VWL für Einsteiger
0419
2021
978-3-8385-5538-6
978-3-8252-5538-1
UTB
Steffen J. Roth
Die ökonomische Denkweise kennenlernen und wirtschaftspolitische Maßnahmen einfach verstehen!
Die VWL hilft dabei, das Wirtschaftsleben zu verstehen und politische Vorschläge zu dessen Gestaltung zu beurteilen. Steffen J. Roth führt die Leser*innen leicht verständlich an die Ökonomik heran, ohne mathematische Kenntnisse vorauszusetzen. Er gibt einen grundlegenden Einblick in die modelltheoretische Methode des Fachs und einen wertvollen Überblick insbesondere zur Mikroökonomik, zur Wirtschaftspolitik und zur Neuen politischen Ökonomie (NPÖ).
Diese 6., überarbeitete Auflage ist der ideale Einstieg in die VWL für Studierende der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie angrenzender Studiengänge.
<?page no="0"?> Steffen J. Roth VWL für Einsteiger 6. Auflage <?page no="1"?> utb 2742 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Steffen J. Roth ist Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln (iwp), dessen Gründungsdirektor Alfred Müller-Armack die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft entwickelte. Als Dozent unterrichtet er Volkswirtschaftslehre allgemein und insbesondere Wirtschaftspolitik sowohl an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen als auch an der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln und an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (HBRS). <?page no="3"?> Steffen J. Roth VWL für Einsteiger 6., überarbeitete Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagabbildung: © caracterdesign · iStock Autorenbild (S. 2): © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 6. Auflage 2021 5. Auflage 2016 4. Auflage 2014 3. Auflage 2011 2. Auflage 2007 1. Auflage 2006 © UVK Verlag 2021 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 2742 ISBN 978-3-8252-5538-1 (Print) ISBN 978-3-8385-5538-6 (ePDF) <?page no="5"?> Für Pauline und Charlotte, Lina und Nikias, Elena und Hannah sowie alle anderen neugierigen Menschen, denen ich etwas von meinem Fach erklären kann. <?page no="7"?> Vorbemerkung und Vorgehensweise Dieses Buch richtet sich an Leser*innen, die mit volkswirtschaftlichen Betrachtungen bislang nur durch die Medien in Berührung gekommen sind. Es handelt sich um ein Einführungslehrbuch, das keinerlei Vorkenntnisse voraussetzt. Es gibt bereits unzählige Einführungslehrbücher für Volkswirtschaftslehre. Warum also ein weiteres hinzufügen? Wodurch unterscheidet sich dieses Buch von der Konkurrenz? Die meisten Einführungslehrbücher richten sich an junge Studierende der Wirtschaftswissenschaften. Sie bereiten ihre Leser*innen letztlich auf eine wissenschaftliche Karriere vor und streben daher Vollständigkeit und Genauigkeit an. Wegen der zu diesem Zweck verwendeten Mathematik und der umfassenden Darstellung wissenschaftlicher Theorien sind sie allerdings für die meisten Anfänger*innen nur schwer verdaulich. Nicht selten erschließt sich Studierenden der Volkswirtschaftslehre der Sinn und Zweck dieser in den ersten Semestern als praxisuntauglich und schikanös empfundenen Theorie erst deutlich später im Verlauf des Studiums. Einer der Gründe dafür ist, dass viele dieser Bücher den Leser*innen kaum zeigen, wie sich die Theorie auf reale Fragen unserer Gesellschaft anwenden lässt. Die Auseinandersetzung mit Politikempfehlungen folgt im normalen wirtschaftswissenschaftlichen Studium erst sehr viel später. Dieses Einführungslehrbuch hingegen ist für all diejenigen gedacht, die (zumindest in einem ersten Schritt) lediglich das grundlegende Gedankengerüst der Ökonom*innen nachvollziehen und deren Argumentationsweisen in der Öffentlichkeit verstehen möchten. Es richtet sich also zum Beispiel an Studierende, die sich im Nebenfach mit Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik auseinandersetzen oder an Studierende in den neu entstehenden praxisorientierten Bachelor-Studiengängen. Dieses Buch bietet auch Oberstufenschüler*innen in entsprechenden Schwerpunktkursen oder interessierten Laien im Selbststudium einen theoretisch fundierten, aber anwendungsorientierten Einstieg in die Ökonomik. Schließlich eignet es sich auch für Studierende wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge: Entweder am Beginn des Studiums, um zunächst einen Überblick über wesentliche Inhalte und Analysemethoden der Volkswirtschaftslehre und deren Anwendungsmöglichkeiten zu gewinnen, bevor sie sich in den kommenden Semestern Stück für Stück durch die Details arbeiten werden. Oder zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt, um sich einige grundlegende Zusammenhänge wieder ins Gedächtnis zurück zu rufen. <?page no="8"?> VIII Vorbemerkung Auf Grund der so umrissenen Zielgruppe wäre es unangebracht, die Geduld der Leser*innen mit allzu detaillierten theoretischen Ausführungen zu strapazieren und einen Grundkurs in Wirtschaftsmathematik vorauszusetzen. Zwar ist eine Einführung in theoretische Analyseinstrumente zum Verständnis der ökonomischen Herangehensweise unumgänglich. Allerdings wird in diesem Buch der Versuch gewagt, diese methodische Einführung relativ kurz zu halten, die verwendete Mathematik auf die Grundrechenarten zu beschränken und rasch zu allgemein verständlichen Fragen vorzudringen. Der Stoff dieses Buches deckt nach einigen einführenden Grundgedanken wesentliche Elemente der mikroökonomischen Theorie ab. Erläutert werden grundlegende Analysen der Entscheidungsfindung einzelner Personen im Wirtschaftsgeschehen und ihr Zusammenwirken auf Märkten. Anschließend werden Marktergebnisse wohlfahrtstheoretisch bewertet: Es wird versucht zu zeigen, warum Ökonom*innen so euphorisch auf freie Marktprozesse setzen. In einem dritten Schritt wird die Bevorzugung freier Märkte gegenüber politischen Eingriffen durch die Abhandlung der so genannten Marktversagenstheorie und verteilungspolitischer Zielsetzungen relativiert: Der Markt regelt eben doch nicht alles. Die makroökonomische Theorie wird in diesem Buch nicht vertieft. Dieser Theoriezweig beschäftigt sich mit gesamtwirtschaftlichen Phänomenen auf zusammengefasster Ebene: Welche Auswirkungen hat die Staatsverschuldung? Wie beeinflusst eine Steuererhöhung das Produktionsniveau? Wie wirkt die Geldpolitik auf die Wachstumsaussichten? Makroökonomische Betrachtungen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen sind nicht ohne ein fundiertes Verständnis der mikroökonomischen Entscheidungen der einzelnen Akteur- *innen möglich. Wenn man sich auf ein Teilgebiet konzentrieren möchte, erscheint es daher lohnend, die mikroökonomischen Zusammenhänge zu fokussieren. Statt einer theoretischen Auseinandersetzung mit makroökonomischen Zusammenhängen bietet dieses Buch im letzten Teil systemvergleichende Betrachtungen und einen knappen Einblick in die ökonomische Theorie der Politik. Damit wird verständlich, warum die meisten Ökonom*innen trotz der Marktversagenstheorie staatlichen Eingriffen in Märkte skeptisch gegenüberstehen: Planwirtschaftliche Alternativen sind nur in ganz bestimmten Fällen und unter ganz bestimmten Bedingungen vorzugswürdig und auch der demokratische politische Entscheidungsprozess ist voller Tücken. Dieses Einführungslehrbuch verzichtet auch auf die Darstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Es wird weder erläutert, was es mit einem Überschuss in der Handelsbilanz oder einem Defizit in der Kapitalbilanz auf sich hat, noch wie sich das Bruttoinlandsprodukt berechnet und wie es sich vom <?page no="9"?> Vorbemerkung IX Bruttoinländerprodukt unterscheidet. Auch die Vermittlung institutioneller Kenntnisse ist nicht Anliegen dieses Buches. Die Leser*innen erfahren weder, wie viele Mitglieder das Direktorium der Europäischen Zentralbank hat und von wem sie für eine wie lange Amtsperiode ernannt werden, noch, was es mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz auf sich hat. Ziel dieses Einführungslehrbuches ist vielmehr, der Leserin oder dem Leser zu zeigen, dass Ökonomik Wesentliches und Wertvolles zur Analyse, Erklärung und Lösung der Probleme unserer Gesellschaft beitragen kann. Die verständigen Leser*innen sollen so weit in die ökonomische Analysetechnik und Denkweise eingeführt werden, dass sie wirtschaftliche Zusammenhänge fortan schneller und leichter erkennen, den Ausführungen der Expert*innen, Journalist*innen und Politiker*innen besser folgen und ihnen kritisch begegnen können. Die Neulinge unter den Leser*innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass durch die Lektüre dieses Buches nur erste Einblicke in die ökonomischen Theorien vermittelt werden. Sie sollten nicht glauben, zu irgendeinem der angesprochenen Themen bereits umfassend informiert zu sein. Im Idealfall erschließt sich den Leser*innen eine grobe Landkarte der ökonomischen Betrachtungsweise. Dank des großen Maßstabs ermöglicht diese Karte einen Überblick, der das Gesamtgefüge erkennbar werden lässt. Durch Verzicht auf die Darstellung sämtlicher Nebenstraßen und Sehenswürdigkeiten bleibt die Richtung erkennbar. Umgekehrt droht die Vernachlässigung theoretischer Genauigkeit und Vollständigkeit selbstverständlich immer, missverständlich zu werden. Das Auslassen von Nebenstrecken kann den Betrachter der Karte zu der Annahme verleiten, das Wegenetz vollständig durchdrungen zu haben, obgleich eventuell besonders lohnende Ausflugsstraßen nicht einmal erwähnt wurden. Dieses Risiko wurde bewusst in Kauf genommen. Für genauere Besichtigungen der einzelnen Ausflugsgebiete müssten jeweils ausführlichere Reiseführer und genauere Karten studiert werden. Ortskundige Leser*innen wiederum, also z. B. fortgeschrittene Studierende, Wirtschaftsjournalist*innen und Kolleg*innen sollten sich nicht zurückhalten, den Autor auf Unterlassungen und überzeichnete Vereinfachungen aufmerksam zu machen, die in künftigen Überarbeitungen eventuell geschickter gehandhabt werden könnten. Die einzelnen Kapitel dieses Buches bauen aufeinander auf. Die ausschnittsweise Lektüre ist daher nicht zu empfehlen. Um dies ausnahmsweise dennoch zu ermöglichen, wurde versucht, Hinweise auf vorstehende oder nachfolgende Ausführungen zu geben, die in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Durch <?page no="10"?> X Vorbemerkung Fettdruck hervorgehobene Begriffe und Namen finden sich in einem Schlagwortregister am Ende des Buches. Die meisten Fachbegriffe werden zumindest grob erläutert. Wo Leser*innen genauere Definitionen wünschen, ist eine Suche in Fachbüchern, Lexika und Enzyklopädien problemlos möglich. Für interessierte Leser*innen findet sich am Ende des Buches ein kommentiertes Literaturverzeichnis mit nach Kapiteln geordneten Hinweisen auf weiterführende Literatur. Die Grundlage dieses Buches wurde durch eine Vorlesung innerhalb des Masterstudiengangs „Wirtschaftsrecht“ an der Universität zu Köln gelegt. Die Teilnehmer*innen dieser Vorlesung mussten über drei Jahre als Versuchspersonen herhalten. Heute kann es dadurch als im Feldexperiment bewiesen erachtet werden, dass der Stoff dieses Buches sowohl hinsichtlich der Menge und Komplexität als auch hinsichtlich der Darstellungs- und Ausdrucksweise für den Großteil der fachfremden Leser verständlich und in einem Semester zu bewältigen ist. Ich habe vielen Studierenden dieses Studienganges für ihre engagierten Fragen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge zu danken. Außerdem danke ich ganz herzlich Susanna Kochskämper, Heiko Roth, Anne Sohns-Wißkirchen und Vera Bünnagel für ihre scharfsinnige und kritische Durchsicht des Textes und ihre unschätzbare handwerkliche Hilfe bei seiner Erfassung und Korrektur sowie der Anfertigung der Abbildungen. Köln, im Januar 2006 Steffen J. Roth <?page no="11"?> Vorwort zur sechsten Auflage Voller Freude stelle ich fest, dass das vorliegende Lehrbuch unverändert großartige Resonanz erfährt. Sowohl im Studierendenals auch im Kolleg*innenkreis erhalte ich für „VWL für Einsteiger“ ausgesprochen positives Feedback. Zahlreiche Buchbesprechungen empfahlen das Buch mit großem Wohlwollen. Ganz offensichtlich werden in diesem Buch wesentliche Aspekte und Grundlagen der Volkswirtschaftslehre in einer Art und Weise angesprochen, die die Lektüre keineswegs nur für Neulinge, sondern auch zur Auffrischung der Kenntnisse bei Studierenden höherer Semester lohnend macht. Gerne komme ich daher der Bitte des Verlags nach, die vergriffenen Auflagen durch eine nun inzwischen sechste überarbeitete Auflage abzulösen. Jede Neuauflage gibt mir Gelegenheit, einige kleinere Fehler und Ungenauigkeiten der vorherigen Auflage zu korrigieren. Ab dieser Ausgabe habe ich mich außerdem dazu entschieden, in meinem Sprachgebrauch durch Verwendung des * respektvoll anzudeuten, dass ich mir bewusst darüber bin, dass es neben Männern nicht nur jede Menge Frauen, sondern außerdem viele Menschen gibt, die sich mit dieser binären Geschlechtervorstellung nicht wohl fühlen. Ich ahne bereits heute, dass ich zu diesem Thema mehr E-Mails erhalten werde als zu den inhaltlichen Ausführungen. Ja, ich kenne das generische Maskulin und weiß, dass auch frühere Autor*innen damit zumeist alle möglichen Menschen gemeint haben (ich übrigens auch). Ja, ich weiß, dass frühere Generationen dafür gekämpft haben, alle Menschen schlicht als Menschen und eben nicht als Merkmalsträger*innen bestimmter Geschlechter zu sehen (meine Eltern und Lehrer*innen waren die legendären 68er Student*innen). Ich teile das Entsetzen so mancher Streiter*innen für die Emanzipation der Frauen, die sich nun sehr ärgern, wenn sie in der Zeitung lesen müssen, Frau Merkel sei eine der „mächtigsten Staatslenkerinnen“ der letzten 20 Jahre gewesen. Klingt das doch, als müsse Frau Merkel die Konkurrenz der Herren Staatslenker fürchten oder spiele jedenfalls in einem anderen Turnier. Bei Gutachten für das Land Nordrhein-Westfalen werden Expert*innen seit wenigen Jahren gezwungen, in jedem Satz ausnahmslos jeweils die weibliche und die männliche Form zu verwenden. Dass mit dieser Direktive die Gefühle aller diversen Menschen noch stärker verletzt werden, als mit der herkömmlichen Verwendung des generischen Maskulins, gerade weil man ganz offensichtlich einen bewussten Sprachgebrauch durchgesetzt hat aber ohne <?page no="12"?> XII Vorwort zur sechsten Auflage Rücksicht auf sie, stört die hoheitlich Anordnenden nicht weiter. Im universitären Kontext ist die Rede von Studierenden und Lehrenden zurzeit nicht wegzudenken. Diese Partizipform stört mein Sprachempfinden allerdings nicht nur ästhetisch. * Ich weiß, dass auch die Genderform mit Sternchen den Lesefluss mancher Leser*innen bremst und Gegner*innen hat. Dennoch habe ich mich für diese Variante entschieden. Die Form des Gender-Sternchens scheint unter meinen Leser*innen derzeit gut etabliert. Ergänzend zu den bereits in den Vorbemerkungen genannten Personen danke ich Herrn Michael J. Zimmermann für seine wertvollen Anmerkungen aus juristischer Perspektive zur ersten Auflage, Frau Julia Kelz für ihre gründliche Durchsicht der zweiten Auflage, Frau Carina Lindener und Frau Katharina Stingl für deren Anmerkungen und Korrekturen zur dritten Auflage und Frau Sandra Hannappel für ihre Anmerkungen und Anregungen zur vierten Auflage. Bei der aktuellen Auflage bin ich vor allem Christian Müller zu Dank verpflichtet. Alle dennoch verbliebenen Fehler, missverständlichen Formulierungen und Beispiele sowie Ungenauigkeiten verantworte ich natürlich ausschließlich selbst. Wenn Ihnen solche Schwächen und Mängel oder auch ungeschickte oder unsensible Formulierungen auffallen, würde ich mich über eine kurze Rückmeldung sehr freuen. Richten Sie Ihre Kritik und Anregungen bitte an: steffen.roth@wiso.uni-koeln.de. Köln, im März 2021 Steffen J. Roth * Es irritiert mich inhaltlich, weiß ich doch sicher, dass die meisten Studierenden in weniger als der Hälfte ihrer Zeit tatsächlich studieren, geschweige denn Lehrende den ganzen Tag lehren. Radfahrende, die gebeten werden auf dem Campus vom Rad zu steigen, sind außerdem zwangsläufig ab diesem Moment Radschiebende. <?page no="13"?> Video-Tipps XIII Ab der 6. Auflage erhalten die Leser*innen ein ergänzendes audiovisuelles Angebot: Video-Tipps weisen auf Lehrvideos hin, die auf der Buch- Webseite des Verlags unter dem Reiter „Zusatzmaterial“ verlinkt sind und vielleicht den ein oder anderen Gedanken durch Formulierungsvarianten besser verständlich machen oder die Merkfähigkeit des Stoffs durch den alternativen Zugang erhöhen. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich kein professioneller YouTuber bin, mit Studioausrüstung, Cutter und technischem Know-how. Ich bin ein normalsterblicher Universitätsdozent Anfang 50, der als Hobby das ein oder andere Lehrvideo dreht und zur Verfügung stellt. Seien Sie bitte entsprechend nachsichtig. Die Buch-Webseite erreichen Sie unter www.utb-shop.de/ 9783825255381 oder dem Kurzlink https: / / t1p.de/ covz bzw. über den entsprechenden QR-Code. <?page no="15"?> Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung und Vorgehensweise VII Vorwort zur sechsten Auflage XI Abbildungs- und Tabellenverzeichnis XXIII I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken 1 1. Methodologischer Individualismus 1 2. Konsumentensouveränität 3 3. Nutzenmaximierung und rationales Verhalten 6 4. Knappheit und Opportunitätskosten 10 5. Marginalbetrachtung 14 6. Tausch und Handel, Spezialisierung und Arbeitsteilung 16 7. Komparative Vorteile und relative Preise 18 8. Pareto-Kriterium, allokative Effizienz und Prozessbetrachtung 22 II. Die Theorie der Haushalte 29 1. Vorbemerkung: Wozu diese Modell-Technik? 29 2. Haushalte suchen nach dem Besten, was sie sich leisten können 30 3. Die Budgetbeschränkung und die Budgetgerade 31 3.1. Zusammengesetzes Gut 36 3.2. Veränderungen der Parameter Einkommen und Preise 37 3.3. Zur Interpretation der Steigung von Budgetgeraden 38 4. Die Präferenzen 40 <?page no="16"?> XVI Inhaltsverzeichnis 5. Die Indifferenzkurven 46 5.1. Verschiedene Formen von Indifferenzkurven 47 5.2. Zur Interpretation der Steigung von Indifferenzkurven 56 6. Die optimale Nachfrageentscheidung 58 7. Veränderungen der Parameter der individuellen Nachfrage 64 7.1. Änderung der Nachfrage bei Einkommensänderung 64 7.1.1. Normale Güter 65 7.1.2. Superiore Güter 66 7.1.3. Inferiore Güter 66 7.2. Änderung der Nachfrage bei Preisänderung 68 7.3. Substitutions- und Einkommenseffekt 70 7.3.1. Der Substitutionseffekt 71 7.3.2. Der Einkommenseffekt 74 7.3.3. Der Gesamteffekt 76 7.3.4. Ein Zahlenbeispiel 77 8. Von der individuellen Nachfrage zur Marktnachfrage 79 9. Das individuelle Arbeitsangebot der Haushalte 81 9.1. Die individuelle Arbeitsangebotskurve 84 9.1.1. Ein zusätzlicher Einkommenseffekt 84 9.1.2. Die inverse Arbeitsangebotskurve 86 10. Das aggregierte Gesamtangebot auf dem Arbeitsmarkt 89 III. Die Theorie der Unternehmen 91 1. Die Produktionstechnik 92 1.1. Das Durchschnittsprodukt 93 1.2. Das Grenzprodukt 94 1.3. Die Produktionsfunktion 95 <?page no="17"?> Inhaltsverzeichnis XVII 2. Die Kosten 97 2.1. Die Fixkosten, die variablen Kosten und die totalen Kosten 97 2.2. Die Durchschnittskosten 98 2.3. Die Grenzkosten 100 2.4. Das Verhältnis der Grenzkosten- und der Durchschnittskostenkurve 102 3. Das Angebot einer Firma im Polypol 104 3.1. Gewinnmaximierung im Polypol 105 3.1.1. Wahl der optimalen Produktionstechnologie 105 3.1.2. Die Wahl der optimalen Produktionsmenge 106 4. Die langfristige Angebotskurve eines polypolistischen Unternehmens 108 5. Vom individuellen Angebot polypolistischer Unternehmer*innen zum Marktangebot 110 IV. Das Marktgleichgewicht 113 1. Das Angebot im langfristigen Marktgleichgewicht 116 1.1. Die Gleichgewichtsmenge 117 1.2. Der Gleichgewichtspreis 119 1.3. Machen Unternehmen nicht doch Gewinne? 121 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht 123 2.1. Beispiel zum Ausschluss einzelner Nachfrager*innen vom Konsum 123 2.2. Beispiel zum Ausschluss einzelner Anbieter*innen vom Markt 126 2.3. Freie Preise dienen als volkswirtschaftlich wünschenswertes Steuerungssystem 127 <?page no="18"?> XVIII Inhaltsverzeichnis 3. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten I: Edgeworthbox 131 3.1. Die pareto-effiziente Güterallokation in der Edgeworthbox 133 3.2. Pareto-effiziente Allokation und markträumendes Gleichgewicht 135 4. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten II: Rentenbetrachtung 137 4.1. Konsumenten- und Produzentenrente 137 4.2. Der Soziale Überschuss 141 5. Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomik 145 V. Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft 149 1. Der wohlmeinende Diktator 149 2. Vorteile und Schwächen des Marktsystems 150 3. Planwirtschaft als überlegene Alternative zum freien Markt? 151 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie 157 1. Marktversagen begründet nicht zwangsläufig Staatseingriffe 159 2. Das Gefangenendilemma 160 3. Öffentliche Güter 164 3.1. Theoretisch effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter 166 3.2. Das Freerider-Problem 168 3.3. Staatlicher Eingriff zur Bereitstellung öffentlicher Güter? 170 4. Externe Effekte (Externalitäten) 171 4.1. Positive und negative externe Effekte 172 4.1.1. Ein Beispiel zu Konsumexternalitäten 172 4.1.2. Ein Beispiel zu Produktionsexternalitäten 175 <?page no="19"?> Inhaltsverzeichnis XIX 4.2. Theoretisch effiziente Bereitstellung bei Vorliegen externer Effekte 177 4.2.1. Die Verhandlungslösung 177 4.2.2. Die Pigou-Steuer 181 4.3. Annäherung an effiziente Lösungen in der Praxis 184 4.3.1. Die Ökosteuer nach dem Standard-Preis-Ansatz 185 4.3.2. Die Lösung durch Zertifikate 185 4.4. Staatlicher Eingriff zur Internalisierung externer Effekte? 186 5. Natürliches Monopol 188 5.1. Ineffizienz bei Vorliegen einer Monopolstellung 189 5.1.1. Dynamische Ineffizienz: Wohlfahrtsverluste auf Grund mangelnder Innovationen 189 5.1.2. Statische Ineffizienz: Wohlfahrtsverluste auf Grund von Mengeneinschränkungen 190 5.2. Vorübergehende oder staatlich geschützte Monopole sind kein Marktversagen 195 5.3. Das Marktversagen beim natürlichen Monopol 195 5.3.1. Die Eigenschaften natürlicher Monopole 196 5.3.2. Die Stabilität des natürlichen Monopols 197 5.4. Staatlicher Eingriff zur Regulierung natürlicher Monopole? 198 6. Asymmetrische Information 199 6.1. Adverse Selektion 200 6.1.1. Das Beispiel des Gebrauchtwagen-Marktes 200 6.1.2. Das Beispiel der Versicherung 202 6.2. Moral hazard 202 6.2.1. Das Beispiel der Versicherung 203 <?page no="20"?> XX Inhaltsverzeichnis 6.3. Der Zusammenhang asymmetrischer Information und externer Effekte 204 6.4. Staatlicher Eingriff bei Vorliegen asymmetrischer Information? 204 6.5. Private Möglichkeiten, das Marktversagen bei asymmetrischer Information teilweise zu heilen 206 6.5.1. Signaling 207 6.5.2. Screening 207 VII. Verteilungspolitik und Meritorik 209 1. Verteilungspolitische Eingriffe 210 1.1. Gerechtigkeitsvorstellungen 210 1.2. Umverteilung kann effizient sein: Soziale Mindestsicherung 212 1.2.1. Das Versicherungsmotiv 213 1.2.2. Die Internalisierung von Armutsexternalitäten 213 1.3. Anforderungen an eine effiziente Umverteilung 214 1.4. Umverteilung durch Markteingriffe ist ineffizient 215 1.4.1. Unwiederbringliche Wohlfahrtsverluste bei Abweichung vom Gleichgewicht 216 1.4.2. „Transfer in cash“ versus „transfer in kind“ 218 1.5. Die Reduzierung der Leistungsanreize definiert eine Obergrenze wünschenswerter Umverteilungspolitik 222 2. Meritorische Eingriffe 225 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus 229 1. Ordnungspolitik als notwendige Rahmensetzung 229 2. Einstimmigkeit in Abstimmungsprozessen 232 <?page no="21"?> Inhaltsverzeichnis XXI 3. Delegation von politischen Entscheidungen 236 3.1. Doppeltes Prinzipal-Agent-Problem 237 3.2. Das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Wähler*innen und Politiker*innen 238 3.2.1. Die Orientierung an den Median-Wähler*innen 239 3.2.2. Das Wahlparadoxon und die rationale Ignoranz der Wähler*innen 242 3.3. Bürokrat*innen als Agent*innen der Politiker*innen 243 4. Die Rolle plakativer Vereinfachungen 245 5. Medien und Interessengruppen 246 6. Das Primat der Politik? 249 IX. Epilog: Ökonomische Politikberatung 251 1. Zum Frustrationspotenzial wirtschaftspolitischer Beratung 251 2. Politischer Diskurs als Dialog 252 3. Empfiehlt sich eine größere Konzentration auf die Durchsetzbarkeit von Vorschlägen? 254 4. Wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung ist nicht gleichzusetzen mit Wirtschaftspolitik 257 Kommentiertes Literaturverzeichnis 259 Schlagwortregister 267 <?page no="23"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Haushalte am Güter- und Arbeitsmarkt 30 Abb. 2: Budgetgerade 33 Abb. 3: Meiers Budgetgerade 36 Abb. 4: Die Steigung der Budgetgerade 39 Abb. 5: Indifferenzkurve 46 Abb. 6: Perfekte Substitute 49 Abb. 7: Perfekte Komplemente 50 Abb. 8: Bessere und schlechtere Güterbündel 52 Abb. 9: Indifferenzkurve bei abnehmendem Grenznutzen 55 Abb. 10: Betrachtung der Steigung einer Indifferenzkurve 57 Abb. 11: Das optimale Güterbündel 59 Abb. 12: Im Optimum entspricht die GRS dem Preisverhältnis 61 Abb. 13: Einkommens-Konsum-Kurve 65 Abb. 14: Herleitung der Nachfragekurve 69 Abb. 15: Der Substitutionseffekt 72 Abb. 16: Eindeutige Richtung des Substitutionseffekts 74 Abb. 17: Einkommenseffekt 75 Abb. 18: Marktnachfrage 80 Abb. 19: Optimales Arbeitsangebot 83 Abb. 20: Veränderte Freizeitnachfrage bei Lohnsatzänderungen 85 Abb. 21: Arbeitsangebotskurve 87 Abb. 22: Aggregiertes Gesamtangebot auf dem Arbeitsmarkt 90 Abb. 23: Produktionsfunktion des Bauern Schmitt 96 Abb. 24: Grenzkosten und Durchschnittskosten 103 Abb. 25: Grenzkosten-Preis-Regel 108 Abb. 26: Verlustminimale Angebotsmenge 109 <?page no="24"?> XXIV Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abb. 27: Langfristige Angebotskurve der Unternehmung 110 Abb. 28: Vom individuellen zum aggregierten Angebot 111 Abb. 29: Marktgleichgewicht 113 Abb. 30: Markträumung im Gleichgewicht 114 Abb. 31: Tragfähigkeit eines Marktes 117 Abb. 32: Maximale Unternehmensgewinne bei verschiedenen Anbieterzahlen 120 Abb. 33: Konstruktionsschritte der Edgeworthbox 132 Abb. 34: Edgeworthbox 133 Abb. 35: Jakobs Konsumentenrente 139 Abb. 36: Konsumentenrente und Produzentenrente 141 Abb. 37: Wohlfahrtsverlust eines Angebotsüberschusses 142 Abb. 38: Wohlfahrtsverlust eines Nachfrageüberschusses 144 Abb. 39: Gefangenendilemma 161 Abb. 40: Auflösung des Gefangenendilemmas durch Regeländerung 163 Abb. 41: Optimale Bereitstellung öffentlicher Güter 167 Abb. 42: Free Riding: Suboptimale Bereitstellung öffentlicher Güter 169 Abb. 43: Suboptimales Ergebnis durch negative Konsumexternalitäten 173 Abb. 44: Suboptimales Ergebnis durch positive Konsumexternalitäten 174 Abb. 45: Suboptimales Ergebnis durch negative Produktionsexternalitäten 175 Abb. 46: Suboptimales Ergebnis durch positive Produktionsexternalitäten 176 Abb. 47: Grenzkosten- oder Grenznutzenabgleich 180 Abb. 48: Pigou-Steuer: Internalisierung negativer Produktionsexternalitäten 182 <?page no="25"?> Abbildungs- und Tabellenverzeichnis XXV Abb. 49: Pigou-Steuer: Internalisierung negativer Konsumexternalitäten 183 Abb. 50: Polypol: Unternehmer als Preisnehmer 190 Abb. 51: Monopol: Unternehmer als Preissetzer 193 Abb. 52: Wohlfahrtsverlust auf monopolistischen Märkten 194 Abb. 53: Grenz- und Durchschnittskosten im Natürlichen Monopol 197 Abb. 54: Wohlfahrtsverluste durch staatliche Angebotsergänzung 217 Abb. 55: Nutzensteigerung durch „transfer in kind“ 219 Abb. 56: Höhere Nutzensteigerung bei „transfer in cash“ 220 Abb. 57: „Transfer in cash“ erreicht Umverteilungsziel zu geringeren Kosten 221 Abb. 58: Netto-Einkommensverlauf durch das Steuer-Transfer- System 223 Abb. 59: „Transfer in kind“ ermöglicht den Betroffenen eventuell eine höhere Nutzensteigerung, wenn aufgrund der Nutzenvorstellungen der Mittelgeber dafür höhere Mittel bereitgestellt werden als für „transfer in cash“ 228 Abb. 60: Doppeltes Prinzipal-Agent-Problem 237 Abb. 61: Medianwähler-Position bei Gleichverteilung der Präferenzintensität 240 Abb. 62: Medianwähler-Position bei Ungleichverteilung der Präferenzintensität 241 <?page no="26"?> XXVI Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tab. 1: Wertetabelle zur Berechnung von Meiers Budgetgeraden 35 Tab. 2: Nicht-transitive Präferenzordnung 44 Tab. 3: Nicht-transitive Gruppenpräferenzen 45 Tab. 4: Individuelle Nachfrage und Marktnachfrage 80 Tab. 5: Input, Output, Grenzprodukt und Durchschnittsprodukt 94 Tab. 6: Input, Output und Kosten 99 Tab. 7: Berechnung der Grenzkosten 101 Tab. 8: Jakobs Konsumentenrente 138 Tab. 9: Private und öffentliche Güter 165 <?page no="27"?> I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Wenn ein möglichst rascher Einstieg in ökonomische Denkweisen und Analysemuster angestrebt werden soll, erscheint es zunächst hilfreich, einige wesentliche ökonomische Gedanken auf abstrakter Ebene anzusprechen, um gewohnte Denkmuster aufzubrechen. Die Bedeutung der im Folgenden jeweils in aller Kürze thematisierten „volkswirtschaftlichen Grundgedanken“ erschließt sich dem/ der Leser*in wahrscheinlich nicht immer unmittelbar. Dennoch werden diese Gedanken dem Rest des Stoffes vorangestellt, weil ihre intellektuelle Verarbeitung erfahrungsgemäß sowohl eine gewisse Wiederholung als auch Zeit zum Setzen benötigt. Später werden diese Ideen an geeigneter Stelle wieder aufgegriffen. Aber es kann nicht schaden, sich zunächst abstrakt auf diese Grundlagen und Eckpfeiler der Ökonomik einzulassen. Der/ die Leser*in sollte sich im Sessel zurücklehnen und versuchen, sich entspannt mit den folgenden Grundgedanken auseinanderzusetzen. Nehmen Sie sich die Zeit und Muße, nach jedem Abschnitt innezuhalten und die gerade behandelten Ideen mit den wohl vertrauten Annahmen und Grundlagen der eigenen Wissenschaft abzugleichen bzw. auf ihre Vereinbarkeit mit eigenen Vorstellungen von Werten und von Menschheitsbildern abzuklopfen. 1. Methodologischer Individualismus Ökonom*innen fühlen sich ausdrücklich dem Wohlergehen der Menschheit verpflichtet. Ziel des ökonomischen Bemühens ist die Steigerung des Nutzens von Individuen. Das Bekenntnis zum so genannten methodologischen Individualismus ist das grundsätzlichste Werturteil, das der Ökonomik zu Grunde liegt, und beinhaltet unmittelbar zwei verschiedene Komponenten. Die erste Komponente dieses Werturteils ist in der Aufklärung verwurzelt und fokussiert die Konzentration der Wirtschaftswissenschaft auf das Wohlergehen der Menschen im Gegensatz beispielsweise zum Wohlergehen aller Lebewesen oder zum Wohlgefallen einer Gottheit („anthropozentrische Komponente“, manchmal auch als „normativer Individualismus“ bezeichnet). Ökonomen beurteilen den Wert eines Gegenstandes, einer (Dienst-) Leistung oder einer Regelung alleine nach Maßgabe des Nutzens, den dieser Gegenstand, diese (Dienst-) Leistung oder diese Regelung für ein Individuum oder mehrere Individuen entfaltet. Es existiert innerhalb der Ökonomik kein Wert an sich, der losgelöst von Menschen begriffen und begründet werden könnte. <?page no="28"?> 2 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Dass diese normative Festlegung weitreichende Konsequenzen hat, wird unmittelbar einsichtig, wenn man die Konzentration auf individuelle Nutzengrößen mit geläufigen anderen Werthaltungen kontrastiert: Religiöse, metaphysische oder tradierte Ziele, Grundsätze, Regelungen oder Bewertungen sind als Grundlage ökonomischer Bewertung nur insoweit mittelbar akzeptiert, als dies der individuellen Nutzensteigerung entsprechen kann. Konkreter: Christ*innen werden einen Verstoß gegen die zehn Gebote wahrscheinlich als empfindliche Nutzenminderung erleben. Nur aus diesem Grund werden Ökonom*innen die Vereinbarkeit alternativer Verhaltensweisen mit den zehn Geboten bei der Analyse und Empfehlung von Verhaltensweisen oder Regeln berücksichtigen. Die zehn Gebote selbst werden für Ökonom*innen hingegen keine Rolle spielen, wenn sie eine buddhistische Gesellschaft betrachten. Es entspricht nicht der ökonomischen Methode, die Vereinbarkeit einer Regelung mit den zehn Geboten unabhängig von der Nutzenveränderung eines betroffenen Individuums als Kriterium in die Analyse einzubeziehen. Schon gar nicht, weil z. B. die analysierende Ökonomin selbst gläubige Christin wäre. Diese Einschränkung gilt nicht nur für religiöse und metaphysische Normen, sondern ebenso hinsichtlich bestehender gesellschaftlicher Normen und Regeln. Auch die Vereinbarkeit bestimmter Verhaltensweisen mit bestehenden Gesetzen hat für Ökonom*innen keinen Wert an sich. Natürlich kann es für Individuen durchaus nutzensteigernd sein, bestehende Gesetze einzuhalten, weil das ansonsten entstehende schlechte Gewissen oder die drohende Bestrafung selbstverständlich in der Analyse berücksichtigt werden muss. Ebenso selbstverständlich können Ökonom*innen viele Gesetze gutheißen und begründen, warum die Gesetze zu allgemeiner Wohlfahrtssteigerung beitragen. Aber eine Handlungsoption einfach mit dem Hinweis auf ein bestehendes Gesetz oder gar die eigene Wertvorstellung bereits in der theoretischen Analyse abzulehnen und erst gar nicht zu untersuchen, beschneidet die ökonomische Analyse unangemessen. Zweitens tritt die aus dem Liberalismus stammende Komponente des methodologischen Individualismus hinzu. Ökonom*innen betrachten das Individuum als Mittelpunkt und einzigen Bezugspunkt, nicht Gruppen: Nur Individuen sind Entscheidungsträger und Akteure. „Kollektive Entscheidungen“ müssen sich deshalb letztlich auf das Verhalten von Individuen zurückführen lassen. Die Handlungen oder Entscheidungen von Gruppen hängen nach dieser Sichtweise zum einen von den individuellen Entscheidungen der jeweiligen Kollektivmitglieder ab und zum anderen von der Gestaltung der Entscheidungsfindungsprozesse (z. B. wird einstimmig entschieden oder zählt eine einfache Mehrheit) in den jeweiligen Kollektiven. In der sozialen Interaktion existieren <?page no="29"?> 1. Methodologischer Individualismus 3 keine eigenständigen überindividuellen Akteure, die unabhängig von den Individuen agieren, aus welchen sie sich zusammensetzen. Entscheidungen treffen immer Individuen, die Gesellschaftsmitglieder (Bürger*innen), Unternehmer*innen (z. B. Aktionär*innen) oder Gewerkschaftsmitglieder sind und in dieser Funktion an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen. Diese individualistische Sicht hängt wiederum eng mit dem grundsätzlichen ökonomischen Ziel der Nutzenmaximierung zusammen, die bald näher erläutert wird: Weder „die Gesellschaft“, noch „die Unternehmen“ oder „die Gewerkschaften“ erfahren Nutzensteigerungen oder Nutzenverluste. Aussagen wie etwa „den Unternehmen geht es seit der Steuerreform besser“ sind streng genommen Unsinn. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (1) ein Video zum Thema „Methodologischer Individualismus“. https: / / t1p.de/ covz 2. Konsumentensouveränität Die Konsumentensouveränität folgt unmittelbar aus der eben erklärten individualistischen und liberalen Grundposition und dem weiter unten folgenden Gedanken zur Nutzenmaximierung. Wenn nur Individuen in Hinblick auf ihre persönlichen Vorstellungen darüber entscheiden, ob und wie wertvoll bestimmte Gegenstände, Dienstleistungen oder Zustände sind, dann folgt daraus auch, dass es keinen Grund gibt, warum ein Individuum dem anderen vor- oder übergeordnet sein sollte. Natürlich ist dieses Prinzip in demokratischen Gesellschaftsordnungen allgemein nicht unbekannt. Letztlich sind Vorstellungen der souveränen Bürger- *innen und der eigenverantwortlich entscheidenden geschäftsfähigen Geschäftspartner*innen sehr ähnliche Ideen. Konkrete Wirkung entfaltet dieses Prinzip im ökonomischen Kontext durch die konsequente Anwendung auf die Entscheidungshoheit der einzelnen Individuen: Es muss jeder und jedem Einzelnen überlassen bleiben, zu entscheiden, was ihr oder ihm einen kleinen oder großen Nutzen stiftet. Niemand hat das Recht zu bestimmen, was anderen <?page no="30"?> 4 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken nützlich ist, was andere wünschen oder wünschen sollten, was andere brauchen oder was „gut“ für andere ist. 1 Diese normative Grundposition begründet die ökonomische Skepsis gegenüber allen „wohlmeinenden“ Bemühungen von Entscheidungsträger*innen und Eliten einer Gesellschaft, die darauf abzielen, das Verhalten der Individuen „zu deren Bestem“ zu lenken. Im Alltag trifft man sowohl im Parlament und Gericht als auch in der Presse und am Stammtisch beständig auf die Überzeugung, dass viele Menschen nicht gut genug darüber Bescheid wissen, was sie eigentlich wünschen müssten, was ihren Präferenzen eigentlich entsprechen würde und was ihre eigentlichen Prioritäten und Präferenzen sein sollten. Meistens glauben diejenigen, die diese Überzeugung der eingeschränkten Entscheidungsfähigkeit der Bürger*innen äußern oder teilen, dass sie selbst zum hinreichend informierten und aufgeklärten Teil der Bevölkerung gehören. Unter Ökonom*innen ist der Anteil solcher „Besserwisser*innen“ mindestens ebenso groß wie in anderen Berufsgruppen. Aber innerhalb der professionellen Beschäftigung mit ökonomischen Fragen müssten sie solche Behauptungen im Einzelnen begründen, beispielsweise mit dem Vorliegen systematischer Fehlfunktionen in der Informationsgewinnung oder Informationsverarbeitung. Bei der Bezeichnung Konsumentensouveränität schwingt außerdem noch mehr mit als nur die Bezeichnung der Individuen als eigenverantwortliche Nachfrager*innen auf Märkten. Der Begriff bezeichnet im engeren Sinne weniger die soeben angesprochene normative Setzung der gleichberechtigten und damit eigenverantwortlich entscheidenden Individuen als vielmehr das theoretisch zu erwartende und tendenziell auch empirisch beobachtbare Ergebnis freier Marktprozesse: Auf freien Wettbewerbsmärkten - und damit unter bestimmten, im Verlauf des Buches noch zu diskutierenden idealtypischen Umständen - setzen sich die Konsument*innen mit seinen oder ihren Präferenzen als Souveräne durch. Sofern es keine Wettbewerbsbeschränkung und keine Störungen des Marktgeschehens gibt und sofern keine kollektiven Markteingriffe zur Lenkung der Wirtschaft erfolgen, spielt es keine Rolle, welchen Wert Anbieter*innen (Produzent*innen) oder Politiker*innen einem bestimmten Gut beimessen. Der Tauschwert des Guts und damit der letztlich durchsetzbare Preis wird durch die Zahlungsbereitschaft der Konsument*innen gemäß ihrer 1 John Stuart Mill formuliert 1859 in seinem Buch „Über die Freiheit“: „Man kann einen Menschen nicht rechtmäßig dazu zwingen, etwas zu tun oder zu lassen, weil dies besser für ihn wäre, weil es ihn glücklicher machen, weil er nach Meinung anderer klug oder sogar richtig handeln würde. [...] Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist ist der einzelne souveräner Herrscher.“ <?page no="31"?> 2. Konsumentensouveränität 5 Nutzeneinschätzung bestimmt. Die Produzent*innen haben nur die Wahl, in Anbetracht der nach ihren Vorstellungen ggf. zu geringen Zahlungsbereitschaft der Konsument*innen auf das Angebot entsprechender Güter oder Dienstleistungen zu verzichten. Noch etwas weiter gefasst beinhaltet der Begriff „Konsumentensouveränität“ ein starkes Kriterium für die Beurteilung wohlfahrtssteigernder oder wohlfahrtsmindernder Aktionen, Institutionen und Entscheidungen. 2 Wenn in demokratischen, am Allgemeinwohl der Bürger*innen ausgerichteten, Staaten das Volk der Souverän ist, stellt sich die Frage, in welcher Rolle die Bürger*innen im wirtschaftlichen Kontext souverän sein sollen. Beinahe alle Bürger*innen treten im wirtschaftlichen Prozess sowohl als Konsument*innen als auch als Produzent*innen auf. Auch unselbständige Arbeitnehmer*innen gehören zur Produktionssphäre. Um Doppelzählungen und allgemeine Verwirrung zu vermeiden, muss man sich zur Beurteilung der Wohlfahrt der Bürger*innen auf eine Seite der Betrachtung beschränken. Nach dem Gedanken der Konsumentensouveränität ist es alleine der Wert, den Güter und Dienstleistungen für die Konsument*innen haben, der für die Beurteilung der gesellschaftlichen Wohlfahrt in Frage kommt. Während der Produktion im Regelfall nur mittelbare Nutzenstiftung zukommt, ist der Konsumnutzen der letzte Zweck aller wirtschaftlichen Bemühungen. Es empfiehlt sich daher die Konzentration auf den Konsument*innennutzen. Eine Verrechnung mit Produzent*inneninteressen ist weder sinnvoll noch methodisch zulässig. Nach diesem Prinzip wäre beispielsweise das zur Begründung von strukturkonservierenden Subventionen regelmäßig vorgetragene Argument des Arbeitsplatzerhalts oder der Arbeitsplatzschaffung fehlgeleitet. In der ausschließlichen Ausrichtung auf die Konsument*innen lässt sich unterscheiden zwischen Verträgen, die tatsächlich lediglich zum gegenseitigen Vorteil der Betroffenen geschlossen werden und solchen, deren Vorteilhaftigkeit für die einen nur auf Kosten Dritter erreicht wird. Aus dieser Perspektive gibt es kein Argument zugunsten irgendwelcher Beschränkungen des freien Tausches zwischen souveränen Bürger*innen, das sich auf ein vermeintliches Allgemeinwohl stützen könnte, solange nicht gezeigt werden kann, dass die betreffende Beschränkung für die Konsument*innen vorteilhaft wäre. 2 In dieser ursprünglichen, heute aber auch vielen Ökonom*innen nicht mehr bewussten Bedeutung, stammt der Gedanke vom englischen liberalen Ökonomen William Harold Hutt (1899 - 1988), der das Kriterium der Konsumentensouveränität in seinem 1936 veröffentlichten Buch „Economists and the Public“ ausgearbeitet hat. <?page no="32"?> 6 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (2) ein Video zum Thema „Konsumentensouveränität“. https: / / t1p.de/ covz 3. Nutzenmaximierung und rationales Verhalten Ökonom*innen unterstellen den Menschen keineswegs materialistische Gier und egoistisches, rücksichtsloses Streben nach Besitz. Dies ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Es erklärt sich durch die häufig im Mittelpunkt ökonomischer Analyse stehende Auseinandersetzung mit Transaktionen auf Märkten, bei denen es tatsächlich meist darum geht, für angebotene Waren möglichst hohe Preise zu erzielen und für gewünschte Waren möglichst wenig ausgeben zu müssen. Ökonom*innen unterstellen den Individuen nicht mehr und nicht weniger, als dass sie nach Lebensglück, Wohlergehen, Genuss und Zufriedenheit streben - und zwar jeder nach seiner eigenen Vorstellung davon. Der in der Fachsprache für dieses Sammelsurium stehende Begriff lautet Nutzen. 3 Die in ökonomischen Theorien modellierten Individuen streben grundsätzlich danach, ihren Nutzen zu maximieren, d. h. so viel Lebensglück zu erreichen, so genussvoll zu leben und so zufrieden zu werden wie möglich. Diese Annahme erscheint nicht allzu lebensfremd, so lange sie in dieser Allgemeinheit formuliert wird. Um dieses Streben nach Glück einer abstrakten theoretischen Betrachtung zugänglich zu machen, verfolgen Ökonom*innen seit langer Zeit eine natürlich rein theoretische Vorstellung, nach der Individuen mit einer Art Formel im Unterbewusstsein durch die Welt spazieren, die in der Fachterminologie Nutzenfunktion genannt wird. Eine komplexe Nutzenfunktion würde aus allen Parametern bestehen, die das Lebensglück eines bestimmten Menschen ausmachen, z. B. Freunde, Kinder, eine Wohnung, Kinobesuche etc. Die Idee ist, 3 Der etablierte Begriff „Nutzen“ leitet sich vom englischen „utility“ ab und stammt von den Urvätern des Utilitarismus. So formuliert Jeremy Bentham in seiner Schrift „Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung” (1789): „Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip gemeint, das jede Handlung gutheißt oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Gruppe zu vermehren oder zu vermindern, um deren Interesse es geht. (...) Mit 'Nutzen' ist diejenige Eigenschaft an einem Objekt gemeint, wodurch es dazu neigt Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück zu schaffen.“ <?page no="33"?> 3. Nutzenmaximierung und rationales Verhalten 7 dass jede und jeder Einzelne diese Parameter ordnet, d. h. für Frieda mag der Besitz eines Sportwagens für ihr Lebensglück unabdingbar sein, Matilda betrachtet einen Sportwagen zwar als netten Besitz, würde aber noch lieber eine Weltreise machen und Jakob interessiert sich gar nicht für Autos. Diese Ordnung und Bewertung der einzelnen Interessen findet sich in der Nutzenfunktion wieder. Wüsste man, wie man die Nutzenfunktion einer bestimmten Person transparent machen könnte, ließe sich das Lebensglück dieser Person als Ergebnis dieser individuellen Formel errechnen. Das Wohlbefinden von Individuen ist aber tatsächlich ebenso wenig objektivierbar wie einzelne Nutzenveränderungen von Individuen durch bestimmte Variationen ihrer jeweiligen Güterausstattungen oder Lebenssituationen. Es mangelt an einer sinnvollen Methode kardinaler Nutzenmessung bezüglich eines Individuums, d. h. Menschen sind im Allgemeinen nicht in der Lage, ihre Nutzenempfindungen auf einer Intervallskala so auszudrücken, dass damit mathematische Operationen wie addieren, subtrahieren, multiplizieren oder dividieren sinnvoll sind. Kategoriale Merkmale wie „zufrieden oder unzufrieden“, „glücklich oder unglücklich“ etc. lassen sich nicht sinnvoll verrechnen. Die meisten Menschen sind also bereits mit der Aufgabe überfordert, anzugeben, um wie viel genau ihnen eine Weltreise lieber wäre als ein Sportwagen oder umgekehrt. Eine umfassende Nutzenfunktion, mit deren Hilfe sich das Lebensglück einer Person maximieren ließe und die dazu erfordern würde, Nutzenvariationen bezüglich aller Komponenten in mathematisch handhabbare Verhältnisangaben zu setzen, ist damit utopisch. In der Ökonomik konzentriert man sich daher heute in weiten Teilen auf einen ordinalen Nutzenbegriff. Bei ordinalskalierten Merkmalen wird jede Merkmalsausprägung einer bestimmten Kategorie zugeordnet. Diese Kategorien lassen sich in eine Rangfolge bringen, der Abstand zwischen den Kategorien ist jedoch nicht erfassbar. Individuen können häufig problemlos angeben, ob sie mit einem Sportwagen oder einer Weltreise „unzufrieden“, „zufrieden“ oder „überaus zufrieden“ wären. Wenn Matilda mit einem Sportwagen nur „zufrieden“, mit einer Weltreise aber „überaus zufrieden“ wäre, dann erhöht eine Weltreise den Nutzen von Matilda offenbar mehr als ein Sportwagen. Um in der Analyse zu modellieren, wie Individuen Entscheidungen treffen, unterstellen Ökonomen nicht nur, dass Individuen nach Nutzenmaximierung streben, sondern zugleich, dass sie sich dabei rational verhalten. Rational ist ein Verhalten dann, wenn es konsistent zur Nutzenfunktion des Individuums ist, wenn also eine bestimmte Handlung oder Entscheidung im Sinne der Nutzenmaximierungshypothese zielführend ist bzw. das Individuum erwartet, dass die Handlung oder Entscheidung zielführend ist. Demnach wäre es z. B. irrational, <?page no="34"?> 8 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken einen Sportwagen zu wählen und dafür auf eine Weltreise zu verzichten, wenn man wie Matilda erwartet, mit einem Sportwagen „zufrieden“ zu sein, mit einer Weltreise aber „überaus zufrieden“. Je nach individueller Vorstellung des Lebensglücks und je nach Situation kann nun selbstverständlich rein egoistisches und auf die Erlangung materieller Werte gerichtetes Handeln der Nutzenmaximierung entsprechen. So ist es wohl recht plausibel anzunehmen, dass die meisten Mieter*innen einer Wohnung ihren Nutzen erhöhen, wenn es ihnen gelingt, eine niedrigere Miete auszuhandeln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie das ersparte Geld materialistisch-egoistisch für ein Auto ausgeben oder eine Spendenpatenschaft für ein armes Kind und seine Familie übernehmen möchten. In beiden Fällen handeln sie in der Verhandlung um den Mietpreis rational, wenn sie versuchen, die Miete so niedrig wie möglich zu vereinbaren. Die Annahme des rationalen Verhaltens ist wichtig für die ökonomische Analyse und Theoriebildung, weil erst dadurch systematische Reaktionen der Individuen auf Veränderungen der Rahmenbedingungen, systematische Reaktionen auf veränderte Anreize erwartet werden können. Dies gibt Ökonom*innen die Möglichkeit, bestimmte Mustervorhersagen zu wagen. Aufgrund dieser Annahmen erwarten Ökonom*innen beispielsweise regelmäßige Reaktionen der Nachfrager*innen auf veränderte Preise: Wenn der Konsum eines bestimmten Guts einen bestimmten Nutzen stiftet, dann folgt bei rationaler Nutzenmaximierung, dass der Konsum des betreffenden Guts reduziert wird, wenn der Preis des Guts steigt und ausgedehnt wird, wenn der Preis des Guts sinkt. 4 Es gibt allerdings einen andauernden Streit sowohl innerhalb der Ökonomik als auch zwischen Ökonom*innen und Vertreter*innen der Nachbarwissenschaften (insbesondere der Psychologie und der Soziologie) darüber, ob die Rationalitätsannahme zumindest im Aggregat, d. h. bei gleichzeitiger Beobachtung vieler individueller Entscheidungen, empirisch zutreffend ist. Es gibt zweifellos psychologische Phänomene, die der Rationalitätshypothese zuwider zu laufen scheinen. Da sich viele dieser Phänomene bei ausreichender Phantasie dennoch als rationales Verhalten im Sinne der zielstrebigen Verfolgung einer Nutzenfunktion erklären lassen, gibt es parallel dazu den fortwährenden Streit, ab wann der Rationalitätsbegriff tautologisch wird: Wir kennen die Nutzenfunktion eines Individuums nicht und können allenfalls aus dem beobachtbaren Verhalten einer Person auf die entsprechenden Elemente der Nutzenfunktion dieser Person 4 Ganz so einfach ist es nicht. Vgl. dazu später den Abschnitt II.7.2. <?page no="35"?> 3. Nutzenmaximierung und rationales Verhalten 9 schließen. Daraus folgt gleichzeitig, dass wir jedes Verhalten als rational klassifizieren können, indem wir entsprechende Präferenzen unterstellen. Tatsächlich lässt sich somit kaum empirisch zeigen, dass sich Menschen grundsätzlich rational nutzenmaximierend verhalten, schon gar nicht in jedem Einzelfall und fortwährend. Dennoch ist festzuhalten, dass auch die Psychologie und die Soziologie über keine treffenderen allgemeinen Modelle menschlichen Verhaltens verfügen als das der (begrenzt) rationalen Nutzenmaximierung. Für größere Zusammenhänge und im Schnitt erweist sich die Annahme rationaler Nutzenmaximierung als so robust, dass das Modell des homo oeconomicus häufig auch in den Nachbarwissenschaften verwendet wird. Es ist allerdings zweifellos höchst interessant, durch Verfeinerungen der Analyse komplexere psychologische Regelmäßigkeiten zu integrieren. Vor allem aber bleibt das Konzept der Rationalität und Nutzenmaximierung als normative Basis unerlässlich: Die Ökonomik strebt nicht in erster Linie danach, Instrumente zur exakten Vorhersage des Verhaltens eines bestimmten Individuums in einem bestimmten Einzelfall zu entwickeln. Es wäre erschreckend, wenn so etwas funktionieren würde. Das Ziel der Ökonomik als angewandter Wissenschaft besteht eher darin, im politischen Entscheidungsprozess Expertenauskünfte und Ratschläge zu erteilen, die zu gesellschaftlichen Rahmensetzungen und Anreizsystemen führen, unter denen möglichst viele Menschen glücklich und zufrieden leben können (Nutzenmaximierung, Wohlfahrtssteigerung). Die Annahme rationaler Nutzenmaximierung als normative Basis meint, dass Ökonom*innen versuchen, Rahmenbedingungen, Regelsysteme und Gesellschaftsstrukturen zu erarbeiten, die für solche Menschen geeignet sind, die versuchen, ihr Lebensglück zu steigern und sich auch so verhalten, wie es ihrer Erwartung nach der Steigerung ihres Lebensglücks dient. Selbst wenn man der rationalen Nutzenmaximierung im Sinne einer objektiven Beschreibung menschlichen Verhaltens skeptisch gegenüberstehen mag: Nach welcher Vorstellung wollte man gesellschaftliche Systeme und Regeln sonst gestalten? Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (3) ein Video zum Thema „Nutzenmaximierung in der Ökonomik“ und unter Nummer (4) ein Video zum Thema „Rationalverhalten des homo oeconomicus“. https: / / t1p.de/ covz <?page no="36"?> 10 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken 4. Knappheit und Opportunitätskosten Den Menschen ideale Bedingungen zur Steigerung ihres persönlichen Nutzens zu erschließen, ist das übergeordnete Ziel der Ökonomik. Den Schlüssel zur Erreichung dieses Ziels glauben Ökonom*innen in der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Verwendung knapper Mittel und Ressourcen erkannt zu haben. Ausgangspunkt der Ökonomik ist die Erkenntnis der Knappheit als Kardinalproblem der Menschen. Das Problem der Knappheit liegt überall dort vor, wo Entscheidungen über die Verwendung einer Ressource zu einem bestimmten Zweck gleichzeitig Einschränkungen für andernfalls mögliche alternative Verwendungen bedeuten und man also eine Wahl treffen muss. Die Menge der Ressourcen, die den Menschen zur Bedürfnisbefriedigung und Nutzensteigerung zur Verfügung steht, ist in den meisten Fällen begrenzt und reicht nicht aus, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Will man unter dieser Restriktion der Knappheit das Ziel der Nutzenmaximierung und Wohlfahrtssteigerung verfolgen, so kommt es ganz wesentlich darauf an, die Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Volkswirtschaftslehre im engeren Sinne ist deshalb die Wissenschaft von der Bewirtschaftung knapper Ressourcen innerhalb der Gesellschaft. Solange bei einer bestimmten Ressource kein Knappheitsproblem vorliegt oder wahrgenommen wird, also (vermeintlich) alle Bedürfnisse gleichzeitig befriedigt werden können und eine Entscheidung zu Gunsten einer Verwendung nicht mit der Entscheidung verbunden ist, auf andere Verwendungen verzichten zu müssen, ist der Einsatz dieser Ressource kein ökonomisches Thema. Dies ist beispielsweise der Grund, warum das Spezialgebiet der Umweltökonomik erst seit rund 50 Jahren zunehmend ernst genommen wird: Man hatte vorher nicht wahrgenommen, dass es sich z. B. auch bei der Atmosphäre oder der Ozonschicht um knappe Ressourcen handelt. In Knappheitssituationen befinden sich Individuen und Kollektive. Die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten knapper Ressourcen bedeuten Zielkonflikte und rationale Entscheidungen erfordern das Abwägen von Nutzen und Kosten. Selbstverständlich erscheinen nur solche Handlungen und Entscheidungen mit der Annahme der rationalen Nutzenmaximierung vereinbar, bei denen die erwarteten Nutzen die Kosten übersteigen. Die wenigsten Menschen benötigen den Rat einer Wirtschaftswissenschaftlerin, um darauf zu kommen, dass sie nur dann ein Studium aufnehmen sollten, wenn sie hoffen, dass das Studium ihnen zumindest auf Dauer mehr Nutzen stiftet als es kostet. Es ist allerdings nicht so <?page no="37"?> 4. Knappheit und Opportunitätskosten 11 einfach, diese Maxime in eine tatsächliche Kosten-Nutzen-Abwägung umzusetzen. Wahrscheinlich gibt es wenige potenzielle Studierende, die sich tatsächlich in einer stillen Stunde bemühen, die erwarteten Kosten und Nutzen vollständig zu erfassen und zu bewerten. Auch Ökonom*innen können einzelnen Abiturient*innen die Entscheidung nicht abnehmen. Schließlich wird es für Außenstehende auf Grund der mangelnden Kenntnis über die Nutzenfunktionen einer anderen Person extrem schwierig, zu definieren, wie hoch deren Nutzen eines Studiums erwartet werden kann. Wie bereits erwähnt, mangelt es uns zumindest bislang an einer vergleichbaren Skala zur Messung von Nutzeneinheiten. Es ist Menschen im Regelfall lediglich möglich, einem anderen Menschen mitzuteilen, ob uns eine Sache mehr oder weniger Nutzen stiftet als eine andere. Mit diesen Informationen lässt sich aber keine mathematische Formel sinnvoll speisen, so dass jedes Individuum für sich alleine den Gesamteffekt einer Entscheidung auf sein Nutzenempfinden beurteilen muss. Ökonom*innen können bei der Abwägung dennoch nützlich sein und sei es nur mit dem Hinweis, die Opportunitätskosten nicht zu vergessen. Denn nicht nur der Nutzen ist schwierig zu definieren, sondern auch die Kosten im ökonomischen Sinne sind nicht so einfach festzustellen wie es zunächst scheint. Kosten sind für Ökonom*innen im Gegensatz zu Buchhalter*innen oder Steuerberater*innen nicht nur die in Geldeinheiten direkt zu leistenden Aufwendungen. Kosten bestehen vielmehr - in Übereinstimmung mit dem Nutzenmaximierungsprinzip und im Bewusstsein um das Problem der Knappheit - in dem Verzicht auf die (Netto-)Nutzenstiftung der nächstbesten anderen Verwendungsmöglichkeit der aufzuwendenden knappen Ressourcen. Der Begriff Opportunitätskosten signalisiert, dass rational entscheidende Individuen, die unter der Knappheitsrestriktion ihren Nutzen bestmöglich steigern wollen, die Kosten und Nutzen einer Entscheidung nur im Vergleich zu alternativen Verwendungsmöglichkeiten (Opportunitäten) der Ressourcen erfassen können, auf die sie verzichten müssen. Die Opportunitätskosten einer Entscheidung bestehen im Verzicht auf die dadurch zugleich nicht verwirklichte (Netto-)Nutzensteigerung, die durch die nächstbeste Alternative erwartet würde. Der komplizierte und im Grunde unnötige Zusatz „Netto“ trägt einem häufigen Missverständnis Rechnung: Natürlich geht es bei den Opportunitätskosten nur um die in einer Gesamtbetrachtung erwarteten entgangenen Nutzensteigerung. Selbstverständlich muss zur Ermittlung der Opportunitätskosten der entgangene Nutzen der nächstbesten Alternative um die andererseits auch ersparten Kosten dieser Alternative bereinigt werden. <?page no="38"?> 12 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Wenn Ökonom*innen von einem Menschen berichtet bekommen, dass er maximal 1,50 Euro für eine Kugel Speiseeis auszugeben bereit wäre, eine Kugel Eis im Eiscafé gegenüber aber nur 1,00 Euro kostet, dann genügt ihm dies noch nicht, um einen Ratschlag zum Kauf oder Verzicht auf den Kauf zu geben. Wenn Carlotta nicht über unendliche Mengen der Ressource Geld verfügt, genügt es eben nicht festzustellen, dass sie sich nach dem Genuss einer Kugel Speiseeis besser fühlt als wenn sie nichts erwirbt, um den Kauf der Leckerei als rational nutzenmaximierende Handlung klassifizieren zu können. Damit die Entscheidung zu Gunsten der Eiskugel empfehlenswert ist, muss der zusätzliche Nutzen durch den Genuss der Eiskugel größer sein, als die Nutzensteigerung, die bei der lohnendsten alternativen Verwendung der eingesetzten Geldmenge erreichbar gewesen wäre, beispielsweise beim Kauf eines Schokoladenriegels. Unter Knappheitsrestriktion genügt es nicht, irgendeine Nutzensteigerung anzustreben. Rationale Nutzenmaximierung erfordert es, die größtmögliche Nutzensteigerung zu wählen. Kostet ein Schokoladenriegel 0,80 Euro und entscheidet sich Carlotta in diesem Beispiel für den Kauf des Riegels statt der Eiskugel, so schließen wir daraus, dass ihr der Schokoladenriegel mehr als 1,30 Euro wert sein muss. Denn Carlotta verzichtet auf den Nutzengewinn in Höhe von 0,50 Euro beim Kauf der Eiskugel, verspricht sich also vom Kauf des Schokoladenriegels einen noch höheren Nutzengewinn. Oder anders: Carlotta verzichtet auf einen (Brutto-)Nutzen von 1,50 Euro, die der Eiskonsum gebracht hätte, muss aber auch die Kosten in Höhe von 1,00 Euro nicht aufwenden. Die Opportunitätskosten des Verzichts auf die Eiskugel betragen also 0,50 Euro. Rational nutzensteigernd ist die Entscheidung für den Schokoladenriegel und gegen die Eiskugel nur dann, wenn die (Netto-)Nutzensteigerung durch den Kauf des Schokoladenriegels mindestens ebenfalls 0,50 Euro beträgt. Bei einem Preis von 0,80 Euro muss sich Carlotta aus dem Kauf eines Schokoladenriegels mindestens 0,80 Euro plus 0,50 Euro = 1,30 Euro an (Brutto-)Nutzen versprechen. Dabei geht es Ökonom*innen keineswegs nur um den Einsatz von Geld, was den meisten Menschen knapp zu sein scheint, wenn sie ihre Wünsche mit ihrem Kontostand abgleichen, sondern um alle Ressourcen, bei denen das betrachtete Individuum aufgrund von Knappheit eine Entscheidung zwischen Alternativen treffen muss. Je nachdem geht es z. B. auch um Zeit, Kraft, Geduld, Vertrauen und vieles andere. Um das Beispiel von weiter oben wieder aufzugreifen: Die Aussage, „Der Studienabschluss ist mir mehr wert als die im Laufe des Studiums für Gebühren und Bücher aufzuwendende Summe, deshalb schreibe ich mich ein.“, lässt <?page no="39"?> 4. Knappheit und Opportunitätskosten 13 Ökonom*innen erschrocken aufhorchen. Wenn die/ der betreffende Studienanwärter*in hingegen auch berücksichtigt, dass in der Zeit des Studiums nicht nur Geldmittel für Gebühren und Bücher aufzuwenden sind, sondern gleichzeitig auch auf Arbeitsentgelt verzichtet werden muss, das in der zum Studium verwendeten Zeit andernfalls verdient werden könnte, atmet die Wirtschaftswissenschaftlerin erleichtert auf; das Prinzip ist erkannt. Die Aufwendungen für Ernährung und Wohnung ebenfalls zu den Kosten des Studiums zu rechnen ohne sie vom entgangenen Einkommen bei alternativer Erwerbstätigkeit in Abzug zu bringen, wie es häufig in den Medien oder in Bedarfsrechnungen von Ausbildungsversicherungen getan wird, stimmt nur dann, wenn die betreffende Person im Falle einer Entscheidung gegen das Studium weder für Speisen und Getränke noch für Wohnraum zahlen müsste. Ansonsten droht die oben erwähnte Gefahr der Vernachlässigung der Beschränkung auf Nettobetrachtungen bei der Opportunitätskostenermittlung. Das Ganze jetzt noch auf andere Ressourcen und Dimensionen auszuweiten, kommt mit der Übung: Jakob und Frieda verzichten im Falle der Immatrikulation nicht nur auf alternative Verwendungsmöglichkeiten der bis hierhin ermittelten Geldsummen, sondern müssen unter Umständen berücksichtigen, dass zumindest in Prüfungsphasen entspannte Fernseh- oder Kneipenabende mit Freund*innen entfallen werden. Eventuell wird die jeweilige Aufnahmekapazität und Konzentrationsfähigkeit zu großen Teilen vom Studium absorbiert werden und daher das früher mit Inbrunst verfolgte Hobby leiden. Und wenn es hart kommt, werden die beiden vielleicht auf Grund der Anspannung und dem Leistungsdruck so sehr mit sich selbst beschäftigt sein und die Geduld ihrer Partner*innen so sehr überstrapazieren, dass die Beziehungen zerbrechen. Auch diese empfindlichen Minderungen des Lebensglücks müsste dann als Opportunitätskosten des Studiums registriert werden. Unter Beachtung der Opportunitätskosten ist eine Entscheidung dann rational, wenn die Kombination aller eingesetzten knappen Ressourcen in der betrachteten Verwendungsmöglichkeit nicht nur überhaupt eine Nutzensteigerung erwarten lässt, sondern auch in der Abwägung sämtlicher alternativer Verwendungsmöglichkeiten der Ressourcen den höchstmöglichen Nutzenzuwachs verspricht. <?page no="40"?> 14 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (5) ein Video zum Thema „Knappheit und Opportunitätskosten“. https: / / t1p.de/ covz 5. Marginalbetrachtung Viele Entscheidungen beziehen sich auf kleine (marginale) Veränderungen bestehender Aktivitäten oder Pläne. Die Entscheidungen im Alltag bestehen selten aus den Alternativen „Alles oder Nichts“. Da sich die erreichbaren Nutzen und aufzuwendenden Kosten pro Einheit in den meisten Situationen je nachdem unterscheiden, wie viele Einheiten man bereits konsumiert oder wie viel man bereits investiert hat, denken Ökonom*innen tendenziell in möglichst kleinen Veränderungen an der Grenze der bereits erreichten Situation. Relevant für eine konkrete Angebots- oder Nachfrageentscheidung sind nicht Gesamtkosten und Gesamtnutzen oder die durchschnittliche Kostenbelastung oder Wertschätzung, sondern die für die gerade zur Entscheidung anstehende kleine Veränderung erwarteten Grenznutzen (zusätzlicher Nutzen der marginalen Veränderung) und Grenzkosten (zusätzliche Kosten der marginalen Veränderung). Stellen Sie sich vor, Sie seien seit Stunden durch Paris von einer Sehenswürdigkeit zur anderen gewandert. Nun sind Sie ausgesprochen erschöpft und hungrig. Die Bistros sind allesamt unverschämt teuer. Wenn Sie wirklich hungrig und erschöpft sind, werden Sie in Ihrer Verzweiflung vielleicht dennoch bereit sein, für ein belegtes Croissant in einem gemütlichen Sessel sieben Euro zu zahlen. Der Nutzen dieser Stärkung, der Grenznutzen des ersten Croissants ist in Ihrem Zustand hoch genug, um die Grenzkosten in Höhe von sieben Euro zu rechtfertigen. Zahlen Sie für das zweite Croissant immer noch sieben Euro oder leben Sie mit dem verbliebenen Appetit? Wie ist es, wenn Sie bereits sehr satt sind, weil Sie bereits das fünfte Croissant verspeist haben? Bei den meisten Menschen wird der Grenznutzen jedes zusätzlichen Croissants abnehmen. Die Grenzkosten hingegen bleiben im Normalfall konstant bei sieben Euro pro Stück, es sei denn, Sie handeln mit dem Kellner einen Mengenrabatt aus. Beachten Sie, dass die Aussage, im Durchschnitt stifte Ihnen ein belegtes Croissant ausreichend Nutzen, um eine Zahlung von 2,50 Euro zu rechtfertigen, relativ sinnlos ist, um im konkreten Fall zu entscheiden, ob Sie <?page no="41"?> 5. Marginalbetrachtung 15 ein Croissant kaufen oder nicht. Es kommt auf die Situation an und damit auf die Marginalbetrachtung, die Beachtung der Grenznutzen und Grenzkosten des nächsten zur Kaufentscheidung bereitliegenden Croissants. Stellen Sie sich umgekehrt vor, Sie seien für die Preisgestaltung der Eintrittskarten einer einmalig stattfindenden Filmvorführung zuständig. Sie hatten mit einem regen Andrang gerechnet und pro Karte zehn Euro verlangt. Fünf Minuten vor Beginn des Films sind leider noch 20 Karten übrig. In diesem Moment kommt die Lehrerin einer Schulklasse zu Ihnen und behauptet, die Schüler*innen könnten den geforderten Preis nicht zahlen, die Gruppe würde aber gerne sämtliche Restkarten zum Preis von je fünf Euro abnehmen. Natürlich werden Sie versuchen, die Lehrerin auf einen Preis von sechs oder sieben Euro hochzutreiben, aber vernünftigerweise werden Sie letztlich auf ihr Angebot eingehen und die Klasse kurz vor Beginn des Filmes zu beinahe jedem Preis in den Saal lassen. Es spielt dabei keine Rolle, wie hoch Ihre Gesamtkosten der Filmvorführung sind und wie teuer deshalb eine Karte durchschnittlich sein muss, um die Veranstaltung wenigstens kostendeckend über die Bühne zu bekommen. 5 Wichtig für die beschriebene Entscheidung sind lediglich die Grenzkosten, die die zusätzlichen 20 Zuschauer*innen verursachen. Diese bestehen nicht in Anteilen der Saalmiete, der Versicherungsprämie oder der Vorführungsgebühr, sie bestehen nicht in Anteilen des Gehalts der Filmvorführerin und nicht in Anteilen der Strom- und Heizkosten. Im Regelfall werden Sie sowohl den Saal als auch die Versicherung, den Film und die Vorführerin pauschal bezahlen müssen, unabhängig davon, wie viele Zuschauer*innen Sie hatten. Und Sie werden den Saal auch beleuchten und heizen müssen, unabhängig davon, ob Sie die Schüler*innen in den Saal lassen oder nicht. Die relevanten Grenzkosten, d. h. die Kosten dieser speziellen kleinen Entscheidung, bestehen nur in den auf Grund der zusätzlichen Zuschauer*innen anfallenden Mehrkosten. Viel mehr als die zusätzlichen Kosten für die Bezahlung einer eventuell etwas länger benötigten Reinigungskraft wird Ihnen nicht einfallen. Sie sollten also auf das Angebot der Lehrerin eingehen, solange die in Aussicht gestellten Eintrittsgelder der Schulklasse diese Zusatzkosten übersteigen. 5 Schließlich haben Sie auf Grund der Einmaligkeit der Veranstaltung nicht damit zu rechnen, dass beim nächsten Mal alle bis kurz vor Beginn warten und dann mit Ihnen um den Preis feilschen. <?page no="42"?> 16 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (6) ein Video zum Thema „Grenzkosten- und Grenznutzen“. https: / / t1p.de/ covz 6. Tausch und Handel, Spezialisierung und Arbeitsteilung Tausch und Handel verbessern die Wohlfahrtssituation der beteiligten Individuen. Diese triviale Einsicht versucht man heute zwar bereits im Kindergarten zu vermitteln, hier sollen die Segnungen dieser grundlegenden Marktprozesse aber noch einmal vergegenwärtigt werden. Ohne Tausch und Handel müsste jede Wirtschaftseinheit (also jedes Dorf oder jede Sippe, jede Familie oder im Extrem: jedes Individuum) sämtliche benötigten oder erwünschten Güter selbst herstellen und könnte nur Güter konsumieren oder zur Produktion verwenden, über die sie bereits verfügt. Überdenken Sie kurz Ihre persönlichen Fähigkeiten. Wie weit kämen Sie, wenn Sie Ihre Wohnung selbst errichten müssten, eine Waschmaschine konstruieren, ein Auto montieren und ein Computerprogramm schreiben wollten? Können Sie wenigstens Brot backen, Schweine schlachten und Kleider schneidern? Selbst wenn Ihnen all dies gelingen würde: Sie bekämen niemals Oliven, Kaffee und Bananen. Bereits in der statischen Betrachtung bei gegebenen Ausstattungen ermöglicht Tausch beidseitige Wohlfahrtsgewinne, wenn zwei Tauschpartner*innen über unterschiedliche Güterausstattung und/ oder über unterschiedliche Präferenzen verfügen. Stellen Sie sich zwei Überlebende eines Flugzeugunglücks vor. Der eine konnte eine Tasche mit Lebensmitteln retten, der andere verfügt über Streichhölzer und damit über die Möglichkeit, nachts wilde Tiere fernzuhalten. Wahrscheinlich können beide ihre Wohlfahrtssituation verbessern, indem der eine den anderen mit Lebensmitteln versorgt und der andere den ersten mit an das Feuer lässt. Oder stellen Sie sich zwei Schulkinder vor, die jeweils ein Käse- und ein Wurstbrötchen für die Pause mitbekommen haben, obwohl das eine Kind viel lieber Wurst isst, das andere hingegen Käse bevorzugt. Wirklich geniale Wirkung entfaltet die Tauschmöglichkeit allerdings in dynamischer Hinsicht: Erst die Aussicht auf einen späteren Tausch erlaubt es, dass sich irgendjemand auf der Welt auf die Herstellung bestimmter Güter, auf die Verrichtung eines Handwerks oder einer Dienstleistung konzentriert, sich also auf eine Tätigkeit spezialisiert. Die Spezialisierung aber ermöglicht es, wenige <?page no="43"?> 6. Tausch und Handel, Spezialisierung und Arbeitsteilung 17 Fertigkeiten zu perfektionieren und darin besser, geschickter, schneller und mithin produktiver zu werden, statt alle erforderlichen Dinge mehr schlecht als recht selbst zu erledigen. Selbst wenn Sie der sozial-romantischen Vorstellung anhängen, der weitgehend autark arbeitende Mensch, der heute Kartoffeln anbaut, morgen einen Brunnen bohrt und übermorgen einen neuen Brennofen für die eigene kleine Töpferwerkstatt baut, habe auf Grund seiner ganzheitlichen Erfahrung und Bodenhaftung ein viel erbaulicheres und freieres Leben: Sie werden zugeben müssen, dass Sie die Grenze wünschenswerter Spezialisierung nur weiter fassen als andere, sie aber nicht gänzlich ablehnen. Auch so wichtige und bereits früh in der Menschheitsgeschichte entwickelte Spezialisierungen wie das besondere Wissen der Ärztin (oder ihrer Vorgängerinnen der Kräutergelehrten, Medizinfrau, Druidin etc.) sind nur denkbar, wenn sich die betreffende Person mit einem Großteil ihrer Zeit und Schaffenskraft der Spezialisierung widmet, weil sie in anderen Belangen auf die Versorgung durch andere rechnen kann. Tausch und Handel ermöglichen den einzelnen Menschen die Spezialisierung auf Tätigkeiten, für die sie auf Grund besonderer Voraussetzungen, besonderer Begabung oder besonderen Interesses gut geeignet sind. Dabei kann aus ökonomischer Perspektive jede oder jeder Einzelne mehr oder weniger selbst entscheiden, ob sie oder er die eigene Spezialisierung so wählt, dass mit einem höheren Einkommen gerechnet werden kann oder so, dass persönliche Interessen verfolgt und das Hobby zum Beruf gemacht wird: Wer sich darauf spezialisiert, die eigenen Voraussetzungen bestmöglich einzusetzen und die eigenen Talente zu perfektionieren um diese für andere einzusetzen, wird tendenziell höhere Einkommen erzielen. Wer sich hingegen im Grenzfall trotz ungünstiger Voraussetzungen und dramatischer Talentlosigkeit einer Tätigkeit verschreibt obschon niemand Beifall zollt, verzichtet freiwillig auf höhere Einkommen, maximiert damit aber vielleicht trotzdem das persönliches Lebensglück (vgl. Grundgedanke der Nutzenmaximierung in Abschnitt I.3.). Vielen Menschen bereitet es natürlich besondere Freude, Erfolgserlebnisse zu verzeichnen und Anerkennung von Dritten zu erfahren. In diesen Fällen macht vielleicht Freude, wofür auch Talent vorhanden ist und was aufgrund der Nachfrage anderer auch Einkommen verspricht. Die Spezialisierung auf Dinge, die man gut kann, ist wiederum nicht nur die wesentliche Grundlage für unser bequemes Leben wegen der bei Nutzung der Spezialisierungsgewinne besseren Versorgung mit materiellen Gütern, sondern auch die Grundvoraussetzung zur Entwicklung von Kunst und Wissenschaft. Umgekehrt machen die Spezialisierung und Arbeitsteilung aus den Menschen <?page no="44"?> 18 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken in modernen Gesellschaften eine Spezies, die auf die soziale Interaktion des Tausches mit anderen angewiesen ist, um ein möglichst komfortables Lebenshaltungsniveau zu erreichen. Ein Verzicht auf Tausch und Handel, beispielsweise die Ablehnung der Nutzung anonymer Märkte oder protektionistische Ablehnungen grenzüberschreitenden Handels, würde daher immer mit einem entsprechenden Verzicht auf die Spezialisierungsgewinne einhergehen. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (7) ein Video zum Thema „Tausch, Handel, Spezialisierung und Arbeitsteilung“. https: / / t1p.de/ covz 7. Komparative Vorteile und relative Preise Beruhigend für die Ungeschickten oder weniger Selbstbewussten ist dabei die wichtige ökonomische Erkenntnis, dass die Einbeziehung jeder Person in Tausch- und Handelsbeziehungen sowohl für die Gemeinschaft als Ganzes als auch für alle Beteiligten solange vorteilhaft ist, wie noch irgendwelche Bedürfnisse irgendeines Gesellschaftsmitgliedes mithilfe dieser Person befriedigt werden können. Wesentlich für die Vorteilhaftigkeit der Spezialisierung und des Tauschs sind nämlich nicht absolute, sondern komparative Vorteile. 6 Es kommt also nicht darauf an, irgendeine berufliche Tätigkeit auszuüben, die man besser kann als andere Menschen, sondern lediglich, sich auf eine Tätigkeit zu spezialisieren, die man selbst besser kann als andere Tätigkeiten. 7 Niemand ist 6 Die zu Grunde liegende Theorie der komparativen Kostenvorteile geht auf den englischen Ökonomen David Ricardo (1772 - 1823) zurück. 7 An dieser Stelle muss man zwei sehr wichtige Anmerkungen machen: Zum Ersten sind hier freiwillige und friedliche Transaktionen gemeint, d. h. eine sehr wichtige Bedingung ist, dass nur die freiwillige Zustimmung der Tauschpartner*in als legitime Grundlage eines Besitzerwechsels akzeptiert wird. Raub, Betrug, Nötigung, Erpressung und Mord als Methoden des Gütererwerbs müssen durch die Errichtung einer entsprechenden Gesellschaftsordnung ausgeschlossen werden. Zum Zweiten ist die hier betrachtete Gesellschaftsordnung eine sehr einfache, in der von komplizierten strategischen Interaktionen abstrahiert wird. So mag es in Deutschland zurzeit sehr wohl von einigen Gesellschaftsmitgliedern erwünscht sein, dass Arbeitslose nicht zum Produktionsprozess beitragen. Dies liegt aber nicht an realwirtschaftlichen Zusammenhängen, sondern an fehlkonstruierten gesellschaftlichen Systemen. <?page no="45"?> 7. Komparative Vorteile und relative Preise 19 so ungeschickt oder langsam, dass ihr oder sein möglicher Beitrag zum Marktgeschehen nicht begrüßt werden würde. Diese wichtige Erkenntnis erschließt sich leichter, wenn man sich ein simples Zahlenbeispiel erarbeitet. Stellen Sie sich vor, die Tauschgemeinschaft bestünde lediglich aus zwei Landwirt*innen, die ihre gesamte Arbeitszeit auf die Herstellung von Fleisch und Kartoffeln aufteilen. Denken Sie sich also eine Welt aus zwei Personen, in denen man als Ressource alleine die zur Verfügung stehende Zeit betrachtet und in der sich die Bedürfnisse der Personen auf zwei Güter beschränken. Nehmen Sie nun an, sowohl Bauer Meier als auch Bauer Schmitt wären beide in der Lage, sowohl Fleisch als auch Kartoffeln herzustellen, Bauer Meier ist jedoch in beiden Tätigkeiten ungeschickter als Schmitt: Meier braucht zur Herstellung für 1 kg Kartoffeln 10 h und für 1 kg Fleisch 20 h Schmitt braucht zur Herstellung für 1 kg Kartoffeln 5 h und für 1 kg Fleisch 15 h Bevor die beiden auf die Idee kommen, miteinander in Austauschbeziehungen zu treten, sehen sich beide gezwungen, ihre verfügbare Arbeitszeit von beispielsweise 100 Stunden auf die Herstellung von Fleisch und Kartoffeln so aufzuteilen, wie es ihren Fähigkeiten und Konsumwünschen entspricht. 8 In 100 h produziert Meier z. B. 6 kg Kartoffeln (60 h) und 2 kg Fleisch (40 h) in 100 Stunden produziert Schmitt z. B. 8 kg Kartoffeln (40 h) und 4 kg Fleisch (60 h) Nehmen wir an, Meier entscheidet sich, 60 von 100 Stunden auf die Produktion von sechs Kilo Kartoffeln zu verwenden und in den verbleibenden 40 Stunden zwei Kilo Fleisch herzustellen. Schmitt unterstellen wir, dass er 40 von 100 Stunden auf die Produktion von acht Kilo Kartoffeln verwendet, was ihm 60 Stunden für die Fleischproduktion belässt und vier Kilo Fleisch in die Speisekammer bringt. Wir können als Zwischenergebnis festhalten, dass - wie nicht anders zu erwarten - Bauer Schmitt ein luxuriöseres Leben genießt als der weniger talentierte Bauer Meier. Dies liegt eindeutig an seinen absoluten 8 In Abschnitt II.6. werden wir genauer untersuchen, wie Individuen nach der Vorstellung der Ökonom*innen diese anspruchsvolle Entscheidung treffen. <?page no="46"?