Verkehrswirtschaft
Eine Einführung mit Fallstudien
0111
2021
978-3-8385-5521-8
978-3-8252-5521-3
UTB
Monique Dorsch
Mit dem vorliegenden Buch wird eine kompakte Einführung in die vielfältigen Themenbereiche der Verkehrswirtschaft gegeben. Zahlreiche Fallstudien aus dem In- und Ausland stellen die Verknüpfung von Theorie und Praxis her und sollen zudem anregen, durch eigene Recherchen tiefer in die interessante Welt der Verkehrswirtschaft einzutauchen.
Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Notwendigkeit von Verkehr, stellt die Verkehrsträger und Verkehrsmittel vor und gibt einen Überblick über die Entwicklung des Verkehrsaufkommens.
Der zweite Teil widmet sich den Anbietern und Nachfragern von Verkehrsdienstleistungen. Im Mittelpunkt stehen dabei einerseits Aspekte des Managements, andererseits Bedürfnisse und daraus abgeleitete Angebote.
Der dritte Teil thematisiert den öffentlichen Personennahverkehr und stellt Gestaltungsmöglichkeiten, Probleme und diesbezügliche Herausforderungen dar.
Den Kern des vierten Teils bildet die Verkehrspolitik, auf die sowohl anhand einzelner Länder als auch aus gesamteuropäischer Sicht eingegangen wird. In einem weiteren Schritt werden vor dem Hintergrund der nachhaltigen Entwicklung Ansätze einer nachhaltig gestalteten Verkehrspolitik sowie bisherige Versäumnisse in diesem Bereich diskutiert.
<?page no="0"?> Monique Dorsch Verkehrswirtschaft Eine Einführung mit Fallstudien 3. Auflage <?page no="1"?> utb 5521 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Monique Dorsch lehrt Verkehrswirtschaft an der Westsächsischen Hochschule Zwickau <?page no="3"?> Monique Dorsch Verkehrswirtschaft Eine Einführung mit Fallstudien 3., überarbeitete Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagfoto: © Monique Dorsch / alle Fotos im Innenteil: © Monique Dorsch Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.dnb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag 2021 ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Cover-Illustration: © branchecarica - fotolia.com Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck UTB-Nr. 5521 ISBN 978-3-8252-5521-3 (Print) ISBN 978-3-8385-5521-8 (ePDF) <?page no="5"?> Vorwort Was wäre die moderne Gesellschaft ohne die Möglichkeit, Güter von A nach B zu befördern oder selbst von einem Ort zum anderen zu reisen? Wirtschaft in ihrer heutigen Form ist ohne Verkehrsmittel undenkbar, denn sie funktioniert nur mit einem leistungsfähigen Verkehrssystem. Genauso sind die Menschen bei der Gestaltung ihres Alltags, ob in Beruf oder Freizeit, auf Verkehrsmittel angewiesen. Die Verkehrswirtschaft nimmt in diesem Zusammenhang eine wichtige Position ein, denn sie stellt Angebote bereit, die zur Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen beitragen. Gleichzeitig wirken sich der Bau und Betrieb von Verkehrswegen und die Nutzung von Verkehrsmitteln stark auf unser Umfeld aus, sei es durch infrastrukturelle Maßnahmen, Emissionen oder Ressourcenverbräuche. Insgesamt handelt es sich bei der „Verkehrswirtschaft“ um ein sehr breit gefächertes, komplexes Themenfeld, welches starke Vernetzungen mit anderen Bereichen aufweist. Die Verkehrsthematik ist in all ihren Facetten hochspannend und steht niemals still; sie ist immer wieder Veränderungen und neuen Entwicklungen unterworfen. Aufgrund der zahlreichen involvierten Stakeholder mit all ihren unterschiedlichen Interessen werden diesbezügliche Themen immer wieder intensiv diskutiert, auch kontrovers. Angesichts der Vielfalt der Themen kann das vorliegende Lehrbuch nur eine Einführung bieten, welche den Status quo der Verkehrswirtschaft, deren vordringlichste Probleme sowie etwaige Lösungsansätze darstellt. Die Theorie wird mit praktischen Beispielen im europäischen Kontext verknüpft, wobei der Fokus der Betrachtungen auf dem deutschsprachigen Raum liegt. Teil A des Buches beschäftigt sich mit der Notwendigkeit von Verkehr, gibt einen Überblick über die Entwicklung des Verkehrsaufkommens und stellt die Verkehrsträger und die zugehörigen Verkehrsmittel vor. Teil B widmet sich den Anbietern und Nachfragern von Verkehrsdienstleistungen. Im Mittelpunkt stehen dabei einerseits Aspekte des Managements, andererseits Bedürfnisse und daraus abgeleitete Angebote. Teil C thematisiert den öffentlichen Personennahverkehr und stellt Gestaltungsmöglichkeiten und diesbezügliche Herausforderungen dar. Teil D setzt sich mit der Verkehrspolitik auseinander, auf die sowohl anhand einzelner Länder als auch aus gesamteuropäischer Sicht eingegangen wird. In einem weiteren Schritt werden vor dem Hintergrund der nachhaltigen Entwicklung Ansätze einer nachhaltig gestalteten Verkehrspolitik sowie bisherige Versäumnisse in diesem Bereich diskutiert. Insgesamt 40 von mir entwickelte Fallstudien illustrieren die aufgegriffenen Themen und sollen bei den Lesern „Entdeckergeist“ wecken, um sich mit dem einen oder anderen Inhalt intensiver zu beschäftigen. Viel Vergnügen dabei wünscht Monique Dorsch <?page no="7"?> Inhalt Vorwort 5 Teil A - Theorie und Praxis der Verkehrswirtschaft 13 1 Zur Notwendigkeit von Verkehr 15 1.1 Funktionen des Verkehrs 15 1.2 Mobilität vs. Verkehr 16 1.3 Entwicklung des Verkehrsaufkommens 17 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 20 2.1 Straßenverkehr 20 2.1.1 Zur Geschichte des Straßenverkehrs 21 Fallstudie: Alpenstraßenpässe gestern und heute 24 2.1.2 Segmentierung des Straßenverkehrs 28 2.1.3 Straßenfahrzeuge 29 Fallstudie: Eine Chance für den O-Bus? 35 2.1.4 Straßennetz in Europa 39 2.1.5 Straßennetz in Deutschland 40 2.1.6 Straßeninfrastruktur 41 2.1.7 Straßenbenutzungsgebühren 44 Fallstudie: City-Maut in London und Stockholm 47 2.2 Schienenverkehr 50 2.2.1 Zur Geschichte der Eisenbahn 50 2.2.2 Segmentierung des Schienenverkehrs 53 2.2.3 Schienenfahrzeuge 55 Fallstudie: Der Grüne Zug 65 2.2.4 Fahrpläne 68 2.2.5 Verkehrsarten und Produktionsmethoden 72 2.2.6 Streckennetz der Eisenbahn in Europa 75 2.2.7 Trassenpreissysteme 77 2.2.8 Bahnanlagen 80 2.2.9 Fahrweg der Eisenbahn 81 Fallstudie: Elektrifizierung 87 2.2.10 Bahnhöfe 91 Fallstudie: Die ÖBB-Bahnhofsoffensive 98 <?page no="8"?> 8 Inhalt 2.3 Schiffsverkehr 101 2.3.1 Zur Geschichte der Schifffahrt 101 2.3.2 Binnenschifffahrt 105 2.3.3 Binnenwasserstraßen 107 Fallstudie: Donauschifffahrt 111 2.3.4 Binnenhäfen 113 Fallstudie: Die Basler Rheinhäfen 114 2.3.5 Seeschifffahrt 117 2.3.6 Schiffe mit Laderaum 117 2.3.7 Schiffsgrößen 121 Fallstudie: SkySails - Windkraftnutzung auf See 125 2.3.8 Seefrachtenmarkt 127 2.3.9 Flaggenstaaten 129 2.3.10 Seeverkehrswege 131 Fallstudie: Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals 133 2.3.11 Seehäfen 135 Fallstudie: Der JadeWeserPort 139 2.4 Luftverkehr 143 2.4.1 Zur Geschichte des Luftverkehrs 143 2.4.2 Segmentierung des Luftverkehrs 145 2.4.3 Freiheiten der Luft 145 2.4.4 Luftverkehrsmittel 146 2.4.5 Luftfrachtaffine Güter 149 2.4.6 Flugplätze und Flughäfen 150 Fallstudie: Start- und Landebahnkonfigurationen 161 Fallstudie: Die Zukunft der Regionalflughäfen 162 2.5 Kombinierter Verkehr 164 2.6 Leistungsfähigkeit von Verkehrsmitteln 166 Teil B - Angebot und Nachfrage 169 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 171 3.1 Klassifizierung und Funktionen von Verkehrsunternehmen 171 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 175 3.2.1 Straßentransportbetriebe 175 Fallstudie: Die Bus-GmbH 179 <?page no="9"?> Inhalt 9 3.2.2 Eisenbahnverkehrsunternehmen 180 Fallstudie: Die größte Güterbahn Europas 188 3.2.3 Binnenschifffahrtsbetriebe 190 3.2.4 Seeschifffahrtsbetriebe 191 Fallstudie: 2M - Allianz der größten Container-Reedereien 196 3.2.5 Lufttransportbetriebe 198 Fallstudie: Discounter am Himmel - Entwicklung der Low Cost Carrier 205 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 207 3.3.1 Kommunikation 207 Fallstudie: Die Bahn in Kältestarre 210 3.3.2 Zielsetzung und Planung 212 Fallstudie: Streckensperrung nach Hochwasser 213 3.3.3 Entscheidung 215 Fallstudie: Umstieg auf Bus und Bahn 216 3.3.4 Motivation 217 Fallstudie: Auf Achse 220 3.3.5 Organisation 221 Fallstudie: Organisationsstrukturen 229 3.3.6 Überwachung 232 3.3.7 Beschaffung 232 Fallstudie: Beschaffung neuer Niederflurstraßenbahnen 234 3.3.8 Leistungserstellung 236 3.3.9 Marketing 237 Fallstudie: Wiener Linien 243 3.3.10 Finanzierung und Investition 248 Fallstudie: Fahrzeugfinanzierung im Schienenverkehr 250 3.3.11 Informationswesen 251 3.3.12 Standortentscheidungen 253 3.4 Strategische Entscheidungen 254 3.4.1 Umfeldanalyse 257 3.4.2 Branchen- und Konkurrenzanalyse 259 3.4.3 Unternehmensanalyse 262 Fallstudie: Hurtigruten im Wettbewerb - Vom Postschiff zur Expeditionsschifffahrt 265 <?page no="10"?> 10 Inhalt 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen 279 4.1 Determinanten der Nachfrage 279 4.2 Bedürfnisse von Nachfragern 280 4.3 Unternehmen als Nachfrager 281 4.3.1 Entwicklungen und Trends 281 4.3.2 Transportproblem und Wirtschaftlichkeit 282 4.3.3 Logistische Prozesse 284 4.3.4 Logistische Leistungen und kritische Erfolgsfaktoren 285 4.3.5 Bildung logistischer Netzwerke 287 4.3.6 Transportmuster 289 4.3.7 Lagerhaltung, -stufen und -standorte 294 4.3.8 Internationale Logistik 300 4.3.9 Risiken und deren Absicherung 303 Fallstudie: IKEA 307 4.4 Private als Nachfrager 312 4.4.1 Mobilitätswünsche 312 4.4.2 Entscheidungsprozess bei der Verkehrsmittelwahl 313 4.4.3 Einfluss von Verkehrsmitteleigenschaften 316 4.4.4 Einfluss von persönlichen Eigenschaften 320 Fallstudie: Mobilität in der Stadt 321 Fallstudie: Vélib‘ - Per Rad durch Paris 323 Teil C - Öffentlicher Personennahverkehr 327 5 Zum Stellenwert des ÖPNV 329 6 Rechtliche Rahmenbedingungen 331 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung 335 7.1 Marketing und Zielgruppenbestimmung 335 7.2 Ermittlung der Nachfrage 337 7.3 Qualität des ÖPNV 338 7.4 Bedienformen 340 7.5 Netz und räumliche Erschließungsqualität 343 7.6 Fahrplan und Angebotsqualität 346 7.7 Tarife 348 Fallstudie: Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ 352 <?page no="11"?> Inhalt 11 7.8 Vertrieb und Information 356 7.9 Anlagen des ÖPNV 362 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 365 Fallstudie: Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne 374 7.11 Barrierefreie Mobilität 377 8 Organisation und Finanzierung 380 8.1 Organisation des ÖPNV 380 Fallstudie: Organisation des ÖPNV im Vogtland 384 8.2 Finanzierung des ÖPNV 388 9 ÖPNV der Zukunft 393 9.1 ÖPNV und demographische Entwicklung 393 9.2 Herausforderung Personalbedarf 394 9.3 Anforderungen an einen modernen ÖPNV 395 Fallstudie: Seit über zehn Jahren im Takt - S-Bahn Tirol 399 Teil D - Verkehrspolitik 403 10 Verkehrspolitik und Verkehrsplanung 405 10.1 Akteure der Verkehrspolitik 406 10.1.1 Akteure auf nationaler Ebene 407 10.1.2 Akteure auf internationaler Ebene 410 10.1.3 Ablauf von Entscheidungsprozessen 413 Fallstudie: Vorbild Schweiz 415 10.2 Deutsche Verkehrspolitik 417 10.2.1 Entwicklung bis in die 1980er Jahre 417 10.2.2 Entwicklung in den 1990er Jahren 419 10.2.3 Entwicklung seit der Jahrtausendwende 422 Fallstudie: Liberalisierung des Fernbusmarktes in Deutschland 428 10.3 Europäische Verkehrspolitik 431 10.4 Das Transeuropäische Verkehrsnetz 440 Fallstudie: Der Bau des Semmering-Basistunnels 444 10.5 Verkehrsinfrastruktur 448 10.5.1 Auswirkungen von Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur 449 10.5.2 Verkehrswegeplanung 451 10.5.3 Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur 455 Fallstudie: PPP im Schienenverkehr - Der Arlanda Express 461 Fallstudie: Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung 463 <?page no="12"?> 12 Inhalt 11 Kann Verkehr nachhaltig sein? 466 11.1 Verkehrsbedingter Energieverbrauch und Emissionen 466 11.2 Externe Kosten im Verkehr 471 11.3 Internalisierung externer Kosten des Verkehrs 474 11.3.1 Möglichkeiten zur Systematisierung der Instrumente 475 11.3.2 Ordnungsrechtliche Instrumente 477 11.3.3 Marktorientierte Instrumente 478 Fallstudie: Umweltschutz in der Seeschifffahrt 485 11.4 „Nachhaltige Entwicklung“ vs. „nachhaltige Mobilität“ 488 11.5 Nachhaltige Mobilität in der Umwelt- und Verkehrspolitik 492 11.6 Nachhaltige Verkehrspolitik in einzelnen Ländern 496 11.6.1 Deutschland 497 11.6.2 Österreich 499 11.6.3 Schweiz 502 11.7 Strategien zur Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung im Verkehr 504 Fallstudie: Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö 511 Weiterführende Literatur 515 <?page no="13"?> Teil A Theorie und Praxis der Verkehrswirtschaft <?page no="15"?> 1 Zur Notwendigkeit von Verkehr „Der Verkehr ist für Wirtschaft und Gesellschaft so wichtig wie der Blutkreislauf für den menschlichen Körper.“ 1 1.1 Funktionen des Verkehrs Verkehrswirtschaft kann als die „ Gesamtheit der Einrichtungen bzw. Elemente und Massnahmen zur Beförderung von Personen, Gütern und Nachrichten im Raum “ 2 umschrieben werden. Aufgrund ihrer Wirkungen auf und Abhängigkeiten von anderen Faktoren im Wirtschaftsbzw. Gesellschaftssystem nimmt die Verkehrswirtschaft eine interdisziplinäre Sonderstellung ein. Dies führt auch dazu, dass die Zielsetzungen der Verkehrsunternehmen von gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen beeinflusst werden. Produktion und Konsum finden i.d.R. an räumlich voneinander getrennten Orten statt. Damit die hergestellten Güter zum Endverbraucher gelangen, sind Transporte notwendig. Aber auch innerhalb von Produktionsprozessen ist man auf Verkehrsdienstleistungen angewiesen: „ Leistungsfähiger und umweltfreundlicher Güterverkehr sowie eine moderne Infrastruktur stellen für Deutschland als Exportland einen entscheidenden Erfolgsfaktor im internationalen Wettbewerb dar. “ 3 Die Produktivität und die Effektivität einer Volkswirtschaft werden somit maßgebend von der Leistungsfähigkeit des Verkehrswesens bestimmt. Unter Verkehr versteht man den Transport bzw. Austausch von Gütern, Menschen oder Nachrichten. Nach Voigt erfüllt Verkehr drei Funktionen 4 : [1] Zur Befriedigung von Bedürfnissen : Verkehrsdienstleistungen dienen der Befriedigung der Nachfrage der Verbraucher und erbringen damit einen selbständigen Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Dabei wird zwischen Verkehrsdienstleistungen mit originärem Konsumcharakter (vgl. „Spaß am Fahren“) und solchen zur Erreichung eines anderen Konsums (vgl. Bedürfnis einzukaufen, zur Arbeit zu fahren oder Freizeitbeschäftigungen nachzugehen) unterschieden. [2] Als immanenter Bestandteil jeder Arbeitsteilung und jedes Marktes: Verkehrsdienstleistungen sind für Produktionsprozesse notwendig, indem sie Räume überwinden und Produktionsfaktoren kombinieren helfen. Sie sind unabdingbar für Märkte, die auf der Mobilität von Gütern und Personen basieren. Verkehrsdienstleistungen stellen damit kein Endprodukt, sondern eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der Wirtschaft dar. Sie ermöglichen es, Produkte vom Ort der Erzeugung zum Ort des Verbrauchs zu bringen sowie immer freier von natürlichen Gegebenheiten Standorte zu wählen. 1 Stüttgen, Odo: Integrierte Verkehrssysteme in Zeiten der Globalisierung, in: Prima 5/ 2013, 66 2 Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 1 3 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Aktionsplan Güterverkehr und Logistik - Logistikinitiative für Deutschland, Berlin 2010, 2 4 vgl. Voigt, Fritz: Verkehr, Erster Band, Erste Hälfte (I/ 1), Berlin 1973, 7ff; Grandjot, Hans-Helmut: Verkehrspolitik - Grundlagen, Funktionen und Perspektiven für Wissenschaft und Praxis, Hamburg 2002, 25ff <?page no="16"?> 16 1 Zur Notwendigkeit von Verkehr [3] Zwecks Integration des Staates und der Gesellschaft : Auch zur Realisierung staatlicher Ziele und Aufgaben (z.B. Wirtschaftsförderung, Strukturpolitik, Bildungspolitik, Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik) werden Verkehrsdienstleistungen benötigt. Über die Verkehrspolitik greift der Staat steuernd in das Verkehrsgeschehen ein bzw. stellt Verkehrsinfrastruktur bereit. Er leistet damit auch einen Beitrag zur Chancengleichheit hinsichtlich Lebensqualität, Bildung, Arbeit, Kultur usw. 1.2 Mobilität vs. Verkehr Mobilität von Personen und Gütern kann als unabdingbare Voraussetzung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes gesehen werden. Mobilität dient der Raumerschließung (vgl. Lebensräume, Arbeitsräume, Wirtschaftsräume); sie gewährleistet den Zugang zu Bildungs- und Sozialeinrichtungen sowie zu Freizeitaktivitäten; sie ermöglicht die Vernetzung von Märkten und fördert dadurch Beschäftigungs- und Absatzmöglichkeiten. 5 Mobilität und Verkehr stehen in engem Zusammenhang, wobei die beiden Begriffe jedoch keinesfalls als Synonyme zu sehen sind. Unter Mobilität werden die Verkehrsbeweglichkeitswünsche sowie die Beweglichkeitsgrade von Personen und Gütern verstanden - unabhängig vom Verkehrsmittel und der zurückgelegten Entfernung. Ausgehend von diesen Wünschen entsteht die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen. 6 Physische Mobilität lässt sich durch verschiedene Größen beschreiben: Die Anzahl der Wege (bzw. der Fahrten), die eine Person durchschnittlich zurücklegt, liegt seit langer Zeit recht konstant bei drei Wegen pro Tag. Die Reise- und Transportgeschwindigkeit nahm durch verstärkten Technikeinsatz zwar zu. Hinsichtlich der Reisezeit lässt sich aber feststellen, dass diese bei etwa einer Stunde pro Tag liegt und im Zeitverlauf ebenfalls im Durchschnitt konstant bleibt („Satz vom konstanten Reisebudget“). Das heißt, die Einführung schnellerer Verkehrsmittel führte nicht dazu, dass sich die Gesamtreisezeiten verkürzten. Die insgesamt zurückgelegten Reise- und Transportwege können sich - bei gleicher Wegeanzahl und bei gleicher dafür benötigter Reisezeit - sehr stark unterscheiden, was auch von der Verkehrsmittelwahl abhängig ist. Diese ist entscheidend für den Modal Split, der den jeweiligen Anteil der Verkehrsmittel am Gesamtverkehr angibt. 7 Die Mobilität von Personen beinhaltet aber nicht nur eine Bewegung im physikalischen, sondern auch im sozialen Raum. Daher lässt sich das Mobilitätsverhalten nicht ausschließlich durch funktionale Gegebenheiten der physikalisch-räumlichen Verkehrssituation erklären. Ebenso von Bedeutung ist der symbolische Gehalt von Mobilität, d.h., ob und wie man sich fortbewegt. 8 5 vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Verkehr und Umwelt - Herausforderungen, Berlin 2007, 3; Bundesregierung: Perspektiven für Deutschland - Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung (Langfassung), o.O. o.J, http: / / www.bundesregierung.de, 28.05.2013, 177 6 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 41; Hauger, Georg: Grundlagen der Verkehrsökologie, Wien 2003, 124 7 vgl. Grandjot, Hans-Helmut: Verkehrspolitik - Grundlagen, Funktionen und Perspektiven für Wissenschaft und Praxis, Hamburg 2002 , 117 8 vgl. Merki, Christoph, Maria: Verkehrsgeschichte und Mobilität, Stuttgart 2008, 111ff; Schlaffer, Alexandra et al.: Bedeutung psychologischer und sozialer Einflussfaktoren für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung, Berlin 2002, 4 <?page no="17"?> 1.3 Entwicklung des Verkehrsaufkommens 17 1.3 Entwicklung des Verkehrsaufkommens Wirtschaftswachstum ging bisher mit einem ständig (überproportional) steigenden Transportaufkommen einher: „ Der generelle Anstieg von Produktion und Konsum sowie von internationalen wie nationalen Verflechtungen bei Produktion und Konsum führen zu diesem Wachstum des Güterverkehrs, unterstützt vom europäischen Binnenmarkt und internationalen Freihandelsabkommen. “ 9 Allerdings nahm und nimmt der Verkehr auch durch privaten Verkehrsaufwand zu: durch längere Strecken zur Arbeitsstätte, durch die Zentralisierung von öffentlichen Einrichtungen und Versorgungsinfrastrukturen, aber auch durch einen Anstieg der Reisefreudigkeit. 10 Das Verkehrsaufkommen kann über die Anzahl der beförderten Personen bzw. die Menge der transportierten Güter multipliziert mit den zurückgelegten Entfernungen dargestellt werden. Die dieserart errechneten Größen - Personenkilometer (Pkm) und Tonnenkilometer (tkm) nennt man Verkehrsleistung . Vergleicht man die Verkehrsleistungen der vergangenen 20 Jahre, zeigt sich sowohl beim Güterals auch beim Personentransport die uneingeschränkte Dominanz des Straßenverkehrs (siehe die beiden nachfolgenden Abbildungen). Der motorisierte Individualverkehr hat in Deutschland - gemessen an der Verkehrsleistung - mittlerweile einen Anteil von über 80 % erreicht. Parallel vollzieht sich, nicht nur in Deutschland, sondern OECD-weit, ein immer größerer Anteil der Gütertransporte auf der Straße. Schließlich hat auch der Luftverkehr, bedingt durch Globalisierung und wachsenden Ferntourismus, zugenommen. Der hohe Anteil des Straßenverkehrs lässt sich auf die systembedingten Vorteile zurückführen: kürzere Transportzeiten, höhere Flexibilität und ein gut ausgebautes Netz. Demgegenüber steht der mit Verspätungen und höherem Vorbereitungsaufwand verbundene Schienenverkehr, der auch entsprechenden Investitionsbedarf in (zuvor stillgelegte) Gleisanschlüsse, Ausweich- und Überholgleise sowie bislang nicht elektrifizierte Stecken aufweist. 11 Als eine zentrale Messgröße für die Entwicklung von Mobilität und Verkehr kann die Pkw-Verfügbarkeit in den Haushalten gesehen werden. Sie entscheidet wesentlich über Art und Umfang der Mobilität im Alltag. 12 In Deutschland nimmt der Pkw-Bestand beständig zu: 2020 sind ca. 47,7 Mio. Pkw zugelassen. 13 Parallel zur steigenden Pkw-Zahl lässt sich europaweit feststellen, dass die Nutzer - trotz ungünstigerer Tarife bei der Kraftfahrzeugsteuer - größere und weniger kraftstoffsparende Fahrzeuge bevorzugen. 9 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: Verkehrswende für Deutschland, Wuppertal 2017, 57 10 vgl. Bundesregierung: Perspektiven für Deutschland - Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung (Langfassung), o.O. o.J, http: / / www.bundesregierung.de, 28.05.2013, 178 11 vgl. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: Verkehrswende für Deutschland, Wuppertal 2017, 57 12 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 22; Schlag, Bernd; Schade, Jens: Psychologie des Mobilitätsverhaltens, Aus Politik und Zeitgeschichte, 29-30/ 2007, 27 13 vgl. Kraftfahrt-Bundesamt: Jahresbilanz - Bestand, http: / / www.kba.de, 24.08.2020 <?page no="18"?> 18 1 Zur Notwendigkeit von Verkehr Abbildung 1-1 Anteile an der Güterverkehrsleistung (Modal Split) im Bundesgebiet 14 Abbildung 1-2 Anteile an der Personenverkehrsleistung (Modal Split) im Bundesgebiet 15 Langfristig wird das Verkehrsaufkommen weiter ansteigen. Sowohl Güter also auch Personen legen größere Entfernungen zurück. Dabei konzentriert sich das Güterverkehrswachstum im Fernverkehr und vor allem auf die Hauptachsen. Im Personenverkehr nimmt der Freizeitverkehr zu. 16 In den einzelnen EU-Ländern stellen sich die Anteile der jeweiligen Verkehrsträger am Gesamttransportaufkommen recht unterschiedlich dar. Während die Bahn beispielsweise in den baltischen Staaten einen Anteil von 44-74 % vorweisen kann, liegt der Anteil der schienengebundenen Transporte in Deutschland nur bei rund 18 %, in Frankreich bei knapp 11 % und in Italien bei etwa 14 %. Generell zeigt sich jedoch, dass Straßentransporte dominieren. Eine Ausnahme bilden die Niederlande, wo neben den Straßentransporten auch die Binnenschifffahrt einen hohen Anteil ausmacht. 14 erstellt nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Verkehr in Zahlen 2018/ 2019, 244f 15 erstellt nach: ebd., 218f 16 vgl. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: Verkehrswende für Deutschland, Wuppertal 2017, 18 0 100 200 300 400 500 600 700 2000 2005 2010 2015 2017 Mrd. tkm Verkehrsleistung im Güterverkehr Eisenbahn Binnenschifffahrt Rohrfernleitungen Straßengüterverkehr ohne Luftverkehr 0 200 400 600 800 1000 1200 2000 2005 2010 2015 2017 Mrd. Pkm Verkehrsleistung im Personenverkehr Öffentlicher Straßenpersonenverkehr Eisenbahn Luftverkehr Motorisierter Individualverkehr <?page no="19"?> 1.3 Entwicklung des Verkehrsaufkommens 19 Abbildung 1-3 Anteile der Güterverkehrsleistung in Europa (nach tkm 2017) 17 17 erstellt nach: Eurostat: Freight transport statistics - modal split, http: / / ec.europa.eu, 23.07.2019 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Schweiz Norwegen EU-28 Zypern Ungarn Tschechien Spanien Slowenien Slowakei Schweden Rumänien Portugal Polen Österreich Niederlande Malta Luxemburg Litauen Lettland Kroatien Italien Irland Großbritannien Griechenland Frankreich Finnland Estland Deutschland Dänemark Bulgarien Belgien Anteile an der Güterverkehrsleistung Eisenbahn Binnenwasserstraße Straße <?page no="20"?> 20 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Verkehrsträger werden in der Literatur unterschiedlich definiert. Einerseits wird die Verkehrs- Sinfrastruktur als Verkehrsträger angesehen: Verkehrsträger stellen die vorhandene Verkehrsinfrastruktur - also Wege, Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Luftkorridore usw. - dar. Andererseits werden darunter auch die im Verkehrswesen tätigen Betriebe subsumiert: Verkehrsträger sind die „ Gesamtheit von Verkehrsbetrieben, die eines der Transportmedien Land, Wasser oder Luft und entsprechende spezielle Verkehrswege, wie Straßen, Schienen oder Schifffahrtswege, bevorzugt benutzen. “ 18 Unter Verkehrsmitteln versteht man technische Geräte oder Vorrichtungen, die den Transport und Umschlag von Gütern oder Personen von einem Ort zum anderen ermöglichen. 19 Dabei wird zwischen öffentlichen (allgemein zugänglichen) und nicht öffentlichen (privaten) Verkehrsmitteln bzw. motorisierten und nicht motorisierten Verkehrsmitteln unterschieden. 2.1 Straßenverkehr Als Straßenverkehr gilt derjenige Verkehr, „ der auf dem Lande stattfindet, ohne an Schienen oder Wasserwege gebunden zu sein. Unabhängig von den benutzten Verkehrsmitteln gehört zum Straßenverkehr grundsätzlich auch der Fußgänger-, Radfahr- und Motorradsowie der Privatverkehr mit Personenkraftwagen. “ 20 Der Straßenverkehr stellt heute in den meisten Ländern den wichtigsten Transportsektor dar. Etwa 80 % der Leistung im Personenverkehr und 70 % der Leistung im Güterverkehr werden in Deutschland über Straßen erbracht: „ Ohne das Automobil ist die moderne mobile Gesellschaft undenkbar. Der Pkw sichert als jederzeit verfügbares Verkehrsmittel ein hohes Maß an Komfort und Individualität. Der Bus ermöglicht es, flexibel und wirtschaftlich eine größere Anzahl von Personen zu fast jedem Ort zu befördern. Der Lkw ist für das Wirtschaftsleben unverzichtbar, um flexibel und bedarfsgerecht jeden Warenstrom flächendeckend zu verteilen. “ 21 Zum System Straßenverkehr gehören neben Verkehrswegen und Verkehrsmitteln auch Einrichtungen (z.B. Tankstellen, Parkhäuser), die mit deren Nutzung in Verbindung stehen. Die Zuständigkeiten für das gegliederte Straßennetz liegen bei der öffentlichen Hand. Die Bundesregierung zeichnet verantwortlich für Planung, Finanzierung, Bau und Reparatur der Bundesfernstraßen. 18 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 47 19 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 39 20 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 48 21 Deutsches Verkehrsforum: Leitlinien einer europäischen Verkehrspolitik: Die richtigen Weichen für die Zukunft stellen (Positionspapier), Berlin 2003, 1 <?page no="21"?> 2.1 Straßenverkehr 21 Den Länderregierungen und Kreisverwaltungen obliegen die Landes- und Kreisstraßen, den Kommunen die Gemeindestraßen und Wirtschaftswege. Die Regulierung und Überwachung des Straßenverkehrs führen staatliche Einrichtungen wie Kraftfahrt-Bundesamt, Bundesamt für Straßenwesen, Bundesamt für Güterverkehr, Polizei und Verkehrsgerichte durch. Unterstützend wirken private Einrichtungen wie z.B. Pannenhilfen, Tankstellen, Restaurationsbetriebe, Fahrschulen, Automobilclubs. 22 Straßentransporte zeichnen sich durch ihre vielseitige und dauerhafte Einsetzbarkeit sowie die hohe Anpassungsfähigkeit der Fahrzeuge an die Güter bzw. die Kundenbedürfnisse aus. Sie eignen sich für den Transport auch kleiner Gütermengen. Bequeme Tür-zu-Tür-Lieferungen sind ebenso möglich wie der Einsatz für solche Standorte, die mit anderen Transportmitteln nicht oder nur schwer zu erreichen sind. Wegen seiner Wettbewerbsvorteile hat der Lkw die Eisenbahn aus dem Nah- und Flächenverkehr verdrängt. Nachteilig erweist sich die im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern begrenzte Ladefähigkeit sowie die dadurch recht ungünstige Relation von Nutzlast zu Totlast, die zu einem relativ hohen Energieverbrauch und damit zu einer hohen Umweltbelastung je beförderter Tonne führt. Einschränkungen in der an sich hohen Flexibilität entstehen durch gesetzliche Reglementierungen (z.B. Sperrzeiten/ Sonntagsfahrverbote, Tonnen-Limits) sowie zeitweilige Verkehrsbehinderungen auf der Straße. Bedingt durch das hohe Verkehrsaufkommen ergeben sich vergleichsweise große Unfallgefahren. Ein weiterer Nachteil ist die geringe Auslastung von Spezialfahrzeugen. 23 Haupteinsatzfelder für den Straßengüterverkehr sind zeitempfindliche Güter, hochwertige Güter sowie Güter, die besondere Anforderungen an das Transportmittel stellen, Direkttransporte, kleine Sendungsgrößen, Sammel- und Verteiltransporte, Massengüter im Nahbereich, Vor- und Nachlauf im Rahmen des kombinierten Verkehrs und Transporte in Gebieten, die von anderen Verkehrsmitteln nicht bedient werden. 24 2.1.1 Zur Geschichte des Straßenverkehrs Generell zeigen sich in der Entwicklung des Straßenverkehrs starke Abhängigkeiten zwischen Entwicklungen beim Fahrweg und beim Fahrzeug. Aus alten Handelswegen entstanden im Laufe der Zeit befestigte Straßennetze , die es schon in den Großreichen der Antike gab. Oft waren es militärische Vorhaben, die den systematischen Ausbau von Straßennetzen vorantrieben. Insbesondere die Leistungsfähigkeit des damaligen römischen Straßennetzes ist beachtlich, umfasste es doch ca. 140.000 Straßenkilometer. Mit dem Niedergang des Römischen Reiches verfielen vielerorts auch die Straßen, so dass in der Folge jahrhundertelang wieder schlecht ausgebaute Wege dominierten. Unter Karl dem Großen erfolgte um 800 eine (Teil-)Instandsetzung der alten Verkehrsverbindungen aus der Römerzeit. Leistungsfähigkeit und Verkehrssicherheit einer Straße sowie die mögliche Reisegeschwindigkeit sind stark abhängig von der Linienführung, der Steigung sowie vom Querschnitt. Schon der römische Straßenbau kannte diesbezügliche Bemessungsgrößen. Bereits damals gab es einen Unterbau mit mehreren Deckschichten und Pflasterung, um eine ebene und trockene Oberfläche zu erzielen. 22 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 35f 23 vgl. Strunz, Herbert, Dorsch, Monique: Internationale Märkte, München 2001, 199; Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 101 24 vgl. Peter, Uwe: Unternehmen des Straßengüterverkehrs als logistische Dienstleister, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans-Joachim; Schenk, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 320 <?page no="22"?> 22 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Zur Orientierung und Reiseplanung nutzte man Meilensteine und Rastanlagen. Zur Vermeidung einer schnellen Abnutzung wurden bereits Tonnagebeschränkungen auferlegt. 25 Nachfolgende Tabelle fasst die wesentlichen Etappen in der weiteren Entwicklung des Straßenverkehrs zusammen. 12./ 13. Jh. Erstmals werden Brücken- und Straßengelder erhoben, um die Erhaltung der Infrastruktur finanzieren zu können. Händler müssen zahlreiche Zollstationen passieren, dadurch verteuern sich Langstreckentransporte. Es besteht bereits ein weiträumiges Handelsnetzwerk von Europa nach Asien. Regensburger Kaufleute dominieren den mittelalterlichen Handel, deren Tätigkeit ist vergleichbar mit dem heutigen Spediteur. Es werden Gesellschaften gebildet, die der Risikobegrenzung dienen. Ebenso erfolgt die Etablierung von Niederlassungsnetzwerken. Bedingt durch das Wachstum der Städte steigt die Nachfrage. 17./ 18. Jh. Bis in das 17. Jahrhundert sind die Fürsten um die Hauptstraßen bemüht, auch um gegebenenfalls das Vorwärtskommen der eigenen Truppen sicherzustellen. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gewinnt die Landstraße zunehmend an Bedeutung. Straßennetze werden systematisch auf- und ausgebaut. Von nun an ist es für Speditionen auch möglich, die Verfrachtung über die gesamte Transportstrecke selbst vorzunehmen, d.h., auf zeitaufwendiges Umladen kann verzichtet werden, wodurch die Transportkosten sinken. Das steigende Transportvolumen macht den Neubau von Straßen notwendig. Finanziert wird dieser Ausbau durch Maut; die Mautstellen liegen auf Haupthandelswegen teilweise nur 15 bis 20 km auseinander. Es existieren zahlreiche unterschiedliche Wegeabgaben. Die Aufsplitterung Deutschlands in Kleinstaaten behindert die Entwicklung des Fernstraßennetzes. Das Straßennetz ist in Staats-, Regional- und Vizinalstraßen gegliedert. Für Straßenunterhalt und -bau gelten unterschiedliche Zuständigkeiten. Zwischenstaatliche Absprachen finden nur bedingt statt. Beim Straßenbau knüpft man an antike Kenntnisse an. Die Straßenbautechnik wird verbessert, man erzielt eine größere Festigkeit und bessere Entwässerung. 19. Jh. Durch die beginnende Industrialisierung und damit steigende Produktionsmengen steigt das Transportvolumen stark an. Das Spediteursgewerbe floriert. Bereits jetzt ist von „rollenden Warenhäusern“ die Rede. Parallel dazu nimmt die Belastung des Straßennetzes zu, ebenso wird die Straßenfinanzierung zum Problem. In Frankreich werden Mautstellen geschlossen und Steuergelder für den Straßenbau eingesetzt. Mit der Entwicklung der Eisenbahn und dem zunehmenden Ausbau des Streckennetzes beginnt die Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene. Der weitere Ausbau des Straßennetzes verliert an Bedeutung. Die Straße dient nun der Hinterlanderschließung. Gleichwohl nimmt der Straßenverkehr zu, so dass auch die Straßen ausgebaut werden müssen. Durch die Entwicklung neuer Antriebstechniken können ab Ende des Jahrhunderts zuverlässige und sichere Straßenfahrzeuge entwickelt werden. 1886 lassen Carl Benz und Gottlieb Daimler ihre Motorwagen patentieren. 20. Jh. Anfang des Jahrhunderts verlangsamt sich die Entwicklung des Eisenbahngüterverkehrs, wovon der Straßenverkehr profitiert. Auch die private Nutzung gewinnt an Bedeutung. Die ersten überörtlichen Verordnungen und Gesetze zur Regulierung des Verkehrs (Verkehrsregeln, Strafvorschriften, Haftung, Führerschein, Zulassungsordnung) treten in Kraft. 25 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 37ff; Reisinger, Andreas: Rieger, Else: Schwarzbuch Straße, Wien/ Frankfurt/ M. 2003, 331; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 257 <?page no="23"?> 2.1 Straßenverkehr 23 Fortsetzung 20. Jh. Ab 1920 gibt es Pläne für Autostraßen. In Deutschland wird 1929-1932 die erste Autostraße zwischen Bonn und Köln gebaut. Güterverkehrsunternehmen stellen verstärkt von Fuhrwerken auf Kraftfahrzeuge um. Der Straßenbau muss deshalb auf zunehmende Gewichte und Abmessungen der Fahrzeuge reagieren. In der Zeit des Nationalsozialismus wird der Straßenbau stark gefördert, „Reichsautobahnen“ werden gebaut. 1941 existieren knapp 4.000 Autobahn-Kilometer. Nach dem 2. Weltkrieg steht die Lückenschließung im Straßennetz an erster Stelle. In den 1950er Jahren erlebt der Straßenverkehr einen sichtbaren Aufschwung. Die private Motorisierung nimmt zu. Das Auto entwickelt sich zum Statussymbol. Nach und nach erlangen Autobahnen zulasten der Eisenbahn große Bedeutung im Wirtschafts- und im privaten Verkehr. Nach der Wiedervereinigung werden im Rahmen der „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ elf vorrangige Straßenbauprojekte realisiert. In der europäischen Wirtschaft vollzieht sich ein tiefgreifender Strukturwandel. Es findet eine verstärkte Arbeitsteilung statt; Produktionsstandorte liegen teilweise geographisch sehr weit auseinander. Lagerbestände werden reduziert, das Transportaufkommen steigt. Durch die Öffnung der EU-Transportmärkte stehen billige Arbeitskräfte zur Verfügung. Frachtpreise sinken. Der Konkurrenzkampf verschärft sich. Beginn des 21. Jh. Die Trends bezüglich Arbeitsteilung und Transportaufkommen setzen sich fort. Durch die Klimadebatte sind Automobilkonzerne gezwungen, in die Entwicklung umweltfreundlicherer Antriebskonzepte zu investieren. Insbesondere im Bereich der Elektromobilität werden entsprechende Anstrengungen unternommen, wenngleich der Anteil von Elektrofahrzeugen an den Gesamtfahrzeugflotten noch gering ist. Automobilhersteller und branchenfremde Unternehmen arbeiten an der Entwicklung autonom fahrender Straßenfahrzeuge. Im ÖPNV werden autonom fahrende Kleinbusse getestet. Tabelle 2-1 Geschichtlicher Abriss des Straßenverkehrs 26 Via Regia Einen der ältesten und längsten Verbindungswege zwischen Ost- und Westeuropa stellt die Via Regia dar. Die „Straße der Könige“ verläuft auf 4.500 km von Kiew bis Santiago de Compostela durch acht Länder und ist heute Teil des europäischen Verkehrskorridors III. In Deutschland berührt sie Sachsen, Thüringen, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Der Name Via Regia weist auf den gewährten Straßenschutz im Mittelalter hin. Mitte des 13. Jahrhunderts soll die Straße erstmals urkundlich erwähnt worden sein, andere Quellen sprechen gar von einer 2.000-jährigen Geschichte. Genauso unsicher wie das tatsächliche Alter ist der konkrete Verlauf, variierten doch die Wege in Abhängigkeit von Machtverhältnissen, Ansprüchen des Fernhandels und auch der Witterung. Auch wenn sich der konkrete Straßenverlauf mehrfach änderte, blieb die Via Regia stets eine wichtige Verbindungsachse als Handels- und Militärstraße, aber auch als Pilgerweg. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn entstand ein schnelleres, leistungsfähiges Transportmittel, wodurch die Straße an Bedeutung einbüßte. Seit 2005 ist die Via Regia „Zertifizierte Kulturroute des Europarates.“ 27 26 erstellt nach: Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 44ff; Reisinger, Andreas: Rieger, Else: Schwarzbuch Straße, Wien/ Frankfurt/ M. 2003, 32ff 27 vgl. Europäisches Kultur- und Informationszentrum in Thüringen im Verein Netz - Medien und Gesellschaft e.V.: Via Regia, https: / / www.via-regia.org, 10.08.2020; Europarat: Via Regia, https: / / www.coe.int, 10.09.2020 <?page no="24"?> 24 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fallstudie: Alpenstraßenpässe gestern und heute Bereits die Römer kannten und nutzten über die Alpen führende Pässe. 28 Der Stellenwert der Pässe hat sich im Laufe der Zeit jedoch verändert. Während im Mittelalter besonders der Große St. Bernhard- Pass, der Julierpass und der Septimerpass von Bedeutung waren, konnte der Gotthardpass (Göschenen/ CH-Airolo/ CH) aufgrund der Unüberwindlichkeit des oberen Reußtals damals kaum genutzt werden. Erst mit dem Durchbruch des „Urner Lochs“ im 16. Jahrhundert gewann der Gotthardpass zunehmend an Bedeutung. Man errichtete verschiedene Brücken, um den Saumweg begehbar zu machen und erreichte damit eine deutliche Aufwertung, war doch der Weg über den Gotthard die kürzeste Nord-Süd-Verbindung im zentralen Alpenraum. 29 Saumwesen Saumpfade bzw. Saumwege sind Altstraßen, die für Wagen und Gespanne zu steil, zu schmal oder unwegsam waren. Der Transport erfolgte mithilfe von Saumtieren (Pferd, Maulesel, Maultier), wobei die Saumtiere das bäuerliche Wegenetz nutzten. Zunächst begleitete der Besitzer seine Ware zu Pferde, später wurden Waren durch Stracksäumer an die Empfänger geliefert. Bereits zur damaligen Zeit wurden Frachtpapiere (Fuhrbrief) eingesetzt. Als Hochzeit des Saumwesens kann das 15./ 16. Jahrhundert bezeichnet werden. Die im 17. Jahrhundert aufkommende Post und besser ausgebaute Straßen wirkten sich nachteilig auf das Saumwesen aus. Traditionelle Saumpfade waren i.d.R. auf beiden Seiten mit Steinmauern eingefasst, um Flurschäden durch Tier und Mensch zu verhindern. Zur Vereinfachung der Nutzung bzw. zum Einsparen von Umwegen wurden Verbesserungen an Wegen durchgeführt. Dazu gehörte der Bau von Saumwegen mit gleichmäßiger Steigung über längere Strecken sowie die Errichtung von Steinbrücken und Kunstbauten zur Überquerung von Schluchten (vgl. Via Mala am San Bernardino, Schöllenenschlucht am Gotthard). 30 Im Jahr 1830 wurde die neue Straße über den Gotthardpass eröffnet. Damals bot man zwischen Flüelen und Chiasso dreimal wöchentlich Postkutschenverkehr in jede Richtung an. Ihre Hochzeit erlebte die Gotthardpost ab 1842: Dann fuhr hier täglich ein fünfspänniger Wagen mit zehn Plätzen in jede Richtung. Die Fahrzeit betrug rund 23 Stunden. 31 1920 war es erstmals möglich, den Gotthardpass mit dem Auto zu überqueren. Ab 1953 wurde die Schöllenenstraße ausgebaut und 1956 eine neue Teufelsbrücke errichtet. 32 Die Eröffnung des knapp 17 km langen Gotthard-Straßentunnels, der den kürzesten Übergang über die Zentralalpen darstellt, erfolgte 1980. Seitdem nahm hier der Verkehr sprunghaft zu. 33 Zur Entschärfung der Verkehrslage, insbesondere der Staus an der Nord- und Südseite des Tunnels, wurde lange Zeit der Ausbau des Tunnels auf zwei 28 Mont Genèvre (1.850 m), Mont Cénis (2.083 m), Kleiner St. Bernhard (2.188 m), Großer St. Bernhard (2.473 m), Theodul (3.317 m), Simplon (2.008 m), Lukmanier (1.916 m), Greina (2.357 m), San Bernardino (2.065 m), Splügen (2.113 m), Septimer (2.310 m), Julier (2.284 m), Maloja (1.815 m), Stilfser Joch (2.757 m), Reschen (1.504 m), Brenner (1.374 m) 29 vgl. Waldis, Alfred: Es begann am Gotthard - eine Verkehrsgeschichte mit Pionierleistungen, Luzern 2002, 16 30 vgl. Bätzing, Werner: Bildatlas Alpen - Eine Kulturlandschaft im Portrait, Darmstadt 2005, 104 31 vgl. Waldis, Alfred: Es begann am Gotthard - eine Verkehrsgeschichte mit Pionierleistungen, Luzern 2002, 20f 32 vgl. ebd., 17 33 vgl. Waldis, Alfred: Es begann am Gotthard - eine Verkehrsgeschichte mit Pionierleistungen, Luzern 2002, 34; Schweizerische Eidgenossenschaft: Tunnelanlagen, http: / / www.gotthard-strassentunnel.ch, 11.01.2013; Schweizerische Eidgenossenschaft: Ein gigantisches Bauwerk, http: / / www.gotthard-strassentunnel.ch, 11.01.2013 <?page no="25"?> 2.1 Straßenverkehr 25 Röhren gefordert, aber von Seiten des Staates stets abgelehnt. Im Zuge der Diskussion um die Generalsanierung des bestehenden Tunnels beschloss jedoch der Bundesrat im Sommer 2012, doch eine zweite Tunnelröhre zu errichten. Allerdings sei damit keine Verdopplung der Kapazitäten geplant, denn nach Abschluss der Sanierungsarbeiten soll jeweils nur eine Fahrspur pro Tunnelröhre genutzt werden. Umweltverbände befürchten, dass diese Einschränkung bei großem politischem Druck z.B. durch die Anrainerstaaten später aufgeweicht werden könnte. 34 Schöllenenschlucht Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht Postkutsche der Gotthardpost in Andermatt Gotthardpass Im Zuge der eisenbahntechnischen Erschließung der Alpen wurde in den Jahren 1872-1882 auch ein Eisenbahnscheiteltunnel zwischen Göschenen und Airolo errichtet. Im Rahmen des Großprojektes „Neue Eisenbahn-Alpen-Transversale“ (NEAT) wurde 2016 nach 17 Jahren Bauzeit der Gotthard-Basistunnel eröffnet. Dieser 57 km lange Tunnel stellt neben dem Lötschberg-Basistunnel das Kernstück der NEAT dar. Er liegt an der Strecke von Zürich nach Milano/ Italien zwischen den Orten Erstfeld (Kanton Uri) und Bodio (Kanton Tessin). 35 34 vgl. o.V.: Das Volk soll dem Bundesrat die gelbe Karte zeigen (11.01.2013), in: Neue Zürcher Zeitung, http: / / www.nzz.ch, 12.01.2013; o.V.: Aufgalopp zur grossen Kampagne (11.01.2013), in: Neue Zürcher Zeitung, http: / / www.nzz.ch, 12.01.2013; o.V.: Verkehrsministerin Leuthard mit zwei grossen Paketen (19.12.2012), in: Neue Zürcher Zeitung, http: / / www.nzz.ch, 12.01.2013 35 vgl. Dorsch, Monique: Verkehrswirtschaft - 40 Fallstudien mit Lösungen, München 2009, 114ff; AlpTransit: Gotthard-Basistunnel, http: / / www.alptransit.ch, 11.12.2019 <?page no="26"?> 26 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Abbildung 2-1 Schweizer Alpenpässe (Auswahl) <?page no="27"?> 2.1 Straßenverkehr 27 Der Simplonpass (Brig/ CH-Domodossola/ I) wurde Mitte des 17. Jahrhunderts von Kaspar Jodok von Stockalper ausgebaut. Zum Schutz der Reisenden errichtete man um 1670 den Stockalperturm in Gondo. Dort entstand auch ein Lagerhaus. Simplonpass mit Hospiz Simplonpass Stockalperweg Stockalperschloss in Brig Unter Napoleon I. begann man 1801 - für militärische Zwecke - mit dem Bau der Passstraße. 1807 erreichten die ersten Postkutschen den Pass. Das unter Napoleon begonnene Simplon-Hospiz wurde 1831 fertiggestellt und verzeichnete damals jährlich rund 10.000 Übernachtungen. Der wintersichere Ausbau der Passstraße erfolgte in den 1970er und 1980er Jahren, im Zuge dessen zahlreiche Galerien und auch die Ganterbrücke errichtet wurden. Unter dem Pass führt der 1921 vollendete Simplontunnel (Eisenbahn) hindurch. Aufgabe 1: Die Alpenübergänge hatten in den vergangenen Jahrhunderten sowohl für den Handel als auch für militärische Operationen eine enorme Bedeutung. Wie beurteilen Sie die Bedeutung der Alpenpässe in der heutigen Zeit? Aufgabe 2: Wie wirkte sich der Bau alpenquerender Eisenbahnlinien auf die vorhandenen Straßenpässe aus? Aufgabe 3: Wodurch konnten die Straßen-Alpenübergänge sicherer und im Jahresverlauf länger befahrbar gestaltet werden bei gleichzeitiger Erhöhung der Durchlassfähigkeit? Aufgabe 4: Mit welchen Infrastruktur-Maßnahmen wird versucht, das ständig steigende alpenquerende Transportaufkommen in der EU zu bewältigen? <?page no="28"?> 28 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 2.1.2 Segmentierung des Straßenverkehrs Der Straßenverkehr kann nach verschiedenen Kriterien segmentiert werden, so z.B. nach Zweckbestimmung, beförderten Objekten, Regelmäßigkeit, geographischen Aspekten oder genutzten Fahrzeugen: Individualverkehr (privater Verkehr) Gewerblicher Verkehr Werkverkehr Personen: Fahrgemeinschaften, Einzelfahrten Güter: Möbeltransport; Sportpferdetransport Personen: Busnah-/ -fernverkehr, Taxiverkehr, Limousinenservice Güter: diverse Personen: Werkbusse, Militärtruppentransporte Güter: diverse weitere Segmentierungsmöglichkeiten Linienvs. Gelegenheitsverkehr Binnenvs. Grenzüberschreitender Verkehr motorisierter vs. nicht motorisierter Verkehr Tabelle 2-2 Segmentierung des Straßenverkehrs 36 Individualverkehr bezeichnet jenen Verkehr, der der nicht gewerbsmäßigen Beförderung von Personen oder Gütern dient. Gewerblicher Verkehr ist demgegenüber eine gewerbsmäßige oder entgeltliche Beförderung von Personen oder Gütern mit Kraftfahrzeugen. Als gewerblicher Personenkraftverkehr gilt im Rahmen des Straßenverkehrs die „ entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen [...] mit Oberleitungsomnibussen (Obussen) und mit Kraftfahrzeugen. “ 37 . Die in diesem Bereich tätigen Unternehmen unterliegen der Genehmigungs-, Betriebs- und Beförderungspflicht. 38 Als gewerblicher Güterkraftverkehr gilt die „ geschäftsmäßige Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen oder entgeltliche Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen, die einschließlich Anhänger ein höheres zulässiges Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen haben “. 39 Diese Verkehre unterliegen ebenfalls der Genehmigungspflicht. Werkverkehr stellt Güterkraftverkehr für eigene Zwecke eines Unternehmens dar. 40 Die beförderten Güter sind „ Eigentum des Unternehmens oder von diesem verkauft, gekauft, vermietet, gemietet, hergestellt, erzeugt, gewonnen, bearbeitet oder instandgesetzt worden “. 41 Die dabei eingesetzten Kraftfahrzeuge werden von unternehmenseigenem Personal geführt. Die Beförderung stellt nicht den hauptsächlichen Unternehmenszweck, sondern lediglich eine Hilfstätigkeit dar. Linienverkehr liegt vor, wenn Fahrten auf Grundlage eines Fahrplanes und festgelegter Routen öffentlich und regelmäßig angeboten werden. Gelegenheitsverkehr findet bei entsprechendem Bedarf statt. Hierbei gibt es keine Fahrpläne; für die einzelnen Fahrten werden Verkehrsmittel und Zeiten jeweils neu bestimmt. 36 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 84 37 § 1, Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 38 vgl. §§ 2, 21, 22 Personenbeförderungsgesetz 39 § 1 Güterkraftverkehrsgesetz 40 vgl. § 1 Güterkraftverkehrsgesetz 41 Peter, Uwe: Unternehmen des Straßengüterverkehrs als logistische Dienstleister, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans- Joachim (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 322 <?page no="29"?> 2.1 Straßenverkehr 29 Binnenverkehr bezieht sich auf innerhalb eines Landes durchgeführte Transporte. Grenzüberschreitender Güterkraftverkehr bezeichnet demgegenüber jenen Verkehr, bei dem das Gut das Land verlässt oder aus einem anderen Land eingeführt wird. 2.1.3 Straßenfahrzeuge Mit Erfindung des Rades vor ca. 6.000 Jahren entstanden auch die ersten Fahrzeuge, die von Tieren gezogen wurden. Erst mit der Entwicklung der Dampfmaschine boten sich neue Möglichkeiten der Fortbewegung. Im 19. Jahrhundert wurde - wie auch in der Schifffahrt und bei Schienenfahrzeugen - mit Dampfantrieb bei Straßenfahrzeugen experimentiert. Etwa zeitgleich wurde ein Vorläufer des heutigen Motors entwickelt. 42 Der Durchbruch gelang aber erst Ende des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung neuer Antriebstechniken: des Verbrennungsmotors (Otto 1867), des schnelllaufenden Benzinmotors (Daimler 1882) und des Elektromotors (Siemens 1879). Weitere Entwicklungen, wie die der Luftbereifung, erhöhten die Leistungsfähigkeit der motorisierten Fahrzeuge. 43 Ford begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Großserienproduktion des Automobils. 1924 wurden 2 Mio. Exemplare des „Model T“ produziert. Fords Strategie des Einheitsmodells wurde später wegen rückläufiger Absatzzahlen aufgegeben. Stattdessen verfolgte man die bereits vom Konkurrenten General Motors praktizierte Strategie des jährlichen Modellwechsels. 44 Vor dem 2. Weltkrieg entstanden bereits Güterkraftfahrzeuge, die für verschiedene Güterarten ausgelegt waren. Ab den 1950er Jahren hat sich der Dieselantrieb in Europa zum Standardantrieb von Lastkraftwagen entwickelt. 45 Die Entwicklung umweltfreundlicherer Antriebskonzepte wurde und wird durch die Klimadebatte forciert: „ Die Autos, die wir heute fahren, sind […] Ungetüme aus dem vergangenen Jahrhundert. Um voranzukommen, verbrennen sie fossile Treibstoffe und produzieren dabei Lärm und Abgase. “ 46 Batterie-elektrische Autos an sich sind keine Erfindung der jüngeren Zeit, sondern existierten schon vor weit über 100 Jahren - damals allerdings mit wenig leistungsfähigen Bleiakkus ausgestattet. Wurde deren weitere Entwicklung und Verbreitung damals durch den Siegeszug des Verbrennungsmotors ausgebremst, sind heute Diskussionen um Reichweite, Ladeinfrastruktur und Akkuproduktion noch Hemmnisse. Gleichwohl werden Elektrofahrzeuge als wichtige Bausteine der Energiewende gesehen und von politischer Seite gefördert. Zum einen sollen Kaufanreize zu einer stärkeren Verbreitung führen, zum anderen wird die Ladeinfrastruktur ausgebaut. Ende 2019 waren mehr als 30 verschiedene Fahrzeugmodelle deutscher Automobilbauer am Markt erhältlich. 47 Daneben wird in Elektromobilität mit Wasserstoff bzw. Brennstoffzellen investiert. Ein seit 2007 bestehendes Nationales Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie samt Anschlussprogramm stellt entsprechende Förderungen bereit. 48 42 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 258 43 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 38f 44 vgl. ebd., 39 45 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 258 46 Ritz, Johannes: Mobilitätswende - autonome Autos erobern unsere Straßen, Wiesbaden 2018, 5 47 vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Elektromobilität in Deutschland, http: / / www.bmwi.de, 15.04.2020 48 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Elektromobilität mit Wasserstoff/ Brennstoffzelle, http: / / www.bmvi.de, 15.04.2020 <?page no="30"?> 30 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Seit einigen Jahren arbeiten Automobilhersteller und auch branchenfremde Unternehmen verstärkt an der Entwicklung autonom fahrender Straßenfahrzeuge. Im ÖPNV werden bereits autonom fahrende Kleinbusse getestet. Grundsätzlich lassen sich Straßenfahrzeuge in schienengebundene und nicht schienengebundene Fahrzeuge unterscheiden. Eine weitere Unterteilung ist möglich in Kraftfahrzeuge und nicht durch Maschinenkraft angetriebene Fahrzeuge. Hierbei kann gleichzeitig in Personenfahrzeuge, Lastfahrzeuge und Sonderfahrzeuge differenziert werden. Die einzelnen Formen fasst folgende Tabelle zusammen. Schienengebundene Straßenfahrzeuge Straßenbahn (mit Triebwagen und Beiwagen) O-Bus (nur Österreich) Nicht schienengebundene Straßenfahrzeuge Personenfahrzeuge Lastfahrzeuge Sonderfahrzeuge Kraftfahrzeuge Kraftwagen Dreiradkraftwagen, Personenkraftwagen, Kombikraftwagen, Omnibus, O-Bus (außer Österreich), Krankenkraftwagen Lastkraftwagen, Kombikraftwagen, Lieferwagen, Lastkraftwagen Autokran, Straßenreinigungsfahrzeuge, Müllfahrzeuge, Straßenwalze, selbstfahrende landwirtschaftliche Geräte (z.B. Mähdrescher), selbstfahrende Baumaschinen, Feuerwehr u.a. Zugmaschine Sattelzugmaschine 49 , Zugmaschine (z.B. bei Liliputbahn) Sattelzugmaschine, Zugmaschine, Traktor Kraftrad Motorrad (auch mit Seitenwagen), Motorroller, Kleinkraftrad, Moped Motorrad mit Seitenwagen nicht durch Maschinenkraft angetriebene Fahrzeuge Anhängefahrzeug Anhänger mit zwei und mehr Achsen 50 (z.B. Liliputbahn), Auflieger Anhänger mit einer und mehr Achsen, Auflieger Tiefladewagen, Straßenroller, Langholzfahrzeuge, nicht selbstfahrende landwirtschaftliche Geräte u.a. Gespann Pferdekutschen Gespann mit Wagen Fahrrad Fahrrad Fahrrad mit Anhänger Tabelle 2-3 Mögliche Systematik der Straßenfahrzeuge 51 Kraftfahrzeuge und Fahrzeugkombinationen, die hauptsächlich dem Gütertransport dienen und zum Einsatz auf der Straße bestimmt sind, werden als Lastkraftwagen (Lkw) oder Güterkraftfahrzeug bezeichnet. Je nach den spezifischen Einsatzzwecken unterscheiden sich diese Fahrzeuge im Fahrgestell, den Abmessungen und der Motorleistung. 52 Grundsätzlich können folgende Gruppen von Güterkraftfahrzeugen unterschieden werden: Lkw transportieren Güter auf der Ladefläche. Sattelzüge setzen sich aus einer Sattelzugmaschine und 49 mit Auflieger als frühe Form des Omnibusses (nach 1950) 50 auch Anhänger zum Omnibus 51 modifiziert nach: Dörschel, Wolfgang: Verkehrsberufe - Verkehrsgeographie, Berlin 1974, 210 52 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 194 <?page no="31"?> 2.1 Straßenverkehr 31 einem Sattelauflieger zusammen. Aufgabe von Sattelzugmaschinen ist nicht der Transport von Gütern, sondern das Tragen des Sattelaufliegers. Gliederzüge (auch Lastzüge) bestehen aus einem Lkw (Motorwagen) und einem Anhänger. Dabei kann auf beiden Ladung transportiert werden. Leichte Nutzfahrzeuge unter 3,5 Tonnen sind vor allem als Dienstleistungs- und Lieferfahrzeug im Einsatz. 53 Gliederzug Sattelzug Spezialfahrzeug, Tieflader Spezialfahrzeug, Tanklastwagen Die Verkehrsstatistik erfasst Güterkraftfahrzeuge nach ihrem zulässigen Gesamtgewicht. Dies setzt sich zusammen aus dem Leergewicht des Fahrzeugs sowie der maximal zulässigen Zuladung. Sattelzugmaschinen werden dabei aufgrund ihrer technischen Merkmale als separate Fahrzeugklasse betrachtet. International werden Güterkraftfahrzeuge in die Klassen N1 bis N3 gruppiert. 54 53 vgl. Shell Deutschland Oil GmbH: Shell LKW-Studie - Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030, Hamburg 2010, 19f; Cardeneo, Andreas: Straßengüterverkehr, Speditionen, Logistik-Dienstleistungen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch Logistik, Berlin u.a. 2008, 728 54 vgl. Shell Deutschland Oil GmbH: Shell LKW-Studie - Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030, Hamburg 2010, 20 <?page no="32"?> 32 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fahrzeugklassen Zulässiges Gesamtgewicht Typisches Einsatzgebiet leichte Nutzfahrzeuge (N1) bis unter 3,5 t Dienstleistungs- und Lieferfahrzeug leichte Lkw (N1) ab 3,5 bis unter 7,5 t Auslieferung im Nahverkehr schwere, nicht mautpflichtige Lkw (N2) ab 7,5 t bis unter 12 t Auslieferung im Regionalverkehr, Transport von Volumengütern Schwere Lkw (N3) ab 12 t als Motorwagen eines Gliederzuges im Güterfernverkehr, Baustellenverkehre Sattelzugmaschinen (i.d.R. N3) i.d.R. bis 40 t oder 44 t Güterfernverkehr Tabelle 2-4 Fahrzeugklassen im Überblick 55 Bei der Auswahl geeigneter Fahrzeuge entscheiden jedoch nicht nur die Kapazitäten, sondern auch die Anschaffungs- und Betriebskosten, die Be- und Entlademöglichkeiten sowie die Flexibilität des Einsatzes. Nutzfahrzeughersteller haben deshalb entsprechend der Einsatzzwecke verschiedenste Aufbauten im Programm (vgl. z.B. Pritschenaufbauten mit Plane, Koffer - auch für temperaturgeführte Transporte -, Tank oder Sonderanfertigungen). 56 Entwicklungen bei Güterkraftfahrzeugen - Die Lang-Lkw Ein Lang-Lkw stellt eine Fahrzeugkombination dar. Zwei Lang-Lkw können dasselbe Volumen transportieren wie bisher drei Lkw. Sinnvoll erscheint dies vor allem, da bisher bei rund 80 % aller Transporte nicht das Gewicht, sondern das Volumen als limitierender Faktor gilt. Die eingesetzten Lang-Lkw weisen bei einer maximalen Gesamtmasse von 40 t eine maximale Länge von 25,25 m auf. Ausnahmen gelten für den Vor- und Nachlauf im kombinierten Verkehr. Hier ist eine maximale Gesamtmasse von 44 t zulässig. Weitere technische Anforderungen sind in der Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge geregelt. 57 Durch den Einsatz dieser Fahrzeuge verspricht man sich vor allem Kraftstoffeinsparungen und dadurch eine Reduktion der Emissionsbelastung. Zudem erwartet man, dass das Fahrzeugaufkommen an Straßenfahrzeugen um rund 8 % gesenkt werden kann. Positive Effekte erhofft man sich auch für den kombinierten Verkehr durch eine Einsparung bei den Vor- und Nachlaufkosten. 58 Es gibt jedoch auch Kritiker, zu denen z.B. der BUND und die Allianz pro Schiene gehören. Zum einen werden hier Lang-Lkw als Sicherheitsrisiko gesehen (Räumzeiten bei Kreuzungen, Bahnübergängen, Überholvorgänge, Brandlast usw.). Zum anderen muss die Straßeninfrastruktur (vgl. z.B. Lkw-Parkplätze) mit großem finanziellem Aufwand entsprechend angepasst werden. Schließlich tragen Lang-Lkw zu einer Attraktivitätssteigerung des Straßen- 55 modifiziert nach: Shell Deutschland Oil GmbH: Shell LKW-Studie - Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030, Hamburg 2010, 19 56 vgl. Cardeneo, Andreas: Straßengüterverkehr, Speditionen, Logistik-Dienstleistungen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch Logistik, Berlin u.a. 2008, 729 57 vgl. Wissmann, Matthias: Lang-Lkw sind echte Öko-Laster, in: Internationales Verkehrswesen, 2/ 2011, 20; Bundesamt für Straßenwesen: Feldversuch Lang-Lkw, http: / / www.bast.de, 07.11.2013; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge (LKWÜberlStVAusnV) vom 19. Dezember 2011 58 vgl. Initiative für Innovative Nutzfahrzeuge: Faktenpapier zum Feldversuch mit dem Lang-Lkw, Berlin 2011, 7f <?page no="33"?> 2.1 Straßenverkehr 33 verkehrs bei, forcieren damit die „rollenden Lager“ und erhöhen letztendlich die Umweltbelastung. Da Lang-Lkw vor allem für mittlere und längere Distanzen geeignet erscheinen, treten sie in direkte Konkurrenz zu Schiene und Binnenwasserstraße und unterstützen damit eine Verkehrsverlagerung auf die Straße. 59 Im Rahmen eines fünf Jahre dauernden Feldversuchs wurde von 2012 bis 2016 in Deutschland analysiert, welche Chancen und Risiken mit dem Einsatz von Lang-Lkw verbunden sind. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei Möglichkeiten der Effizienzsteigerung sowie Auswirkungen auf Umwelt, Infrastruktur und Verkehrssicherheit. Zudem sollten damit verbundene Konsequenzen für den kombinierten Verkehr untersucht werden. Dabei wurde ausdrücklich betont, dass eine (Rück-)Verlagerung von der Schiene auf die Straße nicht Ziel dieses Versuchs ist. Integriert in den Feldversuch waren anfangs 21, später 60 Speditionen mit insgesamt 161 Lang-Lkw. 60 In den Feldversuch einbezogen waren die Bundesländer Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Einzelne Relationen, u.a. auch mit dem Ziel des Lückenschlusses, waren in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt freigegeben. Ausgehend davon wurde ein sogenanntes Positivnetz für Deutschland entwickelt, das für Lang-Lkw befahrbare Strecken enthält. 61 Aufgrund der positiven Ergebnisse des Feldversuchs dürfen seit 2017 Lang-Lkw dauerhaft im Positivnetz, welches mehrfach erweitert wurde, fahren. Inzwischen umfasst das Netz rund 11.600 km und neben Autobahnen (ca. 70 %) und Bundesstraßen auch Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen. Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit sind für neue Lang-Lkw Abbiegeassistenten und mitblinkende Seitenmarkierungsleuchten ab Mitte 2020 verpflichtend, ab Mitte 2022 ebenso für Bestandsfahrzeuge. Personalseitige Voraussetzungen sind der Besitz einer entsprechenden Fahrerlaubnis seit mindestens fünf Jahren sowie eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung. Zudem muss ein Einweisungslehrgang zum Führen eines Lang- Lkw belegt werden. 62 Fahrzeuge, die der Personenbeförderung dienen, werden als Personenfahrzeuge bezeichnet. Dabei können motorisierte und nicht motorisierte Fahrzeugtypen unterschieden werden. Nach dem Personenbeförderungsgesetz handelt es sich bei Personenkraftwagen (Pkw) um „ Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von nicht mehr als neun Personen (einschließlich Führer) geeignet und bestimmt sind “. 63 Kraftomnibusse (KOM) sind demnach 59 vgl. Allianz pro Schiene: Gigaliner: Eine Gefahr für Verkehr und Umwelt, http: / / www.allianz-pro-schiene.de, 11.01.2020; BUND: Einseitige Politik für die Straße, http: / / www.bund.net, 07.11.2013; Allianz pro Schiene: Verkehrsverlagerung - ja oder nein? , http: / / www.allianz-pro-schiene.de, 07.11.2013 60 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lang-Lkw: Streckennetz deutlich erweitert - Abbiegeassistent wird Pflicht, http: / / www.bmvi.de, 11.01.2020 61 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Fragen und Antworten zum Feldversuch Lang-Lkw, http: / / www.bmvbs.de, 07.11.2013; Bundesamt für Straßenwesen: Feldversuch Lang-Lkw, http: / / www.bast.de, 07.11.2013 62 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lang-Lkw: Streckennetz deutlich erweitert - Abbiegeassistent wird Pflicht, http: / / www.bmvi.de, 11.01.2020; Allianz pro Schiene: Gigaliner: Eine Gefahr für Verkehr und Umwelt, http: / / www.allianz-pro-schiene.de, 11.01.2020 63 § 4, Abs. 4 Nr. 1 Personenbeförderungsgesetz <?page no="34"?> 34 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel „ Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von mehr als neun Personen (einschließlich Führer) geeignet und bestimmt sind. “ 64 In Abhängigkeit vom Einsatzzweck (vgl. Personennah- und -fernverkehr bzw. Linien- und Gelegenheitsverkehr) werden Busse unterschiedlicher Größe (vgl. Kleinbus, Midibus, Solobus, Gelenkbus, Doppeldeckerbus) und Ausstattung genutzt. Eine Besonderheit bilden auf Flughäfen eingesetzte Vorfeldbusse, die nicht der Straßenverkehrsordnung unterliegen und deshalb in Länge und Breite abweichen können. Kleinbusse Midibusse Standardbusse Standardbusse lang Doppeldeckerbusse 9-17 Sitzplätze 18-38 Sitzplätze 40-49 Sitzplätze 52-59 Sitzplätze 72-89 Sitzplätze 5-7 m Länge 7-10 m Länge 12 m Länge 13-14 m Länge 13-14 m Länge Tabelle 2-5 Busgrößen im Reiseverkehr 65 Pkw Gelenkbus im Stadtverkehr, Stockholm Solobus im Regionalverkehr, Klausenpass Fahrrad, Hamburg 64 § 4, Abs. 4 Nr. 2 Personenbeförderungsgesetz 65 erstellt nach: Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 138f <?page no="35"?> 2.1 Straßenverkehr 35 Fallstudie: Eine Chance für den O-Bus? „Die Welt der elektrischen Bussysteme ist in Bewegung, mehr denn je.“ 66 Angesichts der Abgasbelastung in Städten wird vielerorts diskutiert - und inzwischen auch getestet -, wie sich dieses Problem, das nicht nur den Individualverkehr, sondern auch den ÖPNV betrifft, bewältigen lässt. Dabei gibt es schon seit über 100 Jahren emissionsfreie Lösungsansätze. Ende des 19. Jahrhunderts eroberte der O-Bus, international als Trolleybus bezeichnet, die Welt. Wenige Jahre zuvor hatte Werner von Siemens sein „Elektromote“ erfolgreich getestet und anschließend zur Serienreife geführt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es weltweit 79 O-Bus-Strecken, 21 davon in Deutschland. Zwischen 1928 und 1960 existierten hier über 70 O-Bus-Betriebe. 67 In der heutigen Zeit scheint der O-Bus in Deutschland fast vergessen. Lediglich in Eberswalde, Esslingen und Solingen ist er noch unterwegs. Zurückzuführen ist dies z.B. auf den Ausbau der Straßenbahnnetze und die Verfügbarkeit leistungsfähiger Dieselbusse, aber auch auf verkehrsplanerische Konzepte, die dem O-Bus keine Chance mehr gaben bzw. geben. Gleichwohl verfügt Deutschland über eine leistungsfähige O-Bus-Industrie, die allerdings vorrangig für den Exportmarkt produziert. So nutzen beispielsweise die Athener Verkehrsbetriebe in Deutschland hergestellte Neoplan-Niederflur-Schubgelenkbusse. 68 Anders gestaltet sich die Lage in den Nachbarländern, wie z.B. Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz, der Slowakei und Tschechien. Weltweit sind in 47 Ländern in weit über 300 Städten O-Busse im Einsatz. 69 Auch Eberswalde, Esslingen und Solingen halten an ihren Konzepten fest, investieren in neue Fahrzeuge und Linienerweiterungen und betonen damit die Zukunftsfähigkeit des O-Bus-Systems: „Sie nutzen dabei innovative Weiterentwicklungen bei der vorhandenen drahtgebundenen Technologie, wie z.B. Rekuperation von Bremsenergie in fahrzeuginternen Speichern, neue Technologien beim automatischen An- und Abdrahten der Fahrleitung und der zusätzlichen Ausstattung mit Hochleistungsbatterien. Diese lassen es in sensiblen Stadtquartieren zu, auf immer längeren Streckenabschnitten die Fahrleitung einzusparen.“ 70 Moderne O-Busse genügen längst den Anforderungen an attraktive Nahverkehrsmittel - sowohl aus Sicht der Fahrgäste als auch aus Sicht der Verkehrsbetriebe. Angesichts der aktuellen Energie- und Umweltdebatte könnte der O-Bus in Zukunft durchaus gute Chancen haben. Aus technischer Sicht ist der moderne O-Bus zum Know-how-Träger geworden, sei es bei Antrieb, Energieverbrauch oder Wartung. Duo-Busse sind zusätzlich mit einem Hilfsdieselmotor ausgestattet. Diese erlauben auch bei Umleitungen oder Netzausfällen eine Weiterfahrt. Durch den Einsatz von Hybridantrieben können auch Randnetze ohne Fahrdraht betrieben werden. 71 Verglichen mit einem Dieselbus weist ein O-Bus ein besseres Leistungs-Verbrauchs-Verhältnis auf. Da er kein Schaltgetriebe besitzt, erreicht der O-Bus eine günstige 66 TrolleyMotion: Stand und Entwicklungstendenzen bei elektrisch betriebenen Linienbussen, http: / / www.trolleymotion.eu, 29.03.2019 67 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 229; Haase, Ralf: Zurück in die Zukunft, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2011, 12 68 vgl. ebd.; Fritsch, Reinhard: Der O-Bus in Deutschland, in: Der Nahverkehr 10/ 2012, 40 69 Eine Liste aller aktiven B-Bus-Systeme findet sich unter http: / / www.trolleymotion.eu. 70 Haase, Ralf: Elektrobusse - Technologischer Spagat zwischen Tradition und Innovation, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2013, 56 71 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 230 <?page no="36"?> 36 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Drehmomentkurve, die trotz hoher Leistung Energie sparen hilft. Hinzu kommt die höhere Belastbarkeit von Elektromotoren, was sich im hügeligen Gelände als vorteilhaft erweist. Neue Stromabnehmersysteme ermöglichen es dem Fahrzeug, Hindernissen im Straßenraum auszuweichen, verhindern aber gleichzeitig ein Entdrahten der Bügel. 72 Arnhem Bratislava Landskrona Linz Luzern Plze O-Bus-Kritiker führen regelmäßig die für dieses System höheren Kosten an. Die Anschaffungskosten für die Fahrzeuge liegen tatsächlich beim O-Bus deutlich höher, haben aber während der letzten Jahre schon abgenommen. Zahlten die Salzburger Verkehrsbetriebe beispielsweise vor knapp 20 Jahren noch 72 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 230 <?page no="37"?> 2.1 Straßenverkehr 37 rund 800.000 Euro für einen neuen Bus, waren es bei aktuellen Beschaffungen nur noch rund 550.000 Euro. Im Vergleich zum Dieselbus ist dieser Wert immer noch hoch. Allerdings haben O-Busse mit bis zu 20 Jahren auch wesentlich längere durchschnittliche Nutzungsdauern als Dieselbusse (ca. 13 Jahre). 73 Anders als beim Einsatz von Dieselbussen erfordert der O-Bus-Betrieb auch zusätzliche Aufwendungen für die Energieversorgung, d.h. Masten, Fahrdraht und Unterwerke, die auch bei der Straßenbahn nötig sind. 74 Beim konkreten Vergleich von Bussystemen in einzelnen Städten zeigt sich aber, dass keine pauschale Aussage bezüglich der Vorteilhaftigkeit möglich ist. Solingen O-Bus Dieselbus Salzburg O-Bus Dieselbus Betriebskosten 0,23 € 0,58 € Energie 0,16 € 0,43 € Instandhaltungskosten (Material) 0,27 € 0,31 € Instandhaltungskosten (Material) 0,43 € 0,40 € Kapitalkosten 0,22 € 0,15 € Kapitalkosten 0,74 € 0,66 € Fahrzeugkosten 0,72 € 1,04 € Fahrzeugkosten 0,82 € 0,74 € Infrastrukturkosten 0,36 € 0,00 € Infrastrukturkosten 0,23 € 0,01 € Summe 1,80 € 2,08 € Summe 2,40 € 2,24 € Der Personalaufwand ist jeweils für beide Bussysteme vergleichbar. Tabelle 2-6 Vergleich der Bussysteme in Solingen und Salzburg - spezifische Kosten je Kilometer 75 In die Bewertung der Wirtschaftlichkeit sollten zudem nicht nur die Kostenseite, sondern ebenso die Ertragsseite (vgl. Kundennutzen, Zahlungsbereitschaft) sowie die externen Kosten einbezogen werden. Der Einsatz von O-Bussen empfiehlt sich dann, wenn Netzerweiterungen in Städten mit bereits existierendem O-Bus-Netz, Netzergänzungen in Städten mit Straßen- und Stadtbahnnetzen oder Netzumstellungen in Städten mit ausgeprägtem Autoverkehr vorgesehen sind. 76 Auch Städte, in denen es bereits Sonderfahrspuren für Busse gibt, bieten gute Voraussetzungen; ebenso denkbar ist der O-Bus für Städte, die eigentlich an die Neuerrichtung eines Straßenbahnnetzes denken, aber die Kosten scheuen. 77 Als besonders günstig erweist sich der O-Bus-Einsatz in sensiblen Zonen, die sowohl zum Arbeiten als auch zum Leben und Wohnen genutzt werden. Schließlich können sich Kommunen mit einem hohen Umweltbewusstsein dadurch auch entsprechend positionieren, wobei eine Entscheidung für oder gegen den O- Bus nicht nur von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen abhängig gemacht werden sollte. 78 Angesichts des Fahrgastpotentials, das für die Errichtung und den Betrieb eines klassischen O-Bus-Systems erforderlich ist, sind Städte ab ca. 30.000 Einwohner geeignet. Natürlich sind dabei die Wirt- 73 vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.: Analyse neuzeitlicher Systeme des öffentlichen Personennahverkehrs und deren Anwendungsmöglichkeiten in Osnabrück, o.O. 2010, 27 74 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 230 75 erstellt nach: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.: Analyse neuzeitlicher Systeme des öffentlichen Personennahverkehrs und deren Anwendungsmöglichkeiten in Osnabrück, o.O. 2010, 38 76 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 231 77 vgl. Fritsch, Reinhard: Der O-Bus in Deutschland, in: Der Nahverkehr 10/ 2012, 42f 78 vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 231 <?page no="38"?> 38 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel schafts- und Siedlungsstruktur sowie die topographischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Ebenso sind die möglichen demographischen Entwicklungen von Bedeutung. 79 Die technologischen Entwicklungen im Elektrobussektor gehen aber inzwischen weit über den klassischen O-Bus hinaus. So sind schon Fahrzeuge im Einsatz, die mithilfe von Batterien auch Streckenabschnitte ohne Fahrleitung bewältigen können bzw. Strom aus dem Netz der Straßenbahn beziehen (vgl. z.B. „Swiss Trolley plus“ in Zürich 80 ), die ihre Batteriespeicher im Betriebshof oder an Endhaltestellen aufbzw. nachladen (vgl. z.B. die seit 2013 in Wien verkehrenden „ElectriCitybusse“ 81 ), die ihren Fahrstrom via Induktion aus der Straße beziehen (vgl. z.B. das Projekt „emil“ in Braunschweig 82 ), die Erdgas zur Umwandlung in Elektroenergie bzw. eine Brennstoffzelle nutzen (vgl. z.B. das Erprobungsprojekt mit Brennstoffzellen-Hybridbussen in Hamburg, Karlsruhe und Stuttgart 83 ). 84 Aufgabe 1: Recherchieren Sie, in wie vielen europäischen Städten aktuell O-Busse im Einsatz sind! Aufgabe 2: Welche Vorteile weist der O-Bus auf (v.a. auch hinsichtlich der Emissionsreduktion)? Welche Nachteile sind damit verbunden? Aufgabe 3: Wo ist ein sinnvoller Einsatz von O-Bussen möglich? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 4: Wie erklären Sie sich, dass andere Länder gute Erfahrungen mit dem O-Bus gemacht haben und auch daran festhalten, Deutschland aber seine O-Bus-Betriebe von ehemals über 70 auf drei verringert hat? 79 vgl. vgl. Haase, Ralf: Für eine Renaissance des O-Busses, in: Internationales Verkehrswesen 5/ 2007, 231 80 vgl. o.V.: Zürich testet Trolleybus. der mit Batterie fährt (17.01.2017), http: / / www.luzernerzeitung.ch, 06.09.2017 81 vgl. Wiener Stadtwerke, Geschäftsbericht 2012, Wien 2013, 23; o.V.: Wiener Linien mit Staatspreis Mobilität ausgezeichnet (13.09.2013), http: / / www.vipress.at, 12.01.2014 82 vgl. Braunschweiger Verkehrs-GmbH: Braunschweig fährt jetzt induktiv, Braunschweig o.J. 83 vgl. Stuttgarter Straßenbahnen AG: Willkommen im Brennstoffzellen-Hybridbus, Stuttgart 2014 84 vgl. Haase, Ralf: Elektrobusse - Technologischer Spagat zwischen Tradition und Innovation, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2013, 57 <?page no="39"?> 2.1 Straßenverkehr 39 2.1.4 Straßennetz in Europa Die Europäische Union (EU) verfügt über eines der dichtesten Verkehrsinfrastrukturnetze der Welt. Bezogen auf Straßen- und Schieneninfrastruktur weist die EU pro 1.000 km² ein dichteres Infrastrukturnetz als die USA auf. Diese dichte Vernetzung spiegelt auch die starke Transportnachfrage wider. 85 Dabei sind die einzelnen Mitgliedsstaaten mit unterschiedlich ausgebauten Straßennetzen ausgestattet: Spanien, Deutschland und Frankreich verfügen über die längsten Autobahnnetze in der EU. Die jeweiligen Landesnetze haben einen Anteil von 19 %, 16 % bzw. 14 % am Gesamtnetz der EU- Staaten. Die Autobahndichte in der EU beträgt 17 km pro 1.000 km². Die größte Dichte weisen dabei die Niederlande (66 km/ 1.000 km²), Luxemburg (62 km/ 1.000 km²) und Belgien (58 km/ 1.000 km²) und auf. 86 Abbildung 2-2 Autobahnstrecken in Europa 87 Die intensive Beanspruchung der Netze, die teilweise zu Überlastungen führt und damit die Zugänglichkeit beeinträchtigt, ist eines der Hauptprobleme. Ein weiteres Problem stellt die ungleichmäßige Entwicklung der Verkehrsinfrastrukturen im westlichen und östlichen Teil der EU dar, die zur Etablierung eines funktionierenden transeuropäischen Netzes verknüpft werden müssen. 88 85 vgl. Eurostat: Panorama of Transport, Luxembourg 2009, 11 86 vgl. Hagn, Harald: Verkehr in Europa, in: Thüringer Landesamt für Statistik: Statistisches Monatsheft Februar 2019, 35 87 erstellt nach: Eurostat: Autobahnstrecken insgesamt (27.03.2020), http: / / ec.europa.eu, 14.04.2020; Statista: Netzlänge der Autobahnen in europäischen Ländern, http: / / de.statista.com, 14.04.2020 88 vgl. Europäische Kommission: Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem (Weißbuch), Brüssel 2011, 4 1763 757 1329 13141 154 926 11671 880 916 6943 1310 324 165 2756 1743 1637 3065 823 2132 482 6238 15585 1252 1982 3803 257 599 1462 0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 16000 Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Kroatien Litauen Luxemburg Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Schweden Slowakei Slowenien Spanien Tschechien Ungarn Vereinigtes Königreich Zypern Norwegen Schweiz km Autobahnenstrecken Stand 2017/ 2018; Lettland und Malta ohne Autobahnnetz <?page no="40"?> 40 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Autobahn A 40 bei Oberhausen Europastraße 50 (Dálnice D 1) bei Brno Autobahnbrücke, A 14 bei Bernburg Mautstation, Autostrada A 4, Padova Est 2.1.5 Straßennetz in Deutschland Deutschlands Straßennetz kann zwar grundsätzlich als engmaschig und modern beschrieben werden, lässt aber in stark belasteten Bereichen auch „Investitionsstau“ deutlich werden. Das überörtliche Straßennetz, das sich in Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landes- und Staatsstraßen sowie Kreisstraßen gliedert, wies 2019 eine Gesamtlänge von 229.900 km auf. 13.000 km davon waren Bundesautobahnen. Seit der Wende (1991: 226.500 km) hat sich die Gesamtlänge des Straßennetzes nur geringfügig verändert; die größten Erweiterungen gab es bei den Bundesautobahnen (1991: 10.900 km). 89 Aber auch in Bundesstraßen wurde investiert, wobei Ortsumgehungen eine nicht unwichtige Rolle spielten. 90 Bundesfernstraßen, wozu Bundesautobahnen und Bundesstraßen gehören, bewältigen den weiträumigen Verkehr. Der Bund als eigentlicher Baulastträger für die Bundesfernstraßen hat die daraus resultierenden Verpflichtungen an die Bundesländer weitergegeben. Sowohl Bundesautobahnen als auch Bundesstraßen sind durchgehend nummeriert, was die Orientierung im Netz erleichtern soll. 89 vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2019, Wiesbaden 2019, 615 90 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Entwicklung der Autobahnen in Deutschland seit der Wiedervereinigung 1990, http: / / www.bmvi.de, 23.07.2019 <?page no="41"?> 2.1 Straßenverkehr 41 Bundesautobahnen lassen sich definieren als „ richtungsweisende Schnellverkehrsstraßen mit üblicherweise vier bis sechs Fahrspuren für den Kraftwagen- und Kraftradverkehr. “ 91 Weitere Merkmale sind ein kreuzungsfreier Bau, eine an Städten und Gemeinden im Regelfall vorbeiführende Trassierung sowie eine vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit von 60 km/ h. Dadurch kann ein schneller Transport abgesichert werden. 92 Bundesstraßen sind „ einbis zweispurige Fernverkehrs- und Regionalstraßen, die [...] üblicherweise von allen Verkehrsteilnehmern benutzt werden können. “ 93 Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Belastung der Bundesautobahnen kontinuierlich zugenommen; eine vergleichbare Entwicklung auf den Bundesstraßen gibt es nicht. Die Belastungen haben regelmäßig Behinderungen zur Folge, so dass stellenweise die maximale Auslastung erreicht wird bzw. Überlastungen erkennbar sind. 94 Im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans geht man von ca. 67 Mrd. Euro aus, die zur Erhaltung des Bestandsnetzes erforderlich sind. 95 2.1.6 Straßeninfrastruktur Zur Straßeninfrastruktur gehören folgende Bestandteile: Straßenbefestigung Ingenieurbauwerke Sonstige Anlagenteile Nebenanlagen Fahrbahnen Anschlussäste Betriebsflächen Brücken Verkehrszeichenbrücken Tunnel-/ Trogbauwerke Stütz- und Lärmschutzbauwerke Entwässerungseinrichtungen Bepflanzung Ausstattung usw. Betriebsgebäude der Straßenbauverwaltung u.a. Tabelle 2-7 Bestandteile der Straßeninfrastruktur 96 Eine moderne Straße muss Tragfähigkeit, Frostsicherheit und sichere Verkehrsräume garantieren. Eine Straße stellt ein Tragsystem dar, das aus mehreren Schichten besteht. Die einzelnen Schichten lassen sich dem Oberbau bzw. dem Unterbau zuordnen. Die Anordnung, die eingesetzten Materialien sowie die Dicken dieser Schichten bestimmen, für welche Nutzungen sich eine Straße eignet. Fahrzeuge übertragen die von ihnen ausgehenden Belastungen auf recht kleinen Flächen in die Straße, wobei die oberste Schicht den größten Belastungen ausgesetzt ist. Das heißt, tiefer liegende Schichten müssen nicht dieselbe Tragfähigkeit wie die oberste Schicht gewährleisten und können somit auch aus preiswerteren Materialien hergestellt werden. Die Tragschicht 91 Woitschützke, Claus-Peter: Verkehrsgeografie, Köln 2013, 73 92 vgl. ebd. 93 ebd. 94 vgl. Prokop, Günther; Stoller, André: Der Güterverkehr von morgen - LKWs zwischen Transporteffizienz und Sicherheit, Berlin 2012, 35 und 47 95 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bundesverkehrswegeplan 2030, Berlin 2016, 27 96 erstellt nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Erhaltung von Straßen, http: / / www. bmvi.de, 15.04.2020 <?page no="42"?> 42 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel bildet die erste bitumengebundene Schicht. Es folgt die tragfähigere (und teurere) Binderschicht, die den Übergang zur Deckschicht darstellt. Diese muss eine besonders hohe Widerstandsfähigkeit aufweisen. Besonderen Belastungen durch Abbremsen und Beschleunigen müssen Kreuzungen bzw. Flächen vor Lichtsignalanlagen standhalten. 97 Bezüglich des Oberbaus unterscheidet man in Deutschland sieben Belastungsklassen 98 , die sich an der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung orientieren. Beeinflussende Größen sind dabei straßenspezifische (Anzahl der Fahrstreifen, Neigung) und nutzungsspezifische Faktoren (Nutzungsart, Angaben zum Schwerverkehr [durchschnittliche Verkehrsstärke und Verkehrswachstum, durchschnittliche Achszahl pro Fahrzeug] sowie geplante Nutzungsdauer). Aussagen zu Verkehrsbelastungen gewinnt man durch Zählungen oder Schätzungen. Insbesondere durch das im Güterverkehr steigende Verkehrsaufkommen sowie durch neue Reifen- und Achssysteme bei Fahrzeugen ändern sich die Belastungen auf den Straßen. Folglich ändern sich auch die Anforderungen an den Straßenbau und die -erhaltung. 99 Die konkrete Zusammensetzung von Oberbau und Unterbau richtet sich nicht nur nach der Verkehrsbelastung, der die Straße ausgesetzt ist, sondern auch nach den jeweils herrschenden klimatischen Bedingungen. Frostsicherheit ist dann gewährleistet, wenn die einzelnen Schichten so ausgelegt sind, dass durch Frost auftretende Verformungen in unteren Schichten keine Schäden nach oben hin hervorrufen. Um für alle Verkehrsteilnehmer sichere Verkehrsräume bieten zu können, werden bei der Gestaltung von Verkehrsräumen Sicherheitszuschläge bezüglich der Höhe und Breite (vgl. Lichtraum) vorgesehen. Eine bauliche Befestigung von Fahrstreifen wird durch das Anlegen von markierten Randstreifen bzw. Randbefestigungen mit Entwässerungsrinnen sowie Bordsteinen erreicht. Diese Maßnahmen tragen gleichzeitig zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei. Besonders hohe Sicherheit kann geboten werden, wenn für die einzelnen Verkehrsarten getrennte Verkehrsräume mit entsprechender Absicherung zur Verfügung stehen. 100 Je nach verkehrlicher Bedeutung bzw. Funktion, die eine Straße zu erfüllen hat (vgl. z.B. Autobahn vs. Landstraße), stellen sich unterschiedliche Anforderungen an deren Gestaltung und Trassierung . Die Belange von Nutzern bzw. von Akteuren aus dem Umfeld, der Bedarf an bzw. die Möglichkeiten zur Verkehrsregelung und Gewährleistung von Verkehrssicherheit sowie die konkrete Ausstattung (z.B. Fahrbahnmarkierung, Verkehrszeichen, Lichtsignalanlagen, Wegweiser) unterscheiden sich dabei sehr stark. 101 97 vgl. Richter, Dietrich; Heindel, Manfred: Straßen- und Tiefbau, Wiesbaden 2008, 11; Niggemann, Marc: Angewandter Straßenbau, Wiesbaden 2012, 18; Bundesanstalt für Straßenwesen: Dimensionierung und Erhaltung von Straßen, http: / / www.bast.de, 19.11.2013 98 siehe dazu auch: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Infrastrukturmanagement: Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus für Verkehrsflächen, Köln 2012 99 vgl. Bundesanstalt für Straßenwesen: Grundsatzfragen der Bauwerkserhaltung, http: / / www.bast.de, 19.11.2013 100 vgl. Niggemann, Marc: Angewandter Straßenbau, Wiesbaden 2012, 18; Bundesanstalt für Straßenwesen: Dimensionierung und Erhaltung von Straßen, http: / / www.bast.de, 19.11.2013; Richter, Dietrich; Heindel, Manfred: Straßen- und Tiefbau, Wiesbaden 2008, 11 und 15 101 vgl. Bundesanstalt für Straßenwesen: Straßenentwurf, Verkehrsablauf, Verkehrsregelung, http: / / www.bast.de, 19.11.2013 <?page no="43"?> 2.1 Straßenverkehr 43 Knotenpunkte sind bauliche Anlagen, die zwei oder mehr Straßen bzw. Wege miteinander verbinden. 102 Knotenpunkte müssen Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit gewährleisten. Verkehrssicherheit resultiert dabei aus mehreren Aspekten: Erkennbarkeit, Übersichtlichkeit, Begreifbarkeit und Befahrbarkeit. Leistungsfähigkeit ist dann gegeben, wenn Verkehrsströme ohne unzumutbare Wartezeiten geführt werden können. Wirtschaftlichkeit bezieht sich v.a. auf Bau-, Unterhaltungs- und Betriebskosten. 103 Nach der DIN 1076 gelten als Brücken „ Überführungen eines Verkehrsweges über einen anderen Verkehrsweg, über ein Gewässer oder tiefer liegendes Gelände, wenn ihre lichte Weite rechtwinklig zwischen den Widerlagern gemessen 2,00 m oder mehr beträgt. “ Zum deutschen Bundesfernstraßennetz gehören rund 39.500 Brücken sowie rund 51.360 sogenannte Teilbauwerke, die zusammen eine Gesamtlänge von mehr als 2.100 km bzw. eine Fläche von über 30 Mio. m² ergeben. Betrachtet man die Brückenfläche, stellen Spannbetonbrücken mit knapp 70 % den größten Anteil am Gesamtbestand dar. Brücken in Beton weisen einen Anteil von ca. 17 %, Stahl- und Verbundbrücken einen Anteil von rund 6 % bzw. 7 % auf. Stein- und Holzbrücken sind dabei kaum von Bedeutung. 104 Errichtet wurden die meisten Brücken zwischen 1965 und 1985, was besonders auf die großen Talbrücken in den alten Bundesländern zutrifft. Angesichts der starken Zunahme des Personen- und Güterverkehrs (insbesondere des Schwerverkehrs) sowie des genehmigungspflichtigen Großraum- und Schwerverkehrs in den letzten Jahrzehnten werden diese Brücken inzwischen wesentlich stärker beansprucht und gelangen dadurch teilweise an ihre Belastungsgrenzen. Entsprechende Ertüchtigungsbzw. Erneuerungsmaßnahmen sind daher unabdingbar. Im Rahmen des Programms Brückenmodernisierung sollen im Zeitraum 2019-2023 insgesamt rund 4,3 Mrd. Euro investiert werden. 105 Die DIN 1076 definiert Straßentunnel als „ dem Straßenverkehr dienen Bauwerke, die unterhalb der Erd- oder Wasseroberfläche liegen und in geschlossener Bauweise hergestellt werden ober bei offener Bauweise länger als 80 m sind. “ Letztes würde z.B. auch Galerien oder oberirdische Einhausungen zum Zwecke des Lärmschutzes mit entsprechender Länge umfassen. Die Verkehrsregelung steht in engem Zusammenhang mit der Straßeninfrastruktur. Von Bedeutung sind hierbei Verhaltensregeln, die sowohl verständlich als auch eindeutig sein müssen. Dies betrifft auch die Gestaltung, Erkennbarkeit und Begreifbarkeit von Verkehrszeichen. 106 102 vgl. Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Straßen- und Eisenbahnwesen: Entwurf und Bau von Straßen, Karlsruhe 2013, SE 3-1 103 vgl. ebd., SE 3-5ff 104 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Brücken - Zahlen, Daten, Fakten, http: / / www. bmvi.de, 15.04.2020 105 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Erhaltung von Bauwerken, http: / / www.bmvi.de, 15.04.2020; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Neuer „Brücken-TÜV“, http: / / www.bmvi.de, 15.04.2020 106 vgl. Bundesanstalt für Straßenwesen: Straßenentwurf, Verkehrsablauf, Verkehrsregelung, http: / / www.bast.de, 19.11.2013 <?page no="44"?> 44 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Um zukünftigen Anforderungen besser gerecht werden zu können, wurde das Programm „Straße im 21. Jahrhundert“ ins Leben gerufen. Im Rahmen dessen soll die Innovationstätigkeit im Bereich des Straßenbaus gefördert werden. Dabei wurden verschiedene Schwerpunkte gesetzt: Die „sichere und verlässliche Straße“ soll dazu beitragen, Straßentransporte sicherer, effizienter und besser planbar zu machen. Die „intelligente Straße“ dient dazu, bessere Bedingungen für Verkehrsmanagement und Straßenerhaltung zu schaffen. Ziel der „energiesparenden Straße“ ist es, Optimierungspotentiale im Bereich des Energieverbrauchs zu erschließen. Die „emissionsarme Straße“ soll den Anforderungen des Immissionsschutzes besser gerecht werden und dabei Emissionen insbesondere auf Bundesfernstraßen vermindern. Die „Straße als Teil des Lebensraums“ soll einerseits zu einer besseren Vernetzung beitragen und individuelle Mobilität ermöglichen, andererseits aus dem Straßenverkehr resultierende Belastungen für Lebensräume reduzieren. Die „nachhaltige Straße“ soll ökonomische, ökologische und soziale Belange besser vereinbaren können. Dazu gilt es, die einzelnen Elemente der Straßeninfrastruktur über ihre gesamte Lebensdauer hinweg einer ganzheitlichen Betrachtung zu unterziehen. Schließlich soll sich die „Straße als Innovationsträger“ an Entwicklungen im Fahrzeugsektor anpassen und eine adäquate Infrastruktur bieten. 107 2.1.7 Straßenbenutzungsgebühren Straßenbenutzungsgebühren (oder Maut ) sind „ ein Entgelt für die Nutzung von Straßen. “ 108 Mit der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren können verschiedene Ziele verfolgt werden: Zunächst lassen sich damit Einnahmen generieren, die z.B. in den Aus- und Neubau von Straßeninfrastruktur investiert werden können. Ebenso lassen sich Effekte in Bezug auf die Nachfrage bzw. Verkehrslenkung und damit gegebenenfalls eine Umweltentlastung erzielen. Letztendlich kann dies auch ein Schritt zur Internalisierung externer Kosten sein. Im Rahmen der Mauterhebung entstehen jedoch auch Kosten, so z.B. Investitions- und Betriebskosten sowie Kosten bei den Nutzern durch die Mautzahlung an sich, durch eventuelle Zeitverluste an Mautstationen sowie erhöhte Treibstoff- und Umweltkosten. 109 Nicht vernachlässigt werden sollten auch Nebenwirkungen, die im Zuge der Mauteinführung bzw. Mauterhebung entstehen können, wie z.B. Ausweichverkehre. Straßenbenutzungsgebühren lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren: Kriterien mögliche Gestaltung Art der Gebühr zugangsbzw. zeitbezogene Gebühr nutzungsbzw. fahrleistungsabhängige Gebühr Bezugsgrundlage bestimmter Zeitraum (Tag, Woche, Monat, Jahr) zurückgelegte Entfernung, durchfahrene Abschnitte Dauer des Aufenthalts in Mautzone geographische Ausdehnung interurbane Maut (Autobahngebühren bzw. Gebühren auf anderen Straßen) urbane Maut (Citymaut) 107 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Straße im 21. Jahrhundert, Bonn 2012, 2ff 108 vgl. Kummer, Sebastian: Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 270 109 vgl. ebd. <?page no="45"?> 2.1 Straßenverkehr 45 Fortsetzung Kriterien Mögliche Gestaltung mautpflichtige Fahrzeuge Pkw-Maut Lkw-Maut Bemessung der Mauthöhe (z.B.) Fahrzeuggröße Länge Gewicht Achszahl Schadstoffklasse Nutzungszeit Nutzungstag Güterart Abrechnungssysteme Vignette Mautstelle elektronische Erfassung Zahlungsempfänger Staat Private Tabelle 2-8 Klassifizierung von Straßenbenutzungsgebühren 110 Ein gängiges Unterscheidungskriterium ist das nach der Art der Gebühr in zugangsbzw. zeitbezogene und nutzungsbzw. fahrleistungsabhängige Mautsysteme . Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die jeweiligen Hauptmerkmale: Zugangsbzw. zeitbezogene Gebühr Nutzungsbzw. fahrleistungsabhängige Gebühr Bezugsgrundlage entfernungsunabhängiges Gebührensystem entfernungsabhängiges Gebührensystem bestimmter Zeitraum (Tag, Woche, Monat, Jahr) räumliche Definition: zurückgelegte Entfernung, durchfahrene Abschnitte zeitliche Definition: Dauer des Aufenthalts in Mautzone keine Differenzierung hinsichtlich Häufigkeit, zeitlicher und örtlicher Inanspruchnahme von Straßeninfrastruktur Differenzierung hinsichtlich Häufigkeit, zeitlicher und örtlicher Inanspruchnahme von Straßeninfrastruktur organisatorischer Aufwand einfache Erhebung, einfache Kontrolle Erhebung über Mautstellen oder elektronische Erfassung Zahlung über Vignette z.B. an Mautstelle Lenkungswirkung Anreiz, bemautetes Netz stärker zu nutzen zur Lenkung von Verkehrsströmen ungeeignet Anreiz, bemautetes Netz weniger zu nutzen zur Lenkung von Verkehrsströmen gut geeignet Beispiele Österreich (Pkw), Schweiz (Pkw), Slowakei, Tschechien, Slowenien Deutschland (Lkw), Frankreich, Italien, Österreich (Lkw), Schweiz (Lkw) Tabelle 2-9 Mautsysteme im Vergleich 111 110 erstellt nach: Kummer, Sebastian: Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 270f 111 erstellt nach: ebd., 270ff <?page no="46"?> 46 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Lkw-Maut in Deutschland Seit 2005 gilt in Deutschland Mautpflicht für in- und ausländische Lastkraftwagen und -kombinationen mit einem zulässigen Gesamtgewicht ab 12 t, seit 2015 ab 7,5 t. Nachdem stufenweise neben den Autobahnen zunächst ein Teil der Bundesstraßen in die Mautpflicht einbezogen wurde, muss seit Juli 2018 für die Nutzung aller Bundesstraßen Maut entrichtet werden. 112 Die Maut wird in Abhängigkeit von der Fahrleistung, der Achszahl der Fahrzeuge und der Schadstoffklasse erhoben. 113 Dabei erfolgt die Erhebung entweder durch automatische Einbuchung per im Fahrzeug befindlicher On-Bord-Unit, per App, durch manuelle Einbuchung an speziellen Terminals (z.B. an Tankstellen, Rastplätzen oder Grenzübergängen) oder durch manuelle Einbuchung im Internet. 114 Seit 2011 fließen die Mauteinnahmen (2018: ca. 5,1 Mrd. Euro) nach Abzug der Erhebungskosten ausschließlich in die Finanzierung der Bundesfernstraßen. 115 Mit dem Ziel, die Verkehrsnachfrage räumlich wie zeitlich zu entzerren, damit die Umwelt zu entlasten und letztlich die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen, wurde in verschiedenen Städten bereits eine urbane Maut eingeführt. Natürlich trägt die Maut dann ebenfalls zu Generierung von Einnahmen bei. Die bislang umgesetzten Mautmodelle unterscheiden sich hinsichtlich der räumlichen Anwendung, der anfallenden Preise bzw. Gebühren sowie der Technik der Gebührenerhebung. Häufig wurde dabei ein sogenanntes Kordonsystem eingeführt, bei dem ein bestimmter Bereich der Innenstadt der Gebührenpflicht unterliegt. Erhoben werden die Gebühren durch Verkauf von Vignetten, an Mautstationen, fahrzeugintern (On-Bord-Unit) oder fahrzeugextern (Post-Pay-System). Die Einführung einer urbanen Maut wird oft kritisch diskutiert und schon von vornherein abgeblockt. Hinderlich wirken die meist unterschiedlichen Meinungen und Standpunkte zahlreicher Interessengruppen. Grundsätzlich sollte ein urbanes Maut-System einfach handhabbar sein und auf Akzeptanz stoßen. Im Rahmen eines Pilotversuchs lässt sich solch ein System testen und anpassen. Dabei können auch Vorurteile bei den Nutzern abgebaut und Transparenz geschaffen werden. Zudem lassen sich Imageschäden, etwa infolge nicht funktionierender Systeme, reduzieren. Die tatsächliche Einführung einer Maut sollte vom Ergebnis des Versuchs abhängig gemacht werden. 116 112 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lkw-Maut, http: / / www.bmvi.de, 11.12.2019 113 vgl. Toll Collect GmbH: Mauttarife, http: / / www.toll-collect.de, 16.04.2020 114 vgl. Toll Collect GmbH: Strecke einbuchen, http: / / www.toll-collect.de, 16.04.2020 115 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lkw-Maut, http: / / www.bmvi.de, 11.12.2019 116 vgl. Ammoser, Hendrik: Vom Tabu zur Entscheidung, in: Internationales Verkehrswesen 11/ 2010, 23f <?page no="47"?> 2.1 Straßenverkehr 47 Fallstudie: City-Maut in London und Stockholm Ständig steigende Pendlerzahlen, die erhöhte Abgasbelastungen für Anrainer und ständige Staus zu den Stoßzeiten zur Folge haben, lassen die Einführung einer Innenstadt-Maut sinnvoll erscheinen. Eine Vorreiterrolle im Rahmen dieser Thematik nimmt London ein. Die 8-Millionen-Einwohner-Stadt galt als diejenige mit den schlimmsten Verkehrszuständen in Großbritannien: „Im Jahr 2000 betrug die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit in London 16 Stundenkilometer, der daraus resultierende Zeitverlust kostete London wöchentlich zwischen drei und sechs Millionen Euro.“ 117 Im Februar 2003 wurde in London eine Innenstadt-Maut (Congestion Charge) eingeführt. Inzwischen sind für das Befahren der Innenstadt von Montag bis Freitag zwischen 7: 00 Uhr und 18: 00 Uhr 11,50 Pfund (Standardbetrag) zu entrichten, zahlbar im Voraus oder nachträglich bis spätestens Mitternacht des Folgetages via „Auto Pay“, per SMS, telefonisch oder postalisch sowie über die Webseite https: / / tfl.gov.uk/ modes/ driving/ congestion-charge. 118 Sobald ein Auto in die mautpflichtige Zone einfährt, werden dessen Kennzeichen registriert. Eigens dazu wurden an allen Zufahrten sowie in der Innenstadt über 500 Kameras installiert. Nichtregistrierten Fahrzeugen drohen Geldstrafen. Die Statistiken zeigen, dass das Verkehrsaufkommen nach der Mauteinführung zurückging. Teilweise waren in Londons Innenstadt bis zu 40 % weniger Fahrzeuge als zuvor unterwegs, der Verkehrsfluss hatte sich dadurch um 37 % beschleunigt. Seit Mauteinführung wurden verschiedene Änderungen durchgeführt, so z.B. hinsichtlich der Mautzone, der Mauthöhe, der Zahlmöglichkeiten sowie der Ausnahmeregelungen. Mithilfe der Mauteinnahmen sollte eine Milliarde Pfund zur Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs sowie zur Realisierung verschiedener Straßenbauprojekte eingesetzt werden. 119 Mehr als zehn Jahre nach Einführung der City-Maut in London musste jedoch festgestellt werden, dass trotz der vergleichsweise hohen Gebühren ein Gewöhnungseffekt eingetreten zu sein scheint: „Sadly, congestion has risen back to pre-charging levels but would be much worse without the charge.“ 120 Begründet wird dies auch mit Umbaumaßnahmen im Verkehrsraum, wodurch Radfahrern und Fußgängern mehr Fläche eingeräumt und der Straßenverkehr konsequenterweise zurückgedrängt wurde. 121 Zur Verbesserung der Luftqualität in der Stadt wurde im April 2019 die „Ultra Low Emission Zone“ (ULEZ) eingeführt, welche an allen Tagen des Jahres mit Ausnahme des Weihnachtstages im Londoner Zentrum gilt. Für Fahrzeuge, die nicht der Euro 6-Norm für Diesel oder der Euro 4-Norm für Benziner entsprechen, ist seitdem zusätzlich zur City-Maut eine Gebühr - 12,50 Pfund für Fahrzeuge bis zu 3,5 t, 100 Pfund für Fahrzeuge über 3,5 t - zu entrichten. 122 117 o.V.: Gebührenpflichtig - Wie die Londoner City-Maut funktioniert, in: Profil, 17.01.2005, 69 118 vgl. Transport for London: Congestion Charge Zone, http: / / www.tfl.gov.uk, 11.12.2019; Transport for London: Congestion Charge Payments, http: / / www.tfl.gov.uk, 11.12.2019 119 vgl. Sempelmann, Peter: Dicke Luft, in: Profil, 17.01.2005, 68f; o.V.: Gebührenpflichtig - Wie die Londoner City-Maut funktioniert, in: Profil, 17.01.2005, 69; Schwarz, Axel: Fast jeder Weg hat seinen Preis: Maut und Trassenentgelte - Verkehrspolitische Steuerungsinstrumente, in: Internationales Verkehrswesen, 10/ 2007, 470; Mayor of London: What do I need to know about the central London Congestion Charging zone? , London 2007, 2; Public and stakeholder consultation on a Variation Order to modify the Congestion Charging scheme: Impact Assessment, London 2014, 3 120 Transport for London: Benefits, http: / / www.tfl.gov.uk, 03.03.2014 121 vgl. Transport for London: Benefits, http: / / www.tfl.gov.uk, 03.03.2014 122 vgl. Greater London Authority: Ultra Low Emission Zone, https: / / tfl.gov.uk/ modes/ driving/ ultra-low-emissionzone, 11.12.2019 <?page no="48"?> 48 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Im Juli 2006 endete der Pilotversuch zur Einführung einer City-Maut in Stockholm erfolgreich. Die Einwohner entschieden sich im September 2006 in einem Referendum mehrheitlich für die endgültige Einführung der Innenstadt-Maut. 123 Obwohl Stockholm mit rund 920.000 Einwohnern (2,2 Mio. im Großraum Stockholm) wesentlich kleiner als London ist, ist die Mautzone hier mit 34,5 km² um die Hälfte größer. Von der „Trängselskatt“ (Gedrängesteuer) betroffen waren bislang Fahrzeuge, die werktags zwischen 6: 30 Uhr und 18: 29 Uhr bei der Einfahrt in oder Ausfahrt aus der Mautzone eine Mautstation passieren. In Abhängigkeit von der Tageszeit sind zwischen 11 und 35 Kronen pro Passage zu entrichten, maximal jedoch 105 Kronen pro Tag. Ausnahmen gelten für Einsatzfahrzeuge, Busse mit einem Gesamtgewicht von mindestens 14 t, Fahrzeuge mit Diplomatenkennzeichen, Taxifahrzeuge, Motorräder, Militärfahrzeuge, Fahrzeuge, die ganz oder teilweise mit Elektrizität, Alkohol oder anderen Gaskraftstoffen als Propan bzw. Butan betrieben werden können und als solche amtlich zugelassen sind. 124 Im Rahmen der Beförderung von Menschen mit Behinderung können Steuerbefreiungen beantragt werden. Mit Einführung der Maut wurden an 18 Einfallstraßen zur Mautzone 162 Kameras installiert, die die Nummernschilder der Fahrzeuge erfassen. Da an den Mautstationen selbst keine Bezahlung möglich ist, müssen die fälligen Beträge selbst ermittelt und an die entsprechende Stelle überwiesen werden, was mit relativ hohem Aufwand verbunden ist, da von der Steuer einziehenden Stelle weder Einzahlungsscheine noch Rechnungen verschickt werden. Einfacher gestaltet sich die Abrechnung für den Fahrzeughalter, wenn er am Autogirosystem teilnimmt. Dazu ist die Anbringung eines gratis erhältlichen Transponders an der Frontscheibe des Fahrzeugs notwendig. Positiv wirkte sich auf den Pilotversuch aus, dass das technische System problemlos funktionierte. 125 Das Stockholmer Mautsystem verursacht Kosten in Höhe von 400 Mio. Euro, die allerdings auch die Anschaffung von ca. 200 neuen Bussen für mehrere neue Expressbuslinien sowie die Schaffung neuer Parkflächen am Stadtrand beinhalten. Dadurch konnten 800 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Pilotphase zeigte, dass die Mauteinführung in Stockholm äußerst sinnvoll war: Das Verkehrsaufkommen ging im Durchschnitt um ca. 20 % zurück, die Stauzeiten reduzierten sich um 30 bis 50 %. Innerhalb der Mautzone verringerte sich die Abgasbelastung um 14 %, im gesamten Raum Stockholm um 3 %. In Bezug auf bei Verkehrsunfällen verletzte Personen erwartet man einen Rückgang von 5 bis 10 %. Dank des um ca. 100.000 Pkw täglich reduzierten Verkehrsaufkommens konnten nun auch die öffentlichen Verkehrsmittel ihre Fahrpläne in der Innenstadt besser einhalten. 126 Seit Einführung der City-Maut in Stockholm hat es einige Änderungen gegeben. Aufgrund der zunehmenden Einwohnerzahlen und des dadurch auch steigenden Verkehrsaufkommens wurden Anfang 123 vgl. auch Algers, Staffan et al.: The Stockholm congestion charging trial - what happened? , o.O. 2006; Ertel, Manfred: Stockholm startet umstrittenen City-Maut-Test (03.01.2006), http: / / www.spiegel.de, 21.09.2006; Stockholms stad: Facts and results from the Stockholm Trials, Stockholm 2006; Vägverket (Utgivare): The implementation of congestion charging in Stockholm, Solna 2006 124 vgl. Vägverket: Versuch einer City-Maut in Stockholm, o.O. 2006; Transportstyrelsen: Trängselskatt i Stockholm, http: / / www.transportstyrelsen.se, 06.05.2016 125 vgl. ebd.; Lucius, Robert von: Autofahrer reagieren mißmutig auf City-Maut, in: FAZ, 03.01.2006, 7; Borchers, Detlef: Maut in Stockholm ohne Datenschutz (03.01.2006), http: / / www.heise.de, 21.09.2006; Wolff, Reinhard: Erfolgsbilanz für Stockholmer Straßenmaut, in: taz, 19.07.2006, 9 126 vgl. Vägverket (Utgivare): Försöket med trängselskatt i Stockholm 3 januari - 31 juli 2006, Borlänge 2006; Algers, Staffan et al.: The Stockholm congestion charging trial - what happened? , o.O. 2006; Stockholms stad: Facts and results from the Stockholm Trials, Stockholm 2006; Vägverket (Utgivare): The implementation of congestion charging in Stockholm, Solna 2006; Borchers, Detlef: Maut in Stockholm ohne Datenschutz (03.01.2006), http: / / www.heise.de, 21.09.2006; Wolff, Reinhard: Erfolgsbilanz für Stockholmer Straßenmaut, in: taz, 19.07.2006, 9; o.V.: Erfolgreiche City- Maut in Stockholm, http: / / www.sonnenseite.com, 21.09.2006; Marner, Torsten: City-Maut in Stockholm - eine politökonomische Analyse, in: Internationales Verkehrswesen, 11/ 2007, 505ff <?page no="49"?> 2.1 Straßenverkehr 49 2016 die Mautgebühren angehoben und die Mautzone erweitert. 127 Seit 2015 sind Fahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen nicht mehr von der Maut befreit. Zudem wurde eine Ausdehnung der mautpflichtigen Tageszeiten beschlossen. Von 2020 an wird die Gebühr von 6: 00 Uhr bis 18: 29 Uhr erhoben. Dafür fallen je nach Tageszeit zwischen 11 und 45 Kronen an. Da die Straßenauslastung im Jahresverlauf schwankt (2019: zwischen 6,5 Mio. und 7,9 Mio. mautpflichtige Fahrten pro Monat 128 ), wird die Mautgebühr ab 2020 auch saisonal angepasst. In der Hochsaison beträgt der maximale Tagessatz 135 Kronen, in der Nebensaison 105 Kronen. 129 Ursprünglich war vorgesehen, die Mauteinnahmen ausschließlich in den ÖPNV zu investieren, nun fließen sie auch in den Straßenbau. Aufgabe 1: Die Einführung einer City-Maut wird vielerorts kritisch diskutiert und oft schon von vornherein abgeblockt. Hinderlich wirken die meist unterschiedlichen Meinungen und Standpunkte zahlreicher Interessengruppen. Wie könnten die einzelnen Akteure eine Maut-Einführung grundsätzlich einschätzen? Aufgabe 2: Welche Auswirkungen könnte die Einführung einer City-Maut in einer Stadt haben? Stellen Sie diese Auswirkungen unter Berücksichtigung der Bereiche „Individueller Innenstadtverkehr“, „Öffentlicher Nahverkehr“, „Wirtschaft“, „Umwelt“ sowie „Ordnung und Sicherheit“ in einem Wirkungsgefüge dar! 127 vgl. Transportstyrelsen: Ändrad trängselskatt i Stockholm, http: / / www.transportstyrelsen.se, 06.05.2016 128 vgl. Transportstyrelsen vgl. Statistik trängselskatt Stockholm 2019, http: / / www.transportstyrelsen.se, 11.12.2019 129 vgl. Transportstyrelsen: Förändringar av trängselskatten i Stockholm från och med den 1 januari 2020, 11.12.2019 <?page no="50"?> 50 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 2.2 Schienenverkehr Schienenverkehr umfasst den Landverkehr, „ bei dem die Transportmittel spurgebunden auf Gleisanlagen (Schienen oder Tragseilen) fortbewegt werden. “ 130 Die Transportmittel werden durch selbst mitfahrende Zugmaschinen, in Transportmittel eingebaute Motoren oder stationäre Motoren mittels Zugseilen oder Ketten bewegt. 131 Die Vorteile des Schienenverkehrs resultieren vor allem daraus, dass bei der Fortbewegung der Transportmittel auf Schienen nur so wenig Reibung entsteht, dass sich große Einheiten und Mengen mit relativ geringen Antriebskräften transportieren lassen. Bahntransporte sind vergleichsweise preiswert, sicher, schnell und zuverlässig. Sie eignen sich für große Gütermengen über große Entfernungen. Spezielle Transporttechnologien (vgl. Ganzzüge) unterstreichen diesen Vorteil. Sie weisen einen geringen Energieverbrauch pro beförderter Tonne auf und sind daher wesentlich umweltschonender als beispielsweise Straßentransporte. Aufgrund des eigenen Streckennetzes und der eigenen Stationen wirkt anderer Verkehr kaum behindernd, gleichzeitig wird dieser auch kaum beeinflusst. Für den Fall, dass Lieferanten oder Kunden nicht über die notwendigen Gleisanschlüsse verfügen, sind entsprechende Transporte von und zu Verladebahnhöfen zu organisieren (vgl. gebrochener Transport), was mit einem hohen Vorbereitungsaufwand verbunden ist. Der Unterhalt der Verkehrsanlagen und Bahnsicherungssysteme ist kapitalintensiv. International unterschiedliche Bahnsysteme stellen sich z.T. als Hindernis im internationalen Gütertransport dar. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit unter den gegebenen Rahmen- und Marktbedingungen führt zu einer höheren Attraktivität des Straßenverkehrs. Zudem ist die Preisrelation zwischen Bahn und Straße zugunsten des Straßenverkehrs verschoben. 132 2.2.1 Zur Geschichte der Eisenbahn Der Bau von Eisenbahnen steht in engem Zusammenhang mit der Zunahme der kapitalistischen Warenproduktion und dem Wachstum der nationalen Märkte und des Weltmarkts: Ein schnelles und billiges Massenverkehrsmittel wurde notwendig. Haupttriebkraft des Eisenbahnbaus war die nationale Industrie- und Handelsbourgeoisie. Die Finanzierung erfolgte vorwiegend durch Aktiengesellschaften. Aus politischen und militärischen Gründen wurden die Privatbahnen zunehmend in Staatseisenbahnen überführt. 1825 wurde die erste öffentliche Bahnlinie zwischen Stockton und Darlington (41 km, England) in Betrieb genommen. Es folgten 1828 St. Etienne-Andrézieux (18 km, Frankreich), 1829 Baltimore- Ellicot Mills (24 km, USA) und 1835 Brüssel-Malines (20 km, Belgien). 1833 veröffentlichte Friedrich List seine berühmte Schrift für ein deutsches Eisenbahnnetz: „ Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden “. Die deutsche Eisenbahngeschichte begann 1835 mit der Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth. Es folgte eine Zeit der stürmischen Herausbildung privater Eisenbahn-Aktiengesellschaften. Nahezu 130 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 54 131 vgl. ebd. 132 vgl. Strunz, Herbert, Dorsch, Monique: Internationale Märkte, München 2001, 199; Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 102f <?page no="51"?> 2.2 Schienenverkehr 51 das gesamte deutsche Schienennetz wurde errichtet, die Eisenbahn als „das“ Verkehrsmittel der Zukunft betrachtet. Hierbei zeigten sich fiebrige Spekulationssucht und unseriöse Geschäftspraktiken. Privateisenbahnen waren auf hohe Gewinne orientiert, berücksichtigten weniger die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse. Ein Eingreifen der Länder wurde notwendig, um Disproportionen zu vermeiden. Der Neubau von Bahnen erfolgte auch in Verantwortung der Länder bzw. Übernahme derselben. 1873 kam es zur „großen Eisenbahnkrisis“. Nachfolgende Tabelle fasst die wesentlichen Etappen in der weiteren Entwicklung der Eisenbahn in Deutschland zusammen: 1. Hälfte des 19. Jh. 1835 Die erste Eisenbahn in Deutschland fährt auf der Strecke Nürnberg-Fürth (Ludwigsbahn, 7 km). Zum Einsatz kommt die Lokomotive „Adler“ von Stephenson (England). 1839 Die erste deutsche Fernbahn von Leipzig nach Dresden wird unter Nutzung englischer Lokomotiven (u.a. die „Komet“) in Betrieb genommen; die erste deutsche Lokomotive „Saxonia“ von Prof. Johann Andreas Schubert fährt dem Zug hinterher. 1840 Die zweite deutsche Fernbahnstrecke (Magdeburg-Köthen-Halle-Leipzig) wird eröffnet. 1840 Der eigentlicher Dampflokomotivbau in Deutschland beginnt (Borsig/ Berlin, Maschinenfabrik Buckau/ Magdeburg, Kessler/ Esslingen, Maffei/ München, Schwartzkopf/ Berlin, Hartmann/ Chemnitz, Henschel/ Kassel). 1848 Die Strecken Leipzig-Reichenbach/ Vogtl. und Plauen-Hof werden fertiggestellt. Die Göltzschtal- und die Elstertalbrücke im Vogtland sind noch im Bau; deshalb findet Schienenersatzverkehr zwischen Reichenbach und Plauen mit Postkutschen statt. 2. Hälfte des 19. Jh. 1851 Die Strecke Leipzig-Plauen-Hof wird eröffnet. Damit ist die Verbindung von Leipzig über die Ludwigs-Süd-Nord-Bahn bis nach Lindau am Bodensee durchgängig befahrbar (als erste Eisenbahnverbindung zwischen Nord- und Süddeutschland). 1865 Die Voigtländische Staatseisenbahn von Herlasgrün über Falkenstein-Oelsnitz nach Eger (mit Weiterführung nach Wien) wird eröffnet und auch durch Kurierzüge zwischen Berlin und Wien genutzt. 1875- 1920 Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 beginnt die Verstaatlichungswelle, vorangetrieben vom deutschen Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Er leitet die Epoche der Staatsbahn in Form der Länderbahnen ein. Ursachen sind politische, wirtschaftliche und militärische Gründe. Das für die weitere Entwicklung bedeutsame Bahnnetz soll in staatlicher Hand sein. Kennzeichnend ist aber eine Orientierung auf die Entwicklung des jeweiligen Landes. Zudem sind Lokomotiven und Wagen, Bahnhofsbauten, Signaltechnik länderspezifisch. 1878 Die Erschließung der Fläche mit der „Bahnordnung für Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung“ wird begonnen. Es werden Lokalbahnen und Sekundärbahnen (insgesamt später als „Nebeneisenbahnen“ bezeichnet) gebaut. 1879 Die erste mit Starkstrom betriebene elektrische Eisenbahn wird auf der Berliner Gewerbe- und Industrieausstellung (Siemens & Halske) vorgestellt. 1892 In Preußen tritt das „Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen“ als dritte Rechtskategorie in Kraft. Unabhängig vom Rechtsstatus der einzelnen Bahnen können diese normalspurig oder schmalspurig ausgeführt werden. <?page no="52"?> 52 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fortsetzung 1. Hälfte des 20. Jh. 1903 Ein Drehstrom-Versuchstriebwagen der Fa. Siemens-Schuckert erreicht auf der Militärbahn Marienfelde-Zossen die Höchstgeschwindigkeit von 210 km/ h (10 kV, Drehstrom-Fahrleitung mit drei übereinander angeordneten Fahrdrähten). 1906 Die erste Einphasenwechselstrom-Güterzuglok fährt in Deutschland. 1920-24 1920 erfolgt der Zusammenschluss der Länderbahnen zur Reichseisenbahn. Ab 1921 gilt die Bezeichnung Deutsche Reichsbahn; eine Staatsbahn, betrieben von Beamten bzw. öffentlich Bediensteten. Sie umfasst Netz und Betrieb und befindet sich in unmittelbarem öffentlichem Eigentum. Gründe: Verlorener Krieg, Reparationsleistungen (Fahrzeuge), Finanzmittel erschöpft, keine Überschüsse der Länderbahnen mehr, Bahnanlagen und Fahrzeuge sind in den Kriegsjahren auf Verschleiß gefahren worden. 1924-37 Bereits ab 1921 in den „wilden Zwanzigern“ werden Forderungen seitens der deutschen Großindustrie zur erneuten Privatisierung der Bahn laut. 1924 erfolgt die Umwandlung der Deutschen Reichsbahn in das privatwirtschaftsähnliche Unternehmen Deutsche Reichsbahn Gesellschaft (DRG). Sie ist eine Aktiengesellschaft mit dem Deutschen Reich als alleinigem Aktionär (leichtere Kreditbeschaffung zur Modernisierung der Bahn und zur Garantierung der weiteren Reparationsabgaben). Stammaktien und Sachkapital der DR (Strecken, Bauwerke, Fahrzeuge) bleiben in Reichsbesitz. 1937-45 1937 erfolgt die Wiederverstaatlichung der Deutschen Reichsbahn, u.a. als Folge der Weltwirtschaftskrise und in Vorbereitung des 2. Weltkrieges. Das Vermögen der DR wird in ein Sondervermögen des Deutschen Reiches umgewandelt. 1945-49 Formaljuristisch existiert die Deutsche Reichsbahn in der Besatzungszeit weiter. 2. Hälfte des 20. Jh. 1949 Es erfolgt die Umbenennung der Deutschen Reichsbahn in Deutsche Bundesbahn auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. In der sowjetischen Besatzungszone und der DDR blieb die Bezeichnung Deutsche Reichsbahn erhalten. Das Vermögen geht in Volkseigentum über. Privatbahnen und Kleinbahnen werden enteignet. An der Bezeichnung wird festgehalten, um nicht die Betriebsrechte der DR in West-Berlin zu gefährden bzw. zu verlieren. 1968/ 69 Im Winterfahrplan der Deutschen Bundesbahn erhalten Fernzugpaare erstmals den Namen „Intercity“. 1971 Der Intercity wird als Pendant zum TEE eingeführt. 1977 Bei der Deutschen Bundesbahn endet der Dampflokeinsatz. 1985 Der InterCityExperimental fährt erstmalig (Höchstgeschwindigkeit 323 km/ h). 1988 Bei der Deutschen Reichsbahn endet der Dampflokeinsatz. 1991 Es werden erstmalig ICE-Züge fahrplanmäßig eingesetzt. 1992 Der Neigetechnik-Zug Pendolino (BR 610) fährt erstmals fahrplanmäßig. 1996 Der Bau am Verkehrsprojekt der Deutschen Einheit 8 - die Bahnmagistrale Nürnberg-Erfurt-Halle/ Leipzig-Berlin - beginnt. 1997 Der umgebaute Leipziger Hauptbahnhof wird wiedereröffnet. 1994 Die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn fusionieren zur Deutschen Bahn AG (Neugliederung gemäß dem „Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens“, inhaltlich gleichbedeutend mit „Bahnreform“). <?page no="53"?> 2.2 Schienenverkehr 53 Fortsetzung 21. Jh. ab 2000 Erneute Privatisierungsbestrebungen werden unternommen; es folgen harte Diskussionen in Politik und Wirtschaft um den Umfang der Privatisierung - integrierter Konzern oder nur Transportbereiche. Im Zuge der Finanzkrise 2008 wird der Börsengang in Abstimmung mit der Bundesregierung auf Eis gelegt. 2002 Die Schnellfahrstrecke Köln-Rhein/ Main (Köln-Frankfurt/ M.) wird eröffnet. 2006 Der neue Berliner Hauptbahnhof wird in Betrieb genommen. 2006 Der letzte InterRegio fährt. 2010 Der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes („Stuttgart 21“) beginnt. 2013 Der Fernbusverkehr wird in Deutschland liberalisiert und damit das Fernverkehrsmonopol der Deutschen Bahn gebrochen. 2013 Der City-Tunnel Leipzig wird in Betrieb genommen. 2017 Auf der Bahnmagistrale Nürnberg-Erfurt-Leipzig/ Halle-Berlin (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8) wird der fahrplanmäßige Betrieb aufgenommen. 2017/ 18 Der Schienenfahrzeughersteller Alstom führt Testfahrten mit dem Coradia iLint, dem weltweit ersten Personenzug, der über Wasserstoff-Brennstoffzellen angetrieben wird, durch. Nach Zulassung für das öffentliche Netz durch das Eisenbahn-Bundesamt kommen zwei dieser Züge im Weser-Elbe-Netz fahrplanmäßig zum Einsatz. Tabelle 2-10 Entwicklung der Eisenbahn in Deutschland 133 2.2.2 Segmentierung des Schienenverkehrs Hinsichtlich der Arten können Hauptbahnen, Nebenbahnen, S-Bahnen, U-Bahnen, Straßenbahnen und Werkbahnen unterschieden werden: Hauptbahnen verbinden wirtschaftlich wichtige Orte. Die Reisegeschwindigkeiten sind meist hoch, die Trassen sind in Regelspur zwei- oder mehrgleisig unter Einsatz zahlreicher eisenbahntechnischer Kunstbauten angelegt. Nebenbahnen finden sich auf weniger frequentierten Verbindungen. Die Reisegeschwindigkeiten sind geringer als bei Hauptbahnen. Die Trassen sind in Regelspur oder Schmalspur ausgebaut, aufwendige Kunstbauten werden vermieden. S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen dienen dem städtischen Personenverkehr und verbinden Innenstädte mit Randgebieten. Die Trassen weisen teilweise viele Kunstbauten auf. Werkbahnen dienen dem Güterverkehr innerhalb von Industriewerken bzw. dem Anschluss an Hauptbahnen. 133 erstellt nach: Schricker, Peter: Wem gehören die Bahnen? , in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 172ff; Hanstein, Reinhard: Langfristig staatlich? , in: Lok-Magazin, Dezember 2007, 92ff; Preuß, Erich: Kapital und Hypothek, in: Hanna-Daoud, Thomas; Kneip, Birgit (Hrsg.): Eisenbahn in der DDR, München 2006, 20; Pillmann, Zeno: Ein neuer Name, in: Bahn Extra 4/ 2008, 13; Pillmann, Zeno: Der Bruder des TEE, in: Bahn Extra 4/ 2008, 14; Pillmann, Zeno: Abschied mit Applaus, in: Bahn Extra 6/ 2010, 43; Endisch, Dirk: Der letzte Auftritt? ! , in: Bahn Extra 6/ 2010,91; Werning, Malte: Die weiße Flotte, in: Bahn Extra 4/ 2013, 12ff <?page no="54"?> 54 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Hauptbahn, Strecke Uppsala-Stockholm Nebenbahn, Luby S-Bahn, Arth-Goldau U-Bahn, Wien Straßenbahn, Oslo Werkbahn, NEAT-Baustelle Erstfeld Nach der Ausführung kann in Adhäsionsbahnen, Zahnradbahnen, Hängebahnen, Seilbahnen und Einschienenbahnen untergliedert werden: Adhäsionsbahnen nutzen für den Antrieb die Reibungskräfte zwischen Rad und Schiene. Bei Zahnradbahnen bewegt sich das Fahrzeug durch ein Zahnrad fort, das in eine zwischen den Schienen liegende Zahnstange greift. Hängebahnen führen das Fahrzeug an einer Hängeschiene. Bei Luftseilbahnen werden die Fahrzeuge an einem oder mehreren Seilen getragen bzw. darüber bewegt. Man unterscheidet Pendel- und Umlaufbahnen. <?page no="55"?> 2.2 Schienenverkehr 55 Standseilbahnen führen das Fahrzeug an einem Seil über Schienen. Von Einschienenbahnen (als Sattelbahn, z.B. Transrapid, oder als Hängebahn, z.B. Wuppertaler Schwebebahn) gibt es bislang nur wenige funktionierende Varianten. Adhäsionsbahn, RhB Zahnradbahn, Gornergratbahn Luftseilbahn (Pendelbahn), Dachstein Standseilbahn, Bergen 2.2.3 Schienenfahrzeuge Bei Schienenfahrzeugen handelt es sich um spurgebundene Fahrzeuge, welche „ auf mit Spurkranz versehenen Rädern auf paarweise und parallel angeordneten Schienen fahren. “ 134 Züge stellen „ die auf die freie Strecke übergehenden, aus Regelfahrzeugen bestehenden, durch Maschinenkraft bewegten Einheiten und einzeln fahrenden Triebfahrzeuge [dar]. Geeignete Nebenfahrzeuge dürfen wie Züge behandelt oder in Züge eingestellt werden. “ 135 Wendezüge stellen dabei „ vom Führerraum an der Spitze aus gesteuerte Züge, deren Triebfahrzeuge beim Wechsel der Fahrtrichtung den Platz im Zuge beibehalten “ 136 , dar. Die maximale Länge eines Zuges richtet sich nach seinen Bremsverhältnissen, Zug- und Stoßeinrichtungen sowie den 134 Janicki, Jürgen; Reinhard, Horst; Rüffer, Michael: Schienenfahrzeugtechnik, Berlin 2013, 17 135 § 34 Abs. 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 136 § 34 Abs. 2 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung <?page no="56"?> 56 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Bahnanlagen. 137 Sofern die Sicherheit der Fahrgäste durch betriebliche Anweisungen gesichert ist, dürfen Reisezüge auch länger als die Bahnsteige sein. 138 Eisenbahnen fahren im Raumabstand, d.h. ein Streckenabschnitt darf jeweils durch nur ein Fahrzeug bzw. einen Zug belegt sein. 139 Dazu werden die einzelnen Strecken in Blockabschnitte geteilt: „ Blockstrecken sind Gleisabschnitte, in die ein Zug nur einfahren darf, wenn sie frei von Fahrzeugen sind .“ 140 Als Begrenzung dienen dabei Blockstellen, die z.B. auch als Bahnhof, Abzweigstelle oder Haltepunkt gestaltet sein können. 141 Die Absicherung erfolgt durch Signale. 142 In der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung werden Fahrzeuge in Regel- und Nebenfahrzeuge unterschieden, wobei erstere in Triebfahrzeuge und Wagen differenziert werden. Triebfahrzeuge stellen Lokomotiven, Triebwagen und Kleinlokomotiven dar. 143 Nach der Traktionsart können Triebfahrzeuge in dampf-, diesel- und elektrisch betriebene Fahrzeuge unterschieden werden. Mit den Dampflokomotiven begann das Eisenbahnzeitalter. Bis nach dem 2. Weltkrieg war die Dampflokomotive die wichtigste Antriebsart. Erst in den 1960er Jahren setzte man in Deutschland (in der DDR wesentlich später) großflächig die effizienteren Diesel- und Elektrolokomotiven ein. Einzige Alternative zur Dampflok ist auf nicht elektrifizierten Strecken die Diesellokomotive . Ein nach wie vor großer Vorteil dieser Antriebsart ist die mühelose Bewältigung von lückenhaft elektrifizierten Strecken. Die Hauptstrecken sind heute i.d.R. elektrifiziert, so dass Elektrolokomotiven zum Einsatz kommen, wenngleich auch hier mitunter dieselgetriebene Fahrzeuge fahren. Schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gibt es elektrisch angetriebene Schienenfahrzeuge 144 , sowohl als Gleichstrom-, Wechselstrom- und Drehstromvariante (letztere ab 1903). Dampflokomotive, BR 65 Dampflokomotive, HG 3/ 4 Nr. 1 „Furkahorn“, DFB 137 § 34 Abs. 8 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 138 vgl. § 34 Abs. 8 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 139 Ausnahmen gelten für Zahnradbahnen, die oft auch auf Sicht im Konvoi fahren (z.B. Brienz-Rothorn-Bahn, Jungfraubahn, Gornergratbahn, Schynige-Platte-Bahn, Wengernalpbahn). 140 § 4 Abs. 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 141 vgl. § 4 Abs. 4 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 142 siehe dazu auch: Preuß, Erich: Signale deutscher Eisenbahnen, Stuttgart 2012 143 vgl. § 18 Abs. 1, 2 und 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 144 vgl. Knipping, Andreas: Wie funktioniert die Ellok? , in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 25 <?page no="57"?> 2.2 Schienenverkehr 57 Diesellokomotive, BR 223, ER 20 („EuroRunner“), Länderbahn Rangierlokomotive, D 245, Trenitalia Elektrolokomotive, Re 421, SBB Elektrolokomotive, BR 183, Länderbahn Anders als im Straßenverkehr weisen die europäischen Eisenbahnnetze noch technische, organisatorische und administrative Grenzen auf. Zu nennen sind hier insbesondere die unterschiedlichen Fahrstromsysteme, die entsprechende Anforderungen an die Triebfahrzeuge stellen. Recht unterschiedlich sind auch die jeweiligen im Einsatz befindlichen Zugsicherungssysteme. Angestrebt wird zwar ein einheitliches Zugsicherungssystem, doch dies ist in absehbarer Zeit nicht realisierbar. Hinzu kommen viele länderspezifische Vorschriften für Eisenbahntriebfahrzeuge. Eine Lösung der beschriebenen Problematik bietet der Einsatz von sogenannten Mehrsystemlokomotiven, die unter verschiedenen Stromsystemen betrieben werden können. Möglich wird dabei auch die Integration der in den Einsatzgebieten erforderlichen Zugsicherungssysteme in die Technik. Man arbeitet hier mit sogenannten Länderpaketen, die jeweils für eine Ländergruppe zugeschnitten sind. Von Seiten der Bahnindustrie (insbesondere von Siemens und Bombardier) wurden in den letzten Jahren schwerpunktmäßig Lokfamilien für den Güterverkehr entwickelt. Diese Lokfamilien sind modular aufgebaut, so dass sie - jeweils innerhalb einer Familie - eine Vielzahl gleicher Bauteile und Systeme aufweisen. 145 145 vgl. dazu auch: Becker, Christian; Köck, Alexander: Die Viersystem-Hochleistungslokomotive Eurosprinter ES 64 U4, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 2/ 2006, 65ff; Feldmann, Thomas: GPS serienmäßig - Die Baureihe 189, in: LOK- Magazin September 2005, 34ff; Schurig, Jörg: Die Mehrsystem-Lokomotive ES 64 U4 (Teil 1), in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 5/ 2005, 220ff; Vitins, Janis; Landolt, Martin: Elektrische Lokomotiven für den internationalen Güterverkehr, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 4/ 2006, 170ff <?page no="58"?> 58 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Zweifrequenzlokomotive (15 und 25 kV AC), ÖBB-Reihe 1116 („Taurus“) Mehrsystem-Universallokomotive, ÖBB-Reihe 1216 („Taurus 3“) Zweisystemlokomotive (3000 V DC, 25 kV/ 50 Hz Hybrid- Last-Mile-Diesel), BR 187, Stern & Hafferl Neben lokbespannten Zügen sind im Fern- und Nahverkehr Triebzüge und Triebwagen unterwegs. Während eine Lokomotive lediglich die Traktionsenergie bereitstellt, befördert ein Triebzug/ Triebwagen gleichzeitig Personen (oder Güter). Ein Triebwagen stellt einen angetriebenen Wagen dar, der sich allein fortbewegen kann oder durch Steuer- oder Beiwagen ergänzt wird. Vom Triebwagen sind Triebzüge zu unterscheiden. Triebzüge sind Fahrzeuggruppen, die sich aus Triebwagen, Mittelwagen und ggf. Steuerwagen zusammensetzen und im Betrieb üblicherweise nicht getrennt werden können. 146 Spezielle Formen des Triebzuges sind die ICE-3- und ICE-4-Generationen, die keine separaten Triebwagen bzw. Triebköpfe aufweisen, sondern unterflur eingebaute Antriebs- und Steuerungseinrichtungen (verteilt über die Zuglänge). 147 Die Vorteile dieser Triebwagen und -züge liegen v.a. in Rationalisierungsmöglichkeiten im betrieblichen Bereich. Sie gestatten ein „ schnelles betriebliches Wenden, Verstärken und Schwächen eines Triebwagen-, Triebzugverbandes “. 148 Dadurch lassen sich Personaleinsatz und Rangierzeiten 146 vgl. Stangl, Heinrich: Wie funktioniert ein Elektrotriebwagen? , in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 60 147 vgl. Dostal, Michael: DB-Fahrzeuge, München 2008, 92; Siemens Mobility: ICE 4 (BR 412), Datenblatt 148 Stangl, Heinrich: Wie funktioniert ein Elektrotriebwagen? , in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 60f <?page no="59"?> 2.2 Schienenverkehr 59 minimieren. Darüber hinaus ist durch das Bilden von Flügelzügen eine Reduzierung der Trassenbelegung möglich. Der Einsatz von Triebwagen und -zügen bringt jedoch auch Nachteile mit sich: Nicht trennbare Wagenverbände können in nachfrageschwachen Zeiten schnell unwirtschaftlich arbeiten. Aus technischer Sicht kann sich der Ausfall nur einer einzigen sicherheits- oder antriebsrelevanten Komponente gravierend auswirken, wenn dies den Ausfall der ganzen Einheit nach sich zieht. Da sämtliche antriebsnotwendigen Komponenten im Fahrzeug untergebracht werden müssen, sind Konstruktionsweisen (z.B. Niederflur- und Hochflurteil, Sitzplatzanordnung) u.U. stark eingeschränkt. 