauen verschiedene Erwartungen und damit Fragen auf, die in der Read-Phase bestätigt, enttäuscht oder aber diffe‐ renziert werden. Diese Phase des intensiven Lesens sollte bei längeren Texten in verschiedene Einzelschritte (nach Einzelfra‐ gen) unterteilt werden. Um das Gelesene zu behalten, sollten die Leser versuchen, den Argumentationsgang beziehungsweise die Thesen des Textes zu rekapitulieren. Dabei stellt sich oft heraus, dass im Textverständnis noch Lücken bestehen, die durch ein gezieltes Zurückgehen zum Text (Recite-Phase) gefüllt werden können. In der abschließenden Review-Phase sollte der Text nochmals überprüfend als Ganzes gelesen werden. Im Unterricht lassen sich die hier dargestellten Prinzipien in gezielte Techniken zur Förderung des Leseverstehens umsetzen. Selektives Lesen: ▸ Absuchen des Textes nach bestimmten Stichwörtern oder ▸ Inhalten (Scanning), ▸ Auffinden von passenden Textstellen, ▸▸ Zuordnung von Aussagen, ▸▸ Textgerüst entwerfen oder Text gliedern, Mind Maps er‐ ▸ stellen, ▸ Fragen zum Text beantworten, ▸▸ Hypothesen überprüfen und belegen, ▸▸ vorgegebene Elemente aus einer Tabelle entnehmen. ▸ Totales Lesen: ▸ wichtige Elemente unterstreichen, ▸▸ Überflüssiges herausstreichen, Fehlendes ergänzen, ▸▸ Texte aus Textteilen rekonstruieren lassen (zum Beispiel ▸ als Puzzle), ▸ Abbildungen zum Text zuordnen, ▸ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 294 <?page no="295"?> Wiedererken‐ nung ▸ genaues Flussdiagramm des Textverlaufs erstellen, ▸▸ Tabelle mit Detailinformationen erstellen, ▸▸ Texte vergleichen, ▸▸ Richtig-Falsch-Fragen und andere Detailfragen beantwor‐ ▸ ten, ▸ wichtige Elemente des Textes aus einem Schüttelkasten ▸ auswählen. Verfahren zum Testen der globalen Lesekompetenz ▸ Erfassen des Hauptthemas und der wichtigsten Ele‐ ▸ mente des Handlungsschemas. ▸ Einordnung der Hauptinformationen in eine vorgege‐ ▸ bene Fragestellung und Bewertung der Wichtigkeit. ▸ Vorgabe einer verkürzten Lesezeit und Wiedergabe des ▸ Textes in wenigen Sätzen. ▸ In Form eines Schnelligkeitswettbewerbes entschei‐ ▸ den, ob ein vorgegebener Text für die Bearbeitung eines Themas relevant ist oder nicht (und dann kurz begrün‐ den lassen). ▸ Suchaufgaben stellen oder entwickeln, zum Beispiel ▸ eine schnelle Suche nach vorgegebenen Informationen im Internet, die ein schnelles, aber gezieltes und ver‐ ständiges Klicken durch verschiedene Texte erfordern. 6.5 Hörverstehen Auch beim Hörverstehen geht es wie beim Leseverstehen im Endeffekt um die Konstruktion eines mentalen Modells über die beim Hörverstehen vorgestellten Prozesse. Bei einem wenig dif‐ ferenzierten, kontinuierlichen Lautfluss, der nicht so leicht wie‐ derholt werden kann, ist das ungleich schwieriger als beim Le‐ sen, weil mündliche Sprache grundsätzlich flüchtiger ist als geschriebene. So kommen beim Hören weitere Schwierigkeiten hinzu, die durch schriftliche Paralleltexte als Hilfsmittel oder durch entsprechende Vorbereitung (Vorentlastung) bewältigt werden können (visuelle Parallelinformation, handlungsbeglei‐ 6.5 Hörverstehen 295 <?page no="296"?> tende Informationen). Die meisten der bei der Fertigkeit Lesen genannten Techniken und Strategien können in abgewandelter Weise auch beim Hörverstehen eingesetzt werden. Das Ziel ist das gleiche: der Aufbau eines mentalen Modells. ▸ Globales Hörverstehen: Der Lerner muss nicht alles ver‐ ▸ stehen, sondern er soll die zentralen Informationen eines Textes erfassen (beispielsweise Schlüsselbegriffe oder die Makrostruktur des Textes), um damit eine Textrepräsenta‐ tion aufbauen zu können. Bereits beim ersten Hören sollte es dem Lerner gelingen, zumindest grob zu verstehen, worum es im Text geht. Mit diesen ersten Ansatzpunkten kann er sein Vorwissen aktivieren und Hypothesen bilden, die er beim weiteren Hören überprüfen kann. Das globale Hörverstehen umfasst alle drei genannten Verstehenspro‐ zesse, von der Textoberfläche (bottom up), über die propo‐ sitionale Textbasis bis zum mentalen Modell. ▸ Selektives Hörverstehen: Hier handelt es sich um ein ▸ zielgerichtetes, oft aufgabengesteuertes, Hörverstehen be‐ züglich bestimmter Informationen aus dem Text (wie etwa Namen, Daten, Zahlen, bestimmte Wörter, Definitionen, Argumente oder Thesen). Dazu muss der Lerner besonders auf die Textoberfläche achten, um damit die propositionale Basis verbreitern zu können. ▸ Selegierendes Hörverstehen: Das Hörverstehen erfolgt ▸ aufgrund individueller Entscheidungen und persönlicher Relevanz, es ist also stark vom Vorwissen und der Perspek‐ tivik des Lerners, also top down, gesteuert. Dem Hörtext sollen wesentliche Inhaltsmomente entnommen werden, um ihn beispielsweise zusammenfassen zu können. Infe‐ renzen müssen wahrgenommen und verstanden werden. ▸ Detailliertes Hörverstehen: Hörtexte sollen im Detail ▸ erfasst werden. Es werden die Makro- und Mikrostruktur, also besonders die propositionale Basis und die Textober‐ fläche des Textes erfasst sowie logische Relationen und Sprecherintentionen (nach Kühn 1996: 21 f.). Es entsteht ein detailliertes mentales Modell. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 296 <?page no="297"?> Verstehenstechniken Grundlegende Hörverstehensstrategien und -techni‐ ken ▸ Durch so genannte Bruchstellen, die Anfang und Ende ▸ einzelner Elemente markieren. Dies kann durch Pausen zwischen Begriffen und Sätzen oder durch Betonungen von Anfangssilben und wichtigen Wörtern geschehen. Auch langsames Sprechen liefert Bruchstellen. ▸ Durch Parallelinformation, das heißt die Laute beglei‐ ▸ tende visuelle, taktile und andere Handlungs-Informa‐ tion. Auch die Verschriftlichung von Lauten kann diese Information liefern. Lautliche Begleitinformation kann dann helfen, wenn sie den Hörtext nicht überlagert, sondern koordiniert begleitet. ▸ Durch Strategien für die erfolgreiche lautliche Seg‐ ▸ mentierung zur Bewusstmachung von Wortbildungs‐ prinzipien und zur Vermittlung von Instrumenten der Wortbildung (Flexion, Komposition, Derivation, Kon‐ version, Reduktion). ▸ Durch deutliche Intonationskonturen und Intonations‐ ▸ muster, wie zum Beispiel die Fragemarkierung durch steigende Intonation. Beispiel Im Folgenden werden Teile einer komplexen Hörübung dargestellt, die in eine authentische Aufgabe eingebettet ist und dazu verschiedene Teilfertigkeiten nutzt. Der Lerner kann sich in diesem Programm den Hörtext (gegebenenfalls begleitet von Bildern oder einem Video) im rechten Res‐ sourcenfenster anhören und, wenn nötig, den schriftlich transkribierten Text als Verstehenshilfe dazuschalten (Fens‐ ter rechts). Mittels weiterer Übungen wird er dann zur Lö‐ sung der Aufgabe (einen Radiobeitrag inhaltlich auszuwer‐ ten) geführt. Dabei hat er wieder Zugang zu einer Reihe von Online-Ressourcen über die obere Querleiste. 6.5 Hörverstehen 297 <?page no="298"?> inneres Sprechen Abb. 6.7: Kombinierte Hör-und Schreibaufgaben zur Vertiefung des Hörverstehens anhand eines authentischen Radiobeitrags. Den Ler‐ nern steht dazu eine Reihe von Hilfsmitteln zur freien Verfügung. 6.6 Schreiben Im Rahmen der kommunikativen Didaktik galten die schriftli‐ chen Fertigkeiten unter der Dominanz der Ausrichtung auf mündliche Fertigkeiten lange als nicht-kommunikativ. Erst spä‐ ter setzte sich wieder die Erkenntnis durch, dass beim Schreiben viele Sprachproduktions- und Verstehensprozesse aktiv sind. Hierzu gehört vor allem das innere Sprechen, das der eigentli‐ chen Verschriftlichung vorangeht und daher mehr sprachliche Aktivitäten verlangt, als die Zeilen an der Oberfläche vermuten lassen (Hermanns 1988), vor allem bei der Konstruktion der pro‐ positionalen Basis und des mentalen Modells. Gerade das Schrei‐ ben bietet durch die zusätzlichen Möglichkeiten der sprachlichen Planung und die besseren Möglichkeiten der Kontrolle der Kor‐ rektheit eine Reihe von authentischen didaktischen Hilfestel‐ lungen beim Sprachenlernen. Die sprachliche Planung ist meist 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 298 <?page no="299"?> intensiv und durch die dauerhafte schriftliche Fixierung wird die Kontrolle begünstigt. So ist auch das Schreiben als Fertigkeit nach dem Leseverstehen wieder in den kommunikativen Sprach‐ unterricht zurückgekehrt. Schreiben umfasst das Verfertigen von Gebrauchstexten wie Notizen, Einkaufszetteln und Annoncen, aber auch von Semi‐ nararbeiten, Protokollen oder literarischen Texten (Gedichte, Er‐ zählungen), also das kreative Schreiben. Eine jede Textsorte hat dabei ihre eigenen strukturellen und konzeptuellen Erforder‐ nisse. Um diese besser bewältigen zu können, können Lerner auf elektronische Hilfsmittel wie einen E-Assistenten zurückgreifen, der bei der Analyse von Grammatikfehlern und Rechtschreib‐ problemen hilft und Verbesserungsvorschläge liefert. Die fol‐ genden Abbildungen illustrieren, wie dabei im Unterricht vor‐ gegangen werden kann. Beispiel Als Grundlage dient hier ein authentischer Lesetext mit gra‐ fischen Darstellungen und Tabellen (Parallelinformation). Mittels der konkreten Texte werden allgemeine Strategien und Techniken der Verschriftlichung (Schlüsselqualifikatio‐ nen) vermittelt und in Übungen vertieft. Verschiedene Fer‐ tigkeiten sind vernetzt. Der Lerner erhält zudem relevante Informationen zum Lebensalltag im Zielland. Diese Aufgabe verlangt das intensive Lesen eines Textes, der eine Reihe statistischer Angaben enthält. Diese soll der Lerner zuerst rekonstruieren (verstehen), bevor er sie in ei‐ genen Texten mündlich und schriftlich weiterverarbeitet, ergänzt und für Argumentationszwecke verwendet. Die Funktionstasten in der unteren Leiste erlauben ein Vor- und Zurückblättern, ein Neubearbeiten, ein Anzeigen der Lö‐ sung, ein Vergleichen mit der vorangegangenen Bearbei‐ tung der Übung und einen Vergleich mit der richtigen Lö‐ sung. Die anstehenden Aufgaben sind vorstrukturiert, verlangen vom Lerner aber immer selbständige Textproduktionen, für die Redemittel und verschiedene Bearbeitungsressourcen zur Verfügung gestellt werden. Diese Textproduktionen 6.6 Schreiben 299 <?page no="300"?> können im Präsenzunterricht oder über die angebotenen elektronischen Kommunikationskanäle im Klassenverband interaktiv weiterbearbeitet werden. Abb. 6.8: Aufgabe zur Beschreibung von Tabellen und Schaubildern im Uni-Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutschuni.com) 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 300 <?page no="301"?> Abb. 6.9: Von der unstrukturierten Übung zur selbständigen Textproduk‐ tion im Uni-Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutschuni.com) Offene Lernumgebungen bieten den Lernern verschiedene Hilfs‐ mittel und Werkzeuge zur Bearbeitung der Aufgaben. In der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com) gehört, neben den bereits genannten, der elektronische Assistent (E-Assistent) zum Werkzeuginventar. Er bietet den Lernern Korrekturmöglichkei‐ ten bei der Produktion freier Texte in Form von Grammatik- und Rechtschreibprüfung. Die Rückmeldung vollzieht sich dabei in drei Stufen nach didaktischen Gesichtspunkten, das heißt, der Lerner soll die Fehlerkorrektur möglichst selbständig durchfüh‐ ren. Als Erstes erfolgt daher nur eine Markierung möglicher Fehler und als Zweites werden Korrekturhinweise (Komma! Re‐ lativsatz) angeboten. Gelingt dem Lerner damit immer noch 6.6 Schreiben 301 <?page no="302"?> keine vollständige Korrektur, gibt der E-Assistent Korrekturvor‐ schläge, die der Lerner übernehmen oder gegebenenfalls anpas‐ sen kann. Abb. 6.10: Werkzeuge und Hilfsmittel wie der E-Assistent im Uni- Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com) unterstützen die Lerner bei der selbständigen Bearbeitung und Kor‐ rektur eigener Texte Grundlegende Schreibstrategien und -techniken ▸ Zu Beginn hilft ein Überblick über die verschiedenen ▸ Textsorten und deren formale Besonderheiten beim Verfassen eines Textes. ▸ Außerdem ist es hilfreich, passende Redemittel zu sam‐ ▸ meln. Es empfiehlt sich, eine thematisch sortierte Liste mit Redemitteln anzulegen, die kontinuierlich ergänzt wird. ▸ Die Gliederung des Textes in formale, inhaltliche und ▸ sprachliche Aspekte erleichtert das Verfassen eines Textes. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 302 <?page no="303"?> Techniken ▸ Eine weitere Möglichkeit ist die Unterteilung einzelner ▸ Antworten in Abschnitte. Dabei sollte jeder neue Gedan‐ kengang einen neuen Abschnitt beginnen. Es muss in diesem Zusammenhang beachtet werden, dass Textsorten in der Regel einen spezifischen Aufbau haben, wie Glie‐ derung/ Inhaltsverzeichnis, Einleitung, Hauptteil, Schluss. ▸ Bei einem logischen Aufbau ist nicht nur die sinnvolle ▸ Abfolge der Aspekte wichtig, sondern auch deren ge‐ dankliche und argumentative Verknüpfung. Aneinander gereihte Einzelsätze ergeben keinen sinnvollen Text (ver‐ gleiche die Ausführungen zur Textgrammatik in 5.6). ▸ Falls ein Wort nicht zur Verfügung steht oder Unsi‐ ▸ cherheit über die korrekte Verwendung besteht, hilft eine Umschreibung oder die Suche nach einer gleich‐ bedeutenden Wendung oder einer einfacheren Kon‐ struktion. Die Verwendung von Internationalismen ist eine weitere Möglichkeit. ▸ Wichtige formale Kriterien bei schriftlichen Texten ▸ sind Rechtschreibung und Zeichensetzung. Es ist sinn‐ voll, den Text am Ende daraufhin immer noch einmal zu kontrollieren. 6.7 Sprechen Die Vorgehensweise bei der Vermittlung von Kompetenzen im Bereich Sprechen ähnelt in vieler Hinsicht den Aufgaben zum Schreiben. Die mündlichsprachigen Textsorten sind jedoch nach eigenen Kriterien strukturiert, weil der Sprecher stärker auf die Gesprächssituation verweisen kann. Je nach Ausgangssprache der Lerner muss beim Sprechen zudem verstärkt auf lautliche Schwierigkeiten eingegangen werden. Als Stütze bei der Bear‐ beitung von Aufgaben zum Sprechen können die unter den re‐ zeptiven Kompetenzen beschriebenen Techniken angewendet werden. Das Anfertigen von Notizen, das Erstellen von Verlaufs‐ diagrammen, Textgerüsten (scaffolding) und Ähnliches können gleichzeitig als Ausgangspunkte für das Sprechen und Schreiben 6.7 Sprechen 303 <?page no="304"?> Mediennutzung dienen. Eine wichtige Grundlage ist zudem die Beachtung der jeweiligen Struktur der Textsorte. Die elektronischen Medien spielen beim Sprechen durchaus eine zentrale Rolle. In Lernpro‐ grammen bieten sie Lernern die Möglichkeit, die eigene Sprache aufzunehmen, mit Musterlösungen zu vergleichen, zu modellie‐ ren und auswerten zu lassen. Die individuelle Geschwindigkeit des Lernens kann so gesteuert werden, ohne dass sich die Lerner zum Beispiel durch Mithören falscher Äußerungen gegenseitig negativ beeinflussen. Über die sozial-kommunikativen Medien (Social Media, Voice-Chat, Skype) lassen sich zudem leicht oder weniger gesteuerte Möglichkeiten für die mündlichsprachige Kommunikation schaffen und sowohl in den Unterricht inte‐ grieren, als auch außerunterrichtlich nutzen. Grundlegende Sprechstrategien und -techniken ▸ Wichtige formale Kriterien beim mündlichen Ausdruck ▸ sind Aussprache und Intonation. Jede Gelegenheit für Gespräche mit anderen Lernern und Sprechern der Ziel‐ sprache sollten Lerner nutzen. Das Nachsprechen und Aufnehmen eines Textes sind eine Alternative für Übungszwecke. ▸ In gesprochenen Texten ist die inhaltliche Gliederung ▸ nicht sichtbar, aber hörbar. Dies geschieht mit Hilfe von Wörtern und Ausdrücken wie „erstens/ zweitens“, „zum einen/ zum anderen“, „als Einleitung“, „zum Schluss“, „im Allgemeinen“. Eine Sprechpause kann beispielsweise auf den Beginn eines neuen Sinnabschnitts hinweisen. ▸ Umschreibungen, Ausweichen auf eine einfachere ▸ Konstruktion sowie die Verwendung von Internatio‐ nalismen sind Ausweichmöglichkeiten, wenn einem Lerner ein Wort nicht einfällt oder Unsicherheit über die korrekte Verwendung besteht. ▸ Im Gespräch hilft auch der Gesprächspartner: Er kann ▸ durch sein Welt- und Situationswissen Lücken füllen. Wörter und Wendungen, die eine Denkpause verschaf‐ fen, geben Zeit, über eine geeignete Antwort, das pas‐ sende Wort oder dessen Verwendung nachzudenken. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 304 <?page no="305"?> Aufgabe aus verschiedenen Fertigkeiten Beispiele hierfür sind: „in meinen Augen ist das so, dass …“, „Also, was ich meine, ist Folgendes: …“, „Sehen Sie, meiner Ansicht nach …“. ▸ Auch durch das Aufgreifen und Umformulieren von Fra‐ ▸ gen, lässt sich Zeit zum Nachdenken schaffen. Verzöge‐ rungsstrategien durch Nachfragen oder Pausenfüller (gell? , oder? , äh, quasi, sozusagen, also irgendwie/ irgendwo/ irgend‐ was, oder das unnndddäää in Sportlerinterviews) sind da‐ gegen ungeeignet, weil sie die Aufmerksamkeit auf eine lästige Angewohnheit des Sprechers lenken. Die Deskriptoren für den Kompetenzbereich Sprechen stellen die Hessischen Bildungsstandards folgendermaßen dar, in Anleh‐ nung an die Deskriptoren des GER: Abb. 6.11: Auszug aus den neuen Bildungsstandards des Kerncurri‐ culum für Hessen (2011: 22 f.) Beispiel Abschließend noch ein Beispiel dafür, wie verschiedene Fertigkeiten in einer elektronisch vermittelten Aufgabe kombiniert werden können. Die Aufgabe der Lerner besteht in diesem Fall darin, eine passende Wohnung zu suchen. Dazu stehen ihnen verschiedene Wohnungsanzeigen zur Verfügung, die sie zunächst lesen und auswerten sollen. Sie 6.7 Sprechen 305 <?page no="306"?> sollen dann die angegebene Telefonnummer anrufen und die Ansage des Anrufbeantworters hören. Anschließend sollen sie, wie das in authentischen Situationen üblich ist, eine Nachricht auf dem Band hinterlassen. Diese können sie allerdings überprüfen und ändern, bevor sie sie abschicken. Abschließend tauschen sich die Lerner (Wohnungssu‐ chende) mit der Vermieterin (Tutorin) oder anderen Lernern über die Wohnung aus und verfassen gegebenenfalls eine schriftliche Bewerbung. In diesem Szenario sind verschie‐ dene Rollenspiele und Erweiterungen denkbar. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 306 <?page no="307"?> Abb. 6.12: Kombinierte Fertigkeiten in einer zielgerichteten kommu‐ nikativen Aufgabe: Lesen der Anweisung und der Annonce, Hören des Anrufbeantworters, eigene Sprachaufnahme und gegebenenfalls mehrfache Korrektur, schriftlicher Austausch darüber mit der Tutorin und/ oder anderen Mitschülerinnen, gegebenenfalls auch Verfassen eines Angebotes für die Wohnung und Rollenspiele (aus: Uni-Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com)) Die elektronischen Medien können gute Dienste beim Erzielen eines Lernmehrwertes im Sprachenerwerb und im Sprachunter‐ richt leisten. Die großen Vorteile liegen hauptsächlich in der In‐ dividualisierung, Intensivierung und Interaktivitätssteigerung des Lernens. Je nach Funktionstyp lassen sie sich unterschiedlich ein‐ setzen. Zunehmend treten jedoch offene und kreative Lernumge‐ 6.7 Sprechen 307 <?page no="308"?> Blended Lear‐ ning Funktionen bungen in den Vordergrund, da sie den Lernern reiches Material zu selbständigem (Weiter-)Lernen bieten. Besonders wichtig ist der Einsatz der Medien als authentisches Werkzeug im Sinne des Sprachhandelns. Mit Blended Learning-Verfahren wird versucht, Modelle des Medienmixes mit unterschiedlichem Anteil von Un‐ terricht (Präsenzphasen) und elektronisch vermittelten Phasen zu entwickeln und damit die Vorteile des Kontaktunterrichts und des selbständigen Lernens zu kombinieren. Die durch die Medien neu geschaffenen Möglichkeiten erfordern eine weitgehende Umor‐ ganisation des Lernens und Unterrichtens und damit auch der traditionellen Rollen der Lehrkräfte, Lerner und Lehrmaterialien. 6.8 Medien 6.8.1 Klassifikation von Medien Wenn im Bereich des Sprachunterrichts von Medien die Rede ist, sind in der Regel die elektronischen Medien gemeint. Dabei wird leicht übersehen, dass es auch andere sinnvolle Medien gibt: ge‐ druckte (Bilder, Poster, Bücher) und menschliche (zum Beispiel die Schall- und Lichtwellen in direkter persönlicher Kommuni‐ kation). Technische Medien werden schon länger im Fremdspra‐ chenunterricht eingesetzt, aber der Neuigkeitscharakter der je‐ weils neuen Medien hat sich immer schnell abgegriffen. Die Sprachlabortechnologie in den 1960er Jahren etwa war schneller veraltet, als sie entwickelt wurde. Sprachlehr- und Sprachlernsoftware kann auf unterschiedli‐ che Art eingeteilt werden, zum Beispiel nach Medium oder tech‐ nischem System, nach Funktion, nach Unterrichtsmethode und didaktischem Verfahren oder nach Bezug zu Lerntheorien. Das eigentlich Interessante an den elektronischen Medien ist ihr Po‐ tenzial, Mehrwerte zu erzielen. Daher ist die Klassifikation nach den Lern- und Lehrfunktio‐ nen besonders interessant, zum Beispiel nach tutorieller, situa‐ tiver, konstruktiver oder sozial-kommunikativer Ausrichtung. Zu den tutoriellen Programmen gehören die stark gesteuer‐ ten Lehr- oder Wiederholungsprogramme, mit denen ein Lerner 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 308 <?page no="309"?> selbständig grammatische, lexikalische oder phonetische Themen erarbeiten oder üben kann. In diesem Sinne ersetzen die elektro‐ nischen Programme traditionelle Übungsformen gedruckter Lehr- und Arbeitsmaterialien. Beispiel Abb. 6.13: Grammar Fitness: einfaches Grammatikübungspro‐ gramm mit vorgefertigten Antworten Auch situativ ausgerichtete Programme weisen in der Regel Übungssequenzen auf. Allerdings sind diese meist an ein kurzes Video oder eine Audio-Aufnahme angeschlossen. Wortschatz und Strukturen sind somit situiert. Die Situationen unterscheiden sich in Art und Ziel jedoch wenig von Kassetten- oder Filmaufnahmen in anderen Medien. An der Oberfläche entsteht leicht der Ein‐ druck, diesen Programmen liege ein kommunikativer Ansatz zu Grunde. Die Bearbeitungsverfahren zeigen aber, dass es sich häu‐ fig um stark gesteuerte und geschlossene Übungen und oft um bekannte Drillmethoden handelt. Das kommunikative Prinzip der Authentizität der Materialien wird in den meisten Fällen nicht be‐ achtet. Geschlossene Programme haben nur eine begrenzte Reich‐ weite. Zwar bieten sie einen Schutzraum, verzichten aber auf die lernfördernden Effekte der Interaktion und bereiten nur bedingt 6.8 Medien 309 <?page no="310"?> Werkzeuge auf authentische Kommunikation vor. Meistens sind ihre Inhalte schnell erschöpft und ihre Übungsverfahren werden zur Routine. Die konstruktiven Programme betonen dagegen den au‐ thentischen, kommunikativen Nutzen elektronischer Werk‐ zeuge bei der Umsetzung von Sprachhandlungen. Zu diesen Werkzeugen gehören Rechtschreibprüfungen, Thesauri, Web‐ editoren, Textverarbeitungsprogramme, elektronische Wörter‐ bücher, Arbeitsressourcen, Fragebögen, Spiele, E-Schreibassis‐ tenten, digitale Werkzeuge für den Beruf und vieles mehr. Beispiel Abb. 6.14: Direkter Online-Link zum größten digitalen Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache und Anbindung an eine Datenbank zur automatischen Erstellung von Kontext-Sätzen (Konkordanzen) im Uni- Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com). Ler‐ ner können Suchbegriffe eingeben oder die Suche aus dem Text durch Markierung des Begriffes starten. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 310 <?page no="311"?> Szenarien In der Kategorie der konstruktiven Programme ergeben sich zwei weitere Gattungen: die offenen Online-Programme, die mit mehr oder weniger starker Steuerung auskommen, und die Spiel- und Literaturprogramme, die in sich komplett und ge‐ schlossen sein können, dabei aber verschiedene Bearbeitungs‐ wege erlauben. Zu dieser Gruppe gehören die Internet-Literatur (Hyperfiction), Spielprogramme und virtuelle Welten wie Second Life oder Xtranormal: Storytelling (vergleiche Abschnitt 1.4.1). Mit konstruktiven Programmen können Lerner nicht nur Strukturen üben und Aufgaben bearbeiten, sondern auch kreativ mit Sprache umgehen (Szenarien). So auch in neueren On‐ line-Schreibtrainingsprogrammen, so genannten Online Trai‐ ning Labs (OWL). Eines der bekanntesten OWLs für die Ver‐ mittlung von fremdsprachigen Kenntnissen in Deutschland ist das Online-Angebot an der TU Darmstadt (https: / / www.owl.tu-d armstadt.de/ online_hilfe_owl/ index.de.jsp). Im Online-Medium bestehen die besten Möglichkeiten, offene und kreative Lernum‐ gebungen zu schaffen und die Lerner gleichzeitig gezielt mit wichtigen Werkzeugen und Informationsquellen zu versorgen. Für einen handlungsbezogenen, entdeckenden Sprachunterricht eignen sich derartige elektronisch vermittelte Programme. Na‐ vigationshilfen und Ressourcen verhindern, dass die Lerner von der Weite des Internets und schwierigen Texten überwältigt werden. Mittels Apps sind verschiedene Ressourcen wie Lexika noch besser verfügbar geworden. Besonders empfehlenswert sind Werkzeuge wie Fahrpläne, Warenkataloge, Konfigurationspro‐ gramme für Fahrzeuge und vieles mehr. Eine Reihe von Spiel- Apps für das Sprachen-Üben lässt sich ebenfalls gut transpor‐ tierbar und in kleinen Portionen bearbeiten. Darunter sind auch einige Apps, die einfache Serious-Games-Elemente beinhalten, wie etwa die Spiel-Angebote des Goethe Instituts. So zum Bei‐ spiel die Apps Lern Deutsch - Die Stadt der Wörter oder Unicam‐ pus. 6.8 Medien 311 <?page no="312"?> Abb. 6.15: Screenshot der App Unicampus (Goethe-Institut/ Deutsch-Uni Online) Beispiele: Navi-D und WIR in Deutschland NAVI-D und WIR in Deutschland sind Apps, die als Naviga‐ tionshilfen für den praktischen Alltag und zur Vermittlung zivilgesellschaftlicher Spielregeln entwickelt wurden und damit auch für den Spracherwerb und die Sprachvermitt‐ lung geeignet sind. Navi-D steht für Navigation in Deutschland und ist eine Orientierungs- und Lern-App, die den Nutzern das Zurecht‐ kommen in alltäglichen sprachlichen Handlungssituatio‐ nen durch schnell zugängliche Informationen erleichtern soll und dabei grundlegenden Wortschatz und authentische Kommunikationsstrategien vermittelt. In zehn umfangrei‐ chen Kapiteln zu alltagsrelevanten Themen wie „Einkau‐ fen“, „Unterwegs“, „Bildung“ und „Arbeit“ finden sich neben abwechslungsreichen Dialogen zum Anhören und Mitlesen weitere authentische Materialien und viele Bilder. Die pas‐ senden, motivierenden Übungen in vier unterschiedlichen Formaten bieten den Nutzern ein Korrektur-Feedback. Auf diese Weise kann das neu erworbene Wissen direkt inner‐ halb der App angewendet und getestet werden. Die Inhalte basieren auf dem 2017 erschienenen Ersthelfer-Leitfaden 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 312 <?page no="313"?> für Ehrenamtliche des Projekts Lernen - Lehren - Helfen (LLH) des Instituts für Deutsch als Fremdsprache der LMU München (www.lernen-lehren-helfen.de). Abb. 6.16 / 6.17: Screenshot der App Navi-D (Android: https: / / goo .gl/ SSbEwd, iOS: https: / / goo.gl/ CtJpHX) / Screenshot der App Wir in Deutschland Der Aufbau und die Funktionen der AppWIR in Deutschland (Projekt Lernen - Lehren - Helfen) gleichen dem Aufbau und den Funktionen von NAVI-D. In sechs Kapiteln bietet die App auf einfachem Sprachniveau (A2) niedrigschwellige Einblicke in die demokratische Grundordnung Deutsch‐ lands und gibt den Nutzern die Möglichkeit, sich einen wei‐ ten Überblick über die zivilgesellschaftlichen Grundlagen und Prinzipien der deutschen Gesellschaft zu verschaffen. 6.8 Medien 313 <?page no="314"?> Social Media Lernmehrwerte Dabei werden abstrakte Themen wie Rechtsstaatlichkeit, das Steuersystem, Religionsfreiheit und Föderalismus er‐ läutert und die konkreten Auswirkungen dieser Themen auf den Alltag in Deutschland und die Lebenswirklichkeit der Menschen aufgezeigt. Beide genannten Apps sind in den App Stores kostenlos ver‐ fügbar und auch offline nutzbar. Sie besitzen eine Suchfunk‐ tion, die einen schnellen Zugriff auf relevante Inhalte ermög‐ licht. Die gewünschten Inhalte lassen sich zudem durch die integrierte Favoriten-Funktion auf eine personalisierte Merk‐ liste setzen, sodass sie zu jeder Zeit per Knopfdruck abrufbar sind. Die einzelnen Kapitel beider Apps können unabhängig voneinander heruntergeladen werden, um den Gerätespei‐ cher des Smartphones effizient zu nutzen. Bereits bearbeitete Kapitel können zudem beliebig gelöscht und zu einem spä‐ teren Zeitpunkt erneut heruntergeladen werden. Im Fokus beider Apps steht nicht der Spracherwerb, sondern das Zu‐ rechtkommen im Land und die Vermittlung von Kenntnissen mit dem Ziel der leichteren Integration von Zuwanderern. Nebenbei wird die Entwicklung von Lernstrategien und der Medienkompetenz gefördert. Zunehmend werden auch sozial-kommunikative Medien (Social Media) für Tandem- oder andere Unterrichtsprojekte eingesetzt, oder Lerner nutzen sie selbständig (Facebook, Twitter, Blogs, Foren, Chats etc.), unabhängig von der Sprache im Alltag. Wegen ihrer Alltagstauglichkeit bedarf es kaum einer gesonderten Ein‐ führung im Unterricht. Eher bedarf es sinnvoller kommunikati‐ ver, persönlich relevanter Aufgaben, der Kontaktvermittlung und der Begleitung. 6.8.2 Mehrwerterzielung durch elektronische Medien Die Erwartungen an die Wunderkräfte der neuen Medien sind die eine Seite der Medaille. Die Realität bei der Erzielung eines Mehr‐ wertes die andere. Ein Blick auf die Erfahrungen mit dem Einsatz von Online-Sprachlernprogrammen zur Erzielung eines Lern‐ mehrwertes kann das illustrieren. Zwei wesentliche Vorteile der 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 314 <?page no="315"?> organisatorische Entlastung Texteditor und Korrekturhilfe neuen Medien gegenüber traditionellen Unterrichtsverfahren zei‐ gen sich jedoch deutlich: die Individualisierung und Intensi‐ vierung des Lernens. Durch verschiedene Angebote (Lern‐ wege) können sie geschickter auf individuelle Interessen und Anlagen der Lerner eingehen und ihnen die Möglichkeit geben, intensiv, selbständig und, wo nötig, in Verbindung mit ihren Tu‐ torinnen am Lernmaterial zu arbeiten. Die neuen Medien bieten darüber hinaus die Möglichkeit der Interaktivitätssteigerung. Durch eine interaktive Tafel mit Audio- und Videokanälen lassen sich virtuelle Klassenverbände ohne großen technischen Aufwand herstellen. Ein neuerer Standardcomputer, Headset, Webkamera und eine gute Internetverbindung genügen in der Regel für die Installation moderner elektronischer Kommunikations- und Lern‐ plattformen, von denen einige auch auf Smartphones darstellbar sind. Die neuen Medien können den Präsenzunterricht in vielfa‐ cher Hinsicht auch organisatorisch entlasten: durch automatische Archivierung der Lernerleistungen, durch zusätzliche Diagnose‐ werkzeuge, durch voll automatisierte Korrekturrückmeldung und durch teilstandardisierte Rückmeldemöglichkeiten, die es erlau‐ ben, offene Lerneräußerungen auszuwerten (siehe die Sprach‐ standsdignose-App in Abschnitt 4.7). Beispiel Durch Anklicken des Hakens wird die fertige Aufgabe ent‐ weder an den E-Assistenten, den Lehrer/ Tutor oder die ganze Klasse geschickt (siehe Kapitel 6.6). Die Lehrkraft/ Tutorin hat die Möglichkeit, den gleichen Texteditor, wie ihn der Lerner hat, zur Korrektur der Lerneraufgaben zu verwenden, inklusive farbiger Markierungen, Fettdruck, kursiver Schrifttypen und weiterer Formatierungsfunktio‐ nen. Weitere Korrekturhilfen sind vorhanden (im oberen Bild links und unten). Alle Aufgaben und Korrekturen wer‐ den automatisch archiviert und stehen für die Kursdauer zur Einsicht und Wiederverwendung zur Verfügung. 6.8 Medien 315 <?page no="316"?> Abb. 6.18: Aufgabe und Freitexteingabe durch den Lerner im Uni- Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com) und Korrektur durch den Tutor 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 316 <?page no="317"?> wichtige Krite‐ rien virtueller Klassen Formate des Blended Lear‐ ning Für erfolgreiches Lernen in virtuellen Klassenverbänden sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: ▸ Einstufung: Jeder Lerner sollte mit einem Online-Pro‐ ▸ gramm nach eigenen Erfordernissen lernen, also Lern‐ menge, Lerntempo, Fertigkeiten und Themen selbst bestim‐ men können. Deshalb ist es wichtig, die Bedürfnisse der Lerner, ihre Stärken und Schwächen sowie ihre individuel‐ len Interessen zu Kursbeginn festzustellen. Für Lernende ist es oft sehr schwer, alleine herauszufinden, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Sie brauchen die Hilfe und in den Anfangsphasen eines Kurses besonders viel Anleitung durch eine Tutorin, die sich zurücknehmen kann, sobald ein Ler‐ ner im Umgang mit dem Programm sicherer geworden ist. ▸ Lernwege: Je nach Unterrichtsniveau, Lernzielen und ▸ Lernertyp sollten verschiedene Lernwege möglich sein. Sie werden gemeinsam mit der Tutorin oder von den Lernen‐ den selbst je nach Interesse ausgewählt. ▸ Tutorielle Betreuung: Die tutorielle Betreuung ist äußerst ▸ wichtig für den Lernerfolg, da dieser vor allem durch quali‐ fiziertes Feedback gesichert wird. Viele Anbieter neigen zu gemischten Programmformaten, in denen sich Online- und Präsenzphasen abwechseln. Das Standardformat dieser Blended Learning-Programme besteht aus einem Treffen in der Gruppe am Anfang eines Kurses, einer E-Lernphase, ge‐ gebenenfalls einem weiteren Gruppentreffen, weiteren E-Lernphasen und einem Abschlusstreffen. Zwischen den Treffen kommunizieren die Kursteilnehmerinnen unterein‐ ander und mit ihrer Tutorin über die vorhandenen Kommu‐ nikationskanäle und gegebenenfalls auch durch Einsendung schriftlicher Hausaufgaben. Blended Learning-Formate kön‐ nen aber auch in jeder anderen Mischung von Präsenzpha‐ sen und virtuellen Lernphasen auftreten. ▸ Kommunikation: Die Kommunikationskanäle von On‐ ▸ line-Programmen werden vor allem über Chat und Forum in der Regel dann gut angenommen, wenn sie betreut wer‐ den beziehungsweise eine gewisse Verbindlichkeit ge‐ währleistet ist. Zu locker vereinbarte E-Kommunikation 6.8 Medien 317 <?page no="318"?> Lernmanage‐ mentsysteme hat sich als wenig sinnvoll oder ablenkend erwiesen. Kom‐ munikationsinstrumente sollten regelmäßig genutzt und dafür feste Termine vereinbart werden. ▸ Auflösung der Anonymität: Offene Lernprogramme ▸ nutzen zunehmend öffentliche oder klassenöffentliche Fo‐ ren, Chats und andere Kommunikationsmittel. Die für das Lernen ebenso notwendige persönliche Kommunikation zwischen Tutorin und Lerner ist dadurch nicht immer zu gewährleisten. 6.8.3 Elektronische Lernplattformen Lernen im Internet erfolgt heute über mehr oder weniger umfang‐ reiche elektronische Lernplattformen. Standard-Plattformen wie Moodle, Blackboard oder ILIAS sind im Rohzustand inhaltsleer, ha‐ ben keine sprachlehrspezifischen Anwendungen und bieten le‐ diglich Verwaltungswerkzeuge für das Lernen und Lehren. Die Inhalte sind von den Nutzern jeweils selbst zu produzieren, ein‐ zustellen, zu verwalten und zu pflegen. Daneben gibt es Lernplatt‐ formen, die neben Lern- und Lehrverwaltungswerkzeugen auch medienadäquat aufbereitete Inhalte für virtuelle Lehr- und Lern‐ angebote bieten. Da sich viele Komponenten von E-Lernplattfor‐ men mit einem Lernmehrwert auch im Präsenzunterricht oder in Blended Learning-Formaten einsetzen lassen, ist die rein räumli‐ che Distanz eine sekundäre Bedingung für die Nutzung solcher Plattformen. Moderne Lernmanagementsysteme und Lernplatt‐ formen verfügen über verschiedene Komponenten zur Erstellung oder Nutzung von Inhalten und Kommunikationsinstrumenten. Komponenten moderner elektronischer Lernplattformen ▸ Autorenwerkzeuge zur einfachen Erstellung von Inhalten ▸ (Authoring Tools wie autolearn, Hotpotatoes, eXeLearning), ▸ Inhaltsverwaltungssysteme (Content Management Sys‐ ▸ tems), ▸ Interaktive Tafel mit Ton und Bild (Whiteboards wie ▸ Conceptboard oder scribblar, virtuelles Klassenzimmer), ▸ Kommunikationskanäle (Mail, Chat, Forum, Skype, In‐ ▸ ternettelefonie, Blogs, Twitter, Facebook etc. und Video‐ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 318 <?page no="319"?> virtuelles Klassen‐ zimmer konferenz-/ virtuelle Lehrsysteme wie Adobe Connect und Elluminate), ▸ Lernerverwaltung (Learner Management Systems), ▸▸ Präsentationssysteme (Prezi, Power Point und andere ▸ Präsentationswerkzeuge in virtuellen Lehrsystemen), ▸ Textverarbeitungssysteme (Text Processing Systems), ▸▸ Lernerressourcen (Portfoliofunktionen wie Mahara), ▸▸ Lernwerkzeuge (Wikis, Concept Maps Tools, Multi User ▸ Domains Object-Oriented (MOOs), Writeboards, Tablets, Notebooks). Virtuelle Klassenverbände können mit einer interaktiven Tafel die wesentlichen Kommunikationsformen im Präsenzunterricht nach‐ stellen: Teilnehmerinnen können an die Tafel gerufen werden oder in Gruppenarbeit Aufgaben bearbeiten (virtuelles Klassenzimmer). Beispiel Abb. 6.19: Einer der ersten Vorläufer moderner Kommunikations- und Lernplattformen: interaktive Tafel mit optionaler Bild- und Tonüber‐ tragung für den interaktiven Unterricht (basix 2003) 6.8 Medien 319 <?page no="320"?> Abb. 6.20: Komplexe Lerner- und Aufgabenverwaltung im Uni-Deutsch Sprachkurs der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com) Je nach Bedarf können Lehrerinnen und Lehrern Administ‐ rationsebenen zugewiesen werden oder sie können sie selbst einrichten. Das schließt die Verwaltung ihrer Klassen, die Möglichkeit der Einrichtung von Chats und Foren, das Durchführen von virtuellen Beratungsstunden und die Auf‐ gabenkorrektur und -archivierung ein. Wichtige Funktionen elektronischer Lernplattformen im Fremdsprachenerwerb ▸ Bereitstellung von Aufgaben für verschiedene Lerner- ▸ typen, ▸ Anbindung an offene und dynamische Wissenssysteme ▸ (Lernumgebungen, Lernressourcen, frei verfügbare In‐ halte, das WWW), ▸ Integration der elektronischen Arbeits- und Recherche‐ ▸ instrumente (Wörterbücher, Suchmaschinen, Thesauri, Webseiten …), 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 320 <?page no="321"?> neuralgische Aspekte ▸ Bereitstellung animierter Inhalte wie Grammatikanima‐ ▸ tionen, ▸ sorgfältig koordinierte Aufgaben in Text, Bild und Ton ▸ statt Reizüberflutung in den didaktisch aufbereiteten Ma‐ terialien, ▸ Möglichkeiten der Zusammenstellung individueller ▸ Lernwege, ▸ Hausaufgabenverwaltung und Korrekturmöglich‐ ▸ keiten inklusive Archive, ▸ automatische oder teilautomatische elektronische ▸ Korrekturmöglichkeiten (Grammatik, Rechtschrei‐ bung …), ▸ interaktive, nicht ortsgebundene Tafelfunktionen, ▸▸ Multimedialität und Multikodalität zur Nutzung und ▸ Förderung aller Fertigkeitsebenen zum Beispiel (virtuelle Vorlesungen, Unterrichtsmitschnitte etc.), ▸ Schnittstelle zwischen Unterricht und der außerschuli‐ ▸ schen Welt, ▸ Anpassungsfähigkeit, Materialverwaltung, Material‐ ▸ pflege und Archivierung. Bei der Nutzung der neuen Medien in der Fernlehre oder virtu‐ ellen Lehre hat sich jedoch auch eine Reihe von neuralgischen Aspekten der Kommunikation ergeben: ▸ Komplexität direkter Kommunikation: Die neuen Me‐ ▸ dien können trotz diverser Informationskanäle die Kom‐ plexität direkter (face-to-face) Kommunikation nicht im‐ mer vollständig ersetzen, da sie nur bestimmte Aspekte und meist auch nur Ausschnitte aus Situationen (ohne voll‐ ständige Kontexte) übertragen. Aber sie können in vielen Fällen ausreichende Alternativen liefern. ▸ Reparaturmöglichkeiten: Aus dem genannten Grund ▸ fehlen in medialer Vermittlung auch oft die unmittelbaren Reparaturmöglichkeiten, von denen erfolgreiche Kommu‐ nikation immer abhängt. Andererseits lassen sich be‐ stimmte Korrekturen aus der Distanz auch besser vorneh‐ men, zum Beispiel, weil sie verschriftlicht sind oder die 6.8 Medien 321 <?page no="322"?> räumliche, zeitliche und situative Distanz mehr Freiräume bei der Formulierung und Korrektur zulässt. ▸ Automatische Sprachanalyse: Die automatische Sprach‐ ▸ analyse, das heißt die Erkennung von gesprochener Sprache durch digitale Sprachverarbeitung, konzentriert sich stark auf standardisierte Gesprächsroutinen, weil die natürliche Sprache in Bezug auf Variantenreichtum, ihren Kontextbe‐ zug, ihre Semantik und Pragmatik komplex ist. Die Analyse schriftlich fixierter Texte ist dagegen leichter, wie bereits der E-Assistent und die Sprachstandsdiagnose-App gezeigt ha‐ ben. Für die Sprachanalyse sind große Mengen an Sprach‐ daten erforderlich, die probabilistische Auswertungen erlauben. Das heißt, die vom Lerner produzierten Äußerun‐ gen und Texte werden mit großen Sprachkorpora vergli‐ chen und dabei nur bedingt linguistisch analysiert. ▸ Interkulturelle Aspekte der Mediennutzung: Die Nut‐ ▸ zung der elektronischen Medien ist in kultureller Hinsicht nicht indifferent, wie es die internationale Uniformität der Technik leicht vorspiegelt. In Wirklichkeit ist die Medien‐ nutzung vom Gerätedesign bis hin zur Entwicklung be‐ stimmter Lernsoftware stark von kulturell geprägten An‐ nahmen zur Informationsverarbeitung, zum Wissenserwerb und zur Kommunikation abhängig. Eine wichtige Rolle spie‐ len zum Beispiel Kernkonzepte, die eine Anhäufung von Fakten durch digitale Programme einer qualitativen Verar‐ beitung solcher Fakten vorziehen. Auch beeinflussen be‐ stimmte kulturell geprägte Kommunikationskonzepte die Art, wie Wissen vermittelt wird, zum Beispiel über zuneh‐ mend verbreitete und nicht in Frage gestellte öffentliche Foren und mittels bestimmter sprachlicher und visueller Symbole (Icons, Smilies). Dabei kommen Lernkulturen, in denen die nicht-öffentliche Kommunikation zwischen Lehr‐ kraft und Schülerin eine sehr wichtige Rolle spielt, zu kurz. Symbole wie die (schlaue) Eule als Markierung für Lern‐ tipps führen in manchen Lernkulturen zu Irritation oder Ablehnung, weil sie dort eine negative symbolische Bedeu‐ tung haben. Kulturell unterschiedliche Konzepte von Me‐ dien und ihrer Nutzung sind häufig unbewusst für das 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 322 <?page no="323"?> Scheitern der Kommunikation verantwortlich. Bei der inter‐ kulturellen Nutzung der Medien in der Sprach- und Kultur‐ vermittlung ist daher viel Sensibilität geboten (Reeder/ Mac‐ fadyen/ Roche/ Chase 2004, Roche/ Macfadyen 2004, Roche 2019). Überblick: Software Das Angebot an elektronischen Lehr- und Lernprogram‐ men ändert sich schnell und ist vor allem von Marketing‐ aspekten überfrachtet und daher für den Laien kaum über‐ schaubar. Fest steht, dass es zu kommerziell verfügbarer Lernsoftware kaum wissenschaftlich belastbare Untersu‐ chungen gibt. Bewertungen in der Computerpresse agieren nach oberflächlichen Kriterien und verzichten auf jede Art des wissenschaftlichen Bezugs. Zudem fehlt ihnen bisher durchweg der nötige Sachverstand zum Sprachenerwerb. Zeitschriften wie Language Learning and Technology: A Journal for Second and Foreign Language Educators, CALL (Computer Assisted Language Learning), Educational Tech‐ nology Research and Development oder die Spezialnummern etwa in der Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachen‐ unterricht (ZIF) oder die Webseiten von Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen (www.testdaf.de/ institution/ tz -forschung.php, www.deutsch-uni.com, http: / / mediendida ktik.uni-due.de/ kerres, https: / / www.uni-giessen.de/ fbz/ zmi, http: / / www.tuezli.uni-tuebingen.de) versammeln dagegen aktualisierte Forschungsberichte, die über Medienanwen‐ dungen hinaus für die Fremdsprachendidaktik von Inter‐ esse sind. In den Literaturhinweisen zu diesem Kapitel fin‐ den sich weitere einschlägige Werke und Zeitschriften, die eine kompetente Bewertung ermöglichen (vergleiche auch die Literaturhinweise in Kapitel 9.2). Tandem Elektronische Partnerschaften vermittelt unter anderem das eTwinning-Portal für europäische Schulen (https: / / ww w.etwinning.net/ de/ pub/ index.htm). Das Französisch-Pro‐ gramm cultura des Massachusetts Institute of Technology 6.8 Medien 323 <?page no="324"?> (MIT) (http: / / cultura.mit.edu/ ) wendet sich zwar gezielt an französisch-amerikanische Lerngruppen, ist aber wegen seines exemplarischen interkulturellen Konzeptes auch für andere Lerngruppen von Interesse und bietet damit prinzi‐ piell auch eine Plattform für andere Sprachkonstellationen. Online-Grammatiken Im Internet gibt es zahlreiche Grammatikhilfen und andere Ressourcen zum Sprachenlernen. Einige kann man kosten‐ los nutzen, für andere ist eine Kursregistrierung erforder‐ lich und wieder andere sind kostenpflichtig. Qualität, An‐ spruch und Umfang der Programme variieren in höchstem Maße. Die folgenden Programme enthalten Demos oder sind kostenfrei zu nutzen, wenn nicht anders angegeben. Sie gehören zu den umfangreicheren und professionell ge‐ machten Angeboten. Französisch: Le Point Grammatik (www.lepointdufle. net/ ); Grammaire française (www.etudes-litteraires.com/ grammaire.php); French Online Grammar Quiz (http: / / fog.ccsf.cc.ca.us/ ~creitan/ grammar.htm); kostenpflichtige Grammatik: Manuels de grammaire française en ligne (https: / / www.cordial.fr/ grammaire/ francais.htm); Such‐ grammatik zu Fragen der Orthographie und Gramma‐ tik (www.orthogram.com/ ); Aussprachetraining: Exercices de phonétique (http: / / phonetique.free.fr/ ). Englisch: The Internet Grammar of English (www.ucl.ac .uk/ internet-grammar/ ); Guide to Grammar and Writing (http: / / grammar.ccc.commnet.edu/ grammar/ ) und weitere kostenpflichtige, beziehungsweise zulassungsbeschränkte Ressourcen für den Unterricht: Englische Grammatik Online (www.ego4u.de/ ), siehe auch www.sprachlernmedi en.de zu Vokabel- und Testressourcen. Für das Deutsche gibt es vorwiegend kostenpflichtige Pro‐ gramme, aber oft sind kostenlose Demos verfügbar. Zu empfehlen sind unter anderem der Duden Korrektor, grammis (http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ grammis/ ) und die propädeutische Grammatik ProGr@mm (http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ programm) sowie die Pro‐ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 324 <?page no="325"?