Grundwissen Public Relations
Ein Leitfaden für Studium und Praxis
1123
2020
978-3-8385-5507-2
978-3-8252-5507-7
UTB
Olaf Hoffjann
Public Relations. Für immer mehr Medienstudierende ist es ein attraktives Berufsfeld. Für viele Unternehmen ist es eine Managementfunktion, mit der sie ihre Interessen in der Öffentlichkeit vertreten. Für Kritiker ist es der Versuch von Unternehmen, sich mittels >>Greenwashing<< von ihren Sünden zu befreien. Und für die Wissenschaft? Für sie ist PR all dies - und noch einiges mehr.
Die Verständnisweisen von PR sind ebenso vielfältig wie das Forschungsfeld selbst. Das Lehrbuch >>Public Relations<< versucht hier, auf doppelte Weise Orientierung zu verschaffen: Einerseits ist es ein >>klassisches<< Lehrbuch, in dem die PR-Forschung mit ihren wichtigsten Themen, Theorien und Fragen aus einer kommunikationswissenschaftlichen und organisationssoziologischen Perspektive erläutert wird. Andererseits wird ein konkretes Orientierungsangebot gemacht: Eine kohärente PR-Theorie dient als roter Faden und wird für alle relevanten Themen >>durchdekliniert<<.
Die Zusammenhänge zwischen den Einzelthemen werden mit dem >>Zwiebel<<-Modell verdeutlicht, das einen Blick für das >>große Ganze<< ermöglicht und aufzeigt, was die Arbeit der PR-Akteure prägt.
Damit bietet das Lehrbuch sowohl Studierenden als auch an Wissenschaft interessierten Praktikern einen Einstieg in die und eine Orientierung in der PR-Forschung. Dies unterstützen didaktische Elemente wie Lernziele, Definitionen, Visualisierungen und Literaturempfehlungen.
<?page no="0"?> Olaf Hoffjann Grundwissen Public Relations Ein Leitfaden für Studium und Praxis 2. Auflage <?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 4434 <?page no="2"?> Olaf Hoffjann Grundwissen Public Relations Ein Leitfaden für Studium und Praxis 2., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlag · München <?page no="3"?> Dr. Olaf Hoffjann ist Professor für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Organisationskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, am Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Friedrich- Universität Bamberg. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.dnb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 2. Auflage 2020 1. Auflage 2015 © UVK Verlag 2020 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Cover-Illustration: ©Luna2631 / Shutterstock.com Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck UTB-Nr. 4434 ISBN 978-3-8252-5507-7 (Print) ISBN 978-3-8385-5507-2 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5507-7 (ePub) <?page no="4"?> Inhalt Vorwort..........................................................................................................................9 1 PR-Verständnis und PR-Forschung............................................... 13 1.1 Was ist PR? .........................................................................................................13 1.1.1 Systematisierung von PR-Definitionen ...........................................15 1.1.2 Vier Verständnisweisen von PR ........................................................17 1.1.3 PR versus Werbung, Propaganda und Journalismus....................22 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung..................................24 1.2.1 PR-Lehre für die PR-Praxis? ................................................................26 1.2.2 Systematisierung I: Mikro-, Mesoversus Makroebene...............28 1.2.3 Systematisierung II: Paradigmen der PR-Forschung.....................30 2 Gesellschaftlicher Kontext.............................................................. 33 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen..................................................................34 2.1.1 Individualisierung und Wertepluralisierung ..................................35 2.1.2 Globalisierung und Internationalisierung .......................................36 2.1.3 Medialisierung........................................................................................40 2.1.4 Digitalisierung........................................................................................41 2.1.5 Fiktionalisierung und postfaktische Gesellschaft ..........................44 2.2 Geschichte der PR.............................................................................................47 2.2.1 Faktenbzw. ereignisorientierte PR-Geschichtsschreibung .......49 2.2.2 Periodisierende PR-Geschichtsschreibung ......................................50 2.2.3 Modellbzw. theorieorientierte PR-Geschichtsschreibung.........54 2.2.4 Der „Take off“ von PR in Abhängigkeit vom PR-Verständnis ...59 2.3 Ethik der PR .......................................................................................................62 2.3.1 Individual-, Organisations-, Branchen- und Professionsethik ...64 2.3.2 Richtlinien und Kodizes .......................................................................66 2.3.3 Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) ..............................70 3 Bezugsgruppenkontext .................................................................... 73 3.1 Primär-Bezugsgruppen ...................................................................................77 <?page no="5"?> 6 Inhalt 3.1.1 Stakeholder .............................................................................................78 3.1.2 Publics ......................................................................................................79 3.2 Sekundär-Bezugsgruppe Öffentlichkeit ......................................................80 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus .......................................................85 3.3.1 Determinationsthese.............................................................................88 3.3.2 Medialisierungsthese ............................................................................89 3.3.3 Intereffikationsmodell und strukturelle Kopplung .......................89 3.3.4 Entgrenzungen von PR, Journalismus und ihren Publika ...........94 3.4 PR und die Beziehungen zu Primär- und Sekundär-Bezugsgruppen...96 4 Organisationskontext .......................................................................97 4.1 Organisationskultur ...................................................................................... 101 4.2 Einfluss der PR in Organisationen ............................................................ 105 4.2.1 Hierarchische Stellung der PR in Organisationen...................... 107 4.2.2 Status der PR in Organisationen..................................................... 107 4.2.3 Stellung und Einfluss der PR in unterschiedlichen Organisationen .................................................................................................... 110 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder .............. 112 4.3.1 Absatzmarketing................................................................................. 118 4.3.2 Investor Relations ............................................................................... 124 4.3.3 Externes Personalmarketing ............................................................ 127 4.3.4 Interne Unternehmenskommunikation ........................................ 128 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation .................... 132 4.4.1 Corporate Identity.............................................................................. 134 4.4.2 Marke..................................................................................................... 137 4.4.3 Integrierte Unternehmenskommunikation .................................. 141 4.4.4 Fazit: Integration als operative Fiktion? ....................................... 147 5 Funktionskontext ............................................................................149 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR ............................................. 151 5.1.1 Organisationstheoretische Strömungen ....................................... 152 5.1.2 Legitimation als Funktion der PR ................................................... 161 5.2 Selektionskriterien der PR........................................................................... 172 <?page no="6"?> Inhalt 7 5.2.1 Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit ........................................... 174 5.2.2 Transparenz und Geheimnis............................................................ 180 5.2.3 Dialog und Partizipation................................................................... 186 5.2.4 Image und Reputation ....................................................................... 192 5.3 Wirklichkeit der PR....................................................................................... 196 5.3.1 Realismus: ohnmächtige PR ............................................................. 197 5.3.2 Konstruktivismus: allmächtige PR ................................................. 198 5.3.3 Non-Dualismus: zwischen all- und ohnmächtiger PR............... 200 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR ........................ 208 5.4.1 Public Affairs ....................................................................................... 208 5.4.2 Litigation-PR ........................................................................................ 215 5.4.3 Corporate Social Responsibility....................................................... 216 5.5 Prozessorientierte Ausdifferenzierung der PR ....................................... 220 5.5.1 Analyse.................................................................................................. 222 5.5.2 Planung: Strategie und Taktik......................................................... 224 5.5.3 Umsetzung............................................................................................ 225 5.5.4 Evaluation............................................................................................. 225 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR.............................................. 227 5.6.1 Presse- und Medienarbeit ................................................................. 231 5.6.2 Influencer Relations und Influencer Marketing .......................... 236 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR.......................................... 241 5.7.1 Issues Management ............................................................................ 242 5.7.2 Krisen-PR .............................................................................................. 246 5.8 Ausdifferenzierung externer PR-Beratung.............................................. 251 6 Rollenkontext .................................................................................. 257 6.1 Berufsfeld PR .................................................................................................. 258 6.2 Qualifikationen der PR ................................................................................. 262 6.3 Professionalisierung und Professionalität der PR.................................. 265 Literatur .................................................................................................... 269 Index.......................................................................................................... 307 <?page no="8"?> Vorwort Public Relations. Für immer mehr Medienstudierende ist es ein attraktives Berufsfeld. Für viele Unternehmen ist es eine Managementfunktion, der sie eine immer größere Bedeutung zumessen, um ihre Interessen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Für Kritiker ist es der Versuch von Unternehmen, sich mittels Greenwashing und Fake News von ihren Sünden zu befreien. Für viele Journalisten sind es mitunter allzu aggressive Versuche, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Und ür die Wissenschaft? Für sie ist PR all dies - und noch einiges mehr. Es gibt so viele Versuche, PR zu definieren, dass man schon in den 1960er Jahren das Zählen bestehender Definitionen aufgab. Und so vielzählig und vielältig, wie die Verständnisweisen von PR, sind auch die theoretischen Zugänge zu diesem Beobachtungsgegenstand. In dieser unübersichtlichen Lage unternimmt das Lehrbuch den folgenden Versuch: - Einerseits ist es ein ‚klassisches‘ Lehrbuch, in dem das Forschungsfeld PR mit seinen zentralen Themen und Fragen aus einer kommunikationswissenschaftlichen und organisationssoziologischen Perspektive erläutert wird. Dabei wird sowohl auf Ansätze der deutschsprachigen als auch der internationalen PR-Forschung zurückgegriffen. Damit wird der Anspruch eingelöst, Grundwissen zur PR anzubieten. - Andererseits soll in dem ‚Dickicht‘ sich widersprechender und überlappender PR-Theorien ein konkretes Orientierungsangebot gemacht werden: Dazu dient eine kohärente PR-Theorie als roter Faden. PR wird dabei als Organisationsfunktion verstanden, die Organisationen gegenüber relevanten Bezugsgruppen legitimiert. Dieser systemtheoretisch basierte Ansatz wird bei allen relevanten Themen ‚durchdekliniert‘ und bietet damit eine Orientierung. Damit wird der Anspruch eingelöst, ein Leitfaden ür Studierende und Praktiker zu sein. Um die Beziehungen zwischen den einzelnen Forschungsfeldern und -themen zu verdeutlichen und den Leserinnen und Lesern neben der Erläuterung von Details auch den Blick ür das ‚große Ganze‘ zu ermöglichen, ist eine Systematik gewählt worden, die in der Journalistik bereits zu einem Klassiker geworden ist: die Zwiebel von Weischenberg (1992: 68; Meier 2018: 67-70). Die jeweilige PR in einer Organisation ist geprägt von den verschiedenen Zwiebel-Schichten: von Veränderungen und Erwartungen in der Gesellschaft sowie von Bezugsgruppen wie der Öffentlichkeit über die Besonderheiten der jeweiligen Organisation bis hin zu den PR-Routinen und <?page no="9"?> 10 Vorwort den PR-Rollen. Dieses heuristische Modell bietet damit eine intuitive Systematik, die aufzeigt, was die Arbeit der PR-Akteure beeinflusst: Abb. 0.1: Die Ebenen der PR als Zwiebel (in Anlehnung an Weischenberg 1992: 68; Meier 2018: 70) - Im Gesellschaftskontext prägen PR neben grundsätzlichen gesellschaftlichen Entwicklungen wie der Globalisierung und der Digitalisierung auch ihre eigene Geschichte sowie die ethischen und rechtlichen Standards. In dieser Schicht finden sich damit die äußeren Rahmenbedingungen der PR (Kap. 2). - Im Bezugsgruppenkontext stehen die Beziehungen zu konkreten Bezugsgruppen der PR im Mittelpunkt. Einerseits entstehen durch Konflikte mit Bezugsgruppen wie Anwohnern oder Verbraucherschutzverbänden sowie durch Diskussionen in der Öffentlichkeit und im Journalismus erst die Probleme, die PR zu lösen bzw. zu vermeiden versucht. Andererseits adressiert PR an diese Bezugsgruppen Mitteilungen (Kap. 3). - Im Organisationskontext wird gezeigt, wie eine spezifische Organisation wie z. B. ein Unternehmen ‚ihre‘ PR prägt. Dies beginnt bei der Unternehmenskultur, setzt sich bei der Frage nach konkurrierenden Kommunikationsfunktionen bzw. -disziplinen sowie deren Integration fort und endet bei der Frage nach dem Status der PR innerhalb der Organisation (Kap. 4). <?page no="10"?> Vorwort 11 - Im Funktionskontext werden die Leistungen und Strukturen bzw. Routinen von PR als Organisationsfunktion erläutert. Während die Funktion das ist, was PR in all ihrer Unterschiedlichkeit in den verschiedensten Organisationen verbindet, sind die jeweiligen Strukturen bzw. Routinen der PR in den Organisationen höchst unterschiedlich. Dazu zählt neben den Selektionskriterien der PR u. a. auch die Frage der Wirklichkeit von PR-Beschreibungen. Zudem werden hier verschiedene Ausdifferenzierungen erläutert, die innerhalb der PR zu beobachten sind: Bereiche wie Public Affairs, Kommunikationsinstrumente wie die Pressearbeit oder die externe Beratung (Kap. 5). - Abschließend stehen im Rollenkontext die PR-Akteure im Mittelpunkt. Obwohl sie in den anderen Kontexten ‚eingeschlossen‘ sind, verbleibt ihnen ein autonomer Spielraum, wonach ihre persönlichen Einstellungen, ihr Rollenselbstverständnis und ihre Ausbildung in die Arbeit einfließen (Meier 2018: 68) (Kap. 6). Das Zwiebel-Modell bietet den Vorteil, dass die unterschiedlichen Forschungsfelder systematisch erläutert werden können. Es kann damit im positiven Falle zu einer Systematik ühren, die Basis ür ein Inventar kommunikationswissenschaftlicher und organisationssoziologischer Beiträge zur PR sein könnte (Weischenberg 1992: 69). Auch wenn die einzelnen Schichten hier getrennt vorgestellt werden, so hängen sie in der sozialen Realität eng zusammen (Meier 2018: 69) und sind daher auch nicht hierarchisch zu verstehen. So wird PR ihre Strategien einerseits an den vermuteten Wirkungen in den Bezugsgruppen ausrichten, andererseits an den Vorgaben in ihrer Organisation. Zudem gibt es andere Themen wie z. B. die PR-Ethik, die man in jedem Kontext erläutern müsste, die aber aus pragmatischen Gründen an einem Ort gebündelt dargestellt werden. Damit bietet dieses Lehrbuch sowohl Studierenden als auch an Wissenschaft interessierten Praktikern einen Einstieg in die und eine Orientierung in der PR-Forschung. Das Zwiebel-Modell und der Aufbau der einzelnen Kapitel ermöglichen es, einzelne Inhalte gezielt herauszugreifen. Alle didaktischen Elemente wie z. B. Definitionen und Lernziele sind grau hinterlegt. Die zu Beginn eines jeden Kapitels genannten Lernziele können nach dem Lesen bzw. Durcharbeiten eines Kapitels leicht umformuliert als Übungsfragen verwendet werden. Das Zwiebel-Modell ermöglicht schließlich einen Zusatznutzen. Im Mittelpunkt dieses Lehrbuches steht die PR, zudem kann es aber auch als Einührung in die strategische Organisationskommunikation gelesen werden: Gesellschafts- und Bezugsgruppenkontexte gelten ür alle Formen strategischer Organisationskommunikation, in den Kapiteln zum Organisations- <?page no="11"?> 12 Vorwort kontext werden am Beispiel von Unternehmen die strategische Organisationskommunikation und die Nachbardisziplinen der PR erläutert, bevor im Funktionskontext grundsätzliche Aspekte wie die Kommunikationsinstrumente und die Kommunikationsberatung thematisiert werden. Um die Lesbarkeit des Lehrbuches zu erhöhen, wird insbesondere bei Beispielen abwechselnd die weibliche und männliche Form verwendet. Es versteht sich von selbst, dass in der Regel immer auch das andere Geschlecht gemeint ist. Mit Blick auf die Lesbarkeit ist auch auf das ‚vgl.‘ bei indirekten Zitaten verzichtet worden, das lange Zeit zum festen Inventar deutschsprachiger sozialwissenschaftlicher Texte gehörte. Einerseits ist es verzichtbar, da direkte Zitate durch An- und Abührungszeichnen ausreichend von indirekten zu unterscheiden sind. Andererseits wird damit die internationale Konvention übernommen, in der das Pendant ‚cf.‘ nahezu keine Rolle mehr spielt und die sich auch in deutschsprachigen Publikationen nach und nach durchzusetzen scheint. Für wertvolle Hinweise möchte ich vor allem den vielen Studierenden an verschiedenen Universitäten und Hochschulen danken, die mich mit ihren Nachfragen dazu zwangen, Argumentationen zu überdenken und zu schärfen. Diese Hinweise sind auch in diese Neuauflage eingeflossen. Dabei wurde nicht nur neue Literatur eingearbeitet, sondern es wurden auch aktuelle Entwicklungen, wie z.B. die Fiktionalisierung bzw. Wahrheitskrise öffentlicher Kommunikation und die Etablierung von Influencern als neue relevante Zwischenzielgruppe ergänzt. Bamberg, im November 2020 Olaf Hoffjann <?page no="12"?> 1 PR-Verständnis und PR-Forschung Inhalt 1.1 Was ist Public Relations? 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung Lernziele Sie sind in der Lage, PR-Definitionen zu systematisieren sowie relevante PR-Verständnisweisen und deren Unterschiede zu erläutern. Sie können die Entwicklung insbesondere der deutschsprachigen PR-Forschung sowie ihr Verhältnis zur Berufspraxis skizzieren. Sie kennen unterschiedliche Möglichkeiten, die PR-Forschung zu systematisieren, und können Ansätze der PR-Forschung eigenständig zuordnen. 1.1 Was ist PR? Den Begriff Public Relations soll erstmals der Jurist Dorman Eaton 1882 in den USA benutzt haben. Er beschrieb damit, dass Unternehmen das Wohl der Öffentlichkeit im Blick behalten sollten (Grunig/ Hunt 1984: 14). Zu dieser ersten noch sehr vagen Definition des PR-Begriffes sind seither unzählige weitere hinzugekommen - bereits in den 60er Jahren soll es allein in den USA mehr als 2.000 Begriffsbestimmungen gegeben haben (Oeckl 1964: 25). Bis heute sind zahlreiche weitere Definitionsvorschläge hinzugekommen. Mit einem solchen ‚Definitionswirrwarr‘ befindet sich der PR-Begriff in guter Gesellschaft: Im Alltag wie in der Wissenschaft gibt es noch zu jedem Begriff eine Vielzahl an Definitionen. Letztlich kann eine solche Vielfalt sogar als Beleg dafür interpretiert werden, dass ein Begriff intensiv diskutiert und erforscht wird. Das Fehlen einer allgemein anerkannten PR-Definition ist daher nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlicher ist etwas anderes: Wenn man sich PR-Definitionen näher anschaut, wird schnell deutlich, dass sich viele von ihnen nicht nur in Nuancen unterscheiden, indem sie vielleicht Ähnliches mit anderen Worten beschreiben. Im Gegenteil: Bei manchen Definitionen hat man eher den Eindruck, dass es kaum mehr Schnittmengen zwischen ihnen gibt. Dies hat dazu geführt, dass sich weder in der Berufspraxis noch in der PR-Forschung bis heute ein auch nur vergleichbares PR- <?page no="13"?> 14 1 PR-Verständnis und PR-Forschung Verständnis durchgesetzt hat: „Public relations has struggled with an identity crisis and has failed to adopt an accepted definition of what it is nor agreed to what it does.“ (Jahansoozi 2006: 90) Daher ist es umso überraschender, dass die alltägliche Verwendung des PR- Begriffes selten zu Missverständnissen führt. Man glaubt zu wissen, was die andere meint, wenn sie von PR spricht. Das ist in der PR-Praxis nicht viel anders als in der Wissenschaft, wo die Definition relevanter Begriffe eigentlich selbstverständlich sein sollte. Die Probleme treten zumeist erst ein, wenn man den Eindruck gewinnt, dass die andere mit PR etwas ganz anderes meinen könnte. In solchen Situationen erscheint es notwendig, sich zumindest kurz über den Begriff und dessen Definition zu verständigen. Diese Verständigung könnte bei dem Begriff Public Relations etwas länger dauern. Es herrscht offenkundig ein völliges Durcheinander: „Was für den einen Autor PR ist, heißt bei einem anderen Public Affairs, Social Engineering, Unternehmenskommunikation, Human Relations etc.“ (Becker 1998: 229) Wie heterogen die Verständnisweisen sind, belegt eindrucksvoll die Super-Definition, die Harlow (1976: 36) aus 472 PR-Definitionen destilliert hat: „Public Relations is a distinctive management function which helps establish and maintain mutual lines of communications, understanding, acceptance and cooperation between an organization and its publics; involves the management of problems or issues; helps management to keep informed on and responsive to public opinion; defines and emphasizes the responsibility of management to serve the public interest; helps management to keep abreast of and effectively utilize change, serving as an early warning system to help anticipate trends; and uses research and sound and ethical communication techniques as its principal tools.“ (Harlow 1976: 36) Wenn man eine Definition in einem weiten Sinne als Festlegung und Abgrenzung der Bedeutung eines Begriffs versteht (Wienold 1995a: 126), wird deutlich, wie wenig hilfreich eine solche Super-Definition ist, da sie kaum etwas festlegt und abgrenzt. Nicht übersichtlicher wird die Lage dadurch, dass der PR-Begriff immer auch mit anderen Begriffen konkurrierte. Der Begriff der Öffentlichkeitsarbeit ist - bis auf Ausnahmen (z. B. Hoffjann/ Arlt 2015) - in aller Regel noch explizit als Synonym für PR verwendet worden. Er wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet, war durch die Arbeiten von Albert Oeckl (1964) in Deutschland viele Jahre lang verbreiteter als der PR-Begriff selbst und ist erst in den vergangenen Jahren wieder aus der Mode gekommen. Parallel dazu verlief der Aufstieg des Begriffes des Kommunikationsmanagements. Seine Verwendung ist noch diffuser: Mal wird er - ähnlich wie der <?page no="14"?> 1.1 Was ist PR? 15 Begriff der Öffentlichkeitsarbeit - als Synonym für PR verwendet, mal wird er explizit vom PR-Begriff abgegrenzt, wenn mit ihm das Management der gesamten Organisationskommunikation bezeichnet wird und PR als ein Teilaspekt (z. B. Zerfaß 2004; Kap. 4.3). Im Folgenden sollen zunächst PR-Definitionen systematisiert werden (Kap. 1.1.1). Anschließend soll der Versuch unternommen werden, vier Verständnisweisen von PR zu identifizieren und zu erläutern, die als Rahmen für das Lehrbuch dienen sollen (Kap. 1.1.2). Auf dieser Basis kann PR von Journalismus, Werbung und Propaganda abgegrenzt werden (Kap. 1.1.3). 1.1.1 Systematisierung von PR-Definitionen Wie können die unzähligen PR-Definitionen systematisiert werden? Günter Bentele, Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für PR, unterscheidet PR- Definitionen dazu nach ihrer Ausgangsperspektive (wer bzw. welche Gruppe definiert PR? ) und ihrer Zielperspektive (wie bzw. als was wird PR definiert? ) (Bentele 1998: 27-33). Bei der Ausgangsperspektive unterscheidet Bentele zwischen Laien, PR- Praktikern und PR-Wissenschaftlern, die PR definieren. Die (a) Alltagsperspektive umfasst Definitionen, mit denen „Laien ‚von außen‘ und ohne spezielle Kenntnisse“ (Bentele 1998: 27) PR beschreiben. Viele Beschreibungen der Alltagsperspektive sind eher Meinungen als Definitionen im engeren Sinne. So finden sich hier neben Beschreibungen zu neutralen Tätigkeiten wie z. B. der Informationsvermittlung negative Wertungen wie ‚Schönfärberei‘, ‚Greenwashing‘ oder ‚Manipulation‘ (ebd.: 29f). Hierzu zählen auch Aussagen und Meinungen von Journalisten, wenn sie PR in der Berichterstattung z. B. als Synonym für Inszenierung, Lüge oder Scherz verwenden (Fröhlich/ Kerl 2010: 66). Davon zu unterscheiden ist die (b) Berufsperspektive, in die „in der Regel eine Menge an beruflichen Erfahrungen in und mit diesem Berufsfeld“ (Bentele 1998: 28) einfließen. Szyszka (2015a) unterscheidet hier zwischen Praktikerdefinitionen und standespolitischen Definitionen. Ein prominentes Beispiel für eine solche Praktikerdefinition ist der berühmt gewordene Titel des PR-Buches von Zedtwitz-Arnim (1961): „Tue Gutes und rede darüber“. Ähnlich wie für Praktikertheorien scheint auch für Praktikerdefinitionen zu gelten, dass sie eine „Ansammlung ideologieverdächtiger Schlagworte“ (Burkart/ Probst 1991: 58) sind, die zwar auf persönlichen beruflichen Erfahrungen beruhen mögen, vor allem aber auch zum Ausdruck bringen, wie PR sein solle. Dieser normative Charakter gilt ebenso für standespolitische Definitionen von Berufsverbänden bzw. deren Organen, die als Interessen- <?page no="15"?> 16 1 PR-Verständnis und PR-Forschung vertreter des PR-Berufes nichts anderes als PR für PR betreiben: Sie erkennen in der Public Relations z. B. „eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, da sie der Gesellschaft (und den Medien) kontinuierlich Informationen der von ihnen vertretenen Organisationen übermitteln und mit den gesellschaftlichen Gruppen im kommunikativen Austausch stehen“ (DRPR 2012: 1). In der (c) wissenschaftlichen Perspektive müssen Definitionen der PR den Anspruch erfüllen, zumindest innerhalb eines bestimmten disziplinären Rahmens und eines spezifischen historischen Kontextes allgemeingültig zu sein. Zudem müssen sie frei sein von undefinierten, missverständlichen, breit interpretierbaren oder im wissenschaftlichen Sinne nicht allgemeingültigen Begriffen (Fröhlich 2015a: 108). Ein Beispiel hierfür ist die Definition von Broom/ Sha (2013: 26): „Public relations is the management function that establishes and maintains mutually beneficial relationships between an organization and the publics on whom its success or failure depends.“ (Broom/ Sha 2013: 26). Tätigkeitsperspektive organisationsbezogene Perspektive gesellschaftsbezogene Perspektive Alltagsperspektive • neutrale Beschreibungen: Pressearbeit • Meinungen: interessanter Beruf oder Manipulation • neutrale Beschreibungen: Aktivitäten von PR-Abteilungen • Meinungen: PR als unternehmerisches ‚Greenwashing‘ PR als Grund, dass sich die Interessen durchsetzen, die über ein höheres Budget verfügen. Berufsfeldperspektive PR als Pressearbeit, Information, Unterrichtung der Öffentlichkeit, Beziehungspflege PR als Führungs- und Managementaufgabe und -funktion PR als Grundform gesellschaftlicher Kommunikation wissenschaftliche Perspektive PR als Persuasion, PR als Pressearbeit PR als Legitimation, PR als Kommunikationsmanagement PR als Typ öffentlicher Kommunikation Abb. 1.1: Systematisierung von PR-Definitionen mit Beispielen (in Anlehnung an Bentele 1998: 29) In der Zielperspektive werden PR-Definitionen danach eingeteilt, ob PR als Tätigkeit bzw. als Handeln, als Teil von Organisationen oder als Element der gesamten Gesellschaft definiert wird (Bentele 1998: 28). Aus der (a) Tätigkeitsperspektive wird PR oft als Fundus einschlägiger Sozialtechniken wie z. B. Persuasion oder Beziehungspflege beschrieben (Szyszka 2015a). <?page no="16"?> 1.1 Was ist PR? 17 Aus der (b) organisationsbezogenen Perspektive werden die Aufgaben und Funktionen von PR für Organisationen beschrieben. Aus der (c) gesellschaftsbezogenen Perspektive wird schließlich definiert, welche Funktion PR für die Gesellschaft übernimmt. Hierzu zählt z. B. das Verständnis, dass PR über die jeweiligen Interessen informiert und damit zur Integration der Gesellschaft beiträgt (Ronneberger 1977: 7). Zu jedem der sich ergebenden neun Definitionstypen lassen sich Beispiele finden. In der wissenschaftlichen Perspektive dominieren organisationsbezogene Definitionen, während in der Alltagsperspektive PR vor allem als Tätigkeit beschrieben wird. Abb. 1.1 zeigt dabei vor allem noch einmal eines: Ein konsentiertes PR-Verständnis fehlt nicht nur zwischen Laien, PR-Praktikern und PR-Wissenschaftlern, sondern auch innerhalb der Praxis und der Wissenschaft. 1.1.2 Vier Verständnisweisen von PR Angesichts dieser unübersichtlichen Vielfalt von PR-Definitionen steht ein Lehrbuch zur PR vor einem Dilemma. Denn jeder Versuch, mit dieser problematischen Vielfalt umzugehen, führt zu neuen Problemen. So könnte man erstens auf die Vielzahl an PR-Definitionen hinweisen und dann mit einem intuitiven und undifferenzierten PR-Verständnis operieren. Der Vorteil wäre, dass zunächst nichts ausgeschlossen wäre. Dem stünde der Nachteil gegenüber, dass die Ausführungen an vielen Stellen diffus bleiben müssten. In der PR-Forschung ist ein solcher Verzicht auf die zugrundeliegende PR- Definition durchaus nicht ungewöhnlich. Die zweite Herangehensweise wäre methodologisch vorbildlich: Hier würde eine PR-Definition vorgeschlagen, die als Grundlage für das weitere Lehrbuch dient. Was im Falle einer theoretischen oder empirischen Untersuchung richtig ist, ist bei einem Lehrbuch zumindest teilweise problematisch: Es würden zwangsläufig (größere) Teile der PR-Forschung aus dem Blick geraten. So könnten bei einem engen PR-Verständnis all die Fragestellungen nicht berücksichtigt werden, die sich aus einem weiten PR-Verständnis ergeben haben. Daher soll in diesem Lehrbuch mit einer Mischung aus beiden Vorgehensweisen gearbeitet werden. Im Folgenden werden zunächst vier relevante Verständnisweisen von PR geclustert und beschrieben. Mit PR als Legitimation dient eine dieser vier Verständnisweisen dem Lehrbuch als roter Faden. Dieses Verständnis wird bei allen relevanten Themen ‚durchdekliniert‘. Andererseits werden auch die drei anderen Cluster bzw. PR-Verständnisweisen immer da getrennt erläutert, wo eine spezifische PR-Verständnisweise zu signifikanten Unterschieden im jeweiligen Themenfeld führt. So hängt zum Beispiel die Geschichte der PR in hohem Maße vom PR-Verständnis ab (Kap. <?page no="17"?> 18 1 PR-Verständnis und PR-Forschung 2.2). Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise ist, dass das Lehrbuch offen bleibt für mehrere Verständnisweisen, ohne aber Unterschiede zwischen diesen zu ignorieren. Wie sind die vier Verständnisweisen ausgewählt worden? Wenn man PR hierzu allgemein als kommunikatives Handeln versteht, können PR-Definitionen in Anlehnung an Hoffjann/ Arlt (2015) entlang der drei Grundkomponenten kommunikativen Handelns modelliert werden: Absender, Mitteilung und Adressat. Drei der folgenden Verständnisweisen stellen jeweils eine dieser Komponenten in ihr Zentrum. Die vierte Verständnisweise hingegen fragt nach der spezifischen Funktion von PR. Für die vier ausgewählten Verständnisweisen spricht zudem, dass sie die jeweils dominanten PR-Definitionen bei Laien, in der Berufspraxis und in der Wissenschaft zu beinhalten scheinen - was aber nicht ausschließt, dass sich zu ihnen allen sowohl Laien-, Praktikerals auch wissenschaftliche Definitionen finden lassen. Und schließlich sind die Unterschiede zwischen den vier Verständnisweisen so groß, dass damit die Heterogenität des Feldes der PR-Definitionen deutlich wird. Obwohl die Definition von Begriffen zugleich die Basis aller Theorie ist (Merten 2008a: 45), soll im Folgenden der Fokus auf die Verständnisweisen und damit auf die Definitionen gelegt werden. Die theoretischen Einordnungen der Verständnisweisen folgen dann im weiteren Verlauf des Lehrbuches. PR als Kommunikationsmanagement Man kann mit der Organisation den für PR typischen Absender als Ausgangspunkt nehmen und von da aus das Mitteilungshandeln von Organisationen untersuchen. Einen solchen Zugang haben die beiden amerikanischen PR-Forscher James E. Grunig und Todd Hunt gewählt und PR in ihrem Lehrbuch-Klassiker Managing Public Relations (1984: 6) als das „management of communication between an organization and its publics“ definiert. Bentele knüpft daran mit seiner Definition direkt an: „Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations sind das Management von Informations- und Kommunikationsprozessen zwischen Organisationen einerseits und ihren internen oder externen Umwelten (Teilöffentlichkeiten) andererseits“ (Bentele 1997a: 71). Dieses Verständnis wird bis heute ebenfalls häufig vertreten und scheint den Begriff Public Relations als ‚öffentliche Beziehungen‘ wörtlich zu nehmen. Problematisch ist hingegen die sehr weite Begriffsfassung von PR, in der letztlich eine Gleichsetzung von PR und Unternehmensbzw. Organisationskommunikation stattfindet (Zerfaß 2004: 63). Zur PR würden damit auch Disziplinen wie die Absatzkommunikation zählen. In diesem Verständnis kann PR dann allenfalls noch von nicht-strategischer Organisationskommunikation abgegrenzt werden. <?page no="18"?> 1.1 Was ist PR? 19 PR als Persuasion Alternativ kann man PR über den vorherrschenden Modus der Mitteilung identifizieren. Dies ist in der PR ohne Zweifel die Persuasion (u.a. Miller 1989). Entsprechend diesem voraussetzungslosen PR-Verständnis verortet Merten PR als Kulturtechnik bereits im Paradies, „wo Eva vermittels der erstmaligen, gleichwohl erfolgreichen Anwendung einer Überzeugungstechnik Adam zur Teilnahme am Apfelschmaus zu gewinnen wusste und damit zugleich Dienstleistungs-PR für die Entwicklung kognitiven Denkens“ betrieb (Merten 1997: 22). PR wird hier als Persuasion verstanden. In diesem Verständnis zählt das Werben einer Frau um einen Mann ebenso zur PR wie ein Gemüseverkäufer, der auf dem Wochenmarkt seine frische Ware anpreist. PR wäre damit jegliche persuasive Kommunikation in privaten Situationen ebenso wie im Organisationskontext - auch die Marketingkommunikation wäre in diesem Verständnis ein Teil der PR. PR wäre dann lediglich noch abzugrenzen von anderen Kommunikationsmodi wie der Information oder Unterhaltung. PR als Pressearbeit Drittens kann man den wichtigsten Adressaten, den Journalismus, in das Zentrum stellen und PR entsprechend als Pressearbeit verstehen. In der Berufspraxis dürfte dieses Verständnis immer noch dominieren: „Public Relations ist, wenn man am Ende in der Zeitung steht.“ (Deg 2006: 17) Auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Marketingforschung ist dieses Verständnis die prägende Sichtweise. Dort ist PR im Sinne der Pressearbeit als eines von mehreren Kommunikationsinstrumenten z. B. neben Mediawerbung, Verkaufsförderung und persönlicher Kommunikation verortet (Bruhn 2016d: 10f). Wenn der PR-Begriff in Bindestrichbegriffen wie Marken- oder Produkt-PR verwendet wird, wird PR hier ebenfalls zumeist als Pressearbeit verstanden (z. B. Szyszka 2009b). Nur in der kommunikationswissenschaftlichen PR-Forschung wird PR heute nicht mehr ernsthaft als Pressearbeit verstanden. Diese Regel bestätigen wenige Ausnahmen wie Bieler, die PR definiert als „kommunikative Vertretung partikularer Interessen von (Einzelpersonen), Organisationen oder Institutionen über Dritt-Medien, also über Massenmedien, in der Öffentlichkeit“ (Bieler 2010: 33; ähnlich Schönhagen 2008: 14). PR als Legitimation Und schließlich kann PR auf ihre Funktion hin beschrieben werden. Eine solche Legitimationsfunktion wird PR in der Regel auf der Organisationsebene (z.B. Hoffjann 2007, 2009a) und in kaum mehr vertretenen Ausnahmen auf der Gesellschaftsebene (z. B. Ronneberger 1977) zuerkannt. Grund- <?page no="19"?> 20 1 PR-Verständnis und PR-Forschung sätzlich scheinen sich der Legitimationsbegriff als zentrale PR-Kategorie und damit diese Verständnisweise in der internationalen PR-Forschung am ehesten durchgesetzt zu haben (z. B. Holmström 1996, 2005; Everett 2000; Metzler 2000; Zerfaß 2004; Jarren/ Röttger 2009; Sandhu 2012). Als Organisationsfunktion von Public Relations kann demnach die Legitimation der Organisation gegenüber den als relevant eingestuften Bezugsgruppen in der Gesellschaft verstanden werden (Hoffjann 2007: 97; ausführlich Kap. 5.1.2). Legitimität eröffnet einer Organisation Handlungsspielräume: So wird z. B. ein als legitim anerkanntes Unternehmen seltener auf Proteste stoßen und damit leichter seine Interessen durchsetzen können. Um eine Organisation zu legitimieren, wird PR einerseits über Interessen, Motive und Pläne einer Organisation reden, diese gegenüber Bezugsgruppen wie der Öffentlichkeit erklären und um Unterstützung werben. Andererseits handeln PR bzw. die Organisation und verändern die Organisation, wenn sie der Meinung sind, dass die Kritik zu groß wird. Während sich diese interne Wirkungsrichtung von PR erst in jüngerer Zeit auch in deutschen PR-Ansätzen findet, wird sie in den meisten US-amerikanischen PR-Definitionen bereits seit langer Zeit berücksichtigt: „PR is a communication function of management through which organizations adapt to, alter, or maintain their environment for the purpose of achieving organizational goals“ (Long/ Hazleton 1987: 6; ähnlich Broom/ Sha 2013: 26; Everett 2000: 314). PR übernimmt mit der Legitimation mithin eine Managementbzw. Organisationsfunktion und kann auch als ein Agent des organisationalen Wandels verstanden werden. In diesem Verständnis kann PR abgegrenzt werden von anderen Organisationsfunktionen wie dem Absatzmarketing oder dem Personalmarketing (Kap. 4.3). In der insgesamt sehr heterogenen internationalen PR-Forschung scheinen sich sowohl die Legitimationsfunktion als auch die organisationstheoretische Verankerung als Organisationsfunktion und die Berücksichtigung der internen wie der externen Wirkungsrichtung als ‚Mainstream‘ herauskristallisiert zu haben. Daher wird dieses PR-Verständnis als zentraler Bezugspunkt des Lehrbuches gewählt. Weil die vier Verständnisweisen unterschiedliche Aspekte des kommunikativen Handelns aufgreifen, könnten sie wiederum zu einer Super-Definition zusammengeührt werden: PR überzeugt mit Pressearbeit (aber auch mit anderen Kommunikationsinstrumenten) kritische Bezugsgruppen (aber auch Mitarbeiter, Kunden und Investoren), um die Organisation zu legitimieren (aber auch den Absatz zu ördern und die Mitarbeiter zu motivieren). Aber was wäre der Erkenntnisgewinn einer solchen Definition, die Vieles beinhaltet und Weniges ausschließt? Hier wird deutlich, dass Definitionen mit ihren Abgrenzungen auch deutlich machen müssen, was mit dem Begriff nicht gemeint ist. <?page no="20"?> 1.1 Was ist PR? 21 Verständnisweise Ebene der Definition in Abgrenzung zu ... PR als Kommunikationsmanagement PR als Gesamtheit strategischer Organisationskommunikation ... nicht-strategischer Organisationskommunikation PR als Persuasion PR als ein Kommunikationsmodus ... anderen Kommunikationsmodi: Information und Unterhaltung PR als Pressearbeit PR als ein kommunikationspolitisches Instrument ... anderen Kommunikationsinstrumenten: Mediawerbung, persönliche Kommunikation etc. (Kap. 5.6) PR als Legitimation PR als eine Funktion bzw. Disziplin strategischer Organisationskommunikation ... anderen Disziplinen strategischer Organisationskommunikation: Absatzmarketing, Personalmarketing etc. (Kap. 4.3) Abb. 1.2: Die vier Verständnisweisen von Public Relations im Überblick Sinn- Dimension Verständnisweise Zeitdimension Kommunikationsfolge Sozialdimension Kommunikationsakteure Sachdimension Kommunikationsinhalt räumliche Dimension Kommunikationskontext (z. B. Massen- und interpersonale Kommunikation) PR als Kommunikationsmanagement Persuasion • Alter: jedes Organisationsmitglied • Ego: jeder jedes Thema jeder PR als Persuasion Persuasion • Alter: jeder • Ego: jeder jedes Thema jeder PR als Pressearbeit Persuasion • Alter: Pressesprecher • Ego: Journalisten jedes Thema Massenkommunikation PR als Legitimation Persuasion • Alter: jedes Organisationsmitglied • Ego: Bezugsgruppen, die Handlungsspielräume beeinflussen legitimationsbezogene Themen jeder Abb. 1.3: Die vier Dimensionen der vier Verständnisweisen von PR (Systematik nach Henn et al. 2013: 373) <?page no="21"?> 22 1 PR-Verständnis und PR-Forschung Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, können die vier Verständnisweisen in Anlehnung an eine allgemeine Systematik von Henn et al. (2013: 372-374) in vier Dimensionen beschrieben werden. In der Zeitdimension stehen die (beabsichtigten) Kommunikationsfolgen bzw. -wirkungen im Mittelpunkt, in der Sozialdimension die beteiligten Akteure, in der Sachdimension der Kommunikationsinhalt von PR und in der räumlichen Dimension der Grad von Öffentlichkeit. Auch wenn PR als Legitimation das zentrale PR-Verständnis dieses Lehrbuches ist, so soll deutlich gemacht werden, wenn ein anderes PR-Verständnis angewandt wird. Bei einigen Themen kann eine solche Differenzierung vernachlässigt werden, bei anderen stößt man aber auch an pragmatische Grenzen: So arbeiten insbesondere viele empirische Studien mit einem intuitiven und undifferenzierten PR-Verständnis. 1.1.3 PR versus Werbung, Propaganda und Journalismus Wenn es unzählige PR-Definitionen gibt, von denen vier relevante PR-Verständnisweisen herausgegriffen wurden, dann kann es folglich nicht die eine Unterscheidung zum Journalismus, zur Werbung und zur Propaganda geben. Ein Beispiel: In der sehr weiten Verständnisweise von PR als Persuasion wäre Mediawerbung ein Teil von PR. Wenn man hingegen PR als Pressearbeit und Werbung allgemein als „eine absichtliche und zwangfreie Form der Kommunikation [versteht], mit der gezielt versucht wird, Einstellungen von Personen zu beeinflussen“ (Kloss 2012: 6), wäre PR ein Teil von Werbung. Daher verwirren Abgrenzungsversuche eher, wenn sie ohne eine vorherige Definition die Begriffe verorten. Im Folgenden soll PR von drei Begriffen abgegrenzt werden, zu denen aus ganz unterschiedlichen Motiven traditionell Abgrenzungsbedarf gesehen wird: Werbung, Propaganda und Journalismus. PR versus Werbung Die Abgrenzung zwischen PR und Werbung fällt häufig so schwer, dass die beiden Begriffe in der Alltagskommunikation bzw. bei Laiendefinitionen oft als Synonyme verwendet werden - wenngleich zu vermuten ist, dass Werbung deutlich positiver konnotiert ist als PR. Eine differenziertere Abgrenzung zwischen PR und Werbung ermöglichen die vorgestellten Verständnisweisen der PR. Ähnlich wie PR einerseits als Pressearbeit und mithin als Kommunikationsinstrument, andererseits als Disziplin strategischer Organisationskommunikation verstanden wurde, können auch Verständnisweisen von Werbung konzipiert werden. Als kommunikationspolitisches Instrument wäre Werbung als Mediawerbung zu verstehen: „Mediawerbung bedeutet den Transport und die Verbreitung werblicher Informationen über <?page no="22"?> 1.1 Was ist PR? 23 die Belegung von Werbeträgern mit Werbemitteln im Umfeld öffentlicher Kommunikation gegen ein leistungsbezogenes Entgelt, um eine Realisierung unternehmensspezifischer Kommunikationsziele zu erreichen.“ (Bruhn 2016b: 78) Die Unterschiede zur PR als Pressearbeit sind offenkundig: Während Mediawerbung Geld für die Veröffentlichung ihrer Anzeigen sowie Spots bezahlt und damit die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe relativ zuverlässig einplanen kann, steht die Pressearbeit vor der Herausforderung, zunächst von Journalisten (positiv) thematisiert zu werden, bevor sie ihre Zielgruppe erreichen kann. Versteht man Werbung als eine Disziplin strategischer Organisationskommunikation, ist der Begriff ein Synonym für das Absatzmarketing: PR als Legitimation und Werbung als Absatzmarketing wären dann zwei Organisationsfunktionen, die spezifische Probleme bearbeiten. Wenn man Werbung hingegen wie Kloss (2012: 6; grundlegend: Borchers 2014) allgemein als Mittel zur Beeinflussung von Einstellungen versteht, gibt es zur PR als Persuasion keinerlei Unterschiede mehr. PR versus Propaganda Eine lange Tradition besitzen in Deutschland Versuche, den PRvom Propaganda-Begriff abzugrenzen. Seit der Zeit des Nationalsozialismus und dem „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ wird mit dem Propaganda-Begriff im deutschsprachigen Raum der Missbrauch strategischer Kommunikation verbunden. Ähnlich wie Harlow für den PRhat Bussemer für den Propaganda-Begriff eine Super-Definition entwickelt: Demnach kann Propaganda „als die in der Regel medienvermittelte Formierung handlungsrelevanter Meinungen und Einstellungen politischer oder sozialer Großgruppen durch symbolische Kommunikation und als Herstellung von Öffentlichkeit zugunsten bestimmter Interessen verstanden werden. Propaganda zeichnet sich durch die Komplementarität vom überhöhten Selbst- und denunzierendem Fremdbild aus und ordnet Wahrheit dem instrumentellen Kriterium der Effizienz unter. Ihre Botschaften und Handlungsaufforderungen versucht sie zu naturalisieren, so dass diese als selbstverständliche und nahe liegende Schlussfolgerungen erscheinen.“ (Bussemer 2008: 33). Die Super-Definition zur Propaganda weist so viele Ähnlichkeiten zur Super-Definition zur PR auf, dass L’Etang (2006: 28) konstatiert: „many basic definitions of propaganda could be equally used to describe public relations“. Relevante Unterschiede zeigen sich allenfalls in dem überhöhten Selbst- und denunzierendem Fremdbild sowie der Unterordnung des Wahrheitsprinzips. Daher erscheint es plausibel, mit Grunig/ Hunt (1984: 22) Propaganda als eine spezifische Form bzw. ein Modell von PR neben anderen <?page no="23"?> 24 1 PR-Verständnis und PR-Forschung wie der Verbreitung von Information zu verstehen (Kap. 2.2). Weitergehende Unterscheidungsversuche erscheinen nur noch als „semantische Spielereien“ (Kunczik 2010: 39). PR versus Journalismus Wenn PR als Pressearbeit verstanden wird, werden vielfach die Gemeinsamkeiten von PR und Journalismus betont. Richtig ist, dass Tätigkeiten wie die Produktion von Texten oder Filmen viele Ähnlichkeiten aufweisen. Die Kriterien, wie PR-Angebote entstehen, unterscheiden sich aber von denen, mit denen eine Journalistin sie auswählt. Mit diesem kategorialen Unterschied kann PR in jeder der vier Verständnisweisen vom Journalismus abgegrenzt werden: Während PR als strategische bzw. persuasive Kommunikation immer (idealisierende) Selbstbeschreibungen vermittelt, publiziert Journalismus Fremdbeschreibungen. Der PR als interessengebundener strategischer Kommunikation steht der Journalismus als grundsätzlich unabhängige und unstrategische Kommunikation gegenüber. Journalismus berichtet als „Metronom der (Welt)Gesellschaft“ (Görke/ Kollbeck 1996: 267) über aktuelle Themen, die ür die journalistischen Publika bei ihrer alltäglichen Orientierung relevant sind. Daher orientiert sich der Journalismus bei der Auswahl und Aufbereitung seiner Themen primär an den vermuteten Interessen seiner Publika, während sich PR vor allem an den eigenen Interessen orientiert. Daraus folgt, dass die journalistische Berichterstattung in der Regel als angemessener bzw. als ‚wahrer‘ bewertet wird als PR-Mitteilungen. Zum Weiterlesen Überblick zur Systematisierung von PR-Definitionen: • Fröhlich, Romy (2015): Die Problematik der PR-Definition(en). In: Fröhlich, Romy / Szyszka, Peter / Bentele, Günter (Hrsg.): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln (3. Aufl). Wiesbaden: 103-120. 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung Der Zustand der PR-Forschung wird ganz unterschiedlich bewertet. International bewerteten Botan/ Taylor (2004: 659) PR bereits 2004 nahezu euphorisch als „theoretically grounded and research-based area“. Nahezu depressiv hingegen mutet da die Aufforderung von Manfred Rühl (2009: 74) an die deutschsprachige PR-Forschung an, sich selbstkritisch zu fragen, ob sie „als wissenschaftliche Disziplin schon ihre alchimistische Phase hinter sich gelassen hat“. So überzogen bzw. überholt beide Urteile heute auch sein mögen, stehen sie doch stellvertretend für den Nachholbedarf der deutschsprachigen PR-Forschung, der trotz eines enormen Wachstums nach wie vor <?page no="24"?> 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung 25 besteht. Ulrike Röttger (2009a: 9) benennt hierfür drei Gründe: „Public Relations wurde von der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft spät entdeckt, lange Zeit nur wenig erforscht und bis heute in großen Teilen einseitig wahrgenommen - dieser Dreiklang prägte und prägt die PR-Theoriebildung bis heute.“ (Hervorhebung: O.H.) PR als Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung wurde in Deutschland erst in den 50er Jahren (a) entdeckt - und damit rund 30 Jahre später als in den USA. Die ersten systematisierenden Beschreibungen wie z. B. von Hundhausen (1951) werden heute rückblickend eher den Praktikertheorien zugeordnet, „welche Berufsangehörige in reflektierender Auseinandersetzung mit ihrer praktischen Arbeit formuliert haben“ (Kunczik/ Szyszka 2008: 110). Während diese Praktikerliteratur bis in die 70er Jahre in Deutschland die einzige Literatur zur PR war, erscheinen heute solche „PR-‚Kochbücher‘“ (Ronneberger/ Rühl 1992: 54) immer noch in großer Zahl parallel zu originär wissenschaftlichen Publikationen. Die Praktikerliteratur eint, dass sie „zu nah, zu vordergründig am praktischen Handeln ansetzt“ (Merten 1992: 35) und dem Leser bereits nach der Lektüre weniger Bücher das Gefühl gibt, „jede Formulierung voraussagen zu können“ (Jarchow 1992: 10). Lange Zeit wurde PR in Deutschland auf einer ernst zu nehmenden sozialwissenschaftlichen Basis (b) wenig erforscht. Dies hat sich erst seit den 70er Jahren in Deutschland geändert. Einen Wendepunkt hin zu einer sozialwissenschaftlich orientierten PR-Forschung markieren der erste PR-Theorie- Entwurf „Legitimation durch Information“ des Politik- und Kommunikationswissenschaftlers Franz Ronneberger (1977) sowie die Habilitationsschrift von Barbara Baerns (1991), die Ende der 70er Jahre den Einfluss von PR auf die journalistische Berichterstattung inhaltsanalytisch untersuchte. Erst danach entstanden in zunehmenden Maße Studien, die PR auf Basis soziologischer Theorien beschrieben bzw. mit Methoden empirischer Sozialforschung untersuchten. Das Jahr 1992 kann als „Urknall“ (Szyszka 2013: 237) der deutschen PR-Forschung bezeichnet werden, da hier gleich vier Theorie-Ansätze entstanden, die bis heute rezipiert werden: Saxer, Merten, Faulstich und Ronneberger/ Rühl (ebd.: 248). Seit den späten 90er Jahren und insbesondere im neuen Jahrtausend gewann PR als akademische Disziplin - parallel zum Wachstum des PR-Berufsfeldes - zunehmend an Bedeutung. Damit verbunden waren zahlreiche neue Hochschulstudiengänge bzw. Studienschwerpunkte zur PR und somit eine Vielzahl an zusätzlichen PR-Professuren. Diese kritische Masse an Diskutanten führte dazu, dass sich seit Mitte der 90er Jahre ein wissenschaftlicher Diskurs gebildet hat (ebd.). So wurden für das Jahr 2011 rund 150 Professorinnen bzw. Studiengangsleiter im Themenfeld PR/ Organisationskommunikation an Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gezählt (Hoffjann/ Huck-Sandhu 2013a: 14). <?page no="25"?> 26 1 PR-Verständnis und PR-Forschung Dass PR in der Forschung lange Zeit (c) einseitig wahrgenommen wurde, hängt ebenfalls mit der Arbeit von Baerns (1991) zusammen. Denn mit der Untersuchung des Einflusses von PR auf den Journalismus prägte sie lange Zeit das Verständnis, PR vor allem als Quelle des Journalismus und damit als Pressearbeit zu interpretieren. Während dieser Forschungsdiskurs im deutschsprachigen Raum von einer Vielzahl an theoretischen Ansätzen geprägt ist, spielt er im internationalen Raum kaum eine Rolle (Kap. 3.3). Erst in den vergangenen Jahren ist diese Frage durch Themen wie den Einfluss der PR auf die Organisationsleitung oder die Digitalisierung der PR in den Hintergrund gerückt. Kann die hier für Deutschland skizzierte Entwicklung der PR-Forschung dazu führen, dass eine eigenständige PR-Wissenschaft ähnlich der Journalistik entsteht? Wehmeier/ Nothhaft (2013: 113) glauben nicht an eine solche Entwicklung, da PR sinnvollerweise immer nur in Relation zur Organisation oder zum Journalismus beschrieben werden kann. Daher wird auch künftig Interdisziplinarität die PR-Forschung prägen: Die Presse- und Medienarbeit oder die Online-PR werden vor allem kommunikationswissenschaftlich untersucht, Themen wie die Legitimation eher politikwissenschaftlich, der monetäre Beitrag zum Organisationserfolg wirtschaftswissenschaftlich, die Verortung in Organisationen eher organisationssoziologisch und die Wirkungen von PR u. a. sozialpsychologisch. PR-Forschung wird sich daher zur Beantwortung ihrer Fragen auch in Zukunft vieler Theorien aus anderen Feldern bedienen: „Public relations theorists have borrowed theories from communication science and other social sciences, but few have developed unique theories of public relations.“ (Grunig 1989: 17) Dies mag man pessimistisch als Zeichen eines fehlenden eigenen ‚Theorie-Haushaltes‘ der PR- Forschung kritisieren. In einer optimistischen Lesart erleichtern z. B. kommunikationswissenschaftliche Theorien oder soziologische Gesellschafts- und Organisationstheorien, PR im organisationalen und gesellschaftlichen Kontext zu beschreiben und damit Anknüpfungspunkte zu anderen Forschungsfeldern aufzuzeigen. Diese Interdisziplinarität gilt heute für die internationale und die deutschsprachige PR-Forschung gleichermaßen. Denn ähnlich wie in vielen anderen Wissenschaftsdisziplinen geht auch die deutsche PR-Forschung zunehmend in der internationalen Forschung auf. 1.2.1 PR-Lehre für die PR-Praxis? Die Funktion von Wissenschaft liegt allgemein in der Gewinnung neuer Erkenntnisse, die die Wissenschaft anderen gesellschaftlichen Bereichen und damit u. a. der Berufspraxis zur Verfügung stellt (Luhmann 1992: 355f). Insbesondere in der deutschsprachigen PR-Forschung wird bis heute intensiv <?page no="26"?> 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung 27 die Frage diskutiert, wie sehr sie sich an der Praxis orientiert bzw. orientieren solle. Anwendungsorientierte Forschung zielt vor allem darauf, dass ihre Erkenntnisse möglichst direkt in der Praxis angewandt werden können. Sie kann damit eher als PR-Lehre bezeichnet werden (Nothhaft/ Wehmeier 2013). Dem stehen die Grundlagenforschung sowie die introspektive Forschung gegenüber, die sich z. B. mit der Profession selbst beschäftigt (Pavlik 1987: 22f). Der Nutzen für die Praxis ist hier eher ein zufälliges ‚Abfallprodukt‘. Sie können in einem engeren Verständnis als PR-Forschung bezeichnet werden. Diese (a) PR-Forschung ist eine Wissenschaft von der bzw. über die Praxis. Wissenschaft ist hier ein neutraler und oft auch kritischer Beobachter der Praxis (Wehmeier/ Nothhaft 2013: 104). Selbst wenn die Nützlichkeit von Erkenntnissen nicht das Ziel ist, „werden Theorien, Modelle und Interpretationen vorgelegt, die vielleicht gerade deshalb ‚gut‘ sind, weil sie dem Praktiker einen Spiegel mit einem ungewohnten oder verstörenden Bild vorhalten“ (ebd.: 107). Erkenntnisse der Forschung müssen dabei von der Praxis übersetzt und interpretiert werden (Kap. 6.2). Beispielhafte Forschungsfelder sind die PR-Geschichte und das Verhältnis von PR und Journalismus. In einer anwendungsorientierten Perspektive rationalisiert die (b) PR- Lehre Praxis, sie sucht neue ‚effizienteste‘ und ‚effektivste‘ Praktiken. Dazu bedient sie sich u. a. auch sozialwissenschaftlicher Forschung (Nothhaft/ Wehmeier 2013: 313). Sie ist damit eine Wissenschaft für die Praxis, die der Praxis dient und in deren Mittelpunkt Modelle stehen, die die Praxis optimieren sollen. Als Vorbild wird hier oft die Betriebswirtschaftslehre genannt, die nach Gesetzen sucht, aus denen Gestaltungsvorschläge abgeleitet werden können (Wehmeier/ Nothhaft 2013: 105). Beispiele für solche anwendungsorientierten Themen sind das Issues Management und das Kommunikationscontrolling. Die Prominenz einer solchen anwendungsorientierten Perspektive überrascht aus mehreren Gründen nicht: Erstens steht PR-Wissenschaftlern - z. B. im Gegensatz zu Wirkungsforschern - ein konkretes Berufsfeld mit Praktikern gegenüber, die zumindest in Teilen Erwartungen und Hoffnungen an die Wissenschaft formulieren und anwendungsorientierte Projekte mitunter auch finanziell unterstützen. Zweitens kamen die Gründerväter der PR als akademischer Disziplin wie Albert Oeckl nicht nur aus der Praxis, sondern haben parallel zu ihrer Publikations- und Lehrtätigkeit weiterhin in der PR gearbeitet. Sie verstanden sich damit als „Theoretiker der Praxis sowie Praktiker der Theorie“ (ebd.: 103). Und drittens lebte die amerikanische PR-Forschung, an der sich die deutschsprachige von Beginn an orientierte, mit ihrer Managementorientierung diesen Praxisbezug vor. <?page no="27"?> 28 1 PR-Verständnis und PR-Forschung Die Anwendungsorientierung dominierte die deutschsprachige PR-Forschung bis Mitte der 90er Jahre. Das damit verbundene Risiko bezeichnen Wehmeier/ Nothhaft (2013: 122f) als einen Prozess doppelter Delegitimierung (Abb. 1.4). PR-Forscher, die eng mit der Praxis zusammenarbeiten, verlieren an Reputation in der wissenschaftlichen Community, während in gleichem Maße Praktiker an Reputation bei ihren Kollegen einbüßen, wenn sie in der Praxis anwendungsorientierte Modelle vortragen, deren begrenzte wissenschaftliche Qualität selbst Praktikern schnell offenkundig wird. Solche Praktiker scheinen allerdings in der Minderheit zu sein. Untersuchungen lassen eher die Vermutung zu, dass die deutliche Mehrheit die kommunikationswissenschaftliche PR-Forschung entweder gar nicht kennt oder sehr kritisch bewertet (Kreileder 2014: 308f). Abb. 1.4: Prozess doppelter Delegitimierung von PR-Praxis und PR-Forschung (Wehmeier/ Nothhaft 2013: 123) 1.2.2 Systematisierung I: Mikro-, Mesoversus Makroebene Wie kann PR-Forschung inhaltlich systematisiert werden? In einer ersten groben Einteilung kann man fragen, ob PR als Ganzes oder verschiedene Teilaspekte untersucht werden. Während Theorien z. B. zur Funktion der PR bzw. zur Strukturierung der Organisationskommunikation PR als Ganzes beschreiben, beschränken sich Studien zu den Beziehungen zu spezifischen Bezugsgruppen (z. B. PR-Journalismus-Beziehungen), zentralen Selektionskriterien (u. a. Image, Vertrauen, Dialog) oder zu Theorien verschiedener Kommunikationsinstrumente (z. B. Media Relations, Online-PR) auf spezifische Bereiche. Eine prominente Systematisierung von Forschungsperspektiven ist in der PR-Forschung wie in der Kommunikationswissenschaft und in den Sozialwissenschaften allgemein die Unterscheidung zwischen der Mikro-, Meso- und Makroebene. Während auf der Mikroebene individuelle Akteure und <?page no="28"?> 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung 29 auf der Mesoebene Organisationen im Mittelpunkt stehen, wird PR auf der Makroebene im gesellschaftlichen Kontext beschrieben. Da PR als Leistung in Organisationen erbracht wird, dominiert in der PR-Forschung bis heute die Mesoperspektive. Im Folgenden werden die zentralen Fragestellungen und Themen der jeweiligen Ebenen skizziert (Grunig 1992c; Holtzhausen/ Zerfaß 2013). Auf der (a) Makroebene steht der gesellschaftliche Kontext im Fokus. Hier stellt sich die Frage, ob PR ein eigenes soziales oder publizistisches Teilsystem mit einer gesellschaftlichen Funktion ist (Dernbach 1998: 199). In Deutschland vertreten u. a. Ronneberger und Rühl (1992: 252; Ronneberger 1977: 7) eine solche Perspektive, wenn sie annehmen, dass PR zur Integration der Gesellschaft beitrage. In ihrer elaborierten PR-Theorie weisen sie der PR die gesellschaftliche Funktion zu, durchsetzungsfähige Themen her- und bereitzustellen. Der Ansatz ist früh dafür kritisiert worden, dass die Autoren dem Journalismus eine sehr ähnliche Funktion zuweisen - und sie damit nicht zwischen PR und Journalismus unterscheiden können. Insbesondere in der deutschsprachigen PR-Forschung hat die breite Kritik an der gesellschaftlichen Funktion von PR mit dazu beigetragen, dass Fragen der Makroebene kaum mehr gestellt werden. Dabei wären Fragen nach den möglichen gesellschaftlichen Wirkungen von PR - z. B. Folgen für die Artikulation von Interessen und die Aushandlungsprozesse - ebenso naheliegend wie umgekehrt Fragen, wie das gesellschaftliche Umfeld bzw. Kultur PR prägen. Auf der (b) Mesoebene steht die Einbettung von PR in Organisationen im Mittelpunkt. PR wird hier verstanden als strategisches Handeln korporativer Akteure im Rahmen spezifischer Strukturen, Ressourcen und Steuerungsmechanismen (Dernbach 1998: 199). Damit stehen auch Beziehungen zu anderen Organisationsteilen und die organisationalen Leistungen der PR im Mittelpunkt. Die Mesoperspektive dominierte die PR-Forschung in so hohem Maße, dass Fragen, die durch die ‚Brille‘ der organisationszentrierten Forschung nicht zu sehen sind, lange Zeit kaum mehr berücksichtigt wurden (Edwards 2012: 14, 16). Auf der (c) Mikroebene schließlich steht das individuelle Handeln von Akteuren im Mittelpunkt. In Bezug auf PR wird hier nach den Spezifika des PR- Handelns, nach dem Selbstverständnis und dem Berufsbild der für PR Tätigen gefragt (Dernbach 1998: 199). Ein Beispiel hierfür ist u. a. die Persuasionsforschung, die zumindest in Teilen von der PR-Forschung rezipiert wurde. Viele Ansätze wie beispielsweise die situative Theorie der Teilöffentlichkeiten von Grunig/ Hunt (1984; Kap. 3.1.2) beziehen sich auf mehrere Ebenen. <?page no="29"?> 30 1 PR-Verständnis und PR-Forschung Die Organisationsfixierung weiter Teile der PR-Forschung hat aber nicht zuletzt auch dazu geführt, dass Rezipienten in der PR-Forschung kaum eine nennenswerte Rolle spielen. Diese Kritik hat dazu geführt, dass in der PR- Forschung seit mehreren Jahren eine Öffnung insbesondere hin zur Makroebene eingefordert wird, weil eine organisationszentrierte Erforschung von PR „keine Brücke zur Gesellschaft baut, sondern immer nur insuläre gesellschaftliche Ausschnitte und die darin enthaltenen Kommunikationsbeziehungen betrachtet“ (Wehmeier 2012: 218). Seit einigen Jahren gibt es daher vermehrt Versuche, die Organisationsfixierung zu überwinden, ohne die wichtige Organisationsperspektive völlig aufzugeben. Ein Beispiel hierfür ist der Versuch von Gehrau et al. (2013: 348ff), die Perspektive der klassischen PR-Forschung um die der Publikumsforschung zu erweitern. Damit geraten zusätzlich zu Kommunikatorzielen, zur Aussagenentstehung, zu den Maßnahmen und den intendierten Folgen, die z. B. im Rahmen der Evaluation von PR-Maßnahmen gemessen werden, auch nicht-intendierte Folgen bei Publika und insbesondere Rückwirkungen auf die Organisation in den Blick (Abb. 1.5). Abb. 1.5: Erweitertes Verständnis strategischer Kommunikation (in Anlehnung an Gehrau et al. 2013: 350) 1.2.3 Systematisierung II: Paradigmen der PR-Forschung Zudem kann in der PR-Forschung zwischen verschiedenen Forschungsparadigmen unterschieden werden (Trujillo/ Toth 1987; Sandhu 2012: 39ff). Diese funktionalen, interpretativen und kritischen Zugänge sind grundlegende sozialwissenschaftliche Paradigmen, die sich insbesondere durch ihr spezifisches Erkenntnisinteresse unterscheiden. <?page no="30"?> 1.2 PR-Forschung: Entwicklung und Systematisierung 31 In der Mehrzahl sind bis heute (a) funktionale Ansätze vertreten, die insbesondere die Frage zu beantworten versuchen, wie Organisationen ihre soziale Ordnung am besten aufrechterhalten können. In der funktionalen Perspektive dominieren damit die rationale Planung, Effizienzkriterien und Vorstellungen der Integration und Balance. Beispiele hierfür sind kybernetische, systemtheoretische und strukturationstheoretische Arbeiten (u. a. Kap. 5.1.1). Ebenso lassen sich dazu managementorientierte Ansätze zählen, die fragen, wie organisationale Strukturen gestaltet sein sollten, damit die Aufgaben möglichst effektiv und effizient erledigt werden können. Ein Beispiel hierfür ist die Exzellenzforschung, die u.a. Erfolgsfaktoren der PR zu identifizieren versucht (Grunig et al. 2002; Tench et al. 2017; Wiesenberg et al. 2020; Kap. 4.2.2). Einen Sonderfall stellen hier die wenigen wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten dar, die sich - zumeist eher am Rande - mit PR beschäftigen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung wird PR zumeist als ein Kommunikationsinstrument und hier insbesondere als Presse- und Medienarbeit verstanden (z. B. Bruhn 2016d). Hier dominiert mithin ein instrumentelles Verständnis, welchen Beitrag PR zum Erreichen von Marketingzielen leistet. Zudem zeigt sich bei wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten ein zumindest problematisches Kommunikationsverständnis. Mitunter scheinen sie sogar - längst überkommen geglaubten - Stimulus-Response-Ansätzen nahezustehen, wenn sie Kommunikation wie folgt verstehen: „Kommunikation bedeutet die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.“ (Bruhn 2018: 3). Dies hat sowohl in großen Teilen der internationalen als auch deutschsprachigen PR-Forschung dazu geführt, dass sich wirtschaftswissenschaftlich und kommunikationswissenschaftlich bzw. organisationssoziologisch argumentierende Autoren wenig aufeinander beziehen. In diesem Lehrbuch sollen wirtschaftswissenschaftliche Autoren - in der Regel nach einer kritischen Reinterpretation - dennoch berücksichtigt werden (z. B. Kap. 4.4.3). Davon zu unterscheiden sind (b) interpretative Ansätze, die sich insbesondere dafür interessieren, wie Rezipienten Inhalte und Botschaften subjektiv konstruieren und welche Folgen dies hat. Für PR folgt daraus z. B. die Frage, wie Mitglieder die Organisation interpretieren und sie ihren Bezugsgruppen vermitteln. Zum interpretativen Paradigma zählen neo-institutionalistische (Kap. 5.1.1) und handlungstheoretische (Kap. 5.2.3) ebenso wie erkenntnistheoretische Ansätze, die die Wirklichkeitskonstruktion der PR beschreiben (Kap. 5.3). Eine deutliche Minderheit bilden bis heute (c) kritische Ansätze. Sie suchen z. B. Antworten auf Fragen, wie Organisationen Kommunikation nutzen, <?page no="31"?> 32 1 PR-Verständnis und PR-Forschung um ihre Interessen zu vermitteln und durchzusetzen. Ähnlich wie Ansätze der Makroebene lehren kritische Ansätze das „Nachdenken über vorherrschende Annahmen von Management, Organisationen und auch PR“ (Sandhu 2012: 44). Dazu zählen insbesondere Ansätze, die die Macht von Organisationen in der Gesellschaft untersuchen (z. B. Dorer/ Marschik 1993). Gerade weil die Paradigmen sich auf so unterschiedliche Fragestellungen beziehen, ist es heute längst keine Ausnahme mehr, in Studien mit Ansätzen unterschiedlicher Paradigmen zu arbeiten. Der Vorteil liegt darin, dass dadurch z. B. Fragen der Wirklichkeitskonstruktion mit funktionalen Fragen verbunden werden können. Diese Vielfalt an Zugängen führt aber auch zu einem Problem, wie Raupp (2006: 33f) in ihrer Untersuchung deutscher Dissertationen resümiert: „Public Relations und Öffentlichkeitsarbeit werden als interdisziplinärer Forschungsgegenstand auf der Grundlage verschiedener Theorien, aus unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und mit verschiedenen Methoden bearbeitet. Ein dominantes Forschungsparadigma ist nicht erkennbar; die Pluralität an Zugriffen und die mangelnde Kohärenz an theoretischen Ansätzen verhindert eine Kumulation des PR-Wissens.“ (Raupp 2006: 33f) Damit leiden die nationale wie die internationale PR-Forschung weniger an dem vielfach geäußerten Mangel an Theorien, sondern vielmehr an einem fehlenden Diskurs, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen unterschiedlichen Ansätzen aufgezeigt und diskutiert werden (Wehmeier/ Nothhaft 2013: 120). Zum Weiterlesen Überblick zu relevanten Forschungsströmungen der deutschsprachigen und der internationalen PR-Forschung: • Fröhlich, Romy / Szyszka, Peter / Bentele, Günter (Hrsg.) (2015): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln (3. Aufl.). Wiesbaden. • Ihlen, Oyvind / Fredriksson, Magnus (Hrsg.) (2018): Public relations and social theory. Key figures and concepts (2. Aufl.). New York. Beiträge zur Entwicklung der deutschsprachigen PR-Forschung: • Hoffjann, Olaf / Huck-Sandhu, Simone (Hrsg.) (2013b): UnVergessene Diskurse. 20 Jahre PR- und Organisationskommunikationsforschung. Wiesbaden. <?page no="32"?> 2 Gesellschaftlicher Kontext Inhalt 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 2.2 Geschichte der PR 2.3 Ethik der PR Lernziele Sie können für die PR relevante gesellschaftliche Entwicklungen sowie deren Folgen für die PR erläutern. Sie sind in der Lage, die historische Entwicklung der PR in den USA und Deutschland zu skizzieren. Sie können die Unterschiede zwischen den methodischen Ansätzen der PR-Geschichtsschreibung erklären. Sie kennen zentrale Normen ausgewählter PR-Kodizes und können die Funktionen von und die Kritik an PR-Kodizes erläutern. <?page no="33"?> 34 2 Gesellschaftlicher Kontext Im gesellschaftlichen Kontext wird Public Relations u. a. durch relevante gesellschaftliche Entwicklungen, ethische Normen und ihre historische Entwicklung geprägt. Gesellschaftliche Entwicklungen wie die Globalisierung oder die Digitalisierung haben PR in den vergangenen 20 Jahren fundamental verändert (Kap. 2.1). Ethische Normen in Form von PR-Kodizes formuliert PR zwar selbst - aber in der Regel im Austausch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen (Kap. 2.3). Und die historische Entwicklung von PR zeigt nicht nur, ‚woher‘ PR kommt, sondern beeinflusst sie bis heute - oft sind ihr diese tradierten Strukturen allerdings nicht bewusst (Kap. 2.2). Im historischen Kontext wird auch deutlich, dass das jeweilige politische System und in Verbindung damit das Mediensystem die PR in hohem Maße prägen. Der gesellschaftliche Kontext ist damit die äußerste Schicht, welche die anderen jeweils beeinflusst. 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen Wenn PR sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, dann ist dies in der Regel mit größeren gesellschaftlichen Entwicklungen zu erklären gewesen. Die PR treibenden Organisationen und damit ‚ihre‘ PR wurden hier mit Veränderungen konfrontiert, denen PR ihre Existenz bzw. ihren Boom zu verdanken hat (Individualisierung, Medialisierung und Fiktionalisierung), die sie bis heute vor größere Probleme stellt (Globalisierung) oder bei denen sie längere Zeit nicht wusste, ob sie wichtig sind bzw. wie sie damit umgehen soll (Aufkommen und Etablierung sozialer Medien). Bereits diese Beispiele machen deutlich, dass die nachfolgend beschriebenen Entwicklungen Veränderungen in der PR nicht determiniert haben bzw. in Zukunft determinieren werden, sondern dass viele der für die PR beschriebenen Veränderungen Ergebnis von z. T. langen Sinnzuschreibungsprozessen sind (Weick 1995). Die im Folgenden diskutierten gesellschaftlichen Entwicklungen sind beispielhaft ausgewählt und können keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Sie scheinen aber zu denjenigen zu zählen, die einerseits als Metaprozesse den Wandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik als Ganzes in den Blick nehmen (Krotz 2007), andererseits in der PR zu den größten Veränderungen geführt haben. Zugleich wird deutlich, dass die Entwicklungen vielfach eng miteinander verknüpft und auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen verortet sind: Zum Beispiel hängen die Individualisierung und die Globalisierung eng zusammen, die Globalisierung wurde durch die Digitalisierung beschleunigt, und die Digitalisierung kann wiederum auch als Teilaspekt der Medialisierung beschrieben werden. Jede der aufgeführten gesellschaftlichen Entwicklungen soll kurz allgemein skizziert werden, um dann die (zugeschriebene) Relevanz und die Folgen für die PR herauszuarbeiten. <?page no="34"?> 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 35 2.1.1 Individualisierung und Wertepluralisierung Bis in die Anfänge der Moderne waren Gesellschaften davon geprägt, dass es ein klares ‚Oben‘ und ‚Unten‘ gab. Solche stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften hatten eine klare Normen- und Wertehierarchie, die von den weltlichen und religiösen Herrschenden vorgegeben wurde (Luhmann 1980). Diese Schichtstruktur endete mit dem Wechsel zur funktionalen Differenzierung von Gesellschaften. Die wichtigen Funktionsfelder moderner Gesellschaften wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Recht sind gleichermaßen unverzichtbar - keines kann die Führung dauerhaft für sich beanspruchen. Dadurch verlor eine Gesellschaft eine von oben vorgegebene Normen- und Wertehierarchie, fortan standen z. B. ökonomische Werte gleichberechtigt neben politischen und wissenschaftlichen. Diese Pluralisierung von Werten hält bis heute an. So benennt Beck (1986) als Folgen der von ihm so genannten reflexiven Modernisierung u. a. die Pluralität von Daseinsformen, Institutionen, Denkweisen und Lebensstilen. Damit ist die Wertepluralisierung nicht zu trennen von der Pluralisierung von Lebensstilen und von der Individualisierung, die als Rückgang sozialer bzw. kollektiver Orientierung verstanden werden kann (Fuchs-Heinritz 1995b: 292). Wo Wertehierarchien aufgelöst, Normen kontingent und damit Erwartungssicherheiten instabil sind, werden soziale Situationen immer häufiger als riskant empfunden. Daher nimmt der Risiko-Begriff in vielen prominenten Gesellschaftsbeschreibungen eine zentrale Rolle ein. Die als postmodern beschriebenen Gesellschaften sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass weder objektive noch subjektive Wahrscheinlichkeiten als Basis für eine rationale Risikokalkulation vorliegen, sondern Unkenntnis und Ungewissheit über mögliche Eintrittswahrscheinlichkeiten herrschen. Daher sind die postmoderne Gesellschaft und die Risikogesellschaft untrennbar miteinander verbunden (Beck 1986). Sehr ähnlich argumentiert Greven in seiner Kontingenzgesellschaft (Greven 2000), in der zunehmend die Kontingenz bzw. der Möglichkeitsspielraum künftiger Entwicklungen thematisiert werden. Mit diesen Entwicklungen hängt die zunehmende Bedeutung von PR eng zusammen (ähnlich Fredriksson 2018). Wenn PR im Sinne der Legitimation als Antwort von Unternehmen interpretiert wird, in einer modernen Gesellschaft ohne festgefügte (Werte-)Hierarchie die eigene Existenz zu begründen und sich damit zu legitimieren, dann folgt daraus, dass PR in Gesellschaften immer wichtiger wird, die als Risiko- und Kontingenzgesellschaft beschrieben werden. Je kontingenter und riskanter eine Bezugsgruppe eine Begegnung mit Unternehmen erlebt und je mehr sie dies (öffentlich) problematisiert, desto größer ist der unternehmerische Bedarf, die eigene Existenz zu rechtfertigen und unternehmerische ‚Exzesse‘ zu verhindern - und nichts anderes tut PR im Sinne der Legitimation. PR begründet u. a., warum <?page no="35"?> 36 2 Gesellschaftlicher Kontext Unternehmen gesellschaftlich wichtig sind, PR sucht Unterstützungspotenziale für ein Unternehmen. Der Bedarf daran scheint immer größer zu werden (Hoffjann 2013a). 2.1.2 Globalisierung und Internationalisierung Eng mit der Pluralisierung von Werten hängen gesellschaftliche Entwicklungen wie die Internationalisierung und Globalisierung zusammen. Mit Globalisierung wird allgemein das Zusammenwachsen einzelner Gesellschaften auf der Welt zu einer Weltgesellschaft z. B. in wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Hinsicht bezeichnet (Fuch- Heinritz 1995a: 250), während die Internationalisierung bereits bei wachsenden Kontakten und Kooperationen über die Grenzen zweier Länder hinweg beginnt. Diesen integrativen Auswirkungen der Globalisierung stehen desintegrative Folgen gegenüber, wenn z. B. Traditionen in räumlichen Nachbarschaften unwichtiger werden (Hepp 2004). Getrieben wird die Globalisierung insbesondere von der Ökonomie: Unternehmen vertreiben ihre Produkte in immer mehr Ländern der Welt - bis hin zu Unternehmen wie COCA COLA , deren Produkte in nahezu jedem Land der Erde konsumiert werden. Probleme ür die PR ergeben sich daraus, dass das ökonomische Zusammenwachsen in vielen Fällen schneller voranschreitet als das kulturelle bzw. politische. So stellt ein Unternehmen ähnliche bzw. identische Produkte in ganz unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Werten und Normen her und vertreibt sie an entsprechend heterogene Zielgruppen. Daraus ergeben sich ür jede PR-Verständnisweise Herausforderungen: Mit unterschiedlichen Kulturen sind unterschiedliche Persuasionsstrategien verbunden - hier zeigen sich die Grenzen globaler Werbekampagnen. Die Autonomie des Journalismus hängt eng mit dem jeweiligen nationalen politischen System zusammen, daher wird sich die Pressearbeit in Russland deutlich von der in Deutschland unterscheiden. Da Fragen der Legitimation und gesellschaftlichen Verantwortung in so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern in der Regel hinter wirtschaftlichen Erwägungen zurückstehen, sind dort Arbeitnehmerrechte und Naturschutz meist deutlich großzügiger geregelt. Das Problem: Konzerne werden mitunter ür ihre dort akzeptierte Praxis in anderen Ländern scharf kritisiert - so wie vor einigen Jahren NIKE ür seine Kinderarbeit in Indonesien. In diesen Spannungsfeldern agieren internationale PR bzw. internationale Unternehmenskommunikation. <?page no="36"?> 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 37 Internationale PR kann allgemein verstanden werden als die international ausgerichtete PR-Arbeit von Organisationen wie Unternehmen, aber auch NPOs wie G REENPEACE . Internationale PR bezieht sich meist auf das breite PR-Verständnis im Sinne von PR als Kommunikationsmanagement, da hier meist alle Kommunikationsaktivitäten einer Organisation berücksichtigt werden. So definiert Ehrhart den Begriff der internationalen Unternehmenskommunikation bzw. des länder- und kulturüberschreitenden Kommunikationsmanagements als „die über Staats-, Sprach- und Kulturgrenzen hinweg wirkenden Kommunikationsbeziehungen zwischen einem Unternehmen und seinen internen und externen Anspruchsgruppen“ (Ehrhart 2020: 6). Wilcox et al. (2005: 378) haben ein noch allgemeineres Verständnis, wenn sie internationale PR definieren als „the planned and organized effort of a company, institution, or government to establish mutually beneficial relations with the public of other nations“. Diese Definition umfasst zusätzlich die Public Diplomacy, bei der Bemühungen seitens der Regierung oder anderer nationaler Interessengruppen im Vordergrund stehen, die darauf abzielen, das Bild eines Landes im Ausland positiv zu beeinflussen (Ingenhoff/ Rühl 2013: 383). Das Forschungsfeld internationale PR ist noch jung und wurde lange Zeit - wie viele andere Bereiche - vor allem in den USA intensiv erforscht. Seit knapp 20 Jahren gibt es auch im deutschsprachigen Raum eine zunehmend intensivere Beschäftigung mit Fragen internationaler PR-Forschung (z. B. Andres 2004; Huck 2004; Ingenhoff 2004; Ingenhoff / Buhmann 2019; Klare 2010), die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Tagung der Fachgruppe PR/ Organisationskommunikation der D EUTSCHEN G ESELLSCHAFT FÜR P UBLI- ZISTIK UND K OMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT ( DGPUK ) 2011 in Fribourg hatte (Ingenhoff 2013). Wenn das Ziel internationaler PR ist, eine globale Reputation und ein weltweit konsistentes Erscheinungsbild des Unternehmens aufzubauen, ohne die möglichst individuelle Ansprache von Zielgruppen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen zu vernachlässigen (Huck-Sandhu 2020: 455), folgt daraus die zentrale Frage, wie einheitlich das Kommunikationsmanagement sein kann und wie unterschiedlich es sein muss. Die beiden Idealstrategien können als Standardisierung und Differenzierung bezeichnet werden (ebd.: 462) und werden im Folgenden vor den Hybridstrategien skizziert. Standardisierungsstrategie Die Standardisierungsstrategie zielt auf eine über Ländergrenzen hinweg einheitliche Unternehmenskommunikation (Huck-Sandhu 2020: 462). Sie wird auch als kulturfreier Ansatz bezeichnet, weil sie vor allem die Gemeinsamkeiten über verschiedene Kulturen hinweg im Blick hat (Abb. 2.1). Wenn <?page no="37"?