> 20 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Kostenvorteilen. Wenn Bauer Schmitt sowohl die Produktion von Fleisch als auch die von Kartoffeln weniger Zeit kostet als Bauer Meier und wenn beide über gleich viel Zeit verfügen, dann ist es unmittelbar einleuchtend, dass Schmitts Speisekammer besser gefüllt sein wird als Meiers. Der bereits eingeführte Gedanke der Opportunitätskosten lässt uns jedoch noch einen anderen Aspekt erkennen. Selbstverständlich verursacht die Herstellung von Fleisch und Kartoffeln jeweils Opportunitätskosten, denn die zur Fleischproduktion eingesetzte Zeit steht nicht mehr zur Herstellung von Kartoffeln zur Verfügung und umgekehrt. Die Herstellung von Fleisch und Kartoffeln hat also „ihren Preis“, der sich in dieser geldlosen Gesellschaft in Einheiten des jeweils anderen Guts ausdrücken lässt, also als relativer Preis. Auf Grund der angenommenen Fertigkeiten der beiden lassen sich die Opportunitätskosten wie folgt ermitteln und als relative Preise ausdrücken: Meier braucht zur Herstellung eines Kilos Fleisch genau doppelt so lange (20 Stunden) wie zur Herstellung eines Kilos Kartoffeln (zehn Stunden), ein Kilo Fleisch kostet ihn also zwei Kilo Kartoffeln. Oder umgekehrt, ein Kilo Kartoffeln kostet ihn ein halbes Kilo Fleisch. Bei Schmitt gestalten sich die relativen Preise anders, denn Schmitt braucht zur Herstellung eines Kilos Fleisch zwar kürzer als Meier (15 Stunden), aber dreimal so lange wie zur Herstellung von einem Kilo Kartoffeln (fünf Stunden). Ein Kilo Fleisch kostet ihn also drei Kilo Kartoffeln; ein Kilo Kartoffeln kostet ihn ein Drittel Kilo Fleisch. Relative Preise für Meier : 1 kg Kartoffeln = 1/ 2 kg Fleisch 1 kg Fleisch = 2 kg Kartoffeln Relative Preise für Schmitt : 1 kg Kartoffeln = 1/ 3 kg Fleisch 1 kg Fleisch = 3 kg Kartoffeln Interessanterweise erkennt man in dieser Darstellung leicht, dass in relativen Preisen gemessen bei Bauer Meier ein Kilo Fleisch billiger ist als bei Bauer Schmitt. Umgekehrt verursacht ein Kilo Kartoffeln gemessen im dazu erforderlichen Verzicht auf Fleisch bei Bauer Schmitt geringere Kosten als bei Bauer Meier. Diese Betrachtungsweise fokussiert die komparativen Vorteile der beiden und führt zum wesentlichen Vergleich, wenn es um die durch Tauschbeziehungen erreichbaren Vorteile der Spezialisierung geht. Ökonom*innen würden - falls die Aussicht auf spätere Tauschmöglichkeiten besteht - aufgrund dieser Betrachtung dem untalentierteren Bauer Meier empfehlen, sich vollständig auf die Produktion von Fleisch zu spezialisieren, bei der er über komparative Vorteile verfügt. Seinen Bedarf an Kartoffeln sollte er im anschließenden Tausch mit Schmitt decken können. Nehmen wir also an, dass Meier und <?page no="47"?> 7. Komparative Vorteile und relative Preise 21 Schmitt vereinbaren, sich nach 100 Stunden Nahrungsmittelproduktion zu treffen und Fleisch gegen Kartoffeln zu tauschen, um bessere Ergebnisse zu erzielen als in Autarkie. Meier konzentriert sich vollständig auf die Fleischproduktion und stellt in 100 Stunden fünf Kilo Fleisch her. Schmitt kann in Erwartung des Tauschgeschäfts seine Produktion von Fleisch reduzieren und sich stärker um die Kartoffelproduktion kümmern, bei der er komparative Vorteile hat. Beispielsweise könnte er nur noch ein Kilo Fleisch produzieren, so dass Meier und Schmitt insgesamt so viel Fleisch herstellen wie in Autarkie. Dies belässt Schmitt die Möglichkeit, 85 Stunden auf die Produktion von Kartoffeln zu verwenden und dabei 17 Kilo herzustellen. In 100 h produziert Meier nun z. B. 5 kg Fleisch (100 h) In 100 h produziert Schmitt nun z. B. 17 kg Kartoffeln (85 h) und 1 kg Fleisch (15 h) Nehmen wir an, Schmitt und Meier feilschen anschließend nicht lange, sondern einigen sich unkompliziert auf ein Tauschverhältnis von 2,5 Kilo Kartoffeln gegen ein Kilo Fleisch. Schließlich war der relative Preis in Autarkie in Meiers Fall zwei Kilo Kartoffeln für ein Kilo Fleisch und in Schmitts Fall drei Kilo Kartoffeln für ein Kilo Fleisch. Meier könnte nun also drei Kilo Fleisch an Schmitt übergeben und dafür 7,5 Kilo Kartoffeln von Schmitt erhalten. Nach der spezialisierten Produktion und dem anschließenden Tausch würden damit sowohl Meier als auch Schmitt jeweils über genauso viel Fleisch, aber über jeweils 1,5 Kilo Kartoffeln mehr verfügen als in Autarkie. Nach Tausch verfügt Meier z. B. über 7,5 kg Kartoffeln und 2 kg Fleisch Nach Tausch verfügt Schmitt z. B. über 9,5 kg Kartoffeln und 4 kg Fleisch Zu welchem Preis, d. h. zu welchem Tauschverhältnis die beiden den Tausch vollziehen, ist letztlich Verhandlungssache und in unserem kleinen Beispiel kaum zu bestimmen. Jedes Tauschverhältnis zwischen den jeweiligen relativen Preisen in Autarkie ergibt für beide vorteilhafte Ergebnisse. So könnte Meier unter Umständen Schmitt dazu bringen, für ein Kilo Fleisch 2,9 Kilo Kartoffeln zu tauschen. Schließlich ist das für Schmitt noch immer günstiger als auf die Spezialisierungsvorteile zu verzichten, denn ohne Tauschbeziehung mit Meier muss er für jedes Kilo Fleisch auf drei Kilo Kartoffeln verzichten. Oder Schmitt <?page no="48"?> 22 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken setzt sich mit seinem Vorschlag durch, für jedes Kilo Fleisch nur 2,1 Kilo Kartoffeln zu tauschen. Schließlich würde Meier in Autarkie für jedes Kilo Fleisch auf das er verzichtet nur zwei Kilo Kartoffeln gewinnen. 9 Wichtig ist die Erkenntnis, dass immer beide Tauschpartner auf die Tauschbereitschaft des jeweils anderen angewiesen sind. Um die Tauschbereitschaft zu erhalten, muss jedem der Tauschpartner ein Vorteil aus dem Tausch entstehen, ansonsten könnte er am Autarkiezustand festhalten. Solange es eine knappe Ressource gibt, wie im Beispiel die Zeit, und solange die Bedürfnisse nicht vollständig befriedigt sind, also sowohl Schmitt als auch Meier mehr Kartoffeln bei gleich viel Fleisch begrüßen, haben beide Tauschpartner einen Vorteil aus der Spezialisierung. Schmitt muss also kein besonders freundlicher Mensch sein, um sich auf einen Tausch mit Meier von Kartoffeln gegen Fleisch einzulassen, obwohl er sowohl in der Kartoffelals auch in der Fleischproduktion besser ist als Meier. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (8) ein Video zum Thema „David Ricardo & Komparative Vorteile“. https: / / t1p.de/ covz 8. Pareto-Kriterium, allokative Effizienz und Prozessbetrachtung Das bis heute wichtigste ökonomische Kriterium zur Beurteilung der Wohlfahrt einer Gesellschaft ist das zunächst abstrakt anmutende Pareto-Kriterium 10 . Da das Wohlbefinden von Individuen ebenso wenig objektivierbar ist wie einzelne Nutzenveränderungen von Individuen durch bestimmte Veränderungen ihrer 9 Der gesamte Vorteil aus der Spezialisierung und dem Tausch liegt in den zusätzlich produzierten drei Kilo Kartoffeln. Wer sich von diesem Vorteil mehr aneignen kann, ist nicht ohne weiteres vorherzusagen. Es muss keineswegs so sein, dass beide 1,5 Kilo Kartoffeln mehr haben werden als in Autarkie. Wenn sich Meier mit seinem Vorschlag durchsetzt, würde er über 2,7 Kilo Kartoffeln mehr verfügen als vorher, während sich Schmitts Vorteil auf nur 300 Gramm beschränken würde. Setzt sich Schmitt durch, so gibt er für die drei Kilo Fleisch von Meier nur 6,3 Kilo Kartoffeln ab und vereinnahmt so 2,7 Kilo des Spezialisierungsgewinns. 10 So benannt nach dem italienischen Soziologen und Ökonom Vilfredo Pareto (1848-1923), auf dessen 1909 erschienenes Werk „Manuel d’Economie Politique“ das Kriterium zurückgeht. <?page no="49"?> 8. Pareto-Kriterium, allokative Effizienz und Prozessbetrachtung 23 jeweiligen Güterausstattungen oder Lebenssituationen, ist ein interpersoneller Nutzenvergleich unmöglich. Wir können also zwar eventuell erfragen, ob eine bestimmte Maßnahme die Wohlfahrt einer bestimmten Person verbessert (ihr einen Nutzenzuwachs beschert) oder verschlechtert (für sie mit einer Nutzenminderung einhergeht). Mangels Objektivierbarkeit des Ausmaßes der Nutzenveränderungen und mangels eines Maßstabs zur Vergleichbarkeit der Befindlichkeiten der einzelnen Menschen untereinander, können wir aber keine vergleichenden Aussagen über die Wohlfahrt der Individuen treffen. Ein „interpersoneller Nutzenvergleich“ bleibt damit ausgeschlossen. Darüber hinaus würde man aber ohnehin noch zusätzlich eine Methode benötigen, mittels derer aus einer übergeordneten gesellschaftlichen Perspektive die Nutzenveränderungen einzelner Gesellschaftsmitglieder bewertet werden könnten. Um Aussagen über die Wohlfahrtsveränderung der Gesellschaft zu treffen, würde es nicht genügen, sinnvoll erfassen und angeben zu können, dass eine bestimmte Maßnahme den Nutzen von Frieda stärker erhöht als sie den Nutzen von Carlotta verringert. Man müsste auch beurteilen können, ob diese Nutzensteigerung von Frieda der Gesellschaft die entsprechende Nutzenminderung von Carlotta wert ist. Man bräuchte also zusätzlich zu einem Maßstab der interindividuellen Nutzenvergleichbarkeit eine „gesellschaftliche“ oder „soziale“ Wohlfahrtsfunktion, die eine mathematische Beziehung zwischen den Nutzenveränderungen der Gesellschaftsmitglieder herstellen würde. Es sollte klargeworden sein, dass beide Bedingungen zurzeit nicht erfüllt sind und glücklicherweise den meisten Menschen auch schon alleine der Gedanke an solch einen Versuch zutiefst zuwider ist. Daraus lässt sich leicht folgern, dass aus gesellschaftlicher Perspektive zwei verschiedene Situationen eben immer dann nicht miteinander verglichen und beurteilt werden können, wenn sich durch den Wechsel von der einen zur anderen Situation ein oder mehrere Gesellschaftsmitglieder einen Nutzenzuwachs versprechen, ein oder mehrere andere Menschen aber eine Nutzenminderung erwarten. Umgekehrt können dann aber eindeutige Aussagen zur Wohlfahrt getroffen werden, wenn keine einander entgegengerichteten Veränderungen der Nutzenempfindungen der beteiligten Individuen auftreten. Eine Maßnahme erhöht nach dem Pareto-Kriterium immer dann eindeutig die Wohlfahrt der betrachteten Gruppe, wenn sich auf Grund der Maßnahme der Nutzen mindestens einer Person erhöht, ohne dass sich der Nutzen einer anderen Person verringert. Sie haben häufig genug Ökonom*innen von Effizienz und Allokation sprechen gehört. Es lässt sich bereits an dieser Stelle verdeutlichen, was es mit diesen Begriffen auf sich hat. <?page no="50"?> 24 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Von Allokation sprechen Wirtschaftswissenschaftler*innen, wenn es um die Zuordnung der knappen Ressourcen zu bestimmten Verwendungen geht. Jede unterschiedliche Aufteilung von Ressourcen auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten dieser Mittel entspricht einer anderen Ressourcen-Allokation (lat. allocare: platzieren, zuweisen). Ökonom*innen suchen nun beständig nach effizienten Allokationen, bzw. nach Mechanismen, die die in einer Gesellschaft vorhandenen Ressourcen effizient allozieren. Im Gegensatz zum verwirrenden Alltagssprachgebrauch ist für Ökonom*innen der Begriff Effizienz keinesfalls als Synonym zum Begriff „Effektivität“ zu gebrauchen. Effektiv ist jedes Verhalten, das ein bestimmtes vorgegebenes Ziel überhaupt erreichen lässt. Dies ist unabhängig vom Aufwand, der zur Zielerreichung nötig ist, d. h. effektiv ist jede Methode ein Ziel zu verfolgen, die letztlich irgendwie zum Erfolg führt. Ökonom*innen mit ihrem ständigen Fokus auf die Nutzensteigerung unter der Restriktion allgegenwärtiger Knappheiten genügt es bei weitem nicht, effektive Maßnahmen zu suchen. Vorgegebene Ziele sollen nicht nur irgendwie, sondern mit so wenig Verzicht auf andere nutzenstiftende Ressourcenverwendungsmöglichkeiten erreicht werden wie möglich. Effizient ist nur die Methode, die ein vorgegebenes Ziel mit geringstmöglichem Aufwand erreicht. 11 Das so genannte Ökonomische Prinzip beschreibt die Daumenregel, wie trotz der Knappheit der zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst viele der unbegrenzten Bedürfnisse von Menschen befriedigt werden können, in zwei Ausprägungen: Entweder soll der Mitteleinsatz zur Erreichung eines vorgegebenen Ziels so gering wie möglich sein (Minimalprinzip) oder mit einem vorgegebenen Mitteleinsatz soll eine möglichst hohe Zielerreichung gelingen (Maximalprinzip). Entweder, Sie versuchen so schnell wie möglich eine drei Kilometer lange Strecke hinter sich zu bringen, weil Sie dort Ihr Ziel erreicht haben, oder Sie versuchen, in einer Stunde möglichst weit zu laufen, weil Sie ohnehin noch viel weiter müssen, als es Ihnen in dieser Stunde gelingen wird. Die aus irgendeinem Grund weit verbreitete Ansicht, es sei besonders reizvoll anzustreben, mit minimalem Mitteleinsatz ein maximales Ergebnis zu erzielen, ist hingegen wissenschaftlich unbrauchbar. Um eine effiziente Vorgehensweise zu identifizieren, müssen Sie entweder den Mitteleinsatz oder das Ziel vorge- 11 Mithin ist eine effiziente Methode immer auch effektiv, nicht aber jede effektive Methode auch effizient. Vielleicht hilft die folgende Eselsbrücke: Effektivität bedeutet „etwas tun, was zum Richtigen führt“ - Effizienz bedeutet „etwas richtig tun“. <?page no="51"?> 8. Pareto-Kriterium, allokative Effizienz und Prozessbetrachtung 25 ben. Der Versuch, gleichzeitig das Minimal- und das Maximalprinzip umzusetzen, ermöglicht Ihnen keine logische Beurteilung des Erfolgs eines Prozesses: Möglichst schnell möglichst weit zu laufen beispielsweise ist kein Ziel, dessen Erreichbarkeit beurteilt werden kann. Es genügt nur als umgangssprachlicher Appell überhaupt loszulaufen und Gas zu geben. Irgendwann im Laufen muss dann aber präzisiert werden: Beschließt man nach 30 Minuten an der Schmerzgrenze, nun sei man lange genug gelaufen, dann folgt man wohl dem Maximalprinzip (in 30 Minuten so weit wie möglich). Beschließt man hingegen nach fünf Kilometern, die Strecke reiche nun, dann operiert man nach dem Minimalprinzip (fünf Kilometer so schnell wie möglich). Das Pareto-Kriterium ist ein Effizienz-Kriterium. Mit seiner Verwendung orientieren sich Ökonom*innen an dem Ziel, die insgesamt in einer Gesellschaft vorhandenen knappen Ressourcen so zu allozieren, dass eine weitere Erhöhung der Wohlfahrt irgendeines Gesellschaftsmitglieds nur noch möglich wäre, wenn gleichzeitig mindestens ein anderes Gesellschaftsmitglied Nutzeneinbußen erleiden würde. Eine Situation ist (allokativ) effizient, wenn es nicht mehr möglich ist, durch eine andere Zuordnung der Ressourcen ein Individuum besser zu stellen, ohne gleichzeitig ein anderes schlechter zu stellen. Mit anderen Worten: Pareto-Effizienz ist erreicht, wenn es keine Maßnahme mehr gibt, die mindestens ein Individuum eindeutig begrüßen und gegen die kein Individuum ablehnend Einspruch erheben würde. Maßnahmenvorschläge, die ein Gesellschaftsmitglied begrüßt und gegen die niemand etwas einzuwenden hat, sollten entsprechend dieser Überlegungen immer umgesetzt werden. Würde man solchen Vorschlägen nicht folgen, würde es der Verschwendung von knappen Ressourcen bei der Verfolgung des Ziels der allgemeinen Wohlfahrtsverbesserung entsprechen. Allokative Effizienz ist mithin durch die Abwesenheit von Verschwendung gekennzeichnet. Pareto-Effizienz sagt nichts über die Verteilung der knappen Ressourcen unter den Individuen aus (Distribution). Je nach Anfangsausstattung der Individuen mit Ressourcen sind vollkommen unterschiedliche Allokationen pareto-effizient. Das Effizienzkriterium löst keine Verteilungskonflikte, lässt sie aber immerhin als solche erkennen und sorgt durch die Abwendung von Verschwendung immerhin dafür, dass das zur Verteilung zur Verfügung stehende Güterbündel möglichst groß ist. Was machen Ökonom*innen nun mit ihrer Weisheit? Schließlich können wir nicht permanent in der Gegend herumlaufen und alle 80 Millionen Bürger*innen in Deutschland befragen, ob die ständig neuen Allokationsvorschläge von irgendeinem Gesellschaftsmitglied als Nutzenminderung empfunden werden: <?page no="52"?> 26 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Unternehmerin Schmitt hätte gerne mehr Öl. Irgendjemand dagegen? Familie Meier möchte ein Wohnmobil. Alle einverstanden? Matilda möchte ein Eis und außerdem weniger Hausaufgaben. Stört das jemanden? Wir stoßen wieder auf das Problem, dass sich Ökonom*innen mit der Wahl der Nutzenkategorie und mit dem Ziel der Wohlfahrtssteigerung erhebliche Schwierigkeiten bereitet haben. 12 Einen Weg aus diesem Dilemma bietet die Prozessbetrachtung. Ökonom*innen versuchen im Alltag nicht, bestimmte Allokationsergebnisse an sich zu beurteilen, sondern konzentrieren sich auf die Betrachtung der Prozesse, die zu diesen Ergebnissen geführt haben. Kern dieser Herangehensweise ist wieder die Faszination, die der freiwillige Tausch auf Wirtschaftswissenschaftler*innen ausübt. Vereinfacht ausgedrückt suchen Ökonom*innen permanent nach Beschränkungen freier Tauschhandlungen, hinterfragen diese Beschränkungen und suchen nach Möglichkeiten institutioneller Arrangements, mithilfe derer auf diese Tauschbeschränkungen verzichtet werden könnte. Denn letztlich folgern Ökonom*innen üblicherweise, dass eine bestimmte Reallokation von Ressourcen wohlfahrtsförderlich im Sinne des Pareto-Kriteriums ist, wenn sie das Ergebnis einer freiwilligen Tauschhandlung darstellt. Wenn also z. B. sowohl Matildas Vater als auch Matilda mit dem Kompromiss zufrieden sind, dass Matilda ein Eis bekommt, dann aber ohne weiteres Theater ihre Hausaufgaben erledigt, so liegt die Vermutung nahe, dass sich beide mit diesem Geschäft bessergestellt haben. Der Rückschluss auf eine Wohlfahrtsverbesserung bei Beobachtung eines freiwilligen Tausches resultiert unmittelbar aus der normativen Grundposition des methodologischen Individualismus (und der Konsumentensouveränität) in Verbindung mit der Annahme der rationalen Nutzenmaximierung. Es gibt keine Möglichkeit, unabhängig von den Tauschhandlungen der einzelnen Individuen in irgendeinem Sinne „richtige“ Preise oder Tauschverhältnisse festzustellen: Der Wert irgendwelcher Güter, Dienstleistungen oder Regeländerungen kann nicht losgelöst von den Nutzen der beteiligten Individuen ermittelt werden. Diese Nutzen sind aber wiederum weder objektiv feststellbar, noch können sie zwischen Personen vergleichbar gemacht werden. Wenn wir aber gleichzeitig unterstellen, dass alle Individuen rational ihren Nutzen maximieren, so bedeutet jede freiwillige Tauschhandlung, dass sich die Tauschpartner*innen 12 In den Bachelor-Vorlesungen für Wirtschaftswissenschaftler wird dieses Problem zwar erwähnt, dann aber meistens ausgeblendet: Die Studierenden bekommen dann von den Übungsleiter*innen algebraisch formulierte Nutzenfunktionen vorgegeben, die man zwar herrlich zur Lösung des mathematischen Maximierungsproblems nutzen kann, die aber selbstverständlich völlig willkürlich ausgedacht sind. <?page no="53"?> 8. Pareto-Kriterium, allokative Effizienz und Prozessbetrachtung 27 jedenfalls nicht schlechter stellen. Schließlich würden sie dem Tausch sonst nicht zustimmen. Im Regelfall erwarten wir, dass sich die beteiligten Tauschpartner*innen besserstellen, sich also zumindest einen winzigen Vorteil aus der freiwilligen Tauschhandlung erwarten. Zur Erfüllung des Pareto-Kriteriums genügt es jedoch festzustellen, dass sich niemand schlechter stellt. Die Prozessbetrachtung ermöglicht es Ökonom*innen, verschiedene Allokationen zu beurteilen. Andererseits können auf Basis dieser Überlegungen natürlich nur Ergebnisse von Prozessen bewertet werden, die bereits beobachtbar sind. Ohne die Beobachtung von Tauschhandlungen oder unterlassenen Tauschhandlungen können keine Aussagen über mögliche Wohlfahrtsverbesserungen getroffen werden, die auf individuellen Präferenzen basieren. Ein simples Beispiel: Ökonom*innen können nicht im Vorhinein entscheiden, ob sich der Mehraufwand einer Metallic-Lackierung für PKW als Wohlfahrtssteigerung niederschlägt. Beobachten Ökonom*innen hingegen, dass Jakob bereit ist, für diese Metallic-Lackierung einen Aufpreis zu zahlen, zu dem die Autolackiererin Matilda sowohl die Mehrkosten für den Lack als auch ihren zusätzlichen Aufwand gerne trägt, dann können wir auf Grund des freiwilligen Tauschprozesses darauf schließen, dass sich beide besserstellen und mithin eine Wohlfahrtsverbesserung stattfindet. Diese Begrenzung der Beurteilungsmöglichkeiten auf beobachtbare Prozesse bedeutet zugleich, dass es in der praktischen Anwendung beinahe nie möglich ist, tatsächlich auf die Pareto-Effizienz einer Maßnahme zu schließen. Geläufiger ist daher die vergleichende Bewertung von Situationen: Eine Situation A ist gegenüber einer Situation B pareto-superior, wenn sich mindestens ein beteiligtes Individuum besserstellt, ohne dass ein anderes beteiligtes Individuum gleichzeitig schlechter gestellt wird. Die Aussage, dass Situation A gegenüber Situation B eine Pareto-Verbesserung darstellt, also dass Situation A gegenüber Situation B nach dem Pareto-Kriterium überlegen und vorzugswürdig ist, lässt sich nach jeder Tauschhandlung treffen. Die abschließende Beurteilung einer Situation als pareto-effizient ist hingegen erst möglich, wenn der Vergleich aller erreichbaren Situationen abgeschlossen ist: Eine Situation C ist pareto-effizient, wenn keine andere Situation erreichbar ist, die gegenüber der Situation C pareto-superior wäre. <?page no="54"?> 28 I. Volkswirtschaftliche Grundgedanken Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (9) ein Video zum Thema „Pareto-Effizienz“ und unter der Nummer (10) ein Video zu den Begriffen „Effizienz, Effektivität & Ökonomisches Prinzip“. https: / / t1p.de/ covz <?page no="55"?> II. Die Theorie der Haushalte 1. Vorbemerkung: Wozu diese Modell-Technik? Man kann die ökonomische Denkweise und Analysemethode nicht kennen lernen, ohne sich das theoretische Instrumentarium anzusehen. So kann auch dem Leserkreis dieses Buches ein Mindestmaß an theoretisch formaler Analyse nicht erspart werden. Sie werden sich in den folgenden Kapiteln das Gerüst der ökonomischen Theorie in grundlegenden Ausschnitten aneignen und dabei erfahren, wie Ökonom*innen die komplexe Realität in der Modellbildung vereinfachen und dadurch in der Lage sind, in einem in sich geschlossenen logischen System zu arbeiten. Der Vorteil dieses Denk- und Analysegerüsts liegt darin, dass sich die einzelnen Modelle jeweils auf identifizierbare Annahmen, Postulate und Axiome stützen. Unter diesen Voraussetzungen sind dann die Analyseergebnisse und Wirkungsmechanismen logisch abgeleitet. Die einzelnen Modelle wiederum greifen innerhalb der übergeordneten Theorie ineinander und ergeben ein Gesamtbild. Diese Methode erlaubt es, Ergebnisse in der theoretischen Betrachtung abzuleiten, die nicht unmittelbar intuitiv erfassbar sein müssen. Sollte ein bestimmtes Ergebnis nicht plausibel sein oder gar in der empirischen Überprüfung falsifiziert werden, so gibt es grundsätzlich zwei potenzielle Fehlerquellen: Entweder die theoretischen Modelle wurden nicht richtig benutzt, d. h. in der Analyse ist ein Fehler unterlaufen (z. B. ein schlichter Rechenfehler). Oder mindestens eines der genutzten Modelle entspricht in wesentlichen Aspekten nicht der Realität, d. h. die zu Grunde liegenden Annahmen oder die unterstellten Zusammenhänge sind keine vertretbare Vereinfachung der komplexen Realität, sondern blenden wesentliche Aspekte aus, die eigentlich berücksichtigt werden sollten. Wenn sich theoretische Ergebnisse als unbefriedigend herausstellen, kann sich die Ökonomenzunft also systematisch auf Fehlersuche begeben und die zu Grunde liegenden Theorien und Modelle verfeinern, erweitern oder durch Alternativen ersetzen. Die zurzeit vorherrschende Methode der Analyse und Modellbildung bedient sich zunehmend komplexer und anspruchsvoller Mathematik. Für die grundlegenden Zusammenhänge, die in diesem Buch untersucht werden sollen, ist dies nicht erforderlich. Da möglicherweise viele potenzielle Leser dieses Buches der Mathematik mit einer gewissen Ehrfurcht begegnen und leichter Zugang zu grafischen Darstellungen haben, wird hier die Nutzung der mathematischen Ausdrucksweise auf die Grundrechenarten beschränkt. Sie werden also nur <?page no="56"?> 30 II. Die Theorie der Haushalte ausnahmsweise einen Taschenrechner benötigen und müssen sich mit Sicherheit keine Formelsammlung besorgen. Hilfreich wird andererseits die Ausrüstung mit einem Geo-Dreieck und einem Kurvenlineal sein. 14 2. Haushalte suchen nach dem Besten, was sie sich leisten können ‚Haushalte‘ nennen Ökonom*innen die kleinsten Wirtschaftseinheiten, die in der ökonomischen Analyse betrachtet werden. Der Begriff stammt aus einer Zeit, als noch überwiegend Familienverbände, d. h. Haushalte mit mehreren Personen, gemeinsam die Ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen bewirtschafteten. Sie können problemlos immer an Individuen denken - schließlich gibt es inzwischen genügend Single-Haushalte. Diese Haushalte oder Individuen tauchen in der mikro-ökonomischen Analyse in zwei wesentlichen Zusammenhängen auf: Zum einen sind Haushalte die Nachfrager*innen, also die Konsument*innen, auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten. Sie treffen je nach Ihren Nutzenfunktionen und den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Kaufentscheidungen. Abb. 1: Haushalte am Güter- und Arbeitsmarkt Gleichzeitig sind die Haushalte (bzw. einzelne Mitglieder der Haushalte) in ihrer Funktion als Erwerbspersonen auf dem Arbeitsmarkt die Anbieter*innen. Sie 14 Sie brauchen ein „Kurvenlineal“, eine „Parabel-Schablone“ oder eine „Oval-Schablone“ - nicht einen „Prismen-Messer“, mit dem man Halbkreise zeichnen kann! Gut eignet sich ein schlichter ovaler Bierdeckel. Achten Sie bei künftigen Kneipenbesuchen darauf und versorgen Sie sich gegebenenfalls mit einem solchen. Haushalte Unternehmen Güter, Dienstleistungen Arbeitskraft, Fähigkeiten, Kenntnisse Gütermarkt Arbeitsmarkt Anbieter*innen Nachfrager*innen Anbieter*innen Nachfrager*innen Lohn Preis <?page no="57"?> 2. Das Beste, was man sich leisten kann 31 bieten den Arbeitgeber*innen ihre Arbeitskraft, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse zum Kauf an. Im Normalfall tun sie dies eben gerade, um Einkommen zu erzielen, mit dem man anschließend als Konsument*in wieder Nachfrage an den Waren- und Gütermärkten entfalten kann. Wir beschäftigen uns zunächst mit der Konsumentscheidung der Haushalte. Die allgegenwärtige Knappheit der Ressourcen (in diesem Fall die Tatsache, dass jedem Haushalt nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung steht) und die Beachtung der Opportunitätskosten bei der Auswahl eines bestimmten Konsumbündels (Verzicht auf andere Verwendungsmöglichkeiten der Ressourcen) zwingen die Individuen zur Auswahl der zu konsumierenden Güter und Dienstleistungen, wenn sie als rationale Nutzenmaximierer auftreten. Ökonom*innen gehen folglich in der Modellanalyse davon aus, dass Individuen „das beste“ Güterbündel konsumieren, welches sie sich „leisten können“. Ein Güterbündel setzt sich aus verschiedenen Gütern zusammen, die in unterschiedlicher Menge im Konsum-Warenkorb eines Haushalts vorhanden sind. Die Theorie der Haushalte untersucht die Frage, was sich Individuen „leisten können“ mittels des Instruments der Budgetbeschränkung und die Frage, was „das Beste“ ist, durch die Betrachtung von Präferenzen. 3. Die Budgetbeschränkung und die Budgetgerade Welche Güterbündel sich ein Individuum in einer konkreten Konsumsituation „leisten kann“, hängt verständlicherweise davon ab, was die einzelnen Güter kosten und wie groß die Menge der knappen Ressource ist, welche zum Erwerb der Güter verwendet werden kann. Die zur Verfügung stehende Menge der relevanten knappen Ressource wird als Budget bezeichnet. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Auswahl verschiedener erreichbarer Güterkombinationen bei gegebenen Preisen durch das Budget beschränkt wird. In der Modellbetrachtung vereinfachen Ökonom*innen die Situation häufig, indem Sie eine Modellwelt konstruieren, in der sich das Individuum lediglich zwei unterschiedlichen Gütern gegenübersieht. Erinnern Sie sich beispielsweise an die Situation der Selbstversorger-Bauern Schmitt und Meier aus Abschnitt I.7. Das Universum von Bauer Meier beinhaltete als erwünschte Güter lediglich Fleisch und Kartoffeln, die zum Erwerb dieser Güter einzusetzende knappe Ressource war Zeit und im Beispiel standen 100 Stunden zur Verfügung. Innerhalb der Budgetbeschränkung (synonym Budgetrestriktion) von Meier befinden sich alle Konsumbündel, d. h. alle Gütermengenkombinationen von Fleisch und Kartoffeln, die sich Meier bei gegebenem Budget (m) und bei <?page no="58"?> 32 II. Die Theorie der Haushalte gegebenen Preisen (p 1 ; p 2 ) leisten kann. 13 Mit der Budgetbeschränkung vereinbar sind also alle Kombinationen von Kartoffelmenge (x), multipliziert mit der pro Kilo Kartoffeln aufzuwendenden Zeit (p x ), und Fleischmenge (y), multipliziert mit der pro Kilo Fleisch aufzuwendenden Zeit (p y ), die insgesamt nicht mehr Zeit erfordern als zur Verfügung steht (m). In algebraischer Form ergibt sich die Budgetbeschränkung also nach folgender Gleichung: m x p x + y p y In unserem konkreten Beispiel sieht sich Bauer Meier folgender Budgetbeschränkung gegenüber: Meiers Situation in Autarkie: m = 100 h x = kg Kartoffeln; p x = 10 h y = kg Fleisch; p y = 20 h Meiers Budgetbeschränkung: 100 h x * 10 h + y * 20 h Wenn Meiers ganzes Streben nur auf Kartoffeln und Fleisch ausgerichtet ist, er also mit seiner Zeit nichts Anderes anzufangen weiß, als Kartoffeln und Fleisch zu produzieren, dann sind alle Güterkombinationen aus Kartoffeln und Fleisch, die die zur Verfügung stehenden 100 Stunden nicht vollständig ausnutzen, verschwenderisch. Natürlich liegt das Konsumbündel aus einem Kilo Fleisch und zwei Kilo Kartoffeln innerhalb der Budgetbeschränkung (zur Produktion sind 40 Stunden erforderlich). Aber was soll er mit den verbleibenden 60 Stunden anfangen? Wir suchen in der Modellbetrachtung also eher nur die Güterbündel, die einerseits bei gegebenem Budget und gegebenen Preisen erreichbar sind, andererseits das Budget aber auch vollständig ausschöpfen: m = x p x + y p y Aus dieser Gleichung ergibt sich durch Umformen die Formel einer Geraden, an die sich der ein oder andere Leser vielleicht noch aus Schulzeiten erinnert: 13 Der „Preis“ für Fleisch und Kartoffeln ist in diesem Beispiel die Zeit, die zur Herstellung einer Mengeneinheit (1 kg) Fleisch bzw. Kartoffeln eingesetzt werden muss. <?page no="59"?> 3. Die Budgetbeschränkung und die Budgetgerade 33 m = x p x + y p y Gleichung umdrehen. x p x + y p y = m Beide Gleichungsseiten durch p y dividieren. (p x / p y ) x + y = m / p y Auf beiden Gleichungsseiten das Produkt [(p x / p y ) x] subtrahieren bzw. Auflösen nach y. y = m / p y - (p x / p y ) x Diese Budgetgerade wird in einem Zwei-Güter-Diagramm abgetragen. Abb. 2: Budgetgerade Budgetgerade Abszissenabschnitt m/ p x y = m/ p y - (p x / p y ) x Menge x Menge y Ordinatenabschnitt m/ p y Steigung der Geraden - p x / p y Abszisse Erreichbare Konsumbündel Ursprung Ordinate <?page no="60"?> 34 II. Die Theorie der Haushalte Der erste Ausdruck auf der rechten Seite der Gleichung (m / p y ) gibt den Abschnitt auf der Achse des Koordinatensystems an, auf der y abgetragen wird. Wenn x gleich null gesetzt wird, bleibt y = m / p y . Die Antwort auf die Frage, wie viel y man mit dem Budget m erwerben kann, wenn man das volle Budget nur für y aufwendet, ergibt sich, indem man das Budget durch den Stückpreis p y dividiert. Der zweite Teil der rechten Gleichungsseite [ - (p x / p y ) x] beantwortet die Frage, wie sich die erreichbare Menge von y in Abhängigkeit der von x gewählten Menge verändert: Pro zusätzlichem x sinkt die noch von y konsumierbare Menge um (p x / p y ). Im Fall der Budgetgeraden ist klar, dass man sich umso weniger des einen Guts leisten kann, desto größer die Konsummenge des anderen Guts gewählt wird. Die Veränderungsrate weist also ein Minuszeichen auf, die Steigung der Geraden ist negativ. 14 Vergegenwärtigen Sie sich bitte, wie Sie Darstellungen innerhalb eines solchen Koordinatensystems interpretieren. Grundsätzlich geht es regelmäßig darum, dass jeder Punkt innerhalb des zweidimensionalen Raumes, der durch die beiden Achsen aufgespannt wird, die an den Achsen abgetragenen Größen in eine Beziehung setzt. Versuchen Sie also immer, der Interpretation solcher Darstellungen auf die Spur zu kommen, indem Sie die beiden an den Achsen abgetragenen Größen in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Im Falle des hier vorliegenden Koordinatensystems werden die Mengen zweier Güter in Beziehung zueinander gesetzt (es handelt sich um ein „Zwei-Güter- Diagramm“). Jeder Punkt innerhalb des Diagramms steht für eine Kombination der jeweils lotrecht an den Achsen abgetragenen Mengen von x und y. Jede Linie innerhalb eines solchen Koordinatensystems besteht aus unendlich vielen Punkten, die sich durch irgendeine besondere Gemeinsamkeit hervorheben müssen, sonst würde die Abbildung keinen sinnvollen Gehalt haben. Die Interpretation jeder Linie in einem Koordinatensystem erfordert also von Ihnen, dass Sie die Besonderheit der durch die Linie hervorgehobenen Wertepaare der Größen erkennen, die an den Achsen abgetragen sind. Das hier betrachtete Instrument der Budgetgeraden gibt Ihnen alle Güterkombinationen 14 Die waagerechte Achse in solch einem Koordinatensystem wird als Abszisse bezeichnet, von "abscindere" (lat.) = abschneiden, die senkrechte Achse wird Ordinate genannt, von "ordinare" (lat.) = zuordnen. Hintergrund der Bezeichnungen ist, dass die Abszisse häufig die unabhängige Variable angibt, also den entsprechenden Abschnitt definiert, während an der Ordinate der dem entsprechend zugeordnete Wert der abhängigen Variablen abgelesen wird. <?page no="61"?> 3. Die Budgetbeschränkung und die Budgetgerade 35 von x und y an, die mit dem gegebenen Budget in Höhe von m erreichbar sind und deren Konsum keine knappen Ressourcen ungenutzt lässt. Die algebraischen Bezeichnungen x und y in der Formel der Budgetgeraden sind Platzhalter für bestimmte Werte, die in der durch die Formel angegebenen Kombination diese Bedingung erfüllen und damit als Wertepaar einen Punkt auf der Geraden bezeichnen. Jeder Punkt unterhalb und links von der Budgetgeraden (in der Abbildung grau hervorgehoben) steht für eine Güterkombination, die zwar bei gegebenem Budget m erreichbar ist, dieses aber nicht vollständig ausschöpft. Betrachten Sie die Darstellung des Zwei-Güter-Diagramms und der Budgetgeraden noch einmal konkret am Beispiel des Selbstversorger-Bauern Meier. Meiers Budgetgerade leitet sich analog zur oben gewählten abstrakten Darstellung ab. Meiers Budgetrestriktion: 100 h x * 10 h + y * 20 h Meiers Budgetgerade: y = 5 - 1/ 2 x y = kg Fleisch x = kg Kartoffeln Der Achsenabschnitt der Budgetgeraden auf der Fleisch-Achse kann unmittelbar in der Formel abgelesen werden. Alle anderen Punkte ergeben sich, indem sie eine Wertetabelle bilden, jeweils eine bestimmte Menge Kartoffeln vorgeben und die korrespondierende Menge an Fleisch gemäß der Formel für die Budgetgerade errechnen: Tab. 1: Wertetabelle zur Berechnung von Meiers Budgetgeraden x y = 5 - ½ x 10 5 - ½ * 10 = 0 9 5 - ½ * 9 = ½ 8 5 - ½ * 8 = 1 7 5 - ½ * 7 = 1 ½ usw. <?page no="62"?> 36 II. Die Theorie der Haushalte Natürlich ist eine Gerade bereits durch zwei Punkte eindeutig bestimmt, d. h. Sie benötigen zur Zeichnung einer Budgetgeraden nur zwei Punkte und können in den meisten Fällen auf die Erstellung einer Wertetabelle getrost verzichten. Die zwei Punkte, die intuitiv am leichtesten erfassbar sind, sind die beiden Achsenabschnitte. Der Abszissenabschnitt und der Ordinatenabschnitt bezeichnen jeweils, wie viel sich der Konsument bei gegebenem Budget und gegebenen Preisen vom betreffenden Gut maximal leisten kann, wenn er nichts von dem anderen Gut konsumieren würde. Antwort: Das gesamte zur Verfügung stehende Budget dividiert durch den Preis des betreffenden Guts. Abb. 3: Meiers Budgetgerade 3.1. Zusammengesetztes Gut Die Konsumwünsche der meisten Menschen beschränken sich nicht auf Fleisch und Kartoffeln, weshalb Ihnen diese Modellbetrachtung vielleicht absurd vorkommt. Dennoch genügt Ökonom*innen häufig die Betrachtung von nur zwei Gütern zur Analyse der Effekte von Veränderungen in Bezug auf ein bestimmtes Gut. Die zweidimensionale grafische Darstellung kann dann beibehalten werden, wenn man das zur Betrachtung stehende Gut einerseits und alles kg Fleisch 1 2 3 4 5 kg Kartoffeln 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 <?page no="63"?> 3. Die Budgetbeschränkung und die Budgetgerade 37 andere als nicht näher definiertes Bündel (= zusammengesetztes Gut) andererseits versteht. In unserem Beispiel könnte x weiterhin für Kilo-Einheiten Kartoffeln stehen, y aber schlicht als Zeitreserve für alle erdenklichen Arten seine Zeit zu verbringen, außer eben zur Produktion von Kartoffeln. Das zusammengesetzte Gut reserviert also eine bestimmte Zahlungsmöglichkeit für andere Konsumwünsche. Es wird ausgedrückt in Einheiten der knappen Ressource, in unserem speziellen Fall also in Stunden (häufiger in Euro, Dollar etc.). Das zusammengesetzte Gut wird damit zum numéraire, es wird zur Verrechnungseinheit, zum Wertmaß. Sein Preis pro Einheit wird entsprechend auf eins normiert. Der Preis, ausgedrückt in Stunden, zum Verbringen einer Stunde ist eins. Der Preis einer Euro-Münze, ausgedrückt in Euros, ist eins. Dies vereinfacht regelmäßig die Formel der Budgetgeraden und auch deren grafische Darstellung: Meiers Budgetgerade im Zwei-Güter-Diagramm war gegeben als y = m / p y - (p x / p y ) x. Wird nun die Budgetgerade über die Dimensionen Kartoffeln (x) und „Zeit für andere Dinge“ (y) aufgespannt und gilt p y = 1 (Preis für eine Stunde ausgedrückt in der Einheit Stunden = 1), dann reduziert sich die Formel zu y = m - p x * x und der Ordinatenabschnitt ist gleich dem gesamten Budget m. 3.2. Veränderungen der Parameter Einkommen und Preise Verdeutlichen Sie sich die grafischen Zusammenhänge der Budgetgeraden, indem Sie überlegen, was Veränderungen des verfügbaren Budgets oder der Preise bewirken. Eine Budgetänderung verändert in der Formel der Budgetgeraden m, was eine Verschiebung der Achsenabschnitte bewirkt. Die Preisrelation und mithin die Steigung der Geraden bleibt jedoch unverändert: Eine Erhöhung des Budgets (z. B. Meier hat 200 Stunden zur Verfügung) führt bei unveränderten Preisrelationen zu einer Parallelverschiebung der Budgetgeraden nach außen (rechts oben), eine Verringerung des Budgets (z. B. Meier hat nur noch 80 Stunden) bewirkt eine Parallelverschiebung nach innen (links unten). Eine Veränderung der Preise bewirkt in den meisten Fällen eine Veränderung der Preisrelation p x / p y und infolge dessen eine Veränderung der Steigung der Budgetgeraden. Im einfachen Fall, indem sich nur der Preis eines Guts ändert, bewirkt dies eine Drehung der Budgetgeraden in dem Achsenabschnitt des Guts, dessen Preis unverändert geblieben ist. Wenn sich in Bauer Meiers Fall der Preis der Kartoffelproduktion p x ändert, das Zeitbudget und der Preis für <?page no="64"?> 38 II. Die Theorie der Haushalte ein Kilo Fleisch hingegen unverändert bleiben, dann bleibt auch der Ordinatenabschnitt m / p y unverändert. Die Steigung und der Abszissenabschnitt ändern sich hingegen entsprechend der Preisänderung: Eine Halbierung der zur Produktion eines Kilo Kartoffeln aufzuwendenden Zeit (beispielsweise auf Grund besseren Saatguts) führt zu einer Halbierung der negativen Steigung und damit auch zu einer Verdopplung der Menge Kartoffeln, die erreichbar ist, wenn die gesamte Zeit für die Kartoffelproduktion verwendet wird. Eine Verdopplung des Preises für Kartoffeln bei unverändertem Budget und unverändertem Fleischpreis führt zu einer Verdopplung der Steigung und damit zu einer Halbierung der maximal erreichbaren Kartoffelmenge. Ändern sich beide Preise unterschiedlich stark, so führt dies zu einer Änderung der Lage und der Steigung der Budgetgeraden, d. h. wir müssen beide Achsenabschnitte und die Steigung neu berechnen. Eine gleichmäßige Veränderung beider Preise hingegen führt lediglich zu einer Parallelverschiebung der Budgetgeraden, wirkt also wie eine Budgetänderung. Eine Halbierung der Preise aller Güter, die Sie von Ihrem Monatseinkommen erwerben, entspricht in seiner Wirkung einer Verdopplung Ihres Einkommens. Eine Verdopplung aller Preise entspricht in seiner Wirkung einer Halbierung des Kaufwertes Ihrer zu einem festen Zinssatz angelegten Ersparnis. 15 3.3. Zur Interpretation der Steigung von Budgetgeraden Die Steigung der Budgetgerade zeigt das auf Grund der Preisrelation festgelegte objektiv mögliche Tauschverhältnis der Güter an. Wenn man zwei Punkte auf Meiers Budgetgeraden betrachtet, dann erkennt man, dass aus der Steigung der Budgetgeraden ablesbar ist, dass Meier auf zwei Kilo Fleisch verzichten muss, um vier Kilo Kartoffeln mehr zu erhalten oder umgekehrt. Die Steigung ist an jedem Punkt der Geraden gleich, d. h. das objektiv mögliche Tauschverhältnis Fleisch / Kartoffeln für Meier beträgt an jedem Punkt - ½. 16 15 Ohne dies hier vertiefen zu können: Dieser Zusammenhang ist eines der Hauptprobleme von Inflation. Eine nicht vorhergesehene Inflation, die nicht im Zinssatz bereits berücksichtigt ist, entwertet die Ersparnisse und reduziert den realen Wert der Schulden. Unvorhergesehene Inflationstendenzen erschweren damit sowohl langfristige Anlagen als auch langfristige Geschäfte mit Festpreisvereinbarungen. 16 Das große Delta des griechischen Alphabets steht in der Mathematik (nicht nur in der Ökonomik) für „Wechsel“ oder „Veränderung”. Das negative Vorzeichen erschließt sich leicht, wenn Sie bedenken, dass Meier immer von einem Gut etwas abgeben muss, um vom anderen mehr zu bekommen, d. h. eine der beiden Mengenveränderungen ist negativ. <?page no="65"?> 3. Die Budgetbeschränkung und die Budgetgerade 39 Abb. 4: Die Steigung der Budgetgeraden Sie erinnern sich, dass die Steigung der Geraden in der Formel durch das Preisverhältnis definiert wurde. Allerdings umgekehrt. Das objektiv mögliche Tauschverhältnis ( y / x) entspricht dem umgekehrten Preisverhältnis (p x / p y ). Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn Sie bedenken, dass sowohl die erste Güterkombination (in der Abbildung das Bündel aus vier Kilo Fleisch und zwei Kilo Kartoffeln) als auch die Güterkombination nach dem „Tausch“ (in der Abbildung das Bündel mit zwei Kilo Fleisch und sechs Kilo Kartoffeln) auf der Budgetgeraden liegen und somit die Bedingung der Budgetgeraden erfüllen müssen. Das Budget wird unverändert vollständig ausgeschöpft. Der Wert der beiden Veränderungen muss also insgesamt null betragen. Wenn m = x p x + y p y und auch m = (x + x) p x + (y + y) p y , dann muss gelten: 0 = x p x + y p y Auflösen nach dem Tauschverhältnis ergibt: 0 = x p x + y p y |- y p y - y p y = x p x |: (p y ) : x y / x = - p x / p y kg Fleisch 1 2 3 4 5 kg Kartoffeln 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ∆ Fleisch = - 2 ∆ Kartoffeln = 4 <?page no="66"?> 40 II. Die Theorie der Haushalte Der Zusammenhang ist natürlich nicht zufällig: Wenn Kartoffeln (x) halb so teuer sind wie Fleisch (y), also p x / p y = 1/ 2 ist, dann muss für den zusätzlichen Konsum eines Kilos der billigeren Kartoffeln auf ein halbes Kilo des teureren Fleischs verzichtet werden. Und umgekehrt muss für den zusätzlichen Konsum einer Einheit des teureren Fleischs auf zwei Einheiten der billigeren Kartoffeln verzichtet werden ( y / x = - 1/ 2). Erinnern Sie sich an dieser Stelle ruhig auch wieder an den Gedanken der Opportunitätskosten. Die Steigung der Budgetgeraden signalisiert den Konsumverzicht, der bezüglich des einen Guts in Kauf genommen werden muss, wenn man vom anderen Gut mehr konsumieren möchte. Meiers Opportunitätskosten für ein Kilo Fleisch bestehen in zwei Kilo Kartoffeln, weil Fleisch doppelt so teuer ist (die Produktion doppelt so viel Zeit einnimmt) wie Kartoffeln. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (11) ein Video zum Thema „Budgetbeschränkung & Budgetgerade“. https: / / t1p.de/ covz 4. Die Präferenzen Was „das Beste“ für ein Individuum ist, hängt von seinen Präferenzen, seinen Wünschen ab. Damit die im Folgenden vorgenommene stilisierte Analyse der Verhaltensweisen von Individuen auf der Suche nach „dem Besten“ ohne größere theoretische Probleme funktioniert, stellen Ökonom*innen eine Reihe unterschiedlich anspruchsvoller Anforderungen an die betrachteten Beispielpersonen. Grundsätzlich gehen Ökonom*innen heute gewöhnlich davon aus, dass Individuen zwar ihre Nutzenerwartungen nicht auf einer exakten Verhältnis-Skala angeben, aber sehr wohl ordnende Angaben zur Vergleichbarkeit verschiedener Güterbündel machen können. Während (kardinale) Angaben in einer Verhältnis-Skala exakte Nutzendifferenzen zwischen verschiedenen Güterbündeln benennen lassen würden, fordert die Annahme der ordinalen Nutzentheorie lediglich, dass Individuen eine Rangfolge ihrer Nutzenempfindungen bezüglich der verschiedenen Güterbündel bilden können, ohne dass eine Feststellung der Differenz zwischen den einzelnen Plätzen in der Rangfolge notwendig wäre (vgl. Abschnitt I.3.). Diese qualitative Bewertung verschiedener Güterbündel <?page no="67"?> 4. Die Präferenzen 41 verlangt also von Individuen, dass sie zwei Güterbündel miteinander vergleichen und folgende Aussagen zur individuellen Nutzenbewertung treffen können: Wird ein Güterbündel A mit einem Güterbündel B verglichen, dann soll das betrachtete Individuum entweder eines der Güterbündel gegenüber dem anderen streng vorziehen (A > B oder B > A) oder zwischen den Güterbündeln indifferent sein (A ~ B). Beachten Sie, dass es bei dieser Betrachtung der Präferenzen nur um die Frage der Wünsche und Nutzenempfindungen des Individuums geht. Die Frage, ob diese Wünsche in Anbetracht des gegebenen Budgets und der gegebenen Preise erreichbar sind, bleibt zunächst vollkommen außer Acht. „Streng vorgezogen“ meint also nicht mehr als die Äußerung des Individuums im Sinne von „das eine fände ich besser“, „indifferent“ entspricht der Äußerung „es wäre mir egal“. Erst die später erfolgende Zusammenführung von Budgetbeschränkung und Präferenzen bzw. grafisch von Budgetgerade und Indifferenzkurven erlaubt die Analyse des „Besten, was sich das Individuum leisten kann“. Die ökonomische Theorie stützt sich bei der Betrachtung der Präferenzen, bzw. der von Individuen bezüglich ihrer Präferenzen möglichen Angaben auf drei wichtige Axiome. Sie sollten diese drei grundlegenden Annahmen zur Kenntnis nehmen, um sich klar zu verdeutlichen, dass die ökonomische Theorie ein eindrucksvoll logisches Gebäude bildet, dieses Gedankengebäude allerdings ins Wanken gerät oder einstürzt, wenn sich bestimmte Grundannahmen in Einzelfällen oder generell als unhaltbar herausstellen. Hinter dem Axiom der Vollständigkeit verbirgt sich die Annahme, dass sich jedes Individuum mit Hilfe der Bewertungen „streng vorgezogen“ oder „indifferent“ zu jedem denkbaren Güterbündel äußern kann, also nicht an irgendeiner Stelle plötzlich aufgibt und verzweifelt mit den Achseln zuckt. Wahrscheinlich kennt jeder/ jede Leser*in Menschen, die nur schwer Entscheidungen treffen können. Nicht immer entsprechen dann typische Aussagen wie etwa „ich weiß nicht“ oder „keine Ahnung“ einer Äußerung von Gleichgültigkeit (im Sinne der Bewertung „indifferent“). Manchmal stehen sie tatsächlich als Ausdruck der Überforderung, eine ordinale Reihung vorzunehmen. Dann haben Ökonom*innen ein Problem. Da sich solche Situationen der Überforderung in typisch ökonomischen Fragestellungen jedoch meistens entweder durch die Gewährung einer ausreichenden Zeit zur Entscheidungsfindung oder durch die Bitte, sich zusammenzureißen und eine Entscheidung zu treffen, lösen lassen, bedeutet das Axiom der Vollständigkeit im Allgemeinen keine wesentliche Einschränkung für die Anwendbarkeit der ökonomischen Analyse. Selbstverständlich aber gibt es auch Fragen, bei denen vielen Menschen eine klare Äußerung <?page no="68"?> 42 II. Die Theorie der Haushalte tatsächlich sehr schwer fällt oder auch unmöglich ist. Denken Sie etwa beispielsweise an die früher an Wehrdienstverweigerer zur „Gewissensprüfung“ gestellten Fragen, bei denen über den Tod von verschiedenen Menschen entschieden werden musste . Das Axiom der Reflexivität klingt recht albern. Es verlangt, dass jedes Bündel innerhalb der Präferenzordnung eines Individuums so gut wie es selbst ist. Beispielsweise folgern Ökonomen gewöhnlich aus der Beobachtung eines Individuums, das sich für 20 Euro eine CD kauft und anschließend noch 30 Euro des Taschengelds übrig behält, dass diese Person das Güterbündel (CD / 30 Euro Rest) dem Güterbündel (50 Euro) streng vorzieht oder zumindest indifferent ist. Wenn dem Individuum auf dem Weg zum Geschäft ein 20- Euro-Schein verloren geht oder gestohlen wird, steht die Person im Laden vor der Wahl zwischen den Güterbündeln (CD / zehn Euro Rest) oder (30 Euro). Sicherlich werden sich beinahe alle Menschen sehr über das Missgeschick ärgern. Einige werden die CD kaufen, also das Bündel (CD / zehn Euro Rest) bevorzugen. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich dasselbe völlig gesunde und vernünftige Individuum anders verhalten und auf den Besitz der CD verzichten würde, wenn ihm nicht vor dem Kauf 20 Euro verloren gehen, sondern die gerade erworbene CD direkt vor dem Geschäft beim Betrachten herunterfällt und zerbricht. Das Axiom der Reflexivität erfordert, dass ein Güterbündel so gut ist wie es selbst, d. h. Personen, die sich im Fall des Verlusts eines 20-Euro- Geldscheines für das Bündel (CD / zehn Euro Rest) entscheiden, sollten dies auch im Falle des Verlusts der ersten CD tun. Sie sehen, selbst das trivial erscheinende Axiom der Reflexivität muss im herrlich komplizierten wahren Leben nicht immer eindeutig erfüllt sein. Tatsächlich lässt sich das Axiom auch in der hier beispielhaft geschilderten Situation scheinbarer Widersprüchlichkeit mittels komplexerer Gedanken halten: Ein Güterbündel in der ökonomischen Analyse muss grundsätzlich alle relevanten Umstände und Elemente der Nutzenfunktion umfassen, die bei dem betrachteten Entscheidungsproblem eine Rolle spielen. Eine mögliche Erklärung für das im Beispiel geschilderte Verhalten lautet, dass der Akt des Aussuchens und Kaufens selbst eine nutzenstiftende Handlung darstellt. In diesem Fall würden die beiden Güterbündel eben nur dann sinnvoll miteinander vergleichbar sein, wenn der positive Nutzen der Kaufhandlung berücksichtigt würde. Die Güterbündel wären dann nicht mehr identisch. Das Individuum könnte einerseits das Güterbündel (CD & Kaufhandlung / zehn Euro Rest) dem Bündel (30 Euro) vorziehen und andererseits das Bündel (30 Euro & <?page no="69"?> 4. Die Präferenzen 43 Kaufhandlung) gegenüber dem Bündel (CD & doppelte Kaufhandlung/ zehn Euro Rest) bevorzugen, ohne das Axiom der Reflexivität zu widerlegen . 17 Das Axiom der Transitivität fordert, dass der Betrachter aus der Beobachtung oder der Äußerung eines Individuums, dass das Güterbündel A gegenüber dem Güterbündel B vorgezogen wird und dass das Güterbündel B gegenüber dem Güterbündel C bevorzugt wird, folgern kann, dass auch das Güterbündel A gegenüber dem Güterbündel C vorgezogen wird (Wenn A > B und B > C gilt, dann soll auch A > C gelten). Diese Möglichkeit der Schlussfolgerung ist weder logisch zwingend, noch stellt sie unabhängig von weiteren Umständen eine besonders plausible Beschreibung des Entscheidungsverhaltens von Menschen dar. Eher deutet dieses Axiom auf den eingeschränkten Geltungsbereich der einfachen ökonomischen Analyse von Entscheidungen hin. Das Instrumentarium ist nur für Situationen geeignet, in denen Transitivität eine brauchbare Hypothese über menschliches Verhalten in Entscheidungssituationen ist. Stellen Sie sich vor, es ginge um den Standort einer neuen Bushaltestelle in der Nähe des Arbeitsplatzes des betrachteten Individuums. Die Beispielperson sei ein begeisterter ÖPNV-Nutzer und freue sich auf den kürzeren Fußweg zum Bus. Sie zieht die kurze Entfernung von 50 Metern (A) einer etwas längeren Strecke von 100 Metern (B) vor. Auch beim paarweisen Vergleich der Entfernung von 100 Metern (B) und der dritten Möglichkeit in einer Entfernung von 200 Metern (C) spricht sie sich für die kürzere Distanz aus und votiert für den Standort B. Tatsächlich erscheint es naheliegend, aus diesen Bewertungen zu folgern, dass sich die entsprechende Person bei einer Abstimmung zwischen Standort A (50 m) und Standort C (200 m) ebenfalls wieder für die kürzere Strecke entscheiden wird. Alles andere würde uns schon reichlich verblüffen. Stellen Sie sich aber andererseits vor, es handele sich bei A, B und C um drei Politiker*innen, zwischen denen sich das Beispielindividuum Wähler Jakob entscheiden soll. Stellen Sie sich vor, in der Abstimmung zwischen der linken Politikerin A und dem gemäßigten Politiker B votiert Jakob für die Links- Kandidatin A (A > B). Außerdem entscheidet sich Jakob in der Abstimmung zwischen dem Mitte-Kandidaten B und dem rechten Politiker C für den Kandidaten der gemäßigten Mitte B (B > C). Folgt daraus zwingend, dass Jakob sich in einer Abstimmung zwischen der linken Politikerin A und dem rechten 17 Sie sehen allerdings: Mit dieser Strategie der Einbeziehung möglicher zusätzlicher Erklärungen öffnet man einer tautologischen Immunisierungsstrategie Tür und Tor (vgl. den Grundgedanken zur rationalen Nutzenmaximierung Kap. I.3.). <?page no="70"?> 44 II. Die Theorie der Haushalte Politiker C für die Politikerin A entscheiden wird (A > C), weil sein Herz offenbar links schlägt? Nein, keinesfalls. Diesen Schluss hat lediglich die Bezeichnung der drei Kandidaten mit einem ideologischen Adjektiv nahegelegt. Womöglich findet Jakob diese Bezeichnungen nichtssagend und entscheidet stattdessen anhand seiner Einschätzung der Fähigkeiten der Kandidat*innen in drei ihm wichtigen Politikfeldern. Stellen Sie sich vor, Jakob bewertet die drei zur Wahl stehenden Politiker*innen wie in der Übersichtstabelle Tab. 2 angegeben. Hinsichtlich wirtschaftspolitischer Fragen traut er A am meisten, B etwas weniger und C am wenigsten Kompetenz zu. Für umweltpolitische Belange hält er B für den besten Kandidaten, C beurteilt er etwas schlechter und A traut er am wenigsten zu. Für sozialpolitische Belange würde er am liebsten C in der Verantwortung sehen, A beurteilt er etwas schlechter und B erscheint ihm hier ungeeignet. Tab. 2: Nicht-transitive Präferenzordnung Wirtschaftspolitik Umweltpolitik Sozialpolitik geeignet Politikerin A Politiker B Politiker C neutral Politiker B Politiker C Politikerin A ungeeignet Politiker C Politikerin A Politiker B In der Abstimmung zwischen A und B votiert Jakob für die Kandidatin A, weil diese in zwei Politikbereichen (Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik) besser geeignet ist als der Kandidat B (A > B). In der Abstimmung zwischen dem Politiker B und dem Politiker C stimmt Jakob für B, denn der erscheint ihm sowohl in wirtschaftspolitischen als auch in umweltpolitischen Belangen vorzugswürdig (B > C). Dennoch wird sich Jakob in der Abstimmung zwischen A und C für den Kandidaten C aussprechen, weil dieser gegenüber A sowohl in umweltals auch in sozialpolitischen Belangen geeigneter erscheint (C > A). Zugegeben: Auf Grund der so geäußerten Präferenzen von Jakob können wir nicht folgern, für welchen der drei Kandidat*innen er sich entscheiden würde, wenn er zwischen allen drei Kandidat*innen gleichzeitig wählen könnte. Entweder Jakob wäre indifferent zwischen den drei Kandidat*innen oder er müsste eine Gewichtung seiner Präferenzunterschiede vornehmen (ordinale Präferenzäußerungen würden also nicht genügen) oder er müsste ein weiteres Kriterium hinzuziehen (z. B. die jüngste oder den sympathischsten der drei bevorzugen). <?page no="71"?> 4. Die Präferenzen 45 Ähnliche Probleme ergeben sich unter Umständen aus der zusammenfassenden Betrachtung von jeweils transitiven Präferenzen mehrerer Personen durch paarweise Abstimmungen. Wählerin Frieda könnte die linke Politikerin A gegenüber dem gemäßigten Politiker B vorziehen und nur ungern den rechten Politiker C am Ruder sehen. Wählerin Gretel könnte als gemäßigte Person den gemäßigten Politiker B vorziehen gegenüber dem rechten Politiker C (den sie noch für halbwegs gemäßigt hält) und die linken Politikerin A ablehnen (weil sie ihr extrem erscheint). Wählerin Matilda schließlich findet alles besser als den weichgespülten Politikertypus ohne Ecken und Kanten. Sie präferiert daher den rechten Politiker C gegenüber der linken Politikerin A, will aber gerne den gemäßigten Politiker B verhindern. Die Präferenzordnungen der Beispiel-Wähler sind an sich völlig unauffällig und transitiv. Bei einer paarweisen Abstimmung ergibt sich aber unverändert ein Aggregationsproblem. 18 Tab. 3: Nicht-transitive Gruppenpräferenzen Wählerin Frieda Wählerin Gretel Wählerin Matilda am besten Politikerin A Politiker B Politiker C mittel Politiker B Politiker C Politikerin A am schlechtesten Politiker C Politikerin A Politiker B Die Beispiele zeigen den eingeschränkten Geltungsbereich der Plausibilität von transitiven Präferenzen: Überzeugend erscheint die Annahme transitiver Präferenzen, wenn es um eindimensionale Entscheidungen geht, d. h. wenn ein Individuum zwischen verschiedenen Ausprägungen eines Merkmals (z. B. Entfernungen, Geldsummen, Mengen etc.) wählen soll. Bei mehrdimensionalen Entscheidungen (z. B. verschiedene Politikbereiche) können individuelle Präferenzen hingegen durchaus dem Axiom der Transitivität widersprechen, ohne 18 Dieses Beispiel entspricht dem Condorcet-Paradoxon (nach dem liberalen Revolutionär Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet, der das Phänomen 1785 beschrieb). Dort geht es darum, dass sich aus mehreren transitiven Präferenzen (verschiedener Gruppenmitglieder) nicht immer auch transitive kollektive Präferenzen (der Gruppe) ableiten lassen. Das Paradoxon zeigt, dass eine paarweise Abstimmung zwischen Alternativen trotz eigentlicher Pattsituation zu scheinbar klaren Ergebnissen führt. Damit ist die Reihenfolge der Abstimmung maßgeblich, so dass Manipulationen oder zufälligen Ergebnissen Vorschub geleistet wird. <?page no="72"?> 46 II. Die Theorie der Haushalte auf ein besonders eigenartiges Verhalten der betrachteten Personen hinzudeuten. Bei der Aggregation von Präferenzen mehrerer Personen sind transitive Präferenzen nur dann plausibel, wenn sie über sehr ähnliche Vorstellungen von der in Betracht stehenden Problematik verfügen. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (12) ein Video zum Thema „Vollständigkeit, Reflexivität und Transitivität von Präferenzen“ und unter Nummer (13) ein Video zum „Condorcet-Paradoxon“. https: / / t1p.de/ covz 5. Die Indifferenzkurven Zur grafischen Darstellung von Präferenzen im Koordinatensystem eines Zwei- Güter-Diagramms verwendet man Indifferenzkurven. Eine Indifferenzkurve ist der geometrische Ort aller Güterbündel, zwischen denen das Individuum indifferent ist. Eine Indifferenzkurve stellt also ein bestimmtes Nutzenniveau dar, welches durch die unterschiedlichen Güterbündel erreicht wird. Die Indifferenzkurve verbindet alle Kombinationen unterschiedlicher Mengen der Güter x und y, die dem Individuum einen gleich hohen Nutzen stiften. Abb. 5: Indifferenzkurve Gut x Gut y C B A „Indifferenzkurve“ <?page no="73"?> 5. Die Indifferenzkurven 47 Beispielsweise resultiert aus den Güterbündeln A, B und C jeweils ein gleich hoher Nutzen für das betrachtete Individuum, die Person ist zwischen den Güterbündeln A, B und C indifferent (A ~ B ~ C). Wie konstruiert man eine Indifferenzkurven-Darstellung? Wählen Sie einen beliebigen Punkt im Zwei-Güter-Diagramm als Ausgangspunkt. Überlegen Sie sich ausgehend von diesem Güterbündel, wie groß die Veränderung der Menge des einen Guts ausfallen muss (und ob es sich um eine positive oder negative Mengenänderung handeln muss), damit sich das Individuum trotz marginaler Veränderung der Menge des anderen Guts weder besser noch schlechter stellt. Markieren Sie ein solches Güterbündel, welches plausibel für dasselbe Nutzenniveau stehen könnte wie das ursprüngliche Güterbündel. Überlegen Sie dies für verschiedene Änderungen und auch für andere beliebige Ausgangspunkte (und entsprechend andere Nutzenniveaus) bis sich ein regelmäßiges Bild der Indifferenzkurven ergibt. Ökonomen unterstellen gewöhnlich eine beliebige Teilbarkeit der betrachteten Güter. Unter dieser Annahme liegen auf jeder Indifferenzkurve unendlich viele Güterbündel, die jeweils gleich großen Nutzen stiften, die „Kurve“ setzt sich also aus unendlich vielen Punkten zusammen, die jeweils ein Güterbündel repräsentieren. Außerdem gibt es entsprechend unendlich viele Indifferenzkurven im Zwei-Güter-Diagramm, die unterschiedliche Nutzenniveaus symbolisieren. Würde man aber unendlich viele Kurven einzeichnen, so wäre die gesamte Fläche ausgefüllt und nichts mehr erkennbar. Man zeichnet also gewöhnlich nur die einzelnen oder wenigen Indifferenzkurven ein, auf die es ankommt. 5.1. Verschiedene Formen von Indifferenzkurven Ohne zusätzliche Annahmen bezüglich der betrachteten Präferenzen können Indifferenzkurven die unterschiedlichsten Formen haben. Eine wichtige Feststellung kann man aber bereits jetzt treffen: Verschiedene Indifferenzkurven eines Individuums können sich per Definition niemals schneiden. Indifferenzkurven verbinden alle Güterbündel eines bestimmten Nutzenniveaus, verschiedene Indifferenzkurven stellen also verschiedene Nutzenniveaus dar. Stellen Sie sich vor, durch das Güterbündel B in vorstehender Abbildung Abb. 5 würde eine zweite Indifferenzkurve führen, auf der außer B auch noch die Güterbündel D und E liegen, so dass B den Schnittpunkt zweier Indifferenzkurven <?page no="74"?> 48 II. Die Theorie der Haushalte bilden würde. 19 Per Definition würde dann gelten, dass das Individuum einerseits indifferent zwischen A, B und C ist, andererseits aber auch zwischen B, E und D indifferent wäre. Aus dem Axiom der Transitivität würde aber folgen, dass wenn A ~ B ~ C und zugleich B ~ E ~ D gilt, auch A ~ B ~ C ~ D ~ E gelten müsste. Dann aber müssten auch alle fünf Güterbündel auf einer Indifferenzkurve liegen und eben nicht auf zwei verschiedenen. Anders ausgedrückt: Jedes Güterbündel, welches das Individuum dasselbe Nutzenniveau erreichen lässt wie das Güterbündel B, muss auf der (einen) Indifferenzkurve liegen, die durch B verläuft. Ein Schnittpunkt B zweier Indifferenzkurven würde ein Güterbündel darstellen, welches zwei unterschiedliche Nutzenniveaus repräsentiert. Das Axiom der Reflexivität fordert jedoch, dass ein Güterbündel so gut wie es selbst ist. Typische Indifferenzkurven sehen so oder so ähnlich aus wie in der vorstehenden Abbildung. Grob vereinfacht handelt es sich dabei um unendlich teilbare Güter, die beide nutzenstiftend sind und die hinsichtlich ihrer Nutzenstiftung in unterschiedlichem Maße austauschbar, d. h. substituierbar sind. Bevor wir diese Art der Indifferenzkurven näher betrachten, lohnt sich jedoch ein kurzer Blick auf zwei Spezialfälle anderer, durchaus nicht abwegiger Indifferenzkurven und die entsprechenden Nutzenvorstellungen. Ökonom*innen sprechen von perfekten Substituten, wenn das betrachtete Individuum bereit ist, ein Gut gegen das andere zu einem konstanten Verhältnis zu tauschen, unabhängig davon, wie viele Einheiten von den jeweiligen Gütern bereits konsumiert werden oder wurden. Wenn es Ihnen beispielsweise vollkommen gleichgültig ist, ob der Liter Benzin, den Sie tanken von der einen oder anderen Tankstelle stammt, verändert sich Ihr Nutzen nicht, solange Sie jeweils einen Liter des einen Herstellers gegen einen Liter des anderen Herstellers tauschen. Das konstante Substitutionsverhältnis beträgt in diesem Fall 1: 1 (vgl. Abbildung Abb. 6 auf der nächsten Seite). Perfekte Substitute liegen aber ebenfalls vor, wenn Ihnen ein Kilo Rasensamen der Marke „Müller-Torf“ genauso viel Nutzen stiftet, wie zwei Kilo Rasensamen der Marke „Pflanzgut“, weil „Müller-Torf“ Ihrer Erfahrung nach doppelt so viele Halme sprießen lässt wie dieselbe Menge „Pflanzgut“. In diesem Fall verändert sich Ihr Nutzen nicht, solange Sie jeweils zwei Kilo „Pflanzgut“ gegen ein Kilo „Müller-Torf“ tauschen bzw. eine Packung „Müller- 19 Zeichnen Sie sich die Situation ruhig auf einem Notizzettel auf, den Sie anschließend wegwerfen. Hier wird auf die Abbildung der unmöglichen Situation verzichtet, damit sich nichts Falsches einprägt. <?page no="75"?> 5. Die Indifferenzkurven 49 Torf“ gegen zwei gleich schwere Packungen „Pflanzgut“. Das konstante Substitutionsverhältnis beträgt in diesem Falle 1: 2. Indifferenzkurven, die verschiedene gleich nutzenstiftende Güterbündel solcher perfekten Substitute darstellen, sind Geraden. Verschiedene Indifferenzkurven verlaufen im Falle perfekter Substitute parallel zueinander. Abb. 6: Perfekte Substitute Umgekehrt bilden zwei Güter perfekte Komplemente, wenn sie sich notwendig ergänzen bzw. vervollständigen, also nur in einem bestimmten konstanten Verhältnis konsumiert werden, weil sie nur gemeinsam Nutzen stiften. Typische Lehrbuchbeispiele sind Messer und Gabel, linke und rechte Schuhe, loser Zigarettentabak und Zigarettenpapier etc. Angenommen, Sie besitzen ein Auto mit vier Rädern (das ist häufig der Fall). Überlegen Sie, wie sich Ihr Nutzen aus (radlosen) Autos und Rädern verändert, wenn Sie zu Ihrem einen (radlosen) Auto über sechs, sieben oder zwölf Räder verfügen (vgl. Abbildung Abb. 7 auf der nächsten Seite). Wie ändert sich Ihr Nutzen, wenn Sie zu Ihren vier Rädern nicht nur ein, sondern drei oder vier (radlose) Autos haben? Annahmegemäß steigt der Nutzen in beiden Fällen nicht. Sie benötigen jeweils vier Räder, um gemeinsam mit dem komplementären Gut „radloses Auto“ ein fahrtüchtiges Vehikel zu bekommen. Angenommen, Ihr Nutzen steigt mit der Anzahl fahrtüchtiger Autos, wie verändert sich Ihr Nutzen, wenn Sie - ausgehend von einem (radlosen) Auto und zwölf Rädern - das Angebot erhalten, Pflanzgut Müller-Torf 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 Indifferenzkurven perfekter Substitute <?page no="76"?> 50 II. Die Theorie der Haushalte jeweils vier Räder gegen ein (radloses) Auto zu tauschen? Indifferenzkurven, die verschiedene gleich nutzenstiftende Güterbündel solcher perfekten Komplemente darstellen, sind L-förmig, die beiden Schenkel des L liegen parallel zu den Achsen des Koordinatensystems. Verschiedene Indifferenzkurven verlaufen im Falle perfekter Komplemente parallel zueinander, die gedachte Verbindungslinie der Ecken der Indifferenzkurven liegt auf einer Geraden, die aus dem Ursprung mit der Steigung des entsprechenden notwendigen Ergänzungsverhältnisses der komplementären Güter ansteigt. Abb. 7: Perfekte Komplemente Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (14) ein Video zum Thema „Indifferenzkurven perfekter Substitute und perfekter Komplemente“. https: / / t1p.de/ covz Autoräder radlose Autos 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 Indifferenzkurven perfekter Komplemente <?page no="77"?> 5. Die Indifferenzkurven 51 Um zu verstehen, warum die üblichen Indifferenzkurven als zum Ursprung gekrümmte Kurve im Zwei-Güter-Diagramm liegen - weshalb sich die längere Seite eines ovalen Bierdeckels ganz hervorragend als Indifferenzkurven-Lineal anbietet - müssen wir die Annahmen näher betrachten, die den entsprechenden Präferenz-Vorstellungen zu Grunde liegen. Da Ökonom*innen die Knappheit als zentrales Problem ansehen, welches sie ja überhaupt erst dazu anregt, sich um die Bewirtschaftung und Allokation von Ressourcen zu kümmern, beschränken sie ihren Untersuchungsgegenstand gewöhnlich auf Situationen, in denen noch keine (Über-)Sättigung mit den betrachteten Gütern eingetreten ist. Ökonom*innen behaupten also nicht wirklich, dass Individuen typischerweise unendlich viel Kölsch trinken möchten und auch nach dem 17. Glas noch immer Nutzensteigerungen erfahren, wenn der Köbes ihnen ein weiteres Glas auf den Deckel stellt. Sie unterstellen allerdings, dass es kein ökonomisches Problem der Knappheit ist, wenn der/ die Tourist*in es nicht schafft, im Kölner Brauhaus weitere Lieferungen zu unterbinden, sondern schlicht mangelndes Wissen um den richtigen Code. 20 Knappheitsprobleme implizieren, dass Individuen mehr von etwas haben möchten und ihre Bedürfnisse eben noch nicht befriedigt sind. Ökonomen untersuchen mit den typischen Indifferenzkurven Situationen, in denen die Sättigung für beide betrachteten Güter noch nicht eingetreten ist (Annahme der Nichtsättigung). Abgebildet sind daher im Koordinatensystem mit normalen Indifferenzkurven nur die Bereiche, in denen die betrachteten Güter dem Individuum noch zusätzlichen Nutzen stiften. Das Individuum verbessert seine Nutzensituation mit jeder im Diagramm abgetragenen größeren Menge der Güter; es würde sich auf jeden Fall freuen, wenn es noch mehr von dem einen Gut erhalten könnte und die Menge des anderen Guts konstant gehalten würde. Mit anderen Worten: Das Individuum zieht stets ein Güterbündel B einem Güterbündel A vor, wenn B von mindestens einem Gut eine größere Menge als A enthält, aber von keinem Gut eine geringere Menge als A. Oder anders ausgedrückt: Abgebildet sind Güterkombinationen in denen gilt: „Mehr ist besser“. Als Konsequenz aus der Annahme der Nichtsättigung resultiert grafisch (siehe Abbildung Abb. 8) eine negative Steigung der Indifferenzkurven: Punkte links unterhalb einer beliebigen Ausgangsposition A (dritter Quadrant) repräsentieren Güterbündel, die von mindestens einem der beiden Güter eine geringere 20 Tipp: Wenn Sie den Bierdeckel auf Ihr halbleeres Glas legen, werden Sie zwar vielleicht vom Köbes (= Kellner im Kölner Brauhaus) angepflaumt, er wird aber den Nachschub einstellen. <?page no="78"?> 52 II. Die Theorie der Haushalte Menge enthalten und von keinem der Güter mehr. Sie gehören deshalb zu niedrigeren Nutzenniveaus als das Ausgangsgüterbündel. Punkte rechts oberhalb des ursprünglichen Güterbündels A (erster Quadrant) repräsentieren Bündel, in denen mindestens von einem der beiden Güter eine größere Menge enthalten ist, ohne dass von einem der Güter weniger dazu gehört als im Ausgangspunkt. Solche Güterbündel gehören also zu höheren Nutzenniveaus. Güterbündel, die höhere oder niedrigere Nutzenniveaus repräsentieren, können nicht auf derselben Indifferenzkurve liegen wie das als Ausgangspunkt gewählte Güterbündel. Indifferente Güterbündel müssen demnach im Bereich links oberhalb oder rechts unterhalb liegen, die Indifferenzkurve durch A muss durch den zweiten und vierten Quadranten verlaufen. 21 Abb. 8: Bessere und schlechtere Güterbündel 21 Auf Grund dieser grafischen Entsprechung der Nichtsättigungsannahme sprechen Ökonom*innen auch von der Annahme der Monotonie. Gemeint ist hierbei nicht Langeweile, sondern die mathematische Bezeichnung „Monotonie“ für Funktionen, die durchgehend steigen bzw. konstant bleiben (aber nie fallen) oder durchgehend fallen bzw. konstant bleiben (aber nie steigen). Die Form der typischen Indifferenzkurven ist streng monoton fallend. Bessere Güterbündel Schlechtere Güterbündel A Gut x Gut y IV III II I <?page no="79"?> 5. Die Indifferenzkurven 53 Solange die Annahme der Nichtsättigung getroffen wird, repräsentieren Indifferenzkurven umso höhere Nutzenniveaus, je weiter rechts oben sie im Zwei- Güter-Diagramm liegen, d. h. desto größere Mengen der beiden Güter in den betreffenden Güterbündeln enthalten sind. Umgekehrt stehen Indifferenzkurven für umso geringere Nutzenniveaus, je weiter links unten sie abgebildet sind, d. h. desto geringer die jeweiligen Gütermengen in den betreffenden Güterbündeln sind. Ökonomen beschränken ihre Analyse zwar gewöhnlich auf Situationen, in denen das Individuum noch nicht gesättigt oder gar übersättigt ist, sie beziehen aber durchaus das Phänomen mit ein, dass man in Wahrheit mit zunehmender Konsummenge von beinahe jedem Gut irgendwann „genug hat“ und auch „zu viel bekommen“ kann. Wenn man berücksichtigt, dass man sich bezüglich der betrachteten Güter einer Sättigung annähert, dann beinhaltet dies die häufig getroffene Annahme abnehmenden Grenznutzens. Zwar unterstellen wir mit der Annahme der Nichtsättigung, dass der Grenznutzen im betrachteten Bereich stets positiv bleibt, dennoch halten wir es für wahrscheinlich, dass der Nutzenzuwachs, den eine zusätzliche Gütereinheit stiftet, umso geringer ist, je größer die bereits konsumierte Gütermenge ist. Erinnern Sie sich an die beispielhafte Ausführung zur Nachfrage nach Croissants im Abschnitt I.5. zur Marginalbetrachtung. Es wurde dort die für die meisten Individuen sicherlich zutreffende Vermutung geäußert, dass der empfundene Nutzenzuwachs, der aus einer jeweils gleichen Steigerung der konsumierten Menge Croissants resultiert, auf Grund zunehmender Sättigung mit zunehmendem Konsum immer geringer wird. Ökonom*innen vermuten für die weit überwiegende Mehrzahl aller Güter einen solchen abnehmenden Grenznutzen und versehen diese Vermutung deshalb sogar mit der Bezeichnung „Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen“. 22 Betrachtet man zwei Güter, für die man abnehmenden Grenznutzen unterstellt, dann folgt daraus zwangsläufig, dass ein Individuum relativ durchschnittlichere (oder: gemischtere) Güterbündel gegenüber relativ extremeren (also relativ einseitigeren) Güterbündeln bevorzugt. Im Gegensatz zum Fall perfekter Substitute ist es eben nicht dazu bereit, die beiden Güter in einem konstanten Verhältnis gegeneinander zu tauschen, sondern das nutzenniveau- 22 Eine andere gängige Bezeichnung lautet Erstes Gossensches Gesetz. Hermann Heinrich Gossen (1810 - 1858) hat 1854 in seinem Werk "Die Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln" zwei „Gesetzmäßigkeiten der Bedürfnisbefriedigung“ formuliert. Die erste beschreibt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen: "Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab..." <?page no="80"?> 54 II. Die Theorie der Haushalte neutrale Tauschverhältnis hängt davon ab, wie weit die Sättigung des einen und des anderen Guts bereits fortgeschritten ist. Stellen Sie sich beispielsweise anhand von Abbildung Abb. 9 vor, ein Individuum teilt Ihnen mit, es sei zwischen dem Güterbündel A (mit sieben Croissants und drei Milchkaffee) und dem Güterbündel B (mit drei Croissants und sieben Milchkaffee) indifferent und beide Güter würden ihm abnehmenden Grenznutzen stiften. Sie können dann folgern, dass es die Bündel C, D und E mit jeweils durchschnittlichen Mengen von Croissants und Milchkaffee gegenüber den beiden extremen Bündeln bevorzugen wird. Ausgehend von B müsste das Individuum nämlich für den Verzicht auf einen Milchkaffee (von dem es in B schon relativ gesättigt ist) weniger als ein Croissant erhalten, um auf demselben Nutzenniveau wie in B zu verharren. Die Verbindungslinie zwischen A und B steht jedoch für ein Tauschverhältnis von 1: 1. Das Individuum erreicht z. B. in Punkt E im Vergleich zu Punkt B beim Verzicht auf einen Milchkaffee ein ganzes Croissant mehr. Es erhält also mehr als zum Erhalt des Nutzenniveaus erforderlich wäre, es erreicht ein höheres Nutzenniveau. Grafisch folgt daraus die zum Ursprung hin gewölbte Kurvenform der typischen Indifferenzkurven, oder genauer: Die strenge Konvexität der Menge aller gegenüber den Güterbündeln einer Indifferenzkurve streng bevorzugten Güterbündel. 23 Im Beispiel wurde angenommen, dass eine Person sowohl bei Milchkaffee als auch bei Croissants immer weniger Appetit verspürt, je mehr Kaffee bzw. Croissants sie schon zu sich genommen hat. Zugleich wurde unterstellt, dass verschiedene Kombinationen von Milchkaffee und Croissants zu gleich hohen Nutzenniveaus führen, die beiden Güter also grundsätzlich gegeneinander austauschbar sind. Unter diesen Bedingungen leuchtet es ein, dass man dem betrachteten Individuum in einer Situation, in der es drei Kaffee und sieben Croissants auf dem Tablett hat, nur eine relativ geringe Menge Kaffee wird anbieten müssen, damit es auf ein Croissant verzichtet. 23 Eine geometrische Menge heißt konvex, wenn die Verbindungslinie zweier Punkte der Menge ebenfalls vollständig durch diese Menge verläuft. Die Menge aller bevorzugten Güterbündel zwischen zwei Punkten einer typischen Indifferenzkurve umfasst auch alle Punkte der Verbindungslinie zwischen diesen zwei Punkten. Die Präferenzordnung auf X ist streng konvex, wenn für jedes Paar x, y ∈ X gilt: x ∼ y = ⇒ λ x + (1 − λ)y > x für alle λ ∈ (0, 1). <?page no="81"?> 5. Die Indifferenzkurven 55 Abb. 9: Indifferenzkurve bei abnehmendem Grenznutzen Denn während es noch ordentlich Appetit auf Kaffee verspürt, nähert es sich bezüglich der Croissants bereits der Sättigung. Der Kurvenabschnitt in der vorstehenden Abbildung wird also links oben im Diagramm immer steiler und nähert sich einer Senkrechten an. Umgekehrt verhält es sich in der Situation, in der die betrachtete Person sieben Kaffee und drei Croissants auf dem Tablett hat. Croissants sind in dieser Lage relativ wertvoll, Kaffee ist relativ wenig wert, C = 3 / 4 A + 1 / 4 B = 3 / 4 (7 Croissants + 3 Milchkaffee) + 1 / 4 (3 Croissants + 7 Milchkaffee = 21 / 4 + 3 / 4 Croissants und 9 / 4 + 7 / 4 Milchkaffee = 6 Croissants und 4 Milchkaffee D = 1 / 2 A + 1 / 2 B = 1 / 2 (7 Croissants + 3 Milchkaffee) + 1 / 2 (3 Croissants + 7 Milchkaffee = 7 / 2 + 3 / 2 Croissants und 3 / 2 + 7 / 2 Milchkaffee = 5 Croissants und 5 Milchkaffee E = 1 / 4 A + 3 / 4 B = ¼ (7 Croissants + 3 Milchkaffee) + 3 / 4 (3 Croissants + 7 Milchkaffee = 7 / 4 + 9 / 4 Croissants und 3 / 4 + 21 / 4 Milchkaffee = 4 Croissants und 6 Milchkaffee 4 3 2 1 8 6 3 2 Croissants 5 6 4 5 7 1 7 8 Milchkaffee A C D E B <?page no="82"?> 56 II. Die Theorie der Haushalte denn der Kaffee-Appetit ist bereits weitgehend befriedigt. Will man nun dennoch das Individuum zur Aufgabe eines Croissants bringen, so wird man ihm ziemlich viel Kaffee zum Tausch anbieten müssen, damit sich das Nutzenniveau nicht ändert. Der Kurvenabschnitt rechts unten im Diagramm wird deshalb immer flacher und nähert sich einer Waagerechten an. Da wir jedoch gemäß der Annahme der Nichtsättigung davon absehen, Situationen zu betrachten, in denen bereits eine vollständige Sättigung eingetreten ist, nähert sich die typische Indifferenzkurve zwar einer Senkrechten und einer Waagerechten an, wird aber nie wirklich senkbzw. waagerecht. Typische Indifferenzkurven werden sich schon gar nicht „zurückbiegen“. Denn das würde bedeuten, dass die betreffende Person von einem der beiden Güter bereits übersättigt wäre und daher trotz zunehmender Menge des einen Guts nur unter der Bedingung weiterhin dasselbe Nutzenniveau erreicht, dass es auch vom anderen Gut noch mehr bekommt. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (15) ein Video zum Thema „Typische Indifferenzkurven“ https: / / t1p.de/ covz 5.2. Zur Interpretation der Steigung von Indifferenzkurven Die Steigung der Indifferenzkurven entspricht ebenso wie die Steigung der Budgetgeraden einem Austauschverhältnis der beiden im Zwei-Güter-Diagramm betrachteten Güter. Genauso wie bei der Budgetgeraden liegt auch hier eine negative Steigung vor, d. h. das Austauschverhältnis ist auch bei der Indifferenzkurve dergestalt, dass die jeweiligen Mengenänderungen der beiden Güter gegenläufig sind: Von einem weniger, vom anderen mehr. Die Steigung von „normalen“ oder „typischen“ Indifferenzkurven, wie sie auf den letzten Seiten eingeführt wurde, ist allerdings in jedem Punkt anders. Es ist deshalb wichtig, nur marginale Veränderungen zu betrachten, die Steigung muss in einem ganz bestimmten Punkt analysiert werden. <?page no="83"?> 5. Die Indifferenzkurven 57 Abb. 10: Betrachtung der Steigung einer Indifferenzkurve Die Betrachtung der Austauschverhältnisse direkt entlang der Indifferenzkurve ist also zu ungenau. Grafisch löst man dieses Problem durch Messung des Austauschverhältnisses (der Steigung) einer Tangente 24 an dem betrachteten Punkt. Die Steigung einer Kurve in einem bestimmten Punkt entspricht der Steigung der Kurventangente an diesem Punkt. Indifferenzkurven bestehen aus Güterbündeln, zwischen denen das Individuum indifferent ist. Das Austauschverhältnis der Güter entsprechend der Steigung (-) y / x in einem bestimmten Punkt der Indifferenzkurve entspricht also der Rate, zu der das Individuum ausgehend von dem durch den Punkt beschriebenen Güterbündel eine kleine Menge von Gut y gegen eine kleine Menge von Gut x tauschen kann, ohne dabei das korrespondierende Nutzenniveau zu verändern. Wenn das Individuum y abgibt aber gleichzeitig x erhält, verändert sich sein Nutzen nicht, es bleibt auf der Indifferenzkurve. Die Steigung in den Punkten der Indifferenzkurve gibt die subjektive Tauschbereitschaft des Individuums an, sie beschreibt die Rate, zu der das Individuum eine kleine Menge des einen Guts im Güterbündel gegen eine kleine 24 Eine Tangente wiederum ist eine Gerade, die einen Punkt mit der Kurve gemeinsam hat und in diesem Punkt die gleiche Richtung aufweist, die Kurve in diesem Punkt also gerade noch berührt, sie „tangiert“. Die Tangente weist dieselbe Steigung auf wie die Kurve im Tangentialpunkt, sie ist die Gerade, die sich im betrachteten Punkt am besten an die Kurve anschmiegt. Streng genommen kann kein Mensch in so groben Skizzen wie wir sie nutzen eine echte Tangente einzeichnen ohne umgekehrt über die Steigung der Kurve im betrachteten Punkt Bescheid zu wissen. Für unsere skizzenhaften Zwecke genügt es eine Gerade anzulegen, die die Indifferenzkurve berührt aber nicht (offensichtlich) schneidet. Gut x x y Gut y zu ungenau ! x y Gut x Gut y richtig ! <?page no="84"?> 58 II. Die Theorie der Haushalte Menge des anderen Guts substituieren kann. Die Bezeichnung in der ökonomischen Fachsprache heißt deshalb Grenzrate der Substitution (GRS) oder auch Marginal Rate of Substitution (MRS). Intuitiv kann man sich den Zusammenhang auch als marginale Zahlungsbereitschaft merken: Die Steigung an einem Punkt der Indifferenzkurve misst die marginale Zahlungsbereitschaft für eine zusätzliche Einheit des einen Guts, ausgedrückt in Einheiten des anderen Guts. Um x zu erhalten wäre das Individuum bereit, maximal y zu zahlen. 6. Die optimale Nachfrageentscheidung Zur Erinnerung: Aus den Grundgedanken zur Nutzenmaximierung durch rationale Individuen in Knappheitssituationen folgt, dass Ökonomen im Zusammenhang mit den Nachfrageentscheidungen der Individuen an der Lösung der Frage interessiert sind, welches das beste Güterbündel ist, das sich ein Individuum leisten kann. Den Nutzen verschiedener Güterbündel bestimmt ausschließlich das Individuum selbst (vgl. Grundgedanken zum methodologischen Individualismus und zur Konsumentensouveränität). Als grafisches Instrumentarium haben wir die Indifferenzkurven. Das „beste Güterbündel“ muss ein möglichst hohes Nutzenniveau erreichen lassen, also auf einer möglichst hohen Indifferenzkurve liegen. Die objektive Restriktion der erreichbaren Güterbündel, also der Güterkombinationen, die sich die betrachtete Person „leisten kann“, ist bei gegebenem Einkommen (Budget) und gegebenen Preisen durch das Instrument der Budgetgeraden gekennzeichnet. Das „beste Güterbündel“, welches sich das Individuum noch „leisten kann“, muss sowohl auf der Budgetgeraden als auch auf der höchsten erreichbaren Indifferenzkurve liegen. Güterbündel, die oberhalb der Budgetgeraden liegen, mögen also zwar höhere Nutzenniveaus versprechen (auf höheren Indifferenzkurven liegen), sind aber bei gegebenem Einkommen und gegebenen Preisen nicht erreichbar. Das Individuum kann sich solche Güterbündel „nicht leisten“. Das in der Abbildung Abb. 11 durch die Indifferenzkurve I 3 repräsentierte Nutzenniveau kann nicht verwirklicht werden, da keines der durch diese Indifferenzkurve dargestellten Güterbündel innerhalb der Budgetbeschränkung liegt. Umgekehrt repräsentieren Güterbündel auf Indifferenzkurven, die zum Teil unterhalb der Budgetgeraden verlaufen, noch nicht das höchste Nutzenniveau, welches bei der gegebenen Budgetgeraden erreicht werden kann. <?page no="85"?> 6. Die optimale Nachfrageentscheidung 59 Abb. 11: Das optimale Güterbündel Güterbündel unterhalb der Budgetgeraden wie beispielsweise das Güterbündel B stellen eine Verschwendung dar und stehen mithin sicher nicht für das „beste Güterbündel“, wenn wir es mit Gütern zu tun haben, bei denen zwar abnehmender Grenznutzen vorliegt aber (noch) keine Sättigung erreicht wird. 25 Da die Güterbündel B und C auf derselben Indifferenzkurve liegen und folglich dasselbe Nutzenniveau erreichen lassen, stellt auch das Güterbündel C eine Verschwendung dar, obwohl es auf der Budgetgeraden liegt, das Budget also vollkommen ausgeschöpft würde. Schließlich ist es nicht Ziel, alle verfügbaren Mittel irgendwie los zu werden, sondern es geht um Nutzenmaximierung. Grafisch nachvollziehbar wird dies dadurch, dass die Indifferenzkurve I 1 die Budgetgerade in Punkt C schneidet. Solange eine typische Indifferenzkurve die Budgetgerade schneidet, existieren auf derselben Indifferenzkurve noch Güterbündel, die dasselbe Nutzenniveau erreichen, ohne das Budget auszuschöpfen und so die Verschwendung erkennbar werden lassen. Oder umgekehrt: Solange eine typische Indifferenzkurve die Budgetgerade schneidet, existieren auf der 25 Vgl. Abschnitt II.3. zur Budgetgeraden. C B A I 3 I 1 I 2 Gut x Gut y <?page no="86"?> 60 II. Die Theorie der Haushalte Budgetgeraden noch Güterbündel mit weniger extremen Mischungsverhältnissen der Güter, die auf höheren Indifferenzkurven liegen. 26 Wenn das höchste erreichbare Nutzenniveau weder auf einer Indifferenzkurve liegen kann, die keinen gemeinsamen Punkt mit der Budgetgeraden aufweist, noch auf einer Indifferenzkurve, die einen oder mehrere Schnittpunkte mit der Budgetgeraden hat, bleibt nur eine Möglichkeit: Grafisch muss es sich bei dem besten Güterbündel, welches sich ein Individuum leisten kann, um einen Tangentialpunkt einer Indifferenzkurve mit der Budgetgeraden handeln. 27 Nun wurde bereits oben daran erinnert, was ein Tangentialpunkt bedeutet: Die Indifferenzkurve weist im betreffenden Punkt exakt die gleiche Steigung auf wie die Tangente an diesem Punkt. Diese Identität verrät uns auf Grund unseres Wissens um die Steigung der Budgetgeraden noch etwas: Im Punkt der optimalen Nachfrageentscheidung entspricht die subjektive Tauschbereitschaft des Individuums (= Steigung der Indifferenzkurve) dem objektiv möglichen Tauschverhältnis (= Steigung der Budgetgeraden) und damit dem (negativen) umgekehrten Preisverhältnis der beiden Güter. Das ist natürlich kein Zufall. Vielmehr ändert das Individuum das Mischungsverhältnis der Güter solange zur durch das Preisverhältnis vorgegebenen Tauschrate, bis es sich nicht mehr besserstellen kann, weil es bei einem weiteren Tausch wieder geringere Nutzenniveaus realisieren würde. Dieses optimale Mischungsverhältnis ist eben dann erreicht, wenn die subjektive Tauschbereitschaft der betrachteten Person mit dem umgekehrten Preisverhältnis übereinstimmt. Auch wenn dies sehr abstrakt anmutet: In Wahrheit verhält sich jeder/ jede Leser*in genau entsprechend dieses Kalküls, wie das folgende Beispiel veranschaulicht. Folgen Sie der Argumentation Schritt für Schritt in der Abbildung. Nehmen Sie an, das Zwei-Güterdiagramm würde Güterbündel von Euro (zusammengesetztes Gut „Betrag für andere Güter“) und Automatenkaffee abbilden, wobei ein Kaffee 0,50 Euro kostet. Sie verfügen über ein Budget von 26 Vgl. die Begründung für die Konvexität der typischen Indifferenzkurve in Abschnitt II.5.1. 27 Bei typischen Präferenzen und dementsprechend konvexen, runden Indifferenzkurven gibt es nur eine einzige Indifferenzkurve, die wiederum nur einen einzigen Tangentialpunkt mit der Budgetgerade aufweist. Es muss sich also um das Güterbündel handeln, welches den Tangentialpunkt der höchsten erreichbaren Indifferenzkurve mit der Budgetgeraden darstellt. <?page no="87"?> 6. Die optimale Nachfrageentscheidung 61 acht Euro, so dass der Ordinatenabschnitt der Budgetgeraden bei acht und der Abszissenabschnitt bei 16 liegen. Abb. 12: Im Optimum entspricht die GRS dem Preisverhältnis Die Steigung der Budgetgerade beträgt - 1/ 2, d. h. für eine zusätzliche Euromünze muss auf zwei Kaffee verzichtet werden, für einen zusätzlichen Kaffee muss auf eine halbe Euromünze verzichtet werden. In der Abbildung Abb. 12 ist nur eine Indifferenzkurve abgebildet, nämlich diejenige aus der Schar von Indifferenzkurven, die in Punkt X einen Tangentialpunkt mit der Budgetgerade aufweist. Warum kennzeichnet diese Güterkombination X mit 4,50 Euro Rest und sieben Tassen Automatenkaffee die beste Nachfrageentscheidung, die Sie unter den durch die Form der Indifferenzkurve angenommenen Präferenzen verwirklichen können? Um sich klar zu machen, dass die Übereinstimmung von objektiver Tauschmöglichkeit und subjektiver Tauschbereitschaft das optimale Güterbündel determiniert, bewegen wir uns entlang der Indifferenzkurve und betrachten unterschiedliche Güterbündel, die alle denselben Nutzen stiften, jedoch bis auf Kombination X auf Grund der Budgetrestriktion nicht verwirklicht werden können. V: GRS = 3/ 1 = 3 X: GRS = 8/ 16 = 1/ 2 W: GRS = 2/ 2 = 1 Y: GRS = 1/ 3 W Becher Kaffee 4 6 8 10 12 14 16 2 X Y V 2 4 6 8 Euromünzen <?page no="88"?> 62 II. Die Theorie der Haushalte Das Güterbündel V stiftet einen bestimmten Nutzen. Es würde allerdings ein höheres Budget erfordern. Ausgehend von dem in diesem Punkt vorliegenden Güterbündel liegt die Tauschbereitschaft bei 3: 1, d. h. das Individuum wäre bereit, für einen zusätzlichen Kaffee bis zu drei Euro aufzugeben. Tatsächlich kostet ein Kaffee aber nur 0,50 Euro. Die betreffende Person wird bereit sein, einige Kaffee mehr zu erwerben, solange ihr diese weiteren Tassen Kaffee mehr als 0,50 Euro wert sind. Wechseln wir also zur Betrachtung der Güterkombination W. Diese Kombination würde allerdings noch immer ein höheres Budget erfordern als im Beispiel vorgegeben. Die Person ist gemäß der Steigung der Indifferenzkurve in diesem Punkt bereit, für eine zusätzliche Tasse Kaffee einen Euro zu zahlen. Objektiv müssen entsprechend des unveränderten Preisverhältnisses jedoch weiterhin nur 0,50 Euro gezahlt werden. Es lohnt sich also, weitere Kombinationen mit höherem Kaffeeanteil und geringerem Münzenanteil auszuprobieren. Mit der Kombination Y würde das Individuum jedoch eindeutig übertreiben. Zwar stiftet auch die Kombination Y den gleichen Nutzen wie die Güterkombinationen V und W, aber auch Kombination Y kann sich die Person nicht leisten. Tatsächlich wurde nun zu viel Kaffee in Erwägung gezogen, denn die Grenzrate der Substitution an der Stelle Y signalisiert, dass für einen zusätzlichen Kaffee nur auf 0,33 Euro verzichtet werden kann, wenn das Nutzenniveau gehalten werden soll. Tatsächlich müssten aber unverändert 0,50 Euro gezahlt werden. Mit der Kombination X verwirklicht das Individuum ebenfalls das Nutzenniveau, welches mit den zu teuren Kombinationen V, W und Y erreicht würde. Die Güterkombination X mit 4,50 Euro und sieben Tassen Kaffee kostet jedoch exakt acht Euro und ist daher mit dem vorgegebenen Budget vereinbar. Dabei entspricht die subjektive Tauschbereitschaft des betrachteten Individuums an dieser Stelle genau dem umgekehrten Preisverhältnis: Es ist bereit, 0,50 Euro gegen einen Kaffee zu tauschen. Die optimale Nachfrage nach Automatenkaffee beträgt daher genau sieben Tassen. Die Regel ist denkbar einfach: Fangen Sie an, Kaffee zu trinken. Überprüfen Sie jeweils ihre marginale Zahlungsbereitschaft für die nächste Tasse Kaffee anhand der Frage „Wie viel würde ich für die nächste Tasse zu zahlen bereit sein? “ Solange Ihre subjektive Tauschbereitschaft größer ist, als der gemäß der objektiven Tauschmöglichkeit (= dem Preisverhältnis) zum Erhalt des Kaffees notwendige Zahlbetrag, können Sie Ihren Nutzen durch weiteren Kaffeekonsum steigern und sollten unbeirrt fortfahren. War allerdings Ihre Zahlungsbereitschaft eigentlich schon bei der letzten Tasse geringer als der Betrag, den Sie für die letzte Tasse tatsächlich zahlen mussten, so hätten Sie Ihren Nutzen erhöhen können, wenn Sie rechtzeitig vor der letzten Tasse gestoppt hätten. Ihr <?page no="89"?> 6. Die optimale Nachfrageentscheidung 63 Nutzen ist dann maximal, wenn Ihre Zahlungsbereitschaft bei der letzten Tasse exakt der tatsächlich erforderlichen Zahlung entsprach und Ihnen die nächste Tasse den Preis „nicht wert“ wäre. An dieser Stelle entsprechen sich subjektive Tauschbereitschaft und objektive Tauschmöglichkeit. Dies entspricht dem Gedanken der Grenznutzenausgleichsregel bzw. des zweiten Gossenschen Gesetzes: 28 Ein Haushalt optimiert seine Nachfrage, wenn die Grenznutzen aller Güter geteilt durch ihren jeweiligen Preis übereinstimmen. Oder anders ausgedrückt: Der jeweils letzte in einer Verwendung (zu einem Zweck) eingesetzte Euro soll in jeder Verwendung (zu jedem Zweck) einen gleich hohen Nutzengewinn erwarten lassen. Andernfalls könnte man eine Umstrukturierung des Konsums vornehmen, bei der eine Ausgabenreduzierung für das eine Gut eine geringere Nutzeneinbuße erwarten ließe, als eine entsprechende Ausgabenerhöhung bei dem anderen Gut Nutzenzuwachs versprechen würde. In Punkt V ist der Grenznutzen der letzten Tasse Kaffee noch sechsmal höher als der Grenznutzen der letzten verbliebenen 50-Cent-Münze. In Punkt W ist der Grenznutzen der letzten Tasse Kaffee noch doppelt so hoch wie der der letzten verbliebenen 50-Cent-Münze. In Punkt Y ist der Grenznutzen der letzten Tasse Kaffee bereits geringer als der Grenznutzen der letzten verbliebenen 50-Cent-Münze. Nur in Punkt X entsprechen sich der Grenznutzen der siebten Tasse Kaffee und der Grenznutzen der neunten 50-Cent-Münze. Hier ist der Grenznutzen in beiden Verwendungsformen der knappen Mittel gleich hoch und damit das Nachfrageoptimum des Haushalts erreicht. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (16) ein Video zum Thema „Die optimale Nachfrage“ und unter (17) ein Video zum Thema „Das erste und das zweite Gossensche Gesetz“. https: / / t1p.de/ covz 28 Im Original: „Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehren Genüssen freisteht, ... muss ..., um die Summe seines Genusses zum Größten zu bringen, bevor er auch nur den größten sich vollaus bereitet, sie alle teilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhältnis, dass die Größe eines Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen noch die gleiche bleibt.” <?page no="90"?> 64 II. Die Theorie der Haushalte 7. Veränderungen der Parameter der individuellen Nachfrage Die jeweils optimale individuelle Nachfrageentscheidung hängt also von den Präferenzen, dem Einkommen (Budget) und den Güterpreisen ab. Präferenzen betrachten Ökonom*innen meistens als (zumindest kurzfristig) konstant. Nicht, weil Ökonom*innen tatsächlich glauben, dass sich Präferenzen nicht ändern oder das Präferenzen ab Geburt vorgegeben und unbeeinflussbar wären, sondern deshalb, weil das Studium von Präferenzveränderungen eher der Nachbarwissenschaft Psychologie zuzuordnen ist, während sich die Ökonomik mit dem Restriktionsrahmen befasst, innerhalb dessen die Individuen gemäß ihrer Präferenzen agieren. Im vorliegenden Fall befassen sich Ökonom*innen also üblicherweise nicht mit Präferenzänderungen, sondern mit Änderungen des Einkommens oder der Preise. 7.1. Änderung der Nachfrage bei Einkommensänderung Wie verändert sich die nachgefragte Menge bezüglich eines bestimmten Guts, wenn sich das Einkommen ändert? Zur grafischen Beantwortung dieser Frage werden verschiedene Budgetgeraden und die jeweiligen Tangentialpunkte der Indifferenzkurven im Zwei-Güter-Diagramm betrachtet. Üblicherweise wird man dabei an der Ordinate Euro-Beträge (als zusammengesetztes Gut) abtragen und auf der Abszisse die Mengen des zu untersuchenden Guts abbilden. Eine Verbindungslinie verschiedener Nachfrageoptima des betrachteten Haushalts im Zwei-Güter-Diagramm wird Einkommens-Konsum-Kurve genannt. 29 29 Eine andere Art der Darstellung der Nachfragereaktion auf verschiedene Einkommenshöhen ist die so genannte Engel-Kurve, die durch ein Diagramm verläuft, bei dem verschiedene Einkommen auf der Abszisse und die korrespondierenden Nachfragemengen des betrachteten Gutes auf der Ordinate abgetragen werden. Die Engel-Kurve ist nach dem Statistiker Ernst Engel (1821 - 1896) benannt, der Mitte des 19. Jahrhunderts nachwies, dass die Ausgaben der allermeisten Haushalte für Nahrungsmittel zwar bei steigendem Einkommen zunehmen, der Anteil des Gesamteinkommens, der für Nahrungsmittel aufgewendet wird, jedoch zurückgeht (die Ausgaben für Nahrungsmittel also unterproportional steigen). Diese empirisch gut untermauerte Beobachtung wird als „Engelsches Gesetz“ bezeichnet. Der Anteil des Gesamteinkommens, den ein Haushalt für Nahrungsmittel ausgibt, ist der „Engel-Koeffizient“. Ein niedriger Engel-Koeffizient ist ein Indikator hohen materiellen Wohlstands. <?page no="91"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 65 Abb. 13: Einkommens-Konsum-Kurve Beachten Sie, dass es sich in der Abbildung Abb. 13 um ein Zwei-Güter-Diagramm handelt, auch wenn hier statt der abstrakten Bezeichnungen „Gut 1“ als Achsenbezeichnung der Ordinate „Menge Euro“ steht. Auf der Ordinate wird die Anzahl übrig behaltener Euros abgetragen, die für den Kauf von allen anderen Gütern verwendet werden können (vgl. „zusammengesetztes Gut“ Abschnitt II.3.1.). Die Ergebnisse solcher Betrachtungen lassen eine Typisierung des Nachfrageverhaltens nach Gütern bei unterschiedlich hohen Einkommen in drei Kategorien zu: Man unterscheidet normale, superiore und inferiore Güter. 7.1.1. Normale Güter Bei den so genannten normalen Gütern verändert sich die nachgefragte Menge in die gleiche Richtung wie das Einkommen. Bei höherem Einkommen werden mehr Einheiten eines normalen Guts nachgefragt. Die Ausdehnung des Konsums erfolgt jedoch maximal proportional zum Einkommensanstieg, d. h. der Anteil des Gesamteinkommens, der für das betrachtete Gut aufgewendet wird, Menge Kölsch Menge Euro Euro x 2 x 1 x Einkommens-Konsum-Kurve <?page no="92"?> 66 II. Die Theorie der Haushalte sinkt oder bleibt gleich. Bei geringerem Einkommen fragen die Individuen weniger Einheiten des normalen Guts nach, die Einschränkung erfolgt jedoch ebenfalls maximal proportional zur Einkommenseinbuße, d. h. der Anteil der Ausgaben für das normale Gut am Gesamtbudget steigt oder bleibt gleich. 30 Normale Güter sind grob gesprochen alle Güter, die Sie nicht nur notgedrungen, sondern wirklich nachfragen möchten und die zugleich keine ausgesprochenen Luxusgüter sind. Der Zusammenhang wird klarer, wenn man sich im Unterschied zu normalen Gütern die Effekte von Einkommensänderungen bei superioren und inferioren Gütern verdeutlicht. 7.1.2. Superiore Güter Auch bei superioren Gütern verändert sich die nachgefragte Menge auf Grund von Einkommensänderungen in die gleiche Richtung wie das Einkommen selbst. Allerdings fragt ein Individuum von superioren Gütern bei steigendem Einkommen überproportional mehr nach bzw. reduziert den Konsum dieser Güter im Falle einer Einkommensminderung überproportional. 31 Damit geht einher, dass der Anteil der Ausgaben für ein superiores Gut am Gesamtbudget bei steigendem Einkommen zunimmt und bei sinkendem Einkommen abnimmt. Es handelt sich landläufig gesprochen um Luxusgüter. Beispielsweise könnte es wohl vorstellbar sein, dass viele Individuen ihre Konsumnachfrage nach Kaviar oder nach teuren Sammelobjekten bei steigendem Einkommen überproportional ausdehnen. 7.1.3. Inferiore Güter Inferiore Güter sind hingegen Güter, bei denen sich die nachgefragte Menge gegenläufig zur Einkommensänderung verhält. Bei höherem Einkommen werden absolut (nicht nur relativ! ) weniger Einheiten eines inferioren Guts nachgefragt, bei geringerem Einkommen fragen Individuen mehr Einheiten des inferioren Guts nach. 32 Inferiore Güter sind normalerweise „geringwertige“ Güter, die bei steigendem Einkommen durch „höherwertige“ Güter substituiert werden. In der Literatur findet sich häufig das Beispielsgüterpaar von Butter 30 Bei einem Anstieg des Einkommens um 10 Prozent wird der Konsum um maximal 10 Prozent ausgedehnt und umgekehrt. Ökonom*innen sprechen von einer Einkommenselastizität der Nachfrage zwischen Null und Eins. 31 Bei einem Einkommensanstieg um 10 Prozent wird der Konsum um mehr als 10 Prozent ausgedehnt; die Einkommenselastizität der Nachfrage ist größer als Eins. 32 Die Einkommenselastizität der Nachfrage ist kleiner Null. <?page no="93"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 67 und Margarine. Dieses Beispiel stammt aus einer Zeit, als noch von „der guten Butter“ geschwärmt wurde. Die dahinterstehende Vermutung lautet, dass Individuen Margarine aus Sparsamkeit und nicht auf Grund ihrer geschmacklichen Vorlieben oder Gesundheitserwägungen heraus konsumieren und liebend gerne durch Butter ersetzen würden. Solche Individuen würden bei steigendem Einkommen tendenziell immer mehr Butter statt Margarine verwenden, würden also Margarine durch Butter substituieren. Der Konsum von Margarine nähme bei steigendem Einkommen ab, Margarine wäre ein inferiores Gut. Es finden sich tatsächlich viele inferiore Güter, z. B. Dosenravioli vom Supermarkt (- ersetzt durch die leckeren, frisch zubereiteten im Ristorante), geringwertige Unterwäsche (- ersetzt durch Designerware), kleine Gebrauchtwagen (- ersetzt durch neue Mittelklasseautos), Straßenbahntickets (- ersetzt durch Taxifahrten) etc. Die Bezeichnungen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich in Wahrheit nicht um bestimmte feste Eigenschaften der Güter selbst handelt, sondern um die Reaktion einzelner oder mehrerer Individuen mit bestimmten Präferenzen und in bestimmten Einkommenssituationen. Manche Güter können z. B. durchaus mit steigendem Einkommen für ein und dasselbe Individuum zunächst ein superiores, dann ein normales und später gar ein inferiores Gut sein. Beispielsweise könnte Gretel während ihres Studiums frische Ravioli aus der Bio-Theke des Supermarkts zunächst als Luxusgut betrachten, während ihrer ersten Berufsjahre als normales Gut und nach ihrer Beförderung in den Vorstand eines DAX-Konzerns nur noch als inferiores Gut ansehen, da sie nun gewöhnlich die frische Pasta bei ihrem Lieblings-Italiener vorzieht. Und manche Güter sind für den einen ein inferiores Gut, welches bei steigendem Einkommen durch höherwertige Substitute ersetzt wird, während sie für den anderen über den gesamten Einkommensbereich hinweg als normales Gut auftreten. Güter sind also nicht an sich inferior, normal oder superior, sondern werden in Bezug auf einzelne oder mehrere Individuen in bestimmten Einkommensbereichen so bezeichnet, wenn diese Individuen auf Grund ihrer Präferenzen wie oben ihre Nachfrage nach diesen Gütern in Abhängigkeit des Einkommens variieren. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (18) ein Video zum Thema „Normale, superiore und inferiore Güter“. https: / / t1p.de/ covz <?page no="94"?> 7.2. Änderung der Nachfrage bei Preisänderung Und wie verändert sich die Nachfrage nach einem bestimmten Gut bei konstantem Einkommen, konstanten Preisen für alle anderen Güter, aber veränderten Preisen für das zu untersuchende Gut? Den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Preisen eines Guts und der von diesem Gut nachgefragten Menge bildet die Nachfragekurve in einem Preis-Mengen-Diagramm ab. Üblicherweise werden in einem solchen Diagramm der Preis des betrachteten Guts an der Ordinate und die Menge des Guts an der Abszisse abgetragen. Dabei korrespondiert die Nachfrage selbstverständlich unmittelbar mit den je nach Preis verschiedenen optimalen Nachfragemengen im Zwei-Güter-Diagramm (vgl. die Abbildung Abb. 14 auf der übernächsten Seite). Zur grafischen Herleitung zeichnet man zunächst im Zwei-Güter-Diagramm verschiedene Budgetgeraden entsprechend der unterschiedlichen Preise für eines der Güter (in der Abbildung für Kölsch) und ermittelt die jeweils optimale Nachfragemenge als Tangentiallösungen dieser Budgetgeraden mit Indifferenzkurven. 33 Wie oben wird auf der Ordinate die Anzahl der übrig behaltenen Euros abgetragen, keinesfalls der Preis eines Kölschs in Euro. Der unterschiedliche Preis eines Kölschs ist im oberen Diagramm nur implizit durch die Steigung der Budgetgeraden enthalten. Abgebildet sind hier beispielhaft zwei Budgetgeraden, die sich bei einem Budget von 30 Euro bei verschiedenen Kölschpreisen (Preis je 0,2 Liter Kölsch) ergeben. Die Tangentialpunkte der Indifferenzkurven an den jeweiligen Budgetgeraden ergeben durch Loten auf die Abszisse (Kölsch-Mengenachse) die von dem betrachteten Individuum beim jeweiligen Preis erwünschte Menge Kölsch-Konsum (x 1 ; x 2 ). Die so ermittelten optimalen Nachfragemengen überträgt man anschließend auf die Abszisse (Kölsch-Mengen-Achse) eines Preis-Mengen-Diagramms (unterer Teil der Abbildung). An der Ordinate (Kölsch-Preis-Achse) des Preis-Mengen- Diagramms notiert man die mit den unterschiedlichen Steigungen der Budgetgeraden im Zwei-Güter-Diagramm korrespondierenden Preise. 33 Eine (hier nicht eingezeichnete! ) Verbindungslinie der verschiedenen Nachfrageoptima bei unterschiedlichen Preisen eines Gutes im Zwei-Güter-Diagramm wird Preis-Konsum- Kurve genannt. <?page no="95"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 69 Abb. 14: Herleitung der Nachfragekurve Auf Grund der Achsenabschnitte im Zwei-Güter-Diagramm können Sie leicht auf die zu Grunde liegenden Preise schließen: Die Budgetgerade, die bei einem Menge Kölsch Menge Euromünzen 30 30 10 Preis Kölsch 1€ Menge Kölsch 3€ Nachfragekurve x 1 x 2 x 1 x 2 Preis-Mengen-Diagramm Zwei-Güter-Diagramm <?page no="96"?> 70 II. Die Theorie der Haushalte Budget von 30 Euro maximal zehn Kölsch ermöglicht, steht für einen Kölschpreis in Höhe von drei Euro. Die zweite Budgetgerade ermöglicht 30 Kölsch für 30 Euro und steht demnach für einen Kölschpreis von einem Euro. Die Nachfragekurve ist nun die Verbindungslinie zwischen den jeweiligen Preis-Mengen-Kombinationen. Sie erteilt unmittelbar Auskunft darüber, wie sich die nachgefragte Menge nach einem Gut in Abhängigkeit des Preises dieses Guts c. p. 34 verhält. Eigentlich müssten sehr viele optimale Punkte für die unterschiedlichsten Preise ermittelt werden, damit man den wahrscheinlichen Verlauf der individuellen Nachfrage abbilden kann. Tatsächlich wird die individuelle Nachfrage nach einem Gut in den seltensten Fällen eine lineare Funktion sein und als Gerade im Preis-Mengen-Diagramm liegen. Aus Vereinfachungsgründen werden Nachfragekurven in vielen Zusammenhängen, in denen es lediglich auf typische Verläufe ankommt, dennoch in dieser Weise dargestellt. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (19) ein Video zum Thema „Die Nachfragekurve“. https: / / t1p.de/ covz 7.3. Substitutions- und Einkommenseffekt Preisänderungen in der wirklichen Welt haben zwei gedanklich zu trennende Auswirkungen: Einerseits ändert sich meistens das Preisverhältnis zwischen den Gütern, was zu einer veränderten Steigung der Budgetgeraden führt (vgl. Abschnitt II.3.2.). Andererseits kommt es dadurch ebenfalls zu einer Veränderung der Kaufkraft des Budgets bzw. des Einkommens, was einer Lageveränderung der Budgetgeraden entspricht (vgl. Abschnitt II.3.2.). Wahrscheinlich können Sie sich beispielsweise leicht vorstellen, der Benzinpreis würde steigen. Dies hat dann erstens zur Folge, dass Sie - egal wie hoch Ihr monatliches Budget ist - für jeden Liter Benzin mehr Euro ausgeben müssen, 34 c. p. = ceteris paribus = „alles andere unverändert“. Konkret ist hier gemeint, dass sich die nachgefragte Menge nach Gut x in Abhängigkeit des Preises von Gut x so verhält wie durch die Nachfragekurve abgebildet, vorausgesetzt, die Präferenzen, das Einkommen und alle anderen Preise bleiben unverändert. <?page no="97"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 71 um eine Tankfüllung zu erhalten. Sie müssen also für jede Tankfüllung auf eine größere Menge der anderen Güter verzichten, die Sie üblicherweise sonst so erwerben. Die relativen Preise, d. h. die objektiven Tauschmöglichkeiten, also das Verhältnis, zu dem am Markt die Substitution von Benzin und anderen Gütern in Ihrem Warenkorb möglich ist, verändert sich. Diesen ersten Effekt nennt man Substitutionseffekt. Analytisch ist davon zu trennen, dass Sie sich zweitens gleichzeitig trotz nominal unverändertem Monatsbudget insgesamt weniger leisten können. Es werden weniger Güterbündel aus Benzin und allem anderen mit Ihrer Budgetbeschränkung vereinbar sein. Der zweite Effekt, der sich auf die Wirkung dieser Kaufkraftveränderung des Budgets bzw. des Einkommens konzentriert, wird Einkommenseffekt genannt. Die Kaufkraft des Budgets (des vorhandenen und nominal unveränderten Einkommens) verändert sich bei einer Preisänderung ähnlich wie bei einer Einkommensänderung: Bei unveränderter Nachfragemenge nach einem Gut kann im Falle einer Preissenkung mehr von dem anderen Gut bzw. im Falle eines Preisanstiegs weniger von dem anderen Gut nachgefragt werden. Das nominal unveränderte Budget wird, ausgedrückt in Kaufkraft, mehr oder weniger „wert“, das Realeinkommen ändert sich. 7.3.1. Der Substitutionseffekt Für Wirtschaftswissenschaftler*innen ist es wichtig, Substitutions- und Einkommenseffekt genau bestimmen zu können, um Rückschlüsse auf den Gesamteffekt einer Preisänderung vornehmen zu können. Denn dieser ist nicht für alle Güter so eindeutig vorherzusagen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Aus diesem Grund werden die Gesamteffekte in den Substitutions- und den Einkommenseffekt zerlegt. Um den Substitutionseffekt isolieren zu können, betrachtet man ausschließlich die Nachfrageänderung, die auf Grund der geänderten relativen Preise erfolgt. Um den gleichzeitig erfolgenden Effekt der Kaufkraftveränderung auszuschließen, beobachtet man die Nachfrageänderung anhand eines einkommenskompensierten Budgets beim neuen Preisverhältnis. Gemeint ist damit, dass man gedanklich das Budget (Einkommen) des Individuums so verändert, dass es sich auch beim neuen Preisverhältnis genau das vor der Preisänderung optimale Güterbündel „leisten“ kann. Das Realeinkommen wird hypothetisch konstant gehalten, so dass das ursprüngliche Güterbündel weiterhin auf der Budgetgeraden liegt, deren Steigung dem neuen Preisverhältnis entspricht. Im Falle eines Preisanstiegs muss dem Individuum also gedanklich so viel zusätzliches Einkommen gegeben werden, dass es sich trotz der Preisänderung immer <?page no="98"?> 72 II. Die Theorie der Haushalte noch das ursprüngliche Güterbündel leisten könnte. Im Falle einer Preissenkung, nimmt man dem Individuum umgekehrt gedanklich so viel Einkommen weg, dass es sich trotz der Preisänderung weiterhin nur das ursprüngliche Güterbündel leisten könnte. Die einkommenskompensierte Budgetgerade entspricht demnach einer Budgetgeraden, die im Punkt der vor der Preisänderung optimalen Nachfrage gedreht ist. Abb. 15: Der Substitutionseffekt In der Abbildung Abb. 15 stellt die Gerade AB die ursprüngliche Budgetgerade, die Indifferenzkurve I 1 das ursprünglich maximal erreichbare Nutzenniveau und der entsprechende Tangentialpunkt Q das ursprüngliche optimale Güterbündel dar. Ein durch eine Preisänderung geändertes objektiv mögliches Tauschverhältnis bedeutet grafisch eine veränderte Steigung der Budgetgeraden. In der Abbildung wird beispielhaft eine Preissenkung für Gut x um 2/ 3 x 1 x 2 Gut x Gut y D SE I 2 I 1 R Q E C B A einkommenskompensierte Budgetgerade <?page no="99"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 73 angenommen. Der Ordinatenabschnitt der Budgetgerade bleibt damit unverändert in A bestehen, der Abszissenabschnitt jedoch signalisiert in C, dass man zum neuen Preis die dreifache Menge von Gut x erwerben könnte, wenn das gesamte Budget für Gut x ausgegeben würde. Die tatsächliche neue Budgetgerade wird durch AC abgebildet. Die einkommenskompensierte neue Budgetgerade erhält man, indem man die ursprüngliche Budgetgerade nicht im Ordinatenabschnitt entsprechend des neuen Preisverhältnisses dreht, sondern im ursprünglichen optimalen Güterbündel (dem ursprünglichen Tangentialpunkt Q). 35 Die einkommenskompensierte Budgetgerade DE würde die hypothetische Situation kennzeichnen, in der sich zwar das Preisverhältnis der Güter x und y geändert hat, dies aber keine Kaufkraftveränderung bewirkt hätte. Die Nachfrageveränderung auf Grund des Substitutionseffekts wird identifiziert, indem man durch Suche eines Tangentialpunktes (R) mit einer Indifferenzkurve (I 2 ) die optimale Nachfrageentscheidung unter den Bedingungen des einkommenskompensierten Budgets isoliert. Die Ausdehnung der Nachfrage bezüglich Gut x von x 1 auf x 2 (SE) ist alleine auf die Änderung der relativen Preise zurückzuführen. Auch die Nutzenänderung entsprechend des Wechsels von I 1 auf I 2 ist alleine auf die Änderung der relativen Preise, die Änderung des am Markt möglichen Tauschverhältnisses der beiden Güter, zurückzuführen. Der Substitutionseffekt auf die nachgefragte Menge des Guts, dessen Preis sich geändert hat, ist - bei teilweise substituierbaren Gütern wie sie durch die normalen Indifferenzkurven dargestellt werden - stets eindeutig bestimmt: Die nachgefragte Menge des Guts verändert sich immer in die entgegengesetzte Richtung der Preisbewegung, d. h. bei einer Preissenkung bewirkt der Substitutionseffekt eine steigende Nachfragemenge, bei einem Preisanstieg bewirkt der Substitutionseffekt eine geringere Nachfragemenge. Dass dies so sein muss, wird ersichtlich, wenn man folgendes bedenkt: Die bei einer Preissenkung auf der einkommenskompensierten neuen Budgetgerade liegenden Güterbündel mit geringerer Menge des betreffenden Guts (zwischen A und B im linken Teil der folgenden Abbildung Abb. 16) waren auch schon vor der Preisänderung erreichbar. Sie wurden aber eben nicht gegenüber A bevor- 35 Man verschiebt die neue Budgetgerade soweit parallel (eine Einkommensänderung entspricht einer Parallelverschiebung der Budgetgeraden - vgl. Abschnitt II.3.2.), bis sie genau durch den ursprünglichen Tangentialpunkt verläuft. <?page no="100"?> 74 II. Die Theorie der Haushalte zugt (der ursprüngliche Tangentialpunkt A stellte schließlich die optimale Nachfrageentscheidung dar). Da andererseits die einkommenskompensierte Budgetgerade mit der ursprünglichen Indifferenzkurve in A keinen Tangentialpunkt, sondern einen Schnittpunkt aufweist, existieren andere Güterbündel, die ein höheres Nutzenniveau versprechen. Abb. 16: Eindeutige Richtung des Substitutionseffekts Analog waren bei einem Preisanstieg alle Güterbündel auf der einkommenskompensierten neuen Budgetgerade mit höherer Menge des betreffenden Guts (zwischen C und D im rechten Teil der Abbildung) möglich, aber nicht erwünscht (Güterbündel C war die optimale Nachfrageentscheidung). Würde eine Preisänderung also nur zur Änderung der Preisverhältnisse führen und keinen Effekt auf das Realeinkommen ausüben, dann könnte eindeutig gefolgert werden, dass eine Preissenkung immer zu einer Ausdehnung der Nachfrage nach dem betreffenden Gut führen würde, eine Preiserhöhung hingegen immer eine Reduzierung der Nachfrage nach dem betreffenden Gut zur Folge hätte. 7.3.2. Der Einkommenseffekt Tatsächlich kommt aber bei Preisänderungen in der realen Welt gewöhnlich der Einkommenseffekt dazu. Und der Einkommenseffekt auf die nachgefragte Menge eines Guts ist im Gegensatz zum Substitutionseffekt nicht zu bestimmen, ohne sich über die Art des Guts im Klaren zu sein (vgl. Abschnitt II.7.1. zu normalen, superioren und inferioren Gütern). B Gut y Gut x einkommenskompensierte Preissenkung Gut x D C Gut y Gut x einkommenskompensierte Preiserhöhung Gut x A <?page no="101"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 75 Der Einkommenseffekt einer Preissenkung verursacht denselben Effekt wie eine Erhöhung des Einkommens (Budgets). Eine solche Einkommenserhöhung hat im Falle normaler und superiorer Güter den Effekt, dass die Nachfrage steigt. Im Falle inferiorer Güter hingegen bewirkt eine Einkommenssteigerung einen Rückgang der Nachfrage. Abb. 17: Einkommenseffekt Wenn ein Preis steigt, entfaltet der Einkommenseffekt dieselbe Wirkung wie eine Verringerung des Einkommens. Eine Einkommenssenkung führt bei normalen und superioren Gütern zur Reduzierung der Nachfragemenge, bei inferioren Gütern hingegen zu einer Nachfrageausdehnung. Um den Einkommenseffekt isolieren zu können, betrachtet man nur den Effekt der Preisänderung auf die Kaufkraft des Budgets, ohne den Effekt der veränderten Preisrelation. Dies ist nach Isolation des Substitutionseffektes einfach: Der x 1 x 2 x 3 Gut x Gut y D SE EE I 3 I 2 I 1 S R Q E C B A <?page no="102"?> 76 II. Die Theorie der Haushalte Einkommenseffekt entspricht der Nachfrageänderung auf Grund der Parallelverschiebung von der einkommenskompensierten Budgetgeraden zur tatsächlichen neuen Budgetgeraden. In der Abbildung Abb. 17 entspricht die auf den Einkommenseffekt zurückzuführende Nachfrageänderung (EE) bezüglich des Guts x der Bewegung von x 2 auf x 3 . Der Wechsel vom - bei veränderter Preisrelation aber hypothetisch kompensiertem Einkommen - optimalen Güterbündel R zum tatsächlichen neuen optimalen Güterbündel S ist alleine auf die veränderte Kaufkraft des Einkommens zurückzuführen, die durch die Parallelverschiebung der Budgetgeraden dargestellt ist. Die Nutzenänderung auf Grund des Einkommenseffektes entspricht dem Wechsel von I 2 auf I 3 . 7.3.3. Der Gesamteffekt Der Gesamteffekt einer Preisänderung auf die nachgefragte Menge des betreffenden Guts setzt sich aus Substitutions- und Einkommenseffekt zusammen. Im Falle normaler und superiorer Güter wirken Substitutionseffekt und Einkommenseffekt in dieselbe Richtung. Die Nachfrageänderung ist deshalb eindeutig bestimmt: Eine Preissenkung führt bei normalen und superioren Gütern sowohl auf Grund des Substitutionseffekts als auch auf Grund des Einkommenseffekts zu einer größeren Nachfrage nach dem betreffenden Gut. Bei einer Preissteigerung führen Substitutions- und Einkommenseffekt bei normalen und superioren Gütern beide zu einer Nachfrageeinschränkung. Da der Einkommenseffekt im Falle inferiorer Güter dem Substitutionseffekt entgegenwirkt und es denkbar ist, dass der Einkommenseffekt den Substitutionseffekt überkompensiert, kann der Gesamteffekt im Falle inferiorer Güter nicht eindeutig vorhergesagt werden. Der Fall, dass der gegenläufige Einkommenseffekt den Substitutionseffekt überkompensiert und also eine Preissenkung zu einer reduzierten Nachfrage nach dem betrachteten Gut führt, eine Preiserhöhung hingegen zu einer steigenden Nachfrage, wird in der Literatur als Giffen-Fall oder Giffen-Paradoxon bezeichnet. 36 Eine Reduzierung des Preises für Brot könnte beispielsweise theoretisch mit einem Rückgang der Konsumnachfrage nach Brot einhergehen, falls Brot ein inferiores Gut ist und die Ersparnis beim Brotkonsum an den Werktagen auf Grund des reduzierten Preises beispielsweise den Konsum von Brötchen statt Brot am Wochenende 36 Nach Robert Giffen (1837 - 1910), der diese theoretisch mögliche Anomalie der Nachfrage als erster beschrieb. <?page no="103"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 77 ermöglicht. In diesem Sonderfall würde die Nachfragekurve im Preis-Mengen- Diagramm überraschenderweise von links unten nach rechts oben verlaufen. Die typische Nachfragekurve, die Ökonom*innen im Preis-Mengen-Diagramm meist ohne zu zögern von links oben nach rechts unten einzeichnen, ist also nur unter folgender Annahme plausibel: Es handelt sich bei dem betrachteten Gut in der relevanten Situation um ein normales oder superiores Gut oder ein inferiores Gut weist zumindest nicht die Eigenschaft des Giffen-Paradoxons auf. 7.3.4. Ein Zahlenbeispiel Falls diese Überlegungen auf Grund des Abstraktionsgrades Schwierigkeiten bereiten, hilft vielleicht ein simples Zahlenbeispiel. 37 Stellen Sie sich vor, es ginge um die Nachfragereaktionen eines Kneipenbesuchers auf veränderte Kölsch-Preise. Das in der Ausgangssituation gegebene Budget der betrachteten Person sei 7,50 Euro. Eine Portion Salzstangen kostet 0,75 Euro, ein Glas Kölsch kostet 1,50 Euro. Das Individuum entscheidet sich für den Konsum von vier Gläsern Kölsch (4 x 1,50 € = 6,00 €) und zwei Portionen Salzstangen (2 x 0,75 € = 1,50 €). Wir gehen auf Grund der Annahme rationaler Nutzenmaximierung davon aus, dass diese Kombination die unter den gegebenen Umständen nutzenoptimale Entscheidung darstellt. 38 Nun sei angenommen, der Kölschpreis falle auf die Hälfte, d. h. sowohl eine Portion Salzstangen als auch ein Glas Kölsch kosten gleichermaßen 0,75 Euro. Um den Substitutionseffekt zu isolieren, wollen wir beobachten, wie sich der Kneipenbesucher verhalten würde, wenn ein neues Preisverhältnis bestehen, die Kaufkraft des Budgets jedoch unverändert bleiben würde. Um dieses fiktive einkommenskompensierte Budget zu erhalten, nehmen wir dem Individuum hypothetisch genau den Eurobetrag ab, der dafür sorgt, dass sich der Kneipenbesucher auch bei den neuen Preisen genau das ursprünglich optimale Güterbündel leisten kann, ohne Geld übrig zu behalten. Grafisch entspricht dies der einkommenskompensierten Budgetgeraden mit neuer Steigung, die durch das ursprüngliche optimale Güterbündel hindurchgeht. Bei den neuen Preisen 37 Nutzen Sie ruhig die Möglichkeit, anhand des Beispiels auszuprobieren, ob Sie die beschriebene Situation grafisch darstellen können. 38 Geld übrig zu behalten schließen wir für diese Betrachtung aus, wir befinden uns in einer Welt, die nur die Güter Kölsch und Salzstangen bereitstellt und abstrahieren von der Zeitdimension, es spielt also keine Rolle in welchem Zeitraum der Konsum erfolgt. <?page no="104"?> 78 II. Die Theorie der Haushalte kostet das ursprüngliche optimale Güterbündel nur noch 4,50 Euro (4 x 0,75 € = 3,00 € für Kölsch plus 2 x 0,75 € = 1,50 € für Salzstangen). Wir nehmen also dem Individuum 3 Euro ab und betrachten, für welches Güterbündel sich der Kneipenbesucher entscheidet, wenn sowohl Salzstangen als auch Kölsch jeweils 0,75 Euro kosten und sein Budget bei 4,50 Euro liegt. Angenommen, das Individuum entscheidet sich nun für fünf Gläser Kölsch (= 3,75 €) und eine Portion Salzstangen (0,75 €), so folgern wir daraus, dass sich der Konsum von Kölsch alleine auf Grund des Substitutionseffektes, d. h. alleine auf Grund der Veränderung des Preisverhältnisses, um ein Kölsch erhöht. Auch die entsprechende Nutzenverbesserung ist alleine auf den Substitutionseffekt zurückzuführen. 39 Offenbar ist dem Individuum nach vier Kölsch und einer Portion Salzstangen ein fünftes Glas Kölsch noch mehr wert als eine zweite Portion Salzstangen. Umgekehrt geschlossen: Offenbar ist dem Individuum nach vier Kölsch ein fünftes Glas Kölsch nicht wertvoller als die ersten zwei Portionen Salzstangen, denn dies wäre bereits in der Ausgangssituation der alten Preise möglich gewesen. Versuchen Sie sich zu verdeutlichen, warum auf den vorhergehenden Seiten bereits abstrakt ausgeführt wurde, dass der Substitutionseffekt immer zu einer Ausdehnung des Konsums des billiger gewordenen Guts führt: Eine Kombination von z. B. drei Kölsch und drei Portionen Salzstangen bei einem Budget von 4,50 Euro und gleichen Preisen für beide Güter in Höhe von jeweils 0,75 Euro wäre zwar erreichbar. Sie würde jedoch im Widerspruch zur ursprünglichen Wahl stehen, denn diese Kombination war auch bei den alten Preisen und dem alten Budget möglich, wurde aber offenbar als weniger wertvoll betrachtet als vier Kölsch und zwei Portionen Salzstangen. Eine solche logische Inkonsistenz der Entscheidungen wäre im Widerspruch mit den Annahmen des rationalen Verhaltens als Nutzenmaximierer. Denkbar wäre jedoch, ohne jeden logischen Widerspruch, eine noch größere Ausdehnung des Kölschkonsums zu Lasten der Salzstangen-Nachfrage (Sechs Kölsch, keine Salzstangen): Dem Individuum wäre in diesem Fall auch nach fünf Kölsch ein weiteres Kölsch noch immer lieber als eine Portion Knabberei. Im Beispiel ebenfalls denkbar ist die Beibehaltung des ursprünglichen Bündels von vier Kölsch und zwei Portionen Salzstangen. Letzteres würde bedeuten, dass dem 39 Es muss sich um eine Nutzenverbesserung handeln, sonst würde das Individuum nicht eine Portion Salzstangen gegen ein Kölsch tauschen. <?page no="105"?> 7. Veränderungen der individuellen Nachfrage 79 Individuum bereits nach vier Kölsch ein fünftes weniger wert ist als eine zweite Portion Salzstangen. 40 Um im nächsten Schritt festzustellen, welche Konsum- und Nutzenveränderung alleine der Einkommenseffekt auslöst, geben wir dem Individuum die zuvor entzogene Kaufkraft wieder zurück und beobachten die Veränderung dieser Budgeterhöhung. Angenommen, das Individuum erwirbt im Falle der neuen Preise von jeweils 0,75 Euro, aber bei Verfügbarkeit von 7,50 Euro Budget, nun acht Kölsch und zwei Packungen Salzstangen. Diese Konsumausweitung von Kölsch um drei Gläser und die entsprechende Nutzensteigerung bei acht Gläsern Kölsch und zwei Portionen Salzstangen gegenüber dem Konsum von fünf Kölsch und einer Portion Salzstangen geht alleine auf den Einkommenseffekt zurück. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (20) ein Video zum Thema „Substitutions- und Einkommenseffekt einer Preisänderung“. https: / / t1p.de/ covz 8. Von der individuellen Nachfrage zur Marktnachfrage Häufiger als die individuelle Nachfragekurve wird das Konzept der Marktnachfragekurve verwendet. Die Marktnachfragekurve beschreibt die Beziehung zwischen den Preisen eines bestimmten Guts und der zu diesen Preisen jeweils insgesamt nachgefragten Menge dieses Guts. Theoretisch gewinnt man die Marktnachfragekurve aus der Aggregation, d. h. der Zusammenfassung, der individuellen Nachfragekurven sämtlicher zum relevanten Markt gehöriger Nachfrager. Nehmen wir also an, die individuellen Nachfragekurven von Matilda und Frieda nach Schokoriegeln seien durch Beobachtung oder Befragung ermittelt worden. Dabei lassen sich die in der folgenden Tabelle angegebenen Nachfragemengen der beiden bei unterschiedlichen Preisen selbstverständlich wiederum jeweils so verstehen, dass sie in Zwei-Güter-Diagrammen 40 In scheinbaren Widerspruch zur abstrakten Aussage der Konsumausweitung des billiger gewordenen Gutes stünde diese Entscheidung nur auf Grund der im Beispiel vorhandenen Unteilbarkeit. Würde der Barkeeper auch Zehntel Kölsch und Zehntel Salzstangen verkaufen, würde sich das Individuum vielleicht für 4,3 Kölsch und 1,7 Portionen Salzstangen entscheiden… <?page no="106"?> 80 II. Die Theorie der Haushalte als Tangentialpunkte an gedrehten Budgetgeraden dargestellt werden könnten. Aus den so gewonnenen Nachfrageplänen bei verschiedenen Preisen kann man zunächst die individuellen Nachfragekurven für Matilda und Frieda in einem Preis-Mengen-Diagramm abtragen. Tab. 4: Individuelle Nachfrage und Marktnachfrage Preis Schokoriegel Matildas Nachfrage Friedas Nachfrage Marktnachfrage 0,25 € 6 12 18 0,50 € 5 10 15 0,75 € 4 8 12 1,00 € 3 6 9 1,25 € 2 4 6 1,50 € 1 2 3 Abb. 18: Marktnachfrage 6 + 12 = 18 4 + 8 = 12 2 + 4 = 6 Gesamtnachfrage nach Schokoriegeln Matildas Nachfrage Friedas Nachfrage 0,25 8 10 12 6 4 2 Menge Preis 14 16 18 0,50 0,75 1,00 1,25 1,50 <?page no="107"?> 8. Von der individuellen Nachfrage zur Marktnachfrage 81 Um die Nachfragekurve des Marktes abzubilden, addiert man bei Gütern wie Schokoriegeln die individuellen Nachfragekurven horizontal auf, d. h. man ermittelt bei jedem Preis die Summe der individuellen Nachfragemengen. Matilda würde z. B. bei einem Preis von 1,25 Euro pro Schokoriegel zwei Stück nachfragen, Frieda hingegen vier Stück. Die Marktnachfrage bei einem Preis von 1,25 Euro beträgt dann sechs Stück. Praktisch geht dies natürlich in den allermeisten Fällen nicht, da wir normalerweise nicht über solche empirisch erhobenen individuellen Nachfragefunktionen verfügen. Somit wird auch das Konstrukt der Marktnachfrage zumeist lediglich abstrakt beispielhaft verwendet. Andererseits: Die Marktnachfrage entspricht aus Sicht der Anbieter am Markt der so genannten Preis-Absatz-Funktion und beschreibt den Zusammenhang zwischen Marktpreis eines Guts und der zu diesem Preis absetzbaren Menge dieses Guts. Dieser Zusammenhang wird manchmal tatsächlich beobachtbar sein, so dass ab und an für die Marktnachfrage doch zumindest annäherungsweise empirisch gewonnene Wertekombinationen Verwendung finden. Zwar lassen sich die Werte der Marktnachfrage dann nicht Individuen zuschreiben, aber vielleicht verfügt der „Verband der Schokoriegelhersteller“ über eine relativ verlässliche Preis-Absatz-Funktion, die Auskunft über die Gesamtnachfrage nach Schokoriegeln bei unterschiedlichen Preisen erteilt. 9. Das individuelle Arbeitsangebot der Haushalte Nachdem wir die Konsumentscheidungen der Haushalte bezüglich der im Unternehmenssektor hergestellten Güter und Dienstleistungen betrachtet haben, wenden wir uns nun der Vollständigkeit halber kurz der Angebotsentscheidung der Haushalte bezüglich ihrer Arbeitskraft zu. Die Arbeitsangebotsentscheidung hängt in der einfachen ökonomischen Modellbildung sehr eng mit der Konsumentscheidung nach Gütern und Dienstleistungen zusammen. Individuen bieten ihre Arbeitskraft und ihre Fähigkeiten an, um Einkommen zu erzielen, welches ihnen Konsummöglichkeiten erschließt. Die Individuen versuchen dabei unverändert ihren Nutzen zu maximieren. Positive Auswirkungen auf die Nutzenempfindung haben im einfachen Arbeitsangebotsmodell der Konsum von Gütern und der Konsum von Freizeit. Um den Güterkonsum finanzieren zu können, müssen Individuen Arbeitseinkommen erzielen, also auf <?page no="108"?> 82 II. Die Theorie der Haushalte Freizeit verzichten. 41 Die Arbeitsangebotsentscheidung ist die Frage nach der optimalen Menge Zeit, die ein/ eine Arbeitnehmer*in dem/ der Arbeitgeber*in zur Verfügung stellen sollte, wenn er bei gegebenen Preisen und gegebenen Präferenzen bezüglich anderen Zeitverwendungsformen und Güter-Konsummöglichkeiten seinen Nutzen zu maximieren versucht. 42 Man spricht bei den Preisen für die Zeit, die Erwerbspersonen den Arbeitgeber*innen vertraglich zusichern („Arbeitszeit“), von „Löhnen“. Alle Zeitverwendungsformen, bei denen nicht Zeit als Arbeitszeit gegen Lohn- oder Gehaltszahlung verkauft wird, werden unter dem Begriff Freizeit subsumiert. Es spielt dabei keine Rolle, ob es um Hobby, Schlafen, Essen, Familienzeit etc. geht oder um eventuell als Pflichten empfundene Aktivitäten wie die Pflege von Angehörigen oder gesellschaftliches Engagement in Ehrenämtern. 43 Die Arbeitsangebotsentscheidung konstruieren Ökonom*innen analog zum Analyse-Gerüst bei der Konsumnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Das zur Verfügung stehende Budget besteht in der verfügbaren Zeit, die als Arbeitszeit oder als Freizeit verwendet werden kann. Den Analyserahmen in 41 Im einfachsten Grundmodell wird sowohl von Vermögen und Ersparnis als auch von Steuern und Transfers abstrahiert. 42 Arbeitnehmer*innen bieten Arbeitgeber*innen nicht nur die begrenzte Verfügungsgewalt über Ihre Zeit an, sondern verhandeln mit ihnen auch über den Einsatz ihres Humankapitals für die unternehmerischen Zwecke. Humankapital wird in der VWL definiert als die Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Wissen, das in Personen verkörpert ist und das durch Ausbildung, Weiterbildung und Erfahrung erworben werden kann. Die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. hat den Begriff Humankapital zum Unwort des Jahres 2004 gewählt. Das Wort degradiere nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben, sondern Menschen überhaupt "zu nur noch ökonomisch interessanten Größen". Ökonom*innen sehen das umgekehrt: Die Betonung der den Einzelnen eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse degradiert Arbeitnehmer*innen nicht, sondern wertet sie auf. Zum einen betont die Erkenntnis des Humankapitals die Wichtigkeit von Bildung und auch Motivation der Arbeitnehmer*innen im Produktionsprozess, zum anderen zeigt der Begriff, dass die Unternehmer*innen (Besitzer*innen von Real-Kapital) auf die Arbeitnehmer*innen (Besitzer*innen von Fähigkeiten, Wissen und Erfahrung) ebenso angewiesen sind, wie umgekehrt. Humankapital macht die auf den ersten Blick mittellosen Arbeitnehmer*innen zu Kapitalisten, die ihr hoffentlich dringend benötigtes Wissen und ihre im Produktionsprozess benötigten Fähigkeiten anbieten, die ihnen niemand nehmen kann, ohne ihnen etwas zum Tausch anzubieten. 43 In manchen Modelldarstellungen wird nur die Zeit nach Abzug der physisch notwendigen Schlafens- und Essenszeit optimal auf Arbeitszeit und Freizeit verteilt. In diesen Modellen verfügt dann der Mensch beispielsweise nur über 16 oder 18 Stunden pro Tag, statt über 24. Das tut aber nichts zur Sache und führt zu keinerlei anderen Ergebnissen in der Modellbetrachtung als wenn man bei 24 Stunden zu verteilender Zeit eben 6 bis 8 Stunden „Freizeit“ für Schlafen und Essen aufwendet. <?page no="109"?> 9. Das individuelle Arbeitsangebot der Haushalte 83 der Abbildung Abb. 19 auf der folgenden Seite bildet das so genannte Einkommen-Freizeit-Modell. Es handelt sich dabei im Grunde um ein Zwei-Güter- Modell; die knappe Ressource Zeit wird aufgeteilt in Zeit zum Einkommenserwerb und Freizeit. Da der Arbeitszeit keine eigenständige Nutzenstiftung zugeschrieben wird, sondern die modellierten Personen lediglich eine Stunde Arbeitszeit gegen die Zahlung des Stundenlohnes eintauschen, wird an der Ordinate direkt die mit der Arbeitszeit korrespondierende Einkommenshöhe abgetragen. Auf der Abszisse liest man die Freizeit ab, also den Anteil der insgesamt verfügbaren Zeit, die nicht als Arbeitszeit zur Einkommenserzielung aufgewendet wird. Abb. 19: Optimales Arbeitsangebot Im so entstehenden Zwei-Güter-Diagramm entspricht der Preis einer Stunde Freizeit dem entgangenen Stundenlohn (Opportunitätskosten! ), die Steigung der Budgetgeraden gibt mithin den Stundenlohnsatz an. Wie auch in den bereits bekannten Zwei-Güter-Diagrammen zur Konsumentscheidung bedeutet der Abszissenabschnitt die vollständige Verwendung der verfügbaren Zeit für Freizeit (Angebotsmenge Arbeit = Null) und korrespondiert deshalb mit einer Höhe des Tageseinkommens in Höhe von Null. Umge- 24 x Stundenlohn 15 18 21 24 9 6 3 Freizeit (h/ Tag) Tages-Einkommen 9 6 3 0 15 18 21 Arbeitszeit (h/ Tag) 12 12 9 x Stundenlohn <?page no="110"?> 84 II. Die Theorie der Haushalte kehrt resultiert bei zunehmendem Verzicht auf Freizeit eine immer höhere Einkommenssumme. Jede Stunde Freizeitverzicht (= Arbeitsangebot) erhöht das erreichbare Einkommen um den Stundenlohnsatz. Auf der Abszisse ist von links nach rechts eine zunehmende Menge an Freizeit abgetragen. Deshalb kann die optimale Arbeitszeit des Individuums, die gemäß des Tangentialpunktes der höchsten erreichbaren Indifferenzkurve mit der Budgetgeraden ermittelt wird, nur umgekehrt, also von rechts nach links abgelesen werden. In der Grafik liegt das optimale Arbeitsangebot des betrachteten Individuums also bei neun Stunden pro Tag, das korrespondierende tägliche Einkommen entspricht dem Produkt von neun Stunden Arbeitszeit und dem Stundenlohn. 9.1. Die individuelle Arbeitsangebotskurve So wie die Konsumgüternachfrage aus den optimalen Nachfrageentscheidungen bei unterschiedlichen Preisen konstruiert wird, ermittelt man die individuelle Arbeitsangebotskurve theoretisch aus dem optimalen Arbeitszeitangebot bei unterschiedlichen Lohnsätzen. Dabei leuchtet zunächst ein, dass bei steigendem Lohnsatz eine Stunde Freizeit gemessen im entgangenen Einkommen immer teurer wird und so in vielen Fällen mit einer Ausdehnung des Arbeitsangebots bei höherem Lohn gerechnet werden kann. Oder umgekehrt formuliert: Einem Arbeitnehmer, der bereits sehr viel arbeitet, wird seine verbliebene Freizeit relativ wertvoll sein und er wird sich jede zusätzliche Stunde Arbeitszeit tendenziell immer höher entgelten lassen. Diese Mustervorhersage entspricht der Einschätzung, dass es sich bei Freizeit für die meisten Menschen um ein normales oder ein superiores Gut handelt und nicht etwa um ein inferiores Gut, dessen Konsum bei steigenden Preisen ausgedehnt würde. 9.1.1. Ein zusätzlicher Einkommenseffekt Allerdings führt bereits die intuitive Überlegung dazu, diese Mustervorhersage zu bezweifeln: Könnte Gretel nicht durchaus ihr bei dem höheren Stundenlohnsatz als DAX-Vorstand erreichtes zusätzliches Einkommen für zusätzlichen Freizeitkonsum, statt für zusätzliche oder teurere Ravioli aufwenden wollen? Doch, könnte sie. Obwohl es sich bei Freizeit um ein normales oder superiores Gut handelt, ist der Effekt einer Lohnsatzänderung (Preisänderung) auf die Nachfrage nicht eindeutig bestimmt. Zur Erinnerung: Wir hatten in Abschnitt II.7.3. ausgeführt, dass sowohl der Substitutionsals auch der Einkommenseffekt bei normalen und superioren Gütern bei einer Preissteigerung <?page no="111"?> 9. Das individuelle Arbeitsangebot der Haushalte 85 zur Einschränkung der Nachfrage führen. Dabei gestaltete sich der Einkommenseffekt bei einer Preissteigerung ähnlich wie im Falle einer Minderung des Budgets. Im vorliegenden Fall findet aber trotz der Preissteigerung für Freizeit eben gerade keine Einschränkung des Budgets statt. Vielmehr wird eine Person, deren Lohnsatz steigt, nicht nur mit einer Änderung der relativen Preise (Freizeit wird im Verhältnis zu einem Bündel sonstiger Konsumgüter teurer), sondern gleichzeitig auch mit einer Erhöhung des Einkommens konfrontiert. Eine Veränderung des Lohnsatzes bewirkt also einen zusätzlichen Einkommenseffekt 44 , der dem Substitutionseffekt entgegenläuft. Sie können sich dies in der folgenden Abbildung vergegenwärtigen. Abb.: 20: Veränderte Freizeitnachfrage bei Lohnsatzänderungen Normalerweise führt eine Preiserhöhung eines Guts zu einer veränderten Steigung der Budgetgeraden und einer eingeschränkten Menge der erreichbaren Güterbündel. Bei Steigerung eines Preises wird die Budgetgerade im Achsenabschnitt des Guts, bei dem sich der Preis nicht geändert hat, nach innen gedreht. Bei unverändertem Nominaleinkommen kann von dem Gut, bei dem sich der Preis nicht geändert hat, maximal noch genauso viel nachgefragt wer- 44 In der Literatur wird manchmal von einem „Ausstattungs-Einkommenseffekt“ gesprochen. 15 18 21 24 9 6 3 Freizeit (h/ Tag) Tages-Einkommen 12 <?page no="112"?> 86 II. Die Theorie der Haushalte den wie vorher. Von dem Gut, dessen Preis gestiegen ist, kann hingegen weniger nachgefragt werden. Im Fall der Lohnsteigerung verhält es sich auf Grund des zusätzlichen Einkommenseffektes genau umgekehrt. Die Steigung der Budgetgeraden ändert sich entsprechend des neuen Preisverhältnisses, allerdings vergrößert sich die Menge der erreichbaren Konsumbündel. Denn der maximale Freizeitkonsum bleibt unverändert, aber die maximal erreichbare Einkommenshöhe und damit die maximal erreichbare Menge der mit dem Geld erreichbaren Konsumbündel an Gütern, dehnen sich aus. Die Budgetgerade im Einkommens-Freizeit-Modell dreht sich also im Abszissenabschnitt nach außen. Je nachdem, wie stark der zusätzliche Einkommenseffekt ausfällt, kann eine Veränderung des Lohnsatzes zu einer Ausdehnung oder einer Einschränkung des individuellen Arbeitsangebots führen. Dabei ist eine Einschränkung des Arbeitsangebots bei steigenden Löhnen umso wahrscheinlicher, je höher die bereits vor der Lohnsteigerung gewählte Arbeitszeit ist. Denn die Einkommenssteigerung auf Grund einer Lohnsatzerhöhung fällt proportional zur Arbeitszeit aus. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (21) ein Video zum Thema „Einfache Arbeitsangebotsentscheidung“. https: / / t1p.de/ covz 9.1.2. Die inverse Arbeitsangebotskurve Sofern es auf Grund des zusätzlichen Einkommenseffektes zu einer Arbeitsangebotseinschränkung bei höheren Löhnen kommt, führt dies zu einer in höheren Lohnbereichen inversen Arbeitsangebotskurve. Der Anteil der Bürger*innen, die sich in diesem oberen atypischen Bereich der Angebotskurve befinden, hält sich bisher selbst in so wohlhabenden Ländern wie Deutschland in <?page no="113"?> 9. Das individuelle Arbeitsangebot der Haushalte 87 überschaubaren Grenzen. Dennoch ist es sicher nicht abwegig, solche Reaktionen als Option der Lebenszeitgestaltung miteinzubeziehen. 45 Solche Menschen könnten nach Erreichen einer auskömmlichen Einkommenshöhe entscheiden, lieber ihren Freizeitkonsum auszudehnen als der Familienkutsche noch ein Sport-Cabriolet als Zweitwagen hinzu zu gesellen. Abb. 21: Arbeitsangebotskurve Umgekehrt kann es in bestimmten Situationen und in einem relativ niedrigen Lohnbereich für mittellose Arbeitnehmer*innen dazu kommen, dass sie bei sinkenden Löhnen, also sinkenden Kosten für Freizeit, dennoch auf immer mehr Freizeit verzichten und ihr Arbeitsangebot ausdehnen. Stellen Sie sich vor, einem Arbeitnehmer ohne Vermögen, ohne Verschuldungsmöglichkeit und 45 Die Idee ist grundsätzlich steinalt. Umso weniger menschliche Arbeitskraft zur Erzeugung der Güter und Dienstleistungen benötigt wird, desto leichter sollte die Reduzierung der Arbeitszeit fallen. Wenn denn nur die materiellen Konsumwünsche nicht mitwachsen würden. Zurzeit wird viel über „Downshifting“, „Zeitwohlstand“ und „Work-Life-Balance“ diskutiert. Die Generation Y soll angeblich schon in jungen Jahren darauf achten, sich mehr Zeit als vorhergehende Erwerbsgenerationen für Freunde, Familie und Freizeit zu reservieren. Es erscheint wahrscheinlich, dass sich eher hochbezahlte Erwerbstätige eine Viertage-Woche leisten werden. Arbeitszeit (Menge Arbeit) Lohn Inverse Arbeitsangebotskurve: Freizeit als Luxusgut Inverse Arbeitsangebotskurve: Verteidigung einer Einkommenshöhe Normale Arbeitsangebotskurve <?page no="114"?> 88 II. Die Theorie der Haushalte ohne Transferanspruch ermögliche sein Arbeitseinkommen bei einem achtstündigen Arbeitstag gerade die zum Lebensunterhalt notwendige Einkommenshöhe. Dieser Arbeitnehmer wird sein Arbeitsangebot ausweiten müssen, wenn der Lohnsatz fällt. Er wird bei niedrigerem Stundenlohn mehr Arbeitszeit anbieten, damit er die erforderliche Einkommenshöhe weiterhin erreichen kann. Diese Anomalie des Arbeitsangebots ist allerdings längerfristig nur bei einem Einkommen denkbar, das am Existenzminimum liegt und nur, wenn dieses Existenzminimum nicht anders als durch weitere Ausdehnung der Arbeitszeit sichergestellt werden kann. Die historische Situation des mittellosen, schutzlosen und hochgradig abhängigen Industrieproletariats im 19. Jahrhundert, welches trotz eines 12-Stunden-Arbeitstages unter heute kaum vorstellbaren Bedingungen häufig durch Unterernährung geprägt war, bildet den Hintergrund dieser theoretischen Konstruktion der anomalen Arbeitsangebotsreaktion. Die Existenz einer unbedingten sozialen Mindestsicherung, wie sie etwa in Deutschland in Form des Sozialgeldes, der Sozialhilfe bzw. des steuerfinanzierten „Arbeitslosengeldes II“ besteht, schließt eine solche anomale Reaktion des Arbeitsangebots aus. Natürlich ist es auch oberhalb des Existenzsicherungsniveaus vorstellbar, dass Arbeitnehmer*innen kurzfristig durch Mehrarbeit versuchen, ein bestimmtes einmal erreichtes Einkommensniveau trotz sinkender Zeitlöhne zu halten. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn bestehende Verträge für die Ablösung einer Hypothek auf das Eigenheim, Leasingraten für das Familienauto und Beiträge zur Lebensversicherung nicht ohne weiteres von heute auf morgen geändert werden können. Mittel- und langfristig würde sich ein rational handelndes Individuum aber den Umständen des neuen Lohnsatzes anpassen und seine Konsumgewohnheiten ändern. Gegebenenfalls müssen das Haus und das Auto verkauft bzw. die Lebensversicherung gekündigt werden, solange Freizeit einen höheren Grenznutzen stiftet als der andernfalls erreichbare Zusatzkonsum an Gütern und Dienstleistungen. Und dies ist ja im unteren inversen Zweig des Arbeitsangebots impliziert: Ein Individuum, welches sich in diesem Bereich befände, würde seine Arbeitszeit bei steigenden Löhnen einschränken. Der Grenznutzen einer zusätzlichen Stunde Freizeit ist höher als der Grenznutzen des Zusatzkonsums, der durch einen Stundenlohn möglich wäre. Ein dauerhaft erhöhtes Arbeitsangebot bei niedrigeren Löhnen ist also nur denkbar, wenn tatsächlich im Wortsinne „keine Wahl“ besteht. Eine solche Situation, in der ein Individuum dauerhaft keine Wahl hat, ob es Güter konsumieren möchte <?page no="115"?> 9. Das individuelle Arbeitsangebot der Haushalte 89 oder nicht, also gezwungen ist, den Güterkonsum „um jeden Preis“ zu ermöglichen, liegt wohl in erster Linie vor, wenn der Lebensunterhalt der betrachteten Person und seiner Angehörigen nicht anderweitig sichergestellt ist. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (22) ein Video zum Thema „Inverse Arbeitsangebotskurve oder Angebotsanomalie“. https: / / t1p.de/ covz 10. Das aggregierte Gesamtangebot auf dem Arbeitsmarkt Häufig geht es weniger um das individuelle Arbeitsangebot als um das Gesamtangebot am Arbeitsmarkt. Mit dem aggregierten Arbeitsangebot befasst man sich beispielsweise, wenn es um Beschäftigungspolitik bzw. Probleme der Arbeitslosigkeit geht. Die Aggregation der individuellen Arbeitsangebote zum Marktangebot erfolgt analog zur Aggregation der Marktnachfrage nach Konsumgütern: Die individuellen Angebotskurven werden horizontal aufaddiert, man ermittelt die Summe der jeweils zu einem Lohnsatz angebotenen Arbeitszeit (vgl. Abbildung Abb. 22 auf der folgenden Seite). Da diese Gesamtangebotskurve am Arbeitsmarkt kaum von individuell möglichen atypischen Angebotsreaktionen einzelner Gesellschaftsmitglieder beeinflusst wird, wird sie in ökonomischen Modellen meist von links unten nach rechts oben ansteigend dargestellt. 46 46 Für die meisten Volkswirtschaften lässt sich empirisch belegen, dass auf eine gesamtwirtschaftliche Lohnsteigerung eine Ausdehnung des Arbeitsangebotes erfolgt. In kurzfristiger Betrachtung hingegen reagiert das Arbeitsangebot kaum, weshalb sich auch eine (lohnunelastische) Darstellung der Arbeitsangebotskurve als Senkrechte begründen lässt. <?page no="116"?> 90 II. Die Theorie der Haushalte Abb. 22: Aggregiertes Gesamtangebot auf dem Arbeitsmarkt Arbeitsangebot Individuum 1 6 + 10 = 16 4 + 6 = 10 2 + 2 = 4 Gesamtangebot Arbeitsangebot Individuum 2 80€ 60€ 40€ 20€ 8 10 12 6 4 2 Menge Arbeit (h/ Tag) Lohn pro Tag 100€ 120€ 14 16 <?page no="117"?> III. Die Theorie der Unternehmen Sie haben nun bereits die wichtigsten Konzepte der Theorie der Haushalte kennen gelernt. Darauf aufbauend werden Ihnen nun die Konzepte der Theorie der Unternehmen leichtfallen, denn dabei werden in großen Teilen ähnliche Techniken genutzt. Außerdem ist die Zielgröße, die Ökonom*innen Unternehmer*innen unterstellen, wesentlich einfacher zu fassen als die etwas abstrakte Zielgröße des Nutzens im Falle der Haushalte (Konsumenten): Unternehmer*innen streben Gewinnmaximierung an, d. h. sie freuen sich über eine möglichst hohe Differenz zwischen Erlös und Kosten. Das bedeutet keineswegs, dass Unternehmer*innen nun im Gegensatz zu Konsumenten als rein materialistisch orientierte Bürger*innen modelliert werden. Es ist dem Unternehmensbesitzer Schmitt in seiner Rolle als Privatmann und Konsument auch gemäß der ökonomischen Theorie völlig unbenommen, all sein geschickt erwirtschaftetes Einkommen, also seinen Unternehmensgewinn, dafür auszugeben, Bilder für das öffentliche Museum zu erwerben oder seinen Arbeitnehmern kostenlose Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Er wird dies tun, wenn es seinen individuellen Nutzen maximiert, denn als Privatmann sucht auch das Individuum, welches beruflich als Unternehmer auftritt, nach nichts anderem als nach höchstmöglichem Nutzen. In seiner Rolle als Unternehmer jedoch ist Gewinnmaximierung seine Aufgabe. Unternehmen erwerben Produktionsfaktoren, die sie mittels einer bestimmten Produktionstechnologie für die Herstellung bestimmter Güter oder Dienstleistungen einsetzen. Die Güter und Dienstleistungen wiederum sollen anschließend verkauft bzw. gegen Entgelt verrichtet werden. Unternehmer*innen treten somit auf den vorgelagerten Faktormärkten als Käufer*innen und auf den nachgelagerten Güter- oder Dienstleistungsmärkten als Verkäufer*innen auf. Damit sie erfolgreich wirtschaften, müssen sie erstens die Preise für die Produktionsfaktoren, zweitens die später erzielbaren Preise für die hergestellten Güter und drittens die Produktionstechnologie beachten. <?page no="118"?> 92 III. Die Theorie der Unternehmen 1. Die Produktionstechnik Für die meisten Fragestellungen gehen Ökonom*innen von einer gegebenen Produktionstechnologie aus und unterstellen den Einsatz von zwei bis drei Produktionsfaktoren. 47 Natürlich ändert in Wahrheit „technischer Fortschritt“ bei vielen Gütern und Dienstleistungen die Produktionsfunktion im Zeitablauf. Allerdings kann dieser Technologiewechsel von den meisten Einzelunternehmen nicht ohne weiteres selbst bewirkt werden bzw. bedarf die Untersuchung des Zustandekommens technischen Fortschritts einer eigenständigen Betrachtung. Über die bei gegebener Produktionstechnologie jeweils eingesetzten Mengen der Produktionsfaktoren und deren Verhältnis untereinander hingegen entscheidet der/ die Unternehmer*in unmittelbar. Meist unterscheidet man als Produktionsfaktoren den Faktor Arbeit und den Faktor Kapital. Dabei wird in der einfachen Betrachtung üblicherweise unter dem Faktor Arbeit der Einsatz von als homogen angenommenen Arbeitskräften verstanden: Die Arbeitskraft wird als einheitlich angenommen und nicht unterschieden, wessen Arbeitsstunden eingesetzt werden. Jede Arbeitsstunde ist gleichwertig, unabhängig davon, von welchem/ welcher Arbeitnehmer*in sie erbracht wird, und unabhängig davon, ob dieser/ diese betreffende Arbeitnehmer*in bereits den ganzen Tag arbeitet oder frisch gestärkt gerade erst den Dienst antritt. Unter dem Faktor Kapital wird ein Sammelsurium von Inputs verstanden, die ihrerseits zuvor erworben werden müssen. Mit „Kapital“ ist nicht eine bestimmte Geldmenge gemeint, sondern „physisches Kapital“ oder „Sachkapital“ wie z. B. Maschinen, Grund und Boden, Rohstoffe und Vorprodukte etc. 48 Zur Betrachtung der Produktionstechnologie benutzt man eine ceteris paribus - Analyse, d. h. man betrachtet die Veränderung des Outputs in Abhängigkeit eines Produktionsfaktors, während man sowohl die Produktions- 47 Die Produktionstechnologie bzw. die Produktionsfunktion entspricht mehr oder weniger dem Konzept der Nutzenfunktion in der Theorie der Haushalte. Analog zur Bestimmung des Nutzens durch die konsumierten Güter oder Dienstleistungen wird das Produktionsergebnis (Output) hier durch die zur Produktion eingesetzten Produktionsfaktoren (Input) bestimmt. Die Annahme einer zumindest kurzfristig konstanten Produktionstechnologie entspricht den kurzfristig als konstant angenommenen Präferenzen. 48 Vor allem in älteren Darstellungen wird „Boden“ als eigenständiger dritter Faktor aufgeführt - insbesondere auf Grund der Tatsache, dass Boden nicht von anderen produzierbar ist, sondern nur begrenzt zur Verfügung steht. Je nach Fragestellung können auch Humankapital oder Rohstoffe als eigenständige Faktoren modelliert werden. <?page no="119"?> 1. Die Produktionstechnik 93 technologie als auch die Mengen aller anderen eingesetzten Produktionsfaktoren konstant hält. Die einfachste Vorstellung vom Zustandekommen des Wissens um eine Produktionstechnologie ist sicher der Gedanke an jahrelange Aufzeichnungen bezüglich der Erfahrungen, die ein Unternehmer bei unterschiedlich starker Nutzung eines Produktionsfaktors gewonnen hat. Nehmen wir an, Kartoffelbauer Schmitt stünde eine bestimmte Fläche Ackerland und eine bestimmte Ausstattung an Geräten und Werkzeug zur Verfügung (Kapital). Er untersucht seine Produktionstechnologie anhand seiner statistischen Aufzeichnungen aus den vergangenen Jahren, um herauszufinden, wie sich sein Jahres-Ernteergebnis verändert, je nachdem wie viele Arbeitsstunden er pro Woche in der Kartoffelproduktion einsetzt. 1.1. Das Durchschnittsprodukt Aus Tabelle 4 auf der folgenden Seite lässt sich sofort ablesen, dass Bauer Schmitt umso mehr Output erzeugt, je mehr Arbeitszeit er pro Woche einsetzt - ein Ergebnis, das nicht wirklich überrascht. Allerdings stellt Schmitt fest, dass sein Ernteertrag nicht proportional mit den Wochenarbeitsstunden ansteigt: Der Einsatz nur einer Wochenstunde Arbeit beschert ihm einen Output von 500 Zentnern Kartoffeln, der Einsatz von neun Wochenstunden Arbeit allerdings nicht 4.500 Zentner, sondern „nur“ 1.500 Zentner. Schmitt wird schnell auf die Idee kommen, sich dieses Phänomen näher zu betrachten, indem er ausrechnet, wie viel Ertrag ihm eine Stunde Wochenarbeitszeit durchschnittlich bringt. Ökonomisch wird dies als Durchschnittsprodukt bezeichnet. Das Durchschnittsprodukt ist der gesamte Ernteertrag geteilt durch die Anzahl eingesetzter Arbeitsstunden. Das Durchschnittsprodukt in Höhe von 250 Zentnern in der dritten Zeile ergibt sich beispielsweise, indem man Schmitts Jahresernte in Höhe von 1.000 Zentnern Kartoffeln durch die Anzahl der dafür eingesetzten Wochenarbeitsstunden, also durch vier, dividiert. Natürlich nimmt das Durchschnittsprodukt ab, wenn der Ertrag nur unterproportional mit der eingesetzten Wochenarbeitszeit ansteigt. Bauer Schmitt braucht sicher keinen ökonomischen Ratgeber, um sich das Durchschnittsprodukt zu errechnen und anzusehen. Schmitts ökonomisch vorbelasteter Schwager hat den Bauern aber zusätzlich noch auf die Idee gebracht, eine Marginalbetrachtung aufzustellen. Diese Marginalbetrachtung hinsichtlich eines Produktionsfaktors wird von Ökonomen als Grenzprodukt bezeichnet. Die Betrachtung des Grenzproduktes entspricht dem Grundgedanken der Marginalbetrachtung, also der Betrachtung kleiner <?page no="120"?> 94 III. Die Theorie der Unternehmen Veränderungen die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Abschnitt I.5.). Tab. 5: Input, Output, Grenzprodukt und Durchschnittsprodukt Input (Stunden pro Woche) Output (Zentner Kartoffeln) Grenzprodukt Durchschnittsprodukt 0 0 - - 1 500 250,00 500,00 4 1.000 125,00 250,00 9 1.500 83,33 166,67 16 2.000 62,50 125,00 25 2.500 50,00 100,00 36 3.000 41,67 83,33 49 3.500 35,71 71,43 64 4.000 31,25 62,50 81 4.500 27,78 55,56 100 5.000 25,00 50,00 1.2. Das Grenzprodukt Das Grenzprodukt gibt die zusätzlichen Einheiten an, die durch eine marginale Erhöhung eines Produktionsfaktors erreicht werden, wenn die anderen Produktionsfaktoren und die Technologie konstant gehalten werden. 49 Beispielsweise ergibt sich das Grenzprodukt der 25. Stunde Arbeit pro Woche in Höhe von 50 Zentnern zusätzlicher Jahresernte annäherungsweise aus der Veränderung des Ernteertrags rund um die 25. Stunde. Die 1.000 Zentner Zusatzernte bei einer Veränderung des Inputs um 20 Stunden pro Woche (von 16 auf 36 Stunden / Woche) lassen auf ein Grenzprodukt der 25. Stunde von 50 Zentnern schließen [(3.000-2.000)/ (36 -16) = 1.000/ 20 = 50]. 50 49 Streng genommen ist damit die Tabelle natürlich viel zu grob. Das Grenzprodukt muss an unendlich kleinen Veränderungen des Inputs gemessen werden, grafisch entspricht es der Punktsteigung der Produktionsfunktion, mathematisch der ersten Ableitung. 50 Auf Grund der hier zu Grunde liegenden Produktionsfunktion x = Wochenstunden - ^0,5 * 500 stimmt dieser Annäherungswert der Umgebungsbetrachtung auch tatsächlich. Das Grenzprodukt ergibt sich als x’ = 500/ 2*Wochenstunden^0,5. <?page no="121"?> 1. Die Produktionstechnik 95 Wie Sie der Aufzeichnung entnehmen können, nimmt das Grenzprodukt in Bauer Schmitts Fall konstant ab. Die Produktion von Bauer Schmitt weist damit eine in sehr vielen Produktionsprozessen über weite Bereiche empirisch beobachtbare Regelmäßigkeit auf, die Ökonomen etwas großzügig als das Gesetz abnehmender Grenzerträge bezeichnen, obwohl es sich nicht wirklich um eine Gesetzmäßigkeit im Sinne eines Naturgesetzes handelt. Das Phänomen ist dem des abnehmenden Grenznutzens aus der Theorie der Haushalte sehr ähnlich: Das Grenzprodukt jeder einzelnen zusätzlichen Inputeinheit nimmt immer weiter ab, je größer die bereits eingesetzte Summe des Inputs ist. Im Beispiel des Bauers Schmitt kann man sich ein abnehmendes Grenzprodukt zusätzlich eingesetzter Arbeitsstunden folgendermaßen erklären: Der erste Arbeiter ermöglicht überhaupt eine Ernte. Boden, Saatgut und Traktor ohne Einsatz eines Arbeiters bringt verständlicherweise gar nichts. Das Grenzprodukt des ersten Arbeiters ist also relativ hoch. Der zweite Arbeiter ermöglicht, dass einer die Erntemaschine bedient, während der andere gleichzeitig den Traktor mit Hänger nutzt, um die Ernte abzutransportieren. Der dritte Arbeiter ermöglicht eventuell eine gründlichere Ernte, weil nun auch weniger lohnende Flächen noch abgeerntet werden, während einer der anderen Pause macht. Diese Flächen wären andernfalls vernachlässigt worden. Die vierte Arbeitskraft hingegen kann nur noch mit der Erntemaschine eingesetzt werden, wenn einer der drei anderen wegen Krankheit oder Ähnlichem ausfällt. Andernfalls liest er einzelne Kartoffeln mit der Hand nach, die die Maschine nicht erfasst hat. Die fünfte Arbeitskraft schließlich sammelt nur noch die Kartoffeln per Hand ein, die der vierte Arbeiter übersehen hat, usw. Denken Sie daran, dass die Arbeitskräfte als homogen unterstellt werden. Das abnehmende Grenzprodukt liegt also nicht etwa daran, dass der erste Arbeiter geschickter und motivierter ist als der zweite, der dritte schlechter qualifiziert wäre, der vierte von ausgeprägter Faulheit oder schlechter Gesundheit geprägt und der fünfte völlig ungeeignet für die Landwirtschaft wäre. Alle Arbeiter werden so modelliert als seien sie gleichermaßen für die Arbeit geeignet. Das Gesetz abnehmender Grenzerträge greift hier, weil die Arbeitskräfte für immer weniger ertragreiche Tätigkeiten genutzt werden. 