> gramme und Ressourcen der Deutsch-Uni Online (www. deutsch-uni.com). Für viele Sprachen stehen im Netz und/ oder auf CD- ROM/ DVD umfangreiche Wörterbuchressourcen zur Ver‐ fügung. Die Online-Angebote sind meist kostenfrei. Bei‐ spiel: Das etymologische Wörterbuch von Jacob und Wil‐ helm Grimm im Internet und auf CD-ROM: http: / / germazo pe.uni-trier.de/ Projects/ DWB. Weiter stehen auch unzäh‐ lige Apps zur kostenfreien Verfügung (PONS, etc.). Das DUDEN Wörterbuch oder das KLUGE etymologische Wör‐ terbuch der deutschen Sprache sind auch als E-Book ver‐ fügbar, diese sind aber nicht gerade preiswert. Grammatikanimationen Im Rahmen des Projektes „Animierte Grundgrammatik der deutschen Sprache“ wird am Institut für Deutsch als Fremd‐ sprache der LMU München eine innovative Grundgramma‐ tik der deutschen Sprache entwickelt, die auf Erkenntnissen der Kognitiven Linguistik und des multimedialen Lernens basiert. Das Aktuelle Grammatik-Studio präsentiert die deutsche Grammatik mit Sport-Bildern. Die Sportarten sind als gram‐ matische Metaphern animiert dargestellt und erklärt. Diese Computeranimationen sind besonders geeignet zur Ver‐ deutlichung der Regeln gerade bei Lernern, die bereits lange mit der Grammatik „kämpfen“. Dabei ist das Gramma‐ tik-Studio eine Referenzgrammatik. Es enthält auch Hin‐ weise für den Einsatz im Unterricht und Übungen. Drei Arten von Animationen kommen zum Einsatz: seman‐ tische Erklärungen (wie bei der Bedeutung der Präpositio‐ nen), konzeptuelle (wie bei der Grenzüberschreitung bei Wechselpräpositionen) und typologische (wie bei der Er‐ klärung der Fugenelemente in der Wortbildung). Oft wer‐ den alle drei Varianten für die Erklärung genutzt. Die konzeptuelle Darstellung basiert auf Erkenntnissen der Kognitiven Linguistik. Grammatik wird als ein holistisches, bedeutungsvolles und transparentes System dargestellt. Die positive und nachhaltige Wirkung des konzeptuellen An‐ 6.8 Medien 325 <?page no="326"?> Lernmodelle satzes ist in zahlreichen wissenschaftlichen Erwerbsstudien zu verschiedenen grammatischen Bereichen klar nachge‐ wiesen worden. (Siehe hierzu auch Kapitel 5.7.) 6.9 Hierarchie der Lernarten Die Möglichkeiten der Umsetzung didaktischer Konzepte mit den neuen Medien hat eine stärkere Orientierung auf lerntheo‐ retische Modelle des multimedialen Lernens mit sich gebracht (vergleiche Abschnitt 3.5). Mit dieser Orientierung erfolgt auch eine didaktische Klassifikation der Lerneffizienz verschiedener Aufgabentypen und die Entwicklung theoretisch begründbarer Aufgabentypologien. Mit dem hierarchischen Modell der Lern‐ arten von Gagné (1973) lässt sich der zunehmende Schwierig‐ keitsgrad der Aufgaben in Bezug auf verschiedene Lernmodelle gut illustrieren. Als Aufgaben mit niedrigerer Schwierigkeit sind dort reflexartige Aufgaben klassifiziert, wie sie vor allem beha‐ vioristische Lernmodelle propagieren. Auf einer mittleren Schwierigkeitsebene sind Aufgaben angesiedelt, die das Lernen von Regeln zum Ziel haben, so wie es in kognitivistischen An‐ sätzen vertreten wird. Auf der schwierigsten Ebene siedelt Gagné das Transferlernen an, das heißt die Fähigkeit, Gelerntes in Auf‐ gaben anzuwenden und auf neue Aufgaben zu übertragen und zu erweitern. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 326 <?page no="327"?> Abb. 6.21: Die Hierarchie der Lernarten und eine grobe Zuordnung der Schwerpunkte der korrespondierenden Lerntheorien (nach Gagné 1973) 6.9 Hierarchie der Lernarten 327 <?page no="328"?> Schwierigkeits‐ stufen In der Hierarchie der Lernarten wird davon ausgegangen, dass das Lernen in verschiedene Stufen unterschiedlicher kognitiver Schwierigkeit unterteilt werden kann. Auf der einfachsten Stufe (1) ist das Signallernen angesiedelt, das von direkten An‐ weisungen gesteuert wird (im Sprachunterricht etwa das Spre‐ chen im Chor). Es unterscheidet sich kaum vom Reiz-Reaktions‐ lernen (2), das durch direkte akkustische oder visuelle Reize gesteuert wird und aus unmittelbaren Reaktionen auf einen Aus‐ löser (Stimulus) besteht (im Sprachunterricht etwa das schema‐ tische Antworten auf eine vorgefertigte Frage). Etwas komplexer sind mehrschrittige Abläufe einfacher Reaktionen (3, 4), das heißt eine Kette von Reaktionen auf einen Stimulus, wie etwa das Nachsprechen oder Nachstellen kurzer Dialogabläufe. Der Schwerpunkt der Stufen 5 bis 7 liegt auf der zunehmenden Ein‐ sicht des Lerners in Lernabläufe und deren wachsender Unab‐ hängigkeit von einem konkreten Reiz. Lerner unterscheiden ver‐ schiedene Funktionen oder Handlungen (5), im Sprachunterricht etwa zwischen formeller und informeller Situation bei der An‐ rede. Sie lernen nach allgemeineren Konzepten (Generalisie‐ rung) (6) oder abstrakten Regeln (7), im Sprachunterricht zum Beispiel nach mehr oder weniger formalisierten grammatischen Vorgaben (deduktiv). Die kognitiv schwierigste Form des Ler‐ nens besteht im selbständigen Problemlösen (8), wie es im auf‐ gaben- und handlungsorientierten Sprachunterricht verlangt wird, zum Beispiel in Szenarien. Dazu nutzen Lerner immer auch untergeordnete Lernformen als Werkzeuge, soweit das effizent oder nötig ist. Problemlösen etwa im Rahmen von Projektarbeit verlangt nach selbständig arbeitenden und motivierten Lernern mit kritischer Kompetenz. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 328 <?page no="329"?> translatorische Kompetenz 6.10 Übersetzungskompetenz „Uebersetzest du gern, verwegener Deutscher, so wisse, Daß eine Ohrfeig′ in Rom wörtlich ein Messerstich heißt.“ Wilhelm Friedrich Waiblinger (* 21.11.1804, † 17.01.1830) Das Übersetzen und Dolmetschen, das heißt die translatorischen und mediatorischen Kompetenzen, spielen im Fremdsprachen‐ unterricht eine besonders wichtige Rolle. In der Gramma‐ tik-Übersetzungsmethode ist die formal korrekte Übersetzung Hauptziel und Grundlage des Fremdsprachenunterrichts. Ob‐ wohl die Methode seit der audiolingualen Methode und bis heute im kommunikativen Ansatz nur am Rande behandelt wird, wer‐ den Übersetzungsübungen im schulischen Unterricht weiterhin gerne durchgeführt. Was hat es mit dem Übersetzen auf sich? Während früher angenommen wurde, dass sich die Schüle‐ rinnen mit vielen Übungen zum Übertragen von einer Sprache in die andere gerade auch im Anfängerunterricht Wissen und Denkstrukturen der fremden Kulturen aneignen und damit gleichzeitig ein hohes Strukturbewusstsein in der eigenen Spra‐ che ausbilden, haben sich diese Annahmen inzwischen nicht be‐ legen lassen. Haag/ Stern 2000 zeigen, dass der Lateinunterricht mit seiner starken Grammatikorientierung nicht die positiven Auswirkungen im Erwerb fremder Sprachen oder in einer er‐ höhten Sprachkompetenz in der Ausgangssprache (Deutsch) hat, die ihm weitläufig zugesprochen werden. Übersetzungen setzen eine hohe Sprach- und Kulturkompetenz des Lerners in beiden Sprachen und Kulturen voraus. Ist sie nicht vorhanden, werden Fehler zwangsläufig provoziert. Zudem hat sich immer wieder gezeigt (siehe Kapitel 4.1), dass Lerner weniger strukturorientiert arbeiten, als lange angenommen wurde. Übersetzungen werden als methodisches Mittel häufig zu früh eingesetzt und führen daher zu Fehlern, großer Frustration bei Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften und einem gesteigerten Korrekturaufwand. Diese Effekte treten auch dann auf, wenn die 6.10 Übersetzungskompetenz 329 <?page no="330"?> didaktische Brücke fubnktionales Übersetzen Übersetzungsübungen im schulischen Unterricht weniger funk‐ tions- und weltfremd sind, als das oft der Fall ist, beispielsweise beim Übersetzen kontextloser Sätze, die vor allem grammatische Strukturen einüben sollen. Aus ähnlichen Gründen erweist sich die Übersetzungsmethode beim Wortschatz, die Paarassozia‐ tion, als weitgehend ineffizient und für Lerner oft irreführend. Bei der Entscheidung, ob Übersetzen im Unterricht sinnvoll ist oder nicht, spielen allerdings Zielsetzung und Methodenver‐ ständnis eine wichtige Rolle. Die interkulturelle Sprachdidaktik benennt zwei Fälle, in denen Übersetzen für den Erwerb der Sprache hilfreich ist: das Übersetzen als didaktische Brücke und das Anstreben von Mediationskompetenzen auf hohem sprach‐ kulturellen Niveau. Gerade in einer globalisierten Welt hat das Übersetzen als kul‐ turvermittelnde Kompetenz einen zentralen Stellenwert (siehe auch die Ausführungen zur Interkulturellen Sprachdidaktik in Kapitel 7). Die Hauptschwierigkeit besteht darin, funktionale Entsprechungen herzustellen, also Äquivalenz oder Angemes‐ senheit der Übersetzung zu erreichen. Das bedeutet, dass die Ausgangstexte unter Berücksichtigung pragmatischer Faktoren der Kommunikation, also der Kommunikationssituation, des Kontextes, der Textsorte, des Adressaten, der beabsichtigten Wirkung und so weiter übersetzt werden sollen. Da es aber in der Regel nicht möglich ist, Eins-zu-eins-Äquivalenzen in allen Bereichen der Kommunikation herzustellen, müssen die genann‐ ten Ebenen je nach Kontext der Übersetzung priorisiert und hie‐ rarchisiert werden. Funktional gelingende Übersetzungen sind das Resultat umfangreichen pragmalinguistischen Wissens und großer kognitiver Anstrengungen. Auch professionelle Dolmet‐ scher und Übersetzer sind dabei stark gefordert (siehe hierzu Vermeer 1987, Klein 1991, Miller 1992, Steiner 1993, Kussmaul 2000, Snell-Hornby 2006 und 2007, Emsel/ Cuartero Otal 2007, Scheel 2007). Etwas anderes ist es, wenn Übersetzungen als Hilfsmittel der Bedeutungserschließung, etwa auf frühen Erwerbsstufen einge‐ setzt werden, gerade bei abweichenden Strukturen in Ausgangs- und Zielsprache (Transferdifferenz). Es geht dabei also nicht um korrekte Übersetzungen oder darum, eine Übersetzungskompe‐ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 330 <?page no="331"?> tenz zu erlangen. Vielmehr soll durch kontrastive Verfahren an bereits bestehendes Wissen angeknüpft werden. Die Lerner sol‐ len ein Gefühl für die sprachlichen Unterschiede entwickeln. Das spanische Wort guardaropa kann man sich nicht nur in ortho‐ grafischer Analogie zu Garderobe erschließen und merken, son‐ dern auch über die direkte Hilfsübersetzung bewachte Robe/ Klei‐ dung (ähnlich wie im Englischen wardrobe). Ein idiomatischer Ausdruck wie Englisch He is sitting on the fence wird schon durch eine bildliche Hilfsübersetzung wie Er sitzt auf dem Zaun auf die metaphorische Basis zurückgeführt und damit merkbar (attri‐ bute matching). Er lässt sich leicht mit dem Wissen verbinden, dass eine Person in solchen Kontexten im Deutschen eher zwi‐ schen den Stühlen sitzt oder sich anderweitig nicht entscheiden kann. Durch das Übersetzen in sinnvollen, aber begrenzten Über‐ brückungsfunktionen zwischen Ausgangs- und Zielstrukturen findet gleichzeitig eine Bewusstmachung von Bedeutungsstruk‐ turen der eigenen Sprache gegenüber anderen Sprachen statt. Auf diese Weise wird der Lerner auf Bedeutungsunterschiede zwischen Sprachen aufmerksam und nimmt die nötigen Restruk‐ turierungen der Bedeutungsrepräsentation vor. Mit der Zeit kann ein Lerner auf die Hilfsübersetzung verzichten (siehe dazu auch Kapitel 7.1). Hilfsübersetzungen im Unterricht Zu den wichtigsten traditionellen Methoden des Hilfsüber‐ setzens im Unterricht gehören die folgenden: Das imitative Übersetzen: Anhand dieser Übersetzungs‐ methode werden im Unterricht vorgegebene Muster der Fremdsprache geübt und imitiert (automatisiert). Es geht also nicht um eigenständiges oder kreatives Übersetzen, sondern vielmehr um das Reproduzieren zuvor erarbeiteter Strukturen und zuvor eingeführten Wortschatzes (Chunks), zum Beispiel in Anlehnung an einen vorangehenden Lek‐ tionstext. Das grammatische Übersetzen: Zur Illustration und Ein‐ übung grammatischer Strukturen der Fremdsprache werden identische oder sehr ähnliche Satzmuster intensiv bearbei‐ 6.10 Übersetzungskompetenz 331 <?page no="332"?> Konzeptwelt tet. Der Kontext spielt dabei keine oder eine untergeordnete Rolle. In der Grammatik-Übersetzungsmethode ist das gram‐ matische Übersetzen eines der wichtigsten Verfahren und Ziele. Die Sätze sind dabei meist so weit von jedem authen‐ tischen kommunikativen Kontext abgehoben, dass sie in der Realität kaum jemals verwendet werden können. Als Hilfs‐ übersetzungen sind solche Übungen nicht Ziel, sondern nur kurzzeitiges Hilfsmittel des Lernens. Manchmal stellen sie sich als gar nicht so falsch heraus. Deutschsprachige Eng‐ lischlerner können so zum Beispiel mit göttlichem Segen die deutsche Negation wörtlich ins Englische übertragen: And lead us not into temptation, heißt es etwa im Lord’s Prayer. Das bildliche Übersetzen: Bildschemata wie sie in Meta‐ phern ausgedrückt werden, können zur Verdeutlichung der Konzeptwelt in die andere Sprache übertragen werden. Far‐ ben, Gegenstände, Ereignisse und Tiernamen eignen sich hierfür besonders. Im Arabischen steht rot ähnlich wie im Deutschen für Ärger, Scham oder Liebe, schwarz für Trauer und weiß für Reinheit, aber gelb unter anderem für Eifer‐ sucht und blau unter anderem für Kälte. Metaphorische Übertragungen führen unweigerlich zu Vergleichen zwi‐ schen Sprachen. Der folgende Text illustriert das, wenn er in eine andere Sprache übersetzt wird: Tierischer Ernst Auch auf einem Weg der für die Katz ist kann man auf den Hund kommen wenn man nicht Schwein hat. Erich Fried (1998) 6.11 Methodik Welche Methoden im Unterricht verwendet werden, hängt von der jeweiligen Zielsetzung des Unterrichts und den Ausgangs‐ bedingungen der Lerner ab. Die Wahl der Methoden ist also nicht 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 332 <?page no="333"?> Grundschema des Fremdspra‐ chenunterrichts willkürlich, sondern steht im Zusammenhang mit den ange‐ strebten Kompetenzen, den Lernzielen, den Lernervariablen und den Lernbedingungen (Curriculum, Umfeld, Institution). Eine Lehrkraft muss daher immer überprüfen, ob die gewählte Me‐ thode dem Zweck tatsächlich entspricht und in der betreffenden Lernphase angebracht ist, oder ob und wieweit die Lerner den Lernweg selbst gestalten können. Da diese Aufgabe gerade bei größeren Lerngruppen fast nicht so zu bewältigen ist, dass die individuellen Bedingungen aller Lerner berücksichtigt werden, empfehlen sich offenere Lernverfahren (siehe auch Kapitel 6.3). Für jede Unterrichtsbeziehungsweise Lernphase, die aber Ori‐ entierung oder Steuerung benötigt, gibt es eigene Methoden: vorbereitende, entdeckende, rezeptive, einführende, struktu‐ relle, produzierende, automatisierende, reflektierende. Entspre‐ chend ist der Sprachunterricht in Phasen unterteilt, die norma‐ lerweise vom Rezeptiven zum Produktiven aufeinander aufbauen. Als Grundschema eines Fremdsprachenunterrichts, der von der Steuerung (Instruktion) zum selbständigen Lernen führt, empfiehlt sich ein 5-stufiger Aufbau aus: ▸ Aktivierung/ Vorentlastung/ Einführung, ▸▸ thematische Differenzierung, ▸▸ strukturelle Differenzierung, ▸▸ Erweiterung/ Expansion, ▸▸ Integration/ Reflexion. ▸ Aufgabe von Phase 1 ist die Aktivierung des Vorwissens. Lernen ist immer dann effizient, wenn es an bestehendes Wissen an‐ knüpfen kann, auch wenn dieses unvollständig oder stereotyp ist. Wird das Vorwissen mit Blick auf die anstehenden Aufgaben erweitert, kann diese Phase der Vorentlastung (advance orga‐ nizer) dienen. Aktivierungen und Vorentlastungen können zum Beispiel durch Assoziationsübungen geschehen. In dieser Phase finden unter Umständen stärkere Steuerung und Moderation statt (unter anderem auch durch explizite Einführungen). Diese sind jedoch nicht mit lehrerzentriertem Vorgehen zu verwech‐ seln. Vielmehr ist es sinnvoll, die Lerner aktiv in jede Aktivität einzubeziehen (Plenum, Partnerarbeit, Gruppenarbeit). 6.11 Methodik 333 <?page no="334"?> entdeckende Verfahren Arbeits- und Lernstrategien Projektarbeit Nach der Aktivierungsphase setzt in diesem Grundschema die eigentliche Beschäftigung mit dem ausgewählten Thema ein (thematische Differenzierung). Das geschieht meist mit mündlichen oder schriftlichen Texten oder Redemitteln. Entde‐ ckende Verfahren können dabei sehr gut zum Zuge kommen, sofern die Lerner mit Methoden eigenständigen Lernens vertraut sind. Am besten lassen sich die in Frage stehenden Aspekte in ihrer authentischen Umgebung, das heißt im Text illustrieren. Geeignet für diese Aufgaben sind Unterstreichungen von Be‐ kanntem und Neuem oder die Formulierung von Suchfragen, die dann von der Lerngruppe weiterverfolgt werden. In dieser Phase geht die wesentliche Steuerung von den Texten und Aufgaben aus. Je nach Lernniveau, Lerntradition, Lerntyp, Schwierigkeit und Aufgabenstellung beteiligen sich die Lerner aktiv an der Entwicklung des Unterrichts. In der folgenden Phase der strukturellen Differenzierung wer‐ den die gewonnenen Ergebnisse aufgenommen und systematisch vertieft, erklärt, an weiteren Beispielen illustriert und gegebenen‐ falls gesteuert geübt. In dieser Phase geht es auch gezielt um die Grammatik und den Wortschatz sowie Arbeits- und Lernstrate‐ gien und Techniken zur Behaltenssteigerung. Naturgemäß ist in dieser Phase auch das Expertenwissen der Lehrkraft besonders gefragt. Die Lerner sollen Expertenwissen schrittweise selbst her‐ stellen und sich beschaffen lernen. Das geschieht durch die Ver‐ mittlung von Strategien, Techniken und Methodenwissen. Das so Vertiefte wird in der Expansionsphase an einen wei‐ teren, etwas schwierigeren Text zurückgetragen oder in eine komplexere Aufgabe integriert, zum Beispiel als Projektarbeit. So können auch die verschiedenen Kompetenzen der Lerner in gegenseitiger Ergänzung am besten genutzt werden. Das vorher Erarbeitete soll in diesem zyklischen Modell erprobt, gefestigt und erweitert werden. Auch können einzelne grammatische Grundregeln im Laufe der Arbeit vertieft und verfeinert werden. Die Aktivitäten gehen stärker auf die Lerner über. Die Lehrkraft tritt in die Rolle eines Moderators zurück und leistet Hilfestel‐ lungen, wo diese noch nötig sind. In der letzten Phase, der Integrations- und Reflexions‐ phase, stehen die Integration in die Wissensstrukturen und die 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 334 <?page no="335"?> Transfer Anwendung und Übertragung des Gelernten auf neue Kontexte im Mittelpunkt. Für diese Phase eignen sich Texte und Aufgaben, die die Lerner fordern, aber nicht überfordern. Die Lehrkraft wirkt idealerweise nur in der Rolle eines Tutors oder Gesprächs‐ partners mit. Interessante Themen können auch außerhalb des Unterrichts selbständig fortgesetzt werden. Nicht immer gelingt es, ideale Bedingungen oder Abläufe im Unterricht herzustellen. Durch die aktive Beteiligung der Lerner, die auch die Übernahme von Verantwortung impliziert, gelingt das meist am besten. Handlungsfokus und Theoriebezug sind wichtige Elemente eines modernen Fremdsprachenunterrichts, der sich von reinem Methodeneklektizismus und -Aktionismus unterscheidet. Hier sind Lehrkräfte aufgefordert, ihr eigenes Ex‐ pertinnenwissen in die Forschung einzubringen und auch in ih‐ rem eigenen Unterricht die Effizienz ihrer Methoden und deren Übertragbarkeit zu prüfen. 6.12 Handlungsbezogener Unterricht Im Mittelpunkt des Fremdsprachenunterrichts kann nicht das Fehlerfinden oder -korrigieren stehen, denn dadurch wird es den Lernern nur schwer gemacht, selbständig Sprache zu produzie‐ ren, auszuprobieren und damit kreativ zu sein. Trotz der ange‐ strebten Selbständigkeit hat das interaktive Lernen in einer Lern‐ ergruppe viele Vorteile, da auf diese Weise Sprache in authentischen Situationen zur Anwendung kommen kann. In ei‐ ner Lernergruppe lassen sich darüber hinaus unterschiedliche Stärken einbringen und Schwächen ausgleichen. Die durch Thema und Aufgabenstellung einerseits gesteuerte, andererseits aber hinsichtlich der Kreativität freie Sprachanwendung, macht es sowohl schwächeren als auch fortgeschritteneren Schülern und Schülerinnen möglich, individuell ihr Sprachkönnen auszu‐ bauen. In diesem Miteinander haben alle die Möglichkeit, von anderen Lernern zu lernen. Kernelement nachhaltigen Lernens ist es, Lernern die Möglichkeit zu geben, aus ihrer Umgebung heraus aktiv Sinn zu konstruieren. 6.12 Handlungsbezogener Unterricht 335 <?page no="336"?> Szenariendidaktik Ein interaktiver handlungsbezogener Fremdsprachenunter‐ richt liefert also authentische, kontextreiche Kommunikations‐ situationen, situiert die dafür nötigen Sprachmittel, fordert und fördert das Interesse der Schülerinnen und Schüler, spricht die emotionale Intelligenz direkt an, verlangt Flexibilität und Varia‐ tion in der Kommunikation und evoziert damit soziale Kompe‐ tenzen. Er bietet so auch einen idealen Einstieg zum selbständi‐ gen Weiterlernen über den Unterricht hinaus, das heißt, er besitzt Relevanz für die Lerner und ist damit ein authentischer Teil ihres Lebens (Goldman-Segall 1998, Bleyhl 2005, Apeltauer 2010, Roos/ Polotzek/ Schöler 2010, Röhner/ Hövelbrinks/ Li 2011, Darsow/ Paetsch/ Stanat/ Felbrich 2012). In der Szenariendidaktik können unterschiedliche Lerninte‐ ressen, Lernertypen und Lernwege berücksichtigt werden, da keinem starren Unterrichtsschema gefolgt werden muss. Denn wie im ungesteuerten Spracherwerb stehen der kommunikative Zweck und die Sprachanwendung (Aufgabenorientierung) im Mittelpunkt des Lernens und Unterrichtsgeschehens. Das Behal‐ ten der vermittelten Strukturen wird in der Verzahnung von Handlungsbezug, Vermittlung sprachlicher Mittel und aktiver Sprachanwendung wesentlich erleichtert. Sprachliches Handeln und Grammatikvermittlung schließen sich nicht aus. In Handlungszusammenhängen, Aufgaben und Spielen können bei jeder Sprachaktivität in einem Lernszenario auch gram‐ matische Strukturen und Strukturbewusstheit (Language Aware‐ ness) gefördert werden. Dabei kann die handlungsbegleitende Spra‐ che effektiv für das Sprachenlernen genutzt werden. Ein Lernszenario beginnt nach Hölscher/ Roche/ Simic (2009: 6 ff.) mit der gemeinsamen Bestimmung eines Kernthemas durch Jugendliche und Lehrkräfte und der Auswahl einer mög‐ lichst authentischen Aufgabe. Der Unterricht sollte an die Welt außerhalb des Unterrichts angebunden werden. Dadurch steigt das Interesse der Schülerinnen und Schüler. Je nach Motiva‐ tion und individuellen Fähigkeiten können sie selbst entschei‐ den, ob sie allein, mit einem Partner oder in der Gruppe arbei‐ ten. Bei der Auswahl der Aufgaben werden sie von ihrem Vorwissen geleitet: Sie greifen zu einer Aufgabe, die ihren In‐ teressen, ihrer Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten entspricht 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 336 <?page no="337"?