> 38 2 Gesellschaftlicher Kontext das organisationale Verhalten nicht wesentlich durch die jeweiligen Kulturen beeinflusst wird, folgt daraus, dass global tätige Organisationen keine Rücksicht auf Unterschiede zwischen dem Heimatland und anderen Ländern nehmen müssen und so eine global einheitliche Strategie anwenden können (Ingenhoff/ Rühl 2013: 386). Bei diesem Idealtyp würde es mithin eine einheitliche Strategie mit Kommunikationsmaßnahmen geben, die weltweit eingesetzt werden können - von Mitarbeiterzeitschriften über die Mediawerbung bis hin zu Pressearbeitsaktivitäten. Vorteile einer solchen Standardisierungsstrategie sind u. a. die Synergieeffekte, der Transfer von Know-how und die hohe Effizienzorientierung. Eine global einheitliche Praxis im Sinne einer völlig standardisierten Kommunikationsstrategie ist in ihrer Absolutheit allerdings nicht vorstellbar (Huck-Sandhu 2020: 463). Am nächsten kommt diesem Idealtyp in einer Untersuchung zur internationalen PR der 250 größten in Deutschland ansässigen Unternehmen von Andres noch die zentralistische Strategie, die immerhin jedes vierte Unternehmen einsetzte (Andres 2004: 234). Diesem Befund zur Praxis internationaler PR steht ein weitgehender Konsens der Forschung entgegen, nach dem die jeweiligen Kulturen für die internationale PR eine herausragende Rolle spielen und kaum ignoriert werden können (Ingenhoff/ Rühl 2013: 399). Abb. 2.1: Internationalisierung von PR vor dem Hintergrund kultureller Unterschiede mit ausgewählten Strategien (Huck 2004: 18; Andres 2004: 234) Differenzierungsstrategie Hingegen stehen bei Differenzierungsstrategien die kulturellen Besonderheiten und Unterschiede der jeweiligen Länder im Mittelpunkt. Kommunikationsmaßnahmen werden hier speziell in den jeweiligen Ländern für die jeweiligen Zielgruppen entwickelt und können diese damit individuell ansprechen. Damit kann der jeweilige Kommunikationskontext weitgehend berücksichtigt werden (Huck-Sandhu 2020: 462f). In dieser individuellen Ansprache ist der zentrale Vorteil der Differenzierungsstrategie zu finden. <?page no="38"?> 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 39 Die Nachteile ergeben sich aus den oben genannten Vorteilen der Standardisierungsstrategie: Synergieeffekte werden kaum genutzt, und die Möglichkeit eines global einheitlichen Images wird aufgegeben, wenn vor Ort auch Ziele und Strategien entwickelt werden. Ein Beispiel für eine Differenzierungsstrategie sind dezentrale Strategien, die von rund jedem zehnten Unternehmen in der Untersuchung von Andres angewandt wurden (Andres 2004: 234). Differenzierungsstrategien können auch als kultur-spezifische Ansätze verstanden werden, da sie die kulturellen Unterschiede herausstellen. In der entsprechenden Organisations- und Managementforschung steht daher die Frage im Mittelpunkt, wie die jeweilige Kultur eines Landes das organisationale Verhalten beeinflusst und wie sich die Organisation wiederum an kulturspezifische Eigenheiten eines Landes anpassen sollte (Ingenhoff/ Rühl 2013: 385). Solche Studien basieren oft auf den Kulturdimensionen von Hofstede (Hofstede/ Hofstede 2011), mit denen verschiedene Kulturen verglichen werden können. Die Dimension (a) Machtdistanz zeigt auf, in welchem Ausmaß die weniger mächtigen Mitglieder von Organisationen erwarten bzw. akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist. Die Unterscheidung von (b) Kollektivismus versus Individualismus zielt darauf, ob das Individuum oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, einer Organisation oder zum ganzen Land betont wird. Mit der (c) Unterscheidung von Maskulinität versus Femininität wird gefragt, ob die Kultur eher von (vermeintlich) maskulinen Werten wie Leistungsstreben oder von femininen wie Harmonie geprägt ist. Mit der (d) Vermeidung von Unsicherheit wird untersucht, ob ungewisse oder unbekannte Situationen als bedrohlich empfunden werden, während schließlich die Unterscheidung von (e) langfristiger versus kurzfristige Orientierung auf den zeitlichen Planungshorizont zielt. Obwohl die Kulturdimensionen von Hofstede bis heute vielfach kritisiert werden, bilden sie immer noch den zentralen Ansatz nicht nur für viele Studien der vergleichenden internationalen PR-Forschung, so dass bis heute zahlreiche Studienergebnisse auf Basis dieser Kulturdimensionen vorliegen (s. dazu Ingenhoff/ Rühl 2013: 401). Strategien der standardisierten Differenzierung Angesichts der jeweiligen Nachteile der Idealtypen werden Hybridstrategien wie die international-kooperative Strategie oder die Dachstrategie von den meisten Unternehmen eingesetzt (Andres 2004: 234). Solche Strategien können auch als standardisierte Differenzierungsstrategie bezeichnet werden (Huck-Sandhu 2020: 463). Sie sind geleitet „von der Einsicht in die Kontextabhängigkeit, aber auch das Wissen um Notwendigkeit und Möglichkeiten grenzüberschreitender Effizienz“ (Wimmer 1994: 37). Dazu können strategische Fragen wie die Positionierung, die Corporate Identity oder Ziele zentral festgelegt werden und international gelten, während auf einer <?page no="39"?> 40 2 Gesellschaftlicher Kontext operativen Ebene vor Ort Themen und Botschaften definiert sowie die Maßnahmen an Sprache und Kultur angepasst werden (Stöhr 2005: 58). Letztlich entspricht eine solche Strategie dem Schlagwort der Glokalisierung und dem Leitspruch „think global, act local“ (Morley 2002: 35). Spätestens hier wird deutlich, dass sich viele Überlegungen internationaler PR auch auf nationale PR übertragen lassen - und umgekehrt. So stehen auch national agierende Organisationen oft vor dem Problem zwischen zentralen Vorgaben und lokalen Gegebenheiten. Solche kulturellen Unterschiede können in einigen Ländern so stark ausgeprägt sein (z. B. Schweiz und Belgien), dass die Differenzen innerhalb eines Landes größer sein können als die Differenzen zu anderen Ländern (z. B. Niederlande versus das belgische Flandern). 2.1.3 Medialisierung Als Medialisierung können allgemein Reaktionen in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen verstanden werden, „die sich entweder auf den Strukturwandel des Mediensystems beziehen oder auf den generellen Bedeutungszuwachs medial vermittelter öffentlicher Kommunikation“ (Meyen 2009: 23). In der Medialisierungsforschung wird untersucht, welche medieninduzierten Veränderungen in gesellschaftlichen Teilbereichen wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sport, aber auch im Alltag zu beobachten sind und welche Folgen sie ür den jeweiligen Bereich haben (Raupp 2009a: 265). Medialisierungsprozesse sind besonders intensiv am Beispiel politischer Organisationen erforscht worden, da Massenmedien bei politischen Themen zunehmend wichtiger für die Wirklichkeitskonstruktion werden. An die Stelle von eigenen Erfahrungen wie ein Besuch von politischen Veranstaltungen treten immer mehr medienvermittelte Erfahrungen z. B. zu Parteitagen und Parlamentsdebatten (Sarcinelli 1998: 678f). Daher sehen sich politische Akteure gezwungen, sich an den Bedingungen der Massenmedien zu orientieren (Donges/ Jarren 2017: 11). Denn: „Eine Bewegung, über die nicht berichtet wird, findet nicht statt.“ (Raschke 1985: 343) Medialisierungsprozesse in Organisationen können mit Donges (2008) anhand der drei Medialisierungsdimensionen Wahrnehmung, Strukturen und Kommunikationsleistung beschrieben und untersucht werden: Wenn Medien in der Wahrnehmung einer Organisation wichtiger werden, wenn sich ihre Strukturen zunehmend an den Massenmedien orientieren und wichtiger werden und wenn die Kommunikationsleistung gegenüber den Massenmedien zunimmt und weiter ausdifferenziert, medialisiert sie sich weiter. <?page no="40"?> 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 41 In der Forschung zur Medialisierung der Politik wird diese Entwicklung in der Regel auf die klassischen Massenmedien bezogen - es müsste richtigerweise also von Massenmedialisierung gesprochen werden. Spätestens mit dem Internet und z. B. seinen sozialen Medien rücken aber auch andere Medien in den Mittelpunkt. Daher erscheint es sinnvoll, neben der Massenmedialisierung auch weitere Prozesse wie z. B. die soziale Medialisierung zu beobachten (Hoffjann/ Gusko 2013). Politische Organisationen und damit politische PR mögen zwar in besonders hohem Maße medialisiert sein, die Überlegungen können problemlos aber auch auf andere PR-treibende Organisationen in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen bezogen werden. Je wichtiger medienvermittelte Erfahrungen für eine Organisation sind, desto eher wird sie sich mit ihrer Beobachtung, ihren Strukturen und ihrer Kommunikationsleistung an den Medien orientieren. Damit sind Anpassungsprozesse zum Beispiel im Sport ebenso plausibel zu erklären wie die aufwändige Inszenierung von neuen Automodellen, während Medialisierungsprozesse in Bereichen wie dem Industriegütermarketing deutlich weniger ausgeprägt sind. Allerdings sollten der Ausbau der Presseabteilung und eine zunehmende Orientierung an der Medienlogik nicht immer als rationale Entscheidungen einer Organisation verklärt werden. Mitunter orientieren sich Organisationen eng an Wettbewerbern, weil sie z. B. unsicher sind bzw. den Eindruck haben, dass es normativ von ihnen erwartet wird. Aus einer solchen neoinstitutionalistischen Perspektive orientieren sich Organisationen bei der Ausgestaltung ihrer Strukturen weniger an eigenen Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen, sondern vor allem an Vorstellungen und Annahmen der Umwelt, wie eine effektive und effiziente Organisation auszusehen hat (Meyer/ Rowan 1977). Konkret: Weil Verbände in ihrer Umwelt die Erwartung beobachten, dass Massenmedien wichtig sind und dass moderne Organisationen sich darauf einzustellen haben, orientieren sie sich an Massenmedien (Kap. 5.1.1). 2.1.4 Digitalisierung „ Digitalisierung beschreibt die Umwandlung von Informationen wie Ton, Bild oder Text in Zahlenwerte zum Zwecke ihrer elektronischen Bearbeitung, Speicherung oder Übertragung (im Sinne des engl. Digitization). Diese Umwandlung führt zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, weil sich Menschen und Organisationen an der Funktionsweise dieser neuen digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien orientieren und ihre Handlungen entsprechend anpassen.“ (Stieglitz/ Wiencierz 2020: 3) <?page no="41"?> 42 2 Gesellschaftlicher Kontext Die Digitalisierung lässt mit ihrer globalen Vernetzung und ihren interaktiven Möglichkeiten die Welt sprichwörtlich kleiner werden. Daher hat die Digitalisierung zu einem weiteren Globalisierungsschub geührt. Untrennbar verbunden sind mit dem Erfolg der Onlinekommunikation die bereits genannten Medialisierungseffekte: Onlinemedien verändern nicht nur den Alltag ihrer Nutzer, sondern zweifelsohne auch den von Organisationen. Diese Folgen der Digitalisierung ür die PR werden oft zu technikdeterministisch verstanden, so dass die (technischen) Potenziale der Onlinekommunikation häufig zu euphorisch bewertet werden. Hinzu kommt die grundsätzliche Frage, worin in der Onlinekommunikation das qualitativ Neue zu sehen ist. Hat es viele im Internet beobachtbare Phänomene wie zum Beispiel virale Effekte nicht schon immer gegeben? Der Computer und das Internet unterscheiden sich von anderen Medien insbesondere durch ihren Charakter als Hybridmedium (Höflich 2003). Sie werden sowohl als Abrufmedium, Diskussionsmedium und als Medium zur interpersonalen Kommunikation sowie als Beziehungsmedium genutzt. Zwischen diesen Anwendungsmöglichkeiten kann eine Nutzerin schnell wechseln: Sie liest etwas auf einer Nachrichten-Website und kann im nächsten Moment zu dem Thema einen Meinungsbeitrag auf derselben Seite oder auf FACEBOOK schreiben. Entsprechend sind im Internet alle drei Öffentlichkeitsebenen zu finden (Gerhards/ Neidhardt 1991; Kap. 3.2): die Encounter-Öffentlichkeit z. B. in Mails und Chats, die Themenöffentlichkeit z. B. in vielen Blogs sowie die massenmediale Öffentlichkeit z. B. auf den Nachrichten- Websites der klassischen Medien. Während sowohl die Anwendungsmöglichkeiten als auch die Öffentlichkeitsebenen bei traditionellen Medien wie Presse, Rundfunk oder Film in der Regel noch relativ klar getrennt waren, sind sie im Internet meist nur einen Klick weit entfernt. Die möglichen Folgen sind vielfältig: Größere Öffentlichkeiten können heute innerhalb weniger Stunden und unabhängig von massenmedialer Berichterstattung entstehen. Damit verbunden sind neue Formen der Meinungsbildung, die zunehmend weniger den Mechanismen der Massenkommunikation folgen, sondern Ergebnis netzwerkartiger Prozesse sind, wie sie auf Bewertungsportalen oder auf I NSTAGRAM zu beobachten sind. Die Beispiele zeigen, dass das Internet für die PR zur Beobachtung ihrer Umwelt eine wichtige Rolle einnimmt. Neben dieser Funktion als Beobachtungsmedium wurde von Beginn an die Funktion als Selbstdarstellungsmedium intensiv diskutiert. Entscheidend für den Einsatz von Online-Instrumenten sind dabei insbesondere die Annahmen über deren Wirkung (Schultz/ Wehmeier 2010: 416). Wie bei vielen anderen neuen Medien zuvor so wurden auch im Internet die Wirkungspotenziale überschätzt: PR-Kommunikation <?page no="42"?> 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 43 werde durch das Internet dialogischer, netzwerkartiger, interaktiver, authentischer, symmetrischer und transparenter (ebd.: 421). Im Mittelpunkt steht hier oft der in der PR häufig überladene Begriff des Dialoges (Kap. 5.2.3), der eine Renaissance erlebte. Es wurde angenommen, dass PR mittels der sozialen Medien - im Sinne sozialer Netzwerke und Netzgemeinden zur Ermöglichung von sozialer Interaktion sowie als Plattformen zum gegenseitigen Austausch von Meinungen, Eindrücken oder Erfahrungen (Pleil 2010: 93) - in einen Dialog mit ihren Bezugsgruppen treten und damit Vertrauen schaffen könnte. Studien belegen mittlerweile, dass diese Erwartungen überschätzt wurden (z.B. in Hoffjann/ Pleil 2015). So scheint die PR selbst an einem Dialog oft gar kein Interesse zu haben, wenn sie z. B. Kommentarfunktionen in sozialen Medien deaktiviert. In Krisenfällen nimmt das Internet eine besondere Rolle ein, weil in Krisen verstärkt alternative Quellen gesucht und im Internet oft gefunden werden können (Schultz/ Wehmeier 2010: 417). Die Erwartung: PR könne in Krisenfällen im Internet schneller Informationen zur Verfügung stellen, um einen Reputationsverlust zu vermeiden bzw. zu minimieren. So haben viele Fluglinien für Unglücksfälle so genannte Darksites vorbereitet, um Informationen schnell bereitstellen zu können. An die Stelle dieser euphorischen Einschätzung ist mittlerweile eine pessimistischere getreten. Das Internet wird heute vielfach als Auslöser bzw. Katalysator von Krisen angesehen. Insbesondere der massierten Kritik in sozialen Netzwerken sieht sich PR weitgehend hilflos ausgeliefert. Damit verbunden ist die Angst vor dem Kontrollverlust - dass z. B. das F ACEBOOK -Profil durch Kritiker ‚okkupiert‘ werde. Die Entstehung und Wirkungen dieser so genannten Shitstorms sind bislang wenig untersucht. Eine weitere Hoffnung bezieht sich auf eine direktere und zielgruppengenauere Kommunikation mit Bezugsgruppen unter Umgehung des Journalismus. In der Pressearbeit ist PR davon abhängig, ob und wie Journalismus berichtet. Dieses Risiko könnte PR vermeiden, wenn sie mit entsprechenden Online-Angeboten direkt mit ihren Bezugsgruppen kommuniziere. Wie wichtig Multiplikatoren nach wie vor sind, belegen einerseits Untersuchungen, nach denen die klassische Pressearbeit in vielen Organisationen in den vergangenen Jahren allenfalls leicht an Bedeutung verloren hat (Bentele et al. 2018: 76). Andererseits gewinnen Social-Media-Influencer als neue - digitale - Zwischenzielgruppe immer mehr an Bedeutung (Zerfaß et al. 2016: 70). Zudem verlaufen die Grenzen zwischen PR im Sinne von Legitimation, absatzorientierter Kommunikation oder interner Kommunikation in sozialen Medien noch weniger klar als bisher in der ‚klassischen Welt‘. So sind auf unternehmerischen F ACEBOOK -Profilen ganz unterschiedliche Themen und Fragen zu finden. User artikulieren ihren Protest gegen Standortschlie- <?page no="43"?> 44 2 Gesellschaftlicher Kontext ßungen ebenso auf einer Produktseite wie sie Fragen zum Produkt auch auf einer Investor Relations-Seite stellen und kümmern sich nicht um Abteilungsgrenzen, die es in Organisationen geben mag. Damit geraten die Grenzen zwischen den klassischen Kommunikationsdisziplinen (Kap. 4.3) unter Druck. Als Reaktion auf dieses Problem kann die Etablierung von Newsrooms in vielen Organisationen interpretiert werden (Seiffert-Brockmann/ Einwiller 2020). Die Hoffnung: Dem entgrenzten Rezipienten steht eine wenn schon nicht entgrenzt, so doch zumindest vernetzt arbeitende Kommunikationsabteilung gegenüber. Mit der zielgruppengenauen Ansprache hängt eine letzte Hoffnung zusammen: eine bessere Steuerung der Kommunikationsaktivitäten mit Hilfe von Daten, die Nutzer bei der Onlinenutzung hinterlassen (Winkler/ Pleil 2019: 465ff). Die damit verbundenen Chancen reichen in einer optimistischen Lesart von den Möglichkeiten einer individuellen Ansprache, die sich an den Präferenzen der Nutzer orientiert, bis hin zu Big-Data-Anwendungen, die z.B. im Rahmen des Issue Managements (Kap. 5.7.1) eine zuverlässigere Identifikation und Analyse von Issues ermöglichten. Insbesondere die Potenziale von Big Data - verstanden als große Informationsbestände, die sich durch ein hohes Volumen, eine hohe Geschwindigkeit, eine große Vielfalt und eine hohe Genauigkeit auszeichnen - sind in der PR bei weitem noch nicht ausgeschöpft (Wiencierz et al. 2017: 3, 7, 38). Hinzu kommt eine zunehmend kritische öffentliche Diskussion zur Frage, welche technisch möglichen Anwendungen gesellschaftlich erwünscht sind. Viele dieser zugeschriebenen Wirkungsversprechen mögen (noch) nicht eingelöst worden sein, an der intensiven Nutzung von Online-Anwendungen in der PR im Sinne des umfassenden Kommunikationsmanagements hat dies nichts geändert. Und für soziale Medien gilt noch mehr als für Web 1.0- Anwendungen, dass sie selbst da zum Einsatz kommen, wo kein klarer Nutzen benannt werden kann. 2.1.5 Fiktionalisierung und postfaktische Gesellschaft Der PR werden seit jeher vielfach maßlose Übertreibungen, das Verschweigen wichtiger Informationen oder Lügen unterstellt und mitunter auch offen vorgeworfen. Wer beim Lügen ‚erwischt‘ wurde oder eine solche eingestehen musste, dem drohten die Skandalisierung und der Vertrauensentzug. Solche Skandalisierungen tragen dazu bei, dass sich die Wahrhaftigkeitsnorm in einer Gesellschaft stabilisiert. Seit einigen Jahren wird hier vielfach eine Veränderung beobachtet: Verbindliche Fakten würden demnach unwichtiger, während unverbindliche Fiktionen wichtiger und zunehmend mehr Akzeptanz änden (s. bereits Merten 2008b; Kap. 5.3.2). Eine solche Fiktionalisierung könnte schließlich münden in der so genannten Post- <?page no="44"?> 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungen 45 Truth-Gesellschaft bzw. postfaktischen Gesellschaft. Als Wegbereiter postfaktischer Gesellschaften werden dabei oft Donald Trump und Boris Johnson genannt: Wie wichtig sind Wahrheit und Wahrhaftigkeit noch in freien Demokratien, wenn Politiker, die besonders häufig der Lüge bezichtigt werden, beeindruckende Wahlerfolge feiern können? Der Fiktionalisierungstrend ist damit jünger als die anderen erläuterten gesellschaftlichen Entwicklungen und mithin weniger erforscht. Er hängt eng mit der Individualisierung und Digitalisierung zusammen. Während die PR bei Entwicklungen wie der Individualisierung, Globalisierung oder Digitalisierung in einer primär reagierenden Rolle ist, zählt sie als eine Form strategischer Kommunikation mit zu den Treibern der Fiktionalisierung. Eine Post-Truth-Gesellschaft bzw. Post-Truth definiert Harsin (2018: 2) wie folgt: „Post-Truth is sometimes posited as a social and political condition whereby citizens or audiences and politicians no longer respect truth […] but simply accept as true what they believe or feel. However, more rigorously, [Post-Truth] is actually a breakdown of social trust, which encompasses what was formerly the major institutional truth-teller or publicist—the news media.“ Auch wenn der Begriff Post-Truth allgemein auf unterschiedliche gesellschaftliche Sphären bezogen werden kann, stand von Beginn an die Politik im Mittelpunkt des Interesses. Was kennzeichnet Post-Truth-Gesellschaften? In den Definitionen lassen sich insbesondere vier Merkmale identifizieren (ausührlich Hoffjann 2021). Offenkundig ist das erste Merkmal: Wahrheit wird grundsätzlich unwichtiger. Eine Post-Truth-Gesellschaft ist geprägt vom Verzicht auf konventionelle Evidenzkriterien, innere Konsistenz und Faktensuche (Lewandowsky et al. 2017). Aus der zunehmenden Irrelevanz von Fakten folgt zweitens die Frage, was an ihre Stelle tritt: Dies sind Geühle oder persönliche Überzeugungen - „feelings are more accurate than facts“ (McIntyre 2018: 174). In Post-Truth-Gesellschaften appellieren Politiker daher vor allem an die Geühle und Überzeugungen ihrer Wählerschaft und versuchen weniger, andere Wähler von sich zu überzeugen. Der Begriff der Post-Truth-Gesellschaft zielt drittens auf gesellschaftsweite Veränderungen: Neben den Kommunikatoren wie Politikerinnen tragen auch das Publikum und der Journalismus eine Verantwortung ür die Krise von Fakten und Wahrhaftigkeit. Wenn Lügen nicht mehr thematisiert und skandalisiert werden, haben Wahrhaftigkeit und Angemessenheit offensichtlich auf allen Seiten ihren Normcharakter verloren. Im Gegensatz dazu betonen die so genannten Fake News bzw. aktuelle Desinformationen - verstanden als propagandistische, also strategisch eingesetzte Fehlinformationen, die <?page no="45"?> 46 2 Gesellschaftlicher Kontext als Konkurrenz zum Journalismus auftreten (Scholl/ Völker 2019: 213) - die Verantwortung der Kommunikatoren. Und viertens werden Post-Truth-Gesellschaften schließlich in aller Regel als Ergebnis eines Veränderungsprozesses beschrieben (Corner 2017: 1100): die postfaktische Ära habe die faktische Ära abgelöst. Die Ursachen für einen solchen Wechsel werden häufig im Medienwandel und der politischen Kultur verortet. Eine der wenigen übergreifenden gesellschaftstheoretischen Analysen liefert Gibson (2018), der mit Giddens (1995) in der Reflexivität einen zentralen Bezugspunkt von Post-Truth-Gesellschaften erkennt: „Post-truth politics refers to the specific political and rhetorical strategies that emerge from, and take advantage of, the circular relationship between the endless reflexivity of late modernity and a loss of faith in institutions that anchor truth claims“ (Gibson 2018: 3170). Aus der reflexiven Modernisierung folgen eine zunehmende Individualisierung (Beck 1986) und Perspektivenvielfalt, die schließlich zur „letzten Stunde der Wahrheit“ (Nassehi 2015) führen. In einer Gesellschaft, in der alle Akteure in einem Begründungs- und Legitimationszwang stehen, führt dies fast zwangsläufig zu einer Krise einstmals etablierter Institutionen, wie z.B. der Wissenschaft. Der Ansatz einer Post-Truth-Gesellschaft erscheint problematisch, weil er pauschal und weitgehend unhinterfragt behauptet, dass die Post-Truth-Ära die Truth-Ära abgelöst habe. Folgt daraus, dass heute Wahrheit gar keine Rolle mehr spiele? Oder dass früher Wahrheit immer gegeben war und stets erwartet wurde? Wohl kaum. Plausibler erscheint, dass es seit langer Zeit ein Nebeneinander gegeben hat, der Umgang mit der Wahrheit, aber auch die Erwartungen an Wahrhaftigkeit situationsbedingt waren. Pointiert formuliert: Statt von einer Post-Truth-Gesellschaft oder von einer Truth-Ära sollte eher von Post-Truth- und Truth-Situationen gesprochen werden. Die erläuterten Ursachen scheinen aber dazu geührt haben, dass postfaktische Situationen zugenommen haben. Zum Weiterlesen Überblick zu gesellschaftlichen Entwicklungen und ihrer Relevanz bzw. den Folgen für die PR: • Ingenhoff, Diana (Hrsg.) (2013): Internationale PR-Forschung. Konstanz. • Raupp, Juliana (2009a): Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie. In: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Theorien der Public Relations. Grundlagen und Perspektiven der PR-Forschung (2. Aufl.). Wiesbaden: 265-284. • Zerfaß, Ansgar / Pleil, Thomas (Hrsg.) (2017): Handbuch Online-PR. Strategische Kommunikation in Internet und Social Web (2. Aufl.). Köln. <?page no="46"?> 2.2 Geschichte der PR 47 2.2 Geschichte der PR Die Anfänge der PR werden wahlweise bei den Neandertalern (Cutlip 1995: X), für die USA im 17. Jahrhundert (Broom/ Sha 2013: 99) oder für Deutschland in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges verortet (Oeckl 1964). Nicht weniger vielfältig sind die Ausführungen ihrer weiteren Entwicklung. Daher erscheint es plausibler, nicht von der Geschichte der PR, sondern im Plural von Geschichten unterschiedlicher PR-Verständnisse zu sprechen. Denn grundsätzlich ist jede Geschichtsschreibung und damit auch eine Geschichte der PR im konstruktivistischen Sinne subjektiv: Der gegenwärtige Problembezug, die theoretische Perspektive und die Selektivität des Zugriffs auf die jeweils verfügbaren historischen Quellen beeinflussen in hohem Maße die jeweilige Geschichte der PR (Wehmeier et al. 2009: 310). So überrascht es beispielsweise nicht, wenn es in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren vor dem Hintergrund der noch frischen Erfahrungen der NS-Propaganda eine „Abgrenzungs-Neurose“ (Binder 1983: 241) gegeben hat, nach der die PR in Deutschland erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte. Die meisten US-amerikanischen Ansätze hingegen kennen wegen anderer historischer Erfahrungen solche Berührungsängste zur Propaganda nicht und ordnen sie als eine Form der PR zum Ende des 19. bzw. Beginn des 20. Jahrhunderts ein (Grunig/ Hunt 1984: 22). Die PR-Geschichtsschreibung ist mithin ein sehr heterogenes Feld, das mit Hilfe von drei Fragen zumindest ansatzweise systematisiert werden kann. Wird die Geschichte von Teil-Aspekten oder der PR als Ganzes erforscht? Man könnte bei der Erläuterung der PR-Geschichtsforschung nach dem Zwiebel-Modell vorgehen und die entsprechenden Kontexte separat erläutern (Meier 2018: 71). So sind im Rollenkontext Einzelbzw. Sammelbiographien erschienen zu PR-Persönlichkeiten wie Edward L. Bernays und Ivy Lee in den USA sowie zu den so genannten ‚PR-Gründungsvätern‘ der deutschen PR wie z. B. Albert Oeckl und Carl Hundhausen (Lehming 1997; Heinelt 2003; Mattke 2006). Im Funktionskontext gibt es Arbeiten beispielsweise zu Kampagnen (z. B. Hein 1998). Im Organisationskontext dokumentieren zahlreiche Fallstudien die PR-Geschichte von Unternehmen, Rundfunkanstalten (z. B. Fröhlich 1994) oder in spezifischen Sektoren wie der kommunalen PR (Liebert 1998). Im gesellschaftlichen Kontext schließlich gibt es länderspezifische Darstellungen. Wie in allen Feldern der PR-Geschichtsschreibung dominieren auch hier Arbeiten aus den USA und Deutschland, wo die PR-Geschichtsforschung schon auf eine längere Tradition zurückblickt. Hingegen stehen für Großbritannien (L’Etang 2004) und zumal für andere Länder (Sriramesh/ Verčič 2009; Watson 2014) bislang nur <?page no="47"?> 48 2 Gesellschaftlicher Kontext vereinzelte Erkenntnisse zur Verfügung. Von solchen Arbeiten zu Teil-Aspekten bzw. zur Entwicklung in ausgewählten Ländern sind Ansätze zu unterscheiden, die eine PR-Geschichte global zu erklären versuchen - dies geschieht in der Regel auf einer theoretischen Ebene. Die Geschichte welcher PR wird erforscht? Es gibt eine Vielzahl an PR-Definitionen, die einleitend zu den vier prägenden Verständnisweisen verdichtet wurden. Entsprechend dürfte sich die Geschichte von PR als Pressearbeit deutlich unterscheiden von der Geschichte von PR als Kommunikationsmanagement. Grundsätzlich gilt also, dass jede Geschichtsschreibung der PR zunächst einmal benennen muss, was sie unter PR versteht - um dann die Geschichte ihres PR-Verständnisses deutlich zu machen. Ohne eine solche PR-Definition als Grundlage kann Geschichtsschreibung nicht mehr leisten, als verstreut publizierte Fakten zu sammeln, die intuitiv etwas mit Öffentlichkeitsarbeit/ PR zu tun haben (Bentele 2013a: 216). Und dennoch: In den meisten Arbeiten zur Geschichtsschreibung sucht man eine solche PR-Definition vergeblich, letztlich wird also mit einem intuitiven PR-Verständnis operiert. Allein in den theoretisch argumentierenden Arbeiten ist eine solche PR-Definition die Regel. Zudem ist offenkundig, dass eine begriffsorientierte Geschichtsschreibung, die nur das berücksichtigt, was als Public Relations bezeichnet wird, wie sie Binder (1983: 50) vorgeschlagen und selbst verworfen hat, nicht plausibel ist. Damit würde all das unberücksichtigt bleiben, was z. B. früher als Öffentlichkeitsarbeit, Vertrauenswerbung und heute als Kommunikationsmanagement bezeichnet wird. Mit welchem methodischen Ansatz wird PR-Geschichte erforscht? Schließlich kann die PR-Geschichtsschreibung danach strukturiert werden, ob sie sich primär an historischen Fakten und Ereignissen orientiert oder ob sie aus einer theoretischen Perspektive Fakten sammelt und einordnet. Bentele (1997b) hat dazu zwischen fakten- und ereignisorientierten sowie modell- und theorieorientierten Ansätzen unterschieden, die Wehmeier et al. (2009: 314) mit dem periodisierenden Ansatz um einen dritten Typ ergänzt haben. Die drei Ansätze werden im Folgenden detaillierter dargestellt, wenn beispielhaft Arbeiten dazu erläutert werden. Ansätze Kriterien faktenbzw. ereignisorientierte periodisierende modellbzw. theorieorientierte Methoden • Sammeln von Fakten, historische Ordnung • Periodisierung • theoriegelenktes Sammeln; Systematisieren <?page no="48"?> 2.2 Geschichte der PR 49 • Charakterisierung von Entwicklungsabschnitten • strukturhistorische Verfahren Ziele Beschreibung Beschreibung und zum Teil Erklärung Beschreibung und Erklärung Theorienbasis keine Begriffe, theoretische Konstrukte Begriffe, Typologien, Theorien Funktionen Attraktion für das Berufsfeld, wissenschaftliche Anfänge Attraktion für das Berufsfeld und wissenschaftliche Funktion, erste Stufe der Abstraktion wissenschaftliche Funktionen; Beitrag zur Professionalisierung des Berufsfeldes Abb. 2.2: Ansätze der PR-Geschichtsschreibung (Bentele 1997b: 147; Wehmeier et al. 2009: 314) Grundsätzlich hat die PR-Geschichtsforschung in Deutschland seit der Tagung der Fachgruppe PR/ Organisationskommunikation der DGPUK zur PR- Geschichte 1996 in Offenburg und dem daraus resultierenden Band (Szyszka 1997) eine erstaunliche Entwicklung genommen. So kommen Wehmeier et al. (2009: 324) am Ende ihres Vergleiches der PR-Historiographie in den USA und Deutschland zu dem Ergebnis, dass die Theorieorientierung der deutschen PR-Geschichtsschreibung für die überwiegend faktenorientierte amerikanische PR-Historiographie Vorbildcharakter habe. Umgekehrt würde die deutsche Forschung noch von einer breiteren Faktenbasis profitieren. 2.2.1 Faktenbzw. ereignisorientierte PR-Geschichtsschreibung Weit verbreitet ist immer noch die faktenbzw. ereignisorientierte Geschichtsschreibung, in der Fakten gesammelt und in eine zeitlich-historische Ordnung gebracht werden. In der Geschichtswissenschaft entspricht dies dem Typ des Historismus, der sich insbesondere an Ereignissen orientiert, die durch Quellen erschlossen werden. Fakten- und ereignisorientierte PR- Geschichtsschreibung ist weitgehend theorielos, auch wenn ihr - zumeist implizit - theoretische Vorüberlegungen zugrunde liegen (sollten). Mindestens sollte geklärt werden, was unter PR zu verstehen ist, um Fakten zum definierten Phänomen sammeln zu können. (Bentele 1997b: 142ff) Beispiele für die faktenbzw. ereignisorientierte PR-Geschichtsschreibung sind häufig Biografien, Autobiografien und Einzelstudien zu Organisationen, Persönlichkeiten oder Kampagnen (Wehmeier et al. 2009: 317). Die umfassendste Geschichtsschreibung dieser Art sind immer noch die beiden Bände „The Unseen Power“ (1994) und „Public Relations History“ (1995) von Scott M. Cutlip, in denen er auf mehr als 1.000 Seiten amerikanische PR- <?page no="49"?> 50 2 Gesellschaftlicher Kontext Persönlichkeiten ebenso vorstellt, wie er die Bedeutung der PR für die Gründung der USA heraushebt. An dieser Vorgehensweise orientiert sich Michael Kunczik mit seiner „Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland“ (1997), in der er zahlreiche Einzelstudien veröffentlicht hat, die bei ihm als Seminar- und Abschlussarbeiten entstanden sind. So berechtigt die Kritik an der faktenbzw. ereignisorientierten PR-Geschichtsschreibung ist, so groß ist deren Verdienst, mit den illustrierten Faktensammlungen überhaupt erst die Grundlage für die beiden folgenden Ansätze der Geschichtsschreibung geschaffen zu haben, denen sie häufig als Steinbruch dienen (Bentele 2013a: 203). Denn während bei den faktenbzw. ereignisorientierten PR-Geschichtsschreibungen zu Recht ein Theoriedefizit zu beklagen ist, so ist bei den folgenden Ansätzen zumeist ein fehlendes Interesse an historischen Quellen zu beobachten. Diesen vermeintlichen Gegensatz hat die deutsche PR-Geschichtsschreibung auch rund 25 Jahre nach Erscheinen von Kuncziks Sammlung noch nicht aufgehoben: „Es geht mithin darum, den unmittelbaren Einzelfall zunächst kennenzulernen, um ihn dann in abstrakter Form theoretisch zu verorten. Diese Leistung der abstrakten Verortung kann für die Geschichte der deutschen ÖA aber allenfalls erst in Ansätzen erbracht werden, denn es geht hier vor allem noch um die Sammlung von Fakten.“ (Kunczik 1997: 20). 2.2.2 Periodisierende PR-Geschichtsschreibung Während in der faktenbzw. ereignisorientierten PR-Geschichtsschreibung Ereignisse weitgehend unreflektiert geordnet werden, werden in der periodisierenden PR-Geschichtsschreibung Entwicklungsabschnitte benannt, die nicht aus einzelnen Ereignissen, sondern aus Faktorenbündeln abgeleitet werden. Solche PR-geschichtlichen Periodisierungen orientieren sich zumeist an politik- und wirtschaftsgeschichtlichen Ereignissen oder direkt an Entwicklungen der PR. Die Benennung dieser Zeiträume und ihrer Faktorenbündel sind bereits ein theoretisches Konstrukt, so dass die periodisierende Herangehensweise als Vorstufe von modellbzw. theorieorientierten Ansätzen zu verstehen ist (Wehmeier et al. 2009: 315). Im Folgenden sollen ausgewählte Periodisierungen zur PR-Geschichte in den USA und in Deutschland skizziert werden. Periodisierende Ansätze zur Geschichte der PR in den USA Edward L. Bernays hat als PR-Berater, wie er sich selbst bezeichnete, nicht nur zahlreiche Regierungen und Unternehmen beraten, sondern mit seinen Publikationen die amerikanische PR-Forschung und PR-Historiographie bis heute beeinflusst. Dies gilt auch für seinen periodisierenden Ansatz der PR- Geschichte in den USA, in dessen Ursprungsversion (1952) er zwischen <?page no="50"?> 2.2 Geschichte der PR 51 sieben Phasen unterschied. Die beiden ersten Phasen beziehen sich auf die besondere Bedeutung der PR im Kontext der Unabhängigkeit Amerikas und auf das Wachstum bzw. den wachsenden Einfluss der PR bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz dazu beschreiben die folgenden drei Phasen das Verhältnis der PR zur Öffentlichkeit. Die berühmt gewordenen Aussprüche der PR-Praktiker William H. Vanderbilt - „The public be damned“ - und Ivy Lee - „The public be informed“ - belegen zunächst die Ignoranz gegenüber der Öffentlichkeit und anschließend deren gestiegene Relevanz, die in der Phase des gegenseitigen Verstehens münden (Wehmeier et al. 2009: 319). Es folgen zwei Phasen, deren erste von einer weiteren Professionalisierung wie der Einrichtung von PR-Abteilungen und deren zweite von neuen Techniken im Zweiten Weltkrieg geprägt war. Wie sehr diese vor rund 60 Jahren veröffentlichte Periodisierung die amerikanische Geschichtsschreibung geprägt hat, zeigt der Lehrbuch-Klassiker „Effective public relations“ von Cutlip et al. (z. B. in der 6. Auflage von 1985) bzw. von Broom/ Sha (11. Auflage von 2013). Nicht nur in den einzelnen Perioden gibt es große Parallelen. Bernays dürfte vor allem der Erste gewesen sein, der versucht hat, die Entwicklung der PR von einer degenerierten zu einer moralisch superioren Kommunikationsform nachzuzeichnen, die in dem Lehrbuch als „evolution to maturity“ (Broom/ Sha 2013: 105) bezeichnet wird (Wehmeier et al. 2009: 320). Die Annahme eines solchen Reifeprozesses findet sich heute in vielen - nicht nur amerikanischen - Arbeiten zur PR- Geschichtsforschung. Bernays 1952 Cutlip/ Center/ Broom 1985 bzw. Broom/ Sha 2013 1600-1800: American PR ab 1600: Anfänge der PR in Amerika 1800-1865: PR of expansion 1865-1900: „The public be damned“ 1900-1919: „The public be informed“ 1900-1916: The seedbed era 1917-1918: World war I period 1919-1929: Rise of a new profession 1919-1929: Booming twenties era 1929-1941: PR comes of age 1930-1945: Roosevelt era and world war II 1941-1951: The era of integration 1946-1964: Postwar era 1965-1985: Period of protest and empowerment 1986 bis heute: Age of digital communication and globalization Abb. 2.3: Periodisierende Ansätze amerikanischer PR-Geschichte von Bernays (1952) und Broom/ Sha (2013: 107) <?page no="51"?> 52 2 Gesellschaftlicher Kontext Periodisierende Ansätze zur Geschichte der PR in Deutschland Zur deutschen PR-Geschichte liegen ebenfalls zahlreiche periodisierende Ansätze vor, von denen die Vorschläge von Oeckl, Bentele und Szyszka zu den meistbeachteten zählen und die alle im Verlaufe der Jahre größere bis grundlegende Überarbeitungen erfahren haben. Die implizite Periodisierung von Oeckl (1964) ist ohne Zweifel der am wenigsten ausgearbeitete und begründete Entwurf. Für ihn ist der Befehl des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Alfred von Tirpitz, 1894 auf allen größeren Schiffen der Kriegsmarine einen Offizier mit Fragen der Information und des Empfangs von Besuchern zu betrauen, der erste Versuch der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland (1964: 93). Den eigentlichen Beginn der PR bzw. Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland verortet Oeckl im Jahr 1945: „1945 kamen mit den amerikanischen Besatzungstruppen auch die Public Relations nach Deutschland beziehungsweise in die US-Zone sowie in die britische und französische Zone.“ (Oeckl 1964: 95) Die These, dass PR eine ‚Importware‘ aus den USA sei, gilt seit vielen Jahren als widerlegt (dazu ausführlich Lange 2010). Sie ist vielmehr selbst ein historisches Phänomen, das bei den im Dritten Reich aktiven PR-Gründungsvätern wie Hundhausen und Oeckl nicht überrascht (Mattke 2006: 99). Die Periodisierung von Bentele (1997b, 2013a) ist Teil seines theorieorientierten Schichtenmodells (1997b), das im folgenden Abschnitt erläutert wird. Während das Schichtenmodell einen globalen Anspruch verfolgt, zeichnet Bentele mit der Periodisierung die PR-Entwicklung in Deutschland nach. Die einzelnen Perioden orientieren sich primär an politischen Kriterien und sekundär an wirtschaftlichen, kommunikationstechnischen und berufsfeldinternen Kriterien (2013a: 221). Die Merkmale der einzelnen Perioden sind in Abb. 2.4 dargestellt. Da sich die Phasenmodelle in der Regel an politisch einschneidenden Entwicklungen wie Weltkriegen und neuen Verfassungen orientieren, gibt es zahlreiche Parallelen zu anderen Modellen wie z. B. dem von Szyszka (2009a). In Deutschland markieren die Weimarer Republik, die NS-Zeit und die Nachkriegszeit ür die Entwicklung der PR in Deutschland wichtige Einschnitte. Szyszka hat ergänzend das jeweilige PR-Verständnis ür politische und wirtschaftliche Organisationen entwickelt. Während er das moderne PR-Verständnis als kommunikative Wettbewerbssituation und mithin als Wettbewerb versteht, ist Propaganda von einer (angestrebten) Meinungsmonopolsituation geprägt. Die PR-Verständnisse wettbewerbsgerichtet und propagandistisch konzipiert er jeweils als Abstufungen, so dass sich eine Viererskala ergibt, mit der die Kommunikationsarbeit von Politik und Wirtschaft in Abhängigkeit von der organisationstypbezogenen Gültigkeit der kommunikationspolitischen Rahmenbedingungen in den verschiedenen <?page no="52"?> 2.2 Geschichte der PR 53 politischen Phasen deutscher Geschichte zu bewerten ist (Szyszka 2009a: 547). Diese in Teilen bereits theorieorientierte Geschichtsschreibung weist Parallelen zu der Einteilung von Bernays (1952) und von Grunig/ Hunt (1984) auf. Oeckl 1964 Bentele 1997b/ 2013a Szyszka 2009a bis Mitte des 19. Jahrhunderts: Vorgeschichte Staatliche Pressepolitik, funktionale Public Relations; Entwicklung eines Instrumentariums 1816-1871: politischer Umbruch • Politik: propagandistisch • Wirtschaft: propagandistisch 1894-1933: Erste sporadische Versuche 19. Jahrhundert - 1918: Entstehung des Berufs Entwicklung erster Presseabteilungen in Politik und Wirtschaft; Kriegspressearbeit 1871-1914: Kaiserreich • Politik: propagandistisch • Wirtschaft: Wettbewerb 1914-1918: Erster Weltkrieg • Politik: Propaganda • Wirtschaft: nicht untersucht 1918-1933: Konsolidierung und Wachstum Ausbreitung von Presseabteilungen in diversen gesellschaftlichen Bereichen: Wirtschaft, Politik, kommunale Verwaltung 1918-1933: Weimarer Republik • Politik: nicht untersucht • Wirtschaft: Wettbewerb 1933-1945: Die Zwischenzeit 1933-1945: NS-Pressearbeit Parteiideologisch dominierte Pressearbeit im Rahmen politischer Propaganda; staatliche und parteiliche Lenkung von Journalismus und Pressearbeit 1933-1945: Drittes Reich • Politik: Propaganda • Wirtschaft: nicht untersucht Die Entwicklung nach 1945 1945-1958: Neubeginn und Aufschwung Nachkriegsentwicklung; Aufschwung und Orientierung an amerikanischen Vorbildern ab Anfang der 50er Jahre; Entwicklung eines neuen beruflichen Selbstverständnisses im Rahmen demokratischer Öffentlichkeitsstrukturen (Abgrenzung der PR von Propaganda und Werbung); schnelle Entwicklung des Berufsfelds vor allem in der Wirtschaft 1945-1949: Besatzungszeit • Politik: nicht untersucht • Wirtschaft: nicht untersucht 1949-1968: Wirtschaftswunder • Politik: propagandistisch • Wirtschaft: propagandistisch <?page no="53"?> 54 2 Gesellschaftlicher Kontext 1958-1985: Konsolidierung des Berufsfelds Entwicklung eines beruflichen Selbstbewusstseins; Gründung des Berufsverbandes DPRG ; Beginn einer außerakademischen Aus- und Fortbildung. Parallel dazu ab Mitte der 60er Jahre Entwicklung einer parteilich dominierten „sozialistischen Öffentlichkeitsarbeit“ in der DDR 1968-1985: Mediengesellschaft • Politik: wettbewerbsgerichtet • Wirtschaft: Wettbewerb 1985-1995: Boom des Berufsfelds, Professionalisierung Starke Entwicklung des PR-Agentursektors; Akademisierung und Professionalisierung des Berufsfeldes; Verbesserung der Ausbildung, Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Instrumentariums, Akademische PR-Ausbildung; Entwicklung einer PR- Wissenschaft 1995 bis heute: Einfluss des Internets, Globalisierung, Social Media Abb. 2.4: Periodisierende Ansätze deutscher PR-Geschichte von Oeckl (1964), Bentele (1997b: 161, 2013a: 221) und Szyszka (2009a) 2.2.3 Modellbzw. theorieorientierte PR-Geschichtsschreibung Eine theorieorientierte PR-Geschichtsschreibung zeichnet sich durch Begriffssysteme aus, die sich direkt auf Veränderungen in der PR wie dem Kommunikationsverhalten oder dem Verständnis beziehen. Ziel ist es zudem, diese Entwicklungen auch erklären zu wollen. Dies ist auch deshalb der höchste Abstraktionsgrad, weil die chronologische Abfolge und die ausführliche Erläuterung von historischen Ereignissen nicht mehr gegeben sein müssen (Bentele 1997b: 146; Wehmeier et al. 2009: 316). Die vier PR-Modelle (Grunig/ Hunt 1984) Der bis heute mit Abstand prominenteste Ansatz, der der modellbzw. theorieorientierten PR-Geschichtsschreibung zuzurechnen ist und der PR als Kommunikationsmanagement versteht, sind ohne Zweifel die vier Modelle der PR von Grunig/ Hunt (1984: 21f). Die Modelle Publicity, Information, asymmetrische und symmetrische Kommunikation werden nicht nur systematisch, sondern auch historisch interpretiert (Bentele 1997b: 144). So unterscheidet der Ansatz einerseits systematisch zwischen unterschiedlichen PR-Formen hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes und der Bereitschaft zu <?page no="54"?> 2.2 Geschichte der PR 55 unternehmerischen Zugeständnissen. Andererseits versuchen Grunig/ Hunt, die vier Modelle zeitlich zuzuordnen. Hier werden schnell Parallelen zu Bernays deutlich. Auch wenn das Modell nicht zuletzt durch die Ergebnisse der Excellence-Studie weiterentwickelt wurde (u. a. Grunig et al. 1996), so kann es bis heute als systematisch-historischer Ansatz interpretiert werden. Daran ändern auch die geringe theoretische Fundierung und der z. T. normative Charakter der vier Modelle und hier insbesondere die ‚Überhöhung‘ des Modells symmetrischer PR wenig, die dem Ansatz zu Recht vielfach vorgeworfen werden. Publicity Public information asymmetrische Kommunikation symmetrische Kommunikation Zweck Propaganda Verbreitung von Informationen Überzeugen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis wechselseitiges Verständnis Art der Kommunikation Einweg; vollständige Wahrheit nicht wesentlich Einweg; Wahrheit ist wesentlich Zweiweg; unausgewogene Wirkungen Zweiweg; ausgewogene Wirkungen Kommunikationsmodell Sender Empfänger Sender Empfänger Sender Empfänger Gruppe Gruppe typische Vertreter P.T. Barnum Ivy Lee Edward L. Bernays Bernays; PR- Professoren, Berufsverbände heutige Anwendungsfelder Sport, Theater, Verkaufsförderung Behörden, Non- Profit, Verbände, Unternehmen Freie Wirtschaft, Agenturen Gesellschaftsorientierte Unternehmen, Agenturen geschätzter Anteil von Organisationen, die Modell 1984 anwendeten 15% 50% 20% 15% Abb. 2.5: 4 Modelle der PR von Grunig/ Hunt (1984: 22; deutsche Übersetzung angelehnt an Signitzer 1988: 100) Funktional-integrative Schichtung (Bentele 1997b) Neben dem oben erläuterten Modell zu den Perioden deutscher Public Relations (1997b/ 2013a) hat Bentele mit dem Schichtenmodell ein globales Modell entwickelt (1997b). Darin setzt er den Beginn der ‚eigentlichen‘ PR etwa mit Mitte des 19. Jahrhunderts an, ermöglicht gleichzeitig aber auch, Vorläufer der PR wie z. B. persuasive Kommunikation oder repräsentative Gebäude, die auch Kommunikationsfunktionen übernehmen, zu berücksichti- <?page no="55"?> 56 2 Gesellschaftlicher Kontext gen, ohne dies als PR zu bezeichnen. PR versteht Bentele hier in Anlehnung an Grunig/ Hunt (1984) als systematisches Kommunikationsmanagement. Benteles Ansatz ist ein Schichtenmodell, weil jüngere Schichten auf älteren aufbauen und zumindest deren Prinzipien übernehmen - darin erkennt Bentele auch den Unterschied zu Phasenmodellen, wo eine Entwicklung auf eine andere folgt. Mit dem Schichtenmodell greift Bentele Überlegungen insbesondere der Evolutionsbiologie auf. Es ist funktional, weil PR im Kontext benachbarter Systeme wie Journalismus und Werbung sowie übergreifender Systeme wie Politik, Wirtschaft und Kultur betrachtet wird. Damit wird zugleich deutlich, dass das Schichtenprinzip als Entwicklungsprinzip für die gesamte Kommunikationsgeschichte nutzbar wäre. Schließlich ist es integrativ, weil die PR-Entwicklung als integrative Entwicklung interpretiert wird - also als Bestandteil der Geschichte menschlicher Kommunikation oder der Öffentlichkeit. Insgesamt unterscheidet Bentele fünf Schichten: Die Schicht (a) interpersonale Kommunikation resultiert daraus, dass jegliche Form von PR eine kommunikative Tätigkeit ist. Informations- und Kommunikationsprozesse sind eine Voraussetzung für PR-Prozesse. Von dieser ersten Schicht abzugrenzen sind Formen (b) öffentlicher Kommunikation, die in einem weiteren Verständnis auch Versammlungen und Theateraufführungen und in einem engeren Verständnis die Existenz von Massenmedien voraussetzt. Davon grenzt Bentele (c) die Organisationskommunikation und damit die Organisationsgebundenheit bzw. die Eigenkommunikation ab. In dieser Schicht kann PR erstmals funktional identifiziert und z. B. vom Journalismus unterschieden werden. Beispiele für erste PR-Rollen sind politische Funktionsträger, die zugleich immer auch schon Kommunikationsfunktionen ausgeübt haben. Zudem können in dieser Schicht auch schon grundlegende Regeln und Kommunikationsprozesse wie die öffentliche Rede oder das Fundraising identifiziert werden. In einer weiteren Schicht ist (d) Public Relations als Berufsfeld zu identifizieren. Es entwickelten sich berufstypische Muster wie Arbeitsabläufe, so dass sich mit der Hauptberuflichkeit spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein klares Unterscheidungsmerkmal herausbildete. Befördert wurde dies durch die aufkommenden Massenmedien, auf die Organisationen mit gestiegenen PR-Bemühungen reagiert haben. Innerhalb des 20. Jahrhunderts bildeten sich dann ein Berufsfeld und damit ein Beruf heraus. Die Entstehung des (e) sozialen Systems Public Relations ist für Bentele die vorerst letzte Phase. Es unterscheidet sich von anderen publizistischen <?page no="56"?> 2.2 Geschichte der PR 57 Teilsystemen u. a. durch soziale Funktionen, Arbeitsorganisationen, Berufsrollen und berufliche Entscheidungsprogramme. Das funktional-integrative Schichtenmodell ist der theoretisch anspruchvollste Versuch, PR im Kontext der (öffentlichen) Kommunikation theoretisch und historisch zu erläutern. Dabei werden Vorläufer der PR plausibel eingeordnet und zugleich von der modernen PR unterschieden. Public Relations als soziales System • zeitlich: 20. und 21. Jahrhundert • Kriterium: Berufsfeld als strukturiertes soziales System Public Relations (PR als Beruf und Berufsfeld) • zeitlich: 19. und 20. Jahrhundert • Kriterien: PR als Hauptberuf und die Herausbildung spezialisierter Abteilungen zur Bearbeitung der Massenmedien Organisationskommunikation (funktionale PR, PR-Instrumente) • zeitlich: ausgehendes Mittelalter und Neuzeit • Kriterium: Beginn funktionaler öffentlicher Kommunikation von Organisationen Öffentliche Kommunikation (Publizistik) • zeitlich: Altertum, Mittelalter • Kriterium: Beginn öffentlicher Kommunikation Interpersonale Kommunikation (verschiedene Kommunikationsfunktionen) • zeitlich: Menschheitsgeschichte • Kriterium: Vorhandensein von Kommunikation als älteste Voraussetzung der PR Abb. 2.6: Schichtenmodell zur PR-Entwicklungsgeschichte (aus Bentele 1997b: 157, 2013b: 255) Die Genesis von Public Relations (Merten 1997) Wenn Merten PR als „Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeit“ (Merten 1992: 44) versteht, folgt daraus konsequent, dass er den Beginn der PR sehr früh verortet. Den Anfang der Kulturtechnik, wie er sie selbst bezeichnet, sieht er im Paradies, „wo Eva vermittels der erstmaligen, gleichwohl erfolgreichen Anwendung einer Überzeugungstechnik Adam zur Teilnahme am Apfelschmaus zu gewinnen wusste und damit zugleich Dienstleistungs-PR für die Entwicklung kognitiven Denkens“ betrieb (Merten 1997: 22). Das Wachstum von PR ist nach Merten untrennbar mit der Evolution des Mediensystems verbunden, das wiederum mit der zunehmenden Differenzierung der Gesellschaft wächst. Bei der Entwicklung der PR seit dem 19. Jahrhundert orientiert sich Merten sehr eng an den vier PR-Modellen von Grunig/ Hunt (1984), entledigt sich aber mit der Annahme des <?page no="57"?> 58 2 Gesellschaftlicher Kontext Konstruktionscharakters der PR seiner moralischen Konnotation (Wehmeier et al. 2009: 322). Im Vergleich zu den anderen theoretischen historiographischen Ansätzen ist der von Merten weniger konsistent. Er bietet statt einem gleich mehrere (z. T. theoretische) Ansatzpunkte für eine PR-Historiographie. Die Entstehung der PR als Reaktion auf den Journalismus (Bieler 2010, Liebert 2003, Schönhagen 2008) Während in den meisten Ansätzen zur PR-Geschichtsschreibung die Etablierung des Journalismus als eine von mehreren wichtigen Entwicklungen verortet ist, die PR beeinflusst hat, erkennen Schönhagen (2008), Bieler (2010) und Liebert (2003) darin die zentrale Voraussetzung zur Entstehung der PR. PR wird hier als eine Art Gegenreaktion auf die Entwicklung der Presse bzw. der autonomen Nachrichtenproduktion verstanden (Schönhagen 2008: 14) - Schönhagen spricht daher von einer Ko-Evolution von PR und Journalismus. Eine solche Sichtweise dürfte auch damit zu erklären sein, dass bei diesen Ansätzen PR vor allem als Pressearbeit verstanden wird. So definiert Bieler PR als „kommunikative Vertretung partikularer Interessen von (Einzelpersonen), Organisationen oder Institutionen über Dritt-Medien, also über Massenmedien, in der Öffentlichkeit“ (Bieler 2010: 33; ähnlich Schönhagen 2008: 14). Schönhagen unterscheidet zwischen zwei Motivkomplexen für den Beginn von Pressearbeit: Auf der einen Seite ist dies eine fehlende bzw. aus Sicht der Betroffenen verfälschte Berichterstattung, die mit der Parteilichkeit der Medien bzw. des Journalismus in Zusammenhang gebracht wird. Auf der anderen Seite müssen Organisationen erkennen, dass große Zielgruppen bzw. die Gesamtöffentlichkeit nur noch über Massenmedien erreichbar sind. Eine solche Perspektive wird eingebettet in den größeren Rahmen der Theorie der Sozialen Zeit-Kommunikation der Münchner Schule der Zeitungswissenschaft. Demnach provoziert journalistische Kommunikationsvermittlung Prozesse der „Gegenrationalisierung“ (Wagner 1980) und führt damit zur Entstehung der PR (Schönhagen 2008: 16). Andere genannte Gründe zur Entstehung und Entwicklung der PR wie die Herausbildung moderner Organisationen und der Legitimationsdruck treten dahinter deutlich zurück. Wenn PR als reine Pressearbeit verstanden wird, erscheint die Existenz und Etablierung journalistischer Massenmedien als Voraussetzung zur Entstehung der Pressearbeit plausibel. Wird PR jedoch als Legitimation oder Kommunikationsmanagement interpretiert, erscheint eine solche Fokussierung auf den Journalismus hingegen problematisch (Bentele 2013a: 209f). <?page no="58"?> 2.2 Geschichte der PR 59 Public Relations als Innovation (Saxer 1992) Ulrich Saxer beschreibt in drei Innovationsphasen der PR die evolutionäre Systembildung der PR. Die Entwicklungsphasen der PR sind deckungsgleich mit dem Industrialisierungsgrad des jeweiligen Gesellschaftstyps - der industrialisierenden, industrialisierten und postindustriellen Gesellschaft. Saxer versteht unter PR-Systemen Interaktionen, die sich auf interessengesteuerte Kommunikation für bestimmte Teilöffentlichkeiten beziehen. (a) Industrialisierende Gesellschaften haben überwiegend reaktive PR hervorgebracht, die Unternehmen zur besseren Legitimation ihres wirtschaftlichen Effizienzstrebens initiieren. PR ähnelt hier noch sehr stark der Werbung, aus der sie laut Saxer entstanden ist. Ihr Verhältnis zur Presse ist entsprechend noch antagonistisch. Für die USA verortet Saxer diese Phase für die Zeit zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. In (b) industrialisierten Gesellschaften weitet sich PR auf die gesamte Wirtschaft aus. Die Akzeptanz der Innovation PR verbessert sich, was sich sowohl an einer gestiegenen Nachfrage nach ihr zeigt als auch daran, dass die ideologische Polarisierung insgesamt schwächer wird. Die Argumentationsstrategie bleibe jedoch simpel und stereotyp, da sie die Identität der Interessen von Unternehmen der gesamten Wirtschaft unterstellt. Diese Phase beginnt in den USA nach dem Ersten Weltkrieg, in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. In (c) postindustriellen Gesellschaften bzw. Informationsgesellschaften mit ihren individualisierten Ansprüchen und ihrem stetig wachsenden Bedarf an öffentlicher Selbstdarstellung und Legitimation differenziert sich die PR seit den 70er und 80er Jahren weiter aus und expandiert in praktisch alle gesellschaftlichen Teilbereiche. Das Verhältnis zur Presse hat sich in dieser dritten Innovationsphase von antagonistischen hin zu symbiotischen Beziehungen entwickelt. Saxers Ansatz hat in der deutschsprachigen PR-Forschung bis heute wenig Beachtung gefunden. Ähnlich wie das Schichtenmodell von Bentele hätte er es verdient gehabt, intensiver ausgearbeitet zu werden (Raaz/ Wehmeier 2011: 14). 2.2.4 Der „Take off“ von PR in Abhängigkeit vom PR-Verständnis Einleitend ist aufgezeigt worden, wie wichtig die Nennung einer PR-Definition für die PR-Geschichtsschreibung ist (ähnlich: Fröhlich 1997: 73ff). Daher sollen abschließend zu den eingangs definierten vier PR-Verständnisweisen zentrale Merkmale des jeweiligen „Take off“ (Ronneberger/ Rühl 1992: 47) benannt werden. Dazu wird in einer theorieorientierten Vor- <?page no="59"?> 60 2 Gesellschaftlicher Kontext gehensweise zwischen drei Entwicklungsphasen unterschieden, die hier am Beispiel der deutschen PR-Geschichte und teilweise mit Bezug zu den genannten Ansätzen skizziert werden. Abb. 2.7: Der „Take off“ von PR in Abhängigkeit vom PR-Verständnis Lebensweltliche PR: Hier sollen jenseits moderner Gesellschaften und Organisationen Phänomene gesucht werden, die bereits in archaischen Gesellschaften ähnliche Probleme in ähnlicher Weise gelöst haben. Damit geraten - ähnlich wie bei der interpersonalen Kommunikation in Benteles Schichtenmodell (1997b) - für jede der vier PR-Verständnisweisen lebensweltliche PR entstehende PR ausdifferenzierte PR Ansätze (Beispiele) PR als Kommunikationsmanagement jegliche Form strategischer Kommunikation In jeder Organisation betreiben Mitglieder repräsentative und persuasive Kommunikation. Ausdifferenzierung von Abteilungen für Pressearbeit oder Werbung (in Deutschland ab Mitte des 19. Jahrhunderts). Bentele 1997b PR als Persuasion Persuasion ist so alt wie menschliche Kommunikation. Merten 1997 PR als Pressearbeit In einem weiten Verständnis kann Mundpropaganda als Frühform gesehen werden, da sie wie Pressearbeit von der Vertrauenswürdigkeit derjenigen profitiert, die etwas weiterberichten. Repräsentanz gegenüber den wachsenden Massenmedien wird wichtiger. Dazu wird die Kontaktpflege zentralisiert (in Deutschland bis Mitte des 19. Jahrhunderts). Ausdifferenzierung von Abteilungen für Pressearbeit (in Deutschland ab Mitte des 19. Jahrhunderts). Schönhagen 2008, Bieler 2009 PR als Legitimation Schon in archaischen Gesellschaften hat die Legitimität einer Person deren Handlungsspielräume beeinflusst. In modernen Gesellschaften begründen Organisationen, dass ihr Verhalten im Einklang mit Werten und Normen steht (in Deutschland ausgehendes Mittelalter und Neuzeit). Durch eine kritischere Öffentlichkeit differenzieren sich Abteilungen (PR bzw. CSR) aus, in denen das Problem der Legitimität bearbeitet wird (in Deutschland ab den 1970er Jahren). Teilweise Saxer 1992 <?page no="60"?> 2.2 Geschichte der PR 61 auch grundsätzliche kommunikative Formen in den Blick, die bis heute in jeder Interaktion zu beobachten sind. Für PR als Persuasion und als Kulturtechnik (Merten 1997) gilt zudem, dass PR in diesem Verständnis nicht nur so alt ist wie menschliche Kommunikation, sondern sich funktional seitdem auch nicht mehr verändert hat. Entstehende PR: Die drei weiteren Verständnisweisen sind deutlich voraussetzungsvoller. Zur Entstehung von PR als Kommunikationsmanagement und als Legitimation bedarf es (a) pluralistischer Gesellschaftsstrukturen, in denen ein Wettbewerb unterschiedlicher Interessen herrscht, sowie (b) die Herausbildung moderner Organisationen. Für PR als Pressearbeit kommt zusätzlich (c) die Herausbildung einer Öffentlichkeit und von Massenmedien bzw. Journalismus hinzu (Ronneberger/ Rühl 1992: 43; Saxer 1992: 58, Szyszka 2011: 20). Sobald diese Voraussetzungen gegeben waren, konnte PR in den genannten Verständnisweisen entstehen, hat sich aber erst im weiteren Verlauf weiter ausdifferenziert. Ausdifferenzierte PR: Von einer ausdifferenzierten PR im jeweiligen Verständnis soll erst dann gesprochen werden, wenn sich in mehreren Organisationen spezialisierte Rollen bzw. Abteilungen herausgebildet haben. Eine ausdifferenzierte PR läge z. B. in einer systemtheoretischen Perspektive dann vor, wenn PR sich als Organisationsfunktion etabliert hat. Die lebensweltliche, entstehende und ausdifferenzierte PR können einerseits als historische Entwicklungsphase der jeweiligen PR-Verständnisweisen in einer Gesellschaft interpretiert werden, andererseits sind sie selbstredend alle auch heute zu beobachten: Die lebensweltliche PR ist heute tagtäglich in nahezu jeder Interaktion zu beobachten, während entstehende PR in Organisationen anzutreffen ist, die erst langsam beginnen, z. B. eine PR- Abteilung aufzubauen. Zum Weiterlesen Überblick zu zentralen Ansätzen deutschsprachiger PR-Geschichtsschreibung: • Szyszka, Peter (Hrsg.) (1997): Auf der Suche nach Identität: PR-Geschichte als Theoriebaustein. Berlin. Systematisierung und Vergleich der deutschen und US-amerikanischen PR-Geschichtsschreibung: • Wehmeier, Stefan / Raaz, Oliver / Hoy, Peggy (2009): PR-Geschichten. Ein systematischer Vergleich der PR-Historiografie in Deutschland und den USA. In: Averbeck-Lietz, Stefanie / Klein, Petra / Meyen, Michael (Hrsg.): Historische und Systematische Kommunikationswissenschaft. Festschrift für Arnuf Kutsch. Bremen: 309-329. Ausführliche Darstellungen zur PR-Geschichte in Deutschland und den USA: • Cutlip, Scott M. (1994): The unseen Power. A history of public relations. Hillsdale, NJ. <?page no="61"?> 62 2 Gesellschaftlicher Kontext • Cutlip, Scott M. (1995): Public Relations History: From the 17th to 20th century. The antecedents. Hillsdale, NJ. • Kunczik, Michael (1997): Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Köln, Wien. 2.3 Ethik der PR PR-Skandale sind stets mit PR-ethischen Diskussionen verbunden: Wenn ein Regierungssprecher in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkredaktion anruft und versucht, einen ihm negativ erscheinenden Beitrag zu verhindern, stellt sich die Frage, ob PR - hier im Sinne der Pressearbeit - so etwas ‚darf‘. Dieselbe Frage wird diskutiert, wenn BP während der Ölpest im Golf von Mexiko 2010 PR-Bilder manipuliert haben soll, oder wenn der PR-Berater Moritz Hunzinger Politiker durch Geldzuwendungen in Konflikt mit ihren Ämtern bringt. In solchen öffentlichen (Skandal-)Diskursen sind zunächst die PR der betroffenen Organisation, schnell aber auch die gesamte PR-Branche mit den Erwartungen von Journalisten oder ‚der‘ Öffentlichkeit konfrontiert. Solche PR-Skandale sind Hochzeiten ethischer Debatten, weil die Diskussion eines mutmaßlichen Norm-Verstoßes die Norm entweder bestätigt und damit wieder ins Bewusstsein ruft oder aber verändert und neue Normen diskutiert werden. So hat die genannte Hunzinger-Affäre dazu geführt, dass eine Richtlinie zur Kontaktpflege im politischen Raum entwickelt wurde (DRPR 2004). Noch deutlicher wird die Relevanz von Skandalen für ethische Debatten bei noch jungen Phänomen wie Influencer Relations bzw. Influencer Marketing: Öffentlich skandalisierte Normverstöße wie eine fehlende oder unzureichende Kennzeichnung bezahlter Beiträge sind hier erst der Anlass, erstmals über ethische Normen nachzudenken und Normen auszuhandeln (Rademacher 2020: 12). So sehr solche öffentlichen PR-Skandale auch das Vertrauen in die PR schwächen mögen, so sehr tragen sie zu einer Reflexion innerhalb der PR-Branche bei. Bereits im Kapitel zur Geschichte der PR ist deutlich geworden, dass die PR seit jeher mit ethischen Fragen beschäftigt ist. Für eine Selbstdarstellungskommunikation wie PR ist das nicht verwunderlich, weil grundsätzlich jede Selbstdarstellung mit Problemen der Vertrauenswürdigkeit zu kämpfen hat. Während in der absatzorientierten Mediawerbung aber längst die Ausblendungsregel (Schmidt/ Spiess 1996: 46) akzeptiert ist und sie daher auch übertreiben oder gar lügen darf, wird von der PR normativ eine angemessene Beschreibung erwartet, während empirisch nicht selten eine Lüge unterstellt wird (Hoffjann 2013a: 188). Als Problem dürfte hinzukommen, dass PR als Pressearbeit im Gegensatz zur Arbeit von Journalistinnen und zu den Anzeigen der Werbung für den durchschnittlichen Zeitungsleser nicht <?page no="62"?> 2.3 Ethik der PR 63 sichtbar wird - und damit erst recht zu Misstrauen führen kann (Bentele 2009: 20). PR-Ethik ist daher bis heute in der PR-Praxis wie in der PR-Forschung ein wichtiges Thema geblieben. PR-Ethik kann als ein Bereich der praktischen Ethik verstanden werden (ebd.: 27). Der PR-ethische Diskurs dürfte zu den Bereichen zählen, in denen sich PR-Praktiker und PR-Forscher am intensivsten aufeinander beziehen. So zielen wissenschaftliche Aussagen einer normativen PR-Ethik letztlich immer auf das praktische PR-Handeln. In solchen Diskussionen werden die Begriffe Moral und Ethik häufig undifferenziert verwendet. Auf der Ebene der Moral befindet sich ein PR-Praktiker, wenn er in einer konkreten Situation fragt, welche sittlichen Einstellungen es gibt und wie sie im konkreten Fall angewendet werden. Hiervon unterscheidet sich die Ethik, die moralisches Handeln reflektiert und daher als moraltheoretische Ebene bezeichnet werden kann. Sie fragt zum Beispiel, woher moralische Vorstellungen stammen und wie sie begründet werden (ebd.: 27). So wäre das ‚Durchsickern‘ von betriebsinternen Informationen über den Pressesprecher ein moralisches Phänomen innerhalb des praktischen PR-Verhaltens. Die Kritik daran durch das Management und die Verteidigung des Pressesprechers lägen dann schon auf der ethischen Ebene (Bentele 1992a: 158). Eine PR-Ethik „beschäftigt sich mit dem moralisch-sittlichen Handeln von PR-Praktikern und den Normen, die diesem Handeln zugrunde liegen [...]. Aufgaben einer [normativen; O.H.] PR-Ethik sind es, einerseits Wertvorstellungen, Normen und Handlungsempfehlungen zu formulieren bzw. auszuarbeiten, andererseits eine tragfähige Argumentation vorzulegen, um im Fall konfliktärer Ansprüche (z. B. Loyalität gegenüber Auftraggeber versus Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit) eine Güterabwägung vornehmen zu können“ (Bentele 2009: 28). Im Zentrum der PR-ethischen Überlegungen in Praxis und Wissenschaft gleichermaßen steht die normative PR-Ethik. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie PR-Praktiker handeln sollten und wie dies zu begründen ist. Damit ist hier ein konkreter Praxisbezug stets gegeben. Beispiele hierür sind die Kodizes von Berufsverbänden. Der normativen PR-Ethik wird vorgeworfen, dass sie Normen absolut setze und den situativen Charakter jeden Handelns vernachlässige (Weischenberg 1992: 189). In der deskriptiven PR-Ethik werden Fragen nach der Relevanz, der Funktion oder den Rahmenbedingungen von Moral und Ethik diskutiert (Scarano <?page no="63"?> 64 2 Gesellschaftlicher Kontext 2002: 26). Dazu zählen empirische Fragen wie z. B. die nach der Bekanntheit von PR-Kodizes in der Berufspraxis ebenso wie theoretische Fragen wie z. B. die nach den Ebenen einer PR-Ethik. Mit solchen deskriptiven Fragen befassen sich beispielsweise systemtheoretisch argumentierende Arbeiten, die naturgemäß bei Fragen nach konkreten ethischen Normen über allgemeine Hinweise zur Verantwortung (für den Journalismus: Weischenberg 1992: 216ff) und mitmenschlicher Achtung (Ronneberger/ Rühl 1992: 235; Luhmann 1978: 46) nicht hinauskommen. Mit Weischenberg könnte die Aufgabe einer PR-Ethik in diesem Sinne allgemein als „ständige Reflexion über die Unterscheidungen, die dem individuellen Handeln zugrunde liegen“ (Weischenberg 1992: 222), beschrieben werden. Damit ist das Dilemma einer wissenschaftlich fundierten PR-Ethik benannt: Die alleinige Beschreibung von ethischen Zwängen und Problemfällen der deskriptiven PR-Ethik ist ebenso wenig befriedigend wie eine verabsolutierende, die konkrete Situation leugnende normative PR-Ethik. Ähnlich wie für die Geschichte der PR gilt, dass man das Thema Ethik der PR auf allen Ebenen der Zwiebel verorten könnte. Für eine Erläuterung im gesellschaftlichen Kontext spricht, dass PR in ethischen Diskursen mit externen Ansprüchen konfrontiert wird. In der Regel wird PR in diesem Kapitel als Pressearbeit verstanden, weil sich PR-ethische Überlegungen oft auf die konkrete Tätigkeit der Pressearbeit beziehen. Wenn im Folgenden andere PR- Verständnisweisen berücksichtigt werden, wird darauf hingewiesen. 2.3.1 Individual-, Organisations-, Branchen- und Professionsethik Wenn bislang von PR-Ethik gesprochen wurde, so war damit in der Regel die Ebene der Professionsethik - also die Ethik des Berufsstandes PR - gemeint. Hier werden z. B. die Normen für die gesamte PR-Branche diskutiert. Eine Beschränkung auf diese Ebene wäre allerdings naiv. Denn wenn PR- Entscheidungen von Personen in Organisationen getroffen werden, die wiederum in eine Branche eingebettet sind, wird schnell deutlich, dass eine PR- Ethik immer im Kontext betrachtet werden muss. Für eine differenziertere Betrachtung ist es daher sinnvoll, analytisch zwischen mehreren Ebenen zu unterscheiden, die in der Summe Entscheidungen und ihre ethische Reflexion beeinflussen: Auf der Ebene der (a) Individualethik werden die Pflichten des Individuums untersucht (Göbel 2013: 43). Hier kann zwischen jeweils mehr oder weniger konsistenten Systemen von Handlungsanleitungen und -normen, die meist nicht schriftlich fixiert sind, unterschieden werden (Bentele 2009: 28). <?page no="64"?> 2.3 Ethik der PR 65 Die (b) Organisationsethik tritt seit mehreren Jahren zunehmend mehr in den Mittelpunkt. Dabei sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Zunächst einmal haben PR-Abteilungen in unterschiedlichen Organisationen unterschiedliche PR-ethische Vorstellungen. Eine solche organisationale PR-Ethik ist nur in Ausnahmen schriftlich fixiert. Zu einer solchen organisationalen PR-Ethik sind auch die PR-relevanten Aussagen in vorhandenen Corporate Social Responsibility- oder Unternehmensgrundsätzen zu zählen (ebd.: 28). Darüber hinaus beeinflusst die jeweilige Organisationsethik grundsätzlich das Handeln der PR und damit auch die Möglichkeiten einer moralisch agierenden PR. Ein moralisches Handeln dürfte zum Beispiel in Unternehmen, in denen den Ansprüchen von Bezugsgruppen traditionell wenig Beachtung geschenkt wird, schwieriger umzusetzen sein. Und schließlich beeinflusst auch die Stellung der PR innerhalb der Organisation die Möglichkeiten moralischen PR-Handelns: Je wichtiger PR vom Management eingeschätzt wird, desto leichter ist es, z. B. in Konflikten PR-Ethik- Grundsätze durchzusetzen (Wright 1992). Eine Pressesprecherin, die mit ihrer PR-Abteilung als Stabsstelle in einem regelmäßigen Austausch mit der Vorstandsvorsitzenden steht, wird in einer Krisensituation bessere Chancen haben, eine transparente Informationspolitik durchzusetzen, als ein Pressesprecher, der im Marketing angesiedelt ist und nur selten Kontakt zur Unternehmensleitung hat. Umgekehrt beeinflusst PR als soziales Gewissen einer Organisation (Skinner et al. 2003: 16) bzw. als Ethik-Wächter (L’Etang 2003) selbst allgemeine unternehmensethische Vorstellungen. Wenn PR im Sinne der Legitimation Unternehmen legitimiert, wird sie dazu neue gesellschaftliche Ansprüche und damit verbunden neue ethische Vorstellungen in das Unternehmen hineintragen. PR ist damit auch ein Reflexionszentrum für Ethik-Fragen, die aus neuen Ansprüchen von Bezugsgruppen resultieren können. Der Einfluss der PR hängt dann auch davon ab, ob die Unternehmensleitung ihr diesen Einfluss auch ermöglicht - welche Stellung PR also hat. Dabei steht PR jedoch vor einem Dilemma: Denn wenn die PR den Anspruch hätte, alle Werte und Normen zu berücksichtigen, würde es angesichts des gesellschaftlichen Wertepluralismus und der daraus resultierenden Konflikte zwischen einzelnen Werten und Normen zu einer Erstarrung der Organisation kommen. Die Entscheidung für einen gesellschaftlichen Wert ist in der Regel zugleich eine Entscheidung gegen einen anderen Wert (Hoffjann 2007: 109). Von einer Organisationsethik kann eine (c) Branchenethik unterschieden werden, mit der hier nicht wie bei einigen Autoren die eigentliche PR-Ethik gemeint ist. So dürften sich die PR-ethischen Vorstellungen z. B. in unterschiedlichen Feldern wie NGOs, Parteien und in der Wirtschaft - und hier auch in verschiedenen Wirtschaftsbranchen - deutlich voneinander unter- <?page no="65"?> 66 2 Gesellschaftlicher Kontext scheiden. Grunig/ Hunt haben auf solche Unterschiede in ihren vier PR-Modellen (1984: 22; Abb. 2.5) hingewiesen, indem sie für jedes PR-Modell beispielhafte Branchen genannt haben: Während sie z. B. das Publicity-Modell, in dem die Wahrheit nicht wichtig sei, im Sport- und Theater-Bereich sowie in der Produkt-PR verorten, würde das Public Information-Modell vor allem in Behörden und Non-Profit-Organisationen zum Einsatz kommen. Die vierte Ebene ist die genannte (d) Professionsethik. Dies ist auch deshalb die am meisten beachtete Ebene, weil der weltweite PR-ethische Diskurs als eine auf das Handeln des Einzelindividuums bezogene Professionsethik verstanden werden kann, die das Einzelhandeln von PR-Akteuren normieren will (Bentele 2009: 28). In Konfliktsituationen, in denen einem PR-Akteur, der sich an die Normen der Professionsethik halten will, in der Organisation aber signalisiert wird, dass dies in der konkreten Situation nicht akzeptiert wird, stellt sich dann die Frage, ob er wie gewünscht handelt - schweigend oder zumindest seine Bedenken vortragend -, oder ob er aus der Organisation austritt. Die Professionsethik wird in den beiden folgenden Kapiteln näher erläutert. 2.3.2 Richtlinien und Kodizes Während ethische Normen in den meisten Organisationen nur mündlich verhandelt und weitergetragen werden, sind sie in wenigen großen Organisationen sowie für die PR-Branche in Richtlinien und Kodizes schriftlich fixiert. Die bekanntesten PR-Kodizes und PR-Richtlinien sind in nationalen sowie internationalen PR-Berufsorganisationen entstanden und sind damit zur Ebene der Professionsethik zu zählen. Die älteste bekannte PR-Richtlinie ist die Declaration of Principles von Ivy L. Lee von 1906, die als der Schlusspunkt der Phase „The public be damned“ angesehen wird (Kap. 2.2.2). Darin finden sich mit der Offenheit und Genauigkeit bereits zwei Normen, die bis heute in vielen PR-Kodizes zu finden sind (Wilcox et al. 2005: 37). Früh wurden internationale PR-Kodizes entwickelt, die viele nationale PR- Berufsverbände anerkannten und übernahmen. Den Code d’Athènes verabschiedete 1965 der europäische PR-Berufsverband C ERP (C ONFÉDÉRATION EU- ROPÉENNE DES R ELATIONS PUBLIQUES ; CERP 2009a). Er orientiert sich noch recht allgemein an der Erklärung der Menschenrechte, während der 1978 verabschiedete Code de Lisbonne spezifischer auf Fragen der PR eingeht (CERP 2009b). Beide wurden früh von der DPRG (D EUTSCHE P UBLIC R ELATI- ONS G ESELLSCHAFT ) anerkannt und bildeten mit den Sieben Selbstverpflichtungen von 1991 (DPRG 2009) die wichtigsten Kodizes in Deutschland. 2012 wurde in Zusammenarbeit mit weiteren Berufsverbänden der deutsche <?page no="66"?> 2.3 Ethik der PR 67 Kommunikationskodex (DRPR 2012) beschlossen. Zentrale Normen und Zielwerte des Kommunikationskodex, zu denen sich PR- und Kommunikationsfachleute verpflichten, sind Transparenz, Integrität, Fairness, Wahrhaftigkeit, Loyalität und Professionalität. Transparenz (1) PR- und Kommunikationsfachleute sorgen dafür, dass der Absender ihrer Botschaften klar erkennbar ist. Sie machen ihre Arbeit offen und transparent, soweit dies die rechtlichen Bestimmungen und die Verschwiegenheitsverpflichtungen gegenüber den jeweiligen Arbeits- oder Auftraggebern zulassen. (2) PR- und Kommunikationsfachleute respektieren die Trennung redaktioneller und werblicher Inhalte und betreiben keine Schleichwerbung. Näheres regelt die DRPR-Richtlinie zur Schleichwerbung. Integrität (3) Zuverlässigkeit, Konsistenz und Berechenbarkeit sind Bestandteil integren PR-Handelns. (4) PR- und Kommunikationsfachleute übernehmen konkurrierende oder einander widersprechende Mandate nur nach Absprache mit den jeweiligen Arbeit- oder Auftraggebern. (5) PR- und Kommunikationsfachleute trennen Amt und Mandat. Einzelpersonen dürfen in derselben Angelegenheit nicht gleichzeitig im Arbeitsfeld Public Relations und als Journalist oder politischer Mandatsträger tätig werden. PR-Aufträge und journalistische Aufträge sind strikt getrennt zu halten. Fairness (6) PR- und Kommunikationsfachleute respektieren die von der Verfassung garantierten Grundrechte sowie insbesondere die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien und beeinträchtigen diese nicht durch unlautere Mittel. (7) PR- und Kommunikationsfachleute setzen ihre Kommunikationspartner nicht durch die Androhung von Nachteilen unter Druck und beeinflussen sie nicht durch die Gewährung von Vorteilen. (8) PR- und Kommunikationsfachleute schließen in ihrer Arbeit rassistische, sexistische, religiöse Diskriminierung oder andere menschenverachtende Praktiken aus. <?page no="67"?> 68 2 Gesellschaftlicher Kontext Wahrhaftigkeit (9) PR- und Kommunikationsfachleute sind der Wahrhaftigkeit verpflichtet, verbreiten wissentlich keine falschen oder irreführenden Informationen oder ungeprüfte Gerüchte. (10) PR- und Kommunikationsfachleute konzentrieren im Bereich der Kapitalmarktkommunikation Ad hoc-Mitteilungen auf erheblich kursrelevante, nicht öffentlich bekannte Umstände, beachten deren Neuigkeitswert und führen nicht durch unwahre oder verschleiernde Angaben in die Irre. Loyalität (11) PR- und Kommunikationsfachleute verhalten sich loyal gegenüber ihren Arbeit- oder Auftraggebern, soweit dies keine rechtlichen Bestimmungen und keine ethischen Normen verletzt. Sie vertreten die Interessen ihrer Auftraggeber, bewahren sie vor Schaden und wehren illegitime Ansprüche ab. (12) PR- und Kommunikationsfachleute verhalten sich gleichermaßen loyal gegenüber ihrem Berufsstand. Sie sind sich dessen bewusst, dass Verstöße gegen rechtliche oder ethische Normen die Arbeitsgrundlagen ihres Berufsfelds untergraben und seinem Ansehen schaden. (13) PR- und Kommunikationsfachleute respektieren die notwendige Vertraulichkeit von Informationen in Arbeits- oder Kundenbeziehungen, die Voraussetzung für die Bildung von Vertrauen in diesen Beziehungen ist. Professionalität (14) PR- und Kommunikationsfachleute beherrschen die Instrumente und Methoden ihres Berufsfelds, sind bereit zu Selbstreflexion und verhalten sich in ihrem Geschäftsgebaren integer. (15) Die Kenntnis und Beachtung der Kodizes und Richtlinien sind Bestandteil beruflicher Qualifikation und professionellen beruflichen Verhaltens. Sie sind in der Aus- und Fortbildung zu vermitteln. Auszüge aus dem Deutschen Kommunikationskodex vom 29.11.2012 (DRPR 2012) PR-Kodizes rufen wie auch die Kodizes anderer Berufsstände seit jeher Kritik hervor. Die Kritik beginnt bei der Wirksamkeit der Kodizes. Denn die Wirksamkeit setzt voraus, dass die einschlägigen PR-Kodizes in der Berufs- <?page no="68"?> 2.3 Ethik der PR 69 praxis bekannt sind. In mehreren Studien hat sich gezeigt, dass die Kodizes und zumal ihre Inhalte wenig bekannt sind (Becher 1996: 121; Röttger 2000: 324; Förg 2004: 157). So sagte 2018 nur rund jeder ünfte Pressesprecher, dass er den deutschen Kommunikationskodex gut kenne (Bentele et al. 2018: 125). Die Vielzahl an aktuell genutzten Kodizes und die daraus entstehende Unübersichtlichkeit dürfte auch in den kommenden Jahren wenig an ihrer geringen Verbreitung ändern. Mit der fehlenden Kenntnis einer Norm kann zwar ein Verstoß nicht entschuldigt werden. Wenn aber die Kodizes und ihre Inhalte so unbekannt sind, gleichzeitig Verstöße gegen sie kaum bekannt werden, lassen sich daraus nur zwei Schlüsse ziehen: Die optimistische Erklärung wäre, dass Praktiker die Normen einhalten, diese aber so unspezifisch bzw. institutionalisiert sind, dass eine schriftliche Fixierung kaum mehr notwendig wäre. Die pessimistischere Erklärung wäre, dass Praktiker regelmäßig und vielfach unwissentlich gegen PR-ethische Normen verstoßen, ohne dass dies publik wird. Hier zeigt sich einmal mehr, wie wichtig PR-Skandale sein können: Einerseits mögen sie den Ruf der PR- Branche schädigen, andererseits wird die diskutierte Norm wie z. B. das Offenlegen des Auftraggebers stabilisiert und bekannter - und kann so langfristig zu einer ‚moralischeren‘ PR ühren. Grundsätzlicher ist die Kritik, die die Sinnhaftigkeit von Kodizes infrage stellt. Mit Bentele können fünf unterschiedliche Funktionen von Kodizes unterschieden werden (2009: 34ff): Sie übernehmen eine (a) Orientierungsfunktion, indem sie beim alltäglichen PR-Handeln Orientierungshilfen geben. Sie haben eine (b) Professionalisierungsfunktion, weil sich eine Profession u. a. durch die Existenz von berufsethischen Grundlagen auszeichnet (Kap. 6.3). Sie haben eine (c) Reflexionsfunktion, weil sie an die moralische Verantwortung und an die Reflexion des Verhaltens erinnern. Zudem haben sie eine (d) Demokratisierungsfunktion, weil sie für hierarchisch an der Spitze Stehende ebenso wie für ihre Mitarbeiter gelten. Und schließlich übernehmen Kodizes eine (e) Legitimationsfunktion für die gesamte PR-Branche, weil sie zeigen, welche PR von ihr als moralisch gut und welche PR als moralisch schlecht bewertet wird. Während die Legitimationsfunktion bei Bentele nur eine von mehreren Funktionen ist, unterstellen andere Autoren, dass dies die Hauptmotivation von PR-Kodizes sei. Mal werden sie als Schutzschild kritisiert, hinter dem ein breiter Verhaltensspielraum für die „übliche Praxis“ verbleibt (Ronneberger/ Rühl 1992: 233), mal als PR für PR (Merten 2010). Die Kritik, die in Deutschland vor allem Merten vorgetragen hat, richtet sich insbesondere <?page no="69"?> 70 2 Gesellschaftlicher Kontext auf den Wahrheitsbegriff sowie auf mehrere Widersprüche - zum Beispiel, dass PR als klassische Auftragskommunikation gleichermaßen der Öffentlichkeit und der Organisation dienen solle (Merten 2010: 97, 107). 