149 Auch für die Fahrgäste muss es insbesondere bei Dieselfahrzeugen nicht unbedingt zusätzlichen Fahrgenuss bedeuten, über dem Motor zu sitzen und damit sowohl Vibrationen als auch Lärm ausgesetzt zu sein (vgl. BR 612). Triebwagen oder lokbespannter Zug? Inwieweit sich der Einsatz lokbespannter Züge bzw. von Triebwagen lohnt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Verwendungszweck, Geschwindigkeiten, Antriebsart, Höhe und Konstanz des Beförderungsvolumens, infrastrukturelle Voraussetzungen. „ Zurzeit leben wir auf dem Höhepunkt einer Triebwagen-Ära. Diese Züge dominieren den Personenfernverkehr (ICE) ebenso wie den Nahverkehr. Dabei spricht - vor allem, seit es (Drehstrom-)Universallokomotiven gibt - einiges für die Kombination aus Lok und Wagen. Die Baureihe 120, Urmutter der Mehrzweck-Elloks, war einst dafür gedacht, tagsüber InterCitys und nachts Güterzüge zu ziehen und so eine sehr hohe wirtschaftliche Auslastung zu erreichen. Universalloks sind zwar teurer als ihre spezialisierten Schwestern - doch dafür genügt eine, wo sonst vielleicht zwei beschafft werden müssten. Durch die Divisionalisierung der Deutschen Bahn in Personenfern-, -nah- und Güterverkehrsgesellschaften ist die (eigentlich teure) Vorhaltung spezieller Triebfahrzeugparks für jede Sparte heute die Regel. “ 150 Inzwischen bieten mehrere namhafte Hersteller (z.B. Alstom, Bombardier, Siemens, Stadler) eine große Vielfalt an Dieselbzw. Elektrotriebwagen an. NSB-Type 75 (Flirt), NSB (nun: Vy) BR 5022 (Desiro), S-Bahn Steiermark 149 vgl. Stangl, Heinrich: Wie funktioniert ein Elektrotriebwagen? , in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 61 150 Hanstein, Reinhard: Heute so, morgen so: Modewellen bei der Bahn, in: Lok-Magazin, Dezember 2007, 96 <?page no="60"?> 60 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel RABe 535 (Lötschberger), BLS Y2-„Gumminase“ (Øresundståg), SJ In vielen europäischen Ländern gibt es mittlerweile Hochgeschwindigkeitszüge , die sich jedoch in Ausstattung und Einsatz teilweise stark unterscheiden. Eine Vorreiterrolle nimmt hier der TGV ( Train à grande vitesse ) ein, der bereits seit 1981 - zunächst nur in Frankreich, später auch in die Schweiz, nach Italien und Deutschland - verkehrt. 151 Anfang der 1990er Jahre nahm der ICE ( InterCityExpress ) in Deutschland seine Fahrt auf. Mittlerweile erbringt er ca. zwei Drittel der Verkehrsleistung im innerdeutschen Fernverkehr. 152 Zudem ist er grenzüberschreitend nach Belgien, Dänemark, Frankreich, Österreich, in die Niederlande und in die Schweiz im Einsatz. Anders als beispielsweise in Frankreich sind die einzelnen Hochgeschwindigkeitsstrecken in Deutschland nicht miteinander verknüpft. Verschiedene technische Weiterentwicklungen, die sowohl der Deutschen Bahn als auch der an der Entwicklung beteiligten Industrie zu einem Imagegewinn verhelfen sollten, waren nicht nur von Erfolgen gekrönt (vgl. ICD-TD). TGV 2N2 (Duplex) ICE-T, BR 411 Weitere namhafte Hochgeschwindigkeitszüge sind der Cisalpino (verkehrt in Italien und in der Schweiz), der X2000 (Schweden, nun unter der Bezeichnung SJ2000), der Talgo (Spanien), der Thalys (Frankreich, Belgien, Niederlande, Deutschland) oder der Eurostar (Frankreich, Großbritannien). Hochgeschwindigkeitszüge im grenzüberschreitenden Einsatz sind, sofern nötig, auf die unterschiedlichen Strom- und Bahnsicherungssysteme der eingebundenen Länder ausgelegt. 151 Zur Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs siehe auch Meyer-Eppler, Tomas: Bildatlas der schnellsten Züge, München 2011; Meyer-Eppler, Tomas: Die schnellsten Züge der Welt, München 2007 152 vgl. Deutsche Bahn AG: Daten & Fakten, Berlin 2013, 18 <?page no="61"?> 2.2 Schienenverkehr 61 ETR 610, ehemals Cisalpino SJ2000, X2 Thalys PBKA Eurostar, TGV-TMST bzw. Class 373 Zugunsten der Triebzüge hat sich sowohl im Fernals auch im Nahverkehr die Anzahl der klassischen Reisezugwagen stark verringert. Nach ihrer Bauart lassen sich Reisezugwagen zunächst in Sitz-, Liege- und Schlafwagen gruppieren. Innerhalb der Gruppe der Sitzwagen ist zu unterscheiden zwischen Wagen der 1. und 2. Klasse sowie Abteil- und Großraumwagen. In Wendezügen kommen Steuerwagen zum Einsatz, die sowohl als Abteilals auch als Großraumwagen in 1. bzw. 2. Wagenklasse ausgelegt sein können. Die Türen befinden sich i.d.R. am Wagenende. Ein Übergang in den nächsten Wagen ist problemlos möglich. Entsprechend dem produktpolitischen Konzept der Eisenbahnverkehrsunternehmen werden diese Wagen in InterCity-, EuroCity- oder Inter- Regio-Zügen eingesetzt, die auch über einen Speise- oder Bistrowagen verfügen können. Reisezugwagen, 1. Klasse, ÖBB Reisezugwagen, 2. Klasse, NSB (nun: Vy) <?page no="62"?> 62 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Im Nahverkehr waren lange Zeit Regionalbahnwagen der 1. und 2. Wagenklasse im Einsatz, die jedoch ebenfalls durch Triebwagen bzw. Triebzüge zurückgedrängt wurden. Charakteristisch ist hier die Position der Türen, die sich nicht am Wagenende, sondern jeweils am vorderen und hinteren Drittel befinden. Wendezüge verfügen über einen Steuerwagen. Zudem gibt es sogenannte Halbgepäckwagen zur Fahrradbeförderung. Insbesondere, um die Pendlerströme in Ballungsgebieten (auch bei kurzen Bahnsteiglängen) zu bewältigen, wurden und werden Doppelstockwagen konzipiert, bei denen es ebenfalls eine 1. und 2. Wagenklassen sowie ggf. Steuerwagen gibt. Diese verkehren jedoch nicht nur im Nahverkehr, sondern wurden mittlerweile auch für Fernverkehrszüge entwickelt, um hohen Fahrgastaufkommen gerecht zu werden. Typische S-Bahn-Wagen verfügen generell über eine größere Anzahl an Türen, um Aus- und Einsteigezeiten an den Stationen zu minimieren. In Wendezügen gibt es auch hier Steuerwagen. Doppelstockwagen, 2. Klasse, DB Regio Doppelstock-Steuerwagen, 2. Klasse, DB Liegewagen und Schlafwagen sind in Nachtzügen über längere Distanzen im Einsatz. Die Abteile im Schlafwagen verfügen teilweise über eine Nasszelle mit Dusche und WC, ansonsten sind diese „Mini-Bäder“ am Wagenende untergebracht. Tagsüber können die Betten an die Wand geklappt werden, so dass Sitzplätze entstehen. Liegewagen, ÖBB Schlafwagen, NSB (nun: Vy) Für jene Streckennetze, die in einer der verschiedenen Schmalspuren ausgelegt sind, gibt es analog zur Normalspur verschiedenste Wagentypen. Oft handelt es sich dabei um historisches Rollmaterial, das dem Eisenbahnverkehrsunternehmen bzw. den befahrenen Strecken erst den besonderen Reiz verleiht (z.B. Glacier Express, GoldenPass-Linie). Gleichzeitig sind hier ausgehend von den tou- <?page no="63"?> 2.2 Schienenverkehr 63 ristischen Bedürfnissen neue Wagenformen (vgl. Panoramawagen, Aussichtswagen) entstanden. Entsprechend existieren die einzelnen Wagenformen auch für die diversen Breitspuren. Steuerwagen und Mittelwagen, 2. Klasse, Pinzgauer Lokalbahn GoldenPass-Traditionswagen, MOB Auch beim Rollmaterial für den Güterverkehr hat ein grundlegender Wandel stattgefunden. Während früher der Stückgutverkehr dominierte, für den überwiegend gedeckte Güterwagen notwendig waren, wird heute ein Großteil der Transportgüter containerisiert. Neben den dazu eingesetzten Tragwagen gibt es zahlreiche Spezialwagen für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke in zweiachsigen, in der Mehrzahl aber vierachsigen Ausführungen. Schiebewandwagen Kesselwagen Schüttgutwagen, Selbstentladewagen Schüttgutwagen, Schwenkdachwagen <?page no="64"?> 64 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Flachwagen (Rungenwagen) Autotransportwagen Darüber hinaus gibt es weitere Varianten, die hier nicht abgebildet sind, wie z.B. gedeckte Wagen, Niederflurwagen (RoLa) und Taschenwagen (zum Transport von Sattelaufliegern ohne Zugmaschine). Daneben existieren auch Güterwagen für den Schmalspurbetrieb. Zudem ist es möglich, Normalspurfahrzeuge mithilfe von Rollböcken bzw. Rollwagen auf Schmalspurgleisen zu befördern. <?page no="65"?> 2.2 Schienenverkehr 65 Fallstudie: Der Grüne Zug „Gröna Tåget“ war ein Forschungsprojekt, im Rahmen dessen ein neuer Hochgeschwindigkeitszug für skandinavische Bedürfnisse entwickelt werden sollte. „Gröna Tåget“ („Der Grüne Zug“) steht dabei nicht für die Farbe des Zuges, sondern für umweltfreundliches Reisen. 153 Ab 2005 lief das Projekt, an dem der Netzbetreiber Banverket, Bombardier Transportation, Bahngesellschaften, Transitio als Vermieter von Rollmaterial, höhere Bildungseinrichtungen, Forschungsinstitute und Sublieferanten beteiligt waren. 154 Seit 1990 verkehren in Schweden fahrplanmäßig die Hochgeschwindigkeits-Neigezüge mit maximal 200 km/ h. Diese sollen durch Züge einer neuen Generation ersetzt werden. Ziel dabei ist, möglichst hohe Geschwindigkeiten, eine große Beschleunigung und sehr hohen Fahrkomfort auf dem bestehenden Netz bei gleichzeitig geringem Energieverbrauch und Materialverschleiß zu erreichen. 155 Zuverlässigkeit, Sicherheit und Komfort des Zugbetriebs hängen zum einen vom Rollmaterial und der Infrastruktur, zum anderen von den Witterungsbedingungen ab. Der Zugverkehr in Skandinavien, insbesondere der Hochgeschwindigkeitsverkehr, steht in den Wintern besonderen Problemen, die aus dem Zusammenspiel von Schnee, Eis und Kälte resultieren, gegenüber. Die Beeinträchtigungen reichen von einer unruhigen Fahrweise über blockierte Bremsen bis hin zu einem höheren Risiko für Entgleisungen. Außerhalb Skandinaviens werden solche - dort nur kurzzeitig auftretenden - Probleme teilweise auf andere Art und Weise gelöst: Die Reisegeschwindigkeiten werden während der wenigen problematischen Tage herabgesetzt, oder die betreffenden Züge entfallen gänzlich. In Skandinavien wird erwartet, dass die Züge auch während der langanhaltenden Winter stets einsatzbereit und zuverlässig sind. Folglich werden höhere Anforderungen an Zuggestaltung, Betrieb und Instandhaltung gestellt. 156 „Gröna Tåget“ ist ein schneller, elektrischer Neigezug, der auf kurvenreichen Strecken nicht nur höhere Geschwindigkeiten als herkömmliche Züge erreichen kann, sondern sogar Höchstgeschwindigkeiten bis 300 km/ h auf Hochgeschwindigkeitsstrecken. 157 Konkret soll er folgende Anforderungen erfüllen: „Höchstgeschwindigkeit mindestens 250 km/ h, für bogenschnelles Fahren mit Neigetechnik ausgelegter Wagenkasten, schienen- und oberbauschonendes Fahrverhalten, variable Zuglänge von drei bis zwölf Wagen mit Möglichkeit zur Bildung von Flügelzügen, flexible, komfortable Innenausstattung, im Vergleich zum X2000 um 25 bis 35 % geringerer Energieverbrauch pro Sitzplatz trotz höherer Geschwindigkeit, geringere Geräuschentwicklung (bei 250 km/ h nicht höher als beim X2000 mit 200 km/ h), Nutzung des skandinavischen Lichtraumprofiles, im Vergleich zu heute um 20 bis 30 % geringere Betriebskosten pro Sitzplatz.“ 158 Kein anderer existierender Zug wird bislang diesen Anforderungen gerecht. „Gröna Tåget“ kann 153 vgl. Gröna tåget: Gröna tåget - för morgondagens resenärer, http: / / www.gronataget.se, 07.11.2013 154 vgl. Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget - framtidens tåg för resenären, o.O. 2009, 1 155 vgl. Rellstab, Mathias: Gröna Tåget - auf der Suche nach dem Zug der Zukunft, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/ 2008, 496; o.V.: Gröna Tåget - an R&D program for high-speed trains in Sweden, http: / / www.gronataget.se, 02.06.2009; Lukaszewicz, Piotr; Andersson, Evert: Green Train energy consumption - Estimations on high-speed rail operations, Stockholm 2009, 1 156 vgl. Kloow, Lennart; Jenstav, Mattias: High speed train operation in winter climate - A study on winter related problems and solutions in Sweden, Norway and Finland, Stockholm 2006, 3ff; Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget, o.O. 2009, 11 157 vgl. Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget, o.O. 2009, 2; Die bei Versuchsfahrten erreichte Höchstgeschwindigkeit lag bei 303 km/ h (vgl. o.V.: 303 km/ h in Schweden, Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 568). 158 Rellstab, Mathias: Gröna Tåget - auf der Suche nach dem Zug der Zukunft, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/ 2008, 496 <?page no="66"?> 66 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel den Entwicklern zufolge ein neuer Standard-Zug werden, der Hochgeschwindigkeit bei niedrigen Kosten und einer geringen Umweltbelastung bietet. 159 Elektrische Triebzüge weisen einen geringeren Energieverbrauch pro Personenkilometer als andere Transportmöglichkeiten auf. Hohe Geschwindigkeiten bringen jedoch einen hohen Energiebedarf mit sich, wenn herkömmliche Züge eingesetzt werden. Ziel ist es deshalb, einen Zug zu entwickeln, der hohe Geschwindigkeiten leistet, aber dennoch Energie spart. Neben dem Energieverbrauch steht auch die Reduzierung der Lärmemissionen im Mittelpunkt. Mit dem Grünen Zug sollen aber nicht nur Betriebskosten gesenkt und Umweltauswirkungen reduziert, sondern für den Fahrgast das Reisen mit der Bahn attraktiver gemacht werden: durch kürzere Reisezeiten, niedrigere Fahrpreise, die aus niedrigeren Kosten resultieren, sowie eine funktionale und angenehme Innenausstattung mit hohem Komfort. Der Zug soll für alle potentiellen Fahrgäste leicht zugänglich sein, unabhängig von Alter und körperlicher Verfassung. Der Eingangsbereich ist dabei von großer Bedeutung; auch, um ein schnelles Aus- und Einsteigen an den Stationen zu ermöglichen. 160 Anstelle einer Neuentwicklung wurde zwischen 2006 und 2009 als Testfahrzeug ein zweiteiliger Regina- Triebzug genutzt, der sich im Bestand des Fahrzeugvermieters Transitio befand. Jeweils im Sommer wurde ein Triebzug für Testzwecke umgerüstet. Im Winter war dies aufgrund der großen Nachfrage nicht möglich. Von 2009 bis 2012 wurden Teilsysteme auch im kommerziellen Betrieb getestet. 161 „Regina“-Triebzug von Transitio Innenansicht Ein neuentwickelter Motor spart Energie durch eine höhere Effizienz sowie durch ein reduziertes Gewicht und Volumen. Dies führt zu geringeren Betriebskosten und einer geringeren Umweltbelastung. Zudem setzte man neue Federungen des Wagenkastens ein. Um den Rad-Schiene-Verschleiß zu reduzieren, wurden gleisschonende Drehgestelle entwickelt, die schnelles Fahren in Kurven erlauben. Dazu wurden Radsätze getestet, die sich dem Schienenverlauf anpassen. Für den Grünen Zug mussten keine neuen Trassen gebaut werden. 162 Der Betreiber des schwedischen Schienennetzes will künftig die Trassenpreise am Kriterium „gleisschonendes Verhalten“ orientieren, was als finanzieller Anreiz für die Infrastrukturnutzer zu sehen ist. Neu war, dass sich die Infrastrukturgesellschaft an der Entwicklung eines Fahrzeuges beteiligte und diese 159 vgl. Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget, o.O. 2009, 2 160 vgl. ebd., 2 und 7ff; Gröna tåget: Det här är Gröna tåget, http: / / www.gronataget.se, 07.11.2013 161 vgl. Rellstab, Mathias: Gröna Tåget - auf der Suche nach dem Zug der Zukunft, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/ 2008, 496; Gröna tåget: Gröna tåget på spåren, http: / / www.gronataget.se, 07.11.2013 162 vgl. ebd.; Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget, o.O. 2009, 3 und 15 <?page no="67"?> 2.2 Schienenverkehr 67 auch finanziell unterstützte, was ansonsten für Europa eher ungewöhnlich ist. Rund ein Fünftel des F&E-Budgets von Banverket - ca. 2 Mio. Euro - wurde in das Projekt Gröna Tåget investiert. 163 Das skandinavische Lichtraumprofil ermöglicht den Einsatz breiterer Wagenkästen, die wiederum eine höhere Sitzplatzanzahl erlauben. Durch diese bessere Raumausnutzung kann gegenüber Triebzügen nach mitteleuropäischer Norm eine höhere Wirtschaftlichkeit bei gleichem Komfort und damit auch ein Wettbewerbsvorteil erreicht werden. Gleichzeitig lassen sich damit Kapazitätserhöhungen realisieren. 164 „Gröna Tåget“ eignet sich als Hochgeschwindigkeitszug sowohl für den Einsatz auf Langstrecken als auch im schnellen Regionalverkehr. Er kann in Skandinavien in Schweden und Norwegen sowie über die Öresund-Verbindung bis Kopenhagen eingesetzt werden. Angepasst an das kontinentale Lichtraumprofil, ist auch ein Einsatz auf den übrigen Strecken in Dänemark sowie in Deutschland möglich 165 , sofern Fahrstromsysteme und Zugsicherung kompatibel sind. Der Bau „richtiger“ Hochgeschwindigkeitsstrecken (bis 320 km/ h) ist in Schweden ebenfalls geplant. Priorität haben die Strecken Stockholm-Jönköping-Göteborg (466 km) und Stockholm-Jönköping- Malmö-Kopenhagen (610 km). 166 Eingesetzt werden sollen hier klassische Hochgeschwindigkeitszüge. Für mittlere Distanzen bzw. beim Übergang auf das Bestandsnetz würden sich jedoch die Fahrzeuge des Grüben Zuges eignen. 167 Insgesamt ist „Gröna Tåget“ eher als ein Konzept zu sehen, nicht als fertiger Zug. Die im Rahmen des Projekts gewonnenen Erkenntnisse gingen aber zumindest teilweise bereits in andere Neuentwicklungen ein: so z.B. beim von Bombardier hergestellten X55 bzw. SJ3000, dem neuesten Zug der Statens Järnvägar. 168 Aufgabe 1: Welche Zielstellungen sind mit dem Ausbau des schwedischen Schienennetzes in Bezug auf die Personenbeförderung und die Umweltverträglichkeit verbunden? Aufgabe 2: Welche Anforderungen werden an einen Hochgeschwindigkeitszug zur Erfüllung „skandinavischen Bedürfnisse“ gestellt? Aufgabe 3: Was ist in Schweden anders in der Zusammenarbeit zwischen Infrastrukturbetreiber und Eisenbahnverkehrsunternehmen? Aufgabe 4: Was unterscheidet Schweden von Deutschland hinsichtlich der jeweiligen Eisenbahnpolitik zum Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes? Weshalb wurde der Bau „richtiger“ Hochgeschwindigkeitsstrecken in Schweden so weit hinausgeschoben? 163 vgl. Rellstab, Mathias: Gröna Tåget - auf der Suche nach dem Zug der Zukunft, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/ 2008, 496 164 vgl. Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget, o.O. 2009, 3 165 vgl. Banverket; Bombardier Transportation, KTH: Gröna Tåget - framtidens tåg för resenären, o.O. 2009, 2; Andersson, Evert: Green Train - Concept Proposal for a Scandinavian High-speed Train, Final Report Part B, Stockholm 2012, 5f 166 vgl. Trafikverket: A new generation railway - new main lines for high speed trains, http: / / www.trafikverket.se, 12.05.2020; Trafikverket: Nationell plan för transportsystemer 2018-2029, o.O. 2018, 8; DB Engineering & Consulting: Mit Hochgeschwindigkeit durch Schweden, http: / / www.db-engineering-consulting.de, 12.05.2020 167 vgl. Rellstab, Mathias: Gröna Tåget - auf der Suche nach dem Zug der Zukunft, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/ 2008, 497; Fröidh, Oskar: Green train - Basis for a Scandinavian high-speed train concept, Stockholm 2012, 23 168 vgl. Wordsworth, Nigel: Gröna tåget (22.03.2012), http: / / www.therailengineer.com, 07.11.2013; Karlberg, Lars Anders: SJ: s hopp står till Gröna tåget (12.02.2012), http: / / www.nyteknik.se, 07.11.2013; o.V.: X55 bewähren sich, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 5/ 2013, 240; Reche, Martin: Der „Grüne Zug“ in die Zukunft, in: Prima 2/ 2012, 112 <?page no="68"?> 68 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 2.2.4 Fahrpläne Fahrpläne nehmen eine zentrale Rolle im Schienenverkehr ein. Mithilfe von Fahrplänen definiert die Bahn ihr Angebot gegenüber den Reisenden bzw. den Güterverkehrskunden. Fahrpläne können somit auch als Produktdefinition verstanden werden, auf deren Grundlage sich ein potentieller Kunde für oder gegen eine Reise bzw. einen Transport mit der Bahn entscheidet. Gleichzeitig dienen Fahrpläne dazu, den Betriebsablauf zu organisieren und einen reibungslosen und zuverlässigen Ablauf zu garantieren. Ein Fahrplan für eine einzelne Strecke darf nicht herausgelöst betrachtet, sondern muss stets im Zusammenhang mit den Fahrplänen anderer Strecken gesehen werden. In Deutschland gab es zwischen 1909 und 1991 zwei Fahrplanwechsel jährlich. Anstelle der damaligen Sommer- und Winterfahrpläne ist nun ein Jahresfahrplan getreten, der jeweils am zweiten Sonntag im Dezember in Kraft tritt. Einen sogenannten „kleinen Fahrplanwechsel“ gibt es dennoch im Juni. Ursprünglich nur für geringfügige Korrekturen vorgesehen, sind hier doch auch größere Änderungen möglich, wie z.B. im Jahr 2007, als der Hochgeschwindigkeitsverkehr zwischen Frankfurt/ M. bzw. Stuttgart und Paris aufgenommen wurde. Fahrplankonferenzen dienen dazu, Zugangebote auf den einzelnen Verbindungen zu diskutieren. Dabei können regionale oder überregionale Akteure ihre Wünsche (z.B. zusätzliche Züge, zusätzliche Halte, Anschlussoptimierung) einbringen. Über die Realisierung dieser Wünsche entscheidet letztendlich das Eisenbahnverkehrsunternehmen bzw. übergibt sie an die europäische Fahrplankonferenz. Die erste Fahrplankonferenz fand in Deutschland bereits 1871, auf europäischer Ebene ein Jahr später statt. 169 Seit 1997 koordiniert das Forum Train Europe für seine Mitgliedsunternehmen grenzüberschreitende Personen- und Güterverkehre. 170 Mittlerweile wird deutschlandweit der Taktfahrplan eingesetzt. Das heißt, die Züge auf den einzelnen Linien fahren in einem festen zeitlichen Abstand, z.B. im Stunden- oder Zweistundentakt. Die Züge begegnen sich deshalb immer zur selben Minute an denselben Stellen. Eine Sonderform des Taktfahrplanes stellt der integrale Taktfahrplan (ITF) dar. Kennzeichnend ist hierbei, dass für alle Linien eine bestimmte Symmetrieminute gilt. Zur bestmöglichen Nutzung der Systematik eines solchen Taktfahrplanes erweist es sich als günstig, die Minute Null als Symmetrieminute zu bestimmen. Dieses Prinzip der Nullsymmetrie dominiert nach einer langen Anpassungsphase inzwischen in Mitteleuropa. 171 Der Fahrgast kann dabei auch ohne Zuhilfenahme eines Fahrplanes Zugabfahrtszeiten für seine Rückfahrt ermitteln, nachdem ihm die Ankunftszeit bekannt ist. Zur Errechnung der Abfahrzeit subtrahiert man die Minute der Ankunft von 60 (z.B. 60- 52=8) und erhält damit die Abfahrtsminute des Zuges in die Gegenrichtung. Ebenso kann bei einem Halbstundentakt verfahren werden. 172 169 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrpläne, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 108ff 170 vgl. Forum Train Europe: Forum Train Europe - Züge planen, die Europa verbinden, o.O. o.J. 171 vgl. Rey, Georges; Stohler, Werner: Schweizer Taktfahrplan und Netzgrafik 2014, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 2/ 2014, 24 172 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrpläne, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 116 <?page no="69"?> 2.2 Schienenverkehr 69 Zeitermittlung bei Stundentakt Zeitermittlung bei Halbstundentakt Symmetrieachse Minute 00 Abfahrtszeit Minute 08 Ankunftszeit Minute 52 Symmetrieachse Minute 00 Ankunftszeit Minute 19 Abfahrtszeit Minute 41 Abbildung 2-3 Fahrzeitermittlung beim integralen Taktfahrplan Optimale Umsteigebeziehungen für die Reisenden ergeben sich bei einem Stundentakt daher immer dann, wenn Züge einen Knotenbahnhof kurz vor der vollen Stunde erreichen und kurz nach der vollen Stunde abfahren. Analog gilt dies für den Halbstundentakt. Abbildung 2-4 Ausschnitt aus dem integralen Taktfahrplan der Schweiz: Darstellung der EC/ IC und IR sowie zweier Regio-/ S-Bahn-Züge im Vollknoten Bern 173 Um dieses Prinzip realisieren zu können, sollte die Fahrzeit zwischen zwei Knotenbahnhöfen ca. 27, 57, 87 oder 117 Minuten betragen. Bei kürzeren Fahrzeiten wird für den (umsteigenden) Fahrgast kein höherer Nutzen erzielt, da sich dann die Aufenthaltszeit am Umsteigebahnhof verlängert, die Gesamtreisezeit aber nicht verkürzt wird. Geringfügig längere Fahrzeiten führen dazu, dass erst der nächste laut Takt verkehrende Zug genutzt werden kann und damit Reisezeitverlängerun- 173 erstellt nach: Fahrplan Schweiz 2019, Grafische Darstellung des Schweizer Taktfahrplans, Luzern 2019 <?page no="70"?> 70 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel gen von einer halben Stunde (Halbstundentakt) bzw. einer vollen Stunde (Stundentakt) auftreten. 174 In der Schweiz kommt solch ein Taktfahrplan schon seit 1982 zur Anwendung. Im Rahmen des Projektes Bahn 2000 erfolgte ein systematischer Ausbau der Infrastruktur sowie Investitionen in neues Rollmaterial, um den Fahrplan zu optimieren. Typisch für die Bahn 2000 ist das System der großen „Knotenbahnhöfe“: Dabei wird die Fahrzeit zwischen zwei Knoten auf knapp eine Stunde reduziert. In den Knotenbahnhöfen besteht dann die Möglichkeit, die Züge zur vollen und zur halben Stunde zu bündeln, da sie kurz vorher aus verschiedenen Richtungen eintreffen und kurz danach wieder in die jeweiligen Richtungen abfahren. Für die Reisenden ergeben sich so gute Anschlussbeziehungen. In einem früheren Werbeslogan wurde dieses Prinzip treffend zusammengefasst: „ Die Züge der Bahn 2000 rollen nicht so schnell wie möglich, sondern so schnell wie nötig. “ 175 Deutschland-Takt Ein ITF nach Schweizer Vorbild soll zukünftig auch in Deutschland unter dem Namen „Deutschland-Takt“ Anwendung finden. Schon seit 1994 gibt es in einzelnen Bundesländern regional orientierte ITF-Konzepte. Eine bundeseinheitliche Lösung existierte bislang allerdings nicht. 176 Durch die konsequente Abstimmung der Fahrpläne und Vertaktung von Nah- und Fernverkehr soll das Bahnfahren attraktiver werden, indem Züge häufiger verkehren (für Hauptachsen sind 30-Minuten-Takte geplant), schneller ans Ziel kommen und Anschlüsse zuverlässiger und bequemer werden. Letztendlich soll durch die optimierte Nutzung der Trassen sowie Ausbaumaßnahmen auch der Güterverkehr profitieren. 177 Der „Zielfahrplan 2030“ wurde bereits erstellt. Dieser bildet die Grundlage für die nötigen Ausbaumaßnahmen. Damit wird - anders als in der Vergangenheit - nicht zunächst Infrastruktur errichtet und ausgehend davon ein Fahrplan erstellt, sondern ausgehend vom gewünschten Fahrplan werden Baumaßnahmen definiert. 178 Schon 2021 soll der Deutschland-Takt in einigen Regionen umgesetzt werden, so dass Fahrgäste die Veränderungen recht bald erfahren können. Über die minutengenauen Abfahrts- und Ankunftszeiten hinaus enthält ein Fahrplan weitere Informationen . So ist beispielsweise erkennbar, welche Zwischenhalte es gibt, welche Zuggattung zum Einsatz kommt und welche Wagenklassen (1. Klasse, 2. Klasse, Kurswagen, Schlafbzw. Liegewagen) diese enthält, welche Verpflegungsmöglichkeiten bestehen, ob die Wagen behindertengerecht ausgestattet sind und über Kleinkindabteile verfügen oder ob eine Fahrradmitnahme möglich ist. 174 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrpläne, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 112 175 Krebs, Peter: Die wechselvolle Geschichte der Bahn 2000, in: Kräuchi, Christian; Stöckli, Ueli: Mehr Zug für die Schweiz - Die Bahn-2000-Story, Zürich 2004, 14 176 vgl. Verkehrsclub Deutschland e.V.; Fahrgastverband Pro Bahn e.V.: Deutschland-Takt - Immer gut verbunden, Berlin o.J. (Flyer) 177 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Erste Ergebnisse des Zukunftsbündnis Schiene, http: / / www.bmvi.de, 23.07.2019; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Schienenverkehr, Berlin 2020, 11ff 178 vgl. Verkehrsclub Deutschland e.V.; Fahrgastverband Pro Bahn e.V.: Deutschland-Takt - Immer gut verbunden, Berlin o.J. (Flyer) <?page no="71"?> 2.2 Schienenverkehr 71 Das Ende des Kursbuchs 2008 gab die Deutsche Bahn bekannt, das Kursbuch - auch als „Kulturgut des Verkehrswesens“ bezeichnet - nur noch in elektronischer, aber nicht mehr in gedruckter Form zu veröffentlichen. Die letzte, in der alten Form erschienene Kursbuch-Ausgabe war jene zum Fahrplan 2007/ 2008. Das Werk umfasste acht Bände: Band A mit den Fernverbindungen sowie die Bände B bis H mit den Regionalverbindungen. Hinzu kamen zwei Hefte mit den Zug- und Ortsverzeichnissen. Insgesamt brachte es das Kursbuch, das in einer Auflage von 21.000 Stück 179 erschienen war, somit auf 6.080 Seiten und rund sechs Kilogramm Gewicht. Vorteilhaft an der elektronischen Form ist zweifellos die Möglichkeit, Fehler schneller und kontinuierlich korrigieren zu können. Sollte aber nicht auch die zuerst veröffentlichte Form fehlerfrei sein? Auch die Möglichkeit, eine gewählte Verbindung bzw. Streckenfahrpläne ausdrucken zu können, bietet dem Nutzer Vorteile. Was ist aber mit jenen Nutzern, die keinen PC besitzen oder mit jenen, die bei der Verbindungssuche lieber Papier-Seiten blättern statt dies am Bildschirm zu tun? Schwierig wird es in Zukunft auch, die Entwicklung von Zugverbindungen im Verlauf der Jahre nachzuverfolgen, um daraus Angebotsverbesserungen bzw. -verschlechterungen ablesen zu können. 180 Doch nicht nur die Deutsche Bahn, auch die Staatsbahnen vieler Nachbarländer haben sich inzwischen vom gedruckten Kursbuch verabschiedet. Ersatzweise werden von verschiedenen Organisationen kursbuchähnliche, wenngleich stark gekürzte und meist regional begrenzte Fahrplanhefte publiziert. Gleichzeitig mit den veröffentlichten Fahrplänen entsteht eine Reihe interner Fahrpläne , die eine starke Vernetzung aufweisen. Planarten Inhalt Restriktionen Lokumlaufplan Dienste der Triebfahrzeuge (d.h. die Reihenfolge, in der Lokomotiven zum Einsatz kommen) Anzahl verfügbarer Fahrzeuge Traktionsart Höchstgeschwindigkeiten Wagenumlaufplan Einsatz der Wagen bzw. Wagengarnituren Anzahl verfügbarer Wagen bzw. Wagengarnituren Höchstgeschwindigkeiten Eignung für Zuggattung Festlegungen zur Reinigung und Wartung Streckenbelegungsplan Reihenfolge der Züge auf der Strecke sowie Positionen der Überholungen und Kreuzungen Fahrpläne aller übrigen Reisezüge Bereithaltung ausreichender Fahrplantrassen für Güterzüge 179 Zum Vergleich: In der Schweiz erschien das Kursbuch zeitgleich in einer Auflage von ca. 100.000 Stück. 180 vgl. Behmann, Uwe: Das DB-Kursbuch verschwindet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/ 2008, 498 <?page no="72"?> 72 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fortsetzung Planarten Inhalt Restriktionen Bahnhofsfahrordnung Gleisbelegung in den Bahnhöfen Fahrpläne aller übrigen Reisezüge Anzahl verfügbarer Gleise Personaldienstplan Einsatz des Personals (Triebfahrzeugführer, Zugbegleiter, Rangierer, Streckenpersonal usw.) Qualifizierung, Ausbildungsstand Zulassung für Baureihe Streckenkenntnis Einhaltung gesetzlicher Ruhezeitvorschriften wenn möglich Erreichen des Heimatbahnhofes nach Dienstende Tabelle 2-11 Innerdienstliche Pläne 181 Zudem gibt es weitere Fahrpläne für den internen Gebrauch: Bildfahrpläne dienen der Visualisierung des Zugbetriebs auf einer Strecke. Sie bilden jede Zugfahrt in einem Zeit-Weg-Diagramm ab. Aufgrund ihres hohen Informationsgehaltes und der damit auch für Wettbewerber verbundenen Möglichkeit, Streckenauslastungen zu erkennen, werden sie i.d.R. nicht an Dritte ausgegeben. Buchfahrpläne enthalten den Fahrplan eines Zuges mit den genauen Durchfahrtzeiten an jeder Betriebsstelle. Zudem geben sie die jeweils gültigen Höchstgeschwindigkeiten, das maximale Zuggewicht sowie weitere für das Führen des Zuges notwendige Informationen an. Während diese Fahrpläne früher stets in gedruckter Form vorlagen, können sie heute zudem über ein Display im Führerstand angezeigt werden. 182 Auch für Güterzüge werden Fahrpläne erstellt. Während es früher hier ebenso eine gedruckte Version gab, aus der der Cargo-Kunde Laufzeiten für Wagenladungsgüter stundengenau ablesen konnte, ist heute die Verbindungssuche per Internet (http: / / gueterfahrplan.hacon.de) möglich. 2.2.5 Verkehrsarten und Produktionsmethoden Zur Beförderung von Fahrgästen oder Gütern werden entsprechende Züge zusammengestellt, die nach einem festen, regelmäßig erneuerten Fahrplan fahren. Restriktionen im internationalen Schienenverkehr bestehen hinsichtlich der Spurweiten (z.B. Spanien, Russland vs. übriges Europa), der Fahrstromsysteme und der Sicherungssysteme. Der Personenverkehr untergliedert sich - nach dem Reiseziel - in Fernverkehr, Regionalverkehr und Nahverkehr. Hierbei kommen verschiedene Zuggattungen zum Einsatz. Dazu zählen z.B. Inter- Citys, EuroCitys, Hochgeschwindigkeitszüge, Nacht- und Autoreisezüge sowie Ferienzüge, die jeweils auf verschiedene Reisezugbzw. Triebwagen zurückgreifen. InterCitys (IC) sind (teilweise zuschlagpflichtige) Fernverkehrszüge, die Großstädte (und auch touristische Zentren) miteinander verbinden. Sie fahren mit hohen Geschwindigkeiten in einem Taktsystem auf festen Linien und verfügen über zwei Wagenklassen. 181 erstellt nach: Beckmann, Dieter: Fahrpläne, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 113f 182 vgl. ebd. <?page no="73"?> 2.2 Schienenverkehr 73 EuroCitys (EC) stellen das länderübergreifende Pendant zu den InterCitys dar. Seit 1987 als Nachfolger der legendären Trans-Europ-Express-Züge (TEE) im Einsatz, verbinden sie europäische Großstädte miteinander. Im Gegensatz zum TEE setzen sich EC aus Wagen der ersten und zweiten Wagenklasse zusammen. Hochgeschwindigkeitszüge sind hochwertig ausgestattete Fernverkehrszüge, die auf eigens für diese Geschwindigkeiten ausgebauten oder gebauten Trassen mit mindestens 200 km/ h bzw. 250 km/ h verkehren. 183 Ferienzüge sind saisonal begrenzt und an ausgewählten Tagen verkehrende Züge, die Großstädte bzw. Ballungsgebiete mit beliebten Ferienregionen verbinden. Sie ermöglichen dabei eine stressfreie Anreise ohne Umsteigen, meist zu günstigen Konditionen und können dabei für den Tagesreise- oder Nachtreiseverkehr ausgelegt sein. Nacht(reise)züge sind Fernverkehrszüge, die Großstädte bzw. Ballungszentren, ggf. auch Feriendestinationen, im Nachtsprung verbinden. Je nach Anbieter und Route können diese Züge aus Schlafwagen, Liegewagen, Sitzwagen mit Ruhesesseln bzw. konventionellen Sitzwagen zusammengestellt sein. Bei Auto(reise)zügen handelt es sich um eine dem Fernverkehr zuzurechnende Zuggattung, bei der neben den Reisenden auch deren Pkw, Wohnmobile oder Motorräder über lange Distanzen transportiert werden. Dabei verbinden sie Großstädte und beliebte Urlaubsdestinationen. Üblicherweise setzen sich diese Züge aus Sitz-, Liege-, Schlaf- und Speisewagen sowie speziellen Autotransportwagen zusammen. S-Bahnen sind Eisenbahnverkehrssysteme, die der Erschließung von Ballungsräumen dienen. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Stadtschnellbahnsysteme in Berlin und Hamburg, hat sich inzwischen aber in Deutschland und Nachbarländern für vergleichbare Systeme durchgesetzt. Wurden S-Bahn-Netze anfangs unabhängig vom Netz der Eisenbahn auf eigenem Bahnkörper betrieben, so sind sie heute auch oft miteinander verflochten. Im Rahmen des Schienenpersonennahverkehrs werden neben der S-Bahn zwei weitere Zuggattungen unterschieden: die Regionalbahn und der Regional-Express . Während die i.d.R. im Takt verkehrende Regionalbahn (RB) ein Grundangebot bereitstellt und dabei alle Stationen einer Linie bedient, bietet der ebenfalls getaktete Regional-Express (RE) höhere Reisegeschwindigkeiten, da nur ausgewählte Stationen eingebunden werden. 184 Bei der Zusammenstellung von klassischen Fernzügen unterscheidet man Stamm-, Kurs- und Verstärkungswagen, die im Laufe ihres Einsatzes die Züge wechseln können. Unter lokgeführten Wendezügen werden Züge verstanden, bei denen das Triebfahrzeug auch nach Fahrtrichtungswechsel dieselbe Stelle im Zugverband beibehält. Das Umspannen des Triebfahrzeugs kann dadurch entfallen. Hochgeschwindigkeitszüge und Triebwagen können in Doppelbzw. auch Mehrfachtraktion geführt werden. Um am Heimatbahnhof regelmäßig Sicherheitsprüfungen und Reinigungen durchführen zu können, sind feste Wagenumläufe vorgesehen. Die Zusammenstellung der Güterzüge erfolgt in Abhängigkeit von den Zielorten der Güter. Zu den Aufgaben des Abfertigungsdienstes gehört die Annahme, Abfertigung und Auslieferung der Güter, die Bearbeitung der Begleitpapiere, die Erhebung der Beförderungsgebühren laut Tarif sowie deren Verrechnung mit den entsprechenden Stellen. 183 vgl. Richtlinie 96/ 48/ EG des Rates vom 23. Juli 1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems, Anhang I, 1. b) 184 siehe dazu auch: Dorsch, Monique: Verkehr und Tourismus, Plauen 2016, 75ff; Dorsch, Monique: Öffentlicher Personennahverkehr - 25 Fallstudien mit Lösungen, München 2019, 63ff <?page no="74"?> 74 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel In Hinblick auf die zu transportierende Sendung können im Güterverkehr Wagenladungsverkehr, Stückgutverkehr, kombinierter Ladungsverkehr und Gefahrguttransporte bzw. Transporte mit Lademaßüberschreitung unterschieden werden: Beim Stückgutverkehr (auch Kleingutverkehr) lastet die Sendung des Kunden den Güterwagen nicht komplett aus; der Güterwagen enthält daher auch Sendungen anderer Kunden in das gleiche Empfangsgebiet. Hierbei übergibt der Kunde der Eisenbahn die Sendung. Beim Wagenladungsverkehr beinhaltet ein Güterwagen eine für den gleichen Empfänger bestimmte Sendung. Dabei übergibt der Transportkunde der Eisenbahn den beladenen Güterwagen (vgl. auch Einzelwagenverkehr ). Vom kombinierten Ladungsverkehr spricht man, wenn der Transportkunde der Eisenbahn auf einem Terminal eine im kombinierten Ladungsverkehr zugelassene Ladeeinheit übergibt. Die Versendung erfolgt zusammen mit Ladeeinheiten anderer Versender zum gleichen Empfangsterminal. Im Falle von Gefahrguttransporten bzw. Transporten mit Lademaßüberschreitung sind besondere Bestimmungen hinsichtlich Verkehrszeiten, Leitungswegen, Anmeldung und Begleitung zu beachten. Eine besondere Bedeutung kommt den sogenannten Ganzzügen zu. Hierbei handelt es sich um Durchgangsgüterzüge, die in unveränderter Zusammenstellung vom Absender bis zum Empfänger verkehren. Meist setzen sie sich nur aus Wagen mit einem bestimmten Massengut (z.B. Düngemittel, Kohle) zusammen. Ferner existieren sogenannte Containerzüge, die Güterzüge mit ausschließlicher Containerbeförderung darstellen. Einzelwagenverkehr Ganzzugverkehr Wesen einzelne Güterwagen oder Wagengruppen verkehren vom Gleisanschluss des Absenders zum Empfänger je nach Laufweg mehrfaches Auflösen und Neuzusammenstellen des Wagenverbands kein Umladen während des Transports Züge aus Wagen unterschiedlichster Kunden aus verschiedenen Branchen Güterwagen verkehren in unveränderter Zusammenstellung vom Absender bis zum Empfänger unterwegs keine weitere Behandlung der Züge meist Wagen derselben Bauart Voraussetzungen vorhandener Gleisanschluss oder Be-/ Entladung auf einem Ladegleis eines Bahnhofs leistungsfähige Infrastruktur sowie Be-/ Entladetechnik bei Absender und Empfänger große Gütermengen, wie beispielsweise in Automobilindustrie, bei Seehafenverkehren oder im kombinierten Verkehr typische Güter unterschiedlichste Waren Massengüter (dry bulk, wet bulk) Stahl und Stahlprodukte Kraftfahrzeuge ab Werk Halb- und Fertigteile im Zwischenwerksverkehr Vorteile Bedürfnisse der Bahnkunden (Zulieferung/ Versand) können berücksichtigt werden (Alternative zum Lkw) geringe Transportzeiten zeitliche Anpassung an Produktion möglich <?page no="75"?> 2.2 Schienenverkehr 75 Fortsetzung Einzelwagenverkehr Ganzzugverkehr Vorteile auch für kleinere Mengen geeignet umweltfreundlicher Transport Chancen durch Bündelungseffekte mehrerer Verlader kostengünstiger und geringerer organisatorische Aufwand als bei Transport derselben Mengen per Lkw umweltfreundlicher Transport Nachteile zusätzliche Infrastruktur (Gleisanschluss) erforderlich Erfordernis von Rangierbahnhöfen zum Auflösen und Bilden von Güterzügen hoher Steuerungsaufwand hoher Ressourcenaufwand geringere Flexibilität und längere Laufzeiten als im Lkw-Verkehr Vorhalten der entsprechenden Infrastruktur große Gütermengen erforderlich Paarigkeit beim Güteraufkommen vorausgesetzt, da sonst hoher Anteil an Leer-(rück-)fahrten Trends Zunahme von kleinteiligen Sendungsaufkommen erwartet Kostendruck durch Lkw-Verkehr bisher schrittweiser Rückzug der Güterbahnen aus dem Geschäft, dadurch Schrumpfung des bedienbaren Netzwerks; neue Strategie von DB Cargo setzt wieder auf dieses Segment Gleisanschlussförderung Ziel: Verbesserung von Qualität, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit Veränderung der Güterstrukturen: stagnierendes bzw. rückläufiges Güteraufkommen Chancen im kombinierten Verkehr kombinierte Konzepte mit Einzelwagenverkehr („Netzwerk-Bahn“) Gleisanschlussförderung Landbrückenverkehre Asien-Europa Tabelle 2-12 Einzelwagenverkehr vs. Ganzzugverkehr 185 2.2.6 Streckennetz der Eisenbahn in Europa Europa verfügt über ein zusammenhängendes Eisenbahnnetz mit einer Länge von ca. 200.000 Kilometern. Dieses wird in einigen wenigen Fällen auch durch Eisenbahnfähren aufrechterhalten. Sizilien ist per Eisenbahnfähre über die Straße von Messina erreichbar, eine Überbrückung war lange Zeit im Gespräch. Einige weitere Inseln mit eigenen Eisenbahnen (z.B. Irland, Mallorca) sind zwar mit Fähren erreichbar, Eisenbahnfahrzeuge können hier aber nicht trajektiert werden. Die vorhandenen weiteren Fährverbindungen für Eisenbahnfahrzeuge dienen hauptsächlich der Abkürzung existierender Landverbindungen (Brücken, Tunnel) bzw. zur Ergänzung sowie Erschließung weiterer Territorien. Oft ist der Parallelbetrieb von Brücke und Fähre zur Gewährleistung ausreichender Kapazitäten notwendig. Von Bedeutung sind sie auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze im Fährverkehr. Großbritannien und Schweden sind mit Mitteleuropa durch je eine Eisenbahntrasse verbunden - ohne die Inanspruchnahme von Fähren. Die Verknüpfungsstellen sind der Kanaltunnel zwischen Folkestone (Großbritannien) und Calais (Frankreich) und die Öresundbrücke zwischen Malmö (Schweden) und Kopenhagen (Dänemark). Nutzbar sind diese Trassen sowohl von Personenals 185 erstellt nach: Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 83ff; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Schienengüterverkehr, Berlin 2017, 27f <?page no="76"?> 76 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel auch von Güterzügen. Ende 2008 hat die Öresundbrücke bereits ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Anträge auf weitere Brückentrassen für Güterzüge wurden in der Folge abgelehnt. Als mögliche Problemlösung wird der Bau einer länderverbindenden U-Bahn unterhalb des Öresunds gesehen, wodurch Kapazitäten für Fern- und Güterverkehr freigegeben werden sollen. Eine weitere Lösung wäre eine zusätzliche Brückenverbindung über den Öresund zwischen Helsingborg (Schweden) und Helsingør (Dänemark). Abbildung 2-5 Eisenbahnstrecken in Europa 186 Trotz des relativ eng verflochtenen Gesamtnetzes der europäischen Eisenbahnen gibt es Barrieren: die unterschiedlichen Spurweiten, die Probleme für den internationalen Verkehr mit sich bringen. Die Spurweite bezeichnet den „ kleinste[n] Abstand der Innenflächen der Schienenköpfe im Bereich von 0 bis 14 mm unter Schienenoberkante. “ 187 Neben der Normalspur von 1.435 mm Spurweite (auch Regel- oder Vollspur) ist die Breitspur anzutreffen, und diese mit unterschiedlichen Abmessungen: 1.520 mm (in Russland, den Nachfolgestaaten der UdSSR und Finnland), 1.600 mm (Irland, jedoch ohne Anbindung an das übrige europäische Eisenbahnnetz), 1.665 mm (Portugal) und 1.674 mm (Spanien). Beim Übergang ist immer ein Lokwechsel erforderlich, Wagen können zum Teil umgeachst werden. Insgesamt gibt es weltweit ca. 30 verschiedene Spurweiten. Von Bedeutung sind aber heute neben der Normalspur nur noch die folgenden Spurweiten: 186 erstellt nach: Eurostat: Eisenbahnstrecken insgesamt (25.03.2020), http: / / ec.europa.eu, 14.04.2020 187 § 5 Abs. 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 3578 4030 1987 38416 1161 5926 27594 2240 2045 16781 2604 1860 1911 271 3220 5526 19235 2546 10765 10906 3627 1209 15449 9572 7732 16320 3887 5196 0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000 40000 Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Kroatien Lettland Litauen Luxemburg Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Schweden Slowakei Slowenien Spanien Tschechien Ungarn Vereinigtes Königreich Norwegen Schweiz km Eisenbahnstrecken Stand 2015; 2017/ 2018; Malta und Zypern ohne Eisenbahnnetz <?page no="77"?> 2.2 Schienenverkehr 77 Spurweite Verbreitung Anteil weltweit Schmalspur 750 mm Schmalspurbahnen in mehreren Ländern Deutschlands, insbesondere Sachsen < 1 % Schmalspur 1.000 mm Schmalspurbahnen in der Schweiz und in Deutschland; Bolivien, Brasilien, Elfenbeinküste, Guinea, Irak, Vietnam, Kamerun, Kambodscha, Madagaskar, Malaysia, Mali, Ostafrika, Senegal, Thailand, Tunesien 7 % Kapspur 1.067 mm Australien, Ecuador, Ghana, Honduras, Indonesien, Kongo, Mozambique, Neuseeland, Nigeria, Philippinen, Sudan, Taiwan, Tansania, Zaire 8 % Normalspur 1.435 mm Europa (außer Finnland, Irland, Portugal, Spanien, Russland), Ägypten, Algerien, Australien, China, Irak, Iran, Japan, Kanada, Marokko, Mexiko, Syrien, Türkei, USA 64 % Breitspur Spanien 1.676 mm Argentinien, Chile, Indien, Portugal, Spanien, Sri Lanka 6 % Breitspur Russland 1.520 mm Finnland, Russland, Mongolei 11 % Tabelle 2-13 Ausgewählte Spurweiten und deren Verbreitung weltweit 2.2.7 Trassenpreissysteme Eine Trasse stellt die „geplante zeitliche und räumliche Belegung eines Streckenabschnitts für eine Zugfahrt“ 188 dar. Trassenpreissysteme dienen der Vermarktung des Streckennetzes. Als Trassenpreis wird dabei „ das Entgelt für die Nutzung einer Kapazitätseinheit (Zeitfenster bzw. Trasse) auf einer bestimmten Bahnstrecke “ 189 bezeichnet. Trassenpreise sind von allen Nutzern des Streckennetzes - d.h. von öffentlichen und privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen, von ausländischen Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie von sonstigen Nutzern, wie Gebietskörperschaften, Speditionen, Industrieunternehmen u.a. - zu zahlen. Ein Trassenpreissystem sollte so gestaltet sein, dass es zu einer möglichst guten Auslastung der zur Verfügung stehenden Kapazitäten kommt, gleichzeitig aber auch alle aufgrund der Nutzung anfallender Ressourcenverbräuche abdeckt. 190 Aufgrund der erfolgreichen Tätigkeit von Eisenbahnverkehrsunternehmen sowohl im Personenals auch im Güterverkehr entstehen im Schienennetz immer häufiger Kapazitätsengpässe . Aus finanziellen Gründen ist eine kurzfristige Behebung dieser Engpässe i.d.R. nicht möglich. Die Engpässe bestehen jedoch nicht unbedingt generell, sondern häufig nur zu bestimmten Tages-, Wochen- oder Jahreszeiten. Beeinflussend wirkt sich hier auch der Mischverkehr aus, da die Zugkategorien unterschiedliche Geschwindigkeiten aufweisen. Hinzu kommt, dass der Personenverkehr Vorrang vor dem Güterverkehr genießt. 188 Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 27 189 Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 267 190 vgl. ebd., 267f; Aberle, Gerd; Eisenkopf, Alexander: Schienenverkehr und Netzzugang, Hamburg 2002, 351 <?page no="78"?> 78 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Dem Problem der zeitweise überlasteten Streckenabschnitte kann man begegnen, indem Spitzenstundenzuschläge in besonders gefragten Tageszeiten bzw. an besonders gefragten Wochentagen erhoben werden. Gleichzeitig könnten in den weniger gefragten Zeitabschnitten Rabatte gewährt werden. Generell besonders nachgefragte Strecken können ebenfalls mit einem Zuschlag belegt werden. Die Trassennutzer werden im Gegenzug bei entsprechend hohem Preisnachlass motiviert, kostengünstigere Ausweichstrecken zu wählen. Engpässe aufgrund unterschiedlicher Geschwindigkeiten können durch Preiszuschläge für besonders schnelle (z.B. Neigezüge) bzw. langsame Züge (z.B. Güterzüge) im Trassenpreissystem berücksichtigt werden. Durch die Aufspaltung in Eisenbahnverkehrsunternehmen und Infrastrukturbetreiber entfällt für erstere der Anreiz, infrastrukturschonendes Rollmaterial zu beschaffen. Möglich ist hier eine Einteilung der Fahrzeuge in Belastungsklassen, die zu Preiszuschlägen bzw. Rabatten im Preissystem führen. Je nachdem, ob eine Trasse für den Güter- oder den Personenverkehr genutzt wird, entstehen unterschiedliche Anforderungen an Ausstattung, Erhaltungszustand und Genauigkeit im Betriebsablauf. Zur Abwicklung des Personenverkehrs sind zum einen wesentlich umfangreichere Bahnhofseinrichtungen notwendig; zum anderen muss die Infrastruktur Fahrgeschwindigkeiten erlauben, bei denen die Züge minutengenau fahren und das Prinzip der Taktknoten umgesetzt werden kann. Beim Güterverkehr genügen hier größere Toleranzbereiche. Auch die Anforderungen an mögliche Geschwindigkeiten sind nicht so hoch. Erfolgt die Abrechnung der elektrischen Energie über die Fahrleistung in Tonnenkilometern, gibt es für die Trassennutzer keinerlei Anreiz zum energiesparenden Fahren bzw. zur Anschaffung energiesparender Fahrzeuge. Die Abrechnung über einen Stromzähler könnte zur Lösung dieses Problems hilfreich sein. Allerdings verursacht häufiges Anhalten (z.B. aufgrund geschlossener Signale, wegen Überholungen) einen Energiemehraufwand, der eigentlich von der Infrastruktur und nicht vom Nutzer verursacht wird. 191 Zum Fahrplanwechsel 2017 hat die DB Netz - basierend auf der EU-Richtlinie 2012/ 34 - ein grundlegend überarbeitetes Trassenpreissystem eingeführt. Während das bisherige Trassenpreissystem überwiegend infrastrukturorientiert (Ausstattungsmerkmale der Strecken) ausgelegt war und damit die Tragfähigkeit über Strecken und Produkte abbildete, steht nun die Nachfrageorientierung über die Zugehörigkeit zu einem Marktsegment bzw. die Spezifik der Verkehrsart im Fokus. 192 Das Trassenentgelt ermittelt sich nun aus den unmittelbaren Kosten des Zugbetriebs (unmittelbar durch die Nutzung einer Strecke verursachte Kosten sind vom Nutzer zu zahlen), einem Vollkostenaufschlag (Unterscheidung nach Verkehrsarten bzw. Marktsegmenten, Berücksichtigung der Belastbarkeit der Teilmärkte) sowie weiteren Elementen (Anreizsetzung durch Zu- oder Abschläge, z.B. Reduzierung Umweltbelastung, Förderung des Schienenverkehrs). 193 Das Trassenentgelt enthält ein Mindestzugangspaket, welches die Absicherung der technischen Rahmenbedingungen bei Nutzung einer zugewiesenen Strecke garantiert. 191 vgl. Wichser, Jost: Trassenpreissysteme für die Nutzung von Eisenbahninfrastrukturen, in: Internationales Verkehrswesen, 3/ 2008, 83ff 192 vgl. DB Netz AG: Das Trassenpreissystem 2019 der DB Netz AG, gültig vom 15. Dezember 2019 bis 12. Dezember 2020, Frankfurt/ M. 2019, 2f 193 vgl. ebd., 3 <?page no="79"?> 2.2 Schienenverkehr 79 Differenzierung nach Verkehrsarten Schienenpersonenfernverkehr Schienenpersonennahverkehr Marktsegment Euro/ Trkm Marktsegment Euro/ Trkm Metro Tag/ Express (zw. Metropolbahnhöfen Mo-Fr 6-20 Uhr und Sa/ So 9-20 Uhr) Basic/ Express (nicht zw. Metropolbahnhöfen Mo-So 6-23 Uhr) Nacht/ Express Charter/ Nostalgie Lok-/ Leerfahrt/ Express Punkt-zu-Punkt 5,33-12,17 4,76 2,67 2,65 2,65 3,41 Lastfahrt* Lok-/ Leerfahrt* 4,950-5,733 2,600-3,343 Express +2,00 * für jedes Bundesland separat Schienengüterverkehr Marktsegment Euro/ Trkm Optionen Euro/ Trkm Sehr schwer (> 3.000 t) Gefahrgut (ausschließl. Gefahrgüter) Gefahrgutgüternahverkehr (ausschließl. Gefahrgüter, < 75 km und Züge < 370 m, < 3.000 t) Güternahverkehr (< 75 km und Züge < 370 m, < 3.000 t) Lokfahrt Standard (wenn kein anderes Segment zutrifft) 2,98 4,22 3,63 2,00 1,78 1,78 Planerisch : Z-Flex (zeitlich) R-Flex (räumlich) Betrieblich : Schnell Express +0,10 +0,10 +0,50 +2,00 Weitere Elemente Neuverkehrsnachlass (zur Förderung neuer Eisenbahnverkehre) Entgelt für Angebotserstellung (bei Nichtannahme angemeldeter Trassen) Lärmabhängiges Trassenpreissystem (Zuschläge für laute Güterwagen bzw. Boni für leise Güterwagen) Fahrten außerhalb der Streckenöffnungszeiten (z.B. zusätzliche Besetzung von Stellwerken) Anreize und Maluszahlungen Kompensation von Trassenmehrkosten wegen baubedingter Umleitungen Entgeltminderung bei nicht vertragsgemäßem Zustand Verspätungen Schienenersatzbzw. Busnotverkehr Änderungen/ Stornierungen Änderungen nach Vertragsabschluss Stornierungsregelungen (Mindest-, erhöhtes Stornierungsentgelt) Tabelle 2-14 Trassenpreissystem der Deutschen Bahn 194 Von Seiten des Bundes erfährt der Schienengüterverkehr seit 01.07.2018 eine Förderung durch Mitfinanzierung der Trassenentgelte (jährlich 350 Mio. Euro). Damit soll die Verkehrsverlagerung auf die Schiene unterstützt werden. 195 194 erstellt nach DB Netz AG: Das Trassenpreissystem 2019 der DB Netz AG, gültig vom 15. Dezember 2019 bis 12. Dezember 2020, Frankfurt/ M. 2019, 2f., 5ff 195 vgl. ebd., 13 <?page no="80"?> 80 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 2.2.8 Bahnanlagen Bahnanlagen sind alle zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn notwendigen ortsfesten Anlagen, d.h. „ alle Grundstücke, Bauwerke und sonstigen Einrichtungen einer Eisenbahn, die [...] zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. “ 196 Dabei werden Bahnanlagen der Bahnhöfe, Bahnanlagen der freien Strecke sowie sonstige Bahnanlagen unterschieden. Bahnhöfe sind „ Bahnanlagen mit mindestens einer Weiche, wo Züge beginnen, enden, ausweichen oder wenden dürfen. “ 197 Die Grenze zwischen einem Bahnhof und der freien Strecke bilden Einfahrsignale ; Bahnhöfe ohne Einfahrsignal werden durch Einfahrweichen begrenzt. Empfangsgebäude für den Reiseverkehr, Bern Zu Bahnhofsanlagen zählen u.a. Gleisanlagen, Bahnsteige für den Reiseverkehr, Ladestraßen für den Güterverkehr, Sicherungsanlagen und Gebäude, d.h. z.B. Empfangsgebäude, Güterhallen, Lokschuppen, Stellwerke und an die Gleise heranführende Straßen und Wege. 198 Zu den Bahnanlagen der freien Strecke gehören u.a. Abzweigstellen, Anschlussstellen, Haltepunkte und Blockstellen mit Blocksignalen. 199 Haltepunkte sind „ Bahnanlagen ohne Weichen, wo Züge planmäßig halten, beginnen oder enden dürfen. “ 200 Zu den sonstigen Bahnanlagen zählen u.a. Werkstättenanlagen, Bahnkraftwerke, bahneigene Wasserwerke und Umspannwerke. 196 § 4 Abs. 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 197 § 4 Abs. 2 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 198 vgl. Potthoff, Gerhart: Die Eisenbahn, Berlin 1979, 36; Marks-Fährmann, Ulrich; Restetzki, Klaus, Biehounek, Alexander, Hegger, Andreas: Grundwissen Bahn, Haan-Gruiten 2015, 32 199 Bei Anwendung der Führerraumsignalisierung ECTS („European Train Control System“) Level 2 können diese Signale entfallen (bisher nur an Neubaustrecken realisiert). 200 § 4 Abs. 8 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung <?page no="81"?> 2.2 Schienenverkehr 81 Ladestraße, Oelsnitz/ V. Lokschuppen, Erstfeld 2.2.9 Fahrweg der Eisenbahn Aufgaben des Fahrwegs sind das Tragen und das Führen des Fahrzeugs sowie die Versorgung mit elektrischer Energie bei elektrischen Bahnen. Bahnkörper Oberleitung / Stromschiene bei elektrischen Bahnen Oberbau Unterbau Fahrleitung Gleiskörper mit Schienen Schwellen Bettung (Schotter) Befestigungselemente Frostschutzschicht Entwässerung Kunstbauten wie Brücken, Tunnel Dämme, Einschnitte Fahrdraht Tragsystem der Fahrdrahtleitung Masten und Aufhängepunkte Tabelle 2-15 Aufbau des Fahrwegs Die Schienen nehmen vertikale und horizontale Kräfte aus dem Betrieb auf und gehen eine enge Beziehung mit Rad und Fahrwerk ein. In Deutschland sind in Abhängigkeit vom Alter und der zulässigen Achslast der Strecken verschiedene Schienenprofile zu finden. Die Schienen bestehen aus hochfesten Stählen und müssen aufgrund des ständigen Wechsels zwischen hoher und geringer Beanspruchung eine besonders hohe Haltbarkeit aufweisen. Belastungen entstehen allerdings nicht nur durch die Radlasten, sondern auch durch Temperaturschwankungen (von +60°C bis zu -30°C). Bei lückenlos verschweißten Gleisen kann dies zu hohen Spannungsunterschieden und in der Folge zu Gleisverwerfungen und Ausknickungen führen. Früher begegnete man diesen Gefahren durch die Verwendung kurzer Schienenabschnitte, die mit einem Spalt (Schienenstoß) verlegt wurden. Heute kommen meist lückenlos geschweißte Gleise zur Anwendung. Mögliche Verwerfungen versucht man durch schwere Schwellen, angepasste Bettung und spezifische Schweißvorschriften zu vermeiden. 201 201 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrweg, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 118ff <?page no="82"?> 82 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Oberbau Normalspur, Adhäsionsbahn Oberbau Schmalspur-Zahnradbahn (System Abt) Die Schienen übertragen vertikale und horizontale Lasten auf Schwellen . Aufgabe der Schwellen ist es, eine gleichmäßige und sichere Weiterleitung der Betriebseinwirkungen auf den Untergrund zu gewährleisten, den Schienenabstand (Spurweite) millimetergenau auf das Sollmaß (z.B. 1.435 mm 202 ) zu fixieren. Schwellen können aus Beton, Holz, Stahl oder Kunststoff gefertigt sein und werden im Abstand von ca. 60 cm quer zur Fahrbahn angeordnet. Auf Neben- und Baugleisen sind auch größere Abstände möglich. Aufgabe des Schotterbettes ist es, die von den Schwellen eingeleiteten vertikalen und horizontalen Kräfte aufzunehmen. Durch die Flexibilität des Schotterbettes werden die Belastungen gleichmäßig auf den Unterbau übertragen. Beim Überfahren führt die Last des Zuges zwar zu einer Verschiebung des Gleises; dieses nimmt nach der Fahrt aber wieder seine normale Lage ein. Das Bettungsmaterial muss bestimmte Eigenschaften aufweisen: Es muss wasserdurchlässig sein, um das Oberflächenwasser in die Entwässerungsanlagen des Unterbaus abführen zu können. Als Bettungsmaterial ist gebrochener Schotter mit scharfen Kanten und einem großen Hohlraumanteil üblich, der ein schnelles Austrocknen gewährleistet. Es muss zudem verwitterungs- und frostbeständig, druck- und abriebfest sein (z.B. Basalt, Diabas, Granit). Es ist auch möglich, das Gleisbett als feste Fahrbahn auszuführen. Dabei liegen die Schienen auf festem Oberbau aus Beton oder Asphalt. Ursprünglich wurde dies auf Neubaustrecken in Tunneln, heute auf allen neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken in Deutschland eingesetzt. In Abhängigkeit von der Inanspruchnahme entsteht beim Oberbau Instandhaltungsbedarf. Im Rahmen der Instandhaltung können zunächst Schienenoberflächen bei Abnutzung durch einen Schienenschleifzug nachprofiliert werden. Nach einer bestimmten Liegezeit erfolgen eine vollständige Erneuerung der Schienen, Ersatz der Schwellen, Reinigung und Ergänzung des Schotters. 203 Weichen als Bestandteil des Fahrweges sind Gleisverbindungen, die eine lückenlose Fahrt von einem Gleis in ein anderes ermöglichen. Sie sind insbesondere auf Bahnhöfen anzutreffen, aber auch auf zweigleisigen Bahnstrecken in Form von einfachen und doppelten Gleisverbindungen. 204 202 Seit 1961 kommen in Deutschland 1.432 mm zur Anwendung zur Reduzierung des Spurspiels. 203 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrweg, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 120ff; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 113ff 204 vgl. Höfer, Gerd et al.: Grundlagen der Betriebstechnik, Berlin 1979, 29; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 118 <?page no="83"?> 2.2 Schienenverkehr 83 Bestandteile Zungenvorrichtung (je zwei Zungen und Backenschienen, Weichenverschluss) Zwischenstücke Herzstück mit Flügelschienen und Radlenkern Bauarten einfache Weichen als Rechtsweichen oder Linksweichen; Ausführung auch als Innenbogenweiche, Außenbogenweiche oder Doppelweiche Kreuzungsweichen als einfache oder doppelte Kreuzungsweichen Bedienungsform ortsbediente Weichen, mechanisch durch Muskelkraft fernbediente Weichen, mechanisch durch Muskelkraft (über Seilzüge) bzw. elektrisch durch Motorantrieb Tabelle 2-16 Weichen 205 Kreuzungen sind erforderlich, wenn sich in einer Ebene zwei Gleise schneiden. Bestandteile sind insbesondere zwei gegenüberliegende Herzstückteile (Doppelherzstück). Radlenker sichern den Lauf des Rades an den Lücken ab. 206 Weichen Regelspur Streckenkilometrierung Die Trassierung der Schienenwege wird durch die relativ geringe Steigfähigkeit der Eisenbahn bestimmt. Längsneigungen bis lediglich 12,5 ‰ (Einstufung der Strecke als Flachbahn) sind unproblematisch. Hierbei kann auch bei Güterzügen auf Vorspann-, Druck- oder Schiebelokomotiven verzichtet werden. Die Linienführung der Strecken mit ihren Krümmungsradien ist entscheidend für die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Um dabei die Streckenführung den topographischen Gegebenheiten anpassen zu können, sind stets Kunstbauten erforderlich. In Deutschland gibt es rund 28.400 Eisenbahnbrücken , die über Straßen, Bahnstrecken, Gewässer bzw. tiefer liegendes Gelände führen. Sie weisen eine Länge zwischen zwei Metern und mehreren Kilometern sowie Höhen von wenigen Dezimetern bis zu mehr als 100 Meter auf. Je nach eingesetztem Werkstoff wird zwischen Massivbrücken, Metallbrücken und Verbundbrücken unterschieden. 207 205 erstellt nach: Höfer, Gerd et al.: Grundlagen der Betriebstechnik, Berlin 1979, 29f; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 119 206 vgl. Höfer, Gerd et al.: Grundlagen der Betriebstechnik, Berlin 1979, 31f 207 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrweg, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 124f <?page no="84"?> 84 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Brückenart Merkmale Massivbrücken Gewölbebrücken mit einem oder mehreren Bögen, Anlehnung an die römischen Aquädukte Stampfbetonbrücken (ab ca. 1860) Eisenbetonbrücken (ab ca. 1900) Spannbetonbrücken (ab ca. 1960) Metallbrücken Brücken aus Gusseisen Stahlbrücken, hinsichtlich ihrer tragenden Konstruktion Unterteilung in: - Balkenbrücke für kleinere Stützweiten - Fachwerkbrücke für große Spannweiten bei relativ geringem Eigengewicht - Hohlkastenbrücke als Variante der Balkenbrücke Verbundbrücken unterer Tragwerksteil aus Stahl, oberer Bereich aus Stahlbeton Tabelle 2-17 Arten von Brücken 208 Göltzschtalbrücke, Netzschkau/ Mylau - Größte Ziegelsteinbrücke der Welt Öresundbrücke (Eisenbahn- und Straßenbrücke) Die Brücken unterliegen zum einen Belastungen durch ihr Eigengewicht, zum anderen Verkehrslasten (Gewicht der Züge und dynamische Einflüsse), Bremslasten, Windlasten sowie Temperatureinwirkungen. Beim Tunnelbau standen zunächst topographische Erfordernisse im Vordergrund. Später kamen umwelttechnische bzw. städtebauliche Gründe hinzu. Tunnelröhren können ein- oder zweispurig ausgelegt sein. Tunnel für den Mischverkehr (d.h. Personen- und Güterverkehr) müssen aufgrund möglicher aerodynamischer Probleme im Begegnungsverkehr stets einspurig ausgeführt sein. 209 In Abhängigkeit von Linienführung und Funktion können folgende Tunnelarten unterschieden werden: Tunnelart Merkmale Bespiele Sporntunnel insbesondere in Flusstälern, meist recht kurz, Bahn muss nicht jeder Flusswindung folgen am Mittelrhein, Mosel, Saar, Neckar, Weiße Elster, Pegnitz 208 erstellt nach: Beckmann, Dieter: Fahrweg, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 126ff 209 vgl. ebd., 129f <?page no="85"?> 2.2 Schienenverkehr 85 Fortsetzung Tunnelart Merkmale Bespiele Scheiteltunnel durchqueren einen Gebirgskamm, meist Rampen auf beiden Seiten Lötschberg-Scheiteltunnel, Gotthard-Scheiteltunnel Basistunnel Gebirgskamm wird an der Basis überwunden, für Zufahrtsstrecken keine Rampen (Einstufung der Strecke als Flachbahn) Lötschberg-Basistunnel, Gotthard- Basistunnel, Furka-Basistunnel, Semmering-Basistunnel Kehrtunnel unterirdischer Richtungswechsel zur Längenentwicklung der Trasse und zur Verringerung der Steigungen Lötschbergbahn bei Blausee-Mitholz, Prato-Kehrtunnel bei Faido (Gotthardbahn) Flusstunnel Alternative zur Flussbrücke, unterquert Flüsse oder andere Gewässer S-Bahn Berlin Untersee-Tunnel Tunnel unter dem Meeresgrund Kanal-Tunnel Frankreich-England Tabelle 2-18 Tunnelarten 210 Sporntunnel auf der Strecke Brunnen-Flüelen Portal des Gotthardscheiteltunnels, Göschenen Ein weiterer Bestandteil des Fahrwegs ist bei allen elektrifizierten Bahnen in Deutschland die Oberleitung bzw. Fahrleitung . Eine (seitliche) Stromschiene findet sich nur bei den S-Bahnen in Berlin und Hamburg. Die Oberleitung setzt sich aus dem Fahrdraht, dem Tragsystem der Fahrdrahtleitung sowie Masten und Aufhängepunkten zusammen. Fahrdraht besteht i.d.R. aus reinem Kupfer (bzw. auch mit einem Cadmium- oder Silberanteil) und weist einen Querschnitt von 80 bis 120 mm 2 (10 bis 15 mm Durchmesser). Um einen gleichmäßigen Verschleiß der Schleifstücke der Stromabnehmer zu gewährleisten, wird der Fahrdraht horizontal in einem Zickzack-Kurs gespannt. Es können zwei Arten von Bahnstrom unterschieden werden: Gleichstrom und Wechselstrom. Während die Bahnstromsysteme von Deutschland, Österreich und der Schweiz kompatibel sind (Wechselstrom 15 kV/ 16,7 Hz), nutzen Deutschlands übrige Nachbarländer andere Stromsysteme: 25 kV/ 50 Hz in Frankreich, Luxemburg, Dänemark und Tschechien, 3 kV Gleichstrom in Frankreich, 210 erstellt nach: Beckmann, Dieter: Fahrweg, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 130 <?page no="86"?> 86 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Belgien, Polen und Tschechien bzw. 1,5 kV Gleichstrom in den Niederlanden. 211 An den Systemgrenzen ist ein Lokomotivwechsel oder der Einsatz von Mehrsystemlokomotiven erforderlich. Elektrifizierungshemmnisse Die Vorteile der Elektrogegenüber der Dieseltraktion sind offensichtlich: schnellere Beschleunigung der Fahrzeuge, geringere Lärmemissionen, umweltfreundlicherer Antrieb. Obwohl Deutschland einen höheren Elektrifizierungsgrad als der EU-Durchschnitt aufweist, liegt das Land im Vergleich zu seinen Nachbarländern zurück. Auch der grenzüberschreitende Verkehr ist davon beeinträchtigt, sind doch nur 27 von insgesamt 57 Grenzübergängen elektrifiziert. 212 Abbildung 2-6 Elektrifizierungsrad in Europa (Auswahl) 213 Das Ziel der Bundesregierung, bis 2025 einen Elektrifizierungsgrad von 70 % aller Bahnstrecken in Deutschland zu erreichen, wird sich nicht mehr realisieren lassen. Generell ging die Elektrifizierung des Netzes in den vergangenen Jahren nur langsam voran. Die Gründe dafür sind vielschichtig: hohe Kosten von 1-2 Mio. Euro pro Streckenkilometer, bei topographisch anspruchsvollen Strecken entsprechend mehr, unterschiedliche Förderhöhen je nach Eigner und Nutzung der Strecke für Personenund/ oder Güterverkehr, langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, Fachkräfteverfügbarkeit in den spezialisierten Bauunternehmen. 214 211 vgl. Beckmann, Dieter: Fahrweg, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 131ff 212 vgl. Allianz pro Schiene e.V.: Grenzüberschreitende Eisenbahnstrecken, http: / / www.allianz-pro-schiene.de, 18.08.2020 213 Allianz pro Schiene e.V.: Dem Bund fehlt Gesamtstrategie für die Elektrifizierung (17.09.2018), http: / / www. allianz-pro-schiene.de, 18.08.2020 214 vgl. Allianz pro Schiene e.V.: Elektrifizierungsziel von 70 Prozent „erreichbar“ (21.02.2018), http: / / www. allianz-pro-schiene.de, 18.08.2020; Wilke, Felicitas: Und ewig fährt die Diesellok (11.08.2020), http: / / www.zeit.de, 18.08.2020 54% 57% 60% 64% 64% 71% 72% 75% 76% 86% 100% 0% 20% 40% 60% 80% 100% EU-28 Frankreich Deutschland Spanien Polen Italien Österreich Schweden Niederlande Belgien Schweiz Elektrifizierungsgrad in Europa <?page no="87"?> 2.2 Schienenverkehr 87 Fallstudie: Elektrifizierung Der Einzugsbereich der Franken-Sachsen-Magistrale, die wichtige Ballungszentren miteinander verknüpft, umfasst rund 5 Mio. Menschen. 215 Verglichen mit Strecken in ähnlich dicht besiedelten Wirtschaftsräumen, weist sie allerdings infrastrukturelle Defizite auf: „Die Strecke Dresden-Chemnitz- Zwickau-Plauen(-Hof) war einst die wichtigste Eisenbahnlinie in Sachsen. […] Für die Bahn heute ist die Ost-West-Verbindung weiterhin von Bedeutung. Ihr einstiger Glanz ist jedoch verblasst.“ 216 Schon seit 1966 wird die Strecke Dresden-Reichenbach/ Vogtland einschließlich des Leipziger Astes elektrisch betrieben. Ab Reichenbach südwärts fehlte jedoch die Elektrifizierung, weshalb in der Ära der lokbespannten Züge ein Lokomotivwechsel in Reichenbach mit entsprechenden Aufenthaltszeiten obligatorisch war. Nachdem die klassischen Waggons von Triebwagen abgelöst worden waren, verkehrten auf der gesamten Strecke, also auch auf den elektrifizierten Abschnitten, Dieseltriebwagen und im Zeitraum von 2001 bis Ende 2004 auch die dieselbetriebenen ICE-TD-Triebzüge der BR 605. BR 605 (ICE-TD) in Hof BR 612 in Reuth auf dem Weg nach Dresden Seit dem Fahrplanwechsel 2006/ 07 ist Südwest-Sachsen jedoch von jeglichem Fernverkehr der Deutschen Bahn AG abgeschnitten. Davon betroffen sind insbesondere die Industrieregionen Chemnitz, Zwickau und Plauen. Nachdem es die 430 km lange Franken-Sachsen-Magistrale nicht in die Liste der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit geschafft hatte, wurde sie 1992 als Teil der Verbindung Karlsruhe-Dresden in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen und war ab Mitte 1993 auch im Bundesschienenwegeausbaugesetz verankert. 217 Bereits 1994 äußerte der damalige Bundesverkehrsminister, dass die Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale zwischen Nürnberg-Hof-Reichenbach vorrangig behandelt wird mit dem Ziel der Fertigstellung im Jahr 2000. 218 Dazu kam es jedoch nicht, auch nicht in den Folgejahren. Gemäß der neuen Produktpolitik der Deutschen Bahn fuhr dann auf dieser Strecke die eigens hierfür entwickelte BR 605, die sich jedoch laut Deutscher Bahn für die Vogtlandstrecke keinesfalls geeignet hat. Es dauerte noch mehrere Jahre, bis die Elektrifizierung wieder greifbar wurde. Im Dezember 2008 wurde bekanntgegeben, dass die Finanzierung für den 73 km langen Streckenabschnitt Reichenbach- Hof sichergestellt ist. 219 Das Gesamtinvestitionsvolumen belief sich dabei auf ca. 120 Mio. Euro und wurde sowohl aus EU-, Bundes- und Landesmitteln als auch aus Eigenmitteln der Deutschen Bahn 215 vgl. CLARA II: Elektrifizierung der Sachsen-Franken-Magistrale, Bayreuth 2013, 3 216 Marks, André: Der Glanz ist verblasst, in: Lok-Magazin 4/ 2012, 84 217 vgl. Anlage zu § 1 Bundesschienenwegeausbaugesetz 218 vgl. o.V: A 93 im Jahr 2000 fertig, in: Freie Presse, 09.06.1994 219 vgl. Sächsisch-Bayerisches Städtenetz: Chronologie, http: / / www.saechsisch-bayrisches-staedtenetz.de, 20.11.2013 <?page no="88"?> 88 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel bereitgestellt. Baubeginn war im Juli 2010. In der Folge wurden ca. 3.000 Oberleitungsmasten errichtet und Oberleitung über rund 170 km Gleis gespannt. Zusätzlich wurden Einrichtungen zur Bahnstromversorgung und -einspeisung geschaffen. 220 Göltzschtalbrücke nun mit Oberleitung Feierliche Inbetriebnahme der Strecke Reichenbach-Hof am 5. Dezember 2013 Am 5. Dezember 2013 wurde die elektrifizierte Strecke zwischen Reichenbach und Hof mit einem Festakt in Betrieb genommen. Neben lobenden Worten schwang jedoch auch Kritik mit. Der Landrat des Vogtlandkreises, Dr. Lenk, sprach von einer „elektrischen Sackgasse“ und spielte dabei auf die fehlende Elektrifizierung ab Hof an. 221 Dies hatte auch Konsequenzen für das Betriebskonzept. Bislang fuhren auf der Relation Dresden-Nürnberg und zurück durchgehende Züge im Stundentakt. Dabei verkehrte jeweils zweistündlich ein dem ÖPNV zuzurechnender RegionalExpress (RE) und um eine Stunde versetzt ebenfalls zweistündlich ein von der Deutschen Bahn eigenwirtschaftlich betriebener InterRegioExpress (IRE) - quasi als Ersatz für das fehlende Fernverkehrsangebot. Sowohl RE als auch IRE bestanden aus Triebwagen der BR 612. Mit Inbetriebnahme des neu elektrifizierten Streckenabschnittes kamen zwischen Dresden und Hof lokbespannte Doppelstockzüge mit Elektrotraktion zum Einsatz, wodurch die bisher üblichen Dieselfahrten unter Oberleitung und damit auch die CO 2 -Emissionen wesentlich verringert werden konnten. 222 Allerdings konnten diese Züge nicht bogenschnell fahren, der Abschnitt Dresden-Hof der Franken-Sachsen-Magistrale war aber ab 1997 für Neigetechnikzüge ausgebaut worden. Seit Juni 2016 verkehren hier Züge des Typs „Coradia Continental“ der Mitteldeutschen Regiobahn, einer Marke der Bayerischen Oberlandbahn. Jedoch bedeutet auch dies, dass Fahrgäste zur Weiterfahrt nach Nürnberg (bzw. auch auf der entgegengesetzten Relation) in Hof umsteigen müssen - teils mit sehr knappen Umsteigezeiten (4 min! ). Auch zur Weiterfahrt auf der Naabtalstrecke in Richtung Regensburg ist der Fahrgast gezwungen, in Hof umzusteigen. Der Fahrgastverbund PRO BAHN kritisierte in diesem Zusammenhang, dass Umsteigebeziehungen in Deutschland leider nicht zuverlässig funktionieren und gab zu bedenken, dass dies Fahrgastverluste mit sich bringen wird. 223 220 vgl. DB Mobility Logistics AG: Elektrifizierung Reichenbach-Hof geht in die nächste Runde (12.02.2013), http: / / deutschebahn.com, 20.11.2013 221 vgl. Festakt zur feierlichen Inbetriebnahme der elektrifizierten Strecke Reichenbach-Hof am 05.12.2013, Plauen (Vogtl) Ob Bf 222 vgl. o.V.: Weiterhin ungewisse Zukunft des Franken-Sachsen-Express, in: Schiene aktuell 3/ 2013, 21 223 vgl. ebd. <?page no="89"?> 2.2 Schienenverkehr 89 Über viele Jahre war die Anschlusselektrifizierung in Bayern offen - ob über Marktredwitz oder Bayreuth nach Nürnberg oder auf der Naabtalstrecke nach Regensburg, zu welchem Zeitpunkt und wie finanziert. Das Sächsisch-Bayerische Städtenetz, eine Kooperation der Städte Chemnitz, Zwickau, Plauen, Hof und Bayreuth, drängte schon lange auf eine zügige Umsetzung der vollständigen Elektrifizierung. 224 Inzwischen sind u.a. folgende Streckenabschnitte in den Bundesverkehrswegeplan 2030 aufgenommen worden und als „vordringlicher Bedarf“ definiert 225 : Strecke Hof-Marktredwitz Marktredwitz-Regensburg Nürnberg-Marktredwitz Merkmale 42 km zweigleisig 15 Eisenbahnbrücken 24 Straßenbrücken 3 Bahnübergänge 8 Stationen 160 km/ h 135 km zweigleisig 127 Eisenbahnbrücken 59 Straßenbrücken 26 Bahnübergänge 18 Stationen 160 km/ h 125 km zweigleisig 58 Eisenbahnbrücken 45 Straßenbrücken 10 Tunnel 7 Bahnübergänge 23 Stationen 160 km/ h TEN-Korridor Skandinavien-Mittelmeer Skandinavien-Mittelmeer Rhein-Donau Rhein-Donau Planungsstand Vorplanung 2015 abgeschlossen Planfeststellung ausgesetzt wegen Einarbeitung Schallschutz laufende Vorplanung laufende Vorplanung Tabelle 2-19 Eisenbahnstrecken in Nordostbayern (Auswahl) 226 Von Bedeutung sind diese Stecken nicht nur regional, sondern auch international, denn zwei von der EU definierte europäische Verkehrskorridore - der Skandinavien-Mittelmeer-Korridor und der Rhein- Donau-Korridor - führen durch Nordostbayern. 227 Mit dem Ausbau, wozu auch die Elektrifizierung gehört, zielt man auf: eine Aufwertung des Nahverkehrs durch schnellere und zuverlässigere Verbindungen (Wegfall Lokwechsel bzw. Umstiege), eine Wiederanbindung der Region an das Fernverkehrsnetz (u.a. Direktverbindungen im Zwei-Stunden-Takt von Dresden über Hof nach München 228 ), 224 vgl. CLARA II: Elektrifizierung der Sachsen-Franken-Magistrale, Bayreuth 2013, 2 und 13 225 vgl. Deutsche Bahn AG: Bahnausbau Nordostbayern, http: / / bauprojekte.deutschebahn.com, 11.01.2020 226 DB Netz AG, Regionalbereich Süd: Bahnausbau Nordostbayern, Nürnberg 2019, 2f; Deutsche Bahn AG: Bahnausbau Nordostbayern, http: / / bauprojekte.deutschebahn.com, 11.01.2020; DB Netz AG: Bahnausbau Nordostbayern, http: / / bahnausbau-nordostbayern.de, 22.04.2020 227 vgl. DB Netz AG: Gute Gründe für den Bahnausbau Nordostbayern, http: / / www.bahnausbau-nordostbayern.de, 11.01.2020 228 Anmerkung: Derartige Direktverbindungen hat es in der Ära der InterRegios schon gegeben. <?page no="90"?> 90 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel umweltfreundlichere Verbindungen durch Elektroantrieb, eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Güterverkehrs durch Schaffung weiterer Kapazitäten und effizientere Abwicklung (z.B. neue Nord-Süd-Verbindung zu den Seehäfen), positive Effekte für Wirtschaft und Tourismus, welche von gut ausgebauten und klimafreundlich bedienten Verkehrswegen profitieren können. 229 Der Streckenausbau zieht eine intensive Nutzung nach sich, was v.a. ein erhöhtes Aufkommen an Güterverkehr bedeuten wird. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere der Lärmschutz für die Anwohner eine große Rolle. Da die Elektrifizierung wie ein Streckenneubau eingestuft wird, muss demzufolge auch aktuellen Anforderungen Rechnung getragen werden, was den umfangreichen Bau von Lärmschutzwänden bedeutet. 230 Eine bessere Anbindung der Region Südwest-Sachsen erhoffte man sich auch durch den City-Tunnel Leipzig, der am 15.12.2013 offiziell in Betrieb ging. Da nur elektrisch betriebene Züge den City-Tunnel befahren dürfen, war die nun abgeschlossene Elektrifizierung zwischen Reichenbach und Hof die Grundvoraussetzung für einen möglichen Einsatz direkter Express-Züge von Hof über Plauen nach Leipzig. Ob bzw. wann eine solche Verbindung jemals eingerichtet wird, steht nicht fest. Im Zuge der Umgestaltung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes war sogar vorgesehen, eine S-Bahn-Linie bis ins Vogtland zu führen. 231 Bislang fahren die S-Bahnen lediglich bis Zwickau. Doch selbst wenn solch eine S-Bahn-Anbindung käme, wäre dies kein Ersatz für den fehlenden Fernverkehr. Diesen kann es erst dann geben, wenn auch der bayerische Streckenteil durchgehend elektrifiziert ist. Aufgabe 1: Warum geht die vollständige Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale (Nürnberg-Dresden) so schleppend voran? Welche Beweggründe waren in der Vergangenheit und welche sind gegenwärtig von Bedeutung (historisch, politisch, wirtschaftlich bzw. betriebstechnisch betrachtet)? Aufgabe 2: Welche Verbesserungen im Personen- und Güterverkehr könnten mit der durchgängigen Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale sowie der von ihr ausgehenden Naabtallinie erreicht werden? Beziehen Sie diese sowohl auf Sachsen und Bayern als auch auf einen attraktiven und leistungsfähigen Schienenverkehr im EU-Maßstab! Aufgabe 3: Welche Vor- und Nachteile bringt das aktuelle Betriebskonzept auf der Franken-Sachsen-Magistrale für die einzelnen Akteure mit sich? 229 vgl. DB Netz AG, Regionalbereich Süd: Bahnausbau Nordostbayern, Nürnberg 2019, 3; Deutsche Bahn AG: Bahnausbau Nordostbayern, http: / / bauprojekte.deutschebahn.com, 11.01.2020; DB Netz AG: Gute Gründe für den Bahnausbau Nordostbayern, http: / / www.bahnausbau-nordostbayern.de, 11.01.2020 230 vgl. Hösamer, Clemens: Der lange Weg zur Elektrifizierung, http: / / www.onetz.de, 29.11.2019 231 vgl. DB Mobility Logistics AG: Elektrifizierung Reichenbach-Hof geht in die nächste Runde (12.02.2013), http: / / deutschebahn.com, 20.11.2013 <?page no="91"?> 2.2 Schienenverkehr 91 2.2.10 Bahnhöfe Rein ökonomisch betrachtet, stellen Bahnhöfe nur einen geringen Teil des Infrastruktursystems Bahn dar. Bahnhöfe lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren: nach ihren Aufgaben, der Lage im Schienennetz, der Lage des Empfangsgebäudes zu den Hauptgleisen, ihrer Grundrissform oder nach den Verkehrsobjekten. Klassifizierung nach Beispiele Aufgaben Abstellbahnhof, Bergwerksbahnhof, Betriebswechselbahnhof, Containerbahnhof, Gemeinschaftsbahnhof, Grenzübergangsbahnhof, Güterbahnhof, Hafenbahnhof, Fährbahnhof, Industriebahnhof, Personenbahnhof, Rangierbahnhof, Transitbahnhof Lage im Netz Anschlussbahnhof, Berührungsbahnhof, Endbahnhof, Knotenbahnhof, Kopfbahnhof, Kreuzungsbahnhof, Satellitenbahnhof, Spurwechselbahnhof, Trennungsbahnhof, Turmbahnhof, Zwischenbahnhof Lage des Empfangsgebäudes zu den Hauptgleisen Bahnhof in Seitenlage, Dreiecksbahnhof, Inselbahnhof, Keilbahnhof Grundrissform Durchgangsbahnhof, Kopfbahnhof Verkehrsobjekten Güterbahnhof, Personenbahnhof Tabelle 2-20 Klassifizierung von Bahnhöfen 232 Innsbruck Hbf als Personen-, Durchgangs-, Knotenbahnhof, Bahnhof in Seitenlage Bf Zweisimmen als Personen-, Spurwechsel-, Anschlussbahnhof, Bahnhof in Seitenlage (Regelspur) bzw. Kopfbahnhof (Schmalspur) 232 erstellt nach: Burow, Andreas: Bahnhöfe, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn: Fahrzeuge - Strecken - Betrieb, München 2007, 145f; Preuß, Erich: Kleine Typenkunde der Bahnhöfe, in: Modell-Eisenbahner Spezial „Bahnhöfe - Kathedralen des Verkehrs“, 5/ 2004, 26ff; Jochim, Haldor; Lademann, Frank: Planung von Bahnanlagen, München 2009, 148ff <?page no="92"?> 92 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Abbildung 2-7 Bahnhofstypen (Auswahl) <?page no="93"?> 2.2 Schienenverkehr 93 Bahnhöfe für den Personenverkehr ermöglichen einerseits den Reisenden den Zugang zum Schienennetz, anderseits den Eisenbahnverkehrsunternehmen die Wahrnehmung des Betriebsdienstes. Dementsprechend verfügen sie sowohl über Verkehrsals auch Betriebsanlagen. 233 Personenbahnhöfe müssen heute Sicherheit, Sauberkeit und Orientierung vermitteln. Sie weisen wesentlich längere Lebenszyklen als andere Immobilien auf und „ müssen nachhaltig und architektonisch halten und so intelligent sein, dass die Hauptfunktionen immer gewährleistet sind. “ 234 Verbindung der einzelnen Bereiche Bahnseitig Funktionalität (Abwicklung Personenverkehr) Wirtschaftlichkeit (Immobilienverwertung) Übersichtlichkeit Transparenz Sicherheit Sauberkeit Fahrkarten und Reservierungen Reiseinformation (Fahrpläne, Fahrtzielanzeiger, Auskunft ...) Gepäckaufbewahrung Bahnhofsmission sanitäre Anlagen andere Dienstleistungen auch bei Unfällen, Störfällen, Katastrophen auch in Spitzenverkehrszeiten Leitsysteme Sicherstellung der Mobilitätskette / Lenkung der Verkehrsströme Vermietung (Einzelhandel, Gastronomie, sonstige Dienstleistungen, Büros, Einnahmen Fahrkartenverkauf und bahnbezogene Dienstleistungen Stadtseitig Stadtentwicklung Standortattraktivität Entwicklung der Bahnhofsviertel Bahnhöfe als Subzentren gute Anbindung an ÖPNV Umstieg (indirekte Umlenkung) auf öffentliche Verkehrsmittel Funktionen eines Personenbahnhofs Grundanforderungen Verknüpfung von Funktionen der Bahn- und der Stadtseite langfristige und dauerhafte Kooperation Abbildung 2-8 Funktionen eines (Personen-)Bahnhofs (ohne bahnbetriebliche Funktionen) Das Empfangsgebäude gilt als das eigentliche Herz des Bahnhofs. Es ist der erste Raum, den Reisende betreten. Dort sollten alle jene Einrichtungen zu finden sein, die Reisende für ihre bevorstehende Reise brauchen. Darüber hinaus enthält es weitere, für betriebliche Zwecke notwendige 233 vgl. Strüber, Oliver: Der Hof für die Bahn, in: Modell-Eisenbahner Spezial „Bahnhöfe - Kathedralen des Verkehrs“, 5/ 2004, 16 234 Steiner, Dietmar M.: Vieles neu lernen ... (Interview mit ÖBB-Generaldirektor Helmut Draxler), in: Profil, 28.02.2000, 145 <?page no="94"?> 94 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Räumlichkeiten. Dabei sind Größe und Umfang abhängig von Dimensionen und Bedeutung des Bahnhofs. Abbildung 2-9 Was ist ein Bahnhof? 235 Im Laufe der Zeit hat sich das Erscheinungsbild der Empfangsgebäude sowie der darin angebotenen - mit einer Bahnreise mehr oder weniger in Zusammenhang stehenden - Dienstleistungen stark gewandelt. Zum Zwecke des Fahrkartenverkaufs findet man (in großstädtischen Bahnhöfen) früher wie heute üblicherweise mehrere Fahrkartenschalter bzw. ein Reisezentrum in der Empfangshalle vor. Während diese anfangs nach Nah- und Fernverkehr getrennt waren, gibt es heute Express-Schalter sowie Schalter für BahnComfort-Kunden. Früher war auch eine räumliche Trennung zwischen Reisenden und Mitarbeitern üblich. Heute findet man hier offene Theken im Sinne der Corporate Identity. Zudem gibt es Fahrkartenautomaten; in kleinen Stationen sind sie teilweise die einzige Möglichkeit zum Fahrkartenerwerb. Auskünfte einholen können Reisende über Fahrplanaushänge, Ankunfts- und Abfahrtstafeln, Lautsprecherdurchsagen, Zuganzeiger auf den Bahnsteigen (mittlerweile elektronisch) sowie am Fahrkartenschalter. Vor einigen Jahren führte die Deutsche Bahn Serviceschalter (ServicePoint) auf den größeren Bahnhöfen ein, allerdings wurden diese vielerorts bereits wieder zurückgebaut. Auf größeren Bahnhöfen besteht zudem die Möglichkeit zur Gepäckaufbewahrung . Früher ausschließlich personenbedient, gibt es hierbei meist nur noch Gepäckschließfächer. Die Gepäckauf- 235 Zitate entnommen aus: Dienes, Gerhard Michael; Dinhobl, Günter; Kos, Wolfgang: Der Bahnhof: Ein Ort der Moderne, in: Kos, Wolfgang, Dinhobl, Günter (Hrsg.): Großer Bahnhof - Wien und die weite Welt, Wien 2006, 30ff <?page no="95"?> 2.2 Schienenverkehr 95 und -ausgabe direkt am Bahnhof zum Zwecke des Gepäcktransports wird mittlerweile nicht mehr angeboten, existiert jedoch in abgewandelter Form z.B. als „DB Gepäckservice“ weiter. Bei den Wartesälen erfolgte früher eine strikte Trennung nach Wagenklassen. Dieses alte Konzept wurde mit Einführung der „Lounges“ wieder aufgegriffen. Ansonsten findet man in den Empfangsgebäuden und auf den Bahnsteigen heute meist weniger bequeme Sitzgelegenheiten. Toiletten befanden sich früher z.T. außerhalb des Empfangsgebäudes, auch um Geruchsbelästigungen zu minimieren. Heute werden die vorhandenen Toilettenanlagen teilweise durch Konzessionäre betrieben. Auf größeren Bahnhöfen existieren Sozialstationen , deren Aufgabe es ist, hilfsbedürftigen Reisenden Unterstützung zu gewähren. Während früher ein typisches Bahnhofsrestaurant die einzige gastronomische Anlaufstelle war, gibt es hier - allerdings meist nur auf größeren Bahnhöfen - mittlerweile eine große Auswahl, die i.d.R. durch verschiedene Einzelhändler (z.B. Zeitschriften, Bäcker, Blumen, Drogerie, Souvenirs) ergänzt wird. Darüber hinaus findet man auch kleine Verkaufsstände sowie Automaten auf den Bahnsteigen. Nicht umsonst ist auch die Rede vom „Warenhaus mit Gleisanschluss“. Besondere Bedeutung bei der Gestaltung von Empfangsgebäuden hat die Lenkung der Verkehrsströme: Dabei orientiert man sich am vom Straßenverkehr bekannten Rechtsverkehr, der den Reisenden beim Betreten des Empfangsgebäudes von der Straße durch die Empfangshalle hin zu den Bahnsteigen leiten soll. Die Empfangshalle sollte eine gewisse Weiträumigkeit aufweisen, so dass auch größere Verkehrsströme zu Spitzenverkehrszeiten verkraftet werden können, aber dennoch Übersichtlichkeit gewährleistet ist. Idealerweise werden am Bahnhof ankommende Reisende auf ihrem Weg zum Zug direkt an den für ihn relevanten Serviceeinrichtungen (z.B. Auskunft, Fahrkartenschalter) entlanggeführt. Zusätzlich werden verschiedene Annehmlichkeiten geboten, die einer bequemeren Reise dienen können. 236 Nicht zu vernachlässigen sind Sicherheitsanforderungen im Empfangsgebäude und an den Bahnsteigen, insbesondere bei steigenden Fahrgastzahlen und höheren Geschwindigkeiten durchfahrender Züge. So sehen aktuelle Richtwerte z.B. vor, dass ein Bahnsteig im Falle eines Brandes in acht bis zehn Minuten komplett evakuiert sein muss. 237 Graz Hbf Gare de l‘Est Paris 236 vgl. Strüber, Oliver: Service und Kommerz, in: Modell-Eisenbahner Spezial „Bahnhöfe - Kathedralen des Verkehrs“, 5/ 2004, 57ff 237 vgl. o.V.: Der Bahnhof der Zukunft, in: Prima 6/ 2012, 18 <?page no="96"?> 96 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Gare Guillemins Liège Bergen Täglich halten in Deutschland rund 400.000 mal Züge an Personenbahnhöfen oder Haltepunkten. Die Stationen werden von rund 21 Mio. Menschen täglich genutzt. Betrieben werden diese Stationen von der DB Station & Service AG, einer 100%igen Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. Zum Aufgabengebiet gehören dabei ca. 5.400 Stationen mit ca. 700 Empfangsgebäuden. 238 Berlin Hbf Hamburg Hbf München Hbf Züge Nah- und Fernverkehr tägl. über 1.200 800 855 S-Bahnen täglich 1200 1018 Reisende und Besucher täglich 300.000 530.000 400.000 Geschäfte und Gastronomie 80 75 65 Anzahl der Bahnsteige/ Gleise 7/ 14 6/ 12 20/ 34 Fläche Vermietung 15.600 7.600 m² 29.000 m² Tabelle 2-21 Die größten Bahnhöfe Deutschlands im Vergleich 239 Seit 2011 gruppiert die Deutsche Bahn AG Bahnhöfe in sieben Kategorien bzw. Preisklassen: „ Die ganz großen Bahnhöfe sind sozusagen unsere Flughäfen, die ganz kleinen unsere Bushaltestellen. “ 240 Die konkrete Einordnung orientiert sich an folgenden Faktoren, welche wiederum in einzelne Stufen unterteilt sind: Infrastruktur (Anzahl der Bahnsteigkanten, maximale Bahnsteiglänge), verkehrliche Bedeutung (Anzahl der Reisenden, Anzahl der Zughalte) Ausstattung (Vorhandensein technischer Stufenfreiheit, Vorhandensein von Service-Personal). Diese Kategorisierung der Bahnhöfe bildet die Basis für das Stationspreissystem. 241 Zu den Basisleistungen an allen Stationen gehören: Bahnsteig, Bahnhofsnamensschild, Fahrplanaushang, Flächen für Fahrkartenautomaten und Entwerter, Wegeleitsystem, regelmäßige Reinigung, 238 vgl. DB Station & Service AG: Willkommen in ganz Deutschland, Berlin 2020, 12 239 erstellt nach: Deutsche Bahn AG: Bahnhöfe - Daten und Fakten, http: / / www.bahnhof.de, 04.05.2013; DB Station & Service AG: Deutschlands Bahnhöfe - Top-Standorte für Gastronomie und Einzelhandel, Berlin 2017, 13 240 Dr. André Zeug, Vorstandsvorsitzender der DB Station & Service AG, zit. in: Kahl, Thomas: Drehscheiben der Mobilität, in: Prima 6/ 2012, 11 241 vgl. DB Netze: Infrastrukturnutzungsbedingungen Personenbahnhöfe, gültig ab 01.01.2020, Besonderer Teil, Ziffer 5.3.1 <?page no="97"?> 2.2 Schienenverkehr 97 Abfallbehälter, Koordination durch die 3-S-Zentrale und Infoflächen für Eisenbahnverkehrsunternehmen. Je nach Kategorie werden darüber hinaus folgende weitere Basisleistungen angeboten: Sitzgelegenheit, Wetterschutz, Bahnhofsuhr/ Zeitangabe, dynamische Reisendeninformation (nur Abweichung), dynamische Reisendeninformation (Fahrplan und Abweichung), Bahnsteigabschnittsmarkierungen, Service-Mitarbeiter (auch zeitweise) und DB Information. 242 Bahnhöfe für den Güterverkehr lassen sich klassifizieren in Bahnhöfe mit Zugang zum Eisenbahnnetz von außen (Güterbahnhöfe) und Bahnhöfe ohne solch einen Zugang (Rangierbahnhöfe). Güterbahnhöfe dienen dem Güterumschlag von der Straße bzw. vom Schiff auf die Bahn bzw. der Übergabe von Güterwagen von örtlichen Gleisanschlüssen oder umgekehrt. 243 Auf Güterbahnhöfen findet ausschließlich oder überwiegend Stückgut-, Container- oder Wagenladungsverkehr statt. Güterbahnhöfe für besondere Zwecke können Werkbahnhöfe, Industriebahnhöfe, Hafenbahnhöfe, Containerbahnhöfe oder KV-Terminals sein. Rangierbahnhöfe dienen dem Auflösen und Bilden von Güterzügen im Wagenladungsverkehr und erfüllen damit betriebliche Aufgaben. In der Regel handelt es sich dabei um umfangreiche Bahnanlagen, die in der Nähe wichtiger Quellen oder Senken des Güterverkehrs liegen. 244 Kombinationen aus Güter- und Rangierbahnhöfen sind möglich. Europas größter Rangierbahnhof Der größte Rangierbahnhof Europas befindet sich im niedersächsischen Maschen unweit von Hamburg. Er erstreckt sich über 7 km Länge auf einer Fläche von rund 280 ha und verfügt über ca. 300 km Gleise. Der Rangierbahnhof dient als wichtiges Drehkreuz einerseits der Abwicklung des Hinterlandverkehrs der Seehäfen Hamburg und Bremerhaven, andererseits der Verkehre in Richtung Skandinavien. Jährlich erreichen etwa 1 Mio. Güterwagen den Bahnhof. Die ankommenden Züge werden hier aufgelöst und neu zusammengestellt. Dabei werden die einzelnen Güterwagen zunächst vom Zug gelöst und rollen dann über einen Ablaufberg in die Gleisharfen, wo die neuen Züge gebildet werden. Die Steuerung bzw. Zuordnung zu den jeweiligen Gleisen erfolgt vom Stellwerk aus, wo zuvor die Zugbildung von Disponenten per Computer geplant wurde. Mehr als die Hälfte der Güter setzt sich hier inzwischen aus Containern zusammen, was auch aus der Nähe zu den Seehäfen resultiert. 2014 wurde der Bahnhof - bei laufendem Betrieb - grundlegend modernisiert und ausgebaut, um den zukünftigen Anforderungen, v.a. aufgrund des zunehmenden Containerverkehrs, gerecht zu werden. 245 242 vgl. DB Netze: Infrastrukturnutzungsbedingungen Personenbahnhöfe, gültig ab 01.01.2020, Anlage 1 243 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 149f 244 vgl. Potthoff, Gert: Die Eisenbahn, Berlin 1979, 41; Jochim, Haldor; Lademann, Frank: Planung von Bahnanlagen, München 2009, 160f 245 vgl. Tauer Christiane: Endspurt beim Bahnhofsumbau in Maschen (14.12.2013), http: / / www.abendblatt.de, 30.01.2014; Europas größter Rangierbahnhof (18.10.2012), http: / / www.handelsblatt.com, 30.01.2014; Deutsche Bahn AG: Rangierbahnhof Maschen, http: / / www.deutschebahn.com, 26.08.2020 <?page no="98"?> 98 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fallstudie: Die ÖBB-Bahnhofsoffensive Die ÖBB betreiben 1.095 Bahnhöfe und Haltestellen in Österreich. Verglichen mit den europäischen Nachbarn weist das österreichische Schienennetz eine sehr hohe Dichte an Bahnhöfen und Haltstellen auf: Bahnhöfe pro 1.000 Streckenkilometer 1. Slowakei 260 6. Großbritannien 160 2. Österreich 254 7. Belgien 151 3. Slowenien 221 8. Griechenland 144 4. Kroatien 197 9. Polen 142 5. Deutschland 169 10. EU-Schnitt 141 Tabelle 2-22 Bahnhofsdichte im europäischen Vergleich 246 Der durchschnittliche österreichische Bahnhof war lange Zeit leicht überschaubar und mutete eher trist an. Man fand darin i.d.R. einen Haupteingang, eine von Schaltern flankierte Kassenhalle, eine große Ankündigungstafel und eine Gepäckaufbewahrung. Daneben gab es ein Bahnhofsrestaurant und eine Trafik und schließlich noch einen Warteraum und Toiletten - alles in allem sehr übersichtlich und leicht auffindbar. 247 Auch wenn schrittweise Fahrkartenautomaten die Schalterbeamten ersetzen, genügten die Bahnhöfe gegen Ende des 20. Jahrhunderts einfach nicht mehr den Erfordernissen der Zeit. 248 Die von den ÖBB gestartete Bahnhofsoffensive sah deshalb Folgendes vor: „Helle, saubere Foyers mit tollen Geschäften sollen in den meist tristen und oft übel riechenden Bahnhofsgebäuden entstehen. Wo sich heute kaum jemand länger als nötig aufhalten will [...], sollen attraktive Läden oder sogar richtige Shopping Malls zum Verweilen und Kaufen einladen.“ 249 In Abhängigkeit vom Fahrgastaufkommen wurden die österreichischen Bahnhöfe und Haltestellen in Kategorien eingeteilt, entsprechend dazu Einzelhandelsflächen geschaffen. Für die Handelsketten stellen stark frequentierte Bahnhöfe lukrative Standorte dar. Aufgrund ihres quasi „extraterritorialen“ Status gilt hier die Ladenschlussregelung nicht, d.h., solange Züge fahren, darf auch verkauft werden. 250 Seit 2001 wurden schrittweise die am stärksten frequentierten Bahnhöfe modernisiert und Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte nachgeholt: „Sicherheit, Sauberkeit, Barrierefreiheit und ein ansprechendes Nahversorgungsangebot sind die Leitlinien für die Umbauarbeiten.“ 251 Die am stärksten frequentierten Bahnhöfe befinden sich in Wien. Die diesbezüglichen Top Ten österreichweit sowie die jeweils größten Bahnhöfe der einzelnen Bundesländer gibt folgende Tabelle wieder. 246 vgl. ÖBB-Holding AG: Wir bringen Österreich weiter - Zahlen, Daten, Fakten, Wien 2016, 25 247 vgl. Steiner, Dietmar M.: Wir verstehen nur Bahnhof, in: Profil, 28.02.2000, 144 248 vgl. o.V.: Zug um Zug in die Offensive, in: Profil, 24.01.2000, 53 249 Pint, Jutta: Lok-Angebot, in: Profil, 24.01.2000, 50f 250 vgl. ebd., 51 251 ÖBB-Immobilienmanagement Gesellschaft mbH: Modernisierung ÖBB-Bahnhöfe, http: / / www.oebb-immobilien.at, 14.03.2017 <?page no="99"?> 2.2 Schienenverkehr 99 Die zehn größten Bahnhöfe Österreichs (Ein- und Aussteiger/ innen pro Tag) Die größten Bahnhöfe der Bundesländer (Ein- und Aussteiger/ innen pro Tag) Wien Hauptbahnhof 123.500 Wien Hauptbahnhof 123.500 Wien Meidling 78.226 Linz Hauptbahnhof (OÖ) 40.861 Wien Mitte inkl. CAT 61.872 Innsbruck Hauptbahnhof (Tirol) 38.516 Wien Praterstern 59.153 Wiener Neustadt Hauptbahnhof (NÖ) 35.847 Wien Floridsdorf 51.957 Salzburg Hauptbahnhof (Sbg.) 28.651 Wien Handelskai 42.519 Graz Hauptbahnhof (Stmk.) 25.511 Linz Hauptbahnhof (OÖ) 40.861 Klagenfurt Hauptbahnhof (Ktn.) 14.580 Innsbruck Hauptbahnhof (Tirol) 38.516 Bahnhof Feldkirch (Vbg.) 13.797 Wiener Neustadt Hauptbahnhof (NÖ) 35.847 Bahnhof Neusiedl am See (Bgld.) 2.610 Wien Rennweg 30.146 Tabelle 2-23 Die größten Bahnhöfe Österreichs 252 Die Umsetzung der Bahnhofsoffensive erfolgte in zwei Phasen. In den ersten fünf Jahren wurden bereits zehn Bahnhöfe (Feldkirch, Innsbruck, Graz, Baden, Krems, Linz, Wiener Neustadt, Leoben, Wels und Klagenfurt) umgebaut. In der anschließenden zweiten Phase arbeitete man an zehn weiteren Bahnhöfen (Wien Praterstern, Wien Heiligenstadt, Wien Hütteldorf, Wien Meidling, Wien Mitte, St. Pölten, Bruck an der Mur, Attnang-Puchheim, Salzburg und Hauptbahnhof Wien). 253 Das Erscheinungsbild der Bahnhöfe hat sich grundlegend verändert. Funktionalität und Wirtschaftlichkeit stehen nun im Vordergrund. Es wurden übersichtliche Leitsysteme installiert, die Bahnhofshallen wurden freundlicher, leicht pflegbare Materialien erleichtern die Reinigung. Ein wesentliches Anliegen war es auch, die Mobilitätskette vom Bahnhofsvorplatz bis zum Bahnsteig zu verbessern, so dass sie auch von in ihrer Mobilität eingeschränkten Personen problemlos bewältigt werden kann. 254 Innsbruck Hbf mit Bahnhofsvorplatz St. Pölten Hbf 252 vgl. ÖBB-Holding AG: Werte bewegen - Zahlen, Daten, Fakten, Wien 2019, 40 253 vgl. ÖBB-Immobilienmanagement Gesellschaft mbH : Modernisierung ÖBB-Bahnhöfe, http: / / www.oebb-immobilien.at, 14.03.2017 254 vgl. ÖBB-Immobilienmanagement GmbH: Bahnhofsoffensive, http: / / www.oebb-immobilien.at, 08.03.2007 <?page no="100"?> 100 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Salzburg Hbf Wien Hbf Die ÖBB setzen dabei auf den „Hybridbahnhof“, der unterschiedliche Funktionen - Verkehr, Arbeit, Einkauf, Unterhaltung - verbindet. Architektonisch gibt es dabei unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten. Manchen Bahnhöfen sieht man ihre Funktion als Verkehrsgebäude kaum mehr an. Der Bahnbetrieb wird unterirdisch angesiedelt, auf klassische Empfangsgebäude weitgehend verzichtet. Demgegenüber gibt es Bauten, bei denen die klassische Bahnhofshalle - mit zeitgemäßen Einflüssen - extra hervorgehoben wird. 255 Neben diesen grundsätzlichen Umbauten fanden bzw. finden zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen statt, um das Reisen mit der Bahn angenehmer und bequemer zu gestalten. Zwischen 2009 und 2018 wurden insgesamt 220 Bahnhöfe bzw. Haltestellen modernisiert, bis 2030 sind 300 geplant. 256 Dabei werden jährlich auch ca. 1.000 neue Pkw-Parkplätze sowie ca. 500 Fahrradabstellplätze eingerichtet. Von großer Bedeutung ist die Gewährleistung von barrierearmen bzw. -freien Reiseketten. 2015 konnten rund 75 % der Kunden einen barrierefreien Bahnhof nutzen, bis 2020 sollten diese Werte auf 80 % bzw. bis 2025 auf 90 % steigen. Zur Optimierung des Serviceangebots hat man die 33 größten österreichischen Bahnhöfe mit kostenlosem WLAN ausgestattet, schrittweise soll dieser Service auf den 100 größten Bahnhöfen installiert werden. 257 Aufgabe 1: Welche Ziele lassen sich im Rahmen der ÖBB-Bahnhofsoffensive realisieren? Aufgabe 2: Welche Wirkungen könnten vom Umbzw. Neubau und vom späteren Betrieb der in die Bahnhofsoffensive einbezogenen Bahnhöfe auf das Makroumfeld ausgehen? Aufgabe 3: Was bedeutet bzw. beinhaltet „Nachhaltige Entwicklung“? Welchen Beitrag leistet die Bahnhofsoffensive zur Realisierung einer nachhaltigen Verkehrspolitik? 255 vgl. Kos, Wolfgang; Dinhobl, Günter (Hrsg.): Großer Bahnhof - Wien und die weite Welt, Wien 2006, 428 256 vgl. ÖBB-Holding AG: Attraktive Bahnhöfe, http: / / www.infrastruktur.oebb.at, 17.04.2020 257 vgl. ÖBB-Holding AG: Wir bringen Österreich weiter - Zahlen, Daten, Fakten, Wien 2016, 14; ÖBB-Holding AG: ÖBB - Bahnhofsoffensive wirkt, 12.08.2016; ÖBB-Holding AG: Investitionsvorhaben, http: / / www.infrastruktur. oebb.at, 02.01.2019 <?page no="101"?> 2.3 Schiffsverkehr 101 2.3 Schiffsverkehr Schiffsverkehr stellt den Verkehr auf Wasserwegen dar. In Abhängigkeit von den befahrenen Gewässern wird in Binnenschifffahrt, Küstenschifffahrt und Seeschifffahrt unterschieden. Die genutzten Schiffe sind den jeweiligen Aufgaben (z.B. Gütertransporte, Tanker, Personentransporte) und den befahrenen Gewässern angepasst. Der Schiffsverkehr ist ein wesentlicher Bestandteil des Verkehrswesens. Insbesondere für den Transport von Massengütern sind See- und Binnenschifffahrt aus volkswirtschaftlicher und ökologischer Sicht unentbehrlich. Von großer Bedeutung sind die beständig zunehmenden Containertransporte sowie (insbesondere in der Binnenschifffahrt) der Gefahrguttransport sowie Transporte von schweren und/ oder sperrigen Gütern. 258 2.3.1 Zur Geschichte der Schifffahrt Die Binnenschifffahrt wird in vielen Quellen als ältester Verkehrsträger betrachtet. 259 Ab ca. 3000 v. Chr. waren die Ägypter in der Lage, auf dem Nil Güter mit Schilfbooten zu transportieren. 800 bis 1.000 Jahre später gibt es Hinweise auf eine lebhafte Binnenschifffahrt in China und bei den Babyloniern. 260 Jahrhundertelang dominierten als Transportmittel Einbäume, Flöße und Holzboote. Die Fortbewegung erfolgte zunächst über Ruder oder Staken. Später gewannen die Treidelschifffahrt (Schiffe werden vom Ufer aus gezogen) und die Kettenschifffahrt (Schiffe bewegen sich an im Wasser verlegten Ketten) an Bedeutung. Ein Massentransport per Binnenschiff wurde dabei durch den Einsatz von Dampfmaschinen sowie den Bau von Eisenschiffen möglich. 261 Die folgende Tabelle fasst die wesentlichen Etappen in der weiteren Entwicklung der Binnenschifffahrt zusammen: 12.-18. Jh. 12. Jh. Binnenschiffer schließen sich zu den ersten Schifferzünften zusammen (Aufgaben: Ausbildung junger Schiffer, Beaufsichtigung des Schifffahrtsbetriebs, Sicherung ihrer Streckenabschnitte). Am Rhein gibt es 62 Zollstellen. 1215 In England wird mit der „Magna Carta“ die Binnenschifffahrt auf den Flüssen von Zöllen befreit. 1398 Der Stecknitzkanal (erster europäischer Scheitelkanal) wird zur Verbindung von Trave und Elbe gebaut. 1438 In Italien wird die Kammerschleuse erfunden, die die Überwindung von Wasserscheiden ermöglicht. 17. Jh. Auf der Elbe gibt es 48 Zollstellen. Der letzte Elbzoll wird 1870 abgeschafft. 18. Jh. Der Flusstourismus beginnt. 1746 Der Finow-Kanal zur Verbindung von Havel und Oder wird fertiggestellt. 1776 James Watt entwickelt die erste einsatzfähige Dampfmaschine. 258 vgl. Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Wasserstraßen, http: / / www.wsv.de, 22.07.2013 259 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 309 260 vgl. Schönknecht, Rolf; Gewiese, Armin: Auf Flüssen und Kanälen - Die Binnenschiffahrt der Welt, Berlin 1988, 9 261 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 101 <?page no="102"?> 102 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fortsetzung 19. Jh. 1807 Robert Fulton entwickelt den hölzernen Raddampfer „Clermont“, der mit einer Dampfmaschine betrieben wird. 1815 Die „Wiener Kongreßakte“ legt allgemeine Grundsätze fest, nach denen die Schifffahrt auf den großen Flüssen geordnet werden soll. 1822 Die „Elbschiffahrts-Akte“ regelt die internationale Zugänglichkeit der Elbe. 1829 Die „Erste Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft“ wird gegründet. 1829 In Holland beginnt die Schleppschifffahrt. Zeitgleich entwickelt Josef Ressel das erste einsatzfähige Schraubenschiff „Civeita“. 1831 Die Mannheimer Akte regelt die internationale Zugänglichkeit des Rheins (Inkrafttreten 1868, revidiert 1963). ab 1840 Die Schleppschifffahrt gewinnt in Europa zunehmend an Bedeutung. Schleppschifffahrtsgesellschaften werden gebildet. 1866 Die Kettenschifffahrt auf der Elbe beginnt. 1874 Auf dem Erie-Kanal (USA) werden erste Versuche zur Kanalschubschifffahrt unternommen. 1891 Der Oder-Spree-Kanal wird fertiggestellt. 1898 Am Finow-Kanal sind elektrische Treidellokomotiven zum Schleppen von Binnenschiffen im Einsatz. 20. Jh. 1930 Der Dieselmotor setzt sich immer stärker in der Binnenschifffahrt durch. 1934 Das Schiffshebewerk Niederfinow am Oder-Havel-Kanal wird in Betrieb genommen. 1938 Der Mittellandkanal zur Verbindung von Rhein, Weser und Elbe wird fertiggestellt. 1950er J. Schubverbände (Motorschubboot mit Leichtern verbunden) gewinnen an Bedeutung. 1960er J. Die moderne touristische Flusskreuzfahrt beginnt. 1970er J. Die Bedeutung von Koppelverbänden (ein mit Schubleichtern verbundenes Motorschiff) nimmt zu. 1972 Die hydroenergetische Staustufe „Eisernes Tor“ (Donau) wird in Betrieb genommen. 1976 Der Elbe-Seitenkanal wird fertiggestellt. 1982 Auf der Donau wird fahrplanmäßig der Katamaranverkehr aufgenommen. 1984 Der Donau-Schwarzmeer-Kanal wird eröffnet. 1992 Der Main-Donau-Kanal wird eingeweiht. 21. Jh. 2002 Das Jahrhundert-Hochwasser führt in Mitteleuropa zu starken Beeinträchtigungen der Binnenschifffahrt. Binnenhäfen sind überschwemmt, die Schifffahrt wird zeitweise eingestellt. 2003 Das Wasserstraßenkreuz Magdeburg wird für den Verkehr freigegeben. 2012 Ein Reformprozess zur Neu-Kategorisierung der Bundeswasserstraßen beginnt. 2015-19 Durch Niedrigwasser wird die Binnenschifffahrt regelmäßig beeinträchtigt. Tabelle 2-24 Geschichtlicher Abriss der Binnenschifffahrt 262 262 erstellt nach: Schönknecht, Rolf; Gewiese, Armin: Auf Flüssen und Kanälen - Die Binnenschiffahrt der Welt, Berlin 1988, 267f; Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 101f; Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 190 <?page no="103"?> 2.3 Schiffsverkehr 103 Die Seeschifffahrt lässt sich ebenfalls bis lange vor Beginn der Zeitrechnung zurückverfolgen. Über 5.000 Jahre herrschten aus Holz gebaute Segelschiffe vor, die unterschiedliche Formen aufwiesen und unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten boten. Die Seeschifffahrt beschränkte sich zunächst auf die Küstenbereiche, da das Vordringen auf die hohe See nur mithilfe ausreichender Kenntnisse bezüglich Meeresströmungen und Windverhältnissen sowie mit besseren Schiffen und bei Verwendung nautischer Hilfsmittel möglich war. Ab ca. 800 v. Chr. entwickelten Phönizier und Griechen seetaugliche Segelschiffe. Etwa 500 bis 600 Jahre später bauten die Römer griechische Schiffe in größerem Stil nach. Unabhängig von den Völkern um das Mittelmeer entwickelten die Normannen ihren Schiffbau. Ab ca. 800 begannen die Wikinger mit der Überquerung des Atlantiks. Um 1000 entdeckte der norwegische Seefahrer Leif Eriksson Amerika. 263 Die weitere Entwicklung fasst folgende Tabelle zusammen: 14. bis 18. Jh. 14. Jh. Portugiesen und Spanier erweisen sich als erfahrene Seefahrer. Die Zeit der Entdeckungen beginnt und bildet die Basis für einen interkontinentalen Seehandel. 1492 Christoph Kolumbus entdeckt die „Neue Welt“. 16. und 17. Jh. Spanien, Portugal, die Niederlande, England und Frankreich gelten als große Seefahrernationen. 1760 Das „Lloyds Register of Shipping“ (erste Klassifikationsgesellschaft) wird gegründet. 19. Jh. 1819 Der erste Überseedampfer, „Savannah“, überquert den Atlantik. 1840 Die Cunard Line eröffnet den ersten regelmäßigen Liniendienst über den Atlantik. 1845 Der erste Dampfer mit Schraubenantrieb, „Great Britain“, überquert den Atlantik. 1847 Hapag (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft) wird gegründet. 1850 Die erste Eisenbahnfähre befördert Waggons über den Firth of Forth (Schottland). 1854 Der Norddeutsche Lloyd wird gegründet. 1869 Der Suezkanal wird eingeweiht. 1870 Zur Ermittlung von Schiffsgrößen wird die Bruttoregistertonne eingeführt. 1870er J. Die ersten Stückgutfrachter werden entwickelt. 1877-80 Britische und französische Schiffe verfügen über die ersten Ladekühlräume. 1895 Der Kaiser-Wilhelm-Kanal (später Nord-Ostsee-Kanal) wird eingeweiht. 1890er J. Deutsche Reedereien bieten erste Kreuzfahrten an. 1892 Die erste internationale Eisenbahnfährlinie zwischen Helsingborg und Helsingør nimmt den Betrieb auf. 20. Jh. ab 1900 Auf Passagierschiffen wird die Funktelegraphie eingeführt. 1903 Der Fährverkehr zwischen Warnemünde und Gedser wird aufgenommen. 1909 Der Fährverkehr zwischen Sassnitz und Trelleborg wird aufgenommen. 1910 Der Dieselmotor wird eingeführt und verbessert sowohl die Leistung als auch die Manovrierfähigkeit der Schiffe. 1912 Die „Titanic“ geht auf ihrer Jungfernfahrt unter. Die „Selandia“ ist das erste ozeangehende Schiff mit Dieselmotoren. 263 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 115f; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 179 <?page no="104"?> 104 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fortsetzung 20. Jh. 1914 Der Panamakanal wird eingeweiht. Weltweit sind bereits 340 Hochseetanker unterwegs. 1925 Die „Gripsholm“, das erste mit Dieselmotoren ausgestattete Passagierschiff, geht auf Jungfernfahrt. 1950er J. Die Frachtschiff-Flotte wächst stark. 1953 Auf dem Lago Maggiore fährt das erste brauchbare Tragflügelboot. 1959 Das erste brauchbare Luftkissenboot überquert den Englischen Kanal (Ärmelkanal). 1960er J. Aufgrund des großen Bedarfs entsteht ein Netz von Autofährlinien. Die Zeit der Kreuzfahrten beginnt. 1962 Die „Nils Holgersson“ als erste deutsche RoRo-Fähre wird in Dienst gestellt. 1966 Die ersten Containerschiffe nehmen ihren Einsatz auf. Damit beginnt das Zeitalter der Containerschifffahrt. Das in der Folge auftretende Mengenwachstum führte zum Bau immer größerer Schiffe. 1967-75 Infolge des israelisch-arabischen Sechstagekrieges bleibt der Suezkanal für acht Jahre gesperrt. 1970er J. Die Ära der Jumbofähren beginnt. 1980er J. Die computergestützte Satellitennavigation setzt sich durch. 1990 Die „Hoverspeed Great Britain“, der erste Katamaran, wird in Dienst gestellt. 1994 Die Bruttoraumzahl (BRZ) ersetzt die Bruttoregistertonne (BRT). 21. Jh. ab 2000 Etwa 130 Länder, darunter auch solche ohne eigene Küste, unterhalten Handelsflotten. Containerschiffe erreichen eine Tragfähigkeit von 7.000 TEU. 2006 Die „Emma Mærsk“ (Reederei Mærsk, 13.000 TEU) geht als größtes Containerschiff der Welt auf Jungfernfahrt. 2009 Die „MSC Daniela“ (Mediterranean Shipping Company, 13.800 TEU) geht als größtes Containerschiff der Welt auf Jungfernfahrt. 2009 Die „Oasis of the Seas“ (Reederei Royal Caribbean International, 225.282 BRZ) geht als größtes Kreuzfahrtschiff der Welt auf Jungfernfahrt. Das baugleiche Schwesterschiff „Allure of the Seas“ wird Ende 2010 in Betrieb genommen. 2012 Der JadeWeserPort, einziger deutscher Tiefwasserhafen, nimmt den Betrieb auf. 2013 Das größte Containerschiff der Welt, „Mærsk Mc-Kinney Møller“ (18.300 TEU), geht auf Jungfernfahrt. 2017 Die „Wes Amalie“ wird als erstes Containerschiff auf Erdgasantrieb umgerüstet. 2018 Die „AIDA Nova“ wird als erstes Kreuzfahrtschiff mit LNG betrieben. 2018 Die „Viking Grace“ setzt als erste Fähre einen Windrotor-Antrieb ein. Auf dieselbe Technik setzt auch der Tanker „Mærsk Pelican“. 2019 Das erste Hybrid-Expeditionsschiff, die „Roald Amundsen“, wird in Dienst gestellt. 2020 Die „HMM Algeciras“ (24.000 TEU) tritt als größtes Containerschiff der Welt die Jungfernfahrt an. Tabelle 2-25 Geschichtlicher Abriss der Seeschifffahrt 264 264 erstellt nach: Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 116ff; Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 212f und 137 sowie Pressemeldungen der betreffenden Reedereien <?page no="105"?> 2.3 Schiffsverkehr 105 2.3.2 Binnenschifffahrt Kernleistung der Binnenschifffahrt ist der Transport von großen Warenmengen von einem Binnenhafen zum anderen. Transportiert werden vor allem schütt- und greiferfähige Massengüter. Zu den Haupttransportgütern der Binnenschifffahrt zählen landwirtschaftliche Produkte, Kohle, Mineralölerzeugnisse, Erze, Eisen und Stahl, Baustoffe, Düngemittel, Halb- und Fertigwaren. Die Transportkosten sind vergleichsweise gering und die Transportkapazitäten der Binnenwasserstraßen längst nicht ausgenutzt. Der große Vorteil der Binnenschifffahrt gegenüber den anderen Verkehrsträgern liegt vor allem in ihrer Termintreue. Staus gibt es auf den Binnenwasserstraßen nicht, so dass die Transportzeiten relativ genau berechenbar sind. 265 Weitere Vorteile der Binnenschifffahrt liegen in ihrer Energiesparsamkeit, Umweltfreundlichkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit: Energiesparsamkeit : Binnenschiffe benötigen (aufgrund des Auftriebs des Wassers und der Strömung) den geringsten Energieeinsatz. Umweltfreundlichkeit : Diese resultiert aus dem geringen Energieverbrauch sowie aus dem sich daraus ergebenden geringeren Abfall- und Emissionsvolumen. Für die Binnenschifffahrt gilt eine strenge Abgasregulierung. Für Altöl sowie öl- und fetthaltige Schiffsbetriebsabfälle existieren eigene Entsorgungssysteme. Die Einleitung von Waschwassern in Flüsse und Kanäle aus dem Ladungsbereich ist nur dann erlaubt, wenn die Gewässer dadurch nicht verunreinigt werden. Aufgrund der großen Distanz von schiffbaren Gewässern zur Wohnbebauung sind Lärmbelästigungen minimal. Sicherheit : Die Binnenschifffahrt wird als das sicherste Verkehrssystem betrachtet. Die Binnenwasserstraßen sind weiträumig und gut ausgebaut, Staus und Behinderungen sind äußerst selten. Moderne Steuerungstechnik ermöglicht das Manövrieren auch bei ungünstigen Verkehrs- und Witterungsbedingungen. Wirtschaftlichkeit : Sie ergibt sich durch die großen Transportgefäße, den niedrigen Energieverbrauch sowie den geringen Personaleinsatz. Der Vorteil Wirtschaftlichkeit sinkt aber infolge steigender Kosten bei der Benutzung künstlicher Wasserstraßen. 266 Allerdings sind die Transportmöglichkeiten wasserstands- und eisabhängig. Als weitere Nachteile sind auch die sehr geringe Transportgeschwindigkeit, der Planungsaufwand sowie die Inflexibilität bei kurzfristigen Kundenwünschen zu nennen. Von Bedeutung ist die Binnenschifffahrt jedoch nicht nur im Güter-, sondern auch im Personenverkehr im Fährdienst und im Tourismus. Bei der Binnenschifffahrt können Schiffe mit Laderaum nach der Art der beförderten Objekte in Fracht- und Passagierschiffe unterschieden werden. Schüttguttransporte sind mit Massengutschiffen möglich. Weit verbreitet sind Schubverbände , die aus einem Motorschubboot und Leichtern bestehen. Durch den Austausch der Leichter im Hafen und deren Entladung unabhängig vom Schubboot können Liegezeiten maßgeblich reduziert und dadurch Kapazitätssteigerungen ermöglicht werden. Tanker dienen dem Transport von Flüssigkeiten und Gasen und haben insbesondere beim Gefahrguttransport eine große Bedeutung. Aus Umweltschutzgründen sind sie mit einer Doppelhülle versehen. Betrieben werden sie zum größten Teil von Werksreedereien bzw. Spezialspeditionen. Auf Binnengewässern eingesetzte Con- 265 vgl. Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 103; Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Wasserstraßen, http: / / www.wsv.de, 05.09.2020; Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt e.V.: Binnenschiffe - stark und flexibel, http: / / www.binnenschiff.de, 05.09.2020 266 Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt e.V.: Leistungen, Umweltschutz, Sicherheit, http: / / www.binnenschiff.de, 27.05.2013; Bundesregierung: Nationale Nachhaltigkeitsstrategie - Fortschrittsbericht 2012, Berlin 2012, 88 <?page no="106"?> 106 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel tainerschiffe können heute zwischen ca. 190 und 470 TEU aufnehmen. Zu passierende Brückendurchfahrten bzw. die Breiten von Schleusen können die Kapazität jedoch erheblich einschränken. RoRo-Schiffe sind in der Lage, Lkw-Auflieger und Autos zu befördern. 267 Schüttgutfrachter, Rhein Schubverband, Waal Containerschiff, Rhein Tankschiff, Rhein-Herne-Kanal Auf Flüssen und Seen sind unterschiedlichste Passagierschiffe im Einsatz, die nach Antrieb bzw. Bauart unterschieden werden können, so z.B. Dampfschiffe, Motorschiffe, Katamarane, Fähren, Kreuzfahrtschiffe. Dampfschiff „Stadt Luzern“, Urner See Motorschiff „Victoria“, Mälaren 267 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 104 <?page no="107"?> 2.3 Schiffsverkehr 107 Katamaran „Twin-City-Liner”, Donaukanal/ Donau Flusskreuzfahrtschiff „Scenic Ruby“, Wachau Fähre, Elbe Wasserbus, Lagune von Venedig 2.3.3 Binnenwasserstraßen Die Binnenwasserstraßen des Bundes lassen sich unterscheiden in Binnenwasserstraßen für den allgemeinen Verkehr und sonstige Binnenwasserstraßen. Zur Förderung eines einheitlichen Binnenwasserstraßennetzes sind sie gemäß einer europäischen Resolution entsprechend der Abmessungen bestimmter Schiffstypen in Wasserstraßenklassen eingeteilt. 268 Die deutschen Binnenwasserstraßen weisen ein Netz von ca. 7.350 km Länge für die Güter- und Personenschifffahrt auf. Dabei bilden die Unterläufe der Flüsse Ems, Weser, Elbe und deren Außenbereiche sowie der Nord-Ostsee-Kanal, darüber hinaus die Seezufahrten nach Lübeck, Wismar, Rostock und Stralsund knapp 800 km Seeschifffahrtsstraßen. Die verbleibenden Wasserstraßen setzen sich aus freifließenden und staugeregelten Flüssen und Kanälen mit regionaler bzw. internationaler Bedeutung zusammen. Dem Rhein mit den staugeregelten Nebenflüssen Mosel, Neckar und Main sowie der Kanalverbindung zur Donau (die bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts für den Schiffsverkehr durch Anlegen von Uferbefestigungen und Buhnen, den Durchstich von Schlingen, den Bau von Staustufen, Schleusen und Kanälen ausgebaut wurde) kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. 269 268 vgl. Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Gliederung Bundeswasserstraßen, http: / / www.gdws. wsv.bund.de, 28.08.2020; Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Klassifizierung der Binnenwasserstraßen, http: / / www.gdws.wsv.bund.de, 28.08.2020 269 vgl. Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt e.V.: Wasserstraßen, http: / / www.binnenschiff.de, 28.08.2020; Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 105 <?page no="108"?> 108 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Rhein, Düsseldorf Elbe, Dresden Rhein-Herne-Kanal, Oberhausen Mittellandkanal, Magdeburg Der Rhein Die Quellflüsse Vorderrhein (durch die Surselva) und Hinterrhein (Via Mala) entspringen im Schweizer Kanton Graubünden und bilden ab Reichenau/ Tamins den Alpenrhein (102 km lang). Vorbei an Chur und Liechtenstein fließt dieser in den Bodensee. Verlassen wird der Bodensee an der Rheinbrücke in Konstanz (Stromkilometer 0). Der Seerhein (4 km lang) durchfließt Konstanz, bildet den Untersee und heißt von Stein am Rhein bis Basel Hochrhein (145 km lang). Schiffbar ist der Rhein ab Rheinfelden (Städte in Deutschland und der Schweiz) bei Stromkilometer 149,20 km. Die Flussstrecke von Basel bis etwa Mainz wird als Oberrhein (358 km mit zehn Staustufen) bezeichnet. Hier schließt sich mit einer Länge von 126 km der Mittelrhein an. Unterhalb von Bonn wird die Kölner Bucht erreicht. Hier beginnt der Niederrhein (212 km bis Deltabeginn). Die Situation des Rheins und seiner Mündungsarme in den Niederlanden ist recht kompliziert, zumal er mit dem Lauf der Maas und ihrer Nebenarme verflochten ist. Als Nieuwe Waterweg mündet er bei Hoek van Holland bei Stromkilometer 1.035,5 km in die Nordsee. Der Rhein bildet die Hauptader des mitteleuropäischen Binnenwasserstraßennetzes. Er ist zwischen Rheinfelden und der Mündung durchgehend schiffbar für Wasserfahrzeuge bis 3.000 t Tragfähigkeit. Auf dem Niederrhein verkehren jährlich knapp 200.000 Schiffe, was etwa 500 Schiffen pro Tag entspricht. Der Rhein gilt damit als verkehrsreichste Wasserstraße Europas. Das Rheinstromgebiet umfasst neben dem Rhein auch dessen Nebenflüsse Mosel, Main und Neckar. Zusammen mit Weser, Elbe, Oder und Donau bilden diese Flüsse das <?page no="109"?> 2.3 Schiffsverkehr 109 Grundgerüst des Wasserstraßensystems in Deutschland, das durch den Bau von Kanälen ergänzt wurde. Der Rhein verfügt über eine relativ reichliche Wasserführung über das ganze Jahr (Bodensee als Speicher von Bedeutung), erlebt jedoch auch regelmäßig Niedrigwasser-Phasen. Die durchschnittlich abfließende Wassermenge beträgt in Basel 1.028 m 3 / s. Die Vereisungsgefahr des Rheins ist gering (gemäßigtes Klima, Einleitung erwärmten Kühlwassers aus Industrieanlagen und Kernkraftwerken). 270 Auf dem als „traditioneller Rhein“ bezeichneten Abschnitt von Basel bis zur deutsch-niederländischen Grenze werden durchschnittlich knapp 200 Mio. t Güter jährlich befördert. 2018 betrug das Gütervolumen nur 165 Mio. t, was auf Niedrigwasserstände und Konjunkturrückgang zurückzuführen ist. 2019 war der Wert wieder auf 175,6 Mio. t gestiegen lag aber immer noch unter den Zahlen von 2017 und davor. Zu den beförderten Gütern zählen Kohle, Sand, Steine, Kies, Mineralölprodukte, Eisenerz, Chemikalien, Agrarprodukte, Nahrungsmittel, Metalle und Container. 271 Das europäische Binnenwasserstraßennetz wird natürlich entscheidend von den topographischen Gegebenheiten des Kontinents geprägt. In Mittel- und Westeuropa existiert ein stark vermaschtes Gewässernetz. Über verbundene Binnenwasserstraßen verfügen Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Polen, die Schweiz und Tschechien. In Südosteuropa bildet die Donau das Rückgrat des Gewässernetzes und bindet dabei die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien und Bulgarien an das mitteleuropäische Wasserstraßennetz an. Die Wasserstraßennetze in Nordeuropa, Großbritannien, Italien und auf der iberischen Halbinsel haben lediglich nationale Bedeutung. Waal, Njmegen Donau, Dürnstein 270 vgl. Baedeker-Reiseführer Rhein, Stuttgart 1990, 9ff; Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Der Rhein, http: / / www.gdws.wsv.bund.de, 05.09.2020 271 vgl. Zentralkommission für die Rheinschifffahrt: Jahresbericht 2019 - Europäische Binnenschifffahrt, Strasbourg 2016, 28; Commission centrale pour la navigation du Rhin (CCNR): Europäische Marktbeobachtung der Binnenschifffahrt - Marktbericht 2020, http: / / inland-navigation-market.org, 05.09.2020 <?page no="110"?> 110 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Seine, Paris Maas, Namur Neben Flüssen und Kanälen spielen Seen für die Binnenschifffahrt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Insbesondere bei großflächigen Gewässern lassen sich per Schiff wesentlich kürzere Verkehrswege als über Land realisieren. Genfer See, nahe Montreux Bodensee, Lindau Vierwaldstätter See, Blick vom Bürgenstock Mälaren, Birka Der ungarische Balaton (Plattensee) erstreckt sich über 594 km² und gilt damit als größter See Mittel- und Westeuropas. Der Genfer See (Lac Léman) ist nur geringfügig kleiner und erreicht eine Ausdehnung von 581 km². Mit einer Gesamtfläche von 545 km² stellt der Bodensee den drittgrößten See dar. <?page no="111"?> 2.3 Schiffsverkehr 111 Fallstudie: Donauschifffahrt Nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa stellt die Donau - der zweitlängste Strom Europas mit einer schiffbaren Länge von 2.415 km 272 - eine wichtige grenzüberschreitende Verkehrsachse dar: „Die Donau ist der bedeutendste West-Ost-Korridor für die Schifffahrt in Europa. Dieser Schifffahrtsachse wird von der Europäischen Union im Rahmen der Transeuropäischen Transportnetze (TEN) besondere Bedeutung beigemessen.“ 273 Die Rhein-Donau-Verbindung - mit den Wasserstraßen Main und Donau als Rückgrat - bildet dabei als Paneuropäische Verkehrsachse den einzigen Binnenwasserkorridor. 274 Durch den Bau des 171 km langen Main-Donau-Kanals verbindet die Rhein-Main-Donau-Wasserstraße 14 europäische Länder. Ziel des Kanalbaus war die Schaffung einer Wasserstraßenverbindung für den Güterverkehr zwischen dem Rhein und Südosteuropa. Begonnen wurde mit dem Bau des Kanals 1960, die Fertigstellung erfolgte im Herbst 1992. Seitdem kann eine 3.500 km lange durchgehende Wasserstraße von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer genutzt werden. 275 Donau, Wien Donau, Budapest Obwohl im Gefolge der Kanaleröffnung das Güterverkehrsaufkommen auf der Donau zunahm, bestehen noch ausreichende Kapazitäten: Bislang werden lediglich 15 % der Gesamtkapazität für die Schifffahrt genutzt. Angesichts der auf Straße und Schiene bestehenden Kapazitätsengpässe bietet sich die Donau als innereuropäischer Verkehrsweg geradezu an. 276 Der Fluss wird vor allem von Motorfrachtschiffen, Schub- und Koppelverbänden sowie Passagierschiffen genutzt. Es dominiert (noch) der Transport von Massengütern, dessen Anteil beispielsweise auf dem österreichischen Abschnitt bei ca. 95 % liegt. Obwohl es sich bei der Rhein-Main-Donau-Achse um eine durchgehende Wasserstraße handelt, herrscht hier der gebrochene Verkehr vor. Dies liegt vor allem an 272 vgl. Hartl, Thomas: Flüsse als Transportwege, in: Egger, Gregory; Michor, Klaus; Muhar, Susanne; Bednar, Beatrice (Hrsg.): Flüsse in Österreich - Lebensadern für Mensch, Natur und Wirtschaft, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2009, 160 273 via donau - Österreichische Wasserstraßen-Gesellschaft mbH: Problemstellung Schifffahrt, http: / / www.lebendige-wasserstrasse.at, 09.11.2013 274 vgl. via donau - Österreichische Wasserstraßen-Gesellschaft mbH: Flussbauliches Gesamtprojekt Donau östlich von Wien bei den TEN-T Tagen 2013, http: / / www.lebendige-wasserstrasse.at, 09.11.2013 275 vgl. Hartl, Thomas: Flüsse als Transportwege, in: Egger, Gregory; Michor, Klaus; Muhar, Susanne; Bednar, Beatrice (Hrsg.): Flüsse in Österreich - Lebensadern für Mensch, Natur und Wirtschaft, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2009, 162 276 vgl. Hafen Wien GmbH: Die Donau, http: / / www.hafen-wien.at, 18.05.2020 <?page no="112"?> 112 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel den unterschiedlichen Schiffskapazitäten der Wasserstraßen. Zudem wechseln die Schiffe ihre bekannten Reviere nicht gern. 277 Jedoch wirken verschiedenste Faktoren hinderlich bei einer intensiveren Nutzung: Mindestfahrwassertiefen können nicht auf der gesamten schiffbaren Strecke garantiert werden. Einige Abschnitte, in denen beispielsweise die Donau noch ihrem natürlichen Lauf folgt, leiden insofern unter Schiffbarkeitsproblemen, als hier die Wassertiefe zu manchen Jahreszeiten weniger als 2,80 m beträgt. Ein Mindesttiefgang von 2,50 m auf der gesamten Länge der Wasserstraße ist erforderlich, um sie für Schiffe bis zu 3.000 t Tragfähigkeit befahrbar zu machen. Innerhalb Deutschlands betrifft dies die Strecke zwischen Straubing und Vilshofen, in Österreich die Donaustrecke östlich von Wien. Der Wasserstand bestimmt dabei den Auslastungsgrad der Schiffe. 278 Durch gezielte Entwicklungsmaßnahmen wäre es möglich, das Transportaufkommen auf mehr als das Doppelte der derzeitigen Menge zu erhöhen. Solche flussbaulichen Maßnahmen werden jedoch stets kontrovers diskutiert, da sie einen Eingriff in das Flussbett und auf das natürliche Umfeld des Flusses haben. Nach jahrzehntelangem Ringen für bzw. gegen den Donauausbau in Bayern mit Errichtung eines Seitenkanals und einer Staustufe setzt man hier nun auf einen naturverträglichen Ausbau, der vor allem dem Hochwasserschutz dienen soll. 279 Unter Federführung der Internationalen Donauschutzkommission wurde bereits 2007 mit den Donauanrainerstaaten und weiteren Organisationen eine „Gemeinsame Erklärung“ bezüglich einer nachhaltigen Entwicklung der Binnenschifffahrt im Donauraum verabschiedet. 280 Zusätzlich wurden zwischenzeitlich verschiedene länderübergreifende Projekte ins Leben gerufen, die auf gemeinsame Aktivitäten im Bereich der Wasserstraßenverwaltung, der Aus- und Weiterbildung, der Entsorgung oder der Binnenschifffahrtsinformationsdienste beinhalten. 281 Aufgabe 1: Welche Bedeutung hat der Ausbau dieser Wasserstraße für den Verkehr innerhalb Europas? Aufgabe 2: Wenn seitens des Naturschutzes die Forderung erhoben wird, die Schiffe an den Fluss anzupassen und nicht umgekehrt, könnten sich für das Betreiben der gesamten TEN- Wasserstraße erhebliche Konsequenzen ergeben. Welche sind dies im Einzelnen? Aufgabe 3: Wie könnte der Ausbau der Donau im Einklang mit der Natur erfolgen? 