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Die Psychologie des Schweinehunds

In 6 Schritten vom guten Vorsatz zur neuen Gewohnheit

0323
2021
978-3-8385-5420-4
978-3-8252-5420-9
UTB 
Daniela Bernhardt

Studieren verlangt viel Eigenmotivation und ein gutes Selbstmanagement. Doch der "innere Schweinehund" lauert in jedem und zerkaut genüsslich die guten Vorsätze. Das Buch erläutert anhand aktueller Befunde u.a. aus der motivations-, kognitions- und sozialpsychologischen Forschung, warum es manchmal schwerfällt, gefasste Vorsätze in die Tat umzusetzen. Daraus folgen konkrete Empfehlungen, wie man den inneren Schweinehund in allen Handlungsphasen (von der Intentionsbildung bis zur Zielerreichung) "an die Leine" bekommt. Studierende finden Unterstützung dabei, sich kurzfristig in 6 Schritten zur Erledigung drängender Aufgaben zu motivieren. Darüber hinaus zeigt der Ratgeber aber vor allem, wie sich förderliche Denkweisen und Gewohnheiten langfristig verankern lassen, um Studium, Berufseinstieg und alle weiteren Herausforderungen des Lebens gesund und gelassen zu meistern.

<?page no="0"?> ,! 7ID8C5-cfecaj! ISBN 978-3-8252-5420-9 Daniela Bernhardt Die Psychologie des Schweinehunds In 6 Schritten vom guten Vorsatz zur neuen Gewohnheit Studieren verlangt viel Eigenmotivation und ein gutes Selbstmanagement. Doch der „innere Schweinehund“ lauert in jedem und zerkaut genüsslich die guten Vorsätze. Das Buch erläutert anhand aktueller Befunde unter anderem aus der motivations- und sozialpsychologischen Forschung, warum es manchmal schwerfällt, gefasste Vorsätze in die Tat umzusetzen. Daraus folgen konkrete Empfehlungen, wie man den inneren Schweinehund „an die Leine“ bekommt. Studierende finden Unterstützung dabei, sich kurzfristig in 6 Schritten zur Erledigung drängender Aufgaben zu motivieren. Darüber hinaus zeigt der Ratgeber aber vor allem, wie sich förderliche Denkweisen und Gewohnheiten langfristig verankern lassen, um Studium, Berufseinstieg und alle weiteren Herausforderungen des Lebens gesund und gelassen zu meistern. Schlüsselkompetenzen | Psychologie Die Psychologie des Schweinehunds Bernhardt Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 54209 Bernhardt_M5420.indd 1 54209 Bernhardt_M5420.indd 1 03.03.21 16: 04 03.03.21 16: 04 <?page no="1"?> utb 5420 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Dr. Daniela Bernhardt ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Universität Erlangen- Nürnberg. Sie haben Fragen, Kommentare oder Feedback zum Buch? Schreiben Sie gerne eine E-Mail an psychologie-des-schweinehunds@posteo.de. <?page no="3"?> Daniela Bernhardt Die Psychologie des Schweinehunds In 6 Schritten vom guten Vorsatz zur neuen Gewohnheit Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen <?page no="4"?> © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5420 ISBN 978-3-8252-5420-9 (Print) ISBN 978-3-8385-5420-4 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5420-9 (ePub) Umschlagabbildung: Daniela Bernhardt und Diego Reimóndez-Prieto Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 1 11 1.1 11 1.2 19 1.3 23 2 27 2.1 27 2.2 28 2.2.1 28 2.2.2 29 2.2.3 36 2.3 44 2.3.1 44 2.3.2 46 2.4 82 2.4.1 82 2.4.2 89 2.4.3 93 2.5 94 2.5.1 94 2.5.2 96 2.5.3 104 2.6 126 2.6.1 126 2.6.2 134 2.6.3 137 2.7 146 2.7.1 146 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der „innere Schweinehund“ - ein Kennenlernen . . . . . . . Der Schweinehund im Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu diesem Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So tickt der Schweinehund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum wir tun, was wir tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist Motivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Extrinsische und intrinsische Motivation . . . . . . . Unsere inneren Antriebskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel . . . . . . . . . . . . Das Rubikonmodell der Handlungsphasen . . . . . . Voraussetzungen erfolgreicher Vorsatzrealisation Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? . . . . . . . . . . . . . . Das Prozessmodell der Selbstkontrolle . . . . . . . . . . Das „Jetzt“ abkühlen, das „Später“ erhitzen . . . . . . Selbstkontrolle ist nicht alles . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognition, Emotion und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dreiklang . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefühlsgesteuert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Macht der Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf Autopilot: Gewohnheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was sind Gewohnheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gewohnheitsschleife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Änderung von Gewohnheiten . . . . . . Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält . . . . . Aufschieben als lohnende Strategie . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 2.7.2 150 2.7.3 151 2.8 167 3 171 3.1 171 3.2 175 3.2.1 175 3.2.2 177 3.2.3 178 3.3 185 3.3.1 185 3.3.2 193 3.3.3 201 3.4 203 3.4.1 203 3.4.2 207 3.4.3 219 3.5 227 3.5.1 227 3.5.2 232 3.5.3 235 3.6 237 3.6.1 237 3.6.2 239 3.6.3 241 3.7 244 3.7.1 244 3.7.2 247 3.7.3 251 3.8 253 Veränderungen als Auslöser von Verlustangst und Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: So tickt der Schweinehund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den Schweinehund an die Leine nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick und Projektauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset . . . . . . Haben Sie Selbstmitgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivieren Sie Ihre Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . Hinterfragen Sie Ihre Überzeugungen . . . . . . . . . . Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung . . . . . . Klären Sie Ihr Big Picture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstärken Sie sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Treffen Sie eine Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 3: Planen Sie effektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informieren Sie sich und seien Sie realistisch . . . . Gehen Sie kleinschrittig vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nehmen Sie Hindernisse vorweg . . . . . . . . . . . . . . Schritt 4: Werden Sie aktiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schaffen Sie günstige Rahmenbedingungen . . . . . Machen Sie Ihr Projekt zur süßen Versuchung . . . Starten Sie - jetzt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentieren Sie Ihren Fortschritt, feiern Sie Ihre Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Machen Sie regelmäßige Rückblicke . . . . . . . . . . . . Lernen Sie dazu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritt 6: Bleiben Sie dran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulieren Sie Ihre Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . Erneuern Sie Ihre Entscheidung - oder revidieren Sie sie, falls nötig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schließen Sie Ihr Projekt ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Troubleshooting bei akuten Blockaden . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 4 255 4.1 255 4.2 257 4.3 261 5 263 5.1 263 5.2 264 5.3 285 Zum Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stabilität und Veränderung - ein Balanceakt . . . . . . . . . . . Wenn es wieder nicht klappt … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raus aus der Komfortzone? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weblinks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> Vorwort Der „innere Schweinehund“ ist mir in meinen fast 20 Jahren an der Uni immer wieder begegnet. Als Studentin hat er mich getriezt, wenn ich keine rechte Lust auf bestimmte Kurse hatte oder mich nicht zum Lernen aufraffen konnte. Später, als Dozentin am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Universität Erlangen-Nürnberg, habe ich ihn aus einer ganz anderen Perspektive kennengelernt und immer wieder erfahren, dass mangelnde Motivation nur eine seiner vielen Facetten ist. So erlebte ich in meinen Studienkompetenzkursen häufig Studierende, denen es ganz und gar nicht an Motivation mangelte, die sogar ganz heiß darauf waren, das im Seminar Erlernte nun auch im Uni-Alltag anzuwenden. Wochen später allerdings war bei vielen Ernüchterung eingekehrt. Wirklich dauerhafte Veränderungen gab es selten, die alten Verhaltensmuster waren einfach zu stark. Ich bot also ein Seminar mit dem Titel „Wie zähme ich den inneren Schweinehund? “ an. Die Studierenden sollten im Laufe des Semes‐ ters eine konkrete, neue Gewohnheit aufbauen - sozusagen als Blaupause für zukünftige Verhaltensänderungen. In regelmäßigen Plenumssitzungen tauschten wir uns über den Fortgang der einzelnen „Projekte“ aus. Dabei bestätigte sich immer wieder, was auch die psychologische Forschung zeigt: Es gibt nicht nur einen, sondern sehr viele Wege, den inneren Schweinehund zu zähmen. Welche Wege das sein können, erfahren Sie in diesem Buch. Danke! In das Buch sind viele Erkenntnisse aus dem „Schweinehund-Seminar“ eingeflossen, die ich ohne die Offenheit und engagierte Mitarbeit der Studierenden so sicher nicht gewinnen hätte können. Mein besonderer Dank gilt den Studierenden, die dieses Buch in einem frühen Stadium ausführlich kommentiert und damit entscheidend vorangebracht haben: Rebecca Fleischmann, Anna Lachhammer, Melanie Mühlmeister, Nadine Notter und Michelle Schreiber. Ich bedanke mich zudem herzlich bei Dr. Nicole Hauke-Forman, Dr. Simone Hespers und Dr. Martin Köllner, die mit ihren differenzierten und fundierten Anmerkungen maßgeblich zur Weiterent‐ wicklung des Manuskripts beigetragen haben, sowie dem Geschäftsführer unseres Instituts, Dr. Michael Jungert, der den Stein ins Rollen brachte und das Buchprojekt umfassend unterstützte. Des Weiteren danke ich Katharina Friedl für das sehr sorgfältige Korrekturlesen, Diego Reimóndez-Prieto für die Mitgestaltung des Covers und Julia Zimmermann für die Unterstützung <?page no="10"?> bei der Erstellung des Literaturverzeichnisses. Ein herzliches Dankeschön gilt auch meinen Kollegen/ -innen, Freunden/ -innen und meiner Familie für die anregenden Diskussionen und die moralische Unterstützung, sowie dem Narr Francke Attempto Verlag für die Aufnahme des Buches in das Verlagsprogramm und die hervorragende Betreuung! Daniela Bernhardt, Februar 2021 Vorwort 10 <?page no="11"?> 1 Zum Einstieg 1.1 Der „innere Schweinehund“ - ein Kennenlernen 1.2 Der Schweinehund im Studium 1.3 Zu diesem Buch 1.1 Der „innere Schweinehund“ - ein Kennenlernen „Ich hatte es mir fest vorgenommen, aber mein innerer Schweinehund war einfach stärker.“ Kommt Ihnen dieser Satz bekannt vor? Dann geht es Ihnen wie vielen Studierenden. Man möchte endlich die lange aufgeschobene Hausarbeit schreiben oder früher mit dem Lernen für die nächste Prüfung beginnen - doch irgendetwas hält einen davon ab. Dieses „irgendetwas“ wird in der Alltagssprache auch als innerer Schweinehund bezeichnet. Doch was ist unter dem Ausdruck eigentlich genau zu verstehen? In wissenschaftlicher Literatur sucht man ihn vergeblich - zumal er nur im Deutschen existiert und nicht wörtlich in andere Sprachen übersetzt werden kann. In der deutschsprachigen Internet-Enzyklopädie Wikipedia findet sich folgende Definition („Innerer Schweinehund,“ 2020): Die Bezeichnung innerer Schweinehund umschreibt - oft als Vorwurf - die Allegorie der Willensschwäche [Hervorhebung der Autorin], die eine Person daran hindert, unangenehme Tätigkeiten auszuführen, obwohl sie entweder als ethisch geboten gesehen werden (z. B. Probleme anzugehen, sich einer Gefahr auszusetzen etc.) oder für die jeweilige Person sinnvoll erscheinen (z. B. eine Diät einzuhalten). Im Duden spiegelt sich mit „Feigheit, Trägheit gegenüber einem als richtig erkannten Tun“ ein ähnliches Begriffsverständnis wider („Schweinehund,“ o.D.). Fragt man Studierende, was sie unter dem inneren Schweinehund verstehen, zeichnet sich ein etwas facettenreicheres Bild ab (siehe nachfol‐ gender Exkurs Schweinehundumfrage). <?page no="12"?> 1 Für bessere Lesbarkeit wurden einzelne Antworten leicht umformuliert ohne die Kernaussage zu verändern. Die Befragung wurde im Februar 2020 an verschiedenen Orten der Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt (Bernhardt, 2020). Schweinehundumfrage Studierende der Universität Erlangen-Nürnberg wurden gefragt, was sie unter dem Begriff „innerer Schweinehund“ verstehen. Hier finden Sie einige anekdotische Auszüge aus den Antworten der insgesamt 43 Befragten: 1 ▸ „wenn ich mich in der Klausurphase nicht aufraffen kann, zu lernen“ ▸ „wenn es schwierig ist, sich ohne äußere Motivation zu etwas zu überwinden“ ▸ „wenn man sein Zeug nicht auf die Reihe kriegt, d. h. alles früh‐ zeitig zu beginnen“ ▸ „wenn man eine Aufgabe erledigen muss, deren Belohnung in der Zukunft liegt“ ▸ „ein Zwiespalt: man müsste eigentlich etwas machen, hat aber keine Lust dazu“ ▸ „ein Gegengewissen, das uns zu ungesunden Sachen bewegt“ ▸ „ein Gefühl, lieber im Bett liegen zu bleiben, obwohl man eigentlich rausgehen sollte“ ▸ „eine Barriere: man weiß, man muss etwas machen, hat aber große Probleme, anzufangen“ ▸ „ein schlechtes Gewissen, weil man nichts macht“ ▸ „[den inneren Schweinehund zu überwinden ist wie] ein kleines Ego in sich selbst, das einem den Druck gibt, den A… hochzu‐ kriegen, um bestimmte Sachen im Leben zu erreichen“ Dass die Begriffe „innerer Schweinehund“ und „überwinden“ stark miteinander verbunden sind, zeigt sich daran, dass ein Drittel der Be‐ fragten das Wort „überwinden“ oder „Überwindung“ in seiner Antwort nannte. Auf die Frage, wie oft ihnen der innere Schweinehund zu schaffen mache, antworteten 7 % der befragten Studierenden „immer“, 32 % „häufig“, 49 % „manchmal“, 12 % „selten“ und 0 % „nie“. 1 Zum Einstieg 12 <?page no="13"?> 2 Die Begriffe „Vorsatz“, „Intention“ und „Absicht“ werden in diesem Buch synonym verwendet. Aus psychologisch-wissenschaftlicher Perspektive umfasst der innere Schweinehund verschiedene Verhaltensweisen: ▸ Aufschieben bedeutet, eine anstehende Aktivität oder Entscheidung von einem früheren auf einen späteren Zeitpunkt zu verlagern. ▸ Die Intentions-Verhaltens-Lücke beschreibt das Phänomen, dass Vorsätze (Intentionen) 2 häufig nicht in konkretes Verhalten umgesetzt werden. ▸ Manchmal schaffen wir es auch einfach nicht, uns von einmal einge‐ schlagenen Handlungswegen oder Zielen wieder abzulösen, obwohl das eigentlich besser für uns wäre. Diese Verhaltensweisen können in allen Lebensbereichen auftreten (studen‐ tisch-beruflich, privat, gesellschaftlich …). Ein typisches Beispiel sind die berühmt-berüchtigten Neujahrsvorsätze, die jedes Jahr von etwa 40 % der Deutschen formuliert werden. Im Jahr 2019 lauteten die Top 3: Stress vermeiden/ abbauen, mehr Zeit für Familie und Freunde/ -innen sowie mehr bewegen/ Sport (DAK-Gesundheit, 2018). Folgebefragungen zeigen, dass nur etwa die Hälfte der Befragten ihre Vorsätze länger als drei Monate durchhält. Die Ursachen für die soeben beschriebenen Verhaltensweisen sind vielfältig und berühren unter anderem folgende Themengebiete: ▸ Motivation - Wenn wir nicht wissen, wozu etwas gut ist und warum wir es tun sollen, fehlt uns der Anlass, aktiv zu werden. Motivation ist die Voraussetzung für zielgerichtetes Verhalten (sog. Handeln). ▸ Volition - Um unsere Vorsätze zu realisieren, benötigen wir Wil‐ lenskraft. Dazu gehört die Fähigkeit, unser Verhalten an unseren Zielen auszurichten (sog. Selbstregulation), vor allem kurzfristigen Impulsen zu widerstehen, um langfristige Ziele zu verwirklichen (sog. Selbstkontrolle). ▸ Kognition und Emotion - Unser Handeln wird stark durch das beeinflusst, was wir denken und fühlen. Manche Gedanken und Gefühle blockieren uns, andere spornen uns an. Umgekehrt wirkt sich unser Handeln auch auf unsere Gedanken und Gefühle aus, z. B. wenn wir einen Rechtfertigungsdrang oder Schuldgefühle verspüren, weil wir wieder einmal unserem Schweinehund nachgegeben haben. 1.1 Der „innere Schweinehund“ - ein Kennenlernen 13 <?page no="14"?> ▸ Gewohnheiten - Dass wir uns so schwertun, unser Verhalten dauer‐ haft zu ändern, hat viel mit unseren Gewohnheiten zu tun. Der Aufbau neuer Gewohnheiten und insbesondere der Abbau bestehender Ge‐ wohnheiten erfordert Geduld und die richtige Strategie. ▸ Stress - Unser Schweinehund scheut nicht nur unangenehme und anstrengende Aufgaben, sondern auch Veränderungen. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Veränderungen Stress auslösen können. ▸ Sozialer Einfluss - Auch die Menschen um uns herum haben - absichtlich oder unabsichtlich - starken Einfluss darauf, wie wir uns selbst und die Welt wahrnehmen und ob wir unsere Vorsätze in die Tat umsetzen. Bringt man all dies auf einen gemeinsamen Nenner, so könnte man sagen: Den inneren Schweinehund nicht überwinden zu können ist eine Metapher für eine bestimmte menschliche Verhaltensweise, nämlich etwas nicht zu tun, das man eigentlich tun wollte oder sollte - z. B. eine lästige Pflichtaufgabe erledigen, einen guten Vorsatz umsetzen, ein unerwünschtes Verhaltens‐ muster ablegen oder sich für andere/ die Gesellschaft engagieren. Man hat es sich zwar vorgenommen, kann sich aber einfach nicht dazu aufraffen. Stattdessen tut man etwas Anderes - in der Regel etwas Angenehmeres, Einfacheres, oder eben das, was man „schon immer“ getan hat. Der Schwei‐ nehund ist also nicht mit Inaktivität gleichzusetzen. Begriffsgeschichte Als Schweinehund bezeichnete man früher einen zur Wildschwein‐ jagd eingesetzten Jagdhund. Der Begriff wurde dann in der Studie‐ rendensprache des 19. Jahrhunderts als Schimpfwort für besonders „bissige“ Menschen verwendet (vgl. „Schweinehund,“ o.D.). In seiner Antrittsrede als Reichskanzler verwendete General Kurt von Schleicher den Ausdruck „innerer Schweinehund“ als Bezeichnung für niedere menschliche Instinkte (vgl. Röhrich, 1995). Die Redewendung „den inneren Schweinehund überwinden“ in ihrer heutigen Bedeutung entwickelte sich erst später. Dem Begriff „innerer Schweinehund“ haftet seit Beginn seiner Verwendung eine negative Konnotation an. Dies spiegelt sich sowohl in unserer Alltags‐ sprache als auch in vielen populärwissenschaftlichen und journalistischen 1 Zum Einstieg 14 <?page no="15"?> Texten wider. Dort kommt der Schweinehund meist nicht besonders gut weg. Schon das Wort „überwinden“ vermittelt den Eindruck, dass es sich um einen Widersacher oder Feind handelt, den wir bekämpfen und besiegen müssen. Es hat mehrere Gründe, warum der Schweinehund so einen schlechten Ruf hat. Zum einen steht er (scheinbar) im Widerspruch zu Werten wie Verlässlichkeit, Fleiß und Pflichtbewusstsein, die in unserer Gesellschaft erwünscht und hoch angesehen sind (Ipsos, 2018). Verhalten wir uns in Einklang mit diesen Werten, werden wir dafür belohnt, verletzen wir sie, drohen Sanktionen. Wer etwas ankündigt, es dann aber nicht tut, oder ein Projekt aufnimmt, es dann aber nicht zu Ende bringt, fürchtet mögli‐ cherweise um sein/ ihr Ansehen und schämt sich vor anderen für sein/ ihr Verhalten (Giguère et al., 2016). Dem Schweinehund nachzugeben gefährdet aber nicht nur das Bild, das andere von uns haben, sondern auch unser Selbstbild. Steht unser Verhalten („Ich habe heute eine wichtige Lehrveranstaltung geschwänzt.“) im Widerspruch zu unserem Selbstverständnis („Ich bin ein/ -e zuverläs‐ sige/ -r Student/ -in.“) führt das zu einem inneren Spannungszustand, der sog. kognitiven Dissonanz (Festinger, 1954; Gawronski & Strack, 2012). Diese wird als unangenehm empfunden und drängt auf Beseitigung. Der innere Schweinehund ist geradezu ein Sinnbild für kognitive Dissonanz: „Eigentlich wollte ich …, habe dann aber doch nicht …“ - gute Absicht und Handlungsergebnis widersprechen sich. Man kann den Schweinehund aber auch als Versuch sehen, kognitive Dissonanz zu verringern. Denn er ermöglicht es, sich von eigenem unerwünschtem Verhalten zu distanzieren und die Verantwortung dafür abzugeben: „Ich war es nicht - es war mein innerer Schweinehund! “. Wenn man selbst für das gezeigte Verhalten gar nicht verantwortlich ist, kann dieses auch nicht am Ego kratzen. Der innere Schweinehund ist also ein willkommener Sündenbock, wenn das gezeigte Verhalten den eigenen Ansprüchen oder denen des sozialen Umfelds nicht genügt. Nicht zuletzt gibt es auch Fälle, in denen der innere Schweinehund tatsächlich zum Widersacher wird und das Leben der betroffenen Person stark beeinträchtigt. Chronisches Aufschieben (sog. Prokrastination) ist allerdings nicht der „Normalfall“, sondern eine ernstzunehmende Störung der Selbststeuerung, die häufig therapeutischer Behandlung bedarf (siehe Kapitel 4.2). 1.1 Der „innere Schweinehund“ - ein Kennenlernen 15 <?page no="16"?> Klammert man das chronische Aufschieben aus, hat der innere Schwei‐ nehund seinen schlechten Ruf zu Unrecht. Wie Sie im Laufe dieses Buches sehen werden, haben Schwierigkeiten bei der Realisierung von Vorsätzen ihre Wurzeln in völlig normalen psychologischen Prozessen und in der Regel nichts mit Faulheit oder gar mangelnder Intelligenz zu tun. Den inneren Schweinehund als „Feind“ zu sehen, ist daher nicht nur sachlich fragwürdig, sondern auch psychologisch problematisch. „Hohe Ansprüche an sich selbst“ rangieren nach der „Arbeit“ auf Platz 2 der häufigsten Stressursachen (Techniker Krankenkasse, 2016). Der Wunsch nach ständiger Selbstoptimierung kann uns also durchaus zum Verhängnis werden. Wer den inneren Schweinehund mit eiserner Selbstdisziplin an die Kette legt, um immer mehr leisten und erreichen zu können, mag damit zwar kurzfristig Erfolge erzielen - längerfristig setzt er/ sie seine/ ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit aufs Spiel. Zur Vertiefung Warum es sich lohnt, dem inneren Schweinehund hier und jetzt die Stirn zu bieten (und nicht erst morgen oder nächste Woche), erläutert der Blogger Tim Urban in diesem unterhaltsamen TED Talk: QR 1. In diesem Talk sehen Sie übrigens auch, dass der Begriff „innerer Schweinehund“ tatsächlich eine Besonderheit der deutschen Sprache ist. Tim Urban verwendet eine andere Metapher, nämlich die eines Äffchens. Es ist eine absolut legitime Verhaltensoption, dem Schweinehund auch einmal nachzugeben. Er muss gar nicht in jeder Situation überwunden werden. Manchmal ist es sinnvoll, die Erledigung einer Aufgabe aufzuschieben oder mit tiefgreifenden Veränderungen noch etwas zu warten. Genauso wird es aber auch Situationen geben, in denen wir dem Schweinehund nicht klein beigeben und uns behaupten sollten. Dass er ein normales psychologisches Phänomen ist, bedeutet also nicht, dass man ihm völlig ausgeliefert wäre, im Gegenteil: Man kann ihn mit einfachen Mitteln an die Leine nehmen, wenn man das möchte. Der erste Schritt dabei ist es, ihn kennenzulernen und zu verstehen, wie er tickt. Damit können Sie gleich in einer ersten Aufgabe beginnen, beachten Sie zuvor jedoch noch folgenden Hinweis. 1 Zum Einstieg 16 <?page no="17"?> Hinweis Bitte legen Sie eine Mappe oder einen Ordner an (entweder analog oder digital) und sammeln Sie dort alle Notizen, Rechercheergebnisse und weiteren Materialien, die im Laufe der Lektüre dieses Buches anfallen. Befüllen Sie Ihre „Schweinehundmappe“ gewissenhaft und heben Sie sie gut auf. Aufgabe: Dem inneren Schweinehund auf der Spur Denken Sie an die studentisch-beruflichen und privaten Projekte zu‐ rück, die Sie im Laufe der letzten sechs Monate verfolgt haben. Nehmen Sie gerne Ihren Kalender, To-Do-Listen oder ähnliches als Erinnerungs‐ stütze zur Hand. Sammeln Sie zunächst einige Beispiele für: (1) Situationen, in denen Ihnen Ihr innerer Schweinehund zu schaffen gemacht hat Welche Aufgaben und Vorhaben haben Sie in den letzten sechs Monaten vor sich hergeschoben? Zu welchen Aktivitäten konnten Sie sich nicht aufraffen, obwohl sie sinnvoll gewesen wären? Welche schlechten Gewohnheiten konnten Sie nicht ablegen, obwohl Sie es sich fest vorgenommen hatten? Notieren Sie mindestens drei konkrete Situationen. Sammeln Sie anschließend einige Beispiele für: (2) Situationen, in denen Sie Ihren inneren Schweinehund gut zähmen konnten Welche Aufgaben und Vorhaben haben Sie in den letzten sechs Mo‐ naten konsequent und ohne Aufschub erledigt? Zu welchen Aktivitäten konnten Sie sich gut motivieren? Welche schlechten Gewohnheiten haben Sie abgebaut, welche positiven neuen Gewohnheiten aufgebaut? Notieren Sie mindestens drei konkrete Situationen. Wenn Sie jeweils mindestens drei Beispiele gefunden haben, vergleichen Sie die Situationen unter (2) mit den Situationen unter (1) und analy‐ sieren Sie, was die jeweiligen Situationen voneinander unterscheidet. Welche Gründe könnte es haben, dass Sie sich in den Situationen unter (2) besser und effektiver motivieren konnten als in den Situationen unter 1.1 Der „innere Schweinehund“ - ein Kennenlernen 17 <?page no="18"?> (1)? Oder umgekehrt: Unter welchen Bedingungen fühlt sich Ihr innerer Schweinehund besonders wohl? Erkennen Sie ein Muster? Notieren Sie Ihre Gedanken und lesen Sie erst weiter, wenn Sie diese Fragen beantwortet haben. Wenn ich den Studierenden in meinen Seminaren diese Aufgabe stelle, so fallen die Antworten häufig in eine der folgenden Kategorien: Situationen, in denen einem der innere Schweinehund zu schaffen macht Situationen, in denen man den in‐ neren Schweinehund gut zähmen kann Die zu erledigende Tätigkeit oder Auf‐ gabe macht keinen Spaß, ist langweilig oder anstrengend. Die Tätigkeit oder Aufgabe macht Spaß, ist unterhaltsam oder leicht zu erle‐ digen. Es dauert lange, bis man Fortschritte oder Ergebnisse sieht. Man sieht unmittelbar Fortschritte oder Ergebnisse. Es gibt keine Frist, daher fehlt die Dring‐ lichkeit. Die Frist naht. Es fehlt die persönliche Relevanz. Die Aufgabe hat einen klaren persönli‐ chen Nutzen. Man muss etwas alleine tun statt zu‐ sammen mit anderen. Die „soziale Kon‐ trolle“ fehlt. Man ist zusammen mit anderen aktiv, andere sind als „Kontrollinstanz“ oder zur Unterstützung miteingebunden. Man hat Angst, zu versagen oder etwas falsch zu machen. Es steht nicht besonders viel auf dem Spiel, das Ergebnis muss nicht perfekt sein. Man weiß nicht, wie man anfangen soll, hat keine Routine oder Erfahrung. Man hat bereits Routine oder Erfah‐ rung; man weiß, wie man die Aufgabe anpacken muss. Eine klare und verbindliche (Tages-) Struktur fehlt. Es gibt eine klare und verbindliche (Tages-) Struktur. Man fühlt sich zu etwas gezwungen und/ oder hat keine persönliche Bin‐ dung an das Ziel. Das Ziel ist selbstbestimmt und/ oder man fühlt sich stark daran gebunden. Die Aufgabe nützt „nur“ der eigenen Person, nicht anderen. Man kann anderen damit helfen, sie motivieren oder ihnen etwas Gutes tun. 1 Zum Einstieg 18 <?page no="19"?> Erkennen Sie etwas wieder? Wenn Sie sich mit Kommilitonen/ -innen austauschen, werden Sie sehen, dass Sie mit Ihrem Schweinehund nicht alleine sind. Manche Situationen rufen ihn mit großer Zuverlässigkeit auf den Plan. Es gibt aber auch individuelle Unterschiede: Was dem/ -r einen besonders leichtfällt (z. B. Sport), kann für den/ die andere/ -n die größte Herausforderung sein. Auf den Punkt ▸ Den inneren Schweinehund nicht überwinden zu können ist eine Metapher für ein bestimmtes Verhalten: Man tut etwas nicht, das man sich vorgenommen hat. Dieses Verhalten hat in der Regel völlig normale psychologische Ursachen. ▸ Wir haben eine ambivalente Beziehung zu unserem Schweinehund. Einerseits ist er uns lästig - am liebsten würden wir ihn kom‐ plett aus unserem Leben verbannen. Andererseits dient er als willkommene Ausrede, wenn wir uns wieder einmal nicht zu etwas aufraffen konnten. Dabei hat der innere Schweinehund seinen schlechten Ruf zu Unrecht. In der Regel will er uns nicht schaden, sondern vor unangenehmen Gefühlen, Gefahr oder Überlastung schützen. 1.2 Der Schweinehund im Studium Der innere Schweinehund ist ein Alltagsphänomen, das auch unter Studie‐ renden weit verbreitet ist. Untersucht wurde der Schweinehund im Studium bisher vor allem in Zusammenhang mit Aufschiebeverhalten und Prokras‐ tination (sog. akademische Prokrastination; vgl. Schouwenburg, 1995). In einer Untersuchung der Universität Münster beispielsweise gaben nur 2 % aller befragten Studierenden an, Aufschieben gar nicht als Verhalten von sich zu kennen (Deters, 2006). Dies passt auch zu den Befunden einer belgischen Forschergruppe, die Studienanfänger/ -innen in ihrem ersten Se‐ mester begleitete und bei allen untersuchten Studierenden dasselbe Verhal‐ tensmuster feststellte: sehr geringe Lernaktivität in den ersten Wochen der Vorlesungszeit, gefolgt von einem steilen Lernanstieg in der letzten Woche 1.2 Der Schweinehund im Studium 19 <?page no="20"?> vor den Prüfungen (Dewitte & Schouwenburg, 2002). Neben dem Lernen für Prüfungen sind vor allem das Lesen von Literatur und das Schreiben von Hausarbeiten die am häufigsten aufgeschobenen Studientätigkeiten (Poppe, 2014). Der Unternehmensberater und Autor Eliyahu M. Goldratt bezeichnet Aufschieben in seinem Lehr-Roman Die Kritische Kette gar als Studentensyndrom […]. Erst kämpft man um Zeitreserven. Bekommt man sie, steht genug Zeit zur Verfügung. Warum sollte man also in Hektik verfallen? Und wann erledigt man die Aufgabe dann? Auf den letzten Drücker. Das liegt in der Natur des Menschen. (Goldratt, 2002, S. 132) In der Schweinehundumfrage aus Kapitel 1.1 gab keine/ -r der befragten Studierenden an, „nie“ mit dem inneren Schweinehund zu kämpfen zu haben, fast 90 % dagegen „manchmal“, „häufig“ oder „immer“. Diese ausgeprägte „Schweinehundanfälligkeit“ liegt in der Regel nicht an den Studierenden selbst, sondern an den Strukturen des Studiums. Zwar bietet ein Studium zahlreiche Möglichkeiten und Freiheiten: Man taucht tief in ein Fach ein, erwirbt eine breite Palette an Wissen und Kompetenzen, setzt sich mit neuen Werten, Perspektiven und Aufgaben auseinander, baut soziale und berufliche Netzwerke auf. Aus all diesen Gründen sehen viele Menschen die Studienjahre rückblickend als die spannendste und prägendste Phase ihres gesamten Lebens an (vgl. Berk, 2011). Doch nun kommt das „Aber“: All dies ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das Studium stellt hohe Anforderungen an Studierende. Viele Studi‐ engänge beinhalten umfangreiche Curricula und eine starke Prüfungslast. Im Rahmen eines Bachelorstudiengangs beispielsweise sollen gemäß dem European-Credit-Transfer-and-Accumulation-System pro Semester 30 Leis‐ tungspunkte (sog. ECTS-Punkte) erworben werden. Dabei wird für einen ECTS-Punkt eine Arbeitslast von 25 bis 30 Stunden im Präsenz- und Selbst‐ studium angesetzt (Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2015). Bei gleichmäßiger Verteilung der Arbeitslast und drei Wochen Urlaub pro Semester entspricht dies in etwa einer 32 bis 40 Stunden-Arbeitswoche. Anders als später im Berufsleben gibt es in vielen Studiengängen jedoch wenig feste Anwesenheits- oder Arbeitszeiten, deren Einhaltung extern über‐ prüft wird. Dies gilt umso mehr für die wachsende Anzahl rein digitaler Lehrangebote ohne Präsenztermine (Klingsieck et al., 2012; Michinov et al., 2011). Leistungskontrollen finden häufig nur einmal pro Semester im Rahmen einer mündlichen oder schriftlichen Prüfung statt. Sofern die 1 Zum Einstieg 20 <?page no="21"?> 3 Die Begriffe „Selbstmanagement“, „Selbststeuerung“ und „Selbstregulation“ werden in diesem Buch synonym verwendet. Studierenden nicht durch wöchentliche Abgabetermine oder ähnliches von Dozierenden zu regelmäßigem Mitlernen angehalten werden, liegt es also in ihrer eigenen Verantwortung, die Arbeitslast gleichmäßig über das Semester zu verteilen. Dies scheint nicht allen Studierenden zu gelingen, wie die zuvor zitierte Studie zur Lernaktivität von Studienanfänger/ -innen belegt. In einer Untersuchung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) stieg die wöchentliche Lernzeit der Studierenden vom Beginn der Vorlesungszeit bis zur Prüfungsphase am Ende des Semesters um durchschnittlich 20 Stunden (Koudela-Hamila et al., 2019). Dies mag unter anderem daran liegen, dass Studierende häufig auch außerhalb ihres Studiums gefordert sind. Um das Studium zu finanzieren, haben viele von ihnen einen oder mehrere Nebenjobs. Dazu kommt das erstmalige Unterhalten einer eigenen Wohnung, der Aufbau partner- und freundschaftlicher Beziehungen, ganz allgemein die Anforderungen zuneh‐ mender Autonomie und Selbstverantwortung (vgl. Oerter & Montada, 2008). Die Pflege all ihrer Lebensbereiche verlangt den Studierenden viel Zeit und Energie ab. Nicht selten leidet die Work-Study-Life-Balance bzw. -Integration, weil einer dieser Bereiche zu viel Raum einnimmt oder die Erfordernisse verschiedener Bereiche kollidieren. Die multiplen Anfor‐ derungen, mit denen Studierende konfrontiert sind, gehen nicht spurlos an ihnen vorüber. In einer bundesweit angelegten Umfrage zur Gesundheit von Studierenden berichtet jede/ -r vierte Befragte, unter starkem Stress zu stehen und sich erschöpft zu fühlen (Grützmacher et al., 2018). Eine weitere Herausforderung für das Selbstmanagement 3 der Studie‐ renden stellt die ungünstige Kombination aus starken Reglementierungen einerseits und hohen Erwartungen an die Selbstständigkeit der Studierenden andererseits dar (vgl. Gómez Tutor et al., 2011). Viele Curricula sind inhalt‐ lich stark vorstrukturiert und lassen wenig Freiheit bei der Entscheidung, welche Veranstaltungen man wann belegt (wobei es hier erhebliche Unter‐ schiede je nach Studienfach gibt). Auch beim Ablegen von Prüfungen gibt es in der Regel verbindliche Fristen und strenge formale Vorgaben. Gleichzeitig wird von den Studierenden ein hoher Grad an Selbstständigkeit erwartet, nicht nur in Bezug auf die bereits thematisierten selbstorganisierten Lern‐ zeiten. „Uni ist nicht gleich Schule! “ - Lehrende setzen in der Regel voraus, dass Studierende eigenverantwortlich studienrelevante Informationen be‐ 1.2 Der Schweinehund im Studium 21 <?page no="22"?> 4 Als Soft Skills werden „weiche“ Kompetenzen im Umgang mit sich selbst (sog. Selbstkompetenzen wie Reflexionsvermögen) und im Umgang mit anderen (sog. Sozialkompetenzen wie Teamfähigkeit) bezeichnet. Das Gegenstück dazu sind Hard Skills, also „harte“ Kompetenzen im Umgang mit fachlichen Aufgaben und Problemen (wie Fachwissen, instrumentale Fertigkeiten …). schaffen, sich zu Veranstaltungen und Prüfungen anmelden, Orientierung hinsichtlich der vielfältigen Fachinhalte erlangen, den Prüfungsstoff erar‐ beiten, dabei Wichtiges von Unwichtigem trennen, sowie etwaige Defizite beim wissenschaftlichen Arbeiten oder Schreiben selbst beheben - das Stichwort lautet selbstreguliertes Lernen. Zugespitzt formuliert verlangt man von den Studierenden, sich an strenge formale Vorgaben zu halten, dabei aber möglichst eigenständig zu sein. Das „Ringen“ mit dem inneren Schweinehund ist sowohl Folge als auch Ursache von Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Anforderungen. Je höher die Belastung, desto wahrscheinlicher taucht der Schweinehund auf. Gibt man ihm nach, kann das die belastende Situation dann weiter verschärfen: Eigentlich wollte man etwas für die Uni machen, ist dann aber doch mit einer neuen Freundin Eis essen gegangen - eine klassische „Schweinehundattacke“. Diese Attacke kann völlig folgenlos bleiben und oftmals sind es ja genau solche spontanen Erlebnisse, die Würze in den „All‐ tagstrott“ bringen. In bestimmten Situationen (z. B. in der Prüfungsphase) oder wenn solche Attacken häufiger vorkommen, können sie das eigene Zeitmanagement aber auch ganz schön durcheinanderbringen und ziehen dann nicht selten ein schlechtes Gewissen nach sich: Man hat Schuldgefühle, weil man ja eigentlich etwas für die Uni machen wollte, und kann die „Fluchtaktivität“ (hier: Eis essen gehen) gar nicht wirklich genießen. Am Ende hat man nichts für die Uni getan und fühlt sich auch noch schlecht deswegen. Ein Studium zu meistern erfordert also eine Menge sog. Soft Skills 4 : Stu‐ dierende sollten in der Lage sein, Aufgaben eigenverantwortlich und zügig abzuarbeiten, diszipliniert und zuverlässig an vielen parallelen Projekten zu arbeiten sowie stets das „große Ganze“ im Blick zu behalten. Ohne diese Fähigkeiten können die Freiheiten eines Hochschulstudiums schnell zur Bürde werden. In diesem Sinne ist das Studium aber nicht nur Herausforderung, sondern vor allem auch Chance. Gerade weil es komplexe und vielschichtige Anfor‐ derungen stellt, bietet es optimale Bedingungen, um die eigenen Selbststeu‐ 1 Zum Einstieg 22 <?page no="23"?> erungsfähigkeiten zu reflektieren, zu trainieren und weiterzuentwickeln. Das Studium ist vielleicht der beste Ort, um den eigenen Schweinehund kennenzulernen, zu verstehen und Strategien zu entwickeln, um ihn an die Leine zu bekommen. Die dabei erlernten Fähigkeiten helfen Studierenden nicht nur, ihr Studium zu meistern, sondern sind auch eine unverzichtbare Schlüsselqualifikation im Alltags- und später im Berufsleben. Denn ein gutes Selbstmanagement hängt nachgewiesenermaßen mit Berufserfolg und Arbeitszufriedenheit zusammen (vgl. Wiese, 2008). Mit diesem Buch möchte ich Sie nicht dazu anstacheln, sich unbarmherzig und schonungslos zu immer mehr Leistung in immer kürzerer Zeit anzu‐ treiben. Vielmehr möchte ich Ihnen Anregungen geben, wie Sie heraus‐ finden können, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist, und wie Sie sich selbst dabei unterstützen können, Ihre Ziele zu erreichen. Natürlich kann es auch Ihr Wunsch sein, den Bachelorabschluss mit der Note 1,0 zu bestehen oder einen Job in einem der 100 größten börsennotierten Unternehmen der Welt zu ergattern. Verlieren Sie dennoch nicht Ihre psychische und physische Gesundheit sowie Ihr soziales Netz aus den Augen! Das Studium ist eine großartige und unvergessliche Zeit. Ein gutes Selbstmanagement hilft Ihnen dabei, diese Zeit sinnvoll nutzen und gleichzeitig genießen zu können. Auf den Punkt ▸ Unter den Bedingungen, wie ein Hochschulstudium sie bietet, sind Schwierigkeiten mit dem inneren Schweinehund eher der Normalfall als die Ausnahme. ▸ Das Studium stellt Studierende vor besondere Herausforderungen, ist vor allem aber auch eine Chance, die eigenen Selbststeuerungs‐ fähigkeiten zu trainieren und weiterzuentwickeln. 1.3 Zu diesem Buch Zweck und Zielgruppe Mit diesem Buch nehmen Sie Ihren inneren Schweinehund kurz- und längerfristig an die Leine. Zum einen werden Sie ein konkretes Vorhaben 1.3 Zu diesem Buch 23 <?page no="24"?> in die Tat umsetzen, das Sie vielleicht schon länger vor sich herschieben: Ihr persönliches „Schweinehundprojekt“. Zum anderen eignen Sie sich fundierte Kenntnisse darüber an, wie der innere Schweinehund tickt. Aus dem tieferen Verständnis der zugrundeliegenden psychologischen Prozesse heraus wird es Ihnen künftig leichterfallen, Ihre Vorsätze konsequent in die Tat umzusetzen und Ihr (Lern-) Verhalten so zu verändern, dass es Sie beim Verfolgen Ihrer Ziele unterstützt und entlastet. Ich erkläre Ihnen also nicht, mit welchen Methoden Sie besser lernen und sich auf Prüfungen vorbereiten können. Dazu wurden bereits viele gute Ratgeber geschrieben. In diesem Buch erfahren Sie, wie Sie diese schon bekannten Methoden zur täglichen Routine werden lassen können. Das Buch richtet sich in erster Linie an Studierende aller Studienfächer und Fachsemester sowie an Schüler/ -innen höherer Jahrgangsstufen, die ein Stu‐ dium anstreben - je früher Sie sich positive Lern- und Arbeitsgewohnheiten aneignen, desto besser. Auch, wenn das Buch speziell für den Hochschul‐ kontext geschrieben ist, so gelten die psychologischen Grundlagen letztlich für jedermann/ jedefrau und lassen sich mit etwas Fantasie auch auf andere berufliche und private Kontexte übertragen. Nicht geeignet ist das Buch für Personen, die von chronischem Auf‐ schieben (Prokrastination) oder anderen psychischen Erkrankungen wie Depression oder Burnout betroffen sind. In diesen Fällen reichen einfache Selbstmanagementtechniken, wie sie in diesem Buch vorgestellt werden, in der Regel nicht zur Problemlösung aus, sondern es empfiehlt sich das Hinzuziehen eines/ -r geschulten Therapeuten/ -in. In Kapitel 4.2 finden Sie Hinweise dazu, an wen Sie sich in solchen Fällen wenden können. An manchen Stellen wird dennoch aus didaktischen Gründen auf Befunde der Prokrastinationsforschung Bezug genommen. In englischen Facharti‐ keln wird der Begriff „procrastination“ zudem häufig auch für nicht patho‐ logische Formen des Aufschiebens verwendet. Prokrastination gilt dabei nicht nur als Verhaltensweise, sondern auch als Persönlichkeitseigenschaft (vgl. Steel, 2007). Aufbau Das Buch beinhaltet neben dieser Einleitung (Kapitel 1) drei weitere Kapitel. In Kapitel 2 werden die psychologisch-wissenschaftlichen Grundlagen des inneren Schweinehunds erläutert und Faktoren vorgestellt, welche die Rea‐ lisierung von Vorsätzen fördern oder hemmen können. Doch keine Sorge, 1 Zum Einstieg 24 <?page no="25"?> hier erwartet Sie keine trockene Theorie. Die psychologischen Konzepte und Modelle werden vielmehr anschaulich und leicht verständlich anhand vieler lebensnaher Beispiele und praktischer Übungen vermittelt. In Kapitel 3 werden dann konkrete Handlungsempfehlungen gegeben, die sich direkt aus den in Kapitel 2 vorgestellten Grundlagen ableiten und spezifisch auf den Studiumskontext zugeschnitten sind. Die vorgestellten Methoden werden in sechs übergeordneten Schritten zusammengefasst: ▸ Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset ▸ Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung ▸ Schritt 3: Planen Sie effektiv ▸ Schritt 4: Werden Sie aktiv ▸ Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor ▸ Schritt 6: Bleiben Sie dran Kapitel 3 schließt mit einem „Troubleshooting“ bei akuten Blockaden. In Kapitel 4 wird auf Anlaufstellen für Härtefälle verwiesen und ein abschlie‐ ßendes Fazit gezogen. Es gibt also grundsätzlich die Möglichkeit, eine Abkürzung zu nehmen. Sollte Ihnen aktuell ein bestimmtes Projekt unter den Nägeln brennen, können Sie die Grundlagen in Kapitel 2 erst einmal überspringen und sich zunächst lediglich Kapitel 3 oder - wenn Sie eine akute Blockade überwinden wollen - auch nur das Troubleshooting zu Gemüte führen. Vielleicht kommt es Ihnen etwas seltsam vor, dass das „Grundlagenka‐ pitel“ 2 im Vergleich zum „Anwendungskapitel“ 3 vergleichsweise viel Raum einnimmt. Bei der Lektüre werden Sie jedoch merken, dass hier das theoretische Fundament zum Verständnis der sechs Schritte gelegt wird, welche dann in Kapitel 3 zu einem möglichst praxisnahen Format verdichtet werden. Zu Beginn jedes Kapitels finden Sie ein detailliertes Inhaltsverzeichnis, am Ende der einzelnen inhaltlichen Unterkapitel werden die wichtigsten Erkenntnisse kurz zusammengefasst („Auf den Punkt“). Neben dem Fließtext gibt es immer wieder optisch hervorgehobene Abschnitte und Boxen. Diese enthalten häufig praktische Übungen und Aufgaben, anhand derer Sie die im Text besprochenen Inhalte reflektieren und anwenden können, sowie inhalt‐ liche Exkurse oder Hinweise auf Vertiefungsmöglichkeiten. Fachwörter und zentrale Begriffe sind fett markiert, Kursivschrift wird zur Hervorhebung, Betonung und Kennzeichnung fremdsprachiger Begriffe verwendet. 1.3 Zu diesem Buch 25 <?page no="26"?> Bevor es gleich richtig losgeht, möchte ich noch einen wichtigen Hinweis vorausschicken: Menschliches Erleben und Verhalten ist äußerst komplex. Daher gibt es auch nicht das eine wirksame Mittel, um den inneren Schweinehund zu zähmen. Welcher Weg Sie zum Erfolg führen wird, hängt unter anderem von Ihrer Persönlichkeit, Ihren Lernerfahrungen, Ihrer aktuellen Lebenssituation sowie den Rahmenbedingungen und der Art der zu erledigenden Aufgabe ab. Aber: Es gibt diesen Weg! Sie müssen ihn nur finden. Sehen Sie dieses Buch als Werkzeugkoffer, lernen Sie die einzelnen Werkzeuge kennen und finden Sie heraus, was davon Ihnen im Moment am meisten weiterhilft. Hinweis Das Buch inklusive aller Inhalte wurde von Autorin und Verlag unter größter Sorgfalt erstellt und geprüft. Dennoch erfolgt die Benutzung des Buches und die Umsetzung der darin enthaltenen Handlungsemp‐ fehlungen ausdrücklich auf eigene Verantwortung. Haftungsansprüche gegen die Autorin oder den Verlag sind grundsätzlich ausgeschlossen. Auf den Punkt ▸ Das Buch richtet sich an Studierende (und auch alle anderen), die ihren inneren Schweinehund besser kennenlernen und erfahren möchten, wie sie ihn an die Leine nehmen können. ▸ Es besteht die Möglichkeit, sofort mit einem konkreten Projekt zu starten (Kapitel 3) oder aber sich zunächst mit den psycholo‐ gisch-wissenschaftlichen Grundlagen vertraut zu machen (Kapitel 2). Empfehlenswert ist meiner Meinung nach das schrittweise Vorgehen gemäß dem Buchaufbau. 1 Zum Einstieg 26 <?page no="27"?> 2 So tickt der Schweinehund 2.1 Überblick 2.2 Warum wir tun, was wir tun 2.2.1 Was ist Motivation? 2.2.2 Extrinsische und intrinsische Motivation 2.2.3 Unsere inneren Antriebskräfte 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 2.3.1 Das Rubikonmodell der Handlungsphasen 2.3.2 Voraussetzungen erfolgreicher Vorsatzrealisation 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 2.4.1 Das Prozessmodell der Selbstkontrolle 2.4.2 Das „Jetzt“ abkühlen, das „Später“ erhitzen 2.4.3 Selbstkontrolle ist nicht alles 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 2.5.1 Der psychologische Dreiklang 2.5.2 Gefühlsgesteuert? 2.5.3 Die Macht der Gedanken 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 2.6.1 Was sind Gewohnheiten? 2.6.2 Die Gewohnheitsschleife 2.6.3 Aufbau und Änderung von Gewohnheiten 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 2.7.1 Aufschieben als lohnende Strategie 2.7.2 Veränderungen als Auslöser von Verlustangst und Stress 2.7.3 Soziale Einflüsse 2.8 Fazit: So tickt der Schweinehund 2.1 Überblick Der innere Schweinehund ist ein vielschichtiges psychologisches Phänomen. Deswegen lässt er sich auch so schwer fassen oder auf einen psychologi‐ schen Begriff reduzieren. In diesem Kapitel lernen Sie Konzepte, Theorien und Befunde aus unterschiedlichen Disziplinen der Psychologie kennen und erhalten so ein umfassendes Bild über die zugrundeliegenden Mechanismen und Ursachen des Schweinehunds. Diese Ursachen unterscheiden sich <?page no="28"?> nicht nur von Person zu Person, sondern auch von Situation zu Situation. Zudem laufen viele der beteiligten Prozesse außerhalb unserer bewussten Wahrnehmung und Steuerung ab. Kein Wunder also, dass wir uns mit dem Schweinehund oft so schwertun. Häufig wird der Schweinehund auf mangelnde Motivation zurückgeführt („Ich kann mich einfach nicht dazu motivieren! “). In der Tat ist Motivation eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Zielstreben. Gute Vorsätze scheitern allerdings oft nicht an mangelnder Motivation, sondern vielmehr an der konkreten Umsetzung. In der motivationspsychologischen Forschung wird daher zwischen Prozessen der Zielsetzung und Prozessen der Zielre‐ alisierung unterschieden. Auf Prozesse der Zielsetzung und damit vor allem auf motivationale Aspekte wird in Kapitel 2.2 näher eingegangen. Um Prozesse der Zielreali‐ sierung und damit vor allem um volitionale Aspekte geht es in Kapitel 2.3 und Kapitel 2.4. In Kapitel 2.5 wird beleuchtet, wie stark unsere Gedanken und Gefühle unser Handeln beeinflussen (und umgekehrt). In Kapitel 2.6 erfahren Sie, welch wichtige Rolle Gewohnheiten in unserem Leben spielen und wie wir sie clever für uns nutzen können. In Kapitel 2.7 werden weitere Einflüsse auf die Vorsatzrealisation erläutert. Abschließend wird in Kapitel 2.8 ein Fazit gezogen. 2.2 Warum wir tun, was wir tun 2.2.1 Was ist Motivation? Alles, was wir tun, tun wir aus bestimmten Gründen. Und auch, wenn wir etwas nicht tun, tun wir es aus bestimmten Gründen nicht. Diese Gründe für menschliches Handeln stehen im Zentrum der Motivationspsychologie. Der Begriff „Motivation“ stammt vom lateinischen Wort movere ab (dt. sich/ etwas bewegen). Er bezieht sich also auf das, was uns zum Handeln bewegt, auf unser Warum und Wozu (vgl. Brandstätter et al., 2018). Die Beweggründe unseres Handelns können individuell sehr unterschied‐ lich sein. Dennoch gibt es eine grundlegende Antriebskraft, die uns alle steuert, nämlich das Streben nach einem übergeordneten, positiven Zielzu‐ stand. Wie alle anderen lebenden Organismen auch haben wir Menschen die Tendenz, uns auf positive Reize (freundliche Gesichter, schmackhaft 2 So tickt der Schweinehund 28 <?page no="29"?> aussehende Nahrungsmittel, sichere Umgebungen …) zuzubewegen und uns von negativen Reizen (wütende Gesichter, verdorbene Nahrungsmittel, bedrohliche Umgebungen …) wegzubewegen. Mit anderen Worten: Positive Reize führen zu Annäherungsmotivation, negative Reize zu Vermei‐ dungsmotivation. In unserer evolutionären Vergangenheit sicherte diese hedonistische Verhaltenssteuerung unser Überleben und teilweise tut sie das auch heute noch. Sie kann uns aber auch zum Verhängnis werden, nämlich, wenn Aktivitäten, die längerfristig wichtig für unser Vorankommen, unsere Gesundheit oder unser Wohlbefinden wären, kurzfristig unangenehm sind. Die inneren Widerstände, die wir in diesen Situationen spüren (Stichwort: innerer Schweinehund), sind Ausdruck einer natürlichen Verhaltensten‐ denz: Unangenehm? Vermeiden! - Angenehm? Tun! (vgl. Pychyl et al., 2000). So ist es schnell passiert, dass wir lustige Videos im Internet gucken statt für die Statistikprüfung zu lernen oder dem Konflikt mit dem/ -r besten Freund/ -in aus dem Weg gehen statt ihn zu lösen. Wenn wir unseren Schweinehund zähmen wollen, müssen wir unseren hedonistischen Verhal‐ tenstendenzen trotzen und etwas (scheinbar) Unangenehmes tun statt es zu vermeiden. Oder aber wir verringern die Widerstände, indem wir die geplante Tätigkeit aufwerten und angenehmer gestalten - aber dazu später mehr. 2.2.2 Extrinsische und intrinsische Motivation In der motivationspsychologischen Forschung wird grundlegend zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation unterschieden (Deci & Ryan, 1985, 2000). Extrinsische Motivation Häufig tun wir etwas, weil wir von anderen eine Belohnung erhalten oder einer Bestrafung entgehen wollen (sog. extrinsische Motivation). Extrin‐ sisch motiviertes Verhalten ist Mittel zum Zweck, z. B. wenn Sie ein Seminar belegen (Mittel), um ECTS-Punkte dafür zu bekommen (Zweck) oder einen Nebenjob ausüben (Mittel), um Geld damit zu verdienen (Zweck). Wären Sie in diesen Situationen ausschließlich extrinsisch motiviert, würden Sie augenblicklich aus dem Seminar austreten, wenn Sie sich die ECTS-Punkte doch nicht anrechnen lassen könnten, oder Ihren Nebenjob augenblicklich 2.2 Warum wir tun, was wir tun 29 <?page no="30"?> kündigen, wenn Sie dafür nicht mehr bezahlt würden. Es gäbe für Sie keinen Grund mehr, Seminar oder Nebenjob weiter fortzuführen. Auch die Interaktion mit unserem sozialen Umfeld kann extrinsische Anreize zur Verfügung stellen (sog. soziale Motivation; siehe auch Kapitel 2.7.3). Auf diesem Prinzip beruht beispielsweise der Erfolg von sog. Lern‐ gruppen. Bei Lerngruppen handelt es sich um Zusammenschlüsse von zwei oder mehr Studierenden, die den Lernstoff kooperativ erarbeiten (vgl. Slavin, 2017). Man trifft sich regelmäßig zum gemeinsamen Lernen, dazwischen bearbeiten die Gruppenmitglieder im Selbststudium Aufgaben, die zuvor auf die einzelnen Mitglieder aufgeteilt wurden. Lerngruppen motivieren extrinsisch durch Belohnung, z. B. weil sie Unterstützung auf emotionaler Ebene liefern („Wir sitzen alle in einem Boot.“) und der/ die einzelne durch die Aufteilung des Lernstoffs entlastet wird. Es entsteht aber auch eine Art sozialer Druck. Durch die regelmäßigen Treffen gibt es verbindliche, zeitnahe Fristen für die Erledigung von Aufgaben. Hält man diese Fristen nicht ein, drohen Sanktionen durch die Gruppe. Und man möchte sich ja auch nicht vor den anderen blamieren. Erledigt man seine Aufgaben dagegen zuverlässig, wird man durch positive Reaktionen der anderen und kontinuierlichen Fortschritt belohnt. Man kann extrinsische Anreize wie (im-) materielle Belohnungen oder sozialen Druck einsetzen, um erwünschtes Verhalten anzustoßen oder in schwachen Momenten aufrechtzuerhalten (siehe nachfolgender Exkurs Operante Konditionierung). Insofern sind diese Anreize eine wirkungsvolle Methode, um den inneren Schweinehund in bestimmten Situationen an die Leine zu nehmen, z. B. bei einmaligen unangenehmen Aufgaben oder Tätig‐ keiten, denen man beim besten Willen (noch) nichts Positives abgewinnen kann. Angenommen, Sie schieben schon lange einen unangenehmen Zahn‐ arztbesuch vor sich her. In diesem Fall können Sie Ihrem inneren Schweine‐ hund ein Schnippchen schlagen, indem Sie nicht den Arztbesuch, sondern eine Belohnung (z. B. einen Kinobesuch danach) als Ziel Ihres Handelns definieren. So wird der Arztbesuch vom unattraktiven Zweck zum notwen‐ digen Mittel, mit dem Sie ein attraktives Ziel (Kinobesuch) erreichen können. Operante Konditionierung Bei der sog. operanten Konditionierung wird die Auftretenswahr‐ scheinlichkeit von Verhalten dadurch beeinflusst, dass ihm bestimmte Konsequenzen folgen (z. B. soziale Anerkennung/ Rückweisung, be‐ stimmte Privilegien/ Entbehrungen …). Ein Verhalten tritt häufiger auf, 2 So tickt der Schweinehund 30 <?page no="31"?> wenn ihm angenehme Konsequenzen folgen (sog. positive Verstär‐ kung) oder nach Ausführung des Verhaltens ein bisher wirkender, unangenehmer Reiz beendet wird (sog. negative Verstärkung). Ein Verhalten tritt seltener auf, wenn ihm etwas Unangenehmes folgt (sog. positive Bestrafung) oder nach Ausführung des Verhaltens etwas Angenehmes weggenommen wird (sog. negative Bestrafung; vgl. Sokolowski, 2013). Kurzum: Wird Verhalten belohnt, tritt es häufiger auf; wird Verhalten bestraft, tritt es weniger häufig auf. Operante Konditionierung ist ein zentraler Bestandteil unseres Lernens im Alltag, z. B. in der Kinderer‐ ziehung oder auch im Berufsleben. Ein Nachteil dieses Vorgehens liegt jedoch auf der Hand. Man macht damit die zu erledigende Aufgabe oder Tätigkeit zu etwas, das eben erledigt werden muss (ein „notwendiges Übel“), um eine Belohnung zu bekommen oder Bestrafung zu vermeiden. Sobald Belohnung oder Bestrafung wegfallen, gibt es keinen Grund mehr, die Tätigkeit weiter auszuführen - sie selbst wird nicht (zwingend) als angenehm oder belohnend erlebt. Dies sind keine guten Voraussetzungen, wenn man eine Verhaltensweise dauerhaft ausführen und zur Routine machen möchte. Dafür benötigt man intrinsische Motivation. Intrinsische Motivation Der Gegenpol zu extrinsischer Motivation - intrinsische Motivation - bedarf keiner externen Kontrolle oder Steuerung: Man führt eine Tätigkeit aus Spaß oder Interesse aus, sie ist nicht Mittel zum Zweck, sondern Mittel und Zweck. Um das Beispiel aus dem vorangehenden Abschnitt noch einmal aufzugreifen: Intrinsisch motiviert sind Sie, wenn Sie ein Seminar belegen, weil Sie sich für die Inhalte interessieren und etwas dazulernen möchten oder einen Nebenjob ausüben, weil Sie die Tätigkeit spannend finden und sich beruflich orientieren möchten. ECTS-Punkte oder Geld spielen dabei nicht die entscheidende Rolle. Intrinsische Motivation führt also dazu, dass ein Verhalten um seiner selbst willen und ohne äußere Beeinflussung ausgeführt wird. Damit ist sie auch Grundlage für den Gewohnheitsaufbau und dauerhafte Verhal‐ tensänderungen. Erst, wenn Sie Gründe in sich selbst finden, die ein er‐ wünschtes Verhalten verstärken, werden Sie es auch ohne externe Kontrolle längerfristig ausführen. Erfreulicherweise lässt sich intrinsische Motivation fördern, wie Sie in folgender Aufgabe selbst ausprobieren können. 2.2 Warum wir tun, was wir tun 31 <?page no="32"?> Aufgabe: Intrinsische Motivation Gibt es ein Thema innerhalb oder auch außerhalb Ihres Studiums, das Sie so richtig langweilig, uninteressant oder kompliziert finden, mit dem Sie sich nur beschäftigen würden, wenn Sie müssten oder eine Belohnung dafür erhalten würden? Nehmen Sie sich jetzt fünf Minuten Zeit für eine Blitzrecherche im Internet zu genau diesem Thema. Gehen Sie dabei von der Annahme aus, dass es auch bei diesem Thema etwas gibt, das für Sie wichtig oder interessant ist, das Sie überrascht, neugierig macht, inspiriert oder auch abstößt. Inwiefern hat das Thema - auch für Sie - lebenspraktische Bedeutung? Finden Sie den Anknüpfungspunkt zu Ihren Interessen. Stellen Sie nun einen Timer auf fünf Minuten und: los geht’s! Notieren Sie anschließend Ihre Gedanken. Hinweis: Sollte Ihnen diese Aufgabe beim besten Willen nicht gelungen sein, dann machen Sie sich darüber keine Gedanken. Insbesondere, wenn das Thema sehr weit weg ist von Ihren persönlichen Interessen und Präferenzen, sind fünf Minuten nicht viel Zeit. Sehen Sie die Aufgabe einfach als Übung, den eigenen Blick zu weiten: Was hält ein auf den ersten Blick unattraktives Thema vielleicht doch an interessanten Anknüpfungspunkten bereit? Eine Sonderform der intrinsischen Motivation ist das sog. Flow-Erleben. Flow wurde intensiv von dem Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi un‐ tersucht und ist - wie der Name schon sagt - ein Zustand des Im-Fluss-Seins (Csikszentmihalyi, 2019). Wenn eine Person Flow empfindet, geht sie so in einer Tätigkeit auf, ist so Eins mit dem, was sie tut, dass sie sich selbst völlig vergisst - ohne das Gefühl von Kontrolle über die Situation zu verlieren. Die Zeit vergeht wie im Flug. Flow gilt als optimaler Motivations- und Erlebenszustand (vgl. Brand‐ stätter et al., 2018). Die Aufmerksamkeit ist voll und ganz auf das gerichtet, was man tut. Konkurrierende Handlungsabsichten dringen nicht durch, man bleibt auf Zielkurs. Unter Flow erbringen Menschen Spitzenleistungen. Zudem wird Flow als sehr belohnend erlebt, das Tun macht Spaß, man fühlt sich sicher und ist „Herr (oder Frau) der Lage“. 2 So tickt der Schweinehund 32 <?page no="33"?> Im Prinzip kann Flow bei jeder Aktivität empfunden werden: bei mu‐ sischen oder künstlerischen Tätigkeiten wie Zeichnen, Schreiben oder Musizieren, beim Sport, beim Lernen und Arbeiten, sogar beim Putzen und Aufräumen. Damit Flow entstehen kann, sollte die Aktivität ▸ herausfordernd, aber machbar sein. Das bedeutet, dass die Anforde‐ rungen der Aufgabe und die Fähigkeiten der handelnden Person aufeinander abgestimmt sind (siehe Abbildung 1) und somit die Akti‐ vität für die Person weder zu einfach (= Unterforderung, Langeweile) noch zu schwer (= Überforderung, Angst) ist. Dies ist die wichtigste Voraussetzung für Flow. ▸ ein klares Ziel in sich haben. Man weiß, was man wie zu tun hat. ▸ unmittelbare Rückmeldungen beinhalten. Diese können von außen (z. B. Lob) oder innen (z. B. Gefühl der Leichtigkeit) kommen. A N F O R D E R U N G E N FÄHIGKEITEN Unterforderung Langeweile Überforderung Angst Abbildung 1. Flow-Erleben (eigene Darstellung in Anlehnung an Csikszentmihalyi, 2019, S. 75) Wenn wir im Flow sind, fühlen wir uns gut - das gefällt auch unserem Schweinehund. So kann uns Flow-Erleben sogar von unseren eigentlichen Vorsätzen abbringen, nämlich dann, wenn es die Flucht- oder Konkurrenz‐ aktivitäten sind, die Flow auslösen. Falls Sie gerne Computerspiele spielen, kennen Sie das bestimmt: Man taucht ein in eine andere, fiktive Welt, löst spannende Aufgaben oder Rätsel, vergisst alles um sich herum. Das Spielen selbst macht riesigen Spaß, man kennt das Ziel (z. B. einen Schatz zu finden) und erhält permanente Rückmeldungen und Belohnungen durch Punkte, Preise, neue Leben. Sobald man das aktuelle Level bewältigt hat und das Spiel 2.2 Warum wir tun, was wir tun 33 <?page no="34"?> droht, langweilig zu werden, beginnt das nächste, anspruchsvollere Level (Rheinberg & Vollmeyer, 2003). Der Vorsatz, sich jetzt endlich den trockenen Lernstoff für die anstehende Prüfung reinzupauken, scheint im Angesicht dieser fast rauschhaften Glückserfahrung zum Scheitern verurteilt. Man muss sich das Computerspielen (oder andere Flow-erzeugende Ak‐ tivitäten) jedoch nicht kategorisch verbieten, nur, weil es einen manchmal vom Arbeiten abhält. Psychologisch eleganter ist es, die eigentlich geplante Aufgabe (z. B. Lernstoff pauken) dem Computerspiel ähnlicher zu machen. In die sozialwissenschaftliche Forschung hat in diesem Zusammenhang der Begriff „Gamification“ Eingang gefunden. Damit ist die spielerische Gestaltung von Aktivitäten gemeint, die eigentlich aus einem spielfremden Kontext stammen. Gamification kann in unterschiedlichsten Bereichen angewendet werden (Bildungs- und Gesundheitswesen, Arbeitswelt, Um‐ weltschutz …) und wirkt sich positiv auf Motivation und Leistung aus (Sailer, 2016). Aufgabe: Flow-Erleben Wann erleben Sie für gewöhnlich Flow? Ist das nur bei Freizeitaktivi‐ täten oder kennen Sie Flow auch von studiumsbezogenen Tätigkeiten? Notieren Sie Ihre Gedanken. Bei all seinen positiven Seiten sollte man das Flow-Erleben jedoch nicht zum absoluten Ideal verklären - gerade, wenn es um das Erledigen unan‐ genehmer Aufgaben geht. Flow ist keine zwingende Voraussetzung dafür, Dinge erledigt zu bekommen (siehe auch Kapitel 2.5.2). Extrinsische vs. intrinsische Motivation Wie verhalten sich extrinsische und intrinsische Motivation zueinander? Bearbeiten Sie dazu zunächst folgende Aufgabe. Aufgabe: Extrinsische und intrinsische Motivation Nehmen Sie Ihren aktuellen Stundenplan oder den Stundenplan für das kommende Semester zur Hand. Gehen Sie die einzelnen Veran‐ staltungen durch und überlegen Sie, aus welchem/ -n Grund/ Gründen 2 So tickt der Schweinehund 34 <?page no="35"?> Sie diese belegen. In der folgenden Liste finden Sie einige Beispiele. Vielleicht gibt es auch noch weitere Gründe? Ich belege diese Veranstaltung, weil … 1. es von mir erwartet wird (z. B. gemäß Prüfungsordnung). 2. sie Grundlage für spätere Studieninhalte ist. 3. ich damit eine wichtige Qualifikation für mein Berufsleben erwerbe. 4. ein/ -e befreundete/ -r Kommilitone/ -in die Veranstaltung ebenfalls belegt. 5. ich den/ die Dozent/ -in gut finde. 6. mich das Thema persönlich interessiert und ich mehr darüber erfahren möchte. 7. mir die Veranstaltung Spaß macht/ machen wird. 8. mich der Titel der Veranstaltung neugierig gemacht hat. 9. ich dadurch etwas lernen und mich verbessern möchte. 10. ich einfach gerne studiere und so viel wie möglich „mitnehmen“ möchte. Bei den Punkten 1 bis 5 handelt es sich um eher extrinsische, bei den Punkten 6 bis 10 um eher intrinsische Anreize. Vergleichen Sie Ihre Gründe für den Besuch der einzelnen Veranstaltungen. Gibt es Kurse, bei denen extrinsische oder intrinsische Anreize überwiegen? Warum ist das so? Notieren Sie Ihre Gedanken. Extrinsische und intrinsische Motivation schließen sich nicht aus, im Op‐ timalfall bestärken sie sich sogar gegenseitig. So kann es durchaus ein extrinsischer Anreiz sein, der ein bestimmtes Verhalten in Gang bringt - das intrinsische Interesse kommt dann oft mit dem Tun. Vielleicht haben Sie das auch selbst schon erlebt: Man besucht ein Seminar, weil es eine Pflichtveranstaltung im Rahmen des Studiums ist. Während des Seminars entwickelt man Interesse an den Inhalten und investiert sogar noch mehr Zeit und Energie als nötig gewesen wäre, um die ECTS-Punkte zu erhalten. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn man versucht, ursprünglich intrinsisch motivierte Tätigkeiten durch äußere Anreize zu beeinflussen. Dadurch kann das intrinsische Interesse verloren gehen. In der Psychologie nennt man dies Korrumpierungseffekt (Deci, 1971). Erklärt wird dieser Effekt damit, 2.2 Warum wir tun, was wir tun 35 <?page no="36"?> dass sich die Wahrnehmung der Gründe für das Handeln von innen nach außen verlagert („Ich tue das, weil es mir Spaß macht.“ wird zu „Ich tue das, weil ich etwas dafür bekomme.“). Nun könnte man sich fragen, ob die Strukturen und Anforderungen eines Hochschulstudiums dann nicht eher kontraproduktiv sind - gerade wenn Studierende eigentlich Freude und ein tieferes Interesse an ihrem Studienfach mitbringen. Wird der Spaß am Lernen durch ECTS-Punkte und Noten untergraben? Nicht unbedingt. Der Korrumpierungseffekt kann z. B. verhindert werden, wenn externe Anreize nicht als willkürliche Kontrollinstrumente, sondern als informative Leistungsrückmeldung eingesetzt und wahrgenommen werden (vgl. Brand‐ stätter et al., 2018). Die Wirkung extrinsischer und intrinsischer Anreize hängt zudem von der Art der Leistung ab. Extrinsische Motivation ist leistungsförderlich, wenn die Leistung quantitativ erfasst wird (z. B. Anzahl gelöster Probleme), intrinsische Motivation dagegen führt zu qualitativ hochwertigeren Ergebnissen (z. B. Kreativität der Problemlösung; Cerasoli et al., 2014). 2.2.3 Unsere inneren Antriebskräfte Intrinsische Motivation ist also eng mit der Freude am Tun verbunden und erleichtert es, erwünschtes Verhalten längerfristig aufrechtzuerhalten. Doch woher kommt intrinsische Motivation genau? Zu unseren inneren Antriebskräften gehören unsere Motive, Werte, Visionen und Ziele. Im Fol‐ genden werden diese Begriffe zunächst definiert und theoretisch erläutert, in Kapitel 3 werden Sie dann Gelegenheit haben, Ihren eigenen inneren Antriebskräften auf den Grund zu gehen. Motive Der übergeordnete, positive Zielzustand, den wir mit unserem Handeln anstreben, kann für jede/ -n anders aussehen, d. h. es gibt unterschiedliche Motive (vgl. Brandstätter et al., 2018). Die am häufigsten in der Psychologie untersuchten Motive sind das Leistungs-, Anschluss- und Machtmotiv. Diese Motive sind bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt und gelten als relativ stabil über die Zeit: ▸ Leistungsmotivierte Menschen suchen Herausforderungen und wollen diese eigenständig meistern. Ihr primärer Antrieb ist es, durch Leis‐ tung Erfolge zu erzielen. 2 So tickt der Schweinehund 36 <?page no="37"?> ▸ Anschlussmotivierte Menschen streben danach, positive zwischen‐ menschliche Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen. Sie suchen und finden ihren Antrieb in sozialer Eingebundenheit. ▸ Machtmotivierte Menschen wollen andere beeinflussen oder beein‐ drucken und selbst möglichst frei von Kontrolle durch andere sein. Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die zwischen impliziten und expliziten Motiven (vgl. Schultheiss & Köllner, 2021). Implizite Motive - auch affektgesteuerte Bedürfnisse genannt (Brandstätter et al., 2018) - werden durch emotionale Erfahrungen in der frühen Kindheit (z. B. Freude, wenn man eine Aufgabe gemeistert hat) sowie durch hormonelle Einflüsse vor der Geburt und in der Pubertät geformt (Köllner et al., 2019). Sie sind dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich und nicht verbalisierbar. Implizite Motive beeinflussen spontanes und auf Eigeninitiative beru‐ hendes Verhalten (z. B. im Rahmen der längerfristigen beruflichen Karriere). Explizite Motive - auch motivationales Selbstbild genannt (Brandstätter et al., 2018) - werden durch die Interaktion mit der sozialen Umwelt gelernt (z. B. durch Erwartungen von Eltern oder Lehrern/ -innen) und sind bewusste Selbstzuschreibungen. Sie beeinflussen unsere Entscheidungen, Bewertungen und verbal getätigten Aussagen. Werte, Visionen und Ziele, wie sie im Folgenden erläutert werden, sind Teil der expliziten Motivebene. Implizite Motive sind also gewissermaßen unser „Herz“ und explizite Motive unser „Kopf “. Optimalerweise stehen beide in Einklang: So wird beispielsweise das abstrakte implizite Leistungsmotiv (Genuss heraus‐ fordernder Aufgaben) über das explizite Leistungsmotiv („Ich bin eine leistungs‐ orientierte Person“) in Leistungsziele und -verhalten übersetzt (Wahl herausfor‐ dernder beruflicher Ziele und entsprechendes Handeln), die das implizite Motiv befriedigen können. (Brandstätter et al., 2018, S. 83) Häufig stimmen Herz und Kopf jedoch nicht überein. Man spricht dann von Motivinkongruenz (vgl. Köllner & Schultheiss, 2014). Diese tritt auf, wenn Ziele, die man verfolgt, nicht zu den eigenen impliziten Motiven passen. Die Energie zur Umsetzung dieser Ziele kommt dann nicht von innen, sondern muss durch Willenskraft erzwungen werden. Gleichzeitig fehlen die zur Zielverfolgung aufgebrachte Zeit und Energie zur Befriedigung der eigenen impliziten Motive. Dies ist auf Dauer anstrengend und kann negative Auswirkungen auf emotionales Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und Gesundheit haben (Brandstätter et al., 2018). 2.2 Warum wir tun, was wir tun 37 <?page no="38"?> Ein Fallbeispiel: Von außen betrachtet läuft es prima in Pauls Studium, er besucht gewissenhaft alle Veranstaltungen und besteht alle Prüfungen. Allerdings empfindet er keine wirkliche Befriedigung dabei, sondern vielmehr Unbehagen. Irgendetwas stimmt nicht. Pauls Kopf sagt „Ich will überall Bestnoten haben! “, sein Herz dagegen „Ich will mehr Zeit mit Familie und Freunden/ -innen verbringen! “. Um diesen Konflikt zu überwinden, benötigt Paul viel Willenskraft und Anstrengung - ohne sich des Konflikts bewusst zu sein. Er nimmt an, es müsse wohl der berühmte innere Schweinehund sein, der ihm das Studieren so schwer macht. Es gibt bereits Ansätze zur Förderung von Motivkongruenz (also dem Gegenteil von Motivinkongruenz), die in der Regel eine umfassende Mo‐ tivdiagnostik beinhalten (z. B. Roch et al., 2017). Man kann jedoch auch versuchen, den eigenen impliziten Motiven anhand bestimmter Selbsterfah‐ rungsübungen wie der folgenden auf die Spur zu kommen (leicht abgewan‐ delt aus Rheinberg & Vollmeyer, 2019, S. 255). Aufgabe: Impliziten Motiven auf der Spur Nehmen Sie sich ein wenig Zeit, um sich mit Ihren persönlichen Tätigkeitsvorlieben auseinanderzusetzen, d. h. mit Situationen und Akti‐ vitäten, bei denen Sie sich - unabhängig von Ihren explizit formulierten Wünschen oder Zielen - besonders wohl fühlen. Stellen Sie sich dazu folgende Fragen: ▸ Welche Aktivitäten mache ich auch ohne Belohnung oder Druck immer wieder gerne und ziehe sie häufig vor? Was ist das Besondere an diesen Aktivitäten? ▸ Wann habe ich mich über ein erzieltes Ergebnis besonders gefreut? Wann konnte ich mich über ein erzieltes Ergebnis erstaunlicher‐ weise gar nicht richtig freuen? ▸ Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit ich mich freud‐ voll, engagiert und effektiv für etwas einsetze? Auf diesem Weg kommen Sie näher an Ihre impliziten Motive heran und können diese bei zukünftigen (expliziten) Zielentscheidungen oder -planungen besser berücksichtigen. Notieren Sie Ihre Gedanken. 2 So tickt der Schweinehund 38 <?page no="39"?