> und führen sie mit unterschiedlichen Arbeits- und Lerntech‐ niken aus. Durch ein vielfältiges Angebot an Arbeitsformen werden mittels Methoden- und Medienvielfalt unterschiedliche Persönlichkeiten und Lernertypen berücksichtigt. Arbeitspart‐ ner finden sich sehr oft über die Wahl der Aufgabe. Diese im‐ mer wieder neuen Gruppenzusammensetzungen bewirken auch immer neue dialogische Konstellationen mit anderen kul‐ turellen Hintergründen. In Erarbeitungsphasen organisieren sich Schülerinnen und Schüler im Team und tauschen sich über die Planung und Gestaltung ihrer Arbeit aus. Diese wird an‐ schließend vorgestellt und in der Optimierungsphase überar‐ beitet. Eine Reflexion schließt das Szenario ab (siehe hierzu etwa die Sprachlern-Materialien zum fächerübergreifenden Unterricht und zu Sport und Sprache in Roche/ Terrasi-Haufe, 2015/ 2016a/ 2016b/ 2016c/ 2017 sowie Daschiel/ Döhler/ Roche/ Zangerl, 2017). Beispiel Lernszenarios im Fremdsprachenunterricht mit Kin‐ dern Eine Reihe von Lernszenarien für 10bis 12-jährige Kinder (4./ 5. Klasse) kann zum Beispiel die Beschäftigung mit dem Leben der Ritter bieten. Eine Aufgabe wie die Erstellung einer Speisekarte oder Gästeliste für ein Burgfest oder die Auswahl der richtigen Kleider für die Burgbewohner ver‐ langt von den Kindern Phantasie und Kreativität genauso wie das Recherchieren in historischen Nachschlagewerken, im Internet und in Wörterbüchern. Dabei können auch ge‐ mischtsprachige Gruppen (etwa im Unterricht Deutsch als Zweitsprache) und Gruppen mit unterschiedlichen Sprach‐ niveaus und Interessen sinnvoll zusammenarbeiten und die Teilaufgaben unter sich verteilen. 6.12 Handlungsbezogener Unterricht 337 <?page no="338"?> Abb. 6.22: Beispiel Lernszenarien aus DaZ Lernen aus dem Koffer. Sich orientieren. (Hölscher/ Piepho 2004: 72) 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 338 <?page no="339"?> Studie „Focus on Handlung“ Auch diese Managementfunktionen sowie die etwaige Dis‐ kussion strittiger und nicht stimmiger Resultate und Vor‐ schläge kann eine Gruppe innerhalb eines solchen Szenarios in der Zielsprache bewältigen. Die Lehrkraft steht dabei als Ressourcenperson und für Hilfestellungen zur Verfügung und kann gelegentlich steuernd eingreifen. Ein dezenter Hin‐ weis genügt dabei meist. Beim anschließenden Zusammen‐ tragen der Vorschläge aller Teilgruppen im Plenum macht jede Gruppe einen authentischen Beitrag zum Gesamtszena‐ rio und wird sich dabei aus eigenem Interesse um eine mög‐ lichst gute Präsentation (in der Öffentlichkeit) bemühen. Hieraus entstehen weitere Koordinations- und Rechercheauf‐ gaben bis hin zur Möglichkeit einer späteren Inszenierung des Burglebens. Wie gut das in der Praxis funktionieren kann, illustriert die DVD Lernszenarien (http: / / www.finken. de/ kindergarten/ dvd-lernszenarien.html). Die Wirksamkeit eines szenariendidaktischen Unterrichts wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Untersuchung „Focus on Handlung“ (vergleiche Roche/ Reher/ Simic 2012) überprüft. Während einer 10-tägigen nach Szenarien gestalteten Unter‐ richtsphase wurde das Verhalten von 50 Kindern (3. Klasse) von einem neunköpfigen Evaluatorenteam im Rahmen von teilneh‐ menden Beobachtungen protokolliert und ausgewertet (Roche/ Reher/ Simic 2012: 78-82). Daneben wurden vor und nach der In‐ tervention Lehrkräfte, Eltern und Kinder zu den sprachlichen, sozialen und demokratischen Kompetenzen der Kinder befragt. Daraus ergibt sich, dass dieses offene, aufgabenbasierte und handlungsorientierte Lernformat Folgendes bewirkt: ▸ es intensiviert unter den Schülerinnen und Schülern die ▸ sprachliche Interaktion über Lerninhalte und Kommuni‐ kationsmanagement und fördert soziale und demokrati‐ sche Prozesse; ▸ es motiviert Kinder dazu, ihre Strategien der Informations‐ ▸ beschaffung zu erweitern und zu vertiefen; ▸ es steigert ihre Motivation für den Unterricht sowie ihr In‐ ▸ teresse an formaler Akkuratesse; 6.12 Handlungsbezogener Unterricht 339 <?page no="340"?> ▸ es ermöglicht allen das Einbringen ihres Vorwissens und ▸ ihrer Stärken durch einen individuellen Zugang zu den Aufgaben; somit wird es der Heterogenität innerhalb der Schülergruppen gerecht; ▸ es wirkt nachhaltig. ▸ Ganzheitliches Bildungsideal Handlungsorientierte Lehransätze haben ihren Ursprung in Rousseaus ganzheitlichem Bildungsideal: Bei der „Erzie‐ hung“ von Menschen sollen relevante aufgabenhaltige Situa‐ tionen geschaffen werden, in denen Schüler und Schülerin‐ nen dazu ermuntert werden „vermeintliche Lösungsangebote oder vorschnelle Urteile zu unterlassen und statt derer zunächst auf der Ebene sinnlicher Wahrnehmung un‐ terschiedliche Versuche durchzuführen, um dem Phänomen auf den Grund zu kommen, dann die Wahrnehmungsresul‐ tate so lange aufeinander zu beziehen“ (Hansmann 2006: 37), bis sie zu einer angemessenen Lösung gelangen können. Nach Rousseau bilden solche Lernarrangements die Grund‐ lage, um „die Bildung des logischen, des moralischen und des religiösen Urteils unabhängig von den Meinungen, Lau‐ nen oder Vorurteilen anderer zu initiieren und umsichtig zu leiten“ (Hansmann, 2006: 46). Der Gedanke, dass die kom‐ binierte Entwicklung sprachlicher, fachlicher, sozialer und demokratischer Kompetenzen eine zentrale Bildungsauf‐ gabe darstellt, wurde zu einem späteren Zeitpunkt unter anderem von Pestalozzi, Diesterweg und der deutschen Ar‐ beitspädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts aufge‐ nommen. Da Erkenntnis durch Wahrnehmung und Erfah‐ rung entstehe, müsse im Unterricht induktiv vorgegangen werden. Durch Selbsttätigkeit werden Schülerinnen und Schüler zu eigenen Überlegungen und der Erprobung un‐ terschiedlicher Lösungsversuche gezwungen. Dies fördert Problembewusstsein und Selbständigkeit im Denken, Han‐ deln und Urteilen (vergleiche Geißler 2006: 142/ das Kon‐ zept des „Learning by doing“). 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 340 <?page no="341"?> Prinzip der voll‐ ständigen Handlung Berufssprache Deutsch Weitere zentrale Impulse für die handlungsorientierte Unter‐ richtsmethodik lieferte die Berufspädagogik in den 1970er Jahren mit dem Modell der vollständigen Handlung, auf dem die Ent‐ wicklung der Leittextmethode und ihres sechsstufigen Phasen‐ verlaufs (vergleiche Riedl 2011: 244) basiert. Die Unterrichtspha‐ sen sind folgende: ▸ Informieren ▸▸ Planen ▸▸ Entscheiden ▸▸ Ausführen ▸▸ Kontrollstufe ▸▸ Bewerten. ▸ Durch die Entwicklung des Konzeptes Berufssprache Deutsch, das zuerst in bayerischen Berufsschulen als flächendeckendes, fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip eingeführt und von der Kultusministerkonferenz in einer Empfehlung weiterbearbeitet wurde, sind Szenariendidaktik und das Prinzip der vollständigen Handlung im sprachsensiblen Fachunterricht und im fachsen‐ siblen Sprachunterricht zusammengeführt und in Lehrpläne, Lehrmaterialien und Fortbildungskonzepte umgesetzt worden. Übersicht Tragende Elemente einer systematischen handlungs‐ bezogenen Sprachdidaktik Unterrichtskonzept ▸ Szenariendidaktik/ Prinzip der vollständigen Handlung, ▸▸ offene und flexible Strukturen und Prozesse (im Sinne ▸ konstruktivistischer Verfahren), die Lernerautonomie fordern und fördern, ▸ Erwerb als Prozess, auch als lebenslanges Lernen, ge‐ ▸ fördert durch Lernstrategien und Techniken zur Nut‐ zung vielfältiger Lernressourcen, ▸ Erwerb von enzyklopädischem und prozeduralem Wis‐ ▸ sen, 6.12 Handlungsbezogener Unterricht 341 <?page no="342"?> ▸ Vermittlung funktionaler Kompetenzen in unter‐ ▸ schiedlichen Sprachen und Varietäten (Textsorten, Dis‐ kurstypen, verschiedene Soziolekte etc.), ▸ Vermittlung von Medienkompetenzen, ▸▸ Vermittlung interkultureller Kompetenzen (inklusive ▸ Vermittlungsstrategien, Konfliktidentifikation, -ver‐ meidung und -management), ▸ Erwerb sozialer Kompetenzen, ▸▸ Vermittlung von Methodenkompetenzen für Lehr‐ ▸ kräfte und Lerner, ▸ Aktivierung des Lerners (Lernerzentriertheit, Lerner‐ ▸ interessen, Autonomie), ▸ Progression vom Verstehen in Richtung auf die aktive ▸ Verwendung der Sprache, ▸ kreative und offene Verwendung von Sprache im Sinne ▸ des Sprachhandelns, ▸ wichtige Rolle von Parallelinformation, insbesondere ▸ von Visualisierung und Realien, bei der Herstellung der Bedeutung, der Erklärung von Situationsrahmen und der Konzeptualisierung kommunikativer Aufgaben, ▸ Nutzung verschiedener kommunikativer Konstellatio‐ ▸ nen (Sozialformen) mit Schwerpunkt auf Interaktivität, einschließlich Partnerarbeit und Gruppenarbeit, auch zum Ausgleich von Schwächen und der Förderung von Stärken, ▸ Aufgabencharakter: breite Variation der Aufgabenty‐ ▸ pen und integrierter Übungen, ▸ Einsatz authentischer Texte und Übungen, ▸▸ Projektarbeit, ▸▸ Lernen durch Lehren, ▸▸ Erwerb weiterer Schlüsselqualifikationen (Umgang mit ▸ Ressourcen, Präsentationstechniken und Ähnlichem), ▸ Einbeziehung des beruflichen, schulischen und gege‐ ▸ benenfalls familiären Umfeldes, ▸ begleitende Sprachkurse gegebenenfalls auch für El‐ ▸ tern und andere Familienangehörige (etwa in Integra‐ tionskontexten), 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 342 <?page no="343"?> ▸ Zusammenarbeit mit externen Partnern, ▸▸ Durchführung innerer und äußerer Evaluationen. ▸ Kommunikationskonzept ▸ Kontextualisierung der Kommunikation, ▸▸ Handlungsorientierung und Nutzbarkeit der Sprache; ▸ daher authentische Sprache und Berücksichtigung ver‐ schiedener Ebenen der Sprachverwendung (soziale, pragmatische, grammatische, …), ▸ Anbindung an Vorwissen und bekannte Konzepte des ▸ Weltwissens, ▸ Vermittlung zwischen Kulturen, ▸▸ Funktionale Mehrsprachigkeit. ▸ Grammatik ▸ Begleitende Rolle der Grammatik, ▸▸ Grammatik als Werkzeug, ▸▸ Grammatikvermittlung nach Bedarf der Lernziele, zum ▸ Beispiel gezielt für Verstehenszwecke (Verstehens‐ grammatik); Sprech- und Schreibzwecke (Produktions‐ grammatik) oder didaktische Zwecke (didaktische Grammatik), ▸ Betonung sprachlicher Funktionen vor formalen As‐ ▸ pekten (funktionale Grammatik). 6.13 Lehrqualifikationen Ein handlungsbezogener interkultureller Fremdsprachenunter‐ richt erfordert besondere Qualifikationen der Lehrkräfte. Die Kriterien lassen sich stichwortartig in einem Profil für profes‐ sionelle Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer zusammenfassen: 6.13 Lehrqualifikationen 343 <?page no="344"?> Profil einer professionellen Sprachlehrerin Die Lehrkraft ▸ hat ein ausgeprägtes pädagogisches Bewusstsein entwi‐ ▸ ckelt; ▸ hat die Befähigung zu einem ideenreichen, kreativen Un‐ ▸ terricht in dem der einzelne Lerner und sein Fortschritt im Mittelpunkt stehen (keine starren Strukturmodelle); ▸ begründet den Unterricht auf dem Vorwissen und den un‐ ▸ terschiedlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schü‐ ler und leitet schrittweise zur Zielkultur und zu Vermitt‐ lungskompetenzen zwischen den Kulturen; ▸ geht auf unterschiedliche Lernertypen ein und kann ihre ▸ Interessen in heterogenen Klassen produktiv nutzen; ▸ stellt das Lernen (nicht das Lehren) in den Mittelpunkt des ▸ Unterrichts; ▸ weiß, wie man Lernen lernt; ▸▸ kann nach Lernstrategien differenzieren; ▸▸ ist Methoden- und Strategienvermittlerin; ▸▸ besitzt interkulturelle Kompetenzen: hört auf die Verschie‐ ▸ denheit der Lerner schon im erstsprachlichen Kontext, er‐ zieht zum Respekt vor der jeweiligen Andersartigkeit, überträgt diese Haltungen auf den interkulturellen Kontext und nutzt die Anwesenheit von mehrsprachig aufwach‐ senden oder zielsprachigen Schülerinnen und Schülern als Lernchance für alle; ▸ motiviert unterschiedlich begabte Schüler und Schülerin‐ ▸ nen durch angemessene Angebote; ▸ hat fachliches Wissen; ▸▸ beherrscht Variationen im Unterricht: methodisch, medial ▸ und sozial und kann sie angemessen einsetzen und erklä‐ ren; ▸ kann mit den neuen Medien umgehen und setzt sie ein; ▸▸ versteht die Prinzipien von Kommunikationsabläufen, ins‐ ▸ besondere in interkultureller Kommunikation; ▸ kann ein angenehmes Lernklima herstellen; ▸ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 344 <?page no="345"?> partizipatorische Verfahren ▸ kann mit Schülerinnen/ Schülern, Kolleginnen/ Kollegen, ▸ Eltern und außerschulischen Einrichtungen kooperieren und außerschulisches Lernen organisieren; ▸ kennt die Aktivitäten, die rings um Unterricht und Schule ▸ mit zu ihrem Arbeitsbereich gehören; ▸ ist Beraterin, Moderatorin, Initiatorin; ▸▸ ist aktive Mitgestalterin des Curriculums. ▸ 6.14 Qualitätsmanagement Qualitätsentwicklung und -sicherung (Qualitätsmanagement), sind im Sprachunterricht relativ neue Begriffe. Sie stehen für eine systematische und kriteriengeleitete Strukturierung und Eva‐ luation der Sprachlehre und ihrer oft komplexen − und auch konträren − Anforderungen. Sie kann extern erfolgen, erweist sich aber als effizienter, wenn sie weitestgehend von den Lehr‐ kräften selbst gesteuert und gegebenenfalls extern begleitet wird, weil die direkt Beteiligten damit Verantwortung überneh‐ men (Maas/ Mehlem 2003, Arnold 2007, Buhren 2007, Buhren/ Düring 2008, Ricart Brede 2011). Dazu dienen ein theoretisch ab‐ gesicherter Rahmen und Instrumente für die Umsetzung der Ziele und die regelmäßige Überprüfung von deren Einhaltung als Grundlagen. Solche Instrumente können Fragebogen, Port‐ folios, Hausaufgaben, Hospitationen, Teamkonferenzen, Fortbil‐ dungen und vieles mehr sein. Gleichzeitig einigen sich die Ver‐ antwortlichen auf Verfahren der Umsetzung ihrer Ziele und eventuell nötige Korrekturverfahren. Interne Evaluationsinstrumente und -ebenen Selbstevaluation ▸ Instrumente: Lehrerfragebogen - Schülerfragebogen; ▸▸ Verfahren: Die ausgefüllten Fragebögen miteinander ▸ vergleichen; ▸ Zielsetzung: Den Ist-Zustand feststellen und die Selbst‐ ▸ einschätzung der Lehrkraft überprüfen (validieren), im 6.14 Qualitätsmanagement 345 <?page no="346"?> Vergleich mit dem Qualitätsrahmen den persönlichen Qualifizierungsbedarf feststellen; ▸ Unterstützungsangebote: intern aus der Fachgruppe, ex‐ ▸ tern durch schriftliche Erläuterungen und Workshops; ▸ Dokumentation: Persönliches Fortbildungsportfolio ▸ führen. Evaluation in der Fachgruppe ▸ Instrumente: Lehrerfragebogen, Schülerfragebogen, El‐ ▸ ternbefragungen und andere, Hospitationsbogen, Qua‐ litätsrahmen (Kriterienkatalog), interne Vergleichsarbei‐ ten; ▸ Verfahren: Gemeinsame Auswertung der Befragungen ▸ und internen Vergleichsarbeiten, Vergleich mit einem zuvor erarbeiteten oder verfügbaren Qualitätsrahmen (Kriterienkatalog auf der Basis einschlägiger Didak‐ tikstandards), gegenseitige Hospitationen und kolle‐ giales Feedback; ▸ Dokumentation: Qualitätsportfolio der Fachgruppe füh‐ ▸ ren. Die oben genannten internen Instrumente sollen helfen, Ist-und Soll-Zustände festzustellen und gegebenenfalls mit weiteren ex‐ ternen Daten zu kontrastieren (Triangulation), um damit Selbst‐ einschätzungen zu validieren. Zielsetzung: Ermittlung des Fortbildungs- und Entwicklungs‐ bedarfs, Entwicklung von Strategien für Materialbestellung, -er‐ stellung und -austausch, Nutzung von externen Fortbildungen und anderen externen Unterstützungsangeboten (zum Beispiel Prozessbegleitung durch externe Berater). Dazu können Gespräche mit der Schulleitung mit dem Ziel der Abstimmung des Schulprofils, der Schulqualität und der Bereit‐ stellung von Ressourcen geführt werden. Für externe Evaluatio‐ nen eignen sich etwa ein Qualitätsportfolio der Schule, Hospi‐ tationsbögen, zentrale Vergleichsarbeiten als Muster und andere Dokumentationen als Instrumente. 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 346 <?page no="347"?> Abb. 6.23: Qualitätsrahmen Fremdsprachenbereich 1: Handlungsori‐ entierung und Lernerbezug 6.14 Qualitätsmanagement 347 <?page no="348"?> Qualitätsrahmen Mit dem Qualitätsrahmen Deutsch als Fremdsprache, den eine deutsch-ungarische Kommission 2005−2007 im Auftrag des un‐ garischen Bildungsministeriums, des baden-württembergischen Kultusministeriums und der Zentralstelle für das Auslandsschul‐ wesen exemplarisch für die ungarischen Schulen erarbeitet und erprobt hat, liegt ein Muster für einen Kriterienkatalog und die möglichen Instrumente vor, die leicht auf andere Fremdsprachen und andere Unterrichtsformate übertragen werden können. Hier ein leicht veränderter Auszug aus dem Qualitätsrahmen (ver‐ gleiche hierzu Friss et al. 2007. Wie dieser Qualitätsrahmen umgesetzt werden kann, zeigen die Evaluationsinstrumente für Schülerinnen und Schüler und die Selbstevaluationsinstrumente für Lehrkräfte. Weitere Aus‐ führungen enthält der Band Unterrichtsmanagement des Kom‐ pendium DAF/ DAZ (Roche 2019). 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 348 <?page no="349"?> Abb. 6.24: Auszug aus dem Lehrerfragebogen zur Qualität des mo‐ dernen Fremdsprachenunterrichts der deutsch-ungarischen Exper‐ tenkommission (2007: 98−101) 6.14 Qualitätsmanagement 349 <?page no="350"?> 6.15 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. In welchem Verhältnis stehen Fertigkeiten zu Aufgaben im 1. Fremdsprachenunterricht? 2. Was ist das Besondere am Lehrplan Deutsch als Zweitspra‐ 2. che? 3. Worum geht es beim Lesen und Hören? 3. 4. Welche Formen des Lesens und Schreibens und welche 4. Lese- und Schreibtechniken gibt es? 5. Wie würden Sie Fertigkeiten im Unterricht vermitteln oder 5. sich diese in zielsprachlicher Umgebung am besten aneig‐ nen? 6. Wie funktionieren Bruchstellen und wie kann eine Lehr‐ 6. kraft produktiv damit umgehen? 7. Woraus besteht die Hierarchie der Lernarten und welche 7. Bedeutung hat sie für den Fremdsprachenunterricht? 8. Wie kann man Übersetzungen als didaktische Brücken 8. nutzen? 9. Welche Mehrwerte lassen sich durch die Nutzung ver‐ 9. schiedener (offener und geschlossener) Medien im Spra‐ chenerwerb und Sprachunterricht erzielen? Was ist dabei zu berücksichtigen? 10. Was sind die Merkmale handlungsorientierten, kommuni‐ 10. kativen und interkulturellen Fremdsprachenunterrichts (Szenariendidaktik, Prinzip der vollständigen Handlung) und wie könnten Sie sie umsetzen? 11. Erläutern Sie die wichtigsten Kriterien des Qualitätsma‐ 11. nagements im Fremdsprachenunterricht und nennen Sie die wichtigsten Instrumente. Entwickeln Sie auf dieser Ba‐ sis ein eigenes Verfahren für Ihre Zwecke. 6.16 Weiterführende Literatur Apeltauer, Ernst (2010). Lernerselbststeuerung im Vor- und Grund‐ schulbereich. In: Rost-Roth, Martina (Hg.). DaZ-Spracherwerb und Sprachförderung Deutsch als Zweitsprache. Beiträge aus dem 5. Work‐ 6 Lehr- und Lernziele, Kompetenzen und Standards 350 <?page no="351"?> shop „Kinder mit Migrationshintergrund“. Freiburg im Breisgau: Fil‐ libach, 99-123. Arnold, Karl-Heinz (Hg.) (2007). Unterrichtsqualität und Fachdidaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Bach/ Timm 2013 (siehe Literaturverzeichnis von Kapitel 1). Baros, Wassilios/ Hamburger, Franz/ Mecheril, Paul (Hg.) (2010). Zwi‐ schen Praxis, Politik und Wissenschaft. Die vielfältigen Referenzen in‐ terkultureller Bildung. Migrationsforschung 3. Berlin: Regener. Bausch/ Burwitz-Melzer/ Königs/ Krumm 2006 (siehe Literaturverzeich‐ nis von Kapitel 1). Bleyhl, Werner (2005). 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Augsburg: Auer. 6.16 Weiterführende Literatur 355 <?page no="357"?> 7 Interkulturelle Sprachdidaktik Die kommunikative Sprachdidaktik hat einen deutlichen Wechsel im Fremdsprachenunterricht vor allem dadurch be‐ wirkt, dass sie das Augenmerk auf die authentische Alltags‐ sprache in der zielsprachlichen Kommunikation gelegt hat. Zur Vermittlung von Fertigkeiten und Kompetenzen bedient sie sich folgerichtig auch der Lehrmethoden, die in der je‐ weiligen Zielkultur Standard sind. Aus dieser Fokussierung auf die Alltagssprache der Zielkultur ergibt sich jedoch eine oft zu geringe Berücksichtigung der Disposition der Lerner (Vorsprachen, Mehrsprachigkeit ,Lernkultur, Lerntraditio‐ nen, Kulturspezifik). Diese Mängel der kommunikativen Sprachdidaktik haben −zusammen mit einem gesteigerten gesellschaftlichen Interesse an Aspekten der interkulturellen Kommunikation und der interkulturellen Hermeneutik − zu einer Weiterentwicklung der kommunikativen Ansätze bei‐ getragen. Entstanden ist hieraus eine neue Didaktik-Gene‐ ration, die interkulturelle Sprachdidaktik (auch skeptische Hermeneutik oder interkultureller Sprachunterricht ge‐ nannt). Ihr oberstes Ziel ist nicht die muttersprachliche, „near-native“ oder zielsprachliche Kompetenz, sondern die katalytische Nutzung fremder Perspektiven für das Verste‐ hen. Die Lerner sollen zwischen Kulturen für sich selbst und andere vermitteln können und mediatorische Kompetenzen entwickeln. Der GER fasst diese interkulturellen Kompeten‐ zen unter dem Bereich der Sociolinguistic Competence. Inter‐ kulturelle Kompetenz umfasst Fertigkeiten und Wissensge‐ biete, die über strukturelle Sprachkompetenzen hinausgehen und vielmehr das gesamte linguakulturelle System einschlie‐ ßen (interkulturelle Linguistik, interkulturelle Kommunika‐ tion ). Sprachliche Handlungskompetenzen spielen jedoch die zentrale Rolle. Bei der Darstellung des mentalen Lexikons wurde bereits gezeigt, wie Sprache und kulturelles Wissen <?page no="358"?> Linguakultur verzahnt sind. Das folgende Kapitel illustriert, wie Fremdheit auf allen sprachlichen Ebenen die Kommunikation beein‐ flusst, dadurch aber auch systematisch in die Vermittlung von Fremdsprachen einbezogen werden kann. 7.1 Sprache und Kultur Sprache und Kultur gehören untrennbar zusammen. Sprache er‐ wächst aus kulturellen Gegebenheiten und ist gleichzeitig daran beteiligt, sie zu schaffen. Mit Sprache benennen wir die für uns wichtigen Elemente und Perspektiven der Welt und erzeugen so mentale Modelle und Bilder, die den weiteren Sprachenerwerb und Gebrauch von Sprachen bestimmen. Wie sehr Sprache und Kultur in einem linguakulturellen System verwoben sind, lässt sich an Beispielen aus verschiedenen Sprachen zeigen, die jeweils andere Perspektiven ausdrücken, als sie im Deutschen konventionalisiert sind. Im Türkischen etwa hat die Leber als bildspendendes Kör‐ perorgan (Somatismus) eine ähnliche Bedeutung wie Herz oder Magen im Deutschen (Liebe geht durch den Magen, Herzblatt). Um große Wertschätzung auszudrücken, wird im Türkischen gerne Cigerim (wörtlich meine Leber, mein Schatz) benutzt. Dementspre‐ chend finden bildhafte Bezeichnungen auch zum Ausdruck eines großen Schmerzes oder zum Ausdruck großer Sorge Verwendung (Cigerlerim büyüdü, die Leber wird groß/ mir bricht das Herz). Die Kulturbedingtheit, die sich lexikalisch im Bereich der Me‐ taphern gut darstellen lässt, betrifft alle Bereiche der Sprache. Höflichkeit etwa wird in Sprachen sehr unterschiedlich ausge‐ drückt: Während im Amerikanischen eine ablehnende Position oft direkt kenntlich gemacht wird (no means no! ), wird Ableh‐ nung in anderen Sprachkulturen oft nur indirekt und ohne die Verwendung von nein ausgedrückt. Auch das Gesprächsmanage‐ ment regeln Sprachkulturen auf unterschiedliche Art: In den nordamerikanischen indianischen (First Nations) Kulturen ist die Sprechgeschwindigkeit zum Beispiel im Vergleich zum nord‐ amerikanischen Englisch oder den mittel- und südeuropäischen 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 358 <?page no="359"?