277 vgl. Hartl, Thomas: Flüsse als Transportwege, in: Egger, Gregory; Michor, Klaus; Muhar, Susanne; Bednar, Beatrice (Hrsg.): Flüsse in Österreich - Lebensadern für Mensch, Natur und Wirtschaft, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2009, 168, 163; Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 107 278 vgl. Hartl, Thomas: Flüsse als Transportwege, in: Egger, Gregory; Michor, Klaus; Muhar, Susanne; Bednar, Beatrice (Hrsg.): Flüsse in Österreich - Lebensadern für Mensch, Natur und Wirtschaft, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2009, 163ff; Europäische Kommission: Transeuropäisches Verkehrsnetz: TEN-V - vorrangige Achsen und Projekte 2005, Brüssel 2005, 47 279 vgl. Sebald, Christian: „Die Zeit der Zerstörung von Bayerns Flüssen ist nun vorbei“ (21.01.2020), http: / / www. sueddeutsche,de, 18.05.2020 280 vgl. Hartl, Thomas: Flüsse als Transportwege, in: Egger, Gregory; Michor, Klaus; Muhar, Susanne; Bednar, Beatrice (Hrsg.): Flüsse in Österreich - Lebensadern für Mensch, Natur und Wirtschaft, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2009, 165 281 siehe auch Danube Region Strategy, http: / / navigation.danube-region.eu <?page no="113"?> 2.3 Schiffsverkehr 113 2.3.4 Binnenhäfen Binnenhäfen stellen trimodale Schnittstellen der Verkehrsträger Wasser, Bahn und Straße dar. Die Häfen dienen dem Güterumschlag, der Lagerung der Güter und deren Vorbereitung für den Transport. Gleichzeitig bilden sie Logistik-, Handels- und Produktionszentren. Binnenhäfen können in Form öffentlicher Häfen oder Privatbzw. Werkshäfen auftreten. Als öffentliche Häfen befinden sie sich im Eigentum der Kommunen oder Gebietskörperschaften mit privatrechtlichen Unternehmensformen. Als Privat- oder Werkshäfen sind sie Bestandteil von großen Industrieunternehmen. 282 Binnenhafen als trimodale Schnittstelle, Duisport Binnenhafen Düsseldorf Zu den Aufgaben von Binnenhäfen gehören „ [das] Vorhalten der Infrastruktur von Wasser- und Kaiflächen, Straßen, Plätzen, Gleisen und entsprechenden Anschlüssen an das Verkehrsnetz, [das] Vorhalten der Suprastruktur mit Kran- und Umschlageinrichtungen, Lagerhäusern sowie Freilagern, dem Betrieb von Hafeneisenbahnen, die Ver- und Entsorgung der Hafeneinrichtungen und der Schiffe, [das] Erbringen von Serviceleistungen für die Binnenschiffahrt und [die] Grundstücksverwaltung sowie [die] Wahrung der öffentlichen Ordnung “. 283 Binnenhäfen durchlaufen einen tiefgreifenden Strukturwandel in der klassischen Umschlag- und Transitfunktion. Es bilde(te)n sich multifunktionale Distributions- und Logistikzentren heraus. Produktions- und Handelsfunktionen, die oft den Wasseranschluss nicht mehr brauchen, gewinnen im Hafen an Bedeutung. Dies hat eine Diversifikation der Leistungen sowie eine Zunahme von nicht schiffsgebundenen Leistungen zur Folge. 284 282 vgl. Lüsch, Jürgen: Logistik in der See- und Hafenwirtschaft, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans-Joachim; Schenke, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 338 283 ebd., 338f 284 vgl. ebd., 339 <?page no="114"?> 114 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fallstudie: Die Basler Rheinhäfen Auch wenn es schwer vorstellbar ist, verfügt das Binnenland Schweiz über eine lange Schifffahrtstradition und unterhält zahlreiche Flussschiffe sowie sogar eine eigene Hochseeflotte. Die Verknüpfung zu internationalen Gewässern wird durch den Rhein garantiert, wodurch die Schweiz Zugang zu den Seehäfen Rotterdam und Antwerpen hat. 285 Basis für den freien Zugang zum Meer ist die „Mannheimer Akte“, die der Schweiz im gesamten Rheinstromgebiet und teilweise sogar darüber hinaus volle Verkehrsrechte einräumt. Daher wird der Rhein bis zur Mittleren Rheinbrücke in Basel auch als internationales Gewässer betrachtet. 286 Die Schweiz gilt als hochindustrialisiertes Land, verfügt allerdings über keine eigene Rohstoffbasis. Importiert werden vor allem Erdöl- und Erdölprodukte, zudem chemische Erzeugnisse, Eisen, Stahl und Nichteisen-Metalle, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Nahrungs- und Futtermittel sowie Steine, Erden und Baustoffe. Das Exportvolumen ist vergleichsweise gering. Ausgeführt werden vorrangig Produkte aus dem Bereich der Hochtechnologie, bei denen die Wertigkeit und nicht Volumen und Tonnage im Vordergrund stehen. 287 In der Region Basel gibt es drei Rheinhäfen: Kleinhüningen im Kanton Basel-Stadt, Birsfelden und der Auhafen Muttenz im Kanton Basel-Landschaft. Diese Häfen sind die ersten bzw. letzten schiffbaren Häfen am Rhein und haben damit eine ähnliche Funktion wie ein Kopfbahnhof, der der Schweiz den Zugang zu den Weltmeeren ermöglicht. Die Rheinhäfen haben sich zur multimodalen Verkehrsdrehscheibe - der einzigen trimodalen Drehscheibe der Schweiz - entwickelt. Möglich wurde dies auch durch umfangreiche Investitionen in Anlagen und Einrichtungen. Zur Abwicklung des Güterumschlags sowie zur Realisierung sonstiger Dienstleistungen stehen 7 km Kailänge, 100 km Bahngleise, 60 Kräne mit Hubkraft von 5 bis 300 t, Silos für 385.000 m 3 Getreide, 80.000 m 3 sonstige Schüttgutlager, Tanklager für 1.250.000 m 3 Flüssiggüter, 250.000 m 2 gedeckte Lager, 200.000 m 2 offene Lager (Containerterminals) zur Verfügung. 288 Bezüglich des Güterumschlags haben sich die Häfen spezialisiert: Birsfelden (linksrheinisch, 420.479 m²) Umschlag und Lagerung von Stahl und anderen Metallen im Verbund mit Produktionsanlagen und trimodaler Logistik Umschlag weiterer Trockengüter, Container und Mineralölerzeugnisse Muttenz-Au (linksrheinisch, 458.136 m²) Umschlag und Lagerung v.a. flüssiger Treib- und Brennstoffe zudem Verkehr mit Speiseöl sowie Dünger, Tonerde, Getreide und anderen Trockengütern Spezialisierung auf Bearbeitung von Schwergut Kleinhüningen (rechtsrheinisch, 701.091 m²) Umschlag und Lagerung klassischer Trockengüter wie z.B. Stahl, Aluminium, Buntmetalle sowie flüssige Treib- und Brennstoffe drei Containerterminals von wachsender Bedeutung Tabelle 2-26 Merkmale der Basler Rheinhäfen 289 285 vgl. Vollrath, Klaus: Basel: Das Schweizer Tor zur Welt, in: Internationales Verkehrswesen, 3/ 2007, 110 286 vgl. Schweizerische Rheinhäfen: Facts & Figures 2013, Basel 2013, o.S. 287 vgl. Rheinhäfen beider Basel: Jahresbericht 2007, Basel 2008, 10f 288 vgl. Port of Switzerland: Angebot & Anlagen, http: / / www.portofbasel.ch, 14.11.2013 289 erstellt nach Port of Switzerland: Rheinhäfen, http: / / www.portofbasel.ch, 14.11.2013; Schweizerische Rheinhäfen: Die drei Hafenstandorte, http: / / www.port-of-switzerland.ch, 12.05.2020 <?page no="115"?> 2.3 Schiffsverkehr 115 Jährlich werden 6-7 Mio. t Güter sowie über 100.000 Container wasserseitig umgeschlagen, was etwa 12 % des Gesamtimportes der Schweiz (bei Mineralölprodukten sogar bis ein Drittel) entspricht. 290 Landseitig wird ein Güterumschlag von ca. 2,7 Mio. t mit der Bahn realisiert. 291 Möglich ist dies aufgrund der guten Infrastruktur: Alle Häfen sind sowohl an das Schienennetz (Bahn-Korridor Rotterdam- Basel-Genua) als auch an das Straßennetz angeschlossen. Problematisch gestaltet sich nach wie vor die Durchfahrtshöhe unter einigen Basler Brücken. Konnten früher nur Containerschiffe mit zwei Lagen passieren, sind mittlerweile auch dreilagige Schiffe möglich - allerdings nicht uneingeschränkt. Nur, wenn ein Schiff schwer beladen ist, ist die Durchfahrt problemlos. Oft ist ein Teil der Container aber leer bzw. ist das Schiff in der dritten Lage nicht mehr komplett beladen. Dadurch verliert es an Tiefgang und muss entweder an einem anderen Terminal einen Teil der Ladung löschen lassen oder rund 100 t Ballastwasser aufnehmen. 292 Auf dem Hafenareal arbeiten insgesamt rund 80 Firmen. Dazu gehören große, international tätige Logistikunternehmen, die ganzheitliche Transportlösungen für verschiedenste Güterarten anbieten, genauso aber auch kleinere, spezialisierte Unternehmen. 293 In den drei Rheinhäfen sind direkt und indirekt 3.000 Menschen tätig. In der Verwaltung arbeiten jedoch lediglich 40 Mitarbeiter. Diese schlanke Struktur wird über ein sogenanntes Landlord-Konzept realisiert: Dabei sind die Schweizerischen Rheinhäfen, die 2008 aus einem Zusammenschluss der Rheinschifffahrtsdirektion sowie der Rheinhäfen Basel-Landschaft entstanden, lediglich für die Bereitstellung, den Betrieb und Unterhalt der Infrastruktur sowie den dazu erforderlichen Grund und Boden verantwortlich. Das Tagesgeschäft sowie Bau und Betrieb von für den Umschlag nötigen Gebäuden und Anlagen liegt in den Händen der dort ansässigen Unternehmen. Ebenso zu den Aufgaben der Rheinhäfen gehört die Weiterentwicklung der Häfen und des Logistikstandortes. 294 Aufgrund der Stagnation beim klassischen Massengüterumschlag sowie der Veränderung der Gewichtungen der Güter innerhalb dieser Gruppe (z.B. starker Rückgang des Güterumschlags bei Kohle und gleichzeitig rasanter Anstieg beim Erdölumschlag) durchliefen die Häfen einen tiefergreifenden Strukturwandel. 295 Wie auch im internationalen Warenhandel hat der Containerverkehr in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das jährliche Umschlagvolumen wuchs hier von 20.000 TEU im Jahr 1990 auf nunmehr über 100.000 TEU an. Da man von einem weiteren starken Wachstum ausgeht, stehen in allen Hafenteilen Investitionen an, die zum einen den Ausbau der Infra- und Suprastruktur betreffen, zum anderen aber auch die Umgestaltung und Weiterentwicklung der dortigen Industriezonen sowie der umgebenden Areale zur gemischten Nutzung mit Gewerbe-, Wohn- und Sportflächen. 296 Doch nicht nur der Güterumschlag spielt in den Rheinhäfen eine Rolle. Über 100.000 Passagiere erreichen Basel jährlich in Kabinenschiffen. Dafür stehen die Passagierterminals St. Johann, Klybeck und Dreiländereck zur Verfügung. 297 290 vgl. Schweizerische Rheinhäfen: Die drei Hafenstandorte, http: / / www.port-of-switzerland.ch, 12.05.2020 291 vgl. Schweizerische Rheinhäfen: Facts & Figures 2018, Basel o.J. 292 vgl. Haller, Daniel: Harter Kampf um Zentimeter, in: Basellandschaftliche Zeitung, 26.07.2013, 25 293 vgl. Schweizerische Rheinhäfen: Facts & Figures 2018, Basel o.J. 294 vgl. ebd.; BAK Basel Economics AG: Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Schweizerischen Rheinhäfen, Basel 2016, 6f 295 vgl. Vollrath, Klaus: Basel: Das Schweizer Tor zur Welt, in: Internationales Verkehrswesen, 3/ 2007, 111 296 siehe hierzu z.B. Standortförderung Baselland: Zielbild des Hafens Birsfelden 2040+, http: / / www.südport-birsfelden.ch, 12.05.2020 297 vgl. Port of Basel: Fahrgastschifffahrt, http: / / www.portofbasel.ch, 14.11.2013 <?page no="116"?> 116 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Allerdings sind nicht alle Aktivitäten auf Wachstum und Erweiterung ausgelegt. Im Zuge des Strukturwandels wurden die Häfen beider Basel zusammengelegt und dabei der Hafen St. Johann aufgegeben. Der älteste der ehemals vier Hafenteile, der v.a. dem Umschlag und der Lagerung von Getreide und sonstigen Trockengütern diente, wurde ab 2012 zurückgebaut. Insgesamt wurde bei der Umgestaltung großer Wert auf städtebauliche Aspekte gelegt, so dass sämtliche Nutzungs- und Raumbedürfnisse berücksichtigt werden sollen. Insgesamt sollte es nicht um die Verdrängung des Hafens, sondern um eine optimale Nutzung der Areale bei einem schrittweisen Rückzug der Hafenanlagen gehen. Etappenweise umgesetzt wurden u.a. ein Rückbau der Uferzone sowie deren Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit. Die uferfernen Zonen werden z.B. vom Forschungs- und Ausbildungszentrum „Campus Novartis“ genutzt. 298 Dies ist insofern von besonderer Bedeutung, als es im Kanton Basel-Stadt kaum noch Flächen gibt, die erschlossen und für Gewerbe, Dienstleistungen oder Wohnungsbauzwecke genutzt werden können. Bedenken werden aufgrund der Nähe von Wohnungen und in Betrieb befindlichem Hafengelände geäußert. Andererseits gibt es genügend Beispiele, wo ein Nebeneinander von Infrastrukturanlagen und neuen Wohnanlagen funktioniert (vgl. Zürich, Solothurn, Düsseldorf, Köln). 299 Aufgabe 1: Weshalb wurden in bzw. bei Basel praktisch am Beginn des schiffbaren Rheins gleich vier Häfen errichtet? Wie könnte die Perspektive dieser Häfen aussehen? Aufgabe 2: Welche Bedeutung haben die Basler Häfen für die Schweiz als Binnenland? Aufgabe 3: Welche spezifischen Eigenschaften zeichnen den Rhein als Wasserstraße gegenüber anderen Flüssen Mitteleuropas aus? Aufgabe 4: Welche anderen schiffbaren Gewässer außer dem Rhein gibt es in der Schweiz? 298 vgl. Schweizerische Rheinhäfen: Hafenentwicklung 2020, Basel o.J., 2; Vollrath, Klaus: Basel: Das Schweizer Tor zur Welt, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2007, 111; Runge, Evelyn: Wie Basel lernte, im Fluss zu leben (11.09.2012), http: / / www.zeit.de, 14.11.2013; Gerny Daniel: Basels neue Gestaltungslust am Rhein (26.04.2012), http: / / www.nzz.ch, 14.11.2013 299 vgl. Port of Basel: Hafen- und Stadtentwicklung, http: / / www.portofbasel.ch, 14.11.2013; Haller, Daniel: Mehr geduldet als geliebt, in: Basellandschaftliche Zeitung, 17.08.2013, 28; Haller, Daniel: Wir wollen endlich einen effizienten Umschlag, in: Basellandschaftliche Zeitung, 12.07.2013, 21 <?page no="117"?> 2.3 Schiffsverkehr 117 2.3.5 Seeschifffahrt 90 % aller Welthandelsgüter werden auf dem Seeweg befördert. Seetransporte sind für Produkte (fast) aller Größen und Gewichte (besonders bei sehr großen, sperrigen Gütern) insbesondere über große Entfernungen geeignet. Oft sind sie im Verkehr über die Weltmeere die einzige Transportmöglichkeit für große Warenvolumina. Sie sind i.d.R. zwar preiswert und weisen einen geringen Energieverbrauch pro beförderter Tonne auf, allerdings ist der Grad der Sicherheit und Zuverlässigkeit von der jeweiligen Schifffahrtslinie abhängig. Seetransporte sind relativ langsam und Ankunftszeiten manchmal ungenau. Da die Beförderung nur in Form gebrochener Transporte organisiert werden kann, ist die Schifffahrt mit einem hohen Vorbereitungsaufwand verbunden. Hinzu kommen ein hoher Verpackungs- und Ladungssicherungsaufwand sowie kommerzieller Aufwand. Kurzfristiges Reagieren auf Kundenwünsche ist kaum möglich. 300 2.3.6 Schiffe mit Laderaum Schiffe mit Laderaum können nach der Art der beförderten Objekte klassifiziert werden. Dabei unterscheidet man Frachtschiffe, Passagierschiffe sowie kombinierte Fracht- und Passagierschiffe: Frachtschiffe Stückgutschiffe klassische Stückgutschiffe Containerschiffe Massengutschiffe Trockengutschiffe (dry bulk) Tankschiffe (Öl, Gas, Chemie usw.) Mehrzweckschiffe ConRo-Schiffe (Container + Roll-onroll-off) ConBulk-Schiffe (Container + bulk) Oil/ Bulk/ Ore-Schiffe Spezialschiffe Car Carrier Kühlschiffe Schwergutfrachter RoRo-Schiffe (Roll-on-roll-off): Straßenfahrzeuge, Eisenbahn Kombinierte Passagier- und Frachtschiffe RoPax-Schiff (Roll-on-roll-off + Passagier) Autofähren Eisenbahnfähren LoPax-Schiff (Lift-on + Passagier) Postschiffe Passagierschiffe Kreuzfahrtschiffe Ausflugschiffe Passagierfähren Tabelle 2-27 Klassifizierung von Schiffen mit Laderaum 301 Mithilfe von Stückgutfrachtern können Stückgüter transportiert werden, für die es keine Spezialschiffe gibt. Die Bedeutung der klassischen Stückgutfrachter, die heute kaum noch im Einsatz sind, sank parallel zur zunehmenden Bedeutung der Containerschifffahrt. Containerschiffe befördern Ladung in genormten Containern von 20 bzw. 40 Fuß Länge. Mithilfe von Containerschienen an Bord der Schiffe können die Container gestapelt werden. Die Be- und Entladung erfolgt i.d.R. in darauf spezialisierten Containerterminals. Massengutschiffe ( bulk carrier ) dienen dem Transport von Massengütern. Zu unterscheiden sind hierbei Trockengutschiffe und Tankschiffe. Trockengutschiffe ( dry bulk ) befördern Schüttgüter, wie Kohle, Erz oder Getreide. Tankschiffe können flüssige und gasförmige Ladung ( wet bulk ) befördern. Moderne Tankschiffe sind in der 300 vgl. Stenger, Anja: Maritime Energiewende gewinnt an Fahrt, Monatsbericht 2/ 2018 des Bundesministeriums für Wirtschaft, 1; Strunz, Herbert, Dorsch, Monique: Internationale Märkte, München 2001, 196; Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 104 301 modifiziert nach Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 117 <?page no="118"?> 118 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Lage, gleichzeitig verschiedene Güter mit verschiedenen Temperaturanforderungen zu transportieren. Mehrzweckschiffe vereinen die Funktionen verschiedener Schiffstypen. ConRo-Schiffe sind beispielsweise in der Lage, sowohl Container als auch rollende Ladung (Roll-on-roll-off) aufzunehmen. Auf ConBulk-Schiffen können Container und Schüttgut transportiert werden. Oil/ Bulk/ Ore-Schiffe sind in der Lage, Öl, Schüttgut und Erze zu befördern. Stückgutfrachter „Cap San Diego“, Hamburg Containerschiff „YM Unison“, Elbe Bulk Carrier „Royal Accord“, Nordsee Tankschiff „Aegean Myth“, Lagune von Venedig Gemäß dem Grundprinzip „one ship - one cargo“ wurden neben Mehrzweckschiffen Spezialschiffe für bestimmte Ladungsarten entwickelt. Spezialschiffe sind auf bestimmte Transportgüter spezialisiert. 302 Car Carrier dienen dem Transport von Pkw. Schwergutfrachter sind in der Lage, besonders schwere Ladung zu transportieren. Zum Be- und Entladen werden eigene Hebevorrichtungen genutzt. Kühlschiffe können in den Laderäumen Temperaturen bis zu -20 °C erzeugen. Mittlerweile ist es aber auch möglich, Kühlladungen in speziellen Kühlcontainern zu befördern. Bei Rollon/ Roll-off-Schiffen (RoRo-Schiffe) kann die Ladung dank vorhandener Rampen auf eigenen Rädern an Bord gebracht werden. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem bei Autobzw. Eisenbahnfähren. Spezialfrachter existieren auch für den Transport von Containerbrücken. 302 siehe dazu z.B. auch Andt, Eckhard-Herbert: Projekt- und Schwergutschifffahrt, München 2010 <?page no="119"?> 2.3 Schiffsverkehr 119 Car Carrier „City of Rotterdam“, Öresund Schwergutfrachter „Trina“, Hamburg Fährschiffe dienen dazu, Personen, Fahrzeuge oder Fracht über Flüsse, Kanäle, Seen oder Meeresteile zu transportieren. Je nach Zweck können Autofähren, Eisenbahnfähren und reine Passagierfähren unterschieden werden. Bezüglich der Geschwindigkeit wird in konventionelle Fähren (bis 30 Knoten) und Schnellfähren (über 30 Knoten) differenziert. Gemäß der Sicherheitsrichtlinien der Internationalen Schifffahrts-Organisation dürfen Schnellfähren über keine Kabinen verfügen. 303 RoPax-Fähre „Cinderella“, Stockholm RoPax-Fähre „Sophocles V.“, Lagune von Venedig RoPax-Katamaran „Bencomo Express“, Santa Cruz de Tenerife RoRo-Fähre „Color Carrier“, Oslo 303 vgl. Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 213; Dorsch, Monique: Verkehr und Tourismus, Plauen 2916, 99ff <?page no="120"?> 120 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel CO 2 -freie und (teil)autonome Fähren Schon seit einige Zeit lässt sich in Skandinavien der Trend zu umweltschonenden Technologien, wie z.B. dem Batterieantrieb, in der Schifffahrt beobachten. Fjord1, die in Florø ansässige größte Fährrederei Norwegens mit 79 Schiffen und ca. 1.000 Mitarbeitern, unterzieht die eigene Flotte einer umfassenden Umstrukturierung. 2019 wurden neun emissionsfreie Fähren in Dienst gestellt, 2020 wird diese Entwicklung fortgesetzt. 304 Vorangetrieben wird diese Entwicklung dadurch, dass Ausschreibungen für Fährverbindungen heute in Norwegen einen emissionsarmen bzw. emissionsfreien Antrieb voraussetzen. 305 Neben elektrisch betriebenen Schiffen sollen zukünftige autonom verkehrende Fähren bei Fjord1 eingesetzt werden. 13 solcher Fähren, ausgestattet mit einem „Autocrossing-System“, wurden 2018 bei Rolls Royce Marine in Auftrag gegeben. Während der Kapitän bei diesen Schiffen noch für das An- und Ablegen verantwortlich ist, übernimmt das System die eigentliche Fährüberfahrt. 306 Postschiffe dienten ursprünglich der Versorgung von Landesteilen, die auf anderen Verkehrswegen nicht oder nur schwer erreichbar waren. Sie beförderten dabei gemäß ihrem Namen nicht nur Post, sondern auch Personen und Fracht. Mittlerweile können die Transportaufgaben anderweitig oft effizienter durchgeführt werden, so dass der touristische Aspekt in den Vordergrund rückt und z.B. bei Hurtigruten 307 (Postschifflinie entlang der norwegischen Küste) bezüglich der Bauart starke Parallelen zu Kreuzfahrtschiffen deutlich werden. Kreuzfahrtschiff „AIDAmar“, Hamburg Kreuzfahrtschiffe „Emerald Princess“ und „Celebrity Eclipse“, Kopenhagen Bis in die 1960er Jahre gab es nur wenige reine Kreuzfahrtschiffe . Meist handelte es sich um normale Passagierschiffe, die Passage stand im Vordergrund. Im Zuge der immer stärker werdenden Konkurrenz durch den Luftverkehr wurden diese Passagierschiffe überflüssig und nach und nach zu Kreuzfahrtschiffen umgebaut. Im Laufe der Zeit wurden die Schiffe immer größer und 304 vgl. Fjord1 ASA: About Fjord1 ASA, http: / / www.fjord1.no, 27.07.2020 305 vgl. o.V.: Skandinavien setzt verstärkt auf Elektro-Antriebe im Schiffbau (05.10.016), http: / / www.internationales-verkehrswesen.de, 27.07.2020 306 o.V.: Rolls-Royce liefert Autocrossing-System für 13 neue Fähren (19.04.2018), http: / / businessportal-norwegen.com, 27.07.2020; Daffey, Kevin: Ein Meilenstein für die autonome Schifffahrt - Erste (teil)autonome Fähren in Norwegen, in: Internationales Verkehrswesen 1/ 2018, 72 307 siehe dazu die Fallstudie „Hurtigruten im Wettbewerb - Vom Postschiff zur Expeditionsschifffahrt“ im Teil B <?page no="121"?> 2.3 Schiffsverkehr 121 luxuriöser und gleichen mittlerweile „schwimmenden Hotels“. Bekannte Beispiele sind die „MS Europa“ und die „MS Europa 2“ der Reederei Hapag-Lloyd oder die „R.M.S. Queen Mary 2“ der Reederei Cunard, die das Luxus-Segment bedienen, sowie die „of the Seas“-Flotte der Reederei Royal Caribbean Cruise Line, die AIDA-Flotte von AIDA Cruises oder „Mein Schiff 1-6“ von TUI Cruises, die den Massenmarkt ansprechen. Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere Schiffstypen (ohne Laderaum). Beispielhaft seien hier folgende genannt: Mithilfe von Schleppern werden z.B. große Handelsschiffe in engen Häfen oder Flussläufen manövriert bzw. Leichter (Schiffe ohne eigenen Antrieb) über See gezogen, Ankerziehschlepper unterstützen z.B. bei der Verschleppung von Offshore-Einheiten wie Bohrinseln. Eisbrecher sind in der Lage, für sich und andere Schiffe eine Fahrrinne in zugefrorenen Gewässern freizubrechen. Bemannte oder unbemannte Feuerschiffe dienen an jenen Stellen, an denen keine Leuchttürme errichtet werden können, als „Leuchtturmersatz“. Schlepper „Angelina C“ , Lagune von Venedig Ankerziehschlepper „KL Saltfjord“, Tromsø 2.3.7 Schiffsgrößen Schiffsgrößen lassen sich mithilfe verschiedener Kennzahlen angeben: Raumzahlen sind dimensionslose Angaben zum Rauminhalt eines Schiffes. Die Bruttoraumzahl (BRZ) gibt den umbauten Raum eines Schiffes an, wobei die tatsächliche Anzahl an Kubikmetern mit einem von der Schiffsgröße abhängigen Faktor zur Bruttoraumzahl umgerechnet wird. Die Nettoraumzahl (NRZ) gibt den Gesamtinhalt aller Laderäume (für Passagiere und Cargo) eines Schiffes an. Die Differenz von Bruttozu Nettoraumzahl entfällt auf Maschinenraum, Besatzungsräume usw. Die Tragfähigkeit eines Schiffes resultiert aus der Wasserverdrängung des beladenen Schiffes (Cargo und Verbrauchsstoffe) abzüglich der Wasserverdrängung des unbeladenen Schiffes. Die Tragfähigkeit wird in tons deadweight (tdw) angegeben. Die Größe von Containerschiffen kann durch die Anzahl der darauf befindlichen Stellplätze für Container (TEU, twenty feet equivalent unit = 20-Fuß-Container) angegeben werden. Schließlich bestimmt die Größe die Fähigkeit eines Schiffes, bestimmte Meerengen oder Kanäle zu durchfahren. Die maximal mögliche Schiffsgröße ist dabei namensgebend für bestimmte Größenklassen. 308 308 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 200 <?page no="122"?> 122 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Maximale Größe Länge Breite Höhe Tiefgang Tragfähigkeit Capesize zu groß für Panama- und Suezkanal Handysize 180 27 - 10 bis 40.000 t Malakkamax 470 60 - 20 bis 300.000 t, 30.000 TEU NOKmax 235 32,5 40 9,5 k.A. Neopanamax 366 49 57,9 15,2 200.000 t, 14.000 TEU Panamax 294 32,3 57,9 12 80.000 t, 5.000 TEU Post-Panamax zu groß für Panamakanal (vor Ausbau) Suezmax - 77,5 68 20,1 240.000 t, 14.000 TEU Tabelle 2-28 Schiffsgrößen 309 Während in den 1960er und 1970er Jahren Containerschiffe mit einer Kapazität von ca. 1.000 bis 3.000 TEU üblich waren, nahmen die Kapazitäten in den Folgejahren kontinuierlich zu. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts hatte man bereits Kapazitäten von über 8.000 TEU erreicht. 2020 ging das bis dato größte Containerschiff der Welt, „HMM Algeciras“ (24.000 TEU), auf Jungfernfahrt. Platz Name Klasse Flagge Länge Kapazität 1 HMM Algeciras Megamax-Klasse Panama 400 m 23.964 TEU 2 MSC Gülsün MSC Megamax-24 Panama 400 m 23.756 TEU 3 OOCL Hong Kong G-Klasse Hongkong 400 m 21.413 TEU 4 COSCO Shipping Universe COSCO-20000-TEU-Typ Hongkong 399,90 m 21.237 TEU 5 CMA CGM Antoine de Saint-Exupéry CMA CGM 20.600 TEU- Typ Frankreich 400 m 20.954 TEU 6 Madrid Mærsk Triple-E-Klasse Dänemark 399 m 20.568 TEU 7 Ever Golden Evergreen 20.000-TEU- Typ Panama 400 m 20.388 TEU 8 MOL Triumph 20.000-TEU-Typ Panama, Marshall Islands 400 m 20.100 bis 20.190 TEU 9 MSC Jade MSC Pegasus-Klasse Liberia 398,45 m 19.437 TEU 10 MSC Maya Olympic-Serie Panama 395,40 m 19.224 TEU Tabelle 2-29 Die größten Containerschiffe der Welt 310 Eine stetige Zunahme des Containerverkehrs führte in den vergangenen Jahrzehnten zur Indienststellung immer größerer Containerschiffe mit entsprechenden Konsequenzen für die Nutzung von Seewegen (inkl. Kanälen) und Häfen. Für die Häfen bedeutet dies regelmäßig, sich den größer werden Schiffen anzupassen. Finanzieller Druck und Hafenwettbewerb stehen sich hier gegenüber. Aus ökonomischer Sicht sind vor allem Investitionskosten, Auslastung und Hafennutzungskosten 309 erstellt nach: o.V.: Schiffsgrößen und Wasserstraßen, http: / / www.wikipedia.de, 30.04.2020 310 o.V.: Die größten Containerschiffe der Welt (15.06.2020), http: / / www.ingenieur.de, 17.06.2020 <?page no="123"?> 2.3 Schiffsverkehr 123 (beeinflusst durch Kosten durch Vertiefung des Fahrwassers, Verlängerung der Kais, Ausweitung der Lagerflächen, Aufstellung größerer Umschlaggeräte) von Bedeutung. Anders als in der Geschichte der Seeschifffahrt passt man also nicht mehr die Schiffe den Häfen und Fahrgebieten an, sondern umgekehrt. Der Impuls geht dabei von den großen Container-Reedereien aus. Angetrieben wird das Schiffsgrößenwachstum durch die dadurch mögliche Reduzierung der Frachtkosten pro TEU. Sinkende Frachtraten locken einerseits Frachtkunden an, erfordern anbieterseitig aber einen Anstieg des Frachtvolumens, was letztendlich zu einem Verdrängungswettbewerb führt. 311 Stellt man die enormen Investitionskosten den möglichen Einsparungseffekten gegenüber, erscheint schon fraglich, ob ein weiteres Schiffsgrößenwachstum gerechtfertigt erscheint: „ Als Resultat wächst das Überangebot an Schiffsraum weiter und das Ratenniveau bleibt weiterhin weit davon entfernt, für die Linien eine angemessene Rendite abzuwerfen. Gleichzeitig verlieren zahlreiche immer noch relativ junge Schiffe in der Größenklasse 8000 bis 10 000 TEU massiv an Wert, weil sie im Vergleich zu den Riesen schlicht unwirtschaftlich geworden sind. “ 312 Die Container-Story Was wäre der heutige Welthandel ohne Container? Rund 14 Mio. Container sind weltweit in Umlauf. Mit gutem Grund lässt sich behaupten: „ Eine Kiste wurde zum Maß der Dinge. Gut 6 Meter lang, 2,44 Meter breit und 2,60 hoch, eine schlichte Erscheinung, einfach und vor allem billig zu transportieren. “ 313 Der Beginn dieser Container-Story ließ solch eine Entwicklung jedoch keinesfalls erahnen. Als im April 1956 das Frachtschiff „Ideal X“, ein umgebauter Tanker, mit 58 Containern an Bord den Hafen von New Jersey verließ, wurde die Idee, Fracht in Metallkisten zu transportieren, noch als wenig zukunftsfähig abgetan. Viel zu präsent waren die bereits jahrhundertealten Ladungsträger und Umschlagtechniken. Nach der ersten Fahrt sollten noch rund zehn Jahre vergehen, in denen sich das neue Transportsystem langsam durchsetzte. Die Idee zum Container stammt von Malcolm McLean, einem amerikanischen Transportunternehmer. Er wollte die Transportkette von Land auf See und retour rationalisieren. Dabei wurde schrittweise ein sehr effizientes System geschaffen, das aber eine optimale Abstimmung von Verkehrsmitteln und Hafenanlagen voraussetzt. Vorschub geleistet wurde dieser Entwicklung vor allem durch die Normierung des Containers. Zum einen kann so weltweit mit einheitlichen Größen gerechnet werden. Die Basis bildet dabei der 20-Fuß-Container, auf dessen Grundlage sich verschiedenste Container-Typen und -Größen herausgebildet haben. Heute wird vor allem der 40-Fuß-Container genutzt. Zum anderen lässt sich mit den genormten Containern der Laderaum von Schiffen optimal ausnutzen. An Bord eines Containerschiffes können mithilfe spezieller Sicherungsmaßnahmen bis zu zwölf Container übereinandergestapelt werden. 314 311 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 120f ; Malchow, Ulrich: XXL- Containerschiffe - eine kritische Reflexion, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2018, 40ff 312 Malchow, Ulrich: XXL-Containerschiffe - eine kritische Reflexion, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2018, 42 313 Preuß, Olaf: Eine Kiste erobert die Welt, Hamburg 2010, 19 314 vgl. Preuß, Olaf: Eine Kiste erobert die Welt, Hamburg 2010, 19ff; Pulkrabek, Bettina et al.: Maritime Wirtschaft & Logistik, Oldenburg 2009, 76; Die Containerstory, Film von Thomas Greh, 3Sat, 05.04.2006 <?page no="124"?> 124 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Abbildung 2-10 Fakten rund um den Container 315 315 erstellt nach: Ausstellung im Internationalen Maritimen Museum Hamburg und Pulkrabek, Bettina et al.: Wirtschaft im Hafen, Oldenburg 2011, 17 <?page no="125"?> 2.3 Schiffsverkehr 125 Fallstudie: SkySails - Windkraftnutzung auf See Die Zeit der Frachtsegler ist lange vorbei. Windkraft ist zwar nach wie vor eine kostengünstige Energiequelle, genügt den Anforderungen der modernen Schifffahrt aber längst nicht mehr. Durch die Entwicklung norddeutscher Ingenieure könnte ihr zu neuem Aufschwung verholfen werden. Das Unternehmen SkySails mit Sitz im Hamburg entwickelte einen Zugdrachen, der Schiffen als unterstützender Antrieb dienen kann: „Der Zugdrachen ist das Herzstück des SkySails-Antriebs. Zusammen mit Steuergondel und Zugseil bildet er das sogenannte ‚Fliegende System‘. Von der Steuergondel gelenkt, bewegt sich der Zugdrachen in geregelten, dynamischen Flugmanövern vor dem Schiff in der Luft und erzeugt den Vortrieb. Die Zugkräfte werden über das Zugseil aus hochreißfester Kunststoff-Faser auf das Schiff übertragen. Auch die Energieversorgung und Datenkommunikation der Steuergondel mit dem Steuerungssystem auf dem Schiff wird mittels eines im Zugseil integrierten Spezialkabels sichergestellt. Das Start- und Landesystem sowie das Steuerungssystem sind als bordseitige Komponenten fest auf dem Schiff installiert und so ausgelegt, dass sie sich auf dem Schiff problemlos integrieren lassen.“ 316 Die Schiffsmannschaft kann das System von der Brücke aus bedienen. Ziel von SkySails war es, „den Treibstoffverbrauch der modernen Schifffahrt durch die Nutzung umweltfreundlicher, kostenloser Windenergie zu reduzieren.“ 317 Nach Angaben des Unternehmens können die Treibstoffkosten eines Schiffs pro Jahr im Durchschnitt um 10 bis 35 % gesenkt werden, bei optimalen Windbedingungen wäre sogar eine Halbierung der Kosten möglich. 318 Allerdings können Pauschalwerte für eine Treibstoffersparnis nur als grobe Richtlinie angesehen werden, da diese aus verschiedensten Faktoren resultiert. Dazu gehören Wind, Wellen, Wassertemperatur, Salzgehalt des Wassers, Beladungszustand, Bewuchs des Rumpfes, Fahrtgeschwindigkeit, Wirkungsgrad des Propellers oder der Hauptmaschine sowie die Rumpfform des Schiffes. 319 Einsetzbar ist das System auf nahezu allen Frachtschiffen und Superyachten. Einschränkend muss ergänzt werden, dass besonders die großen, mit 25 Knoten recht schnell fahrenden Containerschiffe weniger gut geeignet sind. Im Bereich der gewerblichen Schifffahrt sind im Lloyd’s Register of Shipping weltweit über 100.000 Schiffe registriert. Für SkySails interessant sind vor allem die etwa 60.000 auf Langstrecken verkehrenden Schiffe und Fischtrawler. Jährlich kommen Schiffsneubauten hinzu. Im Bereich der Superyachten (Länge über 24 m) geht man von rund 7.500 in Privatbesitz befindlichen Schiffen weltweit aus. 320 Die Anschaffungskosten liegen je nach Schiffsgröße zwischen einer halben und 2,5 Millionen Euro. Das Unternehmen geht davon aus, dass sich das Zugdrachen-Windantriebssystem beim Kunden innerhalb von drei bis fünf Jahren amortisieren wird. Diese kurzen Zeiten begründen die Entwickler damit, dass die Anschaffungskosten als relativ niedrig eingestuft werden und beim Betrieb des vollautomatischen Systems keine zusätzlichen Personalkosten anfallen. Die Wartung der Bauteile des SkySails-Systems ist unkompliziert und durch qualifiziertes Bordpersonal auch auf See möglich, ausgenommen das Steuerungssystem sowie Zugdrachen und -seil. SkySails-Fachkräfte für Wartungsarbeiten an besonderen 316 SkySails GmbH: Turn Wind Into Profit, Hamburg o.J., 8 317 vgl. SkySails GmbH & Co. KG: Unternehmensdarstellung, Hamburg o.J., 1 318 vgl. SkySails GmbH: Neue Energie für die Schifffahrt, Hamburg o.J., 11; SkySails GmbH: Turn Wind Into Profit, Hamburg o.J., 5 319 vgl. SkySails GmbH & Co. KG: Windkraft profitabel genutzt, http: / / www.skysails.de, 01.08.2007; SkySails GmbH & Co. KG: Berechnung von Treibstoffersparnis und Amortisationsdauer, http: / / www.skysails.de, 01.08.2007 320 vgl. SkySails GmbH & Co. KG: Unternehmensdarstellung, Hamburg o.J., 1; Thiede, Meite: Wind ist auf See billiger als Öl, in: Süddeutsche Zeitung, 21.11.2005, 23; Lange, Kirsten: Der Wind bläst umsonst, in: Fairkehr, 1/ 2008, http: / / www.fairkehr.de, 03.02.2009; SkySails GmbH & Co. KG: Der Markt für SkySails-Systeme, http: / / www.skysails.de. 01.08.2007 <?page no="126"?> 126 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Komponenten, ebenso Verschleißteile, sollen in fast jedem Hafen der Welt innerhalb kürzester Zeit verfügbar sein. 321 Das Unternehmen ging zunächst davon aus, dass eine Reederei - sobald das erste Schiff erfolgreich mit dem System läuft - schrittweise die gesamte Flotte nachrüsten lässt. Der daraus resultierende Wettbewerbsvorteil sollte wiederum Anreiz für andere Reeder sein nachzuziehen. 322 Das System hat sich allerdings nicht so schnell durchgesetzt wie von den Entwicklern erhofft. Die Treibstoffpreise stiegen nicht wie erwartet, den Reedern waren damit die Investitionskosten für das Segel zu hoch. Im Frachtschiff-Sektor ist SkySails daher nicht mehr aktiv, sondern konzentriert sich auf Yachten. 323 Darüber hinaus ist man im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Stromerzeugungsanagen tätig (SkySails Power). 324 Das 2001 gegründete Unternehmen, in dem rund 50 Mitarbeiter beschäftigt waren, finanzierte sich hauptsächlich über Investoren (z.B. Schiffsfinanzierer, Reedereien), aber auch aus öffentlichen Fördermitteln. 325 In finanzielle Schwierigkeiten geraten, musste 2012 der Hälfte der Mitarbeiter gekündigt werden. 326 Aufgabe 1: Welche Vor- und Nachteile wären mit der Anschaffung und dem Einsatz des SkySails- Systems verbunden? Aufgabe 2: Stellen Sie dar, inwieweit externe Faktoren die strategischen Aktionsfelder von Reedereien - und damit auch den möglichen Einsatz des SkySails-Systems - beeinflussen! Aufgabe 3: Inwiefern sind die analysierten externen Faktoren durch Reedereien steuerbar? Aufgabe 4: Wovon hängt die Amortisationsdauer des Zugdrachen-Systems ab? Aufgabe 5: Worin unterscheidet sich das SkySails-System von einer früheren Windkraftnutzung durch Frachtsegler? 321 vgl. Thiede, Meite: Wind ist auf See billiger als Öl, in: Süddeutsche Zeitung, 21.11.2005, 23; SkySails GmbH & Co. KG: Turn Wind Into Profit, Hamburg o.J., 2 und 8 322 vgl. Thiede, Meite: Wind ist auf See billiger als Öl, in: Süddeutsche Zeitung, 21.11.2005, 23; Lange, Kirsten: Der Wind bläst umsonst, in: Fairkehr, 1/ 2008, http: / / www.fairkehr.de, 03.02.2009; SkySails GmbH & Co. KG: Geschichte und Meilensteine, http: / / www.skysails.de, 27.01.2009 323 vgl. Grotelüschen, Frank: Segel für Containerschiffe (19.06.2018), http: / / www.deutschlandfunk.de, 30.04.2020 324 vgl. SkySails GmbH: Das Unternehmen, http: / / www.skysails.info, 11.12.2019 325 vgl. SkySails GmbH: Turn Wind Into Profit, Hamburg o.J, 16; SkySails GmbH: Das Unternehmen, http: / / www.skysails.info, 06.05.2016 326 vgl. Grotelüschen, Frank: Segel für Containerschiffe (19.06.2018), http: / / www.deutschlandfunk.de, 30.04.2020 <?page no="127"?> 2.3 Schiffsverkehr 127 2.3.8 Seefrachtenmarkt Der Seefrachtenmarkt stellt als Teilmarkt eines Transportmarktes „ die Gesamtheit der ökonomischen Beziehungen von Angebot und Nachfrage von bzw. nach Gütertransportleistungen über See “ dar. 327 Der Seefrachtenmarkt lässt sich in den Linienfrachtenmarkt, den Chartermarkt und die Werkschifffahrt gliedern: Linienschifffahrt Charterfahrt Werkschifffahrt konventionell Containerfahrt Trampschifffahrt Spezialschifffahrt Merkmale der Nachfrage Gutart heterogen (General Cargo, RoRo- Ladungen) homogen (Container) homogen und heterogen homogen (Massengut, Tankladungen) homogen Partiegröße klein klein groß groß groß Verlader viele gleichzeitig viele gleichzeitig viele nacheinander einer einer Nachfragerhythmus regelmäßig in Summe regelmäßig in Summe unregelmäßig regelmäßig regelmäßig Merkmale der Betriebsform Organisation des Schiffseinsatzes regelmäßig (Fahrplan) regelmäßig (Fahrplan) unregelmäßig regelmäßig regelmäßig Bindung an die Route ja ja nein ja ja Transportbedingungen standardisiert oft Teil einer multimodalen Leistung vereinbart (Raumfrachtverträge 328 ) vereinbart (Raumfrachtverträge 329 ) intern geregelt Fracht Tarif oft Teil des multimodalen Preises vereinbart vereinbart intern geregelt Tabelle 2-30 Seefrachtenmarkt 330 Der Linienfrachtenmarkt ist ein Teilmarkt des Seefrachtenmarktes. Die hier angebotenen Transportdienstleistungen weisen folgende Kennzeichen auf: „ Beförderung zwischen langfristig festgelegten Basishäfen, im Voraus bekannt gegebene Fahrpläne [...], den hauptsächlichen Transport von Stückgütern in einer Vielzahl von Einzelsendungen, die Anwendung festgelegter Beförderungskonditionen und Tarife “. 331 327 Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 122 328 hier: kurzfristige Bindung zwischen Ver- und Befrachter, individuell vereinbarte Bedingungen von Reise zu Reise 329 hier: Bereitstellung von Schiffsraum, langfristige Bindung zwischen Ver- und Befrachter 330 vgl. Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 54 und 124 331 Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 167 <?page no="128"?> 128 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Auf Linienfrachtenmärkten wird Linien- und Fahrplanverkehr angeboten, der auf langfristig relativ stabilen Güterströmen basiert. Der Einsatz der Schiffe erfolgt gemäß Fahrplan, unabhängig von der tatsächlichen Auslastung. Die Rentabilität lässt sich dabei nur aus langfristiger Sicht beurteilen. Die Marktstruktur ist oligopolistisch, d.h., ein konzentriertes Angebot steht einer im Wesentlichen zersplitterten Nachfrage gegenüber. Dabei können weitere Teilmärkte unterschieden werden: geographisch : Ranges - Relationsmärkte zwischen Hafenbereichen (z.B. ARA-Range: Antwerpen-Rotterdam-Amsterdam), sachlich : Unterscheidung nach Güterarten (RoRo, Container, Stückgut usw.), zeitlich : Unterscheidung nach Transportdauer (Expressdienst, Normaldienst). Nachfrage auf Linienfrachtenmärkten entsteht, wenn die Partiegröße ein gesamtes Schiff bzw. große Teile davon nicht auslasten kann, d.h. eine Charterung ökonomisch und technisch nicht sinnvoll wäre, wenn die Nachfrage insgesamt die Aufrechterhaltung eines Liniendienstes rechtfertigt bzw. wenn die Nachfrage durch andere Verkehrsträger nicht befriedigt werden kann. Nachfrager sind hierbei Reeder, Verlader oder Vermittler. Eine Differenzierung der Nachfrage kann erfolgen nach Relation, Güterart, Gesamtvolumen, Zeitraum, Ansprüche an Transportzeit, -frequenz und Berechenbarkeit. 332 Der Chartermarkt ist ein Teilmarkt des Seefrachtenmarktes. Typisches Merkmal ist der Abschluss von Charterverträgen. Charterung beinhaltet den „ Abschluss eines Vertrages über den Transport von Ladungspartien bzw. die Bereitstellung von Schiffsraum [...], die das gesamte Schiff bzw. große Teile davon auslasten. “ 333 Auf Chartermärkten wird Bedarfsverkehr angeboten, d.h., die zeitliche und räumliche Auslastung der Schiffe schwankt. Die Verkehre dienen hauptsächlich dem Austausch von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Massenstückgütern. Mengen und Zeitpunkte resultieren aus der Art des Produktionsprozesses sowie der Größe und der Standorte der Produktionsstätten. Aufgrund der vergleichsweise großen Ladungsmengen hat der Befrachter maßgeblich Einfluss sowie Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf die Organisation des Einsatzes der Schiffe. Innerhalb des Chartermarktes können folgende Teilmärkte unterschieden werden: Güterartengruppe trockene Massengüter Tankgüter Schüttgüter (bulk) Massenstückgüter (break bulk) Flüssiggas Erdöl Chemikalien Güterart (Beispiele) Bauxit, Eisenerz, Getreide, Kohle, Phosphat Baumwolle, Düngemittel, Fahrzeuge, Holz, Kaffee, Kautschuk, Kühlgüter, NE-Metalle, Stahl, Zucker LNG, LPG Raffinerieprodukte, Rohöl Ammoniak 332 vgl. Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 169 333 ebd., 136 <?page no="129"?> 2.3 Schiffsverkehr 129 Fortsetzung Fahrgebiete weltweiter Einsatz ... Küstenschifffahrt Zeitpunkt prompte Tonnage ... Termintonnage Transportmittel/ Schiffstyp Universalmassengutschiffe, kombinierte Schiffe, Spezialmassengutschiffe, Tankschiffe, Spezialstückgutschiffe usw. Tabelle 2-31 Teilmärkte des Chartermarktes 334 Die Nachfrage auf Chartermärkten rührt daher, dass Linientransportleistungen aus wirtschaftlicher oder technischer Sicht nicht angeboten werden bzw. nicht akzeptabel sind oder kurzfristig Ersatz bzw. zusätzliche Kapazitäten erforderlich werden. Auf diese Weise bestehen enge Wechselbeziehungen zur Linienschifffahrt. Als Nachfrager kommen sowohl Reeder als auch Verlader und Vermittler in Betracht. Eine Differenzierung der Nachfrage kann nach Tonnage, Einsatzdauer und Verfügbarkeit erfolgen. 335 2.3.9 Flaggenstaaten Die Antwort auf Globalisierungstendenzen und Konkurrenzdruck lautet(e) „ Ausflaggen und Dumpingpreise “ 336 . Früher galt die Schifffahrt als sehr bewusst reguliert, mittlerweile ist sie stärker globalisiert als irgendein anderes Gewerbe. Das Ausflaggen von Schiffen hat eine lange Tradition. Standen früher politische bzw. militärische Gründe im Vordergrund, sind heute ökonomische Motive ausschlaggebend. 337 Um eine sogenannte „ Flag of Convenience “ (Billigflaggen, Schattenflaggen) handelt es sich dann, „ wenn der ökonomische Nutzen aus einem Schiff und die tatsächliche Kontrolle über seinen Betrieb sich in einem anderen Land befinden als in dem Land, dessen Flagge das Schiff führt. “ 338 Die Entwicklung von Schattenflaggen wurde durch die Etablierung Internationaler Offener Register in einzelnen Entwicklungsländern begünstigt. Diese Länder, oft ohne Seefahrertradition, stellen ihre Nationalflagge gegen eine geringe Registrierungsgebühr bei minimalen Zugangsbeschränkungen bzw. gesetzlichen Auflagen zur Verfügung. 339 Die 1982 beschlossene United Nations Convention on the Law of the Sea verlangt deshalb eine echte Verbindung ( genuine link ) zwischen Schiff und Flaggenstaat. Dennoch hat sich das Ausflaggen von Schiffen zur gängigen Praxis mit vielfältigen Möglichkeiten zur Umgehung restriktiver Regulierungen entwickelt. Nach Bergantino/ Marlow sollen in Erweiterung obiger Definition all jene Flaggen als „ Flags of Convenience “ gelten, die Folgendes zulassen: „ Eine Senkung der Personalkosten, weil die Registrierung unter einer [Flag of Convenience] in der Regel zuläßt, dass die Besatzung ohne jede Beschränkung auf dem internationalen Markt 334 vgl. vgl. Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 137 335 vgl. ebd., 139 336 Blanke, Michael: Globalisierung ohne Ende, in: Gerstenberger, Heide; Welke, Ulrike (Hrsg.): Seefahrt im Zeichen der Globalisierung, Münster 2002, 90 337 vgl. Alderton, Tony; Winchester, Nik: Internationale Regulierungen und die Praxis von Flaggenstaaten - Eine globale vergleichende Analyse, in: Gerstenberger, Heide; Welke, Ulrike (Hrsg.): Seefahrt im Zeichen der Globalisierung, Münster 2002, 180ff 338 International Transport Workers‘ Federation (ITF): The ITF Handbook, London 1999, 13: 1 339 vgl. Koch-Baumgarten, Sigrid: Vom Mythos internationaler Solidarität - Die multinationale gewerkschaftliche Regulierung der Schattenflaggenschiffahrt, in: Prokla, Heft 107, Nr. 2/ 1997, 266f <?page no="130"?> 130 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel angeheuert wird; dass es keine national vorgeschriebenen Heuersätze gibt; dass die Bemannungsvorschriften weniger strikt sind; niedrige Betriebskosten durch weniger strikte Wartungsvorschriften und weniger strikt überprüfte Sicherheitsvorschriften; weniger Kontrolle von Vorschriften und weniger Bürokratie; die wahrscheinliche Vermeidung von Steuern; Zusicherung von Anonymität; leichter Zugang zum Register und leichtes Verlassen des Registers. “ 340 Den größten Bestand an Handelsschiffen (nach tdw-Tonnage) weist gegenwärtig Panama, gefolgt von den Marshall-Inseln und Liberia auf. Abbildung 2-11 Führende Registrierungsflaggen 341 Die deutsche Handelsflagge dürfen nach Flaggenrechtsgesetz folgende Schiffe führen: „ Handelsschiffe, die das Eigentum natürlicher Personen sind, deren Wohnsitz sich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland befindet. Seeschiffe, die Eigentum juristischer Personen mit Firmensitz innerhalb Deutschlands sind, wenn die Mehrzahl der Gesellschafter und der im Unternehmen Stimmberechtigten deutsche Staatsbürger sind. Handelsschiffe, deren Eigentümer Angehörige eines EU-Staates sind. In diesem Falle muss eine natürliche oder juristische Person mit Wohn- oder Firmensitz in Deutschland benannt werden, die dem deutschen Staat gegenüber für die Umsetzung des geltenden Rechts auf den betreffenden Schiffen verantwortlich ist. “ 342 340 Gerstenberger, Heide; Welke, Ulrich: Arbeit auf See - Zur Ökonomie und Ethnologie der Globalisierung, Münster 2004, 30 341 erstellt nach: UNCTAD: Review of Maritime Transport 2019, Geneva 2019, 40 342 Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 25 0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 14% 16% 18% Japan Griechenland Bahamas China Malta Singapur Hong Kong Liberia Marshall Islands Panama Anteil an der Welthandelsflotte (gemessen in tdw, 2019) Führende Registrierungsflaggen <?page no="131"?> 2.3 Schiffsverkehr 131 2.3.10 Seeverkehrswege Seeverkehrswege sind „ die jeweils kürzesten Verbindungen zwischen zwei Häfen oder tarifmäßig zusammengefassten Hafengruppen. “ 343 Seefahrtsrouten entwickelten sich im Zeitverlauf; einerseits durch das zunehmende Wissen in Bezug auf Ozeane und Kontinente, andererseits bedingt durch die Entwicklung der Handelsströme. Teilweise müssen allerdings große Umwege aufgrund von Untiefen in Küstenbereichen, Gezeitenströmen oder Vereisung in Kauf genommen werden. Begünstigt werden die Routen durch Buchten und große Ströme, die eine Einfahrt tief ins Landesinnere ermöglichen. 344 Im Rahmen der Linienschifffahrt haben sich typische Fahrtrouten herausgebildet, die nachfolgende Tabelle zusammenfasst. Transatlantische Verkehrsrouten Nordatlantischer Seeweg (Europa-Ostküste USA/ Kanada) Mittelatlantischer Seeweg (Europa-Mexiko/ Karibik) Südatlantische Route (Europa-Ostküste Südamerika) Transpazifische Verkehrsrouten Nordpazifischer Seeweg (Fernost-Westküste USA/ Kanada) gabelt sich ostgehend in: US-Westküstenlinie Panamalinie Zentralpazifik-Route (Ozeanien- Westküste USA/ Kanada) Suez-Indik-Route mit Fortsetzung Südasien-Route Westküste USA, Europa-Mittelmeer-Suez-Indik-Fernost Kap-Route Persischer Golf-Europa, Nordamerika Westpazifische Süd-Nord-Route Australien-Ostasien Tabelle 2-32 Fahrtrouten der Linienschifffahrt 345 Die Containerlinienschifffahrt konzentriert sich auf wenige Seehäfen mit hoher Umschlagleistung (vgl. Containergürtel). Die großen Containerhäfen befinden sich in den bedeutenden Wirtschaftsnationen und stellen verkehrstechnisch hoch entwickelte Fahrtgebiete dar. 346 Meerengen/ Meeresstraßen sind „ natürliche, schmale Verbindungswege zwischen den Ozeanen und ihren Rand- und Nebenmeeren. “ 347 In der Regel handelt es sich dabei um Territorialgewässer der Anrainerstatten, die jedoch im Rahmen der internationalen Schifffahrt genutzt werden können. Sowohl in der Vergangenheit als auch in der heutigen Zeit sind diese Gebiete häufig Krisenpunkte im Schiffsverkehr. 343 Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 192 344 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 123 345 erstellt nach: Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 192 346 vgl. Woitschützke, Claus-Peter: Verkehrsgeografie, Köln 2013, 279ff 347 Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 193 <?page no="132"?> 132 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Straße von Dover meistbefahrene Wasserstraße der Welt führt zu den Seehäfen Europas bündelt die Atlantikrouten, die Kap-Route und die Suez-Indik-Route Straße von Gibraltar kürzeste Verbindung zwischen Europa und den Fahrtgebieten im Indischen Ozean und in Fernost Malakkastraße und Straße von Singapur verbindet den Persischen Golf und den Indischen Ozean einerseits mit Ostasien und Nordaustralien andererseits Tabelle 2-33 Meeresstraßen 348 Um Seeverkehrswege abzukürzen und damit Zeit- und Kostenvorteile zu erzielen, wurden und werden Kanäle und Staustufen gebaut. Bei kurzen, stark frequentieren Routen werden mitunter Tunnel oder Brücken errichtet. Zum Zwecke der Zeitersparnis werden auch Landbrückenverkehre für Containertransporte per Eisenbahn eingerichtet (vgl. Europa-China; Deutschland-Bosporus). 349 Kanäle sind aus wirtschaftlichen Gründen angelegte, künstliche Wasserstraßen. 350 Die größten Seeschifffahrtskanäle der Welt sind der Suezkanal, der Panamakanal und der Nord- Ostsee-Kanal. Während die ersten beiden ihren Ländern beträchtliche Deviseneinnahmen garantieren, muss der Nord-Ostsee-Kanal mit Bundesmitteln gefördert werden. Bedingt durch das Schiffsgrößenwachstum stießen diese Kanäle zunehmend an ihre Leistungsgrenzen. 351 Suezkanal und Panamakanal wurden inzwischen ausgebaut. Kanal Verbundene Meere Länge Schiffstransit Anzahl Suezkanal (Passage im Konvoi 11-12 h) Mittelmeer, Rotes Meer 161 km 18.880 (2019) Panamakanal (Einzelpassage in 8-10 h) Atlantik, Pazifik 83 km 13.785 (2019) Nord-Ostsee-Kanal (6-8 h) Ostsee, Nordsee 99 km 29.900 (2018) Tabelle 2-34 Die größten Kanäle 352 348 erstellt nach: Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 193 349 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 123 350 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 193 351 vgl. ebd., 194 352 erstellt nach: Suez Canal Authority: Yearly Statistics, http: / / www.suezcanal.gov.eg, 03.05.2020; Canal de Panamá: Annual Report 2019, o.O. 2019, 13; Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Wirtschaftliche Bedeutung, 03.05.2020 <?page no="133"?> 2.3 Schiffsverkehr 133 Fallstudie: Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals Der 1895 als Kaiser-Wilhelm-Kanal eröffnete Nord-Ostsee-Kanal (international bezeichnet als „Kiel- Canal“) gilt als meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Er verbindet auf rund 100 km Länge Kiel mit Brunsbüttel und erspart Schiffen damit den mehr als 450 km längeren Weg über das Skagerrak. 30 % des Verkehrs zwischen Nord- und Ostsee laufen über den Kanal. Für eine Passage, die je nach Schiffsgröße ca. 1.500 bis 5.800 Euro kostet, benötigen die Schiffe ca. acht Stunden. Der Umweg käme rund 70.000 Euro teurer. 2018 befuhren den Kanal rund 29.900 Schiffe, die insgesamt 87,5 Mio. t Fracht transportierten. Etwa 3.000 Arbeitsplätze in der Region werden durch den Kanal gesichert, was dessen Bedeutung als Wirtschaftsfaktor unterstreicht. 353 Nord-Ostsee-Kanal, Einfahrt Kiel Nord-Ostsee-Kanal, Rendsburg Seit der Jahrtausendwende ist eine deutliche Zunahme des Verkehrsaufkommens auf dem Kanal zu verzeichnen. Die starke Nachfrage resultiert vor allem aus den Warenströmen ins Baltikum. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Hamburg ein. Große, aus dem Atlantikraum kommende Containerschiffe laufen zuerst den Hamburger Hafen an, wo die Fracht für den Weitertransport in den Ostseeraum auf Feederschiffe umgeschlagen wird. Diese Schiffe sind aufgrund ihrer Größe in der Lage, die kürzere Route über den Nord- Ostsee-Kanal zu wählen. 354 Gleichzeitig werden die Schiffe immer größer. Aktuell können Schiffe mit einer Länge bis 235 m und einer Breite bis 32,5 m den Kanal passieren. Begegnungen von Schiffen dieser Größe sind aber nicht an allen Stellen im Kanal problemlos möglich. Zur Gewährleistung der Sicherheit bedeutet dies längere Wartezeiten, verbunden mit höheren Treibstoffverbräuchen und Emissionen. Verkehrsaufkommen und Schiffsgrößenwachstum bringen den Kanal also an seine Kapazitätsgrenzen, wobei sich insbesondere die Oststrecke, die hinsichtlich ihres Ausbauzustands noch an den Rahmenbedingungen vor über 100 Jahren ausgerichtet ist, als Engpass erweist. 355 353 vgl. Wasser Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Wirtschaftliche Bedeutung, http: / / www. wsa-kiel.wsv.de, 15.05.2020; Wasser Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Leben und Arbeiten am Nord-Ostsee-Kanal, http: / / www.wsa-kiel.wsv.de, 15.05.2020 354 vgl. Friedrichsen, Matthias: Warum ist der Nord-Ostsee-Kanal so wichtig? (07.03.2013), http: / / www.ndr.de, 14.11.2013 355 vgl. Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Ausbau der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals, Kiel-Holtenau 2011, 5; Wasser- und Schifffahrtsamt: Anpassung der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals (Faltblatt); Grontmij BGS Ingenieurgesellschaft mbH; Wasser- und Schifffahrtsamt Kiel-Holtenau: Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals, Kanalkilometer 79,9 bis 92,1, Erläuterungsbericht, Hannover/ Kiel 2009, 5 <?page no="134"?> 134 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Auch die Schleusen bereiten Probleme. Immer wieder müssen Schleusenkammern wegen Reparaturarbeiten gesperrt werden. Doch nicht nur für die Reeder bringt eine Kanalsperrung Zeitverluste und höhere Kosten mit sich. Auch die Lotsen müssen mit Einbußen leben. Diese Unsicherheiten könnten Reedereien veranlassen, die Häfen Rotterdam und Antwerpen den deutschen Häfen vorzuziehen und den 14 bis 18 Stunden dauernden Umweg um Skagen in Kauf zu nehmen. So ließe sich auch das für eine Kanalpassage nötige Umladen auf Feederschiffe vermeiden. Dies hätte jedoch drastische Auswirkungen auf die Region, insbesondere auf Hamburg. 356 Aus diesen Gründen ist bereits seit längerer Zeit der Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals vorgesehen. Vordergründiges Ziel ist es nicht, das Verkehrsaufkommen steigern zu können, sondern das prognostizierte Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Konkret geht es dabei um die Verbreiterung der Oststrecke zwischen Kiel-Holtenau und Königsförde sowie um eine Abflachung der bislang engen Kurven. 357 Im Januar 2020 wurde nach elfjähriger Planung mit dem Ausbau schließlich begonnen. Dabei sollen die Oststrecke von 44 m auf 70 m verbreitert und die Kurven entsprechend angepasst werden. Für den ersten Bauabschnitt rechnet man mit einer Bauzeit von vier Jahren. Wie lange der Ausbau der weiteren Abschnitte dauern wird, steht noch nicht fest. Die Kosten für das Gesamtprojekt werden mit 500 Mio. Euro beziffert. 358 Nach Berechnungen des Wasser- und Schifffahrtsamtes Kiel-Holtenau entsteht durch jeden in die Ausbaumaßnahmen investierten Euro ein Nutzwert von fünf Euro. 359 In Brunsbüttel wird bereits eine fünfte Schleusenkammer gebaut; danach ist die Sanierung der bestehenden Schleusenkammern geplant. Zudem sollen die alten Schleusenanlagen in Kiel saniert werden. 360 Zur Bewältigung des Schiffsgrößenwachstums wäre auch eine Anpassung der Wassertiefe erforderlich, die aber zunächst noch nicht durchgeführt werden soll. Eine derartige Maßnahme wäre ohnehin aufgrund der bestehenden Tunnel nur um maximal 1,50 m realisierbar. 361 Aufgabe 1: Warum ist der Nord-Ostsee-Kanal zum Engpass geworden? Aufgabe 2: Welche Konsequenzen könnte der nur langsam fortschreitende Ausbau des Kanals haben? 356 vgl. Friedrichsen, Matthias: Warum ist der Nord-Ostsee-Kanal so wichtig? (07.03.2013), http: / / www.ndr.de, 14.11.2013; o.V.: NOK-Schleusen in Brunsbüttel zweitweise wieder offen (25.09.2019), http: / / www.ndr.de, 15.05.2020; Wasser Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Wirtschaftliche Bedeutung, http: / / www.wsa-kiel.wsv.de, 15.05.2020 357 vgl. Wasser- und Schifffahrtsamt: Anpassung der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals (Faltblatt); Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Ausbau der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals, Kiel-Holtenau 2011, 5; Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Planfeststellungsverfahren, http: / / www.portalnok.de, 15.11.2013 358 o.V.: Nach jahrelanger Planung startet der Ausbau (07.01.2020), http: / / www.ndr.de, 15.05.2020 359 vgl. Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Ausbau der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals, Kiel- Holtenau 2011, 5; Initiative Kiel-Canal: Anpassung der Oststrecke, http: / / www.initiative-kiel-canal.de, 15.05.2020 360 vgl. Wasserstraßen und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Schleuse Brunsbüttel, http: / / www.wsa-kiel.wsv.de, 15.05.2020; Wasserstraßen und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Grundinstandsetzung Große Schleuse Kiel, http: / / www.wsa-kiel.wsv.de, 15.05.2020 361 vgl. Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Vertiefung des NOK, http: / / www.wsa-kiel.wsv.de, 15.05.2020 <?page no="135"?> 2.3 Schiffsverkehr 135 2.3.11 Seehäfen Ein Seehafen ist „ ein Komplex von Liegeplätzen für Seeschiffe, der als Knotenpunkt zwischen Binnen- und Seeverkehr den Umschlag von Gütern und Personen sicherstellt und der über die hierfür notwendigen Einrichtungen für den Umschlag, für die Lagerung, für den An- und Abtransport der Güter sowie für den Verkehr und die Abfertigung der Seeschiffe und Binnentransportmittel im Seehafenterritorium verfügt. “ 362 Seehäfen sind multimodale Schnittstellen zwischen Land und See. Sie dienen sowohl dem Durchlauf von Gütern als auch Personen und übernehmen zudem eine Pufferfunktion. Die Wertigkeit und Leistungsfähigkeit eines Hafens sind in großem Maße abhängig von den hafenbaulichen Anlagen und Verkehrswegen, -flächen, Versorgungseinrichtungen, Gebäuden, Fördertechnik und von seiner Anbindung ans Vorland (Schiffslinien, Frequenz) sowie ans Hinterland (Straßen- und Eisenbahnverkehr sowie Binnenschifffahrt). Traditionell dienen Häfen als Koordinierungsstelle für transportvorbereitende und -begleitende Informationssysteme (speziell für Ex- und Importe über See), als Sammel- und Verteilzentren für Import-, Export- und Transitgüter sowie als regionale Sammel- und Verteilzentren. Seehäfen sind komplexe, gefragte Wirtschaftsstandorte und beherbergen zahlreiche Unternehmen, Institutionen, Verwaltungen, Behörden. Sie eignen sich besonders gut zur Errichtung logistischer Zentren. Die in den Häfen übliche Arbeitsteilung erfordert eine effiziente Kooperation und Information. 363 Die Kunden eines Seehafens befinden sich sowohl auf der Land- (Verlader, Ablader, Transporteur) als auch auf der Seeseite (Reeder, Allianzen). Üblicherweise liegen Häfen im Eigentum der öffentlichen Hand. Dies rührt vor allem daher, dass sie eine große Bedeutung für den Außenhandel und die äußere Sicherheit haben sowie starke regionale Beschäftigungswirkungen nach sich ziehen. So wird beispielsweise geschätzt, dass mit dem Hafen Hamburg direkt und indirekt über 120.000 Arbeitsplätze in Verbindung stehen. 364 Weltweit existieren etwa 7.000 Seehäfen, 1.500 davon gelten als Welthäfen. Durch Kombination mit Freihafenzonen können zusätzliche wirtschaftliche Effekte erzielt werden. Unter Freihafen versteht man vom Zollgebiet ausgeschlossene Teile von Seehäfen. Diese dienen dem Umschlag und der Lagerung von Waren für Zwecke des Außenhandels sowie dem Schiffsbau. 365 Das Hafengebiet umfasst - unabhängig von der Funktion des Hafens - die Hafenzufahrt, die Hafenbecken, die Anlagen für Hinterlandverkehre und die Industriezone. Zur Hafeninfrastruktur zählen alle Anlagen, die zum Betreiben eines Hafens benötigt werden. Das sind Hafenbecken, Piere und Kais, aber auch Gleisanschlüsse, Straßen und Gewerbeflächen, die von öffentlicher Seite bereitgestellt werden. Die Suprastruktur umfasst alle Anlagen, die für Tätigkeiten im Zusammen- 362 Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 222 363 vgl. ebd., 222 364 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 198 365 vgl. ebd., 65 und 354 <?page no="136"?> 136 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel hang mit Umschlag, Lagerung, Verarbeitung und Weiterbeförderung erforderlich sind, also Umschlag- und Lagereinrichtungen, Kühlhäuser, Maklerbüros usw. 366 Häfen können hinsichtlich ihrer Erscheinungsformen nach Funktion und Meereslage unterschieden werden. nach Funktion Universal- und Gemischthäfen Containerterminals und Mehrzweck-Terminals Handhabung von Massengut, Stückgut, Container- und RoRo-Verkehren Spezialisierungen möglich (Bsp. Bremen: Umschlag von Pkw) monofunktionale Spezialhäfen auf Handhabung bestimmter Objekte (meist Massengüter) spezialisiert oft als Tiefwasserhäfen angelegt Bsp. Wilhelmshaven/ D (Rohöl und Derivate), Dünkirchen/ F (Kohle/ Erz) nach Meereslage offene Häfen offene Tidehäfen stehen mit Meer in freier Verbindung können jederzeit unabhängig von Gezeiten angelaufen werden Fluthäfen können nur während der Flut zur Ein- oder Ausfahrt genutzt werden Bsp. Sevilla Reedehäfen tidenunabhängige geschützte Ankerflächen vor der Küste Güterumschlag mit Leichtern, Schuten und anderen Booten Dockhäfen wegen Gezeitenunterschieden durch Schleusensysteme abgeschlossen unabhängiges Arbeiten vom äußeren Wasserstand möglich Bsp. Antwerpen, Bremerhaven, Liverpool Tabelle 2-35 Unterscheidung nach Funktion und Meereslage 367 Hamburger Hafen im Überblick Containerterminal Burchardkai, Hamburg 366 vgl. Woitschützke, Claus-Peter: Verkehrsgeografie, Köln 2013, 270 367 erstellt nach: ebd., 273f; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 197 <?page no="137"?> 2.3 Schiffsverkehr 137 Fährterminal Schwedenkai, Kiel Mehrzweckterminal Filipstad, Oslo Zum Leistungsangebot von Häfen gehören zahlreiche Dienstleistungen , die sich wie folgt gliedern lassen: Umschlagleistungen LoLo-Umschlagleistungen für Schiffe RoRo-Umschlagleistungen für Schiffe direkte und indirekte Be- und Entladungen Serviceleistungen für Besatzungen medizinische und kulturelle Betreuung Unterbringung für Fahrzeugführer Proviant Transportleistungen Fahrten ins Hafenumland Transporte ins direkte Hinterland Serviceleistungen für Transportmittel Ausrüstung Reparaturservice Energie- und Wasseranschlüsse Entsorgung Brennstofflieferungen Schlepper- und Lotsenleistungen Lagerleistungen operative, kurzfristige bzw. mittel- und langfristige Lagerung Kommissionierung Distributionslagerung Serviceleistungen für Güter Verpacken Sortieren Umpacken, Bildung von Ladeeinheiten Markierungen, Signierungen Distributionsleistungen Bereitstellung von Infrastrukturanlagen Bereitstellung der Schiffsliegeplätze Bereitstellung der Kommunikationstechnik Serviceleistungen für Passagiere Übernachtungsmöglichkeiten touristische Betreuung Gaststättenleistungen Abfertigungsleistungen kommerzielle Abfertigungsorganisation für Güter kommerzielle Abfertigungsorganisation für Transportmittel schnittstellenkompatible Informationsleistungen Tabelle 2-36 Typische Hafenleistungen 368 368 Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 220f <?page no="138"?> 138 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Als Wettbewerbsdeterminanten von Häfen waren lange Zeit die geographische Lage und die Schutzfunktion ausschlaggebend. Heute sind jedoch auch technische, organisatorische und ökonomische Faktoren von Relevanz. Hinterlandpotential wasserseitige Erreichbarkeit Konditionen Produktivität Infra- und Suprastruktur Wettbewerbsdeterminanten von Häfen Hafenbezogen Suprastruktur (Anlagen zur Abfertigung der Güterströme) Produktivität von Hafen- und Verkehrsbetrieben Infrastruktur Hafenbecken, Kais Anlagen und Gebäude zur Lagerung, zum Umschlag, Kräne Umschlagbetriebe (Terminals), Pack- und Ladungsbetriebe, Ver- und Entsorgungs betriebe, sonstige Kapazitätsauslastung (Reserven) Produktivität von öffentlichen Institutionen Hafenkosten Betriebszeiten Paarigkeit der Hinterlandrelationen Quell- und Senkenpotential Nähe zu Hauptschifffahrtsrouten Eisfreiheit Tidenhub Wassertiefe von Zufahrten und Hafenbecken Auslastung, Transportkosten Regelmäßigkeit Attraktionskraft bestehender Liniendienste Fahrplan Verkehrsaufkommen Transportzeit Paarigkeit der Schiffsrelation Möglichkeit der Auslastung der Schiffe Flexibilität für Verlader Kapazitäten geographische Erreichbarkeit Anbindung an Straßen- und Schieneninfrastruktur, Binnenwasserstraßen Transportzeit, Zuverlässigkeit Wasserseitig Hinterlandbezogen Routenwahl, Transportkosten, Transportzeit Qualität der Hinterlandverbindung Abbildung 2-12 Wettbewerbsdeterminanten von Häfen 369 369 erstellt nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 137ff; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 198ff <?page no="139"?> 2.3 Schiffsverkehr 139 Fallstudie: Der JadeWeserPort Am 21. September 2012 ging Deutschlands einziger Tiefwasserhafen für Großcontainerschiffe, der JadeWeserPort in Wilhelmshaven, in Betrieb. Der Hafenbau gilt als größtes norddeutsches Infrastrukturvorhaben der vergangenen 50 Jahre. Der gewählte Standort am Jadebusen erweist sich eigentlich als ideal. Mithilfe nautischer Simulationen wurde die Leistungsfähigkeit des zukünftigen Hafens geprüft. So ist es auch für Großcontainerschiffe möglich, den Hafen mit einer kurzen Revierfahrt und gezeitenunabhängig anzulaufen. 370 Technische Daten Landgewinnung durch Aufspülung von 360 ha für den Bau eines Container-Terminals hinter einem Kai mit 1.725 m Länge 120 ha Schaffung einer hafennahen Logistik-, Industrie- und Gewerbefläche 170 ha Flächen für die Anbindung der Verkehrsträger Schiene und Straße sowie für die Errichtung von Uferbefestigungen (Hochwasserschutz) 70 ha Terminaldaten Kailänge 1.725 m Liegeplätze 2 (möglich 4) Terminaltiefe 650 m Containerbrücken 8 (möglich 16) Wassertiefe 18 m Van Carrier 68 Wendebereich 700 m Großstapler 8 Umschlagkapazitäten (TEU) 2,7 Mio. Bahnverladekräne 5 Tabelle 2-37 Technische Daten und Terminaldaten 371 An der Stromkaje von insgesamt 1.725 m Länge könnten vier Großcontainerschiffe und Feederschiffe mit bis zu 16 Containerbrücken gleichzeitig abgefertigt werden. Das Containerterminal mit einer Gesamtfläche von 120 Hektar ist auch mit einer Umschlaganlage für den kombinierten Verkehr ausgestattet. Neben dem Straßentransport wird die Bedeutung des Schienenverkehrs insbesondere über große Entfernungen zunehmen. Aus diesem Grund wurde die Eisenbahnstrecke Wilhelmshaven-Oldenburg saniert. Zudem wurden rund vier Kilometer Schienenwege errichtet, um einen Anschluss an das überregionale Eisenbahnnetz zu schaffen. 372 Es entstand eine etwa 160 Hektar große, hafennahe Gewerbefläche, auf der sich u.a. ein Güterverkehrszentrum angesiedelt hat. 373 Das bisherige Investitionsvolumen belief sich auf 950 Millionen Euro, wobei rund 600 Millionen auf die Infrastruktur und rund 350 Millionen auf die Suprastruktur entfielen. 374 Die terminalnahe Infrastruktur wurde anteilig finanziert durch die JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft mbH & Co. KG, an der Niedersachsen (50,1 %) und Bremen (49,9 %) beteiligt sind. 375 370 vgl. JadeWeserPort: Der JadeWeserPort - No tide. no Limits., Wilhelmshaven o.J., 3 371 JadeWeserPort: Technische Daten, http: / / www.jadeweserport.de, 21.01.2009; Eurogate GmbH & Co. KGaA, KG: Eurogate Container Terminal Wilhelmshaven, http: / / www.eurogate.de, 12.05.2020 372 vgl. JadeWeserPort: Verkehrsanbindung, http: / / www.jadeweserport.de, 21.01.2009 373 vgl. JadeWeserPort: Der JadeWeserPort - No tide. no Limits., Wilhelmshaven o.J., 7 und 15 374 vgl. JadeWeserPort: Verkehrsanbindung, http: / / www.jadeweserport.de, 21.01.2009 375 vgl. JadeWeserPort: Investition, http: / / www.jadeweserport.de, 21.01.2009 <?page no="140"?> 140 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Containerbrücken Besucherzentrum am JadeWeserPort Der JadeWeserPort ist der östlichste Tiefwasserhafen der europäischen Nordrange zwischen Le Havre und Hamburg und soll einen wichtigen Teil der transeuropäischen Motorways of the Seas bilden. Die Jahresumschlagkapazität liegt bei ca. 2,7 Mio. TEU. 376 Allerdings wurde der Hafen von Anfang an nicht so intensiv genutzt, wie es die Projektplaner und der Betreiber Eurogate vorgesehen hatten. Im ersten Jahr liefen insgesamt 134 Schiffe den Hafen an. Das waren lediglich 10 % der prognostizierten Anzahl. 377 Mit einer offensiven Marketingkampagne warb man dann verstärkt um Kunden. 378 Dass sich bedingt durch die Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen große Reedereien in Allianzen zusammenschlossen, machte es für den Hafen nicht leichter. Denn nun galt es nicht nur, einzelne Reedereien zu gewinnen, sondern die Allianzen. 379 Als Ereignis mit Signalwirkung betrachtete man den Anlauf zweier großer Containerschiffe der Reederei Mærsk im Oktober 2013. 380 In der Folge stiegen die Umschlagzahlen tatsächlich (2013: 76.000 TEU; 2016: 480.000 TEU), was aber hauptsächlich auf Schiffsanläufe der Reedereien Mærsk und MSC (Allianz „2M“) zurückzuführen war. Ende 2016 wurde die Reederei-Allianz „Ocean Alliance“ gegründet. Ab Mitte 2017 liefen Schiffe dieser Allianz wöchentlich den JadeWeserPort an. Hinzu kamen zwei Feeder-Dienste. Derzeit wird der Hafen von acht Reedereien (CMA CGM, Cosco Shipping, Evergreen, Mærsk, MSC, OOLC, Safmarine, Sealand), die den Hafen sowohl mit Asien und dem Mittleren Osten als auch mit Nord- und Osteuropa verknüpfen, fahrplanmäßig bedient. 2019 wurden hier rund 639.000 TEU umgeschlagen. 381 Zukünftig hofft man vor allem auf das Schiffsgrößenwachstum. Denn die derzeit größten Containerschiffe können in Europa mit voller Beladung nur Rotterdam oder Wilhelmshaven anlaufen. 382 Eine zunehmende Bedeutung der Umweltaspekte könnte dem JadeWeserPort dabei nützen: „Denn auch wenn die Elbe für die großen Schiffe ausgebaggert sein wird, werden es immer weniger Anwohner links und 376 vgl. JadeWeserPort: Begründung des Vorhabens, http: / / www.jadeweserport.de, 21.01.2009; JadeWeserPort: Der JadeWeserPort - No tide. no Limits., Wilhelmshaven o.J., 15 377 vgl. o.V.: Der JadeWeserPort - ein Jahr im Rückblick (20.09.2013), http: / / www.ndr.de, 08.11.2013 378 vgl. JadeWeserPort: Teuer? Wohl kaum! , Wilhelmshaven o.J. 379 vgl. Boeselager, Felicitas: Leichte Belebung im Geisterhafen (23.12.2019), http: / / www.deutschlandfunk.de, 13.05.2020; Kaufmann, Dirk: JadeWeserPort: Vom Sorgenkind zum florierenden Hafen (21.03.2019), http: / / www.dw.com, 13.05.2020 380 vgl. o.V.: JadeWeserPort hofft auf Seeschiff-Riesen (19.10.2013), http: / / www.ndr.de, 08.11.2013 381 vgl. o.V.: Jade-Weser-Port: Zukunft für dicke Pötte und tiefe Wasser (03.05.2017), http: / / www.vdv-dasmagazin.de, 13.05.2020; JadeWeserPort-Marketing GmbH & Co. KG: Regelmäßige Liniendienste, http: / / www.jadeweserport.de, 13.05.2020; Mlodoch, Peter: Ein Ausbau ist nicht vom Tisch (04.04.2020), http: / / www.weser-kurier.de, 13.05.2020 382 vgl. Boeselager, Felicitas: Leichte Belebung im Geisterhafen (23.12.2019), http: / / www.deutschlandfunk.de, 13.05.2020 <?page no="141"?> 2.3 Schiffsverkehr 141 rechts des Flusses hinnehmen, was diese riesengroßen Schiffe, die in Zukunft mehr als 20.000 Container transportieren sollen, an Abgasen ausstoßen.“ 383 Rund 60 % der aus Übersee ankommenden Container werden von hier aus auf dem Seeweg weitertransportiert - nach Skandinavien und ins Baltikum. Die verbleibenden ca. 40 % verlassen den Hafen landseitig. Verschiedene Anbieter offerieren ab dem JadeWeserPort bahnbasierte Transportdienstleistungen zu ausgewählten Standorten innerhalb Deutschlands bzw. auch nach Österreich und in die Schweiz. Die Taktfrequenzen schwanken dabei von einmal bis achtmal wöchentlich. 384 Es ist geplant, die Bahnstrecke nach Oldenburg bis 2022 zu elektrifizieren und auch für schwere Güterzüge bis 120 km/ h befahrbar zu machen. Während hier derzeit täglich zehn bis 15 Güterzüge verkehren, könnten es in Zukunft bis zu 80 sein. Die aktuell geringe Auslastung hat für die Frachtkunden jedoch auch Vorteile, denn so sind auch kurzfristige Trassenwünsche realisierbar. 385 Von der seit Inbetriebnahme des Hafens schleppenden Entwicklung der Umschlagzahlen betroffen war nicht nur der Betreiber Eurogate, der bislang noch keine Gewinne erwirtschaften konnte, sondern auch Unternehmen, die sich im Areal angesiedelt haben, so z.B. Nordfrost. Für 46 Mio. Euro ließ das Unternehmen dort eine Obstlagerhalle errichten, erwirtschaftete an diesem Standort aber jahrelang nur Verluste. 386 Inzwischen hat Nordfrost mehrfach in den Ausbau seines Standorts investiert. 387 Dennoch versteht sich der Hafen als geeigneter Standort für die Logistikbranche. Ein Zeichen für andere potentielle Investoren setzte die Ansiedlung eines Volkswagen-Verpackungszentrums, in dem Autoteile von Volkswagen und Audi verpackt werden. Anfang 2020 wurden umfangreiche Investitionen aus China angekündigt. Das Logistikunternehmen China Logistics, eine Tochter des Staatsunternehmens China Chengtong Holding Group (CCT), will ca. 100 Mio. Euro in den Hafen investieren. Im Rahmen dessen soll bis 2021 auf einer Fläche von 20 ha ein Logistikzentrum entstehen, welches sich auf Güter aus der Automobilindustrie spezialisiert, aber auch den Umschlag von Lebensmitteln und Konsumgütern sowie von Waren für Baumärkte abwickelt. Langfristig geht man von einem jährlichen Umschlagsvolumen von 100.000 TEU sowie 350 Arbeitsplätzen im Logistikzentrum aus. 388 Trotz der bisherigen Entwicklung, die weit unter den verfügbaren Kapazitäten liegt, gibt es bereits Ausbaupläne für den Hafen - eine Verlängerung der Kaianlagen um etwa 2 km -, die aber erst umgesetzt werden sollen, wenn der Hafen seine jetzige Maximalauslastung erreicht hat. Die Kosten für diesen Ausbau werden mit 600 Mio. Euro veranschlagt. 389 383 Schwiegershausen, Florian: Weser statt Elbe (11.01.2020), http: / / www.weser-kurier.de, 13.05.2020 384 vgl. o.V.: Jade-Weser-Port: Zukunft für dicke Pötte und tiefe Wasser (03.05.2017), http: / / www.vdv-dasmagazin.de, 13.05.2020; JadeWeserPort: Zug um Zug ans Ziel, http: / / www.jadeweserport.de, 13.05.2020 385 vgl. o.V.: Jade-Weser-Port: Zukunft für dicke Pötte und tiefe Wasser (03.05.2017), http: / / www.vdv-dasmagazin.de, 13.05.2020 386 vgl. Hinrichs, Jürgen: „Wir hatten den Hafen mitten in der Krise eröffnet“ (20.03.2019), http: / / www.weserkurier.de, 13.05.2020; Bensiek, Arne: Kein Schiff wird kommen (22.09.2013), http: / / www.badische-zeitung, 08.11.2013 387 vgl. o.V.: Logistik-Komplettangebot im Containerhafen Wilhelmshaven (28.07.2017), http: / / www.fruchtportal.de, 13.05.2020; o.V.: Nordfrost startet weiteren Ausbau in Wilhelmshaven (05.07.2019), http: / / www.dvz.de, 13.05.2020 388 vgl. Volkswagen AG: Volkswagen Konzern siedelt in Wilhelmshaven neues Verpackungszentrum für Autoteile an (30.01.2018), http: / / www.volkswagenag.com, 13.05.2020; o.V: China Logistics investiert 100 Millionen Euro im Jade-Weser-Port (21.02.2020), http: / / www.weser-kurier.de, 13.05.2020; o.V.: JadeWeserPort: 100-Millionen-Investition aus China (21.02.2020), http: / / www.ndr.de, 13.05.2020 389 vgl. o.V.: Niedersachsen hält an Ausbauplan für Jade-Weser-Port fest (21.01.2020), http: / / www.weser-kurier.de, 13.05.2020 <?page no="142"?> 142 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Immer wieder ins Gespräch gebracht, um im europaweiten Wettbewerb der Seehäfen bestehen zu können, wird auch eine mögliche Kooperation der deutschen Nordseehäfen, wenngleich Hamburg den JadeWeserPort eher als Konkurrenz sieht. 390 Aufgabe 1: Aus welchen Gründen wurde der neue Tiefwasserhafen am Jadebusen errichtet? Welche Vorteile weist dieser Standort auf? Aufgabe 2: Welchen Einfluss kann dieser Hafen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen und auf die europäische Konkurrenz ausüben? Aufgabe 3: Welche Anforderungen sind an den Ausbau der Infrastruktur des Containerhafens zu stellen, damit dieser den Anforderungen gerecht werden kann? Aufgabe 4: Welche Wirkungen könnten vom Bau und vom Betrieb des Hafens auf das Makroumfeld ausgehen? Aufgabe 5: Welche Aspekte könnten für die schlechte Auslastung des Hafens verantwortlich sein? Aufgabe 6: Welche Effekte kann die Investition von China Logistics nach sich ziehen? 390 vgl. o.V.: Jade-Weser-Port: Zukunft für dicke Pötte und tiefe Wasser (03.05.2017), http: / / www.vdv-dasmagazin.de, 13.05.2020 <?page no="143"?> 2.4 Luftverkehr 143 2.4 Luftverkehr Unter Luftverkehr versteht man „ die Gesamtheit aller Vorgänge, die der Ortsveränderung von Personen, Fracht und Post auf den Luftwegen dienen [...] und alle damit unmittelbar oder mittelbar verbundenen sonstigen Dienstleistungen. “ 391 Lufttransporte sind zwar schnell und direkt, eignen sich allerdings aufgrund der hohen Kosten v.a. für kleinere, leichtere und/ oder wertvollere bzw. leicht verderbliche Waren. Lufttransporte sind im Allgemeinen durch eine hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit gekennzeichnet. Die Luftwege selbst sind gratis (nur deren Überwachung ist gebührenpflichtig) und rasch verlegbar. Das Streckennetz und die Kapazität können immer neuen Bedürfnissen angepasst werden. Auch Bedarfsflüge zu wenig erschlossenen Destinationen stellen mit entsprechendem Fluggerät kaum Probleme dar (Katastrophen, Krieg, Hilfsaktionen). Allerdings sind bei der Güter- und Personenbeförderung auf dem Luftweg stets Bodenanschlusstransporte notwendig, da auch hier gebrochener Transport vorliegt. Ebenfalls nachteilig ist der hohe Energieverbrauch, der hohe Schadstoffemissionen nach sich zieht. Beeinträchtigend wirkt auch der Fluglärm. Das Fluggerät ist kapitalintensiv, ebenso die Unterhaltung der Verkehrsanlagen, Flugsicherungssysteme usw. Vielerorts stoßen Flugstraßen und Flughäfen an ihre Kapazitätsgrenzen. 392 2.4.1 Zur Geschichte des Luftverkehrs Der Traum vom Fliegen begleitete die Menschheit über ihre Entwicklungsgeschichte hinweg. Um 1500 konstruierte Leonardo da Vinci die ersten Fluggeräte, nachdem er sich intensiv mit dem Vogelflug und den Strömungen der Luft beschäftigt hatte. In den darauffolgenden Jahrhunderten folgten weitere Erfindungen, die dem Menschen das Fliegen ermöglichen sollten; sie endeten aber mit Misserfolgen. Ende des 18. Jahrhunderts erprobten die Brüder Montgolfier erfolgreich den Heißluftballon. Sir Georg Cayler gelang Anfang des 19. Jahrhunderts der Bau von Gleitflugmodellen und Gleitern, die erste kurze Flüge ermöglichten. Ende des 19. Jahrhunderts erprobte Otto Lilienthal Gleitfluggeräte. Diese sowie die zuvor entwickelten Fluggeräte waren jedoch alle motorlos. Die Geschichte des Motorflugs, der Voraussetzung für die Entwicklung der kommerziellen Luftfahrt war, begann erst vor reichlich einhundert Jahren. Die Entwicklung zum Luftverkehr in seiner heutigen Ausprägung vollzog sich vor allem aufgrund der Einführung des Strahlantriebs sowie der Großraumflugzeuge. Die heutige Entwicklung der Zivilluftfahrt wird im Wesentlichen durch die Anforderungen der großen internationalen Fluggesellschaften bestimmt. 391 Rößger, Edgar; Hünermann, Karl-Bernd zit. in: Pompl, Wilhelm: Luftverkehr - Eine ökonomische und politische Einführung, Berlin/ Heidelberg 2007, 17 392 vgl. Strunz, Herbert, Dorsch, Monique: Internationale Märkte, München 2001, 198; Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 105 <?page no="144"?> 144 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 1. Hälfte des 20. Jh. 1900 Das Luftschiff von Graf Zeppelin erlangt Praxisreife. 1908 fand die erste Fernfahrt statt. Vor dem 1. Weltkrieg wurde der Zeppelin für den Passagierverkehr innerhalb Deutschlands eingesetzt, ab 1928 auch im Transatlantikverkehr. Die Explosion der „Hindenburg“ 1937 leitete das Ende der Zeppelin-Ära ein. 1902 Die Brüder Wright entwickeln Gleitfluggeräte zu steuerbaren Motorfliegern weiter. 1903 gelingt der erste bemannte Motorflug über eine Entfernung von 36 m. 1907 In Frankreich findet der erste Hubschrauberflug statt. 1908 Der erste Passagier in der Geschichte des Luftverkehrs wird befördert. 1911 Die ersten Frachtflüge gegen Bezahlung werden durchgeführt (in Großbritannien, Dänemark und Indien). 1912 Die ersten Postflüge werden durchgeführt. 1914 Der erste planmäßige Linienflug findet zwischen St. Petersburg und Tampa (Florida) statt. 1914-18 Während des 1. Weltkrieges werden Flugzeuge erstmals für militärische Zwecke eingesetzt. 1917 Der Vorläufer der Deutschen Lufthansa AG, die Deutsche Luftreederei, wird gegründet. 1919 John Alcock und Arthur Whitten Brown gelingt die Überquerung des Nordatlantiks. Die Fluggesellschaft KLM wird gegründet und ist damit heute die älteste, noch unter ihrem damaligen Namen operierende Fluggesellschaft. Die Konferenz zur Regulierung des Flugwesens findet in Paris statt. Dabei wurde den Ländern die Kontrolle des jeweils über ihnen befindlichen Luftraumes zugesprochen. Weitere Rahmenbedingungen zur Regulierung des Flugverkehrs werden auf den Konferenzen in Warschau (1929) und Chicago (1944) erarbeitet. 1926 Die Deutsche Luft Hansa wird gegründet. Eine Neugründung erfolgte 1955 als Lufthansa. 1927 Charles Lindbergh gelingt die erste Alleinüberquerung des Atlantiks (New York- Paris) ohne Zwischenlandung. 1930 Die Passagiere einer Passagiermaschine werden an Bord erstmals von einer Stewardess bedient. 1936 Der erste brauchbare Hubschrauber mit zwei Rotoren wird in Bremen gebaut. 1939 Der erste Hubschrauber nach dem heute bekannten Prinzip wird in den USA gebaut. 1939-45 Der Linienflugverkehr kommt fast völlig zum Erliegen. Zehntausende Flugzeuge finden als Jagd-, Bomben- und Transportflugzeuge Einsatz. Das in dieser Zeit ausgehend von den Transportaufgaben entstehende Luftverkehrsnetz wird nach dem Krieg für den zivilen Luftverkehr genutzt. Auch in Bezug auf Geschwindigkeiten, Nutzlasten und Reichweiten gibt es Neuerungen. Weitere technologische Neuerungen werden später während des Weltraumwettbewerbs zwischen Ost und West entwickelt. 1948/ 49 West-Berlin wird per Luftbrücke versorgt. 1949 Das erste Verkehrsflugzeug mit Düsenantrieb startet zum Jungfernflug. <?page no="145"?> 2.4 Luftverkehr 145 Fortsetzung 2. Hälfte des 20. Jh. 1968 Die Tupolew TH-144 als erstes Überschall-Verkehrsflugzeug absolviert ihren Jungfernflug. 1969 Der Jungfernflug der Boeing 747 findet statt. 1969 Die Concorde absolviert ihren Jungfernflug und wird bis zu ihrer Außerdienststellung im Jahr 2003 das einzige Überschall-Verkehrsflugzeug im Liniendienst bleiben. 1988 Die Antonov AN-225, das größte Flugzeug der Welt, absolviert ihren Jungfernflug. 21. Jh. 2005 Der Airbus A380 als größtes Verkehrsflugzeug der Welt startet zum Jungfernflug. 2007 Die Boeing 787 („Dreamliner“) wird erstmals öffentlich vorgestellt. 2019 Nach zwei Abstürzen stellt Boing die Produktion der Boing 737 Max vorläufig komplett ein. Tabelle 2-38 Geschichtlicher Abriss der Luftfahrt 393 2.4.2 Segmentierung des Luftverkehrs Luftverkehr tritt in verschiedenen Formen auf. Nach der Zweckbestimmung stehen sich militärischer und ziviler, öffentlicher und privater bzw. Geschäftsreiseverkehr und Privatreiseverkehr gegenüber. Als wesentlichste Unterteilung kann innerhalb des zivilen Luftverkehrs jene hinsichtlich der Regelmäßigkeit bezeichnet werden. Als Fluglinienverkehr bezeichnet man eine gewerbsmäßig, öffentlich und regelmäßig durchgeführte Beförderung. Linienverkehr ist durch Linienbindung, Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht gekennzeichnet. Die von den Fluggesellschaften bedienten Strecken bilden Netze; Flugpläne sind so konzipiert, dass Anschlüsse gewährleistet sind. Auch weniger rentable Strecken werden im Sinne eines umfassenden Angebots aufrechterhalten. Gelegenheitsverkehr wird der Pauschalreisebzw. Charterverkehr gewerblicher Reiseveranstalter genannt, wobei der Veranstalter zusätzlich zum Flug mindestens eine Unterkunft für die Dauer der Reise anbietet. Ebenso zum Gelegenheitsverkehr zählen Rund-, Taxi- und Reklameflüge. 394 Nach dem Transportobjekt können Personen-, Fracht- und Posttransporte unterschieden werden, wobei in der Praxis nicht selten alle drei Objektarten im selben Flugzeug transportiert werden. Im Rahmen des Personenverkehrs werden in Bezug auf den Leistungsumfang Full-Service- und Low-Cost-Flüge angeboten. Hinsichtlich der Streckenlänge lässt sich Luftverkehr in Kurz-, Mittel- und Langstreckenverkehr differenzieren, wobei die diesbezüglichen Streckenangaben in der Literatur schwanken. Nach geographischen Aspekten ist eine Einteilung in Regional-, Kontinental- und Interkontinentalverkehr möglich. 395 2.4.3 Freiheiten der Luft Die sogenannten Freiheiten der Luft (Freedoms of the Air, Übereinkommen über die Internationale Zivilluftfahrt) wurden 1944 auf der Konferenz von Chicago vereinbart. Die ursprünglich fünf, mittlerweile acht Freiheiten bilden die Basis, auf der nationale Fluglinien, Flugsicherungsbehör- 393 erstellt nach: Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 137f; Schultz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 20f; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München 2008, 218f 394 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 102f 395 vgl. Maurer, Peter: Luftverkehrsmanagement, München 2006, 11; Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 2ff <?page no="146"?> 146 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel den und Flughäfen arbeiten. Bilaterale Abkommen sind ausschlaggebend für Flugstrecken, Transportgerät, Bedienungsfrequenzen, Kapazitäten, Preise und Gewinnaufteilung. 396 1. Freiheit: Recht, das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates zu überfliegen 2. Freiheit: Recht zur nicht-gewerblichen Zwischenlandung in einem Vertragsstaat (technische Landung) 3. Freiheit: Recht zur Landung in einem Vertragsstaat (Partnerland), um dort Passagiere, Fracht und Post abzusetzen 4. Freiheit: Recht zur Landung in einem Vertragsstaat (Partnerland), um dort auch Passagiere, Fracht und Post aufzunehmen 5. Freiheit: Recht zur Beförderung zwischen zwei Vertragsstaaten (Partnerländern), wenn der Flug im Heimatland der Luftverkehrsgesellschaft beginnt oder endet 6. Freiheit: Recht zur Beförderung von einem Vertragsstaat über das Heimatland der Luftverkehrsgesellschaft in einen anderen Vertragsstaat oder umgekehrt 7. Freiheit: Recht zur Beförderung zwischen Drittstaaten, ohne Verbindung mit dem Heimatland der Luftverkehrsgesellschaft 8. Freiheit: Recht zur Beförderung von Passagieren, Fracht und Post innerhalb eines Vertragsstaates durch ausländische Fluggesellschaft A = Heimatland, B = Drittland, C = Partnerland Tabelle 2-39 Freiheiten der Luft 397 2.4.4 Luftverkehrsmittel Luftverkehrsmittel lassen sich in Luftfahrzeuge und Flugzeuge untergliedern. Zu den Luftfahrzeugen zählen u.a. Ballons, Gleitschirme, Luftschiffe, Zeppeline und Hubschrauber. Die Gruppe der Flugzeuge umfasst Segelflugzeuge, Motorsegler, Ultraleichtflugzeuge, Propellerflugzeuge und Strahltriebwerkflugzeuge (Jets). 398 396 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 142; Maurer, Peter: Luftverkehrsmanagement, München 2006, 157; Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 35ff; Klußmann, Niels; Malik, Armin: Lexikon der Luftfahrt, Berlin 2018, 252 397 Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 145 398 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 201f A B C <?page no="147"?> 2.4 Luftverkehr 147 Ballon Gleitschirm Hubschrauber, Eurocopter EC-135 Hubschrauber, Eurocopter AS-250B Kleinflugzeug, Propellerflugzeug, Fokker F27, Farnair (Schweiz) Verkehrsflugzeug, Strahltriebwerkflugzeug, McDonell Douglas DC-30, World Airways (USA) Eine Klassifizierung von Verkehrsflugzeugen kann u.a. vorgenommen werden nach Rumpfform, spezifischem Einsatz und Reichweite. 399 Hinsichtlich der Rumpfform lassen sich schmalrumpfige Flugzeuge (Narrowbody) und Großraumflugzeuge (Widebody) unterscheiden. Erstere weisen einen Rumpfdurchmesser von drei bis vier Metern sowie einen Mittelgang auf. Sie sind in der Lage, in Laderäumen im Unterflurbereich 399 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 128ff <?page no="148"?> 148 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fracht aufzunehmen. Aufgrund der geringen Höhe der Frachträume ist ein Einsatz standardisierter Ladungsträger aber nicht möglich. Letztere verfügen über mindestens 100 Sitzplätze und zwei Mittelgänge. Sie können in Unterflurfrachträumen standardisierte Ladeeinheiten der Luftfracht aufnehmen. 400 Nach dem spezifischen Einsatz werden Standardflugzeuge, Quick-Change-Flugzeuge, Kombi-Flugzeuge und reine Frachtflugzeuge unterschieden. Standardflugzeuge sind vorrangig zum Passagiertransport im Einsatz, wobei im Unterflurladeraum Fracht transportiert werden kann (Belly- Fracht). Quick-Change-Versionen (Convertibles) lassen sich sowohl als eine Frachtals auch als reine Passagiermaschine nutzen. Darüber hinaus existieren Kombi-Varianten, die auf dem Oberdeck über eine Passagierkabine und Laderaum für Fracht verfügen. Reine Frachtflugzeuge können auf dem Oberdeck anstelle der Passagiersitze (und bei Großraumflugzeugen auch im unteren Deck) Ladeeinheiten aufnehmen. 401 In Bezug auf die Reichweite wird zwischen Kurz- , Mittel- und Langstreckenflugzeugen differenziert. Als wichtigste Flugzeugmuster gelten derzeit die Boeing 747, die McDonell Douglas MD 11 und der Airbus A 300. Deren technische Parameter waren und sind von großer Bedeutung für Wirtschaftlichkeit, Strukturen und Prozesse des Luftfrachtverkehrs. Kleinere Frachtflugzeuge hingegen spielen ihre Stärken im Sammel- und Verteilverkehr sowie bei der Bedienung aufkommensschwacher Strecken aus. 402 Passagierflugzeug, Airbus A319, Air France (Frankreich) Passagierflugzeug, Airbus A320, Turkish Airlines (Türkei) 400 vgl. Frye, Heinrich: Luftfrachtverkehr, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch Logistik, Berlin u.a. 2008, 763; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 237 401 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 130; Frye, Heinrich: Luftfrachtverkehr, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch Logistik, Berlin u.a. 2008, 762; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 237 402 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 238; siehe dazu auch: Figgen, Achim; Plath, Dietmar; Rothfischer, Brigitte: Verkehrsflugzeuge, München 2008 <?page no="149"?> 2.4 Luftverkehr 149 Passagierflugzeug, Boeing 737-300, Lufthansa (Deutschland) Passagierflugzeug, Boeing 737-800 SunExpress (Deutschland/ Türkei) Frachtflugzeug, McDonell Douglas MDC-11, Gemini Air Cargo (USA) Frachtflugzeug, Antonov AN 124-100, Volga Dnepr Airlines (Russland) 2.4.5 Luftfrachtaffine Güter Welche Güter sind für den Lufttransport besonders geeignet? Luftfrachtaffinität ist bei Zutreffen mindestens eines der folgenden Merkmale gegeben: Das Gut ist verderblich wird rasch obsolet wird kurzfristig benötigt ist teuer in Lagerung oder Umschlag Die Nachfrage ist nicht vorhersagbar selten größer als die vor Ort verfügbaren Bestände saisonbedingt Die Logistik in der Absatzphase ist gekennzeichnet durch Risiken des Diebstahls, des Bruchs oder des Verderbs hohe Versicherungskosten für lange Transportzeiten hohen Verpackungsaufwand bei Transport mit oberflächengebundenen Verkehrsträgern besondere Erfordernisse bei Umschlag und Handhabung größere Lagerhaltung, wenn keine Luftfracht benutzt wird Tabelle 2-40 Merkmale luftfrachtaffiner Güter 403 403 erstellt nach: Wells, Alexander T.; Wensveen, John G.: Air Transportation, Belmont 2004, 382 <?page no="150"?> 150 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Luftfrachtgüter lassen sich nach Gewicht und Volumen, Merkmalen und Laufzeiten klassifizieren. Hinsichtlich der Merkmale können folgende Sonderfrachten unterschieden werden: Gefahrgüter (für die besondere Restriktionen gelten), verderbliche Güter (bei denen die im Luftverkehr möglichen kurzen Transportzeiten von besonderer Bedeutung sind), wie Fleisch und tierische Produkte, pharmazeutische Produkte, Milch, Milchprodukte, Nüsse, Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Blumen, Pflanzen, Früchte, Schokolade, Süßwaren, Wertfracht (wobei eine besondere Überwachung und Schutz gewährleistet werden kann) sowie lebende Tiere. 404 Bezüglich der Laufzeit nennt Frye drei Kategorien: Standard (2-4 Tage, max. 7 Tage), Express (1,5- 3 Tage) und Premium/ Kurier (1-2 Tage, max. 100 kg). 405 2.4.6 Flugplätze und Flughäfen Flugplätze sind Infrastrukturträger, die als Ausgangs- und Endpunkte des Luftverkehrs der Abfertigung von Flugzeugen und Passagieren dienen. Hier werden die zur Abwicklung des Fracht- und Personenverkehrs notwendigen Ausrüstungen, Anlagen und Räumlichkeiten bereitgestellt. Flugplätze sind selbst Produktionsfaktor und stellen zugleich die Schnittstelle zwischen dem Luft- und dem Bodentransport dar. Flugplätze bilden neben den Fluggesellschaften und der Flugsicherung eine Säule des Luftverkehrssystems. 406 Flugplätze lassen sich unterteilen in Flughäfen, Landeplätze, Militärflugplätze und Segelfluggelände. Gemäß ihrer Bedeutung lassen sich Flughäfen weiter klassifizieren in internationale Verkehrsflughäfen, regionale Flughäfen, Verkehrslandeplätze und Sonderlandeplätze. Verkehrsflughäfen sind „ Knotenpunkte im Netz des Luftverkehrs und dienen der Ankunft, dem Abflug und der Bewegung von Flugzeugen am Boden zum Zwecke des Umschlags oder Transfers von Transportobjekten .“ 407 Flughäfen sind i.d.R. flächenintensive Standortkomplexe von 200 bis 2.000 Hektar Größe. Sie bieten Infrastrukturen in Form von markierten Start- und Landebahnen, Rollbahnen, Abstellflächen für Flugzeuge, Kontrollturm mit technischen Einrichtungen, Hangars und Tanklager zur Wartung und Versorgung. Darüber hinaus befinden sich dort Gebäude zur Abfertigung von Passagieren und Fracht sowie Einrichtungen des Zolls und der Grenzpolizei (bei internationalen Aktivitäten). 408 Das Gebiet eines Flughafens umfasst im Allgemeinen fünf Bereiche: „ das Flughafenumfeld mit den An- und Abflugsektoren, die Flugbetriebsflächen mit Start- und Landebahnen, Rollbahnen, Warte- und Vorstartflächen sowie Abfertigungsflächen, die Flughafenanlagen, die zur Abfertigung von Passagieren und zum Umschlag der Luftfracht erforderlich sind, 404 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 222 405 vgl. Frye, Heinrich: Luftfrachtverkehr, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch Logistik, Berlin u.a. 2008, 758 406 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 146 407 Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 157 408 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 146 <?page no="151"?> 2.4 Luftverkehr 151 die Anlagen für den Hinterlandverkehr und die Industriezone “. 409 Rollbahn, im Hintergrund Start- und Landebahn Terminalanlagen, Rollfeld Vorfeld (mit Boeing 747-433, Dubai Air Wing, UAE) Tower Für alle nicht-öffentlichen Betriebsflächen sind besondere Verkehrsregeln und Sicherheitsvorschriften zu beachten. Dazu zählen: „ bauliche Sicherung des Flughafengeländes und dessen Kontrolle, Planung und Bau aller Einrichtungen im Sinne einer sachgerechten Durchführung von Sicherungs- und Schutzmaßnahmen, Schutz nicht-öffentlicher Bereiche vor unberechtigtem Zugang, Prüfung und Durchsetzung von Zugangsberechtigungen sowie Durchführung behördlicher Kontrollmaßnahmen von Gepäck, Fracht, Post und Versorgungsgütern sowie deren Transportsicherung und manipulationssichere Ladung. “ 410 Flughäfen erfüllen verschiedene Funktionen, die sich wie folgt klassifizieren lassen: 409 Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 223 410 Sterzenbach, Rüdiger; Conrady, Roland: Luftverkehr, München/ Wien 2003, 131f <?page no="152"?> 152 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Wegsicherungsfunktion Ermöglichen von Starts und Landungen Bereitstellung der Start- und Landebahnen, Rollwege, Wartepositionen, Sicherheitsflächen, Befeuerungs- und Bodennavigationsanlagen Abfertigungsfunktion land- und luftseitige Bereiche der Bodenabfertigung Gewährleistung der Sicherheit für Passagiere, Fracht und Flugzeuge Transitfunktion Organisation regionaler Zubringer- und Verteildienste Verknüpfung grenzüberschreitender Flüge im internationalen Verkehr Funktion der Bedürfnisbefriedigung Dienstleistungszentrum Banken, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Bars, Parkhäuser, Bürozentren, Hotels, Catering-Unternehmen, Lagerhallen usw. Hilfsfunktion Bereitstellung von Räumen und Flächen für Flugsicherung, staatliche Stellen (z.B. Zoll) sowie für nicht unmittelbar flugbezogene Aktivitäten (Lounges, Catering usw.) Bereitstellung der Flughafenfeuerwehr Gewährleistung der Sicherheit am Flughafen Tabelle 2-41 Funktionen von Flughäfen 411 Im Rahmen der Wegsicherungsfunktion ist es Aufgabe eines Flughafens, Starts und Landungen zu ermöglichen. Dazu müssen Start- und Landebahnen 412 , Rollwege, Wartepositionen, Sicherheitsflächen, Befeuerungs- und Bodennavigationsanlagen bereitgestellt werden. Rollbahn (mit McDonnell-Douglas MD11, World Airways, USA) Rollbahn (mit Flugzeugen in Warteposition) Kapazitäten von Flughäfen werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Die Konfiguration von Start- und Landebahnen (d.h. die Anzahl, Länge und Anordnung der Start- und Landebahnen) bestimmt die luftseitige Kapazität. 411 erstellt nach: Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 164f 412 Im Kurz- und Mittelstreckenverkehr sind im Allgemeinen bis zu 2.400 m Länge, im Interkontinentalverkehr bis zu 4.000 m Länge nötig (vgl. ebd., 165). <?page no="153"?> 2.4 Luftverkehr 153 Bezeichnung Layout Kapazität pro Stunde Bezeichnung Layout Kapazität pro Stunde Einbahnsystem ca. 50 Parallelbahnsystem mit vier Bahnen ca. 120 Parallelbahnsystem (Bahnachsenabstand < 1.500 m) ca. 60 Kreuz- Bahnsystem ca. 55 Parallelbahnsystem (Bahnachsenabstand > 1.500 m) ca. 90 Konvergierendes Bahnsystem ca. 65 Tabelle 2-42 Start- und Landebahnkonfigurationen 413 Kapazitätsbeeinflussend wirken darüber hinaus „ An- und Abflugverfahren, [...] Kontrollverfahren (z.B. Sichtflugregeln oder Instrumentenlandesysteme), Homogenitätsgrad der anfliegenden Flugzeuge in Bezug auf Geschwindigkeit und Gewichtsklasse (Flugzeugmix), Rollwegeausstattung, Vorfeldkapazität, meteorologische Rahmenbedingungen, Betriebszeiten “. 414 Die genannten Faktoren können teilweise von den Flughäfen beeinflusst werden. Kapazitätssteigerungen sind hier möglich z.B. durch „ Ausbau bzw. Optimierung des Start- und Landebahnsystems (Vermeidung von Kreuzungen, Parallelisierung, Bahnverlängerung), [...] Versatz der Aufsetzzonen von parallelen Bahnen mit geringem Parallelabstand, Harmonisierung der Flugzeugklassen bei den Landungen, Minimierung der Verweildauer der landenden Flugzeuge zwischen Vorfelddisposition und Startbzw. Landebahn, Anpassung der Vorfeldkapazität, Separierung von an- und abfliegenden Flugzeugen im Rollwegsystem, Möglichkeit der Änderung der Sequenzierung bei abfliegenden Flugzeugen sowie Einrichtung mehrerer Abflugwege zur Erhöhung der Startkapazität “. 415 Nachtflugbeschränkungen bzw. Nachtflugverbote sind per Gesetz, Verordnungen oder eingeschränkter Behördengenehmigung festgelegte Flugverbote zum Schutz der Bevölkerung gegen nächtlichen Fluglärm. Der durch Starts und Landungen verursachte Fluglärm bringt erhebliche Gesundheitsrisiken für Anwohner mit sich (z.B. Störung des Immunsystems, Störung der Ge- 413 modifiziert nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 162 414 ebd., 134 415 ebd., 134f <?page no="154"?> 154 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel dächtnisfunktionen, Bluthochdruck). Deshalb gibt es zumindest an vielen zivilen Flughäfen Begrenzungen des Nachtflugverkehrs. Die Passagierkapazität wird wesentlich von der Größe der Terminals bestimmt. Die Kapazität bestehender Terminals lässt sich nachträglich nur schwer erweitern. Maßnahmen, wie die Einrichtung zusätzlicher Check-in-Schalter, haben meist nur eine kurzfristige Wirkung. 416 Zweifellos stoßen zahlreiche Flughäfen in Spitzenzeiten an ihre Kapazitätsgrenzen. Als Lösung dieses Problems wird vielfach der weitere Flughafenausbau gesehen. Allerdings ist dabei „ zu bedenken, dass Investitionen in einer Höhe, dass Start- und Landerechte im Überfluss vorhanden wären, aus volkswirtschaftlicher Sicht Ressourcenverschwendung ist. “ 417 Vor diesem Hintergrund stellt sich zum einen die Frage, wie die Zuteilung der knappen Kapazitäten in einer für die Fluggäste optimalen Weise organisiert werden kann. Zum anderen sollten dabei auch Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden. Ein Slot stellt die Zeitspanne dar, in der einer Fluggesellschaft ein Start- und Landerecht auf einem Flughafen eingeräumt wird. 418 Dabei wird differenziert zwischen Airport-Slots, die einer Fluggesellschaft im Voraus für einen bestimmten Zeitraum zugeteilt werden, und Airway-Slots, die am betreffenden Flugtag bei der Flugsicherung zu beantragen sind. Bislang verbleiben Start- und Landerechte, unabhängig vom Grad der Nutzung, bei der Fluggesellschaft, der sie zuerst zugeteilt worden sind. Die Verteilung reservierter Start- und Landetermine erfolgt in Europa - trotz ihrer zunehmenden Knappheit - kostenlos. Ökonomisch betrachtet, ist diese Art der Vergabe aber nur solange sinnvoll, wie ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Diskutiert werden neue Vergabemöglichkeiten, wie z.B. die Versteigerung von Start- und Landeslots, welche nach Ablauf einer Versteigerungsperiode an die Flughäfen zurückfallen sollen. Als weitere Allokationsmöglichkeit werden knappheitsorientierte Start- und Landegebühren gesehen. 419 Die Abfertigungsfunktion beinhaltet die land- und luftseitigen Bereiche der Bodenabfertigung sowie die Gewährleistung der Sicherheit für Passagiere, Fracht und Flugzeuge. Zu den Fluggastanlagen gehören Terminals und Flugsteige (Gates). In den Fluggastanlagen erfolgt die Beförderung der Passagiere mit Liften, Rolltreppen und Rollbändern. Verbindungen zwischen weiter entfernten Gebäuden werden durch Shuttlebusse, Passagier-Transfer-Systeme und People-Mover-Bahnen gewährleistet. 420 Zur Erfüllung der Abfertigungsfunktion bieten Terminals Kapazitäten zur Ticketausstellung, Dokumentation, Verwaltung und Kontrolle von Passagieren und Gepäck. Dazu zählen die Bereitstellung von Büroflächen, Ticket- und Abfertigungsschaltern (Check-in-Counter) sowie Informations- und Sicherheitsinfrastruktur, die vom Flughafenbetreiber verwaltet werden. 416 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 171 417 Knieps, Günter: Die Grenzen der (De-)Regulierung im Verkehr, in: Zeitschrift für Verkehrswirtschaft, 3/ 2004, 147 418 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 173 419 vgl. ebd., 173ff 420 vgl. ebd., 166 <?page no="155"?> 2.4 Luftverkehr 155 Von den Flughäfen werden den Fluggesellschaften verschiedene entgeltliche Bodendienste angeboten. Dazu zählen das Be- und Entladen der Flugzeuge (mithilfe von Fluggastbrücken, Vorfeldomnibussen, Liftern usw.), die Passagierabfertigung, der Fracht- und Postumschlag, der Gepäckumschlag samt Gepäcksortierung in den Terminals, Sicherheitskontrollen und darüber hinaus verschiedene Nebentätigkeiten, wozu z.B. die Flugzeugreinigung und -wartung, Enteisung und das Umschleppen der Maschinen gehören. 421 Fluggastbrücke (Gate) Gangway Shuttlebus Gepäckverladung Die Abfertigungsprozesse an Flughäfen lassen sich einerseits in land- und vorfeldseitige, andererseits in flugbetriebliche und verkehrliche Prozesse unterscheiden: flugbetriebliche Abfertigungsprozesse verkehrliche Abfertigungsprozesse landseitig Flugplanung (Flugroute, Zuladung usw.) meteorologische Beratung Erstellung der Flugzeugdokumente inklusive Überwachungs- und Steuerungsleistungen Check-in und Gepäckabfertigung zeitliche Entzerrung (Wartebzw. Lagerungsprozesse) Sicherheitskontrolle physische Vorbereitung von Frachtsendungen (Containerisierung, Palettierung usw.) dokumentarische bzw. EDV-technische Vorbereitung von Frachtsendungen 421 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 164f <?page no="156"?> 156 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fortsetzung flugbetriebliche Abfertigungsprozesse verkehrliche Abfertigungsprozesse vorfeldseitig Kabinenreinigung, Frischwasserver- und Abwasserentsorgung, Müllentsorgung Catering Passagier- und Crewtransport Betankung, Schleppvorgänge, Enteisung, Hangarierung Be- und Entladung der Luftfahrzeuge (Fracht, Passagiere, Gepäck) Tabelle 2-43 Klassifizierung der Abfertigungsprozesse an Flughäfen 422 Dabei lassen sich die vier Teilbereiche Passagiere (Abfertigung, Einzelhandel und Gastronomie, Aufenthalt, Transport), Waren (Verteilung, Verladung, Transport, Lagerung), Personal (Einteilung, Versorgung, Aufenthalt, Transport) und Maschinen (Reinigung, Betankung, Beladung, Bereitstellung, Wartung) identifizieren, in denen jeweils typische Prozesse zu verrichten sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass bestimmte Faktoren eine besonders große Bedeutung für die erfolgreiche Abwicklung dieser Prozesse haben, so z.B. Automatisierung (Gepäckabfertigung, Lagerhaltung), Schnelligkeit (Abfertigung der Maschinen, Gepäckabfertigung) und Flexibilität (Beladung, Reaktion bei Verspätungen). Diesen Erfolgsfaktoren stehen potentielle Schwachstellen gegenüber, die sich vor allem in Form von Kapazitätsgrenzen, Verspätungen und einer hohen Computerabhängigkeit zeigen. Terminal und Abfertigungsfläche (mit Regional Jet RJ100 und Boeing 737-300) Abfertigungsfläche (mit Embraer ERJ-195LR) Im Rahmen der Transitfunktion trägt der Flughafen zur Organisation regionaler Zubringer- und Verteildienste bei. Direktverbindungen liegen vor, wenn das Flugzeug von einem Basisflughafen startet und direkt den Zielort (ggf. mit Zwischenstopps zur Aufnahme von Fracht oder aus technischen Gründen) anfliegt. Netzstrukturen bilden sich auf nationaler oder internationaler Basis durch die Verknüpfung von Flugverbindungen. Aufgrund einer geographisch günstigen Lage konnten sich an einigen Flughafenstandorten bedeutende Drehkreuze herausbilden. 423 422 modifiziert nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 166 423 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 143f <?page no="157"?> 2.4 Luftverkehr 157 Flugdrehkreuz (21 Städtepaare) Flugdirektverbindung (3 Städtepaare) D E F A B C D E F A B C Spoke Hub Abbildung 2-13 Flugverkehrsnetze 424 Hub-and-Spoke-Systeme lassen sich mit einem Wagenrad vergleichen. Das zentrale Drehkreuz repräsentiert dabei die Nabe, die Flugrouten entsprechen den Speichen. Beim Uhrglashub dient das Drehkreuz als Umsteigestation für Verbindungen zwischen eigenständigen Regionen. Als Hinterlandhub bündelt das Drehkreuz die Fluglinien einer Region und verbindet sie mit Anschlussflügen nach außerhalb. 425 Uhrglashub: Hub als Zwischen-/ Umsteigestation bei Verbindungen zwischen eigenständigen Regionen (Bsp. Kopenhagen, Bündelung der Flüge aus Skandinavien und den Baltischen Staaten, Weiterführung nach Europa, USA) Hinterlandhub: Hub als Sammelpunkt der Fluglinien einer Region, Anschlussflüge nach außerhalb (Bsp. Atlanta) Abbildung 2-14 Uhrglashub vs. Hinterlandhub 426 Die Ankunfts- und Abflugzeiten sind dabei so organisiert, dass optimale Umsteigebeziehungen bestehen. Das zwischen Ankunft und Abflug liegende Zeitfenster ist je nach Flughafen unterschiedlich groß. 424 modifiziert nach: ebd., 144 425 vgl. ebd. 426 modifiziert nach: ebd. <?page no="158"?> 158 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Anschlussflüge 9: 00 9: 30 10: 00 10: 30 Ankünfte Abflüge Abbildung 2-15 Organisation am Drehkreuz 427 Flughäfen erfüllen auch eine Funktion der Bedürfnisbefriedigung . Zur Erbringung der diesbezüglichen Leistungen (z.B. Handel, Gastronomie, Hotellerie, Lagerung) werden i.d.R. vom Flughafenbetreiber gegen Entgelt Flächen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus sind vom Flughafen verschiedene Hilfsfunktionen zu erfüllen, für die ebenfalls Flächen und Räume bereitgestellt werden. Behördliche Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen dienen der Wahrung der rechtsstaatlichen Ordnung, der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Durchsetzung wirtschaftlicher und gesundheitlicher Belange. Im Einzelnen werden dabei folgende Maßnahmen durchgeführt: • „ Personen-, Handgepäck- und Reisegepäckkontrollen, • bewaffneter Schutz der Personen- und Frachtkontrollstellen, • polizeiliche Bestreifung der Vorfeldbereiche einschließlich der dort abgestellten [Flugzeuge], • spezielle Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Personen, Objekte und Prozesse, • Zuverlässigkeitsprüfungen von Luftfahrtpersonal. “ 428 Die Sicherheitsüberprüfung von Fracht kann mithilfe verschiedener Maßnahmen realisiert werden, so z.B. Durchsuchung, Durchleuchtung, Einsatz von Sprengstoffdetektoren und Sprengstoff- Spürhunden oder Sicherheitslagerung. 429 Die zwingend vorgeschriebene präventive Gefahrenabwehr wird durch verschiedene Institutionen und Behörden, wie z.B. Luftfahrtbundesamt, Deutsche Flugsicherung GmbH, Deutscher Wetterdienst, Zoll oder Bundespolizei wahrgenommen. 430 Die Wettbewerbsdeterminanten von Flughäfen lassen sich analog zu Seehäfen ermitteln und ergeben sich aus Prozesseffizienz, Luft- und Hinterlandorientierung. 427 modifiziert nach: ebd. 428 Sterzenbach, Rüdiger; Conrady, Roland: Luftverkehr, München/ Wien 2003, 132ff 429 vgl. Bernecker, Tobias; Grandjot, Hans-Helmut: Leitfaden Luftfracht, München 2012, 160f 430 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 167 <?page no="159"?> 2.4 Luftverkehr 159 Konditionen Start- und Landegebühren, Leistungen und Kosten der Bodendienste Nachtflugeinschränkungen, -verbote Hinterlandpotential luftseitige Erreichbarkeit Produktivität Infra- und Suprastruktur Wettbewerbsdeterminanten von Flughäfen Flughafenbezogen / Prozesseffizienz Anlagen zur Abfertigung der Güter- und Passagierströme Produktivität von Flughafen- und Servicebetrieben Start- und Landebahnen Anzahl, Abmessungen, Lage Anzahl, Größe, Effizienz Abfertigungs-, Umschlag-, Pack- , Ladungs-, Ver- und Entsorgungsbetriebe, sonstige Kapazitätsauslastung (Reserven) Produktivität von öffentlichen Institutionen Kosten Betriebszeiten Paarigkeit der Hinterlandrelationen Quell- und Senkenpotential Einbindung in weltweites Verkehrsnetz Luftraumkapazitäten Auslastung, Transportkosten Regelmäßigkeit Attraktionskraft gegebener Linienverbindungen Flugplan Verkehrsaufkommen Paarigkeit ein- und auslaufender Verkehre Auslastungsmöglichkeiten Flexibilität für Verlader, Passagiere Kapazitäten geographische Erreichbarkeit Anbindung an Straßen- und Schieneninfrastruktur Luftorientierung Hinterlandbezogen Transportzeit, Pünktlichkeit Routenwahl, Transportkosten, Transportzeit Qualität der Hinterlandverbindung Abbildung 2-16 Wettbewerbsdeterminanten von Flughäfen 431 Die Bedeutung eines (großen) Flughafens ist für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region nicht unerheblich. Flughafenbetreiber und am Flughafen tätige Fluggesellschaften, Servicebetriebe und Behörden beschäftigen eine große Anzahl an Mitarbeitern, wodurch direkte Beschäftigungseffekte entstehen. Indirekte Effekte entstehen durch Beschäftigte und gewerblich Tätige in Unternehmen außerhalb des Flughafens, die indirekt an Dienstleistungen für Passagiere oder Luftfrachtgüter beteiligt sind (z.B. Ticketverkauf, Reiseverkauf, Hoteldienstleistungen, Restaurantdienstleistungen). Flughäfen verbessern die Anbindung einer Region an Wirtschaftszentren im In- und Ausland und erweisen sich damit als Standortfaktor . Eine erhöhte Standort- 431 erstellt nach: Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 234 <?page no="160"?> 160 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel attraktivität begünstigt die Ansiedlung von Unternehmen, was wiederum zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie zu einer erhöhten Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen verschiedenster Art in der Region führt. 432 Verschiedenste Stakeholder sind damit an der Tätigkeit eines Flughafens interessiert. Deren Ziele fasst folgende Übersicht zusammen. Stakeholder Ziele Nutzer/ Nachfrager Passagiere, Fluggesellschaften, Konzessionäre und Mieter, Abholer, Besucher, Flugsicherung, Reiseveranstalter, sonstige Kunden Sicherheit der Nutzung niedrige Preise hohe Nutzungsqualität gute Erreichbarkeit Know-how Mitarbeiter Beschäftige und Angestellte Arbeitsplatzsicherung gute Arbeitsbedingungen Management Unabhängigkeit Ausweitung des Einflussbereiches evtl. Gewinnbeteiligung Umfeld lokale Bevölkerung niedrige Umweltbelastung geringe Lärmbelastung Arbeitsplätze lokale Wirtschaft gute Servicequalität und -preise als Vorleistung für eigene Aktivitäten Flughafen als Absatzmarkt für eigene Produkte Politik und Verwaltung Verwaltung Steueraufkommen Arbeitsplätze regionale Politik Steueraufkommen Arbeitsplätze Parteiinteressen, Wiederwahl Bürokratien Ausweitung des Einflusses Anteilseigner rentabler Betrieb des Flughafens Tabelle 2-44 Stakeholder eines Flughafens 432 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 196f; Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 148f; Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 157 <?page no="161"?> 2.4 Luftverkehr 161 Fallstudie: Start- und Landebahnkonfigurationen Die Abbildung zeigt Start- und Landebahnkonfigurationen ausgewählter Schweizer Verkehrsflughäfen und -landeplätze (ohne Graspisten). Abbildung 2-17 Start- und Landebahnkonfigurationen ausgewählter Schweizer Verkehrsflughäfen und -landeplätze 433 Aufgabe 1: Welche Start- und Landebahnsysteme liegen bei den gezeigten Flughäfen vor? Aufgabe 2: Wie könnten hier jeweils Kapazitätssteigerungen erzielt werden? 433 erstellt nach: Übersichtsplänen Schweizer Verkehrsflughäfen und -landeplätze im Verkehrshaus der Schweiz, Luzern <?page no="162"?> 162 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Fallstudie: Die Zukunft der Regionalflughäfen „Leere Flugpläne, leere Pisten, leere Kassen.“ 434 In Deutschland gibt es derzeit 24 sogenannte Hauptverkehrsflughäfen. Dazu zählen alle Flughäfen, die mehr als 150.000 ein- und aussteigende Passagiere pro Jahr aufweisen. 435 Als Hauptverkehrsflughäfen werden deshalb auch Regionalflughäfen bezeichnet, die in diese Größenklasse fallen. Die Bezeichnung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, welchen Stellenwert diese Flughäfen tatsächlich haben. Der Großteil dieser Regionalflughäfen lebt vom Urlaubsverkehr, wobei vor allem Flüge in Richtung Mittelmeer und Schwarzes Meer bzw. im Rahmen des Städtetourismus eine Rolle spielen. Dominierende Anbieter sind hier Low Cost Carrier. Nicht selten hängen Flughafenstandorte stark von einzelnen oder einigen wenigen Fluggesellschaften ab. Demgegenüber stehen Flughäfen wie Bremen, Dresden und Friedrichshafen, die die Verbindung zu wichtigen (auch internationalen) Drehkreuzen und Agglomerationsräumen aufrechterhalten. 436 In die Regionalflughäfen, oftmals auch in strukturschwachen Regionen gelegen und aus ehemaligen Militärflughäfen hervorgegangen, wurden vielerorts große Hoffnungen gesetzt. Man betrachtete sie als Jobmaschinen und als Möglichkeit der Anbindung der Region an bedeutende Wirtschaftszentren. Um Fluggesellschaften an Standorte zu locken bzw. dort zu halten, wurden auch finanzielle Zugeständnisse gemacht. Flughafen Passagierzahlen 2019 Veränderung 2014-2019 Flughafen Passagierzahlen 2019 Veränderung 2014-2019 Bremen 2,31 Mio. -16,8 % Kassel-Calden 0,12 Mio. 161,2 % Dresden 1,60 Mio. -9,1 % Memmingen 1,72 Mio. 129,8 % Dortmund 2,72 Mio. 38,9 % Münster/ Osnabrück 0,98 Mio. 10,3 % Erfurt-Weimar 0,15 Mio. -31,9 % Frankfurt- Hahn 1,50 Mio. -38,8 % Niederrhein- Weeze 1,23 Mio. -31,9 % Friedrichshafen 0,48 Mio. -13,5 % Paderborn/ Lippstadt 0,69 Mio. -9,2 % Karlsruhe/ Baden-Baden 1,33 Mio. 40,5 % Rostock-Laage 0,13 Mio. 9,5 % Saarbrücken 0,37 Mio. -7,6 % Tabelle 2-45 Passagierzahlen an Regionalflughäfen 437 Was für den potentiellen Passagier günstig erscheint, nämlich hohe Dichte an Flughafenstandorten und die damit verbundene Nähe zum Wohnort, erzeugt für die Betreiber einen hohen Wettbewerbsdruck. Im Konkurrenzkampf werden deshalb Flughafenentgelte zu niedrig angesetzt, was wiederum die Abhängigkeit von Subventionen verstärkt. Abnehmende Passagierzahlen führen dazu, dass die Flughäfen 434 Basler, Markus: Vielen Regionalflughäfen droht das Aus (19.08.2020), http: / / www.sueddeutsche.de, 21.08.2020 435 vgl. Statistisches Bundesamt: Luftverkehr auf Hauptverkehrsflughäfen, Wiesbaden 2020, 9 436 vgl. Reh, Werner Reh; Runkel, Matthias; Paoli, Lea: Regionalflughäfen - Ökonomisch und klimapolitisch unverantwortliche Subventionen, Berlin 2020, 4 437 erstellt nach: ebd., 9 <?page no="163"?> 2.4 Luftverkehr 163 noch stärker als bisher von Zuschüssen abhängig sind. Derartige finanzielle Unterstützung zum Ausgleich von Verlusten ist jedoch ab 2024 EU-rechtlich verboten. 438 Verstärkt wird die negative Entwicklung der Passagierzahlen durch die Corona-Pandemie. Wochenlang fielen Flüge aus. Die Nachfrage bei den Lost Cost Carriern ging stark zurück. Die wirtschaftliche Lage bei ohnehin schon angeschlagenen Flughäfen wird sich verschärfen. Die über Jahre hinweg aufgebauten Überkapazitäten werden nun zum großen Problem. Eine Studie des Forums für Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft mahnt an: „Das System der Regionalflughäfen sei ökonomisch nicht nachhaltig, nicht bedarfsgerecht und klimapolitisch bedenklich. Sinnvoller sei es, die Regionen besser an das Netz der Bahn anzubinden.“ 439 Dabei wird auch der Bund in der Pflicht zur Entwicklung eines Flughafenkonzepts für Deutschland gesehen. Aufgabe 1: Welche Bedeutung kommt heute den Regionalflughäfen zu? Aufgabe 2: Welche Faktoren bedrohen die Existenz von Regionalflughäfen? 438 vgl. ebd., 4f 439 Basler, Markus: Vielen Regionalflughäfen droht das Aus (19.08.2020), http: / / www.sueddeutsche.de, 21.08.2020 <?page no="164"?> 164 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel 2.5 Kombinierter Verkehr Angesichts des beständig zunehmenden Verkehrsaufkommens (insbesondere auf der Straße) mit all seinen negativen Auswirkungen wird der kombinierte Verkehr (auch intermodaler Verkehr) seit Anfang der 1980er Jahre als zukunftsweisender Ausweg in der nationalen und europäischen Güterverkehrspolitik gesehen. Beim kombinierten Verkehr werden mindestens zwei verschiedene Verkehrsmittel (Lkw, Bahn, Seeschiff, Binnenschiff, Flugzeug) eingesetzt. Da hierbei kein Wechsel der Transportgefäße bzw. Umschlag der Güter stattfindet, müssen sich die beteiligten Partner auf genormte, universell einsetzbare Ladegefäße, z.B. Container, einigen. Lkw/ Bahn: Huckepackverkehr auf der Lötschbergstrecke Lkw/ Bahn: Verladung von Wechselbehältern in Kiel Lkw/ Schiff: Lkw-Verladung in Kiel Bahn/ Schiff: Entladen einer Fähre in Trelleborg Im Vordergrund steht dabei die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bzw. auf das Wasser. Insbesondere bei einer Kombination von Straßen- und Schienentransport könnten die jeweiligen Verkehrsträger ihre Stärken - Netzbildungsfähigkeit des Lkw-Verkehrs und Massenleistungsfähigkeit der Schiene - ausspielen. Dadurch kann eine Entlastung des Straßennetzes sowie eine Reduzierung der Umweltbelastung durch verringerten Schadstoffausstoß erzielt werden. Auch für Lkw-Spediteure ergeben sich dabei Vorteile, z.B. keine Staus, geringe Witterungsabhängigkeit, feste Fahrplanzeiten, keine Fahrverbote. Lieferzeiten lassen sich für Versender und Empfänger so leichter berechnen. <?page no="165"?> 2.5 Kombinierter Verkehr 165 Transportierte Ladeeinheiten sind dabei Behälter (Container, Wechselbehälter) oder Sattelauflieger. In diesem Fall spricht man von „ Behälterverkehr “. Möglich ist auch der Transport ganzer Lkw oder Lastzüge (Rollende Landstraße, RoLa), wobei es sich um „ Huckepackverkehr “ handelt. Diese Variante, bei der allerdings ein ungünstiges Verhältnis von Zuggewicht und Nutzlast vorliegt, wird vorwiegend im grenzüberschreitenden Verkehr im Alpenraum eingesetzt. 440 Je nach eingesetzter Huckepacktechnik können der begleitete und der unbegleitete kombinierte Verkehr unterschieden werden. Beim begleiteten kombinierten Verkehr werden Fahrzeuge samt Fracht verladen; die Lkw-Fahrer reisen in einem Begleitwagen mit. Beim unbegleiteten kombinierten Verkehr werden lediglich Sattelanhänger, Wechselbehälter bzw. Container transportiert. Technik A Technik B Technik C begleiteter kombinierter Verkehr unbegleiteter kombinierter Verkehr 2 We chs el be hä l ter oder Conta i ner je 16 t ODER 1 We chs el be hä l ter oder Conta i ner bi s 33 t Unterscheidung nach Huckepacktechnik 1 Sa ttel a nhä nger bi s 33 t Ge s a mtgewi cht 1 La s tzug oder Sa ttel zug bi s zu 44 t Ge s a mtgewi cht Verl a dung durch Auffa hre n a uf s e hr ni e dri ge n Spe zi a l wa ggon Verl a dung durch Kra n oder durch Auffa hre n a uf ei ne n Wa ge n Verl a dung durch Kra n a uf ei ne n Wa ge n RoLa , Lkw-Fa hrer rei s e n i n Li e gewa ge n mi t Abre chnung ni cht na ch Gewi cht, s ondern je Kombi s e ndung (Prei s / km) Be a chtung von La dema ße n für a l l e Kombi s e ndunge n Abbildung 2-18 Unterscheidung von Kombisendungen nach Huckepacktechnik 441 Die Anlieferung der Kombisendungen erfolgt an speziellen Bahnhöfen. Diese Kombibahnhöfe sind mit entsprechenden Umschlageinrichtungen (z.B. Portalkräne, mobile Umschlaggeräte), Stellplätzen für Ladungseinheiten (z.B. für Lagerung und Inspektion), Stellplätzen mit Stromanschluss für temperaturgeführte Güter sowie Einrichtungen zum Umschlag von Lkw zu Lkw ausgestattet. Als bevorzugte Standorte erweisen sich dabei See- und Binnenhäfen sowie Güterverkehrszentren. 442 Abgesehen von den oben genannten Vorteilen weist der kombinierte Verkehr jedoch auch Nachteile auf: Durch den notwendigen Vor- und Nachlauf kann es insgesamt zu einer Verlängerung der 440 vgl. Schmidt, Markus; Beckmann, Dietmar, Bergsteiner, Leonard: Die Güterverkehrsarten auf der Schiene, in: Schricker, Peter (Hrsg.): Die Eisenbahn, München 2007, 90ff 441 erstellt nach: Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 148 442 vgl. ebd., 149 <?page no="166"?> 166 2 Verkehrsträger und Verkehrsmittel Transportstrecke oder auch zu Leerfahrten kommen. Häufig ist auch die Transportzeit länger als bei einem reinen Lkw-Transport. Der Umschlag der Ladegefäße bzw. Fahrzeuge ist mit großem Zeitaufwand verbunden. Zudem entstehen Wartezeiten. Die Anschaffung von geeigneten Fahrzeugen und Behältern ist kostenintensiv. 443 Im Rahmen einer Umfrage bei Kunden und potentiellen Kunden des kombinierten Verkehrs wurden folgende für und gegen eine Nutzung sprechende Gründe genannt: Pro Contra preisgünstige Alternative 44 t Gesamtgewicht im Vor- und Nachlauf gute Planbarkeit und Zuverlässigkeit wenige Fahrzeuge und Fahrer für großes Ladungsvolumen erforderlich Umweltfreundlichkeit geringe Geschwindigkeit des KV KV-Affinität des Transportguts schlechter Service bei den Bahnen hohe Preise lange Wege zu den Terminals fehlende Nachlauforganisation unpassende Verbindungen kein zielreines Volumen von mindestens einer Wechselbrücke Tabelle 2-46 Gründe für und gegen die Nutzung des Kombinierten Verkehrs 444 2.6 Leistungsfähigkeit von Verkehrsmitteln Die Leistungsfähigkeit von Verkehrsmitteln - und darauf aufbauend die Qualität von Verkehrsdienstleistungen - kann anhand des von Voigt entwickelten Instrumentariums der Verkehrswertigkeiten ermittelt werden. Die Qualität einer Verkehrsdienstleistung ergibt sich aus den jeweiligen Eigenschaften (z.B. technische Parameter, Zustand) eines Verkehrsmittels. Die „Verkehrswertigkeit“ fasst diese Eigenschaften zusammen. 445 Zur Messung der Qualität unterscheidet Voigt sieben Merkmale, die er als „Teilwertigkeiten“ bezeichnet: Massenleistungsfähigkeit der Verkehrsmittel Fähigkeit, unterschiedlich große Mengen an Gütern, Nachrichten oder Personen zu transportieren (dabei Bewältigung zeitlich und räumlich schwankender Verkehrsströme); Hauptbestimmungsfaktor: Kapazität Fähigkeit zur Netzbildung Fähigkeit eines Verkehrsmittels, beliebige Punkte im Raum direkt ohne Umladen zu erreichen Schnelligkeit der Verkehrsleistung Fähigkeit, eine Verkehrsdienstleistung unterschiedlich schnell auszuführen; setzt sich aus Geschwindigkeit und anfallenden Wartezeiten zusammen 443 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 59f 444 erstellt nach: Wittenbrink, Paul: KV - Perspektiven und Herausforderungen, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2015, 39ff 445 vgl. Voigt, Fritz: Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Verkehrssystems, Berlin 1960, 38; Voigt, Fritz: Verkehr, Erster Band, Erste Hälfte (I/ 1), Berlin 1973, 70 <?page no="167"?> 2.6 Leistungsfähigkeit von Verkehrsmitteln 167 Fortsetzung Berechenbarkeit der Zeitpunkte und des Zeitbedarfs Fähigkeit, eine festgelegte Abfahrts-, Fahrt- und Ankunftszeit bei Transporten einzuhalten Häufigkeit der bestehenden Verkehrsmöglichkeiten Fähigkeit, eine Verkehrsdienstleistung zwischen zwei Orten überhaupt zu erbringen Sicherheit und Störungsfreiheit Fähigkeit, Beförderungsvorgänge ohne Beeinträchtigung der Qualität bzw. des Wertes des zu befördernden Gutes bzw. des Wohlbefindens der Fahrgäste durchzuführen Bequemlichkeit Fähigkeit, Verkehrsdienstleistungen so anzubieten, dass sie dem Nutzer möglichst wenig Arbeit verursachen und sein Wohlbefinden maximieren Tabelle 2-47 Qualitätsmerkmale der Verkehrswertigkeit 446 Eine Substituierbarkeit der Teilwertigkeiten ist nur in beschränktem Umfang gegeben. Das heißt, dass eine Qualitätsverbesserung bei einem Merkmal nicht eine Verbesserung eines anderen Merkmals nach sich ziehen muss. So kann beispielsweise ein schnelleres Verkehrsmittel eine geringere Sicherheit aufweisen. Beurteilt man die Verkehrswertigkeit von Verkehrsmitteln, ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild: Verkehrsmittel Teilwertigkeiten Kfz Eisenbahn Schiff Flugzeug Massenleistungsfähigkeit gering hoch hoch gering Fähigkeit zur Netzbildung hoch mittel gering*/ mittel** mittel Schnelligkeit mittel mittel gering hoch Berechenbarkeit mittel hoch hoch*/ mittel** hoch Häufigkeit hoch unterschiedlich unterschiedlich unterschiedlich Sicherheit mittel hoch hoch*/ mittel** hoch Bequemlichkeit hoch mittel mittel mittel * Binnenschifffahrt; ** Seeschifffahrt Tabelle 2-48 Verkehrswertigkeit verschiedener Verkehrsmittel 447 Ergänzt werden kann diese Betrachtung durch die Einbeziehung weiterer Kriterien, wie z.B. Umweltverträglichkeit (Energieverbrauch, Emissionen) und Transportkosten. 