> 5 Als Selbstkonzept wird das Bild bezeichnet, das Menschen von sich selbst haben. Es enthält Einschätzungen und Wissen darüber, wer man ist und welche Eigenschaften und Fähigkeiten einen auszeichnen (Ich bin herzlich/ habe keine Ahnung von Geographie/ kann gut Badminton spielen …). Diese rein sachlichen Informationen über das Selbst sind in der Regel auch mit einer subjektiven Bewertung verbunden (Es ist gut, dass ich so herzlich bin/ Es ist schlecht, dass ich keine Ahnung von Geographie habe …). Die Summe all dieser Bewertungen bestimmt unseren Selbstwert (vgl. Werth et al., 2020a). Werte Werte sind Leitprinzipien für das individuelle und soziale Leben, d. h. sie drücken aus, was einer Person im Leben wichtig ist (z. B. Ehrlichkeit, Gleich‐ berechtigung, Ehrgeiz; vgl. Trapnell & Paulhus, 2012). Unser Wertesystem ist ein wichtiger Teil unseres Selbstkonzepts 5 . Es beeinflusst unser Erleben und Verhalten und leitet uns wie ein „moralischer Kompass“ (Frey, 2016). Nicht nur Individuen, sondern auch soziale Gruppen und Systeme wie z. B. Familien, Arbeitsgruppen, Unternehmen, Gesellschaften und Kulturen haben ihre eigenen Wertesysteme. Ein Fallbeispiel: Tanja ist der Wert „Unabhängigkeit“ sehr wichtig. Sie verlässt sich lieber auf sich selbst anstatt auf andere, will eigenverantwortlich handeln und frei von äußeren Zwängen sein. Von eifersüchtigen Partnern fühlt sie sich schnell eingeengt. Sie meidet zudem Situationen, in denen sie von anderen abhängig ist. Auch das Verhalten anderer misst sie an diesem Wert. Sie kann es z. B. gar nicht verstehen, wenn jemand sehr unselbstständig ist und andere häufig um Hilfe bittet. Auch bei ihrer Berufswahl ist die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Arbeiten eines ihrer zentralen Entscheidungskriterien. Anders als Einstellungen oder Interessen sind Werte nicht auf spezifische Objekte oder Situationen bezogen, sondern wirken als Leitprinzipien über Situationen hinweg. „Hilfsbereitschaft“ beispielsweise ist ein Wert, „meinem Mitbewohner helfen, den schweren Karton in den Keller zu tragen“ hingegen nicht (das wäre eher ein Ziel). Allerdings kann sich das individuelle Wer‐ tesystem je nach Lebensbereich unterscheiden: Vielleicht ist einer Person Hilfsbereitschaft und Fürsorge im Privaten sehr wichtig, im Berufsleben dagegen konzentriert sie sich stärker auf die Verfolgung eigener Interessen. 2.2 Warum wir tun, was wir tun 39 <?page no="40"?> Visionen Eine Vision ist Ausdruck eines Wunsches oder einer Idee, was man mit seinem Leben anfangen möchte. Dieser Wunsch kann sich auf alle Lebensbereiche beziehen und Unterschiedliches beinhalten, z. B. eine Aufgabe wie „Ich möchte anderen helfen.“, Erlebnisse wie „Ich möchte alle Kontinente bereisen.“ oder das Schaffen eines Werkes wie „Ich möchte Fantasy-Romane schreiben.“ Eine Vision beschreibt sowohl einen wünschenswerten Endzustand („Was“) als auch den Zweck des eigenen Tuns („Wozu“). Sie lässt uns an eine bessere Zukunft glauben und ist inspirierend (vgl. Shamir et al., 1993). Konkrete Realisierungsmöglichkeiten („Wie“) enthält sie nicht. Viel Forschung zum Konzept der Vision stammt aus der Organisationspsychologie. Gelingt es einer Führungskraft, den Mitarbeitern/ -innen eine aussagekräftige und attraktive Vision zu vermitteln, sind diese enthusiastischer, motivierter und engagierter bei der Arbeit (Baum et al., 1998; Berson et al., 2015). Eine klare Vision ist sinnstiftend und gibt den Kurs für unser tägliches Handeln vor. Unsere Wünsche müssen nicht immer gleich die Form einer Vision („Le‐ benswunsch“) annehmen, sondern können auch kleinere und kurzfristigere Zukunftsfantasien beinhalten („Ich wünschte, ich könnte besser Englisch sprechen.“). Diese Fantasien lassen uns träumen, sind aber nicht sehr ver‐ bindlich. Um Realität werden zu können, muss der Wunsch in ein konkretes Ziel umgewandelt werden (vgl. Heckhausen & Heckhausen, 2018). Ziele Ziele spezifizieren, was das Ergebnis des eigenen Tuns sein wird („Ich bestehe am Ende des Semesters eine Englischprüfung auf Niveaustufe B1.“). Damit sind sie Dreh- und Angelpunkt unserer Selbststeuerung - sie lenken unser Tun in eine bestimmte Richtung und sind somit wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Erfüllung unserer Wünsche und Visionen. Es werden verschiedene Arten von Zielen unterschieden: ▸ Performanz- und Lernziele: Bei Performanzzielen geht es um ein konkretes, messbares Endprodukt, das erreicht werden soll („Ich mache den Bachelorabschluss in Fach x.“), bei Lernzielen um das Erwerben bestimmten Wissens oder bestimmter Kompetenzen, also eher um einen Endzustand („Ich lerne kritisch-analytisches Denken.“). ▸ Annäherungs- und Vermeidungsziele: Annäherungsziele be‐ ziehen sich auf das Erreichen eines positiven Zielzustands („Ich 2 So tickt der Schweinehund 40 <?page no="41"?> bestehe die Prüfung mindestens mit einer 2,0.“), Vermeidungsziele auf das Vermeiden eines negativen Zielzustands („Ich falle nicht durch die Prüfung.“). ▸ Lang-, mittel- und kurzfristige Ziele: Langfristige Ziele beziehen sich auf größere Zeiträume wie Jahre oder Jahrzehnte („Ich mache Karriere als Staatsanwalt.“, „Ich gründe eine Familie.“), mittelfristige Ziele auf das laufende Semester oder Monate („Ich schließe Modul x ab.“, „Ich ziehe dieses Jahr noch um.“) und kurzfristige Ziele auf Wochen, Tage oder Stunden („Ich exzerpiere Kapitel 1 aus Lehrbuch x.“, „Ich miste meinen Kleiderschrank aus.“). Die Begriffe „Ziel“ und „Vorsatz“ sind eng miteinander verbunden, es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied. Während ein Ziel das (erwünschte oder erwartete) Ergebnis einer Handlung beschreibt, bezieht sich der Vorsatz auf die Absicht zur Ausführung einer bestimmten Handlung, um das Ziel zu erreichen (Wirtz, 2017). „Ich absolviere im September einen Halbmarathon.“ ist ein Ziel, „Ab jetzt gehe ich jeden zweiten Tag joggen.“ der Vorsatz dazu. Abgrenzung der Begriffe Stellen Sie sich folgende Situation vor: Die Prüfungsphase hat begonnen und Sie haben sich vorgenommen, am Wochenende zu lernen. Doch dann lädt eine gute Freundin Sie zu einer spontanen WG-Party am Samstag ein. Alle Ihre Freunde/ -innen werden dort sein. Werden Sie das Lernen bleibenlassen und auf die Party gehen? Oder werden Sie die Party absagen und Ihrem Lernplan treu bleiben? Ein echtes Dilemma - was werden Sie tun? Aus psychologischer Sicht handelt es sich um einen komplexen Entscheidungsprozess, in den unter anderem einfließen wird, ▸ ob Sie allgemein stärker leistungs- oder anschlussmotiviert sind. Bei höherer Leistungsmotivation werden Sie sich vielleicht eher für das Lernen, bei höherer Anschlussmotivation vielleicht eher für die Party entscheiden. ▸ wie Sie die Situation vor dem Hintergrund Ihres Wertesystems beur‐ teilen. Ist es moralisch vertretbar, die Freundin zu enttäuschen, weil man selbst eine gute Note in der Prüfung haben möchte? ▸ welche der beiden Handlungsoptionen Sie Ihrer Vision näher bringt: Ist es Ihr größter Wunsch, einen hervorragenden Abschluss und danach Karriere zu machen, oder sehen Sie sich auch in Zukunft vor allem im Kreis Ihrer Lieben? 2.2 Warum wir tun, was wir tun 41 <?page no="42"?> ▸ welche Ziele Sie (aktuell) verfolgen: Wie viele Prüfungen wollen Sie wann und mit welchem Ergebnis absolvieren? Oder auch: Was haben Sie sich bezüglich Ihrer sozialen Beziehungen vorgenommen? Wollten Sie diese in nächster Zeit zugunsten Ihres Studiums einschränken oder wieder mehr pflegen? Das „Big Picture“ Unsere inneren Antriebskräfte wirken über Emotionen auf unser Handeln. Werden unsere Werte verletzt oder wir an der Erreichung unserer Ziele gehindert, erleben wir negative Emotionen wie Ärger oder Frust. Diese negativen Emotionen und die sie begleitenden physiologischen Reaktionen lösen Verhalten aus, das den negativen Zustand lindert oder beseitigt. Werden unsere Bedürfnisse dagegen erfüllt, führt dies zu positiven Emo‐ tionen wie Freude oder Erleichterung (siehe auch Kapitel 2.5.2). Diese positiven Emotionen sind allerdings oft nicht von Dauer. So zeigt die Forschung zur sog. hedonistischen Tretmühle, dass wir uns an positive (und auch negative) Lebensereignisse schnell gewöhnen und nach kurzer Zeit wieder auf ein stabiles „Glücksniveau“ zurückkehren (Brickman & Campbell, 1971; Diener et al., 2006). Jenseits kurzfristiger Belohnungen benötigen wir also Werte und Visionen, die unserem Tun einen höheren Sinn verleihen und uns helfen, auch längerfristig dran zu bleiben. So hängen bei Studierenden Arbeitsmoral, Effektivität beim Lernen und Stressmanage‐ ment stärker mit dem Vorhandensein eines klaren Berufswunschs (engl. career purpose) zusammen als mit einer guten Selbstorganisation (Kearns & Gardiner, 2007). Es wurde bereits erläutert, dass es eine implizite und eine explizite Motiv‐ ebene gibt und diese beiden Ebenen in Konflikt stehen können (Motivinkon‐ gruenz). Auch innerhalb der expliziten Ebene kann es zu Unstimmigkeiten kommen, z. B. wenn man Ziele verfolgt, die nicht den eigenen Werten und Visionen entsprechen. Vielleicht ist man so damit beschäftigt, den Alltagsstress zu bewältigen und möglichst viele Aspekte des eigenen Lebens unter Kontrolle zu bringen, dass man das große Ganze aus den Augen verliert. Oder man lebt ein Leben, das andere (Eltern, Gesellschaft …) für einen vorgesehen haben, das den eigenen Vorstellungen aber gar nicht wirklich entspricht. Die Übereinstimmung zwischen täglichem Handeln und den eigenen expliziten Motiven gilt als wichtige Voraussetzung für emotionales Wohlbefinden (vgl. Schippers & Ziegler, 2019). 2 So tickt der Schweinehund 42 <?page no="43"?> Bevor man sich in die konkrete Organisation des (Studien-) Alltags stürzt, sollte man sich also zuallererst Klarheit über die eigenen Motive, Werte und Visionen - das eigene Big Picture - verschaffen: Was möchte ich in Zukunft gerne tun? Wofür möchte ich meine Zeit nutzen? Vielleicht stellt man dabei fest, dass ein aktuelles Fernziel gar nicht (mehr) den eigenen Wünschen entspricht oder man es nur verfolgt, weil man die (vermeintlichen) Erwartungen anderer erfüllen möchte. Person und Situation An der Entstehung motivierten Verhaltens sind aber nicht nur Merkmale der Person, sondern auch Merkmale der Situation beteiligt (vgl. Brandstätter et al., 2018). Ein Motiv (Personenmerkmal) etwa wird nur dann verhaltens‐ wirksam, wenn es durch äußere Anreize (Situationsmerkmal) angeregt wird: So wird das Leistungsmotiv nur dann angeregt, wenn es im eigenen Umfeld (z. B. im Rahmen des Studiums) auch herausfordernde Aufgaben gibt, denen man sich stellen kann. Das Anschlussmotiv dagegen benötigt ein soziales Umfeld, das den Aufbau sozialer Beziehungen ermöglicht. In ähnlicher Weise beziehen sich unsere Werte, Visionen und Ziele in der Regel auf bestimmte materielle oder ideelle Gegenstände außerhalb unserer Person und ihre Erfüllung kann in bestimmten (sozialen) Kontexten erleichtert oder erschwert sein. Man kann also noch so motiviert sein, sich für eine Prüfung vorzubereiten - solange die Gelegenheit zum Lernen fehlt, z. B. weil man die Lernunterlagen nicht zur Hand hat oder in der Nachbarwohnung 80-Dezibel-laute Renovierungsarbeiten stattfinden, wird man höchstwahrscheinlich nicht effektiv lernen. Umgekehrt ist auch die optimale Lernumgebung nutzlos, wenn man keinerlei inneren Antrieb zum Lernen verspürt. Motivation entsteht also immer aus dem Zusammenwirken innerer und äußerer Faktoren. Zusammenfassend liefert die Auseinandersetzung mit der eigenen Motiva‐ tion bereits einige Ansatzpunkte für einen förderlichen Umgang mit dem inneren Schweinehund. Schauen Sie mit Interesse auf sich und Ihr Verhalten. Wenn Sie den ganzen Nachmittag vertrödelt haben statt etwas für die Uni zu tun, gibt es dafür Gründe. Verurteilen Sie sich nicht, sondern finden Sie heraus, woran es lag. Um zukünftig konsequenter bei der Umsetzung Ihrer Vorsätze zu sein, können Sie dann sowohl bei sich selbst ansetzen (z. B. indem Sie Ihr Interesse an den Lerninhalten fördern), als auch bei der Situation (z. B. indem Sie günstige Gelegenheiten zum Lernen schaffen und nutzen). 2.2 Warum wir tun, was wir tun 43 <?page no="44"?> Auf den Punkt ▸ Der Begriff „Motivation“ bezieht sich auf die Beweggründe unseres Handelns. Motivation entsteht stets aus dem Zusammenwirken innerer und äußerer Faktoren. ▸ Im Allgemeinen ist unser Handeln darauf ausgerichtet, einen übergeordneten, positiven Zielzustand zu erreichen: Angenehmes wird angenähert, Unangenehmes vermieden. Den inneren Schwei‐ nehund zu zähmen erfordert häufig das genaue Gegenteil, nämlich etwas Unangenehmes zu tun und/ oder auf etwas Angenehmes zu verzichten. ▸ Extrinsische Anreize (Belohnung/ Bestrafung) können beim Über‐ winden des Schweinehunds kurzfristig hilfreich sein. Wenn wir jedoch längerfristig am Ball bleiben wollen, sollte unser Tun in Einklang mit unseren Motiven, Werten und Visionen stehen, also intrinsisch motiviert sein. Sollte es Ihnen sogar gelingen, während der geplanten Aktivität „in den Flow“ zu kommen, wird der Schwei‐ nehund Sie wahrscheinlich sogar komplett in Ruhe lassen. 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel Dass mangelnde Motivation nicht der einzige Grund für das Auftauchen des Schweinehunds ist, sieht man daran, dass auch persönlich bedeutungsvolle und wünschenswerte Vorsätze häufig nicht in die Tat umgesetzt werden. Von der ersten Formulierung eines Vorsatzes bis zum Erreichen des Ziels ist es oft ein langer Weg, über den hohe Motivation alleine (leider) nicht trägt. Hier kommt unsere Willenskraft (sog. Volition) ins Spiel. Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, unser Handeln an unseren Zielen auszurichten und uns dabei nicht ablenken zu lassen. 2.3.1 Das Rubikonmodell der Handlungsphasen Nach dem sog. Rubikonmodell der Handlungsphasen (Heckhausen & Gollwitzer, 1987; Heckhausen & Heckhausen, 2018) gliedert sich die Umset‐ zung von Vorsätzen in vier aufeinanderfolgende Phasen (siehe Abbildung 2): 2 So tickt der Schweinehund 44 <?page no="45"?> ▸ Phase 1 (Abwägen und Entscheiden) dient der Zielsetzung. Man wägt unterschiedliche Wünsche („Ich würde gerne …“) anhand ihrer Attraktivität und Realisierbarkeit gegeneinander ab und entscheidet sich dann für einen konkreten Vorsatz („Ich werde …! “). ▸ In Phase 2 (Planen) werden konkrete Maßnahmen zur Realisierung des Vorsatzes ausgewählt und vorbereitet. Man erhält den Vorsatz aufrecht, bis sich eine günstige Gelegenheit zum Handeln ergibt. ▸ In Phase 3 (Handeln) werden die geplanten Maßnahmen umgesetzt. Hindernisse und Schwierigkeiten werden überwunden, man nähert sich dem Ziel Schritt für Schritt an, bis man es dann erreicht. ▸ In Phase 4 (Bewerten und Ablösen) wird das Ergebnis des Handlungs‐ prozesses bewertet, indem man es mit dem erwünschten Zielzustand vergleicht. Fällt dieser Vergleich zufriedenstellend aus, löst man sich von dem Projekt und wendet sich neuen Zielen zu. Motivation (Phase 1 und 4) und Volition (Phase 2 und 3) wirken also zusammen, wenn ein Vorsatz Realität wird. Rubikon Z i e l s e t z u n g Abwägen & Entscheiden Motivationale Phase Motivationale Phase Volitionale Phase Planen H a n d l u n g s i n i t i i e r u n g Handeln Z i e l e r r e i c h u n g Bewerten & Ablösen Abbildung 2. Rubikonmodell (eigene Darstellung in Anlehnung an Brandstätter et al., 2018, S. 143) Der Übergang von Phase 1 zu Phase 2 wird auch als Überschreiten des Rubikon bezeichnet, daher der Name des Modells. Der Begriff geht auf Julius Cäsar zurück, der 49 v. Chr. nach langem Abwägen den Grenzfluss Rubikon überquerte und damit unwiderruflich den römischen Bürgerkrieg auslöste. Im Rubikonmodell steht der Begriff für den Moment, in dem man sich verbindlich auf ein Ziel und dessen Realisierung festlegt. 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 45 <?page no="46"?> Als besonders kritisch gilt der Übergang von Phase 2 zu Phase 3, also vom Planen zum Handeln (sog. Handlungsinitiierung). Hier scheitern viele Vorhaben. Der Fachbegriff dafür lautet Intentions-Verhaltens-Lücke (Sheeran & Webb, 2016; Webb & Sheeran, 2006): Das, was man gerne tun möchte (Vorsatz/ Intention), stimmt oft nicht mit dem überein, was man tatsächlich tut (Verhalten). Übrigens scheint auch chronisches Aufschieben vor allem das Ergebnis einer Lücke zwischen Absicht und Verhalten zu sein. Menschen, die unter Prokrastination leiden, stimmen üblicherweise Aus‐ sagen wie dieser zu: „Egal, wie sehr ich mich bemühe, nicht aufzuschieben, ich tue es trotzdem.“ (vgl. Höcker et al., 2017a). In ihren Arbeitsabsichten unterscheiden sie sich in der Regel nicht von Menschen ohne Prokrastina‐ tion. Sie planen genauso hart zu arbeiten wie andere auch. Die Umsetzung zur Tat aber bereitet diesen Menschen eine größere, oft nicht stemmbare Mühe - insbesondere dann, wenn die Erledigungsfrist weit in der Zukunft liegt (Steel, 2007; Steel et al., 2018). Auch, wenn er besonders gerne am Übergang zwischen Phase 2 und 3 lauert, kann uns der Schweinehund grundsätzlich in und zwischen allen Handlungsphasen begegnen. Vielleicht war das Anfangen gar kein Problem, aber schon nach kurzer Zeit wird das Handtuch geworfen - man hält nicht durch (Phase 3). Oder man schafft es, dran zu bleiben, kann sich dann aber nicht mehr von dem einmal eingeschlagenen Handlungsweg oder Ziel lösen (Phase 4). Auch in Phase 1 und 2 kann der Schweinehund auftauchen, z. B. wenn wir unser Ziel ungünstig formulieren oder zu wenig/ zu viel planen. 2.3.2 Voraussetzungen erfolgreicher Vorsatzrealisation Die gute Nachricht ist: Man kann aus eigener Kraft günstige Vorausset‐ zungen schaffen, um die Verwirklichung von Vorsätzen wahrscheinlicher und das Auftauchen des Schweinehunds unwahrscheinlicher zu machen. Um genau diese Voraussetzungen wird es im Folgenden gehen. Zielformulierung Ein und dasselbe Ziel kann sehr unterschiedlich formuliert sein. Die Formu‐ lierung wiederum beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, dass das Ziel auch erreicht wird. Drei zentrale Merkmale aussichtsreicher Ziele sind Konkret‐ heit, Realisierbarkeit und Wünschbarkeit. 2 So tickt der Schweinehund 46 <?page no="47"?> Konkretheit Aufgabe: Konkrete Ziele Vergleichen Sie folgende drei Zielformulierungen: a. „Ich will eine gute Präsentation halten.“ b. „Ich will mich bei der Präsentation nicht blamieren.“ c. „Ich halte eine Präsentation, in der ich das Thema von mehreren Seiten beleuchte und für die Zuhörer/ -innen unterhaltsam und informativ aufbereite.“ Was denken Sie: Welches Ziel hat die größten Chancen darauf, erreicht zu werden, und warum? Machen Sie sich kurz ein paar Gedanken zu dieser Frage, bevor Sie weiterlesen. Falls Sie der Meinung sind, Ziel c) hätte die größten Umsetzungschancen, dann stimmt Ihr Urteil mit den psychologischen Befunden überein. Diese zeigen, dass Ziele umso wahrscheinlicher erreicht werden, je konkreter sie formuliert sind (vgl. Locke & Latham, 2013). Ziel a) und b) sind vage: Was bedeutet „gute Präsentation“ und „nicht blamieren“? Wie kann man das konkret umsetzen? Woran erkennt man am Ende, dass das Ziel erreicht wurde? Diese Unklarheiten erschweren es, die eigenen Energien sinnvoll zu kanalisieren. Ziel b) enthält zudem eine Verneinung (sog. Negation). Negationen kann unser Gehirn nicht gut verarbeiten (siehe nachfolgender Exkurs). Vorsicht, Negation! Bitte versuchen Sie, ab jetzt eine Minute lang nicht an einen weißen Bären zu denken. Denken Sie an alles, was Sie wollen - aber nicht an einen weißen Bären. Lesen Sie erst nach einer Minute weiter. Sollte es Ihnen schwergefallen sein, den Gedanken an den weißen Bären zu unterdrücken, geht es Ihnen wie den meisten Menschen (Wegner et al., 1987). „Verbotene“ Gedanken wie dieser werden pa‐ radoxerweise immer präsenter, je stärker man sich bemüht, sie zu verdrängen. Nach der (versuchten) Unterdrückung kehren sie oft wie 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 47 <?page no="48"?> ein Bumerang zurück (sog. Bumerangeffekt). Das liegt daran, dass durch den verneinten Satz im Gehirn die Information aktiviert wird, die eigentlich ignoriert werden soll (hier: der weiße Bär). Dieses Ignorieren erfordert mentale Anstrengung. Insbesondere, wenn nur wenig Kapa‐ zitäten zur Verfügung stehen, z. B. weil man seine Konzentration gerade für eine andere Aufgabe benötigt oder gestresst ist, kann das Gehirn die Negation nicht gut verarbeiten und vor dem geistigen Auge entsteht genau das Bild, das man eigentlich unterdrücken wollte. Negationen sind also nicht „gehirngerecht“ (vgl. Werth et al., 2020a). Eine Empfehlung, die man aus dieser Forschung ableiten kann, ist, auf Negationen so weit wie möglich zu verzichten und stattdessen positive Handlungssprache zu verwenden. Statt „Ich darf nicht an die Prüfung nächste Woche denken, das lenkt mich total vom Lernen ab! “ sollten Sie also lieber denken „Ich konzentriere mich auf das Lernen! “ Kommen wir noch einmal zurück zu den zuvor genannten Zielformulie‐ rungen a), b) und c). Bei Ziel b) handelt es sich um ein Vermeidungsziel, bei den Zielen a) und c) um Annäherungsziele. Vermeidungsziele führen der handelnden Person die negativen, bedrohlichen Folgen eines möglichen Versagens vor Augen (hier: die Blamage). Dies verringert nachweisbar die Freude am Zielstreben und hat vielfältige negative Effekte wie geringere Ausdauer, Leistungsbeeinträchtigungen und sogar körperliche Krankheits‐ symptome (vgl. Brandstätter et al., 2018). Annäherungsziele dagegen lenken den Fokus auf die positiven, wünschenswerten Aspekte der Zielerreichung (hier: gute Präsentation/ unterhaltsame und informative Aufbereitung). Es empfiehlt sich also die Formulierung von Annäherungsstatt Vermeidungs‐ zielen. Weitere Beispiele hierfür sind: ▸ Statt: Ich will, dass Markus aus meiner Lerngruppe weniger nörgelt. >> Ich bitte Markus darum, konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen. ▸ Statt: Ich will nicht mehr so viel Stress haben. >> Ich entspanne jeden Tag nach Feierabend 15 Minuten mit Progressiver Muskelrelaxation. ▸ Statt: Ich sollte mich nicht mehr so ungesund ernähren. >> Ich esse vier Wochen lang zu jedem Frühstück ein Stück Obst. ▸ Statt: Ich darf nicht ständig so austicken, wenn ich schmutzige Socken meines/ -r Partners/ -in auf der Couch finde. >> Ich atme tief durch 2 So tickt der Schweinehund 48 <?page no="49"?> und bleibe ruhig, wenn ich sehe, dass mein/ -e Partner/ -in wieder seine/ ihre schmutzigen Socken auf der Couch liegen gelassen hat. In folgender Aufgabe können Sie das Formulieren von Annäherungszielen üben. Aufgabe: Annäherungsziele formulieren Wählen Sie eine Situation aus Ihrem Leben aus, mit der Sie aktuell unzufrieden sind. Häufig ist es leichter, in solchen Situationen ein Vermeidungsziel (Weg-von) zu formulieren als ein Annäherungsziel (Hin-zu). Versuchen Sie daher einmal ganz bewusst, ein klares Hin-zu für diese Situation zu finden: ▸ Welchen positiven Zustand möchten Sie erreichen? ▸ Wie soll die Situation genau sein, damit Sie zufrieden sind? Notieren Sie Ihre Gedanken. Realisierbarkeit Ziele sollten weder zu leicht, noch zu schwer, sondern realistisch sein (vgl. Heckhausen & Heckhausen, 2018). Dabei geht es sowohl um die tatsächliche als auch die subjektiv wahrgenommene Zielschwierigkeit. Die tatsächliche Zielschwierigkeit hängt davon ab, ob man die nötigen Eigenschaften, das Wissen und die Fertigkeiten mitbringt, die zur Zieler‐ reichung erforderlich sind. Es geht also um die Passung zwischen Anforde‐ rungen und Fähigkeiten, auf die bereits im Zusammenhang mit dem Thema Flow eingegangen wurde (siehe Kapitel 2.2.2). Wissenschaftliches Schreiben beispielsweise ist eine anspruchsvolle und voraussetzungsreiche Tätigkeit. Wenn man noch keine oder nur wenig Vorerfahrung darin hat, kann ein zu hoch gestecktes Ziel („Ich schreibe in drei Tagen die perfekte Hausarbeit.“) der Freude am Tun und einer guten Leistung im Wege stehen. Sich dagegen vorzunehmen, die Hausarbeit irgendwie und mit geringstem Aufwand „herunterzureißen“ - z. B. weil man sowieso keine Note bekommt - ist wenig herausfordernd und macht die Aufgabe langweilig. Von entscheidender Bedeutung ist neben der tatsächlichen Zielschwie‐ rigkeit aber auch, ob die handelnde Person sich selbst in der Lage sieht, das Ziel aus eigener Kraft und aufgrund eigener Kompetenzen zu erreichen. 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 49 <?page no="50"?> In der Regel packen wir Vorhaben nur dann konsequent an, wenn wir sie uns auch zutrauen, d. h. eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung haben (siehe nachfolgender Exkurs). Wenn wir dagegen denken, dass wir ein Vorhaben sowieso nicht aus eigener Kraft umsetzen können (wir also eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung haben), dann fangen wir meist gar nicht erst an. Damit wird zwar das befürchtete Scheitern von vornherein vermieden, man kann aber auch keine gegenteilige Erfahrung machen oder dazulernen. Selbstwirksamkeitserwartung Als Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet man die subjektive Über‐ zeugung, herausfordernde Situationen aufgrund eigener Kompetenzen bewältigen zu können (Bandura, 1997). Diese Überzeugung ist bereichs‐ abhängig: So kann man sich in einem Fach des eigenen Studiengangs sehr sicher und kompetent fühlen, in einem anderen dagegen völlig unsicher und inkompetent. Die Selbstwirksamkeitserwartung speist sich aus vier Quellen: ▸ Eigene Erfolgserfahrungen: Eine Aufgabe erfolgreich gemeis‐ tert zu haben, kann die Selbstwirksamkeitserwartung erhöhen, Misserfolgserlebnisse können sie verringern. ▸ Stellvertretende Erfahrungen: Beobachtet man Personen, die einem selbst ähnlich sind, dabei, wie sie eine bestimmte Aufgabe erfolg‐ reich meistern, traut man sich diese Aufgabe auch selbst eher zu („Wenn der/ die das schafft, kann ich das auch! “). Beobachtete Misserfolge dagegen können die Selbstwirksamkeitserwartung verringern. ▸ Soziale Unterstützung: Ermutigung („Ich glaube an Dich! “) bzw. Entmutigung („Ich bezweifle, dass Du das schaffst! “) durch andere kann die Selbstwirksamkeitserwartung erhöhen bzw. verringern. ▸ Physiologische und emotionale Erregung: Insbesondere unter Stress und den damit einhergehenden körperlichen (z. B. Schweißaus‐ bruch) und emotionalen (z. B. Anspannung) Reaktionen kann die Selbstwirksamkeitserwartung sinken. Personen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung sind ausdauernder und erfolgreicher beim Verfolgen ihrer Ziele (Locke & Latham, 2013). Außerdem neigen sie weniger dazu, Dinge aufzuschieben (Wolters, 2 So tickt der Schweinehund 50 <?page no="51"?> 2003). Selbstwirksamkeitserwartung und positive Handlungsergeb‐ nisse verstärken sich also gegenseitig. Die (tatsächliche und wahrgenommene) Zielschwierigkeit ist noch aus einem anderen Grund wichtig: Bei der Verfolgung unserer Ziele gehen wir häufig nach dem Prinzip des geringsten Aufwands vor und mobilisieren nur so viel Anstrengung wie unbedingt nötig (siehe nachfolgender Exkurs). Bei einfachen Zielen ist das wenig Anstrengung, bei schweren Zielen dagegen mehr Anstrengung - allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt: Wenn die Zielerreichung unmöglich erscheint, strengt man sich überhaupt nicht (mehr) an (vgl. Gendolla et al., 2012). Das Prinzip des geringsten Aufwands Sowohl bei mentalen als auch bei physischen Anstrengungen folgen wir einem Minimalprinzip: Gibt es mehrere Möglichkeiten, ans Ziel zu gelangen, wählen wir für gewöhnlich den Weg, der mit dem geringsten Aufwand verbunden ist. In gewisser Weise sind wir also von Natur aus „faul“ und versuchen, (unnötige) Anstrengung zu vermeiden (Kahne‐ mann, 2012; Kool et al., 2010). Auch im Studium gibt es zahlreiche Möglichkeiten, „Abkürzungen“ zu nehmen. So wählen Studierende bei der Literaturrecherche häufig die einfachste und schnellste Methode, nämlich Suchmaschinen im Internet, statt eine systematische wissenschaftliche Recherche in den Datenbanken und Katalogen der Universitätsbibliothek vorzunehmen (Liu & Yang, 2004). Dieses Prinzip des geringsten Aufwands erklärt beispielsweise auch, warum es so schwierig ist, sich einen nachhaltigeren Lebensstil anzu‐ eignen. Viele Verhaltensweisen, die umweltschonend und somit gut für die Allgemeinheit wären (wie etwa Recycling), sind für den/ die Einzelne/ -n oftmals aufwändig und mühsam. Ein wirksames Mittel, um Menschen zu mehr Recycling zu bewegen, ist daher, es ihnen so einfach wie möglich zu machen. Sogar Menschen, die nicht sehr umweltbewusst eingestellt sind, recyceln ihren Müll, wenn man ihnen entsprechende Behälter zur Verfügung stellt und den Müll direkt vor der Haustür abholt (Guagnano et al., 1995). 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 51 <?page no="52"?> 6 Unter Frustrationstoleranz versteht man die Fähigkeit, Frustration über eine längere Zeitspanne auszuhalten ohne direkte oder indirekte Versuche des Spannungsabbaus (Wirtz, 2017). Beim Abschätzen der Realisierbarkeit von Zielen kann das sog. mentale Kontrastieren helfen (Oettingen, 2012). Es handelt sich dabei um eine Selbstregulationsstrategie, bei der wie folgt vorgegangen wird: ▸ Zunächst wird ein bestimmter persönlicher Wunsch ausgewählt („Ich möchte eine richtig tolle Präsentation in Fach x halten.“). ▸ Anschließend macht man zwei Listen: eine mit positiven Aspekten der erwünschten Zukunft (die angeregten Diskussionen und posi‐ tiven Rückmeldungen zur Präsentation, das Erfolgserlebnis …) und eine mit möglichen Hindernissen in der gegenwärtigen Realität (der Schlüsseltext ist sehr kompliziert, man hat kaum Erfahrung mit Präsentationen …). ▸ Danach wählt man von beiden Listen jeweils den wichtigsten Aspekt (oder auch die zwei wichtigsten Aspekte) aus und stellt sich diese wechselseitig ganz anschaulich und lebhaft vor (siehe nachfolgender Exkurs Bildhafte Vorstellung), d. h. man kontrastiert Fantasie und Realität. ▸ Ist das Ergebnis dieser Kontrastierung, dass man den Wunsch als (im Moment) nicht realistisch einstuft, wird man davon Abstand nehmen und ihn (zunächst) auf Eis legen. Wenn der Wunsch jedoch als grundsätzlich realistisch eingestuft wird, hilft die Kontrastierung dabei, die erwünschte Zukunft in ein realistisches und verbindliches Ziel umzuwandeln, und mögliche Stolpersteine bei der Zielverfolgung frühzeitig miteinzuplanen. In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass mentales Kontrastieren zu angemessener Zielbindung, höherer Motivation und Ausdauer bei der Zielverfolgung sowie höherer Frustrationstoleranz 6 führt als ein einseitiger Fokus auf positive Zielfantasien (sog. Schwelgen) oder auf Probleme und Hindernisse in der gegenwärtigen Realität (sog. Grübeln; vgl. Oettingen, 2012). Denn sowohl das reine Schwelgen in Wunschträumen als auch das bloße Grübeln über Hindernisse können dazu führen, dass wir bei unserer Zielsetzung nicht adäquat berücksichtigen, wie wahrscheinlich ein Erfolg nun eigentlich ist (sog. Erfolgserwartung), was das erfolgreiche Umsetzen des Ziels erschwert. 2 So tickt der Schweinehund 52 <?page no="53"?> Bildhafte Vorstellung Bildhafte Vorstellung (engl. mental imagery) bedeutet, sich etwas vor dem geistigen Auge ganz anschaulich und lebhaft vorzustellen, z. B. wenn man sich an etwas erinnert oder bestimmte Handlungen oder Situationen mental simuliert (Wirtz, 2017). Die neurobiologischen Mechanismen dieses „Kopfkinos“ sind aktuell noch umstritten, gut nachgewiesen sind jedoch die positiven Effekte von bildhafter Vorstel‐ lung auf das Zielstreben, z. B. im Leistungssport (Martin et al., 1999). Die Visualisierung von Zielen und positiven Handlungsfolgen macht diese konkreter, greifbarer und unterstützt so zielgerichtetes Handeln. Bildhafte Vorstellung gilt daher als „motivationaler Verstärker“ (Renner et al., 2019). In einer Untersuchung sollten Studierende zwei Wochen lang abwech‐ selnd eine einfache To-Do-Liste oder eine Technik mit bildhafter Vorstellung anwenden, um ihren Tag zu planen. An den Tagen mit bildhafter Vorstellung sollten sie sich unter anderem möglichst an‐ schaulich vorstellen, wie gut es sich anfühlen wird, das Tagesziel erreicht zu haben. Die Ergebnisse zeigen, dass sich beide Methoden (To-Do-Liste, bildhafte Vorstellung) positiv auf Produktivität und Leis‐ tung auswirken. Allerdings berichteten die Studierenden an den Tagen, an denen sie mit bildhafter Vorstellung arbeiteten, höheres Wohlbe‐ finden und weniger Stress (Burke et al., 2014). Ziele können also durchaus anspruchsvoll formuliert sein, sofern man sie für grundsätzlich erreichbar hält. Dabei geben anspruchsvolle, kon‐ krete Ziele einen klareren Kurs für die Handlungssteuerung vor als vage Gib-Dein-Bestes-Ziele (Latham & Locke, 2013). Formulieren Sie also statt „Ich absolviere dieses Semester so viele ECTS-Punkte wie möglich! “ lieber „Ich werde dieses Semester in Modul x, y und z insgesamt 30 ECTS-Punkte erwerben.“ Wünschbarkeit Je stärker unsere Ziele mit unseren Motiven, Werten und Visionen in Einklang stehen, desto attraktiver sind sie für uns (sog. Wünschbarkeit). Nicht überraschend haben vor allem die Ziele gute Umsetzungschancen, die einen klaren Bezug zur eigenen Identität aufweisen (vgl. Sheeran & Webb, 2016). Dazu muss das Ziel nicht unbedingt von der handelnden Person selbst generiert werden. In den meisten Bachelor- und Masterstudiengängen 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 53 <?page no="54"?> beispielsweise bestimmt der Studienplan, welche Ziele die Studierenden kurz-, mittel- und langfristig verfolgen werden. Obwohl nicht selbst gesetzt, stellen diese Ziele doch Meilensteine auf dem Weg zum persönlichen Stu‐ dienabschluss und Berufswunsch dar. Insofern kann man den Studienplan durchaus - auch - als Entlastung sehen: Statt von Woche zu Woche und von Semester zu Semester selbst austüfteln zu müssen, was man sinnvollerweise als nächstes belegt, kann man sich die Energie sparen und einfach die Ziele aus dem Studienplan übernehmen. Ob ein gesetztes Ziel auch mit den eigenen impliziten Motiven über‐ einstimmt, ist nicht ganz einfach festzustellen (siehe Kapitel 2.2.3). Man kann versuchen, Kopf und Herz in Einklang zu bringen, indem man sich - wie bereits im Rahmen der mentalen Kontrastierung erläutert - das Ziel und den Prozess der Zielverfolgung so anschaulich und bildhaft wie möglich vorstellt und prüft, ob sich diese Vorstellung stimmig anfühlt. Die Erfahrungen und Gefühle während des Handlungsprozesses mental zu simulieren, bringt einen näher an die eigenen impliziten Motive heran als rationales Abwägen (vgl. Schultheiss & Brunstein, 1999). Gelingt es, den geplanten Zielverfolgungsprozess für die eigenen impliziten Motive „lesbar“ zu machen, kann man besser einschätzen, worauf man sich einlässt - wie viel Spaß das Projekt machen und wie viel Willenskraft zur Zielverfolgung nötig sein wird (Rheinberg & Vollmeyer, 2019). Zielbindung Unter Zielbindung (engl. goal commitment; vgl. Klein et al., 2013) versteht man die Entschlossenheit, ein Ziel gegen alle Widerstände verwirklichen zu wollen. Man identifiziert sich mit dem Ziel und fühlt sich ihm verpflichtet. Zielbindung ist eine zentrale Voraussetzung für engagiertes Handeln. Einige wichtige Einflussfaktoren auf die Zielbindung haben Sie bereits kennenge‐ lernt: Je konkreter, realistischer und attraktiver ein Ziel ist, desto stärker fühlt man sich in der Regel auch daran gebunden. Weitere Maßnahmen, um sich aktiv an das Ziel zu binden (sich zu „committen“), sind ▸ das Ziel verschriftlichen oder visualisieren statt es nur mündlich aus‐ zusprechen, ▸ das Ziel öffentlich machen, indem man dem sozialen Umfeld davon erzählt, 2 So tickt der Schweinehund 54 <?page no="55"?> ▸ früh einen gewissen Aufwand für das Ziel betreiben (denn dieser Auf‐ wand will schließlich gerechtfertigt werden, sonst entsteht kognitive Dissonanz; siehe Kapitel 1.1) und ▸ sich immer wieder vor Augen führen, dass man sich dieses Ziel selbst gesetzt hat und/ oder was einem dieses Ziel persönlich bringt (vgl. Cialdini, 2017). Eine hohe Zielbindung kann sehr motivierend sein, ist in gewisser Weise aber auch risikoreich (vgl. Brunstein & Maier, 2002). Verfolgt man mit großer Entschlossenheit ein Ziel, dass sich dann als nur schwer oder gar nicht realisierbar herausstellt, kann dies zu Frust und Enttäuschung, im schlimmsten Fall sogar zu depressiven Episoden und Burnout führen. Gerade das Öffentlichmachen einer Zielintention erhöht den Druck, das Ziel auch zu erreichen, um nicht vor anderen das Gesicht zu verlieren. Auf diesen Aspekt wird im Abschnitt Zielablösung noch genauer eingegangen. Die „Qual der Wahl“ Die Stärke der Zielbindung hängt auch davon ab, wie viele attraktive Alternativziele es gibt (Burkley et al., 2013). Ein „Meer“ an Möglich‐ keiten, wie es heute beispielsweise in Bezug auf die Studien- und Be‐ rufswahl existiert, eröffnet also nicht nur viele Chancen, sondern kann auch dazu führen, dass man immer auf dem Sprung ist: Vielleicht gibt es einen Studiengang, der noch besser zu mir passt? Vielleicht habe ich meinen wahren Traumjob einfach noch nicht gefunden? Je größer die Auswahl, desto schwerer fällt die Entscheidung für eine Option und desto unzufriedener ist man am Ende mit der Entscheidung (Iyengar & Lepper, 2000). Hier finden Sie einen TED Talk, in dem der Psychologe Barry Schwartz dieses sog. Auswahlparadoxon erläutert: QR 2. Damit die Qual der Wahl nicht lähmend wird und so den Schweine‐ hund auf den Plan ruft („Ich kann mich einfach nicht entscheiden! “), empfiehlt sich eine werte- und visionsbasierte Zielpriorisierung, wie sie in Kapitel 2.2.3 beschrieben wurde. Diese erleichtert nicht nur die Auswahl zwischen verschiedenen Optionen; wir erkennen dann auch besser, wann und in welchen Lebensbereichen eine sorgfältige Auswahl überhaupt nötig ist - andernfalls zieht uns allein schon der Einkauf im Supermarkt aufgrund der großen Warenvielfalt wertvolle „Entscheidungsenergien“ ab. Es kann zudem hilfreich sein, die eigenen Ansprüche zu hinterfragen: Ist es wirklich nötig, immer die „perfekte“ 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 55 <?page no="56"?> Wahl zu treffen (sog. Maximizing), oder reicht nicht auch oft eine „gut genug“-Lösung aus (sog. Satisficing; Schwartz & Ward, 2004)? Statt nach dem optimalen Ziel zu streben, kann man sich an die hedo‐ nistische Tretmühle erinnern (siehe Kapitel 2.2.3) und die Unterschiede zwischen verschiedenen Zielen auf dieser Basis relativieren. Planung Zu ungenaue (oder schlicht zu wenig) Planung ist ein weiterer häufiger Grund, warum Vorsätze nicht Realität werden (vgl. Sheeran & Webb, 2016): Es fehlt ein konkreter Aktionsplan, der spezifiziert, wann, wo und wie der Vorsatz „ins Feld“ gebracht wird. Im Folgenden werden die wichtigsten Eckpunkte zielführender Planung erläutert, in Kapitel 3 erhalten Sie dann eine Anleitung, wie Sie selbst einen konkreten Aktionsplan aufstellen können. Zeitrahmen und Fristen Unser Alltag ist in der Regel stark strukturiert durch etliche termingebun‐ dene Verpflichtungen, sowohl in Studium/ Beruf, als auch in unserem gesell‐ schaftlichen, sozialen und privaten Leben. Meistens kommen wir diesen Verpflichtungen gewissenhaft nach, eben weil es äußerst reale (negative) Konsequenzen für uns hat, wenn wir Abgabetermine an der Uni nicht einhalten, Rechnungen nicht begleichen oder unser Kühlschrank gähnend leer ist (vgl. Ariely & Wertenbroch, 2002). Vorhaben ohne Frist geraten dabei oft in Vergessenheit. Es fehlt einfach der konkrete Anlass, diese Sache jetzt zu tun. Dies erklärt, warum uns der Schweinehund nicht nur bei unangenehmen oder lästigen Aufgaben zu schaffen macht, sondern auch bei dem genauen Gegenteil, nämlich Dingen, die wir eigentlich schon lange einmal machen wollten, auf die wir richtig Lust haben - für die nur leider immer die Zeit oder Gelegenheit fehlt (z. B. einen Blog schreiben, eine Fremdsprache lernen, eine weit entfernt wohnende Freundin besuchen, die Alpen zu Fuß überqueren …). Ein fester Zeitrahmen kann uns helfen, auch diese Dinge endlich anzupacken. Das gilt sowohl im Großen („Bis wann werde ich diesen Punkt auf meiner ‚Bucketlist‘ umgesetzt oder erlebt haben? “), als auch im Kleinen („Wann starte ich? “, „Wann mache ich was, um mein Ziel zu erreichen? “). Fristen sind strategisch wichtig, denn sie machen es überhaupt erst möglich, einen konkreten (Zeit-) Plan aufzustellen. Dadurch können arbeits‐ 2 So tickt der Schweinehund 56 <?page no="57"?> intensive Phasen entzerrt und Belastungsspitzen vermieden werden. Fristen haben aber auch eine motivationale Funktion, da sie die Konsequenzen des eigenen Tuns greifbarer machen. Rückt die Frist zur Abgabe der Bachelor‐ arbeit näher, werden die positiven Folgen einer rechtzeitigen Abgabe („Juhu, endlich geschafft! “) bzw. die negativen Folgen einer nicht-rechtzeitigen Ab‐ gabe („Leider nicht bestanden…“) plötzlich sehr real. Sehr weit in der Zukunft liegende Fristen sind daher nicht förderlich, sondern eher hinderlich für eine erfolgreiche Zielverfolgung (siehe auch Abschnitt Abschirmung des Vorsatzes). Wenn-Dann-Pläne Die Wahrscheinlichkeit, dass ein aufgestellter Zeitplan auch eingehalten wird, kann mithilfe sog. Wenn-Dann-Pläne erhöht werden (Fachbegriff: Implementierungsintentionen; Faude-Koivisto & Gollwitzer, 2011; Goll‐ witzer, 1999). Wenn-Dann-Pläne spezifizieren, was genau wann und wo getan wird, um einen Vorsatz in die Tat umzusetzen, und zwar im Format „Wenn Situation x auftritt, dann führe ich Verhalten z aus! “ Man identifiziert also eine bestimmte Situation im Sinne einer „günstigen Gelegenheit“ und verknüpft diese mental mit einem zielgerichteten Verhalten. Tritt die Situa‐ tion dann auf, wird das Verhalten quasi automatisch ausgelöst („getriggert“). Ein Beispiel: Sie haben in Ihrem Kalender notiert, dass Sie heute mit einer bestimmten Projektarbeit anfangen werden (Vorsatz). Als günstige Gelegenheit identifizieren Sie ein freies Zeitfenster zwischen Ihrer letzten Vorlesung am Nachmittag und dem Abendessen. Sie formulieren: „Wenn ich heute Nachmittag die Haustür hinter mir geschlossen habe, dann setze ich mich sofort an den Schreibtisch und beginne mit der Projektarbeit.“ (Wenn-Dann-Plan). Sobald Sie dann nachmittags die Haustür hinter sich geschlossen haben, wird Ihr Gehirn Sie wie von selbst daran erinnern, sich an den Schreibtisch zu setzen und mit der Arbeit zu beginnen. Wenn-Dann-Pläne funktionieren aber nicht nur bei solchen Einmalakti‐ onen, sondern können auch zur Unterstützung langfristiger Verhaltensände‐ rungen eingesetzt werden. Angenommen, Sie möchten sich zukünftig besser organisieren und mit To-Do-Listen arbeiten (Vorsatz). Sie formulieren: „Wenn ich abends das Zähneputzen beendet habe, dann setze ich mich an den Schreibtisch und schreibe eine To-Do-Liste für den nächsten Tag.“ (Wenn-Dann-Plan). Dieser Wenn-Dann-Plan wird Ihnen dabei helfen, das To-Do-Listen-Schreiben schneller zur Routine werden zu lassen. 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 57 <?page no="58"?> Die Wirksamkeit von Wenn-Dann-Plänen beruht auf zwei psychologischen Prozessen (vgl. Brandstätter et al., 2018): ▸ Einerseits wird durch die Wenn-Komponente („Wenn ich abends das Zähneputzen beendet habe …“) die günstige Gelegenheit im Ge‐ dächtnis in erhöhten Aktivierungszustand versetzt. In der Psychologie sagt man, dass die Situation dadurch salient ist, also gedanklich im Vordergrund steht. Gedächtnisinhalte, die salient sind, haben einen Verarbeitungsvorteil und werden dadurch bevorzugt wahrgenommen (siehe auch nachfolgender Exkurs Priming). ▸ Die Verknüpfung der günstigen Gelegenheit mit dem erwünschten Verhalten anhand der Dann-Komponente („dann setze ich mich an den Schreibtisch und schreibe eine To-Do-Liste für den nächsten Tag.“) führt zu einer Automatisierung der Handlung. Wenn die Gele‐ genheit auftritt, wird das Verhalten ausgelöst - auch dann, wenn man eigentlich gerade mit etwas Anderem beschäftigt ist. Man belastet sich also nicht damit, sich selbst an das erwünschte Verhalten erinnern zu müssen, sondern delegiert die Auslösung des Verhaltens an die spezifizierte Situation bzw. bestimmte Umgebungsreize. Vage Vorsätze wie z. B. „Ich sollte mich besser organisieren.“ werden so in einen ganz konkreten Plan umgewandelt. Das Gehirn weiß genau, was es tun soll. Priming Wie wir Informationen aus unserer Umwelt verarbeiten, wie wir denken und handeln, wird häufig von bereits bestehenden Gedächtnis‐ inhalten beeinflusst, die kurz zuvor aktiviert wurden. Dieses Phänomen bezeichnet man in der Psychologie als Priming (engl. to prime, dt. vor‐ bereiten) und kann unsere Zielverfolgung entscheidend beeinflussen (Higgins et al., 1977; Werth et al., 2020a). In einer Studie der Arbeitsgruppe um den Psychologen Peter Gollwitzer - den „Vater“ der Wenn-Dann-Pläne - sollten die Probanden/ -innen zunächst eine motorische Aufgabe bearbeiten. Eine Gruppe von Pro‐ banden/ -innen sollte die Aufgabe möglichst schnell erledigen, d. h. sie wurde auf Schnelligkeit „geprimt“. Eine andere Gruppe dagegen sollte die Aufgabe in ihrem eigenen Tempo erledigen (Kontrollgruppe). Probanden/ -innen mit vorangehendem Schnelligkeitspriming hielten sich im Vergleich zu Probanden/ -innen aus der Kontrollgruppe in einer 2 So tickt der Schweinehund 58 <?page no="59"?> anschließenden Fahrsimulationsaufgabe deutlich weniger an ihren zuvor formulierten Vorsatz, vorsichtig zu fahren („Ich werde nur so schnell fahren, wie es die Sicherheit erlaubt.“). Bei Probanden/ -innen, die ebenfalls dem Schnelligkeitspriming unterzogen worden waren, aber zu ihrem Vorsatz einen konkreten Wenn-Dann-Plan formuliert hatten („Wenn ich in eine Kurve fahre, dann gehe ich vom Gaspedal.“), hatte das Schnelligkeitspriming keinen Effekt. Diese Ergebnisse zeigen einerseits, dass das Priming konkurrierender Handlungsziele (hier: schnell sein! ) gute Vorsätze (hier: langsam fahren! ) untergraben kann und andererseits, dass Wenn-Dann-Pläne diesen Effekt reduzieren können (Gollwitzer et al., 2011). Darüber hinaus gilt das sog. Zielpriming, also das Primen eines Ziels durch externe Hinweisreize, als wirksame Methode, Vorsätze zu realisieren und erwünschtes Verhalten zu fördern (z. B. gesunde Ernährung oder umweltbewusstes Verhalten; vgl. Papies, 2017). Sie können sich diesen Effekt zunutze machen, indem Sie Ihre Vorsätze und Ziele verschriftlichen oder visualisieren und an einem gut sichtbaren Ort in Ihrer Wohnung platzieren (siehe Kapitel 3.3.3). Personen, die ihre Vorsätze als Wenn-Dann-Plan formulieren, sind deut‐ lich erfolgreicher bei der jeweiligen Umsetzung als Personen ohne Wenn-Dann-Plan. Dies konnte für Ziele in den verschiedensten Lebens‐ bereichen gezeigt werden, z. B. bei Gesundheitsverhalten, akademischen Leistungen, Umweltschutz oder Zivilcourage (vgl. Gollwitzer & Oettingen, 2016). Wenn-Dann-Pläne helfen unter anderem dabei, ▸ hilfreiche Alltagsroutinen aufzubauen („Wenn ich eine Rechnung bekomme, dann überweise ich das Geld sofort.“), ▸ die Selbstwirksamkeitserwartung zu stärken und Versagensangst zu verringern („Wenn ich eine neue Aufgabe in diesem Test anfange, dann sage ich zu mir selbst: Ich kann diese Aufgabe lösen! “), ▸ Persönlichkeitseigenschaften wie Extraversion zu beeinflussen („Wenn ich von Kommilitonen/ -innen zu einer gemeinsamen Unternehmung eingeladen werde, dann sage ich zu.“). Darüber hinaus können Wenn-Dann-Pläne nicht nur zum Erkennen güns‐ tiger, sondern auch zum Überwinden hinderlicher Handlungssituationen formuliert werden (siehe Abschnitt Notfallplan). 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 59 <?page no="60"?> Bei der Formulierung von Wenn-Dann-Plänen sollten folgende Punkte beachtet werden: ▸ Das Wenn-Dann-Format sollte penibel eingehalten werden. ▸ Negationen wie „Wenn Kommilitone x mich provoziert, dann werde ich mich nicht aufregen! “ sollten vermieden werden. Stattdessen kann entweder das negierte Verhalten (hier: sich aufregen) durch positives Verhalten ersetzt („dann atme ich tief durch.“) oder der Hinweisreiz ignoriert werden („dann konzentriere ich mich auf etwas Anderes.“). ▸ Die kritische Situation sollte für die handelnde Person eindeutig erkennbar sein, entweder indem die Wenn-Komponente möglichst konkret formuliert wird („Wenn ich auf den Powerbutton meines PCs drücke, …“) oder man bei abstrakteren Formulierungen sicherstellt, dass man die Situation selbst sicher erkennen kann („Wenn ich ärgerlich werde, …“). ▸ Das erwünschte Verhalten (Dann-Komponente) sollte zielführend und realistisch umsetzbar sein. Um einen Wenn-Dann-Plan nachhaltig im Gedächtnis zu verankern, kann man ▸ ihn aufschreiben, ▸ ihn dreimal laut oder im Kopf wiederholen und ▸ sich günstige Gelegenheit und erwünschtes Verhalten so anschaulich und lebhaft wie möglich vorstellen. Üben Sie das Formulieren von Wenn-Dann-Plänen gerne anhand der fol‐ genden Aufgabe ein. Aufgabe: Wenn-Dann-Pläne Überlegen Sie, wie man die Top 3 der Neujahrsvorsätze 2019 in einen Wenn-Dann-Plan umwandeln könnte: 1. Stress vermeiden/ abbauen, z. B. „Wenn ich abends die Haustür hinter mir schließe, dann setze ich mich sofort auf meine Yoga-Matte und meditiere.“ 2. mehr Zeit für Familie und Freunde/ -innen, z. B. „Wenn sonntags der Abspann meiner Lieblingsfernsehserie läuft, dann greife ich zum Telefon und rufe meine Mutter an.“ 2 So tickt der Schweinehund 60 <?page no="61"?> 3. mehr bewegen/ Sport, z. B. „Wenn ich einen Aufzug sehe, dann nehme ich die Treppe.“ Notieren Sie zu jedem Vorsatz mindestens einen weiteren Wenn-Dann- Plan. Man kann festhalten: Je konkreter der Plan, desto besser für den Vorsatz. Dabei ist mit „konkret“ gemeint, einen verbindlichen Zeitrahmen festzu‐ legen, günstige Gelegenheiten zum Handeln zu identifizieren und sicherzu‐ stellen, dass diese auch genutzt werden (z. B. durch Wenn-Dann-Pläne). Nicht damit gemeint ist, die geplanten Arbeitsschritte bis ins kleinste Detail auszuarbeiten, wie z.B. ▸ 14.00 Uhr: Mitschrift S. 1-10 aufbereiten ▸ 14.30 Uhr: Mitschrift S. 1-10 mit Infos aus Skript ergänzen ▸ 15.00 Uhr: Mitschrift S. 1-10 mit Infos aus Prüfungstext ergänzen usw. So eine haarkleine Detailplanung (sog. Überplanung; Höcker et al., 2017a) kann dazu führen, dass man in der Planungsphase stecken bleibt oder unflexibel wird. Wenn der so sorgfältig ausgeklügelte Plan dann nicht funktioniert, besteht zudem Frustgefahr. Wie Sie gekonnt zwischen Unter- und Überplanung navigieren, erfahren Sie in Kapitel 3. Realisierbarkeit Wie schon bei der Zielformulierung sollte man auch bei der Planung streng darauf achten, sich nicht mehr vorzunehmen als man realistischerweise schaffen kann. Ein Fallbeispiel: Lena hat gerade ihr Biologiestudium aufgenommen. Sie ist hoch motiviert und hat einen umfangreichen Lernplan für das erste Semester erstellt. Die einzelnen Lerntage hat sie ziemlich vollgepackt, ist aber voller Energie und zuversichtlich, den Plan so auch durchziehen zu können. Sie beginnt zu lernen. Bereits am ersten Tag schafft sie ihr Pensum nicht. „O.k., morgen geb ich dafür richtig Gas und hole alles auf! “ Aus dem Aufholen wird jedoch nichts, denn auch das Lernpensum für den zweiten Tag kann sie trotz konzentrierten Arbeitens nicht bewältigen. So geht es Tag für Tag weiter. Am Ende der ersten Woche ist Lena völlig frustriert. An 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 61 <?page no="62"?> keinem einzigen Lerntag hat sie ihr Pensum geschafft und hinkt ihrem Lernplan schon nach einer Woche hinterher. Sich zu viel vorzunehmen ist nichts Außergewöhnliches. Menschen neigen dazu, zu überschätzen, wie viel sie in einem bestimmten Zeitraum schaffen können (sog. Planungsfehlschluss; Buehler & Griffin, 2018; Kahnemann & Tversky, 1977). Und woher soll man als Studierende/ -r im ersten Semester auch wissen, wie viel Zeit die Erarbeitung bestimmter Lerninhalte in Anspruch nehmen wird? Gerade wenn man noch unerfahren ist, fehlen die nötigen Informationen, um eine realistische Schätzung vornehmen zu können (siehe nachfolgender Exkurs Dauer schätzen). Aber auch erfahrene Personen planen oft zu optimistisch (Buehler et al., 1994). Sie orientieren sich bei der Zeitplanung stärker an Zukunftsszenarien („Nächste Woche habe ich viel Zeit und falls ich etwas nicht verstehe, frage ich einfach per E-Mail bei meinem/ -r Dozent/ -in nach.“) als an ihren vergangenen Erfahrungen mit der Aufgabe („Das letzte Mal habe ich dreimal so lange für das Reflexionspapier gebraucht wie geplant, weil …“, „Es ist schon vorgekommen, dass ich eine Woche auf die Antwort eines/ -r Dozenten/ -in gewartet habe, weil diese/ -r gerade auf einer Dienstreise war.“). Dauer schätzen Um den Zeitaufwand für eine Aufgabe besser einschätzen zu können, kann man andere Personen (Dozierende, Kommilitonen/ -innen etc.) fragen, wie viel Zeit sie dafür einplanen würden. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn man selbst noch keine Erfahrungswerte besitzt oder dazu neigt, zu viel oder auch zu wenig Zeit für bestimmte Arbeitsschritte einzuplanen oder zu investieren. Allerdings sollten Einschätzungen anderer nicht völlig unkritisch über‐ nommen werden. Jede Person bringt andere Voraussetzungen zur Bewäl‐ tigung einer Aufgabe mit. Während der/ die eine nur fünf Minuten braucht, um einem Fachartikel die zentrale Aussage zu entnehmen, sind es bei dem/ -r anderen 50. Dabei hängt die reine Lernzeit nur schwach mit der Leistung zusammen (Plant et al., 2005). Bei falscher Prioritätensetzung oder ineffizienter Arbeitsweise garantiert auch ein hoher Zeiteinsatz am Ende kein gutes Ergebnis. Zudem führen förderliche Lernroutinen häufig zu einem geringeren Zeiteinsatz bei gleichzeitig besseren Ergebnissen. Wichtiger als die reine Dauer der Lernzeit (Quantität) ist folglich, wie und womit man sie verbringt (Qualität). 2 So tickt der Schweinehund 62 <?page no="63"?> Beim Einholen von Schätzwerten ist auch der sog. Ankereffekt zu beachten: Sobald eine konkrete Zahl im Raum steht, wirkt sie als „Anker“ - alle weiteren Schätzungen und Überlegungen orientieren sich daran (Bahník et al., 2017; Tversky & Kahneman, 1974). Hat man beispielsweise von einem/ -r Dozent/ -in im ersten Semester die Ein‐ schätzung erhalten, dass man pro Tag etwa drei Seiten Text produzieren kann, wird einem diese Zahl möglicherweise auch viel später noch im Kopf herumgeistern - selbst dann, wenn man zwischenzeitlich gemerkt hat, dass man selbst deutlich mehr oder weniger Text pro Tag schafft. Problematisch wird eine unrealistische Planung vor allem dann, wenn das (selbst gesteckte) viel zu hohe Pensum als unverrückbares Soll definiert wird („Ich muss heute drei Kapitel schaffen! “) und das Nicht-Erreichen des Pensums fälschlicherweise auf die eigene Unfähigkeit statt auf die tatsächliche Ursache (Pensum war viel zu hoch) zurückgeführt wird. Dies kann das psychische Wohlbefinden und den Selbstwert - also unsere Einstellung zu uns selbst - stark beeinträchtigen („Ich bin anscheinend zu dumm für das Studium.“; vgl. Weiner, 2000). Unrealistische Planung ist übrigens auch häufig die Folge von Rationalisierungen, anhand derer wir uns erlauben, geplante Tätigkeiten aufzuschieben („Dafür mache ich morgen doppelt so viel.“; siehe Kapitel 2.5.3). Es gibt wirksame Methoden, um einen solchen Planungsfehlschluss zu vermeiden und realistischer zu planen: ▸ Man zerlegt das geplante Projekt in mehrere Teilaufgaben und diese wiederum in gut überschaubare Arbeitspakete (sog. Aufgabenseg‐ mentierung; siehe Abbildung 3). Anschließend weist man den Teil‐ aufgaben Prioritäten zu und schätzt ihre ungefähre Dauer. Die Summe der geschätzten Dauer aller Teilaufgaben liegt in der Regel deutlich näher an der tatsächlichen Gesamtdauer eines Projekts als eine Schät‐ zung ohne Segmentierung (Forsyth & Burt, 2008). ▸ Man plant von der finalen Frist ausgehend rückwärts (sog. Rück‐ wärtsplanung) und berücksichtigt ausreichend Pufferzeit. So kann sichergestellt werden, dass man genug Zeit für die Erledigung eines Projekts einplant und früh genug anfängt (Wiese et al., 2016). ▸ Hat man bereits Erfahrungen mit einer Aufgabe gemacht, sollte man diese explizit bei der Planung berücksichtigen (Wie lange habe ich das letzte Mal dafür gebraucht? Mit welchen Hindernissen muss ich 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 63 <?page no="64"?> rechnen? Neige ich generell dazu, zu optimistisch zu planen? ). Um dies zu erleichtern, empfiehlt sich ein konsequentes Dokumentieren der eigenen Arbeitsprozesse - auch, um die im Vorfeld geschätzte mit der tatsächlichen Dauer von Aufgaben abgleichen und zukünftig Anpassungen vornehmen zu können (König et al., 2014). PROJEKT Teilaufgabe Arbeitspaket Arbeitspaket Teilaufgabe Arbeitspaket Arbeitspaket Teilaufgabe Arbeitspaket Arbeitspaket Abbildung 3. Aufgabensegmentierung (eigene Darstellung) Wenn Sie sich für gewöhnlich zu viel aufladen, versuchen Sie einmal Folgendes. Aufgabe: Realistischer planen Wenn Menschen für andere (statt für sich selbst) planen, schätzen sie die Dauer von Projekten oft realistischer ein. Stellen Sie sich daher bei der Planung Ihres nächsten Projekts vor, Sie würden nicht für sich selbst, sondern für eine nahestehende Person planen: ▸ Wie viel Zeit würden Sie dieser anderen Person für die Bewältigung bestimmter Aufgaben einräumen? ▸ Wie viel Arbeit würden Sie ihr pro Tag zumuten? ▸ Wie viele Pausen und Erholungszeiten würden Sie für sie ein‐ planen? Erstellen Sie einen Zeitplan. Machen Sie sich dann bewusst, dass Sie in Wahrheit nicht für eine andere Person, sondern für sich selbst - genauer gesagt Ihr Zukunfts-Ich - planen. Wieso sollten Sie Ihrem Zukunfts-Ich mehr zumuten als einer anderen Person, die Ihnen wichtig ist? 2 So tickt der Schweinehund 64 <?page no="65"?> Notfallplan Vorausschauende Planung beinhaltet nicht nur einen konkreten und realis‐ tischen Aktionsplan (Was tue ich wann, wo und wie? ), sondern auch einen Notfallplan für potenzielle Hindernisse (Was tue ich wann, wo und wie, wenn Hindernis x auftritt? vgl. Sniehotta et al., 2005). Um einen funktionierenden Notfallplan zu erstellen, werden zunächst potenzielle Risikosituationen identifiziert, also Situationen, in denen die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, vom gefassten Plan abzuweichen und den Vorsatz über Bord zu werfen (Antriebslosigkeit bei einem Sportprojekt, Unterbrechungen bei einem Lernprojekt …). Diese Risikosituationen sind in hohem Maße abhängig von persönlichen und situativen Faktoren und sollten deswegen für jeden Vorsatz und jedes Projekt neu bestimmt werden. Anschließend überlegt man sich für jede Risikosituation eine Strategie („Plan B“), die man anwenden kann, falls das Hindernis tatsächlich auftritt. Eine Planungstechnik, die auf diesem Prinzip beruht, ist das sog. WOOP (Oettingen, 2015: siehe nachfolgender Exkurs). WOOP WOOP wurde von der Psychologin Gabriele Oettingen entwickelt und verbindet mentales Kontrastieren mit Wenn-Dann-Plänen. Die Methode hilft bei der konkreten Umsetzung von (kurz- und längerfris‐ tigen) Zielen durch die Vorwegnahme von Umsetzungshindernissen. WOOP steht für: ▸ Wish (dt. Wunsch) ▸ Outcome (dt. Ergebnis) ▸ Obstacle (dt. Hindernis) ▸ Plan (dt. Plan) Entsprechend umfasst die Methode vier Schritte: ▸ Zunächst formuliert man einen Wunsch („Ich möchte endlich dieses unangenehme Telefonat hinter mich bringen.“). ▸ Dann stellt man sich ganz bildlich und lebhaft das bestmögliche Ergebnis vor („Ich werde enorm erleichtert und entspannt sein, wenn ich das Telefonat endlich erledigt habe.“). 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 65 <?page no="66"?> ▸ Anschließend überlegt man, welches innere oder äußere Hindernis einen gegenwärtig davon abhält, dieses Ergebnis zu erzielen (z. B. akute Unlust). ▸ Dann macht man ein Brainstorming und sucht nach Möglich‐ keiten, dieses Hindernis zu überwinden, z. B. durch hilfreiche Verhaltensweisen (Augen schließen, dreimal tief durchatmen, zum Telefon greifen) oder Gedanken („Ich muss keine Lust darauf haben, um trotzdem zu telefonieren.“). Abschließend entscheidet man sich für die vielversprechendste Maßnahme und formuliert einen konkreten Plan im Wenn-Dann-Format („Wenn ich akute Unlust habe, dann schließe ich die Augen, atme dreimal tief durch und greife zum Telefon.“). Positive Effekte von WOOP wurden bereits in zahlreichen Berei‐ chen nachgewiesen, z. B. bei Gesundheitsverhalten, akademischen Leistungen und zwischenmenschlichen Interaktionen. Weitere Informationen zu WOOP finden Sie unter QR 3 und QR 4 sowie im Buch Die Psychologie des Gelingens von Gabriele Oettingen (2015). Handlungsinitiierung Nicht selten berichten Studierende, dass ihnen das Planen eigentlich sehr leichtfällt, sie dann jedoch Probleme haben, aktiv zu werden. Wenn der Übergang vom Planen zum Handeln nicht gelingt, kann dies unterschied‐ liche Ursachen haben (vgl. Sheeran & Webb, 2016): ▸ Man vergisst zu handeln. Wir können nur wenige Gedanken gleich‐ zeitig im Kopf behalten, da die Kapazität unseres sog. Arbeitsge‐ dächtnisses begrenzt ist (vgl. Sokolowski, 2013). Viele gute Absichten werden schlichtweg vergessen („Ich habe heute schon wieder nicht daran gedacht, mehr Wasser zu trinken.“). ▸ Man verpasst günstige Gelegenheiten zu handeln. Dies ist besonders wahrscheinlich, wenn günstige Gelegenheiten kurz sind oder nur unregelmäßig auftreten. Auch plötzliche Zweifel („Soll ich wirk‐ lich? “), Versagensängste („Das schaffe ich doch nie! “), Versuchungen („Bei dem schönen Wetter würde ich jetzt lieber an den See fahren! “) oder alternative Handlungsziele („Ich muss heute ja auch noch …“) können dazu führen, dass die Gunst der Stunde ungenutzt bleibt. 2 So tickt der Schweinehund 66 <?page no="67"?> ▸ Man ist nicht (gut genug) vorbereitet. Viele Aktivitäten müssen vorbereitet werden, weil ihre Ausführung das Vorhandensein von bestimmten Materialien, von Wissen und Fähigkeiten, oder auch Ab‐ sprachen mit anderen erfordert. Unterbleibt diese Vorbereitung, kann die Aktivität nicht wie geplant ausgeführt werden („Ich habe schon wieder vergessen, mir einen Thermobecher für den Coffee-to-go einzupacken! “). Ein Fallbeispiel: Nele hat zu Beginn des Semesters mit vollem Enthusiasmus den Entschluss gefasst, eine sensationelle Abschlusspräsentation in ihrem Projektseminar zu halten und - dieses Mal wirklich! - früh genug mit den Vorbereitungen zu beginnen. Doch dann schreitet das Semester fort und über ihre vielen To-Dos gerät Neles Vorsatz schnell wieder in Vergessenheit. Zwar hätte es hin und wieder Zeitfenster gegeben, die sich zum Arbeiten an der Präsentation geeignet hätten. Diese hat Nele aber schlicht übersehen. Als sie sich dann eine Woche vor dem Vortrag endlich einmal mit der Präsentation befassen möchte, spielt ihr Notebook verrückt. Alle Methoden, die bereits im Rahmen förderlicher Zielformulierung, angemessener Zielbindung und hilfreicher Planung besprochen wurden, beugen auch Hürden bei der Handlungsinitiierung vor. Insbesondere Wenn-Dann-Pläne gelten als eines der wirksamsten Mittel, um die Inten‐ tions-Verhaltens-Lücke zu schließen (vgl. Gollwitzer & Sheeran, 2006). Auch folgende Strategien können helfen, aktiv zu werden: ▸ Den Start gut vorbereiten: Ein Großteil der Vorbereitung ist bereits durch eine vorausschauende Planung erledigt. Für den Einstieg ins Handeln ist es zudem hilfreich, den Handlungsbeginn selbst gut vorzubereiten, z. B. indem man alle benötigen Materialien bereitlegt, um später „nur noch“ anfangen zu müssen (Barz et al., 2016). ▸ Erinnerungen einsetzen: Als eine Art „Startsignal“ können zuverläs‐ sige Erinnerungen (engl. reminder) eingesetzt werden, z. B. durch Wecker/ Smartphone, Haftnotizen oder andere Personen (Fry & Neff, 2009). ▸ Mit dem kleinsten denkbaren Arbeitsschritt beginnen: Man kann die Einstiegsschwelle auch senken, indem man sich zunächst nur einen sehr kleinen oder kurzen Arbeitsschritt vornimmt („Ich lese jetzt erst 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 67 <?page no="68"?> mal nur das einseitige Handout mit den Referatsrichtlinien.“; Höcker et al., 2017b). ▸ Die Arbeitszeit begrenzen: Bei der sog. Arbeitszeitrestriktion han‐ delt es sich um eine Intervention aus der Behandlung chronischen Aufschiebens (Höcker et al., 2017a; Höcker et al., 2017b). Es werden pro Tag zwei Arbeitsfenster festgelegt, außerhalb derer eine Arbeit an dem Projekt nicht erlaubt ist. Das fördert die effektive Nutzung der Arbeitszeit in den „erlaubten“ Zeitfenstern und verringert die Einstiegshürde. ▸ Überzeugungen hinterfragen: Wenn starker Druck oder Ängste das Anfangen blockieren, kann es hilfreich sein, eigene ungünstige Über‐ zeugungen aufzuspüren und zu hinterfragen (van Essen et al., 2004). Ein Beispiel hierfür ist die Abschwächung von Muss-Sätzen („Das Ergebnis muss perfekt sein! “; siehe auch Kapitel 2.5.3). Persistenz Wenn der Anfang geschafft ist, geht es als nächstes darum, das Ziel ausdau‐ ernd zu verfolgen (sog. Persistenz). Dazu gehört es, Umsetzungshindernisse zu überwinden und trotz Rückschlägen auf Zielkurs zu bleiben. Sie haben bereits erfahren, wie man sich im Vorfeld auf mögliche Hindernisse vorbe‐ reiten und damit gute Voraussetzungen für ausdauernde Zielverfolgung schaffen kann. Im Folgenden wird es darum gehen, wie man spontan auftretende Hindernisse verstehen und bewältigen kann. Das Ausüben von Selbstkontrolle und der Aufbau förderlicher Gewohnheiten spielen dabei eine Schlüsselrolle, weshalb ihnen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Abschirmung des Vorsatzes Ein häufiges Hindernis, gegen das Vorsätze abgeschirmt werden müssen, sind konkurrierende Handlungsziele. Deren Aktivierung entzieht sich nicht selten der eigenen Kontrolle. So kann die simple Bemerkung Ihres Mitbewohners, dass er gerade eine interessante Doku über Paris gesehen hat, in Ihrem Kopf den Gedanken aufploppen lassen, dass Sie dringend noch Ihren Sommerurlaub organisieren müssen. Dieser Gedanke steht dann in Konkurrenz zu Ihrem eigentlichen Vorsatz, jetzt für die Uni zu lernen. Für einzelne Vorsätze ist die Konkurrenz an Handlungsalternativen häufig groß. Schließlich verfolgen wir in unserem Alltag nicht nur ein oder zwei, sondern viele verschiedene Ziele parallel. Wenn die Gelegenheit gerade besonders 2 So tickt der Schweinehund 68 <?page no="69"?> günstig ist, eines oder mehrere dieser anderen Ziele umzusetzen, ist der eigentliche Vorsatz akut bedroht. Ein Fallbeispiel: Ben wollte gerade in die Bibliothek radeln, um endlich diese schon lange geplante Literaturrecherche zu erledigen. Da klingelt sein Telefon - eine gute Freundin, mit der er ewig nicht mehr gesprochen hat, ist dran. Er denkt: „Jetzt habe ich sie schon mal an der Strippe, dann telefoniere ich auch mit ihr. In die Bibliothek kann ich ja morgen auch noch fahren.“ Und schon ist er von seinem eigentlichen Vorsatz abgekommen. Wenn mehrere Handlungsabsichten zum gleichen Zeitpunkt in Konflikt zueinander stehen (hier: Literaturrecherche vs. Telefonat mit der Freundin), spricht man von Querkonkurrenz (vgl. Heckhausen & Heckhausen, 2018). Der Konflikt kann sich jedoch auch auf unterschiedliche Zeitpunkte für ein und dieselbe Handlungsabsicht beziehen (sog. Längskonkurrenz): Da Ben den Bibliotheksbesuch offensichtlich auch noch zu einem späteren Zeitpunkt (am nächsten Tag) erledigen kann, vertagt er ihn spontan. Hohe Quer- und Längskonkurrenz sind sehr reale Hindernisse bei der Verfolgung von Zielen. Wer viel zu tun hat, dem/ -r steht für einzelne Projekte nur begrenzt Zeit zur Verfügung. Man ist gezwungen, Prioritäten zu setzen: Welche Aufgabe erledige ich vor allen anderen? Was muss besonders gründlich gemacht werden? Dabei orientiert sich die Prioritätensetzung in der Regel an zwei zentralen Kriterien: Wichtigkeit und Dringlichkeit. Wichtige Aufgaben bringen uns unseren Werten, Visionen und Zielen näher. Dringende Aufgaben müssen aufgrund einer Frist oder sonstiger Umstände zeitnah erledigt werden. Wenn die Freundin in dem zuvor genannten Beispiel in Tränen aufgelöst ist und Hilfe braucht, oder wenn es nur sehr selten gute Gelegenheiten gibt, mit ihr zu sprechen, stuft Ben das Telefonat vielleicht als wichtig und dringend ein und zieht es dem Bibliotheksbesuch (wichtig, aber nicht so dringend) bewusst vor. Es kann aber auch sein, dass der Anruf nicht wirklich wichtig ist, Ben ihn aber - aufgrund der (vermeintlichen) Dringlichkeit - trotzdem annimmt: „Jetzt habe ich sie schon mal an der Strippe …“ Dringlichkeit kann auch mit Wichtigkeit verwechselt werden: Eigentlich wollte man für eine wichtige Prüfung lernen, hat dann aber doch drei Stunden lang die Wohnung aufgeräumt, weil das „totale Chaos“ herrschte (dringend, aber weniger wichtig als das Lernen). Eigentlich hatte man den Abend reserviert, um an der Bewerbung für eine sehr attraktive 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 69 <?page no="70"?> 7 Die Beispiele sind willkürlich gewählt und dienen lediglich der Veranschaulichung. Als wie wichtig/ dringend bestimmte Aktivitäten im Einzelfall eingestuft werden, muss individuell und für jede Situation neu bestimmt werden. Stelle als Werkstudent/ -in zu feilen, war dann aber doch auf der Party des Nachbars einer entfernten Bekannten - denn den Partybesuch kann man schließlich nicht nachholen (dringend, aber weniger wichtig als die berufliche Zukunft). 7 Dieses (scheinbare) „Primat“ der Dringlichkeit ist einer der Gründe, warum es empfehlenswert ist, in der Zielsetzungs- und Planungsphase mit festen Fristen zu arbeiten. Fristen vermitteln Dringlichkeit („Bis spätestens 18.00 Uhr habe ich den Bibliotheksbesuch erledigt! “). Ohne Frist oder wenn diese weit in der Zukunft liegt, ist die Längskonkurrenz groß („Morgen ist auch noch ein Tag! “). Es gibt Konkurrenzaktivitäten, die gleich doppelt gefährlich für den eigent‐ lichen Vorsatz werden können. So ist der zuvor genannte Partybesuch nicht nur dringender als das Schreiben der Bewerbung, sondern wahrscheinlich auch unmittelbar attraktiver, also eine sog. Versuchung (vgl. Quinn et al., 2010). Studien zeigen, dass wir etwa die Hälfte unserer im Wachzustand ver‐ brachten Zeit ein Verlangen nach etwas verspüren, das sofortiges Vergnügen verspricht, z. B. Essen, Schlaf, Trinken, Mediennutzung, Freizeitbeschäfti‐ gungen, Sozialkontakte, Körperpflege, Tabak, Sex, Arbeit, Kaffee, Alkohol, Sport oder Geldausgeben (Hofmann et al., 2012). Wie unschwer erkennbar ist, laufen viele dieser Versuchungen unseren Langzeitinteressen zuwider - weil sie auf lange Sicht unserer Gesundheit oder unserem Geldbeutel abträglich sind oder aber, weil sie uns von unseren eigentlichen Plänen ablenken. Dennoch lassen wir nicht selten alles stehen und liegen und geben einer solchen Versuchung nach - wieso? Eine Sache haben dringliche Aufgaben und Versuchungen gemein: Der Nutzen steht unmittelbar bevor. Bei langfristig angelegten Vorsätzen da‐ gegen erhalten wir den Nutzen meist erst in (ferner) Zukunft. Wir alle haben schon einmal die Erfahrung gemacht, wie befriedigend es sein kann, eine schwierige Prüfung zu bestehen oder ein aufwändiges Projekt abzuschließen - man ist erleichtert, zufrieden und ausgelassen. Allerdings sind all diese positiven Folgen Wochen vor der Prüfung oder dem Projektabschluss, wenn sich auf dem Tisch die Lernunterlagen und To-Dos türmen, doch relativ weit weg. Bei Aufgaben, die schneller sichtbare Ergebnisse produzieren als die geplante Aktivität (z. B. Wohnung aufräumen statt lernen), oder 2 So tickt der Schweinehund 70 <?page no="71"?