1.3. Die Produktionsfunktion Grafisch bildet man die Relation zwischen Output und einem variierten Produktionsfaktor mittels der Produktionsfunktion in einem Diagramm ab, in dem auf der Abszisse die eingesetzte Menge des betrachteten Produktionsfak- <?page no="122"?> 96 III. Die Theorie der Unternehmen tors abgetragen wird und auf der Ordinate die damit korrespondierende Produktionsmenge. Die eingezeichneten Rechtecke lassen das abnehmende Grenzprodukt erkennen. Abb. 23: Produktionsfunktion des Bauern Schmitt Bauer Schmitt ahnt bereits nach der Betrachtung der vorstehenden Produktionstabelle, dass der Einsatz zusätzlicher Arbeitskräfte sorgfältig abgewogen werden muss. Alleine die Tatsache, dass nach seiner Aufzeichnung auch die 100. Arbeitsstunde pro Woche noch positive Grenzerträge bringt, also vielleicht auch eine 150. oder 200. Arbeitsstunde den Ernteertrag noch steigern würde, genügt nicht, um den Einsatz weiterer Arbeiter wirtschaftlich sinnvoll werden zu lassen: Denn der Einsatz von Arbeitern verursacht Kosten. Und Schmitt weiß aus seinen Aufzeichnungen, dass sowohl das Durchschnittsprodukt als auch das Grenzprodukt in seiner Kartoffelproduktion stetig abnimmt. Er kann sich daher schon denken, dass irgendwo der Punkt erreicht sein wird, ab dem der zusätzliche Ertrag nicht mehr die zusätzlichen Kosten decken wird. 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Kartoffelmenge (Zentner) Arbeitseinsatz <?page no="123"?> 1. Die Produktionstechnik 97 Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (23) ein Video zum Thema „Das Gesetz abnehmender Grenzerträge“. https: / / t1p.de/ covz 2. Die Kosten Die in der Produktion eingesetzten Produktionsfaktoren verursachen Kosten. Bevor wir weiter mit der Produktionsentscheidung von Bauer Schmitt fortschreiten, lohnt sich ein schneller Blick auf einzelne in der Volkswirtschaftslehre gebräuchliche Kostenbegriffe und deren Beziehungen untereinander. 2.1. Die Fixkosten, die variablen Kosten und die totalen Kosten Ökonom*innen unterscheiden zunächst nach der Fristigkeit, mit der Kosten der Produktion verändert werden können. Fixkosten sind dabei alle die Kosten, die kurzfristig unabhängig vom gewählten Produktionsniveau entstehen, d. h. in der aktuellen Produktionsentscheidung nicht mehr zur Disposition stehen. Im Fall von Bauer Schmitts Entscheidung, wie viele Arbeiter er einsetzen möchte, sind beispielsweise die für die Erntemaschine und den Traktor bereits getätigten Ausgaben als Fixkosten zu betrachten: Egal mit wie vielen Arbeitern er produzieren möchte, er benötigt immer den Traktor und die Erntemaschine. Wir haben auch die genutzte Fläche und das Saatgut konstant gehalten, die Kosten dafür waren damit ebenfalls „fix“. Fixe Kosten müssen kurzfristig getragen werden, selbst wenn man überhaupt nicht produziert. Langfristig gibt es hingegen definitionsgemäß keine Fixkosten. Denn langfristig ist in unseren Modellen kein*e Unternehmer*in darauf festgelegt, Unternehmer*in zu sein und schon gar nicht, in ein und derselben Branche zu bleiben: Bauer Schmitt kann langfristig entscheiden, aus der Kartoffelproduktion auszusteigen und Fremdenzimmer zu vermieten. Er kann auch seine Unternehmertätigkeit ganz einstellen, die Maschinen und den Hof verkaufen und sich als Versicherungskaufmann ausbilden und anstellen lassen. Sollte Bauer Schmitt nicht Pächter, sondern Eigentümer der von ihm bewirtschafteten Ländereien sein und auch den Hof sein Eigen nennen, so sollte er <?page no="124"?> 98 III. Die Theorie der Unternehmen diese Immobilien dennoch unbedingt in seiner Kostenkalkulation berücksichtigen. Auf Grund des Grundgedankens der Opportunitätskosten (vgl. Abschnitt I.4.) leuchtet es Ihnen sofort ein, dass Kosten der Nutzung der Ländereien und des Hofes für die Kartoffelproduktion aus volkswirtschaftlicher Perspektive natürlich auch in dem Falle zu den Produktionskosten gezählt werden müssen, in dem auf Grund der schuldenfrei ererbten Ländereien keinerlei Zahlungen dafür geleistet werden: Würde Schmitt auf die Kartoffelproduktion verzichten, so könnte er die Ländereien und den Hof beispielsweise verpachten und dadurch Einnahmen erzielen. Diese entgangenen Pachteinnahmen stellen ebenso wie das entgangene Gehalt, welches Schmitt erzielen könnte, wenn er sich einer anderen Beschäftigung zuwenden würde, Kosten der Kartoffelproduktion dar. Im Gegensatz zu den Fixkosten variieren variable Kosten direkt mit dem aktuell zur Entscheidung anstehenden Produktionsniveau. Die Kosten für die Arbeiter sind in unserem Beispiel variable Kosten. Die Summe aus Fixkosten und variablen Kosten ergibt die totalen Kosten, also die Gesamtkosten. Da zwar die Fixkosten unabhängig von der aktuellen Entscheidung über den Einsatz der Produktionsfaktoren entstehen und konstant bleiben, die variablen Kosten jedoch unmittelbar mit der Entscheidung über den Einsatz der Produktionsfaktoren ansteigen, steigen auch die totalen Kosten mit zunehmender Menge der eingesetzten Faktoren an. 2.2. Die Durchschnittskosten Versucht Bauer Schmitt seine mit Kosten verknüpften Produktionsmöglichkeiten nun auf den damit erreichbaren Ertrag zu beziehen, so bieten sich die Konzepte der Durchschnittskosten und der Grenzkosten an. Die Durchschnittskosten sind die auf die Outputmenge aufgeteilten totalen Kosten, die Kosten je Outputeinheit. In der folgenden Tabelle Tab. 6 ergeben sich die totalen Kosten aus der Addition der Fixkosten in Höhe von 100.000 Euro und der variablen Kosten für die eingesetzten Arbeitsstunden (1.000 Euro pro Wochenarbeitsstunde). Die Durchschnittskosten in der rechten Spalte ergeben sich, indem die totalen Kosten durch die Menge der mit dem entsprechenden Input erreichbaren Zentner Kartoffeln geteilt werden. Nicht in der Tabelle aufgeführt, aber sicher leicht vorstellbar, sind die durchschnittlichen Fixkosten (Fixkosten geteilt durch Outputeinheiten) und die durchschnittlichen variablen Kosten (variable Kosten geteilt durch Outputeinheiten). Es ist klar, dass die durchschnittlichen Fixkosten bei Ausweitung der <?page no="125"?> 2. Die Kosten 99 Produktion immer weiter sinken, da eine gleichbleibende Summe von im Beispiel 100.000 Euro durch eine immer größere Anzahl von Zentnern Kartoffeln geteilt wird. Die durchschnittlichen variablen Kosten nehmen hingegen unter den getroffenen Annahmen bei Ausweitung der Produktion immer weiter zu: Die Kosten für die homogenen Arbeitskräfte sind pro Arbeiter gleich hoch. Da in der Produktion von Bauer Schmitt gemäß den Aufzeichnungen in der Tabelle Tab. 4 in Abschnitt III.1.1. das Gesetz abnehmender Grenzerträge gültig ist, steigt der Ernteertrag pro zusätzlicher Arbeitskraft aber immer weniger stark, je mehr Arbeiter bereits eingesetzt werden. Die 1.000 Euro der ersten Arbeitsstunde erbringen 500 Zentner, die durchschnittlichen variablen Kosten liegen also bei zwei Euro pro Zentner. Vier Arbeitsstunden pro Woche kosten über das ganze Jahr 4.000 Euro, der Einsatz von vier Arbeitsstunden pro Woche führt zu 1.000 Zentnern Jahresernte, die durchschnittlichen variablen Kosten betragen also vier Euro pro Zentner usw. Tab. 6: Input, Output und Kosten Input (Stunden/ Woche) Output (Zentner Kartoffeln) Fixkosten Variable Kosten Totale Kosten Durchschnittskosten 0 0 100.000 0 100.000 1 500 100.000 1.000 101.000 202 € 4 1.000 100.000 4.000 104.000 104 € 9 1.500 100.000 9.000 109.000 72,67 € 16 2.000 100.000 16.000 116.000 58,00 € 25 2.500 100.000 25.000 125.000 50,00 € 36 3.000 100.000 36.000 136.000 45,33 € 49 3.500 100.000 49.000 149.000 42,57 € 64 4.000 100.000 64.000 164.000 41,00 € 81 4.500 100.000 81.000 181.000 40,22 € 100 5.000 100.000 100.000 200.000 40,00 € 121 5.500 100.000 121.000 221.000 40,18 € 144 6.000 100.000 144.000 244.000 40,67 € 169 6.500 100.000 169.000 269.000 41,38 € 196 7.000 100.000 196.000 296.000 42,29 € 225 7.500 100.000 225.000 325.000 43,33 € <?page no="126"?> 100 III. Die Theorie der Unternehmen Die Durchschnittskosten sind die Summen beider Kostenverläufe. Die Durchschnittskosten fallen deshalb zunächst, solange der Rückgang der durchschnittlichen Fixkosten größer ist als der Anstieg der durchschnittlichen variablen Kosten und steigen, sobald sich das Verhältnis umkehrt. Die Durchschnittskostenkurve hat deshalb normalerweise einen u-förmigen Verlauf. Im Beispiel erreichen die Durchschnittskosten bei 40,00 Euro pro Zentner bei einer Jahresproduktion von 5.000 Zentnern ihr Minimum und steigen bei weiterer Produktionsausweitung wieder an. 2.3. Die Grenzkosten Die Grenzkosten sind die zur Produktion einer weiteren Einheit aufzubringenden zusätzlichen Kosten. Wiederum muss eigentlich die Kostenveränderung einer winzig kleinen Variation, einer marginalen Veränderung des Produktionsergebnisses betrachtet werden. Wenn Ihnen lediglich eine grobe Produktions- und Kostentabelle zur Verfügung steht, kann die Ermittlung der Grenzkosten annäherungsweise analog zur Ermittlung des Grenzprodukts durch eine Umgebungsbetrachtung erfolgen. 51 Nehmen wir - um im Beispiel zu bleiben - die Output- und Kostenentwicklung der Produktion von Bauer Schmitt aus dem letzten Abschnitt und konzentrieren wir uns in Tabelle Tab. 6 auf Outputveränderungen von jeweils 500 Zentnern. Wie hat Schmitt die Werte ermittelt, die in der rechten Spalte aufgeführt sind? Er hat in seiner Tabelle abgelesen, dass die Veränderung seines Produktionsergebnisses von 1.000 auf 2.000 Zentner Kartoffeln mit zusätzlichen Kosten von 12.000 Euro einherging (116.000-104.000). Die zusätzlichen Kosten des 1.500. Zentners Kartoffeln schätzt er als Mittelwert dieser Umgebungsbetrachtung auf zwölf Euro (12.000 €/ 1.000 Zentner = 12 €/ Zentner). Analog ergeben sich auch jeweils die Grenzkosten der anderen in der Tabelle eingetragenen Zentner. 51 Wenn Ihnen hingegen die Kostenfunktion der Produktion von Schmitt zur Verfügung steht und Sie keine Scheu vor Mathematik haben, ist die Betrachtung der ersten Ableitung korrekt. Im hier gewählten Beispiel ist die Gleichung der totalen Kosten K = 1.000 * Wochenstunden + 100.000 und die Produktionsfunktion x = Wochenstunden^0,5 * 500. Die Produktionsfunktion nach Wochenstunden aufgelöst [ Wochenstunden = x^2 / 250.000 ] und in die Kostengleichung eingesetzt, ergibt K = 1.000 * x^2/ 250.000 + 100.000. Nach x abgeleitet und gekürzt ergeben sich die Grenzkosten aus dem Ausdruck GK = 4 * Wochenstunden^0,5. In diesem speziellen Beispiel erzielt die grobe Umgebungsbetrachtung nicht nur annäherungsweise, sondern tatsächlich das korrekte Ergebnis. <?page no="127"?> 2. Die Kosten 101 Auch die Grenzkostenkurve verläuft in der Realität häufig in gewisser Hinsicht u-förmig, d. h. die Grenzkosten nehmen meist zunächst ab und beginnen erst bei einem gewissen Output zu steigen. Dies liegt an Unteilbarkeiten im Produktionsprozess wie beispielsweise erforderliche Rüstzeiten, Anfahrtswege, Maschinenvorlaufzeiten etc. 52 Stellen Sie sich beispielsweise vor, der zu bezahlende Arbeitsweg vom Hof des Bauers Schmitt zum Kartoffelacker nähme eine Stunde in Anspruch. Diese zusätzliche Arbeitsstunde müsste unabhängig davon eingerechnet werden, ob eine Arbeitskraft eine Stunde oder acht Stunden an diesem Tag in der Produktion eingesetzt wird. Tab. 7: Berechnung der Grenzkosten Input (Stunden/ Woche) Output (Zentner Kartoffeln) Totale Kosten Durchschnittskosten Grenzkosten 0 0 100.000 1 500 101.000 202 € 4,00 € 4 1.000 104.000 104 € 8,00 € 9 1.500 109.000 72,67 € 12,00 € 16 2.000 116.000 58,00 € 16,00 € 25 2.500 125.000 50,00 € 20,00 € 36 3.000 136.000 45,33 € 24,00 € 49 3.500 149.000 42,57 € 28,00 € 64 4.000 164.000 41,00 € 32,00 € 81 4.500 181.000 40,22 € 36,00 € 100 5.000 200.000 40,00 € 40,00 € 121 5.500 221.000 40,18 € 44,00 € 144 6.000 244.000 40,67 € 48,00 € 169 6.500 269.000 41,38 € 52,00 € 196 7.000 296.000 42,29 € 56,00 € 225 7.500 325.000 43,33 € 60,00 € 52 Im Grunde liegt der Effekt also streng genommen daran, dass in der Realität häufig die Grenzerträge zunächst ein klein wenig steigen, bevor sie über den restlichen Verlauf abnehmen. <?page no="128"?> 102 III. Die Theorie der Unternehmen Im Beispiel wurden solche Aspekte vernachlässigt und durchgängig steigende Grenzkosten modelliert. Unter den üblichen Annahmen steigen die Grenzkosten ab der Überwindung solcher Unteilbarkeiten unweigerlich an: Bei konstanten Faktorpreisen und abnehmenden Grenzerträgen bringt jede weitere, jeweils gleich teure Faktoreinheit nur noch immer geringere zusätzliche Erträge, die Kosten für zusätzliche Einheiten des Produktes steigen also. 2.4. Das Verhältnis der Grenzkosten- und der Durchschnittskostenkurve Aufschluss über die Gewinnsituation gibt nun die Betrachtung des Verhältnisses der Grenz- und der Durchschnittskosten. Wenn in der Produktion Fixkosten vorliegen, so ist es bereits intuitiv nachvollziehbar, dass die Grenzkostenkurve bei geringen Produktionsmengen unterhalb der Durchschnittskostenkurve liegt. Schließlich fallen die Fixkosten definitionsgemäß unabhängig vom Produktionsniveau an. Während die Durchschnittskosten damit in Bereichen geringer Produktion auf Grund der noch relativ hohen durchschnittlichen Fixkosten entsprechend hoch sind, verhält es sich bei den Grenzkosten umgekehrt. Diese sind auf Grund des anfänglich hohen Grenzertrags gerade in Bereichen geringer Produktion noch relativ niedrig. Dass die Grenzkosten bei geringen Produktionsmengen unterhalb der Durchschnittskosten liegen, ergibt sich aber auch aus der Zusammensetzung der Durchschnittskosten selbst: Die Durchschnittskosten sind die Summe aus durchschnittlichen Fixkosten und durchschnittlichen variablen Kosten. Wir hatten bereits herausgearbeitet, dass die durchschnittlichen Fixkosten bei zunehmender Produktion fallen. Die durchschnittlichen variablen Kosten hingegen steigen genau deshalb, weil die Grenzkosten bei zunehmender Produktion ansteigen. Grund hierfür ist, dass immer größere Mengen des betrachteten Produktionsfaktors eingesetzt werden müssen, um gleichbleibende Zuwächse des Produktionsergebnisses zu erzielen. Die Grenzkosten fließen somit in die Durchschnittskosten ein. <?page no="129"?> 2. Die Kosten 103 Wenn Sie sich das Konzept der Grenzkosten noch einmal klar machen, wird dies sehr deutlich: Die Summe der Grenzkosten jeder marginalen Produktionsausweitung ergibt die totalen Kosten. 53 Die Division der totalen Kosten durch die Produktionsmenge ergibt die Durchschnittskosten. Die Durchschnittskosten fallen also in niedrigen Produktionsbereichen eben deshalb, weil die Grenzkosten dort noch geringer sind. Solange die Grenzkosten geringer sind als die Durchschnittskosten, reduziert jede weitere Ausdehnung der Produktion die Durchschnittskosten, denn eine zusätzliche Kartoffel verursacht geringere Produktionskosten als die bisher produzierten im Durchschnitt. Erreichen die Grenzkosten die Durchschnittskosten, so verändern sich die Durchschnittskosten an diesem Punkt nicht. Liegen die Grenzkosten anschließend oberhalb der Durchschnittskosten, so erhöht jede weitere Produktionssteigerung die Durchschnittskosten, denn eine zusätzliche Kartoffel verursacht höhere Kosten als die bisher produzierten im Durchschnitt. Abb. 24: Grenzkosten und Durchschnittskosten 53 Denken Sie daran, dass die Grenzkosten der ersten marginalen Produktion, also der ersten Kartoffel bei Bauer Schmitt nicht nur die sehr geringen variablen Kosten der dazu erforderlichen Arbeitszeit betragen, sondern auch die Fixkosten beinhalten. Erst ab der zweiten Kartoffel betragen die Grenzkosten nur noch die Kosten der dazu erforderlichen Arbeitszeit, da die Fixkostenaufwendungen ja bereits für die erste Kartoffel erforderlich wurden. DK, GK Produktionsmenge Durchschnittskosten Grenzkosten <?page no="130"?> 104 III. Die Theorie der Unternehmen Grafisch folgt aus diesem Zusammenhang, dass der steigende Ast der Grenzkostenkurve die Durchschnittskostenkurve in deren Minimum schneidet. Im Beispiel der Produktion von Bauer Schmitt liegt dieses Durchschnittskostenminimum bei 5.000 Zentnern Jahresproduktion. Dort betragen sowohl die Durchschnittskosten als auch die Grenzkosten 40 Euro pro Zentner. 3. Das Angebot einer Firma im Polypol Als Polypol bezeichnen Ökonom*innen die Marktform des Wettbewerbs, also die Situation, in der viele Anbieter um die Gunst der Nachfrager konkurrieren. In dieser Wettbewerbssituation ist davon auszugehen, dass das einzelne Unternehmen weder durch seine Nachfrage Einfluss auf die Faktorpreise ausüben kann, noch durch sein Angebot den Marktpreis für die von ihm produzierten Güter beeinflusst. Dies liegt daran, dass die einzelnen Produzent*innen im Polypol eine im Verhältnis zur Gesamtnachfrage sehr geringe Angebotsmenge produzieren. Ihre Nachfrage an den der Produktion vorgelagerten Faktormärkten ist, ebenso wie ihr Angebot an den der Produktion nachgelagerten Güter- und Dienstleistungsmärkten, verschwindend gering. Da die Produktionsentscheidungen solcher polypolistischen Unternehmer*innen die Preise unverändert lassen, sind für das Kalkül dieser Unternehmer*innen die Preise als gegeben zu betrachten. Sie müssen sich also auf die Frage konzentrieren, wie viele Güter oder Dienstleistungen sie bei gegebenen Preisen für die zur Produktion benötigten Faktoren und bei den gegebenen Absatzpreisen für die eigenen Produkte herstellen und an den Markt bringen möchten. Solche Unternehmer*innen werden entsprechend Preisnehmer*in oder Mengenanpasser*in genannt. Die Charakterisierung der polypolistischen Unternehmer*innen als in Relation zur Gesamtnachfrage sehr kleinen Anbieter*innen hat einen weiteren Effekt: Im theoretischen Ideal der vollkommenen Konkurrenz verlieren die polypolistischen Anbieter*innen sofort sämtliche Kunden, wenn sie höhere Preise als die Konkurrent*innen verlangen. Die Unternehmer*innen müssen also tatsächlich darauf achten, dass sie zu den gegebenen Preisen kostendeckend produzieren können. Solche Anbieter*innen müssen sich allerdings umgekehrt keine Sorgen um ihren Absatz machen, solange sie zu den marktüblichen Absatzpreisen anbieten. Zum als gegeben betrachteten Preis wird jede angebotene Menge der Einzelunternehmer*innen auch auf Nachfrage stoßen. Solange wir den Kartoffelbauern Schmitt als polypolistischen Unternehmer modellieren, können wir deshalb bei unserer Betrachtung die in Bereichen sehr geringer Produktion typischerweise fallenden Grenzkosten vernachlässigen. Ohnehin ist nur <?page no="131"?> 3. Das Angebot einer Firma im Polypol 105 der Bereich steigender Grenzkosten für die Produktionsentscheidungen relevant, denn im Bereich sinkender Grenzkosten würden zwangsläufig auch die Durchschnittskosten mit jeder weiteren Outputeinheit fallen. Solange die Durchschnittskosten fallen, wäre aber die Ausdehnung der Produktion auf jeden Fall eindeutig vorteilhaft: Wenn die durchschnittlichen Stückkosten fallen, der Absatz der Produktion aber zu unveränderten Preisen möglich ist, dann steigt der Gewinn unzweifelhaft mit einer weiteren Ausdehnung der Produktion. 3.1. Gewinnmaximierung im Polypol Wie bereits zu Eingang dieses Kapitels erwähnt, streben Unternehmen Gewinnmaximierung an. Um dies zu erreichen, müssen Unternehmer*innen in polypolistischer Konkurrenz zwei Entscheidungen treffen: Sie müssen eine Produktionstechnologie und die produzierte Menge wählen. 3.1.1. Wahl der optimalen Produktionstechnologie Wenn Unternehmer*innen als Gewinnmaximierer*innen angenommen werden, so bedeutet dies im ersten Schritt, dass Unternehmer*innen zunächst nach der günstigsten Produktionstechnologie suchen, die ihnen zur Verfügung stehen. Im Falle mehrerer möglicher Faktoreinsatzverhältnisse wählen sie somit die auf Grund der Produktionsfunktion und der Faktorpreise billigste Technologie zur Produktion einer bestimmten Menge Güter. Dieser an sich triviale Gedanke bedarf deshalb der besonderen Hervorhebung, weil dies beispielsweise auch die Begründung für die häufig als unsozial gebrandmarkte Rationalisierung der Betriebsabläufe betrifft. Die Entscheidung der Unternehmer*innen, Arbeitsplätze abzubauen und menschliche Arbeitskraft durch den Einsatz von mehr oder besseren Maschinen zu ersetzen, erfolgt in Anbetracht verschiedener Produktionstechnologien gewöhnlich dann, wenn der stärker automatisierte Produktionsablauf dieselben Ergebnisse zu geringeren Kosten oder bei gleichen Kosten bessere Ergebnisse verspricht. 54 Natürlich ist es beispielsweise denkbar, dass rationalisierende Unternehmer*innen bei ihrem Kalkül vernachlässigt haben, dass die Entlassungen einen negativen Effekt auf die Kooperationsbereitschaft und die Motivation der verbliebenen Mitarbeiter*innen ausüben, so dass sich bei genauerer Betrachtung womöglich zeigen könnte, dass die Erhaltung der Arbeitsplätze insgesamt doch 54 Vgl. die Gedanken zum ökonomischen Prinzip in Abschnitt I.8. <?page no="132"?> 106 III. Die Theorie der Unternehmen die kostengünstigere Produktionstechnologie gewesen wäre. Auch Unternehmer*innen können irren. Dem Prinzip nach aber gehört es zur Aufgabe der Unternehmer*innen, nach möglichst kostengünstigen Produktionsmöglichkeiten zu suchen, wozu auch die Ausschöpfung von Rationalisierungspotenzial gehört. Wenn Ihnen bei dieser Gelegenheit die Schranke des Eigentums durch die Sozialpflicht in den Sinn kommt, so können wir an dieser Stelle noch einmal klarstellen, was mit der Aufgabe der Gewinnmaximierung in der Rolle als Unternehmer*in gemeint ist. Wenn „Eigentum verpflichtet“, dann kann sich dies nur auf die Entscheidungen der Unternehmenseigentümer*innen beziehen, die diese eben nicht in der Rolle als Unternehmer*innen, sondern in der Modellbetrachtung letztlich als Privatpersonen treffen. Als solche können sie auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten, wenn sie diese Mittel dafür aufwenden möchte, die eigentlich unrentablen Arbeitsplätze zu erhalten. Ob dies die sozialste aller möglichen Gewinnverwendungsformen darstellt, sei an dieser Stelle einmal offengelassen. Wichtig sind allerdings noch zwei einschränkende Gedanken: Erstens sind Eigentümer*innen vieler Unternehmen inzwischen nicht mehr die als Unternehmerpersönlichkeiten bekannten Firmenlenker*innen, sondern deren Aktionär*innen. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums würde also Letztere treffen. Rein theoretisch steht es einer Aktionärsversammlung frei, ihre Manager*innen mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen unter bewusster Inkaufnahme von Gewinnschmälerungen zu betrauen. Es ist zweitens allerdings so, dass dies überhaupt nur dann möglich ist, wenn Unternehmen (dauerhaft) Gewinne erwirtschaften. Wir werden bald sehen, dass sich die Gewinne polypolistischer Unternehmen in engen Grenzen halten und dies auch gut so ist. Dem Prinzip nach gilt diese Warnung aber auch für Unternehmen, die nicht ganz im Ideal der vollständigen Konkurrenz wirtschaften, aber beispielsweise auf die Bereitstellung von Kapital durch Dritte oder auf Investitionen angewiesen sind, um dauerhaft Gewinne zu erzielen bzw. nicht vom Markt verdrängt zu werden. So bitter es klingt: In einem auf marktwirtschaftlichen Regeln aufbauenden Wirtschaftssystem ist es relativ hoffnungslos, auf den freiwilligen Verzicht der Unternehmen auf kostenreduzierende Rationalisierungen zu setzen. Die Wahl der günstigsten Produktionstechnologie ist der erste Schritt der Gewinnmaximierung und den Verzicht auf Gewinnmaximierung können sich nur die wenigsten Unternehmen leisten. 3.1.2. Die Wahl der optimalen Produktionsmenge In einem zweiten Schritt der Gewinnmaximierung suchen die Unternehmer*innen nach der optimalen Produktionsmenge. Gewinn ist der Erlös (der <?page no="133"?> 3. Das Angebot einer Firma im Polypol 107 Umsatz) abzüglich der Kosten. Der Erlös ist im Falle des Preisnehmers und Mengenanpassers schlicht das Produkt aus Produktions- und Absatzmenge und am Absatzmarkt erzielbarem Preis. Dieser Preis hängt definitionsgemäß im Modell der polypolistischen Konkurrenz nicht von der Produktions- und Angebotsentscheidung des betrachteten Unternehmens ab, bleibt also bei Veränderungen der Produktionsentscheidung konstant. Die Kosten entsprechen dem Produkt aus Angebotsmenge und Durchschnittskosten (bei der jeweiligen Angebotsmenge). Die gewinnmaximale Angebotsentscheidung ist deshalb nicht etwa die Menge, an der die Durchschnittskosten ihr Minimum erreichen. Dort wäre lediglich der Gewinn pro Stück maximal. Aber warum sollte das die Unternehmer*innen interessieren? Die gewinnmaximale Produktionsmenge ist die, bei der der Gesamtgewinn maximal ist. Relevant ist also vielmehr wieder die Betrachtung der Grenzkosten im Vergleich zum Grenzerlös. 55 Solange der Grenzerlös einer weiteren Gütereinheit größer ist als die zur Herstellung dieser zusätzlichen Gütereinheit erforderlichen Grenzkosten, wird der Gewinn des Unternehmens durch Erhöhung der Produktionsmenge steigen. Der Grenzerlös jeder zusätzlichen Gütereinheit ist im Falle der Preisnehmer*innen der als gegeben zu betrachtende Marktpreis. Die für gewinnmaximierende Unternehmer*innen im Polypol optimale Produktions- und Angebotsentscheidung liegt, grafisch dargestellt, bei der Outputmenge, bei der die Grenzkostenkurve die Preisgerade (= Grenzerlöskurve) schneidet (vgl. Abb. 25 nächste Seite). An diesem Punkt tritt die Situation ein, dass die letzte produzierte Einheit gerade noch kostendeckend abgesetzt werden kann. Bis zu diesem Punkt lagen die Grenzkosten niedriger als der Preis und ergaben jeweils zusätzliche Gewinne. Diese einfache Grundregel bezüglich des Angebots der Unternehmer*innen im Polypol wird in der Literatur Grenzkosten-Preis-Regel genannt. 55 Grenzerlös ist der zusätzliche Erlös einer kleinen Veränderung der Absatzmenge. Vgl. zum Grundgedanken der Marginalbetrachtung Abschnitt I.5. <?page no="134"?> 108 III. Die Theorie der Unternehmen Abb. 25: Grenzkosten-Preis-Regel Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (24) ein Video zum Thema „Das optimale Angebot nach der Grenzkosten-Preis-Regel“. https: / / t1p.de/ covz 4. Die langfristige Angebotskurve eines polypolistischen Unternehmens Die Angebotskurve eines einzelnen Unternehmens erhält man, indem man mit Hilfe der Grenzkosten-Preis-Regel die jeweils gewinnmaximierende Menge zu verschiedenen Preisen ermittelt. Grundsätzlich entspricht damit die Angebotskurve eines polypolistischen Unternehmens der Grenzkostenkurve. Ein Angebot entsprechend der Grenzkosten-Preis-Regel ist auch dann optimal, wenn der Schnittpunkt der Preisgeraden mit der Grenzkostenkurve unterhalb der Durchschnittskosten liegt, wie in Abbildung Abb. 26. Preis, DK, GK Firmenangebot Durchschnittskosten Grenzkosten Preis <?page no="135"?> 4. Langfristige Angebotskurve eines polypolistischen Unternehmens 109 Abb. 26: Verlustminimale Angebotsmenge In diesem Fall deckt der Erlös jedoch nicht die Kosten. Das Unternehmen macht Verluste in Höhe der Differenz des Produkts aus Durchschnittskosten und Menge abzüglich des Produkts aus Preis und Menge. Die Grenzkosten- Preis-Regel gibt in diesem Fall lediglich die Angebotsmenge an, die die Verluste minimiert. Eine Verlust-Minimierungsstrategie ist manchmal das Beste, was einem Unternehmen übrigbleibt: Kurzfristig sind einige Faktoreinsätze fix, d. h. sie müssen kurzfristig als gegeben betrachtet werden. Diese fixen Kosten würden auch dann anfallen, wenn auf Grund des Marktpreises am Absatzmarkt nicht mehr mit Gewinnen zu rechnen ist und der Anbieter seine Produktion ganz einstellen würde. Langfristig hingegen können auch diese Faktoreinsätze angepasst werden, langfristig existieren keine Fixkosten und langfristig verbleibt kein Unternehmen trotz Verlusten im Markt. Der Marktaustritt ermöglicht immerhin einen Gewinn (bzw. Verlust) in Höhe von Null, d. h. langfristig müssen auf Grund der Möglichkeit des Marktaustrittes keine Verluste hingenommen werden. Daraus folgt, dass für jede Unternehmung, die auch langfristig im Markt bleibt, die so genannte Nullgewinn-Bedingung abzuleiten ist. Das bedeutet, langfristig befinden sich nur Unternehmen im Markt, die mindestens einen Gewinn in Höhe Null realisieren, deren Durchschnittskosten also bei der gemäß der Grenzkosten-Preis-Regel realisierten Angebotsentscheidung Marktpreis p Markt Preis, DK, GK Firmenangebot Durchschnittskosten Grenzkosten Verlust <?page no="136"?> 110 III. Die Theorie der Unternehmen unterhalb oder maximal in gleicher Höhe des am Markt herrschenden Preises liegen. Die langfristige Angebotskurve des einzelnen Unternehmens ist deshalb identisch mit dem Abschnitt der Grenzkostenkurve oberhalb der Durchschnittskostenkurve (vgl. Abbildung Abb. 27). Abb. 27: Langfristige Angebotskurve der Unternehmung 5. Vom individuellen Angebot polypolistischer Unternehmer*innen zum Marktangebot Die Aggregation der Angebote einzelner Unternehmen zum Marktangebot eines bestimmten Guts oder einer bestimmten Dienstleistung erfolgt analog der Ableitung der Marktnachfrage durch Addition der individuellen Angebotsmengen zu jedem Preis. Grafisch erfolgt die Ableitung des Marktangebots durch horizontales Addieren der Einzelangebote bei jedem Preis (vgl. Abbildung Abb. 28). Grenzkosten Preis Firmenangebot Durchschnittskosten Angebotskurve der einzelnen Unternehmung <?page no="137"?> 5. Vom individuellen Angebot im Polypol zum Marktangeb 111 Abb. 28: Vom individuellen zum aggregierten Angebot Einzelangebot Firma 1 6 + 10 = 16 4 + 6 = 10 2 + 2 = 4 Gesamtangebot Einzelangebot Firma 2 2,0 1,5 1,0 0,5 8 10 12 6 4 2 Menge Preis 2,5 3,0 14 16 <?page no="139"?> IV. Das Marktgleichgewicht Ökonom*innen modellieren mit besonderer Vorliebe Gleichgewichtssituationen. Ein Gleichgewicht bedeutet dabei zunächst ganz allgemein einen ausbalancierten Zustand eines Systems interagierender Elemente, in dem keine Schwankungen auftreten. Analytisch faszinierend ist eine Gleichgewichtssituation deshalb, weil sie für den Betrachtungsmoment stillhält und damit eine Untersuchung und Beschreibung ermöglicht bzw. lohnend erscheinen lässt. Das System ist im Gleichgewicht zur Ruhe gekommen und würde aus sich selbst heraus diesen Zustand dauerhaft beibehalten. Die Dinge geraten nur durch externe Veränderung der Einflussfaktoren wieder in Bewegung. Etwas konkreter geht es in ökonomischen Betrachtungen häufig um ein Marktgleichgewicht. Dabei spricht man dann davon, dass ein Markt im Gleichgewicht sei, wenn bei einem bestimmten Preis die insgesamt angebotene und die insgesamt nachgefragte Menge übereinstimmen. Abb. 29: Marktgleichgewicht Angebot Nachfrage Menge Preis Gleichgewichtspreis Gleichgewichtsmenge <?page no="140"?> 114 IV. Das Marktgleichgewicht Der entsprechende Preis wird als Gleichgewichtspreis bezeichnet, die entsprechende Menge als Gleichgewichtsmenge. Ein Marktgleichgewicht liegt also vor, wenn der Preis das Marktangebot und die Marktnachfrage so miteinander in Einklang bringt, dass keine Nachfrager*innen mehr bereit wären, zu diesem Preis (oder einem höheren) weitere Güter nachzufragen, und gleichzeitig keine Anbieter*innen mehr bereit wären, zu diesem Preis (oder einem niedrigeren) zusätzliche Güter anzubieten. Ein Markt im Gleichgewicht weist weder Überschussnachfrage noch Überschussangebot auf. Der Markt ist im Gleichgewicht „geräumt“. Abb. 30: Markträumung im Gleichgewicht Befindet sich der Markt hingegen nicht im Gleichgewicht, so bedeutet dies, dass zu einem am Markt herrschenden Preis die angebotene und die nachgefragte Menge nicht identisch sind. Im Falle eines im Verhältnis zum Gleichgewichtspreis höheren Preises p 1 entsteht ein Überschussangebot, d. h. die Anbieter*innen würden zu diesem Preis gerne mehr absetzen (Punkt R) als die Nachfrager*innen zu diesem Preis abnehmen (Punkt Q). Bei einem im Verhältnis zum Gleichgewichtspreis niedrigeren Preis p 2 hingegen würden die Nachfrager*innen gerne mehr kaufen (Punkt T) als die Anbieter*innen bereit sind auf p * p 2 p 1 Angebot T S R Q Nachfrage Überschussnachfrage Überschussangebot Menge Preis Markträumender Gleichgewichtspreis <?page no="141"?> Vorbemerkung 115 den Markt zu bringen (Punkt S). Es entsteht eine Überschussnachfrage. Gehandelt wird auf einem Markt, der nicht im Gleichgewicht ist, immer die jeweils kleinere Menge, d. h. im Falle eines Überschussangebots wird nur die bei dem höheren Preis nachgefragte Menge gehandelt, bei einer Überschussnachfrage kann nur die zu diesem niedrigeren Preis angebotene Menge gehandelt werden. Der Merksatz zu dieser Selbstverständlichkeit lautet: „Die kürzere Marktseite setzt sich durch“. In der Realität kommt es auf den meisten polypolistischen Märkten unablässig zu Veränderungen des Marktangebots (und auch der Marktnachfrage). So verändern technologische Entwicklungen, Änderungen der Input-Preise, Änderungen der erwarteten Absatz-Preise etc. ständig das Kalkül einzelner Unternehmen. Auch die daraus folgenden Marktein- und Marktaustritte verändern die insgesamt angebotene Menge. Dies hat Einfluss auf den erzielbaren Preis und dies wiederum verändert die Anreize zum Marktein- oder Marktaustritt etc. Ökonom*innen erwarten deshalb nicht, Märkte im Gleichgewicht vorzufinden, wohl aber beobachten zu können, dass Märkte zu ihrem Gleichgewicht tendieren. Die Marktkräfte der Konkurrenz zwingen die einzelnen Anbieter*innen und Nachfrager*innen zu Verhaltensanpassungen, die den Markt in die Richtung des theoretischen Marktgleichgewichts treiben. Das Steuerungs- und Informationsinstrument, welches den einzelnen Anbieter*innen oder Nachfrager*innen signalisiert, dass eine Verhaltensanpassung erforderlich wird, ist der Preis. Ausgehend von einer Situation des Überschussangebots erwarten wir, dass der Preis fällt, um den Markt in Richtung Gleichgewicht zu drängen. Ein Überschussangebot bedeutet, dass die Anbieter*innen zum Preis p 1 einen Teil ihrer Produktion nicht absetzen können, dass sich die Regale in den Geschäften, die Lager bei den Unternehmen füllen. Einige Anbieter*innen werden im Wettstreit um Absatzmöglichkeiten damit beginnen, ihre Produkte zu geringeren Preisen anzubieten. Selbstverständlich bedeutet dies, dass sie dazu auf einen Teil des ursprünglich vielleicht erwarteten Gewinns verzichten müssen. Zu diesem geringeren Preis fragen mehr Konsument*innen die Produkte nach (bzw. dieselben Konsument*innen fragen mehr Produkte nach). Da die anderen Anbieter*innen ihre Produkte nun ebenfalls zum geringeren Preis anbieten müssen, weil sie ansonsten gar nichts mehr verkaufen könnten, führt dies zugleich dazu, dass zunehmend Anbieter*innen mit geringeren Gewinnmargen in die Verlustzone geraten und sich letztlich aus dem Markt zurückziehen werden. Ein fallender Preis bewirkt damit eine Reduzierung des Überschussangebots indem gleichzeitig das Angebot sinkt und die Nachfrage steigt. <?page no="142"?> 116 IV. Das Marktgleichgewicht Umgekehrt verhält es sich bei einer in der Ausgangssituation bestehenden Überschussnachfrage. Der Preis steigt auf Grund der Konkurrenz der Konsument*innen um die angebotenen Güter. Die Situation der Überschussnachfrage bedeutet, sowohl die Regale in den Geschäften als auch die Lager der Unternehmen sind leer. Die Konsument*innen klappern alle Läden der Umgebung ab, um die gewünschten Produkte zum Preis p 2 zu erhalten, die meisten bleiben dennoch erfolglos. In der früheren DDR gab es für Rentner*innen die Nebenbeschäftigung des/ der „Steher*in“, einer Person, die stellvertretend Schlange steht in Warteschlangen vor Geschäften, in denen Gerüchten zufolge bald mit einer Lieferung gerechnet wird. Dies ist ein typisches Phänomen einer Preisreglementierung. Denn die Entlohnung des/ der Steher*in verteuert selbstverständlich den Konsum des gewünschten Produkts. Die in Marktwirtschaften mit freier Preisbildung zumindest modellhaft typische alternative Methode zur intensiven Suche nach Restbeständen oder zur Einreihung in lange Warteschlangen besteht darin, höhere Preise zu bieten. Ähnlich einer Auktion könnten die wenigen vorhandenen Güter meistbietend versteigert werden. Der Wettstreit vieler Konsument*innen um ein knappes Gut würde bei gegenseitiger Überbietung zu einem steigenden Preis führen. Dieser höhere Preis bringt Angebot und Nachfrage zusammen, indem von beiden Seiten Anpassungsprozesse stattfinden: Ein steigender Preis führt einerseits dazu, dass ein zunehmender Teil der Konsument*innen seine Nachfrage reduziert oder ganz einstellt. Umgekehrt führt der höhere Preis andererseits auf der Angebotsseite dazu, dass die nach der Grenzkosten-Preis-Regel kalkulierenden Unternehmen größere Produktionsmengen wählen. Ein höherer Preis reduziert also die Überschussnachfrage, indem sowohl die Nachfrage sinkt als auch das Angebot steigt. 1. Das Angebot im langfristigen Marktgleichgewicht Wie bereits erwähnt tendieren Märkte meist nur zu Gleichgewichten, erreichen sie aber selten. Lassen Sie uns nichtsdestotrotz das Angebot in einem Marktgleichgewicht betrachten, um zu sehen, wozu der Konkurrenzkampf der Anbieter*innen untereinander der Tendenz nach führt. In einem längerfristig stabilen Gleichgewicht an einem Markt mit freier Preisbildung und freiem Marktzutritt würden tendenziell alle am Markt befindlichen Unternehmen mit den gleichen Kostenverläufen konfrontiert sein. Bedenken Sie, dass ein längerfristig stabiles Gleichgewicht unter anderem voraussetzen würde, dass es über einen gewissen Zeitraum keine technologische Entwicklung und keine größere Nachfrageänderung gegeben hat. In einer solchen Situation wäre die Annahme eines allgemein diffundierten Wissens über die bestmögliche <?page no="143"?> 1. Das Angebot im langfristigen Marktgleichgewicht 117 Produktionstechnologie, die preiswertesten Bezugsquellen für Rohstoffe und Vorprodukte etc. nicht allzu unrealistisch. Verfügen alle Unternehmen über die gleiche Produktionsfunktion, so bedeutet dies insbesondere, dass auch alle Unternehmen über die gleiche Nullgewinn- Bedingung verfügen und bei jedem am Markt erwarteten Preis eine jeweils identische gewinnmaximierende Angebotsmenge an den Markt bringen. Das Marktangebot beträgt in einem solchen Fall schlicht ein Vielfaches der Menge des Angebots eines einzelnen Unternehmens. 1.1. Die Gleichgewichtsmenge In der folgenden Abbildung Abb. 31 kann man zunächst auf die Tragfähigkeit des Marktes schließen. Versuchen Sie nachzuvollziehen, warum es bei sinkenden Preisen zu Marktaustritten einzelner Unternehmen kommen muss bzw. warum es bei höheren Preisen nicht zu dauerhaften Gewinnsteigerungen der am Markt befindlichen Unternehmen kommt, sondern diese durch neu hinzukommende Unternehmen herunterkonkurriert werden. Abb. 31: Tragfähigkeit eines Marktes Die jeweils bei einem, zwei, drei,…, neun am Markt befindlichen Unternehmen entstehenden Marktangebotskurven stellen zu jedem Preis das entsprechend vielfache Angebot einer einzelnen Firma dar, d. h. drei Unternehmen bieten zu einem bestimmten Preis gemeinsam genau die dreifache Menge eines einzelnen Menge Angebot bei 9 Unternehmen Marktnachfrage Angebot bei 5 Unternehmen Preis Angebot bei 1 Unternehmen Angebot bei 2 Unternehmen DK-Minimum x* p* <?page no="144"?> 118 IV. Das Marktgleichgewicht der gewinnmaximierenden Unternehmen an. Die horizontale gestrichelte Linie markiert das Durchschnittskosten-Minimum der identischen Unternehmen. Wie viele identische Unternehmen wird der Markt in einem langfristigen Gleichgewicht aufweisen? Bei mehr als fünf Unternehmen wäre das Marktangebot auf Grund der angenommenen Marktnachfrage nicht mehr zu kostendeckenden Preisen abzusetzen, d. h. die Unternehmen würden Verlust machen (der Schnittpunkt der Marktnachfragekurve mit der Marktangebotskurve bei sechs und mehr Unternehmen liegt unterhalb des Durchschnittskostenminimums). Langfristig ist die Situation, Verluste zu realisieren, nicht mit der Nullgewinn-Bedingung vereinbar. Bei einem Preis unterhalb des Durchschnittskostenminimums würden die Unternehmen theoretisch alle gleichzeitig aus dem Markt austreten. 56 Langfristig stellen die Abschnitte der Angebotskurven unterhalb der waagerechten Linie somit keine realisierbare Lösung dar. Zu Preisen oberhalb des Durchschnittskostenminimums hingegen ist jedes der identischen Unternehmen gerne bereit, entsprechend der Grenzkosten-Preis- Regel anzubieten. Befinden sich ursprünglich weniger als fünf Unternehmen im Markt, so würde bald ein weiteres Unternehmen in den Markt eintreten. Schließlich können bei einem Angebot von bis zu fünf Unternehmen noch Gewinne erzielt werden (der Schnittpunkt der Marktnachfragekurve mit der Marktangebotskurve bei fünf Unternehmen liegt noch oberhalb des Durchschnittskostenminimums). Früher oder später würde eine findige Unternehmerpersönlichkeit beobachten, dass die vier oder weniger im Markt befindlichen Unternehmen auf diesem Markt attraktive Gewinne erzielen. Angelockt durch diese Situation würde ein fünftes Unternehmen in den Markt eintreten. Ohne Marktzutrittsbarrieren müssen die vier vorher bereits im Markt befindlichen Unternehmen mit der auf Grund des durch die fünfte Firma erweiterten Angebots entstehenden Preisreduzierung leben. Der in der vorstehenden Abbildung dargestellte Markt weist eine Tragfähigkeit von genau fünf Unternehmen auf. Der im langfristigen Gleichgewicht am Markt erzielbare Gleichgewichtspreis p* wird in Höhe des Schnittpunktes der Marktnachfrage und des Marktangebots bei fünf Unternehmen liegen, die 56 Wir können nicht a priori prognostizieren, welche Firmen tatsächlich den Markt verlassen. Es könnten die mit der geringsten Kapitaldecke sein oder die mit den schlechtesten Nerven, den ungeduldigsten Aktionär*innen oder mit den besten Ideen zur Gründung einer neuen Firma auf einem anderen Gütermarkt etc. <?page no="145"?> 1. Das Angebot im langfristigen Marktgleichgewicht 119 angebotene Gleichgewichtsmenge x* entspricht dem Lot vom Schnittpunkt zur Abszisse. Aus dieser einfachen Betrachtung können wir eine äußerst attraktive Schlussfolgerung für die durch die Anbieter bereitgestellte Menge ziehen: Die Gleichgewichtsmenge wird durch den Schnittpunkt von Marktnachfragekurve und Marktangebotskurve bestimmt. Auf Konkurrenzmärkten ohne Markteintrittsbarrieren ist dabei die Angebotskurve mit der größten Firmenanzahl relevant, die noch mit der Nullgewinn-Bedingung vereinbar ist. Tendenziell wird damit auf Konkurrenzmärkten die größte Menge an Gütern bereitgestellt, die kostendeckend erreichbar ist. 1.2. Der Gleichgewichtspreis Unter den Annahmen der polypolistischen Konkurrenz, bei der eine sehr große Anzahl von Anbieter*innen unterstellt wird, 57 kann auch eine Aussage über den erwarteten Gleichgewichtspreis formuliert werden. Tatsächlich scheiden nicht nur die Abschnitte der Angebotskurven unterhalb der Nullgewinn-Bedingung als realisierbare Möglichkeiten aus, sondern auch alle Kurvenabschnitte oberhalb eines potenziellen Schnittpunktes der Marktangebotskurve bei einer größeren Firmenanzahl mit irgendeiner Nachfragekurve. In der vorhergehenden Abbildung Abb. 31 war willkürlich eine bestimmte Marktnachfragekurve eingezeichnet. Wenn wir auf die Annahme einer bestimmten Marktnachfrage verzichten wollen, müssen wir einen allgemeineren Fall betrachten. Die steilste mögliche Nachfragekurve würde eine Senkrechte darstellen. Versuchen Sie, sich in der auf der nächsten Seite folgenden Abbildung Abb. 32 eine beliebige Marktnachfragekurve vorzustellen. 58 Das längerfristige Marktgleichgewicht wird immer auf einem der Kurvenabschnitte potenzieller Marktangebotskurven liegen, die hier durch Fettdruck hervorgehoben sind. Egal wo Sie die Nachfragekurve platzieren und mit welcher Steigung Sie deren Verlauf annehmen: Sie werden niemals eine Situation konstruieren können, in der ein Marktpreis oberhalb der hervorgehobenen Kurvenabschnitte einen Gleichgewichtspreis darstellt, der nicht durch den Eintritt zusätzlicher Unternehmen in den Markt herunterkonkurriert würde. Jede 57 Weder fünf noch neun Anbieter*innen stellen ernsthaft polypolistische Konkurrenz dar. Aber die Grafik wird ein wenig unübersichtlich, wenn man 200 oder 1.000 Marktangebotskurven einzeichnen wollte. 58 Oder tragen Sie beliebige Nachfragekurven ein. <?page no="146"?> 120 IV. Das Marktgleichgewicht Nachfragekurve mit einem Schnittpunkt mit einer Angebotskurve oberhalb der markierten Abschnitte wird zugleich auch einen Schnittpunkt mit einer Marktangebotskurve bei einer höheren Firmenanzahl aufweisen, der mit einem geringeren Marktpreis korrespondiert. Da das Angebot eines einzelnen Unternehmens in aller Regel preis-elastisch von links unten nach rechts oben verläuft, also bei höheren Preisen eine größere Angebotsmenge gewinnmaximierend ist, verläuft auch das Marktangebot als Vielfaches des Einzelangebots bei zunehmender Firmenzahl immer preis-elastischer. Die Marktangebotskurve wird somit immer flacher, die Angebotsmenge reagiert auf gleichbleibende Preisänderungen immer stärker, je größer die Anzahl der am Markt auftretenden Unternehmen wird. Dadurch wird der noch maximal erreichbare Gewinn der anbietenden Unternehmen im Marktgleichgewicht immer geringer, je mehr Anbieter auf dem Markt agieren. Abb. 32: Maximale Unternehmensgewinne bei verschiedenen Anbieterzahlen In der grafischen Darstellung erkennen Sie dies daran, dass der Abstand des potenziellen Marktgleichgewichtspreises auf einem fett hervorgehobenen Kurvenabschnitt zur Durchschnittskostenminimum-Linie immer geringer wird. Bei einer sehr großen Zahl von Anbieter*innen werden die relevanten Kurvenabschnitte kaum noch Steigung aufweisen, der Gleichgewichtspreis wird sehr nahe an der Nullgewinn-Bedingung, d. h. kaum merklich über dem Minimum der Durchschnittskosten, liegen. Menge Angebot bei 9 Unternehmen Angebot bei 5 Unternehmen Preis Angebot bei 1 Unternehmen Angebot bei 2 Unternehmen DK-Minimum <?page no="147"?> 1. Das Angebot im langfristigen Marktgleichgewicht 121 Diese Überlegung führt zu einem weiteren attraktiven Ergebnis der Betrachtung von freien Wettbewerbsmärkten im Polypol: Im langfristigen Branchengleichgewicht produzieren die Anbieter*innen im Minimum der Durchschnittskostenkurve oder zumindest sehr nahe daran. Es verbleiben kaum Gewinnmöglichkeiten für die Produzent*innen. Der Gleichgewichtspreis wird damit tendenziell der niedrigste Preis sein, zu dem die nachgefragten Güter oder Dienstleistungen noch kostendeckend hergestellt werden können. Näherungsweise kann man die Aussage treffen, dass auf polypolistischen Wettbewerbsmärkten keine Gewinne gemacht werden. Volkswirtschaftlich attraktiv ist diese Eigenschaft idealer Konkurrenzmärkte nicht etwa deshalb, weil Ökonom*innen Unternehmen keine Gewinne gönnen würden, sondern weil dies unmittelbar mit dem Ziel der wirtschaftlichen Nutzung knapper Ressourcen zusammenhängt: Die auf Wettbewerbsmärkten bereitgestellten Güter und Dienstleistungen werden mit dem geringst möglichen Ressourceneinsatz produziert. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (25) ein Video zum Thema „Das Marktgleichgewicht“. https: / / t1p.de/ covz 1.3. Machen Unternehmen nicht doch Gewinne? Natürlich machen viele Unternehmen in der Realität Gewinne. Wenn es gut läuft, sollte dies sogar die Regel sein. Die soeben abgeleitete Tendenzaussage, auf Wettbewerbsmärkten würden keine Gewinne erzielt, bedarf also in mindestens zweierlei Hinsicht einer Relativierung oder Präzisierung: Erstens lautet die ökonomische Erkenntnis genauer: Auf Wettbewerbsmärkten werden keine funktionslosen Gewinne erzielt. Die oben getroffene Aussage galt insbesondere für Unternehmen an Märkten in einem längerfristigen Gleichgewicht. Es wurde bereits eingangs stark relativierend darauf hingewiesen, dass sich Märkte äußerst selten über längere Zeit in einem solchen Gleichgewicht befinden. Die in ungleichgewichtigen Situationen möglichen Gewinne erfüllen allerdings eine wichtige Funktion, d. h. das Marktsystem ist auf diese Gewinne angewiesen, sie sind Teil des Systems. So würden beispielsweise die <?page no="148"?> 122 IV. Das Marktgleichgewicht ersten ein bis vier Unternehmen in den Abbildungen Abb. 31 und Abb. 32 (höhere) Gewinne erzielen, solange noch nicht die in einem langfristigen Gleichgewicht erwartete maximale Firmenanzahl im Markt angetreten ist. Erst diese Gewinne bieten den Anreiz für potenzielle Unternehmer*innen, in diesen Markt einzutreten. Das Marktsystem tendiert also nur deshalb zum Gleichgewicht, weil in Ungleichgewichtssituationen Gewinne erzielt werden. Wird hingegen kein weiterer Eintritt in den betrachteten Markt mehr sinnvoll sein, da ein Marktgleichgewicht bereits annähernd erreicht ist, so werden auch die Gewinnmöglichkeiten in diesem Markt nur noch minimal sein. Funktionslose Gewinne sind Gewinnmöglichkeiten, die keine wertvolle Anreizfunktion mehr erfüllen. Und solche funktionslosen Gewinne werden auf Wettbewerbsmärkten tendenziell nicht ermöglicht. Zweitens erinnern Sie sich bitte an die ökonomische Begriffsverwendung der Bezeichnung Kosten. Gewinn ist die Differenz des Erlöses zu den Kosten. Kosten wiederum beinhalten für Ökonom*innen grundsätzlich auch Opportunitätskosten (vgl. Abschnitt I.4. und III.2.1.). Wenn Unternehmer*innen auf Wettbewerbsmärkten langfristig „keinen Gewinn“ erzielen, so sind sie also dennoch nicht zu bemitleiden. Die volkswirtschaftlich korrekte Gewinnermittlung berücksichtigt im Kostenkalkül beispielsweise bereits eine adäquate Entlohnung der Unternehmer*innen (z. B. die möglichen Einkommen als Angestellte in einer anderen Firma oder mögliche Einkommen als Unternehmer*innen in einer anderen Branche) und des eingesetzten Kapitals (z. B. in Höhe der alternativ erzielbaren Rendite bzw. Verzinsung). Steuer- und bilanzrechtlich sieht die Gewinnermittlung auf Grund anderer Kostenbegriffe ein wenig anders aus. Wenn Volkswirt*innen behaupten, in einem Markt würden keine Gewinne erzielt, so ist dies also kein Grund für Unternehmer*innen, sich aus dem Markt zurückzuziehen. 59 Es besteht lediglich kein Anlass mehr für weitere Anbieter*innen, in den Markt einzutreten. 59 Es sei denn, die Unternehmer*innen würden auf einem anderen Markt noch Gewinne erwarten. In diesem Fall wäre es lohnend, den angestammten Markt zu verlassen und in den Markt einzutreten, in dem die Unternehmer*innen Gewinne erwartet. Korrekterweise müssten dann allerdings die Gewinnmöglichkeiten des vielversprechenden Marktes als Opportunitätskosten in der bisherigen Kalkulation eingehen, d. h. die Opportunitätskosten würden mit dem Aufdecken der lohnenderen Beschäftigung in anderen Märkten steigen und so c. p. im individuellen Kalkül auf dem bisherigen Markt Verluste anzeigen… (Alles ein bisschen verwirrend, zugegeben. Überlegen Sie ein wenig hin und her, die Opportunitätskostenbetrachtung ist ein außerordentlich wertvolles Instrument). <?page no="149"?> 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht 123 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht Die Tendenz zum Gleichgewicht bedeutet, dass einzelne Konsument*innen bei steigenden Preisen ihre Nachfrage zurückziehen müssen oder einzelne Produzent*innen bei fallenden Preisen aus dem Markt austreten müssen, um Verluste zu vermeiden. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist dies nicht bedauerlich, sondern äußerst notwendig. Die Preise, die diese Anpassungsprozesse erzwingen, signalisieren die Opportunitätskosten der nachgefragten Güter bzw. die Wertschätzung der angebotenen Güter: Ein hoher Preis auf einem Wettbewerbsmarkt signalisiert letztendlich nichts anderes, als dass die in der Produktion der Güter verwendeten Ressourcen knapp sind und in der Produktion anderer Güter eine lohnende Verwendung finden würden. Mit der Zahlungsbereitschaft für ein bestimmtes Gut signalisieren die einzelnen Konsument*innen ihre Wertschätzung des Guts im Verhältnis zu allen anderen Gütern. Ist also die Zahlungsbereitschaft im Verhältnis zu dem am Markt vorherrschenden Preis nicht hoch genug, so bedeutet dies letztlich nichts anderes, als dass die Zahlungsbereitschaft der Konsument*innen für andere Güter, deren Produktion mit der des betrachteten Guts um knappe Ressourcen konkurriert, höher ist. Ist umgekehrt der am Markt erzielbare Preis so niedrig, dass Unternehmer*innen nicht mehr kostendeckend produzieren können, so bedeutet dies nichts anderes, als dass die Wertschätzung der Konsument*innen für andere Güter höher ist. Die im Verhältnis zum Preis zu hohen Produktionskosten signalisieren, dass die verwendeten Faktoren und Vorprodukte in einer anderen Verwendung Güter produzieren können, die den Konsument*innen einen höheren Nutzen stiftet. Der Preis gibt die Signale, die für die effiziente Allokation der knappen Ressourcen erforderlich sind, indem sie die jeweiligen Opportunitätskosten einer Entscheidung widerspiegeln. Diese abstrakten Gedanken sind nicht besonders leicht verdaulich. Selbst auf die Gefahr hin manche Leser*innen zu unterfordern, soll deshalb das folgende ausführliche Beispiel versuchen, Ihre Gedanken auf die richtige Spur zum Verständnis der Opportunitätskostenüberlegungen zu bringen. 2.1. Beispiel zum Ausschluss einzelner Nachfrager*innen vom Konsum Nehmen wir an, bei einem Preis von 0,40 Euro pro Erdnuss-Schokoriegel bestehe eine Überschussnachfrage. Viele Kund*innen sehen sich also im Kiosk <?page no="150"?> 124 IV. Das Marktgleichgewicht häufig der Situation gegenüber, dass die Erdnuss-Schokoriegel ausverkauft sind und erst eine Woche später wieder lieferbar sein werden. Ihr Heißhunger bleibt unbefriedigt. Angenommen, die Hersteller*innen der Erdnuss-Schokoriegel verhalten sich wie im ökonomischen Marktmodell vorgesehen. Sie ahnen, dass die Überschussnachfrage bedeutet, dass sie noch mehr Erdnuss-Schokoriegel verkaufen könnten, selbst wenn sie den Absatzpreis pro Stück erhöhen. Als gewinnmaximierende Unternehmer*innen erhöhen sie den Verkaufspreis auf 0,60 Euro. Dieser höhere Absatzpreis erlaubt ihnen, entsprechend der Grenzkosten-Preis-Regel, die Ausdehnung der Produktion und damit die bessere Versorgung der Konsument*innen durch die Belieferung der Verkaufsstellen mit mehr Schokoriegeln. Allerdings kann sich beim höheren Preis nun der Schüler Jakob nur noch weniger Erdnuss-Schokoriegel pro Woche leisten, denn den Rest seines Taschengelds braucht er zur Begleichung seiner Mobiltelefon- Rechnung 60 . Er schränkt seine Nachfrage nach Erdnuss-Schokoriegeln ein. Die Überschussnachfrage (= die nicht befriedigte Nachfrage beim neuen Preis) wird sowohl auf Grund des erhöhten Angebots als auch auf Grund der eingeschränkten Nachfrage reduziert. Die Herstellerunternehmen von Erdnuss- Schokoriegeln beobachten allerdings noch immer leergefegte Regale und erhöhen die Absatzpreise und die Produktion entsprechend der noch immer bestehenden Überschussnachfrage weiter. Bei einem Preis von 0,80 Euro pro Erdnuss-Schokoriegel ist der Markt geräumt, es besteht keine Überschussnachfrage, die Erdnuss-Schokoriegel bleiben aber auch nicht in den Regalen liegen. Der Markt ist im Gleichgewicht. Allerdings musste Jakob seinen Konsum an Erdnuss-Schokoriegeln jetzt gänzlich einstellen: Zum Preis von 0,80 Euro leistet er sich gar keine Erdnuss-Schokoriegel mehr, dazu ist ihm das andernfalls zu opfernden Datenvolumen einfach zu wichtig. Das bedeutet: Der Markt ist nun zwar im Gleichgewicht, es gibt weder eine Überschussnachfrage noch ein Überschussangebot. Aber dieses Gleichgewicht wurde nur auf brutale Art und Weise durchsetzbar, indem Jakob vom Konsum ausgeschlossen wurde. Eine Verdopplung des Preises für Erdnuss-Schokoriegel innerhalb kürzester Zeit? Hochpreispolitik zu Lasten der Schüler? Oder noch schlimmer: Werden durch solche rücksichtslosen Preistreibereien nicht die Eltern genötigt, das Taschengeld zu erhöhen? Können das alle? Und das soll nicht bedauerlich sein? 60 Nach zweifelnder Kritik eines Lektors sei hier mein pädagogischer Rat für alle (zukünftigen) Eltern geteilt, den Kindern meinetwegen den günstigsten Grundtarif zu finanzieren, damit sie erreichbar sind. Aber zusätzliches Datenvolumen sollte man unbedingt vom Taschengeld zahlen lassen, mit was sollen die Kinder sonst die praktische Seite der „Knappheit“, „Opportunitätskosten“, „Budgetrestriktion“ etc. lernen? <?page no="151"?> 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht 125 Nein, dass Jakob nun keine Erdnuss-Schokoriegel mehr konsumiert, ist nicht bedauerlich. Der Preis für Erdnuss-Schokoriegel signalisiert aus volkswirtschaftlicher Sicht Opportunitätskosten, die der Konsum von Jakob bei einem anderen Konsumenten verursacht: Das doch immerhin größere Angebot von Erdnuss-Schokoriegel bei einem Preis von 0,80 Euro wurde noch immer vollständig nachgefragt, aber beim niedrigeren Preis bestand eine Überschussnachfrage. Das bedeutet, dass jeder Verzehr eines Erdnuss-Schokoriegels durch Jakob beim Preis von 0,40 Euro oder 0,60 Euro eine andere Konsumentin, beispielsweise Carlotta aus der Parallelklasse, vom Konsum eines Erdnuss- Schokoriegels ausschloss, obwohl Carlotta mehr zu zahlen bereit gewesen wäre als Jakob. Wenn aber Carlotta mehr zu zahlen bereit ist als Jakob, also für einen Erdnuss-Schokoriegel auf mehr Datenvolumen zu verzichten bereit ist als er, dann ist es aus ökonomischer Sicht keine Frage, dass der Verzehr des Erdnuss- Schokoriegels durch Jakob für die Gesellschaft nicht wohlfahrtsmaximal sein kann. Stellen Sie sich bildhaft vor, dass Jakob und Carlotta nach der Schule gemeinsam im Kiosk anstehen, aber Jakob dummerweise unmittelbar vor Carlotta an die Reihe kommt. Wenn nun Jakob beim Preis von 0,60 Euro den letzten Erdnuss-Schokoriegel kaufen konnte und Carlotta leer ausgeht, dann kommen die beiden unter Umständen selbst auf den Gedanken, wie die Gesamtwohlfahrt von Jakob und Carlotta gesteigert werden könnte: Carlotta rennt Jakob hinterher und macht das Angebot, ihm den Riegel für dieselben 0,60 Euro abzukaufen und ihn außerdem noch ein paar Nachrichten von ihrem Mobiltelefon verschicken zu lassen. Eventuell geht Jakob mit Freuden auf dieses Geschäft ein, eventuell verlangt er statt der Nachrichtenversendung den Download eines Videos oder das Upload eines Selfies vor dem Kiosk. Wie auch immer: Wenn sich die beiden einig werden, wird sich der Nutzen beider Schüler*innen erhöhen. Wird dieselbe Allokation des Erdnuss-Schokoriegels durch den Markt vorgenommen, d. h. sorgt das Preissystem dafür, dass Carlotta und nicht Jakob den knappen Erdnuss-Schokoriegel bekommt, dann hat dies natürlich Verteilungseffekte: Jakob bekommt eben keine Kompensation in Form der Mitnutzung von Carlottas Datentarif für den Verzicht auf den Erdnuss-Schokoriegel. Die Gesamtwohlfahrt jedoch erhöht sich dessen ungeachtet genauso, wie im Beispiel des Tauschgeschäfts. Dass Jakob nun keine Kompensation erhält ist für ihn bedauerlich, jedoch eine reine Umverteilung. Interpersonelle Nutzenvergleiche sind uns unmöglich, der Verteilungseffekt entzieht sich also einer Bewertung. Es spricht nichts dafür, dass diejenigen, die zuerst im Kiosk sind und deshalb Güter konsumieren können, bei denen eine Überschussnachfrage besteht, der Gesellschaft wichtiger sind als diejenigen, die später kommen. <?page no="152"?> 126 IV. Das Marktgleichgewicht Deshalb sollte man ein System wählen, dass dafür sorgt, dass Carlotta den Erdnuss-Schokoriegel auch dann bekommt, wenn sie am anderen Ende der Stadt wohnt, in einem ganz anderen Kiosk einkauft und Jakob niemals kennen lernen wird. Eben dies leistet das anonyme Steuerungsinstrument des freien Preises. 2.2. Beispiel zum Ausschluss einzelner Anbieter*innen vom Markt Perspektivenwechsel zur Angebotsseite: Die Ausdehnung der Produktion - möglich geworden durch die Erhöhung der Absatzpreise für Erdnuss-Schokoriegel - bewirkt eine Erhöhung der Nachfrage nach Erdnuss-Rohmasse durch die Hersteller*innen von Erdnuss-Schokoriegeln. War der Markt für Erdnuss- Rohmasse ursprünglich im Gleichgewicht, dann hat dies kurzfristig nun dort die Situation einer Überschussnachfrage zur Folge. Diese wird auf dem Rohmasse-Markt ähnlich abgebaut wie eben beschrieben. Eine Begleiterscheinung werden steigende Preise pro Tonne Erdnuss-Rohmasse sein. Stellen Sie sich nun bitte vor, die Hersteller*innen von Erdnussbutter, die auf denselben Rohstoff angewiesen sind, passen ihre Produktionsmenge im ersten Schritt nicht an. Stattdessen erhöhen sie den Absatzpreis für jedes Glas Erdnussbutter entsprechend der gestiegenen Produktionskosten. Stellen Sie sich weiter vor, dass Carlottas Vater beim Wocheneinkauf nicht gewillt ist, die Erdnussbutter-Preiserhöhung hinzunehmen und Carlottas Familie sich von nun an auf Marmelade und Honig zum Frühstück beschränkt. Wenn die Konsument*innen von Erdnussbutter den Preisanstieg nicht ohne Reduzierung ihrer Nachfrage hinnehmen und der Erdnussbutter-Markt vorher im Gleichgewicht war, dann bedeutet dies, dass es nun zu einem Überschussangebot kommt: Die Erdnussbutter-Hersteller*innen bringen mehr Erdnussbutter auf den Markt als die Konsument*innen zu diesem Preis abzunehmen bereit sind. Um dieses Überschussangebot abzubauen, bleibt den Hersteller*innen von Erdnussbutter nichts anderes übrig, als die Absatzpreise zu senken und damit selbstverständlich auch die Angebotsmenge zu reduzieren. Parallel dazu wird Carlottas Vater wieder ab und zu ein Glas Erdnussbutter kaufen. Insgesamt kommt es jedoch zu einer Reduzierung der Erdnussbutter-Produktion. Dies kann durchaus dazu führen, dass eine Erdnussbutter-Firma schließen muss. Erdnussbutter-Produzent*innen werden aus dem Markt gedrängt, weil die Erdnuss-Schokoriegel-Hersteller*innen die Preise hochtreiben? Und das soll nicht bedauerlich sein? <?page no="153"?> 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht 127 Nein, ist es nicht. Natürlich kann dies für Jakobs Vater, der Zeit seines Lebens Erdnussbutter-Fabrikant war und den Betrieb schon in der dritten Generation fortführte, persönlich sehr schmerzhaft sein. 61 Es ist allerdings volkswirtschaftlich notwendig, dass weniger Erdnussbutter produziert wird. Die Preise für Erdnuss-Rohmasse signalisieren die Opportunitätskosten, die der Einsatz einer Tonne Erdnuss-Rohmasse an anderer Stelle verursacht. Diese Opportunitätskosten sind letztlich dieselben wie beim direkten Vergleich von Jakob und Carlotta: Carlotta müsste auf Erdnuss-Schokoriegel verzichten, wenn die Hersteller*innen von Erdnuss-Schokoriegeln nicht mehr produzieren und deshalb auch keine höheren Preise für die Erdnuss-Rohmasse zahlen würden. Wenn die Hersteller*innen von Erdnuss-Schokoriegeln nun höhere Preise für Erdnuss- Rohmasse zahlen können, liegt dies daran, dass die Erdnuss-Schokoriegel für Carlotta wertvoller sind als der alte Preis für Erdnuss-Schokoriegel ausdrückte. Umgekehrt sind die Hersteller*innen von Erdnussbutter nicht in der Lage, dieselbe Menge wie vorher zu höheren Preisen abzusetzen. Aber nur höhere Preise sind kostendeckend, da die Rohmasse teurer geworden ist. Dies bedeutet, dass der Konsum von Erdnussbutter Carlottas Familie eben nicht wertvoll genug ist, um den Preisanstieg hinzunehmen. Das anonyme Steuerungsinstrument Preis sorgt dafür, dass die Erdnuss-Rohmasse in der Produktion eingesetzt wird, in der sie für die Konsument*innen am wertvollsten ist und damit der Gesamtgesellschaft den höchsten Nutzen stiftet. 2.3. Freie Preise dienen als volkswirtschaftlich wünschenswertes Steuerungssystem Natürlich ist diese Geschichte sehr einfach gestrickt. Sie können diese Beispiele beliebig verkomplizieren. Beispielsweise können Sie unterstellen, dass Carlotta nun sehr unglücklich ist, weil ihr das Erdnussbutterbrot am Frühstückstisch 61 Vergessen Sie das „Arbeitsplatzargument“, welches Jakobs Vater mit Sicherheit sofort der Landesregierung präsentieren wird, um Subventionen zu erbitten. Selbstverständlich bedeutet die Pleite von Jakobs Vater auch Arbeitsplatzverluste. Es besteht jedoch kein Grund, anzunehmen, dass durch das ganze Geschehen rund um Erdnuss-Produkte in der Erdnussbutter-Industrie mehr Arbeitsplätze abgebaut werden als in der Erdnuss-Schokoriegel-Industrie neu entstehen. Und selbst wenn die Arbeiter*innen aus der Erdnussbutter- Fabrik nicht in der Erdnuss-Schokoriegel-Produktion neue Beschäftigung finden: Auf Grund der Unvergleichbarkeit interpersoneller Nutzen besteht kein Grund zu vermuten, dass die Gesellschaft den Verlust der Arbeitsplätze von Erdnussbutter-Expert*innen mehr bedauert als sie die Entstehung von Arbeitsplätzen für Erdnuss-Schokoriegel-Expert*innen begrüßt. Vgl. außerdem die im Grundgedanken zur Konsumentensouveränität (Abschnitt I.2.) ausgesprochene Empfehlung, sich bei der Wohlfahrtsbetrachtung nur auf die Seite der Konsument*innen zu konzentrieren. <?page no="154"?> 128 IV. Das Marktgleichgewicht eigentlich noch wertvoller war als der Erdnuss-Schokoriegel. Lediglich ihr störrischer Vater ist nicht gewillt, den Preisanstieg zu akzeptieren. Dann aber sollte Carlotta auf einen Teil ihres Taschengeldes verzichten und den Preisanstieg von Erdnussbutter über einen Zuschuss zum Haushaltsgeld der Familie abfangen. Oder Sie unterstellen, sowohl für Erdnuss-Schokoriegel als auch für Erdnussbutter seien entsprechende Preiserhöhungen durchsetzbar, was zu einer entsprechenden Überschussnachfrage für Erdnuss-Rohmassen führen würde. Zu den dann steigenden Preisen für die Rohmasse wird auch der Import von Erdnüssen aus weiter entfernten Anbaugebieten lohnend bzw. eine Ausdehnung der Erdnussplantagen auch unter schlechteren klimatischen Bedingungen interessant. Dann aber wird von den Erdnuss-Schokoriegel- und Erdnussbutter-Konsument*innen der Konsum anderer Güter (z. B. Opel Corsas) eingeschränkt werden, da sie größere Teile ihres Budgets für Erdnuss-Produkte ausgeben. Dies wiederum wird auf den Märkten für diese anderen Güter Anpassungsprozesse erzwingen. Das Ergebnis wird bei jeder Verkomplizierung der Story dasselbe sein. Freie Preise steuern, wer Ressourcen einsetzt, welche Güter oder Dienstleistungen damit bereitgestellt werden und welche Konsument*innen diese erwerben. Das faszinierende am Preissystem im marktwirtschaftlichen Wettbewerb ist, dass es einen äußerst kostengünstigen und doch zuverlässigen Mechanismus zur Informationsübermittlung bietet. Das Preissystem versorgt alle am Wirtschaftsprozess beteiligten Individuen mit der wesentlichen Information über relative Knappheiten: Je dringender Rohstoffe, Vorprodukte und Arbeitskräfte in alternativen Verwendungen benötigt werden, desto teurer ist ihr Einsatz in der Produktion eines Unternehmens. Steigt der Preis einer beliebigen Ressource, werden alle betroffenen Unternehmer*innen sofort überprüfen, ob sich der bisher geplante Einsatz dieser Ressource auch beim höheren Preis noch lohnt oder ob es günstigere Möglichkeiten der Produktion gibt. Selbst wenn sich keine andere Produktionsmethode erschließen lässt, werden die betroffenen Unternehmer*innen ihre Nachfrage nach dem teurer gewordenen Produktionsmittel im Regelfall einschränken. Denn diese höheren Preise verteuern die eigene Produktion, was letztendlich höhere Absatzpreise notwendig macht. Da auch die Konsument*innen alternative Verwendungen ihres Einkommens vergleichen, werden sie zu höheren Preisen im Regelfall weniger dieser Produkte kaufen. Die Unternehmen werden die Produktionsmenge der betreffenden Güter entsprechend reduzieren und mithin geringere Mengen der teurer gewordenen Ressource in Anspruch nehmen als vorher. Dieser Zusammenhang gilt <?page no="155"?> 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht 129 für alle im Produktionsprozess eingesetzten und zu diesem Zweck vom Unternehmen nachgefragten Faktoren gleichermaßen: Für Lizenzrechte, Vorprodukte, Rohstoffe, Maschinen und Arbeitskräfte. Diese Wirkungskette ist erwünscht und notwendig, damit die knappen Ressourcen dort eingesetzt werden, wo sie - gemessen in Zahlungsbereitschaften, d. h. in der Bereitschaft, auf andere Güter und Dienstleistungen zu verzichten - am dringendsten verlangt werden. 62 Wenn die Preise steigen, ist das ein Zeichen dafür, dass die jeweilige Ressource - warum auch immer - knapper geworden ist. In der Folge werden zunächst und vor allem diejenigen Produzent*innen ihre Nachfrage einschränken, die durch die Wahl anderer Produktionstechnologien am leichtesten auf ihre Verwendung verzichten können oder für deren Endprodukt die Konsument*innen am wenigsten bereit sind, Preiserhöhungen zu tolerieren. Durch ihre unterschiedlich starke Bereitschaft, für bestimmte Produkte höhere Preise zu zahlen und größere Preissteigerungen hinzunehmen als für andere, bestimmen letztlich immer die Endverbraucher*innen, in welchen Produktionen das knapper gewordene Vorprodukt weiterhin eingesetzt wird (vgl. den Grundgedanken der Konsumentensouveränität in Abschnitt I.2.). Die im Sinne einer bestmöglichen Versorgung der Bürger*innen vernünftige Zuordnung der knappen Ressourcen erfolgt damit zielsicher, schnell und vergleichsweise reibungslos - ohne das Zutun eines fehler- und willküranfälligen Gremiums von wenigen Entscheidungsträger*innen. Das Preissystem reduziert die von allen Wirtschaftsakteur*innen zu verarbeitende Information auf das einzig relevante Kriterium der Knappheit. Für welche Endprodukte wird ein Rohstoff oder ein Vorprodukt verwendet? Welche Tätigkeit soll eine mit bestimmten Fähigkeiten und Kenntnissen ausgestattete Arbeitskraft verrichten? Wie sehr konkurriert die Verwendung dieser Ressourcen oder der Einsatz dieser Arbeitskräfte in der einen Produktion mit anderen Einsatzmöglichkeiten? Wie knapp und wertvoll für die Bedürfnisbefriedigung der Konsument*innen ist ein Endprodukt oder eine Dienstleistung? Wie dringend wollen also die Konsument*innen ein Produkt oder eine Dienstleistung im Verhältnis zu anderen Dingen? Ist es vernünftig und wohlfahrtssteigernd, die Ressourcen für die Produktion eines bestimmten Produktes beziehungsweise einer Dienstleistung einzusetzen? Lohnt sich die Anstrengung? Unternehmer*innen wären hoffnungslos überfordert, müssten sie versuchen, diese Fragen im Einzelnen durch 62 Wo die betreffenden Nachfrager*innen also bereit sind, auf mehr Datenvolumen zu verzichten, um das Gut zu bekommen, als andere Individuen. <?page no="156"?> 130 IV. Das Marktgleichgewicht Befragung aller Lieferant*innen, Konkurrent*innen und Abnehmer*innen und die vollständige Durchdringung der wechselseitigen Beeinflussung zu beantworten. Das Preissystem hingegen erledigt die schwierige Aufgabe der Zuordnung knapper Ressourcen beinahe spielerisch: die einzelnen handelnden Personen müssen nur wissen, wie wertvoll die fragliche Dienstleistung oder das fragliche Produkt für sie selbst ist. Anschließend müssen sie ihre Zahlungsbereitschaft mit dem am Markt geforderten Preis vergleichen. Ist das Gut teurer, als man zu zahlen bereit ist, verzichtet man. Ist man bereit, den am Markt herrschenden Preis oder mehr zu zahlen, macht man die Nachfrage geltend. Im theoretischen Idealfall führt das freie Spiel der Marktkräfte dazu, dass nur die besten Produzent*innen genau die Güter herstellen, welche die Konsument*innen am dringendsten verlangen. Zur Herstellung dieser Güter verbrauchen sie dabei nur so viele knappe Ressourcen wie unbedingt notwendig. Wirtschaftswissenschaftler*innen bezeichnen Vorgehensweisen, die gleichzeitig verschwendungsfrei sind und erfolgreich zum Ziel führen, als effizient (vgl. Abschnitt I.8.). In einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung sorgt ein System freier Preise demnach für eine effiziente Nutzung der knappen Ressourcen im Sinne der bestmöglichen Versorgung der Bürger*innen mit Dienstleistungen und Waren. Dabei ist ein System freier Preise als dezentrales Steuerungssystem in der Lage, millionenfache Einzelentscheidungen zu koordinieren und die Knappheiten und Präferenzen abzubilden, ohne genauere oder ursächliche Informationen über die Gründe der Knappheits- oder Präferenzänderungen zu benötigen. Die Unternehmen treffen auch ihre Entscheidung über die Beschäftigung von Arbeitnehmer*innen in der beschriebenen Art und Weise: Die Arbeitnehmer*innen mit ihrem Wissen, ihren Kenntnissen und Erfahrungen, ihren Fähigkeiten, ihrer Kreativität, Zuverlässigkeit und ihrer Motivation stellen die wichtigste Ressource der deutschen Volkswirtschaft dar. Die einzelnen Unternehmer*innen entscheiden, wie wertvoll zusätzliche Arbeitnehmer*innen für das Unternehmen sind. Die relevanten Größen, die sie dazu miteinander vergleichen, sind die Arbeitskosten und die erwartete Wertschöpfung der Arbeitnehmer*innen in der Produktion. Zu den Arbeitskosten gehören nicht nur die direkten Lohnkosten, sondern auch die Lohnzusatzkosten und die beschäftigungsabhängigen Ausrüstungskosten wie etwa Umkleideräume und Betriebsratsfreistellungen. Die erwartete Wertschöpfung bezeichnet die Richtgröße, die das Unternehmen durch die betreffende Arbeitskraft zusätzlich erwirtschaften zu können glaubt: Wie viel mehr oder besser kann das Unternehmen dank der zusätzlichen Mitarbeiter*innen produzieren und welchen zusätzlichen Umsatz <?page no="157"?> 2. Der schmerzhafte Weg zum markträumenden Gleichgewicht 131 ermöglichen diese? Übersteigen die Arbeitskosten die erwartete Wertschöpfung, unterbleibt die Anstellung. Durch die zusätzliche Beschäftigung würden die Unternehmer*innen ihren Gewinn schmälern bzw. ihren Verlust vergrößern. Erwarten die Unternehmer*innen hingegen eine größere Wertschöpfung, als zur Erwirtschaftung der Arbeitskosten erforderlich ist, werden die betreffenden Arbeitskräfte beschäftigt. Die Einstellungsentscheidung der Unternehmen unter Abwägung von Arbeitskosten und erwarteter Wertschöpfung bewirkt bei freier Lohnbildung, dass die Arbeitnehmer*innen dort den höchsten Lohn erzielen können, wo sie am meisten zusätzlichen Wohlstand erwirtschaften würden. Wenn die Arbeitnehmer*innen ihre Beschäftigungsentscheidung anhand der Lohnhöhe treffen, werden sie in eben dieser Beschäftigung arbeiten. 63 Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (26) ein Video zum Thema „Der schmerzhafte Weg zum Marktgleichgewicht“. https: / / t1p.de/ covz 3. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten I: Edgeworthbox Im vorherigen Abschnitt wurde gezeigt, dass freie Preisbildung zu einem markträumenden Gleichgewicht führt. Aber führt sie damit gleichzeitig auch zu einem ökonomisch wünschenswerten, d. h. zu einem pareto-effizienten, Gleichgewicht? 64 Durch die Verwendung von Indifferenzkurvendarstellungen kann gezeigt werden, dass dies tatsächlich der Fall ist. Stellen Sie sich vor, die Welt würde nur von den beiden Individuen Meier und Schmitt bevölkert (oder diese beiden Individuen wären vom Rest der Welt abgeschlossen). In dieser Welt gibt es - Sie erinnern sich sicher - nur Kartoffeln 63 Natürlich können die Arbeitnehmer*innen auch andere Faktoren wie zum Beispiel die Nähe der Arbeitsstelle zum Wohnort, gutes Arbeitsklima, reizvolle Aufgaben und anderes berücksichtigen. 64 Pareto-Effizienz bedeutet, dass kein Individuum mehr bessergestellt werden kann, ohne dass dies zugleich ein anderes Individuum schlechter stellen würde (vgl. Abschnitt I.8.). <?page no="158"?> 132 IV. Das Marktgleichgewicht und Fleisch. Diese beiden Güter sollen nun pareto-effizient alloziert werden. Wir geben im Gegensatz zu den Ausführungen in Abschnitt I.7. kein Tauschverhältnis vor, sondern betrachten, wie eine wohlfahrtsoptimale Allokation der Fleisch- und Kartoffelmengen zwischen den beiden aussehen könnte. Aus den vorhergehenden Betrachtungen ist bekannt, dass die Entscheidung eines Individuums für ein Güterbündel aus variierenden Mengen für zwei Güter dort optimal ist, wo eine Tangentiallösung zwischen der höchsten erreichbaren Indifferenzkurve mit der Budgetgeraden vorliegt. In diesem Punkt stimmen die subjektive Tauschbereitschaft und die objektive Tauschmöglichkeit (also das Preisverhältnis) überein. Der gesamte Allokationsraum, der sowohl Meiers als auch Schmitts Indifferenzkurven abbildet, lässt sich in einer so genannten Edgeworthbox 65 darstellen. Eine Edgeworthbox besteht aus zwei gleich großen übereinander gelegten Indifferenzkurvendiagrammen, deren Achsen jeweils die Gesamtmengen der zwei Güter bemessen, die in dieser Modellwelt verfügbar sind. Dazu wird eines der beiden Diagramme um 180 Grad gedreht und kantengenau über das andere Diagramm gelegt. Während also in der folgenden Abbildung die Indifferenzkurvendarstellung für Schmitt wie gewohnt interpretiert werden kann, muss das Diagramm für Meier „auf dem Kopf gestellt“ gelesen werden. Insbesondere bedeutet dies, dass die Indifferenzkurven für Meier ein umso höheres Nutzenniveau darstellen, je weiter links unten im Rechteck sie liegen. Abb. 33: Konstruktionsschritte der Edgeworthbox Verdeutlichen Sie sich zunächst, dass die Edgeworthbox in der folgenden Abbildung Abb. 34 an jedem Punkt innerhalb des Rechtecks die Aufteilung der jeweiligen in dieser Welt verfügbaren Gesamtmenge von Kartoffeln und Fleisch 65 So benannt nach dem englischen Philosophen und Ökonomen Francis Ysidro Edgeworth (1845-1926), der das auf Pareto zurückgehende Instrument in großem Maßstab nutzte. <?page no="159"?> 3. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten I: Edgeworthbox 133 zwischen den beiden Individuen kennzeichnet. Punkt A ist die angenommene Ausgangsausstattung der beiden Personen. Die Pfeile entlang der Kanten kennzeichnen die Verteilung von Kartoffeln und Fleisch im Zustand vor einem Tausch. In A verfügt Schmitt über den Großteil der in der Zwei-Personen-Welt vorhandenen Menge von Kartoffeln, Meier über den Rest. Umgekehrt verfügt Schmitt über deutlich weniger als die Hälfte der insgesamt vorhandenen Menge Fleisch, Meier verfügt über den größeren Teil. Abb. 34: Edgeworthbox 3.1. Die pareto-effiziente Güterallokation in der Edgeworthbox Die Verteilung der Güter zwischen den Individuen ist in Punkt A nicht paretoeffizient. Dies lässt sich leicht erkennen, indem man ausgehend von Punkt A C B A Meier Schmitt Kartoffeln Kartoffeln Fleisch Fleisch D <?page no="160"?> 134 IV. Das Marktgleichgewicht zunächst entlang der Indifferenzkurve von Meier verschiedene Punkte betrachtet. Entlang der Indifferenzkurve von Meier, auf der auch die Anfangsausstattung A liegt, bleibt Meiers Nutzenniveau per Definition konstant, Meier „stellt sich nicht schlechter“. Schmitt hingegen stellt sich bei jeder Güterverteilung entlang dieser Kurve (links von A) eindeutig besser als in der Ausgangssituation, solange nicht der zweite Schnittpunkt der beiden ursprünglich erreichten Indifferenzkurven erreicht wird. 66 Die für Schmitt bestmögliche Güterkombination, die Meier auf seinem Nutzenniveau belässt, liegt in Punkt B. Dort tangiert eine Indifferenzkurve von Schmitt die betrachtete Indifferenzkurve von Meier. Alle Punkte links und rechts von B auf der betrachteten Indifferenzkurve von Meier müssen hingegen Schnittpunkte mit nicht eingezeichneten Indifferenzkurven Schmitts darstellen. Stellen Sie nun die gleichen Überlegungen entlang der in A erreichten Indifferenzkurve von Schmitt an, d. h. halten sie seinen Nutzen konstant und beobachten Sie die dadurch möglichen Nutzengewinne für Meier. Das höchstmögliche Nutzenniveau, welches für Meier erreichbar ist ohne Schmitt schlechter zu stellen, liegt im Tangentialpunkt C der Indifferenzkurven. Als Ergebnis dieser Betrachtung ist festzustellen, dass alle denkbaren Güteraufteilungen innerhalb der grau markierten „Linse“ gegenüber der Ausgangsausstattung in Punkt A pareto-superior sind. Pareto-effizient hingegen sind nur Tangentialpunkte der Indifferenzkurvenscharen. Es existieren zwischen Punkt B und C unendliche weitere Tangentialpunkte von nicht eingezeichneten Indifferenzkurven, in denen sich beide Individuen besserstellen würden als in A. Beispielsweise könnte Punkt D einen solchen Tangentialpunkt darstellen. Die Verbindungslinie aller Tangentialpunkte heißt Kontraktkurve und stellt alle pareto-effizienten Verteilungen dar. 67 66 Im zweiten Schnittpunkt verwirklichen beide Individuen wieder das gleiche Nutzenniveau wie in A, beide befänden sich wieder auf den ursprünglichen Indifferenzkurven. Rechts von A und links vom zweiten Schnittpunkt würde sich mindestens eines der beiden Individuen schlechter stellen: Das Güterbündel mindestens eines der beiden würde nur noch eine niedrigere Indifferenzkurve als in der Ausgangssituation in A erreichen. 67 Ausgehend von Punkt A sind nur die Punkte auf der Kontraktkurve zwischen B und C (einschließlich) pareto-effizient. Die Kontraktkurve verläuft allerdings durch das gesamte Diagramm und endet jeweils in den Ursprüngen, in denen entweder Schmitt oder Meier über die Gesamtheit aller Güter verfügt. In der Grafik eingezeichnet ist also nur der auf Grund der in A angenommenen Ausgangssituation relevante Abschnitt der Kontraktkurve. <?page no="161"?> 3. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten I: Edgeworthbox 135 3.2. Pareto-effiziente Allokation und markträumendes Gleichgewicht Verdeutlichen Sie sich, was die Eigenschaften der Tangentialpunkte der Indifferenzkurven aussagen: In den Tangentialpunkten stimmen die Steigungen der beiden tangierenden Indifferenzkurven überein. Die Steigung einer Indifferenzkurve drückt die subjektive Tauschbereitschaft aus. Im Tangentialpunkt der Indifferenzkurven zweier Individuen sind deren Tauschbereitschaften demzufolge identisch, d. h. die Individuen sind sich über das von ihnen erwünschte Tauschverhältnis der Güter einig. Natürlich treten in dieser Zwei-Güter-Zwei- Personen-Welt sowohl Meier als auch Schmitt jeweils als Anbieter und Nachfrager der Güter auf. Sämtliche Güterkombinationen in der grau hervorgehobenen Linse sind Güterbündel, bei denen Schmitt im Verhältnis zur ursprünglichen Kombination in A weniger Kartoffeln hat, Meier hingegen über größere Mengen Kartoffeln verfügt. Umgekehrt muss Meier im Tausch selbstverständlich etwas Fleisch abgeben, Schmitt erhält hingegen etwas Fleisch. Betrachten Sie nun noch - eher zur Erinnerung an bereits geklärte Sachverhalte denn als weitere neue Erkenntnis - dass sich durch jeden dieser Tangentialpunkte entlang der Kontraktkurve auch eine Gerade legen lässt. Diese bildet wiederum eine Tangente mit beiden Indifferenzkurven. Sie weist also die gleiche Steigung auf wie die beiden Indifferenzkurven im Tangentialpunkt, so dass wir an ihr die Tauschrate ablesen können, auf die sich die Individuen im betreffenden Punkt einigen können. In der Grafik wurde beispielhaft die entsprechende Tauschgerade für Punkt C eingezeichnet. Entlang der Punkte der Kontraktkurve stimmen die Tauschbereitschaften von Schmitt und Meier überein, d. h. dort entspricht das Angebot zu dem durch die Tauschgerade ablesbaren Tauschverhältnis der Nachfrage. In Punkt C deutet die hilfsweise genutzte Tauschgerade beispielsweise an, dass in diesem Punkt beide mit einem Tausch von einer Einheit Fleisch gegen zwei Einheiten Kartoffeln einverstanden sind. Dabei würde also Schmitt auf zwei Einheiten Kartoffeln verzichten, um eine Einheit Fleisch zu erhalten. Meier würde umgekehrt auf eine Einheit Fleisch verzichten, um zwei Einheiten Kartoffeln zu erhalten. Die Tauschrate entspricht dabei dem relativen Preisverhältnis: Eine Einheit Fleisch kostet zwei Einheiten Kartoffeln. Das Angebot entspricht in Punkt C der Nachfrage, weil Meier zu diesem Preisverhältnis genauso viel Fleisch anbietet, wie Schmitt nachfragt. Es gibt zu diesem Preis also weder eine Überschussnachfrage nach Fleisch, noch ein Überschussangebot von Fleisch. Die gesamte Nachfrage zu diesem Preis wird befriedigt und kein Anbieter bleibt auf seinem Angebot sitzen. Umgekehrt gilt dasselbe für Kartoffeln, wobei nun Schmitt genauso viel anbietet wie Meier nachfragt. <?page no="162"?> 136 IV. Das Marktgleichgewicht Alle Tangentialpunkte der Indifferenzkurven von Schmitt und Meier sind solche Güteraufteilungen, in denen sich die beiden in dieser Art und Weise bezüglich der erwünschten Tauschraten einig sind und in denen das entsprechende relative Preisverhältnis die nachgefragte und angebotene Menge in Übereinstimmung bringt. Die Punkte entlang der Kontraktkurve stellen markträumende Gleichgewichte dar. 68 Solche Gleichgewichtspreise werden letztlich im Trial-and-Error-Verfahren gefunden. Eine weit verbreitete Vorstellung dieses Preisfindungsprozesses stellt die Figur eines neutralen Auktionators dar, der Preise ausruft und nach Rückmeldung der Individuen anpasst. Er fährt damit fort, bis er einen Preis gefunden hat, zu dem sämtliche Güter nachgefragt werden (natürlich unter Inkaufnahme des Preises, d. h. der Bereitschaft für den Mehrkonsum des einen Guts den entsprechenden Anteil des anderen Guts abzugeben) und die Nachfragen der Individuen auch erfüllbar sind. Solche markträumenden Gleichgewichtspreise gibt es auch in Modellen mit beliebig vielen Personen und beliebig vielen Gütern, was in komplexen theoretischen Modellen gezeigt werden kann. 69 Die wichtige Erkenntnis aus der Beschäftigung mit der Edgeworthbox lautet, dass die markträumenden Gleichgewichte, zu denen freie Wettbewerbsmärkte (ohne Marktversagen) bei freier Preisbildung streben, auch pareto-effizient sind, d. h. die optimale Lösung des Knappheitsproblems und damit die gesamtwirtschaftlich höchste Wohlfahrt ermöglichen. 68 In allen anderen Punkten des Diagramms stimmen die Tauschbereitschaften der beiden nicht überein, d. h. die Nachfrage- und Angebotspläne von Schmitt und Meier können dort nicht in Einklang gebracht werden. Immer würde bezüglich des einen Guts ein Nachfrageüberschuss und bezüglich des anderen Guts ein Angebotsüberschuss bestehen. 69 D. h. es gibt ihn theoretisch immer, wenn konvexe Präferenzen vorliegen, also die Annahme abnehmender Grenznutzen getroffen wird. Das grundlegende Modell eines allgemeinen Gleichgewichts auf allen Märkten stammt von Léon Walras (1834-1910). Sein allgemeines Gleichgewichtsmodell versucht bei vollständiger Konkurrenz die Gleichgewichtswerte aller ökonomischen Variablen zu ermitteln. Die Markteilnehmer*innen tauschen dabei Güter nur dann, wenn sie mindestens den gleichen Nutzen aus den eingetauschten Gütern ziehen, sich also nach dem Tausch in ihrem persönlichen Nutzen nicht verschlechtern. Um das Gleichgewicht für alle Märkte zu finden, bediente sich Walras der Idee eines Auktionators. Dieser ruft zu Beginn einer Periode ein Preissystem aus. Zu diesem System geben die Wirtschaftssubjekte ihre Tauschpläne ab. Der Auktionator prüft nun, in welchen Teilmärkten ein Nachfrageüberschuss oder ein Angebotsüberschuss herrscht und passt die Preise entsprechend an. Dies wird solange wiederholt, bis sich alle Märkte im Gleichgewicht befinden. Ein solches Gesamtgleichgewicht heißt „Walras- Gleichgewicht“, der Auktionator heißt „Walrasianischer Auktionator“. <?page no="163"?> 3. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten I: Edgeworthbox 137 Video-Tipp! Hier finden Sie unter der laufenden Nummer (27) ein Video zum Thema „Pareto-Effizienz in der Edgeworthbox“. https: / / t1p.de/ covz 4. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten II: Rentenbetrachtung Eine zweite Methode der Untersuchung von Wohlfahrtswirkungen von Märkten bzw. bestimmter Eingriffe in Märkte, stellt die so genannte Rentenbetrachtung dar. Dabei hat der wohlfahrtsökonomische Begriff der Rente nichts mit Alterssicherungssystemen zu tun. Unter einer wohlfahrtsökonomischen Rente wird, vereinfacht ausgedrückt, der Nutzengewinn verstanden, den Marktteilnehmer*innen aus den Markttransaktionen ziehen, an denen sie beteiligt sind. Das Konzept ist damit sehr eng mit dem Konzept der Opportunitätskosten verbunden. Der Nutzengewinn ist diesem Verständnis nach die Differenz zwischen dem in der betrachteten Markttransaktion verwirklichten Nutzen und dem Nutzen, den die aufgewendeten Ressourcen in der nächstbesten Alternative erzielt hätten. Die Betrachtung wohlfahrtsökonomischer Renten versucht gewöhnlich, die Gesamtnutzen eines Marktergebnisses für Konsument*innen und Produzent*innen zu erfassen. Zur Einführung des Konzepts eignet sich jedoch eher die einzelwirtschaftliche Perspektive am Beispiel zweier Individuen. 4.1. Konsumenten- und Produzentenrente Die Konsumentenrente versucht, den monetären Wert des Nutzengewinns der Nachfrager*innen aus einer Markttransaktion zu erfassen. Dazu misst sie die Differenz zwischen der individuellen Zahlungsbereitschaft von Nachfrager*innen und dem tatsächlich zu zahlenden Betrag (dem Preis). Erinnern Sie sich bitte an Jakobs individuelle Nachfrage nach Schokoriegeln (vgl. Abschnitt II.8.). Wir können für unser Beispiel in Tabelle 7 davon ausgehen, dass Jakob bei einem Preis von 1,75 Euro pro Schokoriegel gänzlich auf Schokoriegel verzichten würde. Ökonom*innen bezeichnen diesen Preis, zu <?page no="164"?> 138 IV. Das Marktgleichgewicht dem einzelne Konsument*innen keine Gütereinheit mehr nachfragen, als Prohibitivpreis. Bei einem Preis von 1,50 Euro pro Schokoriegel würde Jakob einen Riegel nachfragen, bei einem Preis von 1,25 Euro schon zwei Stück etc. Angenommen, der Marktpreis für Schokoriegel würde auf Grund des Zusammenspiels von Marktangebot und Marktnachfrage bei 0,50 Euro pro Stück liegen. Wir wissen, dass Jakob in diesem Fall fünf Schokoriegel nachfragen würde. Wir wissen ebenfalls, dass dies daran liegt, dass der Genuss des fünften Riegels ihm einen Grenznutzen von 0,50 Euro stiftet, denn die Nachfrage von Jakob gleicht Grenznutzen und Grenzkosten ab. Der Konsum des fünften Schokoriegels führt also näherungsweise nicht mehr zu einem Nutzenüberschuss. Wie aber verhält es sich mit dem Gesamtnutzen für Jakob? Wie groß ist sein Nutzengewinn, den er nach Berücksichtigung der Kosten daraus schöpft, dass er als Konsument am Markt für Schokoriegel auftritt? Die Nachfrage drückt die Zahlungsbereitschaft aus. Die individuelle Zahlungsbereitschaft wiederum entspricht der monetär bewerteten individuellen Nutzenerwartung. Das heißt in unserem Beispiel, dass Jakob seinen Nutzen aus dem Genuss des ersten Schokoriegels mit 1,50 Euro bewertet, den Nutzen aus dem Konsum des zweiten Riegels mit 1,25 Euro, usw. Zahlen muss Jakob aber auch für den ersten Schokoriegel nur den gültigen Marktpreis, den wir in Höhe von 0,50 Euro pro Stück angenommen haben. Daraus folgt, dass Jakob aus dem Konsum des ersten Schokoriegels einen Nutzenüberschuss in Höhe von einem Euro erlangt. Ähnliches gilt auch für die anderen Riegel, die Jakob konsumiert, wie die folgende Tabelle zeigt. Tab. 8: Jakobs Konsumentenrente Bewertung durch Jakob (Zahlungsbereitschaft) Kosten (=Preis) Nutzenüberschuss 1. Riegel 1,50 € 0,50 € 1,00 € 2. Riegel 1,25 € 0,50 € 0,75 € 3. Riegel 1,00 € 0,50 € 0,50 € 4. Riegel 0,75 € 0,50 € 0,25 € 5. Riegel 0,50 € 0,50 € 0,00 € Summe 5,00 € 2,50 € 2,50 € Insgesamt bewertet Jakob den Nutzen seines Schokoriegel-Konsums von fünf Riegeln mit einer Zahlungsbereitschaft in Höhe von fünf Euro. Da er jedoch <?page no="165"?> 4. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten II: Rentenbetrachtung 139 auf Grund des herrschenden Marktpreises nur 2,50 Euro zahlen muss, verwirklicht er einen Nutzenüberschuss in Höhe von 2,50 Euro. Diese Differenz zwischen Zahlungsbereitschaft und Preis bzw. zwischen der subjektiven Bewertung des Nutzens und den objektiv zu tragenden Kosten, nennen wir Konsumentenrente. Um den Zusammenhang zu Opportunitätskostenüberlegungen nachzuvollziehen, erinnern Sie sich bitte daran, dass Jakobs Zahlungsbereitschaft für Schokoladenriegel eben nicht nur unmittelbar mit seinem Wunsch nach Süßigkeiten, sondern ebenso mit seinem Wunsch nach Datenvolumen zusammenhängt. Auf Grund seiner knappen Ausstattung mit Taschengeld muss er zwischen beidem abwägen. Abb. 35: Jakobs Konsumentenrente Natürlich ist die anhand der Tabelle angestellte Betrachtung wieder einmal sehr grob und allenfalls näherungsweise zu gebrauchen. Die Schritte, in denen in der Tabelle vorgegangen wird, sind mit Sicherheit nicht als marginal zu bezeichnen. 1,75 1,25 1,00 0,50 4 5 3 2 1 Preis 0,25 0,75 1,50 Marktpeis Menge Jakobs Konsumentenrente <?page no="166"?> 140 IV. Das Marktgleichgewicht Üblicherweise wird die Rentenbetrachtung grafisch angestellt. In einem Marktdiagramm stellt die Fläche unterhalb der Nachfragekurve aber oberhalb des Preises die Konsumentenrente dar. Die Fläche unter der Nachfragekurve von Jakob in der folgenden Abbildung Abb. 36 repräsentiert dabei einen höheren Wert von Jakobs Konsumentenrente als die Addition in der Tabelle. In der tabellarischen Grobbetrachtung wurde beispielsweise behauptet, der erste Schokoriegel würde einen Grenznutzen von 1,50 Euro bieten. Die in der Grafik ablesbare genauere Betrachtung unterteilt den Genuss des ersten Schokoriegels aber in (letztlich unendlich) kleinere Einheiten. Würde man den ersten Riegel in zehn Bissen einteilen, so könnte man schließen, dass das letzte Zehntel des ersten Riegels einen Nutzen von 15 Cent stiftet, der erste kleine Bissen hingegen Jakob 17,25 Cent wert wäre. Insgesamt bewertet er den Nutzen des ersten Riegels also mit 1,625 Euro. 70 Die Fläche in der Grafik stellt auf Grund des stetigen (statt treppenförmigen) Verlaufs der Nachfragekurve die genauere Konsumentenrente dar, die sich bei beliebiger Teilbarkeit von Schokoriegeln ergeben würde. Sie repräsentiert einen Betrag in Höhe von etwa 3,12 Euro. 71 Dieselben Überlegungen gelten für jede Nachfragekurve. Genutzt wird das Konzept der Konsumentenrente gewöhnlich nicht für eine Individualnachfrage, sondern zur Betrachtung der Wohlfahrtswirkungen bezüglich der gesamten Marktnachfrage. In diesem Fall steht die Konsumentenrente für die Nutzengewinne aller Konsument*innen zusammen. Analog zur Konsumentenrente kann eine entsprechende Produzentenrente betrachtet werden. Die Produzentenrente bemisst die Differenz zwischen dem Erlös (Marktpreis multipliziert mit der Menge) und den Kosten der Produktion. Auf das gesamte Marktangebot angewendet, drückt diese Differenz den 70 Diesem Wert entspricht das Integral unter der Nachfragekurve zwischen Null und einem Riegel [ ½ * (1,75 + 1,50) = 1,625]. 71 Zahlungsbereitschaft [½ * (1,75+0,50) * 5] - Kosten [0,50 * 5] = 3,125. Die scheinbar realitätsferne Annahme der beliebigen Teilbarkeit ist nicht so unplausibel. Da Jakob ohnehin fünf Riegel kauft, kommt es bei diesen fünf Riegeln nicht darauf an, ob der Kioskbesitzer bereit ist, auch Zehntel Schokoladenriegel zu verkaufen. Nur an der Grenze erweist sich die Ignoranz des Ladenbesitzers als Schwierigkeit, denn womöglich möchte Jakob beim Preis von 0,50 Euro eigentlich fünf ganze und zwei Zehntel Schokoriegel kaufen. Im Falle wesentlich größerer Zahlen bei der Betrachtung der gesamten Marktnachfrage verliert diese marginale Restgröße so sehr an Relevanz, dass sie getrost vernachlässigt werden kann. <?page no="167"?> 4. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten II: Rentenbetrachtung 141 Gewinn aller Anbieter*innen aus und steht im Rahmen der hier vorgenommenen Wohlfahrtsbetrachtung für die Vorteile der Produzent*innen aus dem Marktgeschehen. Grafisch stellt die Fläche unterhalb des Marktpreises aber oberhalb der Angebotskurve (= Grenzkostenkurve) die Produzentenrente dar. 72 Abb. 36: Konsumentenrente und Produzentenrente 4.2. Der Soziale Überschuss Die Summe aus Konsumentenrente und Produzentenrente wird Gesamtrente oder Sozialer Überschuss genannt und zeigt den gesamten Wohlfahrtsgewinn der Gesellschaft durch die Marktnutzung an. Der Soziale Überschuss entspricht dem Wert, der durch die Fläche unterhalb der Nachfragekurve aber oberhalb der Angebotskurve bis zur am Markt gehandelten Menge dargestellt wird (vgl. die schraffierte Fläche in Abbildung Abb. 36). 72 Das Integral unter der Grenzkostenkurve drückt die totalen Kosten aus. Menge Preis x* p* Nachfragekurve Angebotskurve Konsumentenrente Produzentenrente Produktionskosten <?page no="168"?> 142 IV. Das Marktgleichgewicht Dass die Situation des Marktgleichgewichts wohlfahrtsökonomisch optimal ist, kann nun gezeigt werden, indem man sich auf den Sozialen Überschuss konzentriert. Dieser Soziale Überschuss ist genau dann maximal, wenn der Gleichgewichtspreis und die entsprechende Gleichgewichtsmenge verwirklicht werden. Um dies zu zeigen, ist es hilfreich, die Veränderungen der Konsumenten- und der Produzentenrente bei ungleichgewichtigen Marktergebnissen zu betrachten. Wir wollen exemplarisch zwei solcher vom Marktgleichgewicht abweichenden Situationen untersuchen. Abb. 37: Wohlfahrtsverlust eines Angebotsüberschusses Angenommen, der am Markt herrschende Preis p 1 liegt höher als der gleichgewichtige Preis und führt entsprechend zur Situation eines Angebotsüberschusses (vgl. Abb. 37): Die Anbieter*innen würden bei einem Preis p 1 zwar gerne eine größere Menge absetzen, diese wird jedoch auf Grund der geringeren R S D C B A p 1 x 1 Menge Preis x* p* Nachfragekurve Angebotskurve <?page no="169"?> 4. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten II: Rentenbetrachtung 143 Nachfrage der Konsument*innen zu diesem Preis nicht abgenommen. Die kürzere Marktseite setzt sich durch, die gehandelte Menge liegt bei x 1 . Wie nicht anders zu erwarten, reduziert sich bei einem höheren Preis die Konsumentenrente im Vergleich zur Gleichgewichtssituation von Sp*A auf Sp 1 C. Im vorliegenden Fall steigt die Produzentenrente von RAp* auf RDCp 1 . Der höhere Preis sorgt also für einen Umverteilungseffekt zu Gunsten der Anbieter*innen und zu Lasten der Nachfrager*innen: Die Fläche p*BCp 1 wird von Konsumentenrente in Produzentenrente umgewandelt. Zusätzlich geht aber die Fläche ABC an Konsumentenrente und die Fläche ABD an Produzentenrente verloren. Im Ergebnis führt ein Preis p 1 also nicht nur zu einer Umverteilung von den Konsument*innen zu den Produzent*innen (p*BCp 1 ), sondern außerdem zu einer Reduzierung des Sozialen Überschusses, also einem gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust, in Höhe der Fläche ACD. Unterstellen Sie nun umgekehrt die Situation eines Nachfrageüberschusses auf Grund eines Preises p 2, der unterhalb des Gleichgewichtspreises p* liegt (vgl. Abbildung Abb. 38 auf der nächsten Seite). Wiederum setzt sich die kürzere Marktseite durch: Die Konsument*innen möchten zu p 2 zwar eine größere Menge nachfragen, die Anbieter*innen aber sind bei diesem Preis nicht in der Lage, mehr als x 2 kostendeckend zu produzieren. Die Konsumentenrente steigt im Vergleich zur Gleichgewichtssituation von Sp*A auf Sp 2 DC. Die Produzentenrente sinkt von RAp* auf RDp 2 . Die Fläche p*BDp 2 wandelt sich von Produzentenrente in Konsumentenrente. Zusätzlich geht aber wieder die Fläche ABC an Konsumentenrente und die Fläche ABD an Produzentenrente verloren. Im Ergebnis kommt es bei einem Preis p 2 nicht nur zu einer Umverteilung von den Produzent*innen zu den Konsument*innen (p*BDp 2 ), sondern außerdem zu einer Reduzierung des Sozialen Überschusses, also der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt, in Höhe der Fläche ACD. Verdeutlichen Sie sich, warum jeder ungleichgewichtige Preis in Zusammenhang mit der dann geringeren gehandelten Menge die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt reduziert. Der Soziale Überschuss in der wohlfahrtsökonomischen Rentenbetrachtung stellt die Gesamtheit der Nutzengewinne der Marktteilnehmer dar. Im Gleichgewicht eines freien Wettbewerbsmarktes wird zum gleichgewichtigen Preis die größtmögliche Menge gehandelt. Erst bei der letzten gehandelten Mengeneinheit des betrachteten Guts entspricht der Grenznutzen der betreffenden Konsument*innen exakt dem Preis. Bei jeder vorherigen Gütermengeneinheit übertraf der Grenznutzen noch den geforderten Preis, d. h. es entstand ein zusätzlicher Nutzengewinn der Konsument*innen. Umgekehrt entspricht erst bei der letzten gehandelten Gütermengeneinheit der am Markt erzielbare Preis exakt den in der Herstellung entstehenden Grenzkosten. <?page no="170"?> 144 IV. Das Marktgleichgewicht Jede vorher gehandelte Gütermengeneinheit hingegen erzielte einen die Grenzkosten übersteigenden Grenzerlös, d. h. es entstand ein zusätzlicher Gewinn auf Seiten der Anbieter*innen. Abb. 38: Wohlfahrtsverlust eines Nachfrageüberschusses Wird hingegen eine geringere Menge als die gleichgewichtige gehandelt, so verursacht dies im Vergleich zur Gleichgewichtsmenge deshalb Wohlfahrtsverluste, weil eigentlich noch lohnende Tauschakte zwischen Anbieter*innen und Nachfrager*innen unterbleiben. Schließlich würden die Anbieter*innen und Nachfrager*innen in den oben diskutierten Fällen noch weitere beidseitig vorteilhafte Tauschhandlungen vollziehen können: Auch für die Mengen zwischen x 1 bzw. x 2 und der gleichgewichtigen Menge x* übersteigt die Zahlungsbereitschaft der Konsument*innen noch die Grenzkosten der Produzent*innen. R S p 2 D C B A x 2 Menge Preis x* p* Nachfragekurve Angebotskurve <?page no="171"?> 4. Die Wohlfahrtswirkung von Märkten II: Rentenbetrachtung 145 Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (28) ein Video zum Thema „Pareto-Effizienz als maximaler Sozialer Überschuss aus Konsumentenrente und Produzentenrente“. https: / / t1p.de/ covz 5. Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomik Die Ergebnisse dieser theoretischen Betrachtung von Wettbewerbsmärkten finden sich in der ökonomischen Literatur zusammengefasst in zwei „Hauptsätzen der Wohlfahrtsökonomik“. Der erste Hauptsatz lautet: „Alle Gleichgewichte, die sich auf einem freien Wettbewerbsmarkt ergeben, sind paretoeffizient.“ Die Erkenntnis, dass ein bestimmter wettbewerblich organisierter Markt in freier Preisbildung zu einem markträumenden Ergebnis gelangt und auf diesem Markt kein Marktversagenstatbestand vorliegt, 73 genügt also, um schlussfolgern zu können, dass dieses Marktergebnis nicht mehr zu Gunsten eines Individuums verändert werden kann, ohne zugleich ein anderes Individuum schlechter zu stellen. Diese Prozessbetrachtung hat einen großen Vorteil: Wir können das Marktergebnis anhand der Beobachtung des Prozesses beurteilen, mit dem das Ergebnis zustande kommt. Das Ergebnis selbst bedarf keiner Beurteilung, wozu wir auf Grund des methodologischen Individualismus und der interpersonellen Unvergleichbarkeit des Nutzens gar keine Möglichkeit hätten (vgl. Abschnitte I.1. und I.8.). Allerdings gibt es - wie bereits durch die abstrakte Beschreibung der Kontraktkurve in der Edgeworthbox angedeutet - unendlich viele effiziente Marktgleichgewichte, die auf freien Märkten zustande kommen können. Das Gleichgewicht, zu dem ein Markt tendiert, wird eben nicht nur von den Präferenzen und Produktionsfähigkeiten der am Markt agierenden Individuen bestimmt. Maßgeblich ist ebenso die Anfangsverteilung der knappen Ressourcen unter den Individuen. In der Edgeworthbox liegen diese pareto-effizienten Gleichgewichte irgendwo auf der Kontraktkurve, die unter anderem auch durch die 73 Dazu kommen wir später in Kapitel VI. <?page no="172"?> 146 IV. Das Marktgleichgewicht beiden Ursprungspunkte der übereinander gelegten Indifferenzkurvendiagramme verläuft. Beispielsweise ist die Verteilung von Kartoffeln und Fleisch, bei der einer alleine über die Gesamtheit beider Güter verfügt, ein paretoeffizientes Ergebnis. Es würde sich als Marktgleichgewicht einstellen, wenn exakt diese Verteilung bereits vor einer eventuellen Tauschmöglichkeit vorliegen würde. Wenn Schmitt von vornherein über die Gesamtheit der beiden Güter verfügt, wird es keine alternative Zuordnung der Güter geben, die Meier besserstellt ohne dabei zugleich Schmitt auf ein geringeres Nutzenniveau zu zwingen. Die Situation der Zwei-Personen-Gesellschaft von Schmitt und Meier, in der Schmitt alles und Meier nichts gehört, ist pareto-effizient. Obwohl in einer solchen Gesellschaft also keine knappen Ressourcen verschwendet würden, leuchtet es unmittelbar ein, dass viele reale Gesellschaften mit einem solchen Verteilungszustand nicht zufrieden sind. Der zweite Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik gibt deshalb einen wertvollen Hinweis darauf, dass auch eine Gesellschaft, die ein anderes Verteilungsergebnis bewirken möchte, nicht unmittelbar in die Marktallokation und die freie Preisbildung eingreifen muss: „Durch geeignete Wahl der Anfangsausstattung kann jedes der unendlich zahlreichen pareto-effizienten Gleichgewichte dezentral über Wettbewerbsmärkte verwirklicht werden.“ Aller Erfahrung nach wird dieser Satz häufig missverstanden. Der zweite Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik behauptet keineswegs, dass eine Gesellschaft sorglos durch Umverteilungseingriffe über Steuern und Transfers die Ausstattung der Bürger*innen verändern kann, mit der diese an Güter- und Dienstleistungsmärkten auftreten. Allokation und Distribution (Umverteilung) sind nicht unabhängig voneinander. 74 Die Veränderungen marktlicher Leistungsanreize, die von der Umverteilung ausgehen, können gravierenden Einfluss auf die Allokationsergebnisse einer Wirtschaftsordnung haben - also das Gesamtvolumen des Bruttosozialprodukts, das zur Umverteilung zur Verfügung steht, empfindlich reduzieren. Wir werden auf die Auswirkungen der Umverteilung auf das in einer Volkswirtschaft insgesamt hergestellte Sozialprodukt später noch zu sprechen kommen (vgl. Abschnitt VII.1.5.). Der zweite Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik deutet lediglich an, dass bestimmte Verteilungsziele erreicht werden können, ohne von vornherein auf die 74 Auch die theoretische Existenz neutraler Steuern, wie beispielsweise Kopfsteuern, hilft nur begrenzt weiter. Da Umverteilungsziele per Definition nicht über Kopfsteuern und Kopf- Transfers erreicht werden, muss realistischer Weise davon ausgegangen werden, dass sämtliche verteilungspolitischen Optionen auch Effekte auf die Allokation ausüben. <?page no="173"?> 5. Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomik 147 grundsätzlichen Effizienz-Eigenschaften freier Wettbewerbsmärkte verzichten zu müssen: Wenn auf Grund missliebiger Verteilungsergebnisse eine Umverteilung angestrebt wird, kann eine Veränderung dieser Verteilungsergebnisse eben auch mittelbar durch generelle Verteilungssysteme vollzogen werden ohne direkt in die Märkte eingreifen zu müssen. Angenommen, eine Gesellschaft möchte beispielsweise zwischen den in der Rentenbetrachtung dargestellten Gruppen der Produzent*innen und Konsument*innen umverteilen. Nach Maßgabe des zweiten Hauptsatzes der Wohlfahrtsökonomik wäre es nun grundsätzlich falsch, zu diesem Zweck einen vom Marktgleichgewicht abweichenden Preis p 1 oder p 2 zu erzwingen. Vielmehr sollte der Versuch unternommen werden, die Anfangsausstattung mit knappen Ressourcen (z. B. Geld) der beiden Gruppen vor deren Zusammentreffen am Markt zu verändern. So kann der Markt theoretisch zu einem Gleichgewicht finden, das dem Pareto- Kriterium entspricht und somit eine verschwenderische Reduzierung des Sozialen Überschusses vermieden und gleichzeitig ein bestimmtes Verteilungsziel verwirklicht werden. Wird hingegen aus Umverteilungsgründen direkt in einen bestimmten Markt eingegriffen, werden die Preissignale verzerrt und der Mechanismus des Marktes zerstört. Ein pareto-effizientes Ergebnis kann dann allenfalls zufällig erreicht werden - höchstwahrscheinlich werden jedoch Ressourcen verschwendet (vgl. auch Abschnitt VII.1.4.). Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (29) ein Video zum Thema „Methodologischer Individualismus, Pareto-Kriterium und Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomik“. https: / / t1p.de/ covz <?page no="175"?> V. Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft Die meisten Ökonom*innen glauben zwar nicht mehr an den Weihnachtsmann, sie stellen sich aus didaktischen Gründen aber gerne vor, wie die Welt aussähe, wenn es eine solche Figur doch gäbe. In der ökonomischen Literatur wird diese Fantasiegestalt allerdings gewöhnlich als wohlmeinender Diktator bezeichnet. Diese dem Weihnachtsmann sehr ähnliche Märchenfigur stellt die ideale Verkörperung eines Staaten- oder Volkswirtschaftslenkers dar und dient zum Vergleich real erreichbarer Zustände mit dem vorstellbaren Ideal. Der wohlmeinende Diktator ist, wie der Weihnachtsmann, höchst selbstlos und versucht als Herrscher ausschließlich das Wohl der Bürger zu maximieren, ohne dabei von eigennützigen Interessen abgelenkt zu werden oder bestimmte Personen zu bevorzugen. Verwechseln Sie diesen didaktisch verwendeten hypothetischen wohlmeinenden Diktator der Ökonom*innen bitte nicht mit Diktator*innen der realen Welt, denen Sie oder andere unterstellen, sie seien nette Menschen und suchten nur das Wohlergehen ihrer Bürger*innen zu steigern. Ob es solche wohlmeinenden uneingeschränkten Herrscher*innen jemals gab oder geben wird, kann wohl niemals festgestellt werden. Auch bei den von ihren Anhänger*innen zum Teil so bezeichneten Herrscher*innen 75 gab es immer ausreichend Widerspruch durch andere. 1. Der wohlmeinende Diktator Kein Mensch aus Fleisch und Blut wird jemals der hier geschilderten Figur gerecht werden, denn der hier vorgestellte wohlmeinende Diktator würde nicht nur in höchstem Maße gerecht, sondern auch unendlich weise sein und bei der Durchsetzung seiner Pläne auf keinerlei Unmut, geschweige denn auf Widerstand treffen. Ähnlich dem Weihnachtsmann mit seinem schlauen Buch wäre diese Herrscherfigur allwissend und damit problemlos in der Lage, die Präferenzen der Bürger*innen zu erkennen. Darüber hinaus verfügt der wohlmeinende Diktator über die bewundernswerte Fähigkeit, die Nutzen der Bürger*innen nach einer für uns normal Sterbliche unergründlichen Methode untereinander zu vergleichen und zu gewichten. Auch beim Weihnachtsmann wäre es schließlich höchst ungezogen zu bezweifeln, dass jedes Kind das bekommt, was es verdient. Der wohlmeinende Diktator gibt jedoch im Gegensatz 75 Verwirrender Weise liest man den Begriff gelegentlich z. B. in Zusammenhang mit Castro, Maduro, Sadat, Tito, Napoleon Bonaparte, etc. <?page no="176"?> 150 V. Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft zum Weihnachtsmann die zu verteilenden Gaben nicht in irgendwelchen Engelswerkstätten in Auftrag, sondern lässt sie von Menschenhand herstellen. Da er damit der Knappheitsrestriktion unterliegt und zur größtmöglichen Bedürfnisbefriedigung seiner Schützlinge auf effiziente Ressourcennutzung angewiesen ist, kommt es ihm sehr zugute, dass er als Allwissender auch über die Fähigkeiten seiner Schützlinge bestens informiert ist. Dank der Allwissenheit kann der wohlmeinende Diktator also auf Grund seiner Liste gewünschter Gaben feststellen, welche Güter und Dienstleistungen benötigt werden und zugleich entscheiden, auf welche Art und Weise diese von wem hergestellt werden sollen. Auch kann er wegen seiner Allmächtigkeit problemlos durchsetzen, dass die von ihm zur Herstellung der gewünschten Güter beauftragten Bürger*innen diese Aufgabe reibungslos erledigen. Nach mancher Variante der Geschichte bedient sich der Weihnachtsmann zur Erziehung der unartigen Kinder seines Kompagnons Knecht Ruprecht; beim wohlmeinenden Diktator hingegen genügt offenbar ein strenger Blick. Kurz und gut: Der wohlmeinende Diktator würde die wichtigsten Güter und Dienstleistungen möglichst ressourcenschonend durch die effizientesten Produzent*innen herstellen lassen, um die Gesamtheit des zu verteilenden Kuchens möglichst groß werden zu lassen. Anschließend würde er diese Güter und Dienstleistungen den Bürger*innen zur Verfügung stellen, die damit den - gemäß einer nur ihm bekannten sozialen Wohlfahrtsfunktion wohlverdienten - höchstmöglichen Nutzen erreichen. 2. Vorteile und Schwächen des Marktsystems Die bisherige Analyse der Marktprozesse und ihrer Wohlfahrtswirkungen lässt auch den freien Wettbewerbsmarkt als Allokationsmechanismus knapper Ressourcen recht attraktiv erscheinen. Insbesondere konnten bereits die folgenden drei beachtlichen Merkmale als Ergebnisse der abstrakten Analyse festgehalten werden: (1) Freie Märkte lassen der Tendenz nach nur die Produzent*innen auf Dauer bestehen, die die Wünsche der Konsument*innen zu den geringsten Kosten und damit mit dem geringsten Ressourcenverzehr befriedigen können (vgl. Abschnitt IV.1.2.). (2) Freie Märkte teilen das knappe Güter- und Dienstleistungsangebot denjenigen Konsument*innen zu, die es gemessen an der Zahlungsbereitschaft am höchsten bewerten (vgl. Abschnitt IV.2.). <?page no="177"?> 2. Vorteile und Schwächen des Marktsystems 151 (3) Freie Märkte tendieren damit zu dem Idealzustand des Gleichgewichts, in dem das Maximum des Sozialen Überschusses erreicht wird. Und je nach Umverteilung der Anfangsausstattung können unterschiedliche Verteilungsergebnisse erzielt werden, ohne unmittelbar in die Märkte eingreifen zu müssen (vgl. Abschnitte IV.4.2. und IV.5.). Im Prinzip käme ein wohlmeinender Diktator zu demselben Allokationsergebnis, wenn er sich freier Wettbewerbsmärkte bedienen würde. Dazu müsste er in einem ersten Schritt die Bürger*innen gemäß einer uns bislang unbekannten allgemein akzeptierten Gerechtigkeitsformel mit Ressourcen bzw. Kaufkraft ausstatten und anschließend die Allokationsentscheidungen dem Markt überlassen. Das bedeutet: Würde sich der wohlmeinende Diktator auf die Zuordnung der Ausgangsausstattung konzentrieren und ein wenig Geduld mitbringen, so würde er im Idealzustand gleichgewichtiger Märkte feststellen, dass das System freier Märkte zu genau derselben Güterversorgung der einzelnen Bürger*innen führen würde wie die, die er dank seiner umfassenden Perfektion auch direkt durch Anordnung herbeigeführt hätte. Dieser Vergleich zeigt, dass „der Markt“ selbst im Vergleich zum Weihnachtsmann gar nicht schlecht abschneidet. Dennoch sind natürlich einige wesentliche Mängel festzustellen: (1) Selbst ideale Wettbewerbsmärkte garantieren aus sich heraus keine gesellschaftlich als gerecht empfundene Verteilung, sondern tendieren lediglich zu einem von der Anfangsausstattung abhängigen effizienten Gleichgewicht. (2) Ideale Wettbewerbsmärkte begegnen uns in der Realität selten. Es gibt eine ganze Reihe von Konstellationen, in denen der Markt versagt und nicht zu den beschriebenen Gleichgewichten tendiert. (3) Selbst ideale Wettbewerbsmärkte tendieren nur zu diesen attraktiven Gleichgewichten. Der Weg dorthin benötigt regelmäßig Zeit und nimmt die unterschiedlichsten Verwerfungen in Kauf. Der anonyme Steuerungsmechanismus der Preise funktioniert, indem unzählige einzelne Konsument*innen und Produzent*innen Entscheidungen treffen, die regelmäßig auch Irrtümer und Fehler beinhalten. 3. Planwirtschaft als überlegene Alternative zum freien Markt? Es ist historisch wohl unbestreitbar, dass reale Planwirtschaften in vielen Fällen in erster Linie der Ausübung und Sicherstellung der Macht bestimmter Eliten dienten. Sicherlich sind Zentralverwaltungswirtschaften wirkungsvolle <?page no="178"?> 152 V. Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft Hilfsmittel für Unterdrückungssysteme. In einer zentralen Kommandowirtschaft können die vorhandenen Ressourcen natürlich nicht nur zur Erhöhung der allgemeinen Wohlfahrt der betroffenen Bürger*innen, sondern auch für ganz besondere ausgewählte Interessen der Entscheidungselite eingesetzt werden. Umgekehrt soll aber keineswegs geleugnet werden, dass die Idee der Zentralverwaltungswirtschaft auch immer wieder Anhänger*innen unter sehr wohlmeinenden, netten Menschen gefunden hat und findet, die tatsächlich das Wohlergehen der Bürger*innen im Sinn hatten und haben. Um die Faszination nachempfinden zu können, die der Gedanke immer wieder ausübt, müssen Sie für einen Moment von Ihrem Wissen um die Vorgänge in real-existierenden Planwirtschaften abstrahieren. Die Idee, die einer Zentralverwaltungswirtschaft zu Grunde liegt, besteht - wohlmeinend interpretiert - darin, dem Fantasieideal eines wohlmeinenden Diktators näher zu kommen. Die dann vorherrschende Zielsetzung planwirtschaftlicher Systeme lässt sich darauf reduzieren, dass sie erstens versuchen, die optimale Allokation knapper Ressourcen im Produktionsprozess gezielter und direkter zu bewerkstelligen als es marktwirtschaftlichen Systemen gelingt. Zweitens sollen die im Wirtschaftsprozess erstellten Güter und Leistungen gezielter und direkter denjenigen Individuen zukommen, die sie am dringendsten benötigen. Wie oben erwähnt, garantieren freie Märkte aus sich heraus keine als gerecht empfundene Verteilung. Diese Tatsache wird oft als größter Einwand gegen Wettbewerbsmärkte hervorgebracht und Kritiker*innen nutzen ihn, um gleich das ganze marktwirtschaftliche System als „ungerecht“ zu verwerfen. In planwirtschaftlichen Systemen geben die Entscheidungseliten regelmäßig vor, die Gerechtigkeitsformel gefunden zu haben. Die machthabenden Eliten versuchen also den Bürger*innen zu suggerieren, sie könnten eine „gerechte“ Verteilungsentscheidung treffen. Zum Teil sind diese Leute wahrscheinlich Überzeugungstäter*innen und glauben, tatsächlich beurteilen zu können, was „gerecht“ ist. Aus individualistischer Sicht ist diese Anmaßung natürlich unfassbar. Aus freiheitlicher Perspektive ist die damit einhergehende Unterdrückung der Uneinsichtigen mit anderer Gerechtigkeitsvorstellung der gravierendste und unverzeihlichste Fehler des gesamten Projekts. Es ist dennoch wichtig zu verstehen, dass der gefährliche Irrglaube und die Anmaßung zu wissen, was richtig und gerecht ist, keineswegs auf planwirtschaftliche Systeme beschränkt ist. Auch in marktwirtschaftlichen Ordnungen gibt es üblicherweise eine Vielzahl von Bürger*innen, die zu wissen glauben, welche Verteilung des gesamten in einer Gesellschaft verfügbaren Wohlstands gerecht <?page no="179"?> 3. Planwirtschaft als überlegene Alternative zum freien Markt? 153 wäre. Üblicherweise werden auch in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften Umverteilungsmaßnahmen getroffen und ein nicht unbeachtlicher Teil der politischen Auseinandersetzung dreht sich um unterschiedliche Ansichten bezüglich solcher Umverteilungsfragen. Letztlich setzt auch in marktwirtschaftlichen Systemen jede Umverteilungspolitik voraus, die Gerechtigkeitsformel gefunden zu haben. Erinnern Sie sich an die Feststellungen des zweiten Hauptsatzes der Wohlfahrtsökonomik und das Zwischenergebnis der Weihnachtsmann-Betrachtung: Wenn eine Gesellschaft Umverteilung vornehmen möchte, kann sie theoretisch ein bestimmtes Verteilungsergebnis anstreben, ohne auf die Effizienzeigenschaften des Marktsystems verzichten zu müssen. Wenn eine Gerechtigkeitsformel gefunden wäre, würde die Herstellung der gewünschten Verteilung also keineswegs erfordern, dafür ein planwirtschaftliches System zu wählen. Die Entscheidung für eine Zentralverwaltungswirtschaft löst selbstverständlich nicht das Problem der Konstruktion einer solchen Gerechtigkeitsformel, sondern setzt umgekehrt voraus, über diese zu verfügen: Wenn eine Kommandowirtschaft gewählt wird, so erfordert dies zwangsläufig eine klare Entscheidung der Verteilungsfrage, da die Güterversorgung in einem solchen System nicht mehr über freie Preise gesteuert wird. Die Planwirtschaft ist also gewiss nicht deshalb näher am Ideal der Weihnachtsmann-Allokation, weil sie automatisch oder eher zu einer „gerechten“ Verteilung der Güter und Dienstleistungen führt. Der zweite Einwand gegen die zwangsläufige Vorteilhaftigkeit freier Märkte, den Verfechter*innen eines Marktsystems akzeptieren müssen, ist der, dass Märkte auch „versagen“. Aber auch dieses Argument gereicht der Alternative der Planwirtschaft nicht zum Vorteil. Es ist unbestritten, dass es eine ganze Palette von Situationen gibt, in denen Märkte eben gerade nicht aus sich heraus zu effizienten Allokationen führen. Wir werden uns später noch ausführlich mit einer ganzen Reihe typischer Marktversagen auseinandersetzen. Unbestritten ist, dass man in diesen Fällen entsprechende ordnende oder regulierende Maßnahmen seitens der Politik und Gesetzgebung benötigt, um die andernfalls gesamtwirtschaftlich schädlichen individuellen Aktionen der Bürger*innen in eine wohlfahrtsförderliche Richtung zu korrigieren. Sowohl in Marktwirtschaften als auch in Planwirtschaften muss in diesen Fällen eine durch Experten sorgfältig abgewogene und vorbereitete Entscheidung im politischen Prozess getroffen werden. Daraus erwächst aber keinesfalls die Notwendigkeit, auf die Effizienzeigenschaften der Marktallokation gänzlich zu verzichten. Reale marktwirtschaftliche Systeme unterscheiden sich nicht dadurch von Planwirtschaften, <?page no="180"?> 154 V. Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft dass sie in den Fällen des Marktversagens auf politische Entscheidungen verzichten, sondern dass sie in den Fällen, in denen die Märkte zu effizienten Ergebnissen tendieren, die Marktkräfte der Konkurrenz wirken lassen und das Steuerungsinstrument freier Preise nutzen. Die Planwirtschaft ist also nicht deshalb näher am Weihnachtsmann-Ideal, weil sie automatisch oder eher zu angemessenen Ergebnissen in solchen Situationen führt, in denen anerkannte Marktversagenstatbestände vorliegen. Auch der zweite Einwand spricht nicht dafür, ein planwirtschaftliches System einem marktwirtschaftlichen vorzuziehen. Nehmen Sie aber für einen Moment an, es gäbe uneigennützig ausschließlich am Gemeinwohl orientiert arbeitende Experten und Entscheidungseliten. Unterstellen Sie weiter, dass diese Eliten mit Hilfe ihres profunden Fachwissens sowohl die Produktionsprozesse als auch die Verteilung der produzierten Güter und Dienstleistungen steuern würden. Sicherlich gibt es in jeder Gesellschaft Personen, deren Fachwissen und Kompetenz höher zu sein scheint als das der meisten anderen Bürger*innen. Denken Sie nur beispielsweise daran, wie unvollständig Ihre persönliche Kenntnis über die Vorteilhaftigkeit bestimmter Altersvorsorgeprodukte ist und dass Sie allenfalls zufällig die Zahnpasta kaufen, die nach neuestem Stand der Wissenschaft empfohlen wird. Zusätzlich könnte man entsprechende Entscheidungsgremien mit ausreichend hochqualifizierten Mitarbeiter*innen ausstatten und ihnen selbstverständlich auch die besten der zunehmend leistungsfähigen Computersysteme zur Verfügung stellen. Der Markt hingegen ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass jede Einzelperson die Entscheidungen nach eigenem Ermessen trifft und dabei unzählige Fehlentscheidungen und Irrtümer programmiert sind. In einem marktwirtschaftlichen System müssen enorme Kosten in Kauf genommen werden, um die Anpassungsprozesse der Märkte zu ermöglichen. Der Vorsprung eines Systems, in dem Gremien von Expert*innen zentral entscheiden, könnte also in der Vermeidung dieser Kosten bestehen. Beispielsweise käme es nicht zu Überinvestitionen in Fabrikationsanlagen auf Grund falsch eingeschätzter Nachfrageüberhänge. Es käme auch nicht zu ärgerlichen Zeitverzögerungen, mit der Märkte auf Preissignale reagieren. Die Kosten der Fehlentscheidungen einzelner Marktteilnehmer*innen und die Verzögerungen der Marktreaktionen würden im Vergleich eine Verschwendung knapper Ressourcen bedeuten, wenn sie sich dank einer „richtigen“ zentralen Planung vermeiden ließen. Warum hat sich diese, vor nicht allzu langer Zeit auch noch von vielen gut ausgebildeten Ökonom*innen gehegte Erwartung, bislang nicht bestätigt? Hatten wir es bisher wirklich immer mit „falschen“ planwirtschaftlichen Versuchen zu <?page no="181"?> 3. Planwirtschaft als überlegene Alternative zum freien Markt? 155 tun, in denen die „falschen“ machthabenden Eliten bedauerlicherweise zu sehr mit der Verfolgung ihrer eigenen Interessen beschäftigt waren? Gab es womöglich noch gar keinen ernsthaften Versuch, die Vorteilhaftigkeit der zentralen Wirtschaftslenkung unter Beweis zu stellen? Oder liegen dem Gedanken systematische Fehler zu Grunde? Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt. Es lässt sich hier wohl echten Optimist*innen nicht abschließend beweisen, dass die Hoffnung auf eine bessere Welt unter planwirtschaftlicher Lenkung systematisch falsch ist. 76 Aber zwei wesentliche Hinweise auf Gründe des programmierten Scheiterns aller planwirtschaftlichen Versuche sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Erstens unterstellt der Ansatz generell einsichtige Bürger*innen. Der Gedanke baut nicht nur darauf, dass die Entscheidungseliten wie der Weihnachtsmann uneigennützig und ohne Privilegierung besonderer Interessen im Sinne des allseitig anerkannten Gemeinwohls handeln, sondern auch alle anderen überhaupt am Wirtschaftsprozess beteiligten Bürger*innen ebenfalls. Nicht nur die Entscheidungseliten müssen die Gerechtigkeitsformel und die große Formel der Ressourcenallokation zur planmäßigen Optimierung des Produktions- und Konsumprozesses gefunden haben. Diese Erkenntnisse müssen vielmehr auch allen betroffenen Bürger*innen überzeugend vermittelt worden sein, denn diese müssen sich an die Pläne halten. Alle Bürger*innen müssen sich also nicht nur darüber einig sein, was eine „gerechte“ Verteilung ist und davon überzeugt sein, dass die plangemäße Erfüllung der Elitenvorgaben zum bestmöglichen Ergebnis führt. Sie müssen auch tatsächlich uneigennützig auf potenzielle persönliche Vorteile verzichten. Nur unter dieser Voraussetzung kann das System auf Leistungsanreize materieller Wohlfahrt verzichten. Verzichtet es nicht auf diese Anreize, so entfernt es sich vom angestrebten Ideal. Denn es muss dann unter Inkaufnahme hoher Kontrollkosten durch Repression und Überwachung versuchen, das plankonforme Verhalten und bestmögliche Bemühen der Bürger*innen sicherzustellen. Neben der fragwürdigen Freiheitseinschränkung polizeistaatlicher Methoden stellt dies selbstverständlich auch eine sehr teure Methode der Durchsetzung der Pläne dar. Die Kosten der Kontrolle, Überwachung und Sanktionierung erfordern eine deutliche Entfernung vom angestrebten Ideal verschwendungsfreier Produktions- und Konsumprozesse. Zweitens unterstellt der theoretische Gedanke, die für die Planung unerlässlichen 76 Zumindest lässt sich dies hier in der gebotenen Kürze nicht beweisen. Es gibt jedoch bewundernswert klarsichtige Versuche solcher Streitschriften, von denen das 1944 erschienene Werk „The Road to Serfdom“ (dt. „Der Weg zur Knechtschaft“) von Friedrich August von Hayek (1899 - 1992) sicher besondere Erwähnung verdient. <?page no="182"?> 156 V. Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft Informationen über Produktionsprozesse und über die Bedürfnisse der Menschen könnten korrekt erhoben und verarbeitet werden. Letztlich muss dieser Informationsaufwand nicht nur überhaupt, sondern unter Verwendung von weniger Ressourcen möglich sein, als im marktwirtschaftlichen System. In einer offenen, dynamischen Welt mit täglich tausendfacher Entdeckung und Entwicklung neuer Verfahren und Bedürfnisse ist diese Vorstellung allerdings illusorisch. Dies gilt wahrscheinlich auch bei jeder denkbaren Fortentwicklung der Computertechnologie, denn der Engpass liegt weniger in der Verarbeitung der Informationen als in der Unmöglichkeit der sinnvollen Erhebung der benötigten Informationen: Individuen können viele ihrer Nutzenabwägungen und Beweggründe gar nicht explizit formulieren, sondern treffen große Teile ihrer Tauschentscheidungen aus einer allenfalls teilweise bewussten „Kosten-Nutzen-Abwägung“ heraus. 77 Tatsächlich mussten alle Versuche planwirtschaftlicher Systeme binnen kürzester Zeit feststellen, dass die Pläne der Entscheidungseliten weder perfekt noch unumstritten akzeptiert waren. Immer gibt es Individuen, die das Gerechtigkeitsideal der Elite offenbar nicht teilen, die ihre Präferenzen nicht in idealerweise abgebildet sehen und die trotz der Zuhilfenahme extremer staatlicher Überwachungsprozesse Möglichkeiten suchen und finden, vom Plan der Entscheidungselite abzuweichen. Die blühenden Schwarzmärkte in allen Planwirtschaften stellen wiederum marktwirtschaftliche Allokationsmechanismen dar, die allerdings auf Grund der durch die Illegalität erzwungenen Geheimhaltung und Intransparenz deutlich ineffizienter sind als offene Markttransaktionen und sich zudem jeglicher kollektiver Regelung entziehen, also weder bei der Besteuerung oder für Sozialversicherungsbeiträge herangezogen werden können, noch der normalen gesellschaftlichen Kontrolle durch Polizei, Hygieneüberwachung etc. zugänglich sind. 77 Selbst wenn alle Bürger*innen aufgefordert wären, ständig über tragbare Geräte ihre Ideen und Bedürfnisse einem Großrechner mitzuteilen, der dank der dort eingespeisten interpersonellen Nutzenvergleichsformel die geäußerten Bedürfnisse gewichten würde: Wie wertvoll genau ist Ihnen die Befriedigung des Wunsches nach einem Becher Automatenkaffee im Verhältnis zu Ihrem Wunsch nach einem größeren Kofferraum Ihres PKW und einer stärkeren Glühbirne in Ihrer Küchenlampe in objektiv vergleichbaren Nutzen-Größen? <?page no="183"?> Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (30) ein Video zum Thema „Drei Einwände gegen die Marktwirtschaft“. https: / / t1p.de/ covz VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Das Marktsystem verfügt mit dem Mechanismus freier Preise über beachtliche Vorzüge. Das bisher in den Mittelpunkt gerückte theoretisch reizvolle Gedankenspiel eines stabilen Gleichgewichts verliert zwar in Anbetracht einer sich dynamisch verändernden Umwelt an Bedeutung. Die Annahme eines solchen Gleichgewichtszustandes ist aber auch nicht notwendig, um die Überlegenheit des Marktsystems im Vergleich mit anderen tatsächlich erreichbaren Allokationssystemen aufzuzeigen. Dazu vergleicht man verschiedene reale oder jedenfalls praktisch erreichbare institutionelle Settings, man wählt einen so genannten komparativ-institutionalistischen Ansatz. Die Feststellung hingegen, dass reale Marktwirtschaften Schwächen aufweisen und daher nicht an theoretische Idealvorstellungen heranreichen, stellt einen sogenannten Nirwana-Vergleich dar. Ein solcher ist aber nicht geeignet, irgendwelche Handlungsempfehlungen abzuleiten, denn er lässt keinen logischen Schluss darüber zu, ob man über erreichbare bessere Alternativen verfügt. Steht als Alternative weder ein Weihnachtsmann noch ein wohlmeinender Diktator zur Verfügung, so gilt es zwischen Systemen abzuwägen, die alle lediglich auf der Suche nach möglichst effizienten Allokationen sind. Überlegen ist das System, welches die bestmögliche Generierung und Verarbeitung der Informationen in Aussicht stellt, die den millionenfachen Einzelentscheidungen von Produzent*innen und Konsument*innen zu Grunde liegen. Die wettbewerbliche Ordnung erweist sich dann einer planmäßigen Kommandowirtschaft erstens deshalb überlegen, weil sie auf eine Vorgabe bestimmter Ziele durch Eliten verzichten kann und damit eine effiziente Nutzung der knappen Ressourcen bei der Verfolgung individueller Ziele ermöglicht. Die dazu notwendigen Informationen über die Dringlichkeiten der Bedürfnisse anderer Wirtschaftsteilnehmer*innen sind im System freier Preise implizit enthalten. Die Wettbewerbsordnung freier Märkte erweist sich zweitens als vorteilhaft, weil sie das Eigennutzinteresse der einzelnen <?page no="184"?> 158 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Marktakteur*innen zur permanenten Perfektionierung des Systems nutzt, und damit das Marktsystem mit dem natürlichen Gravitationszentrum des Gleichgewichts ausstattet, ohne auf freiheitsberaubende und zugleich kostenträchtigere Überwachung und Regulierung angewiesen zu sein. In einer dynamischen Wettbewerbswirtschaft werden einmal erreichte Marktstellungen oder Einkommenspositionen permanent durch konkurrierende andere Marktteilnehmer*innen gefährdet. Nur andauernde Bemühungen um Leistungsverbesserungen und Optimierungen berechtigen zur Hoffnung auf die Erhaltung oder Verbesserung einmal erzielter Einkommensbzw. Gewinnchancen einzelner Wirtschaftsakteur*innen. Wenn die Suche eines Unternehmens nach effizienteren Produktionsmethoden oder besserer Entsprechung der Konsument*innenwünsche erfolglos bleibt, gehen Marktanteile an konkurrierende innovative Unternehmen verloren. Das stabile Gleichgewicht aus Kapitel IV. kann aus dieser Perspektive als eine Art Drohpunkt für erfolgreiche gewinnorientierte Unternehmer*innen verstanden werden. Ihnen würde in einem solchen zur Ruhe gekommenen Markt nur noch die Mengenanpassung an einen von außen vorgegebenen Preis verbleiben. Die Drohung eines solchen Stillstands mit kaum mehr spürbaren Gewinnchancen stellt sich für innovative ehrgeizige Unternehmer*innen als Herausforderung dar, den Markt durch die Entwicklung neuer Technologien oder Produkte auf den Pfad hin zu einem neuen imaginären Gleichgewicht anzuführen. Pionierunternehmen mit neuer, besserer Produktionstechnik oder besseren Produkten gelingt es regelmäßig, größere Teile der Nachfrage auf sich zu ziehen und Gewinne zu erzielen bis die Konkurrenz aufgeholt hat. Funktionsfähige Märkte, deren wettbewerbliche Ordnung durch geeignete Rahmenbedingungen institutionell abgesichert ist, nutzen damit nicht nur die Konkurrenzbeziehungen der Marktteilnehmer*innen, um die zu jeder Zeit bestmögliche Nutzung der knappen Ressourcen zu erzwingen. Zusätzlich bieten sie auch durch vorübergehende Gewinnchancen den Anreiz zu permanenter Weiterentwicklung der Nutzungsmöglichkeiten. Zwischen den Extremen einer rein marktwirtschaftlichen und einer rein planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung besteht selbstverständlich ein Kontinuum mehr oder weniger stark interventionistischer Systeme. So ist beispielsweise das deutsche Wirtschaftssystem zwar durch die Grundentscheidung zu Gunsten einer marktwirtschaftlichen Ordnung gekennzeichnet. Die tatsächliche staatliche Einflussnahme auf das Marktgeschehen ist jedoch enorm. Die wenigsten Eingriffe des politischen Prozesses lassen sich dabei mit dem Verweis darauf rechtfertigen, dass auch Marktwirtschaften selbstverständlich die Rechtsstaatlichkeit benötigen, um Eigentumsrechte zu sichern und Verträge durchsetzbar <?page no="185"?> 1. Marktversagen begründet nicht zwangsläufig Staatseingriffe 159 zu machen oder dass Deutschland eine soziale Marktwirtschaft sei. Wir werden auf verteilungspolitische Eingriffe später noch eingehen (vgl. Abschnitt VII.1.). Aus ökonomischer Perspektive bedürfen staatliche Eingriffe in die wettbewerbliche Ressourcenallokation regelmäßig der Rechtfertigung. Ausgehend von den wohlfahrtsökonomischen Hauptsätzen sollte dabei die Marktversagenstheorie die Grundlage solcher Rechtfertigungen staatlicher Eingriffe in die Marktallokation sein. Anerkanntermaßen ist das individualistische dezentrale Informations- und Allokationssystem Markt nicht in jedem Fall geeignet, die wohlfahrtsmaximierende Entscheidung über die Verwendung knapper Ressourcen herbeizuführen. Es existieren viele Situationen, in denen es einzelnen Marktteilnehmer*innen möglich ist, sich dem Wettbewerbsprozess zu entziehen, oder der Wettbewerbsprozess auf Grund besonderer Gütereigenschaften keine optimale Ressourcennutzung erwarten lässt. In diesen Fällen würden potenzielle Wohlfahrtssteigerungen ungenutzt bzw. unentdeckt bleiben. Kollektive Regeln können in diesen Konstellationen unter Umständen individuelles nutzenmaximierendes Verhalten in Bahnen lenken, in denen es auch kollektiv wohlfahrtsfördernd wirkt. Eine solche Regelsetzung ist originäre Aufgabe des Staates und kann nicht vom Markt erwartet werden. In den folgenden Abschnitten werden wir uns mit verschiedenen Fällen des Marktversagens beschäftigen. Dazu soll aber zunächst ein weiterer „volkswirtschaftlicher Grundgedanke“ abstrakt geäußert werden. 1. Marktversagen begründet nicht zwangsläufig Staatseingriffe Die Diagnose eines Marktversagens ist aus ökonomischer Perspektive die notwendige Bedingung, um einen Staatseingriff in die Marktallokation zu erwägen. Nur in diesen Fällen besteht überhaupt Anlass zu der Vermutung, dass ein staatlicher Eingriff zu Wohlfahrtssteigerungen führen könnte. Marktversagen liegt in Situationen vor, in denen individuell rationales Verhalten zu kollektiv irrationalen Ergebnissen führt. Als kollektiv rational bezeichnet man gesellschaftliche Situationen, die dem Kriterium der Pareto-Effizienz entsprechen, d. h. in denen keine Verschwendung von knappen Ressourcen vorliegt und kein Individuum mehr bessergestellt werden kann, ohne zugleich ein anderes Individuum schlechter zu stellen. Kollektiv irrational sind also umgekehrt Situationen, in denen das pareto-effiziente Ergebnis systematisch verfehlt wird. <?page no="186"?> 160 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Wenn bereits individuell rationales Verhalten durch Tausch und Arbeitsteilung zu einem kollektiv rationalen Ergebnis führt, ist keine kollektive, zentral getroffene Entscheidung notwendig. Kollektives Handeln würde dann keinen Vorteil bieten. Im Gegenteil, auf Grund der Schwierigkeit der Informationsgewinnung in einem zentralen Entscheidungsverfahren und der notwendigen Kosten zur Durchsetzung des staatlichen Eingriffs, drohen bei kollektiver Allokationsentscheidung Ineffizienzen und Verletzungen der Konsumentensouveränität. Marktversagen ist jedoch nur die notwendige, nicht zugleich auch die hinreichende Bedingung, um kollektives Handeln zu erwägen. Bevor eine allokative Aufgabe kollektiven Entscheidungsprozessen zugewiesen wird, muss auf Grund der Schwächen der kollektiven Entscheidungsverfahren die Gefahr des Staatsversagens (vgl. Kapitel VIII.) abgewogen werden. Zur Rechtfertigung eines Markteingriffes muss also nicht nur ein Marktversagen festgestellt werden. Zusätzlich muss für einen wohlfahrtsförderlichen Staatseingriff auch im Einzelfall plausibel erwartet werden, dass der kollektive Eingriff tatsächlich zu einem im Verhältnis zum Marktergebnis pareto-superioren Zustand führen wird. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (31) ein Video zum Thema „Der Nirvana Approach“. https: / / t1p.de/ covz 2. Das Gefangenendilemma Die Geschichte des Gefangenendilemmas ist keine ökonomische. Dennoch hat sich diese sehr einfache spieltheoretische Formulierung einer Situation als Standard etabliert, mit dem der Grundgedanke des Auseinanderfallens individueller und kollektiver Rationalität dargestellt und die zur Lösung des Dilemmas erforderliche Regeländerung verdeutlicht wird. Die Geschichte erzählt von zwei Personen, Matilda und Frieda, die einer Straftat verdächtigt werden. In getrennten Verhören bietet der Staatsanwalt beiden Verdächtigen gleichermaßen folgende Möglichkeiten an: Gesteht die Person das gemeinsam begangene Delikt, während die andere Person leugnet, so wird die geständige Person auf Grund einer Kronzeugenregelung freigesprochen, während die andere Person mit sechs Jahren Haft bestraft wird. Gestehen beide, <?page no="187"?> 2. Das Gefangenendilemma 161 so werden beide zu jeweils fünf Jahren Haft verurteilt, ihr Gestehen führt also zu einer Strafmilderung durch Reduzierung des Strafmaßes. Leugnen beide, so ist der Staatsanwalt zwar weiter von ihrer Tatbegehung überzeugt, kann jedoch lediglich das weitaus geringer zu bestrafende Delikt des illegalen Waffenbesitzes nachweisen. In diesem Fall müssen beide lediglich mit einem Jahr Haft rechnen. Die Situation stellt sich für beide Gefangenen gleichermaßen dar und kann in der in Abbildung Abb. 39 dargestellten symmetrischen Matrix notiert werden. Matilda überlegt, ob sie gestehen oder lieber leugnen sollte. Die jeweils zu erwartenden Haftzeiten für Matilda stehen oben rechts in den vier Zellen. Da das Ergebnis nicht nur von ihrer, sondern auch von Friedas Entscheidung abhängt, werden beide eigenen Verhaltensmöglichkeiten in Abhängigkeit von Friedas möglicher Entscheidung überprüft: Falls Frieda gesteht (erste Zeile), drohen Matilda fünf Jahre Haft, falls auch sie gesteht, aber sechs Jahre, falls sie leugnet. Für den Fall, dass Frieda gesteht, ist es also für Matilda vorteilhaft, ebenfalls zu gestehen. Falls Frieda leugnet (zweite Zeile), droht Matilda nur ein Jahr Haft, falls auch sie leugnet. Allerdings könnte sie freigesprochen werden, falls sie geständig ist. Für den Fall, dass Frieda leugnet, ist es für Matilda demnach vorteilhaft zu gestehen. Abb. 39: Gefangenendilemma Matilda gesteht Matilda leugnet Frieda gesteht 5 Jahre Haft 5 Jahre Haft 6 Jahre Haft Freispruch Frieda leugnet Freispruch 6 Jahre Haft 1 Jahr Haft 1 Jahr Haft Da es unabhängig von Friedas Entscheidung für Matilda immer individuell vorteilhaft ist zu gestehen, stellt die Strategie „gestehen“ für Matilda die individuell rationale Entscheidung dar. Dieselbe Überlegung gilt spiegelbildlich auch für Frieda. Dies allerdings wird beide in die kollektiv schlechteste Situation führen, in der beide jeweils fünf Jahre einsitzen, also insgesamt zehn Jahre Gefängnis erwartet werden müssen. Die kollektiv rationale Verhaltensweise wäre, dass beide leugnen und jeweils nur ein Jahr, also zusammen zwei Jahre in Haft verbringen. Frieda und Matilda befinden sich in einem Dilemma. <?page no="188"?> 162 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Beachten Sie, dass dieses Dilemma nicht im Sinne der beiden lösbar ist, solange sie nicht durch Zusatzannahmen die „Auszahlungen“ verändern. Sie können sich beispielsweise sicherlich vorstellen, dass Matilda und Frieda Schwestern sind, seit Jahren ein gutes Team bilden und bereits vorher vereinbart hatten, im Falle einer solchen Situation zu leugnen. Allerdings hilft Ihnen eine solche Absprache nur dann etwas, wenn beiden das gegenseitige Vertrauen mehr wert ist als die kürzere Haftzeit, die durch ein Abweichen von der Absprache erreichbar wäre. Stellen Sie sich kurz vor, ob die Absprache auch dann noch funktionieren würde, wenn sie zehnfache Haftzeiten unterstellen, die in einem als besonders brutal bekannten Straflager verlebt werden müssen. Es kann hier nicht ausführlich diskutiert werden, dass und warum auch eine längere Beziehung zwischen den Gefangenen mit Wiederholungen vergleichbarer Situationen nicht ohne weiteres zu kooperativem, kollektiv rationalem Verhalten führt. Auch längere Berichte über Experimente mit echten Personen in ähnlichen Situationen würden den Rahmen sprengen. Die Beschäftigung mit Dilemma-Spielen ist zwar äußerst interessant und kurzweilig, für unsere Belange aber nicht notwendig. 78 Grundsätzlich behaupten Ökonom*innen nämlich keinesfalls, dass sich Menschen immer an der kurzfristigen individuellen Rationalität orientieren und deshalb in solchen Situationen das kollektiv schlechtest mögliche Ergebnis erreichen. Wohl aber lassen sich unzählige Beispiele finden, in denen Individuen das kollektiv bestmögliche Ergebnis systematisch verfehlen, sofern ihnen keine Änderung der Spielregeln gelingt, die die „Auszahlung“ des Spiels maßgeblich verändert. Um im Beispiel zu bleiben: Stellen Sie sich kurz vor, wie die Omerta-Regel der Mafia das Gefangendilemma verändern kann. Gelingt es der Mafia glaubwürdig anzudrohen, dass grundsätzlich jeder, der in einem Verhör einen anderen Gesetzesbrecher verpfeift, anschließend umgebracht wird, so stellt sich das Spiel folgendermaßen dar: Sofern sowohl Matilda als auch Frieda selbst sechs Jahre Haft der Ermordung durch die Mafia vorziehen, werden beide vollkommen unabhängig vom Angebot der Staatsanwaltschaft und von der Entscheidung des anderen leugnen. Als Ergebnis wird das für Matilda und Frieda kollektiv bestmögliche Ergebnis von jeweils einem, gemeinsam zwei Jahren Haft erreicht. Die Mafia verändert durch 78 Als Lesetipp für Interessierte sei die sehr gut lesbare, nicht-mathematische Einführung in die Spieltheorie von Avinash K. Dixit und Barry J. Nalebuff empfohlen, die in der deutschen Übersetzung den Titel „Spieltheorie für Einsteiger“ trägt. <?page no="189"?> 2. Das Gefangenendilemma 163 ihre Regelsetzung das Spiel dergestalt, dass individuell rationales Verhalten zum kollektiv erwünschten Resultat führt. Abb. 40: Auflösung des Gefangenendilemmas durch Regeländerung Matilda gesteht Matilda leugnet Frieda gesteht Tod Tod 6 Jahre Haft Tod Frieda leugnet Tod 6 Jahre Haft 1 Jahr Haft 1 Jahr Haft Lassen Sie sich bitte nicht dadurch irritieren, dass es Ihnen als brave und rechtschaffene Bürger*innen sehr angenehm erscheint, wenn sich zwei Verbrecher in einer Dilemma-Situation befinden. Das Beispiel dient lediglich der didaktischen Klärung des Prototyps einer Situation, in der individuell rational nutzenmaximierendes Verhalten zu einer aus Sicht der Beteiligten eindeutig suboptimalen Situation führt. Ob ein Großteil der nicht beteiligten Beobachter*innen in der Gesellschaft eine bestimmte Dilemma-Situation als begrüßenswert betrachtet oder nicht, ist natürlich stark von der gewählten Geschichte abhängig. Überlegen Sie sich beispielsweise, wie die folgende Geschichte in einer vergleichbaren Übersicht dargestellt werden könnte und wozu individuell rationales Verhalten dabei führen würde. Die inzwischen hinlänglich bekannten Selbstversorger-Bauern Schmitt und Meier haben die Wahl, ihre Speisekammer entweder durch fleißige Arbeit zu füllen oder aber zu versuchen, dem anderen einen Teil seines Arbeitsertrages zu stehlen. Die Höfe der beiden liegen unmittelbar nebeneinander. Wenn beide auf Diebstahl verzichten und sich darauf verlassen, dass auch der andere ehrlich bleibt, können beide auf den fruchtbarsten Böden in größerer Entfernung ihrer Höfe der Arbeit nachgehen und zehn Säcke Kartoffeln einfahren. Muss man hingegen Diebstahl fürchten, so bleibt nur die Nutzung der Ländereien in unmittelbarer Umgebung des eigenen Hofes. Man würde dann eventuelle Diebstahlsversuche sofort erkennen und könnte sie verhindern. Die weniger fruchtbaren Böden lassen jedoch nur einen Ernteertrag von jeweils fünf Säcken erwarten. Nehmen Sie nun plausiblerweise an, dass ein Bauer, der sich mit dem Diebstahlsgedanken trägt, in der Nähe der Höfe bleiben muss, um eine günstige Gelegenheit abzupassen. Wenn einer der beiden Bauern gutgläubig zur Arbeit <?page no="190"?> 164 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie auf die fernen Ländereien zieht, der andere aber auf seine Gelegenheit wartet, so sei unterstellt, dass der unehrliche Bauer dem Redlichen acht Säcke entwenden kann, während dieser die letzten zwei Säcke der diesjährigen Ernte vom Feld holt. Zusätzlich zu den acht gestohlenen Säcken kann er selbst noch fünf Säcke auf seinem Land in unmittelbarer Nähe der Höfe produzieren. Was passiert, wenn beide in Hofnähe bleiben? Wozu führt die Situation, wenn es den beiden nicht gelingt, die Regeln des Spieles so zu ändern, dass die Arbeit auf den fruchtbaren Böden die individuell rationale Strategie wird? Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (32) ein Video zum Thema „Das Gefangenendilemma“. https: / / t1p.de/ covz 3. Öffentliche Güter Wir haben uns bisher ausschließlich mit Gütern beschäftigt, die Ökonom*innen als private Güter bezeichnen. Zur Differenzierung zwischen privaten und anderen Gütern nutzen Ökonom*innen die Kriterien der Ausschließbarkeit vom Konsum (excludability) und der Rivalität im Konsum (rivalry). Das Kriterium der Ausschließbarkeit differenziert danach, ob die Nutzung von Gütern durch Individuen tatsächlich kontrollierbar ist: Kann jemand von der Nutzung des Guts ausgeschlossen werden, d. h. kann jemand davon abgehalten werden, einen Nutzen aus dem Gut zu ziehen, etwa wenn er nicht für die Nutzung gezahlt hat. 79 Das Kriterium der Rivalität hingegen differenziert danach, ob die Nutzung des Guts oder der Leistung durch ein Individuum die Nutzungsmöglichkeit durch andere Individuen beeinträchtigt oder ob ein Gut für die Nutzer*innen einen bestimmten Nutzen stiftet, unabhängig davon, wie viele andere Nutzer*innen außerdem auftreten. Diese Kriterien erschließen sich anhand von Beispielen leichter: Der inzwischen bekannte Schokoladenriegel kann anderen Nutzern ohne weiteres vorenthalten werden, indem man andere nicht abbeißen lässt. Bei Schokoladenriegeln gibt es also die Möglichkeit des Ausschlusses vom Konsum. Das ist auch sehr praktisch 79 Auch im Sinne von negativem Nutzen, also umgekehrt: Kann jemand davor geschützt werden, Nutzeneinbußen auf Grund der Bereitstellung eines Guts oder einer Leistung durch Andere zu erleiden. <?page no="191"?> 3. Öffentliche Güter 165 so, denn der Genuss eines Schokoladenriegels hängt maßgeblich davon ab, wie viele andere Nutzer*innen daran partizipieren. Der Nutzen aus dem Konsum eines Riegels für Carlotta ist keineswegs unabhängig davon, ob sie ihn alleine verspeist, ob sich Carlotta und Frieda den Riegel teilen müssen oder ob sich gar noch zehn weitere Freundinnen um die Nutzung des einen Schokoladenriegels streiten. Bei Süßigkeiten herrscht ganz eindeutig Rivalität im Konsum. Ein großes Feuerwerk hingegen weist hinsichtlich der Kriterien Ausschließbarkeit vom Konsum und Rivalität im Konsum andere Resultate auf. Es erscheint sehr schwierig, einen französischen Touristen, der sich gerade in Köln aufhält, von der Nutzung eines Feuerwerks über dem Rhein auszunehmen. Sofern die Darbietung weithin sicht- und hörbar ist, kann niemand in der näheren Umgebung vom Konsum des Spektakels ausgeschlossen werden. Zugleich kann man nicht davon ausgehen, dass der Nutzen, den die Kölner Bürger*innen aus der Veranstaltung des Feuerwerks ziehen, auf Grund des Aufenthalts eines Touristen geschmälert würde. Große Feuerwerke betrachten ist weitestgehend nicht-rival im Konsum. Tab. 9: Private und öffentliche Güter Rivalität im Konsum liegt vor liegt nicht vor Ausschließbarkeit vom Konsum liegt vor Private Güter z. B. Schokoladenriegel & Feuerwerk anzünden Mautgüter, Clubgüter, Natürliches-Monopol-Güter liegt nicht vor Allmendegüter, gesellschaftliche Ressourcen Öffentliche Güter z. B. Feuerwerk betrachten Mit Hilfe dieser beiden Kriterien lässt sich also eine Kategorisierung von Gütern und Dienstleistungen vornehmen, die als Extremformen die ökonomische Definition der privaten Güter und der öffentlichen Güter beinhaltet. Als private Güter bezeichnet man Güter, die sowohl das Kriterium der Ausschließ- <?page no="192"?> 166 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie barkeit als auch das Kriterium der Rivalität erfüllen. Dem gegenüber sind öffentliche Güter nur solche, die weder das Kriterium der Ausschließbarkeit noch das Kriterium der Rivalität erfüllen. 80 3.1. Theoretisch effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter Die Nicht-Ausschließbarkeit und die Nicht-Rivalität im Konsum bei einem Gut werfen die Frage auf, welche Menge des Guts bereitgestellt werden soll. Dazu ist es wichtig, in einem ersten Schritt die Marktnachfrage nach einem öffentlichen Gut zu ermitteln. Vielleicht ahnen Sie schon, dass dies nicht auf die gleiche Art und Weise wie bei privaten Gütern erfolgen kann. Rufen Sie sich noch einmal ins Gedächtnis, wie die aggregierte Marktnachfrage bei privaten Gütern ermittelt wird: 81 Alle Konsument*innen sind dabei bereit, für einen bestimmten Preis eine bestimmte Menge zu konsumieren. Die individuellen Nachfragekurven werden im Fall privater Güter horizontal zur Gesamtnachfrage addiert; auf Grund der Rivalität müssen die Konsument*innen ihre persönliche Nachfrage am Markt geltend machen. Im Fall privater Güter zahlen alle Konsument*innen den gleichen Preis pro Einheit und konsumieren eine je nach ihren Präferenzen und ihrem Budget unterschiedliche Menge. Durch die horizontale Addition der einzelnen Nachfragemengen wird im Schnittpunkt zwischen Angebot und Gesamtnachfrage ein Ausgleich von Grenzkosten und Grenznutzen jedes einzelnen Nachfragenden erzielt: Erinnern Sie sich an das Beispiel aus Abschnitt I.5. Bei seiner Nachfrageentscheidung kalkuliert der hungrige Tourist in Paris, ob ihm ein zusätzliches Croissant so viel zusätzlichen Nutzen stiftet, dass er bereit ist, den Preis, also die Grenzkosten, für ein zusätzliches Croissant zu zahlen. Auf einem Markt für private Güter stellt sich ein Gleichgewicht ein, bei dem diese Kalkulation für jeden einzelnen Nachfragenden gilt: Für jeden Nachfragenden gilt bei der bereitgestellten Menge, dass sich Grenzkosten und Grenznutzen ausgleichen. 80 Selbstverständlich existieren außerdem auch Güter, die nur eines der beiden Kriterien erfüllen. Solche u. a. als Allmendegüter, gesellschaftliche Ressourcen, Mautgüter oder Clubgüter bezeichneten Güterkategorien werden hier nicht dargestellt und analysiert. 81 Vgl. Abschnitt II.8. Private Güter: Grenzkosten = Grenznutzen von Frieda = Grenznutzen von Matilda <?page no="193"?> 3. Öffentliche Güter 167 Auf Grund der Nichtrivalität bei öffentlichen Gütern erweist sich die bei privaten Gütern durchzuführende horizontale Addition der individuellen Nachfragen zur Gesamtnachfrage als denkbar ungeeignet. Im Fall des öffentlichen Guts können alle Konsument*innen von der durch beliebige Akteur*innen finanzierten Menge des Guts profitieren. Das aus einer bestimmten Menge Feuerwerksraketen resultierende Schauspiel am Himmel kann von allen Zuschauer*innen gleichermaßen betrachtet werden. Deshalb wird die effiziente Bereitstellung erreicht, wenn alle Konsument*innen die gleiche Menge Raketen betrachten, aber je nach ihrer individuellen Zahlungsbereitschaft unterschiedlich zur Finanzierung des öffentlichen Guts beitragen. Um bei öffentlichen Gütern ein effizientes Ausmaß bereitzustellen, wird daher die gemeinsame Nachfrage durch vertikale Addition der individuellen Nachfragen hergeleitet. Abb. 41: Optimale Bereitstellung öffentlicher Güter p M +p F x ♠ Angebot p M Menge Preis p F Vertikal addierte Gesamtnachfrage Friedas Nachfrage Matildas Nachfrage Öffentliche Güter: Grenzkosten = Grenznutzen von Frieda + Grenznutzen von Matilda <?page no="194"?> 168 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Eine solche vertikale Addition der einzelnen Zahlungsbereitschaften aller Konsument*innen ermittelt die Summe, die die Gruppe insgesamt für bestimmte Mengen des Guts zu zahlen bereit ist. Im Schnittpunkt dieser vertikal addierten Gesamtnachfrage mit dem Angebot wird damit ein Ausgleich zwischen den Grenzkosten und der Summe der Grenznutzen erreicht: Würden nur Frieda und Matilda ein Feuerwerk in Auftrag geben wollen, läge die effiziente Menge der dazu verwendeten Raketen in Abb. 41 auf der vorherigen Seite bei x ♠ . Das gesamte Feuerwerk würde von beiden betrachtet. Auf Grund ihrer unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften würden sie jedoch unterschiedliche Beiträge zur Finanzierung beisteuern. Frieda würde einen Betrag in Höhe von p F x ♠ zur Finanzierung beitragen, während Matilda einen Betrag in Höhe von p M * x ♠ bezahlen müsste. In der Summe würde ein Betrag in Höhe von (p F + p M ) * x ♠ der für die Menge x ♠ erforderlichen Zahlung entsprechen. 3.2. Das Freerider-Problem Es ist leicht zu erkennen, warum im Fall öffentlicher Güter die marktliche Allokation zu versagen droht. Eine effiziente Bereitstellung wie oben dargestellt wäre auch bei öffentlichen Gütern ohne weiteres möglich, wenn alle Individuen ehrlich und uneigennützig ihre jeweilige Zahlungsbereitschaft offenbaren würden. Handeln hingegen nicht alle Individuen vollkommen uneigennützig, ergibt sich auf Grund der Nichtausschließbarkeit vom Konsum das Problem der Möglichkeit und des Anreizes zu Freerider-Verhalten (Trittbrettfahrer-Verhalten). In unserem Beispiel könnte Frieda ihre wahren Präferenzen verschleiern und angeben, nichts für Feuerwerk übrig, also keinerlei Zahlungsbereitschaft zu haben. Sollte Matilda ihre Zahlungsbereitschaft offenbaren und das öffentliche Gut gemäß dem Ausgleich ihrer individuellen Nachfrage und des Angebots finanzieren, so würde insgesamt die Menge x M bereitgestellt. Frieda würde nichts zur Finanzierung beitragen und dennoch in den Genuss des Konsums von x M Feuerwerksraketen kommen. Umgekehrt könnte Matilda ihre wahre Zahlungsbereitschaft verschleiern und darauf hoffen, dass Frieda immerhin x F des öffentlichen Guts bereitstellen wird. <?page no="195"?