446 erstellt nach: Voigt, Fritz: Verkehr, Erster Band, Erste Hälfte (I/ 1), Berlin 1973, 70ff 447 modifiziert nach: Lucke, Hans-Joachim et al.: Transportlogistik, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans-Joachim; Schenk, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 304 <?page no="169"?> Teil B Angebot und Nachfrage <?page no="171"?> 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.1 Klassifizierung und Funktionen von Verkehrsunternehmen Verkehrsunternehmen können nach verschiedenen Kriterien klassifiziert werden. Eine Klassifizierung kann beispielsweise nach Verkehrsarten oder nach Betriebsformen vorgenommen werden: Differenzierung nach Verkehrsarten nach Verkehrsobjekten Personenverkehr Güterverkehr Nachrichtenverkehr nach regionalen Gesichtspunkten Nahverkehr Fernverkehr nationaler Verkehr internationaler Verkehr Überseeverkehr nach Verkehrsträgern Straßenverkehr Schienenverkehr Seeschiffsverkehr Binnenschiffsverkehr Luftverkehr Leitungsverkehr Differenzierung nach Betriebsformen Linienvs. Gelegenheitsverkehr regelmäßig nach Fahrplan zwischen verschiedenen Stationen durchgeführte Verkehre gelegentlich durchgeführte Verkehre gebrochene vs. ungebrochene Verkehre Verkehre mit Warenumschlag zwischen verschiedenen Verkehrsträgern Verkehre ohne Warenumschlag zwischen verschiedenen Verkehrsträgern Kleingutvs. Ladungsverkehr Stückgutverkehr Massenladungsverkehre Ladungsverkehre von Halbfertig- und Fertigprodukten Sonderverkehre Schnellverkehre Tabelle 3-1 Differenzierung nach Verkehrsarten und Betriebsformen 448 Schließlich kann eine Unterscheidung auch nach Unternehmensgrößen , Unternehmensstrukturen oder Eigentumsbzw. Rechtsformen (siehe auch folgende Tabelle) erfolgen. Bei Verkehrsbetrieben sind fast alle Rechtsformen zu finden - von organisationsrechtlichen Strukturen mit nur wenigen Freiräumen bis hin zu nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen agierenden Unternehmen. 449 Form Rechtsgrundlage Merkmale / Eignung Beispiele staatliche Sondervermögen ohne Rechtsfähigkeit für am Markt bzw. im Wettbewerb tätige Unternehmen ungeeignete Organisationsform Deutsche Bundesbahn/ Deutsche Reichsbahn (bis 31.12.1993) 448 erstellt nach: Stabenau, Hanspeter: Verkehrsbetriebslehre, Bremen 1994, 27ff 449 vgl. Aberle, Gerd: Transportwirtschaft, München 2009, 70 <?page no="172"?> 172 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fortsetzung Form Rechtsgrundlage Merkmale / Eignung Beispiele Regiebetriebe in Haushalt von Gebietskörperschaften integriert für am Markt bzw. im Wettbewerb tätige Unternehmen weniger geeignet in Landeshaushalt integrierte Binnenhäfen („Staatshäfen“) Eigenbetriebe entsprechend Eigenbetriebsverordnungen der Länder vergleichsweise große Handlungsspielräume jedoch großer Einfluss politischer Gremien öffentliche Nahverkehrsbetriebe der Kommunen, kommunale Binnenhäfen Genossenschaft Genossenschaftsgesetz günstig bei Angebotsstrukturen mit vielen Marktteilnehmern sowie geringen Betriebsgrößen Organisation des Vertriebs oder Einkaufs Etablierung von Marktmacht gegenüber größeren Konkurrenten Partikuliervereinigungen, Straßenverkehrsgenossenschaften GmbH GmbH-Gesetz 25.000 € Mindest-Gesellschaftskapital Beeinflussung der Geschäftspolitik durch Gesellschafter gut möglich geeignet für kleine und mittlere Betriebe weit verbreitet Speditionen, Regionalbusgesellschaften, nichtbundeseigene Eisenbahnen, Seehäfen, Flughäfen KG Handelsgesetzbuch keine gesetzliche Mindestkapitaleinlage Beeinflussung der Geschäftspolitik durch Gesellschafter (Kommanditisten) nur teilweise möglich Kombiverkehr AG Aktiengesetz große Entscheidungsfreiheiten - operativ und teilweise auch strategisch insbesondere für Unternehmen mit hohem Kapitalbedarf Speditionen, Deutsche Bahn, öffentliche Nahverkehrsbetriebe, Binnenhäfen, Reedereien, Flughäfen, Luftverkehrsgesellschaften GbR Bürgerliches Gesetzbuch kein Mindestkapital vorgeschrieben geeignet bei geringen Betriebsgrößen Straßengüterverkehrsbetriebe, private Busbetriebe, Schiffsmakler Tabelle 3-2 Rechtsformen von Verkehrsbetrieben mit Beispielen 450 Neben der reinen Beförderungsfunktion können speziell im Güterverkehr tätige Verkehrsunternehmen verschiedene darüber hinausgehende Funktionen wahrnehmen. Diese können in Hauptfunktionen, Ergänzungsfunktionen und Sonderfunktionen gegliedert werden. 450 modifiziert nach: Aberle, Gerd: Transportwirtschaft, München 2009, 72ff; Grube, Detlef; Kahle, Nicoll; Perseke, Jörg: Güterverkehr - Spedition - Logistik: Wirtschafts- und Sozialprozesse, Köln 2017, 56ff <?page no="173"?> 3.1 Klassifizierung und Funktionen von Verkehrsunternehmen 173 Funktionen Inhalt Funktionsträger Hauptfunktionen (Beförderung steht im Mittelpunkt) Dispositionsfunktion Beratung, Analyse, Planung, Organisation Wahl der Transportmittel, Wege, Tarife Abschluss von Frachtverträgen Ausstellung der Transportdokumente Frachtenkontrolle Spediteure, Frachtführer, Makler, Agenten Beförderungsfunktion Nahverkehr: Sammel- und Verteilerfunktion, Vortransport zum Hauptlauf mit anderen Verkehrsträgern Fernverkehr: national, international Frachtführer Ergänzungsfunktionen (Umschlag und Lagerung sowie damit verbundene Tätigkeiten) Umschlagfunktion Organisation und Durchführung des Umschlags Bewirtschaftung von Stationen, Terminals Frachtführer, Umschlaggesellschaften Lagerfunktion Einlagern, Auslagern, Lagerung, Kommissionierung Wahrnehmung der Manipulationsfunktion in Zusammenhang mit der Lagerung Bewirtschaftung von Lagern Spediteure, Lagerhalter, Umschlagbetriebe Sammelverkehrsfunktion Sammeln und Verteilen von Stückgut Zusammenstellen von Ladungseinheiten Spediteure, Frachtführer Verpackungsfunktion Beratung und Auswahl der Transportverpackung Transporthilfsmittel Einpacken, Auspacken Frachtbetriebe, Spediteure, Verpackungsbetriebe Manipulationsfunktion sendungsbezogene Manipulation (z.B. Stauung, Markierung) warenbezogene Manipulation (z.B. spezielle Sicherheitsmaßnahmen) Frachtführer, Verpackungsbetriebe, Umschlagbetriebe, Stauereien Informationsfunktion Aufbau von Informationsketten zur Planung, Koordinierung, Steuerung und Kontrolle des Transportablaufs, der Lagerung und der Statusverfolgung Spediteure, Frachtführer, Datenbanken Sonderfunktionen (Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Verbringung der Waren) Verkaufsförderungsfunktion Übernahme von Verkaufsförderungsmaßnahmen im Auftrag des Versenders zugunsten des Empfängers Spediteure, Frachtführer Kundendienstfunktion Übernahme von Kundendienstfunktionen im Auftrag des Versenders zugunsten des Empfängers Spediteure, Frachtführer, Lagerhalter <?page no="174"?> 174 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fortsetzung Funktionen Inhalt Funktionsträger Sonderfunktionen (Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Verbringung der Waren) Transportversicherungsfunktion Risikomanagement im Transportversicherungsbereich Abschluss von Versicherungsverträgen Abwicklung von Schadensfällen Spediteure, Agenten, Makler Zollbehandlungsfunktion Zolldeklarierung und -anmeldung Zollabfertigung Spediteure, Zollagenten Kreditfunktion Fracht- und Zollverladung Spediteure Tabelle 3-3 Funktionen der Verkehrsunternehmen (Güterverkehr) 451 In Abhängigkeit vom Angebotsspektrum und dessen kundenspezifischer Ausgestaltung lassen sich im Güterverkehr verschiedene Anbietertypen unterscheiden: Einzeldienstleister sind dadurch gekennzeichnet, dass sie lediglich (meist standardisierte) Transport-, Umschlag-, Lagerleistungen und entsprechende Hilfsfunktionen anbieten. Oft konzentrieren sie sich auf bestimmte Routen oder Regionen bzw. Branchen oder Güter. Zur Leistungserstellung genutzt werden eigene Ressourcen; entsprechend hoch ist die Anlagenintensität. Direkte Kontakte zu Kunden sind selten. Die Auftragserteilung erfolgt meist ausgehend von höheren Hierarchiestufen. Die erzielbaren Margen sind eher gering. Das Angebot von Verbunddienstleistern (z.B. Speditionen, Operateure) setzt sich ebenfalls aus Transport-, Umschlag-, Lagerleistungen und entsprechenden Hilfsfunktionen zusammen. Anders als die Einzeldienstleister sind Verbunddienstleister aber nicht verkehrsträgerbezogen, sondern verkehrsträgerübergreifend tätig. Dabei werden Einzelleistungen gebündelt. Die Auftragserteilung erfolgt häufig von höheren Hierarchiestufen aus. Direkte Kontakte zum Kunden sind daher nicht immer gegeben. Die Kundenbindung ist eher gering. Darüber hinausgehende Leistungen bietet der Teilsystemdienstleister an. Sein Angebotsspektrum umfasst markt- und einzelkundenbezogene Leistungen unter Berücksichtigung der Wertschöpfungskette beim Kunden. Allerdings werden keine nicht-logistischen Dienstleistungen angeboten. Dispositionsaufgaben verbleiben daher beim Kunden. Zusätzlich zu den bereits genannten Leistungen bietet der Systemdienstleister (auch: Kontraktlogistiker) auch nicht-logistische Dienstleistungen an. Da die gesamte Disposition der Logistikkette übernommen wird, besteht große gestalterische Freiheit. Direkte Kundenkontakte sind hier unumgänglich. Nur so können individuelle, auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene Leistungen entwickelt werden. Aufgrund des damit verbundenen Aufwandes sind derartige Leistungsbündel längerfristig vertraglich geregelt. Die intensive Zusammenarbeit führt auch dazu, dass der Anbieter nur schwer austauschbar ist. 452 451 modifiziert nach: Stabenau, Hanspeter: Verkehrsbetriebslehre, Bremen 1994, 15f 452 vgl. Fischer, Tobias: Geschäftsmodelle in den Transportketten des europäischen Schienengüterverkehrs, Wien 2008, 49ff <?page no="175"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 175 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 3.2.1 Straßentransportbetriebe Der Straßengüterverkehr ist durch die große Anzahl der in diesem Bereich tätigen Unternehmen und die Vielfalt ihrer Tätigkeitsbereiche (vgl. auch Spezialisierungen, wie z.B. Sammelgut, verderbliche Güter, Gefahrgut) gekennzeichnet. Im Bereich der Straßentransporte ist ein starker Wettbewerb zu verzeichnen, so dass Transportleistungen mitunter unter Preis oder unter Missachtung von Sozial- oder Sicherheitsvorschriften angeboten werden: „ Das Lastwagengewerbe kämpft um jedes Kilogramm Fracht, was insbesondere seit der Liberalisierung eine Flut kleiner und kleinster - zum Teil nur aus einer Person bestehender - Unternehmen auf die Straße brachte, die mit Tiefstpreisen den Gütertransit zum bloßen Überlebenskampf gemacht haben. “ 453 Mehr als die Hälfte der Betriebe verfügt nur über max. drei Lastkraftwagen, und nur etwas mehr als 1 % der Unternehmen unterhält einen Fuhrpark mit mehr als 51 Fahrzeugen. 454 Im Jahr 2017 waren in Deutschland 38.455 Unternehmen im Bereich Güterbeförderung im Straßenverkehr (inkl. Umzugstransporte) tätig. In diesen Unternehmen, die 44,8 Mrd. Umsatz erzielten, waren 459.974 Personen beschäftigt. 455 Im Güterverkehr unterscheidet man den gewerblichen Güterverkehr, den kleingewerblichen Verkehr und den Werkverkehr. Das Betätigungsfeld der Straßentransportbetriebe liegt „ sowohl in der Bedienung der Fläche, also im Sammel- und Verteilverkehr über relativ kurze Strecken, als auch beim Ferntransport, vor allem im direkten Haus-zu-Haus-Verkehr bei besonders hochwertigen und eiligen Gütern. “ 456 Die Lkw-Spedition stellt einen Erwerbszweig des Speditionsgewerbes dar. 457 Ein Spediteur ist nach § 453 des Handelsgesetzbuches (HGB) derjenige, der gewerbsmäßig die Versendung eines Guts besorgt, wozu nach § 454 HGB die Organisation der Beförderung, d.h. die Festlegung des Beförderungsmittels und -weges, die Auswahl der ausführenden Unternehmer, der Abschluss entsprechender Fracht-, Lager- und Speditionsverträge, Informations- und Weisungserteilung an die durchführenden Unternehmer sowie die Regelung von Schadensersatzansprüchen und Ausführung weiterer vorab vereinbarter Leistungen, gehören. Dabei kann der Spediteur die Funktionen eines Spediteurs im eigentlichen Sinne oder die eines Frachtführers übernehmen: als Spediteur: Besorgen der Versendung eines Guts; im Rahmen von Frachtverträgen werden fremde, selbständige Lkw-Unternehmer tätig; als Frachtführer: Durchführung der Versendung eines Guts durch Einsatz eigener oder fremder Lkw bei nicht ausreichendem eigenem Frachtraum sowie darüber hinaus durch Ausübung des Selbsteintrittsrechts. 458 Daneben besteht für die Verlader die Möglichkeit, Warentransporte in Form von Werkverkehren durchzuführen. 459 453 Vester, Frederic: Crashtest Mobilität. Die Zukunft des Verkehrs - Fakten, Strategien, Lösungen, München 1999, 58 454 vgl. Aberle, Gerd: Transportwirtschaft, München 2009, 65 455 vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2019, Wiesbaden 2019, 606 456 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 51 457 vgl. Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 95 458 vgl. ebd. 459 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/ Wien 2008, 270 <?page no="176"?> 176 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Im Personenverkehr sind neben den Betrieben des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) Autobus- und Taxibetriebe tätig. Darüber hinaus tragen zum Verkehrsaufkommen in diesem Bereich der Mietwagenverkehr und der Eigenverkehr bei. Autobusbetriebe können als Verkehrsunternehmen und/ oder Reiseveranstalter am Markt tätig sein und ihre Fahrzeuge damit im Linienund/ oder Gelegenheitsverkehr nutzen. Häufig sind Busunternehmen in beiden Geschäftsfeldern aktiv, wenngleich hierbei eine Schwerpunktsetzung erfolgen kann. 460 National oder auch international ausgerichtete Fernlinienverkehre gibt es in vielen Ländern parallel zum ÖPNV. Stark vertreten sind derartige Angebote insbesondere in Osteuropa. 461 In Deutschland aufgrund der strengen Reglementierung lange Zeit nur von geringer Bedeutung, bieten seit der Liberalisierung in diesem Bereich ab dem 01.01.2013 verschiede Unternehmen derartige Dienstleistungen an. 462 Im Rahmen des Mietomnibusverkehrs werden die Beförderungsleistungen von Bussen offeriert und die Busse dabei als Ganzes vermietet. Voraussetzung ist, dass es sich bei den Teilnehmern um einen zusammengehörigen Personenkreis handelt. Zweck, Ziel und Ablauf der Fahrt legt der Auftraggeber fest. Der Busunternehmer führt die Fahrten durch, kann aber auch - in verschiedenen Intensitätsgraden - beratend und unterstützend bei der Reiseplanung aktiv werden. Typische Reisen dieser Art sind Klassenfahrten, Studienexkursionen, Betriebsausflüge. Busunternehmen können hier auch im Namen großer Reiseveranstalter Fahrten ausführen. Diese Verkehrsart macht etwa drei Viertel des Gelegenheitsverkehrs aus. 463 Schließlich können Busunternehmen auch als Reiseveranstalter tätig werden und zusätzlich zum Transport touristische Leistungen wie Verpflegung, Unterkunft und Aktivitäten anbieten. Oft geschieht das über eigene Kataloge. Die häufig auch kleinen Unternehmen können ihre Angebote zwar individuell am Kunden ausrichten, haben es aber dennoch oft schwer, ihre Leistungen deutlich von jenen der Konkurrenz abzugrenzen. Mithilfe von Kooperationen (mit anderen Busunternehmen oder Reiseveranstaltern, Hotels usw.) versuchen Busreiseveranstalter, Vorteile im Rahmen des Einkaufs, der Angebotserstellung und des Verkaufs zu nutzen. 464 Geschäftszweck von Taxibetrieben ist die Personenbeförderung, wobei Taxis an öffentlichen Orten bereitgehalten werden oder telefonisch beauftragt werden können. 465 § 47 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) definiert Taxiverkehr als „ die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die der Unternehmer an behördlich zugelassenen Stellen bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt. Der Unternehmer kann Beförderungsaufträge auch während einer Fahrt oder am Betriebssitz entgegennehmen. “ Die jeweiligen Regierungen der Bundesländer können nach § 47 Abs. 3 des PBefG den Umfang der Betriebspflicht, die Ordnung auf Taxenständen sowie Einzelheiten des Dienstbetriebs festlegen. 460 vgl. Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 269 461 vgl. ebd., 270 462 siehe dazu auch die Fallstudie „Liberalisierung des Fernbusmarktes in Deutschland“ im Teil D 463 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 116; Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 270 464 vgl. Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 270 und 273 465 vgl. Wirtschaftskammer Österreich: Das Taxi im ÖPNV. Richtig eingesetzt. Rund gelöst., Wien o.J., 18 <?page no="177"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 177 Nach § 51 des PBefG sind sie ebenso ermächtigt, Beförderungsentgelte und -bedingungen zu bestimmen. Nach § 46 des PBefG gilt Taxiverkehr als Form des Gelegenheitsverkehrs. Autovermietungen stellen ihren Kunden Kraftfahrzeuge zur Selbstnutzung zur Verfügung. Der Kunde wird dabei nicht nur zum Fahrer des Fahrzeugs, sondern entscheidet auch über Fahrtstrecke und -geschwindigkeit. 466 Umgangssprachlich als „Mietwagen“ 467 bezeichnet, handelt es sich beim genutzten Fahrzeug eigentlich um ein „Mietfahrzeug für Selbstfahrer“. 468 Bedeutende Vertreter auf dem Markt sind Avis, Europcar, Hertz und Sixt. Sie bedienen rund zwei Drittel des europäischen Marktes. 469 Dabei lassen sich die Geschäftsfelder Firmengeschäft, Freizeit- und Privatgeschäft und Unfallersatzwagen unterscheiden: Das Hauptgeschäft vieler Autovermieter stellt das Firmengeschäft dar, lassen sich hier doch hohe Renditen erwirtschaften. Zielgruppe sind dabei Geschäftskunden, die zeitlich weniger flexibel sind und daher auch höhere Preise akzeptieren. Um dennoch Einsparungen realisieren zu können, wird seitens der Kunden oft auf kleinere Fahrzeuge umgestiegen oder auf günstigere Konditionen für Unternehmen Wert gelegt. Die Vermieter wiederum sind auf diese Kunden angewiesen, da sie eine langfristige Auslastung des Fuhrparks garantieren. Das Freizeitgeschäft lässt sich in das Touristikgeschäft und das Privatgeschäft gliedern. Ersteres umfasst die Vertragsabschlüsse mit ausländischen Touristen, letzteres jene mit inländischen Privatreisenden. Schließlich hat auch das Geschäft mit Unfallersatzwagen , die Pkw-Fahrern infolge einer Panne oder eines Unfalls bei Vorliegen einer entsprechenden Versicherung bereitgestellt werden, einen hohen Stellenwert. Allerdings ist dieses Geschäftsfeld für die Vermieter schwer kalkulierbar - derartige Vorfälle sind nicht vorhersagbar. Dennoch müssen im Falle eines Falles entsprechende Fahrzeuge bereitstehen. 470 Je nach Ausrichtung finden verschiedene Geschäftsmodelle Anwendung: Die Generalisten versuchen, alle genannten Geschäftsfelder abzudecken, wenn auch vielleicht in unterschiedlicher Intensität. Ziel ist, mithilfe einer breitgefächerten Produktpalette verschiedenste Zielgruppen anzusprechen. Unter Mietwagenkooperationen werden Zusammenschlüsse von kleineren, eher regional aktiven Anbietern verstanden. Ziel dieser Kooperation sind z.B. das Ausnutzen von Mengenvorteilen im Einkauf oder bei der Vermarktung, die Schaffung von Vorteilen bei der Fuhrparkverwaltung oder die Nutzung eines weiträumigeren Netzes an Mietwagenstationen. Mietwagenbroker betreiben keinen eigenen Fuhrpark, sondern beschaffen überflüssige Kapazitäten bei den klassischen Autovermietern, die sie dann unter eigenem Namen weitervermieten. 466 vgl. Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 287 467 Verkehr mit Mietwagen ist im Personenbeförderungsgesetz als „ die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die nur im Ganzen zur Beförderung gemietet werden und mit denen der Unternehmer Fahrten ausführt, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt und die nicht Verkehr mit Taxen nach § 47 sind “ definiert (§ 49 Abs. 4 Personenbeförderungsgesetz). 468 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 61 469 vgl. ebd., 81 470 vgl. Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 289f <?page no="178"?> 178 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Analog zu den Billiganbietern im Luftverkehr haben sich auch im Mietwagensektor Low-Cost- Anbieter herausgebildet, indem z.B. etablierte Anbieter eigene Billigmarken gegründet haben. Es existieren aber auch Unternehmen, die ihre Fahrzeuge als fahrende Werbetafel vermieten und aufgrund der Werbeeinnahmen günstige Preise anbieten können. 471 Die Anbieter von Verkehrsdienstleistungen im Straßenverkehr sind i.d.R. durch starke Kundenorientierung, die sich in einem hohen Spezialisierungsgrad niederschlägt, gekennzeichnet. Dazu erforderlich ist ein entsprechender Fuhrpark. 472 Ein Fuhrpark bzw. eine Flotte ist eine „ Menge von Fahrzeugen […], die unter einer gemeinsamen Disposition und Administration stehen “. 473 Mithilfe eines Fuhrparkmanagements werden die Zusammensetzung, der Einsatz und die Auslastung des Fuhrparks gesteuert. Neben den durch die Leistungspalette und die Vorhaltung des Fuhrparks entstehenden Kosten zählen die Auslastung sowie das Transportgut zu den wesentlichen Kosteneinflussgrößen. 474 Unabhängig von der Art des Straßenverkehrsbetriebs gelten folgende fahrpersonalrechtlichen Bestimmungen der VO (EG) Nr. 561/ 2006 seit dem 11. April 2007: Regelung Ausnahmen/ Anmerkungen tägliche Lenkzeit max. 9 h Erhöhung auf 10 h zweimal pro Woche zulässig Fahrtunterbrechung mind. 45 min nach 4,5 h Lenkzeit Aufteilung in einen Abschnitt von 15 min gefolgt von einem Abschnitt von 30 min zulässig tägliche Ruhezeit mind. 11 h Aufteilung in zwei Abschnitte möglich: zunächst 3 h, dann 9 h (= 12 h) reduzierte tägliche Ruhezeit ist dreimal zwischen zwei wöchentlichen Ruhezeiten zulässig bei Mehrfahrerbetrieb mindestens 9 h innerhalb von 30 h-Zeitraum wöchentliche Lenkzeit max. 56 h höchstens 90 h (in zwei aufeinanderfolgenden Wochen) wöchentliche Ruhezeit mind. 45 h einschließlich einer Tagesruhezeit Verkürzung auf 24 h in einer Woche möglich, wenn in der Vor- und Folgewoche eine Ruhezeit von jeweils mindestens 45 h eingehalten wird (Ausgleich der Verkürzung innerhalb von drei Wochen) wöchentliche Ruhezeit ist nach sechs 24-h-Zeiträumen einzulegen Tabelle 3-4 Lenk- und Ruhezeiten 475 471 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 90ff 472 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 87 473 ebd., 88 474 vgl. ebd., 87f 475 erstellt nach: Bundesamt für Güterverkehr: Seit 11. April 2007 gelten neue Lenk- und Ruhezeiten, http: / / www.bag.bund.de, 02.07.2019 <?page no="179"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 179 Fallstudie: Die Bus-GmbH Die Bus-GmbH ist ein seit mehreren Jahrzehnten am Markt aktives Unternehmen, das im Linien- und im Gelegenheitsverkehr tätig ist. Im Auftrag des regionalen Verkehrsverbundes werden bereits seit Jahren einige Linien im Regionalverkehr bedient. Den Schwerpunkt bilden dabei Schülerverkehre. Zudem werden im Rahmen des Berufsverkehrs Mitarbeiter einer Einrichtung zwischen verschiedenen Standorten befördert. Daneben engagiert man sich im Reisebusverkehr und stellt Mietomnibusse für Tages- und Mehrtagesfahrten für verschiedenste Zwecke, wie z.B. Betriebsausflüge, Klassenfahrten und Exkursionen, bereit. Aber auch viele Vereine und größere Freundeskreise nutzen das Angebot für Ausflüge oder Ferienreisen. Ein Großteil der Aufträge geht hierbei von langjährigen Kunden ein, die das Angebot und die Zuverlässigkeit des Unternehmens und seiner Fahrer zu schätzen wissen und deshalb regelmäßig buchen. Auch die Krankenbeförderung im Auftrag der Krankenkassen (z.B. Dialyse-Fahrten oder Fahrten zum Arzt) gehört zum Angebot. Früher hatte die Bus-GmbH zudem selbst organisierte Reisen - vor allem in bei der älteren Generation beliebte Ferienregionen im Alpenraum - im Programm, hat sich zugunsten der anderen Tätigkeitsfelder aber von diesem Geschäftsfeld getrennt. Der Fuhrpark ist heterogen und setzt sich aus Bussen verschiedener Größe und verschiedener Komfortklassen zusammen. Insgesamt gehören acht Fahrzeuge und zwei Anhänger zum Betrieb. Der Stolz des Unternehmens sind zwei behindertengerechte Busse, die für den Transport von Rollstuhlfahrern innerhalb kurzer Zeit umgerüstet werden können. Über die Jahre hinweg hat man diesbezüglich viel Erfahrung gewonnen und Know-how aufgebaut, was von den Nachfragern entsprechend honoriert wird. Im Unternehmen sind vier Fahrer festangestellt, zudem sind je nach Auftragslage Aushilfen im Einsatz. Dem Unternehmen ist stark daran gelegen, das Stammpersonal zu halten, gestaltet sich doch die Gewinnung neuer Fahrer schwierig. Bei entsprechend großer Nachfrage fährt auch der Unternehmenschef, der sich sonst hauptsächlich um die Akquise und die Disposition kümmert, selbst. Die Nachfrage unterliegt starken Schwankungen im Jahresverlauf. Grundsätzlich gehen für das Sommerhalbjahr stets mehr Anfragen im Bereich des Mietomnibusverkehrs ein als im Winterhalbjahr. Doch auch im Sommer gibt es Flauten, nämlich während der Sommerferien, wenn keine Klassenfahrten stattfinden. Zudem bricht in dieser Zeit der Schülerverkehr weg. Eine recht starke Periode im Winter ist die Zeit der Weihnachtsmärkte. Danach muss man bis zum Frühjahr aber regelmäßig um Aufträge kämpfen. Wie alle anderen Akteure in dieser Branche auch, ist das Unternehmen steigenden Kosten in verschiedensten Bereichen ausgesetzt. Zudem standen kürzlich Investitionen in zwei neue Fahrzeuge an. Preislich liegt die Bus-GmbH im unteren Segment, ein gewisser Spielraum nach oben wäre also vorhanden. Insbesondere aber bei Stammkunden, zu denen auch Schulen gehören, schreckt man vor drastischen Preiserhöhungen zurück - aus Angst, diese Kunden an preiswertere Anbieter zu verlieren. Aufgabe 1: Beschreiben Sie das bei der Bus-GmbH vorliegende Geschäftsmodell! Aufgabe 2: Welche Stärken und Schwächen lassen sich dabei erkennen? Aufgabe 3: Mithilfe welcher Maßnahmen kann das Unternehmen langfristig seine Existenz sichern und sich angesichts der zahlreich vertretenen Konkurrenz am Markt behaupten? <?page no="180"?> 180 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.2.2 Eisenbahnverkehrsunternehmen Lange Zeit waren die europäischen Eisenbahnen als Monopole organisiert und „ wurden zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben politisch instrumentalisiert. “ 476 Wie auch andere Unternehmen des öffentlichen Sektors waren (und sind) diese Betriebe durch Finanzschwäche und - aufgrund ihrer Größe - eine gewisse Inflexibilität gekennzeichnet, denn die Eisenbahnbranche wird nach wie vor von staatlichen Eisenbahnbetrieben dominiert. Im Zuge der Liberalisierung stehen die (ehemals) staatlichen Unternehmen zusätzlicher Konkurrenz, aber gleichzeitig auch neuen Marktchancen gegenüber. Dabei gilt es, die bisherigen Strategien den Entwicklungen anzupassen und internationalen Aktivitäten eine größere Bedeutung einzuräumen. 477 Der Schienengüterverkehr litt lange unter einem Rückgang der Transportvolumina. Zurückzuführen war dies vor allem auf technische und organisatorische Faktoren (wie z.B. an den Grenzübergängen), die in Hinblick auf Flexibilität, Schnelligkeit und Preise zu großen Nachteilen gegenüber dem Straßentransport führten: „ Die Güterbahn fährt mit 120 km/ h Höchstgeschwindigkeit, der LKW mit 80 km/ h. Und die Güterbahn kann, auf den Laufmeter bezogen, bis zum doppelten Volumen und bis zur dreifachen Nutzlast befördern. Dennoch gehen die Marktanteile trotz vieler Förderungen in Europa zurück. “ 478 Daneben ist auf bestimmten Achsen auch ein Güterverkehrswachstum auf der Schiene zu verzeichnen, was zum einen aus gestiegenen Energie- und Personalkosten, zum anderen aus zunehmenden Umweltrestriktionen resultiert. Fördernd wirkt zudem die von der EU ausgelöste Liberalisierung im Verkehrsmarkt. 479 Mit der Öffnung der Netze im grenzüberschreitenden Güterverkehr sollte mehr Wettbewerb ermöglicht und gleichzeitig den Bahnen ein höherer Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen verschafft werden, aber: „ Der von der EU verordnete Wettbewerb, der den Schienenverkehr hätte beleben sollen, ist zu einem Kleinkrieg zwischen Infrastruktur- und Betriebsgesellschaften entartet, sogar wenn diese denselben Eigentümer haben. “ 480 Um die neuen Chancen in großem Maße nutzen zu können, gilt es, die noch vorhandenen nationalen wie internationalen Engpässe in der Infrastruktur zu verringern und gleichzeitig eine Harmonisierung der Trassenpreise herbeizuführen. Darüber hinaus kann die Interoperabilität im Schienenverkehr durch die Harmonisierung und internationale Anerkennung der Zulassungsverfahren für Rollmaterial sowie eine Anpassung der Leit- und Sicherungstechnik und der technischen Standards entscheidend gefördert werden. Bislang sind aufgrund unterschiedlicher Betriebsvorschriften, Leit- und Sicherungssysteme immer noch Wechsel von Lokomotiven und Fahrzeugführern an den Grenzen erforderlich. Eine Lösung hierfür ist der verstärkte Einsatz moderner Mehrsystemlokomotiven, die zudem noch Energieeinsparungen ermöglichen. Schließlich müssen faire Wettbewerbsbedingungen für Straßen- und Schienenverkehr geschaffen werden. Unterstützt werden kann dies durch eine konsequente Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten sowie die Berücksichtigung externer Effekte. 481 Die europäischen Güterbahnen verfolgen unterschiedliche strategische Ansätze. Während beispielsweise die Deutsche Bahn ihre Position in erster Linie durch Zukäufe europaweit ausbaute, 476 Schneider, Jürgen; Zatta, Danilo: Internationalisierung im Eisenbahnverkehr, Köln/ München o.J., 5 477 vgl. ebd., 14 478 Kortschak, Bernd H.: Güterbahn nicht an die Wand fahren! , in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2018, 20 479 vgl. Wittenbrink, Paul: Rahmenbedingungen für grenzenlosen Schienengüterverkehr, in: Prima, 03/ 2009, 78; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Schienengüterverkehr, Berlin 2017, 5; SCI Verkehr: European Rail Freight Transport Market 2019, Hamburg/ Köln/ Berlin 2020, 21f 480 Schmied, Peter: 38. Tagung „Moderne Schienenfahrzeuge“ in Graz, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 548 481 vgl. Wittenbrink, Paul: Rahmenbedingungen für grenzenlosen Schienengüterverkehr, in: Prima, 03/ 2009, 79; Deutsche Bahn AG: Integrierter Bericht 2019, Berlin 2020, 132 <?page no="181"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 181 setzten andere Bahnen auf eine weniger kapitalintensive Strategie mit dem Fokus auf Allianzen und Kooperationen. 482 Die Strategien der Bahnunternehmen im Personenverkehr sind ebenfalls unterschiedlich. Vielerorts wurden mehr oder weniger umfangreiche Reformen eingeleitet, um effizienter und stärker an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen orientiert arbeiten zu können. Allerdings entsteht mitunter der Eindruck, dass bei reformwilligen Gesellschaften nicht immer das Wohl des Kunden im Vordergrund steht. Teilweise drastische Einsparungen, die sich stets negativ auf Angebot und Kunden auswirken, sind häufig die Folge von Reformmaßnahmen. Besonders gern „entledigt“ man sich dabei der Strecken abseits von Metropolen, die nach Ansicht der Bahnverwaltungen nicht rentabel geführt werden können. Aber auch zahlreiche Großstädte und Ballungsgebiete wurden in Deutschland inzwischen vom Fernverkehr abgekoppelt (vgl. z.B. Westsachsen). Doch es gibt auch positive Beispiele 483 , die zeigen, dass der Verkehrsträger Schiene im Personenverkehr durchaus eine Zukunft hat. Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) definiert Eisenbahnen als „ öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen). “ 484 Als öffentliche Eisenbahnen gelten all jene Eisenbahnverkehrsunternehmen, die „ gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und jedermann sie nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung benutzen kann “ 485 sowie alle Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die „ Zugang zu ihrer Eisenbahninfrastruktur gewähren müssen “. 486 Ebenso zählen Betreiber von Schienenwegen, sofern sie Zugang zu ihren Schienenwegen gewähren müssen, zu den öffentlichen Eisenbahnen. 487 Alle übrigen Eisenbahnen stellen nicht-öffentliche Eisenbahnen dar 488 , wobei es sich dabei um Anschlussbahnen (mit Fahrzeugübergang zu Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs) oder Werkbahnen (ohne einen solchen Fahrzeugübergang) handeln kann. Nach dem Unternehmenszweck werden Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen unterschieden. Hauptaufgabe der Eisenbahnverkehrsunternehmen ist das Erbringen von Transportdienstleistungen. Zu den Aufgaben von Eisenbahninfrastrukturunternehmen zählen die Bereitstellung und der Unterhalt von Schienenwegen, Fahrplankonstruktion sowie das Betreiben von Betriebsleit- und Sicherungssystemen. 489 482 vgl. Lahounik, Gregor: EU-Wettbewerbspolitik im Schienenverkehr, in: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien (Hrsg.): Märkte - Wettbewerb - Regulierung. Wettbewerbsbericht der AK 2004, Teil 1 - Schwerpunkt: Wohin rollt die Bahn? , Wien 2004, 18f; siehe dazu auch: Wolking, Sebastian: SBB Cargo mischt kräftig mit, in: Prima, 02/ 2008, 16ff; Weber, Lars: Frankreich: Offensive der SNCF im Güterverkehr, in: Prima, 04/ 2008, 32ff 483 siehe dazu die Fallstudie „Vorbild Schweiz“ im Teil D 484 § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz 485 § 3 Abs. 1 Satz 1 Allgemeines Eisenbahngesetz 486 § 3 Abs. 1 Satz 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 487 vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 Allgemeines Eisenbahngesetz 488 § 3 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 489 vgl. Pachl, Jörn: Systemtechnik des Schienenverkehrs, Wiesbaden 2018, 4 <?page no="182"?> 182 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 2020 existierten knapp 440 öffentliche und gut 150 nicht-öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeughalter in Deutschland. 490 Demgegenüber sind etwa 180 Eisenbahninfrastrukturunternehmen registriert, welche in der Regel auch Güterterminals oder Abstellgleise betreiben. 491 Eisenbahnen des Bundes sind „ Unternehmen, die sich überwiegend in der Hand des Bundes oder eines mehrheitlich dem Bund gehörenden Unternehmens befinden. “ 492 Nichtbundeseigene Eisenbahnen , die auch als Privatbahnen bezeichnet werden, sind demzufolge Eisenbahnen, die sich nicht überwiegend in der Hand des Bundes befinden. In den ersten Jahren der Eisenbahngeschichte war die Bahnlandschaft von zahlreichen Privatbahnen geprägt. Doch bereits 1890 wurden viele dieser Bahnen verstaatlicht, und das Staatsbahnprinzip kam zur Anwendung. 493 Heute spielen Privatbahnen wieder eine wichtige Rolle im Eisenbahnsektor. Häufig bedienen sie von den Monopol-Unternehmen aufgegebene bzw. als nicht lukrativ angesehene Relationen. Da immer mehr Strecken die Stilllegung droht, bieten sich privaten Betreibern europaweit Chancen, wie auch am „Privatbahnland Schweiz“ deutlich wird: „ Es gibt sie in jedem Kanton und es sind deren viele. Die Rede ist von den Privatbahnen, ohne die der öffentliche Verkehr in der Schweiz nicht funktionieren würde. Meist bedienen sie Randregionen, oft in engen Bergtälern. Sie sind Überlebenskünstler, denn das Bahngeschäft wirft nur in seltenen Fällen Dividenden ab. Ganz wenige Privatbahnen schreiben schwarze Zahlen, alle Übrigen sind darauf angewiesen, dass ihre Defizite von den Gemeinden und Kantonen getragen werden. “ 494 Durch den Eintritt privater Anbieter in den Markt werden zahlreiche Impulse ausgelöst, die letztendlich zu einem verbesserten Angebot führen können. Angebot Bedienungsqualität Beförderungsqualität Erschließungsqualität Bedienen von der Staatsbahn nicht mehr bedienter Strecken Angebotsqualität dichteres Angebot flexiblere Fahrten alternative Transportmittel Produktinnovationen (z.B. regionale Tickets) mehr Service Investition in Fahrzeuge 490 vgl. Eisenbahn-Bundesamt: Liste der öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland, http: / / www.eba.bund.de, 05.06.2020; Eisenbahn-Bundesamt: Liste der nicht-öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeughalter (gem. § 31 AEG) in Deutschland, http: / / www.eba.bund.de, 05.06.2020 491 vgl. Eisenbahn-Bundesamt: Liste der Betreiber von Eisenbahnstrecken, http: / / www.eba.bund.de, 05.06.2020; Bundesnetzagentur: Tätigkeitsbericht Eisenbahnen 2017/ 18, Bonn 2019, 20 492 § 2, Abs. 6 Allgemeines Eisenbahngesetz 493 vgl. Mayer, Arthur von: Geschichte und Geographie der deutschen Eisenbahnen, Berlin 1891 (Transpress Reprint 1984), 1376 494 Bernet, Ralph: Die Schweiz mit dem Zug entdecken, München 2011, 17 <?page no="183"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 183 Fortsetzung Wettbewerbssituation Nachfrage Preisdruck Wettbewerbsdruck Innovationsdruck Substitutionsprodukte erschwerter Marktzugang Verlangen nach günstigeren Preisen Wunsch nach mehr Service Wunsch nach mehr Komfort Suche nach Alternativen zum bisherigen Angebot Abbildung 3-1 Impulse durch den Eintritt privater Anbieter im Personenverkehr Im Schienengüterverkehr hat der Marktanteil privater Anbieter inzwischen knapp 50 % erreicht. 495 Im Zuge der Liberalisierung wurden hier verschiedene Geschäftsmodelle entwickelt, die sich wie folgt charakterisieren lassen: Full-Service-Carrier sind i.d.R. aus den ehemaligen Staatsbahnen hervorgegangen. Sie bedienen - regional wie überregional - ein flächendeckendes Netz und bieten Lösungen für alle Branchen in Form von Ganzzug-, Einzelwagen- oder kombiniertem Verkehr. Typische Vertreter sind z.B. die DB Cargo AG (Deutschland), die SBB Cargo (Schweiz) oder die SNCF (Frankreich). Achsen-Carrier setzen den Schwerpunkt auf ausgewählte (nationale oder auch internationale) rentable Relationen. Charakteristisch für das Angebot sind hohe Abfahrtsfrequenzen bei relativ niedrigen Preisen. Bedingt durch diese Spezialisierung ist das Leistungsportfolio begrenzt. Ein typisches Beispiel ist die SBB Cargo (Schweiz). Branchen- oder segmentspezifische Carrier haben ihren Ursprung oft in werkseigenen Bahnen. Sie zeichnen sich durch branchenspezifisches Know-how aus, das sich im auf eine bestimmte Branche oder ein Marktsegment zugeschnittenen Angebot widerspiegelt. Ein typischer Vertreter ist Captrain. Als regionale Carrier treten v.a. kleinere Eisenbahnverkehrsunternehmen auf, die sich auf eine bestimmte Region konzentrieren und dabei größeren Eisenbahnakteuren zuarbeiten. Zum Leistungsspektrum gehört dabei, dass die Güterwagen je nach Bedarf abgeholt, gesammelt, verteilt und zugestellt werden. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Augsburger Localbahn. 496 Anders als bei den Güterbahnen stellt sich die Situation im Personenverkehr dar. Im Schienenpersonenverkehr ist zwischen Anbietern im Nah- und im Fernverkehr zu unterscheiden. Im Schienenpersonennahverkehr erstellte Leistungen werden z.B. in Deutschland entsprechend der Bestellung durch die Länder bzw. Gebietskörperschaften durch die öffentliche Hand subventioniert. Die Geschäftsmodelle der Bahnen sind folglich einerseits darauf ausgelegt, die Ausschreibungsanforderungen zu erfüllen, um im Bieterwettbewerb eine Chance zu haben, anderseits auf wirtschaftliches Arbeiten. Werden Leistungen im Schienenpersonenfernverkehr erbracht, erfolgt dies eigenwirtschaftlich. Hierbei treten Privatbahnen in direkte Konkurrenz zu den Quasi- Monopol-Unternehmen. Dabei sind europaweit große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern zu verzeichnen. 495 vgl. Monopolkommission: Mehr Qualität und Wettbewerb auf die Schiene, Bonn 2019, 17 496 vgl. Grig, Roman: Governance-Strukturen in der maritimen Transportkette, Berlin 2012, 90f <?page no="184"?> 184 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Abbildung 3-2 Entwicklung der Verkehrsleistung im deutschen Eisenbahnmarkt 497 Während sich z.B. in Österreich und Italien dank finanzkräftigen Engagements z.T. eine hochwertige Konkurrenz zu den Staatsbahnen entwickeln konnte, sieht die Situation in Deutschland anders aus. Auch gut 25 Jahre nach der Bahnreform dominiert hier die Deutsche Bahn AG den Schienenpersonenfernverkehr. Der Anteil privater Anbieter ist mit 1 % vom Gesamtmarkt verschwindend gering. 498 Lediglich zwei Angebote können sich bereits seit mehreren Jahren am Markt behaupten: der Berlin Night Express (nun unter dem Namen Snälltåget) und der Harz-Berlin-Express. Ein neues Angebot kam mit FlixTrain im Jahr 2018 hinzu. Zahlreiche weitere Angebote wurden nach Fehlschlägen wieder eingestellt. Anbieter Name Relationen Zugpaare Zeitraum Georg Verkehrsorganisation (bis 2019) und Veolia Transport Sverige AB (heute Transdev) Berlin Night Express, seit 2012 Snälltåget Berlin-Malmö 1 pro Tag in Sommermonaten, auch Herbstferien, Adventszeit seit 2000 Eurobahn Bielefeld-Köln Bielefeld-Köln 2 pro Woche 2001 OLA (Transdev) InterConnex I Leipzig-Berlin- Warnemünde 2 pro Tag; 1 nur Leipzig-Berlin 2002-2014 Veolia Transdev (heute Transdev) InterConnex II Dresden-Zittau- Stralsund 2 pro Woche 2003-2006 Connex (heute Transdev) InterConnex III Neuss-Köln- Rostock 1 pro Tag 2003 Vogtlandbahn (heute Länderbahn) Vogtland-Express Plauen-Berlin 1 pro Tag 2005-2010; 2011- 2014 als Bus Connex Sachsen (heute Transdev) Lausitz-Express Leipzig-Bischofswerda 1 pro Tag, Mo-Sa 2006-2008 497 Bundesnetzagentur: Tätigkeitsbericht Eisenbahnen 2017/ 18, Bonn 2019, 17 498 vgl. Monopolkommission: Mehr Qualität und Wettbewerb auf die Schiene, Bonn 2019, 15 0 10 20 30 40 50 60 2013 2014 2015 2016 2017 Verkehrsleistung SPNV in Mrd. Pkm Wettbewerber bundeseigene EVU 32 34 36 38 40 42 2013 2014 2015 2016 2017 Verkehrsleistung SPFV in Mrd. Pkm Wettbewerber bundeseigene EVU 0 20 40 60 80 100 120 140 2013 2014 2015 2016 2017 Verkehrsleistung SGV in Mrd. tkm Wettbewerber bundeseigene EVU <?page no="185"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 185 Fortsetzung Anbieter Name Relationen Zugpaare Zeitraum Transdev Sachsen-Anhalt (bis 2018), Abellio Rail Mitteldeutschland (seit 2018) Harz-Berlin-Express Goslar/ Thale-Berlin 1 bzw. 2 pro Tag, Fr-So sowie Feiertage seit 2006 Reisezug-Verkehrsgesellschaft Nacht-im-Zug Stuttgart-Berlin nur 2 Betriebstage 2009 Hamburg-Köln-Express GmbH* Hamburg-Köln- Express Hamburg-Köln 3 pro Tag 2012-2018 Locomore* Locomore Berlin-Stuttgart 1 pro Tag 2016-2017 FlixMobility FlixTrain Aachen-Köln- Berlin-Leipzig, Stuttgart-Berlin, Köln-Hamburg 2 pro Tag seit 2018 * übernommen von FlixMobility Tabelle 3-5 Markteinstiegsversuche im SPFV in Deutschland seit 1994 499 Aufgrund der noch geringen Anbieterzahl ist es entsprechend schwierig, allgemeingültige Aussagen zu Geschäftsmodellen im Schienenpersonenfernverkehr abzuleiten. Aktuell sind drei Anbieter erfolgreich in diesem Segment tätig, wenngleich nur zwei davon reinen Fernverkehr anbieten: Transdev mit Snälltåget, einer Nachtzug-Verbindung von Malmö nach Berlin, Abellio mit dem Harz-Berlin-Express von Thale bzw. Goslar nach Berlin, der allerdings nur teilweise eigenwirtschaftlichen Verkehr darstellt, und FliyMobility mit dem FlixTrain auf den Relationen Aachen-Köln-Berlin-Leipzig, Stuttgart-Berlin und Köln-Hamburg. Dabei lassen sich folgende Gemeinsamkeiten erkennen: Der Eintritt in den Markt gestaltet sich oft schwierig, viel mehr aber noch das Halten am Markt. Die Markteintrittsbarrieren sind aufgrund der notwendigen Investitionen in Rollmaterial hoch. Für kleinere Eisenbahnverkehrsunternehmen ist dies nicht zu realisieren. Aber auch für finanzkräftigere Eisenbahnverkehrsunternehmen ist ein Markteintritt risikobehaftet. Würden z.B. für Strecken, die auf Hochgeschwindigkeits- oder Neigezüge ausgelegt sind, entsprechende Fahrzeuge angeschafft, und das geplante Angebot kommt nicht zustande, wären diesbezügliche Investitionen umsonst. Ebenso schwierig ist es, verfügbare Trassen auf rentablen - und damit generell stark nachgefragten - Strecken zu bekommen. In der Regel werden einzelne Relationen bedient, die die Deutsche Bahn nicht mehr bzw. nicht umsteigefrei anbietet. Dabei geht es um die Verknüpfung von Metropolen untereinander oder mit peripher gelegenen Regionen. Im europäischen Ausland sind Fernverkehrsangebote vor allem dort erfolgreich, wo insbesondere eine große Anzahl an Geschäftsreisenden gegeben ist. 499 erstellt nach: Mofair e.V.; Netzwerk Privatbahnen - Vereinigung Europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen e. V.; Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e. V. (Hrsg.): Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/ 2011, Berlin 2011, 120; Miethe, Uwe: Der Wettbewerb beginnt, in: Bahn-Jahrbuch 2010, Bahn-Extra 1/ 2010, 54; o.V.: Privatbahnen mit Personenverkehr, in: Deutsche Privatbahnen von A-Z, Bahn-Extra 5/ 2011, 20ff sowie Angaben der Betreiber <?page no="186"?> 186 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Die Verkehrstage und Taktungen sind recht unterschiedlich und richten sich nach den bedienten Relationen und dem Fahrgastaufkommen. In der Regel handelt es sich aber um stark gestraffte Fahrpläne. Zum Einsatz kommt sowohl neues als auch aufgearbeitetes Rollmaterial . Anbieter, die im Schienenpersonennahverkehr aktiv sind, können hier auf ihre Fahrzeuge zurückgreifen - wenngleich diese nur selten auf die Fahrgastbedürfnisse im Fernverkehr ausgelegt sind. Anbieter, die nicht auf vorhandenes Rollmaterial zurückgreifen können, setzen häufig auf ältere, aufgearbeitete Waggons, um die hohen Anschaffungskosten von neuen Garnituren zu umgehen. Einen Markt, auf dem preiswerteres, neueres Fahrzeugmaterial angeboten wird, gibt es hier praktisch nicht. Triebfahrzeuge werden häufig gemietet, seltener gekauft. Erfolg versprechen sich die neuen Anbieter durch zusätzliche Serviceleistungen , wie z.B. ein Verpflegungsangebot. Zudem erfolgt der Fahrkartenverkauf oft im Zug - zum einen, um nicht kostenintensive Verkaufsinfrastruktur unterhalten zu müssen, zum anderen, um dem Fahrgast spontanes Reisen (soweit der Fahrplan Spontaneität zulässt) zu ermöglichen. Um sich am Markt behaupten zu können, werden die Fahrpreise häufig entsprechend niedrig angesetzt. Dabei orientiert man sich teilweise an den „BahnCard 50“-Preisen der Deutschen Bahn oder stützt sich auf Preismechanismen aus dem Luftverkehr. Kostenseitig sind die Unternehmen stark durch die Beschaffung des Rollmaterials belastet. Aber auch Trassen- und Stationspreise sowie Marketing- und Vertriebskosten dürfen hierbei nicht vernachlässigt werden. Um im intra- und auch intermodalen Wettbewerb Fahrgäste gewinnen und halten zu können, ist die Fahrpreispolitik ein starkes Argument. Allerdings stehen niedrige Fahrpreise eigentlich den Kostenbelastungen entgegen. Entsprechend hohe Auslastungen um 60-70 % sind dann dauerhaft erforderlich, um langfristig bestehen zu können. 500 Zu den Zielgruppen zählen z.B. preissensible, zeitlich flexible Reisende oder jene, die umsteigefreie Verbindungen nutzen möchten. Dadurch können u.U. auch bisherige Nicht-Bahnfahrer, die weniger Wert auf häufige Verbindungen legen, gewonnen werden. Im Bereich grenzüberschreitender Fernverkehre bietet sich für ausländische Wettbewerber meist nur die Kooperation mit den dortigen Marktführern an. 501 Allerdings sind diese Kooperationen nicht immer von dauerhaftem Erfolg gekrönt, wie das Beispiel von Cisalpino zeigt. Kooperationspartner Relationen Zeitraum Eurostar: SNCF, SNCB und Eurostar UK London-Brüssel/ Amsterdam; London/ Paris; London-Lyon/ Avignon/ Marseille; London-französische Alpen seit 1994 Thalys: SNCF, SNCB, Nederlandse Spoorwegen (bis 2015 auch Deutsche Bahn) Paris-Brüssel-Amsterdam/ Köln(-Dortmund) seit 1996 Cisalpino: SBB und Trenitalia Zürich-Mailand/ Florenz/ Triest (Gotthardachse); Basel-Mailand (Lötschberg/ Simplonachse) 1996-2009 Deutsche Bahn und SNCF Frankfurt-Kaiserslautern-Saarbrücken-Paris; Paris-Straßburg-Stuttgart (-München) seit 2006 500 vgl. Krummheuer, Eberhard: Wettbewerb auf der Schiene - Wettbewerb mit der Schiene, in: Deutsche Bahn AG: Wettbewerbsbericht 2013, Berlin 2013, 14 501 vgl. Mofair e.V.; Netzwerk Privatbahnen - Vereinigung Europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen e. V.; Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e. V. (Hrsg.): Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/ 2011, Berlin 2011, 122 <?page no="187"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 187 Fortsetzung Kooperationspartner Relationen Zeitraum Deutsche Bahn und ÖBB München-Wien; München-Innsbruck-Bozen-Verona(-Venedig/ Mailand) u.a. seit 2006 seit 2009 Deutsche Bahn und SBB Ausbau des grenzüberschreitenden Verkehrs, z.B. Zürich-München, Basel-Frankfurt seit 2014/ 15 Tabelle 3-6 Beispiele für grenzüberschreitende Kooperationen im Schienenpersonenfernverkehr 502 Railteam und TEE Rail Alliance Aus ähnlichen Beweggründen wie die Allianzen im Luftverkehr wurde 2007 „Railteam“ als Allianz der europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnen gegründet. Dazu gehören als Vollmitglieder die Deutsche Bahn, die SNCF, die SNCB, Eurostar, NS International, die ÖBB, die SBB und Thalys; darüber hinaus gibt es das assoziierte Mitglied TGV Lyria. 503 Ziele des Railteams sind eine bessere Vernetzung der Hochgeschwindigkeitszüge, eine Verbesserung des Service und eine Vereinfachung des grenzüberschreitenden Reisens. Im Detail bedeutet dies, dass im jeweiligen grenzüberschreitenden Kooperationsverkehr gemeinsame Fahrkartenangebote aus einer Hand bereitgehalten werden, Kunden auf verschiedenen Wegen (z.B. im Bahnhof, via Internet, per App) stets aktuelle Informationen erhalten, ein mehrsprachiger Kundenservice in Bahnhöfen und Zügen angeboten wird, bei einem verpassten Anschlusszug der nächste verfügbare Hochgeschwindigkeitszug genutzt werden kann, auch ohne Fahrschein/ Reservierung umzutauschen, Kunden mit Vielfahrerstatus alle Lounges nutzen können, sich das Bonuspunkteprogramm auf das gesamte Railteam-Netz erstreckt. 504 Die „TEE Rail Alliance“, eine von der Deutschen Bahn, den Österreichischen Bundesbahnen und den Schweizerischen Bundesbahnen gegründete Kooperation, hat zum Ziel, „ grenzüberschreitend mit dem nationalen Verkehr abgestimmte Fahrpläne und qualitativ hochwertige Angebote für die Kunden zu realisieren. “ 505 Bislang zeigt sich das für den Bahnkunden v.a. durch die gegenseitige Anerkennung der Kundenkarten (BahnCard, Vorteils-/ Österreich-Card, Halbtax- / General-Abo auf Swiss Pass) sowie der Bonusprogramme bei grenzüberschreitenden Reisen. 506 502 erstellt nach: Mofair e.V.; Netzwerk Privatbahnen - Vereinigung Europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen e. V.; Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e. V. (Hrsg.): Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/ 2011, Berlin 2011, 123f; SBB AG: SBB und Partnerbahnen bauen Angebot im internationalen Bahnverkehr in Europa aus (23.11.2019), http: / / m.sbb.ch, 10.06.2020 503 vgl. Railteam B. V.: Unsere Allianz, http: / / www.railteam.eu, 20.05.2020 504 vgl. Railteam B. V.: Railteam-Serviceleistungen, http: / / www.railteam.eu, 20.05.2020 505 Deutsche Bahn AG: TEE Rail Alliance - Deutschland, Österreich und Schweiz, http: / / www.bahn.de, 09.02.2015 506 vgl. ebd. <?page no="188"?> 188 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: Die größte Güterbahn Europas „DB Cargo ist der größte und teuerste Problemfall des Staatskonzerns und beschäftigt den Aufsichtsrat und die Regierung regelmäßig. Seit der Bahnreform haben private Wettbewerber lukrative Aufträge und die Hälfte des deutschen Marktes erobert.“ 507 DB Cargo transportiert jährlich rund 232 Mio. t Güter, pro Tag sind 2.732 Güterzüge unterwegs, werden 4.200 Gleisanschlüsse und 14 KV-Terminals bedient. Dabei kommt sowohl der Ganzzugverkehr, der Einzelwagenverkehr als auch der kombinierte Verkehr zum Einsatz. 60 % der Verkehre werden im Inland abgewickelt. Auf besondere Erfahrung kann man in Branchen wie Agrar, Chemie, Mineralöl, Konsumgüter oder Baustoffe verweisen. Zur Flotte gehören rund 91.000 Güterwagen und 2.600 Lokomotiven. Europaweit unterhält DB Cargo damit den größten Fuhrpark. Innerhalb Deutschlands wird ein Streckennetz von 33.000 km bedient. Die jährliche Verkehrsleistung, die zu 100 % mit Ökostrom erbracht wird, beträgt 85 Mrd. Tonnenkilometer. 508 BR 185 (Traxx-Mehrsystemlokomotive von Bombardier noch mit „Railion“-Schriftzug) BR 187 (Traxx 3 von Bombardier) der DB Cargo vor einem Ganzzug DB Cargo bezeichnet sich selbst als die „größte und leistungsfähigste Güterbahn Europas“ 509 und ist mit entsprechenden Landesgesellschaften in 17 Ländern präsent. 510 Allerdings musste das Unternehmen in den vergangenen Jahren massive Verluste begleitet von Marktanteilsrückgängen verzeichnen. Kapazitätsengpässe, Unpünktlichkeit, der Zustand der Schienennetzes, fehlende Gleisanschlüsse, Missmanagement - die Liste der Probleme ist lang und schreckt potentielle Kunden ab: „Die Investitionen sind längst überfällig, denn die Frachtbahn wurde regelrecht kaputtgespart. Es fehlt an Zügen und Personal, aber auch an Kapazitäten beim lange vernachlässigten und überlasteten Schienennetz. Dessen mieser Zustand benachteiligt auch die privaten Frachtbahnen.“ 511 Kapazitätsprobleme führten dazu, dass Aufträge nicht oder nur schlecht ausgeführt werden konnten. Unzufriedene Kunden nutzten als Alternative den Lkw-Verkehr. Die Ziele der Regierung zur Verkehrsverlagerung lassen sich so nicht erreichen. Ein umfangreiches Investitionsprogramm soll es nun richten. Im Rahmen der DB-Strategie „Starke Schiene“ soll die Verkehrsleistung von DB Cargo in Deutschland um 70 %, der Marktanteil am Schienen- 507 Wüpper, Thomas: DB Cargo soll aus der Krise fahren (19.06.2020), http: / / www.tagesspiegel.de, 19.06.2020 508 vgl. Deutsche Bahn AG: DB Cargo, http: / / logistikpartner.dbcargo.com, 18.06.2020; DB Cargo AG: Wir bringen Dinge ins Rollen - DB Cargo, Frankfurt/ M. 2019, 5 509 DB Cargo AG: Wir bringen Dinge ins Rollen - DB Cargo, Frankfurt/ M. 2019, 3 510 vgl. Deutsche Bahn AG: DB Cargo, http: / / logistikpartner.dbcargo.com, 18.06.2020 511 Wüpper, Thomas: DB Cargo soll aus der Krise fahren (19.06.2020), http: / / www.tagesspiegel.de, 19.06.2020 <?page no="189"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 189 güterverkehr bis 2030 von 18 % auf 25 % erhöht werden. Statt auf Sparkurs und Schrumpfung wird auf Ausbau und Wachstum gesetzt. Dazu sollen 350 Mio. neue Trassenkilometer geschaffen und die Kapazitäten der Schiene um über 30 % erhöht werden. Erreicht werden soll dies zum einen durch den Netzausbau, aber auch durch Innovation und Digitalisierung. 512 Bis 2023 sollen 300 neue Lokomotiven, ein Drittel davon Mehrsystemloks, beschafft werden. Bis dahin sollen auch sämtliche Güterwagen mit intelligenter Sensorik ausgestattet werden, wodurch sich Prozesse beschleunigen, die Pünktlichkeit verbessern und die leichtere Nachverfolgung der Fracht durch den Kunden ermöglichen lassen. 513 Anstatt auf etwaige Steigerungen bei der Nachfrage zu reagieren, will man nun ein besseres und erweitertes Angebot schaffen, um damit mehr Nachfrage zu generieren. 514 Im Zuge dessen ist es auch erforderlich, mehr Personal einzustellen: „Fehlende Ressourcen waren in der Vergangenheit ein wesentlicher Grund dafür, dass DB Cargo keine Neuverkehre übernahm und mit zeitweise mehreren Hundert zum Abfahrtszeitpunkt nicht besetzbaren Zügen massive Qualitätsprobleme hatte.“ 515 Im Jahr 2019 kamen bereits 1.000 neue Mitarbeiter hinzu. Derzeit sind rund 30.000 Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigt. 516 Insbesondere der vernachlässigte Einzelwagenverkehr soll zukünftig wieder eine wichtigere Rolle spielen. DB Cargo rechnet damit, dass sich das bisherige Angebot im Einzelwagenverkehr verfünffachen lasse. Waren früher einmal über 13.000 Verladestellen Teil dieses Netzwerks, wurde inzwischen ein großer Teil davon aufgegeben. Aktuell sind neun große Rangierbahnhöfe, 130 kleine und mittlere Zugbildungsanagen und 2.500 Güterverkehrsstellen Teil des Einzelwagensystems. Dichtere Takte auf den Hauptachsen Hamburg-Köln sowie Köln-Berlin und zu den Häfen Rotterdam und Antwerpen sollen Frachtkunden anlocken, zudem sollen insgesamt mehr Relationen als bisher angeboten werden. Fehlende Gleisanschlüsse bei den Kunden will man insofern umgehen, dass Lkw-Abholungen durch DB Cargo möglich werden. Neben einer Angebotsausweitung steht eine Qualitätsverbesserung auf dem Programm, wozu vor allem die Erhöhung der Pünktlichkeit, aber auch ein besserer Service gehören. 517 Aufgabe 1: Warum schreibt die Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn seit Jahren Verluste? Aufgabe 2: Mithilfe welcher Strategien und Maßnahmen will sich DB Cargo neu positionieren? 512 vgl. Deutsche Bahn AG: Deutschland braucht eine starke Schiene (24.06.2019), http: / / www.deutschebahn.com, 18.06.2020; Lehmann, Sandra: Schienengüterverkehr: Die Deutsche Bahn stellt Strategie „Starke Schiene“ vor, http: / / logistik-heute.de, 18.06.2020 513 vgl. Wüpper, Thomas: DB Cargo soll aus der Krise fahren (19.06.2020), http: / / www.tagesspiegel.de, 19.06.2020 514 vgl. o.V.: Deutsche Bahn will beim Güterverkehr umsteuern (12.06.2020), http: / / www.verkehrsrundschau.de/ , 18.06.2020 515 Henrici, Timon: DB Cargo will offensiv akquirieren (11.06.2020), http: / / www.dvz.de, 18.06.2020 516 vgl. o.V.: Deutsche Bahn will beim Güterverkehr umsteuern (12.06.2020), http: / / www.verkehrsrundschau.de, 18.06.2020; Deutsche Bahn AG: DB Cargo, http: / / logistikpartner.dbcargo.com, 18.06.2020 517 vgl. Wüpper, Thomas: DB Cargo soll aus der Krise fahren (19.06.2020), http: / / www.tagesspiegel.de, 19.06.2020; Henrici, Timon: DB Cargo will offensiv akquirieren (11.06.2020), http: / / www.dvz.de, 18.06.2020; o.V.: Strategiewechsel: DB Cargo will Marktanteile zurückgewinnen (18.06.2020), http: / / recyclingportal.eu, 18.06.2020; o.V.: Deutsche Bahn will beim Güterverkehr umsteuern (12.06.2020), http: / / www.verkehrsrundschau.de, 18.06.2020 <?page no="190"?> 190 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.2.3 Binnenschifffahrtsbetriebe Die i.d.R. schwankende Nachfrage nach Schiffsraum in der Binnenschifffahrt hängt v.a. von der Konjunktur und den Witterungsverhältnissen ab. Die Binnenschifffahrtsbetriebe versuchen, ihre wirtschaftliche Lage insofern zu stabilisieren, dass sie ihren Wettbewerbsvorteil - kostengünstiger Transport großer Gütermengen über große Distanzen - durch bessere Planung und leistungsfähigere Schiffe noch stärker zum Tragen bringen. 518 Binnenschiffe gelten als langlebige Investitionsgüter und sind daher durch eine entsprechend lange Nutzungsdauer gekennzeichnet. Frachtschiffe weisen in Deutschland ein Durchschnittsalter von 45,6 Jahren auf, wobei je nach Schiffstyp große Unterschiede bestehen (Trockengüterschiffe 63,1 Jahre vs. Tankschiffe 23,7 Jahre). 519 Generell gilt aber, dass bei Abwrackaktionen kleinere Schiffe durch größere ersetzt werden, so dass die Flotten einem Strukturwandel unterliegen. Forciert wird dies durch den Wettbewerb in Europa sowie Veränderungen auf Nachfragerseite. Gleichzeitig wirken Kostenstrukturen und alternative Verkehrsmittel beeinflussend. 520 Zwischen Binnenschifffahrtsbetrieben und Verladebetrieben existiert eine enge Bindung. Begründet ist dies darin, „ daß Industriebetriebe, die transportkostenempfindliche Massengüter als Rohstoffe verarbeiten oder als Produkte erzeugen, ihre Standorte an Binnenwasserstraßen wählen müssen und auf den Transport mit Binnenschiffen angewiesen sind, um konkurrenzfähig zu bleiben. “ 521 Im Güterverkehr tätige Schifffahrtsbetriebe können in Reedereien, Partikuliere und Werkschifffahrtsbetriebe untergliedert werden: Reeder ist „ der Eigentümer eines ihm zum Erwerb durch die Seefahrt dienenden Schiffes. “ 522 Um eine Reederei handelt es sich dann, wenn „ von mehreren Personen ein ihnen gemeinschaftlich zustehendes Schiff zum Erwerb durch die Seefahrt für gemeinschaftliche Rechnung verwendet “ 523 wird. Gleiches gilt für die Binnenschifffahrt. Reedereien sind i.d.R. große Schifffahrtsunternehmen, die die Ladungsakquisition kaufmännisch organisiert haben, um die Auslastung der Schiffe und damit die Reduzierung von Leerfahrten besser steuern zu können. Sie können Aufgaben eines Spediteurs und eines Frachtführers wahrnehmen, ziehen sich jedoch zunehmend aus letzterem Bereich zurück und gehen stattdessen vertragliche Bindungen mit Partikulieren ein. Darüber hinaus bieten Reedereien Lagerungs-, Umschlags- und Verkehrshilfsaufgaben an. 524 Je nach Spezialisierungsgrad können verschiedene Arten von Reedereien unterschieden werden, so z.B. Universalreedereien, Linienreedereien, Trampreedereien, Tankreedereien oder Spezialreedereien. 525 518 vgl. Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 69; Bottler, Stefan: Die Idylle trügt, in: Verkehrsrundschau 44/ 2013, 26ff 519 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Binnenschifffahrt, Berlin 2019, 13 520 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 101f 521 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 69 522 § 484 Handelsgesetzbuch 523 § 489 Abs. 1 Handelsgesetzbuch 524 vgl. Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 224; Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 67f 525 vgl. Tyssen, Christoph: Güterverkehrsunternehmen im Überblick, in: Stölzle, Wolfgang; Fagagnini, Peter (Hrsg.): Güterverkehr kompakt, München 2010, 25 <?page no="191"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 191 Zahlenmäßig sind dabei die Großreedereien den kleinen und mittleren Betrieben unterlegen. Den größten Anteil an Binnenschifffahrtsunternehmen bilden Partikuliere oder Klein-, Privat- oder Einzelschiffer. Dabei handelt es sich um Familienunternehmen, die ein bis drei Motorschiffe besitzen und führen. Sie besitzen keine eigenen Einrichtungen zur Ladungsakquisition, sondern übernehmen Ladung von einem Spediteur oder sind für einen Reeder im Einsatz. Um ihre Position im Wettbewerb zu stärken, haben sich diese Unternehmen zu Fahrgemeinschaften oder Genossenschaften zusammengeschlossen. 526 Werkschifffahrtsbetriebe führen Gütertransporte für eigene Zwecke durch und setzen dabei eigene Fahrzeuge und eigenes Personal ein. Sobald diese Unternehmen jedoch als juristisch selbständige Unternehmen geführt werden, können sie auch Transporte für Dritte durchführen, da dies nicht mehr unter die Werkschifffahrt fällt. 527 Im Personenverkehr aktive Binnenschifffahrtsbetriebe lassen sich in Binnenreedereien, Schiffseigner und Reiseveranstalter unterscheiden. Binnenreedereien sind Schifffahrtsunternehmen, die im Bereich der Binnenschifffahrt Fahrgastschiffe unter eigenem Namen anbieten. Dabei bestimmen sie den Einsatz des Schiffes und das jeweilige Angebot. Auch Schiffseigner bieten unter eigenem Namen an, organisieren den Bordbetrieb sowie weitere relevante Bereiche. Oftmals werden eigene Veranstalter gegründet. Üblich ist auch eine Übergabe der Schiffe zur Bereederung, d.h. zur technischen und kaufmännischen Betriebsführung an eine Reederei. Reiseveranstalter , die teilweise zu einem Touristikkonzern gehören, chartern Schiffe von Eignern und Reedern. 528 3.2.4 Seeschifffahrtsbetriebe Wichtige Faktoren, die die Entwicklung der Seeschifffahrt beeinflussen, sind neben der Wirtschaft z.B. auch die Geopolitik, die Bevölkerungsentwicklung, natürliche Ressourcen und der Klimawandel. Veränderungen in den weltweiten Warenströmen schlagen sich unmittelbar auf die Seeschifffahrt sowie auf die praktizierten Transportkonzepte (vgl. z.B. Containerisierung von Massengütern) nieder. Bedingt durch das Wachstum des Seeverkehrs kommen verstärkt sehr große Containerschiffe zum Einsatz. Als problematisch erweisen sich dabei aber nicht nur die Finanzierung neuer Schiffe, sondern auch Überkapazitäten an Frachtraum und schwankende Frachtraten, so dass alternative Geschäftsmodelle mehr denn je gefragt sind. 529 Aufgabe der Seeschifffahrtsbetriebe ist der Transport von Gütern oder Personen über die kontinentalen Randmeere (Küstenschifffahrt) oder Ozeane (Hochseeschifffahrt). Die Küstenschifffahrtsbetriebe verbinden kontinentale Randmeere und Überseehäfen und bieten dabei lokalen Massengüterverkehr, Gütersammel- und -verteilverkehr, aber auch Personenverkehr an. Sie verfügen über keine feste Landorganisation. Deren Aufgaben werden von einem Schiffsmakler übernommen. 526 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 101; Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 224; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Binnenschifffahrt, Berlin 2019, 6 527 vgl. Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 225; Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 67f 528 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 194f 529 vgl. Jahn, Carlos; Bosse, Claudia; Schwinetek, Anne: Seeschifffahrt 2020 - Aktuelle Trends und Entwicklungen, Stuttgart 2011, 12, 18 und 80 <?page no="192"?> 192 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Tätigkeitsbereich der Hochseeschifffahrtsbetriebe sind die Weltmeere. Sie besitzen eigene Betriebsteile an Land, über die die Ladungsakquisition, die Planung und Steuerung sowie die sonstige organisatorische Abwicklung durchgeführt wird. 530 Hinsichtlich der Betriebsformen lassen sich Linienverkehr und Gelegenheitsverkehr unterscheiden. Linienverkehr kann dabei als konventioneller Liniendienst, Containerdienst oder andere Liniendienste, wie z.B. Roll-on/ Roll-off-Verkehre oder Fährdienste auftreten. Gelegenheitsverkehr lässt sich in Bedarfsverkehr (Trampfahrten) und Kontraktverkehr untergliedern. 531 Wie auch im Bereich der Binnenschifffahrt sind in der Küsten- und Hochseeschifffahrt Reedereien aktiv. Reeder sind, wie bereits beschrieben, Eigentümer von Schiffen, die ihnen zu Erwerbszwecken dienen. Ebenso können gecharterte Schiffe zum Einsatz kommen. Analog zur Binnenschifffahrt existieren auch hier verschiedenste Spezialisierungsformen, wie z.B. Linienreeder oder Trampreeder, Universal- oder Tankreedereien. Abbildung 3-3 Die größten Container-Reedereien der Welt 532 Reedereien können unterschiedliche strategische Orientierungen verfolgen, wobei auch Mischformen existieren: Eine Schiffsmanagementgesellschaft konzentriert sich auf das Management von Schiffen. Eine operative Reederei bzw. ein Carrier spezialisiert sich auf den Reedereibetrieb - entweder mit eigenen Schiffen oder ohne eigene Schiffe. Dabei kann eine Kostenführerschaft angestrebt oder auch eine Nischenstrategie verfolgt werden. Als Netzwerkanbieter entwickelt sich eine Reederei zu einem multimodalen Carrier. 530 vgl. Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 70 531 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 94; Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 425; siehe dazu auch das Kapitel 2.3.8 „Seefrachtenmarkt“ im Teil A 532 erstellt nach: Alphaliner TOP 100 / 12 Jan 2020, http: / / alphaliner.axsmarine.com, 12.01.2020 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 HMM (Südkorea) PIL - Pacific Int. Line (Singapur) Yang Ming Marine Transp. Corp. (Taiwan) Evergreen Line (Taiwan) ONE - Ocean Network Express (Singapur) Hapag-Lloyd (Deutschland) CMA-CGM Group (Frankreich) Cosco Group (China) MSC (Schweiz) APM-Mærsk (Dänemark) Kapazität in Mio. Standardcontainer Die größten Container-Reedereien Owned Chartered <?page no="193"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 193 Bei einem Logistikdienstleister steht die Planung und Organisation seewärtiger Logistiksysteme im Vordergrund. Herbei kann eine Spezialisierung auf bestimmte Branchen oder Güterarten (z.B. temperaturgeführte Güter) erfolgen. 533 Darüber hinaus sind Schiffsmakler von Bedeutung. Hierbei handelt es sich um einen Makler, „ der sich mit der Vermittlung von Schiffsraum, Ladungen, Liegeplätzen etc. befasst “ 534 und dabei im Auftrag von Reedern agiert. Sie akquirieren Ladung und führen Buchungen für ihre Auftraggeber durch. Auch bei der Abfertigung von Schiffen (Klarierung) werden Schiffsmakler tätig, indem sie z.B. die Abwicklung von Formalitäten, das Bestellen von Lotsen, Schleppern oder Festmachern übernehmen. Schiffsmakler können auch die Funktionen eines Seehafenspediteurs im Export und Import übernehmen. Ferner können sie auch in den Kauf und Verkauf von Seeschiffen involviert sein. 535 Zur Stärkung der Wettbewerbsposition gehen die Akteure Kooperationen ein bzw. bauen bestehende Kooperationen aus. Unterscheiden lassen sich dabei horizontale Kooperationen (z.B. Schifffahrtsallianzen, Hafen- und Terminalkooperationen) und vertikale Kooperationen (z.B. zwischen Reedereien und Terminalbetrieben). 536 Eine Kooperation im Rahmen von Allianzen , die als Weiterentwicklung der Konsortien zu verstehen sind, kann sich u.a. auf gemeinschaftliche Aktivitäten in Bezug auf Investitionen, die Nutzung von Schiffsraum (slots = Containerstellplätze), Terminals und Equipment, Marketing oder die Organisation des Vor- und Nachlaufs beziehen. 537 Beispiele für globale Allianzen sind „The Alliance“ (Hapag-Lloyd, ONE, Yang Ming, HMM), „Ocean Alliance“ (CMA CGM, COSCO, Evergreen) und „2M“ (Mærsk, MSC). Im Rahmen der Passagierschifffahrt im Seeschiffsverkehr sind Linienschifffahrt und Kreuzfahrten zu unterscheiden. Entsprechend der jeweiligen Merkmale der Betriebsformen und damit verbundenen Anforderungen haben sich dabei spezifische Geschäftsmodelle herausgebildet. Zur Linienschifffahrt zählen Linienpassagierdienste, Fährverkehr und Frachtschiffreisen. Linienpassagierdienste werden heute nur selten angeboten. Die Tradition der Oceanliner im Nordatlantik wird lediglich noch von wenigen Anbietern wie der Cunard Line mit der „Queen Mary 2“, die auf der Relation (Hamburg-)Southampton-New York fährt, aufrechterhalten. 538 Eine weitere Ausnahme in der Linienschifffahrt sind die Postschiffe, die nicht nur Post, sondern auch Personen und Fracht befördern. 539 Fährverkehr ist sowohl bei Urlaubs- und Geschäftsreisen als auch im Güterverkehr von Bedeutung. Nationale Routen sind dabei wesentlich stärker frequentiert als internationale Routen, wenngleich z.B. die Relationen zwischen Frankreich und Großbritannien bzw. Schweden und Dänemark zu den meistbefahrenen Routen der Welt zählen. 540 533 vgl. Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 258 534 Berwanger, Jörg: Stichwort „Schiffsmakler“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 28.05.2020; siehe dazu auch § 93 Handelsgesetzbuch 535 vgl. o.V.: Die Schiffsmakler/ Schiffsagenturen, http: / / berufswelt-logistik.de, 16.08.2013 536 vgl. Jahn, Carlos; Bosse, Claudia; Schwinetek, Anne: Seeschifffahrt 2020 - Aktuelle Trends und Entwicklungen, Stuttgart 2011, 12 und 80 537 vgl. Brandenburg, Hans et al.: Güterverkehr - Spedition - Logistik, Köln 2012, 428 538 vgl. Cunard: Katalog Transatlantik 2020, Hamburg 2020 539 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 158 540 vgl. Schulz, Axel; Auer, Josef: Kreuzfahrten und Schiffsverkehr im Tourismus, München 2010, 321ff <?page no="194"?> 194 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Maßgebend für das Angebot ist der Fährschifftyp. Zu unterscheiden sind dabei konventionelle Fährschiffe und Schnellfähren. Zu den konventionellen Fährschiffen zählen Passagierfähren sowie Combicarrier (RoPax-Schiffe). Bei den Passagierfähren steht die Beförderung von Passagieren und Pkw im Vordergrund, es werden aber auch Lkw und Fracht transportiert. Je nach Schiffstyp und -größe findet man darauf verschiedenste Bordeinrichtungen und Unterbringungsmöglichkeiten. Combicarrier sind kombinierte Passagier- und Frachtschiffe, die vordergründig Lkw und Fracht, aber auch Passagiere transportieren. Schnellfähren, die v.a. dem Passagiertransport dienen, zeichnen sich durch eine hohe Transportgeschwindigkeit aus. Durch die kürzeren Fahrzeiten sind die Schiffe i.d.R. mit weniger Bordeinrichtungen ausgestattet. Übernachtungsmöglichkeiten für Passagiere gibt es nicht. 541 Im Laufe der Zeit wurden immer größere und komfortablere Fähren in Dienst gestellt. 542 Längst werden die großen Schiffe nicht mehr nur genutzt, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, sondern die Fahrgäste buchen solche Überfahrten des Reisens wegen. Das Angebot ist dabei z.T. saisonbzw. witterungsabhängig. Zur besseren Auslastung der teilweise überdimensionierten Fähren wurden neue Angebote, wie Kurzkreuzfahrten, entwickelt. Die angebotenen Routen bei Frachterreisen entsprechen den üblichen Routen der Frachtschifffahrt. Die Fahrtdauer ist demzufolge relativ lang. Zum Einsatz kommen dabei je nach Anbieter verschiedenste Schiffstypen - von Stückgut- und Massengutfrachtern über Containerschiffe bis hin zu Kühlschiffen und Autotransportern. Das Serviceangebot beschränkt sich im Wesentlichen auf Unterbringung und Verpflegung. Die Kabinen gleichen in der Ausstattung dabei jenen der Besatzung. Auch die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen. Die Zahl der Anbieter ist begrenzt - ebenso die Angebotskapazität. In der Regel werden max. zwölf Passagiere mitgenommen. Das Angebot richtet sich vor allem an Nachfrager, die eine „Kreuzfahrt“ der anderen Art erleben möchten. Sie sollten seefest, anpassungsfähig und flexibel sein. 543 Während Schifffahrten zum reinen Vergnügen früher der Ruf des Luxuriösen anhaftete, sind Kreuzfahrten durch die Ostsee, ins Nordmeer, ins Mittelmeer, zu den Kanaren oder in die Karibik mittlerweile für ein breiteres Publikum erschwinglich geworden. Die Branche stellt mit einer jährlichen Wachstumsrate von 10 % den am schnellsten wachsenden Sektor der Tourismusindustrie dar. In den letzten zehn Jahren hat sich die Nachfrage verdoppelt. Dies rührt zum einen daher, dass zusätzlich zum traditionellen Oberklasse-Markt seit längerem auch der Mittelklasse-Markt angesprochen wird. Durchschnittsalter und Durchschnittseinkommen der Kreuzfahrtpassagiere haben sich ständig verringert. Zudem werden die Kreuzfahrtschiffe selbst als Urlaubsort vermarktet: Man verkauft den Platz an Bord des Schiffes (nicht den Hafen, den es anläuft) vordergründig als Urlaubsziel. 544 Als Anbieter von Hochseekreuzfahrten treten Schiffseigner, Reedereien und Reiseveranstalter auf: Schiffseigner bieten Kreuzfahrten unter eigenem Namen an. Dabei organisieren sie die Reise an sich samt Bordbetrieb. Zum Zweck der Risikominimierung werden meist eigene Reiseveranstalter gegründet. Ebenso kann das Schiff zur Bereederung, d.h. zur technischen und kaufmännischen Betriebsführung, an eine Reederei übergeben werden. 541 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 160f 542 vgl. Schulz, Axel; Auer, Josef: Kreuzfahrten und Schiffsverkehr im Tourismus, München 2010, 322 543 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 163f 544 vgl. Sattler, Karl-Otto: Urlaub am faszinierenden Element, in: Das Parlament 25/ 2006, http: / / www. bundestag.de, 13.06.2007; Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 139; Krohn, Olaf: Nur das Meer braucht keiner mehr, in: Die Zeit 24/ 2001, in: http: / / www.zeit.de, 17.04.2007 <?page no="195"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 195 Reedereien können im Besitz eigener Kreuzfahrtschiffe sein oder aber Schiffe anderer Eigner bereedern. Auch sie bieten Kreuzfahrten unter eigenem Namen an, organisieren Seereise und Schiffsbetrieb. Darüber hinaus können sie Schiffe an Reiseveranstalter verchartern. (Kreuzfahrt-)Reiseveranstalter chartern Schiffe von Schiffseignern und Reedern. Je nach Ausgestaltung des Vertrags kann der Veranstalter dabei auch weitere Aufgaben, wie z.B. die Planung der Route, übernehmen. Dabei werden reine Seereiseveranstalter (z.B. AIDA), Anbieter von Hochsee- und Flusskreuzfahrten (z.B. Phoenix) und zu einem Touristikkonzern zugehörige Veranstalter unterschieden (vgl. TUI Cruises). 545 Ein Großteil der Branche wird von wenigen großen Reedereien kontrolliert. Im Zuge der Globalisierung kam es zu einer verstärkten Internationalisierung der Gesellschaften sowie zu zahlreichen Fusionen, aber auch Bankrotten. Doch auch einflussreiche Hotel- und Unterhaltungsunternehmen verstärken ihre Präsenz im Kreuzfahrtsektor. 546 Hinsichtlich ihrer Form lassen sich Hochseekreuzfahrten in klassische, Club- und Studienkreuzfahrten unterscheiden: Bei klassischen Kreuzfahrten liegt die Passagierzahl meist zwischen 125 und 1.000. Es kommen ältere Schiffe mit großen Kabinen und Balkonen zum Einsatz. Der Grad des persönlichen Services ist hoch. Geboten wird Gourmetessen mit fester Sitzordnung. Zum Entertainment gehören klassische Musik, Theater und Lesungen. Die Reisedauer liegt bei 14 Tagen oder mehr. Oft handelt es sich dabei um Weltreisen. Bei Clubkreuzfahrten ist die Passagierzahl wesentlich höher und liegt zwischen 1.000 und 6.000. Eingesetzt werden neue Megaschiffe, die auch über zahlreiche Attraktionen, wie Theater, Kletterwände, Eislaufflächen und dergleichen verfügen. Zusätzlich zum Standardangebot gibt es Luxus-Suiten. Üblich sind Kurzreisen von drei bis sieben Tagen, die in attraktive Warmwasserdestinationen führen. Studienkreuzfahrten werden mit bis zu 1.000 Passagieren durchgeführt. Die Schiffe sind älter und kleiner als bei den erstgenannten Formen. Im Mittelpunkt des Angebots, das sich vorrangig an das ältere Bildungsbürgertum richtet, stehen neue Destinationen und Natureindrücke sowie Fachvorträge an Bord. Entertainment im üblichen Sinne findet nicht statt. 547 Dabei setzen die Anbieter auf typische, korrespondierende Geschäftsmodelle: Klassische Schiffe als Vertreter des traditionellen Kreuzfahrtschiffstyps orientieren auf die Luxus- und Mittelklassenachfrage. Sie weisen ein luxuriöses Ambiente, elegante, großzügige Kabinen sowie eine hervorragende Küche auf. Megaschiffe orientieren auf den Massenmarkt mit moderaten Preisen und nutzen dabei günstige Economies of Scale. Auf den Schiffen herrscht eine legere, ungezwungene Atmosphäre. Kennzeichnend für das Angebot sind viele Sport- und Animationsmöglichkeiten sowie großzügige Aufenthaltsräume. Nischenanbieter spezialisieren sich auf bestimmte Kundentypen und/ oder Zielgebiete. Die Kosten für eine Reise liegen hoch, entsprechend gestalten sich die Preise. Damit will man besonders lukrative Marktsegmente ansprechen. 548 545 vgl. Groß, Sven: Tourismus und Verkehr, Konstanz/ München 2017, 194f; Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 140f 546 vgl. Graeme Robertsen: Der Kreuzfahrttourismus, in: Stiftung für die Meere und Ozeane, http: / / www.lighthousefoundation.org, 10.06.2008 547 vgl. Schulz, Axel: Verkehrsträger im Tourismus, München 2009, 138 548 vgl. ebd., 147f <?page no="196"?> 196 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: 2M - Allianz der größten Container-Reedereien „Auf den Meeren gibt es zu viele Frachter. Aber die Reeder ordern weiter neue und vor allem immer größere. Sie wollen sich so aus der Krise retten - und verursachen die nächste.“ 549 Überkapazitäten machen der Containerschifffahrt seit längerem zu schaffen. Nicht nur die Anzahl der Schiffe auf den Weltmeeren nahm beständig zu, sondern auch deren Größe. Um rentabler arbeiten zu können, werden verstärkt große Containerschiffe eingesetzt, die nicht wesentlich mehr Treibstoff als kleinere Schiffe benötigen, aber weit größere Transportkapazitäten bieten. Allerdings lassen sich dadurch nur bedingt Einsparungen erzielen. Größere Kapazitäten bedeuten auch längere Liegezeiten in den Häfen, wodurch höhere Kosten in Form von Liegegebühren anfallen. Zudem sanken die Frachtraten aufgrund des Überangebots stark. 550 Die Folge waren Fusionen und Übernahmen. Mitte 2013 wurde bekannt, dass die drei größten Container-Linienreedereien der Welt, Mærsk Line (Dänemark), MSC Mediterranean Shipping Company (Schweiz) und CMA CGM (Frankreich), als Antwort auf die Entwicklungen in der Branche die Allianz „P3“ gründen wollen. In der neuen Allianz wollten die drei Reedereien ihre Kompetenzen bündeln und zunächst mit 255 Containerschiffen, die einer Kapazität von rund 2,6 Mio. TEU entsprechen, auf den wichtigsten Routen zwischen Asien und Europa, Asien und Nordamerika bzw. Nordamerika und Europa zusammenarbeiten. 29 Linien sollten dabei bedient werden. 551 Zuvor hätten allerdings die Kartellbehörden zustimmen müssen, was sie nicht taten. Containerschiff „MSC Luisa“ (6.750 TEU) Containerschiff „Mærsk Mc-Kinney Møller“ Deshalb wurde nach einer Alternative gesucht. 2014 schlossen sich Mærsk und MSC nach entsprechender Genehmigung in der Allianz „2M“ zusammen: „Die Vereinbarung mit MSC erstreckt sich laut Mærsk auf 185 Schiffe mit einer geschätzten Kapazität von 2,1 Millionen TEU […] eingesetzt auf 21 Rundläufen. Mærsk beabsichtigt, 110 Schiffe mit einer Kapazität von 1,2 Millionen TEU beizusteuern. Von MSC sollen 75 Einheiten mit 0,9 Millionen TEU kommen.“ 552 Die Flotte von Mærsk Line umfasst aktuell 653 Schiffe (davon 315 Eigentum, 338 Charter). Dies entspricht einer Kapazität von knapp 4 Mio. TEU. MSC unterhält 549 Goebel, Jacqueline: Größenwahn auf dem Ozean (22.02.2016), http: / / www.wiwo.de, 16.06.2020 550 vgl. Stoller, Detlef: 255 Containerschiffe sollen für P3 Network fahren (19.06.2013), http: / / www.ingenieur.de, 23.12.2013; Goebel, Jacqueline: Wer unter den neuen Giganten leidet (19.11.2017), http: / / www.wiwo.de, 17.06.2020 551 vgl. Maersk Line: Maersk Line, MSC and CMA CGM to establish an operational alliance (18.06.2013), http: / / www.maerskpress.com, 27.12.2013 552 o.V.: Neue Kooperation: Aus P3 wird 2 M (10.07.2014), http: / / www.verkehrsrundschau.de, 16.06.2020 <?page no="197"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 197 551 Schiffe (136 Eigentum, 415 Charter) mit einer Kapazität von rund 3,6 Mio. TEU. Die Marktanteile liegen bei 16,6 % bzw. 15,5 %. 553 Die Reedereien erhoffen sich durch die Zusammenarbeit verschiedene Vorteile, so z.B. bezüglich Einsatz und Auslastung der Schiffe, beim Einkauf von Treibstoff und bei der Wartung der Flotte. Dabei rechnet man mit einer Reduzierung der jährlichen Betriebskosten um 1 Mrd. USD. Für die Nachfrager wiederum ergeben sich Vorteile durch mehr Häfen und Direktanläufe. 554 Im Fernost- und Atlantik-Geschäft übernimmt 2M im Vergleich zu konkurrierenden Allianzen jeweils den größten Kapazitätsanteil. Fahrgebiete 2M Ocean Alliance The Alliance Fernost 40 % 36 % 24 % Transpazifik 22 % 41 % 26 % Atlantik 45 % 13 % 36 % Tabelle 3-7 Kapazitätsanteile der größten Allianzen 555 Im Juni 2013 wurde die „Mærsk Mc-Kinney Møller“ (18.270 TEU), das damals größte Containerschiff der Welt und das erste Schiff der Triple-E-Klasse, in Südkorea getauft. Triple-E steht dabei für „economy of scale, energy-efficient and environmentally improved“. 556 Inzwischen sind 31 Schiffe dieser Klasse aus zwei Generationen Bestandteil der Mærsk-Flotte. Mit einer Kapazität von 23.756 TEU ist die 2019 in Dienst gestellte „MSC Gülsün“ das größte Containerschiff der MSC-Flotte. Insgesamt zehn Schwesterschiffe sollen folgen. 557 Das derzeit größte Containerschiff der Welt stammt allerdings von keiner der beiden Reedereien. Die „HMM Algeciras“ (24.000 TEU) fährt für die Reederei HMM (ehemals Hyundai Merchant Marine). Aufgabe 1: Unterziehen Sie die beiden Container-Reedereien Mærsk Line und MSC einer vergleichen Betrachtung! Wo liegen jeweils deren Stärken und Schwächen? Aufgabe 2: Welche Vorteile bringen Allianzen dieser Art generell? Welche Vorteile erhoffen sich die Reedereien im konkreten Fall? Aufgabe 3: Welche Auswirkungen können derartige Kooperation auf die Branche haben? 553 vgl. Alphaliner TOP 100 / 16 Jun 2020, http: / / alphaliner.axsmarine.com, 16.06.2020 554 vgl. Goebel, Jacqueline: Wettstreit auf den Weltmeeren (22.02.2016), http: / / www.wiwo.de, 16.06.2020; o.V.: Reeder-Allianz kann wohl in See stechen (09.10.2014), http: / / www.n-tv.de, 16.6.2020; o.V.: Neue Kooperation: Aus P3 wird 2M (10.07.2014), http: / / www.verkehrsrundschau.de, 16.06.2020 555 erstellt nach: o.V.: Kapazitätsanteile der größten Schifffahrts-Allianzen weltweit nach Fahrgebieten im Jahr 2019, http: / / de.statista.com, 16.06.2020 556 o.V.: Triple-E Class Container Ship, Denmark, http: / / www.ship-technology.com, 17.06.2020 557 vgl. o.V.: Größtes Containerschiff der Welt legt in Bremerhaven an (19.08.2019), http: / / www.manager-magazin.de, 17.06.2020 <?page no="198"?> 198 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.2.5 Lufttransportbetriebe Der europäische Luftverkehr wurde jahrzehntelang vom Prinzip der nationalen Souveränität bestimmt, d.h., dem Staat oblag die Kontrolle des Marktzugangs sowie der Flugtarife zum Schutz der nationalen Fluggesellschaften. Der internationale Luftverkehr war gekennzeichnet durch zahlreiche bilaterale Vereinbarungen, wodurch allerdings die Möglichkeiten einer effizienten Streckenführung und Ressourcenauslastung eingeschränkt wurden. Die Liberalisierung der Luftverkehrspolitik in Europa zielt darauf ab, Fluggesellschaften den Marktzugang zu erleichtern und die Wettbewerbsstrukturen zu differenzieren. 558 Damit sind für die Luftverkehrsbetriebe verschiedene Vor- und Nachteilen verbunden: Vorteile Nachteile erhöhtes Leistungsangebot; differenzierte Beförderungskategorien flexible und innovative Preisgestaltung; niedrige Flugpreise im Interesse der Kunden gesteigerte Produktivität durch Rationalisierung und Optimierung des Streckennetzes effizienter Einsatz der Flugzeuge Kostensenkungsdruck durch zunehmenden Wettbewerb verbesserte wirtschaftliche Lage der Fluggesellschaften Ausnutzung von Monopolstellungen nicht möglich verringerte Gefährdung der Sicherheitsstandards durch Vorgabe technischer Normen harter Preiswettbewerb (mit Phasen der Preiserhöhung) eingeschränkter Verkehr zu kleineren Orten auf weniger rentablen Stecken Zwang zu Produktivitätssteigerung Entwicklung einer konzentrierten Marktstruktur auf langfristige Sicht Kosteneinsparungen betreffend die Bereiche Wartung, Ausbildung und Arbeitszeit des Personals sowie den Flugbetrieb bei risikoreichen Wetterbedingungen Abnahme der Erlöse für die Fluggesellschaften Tabelle 3-8 Vor- und Nachteile der Deregulierung 559 Im Gefolge der neuen Bestimmungen im Luftverkehrsmarkt kam es weltweit zu einem rasanten Anstieg der Passagierzahlen. Allerdings stellt die zunehmende Nachfrage nach Luftverkehrsdienstleistungen eine große verkehrswirtschaftliche und umweltpolitische Herausforderung dar. Die Fluggesellschaften haben vielerorts ihre Kapazitätsgrenzen erreicht: Der Einsatz der Flugzeuge wird maximiert, was - durch den erhöhten Kerosinverbrauch - zu einer zusätzlichen Belastung der Umwelt führt. 560 Zudem erweisen sich begrenzte Start- und Landerechte sowie Platzmangel zum Ausbau der Landebahnen, für Terminalerweiterungen oder zur Vergrößerung von Abstellflächen zunehmend als Problem. Durch die Deregulierung im Luftverkehrsmarkt und den Erfolg der Low-Cost-Airlines wird es nun vielen Millionen Europäern ermöglicht, anstelle des Autos oder der Bahn das Flugzeug zu nutzen. Wie der Luftverkehrsmarkt der Zukunft aussehen wird, ist noch offen. Zumindest bleibt zu hoffen, 558 vgl. Pompl, Wilhelm: Luftverkehr - Eine ökonomische und politische Einführung, Berlin/ Heidelberg/ New York 2007, 333ff 559 modifiziert nach: Pompl, Wilhelm: Luftverkehr - Eine ökonomische und politische Einführung, Berlin/ Heidelberg/ New York 2007, 398f; Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Road Map Luftfahrt 2020, Wien 2011, 18; Kirmse, Diana: Strategische Marktdiagnose und Entwicklung einer Marketingkonzeption für den Flugplatz Altenburg-Nobitz, Zwickau 2004, 107 560 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Flughafenkonzept der Bundesregierung 2009, Berlin 2010, 3 <?page no="199"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 199 dass angesichts des hohen Kerosinverbrauchs und der daraus resultierenden Abgasbelastung durch die Einführung entsprechender Umweltabgaben die Attraktivität anderer Verkehrsmittel wieder zunehmen wird. Geschäftsmodelle von Fluggesellschaften können im Wesentlichen durch die angebotenen Leistungen, die bedienten Destinationen und die Regelmäßigkeit der Bedienung, die Flottenstruktur sowie den Anteil von Passagier- und Frachttransport charakterisiert werden. 561 Im Frachtverkehr lassen sich danach die Geschäftsmodelle Combi Carrier, All Cargo Carrier und Integrator unterscheiden. Combi Carrier transportieren sowohl Personen als auch Fracht, wobei das Haupttätigkeitsfeld im Passagiergeschäft liegt. Zu unterscheiden ist dabei jedoch zwischen Fluggesellschaften, die den Frachttransport nur als Nebenprodukt betrachten, und solchen, die der Fracht weitaus größere Bedeutung beimessen. Bei ersteren bestehen die Flotten aus reinen Passagiermaschinen. Der Frachttransport erfolgt in Frachträumen im Unterflurbereich (Belly-Fracht). Bei letzteren setzen sich die Flotten aus Passagiermaschinen und reinen Frachtmaschinen zusammen. Der Frachttransport wird i.d.R. auch separat vom Passagiergeschäft abgewickelt. Dadurch lassen sich größere Frachtmengen unabhängig von der Passagiernachfrage befördern. Da die Netze im Passagierverkehr relativ dicht sind und viele Relationen häufig bedient werden, können Combi Carrier auch im Frachttransport, insbesondere z.B. bei Kuriersendungen, davon profitieren. Umgekehrt lässt sich die Wirtschaftlichkeit des Passagiersektors steigern, wenn ungenutzte Kapazitäten durch Fracht ausgelastet werden können. Neben diesen Vorteilen weist das Geschäftsmodell auch einige Nachteile auf. Zum einen bilden die Flugpläne im Passagierluftverkehr die Basis für das Angebot im Frachtverkehr. Zum anderen setzt der Passagierverkehr auch Maßstäbe hinsichtlich der Sicherheit der Fracht. Zudem kann nur der Unterflurbereich für den Frachttransport genutzt werden, wodurch eine Maximalgröße für die Packstücke vorgegeben ist. Hinzu kommt, dass sich die jeweiligen Frachtkapazitäten nach der Auslastung der Maschinen durch Passagiere und Gepäck richten. Beispiele für Combi Carrier sind viele bekannte Linienfluggesellschaften, so z.B. die drei Marktführer in diesem Sektor Lufthansa, British Airways oder Air France/ KLM. Allerdings beträgt hier der Frachtanteil am Umsatz nicht einmal 15 %. Daneben gibt es auch Linienfluggesellschaften, die außer dem Reisegepäck der Passagiere keine Fracht befördern. Darunter sind viele Low Cost Carrier zu finden. 562 All Cargo Carrier haben sich auf den Transport von Fracht bzw. Post spezialisiert. Die Beförderung von Personen erfolgt nur in Ausnahmefällen, z.B. in Zusammenhang mit bestimmten Gütern. Ziel ist hier nicht, ein dichtes Streckennetz und/ oder kurze Laufzeiten anzubieten, sondern man möchte sich als Anbieter für Speziallösungen in der Luftfracht positionieren. Der Frachttransport erfolgt dabei auf dem Hauptdeck spezieller Frachtflugzeuge. Dadurch lassen sich wesentlich größere Frachtmengen und auch Packstücke bzw. Ladungsträger transportieren als bei einem Combi Carrier. Unabhängig von den Flugplänen des Passagierverkehrs lassen sich Abflugzeiten, Routen und eventuell notwendige Zwischenlandungen (vgl. Auslastungsoptimierung) flexibel festlegen. Jedoch sind derart spezialisierte Fluggesellschaften vollkommen vom Frachtgeschäft abhängig. Dieses Geschäftsmodell wird wesentlich seltener genutzt als das der Combi Carrier. Bekannte Vertreter dieses Geschäftsmodells sind z.B. Volga-Dnjepr-Airlines oder Cargolux. 563 All Cargo Carrier können Bestandteil des Geschäftsmodells Integrator sein. Hierbei findet eine Verknüpfung von Speditions- und Frachtführeraufgaben statt. Ziel ist es, im Tür-zu-Tür-Transport 561 vgl. Bernecker, Tobias; Grandjot, Hans-Helmut: Leitfaden Luftfracht, München 2017, 14 562 vgl. ebd., 59ff 563 vgl. ebd., 61ff; Kleiser, Katrin Julia: Kategorisierung und Bewertung von Geschäftsmodellen in der Luftfracht, Karlsruhe 2010, 46 <?page no="200"?> 200 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen mit dem Schwerpunkt Express-Lieferungen kundenorientiertere Leistungen und kürzere Laufzeiten sowie zudem ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten zu können. Dazu gehören neben dem reinen Lufttransport auch die Durchführung des Vor- und Nachlaufs sowie begleitende Dienstleistungen. Der Frachttransport erfolgt vor allem in Form planmäßiger Linienverkehre in einem dichten Netz unter Nutzung verschiedener Hubs. Die meist großen Flotten bestehen ausschließlich aus Frachtmaschinen. Typische Vertreter dieses Geschäftsmodells sind DHL Aviation, UPS Airlines und FedEx Express. 564 Darüber hinaus sind ACMI-Provider aktiv, die Flugzeuge (aircraft) samt Personal (crew), Wartung (maintainance) und Versicherungen (insurance) im Rahmen von Leasingmodellen für andere Fluggesellschaften bereitstellen. ACMI-Provider sind meist weltweit aktiv und arbeiten für mehrere Kunden. Typische Beispiele sind Atlas Air, ABX Air und World Airways. 565 Im Personenverkehr können die Geschäftsmodelle Network Carrier, Regional Carrier, Low Cost Carrier, Leisure Carrier, Business Aviation und Lufttaxi unterschieden werden. 566 Network Carrier sind Linienfluggesellschaften, die Linienverkehr im Hub-and-Spoke-System zwischen zentralen Orten anbieten. Dabei gehören sowohl nationale als auch kontinentale und interkontinentale Verbindungen unterschiedlicher Länge und mit unterschiedlich hohem Passagieraufkommen zum Angebot. Bevorzugte Flughäfen sind - auch aufgrund der guten intermodalen Vernetzung - internationale Großflughäfen; aber auch sogenannte „ secondary airports “ werden angeflogen. Die Flotte ist meist heterogen. Eingesetzt werden vor allem Flugzeuge der Hersteller Airbus und Boeing, wobei die Kapazität zwischen 130 und 800 Sitzplätzen pro Maschine liegt. Die auch als „Full Service“-Fluggesellschaften bezeichneten Unternehmen halten ein umfangreiches und differenziertes Produkt- und Serviceangebot bereit, welches sich hauptsächlich an den Bedürfnissen der Geschäftsreisenden orientiert. Aber auch Privatreisende will man - mit entsprechenden Anpassungen im Angebot - erreichen. Eine Angebotsdifferenzierung wird durch unterschiedliche Beförderungsklassen (vgl. First, Business und Economy Class) vorgenommen. An diesen Beförderungsklassen orientiert sich auch das Preiskonzept. Eine Differenzierung der Preise findet nach zeitlichen, personellen sowie räumlichen Aspekten statt. Im Rahmen der Distribution werden unterschiedlichste Kanäle genutzt, um eine starke Präsenz zu erreichen. Ebenso vielfältig gestaltet sich die Marketingkommunikation, die sowohl Onlineals auch Offline-Medien einbezieht. Typische Vertreter dieses Geschäftsmodells sind Air Canada, Air China, Air France/ KLM, British Airways, Cathay Pacific, Emirates, Japan Airlines, Lufthansa, Qantas, Singapore Airlines, Thai Airways. 567 Stärken der Network Carrier sind die dichten Streckennetze, die international auch über Kooperationen aufrechterhalten werden. Die Fluggesellschaften repräsentieren bekannte und starke Marken, können auf eine jahrzehntelange Erfahrung und Präsenz zurückblicken und agieren i.d.R. aus einer monopolähnlichen Position an ihren Hubs heraus. Dort und auch an anderen stark nachgefragten Großflughäfen sind sie in attraktiven Zeitnischen (Slots) vertreten. Die Kundenbindung erfolgt meist über Vielfliegerprogramme. Allerdings weist dieses Geschäftsmodell auch Schwächen auf. So sind die Fluggesellschaften zur Einhaltung des Flugplans auch bei schlechter Auslastung gezwungen. Eine Zusammenlegung von Flügen ist nicht möglich. Die Unternehmen erweisen 564 vgl. Bernecker, Tobias; Grandjot, Hans-Helmut: Leitfaden Luftfracht, München 2017, 63ff; Kleiser, Katrin Julia: Kategorisierung und Bewertung von Geschäftsmodellen in der Luftfracht, Karlsruhe 2010, 113 565 vgl. Bernecker, Tobias; Grandjot, Hans-Helmut: Leitfaden Luftfracht, München 2017, 87f 566 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 226ff 567 vgl. ebd., 228f <?page no="201"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 201 sich oft als schwerfällige Organisationen, die geprägt sind von bürokratischen Strukturen. Aufgrund der dichten Streckennetze, der heterogenen Flotte, der praktizierten Angebots- und Preisdifferenzierung, der unterschiedlichen genutzten Vertriebskanäle usw. fallen hohe Kosten an, die sich in der Preispolitik niederschlagen müssen. 568 Auch Regional Carrier sind Linienfluggesellschaften, bieten allerdings Linienverkehr v.a. im Point-to-Point-System zwischen dezentralen Orten an. Obwohl sie als „regionale“ Fluggesellschaften bezeichnet werden, sind sie nicht nur auf inländischen, sondern auch auf kontinentalen Strecken aktiv. Angeflogen werden mittelgroße und kleine Flughäfen. Die Flotte setzt sich in der Regel aus wenigen und kleinen Flugzeugen (meist von den Flugzeugherstellern Embraer und Bombardier) zusammen, die Kapazitäten zwischen 19 und 120 Sitzplätzen pro Maschine aufweisen. Aufgrund der eher kleinen Maschinen lassen sich auch Strecken mit einer vergleichsweise geringen Nachfrage effizient bedienen. Das Angebot richtet sich vor allem an Geschäftsreisende und ist auch entsprechend gestaltet. Je nach Flugzeuggröße werden eine oder zwei Beförderungsklassen angeboten. Auch die Preise sind an der Hauptzielgruppe ausgerichtet und liegen eher im gehobenen Preissegment. Dies rührt auch daher, dass meist eher hohe Flughafenentgelte kompensiert werden müssen. Bei der Distribution stützt man sich vor allem auf das Internet bzw. Call Center. Im Falle einer Kooperation mit Network Carriern greift man auch auf deren Dienste zurück. Anders als die Network Carrier muss kaum in eine intensive Marketingkommunikation investiert werden, da die Hauptkunden mit den Flugplänen vertraut sind. Typische Beispiele sind Aegean Airlines, Envoy, KLM Cityhopper, Lufthansa City Line und SkyWest Airlines. 569 Low Cost Carrier sind ebenfalls Linienfluggesellschaften, haben sich jedoch auf Linienverkehr im Point-to-Point-System zwischen Sekundärflughäfen spezialisiert. Bevorzugt werden dabei Relationen, die ein hohes Verkehrsaufkommen aufweisen. Der Aktionsraum erstreckt sich in der Regel auf einen Kontinent, es werden aber auch inländische Strecken bedient. Start- und Zielflughäfen sind häufig mittelgroße und kleine Flughäfen in der Nähe von Ballungszentren. Große Drehkreuze - mit hohen Start- und Landegebühren und begehrten Slots, aber auch gekennzeichnet durch Verspätungen - werden gemieden. Pünktlichkeit ist für Low Cost Carrier von besonderer Bedeutung, insbesondere auch aufgrund dichter Einsatzpläne der Maschinen (bis zu sieben Strecken pro Tag) und der geringen Bodenstandzeiten von teilweise nur rund 25 Minuten. Die Flotte ist meist homogen. Die Maschinen weisen eine Kapazität zwischen 150 und 250 Sitzplätzen auf. Viele Fluggesellschaften setzten dabei nur einen einzigen Flugzeugtyp bzw. verschiedene Varianten desselben Typs ein. Häufigste Vertreter sind Airbus A319 und A321 sowie Boeing 737. Da das fliegende Personal und Mechaniker nur auf einem Flugzeugtyp geschult sein müssen, lassen sich Kosten sparen. Ebenso gestaltet sich die Ersatzteilbeschaffung und -bevorratung günstiger. Wartungsfristen sind einheitlich und können besser geplant werden. Das Angebot richtet sich vor allem an Privatreisende, wird aber auch von preissensiblen Geschäftsreisenden genutzt. Durch die preisgünstigen Flugtickets wird einerseits Nachfrage bei Wettbewerbern abgeworben, andererseits werden neue Nachfragepotentiale erschlossen. Kooperationen mit anderen Fluggesellschaften, z.B. zur Gewährleistung von Anschlussflügen, gibt es nicht. Notwendige Abstimmungen per Computersystem würden die Kosten erhöhen. Das Produkt- und Serviceangebot 568 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 230f 569 vgl. ebd., 231ff <?page no="202"?> 202 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen beschränkt sich auf die Beförderungsleistung. Zusätzliche Leistungen (z.B. Lounges, Bordverpflegung) werden - wenn überhaupt - ausschließlich gegen Entgelt angeboten. Die Flugzeuge weisen nur eine Beförderungsklasse auf; die Bestuhlung ist dabei vergleichsweise dicht. In der Preispolitik verfolgt man die Promotionspreisstrategie. Allerdings ist für die werbewirksamen Billigtickets oft nur ein geringer Anteil (je nach Fluggesellschaft und Nachfrage 10-50 %) der Sitzplätze vorgesehen. Im Rahmen der Distribution werden aus Kostengründen das Internet und meist auch Call Center genutzt. Reisebüros sind in den Vertrieb nicht einbezogen. Auch bei der Marketingkommunikation setzt man auf kostengünstige Medien. Gemäß der Grundorientierung des Geschäftsmodells ist der Niedrigpreis das entscheidende Werbeargument. Bekannte Beispiele sind Aer Lingus, AirAsia, easyJet, Norwegian, Ryanair, Southwest Airlines, TUIfly, Virgin Australia, Wizz Air. 570 Leisure Carrier sind Ferienfluggesellschaften, die Gelegenheitsverkehr im Point-to-Point- System zwischen touristisch wichtigen Quell- und Zielmärkten durchführen. Dabei finden Nonstop bzw. Direktflüge statt. Zwischenstopps dienen teilweise dazu, die Nachfrage an bestimmten Flughäfen zu bündeln. Leisure Carrier bieten hauptsächlich kontinentale Flüge - mit unterschiedlichen Streckenlängen - an. Bedient werden üblicherweise kleine bis mittelgroße Flughäfen, aber auch Großflughäfen zu den Tagesrandzeiten. Die Flotte ist meist heterogen, wobei die einzelnen Maschinen eine Kapazität von 150 und 250 Sitzplätzen aufweisen. Das Angebot richtet sich an Privatreisende. Dies sind zum einen Pauschalreisende, aber auch zunehmend Endverbraucher, die kein Reisepaket bei einem Veranstalter, sondern nur den Flug buchen. Angeboten wird im Kontinentalverkehr meist nur eine Beförderungsklasse mit vergleichsweise dichter Bestuhlung. Das Serviceangebot an Bord lässt sich mit jenem der Network Carrier vergleichen. Bei den Serviceleistungen am Boden orientiert man sich eher an den Low Cost Carriern. Handelt es sich um Charter-Flüge eines Reiseveranstalters, stellt der Flug einen Teil des Leistungspakets einer (Pauschal-)Reise dar. In diesem Fall erfolgt auch die Distribution über den Veranstalter. Endverbraucher, die nur einen Flug buchen wollen, können dies meist über Internet oder Call Center erledigen. Bei der Einbeziehung von Reiseveranstaltern ist eine aktive Marketingkommunikation kaum notwendig. Anders verhält es sich bei Einzelplatzverkäufen, für die intensiv geworben wird. Typische Vertreter dieses Geschäftsmodells sind Air Méditerranée, Condor, Edelweiss Air, Novair, SunExpress, TUI Airlines. 571 In letzter Zeit zeigt sich, dass sich die beiden Geschäftsmodelle Low Cost Carrier und Leisure Carrier stärker annähern. Während die Low-Cost-Gesellschaften versuchen, sich auf bisher ausgeprägten Charter-Strecken zu etablieren, lehnen sich Leisure Carrier verstärkt an typische Low- Cost-Merkmale an. 572 Merkmales des Geschäftsfelds Business Aviation ist die Bereitstellung der Gesamtkapazität einer Maschine. Geflogen wird nach Bedarf. Dabei können sowohl Personen als auch Fracht transportiert werden. Üblich ist hier Punkt-zu-Punkt-Verkehr. Als Start- und Landeplätze stehen wesentlich mehr Flughäfen zur Verfügung als für Maschinen des Linienverkehrs - gelandet werden kann sowohl auf Primärflughäfen als auch auf Regionalflugplätzen. Flexibilität besteht auch hinsichtlich der Abflugzeiten und Flugrouten, die der Kunde weitestgehend festlegen kann. Die Flotten der Betreiber sind üblicherweise heterogen, um verschiedensten Kundenbedürfnissen gerecht werden 570 vgl. ebd., 234ff; Plath, Dietmar; Röben, Astrid; Rothfischer, Brigitte: Das große Buch der Airlines, München 2011, 136; Pompl, Wilhelm: Luftverkehr - Eine ökonomische und politische Einführung, Berlin/ Heidelberg/ New York 2007, 106 571 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 249ff 572 vgl. ebd., 260 <?page no="203"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 203 zu können. Flugzeuge, die im Bereich Business Aviation zum Einsatz kommen, sind i.d.R. sehr komfortabel ausgestattet. Der Bordservice kann individuell festgelegt werden. Die Passagiere werden nicht gemeinsam mit jenen des Linienverkehrs abgefertigt, sondern in sogenannten General Aviation Terminals. Dadurch laufen die Abfertigungsprozesse wesentlich zügiger und unkomplizierter ab. Ebenso gibt es kaum Beschränkungen bezüglich des Gepäcks. Als günstig erweist sich auch der geringe Personalbedarf, da Hostessen nur auf Wunsch mitfliegen. Die Preispolitik orientiert sich vor allem an den Flugstunden. Umfangreiche Werbe- und Vertriebsmaßnahmen sind beim Einsatz von Privat- und Firmenmaschinen nicht erforderlich. Werden Maschinen verchartert, stehen persönliche Anfragen im Vordergrund. 573 Schließlich ist noch das Geschäftsmodell Lufttaxi zu unterscheiden. Hierbei werden Sitzplätze „on demand“ bereitgestellt. Ähnlich wie bei Business Aviation richtet sich die Abflugzeit nicht nach einem Flugplan, sondern nach dem Bedarf der Reisenden. Ebenso können hier auch viele kleine Flughäfen angeflogen werden, so dass der Reisende seinem eigentlichen Ziel oft näher kommt als bei Nutzung eines größeren Flughafens. Vorteilhaft ist ebenfalls, dass nicht die gesamte Kapazität der Maschine, sondern nur die tatsächlich genutzten Sitzplätze zu zahlen sind. Generell sind die Beförderungskosten günstiger als im Bereich Business Aviation, da die Maschinen in Bezug auf Anschaffung, Betrieb und Wartung geringere Kosten verursachen. Nachteilig wirken sich die geringe Geschwindigkeit und Reichweite der Maschinen aus. Darüber hinaus ist der Komfort an Bord vergleichsweise niedrig. 574 Eine besondere Bedeutung kommt mittlerweile den Allianzen der Fluggesellschaften zu. Drei Luftfahrtbündnisse - Star Alliance, oneworld und Skyteam - teilen den weltweiten Luftmarkt unter sich auf. Die beteiligten Fluggesellschaften erwarten von einer Mitgliedschaft vor allem Kosteneinsparungen aufgrund vereinfachter Reservierungs- und Abfertigungsprozesse. Durch die Kopplung von Flugplänen können die einzelnen Fluggesellschaften den Kunden eine größere Auswahl von Verbindungen in alle Welt anbieten, ohne dazu zusätzliche Maschinen starten lassen zu müssen. Durch das sogenannte Code-Sharing - wobei die gemeinsame Nutzung von Flugrechten unter einer einheitlichen Codenummer vereinbart wird - können Flugzeuge besser ausgelastet und Angebote von Konkurrenten verdrängt werden. Auch durch gemeinsame Flugzeug- oder Kerosinkäufe können die Partner in einer Allianz profitieren. 575 Die Passagiere haben ebenso Vorteile: Die Flugpläne sind aufeinander abgestimmt, so dass keine großen Wartezeiten beim Umsteigen entstehen. Zudem kann das Gepäck bis zum Zielflughafen durchgecheckt werden. Bonusprogramme gelten nicht nur für eine Fluggesellschaft, sondern innerhalb der gesamten Allianz. An den Flughäfen können auch die Lounges der Allianzpartner genutzt werden. 573 vgl. Conrady, Roland; Fichert, Frank; Sterzenbach, Rüdiger: Luftverkehr, München 2019, 252ff 574 vgl. ebd., 259f 575 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 145f ; Warnholtz, Anna: Bewegung am Himmel (13.08.2008), http: / / www.welt.de, 27.01.2009; Haas, Sybille: Allianzen auf Zeit (30.09.2003), http: / / www.sueddeutsche.de, 06.02.2009; Künzel, Sebastian: Bewegung am Himmel, http: / / www.dfs.de, 06.02.2009 <?page no="204"?> 204 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Vorteile von Allianzen Nachteile von Allianzen für Fluggesellschaften Einsparungen in Millionenhöhe Vernetzung von Flugplänen, Buchungssystemen, Code-Sharing Bündeln von An- und Abflügen bessere Auslastung Verdrängung von Angeboten der Konkurrenz gemeinsamer Einkauf gebündelter Vertrieb höhere Rentabilität geringere Risiken und leichtere Kontrolle als bei Fusion geringere finanzielle Vorteile als bei Fusion erhöhter Abstimmungsbedarf Kapazitätsengpässe auf Flughäfen mögliches Problem: durchgängige Gewährleistung bestimmter Service- und Qualitätsstandards → sorgfältige Auswahl der Kooperationspartner notwendig für Passagiere größere Auswahl attraktiver Verbindungen kürzere Reisezeiten preiswertere Flüge Angebot durchgehender Sondertarife (inkl. Kundenbindungsprogramme) weniger Non-Stop-Verbindungen häufigeres Umsteigen Tabelle 3-9 Vor- und Nachteile von Allianzen <?page no="205"?> 3.2 Verkehrsunternehmen nach Verkehrsträgern 205 Fallstudie: Discounter am Himmel - Entwicklung der Low Cost Carrier Die Entwicklung eines Niedrigpreissegments bei den Luftverkehrsdienstleistungen begann vor etwa 30 Jahren in den USA. Southwest Airlines, auch als „Mutter aller Billigflieger“ 576 bezeichnet, wurde 1967 mit Sitz in Dallas Love Field gegründet. Seitdem ist die Fluggesellschaft kontinuierlich gewachsen. Gemessen an den Passagierzahlen, gilt sie heute als größte Fluggesellschaft der Welt. Jährlich werden 130 Mio. Passagiere gezählt. Die Mitarbeiterzahl liegt bei rund 60.000. Die wichtigsten Flughäfen sind Chicago Midway und Las Vegas . 577 Von Beginn an setzte Southwest auf ein auf niedrige Kosten ausgerichtetes Geschäftsmodell. Die Flotte, inzwischen über 700 Flugzeuge, setzte sich zunächst aus Maschinen eines einzigen Typs (drei Varianten der Boeing 737) zusammen. Dies hat den Vorteil, dass das Bordpersonal auf allen Flugzeugen eingesetzt werden kann. Mittlerweile gehören auch Maschinen des Typs Boeing 717 zur Flotte. Auf Bordservice wird verzichtet. Die Standzeiten werden minimiert und betragen i.d.R. lediglich 20 bis 30 Minuten. Buchbar sind die Flüge nur über das Internet oder ein Call Center. 578 In der EU sind seit 1995 Low Cost Carrier erfolgreich aktiv. Als Vorreiter der Low-Cost-Entwicklung in Europa kann die irische Fluggesellschaft Ryanair bezeichnet werden. Der tägliche Flugbetrieb wurde 1985 zwischen Waterford (Irland) und London-Gatwick aufgenommen. Im ersten Jahr wurden 5.000 Passagiere befördert; im Unternehmen waren damals 51 Mitarbeiter tätig. 579 Seitdem entwickelte sich das Unternehmen - vor allem aufgrund seiner aggressiven Preispolitik - zu einem starken Wettbewerber der bereits etablierten Fluggesellschaften. Im Zuge der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrsmarktes wurde das Streckennetz systematisch ausgebaut. Michael O’Leary, der ab 1993 das Konzept der Fluggesellschaft nach dem Vorbild von Southwest Airlines umbaute, setzt auf leicht nachvollziehbare Prinzipien: „Möglichst viele Passagiere, schnelle Umlaufzeiten, ein Flugzeugtyp, keine Extras. Entsprechend sind alle Boeings mit 189 Sitzen relativ eng bestuhlt. Ryanair fliegt ausschließlich Sekundärflughäfen an, wo die (Roll-)Wege kürzer sind und die Abfertigung schneller vonstatten geht.“ 580 Zusätzliche Serviceleistungen müssen vom Kunden extra bezahlt werden. Die Ablauforganisation ermöglicht es, weniger Bodenpersonal einzusetzen, wodurch Personalkosten gespart werden können. Zudem wird beim Bordpersonal auf Zeitarbeitskräfte zurückgegriffen. 581 Kritisiert wird diese Praktik insbesondere durch die Gewerkschaften, die z.B. schon seit langer Zeit dafür kämpfen, den Abschluss von Tarifverträgen und eine gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter zu ermöglichen. 582 Heute ist Ryanair Europas größte Billigfluggesellschaft und bietet ausgehend von 82 Standorten mehr als 2.400 Flüge täglich in 40 Ländern an. Zur Flotte gehören 470 Flugzeuge des Typs Boeing 737-800, ein weiterer Ausbau der Flotte ist vorgesehen. Das Unternehmen befördert rund 156 Mio. Passagiere pro Jahr und beschäftigt über 19.000 Mitarbeiter. Bis 2025 sollen die Passagierzahlen auf 200 Mio. gesteigert werden. 583 576 Plath, Dietmar; Röben, Astrid; Rothfischer, Brigitte: Das große Buch der Airlines, München 2011, 21 577 vgl. Southwest Airliens Co.: Southwest Corporate Fact Sheet, http: / / swamedia.com, 08.09.2020 578 vgl. ebd.; Plath, Dietmar; Röben, Astrid; Rothfischer, Brigitte: Das große Buch der Airlines, München 2011, 22f 579 vgl. Ryanair Ltd.: History of Ryanair, http: / / www.ryanair.com, 08.02.2016 580 Plath, Dietmar; Röben, Astrid; Rothfischer, Brigitte: Das große Buch der Airlines, München 2011, 32 581 vgl. ebd., 32f 582 vgl. Hedman, Lena: Billigflug - zu jedem Preis? , in: Nordis, Mai/ Juni 2005, 55 583 vgl. Ryanair Ltd.: History of Ryanair, http: / / www.ryanair.com, 17.06.2020 <?page no="206"?> 206 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Ebenso inspiriert durch den Erfolg von Southwest Airlines, entwickelte - fast zeitgleich, was zusätzlich anspornte - Stelios Haju-Ioannou das Geschäftsmodell von easyJet. Mit Luton wurde ein Flughafen gewählt, der deutlich niedrigere Landegebühren mit sich brachte als Heathrow oder Gatwick. Kurze Standzeiten garantierten eine intensive Nutzung der Maschinen. Gratis-Leistungen an Bord (z.B. Catering, Sitzplatzreservierung) gab es nicht. Auf den Flugzeugrümpfen prangte groß die Telefonnummer, unter der Flüge gebucht werden konnten. Auf Vermittler wie Reisebüros, die nur zur Erhöhung der Kosten beigetragen hätten, verzichtete man. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch das Internet, das weitere Kostensenkungen ermöglichte. 584 easyJet bietet inzwischen von 159 Flughäfen aus 1.051 Routen in 34 Ländern an. Zur Flotte gehören über 331 Flugzeuge der Airbus A320-Familie. 2019 wurden 96 Mio. Passagiere befördert. Im Unternehmen sind über 15.000 Mitarbeiter beschäftigt. 585 Aufgabe 1: Welche Faktoren beeinflussen die Wettbewerbsintensität einer Branche im Allgemeinen? Welche Merkmale weist der europäische Luftverkehrsmarkt auf? Aufgabe 2: Was sind Kennzeichen des Geschäftsmodells von Low Cost Airlines? Welche Komponenten tragen neben dem niedrigen Preis zum Erfolg der Fluggesellschaften bei? Aufgabe 3: Welche externen Faktoren beeinflussen die strategischen Aktionsfelder von Low Cost Airlines? Aufgabe 4: Wie wirkt sich die großzügige Unterstützung der Politik auf die Entwicklung des internationalen Flugverkehrs aus? 584 vgl. Chesshyre, Tom: Lost in Paderborn: Wie man mit Billigfliegern durch ganz Europa kommt - und was man dort erleben kann, München 2009, 260f 585 vgl. easyJet Airline Company Ltd.: Resilient focused data driven - Annual Report and Accounts 2019, Luton 2019, 13 <?page no="207"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 207 3.3 Management in Verkehrsunternehmen Die Aufgaben des Managements beinhalten sowohl personenbezogene als auch sachbezogene Aspekte. Die personenbezogene Dimension umfasst die Führung von Mitarbeitern und die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie zielt folglich unmittelbar auf die Beeinflussung menschlichen Verhaltens. Die sachbezogene Dimension beinhaltet die Initiierung und Lenkung von Entscheidungsprozessen. Eine Trennung der beiden genannten Dimensionen ist allerdings nicht real, sondern lediglich gedanklich-analytisch möglich. So sind nahezu alle Aufgaben sowohl personenbezogen als auch sachbezogen. Management als Funktion meint die vom Management wahrzunehmenden Aufgaben. Diese gliedern sich in die Bereiche Führungsfunktionen und Sachfunktionen. Die Führungsfunktionen umfassen die Aufgaben Kommunikation, Zielsetzung und Planung, Entscheidung, Motivation, Organisation und Überwachung. Die Sachfunktionen beinhalten Beschaffung, Leistungserstellung, Leistungsverwertung, die Finanzierung und das Informationswesen. Zwischen den einzelnen Managementaufgaben lassen sich vielfältige Zusammenhänge erkennen. Dabei ist besonders auf die Zusammenhänge zwischen den Führungsfunktionen und den Sachfunktionen hinzuweisen. Bei der Ausübung jeder der Sachfunktionen kommen nämlich ausnahmslos sämtliche Führungsfunktionen zur Anwendung. 3.3.1 Kommunikation Kommunikation stellt ein Instrument zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen dar. Sie kann als zentrales Instrument des Managements aufgefasst werden und ist durch starke Wechselbeziehungen zu den anderen Funktionen gekennzeichnet. Kommunikation erfüllt vier Hauptaufgaben: Information, Motivation, Ausdruck von Emotionen und Kontrolle. Diese Funktionen dürfen nicht isoliert voneinander betrachtet werden, da Kommunikation meist mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllt. 586 Die Kommunikationspartner (Sender und Empfänger) sind die an der Kommunikation als Handlung beteiligten Personen. Deren meist soziale Beziehung ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Derartige Faktoren können die Persönlichkeit der Partner, der Kommunikationstyp und der Verlauf des Kommunikationsprozesses sein. Die vom Sender zu übermittelnde Information wird zunächst codiert, um sie in eine für den Kommunikationskanal übertragbare Form zu verwandeln. Der Empfänger nimmt die verschlüsselte Information auf und decodiert sie. Gelangen Teile der Reaktion des Empfängers zum Sender zurück, bezeichnet man das als Feedback . Durch diese Rückkopplung kann der Sender feststellen, ob seine Nachricht vom Empfänger richtig verstanden wurde und wie er darauf reagierte. Die Übertragung von Informationen kann zu jeder Zeit von vielfältigen Störsignalen beeinflusst werden, was die Kommunikation an sich problematisch macht. Die Kommunikationsrichtung kann vertikal oder lateral verlaufen. Die vertikale Kommunikation kann wiederum abwärtsgerichtet („top-down“, z.B. Anweisungen des Managements an die Mitarbeiter) oder aufwärtsgerichtet („bottom-up“, z.B. Berichte, Feedback der Mitarbeiter an ihre 586 siehe dazu auch: Robbins, Stephen P.; Judge, Tomothy A.; Millett, Bruce; Boyle, Maree: Organizational behaviour, Frenchs Forest 2013, 270ff <?page no="208"?> 208 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Vorgesetzten) sein. Ein Beispiel für laterale Kommunikation wäre etwa der Erfahrungs- oder Meinungsaustausch zwischen Mitarbeitern. Kommunikationskanal Sender Empfänger Information Störsignale Feedback Codierung Decodierung Abbildung 3-4 Kommunikationsprozess Kommunikationsstrukturen sind Verkettungen von Kommunikationskanälen, durch die Informationen übertragen werden. Kommunikationsstrukturen können formellen oder informellen Charakter haben. Formelle Kommunikationsstrukturen folgen den Hierarchiestufen und konzentrieren sich auf die zur Erfüllung der Aufgaben notwendige Kommunikation. Typische formelle Kommunikationsstrukturen sind folgende: Rad : Diese Form eignet sich am besten, wenn schnelle Entschlüsse notwendig sind. Dabei wird die Qualität des Ergebnisses nachhaltig von der zentralen Person beeinflusst. Kette : Diese Form weist die geringste Geschwindigkeit beim Treffen einer Entscheidung auf, ist aber durch Genauigkeit gekennzeichnet. Netzwerk : Die dritte Form eignet sich gut bei komplexen Problemen. Die gleichberechtigte Einbeziehung aller Mitglieder wirkt sich sowohl auf die Qualität des Ergebnisses als auch auf die Zufriedenheit der Beteiligten positiv aus. Jedoch erfordert diese Form einen erheblichen zeitlichen und organisatorischen Aufwand. Informelle Kommunikationsstrukturen sind nicht an Hierarchiestufen gebunden. Sie können sich sowohl horizontal als auch vertikal ausbreiten und dienen der Befriedigung der sozialen Bedürfnisse der Gruppenmitglieder. Informelle Strukturen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht vom Management kontrolliert werden (können), von den Organisationsmitgliedern oft als glaubwürdiger als die offiziellen Mitteilungen betrachtet werden und zur Befriedigung der Interessen der beteiligten Personen genutzt werden. Doch auch für das Management ist der sogenannte „Buschfunk“ von Bedeutung. Die darüber verbreiteten Informationen und Gerüchte geben häufig Auskunft über Ängste der Mitarbeiter und zeigen, was ihnen wichtig ist und wo Erklärungsbedarf besteht. Informelle Kommunikationsstrukturen können deshalb vom Management auch als eine Art Feedback genutzt werden. <?page no="209"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 209 Informationen können nicht nur durch verbale Kommunikation übertragen werden. Oft eindeutigere Signale gibt die nonverbale Kommunikation . Unter nonverbaler Kommunikation werden Körperbewegungen, Gesten, Gesichtsausdrücke, die Distanz zum Gesprächspartner, aber auch die Art und Weise, wie jemand Wörter betont, verstanden. Entscheidend für gelingende Kommunikation ist es auch, den richtigen Kommunikationskanal zu wählen. Die Entscheidung für einen Kommunikationskanal wird in erster Linie von den Eigenschaften des Kanals und der Art der Nachricht bestimmt. Ein Telefongespräch ermöglicht z.B. ein sofortiges Feedback. Der Empfänger der Nachricht reagiert unmittelbar und kann Rückfragen zur Klärung von Missverständnissen stellen. Ein persönliches Gespräch ermöglicht darüber hinaus, Gesten und andere nonverbale Reaktionen des Gesprächspartners zu beobachten. Schriftliche Mitteilungen, E-Mails, Briefe und Berichte bieten ein verzögertes Feedback. Missverständnisse bei Aufnahme der Nachricht können nicht sofort geklärt werden. Die Beobachtung unmittelbarer Reaktionen ist aufgrund des indirekten Kontakts nicht möglich. Kommunikationshindernisse beeinträchtigen die Effektivität der Kommunikation, hauptsächlich in Form von Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnissen. Die häufigsten Erscheinungen sind: Filterung : Unter Filterung versteht man einen Manipulationsprozess, bei dem Informationen an die Vorstellungen des Empfängers angepasst werden. Ähnlich verhält es sich mit der selektiven Wahrnehmung , wobei der Empfänger nur das wahrnimmt, was sich mit seinen Überzeugungen deckt und keine Probleme bereitet. Emotionen : Der Gefühlszustand, in dem der Empfänger eine Nachricht entgegennimmt, wird wesentlich zur Interpretation dieser Nachricht beitragen (vgl. Extremsituationen). Sprache : Kommunikationspartner weisen einen unterschiedlichen Bildungsstand auf, haben verschiedene soziale Hintergründe, kommen aus verschiedenen geographischen Regionen und unterscheiden sich folglich auch in ihrer Sprache (z.B. Dialekt, Fachjargon). Effektive Kommunikation hängt auch wesentlich von den kommunikativen Fertigkeiten der Beteiligten ab, z.B. von der Fähigkeit, anderen zuzuhören, auf sie einzugehen und ihnen Feedback zu geben. <?page no="210"?> 210 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: Die Bahn in Kältestarre Anfang Januar 2009 erstarrt Deutschland unter eisiger Kälte. Die Temperaturen sinken stellenweise bis auf -29 °C. Auch an weniger exponierten Lagen sind Tagestemperaturen von -20 °C keine Seltenheit. Tage zuvor hat es bereits geschneit. Ein Wintermärchen, könnte man meinen, wären da nicht die zahlreichen Verkehrsbehinderungen, die auch vor der Deutschen Bahn nicht Halt machen. Von eingefrorenen Weichen und Türen sowie Behinderungen durch Flugschnee ist die Rede. Zahlreiche Züge fallen aus oder sind verspätet. Reisende stehen derweil wartend am Bahnsteig und fühlen sich nicht selten von den Bahnverantwortlichen allein gelassen. In eben dieser Zeit geht Kunigunde König auf Reisen. Im Laufe der vergangenen Tage hat sie zwar mehrfach Verzögerungen im Betriebsablauf bei der Bahn miterlebt, ist aber dennoch guten Mutes - schließlich hat man sich ja inzwischen seitens der Bahn auf die Wetterlage einstellen können. Der Winter hat Deutschland fest im Griff Idyllische Landschaften entlang der Strecke Am Reisetag steht Kunigunde pünktlich am Bahnsteig und wartet auf ihren Zug, der mit lediglich acht Minuten Verspätung eintrifft. ‚Nicht so schlimm‘, denkt sich Kunigunde, ‚in Nürnberg habe ich 13 Minuten Zeit zum Umsteigen. Das geht gerade noch.‘ Anfangs fährt der nahezu ungeheizte Regionalexpress noch zügig. Leider wird die Verspätung aber immer größer. Ab Pegnitz, wo planmäßig mit einem aus Bayreuth kommenden Regionalexpress geflügelt wird, ist jedoch kein Zugbegleiter mehr im Zug, den man über den gefährdeten Anschluss hätte informieren können. Man kann also nur hoffen ... In Nürnberg kommt der Zug mit 14 Minuten Verspätung an, allerdings nicht planmäßig auf Gleis 16, sondern auf Gleis 22. Es beginnt eine große Rennerei. Viele umsteigewillige Fahrgäste möchten den ab Gleis 12 fahrenden ICE erreichen. Ein kleines Grüppchen schafft es - den ICE schon im Blick - bis auf den Bahnsteig. Man kann sogar noch den Türöffner berühren. Es ist aber leider zu spät, der Zug setzt sich gerade in Bewegung. Ein mit Sprechfunkgerät ausgestatteter Bahnmitarbeiter steht desinteressiert daneben und lässt sich auch von den wütenden Fahrgästen nicht aus der Ruhe bringen, sondern verweist sie stattdessen an den ServicePoint. Dort muss man leider erfahren, dass der nächste Zug in die gewünschte Richtung erst in zwei Stunden fährt. Die Reisenden sind natürlich aufgebracht. Warum konnte der ICE, der bereits drei Minuten gewartet hat, nicht noch eine weitere Minute warten? Dann hätten alle Reisenden den Anschlusszug bekommen. Die Mitarbeiterin am ServicePoint erklärt, dass länger als drei Minuten nicht gewartet werden dürfe. Zudem bekäme der ICE das Abfahrtssignal aus München. Mehr Kulanz als drei Minuten sei auch bei einer solch extremen Wetterlage nicht möglich. - War den Verantwortlichen entgangen, dass derzeit fast jeder Zug Verspätung hat? <?page no="211"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 211 Auf Nachfrage erfährt Kunigunde König, dass sie - obwohl sie nun nachweislich genau zwei Stunden später den Zielort erreichen wird - leider auch keinen Anspruch auf Entschädigung habe, da sie bis Nürnberg mit einem Nahverkehrszug gereist sei. 587 Nur leider ist Kunigundes Abfahrtsbahnhof komplett vom Fernverkehr abgekoppelt. Wie hätte sie also unter diesen Umständen in einem Fernverkehrszug bis Nürnberg kommen sollen? Sie hätte sehr gerne einen gut geheizten, komfortablen Fernverkehrszug mit Reservierungsmöglichkeit anstelle des eiskalten, teilweise ohne Neigetechnik fahrenden Nahverkehrszuges der BR 612 genutzt. Von Seiten der Deutschen Bahn hatte man aber vor Jahren entschieden, die zur ICE-Trasse ausgebaute Franken-Sachsen-Magistrale nur noch mit Nahverkehrszügen zu bedienen. Statt einer Entschädigung bekommt Kunigunde ein Service-Kärtchen „Regionaler Ansprechpartner Nahverkehr“. An diesen könne sie sich mit ihrer Kritik wenden. Zumindest wird in Aussicht gestellt, dass Kunigunde die nicht genutzte Sitzplatzreservierung für den ICE umbuchen lassen könne. Jedoch nicht am ServicePoint, sondern im Reisezentrum. Die dortige Mitarbeiterin ist ausgesprochen nett, kann jedoch keine Umbuchung vornehmen, da nach ihren Informationen der nächste ICE komplett ausgebucht ist. Kunigunde kann sich lediglich die vier Euro für die nicht genutzte Reservierung erstatten lassen und hoffen, dann doch noch einen Sitzplatz für die fünfstündige Weiterfahrt zu finden. Die folgenden knapp zwei Stunden verbringt Kunigunde mit Warten. Sie begibt sich rechtzeitig auf Gleis 12, wo der ICE einfahren soll. Dieser kommt auf die Minute pünktlich an und wartet hier sechs Minuten über die planmäßige Abfahrtszeit hinaus, um verspätete Anschlussreisende aufzunehmen. Kunigunde ist sprachlos. Warum ist jetzt möglich, was zuvor kategorisch abgelehnt wurde? Zudem kann vom ausgebuchten Zug keine Rede sein. Mehr als die Hälfte der Plätze ist frei und auch nicht ab späteren Stationen reserviert. Aufgabe 1: Was hat im vorliegenden Fall bei der Kommunikation nicht richtig funktioniert? Aufgabe 2: Wie hätte man hier die Kommunikation in Problemprozessen optimal gestalten können? Aufgabe 3: Wie geht man mit unzufriedenen Kunden um? 587 Am 29.07.2009 trat ein neues Fahrgastrechtegesetz in Kraft, das einheitliche Fahrgastrechte bei Zugverspätungen, Zugausfällen und Versäumnis von Anschlusszügen im Eisenbahnverkehr in Deutschland garantiert. Dies betrifft alle Züge (S-Bahn bis ICE) unabhängig vom Betreiber (vgl. dazu das Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verordnung (EG) Nr. 1371/ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr vom 26. Mai 2009). <?page no="212"?> 212 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.3.2 Zielsetzung und Planung Die Funktionen Zielsetzung und Planung gehören zu den gestalterischen Aufgaben im Rahmen einer Organisation und dienen der Erstellung klarer Grundlinien für die Tätigkeit des Unternehmens. 