> Beschäftigungen, die unmittelbar mehr Spaß machen (z. B. Partybesuch statt Bewerbung schreiben), sind uns die positiven Folgen deutlich näher. In unserem Gehirn werden Aktivitäten, die kurzvs. langfristigen Nutzen versprechen, unterschiedlich verarbeitet (vgl. Frost & McNaughton, 2017). Vereinfacht gesagt aktiviert die Aussicht auf unmittelbare Belohnung unser sog. limbisches System (vor allem die Amygdala), das man auch als „heißes“ System bezeichnen kann. Es ist an der Auslösung von Emotionen und impulsivem Verhalten beteiligt. Langfristig angelegte Projekte dagegen erfordern einen sog. Belohnungsaufschub (siehe auch Kapitel 2.4.2) und werden federführend von unserem präfrontalen Kortex verarbeitet, den man auch als reflexives, „kaltes“ System bezeichnen kann. Der präfrontale Kortex ist entwicklungsgeschichtlich jünger als das limbische System und muss sich gegen dieses „durchsetzen“, wenn wir standhaft bleiben wollen. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass der präfrontale Kortex erst mit etwa Mitte 20 ausgereift ist, während sich das limbische System und das Belohnungssystem schon deutlich früher entwickeln (vgl. Konrad et al., 2013). Dies könnte eine weitere Erklärung dafür sein, warum sich (junge) Studierende mit ihrem Schweinehund manchmal besonders schwertun - vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Studierenden in Deutschland jünger als 30 Jahre sind (über 90 % im Jahr 2019; Statista, 2020) und die Tendenz zum Aufschieben mit zunehmendem Alter abnimmt (Steel, 2007). Dass zukünftige Belohnungen so viel weniger motivierend sind als unmit‐ telbare - sogar dann, wenn sie objektiv betrachtet deutlich größer sind - ist auf den sog. zeitlichen Diskontierungseffekt zurückzuführen (Ainslie, 1975; Ainslie et al., 2018). Damit ist die Tendenz unseres Gehirns gemeint, unmittelbaren Nutzen überzubewerten, zukünftigen Nutzen dagegen stark abzuwerten. Ein und dieselbe Belohnung (Entspannung, Anerkennung, Geld …) wird als wertvoller wahrgenommen, wenn man sie sofort bekommt, als wenn man sie erst in zwei Stunden, Tagen oder Wochen erhält. Der weiter in der Zukunft liegende Nutzen wird „diskontiert“. Abbildung 4 veranschaulicht das Phänomen der Diskontierung. Dort ist der subjektive Wert von zwei Aufgaben im Zeitverlauf dargestellt. Aufgabe 1 führt zu einem größeren, aber später eintretenden Nutzen (z. B. Bestehen einer Prüfung), Aufgabe 2 führt zu einem vergleichsweise geringeren, aber früher eintretenden Nutzen (z. B. Bad putzen). Zu Zeitpunkt t1, wenn beide Optionen noch weit in der Zukunft liegen, ist der handelnden Person durchaus bewusst, dass Aufgabe 1 grundsätzlich einen höheren Nutzen 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 71 <?page no="72"?> erbringt als Aufgabe 2. Allerdings sieht man an dieser Abbildung auch, dass mit zunehmender zeitlicher Distanz zum erwarteten Ergebnis der Nutzen beider Aufgaben abgewertet wird. Diese zeitliche Abwertung verläuft stark gebogen (hyperbolisch), was zur Folge hat, dass zu Zeitpunkt t2 dem nahen Ergebnis von Aufgabe 2 plötzlich ein höherer Wert zugeschrieben wird als dem zeitlich weiter entfernten Ergebnis von Aufgabe 1. Das heißt: Wenn der kleinere Nutzen sofort verfügbar ist, wird er als wertvoller eingeschätzt als der größere, spätere Nutzen. Dies führt dann zu einem plötzlichen Präferenzwechsel zu Zeitpunkt t2 und man wendet sich Aufgabe 2 zu. Dinge, die unmittelbar belohnend sind, sind also mit einem starken Handlungsimpuls verbunden. Besonders schwer wird das Dranbleiben, wenn der Nutzen einer Aufgabe oder Aktivität sehr weit in der Zukunft liegt (wie die erhöhte Lebenser‐ wartung durch Sport), sehr abstrakt ist (wie die Vorteile eines umweltbe‐ wussten Lebensstils) oder vielleicht sogar nicht wirklich sicher ist (wie der erfolgreiche Abschluss einer Prüfung). Denn Aufgaben oder Aktivitäten, deren Nutzen sofort verfügbar, konkret und sicher ist, gibt es zuhauf. Auch deswegen wenden wir uns immer wieder solchen kurzfristig nützlichen (weniger wichtigen) Aufgaben zu und vergessen darüber die Beschäftigung mit den erst langfristig nützlichen (aber wichtigen) Aufgaben. Nutzen ist also nicht gleich Wichtigkeit. S U B J E K T I V E R W E R T ZEIT Aufgabe 2 Aufgabe 1 t1 t2 Abbildung 4. Zeitlicher Diskontierungseffekt (eigene Darstellung in Anlehnung an Koch & Kleinmann, 2002, S. 206) 2 So tickt der Schweinehund 72 <?page no="73"?> Langfristige Ziele und der innere Schweinehund Dass uns der Schweinehund besonders gerne bei Aufgaben und Zielen in die Quere kommt, die langfristig angelegt und mit hohem Aufwand verbunden sind, ist in gewisser Weise rational (vgl. Hofmann et al., 2011). Unsere Zeit ist bekanntermaßen begrenzt. Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag, die/ den wir mit einer bestimmten Aktivität verbringen, steht für andere Aktivitäten nicht mehr zur Verfügung. Insofern ist der Begriff „Zeitmanagement“ streng genommen irrefüh‐ rend, da man die Zeit selbst eben nicht „managen“ kann, sondern nur den eigenen Umgang mit ihr (Claessens et al., 2007). Langfristige Ziele erfordern aber nicht nur umfangreiche zeitliche Investitionen, sie verlangen uns auch psychisch einiges ab (Entschlos‐ senheit, Ausdauer, Selbstkontrolle …). Kein Wunder, dass der innere Schweinehund Bedenken anmeldet: Ist es das wirklich wert? Ist das nicht alles viel zu unsicher und zu anstrengend? Kann man die eigenen kostbaren Zeit- und Energiereserven nicht vielleicht doch sinnvoller einsetzen? Dass es oft genau diese langfristigen und aufwändigen Ziele sind, die uns dem näherbringen, was uns wirklich wichtig ist (Gesundheit, Wohlbefinden, Wachstum, beruflicher Erfolg, privates Glück …) - das hat der Schweinehund nicht „auf dem Schirm“. Statt sich von jeder kleinen Störung sofort von seinem eigentlichen Plan abbringen zu lassen oder aber stur weiterzumachen und dabei ggf. andere wichtige Ziele zu vernachlässigen, empfiehlt sich ein flexibler Umgang mit (spontan anfallenden) Konkurrenzaufgaben, der sich an der Wichtigkeit („Bringt es mich meinen wichtigsten Zielen näher? “) und Dringlichkeit („Muss es dringend erledigt werden? “) der Aufgaben orientiert. Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann haben Sie vielleicht schon einmal von dem sog. Eisenhower-Prinzip gehört: Dabei handelt es sich um ein beliebtes Tool zur Prioritätensetzung aus der Zeitmanagementliteratur, bei dem alle anfallenden Aufgaben danach sortiert werden, ob sie wichtig/ nicht wichtig und dringend/ nicht dringend sind. So entstehen vier Aufga‐ benkategorien, die jeweils mit einer bestimmten Handlungsempfehlung verbunden sind: (1) wichtige und dringende Aufgaben sollen sofort erledigt werden, (2) wichtige und nicht dringende Aufgaben sollen terminiert und zeitnah erledigt werden, (3) nicht wichtige und dringende Aufgaben sollen vereinfacht oder an andere delegiert werden, (4) nicht wichtige und nicht dringende Aufgaben kommen in den Papierkorb. Das Tool erfreut sich in 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 73 <?page no="74"?> der Praxis großer Beliebtheit und auch die Forschung deutet darauf hin, dass das Priorisieren von Aufgaben anhand ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit positive Effekte auf Zeitmanagement und Leistung hat (Green & Skinner, 2005; Koch & Kleinmann, 2002) sowie Vermeidungsverhalten und Sorgen verringert (van Eerde, 2003). Neben einer bewussten Prioritätensetzung sind zwei weitere hilfreiche Methoden, um einen Vorsatz vor konkurrierenden Handlungszielen abzu‐ schirmen: ▸ „Eins nach dem anderen“: Es empfiehlt sich, einzelne Aufgaben chro‐ nologisch nacheinander abzuarbeiten statt zwischen den Aufgaben hin- und herzuspringen. Denn unerledigte Aufgaben werden besser erinnert als erledigte (sog. Zeigarnik-Effekt) und ziehen Aufmerk‐ samkeit von der aktuellen Tätigkeit ab (Förster et al., 2005; Zeigarnik, 1927). Zudem gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen mangelnder Perseveranz - d. h. angefangene Aufgaben nicht zu Ende zu bringen - und Aufschiebetendenzen (Dewitte & Schouwenburg, 2002). Um konzentriertes Arbeiten zu fördern, kann es also sinnvoll sein, kleinere Aufgaben sofort und „in einem Rutsch“ zu erledigen und eine neue Aufgabe erst dann zu beginnen, wenn man die vorange‐ hende abgeschlossen hat. (Eine Ausnahme stellen kreative Aufgaben dar, die in der Regel eine gewisse „Inkubationszeit“ benötigen, in der man sich mit etwas Anderem beschäftigt; siehe Exkurs Das kluge Unbewusste in Kapitel 2.7.1.) Ablenkende Gedanken an unerledigte Aufgaben kann man reduzieren, indem man sich kurz Zeit nimmt und notiert, wie, wann und wo man diese unerledigten Aufgaben angehen wird (Masicampo & Baumeister, 2011). ▸ Mehr Fokus durch cleveres Pausenmanagement: In Bezug auf fokus‐ siertes Arbeiten sind Pausen ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sind sie enorm wichtig für Konzentration, Leistung und Wohlbe‐ finden. Personen, die ohne Pause durcharbeiten, haben am Ende weniger geschafft und sind erschöpfter als Personen, die kurze Pausen eingelegt haben (Blasche et al., 2018; Steinborn & Huestegge, 2016). Der Zeitverlust durch Pausen wirkt sich also nicht nachteilig auf die Leistung aus, sondern steigert sie sogar. Steht man unter Zeitdruck, sollte man also genau deswegen Pausen machen (und nicht trotzdem). Andererseits bergen Pausen die Gefahr, sich aus der Arbeit „herausziehen“ zu lassen. Gerade, wenn man die Pause mit 2 So tickt der Schweinehund 74 <?page no="75"?> einer Aktivität verbringt, die länger dauert als das für die Pause eingeplante Zeitfenster (z. B. anfangen, ein längeres Internetvideo zu gucken oder mit einem/ -r kommunikationsfreudigen Freund/ -in zu telefonieren), erschwert das die Wiederaufnahme der Arbeit. Deswegen sollte man sich gut überlegen, womit man seine Pausen verbringt. Zwar kann die Beschäftigung mit sozialen Medien und das Surfen im Internet durchaus Erholungswert haben (Coker, 2013) - um jedoch ein „Hängenbleiben“ zu vermeiden, empfiehlt es sich, ein verbindliches Zeitlimit anzusetzen, oder aber von vornherein auf andere Arten der Pausengestaltung auszuweichen. Kurze körperliche Bewegungspausen beispielsweise wirken sich besonders günstig auf Aufmerksamkeit, Lernverhalten und Gedächtnisleistung aus (Fenesi et al., 2018; Mavilidi et al., 2020). Fortschrittskontrolle Jeder noch so kleine Schritt in Richtung Ziel trägt zu einem wachsenden Körper an Investitionen und damit zur Zielbindung bei. Um all diese Schritte auch sichtbar zu machen, sollte man sie gewissenhaft dokumentieren, z. B. durch Abhaken von To-Do-Listen oder das Führen von Arbeitstage‐ büchern. Die sog. Fortschrittskontrolle gilt neben Wenn-Dann-Plänen als eine der wirksamsten Methoden zum Schließen der Intentions-Verhal‐ tens-Lücke (Harkin et al., 2016) und zwar vor allem aus folgenden Gründen: ▸ Den eigenen Fortschritt zu beobachten ermöglicht Selbstregulation. Studien zeigen, dass allein schon das Führen eines Arbeitstagebuchs in der Regel eine Verbesserung des Arbeitsverhaltens mit sich bringt, da man sich dadurch des eigenen Handelns stärker bewusst wird (Hensley & Munn, 2020; Höcker et al., 2017a). Man stellt fest, wo man laut Plan gerade stehen sollte (Soll) und wo man tatsächlich steht (Ist). Sollte eine starke Diskrepanz zwischen Soll und Ist festgestellt werden, kann man selbststeuernd eingreifen und das eigene Handeln wieder auf Zielkurs bringen. Man kann adäquat auf Hindernisse reagieren und die eigene Planung Schritt für Schritt optimieren. ▸ Den eigenen Fortschritt zu beobachten ist motivierend. Man lenkt seine Aufmerksamkeit bewusst auf kleine, kurzfristige Erfolge, die - wie bereits erläutert - motivierender als große Belohnungen in ferner Zukunft sind. Man sieht, dass etwas vorangeht, und man sich dem Ziel immer weiter nähert. Das stärkt auch die Selbstwirksamkeitser‐ 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 75 <?page no="76"?> wartung („Ich kann das schaffen! “) und wird als befriedigend erlebt („Der Aufwand lohnt sich! “). Beides (Selbstwirksamkeitserwartung, Zufriedenheit) führt zu mehr Durchhaltevermögen beim Aufbau neuer Gewohnheiten (Lally & Gardner, 2013). Eine Serie von zehn „Erledigt! “-Häkchen im Kalender motiviert dazu, auch den elften Tag durchzuziehen. Einen zusätzlichen „Push“ geben Fortschrittskon‐ trollen, wenn man sie öffentlich macht, also z. B. Partner/ -in oder Freunde/ -innen den eigenen Fortschritt ebenfalls verfolgen können. Ein Fallbeispiel: Melanie hat sich vorgenommen, ab jetzt dreimal in der Woche joggen zu gehen: Montag-, Mittwoch- und Freitagabend. Sie hat die entsprechenden Tage in ihrem Kalender farbig markiert und kennzeichnet jeden Tag, an dem sie wie geplant aktiv war, mit einem Häkchen. Nach 14 Tagen steht sie vor ihrem Kalender und rekapituliert die letzten beiden Wochen. Sie war insgesamt zweimal joggen. Geplant waren sechsmal. Melanie lobt sich zunächst selbst dafür, dass sie tatsächlich angefangen hat und immerhin zweimal joggen war. Dann vergleicht sie, was an den erfolgreichen Tagen anders war als an den Tagen, an denen sie nicht joggen gegangen ist, obwohl sie es geplant hatte. Ihr fällt auf, dass sie sich oft spontan nach der Uni mit Freunden/ -innen verabredet hat und dann einfach immer zu spät zu Hause war, um noch joggen zu gehen. Außerdem kam sie oft mit leerem Magen nach Hause und wollte erst einmal etwas essen. Danach war an joggen nicht mehr zu denken. Da die Pflege ihrer Sozialkontakte und eine ausgewogene Ernährung Melanie sehr wichtig sind, ist es für sie keine Option, diese Ziele dem Joggen unterzuordnen. Stattdessen stellt sie ihren Plan um. Statt abends wird sie nun am Morgen laufen gehen. Zudem reduziert sie ihr Pensum von dreimal (Montag, Mittwoch, Freitag) auf zweimal (Montag, Freitag). In zwei Wochen will Melanie wieder überprüfen, ob sie ihrem Soll dieses Mal nähergekommen ist. Obwohl Dokumentationsmethoden wie die Fortschrittskontrolle simpel anzuwenden und sehr effektiv sind, werden sie im Alltag selten eingesetzt (Webb et al., 2013). Nur wenige Menschen beobachten gewissenhaft, welche Nahrung sie zu sich nehmen, wie viel Strom sie verbrauchen oder wie viel Geld sie ausgeben. Für diese „Kopf-in-den-Sanditis“ sind verschiedene Ursachen denkbar: Zum einen ist eine regelmäßige Überwachung des eigenen Verhaltens mit einem gewissen Aufwand verbunden und kostet Zeit. Zum anderen könnten sog. Selbstwertschutzstrategien eine Rolle spielen (siehe Exkurs Wie wir unseren Selbstwert schützen in Kapitel 2.5.3). 2 So tickt der Schweinehund 76 <?page no="77"?> Wenn man den eigenen Nahrungsmittelkonsum, Stromverbrauch oder Fi‐ nanzstatus schwarz auf weiß vor sich hat, lässt er sich nicht mehr so leicht beschönigen. Zielablösung Zu den Ablenkungen, gegen die Vorsätze in der Umsetzungsphase abge‐ schirmt werden sollten, gehören auch spontane Grübeleien. Wer um 14.00 Uhr endlich anfangen wollte, an einer Präsentation zu arbeiten, sollte nicht um 13.55 Uhr zu grübeln beginnen, ob das Studium überhaupt das Richtige ist („Sollte ich das Studium doch nicht abschließen, dann wäre es ja verschwendete Zeit, jetzt an der Präsentation zu arbeiten.“). Ausdauernd bei der Zielverfolgung zu sein bedeutet jedoch nicht, ab Überschreiten des Rubikon die Scheuklappen aufzusetzen und ohne einen Blick nach links oder rechts auf das Ziel zu (und vielleicht sogar darüber hinaus) zu galoppieren. Manchmal ändert sich die Attraktivität oder die Erreichbarkeit von Zielen, so dass weitere Investitionen in die Zielverfolgung nicht mehr gewinnbringend erscheinen. So kann es ja durchaus vorkommen, dass ein gewähltes Studium nach näherer Betrachtung doch nicht optimal zu den eigenen Fähigkeiten und Berufswünschen passt. Neben Persistenz (Dranbleiben) gehört daher auch Zielablösung (Loslassen) zu erfolgreicher Vorsatzverwirklichung (vgl. Ghassemi & Brandstätter, 2019). Den richtigen Zeitpunkt für den Absprung zu identifizieren, ist allerdings manchmal gar nicht so einfach (vgl. Sheeran & Webb, 2016). Es kann vorkommen, dass man die eigenen Anstrengungen zur Zielverfol‐ gung zu früh reduziert, weil man sich irrtümlicherweise schon (fast) im Ziel wähnt. In Folge dessen wird das Ziel dann doch nicht erreicht oder man bleibt hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Vielleicht hat man innerhalb kürzester Zeit sehr viele Folien für eine Präsentation erstellt und lehnt sich dann erst einmal zurück („Super, der Rest ist ein Klacks, das schaffe ich noch am Tag des Vortrags! “). Dabei übersieht man, dass Strukturierungsarbeiten, didaktische Aufbereitung und Feinschliff des Vortrags noch einmal richtig Zeit kosten werden - Zeit, die nicht miteingeplant wird und dann am Ende fehlt. Zu frühe Zielablösung kann sich aber auch darin äußern, dass man zu schnell aufgibt, etwa, weil sich keine schnellen Fortschritte zeigen oder man sich zu leicht von auftretenden Hindernissen entmutigen lässt. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn man nach zehn Minuten der Beschäftigung mit 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 77 <?page no="78"?> der Präsentation entscheidet, aus dem Seminar doch wieder auszutreten, da einem das Präsentationsthema zu kompliziert erscheint. Sich zu früh von einem Ziel zu lösen, kann also auf mangelnde Persistenz zurückzuführen sein. Neben zu wenig kann man aber auch zu viel Ausdauer an den Tag legen: Obwohl man das Ziel bereits erreicht hat, investiert man weiter in die Zielverfolgung. In dem zuvor genannten Beispiel könnte eine zu späte Zielablösung so aussehen, dass die Präsentation im Grunde schon fertig ist, man sie aber trotzdem immer und immer wieder überarbeitet und endlos an unwichtigen Details feilt. In der Selbstmanagementliteratur findet sich in diesem Zusammenhang auch der Begriff des übertriebenen Perfektionismus. Eine andere Variante der zu späten Zielablösung ist es, an Handlungs‐ wegen festzuhalten, die einen dem erwünschten Ziel bei näherer Betrach‐ tung gar nicht näherbringen. Vielleicht merkt man bei der Vorbereitung der Präsentation zu spät, dass man komplett am eigentlichen Thema vorbeige‐ arbeitet hat. Da man aber schon so viel Zeit und Aufwand investiert hat, versucht man, den Vortrag irgendwie noch hinzubiegen, statt noch einmal von vorne (und dieses Mal richtig) zu beginnen. Im Optimalfall gehen Persistenz und Zielablösung Hand in Hand. Konkrete Vorsätze („Heute arbeite ich 30 Minuten an meiner Präsentation.“) sollten konsequent verfolgt und gegen spontane grüblerische Impulse verteidigt werden - vor allem dann, wenn solche Grübeleien kurz vor dem geplanten Arbeitsbeginn auftreten. In diesem Fall handelt es sich mit hoher Wahr‐ scheinlichkeit um eine Schweinehundattacke (vgl. Höcker et al., 2017b). Wenn die Zweifel jedoch immer häufiger auftreten und drängenden Charakter annehmen (sog. Handlungskrise; Brandstätter & Herrmann, 2018), sollte man das nicht ignorieren, sondern mit sich selbst einen Revisi‐ onstermin vereinbaren („nächsten Sonntag, 16.00 Uhr“). An diesem Termin nimmt man sich dann bewusst Zeit, um zu prüfen, ob der Vorsatz bzw. das Ziel noch „aktuell“ ist und den eigenen Vorstellungen weiterhin entspricht. Nicht nur Zweifel am Wert eines Ziels können eine vorzeitige Zielablö‐ sung nötig machen. Manchmal treten auch (ökonomische, gesundheitliche, soziale …) Hürden auf, die sich der eigenen Kontrolle weitgehend entziehen. Das Ziel kann in diesen Fällen immer noch attraktiv sein, ist aber mögli‐ cherweise nicht mehr realistisch erreichbar. 2 So tickt der Schweinehund 78 <?page no="79"?> Um unser Wohlbefinden aufrechtzuerhalten, benötigen wir die Fähigkeit, uns von unattraktiv oder unerreichbar gewordenen Zielen zu lösen. Dies fällt uns jedoch naturgemäß nicht gerade leicht. Ein Fallbeispiel: Emil hat nach dem Abitur aus vollster Überzeugung angefangen, Pharmazie zu studieren. Nach drei Semestern mehren sich jedoch die Zweifel, ob das Studienfach wirklich das Richtige für ihn ist. Ihm fällt das Lernen sehr schwer und er kann sich nicht vorstellen, später tatsächlich als Pharmazeut zu arbeiten. Ein Studienfachwechsel kommt für ihn trotzdem nicht infrage. Um den NC für das Studienfach zu schaffen, hat er monatelang fürs Abi gepaukt. Auch in das Studium selbst hat er schon viel Zeit und Nerven investiert. Und was würden wohl seine Eltern sagen, die ihn seit Beginn des Studiums finanziell unterstützen? Beispiele für das „Klebenbleiben“ an einmal gesetzten Zielen finden sich nicht nur in der individuellen Lebensführung, sondern auch im Kontext politischer und ökonomischer Entscheidungen: Ein einmal eingeschlagener Weg wird stur weiterverfolgt, auch wenn dieser offensichtlich nicht (mehr) zielführend ist (vgl. Ghassemi & Brandstätter, 2019). Der Psychologe Diet‐ rich Dörner nennt dies ballistisches Verhalten: Ballistisch verhält sich zum Beispiel eine Kanonenkugel. Wenn man sie einmal abgeschossen hat, kann man sie nicht mehr beeinflussen, sondern sie fliegt ihre Bahn allein nach den Gesetzen der Physik. Anders eine Rakete: Ein solches Flugobjekt verhält sich nicht ballistisch, sondern der jeweilige Steuermann, also der Pilot oder der Fernlenkoperateur, kann die Flugbahn der Rakete verändern, wenn er sieht oder den Eindruck hat, dass die Rakete nicht die Flugbahn hat, die er wünscht. Allgemein lässt sich wohl die Maxime aufstellen, dass Verhalten nicht ballistisch sein sollte. In einer nur teilweise bekannten Realität sollte man nachsteuern können. (Dörner, 2012, S. 267f.) Doch woran liegt es, dass wir - einmal angefangen - oft an unseren Projekten und Zielen kleben wie die Kanonenkugel an ihrer Flugbahn? Ein Grund ist der sog. Effekt der versunkenen Kosten (Arkes & Blumer, 1985). Je mehr Zeit, Geld oder Energie man schon in ein Ziel gesteckt hat, desto stärker fühlt man sich daran gebunden („Ich muss dranbleiben, schließlich hat es mich schon so viel gekostet! “). Dies kann dazu führen, dass Menschen an Arbeitsplätzen oder in Paarbeziehungen verbleiben, mit denen sie eigentlich todunglücklich sind. Man will vor sich selbst und anderen rechtfertigen, dass man bereits so viel investiert hat und übersieht dabei, 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 79 <?page no="80"?> dass die vergangenen Investitionen unwiederbringlich „versunken“ sind - unabhängig davon, ob man das Ziel nun weiterverfolgt oder nicht. Rational wäre es, nur die Gewinnerwartung in der Zukunft - nicht die vergangenen Investitionen - in die Entscheidung für oder gegen die Weiterverfolgung eines Ziels miteinzubeziehen, um nicht „gutes Geld schlechtem hinterher‐ zuwerfen“ (Staw, 1997). Ein zweiter Faktor, der die Zielablösung erschweren kann, ist sozialer Druck. So gilt es gemeinhin als Zeichen von Stärke und Erfolg, wenn man einmal gefasste Pläne und Ziele auch konsequent verwirklicht (vgl. Ghassemi & Brandstätter, 2019). Aufgeben dagegen wird oft als Zeichen von Schwäche gesehen: „Winners never quit, and quitters never win.“ (Vince Lombardi, erfolgreicher American-Football-Trainer). Insbesondere, wenn man ein Ziel aufgibt, an das man sich öffentlich stark gebunden hat, fürchtet man möglicherweise negative Reaktionen des Umfelds. Wer A sagt, muss schließlich auch B sagen - man möchte nicht als jemand gelten, der/ die unzuverlässig und wankelmütig ist, der/ die beim „kleinsten“ Hindernis sofort das Handtuch wirft. Die Wirkung dieser beiden Faktoren (versunkene Kosten, sozialer Druck) liegt in unserem Streben nach Widerspruchsfreiheit bzw. dem Vermeiden kognitiver Dissonanz begründet. Ein Projekt aufzugeben, in das man bereits viel investiert oder zu dem man sich öffentlich bekannt hat, löst kognitive Dissonanz aus und ist damit bedrohlich für unseren Selbstwert. Da man an den Investitionen und öffentlichen Bekundungen nichts mehr ändern kann, reduziert man die Dissonanz, indem man sich einredet, die Unzufriedenheit mit dem Projekt sei nur temporär oder vielleicht gar nicht so gravierend. Man macht also weiter und begibt sich dadurch in einen Teufelskreis: Denn je länger man schon dabei ist und je mehr man bereits investiert hat, desto schwieriger wird der Absprung. Man spricht in diesem Fall von sog. eskalierendem Commitment (Sleesman et al., 2012; Staw, 1997): Um die bereits getätigten Investitionen zu rechtfertigen, investiert man immer mehr, was den Rechtfertigungsdruck weiter erhöht. Nicht zuletzt erschwert auch der bereits erläuterte Diskontierungseffekt die Ablösung von nicht mehr attraktiven oder realistischen Zielen. Ein lei‐ denschaftlich verfolgtes Projekt aufzugeben hat sehr unangenehme unmit‐ telbare Konsequenzen: Neben den bereits genannten negativen Reaktionen des Umfelds muss man auch sich selbst eingestehen, dass man auf ein falsches Pferd gesetzt hat, was sehr bitter und frustrierend sein kann. Diese unmittelbaren negativen Folgen wiegen mitunter schwerer als der Gedanke 2 So tickt der Schweinehund 80 <?page no="81"?> an eine - vielleicht - bessere Zukunft ohne das Projekt. Denn in der Regel gibt es auch für alternative Handlungsziele keine Erfolgsgarantie. Wird mir ein anderes Studienfach wirklich besser liegen? Werde ich in einem anderen Job wirklich zufriedener sein? Wird ein/ -e andere/ -r Partner/ -in wirklich besser zu mir passen? Ein Ziel aufzugeben erfordert also das Eingeständnis, dass es trotz aller bereits getätigter Investitionen besser ist, das Projekt nicht mehr weiterzu‐ verfolgen und oft auch die Akzeptanz, dass sich manche Dinge der eigenen Kontrolle entziehen. Man braucht aber auch Mut und Risikobereitschaft. Denn wie es mit dem nächsten Projekt laufen wird, kann niemand mit 100-prozentiger Sicherheit vorhersagen. Die Entscheidung, ein Ziel aufzugeben, sollte daher sicher nicht leicht‐ fertig gefällt werden. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen „beim kleinsten Hindernis sofort das Handtuch werfen“ und „wohlüberlegt auf‐ geben“. Ziele zu verfolgen kostet Zeit und Energie. Beides steht uns nicht unbegrenzt zur Verfügung. Insofern bedeutet das Aufgeben eines Projekts immer auch, Zeit und Energie für neue Ziele zu gewinnen - Ziele, die möglicherweise besser mit den eigenen Werten und Zukunftsvisionen in Einklang stehen. Es ist daher kein Zeichen von Schwäche oder mangelnder Ausdauer, ein Ziel nach sorgfältiger Überlegung aufzugeben, sondern zeugt vielmehr von Stärke und gelungener Selbstregulation (Wrosch et al., 2003). Positive Selbstbestätigung (siehe auch Kapitel 2.5.3) kann helfen, die Selbstwertbedrohung durch den Zielabbruch zu verringern (Cohen & Sherman, 2014): Dabei ruft man sich eigene Eigenschaften, Stärken, Inter‐ essen, Werte oder Erlebnisse ins Gedächtnis, die als identitätsstiftend erlebt werden, und nichts mit dem problematischen Ziel zu tun haben. Dadurch verdeutlicht man sich selbst, dass es den Wert der eigenen Person nicht schmälert, wenn man dieses eine Ziel aufgibt und damit nicht erreicht. Zur Vertiefung Wenn Sie ernsthaft über einen Studienabbruch oder -wechsel nach‐ denken, kann Ihnen das Buch Don’t panic! Studienabbruch als Chance von Peter Piolot (2016) neue Perspektiven aufzeigen. 2.3 Der Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel 81 <?page no="82"?> Auf den Punkt ▸ Das Rubikonmodell der Handlungsphasen zerlegt den Prozess der Vorsatzverwirklichung in vier Phasen: (1) Abwägen und Ent‐ scheiden, (2) Planen, (3) Handeln, (4) Bewerten und Ablösen. ▸ Jede dieser Phasen birgt Herausforderungen an die Selbstregula‐ tion. Diese führen dazu, dass nur etwa 50 % aller Vorsätze auch in die Tat umgesetzt werden. ▸ Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte im Prozess der Zielverfolgung, um diese Lücke zwischen Absicht und Handeln zu schließen, vor allem: die Formulierung eines konkreten, realistischen und attrak‐ tiven Ziels, eine hohe Bindung an das Ziel, die Entwicklung eines konkreten und realistischen Aktions- und Notfallplans, die Erleich‐ terung der Handlungsinitiierung, das Abschirmen des Vorsatzes gegen konkurrierende Handlungsimpulse, das Dokumentieren des Fortschritts und die Zielablösung zur rechten Zeit. 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? Unsere Selbstkontrolle unterstützt uns unter anderem dabei, unsere lang‐ fristigen Interessen gegen kurzfristige hedonistische Handlungsimpulse zu verteidigen. Damit scheint Selbstkontrolle ein vielversprechendes Mittel gegen akute Schweinehundattacken zu sein. 2.4.1 Das Prozessmodell der Selbstkontrolle Es werden zwei Formen von Selbstkontrolle unterschieden: Widerstehen von Versuchungen und heldenhaftes Verhalten (Wirtz, 2017). Wer Ver‐ suchungen widersteht, verzichtet kurzfristig auf etwas Angenehmes (z. B. Süßigkeiten), um langfristig negative Konsequenzen zu vermeiden (z. B. Karies). Bei heldenhaftem Verhalten dagegen tut man etwas, das kurzfristig unangenehm ist (z. B. medizinische Vorsorgeuntersuchung), aber langfristig positive Konsequenzen nach sich zieht (z. B. bessere Gesundheit). 2 So tickt der Schweinehund 82 <?page no="83"?> Schweinehund und Persönlichkeit Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle ist etwas, worin sich Menschen anlagebedingt unterscheiden und damit eines der Persönlichkeitsmerk‐ male, die Personen mehr oder weniger „schweinehundanfällig“ machen (vgl. Steel, 2007). Ein weiteres solches Merkmal ist der Charakterzug Gewissenhaftig‐ keit. Gewissenhaftigkeit ist - neben Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen und sozialer Verträglichkeit - eine der fünf großen Dimensionen des Fünf-Faktoren-Modells der Per‐ sönlichkeit (Costa & McCrae, 1992). „Gewissen“-hafte Menschen folgen mit Ausdauer dem, was ihr Gewissen ihnen vorgibt. Es werden sechs Facetten der Gewissenhaftigkeit unterschieden: Kompetenz, Or‐ dentlichkeit, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin und Besonnenheit. Wie Sie sehen, ist das konsequente Verfolgen von Zielen im Prinzip schon Teil der Definition von Gewissenhaftigkeit. Insofern verwundert es nicht, dass gewissenhafte Menschen in der Regel gute Schul- und Studienleistungen erbringen und wenig Probleme damit haben, das umzusetzen, was sie sich vorgenommen haben (vgl. Steel & Klingsieck, 2016). Dabei darf Gewissenhaftigkeit nicht mit Perfektionismus verwech‐ selt werden, d. h. der Tendenz zum Setzen extrem hoher Leistungs‐ standards und dem Streben nach Fehlerlosigkeit. Untersuchungen zeigen, dass der sog. fremdbestimmte Perfektionismus („Der/ Die Dozent/ -in erwartet einen perfekten Vortrag von mir.“), insbesondere in Verbindung mit Versagensangst („Das schaffe ich doch nie! “), mit chronischem Aufschieben zusammenhängt (Höcker et al., 2017a). Selbstbestimmter Perfektionismus („Ich will, dass mein Vortrag perfekt ist.“) alleine ist dagegen nicht mit Prokrastination verbunden. Unterschiede in der Persönlichkeit können zwar erklären, warum es manchen Menschen leichterfällt, den inneren Schweinehund zu zähmen, als anderen. Eine Ausrede à la „Da kann man nichts ändern, so bin ich einfach! “ sind sie jedoch nicht. Zum einen gibt es noch viele weitere, nicht anlagebedingte Faktoren, die beeinflussen, ob die Realisierung von Vorsätzen gelingt. Zum anderen sind viele Persönlich‐ keitsmerkmale nur mittelfristig stabil (Harris et al., 2016) und können (z. B. durch Training) beeinflusst werden (vgl. Hudson & Fraley, 2015). 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 83 <?page no="84"?> Wir neigen dazu, unsere Fähigkeit zur Selbstkontrolle zu überschätzen und den Einfluss von (schlechten) Gewohnheiten zu unterschätzen (Nordgren et al., 2009). So denken wir beispielsweise: „Morgen früh setze ich mich an den Schreibtisch und arbeite acht Stunden am Stück. Das kann ja nicht so schwer sein, ich muss mich einfach nur ein wenig zusammenreißen.“ Dies kann dazu führen, dass wir uns nicht adäquat für die Umsetzung unseres Vorsatzes rüsten und dann eben doch wieder schwach werden. Die gute Nachricht ist: Selbstkontrolle lässt sich fördern. Wie das geht, zeigt das sog. Prozessmodell der Selbstkontrolle (Duckworth et al., 2016) auf. Gemäß diesem Modell läuft Selbstkontrolle in einem vierstufigen Prozess ab (Kreise in Abbildung 5): ▸ Stufe 1: Man kommt in eine selbstkontrollrelevante Situation. ▸ Stufe 2: Man richtet seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Situation. ▸ Stufe 3: Man nimmt eine Bewertung der Situation vor. ▸ Stufe 4: Man zeigt eine Reaktion. Ein Fallbeispiel: Melissa hat sich vorgenommen, für eine anstehende Prüfung zu lernen (Vor‐ satz: Lernen). Allerdings ist sie auch sehr gespannt, wie es bei ihrer neuen Lieblingsserie weitergeht (Versuchung: Serie gucken). Gerade sitzt sie in ihrem WG-Zimmer und will lernen (Stufe 1: Situation). Da fällt der Fernseher in ihr Blickfeld (Stufe 2: Aufmerksamkeit), sie denkt „Serien gucken macht viel mehr Spaß als Lernen! “ (Stufe 3: Bewertung) und schaltet den Fernseher ein (Stufe 4: Reaktion). 2 So tickt der Schweinehund 84 <?page no="85"?> Bewertung Situation Aufmerksamkeit Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus Modifikation der Situation Auswahl der Situation Neubewertung Reaktionsänderung Reaktion Abbildung 5. Prozessmodell der Selbstkontrolle (eigene Darstellung in Anlehnung an Duckworth et al., 2016, S. 40) Man kann an allen vier Stufen ansetzen, um Versuchungen zu widerstehen und Vorsätze zu verwirklichen (Rechtecke in Abbildung 5; vgl. auch Henn‐ ecke et al., 2019). Die folgenden beiden Strategien beziehen sich auf Stufe 1: ▸ Auswahl der Situation: Man begibt sich in ein „versuchungsfreies“ Umfeld, welches das höhere Ziel unterstützt. ▸ Melissa aus dem Fallbeispiel könnte zum Lernen in die Bibliothek gehen statt zu Hause zu lernen. Dann kommt sie gar nicht erst in Versuchung, den Fernseher einzuschalten. ▸ Modifikation der Situation: Man gestaltet das eigene Umfeld oder die zu erledigende Aufgabe so, dass es schwerer wird, Versuchungen nachzugeben, und leichter, den Vorsatz umzusetzen. Zu dieser Stufe gehört auch die sog. Vorverpflichtung (engl. precommitment): Noch bevor man überhaupt in die kritische Situation kommt, trifft man Vorkehrungen, um sich selbst vor der „Hitze des Augenblicks“ zu schützen. So vermeidet man es, im entscheidenden Moment (wenn das heiße System anspringt) schwach zu werden (Schwartz et al., 2014; Ariely & Wertenbroch, 2002). 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 85 <?page no="86"?> ▸ Melissa könnte den Fernseher mit einem Tuch abdecken oder ihn in einen anderen Raum stellen. Das Lernen selbst könnte Me‐ lissa angenehmer gestalten, indem sie mit einem ansprechenden Lernkartensystem arbeitet. Zudem könnte sie im Vorfeld mit ihrer Mitbewohnerin vereinbaren, dass sie abends als Belohnung gemeinsam kochen - allerdings nur nach getaner Arbeit (Vorver‐ pflichtung). Diese beiden Strategien setzen direkt an der kritischen Situation an. Sie ermöglichen es, früh einzugreifen und einen lockenden Impuls gar nicht erst stark werden zu lassen. Dadurch erfordern sie vergleichsweise wenig mentale Kontrolle und Anstrengung. Hier kann man von Personen lernen, die anlagebedingt gute Selbstkontrollfähigkeiten besitzen. Diese bringen sich nämlich meist gar nicht erst in die Situation, Versuchungen widerstehen zu müssen (Hofmann et al., 2012). In der Literatur findet man in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Self-Nudging“ (Reijula & Hertwig, 2020). Self-Nudging bedeutet, die „Architektur“ der eigenen Umgebung so zu gestalten, dass sie einem den nötigen Stupser (engl. nudge) in die gewünschte Richtung gibt. Allerdings lässt sich die Situation nicht immer direkt beeinflussen. Für diese Fälle gibt es drei weitere („intrapsychische“) Strategien: ▸ Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus: Menschen können ihre Auf‐ merksamkeit nur auf wenige Dinge gleichzeitig richten (siehe nach‐ folgender Exkurs Konzentration und Multitasking). Dies kann man sich im Zusammenhang mit Selbstkontrolle gleich auf zweierlei Weise zunutze machen. Zum einen kann man dafür sorgen, dass das höhere Ziel mehr Aufmerksamkeit beansprucht und damit weniger Aufmerk‐ samkeit für die Versuchung bleibt. Im Optimalfall kommt man „in den Flow“ und nimmt Versuchungen gar nicht mehr wahr. ▸ Melissa könnte sich anspruchsvollere Tagesziele setzen und ihre Konzentration ganz auf das Lernen fokussieren. In manchen Situationen kann es aber auch nützlich sein, die Aufmerk‐ samkeit ganz bewusst auf die Versuchung hinzulenken. Sich eigenen problematischen Verhaltens bewusst zu werden, ist die Voraussetzung dafür, es zu ändern. ▸ Melissa könnte ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst auf den Fernseher und den damit assoziierten Handlungsimpuls („Ein‐ 2 So tickt der Schweinehund 86 <?page no="87"?> schalten! “) richten, um zu erkennen, wie sehr sie der Fernseher vom konzentrierten Arbeiten ablenkt, und dann entsprechend selbststeuernd einzugreifen. Konzentration und Multitasking Wer konzentriert ist, tut absichtsvoll das - und nur das -, was er/ sie sich vorgenommen hat. Die Aufmerksamkeit wird voll und ganz auf eine bestimmte Sache fokussiert. Konzentration ist unabdingbar, wenn man anspruchsvolle Aufgaben erledigen möchte, denn der Mensch kann nur eine begrenzte Anzahl an Informationen gleichzeitig verar‐ beiten. Das sog. Multitasking ist also ein Mythos (Loukopoulos et al., 2009): In der Regel verschlechtert sich das jeweilige Ergebnis, wenn man mehrere Tätigkeiten parallel ausführt. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Handelt es sich bei einer der Tätigkeiten um eine Routine (z. B. Bedienen einer Computertastatur), so ist es durchaus möglich, eine zweite, aufwändigere Tätigkeit parallel auszuführen (z. B. kreative Texte produzieren; siehe auch Kapitel 2.6.1). Konzentration ist sowohl ein Persönlichkeitsmerkmal als auch ein Zustand. Als Zustand wird Konzentration durch vielfältige situative (z. B. Unterbrechungen), physiologische (z. B. Schlafmangel), emotio‐ nale (z. B. gute/ schlechte Laune), kognitive (z. B. förderliche/ hinder‐ liche Überzeugungen) und motivationale (z. B. fehlendes Interesse) Bedingungen beeinflusst (Wirtz, 2017). Studien zeigen übrigens, dass Menschen sich genauso oft selbst unter‐ brechen wie sie durch äußere Faktoren unterbrochen werden, indem sie beispielsweise spontan die Tätigkeit wechseln (z. B. Katidioti et al., 2014). Studierende, die zu Hause lernen, arbeiten durchschnittlich sechs Minuten konzentriert, bevor sie sich das erste Mal unterbrechen - und zwar vor allem, um Social-Media-Aktivitäten nachzugehen (Rosen et al., 2013). Eine zentrale Rolle beim konzentrierten Arbeiten spielt daher der eigene Arbeitsstil, also die Routinen, die man sich beim Arbeiten und Lernen angeeignet hat. Bestimmte Rituale können helfen, die eigene Aufmerksamkeit auf die Aufgabe/ Situation zu fokussieren (z. B. To-Dos festlegen - Ablenkungen ausschalten - Stifte bereitlegen - los geht’s). ▸ Neubewertung: Eine Versuchung wird erst dadurch zur Versuchung, dass wir sie als begehrenswert beurteilen. Was für den/ die eine/ -n ein 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 87 <?page no="88"?> unwiderstehliches Objekt der Begierde ist, kann den/ die andere/ -n kalt lassen. Man kann einer Versuchung folglich ihren Reiz nehmen, indem man sich klarmacht, dass sie die eigenen Langzeitinteressen korrumpiert, und dadurch ihren Wert (zumindest in dieser Situa‐ tion) schmälert. Gleichzeitig kann man eine als unangenehm oder anstrengend empfundene Aufgabe aufwerten, indem man sich deren längerfristige positive Konsequenzen vergegenwärtigt. Es geht dabei nicht darum, irgendetwas zu verleugnen oder sich schön zu reden, sondern um eine realistischere und hilfreichere Sichtweise der Situa‐ tion. Neubewertung erfordert die Fähigkeit, psychologisch Abstand zu sich selbst zu gewinnen und von einem/ -r Betroffenen zum/ -r Zeugen/ -in des eigenen Verlangens zu werden. Man löst sich aus der Situation und geht „auf den Balkon“ (Ury, 2007), also einen Ort, von dem aus man auf das Geschehen wie ein/ -e externe/ -r Beobachter/ -in herabsehen kann. Man fragt sich: Welche (automatische) Bewertung löst dieses Objekt/ diese Situation bei mir aus? Warum löst es/ sie diese Bewertung bei mir aus? Wozu will mich diese Bewertung drängen? Wenn die (problematische) Bewertung identifiziert wurde, ist der nächste Schritt, eine alternative Sichtweise zu finden, die es einem nicht erschwert, sondern erleichtert, dem Impuls zu widerstehen. ▸ Melissa beobachtet sich dabei, wie sie denkt „Serien gucken macht viel mehr Spaß als Lernen! “. Gleichzeitig erkennt sie, dass diese Bewertung bei ihr den Impuls auslöst, jetzt sofort den Fernseher anzuschalten. Melissa macht sich bewusst, dass es sich bei dieser Bewertung nur um einen Gedanken (nicht die „Realität“) handelt und dass sie die Situation eigentlich auch anders sehen könnte. Ein hilfreicherer Gedanke könnte z. B. lauten: „Serien gucken macht Spaß, aber nicht während meiner Lernzeit! “ ▸ Reaktionsänderung: Nicht zuletzt kann man auch bei der kritischen Reaktion selbst ansetzen. Unterdrücken oder Verdrängen ist dabei keine empfehlenswerte Option, denn dies lässt den Impuls häufig sogar noch stärker werden (siehe auch Exkurs Vorsicht, Negation in Kapitel 2.3.2). Besser ist es, den Impuls bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren - ohne sich zu stark damit zu identifizieren. Wie bereits bei der Strategie der Neubewertung wird man von einem/ -r Betroffenen zum/ -r Beobachter/ -in und entscheidet bewusst, ob man dem Impuls nachgibt oder ihm widersteht. 2 So tickt der Schweinehund 88 <?page no="89"?> ▸ Statt sich mit ihrem Handlungsimpuls zu identifizieren und ihm willenlos nachzugeben („Ich muss jetzt unbedingt fernsehen! “), nimmt Melissa den Impuls bewusst wahr („Aha, ich spüre gerade große Lust, den Fernseher einzuschalten! “). So fällt es ihr leichter, sich von dem Impuls zu distanzieren und ihm zu widerstehen („Jetzt nicht! “). 2.4.2 Das „Jetzt“ abkühlen, das „Später“ erhitzen Ein hilfreicher Merksatz zur Förderung von Selbstkontrolle durch Neube‐ wertung stammt von dem Psychologen Walter Mischel (siehe nachfolgender Exkurs Der Marshmallow-Test). Dieser Merksatz lautet: „Das ‚Jetzt‘ abkühlen, das ‚Später‘ erhitzen! “ (Mischel, 2016, S. 319). Das Jetzt entspricht dabei der heißen Versuchung, deren angenehme Aspekte unsere Wahrnehmung dominieren. Dieses Jetzt kann man abkühlen und damit der Hitze des Augenblicks widerstehen, indem man sich die Aspekte der Versuchung vergegenwärtigt, die weniger verlockend sind. Dieser Wechsel der Sichtweise unterbricht die automatisch ablaufenden inneren Belohnungsprozesse und nimmt der Versuchung einen Teil ihres Glücksversprechens. ▸ Melissa aus dem Fallbeispiel vergegenwärtigt sich, dass sie das Seri‐ engucken jetzt eigentlich gar nicht richtig genießen könnte, weil sie ja weiß, dass sie eigentlich lernen wollte, dass sie den Rest des Tages ein schlechtes Gewissen hätte, dass sie morgen doppelt so viel machen müsste, um im Zeitplan zu bleiben etc. Das Später bezieht sich auf das höhere Ziel und die damit verbundenen späteren Belohnungen. Solange diese fern in der Zukunft liegen, werden sie diskontiert und kaum handlungsleitend (sind also „kalt“). Holt man die fernen Belohnungen jedoch mittels bildhafter Vorstellung (siehe Exkurs Bildhafte Vorstellung in Kapitel 2.3.2) ganz nah heran, kann man ihnen gewissermaßen auch im Jetzt emotionale Qualität verleihen: Wie wird es sein, wenn man das erwünschte Verhalten wie geplant durchgezogen hat? Wie wird es sich anfühlen? Was wird man denken? Wie werden andere reagieren? ▸ Melissa stellt sich ganz anschaulich und lebhaft vor, wie zufrieden und stolz sie abends sein wird, wenn sie ihr Lernpensum erfüllt 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 89 <?page no="90"?> hat, wie viel Spaß es nach getaner Arbeit machen wird, mit ihrer Mitbewohnerin zu kochen, wie entspannt sie in die Prüfung gehen können wird, wenn sie gut vorbereitet ist, wie zufrieden sie nach der Prüfung sein wird, wie stolz ihre Eltern auf sie sein werden etc. Wenn es gelingt, die fernen Belohnungen auf diese Weise zu „erhitzen“, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man den Verlockungen des Augenblicks widersteht und nicht in alte Muster zurückfällt. Damit ist nicht gemeint, sich sämtliche Freuden des Lebens zu verbieten, indem man sie als „schädlich“ abstempelt. Es geht vielmehr darum, maßvoll zu sein und sich nicht automa‐ tisch allem hinzugeben, was laut „Hier! “ schreit. Das Seriengucken aus dem Fallbeispiel beispielsweise soll natürlich weiterhin etwas sein, das Melissa Spaß macht und bei dem sie gut abschalten kann. Das bedeutet aber nicht, dass sie völlig willenlos bei erster Gelegenheit den Fernseher anschalten muss. Andere Dinge haben ebenfalls einen Platz in unserem Leben, aber aufgrund ihres erst später eintretenden Nutzens nicht den zwingenden Charakter einer Versuchung. Wir sind den Präferenzen unseres Gehirns nicht hilflos ausgeliefert, sondern können uns in schwachen Momenten selbst daran erinnern, dass alles seine Zeit hat - das Lernen genauso wie das Seriengucken. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen es angebracht sein kann, vormalige Versuchungen in ein komplett anderes Licht zu rücken. Einer Person mit Glutenunverträglichkeit beispielsweise kann ein Stück Kuchen schwere körperliche Beschwerden bereiten. Um sich den Verzicht zukünftig zu erleichtern, könnte diese Person den Gedanken „Ah, wie lecker! “ beim Anblick eines Kuchens ersetzen durch den Gedanken „Kuchen mit Gluten ist Gift für mich! “. Wenn der Kuchen kein Objekt der Begierde mehr ist, lässt es sich leichter darauf verzichten (vgl. Glenk et al., 2020). Auch in Bezug auf ungeliebte, aber längerfristig lohnende Aufgaben kann radikales Umdenken hilfreich zur Förderung der eigenen Selbstkontrolle sein. Einige Beispiele: ▸ beim Anblick eines Lehrbuchs daran denken, welche spannenden Erkenntnisse darin schlummern könnten (statt daran, wie trocken und langweilig das Lesen wahrscheinlich sein wird) ▸ das Joggen als leicht umsetzbare Maßnahme zum Stressabbau sehen (statt als „Zeitfresser“) ▸ die monatlichen Beiträge zur Altersvorsorge als Absicherung gegen Altersarmut sehen (statt als „Geldfresser“) 2 So tickt der Schweinehund 90 <?page no="91"?> Durch solch einen „Etikettenwechsel“ wird aus einem notwendigen Übel etwas, das zu Wachstum, Gesundheit oder Wohlbefinden beiträgt. In Kapitel 2.5.3 wird auf diesen Punkt noch einmal genauer eingegangen. Der Marshmallow-Test Ab den späten 1960er Jahren führte Walter Mischel einige sehr bekannt gewordene Studien zum sog. Belohnungsaufschub (engl. delay of gratification) durch (Mischel, 1974). Dabei wurden Vorschulkinder vor die Wahl gestellt, entweder sofort eine kleine Belohnung (einen Marsh‐ mallow; Süßigkeit aus Schaumzucker) oder später eine größere Beloh‐ nung (zwei Marshmallows) zu bekommen. Der Versuchsleiter erklärte den Kindern, dass er den Versuchsraum nun verlassen würde und die Kinder selbst entscheiden könnten, ob sie ihn mit einer Klingel zu‐ rückrufen, um sofort die kleine Belohnung zu erhalten, oder aber warten, bis er von alleine zurückkommt, um die große Belohnung zu erhalten. Dann verließ der Versuchsleiter den Raum und ließ die Kinder mit dem Marshmallow vor der Nase zurück. Man kann sich vorstellen (oder in diesem witzigen Video der Stanford-Universität mitansehen: QR 5), wie schwer es insbesondere den kleineren Kindern fiel, dieser Versuchung zu widerstehen. Neben dem Alter gab es zahlreiche weitere Einflussfaktoren auf die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub, z. B. die Bewertung der Versuchung durch das Kind oder das Vertrauen in den Versuchsleiter. Jahre später wurden dieselben Kinder erneut unter‐ sucht. Es zeigte sich, dass die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub positiv mit schulischen und akademischen Leistungen, Stressbewälti‐ gung und sozialer Kompetenz zusammenhing (Shoda et al., 1990). Die Studien zum Belohnungsaufschub gelten als wegweisend für die For‐ schung zur Selbstkontrolle und werden auch heute noch intensiv in der Gemeinschaft der Forschenden diskutiert (Falk et al., 2020; Watts et al., 2018). Die soeben erläuterten Strategien können genutzt werden, um in kritischen Situationen standhaft zu bleiben, wie Sie anhand folgender Aufgabe auspro‐ bieren können. 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 91 <?page no="92"?> Aufgabe: Selbstkontrolle Welchen Versuchungen können Sie nicht widerstehen? Wählen Sie ein konkretes Beispiel aus. Analysieren Sie dieses Beispiel anhand des Prozessmodells der Selbst‐ kontrolle (ähnlich dem Fallbeispiel aus dem Text) und überlegen Sie sich geeignete Strategien, wie Sie der Versuchung das nächste Mal widerstehen können - wenn Sie das denn möchten. Prozessstufe Analyse Wie sieht diese Stufe bei Ihrem Beispiel konkret aus? Strategien Wie könnten Sie an dieser Stufe ansetzen, um der Versuchung künftig zu wi‐ derstehen? Situation Aufmerksamkeit Bewertung Reaktion Notieren Sie Ihre Gedanken. Selbstkontrolle lässt sich aber auch längerfristig trainieren, wie beispiels‐ weise eine Studie mit Erstsemesterstudierenden der Universität Zürich zeigt ( Job et al., 2015). Die Studierenden sollten zwei Wochen lang zweimal am Tag Fingerhanteln so lange wie möglich zusammendrücken. Diese Übung erfordert Selbstkontrolle, da das Zusammendrücken nach kurzer Zeit schmerzhaft wird, und man dem Impuls widerstehen muss, die Hanteln loszulassen. Einige Monate später wurden die akademischen Leistungen dieser Studierenden mit einer Kontrollgruppe ohne Selbstkontrolltraining verglichen. Es zeigte sich, dass die Studierenden, die das Selbstkontrolltrai‐ ning absolviert hatten, vier Wochen vor den Prüfungen mehr Zeit in die Prüfungsvorbereitung steckten und in den Prüfungen besser abschnitten als die Kontrollgruppe. In anderen Untersuchungen beinhalteten Selbstkon‐ trolltrainings den mehrwöchigen Verzicht auf Süßigkeiten (Muraven, 2010) 2 So tickt der Schweinehund 92 <?page no="93"?> oder das mehrmonatige Überwachen der eigenen Finanzen (Oaten & Cheng, 2007). Zur Vertiefung Einen umfassenden Einblick in Walter Mischels Forschung erhalten Sie in seinem Buch Der Marshmallow-Effekt: Wie Willensstärke unsere Persönlichkeit prägt (2016). 2.4.3 Selbstkontrolle ist nicht alles Selbstkontrolle auszuüben kann also tatsächlich hilfreich sein, um akute Schweinehundattacken zu überwinden und einmalige (unangenehme) Auf‐ gaben oder Tätigkeiten zu erledigen. Auch unterstützt uns unsere Selbst‐ kontrolle dabei, schlechte Gewohnheiten zugunsten neuer, erwünschter Verhaltensweisen zu hemmen. Dennoch: Wenn man etwas längerfristig tun möchte - z. B. sich einen förderlichen Lern- oder Arbeitsstil aneignen -, geht es weniger um (anstren‐ gungsvolle) Selbstkontrolle als darum, durch regelmäßiges und häufiges Durchführen des erwünschten Verhaltens eine neue Routine aufzubauen (siehe auch Kapitel 2.6.3). In der Literatur werden Routinen auch als anstren‐ gungslose und simple (engl. shortcut) Selbstkontrollstrategie bezeichnet, da sie das zielführende Verhalten zum Standard machen (Fiorella, 2020). Wenn es Melissa aus dem Fallbeispiel gelingt, eine positive Lerngewohnheit aufzubauen (z. B. sich nach dem Frühstück sofort an den Schreibtisch setzen und lernen), wird die erwünschte Reaktion (Lernen) direkt durch den situativen Kontext (Schreibtisch) ausgelöst - eine aufwändige mentale Verarbeitung (z. B. Neubewertung von Versuchungen) entfällt. Ein sehr populär gewordenes Modell des Psychologen Roy Baumeister besagt zudem, dass Selbstkontrolle eine begrenzte Ressource ist und sich wie ein Muskel erschöpft (sog. Ego-Depletion-Effekt; Baumeister et al., 1998). Mit jeder Tätigkeit, die Selbstkontrolle beansprucht, sinkt demnach die Willenskraft, bis sie irgendwann aufgebraucht ist und für eine gewisse Zeit nicht mehr zur Verfügung steht. Man kann sich also nicht beliebig lange zum Arbeiten und Durchhalten zwingen. Zwar ist der Ego-Depletion-Effekt in Fachkreisen umstritten (Friese et al., 2019), dennoch scheint eine gesunde Balance zwischen zielbezogener Selbstkontrolle („Zähne zusammenbeißen 2.4 Alles nur eine Frage der Selbstkontrolle? 93 <?page no="94"?> und durch“) und dem Genießen der Freuden des Augenblicks („auch mal alle Fünf gerade sein lassen“) längerfristig am förderlichsten für die psychische und physische Gesundheit zu sein. Auf den Punkt ▸ Selbstkontrolle bedeutet, kurzfristige Impulse zu zügeln, um lang‐ fristige Ziele zu verwirklichen, und hilft vor allem bei akuten Schweinehundattacken. ▸ Nach dem Prozessmodell der Selbstkontrolle beinhaltet jede selbst‐ kontrollrelevante Episode vier Stufen: (1) Situation, (2) Aufmerk‐ samkeit, (3) Bewertung, (4) Reaktion. ▸ Um Selbstkontrolle zu fördern, kann man an allen vier Stufen ansetzen: (1) die eigene Umgebung so auswählen oder gestalten, dass Versuchungen ausgeschaltet werden und das höhere Ziel unterstützt wird, (2) die Aufmerksamkeit weg von der Versuchung und hin zum höheren Ziel lenken, (3) Versuchung oder höheres Ziel neubewerten, (4) der Versuchung bewusst widerstehen und im Sinne des höheren Ziels handeln. 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 2.5.1 Der psychologische Dreiklang Die Definition des inneren Schweinehunds aus Kapitel 1 ist streng ge‐ nommen eine Vereinfachung, denn das konkrete Verhalten (etwas nicht zu tun, das man sich vorgenommen hat) ist letztlich nur das sichtbare Ergebnis. Dem vorgeschaltet sind kognitive und emotionale Prozesse, die Gegenstand dieses Kapitels sind. Los geht es mit einigen Definitionen: ▸ Kognitionen sind alle Arten von bewussten oder unbewussten men‐ talen Prozessen (Wirtz, 2017). Dazu gehört Wahrnehmen, Denken, Bewerten, Interpretieren, Urteilen, Entscheiden, Problemlösen, Erin‐ nern, Planen und Lernen. 2 So tickt der Schweinehund 94 <?page no="95"?> ▸ Emotionen beinhalten neben subjektiv erfahrbaren Gefühlen wie Freude, Ärger und Angst auch objektiv messbare physiologische Reaktionen wie eine Veränderung der Herzfrequenz, sowie Verän‐ derungen im Ausdruck, d. h. in Mimik, Gestik und Körpersprache (Brandstätter et al., 2018). Emotionen werden durch bestimmte Situa‐ tionen oder Objekte ausgelöst und sind zeitlich begrenzt (Sie sind wütend, weil Sie sich gerade mit jemandem gestritten haben). Das unterscheidet sie von den länger andauernden Stimmungen, die nicht auf eine konkrete Situation bezogen und schwächer sind als Emotionen (Sie sind heute gut gelaunt). ▸ Verhalten meint jede Form messbarer motorischer Aktivität. Be‐ wusstes, zielgerichtetes Verhalten wird als Handeln bezeichnet (Wirtz, 2017). Stellen Sie sich nun eine typische Schweinehundepisode vor: Benno hatte sich fest vorgenommen, am Abend noch einen Text für die Uni zu lesen. Als es dann so weit ist, kann er sich einfach nicht dazu aufraffen, und spielt stattdessen Gitarre. Was genau ist passiert? ▸ Kognition: Benno denkt an den Text, den er eigentlich lesen wollte. Er denkt daran, wie kompliziert und langweilig der Text ist: „Also auf den ätzenden Text habe ich jetzt wirklich keine Lust! “ ▸ Emotion: Die Gedanken an den Text lösen bei Benno Unbehagen aus. Er ist genervt, gelangweilt und lustlos. ▸ Verhalten: Um diese negativen Emotionen zu dämpfen, entscheidet sich Benno spontan gegen das Lesen des Textes (obwohl er es sich fest vorgenommen hatte) und wendet sich etwas Angenehmerem zu (Gitarre spielen). Das problematische Verhalten, nämlich das Brechen seines eigentlichen Vorsatzes, resultiert also aus Bennos Gedanken und Gefühlen in dieser Situation. Gedanken und Gefühle beeinflussen sich gegenseitig. In Bennos Beispiel löst die negative Bewertung des zu lesenden Textes negative Emotionen bei ihm aus. Umgekehrt kann sich die Stimmungslage auch auf das Denken auswirken. Wer schlechte Laune hat, fokussiert sich stärker auf negative Aspekte der Situation und erinnert sich leichter an negative Ereignisse aus 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 95 <?page no="96"?> der Vergangenheit, während gute Laune dafür sorgt, dass man die Welt um sich herum positiver wahrnimmt und sich besser an angenehme Ereignisse aus der Vergangenheit erinnert (die „rosarote Brille“). Dieses Phänomen wird als Stimmungskongruenz bezeichnet: Informationen, die zur aktu‐ ellen Stimmung einer Person „passen“, haben einen Verarbeitungsvorteil (vgl. Werth et al., 2020a). Es wäre also zu erwarten, dass Benno den Text wohlwollender beurteilt, wenn er gerade besonders gute Laune hat, als wenn er nicht so gut drauf ist. 2.5.2 Gefühlsgesteuert? Die Funktion von Emotionen Unsere Emotionen erfüllen eine Signalfunktion. Ungefährliche, ange‐ nehme oder vertraute Reize oder Situationen lösen positive Emotionen wie Freude oder Erleichterung aus (Signal: „Alles ok! “) und leiten damit Annäherungsverhalten ein. Bedrohliche, unangenehme oder schmerzvolle Reize oder Situationen dagegen führen zu negativen Emotionen wie Angst oder Ekel (Signal: „Sei auf der Hut! “) und damit zu einer Vermeidungsreaktion. Ganz auf die Spitze getrieben lassen uns Emotionen Situationen aufsuchen, die für unser Überleben förderlich sind und Situationen meiden, die für uns (lebens-) bedrohlich werden können. Damit erleichtern sie uns die Anpassung an unsere Umwelt und sichern unseren Überlebens- und Fortpflanzungserfolg (vgl. Brandstätter et al., 2018). Emotionen unterstützen aber auch die Umsetzung von Vorsätzen, bei denen es nicht direkt um Leben oder Tod geht. Alle Schritte auf dem „Weg vom Vorsatz zum erreichten Ziel“ (siehe Kapitel 2.3) sind von Emotionen begleitet, die unser Handeln steuern, z.B.: ▸ Ein anspruchsvolles, aber realistisches Ziel führt zu positiven Emo‐ tionen wie (Vor-) Freude oder Stolz. Das motiviert zum Handeln, um das Ziel auch zu erreichen. ▸ Ein überforderndes Ziel dagegen kann zu Angst und damit zu Rück‐ zugsverhalten führen. ▸ Hindernisse und Rückschläge sorgen für Frust und damit möglicher‐ weise auch dafür, dass der Antrieb verloren geht. 2 So tickt der Schweinehund 96 <?page no="97"?> Gefühlswortschatz Im Text wird meist vereinfachend die Einteilung in positive und negative Emotionen vorgenommen. Hier finden Sie einen kleinen Wortschatz für Gefühle, die im Zusammenhang mit dem erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Verwirklichen von Vorsätzen auftreten können. ▸ Begriffe, um positive Emotionen auszudrücken: angeregt - begeis‐ tert - eifrig - energiegeladen - engagiert - enthusiastisch - entschlossen - erfreut - gespannt - inspiriert - hoffnungsvoll - kraftvoll - motiviert - neugierig - optimistisch - schwungvoll - selbstsicher - zuversichtlich ▸ Begriffe, um negative Emotionen auszudrücken: ängstlich - an‐ gespannt - bedrückt - deprimiert - ernüchtert - frustriert - gehemmt - gelähmt - gelangweilt - genervt - hilflos - lethargisch - lustlos - mutlos - nervös - schlapp - sorgenvoll - unter Druck - unbehaglich - unwohl - verärgert - zögerlich Emotion und Motivation sind eng miteinander verbunden: Motiviertes Verhalten ist letztlich darauf ausgerichtet, positive Emotionen zu erlangen und negative zu vermeiden. (Brandstätter et al., 2018, S. 169) Das erklärt auch Bennos Verhalten in der zuvor beschriebenen Schweine‐ hundepisode. Der Gedanke an die eigentlich geplante Aktivität (Lesen des Textes) löst negative Emotionen (Unlust) und damit eine Vermeidungsreak‐ tion bei Benno aus. Er entscheidet sich spontan um und liest den Text doch nicht. In Bennos Beispiel ist die geplante Aufgabe unangenehm, da sie (ver‐ meintlich) nicht viel Spaß macht. Aufgaben können aber auch noch aus einem weiteren Grund unangenehm sein, nämlich, weil sie eine Bedrohung unseres Selbstwerts darstellen. Denken Sie beispielsweise an die Vorbe‐ reitung eines wichtigen Vorstellungsgesprächs oder das Schreiben einer Abschlussarbeit. Insbesondere, wenn das Ergebnis individuell besonders bedeutungsvoll ist, z. B. weil man den Job unbedingt haben oder in der Bachelorarbeit unbedingt eine 1,0 schreiben möchte, kann der Gedanke an die Aufgabe Versagensangst auslösen: „Kann ich das überhaupt schaffen? Das geht bestimmt ganz fürchterlich schief! “ Um diese Befürchtungen und Ängste - zumindest kurzfristig - auszuschalten, wird der jeweilige 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 97 <?page no="98"?> Vorsatz („Heute bereite ich das Vorstellungsgespräch vor! “, „Heute schreibe ich an meiner Bachelorarbeit! “) über Bord geworfen. Entsprechend gibt es einen starken positiven Zusammenhang zwischen Versagensangst und chronischem Aufschieben (Höcker et al., 2017a). Dem inneren Schweinehund nachzugeben kann also eine Strategie zur Emotionsregulation sein (vgl. Tice et al., 2001; Pychyl et al., 2000). Emotionsregulation bedeutet, bewusst oder unbewusst auf die eigenen Emotionen Einfluss zu nehmen, um unerwünschte Emotionen zu dämpfen und erwünschte Emotionen zu intensivieren. Kurzfristig mag die Strategie des Schweinehunds aufgehen. Die negativen Gefühle lassen sofort nach und insbesondere, wenn man statt des eigentlichen Vorsatzes etwas An‐ genehmes macht (im Fallbeispiel: Gitarre spielen), wird das Brechen des Vorsatzes im Sinne der operanten Konditionierung (siehe Exkurs in Kapitel 2.2.2) sogar doppelt verstärkt. Man muss sich nicht mit der unangenehmen Aufgabe beschäftigen (negative Verstärkung) und macht stattdessen etwas, das sofort positive Emotionen verschafft (positive Verstärkung; Höcker et al., 2017b). Dies erklärt die plötzlichen Präferenzwechsel, die wir alle nur zu gut kennen: Eigentlich wollte man morgens joggen gehen, ist dann aber doch im kuschligen Bett liegen geblieben. Eigentlich wollte man Wasser sparen, hat dann aber doch wieder 20 Minuten lang geduscht, weil das Wasser so angenehm warm war. Eigentlich wollte man für die anstehende Prüfung lernen, hat dann aber doch die Fotos aus dem letzten Urlaub sortiert, weil die Erinnerungen daran einfach so schön sind. Die lockende Versuchung muss allerdings gar nicht so viel attraktiver sein als die geplante Aktivität. Es reicht schon, wenn sie vergleichsweise angenehmer ist (z. B. weniger anstrengend oder selbstwertbedrohend). Ins‐ besondere bei „nützlichen“ Alternativtätigkeiten resultiert das gute Gefühl dann nicht nur aus der vergleichsweise angenehmeren Tätigkeit an sich, sondern auch daraus, dass man den spontanen Wechsel gut vor sich selbst rechtfertigen kann („O.k., ich habe mich heute nicht auf das Vorstellungs‐ gespräch vorbereitet. Aber dafür habe ich endlich meine Stifteschublade sortiert, das war auch mal wieder dringend nötig! “). In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch von produktiver Prokrastination gesprochen (Westgate et al., 2017). Damit ist eine Form des Aufschiebens gemeint, die weniger schädlich ist als das „klassische“ chronische Aufschieben, da die betroffene Person zwar nicht das erledigt, was sie sich vorgenommen hat, dafür aber andere nützliche (wenn auch 2 So tickt der Schweinehund 98 <?page no="99"?> weniger wichtige) Dinge. Klassiker sind neben dem berühmten Bad putzen (statt lernen) auch das To-Do-Listen sorgfältig formatieren (statt abarbeiten) und das Suchen nach weiterer Literatur (statt die bereits gefundene zu lesen). Diese Fluchtaktivitäten sind weniger offensichtlich als solche erkennbar und lösen entsprechend weniger Schuldgefühle aus als ein Nickerchen oder das lustige Katzenvideo. Befindet man sich gerade in einem echten Motivationstief, kann es durchaus sinnvoll sein, den „Weg des geringsten Widerstandes“ zu gehen und den Aufgaben Vorrang zu geben, zu denen man sich noch am ehesten aufraffen kann. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass man ungeliebte, aber wichtige Aufgaben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufschiebt. Denn auch, wenn man sich durch das Aufschieben solcher Aufgaben kurzfristig besser fühlt - langfristig wird die Konfrontation mit der Aufgabe immer unausweichlicher und die Angst und Unlust immer größer. Es entsteht ein Teufelskreis, den Menschen, die unter chronischem Aufschieben leiden, leider nur zu gut kennen (Höcker et al., 2017b). Hilfreich ist in jedem Fall Frustrationstoleranz. Denn den Schweine‐ hund zu überwinden bedeutet in der Regel erst einmal Verzicht (z. B. auf die unmittelbaren Belohnungen, welche Versuchung und Co. versprechen) und Verzicht kann ziemlich frustrierend sein („Wegen der blöden Prüfung kann ich heute nicht mit den anderen bowlen gehen! “, „Ich würde jetzt so gerne eine rauchen! “). Die Fähigkeit, Frustration annehmen und aushalten zu können (ohne gleich Abhilfe schaffen zu wollen), ist daher ein wirksamer „Puffer“ gegen Schweinehundattacken (Ying & Lv, 2012). Zeitperspektive und der innere Schweinehund Menschen unterscheiden sich in ihrer Orientierung auf eine bestimmte Zeitperspektive (Zimbardo & Boyd, 1999). In Bezug auf die Selbst‐ wahrnehmung werden Vergangenheits-Ich (engl. past self), Gegen‐ warts-Ich (engl. present self) und Zukunfts-Ich (engl. future self) unterschieden. Aufschieben bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Gegenwarts-Ich eine Aufgabe an das Zukunfts-Ich delegiert. Und hier kommt der innere Schweinehund ins Spiel. Denn dieser ist „Team“ Gegenwarts-Ich. Er will, dass es uns in diesem Moment gut geht, ist fokussiert auf unsere aktuellen Bedürfnisse und unser aktuelles Lusterleben. Ob das, was unser Gegenwarts-Ich tut, gut oder schlecht für unser Zukunfts-Ich ist, interessiert ihn nicht. Aus genau diesem 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 99 <?page no="100"?> Grund stiftet er uns dazu an, unangenehme Aufgaben stets unserem Zukunfts-Ich zu überlassen („Das kannst Du doch auch morgen noch erledigen! “). Entsprechend sind Aufschiebetendenzen mit einer gerin‐ geren Orientierung auf das Zukunfts- und einer stärkeren Orientierung auf das Gegenwarts-Ich verbunden (Sirois, 2014). Schweinehundattacken im Hier und Jetzt nachzugeben führt allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit zu weiteren Schweinehundattacken in der Zukunft. Wer heute das Lernen abbläst und lieber an den See fährt (also das Lernen an das Zukunfts-Ich delegiert), muss morgen noch mehr lernen, um im Zeitplan zu bleiben, hat dann wahrscheinlich noch weniger Lust darauf und ist damit noch anfälliger für die Verlockungen des Augenblicks. Langfristig bewirkt der Schweinehund mit seinem ständigen Delegieren an das Zukunfts-Ich also genau das Gegenteil von dem, was er ursprünglich beabsichtigt hat, nämlich das Gegen‐ warts-Ich vor Überlastung zu schützen und ihm angenehme Gefühle zu bescheren. Den Handlungsempfehlungen unserer Emotionen (bei Schweinehundatta‐ cken: Frust, Unlust, Angst, Ärger …) nicht immer blind zu folgen, ist auch noch aus einem anderen Grund empfehlenswert: Emotionen können leicht ausgelöst (und auch manipuliert) werden, etwa durch ganz alltäg‐ liche Ereignisse (Anblick einer schimmeligen Tomate, Geruch einer frisch geschälten Orange …), positive oder negative Interaktionen mit anderen Menschen, Konsum bestimmter Nahrungs- oder Rauschmittel, körperliche Aktivität, (Miss-) Erfolgsrückmeldungen, sowie bestimmte Gedanken oder Erinnerungen. Im Labor werden Emotionen auch durch gefühlsbetonte Filmszenen, Bilder oder Musik erzeugt. Und so plötzlich, wie sie ausgelöst wurden, klingen Emotionen in der Regel auch wieder ab - oft innerhalb weniger Sekunden oder Minuten (vgl. Ekman, 1999). Was nun genau die Emotionen, die wir gerade empfinden, ausgelöst hat, wissen wir häufig nicht und führen sie stattdessen auf Ursachen zurück, die gar nicht dafür verantwortlich sind. So kann es beispielsweise vorkommen, dass physiologische Erregung, die eigentlich durch körperliche Aktivität hervorgerufen wurde, auf eine nachfolgende Situation übertragen und fälschlicherweise als Ärger oder Frust interpretiert wird (sog. Erregungs‐ transfer; vgl. Werth et al., 2020b). Ein Beispiel hierfür wäre, wenn Sie Ihre körperliche Erregung durch einen Sprint, um den Bus noch zu erwischen, 2 So tickt der Schweinehund 100 <?page no="101"?> fälschlicherweise als Ärger über einen eigentlich neutralen Kommentar der Busfahrerin interpretieren. Auf ähnlichem Weg kann unsere Stimmung auch unsere Urteile beein‐ flussen. In einer klassischen sozialpsychologischen Studie wurden Personen entweder an einem sonnig-warmen oder an einem regnerisch-kühlen Tag angerufen und zu ihrer Lebenszufriedenheit befragt („Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit Ihrem Leben? “). Es zeigte sich, dass das Wetter die angegebene Lebenszufriedenheit beeinflusste: Bei schönem Wetter waren die Probanden/ -innen zufriedener als bei schlechtem Wetter. Dieser Unterschied verschwand jedoch, wenn die Probanden/ -innen gleich zu Beginn des Telefonats beiläufig gefragt wurden, wie das Wetter bei ihnen gerade sei. Die aktuelle Stimmung wurde also als Information für die Beurteilung der allgemeinen Lebenszufriedenheit herangezogen - außer, die Probanden/ -innen hatten eine andere plausible Erklärung (das Wetter) dafür (sog. Mood-as-Information-Hypothese; Schwarz & Clore, 1983; 2003). Man kann festhalten: Unsere Emotionen - oder das, was wir dafür halten - spiegeln nicht immer eine zuverlässige Einschätzung der Situation wider, in der wir uns befinden. Angst zu empfinden muss nicht bedeuten, dass man wirklich in Gefahr ist. Und Unlust zu empfinden muss nicht bedeuten, dass die anstehende Aufgabe wirklich todlangweilig sein wird. Es empfiehlt sich daher, die Regulation der eigenen Emotionen nicht dem inneren Schweine‐ hund zu überlassen, sondern in die eigene Hand zu nehmen (vgl. Eckert et al., 2016). Emotionsregulation Im Folgenden lernen Sie einige Strategien zur Emotionsregulation kennen. Diese lassen sich parallel zum Prozessmodell der Selbstkontrolle (siehe Kapitel 2.4.1) folgenden Kategorien zuordnen (McRae & Gross, 2020): ▸ Auswahl der Situation: Man vermeidet Situationen, die negative oder unerwünschte Emotionen auslösen und sucht Situationen auf, die positive oder erwünschte Emotionen erzeugen. ▸ Hierzu zählt die Vermeidungsstrategie des Schweinehunds: Benno spielt Gitarre (angenehm) statt den komplizierten Text für die Uni zu lesen (unangenehm). Wie zuvor beschrieben, greift diese Strategie oft zu kurz, wenn man Dinge erledigt bekommen möchte. Nachhaltigere Methoden sind: 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 101 <?page no="102"?