2.3.3 Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) Die Überwachung dieser ethischen Normen übernimmt in Deutschland der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR). Er wurde 1987 gegründet und wird heute von drei Verbänden getragen: der D EUTSCHEN P UBLIC R ELATIONS G ESELLSCHAFT E .V. (DPRG), der G ESELLSCHAFT P UBLIC R ELATIONS A GENTUREN E .V. (GPRA) und dem B UNDESVERBAND DER K OMMUNIKATOREN (BDKOM). Die Mitglieder des Rates werden von den Mitgliedsverbänden benannt und sind in der Regel in der Kommunikationspraxis tätig. In der Regel werden Beschwerden von Dritten vorgetragen und vom DRPR verhandelt, der Rat kann aber auch selbst tätig werden. Die härteste Sanktion ist die öffentliche Rüge. Im Gegensatz zu Berufsständen wie Ärzten oder Juristen kann er kein Berufsverbot erteilen. Basis der Spruchpraxis sind einerseits genannte Kodizes wie der Kommunikationskodex und die internationalen Kodizes, andererseits aus konkreten Arbeitsfeldern und konkreten Fällen abgeleitete Richtlinien. Diese sieben Ratsrichtlinien versuchen, verallgemeinerte normative Schlussfolgerungen aus konkreten Fällen und Problemlagen zu ziehen und markieren eine Zwischenebene zwischen tatsächlichem Handeln und den allgemeiner gehaltenen Kodizes (Bentele 2009: 32). Dazu zählen die Richtlinien zu den Beziehungen zwischen PR und Journalismus, zur Online-PR, zu Medienkooperationen, zur Kontaktpflege im politischen Raum, zur Handhabung von Garantien, zur Ad-hoc-Publizität und zur Schleichwerbung. Wie die PR-Kodizes und wie jedes Organ der freiwilligen Selbstkontrolle ist die Rolle des DRPR ambivalent: Er ist daran interessiert, durch eine strenge Handhabung Auswüchse zu verhindern, um eine Delegitimation der PR- Branche zu verhindern. Es geht also darum, moralisches Fehlverhalten zu ahnden, um ethische Normen zu stabilisieren. Zu einer solchen Stabilisierung von Normen sollen insbesondere die öffentlichen Rügen beitragen. Jede öffentliche Rüge signalisiert zwar, dass die PR-Branche um Offenheit und Aufklärung bemüht ist, sie zeigt aber zugleich öffentlich sichtbar die Fehlentwicklungen der Branche auf. Eine solche öffentliche Rüge schadet damit der gerügten Organisation ebenso wie der gesamten PR-Branche. Diese Kritik scheint die geringe Zahl der verhandelten Fälle zu belegen: 2017 wurden lediglich zwölf Fälle bearbeitet (DRPR 2017). Zum Vergleich: Der deutsche Werberat hat im selben Zeitraum 530 Werbemaßnahmen diskutiert und bewertet (Deutscher Werberat 2017). Einerseits ist diese Diskre- <?page no="70"?> 2.3 Ethik der PR 71 panz auch damit zu erklären, dass Pressearbeitsaktivitäten vom durchschnittlichen Zeitungsleser im Gegensatz zur Werbung selten als solche erkannt werden, ohne dass dies als unmoralisch zu bezeichnen wäre. Andererseits zeigt die Dopingdiskussion im Sport, wie problematisch eine solche Argumentation ist: Dort wird die geringe Zahl an erwiesenen Dopingfällen häufig als Beweis für einen ‚sauberen‘ Sport angeführt. Im Sport wie in der PR können die Zweifel nicht ausgeräumt werden, dass die Selbstkontrolle bewusst oder unbewusst versagt. Die Kritik am DRPR und an den PR-Kodizes zeigt damit das Dilemma einer PR-Ethik. Einerseits kann eine solche Sonderethik immer nur innerhalb der PR-Branche entstehen, andererseits schützt es sie - selbst im Falle des Einhaltens eigener ethischer Standards - nicht vor Kritik von außen. Denn wie die PR selbst so stehen auch die Institutionen der PR-Ethik unter Motivverdacht. Zum Weiterlesen Überblick zu zentralen Fragen insbesondere einer normativen PR-Ethik sowie Dokumenten der Selbstkontrolle: • Avenarius, Horst / Bentele, Günter (Hrsg.) (2009): Selbstkontrolle im Berufsfeld Public Relations. Reflexionen und Dokumentation. Wiesbaden. <?page no="72"?> 3 Bezugsgruppenkontext Inhalt 3.1 Primär-Bezugsgruppen 3.2 Sekundär-Bezugsgruppe Öffentlichkeit 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 3.4 PR und die Beziehungen zu Primär- und Sekundär-Bezugsgruppen Lernziele Sie sind in der Lage, die Grundannahmen verschiedener Bezugsgruppenkonzepte und deren zentrale Unterschiede zu erläutern. Sie können die Unterschiede zwischen normativen und deskriptiven Öffentlichkeitskonzepten skizzieren. Sie können die Grundannahmen der Paradigmen des PR-Journalismus-Diskurses erläutern. Sie sind in der Lage, die Beziehungen der PR zu ihren primären und sekundären Bezugsgruppen im Kontext darzustellen und zu diskutieren. <?page no="73"?> 74 3 Bezugsgruppenkontext Im gesellschaftlichen Kontext als äußerste Schicht wird PR als Teil der Gesellschaft verstanden, die PR mit ihren allgemeinen Entwicklungen, normativen Erwartungen und historischen Entwicklungen prägt. Im Bezugsgruppenkontext stehen die Beziehungen zu konkreten Bezugsgruppen der PR im Fokus. In der PR-Literatur werden Umwelten auf ganz unterschiedlichen Abstraktionsstufen und anhand verschiedener Kriterien systematisiert: von konkreten Personen und Organisationen (z. B. Personen als Meinungsführer, Regierungen, Verwaltungen, NGOs) über die Art der Beziehung zur Organisation (z. B. Kunden, Aktionäre, Anwohner, Mitarbeiter) bis hin zu allgemeinen Dimensionen wie der Öffentlichkeit. Wie wichtig welche Bezugsgruppe für eine Organisation ist, hängt nicht nur vom Typ der Organisation und vom situativen Kontext ab (Ist es ein Unternehmen oder ein Verband? Ist ein Unternehmen börsennotiert oder inhabergeführt? Ist es in einer Risikobranche tätig? ). Relevant ist hier zudem das PR-Verständnis: Während PR als Pressearbeit zunächst auf den Journalismus fokussiert ist, sind für PR als Kommunikationsmanagement zunächst alle Bezugsgruppen relevant. Als Bezugsgruppen können hier solche Gruppen verstanden werden, die sich selbst in einer Beziehung zu einer Organisation sehen und/ oder die von der Organisation in einer Beziehung zu sich gesehen werden. Mit diesem Verständnis sollen in diesem Kapitel mit der Öffentlichkeit, dem Journalismus und weiteren Stakeholdern drei Umwelten von PR unterschieden werden. Um die Beziehungen zwischen diesen Umwelten zu charakterisieren, wird häufig zwischen Primär- und Sekundär-Bezugsgruppen differenziert (z. B. Knorr 1984; Wheeler/ Sillanpää 1997): Während (a) Primär-Bezugsgruppen wie Kunden, Aktionäre und Politiker über ein direktes Sanktionspotenzial verfügen und einem Unternehmen z. B. durch Kaufboykott, Verkauf der Aktie oder eine Gesetzesverschärfung schaden können, gewinnen (b) Sekundär-Bezugsgruppen ihre Relevanz erst dadurch, dass sich Primär-Bezugsgruppen an ihnen orientieren. Für die drei genannten Typen von Bezugsgruppen folgt daraus: Stakeholder bzw. Anspruchsgruppen wie Kunden, Aktionäre und die Politik sind Primär-Bezugsgruppen, weil sie über ein direktes Sanktionspotenzial verfügen (Kap. 3.1). Die Öffentlichkeit ist eine Sekundär-Bezugsgruppe, weil sich Primär-Bezugsgruppen bei ihren Entscheidungen an ihr bzw. der öffentlichen Meinung orientieren (Kap. 3.2). <?page no="74"?> Journalismus stellt auch in Zeiten sozialer Medien noch in hohem Maße Öffentlichkeit her. Er hat ebenfalls kein eigenes Sanktionspotenzial und ist daher eine Sekundär-Bezugsgruppe (Kap. 3.3). Abb. 3.1: Primär- und Sekundär-Bezugsgruppen der PR Die Beziehungen der PR und ‚ihrer‘ Organisation zur Umwelt können im Wesentlichen aus zwei Perspektiven beschrieben werden. Aus der (a) gesellschaftsbezogenen Perspektive stehen die Öffentlichkeit bzw. gesellschaftliche Entwicklungen im Mittelpunkt; PR ist hier einer von mehreren Akteuren, der die Öffentlichkeit oder die Gesellschaft zu beeinflussen versucht. Eine solche Perspektive findet sich bei den meisten theoretischen Ansätzen zur Öffentlichkeit. In der (b) organisationsbezogenen Perspektive ist die PR einer spezifischen Organisation der Ausgangspunkt: Die Umwelt wird hier aus der Perspektive der PR bzw. ‚ihrer‘ Organisation beschrieben. Die Unterscheidung in Primär- und Sekundär-Bezugsgruppen ist hier zu verorten, weil sich die Priorisierung von Bezugsgruppen immer aus der Organisationsperspektive ergibt. Aus einer organisationsbezogenen Perspektive geraten die Probleme und die Risiken in den Blick, die PR bei der Umweltbeobachtung und der Strukturierung der Umwelt eingeht. Wie alle Organisationen macht sich auch PR „aus entscheidungs- und kommunikationstechnischen Gründen ein ver- 3 Bezugsgruppenkontext 75 <?page no="75"?> 76 3 Bezugsgruppenkontext einfachtes Umweltmodell [...], auf das hin sie koordiniert werden“ (Luhmann 1964: 222). Solche „Umweltmodelle sind nicht falsch, sondern zweckmäßig, setzen aber zusätzliche Einrichtungen der Ausbalancierung mit der Wirklichkeit voraus“ (ebd.: 222). Die entwickelten Umweltmodelle dienen damit als operative Fiktion: PR tut so, als ob die Umwelt genauso wäre, wie sie diese beschrieben hat. Man mag ihre fehlende Trennschärfe kritisieren, aber die Auswahl von zu adressierenden Gruppen ist im Grunde ‚alternativlos‘. Hochriskant ist die Auswahl von Bezugsgruppen, weil ihre Auswahl in der PR-Konzeption einer der ersten Schritte und damit beobachtungsleitend ist (Kap. 5.5). Gerade auf die Minimierung dieses Risikos ist das Konzept des Issues Management spezialisiert, das mit besonderen Verfahren versucht, möglichst frühzeitig eventuell künftig relevante Bezugsgruppen bzw. Themen - so genannte Issues - zu identifizieren (Kap. 5.7.1). Dennoch läuft PR immer Gefahr, etwas zu übersehen. Denn auch Konzepte wie das Issues Management können das Problem des blinden Flecks, den man hier als Betriebsblindheit verstehen kann, nicht gänzlich überwinden. PR kann ihre Umwelt nur durch die Systembrille beobachten. Diese Probleme und Risiken werden noch deutlicher, wenn man untersucht, wie unterschiedlich Bezugsgruppen sein können und wie schnell sie sich verändern können. In der (a) Sozialdimension macht der Begriff Bezugsgruppe deutlich, dass PR Gruppen immer in ihrer Beziehung zur Organisation beobachtet. Auch wenn jede Organisation nahezu unendlich viele Bezugsgruppen hat, so macht die Hierarchisierung erst in Relation zur Organisation Sinn. Zudem wird der Begriff Gruppe hier in einem weiten Verständnis verwendet. Zur Konstitution einer Bezugsgruppe reichen ein oder mehrere gemeinsame Merkmale, „ohne dass irgendeine Form der sozialen Integration oder des Zusammengehörigkeitsgefühls dieser Personen vorausgesetzt wird. Allerdings wird häufig angenommen, dass die zu einer solchen gemeinsamen Kategorie gehörenden Personen unter bestimmten Umständen in ähnlicher Weise reagieren“ (Klima 1995: 255). Eine Bezugsgruppe kann daher sehr unterschiedlich organisiert sein: Es können vereinzelte Personen sein, die sich mit einem kritischen Anliegen an Unternehmen gerichtet haben, ohne etwas voneinander zu wissen, es kann die katholische Kirche als Institution ebenso sein wie eine Bürgerinitiative oder eine gesellschaftliche Gruppe wie Rentner. Der unterschiedliche Organisationsgrad von Bezugsgruppen ist damit ein zusätzliches Problem bei der Umweltbeobachtung der PR. In der (b) Sachdimension konstituiert eine Bezugsgruppe ihre Beziehungen zur Organisation erst durch ein spezifisches Thema. Wenn allerdings erst einmal eine solche Beziehung konstituiert ist - zum Beispiel eine Bürgerinitiative, die die Erweiterung eines Chemie-Werkes verhindern will -, können <?page no="76"?> 3.1 Primär-Bezugsgruppen 77 in der Sachdimension weitere Themen hinzukommen. Denn ein Konflikt führt zur Generalisierung - die Bürgerinitiative kritisiert später vielleicht auch die Emissionen und mögliche Entlassungen, um die Legitimation des Unternehmens grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Für die Umweltbeobachtung von Organisationen bedeutet dies, dass Organisationen zwecks Ressourcenschonung zwar zunächst eher Risiko-Themen suchen und darüber auf neue relevante Bezugsgruppen stoßen werden (Ingenhoff 2004: 53), von bestehenden relevanten Bezugsgruppen werden Organisationen deren Themen jedoch ganz genau beobachten (‚Gegnerbeobachtung‘). In der (c) Zeitdimension unterliegt die Relevanz von Bezugsgruppen großen Veränderungen. Durch einen aktuellen Anlass kann eine Bezugsgruppe zu einem großen Legitimationsrisiko werden, die bislang noch völlig irrelevant ist. Der Begriff der Bezugsgruppe ist anspruchsloser als der später zu erläuternde Begriff der Stakeholder bzw. der Anspruchsgruppe. Oft werden auch die Begriffe Bezugsgruppe und Zielgruppe als Synonyme verwendet. Das Zielgruppen-Konzept stammt aus der Marketingforschung und wurde früh von der PR-Forschung übernommen. Zielgruppen können nach Szyszka (2015b: 1162) als besondere Form der Bezugsgruppe verstanden werden: Zielgruppen markieren „jene Bezugsgruppen, denen gegenüber Maßnahmen der PR-Arbeit - oder analog andere Kommunikationsaktivitäten - ergriffen werden (sollen). Für die Dauer dieser PR-Aktivitäten werden diese ausgewählten Bezugsgruppen zu Z[ielgruppen]; laufen die ihnen geltenden Maßnahmen aus, fallen sie wieder in den Status [einer] ‚gewöhnlichen‘ Bezugsgruppe zurück“. 3.1 Primär-Bezugsgruppen Als Primär-Bezugsgruppen können solche Bezugsgruppen verstanden werden, die über ein direktes Sanktionspotenzial gegenüber einer Organisation verfügen. Ein solches Sanktionspotenzial kann bestehen in Kaufboykotten von Konsumenten, im Verkauf von Aktien durch Aktionäre, der Kündigung durch Lieferanten, in Sitzblockaden und im Besteigen von Schornsteinen durch NGOs oder in der Verweigerung von Zulassungen durch staatliche Behörden. Hier wird deutlich, dass primäre Bezugsgruppen in der PR mehr sind als ein ‚Kommunikationspartner‘: Sie sind letztlich die ‚Problemverursacher‘. Ohne die Umweltschutzbewegung gäbe es keinen Nachhaltigkeitsbericht und ohne kritische Nachbarn von Chemie-Werken keinen ‚Tag der offenen Tür‘. Das Sanktionspotenzial wird letztlich immer in der Währung des ‚Systems‘ gemessen bzw. taxiert. In organisationsbezogenen Ansätzen werden Primär-Bezugsgruppen wie beschrieben beobachtet und ausgewählt. PR adressiert Maßnahmen entwe- <?page no="77"?> 78 3 Bezugsgruppenkontext der direkt oder indirekt an Primär-Bezugsgruppen. So ist das klassische Lobbying ein Beispiel dafür, wie Organisationen in direkten und nicht-öffentlichen Gesprächen mit Entscheidungsträgern versuchen, für ihre Interessen zu werben und damit politische Entscheidungen zu beeinflussen (Kap. 5.4.1). Oder aber PR spricht die primären Bezugsgruppen indirekt über die Sekundär-Bezugsgruppen Öffentlichkeit bzw. den Journalismus an. In der PR-Forschung schenkt der Ansatz des Stakeholder Managements diesen Primär-Bezugsgruppen besondere Beachtung, ohne Sekundär-Bezugsgruppen zu übersehen. Die Brücke zu den Sekundär-Bezugsgruppen kann anschließend mit der situativen Theorie der Teilöffentlichkeiten geschlagen werden. 3.1.1 Stakeholder Das Konzept des Stakeholder Managements kommt ursprünglich aus den Managementwissenschaften, prägt die PR-Forschung aber bis heute ganz wesentlich. Mit dem Begriff der Stakeholder setzt sich der Begründer dieses Ansatzes, Freeman (1984: 9), von der Shareholder-Orientierung ab und trägt damit - überhöht formuliert - zu einer „Rückkehr der Gesellschaft“ (Ortmann et al. 1997) in die Organisation bei. Die Grundannahme ist, das Unternehmen nicht nur von ihren Lieferanten, Kunden und Aktionären, sondern auch von nicht-ökonomischen Anspruchsgruppen wie Regierungen, öffentlichen Verwaltungen, NGOs, Naturschutzgruppen und Verbraucherschutzinitiativen abhängig sind. Das Konzept des Stakeholder Managements kann sowohl deskriptiv, normativ als auch instrumentell verstanden werden (Donaldson/ Preston 1995). In (a) deskriptiver Perspektive beschreibt das Stakeholder Management, wie Organisationen von Ansprüchen (‚stakes‘) betroffen sind und wie sie damit umgehen. Entsprechend definiert Freeman (1984: 25) Stakeholder als „any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the firm’s objectives“. In (b) normativer Perspektive betont das Stakeholder Management, dass eine Organisation gerechtfertigte Interessen berücksichtigen sollte - unabhängig von möglichen negativen Auswirkungen auf das Unternehmen. Hier setzt sich das Konzept des Stakeholder Managements vom lange Zeit prägenden Ansatz der Shareholder-Orientierung bewusst ab, indem es die Relevanz bzw. Legitimität anderer Ansprüche betont. In (c) instrumenteller Hinsicht steht die Frage im Mittelpunkt, wie ein Unternehmen diese Ansprüche integrieren und zugleich andere Unternehmensziele wie Gewinn und Umsatzsteigerung realisieren kann. <?page no="78"?> 3.1 Primär-Bezugsgruppen 79 Nicht zuletzt diese Anschlussfähigkeit an verschiedene theoretische Perspektiven hat dazu beigetragen, dass das Stakeholder-Konzept in der PR- Forschung früh übernommen und intensiv diskutiert worden ist. Hinzu kommt, dass es die Abhängigkeit eines Unternehmens auch jenseits von marktlichen Anspruchsgruppen deutlich macht, die bei PR als Legitimation eine der zentralen Annahmen darstellt. 3.1.2 Publics Mit der situativen Theorie der Teilöffentlichkeiten von Grunig/ Hunt (1984: 138-162) kann die Brücke von den primären zu den sekundären Bezugsgruppen geschlagen werden. Der Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist das Stakeholder Management, auf das sich Grunig/ Hunt explizit beziehen (1984: 298). Mit Bezug auf Überlegungen von Blumer und Dewey definieren sie publics, ür die sich im deutschsprachigen Diskurs der Begriff der Teilöffentlichkeiten durchgesetzt hat, „as a loosely structured system whose members detect the same problem or issue, interact either face to face or through mediated channels, and behave as though they were one body“ (ebd.: 144). Die gemeinsamen Probleme leiten Grunig/ Hunt aus den ‚linkages‘ bzw. Verbindungen einer Organisation ab. Wenn Mitglieder einer Anspruchsgruppe erkennen, dass sie von Konsequenzen unternehmerischen Handelns betroffen sind, ist dies die Geburtsstunde einer Teilöffentlichkeit. (a) Involvement + - (b) Wahrnehmung von Hemmnissen aktive Teilöffentlichkeit bewusste bzw. aktive Teilöffentlichkeit + (c) Wahrnehmung des Problems + bewusste bzw. aktive Teilöffentlichkeit latente bzw. bewusste Teilöffentlichkeit + aktive Teilöffentlichkeit keine bzw. latente Teilöffentlichkeit - + latente Teilöffentlichkeit keine Teilöffentlichkeit - Abb. 3.2: Situative Theorie der Teilöffentlichkeiten (nach Grunig/ Hunt 1984: 153) Grunig/ Hunt unterscheiden im Wesentlichen zwischen vier Typen solcher Teilöffentlichkeiten (Abb. 3.2), die sich aus drei unabhängigen Variablen ergeben: eine aktive, bewusste, latente oder fehlende Teilöffentlichkeit. Die erste unabhängige Variable ist das (a) Ausmaß des Involvements (level of involvement) - inwieweit sich jemand also als betroffen ansieht. Hinzu <?page no="79"?> 80 3 Bezugsgruppenkontext kommt (b) das Wahrnehmen von Hemmnissen (constraint recognition), das beeinflusst, ob jemand glaubt, dass er an einem Problem wie Luftverschmutzung etwas ändern könne. Und schließlich ist es (c) die Wahrnehmung eines Problems. Diese drei unabhängigen Variablen beeinflussen die Art und Weise, wie jemand aktiv Informationen sucht (information seeking) und wie er zufällig gefundene Informationen verarbeitet (information processing). Aus den vier Grundtypen von Teilöffentlichkeiten lassen sich Hinweise ür situative organisationale Kommunikationsstrategien ableiten. Zu beachten ist dabei, dass die Grenzen zwischen den vier Grundtypen fließend sind und sich zudem laufend verändern können - z. B. durch erfolgreiche Kommunikationsaktivitäten im Sinne der PR. Der Ansatz von Grunig/ Hunt ist in den vergangenen Jahren zwar verschiedentlich weiterentwickelt worden (z. B. Grunig/ Repper 1992; Kim et al. 2010), erscheint aber in der hier vorgestellten Form in besonderer Art und Weise eine Brücke zwischen organisations- und gesellschaftsbezogener Perspektive schlagen zu können. Denn mit den unterschiedlichen Teilöffentlichkeitstypen zu einem einzigen Thema wie z. B. zur Kernenergie kann die Gesamtheit der Öffentlichkeit den unterschiedlichen Teilöffentlichkeitstypen zugeordnet werden - den aktiven, bewussten, latenten oder eben einer nicht vorhandenen Teilöffentlichkeit. Zum Weiterlesen Das Standardwerk zum Stakeholder Management: • Freeman, Edward R. (1984): Strategic management. A stakeholder approach. Cambridge. 3.2 Sekundär-Bezugsgruppe Öffentlichkeit Sekundäre Bezugsgruppen sind solche Bezugsgruppen, die über kein direktes Sanktionspotenzial verfügen. Der Journalismus und die Öffentlichkeit kaufen weder Autos noch Aktien und erteilen auch keine Genehmigungen. Daher sind Journalismus und Öffentlichkeit letztlich immer nur so genannte Zwischenzielgruppen: An sie werden Maßnahmen adressiert, um primäre Bezugsgruppen zu erreichen. Gleichwohl sind der Journalismus und die Öffentlichkeit von herausragender Bedeutung für die PR, weil sich primäre Bezugsgruppen an der journalistischen Berichterstattung bzw. der öffentlichen Meinung orientieren. Diese besondere Bedeutung spiegelt sich nicht zuletzt in den Begriffen Public Relations und seiner deutschen Übersetzung Öffentlichkeitsarbeit wider. Öffentlichkeitskonzepte sind in der Regel gesellschaftstheoretische und -bezogene Ansätze, in denen die Relevanz und Funktionen der Öffentlichkeit <?page no="80"?> 3.2 Sekundär-Bezugsgruppe Öffentlichkeit 81 entweder deskriptiv oder normativ beschrieben werden. PR ist in einer solchen Perspektive ein Akteur, der Themen in die Öffentlichkeit trägt (Ronneberger/ Rühl 1992) und insbesondere in normativen Ansätzen kritisch gesehen wird. Öffentlichkeit hat für PR aus zwei Gründen eine zentrale Rolle: Im Kontext der Beobachtungsleistung ermöglicht die Beobachtung von Öffentlichkeit der PR, zum Beispiel Erkenntnisse über Meinungen und Relevanz einzelner Themen zu gewinnen. Im Kontext der Selbstdarstellungsleistung ist die Öffentlichkeit für PR relevant, da hier die öffentlichen Meinungen erzeugt werden, an denen sich wiederum u. a. Stakeholder orientieren. Trotz der großen Bedeutung der Öffentlichkeit für PR wird Öffentlichkeit in der PR-Forschung in der Regel nur als abstrakter Bezugspunkt beschrieben, während ausgearbeitete Modelle und Theorien weitgehend fehlen. Umgekehrt beschränkt sich die Rolle der PR in der Öffentlichkeitsforschung im Wesentlichen auf die eines allgemeinen beeinflussenden Faktors. In der Literatur wird in der Regel zwischen normativen und deskriptiven Öffentlichkeitsansätzen unterschieden. Während normative Ansätze sagen, wie Öffentlichkeit sein sollte, beschränken sich deskriptive Ansätze darauf, Öffentlichkeit zu beschreiben. Zwischen diesen beiden Perspektiven steht der Ansatz ‚Öffentlichkeit als intermediäres System‘, der abschließend skizziert wird. Normative Diskursmodelle Jürgen Habermas (1968) hat ein normatives, basisdemokratisch orientiertes Idealmodell von Öffentlichkeit entworfen. Seine Leitfrage ist dabei, wie durch einen rationalen Diskurs und Deliberation im Sinne einer Beratschlagung demokratische Prozesse gestärkt werden können (Raupp/ Wimmer 2013: 298). Der Idealtyp ist die bürgerliche Öffentlichkeit als „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“ (Habermas 1968: 38). Die bürgerliche Öffentlichkeit setzte sich öffentlich räsonierend mit gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinander. Dieses Idealmodell der bürgerlichen Öffentlichkeit steht im Gegensatz zur massenmedial erzeugten Öffentlichkeit moderner Gesellschaften. Eine solche ‚vermachtete‘ Öffentlichkeit wird dominiert von organisierten bzw. wirtschaftlichen Interessen. Bei Habermas geraten daher PR und Werbung in die Kritik, da sie bestehende Machtverhältnisse stärken wollen bzw. zu einer weiteren Vermachtung der Öffentlichkeit beitragen. Daher überrascht es einerseits, dass ausgerechnet auf Habermas in der (internationalen) PR-Forschung vielfach Bezug genommen wurde (Raupp/ Wimmer 2013: 298f). Andererseits nehmen diese Ansätze in der Regel Habermas insofern ‚ernst‘, da diesen Konzepten ebenfalls ein normatives dialogorientiertes Verständnis von PR zugrunde liegt (z. B. Burkart 1993; Pearson 1989). <?page no="81"?> 82 3 Bezugsgruppenkontext Deskriptive Spiegelbzw. Beobachtungsmodelle Im Gegensatz zum normativen Diskursmodell sind systemtheoretische Spiegelmodelle deskriptiv (Donges/ Jarren 2017: 80). Die Öffentlichkeit ermöglicht hier der Gesellschaft eine Selbstbeobachtung (Marcinkowski 1993: 118): Wie durch einen Spiegel sieht ein Beobachter der Öffentlichkeit nicht nur, wie er selbst in der öffentlichen Meinung gesehen wird (Donges/ Jarren 2017: 79), sondern er „sieht auch die Konkurrenten, die quertreibenden Bestrebungen, die Möglichkeiten, die nicht für ihn, aber für andere attraktiv sein könnten. Der Spiegel der öffentlichen Meinung ermöglicht mithin, ähnlich wie das Preissystem des Marktes, eine Beobachtung von Beobachtern“ (Luhmann 1990a: 181). Hier wird deutlich, warum Öffentlichkeit sowohl im Kontext der Beobachtungsals auch der Selbstdarstellungsleistung relevant ist. Ein Unternehmen beobachtet die Öffentlichkeit, um zu sehen, wie es selbst in der Öffentlichkeit gesehen wird. Zudem beobachtet ein Unternehmen die Öffentlichkeit, um zu sehen, wie ein Konkurrent in der Öffentlichkeit gesehen wird. Und schließlich beobachtet ein Unternehmen die Öffentlichkeit, um zu sehen, welche Themen in der Gesellschaft relevant sind. Damit kann die Beobachtung der Öffentlichkeit die Unsicherheit des Entscheidens minimieren: Indem PR die Öffentlichkeit kennt und sich an ihr orientiert, sinkt das Risiko, wichtige Themen oder relevante Meinungen falsch einzuschätzen. Systemtheoretische Spiegelmodelle konzipieren Öffentlichkeit häufig als eines von mehreren gesellschaftlichen Funktionssystemen - z. B. neben der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft (z. B. Kohring 1997; Görke 1999). Der Journalismus wird hier als ein Leistungssystem der Öffentlichkeit verortet, der öffentliche Themen publiziert und damit Öffentlichkeit herstellen kann. In der deutschsprachigen PR-Forschung sind solche systemtheoretischen Ansätze mehrfach verwendet worden, um die System-Umwelt-Beziehungen zwischen der PR und der Öffentlichkeit bzw. dem Journalismus zu beschreiben (z. B. Hoffjann 2007). Der Systemcharakter der Öffentlichkeit hat hier den Vorteil, die verschiedenen Logiken und die daraus folgenden Probleme herauszuarbeiten. Öffentlichkeit als intermediäres System Zwischen diesen beiden Konzeptionen vermittelt der Ansatz, der Öffentlichkeit als ein intermediäres System versteht (Gerhards/ Neidhardt 1991). Öffentlichkeit wird hier verstanden als ein offenes Kommunikationssystem, dessen Funktion „in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden öffentlichen Meinung (Output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht“ (ebd.: 34f). Dabei <?page no="82"?> 3.2 Sekundär-Bezugsgruppe Öffentlichkeit 83 vermittelt Öffentlichkeit zwischen den Ansprüchen anderer Teilsysteme und dem politischen System, indem sie öffentliche Meinungen zu bestimmten Themen erzeugt (ebd.: 41f): „Weicht man von ihr ab, muss man mit besonderen Widerständen rechnen.“ (ebd.: 42) Zwar ist der Ansatz ursprünglich im Hinblick auf die Politik entwickelt und daher insbesondere im Kontext politischer PR angewandt worden (Raupp/ Wimmer 2013: 303), er kann aber auch jenseits des politischen Kontextes die Vermittlungsfunktion z. B. für Teilsysteme wie Wirtschaft und Wissenschaft erklären. Damit würde er auch seinen in Teilen normativen Charakter verlieren (Theis-Berglmair 2015: 405) und könnte für die PR-Forschung noch fruchtbarer gemacht werden. Vielfach aufgegriffen wurden in der PR-Forschung die drei Öffentlichkeitsebenen von Gerhards/ Neidhardt (1991: 49ff), die sie im Rahmen ihres Ansatzes zur Öffentlichkeit als intermediärem System ausgearbeitet haben. Es ist einer der wenigen gesellschaftsbezogenen Segmentierungsvorschläge und schlägt damit eine Brücke zu den organisationsbezogenen PR-Ansätzen. Zur (a) Encounter-Ebene, der so genannten ‚Kommunikation au trottoir‘, zählen zum Beispiel spontane öffentliche Kommunikation im Bus oder am Arbeitsplatz: Unbekannte treffen sich und sprechen über öffentliche Themen. In solchen Interaktionssystemen ist noch keine Differenzierung in Leistungs- oder Publikumsrollen zu beobachten - die Sprecher- und die Zuhörerrollen wechseln laufend. Encounter-Öffentlichkeiten sind damit weitgehend strukturlos, zerbrechlich und geprägt durch einen schnellen Wechsel von Themen und Teilnehmern. In (b) Themen- oder Versammlungsöffentlichkeiten (Donges/ Jarren 2017: 85) sind Leistungs- und Publikumsrollen schon deutlich ausgeprägter: Bei einer Veranstaltung ist die Sprecherrolle deutlich klarer geregelt, gleichwohl können sich auch Zuhörer zu Wort melden. Zudem beeinflussen spontane Reaktionen der Zuhörer die Sprecher. Zur (c) Medienöffentlichkeit werden alle journalistischen Medien gezählt. Hier ist eine ausgeprägte Differenzierung von Leistungs- und Publikumsrollen zu beobachten: Spezialisierte Berufe wie Journalisten stellen Themen bereit, während das Publikum abstrakter wird und zumindest in klassischen Massenmedien allenfalls durch das Ausschalten bzw. die Abbestellung der veröffentlichten Meinung sowie Leserbriefe reagieren kann. Hier kann zusätzlich unterschieden werden zwischen Leitmedien (z. B. S PIEGEL ) und Folgemedien (z. B. Regionalzeitungen). Zwischen den einzelnen Ebenen der Öffentlichkeit finden sich Selektionsstufen: Von der Vielzahl der Themen, die auf der Encounter-Ebene besprochen werden, gelangt nur ein Bruchteil auf die Ebene der Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit und noch weniger in die Medienöffentlichkeit <?page no="83"?> 84 3 Bezugsgruppenkontext (Donges/ Jarren 2017: 86). Die drei Öffentlichkeitsebenen zeigen auf, wo PR mit seinen Maßnahmen ‚ansetzt‘. Im Vordergrund stehen auch heute noch Maßnahmen der Presse- und Medienarbeit - also PR im Sinne der Pressearbeit -, die auf die Medienöffentlichkeit zielen, während sie z. B. mit Informationsveranstaltungen auch Themenöffentlichkeiten adressieren. Abb. 3.3: Ebenen der Öffentlichkeit von Gerhards/ Neidhardt 1991 (nach Donges/ Jarren 2017: 86) Intensiv wird seit einigen Jahren diskutiert, wie die Digitalisierung (Kap. 2.1.4) die Öffentlichkeit verändert hat. Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass im Internet alle drei Öffentlichkeitsebenen zu beobachten sind (Pleil 2017: 20). Encounter-Öffentlichkeiten sind z. B. in sozialen Netzwerken, Themenöffentlichkeiten in vielen größeren Blogs und die Medienöffentlichkeit auf den Nachrichtenwebsites zu finden. Spätestens die Anwendungen der sozialen Medien haben zudem noch einmal den Netzwerkcharakter von Öffentlichkeit verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Eine Netzwerkgesellschaft besteht nicht länger aus vertikaler, sondern aus horizontalen Kommunikationsnetzwerken (Raupp/ Wimmer 2013: 305; Castells 2007). Nicht mehr nur die traditionellen Gatekeeper der Massenmedien bestimmen die öffentliche Agenda, sondern zunehmend auch Encounter- und Themenöffentlichkeiten im Internet. In dieser positiven Lesart würde eine Netzwerkgesellschaft demokratischer und dialogischer. In einer pessimistischeren Lesart zeigt sich jedoch, dass z. B. auch in den sozialen Medien etablierte Akteure es leichter haben, Aufmerksamkeit zu gewinnen und damit Öffentlichkeit herzustellen. Damit hat die Netzwerkanalyse in der PR-Forschung auch jenseits von Fragen der Onlinekommunikation einen wichtigen Aspekt wieder in das Bewusstsein gerückt: Bezugsgruppen sind auch untereinander <?page no="84"?> 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 85 vernetzt. Während man sich bislang fast ausschließlich ür die direkten Kommunikationswege zwischen einer Organisation und ihren Bezugsgruppen, allenfalls noch über die ‚Bande‘ der Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus interessierte, wird PR hier als konstitutiver Teil eines Netzwerkes verstanden (Raupp/ Wimmer 2013: 365). Zum Weiterlesen Überblick zu Theorien der Öffentlichkeit: • Donges, Patrick / Jarren, Otfried (2017): Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung (4. Aufl.). Wiesbaden. (75-98) Zur Adaption von Öffentlichkeitstheorien in der PR-Forschung: • Raupp, Juliana / Wimmer, Jeffrey (2013): PR und Öffentlichkeit: ein Theorie-Import/ Export. In: Hoffjann, Olaf / Huck-Sandhu, Simone (Hrsg.): UnVergessene Diskurse. 20 Jahre PR- und Organisationskommunikationsforschung. Wiesbaden: 297-314. 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus Der Journalismus ist als klassische (Zwischen-)Zielgruppe eine Sekundär- Bezugsgruppe der PR. Journalismus ist damit für PR in jeder Verständnisweise relevant, gleichwohl wird im Diskurs der PR-Journalismus-Beziehungen PR in der Regel als Pressearbeit verstanden. Die Bedeutung des Journalismus ergibt sich aus seiner Funktion. Journalismus beobachtet die Gesellschaft, stellt Themen zur öffentlichen Kommunikation her und bereit. Damit ermöglicht er der Gesellschaft eine Selbstbeobachtung und synchronisiert sie punktuell (Rühl 1980; Marcinkowski 1993; Görke 1999). Zudem entlastet der Journalismus seine Publika, selbst die gesamte Gesellschaft zu beobachten, um relevante Themen zu finden. Journalistische Beschreibungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zeitlich aktuell und für ihre Publika relevant sind. Zudem werden journalistische Beschreibungen in der Regel als vertrauenswürdiger als z. B. PR-Beschreibungen eingeschätzt, weil sie Fremdbeschreibungen sind, während PR-Beschreibungen Selbstbeschreibungen sind. Das ändert zwar nichts daran, dass auch journalistische Beschreibungen in einem konstruktivistischen Verständnis nicht ‚wahrer‘ sind als andere. Aber allein die zugeschriebene Vertrauenswürdigkeit und die Unterstellung, dass auch andere die Themen aus Zeitungen und Fernsehen kennen, stärkt die Bedeutung des Journalismus: Es erleichtert die soziale Orientierung zu wissen, was andere Menschen gesehen und gelesen haben könnten, was sie denken könnten und worüber sie am nächsten Tag z. B. am Arbeitsplatz sprechen könnten. Daher bestimmen Medien zwar nicht, was wir denken, aber in hohem Maße <?page no="85"?> 86 3 Bezugsgruppenkontext beeinflussen sie, worüber wir nachdenken und sprechen - dies ist die zentrale Annahme des Agenda-Setting-Ansatzes (McCombs/ Shaw 1972). Und aus diesem Grund ist der Journalismus für die PR eine so wichtige Sekundär- Bezugsgruppe. Der Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit und Journalismus ist bislang an mehreren Stellen bereits angedeutet worden: So stellt der Journalismus mit der Medienöffentlichkeit eine von drei Öffentlichkeitsebenen dar. Dieser Gedanke findet sich in vielen systemtheoretischen Öffentlichkeitskonzeptionen wieder, in denen der Journalismus als ein Leistungssystem der Öffentlichkeit verstanden wird (z. B. Kohring 1997; Görke 1999; Hoffjann/ Arlt 2015). Die Gründe für die Relevanz des Journalismus für die PR lassen sich wie folgt systematisieren: Erstens kann PR mithilfe des Journalismus ihre Umwelt beobachten. Mit einem Blick in den Spiegel der journalistischen Berichterstattung erfährt man sowohl etwas darüber, was ganz grundsätzlich in der Gesellschaft und konkreter in einer Branche passiert, als auch darüber, wie das eigene Unternehmen dargestellt wird. Hier zeigt sich die Relevanz des Journalismus im Rahmen der Beobachtungsleistung. Die große Reichweite journalistischer Medien ist ein zweiter Grund: Die B ILD -Zeitung erreicht trotz enormer Auflagenverluste täglich immer noch mehrere Millionen Leser, mit klassischen Fachzeitschriften wie der T EXTILWIRTSCHAFT dürften je nach Zielgruppe nahezu alle Entscheider einer Branche erreicht werden. Journalistische Medien können damit zu einer schnellen Bekanntheit von Unternehmen, Produkten bzw. relevanten Neuigkeiten verhelfen (Hallahan 2001: 465). Drittens kann PR insbesondere im Vergleich zur Mediawerbung besonders preiswert sein. Potenziell kann mit einer Pressemitteilung eine bundesweite Berichterstattung erzielt werden. Und viertens ist die Vertrauenswürdigkeit journalistischer Berichterstattung ein besonderer Vorteil. Jede Selbstbeschreibung hat ein „Unglaubwürdigkeitsstigma“ (Willems 2007: 231). Mit der besonderen Vertrauenswürdigkeit journalistischer Berichterstattung hängt allerdings der Nachteil für die PR zusammen, dass journalistische Beiträge tendenziell negativer sind als unternehmerische Selbstbeschreibungen. Aus diesen Gründen besitzt Journalismus für PR im Besonderen und für Organisationen im Allgemeinen eine herausragende Relevanz. Dies hat dazu geführt, dass der Journalismus seit jeher als Zwischenzielgruppe ein bevorzugtes Objekt von Beeinflussungsversuchen ist. Insbesondere im Kontext politischer Kommunikation war damit auch schnell die Befürchtung verbunden, dass der Journalismus seine Unabhängigkeit verliere und damit normative Aufgaben wie die Kontrolle der politischen Akteure nicht mehr ausüben könne. Aus diesen Gründen ist die Frage nach den Beziehungen <?page no="86"?> 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 87 zwischen PR und Journalismus in Praxis und Wissenschaft gleichermaßen ein zentrales Thema. Der PR-Journalismus-Diskurs ist in den vergangenen 20 Jahren als „Dauerbrenner“ (Altmeppen et al. 2004a: 9) wohl das Feld in der deutschsprachigen PR-Forschung, in dem die meisten empirischen und theoretischen Arbeiten entwickelt wurden. Merkel et al. (2007: 7) konstatieren mit Blick auf den internationalen Diskurs sogar euphorisch: „How PR is influencing journalism and vice versa is, interestingly enough, one of the rare cases where in-depth empirical research did not start in the Anglo- Saxon but in the German-speaking world.“ Bei den Beziehungen zwischen PR und Journalismus wird die Frage gestellt, wie bzw. in welchem Ausmaß PR den Journalismus beeinflusst. Die Analogien dieses Diskurses zum Medienwirkungsforschungsdiskurs sind offenkundig und bereits früh gezogen worden (Saffarnia 1993). Ungewohnt sind ür den Journalismus lediglich die vertauschten Rollen: Ist journalistische Berichterstattung in traditionellen Medienwirkungsansätzen wie dem frühen Agenda Setting Approach in der Regel der Kommunikator, so übernimmt er hier die Rolle des Rezipienten. In Anlehnung an das Drei-Phasen- Modell der Medienwirkungsforschung von McQuail (1977) lässt sich ür die vergangenen knapp 40 Jahre ein Drei-Phasen-Modell der deutschsprachigen Forschung zu den Wirkungen der PR auf den Journalismus skizzieren. Abb. 3.4 zeigt, dass jede Phase dabei von eigenen forschungsleitenden Prämissen geprägt ist, die sowohl theoretische wie empirische Arbeiten in ihrer jeweiligen Zeit geprägt haben. 1. Phase: starke PR-Wirkungen 2. Phase: schwache PR-Wirkungen 3. Phase: differenzierte PR- Wirkungen Zeit 70er bis Mitte der 90er Jahre Ende der 80er Jahre bis heute ab Mitte der 90er Jahre Ansätze Determinationsthese Medialisierungsthese u. a. Interdependenzthese, strukturelle Kopplung, Interpenetration, Symbiose, Intereffikationsmodell dominante Wirkungsrichtung PR Journalismus Journalismus PR PR Journalismus zentrale Wirkungsebene Themen und Timing Themen und ihre Aufbereitung alle Ebenen PR-Wirkungen stark schwach schwach bis stark Abb. 3.4: Phasen der Beziehungen zwischen Journalismus und PR (Hoffjann 2013c: 319; in Anlehnung an Bonfadelli 2004: 27) <?page no="87"?> 88 3 Bezugsgruppenkontext 3.3.1 Determinationsthese Die Annahme einer starken PR und eines schwachen Journalismus findet ihre Zuspitzung in der Determinationsthese und hat lange Zeit die Diskussionen zu den Beziehungen zwischen PR und Journalismus geprägt. Die Determinationsthese geht zurück auf eine Untersuchung von Barbara Baerns (1991), die 1978 die landespolitische Berichterstattung in Nordrhein-Westfalen untersuchte. In ihrer Input-Output-Analyse hat sie Pressemitteilungen sowie Protokolle von Pressekonferenzen (Input) und die landespolitische Berichterstattung (Output) inhaltsanalytisch untersucht und miteinander verglichen. Der Begriff der Determinationsthese, den Baerns selbst nie benutzt hat und mit dem ihre Studie bis heute pointiert bezeichnet wird, geht vor allem auf die Thematisierungsleistungen der PR zurück: Demnach gingen 62 Prozent der landespolitischen Berichterstattung auf die Initiative von PR-Quellen zurück (Baerns 1991: 91). Aus dieser hohen Determinationsquote - als Anteil der PR-initiierten Themen an der Berichterstattung - folgert Baerns, dass PR die Themen und das Timing der Berichterstattung unter Kontrolle habe. PR sei damit offenkundig in der Lage, journalistische Recherchen zu lähmen und publizistischen Leistungswillen zuzuschütten (ebd.: 98f). Zu einem ähnlichen Ergebnis führte die Untersuchung der Transformationsleistungen: Die Redaktionen beschränkten sich oft auf eine einzige Quelle und auf das Kürzen von Pressemitteilungen (ebd.: 88f) - sie verhielten sich also weitgehend passiv gegenüber dem PR-Input. Die Untersuchungsanlage von Baerns ist seither vielfach in weiteren journalistischen Feldern wiederholt worden. Die Determinationsquoten reichen von zehn Prozent in Wahlkämpfen (Kepplinger/ Maurer 2004) bis hin zu 84 Prozent für NGOs auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene (Rossmann 1993). Bereits hier wird deutlich, dass die Determinationsquote von weiteren intervenierenden Variablen enorm beeinflusst wird. So sind die gemessenen Determinationsquoten in Krisensituationen deutlich geringer als in Routinesituationen (Barth/ Donsbach 1993) sowie bei statushohen Organisationen wie großen Unternehmen und großen Fraktionen deutlich höher als bei statusniedrigen wie kleineren Unternehmen (Saffarnia 1993). Die Determinationsthese hat in der deutschsprachigen Forschung lange Zeit den Status eines Paradigmas genossen. Sie hat damit auch noch einmal diejenigen unterstützt, die aus einer normativen Perspektive PR als Gefahr für den Journalismus im Besonderen und für die Demokratie im Allgemeinen kritisiert haben. Mittlerweile sind die Annahmen der Determinationsthese vielfach relativiert worden. So müsste selbst eine Determinationsquote von 100 Prozent z. B. in der politischen Berichterstattung nicht zwangsläufig das Ende eines autonomen Journalismus bedeuten. Denn wenn heute alle <?page no="88"?> 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 89 größeren politischen Akteure ihre Interessen offensiv veröffentlichen, ist es für den Journalismus kaum mehr möglich, PR-initiierte Themen zu vermeiden. Eine journalistische Leistung stellt es mithin auch dar, über diese artikulierten Interessen entlang journalistischer Selektionskriterien zu berichten. Was für die Wirkungsforschung das Stimulus-Response-Modell ist, ist für die Forschung zu den Beziehungen von PR und Journalismus die Determinationsthese. Es dominieren monokausale Wirkungsannahmen, so dass hier eine „Wiederholung der irrtümlichen Theorie von Stimulus und Reaktion“ (Saffarnia 1993: 420) zu beobachten ist. 3.3.2 Medialisierungsthese Als Gegenthese zur Determinationsthese kann die Medialisierungsthese (auch Kap. 2.1.3) verstanden werden, da hier vor allem die Wirkungen von Medien auf die Organisationen untersucht werden. Sie ist geprägt von der Annahme schwacher PR-Wirkungen und umgekehrt starker Medienwirkungen. Als Medialisierung werden mit Meyen (2009: 23) allgemein Reaktionen in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen verstanden, die sich entweder auf den Strukturwandel des Mediensystems beziehen oder auf den generellen Bedeutungszuwachs medial vermittelter öffentlicher Kommunikation. Entsprechend stehen in der Medialisierungsthese vor allem Anpassungsleistungen an die Medien im Mittelpunkt. Beispiele für Medialisierungseffekte sind in Parteien z. B. die Auswahl des Spitzenpersonals und der politischen Themen, bei denen sich Parteien so weit an der Medienlogik orientieren, bis ein „schleichender Identitätsverlust“ (Marcinkowski 1993: 228) zu beobachten ist. Für PR im Sinne der Pressearbeit heißt dies konkret, dass sie sich bei der Auswahl und Aufbereitung ihrer Themen primär am Journalismus orientiert und dabei ihre eigenen strategischen Ziele aus dem Blick verliert. Eine so als ‚ohnmächtig‘ verstandene PR liefert sich also selbst dem Journalismus aus. Der Medialisierungsdiskurs hat sich in den 1980er Jahren im deutschsprachigen Raum etabliert und hat bis heute wenig von seiner Relevanz verloren. Medialisierungseffekte sind keineswegs nur in politischen Organisationen zu beobachten: So ist die Auswahl eines ‚medienkompatiblen‘ Vorstandsvorsitzenden im Kontext der CEO-Kommunikation ein vergleichbarer Effekt. Dennoch wurden die Risiken der Medialisierung für den Bereich von Unternehmen bis heute selten untersucht. 3.3.3 Intereffikationsmodell und strukturelle Kopplung In Abgrenzung dazu gibt es verschiedene Ansätze, die reflexive Beziehungen und differenzierte Wirkungen unterstellen - also von geringen bis großen Wirkungen. Erstmals hat diese Sichtweise Saxer 1981 mit der Inter- <?page no="89"?> 90 3 Bezugsgruppenkontext dependenzthese ausgeführt. Arbeiten zu differenzierten Wirkungen der PR sind in der Regel davon geprägt, dass Organisationen, die Pressearbeit betreiben, und Journalismus - unabhängig von der theoretischen Grundlage - als autonome Akteure bzw. Systeme konzipiert werden und der reflexive Charakter ihrer Beziehungen unterstellt wird. Mit einem solchen Verständnis sind Wirkungen der PR bei einem komplexen Wirkungsbegriff angekommen, wie ihn Hasebrink (2002: 374) konzipiert: „Medien wirken - wenn unter Wirkung die gegenseitige Beziehung zwischen Medienangeboten und Rezipienten im Sinne einer wechselseitigen Beeinflussung verstanden wird, im Zuge derer sich alle Beteiligten auch selbst verändern.“ PR beeinflusst mithin (mitunter) Journalismus, wie Journalismus (mitunter) PR bzw. deren Organisationen verändert. Eine solche Perspektive verfolgen neben der Interdependenzthese z. B. Ansätze wie die strukturelle Kopplung, Interpenetration, Symbiose oder das Intereffikationsmodell. Entsprechend wird in der empirischen Forschung seit den 1990er Jahren zunehmend untersucht, in welchen Fällen eher schwache und in welchen eher starke Wirkungen zu beobachten sind. Die Unterstellung reflexiver Beziehungen kann mithin sowohl Annahmen der Determinationsals auch der Medialisierungsthese integrieren, ohne in alte Stimulus-Response-Annahmen zurückzufallen. Beispielhaft sollen zwei Ansätze differenzierter Wirkungen skizziert werden: Während das (a) Intereffikationsmodell vielfach rezipiert wird, weil es die Vielzahl und die Vielfältigkeit der Beziehungen zwischen PR und Journalismus pointiert systematisiert und darstellt, bietet das systemtheoretische Konzept der (b) strukturellen Kopplung einen theoretisch fundierten Rahmen an. Durch die Berücksichtigung der Makroebene biete, so Wehmeier (2012: 86), das Konzept der strukturellen Kopplung die umfassendste Sicht auf PR und Journalismus und ist potenziell in der Lage, die im Intereffikationsmodell aufgezeigten Beziehungen theoretisch zu erläutern. Intereffikationsmodell Die Ausgangsüberlegung des Intereffikationsmodells (Bentele et al. 1997) ist, dass die Leistungen von PR und Journalismus erst durch das jeweils andere System ermöglicht werden - der Begriff Intereffikationsmodell ist abgeleitet aus dem lateinischen ‚efficare‘, das als ‚etwas ermöglichen‘ übersetzt werden kann. In der Beschreibung der Beziehungen von PR und Journalismus wird unterschieden zwischen Induktionen und Adaptionen. Während (a) Induktionen als intendierte, gerichtete Kommunikationsanregungen oder -impulse verstanden werden, sind (b) Adaptionen kommunikatives und organisatorisches Anpassungshandeln. Beispiele für PR-Induktionen sind Pressemeldungen, PR-Adaptionen sind in der Berücksichtigung des Redaktions- <?page no="90"?> 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 91 schlusses oder der Orientierung an aktuellen Themen zu finden. Journalistische Induktionen sind beispielsweise die Auswahl der PR-Angebote, ihre Platzierung und ihre Veränderung, während journalistische Adaptionen z. B. in der Berücksichtigung von Sperrfristen zu finden sind. Induktionen und Adaptionen werden zudem in drei Dimensionen unterteilt: Zur (a) Sachdimension zählen z. B. Themen und ihre Selektion, die Festlegung von Relevanzen, die Bewertung von Sachverhalten, Personen und Themen sowie die Präsentation der Information, die (b) zeitliche Dimension umfasst z. B. das Timing der Berichterstattung und von PR-Initiativen, während sich in der (c) psychisch-sozialen Dimension u. a. die persönlichen Beziehungen zwischen Journalisten und Pressesprechern finden. Abb. 3.5: Intereffikationsmodell (Bentele et al. 1997: 242) Das Intereffikationsmodell ist bislang in einer Vielzahl insbesondere von Abschlussarbeiten empirisch untersucht worden (s. dazu Bentele/ Nothhaft 2004; Bentele/ Fechner 2015). Darin sind u. a. PR-Induktionen zu Themen, Kernbotschaften und Bewertungen untersucht worden, die im Wesentlichen auf einer Input-Output-Analyse ähnlich wie in der Untersuchung von Baerns beruhen. Deutlich seltener sind Adaptionsleistungen der PR (z.B. Fechner 2019) und des Journalismus (z.B. Konitzer 2019) untersucht worden. Damit stehen viele Studien zum Intereffikationsmodell noch in der Tradition der Untersuchungen zur Determinationsthese, wenn sie lediglich Wirkungen von der PR hin zum Journalismus untersuchen. Das Intereffikationsmodell sagt schon im Namen, dass es nicht den Anspruch einer Theorie erhebt. Vielmehr ist es ein Modell im Sinne einer komplexitätsreduzierten, systematischen und informationsreichen Darstellung von sozialer Wirklichkeit, die vor allem organisierende, heuristische und <?page no="91"?> 92 3 Bezugsgruppenkontext teilweise auch prognostische Funktionen hat (Bentele/ Fechner 2015: 320). In dieser übersichtlichen Systematisierung der Anpassungs- und Beeinflussungsleistungen in den verschiedenen Dimensionen ist der zentrale Nutzen des Modells zu sehen. Strukturelle Kopplung Einen theoretischen Rahmen für die Beschreibung der Beziehungen von Journalismus und PR bietet das Konzept der strukturellen Kopplung auf einer systemtheoretischen Basis an (Löffelholz 2000; Hoffjann 2007). Journalismus und PR werden hier als soziale Systeme konzipiert, die auf der einen Seite autopoietisch bzw. selbstreferentiell operieren und damit keinen direkten Umweltkontakt haben können (Luhmann 1997: 92). PR kann deshalb zum Beispiel nicht auf redaktionelle Auswahlprozesse durchgreifen, sondern kann mit Pressemitteilungen allenfalls Angebote unterbreiten. Auf der anderen Seite sind soziale Systeme wie PR und Journalismus voneinander abhängig, so dass die Irritationen durch andere Systeme und damit die strukturellen Kopplungen nicht folgenlos bleiben. Auf einer solchen theoretischen Basis können (a) die gegenseitigen Abhängigkeiten von PR und Journalismus sowie (b) die jeweiligen Beeinflussungen bzw. Steuerungsversuche beschrieben werden (Hoffjann 2007). Die (a) gegenseitigen Abhängigkeiten sind bereits mehrfach benannt worden. So diskussionswürdig die Untersuchungen zur Determinationshypothese sein mögen, so sehr haben sie die grundsätzliche Abhängigkeit des Journalismus von PR-Zulieferungen deutlich gemacht. Die Abhängigkeit kann analytisch in zwei Dimensionen unterteilt werden. In quantitativer Hinsicht ist der Journalismus auf die PR angewiesen, weil sie ihn auf Ereignisse aus nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen hinweist. In qualitativer Hinsicht profitiert der Journalismus von der Sachkompetenz der PR. Dass PR insbesondere positive Themen auswählt und entsprechend darstellt, dieser Gefahr ist sich der Journalismus bewusst. Die eigentliche Abhängigkeit wird deutlich, wenn man nach Alternativen zur PR sucht: Auch das Wissen um den Selbstdarstellungscharakter der PR-Kommunikationen verschafft dem Journalismus letztlich keinen Zutritt zu internen Ereignissen wie Vorstandssitzungen. Letztlich bleiben ihm nur wenige Möglichkeiten wie das Drohpotenzial des investigativen Journalismus oder die Boykottierung sich als unzuverlässig erwiesener PR-Abteilungen, um die Abhängigkeit aufzufangen. PR ist sowohl im Kontext der Beobachtungsals auch der Selbstdarstellungsleistung vom Journalismus abhängig. Es ist bereits ausgeführt worden, dass der Journalismus in sehr hohem Maße für PR wichtig ist, weil er z. B. das Gelingen der Legitimation beeinflusst. Im Rahmen der Beobachtungs- <?page no="92"?> 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 93 leistung ist die Beobachtung der journalistischen Berichterstattung für PR eine Pflichtübung, weil sie so etwas über die Relevanz von Themen und Meinungen erfährt. Bleibt die Frage, wie existenziell PR und Journalismus voneinander abhängig sind. Die Interdependenzen scheinen in den vergangenen Jahrzehnten zwar zugenommen zu haben, dennoch sind die beiden Systeme noch nicht existenziell aufeinander angewiesen. Der Journalismus könnte durch ‚direkte‘ Beobachtungen bzw. durch Quellen abseits der PR seine Funktion erfüllen. Andererseits sammelt PR notwendige Informationen mittlerweile auch durch demoskopische Umfragen und adressiert andere PR-Maßnahmen direkt an relevante Primär-Bezugsgruppen. Insbesondere die Nutzung dieser PR-Instrumente belegt die These, dass PR auf die Existenz des Journalismus verzichten könnte, auf den existierenden Journalismus jedoch nur schwer verzichten kann. Aus den Abhängigkeiten ergeben sich die jeweiligen (b) Beeinflussungen bzw. Steuerungsversuche. Auf Seiten des Journalismus kann dies mit dem genannten Agenda-Setting-Ansatz begründet werden: Der Journalismus beeinflusst PR dadurch, indem die PR relevante Medienthemen nicht ignorieren kann. Zudem gibt der Journalismus der PR vor, wie er sich irritieren lässt. Damit beeinflusst er Strategien und Arbeitsweisen der PR. Begreift man das Verhältnis zwischen Journalismus und PR als kybernetisches System, so könnte auch formuliert werden, dass PR die journalistische Berichterstattung beobachtet und daraus Rückschlüsse für die eigenen Programme zieht, während umgekehrt der Journalismus die Pressemitteilungen beobachtet und diese entweder weitgehend übernimmt oder aber wegen fehlender Vertrauenswürdigkeit ausselektiert - so wie der Thermostat bei entsprechender Raumtemperatur die Heizung ausschaltet. Umgekehrt können die Beeinflussungsversuche der PR auch als Steuerungsversuche verstanden werden. Der Steuerungsbegriff mag zwar assoziative Bezüge zu Manipulation und Propaganda wecken, ist in dem hier verwendeten Verständnis aber per se weder gut noch schlecht, weder legitim noch illegitim (Jarren/ Röttger 2009: 38). Im systemtheoretischen Kontext respektiert die so genannte Kontextsteuerung die Autonomie bzw. die operative Geschlossenheit von sozialen Systemen wie z. B. Redaktionen und versucht statt dessen, die Umweltbedingungen eines Systems so zu verändern, dass dieses qua Selbststeuerung sich in die gewünschte Richtung verändert (Willke 1995). Die Kontextsteuerung setzt folglich in der Umwelt Bedingungen, „an denen sich das zu steuernde System in seinen eigenen Selektionen orientieren kann und im gelingenden Fall im eigenen Interesse orientieren wird“ (Willke 1997: 141). Dazu kreiert die PR argumentative Anreize, die anschlussfähig sind. PR simuliert z. B. journalistische Selektionskriterien <?page no="93"?> 94 3 Bezugsgruppenkontext (u. a. Nachrichtenfaktoren), indem sie Anreize für eine Berichterstattung schafft. Diese Anreize reichen von dem Versprechen der Exklusivität über die Inszenierung von Veranstaltungen und provokanten Statements bis hin zum Einsatz prominenter Testimonials (ausführlich Kap. 5.6.1). Damit setzt PR zwar an redaktionellen Programmen an, verletzt aber nicht die redaktionelle Autonomie, sondern schafft Berichterstattungsanlässe in der redaktionellen Umwelt. Der Journalismus kann diese Angebote ablehnen oder - kritisch bzw. weniger kritisch - über sie berichten. Angesichts der zunehmenden Ausbreitung und Professionalisierung der PR trifft der Journalismus mittlerweile aber fast nur noch auf solche ‚getunten‘ Veranstaltungen und Kommunikationsangebote von Unternehmen. Das Konzept der strukturellen Kopplung macht deutlich, dass die Beziehungen zwischen PR und Journalismus von einem hohen Maß an Reflexivität geprägt sind: Die hohen Übernahmequoten, die zahlreiche Untersuchungen zur Determinationsthese ermittelten, sind insbesondere mit den gegenseitigen Abhängigkeiten zu erklären. Weil die Legitimation einer Organisation in gewissem Maße von der journalistischen Berichterstattung abhängig ist, antizipiert und simuliert PR journalistische Operationsweisen, nachdem das Potenzial der Themen zur Legitimation überprüft worden ist. Und weil der Journalismus seinerseits in hohem Maße von PR-Zulieferungen abhängig ist, berücksichtigt er diese im Rahmen der Berichterstattung, wenn sie zur Änderung von Umwelterwartungen geeignet zu sein scheinen. In diesem theoretischen Rahmen können alle Beziehungen, wie sie z. B. im Intereffikationsmodell genannt wurden, verortet und kontextualisiert werden. Das Konzept ist „allgemeiner und voraussetzungsloser“ als kausale Erklärungsansätze, dafür aber „theoretisch weniger informativ“ (Scholl/ Weischenberg 1998: 134). Genau hier setzt in der Regel die Hauptkritik an. Merten kritisiert, dass der Ertrag dieses Ansatzes noch eher unbefriedigend sei, weil das Konzept der strukturellen Kopplung sehr abstrakt sei und konkrete Argumentationslinien noch nicht zu gewinnen seien (Merten 2004: 26). 3.3.4 Entgrenzungen von PR, Journalismus und ihren Publika Insbesondere die Digitalisierung und die ökonomische Medienkrise haben den Journalismus und damit die Beziehungen zwischen PR und Journalismus in den vergangenen Jahren verändert. Oft wird die Vermutung geäußert, dass PR durch wachsende Ressourcen an Einfluss gewonnen hat, während vielen Redaktionen zunehmend weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, selbst zu recherchieren. Darüber hinaus sind zwei Entgrenzungen zwischen PR, Journalismus und deren Publika zu beobachten. Einige dieser <?page no="94"?> 3.3 Sekundär-Bezugsgruppe Journalismus 95 Veränderungen können allenfalls vermutet und mitunter theoretisch beschrieben werden, sind häufig empirisch aber noch nicht erforscht. Während in den meisten Ansätzen zu den PR-Journalismus-Beziehungen klare Grenzen zwischen PR und Journalismus gezogen werden, gab es bereits früh Ansätze, in denen gemeinsame Interpenetrationszonen (Choi 1995) oder gar ein Supersystem (Plasser 1985) von PR und Journalismus unterstellt wurden. Gemeinsam ist diesen Ansätzen die Annahme, dass zumindest in Teilbereichen aufgrund gemeinsamer Interessen nicht mehr zwischen PR und Journalismus unterschieden werden kann. Solche Entgrenzungen von PR und Journalismus sind in den vergangenen Jahren im Kontext aktueller Entwicklungen wieder verstärkt beschrieben worden. So erkennt Hoffmann (2007) Entgrenzungen zwischen PR und Journalismus in Mitgliederzeitschriften von Schweizer Verbänden, während Loosen/ Meckel (1999: 379) das damalige G REENPEACE - TV als „Journalismus in eigener Sache“ bewerten. Ein weiteres Beispiel sind so genannte Koppelgeschäfte, die sowohl in PRals auch in journalistischen Kodizes kritisiert werden: PR zahlt in solchen Fällen Verlagen Geld für die Veröffentlichung (vermeintlich) redaktioneller Berichte. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die medialen Veröffentlichungen als PR, als Journalismus oder als wie auch immer zu bezeichnende Hybridform anzusehen sind. Das Problem ist in vielen Fällen, dass solche Praktiken empirisch kaum zu untersuchen sind. Eine zweite Entgrenzung zeigt sich insbesondere in den sozialen Medien zwischen dem Journalismus und seinen Publika - und dort zur PR. Wenn man Journalismus wie früher in der Regel u. a. über Strukturmerkmale wie Journalismus als Profession und die Redaktion als Arbeitsorganisation definieren würde (Neuberger/ Quandt 2010: 70), würden neuere Erscheinungsformen, wie z.B. Laienjournalisten wie Blogger bzw. Influencer (Hoffjann/ Haidukiewicz 2018), unberücksichtigt bleiben. Unstrittig ist, dass es sich hier oft um nicht-professionelle Formen des Journalismus handelt. Relativ unstrittig dürfte aber auch sein, dass, wenn man statt über Strukturmerkmale Journalismus z. B. systemtheoretisch als soziales System über die gesellschaftliche Funktion definiert, auch solche partizipativen Formen des Journalismus berücksichtigt werden müssten (Neuberger/ Quandt 2010: 70 ). In Abgrenzung zum professionellen Journalismus definiert Engesser den partizipativen Journalismus entsprechend: „Partizipativer Journalismus beteiligt die Nutzer maßgeblich am Prozess der Inhaltsproduktion, wird außerhalb der Berufstätigkeit ausgeübt und ermöglicht die aktive Teilhabe an der Medienöffentlichkeit.“ (Engesser 2008: 66; kursiv im Original) Für den PR- Journalismus-Diskurs ergeben sich hieraus eine Reihe von Fragen: Was kennzeichnet die Beziehungen zum partizipativen Journalismus? Worin unterscheiden sie sich von Beziehungen zum professionellen Journalismus? <?page no="95"?> 96 3 Bezugsgruppenkontext Aus der Zusammenührung der beiden Entgrenzungs-Problematiken ergibt sich schließlich die Frage, wo (noch) Laienjournalismus und wo (schon) PR zu beobachten ist. Zum Weiterlesen Darstellung und Vergleich ausgewählter Ansätze des PR-Journalismus-Diskurses: • Altmeppen, Klaus-Dieter / Röttger, Ulrike / Bentele, Günter (Hrsg.) (2004): Schwierige Verhältnisse. Interdependenzen zwischen Journalismus und PR. Wiesbaden. • Schweiger, Wolfgang (2013): Determination, Intereffikation, Medialisierung. Theorien zur Beziehung zwischen PR und Journalismus. Baden-Baden. Ausführliche Darstellung des Konzeptes der strukturellen Kopplung: • Hoffjann, Olaf (2007): Journalismus und Public Relations. Ein Theorieentwurf der Intersystembeziehungen in sozialen Konflikten. Wiesbaden. 3.4 PR und die Beziehungen zu Primär- und Sekundär-Bezugsgruppen Aus einer organisationsbezogenen Perspektive hat PR vor allem die Interessen der Primär-Bezugsgruppen mit einem direkten Sanktionspotenzial im Blick. Organisationen versuchen mittels Kontextsteuerungen, solchen Primär-Bezugsgruppen Anreize zu bieten: In der Absatzkommunikation sind solche Anreize z. B. der geringe Preis, die Produktqualität oder das besondere Markenimage, in der Investor Relations die Renditeerwartungen, in der PR die gesellschaftliche Verantwortung bzw. der gesellschaftliche Nutzen und im Personalmarketing die Karrierechancen oder das Gehalt. Journalismus und die Öffentlichkeit beeinflussen als Sekundär-Bezugsgruppen Entscheidungen von Kunden, Anlegern, Politikern und Bürgern und sind daher für PR mittelbar von herausragender Bedeutung. Journalismus und Öffentlichkeit werden von der PR also allein wegen dieser mittelbaren Bedeutung adressiert. Und dies führt dazu, dass PR im Rahmen der Kontextsteuerung wie beschrieben versucht, journalistische Selektionskriterien und Darstellungsformen zu simulieren, dabei aber immer die eigenen sowie die Interessen der Primär-Bezugsgruppen im Blick hat. Mit anderen Worten: PR intendiert, mittels Steuerungsversuchen gegenüber dem Journalismus die Primär-Bezugsgruppen zu beeinflussen. PR orientiert sich bei der Auswahl ihrer veröffentlichten Themen mithin primär an den eigenen Interessen, sekundär an den Interessen der relevanten Bezugsgruppen und erst tertiär an den journalistischen Interessen. <?page no="96"?> 4 Organisationskontext Inhalt 4.1 Organisationskultur 4.2 Einfluss der PR in Organisationen 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation Lernziele Sie können Grundannahmen der Organisationstheorie und der Organisationskultur skizzieren. Sie sind in der Lage zu erläutern, wie der Einfluss von PR in Organisationen gemessen werden kann. Sie können die Ziele, Zielgruppen und Besonderheiten der Disziplinen strategischer Organisationskommunikation erläutern. Sie sind in der Lage, die Grundannahmen und Unterschiede der verschiedenen Integrationskonzepte zu skizzieren. <?page no="97"?> 98 4 Organisationskontext PR findet in der Regel in Organisationen statt. Die jeweilige Organisation prägt ‚ihre‘ PR in hohem Maße. Die Unterschiede beginnen bei der grundsätzlichen Frage, ob es sich um PR für ein Unternehmen, für eine Partei oder für eine Stadtverwaltung handelt. Aber selbst wenn man sich auf unternehmerische PR beschränkt, beeinflusst das jeweilige Unternehmen mit seinen Besonderheiten in hohem Maße die jeweilige PR. So scheint die Branche für die jeweilige PR relevant zu sein: Ein Zigarettenhersteller steht in der Regel deutlich mehr im Fokus öffentlicher Beobachtung und Kritik als eine Großbäckerei. Dies dürfte wiederum die hierarchische Stellung, die Budgets und die Macht der PR innerhalb des Unternehmens beeinflussen. Wenn man PR als Legitimation versteht, kommen weitere Kommunikationsdisziplinen wie Absatzmarketing, Investor Relations oder das Personalmarketing hinzu. Sie alle konkurrieren in Organisationen nicht nur um Budgets, sondern ihre Aktivitäten und ihre Veröffentlichungen beeinflussen sich auch in hohem Maße gegenseitig: Wenn in einem Unternehmen an der Qualität der Produkte und an der Bezahlung der Mitarbeiter gespart wird, kann dies die Legitimation beeinflussen. Daraus folgt umgekehrt die Frage, wie solche Widersprüche in der internen und externen Kommunikation vermieden bzw. zumindest minimiert werden können. Quer zu diesen Unterscheidungen liegt die Frage nach der Kultur einer Organisation. Ist die Organisation von einer partizipativen oder von einer ‚Ellenbogen‘-Kultur geprägt? In diesem Kapitel stehen die organisationalen Rahmenbedingungen der PR bzw. die Beziehungen der PR zu ihrer innerorganisationalen Umwelt im Mittelpunkt. Es werden Antworten auf die Frage gesucht, wie sehr die Organisation ‚ihre‘ jeweilige PR beeinflusst und prägt. Dazu sollen die folgenden prägenden Einflussfaktoren erläutert und Antworten auf die folgenden Fragen gesucht werden: Welche Relevanz hat die Organisationskultur für PR? (Kap. 4.1) Welche hierarchische Stellung und wie viel Einfluss hat PR in der jeweiligen Organisation? Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? (Kap. 4.2) Für Unternehmen ist zu fragen, welche weiteren Disziplinen strategischer Unternehmenskommunikation sich finden lassen und wie sie PR beeinflussen. In diesem Kontext wird PR als Legitimation verstanden und so von Disziplinen wie Absatz, Personalmarketing und Investor Relations abgegrenzt. Damit soll hier die PR von Unternehmen im Mittelpunkt stehen - wenngleich viele dieser Überlegungen auch zu anderen Organisationstypen passen (Kap. 4.3). Vor dem Hintergrund dieser anderen Kommunikationsdisziplinen stellt sich abschließend die Frage, wie mögliche Widersprüche zwischen diesen Disziplinen gelöst werden können. Auf die Lösung dieses Problems <?page no="98"?> haben sich u. a. die Konzepte der Integrierten Kommunikation, der Marke und der Corporate Identity spezialisiert (Kap. 4.4). Um die Frage nach PR in ihrem Organisationskontext beantworten zu können, ist zunächst einmal ein grundlegenderes Verständnis von Organisation notwendig. Einmal mehr gibt es sehr unterschiedliche Ansätze und Sichtweisen dazu, was eine Organisation ist und wie z. B. Strukturen und Prozesse in Organisationen zu erklären sind. „Die Organisationstheorie gibt es leider nicht! “ (Miebach 2007: 15; Hervorhebung im Original) In einer ersten Annäherung können Organisationen verstanden werden als „soziale Gebilde, die dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden sollen“ (Kieser/ Walgenbach 2010: 6). So sehr man bereits diese vage Definition von Organisation kritisieren könnte, so zeigen sich bei aller Unterschiedlichkeit doch auch Gemeinsamkeiten zwischen der Mehrzahl der organisationstheoretischen Verständnisweisen, wenn man zentrale Begriffe und Annahmen erläutert (zum Folgenden Kieser/ Walgenbach 2010: 6ff; Luhmann 2000). Organisationen entstehen insbesondere dort, wo Menschen mit anderen zusammen (a) Ziele besser erreichen können. Konkurrenzfähige Autos kann heute ein Mensch alleine ebenso wenig produzieren, wie er politische Ziele alleine erreichen kann. Das jeweilige Organisationsziel bildet damit eine wichtige Basis z. B. für Verhaltensregeln einer Organisation. Während nachgeordnete Ziele sich laufend verändern können, sind übergeordnete Ziele - wie z. B. die Gewinnerzielung in einem Unternehmen - in der Regel auf Dauer angelegt. Ziele einer Organisation finden sich z. B. in Selbstbeschreibungen wie Jahresplänen oder Unternehmensgrundsätzen wieder. Diese Ziele werden in einer Organisation nicht selten in Konflikten ausgehandelt - so kann sich die Personalabteilung für eine deutliche Lohnerhöhung einsetzen, um die Mitarbeiterfluktuation zu stoppen, sich aber angesichts anstehender Investitionen vielleicht nicht durchsetzen. Es ist offensichtlich, dass Vorstandsmitglieder hier zumeist einen größeren Einfluss als Pförtner haben. Weitgehender Konsens ist es in der Organisationstheorie mittlerweile, dass sowohl das Aushandeln von Zielen als auch die Ausrichtung der Strukturen mit Blick auf diese Ziele nicht ausschließlich rational erklärt werden können. Im Gegenteil: Es gibt viele Strukturen in Organisationen, die selbst diejenigen nicht rational begründen können, die sie eingeführt haben. 4 Organisationskontext 99 <?page no="99"?> 100 4 Organisationskontext Organisationen unterscheiden sich von anderen Gruppen zudem dadurch, dass über die (b) Mitgliedschaft formal entschieden wird. Während jeder erwachsene Bürger in der Regel wählen darf, wird sein Aufnahmeantrag in einer Partei zunächst geprüft. Mit der Mitgliedschaft sind entsprechende Erwartungen verknüpft: Von einem Mitglied einer Partei wird erwartet, dass es sich nicht grob parteischädigend verhält. In Unternehmen sind die Erwartungen z. B. im Hinblick auf Arbeitszeiten, zu erledigende Tätigkeiten und die Rechte von Vorgesetzten deutlich konkreter. Hier wird deutlich, dass es in Unternehmen weitergehende Befugnisse gegenüber Beschäftigten gibt als in Parteien gegenüber Mitgliedern, während Parteien wiederum den Vorteil haben, dass Mitglieder in der Regel aus Überzeugung eingetreten sind. Letztlich stehen aber in allen Organisationen Mitglieder vor dem Problem, „dass die Nichtanerkennung oder Nichterfüllung dieser Erwartung mit der Fortsetzung der Mitgliedschaft unvereinbar ist“ (Luhmann 1964: 38). Für eine Pressesprecherin, die einen Zwischenfall im Unternehmen veröffentlichen will, von der Geschäftsführerin aber daran gehindert wird, stellt sich etwa die Frage, ob sie in einer solchen Organisation noch länger arbeiten möchte. Im Mittelpunkt der meisten organisationstheoretischen Ansätze stehen die (c) formalen Organisationsstrukturen. Diese Strukturen sind die Regeln einer Organisation, die in der Regel gelten und damit Entscheidungen bzw. Verhalten prägen. In diesen Strukturen finden sich letztlich die Vorteile, warum Organisationen komplexere Probleme lösen können als eine lose Gruppe. Dazu zählt zunächst die Frage der Arbeitsteilung, mit der geklärt wird, welche Mitglieder in welchen Abteilungen welche Aufgaben ausüben. Eng damit verbunden sind Fragen der Hierarchie bzw. festgelegte Kommunikations- und Berichtswege. Zudem gibt es in Organisationen Regeln, wie in spezifischen Situationen zu verfahren ist. Ein Beispiel hierfür sind Notfallpläne der PR für Krisensituationen, die detailliert Auskunft darüber geben, was überhaupt als Krise verstanden wird und was in solchen Situationen in welcher Reihenfolge getan werden soll. In vielen Organisationen ist nur ein kleiner Teil der formalen Organisationsstrukturen z. B. in Organisationsrichtlinien schriftlich ausgearbeitet, während andere Strukturen mündlich weitergegeben und damit stabilisiert oder verändert werden. Neben diesen formalen Organisationsstrukturen gibt es auch teilweise unsichtbare und unbewusste Strukturen wie Werte, Normen und Grundprämissen, die im folgenden Kapitel im Kontext der Organisationskultur erläutert werden. Die formalen Organisationsstrukturen einer Organisation zielen darauf, (d) Aktivitäten der Organisationsmitglieder so zu beeinflussen, dass das Ziel der Organisation erreicht wird. Dies sind letztlich die konkreten Aktivitäten einer Organisation. In einer vermeintlich idealtypischen Situation sind die <?page no="100"?> 4.1 Organisationskultur 101 formalen Organisationsstrukturen so auf die festgelegten Ziele hin ausgerichtet und beinhalten so eindeutige Vorgaben, dass jedes Mitglied in jeder Situation weiß, wie es zu entscheiden hat, um die festgelegten Ziele zu erreichen. Ein Pressesprecher weiß dann in jeder Situation, was er zu tun hat, um die ihm bekannten widerspruchsfreien Ziele der Organisation zu erreichen. Ein solches idealtypisches Bürokratiemodell ist allerdings im Grunde nicht anzutreffen, weil es einerseits kaum möglich ist, alle Besonderheiten einer Situation vorher zu kennen, festzulegen und dabei auch mögliche Widersprüche aufzulösen. Andererseits sind bürokratische Organisationen mit ihren redundanten Strukturen selten kreativ und flexibel, reagieren also langsamer auf neue Entwicklungen. Plausibler ist daher, dass Regeln bzw. Strukturen Aktivitäten bzw. Entscheidungen beeinflussen, sie können aber Aktivitäten nie determinieren. Abweichendes Verhalten, in welcher Form auch immer, ist in Organisationen eine alltägliche Selbstverständlichkeit. Ein solches abweichendes Verhalten kann dann wiederum Regeln verändern bzw. ganz neue Regeln schaffen. Hinzu kommt Verhalten, das in keinem direkten Zusammenhang zur Aufgabe von Mitgliedern steht: Dazu zählen private Gespräche oder die Entwicklung persönlicher Beziehungen am Arbeitsplatz. Sie können indirekt relevant werden, da sie die Arbeitsmotivation oder auch Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen unter Kollegen beeinflussen können. Auch wenn hier versucht wurde, weitgehend konsensuelle Vorstellungen der Organisationstheorie vorzustellen, so wurden bereits auch erste Unterschiede deutlich. Daher liegt es auf der Hand, dass die jeweilige organisationstheoretische Perspektive den Blick auf PR innerhalb von Organisationen erheblich beeinflusst (Kap. 5.1.1). 4.1 Organisationskultur Obwohl die Organisationskultur PR in hohem Maße beeinflusst und die Organisationsbzw. Unternehmenskultur seit einigen Jahren ein „Modethema“ (Luhmann 2000: 240) ist, ist der Zusammenhang zwischen Organisationskultur und PR bislang wenig erforscht. Dies dürfte vor allem auch auf das grundsätzlichere Problem zurückzuführen sein, dass das Verständnis von Organisationsbzw. Unternehmenskultur bis heute oft noch sehr unscharf ist. Mal wird es als Unternehmensklima, mal als Grundwerte oder mal als die Riten und Rituale eines Unternehmens verstanden. Dies sind zwar Beispiele für Manifestationen von Kultur - wie Kultur also sichtbar und erlebbar wird -, sie dürfen aber nicht mit der Kultur selbst verwechselt werden (Schein 2003: 31). <?page no="101"?> 102 4 Organisationskontext Die bis heute bekannteste Definition von Organisationskultur hat der Organisationspsychologe Edgar H. Schein vorgelegt, der Organisationsbzw. Unternehmenskultur versteht als „a pattern of shared basic assumptions learned by a group as it solved its problems of external adaptation and internal integration, which has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems“ (Schein 2010: 18). Abb. 4.1: Ebenen der Organisationskultur nach Schein (2003: 31) Die Organisationskultur wird sichtbar in (a) Artefakten wie z.B. in der Kleiderordnung, der Atmosphäre, aber auch im Corporate Design, in Richtlinien und Regularien, Aufgaben- und Stellenbeschreibungen. Hier wird erstmals deutlich, dass die Kultur einer Organisation auch ihre formalen Strukturen beeinflusst. In Leitlinien, Strategiepapieren und Broschüren werden (b) öffentlich propagierte Werte für interne und externe Bezugsgruppen sichtbar gemacht. Unsichtbar und unbewusst hingegen sind die (c) grundlegenden unausgesprochenen Annahmen wie z. B. für selbstverständlich gehaltene Überzeugungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle zu Themen wie Wahrheit, Zeit und sozialen Beziehungen. Diese Annahmen bilden letztlich die Essenz der Organisationskultur - sind zugleich aber schwer beobachtbar und abfragbar (Schein 2003: 32ff; Miebach 2007: 52). Diese Beispiele zeigen, dass Organisationen keine Kultur sind und keine Kultur haben, sondern dass sie gemäß ihrer Kultur operieren (Schmidt 2004: 109). Schein gelingt es mit dem weit verbreiteten Ebenenmodell, verschiedene <?page no="102"?> 4.1 Organisationskultur 103 Phänomene der Organisationskultur zu systematisieren. Allerdings bleiben die Grenzen u.a. zu formalen Strukturen vielfach unklar, der Begriff der Organisationskultur verkommt hier zu einem „terminologischen Staubsauger“ (Kühl 2018b: 9), zu dem so unterschiedliche Phänomene wie Denkhaltungen, Orientierungsmuster, Organisationsklima etc. gezählt werden. Eine differenziertere Beschreibung ermöglicht ein systemtheoretisches Verständnis von Organisationskultur, das Kühl (2018b) in Anlehnung an Luhmann (2000) entwickelt hat. Ausgangspunkt sind allgemein die organisationalen Strukturen, die so genannten Entscheidungsprämissen. Dies sind Erwartungen, die künftige Entscheidungen in Organisationen beeinflussen, aber nicht determinieren. Dazu zählen die bereits erläuterten formalen Entscheidungsprämissen wie beispielsweise beschlossene Regeln, Strategiepapiere oder Hierarchien, die in einer Organisation bewusst entschieden wurden. Da aber keine Organisation alle Erwartungen über formale Strukturen regeln kann, gibt es neben den formalen immer auch informale Entscheidungsprämissen, deren Summe die Organisationskultur ist. Informale Entscheidungsprämissen und damit die Organisationskultur sind nicht entschiedene Entscheidungsprämissen. Hierzu zählen einerseits prinzipiell entscheidbare, aber nicht entschiedene Entscheidungsprämissen. In diesem Fall hat die Organisation also darauf verzichtet, eine Erwartung formal festzulegen. Ein Beispiel hierfür sind die wöchentlichen Arbeitszeiten bei einigen Unternehmensberatungen, die vertraglich und damit formal nicht festgelegt sind; gleichwohl dürfte allen neuen Beraterinnen bewusst sein, dass informal erwartet wird, dass man deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet. Andererseits gibt es die unentscheidbaren Entscheidungsprämissen. Die Organisationsleitung kann beispielsweise Spontanität und Kreativität nicht anordnen. Die Organisationskultur bzw. die informalen Strukturen sowie die formalen Strukturen einer Organisation stehen offenkundig in einem engen Wechselverhältnis zueinander. Neue formale Regeln können zu informalen Gegenreaktionen führen. Wenn ein stark wachsendes Unternehmen neue Hierarchien und damit neue Berichtswege schafft, könnten Mitarbeiter die neue Bürokratie umgehen, indem sie sich informell - auf dem ‚kurzen Dienstweg‘ - mit ihren Kolleginnen absprechen. Darauf könnte wiederum die Organisationsleitung reagieren, indem sie solche Praktiken explizit verbietet. Damit wird auch deutlich, wie Organisationskultur letztlich verändert werden kann: durch die Veränderung der formalen Strukturen. Kühl (2018a) unterscheidet hier zwischen drei Möglichkeiten: In einem Bereich werden (a) neue formale Regeln bestimmt (z.B. erstmalige Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit), zu bestehenden Regeln gibt es (b) weitere zusätzliche Vorgaben (z.B. Festlegung der Kernarbeitszeit), oder aber (c) bestehende formale <?page no="103"?> 104 4 Organisationskontext Regeln werden abgeschafft (z.B. völliger Verzicht auf Regeln zur Arbeitszeit). Wie schwierig in der Praxis die Organisationskultur in einem deterministischen Sinne zu steuern ist, zeigt das Beispiel der Hierarchien (Kühl 2018a). Ein bislang streng hierarchisch geprägtes Unternehmen könnte alle Hierarchien abschaffen, um für Berufseinsteiger attraktiver zu werden und auf neue Entwicklungen schneller reagieren zu können. An die Stelle der alten formalen Hierarchie würde aber vermutlich sehr schnell eine neue informale Hierarchie treten, die zudem die Starken fördert und den Schwachen schadet. Abb. 4.2: Organisationskultur als Summe nicht entschiedener Entscheidungsprämissen Wie beeinflusst die jeweilige Organisationskultur nun PR? Wenn PR im Sinne der Legitimation eine Organisation legitimiert und hierzu die Ansprüche an die Organisation beobachtet, bewertet und priorisiert, dann wird schnell offenkundig, dass solche sozialen, ökologischen und ethischen Ansprüche von Bezugsgruppen an eine Organisation in nahezu jeder Entscheidung berührt werden. So wird z. B. in Unternehmen bei jeder Entscheidung - ob in der Produktion, im Marketing, im Einkauf oder in der Unternehmensleitung - das Verhältnis von unternehmerischen Interessen und Stakeholder-Interessen explizit oder implizit erneut austariert. Von der jeweiligen Unternehmenskultur hängt dann ab, in welchem Umfang Bezugsgruppeninteressen berücksichtigt werden. Die Unternehmenskultur konkretisiert sich dann einerseits in (teils) sichtbaren Richtlinien. Andererseits wird sie aber auch in alltäglichen Handlungen ‚gelebt‘, die nicht durch Regeln festgelegt sind. <?page no="104"?> 4.2 Einfluss der PR in Organisationen 105 In welchem Verhältnis stehen hier PR und die Organisationskultur zueinander? Einerseits wird PR versuchen, die Organisationskultur zu beeinflussen und z. B. auf bislang als vernachlässigt bewertete Bezugsgruppeninteressen hinweisen. Hier wird die Rolle von PR als institutionalisiertes ‚schlechtes Gewissen‘ einer Organisation deutlich, das diese für gesellschaftliche Belange wach hält. Denn ohne das ‚Leben‘ dieser Werte ist eine Legitimation nicht möglich. Andererseits kann auch die Relevanz der PR-Abteilung als Artefakt eine sichtbare Folge einer entsprechenden Organisationskultur sein: In Organisationen, die Bezugsgruppeninteressen eine hohe Bedeutung zuweisen, dürften PR-Abteilungen tendenziell wichtiger sein. Allerdings kann in Ausnahmefällen auch das Gegenteil plausibel sein: In einer Organisation, in der der respektvolle Umgang mit Ansprüchen von Bezugsgruppen für alle Mitglieder selbstverständlich ist, kann eine PR-Abteilung überflüssig sein, während wiederum andere Organisationen eine PR-Abteilung installieren, um Bezugsgruppeninteressen abzuwehren. Die Abhängigkeit der PR von Fragen der Organisationskultur zeigt sich darüber hinaus z. B. im Kontext der Früherkennung von Issues im Rahmen des Issues Management (Kap. 5.7.1). Mitarbeiter im Marketing oder im Vertrieb, die nur die Interessen ihrer Abteilung im Blick haben, werden PR vermutlich seltener auf neue Entwicklungen hinweisen. Daher wird oft die Bedeutung einer partizipativen Unternehmenskultur ür PR herausgestellt (Dozier et al. 1995: 135f). Schmidt (2004: 122f) weist hier auch auf Subkulturen z. B. in verschiedenen Organisationsbereichen hin, die erheblich voneinander abweichen können. So sehr diese Subkulturen im Sinne der Spezialisierung, Flexibilität und mithin der Komplexitätsverarbeitung wünschenswert sind, so sehr können sie zu Problemen bei der Zusammenarbeit zwischen Abteilungen ühren. Zum Weiterlesen Überblick zu relevanten Organisationstheorien: • Kieser, Alfred / Walgenbach, Peter (2010): Organisation (6. Aufl.). Stuttgart. Ein (system)theoretisch fundierter Ansatz zur Organisationskultur und den Möglichkeiten zu ihrer Veränderung: • Kühl, Stefan (2018): Organisationskulturen beeinflussen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden. 4.2 Einfluss der PR in Organisationen Zum Organisationskontext der PR zählt auch die Frage, welche Stellung und welchen Status PR in Organisationen hat und damit Entscheidungen der Organisation beeinflussen kann. Erste Hinweise hierzu finden sich bereits in <?page no="105"?