588 Die Gestaltung der Organisation erfolgt auf der Grundlage eines Leitbildes bzw. einer gewählten Philosophie. Folgende Aufgaben werden im Allgemeinen als wesentlich im Hinblick auf eine bewusste und systematische Gestaltung des Systems Organisation aufgefasst: nachhaltige Absicherung des Erfolgs, rechtzeitiges Erkennen von Risiken, Erhöhung der Flexibilität, Reduktion der Komplexität sowie die Ausnützung von Synergiepotentialen. Planung erfolgt auf der Grundlage gewählter oder vorgegebener Ziele. Sie sollte strategische, organisatorische und operative Aspekte enthalten. Ebenso ist die Fristigkeit der Planung zu berücksichtigen. Dabei werden die langfristige, die mittelfristige und die kurzfristige Planung unterschieden. Mit strategischer Planung werden grundsätzliche Tatbestände auf Basis der gewählten Ziele und bestimmter Größen zur Orientierung vorausschauend festgelegt. Demgegenüber besteht die operative Planung , abgeleitet aus der strategischen Planung, in deren Umsetzung in Pläne einzelner Funktionsbereiche. Als Teilbereiche der operativen Planung werden - jeweils bezogen auf die einzelnen Funktionen - Zielplanung, Ressourcenplanung und Maßnahmenplanung unterschieden. < Als Prozess der Planung wird die Summe der einzelnen Schritte der Planung, die zur vollständigen Lösung eines Planungsproblems zu vollziehen sind, verstanden. Wesentlich sind dabei inhaltliche und zeitliche Aspekte. Der Prozess der Planung gliedert sich in die Phasen Analyse, Entwicklung von grundsätzlichen Strategien sowie Planung in Bezug auf Umsetzung und Kontrolle. Eine entsprechende Kontrolle der Planung erfolgt nach bestimmten messbaren Kriterien. Derartige Kriterien wären etwa die Fragen, wer wofür in welchem Zeitraum verantwortlich war oder mit welchen Kosten welches Ergebnis erzielt werden konnte. Planung von Schienenersatzverkehren Bei geplanten oder ereignisbedingten Unterbrechungen des schienengebundenes Verkehrs wird i.d.R. ein Busnotverkehr eingerichtet. Wird dieser kurzfristig erforderlich, müssen sehr schnell die benötigten Busse samt Fahrpersonal organisiert und Fahrgäste informiert, abgeholt und alternativ befördert werden. Barrierefrei ist dies oft nicht möglich. Auch Reisezeitverlängerungen sind üblich. Die Fahrzeugbeschaffung ist mitunter problematisch, v.a. wenn dies in Stoßzeiten oder auch nachts geschieht (vgl. Verfügbarkeit von Fahrzeugen, Erreichbarkeit der Busbetriebe). Durch verbesserte Kommunikation (vgl. digital vs. telefonisch) und schnellere Prozessabläufe (Automatisierung, Digitalisierung) lässt sich die Einrichtung v.a. kurzfristig benötigter Schienenersatzverkehr optimieren. 589 588 siehe dazu z.B. auch: Dillerup, Ralf; Stoi, Roman: Unternehmensführung, München 2016, 138ff und 345ff 589 vgl. Steindl, Alina; Clausen, Uwe: Kurzfristiger Schienenersatzverkehr besser organisiert - Digitalisierung des Organisationsprozesses von Busnotverkehren, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2019, 46ff <?page no="213"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 213 Fallstudie: Streckensperrung nach Hochwasser Schwere Gewitter mit langanhaltendem Starkregen führten am 24. Mai 2018 im sächsischen Vogtland zu vielen Überschwemmungen. Innerhalb nur weniger Stunden ging teilweise doppelt so viel Niederschlag nieder wie ansonsten im gesamten Monat Mai. Insbesondere das Gebiet um Adorf und Oelsnitz war stark betroffen. Fahrbahnen brachen weg, Hänge rutschten ab, einige Brücken stürzten ein. Sogar die nahegelegene Talsperre Pirk lief über. All dies führte zu Straßensperrungen und Evakuierungen von Wohngebieten. 590 Auch die in dieser Region verkehrende Vogtlandbahn war davon auf den Linien RB2 Zwickau-Bad Brambach und RB4 Weischlitz-Greiz betroffen. Während letztere Strecke bereits einen Tag später wieder in Betrieb genommen werden konnte, blieb der Zugverkehr zwischen Oelsnitz und Adorf wegen Gleisüberspülungen eingestellt. Ein Busnotverkehr wurde eingerichtet. Dies lief allerdings auch nicht problemlos wegen der vom Unwetter in Mitleidenschaft gezogenen Straßen. Zudem war es schwierig, kurzfristig Busse zu bestellen. Zu diesem Zeitpunkt ging man jedoch noch davon aus, den Bahnbetrieb bald wieder aufnehmen zu können. 591 Abbildung 3-5 Verlauf der betroffenen Kursbuchstrecke 544, Line RB2 der Vogtlandbahn Bereits einen Tag später stand fest, dass die Streckensperrung zunächst bis zum 30. Juni 2018 aufrechterhalten werden muss. Die Schadensaufnahme gestaltete sich umfangreicher als angenommen. Binnen einer Woche wollte man zu einer konkreten Beurteilung der Schäden kommen und Kosten sowie Dauer einer Reparatur abschätzen können. 592 590 vgl. o.V.: „So ein Hochwasser hatten wir noch nicht“ (25.05.2018), http: / / www.mdr.de, 24.06.2020; Landratsamt Vogtlandkreis: Hochwasser Mai 2018, http: / / www.vogtlandkreis.de, 24.06.2020 591 vgl. o.V.: Unwetter wüten über dem Vogtland und lassen Talsperre überlaufen (25.05.2018), http: / / www. mdr.de, 24.06.2020 592 vgl. o.V.: Unwetter im Vogtland hinterlässt Millionenschäden (25.05.2018), http: / / www.mdr.de, 24.06.2020; Die Länderbahn GmbH DLB: Streckensperrung der Linie RB 2 zwischen Oelsnitz und Bad Brambach muss deutlich <?page no="214"?> 214 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Während die Hochwasserschäden im Landkreis recht schnell mit rund 40 Mio. Euro beziffert wurden, davon ca. 28 Mio. die Straßeninfrastruktur betreffend, waren die finanziellen Auswirkungen auf die Bahnstrecke zunächst unbekannt. Im Rahmen der Bestandsaufnahme durch den Infrastrukturbetreiber, die DB Netz, wurde deutlich, dass die Schäden an der Strecke durch Schlamm- und Geröllüberspülungen wesentlich größer als zunächst vermutet waren. Ein Gutachten wurde in Auftrag gegeben, Baumaßnahmen vorbereitet. 593 Aufgrund der großen Schäden an der Straßeninfrastruktur war es auch im Juni 2018 noch nicht möglich, einen durchgängigen Schienenersatzverkehr einzurichten. Alternativ sollten Fahrgäste auf eine bestehende Regionalbuslinie umsteigen, die nahezu parallel zur Eisenbahnstrecke verläuft und in der die Bahnfahrscheine anerkannt wurden. Ein Ende des Schienenersatzverkehrs war nicht in Sicht. 594 Im August 2018 wurde bekanntgegeben, dass die Bahnstrecke bis zum 4. Oktober 2018 komplett gesperrt bleiben wird. Die Bauarbeiten waren inzwischen zwar schon so weit fortgeschritten, dass eine eingleisige Befahrbarkeit ab Anfang September 2018 möglich gewesen wäre. Allerdings hätten die weiterlaufenden Bauarbeiten den Bahnbetrieb stark beeinträchtigt: Verringerte Geschwindigkeiten und eine reduzierte Anzahl von Zügen wären die Folge gewesen. Insgesamt hätten die Reisezeiten über denen des Ersatzverkehrs gelegen. Daher hat man sich zur Aufrechterhaltung des Schienenersatzverkehrs entschieden. Erst ab 5. Oktober 2018 wurde die Strecke eingleisig geöffnet. 595 Im weiteren Verlauf kam es erneut zu Verzögerungen, so dass die Bauarbeiten auch ein Jahr nach dem Unwetter noch andauerten. Am 22. Juni 2019 gab man schließlich bekannt, dass die Arbeiten bis zum 28. Juli 2019 abgeschlossen werden und danach der reguläre Fahrplan wieder in Kraft treten kann. 596 Aufgabe 1: Welche Konsequenzen ergaben sich durch das Unwetter und die daraufhin erforderlichen Bauarbeiten für den Netzbetreiber? Aufgabe 2: Wie wirkten sich das Unwetter und die Bauarbeiten auf die Planung der Vogtlandbahn aus? Aufgabe 3: Welche Probleme können während der Baumaßnahmen auftreten, die erneute Auswirkungen auf die Planung haben? verlängert werden (25.05.2018), http: / / www.laenderbahn.com, 24.06.2020; o.V.: Unwetter richten hohe Schäden an (08.06.2018), http: / / www.saechsische.de, 24.06.2020 593 vgl. o.V.: Vogtlandbahn kämpft weiter mit Hochwasserfolgen (11.06.2018), http: / / www.mdr.de, 24.06.2020 594 vgl. ebd. 595 vgl. Die Länderbahn GmbH DLB: Regulärer Bahnverkehr zwischen Oelsnitz und Adorf ab 5. Oktober (30.08.2018), http: / / www.laenderbahn.com, 24.06.2020; Verkehrsverbund Vogtland: Weiterführung des Schienenersatzverkehrs (30.08.2018), http: / / www.vogtlandauskunft.de, 24.06.2020 596 vgl. o.V.: Unwetterschäden: Bauarbeiten an Vogtlandbahn verzögern sich (22.06.2019), http: / / www.sueddeutsche.de, 24.06.2020 <?page no="215"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 215 3.3.3 Entscheidung Entscheidung dient der Strukturierung von Problemen des Managements. Einerseits umfasst die Funktion Entscheidung die Strukturierung von individuellen Entscheidungen und andererseits die Steuerung von Entscheidungen innerhalb eines hierarchischen Systems von Entscheidungsträgern. 597 Ein Grundproblem des Entscheidens besteht darin, verschiedene Möglichkeiten des Handelns mit ungewissen Konsequenzen abzuwägen und aufgrund dessen Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen sind dabei zu verstehen als Auswahl optimaler Alternativen des Handelns aus einer bestimmten Anzahl von Möglichkeiten. Zur Lösung des Entscheidungsproblems wird in der Regel eine Alternative möglichen Handelns gewählt. Dabei wird üblicherweise vom rationalen Entscheiden ausgegangen. Demgegenüber spielt Irrationalität eine große Rolle, wenngleich sich Entscheidungsträger dies nicht gerne eingestehen. Der Prozess der Entscheidung besteht im Allgemeinen aus folgenden Schritten: Formulierung des Problems, Präzisierung der Ziele, Erforschung der Alternativen des Handelns, Ermittlung der Restriktionen für mögliche Alternativen, Prognose der Ergebnisse und Auswahl einer Alternative. Wertvoll im Rahmen des Prozesses der Entscheidung sind insbesondere die Auswahl einer Strategie zur Suche nach Alternativen und die Heranziehung eines Konzepts zur Bewertung von Informationen. Im Gegensatz zu individuellen Entscheidungen besteht die Steuerung von Entscheidungen in Hierarchien in der Lenkung von Entscheidungsprozessen, in die zahlreiche Personen involviert sind. Dabei werden komplexe Aufgaben in Teilprobleme zerlegt und gemäß der Hierarchie delegiert. In einem derart hierarchisch gegliederten System von Entscheidungsträgern tragen alle getroffenen Entscheidungen zur Erreichung des gesamten Zieles bei. Aufgrund der einzelnen Ziele werden die Entscheidungsprozesse der nachgeordneten Mitarbeiter vom jeweils vorgesetzten Mitarbeiter gesteuert, überwacht und aufeinander abgestimmt. Eine Entscheidungsfindung in der Gruppe weist mehrere Vorteile auf. Vielfältigeres Wissen, verschiedene Blickrichtungen, Einbindung mehrerer Beteiligter und dadurch meist auch höhere Akzeptanz der Entscheidungen wirken sich normalerweise positiv aus. Schwierig können sich demgegenüber die Findung eines geeigneten Teams, der vergleichsweise zeitaufwendige Entscheidungsprozess, dominante Gruppenmitglieder (bzw. angepasste „Mitläufer“), Gruppendruck sowie verschwommene Verantwortlichkeiten gestalten. Besonders für eine Entscheidungsfindung im Team sprechen sicher der Gruppenleistungsvorteil, Kreativität und die leichtere Möglichkeit, verschiedene Lösungsalternativen zu finden und diese auch besser diskutieren zu können. Die oft langwierigen Diskussionsprozesse, die mitunter gegebene Beeinträchtigung der freien Meinungsbildung und der höhere Zeitbedarf sind letztlich die entscheidenden Gegenargumente. 597 vgl. Bronner, Ralf: Planung und Entscheidung, München/ Wien 1999, 15 <?page no="216"?> 216 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: Umstieg auf Bus und Bahn 598 Den Anfang bildete ein scheinbar unlösbares Verkehrsproblem: Die Mitarbeiterzahlen eines in einer Grenzregion gelegenen Technologiekonzerns waren innerhalb von fünf Jahren um 400 angestiegen. Die Parkflächen an den beiden Unternehmensstandorten wurden aber nicht vergrößert. Die Folge: Die Wildparkerei nahm ständig zu, die Beschwerden von Gemeinden und Umweltverbänden häuften sich - bis die Situation eskalierte. Man hatte sich im Konzern auch schon bisher mit Fragen der Mobilität beschäftigt. Allerdings kam der Stein erst durch einen Anstoß von außen ins Rollen. Der geplante Ausbau der Parkflächen wurde zwar genehmigt, allerdings unter der Auflage, eine Lösung für das akute Verkehrsproblem auszuarbeiten. Dazu wurde ein „Projektleiter Mobilitätsmanagement“ ernannt, der sich der Problematik gemeinsam mit dem Umweltbeauftragten widmen sollte. Der Neubau eines Parkhauses hätte den Konzern über 15 Mio. Euro gekostet, die man aber lieber in neue Produktionsflächen investieren wollte. Im Rahmen einer laufenden Umweltmanagement-Zertifizierung stellte sich heraus, dass der Individualverkehr als Umweltfaktor eine große Rolle spielte. So sprachen neben den finanziellen Aspekten auch noch ökologische gegen den Bau neuer Parkhäuser. Um die Mitarbeiter zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen, wurden verschiedene Neuerungen eingeführt. So wurde beispielsweise ein Mobilitäts-Club gegründet: Wer sich verpflichtete, wöchentlich maximal 2-mal mit dem Privatauto zur Arbeit zu fahren, erhielt eine sogenannte „Plus-Card“-Mitgliedskarte. Wer sich verpflichtete, monatlich maximal 2-mal mit dem Privatauto zur Arbeit zu fahren, erhielt eine sogenannte „Top-Card“-Mitgliedskarte. Club-Mitglieder erhalten gratis ein Abo des öffentlichen Nahverkehrs. Top-Card-Inhaber können zudem den firmeneigenen Fuhrpark kostenlos nutzen. Darüber hinaus werden weitere Vergünstigungen gewährt. Mittlerweile konnten bereits 600 der insgesamt 1.600 Mitarbeiter zum Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel überzeugt werden. Durch umfangreiche Investitionen seitens des Konzerns in den öffentlichen Nahverkehr sowie eine neue Kooperation zwischen den einzelnen Verkehrsunternehmen konnten 19 zusätzliche Verbindungen geschaffen und drei neue Buslinien eingerichtet werden. Durch den bisherigen Erfolg optimistisch gestimmt, bemühte sich der Konzern, mit den Verkehrsunternehmen Sondertarife auszuhandeln. Zudem wollte man die Bahn dazu bewegen, einen zusätzlichen Haltepunkt in unmittelbarer Unternehmensnähe einzurichten. Ziel des Unternehmens ist es, mittelfristig 55 % der Mitarbeiter zum Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel zu überzeugen. In Zukunft will man nur noch 45 % der Belegschaft einen Parkplatz zur Verfügung stellen. Wie die Verteilung der Parkplätze konkret aussehen soll, war zunächst aber unklar. Dem Unternehmen war bewusst, dass dies einen heiklen Eingriff in die persönliche Freiheit seiner Mitarbeiter darstellte. Nach Meinung des Mobilitätsmanagers waren dazu Transparenz, klare Vorgaben und Unnachgiebigkeit vonnöten. 599 Aufgabe 1: Erarbeiten Sie die Ansichten der einzelnen Beteiligten zum Vorhaben! Aufgabe 2: Untersuchen Sie mithilfe des Entscheidungsbaums von Vroom & Yetton, auf welche Art und Weise über die Verteilung der verfügbaren Parkplätze entschieden werden kann! 598 aus: Dorsch, Monique: Verkehrswirtschaft - 40 Fallstudien mit Lösungen, München 2009, 54f 599 vgl. Kaletsch, Thorsten: Unaxis - mehr Mitarbeiter, weniger Verkehr, Via 5/ 2001, 43 <?page no="217"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 217 3.3.4 Motivation Motivation kann als Grund für ein bestimmtes menschliches Verhalten verstanden werden. Eine Person wird in einer bestimmten Art und Intensität sowie in einer bestimmten Situation auf ein Ziel hin aktiviert. Diese Aktivierung erfolgt unter den Bedingungen menschlichen Verhaltens. Als Bedingungen menschlichen Verhaltens werden persönliches Können (Fähigkeiten und Kompetenzen), individuelles Wollen, soziales Dürfen (vgl. soziale Normen) und situative Ermöglichung (äußere Gegebenheiten) verstanden. Motivation kann letztlich als Resultat der ständigen Interaktion von Person und Situation gesehen werden. Motiviertes Handeln verfolgt einen zielorientierten Abschluss. 600 Während der 1950er Jahre wurden drei der wohl bekanntesten Motivationstheorien, die Bedürfnis-Hierarchie-Theorie, die Zwei-Faktoren-Theorie und die X-Y-Theorie, entwickelt. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Motivationstheorien und -ansätzen, die in der Folge entwickelt wurden. Nahezu alle basieren mehr oder weniger auf den Grundgedanken dieser klassischen Motivationstheorien. Die Theorie der Bedürfnishierarchie stammt von Abraham Maslow 601 . Maslow gliederte die menschlichen Bedürfnisse in fünf Hierarchieebenen: physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bedürfnisse und das Bedürfnis nach Anerkennung sowie Selbstverwirklichung. Maslow ordnete die Bedürfnisse nach Dringlichkeitsgraden und ging davon aus, dass zunächst das gerade dringlichste Bedürfnis befriedigt sein muss, bevor der Mensch an die Erfüllung des nächstdringlichen denkt. Dabei „bewegt“ sich das Individuum in der Bedürfnishierarchie von unten nach oben. Solange ein Bedürfnis unbefriedigt ist, verfügt es über einen motivierenden Antrieb, der das Individuum zu entsprechenden Handlungen zur Befriedigung desselben veranlasst. Wenn das Bedürfnis im Wesentlichen gestillt ist, verringert sich der Wunsch danach. Das Individuum richtet seine Bemühungen dann auf das nächsthöhere Bedürfnis. physiologische Bedürfnisse z.B. Entgelt, Gestaltung des Arbeitsplatzes, Abschirmung von Belästigungen und Störungen, verbilligte Einkaufs- und Wohnmöglichkeiten, Kantine, ärztliche Betreuung Sicherheitsbedürfnisse z.B. Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens, Versicherung gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter, Sicherheit des Arbeitsplatzes soziale Bedürfnisse z.B. Möglichkeiten der Kommunikation am Arbeitsplatz, angenehme Kollegen, mitarbeiterorientierte Vorgesetzte, Problemlösungsgespräche Bedürfnis nach Anerkennung z.B. Aufstiegsmöglichkeiten, übertragene Kompetenzen, Ehrentitel, Gehaltshöhe, Dienstwagen 600 vgl. Heinrich, Monika: Gruppenarbeit - Theoretische Hintergründe und praktische Anwendungen, in: Kasper, Helmut; Mayrhofer, Wolfgang (Hrsg.): Personalmanagement - Führung - Organisation, Wien 2002, 319 601 vgl. Maslow, Abraham H.: Motivation und Personality, New York 1954 <?page no="218"?> 218 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fortsetzung Bedürfnis nach Selbstverwirklichung z.B. Möglichkeit zur selbständigen Gestaltung der Arbeit, Möglichkeit zur Delegation, abwechslungsreiche Tätigkeit, partizipative Führung, freie Arbeitszeiteinteilung, Entwicklungsmöglichkeiten Tabelle 3-10 Beispiele für Bedürfnisse im Berufsleben 602 Maslows Theorie, die aufgrund ihrer Logik und Einfachheit weite Anerkennung gefunden hat, aber auch Kritik ausgesetzt war, wurde empirisch nicht nachgewiesen. Ausgehend von den Überlegungen Maslows entwickelte Frederick Herzberg (in mehreren Schritten, zuerst 1959 603 ) seine Zwei-Faktoren-Theorie . Nach der Zwei-Faktoren-Theorie können in jeder Arbeitssituation Faktoren bestimmt werden, die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit auslösen. Wenn die Umstände, die Unzufriedenheit auslösen, beseitigt werden, muss sich nicht unbedingt Zufriedenheit einstellen. Es wird dann lediglich „Nicht-Unzufriedenheit“ erreicht. Herzberg fand heraus, dass bestimmte Faktoren beständig mit Unzufriedenheit und andere wiederum mit Zufriedenheit in Verbindung gebracht wurden. Die Unzufriedenheit auslösenden Faktoren betreffen - auf das Berufsleben bezogen - meist die Arbeitsbedingungen, wie z.B. Vorgesetzte, die allgemeine Unternehmenspolitik oder die physische Arbeitsumwelt. Herzberg nannte diese Faktoren Hygienefaktoren . Wenn diese Faktoren den Vorstellungen der Mitarbeiter entsprechen, werden diese nicht unzufrieden sein. Das heißt noch nicht, dass sie zufrieden sind. Diese Faktoren geben den Mitarbeitern dann vielleicht zwar einen Grund, in einer bestimmten Organisation zu arbeiten, bieten aber noch keinen Anreiz, motivierter zu arbeiten als zuvor. Zu den Zufriedenheit auslösenden Faktoren, welche Motivatoren genannt werden, zählen z.B. die Arbeit an sich, Verantwortung und erreichter Erfolg. Diese Faktoren werden - sofern ausreichend vorhanden - von den Mitarbeitern als wirklich befriedigend empfunden, wirken motivierend und können folglich Anlass für verstärkte Anstrengung und erhöhte Produktivität sein. Wenn diese Faktoren nicht den Vorstellungen der Mitarbeiter entsprechen, werden sie nicht zufrieden sein („Nicht-Zufriedenheit“). Sie müssen deshalb aber auch noch nicht unzufrieden sein, weil das eventuelle Vorhandensein der Hygienefaktoren davon nicht berührt wird. Motivatoren Leistungserfolg, Anerkennung, Arbeit selbst, Verantwortung, Aufstieg/ Karrieremöglichkeiten, Entfaltungsmöglichkeiten Hygienefaktoren Gehalt, Beziehungen zu Untergebenen, Vorgesetzten und Kollegen (vgl. Betriebsklima), Firmenpolitik und -leitung, Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit Tabelle 3-11 Motivatoren und Hygienefaktoren im Berufsleben 604 Diese Theorie gab ebenfalls Anlass zur Kritik, die sich vor allem auf folgende Aspekte bezog: Herzbergs Methode zur Evaluation der Ergebnisse ist nicht eindeutig, da die Bewertung der subjektiven Einschätzung der Bewertenden unterlag. Seine Theorie kann zwar Erklärungen zur Arbeitszufriedenheit bieten, jedoch nicht unbedingt zur Motivation. Er ging von einem Zusammenhang 602 nach Staehle, Wolfgang H.: Funktionen des Managements, Bern/ Stuttgart 1989, 105 603 vgl. Herzberg, Frederick; Mausner, Snyderman, Bernard; Bloch, Barbara: The Motivation to Work, New York 1959 604 nach Mayrhofer, Wolfgang: Motivation und Arbeitsverhalten, in: Kasper, Helmut; Mayrhofer, Wolfgang (Hrsg.): Personalmanagement - Führung - Organisation, Wien 2002, 262 <?page no="219"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 219 zwischen Zufriedenheit und Produktivität aus, untersuchte jedoch nur die Zufriedenheit, nicht aber die Produktivität. Darüber hinaus wurden situationsbezogene Faktoren vernachlässigt. Douglas McGregor unterstellte in seiner X-Y-Theorie 605 zwei Möglichkeiten, Menschen zu betrachten: die Theorie X, die den Menschen grundsätzlich negativ sieht, und die Theorie Y, die ihn generell positiv sieht. McGregor beobachtete eine Reihe von Managern beim Umgang mit ihren Mitarbeitern. Aus der Art ihres Verhaltens schlussfolgerte er, dass Manager basierend auf Vermutungen über das Wesen der Mitarbeiter handeln. Je nachdem, wie das Wesen der Mitarbeiter eingeschätzt wird, passt der Manager sein Verhalten an. Theorie X bezieht sich auf die allgemeinen - negativen - Vermutungen der Manager, welche besagen, dass der Durchschnittsmensch von Natur aus träge ist und Arbeit, wann immer möglich, aus dem Wege geht, dass ihm Ehrgeiz fehlt, er jegliche Verantwortung ablehnt und geführt werden will, dass er egozentrisch und gleichgültig gegenüber organisationalen Bedürfnissen ist, dass er sich von Natur aus Änderungen widersetzt und dass er naiv und nicht sehr intelligent ist. Für das Management ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: Im Interesse der Organisationsziele müssen Ressourcen und Handlungsabläufe durch das Management gesteuert werden. Die Mitarbeiter müssen entsprechend ihrer Aufgaben stets motiviert, dirigiert, kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert und zu Verhaltensänderungen veranlasst werden. Dieser negativen Betrachtungsweise stellte McGregor die Theorie Y gegenüber, welche auf positiven Vermutungen über das Wesen des Menschen beruht: Menschen sind nicht von Natur aus gleichgültig gegenüber den Zielen und Bedürfnissen der Organisation; dieses Verhalten resultiert aus Erfahrungen, die sie in Organisationen gemacht haben. Es ist Aufgabe des Managements, die in den Menschen grundsätzlich vorhandene Motivation sowie ihr Leistungspotential zu aktivieren und zur Erfüllung der Organisationsziele einzusetzen. Das Management trägt die Verantwortung für die Organisation und die optimale Anordnung von Arbeitsprozessen, so dass die Menschen auch ihre eigenen Ziele erreichen können. McGregor, der persönlich der Theorie Y größere Gültigkeit zuschrieb, schlug deshalb zur Steigerung der Motivation von Mitarbeitern Konzepte wie partizipative Entscheidungsfindung (z.B. Management by Objectives), die Gestaltung anspruchsvoller und herausfordernder Tätigkeiten (z.B. Job Rotation, Job Enlargement, Job Enrichment) und die Schaffung einer angenehmen Atmosphäre innerhalb von Arbeitsgruppen sowie ein entsprechendes Anreizsystem (z.B. leistungsgerechte Entlohnung, flexible Gestaltung der Arbeitszeiten und der Sozialleistungen) vor. Auch für die allgemeine Gültigkeit dieser Theorie gibt es keinerlei Beweise. 605 vgl. McGregor, Douglas: The Human Side of Enterprise, New York 1960 <?page no="220"?> 220 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: Auf Achse Frank Förster ist 40 Jahre alt und seit knapp 20 Jahren als Lkw-Fahrer tätig. Viele Jahre fuhr er nach Frankreich, Portugal und Spanien. Inzwischen ist er nur noch in Deutschland unterwegs, was ihm eigentlich wesentlich lieber ist. Er meint, er sei „lange genug draußen herumgezogen“. Derzeit pendelt Frank Förster in der Nachtschicht zwischen Bayern und Thüringen. Er fährt jeden Abend ca. 19 Uhr los und erreicht den Zielort gegen 21 Uhr. Das Abladen dort dauert etwa eine Stunde. Danach fährt er an eine andere Rampe, wo neue Ladung aufgenommen wird. Spätestens um 3 Uhr muss er abfahren, um den Ausgangs- und nunmehrigen Zielort pünktlich zu erreichen. Dort heißt es erneut abladen, bevor er den Arbeitstag beenden kann. Lkw an einer Raststätte, Brennerachse Ruhezeit auf der RoLa, Lötschbergachse Während der Tagschicht fährt Frank Förster eine Route innerhalb Bayerns, die anstrengender als die Nachtschicht scheint, weil es hier wesentlich schwerer ist, die vorgesehenen Pausenzeiten wirklich als Pause zu nutzen: „Es wird nur die Zeit des Fahrens gerechnet, was der Fahrer in der Pause macht, will keiner wissen. Hier bist du also für die Disponenten ‚Freiwild‘! “ Aufgabe 1: Woraus kann ein Lkw-Fahrer jahrelang Motivation schöpfen? Aufgabe 2: Ist für einen Fahrer eine Tätigkeit im Fern- oder im Nahverkehr langfristig motivierender? Aufgabe 3: Mit welchen Problemen hat ein Lkw-Fahrer im Arbeitsalltag zu kämpfen? <?page no="221"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 221 3.3.5 Organisation Organisation als Tätigkeit kann als Summe aller auf bestimmte Zwecke ausgerichteten Aktivitäten und Regelungen verstanden werden, die sich auf die Gestaltung der Strukturen und Prozesse in Organisationen (als Institutionen) beziehen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die Analyse und Zuordnung von Aufgaben zu einzelnen Stellen, deren Zusammenfassung zu einer hierarchisch mehrstufigen Struktur sowie die Gestaltung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Stellen und Ebenen. 606 Die Aufbauorganisation legt die Strukturen und institutionellen Beziehungen innerhalb einer Organisation fest (vgl. Organigramm). Die Ablauforganisation bildet den Rahmen für die Gestaltung der Prozesse in Organisationen. Dabei geht es insbesondere um die Festlegung der Abfolge der Tätigkeiten, die zur Erfüllung spezifischer Aufgaben notwendig sind. Mittels der Struktur einer Organisation wird bestimmt und gesteuert, wie Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten formal getrennt, gruppiert und koordiniert werden. Dadurch werden auch die Prozesse und Arbeitsabläufe in der Organisation wesentlich determiniert. Nach Robbins werden die Organisationsstrukturen und -prozesse durch sechs Kernelemente bestimmt: Spezialisierung, Abteilungsbildung, Hierarchie, Kontrollspanne, Zentralisierung und Dezentralisierung sowie Formalisierung. 607 Spezialisierung ( Arbeitsteilung ) beinhaltet die Zerlegung einer Arbeitsaufgabe in Teilschritte und die Spezialisierung jedes Mitarbeiters auf einen dieser Schritte. Ein Mitarbeiter erledigt also nicht die gesamte Arbeitsaufgabe individuell, sondern spezialisiert sich auf eine Teiltätigkeit. Die Mitarbeiter können ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt und auch gezielter entlohnt werden. Die einzelnen Verrichtungen werden routiniert ausgeübt, aufgrund der kurzen Anlaufzeit können Mitarbeiter auch leicht gewonnen, eingesetzt und auch ersetzt werden. Schließlich trägt die intensive Beschäftigung mit spezifischen Arbeitsschritten und ihren Problemen auch zur Förderung von Innovationen bei. Allerdings ruft die starke Spezialisierung - und das ist der entscheidende Nachteil - bald Langeweile, Müdigkeit, Stress, geringere Produktivität, niedrigere Qualität, häufigere Abwesenheit und eine hohe Fluktuationsrate hervor. Das ist auch der Grund, warum immer wieder andere Formen der Arbeitsorganisation entwickelt werden. Werden Tätigkeiten im Rahmen der Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung aufgegliedert, sollen sie auf sinnvolle Weise gruppiert werden, um sie gut steuern und kontrollieren zu können. Dies geschieht durch die Bildung von Abteilungen , die nach verschiedenen Kriterien durchgeführt werden kann: Funktionsorientiert : Eine der üblichsten Varianten ist die Gruppierung nach betrieblichen Aufgaben. Dabei werden z.B. die Mitarbeiter entsprechend ihrer Spezialisierung der Produktionsabteilung, Entwicklungsabteilung, Buchhaltung, Personalabteilung, Marketingabteilung usw. zugeordnet. Diese Methode der Abteilungsbildung ist auf jede Art von Organisation anwendbar. Durch die Konzentration von fachlich spezialisierten Mitarbeitern mit ähnlichen Fähigkeiten in jeder Abteilung kann eine relativ hohe Produktivität erzielt werden. Produktorientiert : Eine weitere Möglichkeit ist die Gliederung nach Produkten, wobei alle mit einem bestimmten Produkt verbundenen Aktivitäten von einem „Produktmanager“ koordiniert werden. Für jedes Produkt/ jede Produktgruppe würde dann z.B. eine eigene Produktions-, Marketing- und Vertriebsgruppe arbeiten. In großen Unternehmen werden auf diese Art eigene 606 siehe dazu z.B. auch: Dillerup, Ralf; Stoi, Roman: Unternehmensführung, München 2016, 461ff 607 vgl. Robbins, Stephen P.; Judge, Timothy A.: Organizational Behavior, Boston u.a., 2013, 514ff <?page no="222"?> 222 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Bereiche gebildet („ Sparten , „ Divisionen “), die weitgehend autark agieren. Lediglich verschiedene übergreifende Aufgaben (z.B. Rechnungswesen, Recht) sind zentralisiert. Prozessorientiert : Die Bildung von Abteilungen kann auch prozessorientiert erfolgen. Hierbei spezialisiert sich jede Abteilung auf eine bestimmte Stufe im Leistungserstellungsprozess. In einem Verkehrsbetrieb könnten - dem Leistungserstellungsprozess entsprechend - z.B. beim Gütertransport die Prozesse Sammeln, Laden, Ordnen und Befördern unterschieden werden. Geographisch orientiert : Arbeitsaufgaben können auch territorial, etwa nach Gebieten und Regionen, gegliedert werden. Kundenorientiert : Schließlich können Abteilungen auch kundenorientiert gebildet werden, davon ausgehend, dass die Kunden bestimmter Zielgruppen (z.B. Geschäftsreisende, Pendler, Touristen, Verlader) ähnliche Wünsche und Bedürfnisse haben. Be s cha ffung Vertri e b Lei s tungs ers tel l ung Unterne hme ns l ei tung ... Aufga be nori e nti ert (funkti ona l ) Re chnungs we s e n Unterne hme ns l ei tung Produktori e nti ert (di vi s i ona l ) Lei s tungs ers tel l ung Be s cha ffung Vertri e b Re chnungs we s e n ... Lei s tungs ers tel l ung Be s cha ffung Vertri e b Re chnungs we s e n ... Ma na ger Güterverke hr Ma na ger Pers one nverke hr Sa mmel n Befördern Ordne n La de n Ma na ger Lei s tungs ers tel l ung Proze s s ori e nti ert <?page no="223"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 223 Fortsetzung Vertri e bs l ei ter De uts chl a nd Vertri e bs l ei ter Be nel ux Vertri e bs l ei ter Fra nkrei ch Vertri e bs l ei ter Ös terrei ch Vertri e bs ma na ger ... Ge ogra phi s ch ori e nti ert Vertri e bs l ei ter Ge s chä fts rei s e nde Vertri e bs l ei ter Touri s mus Vertri e bs ma na ger Vertri e bs l ei ter Verl a der Kunde nori e nti ert Abbildung 3-6 Möglichkeiten der Abteilungsbildung Bei der Bildung von Abteilungen muss sich ein Unternehmen nicht auf ein einziges Kriterium festlegen. Große Unternehmen können z.B. ihre Leistungserstellung prozessorientiert und den Verkauf sowohl regional gegliedert als auch kundenorientiert aufbauen. Immer mehr zeigte sich, dass die Kundenorientierung an Bedeutung gewinnt. Man versucht auch zunehmend, starre Strukturen zugunsten von flexibleren Organisationsformen aufzubrechen. Eine Hierarchie ist eine vom Top-Management zur untersten Ebene der Organisationshierarchie verlaufende ununterbrochene Autoritätslinie, die - gewissermaßen als „Befehlskette“ - bestimmt, wer wem unterstellt ist und wer wofür verantwortlich ist. Innerhalb der Managementebenen unterscheidet man die strategische Ebene („top“-Management), die für die Gesamtleitung des Betriebes und die Festlegung seiner grundsätzlichen Ausrichtung verantwortlich ist (vgl. Geschäftsleitung, Vorstand), taktische Ebene („middle“-Management), die zur „Übersetzung“ der Strategien in praktische Abläufe konkrete Pläne sowie entsprechende Strukturen und Prozesse schafft (z.B. Regeln, Vorschriften, Bedingungen), diese koordiniert, überwacht sowie die Ergebnisse steuert, operative Ebene („lower“-Management), zuständig für die Führung der Mitarbeiter, die Kontrolle der Arbeitsergebnisse sowie für die Probleme des Tagesgeschäfts; diese Ebene umfasst schließlich auch alle Mitarbeiter, die mit der Wahrnehmung der auszuführenden Aufgaben betraut sind. Eng verbunden mit dem Konzept der Hierarchie sind das Autoritätskonzept und das Konzept der Einheit der Auftragserteilung . Das Autoritätskonzept bezieht sich auf die einer Managementposition innewohnenden Rechte und Pflichten, Weisungen zu erteilen und gleichzeitig deren Erfüllung durch die unterstellten Mitarbeiter erwarten zu können. Jeder Managementposition wird ein Platz in der Hierarchie der Organisation eingeräumt und damit verbunden eine bestimmte Machtausstattung zuerkannt. Der Begriff Einheit der Auftragserteilung besagt, dass jeder Mitarbeiter nur einen Vorgesetzten haben sollte, von dem er Anweisungen entgegennimmt und dem er <?page no="224"?> 224 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen „berichtet“, d.h. rechenschaftspflichtig ist. Damit wird vermieden, dass ein Mitarbeiter divergierenden Anweisungen und Interessen verschiedener Vorgesetzter ausgesetzt ist. Durch bessere Kommunikationsmöglichkeiten, den verstärkten Einsatz von Projektteams sowie den Trend zunehmender Kompetenzübertragung auf die Mitarbeiter verlieren derartige tradierte - doch einigermaßen rigide - Konzeptionen tendenziell an Bedeutung. Die Kontrollspanne besagt, wie viele Mitarbeiter ein Manager effizient und erfolgreich führen kann. Gleichzeitig bestimmt sie die Anzahl der Hierarchieebenen und die Zahl der benötigten Manager in einer Organisation. Es wird, ausgehend von der optimalen Größe einer Gruppe, angenommen, dass die Führung von fünf bis sieben Mitarbeitern der idealen Kontrollspanne entspricht. Diese wird - nicht zuletzt aus Kostengründen - häufig erweitert. Ab einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern ist ein Vorgesetzter allerdings nicht mehr in der Lage, angemessen zu unterstützen und zu führen. Das ist jedoch auch stark von der Selbständigkeit der Mitarbeiter und der Komplexität der Aufgaben abhängig. Eine Kontrollspanne von zehn unmittelbar unterstellten Mitarbeitern sollte aber sinnvollerweise nicht wesentlich überschritten werden. Der Grad der Zentralisierung gibt an, in welchem Maße die Entscheidungsfindung einer Organisation an einer Stelle konzentriert ist. In manchen Organisationen werden alle Entscheidungen „oben“ getroffen, ohne die Mitarbeiter und teilweise auch die Führungskräfte unterer Hierarchieebenen einzubeziehen; solche Organisationen sind demgemäß stark zentralisiert. In anderen Organisationen obliegt die Entscheidungsfindung den Führungskräften und Mitarbeitern, die unmittelbar mit einem Problembereich befasst sind. In diesem Fall spricht man von einer dezentralen Organisation. Dezentrale Organisationen zeichnen sich durch eine größere Flexibilität aus. Verkürzte Informations- und Entscheidungswege ermöglichen eine schnellere Reaktion auf Veränderungen und Probleme. Darüber hinaus fühlen sich die Mitarbeiter in die betrieblichen Entscheidungsprozesse eingebunden und nicht, als würde „über sie hinweg entschieden“. Formalisierung beschreibt, inwieweit Tätigkeiten in einer Organisation standardisiert sind. Eine starke Formalisierung bedeutet für die Mitarbeiter einen relativ geringen Entscheidungsspielraum darüber, wie und wann eine bestimmte Tätigkeit zu verrichten ist. Exakte Stellenbeschreibungen, viele Regeln und Vorschriften sowie eindeutig definierte Arbeitsabläufe sollen einheitliche und gleichmäßige Arbeitsergebnisse sicherstellen und alternative, nicht standardisierte (von der Organisation oft auch nicht gewünschte) Vorgänge und Verhaltensweisen einschränken. Einfache Organisationsstrukturen wie das Einliniensystem findet man vor allem in kleinen Unternehmen, in denen der Eigentümer gleichzeitig der Geschäftsführer ist. Eine einfache Organisationsstruktur ist gekennzeichnet durch wenige Stellen bzw. Abteilungen, größere Kontrollspannen, geringe Formalisierung, wenige hierarchische Ebenen und die Konzentration der Entscheidungsbefugnisse auf eine Person. Vorteil des Einliniensystems sind seine Einfachheit bzw. einfache Wege und Abläufe. Beim Einliniensystem spielt der Grundsatz der Einheit der Auftragserteilung eine große Rolle. Man kann flexibel und schnell auf veränderte Bedingungen reagieren und mit einem geringen Kostenaufwand arbeiten. Ein Nachteil dieser Struktur ist, dass sie aufgrund der starken Zentralisierung und Formalisierung nur bei kleinen Organisationen auf effektive Weise beibehalten werden kann. In großen Organisationen würde diese Struktur zu einer Überlastung der Hierarchiespitze führen. Mit zunehmender Organisationsgröße verlangsamt sich die Entscheidungsfindung. Versucht eine Führungskraft daher weiterhin, alle Entscheidungen selbständig zu treffen, können die Entscheidungsprozesse völlig zum Erliegen kommen. Ab einer Größe von 50 und mehr Mitarbeitern sollte deshalb über eine Umstrukturierung der Organisation nachgedacht werden. Ein weiterer Nachteil der einfachen Struktur ist, dass sämtliche Entscheidungen von einer (oder wenigen) <?page no="225"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 225 Person(en) abhängen und ein Ausfallen dieser Person(en), z.B. durch längere Krankheit, schwere Folgen haben kann. Das Mehrliniensystem zeichnet sich bei grundsätzlicher Ähnlichkeit zum Einliniensystem dadurch aus, dass manche Stellen aus bestimmten Gründen nicht nur einem, sondern zwei oder mehreren Vorgesetzten unterstellt sind. Dies bringt gleichermaßen Vor- und Nachteile mit sich. Die Vorteile ergeben sich hauptsächlich aus größerer Flexibilität und der Möglichkeit, einen Mitarbeiter mit mehreren Aufgaben gleichzeitig betrauen zu können. Dies mag wiederum insbesondere bei kleineren Betrieben von Vorteil sein, um nicht allzu große Personalkosten zu generieren. Der Nachteil liegt zweifellos in der Tatsache, dass es für einen Mitarbeiter immer schwierig ist, zwei Vorgesetzte zu haben (vgl. auch die Vorteile des Einliniensystems). Anwendung findet dieses System überwiegend bei kleineren und mittelständischen Unternehmen, bei denen infolge des Mangels an entsprechenden Personalkapazitäten Mitarbeiter oft mit verschiedenen Aufgaben betraut sind, die in den Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Vorgesetzter fallen. Beim Stabliniensystem handelt es sich um ein durch sogenannte Stäbe ergänztes Einliniensystem. Bei einer Struktur, die dem Einliniensystem grundsätzlich ähnlich ist, bemühen sich die „Stäbe“ durch die Übernahme von speziellen Aufgaben die „Linie“ zu unterstützen bzw. zu entlasten. Derartige Aufgaben sind üblicherweise jene im Rahmen eines Unternehmens anfallenden Tätigkeiten, die nicht mit dem unmittelbaren Herstellungsprozess zu tun haben. Beispielsweise könnten solche Aufgaben die Bearbeitung von rechtlichen Problemen, Marketingfragen oder Controllingaufgaben sein. Die Aufgabenverteilung zwischen Stab und Linie hängt jedoch sehr stark vom eigentlichen Unternehmensgegenstand ab. Mitarbeiter von Stabsabteilungen sehen sich häufig dem Vorwurf gegenüber, dass sie sich - abseits des Alltagsgeschäfts - mit anspruchsvollen und oft interessanten Fragen befassen. Dem steht der Nachteil gegenüber, dass Stabsabteilungen üblicherweise nur Vorschläge unterbreiten, jedoch nicht befugt sind, die damit verbundenen Entscheidungen zu treffen. Für die Stabsmitarbeiter bedeutet dies mitunter auch insofern Frustrationen, als ungeachtet des Hintergrundes profunder Entscheidungsvorbereitung vom Management öfter schlicht falsche Entscheidungen getroffen werden. Das einigermaßen aufwendige Matrixsystem wird immer dann angewendet, wenn von einer Stelle verschiedenartige Aufgaben gleichzeitig wahrzunehmen sind. Die traditionelle, nach Funktionen (z.B. Beschaffung, Produktion, Absatz) gegliederte Organisationsstruktur (vertikale Linien) wird hier von einer produkt- oder projektorientierten Struktur (horizontale Linien) überlagert. Auf diese Weise entstehen Stellen, die sich etwa mit der Beschaffung der Komponenten für ein ganz bestimmtes Produkt befassen und diesbezüglich auch über entsprechendes Spezialwissen verfügen. Häufig - aber nicht nur - wird die Matrixorganisation von internationalen Konzernen angewendet, die ihre Produkte weltweit vertreiben, dabei jedoch gleichzeitig überall recht spezifische Ländermärkte zu bearbeiten haben und dafür in den einzelnen Ländern entsprechende Produktspezialisten brauchen, die auch in der Lage sind, die einheitlichen Konzepte umzusetzen. Mitarbeiter in einer Matrixstruktur erhalten Anweisungen von zwei verschiedenen Vorgesetzten (duale Befehlskette), dem funktionalen Leiter und dem Produktverantwortlichen. Dabei können Kompetenzüberschneidungen und andere Probleme zu Konflikten zwischen den Entscheidungsträgern, aber auch zu Rollenkonflikten bei den Mitarbeitern, z.B. durch divergierende Anweisungen, führen. Von Nachteil sind auch die hohen Kosten, die durch die Vielzahl von Spezialisten in den verschiedenen Bereichen anfallen. Die genannten Modelle lassen sich nach Bedarf jeweils auch stärker produktorientiert, kundenorientiert, geographisch orientiert, prozessorientiert oder funktionsorientiert gestalten bzw. ausformen. <?page no="226"?> 226 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Stab B Stab A Einliniensystem Mehrliniensystem Stabliniensystem Matrixsystem Abbildung 7-8 Organisationsstrukturen Organisationskultur kann definiert werden als ein System von Wertvorstellungen, Verhaltensnormen, Denk- und Handlungsweisen, die von den Organisationsmitgliedern erlernt und akzeptiert werden. Sie bewirkt, dass sich eine Gruppe von Individuen von einer anderen unterscheidet. Organisationskultur kann gezielt als Steuerungs- und Führungsinstrument gestaltet und eingesetzt werden. 608 Jede Organisation weist eine bestimmte Kultur auf, die in Abhängigkeit von ihrer Art und Ausprägung einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten und die Einstellungen der Organisationsmitglieder haben kann. Der Begriff Organisationskultur (auch „Unternehmenskultur“ ) bezieht sich im Allgemeinen auf die in einer Organisation dominierende Kultur. Diese Kultur beschreibt die grundlegenden Wertvorstellungen, die vom größten Teil der Organisationsmitglieder (idealerweise) geteilt werden und damit das Erscheinungsbild einer Organisation bestimmen. Daneben existieren in den meisten größeren Organisationen Subkulturen, die sich in Abteilungen oder Arbeitsgruppen herausbilden. Subkulturen entstehen häufig aufgrund von spezifischen Bedingungen oder Problemen, mit denen eine Gruppe innerhalb der Organisation konfrontiert ist. Neben den allgemeingültigen Kernkomponenten der Organisationskultur entwickeln Subkulturen eigene Werte (bzw. modifizieren die allgemeinen Wertvorstellungen), die ihre spezifische Situation widerspiegeln. Bei der Beschreibung von Organisationskulturen wird häufig zwischen starken und schwachen Kulturen unterschieden. Je mehr Organisationsmitglieder die grundlegenden Wertvorstellungen einer Kultur akzeptieren und sich zu ihr bekennen (vgl. „Wir-Gefühl“), umso stärker ist die Kultur 608 siehe dazu z.B. auch: Dillerup, Ralf; Stoi, Roman: Unternehmensführung, München 2016, 132ff <?page no="227"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 227 und umso besser kann über sie Einfluss ausgeübt bzw. diese als Managementinstrument eingesetzt werden. Abbildung 3-7 Organisationskultur als Eisberg-Metapher 609 Innerhalb einer Organisation erfüllt eine Kultur verschiedene Aufgaben : sie grenzt eine Organisation gegen eine andere ab; sie ermöglicht den Mitgliedern die Identifikation mit der Organisation; sie verstärkt die Bindung an und die Verpflichtung gegenüber der Organisation; sie stabilisiert die Organisation als soziales System; sie reduziert die Unsicherheit unter den Organisationsmitgliedern, indem sie allgemeine Standards, wie bestimmte Dinge zu tun sind, vorgibt; sie formt und lenkt die Einstellungen und das Verhalten der Mitglieder. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Kultur als Führungsinstrument im Allgemeinen stark an Bedeutung. Entscheidungen über Einstellungen, Beförderungen und dergleichen werden zunehmend davon abhängig gemacht, ob das betreffende Individuum zur Organisation „passt“ oder nicht, d.h., ob Wertvorstellungen, Einstellung und Verhalten mit den Organisationsnormen vereinbar sind oder eher nicht. Neben den positiven Auswirkungen, die eine Kultur auf das Verhalten der Organisationsmitglieder haben kann, sollten mögliche Nachteile nicht übersehen werden: Starke Kulturen reagieren besonders inflexibel auf instabile Umgebungen. Festgefahrene Normen und Verhaltensweisen machen es der Organisation schwer, sich veränderten Umweltbedingungen entsprechend anzupassen. 609 nach: Kasper, Helmut; Mühlbacher, Jürgen: Von Organisationskulturen zu lernenden Organisationen, in: Kasper, Helmut; Mayrhofer, Wolfgang (Hrsg.): Personalmanagement - Führung - Organisation, Wien 2002, 118 <?page no="228"?> 228 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Auch bei der Kooperation oder Fusion zweier Unternehmen kann sich Organisationskultur negativ auswirken. Selbst wenn Produktpaletten und Finanzstruktur hervorragend zusammenpassen, kann aufgrund unvereinbarer Organisationskulturen der Misserfolg vorprogrammiert sein. Jede Organisationskultur ist von konkreten Schlüsselmerkmalen bestimmt: Innovations- und Risikofreudigkeit : Ausmaß, zu dem Individuen zu Innovationen bzw. zum Eingehen von Risiken angeregt werden und auch bereit dazu sind; Stabilität : Ausmaß, zu dem organisationale Aktivitäten die Beibehaltung gegenwärtiger Bedingungen Wachstum und Veränderung vorziehen; Ergebnisorientierung : Ausmaß, zu dem das Management die Erzielung von Ergebnissen über die Mittel und Wege, wie diese Ergebnisse erreicht werden, stellt; Menschenorientierung : Ausmaß, zu dem das Management die Auswirkungen seiner Entscheidungen auf die Individuen der Organisation berücksichtigt; Teamorientierung : Ausmaß, zu dem Tätigkeiten und Aufgaben in Teams organisiert werden; Aggressivität : Ausmaß, zu dem Individuen aggressiv sind und miteinander konkurrieren; Bedeutung von Details : Ausmaß, zu dem von Individuen Präzision und Korrektheit erwartet wird. Das Wesen einer Organisationskultur kann den Organisationsmitgliedern durch verschiedene Praktiken und Verhaltensweisen vermittelt werden: Geschichten, Anekdoten : In vielen Organisationen zirkulieren Geschichten, Anekdoten oder Witze, die von ungewöhnlichen Ereignissen, früheren Erlebnissen mit dem Unternehmensgründer oder Vorgesetzten, Reaktionen auf Regelbrüche usw. berichten. Diese Geschichten stellen eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her, rechtfertigen gegenwärtige Bräuche oder Praktiken und helfen, verbreitete Auffassungen und Einstellungen zu erklären. Sie dienen darüber hinaus als „verkleidete“ Vermittlung von Werten, bedeutend im Rahmen der beruflichen Sozialisation. Sprache : In vielen Organisations- und Subkulturen entwickelt sich ein eigener Sprachjargon, anhand dessen die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Gruppe bestimmt werden kann. Durch das Erlernen und den Gebrauch dieser Sprache können sich die Mitglieder mit ihrer Kultur identifizieren, zeigen, dass sie sie akzeptieren und dazu beitragen, sie aufrechtzuerhalten. Sprachliche Symbole sind etwa Slogans (z.B. BLS Cargo AG „Connecting Europe“ bzw. „Die Alpinisten“) oder Hymnen. Rituale : Unter einem Ritual versteht man eine wiederholte Folge von standardisierten Verhaltensweisen, die dem Ausdruck und der Verstärkung der Grundwerte einer Organisationskultur dienen. Zu solchen Ritualen zählen Auszeichnungsveranstaltungen, die Würdigung besonderer Leistungen durch Prämien oder Geschenke oder auch bestimmte Auswahlverfahren, die alle Bewerber zu durchlaufen haben (vgl. „Initiationsrituale“). Zeremonien : Zeremonien fungieren häufig als eine Art „Ventil“, um angestaute Emotionen freizulassen, die im betrieblichen Alltag unterdrückt werden. Unter den „zwangloseren“ Umständen auf Betriebsausflügen, Weihnachts- oder Faschingsfeiern haben Mitarbeiter eher den Mut, mit Kollegen über Missstände im Unternehmen zu sprechen. Darüber hinaus bietet sich die Möglichkeit der Etablierung sozialer Kontakte, die dann den täglichen Ablauf mitunter erleichtern. Materielle Symbole : Große, helle, luxuriös eingerichtete Büros, Dienstwagen, eigene Parkplätze usw. repräsentieren die Stellung und die Bedeutung eines Individuums für die gesamte Organisation. Gleichzeitig wird durch die Häufigkeit und die Art und Weise der Vergabe solcher Statussymbole die Einstellung der Organisation zu bestimmten Verhaltensweisen, Gleichberechtigung und Stellung des Individuums ausgedrückt. Auch Architektur und Design (z.B. „Glaspaläste“) wie auch die Art der Kleidung (z.B. Uniform) symbolisieren als Kulturgut die Organisationskultur. <?page no="229"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 229 Fallstudie: Organisationsstrukturen Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) betreiben den öffentlichen Personennahverkehr in Dresden. Jährlich nutzen mehr als 157 Mio. Fahrgäste das Angebot der zwölf Straßenbahn- und 27 Autobuslinien. Hinzu kommen zwei Bergbahnen sowie drei Fährlinien. Das Straßenbahnnetz weist die eher seltene Spurweite von 1.450 mm auf und bildet derzeit ein Liniennetz von knapp 213 km. Das Gleisnetz umfasst insgesamt fast 300 km und zählt zu den größten seiner Art in Deutschland. Seit 2010 ist die laut Fahrplan eingesetzte Straßenbahnflotte in Dresden komplett niederflurig. Insgesamt verfügen die Dresdner Verkehrsbetriebe über 166 Niederflurgelenktriebwagen. Mit rund 1.800 Mitarbeitern stellen die DVB einen großen Arbeitgeber Dresdens dar. 610 Vorstand Finanzen und Technik Betriebsleiter, Stabsbereiche* Verkehrsmanagement / Marketing Vorstand Betrieb und Personal Personal / Bildung Zentrale Verwaltungsdienste Finanzen Einkauf und Materialwirtschaft Schienenfahrzeuge Kraftfahrzeuge Infrastruktur Fahrbetrieb Fahrdienst Betriebslenkung Fahrschule Bergbahnen Ressortverantwortung Vorstand Betrieb und Personal Ressortverantwortung Vorstand Finanzen und Technik gemeinsame Verantwortung * Vorstandsbüro, Arbeits- und Umweltschutz, Interne Revision, Zentrales Controlling, Qualitätsmanagement Abbildung 3-8 Organisationsstruktur der Dresdner Verkehrsbetriebe 611 Die BLS AG (ca. 3.400 Mitarbeiter) zählt zu den größten Schweizer Verkehrsunternehmen. Die Unternehmenstätigkeit erstreckt sich über die vier Geschäftsfelder Personenmobilität, Güterverkehr, Infrastruktur und Immobilien, wobei auch Tochterunternehmen tätig sind. Im Rahmen des Geschäftsfeldes 610 vgl. Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Zahlen, Daten und Fakten im Überblick, Dresden 2017, 8ff; Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Barrierefreie Straßenbahnen, http: / / www.dvb.de, 24.05.2018 611 Dresdner Verkehrsbetriebe AG: Management, http: / / www.dvb.de, 30.06.2020 <?page no="230"?> 230 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Personenmobilität (67,7 Mio. Fahrgäste jährlich) werden die Berner S-Bahn (als zweitgrößtes S-Bahn- Netz der Schweiz), einzelne inländische Bahnlinien (u.a. Lötschberg-Bergstrecke) sowie Fernverkehrsstrecken (auch international) betrieben. Hinzu kommen ein Busnetz im Emmental, die Schifffahrt auf dem Thuner und dem Brienzer See und die Autoverladung am Lötschberg und am Simplon. Zum Geschäftsfeld Infrastruktur (BLS Netz AG) gehört ein 420 km umfassendes Eisenbahnnetz, welches auch die Lötschbergachse samt Lötschberg-Basistunnel und Bergstrecke beinhaltet. Im Güterverkehr ist das Tochterunternehmen BLS Cargo AG auf der Nord-Süd-Achse Nordsee - Mittelmeer aktiv. Ganzzugangebote stehen dabei im Zentrum des Angebotes. Zusätzlich werden durch die BLS Immobilien AG Immobilien unterhalten, weiterentwickelt bzw. neu gebaut. 612 Geschäftsleitung Kommunikation Personenmobilität Güterverkehr (BLS Cargo) Infrastruktur Bahnproduktion Management Services Personal Unternehmensentwicklung Informatik Verwaltungsrat / Präsident Abbildung 3-9 Organisationsstruktur der BLS AG 613 Color Line, die größte Reederei Norwegens im Bereich der Kurzstreckenschifffahrt, ist im Passagier- und Güterverkehr von und nach Norwegen aktiv. Die Flotte besteht aus sieben Schiffen, welche alle im norwegischen Schiffsregister eingetragen sind und demzufolge unter norwegischer Flagge fahren. 614 Zu den bedienten Linien gehören: „vier Fährstrecken zwischen Norwegen, Schweden, Dänemark und Deutschland, mit Mini-Kreuzfahrten auf der Strecke zwischen Oslo und Kiel, Fährverkehr auf den Strecken zwischen Larvik und Kristiansand nach Hirtshals sowie Fährverkehr und Shoppingmöglichkeiten auf der Strecke zwischen Sandefjord und Strømstad.“ 615 Jährlich werden etwa 4 Mio. Passagiere sowie 900.000 Pkw und 180.000 Auflieger transportiert. Neben den Hauptgeschäftsfeldern des Personen- und Gütertransports tritt Color Line am Markt auch als Veranstalter von Reisen, Messen und Konferenzen auf und unterhält Hotels, Restaurants und Geschäfte. Im Unternehmen beschäftigt sind 2.300 Mitarbeiter aus vier Ländern. 616 612 vgl. BLS AG: Vielseitiges Verkehrsunternehmen, http: / / www.bls.ch, 30.06.2020; BLS AG: Organisation: http: / / www.bls.ch, 30.06.2020; BLS AG: Strategische Stossrichtungen, http: / / geschaeftsbericht.bls.ch, 30.06.2020 613 BLS AG: Organisation: http: / / www.bls.ch, 30.06.2020 614 vgl. Color Line AS: Über Color Line, http: / / www.colorline.de, 30.06.2020 615 Color Line AS: Über Color Line, http: / / www.colorline.de, 30.06.2020 616 vgl. Color Line AS: Über Color Line, http: / / www.colorline.de, 30.06.2020 <?page no="231"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 231 President & CEO CFO CIO Executive Vice President Sales & Marketing Executive Vice President Commercial & Hotel Operation on Board Executive Vice President Cargo Executive Vice President Communication & Public Affairs Executive Vice President HR Executive Vice President Strategy & Business Development Executive Vice President Technical Maritime Operation Abbildung 3-10 Organisationsstruktur der Color Line AS 617 Aufgabe: Welche Organisationsstrukturen liegen bei den drei gezeigten Unternehmen bzw. Konzernen vor? Welche Vor- und Nachteile weisen diese Organisationsstrukturen auf? 617 Color Line AS: Color Lines Organisation, http: / / www.colorline.de, 30.06.2020 <?page no="232"?> 232 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.3.6 Überwachung Überwachung umfasst alle Maßnahmen zur Beurteilung tatsächlichen Verhaltens und der erreichten Ergebnisse im Unternehmen. Dieses Verhalten wird mit den entsprechenden Erwartungen verglichen. Letztlich werden die Vorstellungen über angestrebte Zustände ( Soll ) den realisierten Zuständen ( Ist ) gegenübergestellt. Dabei werden Abweichungen untersucht, entsprechende Verantwortlichkeiten festgelegt und notwendige Korrekturmaßnahmen eingeleitet. 618 Überwachung dient der Gewährleistung ordnungsgemäßen Handelns (Funktion der Gewährleistung). Im Rahmen der Überwachung sollen eventuelle Verstöße gegen die gesetzte Ordnung entdeckt werden. Ebenso ist es Ziel der Überwachung, Abweichungen vorzubeugen. Der Prozess der Überwachung ist nicht als in sich abgeschlossen zu betrachten. Vielmehr ist Überwachung als Feedback-Funktion zu betrachten. Sie hat die Aufgabe, rückgekoppelt zu allen anderen Aufgaben systemstabilisierend zu wirken. Versucht man, Faktoren eines wirkungsvollen Überwachungssystems zu definieren, stellen sich folgende Fragen: Wer überwacht? (interne bzw. externe Überwachung) Was wird überwacht? (z.B. organisatorische Einheiten) Inwieweit ist die Überwachung in den Prozess innerhalb der Organisation eingebunden? Nach welchen Prinzipien wird überwacht? (z.B. Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit) Wer veranlasst Überwachung? (interne oder externe Veranlassung) Wann wird überwacht? (vorausschauende, nachträgliche und/ oder begleitende Überwachung) Wie intensiv wird überwacht? (lückenlos, stichprobenartig) Wie oft wird überwacht? (regelmäßig, fallweise) Wie wirkungsvoll wird überwacht? (geschlossene und offene Systeme der Überwachung). Häufig festzustellen sind in diesem Zusammenhang Probleme durch eine zu komplexe und dabei vielfach ineffiziente Überwachung. 3.3.7 Beschaffung Aufgabe der Beschaffung ist die optimale Bereitstellung der zur Herstellung von Waren bzw. Erbringung von Dienstleistungen notwendigen Güter. Im Vordergrund stehen dabei die Qualität der Güter, deren Menge sowie Ort und Zeit der Bereitstellung. 619 Unter Beschaffung ist eine kaufmännische Tätigkeit zu verstehen, die auf den Erwerb von Leistungen, meist in Form von Gütern, gerichtet ist. Andere Gegenstände der Beschaffung wären etwa Humanressourcen, Information oder Geld. Im Zusammenhang damit sind vor allem Entscheidungen in Bezug auf die Optimierung der Bestellmenge sowie in Bezug auf die Alternativen eigene Herstellung oder Fremdbezug (z.B. Energie, Fahrzeuge) wesentlich. Die Beschaffungspolitik wird von ihren unmittelbaren Zielen, den Bedingungen der Umwelt, der Organisation sowie rechtlichen Regelungen determiniert. Hinsichtlich der Ziele der Beschaffung 618 siehe dazu z.B. auch: Dillerup, Ralf; Stoi, Roman: Unternehmensführung, München 2016, 346 619 siehe dazu z.B. auch: van Weele, Arjan J.; Eßig, Michael: Strategische Beschaffung, Wiesbaden 2017, 20 <?page no="233"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 233 steht der wirtschaftliche und sparsame Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel im Vordergrund. Wichtige Aspekte der Beschaffungspolitik stellen sich im Überblick wie folgt dar: Grundsätze bezüglich Einkaufsverantwortung, Berichtswesen (vgl. Bestellzeitpunkte, Mengen, Kapitalbindung, Lieferzeiten, Rabatte), Lieferantenauswahl, Zielvorstellungen zu Preisen und Konditionen, Planungskriterien für die Einkäufer (z.B. Bestelltermine, Dispositionsgrößen, Verhandlungsspielräume bzw. Limits), Richtlinien für den Einkauf, Verringerung der Fertigungstiefe durch Fremdbezug; langfristige Bindung ständiger Lieferanten mit Rahmenbzw. Sukzessivverträgen, Auswahl von zwei oder mehreren Lieferanten (Wettbewerb, Liefersicherheit), „Single-Sourcing“, d.h. Zusammenarbeit mit nur einem Lieferanten, bei entwicklungsintensiven Zulieferungen (vgl. Systemlieferant, z.B. in der Fahrzeugindustrie für Motor, Getriebe), Prüfung von Substitutionsmöglichkeiten für die zu beschaffenden Güter und Leistungen, Möglichkeiten der Kostensenkung („Global Sourcing“, Rationalisierung), Optimierung der Liquidität durch Lagerstandsminimierung und Leasing statt Investition 620 Bezüglich der Umweltbedingungen, die die Beschaffung beeinflussen, sind primär die Gegebenheiten des Marktes von Relevanz. Die Bedingungen des Marktes werden dabei von den Verhältnissen zwischen Anbietern und Nachfragern einerseits sowie den Nachfragern untereinander andererseits bestimmt. Diese Konstellationen bedingen eine Vielzahl unterschiedlicher Formen von Märkten. Beispielsweise kann ein Anbieter mehreren Nachfragern gegenüberstehen; allerdings ist es auch möglich, dass mehrere Anbieter nur einem Nachfrager gegenüberstehen (vgl. Monopolformen). Zwischen diesen beiden extremen Situationen gibt es eine Vielzahl von Zwischenformen. Diese vertikale Betrachtung kann auch in horizontaler Form vorgenommen werden. Dabei ist die Beziehung zwischen den einzelnen Nachfragern von Interesse. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung bei der Beschaffung relevant. Dadurch kann etwa das Verhalten der Anbieter durch die Nachfrager wesentlich beeinflusst werden. Wesentlich ist auch die Auswahl eines geeigneten Lieferanten . Diese richtet sich zum einen nach den vom Lieferanten angebotenen Preisen und Konditionen. Zum anderen ist auch dessen Zuverlässigkeit, besonders in Bezug auf die Einhaltung der Termine und Vereinbarungen, relevant. kaufmännische Kriterien technologische Kriterien Preise Produktions- und Lieferkapazität Qualität der Ware (z.B. Reklamationen) Lieferzeit Termintreue Lieferkosten Reaktionsgeschwindigkeit kundenspezifische Bevorratung Marktmacht des Lieferanten Standort Kommunikation Infrastruktur der Fertigung Investitionsverhalten Modernität der Technologie Qualitätssicherung Mitarbeiterqualifikation technisches Know-how Service Tabelle 3-12 Kriterien der Lieferantenauswahl 620 vgl. Ossola-Haring, Claudia (Hrsg.): Die 499 besten Checklisten für Ihr Unternehmen, Frankfurt/ M. 2004, 504ff <?page no="234"?> 234 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: Beschaffung neuer Niederflurstraßenbahnen „Eigentlich gehört die Tram nicht nur in die Stadt, sondern der Tram gehört die Stadt, so wie auch den Menschen die Stadt gehört.“ 621 Der Plauener Straßenbahnbetrieb hat Tradition und konnte 2019 auf eine 125-jährige Geschichte zurückblicken. Gleichzeitig wird das Angebot von den Einwohnern sehr geschätzt. Jährlich werden rund 8 Mio. Fahrgäste befördert. Aktuell gehören zum Liniennetz fünf Straßenbahnlinien mit einer Gesamtlinienlänge von 27,7 km, vier Stadtbuslinien (16,6 km) sowie vier Nachtlinien (17,7 km). Zudem existiert ein Anrufsammeltaxi, das eine Fläche von 3 km² abdeckt. Dabei werden insgesamt 80 Haltestellen bedient. 622 Der Fahrzeugpool für den täglichen Straßenbahnbetrieb war über Jahrzehnte hinweg homogen und setzte sich ausschließlich aus 24 Kurzgelenktriebwagen des Typs KT4D zusammen. 1976 wurden die Tatra-Wagen, die damals typisch für DDR-Straßenbahnbetriebe waren, erstmals eingesetzt, ab 1992 dann modernisierte Wagen dieses Typs. 623 Das große Manko dieser Wagen: Es handelt sich dabei um Hochflur-Modelle, die mobilitätseingeschränkten Menschen das Einsteigen erschweren bzw. gar unmöglich machen. Während in anderen Städten schon längst in Niederflurstraßenbahnen investiert worden war, hatte man sich in Plauen stets zurückgehalten, weil sich die Finanzierung als Problem erwies. Da man die Anschaffungskosten nicht in Form höherer Preise an die Fahrgäste weitergeben wollte, hieß es also warten. Die bisherigen Tatra-Wagen des Typs KT4D Flexity Classic an der Haltestelle Tunnel Im Spätsommer 2013 war es dann so weit: Im Rahmen eines öffentlichen „Roll out“ im Betriebshof wurden die ersten beiden neuen Straßenbahnen der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Bis 2013 wurden sechs Bahnen des Typs „Flexity Classic“, gefertigt bei Bombardier in Bautzen, bestellt. 624 Das Betriebskonzept sah den Einsatz je einer neuen Bahn pro Linie vor, wobei die Einsatzzeiten für die Fahrgäste aus dem Fahrplan ersichtlich waren. Die sechste Bahn sollte als Reserve, etwa bei Wartungsarbeiten, dienen. 621 Schlüter, Nadja: Eine Liebeserklärung an die Tram (09.03.2017), http: / / www.jetzt.de, 26.01.2018 622 vgl. Plauener Straßenbahn GmbH: Zahlen und Fakten, http: / / www.strassenbahn-plauen.de, 19.02.2019 623 vgl. ebd.; Plauener Straßenbahn GmbH: Kurzgeschichte der Plauener Straßenbahn, http: / / www.strassenbahnplauen.de, 19.02.2019 624 vgl. Albrecht, Peter: Plauener fahren ab auf ihre neuen Straßenbahnen, in: Freie Presse, 07.09.2013, 11 <?page no="235"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 235 Die Kosten für eine Bahn beliefen sich auf 2,5 Mio. Euro. Vom Freistaat wurden dafür Fördermittel in Höhe von rund 7,6 Mio. Euro bereitgestellt - also etwa die Hälfte der Investitionssumme. 625 Da die Plauener Straßenbahn GmbH allein, trotz der Förderung, nur in der Lage war, zwei Bahnen zu finanzieren und eine Kreditfinanzierung statt für vier lediglich für drei Bahnen von den Banken bewilligt wurde, musste die städtische Wohnungsbaugesellschaft mit 1,25 Mio. Euro einspringen. Der Oberbürgermeister begründete diese Idee damit, dass der Großvermieter auch daran interessiert sei, dass seine Mieter ein gutes städtisches Nahverkehrsangebot nutzen können. Zudem sind derartige Finanzierungsformen auch in anderen Städten nicht unüblich. 626 Neben den Anschaffungskosten waren noch weitere Investitionen nötig: Da die neuen Bahnen andere Maße als die alten haben, mussten mehrere Haltestellen umgebaut werden. Die neuen Bahnen sind im Vergleich zu den Tatra-Wagen 3 m länger und 10 cm breiter und bieten dadurch den Fahrgästen mehr Platz. Insgesamt finden nun 119 Fahrgäste in einer Straßenbahn Platz, davon 50 auf Sitzplätzen. Zudem sind die Bahnen leiser und komfortabler, sind allerdings nur zu 70 % niederflurig und weisen daher auch einen Hochflur-Anteil auf. 627 Neben höheren Komfort- und Emissionsansprüchen müssen die Bahnen auch den topographischen Anforderungen gerecht werden. Einzelne Streckenabschnitte des Straßenbahnnetzes weisen ein starkes Gefälle von bis zu 7,8 % auf, das die Bahnen problemlos meistern müssen. 628 Zudem wurden alle Straßenbahnfahrer auf den neuen Bahnen geschult, um später im Dienstplan flexibler zu sein. Anfang Dezember 2013 begann der Probebetrieb mit den neuen Straßenbahnen. Dabei wurde die Befahrbarkeit im gesamten Streckennetz getestet. 629 Ursprünglich war vorgesehen, die neuen Bahnen unmittelbar nach der Typenzulassung in den regulären Fahrplan einzubinden. Diese Zulassung ließ jedoch auf sich warten, weil noch Mängel an den Fahrzeugen zu beheben waren. Problematisch waren dabei die Türen, die insbesondere an der Bahnhofstraße, einer Strecke mit sehr starkem Gefälle, beim Öffnen nachrutschten. Das Problem wurde zwar nicht als sicherheitsrelevant eingestuft, aber der Abteilungsleiter Technik meinte dazu: „Wir als Kunde können das so nicht akzeptieren.“ 630 Beim Hersteller hatte Plauen eine Option auf insgesamt zehn Straßenbahnen. 631 Seit 2017 gehören neun Niederflurgelenktriebwagen zum Fuhrpark, der außerdem noch 15 Tatra-Wagen umfasst. 632 Aufgabe 1: Charakterisieren Sie - nach entsprechender Recherche - die Angebotssituation im Markt der Straßenbahnhersteller! Aufgabe 2: Welche Kriterien waren im vorliegenden Fall im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung aus welchen Gründen von Bedeutung? Aufgabe 3: Wie beurteilen Sie das Finanzierungskonzept? 625 vgl. o.V.: Für 14 Millionen kommen sechs neue Bahnen, in: Nahverkehrsjournal Vogtland, 02.10.2013, 4 626 vgl. Beyer, Tino: Neue Straßenbahnen: Oberdorfer bittet Großvermieter zur Kasse, in: Freie Presse, 28.08.2013, 9 627 vgl. o.V.: Für 14 Millionen kommen sechs neue Bahnen, in: Nahverkehrsjournal Vogtland, 02.10.2013, 4; Bombardier Transportation: Flexity Classic (Datenblatt); Plauener Straßenbahn GmbH: Fahrzeuge, http: / / www.strassenbahn-plauen.de, 19.02.2019 628 vgl. o.V.: Für 14 Millionen kommen sechs neue Bahnen, in: Nahverkehrsjournal Vogtland, 02.10.2013, 4 629 vgl. Beyer, Tino: Nach 37 Jahren hat Plauen wieder eine neue Straßenbahn, in: Freie Presse, 21.08.2013, 9 630 Beyer, Tino: Neue Trams weiter im Depot: Am Berg rutschen die Türen, in: Freie Presse, 07.01.2014, 9 631 vgl. Beyer, Tino: Neue Straßenbahnen: Oberdorfer bittet Großvermieter zur Kasse, in: Freie Presse, 28.08.2013, 9 632 vgl. Plauener Straßenbahn GmbH: Zahlen und Fakten, http: / / www.strassenbahn-plauen.de, 03.05.2018 <?page no="236"?> 236 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.3.8 Leistungserstellung Unter Leistungserstellung (auch „Produktion“) versteht man die Hervorbringung (Gewinnung oder Erzeugung) von Gütern und Dienstleistungen sowie den Handel damit. Die Leistungserstellung im Dienstleistungsbereich ist durch die Hervorbringung von Leistungen bestimmter Art gekennzeichnet. Faktoren, die bei der Leistungserstellung - aus der Sicht des Herstellers - eine wichtige Rolle spielen, sind Erstellungskosten bzw. Produktivität, Qualität, Produktionsprogramm/ Flexibilität, Zeit der Herstellung sowie der (technologische) Stand von Produkten und Verfahren (vgl. Innovation). Für den Kunden sind das Preis-Leistungs-Verhältnis, die Qualität, Verfügbarkeit sowie der innovative Charakter der Leistungen entscheidend. Bei Verkehrsdienstleistungen handelt es sich um Leistungen oder Tätigkeiten immaterieller Natur, die keine direkten Besitz- oder Eigentumsveränderungen mit sich bringen. Wie bei anderen Dienstleistern auch, fallen bei Verkehrsbetrieben die Leistungserbringung und der Konsum der Leistung zeitlich zusammen. Eine Vorratsproduktion ist nicht möglich; vielmehr wird die Bereitschaft zur Erbringung einer Leistung angeboten. Auftretende Nachfrageschwankungen könnten - zumindest teilweise - durch unterschiedliche Preise, die Schaffung von Nachfrage außerhalb der Spitzenzeiten, zusätzliche Leistungen (solange die Kernleistung aus Kapazitätsgründen nicht erbracht werden kann) oder Buchungs- und Reservierungssysteme ausgeglichen werden. Die Qualität der Leistungserbringung ist stark von den ausführenden Personen abhängig. Kontrollmöglichkeiten bieten sich in Form von Fortbildungsmaßnahmen, Standardisierung der Leistungen und/ oder Überwachung der Kundenzufriedenheit. Die Leistungserstellung erfolgt generell in mehreren Phasen : [4] Die Potentialphase beinhaltet die Bereitschaft zur Erstellung der Dienstleistung. Dazu zählen das zur Leistungserstellung erforderliche Personal, die technische Ausrüstung und die Zugangs- und Nutzungsmöglichkeit durch den Nachfrager. Beispiele wären die Beratung und die Bereitstellung von Sitzplätzen (Buchung, Reservierung). [5] Die Prozessphase stellt die eigentliche Leistung dar, d.h., hier finden alle Tätigkeiten statt, die im Laufe der Leistungserstellung anfallen. Bei einem Verkehrsunternehmen wären dies der eigentliche Transport sowie begleitende Tätigkeiten, wie z.B. Verpflegung, Information und Unterhaltung. [6] Die Ergebnisphase beinhaltet das letztendliche Ergebnis, das durch die Leistungserbringung erzielt wurde, also z.B. das Erreichen des Zielortes. 633 Die Leistungen von Verkehrsbetrieben stellen „ vornehmlich vollzogene Ortsveränderungen an Transportobjekten, aber auch Zeitüberbrückungen an Lagerobjekten und Umladungen an Umschlagsobjekten sowie die Ergebnisse der den Verkehr unmittelbar fördernden, vorbereitenden und begleitenden Vermittlungs- und Unterstützungstätigkeiten “ 634 dar. 633 vgl. Meffert, Heribert; Perrey, Jesko; Schneider, Helmut: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung im Verkehrsdienstleistungsbereich, in: Meffert, Heribert (Hrsg.): Verkehrsdienstleistungsmarketing - Marktorientierte Unternehmensführung bei der Deutschen Bahn AG, Wiesbaden 2000, 7 634 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 11 <?page no="237"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 237 Re s ervi erung, Ti cketverka uf, Informa ti on, Bera tung ... Tra ns port, Informa ti on, Servi cel ei s tunge n, Ca teri ng ... Kunde nbi ndung, Be s chwerde - Ma na geme nt, Informa ti on ... Vorbereitung der Beförderung Durchführung der Beförderung Nachbereitung Erstellung von Verkehrsdienstleistungen Vor-Reisephase Nach-Reisephase Vorberei tung der Beförderung bi s zur Abfa hrt (z.B. zum Fl ugha fe n) bei nha l tet da s Verl a s s e n de s Verke hrs mi ttel s a m Zi el punkt bi s zur e ndgül ti ge n Ankunft a m gewüns chte n Zi el ort Reisephase Durchführung der Beförderung, Aufe ntha l t i n de n ei nzel ne n Verke hrs mi ttel n bi s zur Ankunft, i nkl . Ums tei ge pha s e n Abbildung 3-11 Phasen der Erstellung von Verkehrsdienstleistungen 635 Die Leistungen eines Verkehrsbetriebes kann ein Kunde erst beurteilen, wenn er sie in Anspruch genommen hat. Aus diesem Grund stellt das Vertrauen des potentiellen Kunden in die angebotenen Leistungen eine wesentliche Komponente dar. Diesbezügliche Präferenzen können durch die Leistungspalette, die Art der Erstellung, die Kommunikation mit dem Zielmarkt und die Kundenpflege entwickelt bzw. gefördert werden. 636 Ein Verkehrsbetrieb sollte bestrebt sein, „ das aufgebaute betriebliche Potential und seine Betriebsbereitschaft dadurch zu nutzen, daß Verkehrsdienste bei ihm nachgefragt werden, die er ökonomisch erfolgreich leisten kann. “ 637 Berücksichtigung finden sollten dabei die Struktur der Absatzmärkte, das Verhalten der Marktpartner sowie Entwicklungen im Umfeld des Unternehmens. 3.3.9 Marketing Marketing kann definiert werden als „ eine umfassende Philosophie und Konzeption des Planens und Handelns [...], bei der - ausgehend von systematisch gewonnenen Informationen - alle Aktivitäten eines Unternehmens konsequent auf die gegenwärtigen Erfordernisse der Märkte ausgerichtet werden, mit dem Ziel der Befriedigung von Bedürfnissen des Marktes und der individuellen Ziele. “ 638 635 vgl. Freyer, Walter; Groß, Sven: Mobilitätsdienstleistungen bei touristischen Transportunternehmen, Dresden o.J., 3f; Freyer, Walter: Tourismus, Berlin/ München/ Boston 2015, 410 636 vgl. Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Dritter Teil: Leistungserstellung der Verkehrsbetriebe, Berlin 1983, 17 637 ebd., 11 638 Weis, Hans Christian: Marketing, Herne 2012, 23 <?page no="238"?> 238 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Marketing beginnt lange vor dem eigentlichen Verkauf und wirkt über das Kaufereignis hinaus. Es kann als Bindeglied verschiedener Aktivitäten (z.B. Marktforschung, Produktentwicklung, Werbung, Distribution, Preispolitik) verstanden werden, die auf die Befriedigung der Kundenbedürfnisse und die Erfüllung der Unternehmensziele hinarbeiten. Unter Marketing-Mix versteht man aufeinander abgestimmte strategische Entscheidungen in Bezug auf Produkt bzw. Dienstleistung, Preis, Distribution und Kommunikation mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Kunden einer ausgewählten Zielgruppe möglichst optimal in Hinblick auf ihre Kaufentscheidung anzusprechen. Die Variationsmöglichkeiten bei der Zusammenstellung eines Marketing-Mix sind zahlreich. Die Produktpolitik - vielfach auch „das Herz des Marketings“ genannt - ist einer der wichtigsten Bestandteile des gesamten Marketinginstrumentariums. Sie stellt gemeinsam mit den drei anderen wesentlichen absatzpolitischen Instrumenten Kommunikationspolitik , Distributionspolitik und Kontrahierungspolitik eine zentrale unternehmerische Aktivität dar. Dies trifft gleichermaßen auf den Konsumgüter-, Investitionsgüter- und Dienstleistungsbereich zu. Speziell in letzterem werden die klassischen vier Ps häufig ergänzt durch Personalpolitik („Personnel“), Ausstattungspolitik („Physical Facilities“) und Prozesspolitik („Process Management“). Die Hauptziele der Produktpolitik können wie folgt umrissen werden: Sicherung des Unternehmenswachstums durch Innovation, Variation und Diversifikation, Festigung bzw. Ausbau der Wettbewerbsposition, Streuung des finanziellen und des Absatzrisikos, Kapazitätsauslastung und Rationalisierung. Den Ausgangspunkt der Produktpolitik bilden die Wünsche und Bedürfnisse der potentiellen Käufer. Denn nur, wenn ein Unternehmen seine Leistungen in größeren Mengen und über längere Zeiträume verkaufen kann, ist es langfristig überlebensfähig. Die Produktpolitik umfasst neben der Entwicklung und Gestaltung von Produkten und Leistungen auch deren Markteinführung, die Kontrolle und Variation bereits am Markt befindlicher Produkte sowie Entscheidungen über Eliminationen. Um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen bzw. die Kosten- und Erlössituation zu verbessern, kann ein Unternehmen ein völlig neues Produkt auf den Markt bringen, eine vorhandene Leistung variieren oder vom Markt nehmen. Die große Bedeutung der Produktpolitik ist nicht nur im ständig zunehmenden Qualitätswettbewerb, sondern auch in der schnellen Produktalterung und steigenden Marktrisiken begründet. Gewinne und langfristiges Wachstum kann ein Unternehmen auf heutigen Märkten nur durch eine aktive Innovationspolitik sichern. Innovationen ermöglichen es dem Unternehmen, für einen bestimmten Zeitraum einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz zu erlangen und so dem Wettbewerb (kurz- oder längerfristig) auszuweichen. Grundsätzliches Ziel und Aufgabe der Kommunikationspolitik ist die Beeinflussung der Einstellungen und Meinungen der Verbraucher zu einem Sachverhalt sowie die Veranlassung bestimmter Verhaltensweisen, insbesondere in Hinblick auf den Kauf von Produkten und Leistungen. Die Kommunikationspolitik umfasst die Bereiche Werbung, Verkaufsförderung und Public Relations. Der bedeutendste Bereich der Kommunikationspolitik ist immer noch die klassische Wer- <?page no="239"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 239 bung. Diese wird unterstützt durch die Verkaufsförderung. In diesem Rahmen spielen auch Messen eine wichtige Rolle. Public Relations dienen der Gestaltung der Beziehung zur Öffentlichkeit. Bevor eine Botschaft und die passenden Kommunikationswege ausgewählt werden können, müssen die Zielgruppen und deren mentale Beziehungen zum Kommunikationsobjekt untersucht werden. Zielgruppen können bestehende oder potentielle Kunden, aber auch den Kaufprozess beeinflussende Personen sein. Deren Einstellungen und Beziehungen, welche später durch die Kommunikation beeinflusst werden sollen, sind durch eine Imageanalyse ermittelbar. Mit dieser Analyse werden die Bekanntheit und die Beliebtheit des Kommunikationsobjektes gemessen. Ihre Ergebnisse bilden den Ausgangspunkt für die weiteren Entscheidungen über Art und Inhalt der Botschaft, Zeitpunkt und Ort der Aussendung sowie das Medium. Werbung dient der bewussten und zielgerichteten Beeinflussung von Konsumenten, um eine positive Einstellung zu einem Produkt oder einem anderen Kommunikationsobjekt zu erzeugen. Mit Hilfe der Werbung sollen Ideen veröffentlicht, Interesse geweckt, Einstellungen begründet und Informationen verbreitet werden. Produkte sollen vorgestellt, deren Anwendungsmöglichkeiten erläutert, Unterschiede zu Konkurrenzprodukten herausgestellt und Präferenzen der Konsumenten aufgebaut werden. Plakat der ÖBB an einer Straßenbahnhaltestelle Banner zur Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels Aufgabe von Werbeträgern ist es, physische Kontakte zwischen den Werbemitteln und den Zielpersonen herzustellen. Werbeträger werden auch als Streumedien bezeichnet, da sie die Botschaften im Zielpublikum verteilen oder „streuen“. Zu den Werbeträgern zählen z.B. Zeitungen und Zeitschriften, Fernsehen und Hörfunk, Kinos, Internet, Werbung per Post (Werbebriefe), Schaufenster sowie Plakatwände und Litfaßsäulen. Die Auswahl von Werbeträgern für eine Kampagne ist - abgesehen vom Werbemittel - von einer Vielzahl von Kriterien abhängig. Es gibt mobile (Busse und Bahnen) und stationäre (Litfaßsäulen und Plakatwände) Werbeträger, solche mit einer hohen (Fernsehen) und einer niedrigen Verbreitungsgeschwindigkeit (Kino), mit einmaliger (Fernsehen) oder mehrmaliger Berührungschance (Zeitschrift). Botschaften können optisch-statisch (Plakat), akustisch-dynamisch (Hörfunk-Spot) oder multisensorisch (Fernsehen, Internet) präsentiert werden. Ziel der Verkaufsförderung sind die Information und Stimulierung der am Absatzprozess beteiligten Personen oder Unternehmen sowie die Schaffung von Kaufanreizen für die Endverbraucher. Die Begriffe Verkaufsförderung, Sales Promotion und Absatzförderung werden häufig synonym verwendet, obwohl sie nicht deckungsgleich sind. Während die Verkaufsförderung oben genannte Ziele verfolgt, schließt die Sales Promotion die Koordination der Verkaufsförderung mit der Werbung ein. <?page no="240"?> 240 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Verkaufsförderungsmaßnahmen wirken in der Regel kurzfristig. Während die Werbung längerfristig Überzeugungsarbeit bezüglich des Produktnutzens und der Produktvorteile leistet, soll die Verkaufsförderung die Käufe letztendlich auslösen und zur kurzfristigen Absatzsteigerung beitragen. Die Verkaufsförderungsziele werden entsprechend den übergeordneten Marketing- und Unternehmenszielen und den anzusprechenden Zielgruppen festgelegt. Die Bedeutung von Messen als eigenständiges Marketinginstrument wurde lange Zeit unterschätzt. Dabei ermöglichen sie als einziges Marketinginstrument wirklich interaktive - und dadurch vergleichsweise auch intensive - Kontakte zwischen Anbietern und Nachfragern, Erzeugnissen und Medien. Auf Messen können Produkte und Unternehmen gleichzeitig präsentiert, Angebote der Konkurrenz studiert, Kontakte zu Kunden geknüpft oder ausgebaut, Verträge vorbereitet und (seltener) abgeschlossen werden. Public Relations , auch Öffentlichkeitsarbeit genannt, können als geplantes und dauerndes Bemühen, Verständnis und Vertrauen in der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen, beschrieben werden. Unter Öffentlichkeit versteht man alle Gruppierungen des gesellschaftlichen Lebens, die unterstützend oder behindernd auf die Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dabei kann es sich sowohl um den Gesetzgeber, Parteien, Mitarbeiter und Aktionäre als auch um Interessenverbände, Umweltschutz- oder Bürgerinitiativen handeln. Natürlich wird jedes Unternehmen bestrebt sein, ein möglichst positives Erscheinungsbild abzugeben, das die Verfolgung der Unternehmensziele unterstützt. Ein positives Firmenimage trägt nicht nur zur Erhöhung der Bekanntheit des Unternehmens bei, sondern kann sich auch verkaufsfördernd auswirken. Darüber hinaus erleichtert es die Akquisition von Mitarbeitern und Führungskräften. Distributionskanäle , auch Vertriebs- oder Absatzwege genannt, stellen die Gesamtheit aller am Distributionsprozess beteiligten Elemente dar, die die Distribution des Produktes bzw. der Leistung vom Ersteller zum Endverbraucher unterstützen oder in irgendeiner Weise beeinflussen. Wie auch alle anderen Marketing-Teilziele müssen die Distributionsziele an den übergeordneten Unternehmenszielen ausgerichtet und in regelmäßigen Abständen an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst werden. Diese Zielvorstellungen werden nun distributionsspezifisch beispielsweise wie folgt konkretisiert: Welche Mengen sollen pro Periode abgesetzt werden? Welchen Umsatz will man erreichen? Welche Märkte sollen bedient werden? Wie hoch dürfen die Vertriebskosten maximal sein? Welcher Distributionsgrad soll erreicht werden? Soll eine Imageverstärkung durch den Absatzkanal bewirkt werden? Welcher Kooperationsgrad mit den Partnern wird angestrebt? Wie flexibel muss das Distributionssystem sein? Die Leistungsfähigkeit eines Distributionssystems hängt nicht allein von der betrieblichen Ausstattung, sondern auch von der Zuverlässigkeit der Vertragspartner ab. Die Vertriebskosten richten sich nach der Art des Distributionssystems. Unternehmenseigene Distributionssysteme sind zwar leichter kontrollierbar, aber für das Unternehmen teuer. Jeder Distributionskanal hat zudem sein eigenes Image, das sich auch auf die distribuierten Leistungen übertragen kann. Distributionspolitische Entscheidungen sind kurzfristig nicht oder nur mit großem Aufwand revidierbar. Die Flexibilität eines Distributionssystems entscheidet schließlich, wie schnell dennoch <?page no="241"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 241 Anpassungen an veränderte unternehmensinterne oder Wettbewerbsbedingungen durchgeführt werden können. Die Preispolitik (als Teilbereich der Kontrahierungspolitik) befasst sich mit Maßnahmen, die zur Ermittlung, Beeinflussung und Durchsetzung für das Unternehmen zweckmäßiger und dem Markt angepasster Preise erforderlich sind. Ziel preispolitischer Maßnahmen ist die Ermittlung jenes Preises, der die optimale Erfüllung der Unternehmensziele verspricht, wie z.B. Fortbestand des Unternehmens, kurzfristige Gewinnmaximierung, kurzfristige Umsatzmaximierung, maximales Absatzwachstum (Marktpenetration), maximale Marktabschöpfung oder Qualitätsführerschaft. Wesentliche, im Rahmen der Preispolitik zu treffende Entscheidungen sind die Bestimmung der Preislage, die Festlegung von Preisen bei der Neueinführung von Produkten, die Durchführung von Preisänderungen (z.B. bei mangelnder Akzeptanz von Seiten der Nachfrager, aufgrund gestiegener Kosten oder gesetzlicher Regelungen), Entscheidungen über Preisdifferenzierungen in Abhängigkeit von zu bedienenden Marktsegmenten sowie die Durchführung von Preisvergleichen und eventuelle Anpassungen an die Konkurrenz. Nicht nur die Bestimmung eines angemessenen Preises für ein Produkt oder eine Dienstleistung ist von Bedeutung. Ebenso wichtig sind die Ausarbeitung und der Einsatz einer geeigneten Preisstrategie. Die Auswahl der Strategien sollte in Abhängigkeit von der Marktform, den Produkteigenschaften und der Produktlebenszyklusphase erfolgen. Unter Preisdifferenzierung versteht man die Variation des Preises für ein und dasselbe Produkt in Abhängigkeit vom Marktsegment. Damit wird eine optimale Marktausschöpfung angestrebt. Möglich sind dabei z.B. eine räumlich-geographische, zeitliche oder personenbezogene Differenzierung, sowie eine Differenzierung nach dem Verwendungszweck oder nach der Abnahmemenge. Aufgrund der häufig direkten Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeitern bei der Erstellung von Dienstleistungen spielt die Personalpolitik eine entsprechende Rolle. Zentrale Fragestellungen hierbei sind u.a. die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter und deren soziale Kompetenzen sowie Personalplanung und -einsatz, Personalentwicklung und -bindung. 639 Der Verkehrssektor, insbesondere der Schienenverkehr, aber auch der Straßenverkehr, ist derzeit gekennzeichnet durch einen hohen Personalbedarf. 640 Ob Fahrpersonal oder Fachkräfte in anderen Aufgabenbereichen, Mitarbeiter werden dringend gesucht: „ Die Branche muss ihre Attraktivität als Arbeitgeber nach außen tragen und auf allen Qualifikationsstufen aktiv um Nachwuchskräfte und Quereinsteiger werben … “ 641 Umso wichtiger ist dabei eine zeitgemäße Personalpolitik, um Mitarbeiter langfristig zu binden und nicht etwa an Wettbewerber zu verlieren. 639 siehe dazu z.B. Meffert, Heribert; Bruhn, Manfred; Hadwich, Karsten: Dienstleistungsmarketing, Wiesbaden 2018, 406ff 640 vgl. Bundesnetzagentur: Tätigkeitsbericht Eisenbahnen 2017/ 18, Bonn 2019, 14 641 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Schienengüterverkehr, Berlin 2017, 36 <?page no="242"?> 242 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Ziel der Ausstattungspolitik („Physical Facilities“) ist es, die Qualität der eigentlichen Dienstleistung über die Ausstattung der Räumlichkeiten und genutzten Sachmittel zu unterstreichen. Wegen des immateriellen Charakters von Dienstleistungen lässt sich deren Qualität vorab schwer beurteilen. Kunden lassen sich dabei auch von anderen Merkmalen und Eindrücken leiten, so z.B. der Ausstattung eines Geschäftslokales oder eines Fahrzeugs des Dienstleisters, aber auch Uniformen der Mitarbeiter oder Dress Codes. Rückschlüsse auf die Qualität einer Dienstleistung lassen sich auch aus Prozessabläufen ziehen. Dabei muss es sich nicht nur um die Kernleistung handeln, sondern es können auch begleitende bzw. vor- und nachgelagerte Prozesse einbezogen sein (vgl. Bestellvorgang, Kundenbetreuung, Servicetelefon). Aufgabe der Prozesspolitik („Process Management“) ist es, Abläufe bei der Erbringung von Dienstleistungen effizient und kundenfreundlich zu gestalten. Dabei sollte nicht nur eine gleichbleibende Qualität gewährleistet, sondern auch eine gewisse Flexibilität gewahrt werden, um bei Änderungen um Geschäftsumfeld entsprechend reagieren zu können. <?page no="243"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 243 Fallstudie: Wiener Linien „Unser Ziel bleibt 1 Milliarde Fahrgäste bis 2020. Dafür müssen wir das Angebot laufend verbessern.“ 642 Die Wiener Linien gelten als der größte Mobilitätsdienstleister Österreichs. Jährlich nutzen mehr als 950 Mio. Fahrgäste das Angebot der 161 U-Bahn-, Straßenbahn- und Autobuslinien. Ergänzend zum regulären Verkehr fahren seit 1995 Nachtbusse. Seit 2010 verkehrt an Wochenenden die U-Bahn durchgängig. Gleichzeitig stellen die Wiener Linien mit rund 8.650 Mitarbeitern auch einen der größten Arbeitgeber Wiens dar. 643 U-Bahn Straßenbahn Autobus gesamt Fahrgäste 453,6 Mio. 305,8 Mio. 202,3 Mio. 961,7 Mio. Linienlänge 83 km 220,4 km 845,7 km 1.149,1 km Anzahl der Linien 5 28 128 161 Haltestellen 109 1.053 4.197 5.359 Bahnhöfe/ Garagen 3 4 3 10 Fahrzeuge 780 503 469 1.752 Tabelle 3-13 Wiener Linien - Zahlen und Fakten 2017 644 Mit ihrem Angebot ist es den Wiener Linien gelungen, den Anteil des ÖPNV am Modal Split schrittweise auszubauen. Inzwischen werden hier nun schon seit mehreren Jahren ca. 39 % aller Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt - ein im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten bemerkenswerter Anteil! Danach folgt der MIV mit 27 %. Die Beliebtheit der Wiener Linien zeigt sich auch darin, dass 2015 erstmals mehr ÖPNV-Jahreskarten (ca. 700.000) verkauft wurden als Pkw in der Stadt zugelassen sind (ca. 685.000). 2017 nutzten rund 778.000 Personen Jahreskarten. Pro 1.000 Einwohner gibt es in Wien 381 Pkw. 645 Angesichts des prognostizierten Wachstums der Bevölkerungszahl in Wien ist es Ziel der Verkehrsbetriebe, den ÖPNV-Anteil am Modal Split weiter zu steigern und bis 2020 40 % zu erreichen. Der Modal Split des Umweltverbundes soll laut Stadtentwicklungsplan bis 2025 bei 80 % liegen, aktuell beträgt er 72 %. 646 Ziel ist es, ein Mobilitätsangebot zu schaffen, das „fair, gesund, kompakt, ökologisch, robust und effizient“ ist. 647 Als Schlüssel zum Erfolg werden dabei „der Ausbau des Netzes, die Modernisierung 642 Günter Steinbauer, Geschäftsführer der Wiener Linien, zit. in: o.V.: Größte Netzänderung in Wien seit Jahrzehnten, http: / / www.nahverkehrs-praxis.de, 23.08.2017 643 vgl. Wiener Linien: Zahlen, Daten, Fakten 2017, Wien 2018, o.S. 644 erstellt nach: ebd. 645 vgl. ebd.; Wiener Linien: Zahlen, Daten, Fakten, http: / / www.wienerlinien.at, 18.08.2017; o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 12 646 vgl. Wiener Stadtwerke: Ohne Auto mobil, http: / / nachhaltigkeit.wienerstadtwerke.at, 25.08.2017: o.V.: Wien wächst - die Öffis wachsen mit, in: Wien mobil - Extra zum Linienkreuz U2/ U5, 4f; o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 12; siehe dazu auch: Stadt Wien, Step 2025 - Stadtentwicklungsplan Wien, Wien 2014, 98ff 647 Stadt Wien: Das Fachkonzept Mobilität - Ein Überblick, http: / / www.wien.gv.at, 19.01.2019 <?page no="244"?> 244 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen der Fahrzeuge, Optimierung der Linienführung, barrierefreie Ausstattung von Stationen sowie elektronische Fahrtanzeiger oder Apps und Internetservices“ 648 gesehen. Wesentlich für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist die Erschließung einer Region. Legt man bei U- und S-Bahn einen Einzugsbereich von 500 m sowie bei Straßenbahn und Bus von 300 m zugrunde, wurden in Wien 2018 folgende Erschließungsgrade realisiert: „99,8 % der Schulplätze, 96,4 % aller EinwohnerInnen, 95,4 % der Arbeitsplätze, 89,0 % der Wohnnutzfläche, 87,4 % der bebauten Fläche, 59,6 % der Gesamtfläche Wiens.“ 649 Erreicht wird dies durch einen konsequenten Netzausbau, der auch in Zukunft weitergeführt werden soll. Ein Großteil der getätigten Investitionen floss bzw. fließt in den U-Bahn-Neubau - derzeit Wiens größtes Infrastrukturvorhaben. Ziel dabei ist die bessere Anbindung der Außenbereiche der Stadt. Linie U1: Bereits im September 2006 wurde die Verlängerung der U1 bis Leopoldau in Betrieb genommen. Zu den Großprojekten der letzten Jahre gehörte zweifellos die Anbindung des neuen Hauptbahnhofs, der Ende 2014 voll in Betrieb ging, an die Linie U1 am Südtiroler Platz. Auch in südlicher Richtung wurde die U1 verlängert, die nun bis Oberlaa führt. Die Inbetriebnahme dieses Streckenabschnitts wurde im September 2017 gefeiert. Linie U2: Durch den Ausbau der Linie U2 ist seit Ende 2013 die Donaustadt besser mit dem Stadtzentrum verbunden. In diesem Zusammenhang erfolgten auch der Neubau einer Straßenbahnstrecke, die nun durch die Linie 26 befahren wird, sowie die Einrichtung sechs neuer Buslinien in diesem Bezirk. Seit 2018 wird die U2 auch in südlicher Richtung verlängert. Linie U4: Unter dem Namen „NEU4“ wird die U4 seit 2014 einer umfangreichen Modernisierung unterzogen. Linie U5: Schließlich will man durch den Neubau der Linie U5, die teilweise auf der ehemaligen Strecke der U2 geführt wird und die komplett automatisch betrieben werden soll, den Wiener Nordwesten besser anbinden. Die Inbetriebnahme ist für 2023 geplant. Kritiker äußern allerdings auch Zweifel am gesunden Verhältnis von Kosten und Nutzen bei diesem Projekt. 650 Angesichts dieser Investitionen stellt sich die Frage nach der Finanzierung: „In wenigen europäischen Großstädten wird der U-Bahn-Bau beziehungsweise der Öffentliche Verkehr generell so konsequent gefördert wie in Wien.“ 651 Als Finanzierungsinstrument für den U-Bahn-Ausbau wird auch die „Dienstgeberabgabe“ genutzt. Dabei sind von den Unternehmen für jeden in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer (unter 55 Jahren) pro Woche 2 Euro zu zahlen. Allein im Jahr 2016 konnten auf diese Art und Weise über 70 Mio. Euro eingenommen werden. Darüber hinaus werden zur generellen ÖPNV-Finanzierung über 15 Jahre laufende Vereinbarungen zwischen der Stadt Wien und den Wiener Linien geschlossen. Die derzeit bis 2032 geltende Vereinbarung garantiert 7,5 Mrd. Euro Zuschüsse für Investitionen und Betriebskosten. Zusätzlich werden Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung für den ÖPNV aufgewendet. 652 648 Wiener Stadtwerke: Ohne Auto mobil, http: / / nachhaltigkeit.wienerstadtwerke.at, 25.08.2017 649 Wiener Stadtwerke: Versorgungssicherheit im Mobilitätssektor, http: / / nachhaltigkeit.wienerstadtwerke.at, 25.08.2017 650 vgl. Wiener Linien: Besser unterwegs entlang der neuen U2, Wien 2013 (Faltblatt); Wiener Linien: Unternehmensprofil, http: / / www.wienerlinien.at, 12.01.2014; Stadt Wien: U-Bahn-Ausbau U2 und U5, http: / / www.wien.gv.at, 19.01.2019; Wiener Linien: Gesamtprojekt, http: / / www.wienerlinien.at, 18.08.2017; Wiener Linien: Linien U2 und U5, http: / / www.wienerlinien.at, 18.07.2017; Wiener Linien: Wien bewegt uns, Wien o.J.; o.V.: Vollautomatisch in die Zukunft, in: Wien mobil - Extra zum Linienkreuz U2/ U5, 26f; o.V.: Rückblick und Ausblick bei den Wiener Linien, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 216 651 o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 13 652 vgl. ebd., 14f <?page no="245"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 245 Neben dem Netzausbau stellt die Modernisierung des Fuhrparks einen Investitionsschwerpunkt dar. Obwohl auf den Buslinien schon seit längerem nur noch Niederflurfahrzeuge im Einsatz sind, wird die Busflotte weiter modernisiert. Bis 2019 kamen rund 200 weitere neue Busse dazu. Dazu zählen Standardbusse und Gelenkbusse sowie erstmals auch sogenannte XL-Gelenkbusse. Diese 20 m langen Fahrzeuge bieten neben den üblichen Komfortmerkmalen vor allem wesentlich mehr Platz für die Fahrgäste und bedienen stark frequentierte Linien. Eine Besonderheit der Flotte bilden seit 2013 die „ElectriCitybusse“, mit denen zwei Linien im Zentrum komplett elektrisch betrieben werden. Das Aufladen der Batterien erfolgt an den Endhaltestellen per Stromabnehmer auf dem Dach innerhalb von nur 15 Minuten. 653 Zukünftig sollen weitere, größere Elektrobusse in Wien verkehren. Zudem werden autonom fahrende Busse getestet. Auch die Straßenbahnflotte wird umgerüstet. Derzeit sind neben rund 300 Niederflurbahnen des Typs „ULF“ (Ultra Low Floor) noch etwa 200 Hochflurstraßenbahnen unterwegs. Diese werden von 2018 bis 2026 durch Niederflurfahrzeuge ersetzt. Die diesbezügliche Ausschreibung über maximal 156 Fahrzeuge des Typs „Flexity Wien“ hat Bombardier gewonnen. 654 ElektriCitybus an der Staatsoper Konventioneller Gelenkbus am Stubentor Autonom fahrender Bus in der Seestadt Straßenbahn Typ E 2 in der Hietzinger Hauptstraße 653 vgl. Wiener Linien: Der erste XL-Gelenkbus ist in Wien angekommen (23.08.2017), http: / / www.wienerlinien.at, 24.08.2017; Wiener Stadtwerke, Geschäftsbericht 2012, Wien 2013, 23; o.V.: Wiener Linien mit Staatspreis Mobilität ausgezeichnet (13.09.2013), http: / / www.vipress.at, 12.01.2014; Wiener Linien: Modernisierung unserer Busflotte geht in die nächste Runde, http: / / www.wienerlinien.at, 08.09.2020 654 vgl. Kaiser, Wolfgang: Straßenbahn in Österreich, München 2016, 46; Wiener Linien: Barrierefrei, Wien 2016, 7; Schrempf, Robert: Chronik Österreich, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 69 <?page no="246"?> 246 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Straßenbahn Typ B 1 („ULF“) am Parlament Straßenbahn „Flexity Wien“ am Frödenplatz Ebenso wird bei der U-Bahn der Fuhrpark systematisch umgestellt. Das U-Bahn-Netz weist bezüglich der Stromversorgung eine Besonderheit auf. Während die Fahrzeuge der Linien U1 bis U4 ihren Fahrstrom über eine seitliche Stromschiene beziehen, wird die Linie U6 per Oberleitung versorgt. Demzufolge müssen verschiedene Fahrzeugtypen zur Anwendung kommen. Die Linie U6 (die eigentlich keine U-Bahn, sondern eine Schnellstraßenbahn ist 655 ), ist bereits komplett mit - im Wiener Bombardier- Werk hergestellten - neuen Niederflurwagen ausgerüstet worden. 656 Auf den anderen U-Bahn-Linien sind Triebwagen verschiedener Fahrzeuggenerationen (Typen U11, U2, V) unterwegs. U4: Triebwagen Typ U2 („Silberpfeil“), Wienzeile U6: Triebwagen Typ T, Mariahilfer Gürtel Eine Angebotsverbesserung wollten die Wiener Linien nicht nur durch die Umstellung auf Niederflurfahrzeuge, sondern auch durch bessere Informationsangebote erzielen. Bereits seit 1997 sind an Straßenbahn- und Bushaltestellen Echtzeitanzeiger im Einsatz, die den Fahrgästen die Abfahrt der nächsten Bahnen oder Busse anzeigen. An Umsteigeknoten geben Vorweganzeiger seit 2007 schon beim Verlassen der U-Bahn-Station Auskunft darüber, wann die nächste Straßenbahn bzw. der nächste Bus fährt. Zusätzlich ist dabei ersichtlich, wann das nächste barrierefreie Fahrzeug kommt. Auch an Straßenbahnhaltestellen erhält der Fahrgast diese Informationen. Ab 2019 werden schrittweise Bus- und Straßenbahnhaltestellen und damit auch die Informationsangebote modernisiert. Zukünftig kommen größere und damit besser lesbare Fahrplanaushänge sowie neue Abfahrtsmonitore zum Einsatz. 657 An stark frequentierten U- Bahn-Stationen entstehen anstelle der bisherigen Stationsüberwachungen Service-Points mit Info- 655 vgl. Kaiser, Wolfgang: Wiener Schienennahverkehr, München 2008, 117 656 vgl. Wiener Stadtwerke: Geschäftsbericht 2007, Wien 2008, 34f 657 vgl. Wiener Stadtwerke: Nachhaltigkeitsbericht 2007, Wien 2008, 37; Wiener Linien: Wiener Linien präsentieren neues Haltestellendesign, http: / / www.wienerlinien.at, 15.01.2019 <?page no="247"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 247 säulen. Hier erhalten Fahrgäste vom Servicepersonal Auskunft zu Fahrplänen, zu Verbindungen und zum Tarifsystem. 658 2009 ging die App „qando“ in Betrieb mit den Schwerpunkten Fahrplanauskunft und Routenplanung, die aber auch einen Abfahrtsmonitor für alle Haltestellen beinhaltete. Zudem gestattete die Kartenfunktion die Anzeige von Attraktionspunkten sowie öffentlichen WLAN-Hotspots, Citybike- und car2go-Standorten. Die App ließ sich auch mit einem Screenreader für blinde und sehschwache Nutzer verwenden. 659 Später wurde die Wiener-Linien-Ticket-App für den Fahrscheinkauf entwickelt. Inzwischen wurden beide Apps durch die neue Mobilitäts-App „WienMobil“ abgelöst. „WienMobil“ verbindet die Funktionen obiger Apps, bezieht darüber hinaus Mobilitätsangebote verschiedener Anbieter, wie z.B. Taxi, Fahrradverleih und Carsharing, ein und ermöglicht damit verkehrsmittelübergreifende Mobilität. Dabei beschränkt sich die Routenplanung nicht mehr nur auf den ÖPNV, sondern berücksichtigt verschiedene weitere Verkehrsmittel, die auch mit dieser App reserviert bzw. gebucht werden können. 660 Trotz des großen Netzes und der dichten Taktung sind die Fahrpreise im Vergleich zu anderen Großstädten günstig. Eine Jahreskarte ist für 365 Euro zu haben, d.h., der Nutzer zahlt einen Euro pro Tag. 661 42,9 % der Kunden nutzen solche Jahreskarten, 11,7 % Monatskarten. 662 Ein Einzelfahrschein kostet 2,40 Euro. Die Kundenzufriedenheit wird generell hoch eingestuft. 2015 wurden die Wiener Linien von ihren Nutzern auf einer sechsteiligen Skala mit der Note 1,7 bewertet. Dabei schätzten 89 % der Nutzer die Wiener Linien als „sehr gut“ bzw. „gut“ ein. Positiv hervorgehoben wurden dabei insbesondere die Taktung der U-Bahn, das Linienbzw. Streckennetz sowie die Informationsmöglichkeiten an Verkaufs- und Infostellen. 663 Neben all diesen positiven Aspekten gibt es jedoch auch Probleme. Dazu zählen „die ständig länger statt kürzer werdenden Planfahrzeiten, die sich immer weiter ausbreitenden Langsamfahrstellen und die wegen kaputter Fahrzeuge und Gleise immer häufiger werdenden Betriebsstörungen im Strassenbahnnetz, auf die nur noch in Ausnahmefällen mit bescheidenen Ersatzmassnahmen reagiert wird.“ 664 In jüngerer Zeit häuften sich daher Baustellen insbesondere auf den stark befahrenen Streckenabschnitten. 665 Aufgabe 1: Welche Faktoren sind kennzeichnend für den Erfolg der Wiener Linien? Aufgabe 2: Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Slogan der Wiener Linien „Die Stadt gehört Dir.“? Aufgabe 3: Analysieren Sie mithilfe der im Internet verfügbaren Informationen über die Wiener Linien (http: / / www.wienerlinien.at) deren Marketing-Mix! 658 vgl. Wiener Linien: Umbau der Service-Points schreitet zügig voran (28.03.2018), http: / / www.wienerlinien.at, 11.05.2018 659 vgl. Wiener Linien: qando, http: / / www.wienerlinien.at, 25.08.2017 660 vgl. Wiener Linien: WienMobil, http: / / www.wienerlinien.at, 25.08.2017; o.V.: Öffi-App: Wiener Linien schicken Qando auf das Abstellgleis (17.02.2020), http: / / www.derstandard.de, 08.09.2020 661 vgl. Wiener Linien: Jahreskarte, http: / / www.wienerlinien.at, 24.08.2017 662 vgl. Wiener Linien: Zahlen, Daten, Fakten 2016, Wien 2017, o.S. 663 vgl. Wiener Stadtwerke: Wie die Wiener Stadtwerke wirken - Nachhaltigkeitsbericht 2015, Wien 2016, 61 664 o.V.: Rückblick und Ausblick bei den Wiener Linien, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 216; siehe dazu auch: o.V.: Wien „versinkt“ in Langsamfahrstellen, in: Schienenverkehr aktuell 4/ 2018, 190 665 vgl. o.V.: Gleisschäden beeinträchtigen die Wiener Strassenbahn massiv, in: Schienenverkehr aktuell 11/ 2018, 596 <?page no="248"?> 248 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen 3.3.10 Finanzierung und Investition Die Finanzierung umfasst alle Instrumente, die der Bereitstellung des für betriebliche Zwecke nötigen Kapitals dienen (vgl. auch „Mittelherkunft“). Investition umfasst alle Instrumente zur Optimierung der betrieblichen Ressourcen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Anlagevermögen (vgl. auch „Mittelverwendung“). 666 Versucht man, einen Überblick über die Finanzierung von Unternehmen zu geben, bietet sich dies zunächst anhand der Zahlungsströme an. In monetärer Hinsicht haben Organisationen Einnahmen und Ausgaben zu verzeichnen. Dabei stellt jede von einer Organisation geleistete Zahlung eine Ausgabe dar, jede an die Organisation geleistete Zahlung eine Einnahme. Unterschieden werden Ausgaben und Einnahmen, die das Vermögen betreffen (z.B. Aufnahme von Krediten für Investitionen in das Anlagevermögen) und solche, die den Erfolg der Organisation betreffen. Jene Ausgaben und Einnahmen, die den Erfolg betreffen, werden auch als Aufwände und Erträge bezeichnet. Bei Unternehmen entstehen derartige Ausgaben (bzw. Aufwände) hauptsächlich durch die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zur Erstellung von Leistungen. Einnahmen (bzw. Erträge) resultieren bei Unternehmen hauptsächlich aus der Verwertung der erbrachten Leistungen. Betrachtet man die Finanzierungsarten , sind Innenfinanzierung und Außenfinanzierung zu unterscheiden. Die wesentlichsten Formen der Innenfinanzierung sind die Bildung von Ersparnissen, die Finanzierung aus Abschreibungen, aus Rückstellungen und aus Umschichtungen des Vermögens. Als Varianten der Außenfinanzierung stehen vor allem die Aufbringung von Kapital auf dem Wege von Beteiligungen und - von großer wirtschaftlicher Bedeutung - die Finanzierung über Kredite zur Verfügung. Bei Unternehmen gewinnt die Finanzierung durch Beteiligungen zunehmend an Bedeutung. Dabei wird von einem Unternehmen Kapital aufgebracht, indem sich eine andere Organisation an diesem Unternehmen beteiligt und im Zuge dessen Kapital zur Verfügung stellt. Insgesamt existieren - je nach Bedarf - vielfältige Arten kurz-, mittel- und langfristiger Möglichkeiten der Finanzierung. Dank Factoring liquide? Säumige Zahler sind insbesondere für kleine und mittelgroße Spediteursbetriebe ein Problem. Aufträge werden immer häufiger über Frachtenbörsen im Internet angenommen. Bei unbekannten Auftraggebern fällt es folglich schwer, dessen Zahlungsmoral einzuschätzen. Während dadurch in Geldnot geratene Spediteure noch häufig auf kurzfristige Kredite von Banken und Sparkassen setzen, greifen Unternehmen anderer Branchen auf das Finanzierungsinstrument Factoring zurück. Factoring bezeichnet ein Finanzierungsgeschäft, bei dem ein Finanzierungsinstitut (Factor) mit einem Zahlungsziel ausgestattete Kundenforderungen zum Nominalwert abzüglich eines Abschlags vom Lieferanten abkauft, das volle Ausfallrisiko übernimmt, für die Kunden die Debitorenbuchhaltung führt und das Inkasso betreibt. Bislang nutzt die Transport- und Speditionsbranche das Finanzierungsinstrument Factoring nur selten. Lediglich rund 5 % des Factoring-Umsatzes in Deutschland werden durch einschlägig tätige Unternehmen erzielt. Zurückzuführen ist dies zum einen darauf, dass sich das 666 vgl. dazu z.B. auch Becker, Hans Paul; Peppmeier, Arno: Investition und Finanzierung, Wiesbaden 2018; Stopka, Ulrike; Urban, Thomas: Investition und Finanzierung, Berlin 2017 <?page no="249"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 249 Finanzierungsinstrument noch keiner allzu großen Bekanntheit erfreut und zudem ein Imageproblem (vgl. Inkasso) hat. 667 Betrachtet man die Finanzierung im Hinblick auf gewisse Prinzipien , lassen sich Grundsätze in Bezug auf die Verwendung der finanziellen Mittel und solche in Bezug auf die Höhe der Verschuldung unterscheiden. Hinsichtlich einer optimalen Verwendung der finanziellen Mittel gilt für Unternehmen vor allem, dass die Liquidität (Zahlungsfähigkeit) nicht gefährdet werden soll. Die Liquidität ist zweifellos der wichtigste Aspekt, um das unmittelbare Überleben eines Unternehmens zu sichern. In Bezug auf die Höhe der Verschuldung steht vor allem die Begrenzung eines zu hohen Risikos in Bezug auf die Struktur des Kapitals (vgl. Eigenkapital , Fremdkapital ) im Vordergrund. Das unmittelbare Risiko etwa einer Investition im Allgemeinen und die Rentabilität des aufgenommenen Kapitals im Besonderen sind dabei jene Aspekte, die von besonderer Bedeutung sind. Mit der Beachtung dieser Komponenten soll vor allem der Gefahr einer zu hohen Verschuldung begegnet werden. Von Interesse ist es natürlich, die günstigste Art der Verschuldung zu ermitteln. Kaufmännisch betrachtet zeigt sich, dass die maximale Verschuldung dann erreicht ist, wenn die Höhe der Kosten des aufgenommenen Kapitals (Fremdkapitalzinsen) gerade von der Rentabilität (wirtschaftlicher Erfolg gemessen am eingesetzten Kapital) der damit getätigten Investition gedeckt werden kann. Normalerweise sollte aber der Grad der Verschuldung unter diesem Punkt liegen. Zu bedenken ist dabei, dass die (finanzielle) Unabhängigkeit von Organisationen wesentlich durch den Grad der Verschuldung bestimmt wird. Im Rahmen der Investition lassen sich verschiedene Arten von Investitionen unterscheiden. Die Legitimität von Investitionen ergibt sich vor allem aufgrund ihres Nutzens bzw. ihrer Vorteile. Nach ihrem Ziel können Investitionen in Sachvermögen oder Finanzvermögen differenziert werden. Darüber hinaus ist auch der Anlass von Investitionen ein wichtiges Kriterium der Unterscheidung. Ein Beispiel für einen häufigen Anlass von Investitionen wäre etwa die Notwendigkeit von Rationalisierungen. Ein weiteres Kriterium der Unterscheidung von Investitionen wäre, Investitionen nach ihren Effekten innerhalb von Organisationen (z.B. Anschaffung einer EDV- Anlage) und solche mit Wirkung nach außen (z.B. Werbekampagnen zur Marktentwicklung) zu differenzieren. Ein wesentlicher Aspekt ist die Vorteilhaftigkeit von Investitionen. Diese kann vor allem durch verschiedene Methoden der Berechnung ihres Nutzens ermittelt werden. Dabei steht primär die Rentabilität im Vordergrund. Sale and Lease back in der Schifffahrt Überangebote beim Frachtraum und sinkende Frachtraten setzen Reedereien unter Druck. Banken wiederum werden zurückhaltender bei der Kreditvergabe, so dass sich Reedereien nach Alternativen zur Schiffsfinanzierung umschauen. Im Rahmen von „Sale and lease back“- Transaktionen verkauft eine Reederei ein Schiff an eine Leasinggesellschaft und least es umgehend zurück für einen festgelegten Zeitraum mit einer Kaufoption zum Ablauf der Leasingfrist. Die Reederei kann auf diese Weise die Liquidität zu verbessern und diese Finanzmittel in die unternehmerischen Aktivitäten investieren. Sinnvoll erscheint dies besonders dann, wenn die Leasingraten unter den Zinstilgungsraten für einen Kredit liegen. 668 667 vgl. Spirkl, Katharina: Offene Rechnungen zu Geld machen, in: Verkehrsrundschau 42/ 2013, 64f 668 More Global: Sale and leaseback transactions and IFRS 16 implications, http: / / www.moore-global.com, 08.09.2020; Reed Smith: Ship Sale and Leaseback Transactions, http: / / www.assetfinanceinbrief.com, 08.09.2020 <?page no="250"?> 250 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Fallstudie: Fahrzeugfinanzierung im Schienenverkehr Die einfachste Möglichkeit der Finanzierung von Schienenfahrzeugen ist jene über Eigenkapital. Da Eigenkapital im Allgemeinen nur begrenzt zur Verfügung steht und aus finanzwissenschaftlicher Betrachtung sehr teuer ist, ist diese Finanzierungsart nicht die erste Wahl. Eine Alternative bietet die Kreditfinanzierung. Bei einer Kreditfinanzierung wird das Eisenbahnverkehrsunternehmen Eigentümer des beschafften Fahrzeugs. Um den Kredit zu besichern, erfolgt eine Verpfändung bzw. Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an die Bank. Notwendig sind meist ein Eigenkapitalanteil sowie eine entsprechende Versicherung und Wartung. Jedoch ist die Finanzierung eines so speziellen Gutes wie einer Lokomotive für eine Bank mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden. Anders als beispielsweise Containerschiffe oder Passagierflugzeuge lassen sich Schienenfahrzeuge nicht so universell einsetzen. Technische Parameter wie Spurweiten, Bahnstrom- und Sicherungssysteme oder Lichtraumprofile begrenzen die Einsatzfähigkeit und damit auch die Verwertbarkeit der Fahrzeuge für die Kreditgeber. Entschärft wird dieses Problem durch die Entstehung von Gebrauchtmärkten. Die Bank hat nun die Möglichkeit, das kreditfinanzierte Fahrzeug auf dem Zweitmarkt zu verwerten und einen möglichen Verkaufspreis im Voraus abzuschätzen. Eine weitere Finanzierungsalternative ist die Miete. Dabei wird dem Mieter über einen bestimmten Zeitraum ein Nutzungsrecht am Fahrzeug eingeräumt. Der Vertrag kann auch die gleichzeitige Überlassung von Personal beinhalten. Eigentümer bleibt der Vermieter. Aufgrund der Rechtsformumwandlung vieler Staatsbahnen können Eisenbahnverkehrsunternehmen inzwischen auch moderne Finanzierungssysteme wie das Leasing nutzen. Dadurch wurde in den letzten Jahren die Entstehung von Wettbewerb im Eisenbahnsektor begünstigt. Fördernd wirkte die gleichzeitige Liberalisierung, die neuen Wettbewerbern den Markt öffnete. Diese Unternehmen suchen nach Finanzierungsmöglichkeiten, die wenig Eigenkapital erfordern. Von der Struktur her vergleichbar mit der Miete ist das Operate Leasing. Der Leasinggeber, der Eigentümer des Fahrzeugs bleibt und auch das Auslastungs- und Restwertrisiko trägt, übernimmt dabei meist auch die Wartung der Fahrzeuge. Vom Operate Leasing zu unterscheiden ist das Finance Leasing. Hierbei erlangt eine Leasinggesellschaft das Eigentum am Fahrzeug, das an Unternehmen vermietet wird. Der Leasingnehmer übernimmt die Wartung und Versicherung. Zum Vertragsende besteht häufig eine Kaufoption. Eine Mischform stellt das sogenannte Synthetische Operate Leasing dar. Grundsätzlich ist es mit dem Operate Leasing vergleichbar, das heißt, der Leasinggeber ist Eigentümer des Fahrzeugs. Wie beim Finance Leasing steht hier jedoch eine längerfristige Nutzung im Vordergrund. Ebenso gibt es oft zum Vertragsende eine Kaufoption. 669 Aufgabe 1: Welche Möglichkeiten der Finanzierung von Schienenfahrzeugen bieten sich generell? Aufgabe 2: Wodurch unterscheidet sich die Anschaffung von Fahrzeugen im Schienenverkehr von Fahrzeugen anderer Verkehrsträger? Aufgabe 3: Welche Formen des Leasings werden bei Schienenfahrzeugen praktiziert? Aufgabe 4: Welche Ziele werden mit dem Einsatz des Finanzierungsinstruments Leasing verfolgt? 669 vgl. Böttger, Christian: Leasing im Schienenverkehr, in: Prima 06/ 2008, 20ff; Huke, Guido; Bauer, Kurt; Straube, Friedbert: Eine Branche entdeckt die Eisenbahn, in: Prima 04/ 2009, 40ff; Pohlmann, André: Finanzierung, Miete und Leasing in der Euro-Krise, in: Prima im Fokus 4/ 2012, 4f <?page no="251"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 251 3.3.11 Informationswesen Das betriebliche Informationswesen beinhaltet im engeren Sinn Rechnungswesen 670 und Controlling 671 . Darüber hinaus gehören alle Vorgänge des EDV-gestützten Datenmanagements dazu. Das Rechnungswesen dient der systematischen Erfassung und Auswertung aller quantifizierbaren Beziehungen und Vorgänge in Organisationen zum Zweck der Gewinnung von Informationen. Intern dient das Rechnungswesen der Dokumentation und Kontrolle. Extern besteht die Notwendigkeit zur Rechenschaftslegung und u.U. zur Information der Öffentlichkeit. Ein wesentlicher Bestandteil des Rechnungswesens ist die Buchführung. Unter Buchführung versteht man die planmäßige und lückenlose Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle in Organisationen. Die Buchführung sammelt, ordnet und gruppiert die aus den getätigten Transaktionen resultierenden Werte. In regelmäßigen Zeitabständen (z.B. monatlich, jährlich) werden daraus Abschlüsse entwickelt. Kalkulation als Erfolgsfaktor Der Schienengüterverkehr sah sich in den letzten Jahren mit kontinuierlichen Kostensteigerungen konfrontiert. Nicht nur steigende Energiepreise spielten hier eine Rolle, sondern auch der Mangel an Arbeitskräften (z.B. auch Lokführer). Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, ist deshalb eine fundierte Kalkulation unabdingbar. Sie kann zudem helfen, erforderliche Preissteigerungen gegenüber den Kunden zu argumentieren. Bei der Abwicklung von Schienengüterfernverkehren mit Standardgüterwagen fallen durchschnittlich folgende Kosten an: Triebfahrzeugkosten (24 %) resultieren aus dem Loktyp, der Motorisierung und dem Alter, den Eigentumsverhältnissen (vgl. Eigentum, Miete, Leasing) sowie den Einsatzzeiten. Berücksichtigt werden sollten auch Wartung und Instandhaltung. Trassenkosten, die bei der Nutzung der Infrastruktur anfallen, belaufen sich auf ca. 19 %. Energiekosten (22 %) ergeben sich in Abhängigkeit von Loktyp, Zuggewicht und Streckenkategorie. Darüber hinaus entstehen Kosten für den Einsatz von Güterwagen (14 %) und Betriebspersonal (11 %). Hinzu kommen Dispositions-, Vertriebs- und Verwaltungskosten. 672 In Wirtschaftsunternehmen wird heute nahezu ausschließlich das System der sogenannten doppelten Buchführung verwendet. Dabei wird jede durch einen Geschäftsfall ausgelöste und aufgrund eines Beleges vorgenommene Buchung auf mindestens zwei Konten verbucht. Dieses Verfahren beeinflusst auch die Art des periodischen Abschlusses. Der Vorgang der Bilanzierung unterscheidet die Erstellung einer Bilanz sowie einer Gewinn- und Verlustrechnung . Unter Bilanz ist eine bestimmte Form der Gegenüberstellung von Vermögen (Aktiva) und Kapital (Passiva) zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verstehen. Die Aktiva zeigen die konkrete Verwendung der eingesetzten finanziellen Mittel, die Passiva die Ansprüche der Gläubiger (Fremdkapital) und das unternehmenseigene Kapital (Eigenkapital als Saldo zwischen Vermögen und Fremdkapital). Aktiva und Passiva stellen insgesamt denselben Wert dar. Die Ermittlung des kaufmännischen Erfolges einer Periode geschieht sowohl im Rahmen der Bilanz als auch durch die Gewinn- und Verlustrechnung. Die Gewinn- und Verlustrechnung ist eine Gegenüberstellung von Aufwendungen und 670 vgl. dazu auch: Weber, Jürgen; Weißenberger, Barbara E.: Einführung in das Rechnungswesen, Stuttgart 2017 671 vgl. dazu auch: Weber, Jürgen; Schäffer, Utz: Einführung in das Controlling, Stuttgart 2020 672 Wittenbrink, Paul; Hagenlocher, Stefan: Kalkulation von Schienengüterverkehrsleistungen, in: Prima 3/ 2012, 30f <?page no="252"?> 252 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Erträgen zur Ermittlung des kaufmännischen Ergebnisses eines Unternehmens und der Darstellung seiner Quellen. Als Problem können sich die Gewährleistung der Lückenlosigkeit bei der Datenerfassung sowie der Transparenz bei der Dokumentation, die rationelle Verarbeitung der Daten oder die optimale Ausnutzung rechtlicher Möglichkeiten (z.B. steuerliche Begünstigungen) darstellen. Controlling umfasst - im Gegensatz zum traditionellen Rechnungswesen - insbesondere die Planung und Steuerung des Geschehens in Organisationen sowie die diesbezügliche Berichterstattung. Planung im Rahmen von Controlling beinhaltet die Erstellung und Koordinierung von Plänen in Bezug auf Gewinn, Kosten, Produktion, Absatz, Beschaffung und Investition sowie die Unterstützung bei der Durchführung dieser Pläne. Ein wesentlicher Schwerpunkt dabei ist die Integration der einzelnen Teilpläne. Kontrollergebnisse beruhen oft auf Vergangenheitswerten, z.B. der Buchhaltung und des Rechnungswesens. Bevor korrigierend eingegriffen werden kann, ist bereits wertvolle Zeit vergangen. Damit kommt der Anwendung eines der Unternehmensgröße angemessenen Controllings als vorausschauendes Führungsinstrument eine besondere Bedeutung zu. Deshalb sollen sich abzeichnende Abweichungen vom Sollverlauf ehestmöglich erfasst und Korrekturmaßnahmen kurzfristig eingeleitet werden können (vgl. Soll-Ist-Vergleich, Abweichungsanalyse). Eine wichtige Funktion des Controllings ist die Berichterstattung und Interpretation der Erkenntnisse. Darunter fallen die Erstellung von periodischen Standardberichten (z.B. monatliche Erfolgsrechnung) sowie spezielle Auswertungen (z.B. Beurteilung von Investitionsvorhaben). Eine weitere wichtige Aufgabe liegt in der allgemeinen, laufenden Beurteilung der jeweiligen Organisation und deren Beratung. Controlling soll mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe den ausführenden Abteilungen helfen, die vereinbarten Ziele (z.B. Erreichung bestimmter Umsätze, Einhaltung des Budgets) zu erreichen. Letztlich kann Controlling auch als organisationsinterne Beratung aufgefasst werden. Eine Aufgabe des Controllings ist häufig auch die Behandlung von Steuerangelegenheiten sowie die Berichterstattung an staatliche Stellen. In einer weiteren Fassung des Begriffs wird Controlling zudem als eine Funktion des Managements der gesamten Organisation bzw. der Unternehmensführung verstanden. Innerhalb dieser Funktion werden zwar keine eigenständigen Führungsentscheidungen getroffen. Diese werden jedoch umfassend vorbereitet und ihre Durchsetzung unterstützt. Deshalb geht das Konzept des Controllings weit über die Anforderungen und Möglichkeiten des betrieblichen Rechnungswesens hinaus. Zwar sind ebenso detaillierte, realistische Informationen über Kosten und Erlöse notwendig, um die Fülle von Aufgaben des Controllings zu bewältigen. Allerdings werden zum einen wesentlich umfassendere Daten als im Rechnungswesen benötigt (z.B. Informationen über die qualitative Einschätzung der Entwicklung von Märkten und der Nachfrage). Zum anderen ist die Bereitstellung von Informationen nur ein kleiner Ausschnitt der gesamten Aufgabe im Rahmen dieser Funktion. Controlling ist nicht nur für die Entwicklung und Implementierung von Instrumenten und Systemen der Planung, Steuerung und Kontrolle verantwortlich. Darüber hinaus soll im Rahmen des Controllings auch dafür gesorgt werden, dass die bereitgestellten Daten von den Empfängern gemäß ihren Aufgaben und Zielen verwendet werden. Dies erfordert eine häufig weitreichende Unterstützung der Empfänger von Daten seitens des Controllings. Eine derartige Unterstützung besteht vor allem in der Erläuterung schwer interpretierbarer Informationen für nicht speziell geschultes Personal. Dadurch soll vor allem die praktische Umsetzbarkeit gewährleistet und erleichtert werden. <?page no="253"?> 3.3 Management in Verkehrsunternehmen 253 Darüber hinaus muss auch die strategische Komponente des Managements berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass der zunächst dominanten Komponente der koordinierenden Abstimmung kooperativer Prozesse ein weiterer Faktor hinzutritt. Dieser besteht in der Funktion des Controllings als visionäre Aufgabe. Operationalisiert wird dies vor allem im Rahmen der strategischen Unternehmensplanung. Dabei steht insbesondere auch die Aufgabe des Risk Management im Vordergrund (vgl. vorzeitiges Erkennen von Risiken und entsprechende Absicherung). Traditioneller Einsatzbereich des Controllings sind größere Organisationen. Der in diesem Rahmen erhebliche Bedarf an Koordination sowie Einflüsse aus der Umwelt des Unternehmens begründen die Notwendigkeit des Einsatzes von Controllinginstrumenten. In jüngerer Zeit sind Faktoren wie die Dynamik des Wettbewerbs, schnelle technische Entwicklung und kürzere Lebenszyklen von Produkten dafür ausschlaggebend, dass Controlling auch in mittleren und kleineren Unternehmen zunehmend Einsatz findet. Problembereiche im Controlling können die Früherkennung von Entwicklungen, insbesondere von Risiken, die Aussagekräftigkeit der erarbeiteten Daten sowie Optimierung in Hinblick auf die Verwendbarkeit als wirkliches Steuerungsinstrumentarium sein. 3.3.12 Standortentscheidungen Standortwahlprobleme von transportierenden Verkehrsbetrieben betreffen nicht nur die Suche nach einem geeigneten Betriebsstandort, sondern gleichzeitig auch die Errichtung einer optimalen räumlichen Struktur der einzelnen Teilbetriebe. Die von den Verkehrsunternehmen eingesetzten Fahrzeuge wechseln während der Leistungserbringung zwar ständig ihre Aufenthaltsorte, werden im Allgemeinen aber von bestimmten Standorten aus koordiniert und gesteuert. Mit der Standortwahl entscheidet sich ein Verkehrsbetrieb nicht nur für bestimmte Grundstücke, Gebäude und Einrichtungen. Vielmehr werden damit auch die Rahmenbedingungen für die anzubietende Leistungspalette und deren zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gesetzt. Während beispielsweise der Sitz der Unternehmensleitung keinen Einfluss auf das Leistungsprogramm hat, ist die Standortstruktur für Art und Umfang der angebotenen Leistungen entscheidend. Zudem werden durch die Wahl des Standortes die Möglichkeiten der Personalauswahl sowie das Verhalten von (potentiellen) Kunden und Konkurrenten beeinflusst. 673 Betriebshofstandorte im ÖPNV Insbesondere in Großstädten wurde und wird das ÖPNV-Angebot kontinuierlich ausgebaut. Dies führt zum Einsatz größerer Fahrzeugflotten. Eine größere Anzahl an Fahrzeugen verlangt nach größeren Kapazitäten für Reparaturen und zum Abstellen von Fahrzeugen in Schwachlastzeiten. Auch Arbeitsfahrzeuge für die Netzinstandhaltung sind üblicherweise im Betriebshof stationiert. Insbesondere in großen Netzen führen dezentral gelegene Betriebshöfe zu längeren Fahrzeiten bis zum tatsächlichen Einsatzort. Deshalb stehen beim Ausbau des ÖPNV-Angebots nicht nur Linienführung, Fahrpläne und Fahrzeuge im Mittelpunkt, sondern es sind auch Investitionen in die Betriebshofstandorte, ggf. Neubauten erforderlich. 673 vgl. Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Zweiter Teil: Leistungsbereitschaft der Verkehrsbetriebe, Berlin 1993, 27f <?page no="254"?> 254 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Umfeld Infrastruktur ge ge be ne Infra s truktur ge pl a nte Infra s truktur ei ge ne Inve s ti ti one n i n di e Infra s truktur Nachfrage Aufkomme n a n Verke hrs obje kte n Verke hrs be dürfni s s e a n Vers a nd-/ Empfa ngs orte n Wi rts cha fts zwei gori e nti erung Produktion Opti mi erung von Fa hrze uguml ä ufe n Opti mi erung von Ums chl a gs - und La gervorgä nge n Re gi ona l ori e nti erung Wettbewerb Wettbewerbs i nte ns i tä t Prei s verha l te n Ange bots forme n Internationale Aspekte te chnol ogi s che s Umfel d pol i ti s ch-re chtl i che s Umfel d na türl i che s Umfel d wi rts cha ftl i che s Umfel d ge s el l s cha ftl i che s Umfel d Verke hrs e ntwi ckl ung Netzergä nzung Ma rkta ttra kti vi tä t Ri s i kos tre uung Abbildung 3-12 Faktoren zur Beurteilung eines Verkehrsbetriebsstandortes (Auswahl) 674 3.4 Strategische Entscheidungen Die strategische Ausrichtung eines Verkehrsunternehmens kann mithilfe von qualitativen und quantitativen Konzeptstrategien, Wettbewerbs- und Kooperationsstrategien beschrieben werden. qualitative Konzeptstrategie quantitative Konzeptstrategie Kooperationsstrategie Wettbewerbsstrategie Netzstruktur Produktpalette Fahrpläne, Bedienungshäufigkeit Kapazitäten Form der Kooperation Intensität der Kooperation Preisvs. Qualitätsorientierung konservatives vs. innovatives Verhalten Tabelle 3-14 Strategische Ausrichtung 675 674 erstellt nach: Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Werkzeuge des Managements, Wien/ Berlin 2013, 58f; Stabenau, Hanspeter: Verkehrsbetriebslehre, Bremen 1994, 59f 675 erstellt nach: Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 76f <?page no="255"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 255 Im Rahmen der qualitativen Konzeptstrategien geht es um die Definition von Netzstruktur und Produktpalette: Das Netz , als entscheidende Komponente des Angebots, kann der Erschließung der Fläche dienen oder sich auf Hauptachsen konzentrieren. Die Produktpalette kann eine einheitliche Leistung oder differenzierte Leistungen (z.B. unterschiedliche Komfortklassen) bieten. Eine einheitliche Leistung bringt den Vorteil der Standardisierung der Prozesse und einer effizienten Abwicklung mit sich. Für den Nachfrager bleibt das Angebot leicht verständlich und überschaubar. Mit steigender Reisedauer und -entfernung nimmt auch das Bedürfnis nach einer zielgruppenspezifischen Ausrichtung und verschiedenen Zusatzleistungen zu. 676 Bei den quantitativen Konzeptstrategien stehen Bedienungshäufigkeiten und Kapazitäten, die zusammen die Gesamtproduktion des Unternehmens ergeben, im Mittelpunkt: Bei der Erarbeitung der Fahrpläne sind die Daten der Fahrzeuge und Strecken (z.B. Höchstgeschwindigkeiten), Stationen (z.B. verfügbare Gleisanlagen) sowie zum Personal (z.B. Dienstpläne) zu berücksichtigen. Daraus und aus der Nachfrage resultierend, kann ein gestraffter Fahrplan oder ein dichter Fahrplan angeboten werden. Mit gestrafften Fahrplänen lassen sich Beförderungswünsche bündeln; dichte Fahrpläne kommen dem Wunsch der Fahrgäste nach möglichst großer Flexibilität entgegen. Die Ermittlung der Kapazität eines Verkehrssystems erfolgt durch Multiplikation der Anzahl der Fahrten laut Fahrplan mit der Fahrzeugkapazität. Je nach Nachfrage kommen dabei große oder kleine Fahrzeuge zum Einsatz. Auch die Traktionsfähigkeit der Fahrzeuge ist hier von Bedeutung. Allerdings lassen sich Kapazitäten dadurch nur sprunghaft steuern. Große Fahrzeuge führen zu geringen direkten Betriebskosten pro Passagier. Bei kleinen Fahrzeugen sind diese Kosten entsprechend höher; allerdings lassen sich so häufigere Verbindungen anbieten. Ebenso von Bedeutung sind Komfort und die für die Fahrgäste angestrebte Sicherheit (vgl. Sitzplätze vs. Stehplätze). 