> Sprachen betont langsam, wie auch im Finnischen versehen mit langen Pausen. Langsames und pausenhaltiges Sprechen signa‐ lisiert in manchen Sprachen aber zum einen Langeweile und zum anderen die Absicht des Redners, das Rederecht schnell abzuge‐ ben. Nicht so in den First Nations-Sprachen oder dem Finnischen. So gilt in den indianischen Sprachkulturen (zum Beispiel Inuit im Norden Kanadas oder Musqueam und Squamish an der West‐ küste Kanadas) das langsame und pausenreiche Sprechen als Standard. Das zeit-, atem- und pausenlose Sprechen im nord‐ amerikanischen Englisch empfinden Sprecher solcher Standards daher häufig eher als lästig oder aufdringlich. Umgekehrt er‐ scheinen Englischsprachigen die Pausen und die langsamere Sprechgeschwindigkeit oft als Ausdruck der Unverbindlichkeit und Unentschlossenheit. Ähnliche sprachliche Mittel (Wörter, Betonungen, Fragen, Pausen) werden also in Sprachen unterschiedlich genutzt. In vie‐ len Fällen fehlen auch Äquivalente für eine funktional adäquate Übertragung. Sprachliche und außersprachliche Mittel werden von Sprechern, die den Gebrauch dieser Mittel nicht gewohnt sind, meist vor dem Hintergrund der eigenen Sprach- und Kon‐ zeptwelt interpretiert. Die Folge: es kommt im Kulturkontakt selbst durch einfache Begriffe und gewohntes Gesprächsma‐ nagement zu gravierenden Kommunikationsproblemen. Beispiel Wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Welt und ihre linguakulturellen Realisierungen sein können, illustriert der folgende Text einer Titelseite des Magazins der Süddeutschen Zeitung anhand von Metaphern für das Nichtverstehen. ICH VERSTEHE NUR BAHNHOF Die Trommel ist in (der Stadt) Harasta, aber die Hochzeit in Duma At-tabl fi Harasta wa-l-´irs fi Duma (Arabisch) Ich höre ein Buch aus dem Himmel Wo zai ting tianshu (Chinesisch) 7.1 Sprache und Kultur 359 <?page no="360"?> Das kommt mir vor wie doppelt Holländisch It’s double Dutch to me (Englisch) Das ist Volapük für mich Tio estas volapukajo por mi (Esperanto; auch Volapük ist eine künst‐ liche Weltsprache) Ich verstehe nur Steinplatte J’y comprends que dalle (Französisch) Ich verstehe nicht einmal „grunz“ Den katalawäno gri (Griechisch) Ich verstehe davon weder hinauf noch hinunter Ég skil hvorki upp né niour í pessu (Isländisch) Ich habe keine getrocknete Feige verstanden Non ho capito un fico secco (Italienisch) Daran kann ich kein Tau festknüpfen Ik kann er geen touw aan vastknopen (Niederländisch) Ich sitze hier wie in einer türkischen Predigt Siedzę jak na tureckim kazaniu (Polnisch) Ich schaue wie ein Schaf auf ein neues Tor Ja smotrju kak baran na novye vorota (Russisch) Das klingt wie Chinesisch für mich Me suena a chino (Spanisch) Da verstehe ich Pilze Tomu já houby rozumím (Tschechisch) Wenn ich was verstanden habe, dann sei ich ein Araber Anladiysam Arap olayim (Türkisch) Abb. 7.1: Metaphern für das Nichtverstehen in verschiedenen Sprachen nach Martina Koch Vieles, was in Lerneräußerungen als grammatischer Fehler er‐ scheint, lässt sich auf fehlerhafte konzeptuelle Übertragungen 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 360 <?page no="361"?> Anredeformen mechanische Übersetzungen zurückführen (Conceptual Transfer Theory, vergleiche hierzu Groot/ Kroll 1997, Langacker 1999, Matlock/ Gibbs 2001, Hashe‐ mian/ Talebinezhad 2007, Danesi 2008, Odlin 2008, Littlemore 2012, Roche 2017 und Kapitel 5.7). Zum Beispiel die Übertragung von Anredeformen in verschiedene Sprachen: In manchen Spra‐ chen, wie dem Englischen, gibt es praktisch nur eine (für Au‐ ßenstehende erkennbare) Anredeform. Deutsch und Französisch unterscheiden dagegen zwischen du (tu) und Sie (vous) − und den davon bgeleiteten Varianten − zur Markierung des Status einer Person und in wieder anderen Sprachen, wie dem Koreanischen, dem Japanischen oder dem Singhalesischen, gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Anredeformen, je nach Sozial- und Be‐ rufsstatus, Verwandtschaftsgrad und Alter der angesprochenen Person (Ehrbezeichnungen, Honorifika). Die falsche Verwen‐ dung dieser Formen kann nicht nur zu großen Kommunikati‐ onsproblemen führen, sondern auch folgenreiche Kommunika‐ tionskonflikte auslösen. Auch im Englischen lässt sich bei genauerer Betrachtung unter der einfach erscheinenden Anrede you ein − zum Beispiel im beruflichen Bereich − sehr differen‐ ziertes Anredesystem feststellen, das unterschiedliche akademi‐ sche, politische, rechtliche, soziale Titel, die Vor- und Nachna‐ men und die Anredeformen Mr./ Mrs./ Ms. und andere umfasst, kombiniert und wechselt. An mechanischen Übersetzungen, wie sie elektronische Über‐ setzungsmaschinen produzieren, lässt sich gut zeigen, wie wich‐ tig die Berücksichtigung kultureller Faktoren in interkultureller Kommunikation ist. Hierzu ein beliebiger Liedtext aus der Ol‐ diebox: Beispiel Major Tom Gründlich durchgecheckt steht sie da und wartet auf den Start Alles klar. Experten streiten sich um ein paar Daten 7.1 Sprache und Kultur 361 <?page no="362"?> maschinelle Übersetzung die Crew hat dann noch ein paar Fragen, doch der Countdown läuft. Effektivität bestimmt das Handeln Man verlässt sich blind auf den andern jeder weiß genau was von ihm abhängt, jeder ist im Streß, doch Major Tom macht einen Scherz. Dann hebt er ab und … Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff völlig schwerelos … Liedtext zu Major Tom von Peter Schilling (1983) Aus diesem aus alltäglichen Wörtern bestehenden Text macht eine Übersetzungsmaschine bei der Übertragung ins Englische folgende Variante: Thoroughly durchgecheckt it stands there and waits for the start everything clearly. Experts argue about a few data the crew have then still a few questions, but hat COUNT down run. Effectiveness determines an acting one relies blindly on the other one everyone white exactly which on it depends, every‐ one is in the streb, but major Tom makes a joke. Then it takes off and … Completely detached by the earth the spaceship floats completely weightlessly … Übersetzt man diesen Text also mechanisch, ohne die Be‐ rücksichtigung kultureller Spezifika ins Englische, entsteht eine Reihe verschiedener Fehler. Dabei ist zu berücksichti‐ gen, dass die Wortstellung, die Endungen und andere gram‐ matische Eigenschaften meist angepasst sind (it stands, waits). Schwierigkeiten gibt es vor allem bei idiomatischen Ausdrücken. Alles klar lässt sich lexikalisch als everything clearly fassen, gibt damit aber nicht die Gesamtbedeutung 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 362 <?page no="363"?> Rückübersetzung der Äußerung wieder, die in einem bestimmten kulturellen Kontext die angemessene ist. Auch den wichtigen Merk‐ malen der Textsorte Liedtext (Verse, Reime) wird die me‐ chanische kulturfreie Übersetzung nicht gerecht. Selbst Grundbedeutungen von Begriffen wie Handeln oder weiß (Verb, Farbe oder Name) können von einer kulturfreien Ma‐ schine nur schwer in den entsprechenden Kontext einge‐ passt werden. Erst das nötige kulturelle Kontext-Wissen würde klären, welche Einträge im Wörterbuch ausgewählt werden müssten. Der ultimative Test für die kontextuelle und damit kultu‐ relle Angemessenheit einer sprachlichen Übertragung ist die Rückübersetzung. Durch eine angemessene Überset‐ zung und eine ebensolche Rückübersetzung müsste der Ausgangstext schließlich originalgetreu wiederhergestellt werden. Hier der Test: Rückübersetzung ins Deutsche: Gänzlich durchgecheckt, das es dort steht und den Anfang alles offenbar wartet. Experten argumentieren über einige Daten, welche die Mannschaft dann noch einige Fragen haben, aber dieser ZÄHLIMPULS laufen unten. Wirksamkeit stellt ein Fun‐ gieren man baut blind auf die andere jeder fest, das genau weiß ist, das von ihr abhängt, jeder ist im streb, aber in den Haupt‐ Marken Tom ein Witz. Dann entfernt sich sie und …, Vollstän‐ dig abgetrennt durch die Masse, die das Raumschiff vollständig weightlessly … Dieses Beispiel ist kein authentischer Text eines Schülers aus dem Unterricht, sondern die Produktion einer maschinellen Form der modernen kulturfremden Sprachvermittlung: die Über‐ setzungsmaschine von Google im Internet. Auch in Beipackzet‐ teln sowie Bau- und Reparaturanleitungen ausländischer Pro‐ dukte finden sich ähnliche Beispiele mangelnder Kenntnis der fremden Sprache und Kultur in beliebiger, erschreckender An‐ zahl. Wie umfangreich die kulturellen Bezüge der Sprache sind, il‐ lustriert auch das folgende, sehr einfache, aber im Kontext in‐ 7.1 Sprache und Kultur 363 <?page no="364"?> terkultureller Kommunikation gerne zur Veranschaulichung der Abhängigkeiten kultureller Bezüge herangezogene Eisberg‐ schema. Nur der obere Teil einer Kultur ist überhaupt sichtbar. Das ist der Bereich des Essens, Tanzens, der Kleidung und Ri‐ tuale, kurz der Folklore. Zur Verdeutlichung der Bezüge der Sprache zur Kultur könnte man in dieser Oberfläche die wahr‐ nehmbaren sprachlichen Oberflächenstrukturen ergänzen. Was sich darunter verbirgt, hat tragenden Einfluss darauf, ist aber in der Regel nicht unmittelbar zu erkennen: Einstellungen, Werte, Konzepte. Abb. 7.2: Eisbergschema der kulturellen Einflüsse auf die Wahrneh‐ mung und die Sprache 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 364 <?page no="365"?> Einflussgrößen Diese Einflussgrößen machen sich unter anderem folgender‐ maßen bemerkbar: ▸ In der Ausprägung einer Zivilgesellschaft und dem Ver‐ ▸ hältnis von individuellen und gemeinschaftlichen Rechten und Pflichten, in gesellschaftlichen Institutionen, im Bil‐ dungssystem …, ▸ in der Rolle von Macht, Autorität und Eigenverantwortung ▸ in einer Gesellschaft, ▸ in Bezug auf Akzeptanz, Toleranz und Erwartung von ▸ Kritik, ▸ durch Einstellungen zur Höflichkeit, ▸▸ durch die Vermeidung von unsicherem Verhalten/ Auf‐ ▸ treten, ▸ in einer spezifischen Auffassung von Geschlechterrollen, ▸▸ durch die Bedeutung der Religion in einer Kultur, ▸▸ in Zeit-, Raum-, Selbstkonzepten, ▸▸ und vielem mehr. ▸ Auch wenn vieles davon nicht oder nur implizit ausgedrückt wird, sind zahlreiche kulturspezifische Einstellungen und Werte in den Diskurs- und Denkkonzepten einer Linguakultur festge‐ schrieben. Die Sprache wird dabei bestimmt von konzeptuellen Schemata und mentalen Modellen, die über den Gebrauch und über Abstimmungsprozesse in Kommunikationskonventionen verstetigt (konventionalisiert) werden, zudem ist sie von außer‐ sprachlichen Zeichensystemen begleitet. Textsorten und Dis‐ kursmuster sowie Grammatik und Lautkonventionen sind die Folge. Die Konventionen legen unter anderem fest, ▸ welche Themen ausgewählt oder besser vermieden werden, ▸▸ wie mit Tabuthemen umzugehen ist (zum Beispiel Liebe, ▸ Religion, Politik), ▸ in welcher Form kommunikative Stile erscheinen (zum ▸ Beispiel formelle oder informelle Stile für verschiedene Adressatengruppen), ▸ wie kulturspezifische Merkmale eine Textsorte oder ein ▸ Diskursmuster prägen (zum Beispiel die kulturell unter‐ 7.1 Sprache und Kultur 365 <?page no="366"?> Horizontver‐ schmelzung schiedlichen Formen von Zeitungsartikeln oder wissen‐ schaftlichen Arbeiten), ▸ wie viel in Worten ausgedrückt werden muss oder implizit ▸ bleiben kann. In verschiedenen Studien sind diese kulturspezifischen Elemente in der Sprache exemplarisch bearbeitet worden, unter anderem in der Wissenschaftssprache, der elektronisch vermittelten Lehre, in Arzt-Patienten-Kommunikation und in Institutionen (Dentler/ Hufeisen/ Lindemann 2000). 7.2 Interkulturelle Vermittlung Die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Konzept- und Zei‐ chensystemen kann allerdings nicht durch einfache Gegenüber‐ stellung erreicht werden. Die kontrastive Linguistik und die aus ihr abgeleiteten Lehrverfahren haben das genauso deutlich ge‐ zeigt wie frühe Lehrwerksversuche mit einfachen kulturkont‐ rastiven Verfahren (vergleiche Kapitel 4.5). Auch ein Nebenein‐ ander verschiedener Kulturen führt nicht automatisch zu gegenseitigem Verstehen, wie etwa schulische und studentische Austauschprogramme demonstrieren (Sato-Prinz 2017). Es müs‐ sen also Vermittlungsprozesse in Gang gesetzt und gestaltet wer‐ den, die zu einem Verstehen führen, das dem Fremden gerecht wird, die eigene Wahrnehmung aber nicht aufgibt. Diese Ansätze verbinden sich mit Konzepten wie Horizontverschmelzung (Ga‐ damer 1960), dritte Kultur/ dritter Ort (Bennett 1993, Kramsch 1993), Perspektivenwechsel und anderen aus dem Umfeld der interkulturellen Hermeneutik (Krusche 1985). 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 366 <?page no="367"?> Beispiel Abb. 7.3: Klischeehafte Darstellung der deutschen Kultur in einem Buch zum interkulturellen Training (Morrison et al. 1994: 231 f.) Bei interkultureller Vermittlung geht es nicht nur um das Ver‐ mitteln von Wissen über eine fremde Kultur, sondern auch um grundlegende Konzepte, Denkweisen und Lern- und Arbeitsme‐ thoden. Reine Wissensvermittlung ist problematisch, da das Wis‐ sen aus der „einen Kultur“ in die Begriffswelt der „anderen“ 7.2 Interkulturelle Vermittlung 367 <?page no="368"?> interkulturelles Training übertragen werden muss, um es verständlich zu machen. Es exis‐ tiert nicht unabhängig von der Sprache. Außerdem gerät Wissen über fremde Kulturen leicht zu einer klischeehaften Wahrheit oder erstarrt zu Stereotypen. In zahlreichen Trainingsprogram‐ men für interkulturelle Kommunikation wird das deutlich, wie im Beispiel aus Kiss, Bow or Shake Hands in Abbildung 7.3. Wie weit die dort gegebenen Informationen zutreffen, kann jeder selbst entscheiden, der eine Deutsche oder einen Deutschen kennt. Die Generalisierungen und Klischees reflektieren eine sub‐ jektive Sicht der fremden Kultur, die unter Umständen mehr über den Betrachter (Autorin/ Autor) sagt, als über die fremde Kultur. Besonders kritisch ist der Anspruch auf Allgemeingültigkeit, der in der Literatur und in Programmen zum interkulturellen Trai‐ ning meist erhoben wird. Er suggeriert kulturelle Einheitlichkeit und weckt damit Erwartungen, die der kulturellen Vielfalt, wie der Plurizentrik der deutschsprachigen Kulturen, und den Ent‐ wicklungsprozessen von Kulturen nur schwer gerecht werden können und daher wenig praxistauglich sind. Um derartige Generalisierungen und Klischees zu vermeiden, versuchen der hermeneutische Fremdsprachenunterricht (Hun‐ feld 2004) und die interkulturelle Sprachdidaktik (Lorey/ Plews/ Rieger/ Prokop 2007, Caspari/ Schinschke 2007, Kaunzner 2008, Reeg 2009, Petermann/ Jürgens 2009, Esselborn 2010, Roche 2001) Lerner für Fremdheit zu sensibilisieren und auf einen nicht un‐ nötig vereinfachenden oder nivellierenden Umgang damit vor‐ zubereiten. Das geschieht, indem die Aufmerksamkeit auf die Einflussfaktoren und Prinzipien von interkultureller Kommuni‐ kation und auf die Bedeutung des Fremden als notwendige Be‐ dingung für Verstehenszuwachs (und Lernen) gelenkt wird. Die vorgeschlagenen (durchaus unterschiedlichen) Verfahren stre‐ ben nicht nur tiefgehende Einsichten in die fremde Kultur und Sprache an, sondern wollen gleichzeitig neue Einblicke in die „eigene“ eröffnen. Diese Reflexion ist für interkulturelle Kom‐ munikation unabdingbar, weil alles Verstehen auf Vorwissen aufbaut und neues Wissen daran anschließt. Es zeigt sich dabei immer deutlicher, dass eine Trennung in Eigenes und Fremdes und der postulierte Perspektivenwechsel zwar orientierende 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 368 <?page no="369"?> Perspektivenwechsel kognitive Dissonanz Transdifferenz Konzepte für Lehrpläne sein können, bei der praktischen Um‐ setzung Lerner und Lehrkräfte aber häufig überfordern. Das liegt vor allem daran, dass die angestrebten Perspektivwechsel, wie beim Übersetzen, umfangreiche Kenntnisse und Kompetenzen voraussetzen und dass psychologisch und kommunikationsthe‐ oretisch schwer zu klären ist, wie die unterschiedlichen Per‐ spektiven im selben kognitiven System der Lerner verarbeitet und verwaltet werden können. Das Modell der Skeptischen Hermeneutik (Hunfeld 2004) und der Transdifferenz-Ansatz (Allolio-Näcke/ Kalscheuer/ Manzeschke 2005, Hildebrandt 2005, Lösch 2005, Breinig/ Lösch 2006, Borgard 2019) gehören zu den für die Kulturvermittlung wichtigen Versuchen, Fremdheit nicht auflösen zu wollen, sondern das daraus entstehende Problem der kognitiven Dissonanz durch eine Betonung und Akzeptanz von Fremdheit zu lösen. Verschiedene, sich mehr oder weniger stark verändernde Positionen können somit ohne den Zwang zur Auf‐ lösung nebeneinander stehen. Das Konzept der Transdifferenz ist aus einer intensiven Aus‐ einandersetzung mit der Problematik der statischen Kulturver‐ gleiche in trans- und interkulturellen Kommunikationsmodellen entstanden. Insbesondere die Begrenzungen und Widersprüche binärer Ansätze vom Verstehen des Eigenen und des Fremden sollen damit überwunden werden. Die Normalität des Frem‐ den soll als Katalysator für das Lernen wirken. Nach der Kritik an der Fokussierung auf das ‚Verstehen‘ rückten auch ‚Nichtver‐ stehen‘ und ‚Missverstehen‘ ins Blickfeld. So wurde es möglich, „die Aufmerksamkeit auf die Differenzen zu legen, womit wie‐ derum eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu einer ‚produktiven Transdifferenz‘ gegeben war“ (Allolio-Näcke/ Kalscheuer 2005: 21). Dem Transdifferenzansatz geht es also wie der Skeptischen Hermeneutik oder dem Modell des ethischen Universalismus darum, Differenzen, die durch den Kontakt verschiedener Per‐ spektiven entstehen, anders zu denken, sie nicht auflösen zu müssen. „In einem allgemeinen Sinn - und im Anschluss an die Be‐ deutung ‚quer hindurch‘ der Vorsilbe ‚trans‘ - bezeichnet Trans‐ differenz all das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung 7.2 Interkulturelle Vermittlung 369 <?page no="370"?> interkulturelle Kompetenz in die Polarität binärer Differenzen sperrt, weil es gleichsam quer durch die Grenzlinien hindurch geht und die ursprüngliche ein‐ geschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen“ (Lösch 2005: 27). Differenzen werden als vorübergehende Erscheinungen ver‐ standen, die instabil werden. Sie haben eine orientierungsstif‐ tende Funktion, sollen in dieser Funktion erhalten bleiben und durch eine Komponente Transdifferenz ergänzt werden. Das folgende Beispiel aus dem interkulturellen Lehrwerk Für- und Widersprüche zeigt, wie mit einer geradezu spielerischen Sensibilisierung mit Hilfe einer einfachen entdeckenden Zuord‐ nungsaufgabe (Abbildung 7.4), der Prozess des interkulturellen Verstehens in einem Teilbereich initiiert werden kann, ohne dass daraus die eine richtige Interpretation (zum Beispiel in Form ei‐ ner grammatischen Korrektur) entstehen müsste. Interkulturelle Kompetenz bedeutet, in der Lage zu sein, die Kommunikation adäquat, mit verschiedenen Varietäten und kreativ zu gestalten und kulturadäquat zu vermitteln. Dazu sind umfangreiche kulturelle Kenntnisse und interkulturelle Fertig‐ keiten nötig, die im Fremdsprachenunterricht schrittweise, aber nur partiell vermittelt werden können. In dem folgenden Beispiel (Abbildung 7.5) aus Für- und Widersprüche dient eine Vorlage aus der Rotfuchsserie (Küttner/ Heygen 1987, Roche/ Webber 1995) als Muster für die Behördenkommunikation und als didaktisches Mittel zur Einübung kreativer Kommunikationsverfahren. 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 370 <?page no="371"?> Beispiel Abb. 7.4: Interkulturelle Sensibilisierung durch die Gegenüberstellung unterschiedlicher linguakultureller Kommunikationskonzepte im in‐ terkulturellen Lehrwerk Für- und Widersprüche (1995: 175) 7.2 Interkulturelle Vermittlung 371 <?page no="372"?> Beispiel Abb. 7.5: Vermittlung kreativer kritischer Kompetenzen für die inter‐ kulturelle Kommunikation an einem Beispiel aus dem interkulturellen Lehrwerk Für- und Widersprüche (1995: 76) 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 372 <?page no="373"?> Wahrnehmungs‐ gewohnheiten 7.3 Bildkulturen In Unterrichtsmaterialien werden Bilder, Grafiken, Karikaturen und andere Arten der Visualisierung meist zu illustrativen Zwe‐ cken eingesetzt, die kommunikative Situationen in der Zielkultur abbilden sollen. Autorinnen und Lehrwerksproduzenten gehen in der Regel von der Annahme aus, dass Bilder an sich eine ver‐ ständliche Sprache sprechen, so wie die Musik, und dass es ge‐ nügt, Zeichnungen oder Fotos von den Gegenständen der frem‐ den Kultur abzubilden, um deren Bedeutung an Fremde zu vermitteln. Die Wahrnehmung ändert sich jedoch von Betrachter zu Betrachter und ist kulturspezifisch geprägt. Selbst einfache Darstellungen von Objekten repräsentieren eine kulturspezifi‐ sche Perspektive, deren Prinzipien für Lerner besonders dann schwer zu erschließen sind, wenn die Symbole in den Sprachen auf unterschiedliche Referenten verweisen. Hierzu ein Beispiel: In westlichen Kulturen betreten die positiv dargestellten Figuren (Protagonisten) in Malereien, Cartoons, Comics und Filmen eine Szene in der Regel von links nach rechts, analog zur Leserich‐ tung. Die Antagonisten betreten eine Szene dagegen von rechts nach links, also mit Widerstand entgegen der Leserichtung. In asiatischen Cartoons erfolgt die Darstellung trotz gleicher Le‐ serichtungen dagegen oft genau umgekehrt. Fehlinterpretatio‐ nen sind also vorprogrammiert. Darstellungen in Lehrmaterialien nehmen auf die kulturspezi‐ fischen Wahrnehmungsgewohnheiten bisher kaum Rücksicht und bemühen sich auch nicht, zwischen unterschiedlichen Semiotiken zu vermitteln. Daher wird auch der Tabucharakter von visuellen Darstellungen in der Sprach- und Kulturvermittlung unter‐ schätzt. Als kulturelle Symbole eröffnen Bilder wichtige Einblicke in die Denkweisen anderer Menschen und Kulturen. Wer den Zeichencode nicht kennt, kann ähnliche Probleme erleben, wie sie in der sprachlichen Kommunikation auftreten können. Für einen modernen Fremdsprachenunterricht, der das Inter‐ net und andere stark bildbasierte Medien systematisch nutzt, er‐ geben sich aus den genannten Wahrnehmungsdifferenzen wich‐ tige Folgen: da das Internet grundsätzlich über Grenzen hinweg operiert, müsste dort besonders auf die interkulturelle Vermittel‐ 7.3 Bildkulturen 373 <?page no="374"?