> ▸ Modifikation der Situation: Man verändert die Situation, um die ei‐ genen Emotionen in die gewünschte Richtung zu steuern. ▸ Benno versucht, das Lesen des Textes angenehmer zu gestalten. Er druckt den Text aus, verwendet bunte Textmarker, legt ein Lexikon mit Fachbegriffen bereit, lässt im Hintergrund seine Lieblingsmusik laufen. ▸ Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus: Man richtet seine Aufmerk‐ samkeit gezielt auf bestimmte, z. B. positivere oder auch weniger emotional bedeutsame Aspekte der Situation. ▸ Benno lenkt seine Aufmerksamkeit weg von der Länge des Textes (sehr lang) und den vielen Details (sehr kompliziert) und kon‐ zentriert sich zunächst einmal auf Überschriften, Abbildungen, Tabellen und die Zusammenfassung (übersichtlich und verständ‐ lich). ▸ Neubewertung: Man verleiht der Situation eine neue Bedeutung, z. B. indem man ihre Relevanz für die eigene Person anders bewertet oder sie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. ▸ Benno ruft sich ins Gedächtnis, dass es wirklich wichtig für sein Vorankommen im Studium ist, diesen Text jetzt zu lesen - auch, wenn es nicht so viel Spaß macht. Oder aber er ändert seine Einstellung zum Text: Er vergleicht ihn mit einem Rätsel aus seinen Computerspielen, das er lösen möchte. Aber auch schon Akzeptanz, d. h. die Emotion ohne Wertung anzunehmen („Aha, dieser Text löst also Unlust und Widerwillen in mir aus.“) kann hilfreich sein. ▸ Reaktionsänderung: Man setzt an der bereits ausgelösten emotionalen Reaktion an. Physiologische Erregung kann beispielsweise durch Bewegung oder Entspannung reduziert werden, die subjektiv erlebten Gefühle kann man beeinflussen, indem man sie bewusst zulässt und offen ausdrückt. So hilft z. B. das Aufschreiben belastender Emotionen (sog. emotionale Selbstoffenbarung; Pennebaker, 2004) nachge‐ wiesenermaßen bei ihrer Verarbeitung. ▸ Bevor Benno mit dem Text anfängt, macht er ein paar Liegestütze, atmet tief durch, macht seiner Unlust schriftlich in seinem Bullet Journal Luft („Nerv! “) - und fängt an. 2 So tickt der Schweinehund 102 <?page no="103"?> Das Warten auf die „richtige Stimmung“ Das berühmte Warten auf die „richtige Stimmung“ ist eine weitere Mög‐ lichkeit, wie unsere Gefühle uns indirekt davon abhalten können, aktiv zu werden (vgl. Kearns & Gardiner, 2011): Wir denken, wir müssten Lust auf eine Aufgabe haben, um sie zu erledigen, und warten auf den Tag, an dem es endlich so weit ist - mitunter tagelang, wochenlang, monatelang. In der Tat geht vielen unserer Aktivitäten ein Gefühl des Motiviert-Seins voran. In der Fachsprache bezeichnet man dies als sog. antizipatorische Phase der Belohnungsverarbeitung (oder auch Wanting, dt. Wollen). Man erwartet, dass die geplante Aktivität belohnend sein wird und nimmt diese Belohnung in Gedanken vorweg: Man verspürt Vorfreude. Davon unterschieden wird die sog. konsumatorische Phase der Belohnungsverarbeitung (oder auch Liking, dt. Mögen), d. h. der Genuss, die Freude am Tun (Gard et al., 2006). In der Regel hängen diese beiden Phasen zusammen. Wenn man Freude an einer Aktivität hat (konsumatorische Freude), führt das zu Vorfreude (antizipatorische Freude) und damit zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass man diese Aktivität auch in Zukunft wieder aus‐ führen wird (Klein, 1987). Das heißt umgekehrt jedoch nicht, dass Vorfreude Voraussetzung für Freude am Tun ist. So konnte z. B. gezeigt werden, dass depressive Menschen zwar deutlich weniger Vorfreude auf angenehme Aktivitäten empfinden als gesunde Menschen (was es ihnen möglicherweise erschwert, sich aus eigenem Antrieb zu potenziell belohnenden Aktivitäten zu motivieren). An der Aktivität selbst aber haben sie ähnlich viel Freude wie Gesunde (Sherdell et al., 2012). Motivation und Vorfreude führen also zu Aktion, umgekehrt kann Aktion - insbesondere, wenn sie als positiv und belohnend erlebt wird - auch zu Motivation und Vorfreude führen („Der Appetit kommt beim Essen.“). Vor allem bei Tätigkeiten, die man noch nie ausgeführt hat oder die - wenn überhaupt - erst nach einiger Zeit angenehm(er) werden oder Spaß machen, ist es daher empfehlenswert, einfach einmal anzufangen, ohne sich viel Gedanken darüber zu machen, ob man wirklich „bereit“ dazu ist. Der Weg Kognition - Emotion - Verhalten ist also keine Einbahnstraße, sondern funktioniert in beide Richtungen. Auch in der Behandlung chroni‐ schen Aufschiebens gelten Maßnahmen, die direkt an der Veränderung des Verhaltens ansetzen, als wirksame Therapiemethode (Höcker et al., 2017b): Betroffene lernen Schritt für Schritt, aktiv zu werden und Dinge zu erledigen. Durch erste Erfolge entstehen positive Gefühle wie Stolz oder Erleichterung 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 103 <?page no="104"?> („Ich habe es geschafft! “), auch falsche Vorstellungen - z. B. über die Aufgabe - werden korrigiert („So schlimm war das ja gar nicht! “). Längerfristig kann sich dadurch die Einstellung zur Aufgabe und auch die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit und Kontrolle verbessern. Die Betroffenen erfahren, dass Aufschieben nicht die einzige Möglichkeit ist, sich besser zu fühlen, und erlernen alternative, zielführendere Bewältigungsstrategien. 2.5.3 Die Macht der Gedanken Im Folgenden wird zunächst ein genauerer Blick auf drei Kategorien von Gedanken und Überzeugungen geworfen, die Schweinehundattacken begünstigen: Abwertung der Aufgabe, Selbstabwertung und Rationalisie‐ rungen. Anschließend werden konkrete Methoden vorstellt, mit denen man blockierende Überzeugungen hinterfragen und förderliche Gedanken stärken kann. Der Schweinehund in unserem Kopf Abwertung der Aufgabe Je unangenehmer eine Aufgabe ist, desto wahrscheinlicher wird sie aufge‐ schoben (Steel, 2007). Sicherlich gibt es Aufgaben und Aktivitäten, die von vielen Menschen übereinstimmend als unerfreulich eingestuft werden, z. B. schmerzhafte medizinische Behandlungen. Dennoch hält sich die Objektivierbarkeit der sog. Aufgabenaversivität (aversiv = unangenehm) in Grenzen. Neben situativen Einflüssen (im Falle der medizinischen Be‐ handlung: Einrichtung der Praxis oder Klinik, Freundlichkeit des Perso‐ nals …) spielt vor allem die subjektive Bewertung eine zentrale Rolle. Wenn eine Aufgabe sowohl positive als auch negative Aspekte beinhaltet (was wohl auf die meisten Aufgaben unseres täglichen Lebens zutrifft), dominieren häufig die negativen Aspekte die subjektive Bewertung dieser Aufgabe. Dies ist - auch - auf den sog. Negativitätsbias zurückzuführen (engl. bias, dt. kognitive Verzerrung; Baumeister et al., 2001). Damit ist unsere Tendenz gemeint, negativen Aspekten mehr Aufmerksamkeit zu schenken als positiven, sie schneller wahrzunehmen, in der Urteilsbildung stärker zu gewichten und besser zu erinnern. In gesunder Ausprägung ist der Negativitätsbias sehr sinnvoll, um uns vor Schaden zu schützen (z. B. wenn wir körperliche Schmerzen ernst nehmen und eine/ -n Arzt/ Ärztin aufsuchen, um uns durchchecken zu lassen). In übersteigerter Form kann 2 So tickt der Schweinehund 104 <?page no="105"?> der Negativitätsbias jedoch zu einem sehr einseitigen Blick auf bestimmte Situationen („Dieser Text ist furchtbar kompliziert und langweilig - einfach nur ätzend! “) und die Welt („Die Welt ist schlecht! “) führen. Den Negativitätsbias gibt es übrigens auch prospektiv bei der Wahrneh‐ mung der in der Zukunft liegenden Konsequenzen einer Aufgabe oder Handlung (sog. Negatives-Konsequenzen-Denken; Kaluza, 2015): Man fokussiert einseitig darauf, was in einer bestimmten Situation alles schief‐ gehen könnte und beschwört Katastrophenszenarien herauf („Ich werde in der mündlichen Prüfung einen Blackout haben und mich bis auf die Knochen blamieren! “). Dies kann die Aufgabe als besonders bedrohlich für den eigenen Selbstwert erscheinen lassen und zu Versagensangst führen. Ein ausgewogenes In-den-Blick-Nehmen sowohl möglicher Risiken und Gefahren, als auch potenzieller Chancen und Erfolge führt in der Regel zu deutlich besseren Ergebnissen als ein Problemfokus oder positives Denken alleine (siehe mentales Kontrastieren und WOOP, Kapitel 2.3.2). Bitte bearbeiten Sie nun folgende Aufgabe. Aufgabe: Muss (1) Was müssen Sie heute noch alles erledigen? Notieren Sie alle Punkte, die Ihnen einfallen, bevor Sie weiterlesen. Unsere Sprache spielt eine zentrale Rolle bei der Bewertung (oder auch Abwertung) von Aufgaben (siehe nachfolgender Exkurs Framing). Ein gutes Beispiel dafür ist das sprachliche Etikett „müssen“. Gemäß Duden bedeutet „müssen“, dazu gezwungen zu sein oder sich verpflichtet zu fühlen, etwas Bestimmtes zu tun („müssen,“ o.D.). Durch ein „müssen“ wird eine Tätigkeit also zum Zwang oder zur Pflicht. Dies kann innere Widerstände auslösen. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von Reaktanz (Brehm, 1966). Damit ist eine motivationale Erregung gemeint, die entsteht, wenn sich eine Person in ihrer Handlungs- oder Entscheidungsfreiheit eingeschränkt oder bedroht fühlt, z. B. durch Verbote oder Pflichten. Der effektivste Weg, die bedrohte Freiheit wiederherzustellen ist es, etwas Verbotenes trotzdem zu tun oder eine Pflichtaufgabe nicht oder nur wi‐ derwillig zu erledigen („Ich bringe es einfach schnell hinter mich! “). Ein weiterer häufiger Effekt von Reaktanz sind Attraktivitätsveränderungen - Verbotenes wird attraktiver, Gebotenes (noch) unattraktiver (Wirtz, 2017). 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 105 <?page no="106"?> Die Formulierung „ich muss“ kann sich also nachteilig auf den eigenen Antrieb auswirken. Das Paradoxe daran ist: Oft handelt es sich bei den Dingen, die wir angeblich „müssen“, gar nicht um ein echtes „Muss“. Bearbeiten Sie dazu Teil 2 der Aufgabe. Aufgabe: Muss (2) Gehen Sie Ihre Stichpunkte aus der vorangehenden Aufgabe noch einmal durch. Fragen Sie sich bei jedem Punkt: Muss ich das wirklich? Wer oder was zwingt mich dazu? Was würde passieren, wenn ich diese Sache nicht erledige? Wie gravierend wären die Konsequenzen? Es geht dabei nicht darum, Sie von Ihren Plänen abzubringen („Stimmt eigentlich, das kann ich morgen auch noch machen! “), sondern darum, zu hinterfragen, ob diese Aufgaben wirklich so fremdbestimmt sind, wie es das Wort „müssen“ nahelegt. Identifizieren Sie Aufgaben, ▸ zu denen Sie eigentlich niemand zwingt - außer Sie sich selbst, ▸ die erforderlich sind, um ein Ziel zu erreichen, das Sie sich selbst gesetzt haben oder ▸ die erforderlich sind, um gesund zu bleiben und menschenwürdig zu leben. Notieren Sie Ihre Gedanken. Neben Aversion können Muss-Gedanken im Sinne überzogener Zielset‐ zungen (sog. Musturbationen; Ellis, 1997) auch Ängste und Stress auslösen. Gedanken wie „Ich muss das perfekt machen, sonst sind andere von mir enttäuscht.“ erzeugen nicht nur unnötigen Druck, sondern engen auch den eigenen Blick ein und machen damit unflexibel („Entweder 100 % oder gar nicht! “; van Essen et al., 2004). Eine häufige Folge: Aufschieben. Man sollte ein „ich muss“ folglich nicht gedankenlos verwenden, sondern wenn möglich darauf verzichten - insbesondere bei Zielen, die selbst gewählt sind und an die man sich stark gebunden fühlt. Es geht dabei nicht darum, sich etwas vorzumachen („Ich freue mich riesig auf die Prüfung bei dem unsympathischen Dozenten.“), sondern darum, den Fokus wegzulenken von vermeintlichem Zwang („Ich muss das jetzt tun …“) hin zu selbstbestimmtem Handeln („Ich mache das jetzt! “). Dies gilt übrigens 2 So tickt der Schweinehund 106 <?page no="107"?> nicht nur für den Dialog mit sich selbst, sondern auch für die Sprache mit anderen. So kann die Verwendung kontrollierender Kommunikation (z. B. „Du sollst/ musst“ statt „Du kannst“) das intrinsische Interesse einer Person an der zu erledigenden Aufgabe verringern (vgl. Brandstätter et al., 2018). Aufgabe: Muss (3) Verzichten Sie einen Tag lang (am besten gleich heute) bei allen ge‐ planten Aufgaben und Tätigkeiten auf das Wort „müssen“. Sagen oder denken Sie „Ich möchte heute noch zwei Stunden lernen“, „Ich werde heute noch meinen Schreibtisch aufräumen“ oder „Ich will heute endlich dieses Telefonat erledigen“. Wechseln Sie das Etikett. Welchen Effekt hat das auf Ihre Motivation? Wie fühlen Sie sich damit? Notieren Sie Ihre Gedanken. Framing Muss halt sein! - Extrem wichtig! - Furchtbar schwer! - Megalangweilig! Häufig macht erst so ein sprachliches Etikett zu erledigende Aufgaben wirklich unangenehm. Hintergrund ist der sog. Framing-Effekt (Entman, 1993; Kühberger, 2017). Dieser besagt, dass die Art der Darstellung eines Gegenstands (z. B. durch eine bestimmte Wort- oder Bildwahl) entscheidend beeinflussen kann, wie dieser Gegenstand wahrgenommen und wie mit ihm umgegangen wird. Je nach „Verpa‐ ckung“ kann ein und derselbe Sachverhalt andere Assoziationen und Gefühle auslösen und zu anderen Entscheidungen führen. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie stehen morgens vor der Wahl, bei miesem Wetter joggen zu gehen oder aber noch eine Stunde im warmen Bett liegen zu bleiben. Sie können sich in dieser Situation mit der Entscheidung konfrontiert sehen, ob Sie diese eine Stunde mit etwas Unangenehmem ( Joggen bei miesem Wetter) oder etwas Angenehmem (im warmen Bett liegen bleiben) verbringen möchten. Sie können es aber auch als Entscheidung zwischen gesundem ( Joggen) oder ungesundem Lebensstil (nicht Joggen) sehen, oder als Entscheidung, wer Sie in Zukunft sein wollen: Jemand, der/ die nur unter perfekten Bedingungen joggt, oder jemand, der/ die seine/ ihre Fitnessvorsätze auch bei miesem Wetter durchzieht (Ainslie et al., 2018). 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 107 <?page no="108"?> Selbstabwertung Nicht nur eine negative Sicht auf die zu erledigende Aufgabe, sondern auch ein negatives Selbstbild kann den eigenen Antrieb und die Zielverfolgung beeinträchtigen. Erinnern Sie sich an das Beispiel von Lena, der Biologie‐ studentin, zurück (siehe Kapitel 2.3.2). Sie hatte sich ihre Lernpläne viel zu voll gepackt und daher täglich Misserfolgserlebnisse zu verzeichnen. Lenas Frust hat genau genommen mehrere Ursachen: Zum einen hat sie sich offensichtlich ein zu hohes, kaum bewältigbares Tagespensum vorge‐ nommen. Zum anderen scheint sie der Überzeugung zu sein, dass einmal gesteckte Tagesziele auch erreicht werden müssen. Diese Überzeugung an sich ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Sie kann dafür sorgen, dass das Lernen so lange aufrechterhalten wird, bis das Tagesziel (Soll) erreicht ist. Wird die Überzeugung jedoch zur unverrückbaren Maxime erklärt und an den eigenen Selbstwert geknüpft („Wenn ich das Tagesziel nicht erreiche, dann bin ich eine Versagerin.“), ist Frust vorprogrammiert - vor allem dann, wenn man sich ein so hohes Tagespensum setzt, dass das Erreichen des Ziels eigentlich unmöglich ist. Die Kopplung des Selbstwerts an das Erreichen innerer oder äußerer Standards, an Erfolg oder Misserfolg (sog. Selbstwert‐ kontingenz; Crocker & Park, 2004) erhöht die Versagensangst und damit den Druck. Dies begünstigt Aufschieben, was wiederum Selbstvorwürfe, Scham- oder Schuldgefühle nach sich ziehen kann (vgl. Giguère et al., 2016) - ein Teufelskreis entsteht: Selbstabwertung führt zu Aufschieben führt zu Selbstabwertung usw. Negative Gedanken über das Selbst sind nicht generell schädlich. Sich gezielt und in Maßen auch einmal kritisch und streng mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen, kann sehr hilfreich sein, um sich seiner Stärken und Schwächen bewusst zu werden, sich eigene Fehler einzugestehen und daraus zu lernen. Ein Fallbeispiel: Emma hat gerade erfahren, dass sie eine wichtige Prüfung nicht bestanden hat. Nach dem ersten Schock setzt sie sich an ihren Schreibtisch und analysiert, was genau schiefgelaufen ist. Sie stellt fest: „Ich habe zu spät mit dem Lernen angefangen. Dadurch habe ich nur einen Teil des Prüfungsstoffs geschafft und war nicht gut genug auf die Prüfungsfragen vorbereitet. Das nächste Mal werde ich deutlich früher beginnen.“ Emma setzt sich in dieser Situation intensiv und bewusst mit ihrem eigenen Verhalten auseinander und gesteht sich ein, dass ihre 2 So tickt der Schweinehund 108 <?page no="109"?> Lernstrategie nicht optimal war. Somit hat sie einen Anhaltspunkt dafür, was sie das nächste Mal besser machen kann. Problematisch kann es werden, wenn solche negativen Gedanken über die eigene Person nicht Ergebnis einer bewusst angestoßenen Abwägung sind, sondern in bestimmten Situationen automatisch getriggert werden, also zur Gewohnheit geworden sind. Das Fallbeispiel abgewandelt: Emma hat gerade erfahren, dass sie eine wichtige Prüfung nicht bestanden hat. Sofort schießt ihr der Gedanke „War ja klar, ich bin einfach eine Versagerin.“ durch den Kopf. Dieser Gedanke ist nicht Ergebnis eines bewussten Denkprozesses, sondern eine automatische Reaktion auf den Reiz „negative Rückmeldung“. Es ist also nicht der negative Inhalt per se, der schädlich ist, sondern die Automatizität des Denkprozesses. Auf die sog. negativen Selbstgedanken wird in Kapitel 2.6.1 noch einmal genauer eingegangen. Die Stärkung einer positiven Selbstsicht ist also nicht nur förderlich für Wohlbefinden und Gesundheit, sondern kann auch helfen, Dinge (wieder) konsequenter anzupacken. So sind Menschen mit einem höheren Selbstwert auch zielstrebiger und durchsetzungsfähiger als Menschen mit einem eher niedrigen Selbstwert (Hauke & Abele, 2020) und neigen weniger zum (chro‐ nischen) Aufschieben (Steel, 2007). Nicht umsonst gilt es als Teil einer guten Selbstfürsorge, einen stabilen und positiven Selbstwert aufrechtzuerhalten und gegen Bedrohungen zu verteidigen. Rationalisierungen Mit dem Bestreben, den eigenen Selbstwert zu schützen und zu stärken, kann man es jedoch auch übertreiben. Nicht nur Selbstabwertung, sondern auch der andere Extrempol - Selbsterhöhung - begünstigt Schweinehundattacken. Möchten Sie wissen, was mein persönliches Schweinehundprojekt ist? Es ist die Steuererklärung! Jahr um Jahr schiebe ich sie Monate vor mir her mit der immer selben Begründung: „Ich habe einfach keine Zeit dafür! “ Wenn ich mich dann endlich dazu aufraffen kann, ist sie in der Regel in ca. ein bis zwei Stunden erledigt. Es ist also recht offensichtlich, dass mein ständiges „Keine Zeit! “ nicht der „wahre“ Grund für die Aufschieberei sein kann, sondern eine klassische sog. Rationalisierung ist. 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 109 <?page no="110"?> Rationalisierungen sind der Versuch, eigenes Verhalten (oft im Nach‐ hinein) mit vernünftigen, rationalen Gründen zu erklären. Sie sind sozu‐ sagen Ausreden des inneren Schweinehunds (Tuckman, 2005). Denn jedes Mal, wenn wir unserem Schweinehund nachgeben, entsteht kognitive Dissonanz: Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, diese eine Sache zu erledigen, haben es dann aber doch wieder nicht geschafft. Um das proble‐ matische Verhalten vor uns selbst zu rechtfertigen und die Dissonanz zu reduzieren, suchen (und finden) wir plausible „Gründe“, die kein schlechtes Licht auf uns werfen - und darin sind wir erstaunlich gut. Neben „Ich habe einfach keine Zeit dafür! “ ist eine weitere beliebte Schweinehundausrede: „Ich kann nur unter Druck gut arbeiten.“ Viele Studierende berichten, dass es ihnen leichterfällt, wichtige Aufgaben zu er‐ ledigen, je näher der Abgabetermin rückt (die Gründe hierfür kennen Sie aus Kapitel 2.3.2). Nicht selten werden kurz vor Verstreichen der Frist sämtliche zur Verfügung stehende Energien mobilisiert, Schlaf und Freizeit gestrichen, um z. B. eine Hausarbeit doch noch fristgerecht fertigzustellen. Gleichzeitig nimmt man von perfektionistischen Ansprüchen Abstand und gibt sich mit weniger zufrieden. Diese Bewältigungsstrategie des Auf-den-letzten- Drücker-Erledigens führt einerseits dazu, dass die betreffende Person kurz vor der Frist enorm produktiv ist und die Aufgabe oft tatsächlich noch bewältigt. Dadurch macht sie die Erfahrung, dass sie in kurzer Zeit sehr viel schaffen kann - das kann mitunter sehr belohnend sein, fast wie ein „Kick“. Möglicherweise entwickelt die Person aufbauend auf dieser Erfahrung aber auch die Überzeugung, den Druck sogar zu „brauchen“, um gut arbeiten und produktiv sein zu können. Diese Überzeugung kann dann dazu führen, dass sie beim nächsten Mal wieder nicht rechtzeitig beginnt. Die negativen Aspekte dieses Vorgehens, z. B. dass längerfristig Gesundheit und Wohlbefinden leiden, werden ausgeblendet (diese Effekte liegen ja auch erst in der fernen Zukunft). Dass die Überzeugung „Ich kann nur unter Druck gut arbeiten.“ häufig eine Rationalisierung ist, heißt natürlich nicht, dass sie auch immer eine sein muss. Allerdings zeigt die Forschung, dass Kreativität und Qualität des Ergebnisses unter Zeitdruck leiden (siehe nachfolgender Exkurs Arbeiten unter Druck). Zudem liefern Studierende mit Aufschiebetendenzen unter Druck nicht etwa besonders gute, sondern sogar schlechtere Leistungen ab als Studierende ohne Aufschiebetendenzen (Ferrari, 2001). 2 So tickt der Schweinehund 110 <?page no="111"?> Arbeiten unter Druck Eine Untersuchung der Harvard Business School beschäftigte sich mit dem Einfluss von Zeitdruck auf die Arbeitsleistung (Amabile et al., 2002). Die Ergebnisse zeigen, dass Zeitdruck zwar zu Produktivität führt, die Kreativität jedoch darunter leidet. Mitarbeiter/ -innen waren sowohl am Tag, an dem sie unter hohem Druck standen, als auch an den Folgetagen weniger kreativ als üblich. Die Forscher/ -innen erklären dieses Ergebnis unter anderem damit, dass durch den Zeitdruck die Gelegenheit fehlt, sich tiefer mit einem Thema auseinanderzusetzen und eigene Ideen reifen zu lassen. Es fehlt die Inkubationszeit, die krea‐ tive Denkprozesse benötigen (siehe auch Exkurs Das kluge Unbewusste in Kapitel 2.7.1). Es mag also durchaus möglich sein, eine Hausarbeit in wenigen Tagen des Hochdruckarbeitens „herunterzuschreiben“ - allerdings zum Preis von viel Stress und einer geringeren Qualität der Arbeit. Schließlich kann man sich auch fragen, wie viel ausgereifter das Ergebnis vielleicht hätte sein können, wenn man nur rechtzeitig mit der Arbeit begonnen hätte … Weitere typische Schweinehundausreden lauten: ▸ Ich kann mich einfach nicht zum Anfangen motivieren. ▸ Immer kommt mir was dazwischen! ▸ Ich weiß einfach nicht, wie ich anfangen soll. ▸ Ich kann das bis zur letzten Minute rauszögern, kein Problem. ▸ Morgen leg ich richtig los, also kann ich heute nochmal chillen. Diese Rationalisierungen verschleiern häufig Gründe des eigenen Verhal‐ tens, die bedrohlich für den Selbstwert sind (es ist mir nicht wichtig genug, ich bin zu faul, ich habe nicht gut geplant …). Somit helfen sie, ein positives Selbstbild aufrechtzuerhalten und erfüllen damit zunächst einmal einen guten und gesunden Zweck (siehe auch nachfolgender Exkurs Wie wir unseren Selbstwert schützen). Allerdings erteilen Rationalisierungen in gewisser Weise auch die „Lizenz zum Aufschieben“ - man hat ja vermeintlich einen guten Grund dafür (Tuckman, 2005). Problematisch wird es zudem, wenn eine solche Rationa‐ lisierung in unser Überzeugungssystem übergeht und habituell, d. h. zu einer Denkgewohnheit wird, wie im zuvor geschilderten Fall der Überzeugung „Ich kann nur unter Druck gut arbeiten.“ Dann kann sie dazu führen, dass wir 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 111 <?page no="112"?> Verhaltensweisen entwickeln und aufrechterhalten, die nicht zielführend und längerfristig sogar schädlich für uns sind. Wie wir unseren Selbstwert schützen Im Alltag sind wir immer wieder mit Situationen konfrontiert, die eine Bedrohung für unseren Selbstwert darstellen. Neben kognitiver Dissonanz gehört dazu auch das Erleben von eigenen Misserfolgen und Schwächen sowie die Zurückweisung durch andere. Wir haben im Laufe unseres Lebens verschiedene Strategien entwickelt, um unseren Selbstwert in solchen Situationen zu verteidigen und zu stärken (vgl. Werth et al., 2020a). Diese Strategien sind wichtig und gesund, da sie uns helfen, ein stabiles und positives Selbstkonzept aufrechtzuerhalten. In überzogener Form können sie jedoch auch Futter für den Schweine‐ hund liefern und negative Effekte, z. B. auf unsere Motivation, haben (siehe auch Kapitel 2.7.3): ▸ Selbstbestätigung (auch Selbstaffirmation; vgl. Cohen & Sherman, 2014): Man konzentriert sich auf eigene Erfolge, Stärken und liebenswerte Eigenschaften und lenkt damit die Aufmerksam‐ keit von der Bedrohung weg („O.k., in Statistik schwächele ich aktuell noch, aber dafür bin ich in Testtheorie schon richtig gut.“). ▸ Selbstwertdienlicher Vergleich (vgl. Wood et al., 2000): Man vergleicht sich mit Menschen, die schlechtere Leistungen er‐ bringen („Meine Lerngruppenmitglieder haben in der Statistik‐ klausur alle noch schlechter abgeschnitten als ich.“) und distanziert sich von Menschen, die besser abschneiden („Susi hat zwar eine 1 in Statistik, aber die hat vorher auch - anders als ich - Mathematik studiert.“). ▸ Selbstwertdienliche Attribution (vgl. Mezulis et al., 2004): Man schreibt sich Erfolge selbst zu („Ich habe eine 1 in Testtheorie, weil ich wirklich viel gelernt habe.“) und sucht bei Misserfolgen die Schuld bei anderen oder der Situation („Ich bin durch die Statistikklausur gefallen, weil die Bewertung total unfair war.“). ▸ Self-Handicapping (vgl. Schwinger et al., 2014): Man behindert sich in Leistungssituationen selbst (z. B. durch selbst verursachten Schlafentzug), um für potenzielles Versagen eine plausible Recht‐ fertigung parat zu haben und es nicht auf mangelnde Fähigkeiten zurückführen zu müssen („Eigentlich war ich wirklich gut vorbe‐ 2 So tickt der Schweinehund 112 <?page no="113"?> 8 Der Begriff „Mindset“ wird in der Literatur unterschiedlich definiert. Im Rahmen dieses Buches wird er vereinfachend als Sammelbegriff für alle Denkmuster, Gedanken und Überzeugungen verwendet, die unseren Blick auf die Welt und uns selbst prägen, und die Realisierung von Vorsätzen beeinflussen können. reitet, aber durch den wenigen Schlaf in der Nacht zuvor konnte ich mich bei der Klausur einfach nicht konzentrieren.“). Sollte man wider Erwarten doch erfolgreich sein, erscheint dieser Erfolg umso bemerkenswerter. Studien haben gezeigt, dass Personen, die chronisch aufschieben, eine ausgeprägte Tendenz zum Self-Han‐ dicapping haben, d. h. sich selbst Steine in den Weg legen, um geplante Aufgaben und Projekte gar nicht rechtzeitig und stressfrei anpacken zu können (vgl. Steel, 2007). Das Mindset „aufräumen“ Die geschilderten Denkmuster und Gedanken bestimmen mit allen anderen Überzeugungen, die wir im Laufe unseres Lebens entwickelt haben, unser Mindset 8 - eine Art „mentale Brille“, die unseren Blick auf die Welt in einer bestimmten Weise färbt. Jeder Mensch hat seine eigene Brille, was sich unter anderem darin äußert, dass ein und dieselbe Situation von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden kann (vgl. Ellis, 2008). Für den einen ist das Nicht-Bestehen einer Klausur das persönliche Armageddon, die andere spuckt in die Hände und versucht es nochmal. Im Optimalfall gibt uns unser Mindset Orientierung vor und unterstützt uns bei der Bewältigung unserer täglichen Aufgaben. Es kann uns aber auch in unserem Handlungsrepertoire einschränken und uns dazu verleiten, zu früh aufzugeben oder Dinge gar nicht erst zu versuchen. Die gute Nachricht ist: Wir können die Brille absetzen, hinderliche Denkmuster und Überzeugungen identifizieren, hinterfragen und ersetzen - auch, wenn das vielleicht nicht „von heute auf morgen“ funktioniert. In der Behandlung von chronischem Aufschieben übrigens gelten kognitive - neben verhaltensbe‐ zogenen - Methoden ebenfalls als wirksamer Therapieansatz (vgl. Höcker et al., 2017b). Im Folgenden lernen Sie die zentralen Bausteine eines gesunden und unterstützenden Mindsets kennen. In Kapitel 3 haben Sie dann Gelegenheit, sich mit Ihrem eigenen Mindset auseinanderzusetzen. 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 113 <?page no="114"?> Selbstmitgefühl Sowohl Selbstabwertung als auch Selbsterhöhung können uns also daran hindern, unsere Vorsätze in die Tat umsetzen. Die hilfreiche Alternative dazu lautet: Selbstmitgefühl (engl. self-compassion; Neff, 2003). Selbstmitgefühl (nicht zu verwechseln mit Selbstmitleid! ) bedeutet, sich bei eigenen Fehlern, Unzulänglichkeiten oder Misserfolgen mit Verständnis und Nachsicht zu begegnen statt mit harscher Selbstkritik. Gleichzeitig spornt man sich selbst an und unterstützt sich bei einer proaktiven und lösungsorientierten Herangehensweise (siehe nachfolgende Aufgabe Selbstmitgefühl). Selbstmitgefühl verbessert die Selbstregulation (vgl. Biber & Ellis, 2019). So haben Studierende mit hohem Selbstmitgefühl weniger akademische Ängste als Studierende mit geringem Selbstmitgefühl (Williams et al., 2008) und lassen sich weniger stark „herunterziehen“, wenn es mit dem Lernen mal nicht so klappt wie geplant. Stattdessen überlegen sie, wie sie ihr Arbeitsverhalten verbessern können und verfolgen ihre Ziele weiterhin konsequent (Hope et al., 2014). Es konnte zudem gezeigt werden, dass Studierende, die sich selbst mit Nachsicht begegnen, wenn sie die Prüfungsvorbereitung aufgeschoben haben, bei der nächsten Prüfung weniger aufschieben als Studierende, die sich selbst für ihr Aufschiebeverhalten verurteilen (Wohl et al., 2010). Aufgabe: Selbstmitgefühl Sie können sich in Selbstmitgefühl üben, indem Sie überlegen, wie Sie eine andere Person (z. B. eine/ -n gute/ -n Freund/ -in) behandeln und unterstützen würden, und mit sich selbst dann genauso umgehen. 1. Nehmen Sie ein Blatt Papier zur Hand (analog oder digital) und skizzieren Sie eine Situation aus der jüngeren Vergangenheit, in der Sie sich nicht zu etwas aufraffen konnten. Was genau hatten Sie sich in dieser Situation vorgenommen? Wann hätten Sie aktiv werden wollen? Warum haben Sie es dann doch nicht getan? Bemühen Sie sich um eine möglichst objektive Beschreibung der Situation: Was hätte eine Videokamera aufgezeichnet? Was wäre auch für andere Personen beobachtbar gewesen? Versuchen Sie, in Ihrem Text auf (positive wie negative) Bewertungen und subjektive Interpretationen so weit wie möglich zu verzichten. Legen Sie den Text bis zum nächsten Tag zur Seite. 2 So tickt der Schweinehund 114 <?page no="115"?> 2. Nehmen Sie den Text am nächsten Tag wieder zur Hand. Stellen Sie sich vor, eine andere Person, die Ihnen nahesteht und die Sie gerne mögen, hätte ihn geschrieben. Lesen Sie den Text unter diesen Voraussetzungen. Welche Assoziationen, Gedanken und Gefühle löst er in Ihnen aus? Formulieren Sie dann mindestens einen mitfühlenden oder ermutigenden Satz an diese „andere Person“ („Ich kann gut verstehen, warum Du so gehandelt hast.“, „Das nächste Mal schaffst Du es! “ …). Sagen Sie diesen Satz dann zu sich selbst (auch, wenn Ihnen dies zunächst komisch vorkommen mag). Zur Vertiefung Kristin Neff ist eine der führenden Wissenschaftler/ -innen auf dem Gebiet des Selbstmitgefühls. In diesem TED Talk bietet sie einen in‐ teressanten Einblick in ihre Ideen: QR 6. Auf Kristin Neffs Webseite finden Sie einen Selbsttest sowie viele Übungen, anhand derer Sie Ihr Selbstmitgefühl trainieren können: QR 7. Achtsamkeit Ein zentrales Element von Selbstmitgefühl ist Achtsamkeit (engl. mind‐ fulness), eine Art bewusster Wahrnehmungsmodus. Man fokussiert auf das „Hier und Jetzt“ und nimmt ohne Wertung wahr, was man gerade denkt, fühlt oder tut (vgl. Brown & Ryan, 2003). Das Gegenteil, nämlich Gedankenlosigkeit (engl. mindlessness) bedeutet, widerstandslos auf Reize in der Umwelt zu reagieren statt bewusste Entscheidungen zu treffen. In diesem Sinne laufen auch automatische Reaktionen und Gewohnheiten weitgehend gedankenlos ab - was sowohl ein Nachals auch ein Vorteil sein kann (siehe auch Kapitel 2.6.1). Achtsamkeit ist nicht nur Voraussetzung dafür, eigene (automatische) Gedanken und Überzeugungen bewusst wahrzunehmen, sondern hilft auch, diese zuzulassen statt wegzuschieben. Entsprechend neigen Studierende mit einer stabilen Tendenz, über Situationen hinweg achtsam zu sein, weniger zum Aufschieben als Studierende, die weniger achtsam sind (Gautam et al., 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 115 <?page no="116"?> 2019). Eine kurze Achtsamkeitsübung (verfügbar unter QR 8) stärkt zudem die Absicht, an einer Aufgabe zu arbeiten, die hohes Aufschiebepotenzial hat (Schutte & del Pozo de Bolger, 2020). Aufgabe: Achtsamkeit In dieser Aufgabe nehmen Sie achtsam Ihre Gedanken wahr. Dabei geht es nicht darum, aktiv über ein bestimmtes Thema nachzudenken, sondern darum, den Strom der eigenen Gedanken passiv zu beobachten ohne in irgendeiner Form einzugreifen. Nehmen Sie Papier und Stift zur Hand und stellen Sie einen Timer auf zehn Minuten. Starten Sie den Timer und schreiben Sie alle Gedanken auf, die Ihnen gerade durch den Kopf gehen. Seien Sie neutrale/ -r Beobachter/ -in dessen, was in Ihrem Kopf gerade passiert. Setzen Sie den Stift nicht ab, sondern schreiben Sie immer weiter bis der Timer klingelt. Rechtschreibung, Grammatik oder Stil spielen keine Rolle! Sobald der Timer klingelt, beenden Sie bitte das Schreiben und ziehen ein kurzes Resümee: Wie leicht oder schwer ist Ihnen diese Aufgabe gefallen? Was konnten Sie während dieser zehn Minuten „beobachten“? Welche Gedanken sind (vielleicht auch wiederholt) aufgetaucht? Notieren Sie Ihre Gedanken. Hinweis: Aufgaben wie diese können übrigens auch dabei helfen, Schreibblo‐ ckaden, z. B. bei Hausarbeiten, zu überwinden. Zur Vertiefung Die Psychologin Ellen Langer forscht seit Jahrzehnten zu Achtsamkeit. Dabei beschäftigt sie sich vor allem mit den Effekten von Achtsamkeit auf Gesundheit und Altern. Genaueres erfahren Sie in diesem Vortrag: QR 9 und in Langers Buch Mindfulness - Das Prinzip Achtsamkeit: Die Anti-Burn-out-Strategie (2015). 2 So tickt der Schweinehund 116 <?page no="117"?> Überzeugungen hinterfragen Unsere Denkmuster und Überzeugungen kommen in der Regel nicht „aus dem Nichts“, sondern haben einen bestimmten Ursprung. Diesem kann man mithilfe der sog. Abstraktionsleiter von Chris Argyris (zitiert in Ross, 2008) auf die Spur kommen. Chris Argyris geht davon aus, dass unsere Überzeugungen Ergebnis eines unbewussten und blitzschnellen Abstraktionsprozesses sind, der dem Besteigen einer Leiter gleicht (siehe Abbildung 6). Ich handle gestützt auf meine Überzeugungen Ich entwickle Überzeugungen Ich ziehe Schlussfolgerungen Ich entwickle Annahmen Ich füge Bedeutungen hinzu Ich wähle „Daten“ aus meinen Beobachtungen aus Beobachtbare Daten und Erfahrungen (wie ein Videorekorder sie wiedergeben könnte) Die reflexive Schleife (unsere Überzeugungen beeinflussen, welche Daten wir beim nächsten Mal auswählen) Abbildung 6. Abstraktionsleiter (eigene Darstellung in Anlehnung an Ross, 2008, S. 280) ▸ Sprosse 1: Auf der untersten Leitersprosse befinden sich konkrete Beobachtungen in einer bestimmten Situation („Ich habe die Statis‐ tikklausur nicht bestanden.“). ▸ Sprosse 2: Aus diesen Beobachtungen werden bestimmte „Daten“ ausgewählt („Ich hatte bei fast der Hälfte der Aufgaben null Punkte.“). ▸ Sprosse 3: Die Daten werden mit (kultureller oder persönlicher) Be‐ deutung versehen („Null Punkte bedeuten, dass die Aufgabe nicht gelöst wurde.“). 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 117 <?page no="118"?> ▸ Sprosse 4: Ausgehend von diesen Bedeutungen werden Annahmen entwickelt („Mir fehlen die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse, um solche Aufgaben zu lösen.“). ▸ Sprosse 5: Anhand der Annahmen werden Schlussfolgerungen ge‐ zogen („Die Wiederholungsklausur wird richtig schwer für mich.“). ▸ Sprosse 6: Aus diesen Schlussfolgerungen werden Überzeugungen über die Welt entwickelt („Statistik ist nichts für mich.“). ▸ Sprosse 7: Die Überzeugungen wirken sich auf das weitere Handeln aus (z. B. indem man sich beruflich in eine Richtung orientiert, in der Statistikkenntnisse irrelevant sind). ▸ Die reflexive Schleife: Die Überzeugungen beeinflussen im Sinne einer Rückkopplungsschleife zudem den Auswahlprozess auf Sprosse 2 (z. B. wird man zukünftig verstärkt Aspekte und Ereignisse wahr‐ nehmen, die zu der Überzeugung „Statistik ist nichts für mich.“ passen). Der selektive Auswahlprozess (reflexive Schleife) heißt in der psycholo‐ gischen Forschung auch Bestätigungstendenz (engl. confirmation bias; Wason, 1960; Mercier, 2017) und ist eine typische kognitive Verzerrung: Sobald wir eine bestimmte Überzeugung ausgebildet haben, neigen wir dazu, einen „Tunnelblick“ zu bekommen. Informationen, die zu unserer Überzeu‐ gung passen, sie also (vermeintlich) bestätigen, haben einen Verarbeitungs‐ vorteil. Sie erhalten mehr Aufmerksamkeit, werden stärker gewichtet und besser erinnert als Informationen, die nicht zu unserer Überzeugung passen oder neutral sind. Wenn wir die Leiter mehrmals erklommen haben, scheint die Überzeugung irgendwann hinreichend durch „Fakten“ bestätigt. Sie wird von dem ursprünglichen Entstehungskontext (hier: der nicht bestandenen Klausur) abgekoppelt und somit zur neuen „Wirklichkeit“ („Statistik ist einfach nichts für mich.“). Welche Überzeugungen am Ende der Leiter stehen, hängt von verschie‐ denen inneren und äußeren Faktoren ab. So beeinflusst beispielsweise unsere aktuelle Stimmung unsere Wahrnehmung und damit den Auswahl‐ prozess auf Sprosse 2: Wenn wir gerade schlecht gelaunt sind, nehmen wir die negativen Aspekte einer Situation stärker wahr als wenn wir gut gelaunt sind (Stimmungskongruenzeffekt; siehe Kapitel 2.5.1). Außerdem wirkt sich unser aktueller Wissensstand darauf aus, welche Bedeutung wir den Beobachtungen, die wir machen, zuschreiben (Sprosse 3). Häufig besitzen wir zu einer Situation nicht alle Informationen, die relevant wären 2 So tickt der Schweinehund 118 <?page no="119"?> (z. B. wie viele Mitstudierende ebenfalls durch die Klausur gefallen sind oder dass das Verständnis komplexer statistischer Zusammenhänge eine gewisse Zeit benötigt und nicht in drei Nachtschichten erlangt werden kann). Unsere Überzeugungen bilden wir also oft auf Basis verzerrter oder unvollständiger Informationen. Dies ist vor allem deswegen problematisch, da eine Überzeugung - einmal gebildet - wie zuvor beschrieben unsere Wahrnehmung einengen kann. Das macht es schwerer, sich wieder von dieser Überzeugung zu lösen, nicht nur, weil sie sich ständig wieder zu be‐ stätigen scheint, sondern auch, weil die Revision von (öffentlich vertretenen) Überzeugungen zu kognitiver Dissonanz führt. Häufig wird man im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren können, was genau der Ursprung bestimmter Gedanken oder Überzeugungen war - auch, wenn man vielleicht eine Hypothese dazu hat (z. B. dass bestimmte Erlebnisse in der Schullaufbahn einen besonders prägenden Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen hatten). Wir selbst können häufig nur spekulieren, wo unsere Überzeugungen „wirklich“ herkommen - und übersehen dabei gerne maßgebliche Einflussfaktoren (siehe auch Kapitel 2.7.3). Das heißt jedoch nicht, dass es gar keine Möglichkeiten gäbe, den tieferen Ursachen des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns auf den Grund zu gehen - in einem therapeutischen Setting beispielsweise ist das durchaus möglich. Im Rahmen dieses Buches soll es jedoch ausreichen, sich zu vergegenwärtigen, dass unsere Überzeugungen nicht „schon immer“ da waren, sondern irgendwann irgendwie entstanden und durch häufigen Gebrauch zu unserer „Realität“ geworden sind. Anhand der Abstraktions‐ leiter kann man solche Überzeugungen auf ihren Wahrheitsgehalt bzw. ihre Allgemeingültigkeit prüfen und so z. B. Rationalisierungen oder voreilige Verallgemeinerungen (sog. Übergeneralisierung) identifizieren. Aufgabe: Abstraktionsleiter Rufen Sie sich eine Konfliktsituation aus Ihrem Studium oder Alltag in Erinnerung, die Ihnen in der jüngeren Vergangenheit widerfahren ist und die in Ihren Augen nicht zufriedenstellend aufgelöst wurde. Es kann sich dabei um ein kleines Ärgernis (Kommilitone kommt zu spät zum Lerngruppentreffen, Frau drängelt sich an der Supermarktkasse vor …) oder eine größere Auseinandersetzung (Unstimmigkeit mit dem Prüfungsamt, Streit mit dem/ -r Partner/ -in …) handeln. 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 119 <?page no="120"?> Analysieren Sie, wie der Weg die Abstraktionsleiter hinauf in dieser Situation für Sie aussah. ▸ Sprosse 1: Wie war die Situation? Seien Sie dabei möglichst objektiv und beschreiben Sie die Situation so, wie eine Videokamera sie aufgenommen hätte. ▸ Sprosse 2: Auf welche Beobachtungen oder Aspekte haben Sie Ihre Aufmerksamkeit in dieser Situation besonders stark gerichtet? ▸ Sprosse 3: Welche Bedeutung haben Sie Ihren „Daten“ beigemessen? ▸ … Analysieren Sie den ganzen Weg hinauf zur Überzeugung, mit der Sie diese Situation verlassen haben („Die Frau, die sich vorgedrängelt hat, war einfach unverschämt.“ oder „Mein/ -e Partner/ -in versteht mich einfach nicht.“). Überlegen Sie dann, wie Sie das nächste Mal in einer ähnlichen Situation die Leiter bewusst hinabsteigen könnten, z. B. indem Sie sich Ihre Schlussfolgerungen und Annahmen vor Augen führen und überlegen, worauf diese basieren. Manchmal kann es auch hilfreich sein, die eigenen Gedanken für das Gegenüber transparent zu machen und durch Nachfragen zu überprüfen. Oder Sie nutzen die Leiter, um das Denken und Schlussfolgern Ihres Gegenübers zu erkunden. Würde sich Ihrer Meinung nach das Ergebnis des Konflikts ändern - und wenn ja, wie? Notieren Sie Ihre Gedanken. Funktionales Denken Eigentlich soll uns unser Denken bei der Erreichung unserer Ziele unter‐ stützen. Es generiert geeignete Handlungsoptionen, die unseren aktuellen Istin den erwünschten Soll-Zustand (Ziel) überführen können. Vereinfacht gesagt: Denken ist Problemlösen (Sauerland, 2018, S. 7). Ein Fallbeispiel: Leon soll in einem Seminar ein zehnminütiges Impulsreferat halten. Das Referat wird bewertet und er möchte eine gute Note bekommen (Soll-Zustand). Über das Referatsthema weiß er bisher noch nichts, die Literatur sollen die Studierenden 2 So tickt der Schweinehund 120 <?page no="121"?> selbst recherchieren. In der Literaturrecherche ist Leon noch nicht besonders fit. Nach einer ersten Recherche im Online-Katalog der Bibliothek hat er keine verwertbare Literatur zu seinem Thema gefunden (Ist-Zustand). Denkprozesse, die uns dabei unterstützen, den aktuellen Istin den er‐ wünschten Soll-Zustand zu überführen, nennt man funktional, Denk‐ prozesse, die uns dabei behindern, dysfunktional (d. h. ineffizient, nicht zweckmäßig/ zielführend). Dysfunktionale Denkmuster und Überzeu‐ gungen führen zu ungünstigen Bewertungen der Situation und damit zu negativen Emotionen. Sie kosten Energie, die dann nicht mehr für eine effiziente Problemlösung zur Verfügung steht (vgl. Hoyer & Härtling, 2018). In dem zuvor beschriebenen Fallbeispiel könnte sich dysfunktionales Denken bei Leon z. B. so äußern, dass er ▸ einseitig die negativen Aspekte des Ist-Zustandes wahrnimmt und völlig frustriert ist: „Jetzt habe ich 30 Minuten lang gesucht, alle möglichen Suchwörter ausprobiert und trotzdem nichts gefunden! “ ▸ davon ausgeht, dass der von ihm eingeschlagene Weg die einzige Möglichkeit ist, das Problem zu lösen: „Ich hab doch im Online-Katalog geschaut - da gab es nichts! “ ▸ eine bestimmte unverrückbare Vorstellung des Soll-Zustandes hat: „Eine 1 krieg ich nur, wenn ich ohne Hilfe der Dozentin passende Literatur finde! “ Obwohl es sich um drei unterschiedliche Denkprozesse handelt, so haben sie doch eines gemein: Sie verhindern, dass Leon seine tatsächlichen Gestal‐ tungsmöglichkeiten wahrnimmt, neue Ideen zur Problemlösung generiert und den Lösungsraum erweitert. Leon sabotiert sich mit diesem Denken also unabsichtlich selbst. Demgegenüber könnte funktionales, lösungsorientiertes Denken in dieser Situation beispielsweise so aussehen, dass Leon ▸ den Ist-Zustand aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: „O.k., es scheint zu diesem Thema nur wenig Literatur zu geben. Ich sollte also mehr Zeit für die Recherche einplanen. Gleichzeitig brauche ich später weniger Zeit, um die Literatur durchzuarbeiten.“ ▸ nach alternativen Lösungswegen sucht: „Welche Recherchemöglich‐ keiten gibt es noch? “ 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 121 <?page no="122"?> ▸ sich von seiner rigiden Zielvorstellung löst: „Ich kann die Dozentin um einen Tipp für die Recherche bitten, ohne gleich eine schlechte Note zu bekommen. Es gibt mehrere Bewertungskriterien.“ Die zentrale Frage, um die Funktionalität von Gedanken zu prüfen, lautet also: Hilft mir dieser Gedanke dabei, mein Problem zu lösen und mein Ziel zu erreichen, oder behindert er mich? Es kann durchaus sein, dass ein Gedanke, der früher oder in anderen Kontexten hilfreich war, bei einem aktuellen Problem nicht (mehr) weiterhilft. Da die Abwertung einer anstehenden Aufgabe oder der eigenen Person sowie das Finden immer neuer Ausreden (d. h. Rationalisierungen) in der Regel nicht dazu beitragen, dass wir mit unseren Vorsätzen zur Tat schreiten, sind auch diese Denkprozesse eher als dysfunktional zu bewerten. Zum Glück sind wir unserem Denken nicht hilflos ausgeliefert: Dysfunk‐ tionale Gedanken können identifiziert und durch hilfreichere Alternativen ersetzt werden. Wie zentral dieser Aspekt ist, können Sie auch daran erkennen, dass er bereits mehrfach thematisiert wurde, unter anderem im Rahmen der Neubewertungsstrategien zur Förderung von Selbstkontrolle (Kapitel 2.4.1) und Emotionsregulation (Kapitel 2.5.2). Auch mit der Aufgabe zur intrinsischen Motivation (Kapitel 2.2.2) haben Sie dieses Umdenken bereits im Kleinen geübt: Dort sollten Sie überlegen, ob Sie einem eigentlich langweiligen und unliebsamen Thema nicht vielleicht doch etwas Positives abgewinnen können. Gelingt dies, verringert sich auch die Hürde, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Es geht dabei nicht um Augenwischerei (das würde der innere Schweinehund sowieso durchschauen), sondern darum, den eigenen Blick zu weiten: Was hält eine Aufgabe oder Aktivität neben den (offensichtlichen) negativen vielleicht auch an (weniger offensichtlichen) positiven Aspekten oder vielversprechenden Anknüpfungspunkten für Sie bereit? Welche Sichtweise auf die Aufgabe unterstützt Sie dabei, diese (endlich) zu erledigen? Zur Vertiefung Eine Einführung in das Thema dysfunktionales Denken finden Sie in dem Buch Design Your Mind! Denkfallen entlarven und überwinden (2018) von Martin Sauerland. 2 So tickt der Schweinehund 122 <?page no="123"?> Das Growth Mindset Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich Ihnen ein einflussreiches Konzept aus der motivationspsychologischen Forschung vorstellen, das mir im Zusam‐ menhang mit dem Thema innerer Schweinehund sehr hilfreich erscheint, nämlich das Konzept des Growth Mindsets der Psychologin Carol Dweck. Carol Dweck ging in ihrer Forschung der Frage nach, wie Kinder auf Misserfolgserlebnisse reagieren (Dweck, 1999). Dabei fand sie zwei zentrale Verhaltensmuster. Ein Teil der untersuchten Kinder war bei Misserfolg völlig frustriert, führte ihn auf eigenes Versagen zurück und gab schnell auf. Der andere Teil der Kinder ließ sich durch Misserfolg nicht verunsichern, sondern machte weiter und suchte alternative Lösungswege. Diese unterschiedlichen Reaktionen auf bzw. Konsequenzen von Misserfolg erklärt die Psychologin damit, dass die Kinder aus der ersten Gruppe Performanzziele verfolgen, also etwas Bestimmtes (z. B. eine gute Note) erreichen wollen. Sie sehen Erfolg und positive Rückmeldungen als Bestätigung, dass sie ihr Ziel erreicht haben, Misserfolg und negative Rückmeldungen dagegen als Zeichen, dass sie ihr Ziel nicht erreicht und versagt haben. Die Kinder aus der zweiten Gruppe verfolgen Lernziele, d.h. sie möchten vor allem Neues dazulernen und bestimmte Kompetenzen erwerben, sehen Rückmeldungen jeglicher Art als hilfreiche Information („Aha, das weiß/ kann ich schon.“ oder „Aha, das weiß/ kann ich noch nicht.“) und bleiben dran (Yeager & Dweck, 2012). Carol Dweck nimmt an, dass es maßgeblich von einer Art „internem Über‐ zeugungssystem“ abhängt, ob man eher Performanz- oder Lernziele verfolgt: Menschen mit einem sog. Fixed Mindset gehen davon aus, dass persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten wenig oder nicht veränderbar seien. Sie setzen sich Performanzziele, weil sie so beweisen müssen oder können, was in ihnen steckt (oder eben nicht). Demgegenüber glauben Menschen mit einem sog. Growth Mindset daran, dass Eigenschaften und Fähigkeiten entwickel- und veränderbar sind. Sie setzen sich Lernziele, da sie davon überzeugt sind, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten stetig erweitern zu können. Zur Vertiefung Eine Einführung in ihre Theorie gibt Carol Dweck in diesem sehens‐ werten TED Talk: QR 10. Zur Vertiefung bietet sich ihr Buch Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt (2018) an. 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 123 <?page no="124"?> Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ein Growth Mindset mit höherer Motivation, besseren Selbststeuerungsfähigkeiten, günstigeren Leistungs‐ verläufen und -ergebnissen, höherem Wohlbefinden und geringerem Stres‐ serleben assoziiert ist (z.B. Burnette et al., 2012; Burnette et al., 2020). Auch wenn positive Effekte von Growth-Mindset-Interventionen z. B. auf akademische Leistungen nicht immer zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten (Sisk et al., 2018), so gilt doch die zentrale Idee hinter der Theorie als unumstritten: Fähigkeiten sind grundsätzlich veränderbar. Unser Gehirn ist nicht von Geburt an starr verbaut wie eine Computerfest‐ platte, sondern formbar und plastisch (sog. Neuroplastizität; vgl. Denes, 2016; Kania et al., 2017; von Bernhardi et al., 2017). Es ist einem ständigen Wandel unterworfen, um sich an neue Gegebenheiten anpassen zu können. Neuroplastizität gilt als die Grundlage für Lern- und Gedächtnisprozesse. In bildgebenden Studien konnte beispielsweise gezeigt werden, dass sich Ana‐ tomie und Aktivität unseres Gehirns durch Training verändern. Wenn wir täglich Klavierspielen oder Jonglieren üben, uns intensiv auf eine Klausur oder die Führerscheinprüfung vorbereiten, führt dies zu Veränderungen in unserem Gehirn wie z. B. einer Zunahme der Aktivität in den Hirnarealen, die mit den entsprechenden Fähigkeiten in Verbindung stehen. Neuroplas‐ tizität sorgt aber auch dafür, dass Schädigungen am Gehirn geheilt bzw. kompensiert werden können. So kommt es z. B. nach Schlaganfällen häufig zu einer Reorganisation des Gehirns und benachbarte Areale übernehmen die Funktionen der geschädigten Hirnstrukturen. Unser Gehirn verändert sich also mit jeder neuen Herausforderung. Das heißt aber auch: Wenn wir Herausforderungen gar nicht erst annehmen, weil wir sie für unbewältigbar halten, nehmen wir unserem Gehirn und damit uns selbst die Chance, zu wachsen und dazuzulernen. Wenn eine Person davon überzeugt ist, sie habe einfach kein handwerkliches Talent, und daher ihre platten Fahrradreifen stets von jemand anderem richten lässt, wird sie es wohl tatsächlich niemals lernen, einen Platten zu reparieren. Ganz anders, wenn die Person sich (zunächst auch unter Anleitung) selbst an die Reparatur wagt - dann wird sie diese eines Tages auch beherrschen. Offenheit im Denken (engl. open-mindedness) - bezüglich anstehender Aufgaben, vor allem aber auch in Bezug auf die eigene Person - kann also sehr hilfreich sein, um dem inneren Schweinehund die Stirn zu bieten. Statt sich schnell entmutigen zu lassen nach dem Motto „Das liegt mir einfach 2 So tickt der Schweinehund 124 <?page no="125"?> nicht! “ kann es sich lohnen, dran zu bleiben („Momentan kann ich das noch nicht. Aber ich kann es lernen! “). Eine abschließende Bemerkung: Es ist nicht realistisch und auch nicht nötig, das eigene Mindset von heute auf morgen komplett „umzukrempeln“. Häufig haben unsere Gedanken gewohnheitsmäßigen Charakter (siehe auch Kapitel 2.6.1) und können nicht wie auf Knopfdruck gelöscht oder überschrieben werden. Dafür sind sie zu gut trainiert. Aber mit ein bisschen Geduld können Sie neue, förderliche Gedanken stark machen und länger‐ fristig an die Stelle alter, blockierender Gedanken setzen. Wie das geht, erfahren Sie in Kapitel 3. Auf den Punkt ▸ Schweinehundepisoden beinhalten neben dem sichtbaren Hand‐ lungsergebnis (etwas nicht zu tun, das man sich vorgenommen hat) auch kognitive und emotionale Prozesse. ▸ Allgemein ist unser Handeln darauf ausgerichtet, positive Emo‐ tionen zu erzeugen und negative Emotionen zu vermeiden. Dem inneren Schweinehund nachzugeben lässt sich in diesem Sinn als Versuch der Emotionsregulation deuten - zu dem es aber zahlreiche Alternativen gibt. ▸ Abwertung der Aufgabe, Selbstabwertung und Rationalisierungen können uns davon abhalten, mit unseren Vorsätzen zur Tat zu schreiten. Es gibt jedoch Möglichkeiten, ein förderliches Mindset zu entwickeln. Wichtige Bausteine hierfür sind Selbstmitgefühl, Achtsamkeit, das Überprüfen der eigenen Gedanken auf Wahrheits‐ gehalt und Funktionalität sowie der Glaube an die Veränderlichkeit der eigenen Fähigkeiten (Growth Mindset). 2.5 Kognition, Emotion und Verhalten 125 <?page no="126"?> 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 2.6.1 Was sind Gewohnheiten? Aufgabe: Gewohnt - ungewohnt Legen Sie das Buch kurz aus der Hand und probieren Sie Folgendes aus (Rae-Dupree, 2008): ▸ Falten Sie Ihre Hände, sodass die Finger ineinander verschränkt sind. ▸ Wechseln Sie nun die Position Ihrer Daumen, sodass der untere obenauf liegt. ▸ Wie fühlt sich das an? Die Bewegungsabläufe beim Falten der Hände sind in der Regel stark automatisiert. Mit diesem kleinen Test haben Sie Ihr Gehirn dazu gebracht, seinen gewohnten Pfad zu verlassen und das spüren Sie wahrscheinlich auch. Die neue Position Ihrer Daumen fühlt sich ungewohnt an. Als Gewohnheit (engl. habit) bezeichnet man die Tendenz, in einer be‐ stimmten Situation stets eine bestimmte automatische Reaktion zu zeigen (Wirtz, 2017). Meist bezieht sich diese Reaktion auf bestimmte Verhaltens‐ weisen, die wiederholt in stabilem Kontext auftreten. Dabei muss man sich nicht bewusst ans Handeln erinnern oder intensiv darüber nachdenken, sondern das Verhalten passiert fast wie von selbst: Unser Gehirn schaltet auf „Autopilot“. Und nicht nur das - häufig denken wir während der Ausführung gewohnheitsbedingten Verhaltens sogar über ganz andere Dinge nach (z. B. während des Bettmachens in der Früh darüber, was an diesem Tag alles zu erledigen ist). Gewohnheiten laufen also unter unserem (bewussten) Radar. Oft bemerken wir sie erst, wenn wir schon mitten drin sind. Gewohnheiten machen fast 45 % unserer Alltagshandlungen aus (Neal et al., 2006). Dazu gehören sowohl simple (morgens die Kaffeemaschine anschalten, im Auto anschnallen …) als auch komplexe Handlungsabläufe (Kaffee kochen, rückwärts einparken …). Diese Handlungsabläufe sind bei gut etablierten Gewohnheiten so in Fleisch und Blut (d. h. in das sog. implizite Gedächtnis; siehe nachfolgender Exkurs Implizites und explizites Gedächtnis) übergegangen, dass man Schwierigkeiten hat, sich explizit daran zu erinnern. Wenn Sie beispielsweise gut geübt im Bedienen einer Compu‐ 2 So tickt der Schweinehund 126 <?page no="127"?> tertastatur sind, versuchen Sie einmal, mit Worten zu beschreiben, wie Sie genau vorgehen, wenn Sie einen Text eintippen und wie die einzelnen Tastenkurzbefehle lauten. Fällt Ihnen das schwer? Dann gehen Sie den umgekehrten Weg: Tippen Sie Text ein und beobachten Sie Ihre Finger dabei, welche Tasten und Tastenkombinationen sie verwenden (Sokolowski, 2013). Implizites und explizites Gedächtnis Eingehende Informationen können in unserem Gehirn über längere Zeit abgelegt („gespeichert“) und bei Bedarf wieder abgerufen werden. Dabei gibt es verschiedene Arten der Speicherung. Eine im Kontext Gewohnheiten besonders wichtige Unterscheidung ist die zwischen implizitem und explizitem Gedächtnis (vgl. Sokolowski, 2013; Wirtz, 2017). Unser implizites Gedächtnis hilft uns dabei, Aufgaben anhand frü‐ herer Erfahrungen zu lösen ohne dass wir uns bewusst und willentlich an diese Erfahrungen erinnern müssten. Im impliziten Gedächtnis sind z. B. Bewegungsabläufe, Fertigkeiten und eben Gewohnheiten abgespeichert. Auch schnelle Bewertungen (z. B. am Gesichtsausdruck einer Person erkennen, dass sie erfreut ist) und verhaltensnahe emo‐ tionsgesteuerte Reaktionen (z. B. vor Scham erröten) sind Ergebnisse eines impliziten Gedächtnisabrufes. Der größte Teil unserer täglichen Gedächtnisabrufe erfolgt implizit und somit ohne unser bewusstes Zutun. Das explizite Gedächtnis dagegen bezieht sich auf die bewusste und willentliche Nutzung von Erfahrungen, also unser (Fakten-) Wissen und die Erinnerung an Ereignisse aus unserer Biografie. Der Abruf aus dem expliziten Gedächtnis kann durch einfache Abfrage erfolgen („Wie heißt die Hauptstadt von Australien - Canberra oder Sydney? “, „Wie hast Du Deinen ersten Schultag erlebt? “). Der komplementäre Mechanismus zu gewohnheitsbedingtem Verhalten ist die kontrollierte Handlungssteuerung, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn wir Handlungen bewusst planen, etwas Neues oder beson‐ ders Schwieriges tun, Fehler korrigieren, Gewohnheiten unterdrücken oder Versuchungen widerstehen, also Selbstkontrolle ausüben (Norman & Shallice, 1986). Im Alltag wechseln wir ständig zwischen automatischer und kontrollierter Handlungssteuerung hin und her. Das lässt sich gut am Beispiel des Autofahrens veranschaulichen. Bei ereignislosem und 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 127 <?page no="128"?> monotonem „Dahinfahren“ auf der rechten Spur der Autobahn hat ein/ -e routinierte/ -r Autofahrer/ -in in der Regel genug kognitive Kapazitäten frei, um sich angeregt mit dem/ -r Beifahrer/ -in zu unterhalten. Ein Über‐ holvorgang dagegen erfordert deutlich mehr Aufmerksamkeit: Man muss sich auf das Fahren konzentrieren, bewusst abwägen und entscheiden („Wie weit ist das Auto hinter mir entfernt? “, „Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Spur zu wechseln? “, „Auf welche Geschwindigkeit beschleunige ich? “). Vielleicht stoppt man sogar die Unterhaltung, bis der Überholvorgang beendet ist. Ein Student hat mir in diesem Zusammen‐ hang einmal erzählt, dass er beim Einparken in enge Parklücken das Radio leiser dreht, um sich besser konzentrieren zu können - vielleicht kommt Ihnen das auch bekannt vor? Neben dem Autofahren ist eine weitere typische Alltagsgewohnheit die „Morgenroutine“, die sich streng genommen aus vielen kleinen einzelnen Routinen zusammensetzt (Wecker ausstellen, duschen, Kleidung anziehen, frühstücken, Zähne putzen, Tasche packen, Wohnung verlassen, Tür zu‐ sperren …) oder auch die Nahrungsaufnahme (Tisch decken, Essen verteilen, Besteck benutzen, Essen kauen und schlucken …). Auch im Studienalltag lassen sich viele Gewohnheiten entdecken: Vielleicht ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Sie selbst oder andere Studierende in Lehrveranstaltungen jede Woche auf demselben Platz sitzen - auch, wenn es keine feste Sitz‐ ordnung gibt? Diese Gewohnheit erspart es Ihnen, jedes Mal zu Beginn der Veranstaltung abwägen zu müssen, wo Sie denn an diesem Tag sitzen möchten. Weitere Studienroutinen finden sich z. B. im Bereich des Sozi‐ alverhaltens (aktive Mitarbeit in Lehrveranstaltungen, Kontaktfreudigkeit gegenüber Kommilitonen/ -innen …) oder der Selbstorganisation (Lernri‐ tuale, Aufgabenverwaltung …). Die zentralen Charakteristika von Gewohnheiten (wiederholtes Auf‐ treten, stabiler Kontext, Automatizität) können aber nicht nur auf äußer‐ lich beobachtbare Handlungen oder Handlungsabläufe, sondern auch auf Denkprozesse zutreffen: Von Denkgewohnheiten spricht man immer dann, wenn eine bestimmte Situation (Verspätung eines/ -r bestimmten Freundes/ -in; Blick in den Spiegel) automatisch einen bestimmten Gedanken triggert („Typisch! “; „Mann, seh ich gut aus! “). In dem nachfolgenden Exkurs finden Sie nähere Informationen zu den bereits im vorangehenden Kapitel angesprochenen negativen Selbstgedanken als Beispiel für eine potenziell schädliche Denkgewohnheit. 2 So tickt der Schweinehund 128 <?page no="129"?> Negative Selbstgedanken Als (automatische) negative Selbstgedanken (engl. negative selfthinking) bezeichnet man dysfunktionale Gedanken über die eigene Person, die häufig auftreten und automatisch durch bestimmte kontex‐ tuelle Reize getriggert werden (Verplanken et al., 2007), z.B.: ▸ Wenn man mit einer herausfordernden Aufgabe konfrontiert ist, denkt man „Das schaffe ich sowieso nicht.“ ▸ Wenn man sich nicht zu etwas aufraffen konnte, denkt man „War ja klar, dass ich es wieder nicht gebacken kriege.“ ▸ Wenn man vor einer Entscheidung steht, denkt man „Ich muss die perfekte Wahl treffen, sonst habe ich versagt.“ Automatische negative Selbstgedanken sind mit einem geringeren Selbstwert, Angst und depressiver Symptomatik assoziiert. Dass sie dabei auch der konsequenten Umsetzung gefasster Vorsätze im Weg stehen können, wird umso deutlicher, wenn man sich zu den zuvor genannten negativen Selbstgedanken positive Pendants überlegt: ▸ Wenn man mit einer herausfordernden Aufgabe konfrontiert ist, denkt man „Jeder kleine Schritt bringt mich näher ans Ziel.“ oder „Ich bleibe dran.“ ▸ Wenn man sich nicht zu etwas aufraffen konnte, denkt man „Ich verzeihe mir und lerne daraus.“ oder „Ich sorge dafür, dass es beim nächsten Mal klappt.“ ▸ Wenn man vor einer Entscheidung steht, denkt man „Ich ent‐ scheide nach bestem Wissen und Gewissen.“ oder „Ein ‚gut genug‘ ist oft genug.“ Man kann eigene (erwünschte und unerwünschte) Gewohnheiten identifi‐ zieren, indem man sich achtsam selbst beobachtet und die eigenen Aktivi‐ täten im Tagesverlauf sorgfältig dokumentiert (vgl. Lally & Gardner, 2013; siehe nachfolgende Aufgabe Den eigenen Gewohnheiten auf der Spur). Zudem kann es hilfreich sein, sich in Gesellschaft zu begeben. In Anwesenheit anderer werden eigene Verhaltensimpulse (z. B. der automatische Griff zum Handy) oft bewusster wahrgenommen (Wood, 2019). 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 129 <?page no="130"?> Aufgabe: Den eigenen Gewohnheiten auf der Spur Um Ihren Gewohnheiten auf die Spur zu kommen, können Sie das sog. Zeitnutzungsprotokoll (engl. time tracking) verwenden. Doku‐ mentieren Sie dazu mindestens drei (möglichst „typische“) Tage lang ganz genau vom Aufstehen bis zum Zubettgehen, womit Sie Ihre Zeit verbringen. Machen Sie jedes Mal eine Notiz, wenn Sie eine Tätigkeit abschließen und mit einer neuen beginnen. Notieren Sie auch Leerlauf, Unterbrechungen und scheinbar Unwichtiges. Schalten Sie in eine Art Selbstbeobachtungsmodus, durch den Sie Ihren Tagesablauf und die damit verbundenen Gewohnheiten bewusster wahrnehmen. Sie können Ihr Zeitnutzungsprotokoll händisch oder am PC ausfüllen, oder aber eine der vielen verfügbaren Handy-Apps herunterladen. Wenn Sie sich durch das permanente Protokollieren zu stark in Ihrem täglichen Handeln unterbrochen fühlen, können Sie auch statt ganze Tage nur bestimmte Tagesabschnitte protokollieren (z. B. an Tag 1 vom Aufstehen bis zur Mittagszeit, an Tag 2 von der Mittagsbis zur Abendzeit, an Tag 3 den Abend bis zum Schlafengehen). Nehmen Sie sich anschließend ausreichend Zeit, um Ihr Protokoll auszuwerten: ▸ Womit beschäftigen Sie sich den ganzen Tag? Wie lange dauern diese Beschäftigungen? Welchen Nutzen haben sie? ▸ Können Sie bestimmte Lern- oder Arbeitsstile identifizieren? Wie reagieren Sie beispielsweise auf Unvorhergesehenes oder Störungen? Bringen Sie einmal angefangene Aufgaben auch kon‐ sequent zu Ende? ▸ In welchen Situationen reagieren Sie wie „ferngesteuert“, d. h. ohne bewusstes Abwägen, sondern weitgehend automatisch? Welche unwillkürlichen Impulse, Verhaltens- oder Denkmuster können Sie erkennen? Auf diese Weise können Sie sowohl gute Gewohnheiten als auch Ver‐ besserungsbedarf identifizieren: ▸ Welche Routinen unterstützen Sie und möchten Sie deswegen beibehalten? ▸ Welche Routinen engen Sie ein oder kosten Sie zu viel Zeit und möchten Sie deswegen verändern? 2 So tickt der Schweinehund 130 <?page no="131"?> Notieren Sie Ihre Gedanken. Hinweis: Das Zeitnutzungsprotokoll eignet sich übrigens auch als Tool zur Ver‐ besserung des eigenen Zeitmanagements, z. B. zur Identifizierung von „Zeitfressern“ und „Produktivitätskillern“ (vgl. Hensley et al., 2018). Unser Gehirn versucht unaufhörlich, alles, was wir tun, in Gewohnheiten umzuwandeln. Kein Wunder - Gewohnheiten haben viele Vorteile (vgl. Neal et al., 2013; Wood, 2017): ▸ Sie sind ressourcenschonend, d. h. verbrauchen nur geringe (geistige und körperliche) Energie. Kontrollierte Handlungssteuerung dagegen ist aufwändig und erfordert unsere ganze Aufmerksamkeit - man muss konzentriert nachdenken, Für und Wider abwägen, sich aktiv zum Handeln entscheiden. All das kann nur dann gut funktionieren, wenn andere Handlungs- und Denkprozesse weitgehend automati‐ siert ablaufen. So setzt das Schreiben eines geistreichen und kreativen Textes voraus, dass man das Bedienen der Computertastatur quasi „aus dem Effeff “ beherrscht. Automatisierung ist also die Grundlage menschlicher Intelligenz und Schaffenskraft und damit einer der wichtigsten Lernprozesse überhaupt. ▸ Gewohnheiten bieten Sicherheit. Wir müssen nicht jedes Mal neu herausfinden, wie bestimmte Probleme zu lösen sind, sondern haben für viele Situationen unseres Alltags bereits funktionierende Bewäl‐ tigungsstrategien etabliert. Dies kann eine enorme Entlastung für uns sein, vor allem in Situationen, in denen wir gestresst, abgelenkt oder anderweitig unfähig sind, bewusste Entscheidungen zu treffen. ▸ Je stärker ein erwünschtes Verhalten automatisiert wird, desto unabhängiger wird es von motivationalen und volitionalen Faktoren. Denken Sie z. B. an das Anschnallen im Auto, das für viele eine selbstverständliche Routine ist: Sobald man sich ins Auto gesetzt hat, schnallt man sich an. So werden das Sich-ins-Auto-setzen und die damit verbundenen Kontextreize (visuelle Umgebung, Berührung mit dem Autositz …) fest mit dem Anschnallen verknüpft und die „Lust“, sich anzuschnallen, spielt mit der Zeit eine immer geringere Rolle. Die meisten von uns fänden die Frage „Hast Du Lust, Dich anzuschnallen? “ wahrscheinlich absurd, da es beim Anschnallen ja 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 131 <?page no="132"?> „ganz offensichtlich“ nicht um Lust oder Unlust geht, sondern man es „einfach macht“. Der Kontext reicht aus, um die Gewohnheit auszulösen. Gewohnheiten haben aber auch Nachteile: ▸ Sie schränken unsere Wahrnehmung ein, können uns unflexibel und starr machen. Auf Autopilot funktionieren wir beinahe wie ein Ro‐ boter, d. h. wir reflektieren unser Verhalten nicht auf einer bewussten Ebene. Dies kann z. B. dann von Nachteil sein, wenn es inzwischen eine andere, bessere Art gibt, das vorliegende Problem zu lösen. Wenn man beispielsweise ein Jahr lang immer denselben Weg an die Uni gefahren ist, hat man wahrscheinlich irgendwann eine Art Tunnelblick entwickelt. Man beachtet nicht mehr, was sich links und rechts des Weges befindet, und denkt auch nicht darüber nach, ob es (inzwischen) vielleicht einen schnelleren oder angenehmeren Weg gibt. Da sich routiniert ablaufendes Verhalten unserer bewussten Kon‐ trolle weitgehend entzieht, werden Anpassungen an sich verändernde Gegebenheiten erschwert. Insbesondere unter Stress greifen Gewohn‐ heiten vermehrt, da das Unterbrechen automatisierter Abläufe viel Energie kostet, die in diesem Moment nicht zur Verfügung steht, weil sie für die Bewältigung der stressauslösenden Situation benötigt wird. ▸ Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Gewohnheiten. Zwar stimmt der Großteil unserer Gewohnheiten mit unseren Zielen überein und entlastet uns im Alltag (= gute Gewohn‐ heiten; vgl. Ouellette & Wood, 1998). Allerdings automatisiert unser Gehirn auch immer wieder Routinen, die uns längerfristig schaden (= schlechte Gewohnheiten). Die Einteilung in gut und schlecht ist natürlich eine Vereinfachung - streng genommen ist jede Gewohnheit irgendwo auf einem Kontinuum von „unerwünscht/ schädlich“ über „neutral“ bis „erwünscht/ nützlich“ angesiedelt, wobei sich die jewei‐ lige Position auf dem Kontinuum auch von Situation zu Situation unterscheiden und im Laufe der Zeit dauerhaft ändern kann. Die langfristige Nützlichkeit oder Schädlichkeit spielt jedoch beim Prozess der Automatisierung keine Rolle, dieser läuft immer gleich ab. ▸ Gewohnheiten sind hartnäckig. Wer sein Verhalten ändern möchte, muss oft gegen einen Strom bestehender (schlechter) Gewohnheiten ankämpfen. Viele Initiativen und Kampagnen zur Gesundheitsförde‐ rung beispielsweise fokussieren auf Aufklärung und die Änderung 2 So tickt der Schweinehund 132 <?page no="133"?> von Absichten. Studien zeigen jedoch, dass der Einfluss von Absichten auf das Verhalten besonders gering (und damit die Intentions-Verhal‐ tens-Lücke besonders groß) ist, wenn bereits starke Gewohnheiten in dem entsprechenden Lebensbereich bestehen (Danner et al., 2008). Wer sich einmal eine ungesunde Ernährung oder einen körperlich inaktiven Lebensstil (engl. sedentary lifestyle) angewöhnt hat, behält diese Gewohnheiten oft auch dann weiter bei, wenn er/ sie sich eigent‐ lich fest vorgenommen hat, sich zukünftig gesünder zu ernähren oder mehr zu bewegen (Gardner et al., 2011). Dass unsere guten Vorsätze oftmals einfach so „überrollt“ werden, ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass gewohnheitsbedingtes Verhalten automatisch durch bestimmte, teilweise kaum kontrollierbare Kontextreize (Orte, Tageszeiten …) getriggert wird. Da kann die Gelegenheit noch so gut und der Wille zur Veränderung noch so groß sein - häufig fallen wir in alte Muster zurück. Gewohnheiten sind also ein zweischneidiges Schwert. Einerseits erleichtern sie unser Leben und machen Fortschritt erst möglich. Andererseits können sie uns auch einengen und positiven Veränderungen im Wege stehen. Es gilt daher, Gewohnheiten clever für sich zu nutzen, indem man von ihren Vorteilen profitiert und ihre Nachteile ausgleicht (vgl. Fiorella, 2020). Studie‐ rende mit positiven Lerngewohnheiten (engl. study habits) zeigen nicht nur bessere akademische Leistungen, sondern auch einen konstruktiveren Umgang mit belastenden Situationen im Studienalltag als Studierende ohne solche Gewohnheiten (Galla & Duckworth, 2015). Aufgabe: Sich das Leben leichter machen - mit Routinen! Sammeln Sie Ideen, wie Sie sich durch förderliche Routinen im (Stu‐ dien-) Alltag selbst entlasten können. Hier finden Sie einige Anre‐ gungen: ▸ Etablieren Sie eine straffe Morgen- oder Abendroutine (sofern Sie die Zeitanteile verringern möchten, die durch Alltagstätigkeiten wie Frühstücken, Körperpflege oder Ankleiden gebunden werden). ▸ Fertigen Sie in Lehrveranstaltungen stets Mitschriften an und nutzen Sie dabei ein System, das für Sie übersichtlich ist. ▸ Lernen Sie den Umgang mit studienrelevanter Software wie z. B. Textverarbeitungs- oder Statistikprogrammen. 