> 3. Öffentliche Güter 169 Abb. 42: Free Riding: Suboptimale Bereitstellung öffentlicher Güter Empirisch tritt diese Situation selten auf. So erfreuen sich z. B. jährlich Millionen von Freeridern an von anderen Bürger*innen bereitgestellten Silvesterfeuerwerken. 82 Wahlweise lassen sich solche, der starken Version der Freerider- Hypothese widersprechenden, Beobachtungen wieder im Kern durch zwei verschiedene Thesen erklären: Entweder man führt die freiwillige Bereitstellung öffentlicher Güter darauf zurück, dass Menschen sich nicht immer rational nutzenmaximierend verhalten. Oder - und dies ist der für Ökonom*innen typischere Ansatz - man erklärt das beobachtbare Verhalten durch eine Neuinterpretation der Vorgänge. So lässt sich beispielsweise das privat bereitgestellte Silvesterfeuerwerk mühelos als rational nutzenmaximierend erklären, wenn man die Beobachtung miteinbezieht, mit welcher stolzen Freude viele Menschen die Feuerwerkskörper anzünden. Vielleicht ist das Feuerwerk am Himmel lediglich ein Nebeneffekt der privaten Zahlungsbereitschaft für das 82 Gleichzeitig leiden die Angehörigen einer dritten Gruppe unter der Nichtausschließbarkeit, weil sie nicht schlafen können oder ihre nervösen Haustiere beruhigen müssen. x M Angebot p M Menge Preis p F Friedas Nachfrage Matildas Nachfrage x F <?page no="196"?> 170 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Privileg, Feuerwerksraketen ausrichten, arrangieren und anzünden zu dürfen. Diese aktive Rolle als Pyrotechniker*in ist unzweifelhaft ein privates Gut. 83 Für die Diagnose eines Marktversagens im Fall öffentlicher Güter genügt jedoch die Plausibilität der schwachen Version der Freerider-Hypothese: Im Falle öffentlicher Güter muss damit gerechnet werden, dass das effiziente Ausmaß des Guts nicht freiwillig über den Markt bereitgestellt wird, sondern die dezentral bereitgestellte Menge zu gering ausfällt. 84 3.3. Staatlicher Eingriff zur Bereitstellung öffentlicher Güter? Auf Grund der Möglichkeit und der Anreize zu Freerider-Verhalten liegt bei öffentlichen Gütern die notwendige Bedingung zur Erwägung eines kollektiven Eingriffs vor: Im Falle öffentlicher Güter fallen individuelle und kollektive Rationalität auseinander, der Markt führt voraussichtlich nicht zum effizienten Ergebnis. Allerdings dürfte es unmittelbar einleuchtend sein, dass es auch wenig Grund zur Annahme gibt, dass der kollektive Entscheidungsprozess in der Politik zum effizienten Ergebnis führt. Dazu müsste zum einen schließlich im kollektiven Entscheidungsprozess ein Verfahren zur Offenbarung der individuellen Zahlungsbereitschaften vorhanden sein. Außerdem müsste man in einem zweiten Schritt die Individuen entsprechend differenziert zur Finanzierung des öffentlichen Guts heranziehen. Wird hingegen auf andere Art und Weise eine bestimmte Menge festgelegt, wird dies nur sehr unwahrscheinlich zufällig die theoretisch effiziente sein. Und erfolgt die Finanzierung pro Kopf oder nach der steuerlich erfassten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, entspricht auch dies nicht der theoretisch effizienten Methode. Im Ergebnis muss festgestellt werden, dass Ökonom*innen bislang keine auch praktisch problemlos umsetzbare Methode zur effizienten Bereitstellung und Finanzierung öffentlicher Güter gefunden haben. In Wirklichkeit gibt es zum Glück nicht viele Güter, die die Kriterien Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität vollständig und zweifellos erfüllen. Tatsächlich existiert eher ein Kontinuum zwischen privaten und öffentlichen Gütern (vgl. 83 Natürlich droht auch hier wieder die Gefahr, bei der systematischen Suche nach rationaler Nutzenmaximierung und entsprechender Interpretation des individuellen Verhaltens tautologisch zu werden (vgl. Abschnitt I.3.). Aber immerhin: Es funktioniert. 84 Dazu genügt es anzunehmen, dass ein einziges vom öffentlichen Gut betroffenes Individuum seine individuelle Zahlungsbereitschaft untertreibt. <?page no="197"?> 3. Öffentliche Güter 171 auch Abschnitt VI.4.). Bei Gütern mit hohem Öffentlichkeitsgrad kann es plausibel sein, dass eine staatliche Bereitstellung einer gewissen Menge bei erzwungener Finanzierungsbeteiligung durch die Bürger*innen eine Pareto-Verbesserung gegenüber der Situation der freiwilligen Bereitstellung einer suboptimal geringen Menge des Guts bewirkt. Die Entscheidung sollte jedoch sehr sorgfältig abgewogen werden. Wirklich nachzuweisen wäre die erhoffte Pareto- Verbesserung theoretisch nur durch eine einstimmig beschiedene Volksabstimmung, in der sich alle Bürger*innen bereit erklären, in einer bestimmten Höhe besteuert zu werden, wenn dies auch alle anderen trifft und anschließend das betreffende öffentliche Gut bereitgestellt würde. Das Votum für eine öffentliche Bereitstellung und Finanzierung ist dabei allerdings noch nicht gleichbedeutend mit der Vorteilhaftigkeit einer staatlichen Produktion der entsprechenden Güter oder Dienstleistungen. Es ist dabei immer zusätzlich noch zu prüfen, ob die Produktion der Güter durch private Anbieter*innen im Auftrag des Staates nicht effizienter zu bewerkstelligen ist als durch staatseigene Betriebe. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (33) ein Video zum Thema „Öffentliche Güter“. https: / / t1p.de/ covz 4. Externe Effekte (Externalitäten) Im letzten Abschnitt wurde der Gedanke des Öffentlichkeitsgrades eingeführt. Daran wird der enge Zusammenhang zwischen Öffentlichen Gütern und dem wahrscheinlich gewichtigsten Marktversagensargument der externen Effekte (synonym: Externalitäten) deutlich. Sehr viele private Güter entfalten bei ihrer Produktion oder ihrem Konsum zusätzlich zum privaten Nutzen eine gewisse Öffentlichkeitswirkung. Externe Effekte bestehen in der Beeinflussung der Konsum- oder Produktionsmöglichkeiten Dritter durch private Aktivitäten von Individuen, die nicht zur Veränderung der relativen Preise führen. In einem Marktsystem kommen ständig Preisveränderungen auf Grund der Angebots- und Nachfrageentscheidungen der Marktteilnehmer*innen vor. Diese beeinflussen zwar zweifellos ebenfalls die Konsum- oder Produktionsentscheidungen Dritter. Sie stellen aber eben gerade kein Marktversagensproblem dar, <?page no="198"?> 172 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie sondern dienen dem begrüßenswerten Informations- und Allokationsmechanismus, der tendenziell zum kollektiv rationalen Zustand pareto-effizienter Marktgleichgewichte führt (vgl. Abschnitt IV.2.). 85 Ursache des Problems externer Effekte sind nicht bzw. unzureichend festgelegte oder nicht bzw. unzureichend durchsetzbare 86 Eigentumsrechte. Das führt letztlich zu einer Nichtausschließbarkeit der negativ oder positiv betroffenen Dritten bzw. bewirkt eine fehlende Geltendmachung oder Haftung des die externen Effekte verursachenden Individuums. 4.1. Positive und negative externe Effekte Konsum- oder Produktionsentscheidungen, die solche externen Effekte bewirken, sind aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht effizient, wenn die negativen oder positiven Effekte auf die an der Entscheidung unbeteiligten Dritten nicht berücksichtigt werden. Im Falle positiver externer Effekte fallen der Konsum oder die Produktion auf Grund nicht berücksichtigter Nutzen- oder Gewinnsteigerung Dritter aus gesamtwirtschaftlicher Sicht regelmäßig zu gering aus. Im Falle negativer externer Effekte fallen der Konsum oder die Produktion auf Grund nicht berücksichtigter Nutzeneinbuße oder Kostensteigerung Dritter aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive zu hoch aus. 4.1.1. Ein Beispiel zu Konsumexternalitäten Jakob sei Mieter in einem Mehrparteienhaus. Er hört sehr gerne und ziemlich laut CDs. Um das Beispiel leicht verständlich werden zu lassen, nehmen Sie bitte an, dass Jakob jede neu erworbene CD genau zehnmal abspielt und sie danach für immer weglegt. Musik-CDs sind, entsprechend den Kategorien der Ausschließbarkeit und der Rivalität, zunächst einmal private Güter. Lautes Abspielen verleiht dem Genuss dieser Güter allerdings einen je nach Lautstärke beachtlichen Öffentlichkeitsgrad. Andere Mieter*innen werden sich allerdings 85 In der Literatur findet sich auch die Unterscheidung zwischen „pekuniären externen Effekten“ und „technologischen externen Effekten“. Nur letztere sind externe Effekte im Sinne der Marktversagensargumentation. 86 Auch bei juristisch eigentlich vollständig definierten und theoretisch einklagbaren Eigentumsrechten kann die Durchsetzbarkeit auf Grund hoher Informations- und Verhandlungskosten bzw. wegen der praktisch schwierigen Ausschließbarkeit prohibitiv teuer sein. <?page no="199"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 173 von Jakobs Hobby unterschiedlich betroffen fühlen. So verändert beispielsweise die Anwesenheit der schwerhörigen Frieda und der völlig unempfindlichen Gretel im Mietshaus auch aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive das effiziente Ausmaß des Kaufs und Abspielens der CDs nicht. Würden nur Jakob, Frieda und Gretel im Mietshaus wohnen, so würde das Musikhobby von Jakob keine externen Effekte verursachen. Das effiziente Ausmaß seines CD-Konsums würde sich alleine nach seiner privaten Zahlungsbereitschaft und dem Preis für CDs richten. Durch die Mieterin Carlotta taucht allerdings ein Problem externer Effekte auf. Carlotta fühlt sich durch die Musik von Jakob gestört, das laute Abspielen der CDs durch Jakob übt auf Carlotta negative externe Effekte aus. Abb. 43: Suboptimales Ergebnis durch negative Konsumexternalitäten Das Auseinanderfallen der individuellen und der kollektiven Rationalität bzw. die Veränderung des effizienten Ausmaßes der CD-Abspielerei bei Berücksichtigung der Nutzeneinbuße von Carlotta lässt sich grafisch im Preis-Mengen- Diagramm verdeutlichen. Jakob gleicht seinen privaten Grenznutzen (Nachfrage) mit den Grenzkosten (Preis) ab und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Menge x J das effiziente Konsumniveau darstellt. Allerdings bewirkt sein Hobby negative Externalitäten durch die Beeinträchtigung des Nutzenniveaus von Carlotta. Würde Jakob die gemeinsamen Grenznutzen und den Preis abwägen, x* x J Jakobs und Carlottas gemeinsame Nachfrage (sozialer Grenznutzen) p Jakobs private Nachfrage (privater Grenznutzen) Menge Preis <?page no="200"?> 174 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie so müsste er die negative Nutzenveränderung von Carlotta in Abzug bringen. Die Summe der privaten Grenznutzen und der externen Effekte wird sozialer Grenznutzen genannt. Im Fall negativer externer Effekte fällt der soziale Grenznutzen geringer aus als die private Nachfrage erkennen lässt. Gesamtwirtschaftlich effizient ist die Menge x*, die durch den Schnittpunkt der Kurve des sozialen Grenznutzens und der Angebotskurve bestimmt wird. Umgekehrt verhält es sich, wenn Carlotta auszieht und stattdessen Matilda in die Wohnung einzieht (vgl. die Abbildung Abb. 44 auf der nächsten Seite). Matilda genießt es, wenn Jakob neue CDs spielt, da ihr die Musik gefällt und ihr die Geräuschkulisse darüber hinaus ganz allgemein einen angenehm lebendigen Eindruck der Umgebung vermittelt. Die Nutzensteigerung von Matilda stellt einen positiven externen Effekt dar. Abb. 44: Suboptimales Ergebnis durch positive Konsumexternalitäten Entscheidet Jakob privat auf Grund seiner Nachfrage und dem unveränderten Preis neuer CDs über seinen Konsum, so wählt er ein Konsumausmaß in Höhe x J , welches eine gesamtwirtschaftlich zu geringe Menge darstellt. Würden Jakob und Matilda gemeinschaftlich ihre Nachfrage mit dem Angebot in Einklang p Jakobs private Nachfrage (privater Grenznutzen) Jakobs und Matildas gemeinsame Nachfrage (sozialer Grenznutzen) x** x J Menge Preis <?page no="201"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 175 bringen, so würde gemäß dem Schnittpunkt des sozialen Grenznutzens mit der Angebotskurve das Konsumniveau x** gewählt. 4.1.2. Ein Beispiel zu Produktionsexternalitäten Angenommen eine größere Industrieanlage nutzt Flusswasser aus dem Rhein zur Kühlung ihrer Anlagen und leitet das dann wärmere Wasser wieder in den Rhein zurück, wodurch sich die Durchschnittstemperatur flussabwärts erhöht. Zur Vereinfachung sei angenommen, der Temperaturanstieg korreliere mit dem Produktionsniveau der Anlagen, also der Menge hergestellter Industriegüter. Sollte dies dazu beitragen, dass sich flussabwärts deutlich mehr Insekten heimisch fühlen als bei geringerer Temperatur und dies den Erholungswert der am Rhein gelegenen Ferienwohnungen negativ beeinflussen, so verursacht die Industrieproduktion negative externe Effekte. Abb. 45: Suboptimales Ergebnis durch negative Produktionsexternalitäten Berücksichtigt die Industrieunternehmung nur ihre privaten Grenzkosten und gleicht die daraus resultierende Angebotsfunktion mit der Nachfrage nach ihren Gütern ab, so resultiert daraus eine Bereitstellung in Höhe von x I . Gesamtwirtschaftlich fallen auf Grund der Beeinträchtigung der Ferienwohnungsbesitzer*innen jedoch negative externe Effekte an, die ebenfalls als Kosten der privates Angebot Industrie (private Grenzkosten) Gesellschaftlich optimales Angebot (soziale Grenzkosten) x I x* p Menge Preis <?page no="202"?> 176 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Produktion berücksichtigt werden müssen, um das gesamtwirtschaftlich effiziente Produktionsniveau abzuleiten. Gleicht man die sozialen Grenzkosten (= private Grenzkosten +/ - externe Effekte) mit der Nachfrage nach den Industriegütern ab, so erkennt man, dass die geringere Outputmenge x* die gesamtwirtschaftlich effiziente Bereitstellungsmenge ist. Stellen Sie sich umgekehrt vor, flussabwärts läge ein Badestrand und die höhere Temperatur des Flusswassers würde die Attraktivität der Ferienwohnungen deutlich erhöhen. In diesem Fall würde die Produktion der Industrieanlage einen positiven externen Effekt bewirken. Das durch die Unternehmer*innen individuell gewählte Produktionsniveau der Industrie x I wäre in diesem Fall zu gering gewählt. Gesamtwirtschaftlich effizient wäre das Produktionsniveau x**, weil der den Ferienwohnungsbesitzer*innen entstehende Vorteil aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die sozialen Grenzkosten im Vergleich zu den privaten Grenzkosten mindert. Abb. 46: Suboptimales Ergebnis durch positive Produktionsexternalitäten privates Angebot Industrie (private Grenzkosten) Gesellschaftlich optimales Angebot (soziale Grenzkosten) x I x** p Menge Preis <?page no="203"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 177 4.2. Theoretisch effiziente Bereitstellung bei Vorliegen externer Effekte Bei Vorliegen externer Effekte wird das gesamtwirtschaftlich effiziente Ergebnis verfehlt, solange es nicht gelingt, das über den Konsum oder die Produktion entscheidende Individuum auch die Effekte seiner Handlung auf andere Gesellschaftsmitglieder berücksichtigen zu lassen. Damit das entscheidende Individuum alle Effekte mit in die Kosten-Nutzen-Abwägung einbezieht, müssen die externen Effekte internalisiert werden. Was damit gemeint ist, kann man sich leicht durch den Gedanken an eine Fusion der Beteiligten vorstellen. Wenn Jakob und Carlotta zusammen in eine Wohngemeinschaft ziehen, wird Jakob hoffentlich Rücksicht auf Carlotta nehmen oder sie dadurch entschädigen, dass er häufiger den Abwasch übernimmt. Wenn Jakob mit Matilda zusammenzieht, kann sie ihm ab und an eine zusätzliche CD schenken. Oder stellen Sie sich vor, die Ferienwohnungen würden dem Konzern gehören, der auch die Industrieanlage betreibt. Maximiert dieser Konzern seinen Gewinn, so wird er automatisch die Effekte der Industrieproduktion auf die Nutzungsmöglichkeiten der Ferienwohnungen berücksichtigen, d. h. er wird seine Entscheidung aus eigenem Interesse an den sozialen Grenzkosten ausrichten. 4.2.1. Die Verhandlungslösung Eine weitere Möglichkeit privater Lösungen von Problemen externer Effekte besteht in Verhandlungen zwischen den beteiligten Individuen. Das Coase- Theorem 87 besagt, dass eine dezentrale Lösung durch Verhandlungen zum effizienten Ergebnis führt, sofern die Eigentumsrechte vollständig definiert und durchsetzbar sind und sofern keine Informations-, Verhandlungs- und Kontrollkosten (Transaktionskosten) vorliegen. Dabei ist es für die Erreichung des effizienten Bereitstellungsniveaus unerheblich, wem die Eigentumsrechte zugewiesen werden. Die Frage, wem die Eigentumsrechte zugestanden werden, d. h. wer theoretisch auf seinem Wunsch beharren könnte, ändert nichts am theoretisch aus Verhandlungen resultierenden Ergebnis bezüglich des Aktivitätsniveaus. Es hat hingegen natürlich Auswirkungen auf die Verteilung. 87 Benannt nach dem britischen Ökonomen Ronald Harry Coase, der den zu Grunde liegenden Gedanken in dem 1960 erschienen bahnbrechenden Artikel „The problem of social cost“ entwickelte. <?page no="204"?> 178 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Zum Verständnis des Coase-Theorems erscheint es zunächst wichtig, sich über zwei wesentliche Eigenschaften von Problemen externer Effekte bewusst zu werden. (1) Die Verteilungsfrage ist nicht ganz trivial. Bei näherer Betrachtung erscheint es häufig nicht einfach zu entscheiden, wem die Rechte auf Durchsetzung seiner Position zugeordnet werden sollten, denn externe Effekte wirken immer wechselseitig. Lärmbelästigung ist beispielsweise eine Art Umweltverschmutzung. In der Umweltpolitik ist das Verursacherprinzip weit verbreitet, demzufolge derjenige, der die Umweltbelastung hervorruft, auch für die Beseitigung aufkommen soll bzw. die Betroffenen entschädigen muss. Aber sind die physischen Verursacher*innen einer Aktivität oder eines Zustands auch immer die Verursacher*innen eines Problems? Wer ist in unserem Beispiel vom lauten Musikkonsum Verursacher*in der negativen externen Effekte? Gäbe es den lauten Mieter Jakob nicht, dann würde sich niemand im Haus gestört fühlen. Stellen Sie sich vor, Carlotta wohnt seit Jahren in dem Mietshaus friedlich mit allen zusammen, weil keine Mieter*innen übertrieben laut sind. Nun zieht Jakob mit seiner Hifi-Anlage neu in das Mietshaus ein und beeinträchtigt fortan Carlottas Wohlbefinden. Vermutlich verletzt Jakob außerdem irgendwelche gesetzlich geregelten Grenzwerte. In diesem Fall würde man wohl formulieren, dass Jakob negative externe Effekte verursacht. Aber es geht auch anders herum: Gäbe es die empfindliche Mieterin Carlotta nicht, würde sich ebenfalls niemand im Haus gestört fühlen. Stellen Sie sich umgekehrt vor, Jakob würde seit Jahren in dem Haus wohnen und alle anderen Mietparteien, insbesondere Matilda, wären mit seinem Musikhobby absolut einverstanden. Jakob verstößt auch gegen keine gesetzlichen Auflagen. Nun zieht die griesgrämige und äußerst empfindliche Carlotta neu in das Haus ein und verdirbt fortan allen Parteien durch ihr ständiges Herumnörgeln die gute Laune. In diesem Fall würde man empfinden, dass der Einzug von Carlotta negative externe Effekte auf Jakob und die Hausgemeinschaft ausübt. (2) Effiziente Lösungen von Externalitätenproblemen liegen normalerweise in Kompromissen. Es kann nur in Ausnahmefällen effizient sein, Aktivitäten, die negative externe Effekte verursachen, vollständig zu verbieten bzw. Aktivitäten, die positive externe Effekte verursachen, vollständig kollektiv zu finanzieren (öffentlich bereitzustellen). Ein vollständiges Verbot von Jakobs CD-Genuss wäre nur dann effizient, wenn die negativen externen Effekte so gewaltig wären, dass der soziale Grenznutzen selbst bei einer einzigen CD pro Jahr nicht die Grenzkosten (den Preis) übersteigen würde. Auf Grund der Wechselseitigkeit <?page no="205"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 179 bedeutet die Nutzensteigerung von Carlotta durch größere Ruhe immer umgekehrt eine Nutzenminderung von Jakob auf Grund des Verzichts auf die Freude des lauten Musikkonsums. Die effiziente Lösung bei Problemen negativer externer Effekte liegt auf Grund der Wechselseitigkeit der externen Effekte bei der Menge, bei der sich die Grenzkosten der Nutzenminderung bei den negativ betroffenen Individuen und die Grenzkosten der Nutzenminderung bei den Individuen, die ihre Aktivitäten reduzieren müssen, entsprechen. Dies ist letztlich wieder die bekannte Abwägung von Grenzkosten und Grenznutzen. Carlottas Grenznutzen aus immer mehr Ruhe muss abgewogen werden gegen die Grenzkosten, die der Verzicht auf immer weitere CDs bei Jakob verursacht. Oder umgekehrt: Der Grenznutzen Jakobs aus jeder weiteren CD muss abgewogen werden gegen die Grenzkosten, die jede weitere CD bei der ruhebedürftigen Carlotta bewirkt. Natürlich können wir weiterhin nicht absolute Nutzengrößen verschiedener Individuen unmittelbar erfassen und vergleichen. Aber wir können Carlotta und Jakob unmittelbar miteinander in Verhandlungen treten lassen und damit die Individuen ihre jeweiligen Nutzenerwartungen selbst monetär bewerten lassen. Carlotta und Jakob sollen ihre Zahlungsbereitschaften bzw. Kompensationsforderungen äußern, d. h. ihren Nutzen in Anbetracht ihrer Präferenzen und ihres Budgets in anderen Gütern oder Euro bewerten. Entlang der von links oben nach rechts unten verlaufenden Kurve in Abbildung Abb. 47 auf der nächsten Seite gibt Jakob an, wie viel er dafür zu zahlen bereit wäre, wenn Carlotta ihn eine weitere CD hören lässt bzw. umgekehrt, wie viel Geld Carlotta Jakob als Kompensation bieten müsste, damit er auf den Genuss einer weiteren CD verzichtet. Die von links unten nach rechts oben verlaufende Kurve gibt an, wie viel Carlotta an Kompensationszahlung dafür verlangt, wenn sie für den zusätzlichen CD-Konsum durch Jakob entschädigt werden soll bzw. wie viel Carlotta zu zahlen bereit wäre, um das weitere Abspielen dieser CDs zu verhindern. In der Grafik ist abzulesen, dass Jakob annahmegemäß ohnehin nicht mehr als 30 Stunden pro Woche Musik hören würde. Je mehr er allerdings von diesen 30 Stunden in Richtung Null zurückgeht, umso schwerer fällt ihm der Verzicht. Umgekehrt empfindet Carlotta bei Null Musikkonsum von Jakob verständlicherweise keinen Nutzenverlust. Je weiter Jakobs Musikkonsum jedoch auf die 30 Stunden zugeht, umso stärker wird der Nutzenverlust von Carlotta. <?page no="206"?> 180 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Abb. 47: Grenzkosten- oder Grenznutzenabgleich Angenommen, die Eigentumsrechte sind derart zugeteilt, dass Jakob die Genehmigung von Carlotta benötigt. Die beiden könnten dann eine Kompensationszahlung aushandeln, die Jakob pro Stunde Lärmbelästigung an Carlotta zu zahlen hätte. Carlotta wäre bei ausreichender Höhe der Zahlungen bereit, die Störung hinzunehmen. Jakob hingegen müsste ohne diese Lösung gänzlich auf Musikgenuss verzichten. Eine Einigung sollte möglich sein, solange die Zahlungsbereitschaft von Jakob für eine weitere Stunde Musik höher ist als die Entschädigungsforderung von Carlotta für diese zusätzliche Stunde. In der Abbildung ist dies der Bereich links von der Menge x*. Über x* hinaus wird Jakobs abnehmende Zahlungsbereitschaft nicht mehr ausreichen um Carlottas zunehmende Forderungen zu erfüllen. Liegen die Eigentumsrechte umgekehrt so, dass Jakob frei in seiner Konsumentscheidung ist und Carlotta ihn in Verhandlungen dazu bewegen muss, weniger als 30 Stunden pro Woche Musik zu hören, nähert man sich in der Abbildung der Menge x* von rechts an. Carlotta muss nun an Jakob eine Kompensation zahlen, damit dieser auf CDs verzichtet. Carlottas Zahlungsbereitschaft für eine Stunde zusätzlicher Ruhe liegt zunächst weit oberhalb der Forderungen, die Jakob erhebt, um auf die letzte Stunde Musikgenuss zu verzichten. Erst links von x* genügt Carlottas abnehmende Zahlungsbereitschaft für eine Stunde zusätzlicher Ruhe nicht mehr Jakobs zunehmender Forderung. Das zu erwartende Verhandlungsergebnis der beiden ist unabhängig davon, ob Jakob oder Carlotta bestimmen darf, also unabhängig davon, wer von wem x* 30 0 Abspielen der Musik-CDs in Stunden pro Woche Jakobs GK des Verzichts auf CDs bzw. Jakobs GN aus dem Genuss zusätzlicher CDs Carlottas GK des Verzichts auf Ruhe bzw. Carlottas GN aus dem Genuss zusätzlicher Ruhe <?page no="207"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 181 Kompensationszahlungen erhalten wird. Vergleichen Sie diese Gedanken mit den Ausführungen zur Erreichung eines pareto-effizienten Gleichgewichts in der Edgeworthbox in Abschnitt IV.3. Die beiden werden einen Preis finden und Eigentumsrechte gegen Geld oder Arbeitseinsatz beim Flurdienst tauschen. Die im Ergebnis abgespielte Menge Musik wird effizient sein, das Verteilungsergebnis allerdings hängt von der Anfangsausstattung ab. Falls sich Jakob und Carlotta sogar in einem Nachbarschaftsstreit rational verhalten, werden sie sich früher oder später auf das effiziente Ausmaß x* einigen, es sei denn, das Ergebnis wird auf Grund von spürbaren Transaktionskosten verfehlt. 88 Verorten Sie diese Verhandlungslösung nun noch einmal in der Abbildung Abb. 43 zu negativen Konsumexternalitäten im vorhergehenden Abschnitt: Entweder Jakob zahlt pro Stunde Musikgenuss einen Betrag an Carlotta. Dies bewirkt eine Reduzierung seiner privaten Nachfrage nach CDs, so dass bei der Menge x* seine private Nachfrage mit der Kurve des sozialen Grenznutzens übereinstimmt. Oder Jakob entgeht pro Stunde Musikgenuss eine im Falle des Verzichts durch Carlotta angebotene Ruheprämie. Diese Kompensationszahlungen, auf die Jakob verzichtet, sind Opportunitätskosten seines Musikgenusses. Auch sie reduzieren seine private Nachfrage nach CDs in einem Ausmaß, so dass sie bei der Menge x* mit den sozialen Grenznutzen zusammentrifft. 4.2.2. Die Pigou-Steuer Der den Ökosteuern ursprünglich zu Grunde liegende Gedanke der Internalisierung negativer externer Effekte durch eine staatlich auferlegte Lenkungssteuer basiert auf der Idee der so genannten Pigou-Steuer. 89 Eine Pigou-Steuer 88 Stellen Sie sich beispielsweise vor, Carlotta müsste zunächst umständlich herausfinden, von wem die laute Musik kommt. Anschließend müsste sie sehr lange aufwändig versuchen, an Jakobs Telefonnummer im Büro zu kommen, weil der die Klingel nie hört, wenn er zu Hause ist (weil die Musik so laut ist). Selbst nach getroffener Absprache bereitet es Carlotta doch einige Mühe, die Zeiten zu notieren, zu denen Jakob Musik hört, um zu kontrollieren, ob er die Absprache einhält. Dieser Aufwand, den Carlotta leisten muss bevor sie überhaupt mit den Verhandlungen beginnt, stellt Kosten dar, die ebenfalls durch ihre Zahlungsbereitschaft für Ruhe gedeckt werden müssen. Für Kompensationszahlungen an Jakob bleibt dann nur noch weniger übrig, das Verhandlungsergebnis wird rechts von x* liegen. 89 So benannt nach dem britischen Ökonomen Arthur Cecil Pigou (1877-1959), der das Konzept 1912 entwickelte. Im umgekehrten Fall, bei der Internalisierung positiver externer Effekte durch entsprechende Subventionen, spricht man analog von einer Pigou-Subvention. <?page no="208"?> 182 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie erreicht unter sehr restriktiven Bedingungen - die hier nicht ausführlich diskutiert werden können - eine effiziente Bereitstellung der Güter, die negative externe Effekte verursachen. Der Theorie nach erhöht die Steuer die privat zu tragenden Kosten exakt in dem notwendigen Ausmaß, welches bei der effizienten Menge für einen Ausgleich zwischen den um die Steuer erhöhten privaten Grenzkosten (Angebotskurve) und den sozialen Grenzkosten führt. Abb. 48: Pigou-Steuer: Internalisierung negativer Produktionsexternalitäten Unterstellt werden in Abbildung 48 negative externe Effekte in der Produktion, die ohne Korrekturmaßnahme dazu führen, dass die sozialen Grenzkosten höher ausfallen als die von privaten Marktteilnehmer*innen berücksichtigten privaten Grenzkosten. Statt der gesamtwirtschaftlich effizienten Menge x* wird das Zusammentreffen der privaten Angebotskurve mit der Nachfragekurve eine gleichgewichtige Menge in Höhe von x M verwirklichen. Nach der Idee der Pigou-Steuer könnte der Staat eine Steuer in Höhe der Differenz p*p pro Einheit auf das mit negativen Externalitäten einhergehende Güterangebot legen. Dies bewirkt eine Parallelverschiebung des Angebots um den Betrag p p* x* x M Soziale Grenzkosten p M Privates Angebot (private Grenzkosten) Nachfrage Menge Preis Privates Angebot + Stücksteuer (erhöhte private Grenzkosten) <?page no="209"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 183 p*p nach oben (gestrichelte Linie). Treffen diese um die Stücksteuer erhöhten privaten Grenzkosten als marktwirksames Angebot auf die unveränderte Nachfrage, so wird ein durch die Steuer korrigiertes Marktgleichgewicht bei der gesamtwirtschaftlich effizienten Menge x* gefunden. Alternativ könnte nach derselben Systematik auch ein Problem negativer externer Effekte im Konsum gelöst werden. Während die unkorrigierte private Nachfrage den privaten Grenznutzen mit den Grenzkosten abgleichen und so ein Gleichgewicht bei der Menge x M erwarten lassen würde, könnte eine Stücksteuer in Höhe von p*p die private Zahlungsbereitschaft reduzieren. Die so um den Betrag p*p parallel nach unten verschobene reduzierte Nachfragekurve (gestrichelte Linie) würde entsprechend des Schnittpunkts mit der Angebotskurve ein korrigiertes Gleichgewicht bei der effizienten Menge x* herbeiführen. Abb. 49: Pigou-Steuer: Internalisierung negativer Konsumexternalitäten Der Theorie nach sind die beiden Besteuerungsmethoden äquivalent. Da die Steuereinnahmen an den Staat fließen, spielt es keine Rolle, wem die Steuer auferlegt wird. Wer die Steuer letztlich trägt, hängt von der Relation der Steigungen von Angebots- und Nachfragekurve (Preis-Elastizitäten) ab, d. h. davon, in welchem Verhältnis Angebot und Nachfrage auf Preisänderungen reagieren. p p* x* x M Sozialer Grenznutzen p M Privates Angebot (private Grenzkosten) Private Nachfrage (private Grenznutzen) Menge Preis Private Nachfrage - Stücksteuer (reduzierte private Grenznutzen) <?page no="210"?> 184 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Die Marktseite, die unelastischer reagiert, d. h. die eine geringere Mengenreaktion auf die Preisänderung aufweist, trägt größere Anteile der Steuer, weil sie der Steuer entsprechend schlechter „ausweichen“ kann. Ökonomisch spricht man von der „Traglast“ von Steuern oder synonym von der „Steuerinzidenz“. Im willkürlich gewählten Beispiel der vorstehenden Abbildungen tragen die Produzent*innen einen größeren Teil der Steuerlast, gleichgültig, ob die Steuer bei den Anbieter*innen oder den Nachfrager*innen erhoben wird. Der gesamte Steuerbetrag in Höhe des grau hervorgehobenen Rechteckes geht entsprechend der Teilfläche unterhalb von p M zu Lasten der Produzentenrente und entsprechend der Teilfläche oberhalb von p M zu Lasten der Konsumentenrente. 90 Das heißt, unabhängig davon, ob die negativen externen Effekte im Konsum oder in der Produktion anfallen, die Pigou-Steuer kann auf der Marktseite angelegt werden, bei der dies technisch einfacher zu bewerkstelligen ist. 91 4.3. Annäherungen an effiziente Lösungen in der Praxis In der praktischen Politik sind häufig weder die Coase-Lösung noch die Pigou- Steuer in der theoretischen Reinform umsetzbar. Die Abwesenheit von Informations- und Verhandlungskosten ist beispielsweise eine im Grunde nie zutreffende Annahme. Außerdem sind Verhandlungslösungen nur mit Individuen möglich, die zur Verhandlung in der Lage sind. Dies ist beispielsweise in Bezug auf die umweltpolitische Frage der CO 2 -Reduzierung zum Klimaschutz natürlich alleine auf Grund der Betroffenheit unserer Nachkommen nicht möglich. Auch die Möglichkeit zu strategischem Verhalten in den Verhandlungen, bei mangelnder Information der Verhandlungspartner*innen um die tatsächliche Situation des anderen, erschwert die effiziente Lösung in der Praxis. Die Pigou- Steuer verfehlt effiziente Lösungen, wenn die Gesetzgeber*innen nicht perfekt über die exakte Höhe der externen Effekte und die genaue Reaktion von Angebot und Nachfrage auf Preisänderungen informiert sind. In der Praxis 90 Vgl. zur Rentenbetrachtung Abschnitt IV.4. Lassen Sie sich aber nicht irritieren: Im Gegensatz zu den dort behandelten vom Gleichgewicht abweichenden Preis sorgt im Fall der Pigou-Steuer erst die Besteuerung für das effiziente Gleichgewicht. Die Reduzierung der am Markt gehandelten Menge x M auf x*bewirkt hier also keinen Wohlfahrtsverlust. 91 So entsteht der negative externe Effekt der CO 2 -Belastung durch PKW natürlich in erster Linie nicht durch die Anbieter*innen von Benzin, sondern durch die Konsument*innen. Es ist aber weitaus praktikabler, von den Anbieter*innen eine auf den Benzinumsatz aufgeschlagene Ökosteuer pro Liter abführen zu lassen, als jeden PKW mit geeichten Verbrauchsmessern auszustatten und diese jährlich zur Ökosteuererklärung zu verpflichten. <?page no="211"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 185 kommen daher eher Lösungen infrage, die sich den Idealen des Coase-Theorems oder der Pigou-Steuer lediglich annähern. 4.3.1. Die Ökosteuer nach dem Standard-Preis-Ansatz Tatsächlich werden Lenkungssteuern zur Internalisierung negativer externer Effekte nach dem so genannten Standard-Preis-Ansatz gestaltet. Die Exekutive bestimmt dazu eine wie auch immer begründete Menge der gehandelten schädlichen Güter als politisches Ziel (Standard). Diese Zielvorgabe kann sich theoretisch an dem Versuch der Abschätzung der externen Effekte bemessen. Realistischerweise wird man jedoch erwarten müssen, dass auch eine ganze Reihe anderer Erwägungen die Zielfestlegung mitbestimmen. Anschließend erproben die Gesetzgeber*innen unterschiedliche Steuersätze, um an dieses Mengenziel heranzukommen. Sie verändern also durch Steuern die Marktpreise, zu denen die betreffenden Güter gehandelt werden. Geht die am Markt gehandelte Menge weiter zurück als angestrebt, so muss der Steuersatz reduziert werden. Genügt die Mengeneinschränkung hingegen nicht dem ins Auge gefassten Ziel, muss die Steuer erhöht werden. Umso besser die Gesetzgeber*innen über die Grenzvermeidungskosten der schädigenden Güter informiert sind und umso genauere Kenntnis sie von der Preisreagibilität des Angebots und der Nachfrage haben, desto schneller wird ihnen die Festlegung des zielführenden Steuersatzes gelingen. Theoretisch wird durch Versuch und Irrtum irgendwann der Steuersatz gefunden, der die als Ziel vorgegebene Reduzierung der externe Effekte verursachenden Gütermenge erreicht. 4.3.2. Die Lösung durch Zertifikate Gerade im Bereich der Umweltpolitik wird zunehmend das Instrument der Verschmutzungszertifikate genutzt. Die Idee hierzu basiert auf dem Coase- Theorem. Allerdings würde die dezentral durch Verhandlungen organisierte systemimmanente Suche nach der effizienten Verschmutzungsmenge in vielen Umweltfragen auf Grund der unzähligen Beteiligten sehr hohe Transaktionskosten verursachen. Außerdem wären zukünftige Generationen gar nicht an der Verhandlung beteiligt. Deshalb definieren die Gesetzgeber*innen - wie auch bei der Steuerlösung nach dem Standard-Preis-Ansatz - bei der Zertifikatslösung eine bestimmte Zielmenge (z. B. eine bestimmte Menge CO 2 -Emission). Die Exekutive gibt eine entsprechende Menge an Zertifikaten aus, deren Besitz zur Umweltschädigung berechtigt (z. B. jedes Zertifikat berechtigt zur Emission einer Tonne CO 2 ). Während im Standard-Preis-Ansatz einer Ökosteuer versucht wird, durch Preissteuerung eine bestimmte Menge zu erreichen, wird bei <?page no="212"?> 186 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie der Zertifikatslösung die Zielmenge festgelegt und unmittelbar ohne langwierige Versuche erreicht. Der Staat muss keine Informationen über die Grenzkosten der Schadensvermeidung haben und benötigt keinerlei Informationen bezüglich der Angebots- und Nachfragekurve. Die Zertifikate sind frei handelbar, die Preise für die Zertifikate ergeben sich am Markt. Dies lässt erwarten, dass diejenigen Marktakteur*innen, die am dringendsten darauf angewiesen sind, weiterhin externe Effekte zu verursachen, die Zertifikate erwerben. Die Marktteilnehmer*innen hingegen, die relativ kostengünstig externe Effekte vermeiden können, erhalten einen Anreiz diese Reduzierungen der Schädigung zu unternehmen, da sie die freiwerdenden Zertifikate an andere verkaufen können. Im Ergebnis führt diese Marktlösung dazu, dass sich die Grenzkosten der Schadensvermeidung bei allen Marktteilnehmer*innen angleichen. Das vorgegebene Ziel wird damit zu möglichst geringen Kosten erreicht. Die Zertifikate entsprechen dem Ansatz der Verhandlungslösung, weil von staatlicher Seite in erster Linie Eigentumsrechte definiert und zugeteilt werden. Damit ermöglichen die Gesetzgeber*innen Verhandlungen unter den verschiedenen Gruppen der Verursacher*innen externer Effekte: Das vorgegebene Ziel kann so möglichst kostengünstig erreicht werden. Interessanterweise könnte der Ansatz dem Ideal des Coase-Gedankens noch näherkommen, wenn zumindest der Teil der durch die externen Effekte negativ beeinflussten Individuen in den Prozess eingreifen könnte, der dazu in der Lage ist. Ziel müsste es sein, in Zukunft weltweit verbindliche Mengen an Verschmutzungsrechten zu definieren, die auch durch die Politik nicht ohne weiteres verändert werden können. Dann spräche nichts dagegen, dass Umweltgruppen wie Greenpeace, Robin Wood und andere, oder auch zahlungskräftige Einzelpersonen, solche Verschmutzungszertifikate mit dem Ziel aufkaufen könnten, die Rechte stillzulegen. Damit würde zumindest zum Teil auch die Verschmutzungsmenge innerhalb des Systems festgelegt. 4.4. Staatlicher Eingriff zur Internalisierung externer Effekte? Trotz aller Schwierigkeiten ist der Gedanke des Coase-Theorems keineswegs abwegige Theorie, sondern greift immerhin dort, wo relativ wenige klar identifizierbare und gut informierte Individuen die Beteiligten des Externalitäten- Problems sind. Mit anderen Worten: Externe Effekte erfordern wenigstens den minimalen ordnungspolitischen Staatseingriff der Definition von Eigentumsrechten. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Mieter*innen in vielen Fällen Externalitätenprobleme auf Grund lauter Musik in der einen oder anderen Weise zumindest ansatzweise beheben können. <?page no="213"?> 4. Externe Effekte (Externalitäten) 187 Darüberhinausgehende Eingriffe des Kollektivs sind nicht alleine durch das Vorhandensein externer Effekte gerechtfertigt. Sie sollten nur dann erfolgen, wenn plausibel unterstellt werden kann, dass ein direkter Markteingriff im Vergleich zur privaten Verhandlungslösung die kostengünstigere Lösung der Externalitätenproblematik verspricht. Am Beispiel des Musikliebhabers Jakob dürfte deutlich werden, dass nicht mögliche Externalitäten alleine bereits einen über die Definition der Eigentumsrechte hinausgehenden Staatseingriff gebieten. So wäre ein CD-Verbot völlig unsinnig (und für Jakob und Matilda mit erheblichen Nutzeneinbußen verbunden), solange Carlotta nicht als geräuschempfindliche Mieterin zur Hausgemeinschaft hinzutritt. Ein weniger starker Eingriff, wie beispielsweise eine Steuer auf den Kaufpreis von CDs, wäre selbst dann fragwürdig, wenn der Fall positiver Externalitäten wie bei Matilda ausgeschlossen wäre. Vermutlich wäre die Organisation mit höheren Verwaltungskosten verbunden als durch die Steuer gedeckt bzw. durch den Nutzengewinn Carlottas gerechtfertigt werden könnte. Es ist also eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen zwar theoretisch externe Effekte auftreten, die nach privaten Verhandlungen noch nicht-internalisierten externen Effekte aber so vernachlässigbar gering sind, dass ein größerer Staatseingriff nicht zu pareto-superioren Ergebnissen führen würde. Es ist wichtig festzuhalten, dass aus dem Coase-Theorem und der Entdeckung der Transaktionskostenbedeutung zweierlei Folgerungen gleichzeitig abgeleitet werden müssen: Einerseits gilt es überall dort, wo artifizielle Tauschbeschränkungen vorhanden sind, diese abzubauen, damit sich gegenseitig vorteilhafte Tauschakte identifizieren und umsetzen lassen und die Tauschvorteile ausgeschöpft werden können. Vorsicht also z. B. vor starren Dezibel-Vorgaben ohne Möglichkeit zur Nachverhandlung zwischen den Mieter*innen. Umgekehrt weist aber das Coase-Theorem gerade auch darauf hin, dass vieles für einen Grundsatz des laissez faire spricht, wenn keine Beschränkungen der Tauschmöglichkeiten zu beobachten sind und hinreichende Klarheit über die Eigentumsrechte besteht. Der dann manchen Beobachter*innen auffällig und eindeutig erscheinende Zustand der Ineffizienz ist in vielen Fällen eben tatsächlich nur Anschein und resultiert aus der Vernachlässigung von in der Realität zu beachtenden Transaktionskosten durch die Beobachter*innen. Festzuhalten bleibt also, dass der Markt bei Vorliegen nicht-internalisierter Externalitäten das theoretisch effiziente Ergebnis einer Welt ohne Transaktionskosten verfehlt. Es ist aber auf Grund der Schwächen der vorhandenen praktischen Möglichkeiten eines Staatseingriffs ebenfalls offensichtlich, dass auch über einen Kollektivbeschluss eines staatlichen Markteingriffs allenfalls ausnahmsweise das effiziente Ergebnis erreicht werden kann. Selbst eine staatliche <?page no="214"?> 188 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Bereitstellung von Informationen und Versuche der Reduzierung von Transaktionskosten verursachen Kosten und bergen die Gefahr von Fehlinformationen. Für eine Zertifikatlösung sind erhebliche Organisations- und Transaktionskosten in Kauf zu nehmen und zur Erreichung eines effizienten Ergebnisses müsste die effiziente Menge der externen Effekte bekannt sein. Für eine effiziente Steuerlösung müssten sowohl Informationen über die Höhe der externen Effekte im Sinne des Grenznutzens der Schadensvermeidung als auch über die Grenzkosten der Schadensvermeidung vorliegen. Es gilt also im Falle der Diagnose externer Effekte zu entscheiden, ob ein Staatseingriff geeignet erscheint, eine im Vergleich zur unvollständigen Lösung durch private Verhandlungen pareto-superiore Lösung herbeizuführen. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (34) ein Video zum Thema „Externe Effekte“ und unter Nummer (35) ein Video zum Thema „Effizenter Klimaschutz und einheitlicher Preis“. https: / / t1p.de/ covz 5. Natürliches Monopol Die Effizienzeigenschaften des Marktes leiten sich unter anderem aus der Unterstellung ausreichender Wettbewerbsintensität ab. Lediglich bei hinreichend großer Konkurrenz unter den Anbieter*innen kann man davon ausgehen, dass sich am Markt letztlich Preise durchsetzen, die nahe an den Grenzkosten effizient produzierender Anbieter*innen liegen. Nur so wird garantiert, dass die Befriedigung der Nachfrage sowohl qualitativ als auch quantitativ effizient und entsprechend der Konsumentenpräferenzen erfolgt. Herrscht hingegen keine ausreichende Konkurrenz, spricht man von vermachteten Märkten, von denen das Monopol den bekanntesten Extremfall darstellt. 92 92 Der Vollständigkeit halber: Selbstverständlich ist auch ein Monopson (viele Anbieter*innen aber nur ein/ eine Nachfrager*in) ein extremer Problemfall und oligopolistische Marktstrukturen bereiten ebenfalls Probleme. In dieser Einführung müssen wir uns aber auf das Monopol, und innerhalb der Monopolsituation auf das natürliche Monopol, als Marktversagensargument beschränken. <?page no="215"?> 5. Natürliches Monopol 189 5.1. Ineffizienz bei Vorliegen einer Monopolstellung Bei Monopolen und abgeschwächt auch bei jeder anderen Marktkonstellation, in der einzelne Anbieter*innen oder Nachfrager*innen über Marktmacht verfügen, werden sowohl in statischer als auch in dynamischer Hinsicht Ineffizienzen erwartet. 5.1.1. Dynamische Ineffizienz: Wohlfahrtsverluste auf Grund mangelnder Innovationen Dynamisch ineffizient ist eine Situation, in der die Marktakteur*innen nicht effizient nach neuen Technologien und Produktverbesserungen suchen. Dies meint also in erster Linie, dass Monopolist*innen auf Grund ihrer komfortablen Marktstellung einen wesentlich geringeren Anreiz zur Anpassung ihrer Produkte und Produktionsverfahren an die Konsument*innenwünsche haben als Unternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen. Wie in der Einführung zum Kapitel Marktversagen erwähnt, sorgt der Konkurrenzkampf auf Wettbewerbsmärkten der Tendenz nach dafür, dass die am Markt befindlichen Unternehmer*innen beständig nach Verbesserungen suchen müssen, um ihre Marktposition zu halten oder zu verbessern. Unternehmer*innen, die in der Wettbewerbssituation zu wenig innovativ sind, werden durch Verluste ihrer Marktanteile und letztlich durch die beständige Gefahr, unter die Nullgewinn- Bedingung fallen zu können, sanktioniert. Monopolbetriebe hingegen sehen sich dieser Gefahr nur begrenzt ausgesetzt. Solange das Monopol für den Vertrieb von Telefongeräten bei den Betreiber*innen des Telefonnetzes lag, drohte kaum die Gefahr, dass Kund*innen absprangen, weil ihnen der Telefonapparat nicht gefiel. Es wurde als große Innovation gefeiert, als dieser Monopolist plötzlich auch grüne und cremefarbene Apparate mit Tasten statt nur graue mit Wählscheibe anbot. Unmittelbar nach dem Verlust dieser Monopolstellung explodierte das Angebot an Telefonapparaten und es gab nicht nur alle Formen und Farben, sondern auch kabellose Geräte, Geräte mit Anrufbeantworter, Zweithörer etc. Die dynamische Ineffizienz auf vermachteten Märkten hat dramatischere Auswirkungen als die statische. Wir werden uns dennoch im Folgenden auf die statische Momentaufnahme der Ineffizienz konzentrieren, weil sich diese mit dem bereits vorhandenen Instrumentarium analysieren lässt. Sie ist außerdem wesentliche Voraussetzung für den Fall des Marktversagens bei natürlichen Monopolen. <?page no="216"?> 190 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie 5.1.2. Statische Ineffizienz: Wohlfahrtsverluste auf Grund von Mengeneinschränkungen Die statische Ineffizienz, d. h. die Ineffizienz monopolistischer Märkte in einer Momentbetrachtung, basiert in erster Linie auf dem wesentlichen Unterschied der Produktions- und Preisentscheidung von Monopolist*innen im Vergleich zu Unternehmer*innen auf Konkurrenzmärkten (Polypolisten). Auf einem Konkurrenzmarkt werden hinreichend viele kleine Anbieter*innen mit einem jeweils unbedeutend kleinen Marktanteil unterstellt, so dass jeder dieser Anbieter*innen als Preisnehmer*in ohne Einfluss auf den Marktpreis bleibt. Diese Situation sei anhand der folgenden Abbildung noch einmal kurz in Erinnerung gerufen. Abb. 50: Polypol: Unternehmer*innen als Preisnehmer*innen Zur Gewinnmaximierung können sie nicht über verschiedene Preis-Mengen- Kombinationen mit unterschiedlichen Preisen disponieren, sondern lediglich ihre Ausbringungsmenge so anpassen, dass ihre Grenzkosten gleich dem am Markt vorfindbaren Preis sind. Sind sie in der komfortablen Situation, dass ihre p M Preis Menge x 2 x 3 x 4 x 5 x 1 Marktnachfrage Marktpreis <?page no="217"?> 5. Natürliches Monopol 191 Durchschnittskosten unterhalb des Marktpreises liegen, so können sie die Differenz aus dem Erlös (Menge * Marktpreis) und ihren Kosten (Menge * Durchschnittskosten) als kleinen Gewinn verbuchen. 93 In der Modellbetrachtung sehen sich einzelne Unternehmer*innen auf einem Konkurrenzmarkt mit einer vollkommen elastischen (= waagerechten) Preis- Absatz-Funktion konfrontiert: Zum herrschenden Marktpreis können sie ihr gesamtes Angebot absetzen. Zu einem Preis darüber würden sie hingegen nichts mehr absetzen können, da alle Nachfrager*innen zu anderen Anbieter*innen wechseln würden. Entsprechend den Ausführungen zum individuellen Angebot einer einzelnen Konkurrenzunternehmung und der Tragfähigkeit eines Marktes (vgl. Abschnitte III.3.1. und IV.1.1.) sei auch hier angenommen, dass bereits fünf Anbieter*innen die Situation vollkommener Konkurrenz darstellen. In der Abbildung ist unterstellt, dass die Anbieter*innen über leicht unterschiedliche Kostenfunktionen verfügen. Ihre Grenzkostenverläufe (= steilere Kurvenabschnitte) und Durchschnittskostenverläufe (= flachere Kurvenabschnitte) sind zwar ähnlich, die Minima der Durchschnittskosten liegen jedoch in leicht unterschiedlicher Höhe. Die fünf abgebildeten Unternehmen sind alle in der Lage, mindestens die Nullgewinnbedingung zu erfüllen. Sie können also auch langfristig im Markt bleiben, solange keine Änderungen der Nachfrage oder des Angebots der Konkurrent*innen auftreten. Die im Diagramm ganz links angeordnete Anbieterin verfügt über die niedrigsten Durchschnittskosten. Diese Unternehmerin wird gemäß der Grenzkosten-Preis-Regel ihre Produktion ausdehnen, bis sich ihre Grenzkosten und der Grenzerlös (= Preis) ausgleichen. Sie bietet die Menge x 1 an und verwirklicht einen Gewinn in Höhe des grau hervorgehobenen Rechtecks. Das zweite Unternehmen bietet die Menge x 2 -x 1 an und erzielt einen deutlich kleineren Gewinn, das dritte Unternehmen bietet die Menge x 3 -x 2 an, arbeitet gerade auf der Nullgewinnbedingung und erzielt damit keinen Gewinn, usw. 94 Im Gegensatz zu diesen Preisnehmer*innen (Mengenanpasser*innen) stehen Monopolist*innen der gesamten Marktnachfrage alleine gegenüber. Sie können Preise für ein Produkt festlegen, sich also als Preissetzer verhalten, denn die Nachfrager*innen können bei höheren Preisen mangels Alternative nicht zur Konkurrenz wechseln. Natürlich gilt aber auch im Fall der Monopolist*innen 93 Vgl. zur Gewinnmaximierung von Polypolisten Abschnitt III.3.1. 94 Vgl. zum Angebot eines polypolistischen Unternehmens Abschnitt III.3.1. <?page no="218"?> 192 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie der Merksatz, nach dem sich die kürzere Marktseite durchsetzt (vgl. Kapitel IV.). Monopolist*innen können zwar Preise diktieren, es obliegt aber letztlich den Nachfrager*innen, wie viele Produkte sie zu diesen Preisen abzunehmen bereit sind. Monopolist*innen können und müssen also damit rechnen, dass sie bei Wahl eines niedrigeren Preises ihren Umsatz erhöhen, bei einem höheren Preis hingegen ihren Umsatz reduzieren werden. Die Preis-Absatz-Funktion der Monopolist*innen ist identisch mit der Marktnachfragekurve. Sie können einen beliebigen Punkt auf der Marktnachfragekurve als Wertepaar von Preis und Absatz wählen. Welches Wertepaar aus Preis und damit korrespondierender Menge ist aus Sicht gewinnmaximierender Monopolist*innen optimal? An der Kalkulation der gewinnmaximalen Ausbringungsmenge ändert sich prinzipiell nichts: Auch Monopolist*innen bringen Grenzkosten und Grenzerlös zum Ausgleich. Der Grenzerlös einer zusätzlichen Einheit entspricht bei Polypolist*innen für jede Outputsteigerung jeweils dem unveränderten Marktpreis. Der Grenzerlös von Monopolist*innen berechnet sich hingegen etwas komplizierter: Die fallende Marktnachfrage signalisiert, dass eine größere Gütermenge nur absetzbar ist, wenn der Preis entsprechend niedriger gewählt wird. Im Regelfall müssen Monopolist*innen für alle Einheiten, die sie verkaufen wollen, eine Preissenkung vornehmen und nicht nur für eine zusätzliche Einheit. 95 Deshalb wird der Grenzerlös von Monopolist*innen für jede weitere Gütereinheit nicht nur überhaupt immer geringer, sondern der Grenzerlös fällt doppelt so schnell wie die Nachfragekurve. Die Grenzerlöskurve fällt vom Prohibitivpreis der Nachfrager*innen (=Ordinatenschnittpunkt) aus als Winkelhalbierende der Nachfragekurve nach rechts unten. 96 Monopolist*innen wählen ihre gewinnmaximale Outputmenge entsprechend des Schnittpunktes von Grenzkosten- und Grenzerlöskurve. In der Abbildung Abb.51 findet sich diese gewinnmaximierende Menge bei x Monopol . Für die Güter verlangen sie von den Nachfragenden dann allerdings den bei dieser Menge maximal möglichen Preis, den sie auf der Preis-Absatz-Funktion ablesen kön- 95 Einen davon abweichenden Sonderfall stellt die Möglichkeit der Preisdiskriminierung dar. Gelingt es den Monopolist*innen, verschiedene Nachfragergruppen mit unterschiedlichen Varianten des Guts zu bedienen (z. B. früher erscheinende Ausgabe eines Buches mit festem Einband, später preiswerteres Taschenbuch) und dafür unterschiedliche Preise zu verlangen, gestaltet sich die Überlegung anders. 96 Studierende der Wirtschaftswissenschaften müssen dies im Grundstudium mathematisch beweisen. Sie dürfen es einfach glauben. <?page no="219"?> 5. Natürliches Monopol 193 nen. Ihr Monopolgewinn errechnet sich analog zur Gewinnermittlung der Konkurrenzunternehmer*innen aus dem Erlös (x Monopol * p Monopol ) abzüglich der Kosten (x Monopol * Durchschnittskosten bei x Monopol ). Dank dieser Strategie der Cournotschen Monopolpreissetzung 97 verwirklichen Monopolist*innen deutliche Gewinne. Abb. 51: Monopol: Unternehmer*innen als Preissetzer*innen Die Ineffizienz der Monopolsituation kann allerdings nicht durch die vorhandenen Gewinne der Monopolist*innen begründet werden. Gewinne sind nicht grundsätzlich ineffizient. 98 97 So benannt nach dem französischen Ökonomen Antoine Augustin Cournot (1801-1877), der diese Preisbildung im Monopol in seinem 1838 erschienen Hauptwerk „Recherches sur les principes mathématiques de la théorie des richesses“ entwickelte. Cournot gilt als Begründer der mathematischen Wirtschaftstheorie. 98 Es gilt jedoch umgekehrt: Eine Situation, in der über längere Zeit erhebliche Gewinne nicht zu Markteintritten von Konkurrent*innen führen, sollte Sie skeptisch werden lassen... Preis-Absatz-Funktion (Nachfrage) Menge Preis/ Kosten x Monopol p DK p Monopol Grenzerlös Durchschnittskosten Grenzkosten Monopolgewinn <?page no="220"?> 194 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Grafisch darstellen lässt sich dieser Wohlfahrtsverlust nur mittels einer zusätzlichen Abbildung, die den Vergleich der Situationen eines Monopolmarktes und eines Wettbewerbsmarktes ermöglicht, wie in der Skizze angedeutet. Der Wohlfahrtsverlust bemisst sich, wie schon bei der Rentenbetrachtung in Abschnitt IV.4. gezeigt, durch den Verlust an Konsumenten- und Produzentenrente. Abb. 52: Wohlfahrtsverlust auf monopolistischen Märkten Statisch ineffizient ist die Monopolsituation wegen der zum Zweck der Gewinnmaximierung absichtlich gering gewählten Menge der angebotenen Güter. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unterbleiben eindeutig vorteilhafte Tauschakte: Würde der Markt nicht durch die Monopolist*innen beherrscht, sondern durch polypolistische Anbieter*innen bedient, könnten auf Grund des preiselastischeren Angebots (vgl. Abschnitte III.5. und IV.1.) noch wesentlich mehr Konsument*innen ihre Nachfrage befriedigen. Diese Nachfrager*innen weisen auch eine Zahlungsbereitschaft auf, die bei polypolistischen Anbieter*innen, die in der Nähe des Durchschnittskostenminimums produzieren würden, durchaus kostendeckend wäre. x Konkurrenz Nachfrage Menge Preis/ Kosten x Monopol p Konkurrenz p Monopol Angebot (Konkurrenz) Wohlfahrtsverlust <?page no="221"?> 5. Natürliches Monopol 195 5.2. Vorübergehende oder staatlich geschützte Monopole sind kein Marktversagen Monopolsituationen, die sich für Unternehmen beispielsweise durch neue Produktideen oder Prozessinnovationen erschließen, sind an freien Märkten nicht ohne weiteres von Dauer. Die Monopolgewinne von innovativen Pionierunternehmer*innen locken sehr schnell weitere Anbieter*innen in den Markt. Mehrere Anbieter*innen beginnen schnell zu konkurrieren und die Machtstellung des einzelnen oder der wenigen Anbieter*innen erodiert in der Konkurrenz um die Nachfrage. Alleine die Beobachtung eines vorübergehenden Monopols ist also noch kein Beleg für ein Marktversagen. 99 Viele dauerhaft stabile Monopole, die historisch empirisch zu beobachten waren und zum Teil noch immer zu beobachten sind, erklären sich durch staatlichen Monopolschutz. Bei staatlich geschützten Monopolen handelt es sich entweder um ökonomisch effiziente Lösungen 100 oder um Staatsversagen. 5.3. Das Marktversagen beim natürlichen Monopol Natürliche Monopole hingegen stellen ein Marktversagensargument dar. Im Fall natürlicher Monopole kommt es auch an freien Märkten nicht durch Markteintritte weiterer Anbieter*innen zu Konkurrenz. Monopolistische Anbieter*innen könnten somit dauerhaft die oben aufgezeigte Preis-Mengen-Kombination mit ineffizienter Ausbringungsmenge wählen, um ihre Gewinne zu maximieren, wenn nicht staatlich eingegriffen wird. 99 Die Notwendigkeit einer funktionsfähigen Wettbewerbskontrolle zur Verhinderung wettbewerbswidriger Absprachen wird von den wenigsten Ökonom*innen geleugnet. Aber selbst wenn sich mehrere Anbieter*innen wettbewerbswidrig absprechen ohne durch eine Kartellbehörde daran gehindert zu werden, ist die Aufrechterhaltung eines Kartells bereits dann nicht einfach, wenn der Staat immerhin der wettbewerbswidrigen Absprache die Hilfe bei der Durchsetzung verweigert. Zum einen ergibt sich ein Gefangenendilemma (vgl. Abschnitt VI.2.) zwischen den Kartellbeteiligten, da es zumindest kurzfristig für jeden die individuell rationale Strategie ist, aus dem Kartell auszubrechen. Zum anderen benötigen die Kartellmitglieder eine Methode, zusätzliche Anbieter*innen vom Markteintritt abzuhalten. 100 Beispielsweise kann ein befristeter Patentschutz zur Aufrechterhaltung des Anreizes zu kostspieliger Forschung und Entwicklung ein effizientes Instrument sein. Andere Begründungen staatlich geschützter Monopole argumentieren mit dem Marktversagenstatbestand des natürlichen Monopols, welches im nächsten Abschnitt betrachtet wird. <?page no="222"?> 196 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie 5.3.1. Die Eigenschaften natürlicher Monopole Natürliche Monopole entstehen, wenn bei der Produktion eines Guts oder einer Dienstleistung subadditive Kostenstrukturen vorliegen. Von subadditiven Kosten sprechen Ökonom*innen dann, wenn Anbieter*innen in der Lage sind, die gesamte Nachfrage zu geringeren Kosten zu bedienen als mehrere. Solche subadditiven Kostenstrukturen liegen also theoretisch vor, wenn die Durchschnittskosten über den gesamten relevanten Bereich (d. h. innerhalb der Nachfrage) fallen. 101 Fallende Durchschnittskosten wiederum bedeuten, dass die Grenzkosten über diesen gesamten Bereich unterhalb der Durchschnittskosten verlaufen. Dies deutet schließlich darauf hin, dass der Fall natürlicher Monopole auftritt, wenn die Fixkosten einer Produktion im Verhältnis zu den variablen Kosten sehr hoch sind. 102 Naheliegende Beispiele sind Brücken oder Tunnel. Solange es zu keinem größeren Stau kommt, besteht keine nennenswerte Rivalität in der Nutzung. 103 Erinnern Sie sich bitte an die Überlegungen in Abschnitt VI.3.: Keine oder kaum Rivalität in der Nutzung bedeutet, dass nicht für einzelne Nachfrager*innen zusätzliche Gütereinheiten oder Kapazitäten bereitgestellt werden müssen, sondern diese gemeinsam genutzt werden können. Die Grenzkosten für die Befriedigung der Nachfrage zusätzlicher Konsument*innen sind also extrem gering. Einzelne weitere PKWs, die durch einen Tunnel fahren, kosten die Tunnelbetreiber keinen spürbaren Aufwand. Die Fixkosten zur Erstellung des Tunnels sind jedoch beachtlich. Andere typische Beispiele für subadditive Kostenstrukturen liegen in allen netzabhängigen Gütern oder Leistungen, wie z. B. Wasser-, Ferngas- und Stromversorgung, Bahn, Telefon etc. Bei allen netzabhängigen Gütern müssen gewaltige Kosten zur Errichtung und Aufrechterhaltung des Netzes getragen werden, der Anschluss eines weiteren Nutzers an das Netz verursacht hingegen relativ niedrige Kosten. 101 Der Genauigkeit halber: Subadditivität der Kosten liegt auch vor, wenn die Durchschnittskosten vor dem Schnittpunkt mit der Nachfragekurve wieder zu steigen beginnen aber der Markt nur ein Unternehmen trägt. 102 Vgl. zur gewöhnlichen Konstellation der Grenz- und Durchschnittskosten Abschnitt III.2.4. 103 Zugleich ist der Ausschluss vom Konsum und damit das Verlangen von Preisen für die Nutzung problemlos möglich. Vgl. die Nennung des natürlichen Monopols in der Übersicht der Güterkategorien in Abschnitt VI.3. <?page no="223"?> 5. Natürliches Monopol 197 Abb. 53: Grenz- und Durchschnittskosten im Natürlichen Monopol 5.3.2. Die Stabilität des natürlichen Monopols Natürliche Monopole bleiben auch dann als Monopole bestehen, wenn die Inhaber*innen der natürlichen Monopole erhebliche Gewinne machen sollten. Die glücklichen Inhaber*innen eines natürlichen Monopols maximieren ihren Gewinn genauso wie andere Monopolist*innen, indem sie die Menge beschränken und Preise entsprechend der Zahlungsbereitschaft durchsetzen, die weit über ihren Kosten liegen. Natürliche Monopolist*innen können allerdings alle potenziellen Konkurrent*innen leicht vom Markteintritt abhalten: Sie können absolut glaubhaft androhen, mutige Newcomer*innen zu unterbieten. Auf Grund der bereits getätigten Fixkosten und der durchgehend fallenden Durchschnittskosten können die natürliche Monopolist*innen jederzeit ihre Produktionsmenge ausdehnen und damit sogar immer geringere Stückkosten verwirklichen. Abgesehen davon wäre der Markteintritt von einzelnen Konkurrent*innen hinsichtlich der statischen Effizienz in der Produktion auch gesamtwirtschaftlich ineffizient: Schließlich würden zwei Unternehmen zu höheren Kosten produzieren, also mehr knappe Ressourcen zur Bereitstellung einsetzen müssen, als wenn ein Unternehmen die gemeinsam bereitgestellte Menge herstellen würde. p DK p GK Preis-Absatz-Funktion (Nachfrage) Menge Preis/ Kosten Durchschnittskosten Grenzkosten <?page no="224"?> 198 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie Natürliche Monopole stellen ein Marktversagen dar: Monopolist*innen verhalten sich absolut rational, wenn sie zur Gewinnmaximierung eine Cournotmenge zu Monopolpreisen an den Markt bringen. Aus Sicht potenzieller Konkurrent*innen ist es individuell rational, den Konkurrenzkampf mit den zuerst im Markt befindlichen natürlichen Monopolist*innen nicht aufzunehmen. Aus Sicht der Nachfrager*innen ist es natürlich ebenfalls individuell rational, zum Monopolpreis nicht mehr Güter nachzufragen als es ihrer Zahlungsbereitschaft entspricht. Insgesamt aber führt das individuell rationale Verhalten der einzelnen Akteur*innen zum kollektiv irrationalen Verzicht auf die gemäß der Zahlungsbereitschaft und der Produktionskosten eigentlich noch möglichen, lohnenden Tauschakte. 5.4. Staatlicher Eingriff zur Regulierung natürlicher Monopole? Natürliche Monopole legen tatsächlich die Vermutung nahe, dass ein Staatseingriff zu Effizienzsteigerungen führt. 104 Dieser Eingriff kann darin bestehen, dass der Staat selbst das natürliche Monopol innehält und das betreffende Gut selbst anbietet (wie z. B. bis vor wenigen Jahren noch bei Bahn, Telefon, Gas und Strom und bis heute zum überwiegenden Teil noch bei Wasser). Da mit staatlich betriebenen Monopolen mangels verlässlich uneigennützig handelnder und weiser Staatsdiener*innen allerdings ebenfalls viele Probleme verbunden sind, empfiehlt sich häufig das private Betreiben des natürlichen Monopols unter staatlicher Regulierung (wie z. B. heute bei der Telekom). Natürliche Monopole benötigen also zumindest den Staatseingriff der Regulierung. Um den Staatseingriff auf das erforderliche Maß zu reduzieren, ist es dabei allerdings im ersten Schritt wesentlich, die Güter soweit wie möglich voneinander zu trennen („Entflechtung“/ “Unbundling“) und nur den Bereich, in dem tatsächlich subadditive Kostenstrukturen vorliegen, regulierten Monopolist*innen zuzuweisen. So ist der Betrieb des Schienennetzes der Bahn wohl ein natürliches Monopol. Der Betrieb des Personennahverkehrs oder des Güterverkehrs auf diesen Schienen ist jedoch kein natürliches Monopol und der Betrieb 104 Selbstverständlich existiert auch hier die Möglichkeit, dass schlecht gemachte Staatseingriffe die Situation sogar verschlechtern. So ist beispielsweise die Verstaatlichung des gesamten Geschäftsfelds nicht automatisch einer Belassung des natürlichen Monopols in privatwirtschaftlicher Hand vorzuziehen und eine von Vetternwirtschaft oder politischen Wiederwahlinteressen dominierte staatliche Regulierung führt natürlich gleichfalls nicht unzweifelhaft zu besseren Ergebnissen als eine privatwirtschaftliche Monopolbewirtschaftung. Auch beim natürlichen Monopol gilt es, zwischen der notwendigen Bedingung zur Prüfung einer Staatslenkung und der hinreichenden Bedingung zur tatsächlichen Intervention zu unterscheiden (vgl. Abschnitt VI.1.). <?page no="225"?> 5. Natürliches Monopol 199 von Speisewagen und Bahnhofsgaststätten schon gar nicht. Die Isolation des tatsächlichen Bereichs eines natürlichen Monopols ist der erste Schritt. Den in diesem Bereich verbleibenden Monopolist*innen zu zwingen, ihre Dienste allen Interessenten offen anzubieten und diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen, ein zweiter. Mit der eigentlichen Regulierung der Monopolist*innen im laufenden Geschäft, inklusive der Kontrolle der Preissetzung, beschäftigt sich ein eigener Zweig der Volkswirtschaftslehre. Wir können uns an dieser Stelle nicht damit auseinandersetzen. Beachten Sie jedoch, dass selbst bei Kenntnis der Kostenverläufe durch die Regulierungsbehörde ein schlichtes Erzwingen von Grenzkostenpreisen nicht ohne weiteres infrage kommt. Bei Grenzkostenpreisen würden die Unternehmer*innen Verlust machen, da damit die Gesamtkosten nicht gedeckt würden, solange die Grenzkosten noch unterhalb der Durchschnittskosten verlaufen. Dieser Verlust müsste über Subventionen kompensiert werden. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (36) ein Video zum Thema „Natürliches Monopol“. https: / / t1p.de/ covz 6. Asymmetrische Information In den bisherigen Überlegungen wurde implizit regelmäßig von vollständiger Information aller Marktakteur*innen bezüglich der relevanten Tatbestände ausgegangen. Diese Annahme erscheint natürlich recht realitätsfern. Die grundsätzliche Betrachtung von Marktprozessen wird jedoch nicht generell qualitativ verändert, wenn die Annahmen vollständiger Information aufgehoben werden. Bei Anerkennung allgemein unvollständiger Information kommt man lediglich zu dem Schluss, dass rein theoretisch vorhandene effiziente Lösungen in vielen Fällen verfehlt werden. Solange aber auch mit staatlichem Eingriff keine vollständige Information erzielbar ist, ergibt sich alleine aus dieser Feststellung kein Argument für einen Eingriff in den Markt. Zu einem möglichen Marktversagensargument gelangt man allerdings dann, wenn eine systematisch asymmetrische Informationsverteilung vorliegt. Wenn systematisch eine Marktseite besser als die andere informiert ist, kann <?page no="226"?> 200 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie dieser Informationsvorsprung letztlich externe Effekte verursachen. 105 Ökonom*innen unterscheiden zwei Wirkungsmechanismen auf Grund derer eine systematisch asymmetrische Information zu Marktversagen führen kann. 6.1. Adverse Selektion Adverse Selektion ist ein Wirkungsmechanismus, der auf Grund asymmetrischer Information vor Vertragsschluss wegen so genannter versteckter Information auftreten kann. Adverse Selektion meint dabei, dass es an einem Markt zur Auswahl schlechter Qualität oder schlechter Risiken kommen kann, wenn die Angehörigen der einen Marktseite bereits vor Vertragsabschluss über entscheidende Informationen verfügen und diese vor den Vertreter*innen der anderen Marktseite verbergen können. Wenn die schlechter informierten Marktteilnehmer*innen auf dieses Problem mit einer pauschalierenden Erwartungsbildung reagieren, kann es dazu kommen, dass im Extremfall nur noch Güter und Dienstleistungen schlechter Qualität gehandelt werden oder nur noch schlechte Risiken versichert werden. Das Marktversagen liegt im Fall der adversen Selektion darin, dass der soziale Überschuss, der beim Handel von Gütern guter Qualität oder der Risikopoolung der Versicherten mit niedriger Schadenserwartung eigentlich verwirklicht werden könnte, nicht erreicht wird. Eigentlich gegenseitig vorteilhafte Tauschakte finden auf Grund der asymmetrischen Information vor Vertragsschluss nicht ohne weiteres statt. Zwei Beispiele sollen den Mechanismus adverser Selektion kurz darstellen. 6.1.1. Das Beispiel des Gebrauchtwagen-Marktes Stellen Sie sich den privaten Gebrauchtwagenhandel auf einem Parkplatz vor. 106 Es ist klar, dass es verschiedene Qualitäten von Gebrauchtwagen gibt. Nehmen Sie zur einfacheren Handhabung des Beispiels an, es gäbe nur zwei Qualitäten, also gute und schlechte Gebrauchtwagen. Stellen Sie sich vor, dass die Verkäufer*innen von guten Wagen indifferent zwischen einem Verkauf ihrer Fahrzeuge für 2.000 Euro und dem Behalten der Wagen sind. Bei jedem Gebot über 105 Es ist hilfreich, diesen Gedanken des Zusammenhangs mit externen Effekten im Hinterkopf zu behalten. Denn die Argumentation zu Gunsten eines Markteingriffs auf Grund asymmetrischer Information durch das Kollektiv ist entsprechend zu relativieren, wie es auch bei den externen Effekten selbst bereits thematisiert wurde. 106 Das Beispiel des Gebrauchtwagenhandels geht zurück auf den 1970 veröffentlichten Artikel „The Market for Lemmons: Quality Uncertainty and the Market Mechanism“ von George Arthur Akerlof. <?page no="227"?> 6. Asymmetrische Information 201 2.000 Euro würden sie dem Verkauf zustimmen und einen Nutzengewinn (eine Produzentenrente) erreichen. Für die Nachfrager*innen nehmen wir an, dass sie indifferent zwischen dem Erwerb eines guten gebrauchten Wagens für 2.400 Euro und dem Verzicht auf den Erwerb sind. Bei jedem Angebot unter 2.400 Euro würden sie also den Kauf vornehmen und eine Konsumentenrente erhalten. Bei jedem guten Wagen könnte es zu einem gegenseitig vorteilhaften Tausch kommen, bei dem insgesamt ein sozialer Überschuss von 400 Euro erreicht würde. Demgegenüber wären die Verkäufer*innen eines schlechten Wagens indifferent zwischen einem Verkauf ihrer anfälligen Fahrzeuge für 1.000 Euro und dem Behalten der Wagen. Sie hätten demnach bei jedem Verkauf zu einem Preis über 1.000 Euro einen Nutzengewinn (eine Produzentenrente). Die Nachfrager*innen schlechter Gebrauchtwagen hingegen sind indifferent zwischen dem Erwerb eines solchen für 1.200 Euro und dem Verzicht auf das Geschäft. Bei jedem Kauf zu einem Preis unter 1.200 Euro würden sie eine Konsumentenrente erhalten. Bei schlechten Wagen könnte also ein sozialer Überschuss von 200 Euro erreicht werden, wenn es zu einem Abschluss kommt. Es ist allerdings einleuchtend, dass die jeweiligen Anbieter*innen systematisch besser über die Qualität der Autos Bescheid wissen, als die Nachfrager*innen. Nehmen Sie an, die Information über die Qualität der Gebrauchtwagen sei für die Nachfrager*innen gar nicht erreichbar. Die Nachfrager*innen müssten in diesem Fall ihre Zahlungsbereitschaft an der erwarteten Durchschnittsqualität ausrichten. Sollte die Erfahrung gezeigt haben, dass die Hälfte der Wagen schlecht und die andere Hälfte gut ist, würden die Käufer*innen für einen gebrauchten Wagen bis zu 1.800 Euro bieten. 107 Die Anbieter*innen hingegen sind nicht uninformiert und bilden deshalb keinen Durchschnittswert. Die Eigentümer*innen schlechter Wagen sind mit den Geboten der Käufer*innen sehr zufrieden, denn 1.800 Euro ist ein weit höheres Gebot als ihr Reservationspreis 108 . Die Eigentümer*innen der guten Wagen allerdings sind nicht bereit, ihre Wagen für 1.800 Euro zu verkaufen, denn ihr Reservationspreis liegt bei 2.000 Euro. Im Ergebnis werden also nur schlechte Gebrauchtwagen gehandelt, denn die Anbieter*innen der guten Fahrzeuge lehnen das Angebot ab und nehmen ihre Autos wieder mit nach Hause. Die Käufer*innen haben jetzt allerdings ein 107 Sie bilden einen „Erwartungswert“: 0,5 * 1.200 € + 0,5 * 2.400 € = 1.800 €. 108 Der Reservationspreis ist der Preis, bei dem die Anbieter*innen gerade indifferent zwischen einem Verkauf ihrer Güter oder dem Verzicht auf das Geschäft sind. <?page no="228"?> 202 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie schlechtes Geschäft gemacht: Ihre Erwartungswertbildung stellt sich natürlich als falsch heraus. 109 Wissen alle Akteur*innen um diese Zusammenhänge, dann kommen am nächsten Samstag nur noch Anbieter*innen schlechter Wagen auf den Parkplatz und die Nachfrager*innen bieten nur noch maximal 1.200 Euro. Der Markt für schlechte Fahrzeuge kann also funktionieren. Der Markt für gute Gebrauchtwagen bricht allerdings zusammen, die schlechte Qualität verdrängt die gute. 6.1.2. Das Beispiel der Versicherung Umgekehrt verteilt sind die systematisch asymmetrischen Informationen im Falle von Versicherungen. Im Normalfall wissen hier die Nachfrager*innen, also die potenziellen Versicherungsnehmer*innen, besser darüber Bescheid, ob sie eine hohe oder eine niedrige Schadensfallerwartung aufweisen und im Schadensfall teure oder billige Schäden ersetzt bekommen würde. Man kann z. B. in vielen Fällen davon ausgehen, dass Versicherungsnehmer*innen zunächst einmal besser über ihre Vorerkrankungen, ihre Gesundheitszustände und die in ihren Familien vorkommenden Erbkrankheiten informiert sind als die Mitarbeiter*innen der Krankenversicherung. Analog zur Situation auf dem Gebrauchtwagenmarkt muss die Versicherung jedoch einen Erwartungswert bilden, der auf wahrscheinlichen Schadensfällen beruht. Dieser Erwartungswert führt zu einer Prämienhöhe, die für besonders gesunde Personen zu hoch ausfällt, so dass diese eventuell auf den Abschluss der Versicherung verzichten. Wenn dies in größerem Ausmaß passiert, verschlechtert sich der durchschnittlich erwartete Gesundheitszustand unter den Versicherten. Daraufhin muss die Prämienhöhe nach oben angepasst werden, weitere relativ gesunde Versicherte kündigen ihre Versicherung, usw. 6.2. Moral hazard Mit dem Begriff moral hazard bezeichnen Ökonom*innen einen der adversen Selektion ähnlichen Wirkungsmechanismus, der auf Grund asymmetrischer Information nach Vertragsschluss auf Grund versteckten Verhaltens auftreten kann. 110 Moral hazard beschreibt eine (den anderen schädigende) Verhaltens- 109 Sie wäre nur richtig gewesen, wenn garantiert wäre, dass alle angebotenen Wagen auch verkauft werden und die Einschätzung 50 % gute Qualität korrekt war. 110 Es gibt keine überzeugende deutsche Übersetzung des Begriffs. Noch am besten treffen "sittliche Gefährdung" oder „moralische Versuchung“ die Bedeutung. <?page no="229"?> 6. Asymmetrische Information 203 änderung von Vertragspartner*innen, die wegen der asymmetrischen Informationsverteilung von anderen Vertragspartner*innen nicht hinreichend beobachtet oder kontrolliert werden kann. Die Verhaltensänderung muss dabei nicht nur zeitlich nach dem Vertragsschluss erfolgen, sondern kausal auf den Vertrag zurück zu führen sein. Beispiele finden sich letztlich bei allen unvollständigen Verträgen. So könnten Arbeitnehmer*innen, die während der Probezeit äußerst gewissenhaft und fleißig gearbeitet haben, nach der Festanstellung etwas großzügiger in Bezug auf ihre Arbeitsmoral werden. Solange das Fehlverhalten nicht durch Abmahnungen und letztlich Kündigungen sanktioniert werden kann, begünstigen arbeitsrechtliche Bestimmungen moral hazard auf Seiten der Arbeitnehmer*innen. Typische Beispiele finden sich wieder auf allen Versicherungsmärkten. 6.2.1. Das Beispiel der Versicherung Wählen wir das Beispiel einer Fahrradversicherung. Die Versicherungsgesellschaft kann unmöglich kontrollieren, ob ihre Versicherungsnehmer*innen ihre Fahrräder gut abschließen. Es handelt sich hier eindeutig um eine systematisch asymmetrisch verteilte Information zwischen den einzelnen Versicherten und der Gesellschaft. Moral hazard könnte hierbei dergestalt auftreten, das eine gut versicherte Person ihr Fahrrad nicht mehr immer mit zwei starken Schlössern sichert. Kommt eine solche Verhaltensänderung auf Grund des Abschlusses einer Versicherung 111 häufiger vor, so muss die Prämie für die Fahrradversicherung entsprechend der häufigeren Schadensfälle erhöht werden. Im Endeffekt führt auch moral hazard dazu, dass der Markt für Fahrradversicherungen zum Teil zum Erliegen kommt. Wenn der Abschluss einer Fahrradversicherung bei vielen Versicherten zu einer nachlässigeren Sicherung ihrer Räder führt, dann werden der Tendenz nach größere Anteile der versicherten Fahrräder gestohlen als der unversicherten. Die Prämie für eine Fahrradversicherung muss dann höher sein, als es in Anbetracht der eigentlichen statistischen Schadenserwartung angemessen wäre. Für Personen, die ihr Fahrrad aus persönlichen Gründen unabhängig vom Abschluss einer Versicherung unverändert gut abschließen, wird sich die Versicherung bei der höheren Versicherungsprämie irgendwann nicht mehr lohnen. Im Extremfall sind am Ende überhaupt nur noch solche Personen in der Fahrradversicherung, die ihr Rad nie abschließen. Ihre Prämie wird entsprechend hoch sein, der Markt für Fahrradversicherungen für ungesicherte Räder funktioniert, die Versicherung poolt das Risiko der 111 Die Annahme im Beispiel lautet, dass dieselbe Person ohne Versicherung ihr Rad immer abschließen würde. <?page no="230"?> 204 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie verbliebenen Versicherungsnehmer*innen. Es unterbleiben allerdings wieder die eigentlich gegenseitig vorteilhaften Tauschakte, die eine Fahrradversicherung für zuverlässige Sicherheitsschlossbesitzer*innen bieten würde, wenn das Verhalten kontrollierbar wäre. 6.3. Der Zusammenhang asymmetrischer Information und externer Effekte Sowohl bei adverser Selektion als auch bei moral hazard bewirken die Vertragspartner*innen schlechter Qualität oder schlechter Risiken externe Effekte auf potenzielle Vertragspartner*innen guter Qualität oder guter Risiken. Wegen der Existenz schlechter Gebrauchtwagen unterbleiben Transaktionen bezüglich guter Fahrzeuge falls es den Vertragspartner*innen nicht gelingt, die Informationsverteilung zu verbessern. Auf Grund der Verhaltensänderung mancher Versicherungsnehmer*innen unterbleiben Vertragsschlüsse braver Fahrradabschließer*innen, wenn es den Vertragspartner*innen nicht gelingt, die Informationsasymmetrie zu überwinden. Private Grenzkosten und soziale Grenzkosten bzw. private Grenznutzen und soziale Grenznutzen fallen auseinander und es werden nicht die eigentlich effizienten Mengen gehandelt. Die Versicherungsnehmer*innen der Fahrradversicherung berücksichtigen bei ihrer Entscheidung, auf das Abschließen zu verzichten, in erster Linie die Grenzkosten in Form der Unbequemlichkeit, die ihnen dadurch entstehen, dass die Wahrscheinlichkeit des Diebstahls steigt. Eventuell berücksichtigen sie außerdem noch die sie persönlich treffende Prämiensteigerung. 