> barkeit visueller Nachrichten geachtet werden. Das gilt auch für die zunehmend international verfügbaren virtuellen Lehrange‐ bote (etwa MOOCs), die verbreitet mit bildlichen Symbolen und bildlichen Darstellungen arbeiten. Missverstehen ist ansonsten gerade in einem Bereich vorprogrammiert, der besonders für grenzüberschreitende Kommunikation hilfreich sein soll. 7.4 Kulturvermittlung und „Landeskunde“ In der interkulturellen Sprachdidaktik spielt die Diskussion von Inhalten und Wissensvermittlung eine wichtige Rolle: zum ei‐ nen, weil sie ausdrücklich an die Sprachvermittlung gebunden ist, zum anderen, weil der gesamte kognitive Apparat stärker von kulturspezifischen Aspekten bestimmt ist, als lange angenom‐ men wurde. Damit wird die Bedeutung einer interkulturellen Vermittlung unterstrichen, das klassische Feld der trans- oder interkulturellen „Landeskunde“. Mit ihr wird versucht, ein in‐ terkulturell und interdisziplinär erweitertes Verständnis von Kultur zu entwickeln und in den − nicht auf sprachtechnische Aspekte begrenzten − Sprachunterricht zu integrieren. Diese Landeskunde berücksichtigt insbesondere die Ausgangsbedin‐ gungen und Interessen der Lerner, aber auch die Lerntraditionen und Methoden ihrer Lernkulturen. Sie ist also nicht nur auf die Zielkultur gerichtet, wie das bei der traditionellen Landeskunde der Fall war, sondern nimmt sich ausdrücklich der Vermittlung zwischen Ausgangs- und Zielkulturen an. Das war nicht immer so. Picht (1989: 54−55) nennt dazu drei Typen der Landeskunde (Schwerpunkt aus französischer Sicht): ▸ Die Realienkunde: „Gegebenheiten der fremden Kultur ▸ [werden] zu bloßen Realien herabgewürdigt, zu szientisti‐ scher Radikalität verschärft“ (Picht 1989: 54). ▸ Die Civilisation allemande, Frankreichkundebewegung, ▸ als Gegenbewegung zur traditionellen Philologie und cha‐ rakterisiert durch ein Streben nach mehr Wissenschaft‐ lichkeit (Landeswissenschaft). 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 374 <?page no="375"?> Ionesco, Die kahle Sängerin ▸ Die Landeskunde, die sich von der Anglistik ausgehend ▸ zu neuen Ansätzen eines mehr inhaltsbezogenen, auf die Realität internationaler Beziehungen zielenden Fremd‐ sprachenunterrichts entwickelt. Hierzu gehören Formen gesellschaftlich relevanter Kommunikation, die Intensivie‐ rung kulturspezifischer gesellschaftlicher Bezüge und die Einbindung soziokultureller Elemente in den Fremdspra‐ chenunterricht. Zur Illustration der auf Realien orientierten Landeskunde ein Beispiel aus der Zeit des Behaviorismus, das den Zustand der englischen Landeskunde in den 1950er Jahren darstellt, aller‐ dings literarisch aufgearbeitet und ins Absurde getrieben (Ur‐ aufführung am 11. Mai 1950 im Théâtre des Noctambules, Paris). Beispiel: Absurdes Theater „Ein gutbürgerliches englisches Interieur mit englischen Fauteuils. Eine englische Abendunterhaltung. Mr. Smith, ein Engländer, mit seinen englischen Pantoffeln, sitzt in sei‐ nem englischen Fauteuil, raucht eine englische Pfeife und liest eine englische Zeitung an einem englischen Kamin‐ feuer. Er trägt eine englische Brille, einen kleinen grauen englischen Schnauz. Neben ihm, in einem zweiten engli‐ schen Fauteuil, Mrs. Smith, eine Engländerin, die englische Socken flickt. Ein langes englisches Schweigen. Die engli‐ sche Wanduhr schlägt siebzehn englische Schläge. Mrs. Smith: Sieh mal an, es ist neun Uhr. Wir haben Suppe, Fisch, Kartoffeln mit Speck und englischen Salat gegessen. Die Kinder haben englisches Wasser getrunken. Wir haben gut gegessen heute abend, weil wir in der Umgebung von London wohnen und weil unser Name Smith ist.“ So wie es der rumänische Autor Eugène Ionesco (1909−1993), der vorwiegend in der französischen Sprache geschrieben hat, hier in der Einleitung zu Die kahle Sängerin schreibt, kann man sich das Landeskundeverständnis zur Hoch-Zeit des Behaviorismus in den 50er und 60er Jahren vorstellen. Ionesco hat sein absurdes Theater dabei tatsächlich in Anlehnung an Erfahrungen aus dem Fremd‐ 7.4 Kulturvermittlung und „Landeskunde“ 375 <?page no="376"?> DACH-L sprachenunterricht geschrieben. Aber nicht nur in Zeiten der au‐ diolingualen und der audiovisuellen Methode war die Landes‐ kunde unterentwickelt. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: ▸ Landeskunde wird nicht als konstitutiver Teil der Sprach‐ ▸ vermittlung betrachtet und gilt als weniger relevant im Vergleich zu den Kernbereichen des Sprachenunterrichts und lässt sich nur schwer systematisch fassen. Daher wird ihr in der Regel weniger Zeit in Lehrplänen und im Unter‐ richt eingeräumt. ▸ Lehrmaterialien reflektieren häufig ein randständiges, ▸ simplifiziertes und unkritisches Bild von Landeskunde. ▸ In der Lehrerausbildung wird das Thema nur am Rande ▸ behandelt. Deshalb fehlt Lehrkräften häufig die Kompetenz oder Bereitschaft, landeskundliche Themen zu vermitteln. ▸ Die Erwartungen der Lerner orientieren sich verbreitet an ▸ den greifbaren Strukturen der Grammatik und des Wort‐ schatzes. ▸ Richtlinien wie der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen ▸ behandeln landeskundliche Kompetenzen nur am Rande. Eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich die neuere Kulturver‐ mittlung beschäftigt, ist die nach der Berücksichtigung regionaler Gruppierungen, die nicht zum Mutterland der fremden Kultur ge‐ hören. Dieser Plurizentrismus zeigt sich im Englischunterricht an der Berücksichtigung amerikanischer, kanadischer und austra‐ lischer Kulturen, aber noch sehr wenig an anderen Regionen, in denen Englisch auch als Verkehrssprache gilt, wie Indien, Nigeria und verschiedene weitere Schwellen- und Entwicklungsländer. Auch die Sprachenvielfalt in den anglophonen Ländern, die durch Migration bedingt ist, wird bisher wenig berücksichtigt. Im Französischen ist die Situation mit dem französischspra‐ chigen (frankophonen) Québec oder Belgien, der franzö‐ sisch-sprachigen Schweiz und vielen Ländern Afrikas ähnlich. Im Bereich Deutsch als Fremdsprache bemühen sich die Ver‐ lage sichtlich, alle deutschsprachigen Länder zu berücksichtigen. Mit diesem Thema beschäftigen sich ausdrücklich die so ge‐ nannten DACH(L)-Thesen, benannt nach den internationalen Abkürzungen der Länder. 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 376 <?page no="377"?> Internationali‐ sierung Sowohl in den früheren Ansätzen der Kulturkunde- und Lite‐ raturvermittlung als auch bei der Vermittlung der Alltagskultur in kommunikativen Ansätzen sind die Ausgangsinteressen und -perspektiven sowie die Rezeptionsbedingungen der Lerner meist wenig berücksichtigt worden. Daher haben sich seit den 70er Jahren mehrere Ansätze der entwickelt. Dazu gehören ▸ die Kulturstudien (Cultural Studies, German Studies, Eu‐ ▸ ropean Studies, in Bezug auf das Streben nach mehr Wis‐ senschaftlichkeit bereits in den Ausführungen zur Fran‐ kreichkunde bei Picht oben genannt) und andere, die sich auf die Vermittlung von gesellschaftlichen, historischen, wirtschaftlichen und politischen Themen des Ziellandes aus der (vermeintlichen) Perspektive des Ausgangslandes der Lerner konzentrieren (Webber 1990, Koreik 1995 und 2010, Stassen 2002); ▸ die integrative Landeskunde (seit den 80er Jahren), die ▸ interdisziplinäre Themen aufgreift und diese von Exper‐ tinnen der Ausgangs-und Zielkulturen gemeinsam für die Nutzung im Unterricht erarbeiten lässt (Mog/ Althaus 1992, Althaus 2009); ▸ die interkulturelle oder transkulturelle Landeskunde ▸ (ebenfalls seit den 80er Jahren), die den Schwerpunkt auf die Vermittlungsprozesse zwischen den Kulturen legt (Bauer 2010), und ▸ die Behandlung der Konstitution und Veränderbarkeit kul‐ ▸ tureller Wahrnehmungsmuster (Hepp/ Löffelholz 2002, Budke 2003, Bachmann-Medick 2006, Onuki/ Pekar 2006, Segermann 2006, Antor 2007, Hahn/ Mannová 2007, Engel‐ bert 2008, Altmayer 2010). Die genannten Ansätze, die sich mit dem zunehmenden wirt‐ schaftlichen und politischen Interesse an fremden Kulturen und der Internationalisierung in politischen, akademischen und wirt‐ schaftlichen Organisationen (zum Beispiel in Europa) entwickelt haben, verfolgen das gemeinsame Ziel, neue Formen der Kultur‐ forschung und -vermittlung zu entwickeln. Sie tun dies auf un‐ terschiedliche Art und Weise, gehen aber zumeist von einem of‐ 7.4 Kulturvermittlung und „Landeskunde“ 377 <?page no="378"?> fenen und dynamischen Verständnis von Kultur und davon aus, dass der Zugang individuell in Konstruktionsprozessen erfolgt. 7.4.1 Kulturstudien „Cultural Studies“ wie die German Studies und die European Stu‐ dies rücken wie die meisten Kulturstudien anderer Regionen die zeitgenössischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und po‐ litischen Aspekte der betreffenden Gesellschaften in ihrem ge‐ schichtlichen und internationalen Kontext in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Die drei wichtigsten Merkmale der Kulturstudien sind: ▸ Multidisziplinarität und Wissenschaftlichkeit, ▸▸ Ausrichtung auf die gesellschaftlichen Verhältnisse der ▸ Zielkultur, ▸ Aktualitätsbezug. ▸ Mit diesen Merkmalen setzen sich zum Beispiel die German Stu‐ dies ausdrücklich von der traditionellen, Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts aus Deutschland importierten Inlandsgermanistik besonders in den englischsprachigen Ländern ab. Diese Art der Nationalphilologie orientierte sich in Thematik, Methodik und Erkenntnisinteresse vor allem an einem tradierten literarischen Kanon, der in den deutschsprachigen/ europäischen Ländern als überholt gilt und im Ausland kaum noch nachgefragt wird. Die amerikanischen German Studies behandeln unter anderem Themen wie Raum und Identität im türkisch-deutschen Film, die politische Kultur der höfischen Gesellschaften, Rassismus, Fe‐ minismus, Verwissenschaftlichungsprozesse in der deutschen Gesellschaft, Deutschland in Europa und Föderalismus. Trotz des starken Bezugs auf Aktualität und Multidisziplinarität spielen in den USA auch historische Themen wie die Literatur des Barock oder der Zweite Weltkrieg und seine Folgen eine große Rolle. Auf interkulturelle Verstehensprozesse oder die Behandlung der Fremdsprache wird in der Praxis der German Studies dagegen wenig eingegangen. Ein weiteres Beispiel zur Illustration der Vielfalt der Kultur‐ studien: Die Canadian Studies behandeln Themen wie den kana‐ 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 378 <?page no="379"?> Interdisziplinari‐ tät Typisch deutsch? dischen Multikulturalismus, die Konsequenzen religiöser Viel‐ falt in einer Gesellschaft oder unterschiedliche kulturelle, historische und politische Konzeptionen von Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft. 7.4.2 Das Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde Einen in vieler Hinsicht ähnlichen Ansatz wie die Kulturstudien vertritt auch das Tübinger Modell einer integrativen Landes‐ kunde. Dieser Ansatz wurde Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre an der Universität Tübingen von einem interdiszi‐ plinären Forscherteam aus Deutschland und unter Beteiligung US-amerikanischer Expertinnen und Experten entwickelt und ist in einem Buch mit dem gleichen Titel gut dokumentiert. Ziel des Forschungsprojektes war es, durch Erarbeitung von Merkmalen grundlegender Konzepte der deutschen Kultur, wie deren Zeit- und Raumverständnis, ein Deutschlandbild zu vermitteln, das die Perspektiven von US-Amerikanern auf Deutschland, aber auch Autostereotype der Deutschen berücksichtigt. Ein weiteres Kernelement ist der Versuch, Landeskunde als interdisziplinäres Aufgabengebiet zu bearbeiten. Konstitutiv ist dabei eine inter- oder transkulturelle Verstehens- und Vermittlungsperspektive. Parallel dazu hat eine Gruppe deutscher und amerikanischer Lehrerinnen und Lehrer unter Berücksichtigung der theoreti‐ schen Erkenntnisse und weitreichender Unterrichtserfahrungen ein Lehrbuch für den interkulturellen Sprachunterricht für nord‐ amerikanische Deutschlerner entwickelt. Es wendet sich an Ler‐ ner der Mittelstufe (B1/ B2) und heißt Typisch deutsch? . Ein wesentlicher Unterschied des Tübinger Modells zu den dargestellten Kulturstudien liegt darin begründet, dass sich das Tübinger Modell als Ansatz der Sprach- und Kulturvermittlung versteht und damit die Sprache als kulturbedingtes und kultur‐ schaffendes Element betrachtet, das besonderer Aufmerksamkeit und Vermittlungsanstrengungen bedarf. In dieser Hinsicht ent‐ spricht es dem Konzept der Landeskundevermittlung der inter‐ kulturellen Sprachdidaktik. 7.4 Kulturvermittlung und „Landeskunde“ 379 <?page no="380"?> Beispiel Der folgende Text illustriert, wie eng Kultur- und Sprach‐ vermittlung in Typisch deutsch? aneinander gebunden sind: Abb. 7.6: Vergleichendes Arbeiten mit gegensätzlichen Begriffspaa‐ ren und ähnlich erscheinenden Begriffen verschiedener Sprachen am Beispiel von Typisch deutsch? Die Lerner werden von der Vorentlas‐ tung (Assoziationsübungen) zur intensiven Wortschatzarbeit mittels Wörterbüchern angeleitet. 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 380 <?page no="381"?> wechselseitige Prozesse 7.4.3 Interkulturelle/ transkulturelle Landeskunde Die interkulturelle Landeskunde ist ein tragendes und integrales Element der interkulturellen Sprachdidaktik. Ihr wichtigstes Prin‐ zip ist der wechselseitige Prozess der Kultur- und Sprachbetrach‐ tung von Ausgangs- und Zielkultur. Lerner einer Ausgangskultur K1 behandeln vor dem Hintergrund ihres kulturell geprägten Vor‐ wissens, einschließlich der Methoden und Stereotypen, Verhält‐ nisse in der Zielkultur K2. Das Vorwissen wird dabei gezielt zur Entwicklung von Fragen und zur Verfolgung von eigenen Er‐ kenntnisinteressen eingesetzt. Den Lernern soll es schließlich ge‐ lingen, beide Kultur- und Sprachsysteme zu verstehen und zwi‐ schen ihnen im Sinne eines dritten Ortes vermitteln zu können. Das lässt sich schematisch folgendermaßen darstellen. Abb. 7.7: Schema des Verstehensprozesses in interkultureller Kommu‐ nikation Dieser Prozess des zunehmenden Verständnisses kann im Fremd‐ sprachenunterricht durch folgende Maßnahmen in Gang gesetzt werden: ▸ Durch die Thematisierung kulturübergreifender Ereig‐ ▸ nisse, etwa die internationale Friedensbewegung, den Kli‐ mawandel und weitere Umweltthemen (zum Beispiel die Bewegung „Fridays for Future“), internationale Bildungs‐ studien, den internationalen Terrorismus oder die Auswir‐ kungen der Globalisierung. 7.4 Kulturvermittlung und „Landeskunde“ 381 <?page no="382"?> ▸ Durch die Behandlung kulturübergreifender Texte, wie ▸ sie in grundlegenden Schriftstücken ihren Ausdruck fin‐ den, etwa in Gesetzestexten oder religiösen Dokumenten. ▸ Durch die Konfrontation mit (mehr oder weniger) ge‐ ▸ gensätzlichen Strukturen in den Sprachen und Kulturen. In der konfrontativen Semantik (Müller-Jacquier 1981) und verschiedenen Arbeiten zur interkulturellen Sprachdidak‐ tik wurden diese Ansätze einer kontrastiven Interkultura‐ lität bereits ausführlicher beschrieben (vergleiche die Lehr‐ werke Typisch deutsch? , Sichtwechsel und Für- und Widersprüche) und in jüngerer Zeit im Rahmen der Kognitiven Sprachdidaktik weiterentwickelt (Transferdifferenz). 7.4.4 Wahrnehmungsmuster und Erinnerungskulturen Einen neuartigen Ansatz der Kulturvermittlung stellt das Konzept der Erinnerungsorte dar, das von Pierre Nora unter Berufung auf Theoretiker des kollektiven Gedächtnisses wie Maurice Halb‐ wachs und andere entwickelt wurde. Nicht Fakten und Zahlen al‐ lein sind für das Verständnis von Geschichte wichtig, sondern die kontinuierliche Konstruktion und Rekonstruktion von Personen, Orten, Ereignissen, die als Teil des kollektiven Gedächtnisses einer Nation hervorgehen und als Bezugsrahmen für die nationale Iden‐ tität angesehen werden. Der Wandel der Zeiten und der beteiligten Ethnien bringt es jedoch mit sich, dass sich nicht nur bestimmte gesellschaftliche Wahrnehmungsmuster − oder sogar wenig wan‐ delbare Deutungsmuster − ausprägen, sondern dass sich auf Grund gesellschaftlicher Dynamiken intra- und interkulturell divergente, wandelnde und oft konfliktreiche Betrachtungsalternativen for‐ men, die trotz ihres augenscheinlichen Wahrheitsgehaltes einem gemeinsamen Verstehens- und Verständigungsprozess im Wege stehen. In der Gegenüberstellung verschiedener Perspektiven wer‐ den Erinnerungsorte und Erinnerungskulturen zu einem genui‐ nen Arbeitsbereich Sprache und Kultur vermittelnder Fächer. Eine ausführliche Behandlung der Thematik Erinnerungsorte mit Ver‐ weisen auf die Arbeiten von Assmann/ Assmann, Halbwachs, Nora, Nüning/ Nüning und Robbe sowie Modellen für die Sprach- und Kulturvermittlung findet sich in Reimann 2019, Roche/ Röhling 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 382 <?page no="383"?> Konstruktions‐ charakter 2014 (siehe auch Bhabha 1994, Webber/ Brown 2001, Dufour/ Roy 2007). Als Gegenstand der Landeskunde eignen sich Erinnerungs‐ orte aus folgenden Gründen: Erinnerungsorte in der Landeskunde ▸ Als kollektive Konstruktionen und individuelle Rekon‐ ▸ struktionen bieten Erinnerungsorte einen fruchtbaren Ansatz, um für den Konstruktionscharakter von Kul‐ turen zu sensibilisieren und die perspektivische Aus‐ einandersetzung damit anzuregen. Ziel ist aber nicht die Auflösung von Fremdheit oder die Übernahme ei‐ ner fremden Perspektive im Prozess der Auseinander‐ setzung. Gesellschaftlich kodifizierte Konstruktionen von Erinnerungsorten, die im kommunikativen Ge‐ dächtnis tradiert und bestätigt werden, enthalten nicht selten Aspekte, die in den Erinnerungskulturen der Zielgesellschaften (zu denen der Lerner einen Zugang bekommen will) konfliktreiche, adversative und pola‐ risierende Perspektiven evozieren. Die Auflösung die‐ ser Konflikte ist im unterrichtlichen Rahmen kaum, oder höchstens exemplarisch möglich (vergleiche hierzu die Parallelen im Konzept der Transdifferenz). ▸ Erinnerungsorte erlauben, den kollektiven und indivi‐ ▸ duellen Konstruktions- und Rekonstruktionscharakter von Kulturen zugänglich und reflektierbar zu machen. Hierüber können grundlegende Aspekte kulturdiffe‐ renter Perspektivierungen und des Umgangs damit er‐ probt werden. ▸ Erinnerungsorte eignen sich vor allem deshalb, weil sie ▸ konkret oder als Symbole konkretisierbar, also auch für Lerner nachvollziehbar und greifbar sind. ▸ Erinnerungsorte halten eine kristallisierende Schlüs‐ ▸ selstellung in Gesellschaften. ▸ Erinnerungsorte fordern keine zwingende Perspekti‐ ▸ venübernahme des anderen oder eine Harmonisierung, sondern sind als symbolische Konstruktionen durch‐ schaubar. 7.4 Kulturvermittlung und „Landeskunde“ 383 <?page no="384"?> 7.5 Übungsaufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Arbeitsbereiche umfasst die interkulturelle Sprach‐ 1. didaktik? 2. Was besagt das Eisbergschema der Kultur und Kommu‐ 2. nikation? 3. Welche Ansätze der Kulturvermittlung/ Landeskunde gibt 3. es und was zeichnet sie aus? Was ist das Besondere an den neueren Ansätzen, was am Konzept der Transdifferenz? 4. Wie ermittelt die interkulturelle Landeskunde ihre The‐ 4. men? 5. Was kann man gegen den Einwand der mangelnden Zeit 5. für Landeskunde vorbringen? 6. Wie können Erinnerungsorte im Fremdsprachenunterricht 6. behandelt werden und welcher didaktische Nutzen ergibt sich daraus? 7. Betrachten Sie abschließend im Lichte Ihrer neuen Er‐ 7. kenntnisse nochmal Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Lernen fremder Sprachen und dem Landeskundeunter‐ richt. Was würden Sie heute anders machen, was hat sich bewährt? Verwenden Sie auch Ihre Notizen von Frage 2 in Kapitel 1. 7.6 Weiterführende Literatur Allolio-Näcke, Lars/ Kalscheuer, Britta/ Manzeschke, Arne (Hg.) (2005). Differenzen anders denken. Bausteine zu einer Kulturtheorie der Trans‐ differenz. Frankfurt/ M., New York: Campus. Althaus, Hans-Joachim (2009). Was müsste man nicht alles wissen! Landeskunde als Teildisziplin im Studium Deutsch als Fremdsprache. In: Joachimsthaler, Jürgen (Hg.). Theorie ohne Praxis - Praxis ohne Theorie? 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Bologna: Il mulino. 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 390 <?page no="391"?> Jäger, Andreas/ Mörl, Karma (2006). Appunto 1. Unterrichtswerk für Ita‐ lienisch. Bamberg: Buchner. Kaluza, Manfred (2010). „…, dass es Menschen gibt, … die nach wie vor Rechte von Juden in Dtl. einfordern, …“. Annäherungen an die deut‐ sche Erinnerungskultur in Lernertexten. Zeitschrift für Interkulturel‐ len Fremdsprachenunterricht [Online] 15 (2), 25-42. Nora, Pierre (1984). Les lieux de mémoire. La République. Paris: Galli‐ mard. Nora, Pierre (1986). Les lieux de mémoire. La Nation - Héritage, histo‐ riographie, paysages. Paris: Gallimard. Nora, Pierre (1992). Les lieux de mémoire. Les France. Paris: Gallimard. Sabrow, Martin (2009). Erinnerungsorte der DDR. München: C.H. Beck. Schmenk, Barbara/ Hamann, Jessica (2007). From History to Memory. New Perspektives on the Teaching of Culture in German Language Programs. In: Lorey, Christoph/ Plews, John L./ Rieger, Caroline L. (Hg.). Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Tü‐ bingen: Narr, 373-394. Schmidt, Sabine/ Schmidt, Karin (2007). Erinnerungsorte. Deutsche Ge‐ schichte im DaF-Unterricht. Materialien und Kopiervorlagen. Berlin: Cornelsen. Beispiele für interkulturell ausgerichtete Lehrwerke und Sammlungen für Deutsch als Fremdsprache Bachmann, Saskia (1995). Sichtwechsel neu. Text- [und] Arbeitsbuch. München: Klett. Behal-Thomsen, Heinke/ Lundquist-Mog, Angelika/ Mog, Paul (1993). Typisch deutsch? Arbeitsbuch zu Aspekten deutscher Mentalität. Ber‐ lin: Langenscheidt. Buchetmann, Franz/ Gruber, Siglinde/ Jenkins, EvaMaria/ Kabisch, An‐ dreas/ Mebus, Gundula/ Pauldrach, Andreas/ Rall, Marlene/ Rösler, Dietmar (1996). Sprachbrücke. Lehrwerk für Deutsch als Fremdspra‐ che. München: Klett. Hog, Martin/ Müller, Bernd-Dietrich/ Wessling, Gerd (1991). Sichtwech‐ sel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung; ein Deutschkurs für Fortge‐ schrittene. Stuttgart, München: Klett. Krusche, Dietrich (1987). Aufschluss. Kurze deutsche Prosa im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Bonn: Inter Nationes. 7.6 Weiterführende Literatur 391 <?page no="392"?> Krusche, Dietrich (1990). Mit der Zeit. Gedichte in ihren Epochen; ausge‐ wählt für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Bonn: Inter Na‐ tiones. Krusche, Dietrich/ Krechel, Rüdiger (1984). Anspiel. Konkrete Poesie im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Bonn: Inter Nationes. Lundquist-Mog, Angelika (1996). Spielarten. Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde. Berlin und München, Warsaw: Langenscheidt; Wy‐ dawnictwo REA. Perlmann-Balme, Michaela/ Schwalb, Susanne/ Weers, Dörte/ Orth-Chambah, Jutta (2008). Em neu. Deutsch als Fremdsprache. Is‐ maning: Hueber. Roche, Jörg/ Webber, Mark (1995). Für- und Widersprüche. New Haven, London: Yale University Press. 7 Interkulturelle Sprachdidaktik 392 <?page no="393"?