> 106 4 Organisationskontext den organisationstheoretischen Überlegungen sowie in den Ausführungen zur Organisationskultur. Hieraus lassen sich z. B. Indikatoren wie Hierarchie, Stellen bzw. Ressourcen ableiten. Die Frage nach der Stellung und dem Einfluss der PR ist letztlich die Frage nach der Macht der PR innerhalb von Organisationen. Daher beschäftigt diese Frage Praxis und Wissenschaft seit vielen Jahren gleichermaßen. Häufig ist damit die Forderung verbunden, dass PR die Rolle einer Managementfunktion bzw. einer „Führungsdisziplin“ (Zimmermann 1998) erhalten solle. Das ist letztlich erneut PR für PR. Praktiker profitieren davon, dass sie endlich die ihrer Meinung nach verdienten Vorstandspositionen erhalten, während sich die Wissenschaft von einer Aufwertung ihres Beobachtungsgegenstandes eine größere Anerkennung und mehr Forschungsgelder verspricht. Im Folgenden soll zunächst die hierarchische Stellung der PR in Organisationen erläutert werden. Für die Frage des Einflusses bzw. der Macht ist es aber offensichtlich, dass die formale hierarchische Stellung in einer Organisation nicht ausreichend ist. Daher sollen im zweiten Schritt weitere Untersuchungen herangezogen werden, die sich mit Fragen des Status und des Einflusses auseinandersetzen. Es zeigt sich, dass die empirische Forschung bereits bei den Fragen nach dem Einfluss an ihre Grenzen stößt. Noch größer ist der Forschungsbedarf bei der Frage nach den Gründen für den unterschiedlichen Einfluss von PR, die im dritten Schritt gestellt wird. Da in Untersuchungen zum Einfluss von PR in Organisationen nahezu immer PR-Funktionsträger in Organisationen befragt werden, ist eine grundsätzlichere Frage valide kaum zu beantworten: Wie hoch ist der Anteil an Organisationen, die PR in einem nennenswerten Umfang betreiben? Denn wenn man PR-Funktionsträger befragt, wird man nur etwas über PR-treibende Organisationen erfahren. Am ehesten lassen sich hierzu noch Erkenntnisse in der Berufsfeldstudie von Röttger (2000: 205ff) finden, die sich allerdings auf die Stadt Hamburg beschränkt. Demnach betreibt jede fünfte befragte Organisation keine PR. Allerdings führt dieser Befund zur Frage, ob die Ausdifferenzierung von PR an PR-Funktionsträger gebunden ist. So ist die in Kapitel 2.2.4 skizzierte ‚entstehende PR‘ nicht an das Vorhandensein von PR-Funktionsträgern gebunden. Hier stellt sich erneut die Frage, ob es nicht plausibler ist, PR allein über die Problemlösung zu definieren. Dann wäre z. B. in Kneipen oder vielen Clubs PR im Sinne der Legitimation eine Selbstverständlichkeit: Um künftige Handlungsspielräume zu sichern, werden die Betreiber im eigenen Interesse Ärger mit Anwohnern, der Polizei oder dem Ordnungsamt verhindern wollen und ihre Gäste daher auffordern, nicht zu laut zu sein. <?page no="106"?> 4.2 Einfluss der PR in Organisationen 107 Ein weiteres empirisches Problem ist in Organisationen zu vermuten, in denen Fragen der PR von so herausragender Relevanz sind, dass sie gar nicht oder nur teilweise an eine Kommunikationsabteilung ‚delegiert‘ werden, sondern gleich in der Organisationsspitze erledigt werden. So finden zum Beispiel in der Politik zahlreiche Interaktionen zu Journalisten ohne Teilnahme von Pressesprechern statt. 4.2.1 Hierarchische Stellung der PR in Organisationen Die hierarchische Stellung der PR in Organisationen zählt zu den formalen Organisationsstrukturen, die sich z. B. in Organigrammen wiederfinden. Dahinter steht die Überlegung, dass die Einflussmöglichkeiten innerhalb einer Organisation umso größer sind, je höher die hierarchische Stellung ist. Verschiedene Berufsfeldstudien für Deutschland (Bentele et al. 2018: 23; Röttger 2000: 216; Szyszka et al. 2009: 99) und die Schweiz (Röttger et al. 2003: 166) zeigen, dass PR nur in Ausnahmesituationen auf der höchsten Leitungsebene vertreten ist. Vier von fünf PR-Abteilungen sind als zentrale Organisationseinheit direkt unterhalb der Organisationsleitung angesiedelt (Bentele et al. 2018: 23). Nur in Ausnahmesituationen ist PR anderen Abteilungen unterstellt. Eine solche Verankerung ist für die interne Beratungsleistung sehr ungünstig, weil zumindest formalstrukturell der Zugang verwehrt ist. 4.2.2 Status der PR in Organisationen So wichtig die formalstrukturelle Einbindung der PR in die Organisation für den Einfluss der PR ist, so determiniert sie ihre Macht nicht völlig. Denn darüber hinaus sind auch informale Strukturen zu berücksichtigen (Röttger 2000: 204). In den vergangenen Jahren ist mehrfach versucht worden, diese Faktoren zu erfassen und damit den Einfluss umfassender zu erforschen. Diese Untersuchungen haben in der Regel mit einem sehr unspezifischen bzw. weiten PR-Verständnis gearbeitet. Die Studien können zunächst danach systematisiert werden, ob lediglich PR-Funktionsträger oder auch Vertreter der Unternehmensleitung befragt wurden. Einer der wenigen systematisierenden Vorschläge zur Rolle von PR und Marketing stammt von Bruhn/ Ahlers (2009). Sie unterscheiden zwischen vier Problemdimensionen, die den Einfluss von PR in Organisationen prägen - und damit auch das Machtverhältnis zum Marketing. Bentele et al. (2018: 20ff) haben diesen Ansatz in ihrer Kommunikationsmanagementstudie als Basis genommen. Neben der bereits erläuterten (a) Hierarchiedimension ist dies die (b) Akzeptanzdimension, in der u.a. gefragt wird, inwieweit auf den Rat der PR in der Organisationsleitung gehört wird. Knapp drei von <?page no="107"?> 108 4 Organisationskontext fünf Befragten gaben an, dass die Organisationsleitung ihren Rat annehme. Hinzu kommt die (c) Strategiedimension, die u.a. danach fragt, ob PR auch bei strategischen Organisationsentscheidungen anwesend ist, zumindest ‚angehört‘ wird oder ob ihr nur ausführende Aufgaben zuerkannt werden. Hier sagt jeder zweite PR-Funktionsträger, dass die PR vertreten sei. Und schließlich ist für den Einfluss von PR die (d) Ressourcendimension relevant, in der Budgets und personelle Ressourcen erfasst werden. Da die Ressourcendimension mit Blick auf die unterschiedlichen Organisationsgrößen und -typen wenig aussagekräftig ist, haben Bentele et al. die Items der drei anderen Dimensionen zusammengefügt. Danach haben rund zwei von zehn PR-Abteilungen einen (sehr) hohen Status in ihrer Organisation. Kritisch an dieser und weiteren vergleichbaren Untersuchungen (z. B. Röttger 2000; Szyszka et al. 2009) ist anzumerken, dass hier nur PR-Funktionsträger befragt wurden. Daher sehen sich diese Untersuchungen der Kritik ausgesetzt, dass PR-Funktionsträger sozial erwünscht antworten bzw. ihre Relevanz in ihrer Organisation überschätzen könnten. Studien, die zusätzlich Mitglieder der Organisationsleitung befragen, haben damit den Vorteil, dass sie die Fremdwahrnehmung der PR berücksichtigen. Und in der Tat zeigt sich, dass in einer ergänzenden Studie, in denen in Teilen die gleichen Fragen Vertretern des Top-Managements gestellt wurden, die genannten Ergebnisse relativiert wurden. So schätzen Vertreter des Top- Managements die Akzeptanz und die Einbindung der PR in strategische Entscheidungen signifikant geringer ein (Zerfaß et al. 2014: 72). Die Frage nach dem Status und dem Einfluss der PR war auch ein zentrales Thema in den Exzellenz-Forschungsprogrammen, von denen hier zwei vorgestellt werden (s. ausführlich Wiesenberg et al. 2020). Auf eines der größten PR-Forschungsprojekte geht die Excellence-Studie des Forscherteams um James E. Grunig zurück, die in den 80er und 90er Jahren in den USA, Kanada und Großbritannien durchgeführt wurde (Grunig 1992a; Dozier et al. 1995; Grunig et al. 2002). Zur Beantwortung der Forschungsfragen haben Grunig et al. neben PR-Leitern und PR-Mitarbeitern auch Vertreter des Top-Managements befragt. Im Mittelpunkt der Studie standen zwei Fragen (Grunig et al. 2002: 4f): Mit der Effektivitäts-Frage wurde untersucht, wie eine PR eine Organisation effektiver machen könne. Die zentrale These: „Public relations contributes to organizational effectiveness when it helps reconcile the orgnization’s goals with the expectations of its strategic constituencies.“ (Grunig et al. 1992: 86) Mit der Exzellenz-Frage wurde untersucht, wie PR ausgestaltet sein sollte, damit sie eine Organisation effektiver macht. Exzellente PR ist damit PR, die in besonderem Maße Organisationen effektiver macht. <?page no="108"?> 4.2 Einfluss der PR in Organisationen 109 Dazu wurden 17 Charakteristika einer exzellenten PR benannt (Grunig et al. 2002: 9ff). Eine große Bedeutung für exzellente PR-Abteilungen hatte dabei die Empowerment-Dimension, in der der Einfluss und die Macht der PR diskutiert wurden. Grunig et al. fragten hier u. a., ob der PR-Leiter ein Mitglied der so genannten ‚dominant coalition‘ einer Organisation sei bzw. einen direkten Kontakt zu ihren Mitgliedern habe. Die ‚dominant coalition‘ ist die Gruppe in einer Organisation, die die - formale oder informale - Macht hat, strategische Ziele zu entscheiden (ebd.: 141). Macht bzw. Einfluss wurden hier entsprechend als Voraussetzung für eine exzellente und damit effektive PR interpretiert. Das Ergebnis: Knapp die Hälfte der befragten Top-Manager und PR-Leiter sagte, dass PR Mitglied in der ‚dominant coalition‘ sei (ebd.: 159). Zudem kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass eine einflussreiche Stellung der PR einer der wichtigsten Einflussfaktoren für eine exzellente PR ist. So vielfältig und umfassend die Erkenntnisse der Excellence-Studie sind, so vielfältig ist auch die Kritik an ihr. Sie bezieht sich einerseits darauf, dass exzellente PR nur mittels Befragungen von Organisationsmitgliedern bewertet wurde, während externe Bezugsgruppen nicht berücksichtigt wurden. Andererseits stellt sich die Frage nach der Ableitung der 17 Charakteristika einer exzellenten PR. So fragt Röttger kritisch, „ob der Excellence- Faktor nicht lediglich die normativen Vorgaben der Forschergruppe darstellt“ (Röttger 2000: 51). Ein alternatives Modell haben Verčič und Zerfaß (2016; Tench et al. 2017) mit dem Comparative Excellence Framework für Kommunikationsmanagement (CEF) entwickelt. Empirische Basis hierfür ist insbesondere der European Communication Monitor (u.a. Zerfaß et al. 2016), einer jährlichen Befragung von Kommunikationsmanagern in ganz Europa. Ausgangspunkt ist wie im Modell von Grunig et al. die Überlegung, exzellente Kommunikationsabteilungen von anderen Abteilungen zu unterscheiden. Anders als Grunig et al. formulieren Verčič und Zerfaß (2016: 275ff) aber keine normativen bzw. objektiven Kriterien für Erfolg. Vielmehr entscheiden die Kommunikationsverantwortlichen per Selbstbewertung über ihren Exzellenzstatus. Dies geschieht auf Grundlage zweier Dimensionen mit jeweils zwei Indikatoren, die Verčič und Zerfaß aus der Literatur abgeleitet haben - womit sie sich letztlich ähnlicher Kritik aussetzen, wie sie an Grunig et al. geäußert wurde: In der Einflussdimension steht die interne Positionierung der Kommunikationsabteilung in der Organisation im Mittelpunkt. Beim beratenden Einfluss wird zunächst danach gefragt, ob das Management Empfehlungen der Kommunikationsabteilung ernst nimmt, während im exekutiven Einfluss gefragt wird, ob die Kommunikationsabteilung vom Management zu Strategiemeetings hinzugezogen wird. In der Leis- <?page no="109"?> 110 4 Organisationskontext tungsdimension stehen der Kommunikationserfolg und die Abteilungskompetenz im Mittelpunkt. Hier werden die Kommunikatoren in einer Wettbewerbsperspektive gefragt, ob sie den Kommunikationserfolg ihrer Organisation als erfolgreicher sowie die Qualität und Fähigkeiten ihrer Abteilung als besser bewerten. Als exzellent gelten nur die Kommunikationsabteilungen, die bei allen vier Fragen auf einer 7er Skale eine der beiden höchsten Ausprägungen gewählt haben. Der Anteil der exzellenten Abteilungen ist in den vergangenen Jahren zwischen 20 und 25 Prozent weitgehend stabil geblieben. Was kennzeichnet diese exzellenten Kommunikationsabteilungen? Die Studien der vergangenen Jahre zeigen u.a., dass viele exzellente Kommunikationsabteilungen über eine ausreichende Personalausstattung mit qualifizierten Kommunikatorinnen verfügen, häufig nah am Top-Management sitzen, ihre Umwelt intensiv beobachten, den Kommunikationserfolg evaluieren und ihre Kommunikationsstrategien kontinuierlich aktualisieren (Wiesenberg et al. 2020: 13ff). 4.2.3 Stellung und Einfluss der PR in unterschiedlichen Organisationen Offenkundig bleiben bereits bei der Erforschung der Relevanz und des Einflusses von PR in Organisationen viele Fragen offen. Noch größer ist die Forschungslücke, wenn man nach den Gründen hierfür fragt. Wenn man die hierarchische Stellung von PR in unterschiedlichen Organisationstypen vergleicht, fällt auf, dass PR in Vereinen bzw. Verbänden häufiger auf der höchsten Leitungsebene verankert ist (Bentele et al. 2018: 24). Hierzu dürften vor allem Verbände zählen, die mitunter auch als „Kommunikationsorganisationen“ bezeichnet werden (Szyszka et al. 2009: 193). Eine wesentliche Leistung von Verbänden für ihre Mitglieder besteht darin, Themen in der Öffentlichkeit zu artikulieren und damit ihre Durchsetzungschancen zu erhöhen. Wegen dieser enormen Unterschiede zwischen Organisationen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen wie Wirtschaft oder Politik und damit auch jeweils ‚ihrer‘ PR sprechen Jarren/ Röttger (2009: 29) nicht von einem System PR, sondern stellen die Unterschiede heraus, die aus den Besonderheiten des jeweiligen gesellschaftlichen Teilsystems und des jeweiligen Organisationstyps resultieren. Damit können aber allenfalls Status-Unterschiede der PR in Organisationen unterschiedlicher Bereiche wie Politik und Wirtschaft erklärt werden. Warum aber hat PR als Legitimation selbst in Unternehmen einen so unterschiedlichen Status? Eine erste naheliegende Erklärung wäre, dass PR für ein Unternehmen umso wichtiger ist, je kritischer das Unternehmen und seine Produkte von wichti- <?page no="110"?> 4.2 Einfluss der PR in Organisationen 111 gen Bezugsgruppen gesehen werden und je mehr seine Handlungsfreiheit von diesen abhängig ist. In einer solchen Perspektive würden Unternehmen also mit ihrer PR auf eine gegebene Situation reagieren. Dies ist die Perspektive der Kontingenztheorie bzw. des situativen Ansatzes, die davon ausgehen, dass Organisationen, die zur jeweiligen Umweltsituation passenden Strukturen und Prozesse implementieren (Thompson 1967). Organisationsstrukturen sind damit abhängig von der jeweiligen Umweltsituation. Auf eine solche Perspektive haben sich Grunig/ Hunt (1984: 43) mit ihren vier PR-Modellen berufen. In verschiedenen empirischen Untersuchungen konnte jedoch kein direkter Zusammenhang zwischen der Umweltsituation und den PR-Strukturen nachgewiesen werden (Dozier/ Grunig 1992: 403ff). Während dem Kontingenzansatz das Verständnis eines offenen Systems zugrunde liegt, nimmt die Systemtheorie mit ihren operativ geschlossenen Systemen eine Gegenposition ein: Organisationssysteme sind strukturdeterminiert, lassen sich von der Umwelt also allenfalls irritieren (Kap. 5.1.2). Eine solche Perspektive relativiert die Relevanz von Veränderungen in der Umwelt für organisationsinterne Strukturen: So könnte eine Organisation auf PR gänzlich verzichten, weil sie entsprechende Veränderungen in ihrer Umwelt gar nicht wahrnimmt, als unwichtig bewertet oder andere Strategien als PR als erfolgversprechender einschätzt. Hier kann mit der neo-institutionalistischen Perspektive - in diesem Zusammenhang verstanden als Reflexionstheorie der Systemtheorie (Tacke 1999: 77) - angeschlossen werden. Die ähnlichen Strukturen konkurrierender Organisationen ührt sie nicht auf rationale Entscheidungen zur Lösung ähnlicher Probleme zurück, sondern eher auf Unsicherheit oder normativen Druck (DiMaggio/ Powell 1983). Konkurrierende Organisationen passen daher ihre Strukturen in hohem Maße aneinander an, weil sie z. B. normativen Erwartungen gerecht werden und damit ihre Legitimität erhöhen wollen (Scott/ Meyer 1991: 123). Damit kann auch die grundsätzlich gestiegene Relevanz der PR plausibel erklärt werden: Organisationen glauben, dass von ihnen heute normativ erwartet wird, dass sie z. B. ür Journalistenanfragen einen Pressesprecher haben und dass sie über wichtige Entwicklungen informiert sind. Zum Weiterlesen Studien zum Einfluss von PR innerhalb von Organisationen: • Grunig, Larissa A. / Grunig, James E. / Dozier, David M. (2002): Excellent public relations and effective organizations. A study of communication management in three countries. Mahwah. • Tench, Ralph / Verčič, Dejan / Zerfaß, Ansgar / Moreno, Angeles / Verhoeven, Piet (2017): Communication excellence. How to develop, manage and lead exceptional communications. Cham. <?page no="111"?> 112 4 Organisationskontext 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder In Organisationen wie Unternehmen ereignen sich jeden Tag eine Vielzahl von Kommunikationen: die Anweisung eines Vorarbeiters, das Meeting zur Vorbereitung einer Pressekonferenz, das Gespräch einer Vertriebsmitarbeiterin mit einer langjährigen Kundin, der TV-Spot oder das Routine-Gespräch des PR-Leiters mit der Vorstandsvorsitzenden zu aktuellen Entwicklungen. Unstrittig zählen alle Beispiele zur Organisationskommunikation. Strittiger ist hingegen die Frage, welche Phänomene zur PRbzw. strategischen Organisationskommunikationsforschung zu zählen sind. Dazu werden in diesem Kapitel zentrale Begriffe erläutert und theoretische Ansätze bzw. Modelle strategischer Organisationskommunikation vorgestellt. Anschließend werden für das Beispiel von Unternehmen ausgewählte Felder strategischer Unternehmenskommunikation erläutert und ihre Beziehungen zur PR im Sinne der Legitimation aufgezeigt. Organisationskommunikation kann allgemein definiert werden als die Kommunikation in und von Organisationen (Theis-Berglmair 2003: 18). Eine solche Definition umfasst alle oben genannten Beispiele. Innerhalb der Organisation zählt jede Kommunikation dazu, die Personen in ihrer Mitgliedsrolle zugeschrieben wird. Wenn sich zwei Kollegen also über familiäre Probleme oder über den gemeinsamen Wochenendausflug unterhalten, zählt das nicht zur Organisationskommunikation. Externe Organisationskommunikation besteht aus jenen Kommunikationen, die der Organisation zugerechnet werden - also z. B. Aussagen eines Verkäufers, der Pressesprecherin oder der Vorstandsvorsitzenden in ihrer jeweiligen Rolle. Organisationskommunikation findet in persönlicher Interaktion ebenso statt wie per Telefon, Brief, E-Mail oder in klassischen Massenmedien. Für die klassische PR-Forschung ist ein solch weites Verständnis immer noch relativ neu, da sie sich lange Zeit vor allem für massenmediale Kommunikationen interessiert hat - also z. B. die Beeinflussung des Journalismus (Theis-Berglmair 2013: 30). Aus der Perspektive der soziologischen Organisationsforschung ist ein solches Verständnis hingegen selbstverständlich. So bestehen soziale Systeme wie z. B. Organisationen in einer systemtheoretischen Sichtweise nur aus Kommunikation bzw. Kommunikationen in der Form von Entscheidungen (Luhmann 2000). Diese konstituierende Rolle von Kommunikation ist auch die Ausgangsüberlegung der so genannten CCO-Perspektive (Communicative Constitution of Organizations): Demnach entstehen und überdauern Organisationen erst dadurch, dass Sprachhandlungen im Namen der Organisation vollzogen werden, z. B. indem auf die Organisation als Kollektivakteur Bezug genommen wird. So <?page no="112"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 113 interessiert sich eine solche Perspektive auch für Phänomene jenseits strategisch-intentional initiierter Kommunikationsmaßnahmen wie zum Beispiel Meetings, Projektdokumentationen via P OWERPOINT oder E-Mail-Korrespondenzen (Schoeneborn/ Wehmeier 2014: 415, 420). So sehr solche Fragen insbesondere in der angloamerikanischen Tradition der Organizational Communication schon lange intensiv diskutiert wurden (Theis-Berglmair 2013) und so vielfältig die Berührungspunkte zu einer allgemein verstandenen Organisationskommunikation sind, so sinnvoll erscheint es, den Gegenstandsbereich der ‚klassischen‘ strategischen Kommunikation davon abzugrenzen. Dies schließt nicht aus, dass strategische Organisationskommunikation andere Formen der Organisationskommunikation beeinflusst - und umgekehrt. Daher erscheint es plausibel, strategische Organisationskommunikation als Teil der Organisationskommunikation zu verstehen. Allgemein kann sie als Auftragskommunikation von Organisationen definiert werden (Röttger et al. 2013: 9), konkreter als „purposeful use of communication by an organization to fulfill its mission“ (Hallahan et al. 2007: 3). Entsprechend kann Kommunikationsmanagement als Prozess der Planung, Organisation und Evaluation strategischer Organisationskommunikation verstanden werden (in Anlehnung an Zerfaß 2014: 59). Abb. 4.3: Abgrenzung von Organisationskommunikation und strategischer Organisationskommunikation Mit Blick auf absatzorientierte TV-Spots und Nachhaltigkeitsberichte erscheint es sinnvoll, strategische Organisationskommunikation weiter zu differenzieren. Offenkundig lassen sich verschiedene Probleme und Bezugsgruppen und damit verbunden unterschiedliche Ziele voneinander unterscheiden. In der Literatur gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen, wie Teilbereiche der Kommunikation von Unternehmen systematisiert und beschrieben werden können. Gemeinsam ist den meisten Ansätzen, dass mindestens zwischen PR und Marketing unterschieden wird: Während PR sich auf öffentliche Anliegen fokussiert, konzentriert sich Marketing auf den effektiven Vertrieb der Produkte. Aber selbst bei einer Unterscheidung von nur zwei Feldern sind Überschneidungen zu beobachten (Cornelissen 2008: <?page no="113"?> 114 4 Organisationskontext 15ff), wenn z. B. ein Kultursponsoring sowohl Absatzziele als auch PR-Ziele unterstützt. Abb. 4.4: Aktivitäten von Marketing und PR und ihre Überschneidungen (Hutton 1996: 157) Marketing bzw. Marktkommunikation und PR sind auch zwei Teilbereiche der strukturationstheoretisch fundierten Theorie der Unternehmenskommunikation von Zerfaß (2004). Als Unternehmenskommunikation versteht er all die „gesteuerten Kommunikationsprozesse, mit denen ein Beitrag zur Aufgabendefinition und -erfüllung in gewinnorientierten Wirtschaftseinheiten geleistet wird und die insbesondere zur internen und externen Handlungskoordination sowie Interessenklärung zwischen Unternehmen und ihren Bezugsgruppen (Stakeholdern) beitragen“ (Zerfaß 2014: 23). Als dritten Teilbereich der Unternehmenskommunikation neben der Marktkommunikation und Public Relations identifiziert er die interne Kommunikation, zu der er auch die Kommunikationsbeziehungen zu den Aktionären zählt. Mit dem Begriff des Kommunikationsmanagements bezeichnet er den „Prozess der Planung, Organisation und Kontrolle der Unternehmenskommunikation“ (ebd.: 59). Hier wird noch einmal das problematische PR-Verständnis von Grunig/ Hunt (1984) deutlich: Während bei Zerfaß PR ein Teilbereich <?page no="114"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 115 der Unternehmenskommunikation ist, bezeichnen Grunig/ Hunt mit PR das Management der gesamten Organisationskommunikation. Abb. 4.5: Unternehmenskommunikation und ihre Teilbereiche nach Zerfaß (2014: 44) Im Folgenden sollen die Ausdifferenzierungsprozesse strategischer Organisationskommunikation systemtheoretisch beschrieben werden (ausführlich Hoffjann 2007). Durch Binnendifferenzierung steigern Systeme wie z. B. Organisationen ihre Leistungsfähigkeit. Je ausdifferenzierter und damit komplexer ein System ist, desto geringer ist das Komplexitätsgefälle zwischen der Umwelt und der Organisation, desto besser kann das System anfallende Probleme bearbeiten. „Die interne Differenzierung eines Systems in Untersysteme ist demnach ein Prozess, durch den das Gesamtsystem die Problematik seiner Umwelt nach innen weitergibt. Es muss widerspruchsvolle Verfahren der Eigenstabilisierung in Untersystemen und damit ein gewisses Maß an inneren Konflikten tolerieren“ (Luhmann 1964: 79). Analog zur Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Funktionssystemen wie Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft vollziehen sich die Ausdifferenzierungsprozesse auf der Organisationssystemebene. In Unternehmen hat sich eine Vielzahl von solchen Abteilungen bzw. Subsystemen ausdifferenziert. Jedes hat sich auf die Lösung eines spezifischen Problems hin spezialisiert und ausdifferenziert: In der Produktion werden die Produkte gefertigt, im Controlling werden die Effizienz und die Effektivität von Unternehmensaktivitäten kontrolliert und im Absatz werden Produkte bzw. Dienstleistungen vertrieben. Ebenso wie den im Folgenden näher erläuterten Subsystemen stehen allen im Wesentlichen zwei Möglich- <?page no="115"?> 116 4 Organisationskontext keiten zur Verfügung, die man pointiert als ‚Reden‘ und ‚Handeln‘ (ausführlicher Kap. 5.1.2) bezeichnen kann: Reden: Wenn z. B. im Absatzmarketing unterstellt wird, dass das Produkt selbst und sein Preis konkurrenzfähig sind, kann es das Produkt in den veröffentlichten Selbstbeschreibungen ‚bewerben‘. In der Konsumgüterbranche geschieht dies insbesondere durch die unverbindliche Mediawerbung, in der Investitionsgüterbranche vor allem auch durch Pressearbeit in Fachzeitschriften. Systemtheoretisch kann dies als Kontextsteuerung konzipiert werden. Diese Aspekte beziehen sich in aller Regel auf Fragen strategischer Kommunikation. In Marktbeziehungen kommt der Preis als weiteres Steuerungsmedium hinzu. Dieser Aspekt wird jedoch nur am Rande thematisiert, da hier Fragen strategischer Unternehmenskommunikation im Mittelpunkt stehen. Handeln: Wenn das Absatzmarketing hingegen unterstellt, dass das Produkt oder der Preis nicht konkurrenzfähig sind, wird es hier zunächst Änderungen vornehmen, um Käufer zu gewinnen. Systemtheoretisch kann dies als unternehmerische Selbststeuerung konzipiert werden. Im Absatzmarketing würden hierzu folglich insbesondere Entscheidungen jenseits der Kommunikationspolitik zählen. Da in diesem Kapitel Fragen strategischer Unternehmenskommunikation im Mittelpunkt stehen, werden diese Aspekte naturgemäß nur kurz skizziert. Gleichwohl sind sie für ein besseres Verständnis strategischer Kommunikation wichtig, um beispielsweise zu erkennen, dass beobachtete Wirkungen nur zum Teil mit den Mitteilungen strategischer Kommunikation zu erklären sind. Das ‚Reden‘ ist die klassische strategische Organisationskommunikation. Je nach Organisationstyp werden unterschiedliche Subsysteme zur strategischen Organisationskommunikation gezählt. Für Verbände beispielsweise lassen sich mindestens die externe Legitimationskommunikation und die interne Mitgliederbindungskommunikation finden (Hoffjann 2010a). Im Folgenden sollen Felder bzw. Disziplinen strategischer Unternehmenskommunikation erläutert werden, die in der Literatur oft genannt werden (z. B. Zerfaß/ Piwinger/ Röttger 2020). Wenn diese hier als Felder strategischer Unternehmenskommunikation bezeichnet und erläutert werden, dann soll damit verdeutlicht werden, dass sie hier vor allem mit Blick auf ihre Relevanz für die strategische Organisationskommunikation thematisiert werden. Dass Fragen strategischer Kommunikation Disziplinen wie Absatzmarketing und Personalmarketing nicht gänzlich abbilden, ist davon unberührt. Von diesen Disziplinen bzw. Feldern sind die Kommunikationsinstrumente zu unterscheiden (Kap. 5.6): In den Disziplinen der strategischen Unternehmenskommunikation kommen Kommunikationsinstrumente, wie zum Bei- <?page no="116"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 117 spiel Mediawerbung, Pressearbeit, Corporate Publishing oder Events zum Einsatz. Diese Instrumente können im Rahmen der Absatzkommunikation genauso zum Einsatz kommen wie im Rahmen der PR. Dieses instrumentelle Verständnis von Medien ergibt sich daraus, dass mit ihnen im Rahmen der strategischen Organisationskommunikation spezifische Ziele erreicht werden sollen, es sagt nichts darüber aus, ob diese Ziele tatsächlich erreicht wurden, oder - im Gegenteil - eine Informationsveranstaltung nicht sogar eine skeptische Haltung noch verstärkt hat. Abb. 4.6: Modell strategischer Unternehmenskommunikation mit ausgewählten Disziplinen, Kommunikationsinstrumenten und Primär-Bezugsgruppen Diese klassischen Disziplinen strategischer Unternehmenskommunikation werden als organisationsinterne Umwelt der PR im Sinne der Legitimation im Folgenden erläutert. Dabei werden insbesondere die Funktion, die Unterscheidung von Reden versus Handeln, die primären Bezugsgruppen, Besonderheiten der jeweiligen strategischen Kommunikation und der vornehmlich eingesetzten Kommunikationsinstrumente sowie die Berührungspunkte zur PR skizziert. <?page no="117"?> 118 4 Organisationskontext 4.3.1 Absatzmarketing Ein Unternehmen tauscht seine Produkte bzw. Dienstleistungen gegen Geld ein. Dieser Transaktionscharakter prägt die Beziehungen zwischen einem Anbieter und einem Nachfrager auch an anderer Stelle in Unternehmen: In der Investor Relations z. B. verkaufen Unternehmen Unternehmensanteile an Anleger. Im Beschaffungsmarketing treten Unternehmen hingegen als Käufer auf, wenn sie die benötigten Investitionsgüter einkaufen. Das externe Personalmarketing kann als Teil des Beschaffungsmarketings verstanden werden, in dem Unternehmen die Arbeitsleistung einkaufen. Trotz vieler Unterschiede prägt dieser Marktcharakter diese Disziplinen und die jeweilige strategische Kommunikation (z. B. Herger 2004: 104ff). Da diese Gemeinsamkeiten transaktionsorientierter Marktkommunikation zugleich einen zentralen Unterschied zur PR im Sinne der Legitimation bilden, sollen sie einleitend zunächst ausführlicher erläutert werden, bevor sie am Beispiel der Absatzkommunikation, der Investor Relations und des externen Personalmarketings konkretisiert werden. Der zentrale Bezugspunkt für diese Disziplinen ist der Markt. Hier treffen sich Anbieter und Nachfrager, hier wird der Preis gebildet und hier werden schließlich Güter und Dienstleistungen getauscht (Koschnick 1997: 1147f). Der Markt zählt zur Umwelt des Unternehmens, ist aber als Teil des Wirtschaftssystems von wirtschaftlichen Entscheidungskriterien geprägt (Luhmann 1994: 93f). Eine wichtige Steuerungsfunktion hat in Märkten der Preis, mit dem Marktteilnehmer den Markt beobachten können: Man sieht wie in einem Spiegel sich selbst und die Konkurrenz und kann anhand von Preisen überprüfen, ob die eigene Strategie richtig ist (Becker 1998: 80) und die eigenen Angebote und deren Ausgestaltung den Wünschen der Nachfrager entsprechen. Diese Beobachtungen und entsprechenden Anpassungen sind im Kern nichts anderes als Marketing. Allgemein kann Marketing als die „bewusste Absatz- und Kundenorientierung aller Unternehmensbereiche“ (Meffert 2005: 8) verstanden werden, konkreter kann es wie folgt definiert werden: „Marketing ist die permanente und systematische Analyse und Ausgestaltung von Transaktionsprozessen zwischen zwei Marktparteien mit dem Ziel, ein Transaktionsdesign zu finden, das die Zielsysteme der Transaktionspartner bestmöglich erfüllt“ (Weiber 1996: 38). Marketing greift damit in die Schnittstelle zwischen Anbieter und Nachfrager ein, um die Unsicherheit der Organisationen bezüglich der Transaktionsbeziehungen zu reduzieren (Weiber/ Adler 1995: 43). Die klassischen ‚Stellschrauben‘ des Marketings zur Reduzierung dieser Unsicherheiten finden sich im Marketing-Mix. Im Kontext von Selbststeuerungen bzw. des Handelns werden das Produkt selbst, der Preis und der Absatzkanal an den Bedürfnissen der Kunden <?page no="118"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 119 ausgerichtet. Im Kontext des Redens bzw. von Kontextsteuerungen wird das Produkt bei den Kunden beworben. Die strategische Marketingkommunikation soll am Beispiel eines Wochenmarktes erläutert und verortet werden. Hier lassen sich unterschiedliche Formen der Marktkommunikationen bzw. der Kommunikation über Märkte unterscheiden. Eine (a) direkte Marktkommunikation sind z. B. direkte Gespräche zwischen Anbieter und Nachfrager: Ein Anbieter erläutert einem Interessenten die Vorzüge des Produktes für dessen persönliche Wünsche und nennt ihm den Preis. Dies geschieht auf Wochenmärkten in einem persönlichen Gespräch, bei Vertretern an der Haustür, beim Telefonvertrieb telefonisch. Davon unterschieden werden kann die (b) Marktöffentlichkeit. Unternehmen wenden sich hier an ein disperses Marktpublikum: Marktschreier rufen den Marktbesuchern laut die Vorteile ihrer Produkte und deren günstige Preise zu. Nichts anderes leisten TV-Spots, Anzeigen und Außenwerbung im Rahmen des Absatzmarketings. Umgekehrt unterhalten sich aber auch Nachfrager untereinander über Anbieter: Welcher Anbieter hat die günstigsten Preise, wo gibt es das beste Preis-Leistungsverhältnis? Da auch hier die (mögliche) Transaktionshandlung und damit wirtschaftliche Erwägungen im Mittelpunkt stehen, zählt die Marktöffentlichkeit ebenfalls zur Marktkommunikation und damit zum Wirtschaftssystem. In den Mitteilungen der Anbieter in der Marktöffentlichkeit geht es immer um die Teilnahmebzw. Kaufbereitschaft der Kunden (Zurstiege 2005: 37): Die Güter werden mit dem Ziel beworben, dass Kunden sie kaufen wollen. Ob es schließlich zu Transaktionen kommt, hängt auch vom Preis oder von der Verfügbarkeit ab. Davon zu unterscheiden sind wiederum insbesondere (c) öffentliche Kommunikationen über Märkte und dort gehandelte Produkte bzw. Dienstleistungen. Wenn z. B. politische, gesundheitliche oder moralische Probleme von Produkten diskutiert werden, dann treten die Transaktionshandlung und damit wirtschaftliche Fragen zunehmend in den Hintergrund. Solche Kommunikationen sind dann in der Öffentlichkeit, aber schnell auch in der Politik verortet. So können öffentlich thematisierte gesundheitliche Risiken eines Medikamentes dazu führen, dass politische Restriktionen für den Hersteller oder für die ganze Branche gefordert werden. Hier zeigt sich, wie schnell eine Kommunikation über Produkte für PR als Legitimation relevant werden kann. Zugleich zeigt das Beispiel aber auch, warum Öffentlichkeit kein direktes Sanktionspotenzial hat: In der Öffentlichkeit werden keine Transaktionsentscheidungen getroffen. <?page no="119"?> 120 4 Organisationskontext Markt Direkte Marktkommunikation Beispiel: direkte Gespräche zwischen Anbietern und Nachfragern Kommunikation der Marktöffentlichkeit Beispiele: Mitteilungen von Anbietern an ein disperses Kundenpublikum (Marktschreier, Mediawerbung etc.); Diskussion mehrerer Marktteilnehmer über Produktqualität und Preise Öffentlichkeit (oder andere Funktionssysteme wie Politik) Öffentliche, politische, moralische etc. Kommunikation über Märkte Beispiele: Diskussion über politische, gesundheitliche oder ethische Probleme von Produkten Abb. 4.7: Marktkommunikation, öffentliche Marktkommunikation und öffentliche Kommunikation über Märkte Die Marktöffentlichkeit und die öffentliche Kommunikation über Märkte beeinflussen sich in hohem Maße gegenseitig. So können Aspekte, die heute noch unspezifisch zu Produkten geäußert wurden, morgen schon zu den relevanten Auswahlkriterien in Märkten zählen. Diese Überlegungen gelten für alle marktorientierten Kommunikationsdisziplinen, zu denen z. B. das Absatzmarketing, das Beschaffungsmarketing, die Investor Relations und das Personalmarketing zählen. Kommen wir nun zum Absatzmarketing: Das Absatzmarketing ‚zielt‘ auf den Markt, auf dem die produzierten Güter bzw. Dienstleistungen des Unternehmens angeboten werden. Die Funktion des Absatzmarketings besteht in Anlehnung an die oben genannte Marketing-Definition von Weiber (1996) darin, die tauschvertraglichen Beziehungen zu Kunden zu gestalten, so dass die Ziele beider Marktparteien bestmöglich erfüllt werden. So sehr Transaktionen - also der Kaufabschluss - im Mittelpunkt stehen, so hat im Marketing in den vergangenen Jahren ein Umdenken stattgefunden, das als Abkehr vom Transaktionsmarketing hin zum Beziehungsmarketing bezeichnet wird (Bruhn 2018: 21): Da es preiswerter ist, Kunden zu binden und zu erneuten Käufern zu machen, als ständig neue Kunden zu gewinnen, sind zunehmend die Beziehung zum Kunden und damit die Kundenbindung in den Mittelpunkt gerückt. Für die strategische Kommunikation des Absatzmarketings führt dies zur Paradoxie, dass letztlich zwar immer Transaktionen im Sinne eines Verkaufes angestrebt werden, dies aber in der Kommunikation mitunter in den Hintergrund rückt. <?page no="120"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 121 Die oben eingeführte Unterscheidung zwischen Reden als externer Kontextsteuerung und Handeln als unternehmerischer Selbststeuerung kann auch auf das Absatzmarketing angewendet werden: Handeln: Wenn das Absatzmarketing im Markt beobachtet, dass das Produkt oder der Preis nicht konkurrenzfähig sind, wird es hier Änderungen vornehmen. Insbesondere Preissenkungen sind hier als Mischform von unternehmerischen Selbststeuerungen und externer Kontextsteuerung zu verstehen, da ein Unternehmen einerseits auf mögliche Gewinne verzichtet, andererseits aber durch den geringeren Preis auch einen Anreiz für zusätzliche Käufe schafft. Reden: Wenn im Markt beobachtet wird, dass z. B. das Produkt und sein Preis den Wünschen von ausreichend vielen Nachfragern entsprechen, kann es das Produkt in den veröffentlichten Selbstbeschreibungen ‚bewerben‘. In der Konsumgüterbranche geschieht dies insbesondere durch die Mediawerbung, in der Investitionsgüterbranche vor allem auch durch Pressearbeit in Fachzeitschriften. Die Wirkungsabsicht jeglicher öffentlicher Marktkommunikation ist es, einerseits Anschlusskommunikation zwischen den Transaktionspartnern zu erreichen, zu gestalten und zu steuern (Herger 2004: 105), andererseits Teilnahmebzw. Kaufbereitschaft (Zurstiege 2005) und schließlich Kaufhandlungen zu bewirken. Die primären Bezugsgruppen des Absatzmarketings sind die Bezugsgruppen, die ein direktes Sanktionspotenzial haben, das sich in Form von vertraglichen Verpflichtungen zeigt. Das sind vor allem die (potenziellen) Käufer: Während es im so genannten B2C-Marketing die Endkunden sind, zählen im B2B-Marketing bzw. Investitionsgütermarketing andere Unternehmen dazu, die Produkte und Dienstleistungen einkaufen, um ihrerseits Güter zu produzieren. In einigen Märkten kommt der Handel als zusätzliche primäre Bezugsgruppe hinzu, da er darüber entscheidet, ob Güter angeboten und damit die Kunden überhaupt erreicht werden können. Die jeweiligen Kaufentscheidungsprozesse hängen von vielen Faktoren ab, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann: Während Endkunden bei Verbrauchsgütern wie Schokoriegeln sich in der Regel kaum mit den Produkteigenschaften auseinandersetzen, ist vor dem Kauf eines Autos eine intensive Beschäftigung mit konkurrierenden Modellen und ihren Eigenschaften zu beobachten. Dienstleistungen wie ein Haarschnitt unterscheiden sich wiederum von Konsumgütern u. a. dadurch, dass die Qualität erst am Ende zu bewerten ist. Und im Investitionsgütermarketing sind Kaufentscheidungsprozesse häufig von einem höheren Maß an rationalen Kriterien und einer Vielzahl an beteiligten Entscheidern geprägt. Was sind die Besonderheiten strategischer Kommunikation im Absatzmarketing? Eine erste Besonderheit ist dieselbe, die zur Ausdifferenzierung des <?page no="121"?> 122 4 Organisationskontext Marketingmanagements in vielen Unternehmen geführt hat: der Wechsel vom Verkäuferzum Käufermarkt. Damit steht eine wachsende Zahl an konkurrierenden Anbietern einer konstanten Zahl an Nachfragern gegenüber. Für die Absatzkommunikation führte dies zunächst zu einer Wettbewerbskommunikation und später zu einem Kommunikationswettbewerb (Bruhn 2018: 16), mit dem untrennbar ein Aufmerksamkeitswettbewerb verbunden ist. So wie Marktschreier bei zunehmender Konkurrenz immer lauter, lustiger und zotiger werden, versuchen Unternehmen, in der strategischen Absatzkommunikation mit wachsenden Budgets oder provokanterer Werbung die Aufmerksamkeit der Nachfrager zu erzielen. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen marktorientierter strategischer Kommunikation und PR: Während Unternehmen in der PR mitunter bewusst öffentliche Aufmerksamkeit vermeiden, um damit erst gar nicht in das Visier von Kritikern zu geraten, braucht die absatzorientierte strategische Kommunikation in der Regel Aufmerksamkeit und Bekanntheit. Denn die Kenntnis der Produkte ist zumeist die Voraussetzung dafür, dass ihr Kauf überhaupt erwogen wird. Hier wird auch die wettbewerbsgerichtete Funktion absatzorientierter Kommunikation deutlich (Bruhn 2018: 13): Das Funktionieren eines Marktes hängt von der Markttransparenz ab - dass also die Nachfrager einen Überblick über die Anbieter und deren Preise haben. Insbesondere in der strategischen Absatzkommunikation für Konsumgüter ist die Mediawerbung ein zentrales Kommunikationsinstrument. Mit dieser so genannten Push-Kommunikation ‚drückt‘ strategische Kommunikation ihre Botschaften in den Markt hinein (Bruhn 2018: 22). Da hier zunehmend größere Reaktanzen z. B. in Form von Werbeverweigerung (z. B. Zapping und Adblocker) zu beobachten sind, wird in den vergangenen Jahren verstärkt die Alternative der Pull-Kommunikation diskutiert, in der die aktive Rolle des Kunden betont wird. Als Idealbild gelten hier die viralen Videos im Internet, die Kunden nicht nur aktiv suchen, sondern auch noch selbst an Freunde und Bekannte weiterverbreiten. Abgesehen davon, dass es solche Formen schon lange gibt, müssen ihre Chancen differenziert bewertet werden. So ist nicht zu erwarten, dass Kunden plötzlich auf breiter Front aktiv nach Informationen oder Unterhaltungsangeboten von Taschentuchherstellern oder Joghurt-Marken suchen und sich darüber privat unterhalten. Dies zeigt auch das Beispiel der Pressearbeit als Kommunikationsinstrument im Rahmen des Absatzmarketings. Pressearbeit wird hier als Produkt-PR oder Marken-PR bezeichnet. So suchen Kunden z. B. zu Gebrauchsgütern journalistische Beiträge, um unabhängige Informationen zu erhalten. Während die Mediawerbung die Aufmerksamkeit und Bekanntheit eines Produktes herstellen und die Verkaufsörderung am Ende eines Kaufentscheidungsprozesses konkrete Kaufhandlungen auslösen kann, steht die Pressearbeit in <?page no="122"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 123 diesem idealtypischen Modell zwischen diesen beiden Instrumenten und verschafft dem Käufer mit verlässlichen Informationen Orientierung (Szyszka 2009b: 33f). Wie wichtig diese Informationen beim Kauf vieler Gebrauchsgüter sind, belegt der Erfolg vieler Zeitschriften zu Autos und IT- Produkten. Aus ähnlichen Gründen ist die Pressearbeit im Industriegütermarketing wichtig. Zudem sorgt die in Deutschland traditionell große Zahl an Fachzeitschriften ür einen großen Beobachtungsdruck und schafft damit zugleich die Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Abb. 4.8: Aufgabe von Kommunikationsinstrumenten in absatzorientierten Kommunikationsprozessen (Szyszka 2009b: 45) Bei vielen Verbrauchsgütern zeigt sich aber, dass die Möglichkeiten der Pressearbeit dort an ihre Grenzen stoßen, wo es nur wenige Medien gibt, die diese Produkte thematisieren. Auch wenn sich in Publikumsbzw. Special-Interest-Zeitschriften viele Berichte zu Verbrauchsgütern finden mögen, so ist dennoch zu vermuten, dass der mit Abstand größte Teil von Verbrauchsgütern fast nie thematisiert wird - von der Zahnpasta über Nudeln bis hin zu Schokoriegeln. Aus der Sicht der Unternehmen folgt daraus, dass sie allein mit der Pressearbeit weder die notwendige Reichweite noch die gewünschte Kontaktzahl erreichen würden. Die Pressearbeit ist hier folglich in der Regel allenfalls ein ergänzendes Kommunikationsinstrument, zu den meisten Verbrauchsgütern gibt es in der Regel zumeist nur eine Pressearbeit in den einschlägigen Fachzeitschriften, die z. B. auf die Zielgruppe des Handels gerichtet ist. Daher sind bei Verbrauchsgütern vor allem Presseaktivitäten zu beobachten, die weniger auf Produkteigenschaften denn auf das Markenimage zielen. Bei Maßnahmen, die auf das Markenimage zielen, werden reflexive Aspekte wichtig: Wenn eine Marke für den Nutzer z. B. eine Prestigefunktion erfüllen soll, erscheint eine entsprechende Medienberichterstattung hilfreich. Wie beeinflussen sich das Absatzmarketing und PR im Sinne der Legitimation? Ganz grundsätzlich ist zu konstatieren, dass das Absatzmarketing in Unter- <?page no="123"?> 124 4 Organisationskontext nehmen eine zentrale Stellung einnimmt. Man könnte auch formulieren: Absatzmarketing ist nicht alles, aber ohne Absatzmarketing ist alles nichts. Denn wenn es einem Unternehmen nicht gelingt, seine Produkte bzw. Dienstleistungen erfolgreich im Markt zu tauschen, wird es schnell aufhören zu existieren. Dies zeigt, warum absatzbezogene Themen in den meisten Unternehmen letztlich im Mittelpunkt stehen, während PR-bezogene Themen in zweiter Reihe zu finden sind. Dies zeigt sich auch in der Formulierung, dass man sich ein ethisch einwandfreies unternehmerisches Verhalten ‚erst einmal leisten‘ können müsse. Umgekehrt kann eine fehlende Legitimation mittelbar auch Marktöffentlichkeiten und damit die Nachfrage beeinflussen. Nachfrager, die sich dafür rechtfertigen müssen oder ihrerseits gar Nachfrageeinbußen erleiden, weil sie bei einem delegitimierten Unternehmen einkaufen, werden sich überlegen, ob sie nicht eher zu einem Wettbewerber wechseln. Damit hängt zusammen, dass sich Kommunikationsmaßnahmen z. B. der PR und des Absatzmarketings grundsätzlich gegenseitig beeinflussen, da Maßnahmen strategischer Unternehmenskommunikation nicht immer nur im intendierten Sinne verstanden werden. So wird eine absatzorientierte Mediawerbung, die mit allzu provokanten Motiven die Aufmerksamkeit der Nachfrager in der Marktöffentlichkeit zu wecken versucht, oft auch zu Diskussionen in der Öffentlichkeit führen. Dies kann wiederum dazu führen, dass der Schaden einer solchen Anzeige größer als der Nutzen ist. Umgekehrt gibt es Maßnahmen, mit denen wie im Kultursponsoring absatz- und legitimationsrelevante Ziele gleichermaßen erreicht werden können. 4.3.2 Investor Relations Im Mittelpunkt der Investor Relations stehen die tauschvertraglichen Beziehungen zu den Kapitalmarktteilnehmern: Investoren sollen Unternehmensanteile kaufen. Im Vergleich zum Absatzmarketing spielt die Bindung zu den Anlegern hier eine noch größere Rolle: Investoren sollen die Anteile - z. B. an der Börse gehandelte Aktien - auch langfristig halten. Obwohl bereits hier Parallelen der Investor Relations zur externen Kommunikation des Absatzmarketings deutlich werden, ist die Investor Relations im engeren Sinne sowohl der internen wie der externen Unternehmenskommunikation zuzuordnen: Anteilseigner sind Mitglieder der Organisation, so dass die Kommunikationsbeziehungen mit ihnen zur internen Kommunikation zu zählen sind (Zerfaß 2004: 290ff), während die Beziehungen zu möglichen neuen Anteilseignern der externen Kommunikation zuzuordnen sind. Investor Relations können allgemein verstanden werden als die Beziehungen zwischen einem Unternehmen und (potenziellen) Kapitalmarktteilnehmern (Marston 1996), konkreter und analog zum Absatzmarketing kann die <?page no="124"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 125 Funktion der Investor Relations definiert werden: Investor Relations gestalten die tauschvertraglichen Beziehungen zu Kapitalgebern, so dass die Ziele beider Marktparteien bestmöglich erfüllt werden. In der Regel wird Investor Relations am Beispiel von börsennotierten Unternehmen erläutert, für die diese Aufgabe gesetzlich vorgeschrieben ist. Letztlich steht aber jedes nicht inhabergeführte Unternehmen vor der Aufgabe, die Beziehungen zu den Eigentümern zu gestalten. Investor Relations gestalten die Beziehungen zu Kapitalgebern mittels Reden und Handeln bzw. externer Kontextsteuerungen und unternehmerischer Selbststeuerungen, die wie folgt skizziert werden können. Im Rahmen des Redens informieren Investor Relations (potenzielle) Anleger über relevante Entwicklungen im Unternehmen und versuchen so, ein positives Unternehmensimage in der Kapitalmarkt-Öffentlicheit bzw. bei den Kapitalmarktteilnehmern aufzubauen und zu erhalten (Janik 2002: 101). Damit zielt die strategische Kommunikation der Investor Relations auch hier auf die Kaufbereitschaft potenzieller Anleger bzw. auf die Bereitschaft, die Aktien nicht zu verkaufen. Das Handeln bzw. unternehmerische Selbststeuerungen können sich im Rahmen der Investor Relations auf das gesamte Unternehmen beziehen. Im engeren Sinne zählen hierzu Fragen der Gewinnausschüttung wie die Zahlung einer Dividende, die zugleich eine externe Kontextsteuerung ist, da sie durch einen finanziellen Anreiz künftige Anlageentscheidungen zu beeinflussen versucht. Im weiteren Sinne sind hierzu alle unternehmerischen Entscheidungen zu zählen, die die künftige Geschäftsentwicklung und damit Gewinnerwartungen beeinflussen: Dies beginnt bei Massenentlassungen zur Reduzierung der Kosten, setzt sich fort bei der Erhöhung von Forschungsinvestitionen, um mittelfristig Marktanteile und damit Gewinne erhöhen zu können, und endet noch nicht beim Kauf oder Verkauf von Geschäftssparten. Hier wird deutlich, dass sich Anlageentscheidungen auf das gesamte Unternehmen beziehen. Damit wird die enorme Komplexität von Anlageentscheidungen deutlich, die sich z. B. von Kaufentscheidungen bei Konsumgütern unterscheidet. Dies ist ein prägender Aspekt der Investor Relations. Bei den primären Bezugsgruppen der Investor Relations kann im Wesentlichen zwischen zwei Gruppen unterschieden werden: den privaten und den institutionellen Anlegern. Institutionelle Investoren wie z. B. Investmentfonds und Versicherungen sind in der Regel Großanleger. Es ist zahlenmäßig eine eher kleine Gruppe, die sehr detaillierte Informationen über das Umfeld, die Besonderheiten des Unternehmens und künftige Pläne erwartet. Im Gegensatz dazu stellen private Investoren eine heterogene und zahlenmäßig große Gruppe dar, die über ein geringes Anlagekapital pro Entscheider verfügt. Zudem sind sie loyaler, halten Aktien also auch eher in <?page no="125"?> 126 4 Organisationskontext schwierigen Situationen. Als sekundäre Bezugsgruppe kommen Multiplikatoren hinzu. Neben Journalisten zählen dazu z. B. Wertpapieranalysten, deren Bewertungen die Entscheidungen der Anleger beeinflussen (Kirchhoff/ Piwinger 2014: 1086f). Die strategische Kommunikation der Investor Relations prägen verschiedene Besonderheiten. Eine erste Besonderheit ist die Informationsasymmetrie zwischen Mitarbeitern des Unternehmens und (potenziellen) Anlegern. So haben in Unternehmensentscheidungen involvierte Mitarbeiter zur genauen Situation des Unternehmens und zu geplanten Projekten einen Informationsvorsprung gegenüber externen Anlegern. Mitarbeiter könnten also vor Bekanntgabe z. B. einer neuen Innovation Aktien kaufen und damit Kursgewinne realisieren. Um allen internen und externen Anlegern zumindest annähernd eine Chancengleichheit zu verschaffen, existieren in der Investor Relations zahlreiche rechtliche Vorschriften, wann ein Unternehmen zu welchen Ereignissen die Öffentlichkeit informieren muss. Diese Vorschriften zum Anlegerschutz sind in verschiedenen Gesetzen wie dem Aktiengesetz, dem Börsengesetz oder dem Handelsgesetzbuch geregelt. Diese Regulierungsdichte unterscheidet die Investor Relations deutlich von anderen Disziplinen strategischer Unternehmenskommunikation (Kirchhoff/ Piwinger 2014: 1082). Solche unternehmensinternen Entwicklungen beeinflussen künftige Gewinnerwartungen und damit auch Anlageentscheidungen. Zudem hängt die künftige Entwicklung eines Unternehmens aber auch von externen Entwicklungen wie den Entscheidungen konkurrierender Unternehmen, der allgemeinen Konjunktur oder ggf. auch politischen Aspekten ab. Kurzum: Viele Informationen liegen zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung nicht vor. Und selbst wenn sie vorlägen, müssten sie interpretiert, bewertet und zu einer Empfehlung verdichtet werden. Daraus folgt ein enormer Zwang zur Reduktion von Komplexität. Dabei werden reflexive und emotionale Aspekte zunehmend wichtiger. Zu den emotionalen Aspekten, die Komplexität reduzieren sollen, zählt die so genannte Equity Story, die die Einzigartigkeit und die Qualität des Unternehmens pointiert erzählen soll (Salzer 2004: 109). Es geht also um die Frage, was ein Unternehmen z. B. erreichen und wie es wachsen will. Eine ähnlich komplexitätsreduzierende Funktion übernehmen Vorstandsvorsitzende. Da die Gesamtheit der internen und externen Faktoren nicht mehr in Ansätzen wahrnehmbar ist, wird die Person der Vorstandsvorsitzenden im Rahmen der so genannten CEO-Kommunikation zunehmend wichtiger. Durch die Personalisierung entsteht ein auf wenige Merkmale reduziertes Profil, das ein Unternehmen in ein bestimmtes Verhältnis zum CEO und den Beobachtern der Öffentlichkeit setzt (Szyszka 2010: 102). Das Kalkül: Die der Vor- <?page no="126"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 127 standsvorsitzenden zugeschriebenen Eigenschaften wie Mut, Entschlossenheit und Visionskraft sollen die Wahrnehmung und Bewertung des Unternehmens beeinflussen. Der besondere reflexive Charakter von Anlageentscheidungen zeigt sich darin, dass Anleger umso eher eine Aktie kaufen, je mehr sie unterstellen, dass auch andere Anleger diese Aktie kaufen werden, da damit der Wert der Aktie steigen wird. Diese Erwartungserwartungen sind ein besonderes Merkmal der Investor Relations. Aus diesem Grund hat auch die Pressearbeit im Bereich der Investor Relations eine so große Bedeutung (Davis 2006; Reichert 2012), in der die gleichen reflexiven Mechanismen wie in der Medienberichterstattung zu beobachten sind. Die Pressearbeit dürfte in diesem Bereich weiter an Bedeutung gewonnen haben, da in Deutschland seit den 1990er Jahren die journalistische Beobachtung von Unternehmen als Anlageobjekt enorm zugenommen hat. So sind der journalistische Beobachtungsdruck und damit zugleich die Chance zur Selbstdarstellung enorm angestiegen. Welche Berührungspunkte gibt es zwischen Investor Relations und der PR im Sinne der Legitimation? Die Beziehungen der PR zu den Investor Relations sind ähnlich von Gegensätzen geprägt wie die zum Absatzmarketing. Stellvertretend dafür steht das Konzept des PR-orientierten Stakeholder Managements, das der Fixierung auf die Shareholder eines Unternehmens eine Berücksichtigung auch von gesellschaftlichen Bezugsgruppen wie Anwohnern und der Politik entgegensetzt (Kap. 3.1.1). Konkret zeigen sich die Gegensätze zwischen den Investor Relations und der PR z. B. bei kostensenkenden Maßnahmen wie Massenentlassungen, die bei Anlegern Hoffnung auf künftig höhere Gewinne und Rendite wecken können, während sie zugleich die Legitimation eines Unternehmens gefährden. Als mittelbarer wird häufig die umgekehrte Wirkungsrichtung beschrieben: Die fehlende Legitimation eines Unternehmens kann zunächst Kunden abschrecken und Mitarbeiter demotivieren und damit mittelfristig zu Gewinnrückgängen und infolgedessen zur Abkehr von Investoren führen. Diese Gegensätze führen dazu, dass Investor Relations und PR nur in etwa jedem siebten Unternehmen in einer gemeinsamen Abteilung zu finden sind (Hoffmann/ Tietz 2018; Laskin 2014; Marston/ Claire 2001: 87). In der Regel sind sie als eigene Abteilung dem Finanzvorstand oder direkt dem Vorstandsvorsitzenden zugeordnet. 4.3.3 Externes Personalmarketing Eine Disziplin, die in vielen Unternehmen in den vergangenen Jahren zunehmend wichtiger geworden ist, ist das Personalmarketing. Durch den demographischen Wandel kommt es auch hier immer mehr zu Marktveränderungen zu Ungunsten von Unternehmen, die im Personalmarketing in der <?page no="127"?> 128 4 Organisationskontext Rolle des Nachfragers und nicht des Anbieters sind. In dem „war for talents“ (Chambers et al. 1998) konkurrieren Unternehmen untereinander und mit Non-Profit-Organisationen um qualifizierte Beschäftigte. Personalmarketing zielt in einem weiten Verständnis sowohl nach außen als auch nach innen. Extern zielt das Personalmarketing darauf, qualifizierte Beschäftigte zu gewinnen, intern sollen sie langfristig an das Unternehmen gebunden werden (Kirchgeorg/ Müller 2013: 74). Engere Definitionen beschränken sich auf das externe Personalmarketing, das auch hier im Mittelpunkt stehen soll, ohne dass der Zusammenhang zum internen geleugnet werden soll. Die Funktion des externen Personalmarketings kann dann wie folgt bestimmt werden: Das externe Personalmarketing gestaltet tauschvertragliche Beziehungen zu potenziellen Mitarbeitern, so dass die Ziele beider Marktparteien bestmöglich erfüllt werden. Das Handeln bzw. die unternehmerischen Selbststeuerungen beziehen sich hier z. B. auf das Gehalt, die spezifischen Tätigkeiten, den Arbeitsort oder die Arbeitszeit (Kirchgeorg/ Müller 2013: 85ff). Mit dem Reden bzw. den externen Kontextsteuerungen positionieren sich Unternehmen allgemein als attraktiver Arbeitgeber und weisen konkret auf offene Stellen hin. Mit dem Begriff des so genannten Employer Branding werden gemeinhin die Marke bzw. Kommunikationsaktivitäten des externen Personalmarketings bezeichnet, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und sich ausdifferenziert haben. Ziel ist es dabei, das Image des Unternehmens als attraktiven Arbeitgeber zu stärken. Die einschlägigen Studien zu Arbeitgeberimages bestärken allerdings den Eindruck, dass das allgemeine Unternehmensimage die Arbeitgebermarke nicht nur beeinflusst (Sponheuer 2010: 133ff), sondern im Falle von großen Unternehmen, die im Endkundengeschäft tätig sind, sogar dominiert. Daher erscheinen neben diesen allgemeinen imageprägenden Maßnahmen z. B. mit Instrumenten wie der Mediawerbung insbesondere dialogorientierte Instrumente geeignet zu sein, um das empfundene Risiko bei der Wahl des Arbeitgebers zu senken (Büttgen/ Kissel 2013: 112). 4.3.4 Interne Unternehmenskommunikation Die Verständnisweisen interner Unternehmenskommunikation reichen von sehr weiten bis zu sehr engen Sichtweisen. Die weite Perspektive entspricht dem bereits eingeführten Verständnis der Kommunikation in Organisationen, die jede Kommunikation umfasst, die Personen in ihrer Mitgliedsrolle zugeschrieben wird. Eine zu enge Sichtweise hingegen suggeriert der Begriff der Mitarbeiterinformation, in der es vornehmlich um die reine Information der Mitarbeiter z. B. zu aktuellen unternehmerischen Entwicklungen gehe. Wenn man interne Unternehmenskommunikation aber als Mana- <?page no="128"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 129 gementfunktion mit einer entsprechenden Unternehmensstelle versteht (Buchholz/ Knorre 2012: 4), dann ist ein plausibles Verständnis interner Unternehmenskommunikation zwischen der sehr weiten und der engen Sichtweise zu finden. Unternehmen sind ähnlich wie die Gesamtgesellschaft ausdifferenziert und verändern sich laufend weiter: Es gibt unterschiedliche Abteilungen mit unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, Zielen und Abteilungskulturen, über die viele Mitarbeiter in anderen Abteilungen wenig wissen und für die sie mitunter auch wenig Verständnis aufbringen. Eine solche Arbeitsteilung beinhaltet neben vielen Vorteilen auch den Nachteil des ‚Abteilungsdenkens‘, das dazu führen kann, dass Abteilungen bewusst oder unbewusst gegeneinander arbeiten und so der Erreichung der vereinbarten Organisationsziele schaden. Damit hängt der Charakter der bereits erläuterten Unternehmenskultur zusammen, die wie von selbst entsteht (Luhmann 2000: 243). Ebenso gibt es in Unternehmen einen informellen ‚Flurfunk‘ zu neuen unternehmerischen Ereignissen und Gerüchten. Abteilungskulturen entstehen und verändern sich, Gerüchte tauchen auf und verbreiten sich - ob eine Unternehmensleitung dies will oder nicht. Hier setzt die Funktion strategischer interner Unternehmenskommunikation als Managementfunktion an. Strategische interne Unternehmenskommunikation übernimmt in Unternehmen eine Orientierungsfunktion für alle Mitarbeiter. Eine solche Orientierung kann Unsicherheiten der Mitarbeiter reduzieren und Verständnis für Zusammenhänge schaffen. Im Rahmen dieser Orientierungsfunktion übernimmt interne Unternehmenskommunikation im Wesentlichen zwei Leistungen: zum einen als (a) Gestalter der Unternehmenskultur, zum anderen im Rahmen der (b) Mitarbeiterinformation. Mit diesen beiden Leistungen können umfänglichere Beschreibungen in der Literatur im Wesentlichen zusammengefasst werden, wo interne Unternehmenskommunikation beschrieben wird als ein „wahres ‚Super-Instrument‘: Sie soll die Motivation von Mitarbeitern beeinflussen, deren Identifikation fördern und dadurch zur individuellen Leistungssteigerung beitragen. Sie begünstigt die Meinungsbildung von Organisationsangehörigen und ermöglicht diesen, als imageprägende Faktoren im Umfeld ihrer Organisation tätig zu sein. Des Weiteren soll sie einen nach pluralistischen Prinzipien organisierten Interessenumschlag innerhalb von Organisationen fördern und insofern ein ‚Stück‘ praktizierter Demokratie sein.“ (Armbrecht 1993: 240) Interne Unternehmenskommunikation kann damit als Teil des internen Personalmarketings verstanden werden. Die primäre Bezugsgruppe interner Unternehmenskommunikation sind damit alle Mitarbeiter. Hier kann weiter unterschieden werden nach Führungsfunktionen, Standorten, Geschäftsbereichen oder Fachabteilungen. <?page no="129"?> 130 4 Organisationskontext Als sekundäre Bezugsgruppe können hier u. a. die Angehörigen von Mitarbeitern angesehen werden, die auf die Mitarbeiter mit ihren Meinungen zurückwirken. Die (a) Gestaltung der Unternehmenskultur setzt voraus, dass insbesondere die unbewussten und für selbstverständlich gehaltenen Überzeugungen der dritten Ebene (Schein 2003: 31; Kap. 4.1) im Rahmen der Analyse-Phase sichtbar gemacht werden. Auf dieser Basis kann in einer zweiten Phase versucht werden, die zentralen Werte, die die Identität des Unternehmens prägen, zu bestimmen und ggf. andere Werte zu fördern. Hier zeigt sich das besondere Dilemma der Veränderung einer Unternehmenskultur: Einerseits werden ihre Möglichkeiten als recht gering eingeschätzt, gerade weil sie in größeren Teilen unsichtbar und unbewusst ist. Andererseits beeinflusst die jeweilige Unternehmenskultur in hohem Maße den Erfolg eines Unternehmens, so dass sie zumindest den Versuch unternehmen zu lernen und sich zu verändern: Das kann bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau beginnen, sich bei der Förderung einer kollegialen und partizipativen Unternehmenskultur fortsetzen und endet noch nicht damit, offenkundige Probleme nicht mehr ohnmächtig hinzunehmen, sondern zu melden und ggf. auch Verbesserungsvorschläge einzubringen. Veränderungsprozesse sind folglich eher als kleinere Schritte denn als Revolution zu verstehen. Hier beginnt mit der Implementierung die dritte Phase im Rahmen der Gestaltung der Unternehmenskultur. Interne Unternehmenskommunikation übernimmt hier einerseits die Rolle des internen Beraters: Sie berät die Unternehmensleitung und andere Abteilungen, welche Änderungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Unternehmenskultur vorzunehmen sind. So könnte eine Innovationskultur z. B. mit Gratifikationsprogrammen gefördert werden. Andererseits wird die interne Unternehmenskommunikation die Werte kommunizieren. Dies reicht vom Unternehmenstheater über klassische Instrumente interner Unternehmenskommunikation wie Mitarbeiterzeitschriften bis hin zum Unternehmens-TV oder dem Intranet. Hier finden sich auch die Schnittmengen zur (b) Mitarbeiterinformation. Die klassische Mitarbeiterinformation aktualisiert und verändert mit ihren Medien die Werte und die Kultur des Unternehmens. Damit hängt untrennbar die zentrale Leistung der Mitarbeiterinformation zusammen: Die interne Unternehmenskommunikation berichtet als ‚Journalismus eines Unternehmens‘ über relevante Ereignisse im Unternehmen (Hoffjann 2007: 91). Im Gegensatz zum unabhängigen Journalismus wird die Mitarbeiterinformation z. B. in Mitarbeiterzeitschriften eher positiv und eher lösungsorientiert berichten - genau das macht ihren strategischen Charakter aus. Dennoch helfen die Medien interner Unternehmenskommunikation Mitarbeitern bei der Orientierung im Unternehmen. Neben der (impliziten) Thematisierung <?page no="130"?> 4.3 Strategische Organisationskommunikation und ihre Felder 131 von Werten bezieht sich die Mitarbeiterinformation auch auf aufgabenbezogene Themen, wenn sie über interne Prozesse, Verfahren, Ziele und Organisationsstrukturen berichtet (Mast 2020: 294). Es ist zwar offenkundig, dass der Orientierungsbedarf tendenziell mit der Größe eines Unternehmens zunimmt. Gleichwohl gibt es weitere Faktoren, die diesen beeinflussen. So führen Veränderungssituationen wie Übernahmen oder wirtschaftliche Probleme in jedem Unternehmen zu einer erhöhten Unsicherheit, während sich umgekehrt Verkäufer in der Filiale eines Handelskonzernes weniger für Konzernaktivitäten in anderen Ländern interessieren könnten. Einige Berührungspunkte zwischen der internen Unternehmenskommunikation und der PR sind bereits im Rahmen der Unternehmenskultur erläutert worden (Kap. 4.1). Hinzu kommt, dass die Legitimation eines Unternehmens in hohem Maße davon abhängig ist, inwieweit sich Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen identifizieren. Wenn sich Mitarbeiter in ihrer Freizeit kritisch bzw. abällig über ihr Unternehmen äußern, wird diese Aussage von Freunden und Bekannten oftmals als vertrauenswürdiger bewertet als die offiziellen Verlautbarungen strategischer Kommunikation. Zum Weiterlesen Überblick zum Zusammenhang von Organisationstheorie und Organisationskommunikation aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven: • Theis-Berglmair, Anna Maria (2003): Organisationskommunikation. Theoretische Grundlagen und empirische Forschungen (2. Aufl.). Münster. Darstellungen zur strategischen Unternehmenskommunikation und ihren Feldern: • Becker, Thomas (1998): Die Sprache des Geldes. Grundlagen strategischer Unternehmenskommunikation. Opladen/ Wiesbaden. • Buchholz, Ulrike / Knorre, Susanne (2012): Interne Unternehmenskommunikation in resilienten Organisationen. Heidelberg. • Cornelissen, Joep (2008): Corporate communication. A guide to theory and practice (2. Aufl.). London. • Piwinger, Manfred / Hoffmann, Christian Pieter (2020): Kommunikation mit Kapitalgebern: Grundlagen von Finanzkommunikation und Investor Relations. In: Zerfaß, Ansgar / Piwinger, Manfred / Röttger, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie, Management, Wertschöpfung (3. Aufl.). Wiesbaden (i.E.). • Zerfaß, Ansgar (2004): Unternehmensführung und Öffentlichkeitsarbeit: Grundlegung einer Theorie der Unternehmenskommunikation und Public Relations (2. Aufl.). Wiesbaden. <?page no="131"?> 132 4 Organisationskontext 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation Mit der Entstehung mehrerer Disziplinen strategischer Unternehmenskommunikation ist untrennbar das Problem verbunden, dass sich Widersprüche zwischen ihnen nicht vermeiden lassen. Wenn die Investor Relations die Entlassung von Mitarbeitern als Maßnahme zur Effizienzsteigerung rühmt, wird dies zugleich die Bemühungen des Personalmarketings konterkarieren, qualifizierte Mitarbeiterinnen nicht zuletzt mit dem Versprechen der Arbeitsplatzsicherheit zu gewinnen. Hier zeigt sich das Basisproblem jeder organisatorischen Gestaltung: Auf der einen Seite sind mit der Arbeitsteilung bzw. der organisatorischen Ausdifferenzierung große Vorteile wie die Entstehung von Spezialisten-Rollen verbunden. Auf der anderen Seite ist es im Rahmen der Arbeitsvereinigung bzw. organisatorischen Integration unerlässlich, die auseinanderdriftenden Teile mit ihren eigenen Rationalitäten, Zielen und Logiken wieder zu vereinen (Steinmann/ Schreyögg 2005: 443). Dieser Gegensatz ist in jeder Organisation strukturell angelegt. Dieses Problem strategischer Unternehmenskommunikation ist früh erkannt worden. Denn mit den Konflikten innerhalb einer Organisation sind Risiken verbunden: Eine Mitarbeiterin wird eben nicht nur mit den Unternehmensbotschaften konfrontiert, die für sie als Mitarbeiterin wichtig sind, sondern auch mit den - von ihr vielleicht als zynisch empfundenen - Veröffentlichungen der Investor Relations. Oder sie liest die - aus ihrer Perspektive nicht angemessenen - Versprechen zur Arbeitsplatzsicherheit, mit denen das Personalmarketing neue Mitarbeiterinnen wirbt. Die Beispiele zeigen zweierlei: Die internen Gegensätze setzen sich in den Veröffentlichungen strategischer Kommunikation fort - und können damit bei den Bezugsgruppen zu Irritationen führen. Zudem mag strategische Unternehmenskommunikation geneigt sein, Widersprüche zu glätten und zu beschönigen, schwächt damit aber ebenfalls die Vertrauenswürdigkeit ihrer Beschreibungen. In Wissenschaft und Praxis sind verschiedene Konzepte entstanden, die primär in einer anwendungsorientierten Perspektive Wege aufzuzeigen versuchen, wie Organisationen mit diesen Gegensätzen umgehen können. Im Folgenden sollen die Konzepte der Corporate Identity, der Marke und der Integrierten Unternehmenskommunikation erläutert werden. Sie sind ausgewählt worden, weil sie - neben vielen Gemeinsamkeiten - jeweils einen spezifischen Zugang anbieten, das Integrationsproblem zu lösen. In einem erweiterten Verständnis könnten auch Managementkonzepte wie das Stakeholder Management als Integrationskonzepte verstanden werden, da <?page no="132"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 133 auch sie sich mit der Frage beschäftigen, wie die unterschiedlichen Ansprüche der Stakeholder zu integrieren sind (Kap. 3.1.1). Die Konzepte der Corporate Identity, der Marke und der Integrierten Unternehmenskommunikation setzen mit ihren Integrationsüberlegungen z. T. auf unterschiedlichen Ebenen an. Es kann hier insbesondere zwischen den folgenden Ebenen unterschieden werden: Integration auf der Kampagnen-Ebene: Bei einer Produkteinführungskampagne z. B. zu einem neuen GOLF -Modell wird man vorab die zu veröffentlichenden Kern-Argumente und -Vorteile des Modells definieren und Bildmaterial produzieren, die dann in allen Instrumenten verwendet werden - von der TV-Werbung bis hin zu Direct-Marketing-Maßnahmen. Dies dürfte am leichtesten zu realisieren sein. Integration auf der Ebene eines Kommunikationsinstrumentes: Insbesondere in kleineren und mittleren Unternehmen verantwortet z. B. eine Pressesprecherin alle Pressearbeitsaktivitäten aller Kommunikationsdisziplinen - z. B. die Pressemitteilungen zu neuen Produkten ebenso wie zum Geschäftsergebnis, zu offenen Ausbildungsstellen und zu Nachbarschaftsaktivitäten. Eine Integration auf der Ebene eines Kommunikationsinstrumentes kann den Versuch beinhalten, inhaltliche Widersprüche zwischen den Pressearbeitsaktivitäten zumindest zu minimieren. Integration einer strategischen Kommunikationsdisziplin: Hier ist es das Ziel, alle Aktivitäten im Rahmen z. B. der Absatzkommunikation oder PR zu integrieren und Widersprüche zu minimieren. Was in kleineren Unternehmen noch einfach zu realisieren zu sein scheint, ist bei großen Konzernen wie VW bereits deutlich schwieriger zu leisten. Integration auf der Ebene eines Unternehmensteils: Insbesondere in großen Konzernen mit mehreren Geschäftsbereichen und unterschiedlichen Produkten wird der Integrationsbedarf vielfach nur noch auf Ebene eines Unternehmensteils verortet - also auf der Ebene eines Geschäftsbereichs oder einer Produktgruppe. Integration strategischer Unternehmenskommunikation: Die Minimierung von Widersprüchen sämtlicher strategischer Kommunikationsaktivitäten dürfte die am schwierigsten zu realisierende Ebene sein. Eine Integration im Sinne einer völligen Vermeidung von Widersprüchen erscheint nicht möglich. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den im Folgenden erläuterten Konzepten besteht in der Begründung, warum die Integration strategischer Unternehmenskommunikation wichtiger wird (Bruhn 2018: 23ff). Auf der Angebotsseite führen die wachsende Zahl konkurrierender Organisationen sowie eine zunehmende Homogenisierung von Produkten und Marken zu einem Kommunikationswettbewerb. Sowohl Unternehmen als auch viele <?page no="133"?> 134 4 Organisationskontext Non-Profit-Organisationen versuchen mit steigenden Investitionen in Maßnahmen strategischer Kommunikation, sich gegenüber Wettbewerbern zu behaupten. Hinzu kommen eine Zunahme und damit Zersplitterung des Medienangebotes: Die Zahl an Print-, Rundfunk- und Online-Angeboten ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen und hat damit dazu beigetragen, dass sich die Rezipienten auf immer mehr Medien verteilen. Diesem steigenden Angebot steht auf der Nachfrageseite ein gleichbleibendes Maß an Aufmerksamkeit gegenüber. Die Folge: Rezipienten werden mit zunehmend mehr Medien- und Werbeangeboten konfrontiert. Das führt zu einer Überlastung. Es wird folglich zunehmend schwieriger, zunächst die Aufmerksamkeit zu gewinnen, um nachfolgende Ziele wie die Bekanntheitssteigerung oder Einstellungsänderungen zu realisieren. In einer solchen Situation erscheint es zunehmend wichtiger, Widersprüche zu vermeiden und so z. B. die Wiedererkennbarkeit zu erhöhen. Im Folgenden sollen zentrale Annahmen des Corporate Identity- (Kap. 4.4.1), des Marken- (Kap. 4.4.2) und des Integrierten Unternehmenskommunikations-Ansatzes (Kap. 4.4.3) vorgestellt werden, die ihrerseits wieder aus verschieden Zugangsweisen und Schulen bestehen. Einerseits verstehen sich alle Ansätze als konkrete Methoden bzw. präskriptive Konzepte des (Kommunikations-)Managements. Diese anwendungsorientierte Perspektive hat insbesondere zu ihrer Prominenz und großen Verbreitung beigetragen. Andererseits gibt es zu ihnen eine wachsende Zahl deskriptiver Analysen, in denen auf einer breiteren soziologischen Basis z. B. die Funktionen einer Marke und einer Unternehmensidentität sowie die Unmöglichkeit integrierter Kommunikation herausgearbeitet werden (z. B. Raffée/ Wiedmann 1993: 46-50; Hellmann 2003; Schoeneborn/ Wehmeier 2014; Christensen et al. 2008). Pointiert formuliert verbindet das CI- und das Markenkonzept, dass die Identität eines Kommunikationsobjektes und seine Vermittlung im Mittelpunkt stehen. Während sich das CI-Konzept stets auf die Unternehmenspersönlichkeit als Ganzes bezieht, kann das Markenkonzept auf nahezu alle oben genannten Ebenen bezogen werden. Da sich das Konzept der Integrierten Unternehmenskommunikation insbesondere in der von Bruhn geprägten Interpretation auf die Koordinierung der Kommunikationsmaßnahmen fokussiert, kann die Integrierte Kommunikation sowohl in den CIals auch den Marken-Ansatz integriert werden. 4.4.1 Corporate Identity Das Konzept der Corporate Identity ist in den 70er Jahren entstanden und ist bis heute auch außerhalb des PRbzw. Marketingbereichs erstaunlich populär. Dies dürfte vor allem auf die intuitiven Grundannahmen des Konzeptes <?page no="134"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 135 zurückzuühren sein, von denen die meisten am Beispiel einer Person einfach und nachvollziehbar erklärt werden können: Eine Person möchte von anderen so gesehen werden, wie sie selbst sein möchte. Um dies zu erreichen, versucht sie, durch Worte, Taten und ihre Erscheinung ein stimmiges Bild zu vermitteln. Die deutschsprachige Diskussion prägt bis heute insbesondere der erstmals 1980 publizierte Ansatz von Birkigt/ Stadler (2002), der insbesondere von Wiedmann (2008, 2016; Raffée/ Wiedmann 1993) weiterentwickelt und vertieft wurde. International gibt es eine Vielzahl ähnlicher CI-Ansätze (dazu Balmer 2001). Corporate Identity wird hier als Konzept der Identitätsvermittlung verstanden. „In der wirtschaftlichen Praxis ist demnach Corporate Identity die strategisch geplante und operativ eingesetzte Selbstdarstellung und Verhaltensweise eines Unternehmens nach innen und außen auf Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie, einer langfristigen Unternehmenszielsetzung und eines definierten (Soll-)Images - mit dem Willen, alle Handlungsinstrumente des Unternehmens in einheitlichem Rahmen nach innen und außen zur Darstellung zu bringen.“ (Birkigt/ Stadler 2002: 18; eigene Hervorhebung) Während mit der Corporate Identity mithin die strategisch geplante Vermittlung einer Unternehmenspersönlichkeit verstanden wird, wird mit dem Corporate Image die Wirkungsdimension bezeichnet: Ziel ist es, gegenüber internen und externen Öffentlichkeiten ein Corporate Image aufzubauen, das Identifikations- und Unterstützungspotenziale schaffen soll. Corporate Identity als strategisches Konzept darf nicht mit der deskriptiven Unternehmensidentität verwechselt werden, die jede Organisation hat und als ‚Persönlichkeit eines Unternehmens‘ bzw. als das ‚Besondere‘ einer Organisation im Vergleich zu anderen verstanden werden kann (Raffée/ Wiedmann 1993: 46, 51). Die Unternehmenspersönlichkeit wird durch den so genannten CI-Mix vermittelt. Zum CI-Mix zählen mit den (a) Corporate Communications (CC) alle aufeinander abgestimmten Kommunikationsinstrumente wie Absatzkommunikation und PR. Darin ist auch begründet, warum das CI-Konzept als Grundlage Integrierter Kommunikation verstanden werden kann (Wiedmann 2008). Das (b) Corporate Design (CD) als symbolische Identitätsvermittlung umfasst alle abgestimmten visuellen Elemente der Unternehmenserscheinung - von Zeichen, Farben, Schrifttypen bis hin zum Architektur-Design. <?page no="135"?> 136 4 Organisationskontext Unter dem (c) Corporate Behavior (CB) wird schließlich die schlüssige und damit widerspruchsfreie Ausrichtung aller Verhaltensweisen der Unternehmensmitglieder verstanden - vom Top-Management bis hin zum Pförtner. Die Berücksichtigung unternehmerischer Taten führt dazu, dass die Möglichkeiten des Identitätswandels als beschränkt eingeschätzt werden (Raffée/ Wiedmann 1993: 51, 53). Abb. 4.9: CI als Konzept der Identitätsvermittlung (Raffée/ Wiedmann 1993: 52) In einer positiven Lesart verfolgt das CI-Konzept einen moralischen Anspruch: Da es um die Stimmigkeit von - vereinfacht ausgedrückt - Worten, Taten und Erscheinung geht, will der Ansatz die Trennung von Schein und Sein überwinden. Darin begründet ist auch die Relevanz der Mitarbeiter als Zielgruppe der Identitätsvermittlung: Corporate Behavior setzt ein entsprechendes Verhalten aller Mitarbeiter voraus, so dass am Ende die ‚Unternehmensrealität‘ und das ‚Unternehmensimage‘ deckungsgleich sind (Raffée/ Wiedmann 1993: 51). Hier wird deutlich, dass Organisationen als homogene Entitäten verstanden werden. Für die Anwendbarkeit des CI-Ansatzes hat dies konkret zur Folge, dass der Ansatz - im Gegensatz zu den Konzepten der Marke und der Integrierten Kommunikation - nur für Organisationen als Ganzes anwendbar ist (Bruhn 2014: 96). Es geht also um die eine Identität, die intern wie extern vermittelt und gelebt werden soll - gegenüber Mit- <?page no="136"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 137 arbeitern, Kunden ebenso wie gegenüber Investoren und Nachbarn. Einerseits zeigt sich z. B. bei großen Unternehmen, die Produkte für ganz unterschiedliche Zielgruppen herstellen, dass das CI-Konzept schnell an seine Grenzen stößt. Das Marken-Konzept hat in solchen Fällen deutliche Vorteile. Andererseits wird damit der grundsätzlichen Widersprüchlichkeit aller Organisationen und damit auch strategischer Kommunikation nicht Rechnung getragen. Daher kann das CI-Konzept in einer pessimistischeren Lesart auch als „kommunikationspolitische Schönfärberei“ (Wiedmann 1988: 237) bezeichnet werden. Man versucht, Worte, Erscheinung und sichtbare Taten in Einklang zu bringen, um hinter dieser Fassade weiter zu machen wie bisher. Obwohl das CI-Konzept zu den Klassikern strategischer Kommunikation zu zählen ist, wartet es immer noch auf eine theoretische Fundierung. In aller Regel beschränkt sich die Literatur zu diesem Konzept auf die Wiederholung der zwar intuitiven, aber theoretisch wenig untermauerten Ausführungen von Birkigt/ Stadler (2002). So werden die zentralen Begriffe wie Identität und Persönlichkeit ebenso wenig theoretisch fundiert wie die Unterschiede zwischen Corporate Communications und Corporate Behavior ausgeführt werden. Kritik wird auch an der Umsetzbarkeit des CI-Konzeptes geübt (Bruhn 2014). Die Ausführungen bleiben hier - insbesondere im Unterschied zu den Arbeiten zur Marke und zur Integrierten Kommunikation oft recht abstrakt. Die Komplexität und die fehlenden Konkretisierungen führen - so Bruhn (2014) - dazu, dass in der Praxis zwar vom CI-Konzept gesprochen, aber zumeist nur das Corporate Design umgesetzt werde. 4.4.2 Marke Während sich das CI-Konzept von seinen Anängen bis heute auf Organisationen als Ganzes bezieht, bezogen sich Marken ursprünglich auf einzelne Produkte. Seit mehreren Jahrzehnten werden zunehmend auch Dienstleistungen, Non-Profit-Organisationen und Personen als Marken beschrieben und geplant (Hellmann 2005: 8). Insbesondere bei den Unternehmensmarken - den so genannten Corporate Brands - gibt es zahlreiche Parallelen zum CI-Konzept (Süss et al. 2011: 13). Insgesamt ist das Markenkonzept damit deutlich breiter angelegt als das auf die Gesamtheit von Organisationen fokussierte CI-Konzept. Daraus folgt auch, dass es sehr unterschiedliche Definitionen zur Marke gibt. In der Marketingliteratur dominiert zumeist ein managementorientiertes Verständnis, das die Abgrenzung zu anderen Angeboten betont. Kotler/ Bliemel (2001: 736) definieren Marke wie folgt: „Ein Name, Begriff, ein Zeichen, Symbol, eine Gestaltungsform oder eine Kombi- <?page no="137"?