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 133 <?page no="134"?> ▸ Eignen Sie sich Lern-, Lese- und Schreibtechniken an. Üben Sie z. B., wissenschaftliche Texte zu exzerpieren. ▸ Lernen Sie das 10-Finger-Schreibsystem. ▸ Etablieren Sie Routinen bei Ihrem Datenmanagement (feste Ablage‐ systeme für Skripte und Literatur, regelmäßige Back-ups …). ▸ Analysieren Sie Fehler und Feedback und lernen Sie daraus. Wenn es Ihnen gelingt, nützliche Lern- und Arbeitsroutinen zu eta‐ blieren, schaffen Sie neue Zeitfenster für sich, um in die Tiefe lernen und kreativ arbeiten zu können. Notieren Sie Ihre Gedanken. 2.6.2 Die Gewohnheitsschleife Gewohnheiten entstehen durch das sog. instrumentelle Lernen, das auch die Grundlage der operanten Konditionierung (siehe Kapitel 2.2.2) darstellt: Eine bestimmte Reaktion wird durch Belohnung an einen bestimmten Kontext gekoppelt. Das Gehirn stellt eine Verbindung zwischen Kontext und Reaktion her. Wichtige Erkenntnisse zu den neuronalen Grundlagen von Gewohnheiten stammen aus Experimenten mit Ratten, die am US-amerikanischen Massa‐ chusetts Institute of Technology (MIT) durchgeführt wurden (vgl. Jog et al., 1999; Graybiel, 1998). Die Ratten sollten durch ein T-förmiges Labyrinth laufen, an dessen einem Ende ein Stück Schokolade versteckt war. Um in das Labyrinth zu gelangen, liefen die Ratten durch eine Klappe, bei deren Öffnung ein Ton erklang. Dann suchten sie so lange in dem Labyrinth nach der Schokolade, bis sie diese gefunden hatten. Dieser Ablauf wurde vielfach wiederholt. Nach einiger Zeit hatten die Ratten den Weg durch das Labyrinth gelernt, sie liefen also nach dem Eintritt durch die Klappe nicht mehr ziellos umher, sondern geradewegs zur Schokolade. In das Gehirn der Ratten waren vor dem Versuch Sensoren implantiert worden, die ihre Hirnaktivität aufzeichneten. Es zeigte sich, dass die Hirne der Ratten auf Hochtouren liefen, solange das Labyrinth noch neu für sie war und sie den Weg zur Schokolade mühsam erschnüffeln mussten. Je besser sie jedoch den Weg durch das Labyrinth beherrschten (d. h. je routinierter sie wurden), desto stärker nahm die Hirnaktivität ab. Dies galt 2 So tickt der Schweinehund 134 <?page no="135"?> jedoch nicht für das komplette Gehirn. Ein Areal, die sog. Basalganglien, schien die Kontrolle zu übernehmen. Die Basalganglien sind eine tiefer liegende, evolutionsgeschichtlich ältere Struktur des Gehirns, eine Art „Handlungsgedächtnis“. Sie speichern alle Routinen, die sich als erfolgreich erwiesen haben, als kompakte Information ab, die sog. Chunks. Jeder Chunk hat drei Komponenten: Auslösereiz (hier: Ton beim Öffnen der Klappe), Routine (hier: Bewegungsabläufe beim Meistern des Labyrinths) und Belohnung (hier: Schokolade). Der Auslösereiz informiert das Gehirn, dass es in dem entsprechenden Moment auf Autopilot schalten und welche Routine es aktivieren soll. Anhand der Belohnung am Ende entscheidet das Gehirn, ob es sich lohnt, diese Routine auch für die Zukunft zu speichern. Diese Darstellung der neurobiologischen Prozesse des Gewohnheits‐ aufbaus ist stark vereinfacht, dennoch laufen auch bei uns Menschen Gewohnheiten stets nach der sog. Gewohnheitsschleife ab (vgl. Duhigg, 2017): Auslösereiz - Routine - Belohnung (siehe Abbildung 7). Beim willentlichen Aufbau einer neuen Gewohnheit müssen diese drei Kompo‐ nenten mehrfach bewusst aneinandergekoppelt werden. Nach vielfacher Wiederholung lernt das Gehirn dann, die Belohnung zu erwarten („Wenn ich in Situation x Verhalten y zeige, dann folgt Belohnung z.“). Es entsteht ein neuronal verankertes Verlangen, das die Schleife antreibt. Auslösereiz Routine Belohnung Abbildung 7. Gewohnheitsschleife (eigene Darstellung in Anlehnung an Duhigg, 2017, S. 41) Ein Beispiel: Unser Gehirn ist nicht von Geburt an so „programmiert“, dass man sofort zum Handy greift, wenn dieses durch Blinken anzeigt, dass eine neue Nachricht eingetroffen ist. Vielmehr hat unser Gehirn im Laufe der Zeit gelernt, dass das blinkende Lämpchen am Handy anzeigt: „Etwas ist los! “ und dass der Griff zum Handy zu Zerstreuung und einer angenehmen 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 135 <?page no="136"?> Ablenkung von der aktuellen Tätigkeit (Arbeiten, Lernen …) führt. Wenn wir die Schleife Blinken des Handys (Auslösereiz) - Griff zum Handy (Routine) - Zerstreuung (Belohnung) mehrfach durchlaufen haben, beginnt unser Gehirn, beim Blinken des Handys die Zerstreuung zu erwarten. Das Blinken aktiviert also ein inneres Verlangen, das erst durch den Griff zum Handy gestillt wird. Es nützt daher auch nichts, das Handy in die Tasche zu stecken, nachdem man bereits gesehen hat, dass es blinkt. Das Verlangen wurde schon aktiviert. Die Belohnung spielt eine komplexe Rolle beim Aufbau von Gewohn‐ heiten. Zu Beginn ist sie essenziell: Nur Routinen, die mit positiven Emotionen und einem Gefühl der Befriedigung verbunden sind, haben eine Chance, die Anfangsphase des Gewohnheitsaufbaus zu überstehen (Lally & Gardner, 2013). Mit Zunahme der Gewohnheitsstärke nimmt die Bedeutung der Belohnung dann ab (Wood & Rünger, 2016). Fest verankerte Gewohnheiten kann man daran erkennen, dass sie sogar dann weiter ausgeführt werden, wenn die Belohnung völlig ausbleibt. In einem Experi‐ ment mit Kinobesucher/ -innen (Neal et al., 2011) aßen gewohnheitsmäßige Popcornesser/ -innen das ihnen angebotene Popcorn auch dann, wenn sie keinen Hunger hatten und das Popcorn alt und abgestanden schmeckte - also die gewohnte Belohnung, nämlich ein leckerer und frischer Geschmack, ausblieb. Personen, die keine gewohnheitsmäßigen Popcornesser/ -innen waren, machten ihren Konsum dagegen davon abhängig, ob ihnen das Popcorn schmeckte. Unser Gehirn orientiert sich bei der Gewohnheitsbildung nicht an höheren Zielen (langes und gesundes Leben, erfolgreicher Bachelorab‐ schluss …), sondern macht alles zur Routine, was sich als (kurzfristig) belohnend erwiesen hat und wiederholt ausgeführt wurde. Auf diesem Weg kann auch Aufschieben zur (schlechten) Gewohnheit werden. Wenn man mehrfach erlebt hat, dass Aufschieben zu kurzfristiger Spannungserleichte‐ rung und angenehmen Gefühlen führt, lernt das Gehirn, den Auslösereiz „wichtige Aufgabe“ mit der Routine „Aufschieben“ zu verknüpfen. Im Extremfall führt dies zu Prokrastination: Man kann das Aufschieben nicht unterbinden, obwohl es schon längst nicht mehr als belohnend empfunden wird. 2 So tickt der Schweinehund 136 <?page no="137"?> Aufgabe: Gewohnheitsschleife Greifen Sie eine für Sie typische Alltagsgewohnheit heraus und ver‐ suchen Sie, die einzelnen Komponenten der Gewohnheitsschleife zu identifizieren: ▸ Was ist der Auslösereiz/ sind die Auslösereize? ▸ Was ist die Routine? ▸ Welche unmittelbare Belohnung hat die Schleife automatisiert? Überlegen Sie zudem, ob diese Gewohnheit Ihr Leben erleichtert, ein‐ schränkt oder aber neutral (also weder erleichternd noch einschrän‐ kend) ist. Wiederholen Sie die Aufgabe, wenn Sie möchten, gerne mit weiteren (guten, schlechten oder neutralen) Gewohnheiten aus Ihrem Leben. Notieren Sie Ihre Gedanken. 2.6.3 Aufbau und Änderung von Gewohnheiten Es lohnt sich, bereits früh im Studium förderliche Lern- und Arbeitsroutinen zu etablieren (Fiorella, 2020). Denn der Aufbau neuer (guter) Gewohnheiten ist deutlich einfacher als der Abbau bereits bestehender (schlechter) Ge‐ wohnheiten. Gute Gewohnheiten sind natürlich nicht nur im Studium hilfreich, sondern auch in allen anderen Lebensbereichen. Wählen Sie Ihre neuen Gewohnheiten jedoch mit Bedacht aus. Gelingt der Gewohnheits‐ aufbau, lässt sich die Gewohnheit nicht mehr einfach so „löschen“. Erwünschte Gewohnheiten aufbauen Eine neue Gewohnheit aufzubauen ist wie einen Trampelpfad anzulegen: Wenn Sie einmal durch eine Wiese mit hohem Gras laufen, stellen sich die Grashalme sofort wieder auf. Wenn Sie jedoch immer und immer wieder denselben Weg durch das hohe Gras laufen, entsteht mit der Zeit ein Pfad, der auch nicht mehr so schnell zuwächst. Wenn Sie eine neue Gewohnheit aufbauen, legen Sie aktiv einen solchen „Trampelpfad“ in Ihrem Gehirn an. Dazu brauchen Sie einen Auslösereiz, eine Routine und eine Belohnung. Diese drei Komponenten fügen Sie zu einer Schleife zusammen. Durch vielfache Wiederholung automatisieren Sie die Schleife und das erwünschte Verhalten. 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 137 <?page no="138"?> 9 Dass sich abendliches To-Do-Listen-Schreiben positiv auf den Schlaf auswirkt, ist wissen‐ schaftlich belegt (Scullin et al., 2018). Lassen Sie mich zur Veranschaulichung ein bereits früher genanntes Beispiel wieder aufgreifen: Sie möchten zukünftig abends eine To-Do-Liste für den nächsten Tag schreiben (Routine). Als Auslösereiz wählen Sie das Beenden des Zähneputzens. Sobald Sie mit dem Putzen der Zähne fertig sind, setzen Sie sich an den Schreibtisch und notieren Ihre To-Dos. Ihre Belohnung könnte (zunächst) sein, dass Sie nach dem To-Do-Liste-Schreiben noch zehn Minuten ein spannendes Buch lesen. Diese Schleife durchlaufen Sie nun einige Male ganz bewusst und immer in gleicher Form. Dadurch bringen Sie Ihrem Gehirn bei, Auslösereiz, Routine und Belohnung miteinander zu verknüpfen. Das wird am Anfang vielleicht lästig sein - möglicherweise stellen Sie aber auch bald fest, dass Ihnen das To-Do-Liste-Schreiben sogar Spaß macht, Sie sich danach erleichtert fühlen und besser schlafen können. 9 In diesem Fall bräuchten Sie die extrinsische Belohnung (Buch lesen) vielleicht irgendwann gar nicht mehr. Nach einiger Zeit werden Sie merken, dass Sie sich nicht mehr bewusst an Ihre neue Routine erinnern müssen, sondern sich automatisch nach dem Zähneputzen hinsetzen und Ihre To-Dos notieren. In Bezug auf die einzelnen Komponenten der Gewohnheitsschleife gilt es Folgendes zu beachten (Duhigg, 2017; Wood, 2019): ▸ Auslösereiz: Der Auslösereiz sollte auffällig-markant sein, sowie häufig und regelmäßig auftreten. Fast alle Auslösereize unserer täg‐ lichen Gewohnheiten stammen aus einer der folgenden fünf Katego‐ rien: ▸ Standorte oder Umgebungen (z. B. Schreibtisch, Keller, Hörsaal) ▸ Uhr- oder Tageszeiten (z. B. 8.00 Uhr, mittags, nach dem Abend‐ essen) ▸ Emotionaler Zustand (z. B. Ärger, Freude, Langeweile) ▸ Andere Menschen (z. B. Nachbar/ -in, Partner/ -in, Lerngruppe) ▸ Unmittelbar vorangehende Handlungen (z. B. duschen, Kaffee kochen, PC anschalten) Ereignisse eignen sich dabei besser als genaue Uhrzeiten. Die neue Routine kann zudem in einen bereits etablierten Ablauf (z. B. zwischen Zähneputzen und ins Bett gehen) „eingeklemmt“ oder daran ange‐ hängt werden. Häufig stoßen nach einiger Zeit nicht mehr nur die 2 So tickt der Schweinehund 138 <?page no="139"?> spezifischen Auslösereize die Routine an (z. B. ein bestimmter Schreib‐ tisch), sondern auch verwandte Reize (z. B. ein beliebiger Schreib‐ tisch). Der Einsatz von Erinnerungen (z. B. Haftnotiz „To-Do-Liste! “ am Badspiegel) kann beim Gewohnheitsaufbau ebenfalls helfen (vgl. Reijula & Hertwig, 2020). ▸ Routine: Zunächst sollte eine einfache, gut umsetzbare Routine aus‐ gewählt werden, die man stets in gleicher Form durchführen kann. Variation sollte vor allem am Anfang vermieden werden - sie mag zwar vor Langeweile schützen, ist aber anstrengend und inkompatibel mit der Entwicklung von Automatizität. Bei komplexeren Routinen (z. B. eine Runde durch die Stadt joggen) kann man dafür sorgen, dass zumindest die ersten Handlungsschritte immer relativ gleichförmig ablaufen (z. B. Laufschuhe anziehen - Schlüsselband um den Hals hängen - Haus verlassen; vgl. Verplanken & Melkevik, 2008). ▸ Belohnung: Die Belohnung muss unmittelbar auf die Ausführung der Routine folgen und eine „echte“ Belohnung sein - also subjektiv als angenehm und befriedigend wahrgenommen werden. Optimaler‐ weise werden diese positiven Gefühle durch die Aktivität selbst hervorgerufen, z. B. weil die Ausführung Spaß macht oder man stolz darauf ist, es geschafft zu haben (= intrinsischer Anreiz). Man kann aber zunächst auch mit einem extrinsischen Anreiz nachhelfen. Bei‐ spielsweise tragen positive Rückmeldungen durch andere („Super, wie Du das durchziehst! “) dazu bei, dass die (intrinsische) Motivation beim Aufbau neuer Gewohnheiten länger aufrechterhalten werden kann. Materielle Belohnungen oder Lob können den Gewohnheitsaufbau also unterstützen - interessanterweise vor allem dann, wenn ihr Auftreten unerwartet ist (z. B. wenn man unerwartet von einem/ -r Dozent/ -in gelobt wird). Extrinsische Anreize sollten jedoch nicht zum eigentlichen Ziel des Verhaltens werden. Das eigentliche Ziel ist und bleibt das Verhalten selbst. Zudem sollte man sich nur belohnen, wenn man die Routine auch wirklich ausgeführt hat. Die Belohnung darf also nichts sein, das unabhängig vom Ausführen oder Nichtaus‐ führen der Routine sowieso auftreten wird (z. B. Abendessen). Der (willentlich angestoßene) Gewohnheitsaufbau umfasst drei Phasen: ▸ In der Initiierungsphase wird eine bewusste Entscheidung ge‐ troffen, welche neue Gewohnheit aufgebaut werden soll, sowie Aus‐ lösereiz, Routine und Belohnung bestimmt. 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 139 <?page no="140"?> ▸ Darauf folgt die Lernphase. Durch wiederholtes Durchlaufen der Gewohnheitsschleife wird die Gewohnheit immer regelmäßiger und automatischer ausgeführt, d. h. die Gewohnheitsstärke nimmt konti‐ nuierlich zu (Lally & Gardner, 2013). ▸ In der Stabilitätsphase erreicht die Gewohnheitsstärke ein Plateau. Man muss sich nicht mehr aktiv ans Handeln erinnern, die Routine hat sich verselbstständigt und wird mit minimaler Anstrengung weiter aufrechterhalten (Gardner et al., 2012). Dass diese Phase erreicht ist, kann man auch daran erkennen, dass einem etwas fehlt, wenn man die Routine einmal nicht ausführt. Der Aufbau einer neuen Gewohnheit dauert im Mittel 66 Tage, also knapp zehn Wochen. Dies geht aus einer häufig zitierten Studie zum Aufbau gesundheitsförderlicher Routinen hervor (Lally et al., 2010). Die Spannweite (also die Differenz zwischen kleinstem und größtem Messwert) war in dieser Studie allerdings sehr groß, mit einem Minimum von 18 und einem Maximum von 254 Tagen. Diese doch sehr unterschiedlich lange Dauer des Gewohnheitsaufbaus kann auf persönliche Merkmale der Studienteil‐ nehmer/ -innen, aber auch auf Unterschiede in der Komplexität der Rou‐ tinen zurückzuführen sein - eine simple Gewohnheit aufzubauen (z. B. nach dem morgendlichen Aufstehen ein Glas Wasser zu trinken) benötigt weniger Zeit als eine komplexe Gewohnheit (z. B. 15 Minuten Bewegung am Tag). Darüber hinaus findet sich nicht immer sofort ein geeigneter Auslösereiz/ -kontext. Je unkomplizierter sich das erwünschte Verhalten in die bereits bestehenden täglichen Abläufe integrieren und regelmäßig wiederholen lässt, desto größer ist die Chance, dass es zur Routine wird. Diese Befunde liefern auch eine plausible Erklärung für das oft klägliche Scheitern vieler Neujahrsvorsätze innerhalb der ersten drei Monate: Man startet voller Elan und Enthusiasmus ins neue Jahr: Endlich wird alles anders! Ab sofort bin ich ein neuer Mensch! Nach ein paar Wochen (oder auch schon Tagen) lässt dieser Anfangsenthusiasmus dann nach - ohne dass sich bereits tiefgreifende Veränderungen eingestellt hätten. Frustriert wirft man das Handtuch und resümiert: „Neujahrsvorsätze funktionieren einfach nicht! “ Die Erkenntnis, dass sich spürbare Veränderungen oft erst nach vielen Wochen oder sogar Monaten einstellen, ermöglicht die Anpassung solch überzogener Vorstellungen und eine realistischere Planung. Ermutigend an der Studie ist zudem der Befund, dass einzelne Aus‐ lassungen der neuen Routine („verpasste Gelegenheiten“) den Gewohn‐ 2 So tickt der Schweinehund 140 <?page no="141"?> heitsaufbau nicht entscheidend verlangsamen. Es bedeutet also keinen Rückschlag, wenn man ein- oder zweimal aussetzt. Zwar ist es besser, insbesondere am Anfang diszipliniert zu sein und die Routine möglichst zuverlässig auszuführen. Bei so vielen kleinen Schritten fällt ein Schritt mehr oder weniger jedoch nicht so sehr ins Gewicht. Die Überzeugung, dass man den Aufbau einer neuen Routine nach einmaligem Aussetzen eigentlich auch gleich wieder bleiben lassen könne, „weil es ja jetzt sowieso keinen Sinn mehr hat“, wäre damit als Rationalisierung entlarvt. Und wenn es sich um eine Gewohnheit handelt, die man dauerhaft etablieren möchte (z. B. für viele Jahre oder Jahrzehnte), ist es vielleicht auch gar nicht so wichtig, ob es nun ein paar Tage kürzer oder länger gedauert hat, sie aufzubauen. Unerwünschte Gewohnheiten kontrollieren oder abbauen Eine einfache Lösung, um unerwünschte Gewohnheiten loszuwerden, gibt es nicht. Denken Sie an das Bild des Trampelpfads! Ist dieser einmal angelegt, verschwindet er nicht von dem einen auf den anderen Tag. Zudem sind Gewohnheiten selbst und auch die Menschen, die sie ausführen, überaus indi‐ viduell. Dennoch können Sie anhand Ihres Wissens über die Funktionsweise von Gewohnheiten und mit ein wenig Geduld unerwünschte Routinen identi‐ fizieren und auch beeinflussen. Nicht jede schlechte Gewohnheit muss sofort abgebaut werden. Gerade im Zusammenhang mit der erfolgreichen Umsetzung von Vorsätzen steht vielleicht erst einmal das „Feuerlöschen“ im Vordergrund: Man will verhindern, dass bestimmte Gewohnheiten zu Handlungsbarrieren auf dem Weg zum Ziel werden. Und das ist durchaus möglich! Analyse der Gewohnheit Zunächst wird die problematische Gewohnheit benannt und die zugehö‐ rige Gewohnheitsschleife identifiziert (vgl. Duhigg, 2017). Das kann eine Selbstbeobachtung über mehrere Tage erfordern: Jedes Mal, wenn das unerwünschte Verhalten auftritt, hält man inne und analysiert die Situation - am besten schriftlich anhand eines analogen oder digitalen Tagebuchs, das man immer bei sich trägt (vgl. Quinn et al., 2010): Auslösereiz/ -kontext An welchem Ort, in welchen Situationen, zu welcher Tages- oder Uhrzeit tritt das unerwünschte Verhalten auf ? Was geht ihm unmittelbar voraus - ein Gefühl, Gedanke oder anderes Verhalten, der Kontakt zu einer be‐ stimmten Person? Neben simplen und leicht erkennbaren Auslösereizen 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 141 <?page no="142"?> (blinkendes Smartphone löst Arbeitsunterbrechung aus) gibt es auch kom‐ plexere Reizkonstellationen (komplizierte Aufgabe + Müdigkeit + Kontakt zu anderer Person löst Arbeitsunterbrechung aus). Routine Wie genau läuft das unerwünschte Verhalten ab? Oder im Fall einer Denk‐ gewohnheit: Welcher unerwünschte Gedanke drängt sich auf ? Die Routine ist oft die am einfachsten zu identifizierende Komponente der Schleife. Belohnung/ Verlangen Welche Belohnung erhält man, welches positive Gefühl stellt sich ein, wenn man die Routine ausführt? Welches Bedürfnis befriedigt die Routine? Wofür ist oder war sie einmal gut? Um der Belohnung und dem zugrundeliegenden Verlangen auf die Spur zu kommen, kann man auch mit verschiedenen alternativen Verhaltensweisen und Belohnungen experimentieren. Ein Fallbeispiel: Oliver hat es sich während der Prüfungszeit angewöhnt, in jeder Nachmittags‐ lernpause in das Café gegenüber der Bibliothek zu gehen und sich einen Schoko‐ kuchen zu gönnen. Diese Routine möchte er nun gerne wieder loswerden. Er hat bereits herausgefunden, dass das unerwünschte Verhalten (Schokokuchen essen gehen) immer nach der Lerneinheit zwischen Mittags- und Nachmittagspause auftritt (Auslösereiz/ -kontext). Er ist sich allerdings nicht ganz sicher, welches Bedürfnis er mit diesem Verhalten befriedigt (Belohnung/ Verlangen). Ist es Hunger, oder ein Bedürfnis nach Zerstreuung/ Ablenkung, nach Sozialkontakt, nach Entspannung, nach frischer Luft? Oder einfach nur nach einer Pause? Um herauszufinden, was sein eigentliches Verlangen ist und wie er dieses auf anderem Weg als durch den Schokokuchen stillen kann, experimentiert Oliver mit möglichen neuen Routinen: ▸ Am Montag isst er einen Apfel statt des Schokokuchens (Ist es Hunger? ). ▸ Am Dienstag spielt er zehn Minuten mit seinem Smartphone statt Kuchen zu essen (Ist es das Bedürfnis nach Zerstreuung/ Ablenkung? ). ▸ Am Mittwoch telefoniert er kurz mit einer Freundin (Ist es das Bedürfnis nach Sozialkontakt? ). ▸ Am Donnerstag lehnt er sich einfach nur einige Minuten zurück und schließt die Augen (Ist es das Bedürfnis nach Entspannung? ). ▸ Am Freitag geht er eine Runde um den Block (Ist es das Bedürfnis nach frischer Luft? ). 2 So tickt der Schweinehund 142 <?page no="143"?> Nach dem Ausprobieren jeder potenziellen neuen Routine nimmt sich Oliver stets kurz Zeit, um in sich hineinzuspüren, ob das Verlangen immer noch da oder gestillt ist. Nach einiger Zeit ist er sich sicher, dass die kleine Kuchenpause eigentlich sein Bedürfnis nach Sozialkontakt befriedigt (Fallbeispiel angelehnt an Duhigg, 2017, S. 337 ff.). Stimuluskontrolle Um unerwünschte Gewohnheiten zu vermeiden, kann man den gewohn‐ heitsrelevanten Kontext so verändern, dass die Auslösung des problema‐ tischen Verhaltens erschwert oder ganz verhindert wird (sog. Stimulus‐ kontrolle; Stimulus = Reiz). Die Verknüpfung zwischen Auslösereiz/ -en und problematischem Verhalten besteht dann zwar weiterhin, ist aber unerheblich. Auch dieser Methode sind Sie bereits begegnet, sie entspricht im Prinzip den Strategien zur Situationskontrolle (auch Self-Nudging) aus dem Prozessmodell der Selbstkontrolle (siehe Kapitel 2.4.1). Ein Beispiel: In dem Popcorn-Experiment aus Kapitel 2.6.2 gab es eine Bedingung, in der die Probanden/ -innen die Anweisung bekamen, zum Verzehr des Popcorns ihre nicht-dominante Hand zu verwenden (bei Rechts‐ händer/ -innen die linke, bei Linkshänder/ -innen die rechte). Eine automati‐ sche Ausführung des Verhaltens (Popcorn essen) war in dieser Bedingung also nicht möglich. Prompt passte sich der Popcornverzehr der gewohn‐ heitsmäßigen Popcornesser/ -innen dem der anderen Probanden/ -innen an und hing davon ab, ob das Popcorn abgestanden oder frisch schmeckte. Gelingt es Ihnen, die „Trigger“ in Ihrer Umgebung dauerhaft auszu‐ schalten, haben Sie gute Chancen, damit auch Ihrer schlechten Gewohnheit den Garaus zu machen (Wood et al., 2005). Im Folgenden finden Sie einige Beispiele hierfür. Wenn es Ihre schlechte Gewohnheit ist, ▸ sich während des Lernens ständig mit dem Smartphone abzulenken, dann können Sie Push-Nachrichten auf dem Handy abstellen, Apps zum Abspielen von Videos und Filmen löschen, während des Lernens den Flug- oder Nicht-stören-Modus aktivieren, das Handy ausschalten oder es ganz weglegen. ▸ morgens exzessiv die Snoozetaste Ihres Smartphones zu betätigen und (in Ihren Augen zu lang) im Bett liegen zu bleiben, dann können Sie das Handy abends vor dem Schlafengehen irgendwo in Ihrem 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 143 <?page no="144"?> Zimmer verstecken, so dass Sie morgens aufstehen müssen, um es auszuschalten (falls Sie eine/ -n Partner/ -in haben, der/ die im selben Bett schläft, sollten Sie dies vielleicht zuvor mit ihm/ ihr abklären). ▸ auf dem Heimweg von der Uni stets einen Stopp bei einem Fast-Food-Lokal einzulegen, dann können Sie eine andere Strecke nach Hause nehmen, auf der Sie an keinem solchen Lokal vorbeikommen. ▸ ständig unnötige Papierausdrucke zu machen, dann stellen Sie den Drucker statt direkt auf Ihren Schreibtisch in einen anderen Raum, so dass Sie jedes Mal aufstehen müssen, um Ausdrucke zu holen. Auch tiefgreifende Veränderungen der Lebenssituation (Umzug, Wechsel des Studiengangs oder Jobs …) können ein „Gelegenheitsfenster“ (engl. window of opportunity) bieten, um alte Gewohnheiten abzulegen und das Verhalten wieder stärker an den eigenen Vorsätzen und Zielen auszurichten (Verplanken et al., 2008). Stimuluskontrolle kann unerwünschtes Verhalten wirksam verhindern (Wood & Rünger, 2016). Allerdings ist die Anwendung dieser Methode nicht immer möglich oder sinnvoll: ▸ Manche Auslösereize oder -kontexte lassen sich nicht so leicht identi‐ fizieren. ▸ Manche Auslösereize oder -kontexte können oder sollten nicht ausge‐ schaltet oder verändert werden, z. B. Tageszeiten, manche Standorte und Umgebungen, das Zusammentreffen mit anderen Personen oder emotionale Zustände. ▸ Der Trampelpfad ist weiterhin da - sobald der ursprüngliche Auslö‐ sereiz wieder auftritt, wird das Verhalten erneut getriggert. In solchen Fällen kann es nötig werden, die problematische Routine direkt anzugehen. Ersetzen der Routine Bei dieser Methode werden Auslösereiz und Belohnung beibehalten, die unerwünschte Routine jedoch wird durch eine erwünschte Routine ersetzt. Dazu verknüpft man den Auslösereiz mit einer neuen Routine, die dieselbe Belohnung verspricht. Oliver aus dem vorangehenden Fallbeispiel könnte z. B. das Schokokuchenessen (unerwünschte Routine) durch ein kurzes Telefonat mit Freunden/ -innen oder Familie ersetzen (neue Routine). Der 2 So tickt der Schweinehund 144 <?page no="145"?> Auslösereiz (Nachmittagslernpause) und die Belohnung (Stillen des Bedürf‐ nisses nach Sozialkontakt) bleiben gleich. Auslösereiz und neue Routine können wirkungsvoll anhand eines Wenn-Dann-Plans (siehe Kapitel 2.3.2) miteinander verknüpft werden, z. B. „Wenn ich die erste Lerneinheit am Nachmittag beendet habe, dann rufe ich Person x an.“ Tritt der Auslösereiz das nächste Mal auf, werden beide Handlungsoptionen aktiviert (hier: Schokokuchen essen gehen und Person x anrufen). Dies führt dazu, dass die unerwünschte Option (Schokokuchen essen gehen) nicht mehr automatisch aktiviert wird, sondern der Verhal‐ tensimpuls durch den Konflikt mit der anderen Option (Person x anrufen) ins Bewusstsein gelangt. Dadurch wird Selbstkontrolle bzw. bewusste Steue‐ rung möglich (Lally & Gardner, 2013). Im Folgenden finden Sie weitere Beispiele für das Ersetzen von Routinen. Wenn Sie die Gewohnheit ablegen wollen, ▸ bei Stress immer ohne Pause durchzuarbeiten, formulieren Sie „Wenn ich mich während des Arbeitens gestresst fühle, dann schließe ich für eine Minute die Augen und atme tief durch/ dann stelle ich einen Timer auf 30 Minuten und mache danach fünf Minuten Pause.“ ▸ sich von Ihren Kommilitonen/ -innen vor Prüfungen verrückt machen zu lassen, formulieren Sie „Wenn Kommilitonen/ -innen Panik wegen der anstehenden Prüfung verbreiten, dann ignoriere ich sie/ dann bleibe ich cool.“ ▸ stundenlang Serien zu gucken (statt nur eine Folge), formulieren Sie „Wenn die erste Serienfolge vorbei ist, dann schalte ich Fernseher/ PC etc. aus.“ ▸ abends immer auf der Couch einzuschlafen (statt ins Bett zu gehen), formulieren Sie „Wenn ich abends auf der Couch müde werde, dann stehe ich auf und gehe Zähne putzen.“ Fest verankerte Gewohnheiten zu durchbrechen ist eine echte Herausforde‐ rung und nicht immer gelingt es. Studien zeigen, dass Wenn-Dann-Pläne - trotz ihrer hohen Wirksamkeit bei nicht-gewohnheitsbedingtem Verhalten - bei sehr starken Gewohnheiten an ihre Grenzen stoßen (Labrecque et al., 2017). Zudem ist schlechte Gewohnheit nicht gleich schlechte Gewohn‐ heit. Ein „Guilty Pleasure“ wie sich regelmäßig niveaulose Reality-Shows reinzuziehen ist etwas Anderes als Alkoholmissbrauch oder zwanghaftes Nägelkauen. Sollten Sie schon seit Längerem mit eingefahrenen Verhal‐ 2.6 Auf Autopilot: Gewohnheiten 145 <?page no="146"?> tensmustern zu kämpfen haben, die Ihre Gesundheit oder Lebensqualität beeinträchtigen, empfehle ich Ihnen dringend, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen statt sich weiter zu quälen. Zur Vertiefung Zwei spannende Bücher zum Thema Gewohnheiten sind Good habits, bad habits: The science of making positive changes that stick von Wendy Wood (2019) und Die Macht der Gewohnheit: Warum wir tun, was wir tun von Charles Duhigg (2017). Auf den Punkt ▸ Gewohnheiten sind wiederholt auftretende, automatische Reak‐ tionen auf bestimmte situative Reize, die unser Leben erleichtern, uns aber auch einschränken können. ▸ Jede Gewohnheit läuft nach demselben Schema ab: Auslösereiz - Routine - Belohnung. Nach vielfachem Durchlaufen dieser Schleife entsteht ein neuronal verankertes Verlangen, das die Schleife antreibt. ▸ Gewohnheiten sind kein Schicksal. Neue Gewohnheiten können aufgebaut, alte ignoriert oder ersetzt werden. Wenn man es clever angeht, kann man Gewohnheiten gezielt einsetzen, um sich das Studium und das Leben zu erleichtern. 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält Es gibt noch einige weitere Faktoren, die beeinflussen, wie konsequent wir bei der Umsetzung unserer Vorsätze sind. Dazu gehört, dass Aufschieben - auch - eine sinnvolle Verhaltensstrategie sein kann, Veränderungen Verlustangst und Stress auslösen können, sowie der Einfluss unseres sozialen Umfelds. 2.7.1 Aufschieben als lohnende Strategie Auch, wenn Aufschieben eindeutig eine „dunkle Seite“ hat, so ist es in vielen Fällen nicht dysfunktional, sondern vielmehr Ausdruck gelungener 2 So tickt der Schweinehund 146 <?page no="147"?> Handlungsregulation (Corkin et al., 2011). Gerade bei hoher Arbeitslast und vielen parallelen Handlungsabsichten (also bei starker Querkonkurrenz) kommt häufig etwas Unvorhergesehenes dazwischen: eine Aufgabe, die sofort erledigt werden muss; eine andere Person, die dringend Hilfe braucht; Kopfschmerzen, die eine Unterbrechung der Arbeit erfordern. In Verbindung mit einer wohl überlegten Prioritätensetzung bedeutet das Schieben einer (vergleichsweise weniger wichtigen und/ oder weniger dringenden) Aufgabe auf einen späteren Zeitpunkt, Freiräume für spontan entstandene Verpflich‐ tungen zu schaffen. Manchmal ist es auch gar nicht so einfach, vom Platz weg zu entscheiden, ob, wann und wie gründlich man eine bestimmte Aufgabe erledigen möchte oder kann (z. B. wenn man von jemand anderem um etwas gebeten wird). In diesen Fällen kann Aufschieben eine Übergangslösung sein, bis man mehr Klarheit gewonnen hat („Das schaffe ich frühestens nächste Woche.“). Das Vertagen von Entscheidungen kann zudem die Entscheidungsqua‐ lität deutlich verbessern. Nicht umsonst empfehlen viele Verhandlungsfor‐ scher/ -innen, niemals sofort zu entscheiden, ob man einem Deal zustimmt, sondern sich eine Bedenkzeit zu erbitten („Lassen Sie mich eine Nacht darüber schlafen.“). Studien zeigen, dass die besten Entscheidungen oft völlig ohne unser bewusstes Zutun getroffen werden (siehe nachfolgender Exkurs Das kluge Unbewusste). Das kluge Unbewusste Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie stundenlang an einem be‐ stimmten Problem saßen (Verstehen komplizierter Lerninhalte, Suchen nach der richtigen Formulierung für eine Textpassage …) und einfach keine Lösung finden konnten, zu einem späteren Zeitpunkt jedoch - als Sie mit etwas völlig Anderem beschäftigt waren - plötzlich die Lösung in Ihrem Kopf „aufploppte“? Dies ist eines der unzähligen Beispiele dafür, welch zentrale Rolle unbewusste (Denk-) Vorgänge in unserem täglichen Leben spielen (vgl. Nisbett, 2016). Tatsächlich machen nicht bewusstseinsfähige im Ver‐ gleich zu bewussten Prozessen den deutlich größeren Anteil unserer Informationsverarbeitung aus. Egal, ob beim Wahrnehmen, Lernen, Erinnern, Problemlösen, Entscheiden - überall dominieren unbewusste Vorgänge und bereiten das, was uns bewusst wird, entscheidend vor. Wenn alles gut läuft, steht am Ende ein perfektes Zusammenspiel bewusster und unbewusster Prozesse (vgl. Sokolowski, 2013): Beim 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 147 <?page no="148"?> 10 Der Begriff des „klugen Unbewussten“ wurde vom Psychologen Ap Dijksterhuis (2010) geprägt, um eine klare Grenze zu Sigmund Freuds Verständnis des Unbewussten (im Sinne von verdrängten Triebwünschen) zu ziehen. Vorbereiten von Prüfungen und Referaten oder beim Schreiben von Hausarbeiten wird das eigene Gehirn zunächst ganz bewusst mit Informationen „angefüttert“. Man identifiziert die Elemente des Pro‐ blems und überlegt sich grob, wie eine Lösung aussehen könnte (z. B. erstellt man beim Schreiben einer Hausarbeit eine grobe Gliederung). Dann lässt man das „kluge Unbewusste“ 10 arbeiten. Insbesondere in Momenten, in denen man etwas völlig Anderes macht und nicht an das Problem denkt (Bus, Bad, Bett - die „drei B’s“ der Kreativität; Köhler, 1971), spuckt das Gehirn häufig geistreiche Einsichten oder originelle Lösungen aus - Heureka! (altgriech. für dt. Ich habe [es] gefunden! ) Es kann also sehr sinnvoll und lohnend sein, Schreib-, Lern- oder andere kreative Aufgaben auch einmal eine Zeitlang liegen zu lassen - gerade wenn man den Eindruck hat, im Moment einfach nicht weiter zu kommen. Aber Vorsicht: Das „Aufschieben“ bezieht sich in diesem Fall nicht auf den Beginn der Arbeit, sondern darauf, die Arbeit zu einem bestimmten Zeitpunkt bewusst und planvoll auszusetzen. Dies ist natürlich nur dann möglich, wenn man frühzeitig mit dem Lernen/ Arbeiten begonnen hat. Aufschieben kann auch die Brücke zur Nicht-Erledigung einer Aufgabe sein, z. B. wenn diese optional ist („Nice-to-have“). Steht in absehbarem Zeitraum ein Zeitfenster zur Verfügung, kann die Aufgabe erledigt werden. Vielleicht hat sie sich aber auch irgendwann von selbst erledigt. Nehmen wir einmal an, Sie erhalten gegen Ende des Semesters eine E-Mail mit der Bitte um Teilnahme an einer Online-Umfrage zur Lehrveranstaltungsevaluation. In der Regel sind solche Umfragen freiwillig und anonym, d. h. niemand zwingt Sie zur Teilnahme und eine Nicht-Teilnahme hat keine direkten nachteiligen Folgen für Sie. Ob Sie überhaupt an der Umfrage teilnehmen und wenn ja, wann, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab, neben der objektiven Dringlichkeit (Frist) vor allem der subjektiven Wichtigkeit (Interesse), aber auch technischen Faktoren (z. B. Zugang zu einem internet‐ fähigen Endgerät), psychischen und physischen Faktoren (z. B. Stimmung, Gesundheitszustand) und der aktuellen Arbeitslast. Insbesondere, wenn Sie gerade mitten in der Prüfungsphase stecken und Anderes im Kopf haben 2 So tickt der Schweinehund 148 <?page no="149"?> 11 Manche Autoren/ -innen nehmen eine Unterscheidung in passives und aktives Auf‐ schieben vor. Passive Aufschieber/ -innen können sich demnach nicht zum Arbeiten aufraffen, während aktive (oder „strategische“) Aufschieber/ -innen mit dem Erledigen von Aufgaben absichtlich bis zur letzten Minute warten und in ihrer Leistung von der Anspannung profitieren, die die unmittelbar bevorstehende Frist auslöst (z. B. Chun Chu & Choi, 2005; Kim et al., 2017). Die Existenz dieser beiden „Aufschiebetypen“ konnte bisher allerdings empirisch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden (Steel, 2010) und ist in Fachkreisen umstritten. als die Evaluation, können Sie sich durch das Schieben der Teilnahme auf einen späteren Zeitpunkt entlasten. Wenn der Umfragezeitraum bis dahin abgelaufen ist, hat sich die Aufgabe von selbst erledigt. Es gibt einfach Zeiten (Belastungssituationen, stressige Phasen …), in denen es nicht nur sinnvoll, sondern sogar nötig ist, bestimmte Aufgaben zu schieben. Die Fähigkeit, Aufgaben flexibel zu handhaben, ist also essenziell, um auf sich verändernde Bedingungen im Alltag reagieren und das eigene Verhalten entsprechend anpassen zu können. Nicht umsonst gilt Flexibilität im Umgang mit Belastungen als eine der zentralen Voraussetzungen für ein ge‐ lungenes Stressmanagement (Kaluza, 2015) und als Schlüsselkompetenz im deutschen Bildungssystem (Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen, 2011; Sekretariat der Kultusministerkonferenz, 2018). Dass Aufschieben eine sinnvolle Strategie sein kann, bedeutet aber noch lange nicht, dass sie es auch immer ist. Die Entscheidung, eine wichtige Aufgabe zu schieben, sollte in Abhängigkeit einer klugen Prioritätenset‐ zung bewusst gefällt werden und nicht automatisch dann, wenn man eine unangenehme Aufgabe nicht (sofort) erledigen möchte. Mit anderen Worten: Wenn das Aufschieben die handelnde Person nicht näher an ihre (längerfristigen) Ziele heranbringt, sondern eher weiter davon weg, ist es nicht mehr funktional. 11 Die Beobachtung, dass sich aufgeschobene Aufgaben manchmal von selbst erledigen, ist zudem nicht ganz unproblematisch. In manchen Fällen mag das Thema damit erledigt sein, in anderen Fällen kann die Strategie längerfristig negative Konsequenzen nach sich ziehen - insbesondere dann, wenn man Dinge nicht erledigt, die dann andere übernehmen (müssen). Denken Sie beispielsweise an eine Lerngruppe, in der ständig jemand seine/ ihre Aufgaben nicht erledigt und andere dies für ihn/ sie übernehmen müssen, oder ein Paar, bei dem eine/ -r so lange damit wartet, den Müll zu entsorgen, bis der/ die andere es macht. In diesen Situationen sind Unzufrie‐ denheit und Konflikte nahezu vorprogrammiert. Auch die Vernachlässigung 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 149 <?page no="150"?> der zuvor genannten Lehrveranstaltungsevaluation kann längerfristig nach‐ teilige Auswirkungen haben. Wenn viele Studierende ihr Mitbestimmungs‐ recht bei der Gestaltung universitärer Lehre nicht in Anspruch nehmen, leidet darunter der konstruktive Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden und damit letztlich auch die Qualität der Lehre. Als Fazit kann man festhalten: Aufschieben ist dann eine sinnvolle Verhal‐ tensstrategie, wenn es mit Bedacht und situationsadäquat eingesetzt wird. Zur Vertiefung Näheres zum Thema unbewusste Denkprozesse erfahren Sie in dem Buch Das kluge Unbewusste: Denken mit Gefühl und Intuition von Ap Dijksterhuis (2010). 2.7.2 Veränderungen als Auslöser von Verlustangst und Stress Gute Vorsätze umzusetzen bedeutet immer auch Veränderung. Zukünftig früher mit dem Lernen zu beginnen, regelmäßiger die Vorlesungen zu besuchen oder täglich Vokabeln zu pauken erfordert es, Selbstorganisation, Tagesstruktur und Prioritäten zu ändern. Denn irgendwoher müssen die Zeit und Energie für das neue Ziel schließlich kommen. Die Aussicht auf Veränderung kann Vorfreude auslösen und sehr motivie‐ rend sein. Sie kann aber auch bedrohlich wirken. Man hat Angst, durch die Veränderung etwas zu verlieren, das einem vertraut ist, das zu einem gehört, das bisher gut funktioniert hat. In der Psychologie bezeichnet man diese Angst als Verlustaversion (Kahnemann & Tversky, 1979). Insbesondere, wenn es um persönlich bedeutsame Lebensbereiche geht und man mit dem Status Quo eigentlich zufrieden ist, ist der Skeptizismus gegenüber Veränderungen oft groß (Evans & Evans, 2018). Zudem bedeutet jede Veränderung, mit einer neuen, unbekannten und damit unter Umständen gefährlichen Situation konfrontiert zu sein. In solchen Situationen reagiert unser Organismus mit Stress. Das ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Akuter Stress ist eine völlig normale und über‐ lebensnotwendige Reaktion unseres Körpers. Diese Reaktion umfasst eine Vielzahl an physischen, kognitiv-emotionalen und verhaltensbezogenen Prozessen, die insgesamt zu einer Aktivierung und Energiemobilisierung 2 So tickt der Schweinehund 150 <?page no="151"?> führen. Ziel ist es, die stressauslösende Situation zu bewältigen (z. B. durch Kampf oder Flucht; Kaluza, 2015). Zum „Problem“ wird Stress dann, wenn es keine Phasen der Entspannung und des Stressabbaus mehr zwischen den stressintensiven Phasen gibt (sog. chronischer Stress) und/ oder man sich den stressauslösenden Situationen nicht gewachsen und hilflos ausgeliefert fühlt (sog. Distress; Selye, 1981). Dieses negative Stresserleben kann auch resultieren, wenn man ständig mit neuen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert ist ohne auf bewährte Bewältigungskonzepte zurückgreifen zu können. Auf der anderen Seite sind Versuche, Veränderungen und den damit einhergehenden Stress komplett auszuschalten, nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern auch kontraproduktiv. Damit Aktivitäten Flow erzeugen und Ziele motivieren, sollten sie herausfordernd, aber machbar sein. Ein mittleres Stresslevel ist für Leistung und Produktivität am förderlichsten - sowohl im Zustand völliger Entspannung als auch unter hoher Anspannung werden vergleichsweise schlechtere Leistungen erbracht. Es gibt also neben dem negativen auch ein positives Stresserleben, das lustvoll und motivierend ist (sog. Eustress; Selye, 1981). Zusammenfassend könnte man sagen: „Die Dosis macht das Gift.“ - Ein gewisses Maß an Veränderung ist Gesundheit, Wohlbefinden und Leistung durchaus zuträglich. Zu viel Veränderung dagegen kann zu Angst und Stress führen, und damit auch den Schweinehund auf den Plan rufen (siehe auch Kapitel 4.1). Zur Vertiefung Wie Sie gut mit Stress inner- und außerhalb Ihres Studiums umgehen können, erfahren Sie in den Ratgebern Gelassen und sicher im Stress - Das Stresskompetenz-Buch: Stress erkennen, verstehen, bewältigen von Gert Kaluza (2018) und, speziell für Studierende, Stress bewältigen - entspannt studieren von Edina Causevic und Carola Endemann (2019). 2.7.3 Soziale Einflüsse Wie aus den vorangehenden Kapiteln hervorgeht, ist der „innere“ Schwei‐ nehund - trotz seines Namens - nicht ausschließlich auf Prozesse innerhalb unserer Person zurückzuführen, sondern auf ein Zusammenspiel innerer 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 151 <?page no="152"?> und äußerer Faktoren. So sind es oft situative Reize (das Handy im Blickfeld, das gute oder schlechte Wetter …), die uns von unseren guten Vorsätzen abbringen oder dafür sorgen, dass wir in alte Muster zurückfallen. Es gibt aber auch zahlreiche situative Faktoren (ein aufgeräumter Schreibtisch, die Abgabefrist für die Hausarbeit …), die uns dabei unterstützen, aktiv zu werden und Dinge zu erledigen. Auch die Menschen um uns herum haben einen bedeutsamen Einfluss auf unser Verhalten. Wie stark solche sozialen Einflüsse tatsächlich sind, erkennen wir häufig nicht. Stattdessen führen wir unser Verhalten viel zu stark auf unser inneres Geschehen zurück (sog. Introspektionsillusion; Pronin, 2009). Viele Schweinehundattacken lassen sich besser verstehen und zukünftig vermeiden, wenn man sich die Wirkung sozialer Kontexte auf das eigene Handeln vergegenwärtigt. Soziale Motivation Der bereits aus Kapitel 2.2.2 bekannte Begriff „soziale Motivation“ veran‐ schaulicht, dass unsere Motivation maßgeblich durch andere Menschen beeinflusst werden kann (Wirtz, 2017). Im besten Fall ▸ wirken diese als positive Vorbilder, von denen wir lernen können, ▸ stärken sie unsere Selbstwirksamkeitserwartung („Wenn Udo die Klausur bestanden hat, dann schaffe ich das auch! “), ▸ unterstützen sie uns materiell oder immateriell und ▸ stecken uns mit ihrer Energie und positiven Stimmung an. Studien aus dem Uni-Kontext zeigen, dass Unterstützung und/ oder Anlei‐ tung durch andere Studierende (engl. peer-to-peer) positive Effekte auf Lernen, Leistung und Wohlbefinden hat (Broadbent & Poon, 2015; Hattie, 2009; Stigmar, 2016). Wirksame Methoden, um sich gegenseitig anzuspornen, sind z.B.: ▸ Bildung von Lerntandems oder Lerngruppen, um den Lernstoff koope‐ rativ zu erarbeiten ▸ Einbezug des engeren sozialen Umfelds in die eigenen Pläne für Ermutigung oder Supervision („Bitte frag einmal die Woche bei mir nach, wie es mit meiner Hausarbeit läuft.“) ▸ Abschluss von Zielvereinbarungen („Wenn wir beide die Prüfung in Fach x bestehen, dann gönnen wir uns danach einen entspannten Tag am See.“) 2 So tickt der Schweinehund 152 <?page no="153"?> Von diesen Methoden profitieren nicht alle Studierenden in gleicher Form (Wentzel et al., 2010). Manche fühlen sich schneller als andere durch sozialen Druck zum Handeln gezwungen und dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkt, d. h. sie erleben Reaktanz (siehe Kapitel 2.5.3). Eine mögliche Folge ist, dass sie ihren Einsatz und ihr Engagement reduzieren („Jetzt erst recht nicht! “). Sollten Sie sich hiervon angesprochen fühlen, können Sie anhand der Aufgabe Einzelkämpfer/ -in oder Teamplayer? im Abschnitt Gruppenphänomene reflektieren, ob es vielleicht nicht doch Möglichkeiten des sozialen Kontakts und der Unterstützung durch andere gibt, die für Sie persönlich hilfreich sind. Emotionale Ansteckung Wenn eine Person ihre Emotionen durch Mimik, Gestik oder Körper‐ sprache (d. h. nonverbal) ausdrückt, übertragen sich diese Emotionen häufig auf andere Menschen (sog. emotionale Ansteckung; Hat‐ field et al., 1993). Während positive emotionale Ansteckung (durch Freude, Überraschung …) die zielgerichtete Zusammenarbeit in Ar‐ beitsgruppen unterstützt, hat negative emotionale Ansteckung (durch Wut, Angst …) eher ungünstige Effekte auf die gemeinsame Zielverfol‐ gung (Barsade, 2002; Wong et al., 2013). Soziale Vergleiche Kooperative Lernzusammenschlüsse und der Austausch mit anderen ermög‐ lichen es auch, sich zu vergleichen: Wie weit sind die Kommilitonen/ -innen schon mit dem Lernstoff ? Wie bewertet man das eigene Referat im Vergleich zu den anderen Vorträgen im Seminar? Wie ist der Notendurchschnitt aller Studierenden in der Klausur? In der Sozialpsychologie werden drei Arten sozialer Vergleiche unter‐ schieden: aufwärtsgerichtet, abwärtsgerichtet und lateral (vgl. Werth et al., 2020a). Jede dieser Vergleichsarten wirkt sich anders auf Selbstwert und Motivation aus. Wenn wir uns mit Personen vergleichen, die „besser“ sind als wir, z. B. zielstrebiger, fleißiger oder engagierter (sog. aufwärtsgerichteter Vergleich), dann kann das sehr motivierend sein. Man setzt einen hohen Vergleichsstandard und orientiert sich an dem, was prinzipiell noch mög‐ lich scheint. Aufwärtsvergleiche spornen an. Für den eigenen Selbstwert können sie allerdings von Nachteil sein, da man ja im Vergleich zu anderen „schlechter“ abschneidet (Dijkstra et al., 2008). Wenn man sich dagegen mit 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 153 <?page no="154"?> Personen vergleicht, die eine schlechtere Leistung erbringen als man selbst (sog. abwärtsgerichteter Vergleich), dann stärkt das zwar den eigenen Selbstwert, ist allerdings nicht besonders motivierend. Für eine realistische Selbsteinschätzung am förderlichsten sind laterale Vergleiche, also Ver‐ gleiche mit Personen, die uns in ihren Fähigkeiten und Eigenschaften ähnlich sind. Soziale Vergleiche können also unsere Motivation fördern und unsere Selbsteinschätzung verbessern. Allerdings ist nicht jeder Vergleich wirklich aussagekräftig und nützlich - insbesondere, wenn er sich nur auf das Endergebnis (z. B. die Leistung) bezieht: O. k., Ihr Kommilitone hat für das Lesen des komplizierten, englischsprachigen Artikels nur halb so lange gebraucht wie Sie. Aber was bedeutet das nun konkret? Vielleicht ist er besser geübt im Lesen englischsprachiger Texte? Vielleicht kennt er sich in dem Themenbereich schon besser aus? Vielleicht war er auch einfach nur weniger sorgfältig? Neben sozialen Vergleichen können auch Vergleiche innerhalb der eigenen Person gezogen werden, genauer zwischen Gegenwarts- und Vergangen‐ heits-Ich (Albert, 1977; siehe auch Exkurs Zeitperspektive und der innere Schweinehund in Kapitel 2.5.2): Was wissen oder können Sie heute schon besser als gestern, vor einer Woche, vor einem Monat, vor einem Jahr? Was haben Sie gelernt? Worin sind Sie kompetenter geworden? Oder auch: In welchen Bereichen hat sich noch nicht viel verändert? Was wollen Sie noch lernen? Worin wollen Sie noch besser werden? Diese Art von (Leistungs-) Rückmeldung ist einerseits wichtig für die Selbstregulation, denn nur so kann man erkennen, ob man Fortschritte macht und sich den eigenen Zielen tatsächlich nähert. Andererseits fördert es Selbstwirksamkeitserwartung und Motivation, wenn man sieht, dass die eigenen Anstrengungen auch Früchte tragen (Chiviacowsky & Drews, 2016). Eine rein individuelle Bezugsnormorientierung ist im studentischen wie beruflichen Alltag jedoch weder möglich noch erstrebenswert. Um sich selbst, die eigenen Fähigkeiten und Leistungen realistisch und aus verschiedenen Perspektiven einschätzen zu können, empfiehlt sich eine Kombination individueller (z. B. Wie lange brauche ich für eine bestimmte Aufgabe? ), sozialer (Wie lange brauchen andere für diese Aufgabe? ) und sachlicher Bezugsnormen (Wie lange sollte man gemäß Prüfungsordnung für diese Aufgabe brauchen? ). 2 So tickt der Schweinehund 154 <?page no="155"?> Aufgabe: Persönliches Resümee Notieren Sie in Ihrem Kalender einen Termin kurz nach Ende des aktu‐ ellen Semesters, an dem Sie sich ganz bewusst Zeit für ein persönliches Resümee zu Ihren Lernergebnissen nehmen: Was haben Sie in diesem Semester alles gelernt? Welches Wissen und welche Kompetenzen (fachlich und überfachlich) haben Sie sich angeeignet? Wie haben Sie sich als Person verändert und weiterentwickelt? Was nehmen Sie aus diesem Semester für die Zukunft mit? Wiederholen Sie dieses Resümee, wenn Sie möchten, in regelmäßigen Abständen. Gruppenphänomene Wenn mehrere Menschen gemeinsam ein Ziel verfolgen, dann wirkt sich al‐ lein schon die Situation „Gruppe“ auf Motivation und Leistung der einzelnen Mitglieder aus. Manchmal führt die Gruppensituation zu einer Leistungssteigerung bei den Mitgliedern, z. B. wenn das Gruppenergebnis individuell bedeutsam ist und der eigene Beitrag als wichtig für das Ergebnis wahrgenommen wird (sog. Motivationsgewinn). Wird das Gruppenergebnis dagegen als nicht individuell bedeutsam und/ oder der eigene Beitrag als nicht wichtig für das Ergebnis wahrgenommen, so kann es zu einem Leistungsabfall kommen (sog. Motivationsverlust). Schließlich möchte niemand der „Dumme“ sein, der die ganze Arbeit alleine macht (vgl. Werth et al., 2020b). Ein Fallbeispiel: Oskar und Anne sollen gemeinsam ein benotetes Referat vorbereiten. Oskar möchte gerne eine gute Note bekommen, Anne reicht eine 4,0. Als Oskar merkt, dass Anne sich nicht wirklich anstrengt, bietet er ihr an, auch ihren Teil mitvorzubereiten. Er erhofft sich dadurch, Annes schlechte Leistung ausgleichen zu können (Motivationsgewinn). Nun stellen Sie sich vor, es geht bei dem Referat nicht um eine Note, sondern lediglich um das Bestehen. Oskar geht zunächst mit Eifer an das Projekt heran, als er jedoch merkt, dass Anne sich nicht wirklich anstrengt, reduziert auch Oskar sein Engagement. Er sieht nicht ein, warum er so viel mehr seiner kostbaren Zeit für das Referat opfern soll als seine Kommilitonin (Motivationsverlust). 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 155 <?page no="156"?> Es ist wichtig, diese Effekte zu berücksichtigen, wenn man in einer Gruppe (d. h. mit einer oder mehreren Personen zusammen) an einem Projekt arbeitet. Folgende Rahmenbedingungen können den Erfolg der Arbeit in Gruppen erhöhen (vgl. Buchs et al., 2016; Brodbeck & Guillaume, 2010): ▸ Klären Sie zu Beginn die Erwartungen und Motivationen der einzelnen Gruppenmitglieder. ▸ Machen Sie sich die Vorteile von Gruppenim Vergleich zu Einzelar‐ beit bei Ihrem gemeinsamen Projekt bewusst. ▸ Definieren Sie ein gemeinsames, positiv bewertetes Ziel, zu dem jedes Mitglied einen unverzichtbaren Beitrag liefert. ▸ Bestimmen Sie individuelle Zuständigkeitsbereiche, sorgen Sie für eine klare Aufgabenverteilung, sowie einen verbindlichen und realis‐ tischen Zeitrahmen. ▸ Unterstützen Sie sich gegenseitig und achten Sie auf offene Kommu‐ nikation: ▸ transparent machen, wie man selbst denkt und beim Lösen einer Aufgabe vorgeht ▸ aktiv zuhören und sicherstellen, dass man versteht, wie andere denken und beim Lösen der Aufgabe vorgehen ▸ diskutieren und alternative Lösungswege finden ▸ Wechseln Sie die Führungsbzw. Moderationsrolle nach dem Rotati‐ onsprinzip, z. B. von Sitzung zu Sitzung. Ein besonders heißes Eisen in der Gruppenarbeit sind gegenseitige Leis‐ tungsrückmeldungen (sog. Feedback). Grundsätzlich ist soziales Feedback ein essenzieller Bestandteil funktionierender Zusammenarbeit in Gruppen, sowie individueller Zielverfolgung. Gerade im Studium bietet es eine ele‐ gante Möglichkeit, den häufig langen Zeitraum bis zur ersten externen Leistungsrückmeldung (in der Regel durch das Prüfungsergebnis) zu ver‐ kürzen. Allerdings ist Feedback kein Selbstläufer - es kann sogar negative Effekte auf Lernen, Leistung und Motivation haben, z. B. wenn es sehr vage oder wertend formuliert ist (Nilson, 2003; Shute, 2008). Wahrscheinlich können auch Sie sich an Situationen erinnern, in denen das Feedback anderer Sie demotiviert oder gekränkt hat. Und: Vielleicht haben auch Sie selbst schon einmal Feedback so formuliert, dass Ihr Gegenüber es nicht annehmen konnte oder sogar verletzt wurde - ohne, dass dies Ihre Absicht gewesen wäre. 2 So tickt der Schweinehund 156 <?page no="157"?> Als wenig hilfreich bzw. effektiv gilt Feedback, das ausschließlich eine (negative) Bewertung einer bestimmten Handlung oder Situation zum Aus‐ druck bringt („Du bist schlampig.“) statt die kritischen Aspekte der jewei‐ ligen Handlung oder Situation möglichst objektiv zu beschreiben („Deine Zusammenfassung endet bei der Hälfte des Kapitels. Der Rest fehlt.“). Zudem ist zu beachten, dass sich Feedback grundsätzlich auf Leistungsaspekte jeg‐ licher Wertigkeit (verbesserungswürdig, neutral, lobenswert) beziehen kann und stets „nur“ die subjektive Sicht des/ -r Feedbackgebers/ -in widerspiegelt („Ich finde es zu wenig/ angemessen/ genau richtig, dass Du Dich in Deiner Zusammenfassung nur auf drei Aspekte fokussiert hast.“). Hinzu kommt, dass sich bei kommunikativen Akten gesendete und empfangene Nachricht nicht zwangsläufig entsprechen müssen. Es kann also durchaus sein, dass eine von dem/ -r Feedbackgeber/ -in eigentlich nett und konstruktiv gemeinte Rückmeldung bei dem/ -r Feedbacknehmer/ -in als harsche Kritik an der eigenen Person ankommt. Zu viel negative oder als negativ empfundene Kritik kann das Klima in Lern- und Arbeitsgruppen verschlechtern und die Gruppe Kraft und Moti‐ vation kosten. Die gemeinsame Definition von klaren und verbindlichen Feedbackregeln zu Beginn einer Gruppenarbeit kann hier Abhilfe schaffen. Zur Vertiefung Viele praktische Tipps zum Arbeiten und Lernen in Gruppen finden Sie im Ratgeber Lernen und Wissen: Der richtige Umgang mit Informa‐ tion im Studium von Jasmin Bastian und Lena Groß-Mlynek (2019). Als Fazit kann man festhalten: Es lohnt sich, ein förderliches Gruppenklima zu etablieren, denn dieses hält den Schweinehund fern. Aufgabe: Einzelkämpfer/ -in oder Teamplayer? Denken Sie an Situationen zurück, in denen andere Menschen in Ihre Projekte eingebunden waren, z. B. weil Sie anderen davon erzählt und vielleicht auch um Unterstützung gebeten haben, oder aber, weil es sich um ein gemeinsames Projekt wie ein Gruppenreferat gehandelt hat. Welchen Nutzen hatte es in diesen Situationen - ganz konkret - für Sie, dass andere an Ihrem Projekt (in welcher Form auch immer) betei‐ 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 157 <?page no="158"?> ligt waren? Notieren Sie mindestens drei Punkte. Falls Sie auch schon schlechte Erfahrungen mit der Einbindung anderer in Ihre Projekte gemacht haben, notieren Sie auch diese. Überlegen Sie dann, worauf diese guten (oder auch schlechten) Erfah‐ rungen zurückzuführen waren und was Sie daraus für zukünftige Pro‐ jekte lernen können. Wie können Sie andere auf positive und hilfreiche Weise in Ihre Projekte einbeziehen? Wie können Sie Gruppenarbeiten so gestalten, dass die Vorteile der Gruppensituation genutzt und Nachteile ausgeglichen werden (z. B. durch wertschätzende und transparente Kommunikation)? Wenn Sie bisher eher zum Einzelkämpfertum geneigt haben, empfehle ich Ihnen, an der Uni über Ihren Schatten zu springen und Möglichkeiten zu finden, einen positiven Kontakt zu anderen aufzubauen und sich Unterstützung zu holen. Nutzen Sie Gelegenheiten zur kooperativen Zusammenarbeit. Das hilft Ihnen nicht nur dabei, Ihr Studium besser zu meistern - Sie können dadurch auch eine Menge für das spätere Berufsleben lernen und Ihre Sozialkompetenz stärken. Soziale Normen Unser soziales Umfeld beeinflusst unser Verhalten auch noch auf viel subtilere Weise, und zwar über Normen. Soziale Normen sind „unge‐ schriebene Gesetze“, die festlegen, welche Werte, Überzeugungen und Verhaltensweisen in bestimmten sozialen Kontexten erwünscht sind und erwartet werden (Aronson et al., 2014). Hierzulande ist es beispielsweise üblich, unbekannte erwachsene Personen zu siezen (statt zu duzen), sich bei einer Warteschlange hinten anzustellen oder beim Essen mit anderen nicht laut zu schmatzen. Hält man sich nicht an diese Normen, riskiert man negative Reaktionen oder sogar Sanktionen durch die Gruppe. Wie stark die Wirkkraft sozialer Normen auf unser Verhalten ist, können Sie ausprobieren, indem Sie einmal ganz bewusst gegen eine solche Norm verstoßen, z. B. eine unbekannte erwachsene Person duzen, sich bei einer Warteschlange vordrängeln oder bei einem gemeinsamen Essen mit anderen laut schmatzen. (Verwechseln Sie bei dieser Übung jedoch soziale Normen bitte nicht mit Rechtsnormen wie Gesetzen oder Verkehrsregeln.) 2 So tickt der Schweinehund 158 <?page no="159"?> Soziale Normen können die individuelle Zielverfolgung unterstützen. In Kapitel 1.1 wurde bereits darauf eingegangen, dass in unserer Gesellschaft Werte wie Verlässlichkeit, Fleiß und Pflichtbewusstsein sehr hoch ange‐ sehen sind und belohnt werden. Wenn Sie beispielsweise dazu neigen, sich beim Lernen zuhause („im stillen Kämmerchen“) ständig selbst abzulenken, verlagern Sie Ihren Arbeitsplatz doch einfach einmal an einen öffentlichen Ort, an dem Sie „unter Aufsicht“ stehen (Universitätsbibliothek, Café …) - das kann Ihre Produktivität und Disziplin erhöhen (vgl. Giguère et al., 2016). Neben der Zielverfolgung wird zudem auch die Zielablösung - z.B. bei nicht mehr realistischen oder attraktiven Zielen - erleichtert, wenn die Normen der relevanten Bezugsgruppe (z. B. der eigenen Familie) dies erlauben oder sogar fördern. Im Zusammenhang mit dem inneren Schweinehund scheint vor allem die Unterscheidung in injunktive und deskriptive Normen relevant (Cialdini et al., 1991). Injunktive Normen beziehen sich auf unsere Wahrnehmung, was in einer sozialen Gruppe gebilligt wird und was nicht, deskriptive Normen dagegen auf unsere Wahrnehmung, wie sich andere in einer gegebenen Situation tatsächlich verhalten - unabhängig davon, ob dieses Verhalten gebilligt wird oder nicht. Wir wissen beispielsweise, dass es wichtig für die Umwelt ist, Müll ordnungsgemäß zu entsorgen, gleichzeitig wissen wir aber auch, dass es Situationen gibt, in denen viele Menschen genau das nicht tun (auf Festivals, in Kinos, in der Silvesternacht …). Wir wissen, dass es in Vorlesungen ein Ruhegebot gibt, dennoch verstoßen wir in manchen Situationen dagegen (z. B. wenn wir sehr weit hinten sitzen und denken, der/ die Dozent/ -in werde uns schon nicht hören). Beide Arten von Normen (injunktiv und deskriptiv) beeinflussen unser Verhalten. Wenn der/ die Dozierende laut „Sch! “ in den Hörsaal ruft, werden wir an die injunktive Norm (Ruhegebot bei Vorlesungen) erinnert und unterbrechen das Gespräch mit dem/ -r Banknachbar/ -in. Wenn es allerdings um uns herum immer lauter wird (deskriptive Norm), werfen wir den guten Vorsatz vielleicht über Bord und nehmen das Gespräch wieder auf. Dieses Szenario lässt sich auf viele weitere Situationen übertragen, in denen man Vorsätze verwirklichen möchte. So ist es allgemein bekannt, dass körperliche Akti‐ vität als Ausgleich zum vielen Sitzen einer der wichtigsten Faktoren für die Gesundheit (nicht nur) von Studierenden ist. Die injunktive Norm lautet also, dass man sich im Studium regelmäßig sportlich betätigen sollte. Um die eigenen Sportvorsätze dann auch in die Tat umzusetzen, kann zusätzlich die 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 159 <?page no="160"?> Beobachtung hilfreich sein, dass viele Studierende tatsächlich Sport machen (deskriptive Norm; Crozier & Spink, 2017). Wie stark wir uns unbewusst an dem orientieren, was andere tun, zeigen auch Studien zum sog. Bystander-Effekt aus der Sozialpsycho‐ logie (Fischer et al., 2011; Latané & Nida, 1981). Der Bystander-Effekt beschreibt ein paradoxes Phänomen beim Hilfeverhalten: Je mehr potenzi‐ elle Helfer/ -innen bei einem Notfall anwesend sind, desto weniger wird geholfen - insbesondere, wenn der Notfall nicht eindeutig als solcher er‐ kennbar ist (z. B. jemand kauert zusammengesunken und mit geschlossenen Augen in der Ecke einer Bushaltestelle). Eine Ursache für den Bystander-Ef‐ fekt ist die sog. pluralistische Ignoranz. Statt Hilfe anzubieten oder einzu‐ greifen, wartet jede/ -r Anwesende erst einmal ab, was die anderen machen. Wenn aber alle Anwesenden erst einmal abwarten, entsteht insgesamt der Eindruck, das Ganze könne ja nicht so gravierend sein - sonst hätte ja längst schon jemand reagiert. In der Folge kommt womöglich keine der anwesenden Personen dem Opfer zu Hilfe - obwohl letztlich alle wissen, dass ein Notfall vorliegt oder zumindest vorliegen könnte. Man orientiert sich an der Norm „Bloß keinen übertriebenen Aktionismus zeigen! “ Es lässt sich festhalten: Gerade in Situationen, in denen ein bestimmtes Verhalten nicht verpflichtend, aber (z.B. aus gesundheitlichen oder ethi‐ schen Gründen) geboten ist, kann der Einfluss durch soziale Normen dem Schweinehund in die Karten spielen - oftmals ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Es gibt jedoch auch Grund zur Hoffnung, denn diese Befunde zeigen nicht nur, wie stark das Verhalten des/ -r Einzelnen durch andere beeinflusst wird, sondern eben auch, wie stark jede/ -r Einzelne Einfluss auf andere nehmen kann. Jede/ -r von uns kann aktiv zu einem kollektiven Klima beitragen, in dem das Verwirklichen guter Vorsätze und engagiertes Handeln erleichtert wird - für bessere Gesundheit, einen nachhaltigeren Lebensstil und Solidarität. Ein möglicher Startpunkt hierbei wäre, sich vor Augen zu führen, welche situativen und normativen Einflüsse auf das eigene Verhalten wirken und ob diese Einflüsse den eigenen Vorstellungen und Wünschen entsprechen. Wenn man sich durch andere gehemmt oder ausgehebelt fühlt, kann man selbst dazu beitragen, neue, hilfreichere Normen im eigenen Umfeld zu eta‐ blieren (z. B. mit positivem Beispiel voranzugehen und andere zu animieren, dem eigenen Beispiel zu folgen) oder aber sich ein neues Umfeld zu suchen, 2 So tickt der Schweinehund 160 <?page no="161"?> das bestimmte Normen stärker lebt (z. B. die Lerngruppe zu wechseln oder einem Sportverein beizutreten). Attribution von Erfolg und Misserfolg Auch wie wir uns eigene Erfolge und Misserfolge erklären - ob wir dafür uns selbst oder andere/ die Situation verantwortlich machen -, kann unser Selbstbild und unsere Motivation entscheidend beeinflussen. Das Erklären von Verhalten nennt man in der Psychologie Kausalattribution (wörtlich: Ursachenzuschreibung; Heider, 1958). Verhalten internal zu attribuieren bedeutet, die Ursachen für das Verhalten in der handelnden Person selbst suchen, z. B. in ihren Eigenschaften, Fähigkeiten oder Stimmungen. Eine externale Attribution dagegen liegt vor, wenn Verhalten auf Umweltfak‐ toren zurückgeführt wird, z. B. andere Personen oder die Situation. Zudem werden stabile (nicht/ schwer veränderbare) und variable (veränderbare) Ursachen unterschieden (Weiner, 2000). Denken Sie noch einmal an die Biologiestudentin Lena und ihren vollen Lernplan zurück (Kapitel 2.3.2). Dass Lena ihr Tagesziel nicht erreicht hat, könnte sie sich selbst sehr unterschiedlich erklären, z.B. ▸ „Ich bin einfach eine sehr langsame Lernerin.“ (stabil internal) ▸ „Ich habe mir heute zu viel vorgenommen.“ (variabel internal) ▸ „Biologie ist ein unglaublich schweres Fach.“ (stabil external) ▸ „Der Anruf meiner Freundin vorher hat mich sehr viel Zeit gekostet.“ (variabel external) Je nachdem, wie Lena den Misserfolg (Nicht-Erreichen ihres Tagesziels) attribuiert, kann das sehr unterschiedliche Folgen haben. Misserfolge stabil internal zu attribuieren, kann sich negativ auf Selbstwert und Motivation auswirken. Wenn man etwas „einfach nicht kann“, gibt es offensichtlich keinen Grund, weiter dranzubleiben. Umgekehrt ist auch eine stabile exter‐ nale Attribution von Misserfolg nicht immer hilfreich. Wenn man die Schuld immer bei anderen oder in den vermeintlich widrigen Umständen sucht und findet, fehlt ebenfalls der Anreiz, an sich selbst zu arbeiten. Allerdings kann man so den eigenen Selbstwert schützen (siehe auch selbstwertdienliche Attribution, Kapitel 2.5.3). Die Attribution auf stabile und damit nicht veränderbare Ursachen kann auch zu sog. erlernter Hilflosigkeit führen, also zu der Wahrnehmung, dass man selbst keine Kontrolle über negative Situationen besitzt (Seligman, 1975). Erlernte Hilfslosigkeit wird unter anderem mit bestimmen Formen 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 161 <?page no="162"?> der Depression in Zusammenhang gebracht (Maier & Seligman, 2016). Die Attribution auf variable und kontrollierbare Ursachen dagegen hat positive Effekte auf Motivation und Ausdauer (McClure et al., 2011). Menschen mit einem Growth Mindset beispielsweise führen ihre Handlungsergebnisse eher auf variable internale Faktoren (z. B. Anstrengung) zurück und sehen Misserfolge als hilfreiche Information, woran sie noch arbeiten können („Aha, das muss ich also noch lernen! “). Auch eine Attribution auf variable externale Faktoren kann hilfreich sein, um das eigene Umfeld positiv zu beeinflussen. Lena aus dem Fallbeispiel beispielsweise könnte zukünftig während ihrer Lernzeiten das Telefon ausschalten. Telling more than we can know Häufig wissen wir selbst nicht, warum wir so oder so fühlen, denken oder handeln. In der Regel registrieren wir zwar das Handlungser‐ gebnis, z. B. dass wir doch wieder den halben Nachmittag mit Surfen im Internet verbracht haben statt wie geplant etwas für die Uni zu tun oder abends mit Freunden/ -innen in der Kneipe doch wieder drei Bier getrunken haben statt wie geplant nur eins. Der „wahre“ Grund für diese Handlungen entzieht sich aber häufig unserer bewussten Wahrnehmung. Was wir dagegen sehr gut beherrschen, ist, uns plausible Erklärungen zurechtzulegen (siehe auch Erregungstransfer, Kapitel 2.5.2, und Ratio‐ nalisierungen, Kapitel 2.5.3). Diese Erklärungen gehen oft über das hinaus, was wir vernünftigerweise wissen können - ein Phänomen, das auch als Telling more than we can know bezeichnet wird (Nisbett & Wilson, 1977). Dieses Phänomen lässt sich in vielen Lebens‐ bereichen beobachten. Studierende beispielsweise erklären ihre Stim‐ mungsschwankungen gerne mit der Schlafmenge in der Nacht zuvor („Ich habe heute miese Laune, weil ich so wenig geschlafen habe.“) - auch wenn sich objektiv kein solcher Zusammenhang feststellen lässt (Wilson et al., 1982). Woher kommen diese (scheinbar) plausiblen Erklärungen? Zum einen sind sie auf Theorien zurückzuführen, die wir von unseren Eltern, der Gesellschaft, der Wissenschaft etc. übernommen haben (z. B. „Schlaf‐ mangel verschlechtert die Stimmung.“). Zum anderen ziehen wir für Erklärungen unseres Verhaltens oft Ursachen heran, die uns gerade besonders präsent sind (siehe auch Exkurs Priming in Kapitel 2.3.2) oder die wir besonders leicht erinnern oder verbalisieren können (sog. Ver‐ 2 So tickt der Schweinehund 162 <?page no="163"?> fügbarkeitsheuristik). In der Nacht schlecht geschlafen zu haben ist ein sehr auffälliger möglicher Grund für schlechte Laune, während uns andere mögliche Ursachen (z. B. hormonelle Schwankungen, diffuse Ängste) weitgehend verborgen bleiben. Sich selbst erfüllende Prophezeiung Ungünstige Attributionen eigenen Verhaltens („Ich bin zu dumm dafür! “) und Selbstabwertung (siehe Kapitel 2.5.3) können einen zerstörerischen sozialen Rückkopplungseffekt haben, wie die Studien zur sog. sich selbst erfüllenden Prophezeiung (engl. self-fulfilling prophecy) eindrucksvoll zeigen (Rosenthal & Jacobson, 1968; Werth et al., 2020b). Grundlage der sich selbst erfüllenden Prophezeiung sind Erwartungen an das Verhalten einer bestimmten Person. Diese Erwartungen werden zur Realität, indem sie bei der Person genau das Verhalten hervorrufen, das man von ihr erwartet. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung kann dazu führen, dass sich die Ausreden unseres inneren Schweinehunds scheinbar bestätigen und uns auch zukünftig davon abhalten, (rechtzeitig) aktiv zu werden. Ein Fallbeispiel: Peter studiert BWL. Grundsätzlich macht ihm das Studium Spaß, dieses Semester hat er allerdings ein Fach, das er gar nicht leiden kann. Er ist davon überzeugt, dass ihm dieses Fach nicht liegt („Alles viel zu abstrakt für mich, ich bin eher der praktische Typ! “). Am Tag der mündlichen Prüfung fragt ihn die Prüferin freund‐ lich, wie es ihm gehe. Peter sagt: „Es geht. Ich bin froh, wenn ich diese Prüfung hinter mir habe. Das Fach liegt mir einfach nicht.“ Auch seine Körpersprache offenbart Unwohlsein und Unsicherheit. Im Kopf der Prüferin entsteht ein erster Eindruck („Dieser Student wirkt unsicher und schlecht vorbereitet.“) und eine entsprechende Erwartung („Vermutlich wird er nicht gut abschneiden.“). Diese Erwartung kann einerseits die Wahrnehmung der Prüferin „färben“ - völlig ohne dass ihr das bewusst sein muss. Vielleicht stuft sie uneindeutige Antworten von Peter schneller als falsch ein oder interpretiert längere Redepausen von ihm eher als Unwissen denn als Denkpausen. Andererseits kann sich die Erwartung der Prüferin auch in ihrem Verhalten Peter gegenüber widerspiegeln, indem sie z. B. das Niveau der Fragen sehr niedrig ansetzt oder schneller Ungeduld signalisiert, wenn eine Antwort nicht ganz richtig ist. Die Folge: Peter wird noch nervöser und unsicherer, was zu einem tatsächlichen Leistungsabfall führt - er hat einen Blackout. Peters negative Selbstsicht ist zur Realität geworden. 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 163 <?page no="164"?