677 Bezüglich des Wettbewerbs sind Preis- oder Qualitätsorientierung bzw. konservatives oder innovatives Verhalten denkbar: Bei einer Konzentration auf den Preis sollen Nachfragesteigerungen durch eine möglichst günstige Beförderungsleistung realisiert werden. Erreicht wird dies i.d.R. durch eine Einschränkung bzw. den Verzicht auf über die reine Beförderung hinausgehende Serviceleistungen. Qualitätsorientierung hingegen zielt auf einen die Beförderungsleistung ergänzenden Mehrwert ab, der eine Unterscheidung zur Konkurrenz darstellt und den die Kunden auch bereitwillig zahlen. Während marktwirtschaftliche Unternehmen eher innovativ tätig sind, um im Wettbewerb bestehen und ihre strategische Ausgangsposition ausbauen zu können, sind staatlich eingebundene Betriebe - auch aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen - eher durch konservatives Verhalten gekennzeichnet. 678 In Bezug auf das Marktverhalten können je nach Form und Intensität unterschiedliche Kooperationsstrategien , wie z.B. strategische Allianzen, verfolgt werden. Dabei gilt es, Synergieeffekte 676 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 76ff 677 vgl. ebd.; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 45f 678 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 76f und 89 <?page no="256"?> 256 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen (wie vereinfachte Koordination, leichtere Kundenansprache oder Kostenreduktion) durch Zusammenarbeit mit geeigneten Partnern umzusetzen. 679 Kernpunkte im Rahmen der strategischen Überlegungen eines Unternehmens sind die auch als Sachfunktionen 680 bezeichneten Bereiche Beschaffung, Leistungserstellung, Marketing, Investition und Finanzierung sowie Informationswesen. Zwischen diesen Sachfunktionen bestehen interdependente Zusammenhänge , so dass diese Funktionen nicht isoliert betrachtet werden sollten. Die operative Umsetzung dieser strategischen Überlegungen lässt sich mithilfe verschiedener Merkmale analysieren. Dazu zählen z.B. im Personenverkehr die räumliche Erschließungsqualität, die Angebotsqualität, die Verbindungsqualität, das Tarifsystem, Information und Service, die Verknüpfung der Verkehrsträger bzw. Schnittstellen, die Infrastruktur, die Fahrzeuge und auch die Gewährleistung einer barrierefreien Mobilität. Unternehmen, die eine Veränderung oder Ausdehnung ihrer Aktivitäten beabsichtigen, durchlaufen einen typischen Entscheidungsprozess. Dabei erfolgt eine mehr oder weniger detaillierte Analyse des Umfelds, der Branche sowie des eigenen Unternehmens. Ana l ys e de s ei ge ne n Unterne hme ns Ana l ys e der Bra nche Ana l ys e de s Umfel ds Analyse der strategischen Ausgangsposition strategische Geschäftsfelder Unternehmensstruktur Stärken und Schwächen Erfolgsfaktoren Wertvorstellungen, Leitlinien des Unternehmens Nachfrage und Angebot Wettbewerber Marktattraktivität Eintrittsbarrieren politisch-rechtliches Umfeld volkswirtschaftliches Umfeld technologisches Umfeld gesellschaftliches Umfeld natürliches Umfeld Festsetzung konkreter Unternehmensziele (inkl. Quantifizierung) Formulierung der Strategien Durchführung der Strategien Definition des Zielrahmens Abbildung 3-13 Ablauf eines strategischen Entscheidungsprozesses 679 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 76f 680 siehe dazu auch Kapitel 3.3 „Management in Verkehrsunternehmen“ im Teil B <?page no="257"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 257 3.4.1 Umfeldanalyse Das Makroumfeld eines Unternehmens setzt sich aus dem politisch-rechtlichen, volkswirtschaftlichen, technologischen, gesellschaftlichen und natürlichen Umfeld zusammen. In dieses komplexe Umfeld sind das Unternehmen, seine Zulieferer, Kunden und Konkurrenten gleichermaßen eingebunden und den einwirkenden Kräften und Entwicklungstrends ausgesetzt. Umfeld politischrechtliches Umfeld ökonomisches Umfeld technologisches Umfeld natürliches Umfeld gesellschaftliches Umfeld politische Situation rechtliche Situation politische Instabilität Staatsform Kaufkraft Konjunktur soziokulturelle Faktoren sozio-demographische Faktoren Religion Grund- und Sekundärwerte Lebensweise der Menschen Essgewohnheiten Kleidungsgewohnheiten Arbeitsgewohnheiten Regierungssituation Wirtschaftssituation soziale Stabilität Wahrscheinlichkeit von Krieg, Revolution, Terrorismus Rechts- und Wirtschaftsordnung steuerliche Situation Eingriffe in die Wirtschaft Rezession Boomphasen Höhe der Spareinlagen Verschuldungsgrad Höhe der Einkommen Höhe der Preise Dringlichkeit des Bedarfs Konkurrenzsituation Forschungsaktivitäten Innovationsmöglichkeiten technischer Fortschritt Verträglichkeit der Produkte Rohstoffe Standort Infrastruktur Geburtenziffern Bevölkerungswachstum Sterberaten Altersstruktur Bevölkerungsdichte Bevölkerungsverteilung ethnische und religiöse Zusammensetzung Bildungsstand Heiratsraten Zustand natürliche Umwelt Institute Hochschulen Unternehmen Förderung Ausstattung Zustand Kapazität Attraktivität Sicherheit Abbildung 3-14 Kriterien der Umfeldanalyse <?page no="258"?> 258 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Das Unternehmen selbst kann diese Kräfte und Trends, die sowohl förderlich als auch bedrohend erscheinen können, nicht bzw. nur schwer beeinflussen. Auch wenn diese Variablen weitgehend unkontrollierbar sind, kann das Management dennoch auf sie einwirken - beispielsweise mit Hilfe von Lobbyisten. Die (unternehmens-) internen Variablen kann das Management beeinflussen und gezielt steuern. Produktionsfaktoren (Mensch, Kapital und Rohstoffe) sowie Produktion und Marketingaktivitäten müssen dementsprechend organisiert und kontrolliert werden, dass jederzeit auf Veränderungen bei den externen Variablen reagiert werden kann. Die strategischen Maßnahmen eines Unternehmens müssen stets auf die politische Situation im jeweiligen Land abgestimmt sein. In den westlichen Industriestaaten stellt dies meist kein großes Problem dar. In politisch weniger gefestigten Staaten sollte die Situation allerdings einer genaueren Analyse unterzogen werden, um potentiellen Risiken entsprechend begegnen zu können. Zu den für Unternehmen unbeeinflussbaren Faktoren gehören auch die Rechts- und Wirtschaftsordnung eines Staates. Der diesbezügliche Handlungsspielraum ist in einer staatlich dirigierten Planwirtschaft wesentlich kleiner als in einer Marktwirtschaft. Für ein Unternehmen nicht minder von Bedeutung ist die steuerliche Situation , wobei insbesondere die - länderspezifisch äußerst unterschiedlichen und auch ständig im Fluss befindlichen - gesetzlichen Bestimmungen zu Einkommen-, Körperschaft-, Umsatzbzw. Mehrwert-, Vermögenssowie Verbrauchssteuern von Relevanz sind. Als Problem können sich mitunter staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sowie andere Kontrollmaßnahmen und Restriktionen erweisen. Zu den Branchen von besonderem staatlichem Interesse gehört v.a. auch der infrastrukturelle Bereich. Entscheidende Variablen bei der Beurteilung des volkswirtschaftlichen Umfeldes sind die Wirtschaftskraft eines Landes, damit zusammenhängend die Kaufkraft seiner Bevölkerung sowie die jeweilige Konjunktur. Die Kaufkraft ist von maßgeblicher Bedeutung für das Wirtschaftsleben eines Landes. Die Kaufkraft eines Marktes wird in besonderem Maße von der Einkommensverteilung beeinflusst. Der Kauf von Gütern setzt das Vorhandensein ausreichender Geldmittel voraus. Erst wenn die Konsumenten über entsprechende finanzielle Mittel verfügen, kann sich ein reger Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital entwickeln. Die Preise von Waren und Dienstleistungen resultieren aus verschiedenen wirtschaftlichen Faktoren. Zu diesen Faktoren zählen die Dringlichkeit des Bedarfs , d.h., wie wichtig für den Konsumenten die Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses ist, die Konkurrenzsituation , d.h., wie viele vergleichbare Erzeugnisse auf dem Markt angeboten werden und die konjunkturelle Situation in der Volkswirtschaft, d.h., ob sich die Volkswirtschaft in einer wachsenden, stagnierenden oder schrumpfenden Phase befindet. Steigt das Preisniveau in einer Volkswirtschaft bei gleichbleibendem Einkommensniveau, erhöhen sich die Lebenshaltungskosten für die Bevölkerung. Die Kaufkraft sinkt, ein Rückgang der Nachfrage wird folgen. Sparen bzw. die Sparneigung sowie der Verschuldungsgrad sind weitere die Kaufkraft beeinflussende Faktoren. Bei der Erschließung neuer Märkte ebenfalls relevant ist die konjunkturelle Situation . Sie lässt Aussagen darüber zu, wie sich die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen entwickelt. In Zeiten der Rezession stagniert die Nachfrage oder ist rückläufig, in Aufschwung- und Boomphasen nimmt die Nachfrage (rasch wieder) zu. Entscheidend sind dabei die Erwartungen der Verbraucher. Gehen diese z.B. von einem baldigen wirtschaftlichen Abschwung aus, so wird ihre Sparneigung zunehmen und ihre Konsumneigung folglich zurückgehen (und umgekehrt). <?page no="259"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 259 Praktisch alle Wirtschaftssektoren unterliegen einem raschen technologischen Wandel . Die Innovationsmöglichkeiten scheinen unbegrenzt. Hinsichtlich der Höhe der F&E-Ausgaben liegen die USA weltweit an der Spitze, europaweit nimmt Deutschland die Spitzenposition ein. Die Forschungsaktivitäten konzentrieren sich dabei in den Branchen Datenverarbeitung und Elektronik, Gesundheit und Automobil. Die Möglichkeiten des technischen Fortschritts stellen sich dem Verbraucher nicht selten auch als Gefahr dar, wie die Diskussionen über gentechnisch veränderte Lebensmittel und die Kernkraft zeigen. Auch dem gestiegenen Umweltbewusstsein der Verbraucher gilt es Rechnung zu tragen. Aus der Forderung nach Sicherheitsgarantien resultierend, wurden im Laufe der Zeit strengere Regelungen in Bezug auf Sicherheit und Verträglichkeit der Produkte erlassen. Zum natürlichen Umfeld zählen die Oberflächengestaltung der Lebensräume, das Klima, die natürlichen Ressourcen und die Infrastruktur. In großem Maße verantwortlich für den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung sind Klima und Oberflächenstruktur. Das gesellschaftliche Umfeld wird von sozio-demographischen und sozio-kulturellen Faktoren bestimmt. Sozio-demographische Faktoren haben einen sehr starken Einfluss darauf, wie sich Menschen am Markt verhalten und Produkte und Dienstleistungen wahrnehmen. Um das Verbraucherverhalten richtig einzuschätzen und diesbezügliche Entwicklungstrends auszumachen und interpretieren zu können, muss ein Unternehmen über die sozio-demographischen Gegebenheiten des Zielmarktes informiert sein. Aus der Analyse der Altersstruktur der Bevölkerung kann ein Unternehmen ableiten, wie viele potentielle Abnehmer sich auf dem Markt befinden und wie sich die Zusammensetzung in Zukunft entwickeln wird. Entsprechend der Struktur und möglichen Trends müssen sich die Unternehmen dann eventuell auf neue Zielgruppen orientieren und/ oder auch zielgruppenrelevante Innovationen auf den Markt bringen. Von ebenso großer Bedeutung im Rahmen des gesellschaftlichen Umfeldes sind die sozio-kulturellen Faktoren . Komponenten wie Religion, Grund- und Sekundärwerte haben einen großen Einfluss darauf, was Menschen als wünschenswert, akzeptabel oder inakzeptabel empfinden. Sozio-kulturelle Faktoren bestimmen die Lebensweise der Menschen. Was in einem Land oder in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe einen besonderen Wert hat, kann anderswo unbedeutend oder gänzlich unüblich sein. Wertvorstellungen sollten deshalb genau analysiert werden, um gegebenenfalls Anpassungen der geschäftlichen Überlegungen vornehmen zu können. 3.4.2 Branchen- und Konkurrenzanalyse Eine Branche (Wirtschaftssektor) ist ein entscheidender Bestandteil jeder Volkswirtschaft. Angebot und Nachfrage stehen hierbei in engem Zusammenhang mit allen Faktoren des Makroumfelds, also jeglicher sozio-ökonomischer Entwicklung. Die Marktgröße bzw. die eines Marktsegments wird von der Anzahl der potentiellen Käufer bestimmt, also der Anzahl der Verbraucher, die ein echtes Interesse am Produkt haben. Auf die Menge potentieller Käufer und das Nachfragevolumen kann beispielsweise durch Kundenbefragungen oder eine kontinuierliche Beobachtung des Absatzes - auch von Konkurrenzprodukten - geschlossen werden. Die Nachfrage orientiert sich an verschiedenen Bestimmungsgrößen. Dabei ist das Produkt an sich ein wesentlicher Aspekt, des Weiteren das geographische Absatzgebiet, entsprechende Marketingmaßnahmen sowie Vertriebsüberlegungen, um geeignete Kundengruppen zu erreichen. <?page no="260"?> 260 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Branche Nachfrage Wettbewerbssituation Angebot Ei ngri ffe i n di e Wi rts cha ft Vertra gs be di ngunge n (mi t Kunde n) Intere s s e nkrei s e Verha l te n der eta bl i erte n Wettbewerber Politische Entwicklung Wirtschaftliche Entwicklung Wettbewerbs kl i ma Va ri a bi l i tä t der Wettbewerbs be di ngunge n Ma rktzuga ng Stel l ung i m Ma rktl e be ns zykl us te chnol ogi s che s Ni ve a u Be drohung durch Subs ti tuti ons produkte Lei s tunge n Ka pa zi tä t Li eferfä hi gkei t Kos te ns i tua ti on Vertra gs be di ngunge n (mi t Li efera nte n) Anforderunge n a n Di s tri buti on und Servi ce Störa nfä l l i gkei t Wi rts cha fts s truktur Wä hrung (Sta bi l i tä t, We chs el kurs , De vi s e ntra ns fer) Infl a ti ons te nde nze n Ei nkomme ns vertei l ung Lohnni ve a u Pro-Kopf-Ei nkomme n BNP Wi rts cha fts pol i ti k Wi rts cha fts ordnung Re chts s i cherhei t pol i ti s che Sta bi l i tä t Art de s pol i ti s che n Sys tems Tre nds Arbei ts krä fte qua l i fi ka ti on und -verfügba rkei t Kul tur, Me nta l i tä t Be völ kerungs wa chs tum Be völ kerungs s truktur Se gme nti erung der Na chfra ge Na chfra ge vol ume n Lei s tung a n s i ch Abs a tzge bi et (ge ogra phi s ch) Vertri e bs zei tra um Ma rketi ngma ßna hme n Zi el gruppe n Kul turkrei s e ge ogra phi s che Vertei l ung Abne hmer-/ Pers önl i chkei ts type n Zi el gruppe n Prei s bi l dung Ma rktzuga ng Sta bi l i tä t der Na chfra ge Gesellschaftliche Entwicklung Abbildung 3-15 Kriterien zur Analyse einer Branche (Auswahl) Die Geschäftspolitik wird nur dann ihr Ziel erreichen, wenn sie direkt auf die Zielgruppe(n) zugeschnitten wird. Ziel einer Segmentierung der Nachfrage ist das Erkennen homogener Gruppen <?page no="261"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 261 und die Bereitstellung der notwendigen Informationen für eine zielgruppenorientierte Marketingpolitik. Sinnvolle Kriterien für eine Einordnung der Abnehmer in homogene Gruppen wären Interessenkreise (z.B. gleiches Hobby, gleiche Einstellung zur Familie), Kulturkreise (z.B. gleiche Lebensformen, gleiche Bevölkerungsschicht), geographische Verteilung (z.B. Stadt, Land) oder Abnehmer- und Persönlichkeitstypen (z.B. Hausfrauen, Manager, Rentner). Erst nachdem für eine Leistung eine konkrete Zielgruppe definiert ist, können Strategien für die Bearbeitung der Zielgruppe entwickelt werden. Das Verhalten der Anbieter im Verkehrsdienstleistungsmarkt wird wesentlich von der Struktur des Marktes, sich darauf abzeichnenden Tendenzen sowie den Rahmenbedingungen beeinflusst. Rahmenbedingungen Tendenzen Ei nwi rkung der Te chnol ogi e Li bera l i s i erung der Verke hrs mä rkte Verä nderunge n der Na chfra ge i n qua l i ta ti ver Hi ns i cht Ge s el l s cha fts - und Ei ge ntums forme n s ta a tl i che Aufl a ge n Ma rktform Ma rkttra ns pa re nz Na chfra ge Struktur Größe und Struktur der Unterne hme n Anza hl der konkurri ere nde n Verke hrs trä ger verke hrs pol i ti s che Ei ngri ffe Anza hl der a nbi ete nde n Unterne hme n betri e bl i che Schwerpunkte der Unterne hme n Abbildung 3-16 Angebotsverhalten 681 Im Rahmen der Konkurrenzanalyse lassen sich drei Schwerpunkte identifizieren: die Ziele des Konkurrenten, seine Strategien zur Erreichung dieser Ziele sowie seine Stärken und Schwächen. Oberste Ziele jedes unter marktwirtschaftlichen Bedingungen tätigen Unternehmens sind die langfristige Sicherung der Existenz sowie die Maximierung des Gewinns. Ausgehend davon leiten sich verschiedene, die Oberziele unterstützende Teilziele ab. Genauere Informationen zur Strategie eines Konkurrenten lassen sich durch detaillierte Daten über Marketingmaßnahmen, Fertigung, Beschaffungswege, F&E-Tätigkeit, Kundendienst und Absatzorganisation der Konkurrenz gewinnen. Diese Merkmale lassen auch erkennen, welche strategische Grundrichtung ein Unternehmen verfolgt und welches Marktsegment angesprochen werden soll. 681 erstellt nach: Stabenau, Hanspeter: Verkehrsbetriebslehre, Bremen 1994, 104ff <?page no="262"?> 262 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Aus den dieserart gewonnenen Informationen lässt sich ein strategisches Wettbewerbsprofil des Konkurrenten ableiten. Es gibt Aufschluss über seine aktuelle Wettbewerbsposition und seine potentiellen Chancen am Markt. Im Vergleich zum eigenen Unternehmen zeigt es aber auch die eigenen Schwachstellen auf, auf die sich in näherer Zukunft die (Gegen-)Strategie des Konkurrenten richten wird. Eine Stärken-Schwächen-Analyse dient dem Vergleich der Konkurrenten untereinander bzw. eines Konkurrenten mit dem eigenen Unternehmen. Dazu bieten sich etwa - sofern vorhanden - Daten zu Umsatz, Marktanteil, Gewinnspanne, Kapitalrendite, Cash-flow, Neuinvestitionen und Kapazitätsauslastung sowie Rückschlüsse auf dessen Image besonders an. Ziele der Konkurrenten Strategien der Konkurrenten Stärken und Schwächen der Konkurrenten Prestige- und Imageziele finanzielle Ziele produktionspolitische Ziele produkt- und marktpolitische Ziele internationale Ziele personalpolitische Ziele Marketingmaßnahmen Leistungserstellung Beschaffungswege F&E-Tätigkeit Absatzorganisation Service bezüglich der erstellten Leistungen der Unternehmensstruktur des Marktes der Kennzahlen (z.B. Umsatz, Marktanteil, Gewinnspanne, Rendite, Cash-flow, Investitionen, Kapazitätsauslastung, Image) Tabelle 3-15 Kriterien der Wettbewerbssituation (Auswahl) 3.4.3 Unternehmensanalyse Um am Markt erfolgreich zu sein, reicht es nicht aus, über das unternehmensexterne Umfeld informiert zu sein. Ein Unternehmen muss auch seine eigenen Stärken und Schwächen kennen und diese - insbesondere im Vergleich zu den anderen Marktteilnehmern - einschätzen können. Erst wenn auch die eigene Ausgangssituation analysiert ist, können wirkungsvolle Strategien erarbeitet werden. Ein Unternehmen sollte folglich vor allem in jenen Bereichen Stärken aufweisen, die für den Kunden von Bedeutung sind. Relative Wettbewerbsvorteile können dabei aus unterschiedlichen Quellen resultieren. Faktoren, die für den Erfolg eines Unternehmens besonders von Bedeutung sind, bezeichnet man als kritische Erfolgsfaktoren . Diese werden von der Natur der Branche und ihrer Umwelt bestimmt. Folglich variieren sie auch von Branche zu Branche. Zur Ermittlung der kritischen Erfolgsfaktoren sollte sich ein Unternehmen folgende Fragen stellen: Wodurch wird der Erfolg eines Unternehmens bestimmt? Auf welche Faktoren ist eine Verschlechterung der Marktposition des Unternehmens zurückzuführen? Inwieweit die ermittelten Schwachpunkte und/ oder Stärken tatsächlich relevant sind, hängt vom jeweiligen Markt ab. Als Stärke identifizierte niedrige Preise müssen nicht unbedingt einen Vorteil darstellen, wenn ein imagestarker Konkurrent den Großteil der Nachfrage bedient. Zentrale Frage bleibt also: Warum wird ein Produkt überhaupt gekauft, und wie kann das Unternehmen diese Kaufgründe beeinflussen? <?page no="263"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 263 Unternehmen Marktposition Leistungserstellungspotential Management Finanzen Marketing technologischer Stand Unternehmensphilosophie Wettbewerbsvorteile Unternehmenskultur Führungskompetenz Organisation Mitarbeiterqualifikation Verhältnis zu den Mitarbeitern Risikobereitschaft Rentabilität Kostenstruktur Kapitalausstattung Kapitalverfügbarkeit Eintrittsbarrieren für Neuanbieter flexible und wirksame Organisationsstruktur qualifizierte Mitarbeiter Standortvorteile identifizierbare Unternehmenskultur günstige Kostensituation Produktdifferenzierung Standorte Rohstoff- und Energieversorgung Finanzlage Kostensituation F & E Innovation Patente/ Lizenzen Kundendienst Preisgestaltung Reaktionsmöglichkeiten der Konkurrenz Rationalisierungspotentiale Herstellungskosten F & E-Aktivitäten Produktivität Logistik Standorte Fuhrpark, Rollmaterial, Flotte Nähe zum Kunden Vertriebsapparat Leistungsqualität Marktanteil Leistungsspektrum Image kritische Erfolgsfaktoren Produktlinien Leistungserstellung Produktivitätssteigerungspotential Führungssystem Qualität der Führungskräfte Abbildung 3-17 Kriterien der Unternehmensanalyse (Auswahl) Die Bewertung der Stärken und Schwächen bzw. die Analyse der Wettbewerbsvorteile kann anhand eines Katalogs ausgewählter relevanter Kriterien beispielsweise mit Hilfe eines Evaluierungsschemas (mit Skalierungen und Gewichtungen) vorgenommen werden. Die Ergebnisse einer solchen Bewertung können dann im Vergleich mit der Konkurrenz, konkret etwa mit einem unmittelbaren Konkurrenten des Unternehmens, betrachtet werden. Zur Darstellung eignet sich beispielsweise ein Stärken-Schwächen-Profil. <?page no="264"?> 264 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Größe der Fl otte Route n ... Marketing Umfa ng Ma rkts e gme nte Qua l i tä t der Di e ns tl ei s tunge n ... Personal Mi ta rbei terqua l i tä t Pers ona l kos te n Kennzahlen Ums a tz Gewi nn (netto) ... Gesamt Gewichtung Bewertung 1 2 3 4 5 Wert max. Wert eig. Unternehmen 3 3 ... 2 3 ... 3 2 2 3 ... 15 15 15 15 ... ... 10 8 15 15 ... ... 15 12 10 6 10 8 15 15 ... ... Wert Konkurrenz 9 9 ... 8 15 ... 12 6 6 9 ... ... ... ... Gewi chtung: Bewertung: 1 = geri nge Be de utung bi s 3 = große Be de utung 1 = Schwä che bi s 5 = Stä rke ei ge ne s Unterne hme n Konkurre nzunterne hme n ... ... ... ... ... Kriterien Leistungserstellung Abbildung 3-18 Stärken-Schwächen-Profil (Beispiel) <?page no="265"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 265 Fallstudie: Hurtigruten im Wettbewerb - Vom Postschiff zur Expeditionsschifffahrt „Das kleine, zuverlässige Schiff, das jeden Tag kommt, ist ein gutes Stück Norwegen - wenn es nicht gar sein Wahrzeichen ist.“ 682 Sie gilt als die schönste Seereise der Welt - eine Reise mit Hurtigruten entlang der norwegischen Küste. Bereits seit 1893 fahren Postschiffe auf der schnellen Route, wie Hurtigruten in der Übersetzung heißt, von Bergen nach Kirkenes und zurück: „Sie bringen die Post, transportieren Güter und stillen gleichzeitig das Fernweh ihrer Passagiere.“ 683 Insgesamt liegen 34 Häfen auf der 1.250 Seemeilen langen Strecke, die im Sommer und Winter angefahren werden. Bei konstanter Geschwindigkeit werden regelmäßig Fracht und Passagiere Richtung Norden (und zurück) transportiert. All das klingt nach einer normalen Linienverbindung. Allerdings sollte man den Symbolcharakter, den Hurtigruten für die Norweger hat, nicht vergessen. Die Postschifflinie ist Teil der norwegischen Geschichte. Von den Einheimischen, insbesondere jenen im Norden des Landes, wurde und wird jede Änderung - sei es der Bau neuer Schiffe oder eine Veränderung bei den Eigentumsverhältnissen - mit großem Interesse verfolgt. Nicht ohne Grund wird die Linie auch „Nabelschnur des Nordens“ oder „Lebensnerv des Landes“ genannt. Bis 2001 war sie sogar offiziell die „Reichsstraße Nr. 1“. 684 Die Hurtigruten-Schiffe verkehren unter Postflagge. Bergen, zweitgrößte Stadt Norwegens, Start- und Endpunkt einer klassischen Tour mit Hurtigruten Am 2. Juli 1893 legte das erste Linienschiff der Hurtigrute in Trondheim mit Ziel Hammerfest ab. Zu verdanken war dies dem aus Tromsø stammenden Richard With. Er hatte erkannt, dass eine regelmäßige Frachtverbindung für den Norden von großer Bedeutung war und deshalb die Vesteraalens Dampskibsselskab gegründet. Hammerfest war hocherfreut, endlich Anschluss an die Welt gefunden zu haben. 1898 verlängerte man die Strecke bis Bergen. Der Staatsvertrag von 1911 regelte die Weiterführung der Route bis Kirkenes. 685 Heute wird die Linie von Hurtigruten AS, einem Zusammenschluss aus den Unternehmen Ofotens og Vesteraalens Dampskibsselskab und Troms Fylkes Dampskibsselskap mit Hauptsitz in Tromsø, betrieben. Haupteigentümer sind seit 2014 der britische Investmentfonds TDR Capital (81,1 %), Petter A. Stordalens Home Capital (11,6 %) und Trygve Hegnars Periscopus (4,9 %). 686 682 Schmidt, Oliver: Hurtigruten - Vom Postschiffdienst zur Expeditionskreuzfahrt, Hamburg 2019, 69 683 Rösner, Anja: An Bord der alten Lady, in: Nordis-Kreuzfahrt-Guide 2010, 10 684 vgl. Küchler, Kai-Uwe: Reise mit Hurtigruten, Würzburg 2007, 12 685 vgl. Bryant, John: Hurtigruten 125, Ramsey, Isle of Man 2018, 28ff 686 vgl. o.V.: Hurtigruten har snart dobbelt så store inntekter fra cruiseturister som fra rutetrafikk (19.06.2018), http: / / www.dn.no, 12.10.2018 <?page no="266"?> 266 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Richard-With-Denkmal in Stokmarknes Richard-With-Platz in Tromsø Die Geschäftsbereiche der Hurtigruten-Gruppe lassen sich in „Norwegische Küstenschifffahrt“, „Expeditionskreuzfahrten“ und „Landbasierte Aktivitäten“ unterteilen. Das Segment Küstenschifffahrt ist der bedeutendste Bereich, der knapp 80 % der Betriebserträge erwirtschaftet. Im Jahr 2019 belief sich der Gesamtumsatz in diesem Segment auf ca. 4,4 Mrd. NOK (+ 3,6 % gegenüber dem Vorjahr). In den vergangenen Jahren ist die Nachfrage gestiegen, insbesondere im Winter - einer Jahreszeit, die traditionell eher schlechter nachgefragt wurde. Die Kapazitätsauslastung lag 2019 bei 81 %. 687 Etwas mehr als 50 % der Passagiere stammen aus Norwegen, rund 13 % aus den übrigen nordischen Ländern. Knapp ein Viertel kommt aus Mitteleuropa. 688 Die Passagierzahlen lagen im Jahr 2018 bei 384.000 (ein Drittel davon Rundreise-Passagiere), das Frachtaufkommen betrug 49.000 t bzw. 62.000 Sendungen. 689 Hurtigruten AS ist vertraglich verpflichtet, nordgehend 34 und südgehend 33 Häfen anzulaufen. Steigende Hafenkosten belasten das Unternehmen daher mehr als Wettbewerber im Kreuzfahrtsektor, da ein Ausweichen auf andere Häfen nicht möglich ist. 2019 konnten witterungsbedingt bzw. aus technischen Gründen 740 von insgesamt 23.074 Hafenanläufen nicht realisiert werden. 690 Im Unternehmen sind knapp 2.500 Vollzeitäquivalente aus 52 verschiedenen Ländern beschäftigt, 1.660 davon sind festangestellte Mitarbeiter. 40 % aller Arbeitskräfte sind weiblich. Die Besatzungsmitglieder stammen hauptsächlich aus den norwegischen Küstenregionen (50 % aus Nordnorwegen, 18 % aus der Region Trøndelag und 17 % aus Westnorwegen), so dass hierdurch einerseits die lokale Beschäftigung gesichert ist, andererseits auch regionale Expertise gewährleistet werden kann. 2019 wurden knapp 200 Lehrlinge ausgebildet. Hurtigruten ist damit eines der größten und wichtigsten Unternehmen im Bereich der Lehrlingsausbildung im Verband der norwegischen Unternehmen im maritimen Bereich. 691 Die Flotte setzt sich aktuell aus 16 Schiffen zusammen, zwei davon mit Hybridantrieb. Elf Schiffe fahren im Liniendienst entlang der norwegischen Küste. 692 Täglich verlässt eines dieser Schiffe den Hafen in Bergen, wobei es einen Sommer- und einen Winterfahrplan gibt. 687 vgl. Hurtigruten Group AS: Annual Report 2019, Tromsø 2020, 2 und 9 688 vgl. Løge, Tori; Eide, Lars S.; Iversen, Endre K.; Jakobsen, Erik W.: Ringvirkninger av Hurtigrutens virksomhet langs norskekysten, Menon-Publikasjon Nr. 54/ 2016, o.O. 2017, 15 689 vgl. Hurtigruten AS; PricewaterhouseCoopers AS: Kystruten Bergen - Kirkenes, 4. Kvartalsrapport og årsrapport 2018, Oslo 2019, 4 und 12 690 vgl. Hurtigruten Group AS: Annual Report 2019, Tromsø 2020, 2 und 9 691 vgl. ebd., 12; Løge, Tori; Eide, Lars S.; Iversen, Endre K.; Jakobsen, Erik W.: Ringvirkninger av Hurtigrutens virksomhet langs norskekysten, Menon-Publikasjon Nr. 54/ 2016, o.O. 2017, 21 692 vgl. Hurtigruten AS: Skep med sjel, http: / / www.hurtigruten.no, 01.07.2020 <?page no="267"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 267 Schiffe Baujahr/ Renovierung BRZ Reisende Betten Länge Breite Decks MS Lofoten 1964/ 2003 2.621 400 151 87,4 m 13,2 m 5 MS Nordstjernen 1956/ 2000+2014 2.191 150 150 87,0 m 12,6 m 4 MS Vesterålen 1983/ 1988+1995 6.261 490 301 108,0 m 16,5 m 7 MS Kong Harald 1993/ 2016 11.204 590 498 121,8 m 19,2 m 7 MS Richard With 1993/ 2018 11.205 590 458 121,8 m 19,2 m 7 MS Nordlys 1994/ 2019 11.204 590 471 121,8 m 19,2 m 7 MS Polarlys 1996/ 2016 11.341 619 503 123,0 m 19,5 m 7 MS Nordkapp 1996/ 2016 11.386 590 480 123,3 m 19,5 m 7 MS Nordnorge 1997/ 2016 11.384 590 476 123,3 m 19,5 m 7 MS Otto Sverdrup (ehem. MS Finnmarken) 2002/ 2020 15.690 540 540 138,5 m 21,5 m 8 MS Trollfjord (zukünftig MS Eirik Raude) 2002/ 2020 16.140 822 576 135,75 m 21,5 m 9 MS Maud (ehem. MS Midnatsol) 2003/ 2021 16.140 532 532 135,75 m 21,5 m 9 MS Fram 2007/ 2020 11.647 318/ 200* 276 114,0 m 20,2 m 8 MS Spitsbergen 2009/ 2016 7.025 335**/ 243*** 243 100,54 m 18 m 8 MS Roald Amundsen 2019 20.889 530/ 500* 530 140 m 23,6 m 11 MS Fridtjof Nansen 2020 20.889 530/ 500* 530 140 m 23,6 m 11 * in der Antarktis; ** in Norwegen; *** international Tabelle 3-16 Hurtigruten-Schiffe 693 Unterschieden werden verschiedene Schiffsgenerationen: Die MS Lofoten, die die Hurtigrute seit 1964 bedient, repräsentiert als einziges Schiff im Liniendienst die traditionelle Generation und strahlt aufgrund ihrer Einrichtung eine eher nostalgische Atmosphäre aus. Ende 2020 wird das Schiff jedoch aus dem Liniendienst genommen. Ebenfalls in diese Generation gehört die 1956 gebaute MS Nordstjernen, die allerdings für exklusive Arktis-Reisen nach Spitzbergen und Nordnorwegen eingesetzt wird. 694 Gebaut in den 1980er und renoviert in den 1990er Jahren, gehört nunmehr nur noch die MS Vesterålen der mittleren Generation an. Hier ist die Kapazität noch geringer als bei den Schiffen der neuen Generation, wodurch das Reisen mit diesem Schiff noch gemütlich wirkt. Die Schiffe der neuen Generation (ab Baujahr 1993) und der Millenniums-Generation (ab Baujahr 2002), die in vielerlei Hinsicht mit Kreuzfahrtschiffen vergleichbar sind, weisen einen fast schon luxuriösen Ausstattungsgrad auf. Es kann 693 erstellt nach: ebd.; Bryant, John: Hurtigruten 125, Ramsey, Isle of Man 2018, 87ff 694 vgl. Hurtigruten AS: MS Nordstjernen Reisehandbuch 2018/ 19 <?page no="268"?> 268 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen zwischen Kabinen unterschiedlicher Kategorie, von Standard bis Luxussuite, gewählt werden. Außerdem gehören großzügige Panoramadecks, Bibliotheken, Lounges, Bars und Restaurants, Fitnessräume und Internetverbindungen dazu. 695 Die jüngsten Flottenmitglieder sind die für Expeditionskreuzfahrten gebauten Hybrid-Schiffe MS Roald Amundsen und MS Fridtjof Nansen. MS Lofoten bei der Ausfahrt in Rørvik MS Polarlys in der Nähe von Havøysund MS Richard With in Kirkenes MS Trollfjord auf dem Weg nach Hammerfest Wenngleich alle Schiffe eine vergleichbare Grundausstattung aufweisen, sind - in Abhängigkeit vom Baujahr bzw. einer bereits erfolgten Renovierung - doch Unterschiede hinsichtlich der verwendeten Materialien, Designs und Farben festzustellen, so dass jedes Schiff seinen eigenen Charakter hat. 696 Bei einem Vergleich der einzelnen Schiffe zeigt sich sehr deutlich, welchem Wandel Silhouetten, Größen und Geschmack im Laufe der Jahrzehnte unterlagen. 697 In den vergangenen fünf Jahren wurde ein Großteil der Flotte einer umfassenden Renovierung unterzogen und bezüglich des Interieurs an den Zeitgeschmack angepasst. Während die älteren Schiffe nur vier bis sechs Fahrzeuge transportieren konnten, fassen die neueren bis zu 32 Fahrzeuge. Aktuell verfügen neun der Schiffe über ein Pkw-Deck. Auf den älteren Schiffen mussten die Autos noch per Lastkran auf das Vorderdeck gehoben werden (und waren in der Folge auch dem Salzwasser ausgesetzt), bei den neuen Schiffen rollen sie über eine seitliche Rampe in den Rumpf. 698 695 vgl. Hurtigruten GmbH: Schiffe, http: / / www.hurtigruten.de, 02.07.2020; Küchler, Kai-Uwe: Reise mit Hurtigruten, Würzburg 2007, 18; Pollmann, Bernhard: Hurtigruten - Die schönste Seereise der Welt, München 2019, 14 696 vgl. Hurtigruten GmbH: Schiffe, http: / / www.hurtigruten.de, 01.07.2020 697 vgl. Küchler, Kai-Uwe: Reise mit Hurtigruten, Würzburg 2007, 18 698 vgl. Schröder, Ralf: Norwegen mit dem Postschiff, München 1999, 6f <?page no="269"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 269 Der Tourismus hatte für die Linie schon immer einen hohen Stellenwert. Bereits ein Jahr nach der ersten Fahrt wurden Kataloge für Hurtigruten-Reisen in Frankreich und Großbritannien publiziert. Später folgten auch Gäste aus Deutschland, die heute nach den Norwegern selbst einen Großteil der Passagiere ausmachen. Insbesondere die Möglichkeit der Umrundung des Nordkaps scheint für deutsche Touristen sehr anziehend zu sein. 699 Mit Kreuzfahrttouristen erwirtschaftet man mittlerweile fast doppelt so hohe Einnahmen wie mit dem Linienverkehr. 700 Die „Lust auf sichere Abenteuer“ garantiert das Geschäft. Jedoch: „Die allermeisten Gäste sind keine typischen Kreuzfahrer. Bei uns fühlt sich eher der Typ allein reisender Weltenbummler wohl oder das Ehepaar, das sonst auf eine Kultur- oder Bildungsreise geht. Das Rahmenprogramm auf dem Schiff spielt eine völlig untergeordnete Rolle.“ 701 Reisende haben verschiedene Möglichkeiten, mit einem Postschiff unterwegs zu sein. Die klassische Variante wäre eine komplette Rundreise von Bergen nach Kirkenes und zurück. Solch eine Tour, die Kabine und Vollverpflegung beinhaltet, wird im Paket im Voraus gebucht. Man kann sich aber auch für Teilstrecken entscheiden. Diesbezügliche Optionen sowie kombinierte Schiff-Flug-Reisen oder auch Anreisen ausschließlich mit Bahn und Schiff sind mittlerweile in größerem Umfang als vor Jahren erhältlich. Kurztouren lassen sich auch vor Ort organisieren, wobei Pkw-Stellplätze auf den Schiffen knapp werden können. 702 Das Unternehmen möchte den Reisenden einen flexiblen Urlaub ermöglichen. Daher gibt es weder feste An- und Abreisetage noch Mindestaufenthalte. Zusätzlich zur Reise können verschiedene Landausflüge - oder auch per Boot, wie z.B. eine Walsafari - gebucht werden. 2019 standen nord- und südgehend etwa 75 solcher Aktivitäten zur Auswahl. 703 Ausbooten im Geirangerfjord Am Polarkreis 699 vgl. Küchler, Kai-Uwe: Reise mit Hurtigruten, Würzburg 2007, 19; Müller, Jan-Manuel: Norwegen - Naturgewalten im Nordmeer, Arte, 04.07.2007 700 vgl. o.V.: Hurtigruten har snart dobbelt så store inntekter fra cruiseturister som fra rutetrafikk (19.06.2018), http: / / www.dn.no, 12.11.2018 701 Krug, Christian: Mit Volldampf zum Polarkreis (24.09.2017), http: / / www.stern.de, 19.10.2018 702 vgl. Küchler, Kai-Uwe: Reise mit Hurtigruten, Würzburg 2007, 20; Hurtigruten GmbH: Reisefinder, http: / / www.hurtigruten.de, 01.07.2020 703 vgl. Hurtigruten Group AS: Annual Report 2019, Tromsø 2020, 4 <?page no="270"?> 270 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Nordkap Hammerfest Risøy-Kanal Nesna Auch die individuelle Erkundung der Hafenorte ist stets lohnenswert: „Die Zeit ist dafür allerdings oft knapp. Und so stehen die Gäste immer schon mit Wanderschuhen und Walking-Sticks im Anschlag vor der geschlossenen Seitentür des Schiffes, während der Kapitän noch nicht einmal die Leinen zum Anlegen geworfen hat. Runter vom Schiff, rein in die Natur, schnell wieder an Bord. Die Hurtigrute wartet nicht auf Trödler. Morgen kommt ja wieder ein Schiff. Das ist das Schöne am Linienverkehr.“ 704 Ferner erhält der Gast Unterstützung bei der Hotelbuchung an Land sowie der Buchung von Erlebnispaketen vor und nach der Reise. Über die täglich buchbaren Abfahrten der klassischen Route hinaus werden auch Gruppenreisen und Themenreisen angeboten, so z.B. Fotoreisen in Kooperation mit Canon, ein Blick hinter die Kulissen auf der MS Vesterålen oder Kultur-Seereisen. 705 Bei den Ausflügen vor Ort kooperiert Hurtigruten mit rund 50 regionalen Dienstleistern. Dazu gehören nicht nur Busbetriebe, sondern z.B. auch Museen, Fährgesellschaften und Reiseleiter. 706 Dadurch wird ein Beitrag zum Lebensunterhalt in diesen abseits von anderen Infrastrukturen liegenden Regionen geleistet: „Wir leben hoch oben in Europa, wo uns nicht so viele Touristen über die Straße erreichen, deshalb ist es wichtig, dass Hurtigruten-Schiffe zu uns kommen.“ 707 Liegen die Schiffe im Hafen, nutzen 704 Krug, Christian: Mit Volldampf zum Polarkreis (24.09.2017), http: / / www.stern.de, 19.10.2018 705 vgl. Hurtigruten GmbH: Hurtigruten Norwegen-Katalog 2017/ 2018 mit vielen Neuerungen, http: / / www.hurtigruten.de, 19.10.2018 706 vgl. Hurtigruten GmbH: Norwegen, Januar 2019-Mai 2020, Hamburg 2018, 11; Hurtigruten Group AS: Annual Report 2019, Tromsø 2020, 4 707 Guttorm Utsi, Ellinor, zit. in: Gehrmann, Alva: Der goldene Umweg (08.08.2018), http: / / www.faz.net, 19.10.2018 <?page no="271"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 271 besonders die Einheimischen im Norden des Landes dies auch zum Kaffeetrinken an Bord oder zum Kauf aktueller Zeitungen. Expeditionsteams an Bord der Schiffe bieten - je nach eigenen Spezialisierungsrichtungen - weitere Wanderungen und Outdoor-Aktivitäten an, die vor Ort gebucht werden können. Nicht nur auf solchen Ausflügen, sondern auch an Bord informieren sie über Land und Leute und laden bei sogenannten „Points of Interest“ die Reisenden auf das Aussichtsdeck ein, um im Vorbeifahren Wissenswertes über die jeweilige Region zu erfahren. Die Expeditionsteams bieten ebenfalls Vorträge zu bestimmten Themen an, wie z.B. Flora und Fauna, Geschichte oder auch Fotografie. 708 2014 wurde ein neues kulinarisches Konzept eingeführt: Norway’s Coastal Kitchen. Dieses Konzept setzt auf regionale und nachhaltige Produkte, die das Reiseerlebnis der Passagiere positiv beeinflussen sollen. Zum Frühstück und zum Mittagessen stehen abwechslungsreiche Buffets zur Verfügung, am Abend wird jeweils ein Drei-Gänge-Menü serviert. Bei der Zusammenstellung der Gerichte orientiert man sich an den Regionen, die das Schiff im Laufe des jeweiligen Tages passiert. Menükarten informieren dabei nicht nur über die verwendeten Zutaten, sondern auch über Herstellung bzw. Geschichte. Ob Kabeljau von den Lofoten, Seesaibling von den Vesterålen oder Rentier aus der Finnmark - die Lebensmittel werden an einem von 15 Häfen entlang der Route direkt an Bord der Schiffe geliefert und dort weiterverarbeitet. Doch nicht nur Fisch und Fleisch stammen von regionalen Erzeugern, auch Milchprodukte, Gemüse, Backwaren oder Getränke. Hierbei wirkt sich der Linienverlauf von Hurtigruten positiv aus und ermöglich besonders kurze Transportwege. 709 Von diesem Konzept profitieren nicht nur die Passagiere in Form eines landestypischen Angebots, sondern auch die regionalen, oft kleinen Anbieter. Bereits über 80 % der an Bord konsumierten Lebensmittel kommen aus Norwegen. 710 Neben der Regionalität spielt die Nachhaltigkeit eine große Rolle bei der Auswahl der Lieferanten. Aus diesem Grund werden beispielsweise keine aus Südostasien stammenden Scampi mehr an Bord verarbeitet, stattdessen greift man auf lokal produzierte Krabben aus Lyngen zurück. 711 Zudem ist man bestrebt, bei der Verarbeitung von Lebensmitteln möglichst wenig Abfall zu erzeugen. 712 Milchlieferung in Harstad Lachslieferung in Hammerfest 708 vgl. Hurtigruten GmbH: Gastgeber der Küste - unsere Expeditionsteams, http: / / www.hurtigruten.de, 01.07.2020 709 vgl. Silk Bidco AS: Annual Bond report 2016 - Hurtigruten, 2017, 10; Hurtigruten GmbH: Hurtigruten Coastal Kitchen, http: / / www.hurtigruten.de, 01.07.2020; Hurtigruten GmbH: Norwegen, Januar 2019-Mai 2020, Hamburg 2018, 15 710 vgl. Hurtigruten GmbH: Hurtigruten Coastal Kitchen, http: / / www.hurtigruten.de, 01.07.2020 711 vgl. Silk Bidco AS: Annual Bond report 2016 - Hurtigruten, 2017, 10 712 vgl. Hurtigruten GmbH: Norwegen, Januar 2019-Mai 2020, Hamburg 2018, 15 <?page no="272"?> 272 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Seit 2017 kommt ein neues dreistufiges Preismodell zur Anwendung. Der Basistarif beinhaltet lediglich die Seereise in einer Standardkabine samt Vollpension. Demgegenüber bietet der Tarif Select u.a. zusätzlich die Möglichkeit der Wahl der Kabinennummer, kostenloses WLAN während der gesamten Reise sowie kostenlosen Kaffee und Tee auch außerhalb der Mahlzeiten. Der Tarif Platinum schließlich ermöglicht darüber hinaus z.B. die Nutzung des À-la-carte-Restaurants sowie die Teilnahme an exklusiven Landausflügen. Zudem sind die Flughafen-Transfers zu Beginn und zum Ende der Reise inkludiert. 713 Die Besatzungen der Schiffe arbeiten in einem 22-Tage-Rhythmus, der sich an der Dauer eines Schiffsumlaufes (elf Tage Bergen-Kirkenes-Bergen) orientiert. Anschließend haben die Mitarbeiter 22 Tage frei. Die Crew wechselt dabei nicht an einem Tag komplett, sondern sukzessive in verschiedenen Häfen. Lediglich das Expeditionsteam beginnt und beendet seinen Einsatz jeweils in Bergen. Ein Arbeitstag dauert in der Regel zehn Stunden, beim Expeditionsteam auch bis zwölf Stunden. In Abhängigkeit von der Kapazitätsauslastung schwankt die Zahl der Besatzungsmitglieder an Bord. Während in den nautischen bzw. technischen Bereichen stets alle Positionen besetzt sind, können im Servicebereich Anpassungen je nach Passagierzahlen vorgenommen werden. Im August 2018 waren auf der MS Richard With bei ca. 340 Passagieren beispielsweise 65 Besatzungsmitglieder an Bord, die aus zehn verschiedenen Ländern stammten - der Großteil jedoch aus Norwegen, denn die Bordsprache ist Norwegisch. 714 Obwohl Hurtigruten den Bedürfnissen der Passagiere einen hohen Stellenwert einräumt, werden auch auf den modernsten Schiffen Fracht und Pkw transportiert. Die Post wird jedoch schon seit vielen Jahren mit dem Flugzeug befördert, weil dies meist schneller geht. Lediglich bei ungünstigen Witterungsverhältnissen sind die Schiffe der Hurtigrute noch als Postschiffe unterwegs. So kann es schon passieren, dass Straßen im Winter einmal für drei Monate gesperrt sind. 715 Vardø im äußersten Norden Aquakulturen nahe dem Polarkreis Gemäß dem Küstenrouten-Abkommen wird die Bedienung der Linie Bergen-Kirkenes subventioniert, denn die norwegische Regierung garantiert die Versorgung der Bevölkerung selbst in den abgelegensten Gebieten. Aufgabe der Schiffe war und ist es, Versorgungsgüter in die schwer zugänglichen Orte nördlich des Polarkreises mitzunehmen und in Richtung Süden z.B. Fische aus arktischen Gewässern. Auch wenn das Straßennetz ausgebaut wurde, ist die Linie lebensnotwendig für Dörfer und Betriebe, insbesondere in den Wintermonaten. Die Schiffe sind für die Menschen dort ein alltägliches Verkehrsmittel. Ziel des 713 vgl. Hurtigruten GmbH: Hurtigruten Preismodell: Drei Tarifoptionen, zahlreiche Möglichkeiten, http: / / www. hurtigruten.de, 12.10.2018; Hurtigruten GmbH: Hurtigruten Norwegen-Katalog 2017/ 2018 mit vielen Neuerungen, http: / / www.hurtigruten.de, 12.10.2018 714 vgl. Gespräch mit dem Expeditionsteam der MS Richard With, 25.08.2018 715 vgl. Küchler, Kai-Uwe: Reise mit Hurtigruten, Würzburg 2007, 19; Schröder, Ralf: Norwegen mit dem Postschiff, München 1999, 7 <?page no="273"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 273 Staates ist es, Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Gleichzeitig soll durch den Erhalt der Linie die Abwanderung der Bevölkerung im Norden gebremst werden. 716 Nach dem Küstenrouten-Abkommen ist „[f]ür die Strecken Tromsø-Kirkenes und Kirkenes-Tromsø auch Güterfrachtverkehr vorgesehen. Die Dienstleistungen haben im Einklang mit bestimmten, im Abkommen festgelegten Kapazitäts- und Schiffsanforderungen zu erfolgen. Auf der Küstenstrecke eingesetzte Schiffe müssen wenigstens über eine Passagierkapazität für 320 Reisende, eine Bettenkapazität in Kabinen für 120 Passagiere und eine Frachtkapazität für 150 Europaletten in einem Frachtraum mit normaler Ladehöhe verfügen.“ 717 Für Port-to-Port-Passagiere, die Hurtigruten als öffentliches Verkehrsmittel nutzen, sind die Fahrpreise durch die norwegischen Behörden zu genehmigen. Im Rahmen des Hurtigruten-Abkommens steht der Reederei hierfür eine jährliche Ausgleichszahlung zu, die sich im Jahr 2019 auf 580 Mio. NOK belief. Bei Rundreise-Passagieren, die die Kreuzfahrtprodukte der Reederei nutzen, ist Hurtigruten in der Preisgestaltung frei. 718 Hurtigruten AS erhält allerdings nicht nur finanzielle Unterstützung durch die Regierung, sondern trägt auch in großem Maße selbst zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes bei. Allein durch die Rundreisepassagiere lassen sich an Land 500 Arbeitsplätze sichern. Neben den quantifizierbaren Effekten sind Image-Effekte nicht zu vernachlässigen, von denen die Tourismuswirtschaft Norwegens generell profitiert, verfügt doch Hurtigruten AS über ein vergleichsweise großes Marketing-Budget, welches etwa einem Drittel der internationalen Marketing-Ausgaben Norwegens entspricht. 719 Effekte Wertschöpfung direkte Effekte eigene Wertschöpfung, Beschäftigung und Steuern 1,1 Mrd. NOK indirekte Effekte Einkauf von Waren und Dienstleistungen Investitionen 600 Mio. NOK je nach Umfang induzierte Effekte Konsum durch Passagiere und Mitarbeiter 820 Mio. NOK weitere Effekte „Innovationslokomotive“ Vermarktung des Tourismus regelmäßige Transportdienstleistungen Erhalt der Küstengemeinden k.A. 200 Mio. NOK* k.A. k.A. * Im Jahr 2019 waren es 360 Mio. NOK. 720 Tabelle 3-17 Wertschöpfungseffekte durch Hurtigruten 721 Nach gut 125 Jahren wird Hurtigruten jedoch ab 2021 das Monopol auf der Küstenroute verlieren. Ziel des Verkehrsministeriums war es, durch eine Neuausschreibung den Wettbewerb zu fördern und damit 716 vgl. Mo, Frode; Röschner, Thomas; Wohlrab, Karsten: mareTV: Norwegen auf der Hurtigrute - Fjorde, Berge und Meer, NDR, 03.01.2008; Müller, Jan-Manuel: Norwegen - Naturgewalten im Nordmeer, Arte, 04.07.2007; Rothaus, Uli; Witzke, Bodo: Trolle, Fjorde und ein Postschiff: Auf zu den Lofoten, ZDF, 03.07.2007; Schröder, Ralf: Norwegen mit dem Postschiff, München 1999, 7 717 Entscheidung der EFTA-Überwachungsbehörde Nr. 70/ 17/ COL vom 29. März 2017 über das Küstenstrecken- Abkommen für den Hurtigruten-Seeverkehr 2012-2019 (Norwegen) [2018/ 887], Abs. 2 (10) 718 vgl. ebd., Abs. 2 (11) bis 2 (13) 719 vgl. Løge, Tori; Eide, Lars S.; Iversen, Endre K.; Jakobsen, Erik W.: Ringvirkninger av Hurtigrutens virksomhet langs norskekysten, Menon-Publikasjon Nr. 54/ 2016, o.O. 2017, 27 720 vgl. Hurtigruten Group AS: Annual Report 2019, Tromsø 2020, 4 721 erstellt nach: Løge, Tori; Eide, Lars S.; Iversen, Endre K.; Jakobsen, Erik W.: Ringvirkninger av Hurtigrutens virksomhet langs norskekysten, Menon-Publikasjon Nr. 54/ 2016, o.O. 2017, 4 <?page no="274"?> 274 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen auch den diesbezüglichen Forderungen der EFTA gerecht zu werden. Durch eine Aufteilung der Route in drei Pakete sollte zudem kleineren bzw. neuen Reedereien die Chance zu einer Angebotsabgabe gegeben werden. Gleichzeitig wurden strengere Anforderungen an den Umweltschutz aufgenommen, so dass zukünftig beispielsweise der CO 2 -Ausstoß 25 % unter den bisherigen Werten liegen wird. 722 Aus der Ausschreibung ist zwar Hurtigruten als Gewinner hervorgegangen. Allerdings hat die Reederei nur sieben der ursprünglich elf Abfahrten ab Bergen zugesprochen bekommen. Vier Abfahrten gingen an den Mitbewerber Havila Kystruten AS. Die entsprechenden Verträge laufen über zehn Jahre. Die staatlichen Zuschüsse summieren sich für Hurtigruten AS auf 564 Mio. NOK jährlich. Wie schon bislang werden täglich 34 Häfen angelaufen. Bevor Havila auf der Strecke aktiv werden kann, mussten die dafür benötigten vier Schiffe aber erst noch gebaut werden. 723 Für Hurtigruten stellte sich deshalb die Frage nach der zukünftigen strategischen Ausrichtung, werden zur Bedienung der Küstenstrecke doch weniger Schiffe als bislang benötigt. Aus Angst vor einem Preiskampf will man sich stärker auf das touristische Segment konzentrieren. Dafür sollen vor allem die größeren Schiffe eingesetzt und kleinere der bislang angelaufenen Häfen ausgelassen werden. 724 Alternativ ist man auf der Suche nach attraktiven Zielhäfen entlang der Route, in denen eine längere Liegezeit vorgesehen ist. Dies wird jedoch nicht von allen in Frage kommenden Gemeinden positiv gesehen, und man befürchtet durch den Massentourismus ähnliche Zustände wie in Geiranger oder Flåm. 725 Da Deutschland einen bedeutenden Quellmarkt darstellt, wird Hamburg ab 2021 zu einem Heimathafen. Von hier aus werden 15-tägige Norwegen-Reisen mit Premium-Expeditionsschiffen (Umbauten bisher im klassischen Liniendienst eingesetzter Schiffe) angeboten. Dabei werden u.a. Häfen wie Alta, Narvik und Stavanger angelaufen, die sonst nicht Teil des Hurtigruten-Fahrplans sind. 726 Neben der klassischen Postschifflinie entlang der norwegischen Küste engagiert sich Hurtigruten schon seit vielen Jahren im Bereich der Expeditionsschifffahrt und bietet Reisen in Fahrgebieten weltweit an: Spitzbergen, Island, Grönland, Alaska, Nordamerika, Karibik und Mittelamerika, Südamerika, Antarktis, Europa sowie Russland. Zum Einsatz kommen dabei Schiffsneubauten wie die MS Roald Amundsen, aber auch Schiffe, die auf der Hurtigrute verkehren. 727 Der Expeditionsschifffahrt soll in Zukunft ein wesentlich größerer Stellenwert eingeräumt werden. Daniel Skjeldam, CEO der Hurtigruten AS, äußerte dazu: „Vi går fra å være kystruterederi med litt ekspedisjonscruise-virksomhet til å bli ekspedisjonscruiserederi med litt kystrute-virksomhet.“ 728 Zur strategischen Neuorientierung gehört auch die Ausrichtung auf neue Quellmärkte. Asien, und insbesondere China, werden hier als besonders vielversprechend eingestuft, da die Reisenden als ausgabefreudig gelten: „Das Potential haben inzwischen viele Regionen und Länder Europas erkannt. Und so ist ein heftiger Kampf um die spendablen chinesischen Touristen - sie geben im Schnitt rund 350 Dollar am Tag 722 vgl. Regjeringen: Havila og Hurtigruten får kontrakter på kystruten Bergen-Kirkenes (23.03.2018), http: / / www.regjeringen.no, 11.10.2018; Seliger, Andrea: Ab 2021: Hurtigruten und Havila auf der Küstenroute (25.03.2018), http: / / www.polarkreisportal.de, 10.09.2018 723 vgl. Regjeringen: Havila og Hurtigruten får kontrakter på kystruten Bergen-Kirkenes (23.03.2018), http: / / www.regjeringen.no, 11.10.2018; o.V.: Milliardkompensasjon til Hurtigruten og Havila (16.08.2018), http: / / www.dn.no, 12.10.2018; Hurtigruten Group AS: Annual Report 2019, Tromsø 2020, 2 724 vgl. Kotowski, Timo: Hurtigruten bekommt Konkurrenz (05.04.2018), http: / / www.faz.net, 19.10.2018 725 vgl. Dalaker, Sondre: Sterke protestar mot Hurtigrute-satsing (04.10.2018), http: / / www.nrk.no, 19.10.2018 726 vgl. o.V.: Hurtigruten: Hamburg wird 2021 Heimathafen (27.08.2019), http: / / www.touristik-aktuell.de, 01.07.2020 727 vgl. Hurtigruten GmbH: Unsere Reiseziele, http: / / www.hurtigruten.de, 02.07.2020 728 Übersetzung: „Wir sind dabei, von einer Küstenreederei mit einem kleinen Expeditionskreuzfahrtgeschäft zu einem Expeditionskreuzfahrtunternehmen mit einem kleinen Küstengeschäft zu werden.“, o.V.: Hurtigruten har snart dobbelt så store inntekter fra cruiseturister som fra rutetrafikk (19.06.2018), http: / / www.dn.no, 12.11.2018 <?page no="275"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 275 aus - entbrannt.“ 729 Dies zieht Angebotsanpassungen an Bord nach sich. Die chinesischen Gäste sollen zum Beispiel nicht Englisch sprechen müssen. Das heißt, dass Reiseleiter zukünftig nicht nur über Norwegisch-, Englisch, Deutsch- und Französischkenntnisse verfügen, sondern auch Chinesisch sprechen sollten. Zwei Hurtigruten-Schiffe sollen mit einem Leitsystem in chinesischer Sprache versehen werden. Darüber hinaus soll das Essen an Bord dieser Schiffe an den Geschmack der neuen Zielgruppe angepasst werden, wenngleich immer noch auf norwegische Zutaten gesetzt wird. 730 Außer Hurtigruten haben inzwischen verschiedene weitere Reedereien (z.B. AIDA, FTI Cruises, MSC, TUI-Cruises) Kreuzfahrten entlang der norwegischen Küste im Angebot, die sich auf die touristisch interessantesten Häfen konzentrieren und dort entsprechend längere Liegezeiten aufweisen. Hurtigruten sieht sich in diesem Segment also einer immer stärkeren Konkurrenz gegenüber. Konkurrenz: Mein Schiff 4 in Trondheim Hybridschiff MS Fridtjof Nansen und MS Kong Harald in Trondheim Vorteilhaft wirkt sich bislang aus, dass die kleineren Hurtigruten-Schiffe auch Gewässer befahren, die von den großen Kreuzfahrtschiffen gemieden werden. Profitieren könnte Hurtigruten zudem von den Bestrebungen der norwegischen Regierung, die Emissionsbelastung zu reduzieren und die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe in den zum UNESCO-Welterbe gehörenden Fjorden (Nærøyfjord, Aurlandsfjord, Geirangerfjord, Synnulvsfjorden, innerer Tafjord) zu limitieren. 731 Die klassischen Kreuzfahrtanbieter kritisieren das Tempo bei der Umsetzung dieser Vorgaben, können sie doch so schnell gar nicht mit Schiffsumbauten bzw. Routenänderungen in ihren Reiseangeboten reagieren. Hurtigruten ist hier der Konkurrenz voraus. Als erste Reederei weltweit setzt man Hybrid-Expeditionsschiffe ein: „Die Zukunft der Schifffahrt ist ohne Zweifel leise und emissionsfrei. Unsere neuen Expeditionsschiffe sollen den Weg für diese neue Technologie ebnen und der Welt zeigen, dass Hybridantrieb auf großen Schiffen bereits heute möglich ist.“ 732 Zudem werden Schiffe aus der aktuellen Flotte auf hybriden LNG- und Batteriebetrieb umgerüstet, war ein umweltfreundlicherer Antrieb bzw. die Emissionsreduktion doch auch Voraussetzung zur Teilnahme an der Ausschreibung um die Linie Bergen-Kirkenes gewesen. 729 Hirn, Wolfgang: So tickt der moderne Tourist aus China (13.08.2018), http: / / www.manager-magazin.de, 19.10.2018 730 vgl. Antonsen, Øystein; Holdal, Elise: Hurtigruten satser på kinesiske turister - De legger igjen mest penger (10.04.2017), http: / / www.nrk.no, 19.10.2018; Oesterud, Tor Ingar: Hurtigruter posting signs in Chinese (20.03.2017), http: / / norwaytoday.info, 19.10.2018 731 vgl. Eckardt, Christian: Dicke Luft in den Fjorden (07.07.2017), http: / / www.weser-kurier.de, 11.10.2018; o.V.: Seefahrtsamt will weniger Kreuzfahrtschiffe in norwegischen Fjorden (11.07.2017), http: / / www.businessportalnorwegen.con, 11.10.2018 732 Daniel Skjeldam, zit. in: Schmidt, Oliver: Hurtigruten - Vom Postschiffdienst zur Expeditionskreuzfahrt, Hamburg 2019, 170 <?page no="276"?> 276 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen Wegen der Corona-Krise wird dies aber zunächst nur bei drei Schiffen durchgeführt. 733 Ferner soll zukünftig auch flüssiges Biogas, gewonnen aus organischen Abfällen, zum Einsatz kommen. 734 Zudem unterstützt die Reederei Restriktionen für das Befahren sensibler Gewässer wie der Arktis, wozu z.B. ein Verbot von Schweröl gehört. Sämtliche Hurtigruten-Schiffe fahren nicht mehr mit Schweröl, sondern ausschließlich mit Marinediesel. 735 Die Reederei ist sich ihrer Verantwortung bewusst: „Becoming the world leader in exploration travel comes with a great responsibility for preserving the natural wonders along our route.“ 736 Schrittweise erfolgt eine Umrüstung der Schiffe auf Landstromversorgung, was im Hafen Bergen bereits über eine vollautomatische Landstromanlage innerhalb einer Minute nach dem Anlegen möglich ist. Die Stromgewinnung erfolgt dabei über Wasserkraft. Im Hafen Bergen weisen die Schiffe eine besonders lange Liegezeit auf - nach Sommerfahrplan rund fünfeinhalb Stunden, nach Winterfahrplan ca. acht Stunden -, weshalb hier eine umweltfreundliche Stromversorgung umso wichtiger ist. Jährlich lassen sich so die Emissionen im Hafen Bergen um 150 Tonnen CO 2 sowie 2,5 Tonnen NO X vermindern. 737 Mithilfe von fast 30 Maßnahmen zur Energieeinsparung konnte das Unternehmen seit 2009 die jährlichen Emissionen von CO 2 um rund 18.000 Tonnen sowie von NO X um 540 Tonnen verringern. Zu diesen Maßnahmen gehören beispielsweise: Optimierung der Routen und der Routenplanung, Treibstoffnutzung: MGO (Marine Gas Oil) bei Expeditionsschiffen, SDM (Special Distillate Marine) bei Schiffen im Liniendienst, regelmäßige und professionelle Wartung der Schiffe, Einbau neuer Schiffspropeller, Nutzung der Abwärme des Kühlwassers zur Erhitzung der Warmwasserspeicher an Bord, Nutzung von Ballastwasser-Behandlungsanlagen auf den Expeditionsschiffen, tägliche Lieferungen von lokalen Lieferanten zur Verringerung von Transportwegen, Lagerdauern und Mengen von Lebensmittelabfällen an Bord, Wertstofftrennung an Bord und Recycling im Hafen Trondheim. 738 Darüber hinaus finanziert man über die Hurtigruten-Stiftung 739 Umwelt- und Sozialprojekte. 2018 wurde die „Green Stay“-Initiative eingeführt. Befestigen Reisende einen entsprechenden Anhänger am Abend an der Kabinentür, werden am folgenden Tag die Handtücher nicht gewechselt und damit Wasser und Energie gespart. Pro Kabine werden dann 5 NOK an die Hurtigruten-Stiftung gespendet. Ursprünglich als Test auf der MS Trollfjord im Frühjahr gestartet, hat man die Initiative aufgrund des großen Erfolgs inzwischen auf alle Hurtigruten-Schiffe ausgeweitet. 740 733 vgl. Humpert, Malte: Norway’s Hurtigruten Draws Up Plans to Reopen Coastal Routes (22.05.2020), http: / / www.highnorthnews.com, 02.07.2020 734 vgl. Hurtigruten GmbH: Grüne Innovation: Hurtigruten setzt auf Biogas, http: / / www.hurtigruten.de, 01.07.2020 735 vgl. o.V.: Hurtigruten will weiter aufrüsten bei den Expeditionskreuzfahrten (09.07.2018), http: / / www.travelnews.ch, 04.10.2018; Hurtigruten GmbH: Hurtigruten kündigt Nachhaltigkeits-Offensive an: Bis zu neun Schiffe werden auf hybriden LNG- und Akkubetrieb umgerüstet, http: / / www.hurtigruten.de, 18.10.2018 736 Hurtigruten AS: Leaving a smaller footprint, o.O. o.J., 2 737 vgl. Hurtigruten GmbH: Hurtigruten startet Landstrom-Initiative in Norwegen: MS Spitsbergen nutzt erstmals Landstromversorgung im Hafen von Bergen (06.03.2018), http: / / www.hurtigruten.de, 12.10.2018 738 vgl. Hurtigruten AS: Leaving a smaller footprint, o.O. o.J., 6f 739 siehe dazu auch: Hurtigruten-Foundation, http: / / www.hurtigruten.no/ om-oss/ csr/ hurtigruten-foundation 740 vgl. Hurtigruten GmbH: Nachhaltigkeit, http: / / www.hurtigruten.de, 18.10.2018 <?page no="277"?> 3.4 Strategische Entscheidungen 277 Zum 125-jährigen Jubiläum 2018 hat die Reederei als erste weltweit sämtliche Einweg-Kunststoffe von den Schiffen verbannt. Nun kommen entsprechende Artikel aus Papier, biologisch abbaubaren Stoffen und nachhaltigen Materialien zum Einsatz. 741 Die Initiative erstreckt sich auch auf Tochtergesellschaften der Reederei, die Hotels und Restaurants betreiben. Zudem sollen die Lieferanten der Reederei ebenfalls die Verwendung von Plastik einschränken. Andere Kreuzfahrtanbieter ließen sich hierdurch inspirieren und haben zwischenzeitlich ebenfalls den Gebrauch von Einweg-Kunststoffen reduziert. 742 Während man sich bei Hurtigruten Anfang des Jahres 2020 über die besten Unternehmensergebnisse seit Jahren freute, breitete sich weltweit bereits das Covid-19-Virus aus. Als Reaktion darauf stellte Hurtigruten Mitte März 2020 sowohl den Liniendienst in Norwegen als auch die Expeditionskreuzfahrt weltweit - zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte - ein. Lediglich zwei Schiffe, die MS Richard With und die MS Vesterålen, hielten einen Notbetrieb mit angepasster Route entlang der norwegischen Küste nördlich des Polarkreises aufrecht, weil hier der wichtigste Güter- und Personenverkehr gewährleistet werden musste. Die Wahl fiel deshalb auf diese beiden Schiffe, weil sie zum einen kürzlich renoviert worden waren und zum anderen Kühl- und Gefrierfracht sowie Trockenfracht transportieren können. 743 Die übrigen Schiffe der Flotte lagen inzwischen in geeigneten Hafenanlagen entlang der Route. Da 14 von 16 Schiffen zunächst außer Dienst gestellt wurden, sah sich Hurtigruten gezwungen, knapp 3.000 Mitarbeiter vorübergehend zu entlassen, der größte Teil davon Schiffsbesatzungen. 744 Mit großem Interesse und auch mit Besorgnis verfolgte die lokale Bevölkerung die Entwicklung der Lage. Sind doch nicht nur Arbeitsplätze an Bord betroffen, sondern auch bei zahlreichen landbasierten Dienstleistern. Die zahlungskräftigen Hurtigruten-Touristen, die auch an Land Geld ausgeben, fehlten nun. Innerhalb kürzester Zeit fanden sich in der von einem entlassenen Hurtigruten-Mitarbeiter gegründeten Facebook-Gruppe „Hurtigruten må reddes“ („Hurtigruten muss gerettet werden“) knapp 45.000 Unterstützer. Der Reederei zufolge hatte das Unternehmen bis zum Sommer 2020 bereits 2 Mrd. NOK verloren. Derartige Summen kann kein Unternehmen ohne Weiteres abfangen. Lange wurde darüber diskutiert, ob Hurtigruten vom Krisenpaket der Regierung profitieren kann. Da die Bonität von Kreuzfahrtunternehmen von den Ratingagenturen generell herabgestuft wurde, erfüllte Hurtigruten die Voraussetzungen zur Teilnahme am Krisenpaket nicht mehr. Letztendlich bedeutete dies, Hurtigruten wurde so schwer von der Corona-Krise getroffen, dass das Unternehmen genau deshalb nicht auf Unterstützung zurückgreifen konnte. Zumindest hat sich der Staat bereiterklärt, die laut Küstenrouten-Abkommen vorgesehene Summe an Hurtigruten zu zahlen, auch wenn nicht die komplette Küstenroute bedient werden konnte. 745 Weil das Unternehmen nicht länger auf eine staatliche Lösung warten wollte, nahm Hurtigruten schließlich auf dem internationalen Kreditmarkt einen Kredit in Höhe von 105 Mio. Euro (zu einem Zinssatz von 11 %) auf, um die Liquidität der kommenden beiden Jahre sicherzustellen. 746 An die einheimische Bevölkerung wurde appelliert, für den Sommerurlaub eine Hurtigruten-Fahrt in Erwägung zu ziehen, um dem Unternehmen Einnahmen zu sichern. Allerdings werden die nor- 741 vgl. Hurtigruten GmbH: Norwegen, Januar 2019-Mai 2020, Hamburg 2018, 11 742 vgl. o.V.: Hurtigruten will weiter aufrüsten bei den Expeditionskreuzfahrten (09.07.2018), http: / / www.travelnews.ch, 04.10.2018; o.V.: Bei Hurtigruten gibt es nur noch Metall-Röhrchen (30.04.2018), http: / / www.travelnews.ch, 04.10.2018 743 vgl. Thonhaugen, Markus; Skjåstad Lysvold, Susanne: Slik blir de midlertidige rutene til Hurtigruten (18.03.2020), http: / / www.nrk.no, 02.07.2020 744 vgl. Hurtigruten AS: Slik blir Hurtigrutens midlertidige reserve-ruter (19.03.2020), http: / / presse.hurtigruten.no, 02.07.2020 745 vgl. Skjåstad Lysvold, Susanne: Hurtigruten nekter å sette skipene i drift før de får kriselån av staten (06.05.2020), http: / / www.nrk.no, 02.07.2020 746 vgl. Hurtigruten AS: Hurtigruten har fått på plass ny finansiell løsning: Sikrer over en milliard kroner (11.06.2020), http: / / presse.hurtigruten.no, 02.07.2020 <?page no="278"?> 278 3 Anbieter von Verkehrsdienstleistungen wegischen Touristen den Verlust ausländischer Touristen nicht ausgleichen können. 747 Als am 16. Juni 2020 das erste Schiff, die MS Finnmarken, wieder auf der klassischen Postschiffroute fuhr, wurde dies in den Häfen entsprechend bejubelt. MS Richard With, MS Trollfjord und MS Midnatsol folgten dann im Abstand von jeweils zwei bzw. drei Tagen. 748 Ende Juli 2020 sorgte eine Covid-19-Infektion an Bord des Expeditionsschiffes Roald Amundsen und der unprofessionelle Umgang damit für Schlagzeilen. Im Zuge der Untersuchungen und nach der Publikation eines diesbezüglichen Berichts begann die Fassade des Vorzeigeunternehmens der norwegischen Tourismuswirtschaft zu bröckeln. Nicht nur, dass zahlreiche Fehler im Umgang mit der Situation festgestellt wurden, es wurden auch Aussagen zu massiven internen Kommunikationsproblemen laut, von einer Organisationskultur der Angst war gar die Rede. Gleichzeitig wurde Mitte September bekanntgegeben, dass wegen steigender Corona-Fallzahlen in den Quellgebieten ab sofort erneut nur noch zwei Schiffe, die MS Polarlys und die MS Kong Harald, den Liniendienst entlang der Küste versehen werden, die Expeditionskreuzfahrten wurden vorerst komplett eingestellt. Insgesamt befand sich die Reederei im Herbst 2020 also in extrem schwerem Fahrwasser. 749 Aufgabe 1: Wer gehört zur Zielgruppe der Hurtigrute? Aufgabe 2: Inwieweit ist eine Passage mit Hurtigruten mit einer klassischen Kreuzfahrt vergleichbar? Wo bestehen Unterschiede? Inwieweit kann Hurtigruten davon profitieren? Aufgabe 3: Was macht für den Reisenden das Besondere einer Fahrt mit Hurtigruten aus? Aufgabe 4: Charakterisieren Sie den Marketing-Mix von Hurtigruten! Aufgabe 5: Wie lässt sich die bisherige Stellung von Hurtigruten im Wettbewerb beschreiben? Mit welchen Veränderungen ist zukünftig zu rechnen? Aufgabe 6: Worauf könnten Veränderungen innerhalb der Flotte zurückzuführen sein? Aufgabe 7: Mithilfe welcher Maßnahmen versucht man bei Hurtigruten, die unternehmerische Tätigkeit mit der nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen? Aufgabe 8: Welche Rolle spielt Hurtigruten in Norwegen? Welche Wechselwirkungen mit dem Makroumfeld sind festzustellen? Aufgabe 9: Was sind Gründe für die Krise, in die Hurtigruten 2020 geraten ist? 747 vgl. ebd.; Skjåstad Lysvold, Susanne: Nær 3000 ansatte i Hurtigruten er permittert - Folk er livredde for jobbene sine (09.05.2020), http: / / www.nrk.no, 02.07.2020 748 Daniel Skjeldam: Wie sich das Corona-Virus auf unseren Betrieb und Ihre zukünftige Reise auswirkt, http: / / www. hurtigruten.de, 02.07.2020 749 vgl. Kråkenes, Christian; Eriksen, Inghild; Rypeng, Lisa; Pettersen; Beth Mørch; Lambertsen, Ole-Fredrik: Sjøfolk i Hurtigruten sier fryktkulturen er blitt verre under Skjeldam (19.09.2020), http: / / www.nrk.no, 20.09.2020; Strøm, Petter; Malmo, Vilde Kristine: Unnskyld for at vi har feilet (17.09.2020), http: / / www.nrk.no, 20.09.2020; Hurtigruten AS: Current sailing plan and cancellations, http: / / global.hurtigruten.com, 20.09.2020 <?page no="279"?> 4.1 Determinanten der Nachfrage 279 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen 4.1 Determinanten der Nachfrage Nachfrage bezeichnet den Wunsch nach spezifischen Produkten oder Dienstleistungen und wird dabei von der Fähigkeit und Bereitschaft, diese zu erwerben, begleitet. 750 Um die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen analysieren, prognostizieren und darauf aufbauend verkehrspolitische Maßnahmen planen zu können, sind zunächst genaue Informationen über das Verkehrsverhalten der Individuen notwendig. Dabei fließen - je nach Fragestellung - Informationen über Häufigkeit, Ziel, Zweck und benutztes Verkehrsmittel einzelner Wege ein. Zudem sind Daten über die Merkmale von Wegen und Verkehrsteilnehmern zu erfassen. Weiterhin ist zu klären, wie politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Maßnahmen die Verkehrsnachfrage beeinflussen und wie spezifische verkehrliche Maßnahmen - vorgenommen von staatlicher Seite in Form regulativer Eingriffe oder von unternehmerischer Seite in Form von Veränderungen des Marketing- Mix - auf die Verkehrsnachfrage wirken. Inwieweit sich staatliche Maßnahmen auf die Verkehrsnachfrage auswirken, ist auch für die in diesem Sektor tätigen Unternehmen interessant. Zum einen formen sie den Rahmen für unternehmerische Maßnahmen. Zum anderen sind deren Wirkungen von denen betrieblicher Maßnahmen zu unterscheiden. Tendenzen Nachfrageverhalten Struktur Konzentrationsprozess in der Wirtschaft internationaler Wettbewerb Anforderungen an Distributionssysteme Wirtschaftlichkeit Qualitäts- und Leistungskriterien Zeitbedarf Sicherheit Kapazität Service Zuverlässigkeit Konzentrationsgrad Wirtschaftszweige Stellung des Wirtschaftszweiges Sendungsgrößen und -häufigkeit Transporteigenschaften der Güter gesetzliche Auflagen Abbildung 4-1 Einflüsse auf die Nachfrage 751 750 vgl. Kotler, Philip; Keller, Kevin Lane: Marketing Management, Harlow 2012, 32 751 erstellt nach: Stabenau, Hanspeter: Verkehrsbetriebslehre, Bremen 1994, 107ff; Stabenau, Hans-Peter: Verkauf und Marketing von Verkehrsleistungen, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans-Joachim; Schenke, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 310 <?page no="280"?> 280 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen wird unterschieden in die Nachfrage nach Verkehrsleistungen zu Produktionszwecken und zu Konsumzwecken: Die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen zu Produktionszwecken beinhaltet den größten Teil des Güterverkehrs sowie den beruflich bedingten Personenverkehr. Eine Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen zu Konsumzwecken erfolgt durch staatliche Institutionen und von privaten Haushalten. 752 Welches Verkehrsmittel im jeweiligen Fall genutzt wird, entscheidet der Benutzer, nachdem er Qualitätsmerkmale und Kosten der einzelnen Alternativen gegenübergestellt hat. Um Kunden zu gewinnen, müssen daher Schwachstellen identifiziert und die Merkmale an die Kundenwünsche angepasst werden. 4.2 Bedürfnisse von Nachfragern Ob eine von Verkehrsunternehmen angebotene Dienstleistung vom potentiellen Kunden genutzt wird, hängt davon ab, inwieweit sie in der Lage scheint, dessen Bedürfnisse zu erfüllen. Ausgehend von der Maslowschen Bedürfnispyramide lassen sich die Bedürfnisse von Kunden von Verkehrsunternehmen ableiten, wobei in diesem Fall drei Bedürfnisebenen von Bedeutung sind: Sicherheit, Reisezeit und Komfort. Die Basisebene bildet die Sicherheit der Verkehrsmittel. Sicherheit kann als unabdingbare Voraussetzung betrachtet werden. Es geht dabei zum einen um die Vermeidung materieller und körperlicher Schäden, zum anderen um Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und damit Planbarkeit eines Verkehrsmittels. Beurteilen kann der potentielle Nutzer diese Eigenschaften anhand subjektiver Einschätzungen, Erfahrungen, die möglicherweise mit dem betrachteten Verkehrsmittel bzw. Verkehrsbetrieb bereits gemacht wurden bzw. anhand des Images, das dieses Unternehmen samt seiner Verkehrsmittel hat. Die Reisezeit gilt als entscheidender Wettbewerbsfaktor. Ausschlaggebend ist dabei die Haus-zu- Haus-Zeit, die sich aus dem Weg zum Abfahrtsort des Verkehrsmittels, Wartezeiten, der Fahrzeit, eventuellen Umsteigezeiten sowie dem Weg nach dem Verlassen des Verkehrsmittels bis zum eigentlichen Ziel ergibt. Stark beeinflussend wirkt hier auch die Häufigkeit des Angebots. Komfort spielt dann bei einer Auswahlentscheidung eine Rolle, wenn die Bedürfnisse der beiden unteren Ebenen erfüllt sind. Dabei ist zwischen Komfort vor/ nach (z.B. Qualität des Zubringers) und während der Reise (z.B. Geräumigkeit, Verpflegungsmöglichkeiten, Unterhaltungsmöglichkeiten) zu unterscheiden. 753 752 vgl. Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Dritter Teil: Leistungserstellung der Verkehrsbetriebe, Berlin 1983, 12 753 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 84f <?page no="281"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 281 Komfort Reisezeit Sicherheit Systemvoraussetzung Basisnutzen Zusatznutzen Abbildung 4-2 Bedürfnisebenen bei der Nutzung von Verkehrsmitteln 754 Analog dazu lassen sich die Bedürfnisebenen im Güterverkehr ermitteln. Auch hier bildet die Ebene Sicherheit die Basis der Pyramide. Es folgt auf der zweiten Ebene die Transportzeit, die ebenfalls als Haus-zu-Haus-Zeit bzw. Rampe-zu-Rampe-Zeit zu betrachten ist. Komfort würde sich hier beispielsweise in der Qualität der Transportdienstleistung, Zusatzleistungen, Organisation und Durchführung von Sammelladungsverkehren, Lagerhaltung und Warenumschlag sowie weiteren logistischen und komplementären Dienstleistungen wie Preisauszeichnung, Regalpflege ausdrücken. 4.3 Unternehmen als Nachfrager Die Mobilität von Gütern ist „ in der Arbeitsteilung zwischen Menschen, die räumlich getrennt voneinander leben “ 755 begründet. Standorte weisen unterschiedliche Wettbewerbsvorteile (z.B. Verfügbarkeit von Ressourcen, Vorhandensein und Qualität von Produktionsfaktoren, technologischer Stand, klimatische Verhältnisse) zur Herstellung von Waren bzw. zur Erstellung von Dienstleistungen auf, was eine räumliche Konzentration der Herstellung und den Austausch von Produkten zur Folge hat. 4.3.1 Entwicklungen und Trends Die Logistikbranche unterliegt einem kontinuierlichen Wandel. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf verschiedene Aspekte: Globalisierung : Durch das Zusammenwachsen der Märkte innerhalb der Europäischen Union und die fortschreitende Integration der Märkte mittel- und osteuropäischer Länder in den internationalen Handel bieten sich Logistikunternehmen neue Alternativen und größere Spielräume. 754 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 84 755 Eckey, Hans-Friedrich; Stock, Wilfried: Verkehrsökonomie, Wiesbaden 2014, 5 <?page no="282"?> 282 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Organisatorischer Wandel : Durch die Auslagerung von Produktionsbereichen werden zunehmend Produkte vom Zulieferer zum weiterverarbeitenden Unternehmen bzw. zur Endfertigung transportiert. Im Rahmen der Just-in-time-Lieferung wird Lagerhaltung durch Transport ersetzt. Wertschöpfungsnetzwerke werden dabei komplexer. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Sicherheit logistischer Netzwerke. Durch steigende Mobilität von Gütern und Personen entstehen Engpässe im Bereich der Infrastruktur. Nachhaltige Entwicklung : Ein steigender Energiebedarf steht knapper werdenden Rohstoffen (insbes. bei fossilen Brennstoffen) gegenüber. Der sich abzeichnende Klimawandel verlangt nach der Entwicklung ökologisch verträglicher Transportsysteme. 756 Diese Entwicklungen beeinflussen die Strukturen innerhalb der Logistikbranche: Auf Veränderungen in den Märkten reagiert die Branche mit einer stärkeren Flexibilisierung von Prozessen und Netzwerken bzw. bei der Nutzung von Ressourcen. Der zunehmenden Komplexität versucht man mit Maßnahmen zur Standardisierung und Vereinfachung zu begegnen. Technologische Innovationen sollen u.a. dazu beitragen, effizienter zu wirtschaften bzw. zur Risikoabwendung beizutragen. Den Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung versucht man durch verschiedene Ansatzpunkte gerecht zu werden: Entschleunigung soll dahingehend erzielt werden, dass Logistikservice nicht auf immer kürzere Lieferzeiten ausgerichtet wird. Dadurch können Sendungen besser gebündelt und teure Express-Lieferungen vermieden werden. Durch eine verstärkte Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen lassen sich Transportkosten senken und die Transparenz der Produktions- und Vertriebsprozesse erhöhen. Die Rückführung und Wiederverwertung von Alt-Produkten hilft, wertvolle Rohstoffe zu sparen. Schließlich soll durch eine Internalisierung externer Kosten eine verursachergerechte Anlastung von Kosten erfolgen. 757 Zur Reduzierung von Zeitbedarf und Kosten werden verstärkt (globale) Logistiknetzwerke gebildet. Im Zuge von Auslagerungsprozessen hat sich auch der Aufgabenbereich von Spediteuren erweitert. Neben der eigentlichen Transportleistung werden nun auch Organisation und Kontrolle von Material-, Waren- und Informationsströmen angeboten. Transportunternehmen wandeln sich zu modernden Dienstleistern. 4.3.2 Transportproblem und Wirtschaftlichkeit Ein Transportproblem resultiert aus dem zu transportierenden Gut selbst, den Merkmalen des Liefergebietes, den einzubeziehenden Standorten sowie dem bestehenden Angebot und der Nachfrage. Bei der Lösung eines Transportproblems stellt sich die Frage nach dem günstigsten Transportmittel sowie dem günstigsten Transportprozess. Hinsichtlich des Transportmittels gilt es zu entscheiden, welche Transportmittel zur Beförderung der Güter genutzt werden sollen. Bei der Entscheidung für den Transportprozess geht es um die Ablauforganisation und die Steuerung des Prozesses. 758 Die Auswahl des Transportmittels erfolgt in Abhängigkeit folgender Kriterien: Transportgut, Transportzeit, 756 vgl. Lucke, Hans-Joachim: Trends und ihre Auswirkungen auf die Logistik, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans- Joachim; Schenk, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 29; Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 16ff 757 vgl. Lucke, Hans-Joachim: Trends und ihre Auswirkungen auf die Logistik, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans- Joachim; Schenk, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 30 758 vgl. Pfohl, Hans-Christian: Logistiksysteme - Betriebswirtschaftliche Grundlagen, Berlin 2018, 170 <?page no="283"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 283 Transportentfernung, Liefer- und Empfangsorte, Angebot und Nachfrage an Verkehrsmitteln, Ladungsaufkommen. 759 Transport-, Umschlag- und Lagervorgänge verursachen Kosten, tragen dabei aber i.d.R. nicht zu einer Wertsteigerung des Produktes bei. Die Unternehmen sind folglich bestrebt, derartige Kosten zu minimieren. Die Auswahl des Transportmittels und der Transportwege bestimmt auch die Höhe der anfallenden Kosten. Deshalb sollten in den Auswahlprozess folgende Überlegungen einbezogen werden: Wahl kurzer Transportwege, Bildung geeigneter Transport- und Lagereinheiten, Vermeiden von Umladevorgängen, Erreichen einer optimalen Auslastung, Vermeidung von Leerfahrten und Wartezeiten, Vermeidung manueller Transportarbeiten, Kombination von Fertigungsvorgängen mit Transportvorgängen (z.B. Sortieren, Erwärmen, Kühlen), Einsatz standardisierter Baueinheiten, sinnvolle Verknüpfung des internen und externen Transportsystems. 760 Darüber hinaus ergibt sich die Frage, ob Transporte selbst mit dem eigenen Fuhrpark durchgeführt oder an externe Dienstleister vergeben werden sollen. Diesbezügliche Entscheidungskriterien sind: Unternehmensstrategie (Kernkompetenzen betreffende Leistungen sollten nicht ausgelagert werden), Höhe und Regelmäßigkeit des Bedarfs (eigene Durchführung regelmäßiger Bedarfe vs. Auslagerung gelegentlich auftretender Bedarfe), Lieferangebot/ Marktmacht (verfügbare Kapazitäten in gewünschter Qualität im eigenen Haus bzw. am Markt), Grad der Abhängigkeit bei Fremdtransport (Risiken bei Offenlegung von Know-how), Investitions- und laufende Kosten bei eigenem Fuhrpark (Treibstoffe, Wartungskosten, Personalkosten, Abschreibungen usw.) vs. Kosten bei Fremdbezug, Werbewirksamkeit eines eigenen Fuhrparks. 761 759 vgl. Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 80 760 vgl. Martin, Heinrich: Transport- und Lagerlogistik, Wiesbaden 2016, 121 761 vgl. Kummer, Sebastian; Dieplinger, Maria; Oberhofer, Peter: Fuhrparkeffizienz und -verwendung: Analyse und Entscheidungsfindung vom Einsatz eigener Fuhrparks vs. Fremdvergabe der Transportleistungen mit Praxisbeispielen, Wien 2013, 9f <?page no="284"?> 284 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen 4.3.3 Logistische Prozesse Ein Prozess lässt sich definieren als eine „ Abfolge von mindestens zwei oder mehreren Aktivitäten, Tätigkeiten oder Bearbeitungsschritten, die vor dem Hintergrund eines gegebenen Untersuchungszweckes nicht weiter sinnvoll unterteilt werden können. Jede Aktivität besitzt einen messbaren Input, der in die Aktivität „eingeht“ und einen messbaren Output, der nach dem Transformationsprozess von Input zu Output die Aktivität als Ergebnis verlässt. “ 762 Die den Güterfluss unterstützenden logistischen Prozesse sind vielgestaltig und bilden in ihrer Gesamtheit logistische Systeme: Transportieren : Transporte außerhalb des Unternehmens finden im Rahmen der Beschaffung von Zulieferern zum Unternehmen, gegebenenfalls zwischen verschiedenen Unternehmensstandorten sowie bei der Distribution vom Unternehmen zum Kunden statt. Auch bezüglich der Entsorgung spielen derartige Transporte eine Rolle. Zum Zwecke der Bündelung von Transportaufträgen werden Transporte an Umschlagpunkten gebrochen. Dadurch lassen sich Transportmittel besser auslasten und Kosten senken. Transporte innerhalb des Unternehmens treten zwischen Warenein- und -ausgang, Lagern sowie Produktionsstätten auf. Umschlagen : Das Be- und Entladen von Fahrzeugen, das Sortieren von Fracht sowie das Ein- und Auslagern zählen zu den Umschlagprozessen. Diese bilden Verknüpfungspunkte zwischen den einzelnen Transportvorgängen im Rahmen des gebrochenen Verkehrs. Umschlagprozesse führen u.a. zu längeren Durchlaufzeiten sowie höheren Kosten. Mithilfe einheitlicher Ladegefäße bzw. Ladungsträger versucht man, diese Prozesse zu optimieren. Kommissionieren : Die Auftragszusammenstellung aus verschiedenen Artikeln in je nach Auftrag erforderlichen Mengen wird als Kommissionieren bezeichnet. Üblicherweise sind diese Mengen kleiner als eine artikelreine Lagereinheit (z.B. Palette) fasst. Dabei kommen verschiedenste Kommissionierungstechniken zur Anwendung. Lagern : Zu den Prozessen des Lagerns gehören das Einlagern, die Lagerung an sich sowie das Auslagern. Einlagerungsstrategien bzw. -techniken haben einen wesentlichen Einfluss darauf, wie schnell das Ein- und Auslagern jeweils durchgeführt werden kann (vgl. chaotische Lagerung). Unternehmensstrategie und Produktionsprozesse haben einen wesentlichen Einfluss auf die Höhe der Bestände sowie die Dauer der Lagerung. Verpacken : Die Verpackung dient in erster Linie dem Schutz des Produktes. Physikalische Einflüsse, wie Stoß, Erschütterung oder Hitze, könnten die inhaltliche Qualität des Produktes beeinträchtigen. Häufig muss auch die Umwelt vor dem Produkt geschützt werden. Daneben muss die Verpackung logistischen Ansprüchen (d.h. einfache und sichere Handhabung bei Transport, Umschlag, Lagerhaltung, Stapelbarkeit) gerecht werden. Dazu gehört auch eine effiziente Raumausnutzung beim Transport und im Lager. Die Verpackung erfüllt zudem eine Informationsfunktion. Darüber hinaus ist gegebenenfalls die Rückführung von Mehrwegverpackungen bzw. das Recycling von Packstoffen zu berücksichtigen. Verarbeiten von Informationen : Die Prozessplanung und -steuerung entlang der kompletten logistischen Kette setzt entsprechende Informationen voraus. Diese können als vorauseilende (vgl. Auftragsvorbereitung), begleitende (vgl. Sendungsverfolgung) oder nacheilende Informationen (vgl. Fakturierung) auftreten. 763 762 o.V.: Stichwort „Prozess“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 476 763 vgl. Fleischmann, Bernhard: Begriffliche Grundlagen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 6f <?page no="285"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 285 4.3.4 Logistische Leistungen und kritische Erfolgsfaktoren Logistische Leistungen können als Dienstleistungen betrachtet werden, die z.B. im Rahmen der Beschaffungslogistik und der Distributionslogistik angeboten und genutzt werden. Das Leistungsangebot ist dabei breit gefächert, und die Wahl eines geeigneten Logistikpartners gewinnt zunehmend an Bedeutung. Welche Dienstleistungen fragen Unternehmen nach? Transportleistungen Umschlagleistungen Lagerleistungen Serviceleistungen für Güter Abfertigungsleistungen Bereitstellung von Infrastrukturanlagen Serviceleistungen für Transportmittel Serviceleistungen für Personal kommerzielle Abfertigungsorganisation (Dokumente), schnittstellenkompatible Informationsleistungen national, international Be- und Entladung operative, kurz fristige bzw. mittel- und langfristige Lagerung, Kommissionierung, Distributionslagerung z.B. Terminals, Liegeplätze z.B. Ausrüstung, Reparaturservice, Energie- und Wasseranschlüsse, Entsorgung, Brennstofflieferungen medizinische/ kulturelle Betreuung, Unterbringung, Fahrzeugführer, Proviant Verpacken, Sortieren, Umpacken, Bildung von Ladeeinheiten, Markierungen, Signierungen Distributionsleistungen Abbildung 4-3 Welche Dienstleistungen werden nachgefragt? 764 Die Logistikleistung lässt sich demgegenüber nicht eindeutig definieren, sondern es können hierbei verschiedene Betrachtungsweisen zur Anwendung kommen. Weber unterscheidet dazu folgende: „ Sicherstellung der Verfügbarkeit im Unternehmen benötigter Ressourcen [...], vollzogene Raumund/ oder Zeitveränderung von Objekten [...], Durchführung eines Raumund/ oder Zeitveränderungsprozesses [...], Bereitstellung von logistischer Kapazität zur Durchführung von Lager- und Transportprozessen [...] .“ 765 Für die Logistikleistung ist auch die Bezeichnung Service üblich. 764 erstellt nach: Biebig, Peter; Althof, Wolfgang; Wagener, Norbert: Seeverkehrswirtschaft, München 2008, 220f 765 Weber, Jürgen: Stichwort „Logistikleistung“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 22.02.2020 <?page no="286"?> 286 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Logistikservice lässt sich definieren als „ die Leistungsfähigkeit eines Logistiksystems, charakterisiert durch die vom Empfänger (Nutzer) wahrgenommene Qualität von Lieferzeit, Lieferzuverlässigkeit, Lieferungsbeschaffenheit und Lieferflexibilität. “ 766 Logistikservice resultiert demnach aus mehreren Komponenten, die auch als kritische Erfolgsfaktoren gelten können: Die Lieferbzw. Wiederbeschaffungszeit entspricht der Zeitspanne von der Auftragserteilung bis zum Eintreffen der Ware, d.h. von der Auftragsbearbeitungszeit, über Lager-, Umschlags- und Transportprozesse bis hin zur Entladung und Bereitstellung beim Kunden. Auf die konkrete Lieferzeit hat das jeweilige Verkehrsmittel großen Einfluss, aber auch die Ablauforganisation. Grundvoraussetzung ist aber die Lieferbereitschaft bzw. -fähigkeit , die die Verfügbarkeit des Gutes beinhaltet. Als Kennzahl gibt die Lieferbereitschaft an, zu welchem Grad ein Lager innerhalb der festgelegten Lieferzeit lieferbereit ist. Liefertreue bzw. -zuverlässigkeit bezieht sich auf die Termineinhaltung bei Kundenaufträgen und setzt eine rechtzeitige und vollständige Auftragsbearbeitung voraus. Bei entsprechend hoher Lieferbereitschaft lassen sich Bestände reduzieren. Die Lieferbeschaffenheit bzw. -qualität beschreibt, in welchem Zustand die gelieferte Fracht beim Kunden ankommt. Eine hohe Lieferqualität erfordert die exakte Erfüllung des Kundenauftrags hinsichtlich der Art der Ware, der gelieferten Menge, der Qualität und des Zustandes (z.B. durch Beschädigung) beim Eintreffen. Lieferflexibilität beinhaltet die Anpassungsfähigkeit des Lieferanten an Kundenwünsche, z.B. in Bezug auf Abnahmemengen, Abnahmezeitpunkt, Verpackung und Versand sowie den Umgang mit Reklamationen. 767 Ergänzt wird der Logistikservice durch die Informationsfähigkeit , die sich auf die jederzeitige und kompetente Auskunft z.B. über die Ware, die Lieferfähigkeit, den Bestellstatus bezieht. 768 Ein weiterer kritischer Erfolgsfaktor sind die Kosten. In Abhängigkeit von den Prozessen lassen sich Logistikkosten unterscheiden in Lagerhaltungskosten, Depotkosten, Verpackungs- und sonstige Handhabungskosten, Transportkosten sowie Informationskosten. 766 Krieger, Winfried: Stichwort „Logistikservice“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 22.02.2020 767 vgl. Miebach, Joachim: Stichwort „Lieferservice“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 327; o.V.: Stichwort „Lieferbereitschaft“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 326; o.V.: Stichwort „Lieferzeit“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 327f; o.V.: Stichwort „Lieferqualität“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 327 768 vgl. Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 13 <?page no="287"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 287 Depotkosten Lagerhaltungskosten Transportkosten Verpackungs- und sonstige Handhabungskosten Informationskosten Sta nd der La gerte chni k Werts truktur der La gergüter Sta nda rdi s i erung Kommuni ka ti ons te chnol ogi e Se ndungs größe Kostenfaktoren im Logistiksystem Li eferfre que nz La gers tufe n Verhä l tni s : Gewi cht/ Vol ume n zum Wert Toure nl ä nge Größe und Zus a mme ns etzung de s Fuhrpa rks Verke hrs trä ger Tra ns portnetz Gefä hrl i chkei t Gra d der Automa ti s i erung Ums chl a gs hä ufi gkei t Conta i neri s i erung Automa ti s i erungs gra d Vernetzung Struktur und Proze s s der Auftra gs a bwi ckl ung Stufi gkei t de s De pots ys tems Ka pa zi tä te n De pots ta ndorte De pota nza hl Ze ntra l i tä t Sel e kti vi tä t Gra d der Li eferberei ts cha ft La gerums chl a g Be s tel l pol i ti k Höhe der Si cherhei ts be s tä nde Abbildung 4-4 Kostenfaktoren 769 4.3.5 Bildung logistischer Netzwerke Im Rahmen der Bildung logistischer Netzwerke geht es darum, „ die geografische und logische Verteilung und Vernetzung der Transport-, Umschlags- und Lagerungsprozesse sowie die zugehörigen Informationsprozesse “ 770 festzulegen. Damit wird eine logistische Struktur geschaffen, die sich durch Quelle-Senke-Beziehungen definiert und in Form von Knoten und Kanten dargestellt 769 modifiziert nach: Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Management, München/ Wien 2001, 251 770 o.V.: Logistische Verknüpfungen mit System, http: / / www.dhl-discoverlogistics.com, 15.12.2013 <?page no="288"?> 288 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen werden kann. 771 Bei der konkreten Gestaltung logistischer Netzwerke spielen verschiedene Entscheidungskriterien eine Rolle, so z.B. die Güter bzw. das Sortiment, die durchschnittliche Sendungsgröße, die angestrebte Lieferbereitschaft, die Höhe der Bestände, die Lagerkosten, die Struktur des Absatzgebietes, die Verkehrslage, die entstehenden Transportkosten zwischen Quelle und Senke bzw. einzelnen Lagern sowie die Entwicklung der Nachfrage. 772 Betrachtet man die Wege, die Güter in logistischen Netzwerken nehmen, kann in direkte und indirekte Wege differenziert werden: Der direkte Weg folgt dem logistischen Leitbild der Flussorientierung und gestattet so z.B. auch die Realisierung von Just-in-time-Konzepten. Dabei wird das Gut direkt vom Produzenten an den Abnehmer geliefert. Der indirekte Weg beinhaltet eine Unterbrechung des Güterflusses, z.B. um Gütermengen zu bündeln oder aufzulösen. Dadurch lassen sich Kostenvorteile erzielen, indem beispielsweise größere Transportlose realisiert werden können. 773 Die Nutzung indirekter Wege samt Güterbündelung bzw. -auflösung dient vor allem der Reduzierung der Transportkosten. Die für die Nutzung eines bestimmten Fahrzeugs auf einer bestimmten Relation anfallenden Kosten differieren nur wenig in Abhängigkeit von der transportierten Menge. Das heißt, eine hohe Kapazitätsauslastung führt zu Kostenvorteilen. Es darf aber nicht vernachlässigt werden, dass bei der Bündelung im Vergleich zum Direkttransport zusätzliche Umschlagvorgänge erforderlich sind bzw. Umwege und Wartezeiten entstehen können, die ihrerseits Kosten verursachen. 774 Im Rahmen der Güterbündelung können verschiedene Arten unterschieden werden: Eine zeitliche Bündelung liegt bei einer Bestandsbündelung vor. Sie dient dazu, bestimmte Transportlose zu erreichen und gegebenenfalls die dieserart gebündelten Güter zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuliefern. Eine räumliche Bündelung kann zum einen durch eine Fahrzeugbündelung erzielt werden. Voraussetzung ist dabei eine effiziente Tourenplanung. Zum anderen lässt sich auch eine Umschlagslagerbündelung vornehmen, wobei im Umschlagslager eine Sortierung der Güter erfolgt, die anschließend auf neue Fahrzeuge verladen werden. 775 Ausgehend davon lassen sich verschiedene Strukturen logistischer Netzwerke unterscheiden: Im einstufigen System wird eine Raum-/ Zeitüberbrückung durch einen direkten Güterfluss zwischen der Quelle (Bereitstellung der Güter) und der Senke (Verwendung der Güter) realisiert. Ziel dabei ist, den Güterfluss nicht zu unterbrechen und keine zusätzlichen Lager- und Bewegungsprozesse zu verursachen. Im mehrstufigen System liegt eine Raum-/ Zeitüberbrückung durch einen indirekten Güterfluss zwischen Quelle und Senke vor. Dabei wird der Güterfluss mindestens einmal unterbrochen, und es werden zusätzliche Lagerungs- und Bewegungsprozesse durchgeführt. Dies zielt darauf ab, den Güterfluss aufzulösen oder zu konzentrieren. An einem Auflösungspunkt (Break 771 vgl. Muchna, Claus; Brandenburg, Hand; Fottner, Johannes; Gutermuth, Jens: Grundlagen der Logistik, Wiesbaden 2018, 120 772 vgl. Pfohl, Hans-Christian: Logistiksysteme, Heidelberg u.a. 2010, 116f 773 o.V.: Güterfluss im Logistiknetzwerk, http: / / www.dhl-discoverlogistics.com, 15.12.2013 774 vgl. Fleischmann, Bernhard: Begriffliche Grundlagen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 13 775 o.V.: Güterfluss im Logistiknetzwerk, http: / / www.dhl-discoverlogistics.com, 15.12.2013 <?page no="289"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 289 Bulk Point) kann eine Mengenauflösung, an einem Konzentrationspunkt (Consolidation Point) eine Bündelung, Sammlung bzw. Sortierung von Gütern vorgenommen werden. 776 Darüber hinaus sind Kombinationen dieser Varianten möglich. Die Leistungsfähigkeit logistischer Netzwerke hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu zählen die betriebliche Ausstattung, die Flexibilität, die Zuverlässigkeit der Zulieferbetriebe und Vertragsfirmen und natürlich auch die Transportkosten. 4.3.6 Transportmuster Transportabläufe in Industrie- und Handelsnetzen können unterschiedlichen Mustern folgen (siehe folgende Abbildung). Welches Muster gewählt wird, hängt zum einen von den Sendungsgrößen und der Entfernung zwischen Versendern und Empfängern ab, zum anderen von der Anzahl der Quellen und Senken im Netz. Schließlich spielt auch die Vertragsgestaltung, insbesondere die Regelung der Kostenübernahme, eine Rolle. 777 La dungs verke hr Ums chl a gpunkt Tei l l a dungs verke hr Fl ä che nvertei l ung ("Mi l krun") Quel l ge bi ets kons ol i di erung Cros s Docki ng Abbildung 4-5 Transportmuster 778 Unter Ladungsverkehr versteht man Verkehre, bei denen das Transportgut das Verkehrsmittel entweder volumen- oder gewichtsbezogen vollständig auslastet. Umschlagvorgänge finden dabei nicht statt. Dadurch können Direktverkehre vom Versender zum Empfänger durchgeführt werden. Teilladungsverkehr bedeutet demgegenüber, dass das Verkehrs- 776 vgl. Pfohl, Hans-Christian: Logistiksysteme - Betriebswirtschaftliche Grundlagen, Berlin 2018, 5f o.V.: Logistische Verknüpfungen mit System, http: / / www.dhl-discoverlogistics.com, 15.12.2013 777 vgl. Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 305 778 modifiziert nach: ebd., 306 <?page no="290"?> 290 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen mittel nur teilweise ausgelastet ist. Um eine bessere Auslastung zu erzielen bzw. Direktverkehre durchführen zu können, sind ergänzend Teilbzw. Sammelladungen aufzunehmen, was eine zusätzliche Disposition erfordert. 779 Ladungsverkehr kann auf der Straße, auf der Schiene, auf dem Wasserweg oder in der Luft durchgeführt werden. Auch eine Verknüpfung der Verkehrsträger ist im Rahmen des kombinierten Verkehrs realisierbar. Zum Einsatz kommen dabei üblicherweise Sattelauflieger, Wechselaufbauten oder Container. Milkruns können als Sonderform des Direkttransports bezeichnet werden. Milkrun-Konzepte basieren auf einer festgelegten Route mit einem festgelegten Zeitplan. Dabei werden mehrere Quellen, an denen Fracht aufgenommen wird, sowie mehrere Empfänger angefahren, bei denen die Auslieferung erfolgt. Kombiniert werden kann dies mit der Rückführung von Leergut. Da es sich hierbei oft um kleinere Sendungen handelt, kommen häufig auch kleinere Fahrzeuge zum Einsatz. 780 Milkrun-Touren werden entweder regelmäßig nach einer festen Reihenfolge (z.B. im Einzelhandel zur Belieferung von Verkaufsstellen) durchgeführt oder aber unterliegen durch unterschiedliche Transportaufträge Schwankungen, so dass jeweils neu disponiert werden muss. 781 Durch Milkruns können Transporte verknüpft und damit aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht optimiert werden. Durch die Regelmäßigkeit der Transporte entsteht eine gleichmäßige Auslastung der Fahrzeuge sowie eine höhere Anlieferfrequenz. Transportzeiten und -kosten lassen sich senken. Umschlagvorgänge werden vermieden, Lagerbestände verringert, womit auch die Kapitalbindungskosten sinken. Milkruns lassen sich auch in Just-in-time-Konzept einbinden. 782 Grundvoraussetzung zur Realisierung von Milkruns ist eine entsprechende Koordination zwischen Versendern und Empfängern, insbesondere auch bezüglich der für Abholung und Anlieferung zur Verfügung stehenden Zeitfenster. Zudem sollte ein stabiles Transportvolumen bzw. -gewicht gegeben sein. Wirtschaftlich sinnvoll sind Milkruns bis zu einem Radius von ca. 80-100 km. 783 Als eine Variante des Milkrun-Konzeptes gelten Break-Bulk- oder Transshipment-Modelle. Ein Break Bulk Point oder Transshipment Point ist ein „ Netzknoten, der als dezentraler, kundennaher Umschlagpunkt fungiert “ 784 , und dabei Fern- und Nahverkehr verbindet. Diese Umschlagpunkte verknüpfen Hauptläufe und flächige Zustellverkehre in der Region. Große Gütermengen werden hier aufgelöst und in kleineren Mengen bzw. neuen Zusammenstellungen 779 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München 2008, 166 780 vgl. Wannenwetsch, Helmut: Integrierte Materialwirtschaft, Logistik und Beschaffung, Berlin/ Heidelberg 2014, 635 781 vgl. Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 307 782 vgl. Wannenwetsch, Helmut: Integrierte Materialwirtschaft, Logistik und Beschaffung, Berlin/ Heidelberg 2014, 636 783 vgl. Flämig, Heike: Stichwort „Milkrun“, http: / / www.forschungsinformationssystem.de, 22.05.2020 784 Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 308f <?page no="291"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 291 gebündelt und anschließend zum Empfänger transportiert. 785 Im Handel sind solche Umschlagpunkte in Cross-Docking-Konzepten von Bedeutung. Eine weitere Variante des Milkrun-Konzeptes, kombiniert mit Ladungstransporten, ist die Quellgebietskonsolidierung . Als Sonderform davon ist das Gebietsspeditionskonzept zu verstehen. Beim Gebietsspeditionskonzept handelt es sich um ein vertikales Kooperationsmodell zwischen einem Unternehmen, (einem Teil seiner) Lieferanten sowie einem Logistikdienstleister. Dieser Logistikdienstleister wird als Gebietsspediteur aktiv und führt dabei Transporte zwischen dem Unternehmen und den Lieferanten in einem regional begrenzten Bereich durch. Dabei werden die Sendungen (wie bei einem Milkrun) bei den Lieferanten eingesammelt, anschließend zu einem Umschlagpunkt gebracht und von dort gebündelt zum Unternehmen transportiert. 786 Dadurch lassen sich die Verkehrsmittel besser auslasten und folglich die Transportkosten senken. Ebenso können die Steuerung des Transportprozesses und die Warenannahme für den Empfänger vereinfacht werden. Während der Vorlauf üblicherweise mit Lkw durchgeführt wird, bietet sich im Hauptlauf - bei entsprechenden Mengen und Relationen - auch der Schienenverkehr an. 787 Cross Docking stellt eine lagerlose Warenumschlagsart dar, bei der von verschiedenen Lieferanten eingehende, oft kleinere Sendungen in sogenannten Cross Docks vorkommissioniert und in günstig ausgelasteten Lkw dem Empfänger zugestellt werden. Das Lager dient hier nicht zur Lagerung, sondern lediglich als Umschlagpunkt. 788 Insbesondere im Handel werden Cross-Docking-Konzepte eingesetzt. Durch die Kommissionierung im Cross Dock werden aus lieferantenreinen lieferantenübergreifende Transporte. Anders als beim Transshipment-Konzept sind hierbei sowohl einals auch ausgehende Transporte dem Ladungsbzw. Teilladungsbereich zuzuordnen. 789 Platzsparende Cross Docks Cross-Docking-Zentren beanspruchen große Flächen und werden v.a. außerhalb von Ballungszentren angelegt. Die intermodale Anbindung ist dort nicht immer optimal. Verkehrsmittel, die diese Zentren erreichen wollen, müssen außerdem lange Wege zurücklegen. Aus diesen Gründen wurde nach Lösungen gesucht, um Cross-Docking-Konzepte bei reduziertem Flächenverbrauch umsetzen zu können. Ermöglicht werden soll dies durch die Errichtung mehrerer Ebenen, die jeweils an den Stirnseiten der Gebäude über Ladetore verfügen und über Portalkräne erreichbar sind. An den Längsseiten der Gebäude führen Straßen, Schienen und Wasserstraßen entlang. Im Gebäude werden die Ladungen bewegt, kommissioniert und 785 vgl. o.V.: Stichwort „Break Bulk Point“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 87; o.V.: Stichwort „Transshipment-Punkt“, in: Klaus, Peter; Krieger, Winfried; Krupp, Michael (Hrsg.): Gabler Lexikon Logistik, Heidelberg 2012, 593 786 vgl. Flämig, Heike: Stichwort „Gebietsspediteure“, http: / / www.forschungsinformationssystem.de, 22.05.2020 787 vgl. Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 327; Fleischmann, Bernhard: Begriffliche Grundlagen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 14 788 vgl. Tiedemann, Sinja-Katharina; Boysen, Nils: Design und Betrieb von Cross Docks, Jena 2009, 1 789 vgl. Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 313f <?page no="292"?> 292 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen palettiert. Der horizontale Transport erfolgt hier über Gabelstapler oder automatisiert, vertikal ausschließlich automatisch. 790 Durch die Schaffung kooperativer Strukturen versucht man, Gütertransporte in Hinblick auf Abläufe, Schnittstellen, Kosten usw. bestmöglich zu gestalten. Güterverkehrszentren (GVZ) sind i.d.R. am Rande von Ballungsgebieten gelegene große Umschlagpunkte zur Optimierung v.a. transportlogistischer Prozesse. GVZ haben eine Schnittstellenfunktion, denn sie verbinden zum einen Nah- und Fernverkehr, zum anderen verschiedene Verkehrsträger. 791 Diese oft flächenintensiven Standorte verfügen über entsprechende Umschlageinrichtungen und vereinen verschiedene Logistikdienstleister sowie einschlägige Servicebetriebe (vgl. z.B. Verpackung, Kommissionierung, Verzollung). Durch die Etablierung von GVZ lassen sich verschiedene positive Effekte erzielen. Sie können durch eine Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur einen Standort aufwerten und tragen durch ihre Bündelungsfunktion zur Reduzierung des innerstädtischen Güterverkehrs bei. Zudem können sie eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene unterstützen. Als schwierig erweisen sich hier oft die Organisation und auch der Abgleich der unterschiedlichen Interessen der einzelnen Akteure. Auch negative raumwirtschaftliche Effekte (vgl. Flächenverbrauch, Verkehrsaufkommen) können auftreten. 792 Güterverkehrszentren in Deutschland Nachdem 1985 das erste GVZ in Bremen in Betrieb genommen worden war, entwickelte sich schrittweise ein fast flächendeckendes Netz mit 35 Standorten in Deutschland, das das größte seiner Art in Europa ist. Als entscheidender Erfolgsfaktor hat sich dabei die flächendeckende Einrichtung von KV-Terminals erwiesen. Diese stellen eine wesentliche Säule des kontinentalen kombinierten Verkehrs und z.T. auch des maritimen Verkehrs dar. Dadurch lassen sich insbesondere positive Effekte in Bezug auf die Emissionsreduktion erzielen. Auch raumplanerisch sind Erfolge zu verzeichnen, nämlich dort, wo es gelungen ist, Logistikanlagen aus Gebieten mit großen Nutzungskonflikten herauszulösen und in den GVZ anzusiedeln. Durch die Lage von GVZ am Rand von Verdichtungsräumen können Fernverkehre dort konzentriert werden. 793 Auch die Belieferung in Innenstädten gestaltet sich oft problematisch. Parkraum ist knapp, Verkehrsberuhigungsmaßnahmen erschweren die Anfahrt bzw. schließen sie zu bestimmten Zeiten komplett aus. 790 vgl. Steffens, Karl-Georg; Zarle, Alexander: Flächeneinsparung durch kompakte Cross-Docking Center, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2013, 28 791 vgl. Fleischmann, Bernhard; Kopfer, Herbert: Systeme der Transportlogistik, in: Tempelmeier, Horst (Hrsg.): Begriff der Logistik, logistische Systeme und Prozesse, Berlin 2018, 27 792 vgl. Cardeneo, Andreas: Straßengüterverkehr, Speditionen, Logistikdienstleistungen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 733; Fleischmann, Bernhard: Begriffliche Grundlagen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 17f 793 vgl. Nestler, Steffen; Nobel, Thomas: Ausgezeichnete Logistikstandorte, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2013, 21f <?page no="293"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 293 Das Konzept der City-Logistik beinhaltet die Bündelung von Transportströmen für Innenstadtlagen. Die Umschlagpunkte dazu befinden sich an der Stadtgrenze. 794 Üblicherweise erhalten Kunden in Innenstädten eher kleinere Sendungen. Durch deren Bündelung lassen sich Fahrzeuge besser auslasten. Ebenso sind Tourenverdichtungen möglich. Ferner kann damit eine Reduzierung der Lärm- und Schadstoffemissionen in den Innenstädten realisiert werden. 795 „Cargohopper“ für die letzte Meile Cargohopper ist ein innovatives City-Logistik-Konzept, das 2009 in Utrecht eingeführt und auch auf Enschede (2013) und Amsterdam (2014) übertragen wurde. Beim Cargohopper handelt es sich um eine elektrisch betriebene Zugmaschine mit mehreren Anhängern. Diese erreichen ein bis zu achtmal höheres Ladevolumen als ein klassisches leichtes Lieferfahrzeug. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/ h, die Reichweite max. 30 km. Von einem Distributionszentrum, das am Rand der Stadt eingerichtet wurde, wird die Fracht (Expresslieferungen und andere Pakete) zunächst gebündelt zu einem weiteren Distributionszentrum in Innenstadtnähe gebracht und von dort aus mit dem Cargohopper in der Innenstadt ausgeliefert. Täglich werden etwa 60-100 Adressen bedient. Retour zum Distributionszentrum fährt der Cargohopper nicht leer, sondern transportiert leere Verpackungen. 796 Dem großen Problem nicht ausgelasteter Fahrzeuge bzw. der Vermeidung von Leerfahrten versuchen Frachtbörsen zu begegnen. Fracht- oder Transportbörsen dienen der besseren Verteilung von Transportkapazitäten am Markt. Dabei werden Ladungen bzw. Laderaum vermittelt und dieserart Verlader und Frachtführer zusammengebracht. 797 Dadurch lassen sich einerseits Fahrzeuge besser auslasten und gegebenenfalls die Anzahl der Leerfahrten verringern; andererseits erhöhen sie durch die Bündelung von Angebot und Nachfrage die Transparenz am Frachtenmarkt und reduzieren den Zeit- und Kostenaufwand bei der Suche nach geeigneten Ladungen bzw. Kapazitäten. 798 794 vgl. Cardeneo, Andreas: Straßengüterverkehr, Speditionen, Logistikdienstleistungen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 733 795 vgl. Fleischmann, Bernhard: Begriffliche Grundlagen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 17 796 vgl. van Winden, Willem; Oskam, Inge; van den Buuse, Daniel; Schrama, Wieke; van Dijck, Egbert-Jan: Organising Smart City Projects - Lessons from Amsterdam, Amsterdam 2016, 45ff; Cargohopper, http: / / www.cargohopper.nl, 24.01.2014; Gemeente Utrecht: Sustainable Freight Transport in Utrecht, http: / / www.cities-for-mobility.org, 24.01.2014 797 vgl. Schulte, Christof: Logistik, München 2017, 384 798 vgl. Wannenwetsch, Helmut: Integrierte Materialwirtschaft, Logistik und Beschaffung, Berlin/ Heidelberg 2014, 228 <?page no="294"?> 294 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen 4.3.7 Lagerhaltung, -stufen und -standorte Lagerhaltung umfasst alle die Einlagerung, die Bereithaltung und die Auslagerung sowie darüber hinaus den Umschlag, die Kommissionierung und die Verpackung betreffenden Aufgaben. 799 Die Vorteile einer kürzeren Lagerdauer sind selbstredend: geringerer Kapitalbedarf, weniger Zinskosten, niedrigere sonstige Lagerkosten, verbesserte Wettbewerbsposition, höhere Wirtschaftlichkeit und steigende Rentabilität. Risiken wie Qualitätsminderung durch Alterung, Schwund oder Nachfragewandel kann so vorgebeugt werden. Doch auch Bestände weisen Vorteile auf: So ermöglichen sie eine reibungslose und wirtschaftliche Produktion sowie eine hohe Lieferbereitschaft. Die Produktionskapazitäten können konstant ausgelastet werden. Fehlmengenkosten werden reduziert. 800 Die Ziele der Lagerhaltung sind insgesamt vielfältig: Größendegressionseffekte Beschaffungslager : Erzielen von Mengenrabatten bei Lieferanten oder günstiger Transportkonditionen beim Spediteur Distributionslager : Erzielen günstiger Konditionen für größere Transportmengen Produktionslager : Senken der Produktionsstückkosten durch größere Produktionslose saisonale Schwankungen Konsumgüter mit saisonaler Nachfrage: Ausgleich von Nachfrageschwankungen landwirtschaftliche Güter: Ausgleich von saisonalen Angebotsschwankungen spezialisierte Produktion Senkung der Produktionskosten durch Spezialisierung Bevorratung, wenn keine einsatzsynchrone Anlieferung der Teile möglich Preisspekulation Einlagerung von Gütern bei erwartetem Preisanstieg oder erwarteter Knappheit (z.B. durch Streik, Produktionsstopp) Schutz vor Unsicherheit bei (noch) unsicherer Produktionsmenge, unsicherer Nachfrageprognose, langen Transportwegen oder unsicheren Lieferanten Tabelle 4-1 Ziele der Lagerhaltung 801 Ein Lager ist ein „ Knoten in logistischen Systemen [...], in dem Güter vorübergehend gelagert und häufig in ihrer Mengenzusammensetzung (Kommissionierung) verändert werden. Lager übernehmen sowohl die Funktion von Liefer- und Empfangspunkten, als auch von Auflöse- und Konzentrationspunkten. “ 802 799 vgl. Vastag, Alex: Distribution, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 407 800 vgl. Wannenwetsch, Helmut: Integrierte Materialwirtschaft, Logistik und Beschaffung, Berlin/ Heidelberg 2014, 295 801 erstellt nach: Pfohl, Hans-Christian: Logistiksysteme - Betriebswirtschaftliche Grundlagen, Berlin 2018, 100f 802 Krieger, Winfried: Lager, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 22.05.2020 <?page no="295"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 295 Nach ihrer Hauptfunktion können Lager in Vorratslager, Umschlagslager und Verteilungslager klassifiziert werden. Vorratslager i.d.R. Zuordnung zu einem Produktionsbetrieb Lagerung von für Produktion benötigten Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffen und Halberzeugnissen Lagerung saisonabhängiger Fertigerzeugnisse Umschlagslager kurzfristige Lagerung von Gütern zwischen Umschlag von einem Transportmittel zum anderen häufiges Vorkommen bei Logistikdienstleistern und Handelsunternehmen (siehe auch „Cross Docking“) Verteilungslager Änderung der Zusammensetzung des Güterflusses Unterscheidung in zentrale Lager sowie regionale oder lokale Verteilungslager (Zulieferungslager für Güter verschiedener Lieferanten bzw. Auslieferungslager für Güter aus der eigenen Produktion) Tabelle 4-2 Hauptfunktionen von Lagern 803 Ausgehend von diesen Funktionen werden Entscheidungen zu Standorten und Lagertechniken getroffen. Bei der Planung einer Distributionsstruktur gilt es u.a. zu klären, wie viele Lager bzw. Lagerstufen erforderlich sind, an welchen Standorten diese Lager errichtet und inwiefern bestimmte Kunden, Produkte bzw. Absatzgebiete diesen Lagern zugeordnet werden sollen. Dabei sind weitere Entscheidungskriterien zu berücksichtigen: „ die angestrebte Lieferbereitschaft, die Produktionsstandorte, die Struktur des Absatzgebiets, die Nachfrageentwicklung, die Verkehrslage, die Transportkosten zwischen den Lägern, die Auslieferungskosten an den Kunden, das Sortiment, die Lagerkosten, die Höhe der Bestände, die Bestellmengen und -häufigkeiten aufseiten der Kunden “. 804 Auch hierbei stellt sich die Make-or-Buy-Frage bzw. die Frage nach einem Eigen- oder Fremdlager . Diesbezügliche Entscheidungskriterien sind: die Investitionskosten, die laufenden Lagerkosten (Einrichtung, Automatisierungsgrad, Lagerauslastung), Know-how (Lagerorganisation, Personal), die Abhängigkeit (bei Fremdlagern), Prestige sowie der Informationsfluss. 805 Im Rahmen der vertikalen Lagerstruktur können vier Lagerarten unterschieden werden, die folgende Abbildung zeigt. 803 erstellt nach: o.V.: Funktionen des Lagerhauses, http: / / www.dhl-discoverlogistics.com, 15.12.2013 804 Käber, André: Warehouse Management mit SAP® ERP, Bonn 2013, 33 805 vgl. Ehrmann, Harald: Logistik, Herne 2011, 213f <?page no="296"?> 296 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen 1. Stufe Fa bri k mi t Werks l a ger 2. Stufe Ze ntra l l a ger 3. Stufe Re gi ona l l a ger 4. Stufe Aus l i eferungs l a ger Endkunde n Kunde n Kunde n Kunde n Kunde n 1. Stufe: Werkslager Aufnahme der Fertigwaren dienen dem kurzfristigen Mengenausgleich 2. Stufe: Zentrallager i.d.R. ein Zentrallager, bei Großunternehmen sehr geringe Anzahl Aufnahme der gesamten Sortimentsbreite dienen der Auffüllung der Bestände auf nachgeordneten Stufen teure und selten benötigte Waren i.d.R. nur im Zentrallager → Direktauslieferung von hier 3. Stufe: Regionallager enthalten Teile des Sortiments dienen als Puffer zwischen Produktion und Absatzmarkt innerhalb einer Region 4. Stufe: Auslieferungslager dezentral und kundennah dienen der Zusammenstellung (Kommissionierung) der von Kunden georderten Artikel eines Auftrages und der Bereitstellung der Kommission zur Auslieferung vorzugsweise absatzstarke Artikel, Schnelldreher mit großem Lagerumschlag und kurzen Verweilzeiten Abbildung 4-6 Strukturen von Distributionssystemen 806 Der Zentralisierungsgrad von Lagersystemen hängt von verschiedenen Aspekten ab: so z.B. dem Sortiment, der angestrebten Lieferzeit, dem Wert der Produkte, der Konzentration auf Produktionsstätten, der Kundenstruktur sowie nationalen Eigenheiten. 807 806 modifiziert nach: Schulte, Christof: Logistik, München 2013, 472; Vastag, Alex: Distribution, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 421f 807 vgl. Schieck, Arno: Internationale Logistik, München 2008, 430 <?page no="297"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 297 Zentrallager eignen sich demnach bei breiten Sortimenten, ausreichenden Lieferzeiten, teuren Produkten, der Konzentration auf eine Quelle, einer Kundenstruktur mit wenigen Großkunden sowie wenigen nationalen Besonderheiten, die es zu berücksichtigen gilt. Demgegenüber sind Regionallager geeignet bei eher schmalen Sortimenten, der Notwendigkeit einer möglichst schnellen Belieferung, preiswerten Produkten, dem Vorhandensein vieler Quellen, einer auf vielen und kleinen Kunden basierenden Kundenstruktur sowie vielen zu beachtenden nationalen Besonderheiten. 808 Dominierten v.a. im Konsumgüterbereich einst die mehrstufigen Distributionssysteme, so ist man hier insbesondere aus Kostengründen schrittweise zu einer Zentralisierung der Lager übergegangen. Eine Zentralisierung bietet verschiedene Effekte: Die wenigen Standorte lassen sich einfacher organisieren und vereinheitlichen. Sicherheitsbestände und damit auch Lager- und Kapitelbindungskosten können reduziert werden. Um die Transportkosten in einem akzeptablen Rahmen zu halten, sind Warenströme zu bündeln. Durch größere zu bewältigende Mengen können produktivere Lager- und Kommissioniertechniken eingesetzt werden. Durch die Konzentration auf wenigere Standorte lässt sich Know-how zusammenfassen, Synergieeffekte können besser genutzt werden. 809 Als zentrales Problem haben sich vor allem auch die Kosten der Lagerhaltung erwiesen. Es fallen vielfältige Kosten an, die sich aber durch geeignete organisatorische oder technische Maßnahmen reduzieren lassen: Bestandteile Maßnahmen zur Kostenreduktion (Auswahl) Bestandskosten Kapitalbindungskosten Versicherung gegen Feuer und Diebstahl Schwund Verkleinerung der Lagermenge pro Artikel Sortimentsbereinigung Erhöhung der Umschlagshäufigkeit Baukastenprinzip der Produkte Bevorratungsstrategie von Just in time Aufträge auf Abruf, Kleinkunden auf Effektivität überprüfen Personalkosten Kosten für Ein-, Um- und Auslagern, Personalschulung, Bedienung Transportmittel Lagerverwaltung, Bestandsführung, Inventur Erhöhung des Mechanisierungsgrades Verringerung von Kommissionierung und Umpackung Reduzierung von Kommissionierzeiten rechnergestützte bedarfs- und verbrauchsbezogene Bestandsführung/ Inventur Betriebskosten der Betriebsmittel Lagereinrichtung, Lagerhilfsmittel Transportmittel, Transporthilfsmittel Reduzierung von Lagerhilfsmitteln, Änderung von Lagerbediengeräten Bildung von Lagereinheiten, Einsatz genormter Lagerhilfsmittel 808 vgl. Vahrenkamp, Richard: Logistik, München 2017, 107 809 vgl. Vastag, Alex: Distribution, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 412f <?page no="298"?> 298 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Fortsetzung Bestandteile Maßnahmen zur Kostenreduktion (Auswahl) Betriebskosten der Betriebsmittel Einsatz entsprechender Lagersysteme hohe Auslastung Gebäudekosten (Flächenkosten für Lagerung im Freien) Abschreibung, Verzinsung Heizung, Lüftung, Beleuchtung Inspektion, Wartung und Instandsetzung Versicherung, Gebäudeverwaltung Reduzierung von Hallenfläche, Auflösung von Mietlagern Senkung von Heizkosten Zentralisierung der Lagerbereiche hoher Flächen- und Raumnutzungsgrad Erreichen hoher Umschlagleistung Sonstige Kosten Wertverlust z.B. durch Alterung, Beschädigung, Diebstahl, Schwund Tabelle 4-3 Lagerhaltungskosten und Maßnahmen zur Kostenreduktion 810 Den mit der Lagerhaltung verbundenen Kosten versucht man häufig mit einer minimierten Lagerhaltung bzw. der Verlegung des Lagers auf die Straße zu begegnen (vgl. Just-in-time-Logistik). Der verstärkte Einsatz solcher logistischen Konzepte hat nicht nur zu einer Zunahme des Lkw- Verkehrs geführt, sondern auch zu einer Veränderung von dessen Funktion beigetragen: „ Schlagworte wie ‚Rollende Läger‘ und ‚Just in time‘ deuten die Verschiebung vom bloßen raumüberwindenden Transport zur raum-zeit-beherrschenden Logistik an. Die Überbrückungsfunktionen des Verkehrs werden also wesentlich komplexer: neben der Raumüberbrückung gewinnt vor allem der Zeitausgleich zwischen unterschiedlichen Zeitstrukturen von Produktions- und Marktprozessen eine zunehmende Bedeutung. “ 811 Ziel einer logistischen Rationalisierung ist meist eine Kosteneinsparung. Im Rahmen dessen wird überprüft, inwiefern es möglich ist, Lagerhaltung durch Transport bzw. Eigenfertigung durch Fremdfertigung zu ersetzen. Insbesondere die Just-in-time-Fertigung, durch die „ gewissermaßen die hohen Lagerhaltungskosten über den Transport auf die öffentliche Infrastruktur, die Umwelt und die städtischen Lebensräume abgewälzt “ 812 werden, wird verstärkt eingesetzt. Unter Just-in-time-System wird eine bestandsminimale Fertigung bzw. Zulieferung von Teilen, z.B. für Montageprozesse, verstanden. Hiermit lässt sich insbesondere die Kapitalbindung reduzieren. 810 erstellt nach: Martin, Heinrich: Transport- und Lagerlogistik, Wiesbaden 2016, 357f 811 Läpple, Dieter: Grenzen der Automobilität, in: Prokla, Heft 107, Nr. 2/ 1997, 210 812 ebd., 211 <?page no="299"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 299 Dieses verbrauchsorientierte Fertigungssteuerungssystem basiert auf spezifischen Gestaltungsformen der Werkstatt- und Materialflussstrukturen. Es wurde bei Toyota entwickelt und schrittweise unter dem Begriff Kanban umgesetzt. Just in time stellt an fast alle betrieblichen Funktionen hohe Anforderungen; diese müssen dementsprechend in ein umfassendes Logistik-Konzept eingebunden werden (vgl. Beschaffungslogistik, Produktionslogistik, Distributionslogistik). Des Weiteren ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Lieferanten und deren Einbindung in die eigenen betrieblichen Prozesse notwendig. Produktionsstandorte müssen überprüft werden, um die Transportwege - auch zum Kunden - zu minimieren und Rüstzeiten in der Produktion müssen gesenkt werden, um schneller reagieren zu können. Mögliche Folgen dieser Entwicklungen fasst folgende Abbildung zusammen: Moderne logistische Konzepte Raumüberbrückung Zeitausgleich Subs ti tuti on der La gerha l tung durch Tra ns port Produkti ons proze s s e Di s tri buti ons proze s s e Ma rktproze s s e Just in time Vorteile Nachteile a bne hme nder Be da rf a n Produkti ons fl ä che s chnel l e Re a kti on a uf Kunde nwüns che mögl i ch we ni ger ge bunde ne s Ka pi ta l s i nke nde La gerkos te n kei ne "Puffer" große Abhä ngi gkei t vom Li efera nte n Abhä ngi gkei t von ä ußere n Ei nfl üs s e n (z.B. Sta u) Abwä l zung der La gerha l tungs kos te n öffe ntl i che Infra s truktur s tä dti s che Le be ns rä ume Umwel t Abbildung 4-7 Entwicklungen in der Industrie 813 Kritikern dieses Konzepts kann entgegengehalten werden, dass durch Just-in-time-Konzepte eine Bündelung der Transportströme erfolgt und auf kürzere Entfernungen zwischen Quelle und Senke 813 erstellt nach: Läpple, Dieter: Grenzen der Automobilität, in: Prokla, Heft 107, Nr. 2/ 1997, 211; Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Management im internationalen Kontext, München 2009, 112ff <?page no="300"?> 300 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen abgestellt wird. Zudem lässt sich - wenn auch in begrenztem Ausmaß - der Schienenverkehr in diese Konzepte einbinden. 814 Ähnliche Entwicklungen werden auch im Handel deutlich. Aufgrund steigender Miet- und Lagerhaltungskosten wird der Warenbestand zunehmend durch Warenbewegungen ersetzt. Daraus resultierende Entwicklungen sind in nachfolgender Abbildung dargestellt: Motori s i erung der Be völ kerung Rückzug de s Ha ndel s a us der Fl ä che Zuna hme pri va ter Ei nka ufs verke hre steigende Mietkosten für innerstädtische Einzelhandelsflächen Abna hme der La gerbe s tä nde Abna hme der La gerfl ä che n Zuna hme de s Li eferverke hrs Subs ti tuti on de s La gerbe s ta nde s durch Wa re nbewe gung Ers etze n der La gerkos te n durch Tra ns portkos te n Konze ntra ti on de s Ha ndel s (z.B. a uf der "grüne n Wi e s e") Abna hme gewerbl i cher Li eferverke hre Einsparungen bei Lagerkosten Einsparungen bei Transportkosten Abbildung 4-8 Entwicklungen im Handel 815 Logistik-Konzepte, die auf den Straßengüterverkehr abzielen, mögen zwar sehr erfolgreich sein. Allerdings führt deren übermäßiger Einsatz zur Gefährdung der logistischen Ziele: der zeitlichen Berechenbarkeit und der Lieferzuverlässigkeit. 816 4.3.8 Internationale Logistik Aufgrund der Globalisierung sind nicht mehr nur Großunternehmen und Konzerne, sondern auch zahlreiche Mittelständler international aktiv: Unternehmen sind in internationale Produktionsnetzwerke eingebunden. Quellen und/ oder Senken können außerhalb des Heimatlandes liegen. Informations- und Güterflüsse sind demzufolge grenzüberschreitend zu planen, durchzuführen und zu kontrollieren. Dabei sind nicht nur logistische Kenntnisse, sondern auch Kenntnisse aus dem Bereich des internationalen Managements von Bedeutung. Im Rahmen der internationalen Logistik treten verschiedene Besonderheiten auf, die es dabei zu berücksichtigen gilt: 814 vgl. Fleischmann, Bernhard: Begriffliche Grundlagen, in: Arnold, Dieter et al. (Hrsg.): Handbuch der Logistik, Berlin/ Heidelberg 2008, 14 815 erstellt nach: Läpple, Dieter: Grenzen der Automobilität, in: Prokla, Heft 107, Nr. 2/ 1997, 211 816 vgl. Stüttgen, Odo: Integrierte Verkehrssysteme in Zeiten der Globalisierung, in: Prima 5/ 2013, 67 <?page no="301"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 301 Transport entfernungen national vs. international Lieferzeiten, Wiederbeschaffungszeiten Unzuverlässigkeiten bzw. Zeitprognosen und -einhaltung Transportmittel Einsatz verschiedener Transportmittel Bedeutung von See- und Luftverkehr für interkontinentale Verbindungen generell Kombination von Transportmitteln mit unterschiedlichen Eigenschaften Institutionen zahlreiche Akteure, die von Land zu Land stark variieren (Lieferanten, Spediteure, Hafen- und Terminalbehörden, Zollbehörden, Versicherung, ...) mehr Koordination, mehr Kooperation und mehr Kontrolle als national nötig Dokumente größere Vielfalt der benötigten Dokumente, z.B. Warenrechnung, Packliste, Herkunftsbescheinigung, Luftfrachtpapiere, Kaiempfangsschein, Seefrachtbrief Informationen Sammeln und Übermitteln der nötigen Informationen Gefahr fehlender, fehlerhafter oder verspäteter Informationen Tabelle 4-4 Rahmenbedingungen internationaler logistischer Aktivitäten 817 Hinzu kommen länderspezifische Besonderheiten: rechtliche Rahmenbedingungen Regelungen zu Arbeitszeiten, Urlaub und Feiertagen bilaterale und multilaterale Abkommen zur Harmonisierung einzelstaatlicher Regelungen administrative Rahmenbedingungen Handhabung der rechtlichen Regelungen Organisation der Abläufe bei grenzüberschreitenden Informations- und Güterflüssen, z. B. unterschiedliche Warenkontrollprozesse technische Rahmenbedingungen zulässige Abmessungen und Gewichte der einsetzbaren Betriebsmittel, z.B. unterschiedliche Stromsysteme, Spurweiten oder EDV-Ausstattung von Speditionen in verschiedenen Ländern infrastrukturelle bzw. geographische Rahmenbedingungen topografische Gegebenheiten, z.B. Breite und Tiefe der Wasserstraßen nationale Verkehrswege- und Kommunikationsnetzpolitiken multinationale Ausrichtung der Infrastruktur in größeren Wirtschaftsräumen, z.B. an Grenzübergängen und Durchgangszollstellen kulturelle Rahmenbedingungen Lebens-Gewohnheiten, Mentalitäten, Ausbildungssysteme und Sprachen als Barriere für die Organisation internationaler Logistiksysteme erschwerte Kommunikation und unterschiedliche Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, z.B. durch unterschiedliche Ausbildungs-, Lebens- und Wertestandards Tabelle 4-5 Länderspezifische Besonderheiten bei internationalen logistischen Aktivitäten 818 817 erstellt nach: Pfohl, Hans-Christian: Logistiksysteme - Betriebswirtschaftliche Grundlagen, Berlin 2018, 390f 818 erstellt nach: ebd" 392ff <?page no="302"?