> 138 4 Organisationskontext nation aus diesen Bestandteilen zum Zwecke der Kennzeichnung der Produkte oder Dienstleistungen eines Anbieters oder einer Anbietergruppe und der Differenzierung gegenüber Konkurrenzangeboten“. In einer soziologischen Perspektive hingegen steht der Verbraucher im Mittelpunkt: Welche Funktionen haben Marken ür ihn in einer modernen Gesellschaft? Die „Vielfalt an Konsumgütern und Dienstleistungen stellt sich ür den einzelnen Verbraucher in ihrer Gesamtheit sicherlich als völlig undurchschaubar dar. Setzt man sich dieser Komplexität einfach so aus, wird man davon schlichtweg erschlagen, die anschwellende Informationsflut ist in kurzer Zeit kaum mehr zu bewältigen, und man ruft händeringend nach einem Rettungsring. Genau als ein solcher Rettungsring fungiert in der freien Marktwirtschaft aber der Markenartikel.“ (Hellmann 1997: 48) Im Kern ist die Funktion des Markenartikels damit, Komplexität zu reduzieren, indem er z. B. beim Kauf als Entscheidungshilfe zur Orientierung beiträgt. In der (a) Sachdimension geben Marken ein Qualitätsversprechen und damit Anhaltspunkte, worin sich z. B. ein Produkt von einem anderen unterscheidet. In der (b) Zeitdimension geben Marken ein Konstanzversprechen, demnach die Qualität der Marke auch beim erneuten Kauf dieselbe ist. Marken treten hier als stabile Entscheidungsprämissen auf und repräsentieren Kontinuität. Und in der (c) Sozialdimension geben Marken ein Inklusionsversprechen: Sie leisten wechselseitige Erkennbarkeit und erleichtern die Zurechnung von Eigenschaften, Zugehörigkeiten und Identitäten. Die jeweils genutzten Marken informieren uns darüber, um wen es sich bei einer Person jeweils handelt, über deren Gewohnheiten und Vorlieben (Hellmann 1997: 49ff). Daraus lassen sich im Wesentlichen die weiteren Funktionen ableiten, die Marken in den Wirtschaftswissenschaften auf Seiten der Hersteller, des Handels und der Konsumenten zugewiesen werden (Abb. 4.10). Hersteller Handel Konsument • Rendite • Kommunikation • Awareness • Profilierung gegenüber der Konkurrenz • Image • Vorverkauf • Risikominderung • Rendite • verminderte Beanspruchung eigener Marketinginstrumente • Orientierung • Information • Identifikation • Vertrauen • Entlastung • Qualitätssicherung <?page no="138"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 139 • Absatzförderung • Unterstützung im Hinblick auf weitere absatzwirtschaftliche Aktivitäten • Stabilisierung • Innovation • Schutz • Verhandlungsposition für Hersteller-Handels- Beziehung • Kostenersparnis durch schnellen Produktumschlag • Stabilisierung • Minderung des Risikos einer Fehlentscheidung • Individualisierung des Produktangebotes • Prestigefunktion Abb. 4.10: Funktionen von Marken (Baumgarth 2008: 23) Wie ist es zu erklären, dass heute nicht mehr nur Konsumgüter, sondern auch Unternehmen, Non-Profit-Organisationen wie Parteien und Kirchen und selbst Personen als Marken beschrieben und geplant werden? Hellmann (2005: 11) begründet dies mit einer gesellschaftlichen Legitimationskrise: „Was ehedem als unhinterfragtes, selbstevidentes Faktum jeder Kritik enthoben war, sieht sich inzwischen seiner quasi-natürlichen Legitimität beraubt und muss sich kommunikativ für das, was es darstellt und darbietet, öffentlich rechtfertigen.“ Der Begründungs- und Rechtfertigungsbedarf in immer mehr Gesellschaftsbereichen führt zu einer zunehmenden Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung, die wiederum nur kommunikativ und durch Vertrauenswürdigkeit errungen werden können (Hellmann 2005: 10ff). Und genau hier helfen Marken mit ihrem Qualitäts-, Konstanz- und Inklusionsversprechen weiter. Dies gilt für Produktmarken gleichermaßen wie für Organisationsmarken wie S IEMENS oder der CDU. Damit wird deutlich, dass sich das Markenkonzept in Organisationen auf ganz unterschiedliche Ebenen beziehen kann: Es gibt Marken für spezifische Kampagnen ebenso wie für einzelne Produkte, Produktfamilien oder für das gesamte Unternehmen. Auf jeder Ebene reduziert die Marke Komplexität und soll dazu beitragen, dass das jeweilige Kommunikationsobjekt inhaltlich auf Dauer zu unterscheiden ist und soziale Inklusion ermöglicht. Das Markenkonzept kann zur Lösung des Problems der Integration strategischer Unternehmenskommunikation mit zwei sehr unterschiedlichen Strategien eingesetzt werden, die den Fokus entweder auf die Vielfalt oder die Einheit einer Organisation setzen. In der Literatur werden sie als Einzel- und als Dachmarkenstrategie bezeichnet (Esch 2017: 401). Den (a) Fokus auf die Vielfalt einer Organisation legen z. B. Unternehmen wie P ROCTER & G AMBLE oder U NILEVER . Sie haben eine Vielzahl von Marken für spezifische Produktsegmente wie Katzenfutter, Schokoriegel oder Kos- <?page no="139"?> 140 4 Organisationskontext metikartikel. Jede Marke kann damit auf die spezifischen Bedürfnisse der angesprochenen Kundengruppe hin ausgerichtet werden. Dass solch unterschiedliche Produkte im selben Unternehmen vertrieben werden, wird bewusst in den Hintergrund gedrängt - die Unternehmensmarke als Hersteller tritt wenig bis gar nicht in Erscheinung. Zum Vorteil der spezifischen Bezugsgruppenansprache kommt der Vorteil hinzu, dass Misserfolge oder eine Krise - z. B. durch einen Produktfehler - tendenziell geringere Folgen für andere Einzelmarken desselben Konzerns haben. Davon dürfte in Deutschland der Öl-Konzern BP während der von ihm verursachten Ölpest im Golf von Mexiko 2010 profitiert haben, da die Tankstellen von BP in Deutschland unter der Marke A RAL auftreten. Eine Einzelmarkenstrategie versucht das Problem der unvermeidbaren Widersprüche in einer Organisation folglich zu mindern, indem es viele Identitäten kreiert und damit von zwangsläufigen Widersprüchen abzulenken versucht. Je unbekannter es ist, dass z. B. widersprüchliche Produkte in einem Unternehmen hergestellt werden, desto besser. Je vielfältiger die Produkte eines Unternehmens sind, desto wahrscheinlicher ist eine solche Einzelmarkenstrategie. Diesen Vorteilen steht der Nachteil gegenüber, dass die Unternehmensmarke nicht von der Bekanntheit und ggf. Beliebtheit ihrer Produktmarken profitiert. Dies dürfte z. B. beim Personalmarketing und bei der Investor Relations ein Nachteil sein. Zudem kann auch eine Einzelmarkenstrategie nicht verhindern, dass Botschaften aus Bereichen wie dem Personalmarketing oder der Investor Relations, die der Unternehmensmarke zugerechnet werden, als widersprüchlich empfunden werden und zu Irritationen führen. Die entgegengesetzte Strategie legt den (b) Fokus auf die Einheit der Organisation, in der es eine Unternehmensmarke bzw. eine so genannte Corporate Brand gibt, die alle mit der Organisation zu assoziierenden Eigenschaften und Merkmale verbindet. Unternehmensmarken sprechen damit alle Bezugsgruppen an. Sie werden dort wichtiger, wo Kunden auch wissen wollen, wer die Produkte wie produziert hat (Süss et al. 2011: 11). Die oben genannten Vor- und Nachteile gelten hier in umgekehrter Weise. Im Kontext von Unternehmensmarken wird zwar vielfach betont, dass es nicht um eine völlige Standardisierung gehe, sondern darum, „dass alle Funktionen und Bereiche eines Unternehmens auf die Unternehmensmarke einzahlen und deren Vision und Werte leben“ (ebd.: 15). Letztlich wird hier aber erneut der Zielkonflikt zwischen den Polen Entdifferenzierung und Differenzierung deutlich. <?page no="140"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 141 4.4.3 Integrierte Unternehmenskommunikation Das Konzept der Integrierten Unternehmenskommunikation stammt wie das Markenkonzept ursprünglich aus dem Marketing. Insbesondere in den 1990er Jahren sind zahlreiche Konzepte mit teilweise sehr unterschiedlichen Sichtweisen entstanden (Bruhn 2014: 101ff). Im Wesentlichen lässt sich zwischen einer deutschsprachigen kommunikationspolitisch orientierten Schule (u. a. Bruhn 2014) sowie einer angloamerikanischen unternehmensstrategisch orientierten Schule (u. a. Schultz/ Kitchen 2000) unterscheiden. Von diesen beiden Management-orientierten Ansätzen grenzt sich ein kritischeres Verständnis ab (u. a. Christensen et al. 2009), das vor allem die Grenzen Integrierter Kommunikation thematisiert. In Deutschland prägt insbesondere der Marketingforscher Manfred Bruhn das Verständnis Integrierter Kommunikation. Bruhn definiert Integrierte Kommunikation als „Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild des Unternehmens bzw. eines Bezugsobjektes der Kommunikation zu vermitteln“ (Bruhn 2014: 38). Das Konzept Integrierter Kommunikation kann als Ergänzung zum Markenkonzept interpretiert werden, wenn das Bezugsobjekt der Integrierten Kommunikation eine Marke ist. Während Integrierte Kommunikation in einem Unternehmen mit einer Einzelmarkenstrategie auf der Ebene jeder Marke einzeln anzusiedeln ist, bezieht sie sich in einem Unternehmen mit einer Dachmarkenstrategie auf das gesamte Unternehmen. Zudem können Familienmarken oder Produktgruppen, aber auch Geschäftsbereiche Gegenstand der Integrierten Kommunikation werden (ebd.: 39ff, 116). Bruhn unterscheidet zwischen drei Formen Integrierter Kommunikation (ebd.: 123f). Der Schwerpunkt liegt auf der (a) inhaltlichen Integration, bei der es darum geht, die verschiedenen Maßnahmen durch Verbindungslinien thematisch miteinander abzustimmen. Solche Verbindungslinien können neben Slogans, Kernbotschaften und -argumenten auch Schlüsselbilder sein. Die (b) formale Integration bezieht sich auf Gestaltungsprinzipien, mit denen eine einheitliche Form des Erscheinungsbildes vermittelt werden soll. Dazu zählen Markenzeichen, Logos und allgemein das Corporate Design, in dem u. a. formale Richtlinien zur Nutzung von Schrifttypen, Farben und Bildern vorgegeben sind. In der (c) zeitlichen Integration schließlich werden alle Kommuni- <?page no="141"?> 142 4 Organisationskontext kationsinstrumente und -maßnahmen zeitlich aufeinander abgestimmt, um die Wahrnehmung eines einheitlichen Erscheinungsbildes zu verstärken. Einerseits zielt dies darauf, dass sich Kommunikationsinstrumente gegenseitig unterstützen. Andererseits plädiert Bruhn daür, Maßnahmen seltener zu verändern, um Wiederholungs- und Lerneffekte zu gewährleisten. Integrationsformen Gegenstand Ziele Hilfsmittel Zeithorizont inhaltliche Integration thematische Abstimmung durch Verbindungslinien • Konsistenz • Eigenständigkeit • Kongruenz Einheitlichkeit: • Botschaften • Argumente • Aussagen langfristig formale Integration Einhaltung formaler Gestaltungsprinzipien • Präsenz • Prägnanz • Klarheit Einheitlichkeit: • Markennamen • Schrifttyp • Logo • Slogan • Typographie • Layout • Farben • Bilder mittelbis langfristig zeitliche Integration Abstimmung innerhalb und zwischen Planungsperioden • Konsistenz • Kontinuität Einsatzplanung („Timing“) kurzbis mittelfristig Abb. 4.11: Formen Integrierter Kommunikation (Bruhn 2014: 145) In den zahlreichen Arbeiten von Bruhn zur Integrierten Kommunikation bildet die Planung Integrierter Kommunikation einen Schwerpunkt (Abb. 4.12; Bruhn 2014: 225f). Bei der (a) inhaltlichen Planung unterscheidet er zwischen dem Strategiepapier, das u. a. die strategische Positionierung und die kommunikative Leitidee umfasst, sowie den konkretisierenden Kommunikationsregeln. Hier sind z. B. Aussagen- und Argumentationssysteme sowie die Gestaltungsprinzipien ür einzelne Kommunikationsinstrumente festgelegt. I. Strategiepapier 1. Strategie der Integrierten Kommunikation Formulierung der strategischen Positionierung, kommunikativen Leitidee und Leitinstrumente für die Gesamtkommunikation <?page no="142"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 143 II. Kommunikationsregeln 2. Zielplattform Formulierung der strategischen Positionierung, der Zielgruppen- und Maßnahmenziele der Kommunikation 3. Botschaftsplattform Formulierung der kommunikativen Leitidee, der Kern- und Einzelaussagen für die Kommunikation (Aussagen- und Argumentationssystem) 4. Instrumenteplattform Festlegung der Leitinstrumente und Gestaltungsprinzipien der Kommunikation, der weiteren, unterstützenden Kommunikationsinstrumente und -mittel III. Organisationsregeln 5. Regeln der Zusammenarbeit Formulierung der aufbau- und ablauforganisatorischen Prozesse für die Zusammenarbeit zwischen zentralen und dezentralen Kommunikationsabteilungen Abb. 4.12: Elemente eines Konzeptpapiers der Integrierten Kommunikation (Bruhn 2014: 264) Die Organisationsregeln beziehen sich auf die (b) organisatorische Planung Integrierter Kommunikation. Bruhn sieht das Hauptproblem Integrierter Kommunikation in der Praxis nicht in der fehlenden Einsicht in ihre Notwendigkeit, sondern in ihrer konkreten Umsetzung. So haben Untersuchungen zu den Barrieren Integrierter Kommunikation gezeigt, dass Integrierte Kommunikation insbesondere am Abteilungsdenken scheitert (Bruhn 2006: 85). Um diese und weitere Barrieren zu überwinden, versucht Bruhn herauszuarbeiten, wie Integrierte Kommunikation in Unternehmen zu planen und organisatorisch zu gewährleisten ist (Bruhn 2014: 295ff). Als eine zentrale Aufgabe erkennt er hier, „den ‚richtigen‘ Grad an organisatorischer Differenzierung zu finden, um die Integrationsleistungen zu optimieren“ (ebd.: 296). Denn jede Spezialisierung und die damit verbundene organisatorische Differenzierung erschwert die weitere Integration. Daher plädiert er für eine ‚De-Spezialisierung‘, die sich z. B. in der Zusammenfassung von Kommunikationsaufgaben in Kommunikationsabteilungen ausdrücken kann. Ein weiterer Parameter organisatorischer Planung ist neben der Teamorientierung und einer Prozessorientierung die Hierarchisierung, mit der die desintegrierende Folge vermieden werden soll, dass zwei formal gleichberechtigte Bereiche gegeneinander arbeiten. Ziel ist es, mit einer klaren Hierarchie ein solches Gegeneinander zu vermeiden. <?page no="143"?> 144 4 Organisationskontext Das Konzept von Bruhn ist über weite Strecken so detailliert ausgearbeitet, dass es in der Praxis auch dank seines verständlichen und anwendungsorientierten Charakters vielfach rezipiert wird. Insbesondere in der kommunikationswissenschaftlich geprägten PR-Forschung wird der Ansatz seit einigen Jahren aber kritisch diskutiert (z. B. Herger 2004; Süss et al. 2011). Kritisiert wird vor allem, dass Bruhn zwar vielfach von Integrierter Unternehmenskommunikation spricht, sich letztlich aber fast ausschließlich für die Absatzkommunikation interessiert. So werden Mitarbeiter zumeist nur dann berücksichtigt, wenn sie z. B. als Verkäufer Produktvorteile oder -argumente weitergeben sollen. Als externe Bezugsgruppen jenseits von Kunden und Händlern werden allgemein zwar die Öffentlichkeit und Stakeholder genannt, wie aber eine inhaltliche und organisatorische Planung auch Aspekte weiterer Kommunikationsdisziplinen wie Investor Relations, Public Relations oder Personalmarketing integrieren könne, wird nicht einmal angedeutet. Würde man diese anderen Disziplinen in den Ansatz integrieren, würde das „die Organisationskommunikation an die Grenzen der Steuerung“ (Herger 2004: 77) bringen. Mit seiner Herkunft aus der Marketingforschung dürften Bruhns Verständnis von Public Relations, das er im Wesentlichen als Pressearbeit versteht (Bruhn 2016d: 10f), sowie des Kommunikationsbegriffs zu erklären sein. Diesen definiert er im marketingspezifischen Kontext wie folgt: „Kommunikation bedeutet die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.“ (Bruhn 2018: 3) Ein solches Verständnis kommt längst überwunden geglaubten Stimulus-Response-Annahmen sehr nahe. Die deutschsprachige Diskussion zur Integrierten Kommunikation legt bis auf wenige Ausnahmen den Fokus auf die Koordinierung der Kommunikationsaktivitäten (ähnlich Esch 2006). Sie blendet nicht zuletzt wegen ihrer Marketingorientierung die dahinter liegenden Widersprüche im Unternehmen zumeist aus. Hier liegt der wesentliche Unterschied zur Mehrzahl der Konzepte, die im angloamerikanischen Raum im Rahmen der Integrated Marketing Communications (IMC) entstanden sind. Die Definition der Integrated Marketing Communications weist noch zahlreiche Parallelen zum Verständnis von Bruhn auf: „IMC is a strategic business process used to plan, develop, execute and evaluate coordinated measurable, persuasive brand communication programs over time with consumers, customers, prospects, and other targeted, relevant external and internal audiences.“ (Schultz/ Kitchen 2000: 65) Neben vielen Gemeinsamkeiten zum Konzept von Bruhn liegt der zentrale Unterschied in der Verankerung in die gesamte Unternehmensstrategie und -planung. Wenn das Konzept der Integrated <?page no="144"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 145 Marketing Communications als Stufenkonzept verstanden wird (z. B. Duncan/ Caywood 1996; Kirchner 2001; Schultz/ Kitchen 2000), dann ist die Koordinierung der Kommunikationsaktivitäten in der Regel nur die erste Integrationsstufe bzw. die sichtbare Spitze des Eisberges (Duncan/ Moriarty 1997: 70), auf die weitere Stufen wie der Wechsel von der Inside-outzur Outside-in-Perspektive bis hin zur strategischen Integration folgen (Abb. 4.13). Der überzeugende und naheliegende Gedanke dahinter: Widersprüchliche Kommunikation hat ihre Ursache zumeist in Widersprüchen zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen. „Integrierte Unternehmenskommunikation kann ohne eine parallel dazu stattfindende Integration des Unternehmens nicht gelingen“, resümiert Kirchner (2003: 52), die diesen Ansatz empirisch untersucht hat (Kirchner 2001). Entsprechend wird in vielen IMC-Publikationen eine integrierte Unternehmensführung gefordert (z. B. Duncan/ Moriarty 1997: 70f). Zudem berücksichtigt der IMC-Ansatz in Anlehnung an das Stakeholder Management (Kap. 3.1.1) weitere Bezugsgruppen wie Anwohner, Investoren oder potenzielle Mitarbeiter (Schultz/ Kitchen 2000: 71). So sehr sich diese und weitere Bezugsgruppen in vielen IMC- Arbeiten wiederfinden, so sehr interessiert sich aber auch der Ansatz der Integrated Marketing Communications am Ende nur für die Integration der Marketingkommunikation in die Unternehmensstrategie. Abb. 4.13: Stufen der IMC-Entwicklung (Kitchen et al. 2004: 26, nach Schultz/ Kitchen 2000: 62) <?page no="145"?> 146 4 Organisationskontext Die Unmöglichkeit eines Integrierten Unternehmens ist der Ausgangspunkt eines neueren und kritischeren Verständnisses Integrierter Kommunikation, das insbesondere auf Christensen et al. (2008/ 2009) zurückgeht. Sie konstatieren ein unauflösbares Paradoxon, in einer komplexen und damit inkonsistenten Umwelt konsistent und integriert kommunizieren zu wollen (Christensen et al. 2008: 194, 2009: 209). So wenig wie dies möglich ist, ist es nach Meinung der Autoren wegen der widersprüchlichen Interessen der Bezugsgruppen wünschenswert. Zudem verhindert Integration die Flexibilität und damit das Innovationspotenzial und die Lernfähigkeit von Organisationen. Daher setzen sie den traditionellen Ansätzen Integrierter Kommunikation ein Verständnis entgegen, das man als postmodern bezeichnen kann. In dieser Perspektive sehen sie Organisationen als ‚agile body‘ und die Unternehmenskommunikation als Polyphonie. Die unterschiedlichen Stimmen bzw. Melodien einer Organisation führen am Ende zu einer kohärenten Einheit. Traditionellen Forderungen Integrierter Kommunikation wie Klarheit, Konsistenz und Orchestrierung setzen sie Ambiguität, Scheinheiligkeit (Hypocrisy) und lokale Verankerung entgegen (Christensen et al. 2008: 196ff). Scheinheiligkeit ist hier auf der einen Seite unausweichlich: „The impossibility of satisfying all goals and demands from stakeholders simultaneously implies that organizations cannot escape some level of hypocrisy [...]. Organizations, in order to manoeuvre in a world of conflicting demands, need to compensate action in one direction with talk and decision in the opposite direction“ (Christensen et al. 2008: 201). Auf der anderen Seite kann Scheinheiligkeit - ohne sie in allen Fällen zu entschuldigen - Organisationen auch helfen, zu experimentieren und sich an neue Situationen anzupassen. Mit March (1994) argumentieren sie, dass propagierte, aber noch nicht realisierte Ideale dazu führen können, dass sich eine Organisation ihren Versprechungen verpflichtet fühlt und versucht, sie zumindest später auch zu leben. In dem Verständnis der Polyphonie und der Scheinheiligkeit kommt schließlich ein anderes Rezipientenbild von Christensen et al. zum Ausdruck. Während in den bislang skizzierten Ansätzen das Bild des ‚integriert wahrnehmenden Rezipienten‘ dominiert, der Botschaften eines Unternehmens wahrnimmt und mögliche Widersprüche erkennt, skizzieren Christensen et al. das Bild eines aufgeklärten Rezipienten, der ohnehin um die Widersprüche in Organisationen sowie um den Unterschied zwischen Schein und Sein weiß: „We know that there are many truths about an organization and we are fully aware that most of them are neither acceptable nor consistent. We also realize that an organization has to choose and high-light one description amongst other possible descriptions and that this choice inevitably involves a certain amount of idealization. This is not an apology for deceit, but a reminder that organizations - like human beings - sustain themselves to some extent through idealizations.“ (Christensen et al. 2008: 203). <?page no="146"?> 4.4 Integration strategischer Organisationskommunikation 147 4.4.4 Fazit: Integration als operative Fiktion? In allen drei erläuterten Ansätzen wird in unterschiedlichem Ausmaß der zentrale Zielkonflikt aller Integrationsbemühungen offensichtlich: Denn je mehr die veröffentlichten Beschreibungen aus den verschiedenen Bereichen der Unternehmenskommunikation eine Einheit darstellen, desto weniger vermögen sie es, die spezifischen Bezugsgruppen überzeugend anzusprechen. Und noch grundsätzlicher: Wenn Organisationen - wie Gesellschaften - widersprüchlich sind, können organisationale Strukturmerkmale wie die Hierarchie und die Mitgliedschaftsregel zwar helfen, diese Widersprüche und Konflikte zu moderieren bzw. zu entscheiden, sie können sie aber nicht auflösen. Ein Investor und ein Beschäftigter werden in Teilen immer unterschiedliche Interessen verfolgen. Ebenso wie dieser grundsätzliche Interessenkonflikt nicht auflösbar ist, sind auch seine Folgen für die strategische Kommunikation nicht auflösbar. Integrationskonzepte dürfen daher nicht als ‚Gleichschaltung‘ der gesamten Unternehmenskommunikation missverstanden werden, sondern als Management der Differenz von Entdifferenzierung versus Differenzierung. Und wie bei jedem Differenzmanagement gibt es hier keine perfekten Lösungen, sondern als reflexive Abstimmung nur Optimierungen (Willke 1978: 249). Konkret: Wie sehr zeigt man in einer Veröffentlichung für Aktionäre zu einer geplanten Standortschließung Verständnis für die betroffenen Mitarbeiter? Zudem werden hier Bezugsgruppen entsprechend ihrer Relevanz hierarchisiert. Um z. B. Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen relevanter Bezugsgruppen zu erreichen, werden dann Einbußen bei als weniger wichtig eingeschätzten Bezugsgruppen in Kauf genommen. So sehr eine völlige Integration damit theoretisch nicht plausibel ist und im Hinblick auf die unterschiedlichen Interessen auch nicht erstrebenswert erscheint, so sehr stellt sich die Frage, wie Organisationen mit dem Problem umgehen, die durch Spezialisierung auseinanderdriftenden Teile, wenn schon nicht zu vereinen, so doch wenigstens zu koordinieren. In einer solchen pragmatischeren Perspektive können die Integrationskonzepte ür die Praxis als operative Fiktion verstanden werden: Praktiker versuchen mit diesen Konzepten, Integrationsziele zumindest in einem bestimmten Maße zu erreichen, um ein völliges Auseinanderdriften strategischer Kommunikation zu vermeiden. Zum Weiterlesen Darstellungen der verschiedenen Integrationskonzepte: • Baumgarth, Carsten (2015): Markenpolitik. Markentheorien, Markenwirkungen, Markenführung, Markencontrolling, Markenkontexte (4. Aufl.). Wiesbaden. <?page no="147"?> 148 4 Organisationskontext • Wiedmann, Klaus-Peter (2016): Corporate Identity als strategisches Orientierungskonzept der Kommunikation. In: Bruhn, Manfred / Esch, Franz-Rudolf / Langner, Tobias (Hrsg.): Handbuch Instrumente der Kommunikation. Grundlagen, innovative Ansätze, praktische Umsetzungen (2. Aufl.). Wiesbaden: 153-184. • Bruhn, Manfred (2014): Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation. Strategische Planung und operative Umsetzung (6. Aufl.). Stuttgart. • Schultz, Don E. / Kitchen, Philip J. (2000): Communicating globally: An integrated marketing approach. Basingstoke. Vergleichende Darstellung verschiedener Integrationskonzepte: • Süss, Werner / Zerfaß, Ansgar / Dühring, Lisa (2011): Corporate Branding im Spannungsfeld von Unternehmens- und Marketingkommunikation. Wiesbaden. <?page no="148"?> 5 Funktionskontext Inhalt 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 5.2 Selektionskriterien der PR 5.3 Wirklichkeit der PR 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 5.5 Prozessorientierte Ausdifferenzierung der PR 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR 5.8 Ausdifferenzierung externer PR-Beratung Lernziele Sie können ausgewählte PR-Theorien, ihre Unterschiede und den Zusammenhang zur jeweiligen soziologischen ‚Basistheorie‘ erläutern. Sie sind in der Lage, die Selektionskriterien und ihre Relevanz zu skizzieren. <?page no="149"?> 150 5 Funktionskontext Sie können auf Basis erkenntnistheoretischer Ansätze die Frage diskutieren, ob PR Wirklichkeit abbildet oder konstruiert. Sie können die verschiedenen ausdifferenzierten Bereiche und Kommunikationsinstrumente sowie deren Unterschiede erläutern. Sie sind in der Lage, die Grenzen der Krisenvermeidung und strategischer Krisenkommunikation zu erörtern. Sie kennen die zentralen Vor- und Nachteile externer PR-Beratung. Nachdem relevante gesellschaftliche Entwicklungen, die Beziehungen der PR zu relevanten Bezugsgruppen sowie im Organisationskontext u. a. die Stellung der PR innerhalb der Organisation erläutert wurden, stehen jetzt die Funktionen und Strukturen der PR selbst im Fokus. Bei der Suche nach der Funktion der PR geht es im Kern um die Frage, was PR ist. Manfred Rühl hat auf diese Frage die einfache wie überzeugende Antwort gegeben: „Public Relations ist, was Public Relations tut“ (Rühl 1992: 35). Während die Funktion mithin das ist, was PR in all ihrer Unterschiedlichkeit in den verschiedensten Organisationen verbindet, sind die jeweiligen Strukturen bzw. Routinen der PR in den Organisationen höchst unterschiedlich. Auf dieser Struktur-Ebene werden Arbeitsweisen und weitere Ausdifferenzierungen bzw. Spezialisierungen der PR dargestellt. Im Einzelnen stehen die folgenden Fragen und Themen im Mittelpunkt: Zu Beginn stellen sich die grundsätzlichen Fragen ‚Welches Problem löst PR in Organisationen? ‘ und ‚Wie löst PR die Probleme? ‘. Aus einer funktionalen Perspektive sind dies die Fragen nach der Funktion und den Leistungen der PR. Wie unterschiedlich die Antworten ausfallen, zeigen die verschiedenen organisationstheoretischen PR-Ansätze, die dazu skizziert werden (Kap. 5.1.1). In diesem Kontext wird auch der Ansatz ‚PR als Legitimation‘ ausführlich dargestellt, der vielen Kapiteln und Überlegungen des Lehrbuches zugrunde liegt (Kap. 5.1.2). Wenn die Funktion von PR die Legitimation der Organisation ist, stellt sich die Frage, was diese Legitimation positiv beeinflusst. Dazu sollen auf der Struktur-Ebene u. a. die Konstrukte Vertrauen, Dialog und Transparenz erläutert und als Selektionskriterien der PR konzipiert werden. Diese Selektionskriterien bzw. Regeln sind Annahmen der PR zu Kausalbeziehungen bzw. operative Fiktionen: PR tut so, als ob z. B. eine dialogische Maßnahme zur Legitimation beiträgt (Kap. 5.2). Mit der Funktion und den Selektionskriterien der PR steht der Wirklichkeitscharakter von PR-Beschreibungen in einem engen Zusammenhang. Was unterscheidet sie z. B. von journalistischen Beschreibungen? Bildet <?page no="150"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 151 PR die Realität ab oder konstruiert sie nicht eher Wirklichkeiten? Diese Fragen werden am Beispiel mehrerer erkenntnistheoretischer Ansätze diskutiert (Kap. 5.3). Die steigende Bedeutung und das Wachstum der PR haben nicht zuletzt dazu geführt, dass sich die Strukturen der PR in den vergangenen Jahren immer weiter ausdifferenziert haben. Dabei haben sich für spezifische Probleme spezifische Lösungsmodelle bzw. -konzepte entwickelt. Ausgewählte Ausdifferenzierungen bzw. Spezialisierungen werden hier erläutert. Dies beginnt mit bezugsgruppenorientierten Ausdifferenzierungen, mit der sich PR auf die Interessen spezifischer Bezugsgruppen spezialisiert hat (Kap. 5.4). In der prozessorientierten Ausdifferenzierung haben sich Regeln für das Entscheidungshandeln entwickelt, die PR - vermeintlich - effektiver und effizienter gestalten sollen (Kap. 5.5). Die instrumentelle Ausdifferenzierung zielt auf die verschiedenen Kommunikationsinstrumente, die PR wie auch andere Disziplinen strategischer Organisationskommunikation zur Lösung kommunikativer Probleme nutzt (Kap. 5.6). Im Rahmen der risikoorientierten Ausdifferenzierung sind schließlich Konzepte entstanden, mit denen PR Legitimations- und Reputationsverluste in Risiko- und in Krisensituationen zu minimieren versucht (Kap. 5.7). Abschließend soll als Sonderform die Ausdifferenzierung externer PR-Beratung in Abgrenzung zu interner Beratung aufgezeigt werden (Kap. 5.8). 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR Die internationale wie deutschsprachige PR-Forschung ist immer noch davon geprägt, PR als Managementbzw. Organisationsfunktion zu beschreiben. Die Fragen lauten hier: Welche Leistung erbringt PR für die jeweilige Organisation? Und wie erbringt PR diese Leistung? Die Meso-Perspektive steht auch im Mittelpunkt dieses Kapitels. PR wird wie das Absatzmarketing, die Investor Relations, die interne Unternehmenskommunikation und das Personalmarketing als eine Disziplin der Unternehmenskommunikation verstanden. Analog zur Skizzierung dieser vier Disziplinen wird in Kapitel 5.1.2. ein systemtheoretischer Ansatz von PR ausführlicher erläutert, in dem PR als Legitimation verstanden wird. Zuvor werden ausgewählte Richtungen organisationstheoretischer PR-Ansätze skizziert, zu denen die jeweilige Funktion bzw. Funktionsweise von PR erläutert wird. Um die Unterschiede, aber auch mögliche Gemeinsamkeiten zwischen den Ansätzen herauszuarbeiten, sollen Antworten auf zwei Fragen gesucht werden. Mit der Frage ‚Welches Problem löst PR? ‘ soll die Funktion bzw. Leistung identifiziert werden, während mit der Frage ‚Wie löst PR diese Probleme? ‘ die Strategien bzw. Funktionsweise von PR herausgearbeitet werden sollen. <?page no="151"?> 152 5 Funktionskontext 5.1.1 Organisationstheoretische Strömungen Jede Organisationstheorie interessiert sich für unterschiedliche Probleme und Fragen, setzt bei der Beschreibung von Organisationen andere Akzente und gelangt damit zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Daher führen unterschiedliche organisationstheoretische Zugänge zu teilweise kaum vergleichbaren Beschreibungen, obwohl sie alle das Phänomen PR im Blick haben. Dieser Zusammenhang von organisationstheoretischer Perspektive und PR-Theorie soll in diesem Kapitel herausgearbeitet werden. Dazu werden zunächst in aller Kürze die jeweils relevanten grundlegenden theoretischen Annahmen des Ansatzes skizziert, bevor ein beispielhafter Ansatz erläutert wird, der mit diesem ‚Werkzeug‘ PR beschreibt. Nachdem in Kapitel 4.3 im Kontext der Organisationskommunikation auch Ansätze der Unternehmenskommunikation bzw. des Kommunikationsmanagements skizziert wurden, werden hier nur Ansätze berücksichtigt, die sich explizit mit PR in Abgrenzung zum Kommunikationsmanagement auseinandersetzen. Kybernetik: Broom/ Sha (2013) Kybernetisches Denken ist in der PR-Forschung seit vielen Jahrzehnten weit verbreitet (Wehmeier 2012: 89). Die Kybernetik beschäftigt sich mit selbstregulierenden Systemen, die durch Rückkopplungsvorgänge einen Gleichgewichtszustand gegenüber äußeren Einflüssen aufrechterhalten (Wienold 1995b: 387). Ein vielfach genanntes Beispiel hierfür ist ein Heizungsthermostat, der die Temperatur in einem Raum konstant hält, indem er die Heizung anschaltet, sobald die voreingestellte Raumtemperatur unterschritten wird, und die Heizung ausschaltet, sobald die gewünschte Raumtemperatur erreicht ist. Die Analogien zur PR sind offenkundig: PR übernimmt in kybernetischen PR-Ansätzen die Rolle des Heizungsthermostates, während die Raumtemperatur in der Regel die Bezugsgruppen in der Umwelt der Organisation ist. PR-Prozesse können dann vereinfacht wie folgt beschrieben werden: „Mittels PR-Kommunikation soll zum Beispiel an einem Organisationsimage gearbeitet werden. Analog zu einem Thermostaten wird von einer Organisation ein bestimmter Imagewert festgelegt (Soll-Wert entspricht z. B. Temperatur = 22 °C). Er wird durch Umfragen in der Bevölkerung abgeglichen mit dem Ist-Wert, wobei herauskommt, dass das Image schlechter ist (Ist-Wert entspricht z. B. Temperatur = 19 °C). Die Kommunikationsabteilung versucht schließlich mittels einzelner Maßnahmen das Image zu verbessern, um auf den Soll-Wert zu gelangen. Nach einiger Zeit wird wieder gemessen und gegebenenfalls weiter geregelt, bis irgendwann der Soll-Wert erreicht ist.“ (Wehmeier 2012: 93). Ein prominentes Beispiel für die kybernetische Perspektive ist der PR-Ansatz in dem erstmals 1952 erschienen Lehrbuchklassiker ‚Effective Public <?page no="152"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 153 Relations‘ (Cutlip et al. 1985; Broom/ Sha 2013), in dem PR als offenes kybernetisches und adaptives System modelliert wird. Die Kommunikationsmaßnahmen sind in dem Ansatz der Output, mit denen die Organisation das Wissen, die Einstellungen und das Verhalten der Bezugsgruppen in ihrer Umwelt wie gewünscht zu verändern sucht, um ihre Kommunikationsziele zu erreichen. Das Verhalten von Bezugsgruppen und gewonnene Informationen über sie sind der Input, der dazu führen kann, dass in der Organisation Maßnahmen oder Ziele verändert werden. Abb. 5.1: Das kybernetische Modell der PR von Cutlip et al. (1985: 194) bzw. Broom/ Sha (2013: 187) (Darstellung leicht ergänzt) Die Veränderung von Zielen oder die Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen wie z. B. eine aufkommende Klimaschutzdiskussion prägen offene Systeme, die in dem Ansatz von geschlossenen Systemen abgegrenzt werden. Ein offener Systemcharakter ist dadurch gekennzeichnet, dass Input und Output durch durchlässige Grenzen ausgetauscht werden (Broom/ Sha 2013: 179). Offene Systeme leisten proaktive PR, weil sie durch Frühwarnsysteme Informationen über künftige möglicherweise wichtige Entwicklungen gewinnen und damit frühzeitig Korrekturen vornehmen können (ebd.: 184). Eher geschlossene Systeme kennzeichnen hingegen eine reaktive PR, in der sie Ansprüche später erkennen, sie leugnen und versuchen, Veränderungen in der Organisation zu verhindern (ebd.: 183). Da Systeme weder völlig offen noch völlig geschlossen sein können, operiert PR zwischen diesen beiden Extremen (ebd.: 179). Reaktive bzw. proaktive PR sind damit die Optionen bzw. Strategien, die PR zur Verfügung ste- <?page no="153"?> 154 5 Funktionskontext hen, um die folgende Funktion zu erfüllen: „Public relations is the management function that establishes and maintains mutually beneficial relationships between an organization and the publics on whom its success or failure depends.“ (ebd.: 26). Ähnlichkeiten zu den vier PR-Modellen von Grunig/ Hunt (1984: 22; Kap. 2.2.3) sind damit zu erklären, weil sich Grunig/ Hunt - wenn auch deutlich weniger ausgearbeitet - ebenfalls auf die Kybernetik beziehen (Grunig/ Hunt 1984: 23). Vielfach diskutiert wird auch das kybernetische PR-Prozess- Modell von Long/ Hazleton (1987), die u. a. die Input-Output-Beziehungen der Organisation mit ihrer Umwelt deutlich ausführlicher und differenzierter erläutern. Kybernetisches und systemtheoretisches Denken weisen zahlreiche Parallelen auf - so argumentieren alle genannten kybernetischen PR-Ansätze zumindest in Teilen auch systemtheoretisch. Im Gegensatz zu den später erläuterten systemtheoretischen Ansätzen beziehen sich die angloamerikanischen Autoren jedoch auf strukturfunktionalistische Arbeiten u. a. des amerikanischen Soziologen Talcott Parsons, die sich z. T. deutlich von den Arbeiten Luhmann’scher Prägung unterscheiden. Insgesamt gelingt es kybernetischen Ansätzen, die Beziehung einer Organisation mit ‚ihrer‘ PR zu ihrer Umwelt prägnant als Input-Output-Prozess zu beschreiben. Diese Prägnanz geht aber auf Kosten einer angemessenen Beschreibung - so sind die Beziehungen komplexer, als es die vorliegenden Ansätze meist suggerieren. Hier stellt sich die Frage, ob kybernetisches Denken, das ursprünglich zur Erklärung maschineller Regelkreise und biologischer Systeme entwickelt wurde, auch für kommunikative Prozesse brauchbar ist (Wehmeier 2012: 89). Daher erscheinen Versuche vielversprechend, ein solches technokybernetisches Verständnis durch ein soziokybernetisches Verständnis zu ersetzen, wie es Nothhaft/ Wehmeier (2009) skizziert haben. Spätestens hier werden aber die Unterschiede zu systemtheoretischen Argumentationen - auch in Luhmann’scher Prägung - immer geringer. Systemtheorie: Szyszka (2009c) Die kybernetischen Ansätze haben beispielhaft deutlich gemacht, dass mit der Wahl der Theorie ein spezifischer Blick auf PR verbunden ist. Für systemtheoretische PR-Ansätze gilt dies nur eingeschränkt. Die Systemtheorie in der Prägung des deutschen Soziologen Niklas Luhmann zählt in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft seit mehr als 40 Jahren zu den am häufigsten rezipierten soziologischen Theorien, so dass es heute alleine für PR eine Vielzahl an systemtheoretischen Ausarbeitungen gibt. Dabei sind Wissenschaftler bei der Beschreibung desselben Phänomens - der PR - auf Basis derselben Theorie - der Systemtheorie - zu teilweise sehr <?page no="154"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 155 unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Dies liegt einerseits daran, dass sie z. B. unterschiedliche Funktionen der PR erkennen. Vor allem dürfte dies aber damit zu begründen sein, dass mit der Systemtheorie Luhmann’scher Prägung im Gegensatz zu den anderen hier skizzierten Theorien Erklärungsansätze für so viele soziologische Fragestellungen vorliegen, dass PR- Forscher sie als ‚Werkzeug‘ für ganz unterschiedliche Fragen der PR-Forschung nutzen können. Die Vielfalt reicht von der Kommunikations- und Medientheorie über eine Erkenntnistheorie, eine Organisationstheorie bis hin zur Vertrauenstheorie. Bei der theoretischen Beschreibung von PR lassen sich im Wesentlichen drei Zugänge unterscheiden (Jarren/ Röttger 2009: 30). Erstens ist dies PR als Organisationsfunktion (z. B. Herger 2004; Hoffjann 2007; Kussin 2006, 2009; Szyszka 2009c). Diese Perspektive steht in diesem Kapitel zum ‚Funktionskontext‘ im Mittelpunkt. Dazu werden im Folgenden stellvertretend der integrative Ansatz von Szyszka skizziert (2009c) sowie in Kapitel 5.1.2 der Ansatz zur PR als Legitimation (Hoffjann 2007, 2009a) ausführlicher erläutert. Zweitens wird PR als gesellschaftliches Funktionssystem modelliert (Ronneberger/ Rühl 1992: 252), das durchsetzungsfähige Themen her- und bereitstellt. Drittens wird PR nicht als System, sondern als System-Umwelt-Interaktion (Knorr 1984; Faulstich 1992) konzipiert, die PR gestaltet und kontrolliert. Wie weit insbesondere in der deutschsprachigen PR-Forschung systemtheoretisches Argumentieren verbreitet ist, zeigt sich auch daran, dass viele weitere Fragestellungen ebenfalls systemtheoretisch von jeweils verschiedenen Autoren bearbeitet wurden - von den Journalismus-PR-Beziehungen (z. B. Löffelholz 2000) über Vertrauen in PR (Hoffjann 2013a) bis hin zur PR-Beratung (z. B. Röttger/ Zielmann 2012). Merten (2009) fragt entsprechend provokant wie rhetorisch: „Kann man PR- Theorien anders als systemisch modellieren? “ Die Vorteile einer systemtheoretischen Argumentation erkennt er vor allem in einem angemessenen Kommunikationsverständnis, in der Möglichkeit, die Entstehung von Systemen zu beschreiben, in ihrer Anwendbarkeit sowohl für die Mikro- und Mesoals auch für die Makroebene und schließlich in der Möglichkeit, Beziehungen zwischen diesen Systemebenen sowie zwischen Systemen wie Organisationen erläutern zu können (Merten 2009: 68). Eine zentrale Annahme der Systemtheorie ist die operative Geschlossenheit sozialer Systeme. Soziale Systeme wie z. B. Organisationen können von ihrer Umwelt allenfalls irritiert werden, abgearbeitet werden solche Irritationen allein auf der Basis eigener Strukturen (Luhmann 1996: 57). Wenn Bezugsgruppen beispielsweise die Einstellung eines Produktionsverfahrens fordern, entscheidet das Unternehmen u. a. auf Basis zurückliegender Erfahrungen, ob es einlenkt, den Protest als ‚Sturm im Wasserglas‘ bewertet <?page no="155"?> 156 5 Funktionskontext oder - noch viel grundsätzlicher - ihn vielleicht sogar gar nicht wahrgenommen hat. Mit dieser so genannten Selbstreferenz sozialer Systeme hängen weitere zentrale Fragestellungen und Annahmen systemtheoretischen Denkens zusammen. So neigen beispielsweise Unternehmen dazu, die eigenen wirtschaftlichen Interessen absolut zu setzen und weitgehend ‚blind‘ z. B. für Forderungen aus der Politik zu sein. Die Annahme operativer Geschlossenheit ist ein zentraler Unterschied der Systemtheorie Luhmann’scher Prägung zu den systemtheoretischen Spielarten der angloamerikanischen PR-Forschung, wo - wie z. B. bei Broom/ Sha (2013) - zwischen offenen und geschlossenen Systemen unterschieden wird. Die operative Geschlossenheit von Organisationssystemen und die daraus folgenden Probleme sind der zentrale Ausgangspunkt von Szyszka (2009c) in seinem integrativen Ansatz. Denn wenn Organisationen organisationseigene Ziele verfolgen, stehen sie im Wettbewerb mit anderen Organisationen, so dass permanente Konflikte kaum zu vermeiden sind (ebd.: 137). Da diese Konflikte organisationale Ressourcen binden, haben Organisationen ein Eigeninteresse, das Potenzial problematischer Haltungen, Ziele und Verhaltensweisen einzugrenzen und sich der Umwelt in einem bestimmten Maße anzupassen (ebd.: 138). Abb. 5.2: Integratives Public Relations-Modell von Szyszka (2009b: 29) <?page no="156"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 157 Szyszka unterscheidet bei der Beschreibung von PR-Phänomenen zwischen drei Ebenen (Abb. 5.2). Als (a) Public Relations bezeichnet er auf der Makroebene die Beziehungsebene zwischen einer Organisation und den Bezugsgruppen in ihrem sozialen Umfeld. Die genannten Konflikte lassen sich vermeiden, wenn Bezugsgruppen der Organisation vertrauen. Ein solches soziales Vertrauen interpretiert Szyszka als Win-Win-Situation, weil die Bezugsgruppen z. B. durch den Wegfall einer kritischen Beobachtung oder Kontrolle Ressourcen sparen, während die Organisation durch die Nicht-Beobachtung Handlungsspielräume gewinnt. Auf der Mesoebene hat sich das (b) Public Relations-Management in vielen Organisationen als System bzw. Managementfunktion herausgebildet, um den allgemeinen öffentlichen Meinungsmarkt zu bearbeiten. Das PR-Management ist Teil des übergeordneten Kommunikationsmanagements. PR erkennt und bewertet hier potenzielle Thematisierungsrisiken und -chancen, berät die Organisationsleitung zu Fragen des öffentlichen Meinungsmarktes und erhöht schließlich die Präsenz mittels Selbstdarstellungen in der öffentlichen Kommunikation (ebd.: 138). Als (c) Public Relations-Aktivitäten bezeichnet Szyszka schließlich auf der Mikroebene die spezifischen Operationen des PR-Managements gegenüber ausgewählten Bezugsgruppen, mit denen eine funktionale Transparenz geschaffen werden soll, die das Vertrauen in die Organisation absichern soll. Dazu lässt eine Organisation im Idealfall in dem Maße Transparenz zu, wie dies Zugewinn verspricht, drohenden Schaden abwendet oder eingetretenen Schaden eingrenzen oder bewältigen soll (Szyszka 2004: 157). Mit dem integrativen Ansatz gelingt es Szyszka, PR-Phänomene sowohl auf der Makro-, Meso- und Mikroebene nicht nur zu beschreiben, sondern auch in eine klare Systematik einzuordnen. Problematisch ist hingegen die weitgehend positive Konnotation des Vertrauensbegriffs, wenn das Bestehen sozialen Vertrauens als Win-Win-Situation verklärt wird. Für PR wird das Vertrauen von Bezugsgruppen immer erstrebenswert sein, weil damit eine Nicht- Beobachtung verbunden ist. Für Bezugsgruppen wird es hingegen immer eine riskante Vorleistung bleiben (Luhmann 1989), weil sie eben auch enttäuscht werden können und weil Organisationen wegen der Nicht-Beobachtung dazu verleitet werden können, das Vertrauen bewusst zu missbrauchen. Zudem trifft den Ansatz die Kritik, der sich alle systemtheoretischen Arbeiten ausgesetzt sehen. So ist ein oft geäußerter Vorwurf, dass durch die Aufhebung des handelnden Subjektes eine empirische Überprüfung kaum möglich ist und systemtheoretische Annahmen damit weder falsifizierbar noch verifizierbar seien (Jarren/ Röttger 2009: 31). Diese Kritik ist jedoch in den vergangenen Jahren in intensiven methodologischen Auseinandersetzungen systemtheoretischer empirischer Forschung entkräftet worden (u. a. Loosen et al. 2002). <?page no="157"?> 158 5 Funktionskontext Strukturationstheorie: Jarren/ Röttger (2009) und Zerfaß (2004) Während die Systemtheorie den Fokus auf Strukturen und die Handlungstheorie auf Handlungen und Akteure legt, will die Strukturationstheorie diesen Dualismus überwinden. Der Ansatz, der vor allem auf den britischen Soziologen Anthony Giddens (1995) zurückgeht, beschreibt das Verhältnis von Struktur und Handlung als wechselseitige Konstitution. Einerseits begrenzen und ermöglichen Strukturen Handlungen, andererseits reproduzieren und modifizieren Handlungen Strukturen. Diese Perspektive ist in den vergangenen Jahren in der PR-Forschung vielfach eingenommen worden. Neben Ansätzen von Zühlsdorf (2002) und Falkheimer (2018) zählen dazu insbesondere Arbeiten von Jarren/ Röttger (2009) und Zerfaß (2004). Abb. 5.3: Rekursivität von Struktur und Handlung (Röttger 2005: 13) Aus einer Organisationsperspektive sind die Strukturen in der Organisationsumwelt sowohl das Ergebnis als auch das Medium von Handlungen, die organisationales Handeln begrenzen und ermöglichen. Einerseits beeinflussen und verändern z. B. PR-treibende Organisationen die Öffentlichkeit mit ihren Kommunikationsaktivitäten, andererseits wird das PR-Handeln durch eine kritischere Öffentlichkeit begrenzt bzw. durch eine positiv gestimmte Öffentlichkeit unterstützt. Daher haben Organisationen ein existenzielles Interesse an der Gestaltung der Austauschprozesse zwischen Organisation und Umwelt sowie an der Stabilisierung und Kontrolle von relevanten Umweltbeziehungen (Röttger 2005: 15). Hierzu greifen Organisationen u. a. auf PR zurück. PR wird als Organisationsfunktion konzipiert, deren dominante Funktion die Legitimation der Organisation und der Durchsetzung ihrer Interessen ist (Jarren/ Röttger 2009: 31, 33). Jarren/ Röttger (2009: 35ff) benennen drei Kernelemente ihrer strukturationstheoretischen PR-Theorie, die die Frage beant- <?page no="158"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 159 worten, wie PR eine Organisation legitimiert. Dies ist zunächst die (a) Steuerung vorrangig mittels Kommunikation. Ziel ist es, Regeln, Normen und Deutungsmuster im Sinne der Organisation zu verändern - also durch eigenes Handeln die Strukturen zu verändern. Zu dieser externen Wirkungsdimension kommt mit der (b) Reflexierung eine interne Wirkungsdimension hinzu. PR beobachtet die Organisationsumwelt und kommuniziert diese Beobachtungen in die Organisation hinein. Damit ermöglicht PR der Organisation Reflexion und Selbstbeobachtung. Für die Reflexierung und Steuerung sind (c) Interpenetrationen von zentraler Bedeutung. In solchen Interpenetrationszonen stellen z. B. PR und Journalismus ihre eigenen Strukturen wechselseitig zur Verfügung, um die eigene Effektivität zu optimieren und sich gegenseitig beeinflussen zu können. Einerseits ermöglichen enge Beziehungen zu Journalisten, etwas über den fremden Blick auf die Organisation zu erfahren oder die eigene Sichtweise zu erklären und damit die Berichterstattung zu beeinflussen. Andererseits besteht das Risiko, selbst den Steuerungseinflüssen der Journalisten ausgesetzt zu sein. Ein zweiter im deutschsprachigen Raum vielfach rezipierter strukturationstheoretischer Ansatz ist die Theorie der Unternehmenskommunikation von Zerfaß (2004; Kap. 4.3). Public Relations ist darin neben der Marktkommunikation und der internen Unternehmenskommunikation einer von drei Teilbereichen. PR ist auf das gesellschaftspolitische Umfeld ausgerichtet, wo es um die Sicherung prinzipieller Handlungsspielräume und die Legitimation konkreter Strategien geht - der so genannten ‚licence to operate‘ (Zerfaß 2004: 302). Als zentrale Leistungen der Unternehmenskommunikation und damit auch der PR benennt Zerfaß die Integration bzw. Koordination. Unter Integration versteht er die Verknüpfung unterschiedlicher sozialer Handlungen oder Elemente zu einem gemeinsamen Handlungszusammenhang, in dem Konfliktpotenziale von Arbeitsteiligkeit und Ressourcenverteilung bewältigt werden (ebd.: 115; Peters 1993). Im Gegensatz zur Marktkommunikation, wo der Preis eine wichtige Koordinationsfunktion übernimmt, ist in der PR die Kommunikation die zentrale Quelle sozialer Integration. So kann PR z. B. durch eine reputationsgestützte Integration positive Images aufbauen und sie als Ressourcen nutzen, um Einfluss auszuüben und eigene Interessen durchzusetzen (Zerfaß 2004: 304). Strukturationstheoretischen PR-Theorien gelingt es im Gegensatz zu systemtheoretischen Ansätzen, den strategischen Charakter von PR besser berücksichtigen zu können. So sehr die Dualität von Struktur überzeugt und gleichermaßen fasziniert, so wenig geht Giddens über diesen einen Gedanken hinaus (Walgenbach 2002: 370). In strukturationstheoretischen PR-Theorien scheint die Strukturationstheorie daher mitunter eher ein gedanklicher Rahmen, denn eine profunde theoretische Grundlage zu sein. <?page no="159"?> 160 5 Funktionskontext Neo-Institutionalismus: Sandhu (2012) Der Neo-Institutionalismus ist in der PR-Forschung als theoretische Grundlage noch relativ jung. Er unterscheidet sich von der klassischen Organisationsforschung insbesondere dadurch, dass er rationales Entscheidungshandeln in Frage stellt: Organisationen orientieren sich bei der Gestaltung ihrer Strukturen weniger an Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen, sondern streben vielmehr nach Legitimität. In dieser Lesart führen z. B. viele Unternehmen Corporate Social Responsibility-Aktivitäten nicht durch, weil sie von ihrer Effizienz bzw. Effektivität überzeugt wären, sondern weil sie vermuten, dass es von ihrer Umwelt erwartet wird (Wehmeier/ Röttger 2011: 206f). So gewinnen CSR-Berichte einen institutionellen Charakter, von deren Effektivität die Entscheider selbst nicht überzeugt sind. Als Institution kann eine Regel bezeichnet werden, „wenn sie zeitlich von Dauer ist, wenn sie in sozialer Hinsicht für einen oder mehrere Akteure verbindlich ist und wenn sie maßgeblich für ein empirisches Phänomen ist“ (Senge 2011: 91). Der Neo-Institutionalismus kann in der PR-Forschung zweifach angewandt werden (Sandhu 2012: 231ff). So können aus einer neo-institutionalistischen Perspektive die Fragen beantwortet werden, wie und warum PR spezifische Formate und Praktiken ausformt. So kann beispielsweise für Organisationen, die sich gegenseitig wahrnehmen und aufeinander beziehen - so genannte organisationale Felder -, untersucht werden, wie und aus welchen Gründen soziale Medien genutzt werden (z. B. Hoffjann/ Gusko 2013). Zudem leistet die neo-institutionalistische Perspektive aber auch einen Beitrag zur Frage, wie PR als Organisationsfunktion bzw. als Instrument dazu beiträgt, Institutionen aufzubauen, zu erhalten oder zu zerstören (Abb. 5.4). In solchen konfliktreichen Institutionalisierungsprozessen muss sich eine neue Institution in der Regel gegen alte bestehende durchsetzen - PR erbringt hier eine wichtige Leistung (Sandhu 2012: 231f). So könnte man die Institutionalisierung eines Kundenbeirates dadurch unterstützen, dass man ihn als Selbstverständlichkeit herausstellt, ein Leitbild mit den positiven Folgen entwickelt (z. B. zufriedenere Kunden) oder Lobbying ür eine entsprechende Gesetzesänderung betreibt. Institutionen erschaffen Institutionen bewahren Institutionen verändern regulative Dimension politische Maßnahmen artikulieren und umsetzen Einhaltung von Regelsystemen überwachen und sicherstellen politische Maßnahmen artikulieren und umsetzen PR-spezifische Maßnahmen • Lobbyarbeit betreiben • Teilnahme an Gremien kommunizieren • Alternativen anbieten und Lobbyarbeit betreiben <?page no="160"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 161 • Kampagnen umsetzen normative Dimension identitätsstiftende Maßnahmen durchführen, um Werte zu verankern Reproduktion von Regeln durch Werte sicherstellen Werte und Normen infrage stellen PR-spezifische Maßnahmen • Leitbildentwicklung • Identitätsprojekte • Werte kommunizieren, z. B. durch Storytelling • etablierte Werte und Normen angreifen kognitive Dimension Mimikry und Theoretisieren Routinisierung und Habitualisierung grundlegende Annahmen infrage stellen PR-spezifische Maßnahmen • Selbstverständlichkeiten kommunizieren • Verhaltensmuster als positiv darstellen • Selbstverständlichkeit und Nutzen hinterfragen Abb. 5.4: PR als Instrument der Institutionalisierung (Sandhu 2012: 245) Der Neo-Institutionalismus interessiert sich zwar als Organisationstheorie für Entscheidungshandeln in Organisationen, setzt einer Organisationszentriertheit aber eine Beobachtung von Organisationen in den so genannten organisationalen Feldern entgegen. Durch diese erweiterte Perspektive gelingt es, Organisationen im Kontext ihrer gesellschaftlichen Erwartungen zu beschreiben und damit einen Link von der Mesozur Makroebene herzustellen (Wehmeier/ Röttger 2011: 195). 5.1.2 Legitimation als Funktion der PR So unterschiedlich die skizzierten PR-Theorien sein mögen, so gibt es doch hinsichtlich der beiden zentralen Fragen erstaunliche Übereinstimmungen. Bei der Frage ‚Welches Problem löst PR? ‘ haben fast alle genannten PR-Theorien Legitimität bzw. Legitimation als zentrale Funktion bzw. Leistung von PR benannt. Und bei der Frage nach der Funktionsweise bzw. den Strategien - ‚Wie löst PR die Probleme? ‘ - haben nahezu alle Ansätze zwischen einer internen und externen Wirkungsdimension (Jarren/ Röttger 2009: 34f) unterschieden. Allerdings fallen die Antworten der skizzierten PR-Ansätze auf diese beiden Fragen unterschiedlich umfassend aus. So wird beispielsweise die interne Beratungsleistung in der PR-Forschung zwar genannt, vielfach aber wenig ausgeführt. Daher soll im Folgenden ein Ansatz vorgestellt werden, in dem sowohl die Funktion als auch die Funktionsweise bzw. die Strategien der PR gleichermaßen berücksichtigt und erläutert werden (ausführlich dazu Hoffjann 2007, 2009a; ähnlich Preusse et al. 2013; Preusse 2016). Dies geschieht inner- <?page no="161"?> 162 5 Funktionskontext halb eines systemtheoretischen Rahmens, in dem PR als Disziplin der strategischen Organisationskommunikation konzipiert wird. Damit kann PR auf einer Ebene der in Kapitel 4.4 vorgestellten Disziplinen der Unternehmenskommunikation verortet werden. Wenn im Folgenden PR am Beispiel von Unternehmen erläutert wird, so geschieht dies mit Blick auf die bessere Lesbarkeit und Verständlichkeit. Gleichwohl ist PR in der beschriebenen Form ebenso in Non-Profit-Organisationen wie Kirchen, Parteien, Museen oder Hochschulen zu beobachten. Welches Problem löst PR: PR als Legitimation Zunächst soll die grundsätzliche Frage beantwortet werden: Was tut PR bzw. welches Problem löst PR? Public Relations wird in der Literatur in der Regel auf das gesellschaftliche Umfeld eines Unternehmens hin ausgerichtet; das unterscheidet PR in Unternehmen zum Beispiel von der Absatzkommunikation. Die Probleme, auf die Unternehmen in ihrer Umwelt treffen, ergeben sich aus ihrer autonomen und damit eigensinnigen Operationsweise. Ein Autohersteller produziert Autos zu möglichst geringen Kosten, um anschließend möglichst viele Käufer dafür zu gewinnen. Dass dabei die Natur belastet wird, in Krisen Arbeitnehmer entlassen werden müssen und in Asien Kinder mitarbeiten, erscheint für den wirtschaftlichen Erfolg zunächst unproblematisch. Naturschutz, Arbeitnehmerinteressen und Menschenrechte interessieren den Autohersteller nicht, so lange es nicht zu dysfunktionalen und mithin negativen Folgen für ihn kommt. In einer modernen, funktional differenzierten Gesellschaft sind Organisationen zwar autonom, aber nicht autark. Der Autohersteller ist von seinen Zulieferern und von seinen Abnehmern abhängig. Zudem bestehen Abhängigkeiten gegenüber der Politik oder gegenüber dem Erziehungssystem, das für die Ausbildung potenzieller Beschäftigter zuständig ist. Je mehr die Bezugsgruppen die dysfunktionalen Folgen eines Systems kritisieren und gleichzeitig die funktionalen ausblenden, desto eher kann dies zu einer existenzbedrohenden Situation führen. In jedem Falle führt es jedoch zu Konflikten, die mit der weiteren Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften potenziell zunehmen. Konflikte sind zwar per se weder positiv noch negativ für eine Gesellschaft, zu viele Konflikte würden Organisationen wie Unternehmen jedoch zum Erliegen bringen. Neben anderen kann Legitimität zur Vermeidung von Konflikten beitragen. Mit Legitimität meint Fuchs-Heinritz, „dass Herrschende, politische Bewegungen und Institutionen aufgrund ihrer Übereinstimmung mit Gesetzen, Verfassungen, Prinzipien oder aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit für allgemein anerkannte Ziele akzeptiert, positiv bewertet und für rechtmäßig gehalten werden“ (Fuchs-Heinritz 1995c: 396). <?page no="162"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 163 Während Legitimität in der Literatur insbesondere noch auf die Bereiche der Legislative, Exekutive und Judikative beschränkt wird, wird im Folgenden dafür plädiert, dass Legitimität in einer modernen Gesellschaft ohne eine zentrale Steuerungsinstanz auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu einem immer wichtigeren Steuerungsmechanismus geworden ist (Dyllick 1992: 15). So müssen Organisationen, um die erforderliche Unterstützung mit Ressourcen aller Art aus der Umwelt zu bekommen, ihre Legitimität nachweisen (Ortmann 2010: 190). Die Relevanz von Legitimität zeigt sich zumal in (potenziellen) Konflikten zwischen Organisationen unterschiedlicher Funktionssysteme, in denen unterschiedliche Rationalitäten ‚aufeinanderprallen‘ und in denen ein gemeinsames Symbolmedium wie beispielsweise Geld fehlt. Unternehmen, die von anderen Bezugsgruppen legitimiert sind, müssen gegenüber diesen nicht mehr jede Entscheidung begründen. Denn Legitimität beruht „gerade nicht auf ‚frei-williger‘ Anerkennung, auf persönlich zu verantwortender Überzeugung, sondern im Gegenteil auf einem sozialen Klima, das die Anerkennung verbindlicher Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiert und sie nicht als Folge einer persönlichen Entscheidung, sondern als Folge der Geltung der amtlichen Entscheidung ansieht“ (Luhmann 1997: 34). Legitimität setzt als Teil der Umwelterwartungen eines Systems damit Lernwilligkeit voraus, weil sie eine generalisierte Bereitschaft ist, „inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen“ (ebd.: 28). Sie sichert damit aus zwei Gründen künftige Handlungsspielräume. Erstens erhöht die Legitimität des gesamten Unternehmens bei einer Bezugsgruppe die Chance, dass auch künftige Einzelentscheidungen von ihr als legitim beurteilt werden. Das Unternehmen kann also tendenziell eigene Interessen besser realisieren. Zweitens steigt die Chance, dass diese Bezugsgruppe bzw. Teile von ihr die Interessen des Unternehmens bei künftigen Entscheidungen ihrerseits berücksichtigen werden. Interessen von gesellschaftlichen Organisationen, die als gesellschaftlich relevant und mithin legitim eingestuft werden, werden eher bei eigenen Entscheidungen berücksichtigt - nicht zuletzt, weil sie wiederum die eigene Legitimität gefährden können. Legitimität besitzt einen Doppelcharakter zwischen individueller Zuschreibung und kollektivem Bezug. Ein Beispiel: Wenn Bürgerinitiative A sagt, ein Unternehmen oder ein einzelnes Unternehmensinteresse seien legitim, dann ist dies eine individuelle Kurzbeschreibung (kollektiver Bezug), dass die Gesellschaft das Interesse als legitim beurteilt, und zugleich eine individuelle Meinungsäußerung (subjektiver Bezug). Mit anderen Worten: Wenn ich sage, dass ein Interesse legitim sei, bin ich davon überzeugt, dass dies die Mehrheit auch so sieht. Eine Beobachtung zweiter Ordnung liegt vor, <?page no="163"?> 164 5 Funktionskontext wenn ich sage, dass ich vermute, dass die Gesellschaft ein Unternehmen oder ein Unternehmensinteresse legitimiere, ich dies aber anders sehe. In solchen Fällen kann diese Vermutung Unternehmen vor Konflikten schützen, weil der Beobachter keine Erfolgschancen für eine Skandalisierung bzw. einen Konflikt sieht. Die Zuschreibung von Legitimität ist damit in hohem Maße reflexiv und wie Reputation ein partikuläres soziales Gut, das Vermittlungsprozesse voraussetzt. Legitimität ist mithin ebenso eine vermittelte Anerkennung zweiter Hand und resultiert aus der kommunikativen Diffusion von Prestigeinformationen über den Geltungsraum persönlicher Kontaktnetze hinaus (Eisenegger 2005). Legitimität entfaltet insbesondere für Unternehmen in öffentlichen Diskussionen ihre besondere Qualität, wenn die Legitimität unterschiedlicher Interessen bzw. Institutionen gegeneinander aufgewogen wird. Solche gesellschaftlichen Legitimitätshierarchien werden immer wieder neu verhandelt und können sich in öffentlich ausgetragenen Konflikten schnell ändern. Während das hohe Maß an Reflexivität der stabilisierende Faktor der Legitimität ist, sind das hohe Maß an überzogenen Informationen sowie das enorme Konfliktpotenzial moderner Gesellschaften die destabilisierenden Faktoren von Legitimität. So sehr das ‚angesparte Legitimitätskapital‘ einem Unternehmen helfen kann, einen Konflikt zu gewinnen, so wenig verlässlich ist es, weil die Toleranzgrenze unbestimmt ist und weil sich ein Unternehmen auf Legitimität nicht explizit berufen kann. Fehlende Legitimität ist damit das zentrale Problem, auf dessen Lösung PR sich spezialisiert hat. Während Legitimität den Zustand beschreibt, ist Legitimation die Bezeichnung des Prozesses. Legitimation ist der erfolgreiche Versuch, „die eigenen Ziele und Absichten als im gemeinsamen Interesse liegend oder als aus übergeordneten gemeinsamen Zielen folgend zu rechtfertigen“ (Fuchs-Heinritz 1995d: 395). Legitimation als zentraler Begriff der PR besitzt in der PR-Forschung eine lange Tradition - genannt seien hier neben den bereits skizzierten Ansätzen nur Ronneberger (1977), Everett (2000), Holmström (1996, 2005) und Metzler (2000). Organisationen stehen in einer modernen Gesellschaft unter einem nahezu permanenten Legitimationsdruck, der in den vergangenen 20 bis 30 Jahren deutlich zugenommen hat und vermutlich weiter ansteigen wird. Damit einher geht das Ende der ‚Privatsphäre‘ von Unternehmen. Unternehmen sind öffentlich exponiert und werden damit zu quasi-öffentlichen Organisationen (Dyllick 1992). Aus diesen Überlegungen lässt sich die Funktion der PR ableiten. <?page no="164"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 165 Die Funktion von Public Relations ist die Legitimation der Organisationsfunktion gegenüber den als relevant eingestuften Bezugsgruppen in der Gesellschaft. Da PR und Legitimation kein Selbstzweck sind, sondern fehlende Legitimität zu einem Kaufboykott oder zur Einreichung einer Klage ühren kann, machen sie immer nur Sinn in Relation zum Organisationserfolg. Denn Unternehmen müssen damit rechnen, dass Einzelne ihre ablehnende Haltung durch Kaufboykotte oder den Gang zum Gericht äußern. In systemtheoretischer Argumentation hat PR folglich keine gesellschaftliche Funktion, sondern löst ein organisationales Problem und wird mithin als Subsystem von Unternehmen modelliert. (Hoffjann 2007) Daraus folgt, dass sich Public Relations-Systeme mit der Wahl der zu veröffentlichenden Themen primär an den organisationalen Interessen, sekundär an den eigenen Interessen, tertiär an den Interessen der relevanten Bezugsgruppen und quartiär an den journalistischen Interessen orientieren. Wie löst PR diese Probleme: PR als Differenzmanagement Nachdem die Frage nach dem ‚Was‘ beantwortet ist, soll in einem zweiten Schritt konkretisiert werden, wie PR Organisationen legitimiert. Während in großen Teilen der PR-Forschung PR insbesondere im Hinblick auf ihre Selbstdarstellungsleistung bzw. auf ihre Kommunikatorrolle untersucht wird, wird PR hier doppelt perspektiviert: Während PR extern u. a. durch die Kommunikation von PR-Beschreibungen wirkt, wirkt sie intern durch die Reflexionsleistung und Beraterrolle (Röttger 2008: 75; Hoffjann 2009a). Wenn Legitimität u. a. die Vermeidung von Konflikten mit relevanten Bezugsgruppen zu relevanten Themen voraussetzt, wird PR in der Regel bestrebt sein, konfligierende Erwartungsstrukturen zu erkennen und zu ‚bearbeiten‘. In einem vereinfachten Modell sind hier zwei Situationen vorstellbar: Entweder trifft PR auf eine kognitive oder eine normative Erwartungshaltung einer Bezugsgruppe. Eine kognitive Erwartungshaltung, also Lernbereitschaft, kann von der Zuschreibung von Legitimität selbst bis hin zu einer konstruktiv-kritischen Beobachtung eines Unternehmens reichen - eine Bezugsgruppe ist also noch zu überzeugen. Eine normativ kritische Erwartungshaltung schließt hingegen zunächst die Zuschreibung von Legitimität aus: Die Bezugsgruppe steht dem Unternehmen insgesamt oder bezogen auf ein Thema äußerst kritisch gegenüber. Daraus lassen sich zwei idealtypische Strategieoptionen ableiten, die empirisch in der Regel als Mischtypen zu beobachten sind und die bereits im Kontext strategischer Organisationskommunikation skizziert wurden (Kap. 4.3): <?page no="165"?> 166 5 Funktionskontext Reden: Wenn PR den relevanten Bezugsgruppen eine kognitive Erwartungshaltung unterstellt, kann das Unternehmen an seiner Unternehmenspolitik festhalten und z. B. mittels der externen Kommunikation von Selbstbeschreibungen versuchen (Kieserling 2005), die Umwelterwartungen dieser Bezugsgruppen gegenüber dem Unternehmen zu ändern und damit das Unternehmen zu legitimieren. Diese Strategieoption entspricht im Wesentlichen der Selbstdarstellungsleistung. Dies kann systemtheoretisch als externe Kontextsteuerung bezeichnet werden. Handeln: Unterstellt PR bei den relevanten Bezugsgruppen eine normativ-kritische Erwartungshaltung und hat eine einzelne Unternehmensentscheidung das Potenzial, die Legitimation des gesamten Unternehmens zu gefährden, wird PR die eigene Unternehmenspolitik zu ändern versuchen. Dies entspricht im Wesentlichen der internen Beratungsleistung von PR. Dies kann systemtheoretisch auch als unternehmerische Selbststeuerung modelliert werden. Es ist zu erwarten, dass zumeist beide Strategien gleichzeitig eingesetzt werden - Änderungen der Unternehmenspolitik also von Selbstdarstellungen begleitet werden. In einer solchen Sichtweise managt PR den Einsatz dieser beiden Strategien bzw. die Unterscheidung dieser beiden Strategien. PR entscheidet also in jedem Fall neu, in welchem Ausmaß die externe Darstellungsleistung ausreicht und die interne Beratungsleistung notwendig ist. Damit wird die interne Beratungsleistung nicht zu etwas ‚Zusätzlichem‘ von PR. PR ist in einer solchen Sichtweise ohne die interne Beratungsleistung nicht denkbar. Abb. 5.5: Idealtypische Strategieoptionen der PR (Hoffjann 2009b: 12) <?page no="166"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 167 Die (a) externe Kontextsteuerung, die (b) unternehmerische Selbststeuerung und das (c) Differenzmanagement dieser beiden sollen im Folgenden in einer systemtheoretischen Perspektive erläutert werden. In der (a) externen Kontextsteuerung wird die operative Geschlossenheit von Systemen respektiert und stattdessen versucht, die Umweltbedingungen eines Systems so zu verändern, dass dieses qua Selbststeuerung sich in die gewünschte Richtung verändert (Willke 1995). Die Kontextsteuerung setzt folglich in der Umwelt Bedingungen, "an denen sich das zu steuernde System in seinen eigenen Selektionen orientieren kann und im gelingenden Fall im eigenen Interesse orientieren wird“ (Willke 1997: 141). Da diese Veränderungen der Kontextbedingungen mithin in der Umwelt eines Systems stattfinden, versteht ein zu steuerndes System diese Außeneinwirkungen nur dann als Informationsangebote, wenn diese in einer Form vorliegen, die nach den Suchschemata des intervenierten Systems Sinn machen (Willke 1993: 130). Die Erfolgschancen der Kontextsteuerungen hängen folglich im hohen Maße davon ab, wie gut das steuernde System die Strukturen des zu steuernden Systems kennt. Wie aber lernen Systeme etwas über die Strukturen anderer Systeme, wie zum Beispiel deren Selektionskriterien, wenn sie zunächst einmal intransparent füreinander sind und sich in einer „Black-box-Interaktion“ (Willke 1992: 35) befinden? Hierzu tragen insbesondere Erfahrungen aus kontinuierlichen Beziehungen bei - Systeme lernen, was zu erfolgreichen Kontextsteuerungen geführt hat und was nicht. Für die Erfolgschancen von Steuerungsversuchen bedeutet dies: Je öfter Interaktionen stattfinden, desto stärker sind die strukturellen Kopplungen und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Perturbationen vom zu steuernden System adäquat strukturell abgearbeitet werden (Druwe/ Görlitz 1992: 155f). Wie betreibt PR in Unternehmen Kontextsteuerung? Allgemein formuliert: PR versucht mit der externen Kontextsteuerung, die Umweltbedingungen ausgewählter Bezugsgruppen so zu verändern, dass die Bezugsgruppen unbequeme Entscheidungen akzeptieren bzw. die Unternehmensinteressen bei eigenen Entscheidungen berücksichtigen (ähnlich Jarren/ Röttger 2009; Nothhaft/ Wehmeier 2009). Dazu kreiert PR zum Beispiel argumentative Anreize, die bei den Bezugsgruppen anschlussfähig sind. Solche Anreize sind Selbstbeschreibungen über die positiven Folgen des eigenen Handelns. Diese Selbstbeschreibungen der PR betonen insbesondere die Relevanz externer Interessen für die Organisation. Damit versucht PR, den Gegensatz von eigensinnigem Verhalten und gesellschaftlichen Interdependenzen aufzulösen. Dazu werden die Rationalitäten bzw. Selektionskriterien der relevanten Bezugsgruppen in den PR-Beschreibungen berücksichtigt - bei A M- NESTY I NTERNATIONAL die Frage der Menschenrechte, bei G REENPEACE die <?page no="167"?> 168 5 Funktionskontext Relevanz des Naturschutzes usw. PR übernimmt damit in Unternehmen die Rolle eines „Übersetzungsbüros“ (Röttger et al. 2003: 49). All diese Kommunikationen simulieren andere gesellschaftliche Perspektiven, um dem Vorwurf der Eigensinnigkeit entgegenzutreten. Neben argumentativen Anreizen kann PR auch finanzielle Anreize im Rahmen der Kontextsteuerung einsetzen. Das Sponsoring von Non-Profit-Organisationen wie Schulen und selbst kritischen Interessenorganisationen zielt insbesondere darauf, durch den freiwilligen Verzicht auf Gewinne erneut die Relevanz gesellschaftlich relevanter Werte zu betonen. Insgesamt scheint das Medium Geld aber für die Legitimation nur ein nachgeordnetes Steuerungsmedium zu sein. In der externen Kontextsteuerung dürfte mithin Kommunikation über die positiven Folgen unternehmerischen Handelns die größte Bedeutung behalten. Im Rahmen der Pressearbeit versucht PR, journalistische Selektionskriterien zu simulieren, indem es Anreize für eine Berichterstattung schafft (Kap. 5.6.1). Diese Anreize reichen von dem Versprechen der Exklusivität über die Inszenierung von Veranstaltungen und provokante Statements bis hin zum Einsatz prominenter Testimonials bei PR-Anlässen. Angesichts der zunehmenden Ausbreitung und Professionalisierung von PR trifft der Journalismus mittlerweile fast nur noch auf solche ‚PR-getunten‘ Veranstaltungen und Kommunikationsangebote von Unternehmen. Welche Möglichkeiten und Grenzen der PR-Kontextsteuerungen lassen sich benennen? Zentrale Voraussetzungen hierfür scheinen zu sein, dass Kontextsteuerungen langfristig angelegt sind (Zeitdimension), inhaltliche Widersprüche gegenüber verschiedenen Bezugsgruppen und von unterschiedlichen Kommunikationsstellen des Unternehmens weitgehend vermieden werden und die geschaffenen Anreize anschlussfähig sind (Sach- und Sozialdimension). Die Grenzen der Kontextsteuerungen werden beispielsweise in Krisensituationen deutlich, in denen Journalismus deutlich eigeninitiativer und rechercheintensiver arbeitet als in Normalsituationen (Barth/ Donsbach 1992). Steuerungsabsichten der PR begrenzen neben der operativen Geschlossenheit von Systemen zunehmend auch die konkurrierenden PR- Stellen anderer Unternehmen. Während PR mit externer Kontextsteuerung versucht, die Erwartungsstrukturen relevanter Bezugsgruppen zu verändern, versucht sie mit (b) unternehmerischer Selbststeuerung, das Unternehmen zu verändern. Der Bedarf an unternehmerischer Selbststeuerung dürfte besonders groß sein, wenn PR respektive ein Unternehmen auf relevante Bezugsgruppen mit einer normativ-kritischen Erwartungshaltung und einer vermuteten großen öffentlichen Unterstützung treffen. Ein (öffentlicher) Konflikt und damit weitere <?page no="168"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 169 Legitimationsverluste über diese Bezugsgruppen hinaus sind dann allenfalls nur durch eine veränderte Unternehmenspolitik, also eine unternehmerische Selbststeuerung zu erreichen. Selbststeuerungen sind untrennbar mit Reflexion verbunden. Reflexionen sind Operationen, die sich auf die Identität des Systems beziehen (Luhmann 1981: 423). „Reflexive Orientierung eines individuellen oder kollektiven Akteurs meint die Fähigkeit zur Empathie, also die Fähigkeit, sich selber in die Rolle anderer Akteure zu versetzen, um aus deren Perspektive die eigene Rolle zu sehen.“ (Teubner/ Willke 1984: 14) Eine solche reflexive Orientierung leistet u. a. PR als unternehmerisches Reflexionszentrum (Kussin 2006, 2009). PR reflektiert dabei die Identität des Gesamtunternehmens gegenüber funktionssystemfremden Rationalitäten und sucht manifeste sowie potenzielle Legitimationsrisiken und -chancen. Diese Reflexionen sind „eine Form der Selbststeuerung, durch welche Teilsysteme ihre eigene Identität thematisieren und genau darauf einstellen, dass in ihrer relevanten Umwelt andere Teilsysteme in Interdependenzbeziehungen agieren und sie selbst für diese anderen Teilsysteme eine brauchbare Umwelt darstellen müssen“ (Teubner/ Willke 1984: 14). Die Funktion von PR im Kontext unternehmerischer Selbststeuerung ist es folglich zu gewährleisten, dass Unternehmensentscheidungen auf möglichst geringen Widerstand in der Umwelt stoßen - ggf. also Unternehmensentscheidungen so getroffen werden, damit sie auf Zustimmung stoßen. Nicht Legitimation, sondern Geld ist jedoch die Sprache von Unternehmen. Zudem steht Legitimation in Konkurrenz zu anderen nachgeordneten Problemen in Unternehmen. Die bislang oft vernachlässigte Frage ist folglich, wie PR in einer solchen Konkurrenzsituation Selbststeuerungen eines Unternehmens bewirken kann. Zur Beantwortung dieser Frage muss zwischen der PR-Selbststeuerung und der unternehmerischen Selbststeuerung unterschieden werden. PR-Selbststeuerungen beziehen sich auf Veränderungen, die in der Autonomie des organisationalen Subsystems PR liegen - zum Beispiel Änderungen, die aus strukturellen Kopplungen mit dem Journalismus resultieren. Als unternehmerische Selbststeuerungen hingegen sollen Veränderungen bezeichnet werden, die durch die Unternehmensleitung entschieden werden müssen. Dazu zählen zum Beispiel der Ausstieg aus der Kernenergie, um den Fortbestand des Unternehmens nicht zu gefährden, der Verzicht auf die Versenkung der Ölplattform, um den Absatz nicht zu gefährden oder ein Verzicht auf Kinderarbeit in Südamerika, um Diskussionen mit Menschenrechtsorganisationen zu beenden. <?page no="169"?> 170 5 Funktionskontext Als Teilbzw. Subsystem eines Unternehmens kann PR solche Änderungen der Unternehmenspolitik nur empfehlen. Solche empfohlenen Verhaltensänderungen beziehen sich auf Legitimationschancen und -risiken. Eine Unternehmensleitung wird die Folgen einer solchen Entscheidung bzw. die Auswirkungen für das Gesamtunternehmen diskutieren und entscheiden. Nicht selten nehmen Unternehmen bewusst eine Delegitimation in Kauf, um zum Beispiel kurzfristige wirtschaftliche Ziele nicht zu gefährden. Daher wird PR bei solchen Empfehlungen nicht nur legitimationsbezogen, sondern immer aus einer gesamtunternehmerischen Perspektive argumentieren, also insbesondere die monetären Auswirkungen im Blick haben. Damit ist die unternehmerische Selbststeuerung letztlich eine Kontextsteuerung der PR gegenüber der Unternehmensleitung: Je besser es der PR gelingt, die PR-Risiken in monetäre Risiken zu übersetzen und damit Anschluss an Programme der Unternehmensleitung zu gewinnen, desto größer sind die Erfolgschancen dieser Steuerungsversuche. Die internen Steuerungsversuche sind zudem tendenziell umso erfolgreicher, je größer der formale oder informelle Einfluss der PR auf die Unternehmensleitung ist (Kap. 4.2). Das strukturelle Problem zwischen Unternehmensleitung und PR ist, dass insbesondere solche Selbststeuerungsentscheidungen legitimierend wirken können, die wirtschaftlich höchst irrational sind - also ein freiwilliger Verzicht auf einen Teil des Gewinns. Die Investition in umweltschonende Produktionsverfahren, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Produktionsstätten in Schwellenländern oder der Verzicht auf sogenannte Alkopop-Getränke sind nur einige wenige Beispiele für gleichermaßen legitimationsrelevante wie kostspielige Entscheidungen. Dieser ‚eingebaute Widerspruch‘ macht PR damit zum ‚schlechten Gewissen‘ von Unternehmen. Weil PR zumindest kurzfristig Handlungsspielräume einschränkt, weil PR dabei auf die Unterstützung der Unternehmensleitung angewiesen ist und weil die Empfehlungen von PR in der Regel auch ex post schwer zu quantifizieren sind, setzt dies ein enormes Vertrauen der Unternehmensleitung sowohl in das PR-System als auch in die verantwortlichen Personen voraus. Dies dürfte, so ist zu vermuten, nicht ohne Auswirkungen auf die PR-Akteure bleiben. Bei Empfehlungen zu möglichen Änderungen der Unternehmenspolitik dürften sie sich auch die Frage stellen, welche Auswirkungen eine mögliche Ablehnung auf ihre eigene Position hat. Nachdem mit der externen Kontextsteuerung und der unternehmerischen Selbststeuerung die beiden idealtypischen Strategien erläutert wurden, mit denen PR eine Organisation legitimiert, soll im Folgenden skizziert werden, wie PR deren (c) Differenzmanagement betreibt. Wenn PR die Unterscheidung von Selbststeuerung und Kontextsteuerung managt, impliziert dies, dass es beide Seiten der Unterscheidung braucht. <?page no="170"?> 5.1 Organisationstheoretische Ansätze der PR 171 Welche Folgen hat es, wenn PR eine Seite der Unterscheidung fehlt? Eine fehlende unternehmerische Selbststeuerung läge vor, wenn eine Unternehmensleitung sich Empfehlungen der PR gänzlich verweigern würde. PR hätte damit zur Legitimation allein das ‚Werkzeug‘ einer sehr beschränkten, weil auf operative Fragen reduzierten Kontextsteuerung. Langfristig droht PR, damit nur noch die Rolle eines „Reparaturbetriebs“ (Liebl 2000: 128) auszufüllen, der durch öffentliche Erklärungen die immer größer werdenden Widersprüche zwischen Unternehmen und ihren relevanten Bezugsgruppen zu ‚kitten‘ versucht. Damit wird die Relevanz von PR als ein unternehmerisches Reflexionszentrum und den notwendigen unternehmerischen Selbststeuerungen deutlich. Die Legitimation eines Unternehmens und damit die Sicherung von Handlungsspielräumen sind ohne Anpassungsprozesse und damit unternehmerische Selbststeuerungen nicht vorstellbar. PR ist also auf beide Seiten der Unterscheidung angewiesen. Es ist zu vermuten, dass PR-Aktivitäten mit einer Verbindung von Selbststeuerung und Kontextsteuerung im Sinne der Legitimation in der Regel höchst erfolgreich sind. So ist der PR-Alltag heute von vielfältigen symbolischen Selbststeuerungsentscheidungen geprägt. Als symbolische Selbststeuerungsentscheidungen können solche Entscheidungen bezeichnet werden, deren (monetäres) Ausmaß im Unternehmen eher gering ist und die vor allem mit Blick auf die öffentliche Wirkung hin getroffen werden. Häufig erschöpfen sich solche Programme aber neben einigen wenigen konkreten Projekten im Rahmen der Selbststeuerung vor allem auf eine begleitende externe Kommunikation im Rahmen der Kontextsteuerung. Die Inszenierung von Lernwilligkeit kann also eine Strategie der Kontextsteuerung sein, hinter der sich eine höchst lernunwillige Unternehmensleitung zu verstecken versucht, um so weiter zu machen wie bisher. Auch wenn PR auf beide Seiten der Unterscheidung angewiesen ist, so besteht doch kein Zweifel daran, dass die externe Kontextsteuerung immer die präferierte Seite der Unterscheidung ist. Eine Erhöhung der Budgets oder gar eine Änderung der Unternehmenspolitik zur ‚Befriedung der Umwelt‘ dürfte von vielen Unternehmensleitungen schon fast als ‚worst case‘ bewertet werden, da es nicht gelingt, die eigenen Interessen durchzusetzen. Je erfolgreicher also die Kontextsteuerung eines Unternehmens ist, desto weniger ist Selbststeuerung notwendig (Everett 2000: 317). Wenn PR als Organisationsfunktion konzipiert wird, dann kann es Erwartungen an eine erfolgreiche Legitimation zunächst nur innerhalb der jeweiligen Organisation geben. Denn PR bearbeitet als organisationales Subsystem das Problem notwendiger Legitimität, und dieses Problem stellt sich nur innerhalb der Organisation. Wenn PR dabei die Interessen externer Bezugsgruppen berücksichtigen und eine Änderung der Unternehmenspolitik <?page no="171"?