> 8 Parameter zukünftiger Fremdsprachendidaktik Die Fremdsprachendidaktik und ihre Folgen für den modernen Fremdsprachenunterricht Die Sprachdidaktik ist mit einer Reihe von Aufgaben konfron‐ tiert, bei deren Lösung sie oft einen Balanceakt zwischen den Erwartungen der Lerner und Lehrkräfte, den Anforderungen moderner Curricula und Qualitätsstandards, den Möglichkeiten moderner Medien, der Umsetzbarkeit von Forschungsergebnis‐ sen und einem Sinn für die Pragmatik des Lernens und Lehrens vollbringen muss. Diese Aufgaben können nicht allein durch un‐ terrichtsmethodische Anwendungen, durch methodische Glau‐ bensbekenntnisse oder durch Methodenaktionismus gelöst wer‐ den. Vor allem bedarf es einer systematischen Nutzung von Forschungsergebnissen aus der Linguistik, der Lernpsychologie und der Spracherwerbsforschung und der Orientierung auf Mehrwerte in der Medien- und Methodendiskussion. Zudem sollten Lehrkräfte mutiger das von ihnen erworbene Experten‐ wissen nutzen, systematisieren und in die Fachdiskussion ein‐ bringen. Dazu bedarf es jedoch einer entsprechenden Sensibili‐ sierung, Ausbildung, Einbindung und Betreuung. Eine theoretisch verankerte, aber praxisorientierte und pra‐ xistaugliche Fremdsprachendidaktik sollte nicht primär darauf ausgerichtet sein, neuen und fremden Stoff (die fremde Sprache) als Widerstand zu behandeln, sondern vielmehr zu verstehen, wie die natürlichen Prozesse des Lernens zu optimieren sind. Dafür müssten folgende Aspekte eines erfolgreichen Lernens und Lehrens von Sprachen berücksichtigt werden: ▸ Kommunikative, kulturelle und interkulturelle ▸ Kompetenzen. Wenn das Hauptziel des Fremdsprachen‐ unterrichts ist, kommunikative, kulturelle und kul‐ tur(ver)mittelnde Kompetenzen zu vermitteln, dann sind linguistische oder landeskundliche Systemmerkmale Hilfs‐ mittel, nicht Ziel des Unterrichts. Lerner müssen dabei eine <?page no="394"?> Möglichkeit sehen, sich als lernende Individuen mit ihren eigenen Interessen, Wahrnehmungen und Vorkenntnissen einzubringen. Es gilt, die Dynamiken von Kulturen, die Normalität des Fremden als Katalysator und die Beeinflus‐ sungsprozesse differenter Perspektiven zu vermitteln. ▸ Sprache als Handlung. Sprache existiert primär in sozia‐ ▸ len Handlungszusammenhängen. Die situativen, kulturel‐ len und pragmatischen Bezüge der Kommunikation müs‐ sen berücksichtigt werden, wenn das im Unterricht Gelernte auch „im richtigen Leben“ angewendet werden soll. Sprachliche Handlungen sind in der Regel dialogische. Das heißt, man kann aus den Reaktionen der Gesprächs‐ partner lernen. ▸ Sprachliche Variation. Sprache existiert in vielen regio‐ ▸ nalen, funktionalen und sozialen Varianten. Ihre Normen, Entstehung, Funktionen und Prinzipien sollten Teil der Sprachvermittlung sein. Dafür bedarf es eines varianten‐ reichen authentischen Lernmaterials und aufgaben- und handlungsorientierter Zugänge dazu. Auch plurizentrische Ansätze wie die DACHL-Initiative müssten daher Berück‐ sichtigung finden und wesentlich erweitert werden. ▸ Sprachliche Einfachheit. Sprachliche Einfachheit, das ▸ zeigen zum Beispiel SMS, Graffiti, Werbetexte, lyrische Texte und die Vereinfachungsstrategien des Ansatzes „Ver‐ ständliche Sprache“ muss nicht zwangsläufig in kognitiver Unterforderung münden. Sie sollte gezielt zur Erleichte‐ rung des Zugangs zur fremden Linguakultur genutzt und als Element natürlicher sprachlicher Vielfalt geschätzt werden. ▸ Handlungs- und Aufgabenorientierung. Handlungs- ▸ und Aufgabenorientierung haben sich als effiziente trei‐ bende Kräfte des Sprachenerwerbs erwiesen. Die Inhalts‐ orientierung ist eine notwendige Bedingung, ohne die Sprachenlernen nur schwer stattfinden kann. Aber erst in der Einbindung in vollständige sprachliche Handlungen und mit dem Ziel der Lösung von relevanten Aufgaben entfaltet sie ihre motivierenden Kräfte. 8 Parameter zukünftiger Fremdsprachendidaktik 394 <?page no="395"?> ▸ Kognition. Die Entwicklung von Lehr- und Lernmaterial ▸ und der Unterricht müssen sich stärker an den kognitiven Bedingungen der Lerner ausrichten, wenn es wirklich um die effiziente und nachhaltige Vermittlung brauchbarer kommunikativer und transkultureller Kompetenzen geht. Es geht im Unterricht nicht primär um die akkurate Be‐ schreibung von sprachlichen Systemen, sondern darum, diese mit dem zu vermitteln, was in den Köpfen der Lerner passiert und was erwerbslinguistisch möglich ist. Ge‐ braucht wird daher eine Kognitive Didaktik auf Basis er‐ werbs- und kognitionslinguistischer Erkenntnisse, die die Funktionsprinzipien und Strukturen von Sprachen und Kommunikationssystemen verständlich macht, erwerbs‐ gerecht vermittelt, sukzessive erweitert und mittels rele‐ vanter Kontexte und Aufgaben nachhaltig sichern hilft. ▸ Spracherwerbsprinzipien. Der Erwerb von Sprachen er‐ ▸ folgt im Rahmen allgemeiner Erwerbsprinzipien, die sich nicht durch Methoden außer Kraft setzen oder überschrei‐ ben lassen. Der Sprachunterricht ist gut beraten, diese Prinzipien zu nutzen und nicht gegen sie zu arbeiten. ▸ Individualität. Im Rahmen erwerbslinguistischer Prinzi‐ ▸ pien und kognitiver Dispositionen spielen individuelle Faktoren wie Interessen, Vorwissen, Reflexionsfähigkeit und Stärken der Lerner sowie Umfeldbedingungen aus Förderung und Anforderung eine wichtige Rolle. Zwei Ler‐ ner mit den gleichen Ausgangs- und Umfeldbedingungen können dennoch unterschiedliche Ergebnisse und unter‐ schiedliche Lerner können gleich gute Ergebnisse erzielen. Unterricht muss auf diese individuellen Zugänge zur Fremdsprache und Fremdkultur in vielfältiger Weise Rück‐ sicht nehmen können, unter anderem mittels interessanter Themen und relevanter Aufgaben, Binnendifferenzierung und Betreuung. ▸ Sprachenerwerb als Chance. Der Fremdsprachenerwerb ▸ sollte nicht als Problem gesehen, sondern im Zusammen‐ spiel mit vorerworbenen Sprachen und als natürliche Er‐ weiterung der „inneren“ Mehrsprachigkeit des Menschen behandelt werden. Eine Konzentration auf die Markierung 8 Parameter zukünftiger Fremdsprachendidaktik 395 <?page no="396"?> und Behebung von Fehlern ist weniger wichtig als eine Fo‐ kussierung auf authentische Kommunikationsprozesse. ▸ Inhaltsorientierung. Die Trennung von Fach- und ▸ Sprachvermittlung ist nicht mehr zeitgemäß. Sprachver‐ mittlung ist eine grundlegende Komponente − und ein Er‐ folgsindikator − in jeder Fach-, Berufs- und Wissenschafts‐ ausbildung. Sprachsensibler Fachunterricht und fachsensibler Sprachunterricht, wie sie unter anderem im Querschnittsprinzip Berufssprache Deutsch an Berufs‐ schulen umgesetzt werden, stellen daher bewährte Modelle moderner Sprach- und Fachvermittlung dar. ▸ Diagnosekompetenzen. Eine richtige Diagnose ist Be‐ ▸ dingung für einen erfolgreichen Unterricht und die indivi‐ duelle, optimale Förderung der Lerner. Eine Fehldiagnose kann für die individuellen Lerner verheerende Folgen ha‐ ben, etwa die Verweigerung des Zugangs zu oder den Ab‐ gang von einer weiterführenden Schule. Gerade in Migra‐ tionskontexten bedarf es der Vermittlung ausgeprägter Diagnosekompetenzen für die Kompetenzdiagnose. Hierzu ist eine profunde Kenntnis der Erwerbsprinzipien und die Begründung einer neuen Fehlerkultur nötig. ▸ Medienmehrwert. Medien sollten unter dem Gesichts‐ ▸ punkt der Mehrwerterzielung Einsatz finden, nicht aus Gründen der Mode oder des reinen Aktionismus. Digitale und andere Medien sind im Alltag selbstverständlich. Diese Selbstverständlichkeit kann mit Gewinn auch im Unter‐ richt genutzt werden. ▸ Pragmatische Mehrsprachigkeitspolitik. Mehrspra‐ ▸ chigkeitsideale und -politik dürfen nicht abstrakt bleiben. Wenn jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger über Kom‐ petenzen in mindestens zwei Fremdsprachen (2 + Erstspra‐ che) verfügen soll, muss ihnen der reale Praxisbezug der Sprachen klar sein. Ein Sprachenkonzept zum Anfassen muss Familien- und Umgebungssprachen (L1n), interna‐ tionale Basissprachen (Eurolatein, Transfersprachen), in‐ ternationale Verkehrssprachen wie ein internationales und interkulturelles Englisch, Arbeitssprachen und Begeg‐ nungs- oder Nachbarsprachen berücksichtigen. Es muss 8 Parameter zukünftiger Fremdsprachendidaktik 396 <?page no="397"?> allerdings nicht das Ziel sein, alle Sprachen gleichermaßen oder in allen Kompetenzbereichen vollständig zu beherr‐ schen. Eine pragmatische Orientierung auf den Gebrauch der Sprachen im „richtigen Leben“ ist hier geboten (siehe auch Variation, Codewechsel, „translanguaging“). ▸ Qualifizierung . Die Ausbildung, Fort- und Weiterbildung ▸ von Lehrkräften ist nicht nur eine Frage der Unterrichts‐ methodik, sondern auch der Theorie. Sie muss die Lehr‐ kräfte befähigen, selbständig eigene Konzepte zu entwi‐ ckeln, anzupassen und zur Praxisforschung (action research) beizutragen. ▸ Qualitätsmanagement. Aus Bildungsstandards, Qualitäts‐ ▸ rahmen, Referenzrahmen, Didaktikrichtlinien und „best practice“-Erfahrungen ergeben sich überprüfbare Kriterien für die Qualitätsentwicklung und das Qualitätsmanage‐ ment. Diese können über Eigen- und Fremdevaluationsver‐ fahren dafür genutzt werden, Lernfortschritte und Pro‐ grammentwicklungen intern, das heißt von den Betroffenen selbst (partizipatorisch) gesteuert, zu überprüfen. 8 Parameter zukünftiger Fremdsprachendidaktik 397 <?page no="399"?> 9 Referenzmaterialien zu Forschung und Didaktik 9.1 Handbücher Burwitz-Mezler, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl-Ri‐ chard/ Krumm, Hans- Jürgen (Hg.) (2016). Handbuch Fremsprachen‐ unterricht. 6. überarb. Aufl. Tübingen: Francke. Buhlmann, Rosemarie/ Fearns, Anneliese (2018). Handbuch des fach- und berufsbezogenen Deutschunterrichts DaF, DaZ, CLIL. Berlin: Frank & Timme. Bußmann, Hadumod (2008). Lexikon der Sprachwissenschaft. 4. durch‐ ges. Aufl. Stuttgart: Kröner. Dietrich, Rainer/ Gerwien, Johannes (2017). Psycholinguistik. Ein Lehr‐ buch. 3. Aufl. Stuttgart: Metzler. Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik. www.lexikon-mla.de. Engelkamp, Johannes/ Zimmer, Hubert D. (2006). Lehrbuch der kogniti‐ ven Psychologie. Göttingen: Hogrefe. Eppert, Franz (2011). Grammatik-ABC für Deutsch als Fremdsprache auf Zertifikatsniveau und Niveaustufen A1, A2, B1, B2. Ein kleines Hand‐ buch für Lernende und Lehrende: einfach, klar, praktisch. 2. Aufl. Frankfurt/ M.: R.G. Fischer. Glück, Helmut (Hg.) (2016). Metzler Lexikon Sprache. 5. aktualisierte und bearb. Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hg.) (2010). Handbuch Fremdspra‐ chendidaktik. 2. Aufl. Seelze: Kallmeyer. Herschensohn, Julia/ Young-Scholten, Martha (2018). The Cambridge handbook of second language acquisition. New York, Cambridge, Mel‐ bourne [etc.]: Cambridge University Press. Horst, Jessica/ von Koss Torkildsen, Janne (2019). International Hand‐ book of Language Acquisition. London: Routledge. Issing, Ludwig J. (2011). Online Lernen. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. 2. Aufl. München: Oldenbourg. <?page no="400"?> Jung, Udo (Hg.) (2009). Praktische Handreichung für Fremdsprachenleh‐ rer. 5. überarb. Aufl. Frankfurt/ M.: Lang. Klann-Delius, Gisela (2016). Spracherwerb. Eine Einführung. 3. aktuali‐ sierte Aufl. Stuttgart: Metzler. Kuhn, Deanna/ Siegler, Robert (Hg.) (2006). Handbook of Child Psycho‐ logy. Cognition, perception, and language. 6. Aufl. New York: Wiley. Langacker, Roland W. (2008). Cognitive grammar. A basic introduction. Oxford, New York: Oxford University Press. Levelt, Willem J.M. (1993). Speaking. From Intention to Articulation. 3. print. Cambridge: MIT Press. Rehbein, Jochen/ Schmidt, Thomas/ Meyer, Bernd/ Watzke, Franziska/ Herkenrath, Annette (2004). Handbuch für das computergestützte Transkribieren nach HIA. Arbeiten zur Mehrsprachigkeit Folge B (Nr. 56). Universität Hamburg: Sonderforschungsbereich Mehrsprachig‐ keit. www.exmaralda.org/ hiat/ files/ azm_56.pdf. Rickheit, Gert/ Herrmann, Theo/ Deutsch, Werner (Hg.) (2003). Psycho‐ linguistik. Ein internationales Handbuch. Berlin: de Gruyter. Ritchie, William C./ Bhatia, Tej K. (2013). The new handbook of second language acquisition. Bingley: Emerald. Roche, Jörg (2016). Handbuch Mediendidaktik. Ismaning: Hueber. Roche, Jörg (Hrsg.) (2017-2019). Kompendium Deutsch als Fremdspra‐ che/ Deutsch als Zweitsprache. 10 Bde. Tübingen: Narr. 9 Referenzmaterialien zu Forschung und Didaktik 400 <?page no="401"?> 9.2 Fachzeitschriften Zeitschriften mit einem Bezug zu Sprachenlernen, Fremdsprachenerwerb und Fremdsprachenunterricht Applied Language Learning Bellaterra Journal of Teaching & Learning Language & Literature Brain and Language Cognition and Instruction Deutsch als Fremdsprache Electronic Journal of Foreign Language Teaching (e-FLT) Fremdsprache Deutsch Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) German as a Foreign Language (GFL) International Journal of Instructional Technology and Distance Lear‐ ning Journal of Language and Learning Journal of Language Teaching and Research ( JLTR) Journal of Memory and Language Language and Cognition Language and Cognitive Processes Language Learning Learning and Instruction Memory and Cognition Metacognition and Learning Mind & Language Modern Journal of Language Teaching Methods (MJLTM) Second Language Research Studies in Second Language Acquisition Teaching English as a Second or Foreign Language (TESL-EJ) Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht (ZIF) (Kos‐ tenlose Online-Zeitschrift mit ausführlichem Archiv: https: / / tujourn als.ulb.tu-darmstadt.de/ index.php/ zif). 9.2 Fachzeitschriften 401 <?page no="403"?> 10 Anhang 10.1 Abbildungs- und Quellenverzeichnis Abbildungen Abb. 1.1 Schematische Darstellung der Grammatik-Übersetzungsme‐ thode; eigene Abbildung. Abb. 1.2 German One. Chicago 1949: Houghton Mifflin, S. 9. Abb. 1.3 Grundschema behavioristischer Lernmodelle; eigene Abbil‐ dung. Abb. 1.4 nach: Issing, Ludwig J. (2002). Instruktionsdesign für Multi‐ media. In: Ders./ Klimsa, Paul (Hg.): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, S. 156. Abb. 1.5 in Anlehnung an Issing, Ludwig J. (2002). Instruktionsdesign für Multimedia. In: Ders./ Klimsa, Paul (Hg.): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, S. 156. Abb. 1.6 in Anlehnung an Issing, Ludwig J. (2002). Instruktionsdesign für Multimedia. In: Ders./ Klimsa, Paul (Hg.): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, S. 156. Abb. 1.7 Berliner sehen. A Hypermedia Learning Environment for the Study of German Culture and Language. Copyright MIT 2005. (Au‐ thors: Ellen W. Crocker, Kurt E. Fendt). Abb. 2.1 Todorova, Dessislava (2009). Einsatzmöglichkeiten der elek‐ tronischen Medien im interkulturellen DaF-Unterricht. Evaluation des Sprachlernprogramms www.uni-deutsch.de seitens bulgarischer und litauischer Studierender unter Berücksichtigung ihrer Lerndis‐ positionen. Berlin: LIT Verlag, S. 50. Abb. 2.2 Padlo, Barbara (2004). Geschlechtsspezifische Präferenzen und Differenzen im mediengestützten Wortschatzerwerb. Unveröffent‐ lichte Magisterarbeit. LMU München, S. 48. Abb. 2.3 Ebd., S. 55. Abb. 3.1 Übersicht über die wichtigsten Verarbeitungszentren des Ge‐ hirns; eigene Abbildung. <?page no="404"?> Abb. 3.2 Kandel, Eric R./ Schwartz, James H./ Jessell, Thom M. (Hg.) (1995). Neurowissenschaften. Eine Einführung. Heidelberg/ Berlin/ Oxford: Spektrum Akademischer Verlag, S. 23. Abb. 3.3 nach Evans, Vyvyan/ Green, Melanie (2006). Cognitive lingu‐ istics. An introduction. Edinburgh: Edinburgh University Press. Abb. 3.4 Das aktuelle Grammatikstudio. https: / / granima.de. Abb. 3.5 Ebd. Abb. 3.6 Roche, Jörg/ EL-Bouz, Katsiaryna (2018). Raum für Grammatik. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 23, 2, S. 86 -99. Abrufbar unter http: / / tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/ index.php / zif/ . Abb. 3.7 Abbildung des Speichermodells; eigene Abbildung. Abb. 3.8 Modell der Sprachverarbeitung; eigene Abbildung. Abb. 3.9 Visual Thesaurus. www.visualthesaurus.com. Abb. 3.10 nach Weinreich, Uriel (1953). Languages in contact. Findings and problems. New York: Mouton, S. 9f. Abb. 3.11 in Anlehnung an Pavlenko, Aneta (2009). Conceptual repre‐ sentation in the bilingual lexicon and second language vocabulary learning. In: Pavlenko, Aneta (Hg.). The Bilingual Mental Lexicon: Interdiciplinary Approaches. Clevedon, UK: Multilingual Maters, S. 15-160. Abb. 3.12 Visual Thesaurus. www.visualthesaurus.com. Abb. 3.13 Hueber Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (2003). Isma‐ ning: Hueber, S. 330. © 2003 Max Hueber Verlag. Abb. 3.14 Ebd., S. 79. © 2003 Max Hueber Verlag. Abb. 3.15 Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (2000). München: Langenscheidt, S. 4f. Abb. 3.16 Dudenredaktion (Hg.) (1997). Duden - Das Synonym-Wör‐ terbuch. Überarbeiteter Nachdruck der 2. Auflage. Mannheim; Leip‐ zig; Wien; Zürich: Dudenverlag, S. 13. Abb. 3.17 Das Online-Wörterbuch Linguee. www.linguee.de Abb. 3.18 Memo. München 1995: Langenscheidt, S. 130. Abb. 4.1 nach Givón, Talmy (1979). From Discourse to Syntax. Grammar as a Processing Strategy. In: Kimball, John P./ Givón, Talmy (Hg.). Syntax and Semantics. New York, San Francisco, London: Academic Press, Harcourt Brace Jovanovich, S. 98. Abb. 4.2 Tangram aktuell. Deutsch als Fremdsprache (2004). Ismaning: Hueber, S. 41. © 2004 Max Hueber Verlag. 10 Anhang 404 <?page no="405"?> Abb. 4.3 Modell regelhafter Erwerbssequenzen der Grundgrammatik; eigene Abbildung. Abb. 4.4 nach Pienemann, Manfred et al. (1988). Constructing an Ac‐ quisition-Based Procedure for Second Language Assessment. In: Stu‐ dies in Second Language Acquisition 10, 2, S. 222f. Abb. 4.5 Sprachstandsdiagnose-App für Kinder („Wuschel“) ( Jörg Ro‐ che) Abb. 4.6 nach Lewis, M. Paul/ Simons, Gary F. / Fennig, Charles D. (Hg.) (2013). Ethnologue: Languages of the World, Seventeenth edition. Dallas, Texas: SIL International. Online version: www.ethnologue.co m/ statistics. Abb. 4.7 Toukomaa, Perti/ Skutnabb-Kangas, Tove (1977). The Intensive Teaching of the Mother Tongue to Migrant Children of Pre-School Age and Children in the Lower Level of Comprehensive School. Hel‐ sinki: The Finnish National Commission for Unesco, S. 92. Abb. 4.8 Die Sprachverarbeitungskette; eigene Abbildung. Abb. 5.1 gezeichnet von Theo Scherling. Abb. 5.2 Göpferich, Susanne (1995). Textsorten in Naturwissenschaften und Technik: pragmatische Typologie - Kontrastierung - Transla‐ tion. Tübingen: Narr, S. 124. Abb. 5.3 DIN 2330: 1993-12. Wiedergegeben mit Erlaubnis des DIN Deutsches Institut für Normung e. V. Maßgebend für das Anwenden der DIN-Norm ist deren Fassung mit dem neuesten Ausgabedatum, die bei der Beuth Verlag GmbH, Burggrafenstraße 6, 10787 Berlin, erhältlich ist. Abb. 5.4 Claus, Uta/ Kutschera, Rolf: Bockstarke Klassiker, Frankfurt am Main, August 1985, S. 272. Abb. 5.5 Wiese, Heike (2012). Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht. München: Beck, S. 60, 64. Abb. 5.6 Schulz, Dora/ Griesbach, Heinz (1960). Grammatik der deut‐ schen Sprache. München: Hueber, S. 35. © 1960 Max Hueber Verlag. Abb. 5.7 Durrell, Martin (1998). Hammer’s German Grammar and Usage. London: Edward Arnold, S. 232. Abb. 5.8 Rall, Marlene/ Engel, Ulrich/ Rall, Dieter (1985). DVG für DaF: Dependenz-Verb-Grammatik für Deutsch als Fremdsprache. Heidel‐ berg: Julius Groos Verlag, S. 38. Abb. 5.9 Ebd., S. 40. 10.1 Abbildungs- und Quellenverzeichnis 405 <?page no="406"?> Abb. 5.10 Harald Weinrich (2007). Textgrammatik der deutschen Spra‐ che, zweite revidierte Auflage. Georg Olms Verlag, S. 91 Abb. 5.11 Tangram aktuell 2. Deutsch als Fremdsprache (2005). Isma‐ ning: Hueber, S. 21. © 2005 Max Hueber Verlag. Abb. 5.12 Neuner, Gerd et al. (1986). Deutsch aktiv Neu, Lehrbuch 1A. München: Langenscheidt, S. 115. Abb. 5.13 Deutsch-Uni Online. www.deutsch-uni.com. Animation von Julia Scheller und Team. Abb. 5.14 Deutsch-Uni Online. Romana Brunnauer (2002). Zwei Tote? . www.uni-deutsch.de. Bearbeitung von Marika Schwaiger. Abb. 5.15 Deutsch-Uni Online. Romana Brunnauer (2002). Zwei Tote? . www.uni-deutsch.de. Abb. 5.16 Evans, Vyvyan/ Green, Melanie C. (2006). Cognitive linguis‐ tics: An introduction. Edinburgh: Edinburgh University Press, S. 234. Abb. 5.17 Eigene Abbildung. Abb. 5.18 Veranschaulichung der verschiedenen Kraft-Dynamik-Ver‐ hältnisse; eigene Abbildung. Abb. 5.19 Bühler, Karl. Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 2. unveränderte Auflage. Stuttgart 1965, S. 28. Abb. 5.20 Visuelle Symbole in japanischen Schriftzeichen; eigene Ab‐ bildung. Abb. 5.21 Kombination visueller Symbole in japanischen Schriftzeichen; eigene Abbildung. Abb. 5.22 Fischer, Steven R. (1997). Rongorongo, the Easter Island Script. Oxford: Oxford University Press, S. 407. Abb. 5.23 Website Turmtheater St. Veit. www.turmtheater.ch. Abb. 5.24 Tomaszewski, Andreas/ Rug, Wolfgang (2005). Grammatik mit Sinn und Verstand. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen GmbH, S. 26. Abb. 5.25 Roche, Jörg/ Webber, Mark (2009). Minigrammatik Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart, S. 20. Abb. 6.1 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen. https: / / www.eur opaeischer-referenzrahmen.de/ . Abb. 6.2 Glaboniat, Manuela/ Müller, Martin/ Rusch, Paul/ Schmitz, He‐ len/ Wertenschlag, Lukas (2005). Profile Deutsch: Gemeinsamer eu‐ ropäischer Referenzrahmen. Lernzielbestimmung, Kannbestim‐ mung, kommunikative Mittel. Niveau A1-A2, B1-B2, C1-C2. Berlin: Langenscheidt, S. 113. 10 Anhang 406 <?page no="407"?> Abb. 6.3 Roche, Jörg (2013). Fit für den TestDaF. Tipps und Übungen. Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber, S. 134f. © Max Hueber Verlag. Abb. 6.4 Auszug aus: Lehrplan Deutsch als Zweitsprache: Grundschule. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2002). München: Verlag J. Maiß, S. 14. Abb. 6.5 Lerngebiet „Selbstständiges Handeln und Verantwortung über‐ nehmen“ aus dem Lehrplan für Berufsintegrations- und Sprachin‐ tensivklassen www.isb.bayern.de/ download/ 19734/ lp_berufsintegra tionsklassen_07_2017.pdf. Abb. 6.6 Dirschedl, Carlo (Hg.) (2012). Berufsdeutsch. Handlungssitua‐ tionen. Grundstufe Metall/ Fachstufe Metallbau. Berlin: Cornelsen, S. 56. Abbildungen der Dübel: © fischerwerke GmbH & Co. KG. Abb. 6.7-6.10 Deutsch-Uni Online. www.deutsch-uni.com. Abb. 6.11 Hessisches Kultusministerium (2011). Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Primarstufe. Deutsch. Wiesbaden: Hessisches Kultusministerium, 17 f. und 21 f. Abb. 6.12 Deutsch-Uni Online. www.deutsch-uni.com. Abb. 6.13 Grammar Fitness. www.meritsoftware.com/ software/ esl fit‐ ness/ . Abb. 6.14 Deutsch-Uni Online. www.deutsch-uni.com. Abb. 6.15 App „Unicampus“. www.goethe.de/ de/ spr/ mag/ 21103043.html. Abb. 6.16 App „NAVI-D“. https: / / www.lernen-lehren-helfen.daf.uni-mu enchen.de/ navid1/ index.html Abb. 6.17 App „Wir in Deutschland“. https: / / www.lernen-lehren-helfen .daf.uni-muenchen.de/ app_wir_in_deutschland/ index.html Abb. 6.18 Deutsch-Uni Online. www.deutsch-uni.com. Abb. 6.19 Interaktive Tafel aus der Lernplattform basix (2003): www.ba six-gmbh.com. Abb. 6.20 Deutsch-Uni Online. www.deutsch-uni.com. Abb. 6.21 nach Gagné, Robert (1973). Die Bedingungen des menschli‐ chen Lernens. Beiträge zu einer neuen Didaktik. Hannover: Schroe‐ del, S. 59. Abb. 6.22 DaZ Lernen aus dem Koffer. Sich orientieren. Herausgeber: Petra Hölscher, Hans-Eberhard Piepho. © Finken-Verlag GmbH, Oberursel. www.finken.de. Abb. 6.23 + 6.24 Deutsch-Ungarische Expertenkommissionen 2005 - 2007 - zur Qualität des modernen Schulleitungsmanagements - zur 10.1 Abbildungs- und Quellenverzeichnis 407 <?page no="408"?