> 302 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Von besonderer Bedeutung im Rahmen der internationalen Logistik sind Liefer- und Zahlungsbedingungen . Diese beschreiben alle mit der Eigentums- und Risikoübertragung vom Lieferanten zum Kunden zusammenhängenden Bestimmungen. Darüber hinaus regeln sie die Art und Weise der Zahlung des Kaufpreises durch den Abnehmer. Lieferbedingungen regeln die Lieferbereitschaft, die Lieferart, die Lieferzeit, den Lieferort, Mindestabnahmemengen, Umtausch- und Rücktrittsmöglichkeiten, Konventionalstrafen bei verspäteter Lieferung sowie die Berechnung der Fracht-, Verpackungs- und Versicherungskosten. Lieferbedingungen werden im Allgemeinen in Abhängigkeit von Branche, Produkt, Absatzweg, Menge usw. formuliert. Die Lieferbedingungen erlangen eine besonders große Bedeutung im internationalen Geschäft. Die früher üblichen landesspezifischen Regelungen wurden durch die 1936 von der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce - ICC) verfassten International Commercial Terms (Incoterms, Internationale Handelsklauseln) abgelöst und tragen seitdem zu einer wesentlichen Vereinfachung der Exporttätigkeit bei. Regelmäßig überarbeitet, gelten die Incoterms derzeit in der Fassung vom 01.01.2020. Die Incoterms 2020 umfassen elf in vier Kategorien eingeteilte Klauseln, die nach einem Drei-Buchstaben-System abgekürzt werden. Folgende Übersicht zeigt die nach Kategorien gegliederten Incoterms 2020: Kategorie E EXW ex works ab Werk Kategorie F FCA free carrier frei Frachtführer FAS free alongside ship frei Längsseite Seeschiff FOB free on bord frei an Bord Kategorie C CFR cost and freight Kosten und Fracht CIF cost, insurance, freight Kosten, Versicherung, Fracht CPT carriage paid to frachtfrei CIP carriage and insurance paid to frachtfrei versichert Kategorie D DAP delivered at place geliefert benannter Ort DPU delivered at place unloaded geliefert benannter Ort entladen DDP delivered duty paid geliefert verzollt Tabelle 4-6 Incoterms 2020 819 819 erstellt nach: ICC Germany e.V.: Die neuen Incoterms 2020, http: / / www.iccgermany.de, 22.05.2020 <?page no="303"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 303 Kategorie E: Die Ex-works-Klausel (Abholklausel) besagt, dass der Lieferant lediglich verpflichtet ist, die Ware auf seinem Firmengelände zur Abholung durch den Abnehmer bereitzustellen. Sämtliche Transportrisiken und -kosten müssen vom Abnehmer getragen werden. Darüber hinaus ist der Käufer verpflichtet, Aus- und Einfuhrgenehmigungen selbst einzuholen. Kategorie F: Bei den F-Klauseln bleibt der Verkäufer bis zur Übergabe an einen vom Käufer bestimmten Frachtführer Eigentümer der Ware und trägt somit das Risiko des Unterganges und der Beschädigung. Sobald der Frachtführer die Ware übernommen hat, liegt das Risiko beim Abnehmer, der ab diesem Zeitpunkt auch die Transportkosten übernehmen muss. Kategorie C: Bei den C-Klauseln trägt der Verkäufer die Kosten des Transports bis die Ware den vereinbarten Bestimmungsort erreicht. Die Gefahr des Untergangs und der Beschädigung der Ware liegt jedoch beim Käufer. Die Klauseln CIP und CIF verpflichten den Verkäufer zusätzlich zum Abschluss einer Transportversicherung zu 100 % des Kaufpreises, die es dem Käufer ermöglicht, im Schadensfall Ansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen. Kategorie D: Bei den D-Klauseln (Ankunftsklauseln) werden alle Kosten und Risiken des Transports bis zur Ankunft der Ware im Zielland vom Verkäufer getragen. Bei Vertragsabschlüssen sollten die Klauseln entsprechend der Transportart gewählt werden. 820 Die Klauseln EXW, FCA, CPT, CIP, DAP, DPU, DDP können für jeden Transport und den kombinierten Verkehr angewendet werden. FAS, FOB, CFR und CIF beziehen sich ausschließlich auf den See- oder Binnenschifftransport. 821 Ebenso wie Lieferbedingungen sind Zahlungsbedingungen im internationalen Geschäft von Bedeutung. Zahlungsbedingungen bestimmen u.a. die Art und Weise der Zahlung der gekauften Produkte, Zahlungsfristen, die Gewährung von Skonti, die Art der Abrechnung sowie die Besicherung (z.B. Bürgschaften) der Zahlung. Jeder Lieferant ist an einer möglichst schnellen und sicheren Bezahlung seiner gelieferten Waren interessiert; der Abnehmer wiederum strebt u.U. eine möglichst späte Bezahlung nach Erhalt der Lieferung an. Bei der Aushandlung der Zahlungsbedingungen wie auch der Zahlungsformen (z.B. Dokumenten-Akkreditiv) gilt es, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Die Festlegung der Zahlungsmodalitäten erfolgt in Abhängigkeit vom Vertrauensverhältnis, den Marktgegebenheiten und der Marktposition der jeweiligen Geschäftspartner. 822 4.3.9 Risiken und deren Absicherung Global-wirtschaftliche Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten haben sich auch auf die Lieferketten ausgewirkt: „ Neue Geschäftsmodelle wie Offshore Manufacturing, globales Outsourcing oder Lean Sourcing haben zu komplexen globalen Lieferketten geführt, deren feine Glieder plötzlich reißen können. Dazu führen in erster Linie Unfälle im Betrieb und beim Transport, gefolgt von Bränden, Überschwemmungen, Erdbeben und anderen Naturereignissen, Streiks, Insolvenzen, Computerausfällen, Angriffen durch Terroristen und Piraten, Krieg, Kriminalität, Krankheit, Rechtsstreit und mehr. “ 823 Die Folgen für die betroffenen Unternehmen sind vielgestaltig und reichen von Pro- 820 vgl. IHK Region Stuttgart: Incoterms 2020, http: / / www.stuttgart.ihk24.de, 22.05.2020 821 vgl. ebd. 822 zu den Zahlungsformen siehe z.B. Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Management im internationalen Kontext, München 2009, 184ff 823 Willi, Christoph: Lieferkettenstörung - wer zahlt? , in: Internationales Verkehrswesen 6/ 2011, 36 <?page no="304"?> 304 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen duktionsverzögerungen bzw. -stillständen über Imageschäden und Kundenverluste bis hin zu Abwärtstrends beim Aktienkurs. Risikomanagement ist daher wichtiger denn je. Risiko bezeichnet die aufgrund von Ungewissheit über zukünftige Entwicklungen bestehende Gefahr ökonomischer Verluste. Speziell in der Logistikbranche werden einer Umfrage des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. zufolge folgende Risiken als wesentlich angesehen: Abbildung 4-9 Risiken in der Logistikbranche 824 Um diesen Risiken zu begegnen, sind verschiedene Maßnahmen denkbar. So geben Unternehmen bezüglich des Risikos steigender Transportpreise beispielsweise an, zukünftig stärker auf das Binnenschiff als Transportmittel setzen zu wollen (22 % der Befragten), den Lieferservice (z.B. 24- Stunden-Service) zu verändern (19 %), verstärkt regionale Lagerstrukturen schaffen zu wollen (26 %) oder den regionalen Einkauf zur Reduzierung der Transportwege auszuweiten (31 %). 825 Welche Form der Risikoreduzierung letztendlich gewählt wird, hängt vor allem von den dadurch entstehenden Kosten ab. Grundsätzlich können Risiken anhand folgender Möglichkeiten minimiert werden: Vorbeugung : Gewinnung von Informationen über Kunden (bezüglich Zahlungsmoral, Zahlungsfähigkeit, Ruf usw.) vor einer vertraglichen Bindung; Selbsttragung : Einkalkulierung des Risikos bzw. eines Teils des Risikos in den Exportpreis; Überwälzung : Überwälzung des Risikos auf Kunden durch vertragliche Regelungen bzw. gegen Entgelt auf Banken, Versicherungsgesellschaften, Spediteure oder den Staat; 824 Wittenbrink, Paul: Risiken in der Logistik, in: Privatbahn-Magazin 2/ 2013, 72 825 vgl. ebd. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% Supply-Chain-Risiken durch internatioanle Vernetzung Steigende Öl-/ Transportpreise Insolvenz Dienstleister unterbricht Supply Chain Compliance-Risiken Fachkräftemangel Logistik Kundenverlust bei Nichterfüllung Green-Logistics-Anforderungen Risiken in der Logistikbranche Verlader Dienstleister <?page no="305"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 305 Teilung : vertragliche Vereinbarung der Risikoteilung zwischen Verkäufer und Käufer; Kompensation : Abschluss von Termin- oder Gegengeschäften. 826 Bei jedem Transport besteht die Gefahr der Beschädigung oder des Untergangs der Ware. Im internationalen Geschäft ist eine Risikoaufteilung zwischen Verkäufer und Käufer üblich (geregelt durch Incoterms). Je nachdem, ob die Beschädigung oder der Verlust vor oder nach dem Gefahrenübergang eingetreten ist, werden Transportschäden/ -verluste vom Verkäufer bzw. Käufer getragen. Bis zum Gefahrenübergang ist der Verkäufer verpflichtet, kostenlos Ersatz zu liefern; ab Gefahrenübergang muss der Käufer den Kaufpreis der Ware zahlen, auch dann, wenn er die Ware beschädigt oder überhaupt nicht erhalten hat. Hat der Verkäufer bzw. Käufer eine Transportversicherung abgeschlossen, übernimmt die Versicherung die Schadensregulierung. Auch wenn für entstandene Schäden Dritte haftbar gemacht werden können, ist aufgrund der Haftungsbeschränkungen ein ausreichender Schadenersatz allerdings oft nicht gewährleistet. Die Transportversicherung unterteilt sich in See-, Binnen- und Lufttransportversicherung: bei Tra ns porte n i n re gel mä ßi ge n Abs tä nde n zu ä hnl i che n Be di ngunge n vers i chert be s ti mmte Ri s i ke n für a l l e beförderte n Wa re n a uf be s ti mmte n Tra ns portwe ge n Vers i cherungs s umme re duzi ert s i ch (a us ge he nd von ei nem Höchs tbetra g) jewei l s na ch Vol l e ndung ei ne s Tra ns porte s um de n Vers i cherungs wert di e s e s Tra ns ports Verei nba rung fe s ter Vers i cherungs be di ngunge n und ei ne s Scha de ns ma xi mums vers i chert s i nd a l l e Tra ns porte de s Vers i cherungs ne hmers bi s zur fe s tgel e gte n Vers i cherungs s umme - - - - - Transportversicherungen Seetransportversicherung Binnentransportversicherung Ge nera l pol i ce n Ei nzel vers i cherungs verträ ge Ra hme nvers i cherungs verträ ge Pa us cha l pol i ce n Abs chrei be pol i ce n Lufttransportversicherung Abbildung 4-10 Formen von Transportversicherungen 827 Da im Auslandsgeschäft Wechselkursschwankungen zum täglichen Unternehmerrisiko gehören, sollte ein Währungsrisiko möglichst ausgeschlossen werden. Über Devisentermingeschäfte sind Wechselkursveränderungen begrenzbar. Allerdings ist dies nur für gängige Währungen, für eine begrenzte Laufzeit und ein begrenztes Volumen vollziehbar. Für Geschäfte dieser Art fallen Sicherungskosten an, die beim (wünschenswerten) Nichteintritt des Risikos allerdings umsonst gezahlt wurden. 826 vgl. Stepic, Herbert (Hrsg.): Handbuch der Exportabwicklung, Wien 1996, 23 827 erstellt nach: Jahrmann, Fritz-Ulrich: Außenhandel, Herne 2010, 298f <?page no="306"?> 306 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Zur Absicherung von Preis- und Kostenrisiken können ebenfalls verschiedene Methoden genutzt werden. Das wichtigste Instrument in diesem Rahmen ist der Preisvorbehalt , der die Möglichkeit gibt, bei Kostenänderungen mit den Kunden Gespräche über eine Preisangleichung zu führen. Die Höhe der Preisänderung muss im Einzelfall ausgehandelt werden. Die Preise vieler auf dem Weltmarkt gehandelter Rohstoffe und Lebensmittel unterliegen starken Schwankungen; Festpreise lassen sich auf den Warenbörsen (New York, Chicago, London) vertraglich selten durchsetzen. Dieses Preisrisiko kann durch den Abschluss von Warentermingeschäften reduziert werden. Bei Warentermingeschäften wird eine Warengattung zu einem festen Kurs angekauft oder verkauft, die Ware aber erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert. Warentermingeschäfte werden häufig auch zu Spekulationszwecken abgeschlossen. Im Gegensatz zu Warentermingeschäften, die nach Ablauf der Laufzeit zu erfüllen sind, steht es dem Käufer einer Warenterminoption frei, diese innerhalb des Gültigkeitszeitraumes auszuüben oder verfallen zu lassen. 828 Exportkreditversicherungen dienen der Absicherung von Forderungsausfällen aufgrund nicht erfüllter Zahlungsverpflichtungen durch ausländische Abnehmer (vgl. Kreditrisiko). Die internationale Wettbewerbslage zwingt viele Exporteure, insbesondere auch im geschäftlichen Verkehr mit Entwicklungsländern, längerfristige Lieferantenkredite einzuräumen. Die sich daraus ergebenden recht langen Kreditlaufzeiten erhöhen das Kreditrisiko wesentlich. In den meisten Industriestaaten dient die Exportkreditversicherung auch der Exportförderung, wobei sich Versicherungsumfang, Schadensdeckung und Selbstbehalt von Land zu Land stark unterscheiden können. Im Rahmen der privaten Exportkreditversicherung können ausschließlich wirtschaftliche Risiken abgesichert werden. Abgesichert werden beispielsweise Forderungsausfälle durch Konkurse, gerichtliche und außergerichtliche Verfahren, fruchtlose Zwangsvollstreckung und nachgewiesene Uneinbringlichkeit der Forderung. Zusammenfassen lässt sich feststellen, dass internationale Aktivitäten stets ein höheres Risikopotential als eine auf den inländischen Markt begrenzte Geschäftstätigkeit bergen. Im Ausland gegebene Risiken sind auf dem Heimatmarkt häufig gar nicht oder nur in abgeschwächter Form vorhanden und weisen im Inland meist eine wesentlich geringere Eintrittswahrscheinlichkeit auf. Die Einschätzung potentieller Risiken im Ausland wird häufig durch fehlende Informationen erschwert. 828 vgl. Jahrmann, Fritz-Ulrich: Außenhandel, Herne 2010, 312ff <?page no="307"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 307 Fallstudie: IKEA „Die Ikea-Filiale in Hamburg war lange die umsatzstärkste der Welt. Der Verkehrsfunk meldete regelmäßig an Samstagen den Ikea-Stau an der Autobahnabfahrt Schnelsen-Nord.“ 829 1943 ließ der damals 17-jährige Ingvar Kamprad IKEA als Firma registrieren. Der Name IKEA setzt sich aus den Initialen Kamprads sowie des Hofes Elmtaryd, auf dem er aufgewachsen ist, und der Gemeinde Agunnaryd zusammen. 1947 wurde IKEA zum Versandunternehmen, 1950 wurde der erste Katalog gedruckt. 1958 erfolgte die Eröffnung des ersten Einrichtungshauses mit einer Fläche von 6.700 m² in Älmhult. 830 Grundlegende Vision Kamprads war es, ein breites Sortiment an funktionellen, gut gestalteten Möbelstücken zu niedrigen Preisen zu verkaufen. Um die Preise möglichst gering zu halten, hatte er eine Idee: Er überließ den Kunden die abschließende Montage der Möbel. So gelang es, Preise, die rund 30 % unter denen konkurrierender Produkte gleicher Qualität liegen, zu realisieren. Das erste Einrichtungshaus außerhalb Schwedens wurde 1963 in Oslo eröffnet, 1973 das erste Haus außerhalb Skandinaviens in Spreitenbach/ Schweiz. Innerhalb der nächsten sechs Jahre gründete man 22 neue Möbelhäuser, zehn davon allein in Deutschland. 831 Mittlerweile gibt es 433 IKEA-Geschäfte in 50 Ländern. 832 Vor rund 40 Jahren suchte Ingvar Kamprad nach langfristig erfolgversprechenden Möglichkeiten, das Unternehmenswachstum zukünftig zu finanzieren. Da ihm der Aktienmarkt zu unsicher erschien, setzte er auf ein Franchise-Konzept. Eigentümer des Konzepts und weltweiter Franchisegeber ist Inter IKEA Systems B.V. 833 IKEAs Zielgruppe sind junge, gebildete Leute mit liberalen kulturellen Werten, die keinen besonderen Wert auf Statussymbole legen. IKEA verfolgt eine standardisierte Produktpolitik. Das Sortiment umfasst mehr als 9.500 Produkte 834 , die vom Tisch und Sofa bis hin zu Glühbirne und Besteck reichen. Dabei sind etwa 60 % Möbel und 40 % andere Produkte, mit denen mittlerweile ein höherer Anteil am Umsatz erzielt wird als mit Möbeln. 835 Für die Rentabilität ist der Standort entscheidend. Die Einrichtungshäuser befinden sich meist in peripherer Lage, außerhalb der (teuren) Stadtzentren, sind aber verkehrsgünstig gelegen und gut erreichbar. Um den Kunden den Transport der Einkäufe organisieren zu helfen, kooperiert das Unternehmen mit Autovermietern. Außerdem kann - gegen Aufpreis - ein Montageservice in Anspruch genommen werden. Die Preise liegen etwa 30-50 % unter denen fertig montierter, konkurrierender Produkte. Möglich ist dies vor allem aufgrund der großen Einkaufsmengen, kostengünstiger Logistik, der Vorstadt-Lage der meisten Einrichtungshäuser und der „Do it yourself“-Orientierung. Auch die ursprüngliche Geschäftsidee Kamprads, den Versandhandel, können die Kunden heute nutzen: mit IKEA Homeshopping. 2019 wurden 2,8 Mio. Webseiten-Besuche verzeichnet. 836 829 Herrmann, Sebastian: Wir Ikeaner, München 2009, 80 830 vgl. Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 288 831 vgl. ebd., 134 832 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 3 833 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: 2013 Facts & Figures, Delft 2013, 18 834 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 3 835 vgl. Mr. IKEA - Der Mann, der die Welt möblieren wollte! (Film von Malcolm Dixelius und Christian Schulz), 2009 836 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 3 <?page no="308"?> 308 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Abbildung 4-11 IKEA - Zahlen und Fakten 837 Aus einer Not heraus - der schwedische Markt konnte IKEAs Nachfrage, auch aufgrund eines Lieferboykotts, nicht mehr befriedigen - sah sich Kamprad nach Zulieferern im Ausland um. Fündig wurde er in Polen, das 1961 zum ersten Lieferantenland außerhalb Schwedens wurde. 838 Heute bezieht IKEA seine Waren von rund 1.000 Zulieferern aus über 50 Ländern 839 und unterhält darüber hinaus 30 Einkaufsbüros in 25 Staaten. 840 Die Zulieferer transportieren ihre Waren zu einem der verschiedenen Zentrallager, wie sie beispielsweise in Älmhult (Schweden) und in vielen anderen, geographisch günstig gelegenen Orten zu finden sind. Insgesamt gibt es 30 Distributionszentren in 18 Ländern. 841 837 erstellt nach: Statista: Umsatz von IKEA weltweit in den Geschäftsjahren 2001 bis 2019, http: / / www.statista.de, 06.07.2020; Ingka Holding B.V.: Yearly Summery FY17, 71; Statista: Number of employees of the IKEA Group worldwide, http: / / www.statista.com, 07.07.2020; Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY18, o.O. o.J., 47; Inter IKEA Systems B.V.: Good supplier collaborations - a way to develop our range, http: / / about.ikea.com, 06.07.2020 838 vgl. Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 74; Mr. IKEA - Der Mann, der die Welt möblieren wollte! (Film von Malcolm Dixelius und Christian Schulz), 2009; Strid, Steve; Andréasson, Claes: Die Wikinger kommen! - Marketing auf Skandinavisch, München 2008, 114 839 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 3 840 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: Välkommen in i vårt företag, http: / / www.ikea.com, 20.12.2013; Inter IKEA Systems B.V.: Welcome inside - IKEA Group Yearly Summary GJ12, o.O. 2013, 45 841 vgl. Ingka Group: Bringing IKEA to more people in new ways - Annual Summary & Sustainability Report FY19, 4 12,9 20,0 23,5 28,5 35,7 41,3 0 10 20 30 40 50 2004 2007 2010 2013 2016 2019 in Mrd. EUR Umsatzentwicklung 66% 19% 11% 4% Umsatz nach Region Europa Nord- und Südamerika Asien Pazifik Russland 15% 14% 8% 6% 6% 51% Umsatzstärkste Länder Deutschland USA Frankreich Großbritannien China Sonstige 164 172 183 194 208 211 0 50 100 150 200 250 2014 2015 2016 2017 2018 2019 in Tsd. Mitarbeiterzahlen 1000 339 158 201 519 51 IKEA-Lieferanten Möbel Logistik Nahrungsmittel Komponenten Rohstoffe Katalog 27% 19% 8% 5% 4% 4% 33% Größte Lieferländer China Polen Italien Litauen Deutschland Schweden Sonstige <?page no="309"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 309 Nachdem IKEA lange Zeit seine Produkte nur entwarf, aber nicht selbst produzierte, stellt man seit 1991 verschiedene Artikel auch in Eigenproduktion in einer Tochterfirma her. Zur Produktionsgruppe gehören 43 Fabriken in neun Ländern. 842 Das Unternehmenswachstum stellt für die Logistik eine große Herausforderung dar. Jährlich kommen neue Einrichtungshäuser hinzu; die Umsätze steigen beständig. Folglich muss auch die Distributionsstrategie angepasst werden. Dabei stützt sich IKEA auf folgende Ansätze: Reducing: Jeder Transport soll so effizient wie möglich gestaltet werden. Replacing: Konventionelle Kraftstoffe werden durch alternative Kraftstoffe ersetzt. Containerisierung ermöglicht die verstärkte Nutzung intermodaler Konzepte. Rethinking: Innovative Technologien im Transport sollen gefördert werden. 843 IKEA-Produkte werden auf der Straße, per Schiff und auf der Schiene transportiert. Etwa 5 % des CO 2 - Fußabdrucks des Unternehmens sind mit dem Einsatz von Transportmitteln verbunden, wovon 45 % auf den Landverkehr, 10 % auf den intermodalen Verkehr und 45 % auf den Schiffsverkehr entfallen. Dies betrifft sowohl den Güterals auch den Personentransport (vgl. Mitarbeiter, Kunden). 844 2006 wurde der Verhaltenskodex „Einkauf von Distributions- und Transportleistungen“ eingeführt, der für die Distributionszentren und alle Transportdienstleister gilt. Ziel ist die Realisierung nachhaltiger Transporte. 845 Obwohl das Transportvolumen steigt, will man die dadurch verursachten Umweltbelastungen reduzieren. Zum Unternehmenskonzept gehört bereits, viele Produkte in flachen, raumsparenden Verpackungen zu verkaufen und zu transportieren, wodurch Transportflächen optimal genutzt werden können. 846 Teelichter neu verpackt Die Art der Verpackung trägt wesentlich dazu bei, welches Volumen Güter bei Transport und Lagerung beanspruchen. Deshalb untersuchte man auch bei IKEA die Produktpalette nach Gütern, die diesbezügliche Potentiale boten. Gemeinsam mit den Herstellern entwickelt man dabei Lösungen. Ein Beispiel dafür ist das Teelicht „Glimma“. In der alten Verpackung waren 100 Teelichter in einem Folienbeutel, der insgesamt 1,4 kg wog, lose zusammengefasst. Nun sind die Teelichter sehr dicht mit jeweils 20 Stück pro Lage in einem Karton angeordnet. Die Einsparungseffekte sind beträchtlich: Statt bisher 250 können nun 360 Einheiten auf einer Palette zusammengefasst werden. Bei gleicher Gesamtstückzahl bedeutet dies statt 60.000 nur noch 42.000 Paletten. 847 Doch nicht nur Verpackungen, auch Ladungsträger unterliegen einem Wandel. So stellt IKEA beispielsweise schrittweise von Holzauf Kartonpaletten um. Diese zeichnen sich durch ein geringeres Gewicht, eine geringere Höhe sowie flexiblere Größen aus. Pro Jahr können dadurch 6 % des bisherigen CO 2 - Ausstoßes vermieden werden. Neben den Umwelteffekten erhofft man sich Einsparungen in Höhe von 140 Mio. Euro jährlich. 848 842 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 3 843 vgl. ebd., 76 844 vgl. ebd., 75 845 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: Greener transports for a smaller climate footprint, http: / / about.ikea.com, 06.07.2020 846 vgl. Wiechel-Kramüller, Christian: Billy fährt Bahn, in: Prima 2/ 2007, 22ff 847 vgl. Stefansson, Gunnar: IKEA - Increased transport efficiency by product and packaging redesign, Berlin 2008, 3f; Industrie- und Handelskammer, Region Stuttgart (Hrsg.): Praxisleitfaden zur IHK-Studie „Grüne Logistik“, Stuttgart 2011, 34f 848 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Group Sustainability Report 2012, o.O. 2013, 53; Pieringer, Matthias: Möbelhändler setzt auf Ladungsträger aus Kunststoff und Papier (02.03.2012), http: / / www.logistik-heute.de, 20.12.2013 <?page no="310"?> 310 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Schnelldrehende und großvolumige Produkte werden nun näher an den Märkten platziert, um damit Transportdistanzen und Transportzeiten zu reduzieren. 849 Inzwischen werden 56 % der Produkte direkt in die Einrichtungshäuser geliefert - ohne einen Umweg über Distributionszentren zu nehmen. Damit kann die Gesamtstrecke, die die einzelnen Produkte zurücklegen, reduziert werden. Zusätzlich arbeitet man mit Organisationen wie Green Freight Europe und Green Freight Asia zusammen, um ein effizientes Monitoring der Transportaktivitäten und des damit zusammenhängenden CO 2 -Ausstoßes zu ermöglichen. 850 Im Rahmen der Zusammenarbeit mit Logistikdienstleistern sollen modernere, energieeffizientere Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Diesbezügliche Maßnahmen sind beispielsweise die Umstellung der Lkw auf Biodiesel sowie die Nutzung größerer Container und Lkw. Zudem soll der Anteil der im kombinierten Verkehr beförderten Produkte steigen, um die im Straßenverkehr erzeugten Emissionen zu verringern. 851 In Schweden werden alle Transporte der IKEA Transport & Logistics Services entweder mit Fahrzeugen, die Biodiesel nutzen, oder auf der Schiene durchgeführt. Weltweit beträgt der Anteil der Schienentransporte allerdings erst 10 %. 852 Der Konzern ist bestrebt, den Anteil der Schienentransporte insgesamt weiter auszubauen, stößt dabei aber auch auf Probleme, insbesondere in Hinblick auf die Flexibilität des Verkehrsträgers Schiene. Steigende Absatzzahlen in den Möbelhäusern führen zu höheren Umschlagfrequenzen. Diese erfordern kontinuierliche und zuverlässige Lieferungen aus den Zentrallagern. So müssen 70 % der Waren aus den Zentrallagern innerhalb von 24 Stunden bei den Einrichtungshäusern angeliefert werden. Hohe Liefergenauigkeit ist folglich unabdingbar. Im Jahr 2000 hatte IKEA sogar eine eigene Eisenbahngesellschaft, IKEA Rail AB, für den Gütertransport gegründet, um damit das bestehende Distributionsnetzwerk zu optimieren. 2004 gliederte man diesen Bereich allerdings aus dem Unternehmen aus. 853 Biokraftstoff könnte zukünftig auch in der Containerschifffahrt eine bedeutendere Rolle spielen. 2019 nahm IKEA an einem derartigen Testtransport teil. 854 Auch im Bereich des Personenverkehrs wird umgedacht. Insbesondere solche Geschäftsreisen, bei denen große Distanzen zu überbrücken wären, sollen, wenn möglich, durch Telefonate oder Videokonferenzen ersetzt werden. Dadurch wird nicht nur das Geschäftsreiseaufkommen reduziert, sondern die Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit auch effizienter nutzen und leichter eine gute Work-Life-Balance realisieren. Sollten Geschäftsreisen unabdingbar sein, sind die Mitarbeiter angehalten, Verkehrsmittel mit einer guten Umweltbilanz zu nutzen. Insgesamt machen Geschäftsreisen 0,2 % des CO 2 - Fußabdrucks von IKEA aus. 855 Im Jahr 2019 verzeichneten die Einrichtungshäuser über 1 Mrd. Kundenbesuche. Der größte Teil der Kunden gelangt mit dem Pkw zu den IKEA-Einrichtungshäusern. 856 Um die An- und Abreise umweltfreund- 849 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: Adapting to the future, http: / / www.ikea.com, 21.12.2013 850 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Group Sustainability Report 2012, o.O. 2013, 52f; Wiechel-Kramüller, Christian: Billy fährt Bahn, in: Prima 2/ 2007, 22ff 851 vgl. Wiechel-Kramüller, Christian: Billy fährt Bahn, in: Prima 2/ 2007, 22ff 852 vgl. ebd.; Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 76 853 vgl. Wiechel-Kramüller, Christian: Billy fährt Bahn, in: Prima 2/ 2007, 25; IKEA: Om IKEA, http: / / www.ikea.com, 01.04.2009 854 vgl. IKEA Deutschland GmbH & Co. KG: Trendwende: IKEA senkt die CO2-Bilanz für GJ19 trotz gleichzeitigem Wachstum (27.07.2020), http: / / www.presseportal.de, 06.07.2020 855 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Group Sustainability Report 2012, o.O. 2013, 53f; Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 80 856 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 3 und 88 <?page no="311"?> 4.3 Unternehmen als Nachfrager 311 licher zu gestalten, wird zunehmend auf die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln geachtet. 857 Ladestellen für Elektrofahrzeuge sollen die Nutzung solcher Fahrzeuge durch die Kunden erleichtern. 858 Zudem errichtet man nun auch zentrumsnah gelegene kompakte Standorte, um näher an die Kunden zu rücken und lange Wege zu vermeiden. 859 Hauszustellungen sollen bis 2025 komplett durch Elektrofahrzeuge oder alternative emissionsfreie Lösungen realisiert werden. Zusammen mit den Hauslieferungen tragen die Anfahrtswege der Kunden bislang zu 11 % zum CO 2 -Fußabdruck bei. 860 Aufgabe 1: Welche logistischen Bedürfnisse hat IKEA? Aufgabe 2: Welche logistischen Konsequenzen zieht das Umsatzwachstum bei IKEA nach sich? Aufgabe 3: Welche Beiträge will und kann das Unternehmen zum umweltfreundlichen Transport leisten? Aufgabe 4: Wo liegen derzeit die Probleme, die einer noch weitergehenden Verkehrsverlagerung auf die Schiene entgegenstehen? 857 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Group Sustainability Report 2012, o.O. 2013, 54 858 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 89 859 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: vgl. IKEA Kennzahlen 2018, http: / / www.ikea.com, 06.07.2020; Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 89 860 vgl. Inter IKEA Systems B.V.: IKEA Sustainability Report FY19, o.O. o.J., 88f <?page no="312"?> 312 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen 4.4 Private als Nachfrager 4.4.1 Mobilitätswünsche Das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung leitet sich aus verschiedenen Motiven und Einstellungen ab. Dazu zählen beispielsweise die optimale Gestaltung des Kosten-Zeit-Aufwandes, normative Erwartungen und die Bewertung von Verkehrsmitteln. 861 Grundsätzlich kann dabei in subjektive und objektive Mobilitätswünsche unterschieden werden. Subjektive Mobilitätswünsche bilden sich ausgehend vom Alter, der familiären Situation, dem Wohnort, dem sozialen Status, Berufstätigkeit und Freizeitgestaltung heraus und werden dabei vom zur Verfügung stehenden Einkommen beeinflusst. Objektive Mobilitätswünsche resultieren aus der gegebenen Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur, der Verkehrsmittelverfügbarkeit, den Preisen für die Nutzung von Verkehrsmitteln sowie verkehrspolitischen Instrumenten. 862 Objektive Mobilitätswünsche Subjektive Mobilitätswünsche Si e dl ungs s truktur Verke hrs i nfra s truktur Verke hrs mi ttel verfügba rkei t Prei s e verke hrs pol i ti s che Ins trume nte Prä fere nze n s ozi a l er Sta tus fa mi l i ä re Si tua ti on Al ter Frei zei tge s ta l tung Ei nkomme n Abbildung 4-12 Das Mobilitätsverhalten beeinflussende subjektive und objektive Mobilitätswünsche 863 Durch gesellschaftliche Veränderungen und das persönliche Umfeld entstehen neue Mobilitätsbedürfnisse. Dadurch sowie durch den zunehmenden Lebensstandard wächst der Individualverkehr. Gleichzeitig werden Angebote des öffentlichen Personennahverkehrs seltener genutzt; jedoch sind diese (insbesondere im ländlichen Raum) - häufig auch nicht mehr in dem Ausmaß verfügbar wie noch Jahre zuvor: „ Allein die Möglichkeit, daß man mit der S-Bahn vom Umland in die Stadt fahren kann, löst bei Autofahrern noch nicht den Wunsch aus, den Pkw stehen zu lassen. “ 864 Hinzu kommt, dass Pkw nicht allein für Transportzwecke beschafft werden, sondern auch Teil eines Lebensstiles bilden und damit die Mobilitätsorientierung prägen. Das Automobil bietet dem 861 vgl. Schlaffer, Alexandra et al.: Bedeutung psychologischer und sozialer Einflussfaktoren für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung, Berlin 2002, 1 862 vgl. Eckey, Hans-Friedrich; Stock, Wilfried: Verkehrsökonomie, Wiesbaden 2014, 5 863 modifiziert nach: ebd. 2014, 5 864 Petersen, Rudolf; Schallaböck, Karl Otto: Mobilität für morgen - Chancen einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik, Berlin/ Basel/ Boston 1995, 81 <?page no="313"?> 4.4 Private als Nachfrager 313 Nutzer neben der Möglichkeit des Transports einen Mehrwert (Statussymbol, Prestigegewinn usw.), der anderweitig scheinbar nicht erzielt werden kann. Mobilitätswünsche ... ... unterschiedlicher Art Individuen verbinden Mobilität mit Selbstbestimmung und Freiheit; insbesondere das Auto verspricht Unabhängigkeit und Flexibilität. Infolge einer regelmäßigen Pkw-Nutzung und der dabei durchlaufenen Mobilitätsmuster stellt sich eine Gewöhnung, teilweise sogar eine gewisse Abhängigkeit ein. Das Vorhandensein eines Pkw kann somit nachträglich Nachfrage schaffen. Selbst wenn alternative Verkehrsangebote verfügbar sind, muss dies nicht zur Nutzung führen. 865 Entscheidend ist aber, dass mit einem Verkehrswachstum nicht gleichzeitig eine Zunahme der Mobilität verbunden sein muss. Verkehrsstaus führen im Allgemeinen zu einer Einschränkung der Mobilität, was wiederum erhebliche Belastungen für Wirtschaft und Bürger mit sich bringt. 866 Allerdings scheint die Autoaffinität der jungen Generation nicht mehr ganz so stark zu sein: „ Früher bedeutete ein eigenes Auto Freiheit und Unabhängigkeit, heute verzichten immer mehr junge Leute darauf. Die Bahncard ist reizvoller als der Führerschein, Carsharing beliebter als Neuwagen. Die Autoindustrie hat das Problem erkannt und sucht verzweifelt nach der Lösung. “ 867 Dieses Phänomen scheint jedoch vorerst nur auf Metropolen zuzutreffen, wo der Anteil jener jungen Erwachsenen, die täglich Auto fahren bzw. überhaupt einen Führerschein besitzen, in den letzten Jahren geringfügig abnahm. Inwieweit sich das Mobilitätsverhalten dieser Menschen in späteren Lebensphasen ändert, ist noch nicht absehbar. 868 4.4.2 Entscheidungsprozess bei der Verkehrsmittelwahl Grundsätzlich kann im Rahmen verkehrsbezogener Entscheidungsprozesse zwischen Mobilitätsentscheidungen und Aktivitätsentscheidungen differenziert werden. Bei Mobilitätsentscheidungen handelt es sich um langfristige Entscheidungen. Dazu zählt auch die Verkehrsmittelwahl für den Weg zur Arbeit. Hierbei sind die verfügbaren Verkehrsmittel, deren Eigenschaften sowie die meisten Rahmenbedingungen über längere Zeit konstant. Dies betrifft insbesondere das Fahrtziel, Zeitpunkt und Häufigkeiten sowie die Dauer der Aktivität. Lediglich das Verkehrsmittel und die 865 vgl. Bratzel Stefan: Mobilität und Verkehr, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Umweltpolitik, Bonn 2008, 44 866 vgl. Bundesregierung: Perspektiven für Deutschland - Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung (Langfassung), o.O. o.J, http: / / www.bundesregierung.de, 28.05.2013, 178 867 Büscher, Wolfgang: Alte Eisen, in: Die Welt, 12.01.2014, 13 868 vgl. Follmer, Robert; Scholz, Joachim: Mobilität der Zukunft - bedürfnisorientiert statt technikfixiert, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2013, 54 <?page no="314"?> 314 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Route sind variierbar. Aus Sicht des entscheidenden Individuums ist es daher nicht notwendig, sich ständig über Alternativen zu informieren und die einmal getroffene Entscheidung zu überdenken. Es könnte folglich von routiniertem Verhalten ausgegangen werden. Bei gewohnheitsmäßigem Verhalten werden im Rahmen des Entscheidungsprozesses weniger Eigenschaften eines Verkehrsmittels gleichzeitig berücksichtigt. Jedoch unterliegen auch die Verkehrsmitteleigenschaften Veränderungen, so z.B. die Kosten für Pkw- oder ÖPNV-Nutzung, die Vertaktung, die Linienführung oder Fahrzeuge des ÖPNV. Durch deren ständige Nutzung verankern sich diesbezügliche Erfahrungen im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer. 869 Um den Nutzer zum Berücksichtigen veränderter Rahmenbedingungen anzuregen, müssen entsprechende Anreize - beispielsweise in Form von Angebotsverbesserungen im ÖPNV oder Angebotsverschlechterungen bei der Pkw-Nutzung - gesetzt werden. Im Rahmen von den Freizeitbereich betreffenden Aktivitätsentscheidungen ist eine Vielzahl von Teilentscheidungen, beispielsweise hinsichtlich der Art, Dauer, Anzahl und Ort der Aktivitäten, zu nutzendes Verkehrsmittel, Tageszeit, zu wählende Route, zu treffen. Bedingt durch die verschiedenen Teilentscheidungen gestaltet sich eine Modellierung entsprechend schwierig. 870 Steht ein Individuum vor einer verkehrsbezogenen Entscheidung, kann der Entscheidungsprozess in folgenden Schritten ablaufen: Nach der Definition des Entscheidungsproblems und damit der Einordnung in die Kategorie Mobilitäts- oder Aktivitätsentscheidungen wird nach möglichen Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung gesucht. Stehen die Alternativen fest, werden diese anhand einer Reihe von (möglicherweise unterschiedlich gewichteten) Kriterien geprüft und miteinander verglichen. Nachdem die als am günstigsten erscheinende Alternative ausgewählt wurde, kann die Handlung folgen. Nach (oder auch bereits bei) Nutzung der gewählten Alternative kann das Individuum feststellen, inwieweit die Alternative die an sie gestellten Erwartungen erfüllen kann. Die so gewonnenen Erfahrungen können im nächsten diesbezüglichen Entscheidungsprozess sowohl die Ermittlung der grundsätzlich zur Verfügung stehenden Alternativen sowie deren Vergleich beeinflussen (siehe folgende Abbildung). Eine entscheidende Rolle spielt die Bewertung der Alternativen. Wie auch bei anderen Konsumgütern sind dem Verkehrsverhalten Entscheidungen über den Lebensstil vorgelagert. Ob sich eine Alternative für eine bestimmte Fahrt eignet, hängt davon ab, inwieweit sich die Eigenschaften der Verkehrsmittel mit den Vorstellungen der Nutzer decken. Diesen Eigenschaften wird ein Ausprägungsgrad zugewiesen, der einer Bewertung in Hinblick auf eine mögliche Bedürfnisbefriedigung unterzogen wird. Im Sinne einer Maximierung des „Gesamtnutzens“ können die Beurteilungskriterien miteinander „verrechnet“ werden. 871 869 vgl. Ben-Akiva, M.: Structure of Passenger Travel Demand Models, Cambridge/ Mass. 1973, 69ff ; Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 135 und 168; Franke, Sassa; Maertins, Christian: Die unentdeckte Spezies der Multimodalen - Möglichkeiten der Bindung und Gewinnung von ÖPNV-Kunden mit innovativen Mobilitätsdienstleistungen, in: Schöller, Oliver (Hrsg.): Öffentliche Mobilität - Perspektiven für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung, Wiesbaden 2005, 224 870 vgl. Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 135 871 vgl. ebd., 133 und 138f <?page no="315"?> 4.4 Private als Nachfrager 315 Mobilitätsentscheidungen Aktivitätsentscheidungen Defi ni ti on de s Ents chei dungs probl ems Ermi ttl ung der zur Wa hl s te he nde n Al terna ti ve n Ermi ttl ung der Ei gnung der Al terna ti ve n zur Be dürfni s befri e di gung Wa hl der be s te n Al terna ti ve Ha ndl ung Abbildung 4-13 Entscheidungsprozess bei der Verkehrsmittelwahl 872 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Verkehrsmittelwahl Nicht nur in den Zeiten des Lockdowns mit einer konsequenterweise geringeren Anzahl an Außer-Haus-Aktivitäten, auch nach Einführung von Lockerungsmaßnahmen zeigten sich deutliche Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Öffentliche Verkehrsmittel wurden wesentlich seltener genutzt, dafür intensivierte sich der Individualverkehr: „ Der privat genutzte Pkw weist gegenüber anderen Verkehrsmitteln aktuell einen deutlichen Wohlfühlfaktor auf. […] Zu den großen Verlierern gehören alle öffentlichen Verkehrsmittel. Ob Nahverkehr, Fernverkehr, Carsharing oder Flugzeug. “ 873 Doch nicht nur der Privat-Pkw wurde stärker genutzt, sondern auch das Fahrrad: „ Der sich seit Jahren im Aufwind befindliche Fahrradsektor erlebt derzeit einen besonderen Boom. […] Viele Deutsche, die ihren Urlaub haben ausfallen lassen, investieren das so gesparte Geld in neue Räder. “ 874 Auch das Zu-Fuß-Gehen spielte eine größere Rolle als zuvor. Die Verkehrsmittelwahl wurde auch von den veränderten Einkaufsgewohnheiten beeinflusst. Beschaffungen für den täglichen Bedarf wurden seltener durchgeführt, die Anzahl der Online-Einkäufe nahm zu. Durch die Umstellung vieler Unternehmen auf Homeoffice 872 erstellt nach: Ben-Akiva, Moshe; Lerman, Steven R.: Discrete Choice Analysis, Cambridge/ Mass. 1985, 31ff 873 Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.: DLR-Befragung - Wie verändert Corona unsere Mobilität? , http: / / verkehrsforschung.dlr.de, 27.08.2020 874 Kirchbeck, Benjamin: Fünf Corona-Effekte auf die Mobilität (08.06.2020), http: / / www.next-mobility.de, 28.08.2020 <?page no="316"?> 316 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen entfielen bei diesen Beschäftigten die Arbeitswege. Diejenigen, die nach wie vor ihre Arbeitsstätte aufsuchten, taten dies vermehrt mit dem Pkw anstelle des ÖPNV. 875 Neben der Alltagsmobilität war auch die Freizeit- und Reisemobilität betroffen. Private Reisen wurden verschoben oder abgesagt, gleiches galt für Dienstreisen. Sofern nicht auf Urlaubsreisen verzichtet wurde, fanden diese häufiger im eigenen Land statt. Starke Rückgänge beim Luftverkehr, die die Fluggesellschaften in eine große finanzielle Krise stürzten, sind daher nicht verwunderlich. Einer Umfrage zufolge wird das Auto wahrscheinlich auch nach der Pandemie eine größere Rolle spielen, zeigen sich doch auch junge Erwachsene verstärkt wieder am Besitz eines eigenen Pkw interessiert. 876 Den öffentlichen Verkehrsmitteln wird es entsprechend schwerfallen, die verlorenen Fahrgäste zurückzugewinnen: „ Wir überzeugen die Menschen gerade davon, dem ÖPNV fernzubleiben, und später werden wir sie davon überzeugen müssen, zurückzukommen. “ 877 Die Erfahrungen mit alternativen Arbeitszeitmodellen wie dem Homeoffice und die Nutzung von digitalen Kommunikationsmöglichkeiten wie Videokonferenzen könnten zukünftig ebenso Auswirkungen auf die Verkehrsmittelnutzung haben. Wenn mehr Beschäftigte im Homeoffice bzw. mit flexibleren Arbeitszeiten arbeiten, reduziert sich die Zahl der Berufspendler bzw. das Fahrgastaufkommen verteilt sich anders im Tagesverlauf. Die Intensität der Dienstreisetätigkeit könnte durch eine stärkere Nutzung von Konferenzschaltungen u.ä. zurückgehen. 4.4.3 Einfluss von Verkehrsmitteleigenschaften Generell kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrage nach Verkehrsmitteln von den Eigenschaften der zur Verfügung stehenden Alternativen sowie der Bedeutung (Gewichtung) dieser Eigenschaften innerhalb verschiedener Nachfragegruppen abhängt. 878 Eigenschaften sind dabei als nutzenstiftende Merkmale zu verstehen, die in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten können (beispielsweise die benötigte Zeit, um von A nach B zu gelangen). Die Gewichtung der Eigenschaften resultiert aus den persönlichen Merkmalen der Nutzer sowie den situativen Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen können den jeweiligen Handlungsspielraum bzw. die zur Verfügung stehenden Alternativen beschränken und werden nicht für alle Nachfragegruppen (z.B. die Segmente Berufspendler, Schüler und Senioren) gleich sein. Aus diesem Grund ist eine getrennte Betrachtung einzelner Nachfragegruppen sinnvoll. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass bestimmte Verkehrsmitteleigenschaften nicht ausschließlich vom Verkehrsmittel selbst, sondern auch von der Politik des Betreibers abhängen. Die Eigenschaften von Verkehrsmitteln lassen sich ermitteln, indem eher technisch orientierte Merkmale oder eher an der Wahrnehmung der Nutzer orientierte Merkmale erfasst werden. Darüber hinaus lassen sich die Eigenschaften in „objektive“ und „subjektive“ Merkmale gliedern. 875 vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.: DLR-Befragung - Wie verändert Corona unsere Mobilität? , http: / / verkehrsforschung.dlr.de, 27.08.2020; Bauer, Wolfgang: Verkehrswende auf der Kippe? , in: Der Fahrgast 3/ 2020, 11 876 vgl. Storre, Vera: Warum wir jetzt nicht wieder ins Auto steigen dürfen 21.08.2020), http: / / www.vcd.org, 28.08.2020 877 Koordinator eines Verkehrsunternehmens in Osteuropa, zit. in: Mobility Institute Berlin: Wie weiter nach dem Lockdown? Die SARS-CoV-2 Pandemie und Strategien für den ÖPNV, Berlin 2020, 16 878 vgl. Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 157 <?page no="317"?> 4.4 Private als Nachfrager 317 Knapp schlägt folgende Gliederung vor, deren Kriterien jeweils mit entsprechenden Eigenschaften untersetzt werden: Zeit der Raumüberwindung, Kosten, Sicherheit, Umgebungsbedingungen, Fahrkomfort, Nutzungsmöglichkeit, soziale Kontakte, Erfüllung von übergeordneten individuellen, gruppenbezogenen oder gesellschaftlichen Normen (vgl. nachfolgende Abbildung). Abbildung 4-14 Eigenschaften von Verkehrsmitteln 879 In die Zeit der Raumüberwindung gehen nicht nur die reinen Fahrzeiten, sondern auch Geh-, Warte- und Umsteigezeiten ein. Knapp gliedert diese Zeiten in Zeiten außerhalb und innerhalb eines Fahrzeugs, wobei unter letztere Kategorie beispielsweise auch die Parkplatzsuchzeit fallen würde. Die Kosten lassen sich sowohl im Bereich des motorisierten Individualverkehrs als auch im Bereich des ÖPNV in fixe und variable Kosten unterscheiden. Variable Kosten wären jeweils die entfernungsabhängig anfallenden Fahrkosten. Fixkosten entstehen beim Pkw durch Versicherung, Kfz-Steuer und Abschreibung. Im ÖPNV wären zu den Fixkosten Kosten für Zeitkarten oder Rabattkarten (z.B. BahnCard) zu rechnen. 879 erstellt nach: Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 161ff <?page no="318"?> 318 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Die Sicherheit eines Verkehrsmittels umfasst die technische Sicherheit, die Sicherheit vor Unfällen sowie die Sicherheit vor Kriminalität. Die Umgebungsbedingungen werden von verschiedenartigen Faktoren beeinflusst. Zum einen zählen hierzu die Sauberkeit des Verkehrsmittels und der bedienten Stationen, zum anderen auch die klimatischen Verhältnisse in den Fahrzeugen und Aufenthaltsbereichen (z.B. Wartehallen, Bahnsteige). Verbunden damit ist die Wetteranfälligkeit des jeweiligen Systems, d.h. inwieweit der Nutzer Witterungseinflüssen ausgesetzt ist. Schließlich spielen auch mögliche Lärmund/ oder Geruchsbelästigungen sowohl durch Fahrzeuge (vgl. z.B. den hohen Lärmpegel in den Triebfahrzeugen der Baureihe 612 oder Abgasgeruch bei Dieselfahrzeugen) als auch andere Mitreisende eine Rolle. Der Fahrkomfort wird vom Sitz- und Aufenthaltskomfort in Fahrzeugen und Wartebereichen sowie Beschäftigungsmöglichkeiten während der Fahrt beeinflusst. Ein entscheidendes Kriterium dürfte aber auch die Zahl der Umsteigevorgänge sein. Unter Nutzungsmöglichkeit sollen Flexibilität, Spontaneität und Freiheit bei der Nutzung eines Verkehrsmittels verstanden werden. Je größer und dichter beispielsweise ein Liniennetz und je dichter die Taktfolge, umso flexibler kann das Verkehrsmittel genutzt werden. Durch leicht zugängliche und verständliche Information sowie transparente Gestaltung der zu absolvierenden Wege können Unsicherheit vermieden und zugleich Zugangshindernisse reduziert werden. Letztere werden auch durch entsprechende bauliche Maßnahmen beeinflusst (vgl. Bahnsteighöhe, Treppen vs. Lifte, Hochflurvs. Niederflurtechnik). Soziale Kontakte beinhalten die Möglichkeit, den direkten Kontakt zu Mitreisenden herzustellen bzw. zu vermeiden (vgl. z.B. Großraumwagen vs. Abteilwagen). Je nach Individuum und Situation können die sich bietenden Möglichkeiten als positiv oder negativ eingeschätzt werden. In die Kategorie Erfüllung übergeordneter individueller, gruppenbezogener oder gesellschaftlicher Normen fallen die Imagebzw. Statuswirkung eines Verkehrsmittels, die mit seiner Nutzung verbundene Erlebnisfreude sowie die Umweltfreundlichkeit. Schnittstelle SPFV/ SPNV/ ÖSPV, Växjö Straßenbahnhaltestelle, Bern Die genannten Eigenschaften lassen sich hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht ohne weiteres in eine feste Reihenfolge bringen. Beeinflussend wirken hier die Erhebungsmethode, das Untersuchungsgebiet sowie die allgemeinen Rahmenbedingungen (z.B. zur Verfügung stehende Alternativen, Auswahl der Kriterien). 880 Es sind aber folgende verallgemeinernde Aussagen möglich: 880 vgl. Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 164 <?page no="319"?> 4.4 Private als Nachfrager 319 Im Berufsverkehr sind die Fahrzeiten von wesentlich größerer Bedeutung als die Kosten. Weitere wichtige Kriterien sind Umsteigehäufigkeiten und Pünktlichkeit. Mittlere Wichtigkeit haben Takt, Sitzplatzverfügbarkeit und Kosten. Im Vergleich zu den genannten Kriterien spielen Design und Ausstattung der Verkehrsmittel nur eine untergeordnete Rolle. Es kann angenommen werden, dass Fahrzeit und Pünktlichkeit im Freizeitverkehr von geringerer Wichtigkeit sind. Bei Fahrten, die zum Einkaufen dienen, stehen wahrscheinlich die Laufwege sowie die Möglichkeit, Gepäck mitzunehmen, im Vordergrund. Bei Freizeitfahrten sowie bei Dienstfahrten wird oft eine hohe Flexibilität gefordert. Müssen Arbeitsmittel mitgenommen werden, scheint die Nutzung des Pkw oft unausweichlich. Von der zurückzulegenden Entfernung wird die Bedeutung des Komforts bestimmt. Ein Sitzplatz hat natürlich bei großen Entfernungen eine größere Bedeutung als bei Kurzstecken. Kürzere Strecken sowie Freizeit- und Einkaufsfahrten zeichnen sich zudem durch eine höhere Preiselastizität aus. Der Berufsverkehr weist demgegenüber hinsichtlich der ÖPNV- Fahrkartenpreise eine relativ geringe Elastizität auf. Je nach Tageszeit könnte der Wunsch nach Sicherheit variieren. Mit steigender Hierarchiestufe im Unternehmen lässt die Bedeutung der öffentlichen Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit nach. Zwischen einzelnen Personengruppen sind große Unterschiede zu verzeichnen. 881 Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde auch die Frage nach den Kriterien eines guten ÖPNV-Systems sowie deren Bedeutung gestellt. Dabei wurden folgende zwölf Kriterien vorgegeben: Pünktlichkeit, Sicherheit an Haltestellen und in Fahrzeugen, einheitliches und übersichtliches Fahrpreissystem (z.B. Verbundtarif), Anschluss- und Übergangssicherheit, dichter und regelmäßiger Taktfahrplan, Sauberkeit an Haltestellen und in Fahrzeugen, kurze Reisezeiten, ausreichende Sitzmöglichkeiten, aktuelle Fahrgastinformationen und Serviceleistungen, moderne und komfortable Fahrzeuge, Parkand-Ride-Plätze (Autoparkplatz z.B. an Endhaltestellen) sowie die Möglichkeit, ein Fahrrad mitzunehmen. Als wichtigste Kriterien wurden die fünf erstgenannten eingestuft. Doch auch die anderen Kriterien weisen eine durchweg hohe Bedeutung auf. Keines der Kriterien wurde von den Befragten als unwichtig eingeschätzt. Selbst das unwichtigste der genannten Kriterien, die Möglichkeit der Fahrradmitnahme, hielten noch 56 % der Befragten für wichtig. Auffällig war, dass sich die Meinungen von ÖPNV-Nutzern und Nicht-Nutzern hier nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Die Autoren der Studie ziehen daraus den Schluss, dass nicht ein einzelner Faktor, sondern ein ganzes Bündel von Faktoren von der Benutzung des ÖPNV abhält. Zur Gewinnung neuer Nutzer reicht es deshalb nicht aus, wenn Verkehrsbetriebe ihr Angebot in einzelnen Punkten verbessern. Vielmehr ist hier die Umsetzung von Maßnahmenbündeln notwendig, worüber (potentielle) Nutzer auch entsprechend informiert werden müssen. 882 In einer erneuten Befragung zehn Jahr später lag der Fokus auf einer verbesserten Anbindung mit kurzen Entfernungen zur nächsten Haltestelle, dichteren Takten und direkten Verbindungen ohne oder mit wenigen Umstiegen sowie preiswerteren Fahrscheinen. Nicht ganz so wichtig eingestuft 881 vgl. Transport and Road Research Laboratory: The Demand for Public Transport, Report of the International Collaborative Study of the Factors Affecting Public Transport Patronage, Crowthorne 1980, 145ff; Beesley, Michael E.; Kemp, Michael A.: Urban Transportation, in: Handbook of Regional and Urban Economics, Vol. II, Amsterdam u.a. 1987, 1037; Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 165ff; Manz, Wilko; Wittowsky, Dirk: Fernpendeln - mit welchem Verkehrsmittel? , in: Internationales Verkehrswesen, 9/ 2007, 400ff 882 vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2006 - Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Berlin 2006, 53 <?page no="320"?> 320 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen wurden kürzere Fahrzeiten, übersichtlichere Fahrpläne an Haltestellen und in Apps, saubere Fahrzeuge, höhere Sicherheit, mehr Platz und mehr Komfort. 883 Nicht vernachlässigt werden sollte die Tatsache, dass im Nahverkehr häufig Wegeketten, d.h. die Verknüpfung von Wegen und Fahrtzwecken, von Relevanz sind. Hierbei besticht der Pkw durch seine hohe Flexibilität, die eine nahezu uneingeschränkte Kombinierbarkeit von Wegen ermöglicht. Der ÖPNV stellt dabei nur dann eine Alternative dar, wenn er eine dichte Vertaktung, viele Haltestellen und niedrige Preise aufweist. 4.4.4 Einfluss von persönlichen Eigenschaften Inwieweit bestimmte Verkehrsmitteleigenschaften als nutzenstiftend (oder nicht nutzenstiftend) eingestuft werden, hängt von verschiedenen weiteren Faktoren ab. Zum einen kommen hier die generell das Konsumverhalten beeinflussenden Faktoren zum Tragen. Dazu zählen demographische und sozioökonomische Faktoren. Diese schlagen sich meistens in Form von Restriktionen auf das Verkehrsverhalten nieder. Ausgehend von Alter und Einkommen bieten sich unterschiedliche Handlungsspielräume bzw. -alternativen. Einen besonders großen Einfluss üben sie auf die Wegehäufigkeit aus. Ebenso sind Einflüsse auf die Verkehrsmittelwahl nachweisbar, wobei die Verfügbarkeit eines Pkws als wesentliches Kriterium gilt. Darüber hinaus spielen die Merkmale des Haushalts, zu dem ein Individuum gehört, eine Rolle (vgl. insbesondere Vorhandensein von Kindern). Zum anderen sind psychologische Faktoren (wie Einstellungen und Werte) von Relevanz. kulturelle Faktoren Kulturkreis, Subkultur, soziale Schicht soziale Faktoren Bezugsgruppen, Familie, Rollen und Status persönliche Faktoren Alter, Lebensabschnitt, Beruf, wirtschaftliche Verhältnisse, Lebensstil, Persönlichkeit und Selbstbild psychologische Faktoren Ansichten und Einstellungen, Motivation, Wahrnehmung, Lernen Tabelle 4-7 Das Konsumverhalten beeinflussende Faktoren 884 Zudem gehen Eigenschaften der beabsichtigten Fahrt ein. Diese lassen sich mit Fahrtzweck, Zeitpunkt der Fahrt und der konkreten Quell-Ziel-Relation (insbesondere die Reiseweite) beschreiben. 885 Schließlich fließen auch das bisherige Verhalten und dabei gewonnene Erfahrungen ein. Diese Erfahrungen können sich sowohl auf die tatsächliche Nutzung eines bestimmten Angebots als auch auf Reaktionen aus dem sozialen Umfeld beziehen. 883 vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Umweltbewusstsein in Deutschland 2016, Berlin 2017, 63f 884 erstellt nach: Kotler, Philip; Keller, Kevin Lane: Marketing Management, Harlow 2012, 173ff 885 vgl. Knapp, Frank D.: Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin 1998, 165ff <?page no="321"?> 4.4 Private als Nachfrager 321 Fallstudie: Mobilität in der Stadt „Längst hat sich gezeigt, dass sich die Städte nicht dem Individualverkehr anpassen können, sondern dass sich der Verkehr umgekehrt nach den Möglichkeiten der Städte zu richten hat.“ 886 Die Entwicklung der Städte steht in engem Zusammenhang mit Produktion, Handel und Verkehr. Dabei spielt insbesondere die Konzentration des Angebots sowie die Versorgungsfunktion für das Umland eine entscheidende Rolle. Das Verkehrsaufkommen in Städten resultiert aus verschiedenen Faktoren, die je nach Standort unterschiedlich ausgeprägt sein können: Dazu zählen beispielsweise topographische Gegebenheiten, sozio-demographische Faktoren (wie Einwohnerzahlen, Bevölkerungsdichte, Haushaltsgrößen, Einkommen, Alter), Dichte, Ausdehnung und Zustand vorhandener Verkehrs- und Versorgungsinfrastrukturen sowie das diesbezügliche Nutzungsverhalten. Dabei weist der Innenstadtverkehr typische Merkmale auf: „hohe Verkehrsdichte allgemein, aufgrund von Bebauungsdichte und Konzentration höherwertiger Nutzungen (Handel, Dienstleistungen) im Zentrum, Konzentration von Folgelasten des motorisierten Verkehrs (insbes. Luft- und Lärmemissionen) in zentralen Bereichen von Fußgängerzonen in den Stadtzentren, relativ hohe Anteile des nichtmotorisierten Verkehrs [...], große Bedeutung des Öffentlichen Personennahverkehrs [...], zunehmend ausgewogene tageszeitliche Verteilung (Abbau der Nachmittagsspitze aufgrund flexibler Arbeits- und Betriebszeiten, ausgedehnter Ladenöffnung), Knappheit an Parkraum sowie hohe Nutzungsdichte begünstigen verkehrsplanerische Steuerungsansätze, etwa die Förderung des ÖPNV oder des nichtmotorisierten Verkehrs.“ 887 Straßenbahn in Einkaufsstraße, Graz Stadtbus, Trondheim 886 Bernet, Ralph: Das Schweizer Tram auf Erfolgskurs, in: Bernet, Ralph (Hrsg.): Trams in der Schweiz, München 2000, 10 887 Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 186 <?page no="322"?> 322 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Öffentlicher Parkraum, Stockholm Mit dem Rad mobil, Leipzig Attraktivität, Sicherheit und Nutzungsqualität der Innenstädte sind entscheidend vom Platzbedarf des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs sowie den dadurch verursachten Emissionen abhängig. Innenstadtbereiche sind durch die Merkmale ihrer Nutzung, Aspekte des Städtebaus und der Verkehrserschließung für den nichtmotorisierten Verkehr bzw. öffentlichen Personennahverkehr besonders geeignet. Öffentliche Einrichtungen, Einzelhandel und Gastronomie liegen eng beieinander, so dass diese Stellen auch mit dem Rad oder zu Fuß leicht zu erreichen sind. Gleichzeitig gelten diese Fortbewegungsarten als besonders umweltfreundlich und ermöglichen darüber hinaus sozial ausgewogenere Teilnahmemöglichkeiten als dies beim motorisierten Straßenverkehr der Fall ist. Dennoch hat sich die Verkehrsforschung und -planung lange Zeit nur unzureichend mit dem Radfahren und Zufußgehen beschäftigt. 888 Aufgabe 1: Welche Nachfragergruppen sind im Rahmen der Thematik „Mobilität in der Stadt“ von Interesse? Aufgabe 2: Welche Bedürfnisse haben diese Nachfragergruppen? Aufgabe 3: Welche Wege legen diese Nachfragergruppen zurück? Aufgabe 4: Analysieren Sie anhand einer Stadt Ihrer Wahl, inwieweit diese den ermittelten, nachfragespezifischen Bedürfnissen gerecht wird! 888 vgl. Nuhn, Helmut; Hesse, Markus: Verkehrsgeographie, Paderborn u.a. 2006, 189ff <?page no="323"?> 4.4 Private als Nachfrager 323 Fallstudie: Vélib‘ - Per Rad durch Paris „Bis vor kurzem war es lebensgefährlich, in Paris Fahrrad zu fahren. Jetzt ist es nur noch gefährlich, dafür aber äußerst angesagt.“ 889 Fahrradverleihsysteme sind mittlerweile nichts Neues mehr. In zahlreichen europäischen Großstädten wurden sie bereits etabliert, wie in Amsterdam, Bern, Brüssel, London, Oslo, Stockholm oder Wien. Auch in vielen deutschen Städten können Fahrräder ausgeliehen werden, so z.B. in Berlin, Hamburg, Leipzig, Mainz, München oder Stuttgart. 890 Betrieben werden diese Systeme durch Außenwerbungsunternehmen, auf die Vermietung spezialisierte Unternehmen wie DB Rent GmbH und Nextbike GmbH oder auch Nahverkehrsbetriebe. Allerdings hält sich hierbei die Zahl der bereitgestellten Räder in Grenzen und schwankt je nach Stadt zwischen 400 und 2.000. In Paris dachte man in anderen Dimensionen. Unter dem Namen „Vélos en libre-service à Paris“ (Vélib‘) wurde hier ab Mitte 2007 schrittweise ein inzwischen flächendeckendes Netz von Fahrradverleihstationen aufgebaut, das nicht nur die Stadt, sondern auch Teile des Umlandes abdeckt und als größtes Leihfahrradsystem der Welt gilt. Über 20.000 Fahrräder umfasste das Verleihsystem. Der potentielle Nutzer fand etwa alle 300 Meter eine Ausleihbzw. Abstellstation; insgesamt wurden davon rund 1.800 eingerichtet. An einem Terminal konnten Fahrräder rund um die Uhr ausgeliehen und zurückgegeben, Tages- oder 7-Tages-Karten bzw. Abonnements gekauft, Stadtpläne eingesehen, die Verfügbarkeit von Fahrrädern abgefragt oder Kontakt zum Kundenservice aufgenommen werden. Je nach Lage gab es an einer Station bis zu 70 Fahrradständer. Jeder war mit einem Schließsystem, Leuchtanzeigen, Audiosignalen und einem Kartenleser ausgestattet. 891 Ausleih-/ Abstellstation in der Avenue Rapp Verfügbare Räder am Gare d‘Austerlitz Die Fahrrad-Flotte bestand aus einheitlichen, graulackierten Rädern. Neben der für einen verkehrssicheren und komfortablen Einsatz erforderlichen Ausstattung waren sie mit einer Drei-Gang-Schaltung 889 Otte, Carsten: Goodbye Auto - Ein Leben ohne Führerschein, München 2009, 62 890 Zu weiteren Beispielen siehe auch: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Innovative öffentliche Fahrradverleihsysteme, Berlin/ Bonn 2012 891 vgl. Mairie de Paris: Comment ça marche? - Les stations, http: / / www.velib.paris.fr, 09.09.2013 <?page no="324"?> 324 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen und einem Fahrradkorb versehen. 160 Mitarbeiter waren täglich im Einsatz, um defekte Räder vor Ort oder - sofern größere Schäden zu beheben sind - in einer Werkstatt zu reparieren. 892 Grundvoraussetzung für die Nutzung der Fahrräder war eine Zugangskarte, die es in verschiedenen Formen gab, so z.B. als Jahresabonnement (29 € bzw. 39 €), Tages- (1,70 €) oder 7-Tages-Karte (8 €) sowie als spezielles Jahresabonnement für Jugendliche (19 € bzw. 29 €) bzw. Einwohner mit einem geringen Einkommen (19 €). Fahrten unter 30 Minuten (bzw. 45 Minuten bei einigen Tarifen) waren generell kostenlos. Eine zusätzliche halbe Stunde kostete 1 €, eine weitere halbe Stunde 2 €. Ab der dritten zusätzlichen halben Stunde waren jeweils 4 € zu zahlen. 893 Auch aufgrund dieser Tarifstruktur eignete sich das Fahrrad vor allem für kurze Wege. Ziel des Konzeptes war es, das Fahrrad in Paris als alternatives bzw. ergänzendes Fortbewegungsmittel zu etablieren. Deshalb befanden sich die Ausleihbzw. Abstellstationen oft in der Nähe von Haltestellen des ÖPNV. Der Erfolg gabt den Initiatoren recht: „Die Erfolgsgeschichte hat die Fortbewegungskultur in der französischen Hauptstadt verändert. Vor Jahren noch war es undenkbar, dass Geschäftsleute in Anzug und Krawatte in die Pedale treten und Damen im Kostüm - eine Hand am Lenker, die andere am Rocksaum - Paris hoch zu Rad durchqueren, während ihre Tasche im vorn montierten Fahrradkorb ruht.“ 894 Innerhalb der ersten fünf Jahre wurden über 130 Millionen Fahrten mit Vélib‘-Rädern absolviert, in Spitzenzeiten bis zu 140.000 Fahrten pro Tag, wobei bis zu 50 % der Fahrten berufliche Gründe hatten. In dieser Zeit wurden rund 13 Mio. 1- und 7-Tages-Karten verkauft. Zudem gab es 224.000 Jahres-Abonnenten. Auch immer mehr eigene Fahrräder kamen in Paris zum Einsatz. Die Zahl der Fahrradfahrer stieg dabei um 41 %. 94 % der Pariser waren der Meinung, dass ihre Stadt durch Vélib‘ angenehmer geworden ist. Doch nicht nur die Einwohner, auch die Touristen profitierten von diesem System. 895 Um das Radfahren in der Stadt zu erleichtern, wurden bereits mehrere hundert Kilometer Radwege ausgewiesen, die allerdings immer noch nicht ausreichen. Oft handelt es sich dabei um Einbahnstraßen, die auch in der Gegenrichtung befahren werden dürfen, bzw. um für Autobusse reservierte Spuren. Zukünftig soll es in der Stadt 700 km Radwege geben und das Radfahren sicherer sein. 896 An den Ampelkreuzungen hat man dabei bereits an die Radfahrer gedacht und Fahrradschleusen eingerichtet. Trotz der großen Anzahl an Leihfahrrädern kam es an schönen Tagen in bestimmten Stadtgebieten immer wieder zu Kapazitätsengpässen. Ebenso konnte die Abgabe der Räder problematisch sein, wenn man keinen freien Stellplatz fand. 897 Daher hat man das Auffinden verfügbarer Fahrräder und Abstellstationen durch verschiedene Smartphone-Apps erleichtert. 898 Den Betrieb des Verleihsystems hatte die Stadt Paris per Konzession für zehn Jahre an das auf Außenwerbung und Stadtmöblierung spezialisierte Unternehmen JCDecaux abgegeben, das Fahrradverleih v.a. europaweit (so z.B. in Brüssel, Dublin, Lyon, Luxemburg und Wien), aber auch außerhalb Europas praktiziert. Dadurch fielen für die Stadt zunächst keinerlei Errichtungs-, Unterhalts- oder Wartungs- 892 vgl. Mairie de Paris: Comment ça marche? - Les vélos, http: / / www.velib.paris.fr, 09.09.2013 893 vgl. Mairie de Paris: Abonnements et tarifs, http: / / www.velib.paris.fr, 09.09.2013 894 Simons, Stefan: Paris radelt vorweg (24.06.2012), in: Spiegel Online, http: / / www.spiegel.de, 09.09.2013 895 vgl. Simons, Stefan: Paris radelt vorweg (24.06.2012), in: Spiegel Online, http: / / www.spiegel.de, 09.09.2013; Mairie de Paris: Vélib‘, Paris 2012, 4; Mairie de Paris: A l’occasion des 6 ans de Vélib’, 15 stations habillées aux noms de 15 Parisiens accros à Vélib‘, 12.07.2013; Rieckmann, Tanja: Wie Europas Städte aufs Velo kommen (25.10.2010), in: Spiegel Online, http: / / www.spiegel.de, 09.09.2013 896 vgl. Mairie de Paris: Vélib‘, Paris 2012, 3 897 vgl. Lehnartz, Sascha: Unter Galliern, Berlin 2012, 84 898 vgl. Simons, Stefan: Paris radelt vorweg (24.06.2012), in: Spiegel Online, http: / / www.spiegel.de, 09.09.2013 <?page no="325"?> 4.4 Private als Nachfrager 325 kosten an. JCDecaux refinanziert sich über die Vermarktung von Werbeflächen. 899 Allerdings musste schon frühzeitig dieser Vertrag nachverhandelt werden, um so hohe Kosten durch Vandalismusschäden abzudecken. Hierbei hat sich die Stadt Paris verpflichtet, sich an der Deckung dieser Kosten sowie auch jener, die durch Diebstahl entstehen, zu beteiligen. Ausgewiesene Radwege Jedem seine Spur Bus- und Fahrradspur, Boulevard St. Michel Radfahrer zuerst, Quai Branly Seit 2018 wird das Verleihsystem unter dem Namen „Vélib‘ Métropole“ durch ein Konsortium namens Smovengo betrieben. Dies bedeutet, dass die Andockstationen des bisherigen Betreibers JCDecaux entfernt und auch die bisherige Fahrradflotte aus dem Verkehr gezogen wurde. 900 Nun kommt eine neue Generation an Fahrrädern zum Einsatz: Zum einen sind die Fahrräder leichter, weniger vandalismusanfällig und ortbar, zum anderen machen 30 % der Flotte Elektrofahrräder aus mit einer Reichweite von 50 km und einer maximalen Geschwindigkeit von 25 km/ h. Eine schrittweise Erhöhung des Anteils soll bei Bedarf leicht möglich sein durch einen schnellen Umbau konventioneller Räder. 901 Um den Einsatz dieser neuen Fahrradgeneration zu gewährleisten, sollten 1.400 moderne Ausleihstationen eingerichtet werden. 902 899 vgl. JCDecaux Deutschland GmbH: Citybike, http: / / www.jcdecaux.de, 09.09.2013; JCDecaux: CycloCity - Les villes, http: / / www.cyclocity.com, 09.09.2013 900 vgl. Balmer, Rudolf: Radnerv à la française (18.01.2018), http: / / www.taz.de, 26.05.2020 901 vgl. Smovengo: Des vélos électriques pour raccourcir les distances, http: / / www.velib-metropole.fr, 26.05.2020 902 vgl. Smovengo: Les stations, au cœur du dispositif de vélos en libre-service, http: / / www.velib-metropole.fr, 26.05.2020 <?page no="326"?> 326 4 Nachfrager von Verkehrsdienstleistungen Allerdings liefen der Betreiberwechsel und die Umstellung auf das neue System keineswegs reibungslos: „Das Pariser Mietvelo Vélib‘ ist seit zehn Jahren eine fast ungetrübte Erfolgsgeschichte. Doch jetzt sind die regelmäßigen Kunden frustriert. Die Stadtbehörden hatten ihnen dank einem Wechsel der Anbieterfirma viel leichtere und teilweise mit Elektromotoren ausgestattete Velos in Aussicht gestellt und mit Hinweis auf einen besseren Kundendienst bereits den Abonnementpreis von 29 auf 37 Euro pro Jahr erhöht. Diese Teuerung hatte bereits für Unmut unter den regelmässigen Benutzern, zu denen viele Studierende mit bescheidenen Budgets gehören. Jetzt ist aber manchen von ihnen der Kragen geplatzt, weil sie seit der Umstellung des Dienstleisters vergeblich ihr Mietvelo suchen.“ 903 Denn Anfang 2018 waren lediglich 80 Stationen nutzbar 904 , später verbesserte sich die Lage zwar, dennoch war zeitweise nur die Hälfte der versprochenen Stationen in Betrieb. Vertragsstrafen waren die Folge. 905 Die Problemlage wollten sich zwischenzeitlich mehrere asiatische Fahrradverleiher mit sogenannten „Free-floating“-Systemen zunutze machen, um Marktanteile zu gewinnen. Doch sie zogen sich aufgrund von Vandalismusschäden und Diebstahl großteils relativ schnell wieder aus dem Markt zurück. 906 Smovengo hat inzwischen nachgebessert, und es sind die ursprünglich versprochenen 1.400 Stationen verfügbar. 907 Aufgabe 1: Recherchieren Sie, welche Formen von Fahrradverleihsystemen es generell gibt! Aufgabe 2: Welche Vorbzw. Nachteile weist die Nutzung eines Leihfahrrads gegenüber einem eigenen Fahrrad auf? Aufgabe 3: Welche Voraussetzungen müssen zur Umsetzung eines solchen Verleihkonzepts gegeben sein? Aufgabe 4: Analysieren Sie die Stärken und Schwächen des Pariser Konzepts! Aufgabe 5: Was unterscheidet das Pariser Fahrradverleihsystem von denen anderer europäischer Hauptbzw. Großstädte? 903 Balmer, Rudolf: Ärger um Mietvelos in Paris - Chinesen wollen davon profitieren (02.02.2018), http: / / www. nzz.ch, 26.05.2020 904 vgl. Balmer, Rudolf: Radnerv à la française (18.01.2018), http: / / www.taz.de, 26.05.2020 905 vgl. Brändle, Stefan: Nur noch Ärger mit den Drahteseln (23.03.2018), http: / / www.fr.de, 26.05.2020 906 vgl. Wisniewski, Jan: Fahrrad-Sharing in Paris: Ein Beitrag für den Umweltschutz? (24.10.2019), http: / / www. reset.org, 26.05.2020 907 vgl. Smovengo: Les stations, au cœur du dispositif de vélos en libre-service, http: / / www.velib-metropole.fr, 26.05.2020 <?page no="327"?> Teil C Öffentlicher Personennahverkehr <?page no="329"?> 5 Zum Stellenwert des ÖPNV „Was ist öffentlicher Verkehr? Mit Bussen und Bahnen des öffentlichen Verkehrs zu fahren heißt, zu Zeiten, die einem nicht richtig passen, mit Menschen, die man sich nicht ausgesucht hat, zu einer Haltestelle zu fahren, die eigentlich nicht das Ziel der Reise ist.“ 908 Etwa 31 Mio. Fahrgäste nutzen täglich den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). 909 Ihnen stehen direkt sowie indirekt knapp 400.000 Mitarbeiter in öffentlichen und privaten Unternehmen zur Erfüllung dieser Aufgabe der Daseinsvorsorge gegenüber. 910 Insbesondere in Ballungsräumen ist zu ihrer verkehrsbezogenen Entlastung die Sicherung der Mobilität von Relevanz. In den Regionen soll der ÖPNV zur Schaffung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse beitragen. Täglich sind dafür rund 60.000 Busse und Bahnen in Deutschland im Einsatz, wobei die Linienbusse mehr als die Hälfte davon ausmachen. Durch Fahrten mit diesen Verkehrsmitteln können täglich etwa 20 Mio. Autofahrten ersetzt werden. 911 ÖPNV in Ballungsgebieten ... ... und im ländlichen Raum Die Systemvorteile von Bus und Bahn ermöglichen eine Entlastung der Umwelt und eine Reduzierung klimarelevanter Emissionen. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere der Schienenpersonennahverkehr, der - durch Fahrzeuggröße und entsprechende Vertaktung - eine effiziente Abwicklung großer Pendlerströme ermöglichen kann. 912 Im Rahmen der Erhebung „Mobilität in Deutschland“ wurde folgender Modal Split, gegliedert nach Raumtypen, ermittelt: 908 Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 317 909 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2018, Köln 2019, 24 910 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Gut angebunden mit Bus und Bahn, http: / / www.bmwi.de, 29.01.2019 911 vgl. o.V.: Daten & Fakten Personen- und Schienengüterverkehr, http: / / www.vdv.de, 09.09.2020 912 vgl. Dorsch, Monique: Verkehrswirtschaft, Plauen 2005, 102ff; Daduna, Joachim; Bornkessel, Steffen: Pendlerverkehre als Herausforderung an den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr, in: Lasch, Rainer; Lemke, Arne (Hrsg.): Wege zu einem zukunftsfähigen ÖPNV, Berlin 2006, 185ff <?page no="330"?> 330 5 Zum Stellenwert des ÖPNV Raumtyp zu Fuß Fahrrad MIV*- Fahrer MIV- Mitfahrer ÖPNV Stadtregion Metropole 27 % 15 % 28 % 10 % 20 % Regiopole oder Großstadt 24 % 14 % 37 % 13 % 12 % Mittelstadt, städtischer Raum 21 % 10 % 46 % 15 % 8 % kleinstädtischer, dörflicher Raum 18 % 8 % 51 % 15 % 7 % ländliche Region zentrale Stadt 24 % 13 % 41 % 15 % 7 % Mittelstadt, städtischer Raum 20 % 9 % 49 % 16 % 6 % kleinstädtischer, dörflicher Raum 17 % 7 % 55 % 15 % 5 % * MIV = motorisierter Individualverkehr Tabelle 5-1 Modal Split nach Raumtyp 913 Nicht zu vernachlässigen ist die Bedeutung des ÖPNV als Wirtschafts- und Standortfaktor. Viele der direkt bzw. indirekt aus dem ÖPNV resultierenden Arbeitsplätze weisen eine regionale Bindung auf und können somit nicht ins Ausland verlagert werden. 914 Auch die Produktion von Fahrzeugen für den ÖPNV hat Auswirkungen auf die Beschäftigung. Durch die Herstellung von Kleinserien, die auf spezielle Anforderungen von Betreibern und genehmigenden Behörden angepasst werden müssen, ist ein Automatisierungsbzw. Standardisierungsgrad wie in der Automobilindustrie nicht möglich. Zudem ist die Instandhaltung der Fahrzeuge sowie auch der Infrastruktur beschäftigungsintensiv. 915 913 erstellt nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilität in Deutschland, Berlin 2018, 17 914 vgl. o.V.: Daten & Fakten Personenverkehr, http: / / www.vdv.de, 29.01.2019 915 vgl. Union Internationale des Transports Publics: Der ÖPNV schafft grüne Arbeitsplätze und fördert ein integratives Wachstum, Brüssel 2013, 4 <?page no="331"?> 6 Rechtliche Rahmenbedingungen 331 6 Rechtliche Rahmenbedingungen Der öffentliche Verkehr lässt sich gliedern in den öffentlichen Personenfernverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr. Bei letzterem kann weiter differenziert werden in Regional- und Stadtverkehr, die wiederum als öffentlicher Straßenpersonennahverkehr oder Schienenpersonennahverkehr auftreten können. Öffentlicher Verkehr (ÖV) Öffentlicher Personenfernverkehr (ÖPFV) Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) Regionalverkehr Stadtverkehr Öffentlicher Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) Schienenpersonennahverkehr (SPNV) realisierte Ortsveränderung über eine weite Entfernung Fernzugreiseverkehr, Linienluftverkehr, Fernbusverkehr, Fährfernverkehr Regionalbusse, Stadtbusse, O-Busse, konzessionierte Taxiverkehre Regionalbahnen, Stadtbahnen/ Metros, S-Bahnen, Straßenbahnen realisierte Ortsveränderung innerhalb einer Region (Reiseweite unter 50 km oder Fahrzeit unter 1 h) Abbildung 6-1 Systematisierung des öffentlichen Personenverkehrs 916 Während im Fernverkehr rund ein Drittel der Verkehrsleistungen im öffentlichen Personenverkehr erbracht wird, sind die anderen beiden Drittel dem Nahverkehr zuzurechnen. Anders aber als der Fernverkehr unterliegt der Nahverkehr einer besonderen rechtlichen und politischen Reglementierung. Zum ÖPNV werden „ Betriebe, die den Personenverkehr in Ballungsgebieten, innerhalb von Gemeinden, von Gemeindeverbänden oder von Regionen betreiben “ 917 , gerechnet. Nach § 8 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) versteht man unter ÖPNV „ die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt. “ Nach § 2 Abs. 5 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes wird der Schienenpersonennahverkehr analog dazu definiert als „ die allgemein zugängliche Beförderung von Personen in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, 916 erstellt nach: Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 318; Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 373 917 Brauer, Karl M.: Betriebswirtschaftslehre des Verkehrs - Erster Teil: Tätigkeitsbestimmungen der Verkehrsbetriebe, Berlin 1991, 60 <?page no="332"?> 332 6 Rechtliche Rahmenbedingungen die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Zuges die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt. “ ÖPFV: EC, Kirchberg/ Tirol ÖSPV: Stadtbus, Namur SPNV in der Region: Nahverkehrszug, Gera SPNV in der Stadt: Straßenbahn, Zagreb ÖPNV-Definitionen in Nachbarländern Anders als in Deutschland verzichtet man in Österreich hierbei auf genaue Entfernungsbzw. Zeitangaben und definiert wie folgt: „ Unter Personennahverkehr […] sind Verkehrsdienste zu verstehen, die den Verkehrsbedarf innerhalb eines Stadtgebietes (Stadtverkehre) oder zwischen einem Stadtgebiet und seinem Umland (Vorortverkehre) befriedigen. “ 918 In Abgrenzung dazu versteht man unter Personenregionalverkehr „ nicht unter den Anwendungsbereich der Bestimmung des Abs. 1 fallende Verkehrsdienste […], die den Verkehrsbedarf einer Region bzw. des ländlichen Raumes befriedigen. “ 919 Anstelle des Begriffs Nahverkehr ist in der Schweiz die Bezeichnung Ortsverkehr gebräuchlich. Davon abgegrenzt werden Regional- und Fernverkehr. 920 918 § 2 Abs. 1 Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs 1999 919 § 2 Abs. 2 Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs 1999 920 vgl. Art. 16 Bundesgesetz über die Personenbeförderung (Personenbeförderungsgesetz) vom 20. März 2009 (Stand 1. März 2018) <?page no="333"?> 6 Rechtliche Rahmenbedingungen 333 Für die im ÖPNV eingesetzten Schienenfahrzeuge gelten unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen. Während Straßenbahnen und U-Bahnen der Verordnung über den Bau und Betrieb von Straßenbahnen (BOStrab) unterliegen, greift bei S-Bahnen und Regionalbahnen, die den Eisenbahnen zuzurechnen sind, die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO). Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) definiert Eisenbahnen als „ öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen). “ 921 Nach dem Unternehmenszweck werden Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen unterschieden. Hauptaufgabe der Eisenbahnverkehrsunternehmen ist das Erbringen von Transportdienstleistungen. Zu den Aufgaben von Eisenbahninfrastrukturunternehmen zählen die Bereitstellung und der Unterhalt von Schienenwegen, Fahrplankonstruktion sowie das Betreiben von Betriebsleit- und Sicherungssystemen. 922 Als öffentliche Eisenbahnen gelten all jene Eisenbahnverkehrsunternehmen, die „ gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und jedermann sie nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung benutzen kann “ 923 sowie alle Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die „ Zugang zu ihrer Eisenbahninfrastruktur gewähren müssen “. 924 Ebenso zählen Betreiber von Schienenwegen, sofern sie Zugang zu ihren Schienenwegen gewähren müssen, zu den öffentlichen Eisenbahnen. 925 Alle übrigen Eisenbahnen stellen nicht-öffentliche Eisenbahnen dar. 926 Ende 2018 existierten knapp 440 öffentliche und gut 150 nicht-öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeughalter in Deutschland. 927 Eisenbahnen des Bundes sind „ Unternehmen, die sich überwiegend in der Hand des Bundes oder eines mehrheitlich dem Bund gehörenden Unternehmens befinden. “ 928 Nichtbundeseigene Eisenbahnen , die auch als Privatbahnen bezeichnet werden, sind demzufolge Eisenbahnen, die sich nicht überwiegend in der Hand des Bundes befinden. Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz, RegG) gilt die Gewährleistung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Leistungen des öffentlichen Personenverkehrs als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Der öffentlichen Hand obliegt damit eine gewisse Verantwortung in Bezug auf die Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung. Dabei muss die Daseinsvorsorge nicht von der öffentlichen Hand selbst erbracht, sondern es müssen lediglich Rahmenbedingungen zur Erbringung der Leistungen durch Dritte sowie zur Kontrolle geschaffen werden. Daseinsvorsorge im Bereich des Verkehrs stellt eine zumindest mittelfristig ausgelegte Politik des Staates dar. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Subsidiarität und wird von den Aufgabenträgern auf der jeweils zuständigen gebietskörperschaftlichen Ebene übernommen. 921 § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz 922 vgl. Pachl, Jörn: Systemtechnik des Schienenverkehrs, Wiesbaden 2011, 4 923 § 3 Abs. 1 Satz 1 Allgemeines Eisenbahngesetz 924 § 3 Abs. 1 Satz 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 925 vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 Allgemeines Eisenbahngesetz 926 § 3 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 927 vgl. Eisenbahn-Bundesamt: Liste der öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland, http: / / www.eba.bund.de, 14.02.2019; Eisenbahn-Bundesamt: Liste der nicht-öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeughalter (gem. § 31 AEG) in Deutschland, http: / / www.eba.bund.de, 14.02.2019 928 § 2 Abs. 6 Allgemeines Eisenbahngesetz <?page no="334"?> 334 6 Rechtliche Rahmenbedingungen Die meisten Landesnahverkehrsgesetze definieren den ÖPNV als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe. Die Wahrnehmung der Aufgabe erfolgt durch die kommunalen Aufgabenträger (kreisfreie Städte, Landkreise). Freiwilligkeit heißt in diesem Zusammenhang, dass der Aufgabenträger (im Rahmen der Nahverkehrsgesetze) über die Art und den Umfang der Aufgabenerfüllung entscheidet. Bei der Erstellung von Verkehrsdienstleistungen unterliegt der ÖPNV verschiedenen Grundpflichten, die im Personenbeförderungsgesetz verankert sind. Betriebspflicht : Für den Zeitraum, in dem der Betrieb genehmigt ist, muss der Unternehmer diesen aufnehmen und entsprechend der öffentlichen Interessen sowie gemäß dem aktuellen technologischen Stand aufrechterhalten. 929 Beförderungspflicht : Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ist der Unternehmer grundsätzlich verpflichtet, Fahrgäste zu befördern. Zu diesen Voraussetzungen zählen die Einhaltung der Beförderungsbedingungen und die Durchführung der Beförderung mit den regelmäßig eingesetzten Fahrzeugen. Keine Beförderungspflicht liegt vor, wenn besondere Umstände, die der Unternehmer nicht beeinflussen kann, eine Beförderung verhindern. 930 Tarifpflicht : Die Verkehrsunternehmen sind verpflichtet, verbindliche Tarife festzulegen, zu kommunizieren und gleichmäßig anzuwenden. Die Tarife bedürfen der Genehmigung durch die zuständige Genehmigungsbehörde. 931 Fahrplanpflicht : Anfangs- und Endpunkte einer Linie, deren Verlauf inklusive Haltestellen sowie die jeweiligen Abfahrtszeiten müssen in einem Fahrplan enthalten sein. 932 Vergleichbare Regelungen bestehen in Österreich und der Schweiz. 933 929 vgl. § 21 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 930 vgl. § 22 Personenbeförderungsgesetz 931 vgl. § 39 Personenbeförderungsgesetz 932 vgl. § 40 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 933 vgl. § 20 Bundesgesetz über die linienmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen 1999; Art. 12-15 Bundesgesetz über die Personenbeförderung vom 20. März 2009 (Stand 1. März 2018) <?page no="335"?> 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung 7.1 Marketing und Zielgruppenbestimmung Lange Zeit wurde die Bedeutung des Marketings für öffentliche Verkehrsbetriebe unterschätzt. Man war der Ansicht, ein entsprechendes Angebot spreche für sich. Übersehen wurde dabei aber Folgendes: „ Größtes Zugangshemmnis zum ÖPNV ist die unzureichende Information über das ÖPNV- Angebot, woraus sich ein negatives ÖPNV-Image ergibt mit der Folge, dass die Nutzung des PKW Vorrang vor dem Öffentlichen Verkehrsmittel erhält .“ 934 Mit Humor Aufmerksamkeit erzeugen, Berliner Verkehrsbetriebe Begleitende Werbung zur Einführung eines preiswerten Jahrestickets, Verkehrsverbund Tirol Ein Dank an zahlende Kunden in Oslo, Ruter Anregung zum Umstieg auf den ÖPNV, Verkehrsverbund Tirol Um ein angemessenes Angebot in Städten und Regionen bereitzustellen, dauerhaft erfolgreich zu sein und effizient mit den bereitgestellten finanziellen Mitteln arbeiten zu können, müssen nicht nur bestehende Kunden gehalten, sondern auch neue Zielgruppen gewonnen werden. 935 Dazu bedarf es eines abgestimmten Marketing-Konzepts. Überträgt man dies auf den ÖPNV, lassen sich die Themenschwerpunkte Verkehrsangebot (Produkt, Ausstattung, Prozess), Tarif, Vertrieb, Kundenkommunikation und Personal identifizieren: 934 Mager, Thomas J.: Busverkehrssysteme - Erfolgreich durch offensives Marketing, in: Bus & Bahn 5/ 2010, 9 935 vgl. ebd., 8 <?page no="336"?> 336 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Produktpolitik: Linienführung und Liniennetz, Fahrplan; Ausstattungspolitik: Haltestellen, Fahrzeuge, Information und Service; Prozesspolitik: Zugangs-, Warte-, Fahr-, Umsteige- und Abgangszeiten; Preispolitik: Tarifgestaltung, Preisdifferenzierung, Fahrausweisgestaltung; Distributionspolitik: Absatzwege, Absatzorgane; Kommunikationspolitik: Werbung, Verkaufsförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Sponsoring; Personal: Qualifikation, Kundenorientierung. 936 Entscheidend für die Erarbeitung und erfolgreiche Umsetzung von Marketingmaßnahmen sind umfassende Kenntnisse zu den Zielgruppen. Ziel einer Segmentierung der Nachfrage ist das Erkennen homogener Gruppen und die Bereitstellung der notwendigen Informationen für eine zielgruppenorientierte Marketingpolitik. Öffentliche Verkehrsmittel werden täglich von den verschiedensten Menschen genutzt, die bezüglich ihrer sozio-demographischen, psychographischen und verhaltensbezogenen Merkmale Unterschiede aufweisen. Diese Menschen gilt es in homogene Teilgruppen aufzuspalten und möglichst zielgerichtet anzusprechen. Eine Marktsegmentierung wird zunächst häufig nach der Verkehrsmittelnutzung vorgenommen, woraus sich für den ÖPNV grob die Gruppen der Nichtkunden, Gelegenheitskunden und Stammkunden ableiten lassen. Bei letzteren kann eine weitere Unterteilung z.B. nach Fahrtzweck (vgl. Ausbildungs- und Berufsverkehr) oder nach soziodemographischen Merkmalen (vgl. Kinder und Jugendliche, Senioren) erfolgen. 937 wenig Mobile nur selten unterwegs, kein Pkw Fahrradfahrer im Alltag überwiegend Fahrradnutzung, kein Pkw ÖPNV-Captives im Alltag überwiegend ÖPNV-Nutzung, kein Pkw aus Kosten- oder anderen Gründen ÖPNV-Stammkunden im Alltag überwiegend ÖPNV-Nutzung, mit Pkw oder bewusster Verzicht Multimobile im Alltag multimodal unterwegs, Pkw-Besitz oder -Verfügbarkeit ÖPNV-Vermeider Pkw-Besitz oder -Verfügbarkeit, gute ÖPNV-Anbindung, aber abgeneigt MIV-Captives Pkw-Besitz oder -Verfügbarkeit, schlechte ÖPNV-Anbindung Tabelle 7-1 Segmentierung nach der Verkehrsmittelnutzung 938 Erkenntnisse zu den Zielgruppen werden überwiegend aus statistischen Quellen gewonnen, ohne dabei ein konkretes Bild von einem typischen Fahrgast zu bekommen. Um Kundenbedürfnisse wirklich befriedigen zu können, ist aber eine Betrachtung des Angebots aus Perspektive der (potentiellen) Kunden erforderlich. Typische Kunden müssen hierbei für alle beteiligten Entscheidungsträger plausibel und einprägsam dargestellt werden. 939 936 vgl. Bosch, Manuel: Neue Rahmenbedingungen, neue Herausforderungen: Marketing im ÖPNV - Eine Bestandsaufnahme, in: Fichert, Frank (Hrsg.): Verkehrswesen - Theorie und Praxis, Berlin 2013, 134ff; siehe dazu auch: Ackermann, Till: Handbuch Marketing im ÖPNV, Bingen a. Rhein 2016 937 vgl. ebd., 133f 938 modifiziert nach: infas: TRAM - Mehr Kunden für Bus und Bahn, Bonn 2016, 15 939 vgl. Krömker, Heidi; Mayas, Cindy; Hörold, Stephan; Wehrmann, Andreas; Rademacher, Berthold; Internet Protokoll basierte Kommunikationsdienste im Öffentlichen Verkehr, o.O. 2011, 4 <?page no="337"?> 7.2 Ermittlung der Nachfrage 337 Eine Möglichkeit dazu bietet die Persona-Methode , bei der ausgehend von internem wie externem Datenmaterial fiktive Nutzer entwickelt und beschrieben werden. „ Bei dieser Methode werden stereotypische Fahrgäste konstruiert, die ähnlich realer Fahrgäste unterschiedliche Verhaltensweisen, Profile und Ziele besitzen. Eine Persona entspricht dabei nicht einer konkreten realen Person, sondern stellt einen typischen Fahrgast dar, der aus verschiedenen Eigenschaften und Verhaltensweisen zusammengesetzt wird. Eine konkrete Beschreibung dieser fiktiven Persönlichkeit in Form einer Erzählung trägt zur Verständlichkeit und Einprägsamkeit der Persona bei. Im Gegensatz zu traditionellen Zielgruppen wird der Fahrgast auf diese Weise nicht nur anhand seiner demografischen Merkmale oder Kaufvariablen eingeordnet, sondern erhält mit individuellen Zielen und sozialen Merkmalen einen greifbaren Charakter. “ 940 Bei der Entwicklung von Personas im ÖPNV-Sektor kann man sich von folgenden Themenkomplexen leiten lassen: Nutzungshäufigkeit, Ortskenntnis, Angebotskenntnis, Fahrtzweck, genutzte Fahrscheine, demographische Daten, mögliche Einschränkungen. 941 Auf diese Art und Weise bekommen die Kunden ein Gesicht. Entscheidungsträgern fällt es leichter, das ÖPNV-Angebot und etwaige Defizite mit den Augen von Kunden zu sehen. Zudem werden die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Nutzergruppen besser deutlich. 7.2 Ermittlung der Nachfrage Nachfrage bezeichnet den Wunsch nach spezifischen Produkten oder Dienstleistungen und wird dabei von der Fähigkeit und Bereitschaft, diese zu erwerben, begleitet. Um die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen analysieren, prognostizieren und darauf aufbauend verkehrspolitische Maßnahmen planen zu können, sind zunächst genaue Informationen über das Verkehrsverhalten der Individuen notwendig. Dabei fließen - je nach Fragestellung - Informationen über Häufigkeit, Ziel, Zweck und benutztes Verkehrsmittel einzelner Wege ein. Zudem sind Daten über die Merkmale von Wegen und Verkehrsteilnehmern zu erfassen. Die Nachfrage im ÖPNV kann mithilfe von Fahrgastzählungen, -befragungen oder auch automatischen Zählsystemen ermittelt werden. Ebenso lassen sich Verkaufsstatistiken der Fahrscheine auswerten. In regelmäßigen Abständen geben z.B. Aufgabenträger, Verkehrsverbünde oder Eisenbahnverkehrsunternehmen solche Analysen in Auftrag bzw. führen sie selbst durch. Die dabei erhobenen Daten lassen sich in verschiedenen Kennzahlen darstellen: Anzahl Fahrgäste : Bei einer reinen Fahrgastzählung wird nicht erfasst, ob und wie oft der Fahrgast umgestiegen ist und dabei unterschiedliche Verkehrsmittel verschiedener Anbieter im Bedienungsgebiet genutzt hat. Aufschlussreicher wäre hier eine - allerdings wesentlich aufwendigere - Befragung. Personenkilometer : Dieser Wert stellt das Produkt aus der Anzahl der Fahrgäste und ihrer durchschnittlichen Reiseweite dar. Dabei lassen sich die Werte leichter den jeweiligen Linien und Verkehrsunternehmen zurechnen. 942 Bei neu zu konzipierenden Linien bzw. Netzen kann man allerdings auf derartige Daten nicht zurückgreifen, sondern muss Fahrgastpotentiale abschätzen. Das Verkehrsaufkommen in einem Gebiet resultiert aus verschiedenen Faktoren. Dazu zählen z.B. die Bevölkerungsstruktur, die Bebauungsart, die Art und Anzahl sozialer, Bildungs- und Freizeit- 940 vgl. Krömker, Heidi; Mayas, Cindy; Hörold, Stephan; Wehrmann, Andreas; Rademacher, Berthold; Internet Protokoll basierte Kommunikationsdienste im Öffentlichen Verkehr, o.O. 2011, 5 941 vgl. ebd., 7 942 vgl. Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH: Wie Daten zur Verkehrsnachfrage erhoben und berechnet werden, http: / / www.lnvg.de, 29.01.2018 <?page no="338"?> 338 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung einrichtungen, vorhandene Arbeitsplätze, das bestehende Verkehrsangebot und die Verkehrsmittelwahl der Einwohner sowie die Lage des Gebiets und seine Einbindung in das überregionale Verkehrsnetz. 943 Einwohner Beschäftigte Kunden/ Besucher Schüler Wirtschaftsverkehr nicht-motorisierter Verkehr ÖPNV motorisierter Individualverkehr einströmender Verkehr ausströmender Verkehr Binnenverkehr Abbildung 7-1 Das Verkehrsaufkommen beeinflussende Faktoren in einem Gebiet 944 In Großstädten geht man davon aus, dass etwa 20 % aller Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt werden; in Mittelstädten liegt der Anteil bei ca. 10 %, im ländlichen Raum bei 5 %. 945 Als Richtwerte können - je nach Stadtgröße - auch folgende Angaben zum Fahrtenaufkommen dienen: Stadtgröße Fahrtenaufkommen Großstadt (über 400.000 Einwohner) 0,55-0,75 Fahrten/ Einwohner/ Tag Großstadt (bis 400.000 Einwohner) 0,40-0,60 Fahrten/ Einwohner/ Tag Mittelstadt (bis 100.000 Einwohner) 0,20-0,40 Fahrten/ Einwohner/ Tag Kleinstadt (bis 30.000 Einwohner) 0,10-0,30 Fahrten/ Einwohner/ Tag Tabelle 7-2 ÖPNV-Fahrtenaufkommen nach Stadtgröße 946 In der Literatur werden 200 Einwohner als Mindestgröße für die Anbindung eines Gebiets an den ÖPNV genannt. Dabei sollten rund 80 % im Einzugsbereich der betreffenden Haltestelle wohnen. 947 7.3 Qualität des ÖPNV Die Qualität des ÖPNV kann anhand der Bedienungsqualität und der Beförderungsqualität gemessen werden. 943 vgl. Kirchhoff, Peter; Tsakarestos, Antonios: Planung des ÖPNV in ländlichen Räumen, Wiesbaden 2007, 24 944 modifiziert nach: Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 470 945 vgl. ebd., 471 946 modifiziert nach: ebd., 472 947 vgl. ebd., 469 <?page no="339"?> 7.3 Qualität des ÖPNV 339 Qualität des ÖPNV Bedienungsqualität (Qualität der räumlichen und zeitlichen Bedienung) Beförderungsqualität (Summe der Gebrauchswertmerkmale einer Beförderungsleistung) Erschließungsqualität Angebotsqualität räumliches Beförderungsangebot Anbindung Erreichbarkeit zeitliches Beförderungsangebot (d.h. Bedienungshäufigkeit, Betriebstage, Betriebszeit) zeitliche Angebotskoordinierung (d.h. Anschlussplanung und -sicherung) Platzangebot marktgerechte Angebotsdifferenzierung Ausstattung von Haltestellen und Fahrzeugen Anschluss- und Betriebsstörungsmanagement Information und Vertrieb Anforderungen an das Personal im Fahr- und Vertriebsdienst Belange mobilitätseingeschränkter Personen Sicherheit Tabelle 7-3 Qualität im ÖPNV 948 Die Bedienungsqualität resultiert aus der räumlichen und zeitlichen Bedienung. Von Bedeutung sind dabei das räumliche Beförderungsangebot, die Anbindung bzw. Erreichbarkeit einer Region. Die Qualität der zeitlichen Bedienung leitet sich aus Faktoren wie Bedienungshäufigkeit, Betriebszeiten und Betriebstagen, der zeitlichen Abstimmung des Angebots, dem Platzangebot bzw. dem Besetzungsgrad von Fahrzeugen sowie einer angemessen Angebotsdifferenzierung ab. Die Beförderungsqualität wird demgegenüber von den Gebrauchswertmerkmalen bestimmt. Dazu zählt beispielsweise, wie Fahrzeuge und Haltestellen ausgestattet sind, wie Vertrieb und Information organisiert sind, wie man bei Störungen reagiert oder inwieweit die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Personen Berücksichtigung finden. Die Kundenzufriedenheit mit ÖPNV-Anbietern in Deutschland wird jährlich in einem ÖPNV- Kundenbarometer ermittelt. Dabei werden neben Aspekten des Nutzungsverhaltens und der Soziodemographie die wichtigsten Leistungsmerkmale des ÖPNV abgefragt. Dazu gehören allgemeine, den ÖPNV insgesamt betreffende Merkmale (z.B. Linien- und Streckennetz, Anschlüsse, Taktfrequenz, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, Informationen bei Störungen und Verspätungen, Tarifsystem, Preis-Leistungs-Verhältnis, Fahrkartenverkaufsstellen, Freundlichkeit des Personals, Internetauftritt, Aktivitäten zur Umweltschonung) sowie spezifische Merkmale, die sich auf die Fahrzeuge (z.B. Sauberkeit und Gepflegtheit, Komfort und Bequemlichkeit, Platzangebot, Information im Fahrzeug, Sicherheit, Zugang und Nutzung für mobilitätseingeschränkte Personen) und die Stationen (z.B. Sauberkeit und Gepflegtheit, Komfort und Ausstattung, Sicherheit, Zugang und Nutzung für mobilitätseingeschränkte Personen) beziehen. 949 948 erstellt nach: o.V.: Bedienungsstandard, http: / / www.mobi-wissen.de, 29.01.2019; Odenwald-Regional-Gesellschaft (OREG) mbH: Qualitätsstandards für den ÖPNV, Michelstadt o.J., 5 949 vgl. Kantar TNS: Das ÖPNV-Kundenbarometer 2018 - Der Schlüssel zu zufriedenen Kunden und höheren Erträgen, München 2018, 5 <?page no="340"?> 340 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung 7.4 Bedienformen Unter Verkehrsbedienung versteht man „ die Möglichkeit, Fahrziele durch ein Netz öffentlicher Verkehrsmittel zu erreichen. “ 950 Vorherrschende Bedienungsform im ÖPNV ist der Linienverkehr . Nach dem Personenbeförderungsgesetz wird Linienverkehr definiert als „ eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Er setzt nicht voraus, daß ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind. “ 951 Beim klassischen Linienverkehr werden gemäß Fahrplan beide Richtungen einer Linie über die gesamte Länge befahren und dabei alle Haltestellen bedient. Die Fahrgäste müssen ihre Fahrtwünsche nicht anmelden. Dadurch kann es aber auch dazu kommen, dass bei Fahrten nur sehr wenige oder gar keine Fahrgäste befördert werden. Die Einrichtung von Linienverkehren bietet sich dann an, wenn mit einer regelmäßigen Nachfrage zu rechnen ist. 952 Vom Linienverkehr abzugrenzen sind der Gelegenheitsverkehr und der freigestellte Verkehr. Unter Gelegenheitsverkehr wird die „ Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen, die nicht Linienverkehr nach den §§ 42, 42a und 43 ist “ verstanden. 953 Er tritt in den Formen Verkehr mit Taxen, Ausflugsfahrten und Ferienziel-Reisen, Verkehr mit Mietomnibussen und mit Mietwagen auf. 954 Bei freigestellten Verkehren handelt es sich um Beförderungsfälle, die von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes freigestellt sind, z.B. die Beförderung mit Kraftfahrzeugen durch oder für Schulträger zum und vom Unterricht. 955 In Bezug auf die räumliche Erschließung eines Gebietes lassen sich verschiedene typische Linienformen unterscheiden: Eine Durchmesserlinie führt durch das Stadtzentrum hindurch und verbindet dabei Ziele jenseits des Stadtrandes. Für Fahrgäste mit derartigen Fahrtwünschen besteht also keine Umsteigenotwendigkeit. Allerdings können bei diesen i.d.R. recht langen Linien Verspätungen nur schwer abgebaut werden. Eine Radiallinie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Fahrten im Stadtzentrum enden und dort Umsteigemöglichkeiten bestehen. Anders als bei der Durchmesserlinie sind die Fahrten hier vergleichsweise kurz, so dass - auch durch die eingeplanten Wendezeiten an den Zielhaltestellen - Verspätungen leichter abgebaut werden können. Eine Ringlinie stellt oft eine Ergänzung zu bestehenden Linien dar. Schwierig erweist sich das Festlegen von Anfangs- und Endpunkt. Eine Tangentiallinie führt am Stadtzentrum vorbei und verbindet außerhalb gelegene Ziele. Dadurch wird der eher dichte Verkehr in den Innenstädten gemieden. 950 o.V.: Bedienungsformen, http: / / www.mobi-wissen.de, 17.09.2013 951 § 42 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 952 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 18; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 32 953 § 46 Personenbeförderungsgesetz 954 §§ 47-49 Personenbeförderungsgesetz 955 § 1 Freistellungs-Verordnung <?page no="341"?> 7.4 Bedienformen 341 Aufgabe einer Zubringerlinie ist es, Kunden aus dem Umland bis zu Stationen der städtischen Verkehrsmittel (z.B. Straßenbahn, S-Bahn) zu befördern. 956 In der Praxis setzen sich Netze i.d.R. aus einer Mischung verschiedener Linienformen zusammen. Stadtrand Radiallinie Durchmesserlinie Tangentiallinie Ringlinie Zubringerlinie Netze bestehen meist aus historisch gewachsenen Mischformen. 1 2 3 4 5 1 2 5 4 3 Stadtzentrum Abbildung 7-2 Linienformen zur räumlichen Erschließung 957 In Abhängigkeit von der Tageszeit können bei den Linien abweichende Streckenführungen auftreten, beispielsweise um Schulen oder Unternehmen einzubinden in den jeweiligen Hauptverkehrszeiten. Ebenso ist es im Bahnverkehr möglich, aus verschiedenen Richtungen kommende Züge zu vereinen oder aber Züge zu teilen und an unterschiedliche Ziele weiterfahren zu lassen („Flügeln“). Nachtlinie: Bushaltestelle in Wien Einsatzlinie: Schuttlebus zur Landesausstellung Hinsichtlich der zeitlichen Bedienung können verschiedene Linienarten unterschieden werden: Eine Stammlinie weist einen festen Linienweg auf und wird ständig bedient. Eine Nachtlinie beschreibt einen nur nachts befahrenen Linienweg. Dabei wird versucht, eine gute Abdeckung mehrerer tagsüber befahrener Linien zu erreichen. Weniger wichtig ist dabei die Reisezeit. Eine Sonntagslinie stellt eine Linie im Ausflugsverkehr dar. Eine Einsatzlinie verkehrt nur bei besonderen Anlässen (z.B. Großveranstaltungen). 956 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 465f; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 36ff 957 modifiziert nach: Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 465 <?page no="342"?> 342 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Eine Sonderform des Linienverkehrs stellt die Schnellbuslinie dar, die Quell- und Zielgebiet ganztags auf direktem Weg (ohne Zwischenstationen) miteinander verbindet. Abweichend davon weist die Eilbuslinie im Quellgebiet viele Haltestellen auf, um von dort aus Fahrgäste direkt ins Zentrum zu befördern. Die Linie wird in dieser Ausprägungsform in der Regel am Morgen und in umgekehrter Richtung am Abend bedient. 958 Um in dünn besiedelten Gebieten oder in Zeiten schwacher Nachfrage ein Angebot aufrechterhalten, aber dennoch Einsparungen erzielen zu können, wurden bereits vielerorts flexible Bedienformen eingeführt. Dabei handelt es sich um vom klassischen Linienverkehr abweichende Bedienformen, die entweder eine räumliche oder zeitliche Flexibilisierung vorsehen und grob in Bedarfslinienbetrieb, Richtungsbandbetrieb und Flächenbetrieb unterschieden werden können: Wie auch beim Linienbetrieb ist die Strecke beim Bedarfslinienbetrieb vorgegeben. Um eine Fahrt antreten zu können, muss jedoch eine Anmeldung erfolgen. Je nach Vorliegen von Fahrtwünschen wird die Strecke ganz, nur teilweise oder gar nicht bedient. Wesentliches Merkmal des Richtungsbandbetriebs ist, dass zwar Start- und Zielhaltestelle feststehen, der konkrete Verlauf einer Fahrt sich aber aus den angemeldeten Beförderungswünschen ergibt. Dabei sind z.B. Linienabweichungen und -erweiterungen möglich. Abweichend davon ist der Flächenbetrieb nicht richtungsgebunden. Quell- und Zielort werden auf direktem Weg verbunden. Der Fahrtverlauf hängt von den jeweiligen Einstiegsorten und Fahrtzielen der (angemeldeten) Fahrgäste ab. 959 Richtungsbandbetrieb Linienabweichung Linienaufweitung Sektor Korridor Bedarfslinienbetrieb Flächenbetrieb Abbildung 7-3 Alternative Bedienformen 960 Darüber hinaus ist es möglich, flexible Bedienformen fahrplangebunden oder nicht fahrplangebunden zu gestalten. Dabei kann ein Fahrplan mit festen Abfahrtszeiten an allen Stationen oder 958 vgl. 466ff; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 34f 959 vgl. Böhler, Susanne et al.: Handbuch zur Planung flexibler Bedienungsformen im ÖPNV, Bonn 2009, 26f 960 modifiziert nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 23 <?page no="343"?> 7.5 Netz und räumliche Erschließungsqualität 343 aber nur für die Starthaltestelle festgelegt sein. Bei einer fahrplanungebundenen Variante wählt der Fahrgast bei Anmeldung seine Abfahrtszeit selbst. 961 Auf Relationen, auf denen klassischer Linienverkehr nicht wirtschaftlich betrieben werden kann, haben sich vielerorts schon Bürgerbusvereine gegründet. Diese setzen Bürgerbusse , von ehrenamtlichen Fahrern geführte Kleinbusse, ein, mit denen dann Linienverkehr angeboten wird. 962 Um in Schwachlastzeiten dennoch Linienverkehr anbieten zu können, kommen oftmals auch Taxis zum Einsatz. Hierbei ist es auch möglich, dass das Linientaxi vom Linienweg abweichende Fahrtziele bedient und somit eine Differenzierung des Linienverkehrs vorliegt. Auch beim Anruf-Sammeltaxi werden Fahrgäste wie im Linienverkehr von einer vorgegebenen Haltestelle in einem abgegrenzten Bedienungsgebiet nach Fahrplan und Tarif - i.d.R. bis zur Haustür - befördert. Haltestellen ohne Fahrtwunsch werden nicht angefahren. Dadurch können mehr Bedarfshaltestellen im Bedienungsgebiet aufgenommen werden. Anders aber als im klassischen Linienverkehr muss für jede Fahrt eine Anmeldung vorliegen. Häufig gilt hier ein besonderer Tarif bzw. wird ein Servicezuschlag verlangt. 963 7.5 Netz und räumliche Erschließungsqualität Ein Liniennetz im ÖPNV kann definiert werden als „ Gesamtheit aller Verkehrswege und Linien in einem bestimmten Verkehrsgebiet. Liniennetze entstehen aus der räumlichen Verknüpfung einzelner Linien an ausgewählten Haltestellen. “ 964 Das Hauptnetz einer Region dient dazu, die Relationen mit einem hohen Verkehrsaufkommen abzudecken und dieserart die Zentren der Region (Oberzentren, Mittelzentren und wichtige Unterzentren) miteinander zu verbinden. Das Hauptnetz wird i.d.R. durch den Schienenpersonennahverkehr getragen. Dort, wo eine Anbindung an den Schienenverkehr nicht (ausreichend) vorhanden ist, erfüllt der Regionalbusverkehr eine unterstützende Funktion. 965 Das Ergänzungsnetz beinhaltet alle Linien, die nicht Bestandteil des Hauptnetzes sind. Es dient insbesondere der Erschließung der Fläche im ländlichen Raum sowie der Verknüpfung mit den Zentren und erfüllt hier jene Aufgaben, denen das Hauptnetz nicht gerecht werden kann. Die Bedienung kann dabei im Linienbetrieb (vgl. die oft dominierende Schülerbeförderung 966 ) oder im Bedarfsbetrieb erfolgen. 967 Um ihren Aufgaben und den Bedürfnissen der Nutzer gerecht zu werden, müssen Haupt- und Ergänzungsnetz verschiedene Anforderungen erfüllen: 961 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilitäts- und Angebotsstrategien in ländlichen Räumen, Berlin 2016, 23 962 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 468f 963 vgl. ebd.; Wirtschaftskammer Österreich: Das Taxi im ÖPNV. Richtig eingesetzt. Rund gelöst., Wien o.J., 16 964 Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 38 965 vgl. Zweckverband ÖPNV Vogtland, Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Vogtland - Dritte Fortschreibung, Auerbach 2015, 106 966 Schülerverkehr stellt eine Sonderform des Linienverkehrs dar und beinhaltet die regelmäßige Beförderung von Schülern zwischen Wohnung und Lehranstalt (§ 43 Nr. 2 Personenbeförderungsgesetz). 967 vgl. Zweckverband ÖPNV Vogtland, Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Vogtland - Dritte Fortschreibung, Auerbach 2015, 106 <?page no="344"?> 344 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Merkmale Hauptnetz Merkmale Ergänzungsnetz Linienführung eindeutiger Linienweg auch Routenvarianten zeitliche Bedienung Regelmäßigkeit (Takt), Mindestbeförderungsgeschwindigkeit, Schnellverkehr Bedienung an allen Wochentagen, Grundangebot auch in Neben- und Schwachverkehrszeiten bedarfsgerechte individuelle Fahrtlagen Anstreben von rhythmisierten Angeboten Erschließungs- und Verknüpfungsfunktion Direktverbindung benachbarter Zentren (bzw. günstige Umsteigeverbindung) direkte Erreichbarkeit des Oberzentrums bzw. max. ein Umsteigevorgang im Hauptnetz Systemanschlüsse an festgelegten Verknüpfungspunkten gemeindeinterne Erschließung sowie ergänzende gemeindeübergreifende Verkehre Zubringerfunktion zum Hauptnetz (Gemeindehauptorte und wichtige Umsteigepunkte), dabei Anschlussoptimierung Zielgruppen Berufssowie Freizeit- und Versorgungsverkehr Beitrag zur Feinerschließung sowie Schülerbeförderung Schwerpunkt Schülerbeförderung; Ziel: Integration freigestellter Schülerverkehre Übernahme zusätzlicher Funktionen im Versorgungs-, Freizeit- und Berufsverkehr Tabelle 7-4 Hauptvs. Ergänzungsnetz 968 Hauptnetz: Hessische Landesbahn, Frankfurt/ M. Ergänzungsnetz: Bushaltestelle, Dachsteinregion Bei der Festlegung bzw. Optimierung der Netzstruktur kann die Erschließung der Fläche oder aber die Konzentration auf Hauptachsen im Mittelpunkt stehen. Entscheidungskriterien sind dabei - insbesondere aus Kundenperspektive von Bedeutung - die erschließbaren Regionen, die Reisezeiten, die Notwendigkeit von Umsteigevorgängen; ebenso relevant sind aber aus betrieblicher Perspektive die zu absolvierenden Fahrzeugkilometer sowie Gestaltungsmöglichkeiten des Personaleinsatzes. 969 Fahrgäste bevorzugen üblicherweise Direktverbindungen, die kurze Fahrzeiten 968 erstellt nach: Zweckverband Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen: Nahverkehrsplan für den Zeitraum 2003 bis 2007, http: / / www.zvsn.de, 20.09.2013 969 vgl. Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 38f <?page no="345"?> 7.5 Netz und räumliche Erschließungsqualität 345 aufweisen. Allerdings ist es nicht möglich, alle Quell- und Zielhaltestellen in einem Netz durch Direktverbindungen zu verknüpfen. Es geht also vielmehr darum, eine sinnvolle Bündelung der Fahrtwünsche vorzunehmen. 970 Unter einer zweckdienlichen Linienführung ist demnach eine Linienführung zu verstehen, die Knotenpunkte, öffentliche Einrichtungen, Siedlungen, Unternehmen usw. sinnvoll anbindet und sich dabei an den Hauptfahrgastströmen orientiert. Beim Vergleich der Haus-zu-Haus-Zeiten zwischen motorisiertem Individualverkehr und ÖPNV schneidet der ÖPNV regelmäßig schlechter ab. Umso wichtiger sind daher angemessene Zugangs-, Reise- und Umsteigezeiten . Um bedürfnisgerecht und rentabel arbeiten zu können, sollte das Netz aber auf jeden Fall an die Siedlungsstruktur angepasst werden. Dicht besiedelte Gebiete können demnach auch ein dichteres Netz als periphere Räume aufweisen. Je nachdem, ob es sich um Bestandteile des Haupt- oder Ergänzungsnetzes handelt, unterscheiden sich auch die Weglängen zur nächsten ÖPNV-Haltestelle. In Abhängigkeit von der Größe des Ortes geht man dabei von folgenden durchschnittlichen Entfernungen zur nächsten Haltestelle aus: Gemeindeklasse Bus/ Straßenbahn SPNV Oberzentrum (> 70.000 Einwohner) 300-500 m 400-800 m Mittelzentrum (> 20.000 - 70.000 Einwohner) 300-500 m 400-800 m Unterzentrum (5.000 - 20.000 Einwohner) 400-600 m 600-1.000 m Gemeinde (< 5.000 Einwohner) 500-700 m 800-1.200 m Tabelle 7-5 Haltestelleneinzugsbereiche (Luftlinie) 971 Die räumliche Erschließungsqualität , die aus der Anzahl und der Lage der Linien und Haltestellen innerhalb eines bestimmten Gebietes resultiert 972 , dient der Beurteilung des dieserart geschaffenen Netzes. Im Rahmen der Haltestellenplanung gilt es dabei, den Zielkonflikt zwischen kurzen Haltestellenabständen und kurzen Reisezeiten zu lösen. In und zwischen Oberzentren und Kreisstädten ist die Erschließung i.d.R. gut. Großstädte sind auf den ÖPNV angewiesen, hier sind auch Nachfragezuwächse zu verzeichnen. Bezüglich der Bedienformen herrscht konventioneller Linienbetrieb vor. In der Fläche geht es häufig um eine Mindestbedienung im Ergänzungsnetz. Neben konventionellem Betrieb setzt man dabei zunehmend auf alternative, nachfrageabhängige Bedienformen. Im Laufe der Zeit kann es erforderlich werden, Liniennetze zu überarbeiten, z.B., weil neue Wohngebiete und Einkaufszentren entstanden sind, Schulen oder Betriebe geschlossen wurden. Dadurch entstehen veränderte Verkehrsströme, die in der Netzplanung zu berücksichtigen sind. Aber auch Vorgaben der Aufgabenträger können zu einer Überarbeitung des Netzes führen. Die gewachsenen Netze sind häufig sehr komplex, so dass bei der Netzplanung bzw. -überarbeitung nicht bzw. nur begrenzt auf mathematische Optimierungsverfahren zurückgegriffen werden kann. 973 970 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 475 971 modifiziert nach: ebd., 473 972 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen: Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Chemnitz/ Zwickau 2016 bis 2020, Chemnitz 2016, 86 973 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 475 und 478 <?page no="346"?> 346 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung 7.6 Fahrplan und Angebotsqualität Gemäß § 40 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz sind öffentliche Verkehrsunternehmen verpflichtet, Fahrpläne zu erstellen und zu veröffentlichen. Enthalten sein müssen dabei Anfangs- und Endpunkte einer Linie, deren Verlauf inklusive Haltestellen sowie die jeweiligen Abfahrtszeiten. Analog zum Netz sollte ein bedürfnisgerechter Fahrplan entwickelt werden, der der Siedlungsstruktur und der jeweiligen Nachfragestruktur gerecht wird. Aber auch Auflagen des Bestellers nach einer Mindestbedienung (z.B. Ein- oder Zweistundentakt) spielen bei der Fahrplangestaltung eine Rolle. Dabei werden folgende Ziele verfolgt: Minimierung der Reisezeiten, Maximierung der Fahrplanstabilität, Optimierung der Fahrzeuganzahl, Kapazitätsmaximierung, Optimierung des Energiemanagements. 974 Die Angebotsqualität bezieht sich auf die Qualität der zeitlichen Bedienung. Bestimmende Faktoren sind in diesem Zusammenhang die Bedienungshäufigkeit, Betriebszeiten und Betriebstage sowie die zeitliche Abstimmung des Angebots (vgl. Anschlusssicherung). 975 Je nach Siedlungsstruktur weisen ÖPNV-Angebote unterschiedliche Bedienungshäufigkeiten bzw. eine dichtere oder weniger dichte Vertaktung auf. Kurze Fahrzeugfolgezeiten verkürzen die Wartezeiten an den Haltestellen, sind aber gleichzeitig mit einem hohen Fahrzeugeinsatz verbunden. 976 Während in Großstädten Takte von wenigen Minuten als notwendig betrachtet werden, erscheint in Randlagen vielleicht ein Halbstunden-, Stunden- oder Zweistundentakt sinnvoll. Wichtig für den Fahrgast sind in jedem Fall eine regelmäßige und gut merkbare Taktung bzw. merkbare Fahrzeiten, so dass die Konsultation des Fahrplans überflüssig wird (vgl. Taktfahrplan). Gestraffte Fahrpläne bieten den Vorteil, Fahrtwünsche bündeln, Fahrzeuge besser auslasten und dadurch geringere Kosten pro Sitzplatz realisieren zu können. Verdichtete Fahrpläne wiederum kommen den Kundenbedürfnissen nach zahlreichen bzw. flexiblen Fahrtmöglichkeiten entgegen. 977 Typische Fahrzeugfolgezeiten in Minuten fasst folgende Tabelle zusammen: Verkehrsmittel Fahrzeugfolgezeiten Verkehrsmittel Fahrzeugfolgezeiten Bus 20-120 min U-Bahn 5-15 min Straßenbahn 10-30 min S-Bahn 20-60 min Stadtbahn 10-30 min Tabelle 7-6 Typische Fahrzeugfolgezeiten 978 Bei größeren Fahrzeugfolgezeiten sollten bei sich kreuzenden Linien die Umsteigezeiten optimiert werden, so dass hier für den Fahrgast nicht zusätzlich lange Wartezeiten entstehen. Dies kann sich schwierig gestalten, wenn dabei mehrere Umsteigepunkte auf einer Linie einzubeziehen sind. Insbesondere im Nachtverkehr größerer Städte setzt man dabei auf eine Rendez-vous-Technik , bei der sich mehrere Linien an einer Umsteigestation treffen und nach einer bestimmten Zeit gemeinsam 974 vgl. Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 78f 975 vgl. o.V.: Bedienungsstandard, http: / / www.mobi-wissen.de, 30.01.2019 976 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 486 977 vgl. Kaspar, Claude: Management der Verkehrsunternehmungen, München/ Wien 1998, 80 978 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 486; Wiener Linien: Fahrplan, http: / / www.wienerlinien.at, 06.02.2019 <?page no="347"?> 7.6 Fahrplan und Angebotsqualität 347 von dort wieder abfahren. Wird diese Technik auch außerhalb des Nachtverkehrs und generell im Netz angewendet, spricht man von einem integralen Taktfahrplan . 979 Rendez-vous-Technik bei der Plauener Straßenbahn, Haltestelle Tunnel Integraler Taktfahrplan in der Schweiz, Bahnhof Gstaad Auch der Bedienungszeitraum ( Betriebszeiten und Betriebstage ) richtet sich nach dem Fahrgastaufkommen und variiert je nach Nutzer- und Siedlungsstruktur. Ältere Fahrgäste sind beispielsweise zu anderen Tageszeiten unterwegs als junge Menschen. In Städten ist im Vergleich zum ländlichen Raum auch am späten Abend noch eine relativ hohe Nachfrage zu verzeichnen. Um dennoch in peripheren Räumen nicht gänzlich auf ein ÖPNV-Angebot in Tagesrandlagen verzichten zu müssen, bieten sich auch hier die alternativen Bedienformen an. Ebenso unterscheidet sich üblicherweise das Fahrgastaufkommen an Werk-, Sonn- und Feiertagen bzw. in Schulzeiten und Ferienzeiten, was in den Fahrplänen zu berücksichtigen ist. Angebotsanpassungen können hierbei durch Fahrplanverdichtungen (bzw. -kürzungen) oder den Einsatz von Fahrzeugen mit unterschiedlichen Kapazitäten vorgenommen werden. Entscheidend bei der Gestaltung von attraktiven Fahrplänen sind neben der Reisegeschwindigkeit auch Pünktlichkeit und Anschlusssicherung . Die durchschnittlichen Reisegeschwindigkeiten sind nachfolgender Tabelle zu entnehmen. Verkehrsmittel Reisegeschwindigkeiten Verkehrsmittel Reisegeschwindigkeiten Bus 10-15 km/ h U-Bahn 30-40 km/ h Straßenbahn 20-25 km/ h S-Bahn bis 40 km/ h Stadtbahn 25-35 km/ h Tabelle 7-7 Reisegeschwindigkeiten 980 979 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 495; Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 102 980 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 485; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 70 <?page no="348"?> 348 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Ein Anschluss liegt dann vor, wenn Fahrten verschiedener Linien fahrplanmäßig derart aufeinander abstimmt sind, dass ein Fahrgast an einer Umsteigehaltestelle bei angemessenen Umsteigewegen und ohne größere Wartezeiten von einem auf das andere Verkehrsmittel übergehen kann - unabhängig davon, welchem Verkehrsunternehmen bzw. Verkehrssystem diese Linien zuzuordnen sind. 981 Die Deutsche Bahn macht das Vorliegen eines Anschlusses von der Einhaltung der Übergangszeit abhängig. Diese „ stellt einen Zeitraum dar, der für Reisende erforderlich ist, um von einem ankommenden auf einen abbringenden Zug zu wechseln. “ 982 Bei im Fahrplan ausgewiesenen Anschlussverbindungen geht der Fahrgast davon aus, dass diese gewährleistet werden. Doch nur wenn Fahrpläne eingehalten werden, lassen sich Anschlüsse auch erreichen. Weniger ärgerlich ist ein verpasster Anschluss bei einer kurzen Fahrzeugfolgezeit. Voraussetzung dabei ist jedoch auch, dass über aktuelle Abfahrtszeiten informiert wird. Aus der Linienführung und den Zugangs-, Reise- und Umsteigezeiten resultiert letztendlich die Verbindungsqualität . 983 Darüber hinaus sind das Platzangebot bzw. der Besetzungsgrad und auch eine der Nachfrage entsprechende Angebotsdifferenzierung von Relevanz. 984 Das im Fahrplan ausgewiesene Angebot bildet die Grundlage für den Wagenumlaufplan , der den Einsatz der vorhandenen Fahrzeuge auf den einzelnen Linien beinhaltet. Bei der Erstellung des Wagenumlaufplans sind verschiedene Restriktionen zu berücksichtigen: So sollten die eingesetzten Fahrzeuge der zeitlich schwankenden Nachfrage angepasst sein und den Fahrgästen ausreichend Platz bieten. Durch den Wechsel eines Fahrzeugs auf eine andere Linie dürfen keine Verspätungen entstehen. Ebenso einzubeziehen sind Fahrerablösepunkte. Bei Einsatz verschiedener Fahrzeugtypen ist zu beachten, dass das Fahrpersonal zum Führen der Fahrzeuge qualifiziert ist. Darüber hinaus sind regelmäßige Instandhaltungsarbeiten im Betriebshof zu berücksichtigen. Bei Vorhandensein mehrerer Betriebshöfe ist sicherzustellen, dass die jeweils zugeordneten Fahrzeuge diese erreichen. 985 7.7 Tarife Der ÖPNV unterliegt der Tarifpflicht , d.h., die Verkehrsunternehmen sind verpflichtet, verbindliche Tarife festzulegen, zu kommunizieren und gleichmäßig anzuwenden. Diese Tarife müssen durch die zuständige Genehmigungsbehörde genehmigt werden. 986 Ein Tarifsystem sollte überschaubar und begreifbar sein und für die verschiedenen Nutzergruppen mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen (vgl. Vielfahrer vs. Gelegenheitsfahrer oder Einheimische vs. Touristen) ansprechende Angebote bereithalten. Bemängelt werden in der Praxis hierbei häufig 981 vgl. Schnieder, Lars: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr, Berlin 2018, 94 982 Deutsche Bahn, Trassenmanagement: RiL 402.0203A01, Übergangszeiten im Netzfahrplan 983 vgl. Verkehrsverbund Mittelsachsen: Nahverkehrsplan für den Nahverkehrsraum Chemnitz/ Zwickau 2016 bis 2020, Chemnitz 2016, 86 984 vgl. o.V.: Bedienungsstandard, http: / / www.mobi-wissen.de, 30.01.2019 985 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 496f 986 vgl. § 39 Personenbeförderungsgesetz <?page no="349"?> 7.7 Tarife 349 die fehlende Übersichtlichkeit und Verständlichkeit. Eine einfache Handhabbarkeit des Tarifsystems ist jedoch eine wichtige Zugangsvoraussetzung für die Nutzung des ÖPNV, gerade auch für Ortsunkundige oder Fahrgäste, die den ÖPNV bislang eher selten in Anspruch genommen haben. Gleichzeitig erleichtert dies unternehmensseitig Beratung, Verkauf und Kontrolle. Im Bereich des ÖPNV kommen in Deutschland drei Tarifsysteme zur Anwendung: Dies sind die Tarife der Deutschen Bahn, die TBNE 987 -Tarife sowie die Tarife der Verkehrsverbünde. 988 Kriterien, die bei der Ermittlung von Fahrpreisen herangezogen werden, können die zurückgelegten Kilometer, die Anzahl der durchfahrenen Haltestellen, Teilstrecken oder Waben sein. Dabei sind innerhalb eines Tarifsystems auch Mischformen möglich. Tarifform Kilometertarif Haltestellentarif Teilstreckentarif Flächenzonentarif Pauschaltarif Berechnungsgrundlage Einheitspreis pro Entfernungskilometer; Tarifermittlung nach Entfernung Quelle-Ziel Zahl der angefahrenen Haltestellen Zahl der durchfahrenen Teilstrecken Zahl der durchfahrenen Flächen (Waben) Strecke oder Netz, bezogen auf eine Zeiteinheit (ggf. personenbezogene Differenzierung) Anwendungsbereich SPNV, außer in Verbünden; tw. bei nicht zu Verbünden gehörigen Busbetrieben bei ermäßigten Kurzstreckenfahrkarten bei ermäßigten Kurzstreckenfahrkarten bei stark verflochtenen Liniennetzen der Verkehrsverbünde Pauschaltickets von Verkehrsbetrieben und Verkehrsverbünden Vorteile nur gefahrene Wegstrecke wird gezahlt günstig bei etwa gleichen Haltestellenabständen günstig bei etwa gleich langen Teilstrecken meist kürzeste Verbindung berechnet, auch wenn die tatsächliche länger ist einfache Handhabung; günstig bei langen Strecken bzw. intensiver Netznutzung Nachteile Fahrgast zahlt auch Umwege, die eine Linie nimmt ungünstig bei ungleichen Haltestellenabständen ungünstig bei unterschiedlich langen Teilstrecken wenn Quell- und Zielort sehr nahe liegen, aber durch Zonengrenze getrennt sind teuer bei Zurücklegen kurzer Strecken Tabelle 7-8 Tarifformen 989 Basierend auf diesen Tarifen werden verschiedene Fahrausweisarten ausgegeben, die unterschiedlich stark in Anspruch genommen werden: 987 Tarifverband der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen in Deutschland 988 vgl. Bundesamt für Verkehr: Evaluation Tarifgestaltung im Personenverkehr, Zürich 2010, 73 989 erstellt nach: Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 530; Malina, Robert: Stichwort „Tarifsystem“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 30.01.2019 <?page no="350"?> 350 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Fahrscheinart Nutzung Fahrscheinart Nutzung Einzelfahrschein, Tageskarte, Kurzstrecke 43 % Monatskarte im Abo, Jahreskarte 9 % Jobticket, Semesterticket 6 % Mehrfachkarte, Streifenkarte 9 % anderes 4 % Wochenkarte, Monatskarte ohne Abo 3 % fahre nie mit ÖPNV 26 % Tabelle 7-9 Genutzte Fahrscheinarten im ÖPNV 990 Im Rahmen von Tarifkooperationen lassen sich Synergieeffekte für die beteiligten Verkehrsunternehmen bzw. für den Fahrgast erzielen. Dabei gibt es verschiedene Formen: Bei einer Verkaufsgemeinschaft werden jeweils auch die Fahrscheine der Kooperationspartner verkauft. 991 Die partielle tarifliche Zusammenarbeit reicht darüber hinaus und umfasst auch die gegenseitige Abstimmung von Beförderungsentgelten und Beförderungsbedingungen: Bedienen mehrere Verkehrsunternehmen dieselben Streckenabschnitte, können die Fahrausweise gegenseitig anerkannt werden. Fährt ein Fahrgast im SPNV auf einer Relation, die sich aus zwei von verschiedenen Verkehrsunternehmen (Deutsche Bahn und eine NE-Bahn) bedienten Strecken zusammensetzt, handelt es sich um den sogenannten Anstoßverkehr. Dabei werden nach den Regeln des Anstoßtarifs (TBNE-Tarif) für beide Teilstrecken die Preise ermittelt und addiert. Für die NE-Bahn ist dieser Tarif vorteilhaft, da er ihr zu einem gerechteren Anteil am Fahrpreis verhilft. Der Fahrgast zahlt so allerdings einen höheren Preis. Übergangstarife finden bei Fahrten aus einem bzw. in ein anderes Verbundgebiet Anwendung. Bei der Durchtarifierung wird für die gesamte Strecke ein Fahrschein verkauft, unabhängig davon, wie oft der Fahrgast umsteigen muss. Bei einem Gemeinschaftstarif gilt auf einer von mehreren Verkehrsunternehmen gemeinsam betriebenen Linie nur ein Tarif. 992 In einer Tarifgemeinschaft schließen sich die ein Gebiet bedienenden Verkehrsunternehmen zusammen, um ein einheitliches (und damit einfacheres) Tarifsystem zu schaffen und dadurch Nachfragesteigerungen hervorzurufen. 993 Bei einer Verkehrsgemeinschaft kooperieren die Unternehmen zudem bezüglich Netz und Fahrplangestaltung. Allerdings wird hierbei keine wie bei einem Verkehrsverbund übliche übergeordnete Organisation geschaffen. 994 990 erstellt nach: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilität in Deutschland - Kurzreport, Berlin 2018, 11 991 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 568 992 vgl. ebd., 568ff 993 vgl. Malina, Robert: Stichwort „Tarifgemeinschaft“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 30.01.2019 994 vgl. Malina, Robert: Stichwort „Verkehrsgemeinschaft“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 30.01.2019 <?page no="351"?> 7.7 Tarife 351 Abbildung 7-4 Fahrschein-Vielfalt <?page no="352"?> 352 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Fallstudie: Ein alternatives Tarifsystem - Der „Südtirol Pass“ „Die Tatsache, dass weit mehr als die Hälfte der Südtiroler Bevölkerung mit einem Abonnement für den öffentlichen Nahverkehr ausgestattet ist und die weiter steigenden Nutzerzahlen stimmen optimistisch, dass der Trend zum Umsteigen auf Bus und Bahn weiter anhält.“ 995 Die Südtiroler Landespolitik hat die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs für die Region erkannt und baut diesen seit den letzten Jahren konsequent aus. Die Eisenbahn dient dabei als Rückgrat, darauf abgestimmte Buslinien haben Zubringerfunktion. 996 Die Ziele der Südtiroler Verkehrspolitik sind ehrgeizig, wie auch der Landeshauptmann Arno Kompatscher zusammenfasst: „Bis 2030 soll Südtirol zu einer Modellregion für nachhaltige Mobilität werden.” 997 Trenitalia-Zug auf der Linie Bozen-Meran Vinschgerbahn in Mals Bushaltestelle in Graun, Linie Nauders-Mals Stadtbus Meran Bus und Bahn sollen deshalb echte Alternativen zum motorisierten Individualverkehr für viele Zielgruppen werden. Um dies zu gewährleisten, muss dort ein entsprechendes Angebot geschaffen werden, das in Hinblick auf Fahrzeit, Preisgestaltung und Komfort den Bedürfnissen der (potentiellen) Nutzer entspricht. Dazu wurde auch das Projekt „Südtirol-Takt“ ins Leben gerufen, im Rahmen dessen schrittweise in ganz 995 Landesrat Florian Mussner, zit. in: o.V.: Bus, Bahn und Südtirol Pass auch 2015 auf Erfolgskurs (15.02.2016), http: / / www.greenmobility.bz.it, 22.05.2017 996 vgl. o.V.: Südtirolbahn, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ bahnhoefe.asp, 22.01.2014 997 o.V.: Südtirol steigt um auf den ÖPNV, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 27 <?page no="353"?> 7.7 Tarife 353 Südtirol ein integraler Taktfahrplan realisiert werden sollte. Dabei galt es, 99 Überlandbus-, 22 Stadtbus- , 19 Citybus-Linien sowie 438 Sonderdienste für den Schülerverkehr sowie Regional-, Schnell- und internationale Züge aufeinander abzustimmen und gleichzeitig den Gütertransport mit ca. 200 zu unterschiedlichen Zeiten verkehrenden Güterzügen einzukalkulieren. Kern dieses Projekts sind stündliche bzw. halbstündliche Bahnverbindungen auf den wichtigsten Linien, ergänzt durch ein verdichtetes Angebot an den Hauptverkehrsknoten und zu den Hauptverkehrszeiten. 998 Doch nicht nur der Fahrplan, auch das Tarifsystem stellt einen entscheidenden Erfolgsfaktor im ÖPNV dar. Aber nicht überall sind Tarifsysteme übersichtlich und kundenfreundlich. In Südtirol hat man ein inzwischen als „richtungsweisend“ beschriebenes Konzept umgesetzt. Der Ausgangspunkt war ein Tarifsystem mit Fahrpreisen, die so niedrig wie sonst nirgends in Europa waren. Teilweise waren die Fahrpreise seit 17 Jahren nicht mehr verändert worden. Bei einer fälligen Anpassung an die Inflationsrate hätte dies eine Preiserhöhung von ca. 60 % bedeutet. 999 Zudem galt das Tarifsystem als unübersichtlich. Dies wollte man ändern und dabei gleichzeitig ein attraktives System schaffen, das neue Nutzer anzieht. Im Februar 2012 löste der „Südtirol Pass“ samt zugehörigem Tarifsystem das bisherige System ab. Der „Südtirol Pass“ selbst ist ein elektronischer Fahrausweis im Kreditkartenformat, der im gesamten Verkehrsnetz für alle öffentlichen Verkehrsmittel, sogar in öffentlichen Seilbahnen, gilt. 1000 Es gibt dabei keinerlei Einschränkungen bezüglich der Tageszeit oder Streckenführung. 1001 Ausgenommen sind allerdings Langstreckenzüge, wie z.B. InterCity, EuroCity oder EuroNight. Der Pass ist als persönliches, nicht übertragbares Jahresabonnement zu verstehen. Über diesen Pass werden zur Fahrpreisermittlung an speziellen Entwertungsautomaten an den Haltestellen oder im Fahrzeug Beginn und Ende jeder Fahrt erfasst. Dabei wird folgende Kilometer-Staffelung zugrunde gelegt: Kilometer-Preise „Südtirol Pass“ Normaltarif Familientarif die ersten 1.000 gefahrenen km pro Jahr 12 Cent/ km 10 Cent/ km 1.001 km bis 2.000 km 8 Cent/ km 7 Cent/ km 2.001 km bis 10.000 km 3 Cent/ km 2 Cent/ km 10.001 km bis 20.000 km 2 Cent/ km 2 Cent/ km ab 20.001 km gratis für den Rest des Jahres 0 Cent/ km 0 Cent/ km Einzelfahrschein 15 Cent/ km Wertkarte 12 Cent/ km maximaler Tagestarif 15 € Tabelle 7-10 Tarifsystem des „Südtirol Passes“ 1002 Als Mindestentfernung für jede Fahrt werden 10 km abgerechnet. Je mehr Kilometer ein Nutzer pro Jahr zurücklegt, umso preiswerter wird also der Kilometertarif. Wird die 20.000-km-Marke über- 998 vgl. o.V.: Südtiroltakt, http: / / www.vinschgauerbahn.it/ de/ 788.asp, 22.01.2014 999 vgl. Burger, Günther: Der Südtirol Pass: Ein richtungweisendes Tarifkonzept und noch mehr, 6. ÖPNV Innovationskongress - Freiburg, 11.