> 172 5 Funktionskontext empfehlen sollte, dann deshalb, weil es als funktional bei der Bearbeitung des Legitimitätsproblems erscheint. PR interessiert sich für mögliche negative Folgen einer Organisation in ihrer Umwelt immer nur, soweit sie die Legitimation tangieren. Normative Annahmen, PR diene der Öffentlichkeit, sind vor dem Hintergrund dieser Überlegungen nicht plausibel. Externe Bezugsgruppen nehmen hingegen eine völlig andere Perspektive ein. Bezugsgruppen interessieren sich nicht ür die Legitimation einer Organisation, sondern ausschließlich ür die negativen Folgen, die sie selbst betreffen und deren Ursache sie der Organisation zuschreiben. Eine Bezugsgruppe legitimiert eine Organisation zwar (oder eben nicht), sie interessiert sich aber nicht daür, welche Folgen eine fehlende Legitimation ür die Organisation hat - es sei denn, dass dies ür die Bezugsgruppe wiederum relevant wäre. Entsprechend gibt es auch keine Kommunikation im Medium der Legitimität zwischen der Organisation und einer Bezugsgruppe. Und folglich kann es auch kein Vertrauen - genauso wenig wie Misstrauen - einer Bezugsgruppe in das PR-System einer Organisation geben. Zum Weiterlesen Beiträge zum Zusammenhang von Organisationsperspektive, Organisationskommunikation und PR-Forschung: • Zerfaß, Ansgar / Rademacher, Lars / Wehmeier, Stefan (Hrsg.) (2013): Organisationskommunikation und Public Relations. Forschungsparadigmen und neue Perspektiven. Wiesbaden. Darstellung verschiedener PR-Theorien: • Röttger, Ulrike (Hrsg.) (2009): Theorien der Public Relations. Grundlagen und Perspektiven der PR-Forschung (2. Aufl.). Wiesbaden. Ausführliche Darstellung des Ansatzes von PR als Legitimation: • Hoffjann, Olaf (2009): Public Relations als Differenzmanagement von externer Kontextsteuerung und interner Selbststeuerung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 57, 3: 299-315. 5.2 Selektionskriterien der PR Wenn in Kapitel 5.1.2 Legitimation als Funktion der PR identifiziert wurde, dann kann dies auch als zentrales Ziel der PR interpretiert werden. Neben der Legitimation werden in der PR-Praxis und PR-Forschung zahlreiche weitere Zielbzw. Bezugsgrößen genannt. Sie reichen von Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Authentizität über Dialog und Partizipation sowie Transparenz und Geheimhaltung bis hin zu Image und Reputation. Diese und weitere Kategorien werden zumeist unspezifisch als wichtig für die PR im Speziellen und für strategische Organisationskommunikation <?page no="172"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 173 im Allgemeinen bewertet (z. B. Zerfaß et al. 2014: 70). In wenigen Fällen tritt eine dieser Zielbzw. Bezugsgrößen an die zentrale Stelle der Legitimation und wird als Ziel bzw. Funktion der PR benannt. So stellt z. B. Oeckl den Vertrauensbegriff in den Mittelpunkt seines PR-Verständnisses, wenn er PR definiert als „das bewusste, geplante und dauernde Bemühen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen in der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen“ (Oeckl 1964: 43). Zumeist bleibt jedoch weitgehend offen, in welcher Beziehung oder gar Rangordnung diese Zielbzw. Bezugsgrößen zueinanderstehen. Oft wird in solchen Fällen mit einem intuitiven PR-Verständnis gearbeitet, so dass nicht einmal klar wird, ob sie z. B. wichtig für PR im Sinne der Pressearbeit oder für PR im Sinne der Legitimation sind. Im Folgenden sollen diese Zielbzw. Bezugsgrößen als ‚Zwischenziele‘ bzw. systemtheoretisch als Selektionskriterien der PR im Sinne der Legitimation interpretiert werden. Selektionskriterien sind auf der Programmebene der PR angesiedelt. In den Programmen finden sich die Regeln, wann PR etwas als legitimierend oder nicht-legitimierend bewertet (Luhmann: 2000: 256ff). So wird z. B. eine dialogische Maßnahme in vielen PR-Abteilungen als legitimierend bezeichnet. Solche Selektionskriterien sind Regeln einer spezifischen PR-Abteilung, sie sind also in Nuancen in jeder PR-Abteilung unterschiedlich. Während z. B. Partizipationsangebote in Parteien eine Selbstverständlichkeit sind, versuchen Unternehmen wie z. B. A PPLE , sich einem Dialog insbesondere mit kritischen Bezugsgruppen zu entziehen. Empirisch könnte man sie z. B. durch Befragungen der PR-Funktionsträger, Beobachtungen in PR-Abteilungen oder Inhaltsanalysen z. B. von PR-Konzepten erforschen. Diese Selektionskriterien bzw. Regeln sind damit Annahmen zu Kausalbeziehungen bzw. operative Fiktionen: PR tut so, als ob z. B. eine dialogische Maßnahme zur Legitimation beiträgt. Davon zu unterscheiden ist die externe Perspektive der Bezugsgruppen, die darüber entscheidet, ob eine dialogische Maßnahme tatsächlich die Legitimation positiv beeinflusst hat. Selektionskriterien wie Vertrauen, Transparenz, Dialog und Reputation beeinflussen damit, wie PR die Organisation zu legitimieren versucht. Diese ausgewählten Selektionskriterien sollen im Folgenden ausführlicher erläutert werden. Vertrauen in PR zeigt sich z. B. in Situationen, in denen man PR-Beschreibungen trotz eines wahrgenommenen Risikos glaubt und die Organisation unterstützt, legitimiert und damit deren Handlungsspielräume vergrößert. Fehlendes Vertrauen in PR oder gar Misstrauen verringern die Legitimation und damit die Handlungsspielräume. Daher sind PR-Entscheidungen in hohem Maße davon geprägt, ob sie Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen wahrscheinlicher werden lassen und das Vertrauen in PR erhöhen könnten (Kap. 5.2.1). <?page no="173"?> 174 5 Funktionskontext Transparenz wird vor allem da gefordert, wo Vertrauen und Legitimation fehlen. Daher wird in der PR zunehmend mehr die Frage diskutiert, wie eine Organisation als transparenter wahrgenommen werden könnte (Kap. 5.2.2). Dialog- und Partizipationsangebote können von Bezugsgruppen als Wille zur Transparenz und zur Veränderungsbereitschaft interpretiert werden. Für PR kann sich damit die Frage stellen, wie lange sie einen Dialog verweigert, ohne ihre Legitimation zu gefährden (Kap. 5.2.3). Image und Reputation als spezifische Wissens- und Einstellungskonzepte beeinflussen in hohem Maße die Legitimation eines Unternehmens. Daher nutzt PR oftmals Image bzw. Reputation als Zwischenzielgrößen, um die Organisation zu legitimieren (Kap. 5.2.4). Die Selektionskriterien der PR sind bislang ein weitgehend unerforschtes Feld. Die hier ausgewählten Kriterien können nur als Beispiele verstanden werden. Ein weiteres zentrales Selektionskriterium ist bereits in Kapitel 5.1.2 genannt worden: So können insbesondere solche PR-Beschreibungen und Selbststeuerungen legitimierend wirken, die wirtschaftlich höchst irrational sind - also z. B. ein freiwilliger Verzicht auf einen Teil des Gewinns. Zudem haben sich in den Beziehungen mit den unterschiedlichen Bezugsgruppen weitere ausdifferenziert. Beispielsweise werden in der Pressearbeit die klassischen Nachrichtenfaktoren - als journalistische Selektionskriterien - von der PR instrumentalisiert und werden damit zu Selektionskriterien der PR. Hier wird noch einmal deutlich, dass sich PR primär an den Interessen ‚ihrer‘ Organisation, sekundär an den eigenen Selektionskriterien, tertiär an den Primär-Bezugsgruppen und erst quartiär an Sekundär- Bezugsgruppen wie dem Journalismus orientiert. Genau darin zeigt sich der strategische Charakter der PR. Und dieser strategische Charakter führt auch dazu, dass die Beschreibung der Selektionskriterien der PR zwangsläufig abstrakter bleiben muss als z. B. beim Journalismus. Im Folgenden sollen einerseits relevante Erkenntnisse der PR-Forschung zu den Selektionskriterien skizziert werden. Andererseits sollen sie in dem hier vorgeschlagenen PR-Theorierahmen verortet werden. Dazu wird PR als Legitimation verstanden. 5.2.1 Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit Vertrauen zählt zu den klassischen Begriffen der PR-Forschung (Szyszka 2009c: 141). Bei diesem Begriff aber ist schon ein inflationärer Gebrauch zu beobachten (Bentele 1994a: 150). Ob als „Vertrauensspezialist“ (Löhn/ Röttger 2009: 105) oder als „Vertrauensvermittler“ (Bentele 1994a: 141), PR scheint in Vertrauensfragen eine zentrale Rolle zuzukommen. <?page no="174"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 175 Diese Relevanz für PR wird Vertrauen bereits seit den 50er Jahren zugeschrieben. Von praxisorientierten Autoren wie Hundhausen (1951), Oeckl (1964) oder Graf Zedtwitz-Arnim (1961) wurde Vertrauen als zentrales Ziel und als praktische Zielvorgabe erfolgreicher PR-Arbeit genannt - ähnlich wie es die Objektivität lange Zeit für den Journalismus war (Bentele 1992a: 155). Zu kritisieren ist an diesen Arbeiten, dass es den Autoren nicht gelungen ist, die Bedeutung und Leistung von Vertrauen als sozialen Mechanismus aufzuzeigen (Stuiber 1992: 209). Bevor Vertrauen im Kontext von PR zu erläutern sein wird, ist daher Vertrauen allgemein zu bestimmen. Das Ausgangsproblem von Vertrauen stellt sich dort, wo eine Situation doppelter Kontingenz wahrgenommen wird: Man selbst könnte so oder anders handeln, und der andere könnte ebenfalls so oder anders handeln. Da hier sichere Informationen über den anderen fehlen, wird das Risiko der Situation bewusst. Eine solche Unsicherheit kann Vertrauen lösen. Vertrauen überzieht in solchen Situationen damit vorhandene Informationen und ist folglich eine Mischung aus Wissen und Nichtwissen (Luhmann 1989: 26). Vertrauen ist somit - wie oft vermutet - keine Einstellung, sondern eine Handlung: Vertrauen ist „die selektive Verknüpfung von Fremdhandlungen mit Eigenhandlungen unter der Bedingung einer nicht mittels Sachargumente legitimierbaren Tolerierung des wahrgenommenen Risikos“ (Kohring 2004: 130). Während Vertrauen mithin als Handlung konzipiert wird, ist Vertrauenswürdigkeit eine konkrete Zuschreibung bzw. Beurteilung eines Vertrauensobjektes. Letztlich wird damit begründet, warum man jemandem vertraut bzw. vertrauen würde. Die Paradoxie des Vertrauens besteht aber gerade darin, dass Vertrauen letztlich nicht begründbar ist (Luhmann 1989: 26). Aussagen zur Vertrauenswürdigkeit eines Vertrauensobjektes bzw. Gründe ür die Vertrauensbereitschaft dienen somit ex post dazu, Vertrauenshandlungen und damit das bewusst eingegangene Risiko vor sich selbst oder vor anderen zu legitimieren. Ex ante sind diese Gründe Indikatoren ür Vertrauenswürdigkeit. Ein Vertrauenssubjekt sucht - rudimentär und unbewusst oder aufwändig und nach definierten Kriterien - nach Indikatoren ür die (fehlende) Vertrauenswürdigkeit eines Vertrauensobjektes. Diese Indikatoren sind die Informationen, die in der Vertrauenshandlung überzogen werden (ebd.: 26). So sehr die Vertrauenswürdigkeit und mit ihr die Vertrauenswürdigkeitsindikatoren Vertrauenshandlungen beeinflussen, sie determinieren sie nicht. Eine konkrete Vertrauenshandlung kann folglich in letzter Konsequenz nie plausibel erklärt werden. <?page no="175"?> 176 5 Funktionskontext Theorie des öffentlichen Vertrauens (Bentele) Von einer ernst zu nehmenden theoretisch-fundierten PR-Forschung zum Vertrauen kann erst seit den Arbeiten von Bentele gesprochen werden. Dazu hat er eine Theorie des öffentlichen Vertrauens entwickelt und darin die besondere Rolle der PR herausgearbeitet (1994a, Bentele/ Seidenglanz 2015). Als öffentliches Vertrauen definiert Bentele einen medienvermittelten Prozess, in dem die Vertrauenssubjekte zukunftsgerichtete Erwartungen haben, die stark von vergangenen Erfahrungen geprägt sind. Da öffentliche Personen und Organisationen in modernen Gesellschaften immer weniger direkt erfahrbar sind, werden Vertrauensvermittler wie Journalismus und auch die PR wichtiger. Prozesse der Vertrauensbildung oder von Vertrauensverlusten auf Rezeptionsseite hängen damit von durch PR und Medien vermittelten Informationen ab. Relativ vage bleibt die Antwort auf die Frage nach dem spezifischen Beitrag von PR bei der Vertrauensvermittlung: „Public Relations kann diesen Prozess wirksam unterstützen und gewinnt dabei eine Schlüsselposition im Vergleich zu anderen Formen institutionalisierter Kommunikation - wie zum Beispiel der Werbung.“ (Bentele/ Seidenglanz 2015: 424) Worin die konkreten Unterschiede zur Werbung und zum Journalismus bestehen, wird hingegen nicht weiter erläutert. Neben der Frage, wie durch PR Vertrauen in Organisationen entsteht, wird die Frage des Vertrauens in PR eher nachrangig beantwortet. Vertrauen in PR wird u. a. mit der Diskrepanzthese begründet. So führen beobachtete Diskrepanzen zu Vertrauensverlusten. Dazu zählen zum Beispiel Diskrepanzen zwischen PR-Aussagen und zugrunde liegenden Sachverhalten, Unwahrheiten, Tabuisierungen, wahrnehmbare Beschönigungen oder die Auslassung negativer Informationen. Das Publikum kann Diskrepanzen zwischen direkt wahrgenommenen Wirklichkeitsausschnitten und Medienwirklichkeiten (Realitätsvergleich) oder zwischen den verschiedenen Medienwirklichkeiten (Medienvergleich) wahrnehmen. Entsprechend ist eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit und Vertrauen, dass „eine Art von Repräsentations- oder Isomorphiebeziehung sowie ein Konsistenzverhältnis zwischen PR-Information und zugrunde liegenden Sachverhalten/ Ereignissen nicht nur behauptet, sondern tatsächlich gewährleistet ist“ (Bentele 1992a: 164). In seinem erkenntnistheoretischen Verständnis ist Objektivität damit der zentrale Bezugspunkt (s. Kap. 5.3.1). Sobald ein bestimmter „Realitäts-‚Korridor‘“ (Bentele 2008b: 158) verlassen wird, entstehen Vertrauensprobleme. Vertrauen in PR Zu einem anderen Verständnis von Vertrauen in PR gelangt man, wenn man PR als Legitimation versteht und fragt, worin das Vertrauen der Bezugs- <?page no="176"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 177 gruppen in PR besteht (= Vertrauen in PR) und warum diese vertrauen (= vertrauenswürdige PR). Eine solche Perspektive schließt direkt an das oben skizzierte PR-Verständnis an (Kap. 5.1.2; ausführlich Hoffjann 2013a). Es ist skizziert worden, dass es in Unternehmen gesellschaftliche Anliegen als nichtmarktliche Bedingungen oder Forderungen gibt, die die Tätigkeit oder die Interessen eines Unternehmens spürbar beeinträchtigen können. Bezugsgruppen haben Ansprüche an Unternehmen bzw. sie schließen mit eigenen Selektionen an Selektionen der Organisation an. Anwohner eines Chemie-Unternehmens wohnen dort, weil sie in die technische Sicherheit der Anlagen vertrauen. Hier geht es also konkreter um Vertrauen in das Fehlen von als negativ bewerteten Auswirkungen. Wenn z. B. Entscheidungen eines Unternehmens aus der Umwelt des Wirtschaftssystems beobachtet werden, ist die relevante Frage, in welchem Ausmaß das Unternehmen die eigenen Interessen berührt - ob negative Auswirkungen beobachtet werden. In diesem Kontext kann von Vertrauen in die Umweltverträglichkeit einer Organisation gesprochen werden. Dieses kann aus einer analytischen Perspektive letztlich auch als Vertrauen in PR bezeichnet werden, wenn man PR als die Legitimation der Organisation gegenüber relevanten Bezugsgruppen versteht. Denn genau hierfür ist externes Vertrauen in die Umweltverträglichkeit eine Grundvoraussetzung. Ohne ein Vertrauen in die Umweltverträglichkeit einer Organisation - also zum Beispiel die Berücksichtigung von Interessen jenseits wirtschaftlicher Interessen - ist eine Legitimation nicht möglich. Wenn externe Bezugsgruppen in die umweltverträgliche Systemprogrammierung einer Organisation vertrauen, legitimieren sie zugleich ein Unternehmen. Aus einer Rezipientenbzw. Bezugsgruppenperspektive kann damit Vertrauen in PR als Vertrauen in die Umweltverträglichkeit von Organisationen bezeichnet werden. Wie kann dieses Vertrauen in PR konkretisiert werden? Aus der bereits skizzierten Unterscheidung zwischen Reden bzw. Kontextsteuerungen und Handeln bzw. Selbststeuerungen (Kap. 5.1.2) folgt, dass sich erstens zwar Vertrauen in PR auf Kontextsteuerungen qua PR-Beschreibungen und auf Selbststeuerungen bezieht, es sich aber durchaus lohnt, zwischen beiden analytisch zu unterscheiden. Vertrauen in die Selbststeuerungen bezieht sich z. B. darauf, dass ein Unternehmen die Interessen des Umweltschutzes, von Arbeitnehmern oder Nachbarn berücksichtigt. Vertrauen in die Kontextsteuerungen bzw. in PR-Beschreibungen bezieht sich auf die Angemessenheit der PR-Beschreibungen. In Anlehnung an die vier Dimensionen des Vertrauens in den Journalismus von Kohring (2004: 170ff) können hierzu vier Dimensionen des Vertrauens in PR-Beschreibungen entwickelt werden. <?page no="177"?> 178 5 Funktionskontext Die erste Dimension (a) Vertrauen in die Themenselektivität beschreibt beim Journalismus die Themenauswahl, die selbst schon eine Information im Hinblick auf Aktualität ist, da der Journalismus bestimmten Themen Aufmerksamkeit schenkt und andere Themen ignoriert. In der PR ist das Vertrauen hingegen nicht davon abhängig, ob die veröffentlichten Themen relevant sind, sondern vielmehr davon, ob kein wichtiges Thema zurückgehalten wird. Bezugsgruppen erwarten, dass PR sie über Themen informiert, die sie zu kennen glauben müssen. Mit anderen Worten: PR kann auch ‚bunte‘ nicht relevante Themen veröffentlichen - es dürfen aber keine wichtigen fehlen. Das eigentliche Risiko für die PR besteht in der Frage, welche Themen relevant sind und bei welchen Themen Bezugsgruppen z. B. die Privatsphäre von Unternehmen respektieren. Ähnlich wie das Vertrauen in die Themenselektivität ist die zweite Dimension (b) Vertrauen in die Faktenselektivität zu beurteilen. Die Selektion von Fakten stellt das Thema in einen bestimmten sozialen Kontext und ermöglicht es Bezugsgruppen, ein Ereignis zu relationieren und die Relevanz für sich selbst einschätzen zu können. Ähnlich wie in der ersten Dimension unterscheidet sich PR vom Journalismus darin, dass hier weniger die Relevanz der selektierten Fakten zählt als vielmehr der Umstand, dass keine wichtigen fehlen. Die dritte Dimension (c) Vertrauen in die Richtigkeit von Beschreibungen ist sicherlich die prominenteste und insbesondere im Rahmen des Themas Vertrauen in PR die am häufigsten diskutierte. Die Richtigkeit bezieht sich auf die nachprüfbare und konsentierbare Richtigkeit der Beschreibung oder Bezeichnung bereits ausgewählter Fakten und Themen. In non-dualistischer Perspektive (Kap. 5.3.3) sind dies also ‚wahre‘ Fakten im Sinne eines Basiskonsenses. Dazu zählen beispielsweise normierte Messverfahren. Hier ist zu vermuten, dass es keinen Unterschied zwischen PR und Journalismus gibt. Die vierte Dimension (d) Vertrauen in explizite Bewertungen bezieht sich z. B. auf die in Kommentaren verwendeten Adjektive. Solche Bewertungen sind für Rezipienten einerseits eine erhebliche Handlungsentlastung, andererseits aber auch besonders riskant. Es ist zu vermuten, dass PR hier die größte ‚Narrenfreiheit‘ genießt: Weil Rezipienten um den Selbstdarstellungscharakter wissen, dürften z. B. kleinere Übertreibungen hier geduldet werden. Während die Vertrauens-Dimensionen konkretisieren, worauf sich das Vertrauen in PR bezieht, werden mit den Gründen für Vertrauen Vertrauenshandlungen begründet bzw. sie führen als Indikatoren zu Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen. Die Indikatoren für Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen sind deshalb so relevant, weil PR diese in der Regel zu instrumen- <?page no="178"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 179 talisieren versucht. Auch die Indikatoren bzw. Gründe beziehen sich wieder jeweils auf die PR-Beschreibungen und unternehmerischen Selbststeuerungen. Im Folgenden werden die Gründe ausgeführt, mit denen Vertrauen in die PR-Beschreibungen begründet werden (s. ausführlich Hoffjann 2013a). In Anlehnung an die forensische Glaubwürdigkeitsforschung (Köhnken 1990), die sich z. B. mit der Glaubwürdigkeit von Angeklagten beschäftigt, sollen PR-spezifische Gründe strukturiert werden, wenn jemand noch keine Erfahrungen mit der betreffenden Organisation gemacht hat bzw. nicht von Erfahrungen anderer gehört hat. Es geht also um die klassische Frage: Warum werden die PR-Beschreibungen der einen Organisation als vertrauenswürdiger oder weniger vertrauenswürdig bewertet als die eines Konkurrenten? Mit inhaltsorientierten Gründen und Indikatoren soll auf wahrgenommene und damit konstatierte inhaltliche Aspekte von PR-Beschreibungen fokussiert werden. Dazu zählt zum Beispiel die Konsistenz von Beschreibungen - also fehlende inhaltliche Widersprüche zwischen Beschreibungen (z. B. Arntzen 1993: 55ff). Dies wurde bereits im Kontext der Integration der Organisationskommunikation thematisiert (Kap. 4.4). Eine Ausnahme hiervon hat sich in der Forschung zur Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen gezeigt: Eine bestimmte Art der Inkonstanz wurde hier als Glaubwürdigkeitsmerkmal interpretiert (Arntzen 1993: 55). Ein weiterer Grund für die Vertrauenswürdigkeit von PR-Beschreibungen können schließlich als unabhängig bekannte Experten sein, die andere Beschreibungen der PR stützen (Willems/ Jurga 1998: 213f). Bei verhaltensorientierten Gründen und Indikatoren liegt der Fokus auf Aspekten wie dem nonverbalen Verhalten oder dem Sprechverhalten (Köhnken 1990: 7). Diese Fragen werden seit einigen Jahren mit dem Schlagwort der Authentizität intensiv diskutiert. Authentizität soll hier als Zuschreibung von Echtheit, Ursprünglichkeit, Unmittelbarkeit und Eigentlichkeit verstanden werden (Knaller 2007: 7). Eine als nicht-authentisch bezeichnete PR-Beschreibung wird dann folglich als inszeniert bewertet. Eine fehlende Authentizitätszuschreibung beinhaltet zwar noch nicht zwangsläufig einen Lügen- Vorwurf, kann aber Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen schwächen. Eine dritte Ebene sind die quellenorientierten Gründe und Indikatoren. Hier wird die Zuverlässigkeit der PR-Beschreibungen aus anderen Beschreibungen einer Organisation abgeleitet (Kohring 2004: 180). Hier scheint insbesondere die Branche ein relevanter Indikator zu sein. So dürfte die Vertrauenswürdigkeit von PR-Beschreibungen seitens Naturschutzorganisationen von vielen höher eingeschätzt werden als die seitens Industrieunternehmen. Und schließlich beeinflussen kontextorientierte Gründe und Indikatoren die Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen. So haben Barth und Donsbach <?page no="179"?> 180 5 Funktionskontext (1992) gezeigt, dass Journalisten in Krisensituationen in höherem Maße PR- Botschaften hinterfragen und selbstständig recherchieren. Dies dürfte einerseits auf den größeren Nachrichtenwert einer Krise zurückzuführen sein, andererseits aber auch darauf, dass PR-Botschaften in solchen Krisensituationen als weniger vertrauenswürdig eingeschätzt werden. PR versucht die Wahrscheinlichkeit von Vertrauenshandlungen und damit der Legitimation zu erhöhen, indem sie an diesen Vertrauenswürdigkeitsindikatoren ansetzt und diese instrumentalisiert. Als Vertrauenswürdigkeitsmanager versucht PR z. B., inhaltliche Widersprüche zu minimieren und den Auftritt der Vorstandsvorsitzenden so zu inszenieren, dass er als authentisch bewertet wird. 5.2.2 Transparenz und Geheimnis PR sieht sich vielfach mit Transparenzforderungen konfrontiert. Journalisten, Verbraucherschutzorganisationen und andere Bezugsgruppen erwarten in diesen Fällen einen Einblick in Produktionsverfahren oder Finanzierungspläne. Transparenz wird hier vielfach als Voraussetzung für Vertrauen in PR genannt (z. B. Bentele 1994a: 145). Diesen Erwartungen externer Bezugsgruppen steht das Ziel der PR entgegen, nicht alles transparent machen zu wollen und damit zumindest Teile vor Beobachtung zu schützen. PR veröffentlicht daher positive Themen ebenso wie es andere z. B. negativere Themen geheimhält. PR ist damit Öffentlichkeitsarbeit und Geheimnisarbeit gleichermaßen (Westerbarkey 2000). So sehr sich die PR-Forschung in den vergangenen Jahren intensiv mit der Transparenz und dem Geheimnis beschäftigt hat, so sehr fehlen bislang noch für beide Seiten theoretische und kritische Perspektiven (u. a. Wehmeier/ Raaz 2012: 337). Daher muss in diesem Kapitel grundsätzlicher argumentiert werden. Transparenz ‚Mehr Transparenz! ‘ wird oft da gefordert, wo Menschen eine Situation nicht überblicken und sie als Risiko empfinden. Beim Kauf eines Gebrauchtwagens will der eine einen Blick unter die Motorhaube werfen dürfen, eine zweite möchte einen Gutachter dazuholen dürfen, während ein Dritter sagt, dass ohnehin niemand verlässlich sagen könne, ob das Auto nach einem Tag oder nach 20 Jahren am Straßenrand liegenbleibe - und deshalb an Transparenz erst gar nicht interessiert ist. Was notwendige Transparenz ist, ist damit in hohem Maße beobachterabhängig und eine Zuschreibungsleistung (Jansen 2010: 26). Mit dem Wunsch nach Transparenz kann man mithin in einer als unsicher empfundenen Situation weitere Informationen recherchieren bzw. einfor- <?page no="180"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 181 dern, um das wahrgenommene Risiko zu minimieren. Transparenz ist damit nichts anderes als Kontrolle. Das Problem: Transparenz erhöht wiederum die Komplexität und führt damit zu neuer Intransparenz, die erneut Selektivität erfordert und die Kontingenz von Handlungen und mithin das Risiko erhöht - was dann wiederum zum Wunsch nach Transparenz führt (Jansen 2010: 26f; Abb. 5.6). In dieser Spirale kann man sich ewig bewegen - aus ihr heraus führt nur Vertrauen: In einer als unsicher wahrgenommenen Situation kann man trotz des konstatierten Informationsdefizites vertrauen, indem man an Handlungen anderer anschließt (Kohring 2004: 130). Vertrauen und Transparenz sind damit als funktionale Äquivalente zu betrachten. Die Forderung nach mehr Transparenz ist Ausdruck abnehmenden Vertrauens. Abb. 5.6: Komplexitäts-Transparenz-Spirale und der Ausweg (Jansen 2010: 27) Schlagwörter wie das „Zeitalter der Transparenz“ (Finel/ Lord 2001) und „Transparenzgesellschaft“ (Han 2012) lassen die Vermutung zu, dass Transparenz in den vergangenen Jahren wichtiger geworden ist. Als vordergründige Belege hierfür werden vor allem NGOs wie T RANSPARENCY I NTERNATIO- NAL , L OBBY C ONTROL oder A BGEORDNETENWATCH . DE genannt. Sie werden neben dem Journalismus als wichtige Transparenztreiber angesehen, die mehr Offenheit gesellschaftlicher Prozesse und Institutionen herstellen (Bentele/ Seiffert 2009: 42). Aber das beantwortet noch nicht die Frage nach dem ‚Warum‘. Die Gründe für die inflationären Transparenzforderungen dürften vor allem in gesellschaftlichen Entwicklungen wie der Globalisierung, politisch-klimatischen Gemengelagen wie den Wertewandel oder Transformationsprozessen sowie kulturellen Wandlungsprozessen wie der Pluralisierung zu finden sein (Endress 2002: 52). Sie alle haben dazu geführt, dass soziale Situationen immer häufiger als riskant empfunden werden - Vertrauen und Kontrollstrategien wie Transparenzforderungen sind hier funktional äquivalente Strategien. Wie die Pluralisierung einer Gesellschaft (Kap. 2.1.1) zu mehr Transparenz führt, zeigen Transparenztreiber wie die NGOs. Sie haben vermutlich mit dazu beigetragen, dass Transparenz im Vergleich zur Kontrolle ein so <?page no="181"?> 182 5 Funktionskontext positiv besetzter Begriff ist. Während Kontrolle nicht selten mit Allmachtsmotiven assoziiert wird, wird Transparenz vor allem als Bringschuld angesehen. Und wenn sie von außen eingefordert wird, dann vor allem im Interesse der Öffentlichkeit und Aufklärung. Mit dem Schlagwort der „Tyrannei der Transparenz“ hat Marilyn Strathern (2000) jedoch deutlich gemacht, dass hinter den vermeintlich ehrenhaften Transparenzforderungen zumeist handfeste Partikularinteressen stehen (Stehr/ Wallner 2010: 12): NGOs wie F OODWATCH und L OBBY C ONTROL prangern Praktiken von Unternehmen an - um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen und damit nicht zuletzt Spenden zu akquirieren. Aus der Perspektive der Ankläger gibt es wenig Angenehmeres als eine Transparenzforderung, weil sie dem allgemeinen Gefühl entspricht, dass andere etwas verheimlichen. Vor allem aber liegt die Beweislast auf Seiten der vermeintlich intransparenten Organisationen. Ein Intransparenzvorwurf ist damit kaum widerlegbar. Wie soll jemand ‚beweisen‘, dass es nichts mehr zu verheimlichen gibt? Eine Schlüsselrolle kommt hier dem Journalismus zu, der Aufklärung und Transparenz einfordert. Investigativer Journalismus trägt mit seinen Recherchen selbst zur Transparenz bei. Dabei ist in den vergangenen Jahren das journalistische Interesse an der Arbeitsweise von PR oder Lobbying angestiegen. Dies dürfte dazu geführt haben, dass das wahrgenommene Risiko weiter zugenommen hat und noch mehr Transparenz gefordert wird. Spätestens hier wird eine zweite Transparenzspirale deutlich. Denn durch die öffentliche Thematisierung von Transparenz und Intransparenzstrategien ist die Wahrnehmung hervorgerufen worden, es herrsche nicht genügend Transparenz (Piotrowski/ van Ryzin 2007). PR hat hier eine doppelte Rolle. Einerseits versucht sie, durch Transparenzforderungen andere Organisationen in die Defensive zu bringen und ihre Interessen durchzusetzen. Andererseits veröffentlicht sie vor allem das, was die Publika wissen sollten bzw. ihrer Einschätzung nach dürfen und versucht, durch die Inszenierung von Transparenz diese Intransparenz intransparent zu machen. Diese Beobachtbarkeit von Unbeobachtbarkeit und Risiken führt schnell zur Unterstellung absichtlicher Heimlichkeit (Jansen 2010: 27). Was eine transparente von einer intransparenten Organisation unterscheidet, ist erneut eine reine Zuschreibung: „Eine transparente Organisation ist eine Organisation, in der sich bestimmte Beobachter innerhalb oder außerhalb der Organisation nach Bedarf über für sie interessante Zustände der Organisation informieren können. Eine intransparente Organisation ist eine Organisation, in der das nicht der Fall ist.“ (Baecker 2010: 112) <?page no="182"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 183 Daraus folgt: Teile einer Organisation können als transparent bewertet werden, andere hingegen nicht; ür den einen ist etwas transparent (z. B. durch einen exklusiven Zugang), ür den anderen nicht; der eine schätzt etwas als transparent ein, der andere nicht (Baecker 2010: 112). Wenn Transparenz eine Zuschreibungsleistung ist, folgt daraus zudem, dass PR Transparenz inszenieren kann. Zugeschriebene Transparenz ist für PR wichtig, weil Transparenz vor allem in Situationen fehlenden Vertrauens oder gar des Misstrauens eingefordert wird und Organisationen schnell zum Erlahmen bringen kann: Im besten Falle führen Transparenzforderungen ‚nur‘ zu Nachfragen, die beantwortet werden müssen und damit Komplexität erhöhen, im schlechteren Falle entscheiden sich Kunden, potenzielle Mitarbeiter, Investoren und die Politik für Organisationen, die sie als transparenter und mithin vertrauenswürdiger wahrnehmen. PR sträubt sich gegen - ihrer Meinung nach - zu viel Transparenz, weil sie die Autonomie der Organisation einschränken kann. So muss in der Wirtschaft die Forschungsabteilung intransparent bleiben, sonst würden sich Innovationen nicht mehr lohnen. Der Ausweg der PR aus diesem Dilemma kann mit Szyszka als funktionale Transparenz bezeichnet werden. Eine Organisation lässt in dem Maße Transparenz zu, wie dies Zugewinn verspricht, drohenden Schaden abwenden oder eingetretenen Schaden eingrenzen oder bewältigen soll (Szyszka 2004: 157). Geheimnis und Geheimhaltung Dies hört sich einfach an, der Alltag der PR ist häufig schwieriger. Denn letztlich gilt es, nach innen Intransparenz zu sichern, sich nach außen aber als transparent zu geben. Damit ist man beim Geheimnis und bei der Geheimhaltung angekommen. Geheimhaltung ist die Nichtmitteilung beziehungsrelevanten Wissens wider Erwarten (Westerbarkey 2000: 15). Damit wird deutlich, dass alle Strategien der Außendarstellung wie z. B. PR immer auch Öffentlichkeitsverhinderungsarbeit sind, die auf dem Prinzip organisierter Nicht-Öffentlichkeit beruht. Die Inszenierung des Außenauftritts macht eben nur Sinn, wenn der dahinter liegende Arkanbereich geschützt wird (Westerbarkey 2000: 176). Um die besonderen Probleme der Sicherung von Intransparenz und der Inszenierung von Transparenz zu erläutern, muss zwischen (a) einfachen und (b) reflexiven Geheimnissen unterschieden werden (Sievers 1974). Bei (a) <?page no="183"?> 184 5 Funktionskontext einfachen Geheimnissen kann es bekannt sein, dass ein Geheimnis vorliegt. Entsprechend können einfache Geheimnisse sprachlich durch Ablehnung gesichert werden. So gehört das Rezept von C OCA C OLA zu den am besten gehüteten und zugleich bekanntesten Geheimnissen, dessen Geheimhaltung auch gemeinhin akzeptiert wird. Der von Publika akzeptierte Anspruch auf Privatsphäre wird ständig neu verhandelt. Ist die ernsthafte Erkrankung des erfolgreichen Vorstandsvorsitzenden dessen Privatangelegenheit, oder haben Anleger einen Anspruch auf dieses Wissen? Für Organisationen ist die Einschätzung von zentraler Bedeutung, ob die Existenz eines Geheimnisses akzeptiert wird oder nicht. Denn wenn die Existenz eines Geheimnisses akzeptiert wird, reicht eine einfache Geheimhaltung, um Transparenzzuschreibungen nicht zu gefährden. Vielfach nutzen Organisationen sogar die Thematisierung der Existenz eines Geheimnisses, um die Organisation interessanter zu machen und somit einen Mythos zu schaffen - Beispiele hierfür sind besondere Rezepturen von Lebensmitteln oder Methoden bei Dienstleistern. Hier wird die Intransparenz bewusst transparent gemacht. Während in den bislang beschriebenen Fällen Geheimnisse die Transparenzzuschreibungen nicht ernsthaft gefährden, sind sie bedroht, wenn die Existenz eines Geheimnisses als illegitim bewertet wird oder wenn die Verweigerung einer Antwort als Eingeständnis verstanden wird. Ein Beispiel hierfür ist ein Vorstandsvorsitzender, der sich Journalisten regelmäßig zu allen - auch privaten Fragen - stellt, aber zur Frage nach Gerüchten zu geplanten Entlassungen einen Kommentar verweigert. In solchen Fällen kann ein Geheimnis zunächst durch eine einfache verbale Lüge bewahrt werden. Eine solche Lüge bedarf in der Regel aber weiterer reflexiver Lügen - also Lügen, die die Lüge stützen. So dürfte die Lüge, dass der Vorstandsvorsitzende sich bester Gesundheit erfreue, wenig vertrauenswürdig sein, wenn er plötzlich eine längere Zeit nicht mehr öffentlich auftritt. Wenn allerdings bereits Spekulationen über die mögliche Existenz von Geheimnissen Transparenzzuschreibungen gefährden, ist statt einer einfachen Geheimhaltung eine (b) reflexive Geheimhaltung notwendig. Dies ist nichts anderes als die Inszenierung von Transparenz. Eine solche reflexive Geheimhaltung ist wesentlich anspruchsvoller, weil nicht nur der Inhalt eines Geheimnisses, sondern auch die Tatsache verborgen werden muss, dass überhaupt ein Geheimnis existiert (Sievers 1974: 31). Und noch weiter: Da eine rigide Geheimhaltungspolitik als Zeichen fehlender Transparenz interpretiert werden kann (Westerbarkey 2000: 172), wird eine Organisation alles versuchen, sich als offene, zugängliche und mithin transparente Organisation zu inszenieren. Eine vielfach benutzte Strategie bei reflexiver Geheimhaltung ist es, von existierenden Geheimnissen abzulenken, indem andere Themen und Fakten <?page no="184"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 185 etc. veröffentlicht werden - Westerbarkey nennt dies Ablenkung durch Hinlenkung (2000: 180f). PR veröffentlicht Beschreibungen zu anderen Themen oder zu kreierten Anlässen, die sie als positiver und weniger relevant einschätzt als die geheim gehaltenen Beschreibungen. Um von den mäßigen Arbeitsbedingungen abzulenken, könnte ein Unternehmen z. B. die positive Umweltbilanz in der Öffentlichkeit offensiv thematisieren. Allein diese Beispiele lassen aber bereits erahnen, wie hoch die Geheimhaltungs"Kontroll- und Inszenierungskosten sind. Sie sind u. a. umso höher, je mehr Mitglieder die Geheimnisse kennen, je mehr Geheimnisse existieren, je intensiver die Kontakte zu den Bezugsgruppen sind und je größer der Aufwand ist, eine vertrauenswürdige Ablenkung durch weitere reflexive Lügen zu inszenieren. So verlockend der Vorteil sein mag, sich einen größeren Handlungsspielraum zu verschaffen, so vielfältig und mitunter so groß sind die unerwünschten Nebeneffekte, die weiterer Maßnahmen wie Stützlügen bedürfen. So dürfte wenig aufwändiger sein als die Inszenierung von Transparenz. Denn auch die ‚transparenteste‘ Organisation wird am ‚Tag der offenen Tür‘ irgendwo geschlossene Türen haben. Transparenzmaßnahmen bedürfen folglich selbst der aufwändigen Inszenierung ebenso wie neuer Geheimhaltungsmaßnahmen, damit die Besucher die Geheimnisse nicht entdecken. Auf einer Makroebene ist zu fragen, wie Transparenzforderungen gesamtgesellschaftlich wirken. Die öffentliche Beobachtung und die öffentliche Thematisierung schürt in Organisationen Angst vor ‚Entlarvung‘ - und kann mithin Auswüchse verhindern. Ob dies als positiv oder negativ bewertet wird, ist jedoch allein eine Zuschreibungsleistung: In der Politik kann die Angst vor Beobachtung bzw. öffentlicher Thematisierung dazu führen, dass man sich ‚Denkverbote‘ auferlegt. In der Forschung kann es dazu führen, dass man Entwicklungen stoppt, die möglicherweise als unethisch bezeichnet werden könnten. Das führt zu der These, dass eine Gesellschaft immer auch Intransparenz braucht. Und dies nicht nur, weil Transparenz wie beschrieben zu neuer Komplexität führt und damit nur in Ausnahmesituationen zu bewältigen ist. Transparenz führt auch zu einer „Hölle des Gleichen“: „Transparent werden die Dinge, wenn sie jede Negativität abstreifen, wenn sie geglättet und eingeebnet werden, wenn sie sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation und Information einfügen.“ (Han 2012: 5) Ein Übermaß an Transparenz führt nicht nur zu einem Stillstand, es führt auch zu einer Entdifferenzierung, weil Organisationen sich aus Angst vor dem ‚Öffentlichkeitsterror‘ nichts mehr trauen und in einem vorauseilenden Gehorsam die vermuteten Erwartungen der Öffentlichkeit ‚übererfüllen‘. Dies alles führt dazu, dass in einer Gesellschaft laufend neu verhandelt wird, in welchen Bereichen zu welchen Problemen welches Maß an Intransparenz akzeptiert wird. <?page no="185"?> 186 5 Funktionskontext 5.2.3 Dialog und Partizipation Einer der schillerndsten Begriffe in PR-Praxis und PR-Forschung gleichermaßen ist seit den 80er Jahren der Dialog. Durch die sozialen Medien mit ihrem dialogischen Charakter hat er in den vergangenen Jahren weiter an Relevanz und Aktualität gewonnen (Kap. 2.1.4). In der Praxis dürfte die Beliebtheit des Konzeptes darauf zurückzuführen sein, da unter einem Dialog sehr unterschiedliche Dinge verstanden werden können. Während kritische Bezugsgruppen darunter eine weitgehende Änderungsbereitschaft einer Organisation verstehen mögen, kann PR bereits ein Gespräch über getroffene und nicht änderbare Entscheidungen als Dialog bezeichnen. Ähnlich unscharf bleibt das Dialog-Verständnis zumeist in der Forschung. So zeigen viele Versuche, den Begriff theoretisch zu fundieren, eher die Probleme als die Lösungen auf (z. B. Kent/ Taylor 2002). Damit hängt eng zusammen, dass es einen normativen und einen deskriptiven Blick auf den Dialog gibt. Vertreter eines normativen Verständnisses sehen in einem Dialog eine besonders moralische PR (z. B. Grunig/ Grunig 1992: 308). Stellvertretend hierfür wird später das Konzept der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit von Burkart (1993/ 2013) skizziert. In einer deskriptiven kommunikationswissenschaftlichen Lesart ist ein Dialog zunächst einmal nicht mehr als das wechselseitige Reagieren bzw. der Rollenwechsel in einer Kommunikationssituation, während Monologe vom Kommunikator gesteuert werden und die Sprecherrolle nicht wechselt. Charakteristisch für dialogisches Handeln sind damit Offenheit und gemeinsamer Sachbezug, so dass konkrete Zwecke und Ziele des Dialogs jederzeit infrage gestellt werden können. Im Gegensatz dazu prägt zweckrationales Handeln die Fixierung auf ein konkretes Handlungsziel (Lueken 1996: 64ff; Szyszka 1996: 88). Zwischen den beiden Polen Dialog bzw. dialogischem Handeln und Monolog bzw. zweckrationalem Handeln können verschiedene Mischformen unterschieden werden. In der PR-Forschung gibt es verschiedene Vorschläge, die unterschiedlichen Ebenen zu beschreiben. So hat Szyszka drei Dialogtypen vom Monolog abgegrenzt (Szyszka 1996: 102f). Beim (a) Idealtyp kann Dialogorientierung als ein Prozess verstanden werden, bei dem nicht nur das eigentliche Ergebnis verhandelbar ist, sondern gegebenenfalls auch, ob der Dialog überhaupt zu einem Ergebnis führen soll. Diese weitgehende Offenheit und Bereitschaft zur Anpassung an die Umwelt führt allerdings zur Aufgabe von Organisationsinteressen und könnte damit die Existenz gefährden. Der Idealtyp kann daher auch als Irrealtyp eingestuft werden. Beim (b) Realtypen kann dialogorientiertes Verhalten als kommunikationspolitisches Grundprinzip der argumentativen und inhaltlichen Aus- <?page no="186"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 187 einandersetzung verstanden werden. PR ist hier grundsätzlich zu Veränderungen bereit, verfolgt aber primär die organisationalen Interessen. Beim (c) Fassadentyp hingegen ist der Dialog eine reine Kommunikationstechnik. Hier dienen als Dialog benannte Situationen ausschließlich einer besseren Informationsvermittlung zur Durchsetzung kurz- und mittelfristiger Persuasionsziele. Den drei Dialogtypen von Szyszka können die vier PR-Modelle von Grunig/ Hunt (1984: 21ff; Kap. 2.2.3) zugeordnet werden. Dem Monolog entsprechen das Publicity- und das Public Information-Modell, dem Idealtyp das PR- Modell symmetrischer Kommunikation, während das PR-Modell asymmetrischer Kommunikation Szyszkas Real- und Fassadentyp umfasst (Abb. 5.7). Abb. 5.7: Dialogtypen in der PR (erweitert nach Thummes/ Malik 2015: 109) In den vergangenen Jahren hat der Dialog durch das Aufkommen sozialer Medien an neuer Aktualität gewonnen. Schon früh wurde erkannt, dass Feedbackmöglichkeiten wie ‚like‘ und ‚share‘ in Anwendungen fest integriert und damit alle Voraussetzungen für einen Dialog gegeben waren (Sandhu 2015). Bereits für das Web 1.0 identifizierten Kent/ Taylor (1998: 326ff) fünf Prinzipien für einen erfolgreichen dialogischen Beziehungsaufbau. Die fünf Prinzipien sind die (a) Dialogschleife, die z. B. mit Feedbackfunktionen ermöglicht wird, der (b) Nutzwert von Informationen, die (c) Generierung wiederholter Besuche, die z. B. durch eine laufende Aktualisierung der Inhalte erreicht werden kann, die (d) intuitive Benutzerführung sowie die <?page no="187"?> 188 5 Funktionskontext (e) Besucherbindung, bei der z. B. Links und Werbung so platziert werden sollen, dass sie nicht zum Verlassen der Website animieren. Abgesehen davon, dass diese Prinzipien für das Web 2.0 nur noch eingeschränkt gelten können, zeigen sie ein Grundproblem der Dialog-Euphorie: Einen Dialog anzubieten ist in der Onlinekommunikation - zumal in den sozialen Medien - technisch relativ einfach möglich. Studien zeigen jedoch, dass solche Dialogangebote von Bezugsgruppen nur selten angenommen werden (Zerfaß/ Droller 2015). In den vergangenen Jahren hat der aus den Politikwissenschaften stammende Begriff der Partizipation zunehmend Verwendung im PR-Kontext gefunden (z. B. Christensen et al. 2008; Taylor/ Kent 2014). Partizipation wird im politischen Kontext als Ziel verstanden, Entscheidungen auf den unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems direkt oder indirekt zu beeinflussen (Kaase/ Marsh 1979: 42). Wenn man mithin Partizipation als Kommunikation im Kontext von Entscheidungen versteht, erscheint ein solches Partizipationsverständnis für die PR-Forschung fruchtbar, weil hier die kommunikative Perspektive der Kontextsteuerungen und die lernbereite Perspektive der Selbststeuerungen zusammenfinden, ohne dass hier eine normative Festlegung im Sinne des Fassaden- oder des Idealtyps vollzogen wird. Welche Risiken bzw. Probleme sind mit Dialogen bzw. partizipativen Verfahren für Organisationen verbunden? Zunächst gefährden Dialoge die Handlungsfreiheit von Organisationen, weil sie die Verfolgung ihrer Interessen zur Disposition stellen. Zudem können Dialoge und Partizipationsangebote zu einer enormen Komplexitätssteigerung führen und damit Kosten verursachen: Die Beantwortung von Anregungen und die Moderation von Dialogprozessen kann enorm aufwändig sein und Entscheidungsprozesse enorm verlangsamen - und schließlich zu einer Lähmung führen. Im Weiteren wäre eine umfassende Partizipation aus einer ethischen Perspektive nicht per se moralischer, weil jede Entscheidung für ein Bezugsgruppeninteresse zugleich eine Entscheidung gegen ein anderes ist. Die Entscheidung zur Schließung einer Produktionsanlage aus Umweltschutzgründen ist zugleich eine Entscheidung gegen Arbeitsplätze in der entsprechenden Region. Damit hängt schließlich eng zusammen, dass ein hohes Maß an Dialog und Partizipation keine Legitimation garantiert. Es kann sogar das Gegenteil eintreten: So können neue Ansprüche erst durch Partizipationsmöglichkeiten manifest werden und zur Mobilisierung einer bzw. mehrerer Bezugsgruppen führen. Hier zeigt sich, dass Dialog und Partizipation vielfach zwar ein wichtiges Selektionskriterium der PR sind, aber in der Wirkungsperspektive keine Legitimation garantieren. Konzept der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (Burkart) Ein normatives Dialog-Verständnis steht im Mittelpunkt des Konzeptes der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit von Roland Burkart (u. a. <?page no="188"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 189 1993, 2013). Burkart konzipiert einen (u. a. massenmedial ausgetragenen) Dialog zwischen PR-Kommunikatoren und ihren (Teil-)Öffentlichkeiten, in dem PR-Kommunikatoren auf vorhandene Zweifel eingehen, anstatt sie zu ignorieren. Basis seines Ansatzes ist die Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas (1995). Obwohl die handlungstheoretische Perspektive von Habermas international in der PR-Forschung vielfach rezipiert wurde (z. B. Pearson 1989; Holmström 1996), so zählt der Ansatz von Burkart doch zu den Ausnahmen, die auf dieser Basis eine originäre PR-Theorie entwickelt haben. Im Zentrum des Konzeptes der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit steht das kommunikative Handeln, das nach Habermas im Gegensatz zum erfolgsorientierten instrumentellen und strategischen Handeln verständigungsorientiert ist. Habermas hat drei Voraussetzungen für Verständigung benannt, deren Gültigkeit die Kommunikationspartner anerkennen müssen. Mit der (a) Wahrheit muss gegenseitig unterstellt werden, dass beide die jeweiligen Aussagen über Sachverhalte für ‚wahr‘ halten. Unter dem Aspekt der (b) Wahrhaftigkeit unterstellen beide Seiten dem Kommunikationspartner keine Täuschungsabsicht und bewerten ihn als vertrauenswürdig. Und schließlich müssen sie die (c) Richtigkeit unterstellen, dass also die jeweiligen Interessen, Absichten bzw. Handlungen die jeweils geltenden Werte und Normen nicht verletzen (Habermas 1995/ Band 1: 384, 412). Ziel des Verständigungsprozesses ist es, ein Einverständnis zwischen den Kommunikationspartnern zu diesen drei Geltungsansprüchen herzustellen. In vielen Routinesituationen ‚gelingen‘ Verständigungsprozesse; die Geltungsansprüche werden hier zumeist unhinterfragt unterstellt. Mitunter kommt es aber auch zu Situationen, in denen einer der Geltungsansprüche angezweifelt wird. Dann wechseln die Kommunikationspartner auf eine metakommunikative Ebene und machen den Kommunikationsprozess und die Geltungsansprüche selbst zum Thema, um die gestörte Kommunikation zu ‚reparieren‘ - Habermas bezeichnet dies in Abgrenzung zum kommunikativen Handeln als Diskurs (Habermas 1995/ Band 1: 48; Burkart 2013: 440). Bei Habermas stehen Diskurse unter einem besonderen Anspruch, da sie frei sein müssen von äußeren und inneren Zwängen. Der zu erzielende Konsens soll auf nichts anderem beruhen als auf dem „Phänomen des eigentümlich zwanglosen Zwangs des besseren Arguments“ (Habermas 1995/ Band 1: 52f). Habermas räumt allerdings selbst ein, dass eine solche ideale Sprechsituation mit gleichen Chancen für alle kaum anzutreffen sein wird. Dieser Einschränkung unterliegt auch das Konzept von Burkart. Ziel des Konzeptes der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit ist es, auf der Perspektive des Habermas’schen Verständigungsbegriffes Anregungen für das Erfassen (und Evaluieren) realer PR-Kommunikation zu <?page no="189"?> 190 5 Funktionskontext gewinnen. Solche Verständigungsprobleme dürften in den meisten PR-Situationen zu beobachten sein. Burkart hat sein Konzept am Beispiel der Planung von zwei Abfalldeponien in Österreich untersucht. In einer solchen Konfliktsituation ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass die genannten Geltungsansprüche von PR-Beschreibungen angezweifelt werden. Das Ziel verständigungsorientierter Öffentlichkeitsarbeit ist es in einer solchen Situation, einen möglichst ‚störungsfrei‘ ablaufenden Kommunikationsprozess zwischen den PR-Kommunikatoren und den relevanten Teilöffentlichkeiten herzustellen. Für die drei Geltungsansprüche bedeutet dies konkret (Abb. 5.8): Wahrheitsgehalt: Zunächst wird oft der Wahrheitsgehalt von Aussagen (z. B. Angaben über die zu deponierende Stoffmenge) angezweifelt. Daher muss auf der Ebene der zu thematisierenden Sachverhalte klar sein, was unter der zu vertretenen Sache zu verstehen ist und es muss ein Konsens über den Wahrheitsgehalt von Behauptungen und Erklärungen des Unternehmens vorliegen. Wahrhaftigkeit: Zudem wird den beteiligten Personen und Organisationen oft Misstrauen entgegengebracht. Eine Verständigung setzt hier voraus, dass einerseits transparent ist, wer im Unternehmen für die Pläne bzw. Interessen verantwortlich ist. Andererseits muss die Wahrhaftigkeit der Aussagen und damit die Vertrauenswürdigkeit der Organisationen und ihrer Vertreter unumstritten sein. Abb. 5.8: PR-Kommunikation aus der Perspektive der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (Burkart 2013: 445) <?page no="190"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 191 Legitimität: Und schließlich wird häufig die Angemessenheit bzw. Legitimität insgesamt infrage gestellt - z. B. die der Müllentsorgung allgemein. Daher müssen die Interessen nicht nur nachvollziehbar sein, sondern es muss auch Konsens über ihre grundsätzliche Legitimität herrschen. Diese Ziele verständigungsorientierter Öffentlichkeitsarbeit sollen innerhalb von vier Phasen erreicht werden. Am Ende jeder Phase wird durch eine Inhaltsanalyse der PR-Angebote, der Berichterstattung sowie durch eine Befragung der relevanten (Teil-)Öffentlichkeiten untersucht, ob die jeweiligen Ziele erreicht wurden und welche Folgen dies für die folgende Phase hat. In der (a) Informationsphase wird von den PR-Kommunikatoren zunächst bekannt gegeben, was geplant ist, wer verantwortlich ist und warum es durchgeführt werden soll. Am Ende dieser Phase wird untersucht, ob bzw. in welchem Ausmaß die Wahrheit, Wahrhaftigkeit bzw. Legitimität angezweifelt werden. Dies ist die Grundlage für die (b) Diskussionsphase, in der offene Fragen beantwortet werden. Wenn im Fall der Abfalldeponie die Legitimität der Standortwahl angezweifelt wurde, dann wurden sowohl bei Informationsveranstaltungen als auch in der Pressearbeit vor allem Argumente zur Wahl des Standortes wiederholt. Eine (c) Diskursphase ist in solchen Fällen notwendig, in denen die Auswertung der Diskussionsphase ergeben hat, dass weiterhin Geltungsansprüche angezweifelt werden. In Infrastrukturvorhaben wie Abfalldeponien dürfte es eher die Regel sein, dass die Wahrheit der Aussagen, die Wahrhaftigkeit und die Legitimität des Interesses angezweifelt werden. Während die Wahrhaftigkeit der Kommunikatoren in einem solchen Diskurs nach Habermas nicht verhandelbar ist, kann die Wahrheit von Aussagen z. B. durch Experten und die Legitimität durch weitere Begründungen gestärkt werden. In der abschließenden (d) Phase der Situationsdefinition ist der Status quo zum Wahrheitsgehalt, zur Wahrhaftigkeit und zur Legitimität zu untersuchen. Burkart weist explizit darauf hin - und begegnet damit einer häufig geäußerten Kritik an seinem Ansatz -, dass man hier keiner ‚Konsens-Illusion‘ unterliegen dürfe. Insbesondere in kritischen Fällen kann ein „rationaler Dissens“ (Miller 1992) das Optimum sein. Wenn strittige Punkte eindeutig zu identifizieren sind, dann ist zumindest klar, worüber noch keine Einigung besteht und wo Handlungsbedarf bzw. -möglichkeiten bestehen. Spätestens an diesem Punkt ist die Organisationsleitung gefragt, die entscheiden muss, ob z. B. eine Abfalldeponie gegen die möglichen Legitimitätszweifel relevanter Teilöffentlichkeiten dennoch realisiert werden soll. Damit wird deutlich, dass auch das Konzept der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit - wie Burkart selbst einräumt - kein „Rezept zur Akzeptanzbeschaffung“ (Burkart 2013: 450) ist. Der Vorteil des Konzeptes liegt darin, dass Kommunikationswirkungen in solchen PR-Prozessen differen- <?page no="191"?> 192 5 Funktionskontext ziert erfasst werden können und damit die Basis für nachfolgende Phasen sind. Gerade dieser Aspekt zeigt die große Praxisrelevanz und -nähe des Konzeptes der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit. 5.2.4 Image und Reputation Sowohl der Imageals auch der Reputationsbegriff sind in PR-Praxis und PR-Forschung gleichermaßen prominente Bezugs- und Zielgrößen. Für Merten (1992: 44) sind Images gar die zentrale Zielgröße, wenn er PR definiert als einen „Prozess intentionaler und kontingenter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Erzeugung und Befestigung von Images in der Öffentlichkeit“. In der Praxis findet sich ein solches Verständnis wieder, wenn PR allgemein als imageorientiert und von einer absatzorientierten Werbung abgegrenzt wird. Eine solche Perspektive erscheint aber wenig plausibel, da z. B. Anzeigen- und TV-Werbung zu neuen Automodellen u. a. Markenimages festigen bzw. verändern wollen, um den Absatz zu verbessern. Letztlich zielt jede strategische Kommunikation auch auf Images, da diese Handlungen beeinflussen (Johannsen 1971: 37). Der Prominenz des Image-Begriffs in Wissenschaft und Praxis steht ein eklatantes Fehlen begrifflicher Präzision gegenüber (Merten 2014: 46). Hinzu kommt eine ebenso unscharfe Verwendung des Reputationsbegriffs, die so weit reicht, dass beide Begriffe synonym verwendet werden (Barnett et al. 2006). Im Folgenden werden Image und Reputation als spezifische Wissens- und Einstellungskonzepte verstanden, die die Legitimation eines Unternehmens ebenso beeinflussen wie dessen Absatz oder Aktienkurs. Image und Reputation sind damit in allen genannten Disziplinen strategischer Organisationskommunikation wichtig. Bereits im Kontext der Integration strategischer Organisationskommunikation (Kap. 4.4) ist aber auch deutlich geworden, dass man die Aktie eines Unternehmens aus ganz anderen Gründen kauft als man ein Unternehmen legitimiert. Daher stehen die Imageziele der PR mitunter in einem Zielkonflikt zu denen der Investor Relations. Als Selektionskriterien der PR werden Image und Reputation hier interpretiert, weil PR ihnen bei der Legitimation in der Regel eine große Bedeutung zuzumessen scheint und ihre Entscheidungen von vermuteten Folgen für das Image und die Reputation abhängig macht. Image Images können allgemein verstanden werden als die Gesamtheit der Vorstellungen, Einstellungen und Gefühle, die eine Person im Hinblick auf ein Objekt (z. B. Person, Organisation, Produkt, Idee) besitzt (Merten 1999: 244). <?page no="192"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 193 Die Definition macht deutlich, dass es Images zu Organisationen wie Unternehmen ebenso wie zu Personen wie Politikern oder Künstlern oder zu Ideen wie der sozialen Marktwirtschaft oder der klassischen Musik gibt. Zudem stellt sie heraus, dass Images auf einer individuellen Ebene zu beobachten sind. Jede Person wird zumindest in Nuancen andere Vorstellungen, Einstellungen und Gefühle zu einem Imageobjekt haben. In Anlehnung an Johannsen (1971: 35-37) können zudem die folgenden Merkmale eines Image unterschieden werden. Images umfassen neben Wissen (kognitive Komponenten) wie z. B. Informationen zur Geschichte eines Unternehmens oder zum Lebenslauf einer Person auch Einstellungen zu einem Imageobjekt (affektive Komponenten). In einem Image werden alle diese Vorstellungen, Einstellungen und Erfahrungen verdichtet. Ein Image ist damit ein komplexes, mehrdimensionales strukturiertes System. Solche Images können ablehnend, ambivalent oder auch neutral sein (Einwiller 2020: 5). Images sind bei ‚neuen‘ Imageobjekten wie z. B. neuen Künstlern oder neuen Produkten, zu denen wenig Wissen und Erfahrungen vorhanden sind, meist leicht veränderbar. Im Laufe der Zeit werden die Strukturen immer fester, bis hin zu Stereotypen, die auch durch neue Erfahrungen kaum mehr veränderbar sind. Grundsätzlich können positive Images z. B. durch Krisen oder Skandale schneller in negative Images umschlagen als umgekehrt. In der Wirkungsperspektive erleichtern Images die Orientierung und reduzieren damit Unsicherheit. Damit wirken Images meinungs-, verhaltens- und handlungsbestimmend. Erkenntnisse der Wirkungsforschung zeigen, dass Vorstellungen und Einstellungen in hohem Maße Handlungen beeinflussen. So ist eine Annahme des Symbolischen Interaktionismus nach Mead (1968), dass Menschen gegenüber Objekten auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, die diese Objekte für sie besitzen. Schließlich sind Images kommunizierbar und können daher mit empirischen Methoden untersucht werden. Dies geschieht insbesondere in der marketingorientierten Forschung, in der Images von Marken etc. untersucht werden. Ein solches wirkungsorientiertes Verständnis grenzt sich damit von der Perspektive ab, Image als zu vermittelnde Unternehmensidentität z. B. im Kontext des Corporate Identity-Ansatzes (Kap. 4.4.1) zu verstehen. Images werden durch verschiedene Quellen beeinflusst (Einwiller 2020: 12f). Die wichtigste Quelle sind in der Regel (a) persönliche Erfahrungen im Umgang mit einer Organisation oder einer Person, weil man der eigenen Erfahrung naturgemäß mehr vertraut als z. B. Berichten anderer. Eine zweite wichtige Quelle sind (b) private unabhängige Informationsquellen wie die Erfahrungen von Freunden, aber auch Online-Plattformen wie Verbraucher- <?page no="193"?> 194 5 Funktionskontext portalen. Drittens sind es (c) journalistische Berichte zum Imageobjekt, die für die Imagebildung deshalb besonders wichtig sind, weil sie als besonders vertrauenswürdig wahrgenommen werden. Und schließlich beeinflussen (d) Selbstdarstellungen des Imageobjektes die Entstehung von Images - also z. B. die Werbung eines Unternehmens. Dass dies nur eine von vier Quellen ist und zumal die, die in der Regel als vertrauensunwürdiger als die anderen bezeichnet wird, zeigt die Grenzen strategischer Organisationskommunikation zur Beeinflussung von Images. Reputation Wenn individuelle Images in der persönlichen und öffentlichen Kommunikation mitgeteilt werden, diffundieren dadurch auch bewertende Prestigeinformationen - z. B. Bewertungen zur Qualität eines Autos oder zur Durchsetzungsähigkeit oder Integrität eines Politikers. Die Summe dieser Prestigeinformationen ist die Reputation, die eine Organisation bzw. eine Person hat. „ Reputation bezeichnet demnach das öffentliche Ansehen, das eine Person, Institution, Organisation oder allgemeiner ein (Kollektiv-)Subjekt mittel- oder langfristig genießt und das aus der Diffusion von Prestigeinformationen an unbekannte Dritte über den Geltungsanspruch persönlicher Sozialnetze hinaus resultiert.“ (Eisenegger 2005: 24f). Die Reputation unterscheidet sich von Images insbesondere durch drei Aspekte. Erstens entstehen Images auf der Ebene von Individuen, während Reputation auf einer kollektiven Ebene den Saldo der individuellen Images darstellt (Eisenegger 2005: 24). Daraus folgt, dass eine Person z. B. wegen eigener negativer Erfahrungen ein schlechtes Image von einem Unternehmen hat, obwohl dieses insgesamt eine gute Reputation besitzt (Einwiller 2020: 10). Zweitens impliziert Reputation immer eine soziale Rangordnung zwischen den bewerteten Akteuren: Jemand genießt eine bessere Reputation als jemand anderes. Images hingegen können sich auch auf spezifische Einzelsegmente beziehen, die einem Individuum wichtig erscheinen (Eisenegger 2005: 23): Während Person A bei VW vor allem an den Hersteller zuverlässiger Mittelklasseautos denkt, verbindet Person B mit VW den wichtigen Arbeitgeber einer bestimmten Region. Drittens erscheint die Reputation nur sinnvoll in Bezug auf Individual- und Kollektivakteure, während Individuen auch Images z. B. zu politischen Ideen haben (Eisenegger/ Imhof 2009: 243). Eisenegger/ Imhof (2009: 245ff) unterscheiden zwischen drei Reputationsdimensionen, die eine differenzierte Beschreibung der Reputation u. a. für PR und die Absatzkommunikation ermöglichen: die Leistungsfähigkeit, die <?page no="194"?> 5.2 Selektionskriterien der PR 195 Legitimität und die Attraktivität. Die (a) funktionale Reputation bezieht sich darauf, inwieweit die spezifischen Leistungsziele erreicht werden: Wie hoch ist der Gewinn eines Unternehmens, wie viele Wähler haben eine Partei gewählt und wie hoch ist die Auflage einer Tageszeitung? In der objektiven Welt des ‚Wahren‘ werden funktionaler Erfolg bzw. Misserfolg an Kennzahlen festgemacht. Auf die normative Welt des ‚Guten‘ bezieht sich hingegen die (b) soziale Reputation. Hier werden die Legitimität und Integrität einer Organisation oder Person bewertet. Während z. B. die funktionale Reputation der D EUTSCHEN B ANK lange Zeit besser war als die der S PARKASSEN , war es bei der sozialen Reputation genau umgekehrt. PR im Sinne der Legitimation bezieht sich damit insbesondere auf die soziale Reputation. Auf die subjektive Welt des ‚Schönen‘ bezieht sich schließlich die (c) expressive Reputation. Hier stellt sich die Frage, welche emotionale Attraktivität und Authentizität von einer Organisation bzw. Person ausgehen. Es wird deutlich, dass ür eine positive Reputation Organisationen den funktionalen und sozialmoralischen Erwartungen entsprechen sollten, während es in der expressiven Reputation geboten erscheint, sich durch eine attraktive Identität von anderen abzugrenzen. funktionale Reputation soziale Reputation expressive Reputation Reputationsbezug (Bezugswelt) objektive Welt: leistungsbasierter Funktionssysteme; Welt kognitiv beschreibbarer Ursache-Wirkungs-Relationen soziale Welt: moralischer und normativer Standards subjektive Welt: individueller Wesenheit und Identität Reputationsindikatoren Kompetenz, Erfolg Integrität, Sozialverantwortlichkeit, Legalität und Legitimität Attraktivität, Einzigartigkeit, Authentizität Bewertungsstil kognitiv-rational (Kennzahlen) normativ-moralisierend emotional-ästhetisierend Reputations- Instanzen Akteure mit einem kognitiven Weltbezug: Experten, Wissenschaftler, Analysten, Fachmedien Akteure mit einem normativen Weltbezug: moralische Unternehmer, Intellektuelle, politische und religiöse Gruppierungen, Kontrollbehörden, NGOs, Massenmedien Akteure mit einem ästhetischen Weltbezug: Kommunikation-, Marketing-, Stilberater, Kunstschaffende, Designer, Spin Doctors, Massenmedien Abb. 5.9: Funktionale, soziale und expressive Reputation (Eisenegger/ Imhof 2009: 249) <?page no="195"?> 196 5 Funktionskontext Zum Weiterlesen Darstellungen zu den verschiedenen Selektionskriterien: • Burkart, Roland (2013): Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit (VÖA) revisited: Das Konzept und eine selektive Rezeptionsbilanz aus zwei Jahrzehnten. In: Hoffjann, Olaf / Huck-Sandhu, Simone (Hrsg.): UnVergessene Diskurse. 20 Jahre PR- und Organisationskommunikationsforschung. Wiesbaden: 437-464. • Eisenegger, Mark (2005): Reputation in der Mediengesellschaft. Konstitution - Issues Monitoring - Issues Management. Wiesbaden. • Hoffjann, Olaf / Seidenglanz, René (Hrsg.) (2018): Allmächtige PR, ohnmächtige PR. Die doppelte Vertrauenskrise der PR. Wiesbaden. • Westerbarkey, Joachim (2000): Das Geheimnis. Die Faszination des Verborgenen. Berlin. 5.3 Wirklichkeit der PR Während die Verlässlichkeit journalistischer Medienberichterstattung selten hinterfragt wird, sieht sich PR häufig mit Vorwürfen konfrontiert, die von der ‚Schönfärberei‘ bis hin zum Lügenvorwurf reichen. Daher überrascht es nicht, dass die journalistischen Fremdbeschreibungen von vielen als angemessener bewertet werden als die Selbstbeschreibungen der PR. Die Unterschiede zwischen PR- und journalistischen Beschreibungen jenseits von solchen intuitiven Annahmen können mithilfe der Erkenntnistheorie erläutert werden. Die Erkenntnistheorie (Epistemologie) beschäftigt sich mit der Frage, wie wir etwas erkennen bzw. wissen können. Während sich die deutschsprachige PR-Forschung ebenso wie die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft seit vielen Jahren mit diesen Fragen beschäftigt, haben sie in der internationalen Forschung erst mit der jüngeren Diskussion um Fake News und postfaktische Gesellschaften Beachtung gefunden (Kap. 2.1.5). Die deutschsprachige Auseinandersetzung wurde vor allem zwischen Vertretern realistischer und konstruktivistischer Positionen geführt und dürfte eine der intensivsten des Faches gewesen sein, „ihre polarisierende und teilweise polemische Form hatte durchaus den Charakter eines reinigenden Gewitters und setzte viel kreatives wissenschaftliches Potenzial frei“ (Scholl 2011: 162). Diese beiden Positionen prägen auch die erkenntnistheoretische Diskussion zur Wirklichkeit der PR. Im Folgenden sollen drei erkenntnistheoretische Ansätze skizziert werden. Dazu sollen neben der realistischen und der konstruktivistischen auch der non-dualistischen Position drei Fragen gestellt werden (ausführlich Hoffjann 2013a, 2013b): <?page no="196"?> 5.3 Wirklichkeit der PR 197 Warum bzw. woran scheitern PR-Beschreibungen? Dies ist letztlich die erkenntnistheoretische Kernfrage nach den Bedingungen bzw. Möglichkeiten des Erkennens. Mit dieser Frage hängt eng die zweite zusammen: Was ist das zentrale Erfolgskriterium für PR-Beschreibungen? PR hat als Selbstdarstellungskommunikation im Vergleich zu journalistischen Fremdbeschreibungen einen erheblichen Glaubbzw. Vertrauenswürdigkeitsnachteil (Bentele/ Seidenglanz 2004: 79; Zerfaß et al. 2019). Daraus folgt die Frage, wie PR es gelingt, dass ihre Beschreibungen (mitunter) dennoch geglaubt werden. Wie werden Trend-Beobachtungen wie die Fiktionalisierung oder die Zunahme von Inszenierungen erklärt? PR als strategische Kommunikation inszeniert Ereignisse und Botschaften und veröffentlicht mithin Fiktionen (Westerbarkey 2004). Daher braucht eine erkenntnistheoretische Perspektive zur Wirklichkeit der PR ein plausibles Verständnis dieser Trend-Beobachtungen. Zu den folgenden Überlegungen passt jede der eingeführten PR-Verständnisweisen. Die zentrale Unterscheidung ist, dass PR mitgeteilte Selbstbeobachtungen sind, während Journalismus mitgeteilte Fremdbeobachtungen sind. 5.3.1 Realismus: ohnmächtige PR Auch wenn heute kein ernst zu nehmender Kommunikationswissenschaftler seinen Ansatz als Realismus bezeichnen würde, prägen realistische Vorstellungen bis heute eine Vielzahl von Beiträgen. Die Folgen dieses realistischen Paradigmas für erkenntnistheoretische Kernfragen der PR sollen am Beispiel der Arbeiten von Bentele erläutert werden. Bentele hat seinen Ansatz entwickelt, um die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Medien bzw. der PR zu untersuchen (Kap. 5.2.1). Zwar grenzt auch Bentele seinen Ansatz, den er als rekonstruktiven Ansatz bezeichnet, selbst von der realistischen Position ab (Bentele 2008a: 257ff). Letztlich kann seine Perspektive aber als realistische Variante interpretiert werden, da sein Ansatz im Wesentlichen auf der Annahme basiert, dass die Realität unendlich viele verschiedene Informationen enthält. Da diese sich nicht vollständig abbilden lassen, wird jeweils ein Teil aktualisiert (ders. 1994b: 251), allerdings „nicht beliebig, sondern nach Maßgabe der Muster schon vorhandener objektiver und subjektiver Informationen“ (ebd.: 251). Bentele hat die Grenzen von PR-Beschreibungen und ihre Erfolgskriterien in zahlreichen Publikationen detailliert beschrieben. PR-Beschreibungen scheitern in Benteles Ansatz letztlich an der Realität. Dazu entwickelt Bentele (1994a: 148) die Diskrepanzthese: Bezugsgruppen können Diskrepanzen <?page no="197"?> 198 5 Funktionskontext zwischen direkt wahrgenommenen Wirklichkeitsausschnitten und Medienwirklichkeiten (Realitätsvergleich) oder zwischen den verschiedenen Medienwirklichkeiten (Medienvergleich) wahrnehmen und miteinander vergleichen - eine fehlende Adäquatheit der innerhalb der Medienwirklichkeit enthaltenen Informationen ergibt Indikatoren für die wahrgenommene Glaubwürdigkeit von PR (Bentele 2015: 200f). Die Probleme einer solchen Perspektive sind vielfach am Beispiel der News Bias-Forschung diskutiert worden (z. B. Schulz 1990: 22f). Um Verzerrungen durch die Medien zu belegen, wurden Extra-Media-Daten mit Intra-Media-Daten verglichen. Erkenntnistheoretisch problematisch ist dies, weil auch die Extra-Media-Daten Konstruktionscharakter besitzen. Daraus folgen unmittelbar die zentralen Erfolgskriterien für PR-Beschreibungen. Weil Bentele Realitätsvergleiche für möglich hält, ist eine realistisch verstandene Wahrheit das zentrale Erfolgskriterium für PR-Beschreibungen. Damit unterscheiden sich PR-Beschreibungen letztlich kaum oder gar nicht von journalistischen Beschreibungen; für beide gelten die gleichen Adäquatheitsregeln (Bentele 1992b: 42). Daraus folgt, dass Bentele sehr optimistisch ist, dass die Wahrheitsnorm in der Regel auch eingehalten wird. Denn weil Lügen, Übertreibungen o. ä. durch Realitätsvergleiche leicht zu entlarven seien, wären z. B. Vertrauensverluste kaum zu vermeiden. Ein Festhalten an der Wahrheitsnorm ist damit für PR-treibende Organisationen „überlebenswichtig für das Funktionieren und die Bestandserhaltung“ (ders. 2009: 25). Benteles Position, die von vielen Autoren zumindest implizit geteilt wird, kann daher als Ohnmachtsthese der PR bezeichnet werden, weil sie den Spielraum von PR durch die Möglichkeit eines Realitätsvergleiches eng begrenzt. Trend-Beobachtungen wie die Fiktionalisierung oder die Zunahme von Inszenierungen spielen in einer realistischen Perspektive kaum eine Rolle, auch wenn Bentele einräumt, dass es fiktionale Elemente durchaus gebe. Sie seien jedoch eher selten zu finden, weil sie sehr schnell zu Unglaubwürdigkeitseffekten und Vertrauensverlusten führen würden (ders. 1994b: 247). Der fiktionale Charakter scheint sich hier darauf zu beschränken, dass etwas nicht zu überprüfen sei. Durch seine Fixierung auf Realitätsvergleiche interessiert sich das realistische Paradigma fast ausschließlich für - wie auch immer - überprüfbare Beschreibungen, während z. B. Bewertungen, Prognosen oder Gerüchte hier weitgehend ausgeschlossen werden. Damit aber bleiben zentrale Aspekte der PR außen vor. 5.3.2 Konstruktivismus: allmächtige PR In der konstruktivistischen Perspektive allgemein steht der Konstruktionscharakter von Beobachtungen und Beschreibungen im Mittelpunkt. Da „das <?page no="198"?> 5.3 Wirklichkeit der PR 199 Gehirn keine ‚Fenster nach draußen‘“ hat (Schmidt 1994: 7), konstruiert jeder Beobachter seine eigene Wirklichkeit. Zentraler Bezugspunkt im konstruktivistischen PR-Diskurs sind die Arbeiten von Merten (u. a. 1992, 2008a, 2008b, 2009, 2010). Daneben gibt es eine Reihe weiterer konstruktivistisch argumentierender bzw. geprägter Ausarbeitungen zur PR wie von Jarchow (1992) oder Kückelhaus (1998), die zum Teil große Gemeinsamkeiten mit Mertens Arbeiten aufweisen. Was ist im konstruktivistischen Paradigma das zentrale Erfolgskriterium für PR-Beschreibungen? Zentraler Bezugspunkt von Mertens Argumentation ist der „Siegeszug der Fiktion“ (Merten 2008b: 5), der mit der Epoche der Mediengesellschaft begonnen habe. Medien liefern, so Merten (ebd.: 5; 2008a: 48), keine ‚reale‘ Wirklichkeit mehr, sondern grundsätzlich nur mehr ‚fiktionale‘ Wirklichkeiten: „Die Verhältnisse drehen sich geradezu um: Nicht der ist gut aufgestellt, der wirklich gut aufgestellt ist, sondern der, der in den Medien wirklich gut aufgestellt erscheint: Der Anschein, nicht die realen Fakten erzeugen jetzt die weiteren relevanten Fakten.“ (ders. 2008b: 5f) Dieser fiktionalen Strukturen bedient sich PR: „PR ist ein Prozess intentionaler und kontingenter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Erzeugung und Befestigung von Images in der Öffentlichkeit.“ (ders. 1992: 44). Als Ergänzung und Konkretisierung zu früheren Arbeiten von Merten können aktuellere Arbeiten gelesen werden, in denen Merten insbesondere das ‚Wie‘ konkretisiert. Dazu stellt er den Täuschungsbegriff in das Zentrum seiner Überlegungen. „Ist Täuschen notwendig für Public Relations? Und wenn ja, wie weit darf die Täuschung gehen? “ (Merten 2008b: 1) Basis seiner Überlegungen ist ein sehr weiter Täuschungsbegriff. „Da alle Darstellung perspektivisch verfährt und die Perspektive immer nur einen Ausschnitt darstellt, [...] [beginnt Täuschung] bereits mit der Wahl der Perspektive, unter der irgendetwas in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Täuschung ist bei aller unabsichtlichen, aber erst recht bei absichtlicher Darstellung also stets dabei, Täuschung ist überall.“ (ebd.: 4) Wenn Täuschung aber nicht einmal an das Kriterium der Intentionalität gebunden wird, dann ist in der Tat - wie Merten sagt - Täuschung überall. Wenn die Selektivität als Grundannahme sowohl konstruktivistischer als auch systemtheoretischer Überlegungen ja gerade eine spezifische Perspektive impliziert, ist nichts vorstellbar, wo keine Täuschung vorliegt. PR-Beschreibungen scheitern - dieser Eindruck drängt sich auf - zumindest in Mertens Sichtweise nahezu gar nicht. Merten kann damit als fast schon euphorischer Vertreter der Allmachtsthese von PR bezeichnet werden. Mal ist PR ein Meta-Kommunikator, der entscheidet, „was, wann, wo, wie und mit welcher gewünschten Wirkung kommuniziert werden soll“ (Merten 1992: 44). Und mal liegt der Vorteil fiktionaler Konstrukte „in ihrer ein- <?page no="199"?> 200 5 Funktionskontext fachen, schnellen und kostengünstigen Erzeugung und Veränderung“ (ders. 2008b: 6). In seinen Arbeiten scheinen der PR nur selten Grenzen gesetzt zu werden, zumal sich die Mediengesellschaft „tendenziell auf die Nichtnachprüfbarkeit von Behauptungen aller Art eingerichtet“ hat (ders. 1992: 37). Aber wie plausibel ist eine solche Allmachtsthese? Die empirischen Untersuchungen zu den Beziehungen von PR und Journalismus haben gezeigt, dass PR bei seiner Imagekonstruktion durchaus Grenzen gesetzt sind. Und noch grundsätzlicher: Wenn mehrere direkt konkurrierende Organisationen Images kreieren, können nicht alle gleichermaßen erfolgreich sein. Hinzu kommt bei Merten ein anderer Kritikpunkt, der angesichts der euphorischen Einschätzung von Fiktionen überrascht. So lassen sich an den Stellen, an denen Merten Kernbegriffe wie die ‚reale‘ Wirklichkeit definiert (Merten 1999: 253), Hinweise darauf finden, dass auch in Mertens Verständnis Konstruktionen letztlich doch an einer ontischen Realität überprüft werden können. Wie werden im konstruktivistischen Paradigma schließlich Trend-Beobachtungen wie die Fiktionalisierung erklärt? Bei der Analyse von Inszenierungen, der Theatralisierung oder der Fiktionalisierung aus konstruktivistischer Perspektive gerät der Konstruktivismus an eine ganz andere Grenze. Im Konstruktivismus gab es - zumeist implizit - immer schon zwei Konstruktivitäts-Praxen (Weber 2005: 333). Dies ist erstens die epistemologische Allaussage, dass letztlich alles Konstruktion sei: Jede Beobachtung und jede Beschreibung ist eine Konstruktion. Zweitens ist es die empirische Trendaussage, dass z. B. Massenmedien immer mehr Wirklichkeit konstruieren. Wenn Trends wie die Fiktionalisierung untersucht werden, verfängt sich eine konstruktivistische Betrachtung schnell in Widersprüchen, weil einerseits immer schon alles Konstruktion war, aber andererseits jetzt noch mehr oder anders konstruiert wird. Bewusste Inszenierungen sind damit zugleich Teil der konstruktivistischen All- und Trendaussage. Der Konstruktivismus befindet sich damit in einem „argumentativen Dilemma“ (Weber 2005: 342). Grundsätzlich bietet eine konstruktivistische gegenüber der realistischen Perspektive den zentralen Vorteil, dass der Konstruktionscharakter und damit die spezifische Selektivität von PR herausgestellt wird, mit der z. B. Unterschiede zu journalistischen Wirklichkeitskonstruktionen herausgearbeitet werden können. 5.3.3 Non-Dualismus: zwischen all- und ohnmächtiger PR Die Diskussion des realistischen und konstruktivistischen Paradigmas hat erstens gezeigt, dass eine erkenntnistheoretische Perspektive problematisch ist, die auf einen Realitätsvergleich nicht verzichtet. Wer kann schon hinter Unternehmensfassaden gucken? Und wer kann abschließend beurteilen, ob <?page no="200"?> 5.3 Wirklichkeit der PR 201 die Insider-Berichte eines entlassenen Mitarbeiters ‚wahrer‘ sind als die offiziellen PR-Statements? Begründungsversuche, die auf das ‚Echte‘ und ‚Wahre‘ verweisen, geraten schnell in einen infiniten Regress. Daher ist eine erkenntnistheoretische Perspektive vielversprechender, die auf einen Realitätsvergleich verzichtet und strikt im Diesseits verbleibt. Zweitens ist deutlich geworden, dass dennoch vieles dafürspricht, dass beschriebene Differenzen z. B. zwischen PR-Selbstbeschreibungen und journalistischen Fremdbeschreibungen die zugeschriebene Vertrauenswürdigkeit schwächen können. Offenkundig gibt es Beschreibungen, die tendenziell als vertrauenswürdiger eingeschätzt werden, wenn PR-Selbstbeschreibungen im Widerspruch dazu stehen. Eine erkenntnistheoretische Perspektive, die auf einen Realitätsvergleich verzichtet, muss deutlich machen, wie man zu solchen Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen kommt. Schließlich sind drittens Trend-Beobachtungen wie die Theatralisierung und die Fiktionalisierung - ganz allgemein formuliert - mit der Vermutung verbunden, dass sich die massenmediale Wirklichkeit bzw. deren Produktionsweise verändern. Hier stellt sich die Frage nach alternativen Erklärungsansätzen, die nicht erneut in die erkenntnistheoretische Falle von ‚wahrer‘ und ‚weniger wahr‘ führen. Ein dritter erkenntnistheoretischer Weg ist der Non-Dualismus, den der österreichische Philosoph Mitterer ausgearbeitet (1992, 2001) und zu dem Weber (2005) eine Medientheorie entwickelt hat. Mit seiner non-dualistischen Perspektive wendet sich Mitterer insbesondere vom Konstruktivismus und vom Realismus ab, indem er auf beschreibungsverschiedene Objekte bzw. den Bezug auf eine jenseitige Realität völlig verzichtet. Beschreibungen - so genannte Beschreibungen ‚from now on‘ - führen immer frühere Beschreibungen fort - so genannte Beschreibungen ‚so far‘. Eine Beschreibung bezieht sich damit nicht auf jenseitige Objekte, sondern immer auf frühere Beschreibungen. Im Gegensatz zum Konstruktivismus und Realismus, die Mitterer als dualistische Ansätze bezeichnet, nähern sich in einer non-dualistischen Perspektive Beschreibungen damit nie dem beschreibungsverschiedenen Objekt an. Warum bzw. woran scheitern PR-Beschreibungen? Es ist oben herausgearbeitet worden, dass im realistischen und selbst im konstruktivistischen Paradigma Thesen an der Realität scheitern. Durch den ‚Wegfall‘ der Realität im Non-Dualismus geht dieser Bezugspunkt verloren. Woran aber können Beschreibungen bzw. Thesen dann noch scheitern? Thesen scheitern an neuen Thesen, die dann wieder als ‚wahr‘ ausgewiesen werden, bis sie an neuen Thesen scheitern (Weber 2005: 262). Und noch einfacher: „Auffassungen sind wahr, weil und solange wir sie vertreten und sie sind falsch, weil und solange wir sie nicht vertreten.“ (Mitterer 2001: 105). Zur Überprüfung von <?page no="201"?> 202 5 Funktionskontext Thesen können (wissenschaftliche) Prüfverfahren entwickelt werden. Grundlage solcher Prüfverfahren ist eine gemeinsam geteilte Ausgangsbasis - also in einer sozialen Situation nicht hinterfragte Beschreibungen (ders. 1992: 83f). Und im Idealfall ist das Prüfverfahren - also zum Beispiel ein Untersuchungsdesign - ebenfalls selbst konsensuell. Wenn beides gegeben ist, gibt es gute Chancen, dass das Ergebnis auf breiter Basis als ‚wahr‘ ausgezeichnet wird. Wenn Beschreibungen weitgehend konsensuell sind - also nicht mehr oder kaum noch ernsthaft hinterfragt werden -, wird aus ihnen ein Basiskonsens für weitere Beschreibungen (ebd.: 71-75). Dies kann auch als Wahrheit bezeichnet werden. Dazu zählen Auffassungen, „die wir vertreten müssen, um in unserer Gesellschaft überleben zu können“ (ders. 2001: 106). Hier zeigt sich die Kontingenz bzw. Willkür von Beschreibungen. Wenn eine jenseitige Realität als Vergleichsmaßstab ausfällt, folgt daraus die Frage, wie erklärt werden kann, warum Beschreibungen scheitern bzw. die einen Beschreibungen anderen Beschreibungen vorgezogen werden. Dies und die Konsequenzen dieser allgemeinen Überlegungen für PR-Beschreibungen führen zur Frage nach den Erfolgskriterien für PR-Beschreibungen. Was entscheidet nun in einem erkenntnistheoretischen Gedankengebäude ohne Realitätsvergleich darüber, ob Beschreibungen so far zur (positiven) Grundlage für Beschreibungen from now on werden? Und: Wie ist die empirisch zu beobachtende Evidenz zu erklären, dass z. B. journalistische Beschreibungen in der Regel länger vertreten werden als PR-Beschreibungen? Hierzu trägt insbesondere der Selbstdarstellungscharakter von PR-Beschreibungen bei, die wie jede Selbstbeschreibung in der Regel als weniger glaubwürdig und vertrauenswürdig eingeschätzt werden als Fremdbeschreibungen wie journalistische Medienberichte. Auf welcher Grundlage aber entscheidet man über Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen - wenn nicht durch einen Realitätsvergleich? Im Folgenden soll die These ausgeführt werden, dass hierzu - ähnlich wie bei Bentele - ein Vergleich z. B. von PR-Beschreibungen und Medienbeschreibungen durchgeführt wird, der - im Gegensatz zu Bentele - strikt im Diesseits verbleibt und damit auf jeglichen Realitätsvergleich verzichtet. Diese als Vergleichsmaßstab dienenden Beschreibungen, die allesamt tendenziell als vertrauenswürdiger als PR-Beschreibungen bewertet werden, können (a) Beschreibungen im Sinne eigener Erfahrungen bzw. Beobachtungen, (b) Beschreibungen von persönlich bekannten Personen oder aber (c) andere Medienbeschreibungen sein (Merten 1999: 249). (a) Beschreibungen im Sinne eigener Erfahrungen gelten als besonders relevant für Fragen der Vertrauenswürdigkeitseinschätzung oder von Imageveränderungen (ebd.: 249). Während im realistischen und konstruktivistischen Paradigma zwischen dem Objekt und der Beschreibung unterschieden <?page no="202"?