112 Die externen Effekte, die sie für andere Personen bewirken, weil deren Prämien ebenfalls steigen, bleiben hingegen häufig unberücksichtigt. 6.4. Staatlicher Eingriff bei Vorliegen asymmetrischer Information? Die Parallele zum Marktversagen der externen Effekte weist gleichzeitig bereits auf die begrenzten Möglichkeiten des Kollektivs hin, auf das Problem zu reagieren. Der Staat kann grundsätzlich versuchen, die Informationsasymmetrie zu bekämpfen, indem er Informationen bereitstellt. Dies kann allerdings nur dann eine Effizienzsteigerung bewirken, wenn der Staat billiger Informationen bereitstellen kann als die privaten Akteure. Außerdem muss dieser Informationskostenvorteil den Nutzenverlust bei denen rechtfertigen, die an der Information 112 Gemeint ist die wegen des durchschnittlich höheren Risikos höhere Prämie, nicht etwa die im Falle verlorener Schadensfreiheitsrabatte etc. (dazu kommen wir gleich). <?page no="231"?> 6. Asymmetrische Information 205 gar nicht interessiert sind. In manchen Fällen kann der Staat unter Umständen tatsächlich günstiger Informationen generieren und verbreiten als private Akteur*innen, etwa weil er Größenvorteile ausnutzen kann oder einen Vertrauensbonus genießt. Dennoch muss der Vorteil der Nutznießer*innen dieser Informationspolitik so groß sein, dass eine kaum vermeidbare Finanzierungsbeteiligung derjenigen begründbar wird, die keinen Nutzen aus der Information ziehen (z. B. die Neuwagenkäufer*innen). 113 Umgekehrt kann der Staat in besonderen Fällen die Informationsasymmetrie bestehen lassen und alle Bürger*innen zum Abschluss eines Vertrages zwingen. Ein solcher Vertragszwang könnte theoretisch vorteilhaft sein, wenn die Nutzenverluste der zum Vertrag gezwungenen Akteur*innen im Verhältnis zu den Nutzenverlusten gering sind, die entstehen, falls gute Qualitäten oder Risiken gar nicht gehandelt werden. Dies entspricht der Situation, in der externe Effekte als so gravierend angesehen werden, dass sich ein staatliches Verbot oder ein staatlicher Zwang begründen lässt. Der Fall ist nicht so unrealistisch wie es auf den ersten Blick erscheint. So bietet sich über diesen Weg eine Möglichkeit zu erklären, warum der deutsche Staat seine Bürger*innen in etlichen Fällen zum Abschluss einer Versicherung zwingt. Die theoretische Möglichkeit einer solchen Situation kann an einem konstruierten Zahlenbeispiel zum Gebrauchtwagenmarkt verdeutlicht werden. Angenommen schlechte Wagen würden ab 1.000 Euro angeboten und bis zu 1.300 Euro nachgefragt werden. Gute Fahrzeuge würden ab 1.750 Euro angeboten und bis zu 2.000 Euro nachgefragt. Der Bestand an Gebrauchtwagen wäre den Gesetzgeber*innen auch bezüglich der Qualität bekannt: 60 Prozent der Gebrauchtwagen sind gut, 40 Prozent sind schlecht. Ohne Eingriff würde bei einem Erwartungswert von 1.720 Euro 114 der Markt für gute Wagen zusammenbrechen. Die Anbieter*innen guter Wagen hätten kein Interesse am Tauschhandel. Es würden also nur schlechte Wagen zu einem Preis zwischen 1.000 Euro und 1.300 Euro gehandelt. Jeder damit entgangene Handel eines guten Wagens beschert den Vertragspartner*innen einen unwiederbringlichen Verlust an potenzieller Konsumenten- und Produzentenrente in Höhe von zusammen 250 Euro. Man könnte nun theoretisch alle zum Vertragsschluss und einem Preis von 1.720 Euro zwingen. Alle Anbieter*innen eines guten Wagens 113 Streng genommen würde auch hier wieder nur eine einstimmige Entscheidung aller Bürger*innen für eine staatliche Informationsbereitstellung zweifellos auf die Vorteilhaftigkeit schließen lassen. 114 0,4 * 1.300 € + 0,6 * 2.000 € = 1.720 € <?page no="232"?> 206 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie verlieren dadurch 30 Euro. Diese 30 Euro sind jedoch nicht verloren, sondern erhöhen die Konsumentenrente der Autokäufer*innen, die einen guten Wagen erwischen. Es handelt sich also lediglich um einen Umverteilungseffekt. Die Autokäufer*innen, die einen schlechten Wagen erwischen und 1.720 Euro dafür zahlen müssen, verlieren 420 Euro. Diese 420 Euro sind aber ebenfalls nicht für den sozialen Überschuss verloren, sondern erhöhen die Produzentenrente der Verkäufer*innen. 115 Glauben Gesetzgeber*innen nun, dass der Fall geringer Nutzenverluste durch Zwang im Verhältnis zu hohen Nutzengewinnen durch Handel vorliegt und haben sie kein Problem mit interpersonellen Nutzenvergleichen, so erzwingen sie eventuell den Vertragsschluss. Ähnlich wie bei externen Effekten und öffentlichen Gütern kann also auch bei Marktversagen wegen asymmetrischer Information nicht pauschal eine Staatsintervention empfohlen werden. Es ist genau abzuwägen, ob die Nutzensteigerung des Markteingriffs insgesamt eine Wohlfahrtsverbesserung erwarten lässt, obwohl Nutzenverluste auf Grund von Zwang und Präferenzverfehlung oder auf Grund falscher Nutzenbzw. Kosteneinschätzung seitens des Staates in Kauf genommen werden müssen. 6.5. Private Möglichkeiten, das Marktversagen bei asymmetrischer Information teilweise zu heilen Wie im Fall der externen Effekte unternehmen im wahren Leben private Marktteilnehmer*innen auch bei der asymmetrischen Information Schritte, die das Marktversagen auf Grund von adverser Selektion und moral hazard zu beachtlichen Anteilen beheben. Es kommt in den seltensten Fällen zu einem tatsächlichen Zusammenbruch der betroffenen Märkte. Im Gegenteil, die Selbstheilungskräfte der am vorteilhaften Tausch interessierten Marktteilnehmer- *innen sind so verbreitet, dass der Gedanke daran Ihnen wahrscheinlich bereits die vorhergehenden Beispiele als höchst unrealistisch erscheinen ließ. 115 Im Fall der Käufer*innen ist dies ein reines Glücksspiel, denn Verlustrisiko und Gewinnchance gleichen sich aus: 0,4 (Wahrscheinlichkeit eine Niete zu ziehen) * 420 € (Verlust bei Niete) = 168 € = 0,6 (Wahrscheinlichkeit einen Gewinnerwagen zu erhalten) * 280 € (Gewinn bei gutem Wagen). Die 30 € Verlust, die die informierten Verkäufer*innen der guten Wagen erleiden, müssen jedoch durch den Wohlfahrtsgewinn gerechtfertigt werden. Und das geht streng genommen bei interpersoneller Unvergleichbarkeit der Nutzen nicht. <?page no="233"?> 6. Asymmetrische Information 207 Ökonom*innen unterteilen die durch die Marktakteure gewählten Hilfsaktivitäten in die Kategorien signaling und screening. 6.5.1. Signaling Signaling nennen Ökonom*innen Aktivitäten, die die besser informierten Marktakteure betreiben, um die Information über ihr gutes Produkt oder ihr geringes Schadensrisiko bekannt zu machen. Die Anbieter*innen guter Produkte haben ein Interesse daran, dass die Nachfrager*innen zwischen guten und schlechten Produkten unterscheiden können. Sie versuchen deshalb häufig, Signale zu senden, die den schlechter informierten Partner*innen Auskunft über die Qualität des gehandelten Objekts geben. Natürlich müssen diese Signale glaubwürdig sein. Beispiele sind Garantieversprechen für Gebrauchtwagen, die sich nur für Anbieter*innen guter Wagen lohnen. Es könnte sich ein Markt für gebrauchte Wagen ohne Garantie entwickeln, auf dem tendenziell schlechte Wagen gehandelt werden, und ein solcher für gebrauchte Wagen mit Garantie, auf dem tendenziell gute Wagen gehandelt werden. Andere Beispiele sind regelmäßige Qualitätskontrollen von unabhängigen Institutionen, deren Reputation auf dem Spiel steht, sollten sie falsche Zeugnisse ausstellen. 6.5.2. Screening Screening betreibt die schlechter informierte Marktseite, um Informationen über die Qualität der angebotenen Produkte oder nachfragenden Versicherungskunden zu erhalten. Beispielsweise können Versicherungen Verträge mit unterschiedlich hohem Selbstbehalt anbieten, um Informationen über die Risikoeinschätzung der Versicherungsnehmer*innen zu erhalten. Jemand, der eine Fahrradversicherung mit 300 Euro Eigenbeteiligung abschließt, erwartet den Diebstahl seines Fahrrads weniger als jemand, der dazu nicht bereit ist. Schadensfreiheitsrabatte sind ein ähnlicher Mechanismus. Natürlich können auch die schlechter informierten Akteur*innen Qualitätskontrollen und Beurteilungen anstreben, beispielsweise indem sie die Stiftung Warentest 116 oder den ADAC mit der Bewertung von Produkten beauftragen. Signaling und screening unterscheiden sich nicht bezüglich der dazugehörigen Aktivitäten, sondern nur durch die Marktseite, die die Initiative ergreift. So kann ein Wertgutachten über einen Gebrauchtwagen sowohl von Verkäufer*innen 116 Die Stiftung Warentest erhält ihre Anschubförderung allerdings vom Steuerzahler und finanziert sich nur zum Teil aus den Erlösen der Zeitschriften und Testberichte. <?page no="234"?> 208 VI. Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie als auch von potenziellen Käufer*innen bei der Kfz-Werkstatt in Auftrag gegeben werden. Absolvieren Arbeitssuchende von sich aus eine Prüfung zum Nachweis ordentlicher Fremdsprachenkenntnisse, so versuchen sie künftigen Arbeitgeber*innen ihre entsprechende Fähigkeit zu signalisieren. Bieten umgekehrt Arbeitgeber*innen Bewerber*innen einen leicht unterdurchschnittlich vergüteten Job an und stellen den Bewerber*innen gleichzeitig eine Gehaltserhöhung in Aussicht, wenn diese den Sprachtest erfolgreich absolvieren, so handelt es sich um screening. 117 Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (37) ein Video zum Thema „Asymmetrische Information“ https: / / t1p.de/ covz 117 Deshalb dürfen Prüfungen nicht großzügig bewertet werden. Wenn alle Prüflinge mit Auszeichnung abschließen, entwertet sich das Zertifikat schnell. <?page no="235"?> VII. Verteilungspolitik und Meritorik Rekapituliert man die bisherigen Erkenntnisse aus der Betrachtung freier Märkte und der Beschäftigung mit der Marktversagenstheorie, lassen sich aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive zwei sehr grundsätzliche Schlüsse ziehen: (1) Ein marktwirtschaftliches System bietet auf funktionsfähigen Märkten über das System freier Preisbildung einen vergleichsweise leistungsfähigen Mechanismus zur Allokation. Freie Wettbewerbsmärkte lassen eine möglichst effiziente Verwendung knapper Ressourcen und damit eine möglichst hohe Wohlfahrt der beteiligten Menschen erwarten. Eine rationale Wirtschaftspolitik unterlässt deshalb Eingriffe in funktionsfähige Märkte. (2) Funktionsfähig im hier relevanten Sinn sind Märkte, auf denen kein Marktversagen vorliegt. Selbst auf Märkten, auf denen Marktversagen theoretisch identifiziert wird, sind regelmäßig Aktivitäten privater Akteure zu beobachten, mit deren Hilfe das Marktversagen zum Teil behoben wird. Außerdem lässt auch ein staatlicher Eingriff regelmäßig nicht erwarten, eine theoretisch ideale Lösung herbeizuführen. Selbst bei Vorliegen von Marktversagen dürfen kollektive Eingriffe in Märkte deshalb erst nach einer sorgfältigen Abwägung der damit verbundenen Schwierigkeiten erfolgen. Tatsächlich verfolgen Politiker*innen zumindest nicht nur das Ziel rationaler Wirtschaftspolitik im Sinne der Effizienzausrichtung, wenn überhaupt. Diese Verhaltensweise würde eher der Vorstellung vom wohlmeinenden Diktator entsprechen. Politiker*innen aus Fleisch und Blut verfolgen im Alltag eine Fülle anderer Ziele. Die Ausrichtung der praktischen Wirtschaftspolitik orientiert sich allenfalls unter anderem am Ziel eines verschwendungsfreien Umgangs mit knappen Ressourcen zur Erzielung einer maximalen Wohlfahrt. Entscheidungsträger*innen lassen sich darüber hinaus selbstverständlich nicht nur von langfristig vernünftigen Überlegungen leiten. Die meisten Menschen sehen sich tatsächlichen oder vermeintlichen Sachzwängen unterworfen, treffen strategische Entscheidungen, gehen Kompromisse ein etc. Darüber hinaus lassen sich Politiker*innen und Wirtschaftslenker*innen natürlich auch von Gefühlen leiten und orientieren sich im Zweifel an tief verwurzelten Überzeugungen. 118 118 Das gilt selbstverständlich auch für Ökonom*innen aus Fleisch und Blut. Die wohlmeinenden Diktatoren sind in jeder Zunft rar. <?page no="236"?> 210 VII. Verteilungspolitik und Meritorik Schließlich ist wohl festzustellen, dass sich die Werte des liberalen Individualismus eher der nur theoretischen Zustimmung erfreuen als praktische Leitidee überzeugter und engagierter Entscheidungsträger*innen zu sein. Insbesondere die intellektuell kaum abstreitbare Konsequenz, dass die Entscheidungen der Mitbürger*innen als solche akzeptiert werden müssten, fällt im politischen Alltag mit großer Regelmäßigkeit einer angeblichen Ausnahme zum Opfer: Offenbar können viele Menschen die privaten Entscheidungen anderer nur dann problemlos akzeptieren, wenn diese sich ohnehin „richtig“ entscheiden. Eingriffe in Märkte werden deshalb keinesfalls nur dann vorgenommen, wenn Marktversagen attestiert wurde und eine Kosten-Nutzen-Abwägung plausibel erwarten lässt, dass der Staatseingriff zu einer pareto-superioren Lösung führt. Vielmehr sind in der realen Wirtschaftspolitik Eingriffe in Märkte aus mindestens zwei weiteren Motiven beobachtbar: Politiker*innen rechtfertigen staatliche Eingriffe in Märkte, wenn sie bestimmte Verteilungsergebnisse (Distribution) als „ungerecht“ empfinden oder wenn sie die Allokationsergebnisse auf Grund der freien Entscheidung der Marktteilnehmer*innen für „falsch“ halten. 1. Verteilungspolitische Eingriffe Was nützt Effizienz, wenn das Ergebnis als ungerecht empfunden wird? Wenig. Es spräche wenig gegen alle denkbaren Umverteilungsaktivitäten, wenn sich die Mitgliedereiner Gesellschaft darüber einig wären, welche Verteilung als gerecht anzusehen sei. Auch wenn diese Umverteilungsaktivitäten eventuell mit einem geringeren materiellen Wohlstand einhergingen: Es spräche nichts gegen solche Schritte, wenn die Bürger*innen den materiellen Verlust bewusst in Kauf nähmen, um eine gerechtere Verteilung zu erreichen. Das Problem ist allerdings, dass wir keine übereinstimmenden Gerechtigkeitsvorstellungen haben. Als ungerecht können Marktergebnisse empfunden werden, weil der Wohlstand zwischen den Bürger*innen unterschiedlich verteilt ist. Ebenso gut können Verteilungskonstellationen als ungerecht betrachtet werden, weil sie trotz unterschiedlicher „Verdienste“ relativ gleich verteilt sind oder weil die unterschiedliche Verteilung nicht der Fairness-Vorstellung der Betrachter*innen entspricht. 1.1. Gerechtigkeitsvorstellungen Häufig ist zu lesen, der Markt sei „blind für Verteilungsfragen“. Diese These ist nur zum Teil richtig. Bei der Verteilung neuer Einkommen ist der Markt nicht <?page no="237"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 211 „blind“. Freie Märkte führen zu einer Einkommensverteilung, die der Konzeption der Tauschgerechtigkeit entspricht. 119 Dabei erlangen Marktteilnehmer*innen immer exakt die Summen als Einkommen, welche andere Marktteilnehmer*innen für ihre Leistungen zu zahlen bereit sind. Das Markteinkommen von Wirtschaftsakteur*innen bemisst sich also nach dem Nutzen der Leistung für andere. Diese Leistung wird zugleich mit der Leistung anderer verglichen, deren Angebote alternativ in Anspruch genommen werden könnten. Dabei wird nicht willkürlich von einer Person festgelegt, wie „verdienstvoll“ oder „wertvoll“ eine Leistung ist. Die Bewertung des „Verdienstes“ erfolgt nach Maßgabe der Zahlungsbereitschaft für die Leistung durch andere Marktteilnehmer*innen. Es ist durchaus ernsthaft zu bezweifeln, ob es in einer Welt ohne allwissende, allmächtige und wohlmeinende Diktatoren tatsächlich alternative Verteilungsformeln gibt, die noch weniger willküranfällig sind als der anonyme Marktmechanismus. Die leistungsgerechte Verteilung durch den Markt dient zugleich der Anreizsetzung für die Individuen. Marktteilnehmer*innen werden dafür belohnt, wenn sie ihre Leistungen so erbringen, dass sie für andere von größtmöglichem Nutzen sind. Erst dieses Anreizsystem ermöglicht die Schaffung des größtmöglichen Gesamtwohlstands. Der Markt ist hingegen verteilungspolitisch „blind“ in dem Sinne, dass er nicht in bestehende Verteilungen, d. h. in die Anfangsausstattungen der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer*innen, eingreift. Selbstverständlich ergeben sich im Marktsystem unterschiedliche Chancen der Akteur*innen, beispielsweise durch deren Ausstattung mit ererbtem Vermögen, mit unterschiedlichem Bildungshintergrund, unterschiedlichem Geschäftssinn und unterschiedlicher Kreativität. Der Begriff der Chancengerechtigkeit erfreut sich großer Beliebtheit, ist allerdings nicht leicht zu definieren. Will man tatsächlich Matilda streitig machen, ihre Wettbewerbsvorteile auf Grund höherer Kreativität zu nutzen? Wem gehört gerechterweise der Wert der handwerklichen Begabung von Frieda? Wem das Markteinkommen, welches Jakob durch Fleiß und Eifer erwirtschaftet? Ist es „sein Verdienst“, fleißiger als andere zu sein? Eine angemessene philosophische Auseinandersetzung mit diesen Gerechtigkeitsfragen ist im 119 Das Konzept der Tauschgerechtigkeit (manchmal auch Marktgerechtigkeit genannt) ist keineswegs eine neumodische Erfindung neoliberaler Ökonom*innen, sondern findet sich als Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit in Aristoteles Nikomachischer Ethik. Bekannter ist der lateinische Ausdruck der kommutativen Gerechtigkeit. Das Konzept ist eng verwandt mit dem Gedanken der Äquivalenz als Gerechtigkeit. <?page no="238"?> 212 VII. Verteilungspolitik und Meritorik Rahmen dieses Buches sicher nicht möglich. 120 Kurz erwähnt werden soll jedoch, dass das Konzept der Chancengerechtigkeit häufig schnell in Willkür umschlägt: Die Forderung einer egalisierenden Chancengleichheit, die verlangt, persönlich „unverdiente“ Ausstattungsunterschiede der Bürger*innen mit relevanten Fähigkeiten und Charaktereigenschaften zu vermeiden, ist bei vielen naturgegebenen Eigenschaften natürlich müßig. Bei im engsten Familienkreis anerzogenen Fähigkeiten bedürfte es einer Trennung der Kinder von ihren Eltern. Die Ausstattung der Individuen mit diesen durchaus entscheidenden Eigenschaften lässt sich also zu großen Teilen nicht gesellschaftlich ändern. Deshalb wählen viele egalitäre Protagonisten der Chancengerechtigkeit eine Kompensationslösung, die nicht eigentlich die Ausstattung, sondern die mit der Ausstattung erreichten Ergebnisse umverteilt. Damit ist man über den Umweg der Einforderung von Chancengerechtigkeit recht schnell bei Ansätzen der Ergebnisgerechtigkeit. Die Argumentation ist dann allerdings äußerst schwierig und kaum noch von Willkür zu unterscheiden: Wie viel von Carlottas, Friedas und Jakobs unterschiedlichen Marktergebnissen ist auf ihre unterschiedlichen Startchancen zurückzuführen und kann bzw. sollte gerechterweise umverteilt werden? Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (38) ein Video zum Thema „Verteilungsgerechtigkeit“. https: / / t1p.de/ covz 1.2. Umverteilung kann effizient sein: Soziale Mindestsicherung Wie steht es aber mit wenig leistungsfähigen Individuen? Gibt es aus ökonomischer Perspektive tatsächlich keine Richtschnur, die wenigstens eine Umverteilung an die Gesellschaftsmitglieder rechtfertigt, die ohne solche Umverteilungsaktivitäten kein akzeptables Auskommen haben? 120 Die für Ökonom*innen einflussreichste Auseinandersetzung mit diesen Themen spannt sich zwischen den Arbeiten von James McGill Buchanan (1919-2013), John Borden Rawls (1921-2002) und Robert Nozick (1938-2002) auf. <?page no="239"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 213 Doch. Selbstverständlich gibt es auch nach der ökonomischen Theorie Begründungsmuster für eindeutig wohlfahrtserhöhende Umverteilungsaktivitäten. Die quantitative Bestimmung der wünschenswerten Umverteilung ist dabei ein ökonomisch nicht oder nur sehr unbefriedigend zu lösendes Problem. Qualitativ jedoch lässt sich Umverteilung durchaus als pareto-superior begründen. Hier sollen nur exemplarisch, nicht erschöpfend, zwei relativ einfache Gedanken dargestellt werden. Ziel dabei ist es aufzuzeigen, dass sich Umverteilung in ökonomischen Denkmustern als wohlfahrtssteigernde Handlung begründen lässt und somit kein grundsätzlicher Gegensatz zwischen Effizienz und Verteilung besteht: 1.2.1. Das Versicherungsmotiv Auf Grund des abnehmenden Grenznutzens der meisten mit Geld konsumierbaren Güter und Dienstleistungen wünscht sich ein repräsentatives Individuum eine Glättung der Einkommensströme im Zeitablauf. Gewöhnlich verwirklicht eine Person aus einer gleichmäßigen Einkommenshöhe von monatlich 2.000 Euro einen höheren Nutzen als wenn es im Durchschnitt zwar ebenfalls 2.000 Euro zur Verfügung hätte, dabei jedoch im ersten Halbjahr hungern muss und erst im zweiten Halbjahr monatlich 4.000 Euro erhält. In Unkenntnis zukünftiger Einkommensströme könnten sich Individuen freiwillig in ein Umverteilungssystem begeben, welches bei geringen Einkommen Unterstützung (Transfers) gewährt und bei hohen Einkommen Beiträge zur Finanzierung des Hilfesystems (Steuern) verlangt. Eine solche Versicherung ist allerdings nicht ohne eine kollektive Entscheidung bereitzustellen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Individuen in der Lage wären, einen entsprechenden Vertrag zu schließen und Beiträge zu bezahlen, bestehen bereits deutliche Unterschiede in der Risikoeinschätzung. So würden beispielsweise Bürger*innen, die wegen Behinderung oder Krankheit bereits ab Geburt arbeitsunfähig sind, eine solche Versicherung zwar nachfragen, aber risikoäquivalente Versicherungsprämien nicht bezahlen können. Das Versicherungsmotiv begründet ein Steuer-Transfer-System mit Mindestsicherung durch die plausible Unterstellung, dass alle Bürger*innen einem solchen System zustimmen würden, wenn sie nicht über ihre persönliche Schadenswahrscheinlichkeit informiert wären. 1.2.2. Die Internalisierung von Armutsexternalitäten Es ist naheliegend davon auszugehen, dass Individuen in ihrem Nutzenniveau durch die Wohlstandssituation anderer Mitbürger*innen beeinflusst werden. So <?page no="240"?> 214 VII. Verteilungspolitik und Meritorik genießt man den luxuriösen Lebensstil etwas weniger, wenn zugleich Mitbürger*innen verhungern oder erfrieren. Gleichzeitig muss der eigene Wohlstand mit hohem Kostenaufwand und Nutzenverlust geschützt werden, wenn Not leidende Mitbürger*innen eventuell in kriminellen Aktivitäten Zuflucht suchen, um ihr Überleben zu sichern. Sollten die negativen Externalitäten von Not leidenden Mitbürger*innen groß genug sein, ergibt sich ein Eingriffsargument aus dem Marktversagenstatbestand der Externen Effekte. Das Argument funktioniert prinzipiell einerseits, indem Umverteilung durch altruistische Empathie begründet wird. Andererseits kann dieses Argument Umverteilung auch als Alternative zu durch hohe Mauern und Wachdienste gesicherten Wohnvierteln der Wohlhabenden erklären. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (39) ein Video zum Thema „Allokative Gründe für Umverteilung“. https: / / t1p.de/ covz 1.3. Anforderungen an eine effiziente Umverteilung Auch liberale Ökonom*innen befürworten und begründen also Umverteilungsmaßnahmen. Allerdings halten sie dabei drei Prinzipien für unverzichtbar: (1) Nutzen ist eine individuelle Kategorie, Wohlstand empfinden Individuen. Umverteilungsaktivitäten müssen sich daher immer auf Individuen oder auf einzelne Haushalte beziehen. (2) Umverteilung zur Korrektur der leistungsgerechten Markteinkommensverteilung kann nur durch materielle Bedürftigkeit begründet sein. Die Verteilungseingriffe müssen deshalb gezielt und eindeutig von reich zu arm umverteilen. (3) Die Umverteilung selbst sollte, wie jede andere Maßnahme, effizient durchgeführt werden. Das Umverteilungsziel soll also mit einem möglichst geringen Ressourcenaufwand erreicht werden. Diese Prinzipien erscheinen in ihrer abstrakten Formulierung äußerst trivial. Bei genauerer Betrachtung werden Sie allerdings feststellen, dass viele Maßnahmen der realen Umverteilungspolitik gegen diese einfachen Forderungen verstoßen. <?page no="241"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 215 So folgt aus den Prinzipien der auf Individuen oder Haushalte bezogenen und bedürftigkeitsgeprüften Umverteilung, dass es ökonomisch nicht zu rechtfertigen ist, Umverteilung zwischen Regionen oder zwischen Generationen vorzunehmen. Auch Umverteilung zwischen Individuen bzw. Haushalten vorzunehmen, die sich nicht durch ihren materiellen Wohlstand, sondern durch andere Merkmale unterscheiden, ist nicht zu begründen. 121 Eine Umverteilung von Baden-Württemberg an das Saarland ist nicht gerechtfertigt. Begründet werden könnte nur eine Umverteilung von wohlhabenden Bürger*innen, die möglicherweise überproportional in Baden-Württemberg wohnen, an bedürftige Individuen, die vielleicht im Saarland leben. Umverteilung von der Arbeitsbevölkerung an Rentner*innen oder Studierende ist nicht gerechtfertigt. Begründbar ist eine Umverteilung von wohlsituierten Bürger*innen, die Arbeitnehmer*innen sein können, an bedürftige Bürger*innen, die eventuell Rentner*innen und Studierende sind. Relevant für Umverteilungsmaßnahmen ist ausschließlich die materielle Wohlstandssituation. Zugleich muss diese Umverteilung nach gleichen Maßstäben ein materielles Wohlfahrtsniveau sichern, d. h. alle Umverteilungsempfänger*innen müssen gemäß ihrer materiellen Situation gleich behandelt werden. Diese Folgerungen ergeben eine abstrakte Definition dessen, was mit dem Begriff Mindestsicherung gemeint ist. Die Bezeichnung gibt keine bestimmte Umverteilungshöhe vor, sondern verlangt, dass eine Gesellschaft ein Lebensstandardniveau definiert, das niemand unterschreiten soll. Die Konzentration auf Mindestsicherung erfordert, dass alle Individuen, die dieses Niveau nicht aus eigener Kraft erreichen, Unterstützung durch die wohlhabenderen Gesellschaftsmitglieder erfahren sollen. Für Umverteilungen zwischen Individuen oberhalb dieser Mindestsicherung finden sich hingegen keine einfachen ökonomischen Argumente. Aus dem Prinzip der effizienten Umverteilung folgt, dass die Umverteilung in möglichst marktverträglicher Form erfolgen sollte. Dazu muss insbesondere der Mechanismus freier Preise möglichst unverzerrt seine Funktion als Informations- und Anreizmechanismus ausüben können. 1.4. Umverteilung durch Markteingriffe ist ineffizient Erinnern Sie sich bitte daran, wie in der Beschäftigung mit wohlfahrtsökonomischen Renten und dem maximalen sozialen Überschuss in Abschnitt IV.4. 121 Genauer: Die Umverteilung jenseits individueller materieller Merkmale an sich ist gar nicht zu begründen. Andere Maßnahmen, die im Ergebnis umverteilend wirken aber zu anderen Zwecken ergriffen werden, müssen durch Marktversagenstatbestände begründet werden. <?page no="242"?> 216 VII. Verteilungspolitik und Meritorik bereits festgestellt werden konnte, dass Umverteilungsaktivitäten über direkten Preiseingriff denkbar ungeeignet sind. Bei Durchsetzung eines vom Marktgleichgewicht abweichenden Preises kommt es regelmäßig nicht nur zu einer Umverteilungswirkung (über deren Berechtigung sich jeweils trefflich streiten lässt), sondern außerdem zu einem insgesamt unwiederbringlichen Wohlfahrtsverlust. Im Kontext der Verteilungspolitik ist diese Erkenntnis interessant, weil es sich bei solchen vom Gleichgewicht abweichenden Preisen häufig um staatliche Markteingriffe handelt. Die Abweichungen vom Gleichgewicht werden also zum Teil durch kollektive (politische) Entscheidungen absichtlich verursacht, weil eine bestimmte Umverteilungswirkung für wünschenswert erachtet wird. Solche direkten Markteingriffe zum Zweck der Umverteilung sind generell ineffizient. 1.4.1. Unwiederbringliche Wohlfahrtsverluste bei Abweichung vom Gleichgewicht In Abschnitt IV.4.2. wurde bereits gezeigt, dass höhere oder niedrigere Preise regelmäßig zu geringeren gehandelten Mengen führen und entsprechende Wohlfahrtsverluste verursachen. Da die politischen Entscheidungsträger*innen häufig diese Mengeneinschränkung als unerwünscht ansehen, werden Preiseingriffe auf Märkte häufig durch flankierende staatliche Mengeneingriffe begleitet. Es lässt sich jedoch zeigen, dass die unwiederbringlichen Wohlfahrtsverluste auch durch solche ergänzenden Mengeneingriffe nicht vermieden werden können. Ein Beispiel für solche verteilungspolitisch motivierte Preis- und Mengeneingriffe stellen Sozialwohnungen dar. Vereinfachend kann man die begrenzten Mietpreise für Sozialwohnungen als Höchstpreise interpretieren. Da die privaten Anbieter*innen in Abbildung Abb. 54 zu einem Höchstpreis p 2 mit x 2 deutlich weniger Wohnraum an den Markt bringen würden als die Nachfrager*innen zu diesem Preis wünschen, ist der Staat mittels des „sozialen Wohnungsbaus“ in die Produktion bzw. Bereitstellung mit eingestiegen. Es wird versucht, trotz des Höchstpreises die Regel auszuhebeln, nach der sich die kürzere Marktseite durchsetzt. Der Staat stellt zusätzlich zum privaten Angebot x 2 die <?page no="243"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 217 Menge x S x 2 bereit, so dass die Nachfrage zum Preis p 2 vollständig befriedigt werden kann. 122 Abb. 54: Wohlfahrtsverluste durch staatliche Angebotsergänzung Mit Hilfe der Betrachtung wohlfahrtsökonomischer Renten kann man untersuchen, wozu diese Kombination aus Preis- und Mengeneingriff führt. Die Produzentenrente wird durch den Preiseingriff um die Fläche p*ADp 2 reduziert. Dies ist allerdings aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive kein Wohl- 122 Nur am Rande sei erwähnt, dass solche Strategien meistens nicht problemlos gelingen. Wegen der politisch bestimmten, schwer kalkulierbaren Preiseingriffe ziehen sich z. B. unter Umständen private Investor*innen zurück und stellen eine noch geringere Menge bereit, da sie sich nicht auf eine adäquate Entlohnung ihrer langfristigen Investitionen verlassen können. R S p 2 D A x 2 Menge Preis x* p* Nachfragekurve Angebotskurve E F x S <?page no="244"?> 218 VII. Verteilungspolitik und Meritorik fahrtsverlust, sondern eine reine Umverteilung zu Gunsten der Nachfrager*innen. Der soziale Überschuss wird dadurch nicht reduziert, die gesamte Fläche wird lediglich in Konsumentenrente umgewandelt. Die Konsumentenrente erhöht sich aber nicht nur um den Wert dieser Fläche, sondern insgesamt um p*AEP 2 . Zusätzlich zur umverteilten ehemaligen Produzentenrente steigt die Konsumentenrente auch um das Dreieck AED. Trotzdem kommt es natürlich zu Wohlfahrtsverlusten: Selbst unter der gewagten Annahme, dass der staatlich betriebene oder staatlich in Auftrag gegebene zusätzliche Wohnungsbau genauso effizient Wohnraum bereitstellt wie private Investor*innen, muss der Staat den Anteil DFE der Kosten des zusätzlichen Wohnraumes über Steuermittel finanzieren. 123 Schließlich decken die von den Nachfrager*innen zu zahlenden Preise nur die Kosten DEx s x 2 , die Gesamtkosten betragen aber DFx s x 2 . Ein Teil dieses Defizits ist bewusst in Kauf genommen. Die Teilfläche AED wird über die Konsumentenrente zu erhöhter Wohlfahrt der Konsument*innen beitragen. Immerhin ist die Umverteilung zu Gunsten der Nachfrager*innen Ziel der Maßnahmen. Allerdings übersteigen die Grenzkosten der Produktion zwischen x* und x s die Zahlungsbereitschaft der Konsument*innen. Die Produktionskosten übersteigen den Nutzen um die Fläche AFE. Der entsprechende Gegenwert erhöht hier also nicht die Konsumentenrente, sondern resultiert aus der ineffizient überhöhten Angebotsmenge. Die Fläche AFE ist ein unwiederbringlich verlorener Wohlfahrtsverlust. 124 1.4.2. „Transfer in cash“ versus „transfer in kind“ Vielleicht überzeugt Sie diese Rentenbetrachtung noch nicht davon, dass direkte Markteingriffe zur Umverteilung ineffizient sind. Vielleicht sind Sie bereit, die entsprechende Ineffizienz in Kauf zu nehmen, um die Wohnungsnachfrager*innen entsprechend zu unterstützen. Mit Hilfe der Zerlegung der Nachfragereaktionen in Einkommens- und Substitutionseffekt (vgl. Abschnitt II.7.3.) können wir aber außerdem zeigen, dass die Umverteilung mittels eines 123 Diese Besteuerung wiederum stört die Anreize auf anderen Märkten, bleibt also ebenfalls nicht ohne negative Wirkungen. Dazu kommen wir im nächsten Abschnitt kurz zu sprechen. 124 Analog zu dieser Kombination können Sie auch einen Mindestpreis (= Preis oberhalb des Gleichgewichtspreises) mit einem flankierenden Mengeneingriff analysieren. Beispiele für solche Kombinationen sind z. B. staatlich gestützte Agrarpreise mit staatlichem Aufkauf des Überschussangebots oder Mindestlöhne mit anschließender Beschäftigung der Arbeitslosen in staatlich finanzierten Beschäftigungsprogrammen. <?page no="245"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 219 solchen direkten Preiseingriffs auch bezüglich der Wohlfahrtssituation der begünstigten Gruppe zu suboptimalen Wohlfahrtseffekten führt. Nehmen wir dazu zunächst in der folgenden Grafik an, die Wohnungspolitik würde durch direkten Preiseingriff wie eben untersucht eine Änderung der relativen Preise vornehmen. Dies führt zu einer Drehung der Budgetgeraden des betrachteten Individuums von AB auf AC. Wohnraum wird also im Verhältnis zu sonstigen Gütern deutlich billiger. Das Individuum wird daraus eine Nutzensteigerung erfahren und im neuen optimalen Konsumpunkt R eine im Verhältnis zum alten optimalen Konsumpunkt Q höhere Indifferenzkurve I 2 erreichen. Dazu dehnt das Individuum seine Nachfrage nach Wohnfläche von x 1 auf x 3 aus. Abb. 55: Nutzensteigerung durch „transfer in kind“ Notwendig wird für diese Nutzensteigerung eine Subvention der Wohnkosten durch die Steuerzahler*innen in Höhe der Strecke RV (gemessen in Kaufmöglichkeit der sonstigen Güter). Sie erkennen dies, wenn Sie sich vergegenwärti- V x 1 I 2 I 1 Wohnfläche (qm) Sonstiges R Q C B A x 3 <?page no="246"?> 220 VII. Verteilungspolitik und Meritorik gen, was die Güterbündel R und V ausdrücken: Während die Wahl der Wohnfläche x 3 dem betreffenden Individuum ohne Subventionierung nur noch den Konsum sonstiger Güter in Höhe von V ermöglicht hätte, bleibt ihm nun dank der Subventionierung trotz der Wahl einer Wohnfläche von x 3 eine Konsummenge sonstiger Güter in Höhe von R. Die vertikale Differenz RV entspricht den Subventionen, die das betrachtete Individuum in Anspruch genommen hat. Dass diese Art der Umverteilung hinsichtlich des Ziels der Nutzensteigerung für das Individuum ineffizient ist, lässt sich auf zwei verschiedenen Wegen zeigen. Mit der durch die Gesellschaft an das Individuum geleisteten Subventionszahlung RV hätte das Individuum ein noch höheres Nutzenniveau erreichen können, wenn die Subvention nicht durch eine Veränderung des Preises von Wohnfläche, sondern durch ungebundene Transfers geleistet worden wäre. Dazu hätte man dem Individuum eine frei verfügbare Zahlung in Höhe von RV geben können, die es nach eigenen Präferenzen für den Mehrkonsum irgendwelcher Güter und Dienstleistungen ausgegeben hätte. Abb. 56: Höhere Nutzensteigerung bei „transfer in cash“ I 3 V x 1 I 2 I 1 Wohnfläche (qm) Sonstiges T R Q C B A x 4 x 3 <?page no="247"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 221 Um eine solche ungebundene Transferzahlung (transfer in cash) in der grafischen Analyse zu skizzieren, würde man eine Einkommenserhöhung (Parallelverschiebung der Budgetgerade) um den Betrag RV einzeichnen, wie in Abb. 56 durch die gestrichelte Budgetgerade angedeutet. Eine solche Einkommenserhöhung bei unveränderten relativen Preisen (reiner Einkommenseffekt) hätte das Individuum im Konsumpunkt T ein noch höheres Nutzenniveau entsprechend der Indifferenzkurve I 3 erreichen lassen. Allerdings hätte das Individuum dann seine Nachfrage nach Wohnfläche nur bis auf x 4 und nicht bis auf x 3 ausgedehnt. Umgekehrt lässt sich zeigen, dass die Nutzensteigerung von I 1 auf I 2 , die durch die gebundenen Transfers (transfer in kind) einer subventionierenden Wohnungspolitik erreicht wird, mit ungebundenen Transfers günstiger, d. h. mit einer geringeren finanziellen Belastung der anderen Bürger*innen erreichbar ist. Abb. 57: „Transfer in cash“ erreicht Umverteilungsziel zu geringeren Kosten Um dies darzustellen, legt man eine Parallele zur ursprünglichen Budgetgerade in das Diagramm, die einen Tangentialpunkt mit der höheren Indifferenzkurve W V x 1 I 2 I 1 Wohnfläche (qm) Sonstiges S R Q C B A x 2 x 3 <?page no="248"?> 222 VII. Verteilungspolitik und Meritorik I 2 aufweist. In Punkt S verwirklicht das betrachtete Individuum denselben Nutzen wie in Punkt R. Allerdings wäre der Konsumpunkt S mit einer ungebundenen Transferzahlung in Höhe der Differenz WV erreichbar. Zur Erzielung derselben Nutzenverbesserung können die Steuerzahler*innen also den Betrag RW (gemessen in sonstigen Gütern) einsparen. Allerdings würde das Individuum bei einer entsprechenden ungebundenen Transferzahlung seine Wohnfläche nicht auf x 3 , sondern nur auf x 2 ausdehnen. Umverteilungsaktivitäten durch direkte Markteingriffe sind unzweifelhaft ineffizient. Verteilungspolitik sollte an der Anfangsausstattung ansetzen, wie bereits durch den zweiten Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik (vgl. Abschnitt IV.5.) angedeutet wurde. Nach der Umverteilung der Anfangsausstattungen sollte die Preisbildung hingegen dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage am Markt überlassen werden. Konkret lautet die Empfehlung, Umverteilung über das Steuer-Transfer-System zu betreiben und nicht durch direkte Markteingriffe auf Güter-, Dienstleistungs- oder Faktormärkten. Wenn Nutzensteigerungen der Individuen das Ziel der Umverteilungspolitik sind, erzielen ungebundene Transfers immer bessere Resultate als gebundene Transfers, also Veränderungen der relativen Preise. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (40) ein Video zum Thema „Umverteilungspolitik“. https: / / t1p.de/ covz 1.5. Die Reduzierung der Leistungsanreize definiert eine Obergrenze wünschenswerter Umverteilungspolitik Der Begriff der Mindestsicherung wurde bisher lediglich abstrakt definiert. Eine quantitative Definition des Niveaus dieser Mindestsicherung ist ohne einstimmigen Volksentscheid theoretisch nicht möglich. Allerdings hat jede Art der Umverteilung Auswirkungen auf das der Gesellschaft insgesamt zur Verfügung stehende Sozialprodukt. Auch die Umverteilung auf der Ausstattungsebene hat Auswirkungen auf den insgesamt erreichbaren Wohlstand der Gesellschaft. Das Ausmaß der Umverteilungsaktivitäten hat damit Rückwirkungen auf das zur Umverteilung theoretisch zur Verfügung stehende Gütervolumen. <?page no="249"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 223 Ein Steuer-Transfer-System, welches diejenigen mit hohem Markteinkommen belastet, um durch Umverteilung weniger leistungsfähige oder leistungsbereite Mitbürger*innen besser zu stellen, mindert die Leistungsanreize auf beiden Seiten. Die Leistungsträger*innen verspüren geringere Anreize, hohe Einkommen zu erzielen, da ihnen auf Grund der Besteuerung ein Teil der Einkommenssteigerung verloren geht. Ihr materieller Wohlstand steigt geringer als es durch die Erzielung höherer Markteinkommen zunächst erscheint. Die Transferempfänger*innen verspüren geringere Anreize zur Erzielung eigener höherer Markteinkommen, weil ihnen ein Teil der Umverteilungstransfers entzogen würde. Ihr materieller Wohlstand steigt nicht oder zumindest nur deutlich geringer als es durch die Erzielung höherer Markteinkommen zunächst erscheint. Abb. 58: Netto-Einkommensverlauf durch das Steuer-Transfer-System Dies sei kurz am Beispiel der Effekte verdeutlicht, die ein Mindestsicherungssystem auf die monetären Anreize ausübt, höhere Arbeitseinkommen zu erzielen (vgl. Abbildung Abb. 58). Auf Grund der Mindestsicherung in Deutschland (früher im System der Sozialhilfe, heute im steuerfinanzierten so genannten Arbeitslosengeld II) besteht bis zum Überschreiten der Mindestsicherung Nettoeinkommen 45°-Spiegelgerade (Brutto = Netto-Einkommen) Sozialhilfeniveau A Bruttoeinkommen Nettoeinkommen Transfer Steuerkeil <?page no="250"?> 224 VII. Verteilungspolitik und Meritorik durch ein am Markt erzieltes Einkommen (Bruttoeinkommen A) kein monetärer Anreiz, da der Transfer um das selbst erwirtschaftete Einkommen gekürzt wird. 125 Zugleich wird der monetäre Anreiz zur Erzielung höherer Arbeitseinkommen auch bei den nicht unterstützten Arbeitnehmer*innen reduziert (Bruttoeinkommen rechts von Punkt A), da diese zur Finanzierung der Transfers besteuert werden und somit ein Teil ihrer Bruttoeinkommen nicht zur Erhöhung der verfügbaren Nettoeinkommen beiträgt. Diese generell mit Umverteilung einhergehende Beeinträchtigung der Anreize führt selbst bei sehr weitgehenden Egalisierungswünschen zu einer maximalen Obergrenze rational wünschbarer Umverteilungsforderungen. Das Unterschiedsprinzip (oder Maximin-Prinzip) von John Rawls formuliert diese Obergrenze und fordert, die Wohlstandsposition der Gesellschaftsmitglieder mit der minimalen Wohlfahrt zu maximieren. Rawls hält auch unterschiedliche natürliche Anfangsausstattungen bis hin zu Charaktereigenschaften und Fähigkeiten wie Fleiß, Ehrgeiz und Talent für unverdient und damit ausgleichswürdig. Er akzeptiert also keineswegs, dass Frieda das höhere Markteinkommen gehören sollte, das sie auf Grund ihres seiner Ansicht nach unverdienten handwerklichen Geschicks erreicht. Aber obwohl Rawls Umverteilungsforderungen entsprechend weitgehend sind, plädiert er eben nicht für eine Gleichverteilung. Gleichverteilung würde die Anreize wahrscheinlich derart außer Kraft setzen, dass zwar alle Gesellschaftsmitglieder gleich viel hätten, dies aber weniger wäre als die ärmsten in einer Gesellschaft mit nur begrenzter Umverteilung zu erwarten hätten. Rationale Umverteilung von reich zu arm ergibt nur einen Sinn, solange dies zum Vorteil der Ärmsten ist: Die maximal wünschbare Umverteilung ist nach diesem Gedanken dann überschritten, wenn durch die Verringerung der Leistungsanreize die Wohlfahrt desjenigen mit der geringsten Wohlstandsposition wieder abnehmen würde. 126 125 Genauer: Bereits in der früheren Sozialhilfe bestanden geringe Anrechnungsfreibeträge, die beim Arbeitslosengeld II weiter angehoben wurden. Die Vernachlässigung dieser Freibeträge dient hier der Vereinfachung. 126 Die unbedingte Forderung nach Gleichverteilung führt auf Grund der zerstörten Leistungsanreize tendenziell dazu, dass alle gleich wenig haben. <?page no="251"?> 1. Verteilungspolitische Eingriffe 225 Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (41) ein Video zum Thema „Arbeitsanreize im Grundsicherungssystem“. https: / / t1p.de/ covz 2. Meritorische Eingriffe Eingriffe, die Politiker*innen in Märkte vornehmen, obwohl weder ein Marktversagenstatbestand vermutet wird, noch Verteilungsziele verfolgt werden, nennt man in der ökonomischen Literatur Meritorik. 127 Die wissenschaftliche Debatte kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass meritorische Staatseingriffe mit dem Konzept des methodologischen Individualismus und der Konsumentensouveränität nicht zu vereinbaren sind. Daher können sie nicht als Begründung eines Staatseingriffs akzeptiert werden. Dennoch ist ein nicht unwesentlicher Teil staatlicher Eingriffe fraglos meritorisch begründet, weswegen die Kategorien meritorischer Eingriffe oder meritorischer und demeritorischer Güter selbstverständlich auch weiterhin Gegenstand der wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung von Staatstätigkeit bleiben. Meritorische Güter sind Güter, die Entscheidungseliten fördern wollen, weil sie glauben, die Bürger*innen würden zu wenig davon nachfragen. Typische Beispiele sind Bildung, Sport, Kultur, Schulmilch, Wohnungen, Bücher, Altersvorsorgeprodukte etc. Demeritorische Güter sind hingegen Güter, die nach Ansicht derselben Entscheidungseliten durch die Bürger*innen zu viel konsumiert werden. Typische Beispiele sind Tabak und Alkohol. Meritorik liegt regelmäßig vor, wenn Entscheidungsträger*innen zu beobachten glauben, dass der Markt „falsche“, d. h. eben nicht wohlfahrtsmaximale Allokation hervorruft, obwohl sie nicht über Marktversagen argumentieren. Lassen Sie sich nicht irritieren: Die Begründung für die Meritorisierung oder Demeritorisierung ließe sich in vielen Fällen alternativ über Argumentationsmuster externer Effekte versuchen. Meritorische Staatseingriffe liegen aber genau dann 127 Der Begriff geht auf den Ökonomen Richard Abel Musgrave (1910 - 2007) zurück. Meritorisch bedeutet vom Wortsinn „verdienstvoll“. Gemeint ist wohl treffender so etwas wie „förderungswürdig“. Modernere aber geistig verwandte ähnliche Ansätze firmieren unter den Begriffen „Liberaler Paternalismus“, „Sanfter Paternalismus“ oder „Nudging“. <?page no="252"?> 226 VII. Verteilungspolitik und Meritorik vor, wenn der Versuch der Begründung durch angebliche externe Effekte gescheitert ist und eine Förderung trotzdem erfolgt. Die Begründung für meritorische Eingriffe lautet typischerweise, dass die Individuen entweder nicht wissen, was für sie gut ist (mangelnde Information) oder ihre eigenen zukünftigen Bedürfnisse nicht richtig bewerten (Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse). Ein Beispiel ist die Subventionierung eines Fernsehsenders. Die meisten Ökonom*innen würden entweder die Subventionierung eines Fernsehsenders ablehnen oder versuchen, sie über externe Effekte zu begründen. Nehmen Sie also für unser Beispiel an, dass man in mehreren Expert*innenanhörungen ausgiebig versucht hat, plausibel darzulegen, dass und warum von der Ausstrahlung „wertvoller“ Fernsehsendungen in den öffentlich-rechtlichen Sendern positive externe Effekte ausgehen würden. Nehmen Sie weiter an, diese Versuche seien schließlich gescheitert. 128 Wenn die Abgeordneten im Parlament dennoch der staatlichen Förderung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zustimmen, dann votieren sie schlicht und ergreifend deshalb dafür, weil sie persönlich glauben, es sei besser für die Bevölkerung, wenn sie öffentlich-rechtlich fernsieht. Stimmen die Parlamentarier*innen der Förderung zu, obwohl sie nicht glauben, dass externe Effekte den dazu notwendigen Zwang rechtfertigen, dann erfolgt der Eingriff des Staates schlicht und ergreifend deshalb, weil die Politiker*innen der Ansicht sind, dass die Zuschauer*innen „falsche Präferenzen“ haben und „nicht wissen, welche Sendungen gut für sie sind“. Es ist offensichtlich, dass eine solche Einstellung mit unserer normativen Grundposition der Konsumentensouveränität absolut unvereinbar ist. Sie ist - nebenbei bemerkt - auch nur schwer mit der Vorstellung souveräner Wähler*innen und Staatsbürger*innen vereinbar. Es ist schwer vorstellbar, dass die Bürger*innen nicht souverän genug eingeschätzt werden können, um zu wissen, wie viele anspruchsvolle Sendungen sie sehen möchten, aber durchaus als Wähler*innen entscheiden können, welche Politiker*innen dies besser wissen als sie. Zur Verfolgung von Meritorisierungs- oder Demeritorisierungszielen helfen tatsächlich nur direkte Preiseingriffe. Hier zielt die Politik geradezu auf den Substitutionseffekt, die Veränderung der relativen Preise steht im Vordergrund und soll Verhaltensänderungen bewirken. Zur Meritorisierung muss also eine Subvention erfolgen, die - ähnlich wie bei einer Subventionslösung bei positiven 128 Unter anderem z. B. deshalb, weil niemand glaubt, dass diejenigen Zuschauer*innen, die angeblich gerettet werden sollen, auf den alternativen Konsum der weniger wertvollen aber offenbar beliebteren Sendungen verzichten, nur weil im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Dokumentation läuft und sie durch die erzwungenen Gebühren zu deren Finanzierung beigetragen haben. <?page no="253"?> 2. Meritorische Eingriffe 227 externen Effekten - für eine Ausdehnung des privaten Konsums sorgt. Zur Demeritorisierung muss eine Steuer den privaten Konsum reduzieren - ähnlich einer Steuerlösung bei negativen externen Effekten. Dies erklärt nun auch, warum viele Politiker*innen den einkommensschwachen Mieter*innen, denen man mit dem sozialen Wohnungsbau helfen möchte, keine ungebundenen Transfers auszahlen. Es geht gar nicht darum, auf den Einkommenseffekt zu zielen und beispielsweise aus verteilungspolitischen Gründen einkommensschwachen Personen zu höherer Zufriedenheit zu verhelfen. Es geht darum, dass man ganz gezielt möchte, dass diese Menschen in entsprechend größeren Wohnungen leben. Ungebundene Transfers hingegen würden den Nutzen der Betroffenen nach deren eigener Einschätzung genau deshalb stärker erhöhen, weil sie dieses Geld auch für Kinobesuche oder Mobiltelefone ausgeben könnten. Die zuständigen Politiker*innen glauben aber aus irgendeinem Grund, die Nutzenempfindungen der betroffenen Menschen seien einfach falsch. Um sie zu ihrem Glück zu zwingen, muss der Transfer zweckgebunden als Subventionierung des meritorischen Guts ausgestaltet werden. Meritorische Eingriffe sind ungeachtet der offensichtlichen Anmaßung von Wissen, die damit auf Seiten der Entscheidungsträger*innen unweigerlich verbunden ist, weit verbreitet. Meritorische Begründungen von staatlichen Aktivitäten werden auch keineswegs verschämt und nur in Ausnahmefällen vorgetragen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die meisten Politiker*innen und Wähler*innen keinesfalls prinzipientreue Anhänger*innen individualistischer Überzeugungen sind. Aus individualistischer Sicht sind meritorische Eingriffe jedoch eindeutig abzulehnen. Aus der wohlfahrtsökonomischen Perspektive stellt Meritorik keine akzeptable Begründung für Eingriffe in freie Märkte dar. Ungeachtet dessen, dass die Abkehr vom Ziel einer Besserstellung der begünstigten Individuen nach deren eigener Auffassung eine intellektuelle Herausforderung für Anhänger*innen des methodologischen Individualismus darstellt, ist es natürlich denkbar, dass eine zweckgebundene Subventionierung (transfer in kind) auch aus Sicht der Begünstigten einer frei verwendbaren Hilfeleistung (transfer in cash) vorgezogen werden kann. Nämlich dann, wenn die Art der Hilfeleistung zugleich maßgeblich für die Frage ist, wie viel Ressourcen zur Hilfeleistung bereitgestellt werden. So liegt der Gedanke nicht allzu fern, dass Politiker*innen ihre Entscheidungen über steuer- oder beitragsfinanzierte Ausgaben von ihrer eigenen Erwartung abhängig machen, wie „sinnvoll“ die Mittel verwendet werden. Aber auch große Teile der Bürger*innen könnten ihre Zustimmung zu solchen Politikmaßnahmen von ihrer jeweils eigenen Vorstellung <?page no="254"?> 228 VII. Verteilungspolitik und Meritorik „sinnvoller“ Unterstützungsleistungen abhängig machen. Unterstellt man beispielsweise, dass Politiker*innen und Bürger*innen bereit wären, bis zu 600 Mio. Euro für den Sozialen Wohnungsbau bereit zu stellen aber alternativ nur 300 Mio. Euro zur frei verwendbaren Unterstützung derselben Personen, lässt sich diese Situation wie in Abb. 59 darstellen. Hier wird der Nutzen des betrachteten Individuums bei einem gebundenen Transfer in R entsprechend der Indifferenzkurve I 2 mit dem Nutzen desselben Individuums bei ungebundenen Transfers in T entsprechend der Indifferenzkurve I 3 verglichen. Weiter oben konnte gezeigt werden, dass ein ungebundener Transfer bei gleich hohen Transferausgaben einem gebundenen Transfer überlegen ist, weil er den unterstützten Individuen zu höherem Nutzen verhilft (vgl. Abb. 56). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass ein ungebundener Transfer dem unterstützten Individuum eine bestimmte Nutzensteigerung unter Verwendung von geringeren Transferausgaben ermöglicht als ein gebundener Transfer (vgl. Abb 57). Hier nun wird jedoch verdeutlicht, dass ein unterstütztes Individuum gebundene Transfers gegenüber ungebundenen Transfers vorziehen könnte, wenn die Mittelgeber*innen nur unter der Voraussetzung der Mittelfestlegung bereit sind, entsprechend höhere Transferausgaben in Kauf zu nehmen. Abb. 59: „Transfer in kind“ ermöglicht den Betroffenen eventuell eine höhere Nutzensteigerung, wenn aufgrund der Nutzenvorstellungen der Mittelgeber*innen dafür höhere Mittel bereitgestellt werden als für „transfer in cash“ U V x 1 I 2 I 1 Wohnfläche (qm) Sonstiges T R Q C B A x 3 x 2 I 3 <?page no="255"?> VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus Der Markt als Allokationsmechanismus verfehlt effiziente Ergebnisse, wenn Marktversagenstatbestände vorliegen. Er kann überfordert sein, wenn die Umverteilung zwischen den Bürger*innen das originäres Ziel einer Maßnahme ist. In diesen Fällen kann eine Verlagerung der Entscheidung in den politischen Raum theoretisch eine Wohlfahrtsverbesserung bewirken. Es wurde bereits in Abschnitt VI.1. darauf hingewiesen, dass dies nur gilt, wenn die Verlagerung der Entscheidung in den politischen Prozess tatsächlich eine Effizienzverbesserung erwarten lässt bzw. bestehende Umverteilungsziele effizient erreicht werden. Welche Art von politischen Maßnahmen erscheint empfehlenswert? Sollten sich politische Entscheidungen auf grundlegende Rahmensetzungen beschränken oder ganz konkrete Vorgaben beinhalten? Wie funktionieren Entscheidungsprozesse im politisch-administrativen Bereich? Versprechen politische Entscheidungen effiziente Ergebnisse? Wodurch werden im politischen Prozess Entscheidungen beeinflusst? Diese Themen können in diesem einführenden Buch nur exkursorisch behandelt werden. Ein kurzer Blick auf die Unterscheidung von Prozess- und Ordnungspolitik sowie auf wesentliche Ergebnisse der ökonomischen Analyse kollektiver Entscheidungsprozesse soll aber dennoch gewagt werden, um ein entsprechendes Problembewusstsein zu wecken. 1. Ordnungspolitik als notwendige Rahmensetzung Nach Überzeugung der überwältigenden Mehrheit der Ökonom*innen haben Politiker*innen in einer Marktwirtschaft nur sehr selten Anlass, unmittelbar in den Markt einzugreifen. Auch beschäftigungs- oder sozialpolitische Ziele sollten nicht durch direkte Markteingriffe verfolgt werden. Vielen Bürger*innen hingegen erscheint es durchaus wünschenswert und dem "Primat der Politik" angemessen, wenn - immerhin demokratisch legitimierte - Politiker*innen versuchen, bestimmte Ziele durch direkte Eingriffe in Marktprozesse schneller, anders oder unter anderen Begleitumständen zu erreichen, als es sich aus dem freien Spiel der Marktkräfte ergeben würde. Zur Diskussion wirtschaftspolitischer Grundkonzeptionen ist die Unterscheidung in Ordnungspolitik und Prozesspolitik hilfreich. Ordnungspolitik zielt auf die Gestaltung der Wirtschaftsordnung, versucht also die allgemeinen Spielregeln, unter denen die einzelnen Teilnehmer*innen des Wirtschaftslebens agieren, gemeinwohlförderlich zu gestalten. Prozesspolitik hingegen greift direkt in <?page no="256"?> 230 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus einzelne Wirtschaftsabläufe ein und versucht so, das Wirtschaftsgeschehen zeitnah und sehr konkret zu steuern. Wenn überhaupt, werden in den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern prozesspolitische Eingriffe in der Geld-, Währungs- und Fiskalpolitik zur Stabilisierung der Wirtschaft im konjunkturellen Auf und Ab diskutiert. In Phasen schnellen Wachstums könnte der Staat einer Überhitzung der Wirtschaft beispielsweise entgegenwirken, indem er die Zinsen anhebt und öffentliche Ausgaben einschränkt. In schwachen Phasen könnte er durch niedrigere Zinssätze Anreize zu Investitionen setzen und durch höhere staatliche Ausgaben zur Nachfragestärkung beitragen. Diese Politik könnte theoretisch in bestimmten Situationen hilfreich sein. Praktisch ist es allerdings sehr schwierig, diese Situationen rechtzeitig und eindeutig zu identifizieren. Wird aber aufgrund falscher Daten oder Prognosen zu früh, zu heftig oder erst mit zeitlicher Verzögerung eingegriffen, üben die Maßnahmen schädliche Wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Nicht ohne Grund ist die Geldpolitik in der EU den Regierungen gänzlich entzogen und der unabhängig agierenden Europäischen Zentralbank übertragen. Auch der Ausdehnung staatlicher Ausgaben wurden bewusst enge Grenzen gesetzt. Andere Beispiele für prozesspolitische Eingriffe sind industriepolitische Subventionen: Etwa zur Förderung bestimmter Technologien, die nach Ansicht der betreffenden Politiker*innen von privater Seite nicht ausreichend vorangetrieben werden. Wenn private Geldgeber*innen in eine Technologie investieren, von deren Erfolgsaussichten sie überzeugt sind, tragen sie selbst das Risiko eines eventuellen Irrtums. Wenn sich Politiker*innen irren, hat dies über höhere Steuern und verschlechterte Standortbedingungen negative Folgen für die gesamte Wirtschaft. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Politiker*innen besser als private Investoren urteilen können, welche Technologien zukünftig wirtschaftlichen Erfolg und sichere Arbeitsplätze versprechen. Da Politiker*innen aber nicht mit eigenem Geld arbeiten, sondern mit dem der Steuerzahler*innen, gibt es umgekehrt gute Gründe zu fordern, solche riskanten Wetten auf die Zukunft zu unterlassen. Nicht nur bei industriepolitischen Fragen stellt sich dieses Informationsproblem. Auch in spezifischen Sachfragen aus den Bereichen Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuerpolitik ist es für Politik, Medien und Öffentlichkeit extrem schwierig, sich im Graubereich zwischen offenkundig manipulierender Lobbyarbeit und objektiver Information zurechtzufinden. Ständig müssen Politiker*innen eher aufgrund ihrer Intuition als aufgrund fundierter Sachkenntnis über Subventionen zugunsten einzelner Betriebe oder Branchen, über Veränderungen <?page no="257"?> 1. Ordnungspolitik als notwendige Rahmensetzung 231 einzelner Sozialtransfers oder über Steuerprivilegien für einzelne Bevölkerungsgruppen oder Unternehmensformen entscheiden. Dabei sind sie nicht nur der Gefahr ausgesetzt, den Manipulationsversuchen der Lobbyist*innen zu erliegen. Es ist für Politiker*innen auch schwierig, sich den Wünschen einzelner Wähler*innengruppen zu verschließen, wenn sie zukünftig gewählt werden möchten. Hinzu kommt, dass die einzelnen Marktteilnehmer*innen Eingriffe der Politiker*innen in die Märkte beobachten und in ihre Erwartungsbildung einbeziehen, so dass unkontrollierbare Rückkopplungseffekte auftreten. Eine kurzfristige, unberechenbare und wankelmütige Wirtschaftspolitik bietet keine verlässliche Planungsgrundlage und führt beispielsweise hinsichtlich der Investitionen in einem Land zu vorsichtiger Zurückhaltung. Dennoch stellt niemand das Primat der Politik in Frage. Ökonom*innen empfehlen zwar den Verzicht auf unmittelbare Markteingriffe, weil sie erwarten, dass der Wohlstand der Gesellschaft durch diese prozesspolitischen Eingriffe nicht gesteigert, sondern mittel- und längerfristig eher reduziert wird. Umgekehrt betonen sie aber die ordnungspolitischen Aufgaben: Es ist originäre Aufgabe der Politiker*innen, alle Gesellschaftsbereiche durch die Vereinbarung und Überwachung grundlegender Spielregeln so zu gestalten, dass die privaten Handlungen der Bürger*innen auch zum Wohl der ganzen Gesellschaft beitragen, wenn sie innerhalb dieser Regeln stattfinden, oder zumindest niemand anderen schädigen. Schon die Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbsmarktes erfordert eine Wettbewerbsordnung zur Verhinderung von Machtmissbrauch sowie zur Verhinderung unerlaubter Absprachen und Kartelle. Natürlich wird auch der marktwirtschaftliche Wettbewerb von Regeln geleitet. Ebenso wie im Sport obliegt es den Organisator*innen des Wettbewerbs - den Politiker*innen -, die Spielregeln so zu bestimmen, dass sie unerwünschte Strategien und unfaire Praktiken wirksam unterbinden. So müssen Wettbewerbsgesetze und Wettbewerbsbehörden verhindern, dass einzelne Wirtschaftsakteur*innen ihre wirtschaftliche Macht nutzen, um den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu ihren Gunsten außer Kraft zu setzen. Werden die Spielregeln unzureichend festgelegt oder wird ihre Einhaltung nicht sichergestellt, ist das kein Manko der Wettbewerbsidee, sondern ihre mangelhafte Umsetzung. Über die Gesetzgebung auch in anderen Politikfeldern werden Eigentumsrechte zugewiesen und zulässige von unzulässigen Verhaltensweisen unter- <?page no="258"?> 232 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus schieden. Und natürlich erwächst dem Staat aus dem Gewaltmonopol die Aufgabe des Schutzes von Privateigentum und Vertragsfreiheit, ohne den eine arbeitsteilige Wirtschaft kaum vorstellbar wäre. Das staatliche Gewaltmonopol ist außerdem die Voraussetzung zur Organisation und Durchsetzung kollektiver Sozialversicherungssysteme und zur Erhebung von Steuern. Diese wiederum werden zur Finanzierung von Gütern und Dienstleistungen benötigt, die nicht automatisch in ausreichender Menge bereitgestellt werden, weil sie unabhängig von einem eigenen Beitrag zur Finanzierung genutzt werden können. Dazu zählen die Organisation einer sozialen Mindestsicherung, die Aufrechterhaltung des Rechtsstaates durch Polizei und Justiz, Aufgaben in der Gefahrenabwehr, der Infrastrukturbereitstellung und der Organisation demokratischer Willensbildung. Auch in der Marktwirtschaft bleiben für Politiker*innen ausreichend Aufgaben jenseits direkter und kurzfristiger Markteingriffe. Sie sind nur nicht immer so öffentlichkeitswirksam. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (42) ein Video zum Thema „Was prägt eine Wirtschaftsordnung“, unter der laufenden Nummer (43) ein Video zum Thema „Walter Euckens Ordoliberalismus“ und unter der laufenden Nummer (44) ein Video zum Thema „Alfred Müller-Armacks Soziale Marktwirtschaft“. https: / / t1p.de/ covz 2. Einstimmigkeit in Abstimmungsprozessen Einstimmige Entscheidungen üben auf Ökonom*innen einen besonderen Reiz aus. Nehmen wir als Beispiel die Frage nach dem effizienten Ausmaß eines durch eine kleine Gemeinde bereitgestellten Feuerwerks. Sie erinnern sich daran, dass ein solches Feuerwerk in Abschnitt VI.3. als öffentliches Gut identifiziert wurde. Niemand wird vom Konsum des Feuerwerks <?page no="259"?> 2. Einstimmigkeit in Abstimmungsprozessen 233 ausgeschlossen werden können und der Nutzen aus der Entscheidung nimmt nicht dadurch ab, dass auch andere zusehen. 129 Angenommen, Frieda unterbreitet den Vorschlag, zur Finanzierung des Feuerwerks sollten die in der Stadtkasse zum Jahresende noch verbliebenen 2.000 Euro eingesetzt werden. Nehmen Sie an, Carlotta und Matilda seien von dem Vorschlag begeistert und den restlichen Dorfbewohner*innen sei es gleichgültig wofür die Stadtkasse geplündert würde. In diesem Fall könnte ein einstimmiges Ergebnis zu Gunsten des Feuerwerks erwartet werden. 130 Dieser Fall ist vollkommen unproblematisch, eine einstimmige Entscheidung ist eindeutig eine wohlfahrtssteigernde Maßnahme. Es gibt allerdings in der Realität nur äußerst selten Fälle, in denen im ersten Anlauf eine einstimmige Entscheidung erzielt wird. Nehmen Sie also an, Frieda, Carlotta und Matilda stimmen für das Feuerwerk, der Großteil der anderen Bewohner*innen enthält sich der Stimme, aber Jakob stimmt gegen die Veranstaltung. Eine gängige Lösung solch eines Problems im politischen Prozess besteht in der schlichten Mehrheitsabstimmung: Drei sind mehr als einer, die Mehrheit entscheidet für das Feuerwerk. Es wurde allerdings bereits mehrfach am Rande darauf hingewiesen, dass eine solche Entscheidung aus ökonomischer Sicht nicht unproblematisch ist, denn es geht Ökonom*innen letztlich um Nutzenmaximierung: Was, wenn das Wohlergehen von Jakob der Gesellschaft ganz besonders am Herzen liegt? Oder - leichter nachzuvollziehen - was, wenn die zustimmende Fraktion der drei Einwohnerinnen lediglich jeweils eine kleine Enttäuschung verkraften müsste, falls das Feuerwerk nicht gezündet würde, Jakob aber eine gravierende Nutzeneinbuße erfährt, wenn das Feuerwerk stattfindet? 131 Sie sehen, die Mehrheitsregel bringt uns nicht weiter, wenn wir eine Ausrichtung an Nutzengrößen anstreben. Stellen Sie sich also vor, der Ortsvorsteher sei Ökonom und beharre stur darauf, dass die Gruppe sich einstimmig für oder 129 Erinnern Sie sich bitte auch daran, dass der Umstand, dass einige Dorfbewohner*innen die Veranstaltung eventuell als negative Nutzenveränderung empfinden, nichts an der Kategorie des „öffentlichen Guts“ ändert. 130 Die indifferente Fraktion votiert entweder aus sozialem Wohlwollen heraus ebenfalls für das Feuerwerk oder enthält sich der Stimme. 131 Stellen Sie sich beispielsweise vor, Jakobs Hündin würde vor Feuerwerk so große Angst haben, dass sie in den letzten Jahren jeweils Beruhigungsspritzen vom Tierarzt bekommen musste. Dieses Jahr aber käme selbst dies nicht in Betracht, weil die Hündin trächtig sei. Vielleicht befürchtet Jakob eine Frühgeburt, wenn es zum Feuerwerk kommt. <?page no="260"?> 234 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus gegen das Feuerwerk ausspreche. Andernfalls, droht er glaubwürdig, werde er die Gemeindeversammlung die ganze Nacht hindurch fortführen. 132 Vergegenwärtigen Sie sich, dass es sich nun um ein Problem externer Effekte handelt. Wie immer ist das Problem dabei wechselseitig, d. h. gäbe es nicht Frieda, Carlotta und Matilda, so wäre die Feuerwerksidee gar nicht aufgekommen und alle wären zufrieden. Aber umgekehrt gilt genauso: Gäbe es nicht Jakob und seine Hündin, so wäre der Vorschlag des Feuerwerks auf volle Zustimmung gestoßen. Wie funktioniert in diesem Fall die freie Verhandlungslösung bei externen Effekten (vgl. Abschnitt VI.4.2.) konkret? Für Ökonom*innen besteht die theoretische Lösung des Problems in der Festlegung der Eigentumsrechte und anschließenden Kompensationsangeboten. Angenommen, die Gruppe gesteht implizit der Mehrheit das eigentliche Recht zu, ihren Willen durchzusetzen. In diesem Falle müsste Jakob prüfen, ob seine Zahlungsbereitschaft ausreichend hoch ist, um die drei Feuerwerksbefürworterinnen für deren Nutzeneinbuße im Fall des Verzichts auf ein Feuerwerk zu entschädigen. Ist er bereit, eine Summe zu bieten, die ausreicht, um die drei zu kompensieren, dann müsste der Verzicht der drei erreichbar sein und eine einstimmige Entscheidung gegen das Feuerwerk erzielt werden. 133 In diesem Fall wäre der Verzicht auf das Feuerwerk auch tatsächlich pareto-superior, denn die Zahlungsbereitschaft von Jakob ist ausreichend, um Frieda, Carlotta und Matilda zu entschädigen. Genügt Jakobs Zahlungsbereitschaft nicht, d. h. lehnen die drei Feuerwerksbefürworterinnen ab und bestehen weiter auf das Feuerwerk, so ist auch dies als das pareto-superiore Ergebnis anzusehen. Wenn Jakob nicht darauf spekulieren kann, dass er sturer und geduldiger länger durchhält als die drei Damen, kann er in diesem Fall auch gleich aufgeben, um die Sitzung nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Er muss dann wohl mit seiner Hündin verreisen. Natürlich könnte es ebenso gut möglich sein, dass die Gruppe genau weiß, dass das Geld in der Stadtkasse eigentlich für die Renovierung des Spielplatzes vorgesehen war und nicht für ein Feuerwerk. Vielleicht gesteht man also Jakob ein Veto-Recht zu, so dass er notfalls auf der Ablehnung bestehen könnte. In die- 132 Die Gemeindemitglieder, denen es gleichgültig ist, ob ein Feuerwerk stattfindet oder nicht, verlassen bei dieser Drohung den Sitzungssaal. 133 Diese „Summe“ muss nicht unbedingt monetärer Art sein, es kann sich z. B. auch um das Versprechen handeln, in den kommenden Wintern für die anderen Schnee zu schippen. <?page no="261"?> 2. Einstimmigkeit in Abstimmungsprozessen 235 sem Falle müssten Frieda, Carlotta und Matilda ihre Zahlungsbereitschaft sammeln und Jakob eine Kompensation anbieten, damit dieser ihrem Anliegen zustimmt. Unabhängig davon, wer wen entschädigen muss, sollte eine einstimmige Entscheidung erreichbar sein. In dem Augenblick, in dem sich die Gruppe einstimmig für oder gegen das Feuerwerk ausspricht, ist für Ökonom*innen eindeutig bewiesen, dass diese Entscheidung die pareto-superiore ist: Die Einstimmigkeit im politischen Prozess entspricht dem Pareto-Kriterium (Wicksell’sche Einstimmigkeit 134 ). Warum beobachten wir trotz dieser Gedanken in politischen Abstimmungsregeln beinahe nie das Erfordernis der Einstimmigkeit? Warum werden die meisten Entscheidungen mittels einfacher oder qualifizierter Mehrheit entschieden, obwohl diese Art der Abstimmung keine Gewichtung der Abstimmungsgründe ermöglicht? Das Problem ist, dass die oben skizzierte Kompensationslösung in Wahrheit sehr kompliziert ist und die Erreichung einstimmiger Ergebnisse nach Kompensationsverhandlungen ein sehr aufwendiges Verfahren darstellt. Erstens stehen in realen Entscheidungen häufig keinesfalls nur zwei Alternativen zur Wahl. Die Angelegenheit verkompliziert sich deutlich, wenn außerdem noch beliebige Alternativen infrage kommen. Zweitens wird eine Kompensationslösung natürlich viel schwieriger zu koordinieren, wenn nicht vier Personen, sondern 60 Millionen Wahlberechtigte berücksichtigt werden müssten. Drittens ist die oben aufgezeigte Lösung nur dann relativ unproblematisch, wenn die Betroffenen ihre Zahlungsbereitschaften ohne zu zögern preisgeben. Allerdings geht es um ein öffentliches Gut mit der damit verbundenen Möglichkeit des Freerider- Verhaltens. So können z. B. Frieda, Carlotta und Matilda auch dann das Feuerwerk genießen, wenn sie selbst ihre Zahlungsbereitschaft untertrieben haben, die Summe aber ausreichte, um Jakob zur Zustimmung zu bewegen. Um den eigenen Beitrag möglichst gering zu halten, könnten also die drei Befürworterinnen jeweils ihre Zahlungsbereitschaft untertreiben. Dann aber genügt die Summe vielleicht nicht, um Jakob zu entschädigen, woraufhin Nachverhandlungen notwendig werden, usw. Der Verhandlungsprozess könnte sich auf Grund des strategischen Verhaltens der Beteiligten sehr lange hinziehen. Das Ergebnis hängt dann weniger von den tatsächlichen Zahlungsbereitschaften 134 Die Ausarbeitung dieses wichtigen Gedankens wurde von dem schwedischen Ökonomen Johann Gustav Knut Wicksell (1851-1926) geleistet. <?page no="262"?> 236 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus und damit den monetär bewerteten Nutzenerwartungen der Akteur*innen ab, als von ihrer Geduld, ihrem Verhandlungsgeschick etc. Aus diesen praktischen Erwägungen heraus muss in realen politischen Entscheidungsprozessen leider sehr häufig auf die Einstimmigkeitsregel verzichtet werden. 135 Die Finanzierungsbeteiligung der in der Abstimmung unterlegenen Bürger*innen erfolgt letztlich zwangsweise. Beachten Sie jedoch, dass mit dem Verzicht auf die Einstimmigkeit immer auch der schlüssige Beweis einer Wohlfahrtsverbesserung verloren geht. Die bloße Beobachtung einer Mehrheitsentscheidung lässt aus individualistischer Sicht niemals den Schluss zu, die getroffene Entscheidung sei eine pareto-superiore Lösung. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (45) ein Video zum Thema „Einstimmigkeitsregel und Veto- Recht“ sowie unter der laufenden Nummer (46) ein Video zum Thema „Optimale Mehrheitsregel“. https: / / t1p.de/ covz 3. Delegation von politischen Entscheidungen Tatsächlich stimmen in Deutschland nicht 60 Millionen Bürger*innen über einzelne Politikentscheidungen ab, sondern die Entscheidungsmacht wird delegiert. Dadurch werden die praktischen Probleme der Entscheidungsfindung zwar erheblich vereinfacht, andererseits kommen jedoch neue Akteursgruppen ins Spiel: Die Bürger*innen (Wähler*innen) delegieren ihre Machtbefugnisse als Souverän an Politiker*innen und beauftragen diese mit der Entscheidungsfindung. Politiker*innen beauftragen Bürokrat*innen, Entscheidungen vorzubereiten, Informationen zu sammeln und aufzubereiten, Entscheidungen zu formulieren und anschließend getroffene Entscheidungen umzusetzen. Dabei werden Wähler*innen, Politiker*innen und Bürokrat*innen außerdem von Interessengruppen und den Medien beeinflusst. 135 Beachten Sie aber z. B. das Veto-Recht der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. <?page no="263"?> 3. Delegation von politischen Entscheidungen 237 3.1. Doppeltes Prinzipal-Agent-Problem Delegationsverhältnisse werden angestrebt, wenn eine Erledigung der Aufgaben für die Auftraggeber*innen (die Prinzipal*innen) nicht oder nur zu prohibitiv hohen Kosten selbst durchführbar wären. Daraus folgt, dass die Prinzipal*innen die Beauftragten (die Agent*innen) auch niemals vollständig kontrollieren können. Eine vollständige Kontrolle würde ebenso viel Zeit- und Informationsaufwand bereiten wie die Erledigung der Aufgabe selbst, die Delegation würde die Prinzipal*innen nicht entlasten und wäre sinnlos. Prinzipal-Agent-Beziehungen beinhalten also immer unkontrollierbare Verhaltensspielräume für die Agent*innen. Problematisch ist dies dann, wenn die Agent*innen eigene Interessen verfolgen, die nicht mit den Interessen der Prinzipal*innen deckungsgleich sind. Abb. 60: Doppeltes Prinzipal-Agent-Problem Im politischen Entscheidungsprozess haben wir es mit einem doppelten Prinzipal-Agent-Problem zu tun: Die Wähler*innen (Prinzipal*innen) beauftragen Prinzipal*in (Wähler*in) Agent*in (Politiker*in) Unteragent*in (Bürokrat*in) Wahrnehmung der eigenen Interessen Vorbereitung, Durchführung, Kontrolle der politischen Entscheidungen Auftrag: Auftrag: <?page no="264"?> 238 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus die Politiker*innen (als Agent*innen). Die Politiker*innen (als Prinzipal*innen) beauftragt die Bürokrat*innen (als Agent*innen). 136 Um abschätzen zu können, ob der politische Entscheidungsprozess in repräsentativen Demokratien die Interessen der Wähler*innen so zum Ausdruck bringt, dass wir wenigstens annähernd effiziente Ergebnisse erwarten können, stellt sich also die Frage nach den Zielen der Agent*innen in dieser doppelten Prinzipal-Agent-Beziehung. Verfolgen Politiker*innen ausschließlich die Interessen der Wähler*innen? Vertreten Bürokrat*innen ausschließlich die Interessen der Politiker*innen (und damit, wenn erstere Frage bejaht werden könnte, auch die Interessen der Wähler*innen)? 3.2. Das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Wähler*innen und Politiker*innen Sicher kann man sich Politiker*innen mit starker intrinsischer Motivation vorstellen, die mit konstruktivem Gestaltungswillen bemüht sind, allgemein wohlfahrtserhöhende Maßnahmen zu ergreifen. Allerdings unterstellen Ökonom*innen Politiker*innen - wie allen anderen Menschen - letztlich eigennutzorientiertes Verhalten. Gemeint ist damit nicht, dass Politiker*innen ungesetzliche Vorteilnahme, Bestechlichkeit und Unterschlagung unterstellt wird. In der einfachen polit-ökonomischen Darstellung wird zunächst ganz schlicht ein Interesse der Politiker*innen unterstellt, gewählt oder im Amt bestätigt zu werden. 137 Um wieder gewählt zu werden, müsste die Mehrheit der Wähler*innen mit den Leistungen der Politiker*innen zufrieden sein bzw. sich von alternativen Kandidat*innen zumindest keine bessere Leistung erwarten. Die Wahl der Politiker*innen kann daher in Analogie zum Markt betrachtet werden: Die Politiker*innen betätigen sich als politische Unternehmer*innen und unterbreiten 136 Auch dies ist wieder nur eine vereinfachte Darstellung. Je nach institutioneller Ausgestaltung oder politischer Praxis eines Landes fällt sie etwas komplizierter aus. Beispielsweise kann man in parlamentarischen Demokratien noch die Legislative als Prinzipal*innen der Exekutiven modellieren, usw. 137 Ein zweites in der Literatur besprochenes Motiv ist „Glory-Seeking“. Solches Verhalten könnte im Interesse der Wähler*innen liegen. Es ist jedoch recht naheliegend, dass das ruhmsuchende Verhalten einzelner Politiker*innen, die in die Geschichtsbücher eingehen möchten, stark meritorisch geprägt sein könnte. Die Politiker*innen glauben dann, besser zu wissen, was die Bürger*innen eigentlich wollen oder wollen müssten und hofft darauf, dass die Geschichte ihnen Recht geben wird (vgl. dann Meritorik in Abschnitt VII.2.). <?page no="265"?> 3. Delegation von politischen Entscheidungen 239 den Wähler*innen in Konkurrenz mit anderen Politiker*innen Angebote in Form von politischen Programmen. Dabei müssen sie sich an den Präferenzen der Nachfrager*innen (der Wähler*innen) orientieren. Wahlen sorgen also unter diesen Annahmen dafür, dass sich Politiker*innen tatsächlich im Wortsinn als Volksvertreter*innen betätigen und im Interesse der Wähler*innen agieren. Wahlen bringen damit eventuell die Interessen von Wähler*innen und Politiker*innen in Einklang und beseitigen das Prinzipal-Agent-Problem. Allerdings entstehen in diesem Zusammenhang wenigstens drei ernsthafte Probleme: (1) Wähler*innen können bei der Wahl nur über ganze Programme, nicht über einzelne Politikbereiche entscheiden. Das heißt, die Wähler*innen können nicht für Fragen der Bildungspolitik den Kandidaten der FDP, für die Sozialpolitik die Kandidatin der SPD, für die Wirtschaftsfragen die Vertreterin der CDU und für Umweltbelange den Politiker der GRÜNEN wählen. Besonders augenfällige, ausführlich diskutierte oder wichtige Einzelthemen können deshalb für die Wahlentscheidung ausschlaggebend sein. Hinsichtlich der Präferenzen der Bürger*innen in anderen Fragen kann dann aus der Wahlentscheidung nur sehr begrenzt eine Zustimmung abgeleitet werden. (2) Wie im letzten Abschnitt bereits kurz erwähnt, werden bei Wahlentscheidungen unterschiedliche Präferenzintensitäten nicht berücksichtigt. In demokratischen Wahlen und Abstimmungen zählt jede Stimme gleich viel. (3) Die Wähler*innen müssten einen Anreiz haben, ihre Präferenzen bei Wahlen zum Ausdruck zu bringen. Sie müssten darüber hinaus aber nicht nur überhaupt wählen gehen, sondern ihre Wahlentscheidung gut informiert treffen. 