-13. März 2013, 22 1000 vgl. o.V.: Ganz Südtirol in der Tasche, in: Informationsblatt für Fahrgäste des öffentlichen Nahverkehrs 01/ 2012, 1 1001 vgl. Burger, Günther: Der Südtirol Pass: Ein richtungweisendes Tarifkonzept und noch mehr, 6. ÖPNV Innovationskongress - Freiburg, 11.-13. März 2013, 28; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass - ein Pass für alle, http: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019 1002 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass: Der Fahrschein für Alle(s), http: / / www.sii.bz.it, 09.09.2020 <?page no="354"?> 354 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung schritten, fährt der Nutzer für den Rest des Jahres sogar kostenlos. Nach Ablauf eines Jahres wird das Kilometer-Konto auf Null gesetzt. Die Ausstellung eines „Südtirol Passes“ erfolgt gegen eine einmalige Gebühr von 20 Euro. Neben der Grundform des „Südtirol Passes“ sind weitere Versionen erhältlich: Pass-Varianten potentielle Nutzer Südtirol Pass alle, die in Südtirol ansässig sind, arbeiten oder studieren, sowie alle, die in einem EU-Mitgliedsstaat oder in der Schweiz ansässig sind (mit italienischer Steuernummer) EuregioFamiliyPass ansässige Erziehungsberechtigte mit mind. einem Kind unter 18 Jahren Südtirol Pass abo+ ansässige Grund-, Mittel- und Oberschüler, minderjährige Lehrlinge (pauschal 20 Euro/ Jahr); Lehrlinge, Studenten (pauschal 150 Euro/ Jahr) bzw. jene Personen, die nicht in Südtirol ansässig sind, aber dort eine Schule besuchen, ein Studium absolvieren oder an einer Grundausbildung im Sozialbereich teilnehmen bis 27 Jahre Südtirol Pass 65+ ansässige Personen 65-69 Jahre (pauschal 150 Euro/ Jahr), 70-74 Jahre (pauschal 75 Euro/ Jahr), ab 75 Jahre (pauschal 20 Euro/ Jahr) Südtirol Pass free ansässige Personen ab einer Invalidität von 74 % (kostenlos) Tabelle 7-11 „Südtirol Pass“-Varianten 1003 Für all jene, die keinen „Südtirol Pass“ besitzen, besteht nach wie vor die Möglichkeit, Einzelfahrscheine oder Tageskarten zu lösen bzw. eine Wertkarte (12 Cent/ km) zu nutzen. Darüber hinaus gibt es sogenannte „Mobilcards“, die einen, drei oder sieben Tage gültig sind (15 Euro, 23 Euro bzw. 28 Euro). 1004 Eine Bezahlung kann „prepaid“ (durch Aufladung an einem Fahrkartenschalter, -automaten, im Bus oder per Kreditkarte über ein Online-Benutzerkonto) oder „postpaid“ (durch automatischen Einzug von einem Bankkonto) erfolgen. 1005 Inzwischen gibt es in Südtirol 600 Aufladestationen, die auch Auskunft über das aktuelle Guthaben, den Kilometerstand und die Tarifklasse geben. 1006 Wer ein Online-Konto dazu einrichtet, kann jederzeit seinen Kilometerstand abfragen und die Abrechnungen prüfen. Dabei besteht auch die Möglichkeit, Fehlbuchungen korrigieren zu lassen. Im alten Tarifsystem zählte man lediglich 68.000 Abonnenten. Nur ein Jahr nach Einführung des „Südtirol Passes“ wurde er bereits über 120.000 Mal beantragt 1007 , inzwischen knapp 190.000 Mal. Etwa 135.000 dieser Pässe werden derzeit aktiv genutzt, gut ein Drittel davon im Familientarif. 1008 Hinzu kommen mehr als 78.000 Schüler und Studierende, knapp 49.000 Senioren sowie ca. 7.000 Personen 1003 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: EuregioFamilyPass, http: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass abo+, http: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass 65+, http: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Südtiroler Transportstrukturen AG: Südtirol Pass free, http: / / www. sii.bz.it, 14.01.2019 1004 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG: Wertkarte , http: / / www.sii.bz.it, 14.01.2019; Abteilung Mobilität - Amt für Personenverkehr: Mobilcard, http: / / www.mobilcard.info/ de/ mobilcard.asp, 19.02.2019 1005 vgl. Mobil ohne Barrieren: Südtirol Pass (Broschüre), o.O. o.J., 2 1006 vgl. o.V.: Gut zu wissen, in: Südtirol Mobil 1/ 2013, 4 1007 vgl. Autonome Provinz Bozen - Südtirol: Südtirol Pass: 120.000 Abos im ersten Jahr (13.02.2013), http: / / www.provinz.bz.it, 22.01.2014 1008 vgl. o.V.: Fünf Jahre Südtirol Pass (10.02.2017), http: / / www.brixner.info, 22.05.2017 <?page no="355"?> 7.7 Tarife 355 mit Invalidität, die die jeweiligen Pass-Varianten besitzen. 1009 Diese Zahlen sind umso bemerkenswerter, wenn man sie ins Verhältnis zur Einwohnerzahl Südtirols von knapp 515.000 Menschen setzt. 1010 Die Initiatoren zeigen sich dementsprechend zufrieden: „Die anhaltende Nachfrage, steigende Nutzerzahlen und das enorme Interesse aus den Nachbarregionen bestätigen, dass sich das Konzept Südtirol Pass bewährt und auf gutem Weg ist, ein echtes Erfolgsmodell im öffentlichen Nahverkehr zu werden. Die Tatsache, jederzeit und überall im Land ein gültiges Ticket in der Tasche zu haben, das gestaffelte Tarifsystem mit Anreiz zum Vielfahren, bequeme Bezahloptionen, das Benutzerkonto im Internet - das hat auch anfängliche Skeptiker überzeugt und einer zukunftsweisenden Mobilität ganz neue Perspektiven eröffnet nach dem Motto: Umsteigen auf Bus und Bahn - nicht immer, aber immer öfter.“ 1011 Aufgrund der großen Akzeptanz hat man nach Wegen gesucht, die Einsatzmöglichkeiten des „Südtirol Passes“ schrittweise auszubauen. Inzwischen ist er auch in Regionalzügen nach Innsbruck bzw. Lienz einsetzbar, allerdings wird hier ab Landesgrenze nach ÖBB-Tarifen abgerechnet. 1012 Ebenso möglich sind die Integration der persönlichen ÖBB-Vorteilscard sowie die Bezahlung von Fahrten mit Nightliner- Bussen per Pass. 1013 Ferner kann der Pass für Carsharing Südtirol freigeschaltet werden. 1014 Inzwischen wurde auch die Android-App „MyPass“ entwickelt, mit der durchgeführte Fahrten, Kilometerstände usw. abgerufen werden können. Trotz der bisher erfolgreichen Entwicklung treten auch Probleme auf. Getätigte Fahrten werden - auch um nacheinander gefahrene Teilstrecken addieren zu können - nicht sofort entsprechend der Entwertungen abgerechnet, sondern lediglich geschätzt und erst später exakt ermittelt. Für diese genauen Abrechnungen gibt es allerdings keine festen Zeitpunkte. Der Nutzer weiß somit nicht immer, ob das auf einer Prepaid-Karte ausgewiesene Guthaben tatsächlich noch so verfügbar ist. Zurückzuführen sei dies u.a. auf die schlechten Internet-Verbindungen auf den Bergstrecken, so dass die Angaben zu einzelnen Fahrten von den Bussen oft erst sehr spät ins System eingespeist werden. 1015 Aufgabe 1: Recherchieren Sie die aktuellen Konditionen des „Südtirol Passes“ (http: / / www. suedtirolmobil.info) und vergleichen Sie diese mit dem Tarifsystem des Verkehrsverbundes bzw. eines großen Verkehrsbetriebes in Ihrer Region! Aufgabe 2: Welche Vorteile ergeben sich durch die Registrierung der Fahrgäste per „Südtirol Pass“ für den Verkehrsverbund und die beteiligten Verkehrsunternehmen? Aufgabe 3: Von welchen Vorteilen können die Nutzer des „Südtirol Passes“ profitieren? Welche Nachteile sind mit diesem Tarifsystem für die Nutzer verbunden? Aufgabe 4: Unter welchen Voraussetzungen ist solch ein Tarifsystem in einer Region einführbar? 1009 vgl. o.V.: Bus, Bahn und Südtirol Pass auch 2015 auf Erfolgskurs (15.02.2016), http: / / www.green-mobility.bz.it, 22.05.2017 1010 vgl. Mair, Christoph: Vorbild Südtirol: Jeder Zweite hat Öffi-Jahresticket, http: / / www.tt.com, 22.01.2014 1011 o.V.: Ein Jahr Südtirol Pass - Ein Fahrschein macht Karriere, in: Südtirol Mobil 1/ 2013, 1 1012 vgl. Südtiroler Transportstrukturen AG : Südtirol Pass - ein Pass für alle, http: / / www.sii.bz.it, 19.05.2017 1013 vgl. o.V.: Südtirol Pass? - Passt! , in: Südtirol Mobil 5/ 2015, 1 1014 siehe dazu auch: Carsharing Südtirol, http: / / www.carsharing.bz.it/ de 1015 vgl. Rainer, Anton: Pass mit Tücken (16.11.2016), http: / / www.tageszeitung.it, 22.05.2017 <?page no="356"?> 356 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung 7.8 Vertrieb und Information Der Vertrieb von Fahrausweisen kann auf direktem oder indirektem Wege durchgeführt werden. Der direkte Vertrieb obliegt dem Verkehrsunternehmen, wobei zwischen einem zentralen und einem dezentralen Vertrieb differenziert werden kann. Der indirekte Vertrieb findet über Dritte statt. Bei allen genannten Varianten existiert eine persönliche und eine unpersönliche Form. Absatzkanäle direkter Vertrieb (intern) indirekter Vertrieb (extern) zentral dezentral persönlich (Beratervertrieb) Schlüsselkundenbetreuung Telefonvertrieb Fahrpersonal Schalter Verkaufsbüros Kiosk Einzelhandel Reisebüros andere Verkehrsunternehmen Kunden werben Kunden unpersönlich (Selbstbedienungsvertrieb) Internet Direktvertrieb Handyticket Automaten (in Fahrzeugen, an Haltestellen) über Absatzmittler, z.B. Einzelhandel Tabelle 7-12 Vertriebskanäle im ÖPNV 1016 Einer Statistik des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen zufolge werden beim Fahrer und an Automaten hauptsächlich Einzelfahrscheine bzw. Tages- und Mehrtageskarten gekauft. Zeitkarten werden vor allem im Abonnement erworben oder aber über Verkaufsstellen. Handy- oder Onlinetickets werden bislang vergleichsweise selten genutzt, wenn, dann vor allem für Einzelfahrscheine bzw. Tages- und Mehrtageskarten. 1017 Fahrscheine für Fern- und Regionalverkehr im Kundenzentrum oder am Automaten, Bergen Fahrscheinautomat im Fahrzeug, Traunseetram 1016 modifiziert nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 387 1017 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 27 <?page no="357"?> 7.8 Vertrieb und Information 357 Je nach Größe und Struktur des bedienten Gebietes (vgl. Ballungsgebiet vs. ländlicher Raum) werden verschiedene Vertriebskanäle bzw. Kombinationen genutzt. Welche Vertriebswege zum Einsatz kommen, hängt dabei vor allem vom erforderlichen organisatorischen Aufwand, den dadurch entstehenden Kosten und dem erzielbaren Nutzen für das Verkehrsunternehmen und für die Fahrgäste ab. Entscheidungskriterien bei der Wahl der Absatzwege Kosten Zeit Qualität Vertriebslogistik (Fahrscheine, Geld) verlorene Umsätze Provisionen Dauer des Vertriebsvorgangs (kundenseitig, unternehmensseitig) Wartezeiten Vertriebsstellen Qualifikation Öffnungszeiten, Verfügbarkeit Tabelle 7-13 Vertriebskanäle im ÖPNV 1018 Der Fahrschein stellt nicht nur die Berechtigung zur Nutzung eines Verkehrsmittels durch den Fahrgast dar, sondern enthält auch sämtliche erforderlichen Tarifinformationen und garantiert dem Verkehrsbetrieb entsprechende Einnahmen. Vertrieb und Tarif sind über den Fahrschein also eng miteinander verbunden. 1019 Über lange Zeiträume hinweg waren auf Papier gedruckte Fahrscheine üblich. Mit dem Ziel der Rationalisierung entwickelte man ab den 1980er Jahren Magnetkartensysteme, die als zuverlässiger galten und detailliertere Informationen liefern sollten. Etwa zehn Jahre später begann die Ära der Chipkarten: „ Im Fokus hat hier die Flexibilität der Tarife, die Möglichkeiten neuer Vertriebswege und Marketingplattformen sowie die Verbesserung des Komforts für den Fahrgast gestanden. “ 1020 Allerdings waren diese Systeme zunächst nicht standardisiert bzw. kompatibel zueinander, was man als Nachteil erkannte und deshalb eine Standardisierung (vgl. VDV-Kernapplikation für das (((eTicket Deutschland) vorantrieb. Elektronisches Fahrgeldmanagement „ ist ein Dachbegriff, unter dem sich unterschiedliche, sehr heterogene Technologien versammeln, die zum Erwerb einer Fahrberechtigung und/ oder der Inanspruchnahme und Abrechnung von Fahrleistungen im ÖPNV und dem Clearing zwischen den beteiligten Betreibern eingesetzt werden. “ 1021 Dabei existieren verschiedene Verfahren: 1018 erstellt nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 391 1019 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Handbuch (((eTicket Deutschland, o.O. o.J., 4 1020 ebd. 1021 TCI Consult GmbH - Your Company for Intelligence & Performance; Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH; TIG Technische Informationssysteme GmbH; T.C.L. GmbH: EFM - Elektronisches Fahrgeldmanagement - Das Verkehrs- Datawarehouse für eine innovative Verkehrsplanung, Wien 2009, 11 <?page no="358"?> 358 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Verfahren bargeldloses Bezahlen elektronischer Fahrschein automatisierte Fahrgelderhebung Fahrschein Papierform konventionelle Kontrolle Speichern der Fahrscheindaten auf elektronischem Speichermedium, z.B. Chipkarte, Mobiltelefon oder Personal Digital Assistant (PDA) elektronische Kontrolle Speichern der Fahrscheindaten auf elektronischem Speichermedium, z.B. Chipkarte, Mobiltelefon, PDA automatisches Einlesen bei Einstieg und/ oder Ausstieg bzw. während der Fahrt Vorkenntnisse Kunde Kenntnisse über Tarifparameter und Fahrtrelation erforderlich Kenntnisse über Tarifparameter und Fahrtrelation erforderlich Kenntnisse über Tarifparameter und Fahrtrelation nicht erforderlich Verfügbarkeit v.a. stationär (z.B. Schalter, Automaten) an Automaten in Fahrzeugen bzw. Handheld-Geräten des Personals an Automaten an Fahrer- und Schalterterminals über Internet in Stationen und/ oder Fahrzeugen Verfahren: Checkin/ Check-out, Checkin, Be-in/ Be-out, Check-in/ Be-out zahlen via … Kredit-, EC-, Prepaid- Karten, elektronische Geldbörse Kredit-, EC-, Prepaid- Karten, elektronische Geldbörse Bargeld Verrechnung per Kundenvertrag Bezahlung nach festgelegtem Verfahren Tabelle 7-14 Verfahren des elektronischen Fahrgeldmanagements 1022 In Bezug auf die automatisierte Fahrgelderhebung lassen sich wiederum verschiedene Verfahren unterscheiden: Check-in/ Check-out : Der Fahrgast meldet sich mittels Speichermedium vor dem bzw. beim Einstieg in ein Fahrzeug an einem Erfassungsgerät an und beim Ausstieg ab. Dadurch wird die gefahrene Strecke ermittelt und der Fahrpreis berechnet. Check-in : Der Fahrgast meldet sich mittels Speichermedium vor dem bzw. beim Einstieg in ein Fahrzeug an einem Erfassungsgerät an. Ein Check-out ist nicht erforderlich. Mit dem Check-in erwirbt der Fahrgast einen Fahrschein zu seinem Fahrtziel. Sinnvoll ist dieses Verfahren z.B. bei Fahrten innerhalb einer Kernzone ohne unterschiedliche Tarifstufen. Be-in/ Be-out : Der Fahrgast muss sich nicht aktiv an- oder abmelden. Seine Anwesenheit wird allein durch Mitführen eines entsprechenden Speichermediums im Fahrzeug erkannt. Aus den so erfassten Daten lassen sich die gefahrenen Strecken ermitteln und abrechnen. Check-in/ Be-out : Der Fahrgast meldet sich mittels Speichermedium vor dem bzw. beim Einstieg in ein Fahrzeug an einem Erfassungsgerät an. Er muss sich nicht aktiv abmelden, der 1022 erstellt nach: TCI Consult GmbH - Your Company for Intelligence & Performance; Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH; TIG Technische Informationssysteme GmbH; T.C.L. GmbH: EFM - Elektronisches Fahrgeldmanagement - Das Verkehrs-Datawarehouse für eine innovative Verkehrsplanung, Wien 2009, 12f <?page no="359"?> 7.8 Vertrieb und Information 359 Ausstieg aus dem Fahrzeug wird automatisch erfasst. Die dieserart erhobenen Daten erlauben ebenso wie beim Be-in/ Be-out-Verfahren eine Ermittlung der gefahrenen Strecke und des zugehörigen Fahrpreises. 1023 Lesegerät integriert in Fahrscheinautomaten im Fahrzeug, Erfurter Bahn Lesegerät am Bahnsteig, Kopenhagen Hovedbanegård FAIRTIQ - Das einfachste Ticket der Schweiz FAIRTIQ, nach Herstellerangaben die „einfachste Fahrkarte der Schweiz“, ist ein Ticketingsystem, das dem Prinzip „Check-in/ Check-out“ folgt. Der Fahrgast checkt bei Fahrtantritt mit einem Klick in die zugehörige App ein sowie nach Beendigung der Fahrt mit einem erneuten Klick wieder aus. Sollte der Fahrgast den Check-out vergessen, erinnert ihn die App daran. 1024 Basierend auf dem Ortungssystem im Smartphone des Fahrgastes wird die zurückgelegte Strecke ermittelt und der entsprechende Fahrschein verrechnet. Dazu muss allerdings ein Zahlungsmittel hinterlegt sein. 1025 Die Entwickler der App versprechen, dass jeweils der günstigste Fahrschein verrechnet wird. Das heißt, absolviert der Fahrgast z.B. so viele Einzelfahrten, dass eine Tageskarte günstiger wäre, so wird letztere verbucht. 1026 Die Vorteile für den Fahrgast liegen auf der Hand: Eine Auseinandersetzung mit Tarifsystemen und -zonen ist nicht erforderlich. Auch muss man sich nicht schon vor Fahrtantritt für einen bestimmten Fahrschein oder ein Ziel der Fahrt entscheiden, da die Abrechnung nach der Fahrt und der tatsächlich zurückgelegten Strecke bzw. am Ende des Tages erfolgt. 1027 Verkehrsbetriebe und -verbünde profitieren von niedrigen Kosten, da keine zusätzlichen Installationen an Stationen oder in Fahrzeugen erforderlich sind. Zusätzlich regt die Einfachheit der Fahrpreisermittlung und Abrechung auch bisherige Gelegenheits- und Nichtnutzer zu Fahrten mit dem ÖPNV an. 1028 1023 vgl. TCI Consult GmbH - Your Company for Intelligence & Performance; Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH; TIG Technische Informationssysteme GmbH; T.C.L. GmbH: EFM - Elektronisches Fahrgeldmanagement - Das Verkehrs-Datawarehouse für eine innovative Verkehrsplanung, Wien 2009, 13ff 1024 vgl. Messe Berlin: FAIRTIQ AG - Produktbeschreibung, http: / / www.virtualmarket.innotrans.de, 05.02.2019 1025 vgl. FAIRTIQ AG: Darum FAIRTIQ, http: / / fairtiq.com/ de-ch, 05.02.2019 1026 vgl. FAIRTIQ AG: Unkompliziert reisen mit FAIRTIQ, http: / / fairtiq.com/ de-ch, 05.02.2019 1027 vgl. FAIRTIQ AG: Darum FAIRTIQ, http: / / fairtiq.com/ de-ch, 05.02.2019 1028 vgl. ebd.; Messe Berlin: FAIRTIQ AG - Produktbeschreibung, http: / / www.virtualmarket.innotrans.de, 05.02.2019 <?page no="360"?> 360 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung FAIRTIQ kommt in der Schweiz und in Liechtenstein sowie mittlerweile auch in Vorarlberg zur Anwendung. Seit 2020 kann es auch bei den Dresdner Verkehrsbetrieben genutzt werden. Gemäß dem Phasenmodell der Dienstleistungserstellung benötigt der Fahrgast - je nach Fahrtanlass und -ablauf - Informationen vor, während und nach einer Fahrt. Vor einer Fahrt werden beispielsweise Informationen zu Fahrtmöglichkeiten, Fahrtverlauf inkl. nötigen Umstiegen sowie Tarifen benötigt. Leicht verständliche Informationen, die auch die Erstellung persönlicher oder intermodaler Fahrpläne gestatten, können entscheidend dazu beitragen, Zugangsbarrieren zu reduzieren. Während einer Fahrt möchte der Fahrgast wissen, ob die Reise planmäßig verläuft oder ob Störungen auftreten und welche Auswirkungen diese gegebenenfalls auf den Fahrtverlauf haben. Bereitgestellt werden diese Informationen von Fahrgastinformationssystemen oder auch via Internet (vgl. Abfrage per Smartphone). Nach einer Fahrt können Informationen z.B. hinsichtlich zusätzlicher Serviceleistungen, für touristische Zwecke oder auch bezüglich der Abrechnung von elektronischen Ticketsystemen gewünscht sein. 1029 Stationäre dynamische Fahrgastinformation: Informationsdisplay, Hôtel de Ville Paris Informationsdisplay zu Haltestellen und Streckenverlauf im Bus, Wachau-Linie 2 Melk-Krems Auskunftssysteme setzen sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen, wozu die statische und die dynamische Fahrplanauskunft, Informationen zu Anschlüssen und bei Abweichungen vom Fahrplan sowie zum Tarifsystem gehören. Statische Fahrplanauskünfte beruhen auf den Soll-Daten des Fahrplans und werden bereitgestellt in gegen Entgelt oder kostenlos verfügbaren Fahrplanheften und -faltblättern, an Haltestellenaushängen, im Internet, in Servicezentren, per SMS oder telefonisch. Dynamische Fahrplanauskünfte basieren auf aktuellen Daten des Verkehrsmittelbetriebs, berücksichtigen dabei also z.B. die derzeitige Position von Fahrzeugen und Verspätungen. Zur Verfügung gestellt werden solche Echtzeit-Informationen beispielsweise an dynamischen Anzeigern an den Stationen, in den Fahrzeugen oder auch im Internet. 1029 vgl. Krampe, Horst; Krampe, Andreas: Logistik im Personenverkehr, in: Krampe, Horst; Lucke, Hans-Joachim; Schenk, Michael (Hrsg.): Grundlagen der Logistik, München 2012, 485 <?page no="361"?> 7.8 Vertrieb und Information 361 Fahrplaninformationen werden dem Fahrgast in verschiedenen Formen angeboten. So kann z.B. für eine bestimmte Fahrt eine Einzelauskunft angefordert werden. Linienfahrpläne beinhalten alle Stationen und Abfahrtsbzw. Ankunftszeiten einer Linie. Zudem sind Haltestellenfahrpläne an den Stationen (und oft auch via Internet) erhältlich, die sämtliche von einer Haltestelle abgehenden Linien enthalten. Viele Auskunftssysteme bieten die Zusammenstellung eines persönlichen Fahrplanes (z.B. für Pendler) für eine bestimmte Strecke und einen bestimmten Zeitraum an. Generell erwartet der Fahrgast, dass er aktuelle und zuverlässige Informationen über alle Phasen der Leistungserstellung erhält und dass diese verkehrsmittelübergreifend bereitgestellt werden. Diese Auskünfte sollten nicht nur die reinen Fahrplandaten umfassen, sondern auch (Alternativ-) Routen, Fahrpreise und diesbezügliche Optionen und ggf. Zusatzangaben wie aus dem touristischen Bereich enthalten und verständlich sein. 1030 Bereitgestellt werden sollten diese multisensorisch (vgl. akustisch, optisch) und über verschiedene Kanäle. Einerseits können dabei die vielfältigen Möglichkeiten der neuen Medien genutzt werden, andererseits sollten aber beispielsweise ältere Menschen mit einer Scheu vor diesen Kommunikationsmitteln nicht von der Informationsgewinnung ausgeschlossen werden. Oft wird von älteren Menschen in diesem Zusammenhang auch der Wunsch geäußert, mit einer realen Person zu sprechen, anstatt sich Informationen oder Fahrscheine an einem Automaten zu beschaffen. Aber auch Jüngere können hier auf Probleme stoßen, wenn sie z.B. das Tarifsystem in einer unbekannten Stadt oder Region verstehen wollen. Im Rahmen der Kooperation „DELFI“ ( D urchgängige EL ektronische F ahrgast- I nformation) werden die regionalen Fahrplanauskünfte von Verkehrsverbünden und Nahverkehrsgesellschaften zu einem bundesweiten System gebündelt und dem Fahrgast so eine deutschlandweite Verbindungsauskunft im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr ermöglicht. 1031 Mobilitäts-Apps Mittlerweile existieren zahlreiche Apps, die sich dem Thema Mobilität widmen. Dabei werden oft thematische Schwerpunkte gesetzt, sei es die Fahrplanauskunft und der Fahrscheinkauf, das Ausleihen von Fahrrädern oder Pkw. Die Deutsche Bahn ist dabei mit dem „DB Navigator“ 1032 vertreten. Mithilfe dieser App können nicht nur Verbindungen im Nah-, Regional- und Fernverkehr recherchiert, sondern z.B. auch Fahrscheine gebucht und Informationen über Verspätungen und alternative Verbindungen eingeholt werden. Darüber hinaus werden weitere Apps für einen spezifischen Einsatzbereich (z.B. Carsharing, Fahrradverleih, Störungsmeldungen usw.) angeboten. Doch hier zeigen sich schnell Grenzen, beispielsweise wenn bei der Fahrscheinbuchung nicht nur Eisenbahnverkehrsunternehmen, sondern auch die Angebote städtischer Verkehrsbetriebe genutzt werden sollen. Denn nur ein Bruchteil der Verkehrsverbünde ist in den DB Navigator integriert. Darüber hinaus gibt es Mobilitäts-Apps von verschiedenen Verkehrsverbünden und -unternehmen. Nachteil dieser Apps: Sie sind zum einem auf bestimmte Funktionen beschränkt und zum anderen i.d.R. auf einen Verkehrsverbund bzw. auf ein Unternehmen begrenzt. Eine App, die landesweit und flächendeckend verschiedene mobilitätsbezogene Funktionen nutzerfreundlich vereint und damit eine individuelle und sinnvolle Zusammenstellung von 1030 vgl. ebd., 485f 1031 vgl. DELFI-Service im Auftrag der Bundesländer und der DB AG: Über DELFI, http: / / www.delfi.de, 14.02.2019 1032 Vergleichbare Apps in Österreich und der Schweiz sind „ÖBB App“ und „SBB Mobile“. <?page no="362"?> 362 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Verkehrsmitteln für die jeweilige Wegekette bietet, gibt es in Deutschland noch nicht. Dies zu ändern, ist Ziel der Vernetzungsinitiative „Mobility inside“ 1033 , die damit auch branchenfremden Anbietern zuvorkommen will. 1034 Mit der auf den ÖPNV fokussierten und mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichneten App „easy.GO“ können neben den üblichen Funktionen (Fahrplanauskunft, Fahrkartenkauf, Störungsmeldungen usw.) auch Car- und Bikesharing-Stationen gesucht werden. Damit werden zwar nutzerfreundlich verschiedene Fortbewegungsmöglichkeiten in einer App kombiniert, allerdings beschränkt sich dies bislang auf die Gebiete des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds (MDV), des Verkehrsverbunds marego (MVB), des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS) und des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB). 1035 Über die ebenfalls mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnete App „moovel“ können verschiedene Mobilitätsalternativen kombiniert und die jeweiligen Leistungen auch in der App bezahlt werden. Entwickelt wurde die App von der moovel Group GmbH, einem Tochterunternehmen der Daimler AG. 1036 Der Fokus der App liegt allerdings auf urbanen Räumen sowie bezüglich der integrierten Dienstleistungen auf Tochterunternehmen des Konzerns. Auch die App „Qixxit“ ermöglicht die Verbindungssuche und berücksichtigt dabei verschiedene Verkehrsmittel. Der Fahrkartenkauf ist allerdings nur eingeschränkt bzw. nach Weiterleitung an den jeweiligen Anbieter möglich. Inzwischen mehrfach preisgekrönt ist die App „Wegfinder“ aus Österreich, die nicht nur im städtischen Raum, sondern landesweit funktioniert und sich als „ Routenplaner, Ticketshop, Fahrplan, Umgebungskarte und Vergleichsportal für Mobilität in einem “ 1037 versteht. Sie umfasst öffentliche Verkehrsmittel (ÖBB, Westbahn, City Airport Train, Vienna Airport Lines und Flixbus sowie alle Verkehrsverbünde Österreichs), sechs Anbieter im Fahrrad- und Scooterverleih, zehn Carsharing-Anbieter und Bedarfsverkehr. 1038 7.9 Anlagen des ÖPNV Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, die Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung sowie die Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr regeln die Anforderungen, die an die Anlagen des ÖPNV 1039 gestellt werden. Übereinstimmend ist darin festgehalten, dass Anlagen (und auch Fahrzeuge) so beschaffen sein müssen, „ dass sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen. “ 1040 Dabei müssen diese Anlagen so gestaltet sein „ dass die Benutzung [...] durch behinderte Menschen und alte Menschen sowie Kinder und sonstige Personen mit Nutzungsschwierigkeiten ohne besondere Erschwernis ermöglicht wird. “ 1041 1033 Hierzu gehört auch das Projekt VDV-Kernapplikation und (((eTicket Deutschland. 1034 vgl. INFRA Dialog Deutschland GmbH: Vernetzungsinitiative, Berlin 2016. 1035 vgl. TAF mobile GmbH: http: / / www.myeasygo.de, 06.02.2019; Land der Ideen Management GmbH: easy.GO − Handy-App für Bus und Bahn im ÖPNV; http: / / deutscher-mobilitaetspreis.de, 05.02.2019 1036 vgl. Land der Ideen Management GmbH: moovel - Die Mobilitäts-App, http: / / deutscher-mobilitaetspreis.de, 05.02.2019 1037 iMobility GmbH: Wie wohin, http: / / www.wegfinder.at, 05.20.2019 1038 vgl. iMobility GmbH: Vergleichen, kombinieren und buchen, http: / / www.wegfinder.at, 05.02.2019 1039 Zu den Formen von Bahnanlagen siehe Kapitel A/ 2.2.8. 1040 § 2 Abs. 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und § 2 Abs. 1 Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung 1041 § 2 Abs. 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung <?page no="363"?> 7.9 Anlagen des ÖPNV 363 Stationen (d.h. Haltepunkte, Haltestellen, Bahnhöfe), die als solche zu kennzeichnen sind, ermöglichen das planmäßige Halten der Verkehrsmittel und dienen Fahrgästen zum Ein- und Aussteigen. Diese Stationen müssen dem Zweck und der Bedeutung entsprechend ausgestattet sein (vgl. z.B. Kapazität zur Fahrgastabfertigung, Sitzmöglichkeiten, Wetterschutz, Information, Fahrkartenautomat, Notfallvorsorge), wobei die Kriterien Übersichtlichkeit, Transparenz, Sicherheit und Sauberkeit unabhängig von der Größe der Anlagen gleichermaßen von Bedeutung sind. Letztendlich entscheiden sie auch über die Aufenthaltsqualität. Einige Vorzeigeobjekte können nicht davon ablenken, dass gerade im ländlichen Raum oft nicht die Mindestanforderungen erfüllt werden. Bushaltestelle in Paris Bushaltestelle in Markotabödöge Die Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel bzw. Verkehrsträger (SPNV/ SPNV, SPNV/ ÖPNV, Stadtverkehr mit Regionalverkehr, innerhalb des Stadtverkehrs) findet an den Schnittstellen statt. Diese müssen so ausgelegt sein, dass sie kurze, sichere, barrierefreie Wege ermöglichen. Eine große Zahl an Schnittstellen ist entsprechend dieser Anforderungen bereits umgestaltet worden, mancherorts vielleicht auch ein wenig überdimensioniert. ÖPNV-Schnittstelle Schiene/ Straße, Oelsnitz/ V. Busbahnhof, Malmö <?page no="364"?> 364 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Abbildung 7-5 Haltestellenkennzeichnung verschiedener Verkehrssysteme <?page no="365"?> 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 365 Die Aufgaben von Betriebshöfen sind vielfältig. Hier beginnen und enden nicht nur die Fahrten der eingesetzten Fahrzeuge. Es erfolgen z.B. auch die Personal- und Fahrzeugeinsatzplanung und die Zuordnung zu den Fahrzeugumläufen, die Bedienung von Sonderfahrten, die Sicherstellung der Versorgung der Fahrzeuge mit Betriebsstoffen (z.B. Kraftstoff, Sand), die Reinigung sowie die Wartung und Instandhaltung. Unterstützt werden kann die Erfüllung dieser Aufgaben durch Betriebshofmanagementsysteme. 1042 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge Zur Erbringung von Beförderungsleistungen in Städten und Regionen können unterschiedlichste Verkehrsmittel zum Einsatz kommen. Neben den bekannten Formen wie Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen sowie Regionalbahnen und Regional-Express-Zügen werden dabei auch Sonderformen, z.B. Fähren oder Seilbahnen, genutzt. Straßenverkehrsmittel , wozu Kraftomnibus, O-Bus und Straßenbahn zählen, fahren auf Sicht. Das heißt, die Fahrzeuge können einander in einem Abstand folgen, der es dem hinterherfahrenden Fahrzeug ermöglicht, gegebenenfalls rechtzeitig zum Stillstand zu kommen. Nach dem Personenbeförderungsgesetz handelt es sich bei Kraftomnibussen (KOM) um „ Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von mehr als neun Personen (einschließlich Führer) geeignet und bestimmt sind. “ 1043 O-Busse sind „ elektrisch angetriebene, nicht an Schienen gebundene Straßenfahrzeuge, die ihre Antriebsenergie einer Fahrleitung entnehmen. “ 1044 Erdgas-Bus im Regionalverkehr, Dachsteinregion O-Bus (Trolleybus) im Stadtverkehr, Bern 1042 vgl. Stimmerling, Rainer: Betriebshofsmanagement in der Praxis, in: Nahverkehrspraxis 1-2/ 2012, 47 1043 § 4, Abs. 4, Nr. 2 Personenbeförderungsgesetz 1044 § 4, Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz <?page no="366"?> 366 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Elektro-Bus im Stadtverkehr, Wien Hybrid-Trambus im Stadtverkehr, Malmö Straßenbahnen werden im Personenbeförderungsgesetz definiert als „ Schienenbahnen, die 1. den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen und sich mit ihren baulichen und betrieblichen Einrichtungen sowie in ihrer Betriebsweise der Eigenart des Straßenverkehrs anpassen oder 2. einen besonderen Bahnkörper haben und in der Betriebsweise den unter Nummer 1 bezeichneten Bahnen gleichen oder ähneln und ausschließlich oder überwiegend der Beförderung von Personen im Orts- oder Nachbarschaftsbereich dienen. “ 1045 Dazu zählen auch Hoch- und Untergrund-, Schwebe- oder ähnliche Bahnen, die keine Berg- oder Seilbahnen sind. 1046 Meist ausgelegt in den Spurweiten 1.000 mm oder 1.435 mm, teilen sich Straßenbahnen vielerorts den Verkehrsraum mit dem übrigen Straßenverkehr, teilweise wurden aber auch besondere Bahnkörper geschaffen. Handelte es sich bei den klassischen Straßenbahnen ausschließlich um hochflurige Fahrzeuge, kommen heute in der Mehrzahl Fahrzeuge mit 70-100 % Niederfluranteil zum Einsatz. 1047 Grundsätzlich lassen sich bei Straßenbahnen Einzeltriebfahrzeuge, Doppel- oder Mehrteiltriebfahrzeuge und Gelenktriebfahrzeuge sowie Beiwagen unterscheiden. 1048 Hochflurtriebwagen Tatra T6A5 in Doppeltraktion, Bratislava Niederflurgelenktriebwagen NGT D8DD Flexity Classic, Dresden 1045 § 4, Abs. 1, Nr. 1 und 2 Personenbeförderungsgesetz 1046 § 4, Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz 1047 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007, 30 1048 vgl. Janicki, Jürgen: Reinhard, Horst; Rüffer, Michael: Schienenfahrzeugtechnik, Berlin 2013, 30 <?page no="367"?> 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 367 Niederflurgelenktriebwagen Flexity Outlook C (Cityrunner), Innsbruck Niederflurgelenktriebwagen SL 95, Oslo Insbesondere in kleineren Städten, in denen ein Straßenbahnnetz nicht effizient betrieben werden könnte, wird der Bus aufgrund seiner Flexibilität und seines Einsatzes im normalen Straßennetz als das geeignetste Verkehrsmittel betrachtet. Größere Verkehrsströme, d.h. ca. 5.000 bis 90.000 Personen täglich, lassen sich günstiger mit Straßenbahnen bewältigen. Die Errichtung der erforderlichen Infrastruktur ist wesentlich preiswerter als jener für eine U-Bahn. Zehn Straßenbahn- Kilometer kosten dabei in etwa so viel wie ein U-Bahn-Kilometer. 1049 Die Renaissance der Straßenbahn In Deutschland wurden zwischen 1950 und 1980 zahlreiche Straßenbahnbetriebe stillgelegt. Dabei wurde in 65 bundesdeutschen Städten - auch in Großstädten, wie Aachen oder Kiel - auf Busbetrieb umgestellt. Auch Hamburg oder West-Berlin trennten sich von der Straßenbahn und setzten auf ihre U- und S-Bahn-Systeme sowie den Bus. Etwa 30 andere Städte hielten trotz dieser Stilllegungswelle an der Straßenbahn fest und versuchten, ihre Netze durch Um- und Ausbauten zukunftsfähig zu machen. Dazu gehörte z.B. die Erhöhung des Eigentrassenanteils, der Bau von Tunnelstrecken in den Stadtzentren oder aber die Konzentration auf die am stärksten ausgelasteten Hauptachsen. 1050 In der ehemaligen DDR haben wesentlich mehr Straßenbahnbetriebe diese Zeit überlebt, auch aufgrund des geringen Motorisierungsgrades der Bevölkerung. Lediglich sechs Straßenbahnbetriebe wurden zwischen 1945 und 1990 stillgelegt. Nach der Wiedervereinigung wurden fast alle DDR-Straßenbahnbetriebe weitergeführt, auch in Kleinstädten. Selbst in Naumburg, wo der Straßenbahnbetrieb 1991 zunächst aufgegeben wurde, fährt die Bahn heute wieder als touristische Attraktion. 1051 Mit der Entwicklung von Niederflurwagen wurden neue Impulse am Straßenbahnmarkt gesetzt. Mit diesen Fahrzeugen kann ein bequemer und behindertenfreundlicher Ein- und Ausstieg aus einer Bahn gewährleistet werden. Der Fahrgastwechsel verläuft somit schneller, genauso der Kursumlauf. Dadurch lassen sich Fahrzeug- und Personalkosten verringern. 1052 1049 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 380; Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 319 1050 vgl. o.V.: Die Entwicklung der Straßenbahn in Deutschland, in: Straßenbahnen in Deutschland von A-Z, Straßenbahn-Magazin Spezial Nr. 20, 2010, 7f 1051 vgl. o.V.: ebd., 7 und 10 1052 vgl. o.V.: ebd., 10 <?page no="368"?> 368 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Um attraktivere Nahverkehrsangebote zu schaffen und Städte bzw. deren Zentren besser mit ihrem Umland zu verknüpfen, wurden Straßenbahnstrecken unter Nutzung von Eisenbahnstrecken verlängert. Vorreiter ist dabei das Karlsruher Modell (1991). Saarbrücken, Kassel und Chemnitz folgten. Inzwischen besinnt man sich auch anderswo wieder auf die Stärken der Straßenbahn. Straßenbahnen gibt es heute in über 400 Städten weltweit, wobei sie vor allem in Europa verbreitet sind. In Deutschland arbeiten derzeit 55 Straßenbahnbetriebe. Dabei zeigt sich, dass in jüngerer Vergangenheit in verschiedenen Städten Netzausbaumaßnahmen stattgefunden haben. Auch Investitionen in modernes Rollmaterial sind vielerorts zu verzeichnen. 1053 In Österreich gibt es aktuell fünf Straßenbahnbetriebe - in Gmunden, Graz, Innsbruck, Linz und Wien. Die Betriebe in Baden, Mödling, St. Pölten, Ybbs, Salzburg, Dornbirn und Klagenfurt bestehen inzwischen nicht mehr. In der Schweiz existieren sechs Straßenbahnbetriebe - in Basel, Bern, Genf, Lausanne, Neuchâtel und Zürich. Auch hier wurden im Laufe der Zeit mehrere Straßenbahnbetriebe (z.B. in St. Moritz, Spiez oder Schwyz) eingestellt. Zu den Stadtschnellbahnen zählen Stadtbahnen, Untergrund- und S-Bahnen. Sie dienen der Erschließung dichtbevölkerter städtischer Räume und Ballungsgebiete bzw. als Stadt-Umland-Bahn der Verknüpfung mit der umliegenden Region. Stadtschnellbahnen fahren - wie auch die Eisenbahnen - im Raumabstand und nutzen dabei eigene Gleise oder das Netz der Eisenbahn. In der Regel handelt es sich um Zweischienenbahnen, aber auch unkonventionelle Lösungen sind vertreten (vgl. Wuppertaler Schwebebahn). Typische Merkmale sind ein starrer Fahrplan mit dichter Zugfolge sowie hohe Fahr- und Reisegeschwindigkeiten, die einen raschen Fahrgastwechsel erfordern. Ermöglicht wird dies durch die Konstruktion der Fahrzeuge und Stationen. Zum Einsatz kommen hier spezielle Nahverkehrs- oder Eisenbahnfahrzeuge. 1054 Der Bau und Unterhalt der Bahnanlagen erfordert einen hohen Investitionsaufwand. Stadt-Umland-Bahn, City-Bahn Chemnitz U-Bahn, Hamburger Hochbahn 1053 vgl. Kussmack, Bernhard: Chronik Weltweit, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 106f; Sperl, Michael et al: Chronik Deutschland, in: Straßenbahn-Jahrbuch 2019, 26ff 1054 vgl. Transpress-Lexikon Eisenbahn, Berlin 1971, 730f <?page no="369"?> 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 369 Métro Paris, RATP Stockholms Pendeltåg, Bf Märsta Als Stadtbahnen bezeichnet man oft Straßenbahnen, die in Ausstattung und Betrieb mit U- oder S-Bahnen vergleichbar sind. Diese Bahnen verfügen i.d.R. über einen eigenen Bahnkörper und sind somit weitgehend unabhängig vom Individualverkehr, weisen allerdings Kreuzungen mit dem Straßenverkehr auf. Insbesondere in innerstädtischen Bereichen werden die Strecken auch durch Tunnel oder als Hochbahn geführt. 1055 Zum Einsatz kommen spezielle, an die Bahnsteige angepasste Fahrzeuge, die hohe Kapazitäten und einen hohen Fahrkomfort aufweisen und durch mehrere breite Türen einen schnellen Fahrgastwechsel ermöglichen. Die Haltestellenabstände sind kurz, die Stationen komfortabel ausgestattet (vgl. Witterungsschutz, Fahrkartenautomaten, Informationssysteme). Die Bahnen verkehren nach Takt mit dichter Zugfolge. Allerdings ist der Begriff Stadtbahn weder in Normen noch Gesetzen gesondert definiert. 1056 Rechtlich werden die Stadtbahnen daher den Straßenbahnen zugerechnet, weshalb in Deutschland die Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung angewendet wird. 1057 U-Bahnen sind vorwiegend unterirdisch verkehrende, elektrische Bahnen im Stadtbereich, die auf eigener Trasse - und völlig unabhängig von anderem städtischen Verkehr - mit Spezialfahrzeugen nach einem starren Fahrplan mit dichter Zugfolge und Zugsicherung fahren und dieserart hohe Kapazitäten zur Personenbeförderung schaffen. 1058 U-Bahnen können verschiedene Formen aufweisen. Dabei kann es sich um Unterpflasterbahnen oder Tiefbahnen (Untergrundbahn) handeln. Aber auch eine Führung auf Dämmen bzw. Hochstrecken (Hochbahn) ist möglich. Welche Bauweise genutzt wird, hängt u.a. auch von den geologischen Voraussetzungen in der jeweiligen Stadt ab. Kennzeichnend für U-Bahn-Systeme sind hohe Bahnsteige. Dadurch ist bei der bisher üblichen Nutzung von Hochflurfahrzeugen ein stufenloses Einbzw. Aussteigen gewährleistet. Inzwischen kommen bei neuen U-Bahn-Systemen auch Niederflurfahrzeuge zum Einsatz. Allerdings sind die Zugänge zu den Bahnsteigen oft mit langen Wegen, die nicht generell barrierefrei sind, verbunden. Ein weiteres typisches Merkmal von U-Bahn-Netzen ist der reine Linienbetrieb. Das heißt, eine bestimmte Strecke wird ausschließlich von einer Linie bedient. In manchen U-Bahn-Netzen wird 1055 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: VDV-Statistik 2011, Köln 2012, 87 1056 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007, 30 1057 vgl. § 4 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz 1058 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Stadtbahnsysteme, Köln 2014, 32 <?page no="370"?> 370 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung jedoch auch von diesem Prinzip abgewichen. 1059 Der Bau von U-Bahn-Netzen ist aufgrund des hohen Aufwandes nur bei sehr starken Verkehrsströmen sinnvoll. In der Regel liegen solche Verkehrsströme in Städten mit mehr als einer Million Einwohner vor. 1060 Als Synonym für die U-Bahn wird auch der Begriff Metro gebraucht. Die Metro stellt ebenfalls eine Form der Stadtschnellbahn dar. 1061 Nach deutschem und österreichischem Recht werden U-Bahnen allerdings als Straßenbahnen betrachtet. 1062 Teilweise werden auch Stadtbahnen oder Straßenbahnen unterirdisch geführt, um dieserart Platz für den Oberflächenverkehr zu gewinnen. Jedoch fehlt ihnen das Merkmal der völligen Unabhängigkeit vom sonstigen städtischen Verkehr, weshalb es sich dabei nicht um U-Bahnen - wenngleich mitunter von den Betreibern als solche bezeichnet - handelt. U-Bahn-Systeme weltweit Weltweit existieren in 56 Ländern in knapp 180 Städten U-Bahn-Systeme, die täglich etwa 168 Mio. Fahrgäste transportieren. Innerhalb der vergangenen 20 Jahre wurden 75 neue U- Bahnen installiert, vor allem in Asien. Hier befinden sich auch sieben der zehn am stärksten frequentierten Metros weltweit. Die Plätze eins bis drei nehmen dabei Tokio, Moskau und Shanghai ein. U-Bahn-Systeme mit den längsten Liniennetzen befinden sich in Shanghai, Beijing und Seoul. Etwa 7 % aller Linien werden vollautomatisch betrieben. 1063 S-Bahnen sind Eisenbahnverkehrssysteme, die der Erschließung von Ballungsräumen dienen. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Stadtschnellbahnsysteme in Berlin und Hamburg, hat sich inzwischen aber in Deutschland und Nachbarländern für vergleichbare Systeme durchgesetzt. Wurden S-Bahn-Netze anfangs unabhängig vom Netz der Eisenbahn auf eigenem Bahnkörper betrieben, so sind sie heute auch oft miteinander verflochten. Wesentliches Kennzeichen der S-Bahn ist eine dichte Vertaktung (zehn, 15 oder 20 Minuten), allerdings weisen Linien, die die Stadt mit dem ländlichen Raum verbinden, auch Taktfolgen von einer oder zwei Stunden auf. Weitere Merkmale sind eine hohe Kapazität sowie Haltestellenabstände zwischen 0,8 und 2 km, wobei die innerstädtischen Haltestellenabstände im Vergleich zur U-Bahn größer sind. Mit den übrigen Verkehrsmitteln des ÖPNV sind S-Bahn-Systeme i.d.R. gut vernetzt. Der überwiegende Teil der S-Bahn-Systeme wird elektrisch betrieben: entweder - wie in Berlin und Hamburg - über eine seitlich am Gleis angebrachte Stromschiene oder mit der sonst üblichen Fahrstromversorgung über Oberleitungen. Auf einigen Linien, die als S-Bahnen bezeichnet werden, kommen auch Dieselfahrzeuge zum Einsatz. 1064 1059 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 270 und 318; Zschweigert, Manfred: Bahnanlagen des Nahverkehrs, Berlin 1982, 14; International Association of Public Transport: What are metros? , http: / / www.uitp.org, 28.08.2013; Transpress-Lexikon Eisenbahn, Berlin 1971, 829 1060 vgl. ebd.; Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 380 1061 vgl. Transpress-Lexikon Eisenbahn, Berlin 1971, 539 1062 vgl. § 4 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz, § 2 Abs. 1 b) Straßenbahnverordnung 1063 vgl. Union Internationale des Transports Publics: World Metro Figures 2018, 1ff 1064 vgl. o.V.: S-Bahn, http: / / www.mobi-wissen.de, 06.02.2019; Zschweigert, Manfred: Bahnanlagen des Nahverkehrs, Berlin 1982, 14 <?page no="371"?> 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 371 Während U-Bahnen im Allgemeinen zu städtischen Verkehrsunternehmen gehören, sind S-Bahnen oft Tochtergesellschaften der Fernbahnbetreiber. Anders als U-Bahnen werden S-Bahnen den Eisenbahnen zugeordnet. 1065 Damit finden in Deutschland das Allgemeine Eisenbahngesetz und die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung Anwendung - mit entsprechenden Auswirkungen auf Fahrzeuge und Bahnanlagen. Gleichzeitig wird dadurch eine Mischnutzung der Trassen ermöglicht. Klassische S-Bahn-Systeme eignen sich vor allem für Städte bzw. Ballungsräume mit mehr als 250.000 Einwohnern. 1066 Auch in Österreich und in der Schweiz werden S-Bahn-Systeme betrieben, wenngleich diese nicht immer in allen Merkmalen mit jenen einer klassischen S-Bahn übereinstimmen. Vergleichbare Systeme gibt es auch in anderen Ländern, so z.B. den Réseau Express Régional (RER) in Frankreich, den Pendeltåg in Schweden oder den S-tog in Dänemark. Folgende Tabelle fasst die wichtigsten Merkmale der Verkehrsmittel bzw. -systeme zusammen. Straßenverkehrsmittel Stadtschnellbahnen Verkehrsmittel Bus O-Bus Straßenbahn Stadtbahn U-Bahn S-Bahn Art der Abstandssicherung Fahren auf Sicht Fahren im Raumabstand typischer Einsatz freizügig im Straßennetz an Fahrleitung gebunden an Gleis und Fahrleitung gebunden eigene Gleise in Stadt und Region eigene Gleise z.T. eigene Gleise in Region und Stadt Platzangebot (Steh-/ Sitzplätze) 100-165 > 100 180 180-250 200 500-600 Leistungsfähigkeit (Personen/ h) 600-1.000 600 1.500 4.500 10.000 25.000 Haltestellenabstand (m) 200-500 200-500 200-600 300-1.000 500-1.500 1.000-3.000 Einzugsbereich (m) 200-300 200-300 300-400 400-500 750-1.000 1.000- 1.500 Gehzeit (min) 4-6 4-6 5-8 8 8-10 10-15 Reisegeschwindigkeit (km/ h) 10-15 10-15 15-25 20-40 30-50 bis 40 typische Fahrzeugfolgezeit (min) 20-120 10-30 10-30 10-30 5-15 20-60 Tabelle 7-15 Merkmale ausgewählter Verkehrsmittel im ÖPNV 1067 1065 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.): Fahrwege der Bahnen, Düsseldorf 2007, 32; Pachl, Jörn: Betriebsführung der Infrastruktur, in: Fendrich, Lothar (Hrsg.): Handbuch Eisenbahninfrastruktur, Berlin/ Heidelberg 2007, 558 1066 vgl. Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2010, 380 1067 erstellt nach: Reinhard, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 485f; Janicki, Jürgen: Systemwissen Eisenbahn, Berlin 2016, 267; Salzburg AG: Fahrplan, http: / / www.salzburg-ag.at, 06.02.2019; Wiener Linien: Fahrpläne, http: / / www.wienerlinien.at, 06.02.2019 <?page no="372"?> 372 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Im SPNV werden neben der S-Bahn zwei weitere Zuggattungen unterschieden: die Regionalbahn und der Regional-Express . Während die i.d.R. im Takt verkehrende Regionalbahn (RB) ein Grundangebot bereitstellt und dabei alle Stationen einer Linie bedient, bietet der ebenfalls getaktete Regional-Express (RE bzw. REX) höhere Reisegeschwindigkeiten, da nur ausgewählte Stationen eingebunden werden. Alle im ÖPNV eingesetzten Fahrzeuge müssen dem Zweck (d.h. z.B. Einsatzorte, angestrebte Fahrzeit, Kapazität) entsprechend ausgestattet sein und einen zuverlässigen und sicheren Betrieb sowie für die Fahrgäste eine angenehme Fahrt gewährleisten können. Im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung sind deshalb folgende Faktoren von großer Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielen zunächst die Fahrzeuggröße und damit erreichbare Kapazitäten . Es gibt zwar Fahrzeuge unterschiedlicher Größe, allerdings lassen sich Kapazitäten nicht beliebig vergrößern oder verringern, sondern nur sprunghaft adaptieren. Die zum Einsatz kommenden Fahrzeuge wirken sich maßgeblich auf die Kostenstruktur des Unternehmens aus, beeinflussen aber auch dessen betriebliche Flexibilität und Reaktionsvermögen auf Nachfrageschwankungen. Während sich durch große Fahrzeuge die direkten Betriebskosten pro Fahrgast niedrig halten lassen, ermöglichen kleine Fahrzeuge eine bessere zeitliche Verteilung der angebotenen Verbindungen. Große Fahrzeuge setzen dabei eine konstante und relativ hohe Nachfrage voraus. Mit kleinen Fahrzeugen kann man wiederum besser auf Nachfrageschwankungen reagieren. Aus diesem Grund ist auch die betriebliche Flexibilität von Bedeutung, d.h. z.B. bei Schienenfahrzeugen eine automatische Kupplung, um Züge auf einfache Weise verstärken zu können (vgl. Traktionsfähigkeit). Kapazitätssteuerung kann durch den Einsatz alternativer Bedienformen (vgl. Anruf-Sammeltaxi, Anrufbus) oder auch eine bessere Verknüpfung von regulärem Linienverkehr und Schülerverkehr erfolgen. Die Mittelwerte realer Fahrgastzahlen unterscheiden sich bei den einzelnen Verkehrsmitteln stark, spiegeln dabei aber gleichzeitig deren Eignung für spezifische Siedlungsstrukturen wider. Verkehrsmittel Fahrgastzahlen (Fahrgäste/ Tag) Verkehrsmittel Fahrgastzahlen (Fahrgäste/ Tag) Bürgerbus 20-50 Stadtbus im Ballungsgebiet 2.000-15.000 Anruf-Sammeltaxi 40-100 Straßenbahnlinie 10.000-30.000 Bedarfsbus (Richtungsband*) 500-1.000 Stadtbahnlinie 20.000-100.000 Regionalbus in der Fläche je Linie 1.000-3.000 U-Bahn-Linie 100.000-200.000 * alle Haltestellen auf Linie bedient, Umwegfahrten und Stichfahrten möglich, Anmeldung notwendig Tabelle 7-16 Mittelwerte realer Fahrgastzahlen 1068 Die Fahrzeuge sollten ein ansprechendes Erscheinungsbild aufweisen und angemessenen Fahrgastkomfort bieten. Dazu gehören z.B. die generelle Raumgestaltung, die Anzahl und Anordnung der Sitzplätze sowie die Qualität der Sitze, das Raumklima (Klimatisierung, Heizung), Größe und Anordnung der Fenster samt Sonnenschutz, eine angemessene Beleuchtung, ein niedriges Geräuschniveau, zweckmäßige Informationssysteme sowie eine geeignete Gestaltung der Einstiege (vgl. Fahrgastfluss). Ebenso sollten die Fahrzeuge - soweit aufgrund der Größe und Bauart möglich - Mehrzweckabteile für Fahrgäste mit Fahrrädern, Kinderwagen sowie mit sperrigem Gepäck bieten und die Forderungen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung erfüllen. Die 1068 vgl. Reinhardt, Winfried: Öffentlicher Personennahverkehr, Wiesbaden 2018, 469 <?page no="373"?> 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 373 allgemeine Sicherheit der Fahrgäste lässt sich durch eine gute Durchsicht durch die Wagen sowie den Einbau von Überwachungs- und Notrufsystemen erhöhen. So wie sich die Fahrzeuge in ihren Merkmalen unterscheiden, differieren sie auch in den Anschaffungskosten . Für einen Standardbus fallen - je nach Ausstattung und Hersteller - zwischen 250.000 und 350.000 Euro an. Eine Straßenbahn kostet bereits 2,5 bis 3 Mio. Euro. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings auch, dass die Nutzungsdauer bei Bussen im Durchschnitt zehn bis 15 Jahre beträgt und Straßenbahnen wesentlich länger, teilweise weit über 20 Jahre, eingesetzt werden. Angesichts neuer Fahrwerks- und Antriebslösungen können sich diese Zeiten allerdings relativieren. 1069 Betriebs-, Unterhalts- und Instandsetzungskosten fallen ebenso unterschiedlich aus. Der Einsatz eines Busses ist stets preiswerter als der einer Bahn. Fahren Bahnen nicht auf dem eigenen Netz, so kommen Trassenentgelte und Stationsgebühren hinzu. Durch die Wartungs- und Instandhaltungskosten für Schienen und Oberleitungen werden Bahnen zudem teurer. Niedrige Betriebskosten lassen sich durch einen geringen Energieverbrauch (niedriges Fahrzeuggewicht), eine hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit, lange Einsatzzeiten der Verschleißteile, insbesondere auch der Räder, niedrige Unterhaltungskosten sowie günstige Modalitäten der Instandhaltung (vgl. Zugänglichkeit der einzelnen Baugruppen, Austauschrhythmen usw.) erreichen. Schließlich sollte auch die Umweltverträglichkeit (vgl. z.B. niedriger Energieverbrauch, geringere Feinstaubbelastung, niedriger Geräuschpegel nach außen) eine Rolle spielen. Weiterhin sollten personalbezogene Aspekte wie Bedienungsfreundlichkeit und Ergonomie des Arbeitsplatzes, aber auch Sicherheitsbelange in Bezug auf das Crash-Verhalten des Fahrzeugs sowie den Schutz vor Übergriffen berücksichtigt werden. 1069 vgl. Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 320; o.V.: Die Entwicklung der Straßenbahn in Deutschland, in: Straßenbahnen in Deutschland von A-Z, Straßenbahn-Magazin Spezial Nr. 20, 2010, 12 <?page no="374"?> 374 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Fallstudie: Die erste U-Bahn der Schweiz - Metro Lausanne „Lausannes neue Metro bietet gleich mehrere Superlative: Sie ist die steilste, im Adhäsionsbetrieb befahrene U-Bahn der Welt sowie die erste gummibereifte Bahn mit wandernder Blocksicherungstechnik und vollautomatischem Fahrbetrieb in der Schweiz.“ 1070 Am 18. September 2008 wurde in Lausanne nach viereinhalb Jahren Bauzeit die erste vollautomatische Metrolinie der Schweiz eröffnet. Wenige Wochen später, am 27. Oktober 2008, nahm sie den planmäßigen Betrieb auf. Damit kann Lausanne auf ein Verkehrsmittel verweisen, das üblicherweise in weitaus größeren Städten zu finden ist. 1071 Lausanne, Hauptstadt des Kantons Waadt, liegt am Ufer des Genfer Sees. Die Stadt hat rund 130.000 Einwohner, mit dem Umland steigt die Zahl auf 250.000. Für Schienenverkehrsmittel gestalten sich die topographischen Gegebenheiten seit jeher problematisch. Die Stadtgebiete am Seeufer liegen auf etwa 370 m Höhe, der Bahnhof der SBB auf rund 450 m, das Stadtzentrum auf 480 m. Die Stadtviertel im Norden befinden sich in Höhenlagen zwischen 500 und 700 m. Die Metro ermöglicht es nun, diese verschiedenen Ebenen direkt miteinander zu verbinden. Bisher wurde der Norden durch mehrere Busbzw. Trolleybuslinien bedient, die nur teilweise bis ins Stadtzentrum fuhren. Jetzt übernehmen diese eine Zubringerfunktion zur Metro. Zudem möchte man Autofahrer aus dem Umland animieren, auf die Metro umzusteigen. Deshalb wurde an der Station Vennes, die direkt an einer Autobahnausfahrt liegt, eine Park-and-Ride-Anlage mit 1.200 Stellplätzen errichtet. 1072 Die Metro-Linie m2 verbindet die Station Ouchy am Genfer See mit dem Stadtzentrum und führt weiter nach Norden bis auf das Gebiet der Gemeinde Epalinges. Die Strecke ist 5,9 km lang und verläuft über eine Höhendifferenz von 388 m. An der Station Flon ist es möglich, in die Stadtbahn-Linie m1 in Richtung Renes oder in die Schmalspurbahn nach Echallens und Bercher umzusteigen. 1073 Auf dem unteren Abschnitt folgt die Strecke zunächst der Trasse der alten Zahnradbahn. Diese hatte man 2006 stillgelegt. Unter dem SBB-Bahnhof wird der alte Tunnel der Zahnradbahn genutzt. Da hier eine Verbreiterung zu aufwendig gewesen wäre, blieb dieser Abschnitt eingleisig. Ansonsten ist die Strecke doppelspurig ausgelegt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen verläuft die Strecke unterirdisch. Die oberirdischen Abschnitte werden beheizt, um im Winter Probleme durch Schnee auf der Fahrbahn zu vermeiden. Die Stromversorgung erfolgt über eine Stromschiene mit 750 V Gleichstrom. 1074 Anders als sonst bei U-Bahnen üblich, greift man hier auf eine innovative technische Lösung zurück: „Die ganze Strecke ist sowohl mit Schienen als auch mit einer Fahrbahn für die Gummireifen ausgestattet. Bei einem Defekt an den Gummireifen können die Stahlräder als Laufräder genutzt werden. Im Normalfall berühren diese die Schienen nicht; die Züge fahren ausschließlich auf den Pneus. Sie werden durch horizontale Führungsrollen, die vor und nach den Laufrädern montiert sind, in der Spur gehalten. Beim Gleiswechsel führen hingegen die Spurkränze der Stahlräder die Züge über die Weichen.“ 1075 1070 Groneck, Christoph: Extreme Steigungen, in: Regionalverkehr 1/ 2009, 54 1071 vgl. Rellstab, Mathias: Lausanner Metro offiziell eröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 576 1072 vgl. Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606ff; Groneck, Christoph: Extreme Steigungen, in: Regionalverkehr 1/ 2009, 54 1073 vgl. Rellstab, Mathias: Lausanner Metro offiziell eröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 577; Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606f 1074 vgl. ebd. 1075 Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606 <?page no="375"?> 7.10 Verkehrssysteme und Fahrzeuge 375 Normalerweise verkehren die m2-Züge ohne Fahrer. Die Fahrzeuge verfügen zwar über ein in seinen Funktionen stark reduziertes Steuerpult; dieses soll jedoch nur bei Ausfall der Automatik zum Einsatz kommen. An allen Stationen sind die Bahnsteige durch Türen von der Fahrbahn getrennt. Diese Türen öffnen und schließen sich jeweils synchron mit denen der Züge. Die Vollautomatik soll einen flüssigen und flexiblen Betrieb ermöglichen. Je nach Bedarf können per Mausklick zusätzliche Züge eingesetzt werden, ohne dass dabei auf Dienstpläne des Personals Rücksicht genommen werden muss. Aufgabe einer Leitstelle ist die kontinuierliche Überwachung des Betriebs. Bei Unregelmäßigkeiten kann von dort aus eingegriffen werden. Andererseits ist eine Kontaktaufnahme mit der Leitstelle durch die Reisenden über Sprechstellen in den Bahnen jederzeit möglich. Wartungsarbeiten an der Strecke werden ausschließlich nachts durchgeführt. Jeweils vor Betriebsbeginn garantiert eine manuell bediente Kontrollfahrt, dass die Fahrbahn frei ist. 1076 Zwischen den Stationen Jordils und Grancy Drehgestell Die Betriebszeiten der m2 liegen zwischen 5: 30 Uhr und 1: 00 Uhr. In den Nebenverkehrszeiten verkehren die Bahnen alle sieben Minuten, in der Hauptverkehrszeit alle zwei bis sechs Minuten. 1077 Für den Metro-Betrieb wurden 15 zweiteilige Garnituren beschafft. Jeder Zug bietet 220 Passagieren Platz. Sechs Doppeltüren je Seite ermöglichen ein schnelles Ein- und Aussteigen. Man rechnet mit einer jährlichen Transportkapazität von 25 Millionen Passagieren. Dies entspricht rund 68.000 Passagieren täglich. Während die Höchstgeschwindigkeit auf flacher Strecke 60 km/ h beträgt und mit zunehmender Neigung abnimmt, liegt die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit bei 17 km/ h. Insgesamt ergibt sich eine Fahrzeit von 18 Minuten für die Gesamtstrecke. 1078 Die Baukosten beliefen sich auf 736 Millionen CHF. Der größte Teil wurde dabei vom Kanton getragen; ebenfalls an der Finanzierung beteiligt waren die Stadt Lausanne und der Bund. 1079 In den ersten Monaten nach der Betriebsaufnahme zeigten sich Mängel am System. Vor allem auf den oberirdischen Abschnitten bereiteten Schnee und Nässe den elektrischen Anlagen Probleme. Infolgedessen kam es wiederholt zum Stillstand der Züge. Die Sicherheit der Reisenden war zwar zu keiner Zeit gefährdet, jedoch führten derartige Vorkommnisse zu mehr oder weniger großen Unannehmlichkeiten für die Reisenden, zumal aufgrund der Neugestaltung des Nahverkehrskonzeptes ein Ausweichen auf innerstädtische Buslinien nicht mehr möglich ist. Es zeigt sich auch, dass die zweiteiligen Züge 1076 vgl. Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606ff; Groneck, Christoph: Extreme Steigungen, in: Regionalverkehr 1/ 2009, 54 1077 vgl. Transports publics lausannois: Horaire m2 Ouchy - Croissette (gültig ab 15. Dezember 2019) 1078 vgl. Rellstab, Mathias: Lausanner Metro offiziell eröffnet, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/ 2008, 576f; Rellstab, Mathias: M2 - eine vollautomatische Metro für Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2006, 606ff 1079 vgl. ebd. <?page no="376"?> 376 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung zu klein dimensioniert sind. 1080 Denn bereits im ersten Betriebsjahr wurden mehr als 20 Mio. Fahrgäste transportiert, im Jahr 2014 waren es 28 Mio. Fahrgäste. An Spitzentagen waren es bis zu 70.000 Reisende. Engpässe entstehen insbesondere in den Morgenstunden sowie freitags, wenn sich Pendler- und Freizeitverkehr vermischen. Aufgrund der gegebenen Bahnsteiglängen ist eine Verlängerung der Züge jedoch nicht möglich, so dass sich lediglich durch kürzere Zugfolgen (geringfügige) Kapazitätssteigerungen erzielen lassen. 1081 Bis 2030 erwartet man am Bahnhof Lausanne eine Verdopplung der Passagierzahlen. Zudem werden neue Wohngebiete entlang der Metro entwickelt. Dies unterstreicht die Forderung nach einer Kapazitätssteigerung der m2. 1082 Um diese Linie zu entlasten und gleichzeitig weitere attraktive ÖPNV- Alternativen zu schaffen, soll deshalb im Rahmen des Projekts „Starke Achsen“ der Bau einer weiteren Metro-Linie, der m3, realisiert werden. Basierend auf dem Erfolg der m2, durch die die Nutzung des öffentlichen Verkehrs im Großraum Lausanne um 16 % zunahm, soll auch die neue Linie als vollautomatische U-Bahn umgesetzt werden. Man will mit dieser Linie den SBB-Bahnhof Flon, an dem auch die m2 sowie die m1 halten, und La Blécherette verbinden. Die Eröffnung ist für 2025 geplant. 1083 Aufgabe 1: Aus welchen Gründen entschied man sich in Lausanne für eine derartig aufwendige technische Lösung? Aufgabe 2: Welche Vor- und Nachteile weist die m2 gegenüber den herkömmlichen U-Bahn-Systemen aus Sicht der Betreiber und aus Sicht der Fahrgäste auf? Aufgabe 3: Welche Bedeutung hat die m2 für den Lausanner öffentlichen Personennahverkehr? 1080 vgl. Rellstab, Mathias: Metro Lausanne - Mängel trüben den Erfolg, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 4/ 2009, 197 1081 vgl. Rellstab, Mathias: Ein Jahr Metro in Lausanne, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 12/ 2009, 602; Barrow, Keith: Lausanne prepares for metro expansion (23.05.2017), http: / / www.railjournal.com, 30.08.2017 1082 vgl. Ville de Lausanne: Développement du m2, http: / / www.lausanne.ch, 30.08.2017 1083 vgl. Ville de Lausanne: Métro m3, http: / / www.lausanne.ch, 19.02.2019 <?page no="377"?> 7.11 Barrierefreie Mobilität 377 7.11 Barrierefreie Mobilität Angesichts des demographischen Wandels wird barrierefreie Mobilität, die auch Senioren die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtert, immer wichtiger. Unter barrierefreier Mobilität wird verstanden, „ dass sowohl die bauliche Umwelt als auch das Verkehrssystem für alle Menschen ohne fremde Hilfe benutzt werden können. “ 1084 Barrierefreie Mobilität bezieht sich dabei auf alle Elemente einer Reisekette. Denn nur, wenn alle Bestandteile - die Wege von und zu den Stationen, die Stationen selbst und die Verkehrsmittel, aber auch Vertriebswege und Informationsmöglichkeiten - entsprechend gestaltet sind, kann der mobilitätseingeschränkte Nutzer davon profitieren. Das Behindertengleichstellungsgesetz fordert in diesem Zusammenhang, dass „ [s]onstige bauliche oder andere Anlagen, öffentliche Wege, Plätze und Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr [...] nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Bundes barrierefrei zu gestalten [sind]. “ 1085 Eine barrierefreie Gestaltung sollte dabei nicht nur auf bauliche Aspekte, sondern auch den Abbau psychischer Barrieren beinhalten. Mobilitätseinschränkungen müssen nicht dauerhaft, sondern können auch temporärer Art sein. Folgende Formen lassen sich unterscheiden: Bewegung (Motorik) Wahrnehmung (Sensorik) Verstehen (Kognition) Weitere temporäre Einschränkungen Kinderwagen Krankheit/ Verletzung (z.B. Beinbruch) Begleitung von Kleinkindern Alkohol-/ Drogengebrauch Krankheit/ Verletzung Ortsfremdheit mangelnde Routine (z.B. im Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln) fremde Sprache altersbedingte Einschränkungen (z.B. kleinere Körpergröße bei Kindern) dauerhafte Einschränkungen Gehbehinderung Stehbehinderung Greifbehinderung Sehbehinderung Blindheit Hörbehinderung Taubheit geistige Behinderung Lernschwierigkeit chronische Erkrankungen Kleinwüchsigkeit Tabelle 7-17 Beispiele für dauerhafte und temporäre Mobilitätseinschränkungen 1086 Um derart mobilitätseingeschränkten Personen die Nutzung des ÖPNV zu erleichtern, werden verschiedene Ansätze verfolgt: 1084 Dziekan, Katrin; Ruhrort, Lisa; Ahrend, Christine: Das Prinzip Design für alle, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2011, 33 1085 § 8 Abs. 2 Behindertengleichstellungsgesetz 1086 Dziekan, Katrin; Ruhrort, Lisa; Ahrend, Christine: Das Prinzip Design für alle, in: Internationales Verkehrswesen 2/ 2011, 34 <?page no="378"?> 378 7 Von strategischen Überlegungen zur operativen Umsetzung Im Rahmen der Bewusstseinsbildung sollen Akteure im ÖPNV, insbesondere die Entscheidungsträger, für diese Anliegen sensibilisiert und die Entwicklung und Umsetzung von sinnvollen Lösungen und Angeboten (z.B. Schulungen, Mobilitätstrainings) angeregt werden. Die Vermittlung von Informationen muss nicht nur inhaltlich verbessert, sondern auch hinsichtlich der Übertragungsqualität optimiert werden. Technische Hilfsmittel können die Informationsübertragung (z.B. Sprachausgabegeräte, Kennzeichnung in Brailleschrift) unterstützen. Wesentlicher Bestandteil sind physisch-bauliche Aspekte , die auch unter Einbeziehung Betroffener zu diskutieren und umzusetzen sind (z.B. Bodenindikatoren, Boardingsysteme). Schließlich müssen geeignete Mobilitätsangebote geschaffen werden, wozu nicht nur die Verbesserung klassischer, sondern auch die Weiterentwicklung bzw. der Ausbau alternativer und nicht-motorisierter Angebote gehört. 1087 Leitsystem am Handlauf, Kitzbühel Hublift als Einstiegshilfe, Zittau Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes sieht vor, „ für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. “ 1088 Damit verbunden sind umfangreiche Investitionsmaßnahmen sowohl in die Fahrzeuge als auch in die Infrastruktur. Der Investitionsbedarf wird hierbei auf 20,5 Mrd. Euro geschätzt. 1089 Die Entscheidungsträger im öffentlichen Verkehr sind sich der Bedeutung der barrierefreien Mobilität bewusst. Auch die Forschung untersucht schon lange, wie man derartige Angebote optimieren kann. Die Realität weist aber noch großen Verbesserungsbedarf auf. Beispielsweise haben von der Bahnindustrie angebotene Lösungen, wie Spaltüberbrückungen an den Türen, in der Praxis oft noch ihre Tücken. Nachbesserungen oder Nachrüstungen werden teilweise notwendig. Diese sind aber stets teurer als die Einplanung von Anfang an. Kritisiert wird zudem, dass bei all diesen Untersuchungen Menschen mit Behinderung, vorzugsweise Menschen im Rollstuhl, im Mittelpunkt stehen, Senioren als relevante Zielgruppe aber vergessen werden. 1090 Ältere Menschen wurden lange Zeit vereinfachend der Gruppe der „Captives“ zugeordnet, also denjenigen Fahrgästen, die keine andere Mobilitätsalternative als den ÖPNV haben und 1087 vgl. Unbehaun, Wiebke; Uhlmann, Tina; Sammer, Gerd; Millonig, Alexandra; Mandl, Bettina: Chancengerechtigkeit in der Mobilität, in: Internationales Verkehrswesen 3/ 2012, 54f 1088 § 8 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz vom 8. August 1990 (Stand 20. Juli 2017) 1089 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Weichenstellungen für Wachstum und Innovationen im öffentlichen Verkehr in Deutschland, Köln 2017, 7 1090 vgl. Kahl, Thomas: Fahrgast-Ansprüche steigen, in: Privatbahn-Magazin 6/ 2012, 16f <?page no="379"?> 7.11 Barrierefreie Mobilität 379 zwangsläufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen. 1091 Senioren werden zukünftig aber zahlenmäßig stärker vertreten sein, denn die Lebenserwartung der Menschen steigt. Dies heißt aber nicht automatisch, dass der ÖPNV dadurch von mehr Fahrgästen profitiert. Führerscheinbesitz und Pkw-Verfügbarkeit nehmen beispielsweise bei den Seniorinnen deutlich zu. Es gilt also, rechtzeitig Berührungsängste zum ÖPNV abzubauen, mit der Nutzung vertraut zu machen und durch ein passendes Angebot zu überzeugen. Im Rahmen des Projektes AENEAS wurden verschiedene Problemkreise identifiziert, die Senioren die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren: Geschwindigkeit verschiedener Prozesse: Ein- und Aussteigen, Finden eines Sitzplatzes, Schließen der Türen, Anfahren des Fahrzeugs, Umsteigen, Technik: Technisierung und Automatisierung insgesamt, Überforderung, Fahrscheinerwerb am Automaten, Information: Verständlichkeit (akustisch, visuell), Tarifangebot, Ängste: Unsicherheit, überfüllte Fahrzeuge, Stürze, fehlendes Wissen, Gewohnheit: Konditionierung auf Pkw. 1092 Demgegenüber steht eine Erwartungshaltung, die ein „ einfach bedienbares und verständliches ÖV- System, einfaches Umsteigen, Vermeidung von großen Belastungen und Stress, verständliche und brauchbare Information, ansprechbares Servicepersonal, Sicherheit vor Unfällen und Belästigung, geeignete Fahrzeuge und Infrastruktur, weniger Barrieren für GelegenheitsnutzerInnen, Sauberkeit und gutes Erscheinungsbild “ 1093 einschließt. Mittlerweile werden von Verkehrsbetrieben bzw. -verbünden spezielle Trainingsmaßnahmen angeboten, bei denen Senioren die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel üben können. Ebenso werden die Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen entsprechend geschult. 1094 Barrierefreiheit kann insgesamt als entscheidendes Qualitätsmerkmal betrachtet werden. Denn nicht nur temporär oder dauerhaft mobilitätseingeschränkten Personen wird dadurch der Zugang zum ÖPNV erleichtert, sondern allen Nutzern: „ So ist bekannt, dass eine barrierefrei zugängliche Umwelt für etwa 10 % der Bevölkerung zwingend erforderlich, für etwa 30 bis 40 % notwendig und für 100 % komfortabel ist. “ 1095 1091 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Handbuch „Mobilität im Alter“, Wien 2013 (Langfassung), 69 1092 vgl. ebd., 70f 1093 ebd., 72 1094 siehe dazu z.B. Verkehrsverbund Rhein Neckar: Mobilitätstraining, Mannheim 2016; Chemnitzer Verkehrs-AG: Sicher mobil mit Tram und Bus! , http: / / www.cvag.de, 11.02.2019; Innsbrucker Verkehrsbetriebe und Stubaitalbahn GmbH: Mobilitätstraining, http: / / www.ivb.at, 11.02.2019 1095 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle, Münster/ Berlin 2003, 3 <?page no="380"?> 8 Organisation und Finanzierung 8.1 Organisation des ÖPNV Nahverkehrsgesetze regeln die Organisation des Nahverkehrs in den Bundesländern. Dabei kann das Bundesland selbst diese Aufgabe wahrnehmen oder aber sie an die Gebietskörperschaften abgeben. Für die Sicherstellung eines ausreichenden ÖPNV-Angebots zeichnen im SPNV i.d.R. die Bundesländer, im ÖSPV die Landkreise und kreisfreien Städte verantwortlich. Dabei nehmen sie die Rolle eines Aufgabenträgers wahr. Bestellt ein Aufgabenträger die Leistungen direkt beim Verkehrsunternehmen, übernimmt er die Funktionen eines Bestellers . Der Besteller definiert, welche konkrete Leistung in welcher Qualität zu erbringen ist. Dabei wird nicht nur festgelegt, wie oft ein Verkehrsmittel mit einer bestimmten Sitzplatzanzahl auf einer Relation verkehrt, sondern z.B. auch, wie oft dieses Verkehrsmittel zu reinigen ist und ob z.B. ein Zug mit einem Kundenbetreuer besetzt wird. 1096 Zwischen Besteller und Verkehrsunternehmen ( Ersteller ) wird ein Verkehrsvertrag geschlossen. Darin wird festgelegt, welche konkreten Leistungen durch das Verkehrsunternehmen zu erbringen sind und welches Entgelt der Ersteller dafür erhält. Dabei ist zwischen Brutto- und Nettoverträgen zu differenzieren. Beim Bruttovertrag bestellt der Aufgabenträger die zu erbringende Leistung beim Ersteller, der dafür eine Vergütung (Bestellerentgelt) erhält. Das wirtschaftliche Risiko liegt damit nicht beim Ersteller, sondern beim Aufgabenträger, der auch die Fahrgelderlöse erhält. Um kundenfreundliches Verhalten des erstellenden Verkehrsunternehmens anzuregen, werden in solchen Verträgen auch Prämien vereinbart. Beim Nettovertrag liegt das wirtschaftliche Risiko beim Verkehrsunternehmen, das in eigenem Namen Fahrscheine verkauft und dem daher auch die Fahrgelderlöse zustehen. Zusätzlich werden auch hier von den Aufgabenträgern Bestellerentgelte gezahlt. 1097 Üblicherweise ist in den ÖPNV-Gesetzen festgelegt, dass von den Aufgabenträgern ein Nahverkehrsplan zu erstellen ist. Nahverkehrspläne dienen der Planung des ÖPNV und bilden die Basis für die Bestellung von ÖPNV-Leistungen. Sie sollen „ für jeden Aufgabenträger eine tragfähige und finanziell realistische Grundlage für die Ausgestaltung des ÖPNV schaffen und ein abgestimmtes Vorgehen sichern, das den bestehenden bzw. noch zu entwickelnden verkehrlichen Verflechtungen entspricht. “ 1098 Nahverkehrspläne werden in regelmäßigen Abständen erneuert bzw. fortgeschrieben und beinhalten üblicherweise eine Bestandsaufnahme der Raum- und Bevölkerungsstruktur, eine Bestandsaufnahme und Bewertung des SPNV- und ÖPNV-Angebots, der Infrastruktur, der Fahrzeuge und des Fahrgastaufkommens sowie der Organisation des ÖPNV, eine Prognose zur Nachfrageentwicklung mit entsprechenden Schlussfolgerungen für das Angebot, 1096 vgl. DB Region AG, Sparte Bus: Glossar des Busverkehrs, Frankfurt/ M. 2012, 9; Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 321 1097 vgl. DB Region AG, Sparte Bus: Glossar des Busverkehrs, Frankfurt/ M. 2012, 40 1098 ebd., 29 <?page no="381"?> 8.1 Organisation des ÖPNV 381 Entwicklungsziele bezüglich des Angebots, der Infrastruktur, der Fahrzeuge und des Fahrgastaufkommens, vorgesehene Investitionen (Infrastruktur, Fahrzeuge) und Aussagen zur Finanzierung. 1099 Nachdem im Zuge der Regionalisierung die Aufgabenträgerschaft von den Bundesländern auf kommunale Aufgabenträger übertragen wurde, gründete man zur Sicherstellung der Aufgabenerfüllung ÖPNV-Zweckverbände. Ein Zweckverband stellt als Form der interkommunalen Zusammenarbeit einen „ Zusammenschluss von Gemeinden und Gemeindeverbänden zur gemeinsamen Erfüllung bestimmter Aufgaben, zu deren Durchführung sie berechtigt oder verpflichtet sind “ 1100 , dar. Um den ÖPNV bzw. diesbezügliche Angebote besser koordinieren und in der Folge einen attraktiveren ÖPNV schaffen zu können, wurden vielerorts ausgehend von den Zweckverbänden Verkehrsverbünde gebildet. Dabei handelt es sich um Kooperationen unterschiedlicher Intensität zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen. Im Vordergrund stehen dabei i.d.R. eine gemeinsame Fahrplangestaltung, die Schaffung eines unternehmensübergreifenden, verbundweiten Tarifsystems ( Verbundtarif ) sowie die Koordination der Abrechnung und Aufteilung der Fahrgeldeinnahmen. In größeren Verbünden gehören auch Marketingaufgaben sowie das Management von Verkehrsverträgen dazu, in seltenen Fällen die Aufgabenträgerschaft. 1101 In Abhängigkeit vom Kooperationsgrad lassen sich Verkehrsgemeinschaften (Abstimmung von Fahrplan und Verkehr), Tarifgemeinschaften (einheitlicher Tarif) und Verkehrsverbünde (Abstimmung von Fahrplan, Verkehr und Tarif) unterscheiden. Häufig wird aber für alle drei Varianten der Begriff Verkehrsverbund verwendet. 1102 Die Verkehrsverbünde sind unterschiedlich organisiert: Unternehmensverbünde setzen sich aus Unternehmen zusammen, die Fahrplanung, Tarifgestaltung und Werbung gemeinsam betreiben und dabei aufeinander abstimmen. Aufgabenträgerverbünde stellen eine Kooperationsform von Aufgabenträgern oder Zweckverbänden dar. Diese werden als Besteller aktiv, die Verkehrsverträge mit den Erstellern abschließen. Mischverbünde umfassen Unternehmen und Aufgabenträger und nehmen im Allgemeinen die gleichen Aufgaben wahr wie Unternehmensverbünde. 1103 Derartige Kooperationen bringen sowohl für den Fahrgast als auch für die beteiligten Verkehrsunternehmen Vorteile mit sich: 1099 siehe dazu z.B. § 3 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Aufstellung von Nahverkehrsplänen für den Öffentlichen Personennahverkehr 1100 Proeller, Isabella: Stichwort „Zweckverband“, http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de, 01.02.2019 1101 vgl. Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 321; DB Region AG, Sparte Bus: Glossar des Busverkehrs, Frankfurt/ M. 2012, 40 1102 vgl. o.V.: Verkehrsverbund, http: / / www.mobi-wissen.de, 121.02.2019 1103 vgl. Dziekan, Katrin: Öffentlicher Verkehr, in: Schwedes, Oliver (Hrsg.): Verkehrspolitik - Eine interdisziplinäre Einführung, Wiesbaden 2011, 322; o.V.: Verkehrsverbund, http: / / www.mobi-wissen.de, 01.02.2019 <?page no="382"?> 382 8 Organisation und Finanzierung Vorteile für den Fahrgast Vorteile für das Verkehrsunternehmen Erfassung aller Verkehrsunternehmen im Linienverkehr (Schiene, Busse, städtische Verkehrsunternehmen) Verbundtarif als einheitliches und günstiges Tarifsystem für Bahn und Bus Ausgabe gemeinsamer Fahrkarten freie Verkehrsmittelwahl innerhalb des Verbundes Angebotsverbesserungen durch Kooperation der Verkehrsunternehmen Kooperation, aber dennoch Beibehaltung der unternehmerischen Selbständigkeit und Selbstverwaltung Angebotsverbesserung, Rationalisierung, Ressourcenoptimierung Anreiz zur Entwicklung neuer Märkte (neue Kunden, neue Kurse, neue Linien) Vorteile für die finanzierenden Gebietskörperschaften Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr verkehrsplanerische Zusammenarbeit der beteiligten Verkehrssysteme Tabelle 8-1 Vorteile von Verkehrsverbünden 1104 Verkehrsverbünde in Deutschland und Österreich Die Gründung von Verkehrsverbünden erfolgte in Deutschland in Etappen. 1965 wurde der erste Verkehrsverbund in Hamburg (HVV) gegründet. Es folgten 1970 der Großraum-Verkehr Hannover (GVH), 1971 der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV), 1973 der Frankfurter Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (FVV), 1974 der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) sowie 1980 der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Ende der 1980er Jahre wurden die Verkehrsverbünde Rhein-Sieg (VRS), Großraum Nürnberg (VGN) und Rhein- Neckar (VRN) ins Leben gerufen. 1105 Durch eine Änderung der Rahmenbedingungen ab 1994 infolge der Bahnreform und der damit verbundenen Regionalisierung wurden in der Folge zahlreiche weitere Verkehrsverbünde gegründet. 2017 waren 38 % der Verbünde als Aufgabenträgerverbund, 29 % als Mischverbund und 31 % als Unternehmensverbund organisiert. Weitere 2 % bilden Sonderformen. Etwa 140 Verkehrsverbünde existieren in Deutschland. 1106 58 davon sind Mitglied im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV). Nicht in allen Regionen Deutschlands sind derzeit Verkehrsverbünde aktiv. Einige Bundesländer werden in ihrer gesamten Fläche durch Verkehrsverbünde abgedeckt (z.B. Sachsen), in anderen Bundesländern begrenzen sich die Verkehrsverbünde auf die dichter besiedelten Regionen (z.B. Niedersachsen). Einige Verbünde sind auch über die Bundeslandgrenzen hinweg aktiv (z.B. Hamburger Verkehrsverbund, Mitteldeutscher Verkehrsverbund, Verkehrsverbund Rhein-Neckar). Teilweise ist der SPNV in die Verbundtarife integriert (z.B. Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, alle Verkehrsverbünde Sachsens), teilweise nicht. In manchen Regionen erfolgt auch nur eine Fahrplankoordination, ohne dass ein Gemein- 1104 erstellt nach: Bundesministerium Verkehr, Innovation und Technologie: Verkehrsverbünde, http: / / www. bmvit.gv.at, 01.02.2019 1105 vgl. Knieps, Manfred: Aufgabenträger oder Verkehrsunternehmen als Gesellschafter von Verkehrsverbünden? , Gießen 2004, 15ff 1106 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 46; o.V.: fairkehr-Infografik, http: / / www.fairkehr-magazin.de, 19.02.2019 <?page no="383"?> 8.1 Organisation des ÖPNV 383 schaftstarif angeboten wird (z.B. Teile Bayerns und Thüringens). Die „Verkehrsverbund- Landschaft“ in Deutschland stellt sich insgesamt also sehr heterogen dar. Anders gestaltet sich die Lage in Österreich, wo 1984 der erste Verkehrsverbund (Verkehrsverbund Ost-Region) gegründet wurde. Inzwischen gibt es hier sieben Verkehrsverbünde, die sich (bis auf eine Ausnahme) an den Bundeslandgrenzen orientieren. Österreich ist weltweit das einzige Land, das flächendeckend von Verkehrsverbünden erfasst wird. 1107 Verbund Gründung Bundesländer Einwohner Fläche Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) 1984/ 2016* Wien, Niederösterreich und Burgenland 3,5 Mio. 23.500 km² Oberösterreichischer Verkehrsverbund (OÖVV) 1996 Oberösterreich 1,4 Mio. 11.980 km² Salzburger Verkehrsverbund (SVV) 1995** Salzburg (und oberösterreichisches Einzugsgebiet) 520.000 7.154 km² Verkehrsverbund Tirol (VVT) 1995 Tirol 690.000 12.648 km² Verkehrsverbund Vorarlberg (VVV) 1991 Vorarlberg 360.000 2.601 km² Verkehrsverbund Steiermark (VST) 1997 Steiermark 1,2 Mio. 16.388 km² Verkehrsverbund Kärnten (VVK) 1994 Kärnten 560.000 9.533 km² * Integration des Verkehrsverbunds Niederösterreich-Burgenland (VVNB); ** Kooperation mit dem Landkreis Berchtesgaden seit 1997 (erster grenzüberschreitender Verkehrsverbund Europas) Tabelle 8-2 Verkehrsverbünde in Österreich 1108 Deutschlandweit haben sich 27 Bestellerorganisationen aus dem SPNV in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e.V. (BAG SPNV) zusammengeschlossen. Zu den Hauptzielen dieses Zusammenschlusses gehören die Attraktivitätssteigerung des ÖPNV, die Steigerung der Fahrgastzahlen sowie die Erhöhung des Marktanteils des SPNV. Die BAG SPNV engagiert sich für einen transparenten und fairen Wettbewerb, insbesondere auch im Bereich der Trassen- und Stationsnutzungsentgelte. Nach dem Vorbild der Schweiz will der Verband die Umsetzung eines integralen Taktfahrplanes in Deutschland vorantreiben. 1109 Auf europäischer Ebene nimmt der Verband European Metropolitan Transport Authorities die Interessen von 26 Aufgabenträgern wichtiger Metropolregionen, in denen insgesamt 85 Mio. Menschen leben, wahr. 1110 1107 vgl. Bundesministerium Verkehr, Innovation und Technologie: Verkehrsverbünde, http: / / www.bmvit.gv.at, 01.02.2019 1108 erstellt nach: Bundesministerium Verkehr, Innovation und Technologie: Verkehrsverbünde in Österreich, http: / / www.bmvit.gv.at, 01.02.2019 1109 vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV: Positionen und Ziele, http: / / www.bag-spnv.de, 11.02.2019 1110 vgl. European Metropolitan Transport Authorities: Presentation, http: / / www.emta.com, 11.02.2019 <?page no="384"?> 384 8 Organisation und Finanzierung Fallstudie: Organisation des ÖPNV im Vogtland Der Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland (ZVV) wurde von den damaligen Kreisen Auerbach, Klingenthal, Reichenbach, Oelsnitz und Plauen (nunmehr Vogtlandkreis) und der damals noch kreisfreien Stadt Plauen gegründet. Seit Mai 1998 ist der Zweckverband - als erster Aufgabenträger in Sachsen - für den kompletten ÖPNV in einem gut 1.400 km² großen Gebiet zuständig. 1111 Aufgabe des ZVV ist es, „für einen einheitlichen öffentlichen Personennahverkehr nach den Bedürfnissen der Bewohner und den wirtschaftlichen Möglichkeiten der öffentlichen Hand“ 1112 zu sorgen. „Der ZVV als Körperschaft des öffentlichen Rechts konzentriert sich auf das strategische Geschäft der Aufgabenträgerschaft, der Nahverkehrskonzeption und -planung sowie die Verkehrsverträge.“ 1113 Anfang 1998 als eigene Organisationseinheit des Zweckverbandes gegründet, diente die Tourismus- und Verkehrszentrale dazu, Aktivitäten mit direktem persönlichen Kundenkontakt (wie z.B. Auskunft und Beratung, Buchung und Reservierung, Verkauf) für den Zweckverband und den Tourismusverband Vogtland (TVV) zusammenzufassen. 1114 Das Aufgabenspektrum wurde kontinuierlich erweitert, so dass sie heute die Fahrgäste vor, während und nach der Fahrt umfassend informieren kann. Hier erhält der Interessierte Bus- und Bahnauskünfte (Region und Fernverkehr), Tarifauskünfte, Fremdenverkehrsauskünfte, Veranstaltungstipps und touristische Auskünfte. Außerdem ist es möglich, Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen zu buchen. 1115 Der Zweckverband ÖPNV Vogtland und die Tourismus-Verkehrszentrale erfüllen gemeinsam u.a. folgende Aufgaben: „Organisation, Koordinierung und Steuerung der im Verkehrsverbund zu erbringenden Leistungen im Personenverkehr, Erstellung und Weiterentwicklung von Dienstleistungen und Produkten in den Bereichen Tourismus und Personennahverkehr, gemeinsame Marketingarbeit unter Berücksichtigung bestehender Konzepte, image- und produktbezogene Werbung, Vertrieb und Verkauf aller touristischen Angebote und der Produkte des Personennahverkehrs sowie Unterhaltung eines zentralen Informations- und Buchungsservices, Weiterentwicklung des Verbundtarifes Vogtland und Sicherung seiner Anwendung, Bearbeitung von Harmonisierungs- und Durchführungsverlusten aus der Anwendung des Verbundtarifes, Erarbeitung und Pflege eines Einnahmepools als Grundlage leistungsgerechter anteiliger Vergütung pro Unternehmen aus den Einnahmen des Verbundtarifes, Ermittlung von Erlöserstattungen, Erlösausgleichen und Verbundzuschlägen, Erarbeitung, Abstimmung, Druck und Vertrieb eines einheitlichen Verbundfahrplanes sowie seine ständige Aktualisierung, 1111 vgl. Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland: Ein geschickter Nahverkehr, Auerbach o.J., 5f; Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Zweckverband schafft integriertes Bahn-Bus-System, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 09.09.2020 1112 Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland: Ein geschickter Nahverkehr, Auerbach o.J., 7 1113 ebd., 9 1114 vgl. ebd. 1115 vgl. o.V.: EgroNet Teilprojekt - Tourismus- und Verkehrszentrale (Faltblatt), o.O. o.J. <?page no="385"?> 8.1 Organisation des ÖPNV 385 Durchführung zweckgebundener Verkehrsforschung und unternehmensbezogener Verkehrsplanung zur nachfrageorientierten Erschließung des Verbundgebietes als Basis für eine wirtschaftliche Verkehrsanbindung.“ 1116 Seit 2004 ist die Verkehrsverbund Vogtland GmbH (VVV) als hundertprozentige Tochter des ZVV aktiv. 1117 Im VVV fahren acht Verkehrsunternehmen. 1118 Eisenbahnverkehrsunternehmen: Die Länderbahn GmbH DLB, Bayerische Oberlandbahn GmbH, Erfurter Bahn GmbH Bus- und Straßenbahnverkehrsunternehmen: Plauener Omnibusbetrieb GmbH, Verkehrsgesellschaft Vogtland mbH, Plauener Straßenbahn GmbH, Personen- & Reiseverkehrs-GmbH Greiz, KomBus GmbH Nahverkehrsplan SPNV ÖPNV Aufgabenträger Management und Koordination Verkehrsdurchführung Geschäftsbesorgungsvertrag Freiwillige Zuschüsse / Kooperationsvertrag Verkehrsunternehmen EgroNet Landkreis Vogtlandkreis und Große Kreisstadt Plauen Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland Verkehrsverbund Vogtland GmbH Abbildung 8-1 Organisation des ÖPNV im Vogtland 1119 1116 Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland: Ein geschickter Nahverkehr, Auerbach o.J., 10 1117 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Zweckverband schafft integriertes Bahn-Bus-System, http: / / www. vogtlandauskunft.de, 09.09.2020 1118 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Für Sie im Verkehrsverbund unterwegs, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 09.09.2020 1119 modifiziert nach: Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Zweckverband schafft integriertes Bahn-Bus-System, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 09.09.2020; Zweckverband ÖPNV Vogtland: Nahverkehrsplan für den Verkehrsraum Vogtland, Zweite Fortschreibung, Beschlussfassung 14.08.2009, Auerbach 2009, 33 <?page no="386"?> 386 8 Organisation und Finanzierung Neben der Koordination und Abwicklung des ÖPNV ist der VVV auch für die Stabilisierung der Fahrgastzahlen in der Region, die Begeisterung der Menschen für den ÖPNV, die Entwicklung kundenorientierter Angebote (z.B. Freizeitbus) und für die Organisation des Schülerverkehrs verantwortlich. 1120 Im Verbundgebiet gilt seit 1999 ein einheitlicher Tarif, so dass der Fahrgast nur einen Fahrschein benötigt, auch wenn verschiedene Verkehrsmittel genutzt werden. 1121 Da sich die Fahrgastbedürfnisse im Laufe der Zeit verändern, unterliegen auch die Angebote einem Wandel. Neue Tarifangebote (z.B. Starterkarte, SchülerFreizeitTicket) gehören dabei ebenso zum Programm wie der Einsatz verschiedener, an technologischen Entwicklungen ausgerichteter Kommunikationsmittel (z.B. elektronische Fahrplan- und Tarifauskunft, HandyTicket). 1122 Mitte 2018 wurden die Busverkehrsleistungen im Vogtlandkreis europaweit neu ausgeschrieben. In Vorbereitung darauf hat man das bestehende Busnetz grundlegenden Veränderungen unterzogen. Im Oktober 2019 ging das „Vogtlandnetz 2019 + “, welches zunächst auf zehn Jahre angelegt ist und auf dem Konzept des PlusBus-Systems aufbaut, in Betrieb. 1123 Der Verkehrsverbund hatte dabei erstmals die Gelegenheit, die diesbezüglichen Kriterien selbst festzulegen. Ziel war es, „aus einer Hand ein kundenorientiertes und ganzheitlich abgestimmtes Angebot für die Vogtländer und deren Gäste zu planen.“ 1124 PlusBus in Falkenstein VVV- und Tourismus-Verkehrszentrale in Auerbach Zu den Aufgaben des Verkehrsverbundes gehört auch die Koordination des EgroNets. Dabei handelt es sich um ein euroregionales Nahverkehrssystem, das Teile der Freistaaten Sachsen, Bayern und Thüringen sowie des tschechischen Böhmens seit 2000 über die damals noch bestehende EU-Grenze hinweg die Länder mit einheitlichem Fahrschein 1125 und abgestimmten Fahrplänen miteinander verbindet: „Das Euroregionale Nahverkehrssystem ‚EgroNet‘ verkörpert ein neues Mobilitätssystem des Nahverkehrs, das umweltfreundlich und wirtschaftlich zugleich ist und den Menschen eine schnelle und komfortable Form der Fortbewegung auch über Ländergrenzen hinweg bietet. Schiene und Straße konkurrieren nicht miteinander, sondern ergänzen sich sinnvoll. Alle beteiligten Verkehrsunternehmen haben ihr Angebot aufeinander abgestimmt, Fahrpläne und Tarife wurden vereinheitlicht. So ist durch die enge Zusammenarbeit aller beteiligter Stellen in Sachsen, Bayern, Thüringen und der Tschechischen Republik 1120 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Zweckverband schafft integriertes Bahn-Bus-System, http: / / www. vogtlandauskunft.de, 09.09.2020 1121 vgl. ebd. 1122 vgl. ebd.; Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Partner im Verbund, http: / / www.vogtlandauskunft.de, 09.09.2020 1123 vgl. Verkehrsverbund Vogtland: Vogtlandnetz 2019 + , http: / / www.vogtlandauskunft.de, 18.01.2019 1124 ebd. 1125 Das EgroNet-Tagesticket ermöglicht zu einem Festpreis einen Tag lang die Fahrt im gesamten EgroNet-Gebiet - auch grenzüberschreitend. <?page no="387"?> 8.1 Organisation des ÖPNV 387 aus einem heterogenen Nahverkehrsangebot ein bürgernahes und grenzüberschreitendes Mobilitätssystem geworden, das beispielhaft für angepaßte Mobilität in Europa ist.“ 1126 Unter dem Namen EgroNet fahren Eisenbahn, Straßenbahn und Bus in der gesamten Region. Zug um Zug und Bus für Bus wurde das Nahverkehrssystem EgroNet, insbesondere in Böhmen und Bayern, erweitert. In einem mittlerweile 15.000 km² großen Gebiet können fast 530 Linien (inkl. über 7.300 Haltestellen) genutzt werden - mit einem einzigen Fahrschein, dem EgroNet-Ticket. 1127 In der Fahrplanperiode 2019/ 20 gibt es im gesamten EgroNet-Gebiet 56 Partner wie Museen oder Freizeiteinrichtungen, die bei Vorlage des EgroNet-Tickets Nachlässe auf ihre Preise gewähren. 1128 Um die ohnehin gute Akzeptanz des Tickets weiter zu erhöhen, setzt man auf intensive Marketingarbeit. Dazu gehört nicht nur die Präsenz auf einschlägigen Veranstaltungen, sondern auch die Bereitstellung von über die reine Beförderung hinausgehenden Informationen, wie Ausflugsangebote, Wander- und Radtouren, die sich mithilfe der Bus- und Bahnlinien im EgroNet realisieren lassen. 1129 Das koordinierte Zusammenwirken der politischen Stellen der Region untereinander sowie mit der sächsischen Staatsregierung waren (und sind) maßgebend für den Erfolg des EgroNet: „Das Vogtland war eine der ersten Regionen, in der die neuen Chancen und Handlungsspielräume des Regionalisierungsgesetzes erkannt wurden. Über die damalige kleinteilige Kommunalstruktur hinweg wurde weitsichtig ein Konzept für das ganze sächsische Vogtland entwickelt und umgesetzt.“ 1130 Aufgabe 1: Welche Verbundform liegt im Vogtland vor? Welche Aufgaben nehmen Zweckverband und Verbund wahr? Aufgabe 2: Analysieren Sie die Region aus infrastruktureller und sozio-demographischer Hinsicht! Welchen Herausforderungen muss sich der Verkehrsverbund ausgehend davon stellen? Aufgabe 3: In welchem Zusammenhang stehen der Verkehrsverbund und das EgroNet? Aufgabe 4: Welche Vor- und Nachteile sind mit einer Kooperationsform wie dem EgroNet verbunden? 1126 o.V.: Neue Wege in Europa: Das EgroNet, in: Kreisjournal Vogtland, 25.05.2003 1127 vgl. Meinel, Karlheinz: EgroNet als Resultat einer grenzüberschreitenden Verkehrsplanung, http: / / www. smwa.sachsen.de, 28.04.2004; Verkehrsverbund Vogtland GmbH, Geschäftsstelle EgroNet: EgroNet in Zahlen und Fakten, http: / / www.egronet.de, 09.09.2020 1128 vgl. Verkehrsverbund Vogtland GmbH: Ein Besuch lohnt sich, http: / / www.egronet.de, 09.09.2020 1129 siehe dazu die Faltblätter zu den Touren auf der Internetseite des EgroNets, http: / / www.egronet.de 1130 Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland: Ein geschickter Nahverkehr, Auerbach o.J., 6 <?page no="388"?> 388 8 Organisation und Finanzierung 8.2 Finanzierung des ÖPNV Im Jahr 2017 konnten die Nahverkehrsunternehmen in Deutschland etwa 12,8 Mrd. Euro durch die Beförderung von Fahrgästen einnehmen. Der Kostendeckungsgrad betrug dabei (bezogen auf die VDV-Mitgliedsunternehmen) rund 76 %. 1131 Allein über Fahrgeldeinnahmen lässt sich der ÖPNV also nicht finanzieren. Er ist daher auf Finanzierungsbzw. Investitionshilfen durch Bund, Länder und Gemeinden angewiesen und stützt sich dabei auf verschiedene Säulen. Nutzerfinanzierung Fahrgeldeinnahmen Sonstiges Finanzierung der öffentlichen Hand Kommunaler Querverbund Ausgleich im Ausbildungsverkehr Ausgleich für Schwerbehindertenfahrt ÖPNV-Landesmittel GVFG-Bundesprogramm Fördermittel Europa Bund Abbildung 8-2 ÖPNV-Finanzierung 1132 Der größte Anteil der Beträge stammt i.d.R. aus der Nutzerfinanzierung . Eine unmittelbare Form dieser Finanzierung stellen Fahrgelderträge dar. Daneben gibt es Einnahmen aus Werbe- und Pachtverträgen. In Abhängigkeit von der Besiedelungsdichte, der Raumstruktur und der Pkw-Verfügbarkeit variiert auch der Anteil der Nutzerfinanzierung. Die Nutzerfinanzierung stößt aufgrund der hohen Preiselastizität allerdings auf Grenzen. Zu starke Preiserhöhungen würden zu einem deutlichen Sinken der Nachfrage führen. Zudem ist bei der Preisbildung die Bedeutung des ÖPNV im Rahmen der Daseinsvorsorge zu berücksichtigen. 1133 Zur Förderung der Mobilität von Schülern und Auszubildenden sowie von Menschen mit Schwerbehinderung werden Tarifersatzleistungen gewährt. Im Rahmen des Schülerverkehrs im ÖSPV wird unterschieden zwischen einer Förderung durch das Bundesland gemäß § 43a Personenbeförderungsgesetz, bei der ein Ausgleichsbetrag zwischen dem günstigeren Schülertarif und dem Normaltarif gewährt wird und einer Förderung in Form kostenlos zur Verfügung gestellter Schülerfahrkarten, die der Schulträger zahlt. 1134 Für die Schülerbeförderung im SPNV gilt nach § 6a des Allgemeinen Eisenbahngesetzes ein vergleichbarer Anspruch auf Ausgleichszahlungen wie im ÖSPV. Allerdings findet diese Regelung nur 1131 vgl. o.V.: Daten & Fakten Personenverkehr, http: / / www.vdv.de, 29.01.2019 1132 modifiziert nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 6 1133 vgl. ebd., 5; Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 10 1134 vgl. Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 11 <?page no="389"?> 8.2 Finanzierung des ÖPNV 389 bei NE-Bahnen, nicht bei der Deutschen Bahn Anwendung. 1135 Analog zum Schülerverkehr werden Tarifersatzleistungen bei rabattierten Fahrkarten für Auszubildende gewährt. Zudem werden v.a. vom Bund Ausgleichszahlungen für Freifahrtberechtigungen geleistet, die Schwerbehinderten gemäß § 145 Sozialgesetzbuch IX zustehen. Zu den Tarifersatzleistungen gehört auch die Unterstützung von Verbundtarifen. Hierbei werden sogenannte Harmonisierungs- und Durchtarifierungsverluste, die bei der Anwendung von Verbundtarifen auftreten, durch Kommunen oder deren Zweckverbände, Regionalverbände und teilweise auch durch die Bundesländer ausgeglichen. Nicht nur Investitionen in Infrastruktur, auch der Bahnbetrieb im SPNV stützt sich auf öffentliche Mittel. Seit der Bahnreform wird der SPNV üblicherweise auf der Grundlage von Verkehrsverträgen organisiert. Diese Verträge definieren Qualität und Quantität der zu erbringenden Leistung und legen dabei teilweise auch die Fahrpreise fest. Der ÖSPV stellt eine kommunale Aufgabe dar. Entsprechend der Finanzkraft der jeweiligen Kommunen und der Bedeutung, die man dem ÖSPV einräumt, werden für den Betrieb Finanzmittel in unterschiedlicher Höhe bereitgestellt. Auch Investitionen in den ÖSPV werden mit öffentlichen Geldern unterstützt. 1136 Steuerliche Vergünstigungen werden in Form von Umsatzsteuerbefreiungen auf Verkehrsverträge (insbesondere im SPNV), durch Möglichkeiten der steuerlichen Gewinn- und Verlustverrechnung im kommunalen Querverbund sowie durch den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für ÖPNV- Fahrausweise gewährt. Abbildung 8-3 Anteile der verschiedenen Instrumente an der ÖPNV-Finanzierung 1137 Maßgebliche Regelungen zur Finanzierung des ÖPNV in Deutschland wurden im Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden ( Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz , GVFG) getroffen. Nach § 1 dieses Gesetzes gewährt der Bund den Ländern finanzielle Investitionshilfen, um die Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu verbessern. § 2 listet förderungswürdige Vorhaben auf, wozu z.B. der Bau und Ausbau von innerörtlichen und Zubringerstraßen, Fahrspuren für Omnibusse, Verkehrsleitsystemen, Umsteigeparkplätzen 1135 vgl. § 6g Allgemeines Eisenbahngesetz 1136 vgl. Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 11ff 1137 modifiziert nach: ebd., 9 22% 12% 2% 8% 11% 9% 37% Instrumente der ÖPNV-Finanzierung Betrieb SPNV Betrieb ÖSPV Investitionsförderung SPNV Investitionsförderung ÖSPV Steuerrechtliche Regelung Tarifersatzleistungen Nutzerfinanzierung <?page no="390"?> 390 8 Organisation und Finanzierung (P+R), Verkehrswegen für Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen, zentralen Omnibusbahnhöfen und Haltestelleneinrichtungen, Betriebshöfen und zentralen Werkstätten, die Realisierung von Beschleunigungsmaßnahmen sowie die Fahrzeugbeschaffung zählen. Um Finanzierungshilfen zu erhalten, müssen diese Vorhaben nach § 3 des Gesetzes eine Reihe von Voraussetzungen in Bezug auf Art, Umfang und Dringlichkeit erfüllen, in den Generalverkehrsplänen der Bundesländer (oder vergleichbaren Plänen) vorgesehen sein, bau- und verkehrstechnisch einwandfrei, wirtschaftlich und sparsam geplant sein und die Belange von Menschen mit Behinderung und anderer Mobilitätsbeeinträchtigung berücksichtigen. Darüber hinaus muss die übrige Finanzierung (z.B. über Länder, Gemeinden) abgesichert sein. Im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat der Bund auch die Finanzhilfen für Bundesprogramme nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz über 2019 hinaus (333 Mio. Euro pro Jahr) verlängert. 1138 Laut Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen ( Entflechtungsgesetz , EntflechtG) „ steht den Ländern ab dem 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 jährlich ein Betrag von 1.335.500.000 Euro aus dem Haushalt des Bundes zu “ 1139 , der zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu verwenden ist. 1140 Auch nach Ablauf dieses Zeitraumes werden den Bundesländern bis 2019 jährliche Investitionsbeträge zur Verfügung gestellt. 1141 Danach wurden den Ländern Finanzmittel aus dem Umsatzsteueraufkommen zugewiesen, allerdings ohne eine Zweckbindung der Mittel festzulegen. Eine Verwendung für verkehrsinfrastrukturelle Maßnahmen ist damit also nicht garantiert. 1142 Artikel 106a des Grundgesetzes besagt, dass die Länder zur Sicherstellung des ÖPNV Anspruch auf einen Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes haben. Das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs ( Regionalisierungsgesetz , RegG) legt in diesem Zusammenhang in § 5 Abs. 1 und 2 für 2016 einen Betrag in Höhe von 8 Mrd. Euro aus dem Mineralölsteueraufkommen fest, der ab 2017 bis einschließlich 2031 jährlich um 1,8 % steigt. Verwendet werden diese Mittel vor allem, um Verkehrsleistungen im SPNV zu erbringen, aber auch um diesbezügliche Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge zu realisieren. Die Bundesländer müssen die Mittelverwendung ab 2016 nachweisen. Diese Finanzmittel wurden 2016 zu etwas mehr als 70 % für SPNV-Bestellerentgelte aufgewendet. Innerhalb der einzelnen Bundesländer treten dabei recht große Unterschiede auf: von rund 53 % in Niedersachsen bis 99 % in Baden-Württemberg. 1143 Gemäß Art. 87e Abs. 4 des Grundgesetzes hat der Bund einen angemessenen Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes zu gewährleisten. Im Zuge der Bahnstrukturreform wurde das Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes ( Bundesschienenwegeausbaugesetz , BSchwAG) verabschiedet. Dieses sieht Investitionen des Bundes in die Bundesschienenwege gemäß eines Bedarfsplans, der auch Strecken des Nahverkehrs erfasst, vor. 1144 20 % der jährlich bereitgestellten Mittel sind in den SPNV zu investieren. 1145 Um dies sicherzustellen, 1138 vgl. Bundesministerium der Finanzen: Monatsbericht des BMF, August 2017, o.S. 1139 § 3 Entflechtungsgesetz 1140 vgl. § 5 Abs. 3 Entflechtungsgesetz 1141 vgl. Verkehrsclub Deutschland: Bus und Bahn im Finanzdschungel, http: / / www.vcd.org, 11.02.2019 1142 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 6 1143 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 21 1144 vgl. § 1 Abs. 1 und § 3 Bundesschienenwegeausbaugesetz 1145 vgl. § 8 Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz <?page no="391"?> 8.2 Finanzierung des ÖPNV 391 sind Länder und Kommunen meist gezwungen, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Da Infrastrukturbetreiber laut § 14 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Investitionen in die Infrastruktur über Trassennutzungsentgelte zu finanzieren haben, müssen die Anbieter von Verkehrsdienstleistungen folglich nicht nur für Anschaffung und Einsatz ihrer Fahrzeuge aufkommen, sondern letztendlich auch für den Bau und Erhalt der Infrastruktur. Im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV), die das Bundesschienenwegeausbaugesetz ergänzt, verpflichtete sich der Bund bis 2013, für die Erhaltung der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes jährlich 2,5 Mrd. Euro bereitzustellen und damit das Bestandsnetz zu fördern. Qualitätskennzahlen dienen dabei zur Kontrolle, inwieweit die Schieneninfrastruktur uneingeschränkt nutzbar ist. 1146 Diese Vereinbarung bis wurde 2015 verlängert und beinhaltet dabei auch eine Anhebung der Fördermittel auf 2,75 Mrd. Euro jährlich. 1147 Von 2015 bis 2019 galt die LuFV II, welche ca. 20 Mrd. Euro für Ersatzinvestitionen im Bestandsnetz vorsah. Gleichzeitig unterlagen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Verpflichtung, während dieser Vertragsperiode mindestens 8 Mrd. Euro in die Instandhaltung der Schienenwege zu investieren. 1148 Darüber hinaus stehen im Rahmen spezieller Programme von Bund und Ländern weitere Fördermittel zur Verfügung, so z.B. zur Förderung der Elektromobilität. 1149 Auf europäischer Ebene kann über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), welcher „ durch Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union stärken “ 1150 soll, ebenfalls Mittel zur Verfügung gestellt werden, die dem öffentlichen Verkehr zugutekommen. Der Fonds fokussiert hierbei auf die Schwerpunkte Forschung und Innovation, Digitale Agenda, Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) sowie CO 2 -arme Wirtschaft. Welche Vorhaben konkret gefördert werden, hängt dabei von Strategie und Schwerpunktsetzung der jeweiligen Gebietskörperschaften ab. 1151 Das Gesamtvolumen der ÖPNV-Finanzierung lässt sich schwer bestimmen. Zum einen tragen zahlreiche unterschiedliche Finanzierungsströme dazu bei; zum anderen werden entsprechende Beträge in der Statistik nicht konsequent und kontinuierlich erfasst. 1152 Säulen der Finanzierung Betrag Fahrgeldeinnahmen 12,8 Mrd. Euro Regionalisierungsmittel 8,2 Mrd. Euro Bundesfinanzhilfen nach dem Entflechtungsgesetz 1,4 Mrd. Euro Erstattungsleistungen der Länder für ermäßigte Zeitfahrausweise im Ausbildungsverkehr 0,9 Mrd. Euro Tabelle 8-3 ÖPNV-Finanzierung in Deutschland (2017) 1153 1146 vgl. § 2 und § 13 Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen der Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und der DB Netz AG der DB Station & Service AG der DB Energie GmbH sowie der Deutschen Bahn AG, gültig ab 01.01.2010 1147 vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wird bis 2015 verlängert (06.09.2013), http: / / www.bmvbs.de, 09.01.2014 1148 vgl. Eisenbahn-Bundesamt: LuFV - Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, http: / / www.eba.bund.de, 11.02.2019 1149 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 7 1150 Europäische Kommission: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, http: / / ec.europa.eu, 12.02.2019 1151 vgl. ebd.; Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Fördermittel für den öffentlichen Verkehr, Köln 2017, 14 1152 vgl. Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 9 1153 erstellt nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 21ff <?page no="392"?> 392 8 Organisation und Finanzierung Auch im europäischen Vergleich nutzt der ÖPNV neben den Fahrgeldeinnahmen weitere Finanzierungsquellen (siehe folgende Abbildung). Auffällig ist bei den hier genannten Städten, dass in Paris eine gesonderte Transportsteuer ( Versement Transport ) erhoben wird, die der Finanzierung des ÖPNV in der Île-de-France dient. Diese Steuer ist von Unternehmen mit mehr als neun Mitarbeitern auf Basis der Lohnsumme zu entrichten. Begründet wird die Steuererhebung damit, dass eine günstige Erreichbarkeit per ÖPNV auch den Unternehmen zugutekommt, da sie z.B. weniger in Parkplätze für Kunden und Mitarbeiter investieren müssen. 1154 Diese Transportsteuer gibt es allerdings nicht nur im Großraum Paris, sondern kann in Kommunen ab 20.000 Einwohnern erhoben werden. 1155 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die „Dienstgeberabgabe“ in Wien, bei der pro vollbeschäftigtem Arbeitnehmer unter 55 Jahren zwei Euro pro Woche zu entrichten sind, als Finanzierungsinstrument für den U-Bahn-Bau. 1156 Abbildung 8-4 ÖPNV-Finanzierung in Europa 1157 Eine derartige Drittnutzerfinanzierung kann durchaus als alternatives Instrument betrachtet werden. Profitieren doch nicht nur die Fahrgäste, sondern z.B. auch Arbeitgeber, Vermieter, Einzelhändler, Anbieter touristischer oder kultureller Dienstleistungen von einem gut ausgebauten ÖPNV und daraus resultierender Erreichbarkeit auch ohne Pkw. 1158 1154 vgl. Ministère de la Transition écologique et solidaire: Les transports collectifs urbains: une compétence des autorités organisatrices de la mobilité (21.06.2018), http: / / www.ecologique-solidaire.gouv.fr, 12.02.2019 1155 vgl. o.V.: Nahverkehrsabgabe, http: / / www.mobi-wissen.de, 12.02.2019 1156 vgl. o.V.: Finanzspritze für Wiens ÖPNV, in: VDV - Das Magazin, 5/ 2017, 14f 1157 modifiziert nach: Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 10 1158 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Weichenstellungen für Wachstum und Innovationen im öffentlichen Verkehr in Deutschland, Köln 2017, 5 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Amsterdam Barcelona Berlin Brüssel Madrid Paris ÖPNV-Finanzierung in europäischen Metropolen Andere Einkünfte Abgaben (Versement Transport) Öffentliche Zuschüsse Fahrgeldeinnahmen <?page no="393"?> 9 ÖPNV der Zukunft „Die Qualität des ÖPNV ist ein Gradmesser für die Lebensqualität in unseren Städten und auf dem Land. Der ÖPNV muss attraktiv, sicher, verlässlich und bezahlbar sein.“ 1159 9.1 ÖPNV und demographische Entwicklung Durch die demographische Entwicklung - gekennzeichnet vor allem durch sinkende Einwohnerzahlen und ein steigendes Durchschnittsalter - leidet der ÖPNV unter einem Rückgang seiner traditionellen Nutzer. Insbesondere im ländlichen Raum macht sich diese Entwicklung bemerkbar. Prognoserechnungen gehen davon aus, dass das Verkehrsaufkommen im ÖPNV bis 2030 um 16- 17 % zurückgehen wird. Dies wird einerseits auf die abnehmenden Bevölkerungszahlen, andererseits darauf zurückgeführt, dass zukünftig immer mehr ältere Menschen - vor allem auch Frauen - in Besitz eines Führerscheins sind und den Pkw entsprechend häufig nutzen. Heute zählen ältere Menschen zwar zu den intensiven Nutzern des ÖPNV. Die heutige Generation der 30bis 50-jährigen ist jedoch mit dem Pkw aufgewachsen und wird - sofern es die finanziellen Mittel zulassen - Mobilitätswünsche auch im Alter eher mit dem Pkw als mit dem ÖPNV realisieren wollen. Gleichzeitig ist aber auch eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: „ Autogerechter Straßen- und Parkraumbau bekommt aus Umwelt- und Landschaftssowie Ortsbildschutz eine Akzeptanzkrise. Damit wird ÖPNV wieder wichtiger für die Standortattraktivität und Überlebensfähigkeit dünn besiedelter Regionen. “ 1160 Weniger Erwerbstätige führen zu weniger Berufsverkehr, der heute noch eine tragende Säule des - in Spitzenzeiten allerdings häufig an Kapazitätsgrenzen stoßenden - ÖPNV darstellt. Wandern Einwohner aus ländlichen Gebieten ab, reduziert dies zusätzlich die kritische Masse an Fahrgästen. Die Anzahl der sogenannten „Zwangskunden“ des ÖPNV, d.h. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Erwachsene, die über kein Auto verfügen, wird zukünftig abnehmen. Folglich findet eine Verschiebung von „Zwangskunden“ hin zu „Wahlkunden“, die den ÖPNV freiwillig nutzen, statt. Diese Kunden werden - angesichts der Alternative Pkw - wesentlich stärker auf die Qualitätsmerkmale des ÖPNV achten. Ausgenommen von dieser Entwicklung scheint der Schülerverkehr: Die Schulnetzplanung und die damit verbundenen Schulschließungen führ(t)en zunächst zu weiteren Schulwegen. Im ländlichen Raum machen Schüler mittlerweile bis zu 90 % der ÖPNV-Fahrgäste aus, in Großstädten im Vergleich dazu oft nicht mehr als 30 %. Allerdings wird das den ÖPNV finanziell nicht entlasten können, vor allem nicht vor dem Hintergrund gekürzter Ausgleichszahlungen für den Schülerverkehr. Schließlich führen insgesamt abnehmende Schülerzahlen auch hier zu einer Verkleinerung der Nutzergruppe. In Großstädten und Ballungsräumen ist auch zukünftig - selbst, wenn Städte Einwohner verlieren - eine hohe Nachfrage im ÖPNV wahrscheinlich. Zunehmender Autoverkehr wäre dort allein aus Platzgründen dysfunktional. Der ländliche Raum wird jedoch nicht mehr durch den ÖPNV in seiner klassischen Ausprägungsform mit Großraumgefäßen (d.h. Buslinienverkehr) bedient werden 1159 Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, zit. in: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Gut angebunden mit Bus und Bahn, http: / / www.bmwi.de, 29.01.2019 1160 Monheim, Heiner; Muschwitz, Christian; Reimann, Johannes; Pitzen, Constantin, Sylvester, Anja, Michelmann, Holger: KombiBus und ITF, in: mobilogisch! 3/ 2013, http: / / www.mobilogisch.de, 05.02.2019 <?page no="394"?> 394 9 ÖPNV der Zukunft können. Dort sind neuere Formen des öffentlichen Verkehrs, wie z.B. Kleinbusse oder Anrufsammeltaxis, erfolgversprechender. Es ist allerdings fraglich, inwieweit solche Angebote bei weiterer Abnahme der Bevölkerungszahlen finanzierbar bleiben. 1161 Beispielen in der Praxis, die einen auch im ländlichen Raum gut funktionierenden ÖPNV zeigen, ist gemein, dass sie auf eine den jeweiligen Rahmenbedingungen angepasste Kombination betrieblicher und organisatorischer Maßnahmen setzen und dabei konsequent die Bedürfnisse der Fahrgäste in den Mittelpunkt stellen. Ziele dieser Maßnahmen sind eine Verbesserung der vorhandenen Infrastruktur im Sinne der Erschließung und Anbindung von Räumen und die Entwicklung eines flexiblen, transparenten und zuverlässigen Angebotes, das einen notorischen Autonutzer überhaupt erst zum Überdenken veranlasst. Qualitätsverbessernde Maßnahmen allein reichen allerdings nicht aus - sie müssen auch kommuniziert werden. Denn nur, wenn sie der potentielle Kunde kennt, kann er sie auch ausprobieren. 9.2 Herausforderung Personalbedarf Kennzeichnend für den Arbeitsmarkt im Verkehrssektor ist derzeit, dass eine große Zahl offener Stellen einer geringen Zahl an Bewerbern gegenübersteht. 2017 waren im öffentlichen Personenverkehr in Deutschland rund 157.000 Mitarbeiter beschäftigt. Ein großer Teil davon gehört der sogenannten „Baby-Boomer“-Generation an, geht also in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Bis zum Jahr 2030 geht man von erforderlichen Wiederbesetzungen von 40.000 Stellen im Fahrdienst, 14.000 Stellen im kaufmännischen Bereich sowie 20.000 Stellen im technischen Dienst aus. Das entspricht knapp der Hälfte der aktuellen Mitarbeiterzahl. 1162 nach funktionalem Einsatz nach Beschäftigungsverhältnis Fahrdienst, davon 92.785 Vollbeschäftigte 135.970 Bus 47.038 Auszubildende 4.115 Tram 14.354 Personenverkehr mit Eisenbahnen 31.393 Technischer Dienst 37.147 Verwaltung 26.744 Beschäftigte gesamt 156.676 Tabelle 9-1 Beschäftigte im öffentlichen Personenverkehr in Deutschland (2017) 1163 Angesichts der angestrebten Verkehrswende und des Wachstums in der Mobilitätsbranche stellt sich die Frage, wie dieser Personalbedarf gedeckt werden soll, fehlen doch schon jetzt vor allem Mitarbeiter im Fahrdienst. Aber auch für andere Aufgabenbereiche, wie z.B. Werkstätten, Mobilitätsberatung, Ingenieursleistungen, werden dringend Mitarbeiter gesucht. Fahrpersonalmangel führt inzwischen schon dazu, dass Angebote eingeschränkt werden müssen. Kommen zu einer dünnen Personaldecke noch Krankheitswellen hinzu, reicht der Bestand nicht mehr aus. Für den Fahrgast bedeutet dies eine Ausdünnung der Fahrpläne bzw. bei fehlenden 1161 vgl. o.V.: Auf dem Land zeitgemäß unterwegs, in: VDV - Das Magazin 2/ 2018, 7f; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Mobilitätssicherung in Zeiten demographischen Wandels, Berlin 2012, 5f; o.V.: Perspektive ÖV - Was die Branche bewegt, in: Prima 2/ 2013, 36f 1162 vgl. o.V.: Arbeit und Berufe mit Perspektiven, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 10 1163 erstellt nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Statistik 2017, Köln 2018, 32 <?page no="395"?> 9.3 Anforderungen an einen modernen ÖPNV 395 Triebfahrzeugführern die Umstellung auf Schienenersatzverkehr. Kurzfristig lässt sich dieses Problem nicht lösen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kommen auf 100 offene Stellen nur 36 als arbeitslos gemeldete Triebfahrzeugführer. 1164 Durch Abwerben von anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen können zwar teilweise Personalprobleme behoben werden, konsequenterweise reißt dies aber Lücken bei anderen Unternehmen. Jahrelang haben zahlreiche NE-Bahnen selbst nicht ausgebildet und sich auf von der Deutschen Bahn entsprechend qualifiziertes, aber nach der Ausbildung nicht übernommenes Personal verlassen, oder man setzte bei der Ausbildung auf externe Dienstleister. Auch hier hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Ende 2018 hat beispielsweise die Länderbahn eine Eisenbahnschule zur Ausbildung von Triebfahrzeugführern aus dem In- und Ausland ins Leben gerufen. 1165 Aber nicht nur über den klassischen Ausbildungsweg wollen Eisenbahnverkehrsunternehmen nun neue Triebfahrzeugführer gewinnen, sondern auch als Quereinsteiger. Auch mit einer Kampagne des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen e.V., die dem öffentlichen Verkehr zu einem attraktiveren Image verhilft, soll der Personalmangel bekämpft werden. 1166 Schichtarbeit, Wochenenddienste, unterschiedliche Diensteinsatzorte können mittlerweile vor einer Tätigkeit in diesem Bereich auch abschrecken. Zudem werden nicht überall attraktive Gehälter gezahlt. So verdient beispielsweise ein Fahrer, der eine Tätigkeit im öffentlichen Nahverkehr in Berlin aufnimmt, lediglich 1.500 Euro im Monat. 1167 Es gilt also nicht nur, die beruflichen Chancen und das Spektrum der Tätigkeitsfelder im Mobilitätssektor entsprechend zu kommunizieren, sondern auch eine attraktive Entlohnung zu bieten, die Arbeitsbedingungen mitarbeiterfreundlicher (vgl. z.B. Dienstplan) zu gestalten und damit die Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen zu binden. 9.3 Anforderungen an einen modernen ÖPNV Vor dem Hintergrund der 2015 verabschiedeten „Global Goals for Sustainable Development“ 1168 kommt dem ÖPNV bei der Gestaltung der zukünftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen eine bedeutende Rolle, nicht nur beim Erreichen der Klimaschutzziele, zu. Ob Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, menschenwürdige Arbeit, nachhaltige Städte und Gemeinden oder Innovation und Infrastruktur - zahlreiche der in den globalen Zielen für Nachhaltigkeit thematisierten Aspekte stehen in direktem oder indirektem Zusammenhang zum ÖPNV. Die Studie „Deutschland mobil 2030“ geht im Szenario „Verkehrswende“ davon aus, dass der ÖPNV seinen Anteil am Modal Split bis 2030 um ein Drittel erhöht und sich die Verkehrsbetriebe von Beförderern zu Mobilitätsdienstleistern entwickeln. 1169 Der ÖPNV der Zukunft kann sich nicht mehr auf die starren Konzepte der Vergangenheit stützen, sondern muss wesentlich beweglicher 1164 vgl. o.V.: Arbeit und Berufe mit Perspektiven, in: VDV - Das Magazin 5/ 2018, 8; Franke, Jan-Dirk: Sachsen gehen bald die Lokführer aus - jeder dritte ist über 55, in: Freie Presse, 23.06.2018, 6; o.V.: Lokführermangel: HLB stellt einzelne Zugverbindungen in der Wetterau auf Busse um (12.10.2018), http: / / www.nahverkehr-ffm.de, 12.02.2019 1165 vgl. Regentalbahn GmbH: Länderbahn startet eigene Eisenbahnschule im Vogtland (26.09.2018), http: / / www. laenderbahn.com, 12.02.2019; Möckel, Gerd: Personalnot: Vogtland bildet jetzt Eisenbahner selbst aus, in: Freie Presse, 02.10.2018, 14 1166 siehe dazu auch: Die Arbeitgeberinitiative - Ein Vorhaben für die Branche, mit der Branche, http: / / www. vdv.de, 12.02.2019 1167 vgl. o.V.: Das lange Warten auf den TV-L, in: Hauptstadtmagazin, April 2018, 9 1168 siehe dazu das Kapitel 11.5 „Nachhaltige Mobilität in der Umwelt- und Verkehrspolitik“ in Teil D 1169 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030 - Szenarien für die Umsetzung der Verkehrswende in Deutschland, Köln 2018, 4ff <?page no="396"?> 396 9 ÖPNV der Zukunft und umfeldbezogener werden, was auch von einer Flexibilisierung der Rahmenbedingungen begleitet werden muss. Der öffentliche Verkehr wird kurz- und mittelfristig ein defizitäres Geschäft bleiben; und natürlich ist die konkrete Ausgestaltung des ÖPNV auch von den verfügbaren finanziellen Mitteln abhängig. Doch auch in Zeiten beschränkter finanzieller Mittel ist es bei politischem und unternehmerischem Willen und Engagement durchaus möglich, attraktive, innovative Verkehrskonzepte zu entwickeln, die potentielle Nutzer ansprechen und zu einem Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel als geeignete Alternative motivieren können. Gleichzeitig gilt es, die Belange der im ÖPNV Beschäftigten entsprechend zu berücksichtigen. Die Herausforderungen, denen sich der ÖPNV in den vergangenen Jahren bereits stellen musste und dies auch zukünftig muss, sind vielschichtig: ländliche Räume Ballungsräume Infrastruktur wenig Bedarf an Ausbau und Finanzierung technische Maßnahmen zur Verbesserung von Information/ Kommunikation Ausstattung von Fahrzeugen (Barrierefreiheit, Kundeninfo, Ticketing etc.) Lösung der Finanzierungsprobleme bei der Unterhaltung/ Instandhaltung der Infrastruktur zukünftig sehr unterschiedlicher Ausbaubedarf bzw. stellenweise Rückbau/ Anpassungserfordernis Barrierefreiheit, Kundeninfo, Ticketing etc. Innovation Betrieb Sicherung des Grundangebots trotz wegbrechender Schülerverkehre neue Finanzierungsinstrumente zur Sicherung des Grundangebots bedarfsorientierte Angebotsformen zur Sicherung einer Mindestversorgung neue (multimodale) „Tür zu Tür“-Angebote zur Gewinnung neuer Kundengruppen Angebotsausweitungen häufig mit hohem Infrastrukturaufwand verbunden effizientere Ausnutzung der Infrastrukturkapazitäten bedarfsorientierte Bedienformen als Ergänzung (Tagesrandlagen, Ballungsränder etc.) integrierte (multimodale) Angebote regionale Integration Abbildung 9-1 Herausforderungen in Organisation und Finanzierung 1170 Um den aktuellen und zukünftigen Mobilitätsansprüchen der Bevölkerung gerecht zu werden, muss der ÖPNV leistungsfähig und attraktiv sein. Entscheidend dafür sind Zuverlässigkeit, Sicherheit und Kundenfreundlichkeit. Dies beinhaltet Bequemlichkeit, Häufigkeit, Pünktlichkeit, Schnelligkeit und ein angemessenes Preis-/ Leistungsverhältnis. Ein zukunftsfähiger ÖPNV verlangt angesichts beschränkter finanzieller Mittel und des verstärkten Wettbewerbs in Europa innovative Lösungsansätze. Vor diesem Hintergrund ist man von Seiten der Bundesregierung seit längerem bestrebt, gemeinsam mit Ländern und Gemeinden sowie den Verkehrsunternehmen mehr Transparenz und Wettbewerb, eine stärkere Ausrichtung auf kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen im ÖPNV sowie effiziente finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen. 1171 Mehr Transparenz und Wettbewerb soll zur Schaffung kundengerechter Leistungen und Anpassung der Verkehrsunternehmen an veränderte Rahmenbedingungen (z.B. Kostensenkung, 1170 Bormann, René et al.: Neuordnung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, Bonn 2010, 31 1171 vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Öffentlicher Personennahverkehr, http: / / www.bmvi.de, 12.02.2019 <?page no="397"?> 9.3 Anforderungen an einen modernen ÖPNV 397 Produktivitätssteigerung, Kooperationen, Nutzung von Synergiepotentialen) führen. Wesentlich dabei sind die Schaffung eines wettbewerbsorientierten Ordnungsrahmens, Dienstleistungsfreiheit sowie mehr unternehmerische Freiheiten für kommunale Unternehmen. Eine stärkere Ausrichtung auf kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen im ÖPNV soll durch eine Modernisierung der Fahrzeugflotte, eine konsequente Umsetzung von Bevorrechtigungs- und Beschleunigungsmaßnahmen, eine bessere Verknüpfung der Verkehrsträger, eine umfassende Informationen für die Kunden des ÖPNV, den Abbau von Zugangshemmnissen, mehr Sicherheit und Sauberkeit, die Nutzung neuer Marktchancen sowie Maßnahmen zur Sicherung und Steigerung der Qualität des Personals verwirklicht werden. Zur Sicherung der Finanzierung will man stabile finanzielle Rahmenbedingungen als Voraussetzung für den Ausbau und die Modernisierung des ÖPNV schaffen, die Effizienz bei der Förderung des ÖPNV stärker berücksichtigen, weitere Kostensenkungspotentiale (z.B. Leichtbauweisen, Einsatz wartungsarmer Materialien, Vergabe von Leistungen an Dritte) ermitteln, Linienerfolgsrechnung als Instrument der Angebotsgestaltung und des Kostencontrollings sowie Benchmarking realisieren. Allerdings erfüllt der ÖPNV noch längst nicht überall diese Anforderungen. Die aktuelle Situation im ÖPNV und vor allem die der Verkehrsbetriebe resultieren aus den jahrzehntelangen, den Pkw-Verkehr bevorzugenden verkehrsplanerischen und verkehrspolitischen Aktivitäten. Ein Großteil der Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes floss in die Ballungsräume und ermöglichte dort häufig die Finanzierung von Großprojekten. Erst in den 1990er Jahren profitierte auch der ländliche Raum in Form der Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz-Fahrzeugförderung. Vielerorts wurden aber auch Straßenbahnnetze - wegen der den Autoverkehr störenden Schienenkörper - abgebaut. Ersetzt wurden die Straßenbahnen durch Busse, die sich allerdings in den allgemeinen Verkehr einordnen mussten und damit keinerlei Schnelligkeitsvorteile mehr aufwiesen. Oft wurden gleichzeitig die Straßen mehrspurig ausgebaut, was wiederum den Individualverkehr förderte. Oder der ÖPNV wurde unter die Erdoberfläche verlegt, wodurch es ihm an Präsenz im Straßenbild mangelt(e). Auch die Tendenz, schwach frequentierte Bahnverkehre in der Fläche abzubestellen, trägt nicht zur Schaffung eines attraktiven Angebots bei. 1172 Durch die Digitalisierung eröffnen sich dem ÖPNV neue Chancen, die es zu nutzen gilt: „ Durch die Digitalisierung und die Vernetzung von Diensten entsteht ein zunehmender Wettbewerb um die Schnittstelle zum Kunden, künftig auch mit Unternehmen, die nicht zu den klassischen Verkehrsdienstleistern zählen. “ 1173 Es geht also nicht mehr nur darum, ÖPNV-Dienstleistungen anzubieten, sondern multibzw. intermodal ausgerichtete Angebote für die gesamte Reisekette bereitzustellen und auch Gelegenheitsnutzern einen einfachen Zugang zum ÖPNV zu bieten. Dabei müssen nicht nur technische und finanzielle, sondern auch organisatorische Hürden, die sich aus der Struktur des ÖPNV ergeben, gemeistert werden. Eine gute Zusammenarbeit aller Akteure ist hier unerlässlich, unabhängig von Bundesland- oder Verkehrsverbundgrenzen. 1174 Mit der Digitalisierung im öffentlichen Personenverkehr sind verschiedene Zukunftsbilder verknüpft, aus denen entsprechende Strategien und Maßnahmen abgeleitet werden: 1172 vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030: Szenarien für die Umsetzung der Verkehrswende in Deutschland, Köln 2018, 12ff; Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.: Deutschland mobil 2030 - Die Verkehrswende ist möglich! , http: / / www.vdv.de, 12.02.2019; Grandjot, Hans-Helmut: Verkehrspolitik - Grundlagen, Funktionen und Perspektiven für Wissenschaft und Praxis, Hamburg 2002 , 119 ; Canzler, Weert; Knie, Andreas: Demographie und Verkehrspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 29-30/ 2007, 9; Höft, Uwe: Ländliche Bahnlinien vor dem aus? , in: Prima 3/ 2012, 58f 1173 TÜV Rheinland Consulting GmbH; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Roadmap Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr, Köln/ Berlin 2016, 7 1174 vgl. ebd. <?page no="398"?> 398 9 ÖPNV der Zukunft Fahrgast- und Kundeninformation Tarife und eTicketing Multimodalität Nutzung verschiedener Informationskanäle (stationär, online, mobil) benutzerfreundliche Gestaltung, intuitive Bedienung Übermittlung hochwertiger Fahrplaninformation in Echtzeit Anwendung auf gesamte Reisekette (Fahrtverlauf, Anschlüsse, Fußwege zu/ von Haltestellen, Störungsmeldungen, Alternativen) Integration von ÖPV- Daten regional, bundesweit und europaweit fahrplanbasierte Tarifauskünfte inklusive Gesamtpreis, auch für Fahrten über Landes- und Verbundgrenzen hinweg (in Ansätzen) harmonisierte Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen Nutzung von Online-Portalen und mobilen Applikationen zur Fahrpreisermittlung für Reisekette Anwendung innovativer Tarifmodelle und -produkte zur Kundengewinnung ÖPV-Nutzung mit unterschiedlichen Medien (Chipkarte, Smartphone etc.) über Landes- und Verbundgrenzen hinweg vollständige Kompatibilität durch (((eTicket-Deutschland-Standard automatische Fahrpreisfindung (z.B. über Verfahren wie Be-in/ Beout) Angebot an verschiedenen öffentlichen und privaten Mobilitätsplattformen vereinen Informationen diverser Mobilitätsangebote nur einmalige Registrierung der Kunden (Single Sign-on) nötig verschiedene Services der Reisekette integriert (Informieren, Buchen, Bezahlen, Fahren) Datenabruf auch ohne Registrierung möglich sichere Datensammlung in Kundenprofilen vollautomatische Abrechnung Tabelle 9-2 Visionen für den digitalen öffentlichen Personenverkehr 1175 Beispiele wie das durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung geförderte Projekt „Leipzig mobil - neue Wege zur öffentlichen Mobilität“ der Leipziger Verkehrsbetriebe zeigen, dass sich unterschiedlichste Mobilitätsangebote unter einen Dach kundenfreundlich vernetzen lassen: „ Zentrale Elemente des Angebots sind die hauseigenen Mobilitätsstationen mit Carsharing, E- Ladesäule und Bikesharing; eine Online-Plattform mit Smartphone- und Web-App; die Beauskunftung verschiedener Verkehrsmittel; die einmalige Anmeldung, der einfache Zugang und die Buchung aller Fahrzeuge per App oder Chipkarte bzw. Telefon und die gemeinsame monatliche Endabrechnung aller genutzten Verkehrsmittel. “ 1176 Neue digitale Konzepte müssen aber nicht nur in urbanen Räumen funktionieren, sondern können