> 5.3 Wirklichkeit der PR 203 wird, interessiert sich der Non-Dualismus für jenseitige Objekte nicht: Das Objekt der Beschreibung ist nicht beschreibungs- oder ‚sprachverschieden‘, sondern ist jener Teil der Beschreibung, der bereits ausgeführt worden ist (Mitterer 1992: 56). Mit anderen Worten: „Einen Apfel beschreiben, heißt die (bereits ausgeführte) Beschreibung / ein Apfel/ fortsetzen.“ (Ebd.: 56) Daher sind auch jene Beschreibungen im Sinne eigener Erfahrungen nichts anderes als die Fortführung bereits vorliegender Beschreibungen. Daher werden z. B. PR-Beschreibungen nicht mit einer direkt zugänglichen beschreibungsverschiedenen Welt verglichen, wie es Benteles Formulierung einer Isomorphiebeziehung von Medienbeschreibungen und Ereignissen nahelegt (Bentele 1992a: 164). Vielmehr werden hier PR-Beschreibungen mit ‚eigenen‘ Beschreibungen verglichen. Auch wenn einiges dafürspricht, dass in vielen Fällen ‚eigene‘ Beschreibungen als vertrauenswürdiger und damit als Basis- Konsens ausgewiesen werden, so sind letztlich beide Beschreibungen kontingent. Die non-dualistische Perspektive ermöglicht damit auch einen neuen Blick auf die in der PR so oft genannte normative Anforderung der Übereinstimmung von Wort und Tat (z. B. Hundhausen 1951: 160f). In dem hier vorgestellten Gedankengebäude sind das ‚Wort‘ z. B. PR-Beschreibungen und die ‚Tat‘ eigene Beschreibungen im Sinne eigener Erfahrungen oder Beschreibungen von ‚Betroffenen‘, also z. B. entlassenen Mitarbeitern. Letztlich werden auch hier Beschreibungen miteinander verglichen. Ein solcher Vergleich zwischen mehreren Beschreibungen liegt letztlich auch in den anderen beiden Fällen vor - sowohl bei (b) Beschreibungen von persönlich bekannten Personen als auch im Falle von (c) Medienbeschreibungen. So könnte man im letzteren Fall eine PR-Beschreibung überprüfen, indem man zum selben Thema die Berichterstattung einer Zeitung liest. Wenn die PR-Beschreibung bestätigt wird, könnte dies dazu führen, dass sie als neuer Basiskonsens ausgewiesen wird (Weber 2005: 318). Insbesondere journalistische Berichte haben im Gegensatz zu PR-Beschreibungen den enormen Vorteil, dass sie eben Fremd- und keine Selbstbeschreibungen sind und mithin tendenziell als vertrauenswürdiger beschrieben werden. PR dürfte sich daher in der Mehrzahl der Fälle insbesondere an der journalistischen Berichterstattung orientieren - weil ein Abweichen davon als vertrauensunwürdig und damit höchst riskant erscheinen kann. Hier wird deutlich, dass PR sich mit ihren Beschreibungen tendenziell umso mehr von dem entfernen kann, was sie selbst als wahr bezeichnen würde, je weniger die beschriebenen Themen für externe Bezugsgruppen erfahrbar sind und je mehr das konkrete Unternehmen in der Vergangenheit in hohem Maße als vertrauenswürdig bezeichnet wurde. Damit ist deutlich geworden, dass Vertrauenswürdigkeit das zentrale Erfolgskriterium für PR-Beschreibungen ist. PR-Beschreibungen scheitern vor <?page no="203"?> 204 5 Funktionskontext allem an fehlender Vertrauenswürdigkeit - oder genauer: weil sie seltener als vertrauenswürdig bewertet werden als z. B. journalistische Beschreibungen. Das Problem der Vertrauenswürdigkeit ist hier auf verschiedenen Ebenen relevant: Zunächst geht es grundsätzlich um einen Vertrauenswürdigkeitswettbewerb zwischen den PR-Selbstbildern und journalistischen Fremdbildern, hinzu kommt eine Wettbewerbssituation zwischen PR-Beschreibungen unterschiedlicher Organisationen. Vertrauenswürdigkeit ist damit in einer non-dualistischen Perspektive der zentrale erkenntnistheoretische Bezugspunkt von PR. In einer non-dualistischen Perspektive problematisiert PR statt Wahrheit nur die - vermutete bzw. unterstellte - Vertrauenswürdigkeit von Beschreibungen. PR interessiert sich nur dafür, welche Chancen eine Beschreibung ihrer Einschätzung nach hat, von den relevanten Bezugsgruppen als vertrauenswürdig bezeichnet zu werden. Mit Huck kann PR damit als organisationaler „Glaubwürdigkeits-Gatekeeper“ (Huck 2006: 50) bzw. etwas weiter als Vertrauenswürdigkeits-Gatekeeper verstanden werden, allerdings ohne jegliche Prüfung eines ontischen Wahrheitsgehaltes. PR wird dazu neben den oben skizzierten konkurrierenden Beschreibungen auch die Aspekte berücksichtigen, die in der Glaubbzw. Vertrauenswürdigkeitsforschung verschiedentlich skizziert wurden und die in Kapitel 5.2.1 als Vertrauenswürdigkeitsindikatoren eingeführt wurden. Die Vertrauenswürdigkeit wäre damit aus einer systemtheoretischen Perspektive nach der Leit-Unterscheidung wie z. B. der Legitimation auf der Programm-Ebene als ein Selektionskriterium (Kap. 5.2.1) zu verorten. Die Einschätzung zur Vertrauenswürdigkeit ist aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive die zentrale Leistung von PR. PR prüft dazu vorliegende Beschreibungen daraufhin, ob sie von Bezugsgruppen als vertrauenswürdig eingeschätzt werden könnten. Damit versucht PR, Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen der Organisation zu sichern. Noch einmal: Wenn man PR als organisationalen Vertrauenswürdigkeits-Gatekeeper konzipiert, ändert dies weder etwas daran, dass der Journalismus PR-Beschreibungen seinerseits prüft und vielfach als vertrauensunwürdig einschätzt (Weischenberg et al. 2006: 127), noch dass journalistische Beschreibungen in der Regel als vertrauenswürdiger eingeschätzt werden. PR versucht mit dem Vertrauenswürdigkeits-Gatekeeping, die Wahrscheinlichkeit von Vertrauenswürdigkeitszuschreibungen zu erhöhen - nicht mehr und nicht weniger. Es ist gezeigt worden, dass in einer non-dualistischen Perspektive Vertrauenswürdigkeit das zentrale Erfolgskriterium ist. Zwar wird auch im konstruktivistischen Paradigma und insbesondere in realistischen Arbeiten von Bentele die Relevanz von Vertrauen bzw. Vertrauenswürdigkeit für PR betont. Zugleich aber wird in einer realistischen Perspektive die Relevanz von Vertrauen durch die Möglichkeit von Realitätsvergleichen geschwächt: Wie <?page no="204"?> 5.3 Wirklichkeit der PR 205 wichtig ist noch Vertrauen, wenn das Erkennen von Realität Gewissheit verschafft? Zudem gehen die meisten Arbeiten, die die Relevanz von Vertrauen betonen, von einem anderen Beziehungsverhältnis zwischen PR und Vertrauen aus. Während hier Vertrauen in PR bzw. vertrauenswürdige PR thematisiert werden, interessiert sich z. B. Bentele vor allem für Vertrauen durch PR in Organisationen. Wie werden im Non-Dualismus Trend-Beobachtungen wie die Fiktionalisierung erklärt? Man könnte vermuten, dass klassische Dualitätspaare wie Sein und Schein, Realität und Irrealität, Fakten und Fiktionen in einer non-dualistischen Perspektive keinen Platz hätten. Das hätte zur Folge, dass auch Trend-Beobachtungen wie die Fiktionalisierung oder die Zunahme von Inszenierungen nicht zu erklären wären. In einer non-dualistischen Perspektive kann dieses Problem so gelöst werden, indem die Dualitätspaare uminterpretiert werden: Sein, Realität und Fakten beziehen sich nicht auf beschreibungsverschiedene Objekte, sondern werden als Basiskonsens verstanden. Beide Seiten der jeweiligen Unterscheidung bleiben immer im Diskursdiesseits (Weber 2005: 340f). Folglich sind es nur differente Modi von Beschreibungen: Während mit real und faktisch konsensuelle - also im oben erläuterten Verständnis ‚wahre‘ - Beschreibungen bezeichnet werden, sind fiktionale Beschreibungen noch nicht konsensuell. Alle Beschreibungen schließen jedoch immer an alte Beschreibungen an, und diese neuen Beschreibungen können dann mit Attributen wie fiktional etc. ausgestattet werden (ebd.: 341). Wie können nun Trend-Beobachtungen wie die Fiktionalisierung bzw. die zunehmenden Inszenierungen erklärt werden? Im Gegensatz zum Konstruktivismus, der zwischen der konstruktivistischen All- und Trendaussage unterscheidet, interessiert sich der Non-Dualismus nur für die Trendaussage (ebd.: 337ff). Fiktionalisierung wäre dann nichts anderes als eine Zunahme von noch nicht konsensuellen Beschreibungen. Und die damit in Verbindung gebrachte Klage einer Entfernung von der Wirklichkeit wäre in einer non-dualistischen Rekonstruktion nichts anderes als eine Reaktion auf Kontingenzerfahrungen, die durch eine Vielzahl von neuen Beschreibungen gemacht werden, die immer schneller aufgestellt werden (ebd.: 340). Mit jeder neuen Medienbeschreibung entfernt man sich von der Wirklichkeit - also der ursprünglichen Beschreibung so far (ebd.: 318). Zudem können empirische Inszenierungs- und Konstruktivitätsgrade widerspruchsfreier beschrieben werden. Dazu ein konkretes Beispiel: Man könnte Konstruktivitätsgrade von Veranstaltungen empirisch untersuchen, indem man eine Befragung von Veranstaltungsmachern mit einer Beobachtung der Veranstaltung kombiniert. Dabei könnten bewusste Konstruktivitätsgrade bzw. Inszenierungsgrade für PR-Inszenierungen untersucht wer- <?page no="205"?> 206 5 Funktionskontext den, ähnlich wie Weber (1999) dies für den Journalismus getan hat. Als Indikatoren könnten gelten: die inhaltliche Vorbereitung der Statements, die Festlegung des Ablaufs, des Medienbildes und der Perspektive der Foto- und TV-Kameras etc. Bei einem Vergleich von zwei Veranstaltungen könnte man dann zu dem Ergebnis kommen, dass Veranstaltung A in höherem Maße inszeniert wurde als Veranstaltung B. Ein solches Ergebnis ist keine erneute Dualisierung von jenseitiger Realität versus diesseitiger Inszenierung. Das heißt folglich auch, dass es keine Annäherung an die ‚wahre‘ Veranstaltung gibt. Wenn man in einem zweiten Schritt zwischen der Produktions- und Rezeptionsseite unterscheidet, können die jeweiligen Beschreibungen miteinander verglichen werden: Auf der Produktionsseite ist es die (Nicht-)Inszenierung eines Ereignisses, auf der Rezipientenseite ist es die (Nicht-)Zuschreibung von Authentizität durch Beobachter. Um dies zu untersuchen, könnte man die oben skizzierte Untersuchungsanlage um Befragungen von Zuschauern zu ihrer Einschätzung nach der Zuschreibung von (In-)Authentizität befragen. Entsprechend kann der Zusammenhang zwischen Inszenierungsgraden und der Beschreibung der Rezipienten untersucht werden. Mögliche Ergebnisse einer solchen Untersuchung könnten sein: PR-Beschreibungen mit einem hohen Inszenierungsgrad werden von Rezipienten als inszeniert beschrieben. Oder aber: PR-Beschreibungen mit einem hohen Inszenierungsgrad werden von Rezipienten als nicht-inszeniert/ authentisch beschrieben. Das zweite Ergebnis würde dann die in den vergangenen Jahren vielfach geäußerte These von der Authentizität durch Inszenierung stärken (Fischer-Lichte et al. 2007). Abb. 5.10: (In-)Authentizitätsbeschreibung von (nicht-)inszenierten PR-Beschreibungen (Hoffjann 2013a: 54) Wie verhält sich ein solches non-dualistisches Verständnis von PR zur realistischen Ohnmachtsthese und zur konstruktivistischen Allmachtsthese? In einer non-dualistischen Perspektive geraten Chancen und Risiken gleichermaßen in den Blick (Abb. 5.11). Chancen ergeben sich, wenn PR erfolgreich <?page no="206"?> 5.3 Wirklichkeit der PR 207 Beschreibungen etabliert, die sie selbst als ‚fiktiv‘ bezeichnen würde. Risiken zeigen sich, weil PR beispielsweise in Krisenzeiten nur geringe Chancen haben dürfte, eine aus ihrer Perspektive falsche Beschreibung zu korrigieren. So kann ein Pressesprecher in diesem Verständnis mit einer PR-Beschreibung dem Lügen-Vorwurf ausgesetzt werden, wenn er sie nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt hat. Genau deshalb werden hier nicht das ‚beste Wissen und Gewissen‘ als Selektionskriterium, sondern die bei Rezipienten vermuteten Vertrauenswürdigkeitschancen favorisiert. Im realistischen Verständnis wäre dies kaum vorstellbar. realistische Perspektive konstruktivistische Perspektive non-dualistische Perspektive zentrales Erfolgskriterium für PR- Beschreibungen Wahrheit Fiktionalität Vertrauenswürdigkeit Woran scheitern PR-Beschreibungen? an der Realität an fehlender Viabilität an anderen als vertrauenswürdiger bezeichneten Beschreibungen Wie wird der Einfluss von PR bewertet? Ohnmachtsthese geringer Einfluss, da PR-Beschreibungen an der Realität überprüft werden können (Bentele 1994b: 254) Allmachtsthese großer Einfluss, da sich die Mediengesellschaft auf die Nichtnachprüfbarkeit von Beschreibungen eingestellt hat (Merten 1992: 37) Zwischen Ohnmachts- und Allmachtsthese geringer und großer Einfluss gleichermaßen, da PR ‚Täter’ mit und ‚Opfer’ von fiktionalen Beschreibungen sein kann Abb. 5.11: Annahmen verschiedener erkenntnistheoretischer Perspektiven zur PR Daher ist auch eine weitere zentrale Annahme des Non-Dualismus höchst ambivalent ür die PR. Mitterer setzt dem Streben nach Wahrheit von Konstruktivismus und Realismus ein Streben nach Wechsel entgegen (Mitterer 1992: 110). Die Plausibilität dieses Gedankens belegen virale Spots im Web 2.0: Lange wurden Spots mit verwackelten und unscharfen Bildern als authentisch beschrieben. Nachdem in Medienberichten mehrfach über die (kommerziellen) Hintergründe solcher Spots berichtet wurde, dürfte sich hier die Authentizitätszuschreibung verändern. Ein zweites Beispiel sind die wechselnden journalistischen Berichterstattungen zu politischen Themen oder zur Einschätzung von Personen über einen längeren Zeitpunkt hinweg. Hier scheint ein journalistisches Streben nach Wechsel die Kommentierungszyklen ebenfalls deutlich plausibler zu erklären als ein Streben nach <?page no="207"?> 208 5 Funktionskontext Wahrheit. Ambivalent ist dieses Streben nach Wechsel, weil PR einerseits mit neuen überraschenden Beschreibungen erfolgreich sein kann, andererseits aber auch ‚Opfer‘ journalistischer Herdentriebe werden kann. Zum Weiterlesen Vertiefende Darstellungen zu den erkenntnistheoretischen Positionen: • Bentele, Günter (2015): Rekonstruktiver Ansatz. In: Fröhlich, Romy / Szyszka, Peter / Bentele, Günter (Hrsg.): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln (3. Aufl.). Wiesbaden: 191-204. • Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.) (1996): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt am Main. • Weber, Stefan (2005): Non-dualistische Medientheorie. Eine philosophische Grundlegung. Konstanz. 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR PR hat sich in vielen Organisationen etabliert, um Unternehmen, Museen oder Hochschulen zu legitimieren und ihre Handlungsfreiheit zu sichern. Innerhalb der PR haben sich weitere Teilbereiche ausdifferenziert, die spezifische Probleme bearbeiten. Diese werden in diesem und in den folgenden Kapiteln näher beschrieben. Den Anfang machen Teilbereiche, die spezifische primäre Bezugsgruppen bearbeiten und die hier als Teil von PR im Sinne der Legitimation verstanden werden. Im Falle der Public Affairs sollen die eigenen Interessen bei politischen Entscheidungen artikuliert und durchgesetzt werden (Kap. 5.4.1), während der deutlich jüngere Teilbereich der Litigation-PR insbesondere auf die Beeinflussung von Gerichtsverfahren zielt (Kap. 5.4.2). Weniger fokussiert ist die Corporate Social Responsibility, die zwar deutlich über PR im hier vorgestellten Verständnis hinausgeht, hier aber insofern als Teilbereich der PR interpretiert wird, da PR als zentrale CSR-Instanz die Nachhaltigkeit gegenüber Bezugsgruppen thematisiert und zudem symbolische CSR-Maßnahmen durchführt (Kap. 5.4.3). 5.4.1 Public Affairs Public Affairs als Teilbereich der PR hat sich auf die Politik spezialisiert. In Anlehnung an die allgemeine PR-Funktionsbestimmung kann Public Affairs damit wie folgt definiert werden: Public Affairs legitimiert Profit- und Nonprofit-Organisationen mittels nicht-öffentlicher und öffentlicher Kommunikationsformen gegenüber dem politischen System. Public Affairs zielt dabei insbeson- <?page no="208"?> 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 209 dere auf die Interessendurchsetzung bei politischen Entscheidungen (Hoffjann 2015). Während sich ein solch enges Begriffsverständnis von Public Affairs im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat (z. B. Fähnrich/ Mono 2020), ist die angloamerikanische Diskussion von einem sehr weiten Public Affairs-Verständnis geprägt. Public Affairs wird dort als Management der Kommunikationsbeziehungen jenseits des Marktes verstanden. So definieren Harris/ Fleisher (2005a: XXXI) Public Affairs als „the corporate consideration of the impact of environmental (in its broadest sense), political, and social developments on a company and the opinionleader contact programs which follow“. Einerseits wird Public Affairs dann als Spezialisierung von PR verstanden (Broom/ Sha 2013: 35), andererseits wird Public Affairs z. T. als Synonym ür PR benutzt (Grunig 1992b: 4). Das politische System ist für Organisationen aller gesellschaftlichen Teilbereiche so wichtig, weil es in einer Gesellschaft kollektiv bindende Entscheidungen herstellt (Luhmann 1991: 159). Mit dem kollektiven und verbindlichen Charakter ihrer Entscheidungen beeinflusst Politik damit wichtige Rahmenbedingungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Allein für Unternehmen reicht dies von Vorgaben für Produkte (z. B. für traditionelle Glühlampen) und Einschränkungen zu Produktionsverfahren (z. B. zur Kernenergie) über die Regelung von Arbeitnehmerrechten (z. B. Kündigungsfristen) und Steuersätzen (z. B. Unternehmenssteuer) bis hin zu Vorschriften zur Sicherheit am Arbeitsplatz und zur Regulierung von Exporten (z. B. in der Waffenindustrie) (Fleisher 2005: 5f). Weil Organisationen wie Unternehmen und Hochschulen an ihrer grundsätzlichen Abhängigkeit von politischen Entscheidungen nichts ändern können, stellt Public Affairs als Grenzstelle (Luhmann 1964) damit den Versuch dar, diese Abhängigkeit zu bündeln und zu strukturieren. Mit Public Affairs versuchen Organisationen, diese gesetzlichen Handlungsspielräume im eigenen Sinne zu sichern und auszubauen. Dabei stehen der Public Affairs als Teilbereich der PR mit der (a) internen Selbststeuerung und (b) externen Kontextsteuerung die beiden eingeführten Strategieoptionen zur Verfügung. Diese Doppelperspektivierung ist in der Public Affairs-Forschung nicht neu und bereits vor langer Zeit skizziert worden. Post et al. (1982: 12) haben der Public Affairs in Anlehnung an Thompson (1967) ähnlich wie der PR allgemein eine ‚boundary spanning role‘ zuerkannt: The „essential role of the public affairs unit appears to be that of a window out of the corporation through which management can perceive, monitor, and understand external change, and simultaneously, a window in through which society can influence corporate policy and practice“. <?page no="209"?> 210 5 Funktionskontext Mit (a) internen Selbststeuerungen bzw. dem Handeln passen sich Organisationen an beobachtete Entwicklungen in der Politik an: Energiekonzerne suchen z. B. nach dem Beschluss zum Atomausstieg Geschäftsmodelle für alternative Energiequellen. Organisationen können aber auch erwartete politische Entscheidungen vorwegnehmen, um sich gegenüber Wettbewerbern einen Legitimationsvorteil zu verschaffen oder im Sinne der Selbstregulierung gesetzliche Maßnahmen zu vermeiden. Wie für PR allgemein (Kap. 4.2) gilt auch für Public Affairs, dass der organisationsinterne Einfluss von Public Affairs auf Entscheidungen umso höher ist, desto mehr politische Entscheidungen die Handlungsfreiheit einer Organisation beeinflussen. So dürfte der Einfluss in regulierten Branchen wie im Energiesektor oder in der Zigarettenbranche sehr groß sein. Aus strukturationstheoretischer Perspektive kann dies als ein Wechselverhältnis von Organisationsentscheidungen und Organisationsstrukturen wie der Etablierung einer eigenen PA-Abteilung beschrieben werden: Große Public Affairs-Abteilungen beeinflussen einerseits in hohem Maße die Organisationspolitik, andererseits beeinflussen Organisationsentscheidungen Organisationsstrukturen (Zimmer/ Ortmann 2001). Gleichwohl zeigt sich hier ein mögliches Risiko, wenn sich Organisationen zu sehr an der Politik orientieren. Im Falle von Unternehmen kann dann ein schleichender Identitätsverlust beobachtet werden, der auch als eine freiwillige ‚Politisierung‘ von Unternehmen bezeichnet werden kann: So wie sich Parteien zunehmend an der Funktionslogik der Medien orientieren, drohen Unternehmen z. B. in stark reglementierten Märkten, sich zunehmend an der Politik zu orientieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass in Unternehmen ein zunehmendes Public Affairs-Engagement zu Lasten von Marktzielen wie z. B. der Kundenzufriedenheit geht (Siedentopp 2010: 218). Bei (b) externen Kontextsteuerungen bzw. dem Reden geht es darum, die Organisation vor Veränderungen und damit weitgehenden Selbststeuerungen zu schützen und stattdessen die Politik zu beeinflussen. Diese Perspektive ist in allen Public Affairs-Arbeiten die dominierende. Im Folgenden soll zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Formen unterschieden werden. Wenn Public Affairs auf die Beeinflussung politischer Entscheidungen zielt, spricht es entweder mit nicht-öffentlichen Verfahren - also dem klassischen Lobbying - Entscheider direkt an oder zielt mit der öffentlichen Thematisierung politischer Themen auf das politische Publikum und das politische Meinungsklima. Zusätzlich wird das Grassroot Lobbying als Mischform und als zumindest in Deutschland relativ neuer Typus der Public Affairs erläutert. Lobbying als nicht-öffentliche Form der Public Affairs Unter Lobbying wird in der Regel der direkte Versuch von Vertretern gesellschaftlicher Interessen verstanden, auf Akteure aus Parteien, Parlamenten, <?page no="210"?> 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 211 Regierungen und Verwaltungen konkret einzuwirken (z. B. Schwaneck 2019: 25). Dies kann entweder formell geschehen - also durch die Teilnahme an Anhörungen in den Bundestagsausschüssen und den Ministerien - oder informell z. B. durch persönliche Gespräche mit Entscheidungsträgern, Anfertigen von Positionspapieren und Stellungnahmen oder der Durchführung von parlamentarischen Abenden und Mittagsveranstaltungen (Bender/ Reulecke 2004). Die Kritik, der sich Public Affairs allgemein vielfach ausgesetzt sieht, zielt zumeist auf das nicht-öffentliche Lobbying. Lobbying wird in einer solchen kritischen Lesart als Gefährdung der Demokratie bewertet. Dies wird mit fehlender Transparenz, mit unterschiedlichen Ressourcen und mit den öffentlich gewordenen illegitimen oder gar illegalen Fällen des Lobbyings begründet. Dazu zählen z.B. Fälle, in denen statt Macht und guter Argumente ein systemfremdes Medium wie Geld eingesetzt wurde (Arlt 2004: 100) oder wenn z.B. Mitarbeiter eines Ministeriums auch auf der Gehaltsliste eines Unternehmens stehen (Maisch 2015). Lobbying wurde in diesen Fällen als gemeinwohlabträglich und als fünfte Gewalt kritisiert (Leif/ Speth 2006). In der Folge wurde der Begriff wegen der negativen Sach- und Werturteile in der politikwissenschaftlichen Interessengruppen- und Verbändeforschung eher selten verwendet (Kleinfeld et al. 2007: 10ff). Dem steht eine positive Lesart entgegen, in der Lobbying als normativer Idealtypus des noch unbekannten Arguments angesehen wird, das eine Interessengruppe vorbringt und das zur Qualitätssteigerung eines Gesetzesvorhabens beiträgt. Damit hängt die liberale pluralismustheoretische Perspektive eng zusammen, nach der erst die Interessenartikulation das Gemeinwohl sichere (Lösche 2006). „Wo die Regierenden regelmäßig auf die Ratschläge verschiedenster Interessengruppen achten, ist auch Politik von hoher Qualität“ (Sebaldt/ Straßner 2004: 13). Als Euphemismus hingegen ist schon fast die Bezeichnung von Lobbying als Politikberatung zu bewerten. Lobbyisten versuchen hier, sich mit dem Etikett der Politikberatung als interesselose Berater zu gerieren, die sie nicht sein können (Steiner 2009). Die inflationäre und verschleiernde Verwendung des Beratungsbegriffs (Kap. 5.8) im Lobbying scheint eher die Vorbehalte gegenüber dem Lobbying noch zu verstärken. Zielführender erscheint es, mit Steiner (2009) Public Affairs im Allgemeinen und Lobbying im Konkreten mit der zentralen politischen Kategorie, der Macht, zu beschreiben. Demnach geht es im Lobbying in der Regel um das Inaussichtstellen von negativen und positiven Sanktionen. Sanktionierung bedeutet nur in Ausnahmen, dass Sanktionen faktisch umgesetzt werden, sondern vor allem angedroht werden. Public Affairs-Akteure können dro- <?page no="211"?> 212 5 Funktionskontext hen mit dem Entzug von materiellen und immateriellen Unterstützungen, dem Rückzug aus Kooperationen, der Verlagerung von Produktionsstätten und Arbeitsplätzen, der Mobilisierung von Protesten oder der öffentlichen Thematisierung. So wichtig direkte Zugänge eines Lobbyisten zu den Entscheidungsträgern sein mögen, wie es in der Praktikerliteratur betont wird, so nutzen sie doch nichts, wenn sein Drohpotenzial gering ist. Public Campaigning als öffentliche Form der Public Affairs Die öffentliche Form der Public Affairs kann als Public Campaigning bezeichnet werden. Während Lobbying auf eine direkte nicht-öffentliche Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern zielt, zielt das Public Campaigning auf die Veränderung der öffentlichen Meinung. Public Campaigning ist dabei untrennbar mit dem Prozess der Medialisierung verbunden (Kap. 2.1.3), die insbesondere in der Politik dazu geführt hat, dass sich politische Organisationen zunehmend an den Medien orientieren. Da Public Affairs-treibende Organisationen wie Unternehmen und Verbände mit klassischen politischen Organisationen wie Parteien und Ministerien im Kampf um die öffentliche Meinung konkurrieren, können sie sich einer solchen Medialisierung kaum entziehen. Denn sie alle konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Medien und um die Deutung der Themen. Dies führt zu einem gestiegenen Kommunikationsaufwand auf allen Seiten. Public Campaigning als öffentliche Form der Public Affairs versucht, die öffentliche Meinung mit dem Ziel zu beeinflussen, dass Politiker die öffentliche Meinung nicht mehr ignorieren können. In der Regel versucht Public Campaigning, eigene Themen mit verbundenen Interpretationsschemata zu setzen. Dazu wird an relevante gesellschaftliche Werte wie soziale Gerechtigkeit oder Meinungsfreiheit appelliert. Während mit Lobbying direkt Druck auf die Entscheidungsträger ausgeübt wird, soll im Public Campaigning der Druck durch die öffentliche Meinung im Allgemeinen und ihre Themenstruktur sowie die dominanten Interpretationsschemata im Speziellen wirken. Dazu werden Themen politisiert, ihr Entscheidungsbedarf wird sichtbar gemacht und etablierte Themen werden mit der eigenen Meinung besetzt. So soll öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz in diffuse politische Zustimmung verwandelt werden. Im Rahmen des Public Campaigning werden die eigenen Interessen legitimiert, um ihre Durchsetzungschancen zu erhöhen. Eine alternative Strategie des Public Campaigning setzt explizit die eigene Macht ein. Mit expliziten und impliziten Boykottdrohungen wird versucht, öffentlich Druck auf die Parteien, Regierungen und Verwaltung auszuüben (Steiner 2009). Damit können unterschiedliche Konfrontationsgrade des Public Campaigning unterschieden werden, die von einer grundsätzlichen Thematisierung der eigenen Position bis hin zu einer öffentlichen Machtdemonstration in <?page no="212"?> 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 213 Kombination mit Boykottdrohungen reichen können. Sehr unterschiedlich ist auch der Umfang und die Intensität, mit denen Public Affairs-Akteure ihre Interessen und damit zusammenhängenden Themen öffentlich kommunizieren. Einerseits beschränken sich viele Public Affairs-Akteure immer noch auf singuläre Maßnahmen zur öffentlichen Thematisierung. Andererseits zeigt sich die steigende Bedeutung öffentlicher Thematisierung in einer zunehmenden Zahl an Kampagnen, die dramaturgisch angelegt, thematisch begrenzt sowie zeitlich befristet sind und mit einem Set unterschiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken versuchen, die Themenstruktur zu verändern (Röttger 1998: 667). Solche Kampagnen ähneln in ihrer Ästhetik, den genutzten Instrumenten wie auch hinsichtlich der TV- Werbung und den Budgets mitunter Marketingkampagnen großer Konzerne, so dass kritisiert wurde, dass die unterschiedlichen finanziellen Ressourcen auch die Möglichkeiten der Interessenartikulation beeinflussen und damit zu Ungleichheiten führen (Leif/ Speth 2006: 17). Mit Blick auf das Verhältnis von Lobbying und Public Campaigning lassen sich zwei Beziehungstypen unterscheiden, die in Teilen die Veränderungen in der politischen Kommunikation und damit in der Public Affairs deutlich machen. Der erste Beziehungstyp kann als Substitutionsverhältnis bezeichnet werden: Je besser der Zugang zu Entscheidungsträgern in Parteien, Regierungen, Parlamenten und Verwaltungen durch Lobbying ist, desto geringer ist die Notwendigkeit für Public Campaigning-Aktivitäten (Arlt 1998). Für eine Präferenz des Lobbyings spricht, dass dies in der Regel preiswerter ist und wegen der fehlenden Öffentlichkeit weniger Begehrlichkeiten weckt. Insbesondere in jüngeren Arbeiten werden die Beziehungen auch als gegenseitiges Stützungsverhältnis modelliert. So erleichtern eine medienöffentliche Präsenz und die daraus resultierende Bekanntheit den Zugang zu Entscheidern (Preusse/ Zielmann 2009: 66f). Hier kann auch von einem integrativen Ansatz bzw. von einem „mediatisierten Lobbyismus“ (Seibt 2015: 57) gesprochen werden, in dem personale und massenkommunikative Persuasionsstrategien miteinander verschränkt werden. So wird in der Öffentlichkeit das eigene Interesse als im Sinne des Gemeinwohls inszeniert und damit legitimiert, um im Lobbying bessere Chancen zu haben (Münch 1991: 100f). Diese Legitimationsversuche des Lobbyings scheinen auch deshalb wichtiger zu werden, weil mit einem wachsenden öffentlichen Interesse am Lobbying der Handlungsspielraum für informelle Interessenpolitik abnimmt (Kleinfeld et al. 2007: 20). Grassroot Lobbying Grassroot Lobbying kann mit Lerbinger (2008: 253) verstanden werden als „mobilization of constituents to demonstrate public support for an organization’s position“. Mit der breiten Unterstützung soll Druck auf die Ent- <?page no="213"?> 214 5 Funktionskontext scheidungsträger insbesondere in Regierungen ausgeübt werden (Showalter/ Fleisher 2005: 110). Während Grassroot Lobbying in den USA bereits seit den 50er Jahren vielfach eingesetzt wird, sind zumindest moderne Formen in Deutschland erst seit wenigen Jahren zu beobachten. Grassroot Lobbying kann als Mischtyp bzw. „Hybridkampagne“ (Baringhorst et al. 2017: 171) des direkten Lobbyings und des Public Campaigning verstanden werden (ähnlich Speth 2013: 8). Mit dem klassischen Lobbying hat es die direkte Ansprache der Entscheidungsträger gemeinsam - also ohne den Umweg über die öffentliche Berichterstattung. Zugleich hat es einen indirekten Charakter, weil der initiierende Public Affairs-Akteur die Entscheidungsträger nicht direkt anspricht. Die rekrutierten Gruppen sind meist Mitarbeiter, pensionierte Mitarbeiter, Kunden, Interessengruppen, die Kommune, Lieferanten, Aktionäre oder die breite Öffentlichkeit - die Reihenfolge zeigt die Häufigkeit an, mit der in den USA Gruppen mobilisiert werden (Hawkinson 2005: 84). Klassische Instrumente des Grassroot Lobbying sind Briefe an Gesetzgeber, Anrufe, Treffen, Briefe an Zeitungen oder die Teilnahme an politischen Veranstaltungen. Seit einigen Jahren dominieren diesen Bereich digitale Formen wie soziale Netzwerke oder Online-Beteiligungs-Plattformen wie openPetition oder change.org. Entsprechend wird der zentrale Nutzen strategischer Onlinekommunikation in der so genannten „Digital Public Affairs“ darin gesehen, Unterstützer insbesondere in den sozialen Medien zu mobilisieren und über diesen Weg Entscheidungsträger zu adressieren (Einspänner 2010; Krebber et al. 2015). Diese neuen digitalen Formen des Grassroot Lobbying können allerdings zu Glaubwürdigkeitsproblemen und zu einer sinkenden Effektivität führen. Während Demonstrationen als ursprüngliche Form des Grassroot Lobbying ihre breite Unterstützung mit der physischen Präsenz der Teilnehmer deutlich machen können, verzichten mediale Inszenierungen auf diese Rückverbindung. Bei Inszenierungen von Protestorganisationen wie von G REEN- PEACE geht das Publikum noch von der Unterstützung der Mitglieder aus. Mediale Protestinszenierungen werden aber immer beliebiger, unglaubwürdiger und damit wirkungsloser, je größer ihre Zahl ist und je mehr sie von Akteuren wie Arbeitgeberverbänden und Unternehmen eingesetzt werden, denen man eine breite Unterstützung weniger glaubt. Hier wurde die eigentliche Chance des Grassroot Lobbying gesehen. Das Problem: Je geringer der Aufwand für die Organisationen ist - z.B. das Versenden einer standardisierten Mail und das Einrichten einer Petition - und je abhängiger die mobilisierten Akteure von der initiierenden Organisation sind - z.B. als Mitarbeiter -, desto größer sind die Glaubwürdigkeitsprobleme des Grassroot Lobbyings. Für diese Simulation von Unterstützung hat sich der Begriff Astroturf etabliert - Kunstrasen statt Graswurzeln (Irmisch 2011; Showalter/ Fleisher 2005). <?page no="214"?> 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 215 Alle in Kapitel 2.1 genannten gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflussen auch Public Affairs in hohem Maße. Während die Medialisierung in vielen Public Affairs-treibenden Organisationen zu einem Ausbau der Kommunikationsaktivitäten führt (Hoffjann/ Gusko 2013), führen die Globalisierung und die Internationalisierung dazu, dass Public Affairs auf internationaler bzw. transnationaler Ebene wie bei der EU oder der WTO wichtiger wird. Die Individualisierung und die Wertepluralisierung haben zudem zu einer Zunahme organisierter Interessen geführt und damit die Verbände als in Deutschland traditionellen Träger von Public Affairs geschwächt. So etablieren seit den 1990er Jahren immer mehr Unternehmen in Berlin und Brüssel eigene Interessenvertretungen (Siedentopp 2007: 21). 5.4.2 Litigation-PR Medialisierungsprozesse (Kap. 2.1.3) sind nicht nur in gesellschaftlichen Teilbereichen wie der Politik oder dem Sport zu beobachten, sondern auch bei Gerichtsverfahren. So wurden Rechtsstreitigkeiten großer Unternehmen und Gerichtsverfahren mit Prominenten nicht zuletzt deshalb zu einem wichtigen Thema in der Berichterstattung, weil sich mit ihnen Nachrichtenfaktoren wie Status, Prominenz, Negativität und Konflikt bedienen lassen. Da in solchen Medienberichten immer auch Normverstöße thematisiert werden, stellen sie ein Risiko ür die Legitimation und damit ür PR dar. Die strategische Kommunikation im Umfeld von Rechtsstreitigkeiten wird seit einigen Jahren als Litigation-PR bezeichnet, die Haggerty (2003: 2) wie folgt definiert: „ Litigation-PR can be best defined as managing the communications process during the course of any legal dispute or adjudicatory proceeding so as to affect the outcome or its impact on the client’s overall reputation.“ Litigation-PR verfolgt damit zwei Ziele: Weil die Berichterstattung über mögliche Gesetzesverstöße die soziale und expressive Reputation (Eisenegger 2012: 114f) bzw. die Legitimation geährden, versuchen Organisationen, in der Öffentlichkeit ihre Sicht zu artikulieren bzw. ihr Handeln zu erklären. So besteht das Risiko, dass die Berichterstattung über ein Gerichtsverfahren negativere Folgen hat als ein möglicherweise ‚hartes‘ Urteil selbst. Das sekundäre Ziel von Litigation-PR ist damit die Legitimation gegenüber der Öffentlichkeit. Vor allem aber zielt Litigation-PR primär darauf, über den Umweg der öffentlichen Thematisierung die Justiz und mithin das Gerichtsurteil zu beeinflussen. Dahinter steht die These, dass in einer Mediengesellschaft der „Court of Public Opinion“ (Haggerty 2003) über Sieg oder Niederlage vor <?page no="215"?> 216 5 Funktionskontext Gericht mitentscheidet (Heinrich 2012: 37). Eine solche Medialisierung der Justiz ist in den vergangenen Jahren mehrfach untersucht worden. So räumten in einer Befragung von Richtern und Staatsanwälten 58% der Richter ein, dass sie bei Verfahren, die in den Medien besonders umstritten waren, intensiv bis ein wenig an die Akzeptanz ihres Urteils in der Öffentlichkeit gedacht haben. Zudem konstatieren Richter einen Einfluss von Medienberichten zu Strafverfahren nicht nur auf die Aussagen von Zeugen, sondern jeder vierte Richter auch auf die Höhe der Strafe und jeder fünfte auf die Bewilligung einer Bewährung (Kepplinger/ Zerback 2009: 230f). Litigation-PR kann als Teilbereich der PR im Sinne der Legitimation verstanden werden, weil hier die Legitimität des konkreten Handelns bzw. die allgemeine Legitimität der Organisation herausgestellt werden. So kann im Falle einer eingestandenen Schuld versucht werden, durch das ansonsten vorbildliche Verhalten einer Organisation oder einer Person das Vergehen im konkreten Fall zu relativieren und damit das Schuldmaß zu senken. Damit sollen die Reputation geschützt und die Rechtsprechung beeinflusst werden. 5.4.3 Corporate Social Responsibility Fragen gesellschaftlicher Verantwortung und der Organisationsethik begleiten Unternehmen in Deutschland seit der Industrialisierung. Spätestens mit der Globalisierung und der damit verbundenen Deregulierung ist die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen noch mehr in den Fokus gerückt. So können asiatische Produktionsbedingungen in Europa öffentlich gemacht und nach europäischen Wertmaßstäben beurteilt werden (Jarolimek 2014: 1270). Fragen gesellschaftlicher Verantwortung werden mit unterschiedlichen Begriffen wie Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship oder der Nachhaltigkeit diskutiert. So wenig trennscharf die Begriffe bzw. Konzepte oft verwendet werden, so unterschiedlich sind auch die Auffassungen, worin überhaupt die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens bestehen soll. Nachfolgend wird der aus den USA stammende Begriff der Corporate Social Responsibility verwendet, der sich auch in der deutschsprachigen Diskussion weitgehend durchgesetzt hat. Zentraler Bezugspunkt vieler Definitionen von Corporate Social Responsibility ist das Verständnis und das daraus abgeleitete Pyramidenmodell von Carroll: „The social responsibility of business encompasses the economic, legal, ethical, and discretionary expectations that society has of organizations at a given point in time.“ (Carroll 1979: 500) <?page no="216"?> 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 217 Für Carroll (1991: 40f) besteht die grundsätzliche Verantwortung von Unternehmen darin, Gewinne zu erwirtschaften. Denn Gewinn ist die Voraussetzung ür die weiteren Aspekte gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme. Dazu zählt Carroll die juristische Verantwortung - das Einhalten von Gesetzen - sowie die ethische und die philanthropische Verantwortung. Ein solch weites Verständnis von Corporate Social Responsibility ermöglicht es Unternehmen, nahezu jede unternehmerische Handlung als CSR zu bezeichnen, da auch originär gewinnorientiertes Handeln als CSR bezeichnet werden kann (Raupp et al. 2011a: 11). Abb. 5.12: Pyramide der Corporate Social Responsibility von Carroll (1991: 42) Von diesem weiten kann ein enges CSR-Verständnis abgegrenzt werden (Raupp et al. 2011a: 11), das sich auf die ethische und philanthropische Verantwortung bezieht und das heute zumindest die Diskussion im deutschsprachigen Raum zu dominieren scheint. Stellvertretend ür ein solch enges CSR-Verständnis steht die Definition der EU-Kommission (2001: 8) in ihrem 2001 publizierten Grünbuch zur sozialen Verantwortung von Unternehmen: Corporate Social Responsibility wird dort verstanden als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. Sozial verantwortlich handeln heißt nicht nur, die gesetzlichen Bestimmungen einhalten, sondern über die bloße Gesetzeskonformität hinaus ‚mehr‘ investieren in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern.“ <?page no="217"?> 218 5 Funktionskontext Dieses enge CSR-Verständnis prägen insbesondere drei Aspekte (Raupp et al. 2011a: 11). CSR-Maßnahmen sind freiwillig, wenn sie über gesetzliche Vorschriften hinausgehen. CSR-Maßnahmen stehen in Verbindung mit dem Kerngeschäft eines Unternehmens, wenn sie z. B. Probleme zu lösen versuchen, die aus dem unternehmerischen Handeln resultieren. Und CSR-Maßnahmen sind nachhaltig, wenn Ressourcen geschont werden. Die Nachhaltigkeit (‚Sustainibility‘) kann mit der Triple-Bottom-Line von Elkington (1999) wiederum in drei Dimensionen unterteilt werden. Ein Unternehmen handelt (a) ökonomisch nachhaltig, wenn die Gewinne in zukunftssichernde Maßnahmen investiert werden. Es agiert (b) sozial nachhaltig z. B. mit freiwilligen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und schließlich handelt ein Unternehmen (c) ökologisch nachhaltig, wenn es z. B. energiesparende Technologien einsetzt. Corporate Social Responsibility als Teilbereich von PR Die Grenzen zwischen PR und CSR sind je nach Verständnis mitunter fließend. So konstatiert Clark: „Public relations and CSR have similar objectives; both disciplines are seeking to enhance the quality of the relationship of an organization among key stakeholder groups. Both disciplines recognize that to do so makes good business sense“ (Clark 2000: 376). Wenn man PR als Legitimation versteht, können PR und CSR wie folgt unterschieden werden: PR als Legitimation kann als zentrale CSR-Instanz verstanden werden, die sich - unter anderem - ganz wesentlich mit CSR-Fragen beschäftigt. Dies wird im Folgenden zu erläutern sein. Dazu soll Corporate Social Responsibility als eine Strategie der Gesellschaftsorientierung von Unternehmen verstanden werden. In Anlehnung an die Definition von Carroll (1979) wird CSR als das unternehmerische Management insbesondere der sozialen und ökologischen Ansprüche der Bezugsgruppen an ein Unternehmen definiert. CSR ist also kein organisationales Subsystem, sondern auf der Programmebene von Unternehmen verortet (Luhmann 1990b: 91). Unter Corporate Social Responsibility soll nicht normativ vereinfacht ein ‚Mehr‘ oder ein gewisses Maß hinsichtlich der Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen verstanden werden, sondern das Austarieren von eigenen und Bezugsgruppen-Interessen. Wie Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, ist u.a. Teil der Unternehmenskultur (Kap. 4.1). In jeder unternehmerischen Entscheidung - ob in der Produktion, im Marketing, im Einkauf oder in der Unternehmensleitung - wird das Verhältnis von unternehmerischen Interessen und Bezugsgruppen-Interessen explizit oder implizit erneut austariert. Die Unternehmensleitung kann weder die Unternehmenskultur noch jede Entscheidung determinieren, sie kann aber Einfluss auf die Unternehmens- <?page no="218"?> 5.4 Bezugsgruppenorientierte Ausdifferenzierung der PR 219 kultur und damit auf das Management insbesondere der sozialen und ökologischen Ansprüche der Bezugsgruppen nehmen (Schmidt 2004: 127ff). Weil sich Widersprüche mit Bezugsgruppen häufig erst mittelfristig ökonomisch auswirken und Unternehmen zur Trägheit neigen, drohen die Interessen von Bezugsgruppen immer erst dann in den Mittelpunkt unternehmerischen Interesses zu gelangen, wenn es zu spät ist - wenn also zum Beispiel ein Konflikt bereits eskaliert ist. Es ist zu vermuten, dass diese Gefahr mit zunehmender Größe und einem zunehmenden Wettbewerbsdruck im jeweiligen Markt steigt. Wenn man PR im Hinblick auf das Verhältnis zur unternehmerischen Verantwortung beobachtet, dann ist das unternehmerische Management insbesondere der sozialen und ökologischen Ansprüche der Bezugsgruppen an das Unternehmen sicherlich ein zentrales zu lösendes Problem gewesen, das zur Ausdifferenzierung von PR geführt hat. PR kann hier als das ‚institutionalisierte schlechte Gewissen‘ verstanden werden, das Unternehmen für gesellschaftliche Belange wachhält. Ohne die institutionalisierte Grenzstelle PR drohen Bezugsgruppen-Interessen in dem unternehmerischen Problemlösungsprogramm schnell wieder in den Hintergrund zu treten bzw. erst gar nicht erkannt zu werden. Umgekehrt kann PR das Management unternehmerischer Verantwortung als Teil der Unternehmenskultur nicht ersetzen, weil unternehmerische Verantwortung sich in jeder unternehmerischen Entscheidung wiederfindet. Neben der PR gibt es weitere organisationale Rollen bzw. Subsysteme, die Ansprüche verschiedener Bezugsgruppen auf ganz unterschiedliche Art und Weise bearbeiten. Dazu zählen u. a. der betriebliche Umweltschutz, Gleichstellungsbeauftragte, Behindertenbeauftragte oder Ombudsmänner und -frauen gegen Korruption. Sie alle sind in hohem Maße spezialisiert, während PR ein thematisch breites Spektrum hat. Daher ist zu vermuten, dass neu aufkommende Ansprüche zunächst im Rahmen von PR bearbeitet werden und bei wachsender Relevanz und notwendiger Fachexpertise in eigenen Abteilungen institutionalisiert werden. In einer solchen Perspektive kann PR als zentrale CSR-Instanz einer Organisation verstanden werden. Wenn CSR als das unternehmerische Management insbesondere der sozialen und ökologischen Ansprüche der Bezugsgruppen an ein Unternehmen definiert wird, dann wird deutlich, dass PR sich zwar nicht ausschließlich, aber ganz wesentlich mit dem Bearbeiten solcher Ansprüche beschäftigt. Neben der Leistung als Reflexionsinstanz im Kontext unternehmerischer Selbststeuerungen sind hier insbesondere zwei Aspekte zu nennen, die der PR zuzurechnen sind. PR führt verschiedene symbolische Selbststeuerungsmaßnahmen durch, die sich dadurch auszeichnen, dass sie einerseits für das Unternehmen nur mit <?page no="219"?> 220 5 Funktionskontext geringen Einschränkungen bzw. Kosten verbunden sind, andererseits von relevanten Bezugsgruppen als Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung verstanden werden können. Dazu zählt zum Beispiel das Umwelt-, Kulturbzw. Sozio-Sponsoring, in dem Unternehmen Projekte bzw. Organisationen in den entsprechenden Bereichen unterstützen bzw. initiieren. Ebenfalls zum Feld klassischer CSRbzw. Nachhaltigkeitskommunikation können Nachhaltigkeitsberichte gezählt werden. Zwar scheinen Richtlinien wie die ‚Sustainability Reporting Guidelines‘ der G LOBAL R EPORTING I NITA- TIVE (GRI) langsam auf dem Vormarsch zu sein (Mies 2009: 206). Da es aber noch keinen weithin akzeptierten Standard gibt, bieten Nachhaltigkeitsberichte immer die Chance zur selektiven Darstellung: Unternehmen bestimmen selbst, worüber und wie sie berichten (Kuhlen 2005: 59). Dies ührt dazu, dass sich viele CSR-Projekte häufig dem Vorwurf des ‚Whitewashing‘ ausgesetzt sehen (Bentele/ Nothhaft 2011). Zum Weiterlesen Vertiefende Darstellung der skizzierten Bereiche: • Harris, Phil / Fleisher, Craig S. (Hrsg.) (2005): The handbook of public affairs. London, Thousand Oaks, New Delhi. • Haggerty, James F. (2003): In the court of public opinion: Winning your case with public relations. Hoboken. • Raupp, Juliana / Jarolimek, Stefan / Schultz, Friederike (Hrsg.) (2011b): Handbuch Corporate Social Responsibility. Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen, disziplinäre Zugänge und methodische Herausforderungen. Mit Glossar. Wiesbaden. 5.5 Prozessorientierte Ausdifferenzierung der PR PR hat sich nicht nur mit neuen Teilbereichen wie Public Affairs weiter ausdifferenziert und spezialisiert, sondern auch im Rahmen des PR-Prozesses. In einer solchen Prozessperspektive stehen die zeitliche Abfolge und damit die Phasen des Entscheidungshandelns im Mittelpunkt. In Anlehnung an Rühl (1979: 174f) kann man PR-Entscheidungshandeln definieren als einen Prozess, der sich in die Phasen Analyse, Planung mit der Entwicklung einer Strategie und eines Umsetzungsprogramms, Realisierung und der abschließenden Evaluation gliedern lässt. Der besondere Charakter von Entscheidungen liegt im Gegensatz zu einfachen Handlungen darin, dass Alternativen bewusst bewertet und geprüft werden. Für die einzelnen Phasen heißt dies konkret: Das Erkennen eines Problems ist die Voraussetzung für eine Entscheidungssituation. Wenn Entscheidungen im Gegensatz zu einfachen Handlungen ihre eigene Kontin- <?page no="220"?> 5.5 Prozessorientierte Ausdifferenzierung der PR 221 genz thematisieren, folgt daraus, dass es mehrere Alternativen gibt, die - wie rudimentär auch immer - geprüft werden und von denen eine ausgewählt wird. Der Umsetzung folgt die Evaluation, die dann wiederum zum Erkennen eines neuen Problems führen kann (Raupp/ Hoffjann 2012: 150). Bei allen PR-Entscheidungen kann zwischen diesen Phasen zumindest analytisch differenziert werden: So können vermehrt aufkommende Nachfragen von Anwohnern eines Chemie-Werkes als neues Problem erkannt werden und auf Informationsdefizite und Sorgen der Anwohner zurückgeführt werden; die Lösung könnten Informations- und Dialogangebote in Form von Newslettern und Veranstaltungen sein, deren Wirkung dann z. B. durch die weiteren (ggf. ausbleibenden) Reaktionen der Anwohner überprüft wird. Das Beispiel zeigt, dass in jeder PR-Entscheidung die einzelnen Phasen beobachtet werden können, dass dies aber nichts darüber aussagt, wie detailliert z. B. die Situation analysiert oder die Wirkungen gemessen wurden. Genau hier setzt die Konzeptionslehre in der PR an, die Regeln ür diese vier Phasen benennt - egal ob in Bezug auf eine einzelne Maßnahme, eine Kampagne oder die umfassende Konzeption strategischer Organisationskommunikation. Als normativ-praxeologische Lehre befasst sich die Konzeptionslehre mit der systematischen Entwicklung von PR-Konzepten (Nothhaft/ Bentele 2020: 1). Sie suggeriert, dass PR erfolgreich sei, wenn das Konzept systematisch erarbeitet worden sei. Eine PR-Konzeption kann verstanden werden als ein Plan zur Erzeugung vorzugebender Kommunikationswirkungen bei vorzugebenden Zielgruppen mit vorzugebenden Maßnahmen unter vorzugebenden Fristen und Ressourcen und unter Einbeziehung von Feedback. (Merten 2013: 96) Damit bietet die Konzeptionslehre PR-Praktikern einen Bezugsrahmen ür die Erüllung ihrer Aufgaben. Die Vorstellung einer geplanten PR ist nicht neu und findet sich bereits z. B. bei Bernays (1947). Heute gibt es eine Vielzahl von Konzeptionsmodellen, die vielfach von Praktikern entwickelt wurden (z. B. Dörrbecker/ Fissenewert-Goßmann 1995: 183-309), die letztlich aber alle auf die vier bereits benannten grundsätzlichen Phasen zurückzuühren sind (Abb. 5.13). <?page no="221"?> 222 5 Funktionskontext Die „klassischen“ Konzeptionsphasen (Nothhaft/ Bentele 2020: 5) PR-Konzeption in 12 Schritten von Merten (2013: 16) PR-Konzeption - Weiterentwicklung - Analyse Analyse des Problems Situationsanalyse • Problem • Ist-Analyse • Problemlösung Analyse • Problem • Ist-Analyse • Aufgabenstellung Planung Entwicklung einer Vorgehensweise, die mutmaßlich geeignet ist, das Problem zu beseitigen Planung a) Strategie • kommunikativer Switch • Ziele • Zielgruppen • Botschaften/ Positionierung b) Taktik • Instrumente/ Maßnahmenplan • Zeit-/ Kostenplan Planung a) Strategie • Ziele • Zielgruppen • Positionierung • Botschaften b) Taktik • Maßnahmenpläne • Zeitpläne • Kostenpläne Umsetzung Durchführung der geplanten Vorgehensweise Umsetzung Umsetzung Evaluation Überprüfung, ob und inwiefern das Problem beseitigt ist Controlling • Effect Controlling • Ablaufcontrolling Evaluation • summative Evaluation • formative Evaluation Abb. 5.13: Die Konzeptionsphasen von Konzeptionsmodellen im Vergleich 5.5.1 Analyse In der Analysephase kann zwischen dem Problem, der Ist-Analyse und der Aufgabenstellung unterschieden werden. Um zu Beginn einer Konzeption das (a) Problem analysieren zu können, muss dieses zunächst genau definiert werden. Je genauer das Problem des Konzeptes benannt wird, desto fokussierter kann anschließend die Analyse durchgeführt werden. In der (b) Ist-Analyse werden für die Lösung des Problems relevante Daten gesammelt und zu Informationen verarbeitet. Letztlich werden hier immer zwei Perspektiven in Beziehung zueinander gesetzt. Einerseits braucht es Informationen über interne Produkte, Produktionsverfahren etc., andererseits über aktuelle und (vermutete) künftige Ansprüche von Bezugsgruppen. Für PR ergibt nur die Relation aus beiden Perspektiven Sinn: Ein Produk- <?page no="222"?> 5.5 Prozessorientierte Ausdifferenzierung der PR 223 tionsverfahren ist nur relevant, wenn dies für eine Bezugsgruppe relevant ist - positiv oder negativ. Umgekehrt ist ein gesellschaftlicher Trend nur relevant, wenn das Unternehmen davon betroffen ist. Bei der Analyse besteht grundsätzlich das Risiko, dass man entweder zu wenig oder zu viel recherchiert. Um die Informationsmenge zu bewältigen und damit auch ür die weiteren Konzeptionsschritte zu relevanten Informationen zu gelangen, gibt es verschiedene Verfahren, mit denen die Informationen interpretiert bzw. bewertet werden. Beispiele hierür sind neben der PEST-Analyse (Political, Environment, Social, Technology) die Power/ Interest-Matrizen sowie die SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) (Nothhaft/ Bentele 2020: 9; ausührlich Zerfaß/ Volk 2019: 27f). In der SWOT-Analyse (Abb. 5.14) markieren interne Stärken und Schwächen die Potenziale bzw. Potenzialdefizite einer Organisation, während Chancen und Risiken sich auf relevante Entwicklungen in der Umwelt der Organisation beziehen, die die Organisation nicht beeinflussen kann. positiv negativ Potenzialanalyse (intern) Stärken (strengths) Wo sind wir besser als der Durchschnitt? Schwächen (weaknesses) Wo sind wir schlechter als der Durchschnitt? Risikoanalyse (extern) Chancen (opportunities) Welche Entwicklungen in der Umwelt könnten uns nutzen? Risiken (threats) Welche Entwicklungen in der Umwelt könnten uns schaden? Abb. 5.14: Schema einer SWOT-Analyse mit einem Beispiel (in Anlehnung an Merten 2013: 20 und Mast 2020: 118) In der (c) Aufgabenstellung wird das Problem auf Basis der gesammelten und bewerteten Informationen neu definiert und damit bereits eine weitreichende Entscheidung getroffen. Für das Problem zunehmender Kritik an einem Produktionsverfahren könnte die Ist-Analyse zu dem Ergebnis führen, dass die Kritiker kaum zu überzeugen sein werden und die eigene Position in der Öffentlichkeit kaum vermittelt werden kann. In einem solchen Fall und bei befürchteten Auswirkungen z. B. auf den Absatz könnte ein Unternehmen zu dem Schluss kommen, das Produktionsverfahren zu ändern. Eine Kommunikationskampagne wäre in diesem Fall nicht nötig. Die Analyse könnte aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass es Möglichkeiten gibt, die öffentliche Diskussion zu ‚gewinnen‘. Dies wäre dann die Aufgabenstellung, die am Ende der Analysephase steht und damit den Übergang zur Planungsphase darstellt. <?page no="223"?> 224 5 Funktionskontext 5.5.2 Planung: Strategie und Taktik In der Planungsphase wird eine Vorgehensweise entwickelt, mit der das Problem gelöst werden soll. In der Planungsphase wird in der Regel zwischen Strategie und Taktik unterschieden. Während Strategien mit Drucker (1993) darauf zielen, das Richtige zu tun, fokussiert die Taktik darauf, die Dinge richtig zu tun. Der Strategie-Begriff ist heute einer der schillerndsten Begriffe in der PR- Praxis. Einerseits wird mittlerweile wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass PR eine strategische Managementfunktion sei. In diesem Kontext wird insbesondere nach dem internen Einfluss bzw. der Macht der PR innerhalb einer Organisation gefragt (Kap. 4.2). Andererseits solle PR selbst strategisch geplant und durchgeführt werden. Der Strategie-Begriff ist hier oft Teil eines Qualitäts- und Professionalisierungs-Diskurses (Raupp/ Hoffjann 2012: 146). Dieses zweite Strategie-Verständnis wird im weiteren Verlauf im Mittelpunkt stehen. Strategien basieren auf einer Strukturierung der Zukunft, sie versuchen, Ereignisse in der Zukunft zu modellieren durch Entwicklung eines Plans in der Gegenwart, der auf Erfahrungen aus der Vergangenheit beruht (Merten 2013: 91). Eine PR-Strategie gibt dabei Antworten auf mehrere Fragen: Welche Ziele bei welchen Zielgruppen sollen mit welcher Positionierung und welchen Botschaften erreicht werden? Die einzelnen Strategie-Elemente stehen dabei in einem engen Wechselverhältnis zueinander: Die Veränderung der Zielgruppe wird beispielsweise u. a. zu alternativen PR-Zielen und Botschaften führen (Nothhaft/ Bentele 2020: 19). Die (a) Ziele benennen den feststellbaren Soll-Zustand und einen Zeitpunkt. In aller Regel beziehen sich Kommunikationsziele entweder auf die kognitive Ebene (Wissensziele), die affektiv-emotionale Ebene (Einstellungsziele), die konative Ebene (Handlungsziele) oder die soziale Ebene (Beziehungsziele; Mast 2020: 121ff). Zudem besteht die Strategie aus den (b) Zielgruppen, die mit dem Konzept erreicht werden sollen und damit im Rahmen dieses Konzeptes zu Zielgruppen werden (Kap. 3). Die (c) Positionierung ist ein Aussagensystem, das ein Selbstbild oder ein Selbstverständnis beschreibt und das die Organisation bzw. das Thema im Verhältnis zu anderen bzw. in einem größeren Kontext definiert (Nothhaft/ Bentele 2020: 21). Ähnlich wie Ziele bezieht sich die Positionierung als Soll-Positionierung auf den gewünschten Zustand. Positionierungen benennen in der Regel den Nutzen bzw. die Vorteile, die der angesprochenen Zielgruppe aufgezeigt werden sollen (Esch 2017). Die Positionierung findet ihre Übersetzung in (d) Botschaften, die für jede Zielgruppe spezifisch entwickelt werden. Hier sind auch ein Slogan bzw. Claim zu verorten, die der zentrale Bezugspunkt in der externen Außendarstellung sind. <?page no="224"?> 5.5 Prozessorientierte Ausdifferenzierung der PR 225 Auf der Taktik-Ebene finden sich insbesondere Maßnahmen-, Zeit- und Kostenpläne, die die grundsätzlicheren Überlegungen der Strategie konkretisieren und aufzeigen, wie diese realisiert werden können (Nothhaft/ Bentele 2020: 12). 5.5.3 Umsetzung Der Begriff der Umsetzung wird ähnlich wie der Strategie-Begriff in zwei verschiedenen Verständnisweisen verwendet. Oft wird Umsetzung als Operationalisierung strategischer Überlegungen verstanden, wie sie im Kontext der Taktik vorgestellt wurde. Im Gegensatz dazu soll Umsetzung hier als die eigentliche Realisierung der Maßnahmen verstanden werden (Nothhaft/ Bentele 2020: 13). Die Umsetzung stellt damit die Intervention einer Organisation in der sozialen Realität dar, deren Wirkungen im Rahmen der Evaluation untersucht werden. 5.5.4 Evaluation In der letzten Phase eines Konzeptes wird in der Evaluation gefragt, wie Wirkungen der PR gemessen und bewertet werden können (Raupp/ Dan 2013: 353). Während bei der Evaluation lange Zeit vor allem die Auswirkungen auf Wissen und Einstellungen der Zielgruppen im Mittelpunkt standen, wird seit einigen Jahren zunehmend versucht, den Beitrag strategischer Unternehmenskommunikation zur unternehmerischen Wertschöpfung aufzuzeigen - so dass hier Schnittstellen zum Controlling zu finden sind (Raupp/ Dan 2013: 353). Grundsätzlich wird in der Evaluation zwischen summativer und formativer Evaluation unterschieden. Die formative Evaluation erfolgt parallel zur Konzeption bzw. zur Umsetzung. Hier können neben dem Prozess selbst auch einzelne Zwischenergebnisse wie z. B. die Konzeption bzw. Werbemotive durch Pretests evaluiert werden (Besson 2008: 123). Mit der so genannten summativen Evaluation wird hingegen rückblickend gemessen, ob die gesetzten Wissens-, Einstellungs- oder Handlungsziele erreicht wurden. Zentraler Bezugspunkt der deutschsprachigen Diskussion ist der Bezugsrahmen für das Kommunikations-Controlling, den die D PRG und der I NTER- NATIONALE C ONTROLLER -V EREIN (ICV) in Anlehnung an vergleichbare Modelle (Broom/ Sha 2013: 356) entwickelt haben (im Folgenden dazu Rolke et al. 2020). Darin sind sowohl die Perspektive der formativen als auch der summativen Evaluation berücksichtigt. Auf der (a) Input-Ebene werden die Aufwendungen der Kommunikation ermittelt. Dies ist notwendig, da die Effizienz der Kommunikationsarbeit sich nur klären lässt, wenn der eingesetzte Aufwand bekannt ist. <?page no="225"?> 226 5 Funktionskontext Beim (b) internen Output steht die Frage im Mittelpunkt, was von der Organisation und seinen Dienstleistern geleistet wird. Dabei werden die Qualität z. B. im Kontext der Verständlichkeit von Publikationen und die Prozesseffizienz z. B. durch Auswertung interner Statistiken über Budgets und Prozessabläufe untersucht. Hingegen wird beim (c) externen Output auf der Ebene der Medien gefragt, in welchem Umfang und mit welchen Bewertungen die produzierten Maßnahmen wie z. B. Pressemitteilungen von Journalisten thematisiert wurden und damit von den Zielgruppen überhaupt wahrgenommen werden konnten. Hier werden insbesondere Medienresonanzanalysen eingesetzt, die in der PR immer noch zu den am meisten genutzten Methoden zählen. Auf der Outcome-Stufe werden die Wirkungen in den Zielgruppen untersucht. Beim (d) direkten Outcome stehen Fragen der Wahrnehmung, der Erinnerung und des Wissens im Mittelpunkt. Beim (e) indirekten Outcome hingegen werden weitergehende Wirkungen wie Einstellungen und Verhalten untersucht. Hier kommen insbesondere Befragungen zum Einsatz. Auf der (f) Outflow-Ebene wird schließlich in den Organisationen selbst mit betriebswirtschaftlichen Controlling-Methoden analysiert, inwieweit Veränderungen im Hinblick auf Kapitalbildung und den Leistungsprozess zu beobachten sind. Die Messung des Beitrags strategischer Kommunikation zur Wertschöpfung kann als Stärke und Schwäche dieses Ansatzes gleichermaßen interpretiert werden. Einerseits wird strategische Kommunikation als relevanter Bestandteil moderner Unternehmensührung anerkannt. Andererseits lässt sich der Beitrag insbesondere von auf Dauer angelegten Maßnahmen nur schwer messen (Raupp/ Dan 2013: 359; Bürker 2013: 60). Damit hängt zusammen, dass nicht vom Erreichen von Zielen auf niedrigeren Stufen automatisch auf Wirkungen auf höheren Stufen geschlossen werden darf. Damit können Evaluationsmodelle wie der vorgestellte DPRG / ICV -Bezugsrahmen zwar wertvoll ür die Systematisierung sein - die Komplexität des Wirkungsvorgangs können sie hingegen nicht abbilden (Wippersberg 2012: 278). Wirkungs stufe Input Output Outcome Outflow Messbereich Ressourcen interner Output externer Output direkter Outcome indirekter Outcome Wertschöpfung Personaleinsatz Finanzaufwand Prozesseffizienz Qualität Reichweite Inhalte Wahrnehmung Nutzung Wissen Meinung Einstellung Emotion Verhalten Einfluss Zielgrößen (Leistungsprozess) Einfluss auf Ressourcen (Kapitalbildung) <?page no="226"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 227 Messgrößen (z. B.) Personalkosten Outsourcing-Kosten Budgettreue Durchlaufzeit Fehlerquote Clippings Clippings Visits Downloads Share of Voice Awareness Leser pro Ausgabe Recall Recognition Reputations-Index Kaufintention Umsatz Reputationswert Markenwert Messobjekt Organisation Medien/ Kanäle Bezugsgruppen Organisation Abb. 5.15: DPRG/ ICV-Bezugsrahmen für Kommunikations-Controlling (in Anlehnung an Rolke/ Zerfaß 2014: 876) Zum Weiterlesen Darstellung und kritische Diskussion der Konzeptionslehre: • Nothhaft, Howard / Bentele, Günter (2020): Konzeption von Kommunikationsprogrammen in der Unternehmenskommunikation. In: Zerfaß, Ansgar / Piwinger, Manfred / Röttger, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie, Management, Wertschöpfung (3. Aufl.). Wiesbaden (i.E.). Darstellung von Evaluationskonzepten und -methoden in verschiedenen Feldern strategischer Kommunikation: • Wippersberg, Julia (2012): Ziele, Evaluation und Qualität in der Auftragskommunikation. Grundlagen für Public Relations, Werbung und Public Affairs. Konstanz. 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR Die Disziplin PR kann ihre Zielgruppen per Mediawerbung, in persönlichen Gesprächen, bei Veranstaltungen oder über Zwischenzielgruppen wie Journalisten und Influencer anzusprechen versuchen. Diese und weitere Kommunikationsinstrumente werden von jeder Disziplin strategischer Organisationskommunikation wie Absatzkommunikation oder Investor Relations eingesetzt (Kap. 4.3). Als ein Kommunikationsinstrument sollen Kommunikationsmaßnahmen bezeichnet werden, die untereinander ähnlich sind und sich von anderen Kommunikationsmaßnahmen unterscheiden (Bruhn 2018: 6). PR verwendet als Disziplin strategischer Organisationskommunikation diese Instrumente, um spezifische Ziele bzw. Zwecke zu erreichen - damit wird der instrumentelle Charakter deutlich. Dieser zweckrationalen und managementorientierten Perspektive stehen zwei grundsätzliche Ein- <?page no="227"?> 228 5 Funktionskontext schränkungen gegenüber. Die Nutzung der Kommunikationsinstrumente sagt noch nichts darüber aus, ob PR ihre Ziele erreicht oder ob ggf. keine Wirkungen oder gar eine Zunahme kritischer Meinungen zu beobachten sind. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Kommunikationsinstrumente einer Organisation ür die Adressaten nur eine von vielen Informationsquellen sind, weitere - und teilweise wichtigere - sind eigene Erfahrungen z. B. mit den Produkten oder Erfahrungen von Freunden und Bekannten. Wie einzelne Kommunikationsmaßnahmen gebündelt werden, hängt vor allem vom jeweiligen Beobachtungsinteresse ab. So nennt der Marketingforscher Bruhn (2018: 12) die folgenden Kommunikationsinstrumente: Mediawerbung, Verkaufsförderung, Direct Marketing, Public Relations, Sponsoring, persönliche Kommunikation, Messen/ Ausstellungen, Event Marketing, Online-Kommunikation und Mitarbeiterkommunikation. Den Marketing-Fokus von Bruhn verdeutlichen insbesondere die Verkaufsförderung und Messen bzw. Ausstellungen. Die Einteilung von Bruhn ist aus drei weiteren Gründen problematisch. Erstens versteht er PR weitgehend als Pressearbeit, zweitens interpretiert Bruhn die Mitarbeiterkommunikation als ein Kommunikationsinstrument, während sie in Kapitel 4.3.4 als Disziplin strategischer Organisationskommunikation konzipiert wurde. Drittens erscheint es plausibler, Online-Kommunikation nicht als ein eigenständiges Kommunikationsinstrument zu verstehen, sondern Online-Aktivitäten wie Corporate Websites mit ihren Pressebereichen, F ACEBOOK -Profile oder Y OU - TUBE -Channel als neue zusätzliche Kommunikationsmittel im Rahmen bestehender Kommunikationsinstrumente zu verorten. Daher erscheint eine allgemeinere Bündelung sinnvoller, die auf alle Disziplinen strategischer Organisationskommunikation angewandt werden kann. Die Vielzahl möglicher Kommunikationsmaßnahmen sollen zu den im Folgenden kurz erläuterten Kommunikationsinstrumenten gebündelt werden. Die Kommunikationsinstrumente können abhängig vom Beobachtungsinteresse unterschiedlich systematisiert werden. Wenn in Kapitel 5.2 als relevante Selektionskriterien der PR u. a. der dialogische bzw. partizipative Charakter herausgearbeitet wurden, erscheint es plausibel, das Ausmaß des Dialoges und der Individualität der Ansprache als zwei relevante Kriterien zur Systematisierung von Kommunikationsinstrumenten zu nehmen (allgemein dazu Bruhn 2018: 327ff). In den vergangenen Jahren wird auch vielfach zwischen Paid, Owned und Earned Media unterschieden. Paid Media ist z.B. die klassische Mediawerbung, in der für die Veröffentlichung bezahlt wird. Owned Media kontrollieren Organisationen, da sie ihnen gehören; sie reichen von Kundenzeitschriften über die Unternehmenswebsite bis hin zum Y OUTUBE -Kanal und der F ACEBOOK -Seite. Bei Earned Media haben Organisa- <?page no="228"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 229 tionen hingegen keine direkte Kontrolle, hier verdienen sie sich die Aufmerksamkeit. Dazu zählen neben der klassischen Presse- und Medienarbeit u.a. die Influencer Relations sowie Bewertungsportale (Bruhn 2016c: 380). Abb. 5.16: Systematik der Kommunikationsinstrumente mit beispielhaften Kommunikationsmitteln Als (a) personalisierte Kommunikation sollen alle Maßnahmen verstanden werden, in denen Rezipienten individuell angesprochen werden. Die ursprünglichste Form ist die Face-to-Face-Situation. Medienvermittelte Variationen - z. B. per Telefon, Videotelefonie, E-Mail, Chat oder Brief - weisen hierzu z. B. durch die fehlende Anwesenheit am selben Ort oder durch die fehlende Synchronität oft unterschätzte Unterschiede auf, die auch die beobachteten Wirkungen verändern (Schwan/ Buder 2007). In einem weiten Verständnis können auch persönlich adressierte Massenmailings zur personalisierten Kommunikation gezählt werden. In der PR und hier insbesondere im Rahmen der Public Affairs nehmen Maßnahmen personalisierter Kommunikation eine zentrale Stellung ein. Dazu zählen die meisten Lobbying-Maßnahmen wie z. B. persönliche Gespräche mit politischen Entscheidern. <?page no="229"?> 230 5 Funktionskontext (b) Events bzw. Veranstaltungen haben mit Face-to-Face-Situationen die persönliche Anwesenheit gemeinsam. Bei Veranstaltungen steht aber weniger die individuelle Ansprache aller Teilnehmer als vielmehr das persönliche Erleben und die Möglichkeit der Interaktion im Zentrum. Untersuchungen zeigen, dass Veranstaltungen daher effektiver sind als viele andere Kommunikationsinstrumente (Zanger/ Drengner 2016). Beispiele für Veranstaltungen in der PR sind z. B. Nachbarschaftsstammtische, Tage der offenen Tür, aber auch Info-Veranstaltungen zu geplanten neuen Produktionsstätten. Für die Bereiche des Personalmarketings und des Absatzmarketings sind in einem weiten Verständnis hierzu auch Messen und Ausstellungen zu zählen. Als (c) Sponsoring kann die „Bereitstellung von Geld, Sachmitteln, Dienstleistungen oder Know-how durch Unternehmen und Institutionen zur Förderung von Personen und/ oder Organisationen in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales, Umwelt und/ oder Medien unter vertraglicher Regelung der Leistung des Sponsors und Gegenleistung des Gesponserten“ (Bruhn 2016a: 187) verstanden werden. Damit ist das Sponsoring eine Mischform von kommunikativer Kontextsteuerung und unternehmerischer Selbststeuerung, da hier externe Aktivitäten z. B. auch finanziell unterstützt werden. Im Bereich der PR wird das Sponsoring häufig im Rahmen der Corporate Social Responsibility (Kap. 5.4.3) eingesetzt, weil z. B. die Unterstützung von sozialen und kulturellen Projekten externer Organisationen als besonders vertrauenswürdig bewertet werden kann. Die (d) Mediawerbung kann in Anlehnung an Bruhn verstanden werden als Verbreitung von Informationen über die Belegung von Werbeträgern mit Werbemitteln gegen ein leistungsbezogenes Entgelt (Bruhn 2016b: 78). Auch wenn Mediawerbung nach wie vor im Absatzmarketing eine herausragende Stellung besitzt, so kommt klassische Mediawerbung auch in der PR seit vielen Jahren zum Einsatz (z. B. Hoffjann/ Gusko 2013). Ihr Problem ist, dass hohen Kosten eine relativ geringe Vertrauenswürdigkeit gegenübersteht. Die Folge ist, dass Mediawerbung in Unternehmen zwar das höchste Budget, ihr aber nicht die höchste Relevanz zugewiesen wird (Bruhn 2006: 70; 2016b). An Bedeutung gewinnt seit einigen Jahren der Bereich des (e) Corporate Publishing. Dieses Kommunikationsinstrument umfasst alle Kommunikationsmittel, in denen eine Organisation sich der Mittel des Journalismus bedient, um Zielgruppen direkt zu erreichen. Das reicht von Zeitschriften bzw. Magazinen über Bücher, Websites, Newsletter und Unternehmens-TV bis hin zu Corporate Blogs und organisationalen Auftritten in sozialen Netzwerken wie F ACEBOOK und X ING (Weichler 2014). In der PR kommen viele Corporate Publishing-Maßnahmen zum Einsatz, weil ihnen eine größere Vertrauenswürdigkeit zugeschrieben wird als der klassischen Werbung, zugleich aber wie in der Werbung Zielgruppen direkt erreicht werden. <?page no="230"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 231 Corporate Publishing-Angebote können auch als Alternative zur (f) Presse- und Medienarbeit verstanden werden. Indem Bezugsgruppen mit den eigenen Medien direkt angesprochen werden, sollen die Risiken der Presse- und Medienarbeit vermieden werden, die sich z. B. in einer ausbleibenden oder einer negativen Medienberichterstattung zeigen. Gewissermaßen eine Tochter der Presse- und Medienarbeit sind die Influencer Relations, die auf Social-Media-Influencer zielen und die in einigen Bereichen des Absatzmarketings bereits an die Relevanz der klassischen Presse- und Medienarbeit heranreichen. Gemeinsam ist beiden das Prinzip, unabhängige Dritte über sich sprechen zu lassen. Wegen ihrer hohen Vertrauenswürdigkeit können sie als die ‚natürlichen‘ Instrumente der PR verstanden werden und werden daher nachfolgend ausführlicher erläutert (ausführlich Hoffjann 2020). Während sich Praktiken, Normen und entsprechende Rollen in der Presse- und Medienarbeit etabliert haben und relativ stabil sind, unterliegen sie in den Beziehungen zu Social-Media-Influencern noch großen Veränderungen - so sind hier Geldzahlungen mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Beziehungen zu klassischen Journalisten bzw. Medien sowie Social-Media-Influencern aufzuzeigen, wird hierzu in Kap. 5.6.2 zunächst ein Systematisierungsvorschlag gemacht. 5.6.1 Presse- und Medienarbeit Die Beziehungen zwischen dem Journalismus und der PR sind bereits in Kapitel 3.3 allgemein beschrieben worden. Daher sollen hier ausschließlich die strategischen und planerischen Aspekte der Presse- und Medienarbeit erläutert werden, die in Anlehnung an die Ausührungen in Kapitel 3.3.3 wie folgt definiert werden kann: Die Presse- und Medienarbeit umfasst alle Steuerungsversuche gegenüber der Zwischenzielgruppe der Journalisten bzw. der journalistischen Medien, um damit indirekt die journalistischen Publika als eigentliche Zielgruppen der Organisationskommunikation zu erreichen. Die Presse- und Medienarbeit kann damit als doppelte Kontextsteuerung verstanden werden, die die Autonomie nicht verletzt, sondern durch das Setzen von Anreizen zu steuern versucht. Die Presse- und Medienarbeit simuliert dabei journalistische Selektionskriterien bzw. Operationsweisen wie Nachrichtenfaktoren, journalistische Arbeitsroutinen und Zwänge, um die Berichterstattung im eigenen Sinne zu beeinflussen (Hoffjann 2020: 13). <?page no="231"?> 232 5 Funktionskontext Aus dieser Definition resultiert, dass die Presse- und Medienarbeit doppelte Überzeugungsarbeit zu leisten hat: Sie will am Ende (potenzielle) Käufer, Anleger, Mitarbeiter und Kritiker bzw. Unterstützer mit ihren Botschaften erreichen und überzeugen. Dazu muss sie im ersten Schritt zunächst die Journalisten von der journalistischen Relevanz dieser Botschaften überzeugen. Daraus lassen sich die Selektionskriterien der Presse- und Medienarbeit ableiten, die in Abb. 5.17 aufgeührt sind. Die Presse- und Medienarbeit orientiert sich bei der Auswahl ihrer veröffentlichten Themen primär an den eigenen organisationalen Interessen (z. B. PR), sekundär an den Interessen der relevanten Zielgruppen und erst tertiär an den journalistischen Interessen (Hoffjann 2007). Diese Überlegungen sollen im Folgenden konkretisiert werden. Abb. 5.17: Selektionskriterien eines Themas der Presse- und Medienarbeit Während die Zielgruppen z. B. im Rahmen der PR übergeordnet festgelegt werden, werden die journalistischen Zwischenzielgruppen im Rahmen der Planung der Presse- und Medienarbeit festgelegt. Auswahlkriterien sind hier u. a., inwieweit sich die eigenen Zielgruppen und die Publika eines journalistischen Mediums überschneiden. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, inwieweit ein Thema der Presse- und Medienarbeit auch ein potenzielles Thema des journalistischen Mediums ist; so mag die überwiegend männliche Leserschaft einer Automobilzeitschrift für eine Brauerei interessant sein, über Bier wird die Zeitschrift jedoch kaum berichten. Und schließlich ist auch die Frage der Bewertungen relevant. Auf eine gezielte Ansprache eher kritischer Medien wie dem SPIEGEL oder der TAGESZEITUNG dürfte in vielen Fällen eher verzichtet werden, weil eine negative Berichterstattung befürchtet wird. Wie betreibt Presse- und Medienarbeit Kontextsteuerungen gegenüber dem Journalismus? Presse- und Medienarbeit versucht, journalistische Selekti- <?page no="232"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 233 onskriterien zu simulieren, indem sie Anreize für eine Berichterstattung schafft. Diese Anreize reichen von dem Versprechen der Exklusivität über die Inszenierung von Veranstaltungen und provokanten Statements bis hin zum Einsatz prominenter Testimonials - sie werden im Folgenden noch weiter konkretisiert. Damit setzt die Presse- und Medienarbeit zwar an redaktionellen Programmen an, verletzt aber nicht die redaktionelle Autonomie, sondern schafft Berichterstattungsanlässe in der redaktionellen Umwelt. Die besondere Herausforderung für die Presse- und Medienarbeit ist es, Themen zu finden, die am Ende allen Interessen gerecht werden. Für unternehmensinterne Probleme interessieren sich der Journalismus und viele Bezugsgruppen sicherlich in hohem Maße, während das Unternehmen an deren Veröffentlichung naturgemäß wenig Interesse hat. Für die Produktvorteile mögen sich das Unternehmen und potenzielle Käufer interessieren, während der Journalismus darüber nur in Ausnahmefällen berichtet. Die Presse- und Medienarbeit wird bei der Auswahl und Inszenierung damit immer mögliche Publikationsfolgen versuchen zu antizipieren - so wie Kepplinger es für die Inszenierung von Medienereignissen konzipiert hat (Kepplinger 1990). Presse- und Medienarbeit ist damit ein ‚Spiel über die Bande‘ des Journalismus und damit eine höchst komplexe Aufgabe. Presse- und Medienarbeit ist bei ihren Steuerungsversuchen in hohem Maße schizophren. Auf der Mikroebene versucht die Presse- und Medienarbeit die journalistische Berichterstattung im intendierten Maße zu beeinflussen, während sie sich durchaus bewusst sein dürfte, dass sie auf der Makroebene auf einen autonomen Journalismus angewiesen ist. Denn nur ein autonomer Journalismus wird langfristig zur Umweltorientierung genutzt - und ist damit wiederum attraktiv für die Presse- und Medienarbeit. Wie versucht die Presse- und Medienarbeit nun konkret, Redaktionen durch Kontextsteuerung zu beeinflussen? Die verschiedenen Steuerungsstrategien der Presse- und Medienarbeit werden in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension konkretisiert. Die (a) Sachdimension bezieht sich auf die Inhalte der Presse- und Medienarbeit. In keiner Dimension passt die Formulierung der Simulation der journalistischen Operationsweise so gut wie hier. Die Presse- und Medienarbeit versucht inhaltlich, wie eine Redaktion zu arbeiten - mit der entscheidenden Einschränkung, dass Inhalte und Bewertungen strategisch ausgewählt sind. Diese Simulation lässt sich wiederum weiter konkretisieren: Die Presse- und Medienarbeit instrumentalisiert journalistische Nachrichtenfaktoren und schließt damit direkt an journalistische Operationsweisen an. Untersuchungen belegen, dass eine Übernahme von Pressemitteilungen umso wahrscheinlicher ist, je mehr Nachrichtenfaktoren wie Kontroverse, <?page no="233"?