3.2.1. Die Orientierung an den Median-Wähler*innen Aus dem demokratischen Prinzip, nach dem jede Stimme gleich viel zählt, folgt, dass sich Politikerprogramme an den Median-Wähler*innen orientieren. Unter bestimmten Umständen zielen alle Parteien oder Politiker*innen auf diese Median-Wähler*innen und bieten in Folge dessen kaum alternative Politikentwürfe an. Die Median-Wähler*innen sind diejenigen Wähler*innen, deren Präferenzen in der Mitte der aufgereihten Wähler*innen liegen: Es wollen also genauso viele Wähler*innen „weniger“ als sie, wie andere „mehr“ möchten. Die Median- Wähler*innen finden genauso viele Wähler*innen „links“ von sich, wie sie andere „rechts“ von sich sehen. Bei Entscheidungen, deren Alternativen eindimensional als räumliche Distanz aufgefasst werden können, setzt sich bei <?page no="266"?> 240 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus paarweiser Abstimmung immer die Median-Wähler*innen-Position durch. In einem eindimensionalen Raum kann unterstellt werden, dass rationale Wähler*innen die Position wählen, die ihrer eigenen am „nächsten“ kommt. Dieser Gedanke soll noch einmal am Feuerwerksbeispiel erläutert werden. Abb. 61: Medianwähler*innen-Position bei Gleichverteilung der Präferenzintensität In einer demokratischen Abstimmung nach der Mehrheitsregel würde sich Carlottas Wunsch nach einem Feuerwerk mit Raketen im Gegenwert von 2.000 Euro durchsetzen. Carlotta ist die Medianwählerin, zwei andere Wähler*innen wünschen weniger Raketen, zwei andere wünschen mehr Raketen. Egal in welcher Reihenfolge Sie die zur Wahl stehenden fünf Positionen in paarweisen Abstimmung miteinander vergleichen: Durchsetzen würde sich letztlich immer Carlottas Vorschlag. Stehen beispielsweise zunächst die Positionen von Jakob und Gretel zur Abstimmung, werden alle außer Jakob für 1.000 Euro votieren, denn Gretels Vorschlag liegt den eigentlichen Wünschen von Carlotta, Matilda und Frieda näher als Jakobs Position. Stellen Sie also als nächsten Schritt Gretels und Carlottas Vorschläge zur Abstimmung, so werden Jakob und Gretel für 1.000 Euro votieren, Carlotta, Matilda und Frieda hingegen für 2.000 Euro. Nur um sicher zu gehen, könnte nun noch Carlottas Vorschlag dem Vorschlag von Matilda oder Frieda gegenübergestellt werden. Carlottas Vorschlag wird sich jedoch unzweifelhaft durchsetzen, denn sie hat die Median- Position inne. Generell werden sich immer alle Wähler*innen, die weiter links liegende Positionen einnehmen als zur Wahl stehen, für die linke Position aussprechen, alle die eine weiter rechts liegende Position einnehmen, als zur Wahl steht, werden die rechtere Position bevorzugen. Die Median-Wählerin gewinnt immer in der paarweisen Abstimmung gegen eine beliebige andere Position, weil sie per Definition die Hälfte der Stimmen (entweder links oder rechts von ihr) zuzüglich ihrer eigenen bekommt. kein Feuerwerk Raketen für 4.000 € 1.000 2.000 3.000 Jakob Gretel Frieda Matilda Carlotta Medianwähler*innen-Position <?page no="267"?> 3. Delegation von politischen Entscheidungen 241 Problematisch ist dies deshalb, weil die auf den ersten Blick ausgewogene Position Carlottas im gerade betrachteten Beispiel nur deshalb einen guten Kompromiss darstellt, weil die Medianwähler*in-Position hier tatsächlich die Positionen aller ausgleicht. Immerhin entspricht der Vorschlag auch dem durchschnittlich erwünschten Betrag. Sowohl Jakob und Gretel, als auch Matilda und Frieda bekommen nicht, was sie wollten. Aber der Kompromiss ist ausgewogen. Carlottas Vorschlag gewinnt auf Grund der Medianwähler*in-Position aber auch dann, wenn Matildas Position bei 2.002 Euro und Friedas Vorschlag bei 2.003 Euro liegt. Wieder setzt sich Carlottas Vorschlag von 2.000 Euro durch, obwohl ein arithmetisches Mittel der fünf Positionen nun nicht mehr bei 2.000 Euro, sondern bei 1.202 Euro liegen würde. Abb. 62: Medianwähler*in-Position bei Ungleichverteilung der Präferenzintensität Auch in diesem Beispiel müssen sowohl Jakob und Gretel, als auch Matilda und Frieda einen Kompromiss eingehen. Der Kompromiss weicht allerdings von den durch Jakob und Gretel eigentlich gewünschten Ergebnissen wesentlich stärker ab, als von den Präferenzen von Matilda und Frieda. Bereits an diesem extrem simplen Beispiel erkennt man, dass sich Präferenzintensitätsunterschiede in Mehrheitsabstimmungen nicht entsprechend niederschlagen. Von einer tatsächlichen Berücksichtigung der Nutzenerwartungen der Individuen im Sinne der Zahlungsbereitschaften ist man in den meisten kein Feuerwerk Raketen für 4.000 € 5 2.000 2.002 Jakob Gretel Frieda Matilda Carlotta 2.003 Medianwählerin-Position <?page no="268"?> 242 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus politischen Mehrheitsentscheidungen natürlich noch wesentlich weiter entfernt. 138 Praktisches Resultat des Median-Wähler*innen-Phänomens ist außerdem, dass - insbesondere in Zwei-Parteien-Systemen - die vermutete Median-Wähler*innen-Position in vielen Politikerprogrammen von vornherein besondere Berücksichtigung findet. Am politischen Markt wird daher von vornherein in erster Linie der Politikvorschlag angeboten, von dem die Parteien glauben, dass er der Median-Wähler*innen-Position entspricht. Auch in Deutschland versuchen beispielsweise beide Volksparteien die „Mitte“ oder die „neue Mitte“ zu vertreten. Wenn aber kaum alternative Angebote zur Wahl stehen, wird damit unter Umständen suggeriert, dass andere Positionen mehr oder weniger absurd seien. 139 Dies wird insbesondere in Verbindung mit dem im nächsten Abschnitt angesprochenen Problem relevant, dass die Wähler*innen wiederum darauf angewiesen sind, die theoretischen Politikalternativen zu kennen und beurteilen zu können, um ihre Stimme gut informiert abgeben zu können. 3.2.2. Das Wahlparadoxon und die rationale Ignoranz der Wähler*innen Aus der Analyse, dass die Stimme Einzelner in Wahlen im Grunde nur dann eine Veränderung des Wahlergebnisses erwarten lässt, wenn sich dadurch die Medianwähler*innen-Position spürbar ändert, folgte zunächst die Beschäftigung mit dem so genannten Wahlparadoxon. Es schien nicht erklärbar, warum Bürger*innen überhaupt die Kosten zur Wahl zu gehen auf sich nehmen (z. B. Freizeitverzicht, Fußweg, Anstehen im Wahllokal). Der Nutzen erscheint in Anbetracht der Vielzahl von Wähler*innen sehr gering, denn die Wahrschein- 138 Die Präferenzunterschiede würden im Grunde nur dann wirklich berücksichtigt, wenn eine einstimmige Entscheidung durch Verhandlungen mit Kompensationen erfolgen würde, wie in Abschnitt VIII.1. erläutert. Der Durchschnitt als arithmetisches Mittel entspricht nur dann der Kompensationslösung, wenn jeder Euro, den das Ergebnis von der eigenen Position abweicht, bei jedem Beteiligten dieselbe Nutzenminderung im Vergleich zum selbst erwünschten Ergebnis hervorruft. 139 Eine immer wieder diskutierte Anwendung dieses Phänomens liegt z. B. in der Vermutung, dass die auf Grund der demographischen Veränderungen dringend erforderliche Umsteuerung in vielen Politikbereichen deshalb nicht in Angriff genommen wird, weil die Median- Wähler*innen im rentennahen Alter sind, während die Nutznießer*innen einer Reform noch nicht im wahlfähigen Alter (zum Teil noch nicht geboren) sind. <?page no="269"?> 3. Delegation von politischen Entscheidungen 243 lichkeit, dass eine einzelne Stimme den Wahlausgang verändert, ist vernachlässigbar. 140 Da die Kosten jedoch ebenfalls recht gering sind, erklären Ökonom*innen heute die Wahlbeteiligung der Bürger*innen weniger als Investitionsentscheidung zum Zweck der Politikbeeinflussung. Ein alternativer Erklärungsansatz für die Wahlbeteiligung liegt darin, die Stimmabgabe als Konsumentscheidung zu betrachten: Wir unterstellen also zum Teil wenigstens einen Konsumnutzen aus der Wahlbeteiligung, der beispielsweise darin besteht, seine „demokratische Bürgerpflicht“ auszuüben oder Spaß daran zu haben, an einem großen Politik-Event teilzunehmen. 141 Es kann uns leider nicht egal sein, warum die Bürger*innen wählen gehen. Um aus dem Wahlergebnis auf die Präferenzen der Bürger*innen in Bezug auf bestimmte Politikoptionen schließen zu können, müssten folgende Voraussetzungen gelten: Nicht nur müssen die Wähler*innen überhaupt abstimmen, sie müssten außerdem gut informiert darüber sein, welche Position ihre Interessen fördern würde und welche Partei dieser Position zum Erfolg verhelfen könnte. Die Informationen, die erforderlich wären, um aus dem Wahlausgang auf präferenzgerechte Volksvertretung schließen zu können, sind extrem anspruchsvoll. Die dazu erforderlichen Informationskosten sind enorm und stehen dem unverändert geringen Nutzen aus der Wahlbeteiligung gegenüber. Das - nicht nur auf politische Wahlentscheidungen bezogene - Phänomen, in gewisser Hinsicht uninformiert zu bleiben, lässt sich auf Grund dieser Kosten-Nutzen- Abwägung als rationale Strategie beschreiben und wird als rationale Ignoranz bezeichnet. 142 140 Das gilt natürlich insbesondere im einfachen Mehrheitswahlrecht. Im Verhältniswahlrecht ist das natürlich nicht ganz so, insbesondere, wenn anschließend auch noch Mehrparteienkoalitionen notwendig werden, um die Regierung bilden zu können. Dennoch ist auch in Deutschland die Wahrscheinlichkeit, die Politik der nächsten Jahre entscheidend ändern zu können, indem man zur Wahl geht, sehr gering. 141 Die zunehmend beliebten Wahlwetten und zelebrierten Wahl-Partys mit Großbild-Leinwänden zur Übertragung der Wahlergebnisse scheinen dies in gewisser Weise zu bestätigen. 142 Weniger verständnisvoll als fordernd erkannte offenbar schon Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) das Problem nicht ausreichend informierter Wähler*innen: „Wie klein der Einfluss auch sein mag, den meine Stimme in öffentlichen Angelegenheiten ausübt, so bedeutet das Recht, wählen zu dürfen, immerhin die Pflicht, es informiert zu tun.“ <?page no="270"?> 244 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus 3.3. Bürokrat*innen als Agent*innen der Politiker*innen Als Bürokrat*innen werden in der ökonomischen Theorie der Politik alle Akteur*innen bezeichnet, die im Auftrag der Politiker*innen in irgendeiner Art und Weise an der Vorbereitung, Umsetzung und Kontrolle von politischen Entscheidungen mitwirken, ohne selbst Politiker*innen zu sein. Gemeint ist der Begriff also nicht als Verunglimpfung, sondern als Bezeichnung für alle Verwaltungsmitarbeiter*innen, Behördenangestellte, wissenschaftliche Berater*innen von Politiker*innen etc. Auch den Mitarbeiter*innen in der Bürokratie wird von Seiten der Ökonom*innen eigennutzorientiertes Verhalten unterstellt. Chefbürokrat*innen unterstellt die Literatur dabei häufig u. a. so genanntes budgetmaximierendes Verhalten. Gemeint ist, dass Bürokrat*innen in hohen Hierarchiestufen gegenüber den Politiker*innen eine Ausweitung ihres Budgets und Arbeitsbereichs anstreben könnten. Dies wäre häufig mit möglichen Komponenten der Nutzenfunktionen wie Gehalt, Prestige, Mitarbeiterzahl und damit Macht verbunden. Zur Ausweitung des Budgets nutzen die Bürokrat*innen ihre Handlungsspielräume dank des Informationsvorsprungs. Die Politiker*innen sind auf die Mitarbeit der Bürokrat*innen angewiesen, weil sie selbst nicht ausreichend detailliertes Fachwissen über die einzelnen Politikbereiche haben oder erwerben können. Daraus ergibt sich dann umgekehrt die Möglichkeit für die Bürokrat*innen, den Politiker*innen gegenüber die Gewichtigkeit und Kompliziertheit ihrer Aufgaben eindrucksvoll darzustellen. 143 Folgen könnte daraus eine nicht zwangsläufige Vermischung diverser Ziele, eine Ausdehnung der Ausgaben für bestimmte Bereiche weit über das nach Abgleichung von Grenzkosten und Grenznutzen angebrachte Maß hinaus und eine undurchsichtige Organisation der Abläufe. Für Angehörige der Verwaltungsbürokratie in unteren Hierarchiestufen hingegen gelten häufig wenig leistungsorientierte Entlohnungsstrukturen und Karrieremöglichkeiten. Wenn Leistung nicht ausreichend honoriert wird, kommt für viele Menschen als rationale Nutzenmaximierungsstrategie die Minimierung des Arbeitsleids infrage. Daraus könnte u. a. folgen, dass Bürokratien relativ unbeweglich sind und sich gegen Neuerungen und Reformen zur Wehr setzen. 143 Ganz unabhängig davon, dass die meisten Menschen ohnehin tatsächlich glauben, ihre Aufgabe sei besonders wichtig. <?page no="271"?> 3. Delegation von politischen Entscheidungen 245 Es ist relativ unwahrscheinlich, dass der Spielraum auf Grund des höheren Fachwissens auf Seiten der Bürokrat*innen nicht zumindest teilweise eigennutzorientiert ausgenutzt wird. Die Verbindung der Bürokrat*innen zum eigentlichen Wähler*innenwillen ist dabei durch die doppelte Prinzipal-Agent- Beziehung so schwach, dass man eine tatsächliche Umsetzung der Bürger*inneninteressen nur mit sehr viel Optimismus erwarten kann. Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (47) ein Video zum Thema „Doppelte Prinzipal-Agent-Beziehung im politischen Prozess“, unter der laufenden Nummer (48) ein Video zum Thema „Subsidiaritätsprinzip und Präferenzverfehlungskosten“ sowie unter der laufenden Nummer (49) ein Video zum Thema „Medianwähler-Theorem“. https: / / t1p.de/ covz 4. Die Rolle plakativer Vereinfachungen Die Parteien reagieren auf das Phänomen der rationalen Ignoranz und bieten unter anderem deshalb den Wähler*innen weniger komplizierte Programmbeschreibungen als plakative „Standpunkte“, „Labels“ und „Ideologien“: „links“, „rechts“, „christlich“, „ökologisch“, „sozial“, „freiheitlich“, „liberal“ etc. Solche plakativen Bezeichnungen dienen als Abkürzung des Auswahlprozesses. Alle Menschen verfügen über bestimmte mentale Modelle der Welt. Unter diesen mentalen Modellen kann man sich grobe Schablonen vorstellen, mit deren Hilfe komplizierte Informationsprozesse stark vereinfacht werden. Diese mentalen Modelle beinhalten nicht ausführliche Beschreibungen von Wirkungszusammenhängen, sondern vereinfachte Einschätzungen. Sobald Bürger*innen beschlossen haben, sie seien „eher sozial eingestellt“ können sie versuchen, ihre Entscheidungen an dem Label „sozial“ auszurichten. Das heißt vereinfacht, Argumente werden stark gewichtet, wenn sie von Vortragenden als „sozial“ bezeichnet werden. Eventuell wird auch eine Partei unter anderem deshalb gewählt, weil sie das Wort „sozial“ im Namen trägt. Natürlich klingt dies reichlich übertrieben und sicherlich werden solche mentalen Modelle von Zeit zu Zeit abgeglichen und im Widerspruchsfall eventuell <?page no="272"?> 246 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus auch korrigiert. 144 Oft genügen sie aber auch jahrelang; im Falle der so genannten Stammwähler*innen der großen Parteien teilweise über Generationen. Für Parteien ist es unter diesem Blickwinkel äußerst attraktiv, weniger Energie und Ressourcen für das Auffinden und Anbieten tatsächlich rationaler und problemadäquater Lösungen gesellschaftlicher Probleme zu verwenden als auf die Erzeugung und Aufrechterhaltung des Labels. Wichtiger als sachorientierte Problemlösungskompetenz zu erreichen, wird es kompetent zu wirken. Dazu können z. B. auch gängige Vorurteile und populäre Irrtümer genutzt werden. Ein Tabu-Bruch hingegen, etwa die Konfrontation der Bevölkerung mit den in Wahrheit unumgänglichen Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung unter klarer Nennung aller damit verbundenen Einschnitte, erscheint als „selbstmörderisches“ Wagnis. So eine offene unverblümte Politikankündigung kann nur dann Erfolg versprechend sein, wenn man glaubt die Information bei den Bürger*innen so weit treiben zu können, dass im Einzelfall tatsächliche Einsicht erfolgt. Dem steht aber in vielen Fällen, in denen das Problem noch nicht sehr offenkundig ist, die rationale Ignoranz entgegen. Diese Ausführungen müssten ausreichen, um klar werden zu lassen, dass der Prozess der Delegation politischer Macht und deren Kontrolle durch das Interesse der Politiker*innen an einer Wiederwahl große Spielräume lassen. Wir können nicht davon ausgehen, dass das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Wähler*innen und Politiker*innen gelöst ist und Politiker*innen ausschließlich im Sinne der Wähler*innen handeln. 5. Medien und Interessengruppen Die Medien bzw. die Journalist*innen könnten es theoretisch als ihre Aufgabe begreifen, die plakativen Vereinfachungen der Politiker*innen zu hinterfragen und an Ideologien zu kratzen. Sie würden damit die politischen Akteur*innen zwingen, eher sachorientierte Angebote zu unterbreiten. Allerdings ist es auch im eigennutzorientierten Kalkül der Journalist*innen und Medienbetreiber*innen nur ausnahmsweise in besonderen Konstellationen rational, diese Aufgabe 144 Unterschätzen Sie die Bedeutung der plakativen Vereinfachungen nicht. Fragen Sie Politikprofis oder Lobbyist*innen, wie viel Zeit, Geld und Energie in das richtige „Wording“ gesteckt wird und wie fatal es ist, im Wettkampf um geschickte Begriffe für einen Politikvorschlag die Unterlegenen zu sein. Ein relativ bekanntes Beispiel ist die gelungene Assoziationsherstellung des Labels „sozial gerecht“ mit dem Begriff der „Bürgerversicherung“. Das Konzept ist nicht sozialer als der Konkurrenzvorschlag. Aber die wenigsten Bürger*innen sind ausreichend informiert, worum es genau geht. Und der Name „Bürgerversicherung“ war sympathischer. <?page no="273"?> 5. Medien und Interessengruppen 247 wahrzunehmen. Viele Medien bedienen ihrerseits ebenfalls Stammleser*innen oder ein treues Publikum von Zuschauer*innen, welches wiederum auf dieselben plakativen Standpunkte und Perspektiven reagiert wie die Stammwähler*innen. Politiker*innen und Journalist*innen bedienen dieselben Nachfrager*innen. Für große Massenmedien scheint es viel eher wichtig zu sein, keine zu schwere Kost zu bieten und damit große Zahlen von Leser*innen oder Einschaltquoten zu halten. Abgesehen davon, dass dies zu eher weniger informativen als unterhaltsamen Konzepten führt, ist zu beobachten, dass Journalist*innen händeringend nach leicht vermittelbaren Meldungen suchen, die überdies am besten einen gewissen Event-Charakter beinhalten. Dies wiederum hat deutliche Rückwirkungen auf das Verhalten der Politiker*innen. Denn diese versuchen folgerichtig genau solche farbenfrohen, peppigen und bildschirmtauglichen Themen und Aktionen aufzugreifen. Sie müssen dies zumindest auch tun, um über die Medien wahrgenommen zu werden. Zur Versachlichung trägt dieser Zusammenhang nicht bei. Unter Interessengruppen versteht die ökonomische Literatur Zusammenschlüsse von Bürger*innen, die in organisierter Form ganz bestimmte Partialinteressen verfolgen. Diese Gruppen agieren ausdrücklich nicht im Gemeinwohlinteresse, sondern vertreten die Interessen ihrer Klientel. Interessengruppen sind beispielsweise die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften, bestimmte Branchenorganisationen, Berufsgruppenverbände etc., aber auch der ADAC, die Kirchen und Greenpeace. Obwohl ihnen in der Verfassung Deutschlands keine offizielle Rolle in der politischen Entscheidungsfindung zuteilwird, spielen Interessengruppenvertreter*innen im politischen Prozess eine erhebliche Rolle. Interessengruppenvertreter*innen bieten Politiker*innen, Bürokrat*innen, Wähler*innen und Journalist*innen Informationen zu Detailfragen. Auf Grund der Informationskosten und des Problems der rationalen Ignoranz ist diese Informationsbereitstellung ein wichtiger Bestandteil der politischen Willensbildung. Sie bieten gleichzeitig gebündelte Wähler*innenstimmen, indem sie ihrer Klientel plakative Aussagen vermitteln und u. a. Wahlempfehlungen erteilen können. Diese Macht der Interessengruppen über die Beeinflussung der mentalen Modelle ihrer Klientel wirkt wiederum als beachtliches Drohpotenzial gegenüber Politiker*innen. 145 Wirklich problematisch wird die Macht der Interessengruppen dadurch, dass man nicht davon ausgehen kann, dass alle Wählerinteressen in gleichem Maße 145 Beachten Sie z. B., wie die SPD auf Drohungen der Gewerkschaften reagiert, die Einfluss auf ein großes Stammwähler*innenpotenzial der SPD haben. Umgekehrt ist die Wahlwerbung von der Kanzel für die Unionsparteien zumindest in Süddeutschland sprichwörtlich. <?page no="274"?> 248 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus durch Interessengruppen vertreten werden. Der Grund ist die unterschiedliche Organisierbarkeit der Gruppen. Die Bereitstellung der Lobbyarbeit ist für die Gruppenmitglieder ein öffentliches Gut. Der Nutzen der Interessengruppenarbeit kommt auf Grund der Nichtausschließbarkeit allen Mitgliedern einer Gruppe zugute. Er ist unabhängig davon, ob das einzelne Gruppenmitglied zur Bereitstellung der Lobbyarbeit beiträgt oder nicht. Da Interessengruppenorganisation und Lobbyarbeit aber durchaus nicht kostenlos ist, geht es bei der Frage nach der Organisierbarkeit einer Gruppe darum, das gruppeninterne Freerider-Problem zu überwinden. Dazu muss eine hinreichende Zahlungsbereitschaft von einzelnen Gruppenmitgliedern offenbart werden. Die Literatur beschäftigt sich mit vielen verschiedenen Aspekten, die einer Gruppe die Organisation ihrer Interessen erleichtern oder erschweren. Hier soll nur kurz angedeutet werden, dass relativ unstrittig die Organisation einer Gruppe dann relativ gut gelingt, wenn die Gruppe relativ klein ist, ohnehin häufig Kontakt hat und über homogene Interessen verfügt. Alle drei Aspekte sorgen für relativ geringe Informations- und Organisationskosten und erleichtern zugleich die Überwindung des Freerider-Problems durch Entfaltung sozialen Drucks auf die „unsolidarischen“ Gruppenmitglieder. Außerdem korrelieren die Größe einer Gruppe und die Homogenität ihrer Interessen mit der Spürbarkeit des Erfolgs oder Misserfolgs der Interessenvertretung. Die Frage, wie gewichtig ein Erfolg der Interessengruppe für die Nutzenpositionen der Gruppenmitglieder ist, übt wiederum Einfluss auf die individuelle Zahlungsbereitschaft und die Möglichkeit zur Überwindung des auch gruppenintern vorhandenen Problems der rationalen Ignoranz aus. 146 Wenn aber kein Anlass zu der Vermutung besteht, dass alle Bürger*inneninteressen einigermaßen gleichmäßig gut in Interessengruppen organisiert sind, so wirkt auch die Informationsbereitstellung der Interessengruppen nicht ausgewogen. Wiederum besteht wenig Hoffnung, dass die Lobbyarbeit insgesamt das Ergebnis des politischen Prozesses dem eigentlichen Wähler*innenwillen näherbringt. 146 Andererseits verfügen große Gruppen selbstverständlich über größere Wähler*innenstimmenpakete. Einige Gruppen waren zudem in der Lage, ihre Organisierbarkeit durch die Gesetzgeber*innen erzwingen zu lassen (z. B. Anwaltskammer, Handwerkskammer). <?page no="275"?> 6. Das Primat der Politik? 249 Video-Tipp! Hier finden Sie unter Zusatzmaterial Nummer (50) ein Video zum Thema „Rent Seeking“. https: / / t1p.de/ covz 6. Das Primat der Politik? Ein kleines Beispiel zur Zusammenfassung: Die Gruppe der Angestellt*innen im deutschen Steinkohlebergbau und die Gruppe der Steinkohlebergbau-Unternehmer*innen sind jeweils relativ klein, treffen sich beruflich ständig und sind regional konzentriert. Ihr gemeinsames Interesse an der Fortführung erheblicher Subventionen ist absolut homogen und der Erfolg oder Misserfolg ihrer Bemühungen im politischen Prozess ist für sie deutlich spürbar. Demgegenüber hat die völlig heterogene, unüberschaubare Gruppe der Steuerzahler*innen und Energieverbraucher*innen sehr schlechte Karten, zumal die Spürbarkeit der Belastung durch höhere Steuern und Energiepreise für einzelne Steuerzahler*innen und Konsument*innen so gering ist, dass man weder entsprechende Informationsanstrengungen noch Organisationsbemühungen erwarten kann. Die Kostenabschätzung einer Umstrukturierung der Bergbauregionen erfordert komplizierte Informationen der Politiker*innen durch die Bürokrat*innen. Die entsprechende Bürokratie würde aber zumindest teilweise ihre Berechtigung verlieren, wenn es zur Einstellung deutscher Kohleförderung käme, was eine Verteidigung der Subventionen durch die entsprechende Bürokratie nahelegt. In den Zusammenhang mit Kohlesubventionen werden Ziele gesetzt, die sowohl regionale Kultur und angebliche Technologie-Effekte für andere Branchen beinhalten als auch angebliche Bedrohungen für die nationale Versorgungssicherheit der Energieversorgung und regionale Arbeitsmarkteffekte. Zusätzlich sind emotional geladene Straßenblockaden und Fackelzüge der Bergleute überaus medientaugliche Nachrichten und die Rettung einer krisengeschüttelten Unternehmung regelmäßig ein willkommenes Profilierungsfeld für Politiker*innen. Diese hier nur sehr oberflächlich thematisierten Zusammenhänge begründen die unter Ökonom*innen weit verbreitete Skepsis gegenüber der gesamtgesellschaftlich wohlfahrtsförderlichen Wirkung des politischen Entscheidungsprozesses. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten und Ineffizienzen gelangen Ökonom*innen zu der Forderung, den politischen Prozess nur in den <?page no="276"?> 250 VIII. Politik als alternativer Allokationsmechanismus Fällen als direkten Eingriffsmechanismus zu wünschen, in denen der Markt tatsächlich versagt und der politische Prozess mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bessere Ergebnisse erzielt. Dabei meint dies keineswegs ein Primat der Wirtschaftsinteressen über die Politik, also die Gesamtinteressen der Bürger*innen. Auch der Markt steht im Dienst der Bürger*innen. Ökonom*innen hoffen jedoch auf die Einsicht, dass es im gemeinsamen Interesse ist, die Allokation knapper Ressourcen soweit wie möglich dem Markt zu überlassen. Die Verschwendung knapper Ressourcen kann generell nicht im Interesse des Gemeinwohls sein. <?page no="277"?> IX. Epilog: Ökonomische Politikberatung Sie haben im Schnelldurchgang wesentliche Teile des ökonomischen Gedankengebäudes, der ökonomischen Analysetechnik und der entsprechenden Ableitung wirtschaftspolitischer Empfehlungen kennen gelernt. Immer wieder werden Sie sich dabei die Frage gestellt haben, warum so wenig von dem, was Ökonom*innen zur Gestaltung einer Gesellschaftsordnung beizutragen haben, im politischen Alltag umgesetzt wird. Einen Teil der Antwort auf diese berechtigte Frage sollte Ihnen der Ausflug in die Ökonomische Theorie der Politik in Kapitel VIII. gegeben haben. Wir können nicht davon ausgehen, dass im politischen Prozess immer nach den aus der ökonomischen Perspektive der Nutzenmaximierung bestmöglichen Lösungsansätzen gesucht wird. Die beteiligten Akteur*innen handeln auch eigennutzorientiert und unter Sachzwängen. 1. Zum Frustrationspotenzial wirtschaftspolitischer Beratung Ist die wissenschaftlich fundierte Entwicklung wirtschaftspolitischer Empfehlungen dann nicht ein fruchtloses Unternehmen? Welchen Zweck sollte die mühsame Konstruktion theoretisch vorteilhafter Lösungsansätze haben, wenn deren Durchsetzbarkeit im politischen Entscheidungsprozess von vornherein gering ist? Tatsächlich gibt es Ökonom*innen, die eine solche pessimistische Position einnehmen. Man kann stellenweise verwirrende Äußerungen von frustrierten Wirtschaftswissenschaftler*innen hören und lesen. Nicht selten wird darin der Eindruck erweckt, die wissenschaftlich arbeitenden Ökonom*innen könnten für sich in Anspruch nehmen, sachorientierte und dem Allgemeinwohl verpflichtete Beratung anzubieten. Scheitern würden die Vorschläge an der Politik, die sich als „beratungsresistent“ und unfähig zum Lernen aus Fehlern erweist. Der enttäuschte Schluss, die Politik erweise sich als „beratungsresistent“, mag einer salopp formulierten Feststellung der Sachzwänge im politischen System entsprechen wie sie weiter oben angedeutet wurden. Sofern jedoch eine Art Vorwurf an die beteiligten Personen spürbar ist, lohnt sich die konsequente Übersetzung in die Markt-Terminologie, um sich der Absurdität bewusst zu werden: Hier würden sich Anbieter*innen darüber beschweren, dass die unverständigen Nachfrager*innen das Produkt nicht haben möchten. Eine solche Beschwerde ist weder ökonomisch vernünftig noch hilfreich. Schon gar nicht <?page no="278"?> 252 IX. Epilog: Ökonomische Politikberatung kann man sich ernsthaft dazu hinreißen lassen, sich beratend tätige Wissenschaftler*innen als wohlmeinende und alleine dem Allgemeinwohl dienende Akteur*innen vorzustellen und deren Publikum im Gegensatz dazu Eigennutzorientierung zu unterstellen. Viele beratend tätige Ökonom*innen beteiligen sich an der Diskussion politischer Maßnahmen ehrenamtlich oder im Nebenerwerb. Sie verstehen sich daher nicht als erwerbsmäßige Anbieter*innen eines Produkts, die sich an den Präferenzen der Nachfrager*innen orientieren müssten. Zwar erzielen viele dieser wissenschaftlichen Berater*innen mit Honoraren oder Aufwandsentschädigungen nicht ganz zu vernachlässigende Nebeneinkünfte, eine Berechnung der daraus resultierenden Stundenlöhne fällt allerdings gewöhnlich sehr ernüchternd aus. Tatsächlich handeln also viele der ökonomischen Politikberater*innen eher wie kreative Künstler*innen. Und natürlich können solche Künstler*innen enttäuscht sein, wenn das Publikum die Genialität der Kunstwerke nicht gebührend würdigt. Es hilft nur nicht weiter, sich enttäuscht zurückzuziehen. 2. Politischer Diskurs als Dialog Allerdings ist der ganze Ansatz der Zuordnung von Angebot und Nachfrage irreführend. Die Lage erscheint weniger frustrierend, wenn man verschiedene Facetten der wirtschaftspolitischen Beratung als wechselseitigen Austauschprozess betrachtet. In vielen Fällen geht es dann eher um einen Dialog oder Diskurs, in dem alle Akteur*innen sowohl Anbieter*innen als auch Nachfrager*innen sind. Ökonom*innen, die sich der Volkswirtschaftslehre widmen, weil sie die Mitwirkung an der Suche nach Problemlösungen und Verbesserungsvorschlägen als Teil ihrer Aufgabe sehen, müssen zwangsläufig auch direkt oder indirekt politikberatend wirken wollen. Um ihre Vorschläge zu Gehör zu bringen, werden sich diese Ökonom*innen bemühen, auf die potenziellen Diskussionspartner*innen einzugehen und deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Nur so ist ein fruchtbarer Dialog möglich. Partner*innen der Wissenschaftler*innen im Politikdiskurs sind eine Vielzahl anderer Akteur*innen, die selbstverständlich weder beratungsresistent noch prinzipiell lernunfähig sind. Eine Gruppe möglicher Ansprechpartner*innen sind alle interessierten Bürger*innen, die sich in Diskussionsveranstaltungen oder über die Medien informieren möchten. Ökonom*innen können und sollten von diesen Bürger*innen lernen, was deren Wünsche, Anliegen und Fragen sind. Darüber <?page no="279"?> 2. Politischer Diskurs als Dialog 253 hinaus gibt der Dialog mit allen interessierten ökonomischen Laien den Wissenschaftler*innen wertvolle Hinweise über verbreitete Vorstellungen zu ökonomischen Zusammenhängen und Wirkungsmechanismen, sowie über gesellschaftliche Ziele und Gerechtigkeitsideale. Der Dialog hilft, weit verbreitete mentale Modelle (vgl. Abschnitt VIII.3.) zu verstehen und wichtige Missverständnisse darin zu identifizieren. Eine andere Gruppe wertvoller Gesprächspartner*innen stellen Journalist*innen dar - im Falle der Fachpresse häufig selbst ausgebildete Ökonom*innen. Journalist*innen erwarten von Wissenschaftler*innen unter anderem Anregungen und Hintergrundinformationen zu öffentlich diskutierten Fragestellungen. Wissenschaftlich arbeitende Ökonom*innen können hier im Dialog unter anderem lernen, sich auf wesentliche Aspekte der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu konzentrieren und Informationen verständlich darzustellen. Politiker*innen oder Verbandsvertreter*innen können auf Grund des enormen Öffentlichkeits- und Zeitdrucks häufig nur indirekte Partner*innen im öffentlichen Diskurs sein oder fernab der Öffentlichkeit den vertrauensvollen Austausch mit einzelnen wissenschaftlich arbeitenden Ökonom*innen suchen. Im ersten Fall findet der Austausch durch die gegenseitige Beobachtung der Aktivitäten statt. Im Fall der direkten, persönlichen Politiker*innenberatung hinter verschlossenen Türen können detaillierte Informationen ausgetauscht und Alternativen intensiv diskutiert werden. Ökonom*innen können in dieser Art des Politikberatungsprozesses viel über die Restriktionen und Sachzwänge des politischen Systems lernen. Sie sollten zu verstehen versuchen, welche Interessen und Wünsche von Wähler*innen oder anderer Klientel durch Politiker*innen oder Verbandsvertreter*innen berücksichtigt werden. Die Möglichkeit zu einem ausführlichen fachlichen Austausch eröffnet sich wissenschaftlich tätigen Ökonom*innen häufig mit Mitarbeiter*innen auf der Arbeitsebene in Behörden, Ministerien und Verbänden. Hier treffen die Wissenschaftler*innen häufig auf sehr kompetente Gesprächspartner*innen, die eine Mittler*innenrolle im Austauschprozess zwischen wissenschaftlichen Politikvorschlägen und politischem Entscheidungsprozess einnehmen. Alle diese Partner*innen der wissenschaftlichen Ökonom*innen sind wie diese selbst auf der Suche nach Verbesserungsvorschlägen und als Gruppe keinesfalls weniger lernfähig als die Gruppe der ökonomischen Wissenschaftler*innen umgekehrt. <?page no="280"?> 254 IX. Epilog: Ökonomische Politikberatung Selbstverständlich wäre es naiv zu erwarten, dass der / die Wirtschaftsminister*in das 700seitige Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (der so genannten „Fünf Weisen“) entgegennimmt und nach zweiwöchigem Studium des Gutachtens verkündet, die Regierung werde die Empfehlungen kompromisslos umsetzen. Aber man darf sicher sein, dass die Argumente des Gutachtens auf der Arbeitsebene in allen Behörden, Ministerien, Parteien und Verbänden geprüft, abgewogen und teilweise im Verständnis und Denken der Mitarbeiter*innen übernommen werden. Gleichzeitig dient das Gutachten - im Normalfall transportiert durch die Fachjournalist*innen - auch der interessierten Öffentlichkeit als Ideengeber und Prüfstein der Entscheidungsträger*innen. Die Behauptung, Regierungen würden den Rat der Wissenschaftler*innen ignorieren, ist entweder stark verkürzt oder auf nicht hinreichend überzeugende Argumente der Wissenschaftler*innen zurückzuführen. Politiker*innen haben kein Interesse an der Verhinderung zustimmungsfähiger sachorientierter Reformen an sich. Im Gegenteil: Regierungen können es sich nicht leisten, Ratschläge dauerhaft zu ignorieren, von deren Eignung die Wähler*innenmehrheit überzeugt wurde. 3. Empfiehlt sich eine größere Konzentration auf die Durchsetzbarkeit von Vorschlägen? Etwas anders als die oben aufgezeigte Frustrations-Haltung lesen sich Vorschläge äußerst pragmatisch orientierter Ökonom*innen: Formuliert werden zwei Bedingungen, die die Zunft der beratenden Ökonom*innen zu erfüllen habe, um effektiv Politikberatung treiben zu können: Erstens müsse ein hinreichender Konsens der Expert*innen über die Problemlage, ihre Ursachen und ihre Lösung vorhanden sein. Zweitens müssten die Ökonom*innen die Restriktionen des institutionellen Status quo als Ausgangsbasis anerkennen und die Empfehlungen müssten im politischen Tagesgeschäft durchsetzbar sein. Die erste Forderung eines Konsenses der politikberatend tätigen Ökonom*innen erscheint umso illusorischer, desto stärker gemäß der zweiten Forderung tatsächlich handlungsorientierte Politikempfehlungen abgegeben werden. Konsens ist am ehesten dort zu erzielen, wo sich Ökonom*innen auf theoretische Fragen unter Akzeptanz einer Menge vereinfachender Annahmen einlassen. Umso stärker es jedoch um konkrete Reformvorschläge geht, desto weniger werden Empfehlungen der Ökonom*innen im Konsens möglich sein. Dazu bedürfte es entweder gemeinsamer normativer Vorstellungen oder der <?page no="281"?> 3. Konzentration auf die Durchsetzbarkeit von Vorschlägen? 255 Möglichkeit, konkrete Politikempfehlungen frei von normativen Wertungen abzugeben. Ohne den alten Disput wieder aufgreifen zu wollen, ob ökonomische Analyse überhaupt ohne normative Elemente betrieben werden kann, erscheint es doch zumindest eindeutig, dass gestaltende Entscheidungen über Reformen der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht wertfrei getroffen werden können. Auch die wissenschaftliche Beratung kann nicht wertfrei sein, wenn sie sich mit tatsächlichen Empfehlungen im politischen Diskurs beteiligen soll. Ein Konsens unter den Ökonom*innen wäre somit nur scheinbar durch eine Beschränkung des Ideenwettbewerbs möglich, indem nur noch eine bestimmte Gruppe der Ökonom*innen im öffentlichen Politikberatungsdiskurs wahrgenommen würde. Ob dies der Entwicklung von besseren Lösungen zuträglich wäre, muss allerdings, nach allem was Ökonom*innen über den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren wissen, stark bezweifelt werden. Der zweiten Forderung, Politikberatung müsse den Status quo als Ausgangsbasis akzeptieren und die Empfehlungen müssten durchsetzbar sein, muss ebenfalls vorsichtig begegnet werden. Es ist unbedingt erforderlich, im Prozess der Entwicklung von Empfehlungen ein mehrstufiges Verfahren zu bewahren. Im ersten Schritt sind die Wissenschaftler*innen gut beraten, sich mit klaren und systematischen Sachargumenten vor dem Hintergrund einer ordnungspolitischen Vision zu beschäftigen. Im zweiten Schritt sollten die Wissenschaftler*innen die auf dieser Grundlage erarbeiteten Vorschläge im politischen Diskurs vorstellen und diskutieren. Es darf und sollte dabei ruhig bei der Arbeitsteilung bleiben, dass es letztlich Aufgabe der Politiker*innen und deren Mitarbeiter*innen ist, auf einer dritten Stufe nach durchsetzbaren Lösungen zu suchen. Es kann nicht die Frage der Ökonom*innen sein, welche Konzepte zur Mehrheitsbeschaffung dienen. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ihre Aufgabe und entspricht nicht ihrer Kompetenz. Ökonom*innen können genau deshalb wertvolle Beiträge zu einer Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten, weil sie geschult sind, systematisch unter expliziter Zugrundelegung von Wertvorstellungen und Zielen konsistente Lösungen zu entwickeln. Ob die so gefundenen Vorschläge politisch durchsetzbar sind, hängt erstens davon ab, ob die zu Grunde gelegten Werte und Ziele mit den Vorstellungen der Wähler*innen übereinstimmen und zweitens, ob es darzulegen gelingt, dass die Empfehlungen hinsichtlich dieser Ziele Verbesserungen darstellen. Verzichten jedoch bereits die Ökonom*innen auf klare Zielvorstellungen, so läuft die ökonomische Politikberatung Gefahr, entweder vollkommen willkürlich benutzt zu werden oder aber unbrauchbare <?page no="282"?> 256 IX. Epilog: Ökonomische Politikberatung Konzepte zu entwickeln, die auf Grund der Ziellosigkeit an den Problemstellungen vorbeiführen. Zur Entwicklung von sachorientierten Reformempfehlungen ist eine ordnungspolitische Vorstellung nicht nur nützlich, sondern notwendig. Andernfalls läuft die wissenschaftliche Expertise Gefahr, den eigenständigen Wert wissenschaftlicher Empfehlungen zur Anregung des Diskurses und zur Überprüfung der Politik durch die Wähler*innen zu verlieren. Im Grenzfall dient sie dann nur noch der scheinheiligen Legitimation bereits getroffener politischer Entscheidungen. Der institutionelle Status quo und das im politischen System Machbare dürfen also keinesfalls Ausgangspunkt der Gedanken der Wissenschaftler*innen sein. Natürlich muss beides als Restriktion begriffen werden: zu maximieren sind möglichst sachorientierte und zielkonsistente Problemlösungen unter der Nebenbedingung, dass für die politische Durchsetzung der Status quo berücksichtigt werden muss (z. B. Übergangsprobleme). Aber Ökonom*innen sollten nicht den Weg mit dem Ziel verwechseln. Wo systematische und sachorientierte Empfehlungen nicht durchsetzbar sind, bleibt Wissenschaftler*innen die Rolle als einsame Mahner*innen und die Hoffnung auf ein wachsendes Problembewusstsein in der Öffentlichkeit. Von Seiten der Pragmatiker*innen wird darauf hingewiesen, dass Ökonom*innen mit politischen Akteur*innen „besser ins Geschäft kommen“ würden, wenn ihr Beratungsbeitrag für diese nützlich sei. Dazu müssten die Empfehlungen zur Mehrheitsbeschaffung oder zur Legitimation von Entscheidungen dienen. Es sei für Politiker*innen dabei nachrangig, inwieweit die Beratung zur tatsächlichen Problemlösung beitrage. Abgesehen davon, dass dies ein recht pessimistisches Bild der Akteur*innen und des Systems zeichnet, kann nicht deutlich genug darauf hingewiesen werden, dass die beratenden Ökonom*innen ihr eigenes Ziel nicht aus den Augen verlieren dürfen. Betrachten auch sie es als nachrangig, ob ihre Empfehlung zur Problemlösung dient, und eignen sie sich stattdessen die Aufgabe der Mehrheitsbeschaffer*innen an, so verlieren sie zugleich jeden (ehrbaren) Grund, warum sie mit den politischen Akteur*innen „ins Geschäft kommen“ sollten. Die bestehende Arbeitsteilung zwischen Wissenschaftler*innen (mit ordnungspolitischer Vorstellung und längerfristiger Perspektive) und Akteur*innen des politischen Zirkels (mit Entscheidungskompetenz, aber auch der Restriktion der Vermittlungsnotwendigkeit gegenüber den Bürger*innen) erscheint ausreichend. Dies gilt umso mehr, desto eher der Feststellung zuzustimmen ist, dass langfristige sachpolitische Rationalität und kurzfristige politische Rationalität in <?page no="283"?> 3. Konzentration auf die Durchsetzbarkeit von Vorschlägen? 257 bestimmten Fragen weit auseinanderklaffen. Grundsätzlich ist es Aufgabe des Parlaments und seiner Ausschüsse sein, Entscheidungen unter Berücksichtigung der von Expert*innen dargelegten Zusammenhänge zu fällen. Letztlich wird ein demokratisches Staatsgebilde nicht umhinkommen, die Argumente, die zu teilweise schmerzhaften Entscheidungen führen, auch den Bürger*innen darzulegen. Die Beibehaltung der klaren Aufgabentrennung zwischen analysierenden Wissenschaftler*innen und entscheidenden Politiker*innen dürfte eher hilfreich als hinderlich dabei sein, die notwendige Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit zu ermöglichen und zu forcieren. Es ist keinerlei Zwangsläufigkeit darin zu sehen, dass Politiker*innen auf Grund der notwendigen Erzielung eines Einverständnisses der Bevölkerung sachorientierte Lösungen ablehnen. Gelingt es den Beteiligten des Politikdiskurses gemeinsam, die Erfordernisse für Reformen zu vermitteln und überzeugende Konzepte zu entwickeln, so können politische Entscheidungen sachorientiert sein, ohne zugleich politischen Selbstmord der Entscheidungsträger*innen zu erfordern. 4. Wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung ist nicht gleichzusetzen mit Wirtschaftspolitik Als Zusammenfassung der Aufgabe und Vorgehensweise politikberatender Ökonom*innen und als hoffentlich einsichtige Begründung, warum man Ihnen in diesem Buch zugemutet hat, sich mit idealtypischen Modellen zu befassen, soll Ihnen folgender letzter „Grundgedanke“ mit auf den Weg gegeben werden: Ökonom*innen versuchen rationale wohlfahrtsverbessernde Regeln, Systeme und Institutionen vorzuschlagen. Die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaftler*innen als Politikberater*innen ist nicht gleichzusetzen mit der der Wirtschaftspolitiker*innen in der politischen Arena. Während Politiker*innen unter bestehenden Restriktionen arbeiten müssen (bestehende Gesetze, Abstimmungsverfahren, Wiederwahlinteresse etc.), können die politikberatenden Wirtschaftswissenschaftler*innen frei von diesen Restriktionen Probleme analysieren. Während Politiker*innen also in hohem Maße berücksichtigen müssen, was Wähler*innen mehrheitlich (zu wissen) glauben, besteht die Aufgabe der Wissenschaftler*innen gerade darin, durch stringente Analyse und beständige Skepsis mehrheitlich geteilte Glaubenssätze herauszufordern und besseres Wissen zu erarbeiten, welches bestenfalls zukünftig nach weiteren Schritten zum common knowledge wird. <?page no="284"?> 258 IX. Epilog: Ökonomische Politikberatung Die Wirtschaftswissenschaftler*innen bewegen sich dabei auf einer fiktiven, vorkonstitutionellen Ebene. Sie beziehen denkbare institutionelle Arrangements gleichberechtigt zu bestehenden Arrangements in ihre Analysen ein und sind in dieser Tätigkeit nicht an im Status quo vorfindbare Regelungen gebunden. Die nach dieser Methode gefundenen Vorschläge und Empfehlungen werden erst in einem zweiten Schritt den im Status quo vorhandenen Arrangements gegenübergestellt und mit diesen abgeglichen. Die dann selbstverständlich hochinteressante Frage, wie reale Effizienzverbesserungen im politischen Prozess durchgesetzt werden können, ist eine von der rein wissenschaftlichen Analyse zu trennende neue Aufgabe, die Ökonom*innen in Zusammenarbeit mit anderen angehen sollten. <?page no="285"?> Kommentiertes Literaturverzeichnis Übungsbuch FATH, Julia / ROTH, Steffen J. (2009), VWL Grundwissen Trainer, Haufe, Planegg. Das Büchlein prüft durch mehr als 50 Übungen mit Musterantworten Ihr ökonomisches Grundverständnis und deckt die meisten hier angesprochenen Themenbereiche ab. Die Ordnungspolitischen Kommentare auf der beiliegenden CD-Rom vermitteln einen Eindruck, mit welchen Fragen sich Ökonomen befassen und wie sie an diese Themen herangehen. Nachschlagewerke Definitionen und kurze Erläuterungen zu einem Großteil der in diesem Buch durch Fettdruck hervorgehobenen Schlagwörter lassen sich problemlos in Nachschlagewerken, Lexika und Enzyklopädien finden. Verwiesen sei unter anderem auf folgende Werke: GABLER WIRTSCHAFTSLEXIKON, 19. Auflage (2019), Gabler, Wiesbaden. Inzwischen in der 19. Auflage bietet das Lexikon zu mehr als 26.000 Stichworten recht klare knappe Einträge, die von Fachleuten verfasst werden. Seit Jahrzehnten ein absolutes Standardwerk, wenngleich viele der Einträge eher in den Bereich der Betriebswirtschaft als in den der Volkswirtschaft gehören. Seit 2009 gibt es das Werk als frei zugängliches Online-Angebot mit erweitertem Nutzungsangebot. Inzwischen gibt es das Gabler Wirtschaftslexikon auch als App für’s iphone oder ipad. WIKIPEDIA, die freie Online-Enzyklopädie. Die Einträge in Wikipedia werden nicht von einer festen, bezahlten Redaktion, sondern von freiwilligen Autoren verfasst. Entsprechend gibt niemand eine Qualitätsgarantie zu den jeweiligen Artikeln. Für die meisten Fälle bietet das Internetportal jedoch einen recht guten Ansatz. Die deutsche Version findet man im Internet unter „http: / / de.wikipedia.org“, die englische unter „http: / / en.wikipedia.org“. Weiterführende Literatur zu Kapitel I: Volkswirtschaftliche Grundgedanken Viele Autoren haben sich schon grundlegende Gedanken gemacht. Werfen Sie ruhig einen Blick in die folgenden, exemplarisch genannten Bücher: <?page no="286"?> 260 Kommentiertes Literaturverzeichnis ALTMANN, Jörn (2009), Volkswirtschaftslehre, 7. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart. Auch in diesem Einführungslehrbuch, welches sich durch praktische Beispiele und die Vermittlung institutioneller Details auszeichnet, findet sich einiges der Grundgedanken unter der Überschrift „Grundbegriffe des Wirtschaftens“ wieder. GUTMANN, Gernot (1993), Volkswirtschaftslehre, 5. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart. In diesem Einführungslehrbuch finden Sie neben einem relativ ausführlichen ordnungstheoretischen Vergleich der Wirtschaftssysteme der Marktwirtschaft und der Zentralverwaltungswirtschaft unter der Überschrift „Grundsachverhalte des Wirtschaftens“ Ausführungen zu drei der hier vorgestellten Grundgedanken. Im Handel vergriffen. MANKIW, Gregory N. / TAYLOR, Marc P. (2016), Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 6. Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart. In diesem aus dem amerikanischen übersetzten Standardeinführungsbuch für Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden Sie im ersten Teil einige „Grundgedanken“ unter der Bezeichnung „Zehn volkswirtschaftliche Regeln“, „Volkswirtschaftliches Denken“ und „Interdependenz und die Handelsvorteile“. SAMUELSON, Paul / NORDHAUS, William (2016), Volkswirtschaftslehre: Das internationale Standardwerk der Makro- und Mikroökonomie, 5. Auflage, FinanzBuchverlag, München. In diesem aus dem amerikanischen übersetzten Standardlehrbuch finden sich die Grundgedanken nicht gebündelt am Anfang, sondern im Verlauf des Buches. SIEBERT, Horst / LORZ, Oliver (2007), Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 15. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart. In diesem Buch findet sich vor einer breit angelegten Einführung in mikro- und makroökonomische Zusammenhänge das Kapitel „Die Grundfragen der Volkswirtschaftslehre“, in dem einige der hier diskutierten Grundgedanken aufgegriffen werden. WEIMANN, Joachim (2009), Wirtschaftspolitik, Allokation und kollektive Entscheidung, 5. Auflage, Springer, Berlin. In diesem Buch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden Sie unter der Überschrift „Die Grundposition“ einige der Grundgedanken wieder. Weiterführende Literatur zu Kapitel II und III: Die Theorie der Haushalte Die Theorie der Unternehmen HEERTJE, Arnold / WENZEL, Heinz-Dieter (2008), Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, 7. Auflage, Springer, Berlin. Kapitel 3 dieses Lehrbuches <?page no="287"?> Kommentiertes Literaturverzeichnis 261 beschäftigt sich mit der Theorie des Haushalts, Kapitel 4 ist der Theorie der Unternehmung gewidmet. MANKIW, Gregory N. / TAYLOR, Marc P. (2016), Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 6. Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart. In diesem aus dem amerikanischen übersetzten Standardeinführungsbuch für Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden sich die Ausführungen zur Theorie der Haushalte in Teil II und III, die Theorie der Unternehmen in Teil V (insbesondere Kapitel 13 und 14). SAMUELSON, Paul / NORDHAUS, William (2016), Volkswirtschaftslehre: Das internationale Standardwerk der Makro- und Mikroökonomie, 5. Auflage, FinanzBuchverlag, München. In diesem aus dem amerikanischen übersetzten Standardlehrbuch findet sich in Teil 2 eine fundierte Einführung in die Mikroökonomik inklusive der Theorie der Haushalte und der Unternehmen. SCHUMANN, Jochen / MEYER, Ulrich / STRÖBELE, Wolfgang (2011), Grundzüge der mikroökonomischen Theorie, 9. Auflage, Springer, Berlin. Ein deutsches Standardlehrbuch für die Mikroökonomik. Ausführlich und umfassend, aber leider nicht für Leser mit eingeschränkter Sympathie zu Mathematik geeignet. Kapitel I beschäftigt sich mit der Theorie des Haushalts, Kapitel II mit der Theorie der Unternehmung. SIEBERT, Horst / LORZ, Oliver (2007), Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 15. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart. In Teil I dieses Lehrbuches findet sich eine teilweise recht tiefgehende Einführung der Mikroökonomik inklusive der Theorie der Haushalte und der Unternehmen. VARIAN, Hal (2016), Grundzüge der Mikroökonomik, 9. Auflage, Oldenbourg, München. Ein weiteres amerikanisches Standardlehrbuch in der deutschen Übersetzung. Es bietet eine recht ausführliche und behutsame Einführung in die gesamte Mikroökonomik. WIED-NEBBELING, Susanne / SCHOTT, Hartmut (2007), Grundlagen der Mikroökonomik, 4. Auflage, Springer, Berlin. Ein sehr gut aufgebautes und angenehm lesbares Buch (mit Mathematik) zur ausführlichen Einführung in die Mikroökonomik. Kapitel 2 bietet beinahe 80 Seiten zur Theorie der Haushalte, Kapitel 3 über 50 Seiten zur Unternehmenstheorie. <?page no="288"?> 262 Kommentiertes Literaturverzeichnis Weiterführende Literatur zu Kapitel IV: Das Marktgleichgewicht ALTMANN, Jörn (2009), Volkswirtschaftslehre, 7. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart. Ein Einführungslehrbuch, welches sich durch praktische Beispiele und die Vermittlung institutioneller Details auszeichnet. In Kapitel 7.3 beschäftigt sich der Autor mit dem Marktgleichgewicht. DONGES, Juergen B. / FREYTAG, Andreas (2009), Allgemeine Wirtschaftspolitik, 3. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart. Ein ausführliches Lehrbuch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten. Die Kapitel II.4. und II.5. beschäftigen sich mit den Effizienzwirkungen des Marktgleichgewichts. HEERTJE, Arnold / WENZEL, Heinz-Dieter (2008), Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, 7. Auflage, Springer, Berlin. Kapitel 5 und der erste Abschnitt in Kapitel 15 beschäftigen sich mit dem Gleichgewicht auf Konkurrenzmärkten. MANKIW, Gregory N. / TAYLOR, Marc P. (2016), Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 6. Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart. In diesem aus dem amerikanischen übersetzten Standardeinführungsbuch für Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden sich die Ausführungen zum Gleichgewicht auf einem Konkurrenzmarkt in Teil II, Kapitel 4, zur wohlfahrtsökonomischen Rentenbetrachtung in Teil III, Kapitel 7. SCHUMANN, Jochen / MEYER, Ulrich / STRÖBELE, Wolfgang (2011), Grundzüge der mikroökonomischen Theorie, 9. Auflage, Springer, Berlin. Ein deutsches Standardlehrbuch für die Mikroökonomik. Ausführlich und umfassend, aber leider nicht für Leser mit eingeschränkter Sympathie zu Mathematik geeignet. Kapitel III beschäftigt sich mit Konkurrenzgleichgewichten. VARIAN, Hal (2016), Grundzüge der Mikroökonomik, 9. Auflage, Oldenbourg, München. Ein weiteres amerikanisches Standardlehrbuch in der deutschen Übersetzung. Es bietet eine recht ausführliche und behutsame Einführung in die gesamte Mikroökonomik. Der Aufbau des Buches unterscheidet sich deutlich vom hier gewählten, die einzelnen Themen müssen im Inhaltsverzeichnis oder im Schlagwortverzeichnis zusammengesucht werden. WEIMANN, Joachim (2009), Wirtschaftspolitik, Allokation und kollektive Entscheidung, 5. Auflage, Springer, Berlin. Ein Buch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten der Wirtschaftswissenschaften. Kapitel 6.1 beschäftigt sich mit den Effizienzeigenschaften von Wettbewerbsmärkten. <?page no="289"?> Kommentiertes Literaturverzeichnis 263 WIED-NEBBELING, Susanne / SCHOTT, Hartmut (2007), Grundlagen der Mikroökonomik, 4. Auflage, Springer, Berlin. Ein sehr gut aufgebautes und angenehm lesbares Buch (mit Mathematik! ) zur ausführlichen Einführung in die Mikroökonomik. Kapitel 4 beschäftigt sich ausführlich mit dem Marktgleichgewicht bei Konkurrenz. Weiterführende Literatur zu Kapitel V: Der Weihnachtsmann und die Idee der Planwirtschaft EUCKEN, Walter (1952): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, inzwischen 7. Auflage (2004) bei Mohr Siebeck, Tübingen. Kein Lehrbuch, sondern die noch immer relevante vergleichende Theorie der Wirtschaftsordnungen und die Entwicklung maßgeblicher Prinzipien für eine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik. GUTMANN, Gernot (1990), Das Ende der Planwirtschaft in der DDR, Walter Eucken Institut, Vorträge und Aufsätze 130, Mohr (Paul Siebeck), Tübingen. Ein kurzer, eindrucksvoll nüchterner Vortrag mit ganz praktischer Herangehensweise anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Wiedervereinigung. GUTMANN, Gernot (1993), Volkswirtschaftslehre, 5. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart. In diesem Einführungslehrbuch finden Sie einen ausführlichen ordnungstheoretischen Vergleich der Wirtschaftssysteme der Marktwirtschaft und der Zentralverwaltungswirtschaft. Im Handel vergriffen. HAYEK, Friedrich August von (2009), Der Weg zur Knechtschaft, Olzog, München. Ein beeindruckend klarsichtiges Werk zum Zusammenhang zwischen Marktwirtschaft, Demokratie und individueller Freiheit aus dem Jahr 1943. WEIMANN, Joachim (2009), Wirtschaftspolitik, Allokation und kollektive Entscheidung, 5. Auflage, Springer, Berlin. In diesem Buch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden Sie in Kapitel 5.5 Ausführungen zum „wohlwollenden Diktator“. Weiterführende Literatur zu Kapitel VI: Der Markt regelt doch nicht alles: Die Marktversagenstheorie BLANKART, Charles (2017), Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 9. Auflage, Vahlen, München. Ein sehr gut lesbares Einführungslehrbuch in das <?page no="290"?> 264 Kommentiertes Literaturverzeichnis speziellere VWL-Fach der Finanzwissenschaft. Vor allem in Kapitel 4 widmet sich der Autor wesentlichen Teilen der Marktversagenstheorie. DIXIT, Avinash / NALEBUFF, Barry (1997/ 2018), Spieltheorie für Einsteiger, Schäffer-Poeschel, Stuttgart. Eine unterhaltsam geschriebene, nicht-mathematische Einführung in die Spieltheorie. DONGES, Juergen B. / FREYTAG, Andreas (2009), Allgemeine Wirtschaftspolitik, 3. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart. Der gesamte Teil III dieses Lehrbuch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten widmet sich ausführlich der Marktversagenstheorie. FRITSCH, Michael (2018), Marktversagen und Wirtschaftspolitik: Mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns, 10. Auflage, Vahlen, München. Dieses gut lesbare Einführungsbuch für Fortgeschrittene fokussiert die Marktversagenstheorie und behandelt die einzelnen Marktversagensargumente recht ausführlich. VARIAN, Hal (2016), Grundzüge der Mikroökonomik, 9. Auflage, Oldenbourg, München. In dem amerikanischen Standardlehrbuch in der deutschen Übersetzung finden Sie die einzelnen Marktversagensargumente verstreut im ganzen Buch. WATRIN, Christian (1986), ‚Marktversagen’ versus ‚Staatsversagen’, Schriftenreihe des Vororts Nr. 42, Schweizerischer Handels- und Industrie-Verein, Zürich. Ein kurzes, sehr gut lesbares Vortragsskript zur präzisen Abhandlung der Frage, warum alleine die Identifikation der vom Ideal abweichenden Marktergebnisse in Fällen des Marktversagens noch keineswegs staatliche Eingriffe begründen kann. Im Handel vergriffen. WEIMANN, Joachim (2009), Wirtschaftspolitik, Allokation und kollektive Entscheidung, 5. Auflage, Springer, Berlin. In diesem Buch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden Sie eine an der Idee der Gefangenendilemma-Struktur orientierte Marktversagensdiskussion in Kapitel 4. Darüber hinaus werden in Kapitel 7 natürliche Monopole und in Kapitel 8 externe Effekte ausführlich behandelt. WIED-NEBBELING, Susanne / SCHOTT, Hartmut (2007), Grundlagen der Mikroökonomik, 4. Auflage, Springer, Berlin. In dieser ausführlichen Einführung in die Mikroökonomik (mit Mathematik! ) finden Sie in Kapitel 8 die Auseinandersetzung mit öffentlichen Gütern, externen Effekten und asymmetrischer Information. <?page no="291"?> Kommentiertes Literaturverzeichnis 265 Weiterführende Literatur zu Kapitel VII: Verteilungspolitik und Meritorik BLANKART, Charles (2017), Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 9. Auflage, Vahlen, München. In dem sehr gut lesbaren Einführungslehrbuch in das speziellere VWL-Fach der Finanzwissenschaft ist Kapitel 5 „Gerechtigkeit“ äußerst empfehlenswert. FREY, Bruno / KIRCHGÄSSNER, Gebhard (2002), Demokratische Wirtschaftspolitik, 3. Auflage, Vahlen, München. Ein gut lesbares Buch zur Wirtschaftspolitik für Fortgeschrittene. Kapitel 10 „Grundregeln über Verteilung“ ist in diesem Zusammenhang lesenswert. RICHTER, Wolfram / WEIMANN, Joachim (1991), Meritorik, Verteilung und sozialer Grenznutzen vom Einkommen, Jahrbuch für Sozialwissenschaft Bd. 42, S. 118-130. Ein Überblicksartikel zur Diskussion um die wissenschaftliche Brauchbarkeit des Meritorik-Konzepts. ROTH, Steffen (2002), Beschäftigungsorientierte Sozialpolitik, Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik Bd. 125, Köln. Hier finden Sie eine ausführliche Auseinandersetzung mit Kriterien und Prinzipien ökonomisch begründbarer Umverteilungspolitik. Weiterführende Literatur zu Kapitel VIII: Politik als alternativer Allokationsmechanismus BLANKART, Charles (2017), Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 9. Auflage, Vahlen, München. In dem sehr gut lesbaren Einführungslehrbuch in das speziellere VWL-Fach der Finanzwissenschaft beschäftigt sich Kapitel 7 mit der Frage staatlicher Entscheidungsprozesse, in Kapitel 9 finden sich lohnende Ergänzungen. Kapitel 24 widmet sich der Bürokratie. DONGES, Juergen B. / FREYTAG, Andreas (2009), Allgemeine Wirtschaftspolitik, 3. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart. Der gesamte Teil IV dieses Lehrbuch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten widmet sich ausführlich der „Staatlichen Einflussnahme auf Märkten“. FREY, Bruno / KIRCHGÄSSNER, Gebhard (2002), Demokratische Wirtschaftspolitik, 3. Auflage, Vahlen, München. Ein gut lesbares Buch zur Wirtschaftspolitik für Fortgeschrittene. Beinahe das ganze Buch beschäftigt sich mit politischen Entscheidungsprozessen und den verschiedenen Akteuren im politisch-administrativen Prozess. <?page no="292"?> 266 Kommentiertes Literaturverzeichnis FRITSCH, Michael (2018), Marktversagen und Wirtschaftspolitik: Mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns, 10. Auflage, Vahlen, München. In diesem Einführungsbuch für Fortgeschrittene finden Sie in Kapitel 14 Ausführungen zu Politikern, Bürokratie und Interessengruppen im politischen Prozess. KIRSCH, Guy (2004), Neue Politische Ökonomie, 5. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart. Ein hervorragendes und ausführliches Lehrbuch für die ökonomische Sicht des politischen Entscheidungsprozesses inklusive der Betrachtung von Bürokratie, Interessengruppen und Medien. WEIMANN, Joachim (2009), Wirtschaftspolitik, Allokation und kollektive Entscheidung, 5. Auflage, Springer, Berlin. In diesem Buch zur Wirtschaftspolitik für fortgeschrittene Studenten der Wirtschaftswissenschaften finden Sie in Kapitel 5 „Kollektive Entscheidungen“ und in Kapitel 9 „Delegationsprobleme in repräsentativen Demokratien“ sehr empfehlenswerte Vertiefungen zu den hier angesprochenen Problemen. Weiterführende Literatur zu Kapitel IX: Epilog: Ökonomische Politikberatung FREY, Bruno / KIRCHGÄSSNER, Gebhard (2002), Demokratische Wirtschaftspolitik, 3. Auflage, Vahlen, München. In dem gut lesbaren Buch zur Wirtschaftspolitik für Fortgeschrittene ist der vierte Teil dem Thema der wirtschaftspolitischen Beratung gewidmet. HÜTHER, Michael (2005), Unzeitgemäße Politikberatung - Warum wir über Ordnungspolitik reden müssen, in: Andreas Freytag (Hrsg.), Weltwirtschaftlicher Strukturwandel, nationale Wirtschaftspolitik und politische Rationalität, Festschrift für Juergen B. Donges zum 65. Geburtstag, Kölner Universitätsverlag, Köln. PRIDDAT, Birger / THEURL, Theresia (Hrsg.) (2004), Risiken der Politikberatung - Der Fall der Ökonomen, Nomos, Baden-Baden. Ein Sammelband einer Tagung von Ökonomen zu diesem Thema. STREIT, Manfred (2005), Wissenschaftliche Politikerberatung zwischen Wissensmangel und Opportunismus, in: Andreas Freytag (Hrsg.), Weltwirtschaftlicher Strukturwandel, nationale Wirtschaftspolitik und politische Rationalität, Festschrift für Juergen B. Donges zum 65. Geburtstag, Kölner Universitätsverlag, Köln. <?page no="293"?> Schlagwortregister abnehmender Grenznutzen - vgl. Grenznutzen Abszisse 33, 34 ff., Adverse Selektion 200 ff. Agent 237 ff. Aggregation 79 Akerlof, Georg Arthur 200 Allokation 23 ff., 135 ff., 150, 229 ff. Anbieter*in 4, 30, 104 ff., 116 ff.., 126 ff. Anbieter im Monopol 189 ff. Angebot 104 ff. Angebotskurve, langfristige 110 Annahme der Nichtsättigung 51 ff. Anreize Anreizfunktion 122 Anreizmechanismus 215 Anreizsetzung 211 Anreizsystem 211 Leistungsanreiz 155, 222 ff. Arbeit vgl. Faktor Arbeit Arbeitsangebot 81 ff. Arbeitsangebotskurve 84 ff. Arbeitsangebotsreaktion, inverse 86 Armutsexternalitäten - vgl. Externalitäten Asymmetrische Information 199 ff. Ausschließbarkeit 164 ff. Nichtausschließbarkeit 168 Ausstattungs-Einkommenseffekt vgl. Einkommenseffekt Buchanan, James McGill 212 Budget 31 ff. Budgetbeschränkung 31 ff. Budgetgerade 33 ff. Budgetgerade, einkommenskompensierte 71 ff. Budgetmaximierendes Verhalten 244 Budgetrestriktion 31 Bürokrat*in 236 ff. Chancengerechtigkeit vgl. Gerechtigkeitsvorstellung Coase, Ronald Harry 177 Coase-Lösung 184 Coase-Theorem 177 ff. Condorcet, Marquis de 45 Condorcet-Paradoxon 45 Ceteris paribus 70 Cournot, Antoin Augustin 193 Cournotmenge 198 Cournotscher Monopolpreis 193 f. Demeritorisierung - vgl. Meritorik <?page no="294"?> 268 Schlagwortregister Distribution 25 Durchschnittskosten 98 ff. Durchschnittskostenkurve 102 ff. Durchschnittsprodukt - vgl. Produktion dynamische Effizienz - vgl. Effizienz dynamische Ineffizienz - vgl. Ineffizienz Edgeworth, Francis Ysidro 132 Edgeworthbox 132 ff. Effizienz 23 ff. effiziente Allokation - vgl. Allokation Effizienz, allokative 22 ff. Effizienz, dynamische 189 Effizienz, statische 189 Pareto-Effizienz - vgl. Pareto Einkommenseffekt 71 ff. Ausstattungs-Einkommenseffekt 85 Einkommenselastizität 66 Einkommens-Konsum-Kurve 64 Einkommenskompensierte Budgetgerade vgl. Budget Engel, Ernst 64 Engelsches Gesetz 64 Engel-Koeffizient 64 Engel-Kurve 64 Ergebnisgerechtigkeit - vgl. Gerechtigkeitsvorstellung Externalitäten 171 ff. Externalitäten, negative 172 ff. Externalitäten, positive 172 ff. Armutsexternalitäten 213 Externer Effekt 171 ff., 191 f., 216, 225 externer Effekt, negativer 172 ff. externer Effekt, pekuniärer 172 externer Effekt, positiver 172 ff. externer Effekt, technologischer 172 Faktor Arbeit 92 Faktor Kapital 92 Fixkosten - vgl. Kosten Freerider 168 funktionslose Gewinne - vgl. Gewinnmaximierung Gefangenendilemma 160 ff., 164 Gerechtigkeitsvorstellung 210 ff. Chancengerechtigkeit 211 Ergebnisgerechtigkeit 212 Tauschgerechtigkeit 211 Gesamteffekt einer Preisänderung 76 Gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust - vgl. Wohlfahrtsökonomische Renten Gesetz abnehmender Grenzerträge 95 Gewinnmaximierung 91, 105 ff. Gewinnmaximierender Monopolist 190 <?page no="295"?> Schlagwortregister 269 Gewinnmaximierender Polypolist 105 ff. Funktionslose Gewinne 121 Nullgewinn-Bedingung 109 Giffen, Robert 76 Giffen-Fall 76 Giffen-Paradoxon 76 Gleichgewicht 113 ff. Gleichgewichtsmenge- vgl. Marktgleichgewicht Gleichgewichtspreis - vgl. Marktgleichgewicht Gossen, Hermann Heinrich 53 Erstes Gossensches Gesetz 53 Zweites Gossensches Gesetz 63 Grenzerlös 107 Grenzkosten 14, 100 ff. Grenzkosten-Preis-Regel 107 ff. Grenzkosten, soziale 176 ff. Grenznutzen 14 Grenznutzen, abnehmender 53 ff Grenznutzenausgleich(sregel) 63 Grenznutzen, sozialer 174 ff. Grenzprodukt - vgl. Produktion Grenzrate der Substitution - vgl. Substitution Güterallokation - vgl. Allokation Güterbündel, vorgezogene 41 Güter, demeritorische - vgl. Meritorik Güter, inferiore 66 ff. Güter, meritorische - vgl. Meritorik Güter, normale 65 ff. Güter, öffentliche 166 ff. Güter, private 165 ff. Güter, superiore 66 ff. Gut, zusammengesetztes 37 ff. Hayek, Friedrich August von 155 Humankapital - vgl. Kapital Hutt, William Harold 5 Indifferent 41 Indifferenzkurven 46 ff. Ineffizienz Ineffizienz, dynamische 189 Ineffizienz, statische 190 Ignoranz, rationale - vgl. rational Individualismus, methodologischer - vgl. Methodologischer Individualismus Individuelle Arbeitsangebotskurve - vgl. Arbeitsangebot individuell rational - vgl. rational inferiore Güter - vgl. Güter Information, asymmetrische - vgl. Asymmetrische Information Interessengruppen 236, 247 ff. Internalisierung 177 ff. Inverse Arbeitsangebotskurve vgl. Arbeitsangebot <?page no="296"?> 270 Schlagwortregister Kapital Faktor Kapital 92 Humankapital 82 Knappheit 10 ff. kollektiv rational - vgl. rational Komparative Vorteile 18 ff. Komplemente, perfekte 49 Konsument 30 ff. Konsumentenrente - vgl. Wohlfahrtsökonomische Renten Konsumentensouveränität 3 ff. Konsumexternalitäten - vgl. Externalitäten Kontraktkurve 134 ff. Konvexität 54 Kosten Durchschnittskosten - vgl. Durchschnittskosten Fixkosten 97 ff. Grenzkosten - vgl. Grenzkosten Opportunitätskosten - vgl. Opportunitätskosten Kostenstrukturen, subadditive 196 ff. Kosten, totale 98 ff. Transaktionskosten - vgl. Transaktionskosten Kosten, variable 98 f. langfristige Angebotskurve - vgl. Angebot Leistungsanreiz vgl. Anreize marginale Zahlungsbereitschaft - vgl. Zahlungsbereitschaft Marktallokation - vgl. Allokation Marktangebot 110 ff. Marktangebot auf dem Arbeitsmarkt 89 Marktangebot im Polypol 110 ff. Marktangebotskurve 111 ff. Marktgleichgewicht 113 ff. Gleichgewichtsmenge 114 ff. Gleichgewichtspreis 114 ff. Marktnachfrage 79 ff., 110 ff. Marktnachfragekurve 80 Marktversagenstheorie 159 ff. Maximin-Prinzip 224 Median-Wähler 239 ff. Median-Wähler-Position 240 ff. Medien 236 ff., 246 Mengenanpasser*in 104 Mentale Modelle 245 Meritorik 225 ff. Demeritorisierung 225 Meritorisierung 225 f. Methodologischer Individualismus 1 ff. Mindestsicherung 215 ff. Monopol 188 ff. Monopol, natürliches 188, 195 ff. Moral hazard 202 ff. Musgrave, Richard Abel 225 <?page no="297"?> Schlagwortregister 271 Nachfrager*innen Haushalte als Nachfrager*innen 30 Marktnachfragekurve - vgl. Marktgleichgewicht Nachfragekurve 68 ff. Natürliches Monopol - vgl. Monopol negative Externalitäten - vgl. Externalitäten negative externe Effekte - vgl. externe Effekte Nichtausschließbarkeit vgl. Ausschließbarkeit Nichtrivalität - vgl. Rivalität Nichtsättigung vgl. Annahme der Nichtsättigung normale Güter - vgl. Güter Nozick, Robert 212 Nullgewinn-Bedingung - vgl. Gewinnmaximierung Nutzen 6 ff. Grenznutzen - vgl. Grenznutzen Nutzenfunktion 6 ff. Nutzenmaximierung 6 ff objektiv mögliches Tauschverhältnis - vgl. Tausch öffentliche Güter - vgl. Güter Öffentlichkeitsgrad 171 ff. Ökonomisches Prinzip 24 Maximalprinzip 24 Minimalprinzip 24 Opportunitätskosten 11 ff., 122 ordinal ordinaler Nutzenbegriff 7 ordinale Nutzentheorie 40 Ordinate 34 ff. Ordnungspolitik 229 ff. Organisierbarkeit der Gruppen 248 ff. Pareto, Vilfredo 22 Pareto-Effizienz 23 ff Pareto-Kriterium 22 ff. pareto-superior 27 ff. Pareto-Verbesserung 27 pekuniärer externer Effekt - vgl. externer Effekt perfekte Komplemente - vgl. Komplemente perfekte Substitute - vgl. Substitution Pigou, Arthur Cecil 181 Pigou-Steuer 181 ff. Pigou-Subvention 181 Planwirtschaft 151 ff. Politiker*innen 236 ff. Polypol 104 ff. positive Externalitäten - vgl. Externalitäten positive externe Effekte - vgl. externe Effekte Präferenzen 40 ff. <?page no="298"?> 272 Schlagwortregister Präferenzintensität(sunterschied) 241 Preise Höchstpreise 216 ff. Mindestpreise 218 Preis-Absatz-Funktion 81, 191 ff. Preis-Absatz-Funktion des Monopolisten 192 ff. Preis-Elastizitäten 183 Preis-Konsum-Kurve 68 Preisnehmer 104 ff. Preis, relativer 20 ff. Prohibitivpreis 138 Reservationspreis 201 Prinzipal*in 237 ff. Prinzipal-Agent-Beziehung 237 ff. Prinzipal-Agent-Problem 237 ff. Private Grenzkosten - vgl. Grenzkosten Privater Grenznutzen - vgl. Grenznutzen private Güter - vgl. Güter Produktion Durchschnittsprodukt 93 ff. Grenzprodukt 93 ff. Produktionsentscheidung 104 ff. Produktionsergebnis 100 ff. Produktionsexternalitäten - vgl. Externalitäten Produktionsfaktoren 91 ff. Produktionsfunktion 95 ff. Produktionskosten - vgl. Kosten Produktionsmenge 106 ff., 116 ff., 197 Produktionsmöglichkeiten 98, 106, 171 Produktionsniveau 97 ff., 102 Produktionstechnologie 91 ff. Produzentenrente vgl. Wohlfahrtsökonomische Renten Prohibitivpreis - vgl. Preise Prozessbetrachtung 26 ff., 145 Prozesspolitik 229 ff. rational rationale Ignoranz 243 Rationalisierung 105 f. rational, individuell 159 ff. rational, kollektiv 159 ff. rationales Verhalten 7 ff. Rawls, John Borden 212 Realeinkommen 71 ff. Reflexivität (Axiom der) 42 ff. Regulierung 198 ff. relativer Preis - vgl. Preise relatives Preisverhältnis - vgl. Preise Reservationspreis - vgl. Preise Ressourcenallokation - vgl. Allokation Ricardo, David 18 Rivalität (im Konsum) 164 ff. Nichtrivalität 167 ff. <?page no="299"?> Schlagwortregister 273 Sättigung - vgl. Annahme der Nichtsättigung Screening 207 ff. Signaling 207 ff. Soziale Grenzkosten - vgl. Grenzkosten Sozialer Grenznutzen vgl. Grenznutzen Sozialer Überschuss - vgl. Wohlfahrtsökonomische Renten Standard-Preis-Ansatz 185 ff. statische Effizienz - vgl. Effizienz statische Ineffizienz - vgl. Ineffizienz Steuer-Transfer-System 213, 222 ff. Strenge Konvexität - vgl. Konvexität Streng vorziehen - vgl. vorgezogene Güterbündel subadditive Kostenstrukturen - vgl. Kosten subjektive Tauschbereitschaft - vgl. Tausch Substitution Substitutionseffekt 71 ff. Substitution, Grenzrate der 58 ff. Substitute, perfekte 48 ff. superiore Güter - vgl. Güter Tausch 16 ff. Tauschbereitschaft, subjektive 57 ff. Tauschverhältnis, objektiv mögliches 38 ff. Tauschgerechtigkeit - vgl. Gerechtigkeitsvorstellung technologischer externer Effekt - vgl. externer Effekt totale Kosten - vgl. Kosten Transaktionskosten 177 ff. Transfer Steuer-Transfer-System - vgl. Steuer-Transfer-System Transfer in cash 221 ff. Transfer in kind 221 ff. Transitivität (Axiom der) 43 ff. Übersättigung - vgl. Annahme der Nichtsättigung Überschuss, sozialer - vgl. sozialer Überschuss Unternehmer*in, politische/ r 238 Umverteilung - vgl. Verteilung variable Kosten - vgl. Kosten Verschmutzungszertifikate 185 ff. Verteilung 210 ff. Umverteilung 212 ff. Verwaltungsbürokratie vgl. Bürokratie Vollständigkeit (Axiom der) 41 ff. Vorgezogenes Güterbündel - vgl. Güterbündel, vorgezogenes <?page no="300"?> 274 Schlagwortregister Wähler*innen 236 ff. Wahlparadoxon 242 ff. Walras, Léon 136 Walras-Gleichgewicht 136 Walrasianischer Auktionator 136 Wicksell, Johann Gustav Knut 235 Wicksellsche Einstimmigkeit 235 Wohlfahrtsökonomische Renten 137 ff. Gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust 143 ff. Konsumentenrente 137 ff. Produzentenrente 140 ff. Sozialer Überschuss 141 ff. Wohlmeinender Diktator 149 ff. Zahlungsbereitschaft, marginale 58 ff. Zentralverwaltungswirtschaften 151 ff. Zertifikate 185 ff. Zusammengesetztes Gut - vgl. Gut, zusammengesetzte <?page no="301"?> uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ anagement \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen aft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik emdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc BUCHTIPP Markus Thomas Münter Mikroökonomie, Wettbewerb und strategisches Verhalten 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2021, 453 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8252-5537-4 eISBN 978-3-8385-5537-9 Wie konkurrieren Unternehmen, wie entscheiden Manager? Dieses Buch zeigt es Ihnen! Mikroökonomie ist spannend. Markus Thomas Münter erklärt strategische Entscheidungen mit anwendungsorientierter mikroökonomischer Theorie. Empirische Daten, viele Praxisbeispiele und verhaltensökonomische Erkenntnisse helfen, Strategieentwicklung und digitale Geschäftsmodelle besser zu verstehen - damit beim Start ins Berufsleben direkt die richtigen Entscheidungen getroffen werden. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="302"?> uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ anagement \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen aft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik emdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc BUCHTIPP Hans Adam, Peter Mayer Europäische Integration Einführung für Ökonomen 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2020, 386 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-8252-5300-4 eISBN 978-3-8385-5300-9 Der Europäische Binnenmarkt ist der größte der Welt. Das Wissen um die Europäische Integration ist deswegen für Studierende der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sehr wichtig. Das Lehrbuch führt zu Beginn in die Geschichte des europäischen Einigungsprozesses ein und stellt die institutionelle Struktur der EU vor. Europäische Politikfelder werden in Theorie und Praxis dargestellt und die Herausforderungen der Zukunft diskutiert. Die 3. Auflage wurde vollständig überarbeitet und erweitert: Sie berücksichtigt die aktuellen politischen Debatten über die Zukunft der Europäischen Union und über die Weiterentwicklung der zentralen Politikfelder. Jedes Kapitel zeichnet sich durch Lernziele, Zusammenfassungen und Literaturtipps aus. Ein Glossar rundet das Buch ab. Das Lehrbuch richtet sich an Bachelorstudierende der Volks- und Betriebswirtschaftslehre. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="303"?> uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ anagement \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen aft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik emdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc BUCHTIPP Dirk Linowski Herausforderungen der Wirtschaftspolitik 1. Auflage 2021, 400 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8252-5432-2 eISBN 978-3-8385-5432-7 In unserer Zeit der Umbrüche ein nützliches Buch: Diese Umbrüche wurden ausgelöst, weil wieder einmal in unserer Geschichte wissenschaftliche und technologische Entwicklungen den natürlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen so stürmisch vorauseilen, dass nicht nur viele Menschen, sondern auch Staaten und die Natur außer Atem geraten. Das hier vorliegende Buch fordert uns dazu auf, die eingefahrenen Denkpfade der Einzelwissenschaften für wenige Stunden zu verlassen und uns wieder bewusst zu werden, dass Alles mit Allem zusammenhängt. Der Autor lädt uns ein zu einer Weltreise, die vor unserer Haustür beginnt und dort wieder endet. Wie sieht es bei uns und in der Welt aus? Bei Demografie, Bildung, Arbeit, und Migration, die die Wirtschaft beeinflussen? Wie sind die Staaten in der Welt verfasst, wie werden sie regiert, droht ein Rückfall in die Welt der Konfrontationen, gar ein Ende der Demokratien? Der Autor macht uns auf dieser Reise Mut, die fälligen Veränderungen mit zu gestalten und liefert uns beunruhigt, also klüger, vor unserer Haustür wieder ab. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="304"?> ,! 7ID8C5-cffdib! ISBN 978-3-8252-5538-1 Die ökonomische Denkweise kennenlernen und Wirtschaftspolitik verstehen! Die VWL hilft dabei, das Wirtschaftsleben zu verstehen und politische Vorschläge zu dessen Gestaltung zu beurteilen. Steffen J. Roth führt die Leser*innen leicht verständlich an die Ökonomik heran, ohne mathematische Kenntnisse vorauszusetzen. Er gibt einen grundlegenden Einblick in die modelltheoretische Methode des Fachs und einen wertvollen Überblick insbesondere zur Mikroökonomik, zur Wirtschaftspolitik und zur Neuen politischen Ökonomie (NPÖ). Diese 6., überarbeitete Auflage ist der ideale Einstieg in die VWL für Studierende der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie angrenzender Studiengänge. Wirtschaftswissenschaften | Sozialwissenschaften | Rechtswissenschaften Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Mit 50 Video- Tipps