> Natürlich ist dieses Beispiel überspitzt dargestellt. Alle professionellen Prüfer/ -innen werden sich sehr bemühen, bei der Leistungsbeurteilung objektive und faire Kriterien anzulegen. Allerdings haben wir auch schon mehrfach gesehen, dass unsere willentliche Kontrolle bei unbewusst ablau‐ fenden Prozessen oft an ihre Grenzen stößt. Interessant sind in diesem Kontext auch Befunde, die auf einen wech‐ selseitigen Zusammenhang („Teufelskreis“) zwischen Prüfungsangst und Prokrastination hinweisen. Bereits die Beschäftigung mit dem Prüfungsstoff kann bei Menschen mit Prüfungsangst Vorstellungen des Versagens in der Prüfung auslösen und damit zu Stress und Angst führen. Um diese unangenehmen Gefühle zu vermeiden, wird das Lernen geschoben. Je länger man schiebt, desto weniger Zeit bleibt für die Prüfungsvorbereitung und desto wahrscheinlicher wird (leider! ) auch ein Misserfolg, was die Angst weiter verstärkt (Höcker et al., 2017b). Man kann Betroffenen helfen, aus diesem Teufelskreis auszusteigen. Noch besser ist es aber, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen. All diese Befunde zeigen, wie wichtig es ist, wohlwollend und konstruktiv über sich selbst zu denken und zu sprechen (siehe auch Kapitel 2.5.3). Denn die sich selbst erfüllende Prophezeiung kann neben einer negativen natür‐ lich auch eine positive Rückkopplungsschleife in Gang setzen (Madon et al., 1997). Wer eine vorteilhafte Sicht auf sich selbst und die eigenen Fähigkeiten hat, tritt selbstbewusster auf. Dies kann zu günstigeren Erwartungen beim Gegenüber und damit auch zu besseren Ergebnissen führen. Eine positive Sicht auf die eigenen Kompetenzen kann man z. B. auch durch gute Vorbereitung fördern. Angenommen, Sie müssen dieses Semester ein wichtiges Referat halten, sprechen aber ungern vor Leuten oder haben schon einmal das Feedback erhalten, bei Vorträgen unsicher zu wirken. In diesem Fall kann es hilfreich sein, die eigenen Präsentationsfähigkeiten im Vorfeld des Referats zu trainieren, z. B. in der Lerngruppe, in einem Schlüs‐ selqualifikationskurs oder durch ein Rhetorik-Coaching. Zudem sollten Sie früh beginnen, sich mit dem Stoff zu beschäftigen. Wenn Sie Ihr Thema wirklich verstanden haben und ausreichend Gelegenheit hatten, mögliche Fragen, Einwände oder Kritik durchzuspielen, dann werden Sie am Tag des Referats den Raum mit einer viel selbstbewussteren Ausstrahlung betreten als wenn Sie das Referat in einer Nachtschicht „heruntergerissen“ haben. Ein selbstsicheres Auftreten ist sicher keine Garantie für Erfolg, macht ihn aber wahrscheinlicher. Dabei geht es nicht darum, anderen etwas vorzuspielen 2 So tickt der Schweinehund 164 <?page no="165"?> (nach dem Motto „Fake it till you make it“), sondern sich selbst durch gute Vorbereitung besser aufzustellen. Ja-Sagen Bisher wurden vor allem indirekte oder unbewusste soziale Einflüsse the‐ matisiert. Abschließend soll es nun um Situationen gehen, in denen andere Personen uns ganz direkt und bewusst zu etwas bewegen möchten, nämlich „Ja“ zu einer Bitte zu sagen. Von anderen um etwas gebeten zu werden („Könntest Du mir ein Buch aus der Bibliothek mitbringen/ das Thema xy genauer erklären/ beim Umzug helfen? “) ist etwas nahezu Alltägliches und in vielen Fällen spricht nichts dagegen, solche Bitten auch zu erfüllen. Gegenseitige Hilfe und Unterstüt‐ zung sind ein wesentlicher Bestandteil zwischenmenschlicher Beziehungen und einer funktionierenden Gesellschaft. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass man immer Ja sagen sollte, wenn man um etwas gebeten wird. Oder mit anderen Worten: Ja-Sagen sollte nicht zur Gewohnheit werden. Denn dann laufen wir Gefahr, unsere eigenen Ziele und Pläne aus den Augen zu verlieren. Notorisches Ja-Sagen vermittelt nach außen (und innen! ) den Eindruck, die Bedürfnisse anderer seien uns stets wichtiger als die eigenen. Der Autor Sean Covey hat es einmal so formuliert: „Wenn du zu irgendetwas Ja sagst, musst du automatisch zu etwas anderem Nein sagen“ (Covey, 2008, S. 18). Dass Nein-Sagen trotzdem schwerfallen kann, ist psychologisch sicherlich gut nachvollziehbar. Vielleicht möchte man durch ein Ja einen guten Eindruck beim Gegenüber machen (sog. Impression Management). Oder man be‐ fürchtet, dass er/ sie enttäuscht oder sogar verärgert sein wird, wenn man der Bitte nicht nachkommt. Ja-Sagen ist daher durchaus im Sinne unseres Schweinehunds. Wenn jemand auf einen zukommt und freundlich um etwas bittet, überwiegt in diesem Moment häufig der Nutzen des Ja-Sagens die Kosten. Die andere Person freut sich und ist dankbar, wenn man ihr zusagt, die Bitte zu erfüllen. Vielleicht nimmt man die Anfrage auch als eine Art „Ego-Push“ wahr („Ich werde gebraucht! “). Das Gegenwarts-Ich kassiert durch das Ja also eine Menge Belohnungen (Dankbarkeit und Anerkennung der bittenden Person, Selbstwerterhöhung …). Diese Annehmlichkeiten im Hier und Jetzt sind allerdings teuer erkauft und zwar auf Kosten des Zukunfts-Ichs, das damit ein neues, ungeplantes To-Do auf seine/ ihre Liste bekommt. Statt automatisch jeder Bitte zuzustimmen (und die Sache dann vielleicht nur halbherzig zu erledigen), sollte man gerade bei aufwändigeren Anfragen 2.7 Was uns sonst noch von unseren Vorsätzen abhält 165 <?page no="166"?> genau prüfen, ob man die nötigen Ressourcen zur Übernahme der Aufgabe auch wirklich zur Verfügung hat (Hinton et al., 2020). Insbesondere, wenn man den Eindruck hat, dass eine andere Person die eigene Hilfsbereitschaft über Gebühr beansprucht, oder man selbst dazu neigt, die Interessen anderer vor die eigenen Interessen zu stellen, kann man sich durch ein klares Nein vor Überlastung schützen. Die befürchteten negativen Auswirkungen einer Absage kann man durch gute Kommunikation verringern (z. B. das Nein eindeutig und sachlich formulieren, sowie gut begründen; Verständnis signalisieren; Alternativen anbieten; vgl. Ury, 2007). Aufgabe: Nein sagen Überlegen Sie sich, in welchen Situationen es Ihnen schwerfällt, Nein zu sagen, obwohl Sie es gerne tun würden. Was ist der Grund dafür, dass Ihnen das so schwerfällt? Welche (negativen, aber auch positiven) Folgen hätte es, wenn Sie in diesen Situationen häufiger Nein sagen würden? Überlegen Sie sich dann eine konkrete Strategie, die Ihnen beim Nein-Sagen in dieser Situation helfen könnte, und probieren Sie diese das nächste Mal aus. Situation Grund, warum mir ein Nein schwerfällt Negative Folgen eines Nein Positive Folgen eines Nein Strategie Zur Vertiefung Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, welche sozialen Einfluss‐ taktiken andere einsetzen, um uns zu einem „Ja“ zu bewegen, empfehle ich Ihnen das Buch Die Psychologie des Überzeugens: Wie Sie sich selbst und Ihren Mitmenschen auf die Schliche kommen von Robert Cialdini (2017). 2 So tickt der Schweinehund 166 <?page no="167"?> Auf den Punkt ▸ Aufschieben kann eine sinnvolle Verhaltensstrategie sein, sofern es wohl überlegt und situationsadäquat eingesetzt wird. ▸ Das Verwirklichen unserer Vorsätze bedeutet Veränderung und damit Stress. Es gilt, auf die richtige Dosis zu achten. ▸ Unser soziales Umfeld übt einen starken Einfluss auf die Realisie‐ rung unserer Vorsätze aus, häufig ohne dass uns dies bewusst ist. Zu den sozialen Einflussfaktoren zählen: soziale Motivation durch Kooperation, soziale Vergleiche, Motivationsgewinne und -verluste in Gruppen, soziale Normen, Attribution von Erfolg und Misserfolg, die sich selbst erfüllende Prophezeiung und direkte Bitten. Sich die Wirkung dieser Faktoren vor Augen zu führen, kann dabei helfen, den Schweinehund in sozialen Situationen zukünftig besser an die Leine zu bekommen. 2.8 Fazit: So tickt der Schweinehund Denken Sie einmal daran, wie viele Dinge Sie sich jeden Tag vornehmen - und erledigen! Ganz ohne diese Dinge auf einer To-Do-Liste zu notieren und abzuhaken. Denken Sie daran, wie viele große und kleine Projekte Sie parallel bearbeiten, in Studium, Nebenjob, Gesellschaft, Familie, Freundes‐ kreis, und auch in Bezug auf sich selbst, Ihr Wohlbefinden, Ihre Gesundheit, Ihre Zufriedenheit. Und nun stellen Sie sich einmal vor, Sie würden wirklich immer alles tun, was Sie tun sollten oder gerne tun würden, und zwar in der Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, nämlich 24 Stunden am Tag. Ist es da nicht eigentlich ganz gut, dass es etwas in uns gibt, das uns ein wenig einbremst? Im Grunde meint es der innere Schweinehund nur gut mit uns. Sein Motto lautet: „Im Hier und Jetzt gut leben! “. Daher stiftet er uns dazu an, Unangenehmes oder Unbekanntes zu vermeiden und stattdessen Dinge zu tun, die angenehm und vertraut sind. Für ihn ist die Gegenwart konkret und real, die Zukunft dagegen abstrakt und ungewiss: Wieso sollte man jetzt Entbehrungen in Kauf nehmen, ohne zu wissen, ob es sich später wirklich auszahlt? 2.8 Fazit: So tickt der Schweinehund 167 <?page no="168"?> In manchen Situationen mag es die richtige Entscheidung sein, der Hand‐ lungsempfehlung des Schweinehunds zu folgen - in anderen Situationen kann es äußerst unerfreuliche Konsequenzen für uns haben. Denn die vermeintlichen Unannehmlichkeiten, vor denen uns der Schweinehund beschützen will, sind oft wichtiger Teil eines größeren Plans - unserer beruflichen Karriere, unserer Gesundheit oder unseres Einsatzes für eine „bessere Welt“. Diese Fernziele werden immer Fernziele bleiben, wenn wir uns nicht dazu aufraffen, heute den (vielleicht unangenehmen, aufwändigen oder lästigen) ersten Schritt zu gehen. Dem Schweinehund fehlt dafür der Weitblick, uns aber nicht. Wir wissen, dass wir über den heutigen Tag hinausschauen müssen, wenn wir auch in Zukunft gesund und gut leben möchten. Dass wir dieses Wissen nicht immer eins zu eins in die Tat umsetzen, hat auch damit zu tun, dass unser Schweinehund vielfältige Erscheinungs‐ formen annehmen kann und häufig im Verborgenen operiert. Soziale Ein‐ flüsse, automatische Reaktionen auf Reize in unserer Umgebung, Motivinkongruenz … - häufig wird uns zu spät oder gar nicht bewusst, dass uns der Schweinehund schon wieder „drangekriegt“ hat. Doch das muss nicht so bleiben! Wenn Sie den Wunsch haben, Ihr Leben wieder stärker in die eigene Hand zu nehmen statt nur dem Schweinehund hinterherzulaufen („Eigentlich wollte ich …, aber mein innerer Schweine‐ hund …“), dann können Sie das tun. Vielleicht kennen Sie den Spruch „Als Diener ist der Geist etwas Wun‐ derbares, aber als Herr ist er schrecklich.“ (engl. „The mind is a wonderful servant but a terrible master.“) des Schriftstellers Robin Sharma (Sharma, 2019, S. 59). Ihr Schweinehund ist nicht Ihr „Herr(chen)“, sondern erfüllt eine bestimmte Funktion: Er erinnert Sie an Ihre aktuellen Bedürfnisse, sorgt dafür, dass Sie sich regelmäßig etwas Gutes tun, und schlägt Alarm, wenn Sie sich zu viel Veränderung, Risiko oder Stress zumuten. Er entlastet Sie, indem er die Reibung in Ihrem Leben reduziert und Sie wann immer möglich in den entspannten Autopilot-Modus schickt. Manchmal meldet er auch Konflikte auf motivationaler Ebene: Passt das, was Sie eigentlich tun sollten, wirklich zu dem, was Sie von Herzen gerne tun möchten? Nehmen Sie die Anregungen und Impulse Ihres Schweinehunds wahr, aber lassen Sie sich nicht automatisch und ungeprüft von ihnen steuern. Denn nicht selten scheut der Schweinehund auch einfach nur den Aufwand, den eine Aufgabe mit sich bringt, oder ist durch (unbegründete) Ängste oder nicht (mehr) hilfreiche Überzeugungen getrieben. Vor allem aber ist er blind 2 So tickt der Schweinehund 168 <?page no="169"?> für Ihre langfristigen Interessen. Es liegt daher in Ihrer Verantwortung, diese in Ihrem täglichen Handeln zu berücksichtigen und auch an die Bedürfnisse Ihres zukünftigen Ichs zu denken. Und damit fangen Sie jetzt an! 2.8 Fazit: So tickt der Schweinehund 169 <?page no="171"?> 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 3.1 Überblick und Projektauswahl 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset 3.2.1 Haben Sie Selbstmitgefühl 3.2.2 Aktivieren Sie Ihre Ressourcen 3.2.3 Hinterfragen Sie Ihre Überzeugungen 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 3.3.1 Klären Sie Ihr Big Picture 3.3.2 Verstärken Sie sich selbst 3.3.3 Treffen Sie eine Entscheidung 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 3.4.1 Informieren Sie sich und seien Sie realistisch 3.4.2 Gehen Sie kleinschrittig vor 3.4.3 Nehmen Sie Hindernisse vorweg 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv 3.5.1 Schaffen Sie günstige Rahmenbedingungen 3.5.2 Machen Sie Ihr Projekt zur süßen Versuchung 3.5.3 Starten Sie - jetzt! 3.6 Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor 3.6.1 Dokumentieren Sie Ihren Fortschritt, feiern Sie Ihre Erfolge 3.6.2 Machen Sie regelmäßige Rückblicke 3.6.3 Lernen Sie dazu 3.7 Schritt 6: Bleiben Sie dran 3.7.1 Regulieren Sie Ihre Emotionen 3.7.2 Erneuern Sie Ihre Entscheidung - oder revidieren Sie sie, falls nötig 3.7.3 Schließen Sie Ihr Projekt ab 3.8 Troubleshooting bei akuten Blockaden 3.1 Überblick und Projektauswahl Sie sind nun mit den Grundlagen vertraut und haben eine Vorstellung davon, wie der innere Schweinehund „tickt“. Als nächstes geht es in die Praxis: Sie werden einen konkreten Vorsatz in die Tat umsetzen. Ihr Ziel soll dabei nicht nur sein, ein bestimmtes Projekt (endlich) anzupacken, sondern auch <?page no="172"?> Strategien zu entwickeln, mit denen Sie Ihren Schweinehund dauerhaft an die Leine bekommen. Das Vorgehen umfasst sechs Schritte: Bei Schritt 1 geht es darum, die eigenen Überzeugungen und Denkmuster zu hinterfragen. Sie erfahren, wie Sie ein Mindset entwickeln, das Sie beim Umsetzen Ihres Vorsatzes unterstützt und nicht behindert. In Schritt 2 setzen Sie sich mit Ihren Werten, Visionen und Zielen (Ihrem Big Picture) auseinander: Womit möchten Sie Ihre Zeit gerne verbringen? Wie ordnet sich Ihr konkreter Vorsatz in Ihr Big Picture ein? Mit Schritt 3 gehen Sie in die Planung und bereiten sich auf die konkrete Umsetzung Ihres Projekts vor. In Schritt 4 geht es darum, ins Tun zu kommen und die berüchtigte Lücke zwischen Absicht und Handeln zu schließen. Schritt 5 lässt Sie Ihren Fortschritt reflektieren und ggf. Anpassungen Ihres Plans vornehmen. Bei Schritt 6 erfahren Sie, wie Sie Ihre Motivation und Aktivität dauerhaft aufrechterhalten, bis Sie Ihr Ziel erreicht haben - und wie Sie sich dann auch wieder von Ihrem Ziel lösen. Natürlich müssen Sie sich nicht zwingend an die angebotenen Aufgaben und Arbeitsschritte halten. Probieren Sie aus, was Ihnen sinnvoll erscheint, und stellen Sie so ein für Sie funktionierendes Programm zusammen. Hinweis Sie brauchen zur Planung und Durchführung Ihres Projekts zwei Hilfs‐ mittel: ▸ Ihre Schweinehundmappe (siehe Kapitel 1.1), um alle projektrele‐ vanten Materialien an einem Ort aufzubewahren, sowie ▸ einen Terminkalender oder ein anderes Planungstool, entweder analog (Organizer, Notizbuch …) oder digital (Produktivitätsapp, digitaler Terminplaner …). Falls Sie noch keinen Terminkalender führen, empfehle ich Ihnen, sich jetzt einen zuzulegen. Sie können sich beispielsweise eine kostenlose Kalendervorlage aus dem In‐ ternet herunterladen. Lassen Sie sich nicht von Ihrem Schwei‐ nehund dazu verführen, Ihr Projekt erneut wochenlang aufzu‐ schieben, weil Sie einfach noch nicht den perfekten Kalender für sich gefunden haben. Besorgen Sie Ihren Kalender noch heute! Und los geht’s! 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 172 <?page no="173"?> Wählen Sie zunächst ein konkretes Schweinehundprojekt aus. Im ur‐ sprünglichen Wortsinn bezeichnet ein Projekt ein einmaliges, etwas um‐ fangreicheres Vorhaben mit einem bestimmten Ziel. Im Rahmen dieses Buches wird der Begriff - wie Sie vielleicht schon bemerkt haben - etwas breiter gefasst. Sie können sich als Projekt sowohl eine Einmalaktion als auch den Aufbau einer neuen Gewohnheit vornehmen: ▸ Einmalaktion: Sie bearbeiten eine bestimmte Aufgabe aus Ihrem Studium oder Privatleben. Dies kann gerne etwas sein, das Sie schon länger vor sich herschieben und das durchaus umfangreich ist (Prü‐ fung vorbereiten, Auslandssemester organisieren, Umzug planen und durchführen …). ▸ Gewohnheit: Sie bauen eine neue, nützliche Gewohnheit auf. Ihr Projektziel könnte in diesem Fall sein, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. in zehn Wochen) eine neue Routine etabliert zu haben oder in einem bestimmten Zeitraum (z. B. innerhalb der nächsten zehn Wochen) regelmäßig eine bestimmte Tätigkeit auszuführen (Fremdsprache lernen, sich sportlich betätigen, sich ehrenamtlich engagieren …). Was Sie auswählen, ist ganz Ihnen überlassen. Im Sinne der vielfach besprochenen „guten Vorsätze“ empfehle ich Ihnen ein Projekt, das Sie Ihren (längerfristigen) Zielen näherbringt und förderlich für Ihre psychische und physische Gesundheit ist. Während des ersten Schritts können Sie Ihr Projekt auch noch einmal austauschen. Spätestens mit Abschluss von Schritt 2 sollten Sie sich aber verbindlich festlegen. Wenn Sie sich für ein Projekt entschieden haben, bearbeiten Sie bitte folgende Aufgabe. Aufgabe Nehmen Sie sich mindestens 15 Minuten Zeit und einen Stapel mit kleinen Karten oder Zetteln zur Hand (am besten analog). Schreiben Sie auf die erste Karte Ihr Schweinehundprojekt, z. B. „Prü‐ fung x vorbereiten“ oder „täglich Vokabeln pauken“, und platzieren Sie sie in die Mitte eines Tisches. 3.1 Überblick und Projektauswahl 173 <?page no="174"?> Schreiben Sie dann auf die anderen Karten Ihre Gründe dafür, warum Sie Ihrer Meinung nach dieses Projekt bisher nicht in die Tat umgesetzt haben. Was hat Sie bisher davon abgehalten, aktiv zu werden? Denken Sie über diese Frage nicht nur sachlich und rational nach, sondern versetzen Sie sich gedanklich zurück in Situationen, in denen Sie das Projekt hätten angehen können, es aber nicht getan haben. Erinnern Sie sich möglichst genau an diese Situationen, beziehen Sie alle Sinnesorgane mit ein: Was haben Sie damals gesehen, gehört, gespürt, gerochen, geschmeckt? Wie haben Sie sich gefühlt? Überlegen Sie dann, warum Sie in diesen Situationen nicht aktiv geworden sind. Waren Sie zu gestresst, weil Sie so viele andere Dinge zu tun hatten? Waren Sie unsicher und wussten nicht, wie Sie anfangen sollen? Hatten Sie einfach keine Lust? Lassen Sie beim Sammeln möglicher Gründe gerne Ihr Wissen aus Kapitel 2 miteinfließen. Notieren Sie jeden Grund auf einer separaten Karte und legen Sie die Karten zu einer Mindmap aus. Einander ähnliche Karten können Sie gerne direkt nebeneinander legen und so Themen‐ bereiche bilden. Wenn Ihnen keine weiteren (möglichen) Gründe mehr einfallen, be‐ trachten Sie Ihre Mindmap und überlegen Sie, welche/ -r dieser Gründe vermutlich die größte Rolle spielt/ spielen und markieren Sie diese/ -n. Verstauen Sie die Karten dann in Ihrer Schweinehundmappe, Sie werden sie später wieder brauchen. Falls Sie den Eindruck haben, es wäre vor allem ein bestimmter Aspekt, der Sie bisher vom Tun abgehalten hat, dann können Sie auch gezielt an diesem Aspekt ansetzen und zu dem entsprechenden Schritt im Programm springen. Wenn Sie z. B. Ihr Warum und Wozu für das Projekt genau kennen, aber nicht wissen, wie Sie das Ganze anpacken sollen, können Sie Schritt 1 und 2 überspringen und mit Schritt 3 Planen Sie effektiv beginnen. Ich empfehle Ihnen allerdings, das Programm einmal von A bis Z zu durchlaufen. Wie in Kapitel 2 erläutert wurde, sind wir uns der „wahren“ Gründe für unser Verhalten oft gar nicht so bewusst, wie wir denken, und vielleicht hilft Ihnen ja auch etwas bei Ihrem Projekt, an das Sie von selbst nicht unbedingt gedacht hätten. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 174 <?page no="175"?> 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset Eine wohlwollend-offene Einstellung zu Ihrem Vorhaben und sich selbst hilft Ihnen nicht nur, endlich aktiv zu werden, sondern auch, dauerhaft motiviert zu bleiben. 3.2.1 Haben Sie Selbstmitgefühl Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Vorsätzen sind weit verbreitet. Bestimmte Arbeitsbedingungen laden geradezu zum Aufschieben ein, unter anderem hohe Arbeitslast, fehlende Struktur und lange Zeiträume bis zur Leistungskontrolle. Genau solche Bedingungen bieten viele Studiengänge. Der Kampf mit dem inneren Schweinehund ist als Student/ -in Ihr täglich Brot. Verurteilen Sie sich daher nicht, wenn Sie mal nicht so „funktionieren“, wie Sie es gerne hätten, sondern begegnen Sie sich mit Verständnis und Nachsicht. Damit ist nicht gemeint, sich selbst und dem inneren Schwei‐ nehund alles durchgehen zu lassen und die Strukturen im Studium als Entschuldigung bzw. Ausrede zu nehmen, um gar nichts mehr anzupacken („Ich kann nichts dafür, im Studium schieben alle auf! “). Es geht vielmehr darum, das eigene Verhalten zu registrieren („Ich habe schon zum dritten Mal eine wichtige Vorlesung geschwänzt.“), anzunehmen („Das ist so.“) und zu akzeptieren („Das ist schade, hatte aber seine Gründe. Ich bin trotzdem o.k.“). Im nächsten Schritt können Sie sich dann konstruktiv mit den Gründen für Ihr Verhalten auseinandersetzen („Woran lag es? Was mache ich das nächste Mal anders? “). Vermeiden Sie jegliche Art der Selbstabwertung („Ich Loser habe es wieder nicht geschafft, das zu erledigen.“, „Ich kann gar nichts.“). Weiten Sie dann Ihr Selbstmitgefühl auf Ihr Zukunfts-Ich aus. Denken Sie an sich selbst - morgen, in einer Woche, in einem halben Jahr. Was würden Sie sich für sich selbst in der Zukunft wünschen? Wie soll es Ihnen da gehen? Womit soll sich Ihr Zukunfts-Ich beschäftigen (dürfen) und seine/ ihre Zeit verbringen? Und: Worum würde Sie Ihr Zukunfts-Ich in Bezug auf Ihr Schweinehundprojekt wahrscheinlich bitten? Bearbeiten Sie dazu nun folgende Aufgabe. 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset 175 <?page no="176"?> Aufgabe Anderen Menschen zeigen wir unser Mitgefühl, indem wir ihnen gut zuhören, Verständnis äußern, sie in den Arm nehmen, trösten, ermu‐ tigen, anspornen, Ratschläge geben oder Unterstützung anbieten. Doch wie können wir Mitgefühl gegenüber uns selbst zeigen? Denken Sie an Ihr Schweinehundprojekt und an konkrete Situationen in der Zukunft, in denen Sie vielleicht wieder Schwierigkeiten haben werden, sich zu Ihrem Projekt aufzuraffen. Statt sich schlecht zu fühlen und sich Vorwürfe zu machen, stellen Sie sich die Frage: Wie kann ich mir in diesen Situationen mit Selbstmitgefühl begegnen? Wie kann ich mit mir selbst auf eine freundliche und verständnisvolle Art sprechen, ohne die Situation kleinzureden oder überzudramatisieren? Welche unterstützenden, positiven und motivierenden Worte kann ich finden? Machen Sie sich dazu einige Notizen. Ein Beispiel: „Ich kann gut nachvollziehen, dass Du keine Lust auf die Vorlesung hast. Der Stoff ist sehr trocken und eineinhalb Stunden aufmerksam zuhören ist echt anstrengend. Aber schau mal - bei den letzten Sitzungen hat der Prof gute Hinweise zur Eingrenzung des Stoffs gegeben. Und wenn Du den Vorlesungsbesuch durchziehst, wirst Du danach mächtig stolz auf Dich sein! Komm, auf geht’s, pack es an! “ Formulieren Sie dann in einem Wenn-Dann-Satz, wie Sie zukünftig - ganz konkret - Selbstmitgefühl zeigen werden, wenn Ihnen Ihr Schweinehund wieder Probleme bei Ihrem Projekt macht. Verzichten Sie dabei auf Negationen à la „dann verurteile ich mich nicht“, sondern formulieren Sie in positiver Handlungssprache, was genau Sie denken oder tun werden. Im Beispiel: „Wenn ich wieder keine Lust habe, in die Vorlesung zu gehen, dann sage ich mir freundlich: Total verständlich. Mach es trotzdem.“ Wenn Ihnen im Moment keine konkreten Hindernisse einfallen, dann formulieren Sie Ihren Satz allgemeiner, z. B. „Wenn ich keine Lust auf … (Projekt) habe, dann sage ich mir: Ja, das fühlt sich gerade nicht schön an. Aber wenn Du es einfach machst, wird es Dir danach besser gehen.“ Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 176 <?page no="177"?> 3.2.2 Aktivieren Sie Ihre Ressourcen Machen Sie sich bewusst, dass Sie selbst schon einiges mitbringen (z. B. be‐ stimmte persönliche Eigenschaften und Fertigkeiten, fachliche Kenntnisse, emotionale oder soziale Kompetenzen, unterstützende Sozialkontakte …), das Ihnen bei der Verwirklichung Ihres Projekts helfen wird. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass Sie Ihren Schweinehund zähmen! Hier finden Sie einige willkürlich ausgewählte Beispiele für solche persön‐ lichen Ressourcen: ▸ Ich bin Meister/ -in im Planen. ▸ Ich kann gut selbstständig (oder in der Gruppe) arbeiten. ▸ Ich kann gut improvisieren. ▸ Wenn es nötig ist, kann ich sehr konzentriert und fokussiert arbeiten. ▸ Wenn mir etwas Spaß macht, laufe ich zur Höchstform auf. ▸ Ich bin sehr gesellig und kommunikativ. ▸ Ich kenne mich gut mit IT und Technik aus. ▸ … Sich der eigenen Stärken und Ressourcen bewusst zu sein, ▸ steigert das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeitserwartung („Ich kann …! “). ▸ ist ein strategischer Vorteil, der die Planung und Umsetzung von Projekten erleichtert. ▸ kann positive Rückkopplungsschleifen anstoßen, wenn die Menschen in Ihrem Umfeld merken, dass Sie wissen, wer Sie sind und was Sie tun. Aufgabe Falls Sie die Aufgabe Dem inneren Schweinehund auf der Spur (Kapitel 1.1) noch nicht bearbeitet haben, holen Sie dies bitte jetzt nach. Überlegen Sie dann, welche (persönlichen, materiellen, sozialen …) Ressourcen Ihnen in den Situationen geholfen haben, in denen Sie Ihren Schweinehund gut zähmen konnten. Was bringen Sie bereits mit, das für Sie bei der Umsetzung Ihres Schweinehundprojekts hilfreich sein wird? Finden Sie mindestens drei Ressourcen. 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset 177 <?page no="178"?> Holen Sie zudem - wenn möglich - zusätzlich zu Ihrer Selbsteinschät‐ zung auch eine Fremdeinschätzung ein. Dies mag Ihnen im ersten Moment vielleicht etwas seltsam vorkommen, wird aber sehr erkennt‐ nisreich für Sie sein! Führen Sie mit mindestens einer Person aus Ihrem engeren Familien- oder Freundeskreis ein kleines Interview. Stellen Sie dabei Fragen wie diese: ▸ Wenn Du an Situationen denkst, in denen ich ein wichtiges Projekt verfolgt und abgeschlossen habe - Welche Stärken und Fähigkeiten habe ich dabei Deiner Meinung nach bewiesen? ▸ Welche positiven Eigenschaften schätzt Du an mir, die mir helfen, den inneren Schweinehund zu zähmen? Notieren Sie die Ergebnisse dieses Interviews. Wählen Sie dann mindestens eine Ressource aus, die Ihrer Meinung nach bei der Umsetzung Ihres Projekts besonders hilfreich sein wird, und formulieren Sie einen selbstbestätigenden Satz dazu. Ein Beispiel: „Ich kann mich gut und lange konzentrieren.“ Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. 3.2.3 Hinterfragen Sie Ihre Überzeugungen Ihre Überzeugungen sind nicht nur ein wichtiger Teil Ihrer Identität, sie spielen auch eine maßgebliche Rolle beim Umsetzen Ihrer Vorsätze. Beispielsweise kann die feste Überzeugung, man sei technisch unbegabt, durchaus identitätsstiftend sein („Ich und Technik … das passt einfach nicht zusammen! “) und auch eine wichtige Funktion haben (z. B. weil man die Bewältigung technischer Probleme stets anderen Personen überlassen kann). Wenn einen diese Überzeugung jedoch davon abhält, bedeutsame persönliche Ziele zu erreichen (z. B. weil es einen bei einer wichtigen Prä‐ sentation völlig aus der Bahn wirft, dass der Beamer nicht funktioniert) oder nützliche Dinge zu lernen (z. B. weil man bei dem kleinsten Technikproblem immer jemand anderen um Hilfe bitten „muss“), kann es sich lohnen, sie zu hinterfragen. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 178 <?page no="179"?> Nehmen Sie sich für die folgende Aufgabe ausreichend Zeit, z. B. eine halbe Stunde. Schalten Sie Ablenkungen aus, sodass Sie ungestört und achtsam Ihren Blick auf sich selbst und Ihre Gedankenwelt richten können. 1. Überzeugungen sammeln Verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick über die Überzeugungen, die Sie bisher von der Realisierung Ihres Schweinehundprojekts abgehalten haben. Einige davon haben Sie sicherlich schon im Rahmen der Einstiegsaufgabe in Kapitel 3.1 auf Karten notiert. Darauf werden wir gleich zurückkommen. Lesen Sie jedoch zuvor folgende 30 Aussagen durch und überlegen Sie, wie sehr Sie der jeweiligen Aussage in Bezug auf Ihr aktuelles Schweinehund‐ projekt zustimmen. Notieren Sie eine 1 für „stimme gar nicht zu“, eine 2 für „stimme eher nicht zu“, eine 3 für „teils-teils“ eine 4 für „stimme eher zu“ und eine 5 für „stimme völlig zu“. Seien Sie dabei so ehrlich zu sich selbst wie möglich. Es kann sein, dass manche Aussagen überhaupt nicht passen. Wählen Sie dann einfach die 1. 1. Solange ich keinen Plan habe, wie ich das Ganze anpacken soll, brauche ich auch nicht anzufangen. 2. Ich habe einfach keine Lust darauf. 3. Ich habe keine Zeit dafür. 4. Ich fühle mich zu dieser Sache gezwungen - und wenn ich zu etwas gezwungen werde, mache ich es erst recht nicht. 5. Die Sache wird sich früher oder später von selbst erledigen. 6. Wenn ich diese Sache nicht hinkriege, dann habe ich versagt. 7. Wenn ich diese Sache nicht hinkriege, dann sind andere von mir enttäuscht. 8. Ich mache ganz bestimmt etwas falsch. 9. Das Ergebnis muss perfekt sein, weil andere es von mir erwarten. 10. Das Ergebnis muss perfekt sein, sonst bin ich selbst nicht zufrieden. 11. Ich habe eine genaue Vorstellung davon, wie das Ganze laufen soll - so und nicht anders! 12. Andere Dinge sind immer wichtiger. 13. Bei der Aufgabe trödeln alle. 14. Ich werde das sowieso niemals durchziehen. 15. Die Sache ist ziemlich anstrengend. 16. Ich muss es einfach irgendwie hinter mich bringen. 17. Es liegt sowieso nicht in meiner Hand, ob das Ganze funktioniert. 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset 179 <?page no="180"?> 18. Ich brauche Druck, um aktiv zu werden. 19. Schon der Gedanke an die Sache langweilt mich. 20. Ich muss in der richtigen Stimmung sein, um das zu tun. 21. Das Ganze ist zu schwer und zu groß für mich. Ich kann das gar nicht schaffen. 22. Die Sache nützt nur mir und niemandem sonst. Ich kann vor mir selbst kaum rechtfertigen, Zeit dafür aufzuwenden. 23. Ich konnte das damals schon nicht und das wird sich bis heute auch nicht geändert haben. 24. Es dauert einfach viel zu lang, bis man Fortschritte oder Erfolge sieht. 25. Wenn ich erst einmal angefangen habe, geht es ganz schnell. 26. Es ist nicht dringend (genug). 27. Ich hätte das längst erledigen müssen. 28. Ganz alleine macht das einfach keinen Spaß. 29. Das kann ich wann anders auch noch machen. 30. Morgen fange ich an - ganz bestimmt! Nehmen Sie jetzt den Kartenstapel von der Einstiegsaufgabe zur Hand. Hier hatten Sie mögliche Gründe notiert, warum Sie Ihr Projekt bisher nicht in die Tat umgesetzt haben. Prüfen Sie, ob Sie noch eine der Überzeugungen aus der vorangehenden Liste ergänzen möchten. Wenn Sie z. B. der Aussage „Ich brauche Druck, um aktiv zu werden.“ zugestimmt haben und der Meinung sind, dass diese Überzeugung Sie bei der Umsetzung Ihres Projekts bisher eher behindert hat, sollte es eine Karte dazu in Ihrem Stapel geben (gerne auch in anderem Wortlaut). Falls Ihnen beim Lesen der Aussagen noch weitere Überzeugungen eingefallen sind, ergänzen Sie auch diese jeweils auf einer neuen Karte. 2. Überzeugungen prüfen Gehen Sie jetzt Ihren Kartenstapel einmal komplett durch und sammeln Sie alle Karten, die etwas mit Ihren persönlichen Überzeugungen zu tun haben. Schauen Sie genau hin! Nicht jede Überzeugung sieht auf den ersten Blick wie eine aus (z. B. „Ich habe keine Zeit dafür.“ kann gleichzeitig Fakt und Überzeugung sein oder auch nur eine Überzeugung). Wählen Sie nun eine Überzeugung aus, die Sie bei Ihrem Projekt bisher besonders stark ausgebremst hat, und prüfen Sie diese anhand der folgenden Schritte auf Herz und Nieren. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 180 <?page no="181"?> a. Realitätscheck: Woher kommt die Überzeugung? Entspricht die Über‐ zeugung den Fakten? Steigen Sie die Abstraktionsleiter hinunter, indem Sie sich Fragen wie diese stellen: ▸ Aus welchem Grund denke ich so über mich oder mein Projekt? ▸ Welche Beobachtungen oder Erfahrungen habe ich gemacht, aus denen ich diese Überzeugung ableite? ▸ Gibt es mehr als eine Beobachtung? War das wirklich „immer“ oder „nie“ so? Gab es Ausnahmen? ▸ Ist das wirklich meine eigene Überzeugung oder habe ich sie von jemand anderem übernommen? ▸ Was spricht dafür, dass die Überzeugung stimmt? Was spricht dagegen? ▸ Was sagen andere dazu? b. Funktionalitätscheck: Unabhängig davon, wie Sie den Realitätsgehalt der Überzeugung einschätzen - prüfen Sie diese nun auf ihre Funk‐ tionalität, indem Sie sich Fragen wie diese stellen: ▸ Welche Gefühle löst diese Überzeugung in mir aus? Wozu führen diese Gefühle? ▸ Wobei hilft mir diese Überzeugung? Wozu ist sie nützlich und zweckmäßig? ▸ Inwiefern schränkt mich die Überzeugung ein? Wovon hält sie mich ab? Ein Beispiel: Sie wollen die Überzeugung „Ich brauche Druck, um aktiv zu werden.“ prüfen. Machen Sie zuerst den Realitätscheck. Fragen Sie sich: Warum denke ich so? Stimmt der Gedanke? ▸ Erinnern Sie sich bewusst an Situationen aus der Vergangenheit, in denen Sie unter Druck standen, aktiv zu werden. Wie war das? Was und wie viel haben Sie in diesen Situationen geschafft? Waren Sie nur produktiv oder auch kreativ? Lässt sich das objektivieren? Hat Ihnen die Tätigkeit Spaß gemacht? ▸ Erinnern Sie sich dann an Situationen, in denen Sie aktiv geworden sind, ohne Druck zu haben. Wie war das? Was und wie viel haben Sie in diesen Situationen geschafft? Hat Ihnen die Tätigkeit Spaß gemacht? Warum haben Sie den Druck in diesen Situationen nicht „gebraucht“? 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset 181 <?page no="182"?> Was war da anders? Falls Ihnen keine solche Situation einfällt, dann stellen Sie sich vor, wie es wäre, ohne Druck aktiv zu werden. ▸ Fragen Sie sich auch, ob das wirklich Ihre eigene Überzeugung ist, oder ob Sie vielleicht so denken, weil viele andere es auch tun (z. B. Kommilitonen/ -innen). Oder handelt es sich bei näherer Betrachtung vielleicht gar nicht um eine Überzeugung, sondern eher um eine Entschuldigung oder Rechtfertigung (an die Sie selbst eigentlich gar nicht wirklich glauben)? Machen Sie dann den Funktionalitätscheck zur Überzeugung „Ich brauche Druck, um aktiv zu werden.“: ▸ Überlegen Sie, welche Gefühle diese Überzeugung bei Ihnen auslöst. Empfinden Sie diese Gefühle als motivierend und energetisierend, oder eher als blockierend und lähmend? ▸ Finden Sie heraus, wobei Ihnen diese Überzeugung hilft. Was nützt es Ihnen, zu glauben, dass Sie den Druck zum Arbeiten brauchen? Hilft Ihnen diese Überzeugung, in die Gänge zu kommen, wenn externer Druck besteht? ▸ Überlegen Sie dann, woran die Überzeugung Sie hindert. Vielleicht daran, in Situationen ohne externen Druck überhaupt etwas zu tun? Wenn Sie sich ausführlich mit Ihrer Überzeugung auseinandergesetzt haben, treffen Sie eine Entscheidung: Wollen Sie diese Überzeugung so beibehalten? Oder möchten Sie sie gerne durch einen hilfreicheren Gedanken ersetzen (siehe nächster Schritt)? Gerne können Sie dieses Vorgehen für weitere Überzeugungen wiederholen. 3. Hilfreiche Gedanken formulieren Wenn Sie eine Überzeugung identifizieren konnten, die Sie bei Ihrem Projekt bisher stark ausgebremst hat und die Sie gerne abschwächen würden, dann nehmen Sie sich diese Überzeugung jetzt vor. Überlegen Sie sich einen alternativen Satz, den Sie an die Stelle der Überzeugung setzen können und der Sie bei Ihrem Projekt unterstützt statt ausbremst. Vermeiden Sie es, in dem Satz eine Verbindung zwischen (Miss-) Erfolg und Ihrem Selbstwert herzustellen. Stellen Sie stattdessen die Bedeutung von persönlichem Ein‐ satz und Lösungsorientierung in den Vordergrund. Nutzen Sie dabei gerne folgende Anregungen. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 182 <?page no="183"?> Anregungen für hilfreiche Gedanken ▸ Gedanken, die eine positive Einstellung zur Aufgabe fördern: ▸ Ich muss nicht, sondern ich will/ entscheide mich dafür. ▸ Die Sache hat auch etwas Gutes. ▸ Es gibt mehrere gute Lösungswege/ Lösungen. ▸ Ich kann überall etwas für mich rausziehen. ▸ Jeder Satz, den ich lese/ schreibe/ lerne, bringt mich weiter. ▸ Gedanken, die eine positive Einstellung zu sich selbst fördern: ▸ Ich lerne stetig dazu./ Je mehr ich trainiere, desto besser werde ich. ▸ Ich nehme die Herausforderung an./ Ich versuche es einfach./ Ich bleibe dran. ▸ Ich kann das schaffen./ Ich erledige das. ▸ Ich bin mehr als meine Gedanken. ▸ Wenn ich ein Ziel nicht erreiche, dann lobe ich mich für den Mut, es zumindest versucht zu haben/ prüfe ich, woran es lag/ versuche ich es noch einmal/ setze ich mir ein neues Ziel. ▸ Gedanken, die typische Rationalisierungen ersetzen: ▸ Statt: Ich habe keine Zeit dafür. >> Ich finde Zeit dafür. ▸ Statt: Andere Dinge sind immer wichtiger. >> Ich mache mein Projekt zur Chefsache. ▸ Statt: Bei der Aufgabe trödeln alle. >> Wenn alle trödeln, dann hebe ich mich positiv ab und erledige die Aufgabe sofort. ▸ Statt: Es ist nicht dringend (genug). >> Ich erledige das, auch wenn es nicht dringend ist. ▸ Statt: Morgen fange ich an! >> Ich fange heute/ sofort an! In Bezug auf das zuvor genannte Beispiel könnten Sie statt „Ich brauche Druck, um aktiv zu werden.“ formulieren >> „Ich kann auch ohne Druck aktiv werden.“ oder „Ohne Druck ist das Arbeiten/ Lernen entspannter.“ Auch, wenn Sie mehrere hinderliche Überzeugungen identifiziert haben, konzentrieren Sie sich zunächst nur auf einen hilfreichen Gedanken. Beob‐ achten Sie, ob Sie dieser neue Gedanke tatsächlich bei Ihrem Projekt unter‐ stützt. Seien Sie dabei geduldig: Umdenken braucht Zeit. Sollten Sie nach einer längeren Zeit des Ausprobierens feststellen, dass der neue Gedanke für Sie nicht funktioniert, dann probieren Sie einen anderen Satz aus oder 3.2 Schritt 1: Entwickeln Sie ein förderliches Mindset 183 <?page no="184"?> gehen Sie eine andere Überzeugung an. Finden Sie so einen Gedanken oder Leitsatz, der Sie wirklich anspornt. Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. Aufgabe Nehmen Sie nun noch einmal alle Ihre Notizen zu Schritt 1 zur Hand und erstellen Sie eine Karte mit Ihren wichtigsten Erkenntnissen („Mein Schweinehundmindset“). Notieren Sie auf der Karte: a. Ihren Wenn-Dann-Satz für mehr Selbstmitgefühl b. Ihre wichtigste Ressource c. Ihren hilfreichen Gedanken In dem Beispiel des Vorlesungsbesuchs aus Kapitel 3.2.1 könnte die Karte z. B. so aussehen: So zeige ich Selbstmitgefühl: Wenn ich wieder keine Lust habe, in die Vorlesung zu gehen, dann sage ich mir freundlich: „Total verständlich. Mach es trotzdem.“ Meine wichtigste Ressource: Ich kann mich gut und lange konzentrieren! Mein hilfreicher Gedanke: Ohne Druck ist das Arbeiten entspannter! Mein Schweinehundmindset Gestalten Sie die Karte, wie es Ihnen am besten gefällt, und platzieren Sie sie an einem gut sichtbaren Ort. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 184 <?page no="185"?> Auf den Punkt ▸ Begegnen Sie sich mit Selbstmitgefühl, wenn der Schweinehund das nächste Mal auf der Matte steht. ▸ Machen Sie sich bewusst, welche Stärken und Ressourcen Sie bereits mitbringen, die Sie bei Ihrem Projekt unterstützen werden. ▸ Prüfen Sie, welche Überzeugungen Sie über Ihr Projekt und sich selbst haben. Entwickeln Sie hilfreiche Gedanken. ▸ Am Ende von Schritt 1 halten Sie eine Karte mit Ihrem „Schweine‐ hundmindset“ in der Hand. 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung In diesem Schritt geht es zunächst nicht um Ihr konkretes Schweinehund‐ projekt, sondern Sie werden sich viel allgemeiner mit dem beschäftigen, was Ihnen im Leben wichtig ist. Wenn Sie das Warum und Wozu Ihres Projekts genau kennen und es schnell „ins Feld“ bringen wollen, können Sie die Abschnitte 3.3.1 und 3.3.2 auch überspringen und direkt mit Abschnitt 3.3.3 weitermachen. Ich empfehle Ihnen jedoch, sich regelmäßig auch mit Ihren übergeordneten Werten, Visionen und Zielen auseinanderzusetzen. Ihr Big Picture zu kennen und zu wissen, wie sich verschiedene Bereiche Ihres Studiums und Lebens darin einpassen, ist die Basis für ein gelungenes Selbst- und Zeitmanagement. Denn letztlich kann man die eigene Zeit nur dann sinnvoll einteilen, wenn man weiß, womit man sie eigentlich verbringen möchte. Verlieren Sie Ihr Big Picture über all Ihre täglichen Verpflichtungen und Dringlichkeiten nicht aus den Augen. 3.3.1 Klären Sie Ihr Big Picture Nehmen Sie sich für die folgende Selbstreflexion ausreichend Zeit, z. B. eine Stunde, und schalten Sie alle Ablenkungen aus. Meine Werte Wissen Sie, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist? Kennen Sie Ihren „moralischen Kompass“? 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 185 <?page no="186"?> Im Folgenden finden Sie eine Liste mit Werten. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber für eine erste Orientierung ausrei‐ chend sein. Bitte lesen Sie die Liste einmal komplett durch, um sich mit allen Werten vertraut zu machen. Gerne können Sie einzelne Begriffe nachschlagen, wenn Sie diese nicht eindeutig zuordnen können. Liste mit Werten Abenteuerlust - Achtsamkeit - Aktivität - Aktualität - Akzeptanz - Altruismus - Andersartigkeit - Anerkennung - Anmut - Ansehen - Anstand - Ästhetik - Aufgeschlossenheit - Aufmerksamkeit - Ausdauer - Ausgeglichenheit - Ausgewogenheit - Authentizität - Autonomie - Begeis‐ terung - Beharrlichkeit - Belastbarkeit - Bescheidenheit - Besonnenheit - Beweglichkeit - Dankbarkeit - Demut - Differenziertheit - Disziplin - Durchhaltevermögen - Effektivität - Effizienz - Ehrgeiz - Ehrlichkeit - Einfluss - Einsatzbereitschaft - Empathie - Engagement - Entscheidungs‐ freude - Entspanntheit - Entwicklung - Fairness - Fleiß - Flexibilität - Fokussiertheit - Freiheit - Freude - Freundlichkeit - Friedfertigkeit - Fröhlichkeit - Fürsorge - Geduld - Gelassenheit - Gemütlichkeit - Genau‐ igkeit - Gerechtigkeit - Gesundheit - Gewissheit - Gewissenhaftigkeit - Glaubwürdigkeit - Gleichberechtigung - Großzügigkeit - Gründlichkeit - Güte - Harmonie - Hedonismus - Herzlichkeit - Hilfsbereitschaft - Hingabe - Hoffnung - Höflichkeit - Humor - Idealismus - Innovation - Inspiration - Integrität - Intelligenz - Interesse - Intuition - Klugheit - Kompetenz - Konformität - Kontrolle - Kreativität - Lässigkeit - Leichtig‐ keit - Leidenschaft - Leistung - Liebenswürdigkeit - Loyalität - Macht - Mitgefühl - Mut - Nachhaltigkeit - Nachsichtigkeit - Nächstenliebe - Neugier - Neutralität - Offenheit - Optimismus - Ordnung - Pflichtgefühl - Phantasie - Pragmatismus - Präsenz - Produktivität - Professionalität - Pünktlichkeit - Qualitätsorientierung - Realismus - Redlichkeit - Respekt - Rücksichtnahme - Sanftmut - Sauberkeit - Selbstbestimmung - Selbstdis‐ ziplin - Selbstreflexion - Selbstständigkeit - Selbstvertrauen - Sensibilität - Sicherheit - Solidarität - Sorgfalt - Souveränität - Sparsamkeit - Spaß - Stabilität - Standfestigkeit - Stärke - Status - Stimulation - Struktur - Sympathie - Tapferkeit - Teamgeist - Teilen - Toleranz - Tradition - Transparenz - Treue - Tüchtigkeit - Unabhängigkeit - Unaufgeregtheit - Unbestechlichkeit - Verantwortung - Verbindlichkeit - Vergnügen - Verlässlichkeit - Vertrauen - Vielfalt - Wachsamkeit - Weisheit - Weitsicht - Wertschätzung - Wohlstand - Wohlwollen - Rücksichtnahme - Würde 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 186 <?page no="187"?> - Zielstrebigkeit - Zuneigung - Zurückhaltung - Zuverlässigkeit - Zuver‐ sicht Vielleicht finden Sie manche Werte nicht eindeutig oder einander sehr ähnlich. Legen Sie daher Ihre eigene Definition des jeweiligen Wertes zugrunde (also das, was Sie persönlich unter dem Wert verstehen) und überlegen Sie jetzt, welche dieser Werte Ihnen besonders wichtig und welche Ihnen vielleicht weniger wichtig sind. Es geht dabei nicht darum, als wie wünschenswert diese Werte in unserer Gesellschaft angesehen werden, sondern darum, wie wichtig die Werte Ihnen persönlich als Leitprinzip in Ihrem Leben sind. Sie können also ganz ehrlich sein und sich durchaus eingestehen, dass Ihnen ein gesellschaftlich erwünschter Wert persönlich vielleicht nicht so viel bedeutet. Markieren oder notieren Sie zunächst ca. 20 Werte aus dieser Liste, die Ihnen besonders wichtig sind. Sie können dabei „aus dem Bauch heraus“ urteilen und/ oder eine der folgenden Methoden nutzen: ▸ Reflektieren Sie Ihr vergangenes Verhalten. Rufen Sie sich Situationen aus Ihrer (kürzlichen) Vergangenheit ins Gedächtnis, in denen Sie besonders unter Druck standen oder eine schwierige Entscheidung treffen mussten: Welche Werte haben Ihr Verhalten in diesen Situa‐ tionen geleitet? Oder erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie stark emotional reagiert haben, z. B. sehr wütend, traurig oder fröhlich waren: Welche Ihrer Werte wurden in diesen Situationen verletzt oder befriedigt? ▸ Machen Sie eine mentale Zeitreise in die Zukunft. Versetzen Sie sich an einen fernen Zeitpunkt in der Zukunft, also in Ihr Zukunfts-Ich in 10, 20, 30 Jahren. Blicken Sie dann zurück. Nach welcher Philosophie werden Sie bis dahin gelebt haben? Wofür werden Sie eingestanden sein? Wozu werden Sie mit Ihren Werten beigetragen haben? ▸ Blicken Sie durch die Augen anderer. Stellen Sie sich vor, ein/ -e gute/ -r Freund/ -in oder ein Mitglied Ihres engeren Familienkreises erzählt anderen davon, was Ihnen wirklich wichtig ist im Leben. Welche Werte würde er/ sie nennen? Gerne können Sie auch eine naheste‐ hende Person direkt ansprechen und um deren Einschätzung bitten, welche Werte Ihnen (von außen betrachtet) wichtig sind. Diese Selbstreflexionsaufgabe ist anspruchsvoll. Vielleicht fallen Ihnen in erster Linie Werte ein, die in letzter Zeit verletzt wurden (diese sind uns in der Regel besonders präsent). Werte, die Sie nicht verteidigen mussten, 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 187 <?page no="188"?> sondern die für Sie „selbstverständlich“ sind, haben Sie vielleicht weniger auf dem Schirm. Wenn Sie z. B. kürzlich angelogen wurden, stufen Sie den Wert Ehrlichkeit vielleicht höher ein, als wenn Sie schon lange nicht mehr angelogen wurden. Versuchen Sie, Ihren Blick zu weiten und auch Werten auf die Spur zu kommen, die Ihnen im Moment vielleicht nicht so präsent sind. Vielleicht gibt es auch Werte, die Sie in der vorangehenden Liste vermissen, oder aber Ihre Werte unterscheiden sich stark je nach Studium/ Beruf und Privatleben. Aufgabe Nachdem Sie sich einen Überblick verschafft und eine erste Auswahl getroffen haben, entscheiden Sie nun, welche drei Werte Ihnen aktuell am wichtigsten in Ihrem Leben sind. Sie können dabei auch zwischen Studium/ Beruf und Privatleben unterscheiden, wenn das leichter für Sie ist. Notieren Sie Ihre Werte (z. B. auf einem Haftnotizzettel) und platzieren Sie sie an einem gut sichtbaren Ort. Prüfen Sie in den nächsten Tagen, ob sich dieser Wertekanon für Sie richtig anfühlt oder ob Sie lieber noch eine Anpassung vornehmen möchten. Meine Visionen Als nächstes geht es um Ihre aktuelle/ -n persönliche/ -n Vision/ -en. Versuchen Sie diese anhand folgender Fragen zu ergründen: ▸ Was möchten Sie einmal haben, tun oder erreichen? ▸ Wer wollen Sie sein? ▸ Wie und wo wollen Sie leben? ▸ Was ist Ihr „Herzenswunsch“? ▸ Möchten Sie für etwas berühmt werden und wenn ja, für was? ▸ Worauf möchten Sie am Ende Ihres Lebens zurückblicken können? ▸ Was würden Sie bereuen, nicht versucht oder geschafft zu haben? ▸ Was möchten Sie hinterlassen, wenn Sie einmal nicht mehr sind? Unterscheiden Sie auch hier gerne wieder zwischen Studium/ Beruf und Privatleben (genauer: soziale Beziehungen, Körper/ Gesundheit, Geist/ Per‐ sönlichkeitsentwicklung). Sie können die Gelegenheit auch nutzen, um Ihre Prioritäten zu überdenken. Gibt es einen Lebensbereich, dem Sie aktuell den 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 188 <?page no="189"?> Vorzug geben? Opfern Sie beispielsweise im Moment private Wünsche für Ihr Studium oder umgekehrt? Ist das in Ihrem Sinne oder sehen Sie hier Handlungsbedarf ? Aufgabe Was ist Ihre Vision (es können auch mehrere sein)? Wie würden Sie diese in Worte fassen? Vielleicht finden Sie auch einen passenden Slogan, ein Zitat, einen Song, ein Bild? Notieren oder visualisieren Sie Ihre Vision (z. B. auf einem Haftnotiz‐ zettel) und platzieren Sie sie an einem gut sichtbaren Ort. Prüfen Sie in den nächsten Tagen, ob sich diese Vision für Sie richtig anfühlt oder ob Sie lieber noch eine Anpassung vornehmen möchten. Meine Ziele Nun geht es um Ihre Ziele: Was wollen Sie in nächster Zeit konkret erreichen, womit möchten Sie sich beschäftigen? Damit Ziele handlungswirksam werden, sollten sie möglichst viele der folgenden Kriterien erfüllen: ▸ Attraktiv: Ihr Ziel sollte für Sie erstrebenswert sein und in Einklang mit Ihren Werten, Visionen und Ihrer Identität stehen. Dazu muss das Ziel nicht unbedingt selbst gesetzt sein, auch von außen vorgegebene Ziele können dieses Kriterium erfüllen. ▸ Konkret: Ihr Ziel sollte möglichst konkret und messbar sein. Spe‐ zifizieren Sie, welchen positiven Endzustand Sie erreichen wollen (Hin-zu-Ziel) und vermeiden Sie Verneinungen. Formulieren Sie Ihr Ziel so, als hätten Sie es bereits erreicht (Konjunktive sind tabu! ). ▸ Lernbezogen: Ihr Ziel sollte sich - wenn möglich - auf etwas beziehen, das Sie lernen wollen (Lernziel) statt auf eine Leistung, die Sie erzielen wollen (Performanzziel). ▸ Herausfordernd, aber machbar: Ihr Ziel sollte anspruchsvoll, aber trotzdem realistisch sein. ▸ Terminiert: Ihr Ziel braucht einen konkreten Zeitrahmen und/ oder eine Frist. Manche dieser Kriterien stehen im Spannungsfeld zueinander. So sind Lern‐ ziele förderlicher für die Zielerreichung als Performanzziele, gleichzeitig 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 189 <?page no="190"?> aber oft weniger konkret und messbar. Hier gilt es, einen guten Mittelweg zu finden. Es ist zudem etwas Anderes, darauf fixiert zu sein, überall Einsen zu schreiben, als die Note als Messinstrument des Lernerfolgs anzusehen. Und: Machen Sie in Ihren Zielen nur sich selbst (niemand anderen! ) verantwort‐ lich für die Zielerreichung. Ein Beispiel: Sie möchten gerne eine gute Hausarbeit schreiben. „Ich gebe die Hausarbeit am 31.3. ab und bekomme dafür eine 1,0.“ ist ein Performanzziel und das Ergebnis (die Benotung) liegt nicht zu 100 % in Ihrer Hand. Ein Lernziel, dessen Erreichung stärker in Ihrer Hand liegt, könnte lauten: „Ich gebe am 31.3. eine Hausarbeit ab, mit der ich zeige, dass ich das Thema verstanden habe und wissenschaftlich schreiben kann.“ Hier finden Sie weitere Beispiele für hilfreiche Zielformulierungen: ▸ Statt: Ich hätte gerne eine bessere Allgemeinbildung. >> Bis Ende des Jahres bin ich besser über das aktuelle Weltgeschehen informiert, indem ich ab sofort täglich mindestens 15 Minuten online Nachrichten auf www.xy.de lese. ▸ Statt: Ich sollte mich mehr um meine Partnerschaft kümmern. >> Jeden Mittwochabend ab 18.00 Uhr koche ich zusammen mit meinem/ -r Partner/ -in ein neues, ausgefallenes Gericht. ▸ Statt: Ich sollte mich nicht mehr so ungesund ernähren. >> Ab sofort esse ich vier Wochen lang mindestens einmal am Tag Gemüse. Aufgabe Welche Ziele verfolgen Sie aktuell? Orientieren Sie sich beim Formulieren Ihrer Ziele an nachstehender Ta‐ belle. Unterscheiden Sie langfristige (ein Jahr oder länger), mittelfristige (laufendes Semester) und kurzfristige (Tage, Wochen) Ziele, sowie Ziele für die verschiedenen Lebensbereiche (Studium/ Beruf, soziale Beziehungen, Körper/ Gesundheit, Geist/ Persönlichkeitsentwicklung). Beziehen Sie auch Ziele mit ein, die Ihnen von außen (z. B. durch den Studienplan) vorgegeben sind. Sie müssen nicht jede Zelle mit Inhalt füllen und können sich zunächst auch nur auf die Ziele konzentrieren, die für Sie aktuell besonders wichtig sind (z. B. die kurz- und mittelfristigen Ziele im Bereich Studium/ Beruf). Nehmen Sie hier gerne schon eine inhaltliche und zeitliche Priorisierung vor: Setzen Sie sich nur so viele Ziele, wie Sie auch realistischerweise verfolgen können! Und überprüfen Sie Ihre Ziele darauf, inwiefern sie sich 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 190 <?page no="191"?> aus Ihren zuvor formulierten Werten und Visionen ableiten bzw. mit diesen in Einklang stehen. Meine Ziele: Langfristig: ein Jahr oder länger Mittelfristig: laufendes Se‐ mester Kurzfristig: Tage, Wochen Studium/ Beruf Soziale Beziehungen Körper/ Gesundheit Geist/ Persönlich‐ keitsentwicklung Hier ein Beispiel, wie konkrete Ziele zur Vision „Ich möchte Karriere als Journalist/ -in machen! “ aussehen könnten: Langfristig: ein Jahr oder länger Mittelfristig: laufendes Se‐ mester Kurzfristig: Tage, Wochen Studium/ Beruf Ich schließe den Bachelor in Kom‐ munikations- und Medienwis‐ senschaften ab. … Ich bestehe Modul x und zeige damit, dass ich a, b und c gelernt habe. Ich absolviere ein Praktikum bei Unternehmen z, um erste Berufs‐ erfahrung zu sammeln. … Ich halte am (Datum) eine un‐ terhaltsame und informative Prä‐ sentation in Se‐ minar x. Ich besuche jede Woche die Vorle‐ sung in Modul x und schreibe mit. … 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 191 <?page no="192"?> Meine Motive Wir haben keinen direkten, verbalen Zugang zu unseren impliziten Motiven. Mithilfe folgender Imaginationsübung können Sie jedoch versuchen, Ihre wichtigsten Ziele und den Weg dorthin auch für Ihre impliziten Motive „lesbar“ zu machen und so besser einschätzen zu können, ob Herz (implizite Motive) und Kopf (explizit formulierte Ziele) übereinstimmen. Aufgabe Machen Sie eine mentale Zeitreise in die Zukunft: Versetzen Sie sich gedanklich in Situationen, in denen Sie Ihre wichtigsten Ziele verfolgen (und erreichen) werden. Stellen Sie sich diese Situationen so lebhaft und detailreich wie möglich vor, beziehen Sie alle Sinnesorgane mit ein: Was werden Sie sehen, hören, spüren, riechen, schmecken? Erspüren Sie dann möglichst genau, wie Sie sich in diesen Situationen vermutlich fühlen und wie Sie reagieren werden - und zwar fernab von dem, wie Sie sich gerne nach außen (oder innen) präsentieren. Versuchen Sie Ihr Be‐ finden in diesen zukünftigen Situationen gedanklich vorwegzunehmen. Notieren Sie Ihre Gedanken. Manchmal ist es erforderlich, Dinge zu tun, deren Sinn sich einem vielleicht nicht sofort erschließt oder die einem nicht besonders viel Freude bereiten - das gehört zum Studieren (und Leben) wohl mit dazu. Ein dauerhafter Konflikt zwischen täglichem Handeln und den eigenen expliziten oder im‐ pliziten Motiven kann sich jedoch negativ auf das emotionale Wohlbefinden und die Gesundheit auswirken. Wenn Sie also wiederholt den Eindruck gewinnen, dass das, was Sie täglich tun, nicht mit Ihren eigentlichen Werten und Wünschen übereinstimmt, oder wenn Sie permanent Unbehagen bei der Beschäftigung mit einem bestimmten Projekt empfinden, halten Sie inne und fragen Sie sich, ob Sie (noch) auf dem richtigen Weg sind. Abschließend zu Ihrem Big Picture Belassen Sie es nicht bei dieser einmaligen Klärung Ihres Big Picture, son‐ dern nehmen Sie sich regelmäßig eine kleine Auszeit aus dem Alltagstrubel und besinnen Sie sich darauf, was Ihnen wirklich wichtig ist. Das hilft Ihnen, 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 192 <?page no="193"?> auch schwierige und langwierige Projekte ausdauernd zu verfolgen und Ihre Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig sollten Sie sich eine gewisse Flexibilität bewahren. Bei Ihrem Big Picture, so wie Sie es nun formuliert haben, handelt es sich um eine Momentaufnahme. Es ist möglich, dass Sie in einigen Wochen oder Monaten wieder anders denken oder aber äußere Umstände eine Kursänderung erforderlich machen. Denken Sie beispielsweise daran, wie sehr bestimmte Lebensereignisse (neue/ -r Partner/ -in, Unfall, Wohnortwechsel …) das ei‐ gene Leben auf den Kopf stellen können. Bleiben Sie grundsätzlich offen für alternative Szenarien, in denen Sie ebenfalls glücklich werden können. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Allein schon der Gedanke an eine Kursänderung kann Widerstände in uns auslösen, insbesondere, wenn wir bereits viel in ein Ziel oder Projekt investiert haben oder uns öffentlich (oder auch „nur“ privat) stark daran gebunden haben. So nachvoll‐ ziehbar das auch ist, sollten wir uns dennoch nicht wie die sprichwörtliche Kanonenkugel verhalten, die - einmal abgeschossen - nicht mehr von ihrem Kurs abzubringen ist. Unser Big Picture sollte an sich verändernde Bedingungen angepasst werden können. Dazu brauchen wir ein Mindset, das Abweichungen von den eigenen Prinzipien möglich macht. Denn wenn wir unsere Werte, Visionen und Ziele zur absoluten Maxime übersteigern, schränken wir uns damit möglicherweise mehr ein, als uns lieb ist (siehe auch Schritt 1). 3.3.2 Verstärken Sie sich selbst Nun geht es wieder um Ihr Schweinehundprojekt und wie sich dieses in Ihr Big Picture einpasst. Lesen Sie sich den folgenden Abschnitt zunächst einmal komplett durch und machen Sie sich dabei gerne schon ein paar Notizen. Am Ende des Abschnitts können Sie Ihre Überlegungen anhand einer Aufgabe kompakt zusammenfassen. 1. Finden Sie Gründe in sich Vielleicht fällt es Ihnen leicht, intrinsische Gründe für Ihr Schweinehund‐ projekt zu benennen. Oder aber Sie haben den Eindruck, sich überhaupt nicht aus sich selbst heraus für Ihr Projekt motivieren zu können. Gerade im Studium kann es immer mal wieder Inhalte und Veranstaltungen geben, die trocken oder kompliziert daherkommen und denen man (zumindest auf den ersten Blick) nicht besonders viel Positives abgewinnen kann. Sie können 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 193 <?page no="194"?> in diesem Fall die Augen-zu-und-durch-Strategie anwenden und es einfach hinter sich bringen. Oder aber, Sie machen Ihre Augen auf (statt zu), und finden einen Anknüpfungspunkt zu Ihren Interessen. In Bezug auf Ihr Schweinehundprojekt heißt das: Überlegen Sie, ▸ was Ihr Schweinehundprojekt mit Ihnen zu tun hat. Welchen Ihrer Werte, Visionen oder höheren Ziele bringt Sie dieses Projekt näher? Welchen Nutzen ziehen Sie persönlich daraus? ▸ Lern- oder Schreibprojekte im Studium beispielsweise sind nicht nur Etappenziele auf dem Weg zum Studienabschluss, sondern bieten auch die Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln und bestimmte Schlüsselkompetenzen zu erwerben (z. B. sich schnell in neue Themengebiete einarbeiten, einen Text nach externen Vorgaben gestalten, kritisch-analytisch denken …). ▸ welche Wahlmöglichkeiten Sie bei Ihrem Projekt haben und wie Sie diese ausnutzen können. ▸ Ich habe immer wieder beobachtet (übrigens auch bei mir selbst zu Studienzeiten), dass sich Studierende bei freier Themenwahl oft auf die Referats- oder Hausarbeitsthemen mit dem geringsten Lesestoff stürzen oder bei Abschlussarbeiten lieber bereits vor‐ gegebene Fragestellungen bearbeiten statt sich selbst eine zu überlegen. Dieses Vorgehen ist zweifelsohne ökonomisch und zeiteffizient. Dennoch möchte ich Sie dazu ermutigen, bei Wahl‐ freiheit nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu ent‐ scheiden, sondern sich ein Thema zu suchen, dass Sie persönlich interessiert. Bedenken Sie: Sie werden - insbesondere bei Ihrer Abschlussarbeit - viel Zeit mit diesem Thema verbringen! Suchen Sie sich daher lieber ein Thema, das etwas aufwändiger erscheint, dafür aber Ihren Interessen entspricht, als ein Thema, das viel‐ leicht weniger aufwändig ist, bei dem Sie sich aber „durchquälen“ müssen. Selbiges gilt auch für Projekte außerhalb des Studiums: Wenn Sie mehr Sport machen möchten, probieren Sie an der Uni verschiedene Sportarten aus und finden Sie die Sportart, die Ihnen am meisten Spaß macht. Wenn Sie einen Nebenjob anfangen möchten, dann wählen Sie nicht nur danach aus, wo Sie „am meisten Kohle“ bekommen (außer, das ist Ihr einziges Ziel), sondern schauen Sie auch darauf, ob der Job Ihren Neigungen entspricht. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 194 <?page no="195"?> ▸ wie Sie Ihre Neugier an der Sache wecken können. ▸ Lösen Sie sich bei studiumsbezogenen Aufgaben von den Mate‐ rialien, die Ihnen Ihre Dozierenden zur Verfügung stellen, und recherchieren Sie selbst in der Bibliothek, in Katalogen und Da‐ tenbanken, aber auch im Internet, in populärwissenschaftlichen Zeitschriften usw., was Sie dort zu Ihrem Thema finden. Ob diese Quellen wissenschaftlich 100-prozentig wasserdicht sind, spielt zunächst keine zentrale Rolle. Es geht darum, dass Sie - auf welchem Weg auch immer - einen persönlichen Zugang zum Thema finden. Das Filtern nach wissenschaftlichen Kriterien und die Prüfung auf Zuverlässigkeit der Informationen kommt dann später, wenn es darum geht, die Inhalte wissenschaftlich aufzu‐ bereiten. Wechseln Sie Ihre Bewertungsbrille: Wenn Sie bisher mit der Ganz-schön-langweilig-Brille auf das Thema geschaut haben, probieren Sie jetzt einmal eine andere Sichtweise aus, z. B. indem Sie das Thema auf ein spannendes Detail oder einen vielversprechenden Anknüpfungspunkt screenen. Auch dieser Tipp gilt natürlich gleichermaßen für Projekte außerhalb des Studiums. Manchmal äußern Studierende den Einwand, dass viele Curricula zu um‐ fangreich seien, um sich in jedes Thema „reinzufuchsen“. Eine intensive Beschäftigung mit einem Thema kostet Zeit, keine Frage. Aber auch Leis‐ tungen „einfach nur hinter sich zu bringen“ kann sehr zeitaufwändig sein. Wenn Sie mit den Inhalten tatsächlich nichts anfangen können und sich kaum aus sich selbst heraus motivieren können, wird Ihnen eine Stunde der Beschäftigung mit einem Thema vielleicht wie ein ganzer Tag vorkommen. Gelingt es Ihnen dagegen, der Tätigkeit etwas Positives abzugewinnen, dann geht es eben nicht mehr nur darum, die Sache endlich erledigt zu bekommen, sondern auch darum, die investierte Zeit „sinnvoll“ genutzt zu haben - z. B. weil man etwas dazugelernt hat oder sogar ein wenig Spaß dabei hatte. 2. Finden Sie äußere Anreize Zugegeben, man kann sich nicht zu jeder Aktivität aus eigenem Antrieb heraus motivieren. Die Freude kommt oft erst mit dem Tun (und manchmal auch gar nicht). In solchen Fällen kann es hilfreich sein, zumindest am Anfang ein wenig mit äußeren Anreizen nachzuhelfen. Man macht dadurch etwas Anderes zum eigentlichen Zweck des Handelns und den Vorsatz 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 195 <?page no="196"?> zum Mittel, um diesen attraktiven Zweck zu erreichen. Wenn nicht wegen des Projekts selbst, wofür könnte es sich sonst noch lohnen, den Vorsatz anzupacken? Überlegen Sie, ▸ wie Sie sich für die Beschäftigung mit Ihrem Schweinehundprojekt und für das Erreichen Ihrer (Etappen-) Ziele belohnen können. ▸ Je nach Aufwand, den Sie zur Zielerreichung betreiben müssen, können das kleinere (Kaffeepause, Kinobesuch …) oder größere (Restaurantbesuch, Wellnesswochenende …) Belohnungen sein. Nachfolgend finden Sie einige Anregungen. ▸ wie Sie ein wenig sozialen Druck aufbauen können. ▸ Treffen Sie Vereinbarungen mit anderen, die Sie zum Handeln „zwingen“. Vereinbaren Sie einen Sprechstundentermin mit Ihrem/ -r Dozent/ -in, an dem Sie ihm/ ihr die Gliederung Ihrer Hausarbeit vorstellen. Machen Sie mit einem/ -r Freund/ -in aus, dass Sie regelmäßig „Rapport“ erstatten, wie es mit Ihrem Projekt läuft. Bitten Sie Ihre/ -n Partner/ -in, Sie darauf hinzuweisen, wenn Sie sich nicht an Ihren Plan halten. ▸ wie andere Sie bei Ihrem Projekt unterstützen können. ▸ Werden Sie mit anderen gemeinsam aktiv - verabreden Sie sich, um zusammen an Ihrem Projekt zu arbeiten. Bitten Sie andere darum, Ihnen positive Rückmeldungen zu geben, wenn Sie etwas geschafft haben. Binden Sie Partner/ -in, Freunde/ -innen und Familie in Ihr Projekt ein: Überlegen Sie sich, wie Sie unterstützt werden können, und bitten Sie um diese Unterstützung. Anregungen für Belohnungen Im Folgenden finden Sie einige Beispiele, womit man sich selbst nach getaner Arbeit belohnen kann. Bitte beachten Sie dabei, dass Belohnungen etwas sehr Subjektives sind! Ob und wie stark etwas als belohnend wahr‐ genommen wird, hängt von der individuellen Bewertung und Empfindung ab. Die Größe der Belohnung sollte zudem der Größe des erreichten Ziels entsprechen (kleinere Belohnungen für kleine Ziele, größere Belohnungen für große Ziele). Bei manchen Belohnungen (Nahrungsmittel, Konsum …) ist es besonders wichtig, diese nicht „inflationär“, sondern selten und gezielt einzusetzen und dann ganz bewusst zu genießen. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 196 <?page no="197"?> ▸ Sich entspannen: Augen schließen und tief durchatmen, in der Hän‐ gematte faulenzen, meditieren, Yoga praktizieren, ein Bad nehmen, Thermen-/ Spabesuch, Massage, Wellnessbehandlung, freier Tag (oder auch mehrere) und „einfach mal nichts tun“ … ▸ Unterhaltungs- oder Informationsangebote nutzen: Musik hören, Serien oder Spielfilme anschauen, fernsehen, lesen, Hörbuch hören, mit Handy oder Computer spielen, im Internet surfen … ▸ Sich kreativ oder schöpferisch betätigen: malen, zeichnen, basteln, nähen, stricken, handwerkeln, schreiben, musizieren … ▸ In der Natur aktiv sein: Sport/ Bewegung im Freien, Waldspaziergang, Sonnenauf- oder -untergang beobachten, Picknick am See, Wandern gehen, Zoobesuch … ▸ Sozialkontakte pflegen: Telefonat oder Treffen mit Freunden/ -innen oder Familie, spontanes Feierabendgetränk, gemeinsam grillen, Spiele-/ Cocktailabend, Krimidinner, Tanzen/ Feiern gehen, Freunde/ -innen oder Familienmitglieder besuchen, die weiter weg wohnen … ▸ Besondere Nahrungsmittel genießen: gesundes und ausgefallenes Früh‐ stück/ Brunch/ Abendessen, Kaffee mit extra viel Milchschaum, exoti‐ scher Tee, heiße Schokolade, selbstgemachte Limonade, besonderes Dessert, Lieblingssüßigkeit, Eis (im Sommer), schön Essen gehen, Essen liefern lassen … ▸ Kultur genießen: Museums-, Planetariums-, Ausstellungs-, Kino-, Theater-, Konzertbesuch … ▸ Ausflüge/ Urlaub machen: Städtereise, Wander-/ Strand-/ Wellnessur‐ laub, Backpacking … ▸ Sich etwas Materielles gönnen: Zeitschrift, (Hör-) Buch, Blume/ Pflanze, Kosmetikprodukt, Schmuck, Kleidung, Elektronik … ▸ Etwas Neues lernen: Sprach-/ Koch-/ Barista-/ Tanzkurs, neue/ exotische Sportart ausprobieren, z. B. Stand Up Paddling, Quidditch, Zumba … Gerade bei langfristig angelegten Projekten können externe Belohnungen (oder auch Druck von außen) helfen, das erwünschte Verhalten in Gang zu setzen. Mit ein bisschen Glück ziehen der Spaß und das intrinsische Interesse an der Aktivität dann nach. Wenn Sie z. B. anfangen wollen, zu joggen, wird das die ersten Male möglicherweise recht anstrengend sein und noch nicht besonders viel Spaß machen. Sie bleiben nur deswegen bei der Stange, weil Sie sich mit einer Freundin zum gemeinsamen Laufen verabredet haben, und weil Sie sich danach immer mit dem Gucken Ihrer 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 197 <?page no="198"?> Lieblingsserie belohnen. Mit der Zeit fällt Ihnen das Joggen jedoch deutlich leichter, Sie spüren, dass es Ihnen guttut und sind jedes Mal mächtig stolz, wenn Sie es wieder durchgezogen haben. Die Anreize für das Joggen haben sich von außen nach innen verlagert. Eine echte Gewohnheit haben Sie dann etabliert, wenn Ihr Gehirn beginnt, den Endorphinrausch, den das Joggen auslöst, vorherzusehen, und danach verlangt. Konzentrieren Sie sich bei all diesen Überlegungen nicht nur auf das konkrete Projektziel, das Sie damit erreichen wollen, sondern überlegen Sie auch, wie das Umsetzen Ihres Vorsatzes evtl. auch positiv auf andere Bereiche ausstrahlen wird, die Ihnen wichtig sind. Vielleicht bringt Ihr Schweinehundprojekt Sie sogar mehreren Ihrer Ziele näher? Durch Joggen z. B. kann man die eigene Gesundheit fördern und Stress abbauen, die Fitness erhöhen, das Wohlbefinden steigern, Gewicht reduzieren, den Schlaf verbessern, Sozialkontakte pflegen, die Natur genießen, den Eltern (die sich um die Gesundheit ihres Kindes sorgen) eine Freude machen … Aufgabe Fassen Sie Ihre Überlegungen zu den inneren und/ oder äußeren Gründen für Ihr Schweinehundprojekt nun anhand der folgenden beiden Fragen kompakt zusammen. Notieren Sie die Punkte auf einer Karte gemäß dem nachstehenden Muster („Meine Motivationskarte“). Welchen Nutzen wird es für Sie haben, wenn Sie Ihren Vorsatz umsetzen? Welche Vorteile und positiven Folgen erwarten Sie? Was werden Sie gewinnen? Sie können sowohl extrinsische Anreize (ECTS-Punkte, Lob …) als auch intrinsische Anreize (Spaß, persönliches Wachstum …) nennen. Unterscheiden Sie zwischen kurzfristigem (heute, diese Woche) und längerfristigem (wenn das Ziel erreicht ist) Nutzen. Listen Sie die Punkte nicht nur sachlich und analytisch auf, sondern holen Sie sie ganz nah heran (insbesondere den längerfristigen Nutzen): Stellen Sie sich vor, wie gut Sie sich fühlen werden, wie positiv Sie über sich denken werden, wie stolz andere sein werden, wie wohltuend und befriedigend es sein wird, wenn Sie Ihren Vorsatz realisiert haben. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 198 <?page no="199"?> Welche Kosten wird es für Sie geben, wenn Sie Ihren Vorsatz nicht um‐ setzen? Welche Nachteile und negativen Folgen erwarten Sie? Was werden Sie verlieren? Auch hier können Sie sich sowohl auf extrinsische als auch intrinsische Aspekte beziehen. Unterscheiden Sie zwischen kurz- und längerfristigen Kosten. Holen Sie die Kosten (insbesondere die längerfristigen) ganz nah heran: Wie werden Sie sich fühlen, was werden Sie über sich denken, wie werden andere reagieren, wie lästig und unbefriedigend wird es sein, wenn Ihr Schweinehund wieder stärker war und Sie Ihren Vorsatz nicht realisiert haben. Nutzen, wenn ich den Vorsatz um‐ setze Kosten, wenn ich den Vorsatz nicht umsetze kurzfristig langfristig kurzfristig langfristig Hinweis: Falls Sie Ihr Projekt bisher aus Angst vor Misserfolg oder negativen Konsequenzen aufgeschoben haben, dann konzentrieren Sie sich bei dieser Aufgabe darauf, welche Vorteile Sie - unabhängig vom konkreten Ergebnis - auf jeden Fall haben werden, wenn Sie das Projekt jetzt umsetzen. Wenn Sie z. B. eine unangenehme Prüfung hinter sich bringen möchten, dann überlegen Sie sich, was Sie auf jeden Fall gewinnen werden, wenn Sie diese Prüfung erledigt haben - unabhängig davon, wie unangenehm sie nun tatsächlich wird. Das kann z. B. sein, dass Sie sich besser fühlen werden, wenn Sie dieses To-Do endlich von Ihrer Liste streichen können, wieder mehr Zeit für andere Dinge haben usw. Ihre Ängste oder negativen Erwartungen können Sie wie in Schritt 1 beschrieben einer Prüfung unterziehen. 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 199 <?page no="200"?