> 234 5 Funktionskontext Personalisierung, Reichweite oder räumliche Nähe verwendet wurden (Gazlig 1999; Donsbach/ Wenzel 2002). Die bewusste Instrumentalisierung von Nachrichtenfaktoren zeigt sich beispielsweise in Pressemaßnahmen der Produkt-PR und Marken-PR, in denen mangels anderer Nachrichtenfaktoren prominente Sportler oder Musiker engagiert werden, um mit ihnen den Nachrichtenfaktor Prominenz zu bedienen. Die Visualisierbarkeit eines Themas ist selbst ein zunehmend wichtigerer Nachrichtenfaktor, der den Nachrichtenwert beeinflusst (Ruhrmann/ Göbbel 2007: 16). Sie kann darüber hinaus aber auch eine Berichterstattung verhindern, wenn keine Bilder zu einem Thema mit geringem Nachrichtenwert vorliegen. Die Presse- und Medienarbeit hat daher in den vergangenen Jahren mit zunehmend höherem Aufwand spektakuläre Medienbilder produziert oder lieferte TV-Redaktionen direkt fertiges Filmmaterial zu. In Untersuchungen konnte zudem gezeigt werden, dass die Übernahmewahrscheinlichkeit von der journalistischen Sprache und weiteren journalistischen Standards wie die Prägnanz der Überschrift und dem Prinzip der W- Fragen abhängt (Christoph 2009; Seidenglanz/ Bentele 2004). In der (b) Sozialdimension stehen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren im Mittelpunkt: zum Beispiel die Konkurrenzverhältnisse zwischen verschiedenen Redaktionen oder Unternehmen. Hier beeinflussen u. a. die folgenden Aspekte die Publikationschancen, die z. T. instrumentalisiert werden können: Untersuchungen zeigen, dass der Status eines Unternehmens die Wahrscheinlichkeit der Übernahme enorm beeinflusst; dies kann selbst als Nachrichtenfaktor interpretiert werden. So werden Gruppen mit einer hohen gesellschaftlichen Relevanz wie Automobilkonzerne und Landesparteien wesentlich häufiger vom Journalismus thematisiert als Gruppen mit einer geringeren Relevanz (Saffarnia 1993: 421). Kleinere und damit statusniedrigere Unternehmen versuchen u. a. im Kontext der Public Affairs diesen Nachteil durch punktuelle Zusammenschlüsse auszugleichen. Analog zu Käufer- und Verkäufermärkten lassen sich in der Presse- und Medienarbeit Pressesprecher- und Journalistenmärkte voneinander unterscheiden, wie sie in Abb. 5.18 ausgeührt werden. In Journalistenmärkten stehen vielen Informationsangeboten von vielen Organisationen relativ wenige Journalisten und mithin Publikationsmöglichkeiten gegenüber. Die Grenzen solcher Märkte können räumlich (z. B. Lokal- und Regionalmedien) oder inhaltlich (z. B. Fachmedien) begründet sein. Journalistenmärkte sind damit oft in Ein-Zeitungs-Kreisen oder in vielen Special-Interest-Bereichen zu finden. In Pressesprechermärkten stehen wenigen Informationsangeboten relativ viele Journalisten gegenüber. In beiden Märkten ist ein weiterer wich- <?page no="234"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 235 tiger Faktor der Status eines Mediums bzw. der jeweiligen Organisation: Jeder möchte mit seinen Botschaften in Leitmedien wie B ILD , FAZ oder SZ vertreten sein. Und jede Redaktion möchte Informationen von Organisationen wie dem Bundeskanzleramt, A PPLE oder B AYERN M ÜNCHEN . Der Engpassbereich sind daher entweder die fehlende Publizität oder fehlende Themen. Letzteres ist sicherlich ein eher seltenes Problem, das viele Organisationen zumal als Luxusproblem empfinden würden. Dazu dürfte z. B. eine statushohe Organisation wie B AYERN M ÜNCHEN zählen, der sich der Erwartungshaltung zahlreicher Sportjournalisten ausgesetzt sieht, jeden Tag relevante Berichterstattungsanlässe zu liefern. Aus dem vermeintlichen Luxusproblem kann schnell ein Problem der Presse- und Medienarbeit werden, wenn die Journalisten bei fehlenden relevanten Themenvorschlägen mit Gerüchten kritische Themen aufgreifen. Journalistenmarkt Pressesprechermarkt Verhältnis Angebot und Nachfrage Vielen Informationsangeboten der Presse- und Medienarbeit stehen wenige Publikationsmöglichkeiten gegenüber. Wenigen Informationsangeboten der Presse- und Medienarbeit stehen viele Publikationsmöglichkeiten gegenüber. Verhältnis Journalisten und Pressesprecher Viele Pressesprecher stehen wenigen Journalisten bzw. Redaktionen gegenüber. Wenigen Pressesprechern stehen viele Journalisten gegenüber. marktdominante Stellung Journalisten Pressesprecher Engpassbereich Publizität Themen präferierte Instrumente der Presse- und Medienarbeit exklusive Instrumente wie z. B. Interview, Redaktionsbesuch, Vorab-Veröffentlichung und Meinungsbeitrag nicht-exklusive Instrumente wie z. B. Pressemitteilung und Pressekonferenz Abb. 5.18: Unterschiede zwischen Journalisten- und Pressesprechermarkt Das Exklusivitätsversprechen ist eine der wenigen Möglichkeiten, auf einem völlig ‚übersättigten‘ Journalistenmarkt mit einer wenig sensationellen Botschaft medial überhaupt noch stattzufinden. Durch die Nutzung des journalistischen Wettbewerbsdrucks verschafft sich die Presse- und Medienarbeit einer Redaktion einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. In der (c) Zeitdimension sind weitere Instrumentalisierungsbzw. Anpassungsversuche der Presse- und Medienarbeit zu beobachten. Der Redaktionsschluss und die damit verbundenen Produktionsabläufe haben <?page no="235"?> 236 5 Funktionskontext bereits seit langer Zeit dazu geführt, dass tagesaktuelle Veranstaltungen für Journalisten wie Pressekonferenzen in der Regel am Vormittag stattfinden. Eine weitere Möglichkeit besteht für die Presse- und Medienarbeit darin, sich mit dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung an der zu erwartenden Konkurrenzsituation zu orientieren. So können Botschaften in nachrichtenarmen Zeiten veröffentlicht werden, um den Mangel an anderen Informationsangeboten zu nutzen. Umgekehrt können negative Pflichtmitteilungen z. B. im Kontext der Investor Relations auch gezielt in nachrichtenintensiven Zeiten veröffentlicht werden, um eine große Berichterstattung zu kritischen Themen zu vermeiden. Wenn die Presse- und Medienarbeit journalistische Operationsweisen in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension simuliert bzw. instrumentalisiert, zeigt dies noch einmal eindrucksvoll, warum in der Presse- und Medienarbeit journalistische Vorerfahrungen tendenziell zwar abnehmen, aber immer noch ein relevanter Aspekt sind (Bentele et al. 2018: 67). Zugleich wird deutlich, dass die Möglichkeiten und Grenzen von zahlreichen situativen Faktoren beeinflusst werden. 5.6.2 Influencer Relations und Influencer Marketing Mit den sozialen Medien ist eine neue Gruppe der Multiplikatoren hinzugekommen: die Social-Media-Influencer. Influencer wie Bibi oder Rezo scheinen eine ideale Ergänzung zum klassischen Journalismus zu sein. Einerseits ermöglichen sie, diejenigen in einer digitalen Welt zu erreichen, die der Journalismus durch Reichweitenverluste verliert. Andererseits weisen Influencer vielfach gerade in solchen Bereichen eine enorme Reichweite auf, in denen klassische Medien seit jeher eher weniger vertreten sind - wie zum Beispiel in den jüngeren Zielgruppen oder bei der Thematisierung von Verbrauchsgütern. Mit Borchers/ Enke können Influencer wie folgt definiert werden: „ Social-Media-Influencer sind organisationsexterne Akteure, die durch Contentproduktion, Contentdistribution, Interaktion und Selbstpräsentation im Social Web eine relevante Anzahl an Beziehungen einer spezifischen Qualität zu und Einfluss auf Stakeholder einer Organisation aufgebaut haben.“ (Borchers/ Enke 2020: 3) Die Überlegungen zur Presse- und Medienarbeit können zunächst auf die strategische Social-Media-Influencer-Kommunikation übertragen werden. <?page no="236"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 237 Die Strategische Social-Media-Influencer-Kommunikation umfasst alle Steuerungsversuche gegenüber der Zwischenzielgruppe der Social-Media-Influencer, um damit indirekt deren Publika als eigentliche Zielgruppen der Unternehmenskommunikation zu erreichen (Hoffjann 2020: 17). Social-Media-Influencer kennzeichnet eine deutlich größere Heterogenität als Journalisten: Sie reicht von investigativen Politikbloggerinnen über Modeinfluencerinnen, die über Modeschauen berichten, bis hin zu Prominenten wie Fußballern oder Sängerinnen, die ür ihre Fans aus ihrem Leben berichten. Interessiert man sich ür diese verschiedenen Influencer nur als Multiplikatoren, an denen sich deren Publika orientieren, stehen Aspekte wie Reichweite und Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt. Zieht man hingegen etablierte Kriterien u.a. aus der Presse- und Medienarbeit sowie Mediawerbung hinzu, erhält man ein deutlich differenzierteres Bild. Viele Social-Media-Influencer erbringen eine journalistische Leistung - nur eben nicht in klassischen journalistischen Print-, Hörfunk-, TV- oder Online-Angeboten, sondern in Blogs, auf Instagram oder in ihrem YouTube-Kanal. Neben einigen Unterschieden wie z. B. ihrer besonderen Nähe zu ihrem Publikum weisen solche journalistischen Influencer große Gemeinsamkeiten mit klassischen Journalisten auf (Hoffjann/ Haidukiewicz 2018). Ein solcher journalistischer Anspruch ist bei Influencern, die ihre Bekanntheit vor allem in Sphären wie dem Sport oder der Musik erlangt haben (Enke/ Borchers 2018: 186), nicht zu erkennen. Zudem kann man zwischen verschiedenen Zugängen zu Influencern differenzieren, die im Folgenden in Anlehnung zu den Zugängen zu klassischen journalistischen Medien systematisiert werden. Der Zugang zu Influencern erfolgt nicht nur wie in der Presse- und Medienarbeit über die Relevanz der angebotenen Inhalte, sondern auch über Geldzahlungen. Damit können unterschiedliche Formen der strategischen Social-Media-Influencer-Kommunikation identifiziert werden. Als Influencer Relations wird das Pendant zur Presse- und Medienarbeit bezeichnet, wenn ausschließlich die Inhalte über die Veröffentlichung entscheiden. Dies ist bei nichtjournalistischen Influencern wie Sportlern kaum zu beobachten, da diese nicht über andere Themen berichten, sondern vor allem aus ihrem eigenen Leben. Als Influencer Marketing wird das Pendant zu Medienkooperationen bezeichnet, in denen Unternehmen an Verlage Geld zahlen und als „Werbung“, „Sonderbeilage“ oder „Verlagsbeilage“ gekennzeichnete vermeintlich redaktionelle Beiträge erscheinen. Veröffentlichungskriterien sind hier neben dem Geld die inhaltliche Passung. Und schließlich ist der Zugang ausschließlich durch Geld möglich. Die klassische <?page no="237"?> 238 5 Funktionskontext Mediawerbung ist zumindest bei Bloggern in Deutschland allerdings eine deutlich unwichtigere Einnahmequelle als Kooperationen im Rahmen des Influencer Marketings (Hoffjann/ Haidukiewicz 2018: 36). Zugang zu Medien (nicht)-journalistischer Charakter der Influencer Zugang durch relevante Inhalte Zugang durch passende Inhalte und Geld Zugang durch Geld klassischer Journalismus bzw. klassische Medienorganisationen Media Relations Medienkooperationen (z. B. Verlags- und Sonderbeilagen) Mediawerbung journalistische Influencer (z.B. Modeblogger) Influencer Relations Influencer Marketing (z. B. Advertorials) Display- Werbung nichtjournalistische Influencer (z.B. Sportler, Musiker) - Influencer Marketing Display- Werbung Abb. 5.19: Meinungsführertypen und Medienzugänge: eine Systematisierung (Hoffjann 2020: 3) Eine solche Geldzahlung ermöglicht eine klare Abgrenzung und verändert zugleich den Beziehungscharakter zwischen dem Unternehmen und Influencern kategorial: Während bei den Influencer Relations die Unternehmenskommunikation ein ‚Informationslieferant bzw. ‚-anbieter‘ ist, wird sie im Influencer Marketing zum Auftraggeber und der Influencer wird zum Dienstleister. In der Praxis mögen die Unterschiede zwischen dem Anreiz ‚relevantes Thema‘ und ‚Geld‘ als fließend beschrieben werden, sie ändern aber grundlegend das Verhältnis. Daher erscheint es sinnvoll, zwischen Influencer Relations und Influencer Marketing zu unterscheiden und ihre Besonderheiten nachfolgend getrennt zu erläutern (ausührlich Hoffjann 2020). Die Influencer Relations umfassen inhaltliche Steuerungsversuche gegenüber der Zwischenzielgruppe der Influencer, die die Autonomie nicht verletzt, sondern durch das Setzen von inhaltlichen Anreizen zu steuern versucht. Die Influencer Relations simulieren dabei die Selektionskriterien bzw. Operationsweisen der Influencer (Hoffjann 2020: 17). Die meisten Steuerungsstrategien der Presse- und Medienarbeit lassen sich grundsätzlich auch in den Influencer Relations anwenden. Für einen solchen <?page no="238"?> 5.6 Instrumentelle Ausdifferenzierung der PR 239 Transfer spricht, dass die wenigen vergleichenden Studien zu Journalisten und Influencern bzw. Bloggern erstaunliche Parallelen aufgezeigt haben: So eint Journalisten und Blogger als spezifische Influencer-Gruppe, dass sie vor allem informieren und vermitteln wollen, während Blogger Service und Unterhaltung, Journalisten hingegen eher Kritik und Kontrolle wichtig ist (Hoffjann/ Haidukiewitz 2018). Einig sind sie sich auch in der Einschätzung der Pressearbeit bzw. Influencer Relations: Beide Seiten bewerten Pressemitteilungen heute als mäßig zuverlässig und aufbereitet, sind gleichermaßen der Meinung, dass zu viele Pressemitteilungen produziert würden und diese die Recherche nur wenig entlasteten. Welche relevanten Unterschiede lassen sich jenseits dieser Gemeinsamkeiten finden? Ein erster zentraler Unterschied zeigt sich bei der Nutzung von PR-Material: Obwohl Influencer PR-Angebote ebenso kritisch einschätzen wie Journalisten, nutzen sie PR-Fotos deutlich intensiver als Journalisten. Dies liegt vor allem an den deutlich geringeren Ressourcen, die ihnen zur Produktion eigener Fotos zu Verfügung stehen (Hoffjann et al. 2018). Widersprüchlich sind bislang die Befunde zur besonderen Nähe von Influencern zu ihren Publika sowie zur Authentizität. Einerseits zeigt sich, dass Bloggern der Kontakt zu ihren Publika deutlich wichtiger ist als Journalisten, andererseits zeigt eine Bildinhaltsanalyse in Blogs und journalistischen Angeboten, dass die von Bloggern veröffentlichten Bilder sogar leicht unnatürlicher sind (Hoffjann/ Haidukiewicz 2018: 56ff; Hoffjann et al. 2018). Insgesamt lässt sich aus der besonderen Bedeutung der eigenen Perspektive und der Betonung der Subjektivität bei Influencern schließen, dass individuelle auf den jeweiligen Influencer zugeschnittene Themen von größerer Relevanz sind. Das Influencer Marketing unterscheidet sich von den Influencer Relations dadurch, dass das primäre Steuerungsmedium Geld ist, sekundär aber auch eine inhaltliche Passung zu den Themen des Influencers erwartet wird (Hoffjann 2020: 17). Wenn im Influencer Marketing Geld ür die zu kennzeichnenden Posts gezahlt wird, gewinnen hier Kennzahlen eine große Rolle, wie sie in der Media-Planung entstanden sind und im Online-Marketing weiterentwickelt wurden. Das reicht von der Reichweite eines Posts über die erzielten Interaktionen bis hin zu Conversions wie Verkäufen oder Anmeldungen (Enke/ Borchers 2018: 194). Die inhaltliche Passung zwischen Thema und Influencer ist dabei für beide Seiten wichtig. Die Realisierung der Kommunikationsziele ist wahrschein- <?page no="239"?> 240 5 Funktionskontext licher, wenn der Influencer kompetent und glaubwürdig etwas zum Produkt sagen kann. Ebenso betonen Influencer, wie wichtig ihnen die Passung ist. 93,1 Prozent der Blogger lehnen Anfragen grundsätzlich ab, die nicht zur inhaltlichen Ausrichtung passen, selbst wenn sie dafür auf Einnahmen verzichten müssen (Hoffjann/ Haidukiewicz 2018: 72). Im gegenseitigen Interesse ist auch der Freiraum, den die Unternehmenskommunikation Influencern bei bezahlten Posts lässt. Zu enge Vorgaben oder gar vorproduzierte Texte, die - ähnlich wie in der Mediawerbung - übernommen werden sollen bzw. müssen, schwächen die Wirkung. Strategische Social-Media-Influencer-Kommunikation „lebt zentral von der wahrgenommenen Authentizität der Influencer, und diese Authentizität verlangt ausreichend Freiraum zur kreativen Entfaltung und Darstellung der eigenen Persönlichkeit“ (Enke/ Borchers 2018: 198). Der Influencer wird daran ebenso ein großes Interesse haben, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu sehr zu schwächen. Das Risiko von kritischen Posts dürfte überschaubar sein, weil Influencer das Ende der Beziehung damit in Kauf nähmen. Hier zeigt sich das besondere Abhängigkeitsverhältnis, das durch Geldzahlungen entsteht. Dies zeigt sich auch daran, dass in der Praxis ein Vertrag empfohlen wird, um Kooperationsinhalte, Honorar, Leistungsumfang und -zeitraum sowie auch die Kennzeichnung zu fixieren (Nguyen 2018: 154). Advertorials als bezahlte Posts sind als Werbung zu kennzeichnen (ausführlich: Meinen/ Gerecke 2018). Untersuchungen zeigen, dass Blogger nach eigener Auskunft in gleichem Ausmaß bezahlte Beiträge kennzeichnen wie Journalisten: 91,6 Prozent der Blogger und 91,7 Prozent der Journalisten kennzeichnen bezahlte Beiträge (Hoffjann/ Haidukiewicz 2018). Auch wenn dies auf Plattformen wie Instagram oder YouTube anders sein mag, so scheinen die Gerichtsurteile und die breite Diskussion zur Kennzeichnungspflicht dazu geführt haben, dass sich die Kennzeichnungsnorm nach und nach auch bei Influencern durchsetzt. Während bei klassischen Medienorganisationen wie Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen oder Rundfunksendern Redaktion und Werbevermarktung zwei getrennte Abteilungen bzw. Organisationen sind (Altmeppen 2006), übernehmen die meisten Influencer als Einzelkämpfer beide Rollen. Dem Einzelkämpfer Influencer, der immer wieder aufs Neue (mehr oder weniger) passende und relevante PR-Angebote mit möglichen Geldzahlungen zu kombinieren hat, steht auf Unternehmensseite ein Ansprechpartner gegenüber, der für Inhalte und Geld zuständig ist. Was in der Zusammenarbeit mit klassischen Medienorganisationen die Ausnahme war, scheint hier zur Regel zu werden. Influencer haben damit nicht nur zu neuen beruflichen Rollen auf der Produzentenseite, sondern ebenso auf der Seite der Unternehmenskommunikation geführt (Archer/ Harrigan 2016). Die Vermischung <?page no="240"?> 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR 241 von relevanten Inhalten und Geldzahlungen als Anreize hat dazu geführt, dass Influencer in Unternehmen mal von der Abteilung PR beziehungsweise Unternehmenskommunikation, mal von der Marketingabteilung betreut werden. Wenn die Beziehungen zu Influencern als Influencer Relations und damit vertrauensvolle Beziehungspflege verstanden werden (Archer/ Harrigan 2016), dann wird sie in Unternehmen traditionell eher in der Nähe der Presse- und Medienarbeit verortet sein. In den vergangenen Jahren scheinen jedoch in vielen Feldern der strategischen Social-Media-Influencer-Kommunikation Geldzahlungen und damit das „Einkaufen“ von Reichweite eine zunehmende Bedeutung erlangt zu haben. Es ist zu erwarten, dass damit auch in Deutschland eine weitere Verankerung im Marketing verbunden sein wird, wie sie in den USA bereits mehrheitlich zu beobachten ist (Linqia 2017: 6). Zum Weiterlesen Beiträge zu verschiedenen Kommunikationsinstrumenten: • Zerfaß, Ansgar / Piwinger, Manfred / Röttger Ulrike (Hrsg.) (2020): Handbuch Unternehmenskommunikation (3. Aufl.). Wiesbaden (i.E.). • Bruhn, Manfred / Esch, Franz-Rudolf / Langner, Tobias (Hrsg.) (2016): Handbuch Instrumente der Kommunikation. Grundlagen, innovative Ansätze, praktische Umsetzungen (2. Aufl.). Wiesbaden. 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR Gesellschaftliche Entwicklungen wie die Globalisierung oder die Individualisierung führen dazu, dass Risiken in modernen Gesellschaften vermehrt wahrgenommen und thematisiert werden (Kap. 2.1). Beispiele hierfür sind Diskussionen zur Atomenergie, zum Datenschutz oder zur Gentechnik. Da solche Risikodiskurse immer auch Legitimitätsdiskurse sind, haben sie zu einer steigenden Relevanz von PR geführt und stellen die PR vor neue Herausforderungen: Wie kann PR neue Risiken bzw. Themen öffentlicher Risikodiskussionen frühzeitig erkennen und damit umgehen? Hinzu kommt, dass mit einer Zunahme an Risikodiskussionen unweigerlich auch eine Zunahme an Krisensituationen verbunden ist. Wo die Qualität von Lebensmitteln angezweifelt wird, gibt es auch Krisenfälle, in denen Herstellern ein Verstoß gegen Qualitätsstandards vorgeworfen wird. Kurzum: In einer Risikogesellschaft gibt es auch mehr Krisen. Für PR folgt daraus die Frage, wie sie mit solchen Krisen umgeht. Während der Ansatz des Issues Managements u. a. darauf zielt, mögliche Krisen zu vermeiden (Kap. 5.7.1), zielen die strategische Krisenkommunikation im engeren Sinne bzw. die Krisen-PR darauf, die Reputations- und Legitimationsverluste in Krisen zu begrenzen (Kap. <?page no="241"?> 242 5 Funktionskontext 5.7.2). Beide können als Elemente einer strategischen Krisenkommunikation im weiteren Sinne verstanden werden (Abb. 5.20). Abb. 5.20: Strategische Krisenkommunikation im engeren und weiteren Sinne (in Anlehnung an Töpfer 1999: 19 und Schwarz/ Löffelholz 2020: 5) 5.7.1 Issues Management Issues Management kann im Idealfall eine Krise verhindern, indem potenzielle Auslöser früh erkannt und entsprechend bearbeitet werden. Issues Management übernimmt damit Leistungen eines organisationalen Frühwarnsystems. Issues Management kann mit Ingenhoff/ Röttger (2006: 323) definiert werden „als ein systematisches Verfahren, das durch koordiniertes Zusammenwirken von strategischen Planungs- und Kommunikationsfunktionen interne und externe Sachverhalte, die eine Begrenzung strategischer Handlungsspielräume erwarten lassen oder ein Reputationsrisiko darstellen, frühzeitig lokalisiert, analysiert, priorisiert und aktiv durch Maßnahmen zu beeinflussen versucht sowie diese hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert“. Das Konzept des Issues Managements ist in den 70er Jahren von Praktikern in den USA entwickelt worden (u. a. Chase 1984), seit Ende der 80er Jahre wird es auch im deutschsprachigen Raum diskutiert und vor allem in großen Unternehmen eingesetzt (Ingenhoff/ Röttger 2013: 473). Für diese anwen- <?page no="242"?> 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR 243 dungsorientierte Seite des Issues Management-Konzeptes gilt in vergleichbarer Weise, was bereits ür die PR-Konzeptionslehre konstatiert wurde: Während eine Beobachtung der Organisationsumwelt zu neuen relevanten Entwicklungen - wie rudimentär oder systematisch auch immer - in jeder Organisation stattfindet, versucht das Konzept des Issues Management, dieses Verfahren zu systematisieren und verspricht damit in gewisser Weise, dass Organisationen mit diesem Konzept relevante Entwicklungen frühzeitig erkennen und entsprechend darauf reagieren können. Das Konzept des Issues Management kann als Reaktion auf eine Organisationsumwelt verstanden werden, die durch gesellschaftliche Entwicklungen wie die Individualisierung oder Globalisierung von vielen Organisationen als zunehmend komplexer, unübersichtlicher und riskanter empfunden wird. Ziel ist es, solche so genannten Issues nicht nur frühzeitig zu identifizieren, sondern vor allem auch zu interpretieren, um darauf entsprechend reagieren zu können. Was aber macht eine Entwicklung zu einem Issue? Übersetzungen des Issue-Begriffs wie ‚öffentliches Anliegen‘, ‚Problem‘ oder noch allgemeiner ‚Thema‘ tragen wenig zur Klärung bei. Issues können mit Ingenhoff/ Röttger (2006: 325) in Anlehnung an ähnliche Definitionen als spezifische Themen verstanden werden, „die die Organisation tatsächlich oder potenziell betreffen (Relevanz), mit unterschiedlichen Ansprüchen auf Seiten der Stakeholder und der Organisation belegt sind (Erwartungslücke) und unterschiedlich interpretiert werden können, Konfliktpotenzial aufweisen (Konflikt) und von öffentlichem Interesse (Öffentlichkeit) sind“. Der hier genannte Konfliktcharakter eines Issue ührt häufig dazu, dass das Konzept des Issues Managements einseitig mit Blick auf den Umgang bzw. die Abwehr von Risiken thematisiert wird. Eine solch einseitige Charakterisierung blendet jedoch den ambivalenten Charakter nahezu jeder gesellschaftlichen Entwicklung aus: Dieselbe Entwicklung wie z. B. ein wachsendes Umweltbewusstsein kann von einem Unternehmen vor allem als Bedrohung wahrgenommen werden, während es von einem anderen Unternehmen vor allem als Chance bewertet werden kann, wenn es z. B. seit jeher ökologisch nachhaltig produziert hat. Der Ausgangspunkt von Issues sind häufig Einzelereignisse, die von Betroffenen als kritisch bewertet und aufgegriffen werden. Die auch für das Konzept des Issues Management relevante Frage ist die nach dem weiteren Verlauf von Issues. Dazu gibt es verschiedene Versuche, den Issue-Lebenszyklus idealtypisch zu beschreiben (Abb. 5.21). So verdichten sich bei <?page no="243"?> 244 5 Funktionskontext Köcher/ Birchmeier (1992: 90ff) Einzelereignisse zu Trends und anschließend zu einem öffentlichen Anliegen, das in einen Anspruch mündet, der befriedigt wird und damit gelöst ist. Wie bei ähnlichen Modellen - z. B. dem Produktlebenszyklus, auf den sich Molitor mit seinem Issue-Lebenszyklus-Modell explizit bezieht (1977) - dürften allerdings nur wenige Issues einen solchen idealtypischen Verlauf nehmen. Einige dürften bereits zu einem früheren Zeitpunkt gelöst werden, während andere früher ‚einschlafen‘, weil sich nicht genügend Unterstützer finden lassen. Letztlich sind hier öffentliche Selektionsprozesse zu beobachten, die beeinflussen, welche Themen schließlich die massenmediale Öffentlichkeit erreichen (Kap. 3.2). Abb. 5.21: Issue-Lebenszyklus (in Anlehnung an Köcher/ Birchmeier 1992; Molitor 1977: 10) Die Phasen des Issues Managements unterscheiden sich vom Grundsatz her nicht von anderen Konzeptionsmodellen, wie sie im Kontext der PR-Konzeptionslehre erläutert wurden. Da der zentrale Mehrwert des Issues Management-Ansatzes allerdings die Identifikation und die Interpretation von neuen, bis dahin unbekannten Entwicklungen ist, liegen die Schwerpunkte des Issues Management-Prozesses in der Strategiephase und vor allem in der Analysephase, die daher im Folgenden weiter ausdifferenziert werden. Diese Phasen können in Anlehnung an Ingenhoff (2004: 90-101) mit dem Prozess des Organisierens von Weick (1995) als theoretischem Rahmen beschrieben werden (Abb. 5.22). Weick beschäftigt sich darin insbesondere mit der Frage, wie mehrdeutige Ereignisse - wie z. B. viele Issues - interpretiert werden können. <?page no="244"?> 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR 245 Abb. 5.22: Der Issues Management-Prozess in Anlehnung an Weick (Ingenhoff 2004: 110) In der (a) Identifikationsphase steht das Erkennen potenzieller Issues im Mittelpunkt. Mögliche Veränderungen in der Organisationsumwelt müssen in der Organisation zunächst erkannt und thematisiert werden, damit sie für die Organisation existieren (Weick 1995: 190; Kap. 3.1). Dazu gibt es im Rahmen des induktiven Scannings verschiedene Möglichkeiten. Einerseits können personenbezogen Mitarbeiter in verschiedenen Organisationsbereichen sowie externe Experten oder Bezugsgruppenmitglieder z. B. im Rahmen von brainstormingorientierten Workshops befragt werden. Andererseits kann medienbezogen z. B. in sozialen Medien oder in traditionellen Massenmedien das Aufkommen neuer Themen beobachtet werden (Ingenhoff 2004: 229). Die Beobachtung klassischer Massenmedien ist problematisch, da Issues tendenziell schon eine spätere Phase des Issue-Zyklus erreicht haben dürften, wenn sie Gegenstand massenmedialer Berichterstattung werden. Bei der Identifikation potenzieller Issues stellt sich vor allem das Problem der ‚Betriebsblindheit‘ - beobachtungstheoretisch ist dies der ‚blinde Fleck‘: Jeder Beobachter benutzt bei seiner Beobachtung eine Unterscheidung - die verwendete Unterscheidung ist dann der ‚blinde Fleck‘ der Beobachtung. Man sieht nicht, dass man die Umwelt z. B. mit gelernten Unterscheidungen wie gegnerischen Umweltschutzgruppen versus unterstützende Industriegruppen, kritische Verbraucherschützer versus treue Käufer etc. beobachtet (Hoffjann 2010b: 238; Luhmann 1997). Gegen diese gelernten und etablierten Unterscheidungen haben es neue, öffentlich noch nicht diskutierte Issues schwer, sich zu behaupten. Neue Issues müssen damit erst einmal die „Schwelle des Wahrnehmbaren“ (Hoffjann 2007: 117) überwinden. In der (b) Interpretationsphase steht die eigentliche Analyse der identifizier- <?page no="245"?> 246 5 Funktionskontext ten Issues im Mittelpunkt. Weick bezeichnet dies als Phase der Sinnzuschreibung, in der Mehrdeutigkeit reduziert wird und Phänomene interpretiert werden (Weick 1995: 191). Dazu werden die identifizierten Issues im deduktiven Monitoring genauer beobachtet und analysiert, um die Frage beantworten zu können, welche Bereiche bzw. Aktivitäten einer Organisation aus welchen Gründen und in welcher Weise von einem Issue in Zukunft betroffen sein könnten. Ähnlich wie bei der Identifikation besteht auch hier das Risiko, dass neue Issues auf Basis vor allem etablierter Muster interpretiert werden. Damit stellt sich erneut die Aufgabe, dass identifizierte Issues in einem möglichst hierarchiefreien Prozess zu diskutieren sind (Ingenhoff 2004: 256). In der (c) Priorisierungsphase werden die wichtigsten Issues ausgesucht, die sofort durch verschiedene Maßnahmen zu bearbeiten sind. Zur Bewertung dieser Issues gibt es verschiedene Kriterien: von möglichen Auswirkungen für die Organisation über ihre Eintrittswahrscheinlichkeit bis hin zur Stellung im Lebenszyklus des Issues. So können Issues mit einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit und als gering bewerteten Auswirkungen weiter beobachtet oder sogar ggf. ganz ‚aussortiert‘ werden. In der (d) Strategiephase werden Lösungsmöglichkeiten erarbeit und beschlossen - nach Weick ist dies die so genannte Retention -, die in der (e) Umsetzungsphase realisiert und in der (f) Evaluierungsphase ausgewertet werden. Spätestens diese drei Phasen weisen keine wesentlichen Unterschiede mehr zur klassischen PR-Konzeption auf. So gilt auch hier, dass PR bei Strategien mit weitgehenden organisationalen Selbststeuerungen der Organisationsleitung allenfalls Vorschläge unterbreiten kann. Auch wenn die ersten Konzepte des Issues Management bereits vor mehr als 40 Jahren entstanden sind, so beschränkt sich seine Anwendung im deutschsprachigen bis heute weitgehend auf große Unternehmen. Grundsätzlich ist es zwar die Regel, dass neue Management-Konzepte vor allem in größeren Organisationen zum Einsatz kommen. Wenn man die besondere Leistungsfähigkeit des Issues Management-Konzeptes aber in der Identifizierung, Interpretation und Priorisierung von Issues erkennt - hierfür hat sich in den vergangenen Jahren auch der Begriff des Corporate Listenings etabliert (Ingenhoff et al. 2020) -, wird deutlich, dass auch kleinere Organisationen ein Issues-Management-Verfahren ohne einen übermäßigen Aufwand installieren könnten. 5.7.2 Krisen-PR PR-Krisen sind im Journalismus und in der praxisorientierten wie wissenschaftlichen PR-Literatur die vermutlich meistdiskutierten PR-Fälle: vom <?page no="246"?> 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR 247 nichtbestandenen Elch-Test der A - KLASSE von MERCEDES - BENZ 1997 über die von BP verursachte Ölpest im Golf von Mexiko 2010 bis hin zum Dieselskandal von VW 2015. Krisen sind für den Journalismus ein Thema mit hohem Nachrichtenwert. Der Journalismus berichtet in solchen Krisensituationen kritisch über die Rolle und die Methoden der PR - wie z. B. die Manipulation von Fotos durch BP 2010. In der praxisorientierten PR-Literatur - vielfach auch als ‚Kochbuchliteratur‘ bezeichnet - werden zu prominenten PR-Krisen zumeist ex post die Versäumnisse der PR aufgezeigt und Ratschläge erteilt, wie die Krise zu vermeiden gewesen wäre. Demgegenüber verweist die PR-Forschung zwar ebenfalls vielfach auf bekannte Krisenfälle. Allein: Die Forschung zur (strategischen) Krisenkommunikation steht immer noch weitgehend am Anfang. Dies dürfte nicht zuletzt auf die Komplexität von Krisensituationen mit ihrer Vielzahl an Variablen zurückzuführen sein. Ob eine Krise zugeschrieben wird und wie sie sich entwickelt, hängt u. a. von der Krisenursache, der Verantwortungszuschreibung, der Reputation der jeweiligen Organisation und ihrer Branche, Nachrichtenfaktoren wie der Visualisierbarkeit, Personalisierbarkeit und Prominenz der Organisation und ihrer führenden Akteure, dem Krisenmanagement, dem Geschick möglicher Gegner oder der aktuellen Nachrichtenlage ab. Bereits diese beispielhaften Aspekte zeigen die Probleme empirischer Forschung in diesem Feld, so dass in der Krisen-PR-Forschung Einzelfallstudien ohne ein wissenschaftlich stringentes Design immer noch die dominante empirische Grundlage sind (Schwarz/ Löffelholz 2020). Bevor die Phasen der strategischen Krisenkommunikation erläutert werden können, stellt sich die Frage, was unter einer Krise zu verstehen ist. Die hier relevanten Merkmale einer Krise sind die Unterbrechung eines bis dahin geradlinig verlaufenden Prozesses, der offene Ausgang und der negative Charakter, der Krisen in der Regel unterstellt wird (Thießen 2011: 63-68). All diese Merkmale sind ebenso beobachterabhängig wie allgemein die Zuschreibung eines Krisen-Status. Mit anderen Worten: Externe Bezugsgruppen schreiben Organisationen mitunter Krisen zu, in denen diese sich in ihrer eigenen Wahrnehmung gar nicht befinden, während externe Bezugsgruppen Krisen mitunter nicht zuschreiben, in denen sich die PR oder die Organisationsleitung längst selbst wähnen. Krisen-PR und der zumeist synonym verwendete Begriff der strategischen Krisenkommunikation im engeren Sinne bezeichnen damit das Kommunikationsmanagement in akuten Krisen. Im weiteren Sinne kann strategische Krisenkommunikation definiert werden als „Kommunikationsmanagement von Organisationen zur proaktiven Prävention und Früherkennung von Krisen, Vor- <?page no="247"?> 248 5 Funktionskontext bereitung auf Krisen, akuten Bewältigung von Krisen und Nachbearbeitung bzw. Evaluation organisationsbezogener Krisenkommunikation. Ziel strategischer Krisenkommunikation ist es, den beobachtbaren bzw. zu erwartenden krisenbedingten Reputations- und Vertrauensverlust bei relevanten Anspruchsgruppen zu minimieren und damit den Handlungsspielraum zur Erreichung der strategischen Ziele der Organisation unter den gegebenen Bedingungen zu maximieren.“ (Schwarz/ Löffelholz 2020: 4) Die Definition ist anschlussähig an das Verständnis von PR als Legitimation, da jede öffentliche Krise auch Auswirkungen auf die Legitimation haben dürfte. In Anlehnung an Abb. 5.20 werden nachfolgend die Phasen strategischer Krisenkommunikation im weiteren Sinne skizziert. Im Rahmen der (a) Krisenvermeidung ist es das Ziel, das Entstehen von Krisen zu verhindern. Einerseits kann z. B. durch das Issues Management versucht werden, potenzielle Ursachen von Krisen frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu bearbeiten. Die Vielzahl möglicher Auslöser von Krisen zeigt, dass nicht alle Krisen vorhersehbar sind und damit vermieden werden können. So reichen mögliche Ursachen bzw. Auslöser von Naturkatastrophen (z. B. Erdbeben, Flutkatastrophen) und technischen Katastrophen (z. B. Störfall, Flugzeugabsturz) über Verbrechen (z. B. Anschläge, Erpressung) und Betrug (z. B. Fälschung, Korruption) bis hin zu Protesten (z. B. Demonstrationen, Streik), Missmanagement (z. B. Fehlverhalten, Pannen), Affären und Skandalen (z. B. Taktlosigkeit) (Schulz 2001: 17). Einige Auslöser wie z. B. ein Flugzeugabsturz sind nicht vorhersehbar, während andere wie z. B. eine Massenentlassung zwar absehbar zu Protesten und oft auch zu Krisen führen, die aber kaum zu vermeiden sind. Im Rahmen der Krisenvermeidung ist es damit ein zentrales Ziel, durch ‚klassische‘ PR ein möglichst hohes Maß an Legitimation bzw. Vertrauenswürdigkeit zu erlangen, um sich damit tendenziell gegen Krisenzuschreibungen zu ‚immunisieren‘. So zeigen die einschlägigen Krisenfallbeispiele, dass gerade solchen Organisationen Krisen häufiger zugeschrieben werden, die zuvor bereits Krisen zu bestehen hatten oder aus anderen Gründen eine geringere Reputation hatten (z. B. Kepplinger/ Hartung 1995). Im Rahmen der (b) Krisenvorbereitung werden zu potenziellen Krisenthemen Pläne entwickelt. Da ein Merkmal von Krisen der enorme Zeit- und Entscheidungsdruck ist (Schwarz/ Löffelholz 2020: 8f), sollen durch Krisenpläne möglichst viele Entscheidungen bereits im Vorfeld vorweggenommen werden. Ein Krisenplan kann z. B. die Situation näher definieren, in der organisationsintern überhaupt von einer Krise gesprochen wird und damit zu <?page no="248"?> 5.7 Risikoorientierte Ausdifferenzierung der PR 249 einem Auslösen der akuten Krisen-PR führt. Zudem umfassen Krisenpläne in aller Regel Ablauf- und Strukturpläne, in denen z. B. die Zuständigkeiten in einer Krisensituation, die Zusammensetzung verschiedener Entscheidungsgremien oder die genauen Abläufe geregelt sind. Schließlich finden sich hier häufig auch Maßnahmen wie z. B. Musterpressemitteilungen oder so genannte Dark Sites, auf denen Informationen z. B. zu einem Flugzeugabsturz weitestgehend vorbereitet werden und im Krisenfall nur noch online gestellt werden müssen. Zwar scheinen viele Unternehmen über solche Notfallpläne bereits zu verfügen, das Problem ist häufig jedoch, dass sie zu wenig trainiert werden und damit in der Stresssituation ‚Krise‘ nicht präsent sind. In der (c) strategischen Krisenkommunikation im engeren Sinne steht PR vor der Aufgabe, in einer akuten Krisensituation die Reputationsbzw. Legitimationsverluste möglichst gering zu halten. Die Praktiker- und in Teilen auch die wissenschaftliche Literatur empfehlen hier eine schnelle, konsistente und offene Kommunikation (Coombs 1999: 114ff). Allerdings zeigt bereits der Aspekt offener Kommunikation die Ambivalenz solcher Postulate: Wenn eine Information aus der Perspektive der PR eine Krise weiter verschärfen könnte und PR sich zugleich gute Chancen ausrechnet, sie dauerhaft geheim halten zu können, könnte PR geneigt sein, sie nicht zu veröffentlichen (Kap. 5.2.2). Mit der Situational Crisis Communication Theory (SCCT) von Coombs (1999, 2012) können verschiedenen Krisenkommunikationstypen dazu passende Krisenkommunikationsstrategien zugeordnet werden (Abb. 5.23). Die Krisenkommunikationstypen resultieren in dem attributionstheoretischen Ansatz daraus, inwieweit eine Organisation von Bezugsgruppen für eine Krise verantwortlich gemacht wird. Während bei vermeidbaren Krisen die Verantwortung z. B. durch vorsätzliches Handeln der Organisation in hohem Maße zugeschrieben wird, wird bei Unfallkrisen eine weniger große und bei Opferkrisen nur eine geringe Krisenschuld attribuiert, da hier eine Organisation Opfer externer Umstände geworden ist (Coombs 2012: 39). Während Legitimations- und Reputationsverluste bei zugeschriebenen vermeidbaren Krisen damit am höchsten sein dürften, ist zu erwarten, dass sie bei Opferkrisen am geringsten sind. Bei den Krisenkommunikationsstrategien wird unterschieden zwischen Strategien der Zurückweisung, in denen z. B. behauptet wird, dass eine Organisation keine Schuld an der Krise trägt, Strategien der Minderung, die versuchen, die Krisenschuld zu minimieren, sowie Strategien des Wiederaufbaus, die darauf setzen, verlorene Legitimation und Reputation wieder aufzubauen - z. B. durch korrektive Handlungen, Übernahme von Verantwortung, Entschuldigung oder die Unterstützung ermittelnder Behörden (Thießen 2011: 94; Coombs 1999, 2012). <?page no="249"?> 250 5 Funktionskontext Abb. 5.23: Krisenkommunikationstypen und die entsprechenden -strategien (angelehnt an Coombs 1999: 124; 2012; Thießen 2011: 92-94) Selbst in diesem komplexen Ansatz der Krisenkommunikationsforschung fehlt eine Vielzahl der oben genannten Variablen. Zudem ist die Rolle des Journalismus in Krisen weniger die eines ‚objektiven‘ Krisenbeobachters. Da krisenhaften Ereignissen ein hoher Nachrichtenwert zugeschrieben wird, konstruieren Journalisten nicht nur gerne Krisen, sondern sie versuchen, mit weiteren Aspekten einer Krise, diese zu verlängern und auszuweiten. Journalismus wirkt in Krisen daher mitunter krisenkonstituierend, krisenverlängernd und krisenausweitend. Hinzu kommt, dass der Einfluss von PR auf den Journalismus in Krisensituationen weiter abnimmt, da Journalismus von einer Krise betroffenen Organisation kritischer gegenüber auftritt und vermehrt selbst recherchiert (Barth/ Donsbach 1992: 163; Kap. 3.3). In der (d) Krisennachsorge steht einerseits die Evaluation aller betroffenen Krisenphasen im Mittelpunkt, um daraus Konsequenzen z. B. ür die Krisenpläne und künftige Krisenstrategien zu ziehen. Andererseits ist es im Rahmen der ‚Routine-PR‘ das Ziel, mögliche Reputations- und Legitimationsverluste wieder auszugleichen. Zum Weiterlesen Forschungsstand und empirische Untersuchung zum Issues Management: • Ingenhoff, Diana (2004): Corporate Issues Management in multinationalen Unternehmen. Wiesbaden. Beiträge zu einem kommunikativen Krisenmanagement: • Thießen, Ansgar (Hrsg.) (2014): Handbuch Krisenmanagement (2. Aufl.). Wiesbaden. <?page no="250"?> 5.8 Ausdifferenzierung externer PR-Beratung 251 5.8 Ausdifferenzierung externer PR-Beratung Parallel zur PR insgesamt ist auch der Markt der PR-Agenturen in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Die Ausdifferenzierung externer PR überrascht auf den ersten Blick nicht, da Berater mit ihrem Blick von außen das Problem der ‚Betriebsblindheit‘ als Auslöser vieler PR-Probleme überwinden können. Auf den zweiten Blick wird allerdings deutlich, dass viele PR-Agenturen sich zwar selbst als Berater bezeichnen, vor allem aber für ihre Kunden lösungsorientierte Konzepte entwickeln und umsetzen. Wenn PR-Agenturen allgemein PR-Dienstleistungen in den Bereichen Analyse, Strategie sowie taktische Maßnahmen-, Zeit- und Kostenplanung, Umsetzung und Evaluation erbringen, mit denen PR-Probleme der Auftraggeber gelöst werden sollen (nach Fuhrberg 2020), dann wird deutlich, dass eine Beratung im engeren Sinne eher die Ausnahme in Agenturen ist. Im Folgenden wird daher zunächst der Beratungsbegriff erläutert, bevor die Vor- und Nachteile von interner und externer Beratung herausgearbeitet werden. Auf dieser Basis können abschließend die Risiken für die Beratung aufgezeigt werden. PR-Beratung wird dabei als Sonderfall der Kommunikationsberatung verstanden. Jegliche Kommunikationsberatung bezieht sich immer auf eine Entscheidung (ausführlich Hoffjann 2018). Die Einsicht in die Möglichkeit, etwas verändern zu können, konstituiert eine Entscheidungssituation. „Entscheidungshandeln ist ein Handeln, das sich seiner eigenen Kontingenz bewusst ist und sich als Selektion aus anderen Möglichkeiten des Handelns vollzieht.“ (Steiner 2009: 39) Dazu ein Beispiel: In einem Wahlkampf erkennt eine Partei bei der Planung der Mobilisierungskampagne die alternativen Möglichkeiten einer Print-Kampagne und einer Online-Kampagne. Die Alternativen zwingen zur Auswahl und führen damit direkt zur Wahrnehmung von Unsicherheit und einer Risikosituation. Wenn die Entscheider den Eindruck haben, dass sie zu wenig wissen und dass ihnen hierbei ein Außenstehender weiterhelfen könnte, können sie sich für eine Kommunikationsberatung entscheiden. So unterschiedlich der konkrete Auftrag an einen Kommunikationsberater lauten mag, so sehr eint Kommunikationsberater in dem hier vorgestellten Verständnis, dass sie zweierlei leisten. Im ersten Schritt öffnen Berater für ihre Klienten den Blick und erweitern damit deutlich das Feld der bekannten Möglichkeiten. Als Außenstehende sehen Berater mehr: andere mögliche Ursachen ebenso wie andere Lösungsoptionen. Damit tragen sie zum Öffnen der Kontingenz, also zur Erweiterung des Möglichkeitsspielraumes bei. Nach dieser „Phase der Kontingenzaufblendung muss Beratung [.] wieder eine Kontingenzabdunklung vornehmen, gewissermaßen an einer Simplifikation <?page no="251"?> 252 5 Funktionskontext arbeiten, welche Optionalitäten wieder eng führt und damit entscheidungsfähig macht“ (Zech 2013: 96). In diesem zweiten Schritt tragen Berater zur Schließung der Kontingenz bei, indem sie die vielen Möglichkeiten bewerten und eine Alternative empfehlen, die sie aber nicht überhöhen oder gar als ‚alternativlos‘ verklären. Ein Berater, der seinem Klienten empfiehlt „Tue dies! Alles andere kann nicht erfolgreich sein! “ verkommt zum Quasi-Entscheider. Im Beratungsprozess wird Kontingenz auf zwei Ebenen geöffnet und geschlossen. Erstens entspricht der Beratungsprozess selbst mit seiner Orientierungs-, Analyse- und Lösungsphase dem Entscheidungshandeln, in dem durch die Analyse und das Benennen von Handlungsoptionen der Handlungsspielraum zunächst geöffnet wird, bevor durch die Diskussion der Alternativen und dem Entscheiden ür eine Alternative Kontingenz wieder geschlossen wird. Zweitens öffnet ein Berater in jeder Phase zunächst Kontingenz, die er zum Ende einer Phase wieder schließt, um mit der Zwischenentscheidung des Klienten die nächste Phase beginnen zu können. Daraus folgt die Funktion der Kommunikationsberatung : Kommunikationsberatung öffnet zunächst die entscheidungsbezogene Kontingenz und bringt damit zusätzliche Optionen zum Management der kommunikativen Beziehungen zu internen und externen Bezugsgruppen hervor, bevor sie beim Schließen entscheidungsbezogener Kontingenz hilft (erweitert nach Steiner 2009: 69; Röttger/ Zielmann 2012: 47). Abb. 5.24: Die öffnende und schließende Dimension der Kommunikationsberatung (Hoffjann 2018: 15) <?page no="252"?> 5.8 Ausdifferenzierung externer PR-Beratung 253 Das Verhältnis von Beratern und Klienten prägen höchst widersprüchliche Erwartungen: Einerseits sollen Berater Querdenker sein, andererseits sollen sie ihre Kunden gut verstehen. Während die einen die Distanz herausstellen, betonen andere die Nähe: Zu viel Fremdheit führt zu Abstoßungseffekten, zu viel Nähe zur Eingemeindung (Zech 2013: 108). Die Paradoxie von Nähe und Distanz prägt die Berater-Klienten-Beziehung und damit Beratung ganz entscheidend und lässt sich wie folgt konkretisieren: Dauer der Zusammenarbeit: Den fremden Blick, den ein externer Berater auf die Organisation hat, verliert er mit zunehmender Dauer der Zusammenarbeit, während das Wissen zur Organisation und das Verständnis füreinander zunehmen. Irgendwann agiert ein externer Berater damit nahezu wie ein ‚Interner‘. Einschlägige Expertise: Eine weitere Ausprägung ist die Frage der einschlägigen Expertise, die bei der Auswahl von Beratern ein wichtiges Auswahlkriterium ist. So wählen Autohersteller häufig eine Agentur aus, die in der Vergangenheit bereits für Wettbewerber gearbeitet hat. Diese Expertise von Beratern ist ambivalent zu bewerten: Denn Beratung hat zwar den Branchenbzw. gesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen, muss sich zugleich aber davon distanzieren. Für den Autohersteller heißt das konkret: Berater mit einer langjährigen Branchenexpertise laufen Gefahr, die Distanz zu verlieren und das Problem nicht mehr aus alternativen Perspektiven beobachten zu können. Sie neigen ähnlich wie Klienten zu bekannten und bewährten Lösungen. Bedeutung des Widerspruchs: Unbequeme Berater hinterfragen die Aussagen ihrer Klienten nicht nur, sondern widersprechen ihnen auch und geben bei einer Entgegnung nicht unmittelbar nach. Dies kann gerade dann sinnvoll sein, wenn Klienten bewährte, naheliegende oder preiswerte Lösungen präferieren, um Unbekanntes oder Teures zu meiden. Andererseits sind Berater keine Besserwisser, weil auch sie nicht den Ausgang der von ihnen empfohlenen Optionen kennen. Auch wenn in der Regel Beratung als externe Beratung z. B. durch Agenturen verstanden wird, so ist Beratung auch innerhalb von Organisationen täglich zu beobachten. Im Rahmen der Beobachtungs- und Beratungsleistung (Kap. 5.1.2) berät PR die Organisationsleitung zu möglichen Legitimationsrisiken, wenn sie z. B. auf bislang übersehene Bezugsgruppeninteressen hinweist und damit zur Reflexivitätssteigerung beiträgt. Ob diesen Interessen z. B. durch eine kostspielige Änderung der Unternehmenspolitik Rechnung getragen wird, entscheidet letztlich - als Klient - die Organisationsleitung. Eine solche organisationsinterne Beobachtung bzw. Beratung weist Nachteile auf, die zu den Vorteilen externer Berater führen. Denn während <?page no="253"?> 254 5 Funktionskontext interne Berater eine Beobachtung aus externer Perspektive nur simulieren können (Abb. 5.25), können externe PR-Berater (a) eine Organisation tatsächlich aus der Umweltperspektive beobachten. Dieser ‚externe Blick‘ vermag es damit, die Betriebsblindheit jeglicher interner Beobachtungen zu überwinden. Zudem können externe PR-Berater (d) interne PR oder (c) andere Teile einer Organisation beobachten, wie sie die Umwelt betrachten. Und schließlich können sie (b) die Differenz zwischen dem Selbstbild und dem Fremdbild der Organisation untersuchen (Röttger 2006: 75-77). Abb. 5.25: Interne versus externe PR-Beobachtungen (erweitert nach Röttger 2006: 76) Externe PR-Beratung unterliegt verschiedenen Einschränkungen. Wenn bereits interne PR mitunter vor dem Problem steht, nicht über alle internen PR-relevanten Ereignisse informiert zu sein, wird dieses Informationsdefizit für externe Berater wegen ihrer Distanz zur Organisation zunehmen. Damit wird deutlich: Der strukturelle Vorteil externer PR-Berater einer tatsächlichen externen Beobachtung wird mit dem strukturellen Nachteil eines sich vergrößernden internen Informationsdefizits bezahlt. An diesem grundsätzlichen Problem ändert auch eine längere Zusammenarbeit zwischen externen Beratern und unternehmerischer PR nichts, indem der Berater das Unternehmen zunehmend besser kennenlernt. Denn in dem Maße, wie der Berater das Unternehmen besser kennenlernt, verliert er wiederum seinen externen Blick. <?page no="254"?> 5.8 Ausdifferenzierung externer PR-Beratung 255 interner Berater externer Berater Know-how • organisationsspezifische Erfahrungen und Fachwissen • Know-how bleibt in Organisation • Beratungsfachwissen • überbetriebliche (Spezial-) Erfahrungen Abhängigkeit Berater - Kunde • Arbeitnehmerabhängigkeit • durch Risiko-/ Konfrontationsvermeidung weniger innovativ • sorgfältige Ergebnisprüfung, da Verbleib in Organisation • möglicher Machtposition steht Hilfe zur Selbsthilfe entgegen • relative Unabhängigkeit bei mehreren Mandaten • Bemühung um Folgeaufträge Akzeptanz • Kenntnis formaler/ informaler Strukturen kann Akzeptanz fördern • Gefahr interner Machtkämpfe • Gefahr, als Kontrollinstanz zu gelten • Akzeptanz muss erarbeitet werden • Prestige des Beratungsunternehmens als Türöffner • Expertenimage fördert Akzeptanz • Neutralität sichert Gesprächsbereitschaft • Konkurrenz zu internen Leistungen Informations zugang • höherer Informationsstand und erleichterter Informationszugang beschleunigen Prozesse • erschwerter Informationszugang zu externen Quellen • begrenzter Informationszugang kostet Zeit • oftmals besserer Zugang zu externen Quellen Problemdistanz • Betriebsblindheit • realistischere Einschätzung der Machbarkeit von Lösungsoptionen • Unvoreingenommenheit und relative Objektivität der Aussagen • mit zunehmender Beratungsdauer schwindende Problemdistanz Kosten • hohe Aufbau- und Anlaufkosten • günstigere laufende Kosten bei ausreichender Auslastung • günstiger bei langfristigen Projekten • hohe variable Kosten • leistungsbezogene Kosten Effizienz • ggf. bessere Problemlösung durch geringeren Zeitdruck • ggf. dadurch Verzögerung der Problemlösung • Präsenz sichert Kontinuität der Problemlösung • größere Sicherheit bei der Problemanalyse • neue Impulse, innovative Lösungen • Kostendruck beschleunigt Problemlösung • Innovationsdruck führt ggf. zu unrealistischen Lösungen Management Development • interne Ausbildung für den Führungsnachwuchs • stetiger Wissenstransfer zwischen Kunden und Beratern • zur Managementausbildung geeignet, jedoch kostenintensiv • zur Aus- und Weiterbildung interner Berater geeignet Abb. 5.26: Vergleich zwischen interner und externer Beratung (Fuhrberg 2010: 73) <?page no="255"?> 256 5 Funktionskontext Zum Weiterlesen Beiträge zu unterschiedlichen Theorien und Forschungsfeldern der PR-Beratung: • Röttger, Ulrike / Zielmann, Sarah (Hrsg.) (2009): PR-Beratung: Theoretische Konzepte und empirische Befunde. Wiesbaden. Ein theoretisch fundierter Ansatz zur Kommunikationsberatung, der auch Empfehlungen für die Beratungspraxis beinhaltet: • Hoffjann, Olaf (2018): Kommunikationsberatung. Wiesbaden. <?page no="256"?> 6 Rollenkontext Inhalt 6.1 Berufsfeld PR 6.2 Qualifikationen der PR 6.3 Professionalisierung und Professionalität der PR Lernziele Sie können im Kontext des Berufsfeldes der PR die Verbreitung und relevante Tätigkeitsfelder der PR skizzieren. Sie sind in der Lage, die Kompetenzen darzustellen, die für PR- Praktiker als relevant genannt werden. Sie können den Professionalisierungsprozess der PR auf Basis verschiedener Ansätze beschreiben. <?page no="257"?> 258 6 Rollenkontext PR-Akteure sind einerseits in den bisherigen Schichten ‚eingeschlossen‘, die ihr Handeln bis zu einem gewissen Grade prägen. PR-Handeln spielt sich unter den Bedingungen moderner Gesellschaften in einem festen Rahmen ab, der auf historisch gewachsenen Bedingungen beruht (Weischenberg 1992: 69), von den organisationalen Rahmenbedingungen abhängt und von den spezifischen Funktionen und Arbeitsroutinen der PR geprägt ist. Die bisherigen Kontexte sind in ihrer Summe, aber auch in ihrer Widersprüchlichkeit damit die Verhaltenserwartungen an die PR-Akteure, die im Mittelpunkt dieses letzten Kapitels stehen. Trotz all dieser Erwartungen und strukturellen Zwänge verbleibt PR-Akteuren ein autonomer Spielraum, wonach ihre persönlichen Einstellungen, ihr Rollenselbstverständnis und ihre Ausbildung in die Arbeit einfließen (Meier 2018: 68). Wie sehr diese Merkmale der Akteure schließlich Handlungen beeinflussen oder gar determinieren, hängt zwar in hohem Maße von der jeweiligen theoretischen Perspektive ab. Aber selbst in der Systemtheorie, in deren sozialen Systemen Menschen mit ihrem psychischen System zur Umwelt zählen und der daher mitunter eine gewisse ‚Entmenschlichung‘ vorgeworfen wird, kann der Akteur mit seinen Merkmalen berücksichtigt werden (z. B. Scholl/ Weischenberg 1998). Diese Fragen sollen im Rollenkontext erläutert werden. Dazu werden zentrale Aspekte des PR-Berufsfeldes in Deutschland vorgestellt, bevor Merkmale und Einstellungen von PR-Akteuren skizziert werden (Kap. 6.1). Abschließend wird vor dem Hintergrund der Qualifikation der PR-Akteure erläutert (Kap. 6.2), ob der PR-Beruf auf dem Weg zu einer ‚klassischen‘ Profession ist (Kap. 6.3). 6.1 Berufsfeld PR Wenn das Berufsfeld PR untersucht wird, stellen sich Fragen nach der Verbreitung von PR in unterschiedlichen Organisationen, den konkreten PR- Tätigkeiten und Maßnahmen sowie den Akteuren mit ihren Einstellungen: Wo wird PR mit welchen Tätigkeiten von wem mit welchen Einstellungen betrieben? Die Erforschung des PR-Berufsfeldes und seiner Akteure ist bis heute aus mehreren Gründen schwierig und defizitär. Dies beginnt mit der unscharfen Verwendung des PR-Begriffs, die in der Praxis noch diffuser ist als in der Wissenschaft. „Dort, wo PR-Arbeit faktisch stattfindet, muss diese nicht zwingend auch als solche bezeichnet und zugeordnet werden. Und dort, wo sie aber ausdrücklich als solche bezeichnet wird, findet in der Praxis nicht immer das Gleiche, sondern bisweilen auch etwas völlig Anderes statt.“ <?page no="258"?> 6.1 Berufsfeld PR 259 (Szyszka et al. 2009: 25) Dieser „Etikettierungsproblematik“ (ebd.: 25) wird momentan mit zwei Strategien begegnet. Originäre Berufsfeldstudien zur PR reagieren auf die Unschärfen des PR-Begriffs in der Regel damit, dass sie ein sehr weites PR-Verständnis verwenden und mitunter auch nach Aspekten wie Investor Relations, Verkaufsförderung oder Mitarbeiterzeitungen fragen. Diese Studien sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie ‚mehr‘ als PR untersuchen. Dem stehen Studien gegenüber, die den Anspruch erheben, die gesamte strategische Organisationskommunikation zu untersuchen. Es zeigt sich jedoch, dass in diesen Studien entweder ein Schwerpunkt auf dem Marketingbereich (z. B. Bruhn 2006) oder auf Bereichen der PR bzw. Investor Relations liegt (z. B. Zerfaß et al. 2016) und entsprechend andere Bereiche aus dem Blick geraten. Diese Studien sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie ‚weniger‘ als die strategische Organisationskommunikation untersuchen. Neben der unscharfen Verwendung von Begriffen strategischer Kommunikation führen auch die enormen Unterschiede bei der Verankerung von Kommunikationsdisziplinen z. B. in Unternehmen dazu, dass quantitative Forschung hier auch künftig vor großen Problemen steht. Die Vermessung des Berufsfeldes der PR beginnt bei der Frage nach der Verbreitung der PR bzw. nach dem Anteil PR-treibender Organisationen an allen Organisationen. Der empirische Zugang gestaltet sich hier jenseits der bereits genannten Probleme schwierig, da gerade in kleineren Organisationen auch Mitarbeiter als PR-Beauftragte ‚nebenbei‘ klassische Aufgaben der PR erfüllen können - mitunter ohne dass ihnen das selbst bewusst ist. Die Frage nach der Verbreitung von PR kann für Deutschland noch am ehesten mit der Studie von Röttger beantwortet werden, die in Hamburg u. a. alle Industrieunternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern erfasst hat. Demnach wird PR hier in zwei von drei Unternehmen betrieben, bei Behörden und Non-Profit-Organisationen ist der Anteil höher (Röttger 2000: 192, 205). Besser kann die Frage beantwortet werden, in welchen Organisationstypen die PR-Akteure tätig sind: In einer Befragung von Kommunikatoren (ohne Agenturvertreter) war etwa jede zweite Befragte in einem Unternehmen, knapp 30 % in öffentlichen bzw. staatlichen Institutionen und knapp 20 % waren in Vereinen und Verbänden beschäftigt (Bentele et al. 2018: 13). Zur Zahl der in der PR insgesamt Beschäftigten liegen nur Schätzungen vor. Szyszka et al. (2009: 23) sprechen in ihrer schon etwas älteren Studie von 20.000 bis 50.000 hauptberuflichen Personen, die in Kommunikationsabteilungen und Agenturen beschäftigt sind. Dem stehen rund 40.000 hauptberufliche Journalisten gegenüber, die Steindl et al. (2019: 39) im Jahr 2019 ermittelten. Angesichts dieser vagen Angaben kann nur vermutet werden, dass es heute in Deutschland weniger Journalisten als PR-Beschäftigte gibt. Für die USA geht man bereits seit den 80er Jahren davon aus, dass Journalisten in der Minderheit sind (Cutlip 1989). <?page no="259"?> 260 6 Rollenkontext Mit welchen Tätigkeiten sind PR-Akteure konkret beschäftigt? Die Studie von Szyszka et al. (2009: 123; Abb. 6.1) zeigt, dass zum Zeitpunkt ihrer Erhebung 2003 mit der Presse- und Medienarbeit, Journalisten-Gesprächen und dem Pressespiegel drei der vier wichtigsten Tätigkeiten immer noch auf die Zwischenzielgruppe der Journalisten gerichtet sind. Abb. 6.1: PR-Aktivitäten in Unternehmen (sehr häufig/ eher häufig; in %; Szyszka et al. 2009: 123) Wie lässt sich der durchschnittliche Pressesprecher charakterisieren? 2012 war die durchschnittliche Pressesprecherin in Deutschland 42 Jahre alt, hatte ein Jahreseinkommen von 64.214 EUR, arbeitete seit knapp elf Jahren in ihrem bzw. seinen Job, davon sechs Jahre auf der aktuellen Arbeitsstelle - und war weiblich (Bentele et al. 2012: 229). Dass die Mehrheit der PR- Akteure heute weiblich ist, ist Ergebnis der Feminisierung der PR, die seit vielen Jahren beobachtet und untersucht wird. Für Aus- und Weiterbildungseinrichtungen spricht Fröhlich (2015b: 676) von einem Frauenanteil <?page no="260"?> 6.1 Berufsfeld PR 261 zwischen 70 und 80%. In der Studie von Bentele et al. (2018: 16) waren fünf von sechs der unter 30-Jährigen und drei von vier der unter 40-Jährigen weiblich. Auch wenn Frauen häufiger Führungspositionen übernehmen, sind sie auf der Ebene der Gesamtleitung der PR bzw. Unternehmenskommunikation noch unterrepräsentiert. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und in kleineren Organisationen. Selbst bei Berücksichtigung dieser und weiterer Unterschiede verbleibt ein Gehaltsunterschied von mehr als 8.000 EUR (Bentele et al. 2018: 128). Was sind die Gründe für die Feminisierung einerseits und die Diskriminierung andererseits? Der verstärkte Zugang von Frauen zur PR wird in der Literatur (Fröhlich et al. 2005: 140ff) häufig damit begründet, dass ‚Kommunikation‘ eine spezifische, sozialisationsund/ oder biologisch bedingte Stärke von Frauen sei, die in der PR besonders wichtig sei. Dieses kooperative Verhalten könne aber zugleich als ‚Karrierekiller‘ wirken, wenn dieser Kommunikationsstil als mangelnde Durchsetzungs- und Konfliktfähigkeit und damit als fehlende Führungsqualität interpretiert wird. Fröhlich et al. (2005: 140) bezeichnen diesen Effekt als „Freundlichkeitsfalle“. Abb. 6.2: Rollenselbstverständnis von PR-Akteuren in deutschen Unternehmen (Mittelwerte, 0 = unwichtig, 4 = sehr wichtig; Hoffjann/ Hachmeister 2015) Abschließend soll das Rollenselbstverständnis von PR-Akteuren untersucht werden. Mit dem Rollenselbstverständnis wird untersucht, wie PR-Akteure ihre eigene Rolle interpretieren. Einerseits kann hier keine direkte Hand- <?page no="261"?> 262 6 Rollenkontext lungsrelevanz unterstellt werden (Scholl/ Weischenberg 1998: 157) - die einschränkenden Aspekte sind in den verschiedenen Kontexten ausührlich erläutert worden. Andererseits kann das Rollenselbstverständnis dennoch die Funktion eines kritischen Korrektivs in bestimmten Situationen übernehmen (ebd.: 162). Dieses Konzept aus der Journalistik hat Riefler (1988: 38) auf die PR übertragen und zwischen einer Auftraggeber- und Gesellschaftsorientierung unterschieden. In einer erweiterten Perspektive kann mit weiteren Items eine vermittelnde Perspektive ergänzt werden. Es zeigt sich, dass PR-Akteure in Unternehmen primär die Ziele ihres Unternehmens unterstützen und sekundär zwischen Organisation und ihren Bezugsgruppen vermitteln wollen (Hoffjann/ Hachmeister 2015; Abb. 6.2). Dies ist ein Hinweis daür, dass PR-Akteure tendenziell keinen Konflikt zu den organisationalen Erwartungen an ihre Rolle erkennen. Zum Weiterlesen Relevante Berufsfeldstudien zur PR in Deutschland: • Bentele, Günter / Seidenglanz, René / Fechner, Ronny (2018): Kommunikationsmanagement 2018. Vermessung eines Berufsstandes. Berlin. • Röttger, Ulrike (2000): Public Relations. Organisation und Profession. Öffentlichkeitsarbeit als Organisationsfunktion. Eine Berufsfeldstudie. Wiesbaden. • Szyszka, Peter / Schütte, Dagmar / Urbahn, Katharina (2009): Public Relations in Deutschland. Eine empirische Studie zum Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit. Konstanz. 6.2 Qualifikationen der PR Um die Erwartungen an die PR erfüllen zu können, benötigen PR-Akteure spezifische Kompetenzen. Noch vor gut 30 Jahren waren Teile der Berufspraxis offenbar der Ansicht, dass die wichtigste Qualifikation eine journalistische Vergangenheit sei: Anfang der 90er Jahren waren vier von zehn Pressestellen-Leiter ehemalige Journalisten (Böckelmann 1991: 71). Auch wenn der Anteil journalistischer Seiteneinsteiger seither rückläufig ist (Bentele et al. 2018: 67), so folgt daraus doch die Frage, welche spezifischen Kompetenzen in der PR erwartet werden - und inwieweit sie sich von journalistischen Kompetenzen unterscheiden. Dabei ist auch zu fragen, wie das oft eingeforderte wissenschaftliche Wissen in der Praxis angewandt werden kann. Szyszka (1995, 1998) hat in Anlehnung an Weischenberg (1990) ein Kompetenzraster PR/ Öffentlichkeitarbeit (Abb. 6.3) entwickelt. In seinem normativen Zugang definiert er die seiner Meinung nach notwendigen PR-Kompetenzen. Dabei unterscheidet er zwischen drei Kompetenzbereichen sowie der sozialen Orientierung. <?page no="262"?> 6.2 Qualifikationen der PR 263 Zur (a) Fachkompetenz zählt er PR-Fachwissen wie z. B. Wissen zur Wirkungsforschung oder zum Problem der strategischen Operationalisierung von Kommunikation als Teil der Organisationspolitik. Dies ist die originäre Kompetenz-Dimension, die PR-Praktiker prinzipiell befähigt, in einem beliebigen Gesellschaftsbereich eine PR-Tätigkeit zu übernehmen. Die (b) Sachkompetenz umfasst das Sachwissen zum jeweiligen Gegenstandsbereich - im Falle eines Pharma-Unternehmens z. B. Wissen zur Unternehmensgeschichte, zur Besonderheit der Produkte oder zu den rechtlichen Restriktionen. In der (c) Realisationskompetenz fließen die beiden anderen Kompetenzbereiche zusammen. Um Wissensbestände aus Fachkompetenz und Sachkompetenz einsetzen zu können, sind Fähigkeiten als situationsadäquates Handeln und Fertigkeiten als normgerechte Anwendung von Arbeitstechniken notwendig. Hierzu zählen neben der sozialen Kompetenz Fertigkeiten wie die Informationserhebung, Analyse, Bewertung, Aufbereitung und Vermittlung ebenso wie Persönlichkeitsmerkmale wie z. B. Kreativität und Berufserfahrung. Die Realisierung wird schließlich beeinflusst von der (d) sozialen Orientierung als Auseinandersetzung mit der konkreten Berufsrolle. So beinhaltet das Autonomiebewusstsein die Frage, ob eine PR-Akteurin Anweisungen der Organisationsleitung kritiklos umsetzt oder hinterfragt und ggf. auch zu ändern versucht. Abb. 6.3: Kompetenzraster PR/ Öffentlichkeitsarbeit von Szyszka (nach 1995: 335; 1998: 18) <?page no="263"?> 264 6 Rollenkontext Das Kompetenzraster ist von der Berufspraxis aufgegriffen und intensiv rezipiert worden, weil es zumindest Anhaltspunkte für das notwendige Qualifikations- und Kompetenzprofil anbietet (Fröhlich 2013: 143f). Das Problem dieser normativ formulierten Modelle ist hingegen, dass die tatsächlich existierenden Qualifikationsprofile nur begrenzt abgebildet werden (Röttger 2000: 104). Ein nicht zu lösendes Problem stellt dabei auch der Abstraktionsgrad dar: Einerseits sind einige Kompetenzbereiche so allgemein gehalten, dass sie eher als ‚Platzhalter‘ zu verstehen sind. Andererseits würde jede Konkretisierung dazu führen, dass dann kaum spezialisierte PR-Rollen abgebildet würden und das Raster angesichts von Veränderungen im Berufsfeld regelmäßig überarbeitet werden müsste. Im Kompetenzraster von Szyszka ist wissenschaftliches Wissen nur eine von mehreren Quellen, die bei der Realisierung zusammenfließen. In der Praxis herrscht vielfach noch die Vorstellung, dass wissenschaftliches Wissen direkt in Alltagswissen transferiert werden könne (Röttger 2000: 104). In einem solchen instrumentellen Verständnis könne wissenschaftliches Wissen direkt in praktische Entscheidungen und Überlegungen implementiert werden. Von diesem „instrumental model“ unterscheidet Cornelissen (2000: 322) das „translation model“, demzufolge wissenschaftliches Wissen in der Praxis übersetzt und interpretiert werden müsse (dazu Wehmeier/ Nothhaft 2013: 115f). Eine solche konstruktivistisch basierte Perspektive nimmt auch Röttger (2000: 105f) in Anlehnung an Dewe et al. (1992: 81f; Abb. 6.4) ein. Zwischen dem praktischen Handlungswissen mit seinem permanenten Entscheidungsdruck und dem systematischen Wissenschaftswissen mit seinem gesteigerten Begründungszwang verorten sie das Professionswissen als eigenständigen Typus. Im professionellen Handeln begegnen sich wissenschaftliches und praktisches Handlungswissen, wenn auftretende Handlungsprobleme aus der Distanz ‚stellvertretend‘ für den alltagspraktisch Handelnden wissenschaftlich reflektiert gedeutet und bearbeitet werden. Wissenschaft Profession Praxis Wissen Können Wahrheit Wahrheit und Angemessenheit Angemessenheit Begründung Entscheidung Abb. 6.4: Professionswissen (Dewe et al. 1992: 82) Die Verbreitung von Kompetenzen wie die des Kompetenzrasters PR von Szyszka ist empirisch kaum zu untersuchen. Wienand (2003: 245) hat in ihrer Studie untersucht, wie Praktiker die Relevanz verschiedener Wissens- <?page no="264"?> 6.3 Professionalisierung und Professionalität der PR 265 gebiete, Fertigkeiten, Fähigkeiten und persönlicher Eigenschaften bewerten. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass kommunikationswissenschaftliche Grundlagen als unwichtiger als z. B. Grundlagen der Journalistik und des Marketings bewertet wurden. In einer Delphi-Studie hat Wehmeier (2012: 168) untersucht, wie Praktiker und Wissenschaftler die instrumentelle und konstruktivistische Perspektive bewerten. Danach war die Mehrheit überzeugt, dass das ‚translation model‘ die Beziehung zwischen wissenschaftlichem und berufspraktischem Wissen angemessen beschreibt. Darüber hinaus werden in den verschiedenen Berufsfeldstudien insbesondere formale Qualifikationsmerkmale erforscht. Der Anteil der Akademiker in Agenturen bzw. Unternehmen schwankt je nach Branche und Erhebungsjahr in den jüngeren Studien zwischen knapp 70 % (Szyszka et al. 2009: 257) und mehr als 90 % (Bentele et al. 2018: 64). Grundsätzlich ist damit ein Trend zur Akademisierung des Berufsfeldes zu beobachten (z. B. Böckelmann 1991: 134). Medienstudiengänge spielen hierbei immer noch eine untergeordnete Rolle: Rund jeder Vierte hat einen Medienstudiengang abgeschlossen (Bentele et al. 2018: 63). Auch wenn dieser Anteil seit einigen Jahren wegen der zunehmenden Zahl akademischer Medienstudiengänge größer wird, so sind nicht-akademische Weiterbildungen immer noch weiter verbreitet: Jeder zweite PR-Akteur hat eine PR-Zusatzausbildung absolviert (Bentele et al. 2018: 65). Zum Weiterlesen Ausführliche Darstellung des Kompetenzrasters zur PR: • Szyszka, Peter (1998): Öffentlichkeitsarbeit. Profil und Merkmale beruflicher Basisqualifikation. In: Medien Journal, 3: 16-24. Forschungsstand und Studie zum Verhältnis von PR-Forschung und PR-Praxis: • Wehmeier, Stefan (2012): Public Relations. Status und Zukunft eines Forschungsfeldes. Wien. 6.3 Professionalisierung und Professionalität der PR Die Professionalisierungsdiskussion zur PR wird in großen Teilen der Wissenschaft und PR-Praxis seit vielen Jahren vorangetrieben. Dahinter steht der Wunsch nach einer Aufwertung der PR, von dem sich beide Seiten gleichermaßen Vorteile versprechen. Denn: „Ohne institutionalisierte öffentliche Anerkennung der Expertenschaft bleiben die typischerweise für Professionen geltenden Statusmerkmale verwehrt.“ (Röttger 2000: 63) Als Profession können in einer ersten Annäherung dienstleistende Expertenberufe verstanden werden, die wissenschaftlich begründet sind und auf wis- <?page no="265"?> 266 6 Rollenkontext senschaftlich fundiertes Wissen zurückgreifen (ebd.: 64). Typische Beispiele hierfür sind Ärzte und Rechtsanwälte. Von dieser Professionalisierung ist Professionalität zu unterscheiden: Während die Professionalisierung die Entwicklung einer Berufsgruppe in Richtung einer Profession bezeichnet, wird Professionalität als Merkmal beruflichen Handelns verstanden, das sich z. B. auf die Qualität der PR bezieht (Raupp 2009b: 180). Meso-Perspektive: Professionalisierung des Berufsstandes Mikro-Perspektive: Professionalität des PR- Handelns zeitliche Ebene Entwicklung auf der Ebene der Kommunikationsbranche z. B. Gründung von Berufsverbänden, Einrichtung von akademischen Studiengängen, Verabschiedung von Kodizes individuelle Entwicklung der Berufsausübenden z. B. Querversus Direkteinsteiger sachliche Ebene formale, kanonisierte Wissensbestände, Inhalte von Standards und Richtlinien z. B. Inhalte von PR-Lehrangeboten, Lehrbüchern, Fachzeitschriften; Standardisierung von Abschlüssen Aktualisieren von Wissensbeständen, Anwendung von Methoden und Verfahren z. B. Verbreitung akademischer Abschlüsse soziale Ebene Berufsverbände: Umsetzung der Selbstkontrolle, Vertretung nach außen z. B. Veranstaltungen von Berufsverbänden, Regeln zur Sicherung der beruflichen Ethik Ausgestaltung der Berufsrolle, Einsatz von Kompetenzen, Vernetzung z. B. Grad und Art beruflicher Vernetzung Abb. 6.5: Ordnungsschema für die PR-Professionalisierungsforschung (in Anlehnung an Raupp 2009b: 180f) Mit Fragen, ob ein bestimmtes Berufsfeld wie die PR eine Profession ist bzw. wie sie eine Profession zu werden versucht, beschäftigt sich die Professionssoziologie. Dabei können verschiedene Ansätze unterschieden werden (Schmeiser 2006), von denen nachfolgend mit dem Merkmalsansatz und dem Machtansatz die Perspektiven skizziert werden, die in der PR-Forschung seit vielen Jahren intensiv diskutiert werden (z. B. Signitzer 1994). Der (a) Merkmalsansatz widmet sich insbesondere der Frage, ob eine Berufsgruppe eine Profession ist (Signitzer 1994: 267). Zur Beantwortung dieser Frage werden die folgenden Merkmale definiert, die eine Berufsgruppe zu einer Profession werden lassen. Dies beginnt bei (1) einer spezialisierten, <?page no="266"?> 6.3 Professionalisierung und Professionalität der PR 267 wissenschaftlich fundierten Ausbildung, setzt sich fort in der (2) Selbstkontrolle, die sowohl den (3) Zugang zur Berufsausübung als auch die Einhaltung der (4) Berufsethik regelt, und mündet schließlich in dem (5) Anspruch einer besonderen wirtschaftlichen Entlohnung und eines hohen sozialen Prestiges (Schmeiser 2006: 301). Während diese Kriterien klassische Professionen erfüllen, ist offenkundig, dass PR diese Bedingungen alleine wegen des freien Berufszuganges nie erfüllen und damit aus der Perspektive des Merkmalsansatzes keine Profession werden kann. PR kann damit allenfalls den Status einer Semi-Profession (Etzioni 1969) erreichen wie z. B. Lehrer oder Bibliothekare. Der Merkmalsansatz wird mittlerweile als weitgehend theorielose „Checklisten-Soziologie“ (Schmeiser 2006: 301) kritisiert, da er zu sehr dem Bild klassischer Professionen verpflichtet ist und neuere Expertenberufe, die vielfach organisationalen Zwängen unterworfen sind, nicht erklären kann. Mit dem (b) Machtansatz können Versuche von Berufsgruppen wie der PR untersucht werden, den Status einer Profession zu erlangen (Signitzer 1994: 267). Im Machtansatz sind Professionen solche Berufsgruppen, denen es mit verschiedenen Strategien gelungen ist, sich die Autonomie und ein Monopol auf bestimmte Dienstleistungen zu sichern (Schmeiser 2006: 306). Während (1) Unverzichtbarkeitsstrategien darauf zielen, dass die eigene Leistung z. B. durch spezielles Fachwissen nicht substituierbar und unverzichtbar ist, werden bei (2) Strategien zur Konkurrenzreduktion Zugangsbedingungen und Ausbildungsvoraussetzungen formuliert. (3) Strategien zur Ersetzung der Fremdkontrolle zielen auf die Etablierung einer Eigenkontrolle, während (4) Strategien zur Erweiterung der möglichen Einsatzfelder des Berufes z. B. durch ein relativ homogenes Berufsbild dazu führen sollen, dass Professionsmitglieder vielseitig einsetzbar sind (Beck et al. 1980: 81-90). Auch aus der Perspektive des Machtansatzes sind die Bemühungen der PR zu ihrer Professionalisierung aus vielen Gründen als wenig erfolgreich zu bewerten. Dies beginnt bereits damit, dass das Berufs- und Tätigkeitsfeld nicht eindeutig definiert ist. Zudem versuchen zwar Berufsverbände, Standards zu entwickeln, der geringe Organisationsgrad von PR-Praktikern führt jedoch dazu, dass nur eine geringe Kontrollgewalt besteht. Besonders ernüchtern müssen hier schließlich Befunde, dass PR-Funktionen vielfach von PR-Laien wahrgenommen werden (Röttger 2000: 351). Zum Weiterlesen Darstellung zu Ansätzen der PR-Professionalisierungsforschung: • Signitzer, Benno (1994): Professionalisierungstheoretische Ansätze und Public Relations: Überlegungen zur PR-Berufsfeldforschung. In: Armbrecht, Wolfgang / Zabel, Ulf (Hrsg.): Normative Aspekte der Public Relations. Opladen: 265-289. <?page no="268"?> Literatur Altmeppen, Klaus-Dieter (2006): Journalismus und Medien als Organisationen. Leistungen, Strukturen und Management. Wiesbaden. Altmeppen, Klaus-Dieter / Röttger, Ulrike / Bentele, Günter (2004a): Public Relations und Journalismus: Eine lang andauernde und interessante „Beziehungskiste“. In: Dies. (Hrsg.): Schwierige Verhältnisse. Interdependenzen zwischen Journalismus und PR. Wiesbaden: 7-15. Altmeppen, Klaus-Dieter / Röttger, Ulrike / Bentele, Günter (Hrsg.) (2004b): Schwierige Verhältnisse. Interdependenzen zwischen Journalismus und PR. Wiesbaden. Andres, Susanne (2004): Internationale Unternehmenskommunikation im Globalisierungsprozess. 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Erkenntnistheorie 155, 196 Ethik 11, 33, 62, 63, 64, 65, 71, 266 Evaluation 30, 113, 220, 221, 222, 225, 248, 250, 251 Event 228 F Feminisierung 260, 261 Fiktionalisierung 12, 34, 44, 197, 198, 200, 201, 205 Funktion 11, 17, 18, 19, 21, 26, 28, 29, 42, 49, 63, 82, 85, 93, 95, 117, 120, 122, 125, 126, 128, 129, 138, 150, 151, 154, 158, 161, 164, 165, 169, 172, 252, 262 <?page no="307"?> 308 Index G Geheimhaltung 172, 183, 184 Geheimnis 180, 183, 184 Glaubwürdigkeit 172, 176, 179, 197, 198, 237, 240 Globalisierung 10, 34, 36, 45, 54, 181, 215, 216, 241, 243 Grassroot Lobbying 210, 213, 214 H hierarchische Stellung der PR 107 I Image 28, 128, 135, 138, 152, 172, 174, 192, 193, 194 Individualethik 64 Individualisierung 34, 35, 45, 46, 139, 215, 241, 243 Influencer Marketing 62, 236, 237, 238, 239 Influencer Relations 62, 229, 231, 236, 237, 238, 239, 241 Inszenierung 15, 41, 94, 168, 171, 182, 183, 184, 185, 206, 233 Integrated Marketing Communications 144 integrierte Kommunikation 134, 141, 143 Intereffikationsmodell 87, 89, 90, 91, 94 Internationalisierung 36, 38, 215 interne Unternehmenskommunikation 128, 129, 130 Internet 41, 42, 43, 84, 122 Interpenetration 87, 90, 159 Investor Relations 44, 96, 98, 118, 120, 124, 125, 126, 127, 132, 140, 144, 151, 192, 227, 236, 259 Involvement 79 Issues Management 27, 76, 105, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 248 J Journalismus 10, 15, 19, 22, 24, 26, 27, 28, 29, 36, 43, 45, 53, 56, 58, 61, 64, 70, 73, 74, 75, 78, 80, 82, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 112, 130, 155, 159, 168, 169, 174, 175, 176, 177, 178, 181, 182, 197, 200, 204, 206, 230, 231, 232, 233, 234, 236, 238, 246, 250 K Kampagne 221, 251 Kommunikationsinstrument 22, 31, 122, 123, 227, 228, 230 Kommunikationsmanagement 16, 18, 21, 37, 48, 54, 56, 58, 60, 61, 74, 109, 113, 152, 247 Konstruktivismus 198, 200, 201, 205, 207 Kontingenztheorie 111 Krisenkommunikation 150, 241, 242, 247, 248, 249 Krisen-PR 241, 246, 247, 249 Kybernetik 152, 154 L Legitimation 16, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 35, 36, 43, 58, 59, 60, 61, 65, 77, 79, 92, 94, 98, 104, 105, 106, 110, 112, 117, <?page no="308"?> Index 309 118, 119, 123, 127, 131, 150, 151, 155, 158, 159, 161, 162, 164, 165, 166, 168, 169, 171, 172, 173, 174, 176, 177, 180, 188, 192, 195, 204, 208, 215, 216, 218, 248, 249 Litigation-PR 208, 215, 216 Lobbying 78, 160, 182, 210, 211, 212, 213, 214, 229 Lüge 15, 45, 62, 184 M Managementfunktion 9, 106, 129, 157, 224 Marke 99, 123, 128, 132, 133, 134, 136, 137, 138, 139, 140, 141 Marken-PR 122, 234 Marketing 62, 65, 104, 105, 107, 113, 114, 118, 120, 121, 133, 141, 144, 195, 218, 228, 236, 237, 238, 239, 241 Marktkommunikation 114, 118, 119, 120, 121, 159 Medialisierung 34, 40, 41, 89, 212, 215, 216 Mediawerbung 19, 21, 22, 38, 62, 86, 116, 117, 120, 121, 122, 124, 128, 227, 228, 230, 237, 238, 240 Medienöffentlichkeit 83, 84, 86, 95 Mitarbeiterinformation 128, 129, 130 Monitoring 246 Moral 63 N Nachhaltigkeit 208, 216, 218 Nachrichtenfaktoren 94, 174, 215, 231, 233, 247 Neo-Institutionalismus 160, 161 Netzwerkgesellschaft 84 Non-Dualismus 200, 201, 203, 205, 207 Normen 33, 34, 35, 36, 60, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 100, 159, 161, 189, 231 O Öffentlichkeit 9, 10, 13, 16, 19, 20, 22, 23, 42, 51, 56, 58, 60, 61, 62, 63, 70, 73, 74, 75, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 96, 110, 119, 120, 124, 126, 144, 158, 172, 173, 182, 183, 185, 192, 199, 213, 214, 215, 216, 223, 243, 244 Öffentlichkeitsarbeit 14, 18, 32, 48, 50, 52, 54, 80, 180, 186, 188, 189, 190, 191, 263 Öffentlichkeitsebenen 42, 83, 84, 86 Onlinekommunikation 42, 84, 188, 214 Online-PR 26, 28, 70 Organisationsethik 65, 216 Organisationsfunktion 9, 11, 20, 61, 151, 155, 158, 160, 165, 171 Organisationskommunikation 11, 15, 18, 21, 22, 23, 25, 28, 37, 49, 56, 57, 97, 112, 113, 115, 116, 117, 132, 144, 151, 152, 162, 165, 172, 179, 192, 194, 221, 227, 228, 231, 259 <?page no="309"?> 310 Index Organisationskultur 97, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106 P Partizipation 172, 186, 188 Personalmarketing 20, 21, 96, 98, 116, 118, 120, 127, 128, 132, 140, 144, 151 Persuasion 16, 19, 21, 22, 23, 60, 61 PR-Beratung 149, 150, 151, 155, 251, 254 PR-Definition 13, 14, 15, 16, 17, 18, 20, 22, 48, 59 Presse- und Medienarbeit 26, 31, 84, 229, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 241, 260 PR-Konzeption 76, 221, 222, 243, 244, 246 PR-Modelle 54, 57, 66, 111, 154, 187 Produkt-PR 19, 66, 122, 234 Profession 27, 69, 95, 258, 264, 265, 266, 267 Professionalisierung 49, 51, 54, 94, 168, 257, 265, 266, 267 Professionalität 67, 68, 257, 265, 266 Professionsethik 64, 66 Propaganda 15, 22, 23, 47, 52, 53, 55, 93 Public Affairs 11, 14, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 220, 229, 234 Public Campaigning 212, 213, 214 Publics 79 Pull-Kommunikation 122 Push-Kommunikation 122 R Realismus 197, 201, 207 Reputation 28, 37, 164, 172, 173, 174, 192, 194, 195, 215, 216, 247, 248, 249 Risiko 28, 35, 43, 77, 82, 128, 151, 159, 175, 178, 180, 181, 182, 210, 215, 223, 240, 246, 255 Rollenselbstverständnis 11, 258, 261 S Schichtenmodell 52, 55, 56, 57, 59, 60 Selektionskriterien 11, 28, 89, 93, 96, 149, 150, 167, 168, 172, 173, 174, 192, 228, 231, 232, 233, 238 Shareholder 78, 127 Situational Crisis Communication Theory (SCCT) 249 Skandal 62 Social-Media-Influencer 43, 231, 236, 237, 240, 241 Sponsoring 168, 220, 228, 230 Stakeholder 74, 77, 78, 79, 81, 104, 127, 132, 144, 145, 236, 243 Stakeholder Management 78, 79, 127, 132, 145 <?page no="310"?> Index 311 Standardisierungsstrategie 37, 39 Steuerung 31, 44, 144, 159 Strategie 38, 39, 118, 140, 142, 171, 184, 212, 218, 220, 222, 224, 225, 251 Strukturationstheorie 158, 159 Strukturelle Kopplung 92 SWOT-Analyse 223 Systemtheorie 111, 154, 155, 158, 258 T Taktik 222, 224, 225 Teilöffentlichkeiten 18, 29, 59, 78, 79, 80, 190, 191 Transparenz 67, 150, 157, 172, 173, 174, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 211 U Unternehmensidentität 134, 135, 193 Unternehmenskommunikation 14, 36, 37, 98, 112, 114, 115, 116, 117, 124, 126, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 139, 141, 144, 145, 146, 147, 151, 152, 159, 162, 225, 237, 238, 240, 261 Unternehmenskultur 10, 101, 102, 104, 105, 129, 130, 131, 218, 219 V Verantwortung 36, 45, 63, 64, 69, 96, 216, 217, 218, 219, 220, 249 Vertrauen 28, 43, 62, 68, 138, 150, 155, 157, 170, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 180, 181, 204 Vertrauenswürdigkeit 60, 62, 85, 86, 93, 132, 139, 172, 174, 175, 179, 190, 201, 203, 204, 207, 230, 231, 248 W Wahrhaftigkeit 45, 46, 67, 68, 189, 190, 191 Wahrheit 23, 45, 46, 55, 66, 102, 189, 191, 198, 202, 204, 207, 264 Werbung 15, 22, 23, 53, 56, 59, 60, 62, 71, 81, 122, 133, 176, 188, 192, 194, 213, 230, 237, 238, 240 Werte 35, 65, 100, 102, 105, 130, 140, 161, 168, 189, 212 Wirklichkeit 11, 57, 76, 91, 149, 150, 151, 192, 196, 197, 199, 200, 201, 205 Z Ziele 39, 49, 89, 97, 99, 101, 109, 113, 117, 120, 124, 125, 128, 131, 134, 142, 153, 156, 162, 164, 170, 186, 191, 215, 222, 224, 227, 248, 262 Zielgruppe 23, 77, 85, 86, 123, 136, 224 <?page no="311"?> ,! 7ID8C5-cffahh! ISBN 978-3-8252-5507-7 Dieses Lehrbuch führt aus kommunikationswissenschaftlicher und organisationssoziologischer Perspektive in die wichtigsten Themen, Theorien und Fragen der Public Relations ein. Als theoretischer Rahmen und als roter Faden dienen hierbei die Systemtheorie und das »Zwiebel«-Modell. Sie verdeutlichen die Zusammenhänge zwischen den Einzelthemen und ermöglichen den Blick für das »große Ganze«, das die Arbeit der PR-Akteure prägt. Damit bietet das Lehrbuch sowohl Studierenden als auch an Wissenschaft interessierten Praktikern einen Einstieg in die und eine Orientierung in der PR-Forschung. Didaktische Elemente wie Lernziele, Definitionen, Visualisierungen und Literaturempfehlungen fördern das Verständnis. Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften | Soziologie Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