> Qualität des modernen Fremdsprachenunterrichts. Abschlussbericht (2007). Köln, S. 98-101. Abb. 7.1 Martina Koch (2001). SZ-Magazin vom 13.07.2001. Abb. 7.2 Eisbergschema; eigene Abbildung. Abb. 7.3 Morrison, Terri et al. (1994). Kiss, Bow or Shake Hands. How to do business in sixty countries. Holbrook: Adams Media Corpora‐ tion, S. 231f. Abb. 7.4 zitiert nach Roche, Jörg/ Webber, Mark (1995). Für- und Wider‐ sprüche. Yale: Yale University Press, S. 175. Original: Heygen, Heinz G.: The Most English for Runaways. Frankfurt am Main, April 1987, S. 76. Abb. 7.5 zitiert nach Roche, Jörg/ Webber, Mark (1995). Für- und Wider‐ sprüche. Yale: Yale University Press, S. 76. Original: Jan P. Schniebel: „Du besorgst dir eine Gebührenmarke …“. Copyright © 1984 by Ro‐ wohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg [Titel: Nor‐ bert Ney (Hg.): Sie haben mich zu einem Ausländer gemacht … ich bin einer geworden Ausländer schreiben vom Leben bei uns]. Abb. 7.6 Behal-Thomsen, Heinke et al. (1993). Typisch Deutsch? Berlin/ München: Langenscheidt, S. 45. Wörterbuchauszüge ,privat‘ aus: Gerhard Wahrig (1980). Deutsches Wörterbuch. München: Mosaik‐ verlag sowie: Dudenredaktion (Hg.): Duden - Das Herkunftswör‐ terbuch. 1. Auflage. Dudenverlag: Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich. Abb. 7.7 Schema des Verstehensprozesses in interkultureller Kommu‐ nikation; eigene Abbildung. Quellen Transkript 4.1 Sancak, Melek (2004). Techniken und Strategien in der Kommunikation zwischen deutschen Ärzten und türkischen Patien‐ ten. Unveröffentlichte Magisterarbeit, LMU München, S. 69/ 70. Transkript 4.2 Ebd., S. 74/ 75f. Transkript 4.3 Roche, Jörg. Transkript 5.1 Schlickau, Stephan (1995). Linguistische Feldforschung ‚vor Ort‘: Bergleute, ihre Sprache und ihre Kommunikation im Ruhr‐ gebiet und in Yorkshire. In: Ehlich, Konrad/ Elmer, Wilhelm/ Nolte‐ nius, Rainer (Hg.): Sprache und Literatur an der Ruhr. Essen: Klartext, S. 105f. 10 Anhang 408 <?page no="409"?> Gedicht S. 191. „Die unbesiegliche Inschrift“, aus: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 12: Gedichte 2. © Bertolt-Brecht-Erben/ Suhrkamp Verlag 1988. Textauszug S. 375. Ionesco, Eugène (1987). Die kahle Sängerin. Stuttgart: Reclam, S. 5. (Nicht in allen Fällen konnten die Rechteinhaber ermittelt wer‐ den. Rechtmäßige Ansprüche können beim Verlag geltend ge‐ macht werden). 10.1 Abbildungs- und Quellenverzeichnis 409 <?page no="410"?> Register Akkomodationsprozess 150 Akkulturationshypothese 146 Akt 251 Aktivierung 63-65, 77, 82, 88f., 96, 110f., 333, 342 Aktivierungsgrad 77 Aktivierungsmuster 64f. Aktivierungsroutine 65 Akzeptabilität 223f. Allgemeinsprache 6, 198f., 211 Alltagskultur 377 Alltagssprache 31, 159 Alter 46, 5, 46-48, 50f., 361 alternative Methoden 5, 87 Anfangsphase 109f., 205, 317 Animation 78, 80f., 112, 231, 373 Anpassung 76, 141, 155, 177, 179, 250 Anpassungsniveau 178 Anpassungsprozess 135, 150 Aphasie 82 Appellfunktion 250 arbiträr 194 Army Method 19 Artikulation 87, 254 Artikulator 86, 114 Assoziation 77 Assoziogramm 110, 113 audiolinguale Methode 18, 77, 329 audiovisuelle Methode 376 auditiv 18, 61, 66f. Aufmerksamkeit 14, 44, 48, 50, 5, 73f., 77, 80, 87, 106, 111, 305, 368, 379 Aufmerksamkeitsfokussierung 80 Aufnahme 61, 78, 96, 124, 293 Ausdrucksfunktion 250 Ausgangskultur 381 Äußerungsplan 85 Aussprache 20, 47, 87, 102f., 105, 115, 123, 143, 179, 198, 206, 208, 255, 278, 280, 304 authentische Daten 209 authentische Situation 25, 306, 335 Automatisierung 65, 87 Bedeutungserschließung 330 Bedeutungskonstruktion 5 Bedeutungsmuster 66, 69 Begriffsfeld 93 Behalten 21, 76, 78, 80, 97, 111f., 336 Behaltensförderung 80 Behaltenssteigerung 334 Behaviorismus 19, 69, 375 behavioristisch 18-22, 32, 87, 142, 326 Bergmannsprache 208 Bild 20, 22, 28, 51, 69, 72, 78-80, 99, 110, 112, 149, 190, 233, 236, 296f., 308, 315, 318, 321, 373, 376 -kulturen 8 statisches 81 -verarbeitung 6 bilingual 25, 6, 92, 95, 98, 144 <?page no="411"?> Bilingualismus koordinierter 92 verbundener 93 Blended Learning 308, 318 Bottom-up-Prozess 84 Broca-Zentrum 61 Bühnensprache 190, 198 CD-ROM 204, 325 Chat 107, 197, 288, 314, 317f., 320 Cluster 82, 254 Cognitive Theory of Multimedia Learning 78 Darstellungsfunktion 250 Delayed Oral Response 33 denotative Bedeutung 99 Design 78 Diagnose 115, 131, 6, 131, 211, 256, 281, 396 Diagnosekompetenzen 396 Dialekt 40, 141, 192, 196, 208 Didaktik 5, 264, 395, 8 kommunikative 31, 298 Mehrsprachigkeits- 109, 205 Sprach- 28f., 33, 35, 144, 236f., 330, 341, 368, 374, 379, 381f., 393 Szenarien- 25, 336 didaktisch 10, 14, 24, 145, 190, 225, 261, 263, 298, 301, 321, 326, 330, 343 Differenzierung 96, 139, 274, 333 strukturelle 334 thematische 334 Diglot-Weave Input Method 33 DIN-Norm 200, 202 Diskurs -muster 84, 365 -typ 342 Dolmetschen 329 Draw the Picture 33 dritter Ort 366, 381 duale Kodierung 78 Einführung 9f., 15, 29, 314, 333 Eingabe 34f., 144, 157, 180, 197 Eingangsinformation 66, 76 einsprachige Erklärung 98, 109 Einsprachigkeit 99, 165 Einstufung 317 Eisbergschema 364 Emotion 42, 50 Endphase 111 Energie 65, 114 Entwicklungsprozess 190, 207f., 368 Erfolg 18, 40, 42f., 87, 109 Erkennen 21, 66f., 293 Erproben 282 Erwerbsmodus 96, 131, 145 Erwerbssequenzen 147, 6, 152- 154, 159 Erwerbsstufen 126, 130, 144, 153, 156, 179f., 197, 330 EuroCom-Projekt 205 EuroComGerm 205 EuroComRom 205 Eurolatein 109, 396 Expansion 333 Fachsprache 99, 140, 192, 196, 198, 6, 199, 202, 204, 224, 280, 283 Faktoren 10, 34, 40-43, 45, 53, 124, 146, 152, 164, 179, 196f., 253, 317, 330, 361, 395 affektive 42 Fehlansatz 179 Register 411 <?page no="412"?> Fehler -analyse 115 -identifikation 115 -korrektur 14, 33, 6, 114f., 159, 281, 301 Flexion 86, 297 Fokus 132f., 177, 250 Förderung 150, 272, 294, 321, 342, 395f. Forderung 237 Formel 140, 153, 233, 262 Formulator 85 Forum 288, 314, 317f., 320, 322 Fossilisierung 41, 47, 124, 157 Funktionselement 91, 132f., 175 Gedächtnis 382f. Arbeits- 21, 76 deklaratives 22 episodisches 22 Kurzzeit- 76, 79 Langzeit- 21, 76f. propositionales 22 semantisches 22 -speicher 21 Ultrakurzzeit- 76 Gehirn 20f., 23, 49, 61, 64, 66, 70, 73, 82, 87, 92, 96f., 101, 232 -hälften 61 -zentren 5 Genderlekt 196 Generalisierung 260, 262, 328, 368 geschlechtsspezifische Unterschiede 46, 51 Gesprächsabsicht 86 Gesprächsanalyse 214 Gesprächsmanagement 358 Gestaltpsychologie 69 Gestik 91, 133, 194, 286 Gliederungsprinzip 74 Globalverstehen 293 Grammatik -animation 321 anthropologische 225 Dependenz- 213, 6, 218 deskriptive 225 Dialog- 225 didaktisierte 221, 262, 343 Diskurs- 214 funktionale 343 Gebrauchs- 217, 260 generative 213f. Instruktions- 225 kontrastive 213 Lehrbuch- 259 Lerner- 260, 262 Merkmal- 225 pädagogische 264 pragmatische 213 Produktions- 343 -progression 154 Rezeptions- 213 Schul- 213, 6, 215 strukturalistische 213 Text- 214, 222, 225, 227, 303 Übungs- 259f. Valenz- 218, 220f. wissenschaftliche 215, 222, 262 Grammatik-Übersetzungsmethode (GÜM) 5, 16 gustatorisch 66 Handeln 28, 149, 336, 362f. nicht sprachliches 31 sprachliches 283 Hausaufgabenverwaltung 321 Register 412 <?page no="413"?> Hermeneutik 369 interkulturelle 366 Hintergrund 42, 67, 69, 206, 238, 359, 381 Hörverstehen 278, 7, 295f. Hyperfiction 233-235, 237f., 311 Hypermedia 25 Hypertext 232f., 236f. Identitätshypothese 142, 144, 148, 152, 164 Idiolekt 196 Illustration 11, 45, 80, 208, 211, 223, 227f., 253, 331, 375 Immersion 20, 24f. Immersionsschule 25 Impuls 63, 65, 282 Individualisierung 307, 315 Infix 252 Informationsaustausch 62, 65 Informationsprinzip 132 Informationsverarbeitung 21, 60, 64, 67, 75, 81, 92, 237, 322 Informativität 223 Inhaltselement 91, 175 Inhaltsverwaltungssystem 318 innere Sprache 86 instruktionales Design der zweiten Generation 27 Instruktionsmedien 21 Instruktionsverfahren 21f. Integration 76, 320, 333f. Intensität 77 Intensivierung 307, 315, 375 Interaktion 91, 248, 309 Interaktionismus symbolischer 146 Interaktionshypothese 146 interaktive Tafel 315, 319 Interaktivitätssteigerung 307, 315 Interdependenzhypothese 148 Interferenz 14, 142 Interkomprehensionsdidaktik 205 interkulturell 43, 214, 279, 282f., 323f., 330, 344, 366-368, 370f., 373f., 377-379, 381f., 393 interkulturelle Vermittlung 374 Interlanguage-Hypothese 152 Internationalisierung 377 Internationalismen 109, 303f. Internationalität 178 Internet 19, 28, 288, 295, 311, 318, 324f., 337, 363, 373 Intertextualität 223 Intonation 86, 132, 135, 250, 254f., 297, 304 Inversion 134, 153, 155 Kategorie 72, 155, 158, 226, 259, 311 Klischee 368 Knoten 85, 88, 90 kognitiv 9, 23, 34, 44, 50, 70, 122, 148, 6, 148f., 164, 212, 214, 225, 230, 232, 238, 262, 328, 369, 374, 395 kognitive Entwicklung 6, 148f. kognitivistisch 21f., 144, 326 Kohärenz 223, 229 Kohäsion 222, 224, 229, 231 Kommunikation interkulturelle 368 mündliche 31, 67, 214 schriftliche 131 Kommunikationskanal 288, 300, 317f. Kommunikationskonvention 365 Register 413 <?page no="414"?> Kommunikationskonzept 322, 343 kommunikative Relevanz 178f. Kommunikativität 31 Kommunizieren 61, 134, 160, 212 ökonomisches 134 Kompetenz 28, 30, 41, 43f., 115, 122f., 131, 146-148, 195, 274-276, 278, 281f., 303, 328-330, 333f., 342, 344, 369, 376, 393, 395f. interkulturelle 279, 344, 370, 393 kommunikative 30 kritische 41, 292 muttersprachliche 30 soziale 336 Übersetzungs- 7, 330 Kompetenzbereich 131, 279, 292, 305, 397 Kompetenzen Diagnosekompetenz 396 Komplexitätsstufen 200 Konditionierung 20, 50 Konnotation 99, 103 Konstituenten 132 Konstruktion 23, 68, 76, 85, 140, 303f., 382f. Konstruktivismus 24, 5, 27 konstruktivistisch 21, 24, 28, 278 Kontiguitätseffekt 79 Kontrastivhypothese 142, 144 Konzept 16, 31, 35, 72f., 84f., 88f., 92, 96, 110, 113, 145, 147-150, 157, 212, 217, 248, 251, 253, 255, 280f., 322, 324, 326, 328, 343, 364, 366f., 369, 371, 379, 382, 397 Konzeptualisator 84, 97 Konzeptualisierung 71, 84, 87, 342 konzeptuell 70, 87, 101, 114f., 152, 157, 198, 225, 238, 248-250, 262, 360, 365 Konzeptwelt 35, 100, 112, 332, 359 Koordination 62, 64 Korpus 104 Korrekturmöglichkeit 301, 321 elektronische 321 kreative Pause 157 Kreativität 87, 192, 335, 337 Kreolsprache 133 kritische Periode 48 Kultur 24, 27, 41, 45, 69, 72, 88, 93, 107, 144, 179, 198, 224, 229, 329, 343f., 7, 358, 363-368, 373f., 376- 378-383 Kulturem 255 Kulturkunde 377 kulturspezifische Wahrnehmung 373 Kulturstudien 377, 8, 378f. Landeskunde 369, 8, 374-377, 8, 379, 382 interkulturelle 374, 381 transkulturelle 377, 8 Lateralität 61 Laut 18, 47f., 60, 74, 77, 82, 166, 213, 232, 297 Lautparameter 48 Lehnwort 100, 109 Scheinentlehnung 15, 101 Lehrer/ Lehrerin 10f., 27, 30, 32, 115, 133, 315, 320, 379 Lehrkraft 42, 376 Register 414 <?page no="415"?> Lehr- und Lernbarkeitshypothese (Processability Hypothese) 147 Lehr- und Lernbarkeitshypothese (Processability Hypothesis) 159 Lehrziel 34, 43, 274 -bestimmung 43, 279 Lemma 85, 87f. Lernaktivität 110f. Lernart 7, 326, 328 Lernen außerhalb der Klasse 283, 285 bedeutungsbezogenes 110 deduktives 110 konnektives 110 taxonomisches 110 zyklisches 110 Lernen lernen 283, 286 Lerner -autonomie 292, 341 reflektierender 44 -typ 5, 237, 283, 317, 320, 336, 344 -typologie 44 -variablen 34, 122, 333 -verwaltung 319 Lernfähigkeit 49, 275 Lernfeld 281f. Lernimpuls 50 Lernmehrwert 318 Lernmotivation 40, 50 Lernphase 317, 333 Lernplattform 315, 7, 318, 320 elektronische 318 Lernprozesse 22, 64, 122, 145, 237, 280, 283, 292 Lernsoftware 322f. Lernstil 45 Lernstrategie 283, 334, 341, 344 Lernszenario 111, 282, 336f., 339 lerntheoretischer Rahmen 13 Lerntheorie 9, 25, 34, 308 Lerntradition 30, 5, 43, 334, 374 Lernumgebung 20, 23-25, 27, 33, 43, 96, 280, 288, 301, 307, 311, 320 natürliche 25 reiche 25, 27 Lernuniversalien 34, 61 Lernweg 315, 317, 321, 333, 336 Lernziel 22, 34, 235, 274, 278f., 282f., 317, 333, 343 Lesen intensives 294 orientierendes 293f. suchendes 293 Leseverstehen 283, 7, 292, 294f., 299 Lexem 85, 87f., 252 linear 61, 72, 154, 157, 232, 237 Linguistik 70, 82, 142, 212, 214, 238, 393 kontrastive 144, 366 Text- 222 Listem 85 Maturation 148 Medien 19, 21, 23-25, 78, 107, 190, 197, 230, 232, 236, 280, 304, 308, 7, 308f., 314, 321f., 326, 344, 393, 396 elektronische 19, 236, 304, 307f., 7, 322 Mediennutzung 322 Mehrsprachigkeit 10, 6, 165-172, 190, 196, 280, 343, 395, 400 Register 415 <?page no="416"?> Mehrwerterzielung 7, 396 Memorieren 98 mentales Bild 70, 72, 77, 79, 358 mentales Lexikon 82, 6, 88, 96f., 108 bilinguales 6 einsprachiges 6, 92 Merkfähigkeit 41, 285 Metapher 72, 99, 229, 248, 332, 359f. Metaphorisierungsprozesse 72 Methode 13, 16, 18-21, 31-34, 43, 77, 87, 294, 329, 331f., 334f., 344, 374, 381, 395 Methodenmix 33 Methodik 32, 278, 378 Migration 123, 376 Mimik 63, 133, 194, 286 Mnemotechniken 111-113 Monitorhypothese 144f. Morphem 85, 254f. Motivation 41f., 157 Muster 18, 67, 69, 72, 77, 100, 224, 254, 331, 348, 370 -erkennung 67 Nachhaltigkeit 109, 111 nativistisch 144, 153 Natural Approach 33 Negator 126 Nervenbahn 62, 66 Nervenzelle 63f. neuronal 63, 65 olfaktorisch 66 Optimal Habit Reinforcement 33 Organon-Modell 251 Outputhypothese 146 Outreach Learning 33 Paarassoziation 98f., 330 Parallelinformation 28, 79, 296f., 299, 342 Pattern-Drill-Verfahren 18 Personenmerkmal 44 Phase 32, 48, 65, 98, 139, 148f., 158, 208, 294, 308, 333f. präoperationale 149 Phonem 82, 85 phonetischer Plan 86 phonologische Kodierung 85 Pidgin 133 Pidginisierungshypothese 146, 177 Planung 84, 87, 114, 202, 298 Plurizentrismus 376 Pragmatik 25, 251f., 322 pragmatisch 18, 33f., 62, 88, 97, 99, 6, 132-134, 136-139, 159, 164, 177, 200, 208, 213f., 223, 252f., 255f., 330, 343, 394, 397 pragmatischer Modus 136, 177 Pragmem 255 Prägungsphase 48 Präsentationssystem 319 Präsenzunterricht 300, 315, 318f. präverbale Nachricht 85 Prinzipien des Spracherwerbs 34 Problemlösen 69, 328 Produktionsprozess 85, 87 Proficiency Guidelines 278 Programm 19f., 27, 51, 53, 89f., 112, 204, 237, 297, 309-311, 317, 324, 368 konstruktives 311 situativ ausgerichtetes 309 tutorielles 308 Projektarbeit 328, 334, 342 Prototyp 72 Register 416 <?page no="417"?> Prozessinformation 80 psycholinguistisch 115, 157 psychologisch 20, 369 Qualitätsmanagement 34f., 7, 345, 397 Rahmung 177 Reaktion 18f., 42, 50, 140, 328 Rechercheinstrument 320 Redundanz 134 Referenzmarkierung 134 Reflexion 43, 333, 368 metakognitive 22 Reformbewegung 17, 29, 204 Reiz 18, 65, 80, 328 Reparaturmöglichkeit 321 Repräsentation 72, 78 propositionale 72 Rezeptionsästhetik 237 Rhythmus 74 Risikobereitschaft 41f. Rituale 364 sprachliche 84, 252 Scanning 293f. Schema 19, 23, 47, 67, 72f., 77, 79, 84, 157, 219f., 251, 293, 365 Schema-Repräsentation 72 Schlüsselqualifikation 299, 342 Schreiben 31, 111, 130, 256, 278, 281, 7, 298f., 303 Schrift 15, 131, 208, 256, 258f. Schüler/ Schülerin 27f., 74, 99, 114f., 131, 180, 190, 215, 256, 322, 329, 335f., 344f., 348, 363 Schüleraktivitäten 281-283, 285 Schüleraustausch 25 Schwellenhypothese 147 Schwierigkeitsebene 326 selbst-referenziell 24 Semantik 91, 218, 322 konfrontative 382 semantisch 77f., 85, 88-90, 93, 97, 100, 107, 110, 113, 178, 220f., 226, 253 semantisches Netz 90 Sensibilisierung 283, 370f., 393 sensorisch 76, 149 Sheltered Initiation Language Learning 33 Signal 19, 64, 74 -thema 281 -übermittlung 63 Silbe 74, 82, 88, 259 Silent Way Methode 33 Simulationsspiel 25 Sinnesorgan 65f., 82 Situationalität 223 Skimming 293 Software 53 Soziolekt 196 soziolinguistisch 29 Speicherung 22, 72, 75, 92, 96 Spielsoftware 53 Sprachanalyse 322 automatische 322 Sprachanlage 46, 5, 53, 60 Sprachanwendung 280, 335f. Sprachbeschreibung 9, 6, 250, 262 Sprache 358, 396 geschriebene 142, 198 gesprochene 139 Sprachencurriculum 205 Sprachenerwerb 34, 42 Sprachenpolitik 396 Sprachentwicklung 124, 160, 164, 208 Register 417 <?page no="418"?> Sprachenvielfalt 192, 376 Spracherwerb 9f., 21, 25, 28, 34, 45, 48-50, 52, 64, 68, 73, 91, 122- 124, 130, 134, 137, 139, 143f., 146f., 157, 164, 208, 214, 336, 395 natürlicher 124 ungesteuerter 6 Spracherwerbsapparat 53 Spracherwerbsforschung 9, 123, 141f., 238, 278-280, 393 Sprachgefühl 106 Sprachlernfähigkeit 53, 144 Sprachnormen 6, 202, 281 Sprachproduktion 48, 65, 6, 82, 84, 87, 178 Sprachstörung 61 Sprachsystem 14, 48, 198, 215, 381 Sprachtypen 253 Sprachumgebung 34, 48, 100, 141, 179 Sprachvariation 192, 195f., 6, 211, 281 Sprachverarbeitung 61f., 81f., 87f., 6, 114, 147, 230, 262 Sprachverarbeitungssystem 13 Sprachverstehen 65, 6, 82, 84, 87 Sprachwandel 196, 6, 207 Sprechabsicht 84 Sprechakt 251, 281f. Sprechen 67, 84, 111, 278f., 285, 297f., 7, 303, 305, 328, 359 Sprecherwechsel 130, 252 Sprechplan 85 Stabilität 42 emotionale 42 Standards 108, 198, 276, 359 Stil 192, 197, 256, 365 Stimmung 42 Suffix 160, 206, 252 Suggestopädie 32 Summation räumliche 64 zeitliche 64 Superlearning 32 Symbol 67, 69f., 80, 99, 105, 146, 194, 256-259, 322, 373, 383 syntaktisch 77, 85, 134, 143, 206, 208, 253, 255 syntaktischer Modus 208 syntaktischer Rahmen 85 Syntax 126, 130, 153f., 218 Tabu (als Tabuthemen/ charakter) 365, 373 taktil 66, 297 Techniken 10, 14, 109, 111, 200, 204, 292-294, 296, 299, 303, 322, 334, 341 Telegrammstil 177 Temperament 42 Tempus 157f., 160, 222, 225f., 260 Tertiärsprachenvermittlung 205 Textsorte 84, 111, 190, 192, 196, 200, 202, 222-224, 229f., 233, 237f., 252, 281, 293, 302f., 330, 342, 363, 365 Textualität 222-224, 228 textzentriert 223 Thema 11, 25-27, 52f., 111, 132f., 159, 177, 217, 228, 279f., 293, 295, 309, 317, 334f., 365, 376-378 Thesaurus 89f., 95, 106 Total Physical Response 32 Transfer 73, 141f., 147 Transferbasen 109, 204f. Register 418 <?page no="419"?> Transkulturalität 393 Tübinger Modell 8, 379 Tutor/ Tutorin 288, 306, 315, 317f., 335 tutorielle Betreuung 122, 317 Überforderung 80, 101, 109, 165 Übernahme 100, 130, 140f., 335, 383 Übersetzen 329-332, 369 Übersetzung 16, 92, 98f., 141, 254, 329f., 361, 363 Umfeld 40, 43, 123, 164, 196, 212, 333, 366 universalistisch 214 Unterforderung 394 Unterricht interessegesteuerter 42 Valenz 213, 6, 218, 227 Varianten 96, 101f., 105-107, 146, 152, 190, 192, 199, 208, 361f., 394 regionale 107, 192 -reichtum 212, 322 Variation 9, 107, 140, 164, 179, 197, 208, 211, 254f., 260, 336, 342, 344 stilistische 106 Variationskanal 47 Varietäten 30, 40, 152, 190, 194, 198, 209f., 275, 342, 370 Verankerung 81, 273 Vereinfachungsprinzip 177 Verfestigung 47 Vernetzung 110, 113, 228 verschleifen 136 Versprecher 60, 131 Verstehen 21, 33, 60, 65-67, 74, 84, 98, 229f., 283, 292, 342, 366, 368, 379, 382 Verweisstrukturen 222, 230 Verzögerungsphänomen 179 Video 297, 309, 373 Visualisierung 79, 113, 230, 262, 342, 373 visuell 19, 42, 61f., 66-70, 74, 78, 80, 179, 256f., 295, 297, 322, 328 Vokabel 97 Vorentlastung 295, 333 Vorwissen 50, 67, 69, 79-81, 110, 204f., 212, 221, 232f., 333, 343f., 368, 381, 395 Wahrnehmung 46, 67, 69f., 82, 84, 123, 150, 285, 359, 364, 366, 373, 8, 382 Wahrnehmungsprinzip 66 Weltwissen 47, 65 Werkzeug 23, 25, 90, 301, 308, 310f., 328, 343 Wernicke-Zentrum 61 Wiederholung 18, 78, 259 elaborierte 78 Wiederholungsaktivität 77 Wissen 21-23, 47f., 69f., 72, 75- 77, 81, 84f., 87, 109f., 143, 148, 180, 196, 205, 214, 235, 275, 322, 329f., 333, 341, 344, 363, 367f. deklaratives 84 prozedurales 84, 275 Prozess- 84 Situations- 84, 304 Welt- 47, 84, 88, 230, 275, 343 Wissensrepräsentation 72, 80 Wissenssystem 23, 320 Wortassoziation 92 Register 419 <?page no="420"?> Wörterbuch 85, 97, 99f., 102-107, 198, 233, 237, 288, 310, 320, 325, 337, 363 einsprachiges 102 Referenz 104 Wortschatzvermittlung 6, 97, 100 Wortstellung 126, 153, 155, 206, 230, 253, 362 Xenolekt 146, 179, 197 Zeichensystem 9, 194, 366 außersprachliches 365 Zeitmarkierungen 158 Zellmembran 64 Zirkumfix 252 Register 420 <?page no="421"?> Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwis senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spra \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ cherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwis Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturge Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft schichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philo \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ sophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphi Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ lologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Komwissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ nik \ Mathematik & Statistndhe Medien- und Komwissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ nik \ Mathematik & Statistndhe KOMPENDIUM DAF/ DAZ Die Reihe Kompendium DaF/ DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Sie bietet durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF/ DaZ-Ausbildung, die sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen eingesetzt werden können. Das verbindende fachliche Element der Bände ist eine Orientierung an kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen verschiedener Forschungsdisziplinen. Die Reihe wird herausgegeben von Prof. Dr. Jörg Roche. Alle Bände im Überblick: Sprachenlernen und Kognition ISBN 978-3-8233-6931-8 Kognitive Linguistik ISBN 978-3-8233-8198-3 Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten ISBN 978-3-8233-8219-5 Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb ISBN 978-3-8233-8182-2 Sprachen lehren ISBN 978-3-8233-8212-6 Unterrichtsmanagement ISBN 978-3-8233-8213-3 Kultur- und Literaturwissenschaften ISBN 978-3-8233-8217-1 Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen ISBN 978-3-8233-8169-3 Medienwissenschaft und Mediendidaktik ISBN 978-3-8233-8211-9 Angewandte Kulturwissenschaften ISBN 978-3-8233-8218-8 www.narr.de/ linguistik/ reihen/ kompendium-daf-daz Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797-0 \ Fax +49 (0)7071 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="422"?> ,! 7ID8C5-cfeadc! ISBN 978-3-8252-5403-2 Der Band stellt die Grundfragen, Grundkonzepte und Grundpositionen der Spracherwerbsforschung und -didaktik verständlich, übersichtlich und anschaulich dar. Linguistische, kognitionslinguistische, psycholinguistische, lernpsychologische, inter- und transkulturelle, medien- und handlungsdidaktische Aspekte bilden den Leitfaden für die kohärente Darstellung der komplexen Thematik. Der Band nimmt stets unmittelbar auf die Lern- und Lehrpraxis Bezug. Zahlreiche Beispiele und eine Fülle von Illustrationen erleichtern den Zugang ebenso wie die unkomplizierte Sprache. Fachbegriffe und Fachpositionen werden leicht verständlich erklärt und Zusammenhänge zwischen ihnen immer wieder hergestellt. Für die vierte Auflage wurden die Literaturangaben und Referenzmaterialien aktualisiert und neue Themen ergänzt. Sprachwissenschaft Pädagogik Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