> Ein Beispiel: Für den Vorsatz „Ich möchte meine Englisch-Konversa‐ tionsfähigkeiten verbessern“ könnte die Motivationskarte z. B. so aus‐ sehen: Nutzen, wenn ich Vorsatz umsetze Kosten, wenn ich Vorsatz nicht umsetze kurzfristig langfristig kurzfristig langfristig • Spaß • Lernausdauer steigern • … • Bessere Karrierechancen • Im Urlaub in der Landessprache kommunizieren • … • Schlechtes Gewissen • Schwierigkeiten, mich auf Englisch zu unterhalten • … • Kann mich auf bestimmte Jobs gar nicht erst bewerben • Verstehe wichtige englische Vorträge, Reden, Anfragen etc. nicht • … Meine Motivationskarte Im besten Fall haben Sie nun eine Menge Gründe gefunden, die für eine sofortige Umsetzung Ihres Schweinehundprojekts sprechen. Sie haben er‐ kannt, dass Ihr Vorsatz ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Erfüllung eines höheren Ziels (oder sogar mehrerer) ist - ob nun als Zweck oder Mittel zum Zweck. Das erklärt auch das schlechte Gewissen, dass Sie möglicherweise beim Aufschieben des Projekts in der Vergangenheit hatten. Sie können der ewigen Schleife aus Dissonanzgefühlen und anschließender Selbstrechtfertigung entgehen, indem Sie das Projekt jetzt endlich anpacken und durchziehen. Wie Sie sehen, gibt es dafür gute Gründe! Vielleicht haben Ihre Überlegungen auch zu dem Ergebnis geführt, dass es für Sie eigentlich keine überzeugenden Argumente gibt, diesen Vorsatz (jetzt) in die Tat umzusetzen. Oder Sie haben die gut begründete Erwartung, dass Ihr Projekt (zum aktuellen Zeitpunkt) nicht realistisch umsetzbar ist oder schwerwiegende Nachteile mit sich bringen wird. Fragen Sie sich in diesem Fall, ob es nicht besser wäre, den Vorsatz (zumindest vorerst) auf Eis zu legen. Vorsätze, die wir von Woche zu Woche und Monat zu Monat vor uns herschieben, kosten uns Zeit und Energie. Machen Sie sich frei von zu viel Ballast à la „sollte, müsste, würde gerne“. Das, was geht und was sich 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 200 <?page no="201"?> richtig anfühlt, packen Sie jetzt an. Das, was nicht geht und womit Sie sich nicht wohl fühlen, nehmen Sie sich jetzt vom Schirm. Das muss ja nicht bedeuten, dass Sie den Vorsatz für immer aufgeben. Vielleicht passt eine geplante Umsetzung zu einem späteren Zeitpunkt wieder besser. 3.3.3 Treffen Sie eine Entscheidung Bevor Sie gleich „den Rubikon überschreiten“, brauchen Sie noch ein konkretes Ziel für Ihr Projekt - ein Ziel, das realistisch und nicht utopisch ist. Nehmen Sie daher schon jetzt etwaige Hindernisse in den Blick (z. B. zeitliche Engpässe) und berücksichtigen Sie diese bei der Formulierung Ihres Ziels (z. B. indem Sie sich so viel Zeit für Ihr Projekt geben, wie Sie erübrigen können). Sie können Ihr Ziel später ggf. noch anpassen, jetzt aber sollten Sie den Grundstein legen. Aufgabe Formulieren Sie ein Ziel für Ihr Schweinehundprojekt: Bis wann oder in welchem Zeitraum werden Sie was erreicht oder getan haben? Ihr Ziel ist umso hilfreicher, je mehr der folgenden Kriterien es erfüllt: ▸ attraktiv ▸ konkret ▸ lernbezogen ▸ herausfordernd, aber machbar ▸ terminiert Notieren Sie Ihr Ziel und legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehund‐ mappe. Bis hierhin waren alle Überlegungen bloß kalte Theorie. Damit Ihr Ziel seine Wirkung auch wirklich entfalten kann, müssen Sie ihm die Chance dazu geben. Stellen Sie sich mit ganzem Herzen hinter Ihr Projekt und geben Sie ihm höchste Priorität, committen Sie sich! Sie sind die Person, die dieses Projekt Realität werden lässt. Machen Sie es zu einem Teil Ihres Lebens. Wenn Sie sich auf diese Weise an Ihr Ziel binden, wird sich Ihnen die lästige Frage „Soll ich oder soll ich nicht? “ zukünftig gar nicht mehr stellen. 3.3 Schritt 2: Geben Sie Ihrem Handeln eine Richtung 201 <?page no="202"?> Aufgabe Entscheiden Sie sich ganz bewusst dafür, Ihr Projekt jetzt anzupacken. Vervollständigen Sie dazu folgenden Satz: JA, ich packe dieses Projekt jetzt ernsthaft und entschlossen an, weil … Notieren Sie Ihre Gedanken und legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schwei‐ nehundmappe. Aufgabe Nur das, was in irgendeiner Form fixiert wurde, beansprucht verbindli‐ chen Charakter und bleibt in Erinnerung. Sie haben die Aufgaben in Schritt 2 bereits schriftlich bearbeitet und in Ihrer Mappe verstaut. Holen Sie nun noch einmal alle Notizen heraus und überlegen Sie sich, wie Sie Ihre wichtigsten Werte, Visionen und Ziele plus Schweinehundprojekt so verschriftlichen oder visualisieren und prominent platzieren können, dass sie Ihnen regelmäßig in Erinnerung gerufen werden. Bei der Gestaltung (sachlich, schlicht, bunt, kreativ …) sind Sie völlig frei. Der „Klassiker“ ist das sog. Visionboard (vgl. Burton & Lent, 2016; Waalkes et al., 2019). Dabei verwenden Sie einen großen Karton, eine Pinn- oder Magnetwand, und erstellen darauf eine Collage aus beschrif‐ teten Zetteln, Postkarten, Fotos, Comics, Bildern, Zeitungsschnipseln oder ähnlichem. Alternativ können Sie z.B. ▸ alles kompakt auf einen Zettel schreiben und diesen auf der Pinn‐ wand über Ihrem Schreibtisch befestigen, ▸ Haftnotizen verwenden, die Sie an verschiedenen Orten in Ihrer Wohnung platzieren oder ▸ digitale Tools wie Apps oder den Bildschirmhintergrund Ihres Note‐ books nutzen. Wichtig ist, dass diese schriftliche oder bildliche Fixierung für Sie ansprechend gestaltet ist und sowohl Ihr Big Picture als auch Ihr konkretes Schweinehundprojekt (inkl. Ziel) enthält. So verlieren Sie auch im größten Alltagstrubel nicht aus den Augen, was Ihnen wirklich wichtig ist. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 202 <?page no="203"?> Auf den Punkt ▸ Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihr Big Picture, also Ihre Werte, Visionen und Ziele, und aktualisieren Sie dieses regelmäßig. ▸ Stellen Sie einen Bezug zwischen Big Picture und Schweinehund‐ projekt her, finden Sie äußere oder - noch besser - innere Anreize für Ihr Projekt. ▸ Sollten Sie keine guten Gründe für die Umsetzung Ihres Projekts gefunden haben, dann legen Sie es auf Eis. In allen anderen Fällen stellen Sie sich jetzt mit ganzem Herzen und Verstand hinter Ihr Projekt. ▸ Am Ende von Schritt 2 blicken Sie auf Ihr persönliches Visionboard, mit dem Sie Ihrem Handeln eine Richtung geben. 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv Sie wissen nun, in welche Richtung es für Sie gehen soll. Sie haben ein klares Ziel für Ihr Schweinehundprojekt und kennen Ihr Warum und Wozu. Als nächstes brauchen Sie einen guten Plan, der festlegt, wann, wo und wie Sie aktiv werden. Um diesen Plan erstellen zu können, benötigen Sie zunächst ein paar Informationen. 3.4.1 Informieren Sie sich und seien Sie realistisch Planungsrecherche durchführen Führen Sie eine Planungsrecherche zu Ihrem Schweinehundprojekt durch und finden Sie dabei Antworten auf Fragen wie diese: ▸ Wie setze ich mein Projekt konkret um? Welche Arbeitsschritte und Maßnahmen bringen mich ans Ziel? Was sollte ich dabei beachten? ▸ Welches Wissen und welche Fähigkeiten sind nötig oder hilfreich? Wie kann ich mir diese ggf. aneignen? ▸ Was sind typische Hürden und potenzielle Risiken? Wie kann ich mich hierfür wappnen? ▸ Wie mache ich mir den Einstieg leicht? Welche (fundierten) Tipps und Tools gibt es, die mich bei der Umsetzung unterstützen? 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 203 <?page no="204"?> 12 Falls Sie sich mit dem Recherchieren schwertun, können Sie das Schulen Ihrer Informationskompetenz zu Ihrem nächsten Schweinehundprojekt machen. Das wird Ihnen in vielen Bereichen Ihres studentischen, beruflichen oder auch privaten Lebens zugutekommen. Viele Universitäten bieten Schulungen oder Onlinetutorials zur wissenschaftlichen Recherche und Förderung von Informationskompetenz an. Zudem gibt es viele gute Sachbücher und Ratgeber zu diesem Thema. ▸ Wie viel Zeit wird die Umsetzung des Projekts realistischerweise in Anspruch nehmen? In dem Beispiel der Englisch-Konversationsfähigkeiten aus Kapitel 3.3.2 könnten konkrete Recherchefragen lauten, wie man nach aktuellem lern‐ theoretischen Stand beim Aneignen einer Fremdsprache sinnvollerweise vorgeht, was dabei die größten Herausforderungen sind, welche hilfreichen Methoden, Materialien und Tools (Apps, Videos …) es gibt, welche Unterstüt‐ zung die eigene Uni anbietet (Workshops, Sprachkurse, Sprachtandems …) etc. Nutzen Sie für die Recherche die vielfältigen seriösen Informationsquellen, die Ihnen als Studierendem/ -r einer deutschen Hochschule zur Verfügung stehen, unter anderem: ▸ Lehr-, Hand-, Sach-, Praxisbücher, die Sie in der Universitätsbiblio‐ thek einsehen, über Kataloge bestellen oder als E-Book herunterladen können ▸ (Fach-) Wissenschaftliche Beiträge, die Sie in Datenbanken finden können ▸ Wissenschaftlich seriöse Webseiten ▸ Erfahrungsberichte in einschlägigen Foren ▸ Wissenschaftlich seriöse Fernsehdokumentationen und -reportagen, TED Talks, Podcasts ▸ Informationsveranstaltungen, Seminare, Vorträge ▸ Experten/ -inneninterviews (d. h. Menschen befragen, die sich mit dem Thema auskennen, weil sie in dem Bereich arbeiten, forschen, lehren, beraten …) Achten Sie - ähnlich wie bei einer wissenschaftlichen Literaturrecherche - auf die Qualität und Zuverlässigkeit der gefundenen Informationen. 12 Die Recherche erleichtert Ihnen nicht nur die Planung, sondern nimmt auch Ihrem Schweinehund die Munition. Das vermeintliche „Mammutprojekt“ 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 204 <?page no="205"?> wird greifbar und konkret. In meinen Seminaren hat die Planungsrecherche bei vielen Studierenden einen zusätzlichen Motivationsschub bewirkt: Man sieht, dass diese Art von Projekt auch andere vor Herausforderungen stellt, man also nicht alleine ist, und von den Erfahrungen anderer profitieren kann. Zudem fördert die Recherche oft weitere, bisher nicht bedachte Argumente für die Umsetzung des Projekts zutage. Spezialfall Prüfungsleistung Falls es sich bei Ihrem Schweinehundprojekt um eine Prüfungsleistung handelt, dann sollte Ihre Recherche sowohl eine Klärung der externen Anforderungen als auch eine persönliche Standortbestimmung beinhalten. Über die Anforderungen können Sie sich in der Regel anhand folgender Quellen informieren: ▸ Prüfungsordnung, Modulhandbuch, Vorlesungsverzeichnis, Seminar‐ unterlagen, Richtlinien, Leitfäden ▸ Was genau und wie umfangreich ist der Prüfungsstoff ? Um welche Art von Prüfung handelt es sich? Welche Vorausset‐ zungen und Fristen sind einzuhalten? Wie lauten die Bewertungs‐ kriterien? etc. ▸ Dozierende, Fachstudienberater/ -innen, Kommilitonen/ -innen hö‐ herer Fachsemester ▸ Worauf wird bei der Prüfung besonders geachtet? Wie viel Zeit veranschlagen andere für bestimmte Themen/ Tätigkeiten? etc. ▸ einschlägige Literatur (Sachbücher, Ratgeber …) ▸ Wie unterscheiden sich die verschiedenen Prüfungsformen von‐ einander und wie meistert man diese am besten? Worauf sollte bei der Vorbereitung ein besonderes Augenmerk gelegt werden? etc. Um Ihren persönlichen Standort zu bestimmen, können Sie ▸ prüfen, welche/ wie viel Vorerfahrung Sie bereits mitbringen, um die Anforderungen zu meistern. ▸ Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen werden Ihnen bei der Vorbereitung und Absolvierung der Prüfung hilfreich sein? Was fehlt Ihnen vielleicht noch? etc. 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 205 <?page no="206"?> ▸ ähnliche Situationen aus der Vergangenheit Revue passieren lassen. ▸ Wie lange haben Sie damals gebraucht? Was war besonders leicht oder schwer? Was hat Ihnen am meisten geholfen? etc. ▸ nahestehende Personen befragen. ▸ Wo sehen diese Ihre Stärken und Schwächen in Bezug auf die je‐ weilige Prüfung? Mit welchen Hindernissen, aber auch Chancen rechnen diese, welche Ideen haben sie bezüglich hilfreicher Stra‐ tegien? etc. Aufgabe Führen Sie jetzt die Planungsrecherche zu Ihrem Projekt durch. Nutzen Sie dazu die genannten Informationsquellen und achten Sie auf die Seriosität der gefundenen Informationen. Damit Ihre Recherche nicht zur nächsten Ausrede wird, den Start in Ihr Projekt weiter zu ver‐ schieben, setzen Sie sich ein verbindliches Zeitlimit (z. B. einen halben Tag). Notieren Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Recherche inkl. Quellen‐ angabe und legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. Rechercheergebnisse verwerten Die Recherche liefert das Material, das Sie für die nachfolgenden Planungs‐ schritte benötigen. Der Abgleich zwischen Anforderungen und Fähigkeiten ermöglicht Ihnen eine realistischere Zeitplanung und gibt Ihnen Anhalts‐ punkte, wie Sie sich selbst bei der Zielerreichung unterstützen können. Sollten Sie z. B. feststellen, dass Ihnen noch wichtige Fähigkeiten oder Infor‐ mationen fehlen, dann können Sie jetzt Maßnahmen in die Wege leiten, um sich diese anzueignen, z. B. indem Sie einen guten Studienratgeber lesen, ein Tutorial bearbeiten, sich beraten lassen, einen Schlüsselqualifikationskurs besuchen usw. - oder aber Sie passen Ihr in Schritt 2 formuliertes Ziel noch einmal ein wenig an oder schalten ein (leichter zu erreichendes) Subziel vor. Bevor Sie z. B. einen öffentlichen Podcastkanal bespielen, nehmen Sie zunächst einmal kleinere Podcasts für Freunde/ -innen oder Kommilitonen/ -innen auf. Bevor Sie die Bachelorarbeit schreiben, üben Sie sich zunächst an einer kleineren wissenschaftlichen Abhandlung. Bevor Sie einen Marathon laufen, nehmen Sie sich zunächst den Halbmarathon vor (oder eine Runde um den Block). 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 206 <?page no="207"?> 3.4.2 Gehen Sie kleinschrittig vor Beim sog. Prinzip der kleinen Schritte (Fachbegriff: Aufgabensegmen‐ tierung) wird das geplante Projekt in Teilaufgaben mit Etappenzielen, und diese wiederum in viele kompakte Arbeitspakete heruntergebrochen. In der Selbstmanagementliteratur findet man in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Salamitaktik“: Das Projekt entspricht einer Salami, die in kleine Scheiben geschnitten wird. Dieses Prinzip lässt sich in der Regel sehr gut auf alle größeren Aufgaben oder Ziele innerhalb oder auch außerhalb Ihres Studiums übertragen. Statt des furchteinflößenden Riesenziels (Bachelorabschluss, Marathonlauf …) bearbeiten Sie überschaubare kleine Arbeitseinheiten (Vorlesung x vorbe‐ reiten, Laufschuhe besorgen …), vielleicht auch einmal nur von wenigen Minuten Dauer. So können Sie vermeintliche Mammutprojekte in gut zu bewältigende Häppchen unterteilen. Allerdings ist es gerade bei umfangreichen Projekten wie beispielsweise einer Abschlussarbeit utopisch, im Vorfeld alle Aktionsschritte bis ins kleinste Detail planen zu können. So gut Sie auch recherchieren, es werden sich nicht alle To-Dos vorhersehen lassen. Solche Projekte sind dynamisch, vielleicht fällt spontan ein Arbeitsschritt weg und ein anderer kommt hinzu. Auch die Dauer der einzelnen Arbeitsschritte lässt sich im Vorfeld nur überschlagen und wird später angepasst. Es kann zudem vorkommen, dass man durch zu kleinteiliges Zerlegen der Arbeitsschritte zu viel Zeit mit Planen verbringt oder sogar komplett in der Planung stecken bleibt. Aufgaben, die fünf Minuten oder kürzer dauern, sollten lieber sofort erledigt werden als auf einer To-Do-Liste zu landen. Konzentrieren Sie sich daher in der Planungsphase nicht zu sehr auf Details (die einzelnen Arbeitsschritte), sondern auf die übergeordneten Teilaufgaben und deren (geschätzte) Dauer. Denken Sie daran, dass der Zeiteinsatz für bestimmte Aufgaben in der Regel eher unterals überschätzt wird. Planen Sie also eher mehr Zeit und ausreichend Puffer ein. So kommen Sie nicht in Bedrängnis, wenn bestimmte Aufgaben doch länger dauern als erwartet oder etwas Unvorhergesehenes passiert. Geheimrezept „kleine Schritte“ Das Prinzip der kleinen Schritte kann als sehr wirksame Methode bei der Überwindung des inneren Schweinehunds gelten, da es an fast allen in Kapitel 2 besprochenen „Stellschrauben“ ansetzt: 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 207 <?page no="208"?> 13 Das hier genannte Beispiel „Schreiben einer Hausarbeit“ dient lediglich der Veranschau‐ lichung. Die Teilaufgaben und Zeitintervalle sind willkürlich gewählt und müssen für jedes (Schreib-) Projekt individuell festgesetzt werden. ▸ Kleine Aufgaben sind meist weniger anstrengend als große und dadurch auch nur mäßig unangenehm. Man braucht keine allzu große Willenskraft, um sie zu erledigen. ▸ Tatsächliche oder wahrgenommene Überforderung wird ver‐ mieden, man kann gut zwischen Unter- und Überforderung navi‐ gieren (Flow! ). ▸ Man hat schnell kleine Erfolgserlebnisse, erhält somit kurzfristige (statt nur weit in der Zukunft liegende) Belohnungen. ▸ Man kann beobachten, wie man sich langsam dem Ziel nähert. Da‐ durch wachsen Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstvertrauen, und die Zuversicht, es schaffen zu können. Versagensgefühle werden reduziert. ▸ Im Gehirn wird ein Trampelpfad, eine neue Routine angelegt - Schritt für Schritt. ▸ Wenn man einmal angefangen hat, macht man häufig mehr als geplant. Die Freude am Tun kommt mit dem Tun. Ich stelle Ihnen nun zwei Methoden der kleinschrittigen Planung vor, eine für Einmalaktionen und eine für den Aufbau einer neuen Gewohnheit. Die beiden Methoden werden zunächst in der Theorie beschrieben, danach wenden Sie sie dann auf Ihr konkretes Projekt an. Einmalaktionen planen 1. Projekt in Teilaufgaben zerlegen Brechen Sie Ihr Projekt in abgrenzbare Teilaufgaben herunter. Nehmen wir als Beispiel das Schreiben einer Hausarbeit, das Sie z. B. in folgende Teilaufgaben zerlegen könnten: 13 ▸ Literatur recherchieren ▸ Literatur lesen ▸ Rohfassung erstellen ▸ Feedback einholen und einarbeiten ▸ Text überarbeiten 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 208 <?page no="209"?> ▸ Dokument layouten und formatieren ▸ Druckexemplar erstellen und zum Prüfungsamt bringen 2. Teilaufgaben in Arbeitsschritte zerlegen und Dauer schätzen Überlegen Sie sich (grob! ), welche Arbeitsschritte die einzelnen Teilauf‐ gaben beinhalten und schätzen Sie dann die Dauer der Teilaufgaben in Stunden oder Arbeitstagen. Planen Sie ausreichend Puffer für Unvorherge‐ sehenes ein. Hans-Werner Rückert, Psychologe und Experte zum Thema Aufschieben, empfiehlt sogar, den veranschlagten Zeitaufwand zu verdop‐ peln, d. h. 50 % Pufferzeit miteinzuplanen (Rückert, 2014). Im Beispiel der Hausarbeit könnte die Teilaufgabe Literatur recherchieren folgende Arbeitsschritte enthalten: ▸ Recherche im Präsenzbestand der Universitätsbibliothek ▸ Onlinerecherche über Kataloge und Datenbanken ▸ Literaturauswahl und -beschaffung Sie schätzen, dass Sie für diese Arbeitsschritte insgesamt etwa zwei ganze Tage brauchen werden. Da Sie sich recht unsicher bei dieser Schätzung sind, planen Sie einen Puffer von einem zusätzlichen Tag ein. Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, hier schon in die Detailplanung zu gehen. Ziel dieses Schritts ist eine grobe Schätzung, wie viel Zeit Sie in etwa für die einzelnen Teilaufgaben veranschlagen müssen. Im Beispiel der Hausarbeit könnte das Ergebnis Ihrer Schätzung so aussehen: Teilaufgabe Dauer in Tagen (geschätzt) Literatur recherchieren 3 Literatur lesen 3 Rohfassung erstellen 10 Feedback einholen und einarbeiten 14 Text überarbeiten 5 Dokument layouten und formatieren 1 Druckexemplar erstellen und zum Prüfungsamt bringen 0,5 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 209 <?page no="210"?> 3. Etappenziele formulieren Formulieren Sie zu jeder Teilaufgabe ein Etappenziel (im Projektmanage‐ ment spricht man auch von „Meilensteinen“) und setzen Sie jeweils eine Frist fest. Planen Sie dabei vom Ende her, d. h. beginnend bei der finalen Frist. Wenn die finale Frist von außen vorgegeben ist (z. B. Abgabetermin für die Hausarbeit bei dem/ der Dozent/ -in), sollten Sie sich eine frühere eigene Endfrist setzen. Die Zeit zwischen Ihrer eigenen und der vorgegebenen Frist ist Ihr Puffer. Zur Erstellung Ihres Zeitplans drehen Sie Ihre Liste mit Teil‐ aufgaben um (die letzte Teilaufgabe vor dem Ziel wird zur ersten) und zählen die Dauer der Tage von der jeweils letzten Frist zurück. Hierzu brauchen Sie Ihren Terminkalender, um die Planung Ihres Schweinehundprojekts mit Ihren sonstigen Terminen und Verpflichtungen abzustimmen. Tragen Sie Ziele und Fristen Ihres Projekts in Ihren Kalender ein. Wenn Sie sich unsicher sind, wie lange bestimmte Arbeitsschritte dauern, können Sie auch Einschätzungen von anderen (Dozierenden, Kom‐ militonen/ -innen …) einholen. Allerdings sollten Sie die Zuverlässigkeit der Information prüfen (ein Durchschnittswert aus einer Stichprobe von mehreren Studierenden ist zuverlässiger als die Einschätzung einer einzigen Person) und den genannten Wert nur als Starthilfe sehen. Er sollte - basierend auf Ihren eigenen Erfahrungen - jederzeit nach unten oder oben angepasst werden können. Zurück zum Beispiel der Hausarbeit: Nehmen wir an, die externe Abgabe‐ frist ist der 15.8., Sie planen zwei Wochen Puffer ein und legen sich Ihre eigene Frist für die Abgabe der Hausarbeit auf den 31.7.; Ihre Etappenziele (mit Frist) könnten dann wie folgt aussehen: Etappenziel Frist Druckexemplar erstellt und zum Prüfungsamt gebracht 31.7. Dokument gelayoutet und formatiert 29.7. Text überarbeitet 24.7. Feedback eingeholt und eingearbeitet 1.7. Rohfassung erstellt 15.6. Literatur gelesen 15.5. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 210 <?page no="211"?> Literatur recherchiert 8.5. Starttag 1.5. (Montag) Falls Sie für Ihr Projekt keine externe Frist bekommen haben, sondern sich selbst eine gesetzt haben, können Sie diesen Planungsschritt auch nutzen, um Ihre Frist daraufhin zu prüfen, ob sie realistisch ist oder ggf. noch einmal angepasst werden sollte. 4. Detailplanung Kurz vor dem Starttag planen Sie die erste Teilaufgabe im Detail. Konkreti‐ sieren Sie die Arbeitsschritte und schätzen Sie deren voraussichtliche Dauer. Vergessen Sie bei der Planung nicht, auch für scheinbar banale Aktivitäten Zeit einzuplanen, wie Wegezeiten (Fahrt an die Uni, Finden versteckter Büros …), Organisatorisches (Telefonate mit dem Prüfungsamt, Absprachen mit den Lerngruppenmitgliedern …) oder Routineaufgaben (Kopieren, For‐ matieren …). Möglichst kleine und überschaubare Arbeitspakete können helfen, den Zeitaufwand genauer einzuschätzen. Um sich nicht in der Detailplanung zu verlieren, können Sie sich z. B. ein Zeitlimit von zehn Minuten für die Planung der ersten Teilaufgabe setzen und danach direkt mit dem ersten Arbeitsschritt starten. Im Beispiel der Hausarbeit war die erste Teilaufgabe das Literatur recher‐ chieren mit den drei Arbeitsschritten Recherche im Präsenzbestand, Online‐ recherche und Literaturauswahl bzw. -beschaffung (geschätzte Dauer: drei Tage inkl. Puffer). Unter Berücksichtigung Ihrer sonstigen Verpflichtungen könnte das Ergebnis Ihrer Detailplanung für die erste Arbeitswoche folgen‐ dermaßen aussehen: Datum Arbeitsschritt Montag, 1.5. Recherche im Präsenzbestand Dienstag, 2.5. und Mittwoch, 3.5. Onlinerecherche Donnerstag, 4.5. und Freitag, 5.5. Literaturauswahl und -beschaffung Samstag, 6.5. Puffer Sonntag, 7.5. frei 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 211 <?page no="212"?> 14 Die genannten Zahlen sind willkürlich und können individuell variieren. Planen Sie die zweite Teilaufgabe erst dann im Detail, wenn das erste Etappenziel (hier: Literatur recherchiert) erreicht wurde. Terminkalender nutzen Nutzen Sie unbedingt Ihren Terminkalender für Ihre Planung. Tragen Sie regelmäßig (z. B. vor Beginn der jeweils nächsten Teilaufgabe) die Aktions‐ zeiten für Ihr Schweinehundprojekt in Ihren Kalender ein, wenn möglich mit Tag und Uhrzeit. Um ein günstiges Zeitfenster für Ihr Projekt zu finden, beachten Sie die Rhythmen und Routinen, mit denen Sie üblicherweise Ihren Tag strukturieren. Am besten tragen Sie zunächst alle festen Studiums- und Freizeittermine sowie Ihre laufenden To-Dos in Ihren Kalender ein und blockieren freie Tage (z. B. Sonntag). Prüfen Sie dann, welche Zeitfenster sich gut für das Erledigen Ihres Projekts eignen. Legen Sie Ihr Projekt nicht auf einen Zeitpunkt, an dem Sie für gewöhnlich nicht besonders leistungsfähig sind (z. B. früh morgens oder nach dem Mittagessen) und planen Sie, insbesondere bei längeren Arbeitsphasen, Pausen explizit mit ein. Für Ihre Pausenplanung überlegen Sie zunächst, wie lange Sie für ge‐ wöhnlich am Stück arbeiten und sich konzentrieren können. Das hängt natürlich stark von Ihnen selbst und der geplanten Tätigkeit ab - beim konzentrierten Lernen benötigen Sie vielleicht bereits nach 30 Minuten eine kleine Pause, beim konzentrierten Schreiben sind Sie nach 30 Minuten vielleicht gerade erst „drin“ und brauchen die erste Pause erst nach 60 Minuten. 14 Ihre erste Pause sollte kurz sein, z. B. fünf Minuten. Spätestens nach vier Stunden Arbeit sollten Sie dann jedoch eine längere Pause (z. B. 60 Minuten Mittagspause) einlegen. Um zu vermeiden, dass Sie die Pausen vergessen oder überziehen, empfehle ich Ihnen - zumindest am Anfang - mit einem Timer zu arbeiten. Das Klingeln des Timers soll bedeuten, dass Sie jetzt Pause machen. Wenn Sie gerade „mitten drin“ sind und einen interessanten Gedanken zu Ende denken oder ausformulieren möchten, dann schalten Sie den Timer einfach aus und führen Sie den Gedanken noch zu Ende. Ihre Pausenzeit darf sich dadurch nicht verkürzen, sondern wird einfach nur nach hinten geschoben. Noch wichtiger als für die Begrenzung der Arbeitszeiten ist der Timer für die Begrenzung der Pausenzeiten. Um zu vermeiden, dass Sie überziehen, stellen Sie Ihren Timer auf fünf, zehn 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 212 <?page no="213"?> oder mehr Minuten, je nach Pausenlänge, und nehmen Sie das Klingeln (wie früher in der Schule) als verbindliches Signal, dass es jetzt weitergeht mit Ihrem Projekt. Kleiner Tipp: Nutzen Sie statt des Smartphones (das Sie vom Arbeiten ablenken könnte) lieber einen herkömmlichen Funk- oder Küchenwecker als Timer. Notieren Sie zudem schriftlich, welche Belohnung Sie nach jeder Arbeits‐ einheit und nach Erreichen Ihrer Etappenziele erwartet (das kann auch etwas intrinsisches wie Stolz oder Erleichterung sein), und achten Sie darauf, dass Sie genug Erholungszeiten berücksichtigt haben. Wenn man keinerlei „Luft“ für Erholung und Ausgleich lässt, zwingt man den inneren Schweinehund schon fast, sich den Ausgleich selbst zu holen, indem er die Arbeitszeiten stört. Die Verschriftlichung Ihres Plans hat mehrere Vorteile (siehe auch Schritt 2). Erstens erhöht sie die Verbindlichkeit. Die Arbeit am Schweinehundpro‐ jekt ist genauso „gesetzt“ wie Ihre Lehrveranstaltungen, Arzttermine etc. Zweitens vergisst man nicht so leicht, zu handeln. Drittens reduziert sich der spontane Koordinationsaufwand, den man zur Tagesplanung betreiben muss - Was mache ich heute? Wann mache ich was? All diese Fragen sind bereits geklärt. Zusammengefasst gehören in Ihren Terminplan für die jeweils kommende Woche folgende Einträge: ▸ Allgemein: Feste Studiums- und Freizeittermine, laufende To-Dos, Zeitfenster für Erholung und Ausgleich ▸ Schweinehundprojekt: Aktionszeiten inkl. längere Pausen, Beloh‐ nungen Den Aufbau einer neuen Gewohnheit planen Minigewohnheiten nutzen Wenn es sich bei Ihrem Projekt um den Aufbau einer neuen Gewohnheit handelt, sieht Ihr Vorgehen etwas anders aus. Hier können Sie das Prinzip der kleinen Schritte anhand der sog. Minigewohnheiten (engl. mini habits) umsetzen. Minigewohnheiten sind die kleinstmögliche Version dessen, was Sie gerne tun möchten. Stephen Guise, der ein Buch über Minigewohnheiten geschrieben hat (Guise, 2015), nennt als Beispiel die sog. Ein-Liege‐ stütz-Challenge. Er berichtet, dass er sein persönliches Mammutprojekt, 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 213 <?page no="214"?> das Absolvieren eines halbstündigen Fitnessworkouts, dadurch erreicht hat, dass er mit einem Liegestütz pro Tag angefangen hat. Die zentrale Idee dahinter ist, dass der erste Schritt (hier: ein Liegestütz) so lächerlich klein ist, dass es fast unmöglich ist, ihn nicht zu tun. Das erleichtert den Einstieg. Weitere Beispiele für Minigewohnheiten: ▸ Sie möchten mehr lesen - starten Sie mit zwei Seiten eines Buches vor dem Schlafengehen. ▸ Sie möchten sich fleischlos ernähren - starten Sie mit einem vegetari‐ schen Abendessen oder einem Veggie-Tag pro Woche. ▸ Sie möchten abnehmen - ersetzen Sie das Marmeladenbrot zum Frühstück durch ein Stück zuckerarmes Obst oder Gemüse. ▸ Sie möchten sich mehr bewegen - drehen Sie nach dem Mittagessen eine zehnminütige Runde um den Block oder steigen Sie das nächste Mal eine Busstation vor Ihrem Ziel aus. Leistungssportler/ -innen kennen dieses Prinzip. Um die Gefahr des Über‐ trainings und gesundheitliche Risiken zu reduzieren, nimmt man sich ausreichend Zeit und steigert Trainingsumfang und -intensität nur langsam (vgl. Rütten & Pfeifer, 2016). Dieses Prinzip können Sie auch auf Ihr Projekt übertragen. Fangen Sie ganz klein an und steigern Sie dann langsam Ihr Pensum. Wenn Sie sich zu viel vorgenommen haben, reduzieren Sie das Pensum wieder. Wichtig ist, dass Sie möglichst jeden Tag einen kleinen Schritt machen statt z. B. einmal in der Woche einen großen. So bringen Sie schneller Regelmäßigkeit in Ihr Verhalten. Die Gewohnheit selbst sollten Sie - zumindest zu Beginn - nicht zu stark variieren. Ein Beispiel: Ihre neue Gewohnheit soll es werden, Vorlesungen kontinuier‐ lich vorzubereiten, indem Sie sich anhand des Skripts einen Überblick über den Stoff der jeweiligen Sitzung verschaffen. Ihr Ziel ist es, am Ende des Semesters bei 20 Minuten Vorbereitungszeit pro Vorlesung angekommen zu sein. In diesem Fall könnten Ihre Etappenziele so aussehen: ▸ Woche 1+2: jeden Wochentag nach dem Frühstück einen kurzen Blick in die Skripte der Vorlesungen für diesen Tag geworfen ▸ Woche 3+4: jeden Wochentag nach dem Frühstück fünf Minuten in den Skripten gelesen 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 214 <?page no="215"?> ▸ Woche 5+6: jeden Wochentag nach dem Frühstück zehn Minuten in den Skripten gelesen Ob Sie dann die geplanten Zeiten in genau dieser Form einhalten, ist nicht so entscheidend. Es geht um die zentrale Idee, sich selbst durch kleine Schritte und eine langsame Steigerung des Pensums das Anfangen und Dranbleiben zu erleichtern. Gerade beim Aufbau neuer Gewohnheiten brauchen Sie Geduld. Aber nach zwei bis drei Monaten wird sich ein Gefühl der Automatizität und Leichtigkeit einstellen und die neue Gewohnheit zu einem festen Bestandteil Ihres Lebens geworden sein. Wenn Sie komplexere Verhaltensänderungen planen, sollten Sie sich zu‐ nächst nicht nur vom zeitlichen Umfang her wenig vornehmen, sondern auch mit nur einer konkreten neuen Verhaltensweise/ Routine starten, z.B.: ▸ Um einen effizienteren Lern- und Arbeitsstil zu entwickeln, können Sie damit beginnen, jeden Abend einen Lernplan für den nächsten Tag zu erstellen oder sich jeden Freitag eine Stunde Zeit für Recherchearbeiten zu nehmen. ▸ Um mehr Ordnung in Ihr Leben zu bringen, können Sie damit anfangen, jeden Abend die Decke auf der Couch zusammenzufalten oder Ihr Geschirr sofort nach Gebrauch in die Spülmaschine zu stellen oder abzuspülen. ▸ Um sich einen umweltbewussteren Lebensstil anzueignen, können Sie sich zunächst vornehmen, weniger Verpackungsmüll zu produzieren oder konsequent alle Elektrogeräte auszuschalten, die Sie gerade nicht brauchen. Fokussieren Sie zunächst nur auf diese eine Verhaltensweise und pflegen Sie sie wie ein junges Pflänzchen. Erst, wenn Ihr Pflänzchen Wurzeln geschlagen hat und Sie die neue Routine weitgehend automatisch ausführen, wenden Sie sich der nächsten Verhaltensweise zu. Ist die geplante Routine selbst eher komplex (z. B. Lernen), achten Sie darauf, zumindest die ersten Handlungsschritte der Routine zu ritualisieren (z. B. an den Schreibtisch setzen und PC hochfahren). Gewohnheitsschleifen generieren Um eine neue Gewohnheit aufzubauen, benötigen Sie neben der eigentlichen Routine auch noch einen Auslösereiz und eine Belohnung. Diese drei Kom‐ 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 215 <?page no="216"?> ponenten koppeln Sie beim Gewohnheitsaufbau konsequent und wiederholt aneinander, sodass eine neue Gewohnheitsschleife entstehen kann. Da im Studium häufig eine feste Tages- oder Wochenstruktur fehlt, stellt das Finden eines geeigneten Auslösereizes für Studierende erfahrungsgemäß eine besondere Herausforderung dar. Die neue Routine sollte wiederholt in einem regelmäßig (am besten täglich) wiederkehrenden Kontext (zeitlich, örtlich, sozial …) ausgeführt werden. Um einen solchen Kontext identifi‐ zieren zu können, lösen Sie sich am besten von festen Uhrzeiten und überlegen Sie, welche regelmäßig auftretenden Ereignisse oder Abläufe es bereits in Ihrem Leben gibt, an die Sie Ihre neue Routine koppeln könnten (morgens aufstehen, abends nach Hause kommen, feste Mahlzeiten, Zähneputzen …). Alternativ können Sie zunächst auch mit Hinweisreizen (Laufschuhe direkt neben dem Bett, Lernplan mitten auf dem Schreibtisch, Vokabelheft direkt neben dem Badezimmerspiegel …) oder Erinnerungen (Wecker) arbeiten. Nehmen Sie sich bewusst Zeit (z. B. zwei Wochen), um verschiedene Auslösereize und -kontexte auszuprobieren. Vielleicht lohnt es sich auch, allgemein etwas mehr Struktur in Ihrem Tagesablauf zu etablieren? Das erleichtert nicht nur den Gewohnheitsaufbau! Feste Schlaf- und Aufstehzeiten beispielsweise nützen neben Ihrem Selbstma‐ nagement auch Ihrer Gesundheit, Ihrem Wohlbefinden und Ihrer Leistungs‐ fähigkeit. Das Studenten/ -innenleben lädt natürlich nicht dazu ein, jeden Abend um 23.00 Uhr ins Bett zu gehen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Und vielleicht haben Sie auch den Eindruck, dass Routinen Sie durch ihre Gleichförmigkeit (jeden Tag, zur selben Zeit, am selben Ort …) zu sehr in Ihrer Freiheit und Spontaneität einschränken. Finden Sie daher einen Mittelweg und kleine Bereiche Ihres Alltags, in denen Sie sich durch Routinen und standardisierte Abläufe selbst entlasten können. Im Idealfall machen Routinen Ihr Leben nicht langweiliger, sondern aufregender, indem sie Freiräume und Kapazitäten für andere Dinge (die nicht Routine sind) schaffen. Zurück zu Ihrem Schweinehundprojekt: Damit die Gewohnheitsschleife in Gang kommen kann, benötigen Sie neben einem stabilen Kontext auch eine Belohnung - zumindest zu Beginn. Wenn die neue Routine (noch) nicht aus sich selbst heraus belohnend ist (Spaß macht, man danach zufrieden oder stolz ist …), können Sie zunächst auch mit einem extrinsischen Anreiz nachhelfen (siehe auch Schritt 2). Belohnen Sie sich konsequent nach jeder erledigten Arbeitseinheit und streichen Sie bei ausgelassenen Arbeitsein‐ heiten auch die geplante Belohnung. Irgendwann werden Sie dann spüren, dass die Bedeutung der (extrinsischen) Belohnung nachlässt. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 216 <?page no="217"?> Auch Ihre neue Gewohnheit sollten Sie nach dem zuvor beschriebenen Schema in Ihren Terminkalender eintragen. Übrigens: Ein stabiler Kontext kann auch für Einmalaktionen sehr hilfreich sein, da er Ihr Projekt vor motivationalen und emotionalen Schwankungen schützt. Je schneller und stärker Sie erwünschte Verhaltensweisen an Reize aus Ihrer Umgebung koppeln, desto unabhängiger werden diese von akuten Lust-/ Unlustgefühlen und Ihren bewusst gefassten (oder eben nicht gefassten) Absichten. Aufgabe Erstellen Sie jetzt einen Aktionsplan zu Ihrem Schweinehundprojekt. Falls Ihr Projekt eine Einmalaktion ist: Nehmen Sie die Ergebnisse Ihrer Planungsrecherche sowie Ihren Ter‐ minkalender zur Hand und planen Sie Ihr Projekt anhand des zuvor beschriebenen Schemas. Tragen Sie die Etappenziele und die Starttage jeder neuen Teilaufgabe in Ihren Terminkalender ein. Machen Sie anschließend die Detailplanung für die erste Teilaufgabe. Falls Ihr Projekt eine neue Gewohnheit ist: Überlegen Sie, mit welcher kleinstmöglichen Version Ihrer neuen Ge‐ wohnheit Sie gerne starten möchten und wie Sie Ihr (wöchentliches) Pensum kontinuierlich steigern werden. Finden Sie einen geeigneten Auslösereiz/ -kontext und eine Belohnung. Formulieren Sie Etappenziele und tragen Sie alles in Ihren Terminkalender ein. Fristen einhalten Die Umsetzung Ihres Aktionsplans gelingt natürlich nur, wenn Sie Ihre Termine und Fristen auch wirklich gewissenhaft einhalten. Studien zeigen, dass externe Fristen (Sprechstunde bei Dozent/ -in, Prüfungstermine …) häufig effektiver sind als selbst gesetzte Fristen. Üben Sie sich daher darin, Vereinbarungen mit sich selbst genauso ernst zu nehmen wie Vereinba‐ rungen mit anderen. Sonst werden es immer externe Vorgaben sein, die bestimmen, womit Sie sich beschäftigen. Hilfreiche Gedanken hierzu könnten sein: 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 217 <?page no="218"?> ▸ Eine Frist ist eine Frist! ▸ Wenn es im Kalender steht, wird es auch gemacht! ▸ Termine mit mir selbst sind genauso wichtig wie Termine mit anderen! Sollte es Ihnen schwerfallen, Ihre eigenen Termine und Fristen zuverlässig einzuhalten, können Sie eine „Brücke“ bauen, indem Sie andere Personen miteinbeziehen. Wenn es keine Frist für die Abgabe Ihrer Hausarbeit gibt - lassen Sie sich eine geben, z. B. von einer Person aus Ihrem sozialen Umfeld, die Sie regelmäßig daran erinnert. Wenn es keinen verbindlichen Zeitrahmen für das Erlernen des Klavierspiels gibt - kündigen Sie Ihrer Familie ein kleines Weihnachtskonzert an, bei dem Sie zeigen, was Sie können. Der nächste Schritt ist dann, Termine mit sich selbst genauso ernst zu nehmen wie Termine mit anderen. Im Grunde ist auch das eine Frage des (richtigen) Mindsets (siehe Schritt 1). Fragen Sie sich: ▸ Welchen Grund hat es, dass ich mir selbst gegenüber nicht genauso pflichtbewusst und zuverlässig bin wie anderen gegenüber? ▸ Wozu führt das? ▸ Was würde ich gewinnen, wenn ich Termine mit mir selbst und eigene Fristen zukünftig genauso ernst nehme wie externe Termine und Fristen? Ein verbindlicher Zeitrahmen schützt Sie übrigens auch davor, kein Ende zu finden. Vielleicht kennen Sie das Parkinsonsche Gesetz zum Bürokratie‐ wachstum: Arbeit dehnt sich in dem Maß aus, wie Zeit zu ihrer Erledigung verfügbar ist (Parkinson, 1955). Die Dauer einer Aufgabe hängt immer auch davon ab, wie viel Zeit Sie dafür erübrigen. Wenn-Dann-Pläne formulieren Die schriftliche Planung entlastet Sie. Wenn Sie Ihren Terminplan zuver‐ lässig jeden Morgen in die Hand nehmen und damit arbeiten, sparen Sie sich viel Koordinationsaufwand. Trotzdem gibt es keine Garantie, dass Sie sich auch an das halten werden, was dort steht. Und gerade, wenn es Ihnen darum geht, Ihren Arbeitsstil längerfristig zu verändern, wollen Sie Ihr Verhalten ja eigentlich so weit automatisieren, dass es in bestimmten Situationen von selbst, also ohne Erinnerung durch Kalender, Wecker und Co. ausgelöst wird. Arbeiten Sie daher zusätzlich mit Wenn-Dann-Plänen. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass geplante Aktivitäten auch ausgeführt werden. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 218 <?page no="219"?> Genau genommen umfasst Ihr Schweinehundprojekt nicht nur einen Vorsatz, sondern viele Mini-Vorsätze, nämlich die einzelnen Arbeitsschritte auf dem Weg zu Ihrem Projektziel (bei Einmalaktionen) oder jede einzelne Gelegenheit, bei der Sie Ihre neue Gewohnheit ausführen werden. Für jeden dieser Mini-Vorsätze können Sie einen Wenn-Dann-Plan formulieren - im Format „Wenn Situation x auftritt, dann führe ich Verhalten z aus! “. Aufgabe Nehmen Sie Ihren Aktionsplan zur Hand. Was ist der nächste Schritt, den Sie geplant haben, um Ihren Vorsatz in die Tat umzusetzen? Spezifizieren Sie zu diesem Schritt eine günstige Gelegenheit/ Situation („Wenn …“) sowie ein zielführendes Verhalten („dann …“). Schreiben Sie diesen Wenn-Dann-Plan auf ein Blatt Papier, wiederholen Sie ihn dreimal laut oder im Kopf und stellen Sie sich die Situation und Ihr Verhalten dabei so anschaulich und lebhaft wie möglich vor. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie den geplanten Schritt auch wirklich ausführen. Nutzen Sie Wenn-Dann-Pläne auch kontinuierlich während Ihres Projekts. Wenn Sie am Morgen in Ihrem Terminplan sehen, dass Sie heute einen Bibliotheksbesuch - noch ohne Termin - geplant haben, dann finden Sie eine günstige Gelegenheit („Wenn ich das Mittagessen beendet habe, …“) und verbinden diese mit Ihrem erwünschten Verhalten („dann setze ich mich auf mein Fahrrad und fahre in die Bibliothek.“). Oder wenn es Ihr Ziel ist, ab jetzt jeden Tag nach dem Frühstück 30 Minuten an Ihrer Hausarbeit zu schreiben, könnte Ihr Wenn-Dann-Plan lauten: „Wenn ich das Frühstück beendet habe, dann setze ich mich an den Schreibtisch und fange an, zu schreiben.“ Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. 3.4.3 Nehmen Sie Hindernisse vorweg Einer der wichtigsten Planungsschritte ist es, einen Notfallplan für potenzi‐ elle Umsetzungshindernisse zu erstellen. Nehmen Sie sich für diesen Schritt ausreichend Zeit, z. B. eine halbe Stunde. 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 219 <?page no="220"?> Typische Hindernisse und wie man sie überwindet Im Folgenden finden Sie drei typische Umsetzungshindernisse, sowie jeweils einige Tipps, wie Sie mit diesen Hindernissen umgehen können. Die Tipps sind so formuliert, als wäre das Hindernis bereits eingetreten. Das soll Ihnen die Vorwegnahme des Hindernisses im Rahmen Ihrer Notfallplanung erleichtern, die Sie dann im Anschluss vornehmen. „Ständig kommt etwas dazwischen! “ Ein häufiges Hindernis bei der Umsetzung von Vorhaben sind spontan entstandene andere Aufgaben oder Termine. Gewöhnen Sie sich an, in solchen Fällen konsequent zu prüfen, ob diese andere Aufgabe wirklich eine Unterbrechung Ihres Schweinehundprojekts rechtfertigt: ▸ Trennen Sie Wichtigkeit und Dringlichkeit. Wenn eine Aufgabe „nur“ dringend, aber nicht besonders wichtig ist, können Sie diese ver‐ einfachen, delegieren oder vielleicht auch komplett streichen. Ein spannender, aber optionaler Vortrag heute Abend ist dringend, aber vielleicht nicht so wichtig und kann deshalb geschwänzt werden. Ein Geschenk für eine entfernte Bekannte, die morgen ihren Geburtstag feiert, ist ebenfalls dringend, aber vielleicht nicht so wichtig, dass Sie sich unbedingt selbst darum kümmern müssten. Schließen Sie sich einfach bei einem Gemeinschaftsgeschenk an. Fragen Sie: Wie wichtig ist das wirklich? ▸ Halten Sie Dinge nicht für dringlicher als sie sind. Wenn ein/ -e Kommi‐ litone/ -in Sie um Unterstützung bei einem bestimmten Projekt bittet, verbietet Ihnen keiner, zu helfen. Aber muss das unbedingt jetzt sofort sein? Fragen Sie: Wie dringend ist das wirklich? ▸ Prüfen Sie, ob es sich (objektivierbar) um etwas handelt, das jetzt Vorrang hat, oder ob Ihnen diese andere Aufgabe „gerade recht“ kommt, damit Sie sich nicht weiter mit Ihrem Schweinehundprojekt beschäftigen müssen. Sie merken dies beispielsweise daran, dass Sie nicht enttäuscht, sondern eher erleichtert sind, wenn Ihr geplantes Vorhaben aufgrund der anderen Aufgabe ausfallen „muss“. Fragen Sie: Ist es eine Ausrede? Wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass die andere Aufgabe tatsächlich Vorrang hat, sollten Sie Ihr Projekt nicht komplett ausfallen lassen, sondern 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 220 <?page no="221"?> ▸ sofort einen verbindlichen Ersatztermin ansetzen, um das Versäumte bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Falls sich viele Nachholtermine anstauen, passen Sie Ihren Plan an (siehe Schritt 5). ▸ oder eine Kurzversion Ihrer geplanten Aktivität durchführen. Auch, wenn Sie nur einen einzigen Satz schreiben statt wie geplant ein ganzes Kapitel - ein Minimalprogramm ist immer besser als das Vorhaben ganz ausfallen zu lassen. Denken Sie an den Trampelpfad, den Sie kontinuierlich anlegen. Sie können beispielsweise mit sich selbst vereinbaren: „O.k., heute mache ich nur fünf Minuten.“ „Die süße Versuchung“ Ein weiteres häufiges Hindernis sind Versuchungen, d. h. attraktive Konkur‐ renzaktivitäten, die uns im Moment einfach mehr Spaß machen würden als die eigentlich geplante Aufgabe. Gefährlich sind Versuchungen vor allem auch deswegen, weil es kein weiter Weg ist, sie spontan zur Beloh‐ nung umzudefinieren („Ich habe heute/ in den letzten Tagen schon so viel geschafft, da kann ich mir jetzt schon mal was gönnen! “). Unter dem Deckmantel der wohl verdienten Belohnung gibt man der Versuchung nach und muss sich dafür nicht einmal rechtfertigen - ein cleverer Trick des inneren Schweinehunds (und eine klassische Rationalisierung). Wie kann man diesem Trick widerstehen? Im Folgenden finden Sie einige Vorschläge: Blitzinterview Wenn Sie ein akutes Verlangen spüren, Ihre Arbeit niederzulegen und sich etwas Anderem zuzuwenden, dann machen Sie ein Blitzinterview mit sich selbst. Fragen Sie sich: ▸ Welche Versuchung lockt mich gerade? ▸ Warum würde ich dieser Versuchung jetzt gerne nachgeben? ▸ Worum würde mein Zukunfts-Ich mich jetzt bitten? Ihre eigenen Antworten auf diese Fragen könnten z. B. lauten: ▸ Ich spüre große Lust, mir etwas zu knabbern zu holen und fernzusehen. ▸ Das macht einfach mehr Spaß, lernen ist mir gerade zu anstrengend. ▸ Mein Zukunfts-Ich würde wahrscheinlich sagen: Bitte bleib dran, sonst muss ich morgen doppelt so viel Stoff lernen! Versuchen Sie auf diesem Weg psychologisch Abstand zu Ihrem Verlangen zu bekommen und sich nicht zu stark damit zu identifizieren. Durch die 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 221 <?page no="222"?> kleine mentale Zeitreise zu Ihrem Zukunfts-Ich kühlen Sie das „Jetzt“ ab - denn die süße Versuchung dient in der Regel ausschließlich der Befriedigung Ihrer aktuellen Bedürfnisse. Sie können sich auch vergegenwärtigen, dass Sie die Versuchung aufgrund Ihres schlechten Gewissens jetzt sowieso nur eingeschränkt genießen könnten. An Pause und Belohnung erinnern Nehmen Sie für einen Moment Ihren Terminkalender zur Hand und ver‐ gewissern Sie sich, dass Sie bei Ihrer Planung ausgewogen Pausen und Erholungszeiten miteingeplant haben (natürlich vorausgesetzt, dass Sie das auch getan haben). Vereinbaren Sie mit sich selbst, dass Sie sich die süße Versuchung (z. B. Knabberei und Fernsehen) nicht verbieten, sondern in der nächsten Pause oder Erholungszeit als Belohnung genehmigen - nach getaner Arbeit und mit vollem, unbeschwerten Genuss. Das „Später“ erhitzen Nehmen Sie für einen Moment Ihre Motivationskarte (siehe Schritt 2) zur Hand und lesen Sie sich noch einmal durch, was der langfristige Nutzen der Aufgabe ist, die Sie gerade bearbeiten bzw. die langfristigen Kosten, wenn Sie Ihr Vorhaben doch nicht umsetzen. Schließen Sie die Augen und holen Sie diese langfristigen Konsequenzen ganz nah heran. Stellen Sie sich möglichst anschaulich und lebhaft vor, wie Sie sich fühlen werden, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben - oder eben nicht. Der Versuchung nachgeben Was aber tun, wenn die Versuchung übermächtig ist? Ihr heutiger Lernstoff ist besonders trocken und die letzte Folge Ihrer Lieblingsserie hat mit einem Cliffhanger geendet, der Sie nicht mehr loslässt. Bevor Sie unkonzentriert weiterlernen, hören Sie für heute auf. Überlegen Sie jedoch, wie Sie sich in Zukunft besser gegen solche Versuchungen wappnen können. Sie könnten beispielsweise dafür sorgen, diese Art von Versuchung gar nicht erst ent‐ stehen zu lassen, indem Sie die Serienfolgen nicht bis zum Ende gucken, sondern zehn Minuten vor Ende ausschalten und das nächste Mal an genau dieser Stelle weiterschauen (Tipp einer meiner Studentinnen). Niemand verlangt von Ihnen (und auch Sie selbst sollten das nicht), dass Sie immer und in allen Situationen maximale Selbstkontrolle demonstrieren. Es geht vielmehr darum, für einen gesunden Ausgleich zu sorgen, um sich selbst neue Freiräume zu schaffen. Wenn Sie Aufgaben, mit denen Sie ein bestimmtes höheres Ziel verfolgen (wie Ihr Schweinehundprojekt), 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 222 <?page no="223"?> diszipliniert „wegarbeiten“, bringt Sie das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur diesem Ziel näher, sondern auch indirekt Ihren Zielen in anderen Lebensbereichen (z. B. weil Sie durch das konzentrierte Wegarbeiten dieses Projekts auch wieder mehr unbeschwerte Zeit für Ihr liebstes Hobby oder Ihre/ -n Partner/ -in haben). „Ich wollte wirklich, aber …“ Auch beim Ausführen der geplanten Tätigkeit selbst können Barrieren auftreten, z.B. ▸ fehlendes oder defektes Material, ▸ technische Probleme, ▸ eingeschränkte Öffnungszeiten oder Erreichbarkeit anderer Personen, ▸ mangelnde Kooperation anderer Personen, ▸ plötzlich auftretende körperliche Beschwerden. Viele dieser Barrieren lassen sich durch eine gute Vorbereitung vorweg‐ nehmen. Man kann sich auch einen allgemeinen Leitsatz für spontan auftretende (nicht vorhergesehene) Barrieren überlegen à la „Wenn ein unvorhergesehenes Hindernis auftritt, dann bleibe ich cool und finde eine Lösung.“ Bei den zuvor genannten Barrieren könnten alternative Lösungs‐ wege durch Fragen wie diese gefunden werden: ▸ fehlendes oder defektes Material: Muss es unbedingt dieses Material sein oder kann ich improvisieren? Wo könnte ich schnell passendes Material herbekommen? Wer aus meinem Bekanntenkreis könnte mir so etwas ausleihen? etc. ▸ technische Probleme: Finde ich durch eine schnelle Internetrecherche einen hilfreichen Technik-Hack? Wer kennt sich damit aus und könnte mir spontan helfen? Brauche ich dieses technische Gerät heute wirklich unbedingt oder geht es auch ohne? etc. ▸ eingeschränkte Öffnungszeiten oder Erreichbarkeit anderer Personen: Gibt es weitere Personen oder Anlaufstellen, die mir helfen könnten und gerade erreichbar sind? Gibt es andere Informationsquellen (z. B. Internet)? Kann ich spontan umdisponieren und heute eine andere Aufgabe erledigen? etc. ▸ mangelnde Kooperation anderer Personen: Wie kann ich herausfinden, warum die andere Person „mauert“? Wie kann ich mein Anliegen 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 223 <?page no="224"?> transparent machen und die andere Person „ins Boot“ holen? Mit wem könnte ich noch sprechen/ kooperieren? etc. ▸ plötzlich auftretende körperliche Beschwerden: Wie schlimm sind die Beschwerden? Ist eine medizinische Abklärung nötig? Besteht ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und meinem Projekt? Erfordern die Beschwerden eine dauerhafte Unterbrechung meines Vorhabens? etc. Ein wichtiger Hinweis: In dem letztgenannten Beispiel (körperliche oder auch psychische Beschwerden) sollten Sie Ihr Projekt in jedem Fall - zumindest vorübergehend - unterbrechen und erst wiederaufnehmen, wenn Sie sich besser fühlen. Ihre Gesundheit geht vor! Wurden die Beschwerden durch das Projekt selbst ausgelöst (z. B. Schmerzen oder Verletzungen durch sportliche Betätigung), ist es dringend geboten, die Notbremse zu ziehen (siehe Schritt 5). Notfallplan erstellen Bei dem Erstellen Ihres Notfallplans gehen Sie wie folgt vor (hier erst einmal in der Theorie): ▸ Potenzielle Hindernisse sammeln: Nehmen Sie die Ergebnisse Ihrer Planungsrecherche sowie Ihren Kartenstapel vom Anfang (siehe Ka‐ pitel 3.1) zur Hand. Machen Sie dann eine mentale Zeitreise in die Zukunft. Spielen Sie in Gedanken möglichst lebhaft und detailreich durch, wie Sie bei der Verfolgung Ihres Ziels vorgehen werden, und beziehen Sie dabei alle Sinnesorgane mit ein: Was werden Sie sehen, hören, spüren, riechen, schmecken? Identifizieren Sie dann - auch mithilfe vergangener Erfahrungen mit diesem oder ähnlichen Projekten - mögliche Hindernisse, die Sie an der Umsetzung Ihres Plans hindern könnten. Es kann sich um äußere und gut sichtbare Dinge wie fehlendes Material oder schlechtes Wetter handeln, aber auch um innere und weniger gut sichtbare Dinge wie Unlustgefühle oder schlechte Gewohnheiten. Sammeln Sie alle potenziellen inneren und äußeren Hindernisse, Versuchungen, Ablenkungen, Störungen, Unterbrechungen oder Selbstsabotageversuche in einer Liste. Mit ggf. hinderlichen Überzeugungen haben Sie sich ja bereits im Rahmen von Schritt 1 beschäftigt. Prüfen Sie, ob Sie sich diesbezüglich bereits gut auf Ihr Projekt vorbereitet fühlen. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 224 <?page no="225"?> ▸ Notfallplan erstellen: Sammeln Sie dann für jedes Hindernis mehrere mögliche Lösungen. Wählen Sie jeweils die erfolgversprechendste Lösung (Ihren „Plan B“) aus. Formulieren Sie für jedes Hindernis einen geeigneten Notfallplan im Wenn-Dann-Format: „Wenn (Hindernis), dann (Plan B).“ Ein Beispiel: Ihr Vorsatz ist es, sich jeden Tag nach dem Frühstück an den Schreibtisch zu setzen und an Ihrer Hausarbeit zu schreiben. Potenzielle äußere Hindernisse könnten sein, ▸ dass Sie direkt nach dem Frühstück einen anderen wichtigen Termin haben, ▸ dass Ihr Laptop wieder „spinnt“, ▸ dass Ihr/ -e Mitbewohner/ -in mit Ihnen quatschen will. Hilfreiche Notfallpläne im Wenn-Dann-Format könnten jeweils lauten: ▸ Wenn ich direkt nach dem Frühstück einen anderen Termin habe, dann schreibe ich an diesem Tag nur zehn Minuten/ nach dem Abend‐ essen. ▸ Wenn mein Laptop wieder spinnt, dann fahre ich an die Uni und schreibe in einem Computerraum/ leihe ich mir den PC meines/ -r Mitbewohners/ -in. ▸ Wenn mein/ -e Mitbewohner/ -in quatschen möchte, dann sage ich freundlich: „Tut mir leid, ich kann jetzt nicht.“ Potenzielle innere Hindernisse könnten sein, ▸ dass Sie sehr müde sind, ▸ dass Sie einen starken Impuls verspüren, sich mit Ihrem Smartphone zu beschäftigen (weil das bisher Ihre Routine nach dem Frühstück war), ▸ dass Sie nicht bei der Sache sind. Für diese Fälle könnten Sie formulieren: ▸ Wenn ich zu müde zum Schreiben bin, dann trinke ich einen Kaffee/ dusche ich kalt/ gehe ich kurz an die frische Luft, bevor ich mit dem Schreiben beginne. ▸ Wenn ich einen starken Impuls verspüre, mich mit meinem Smart‐ phone zu beschäftigen, dann sage ich mir: „Erst schreiben, dann 3.4 Schritt 3: Planen Sie effektiv 225 <?page no="226"?> daddeln! “ (am besten in Verbindung damit, dass Sie Ihr Smartphone während Ihrer Schreibzeiten konsequent wegsperren). ▸ Wenn ich nicht bei der Sache bin, dann notiere ich die störenden Gedanken, um sie vom Schirm zu haben/ schalte ich alle Ablenkungen aus/ unterbreche ich für fünf Minuten. Aufgabe Erstellen Sie jetzt einen schriftlichen Notfallplan für Ihr Schweinehund‐ projekt. Notieren Sie mögliche Hindernisse, die Sie von Ihrem Vorhaben abbringen könnten („Wenn …“), sowie jeweils einen Plan B („dann …“). Seien Sie dabei so konkret wie möglich. Mögliches Hindernis Plan B Wenn … dann … Wenn … dann … Wenn … dann … Neben der Vorbereitung auf konkrete Hindernisse können Sie auch einen allgemeinen Wenn-Dann-Plan formulieren, der Sie zum Durch‐ halten in schwierigen Momenten motiviert, z. B. „Wenn ich mal einen Durchhänger habe, dann erinnere ich mich daran, dass es einen guten Grund für mein Projekt gibt“. Sollten Ihnen im Moment nur wenige konkrete Hindernisse einfallen, dann ist das kein Problem. Sie können Ihren Notfallplan ggf. auch später noch ergänzen und aktualisieren. Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. Damit Ihnen Ihr Plan auch wirklich bei der Umsetzung des Projekts hilft, hier noch zwei abschließende Tipps: ▸ Haben Sie Ihren Aktions- und Notfallplan stets zur Hand oder im Kopf. Ein noch so ausgeklügelter Plan bringt Ihnen nichts, wenn Sie ihn im entscheidenden Moment nicht griffbereit oder abrufbar haben. ▸ Bleiben Sie flexibel. Sowohl Ihr Aktionsals auch Ihr Notfallplan sind (wie alle Planungstools) Hilfsmittel, die Sie unterstützen, nicht 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 226 <?page no="227"?> aber versklaven sollen. Sehen Sie Ihren Plan als Starthilfe. Sollte sich herausstellen (und die Wahrscheinlichkeit ist hoch! ), dass er unrealistisch oder unvollständig ist, dann modifizieren Sie ihn (siehe Schritt 5). Falls Sie mit einem analogen Kalender arbeiten, benutzen Sie für die Planung einen nicht permanenten Stift, so können Sie einfacher umdisponieren. Nur ein Plan, der Sie in Ihrem Zielstreben wirksam unterstützt, ist ein guter Plan! Auf den Punkt ▸ Führen Sie eine Planungsrecherche zu Ihrem Projekt durch, um die einzelnen Arbeitsschritte realistisch anlegen zu können. ▸ Erstellen Sie einen Aktionsplan und nutzen Sie dabei das Prinzip der kleinen Schritte. Planen Sie auch Pausen und Belohnungen mit ein, sorgen Sie für Verbindlichkeit und eine klare Struktur. ▸ Erstellen Sie einen Notfallplan für potenzielle Hindernisse. ▸ Am Ende von Schritt 3 stehen in Ihrem Terminkalender alle wich‐ tigen Eckdaten für Ihr Projekt und Sie sind „ready to go“. 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv Schritt 3 und 4 gehen fließend ineinander über. Gut möglich, dass Sie einige der nun folgenden Punkte bereits im Rahmen Ihres Aktions- oder Notfall‐ plans berücksichtigt haben. Überspringen Sie in dem Fall diese Punkte einfach. Was Sie bisher noch nicht bedacht haben, können Sie dagegen direkt in Ihren Plan mitaufnehmen und diesen somit weiter optimieren. 3.5.1 Schaffen Sie günstige Rahmenbedingungen Unser räumliches und soziales Umfeld hat einen starken Einfluss darauf, ob wir unsere Vorsätze in die Tat umsetzen. Gestalten Sie Ihre (Lern- und Arbeits-) Umgebung daher so, dass sie zu Ihren Motiven und Zielen passt und positive Routinen unterstützt. Reduzieren Sie innere und äußere Störungen sowie situative Trigger für schlechte Gewohnheiten. 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv 227 <?page no="228"?> Aufmerksamkeit fokussieren Gegenstände in Ihrer Umgebung, die Sie von Ihrem Vorhaben abbringen könnten, sollten Sie entfernen oder den Zugang dazu erschweren. Arran‐ gieren Sie stattdessen Ihr (analoges und digitales) Umfeld so, dass es Sie dabei unterstützt, aktiv zu werden. Hier finden Sie einige Beispiele: ▸ Wenn Sie konzentriert lernen, schreiben oder arbeiten wollen, überlegen Sie sich, wo und wie das am besten möglich ist. Gestalten Sie Ihren Arbeitsplatz so, dass Sie die Materialien, die Sie heute brauchen, in Griffweite haben. Alle Gegenstände, die Sie ablenken, verstauen Sie außer Sicht- und Hörweite. ▸ Wenn Sie mehr Sport treiben wollen, melden Sie sich in einem Sportverein oder Fitnessstudio in Ihrer Nähe an und vereinbaren Sie regelmäßige Termine. Besorgen Sie sich Sportklamotten und bewahren Sie sie griffbereit auf. Stellen Sie ein seriöses Fitnessportal als Browser-Startseite ein. ▸ Wenn Sie sich gesünder ernähren wollen, streichen Sie Süßigkeiten und Softdrinks von Ihrer Einkaufsliste und sorgen Sie dafür, dass Sie Kräutertees, Obst und Gemüse im Haus haben. Stellen Sie die Nougatcreme in den Kühlschrank, so dass es eine kurze Zeit dauert, bis sie cremig wird. Solche kleinen Unbequemlichkeiten können helfen, heiße Impulse („Ich will jetzt sofort …! “) einzubremsen. Schaffen Sie das optimale äußere Setup für Ihr Vorhaben. Seien Sie zudem wachsam und flexibel, falls unerwartete Störungen auftreten: Auch, wenn Sie normalerweise am besten an Ihrem Schreibtisch lernen, kann eine laute Baustelle vor Ihrem Fenster Grund für einen Arbeitsplatzwechsel sein. Störungen können aber auch von innen kommen: Achten Sie darauf, in einem guten physischen und psychischen Zustand zu sein. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Grundbedürfnisse gestillt sind - dass Sie ausreichend gegessen, getrunken und geschlafen haben. Wenn Schmerzen, Sorgen oder Stress Ihnen den Einstieg erschweren, kümmern Sie sich zunächst darum, bevor Sie Ihr Schweinehundprojekt anpacken. Tappen Sie nicht in die Self-Handi‐ capping-Falle, indem Sie Beeinträchtigungen klaglos aushalten oder sogar provozieren, um diese später für ein schlechteres Ergebnis verantwortlich machen zu können. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 228 <?page no="229"?> Pomodorotechnik Die sog. Pomodorotechnik (ital. pomodoro, dt. Tomate; der Name ist zurückzuführen auf einen Küchenwecker in Tomatenform) ist ein sehr populäres Produktivitätstool, das konzentriertes Arbeiten und ef‐ fektives Pausenmanagement unterstützen soll (Cirillo, 2018). Kernidee der Technik ist es, eine Aufgabe in fokussierten Sprints („Pomodoros“) abzuarbeiten. Wenn man z. B. eine Präsentation erstellen möchte, unterteilt man die Präsentation in Foliensätze (z. B. à fünf Folien) und gibt sich selbst für jeden Foliensatz 25 Minuten Zeit. Dann werden alle Ablenkungen und Störungsquellen ausgeschaltet, es wird ein Timer auf 25 Minuten gestellt und gestartet. Nach Ablauf der 25 Minuten klingelt der Timer, das To-Do wird abgehakt, es gibt fünf Minuten Pause und danach folgt die nächste Pomodoro. Nach vier Pomodoros wird eine längere Pause von 15 bis 20 Minuten eingelegt. Die Zeiten für Pomodoros und Pausen können bedarfsgerecht angepasst werden. Zwar gibt es bisher nur wenig wissenschaftliche Studien zur Wirk‐ samkeit der Pomodorotechnik, allerdings kann der positive Einfluss von konzentrierten Arbeitsphasen und kurzen Erholungspausen auf Leistung und Wohlbefinden als empirisch gesichert gelten. Viele Studierende berichten, dass ihnen die Pomodorotechnik dabei hilft, beim Lernen oder Schreiben in einen produktiven Arbeitsrhythmus zu kommen. Probieren Sie es aus! Das soziale Umfeld einbeziehen Bei Schritt 2 haben Sie sich bereits überlegt, wie Sie Ihre extrinsische Moti‐ vation durch soziale Unterstützung oder sozialen Druck steigern können. Indem Sie Ihr soziales Umfeld auf Ihr Vorhaben einschwören, können Sie sich den Einstieg in Ihr Projekt und auch das Durchhalten deutlich erleichtern. Dazu gibt es vielfältige Möglichkeiten, z.B.: ▸ Setzen Sie feste Produktivzeiten an und informieren Sie Ihr soziales Umfeld, dass Sie während dieser Zeiten nicht (oder nur im Notfall) erreichbar sind. Hängen Sie einen Zettel „Bitte nicht stören! “ an Ihre WG-Zimmertür und schalten Sie Ihr Handy in den Flugmodus. ▸ Beziehen Sie nahestehende Personen durch Vorverpflichtungen in Ihr Projekt ein: Vereinbaren Sie mit Ihrem/ -r Partner/ -in, dass Sie 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv 229 <?page no="230"?> an jedem Tag, an dem Sie sich vor Ihrem Projekt gedrückt haben, den abendlichen Abwasch übernehmen müssen. Geben Sie Ihrem/ -r Mitbewohner/ -in übers Wochenende Ihre Badesachen mit, damit Sie nicht in Versuchung geraten, doch an den See zu fahren statt zu lernen. ▸ Nutzen Sie gezielt soziale Vergleiche, um aktiv zu werden. Wenn Sie sich mit Tina vergleichen, die auch noch nicht mit dem Lernen angefangen hat, fühlen Sie sich wahrscheinlich für einen kurzen Moment besser. Allerdings sabotieren Sie sich damit auch in gewisser Weise selbst, da Sie sich das Anfangen unnötig erschweren („Wenn die noch nicht angefangen hat, warum sollte ich? “). Vergleichen Sie sich lieber mit jemandem, der/ die mit voller Energie und Freude an der Verwirklichung seiner/ ihrer Vorsätze arbeitet - vielleicht fühlen Sie sich einen kurzen Moment lang schlechter („O.k., so weit bin ich noch nicht! “), aber dann springen Sie auf den „Motivationszug“ auf und lassen sich mitreißen („Wenn der/ die das schafft, dann schaffe ich es auch! “). ▸ Auch jenseits sozialer Vergleiche ist es hilfreich, sich mit Menschen zu umgeben, die ähnliche Ziele verfolgen wie man selbst und einem dadurch Kraft, Zuversicht und positive Energien schenken. Das ist keine Einbahnstraße, sondern es geht um gegenseitige Bestärkung und Unterstützung. So ein Umfeld kann beispielsweise eine gut funktio‐ nierende Lerngruppe sein. Emotionale Ansteckung als „Schweinehundpuffer“ Wir haben die Eigenart, uns bei anderen mit deren Emotionen „anzu‐ stecken“. Das kann dem Schweinehund in die Karten spielen, z. B. wenn ein Lerngruppenmitglied schlechte Laune und „keinen Bock“ hat, und sich alle anderen davon „herunterziehen“ lassen. Drehen Sie den Spieß um und nutzen Sie emotionale Ansteckung als Puffer gegen den Schweinehund. Lassen Sie sich von guter Stimmung und positiven Energien anderer gerne anstecken und verbreiten Sie diese selbst weiter. Negative emotionale Ansteckung dagegen sollten Sie vermeiden. Wenn Sie Menschen in Ihrem Umfeld als destruktiv, demotivierend oder verletzend erleben, dann lassen Sie sich davon nicht anstecken, sondern halten Sie dagegen. Das A und O ist in allen Fällen eine offene und wertschätzende Kommunikation: 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 230 <?page no="231"?> ▸ Sprechen Sie offen und sachlich über Ihre Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse. Beschreiben Sie Ihre Sicht der Dinge - ohne Ihrem Gegenüber Vorwürfe zu machen - und sagen Sie ganz direkt, was Sie sich wünschen. Bieten Sie auch selbst anderen Ihre Hilfe und Unterstützung an. ▸ Nehmen Sie emotional Abstand und bleiben Sie bei sich. Fragen Sie sich: Was haben die negativen Emotionen oder Energien meines Gegenübers mit mir persönlich zu tun? Ist es wirklich nötig und/ oder sinnvoll, die Verantwortung dafür zu übernehmen? Was kann ich tun anstatt mich davon herunterziehen oder provozieren zu lassen? Sollte es in Ihrem Umfeld jemanden geben, der Ihnen nicht guttut und Sie dauerhaft vom Erreichen Ihrer Ziele abhält, dürfen Sie auch einmal (räumlich) auf Distanz gehen. Damit ist nicht gemeint, langjährige Freunde/ -innen im Stich zu lassen, weil diese gerade eine schwere Zeit durchmachen, und auch nicht, Ihre Freunde/ -innen ausschließlich an‐ hand von Kosten-Nutzen-Abwägungen auszuwählen. Es geht vielmehr darum, nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst da zu sein. Schützen Sie sich vor Menschen, die Sie dauerhaft ausbremsen oder sogar verletzen. Werden Sie zum Anwalt/ zur Anwältin Ihrer eigenen Interessen und Bedürfnisse! Wie ein förderliches räumliches und soziales Umfeld genau aussieht, ist höchst individuell. Wichtiger als allgemeine Tipps oder Methoden ist daher ein geschärftes Bewusstsein dafür, unter welchen Bedingungen man selbst gut arbeiten oder lernen kann. Probieren Sie Verschiedenes aus und finden Sie heraus, womit Sie sich am wohlsten und produktivsten fühlen. Aufgabe Gestalten Sie ein Starter-Setup für Ihr Schweinehundprojekt, indem Sie sich überlegen, ▸ wie Sie Ihr räumliches Umfeld so gestalten können, dass Ihnen der Einstieg in Ihr Projekt leichterfällt und Sie möglichst fokussiert daran arbeiten können und ▸ welche Personen aus Ihrem sozialen Umfeld Sie auf welche Weise bei Ihrem Projekt unterstützen können. 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv 231 <?page no="232"?> Notieren Sie Ihre Ideen und setzen Sie alles, was Sie jetzt schon umsetzen können, sofort um. Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. 3.5.2 Machen Sie Ihr Projekt zur süßen Versuchung Aversivität verringern Je unangenehmer uns eine Aufgabe erscheint, desto höher ist die Einstiegs‐ hürde. Im Rahmen von Schritt 1 und 2 haben Sie bereits an Ihrer Einstellung zu Ihrem Projekt gearbeitet. Zusätzlich können Sie auch die geplante/ -n Aktivität/ -en selbst angenehmer gestalten. Dies ist besonders wichtig bei Aktivitäten, denen Sie (zumindest im Moment noch) wenig Positives abge‐ winnen können („Es muss sein, aber Spaß macht es nicht.“). Hier finden Sie einige Beispiele, wie Sie unliebsame Tätigkeiten angenehmer und/ oder spielerischer gestalten können: ▸ Legen Sie Ihr Lieblingslied auf und wetten Sie gegen sich selbst, dass Sie Ihren Schreibtisch aufgeräumt haben, bevor das Lied vorbei ist. ▸ Bereiten Sie den Lernstoff abwechslungsreich auf. Schreiben Sie z. B. die Gliederungspunkte des vorzubereitenden Referats auf bunte Kärtchen, die Sie dann zu einer Mindmap sortieren können. Sprechen Sie Ihre Lernzusammenfassung als Audioaufnahme ein. Erstellen Sie einen kleinen Film. ▸ Hören Sie während des Bügelns oder des täglichen Fitnessworkouts ein spannendes Hörbuch. ▸ Benutzen Sie beim Putzen weiche Lappen und wohlriechendes Reinigungsmittel, bringen Sie hilfreiche und überraschende Haus‐ halts-Hacks in Erfahrung. ▸ Verwenden Sie für Ihre Steuererklärung eine Software, die Sie durch die Formulare führt und Kompliziertes erklärt. ▸ Nutzen Sie anwenderfreundliche und ansprechend gestaltete digitale Tools (siehe nachfolgender Exkurs Nutzen Sie digitale Tools! ). Verknüpfen Sie Ihr Langzeitinteresse mit etwas, das Ihnen kurzfristig Freude bereitet - denn Fernziel und Versuchung müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, man kann sie koppeln und somit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. In der englischsprachigen Literatur nennt man dieses Vorgehen 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 232 <?page no="233"?> piggy-back (Steel, 2007), d. h. ein unmittelbares Interesse nimmt das Fernziel „huckepack“. Nutzen Sie digitale Tools! Es gibt inzwischen unzählige digitale Tools wie Smartphone-Apps, Programme für den PC oder Webseiten, die den Studienalltag erleichtern können. Hier finden Sie einige willkürlich ausgewählte Beispiele: ▸ Todoist/ Padlet/ Trello/ 2Do: Aufgaben managen/ sich selbst organi‐ sieren ▸ Habitica/ Fabulous/ HabitHub: Gewohnheiten aufbauen ▸ Forest/ Pomodoro Smart Timer: Fokus und Konzentration erhöhen ▸ StickK: Motivation und Zielbindung erhöhen durch Vertrag mit sich selbst ▸ Evernote: Notizen und Mitschriften erstellen ▸ CamScanner: Dokumente einscannen und bearbeiten ▸ SimpleMind/ Mindly: Mindmaps erstellen Lassen Sie sich von der Masse an Tools nicht verunsichern, sondern probieren Sie sich durch. Vielleicht finden Sie ja eine App, die Sie bei Ihrem Projekt unterstützt und auch noch Spaß macht! Vorsicht ist geboten, falls Sie sowieso schon ein/ -e sehr intensive/ -r Smartphone-Nutzer/ -in sind und Ihren Konsum gerne reduzieren würden. In diesem Fall kann Ihnen ggf. eine App wie RescueTime helfen, digitale Zeitfresser zu identifizieren und auszuschalten. Oder Sie verzichten ganz auf den Download neuer Apps und üben sich im „Handyfasten“ (engl. digital detox). Beachten Sie, dass es hier ausschließlich darum geht, die geplante Aufgabe angenehmer zu gestalten, nicht Ihre Umgebung. Wenn Sie es sich bei Kerzenlicht, Kaffeehausmusik und Entspannungstee auf der Couch bequem machen, fahren Sie physiologisch herunter. Ein gewisses Maß an Aktivie‐ rung ist jedoch nötig, damit Sie die erforderliche Energie und Konzentration zum Erledigen Ihrer Aufgabe aufbringen können. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Umgebung Ihr Ziel unterstützt, nicht untergräbt. 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv 233 <?page no="234"?> Aufgabe Sammeln und notieren Sie jetzt einige Ideen, wie Sie Ihr Schweinehund‐ projekt zukünftig (noch) angenehmer und/ oder spielerischer gestalten können. Probieren Sie die vielversprechendste Idee - wenn möglich - sofort aus. Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. Flow fördern Wenn Ihre geplante Aufgabe nicht so aversiv ist, besteht die Chance, dass Sie dabei Flow erleben. Dazu muss die Aufgabe ▸ herausfordernd, aber machbar sein, ▸ ein klares Ziel in sich tragen und ▸ regelmäßige Rückmeldungen beinhalten. Der erste Aspekt ist der wichtigste: Das Anforderungsniveau der Aufgabe sollte zu Ihren Fähigkeiten passen. Zwar haben Sie dies bereits bei der Zielsetzung und der Planung berücksichtigt - Verschiebungen in eine ungünstige Richtung (Unter- oder Überforderung) können aber auch noch unerwartet im weiteren Projektverlauf auftreten. In diesen Fällen gilt es, Anforderung und Fähigkeit wieder stärker aufeinander abzustimmen. Ein Beispiel: Während der Einarbeitung in ein Thema fällt Ihnen auf, dass der Großteil der Literatur dazu auf Englisch ist (Anforderung hoch). Sie sind in Englisch jedoch nicht besonders fit (Fähigkeit niedrig). In diesem Fall könnten Sie Abhilfe schaffen, indem Sie Ihr Englisch durch einen Intensiv-Sprachkurs verbessern, sich ein gutes (analoges oder digitales) Englisch-Fachwörterbuch besorgen oder (zunächst) auf sprachlich weniger anspruchsvolle Texte oder Texte in Ihrer Muttersprache ausweichen. Wenn möglich, verschaffen Sie sich mehr Zeit zur Vorbereitung (z. B. indem Sie bei einer Präsentation einen späteren Termin im Semester auswählen). Sollte Ihnen eine Aufgabe dagegen zu leicht und damit langweilig vor‐ kommen, können Sie das Anforderungsniveau steigern. Sind Ihnen z. B. die Texte in einem Seminar zu „basic“, suchen Sie sich anspruchsvollere Texte. Auch ein wenig Zeitdruck kann helfen, eine Aufgabe spannender zu gestalten. Stellen Sie einen Countdown auf 60 Minuten und fertigen Sie die Folien für eine Präsentation an, bevor der Countdown abgelaufen ist. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 234 <?page no="235"?> Wenn Sie tatsächlich in den Flow kommen, dann bleiben Sie dran. Ver‐ schieben Sie ggf. geplante Pausen nach hinten (Pomodoro-Timer ausstellen und weitermachen). Zeitdruck und Flow Man kann Zeitdruck zwar gezielt einsetzen, um bestimmte Aufgaben (insbesondere „langweilige“ Routinetätigkeiten) anspruchsvoller und damit interessanter zu machen. Diese Strategie eignet sich jedoch nicht für Aufgaben, die hohe Kreativität erfordern, denn Kreativität leidet unter Zeitdruck. Es fehlt die Möglichkeit, Ideen reifen zu lassen und zu elaborieren. Sollten Sie zudem zu den Auf-den-letzten-Drücker- Erlediger/ -innen gehören, prüfen Sie kritisch, ob der Einsatz von Zeit‐ druck wirklich eine hilfreiche Strategie für Sie ist oder nicht doch eher eine Ausrede für Ihr Aufschiebeverhalten („Ich brauche den Druck! “). 3.5.3 Starten Sie - jetzt! Viele Dinge tun Sie jeden Tag „einfach so“ - ohne sich groß Gedanken über Ihre Motivation zu machen (Zähne putzen, aufräumen, E-Mails beant‐ worten …). Wenn Sie also keine Lust haben oder nicht in der richtigen Stimmung sind, jetzt etwas für Ihr Projekt zu tun - machen Sie es einfach trotzdem. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Aufgabe oder Tätigkeit neu für Sie ist und Ihnen die Routine noch fehlt. Sie werden sehen, dass Ihre Unlust oder Ihre negativen Gedanken über die Aufgabe (anstrengend, un‐ angenehm, angstauslösend …) in vielen Fällen unbegründet sind und schnell nachlassen. Durch die Veränderung Ihres Verhaltens (einfach machen statt aufschieben) wird sich längerfristig auch Ihre Einstellung zu der Aufgabe verändern, sozusagen eine Art „umgekehrte Psychologie“. Alle bisher unter Schritt 4 erläuterten vorbereitenden Maßnahmen helfen, die Einstiegshürde zu senken. Falls nötig, können Sie sich dann kurz vor dem geplanten Start mit folgenden Strategien noch einen kleinen „Stupser“ geben: ▸ Legen Sie alle Materialien bereit. Sorgen Sie dafür, dass alle für Ihr Projekt benötigten Materialien vor Ort und einsatzbereit sind. Wenn Sie nach dem Abendessen noch etwas lernen möchten, dann legen Sie vor dem Essen das aufgeschlagene Lehrbuch auf Ihren Schreibtisch. 3.5 Schritt 4: Werden Sie aktiv 235 <?page no="236"?> Wenn Sie morgens laufen gehen möchten, dann legen Sie die Sport‐ kleidung bereits am Vorabend direkt neben Ihr Bett. ▸ Stellen Sie einen Wecker. Sie können sich anfangs (insbesondere, wenn Sie noch nicht so regelmäßig und routiniert mit Ihrem Terminkalender arbeiten) ein Signal überlegen, das Sie ans Loslegen erinnert (We‐ cker/ Smartphone, Haftnotiz, andere Personen …). ▸ Fangen Sie ganz klein an. Beginnen Sie mit einer winzigen Teilaufgabe oder der allerkleinsten Version Ihrer neuen Gewohnheiten, die ma‐ ximal fünf Minuten dauert. Legen Sie sofort einen fixen Zeitpunkt fest (z. B. heute nach dem Mittagessen), zu welchem Sie diese „Mikroauf‐ gabe“ erledigen. Oder besser noch: Erledigen Sie sie jetzt sofort. ▸ Begrenzen Sie Ihre Arbeitszeit. Nehmen Sie sich vor, wirklich nur in dem vorab definierten Zeitfenster an Ihrem Projekt zu arbeiten und auf keinen Fall darüber hinaus. Treffen Sie eine klare Vereinbarung mit Ihrem inneren Schweinehund: „Wenn ich jetzt zwei Stunden konzentriert an meinem Projekt arbeite, dann habe ich den Rest des Tages frei.“ ▸ Fördern Sie positive aufgabenbezogene Gefühle. Schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich ganz anschaulich und lebhaft vor, wie es sein wird, wenn Sie die Aufgabe erledigt haben. Wie werden Sie sich fühlen, was werden Sie denken, wie werden Sie sich belohnen? Freuen Sie sich darauf! Sie können das alles ganz bald haben - wenn Sie jetzt starten. ▸ Dämpfen Sie negative aufgabenbezogene Gefühle. Konzentrieren Sie sich voll und ganz auf die Tätigkeit und nicht auf sich selbst. Stimmen Sie sich auf die Aufgabe ein, indem Sie sich fragen: Habe ich alle Arbeitsmaterialien? Was genau habe ich mir für heute vorgenommen? Wie genau gehe ich dabei vor? … Und los geht’s! Finden Sie eine Strategie, mit der Sie in einen „Aktiv-Modus“ kommen. Wenn Sie das geschafft haben, wird es leichter, da sich bereits nach kurzer Zeit erste Erfolgserlebnisse einstellen werden, die Ihre Stimmung verbessern und Ihre Motivation erhöhen. Aufgabe Legen Sie das Buch zur Seite und machen Sie jetzt etwas für Ihr Projekt - und wenn es nur drei Minuten dauert. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 236 <?page no="237"?> Auf den Punkt ▸ Machen Sie sich den Einstieg so leicht wie möglich, indem Sie Ihre räumliche und soziale Umwelt auf Ihr Projekt einstimmen. ▸ Machen Sie sich den Einstieg so angenehm wie möglich, indem Sie den Spaßfaktor Ihres Projekts erhöhen. ▸ Warten Sie nicht auf die richtige Stimmung, sondern starten Sie jetzt. ▸ Am Ende von Schritt 4 geht’s los! 3.6 Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor Hier erfahren Sie, wie Sie durch regelmäßige, kurze Selbstreflexionsein‐ heiten sowohl Ihr Projekt voranbringen, als auch wichtige Erkenntnisse für die „Zeit danach“ gewinnen können. 3.6.1 Dokumentieren Sie Ihren Fortschritt, feiern Sie Ihre Erfolge Halten Sie von Anfang an Ihren Fortschritt fest. Die simpelste Methode dafür ist es, die erledigten Arbeitseinheiten in Ihrem Terminkalender ab‐ zuhaken, abzustempeln oder durchzustreichen. So kombinieren Sie Plan und Fortschrittskontrolle und haben beides an einem Ort. Sie können auch digitale Tools wie Produktivitätsapps oder Excel-Listen nutzen. Oder Sie führen zusätzlich zu Ihrer To-Doauch eine Have-Done-Liste. Insbesondere, wenn Sie große Schwierigkeiten haben, sich zu motivieren, sollten Sie ein System finden, mit dem Sie auch ganz kleine Fortschritte sichtbar machen können. Bei der in Schritt 4 beschriebenen Pomodorotechnik beispielsweise arbeiten Sie in 25-Minuten-Sprints und machen nach jedem Sprint einen Haken. Nach kurzer Zeit haben Sie viele Haken gesetzt. Das motiviert! Für neue Gewohnheiten können Sie eine Fortschrittstabelle (ähnlich der nachfolgend abgebildeten) erstellen und gut sichtbar in Ihrer Wohnung aufhängen. Für jeden Tag, an dem Sie Ihre neue Gewohnheit durchgeführt haben, machen Sie einen Haken. Sie können in diese Tabelle auch einmal 3.6 Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor 237 <?page no="238"?> in der Woche eintragen, wie automatisch sich Ihre neue Gewohnheit schon anfühlt. Woche 1 Woche 2 Woche 3 … Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Mindestens 5x durchgeführt? * Wie automatisch fühlt es sich an? ** *bei täglichen Gewohnheiten; **von 1=„gar nicht“ bis 10=„völlig“ (eigene Darstellung in Anlehnung an Gardner et al., 2012, S. 665) Neben allgemeinen gibt es auch aufgabenspezifische Methoden der Fort‐ schrittskontrolle. Bei Schreibprojekten beispielsweise stehen häufig Ar‐ beitsschritte am Anfang (z. B. Recherche, Stoffsammlung, Einlesen), deren Ergebnisse nicht so offensichtlich sind wie ein wachsender Textkörper. Machen Sie auch diese Ergebnisse sichtbar! Sie können z. B. eine Datei „Stoffsammlung“ anlegen, in der Sie wichtige Stichpunkte, Zitate und Quellen sammeln, die für Ihre Arbeit relevant sind. Diese Stoffsammlung wächst mit jeder Arbeitsstunde und zeigt Ihnen auf einen Blick, was Sie schon alles geschafft haben. Wenn Sie dann an der Arbeit schreiben, können Sie jeden Tag in einer anderen Schriftfarbe schreiben, um auf einen Blick zu sehen, wie viel Text Sie pro Tag geschafft haben. Oder Sie überprüfen anhand der Statistik Ihres Textverarbeitungsprogramms die Zeichenanzahl, die stetig wächst. Sie können auch für jede konzentriert gelernte Stunde, jede absolvierte Sprachlerneinheit oder jedes Workout einen kleinen Geldbetrag in ein durchsichtiges Sparschwein werfen und sich später etwas von dem Geld gönnen. Oder Sie basteln einen Schieberegler, den Sie nach jeder absol‐ vierten Arbeits- oder Lerneinheit ein Stückchen weiter nach rechts schieben. Alles ist erlaubt - Hauptsache, Sie dokumentieren Ihren Fortschritt! 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 238 <?page no="239"?> Die Fortschrittskontrolle ist ganz entscheidend für Ausdauer, Motivation und Freude an Ihrem Projekt. Allein schon die Sichtbarmachung des Fort‐ schritts wird als belohnend erlebt. Nehmen Sie sich deswegen ganz bewusst Zeit, um auch kleine Erfolge zu würdigen. Loben und ermutigen Sie sich selbst. Sagen Sie sich nach jeder erledigten Aufgabe „Wieder was geschafft, prima! Du kommst gut voran! “. Durch eine gewissenhafte Fortschrittskontrolle vermeiden Sie es auch, die eigenen Anstrengungen aufgrund anfänglicher schneller Erfolge zu früh zu verringern. Sie können Ihren Blick ausgewogen auf bereits Erreichtes, aber auch noch zu Erledigendes richten - also ganz bewusst die Planungsebene wechseln („Wo stehe ich mit Blick auf das Gesamtprojekt? “). Wie zuvor schon angesprochen ist es bei manchen Projekten etwas schwieriger, den Zielfortschritt sichtbar zu machen, z. B. auch bei gesund‐ heitsbezogenen Projekten wie gesünderer Ernährung oder mehr Bewegung. Man kann sich hier zwar stets behelfen, indem man das Absolvieren der geplanten Ernährungs- oder Sporteinheiten dokumentiert (Häkchen setzen! ). Ob man sich dadurch jedoch seinem eigentlichen Ziel (bessere Blutwerte, bessere Kondition …) genähert hat, ist kurzfristig oft nicht so gut erkennbar. Umso wichtiger ist es in diesen Fällen, mit realistischen Erwartungen an das Projekt heranzugehen und sich im Vorfeld gut zu überlegen, wie messbare Etappenziele aussehen könnten. Auch ein Wechsel der Perspektive („Was werte ich als ‚Erfolg‘? “) kann hilfreich sein: Wenn Sie merken, dass Sie die Messlatte zu hoch angesetzt haben, kann das zunächst einmal enttäuschend sein. Aber es ist auch eine wichtige Erkenntnis! Nutzen Sie diese Erkenntnis, um eine realistischere Vorstellung von Fortschritten und Erfolgen im Rahmen Ihres Projekts zu bekommen. Gerade bei Projekten, die Sie lange vor sich hergeschoben haben, kann jedes gesetzte Häkchen guten Gewissens als Erfolg verbucht werden. Aufgabe Gestalten Sie eine passende Fortschrittskontrolle für Ihr Projekt und nutzen Sie sie. 3.6.2 Machen Sie regelmäßige Rückblicke Reservieren Sie an einem Tag der Woche (z. B. Sonntag) fünf bis zehn Minuten Zeit, um auf die vergangene Woche zurückzublicken und zu 3.6 Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor 239 <?page no="240"?> rekapitulieren, wie es mit Ihrem Projekt lief. Vermeiden Sie dabei ganz bewusst eine zu starke Fokussierung auf negative Aspekte, sondern nehmen Sie ausgewogen sowohl positive Entwicklungen und Erfolge, als auch Schwierigkeiten und Verbesserungsbedarf in den Blick. Ähnlich wie die Fortschrittskontrolle helfen Ihnen regelmäßige Rückblicke dabei, Ihre Stra‐ tegie zu prüfen und ggf. anzupassen, und erhöhen Ihre Motivation. Aufgabe Legen Sie einen Termin für Ihren wöchentlichen Rückblick fest und notieren Sie diesen in Ihrem Terminkalender. An dem Termin nehmen Sie Ihren Kalender und Ihre Schweinehund‐ mappe zur Hand und klopfen folgende Punkte ab: ▸ Mein Plan: Habe ich meinen Plan eingehalten? Habe ich geschafft, was ich mir vorgenommen habe? War meine Einschätzung des Zeiteinsatzes richtig? ▸ Falls ja: Woran lag es, dass es so gut geklappt hat? Was lerne ich daraus für die kommende Woche? Habe ich mich belohnt? ▸ Falls nein: Woran lag es, dass ich den Plan nicht einhalten konnte? Was habe ich stattdessen gemacht? Warum hat mein Plan B nicht funktioniert? Habe ich mir zu viel oder zu wenig vorgenommen, zu viel oder zu wenig Zeit für die Aufgabe eingeplant? Sind Anpassungen meines Plans nötig? Wie löse ich dieses Problem beim nächsten Mal? Was lerne ich daraus für nächste Woche? Nehmen Sie gerne Veränderungen an Ihrem Aktions- und Notfall‐ plan vor. ▸ Meine Motivation: Was bringt das Umsetzen meines Vorsatzes (unerwartet) an Nutzen mit sich oder wurden mir weitere Kosten bewusst, wenn ich den Vorsatz nicht umsetze? Nehmen Sie gerne Veränderungen an Ihrer Motivationskarte vor. ▸ Mein Mindset: Wie steht es um mein Schweinehundmindset? Bin ich mir mit Selbstmitgefühl begegnet? Konnte ich meine wich‐ tigste Ressource nutzen? War mein hilfreicher Gedanke wirklich hilfreich? Kann ich (weitere) dysfunktionale Denkmuster identifi‐ 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 240 <?page no="241"?> zieren, die mich von meinem Projekt abhalten („Ich hätte ja wirklich gerne …, aber …“)? Nehmen Sie gerne Veränderungen an Ihrer Mindsetkarte vor. ▸ Meine neue Gewohnheit (falls Sie eine Gewohnheit aufbauen): Wie automatisch fühlt sich meine neue Gewohnheit bereits an? Denke ich wie von selbst daran oder muss ich mich bewusst daran erinnern? Fehlt mir meine Gewohnheit, wenn ich einmal aussetzen muss? ▸ Ausblick auf die nächste Woche: Was steht nächste Woche an? Wo stehe ich in meinem Plan? Sie können Fortschrittskontrolle und Rückblick auch kombinieren, indem Sie sich ein Projekttagebuch (Schreib-, Lern-, Sporttagebuch …) zulegen - analog oder digital. Dort dokumentieren Sie regelmäßig Fortschritte, Besonderheiten und Erkenntnisse. 3.6.3 Lernen Sie dazu Fortschrittskontrolle und Rückblick verwerten Wichtig ist, dass Sie Ihre Eindrücke nicht nur sammeln, sondern auch konsequent verwerten. Im Prinzip gehen Sie dabei vor wie ein/ -e Wissen‐ schaftler/ -in: Sie sammeln Daten über sich und Ihr Projekt, dokumentieren eine Zeit lang den Verlauf, stellen Änderungsbedarf fest und implementieren Lösungsansätze. Diese Schleife durchlaufen Sie in regelmäßigen Abständen immer wieder und verbessern so Schritt für Schritt Ihr Selbstmanagement. Wenn Sie beispielsweise chronisch unterschätzen, wie lange Sie für bestimmte Tätigkeiten benötigen, dann notieren Sie konsequent nach jeder Arbeitseinheit, wie lange Sie dafür gebraucht haben. Die tatsächliche Dauer gleichen Sie mit der zu Beginn geschätzten Dauer ab. Nach ein paar Tagen haben Sie einen ungefähren Richtwert, an dem Sie sich bei zukünftigen Planungen orientieren können. Wenn Sie z. B. im Schnitt immer etwa doppelt so viel Zeit für eine Aufgabe brauchen, wie Sie eingeplant haben, dann schlagen Sie zukünftig bei Ihrer Zeitplanung 100 % auf. Finden Sie ein System, das für Sie funktioniert. Geben Sie sich dabei allerdings ein wenig Zeit und verwerfen Sie einen Plan nicht sofort, weil er nach einem Tag noch nicht die erwünschten Ergebnisse bringt. Beobachten Sie eine oder zwei Wochen, wie es läuft. Veränderungen brauchen Zeit. Durch Ihre gesammelten Eindrücke werden Sie möglicherweise interessante 3.6 Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor 241 <?page no="242"?> Erkenntnisse über sich selbst und Ihre Vorlieben, sowie Ideen für zukünftige Projekte gewinnen. Soziale Vergleiche heranziehen Schauen Sie nicht nur auf sich, sondern in regelmäßigen Abständen auch auf andere (z. B. die Mitglieder Ihrer Lerngruppe). So können Sie eine rea‐ listischere Standortbestimmung vornehmen: Komme ich wirklich so langsam voran wie ich denke oder haben andere auch ihre Schwierigkeiten? Sollte der Vergleich zu Ihren Ungunsten ausfallen (z. B. weil andere schon weiter sind als Sie), können Sie eruieren, woran das liegen könnte, und sich Tipps holen. Oder Sie kommen zu dem Schluss, dass Sie einfach ein anderes Tempo haben, das aber auch in Ordnung für Sie ist. Unerwartete Hindernisse kreativ überwinden Im Rahmen Ihrer Planung haben Sie viele potenzielle Hindernisse bereits vorweggenommen. Doch nicht alle Hindernisse lassen sich vorhersehen. Es wird immer wieder passieren, dass etwas nicht so läuft, wie Sie es geplant hatten, Störungen auftreten oder Sie selbst Fehler machen. All diese ungeplanten Hürden werden erst dann zu einem „Problem“, wenn Sie an ihnen stranden, sich davon überwältigen und demotivieren lassen („Das bringt meinen ganzen schönen Plan durcheinander! “). Betrachten Sie unerwartete Hürden und Rückschläge als ganz normalen Teil Ihres Projekts und es gleichbleibend als Ihre Aufgabe, auch diese Situa‐ tionen zu managen. Einer attraktiven Versuchung trotz bester Absichten auch einmal nachzugeben oder nach zehn Tagen konsequenten Ausführens einer neuen Gewohnheit dann doch das erste Mal auszusetzen, sind völlig normale Ereignisse, die man hervorragend zur Prävention ähnlicher Situa‐ tionen in der Zukunft nutzen kann - wenn man das denn möchte („Jetzt kenne ich eine kritische Situation, wie kann ich diese zukünftig besser meistern? “). Das heißt nicht, dass Sie sich nicht ärgern dürfen, wenn mal etwas schiefgeht. Lassen Sie Ärger und Frust zu, machen Sie Ihren Gefühlen Luft. Häufig hilft das, um danach mit einem kühleren Kopf nach Lösungen zu suchen. Ganz entscheidend ist dabei, wie Sie sich etwaige Misserfolge und Rückschläge selbst erklären. Eine variable internale Attribution („Da habe ich noch nicht die richtige Strategie gefunden.“) ist für Sie selbst und Ihr Projekt am förderlichsten. Überlegen Sie, was Sie das nächste Mal anders oder besser machen können. Übernehmen Sie Verantwortung, aber verurteilen Sie sich nicht. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 242 <?page no="243"?> Es kann viele verschiedene Gründe haben, warum Pläne nicht funktio‐ nieren. Manche Gründe sind relativ offensichtlich (z. B. wenn Sie auf dem Weg zur Uni einen Fahrradplatten hatten und daher eine Lehrveranstaltung verpasst haben, die Sie eigentlich ab jetzt gewissenhaft besuchen wollten). Andere Gründe sind uns weniger bewusst (physiologische oder hormonelle Prozesse, soziale Einflüsse, Gewohnheiten …). Es wird Wochen geben, in denen es besser oder schlechter geklappt hat, dran zu bleiben, ohne dass Sie genau rekonstruieren können, woran es nun lag. Konzentrieren Sie sich daher bei spontan auftretenden Hindernissen nicht zu lange auf die Ursachenanalyse, sondern vor allem auf mögliche Lösungen (vgl. de Shazer & Dolan, 2018): Was brauchen Sie, um gut und zuverlässig an Ihrem Projekt arbeiten zu können? Unter welchen Umständen würde Ihnen die Arbeit an Ihrem Projekt leichterfallen? Wie würde es Ihnen mehr Spaß machen? Wenn sich die neue Gewohnheit scheinbar nicht mit Ihrem eingespielten Tagesrhythmus vereinbaren lässt, dann überlegen Sie, wie Ihr Tag gestaltet sein müsste, damit Sie alles unter einen Hut bekommen. Wenn Sie heute ein richtig unproduktives und frustrierendes Lerngruppentreffen hatten, dann überlegen Sie (gemeinsam), wie Sie dafür sorgen können, dass das nächste Treffen produktiver und angenehmer wird. Probieren Sie Verschiedenes aus! Auch bei der Etablierung hilfreicher Gedanken können Sie ganz bewusst nach vorne schauen und einen Lösungsfokus einnehmen. Statt nur festzu‐ stellen „Das funktioniert nicht.“ fragen Sie „Was tue ich, damit es das nächste Mal klappt? “ Damit sammeln Sie nicht nur konkrete Lösungsansätze, sondern eignen sich auch allgemein eine lösungsorientierte Herangehensweise an. Springen Sie über Ihren Schatten und bitten Sie andere (Lerngruppenmit‐ glieder, Kommilitonen/ -innen, Fachschaft, Dozierende, Beratende …) um Ratschläge oder Unterstützung, wenn Sie selbst nicht weiterkommen. Sollte die Überzeugung „Ich muss Probleme alleine lösen.“ Sie davon abhalten, hinterfragen Sie diese (siehe Schritt 1). Man kann es als Niederlage sehen, andere um Hilfe zu bitten - oder aber als effiziente Problemlösestrategie. Die Vorteile dieser Strategie genießen nicht nur Sie selbst. Viele Studien zeigen, dass es Menschen glücklich macht, anderen helfen zu können (Curry et al., 2018). Vielleicht gelingt es Ihnen auch, Ihr Vorhaben als eine Art (Computer-) Spiel zu sehen, mit leichteren und schwierigeren Prüfungen und Aufgaben, die es zu bestehen gilt. Wenn Sie es clever anfangen, können Sie dieses 3.6 Schritt 5: Reflektieren Sie und nehmen Sie Anpassungen vor 243 <?page no="244"?> Spiel sogar nutzen, um daran zu wachsen und sich das Leben zukünftig entscheidend zu erleichtern: ▸ Sehen Sie Fehler als Lernchance und fördern Sie Ihr Growth Mindset. Üben Sie sich darin, das (noch) Nicht-Erreichen eines Ziels nicht als Versagen („Ich kann das einfach nicht! “), sondern als nützliche Infor‐ mation zu sehen („Aha, das hat nicht so gut funktioniert. Nächster Versuch! “). ▸ Verbessern Sie kontinuierlich Ihre Fähigkeiten. Wir werden in allem besser, was wir häufig machen, die Routine kommt mit dem wieder‐ holten Tun. Auf den Punkt ▸ Machen Sie Ihren Fortschritt sichtbar und lenken Sie Ihre Aufmerk‐ samkeit auf jeden noch so kleinen Erfolg. ▸ Schauen Sie in regelmäßigen Abständen zurück und passen Sie Ihren Plan kontinuierlich an. ▸ Nutzen Sie alle Erfahrungen, die Sie machen, um dazuzulernen. ▸ Am Ende von Schritt 5 haben Sie ein funktionierendes Feedback‐ system entwickelt, mit dem Sie zwischen Aktion und Reflexion navigieren können und somit Ihr Projekt (und sich selbst) weiter voranbringen. 3.7 Schritt 6: Bleiben Sie dran In diesem Schritt geht es darum, an Ihrem Projekt dranzubleiben - und es auch irgendwann wieder loszulassen. 3.7.1 Regulieren Sie Ihre Emotionen Unsere Gefühle spielen eine wichtige Rolle bei der Handlungssteuerung. Positive Emotionen signalisieren: „Alles gut, weiter so! “, negative Emo‐ tionen dagegen: „Achtung, Achtung, hier stimmt etwas nicht! “. Ignorieren Sie Ihre Gefühle daher nicht, sondern lassen Sie sie zu und nehmen Sie sie als das an, was sie sind: Signale, die Sie auf etwas aufmerksam machen wollen. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 244 <?page no="245"?> Wenn Sie beispielsweise negative Emotionen (Unlust, Langeweile, Frust, Angst, Schuld …) in Bezug auf eine anstehende Aufgabe verspüren, machen Sie sich diese Emotionen bewusst, aber lassen Sie sich nicht blind und automatisch von ihnen steuern. Schalten Sie stattdessen vom Autopilot auf kontrollierte Steuerung und prüfen Sie die Situation: ▸ Warum fühle ich mich nicht gut? ▸ Warnen meine Gefühle mich völlig zu Recht vor Überlastung oder anderem potenziellen Schaden? ▸ Oder handelt es sich eher um einen hedonistischen Fluchtimpuls („Ich habe einfach keinen Bock! “), Ängste, die durch (irrationale) Überzeugungen entstanden sind („Ich werde bestimmt versagen! “) oder vielleicht sogar um Gefühle, die gar nichts mit der geplanten Aufgabe zu tun haben (sondern z. B. durch eine andere Situation ausgelöst und dann auf die geplante Aufgabe übertragen wurden)? Sie können der „Empfehlung“ Ihrer (negativen) Emotionen folgen oder nicht - die Entscheidung sollten jedoch Sie treffen und nicht Ihre Emotionen. Diese Entscheidung kann auch lauten, unangenehme Gefühle einfach einmal auszuhalten und ihnen nicht mehr Raum zu geben als nötig. Ja, es würde jetzt mehr Spaß machen, den Abend im Biergarten zu verbringen als das Referat für morgen fertig vorzubereiten. Ja, es nervt, wegen dieses blöden Referats nicht mit den Freunden/ -innen unterwegs sein zu können. Deswegen müssen Sie dem Impuls „Ab in den Biergarten! “ aber noch lange nicht nachgeben. Sie können Ihren Frust und Ärger in dieser Situation aushalten bis diese Gefühle von selbst nachlassen. Denken Sie gar nicht zu viel darüber nach. Fokussieren Sie lieber wieder auf Ihre Aufgabe und visualisieren Sie Ihr Ziel: Wie wird es sein und wie gut wird es sich anfühlen, wenn Sie das Referat morgen erfolgreich abgeliefert haben? Freuen Sie sich umso mehr darauf, dieses To-Do bald vom Tisch zu haben. Vielleicht werden Sie über Nacht sogar noch einen richtig guten Einfall bekommen, weil Sie sich heute so intensiv mit dem Stoff auseinandergesetzt haben. Holen Sie die zukünftigen positiven Emotionen, die Sie durch das Erledigen der Aufgabe erwarten, ganz nah heran. Sollte sich der sehnsüchtige Gedanke an den Biergarten allzu sehr aufdrängen, schreiben Sie ihn auf, z. B. in ein Notizheft. Auf diese Weise können Sie Ihren Gedanken „ablegen“ ohne ihn unterdrücken zu müssen. Rufen Sie sich auch in Erinnerung, dass das Negative eine magische An‐ ziehungskraft auf uns hat und unsere Wahrnehmungen und Bewertungen 3.7 Schritt 6: Bleiben Sie dran 245 <?page no="246"?> oft dominiert. Lenken Sie Ihren Blick daher bewusst - auch - auf Aspekte der anstehenden Aufgabe, die neutral oder vielleicht sogar positiv sind (z. B. dass es Ihnen Spaß macht, Präsentationen zu bebildern oder sich einen witzigen Einstieg für den Vortrag zu überlegen). Gleichzeitig können Sie positive Gefühle im Zusammenhang mit Ihrem Projekt fördern, indem Sie es wie in Kapitel 3.5.2 beschrieben interessanter, einfacher oder angenehmer gestalten. Freuen Sie sich über jeden noch so kleinen Schritt. Denken Sie aber auch daran: Sie können Spaß an einer Aufgabe haben, ohne vorher Vorfreude verspürt zu haben. Vielleicht verbessert sich Ihre Stimmung, wenn Sie die Aktivität aufgenommen haben - einen Versuch ist es wert, oder? Zur Vertiefung Eine Übung zum Annehmen unangenehmer Gefühle finden Sie hier: QR 11. Sie können negativen Emotionen im Zusammenhang mit Ihrem Projekt auch begegnen, indem Sie sich immer wieder vergegenwärtigen, dass jedes Projekt bestimmte Phasen hat. Am Anfang ist es Ihnen möglicherweise erstaunlich leichtgefallen, aktiv zu werden. Sie waren stolz, das Projekt endlich in Angriff genommen zu haben und hoffnungsvoll, dass Sie es auch zu Ende bringen werden. Vielleicht hat dieser Anfangsenthusiasmus bereits nachgelassen oder wird es noch tun, bevor Sie Ihr Ziel erreicht und/ oder die neue Gewohnheit etabliert haben. Dadurch wird es vorübergehend wieder schwieriger, Ihr Projekt konsequent weiterzuführen. Rufen Sie sich die 66 Tage ins Gedächtnis. So lange dauert es im Mittel, bis aus einer bewusst ausgeführten Tätigkeit eine Routine geworden ist. Das bedeutet aber auch: Wenn Sie diese zwei bis drei Monate überstanden und den „point of no return“ erreicht haben, wird Ihnen Ihre neue Routine (sofern Sie gerade eine solche aufbauen) das Leben spürbar erleichtern und Freiräume schaffen für andere Dinge, die Ihnen wichtig sind. Sollten Sie einen echten Durchhänger oder ernsthafte Zweifel an Ihrem Projekt haben, ist es natürlich sinnvoller, eine Pause einzulegen oder das Projekt (vorübergehend) zu unterbrechen, als sich zum Weitermachen zu zwingen. Unterscheiden Sie jedoch wiederkehrende, wirklich alarmierende negative Emotionen von spontan auftretenden Unlustgefühlen. Verallgemeinern Sie letztere nicht zu etwas, das sie nicht sind, nämlich eine zuverlässige Ent‐ 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 246 <?page no="247"?> scheidungshilfe, dass Sie das Projekt jetzt sofort abbrechen sollten („Das ist einfach nichts für mich! “). Setzen Sie lieber einen Revisionstermin zu einem späteren Zeitpunkt an, zu dem Sie sich in aller Ruhe und überlegt mit Ihrem Projekt auseinandersetzen. 3.7.2 Erneuern Sie Ihre Entscheidung - oder revidieren Sie sie, falls nötig Das Commitment aufrechterhalten Sie haben zu Beginn Ihres Projekts den Rubikon überschritten und diese Entscheidung für Ihr Projekt erneuern Sie jeden Tag: Sie möchten und werden heute an Ihrem Projekt arbeiten! Jedes Zögern und Zaudern („Soll ich oder soll ich nicht? “) kostet Sie Energie. Fassen Sie stattdessen den klaren Entschluss, Ihr Projekt weiterhin beharrlich zu verfolgen. Erinnern Sie sich bei kleinen Durchhängern daran, dass Sie die Entscheidung für Ihr Projekt wohlüberlegt getroffen haben. Ausdauernd zu sein ist eine zentrale Voraussetzung dafür, gesetzte Ziele auch zu erreichen. Gerade bei Verhal‐ tensänderungen und neuen Gewohnheiten bezieht sich Ihr Commitment nicht (nur) darauf, am Ende einen Haken hinter etwas machen zu können, sondern auf die dauerhafte Integration neuer Verhaltensweisen in Ihr Leben. Aufgabe Erneuern Sie jetzt Ihre Entscheidung. Beenden Sie dazu schriftlich den folgenden Satz: JA, ich ziehe mein Projekt weiterhin ernsthaft und entschlossen durch, weil … Legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schweinehundmappe. Die Notbremse ziehen Entschlossenheit bei der Zielverfolgung ist nicht gleichbedeutend damit, ein einmal gesetztes Ziel „auf Teufel komm raus“ auch erreichen zu müssen. Unüberwindbare Hindernisse im Projektverlauf können das Ziel infrage stellen, z.B.: 3.7 Schritt 6: Bleiben Sie dran 247 <?page no="248"?> ▸ Sie wollen in Ihrer Abschlussarbeit unbedingt ein bestimmtes Thema bearbeiten, das Sie persönlich sehr interessiert und zu dem Sie auch schon umfangreich recherchiert haben. Die einzige Professorin an Ihrer Uni, die das Thema inhaltlich betreuen könnte, rät Ihnen jedoch davon ab. Sie ist der Meinung, dass das Thema nicht realistisch im Rahmen einer studentischen Abschlussarbeit abgehandelt werden kann. ▸ Sie wollen unbedingt ein bestimmtes Nebenfach belegen, allerdings werden die Plätze dafür verlost. Sie hatten Pech und haben keinen Platz ergattert. ▸ Sie haben endlich damit angefangen, regelmäßig zu joggen. Nach zwei Wochen verspüren Sie zunehmende Schmerzen in Ihrem linken Knie. In diesen Fällen ist das Ziel vermutlich weiterhin attraktiv für Sie, erscheint aber nicht mehr realistisch erreichbar. In der Zielfindungsphase hätte dies vielleicht dazu geführt, dass Sie das Ziel gar nicht erst auf diese Weise formu‐ liert hätten. Da hatten Sie allerdings die entsprechenden Informationen noch nicht. Inzwischen haben Sie sich an das Ziel gebunden und sind frustriert, enttäuscht oder verärgert, dass es nun in so weite Ferne gerückt ist. Schieben Sie Ihre negativen Gefühle in dieser Situation nicht weg, sondern haben Sie Selbstmitgefühl: Es ist schade, dass das Ganze nicht so klappt, wie Sie es sich gewünscht hätten! Wenn die erste Enttäuschung abgeebbt ist, können Sie sich dann ganz bewusst Zeit nehmen, um wieder nach vorne zu schauen und zu überlegen, wie Sie jetzt weitermachen: ▸ Prüfen Sie Ihr Ziel. Was wollten Sie mit diesem Vorhaben ursprünglich erreichen? Um auf die zuvor genannten Beispiele einzugehen: Geht es wirklich um dieses spezielle Abschlussarbeitsthema, um dieses spezielle Nebenfach, um diese spezielle Sportart? Oder ist Ihr formu‐ liertes Ziel eigentlich nur Mittel zum Zweck? Wollen Sie z. B. genau dieses Thema in Ihrer Abschlussarbeit bearbeiten, weil es besonders angewandt ist? Wollen Sie genau dieses Nebenfach belegen, weil Sie mehr Zeit mit Ihrem besten Freund verbringen wollen, der das Fach ebenfalls belegt? Wollen Sie joggen gehen, um Ihre Fitness zu steigern? Bestenfalls kommen Sie zu der Erkenntnis, dass es sich bei Ihrem Ziel gar nicht um Ihr eigentliches Ziel, sondern nur um einen möglichen Weg gehandelt hat. Diese Erkenntnis öffnet den Raum 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 248 <?page no="249"?> für alternative Handlungsmöglichkeiten. Sie können Ihr Ziel immer noch erreichen - aber eben auf einem anderen Weg. Sie können z. B. in Ihrer Bachelorarbeit eine andere angewandte Fragestellung behandeln, mit Ihrem besten Freund eine andere Lehrveranstaltung gemeinsam besuchen oder Fahrrad fahren statt joggen gehen. ▸ Prüfen Sie, wie Sie Ihre bereits getätigten Investitionen „recyceln“ können. Wahrscheinlich haben Sie schon einiges an Zeit, Geld oder „Hirnschmalz“ in Ihr Vorhaben investiert. Das muss nicht umsonst ge‐ wesen sein! Fokussieren Sie darauf, was davon Ihnen auch über dieses konkrete Projekt hinaus nützt. Vielleicht haben Sie Erkenntnisse oder Kompetenzen erworben, die Sie an anderer Stelle wieder einsetzen können (z. B. die Fähigkeit zur zielgerichteten Literaturrecherche). Vielleicht haben Sie sich etwas angeschafft, das Sie auch im Rahmen anderer Projekte wieder brauchen können (z. B. Sportklamotten). Machen Sie sich bewusst, was Sie durch die Arbeit an Ihrem Projekt gewonnen (statt nur verloren) haben. Vielleicht haben Sie bei der Verfolgung Ihres Ziels tatsächlich einen Weg eingeschlagen, der sich dann als Sackgasse herausgestellt hat - das heißt aber noch lange nicht, dass Sie dort stecken bleiben müssen. Sagen Sie sich: O. k., jetzt weiß ich mehr, nämlich, dass mich dieser Weg (zumindest im Moment) nicht ans Ziel bringt. Also probiere ich einen anderen Weg, vielleicht klappt ja der! Niemand hindert Sie daran, so zu denken - außer vielleicht Sie selbst. Neben unerreichbar gewordenen Zielen gibt es noch eine weitere Situation, in der Sie erwägen sollten, die Notbremse zu ziehen: Angenommen, Sie sind eigentlich auf einem guten Weg, können Ihren Plan prima einhalten und haben kaum Hindernisse zu überwinden. Vielleicht ist Ihr Ziel sogar schon in Sichtweite. Aber irgendetwas stimmt nicht. Ihr Ziel kommt Ihnen nicht mehr so attraktiv und wünschenswert vor wie zu Beginn des Projekts. Sie sind sich nicht mehr sicher, ob Sie es überhaupt noch erreichen wollen. Eine schwierige Situation, denn Ihre getätigten Investitionen binden Sie an Ihr Projekt und vielleicht machen Sie sich auch Sorgen, wie andere reagieren werden, wenn Sie verkünden, dass Sie das Projekt abbrechen werden. Die unmittelbaren negativen Folgen des Projektabbruchs sind Ihnen sehr präsent und real, und stechen möglicherweise die längerfristigen positiven Folgen aus. Trotz Zweifeln weiterzumachen kostet Sie womöglich weniger Überwindung und Anstrengung als aufzugeben. Es handelt sich hierbei also 3.7 Schritt 6: Bleiben Sie dran 249 <?page no="250"?> um eine Situation, in der uns der Schweinehund im Projekt hält statt uns - wie sonst - davon abzubringen. Sollten Sie sich in dieser Situation befinden, dann nehmen Sie sich bewusst eine Auszeit, um von einer höheren Warte (vom „Balkon“ aus; Kapitel 2.4.1) auf Ihr Projekt zu blicken und abzuwägen, ob und wie es nun weitergehen kann. Holen Sie die fernen Konsequenzen - sowohl die des Weitermachens, als auch die des Abbruchs - ganz nah heran. Versetzen Sie sich dazu nacheinander in die folgenden zwei Zukunftsszenarien: ▸ Szenario 1: Stellen Sie sich vor (wie bereits bei Schritt 2), wie es sein wird, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben. Fokussieren Sie dieses Mal jedoch nicht nur auf die positiven Folgen, sondern bedenken Sie auch Kosten und negative Aspekte, wenn Sie Ihr Projekt weiterverfolgen und abschließen. Vergegenwärtigen Sie sich dabei auch immer wieder Ihr Big Picture: Bringt Sie das Projekt der Person, die Sie sein möchten, wirklich näher? Macht Sie das, was Sie tun, glücklich? Ist es ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem höheren Ziel? ▸ Szenario 2: Machen Sie dann einen gedanklichen „Reset“ und stellen Sie sich vor, wie es sein wird, wenn Sie Ihr Projekt jetzt aufgeben und sich stattdessen auf etwas Anderes konzentrieren. Seien Sie auch hier möglichst offen und bedenken Sie sowohl positive als auch negative Aspekte. Gehen Sie in sich, reden Sie mit anderen, informieren Sie sich über Alternativen! Auf diesem Weg schaffen Sie ein Fundament, das Ihnen die Entscheidung erleichtern wird. Die Pro- und Contra-Argumente selbst werden vielleicht keinen Entschluss herbeiführen, da sie schwer miteinander vergleichbar sind. So kann es durchaus sein, dass Sie drei Nachteile des Aufgebens finden und nur einen Nachteil des Weitermachens, dieser letztgenannte Nachteil jedoch subjektiv deutlich schwerer wiegt als die anderen drei zusammen. Es geht dabei nicht um Algebra. Vielmehr geben Sie Ihrem Gehirn durch diese Argumente Futter, mit dem es arbeiten kann. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Entscheidung dann eines Tages einfach „da“ ist. Mit diesem Vorgehen können Sie es vermeiden, in die Falle der versunkenen Kosten zu tappen. Lassen Sie sich nicht von bereits getätigten Investitionen an Ihr Projekt „fesseln“, sondern schauen Sie nach vorn. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 250 <?page no="251"?> Eine weitere Möglichkeit, sich vor eskalierendem Commitment zu schützen und nicht (mehr) zielführendes Verhalten zu unterbrechen, sind Wenn-Dann-Pläne, z.B.: ▸ Wenn mich wiederholt Zweifel plagen, dann unterbreche ich mein Projekt und überlege, wie es weitergehen kann. ▸ Wenn ich negatives Feedback erhalte, dann prüfe ich, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. ▸ Wenn ich mich gestresst fühle, dann mache ich eine Pause. ▸ Wenn ich Schmerzen verspüre, dann höre ich sofort auf zu joggen und gehe im Schritttempo weiter. Hier schließt sich der Kreis zum Anfang: Besinnen Sie sich auf Ihr Big Picture. Was macht Sie als Mensch wirklich aus? Was ist Ihnen wirklich wichtig? Sie werden feststellen, dass es Ihren Wert als Mensch nicht schmälert, wenn Sie dieses eine Ziel anpassen oder auch aufgeben. Sie hatten einen guten Grund, sich zu Beginn an Ihr Projekt zu binden. Nun haben Sie einen guten Grund, sich wieder davon zu lösen. 3.7.3 Schließen Sie Ihr Projekt ab Es kann vorkommen, dass man an einem Ziel weiterarbeitet, obwohl man es eigentlich schon erreicht hat: Die Hausarbeit ist geschrieben, der Lernstoff sitzt, das Referat ist vorbereitet. Dennoch geht man das Ganze „zur Sicherheit“ noch einmal durch. Und noch einmal. Und noch einmal. Dieses Über-Investment kann dann zum Problem werden, wenn es Ihnen Zeit und Energie für andere Ziele und Projekte abzieht. Prüfen Sie daher regelmäßig, ob Sie Ihr Ziel bereits erreicht haben und Ihr Projekt nun abschließen können. Dies gilt vor allem dann, wenn Sie eben kein/ -e Auf-den-letzten-Drücker-Erlediger/ -in sind (diesen dürfte die geschilderte Situation eher unbekannt vorkommen …) und bei Ihrer Planung einen großen Puffer berücksichtigt haben. Dieser Puffer ist nicht dafür gedacht, in jedem Fall für das Projekt aufgebraucht zu werden, sondern nur im Bedarfsfall. Fallen Sie nicht auf Ihren inneren Schweinehund herein, dem es deutlich lieber ist, weiter an dem bereits erreichten Ziel „herumzudoktern“ als etwas Neues in Angriff zu nehmen. Ob wir unsere Ziele erreichen oder nicht, hängt nicht zu 100 % von uns selbst ab. Widrige Umstände, höhere Gewalt und/ oder starke Konkurrenz können 3.7 Schritt 6: Bleiben Sie dran 251 <?page no="252"?> das Ergebnis beeinflussen und z. B. dazu führen, dass wir in einer Prüfung schlechter abschneiden als wir es aus unserer Sicht verdient hätten. Ein gewisser Anteil am Ergebnis entzieht sich unserer Kontrolle. Der weitaus größere Anteil jedoch ist durch uns, unseren Einsatz und unser Engagement für das Ziel beeinflussbar. Auf diesen Anteil - Ihren „Input“ - sollten Sie sich konzentrieren, nicht auf das, was Sie sowieso nicht ändern können. Je gewissenhafter Sie an der Umsetzung Ihres Vorsatzes arbeiten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dabei auch erfolgreich sind. Und dann ist es endlich so weit: Ziel erreicht, Schweinehundprojekt abge‐ schlossen. Herzlichen Glückwunsch! Während der gesamten Projektlaufzeit haben Sie sich immer wieder mit Visualisierungen des Ziels über Wasser gehalten („Wie schön wird es sein, wenn ich mein Ziel erreicht habe! “). Diese Vorstellungen werden jetzt Realität. Kosten Sie das in vollen Zügen aus. Belohnen Sie sich angemessen, feiern Sie, erholen Sie sich. Das haben Sie sich wirklich verdient! Da Emo‐ tionen kurzlebig sind, kann es sein, dass Ihre Freuden- und Glücksgefühle nicht so lange andauern, wie Sie sich das wünschen würden. Zudem zeigt die Forschung zur hedonistischen Tretmühle, dass wir uns an positive Ereignisse in unserem Leben sehr schnell gewöhnen. Erwarten Sie also nicht unbedingt einen tagelangen Glücksrausch, wenn Sie Ihr Ziel endlich erreicht haben, sondern sorgen Sie vor, indem Sie sich eine angemessene Belohnung gönnen oder bewusst eine genussvolle Auszeit nehmen. So können Sie Ihren Triumph auskosten und positive Gefühle verlängern. Aufgabe Bevor es nun mit Tatendrang auf geht zu neuen Ufern, nehmen Sie sich noch einmal Zeit für Ihr nun abgeschlossenes Projekt. Machen Sie einen letzten Rückblick und reflektieren Sie den Projektverlauf. Fragen Sie sich: ▸ Was nehme ich aus diesem Projekt für die Zukunft mit? ▸ Was waren die Strategien, die mir am meisten geholfen haben? ▸ Welche Erkenntnis wird bleiben? Notieren Sie Ihre Gedanken und legen Sie Ihre Notizen in Ihre Schwei‐ nehundmappe. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 252 <?page no="253"?> Und nun: Auf zum nächsten Schweinehundprojekt! Auf den Punkt ▸ Üben Sie einen förderlichen Umgang mit Ihren Emotionen. Geben Sie Ihnen nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel Raum. ▸ Seien Sie ausdauernd und stärken Sie Ihre Bindung an das Projekt - außer, Sie haben ernsthafte Zweifel. Dann ziehen Sie die Notbremse. ▸ Erkennen Sie, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, und schließen Sie Ihr Projekt ab. ▸ Am Ende von Schritt 6 schmeißen Sie eine Party - Sie haben es durchgezogen und Ihren Schweinehund an die Leine genommen! 3.8 Troubleshooting bei akuten Blockaden Sie haben sich eine bestimmte Aktivität oder Aufgabe vorgenommen, können sich jedoch partout nicht dazu aufraffen und fühlen sich geradezu blockiert? Dieses Troubleshooting kann Ihnen helfen, den Einstieg zu meistern. 1. Nehmen Sie sich jetzt 15 Minuten Zeit. 2. Ziehen Sie sich - wenn möglich - an einen ruhigen Ort zurück. Schalten Sie Handy, Fernseher, Musik und weitere potenzielle Störquellen aus. 3. Schließen Sie für wenige Momente die Augen und stellen Sie sich ganz anschaulich und bildhaft vor, wie es sein wird, wenn Sie Ihr Vorhaben erfolgreich in die Tat umgesetzt haben. 4. Machen Sie dann sofort etwas für Ihr Vorhaben, das maximal fünf Minuten dauert. Je nachdem, worum es sich handelt, können Sie z.B. ▸ eine Definition auswendig lernen. ▸ einen Satz Ihrer Hausarbeit schreiben. ▸ den ersten Absatz eines Vorlesungsskripts lesen. ▸ das oberste Fach Ihres Bücherregals ordnen. ▸ eine Kniebeuge machen - oder zwei. ▸ einen Saisonkalender für Obst und Gemüse aus dem Internet herunterladen. 3.8 Troubleshooting bei akuten Blockaden 253 <?page no="254"?> ▸ im Internet recherchieren, welche Alternativen es zu Industrie‐ zucker gibt. 5. Konzentrieren Sie sich voll und ganz auf diese kleine Aufgabe. Es ist nicht so wichtig, was Sie machen, sondern dass Sie etwas machen. 6. Wenn Sie die Aufgabe erledigt haben, belohnen Sie sich, z. B. mit einem Lob („Klasse, Du bist aktiv geworden! “) oder einer Minute Chillen auf der Couch. 7. Nehmen Sie dann Ihren Terminkalender zur Hand. Reservieren Sie an jedem der nächsten sieben Tage ein festes Zeitfenster von 15 Minuten für Ihr Vorhaben (z. B. immer nach dem Frühstück von 9.00 bis 9.15 Uhr). Überlegen Sie sich kleine Arbeitsschritte, die Sie in diesen 15 Minuten erledigen können. 8. Betrachten Sie dieses Zeitfenster als verbindlich. Formulieren Sie einen Wenn-Dann-Plan und schreiben Sie diesen auf (z. B. „Wenn ich das Frühstück beendet habe, dann setze ich mich an den Schreibtisch und …“). Wenn Sie wollen, können Sie als zusätzliche Erinnerungs‐ stütze einen Wecker stellen. Geben Sie Ihrem Vorhaben zumindest für die nächsten sieben Tage höchste Priorität. 9. Schließen Sie dann noch einmal die Augen und stellen Sie sich ganz anschaulich und bildhaft vor, was Sie daran hindern könnte, Ihren 7-Tage-Plan einzuhalten und wie Sie dieses Hindernis überwinden werden. Formulieren Sie einen konkreten Wenn-Dann-Plan für den Fall, dass das Hindernis tatsächlich auftritt (z. B. „Wenn ich akute Unlust verspüre, dann atme ich dreimal tief durch, und fange an.“). Wenn Sie es auch nur einmal geschafft haben, aktiv zu werden, können Sie sich dieses kleine Erfolgserlebnis bei späteren Handlungsblockaden immer wieder in Erinnerung rufen: Sie können durch Ihr Handeln etwas bewirken und Ihr Vorhaben voranbringen! Das haben Sie bereits bewiesen und können es jederzeit wieder tun. 3 Den Schweinehund an die Leine nehmen 254 <?page no="255"?> 4 Zum Abschluss 4.1 Stabilität und Veränderung - ein Balanceakt 4.2 Wenn es wieder nicht klappt … 4.3 Raus aus der Komfortzone? 4.1 Stabilität und Veränderung - ein Balanceakt Veränderungen sind unvermeidbar, das sehen wir nicht nur in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Auch das Leben jedes/ -r Einzelnen von uns ist geprägt durch eine Abfolge kritischer Lebensereignisse und -phasen (Ein‐ schulung, Aufnahme des Studiums, Eintritt ins Berufsleben, Familiengrün‐ dung …), die einen Wandel unseres Körpers, unserer Persönlichkeit, unseres Wissens und Könnens, unseres sozialen Umfelds, unseres Lebensraums und unserer Lebensinhalte mit sich bringen. Auf einige Veränderungen können wir uns gut vorbereiten, andere treffen uns völlig unerwartet. Manche Veränderungen bringen eine Verbesserung der Lebenssituation mit sich, andere fordern uns heraus und schüren Verlustängste - Verlust von Komfort, Gesundheit, liebgewonnenen Menschen, aber auch der eigenen Identität bzw. Teilen der eigenen Identität. In dem Moment, in dem man anfängt, sich zu verändern, ist das „alte Ich“ Vergangenheit. Bis sich das „neue Ich“ stabilisiert hat, kann es ein wenig dauern (Burke, 2006). Der innere Schweinehund ist kein Fan von Veränderungen - egal ob erwartet oder unerwartet. Er steht für Stabilität und möchte gerne, dass wir uns in unserem vertrauten Umfeld (unserer „Komfortzone“) häus‐ lich einrichten, Risiken meiden und uns um die Erfüllung unserer aktu‐ ellen Bedürfnisse kümmern. Dies kann sich auch in einer erhöhten sog. Veränderungsresistenz (Moreira et al., 2020; Oreg, 2003) widerspiegeln, also der Tendenz, eine negative Einstellung gegenüber Abweichungen vom Status Quo einzunehmen („Ich mag keine Veränderungen.“, „Veränderung heißt, etwas Gutes für etwas Ungewisses aufzugeben.“ …). Den inneren Schweinehund an die Leine zu nehmen bedeutet also nicht nur, mit Ver‐ änderungen „klar zu kommen“, sondern diese sogar aktiv zu suchen und konstruktiv zu nutzen. <?page no="256"?> Veränderungen können uns ohne Frage vor Herausforderungen stellen. Dennoch kann es sich lohnen, den eigenen Komfort- und Sicherheitsbereich zu verlassen, um Neues zu lernen, Überraschungen zu erleben und „ma‐ gische“ Erfahrungen zu machen (wie es das anonyme Sprichwort „The magic happens outside your comfort zone.“ nahelegt). Zu akzeptieren, dass Veränderungen ein essenzieller Bestandteil unseres Lebens sind und „ein‐ fach dazugehören“, mag ein erster Schritt in Richtung eines gesunden und reflektierten Umgangs damit sein. Denn auch jemand, der Veränderungen nicht bewusst sucht, wird sich immer wieder damit konfrontiert sehen. Jenseits einseitiger Glorifizierung oder Ablehnung von Veränderung eine offene Haltung und einen ausgewogenen Blick auf Risiken und Chancen ein‐ zunehmen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, aus Krisensituationen gestärkt hervorzugehen. Denn Veränderungen gehören nicht nur zum Leben, son‐ dern machen Lernen und Entwicklungsschritte überhaupt erst möglich: Eine partnerschaftliche Trennung eröffnet die Chance auf neues Liebesglück oder der Wechsel des Studiengangs die Chance auf den Job, der wirklich zu einem passt. Bei aller Flexibilität im Umgang mit den komplexen Anforderungen, die das tägliche Leben an unsere Selbstmanagementfähigkeiten stellt, sollten wir jedoch nicht unsere Bodenhaftung verlieren. Eine ganze Disziplin der Psychologie (die Persönlichkeitspsychologie) hat in unzähligen Studien aufgezeigt, dass viele Eigenschaften bei erwachsenen Menschen über die Zeit relativ stabil sind und wir in der Regel den Eindruck haben, über die gesamte Lebensspanne ein und dieselbe Person zu bleiben. Auch eigene Unzulänglichkeiten oder Abneigungen („Das ist einfach nicht meins.“) können wichtiger Teil der eigenen Identität sein. Man kann also sagen: Ja, wir verändern uns, aber wir bleiben auch wir selbst. Um eine gesunde Balance zwischen Stabilität und Veränderung zu finden, ist die Fähigkeit, die eigenen Vorsätze konsequent zu realisieren, zentral. Jeder Vorsatz, jede neue Gewohnheit bedeutet Veränderung - manchmal nur in kleinem, manchmal auch in größerem Umfang. Dennoch wird es bei vielen Ihrer Ziele auch darum gehen, sich in Ihrer Persönlichkeit zu festigen. Indem Ihr innerer Schweinehund Ihre Vorsätze sabotiert, hält er Sie also davon ab, der Mensch zu sein, der Sie sein wollen. Deswegen: Geben Sie Ihrem inneren Schweinehund nicht klein bei. Seien Sie der Mensch, der Sie sein wollen! 4 Zum Abschluss 256 <?page no="257"?> ▸ Sie wollen früher mit dem Lernen beginnen, um zur Prüfungszeit nicht wieder in Bedrängnis zu kommen? ▸ Sie wollen jeden Tag ein wenig an Ihrer Abschlussarbeit schreiben, um kontinuierlich tiefer in Ihr Thema einzutauchen? ▸ Sie wollen sich stärker hochschulpolitisch engagieren? ▸ Sie wollen sich umweltbewusster verhalten? ▸ Sie wollen endlich mehr für sich selbst und Ihre Gesundheit tun? Tun Sie es! Bisher haben wir den Blick sehr eng auf einen konkreten Vorsatz gerichtet. Es geht jedoch um mehr. Wenn Sie Ihr Projekt abgeschlossen und Ihr Ziel erreicht haben, werden Sie vielleicht feststellen, dass das Projekt direkte oder indirekte Einflüsse auf andere Projekte oder Bereiche Ihres Lebens hatte oder hat. Vielleicht haben sich unverhoffte Freiräume ergeben? Oder Ihr Bild auf sich selbst, Ihre Lebenssituation oder Ihr Umfeld hat sich verändert? Nicht jeder umgesetzte Vorsatz, nicht jede neue Gewohnheit wird Ihr Leben von Grund auf „umkrempeln“. Aber seien Sie sensibel für positive Ausstrahlungseffekte. Eine meiner Studentinnen hatte sich vorgenommen, durch eine tägliche Aufräumroutine mehr Ordnung in ihre Wohnung zu bringen. Nach kurzer Zeit berichtete sie im Kurs, sie habe den Eindruck, die Ordnung in ihrer Wohnung führe auch zu einer stärkeren Ordnung in ihrem Kopf. Sie würde nun auch viele andere Aufgaben wesentlich strukturierter angehen und z. B. E-Mails konsequenter abarbeiten. Auf den Punkt ▸ Die Fähigkeit, Vorsätze konsequent in die Tat umzusetzen, hilft uns dabei, zwischen Veränderung und Stabilität zu navigieren. Beides sind feste Bestandteile unseres Lebens. 4.2 Wenn es wieder nicht klappt … Sie haben in diesem Buch erfahren, dass Aufschieben unter den Bedin‐ gungen, wie sie selbstorganisiertes Arbeiten im Rahmen eines Studiums mit sich bringt, völlig normal ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass Aufschieben 4.2 Wenn es wieder nicht klappt … 257 <?page no="258"?> zur Normalität werden sollte. Aufschieben kostet Zeit und Energie - nicht zuletzt, weil man ja doch immer wieder an die geschobene Aufgabe denkt. Ich habe Studierende erlebt, die gegen Ende ihres Studiums aufgrund ihrer Prüfungsangst so gut wie keine Prüfung abgelegt hatten. Ein Teufelskreis: Je mehr und je länger man schiebt, desto größer und schwieriger zu bewältigen wird der „Berg“ an Prüfungen und damit auch der Wiedereinstieg in die Arbeit. Wenn man nicht rechtzeitig interveniert, kann Aufschieben so zur schlechten Gewohnheit werden. Es scheint dann oft, als hätte der/ die Betrof‐ fene die Kontrolle über das eigene Handeln verloren. Statt bewusst zu entscheiden, wann welche Aufgaben erledigt werden, wird automatisch aufgeschoben, auch, wenn das Aufschieben ganz offensichtlich negative Folgen hat (Höcker et al., 2017a). Dieses chronische Aufschieben (Prokrastination) ist eine komplexe Stö‐ rung der Selbststeuerung, die alle Bereiche des Lebens negativ beeinträch‐ tigen kann: schlechtere Leistungen in Studium und Beruf, verringertes subjektives Wohlbefinden, Zunahme physischer und psychischer Erkran‐ kungen, Belastungen zwischenmenschlicher Beziehungen (z.B. Beutel et al., 2016; Höcker et al., 2017a; Klingsieck, 2013). Die meisten Betroffenen leiden sehr unter den Folgen des chronischen Aufschiebens, schaffen es jedoch nicht aus eigenem Antrieb, etwas dagegen zu unternehmen. In solchen Fällen wird dringend empfohlen, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Woher weiß ich denn, ob ich noch aufschiebe oder schon prokrastiniere? Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Menschen in Erlediger/ -innen, Aufschieber/ -innen und Prokrastinierer/ -innen einzuteilen würde der Komplexität des Phänomens sicher nicht gerecht. Stellen Sie sich stattdessen ein Kontinuum von „kein Aufschieben“ bis „chronisches Aufschieben“ mit einer Vielzahl an Abstu‐ fungen vor. Wo auf diesem Kontinuum Sie sich befinden, hängt von ver‐ schiedenen persönlichen und situativen Faktoren ab (von denen Sie viele in Kapitel 2 kennengelernt haben) und ist nicht zeitlich stabil: Vielleicht haben Sie letztes Semester deutlich stärker aufgeschoben als dieses Semester oder umgekehrt. Vielleicht schieben Sie in den Semesterferien nie, während des Semesters dagegen sehr häufig auf. Ob Sie die Grenze zu behandlungs‐ bedürftiger Prokrastination bereits überschritten haben, kann letztlich nur ein/ -e Psychotherapeut/ -in oder andere/ -r Experte/ -in feststellen. 4 Zum Abschluss 258 <?page no="259"?> Eine erste Einschätzung können Sie jedoch anhand der folgenden Diag‐ nosekriterien vornehmen, die eine Arbeitsgruppe der Universität Münster entwickelt hat (Höcker et al., 2017a, S. 23). Diagnosekriterien für Prokrastination Damit die Diagnose „Prokrastination“ vergeben werden kann, müssen die Kriterien a) und b), sowie mindestens drei der sechs Kriterien unter c) erfüllt sein. a. In den letzten sechs Monaten wurden sehr wichtige Tätigkeiten an mindestens der Hälfte der Tage über den passenden Zeitpunkt hinaus aufgeschoben, obwohl Zeit für deren Erledigung zur Ver‐ fügung stand. b. Aufgrund des Aufschiebens wurde das Erreichen persönlicher Ziele stark oder sehr stark beeinträchtigt. c. Zusätzlich werden mindestens drei der folgenden sechs Kriterien erfüllt: ▸ Es wurde mehr als die Hälfte der für die Erledigung der Aufgabe zur Verfügung stehenden Zeit mit Aufschieben ver‐ bracht. ▸ An mindestens der Hälfte der Tage wurden andere, weniger wichtige Tätigkeiten vorgezogen, obwohl man eigentlich mit der wichtigen Aufgabe beginnen wollte. ▸ Die zu erledigenden Aufgaben haben an mehr als der Hälfte der Tage Abneigung und Widerwillen ausgelöst. ▸ Mindestens die Hälfte der Vorhaben, die im letzten halben Jahr abgeschlossen werden sollten, wurde aufgrund des Aufschie‐ bens nur unter großem Zeitdruck oder gar nicht fertig gestellt. ▸ Aufgrund des Aufschiebens besteht eine Beeinträchtigung des Leistungspotenzials von mindestens 50 %. ▸ Es liegen mindestens fünf der folgenden körperlichen und/ oder psychischen Beschwerden vor, die durch das Aufschieben hervorgerufen wurden: Körperliche Beschwerden: Muskelverspannungen, Schlafstö‐ rungen, Herzbzw. Kreislaufprobleme, Magenbzw. Verdau‐ ungsprobleme Psychische Beschwerden: innere Unruhe, Druckgefühl, Gefühl der Hilflosigkeit, innere Anspannung, Angst 4.2 Wenn es wieder nicht klappt … 259 <?page no="260"?> d. Die Probleme werden nicht besser erklärt durch eine andere Achse I- oder Achse II-Störung. Hinweis: Bei Kriterium d) handelt es sich um ein Ausschlusskrite‐ rium, das nur durch eine/ -n Psychotherapeuten/ -in oder andere/ -n Experten/ -in beurteilt werden kann. Die Münsteraner Prokrastinationsambulanz bietet online einen Selbsttest an, anhand dessen Sie herausfinden können, inwieweit diese Kriterien auf Sie zutreffen: QR 12. Auf der Webseite der Ambulanz finden Sie zudem viele weitere nützliche Informationen rund um das Thema Prokrastination. Eine weitere Anlaufstelle ist die Studienberatung der Universität Berlin, die auf ihrer Homepage Informationen und Beratung anbietet: QR 13. Auch, wenn es an Ihrer Universität keine spezielle Prokrastinationsam‐ bulanz gibt, so bieten doch die meisten Hochschulen Hilfe und Beratung für Studierende in besonderen Situationen an, z. B. über die allgemeine Studienberatung oder eine psychologische Beratungsstelle. Nutzen Sie diese Angebote als erste Anlaufstelle. Sollten Sie den Verdacht haben, vielleicht über das chronische Auf‐ schieben hinaus unter einer anderen behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung zu leiden (Prokrastination tritt z. B. häufig gemeinsam mit Prü‐ fungsangst, Depression oder ADHS auf), holen Sie sich unbedingt profes‐ sionelle Hilfe. Auf der Webseite der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) finden Sie Adressen in Ihrer Nähe: QR 14. Mein abschließender Appell an Sie lautet: Sollten Sie stark darunter leiden, dass Sie immer wieder aufschieben, dann holen Sie sich bitte Hilfe! Auch das kann der erste Schritt Ihres Projekts sein. Es ist besser, Ihre Situation zusammen mit einem/ -r Experten/ -in abzuklären, als alleine daran zu ver‐ zweifeln. Auf den Punkt ▸ Prokrastination ist eine klinisch relevante Störung der Selbststeue‐ rung, die ernst, aber behandelbar ist. Sollten Sie den Verdacht haben, an Prokrastination zu leiden, wenden Sie sich bitte an eine der angegebenen Anlaufstellen oder an eine/ -n andere/ -n Experten/ -in. 4 Zum Abschluss 260 <?page no="261"?> 15 Das hier beschriebene Phänomen scheint so häufig aufzutreten, dass es in den Medien bereits auf den Namen „Comfort Binge“ (Wagner, 2019) getauft wurde. 4.3 Raus aus der Komfortzone? Vielleicht kommt Ihnen folgende Situation bekannt vor: Nina kommt nach einem langen Unitag nach Hause und schaltet den Fernseher ein, um sich zu entspannen. Eigentlich wollte sie heute mit einer neuen Serie anfangen. Doch dann entscheidet sie sich dafür, eine Folge ihrer Lieblingsserie an‐ zuschauen, die sie bereits viele Male gesehen hat und inzwischen fast auswendig kennt. „Da weiß man, was man hat! “ denkt sie sich. Das Risiko, dass ihr die neue Serie nicht gefällt, ist ihr zu groß. Der Rückgriff auf das schon Bekannte dagegen ist bequem und kostet keine zusätzlichen Energien. 15 Ninas innerer Schweinehund hat sie an diesem Abend offensichtlich fest im Griff. Und meiner Meinung nach ist das auch gut so. Eine Belohnung soll eine Belohnung sein. Wenn Nina die neue Serie nicht gefällt, hat sie sich und ihren Schweinehund um die Belohnung betrogen. Man muss sich selbst nicht ununterbrochen beweisen, dass man offen für Neues und bereit für Abenteuer ist. In manchen Situationen (z. B. wenn man sich nach einem langen und anstrengenden Lerntag entspannen möchte) ist es völlig o. k. und vielleicht sogar geboten, es sich in seiner Komfortzone bequem zu machen. Solange es Nina wirklich guttut und dabei hilft, nach getaner Arbeit abzuschalten, ist es sicherlich keine Zeitverschwendung, sich zum zehnten Mal dieselbe Serienfolge „reinzuziehen“. Darüber hinaus kann man grundsätzlich offen sein für neue Perspektiven und Lösungswege außerhalb der eigenen Komfortzone - ohne diese immer gleich vorbehaltlos akzeptieren und gutheißen zu müssen. Ein stabiles inneres Wertesystem zu haben und dieses auch zu verteidigen, beißt sich nicht mit konsequenter Vorsatzrealisation, sondern liefert die nötige Energie, um aktiv zu werden. Peitschen Sie sich also nicht mit aller Gewalt aus der Komfortzone, sondern treffen Sie eine Vereinbarung mit Ihrem Schweinehund: Wenn Sie ihm versprechen, gut für sich zu sorgen und immer wieder in die Komfortzone zurückzukehren, dann wird er auch zulassen, dass Sie Neues ausprobieren, sich anspruchsvolle Ziele setzen und ausdauernd an Ihren Projekten arbeiten. Rennen Sie nicht sklavisch den Verpflichtungen und Dringlichkeiten des Alltags hinterher, sondern behalten Sie stets im Blick, 4.3 Raus aus der Komfortzone? 261 <?page no="262"?> was wirklich wichtig für Sie ist, und dosieren Sie Ihren Energieeinsatz entsprechend. Als junger Mensch sind Sie vielleicht fit genug, um sich selbst ohne Pause und Erholung durch die Prüfungszeit zu treiben - Sie gefährden dadurch aber längerfristig Ihre physische und psychische Gesundheit. Sorgen Sie früh für sich, so dass Sie nicht Ihr ganzes Pulver schon während des Studiums verschossen haben. Denn trotz aller Reibereien zwischen Ihnen und Ihrem Schweinehund - im Grunde will er dasselbe wie Sie, nämlich, dass es Ihnen gut geht und Sie ein gesundes und erfülltes Leben führen. Sehen Sie Ihren Schweinehund nicht als Gegner, sondern als Partner, mit dem Sie sich nach getaner Arbeit gemeinsam auf die Couch setzen, um Ihre Lieblingsserie zu gucken. Auf den Punkt ▸ Achten Sie auf einen gesunden Wechsel zwischen Phasen, in denen Sie ausdauernd Ihre Ziele verfolgen und fleißig Ihre To-Dos erle‐ digen, und Phasen, in denen Sie sich auch einmal treiben lassen und die Freuden des Augenblicks genießen. So nehmen Sie Ihren Schweinehund an die Leine! 4 Zum Abschluss 262 <?page no="263"?> 5 Verzeichnisse 5.1 Weblinks Alle Weblinks wurden zuletzt am 4. November 2020 geprüft. Für die Inhalte aller in diesem Buch verlinkten Internetseiten sind ausschließlich die jewei‐ ligen Betreiber/ -innen verantwortlich. QR 1: https: / / www.ted.com/ talks/ tim_urban_inside_the_mind_of_a_maste r_procrastinator QR 2: https: / / www.ted.com/ talks/ barry_schwartz_the_paradox_of_choice QR 3: https: / / woopmylife.org/ QR 4: https: / / www.youtube.com/ watch? v=7mobxikaYgU QR 5: https: / / www.youtube.com/ watch? v=Y7kjsb7iyms QR 6: https: / / www.youtube.com/ watch? time_continue=4&v=IvtZBUSplr4 &feature=emb_logo QR 7: https: / / self-compassion.org/ QR 8: http: / / franticworld.com/ the-three-minute-breathing-space-meditatio n-is-now-free-To-Download/ QR 9: https: / / www.youtube.com/ watch? v=4XQUJR4uIGM&feature=youtu. be QR 10: https: / / www.ted.com/ talks/ carol_dweck_the_power_of_believing_t hat_you_can_improve? language=de QR 11: https: / / www.klaus-grawe-institut.ch/ blog/ akzeptieren-und-annehm en-unangenehmer-gefuehle/ QR 12: https: / / www.uni-muenster.de/ Prokrastinationsambulanz QR 13: https: / / www.fu-berlin.de/ sites/ studienberatung/ projekte/ Projekt-Pr okrastinationspraxis/ index.html QR 14: https: / / www.bptk.de/ service/ therapeutensuche/ <?page no="264"?> 5.2 Literatur Ainslie, G. 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Bumerangeffekt 48 Bystander-Effekt 160 Chunk 135 Comfort Binge 261 Commitment siehe Zielbindung Commitment, eskalierendes 80, 251 Confirmation Bias siehe Bestätigungs‐ tendenz Denken 120 dysfunktionales 121f. funktionales 121f. Denkgewohnheit 128 Diskontierungseffekt, zeitlicher 71f., 80 Dissonanz, kognitive 15, 80, 110 Distress 151 Dringlichkeit 69, 73f., 220 Druck, sozialer 30, 80 ECTS-Punkte 20 Effekt der versunkenen Kosten 79f., 250 Ego-Depletion-Effekt 93 Einfluss, sozialer 14, 152f. Ein-Liegestütz-Challenge 213f. Eisenhower-Prinzip 73 Emotion 13, 42, 95f. Funktion 96f. Emotionsregulation 98, 101f., 244f. Erfolgserwartung 52 Erinnerung 67 Erregungstransfer 100 Etappenziel 207, 210 Eustress 151 Feedback 156f. <?page no="286"?> Fixed Mindset 123 Flexibilität 149, 193, 226f. Flow-Erleben 32f., 234 Bedingungen 33 Fortschrittskontrolle 75f., 237f., 241 Framing-Effekt 107 Freude am Tun 103 Frist 56f., 110, 210, 217f. Frustrationstoleranz 52, 99 Gamification 34 Gedächtnis explizites 127 implizites 126f. Gedankenlosigkeit 115 Gegenwarts-Ich 99 Gewissenhaftigkeit 83 Gewohnheit 14, 126f., 213f., gute 132f., 137 schlechte 132, 141f. Gewohnheitsaufbau 137f. Auslassung 140f. Dauer 140 Initiierungsphase 139 Lernphase 140 Stabilitätsphase 140 Gewohnheitsschleife 135, 138f., 215f. Gewohnheitsstärke 136, 140 Gib-Dein-Bestes-Ziel 53 Growth Mindset 123f., 162, 244 Grübeln 52, 77 Gruppe 155f. Gruppenarbeit 156 Handeln 13, 28, 44f., 95 Handlungsinitiierung 46, 66f. Handlungskrise 78 Handlungssteuerung, kontrollierte 127 Handyfasten 233 Hilflosigkeit, erlernte 161 Hindernis 65, 68, 219f., 242f., 247f. Ignoranz, pluralistische 160 Implementierungsintention siehe Wenn-Dann-Plan Impression Management 165 Informationskompetenz 204 Intention siehe Vorsatz Intentions-Verhaltens-Lücke 13, 46, 75, 133 Introspektionsillusion 152 Ja-Sagen 165f. Kausalattribution siehe Attribution Kognition 13, 94f. Komfortzone 255, 261 Konditionierung, operante 30f., 98 Kontrastieren, mentales 52, 65 Konzentration 87 Kopf-in-den-Sanditis 76 Korrumpierungseffekt 35f. Kortex, präfrontaler 71 Kreativität 111, 148 Längskonkurrenz 69 Lernen instrumentelles 134 selbstreguliertes 22 Lerngewohnheit 133, 137 Lerngruppe 30, 152, 230 Lösungsorientierung 121, 243 Maximizing 56 Meilenstein siehe Etappenziel Mindset 113, 175f. Minigewohnheiten 213f. Mood-as-Information-Hypothese 101 Motiv 36f., 192 Anschlussmotiv 37 explizites 37, 42, 192 implizites 37, 54, 192 Leistungsmotiv 36 5 Verzeichnisse 286 <?page no="287"?> Machtmotiv 37 Motivation 13, 28f., 97 Annäherungsmotivation 29 extrinsische 29f., 34f., 139, 195f. intrinsische 31f., 34f., 139, 193f. soziale 30, 152f. Vermeidungsmotivation 29 Motivationsgewinn 155 Motivationsverlust 155 Motivinkongruenz 37f., 42 Motivkongruenz 38 Multitasking 87 Muss-Satz 105f. Musturbation 106 Negation 47f. Negatives-Konsequenzen-Denken 105 Negativitätsbias 104 Nein-Sagen 165f. Neubewertung 87-90, 102, 122 Neujahrsvorsatz 13, 140 Neuroplastizität 124 Norm deskriptive 159 injunktive 159 soziale 158 Notfallplan 65, 219f., 224f. Offenheit im Denken 124 Parkinsonsches Gesetz 218 Pausenmanagement 74f., 212 Perfektionismus 83 fremdbestimmter 83 selbstbestimmter 83 übertriebener 78 Perseveranz 74 Persistenz 68, 77 Persönlichkeit 83, 256 Fünf-Faktoren-Modell 83 Planungsfehlschluss 62f. Planungsrecherche 203f. Pomodorotechnik 229 Priming 58f. Prinzip der kleinen Schritte 63, 207f., 213f. Prinzip des geringsten Aufwands 51 Problemlösen 120f. Projekt 173 Prokrastination 15, 24, 258f. akademische 19 Behandlung 103f., 113, 258f. Diagnosekriterien 259f. produktive 98 Prozessmodell der Selbstkontrolle 84f., 101 Prüfungsangst 164, 260 Pufferzeit 63, 209 Querkonkurrenz 69, 147 Rationalisierung 63, 110f., 183 Reaktanz 105 Reminder siehe Erinnerung Ressourcen 177 Routine 135, 139, 142, 216 Rubikonmodell der Handlungsphasen 44f. Rückblick 239f. Rückwärtsplanung 63, 210 Salamitaktik siehe Prinzip der kleinen Schritte Salienz 58 Satisficing 56 Schleife, reflexive 118 Schwelgen 52 Selbstabwertung 108f. Selbstaffirmation siehe Selbstbestäti‐ gung Selbstbestätigung 81, 112 Selbsterhöhung 109 5.3 Register 287 <?page no="288"?> Selbstgedanken, negative 109, 129 Selbstkontrolle 13, 82f., 127, 222 Selbstkonzept 39, 112 Selbstmanagement siehe Selbstregula‐ tion Selbstmitgefühl 114f., 175f. Selbstoffenbarung, emotionale 102 Selbstoptimierung 16 Selbstregulation 13, 21f., 40, 44, 75 Selbststeuerung siehe Selbstregulation Selbstwert 39, 63, 109 Bedrohung 97, 111 Schutz 112f. Selbstwertkontingenz 108 Selbstwirksamkeitserwartung 50f. Self-Handicapping 112f., 228 Self-Nudging siehe Situationskontrolle Sich selbst erfüllende Prophezeiung 163f. Situationskontrolle 85f., 143 Soft Skills 22 Stimmung 95 Stimmungskongruenz 96 Stimuluskontrolle 143f. Stress 14, 16, 150f. akuter 150 chronischer 151 Studentensyndrom 20 System, limbisches 71 Telling more than we can know 162 Terminkalender 212f. Tools, digitale 233 Tretmühle, hedonistische 42 Trigger siehe Auslösereiz Übergeneralisierung 119 Überplanung 61 Übertraining 214 Überzeugung 104f., 113, 118 hinterfragen 68, 117f., 178f. Unbewusstes, kluges 147f. Veränderung 14, 150f., 255f. Veränderungsresistenz 255 Verfügbarkeitsheuristik 162f. Vergangenheits-Ich 99 Vergleich abwärtsgerichteter 154 aufwärtsgerichteter 153 lateraler 154 selbstwertdienlicher 112 sozialer 153f., 230 Verhalten 95 ballistisches 79 heldenhaftes 82 Verhaltenssteuerung, hedonistische 29 Verlustaversion 150 Versagensangst 97f., 105, 108 Verstärkung 193f. negative 31, 98 positive 31, 98 Versuchung 70, 82, 221f., 232f. widerstehen 82, 85f. Vision 40, 188f. Visionboard 202 Volition 13, 44f., 93 Vorfreude 103 Vorsatz 13f., 41, 44f., 256 abschirmen 68f. Vorstellung, bildhafte 53 Vorverpflichtung 85f., 229f. Wenn-Dann-Plan 57f., 65, 145, 218f., 254 Wert 15, 39, 185f. Wichtigkeit 69, 73f., 220 Willenskraft siehe Volition WOOP 65f. Work-Study-Life-Balance 21 5 Verzeichnisse 288 <?page no="289"?> Wunsch 40 Wünschbarkeit 53f. Zeigarnik-Effekt 74 Zeitdruck 110f., 235 Zeitmanagement 73, 185 Zeitnutzungsprotokoll 130f. Zeitperspektive 99f. Ziel 40f., 46f., 77f., 189f. Annäherungsziel 40f., 48f. konkurrierendes 68f. kurzfristiges 41 langfristiges 41, 73 Lernziel 40, 123 mittelfristiges 41 Performanzziel 40, 123 Vermeidungsziel 40f., 48f. Zielablösung 13, 77f., 247f., 251 Zielbindung 54f., 201, 247 Zielformulierung 46f. attraktiv 53f. konkret 47f., 53 realistisch 49f. Zielpriming 59 Zielrealisierung 28 Zielschwierigkeit, tatsächliche 49 Zielsetzung 28 Zukunfts-Ich 99 5.3 Register 289 <?page no="290"?> ,! 7ID8C5-cfecaj! ISBN 978-3-8252-5420-9 Daniela Bernhardt Die Psychologie des Schweinehunds In 6 Schritten vom guten Vorsatz zur neuen Gewohnheit Studieren verlangt viel Eigenmotivation und ein gutes Selbstmanagement. Doch der „innere Schweinehund“ lauert in jedem und zerkaut genüsslich die guten Vorsätze. Das Buch erläutert anhand aktueller Befunde unter anderem aus der motivations- und sozialpsychologischen Forschung, warum es manchmal schwerfällt, gefasste Vorsätze in die Tat umzusetzen. Daraus folgen konkrete Empfehlungen, wie man den inneren Schweinehund „an die Leine“ bekommt. Studierende finden Unterstützung dabei, sich kurzfristig in 6 Schritten zur Erledigung drängender Aufgaben zu motivieren. Darüber hinaus zeigt der Ratgeber aber vor allem, wie sich förderliche Denkweisen und Gewohnheiten langfristig verankern lassen, um Studium, Berufseinstieg und alle weiteren Herausforderungen des Lebens gesund und gelassen zu meistern. Schlüsselkompetenzen | Psychologie Die Psychologie des Schweinehunds Bernhardt Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 54209 Bernhardt_M5420.indd 1 54209 Bernhardt_M5420.indd 1 03.03.21 16: 04 03.03.21 16: 04