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Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online

Sprache, Stimme, Körpersprache und Medien gelassen einsetzen

0607
2021
978-3-8385-5550-8
978-3-8252-5550-3
UTB 
Jürg Häusermann

Nur Mut zum Dialog - vor Publikum und online Der Dialog macht vieles leichter: Wenn Menschen sich angeregt unterhalten, leidenschaftlich diskutieren und gemeinsam Lösungen suchen, läuft vieles wie von selbst. Beim Halten einer Rede aber dominiert oft der Monolog. Das Resultat: Sprache und Körpersprache wirken steif. Aber es geht auch anders. Viele dialogische Mittel eignen sich auch für den Vortrag. Sie erleichtern den Zugang zum Publikum und machen die Rede attraktiver. Das Buch zeigt, wie stark sich die öffentliche Rede vom alltäglichen Dialog unterscheidet - und dass es auch anders geht. Konkrete Tipps helfen dabei, auch in Vortragssituationen dialogische Mittel einzusetzen. Dies wird mit zahlreichen Beispielen aus Präsenz- und Online-Vorträgen erklärt. Jürg Häusermann verrät, wie Sie mit Ihrer Körpersprache den Raum nutzen können und das Zeitproblem in den Griff bekommen. Er zeigt, wie Sie durch Ihre Stimme eine Rede gestalten und die ZuhörerInnen durch eine lebendige Sprache miteinbeziehen. Ein Schwerpunkt liegt auch auf dem dialogischen Einsatz von Präsentationsmedien.

<?page no="0"?> Jürg Häusermann Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online <?page no="1"?> utb 5550 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Dr. Jürg Häusermann ist emeritierter Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er hat über vierzig Jahre Erfahrung in der Rhetorik-Ausbildung an Hochschulen, Fortbildungseinrichtungen und Medienanstalten. <?page no="3"?> Jürg Häusermann Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online Sprache, Stimme, Körpersprache und Medien gelassen einsetzen UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagabbildung: © RapidEye · iStock Autorenbild: © Hannah Barnekow Illustrationen im Buch: Belege in den Endnoten, Strichzeichnungen © Jürg Häusermann, Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 1. Auflage 2021 © UVK Verlag 2021 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5550 ISBN 978-3-8252-5550-3 (Print) ISBN 978-3-8385-5550-8 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5550-3 (ePub) <?page no="5"?> Gender-Hinweis Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen zwischen der männlichen und der weiblichen Form abgewechselt. Leserinnen und Leser sind gleichermaßen angesprochen. <?page no="7"?> für Bärbel <?page no="9"?> Inhalt Vorwort | Keine Show! .........................................................................................................11 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? .............................................................13 2 Vom Monolog zum Dialog ......................................................................................33 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum ......................................51 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung .................................................................61 5 Vertraue deiner Körpersprache! ...........................................................................73 6 Körpersprache online: mehr als nur Blickkontakt ............................................89 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus .............................................93 8 Neue Impulse beleben die Sprechweise .......................................................... 105 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps ..................................... 113 10 Wege zu einem verständlichen Stil .................................................................. 131 11 Sag’s attraktiver! ................................................................................................... 165 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog ................................................................... 185 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein .......................................................... 205 14 Dialog durch Fragen und Antworten ................................................................ 219 15 Das Interview als Alternative zum Vortrag ..................................................... 231 16 Visualisieren und trotzdem präsent bleiben ................................................... 239 17 Medien und Requisiten beim Online-Vortrag ................................................. 263 Anhang Weiterführende Literatur.................................................................................... 311 Endnoten ............................................................................................................ 313 Personen und Stichwörter .................................................................................. 323 <?page no="11"?> Vorwort Reden könnte so einfach sein. Reden ist eine alltägliche Tätigkeit, mit der wir das Leben meistern. Wir fragen „Wie geht’s? “, wir bestellen Kaffee, wir führen Selbstgespräche - und oft ist nicht viel Überlegung dabei. Aber wenn es gilt, sich vor eine Gruppe zu stellen und einen kurzen Vortrag zu halten oder über die Kamera des Computers Menschen zu erreichen, ist anscheinend alles anders. 1 Viele empfinden das Reden zu einem Publikum als eine einsame Tätigkeit. Sie glauben, sie seien zu einem ununterbrochenen, kunstvollen Redefluss verpflichtet, zum perfekten Monolog. Das ist kein Wunder, denn die Idealbilder, die uns für das öffentliche Reden präsentiert werden, sind Bilder von Menschen, die sich vor einer Menschenmenge postiert haben und dieser eine brillante Performance bieten. Barack Obama, Winston Churchill, Helmut Schmidt, Hape Kerkeling, Charles de Gaulle, Martin Luther King: Redner (und es sind wirklich zum größten Teil Männer 2 ), die einen geschliffenen Text sprechen können, den die Öffentlichkeit bewundernd abnickt und den man später in Sammelbänden abdruckt. Solche Redner imitieren zu wollen, setzt unnötig hohe Hürden. Denn von Menschen, die einen Vortrag halten müssen, wird etwas anderes erwartet als von Schauspielerinnen oder politischen Führern. Sie müssen keine Rolle einstudieren und keine makellose Vorführung präsentieren. Sie müssen informieren. Sie haben etwas Eigenes mitzuteilen, und ihr Publikum ist an der Information interessierter als an der Form. Dafür taugt auch der populäre Volksredner von Cicero bis Obama nicht zum Vorbild, der einen ausgefeilten Text wiedergibt und den mit einer Erfahrung von Jahrzehnten des Redens und des Redetrainings zelebriert. Und es braucht nicht das Ideal der Rede, die angeblich mit der Macht des Wortes eine Menschenmenge zu manipulieren vermag. Nein, dem nachzueifern, macht kaum Sinn, wenn man in einem normalen Beruf, im Studium oder in der Freizeit zu anderen reden soll. Wer bei einem Online-Seminar einen Vortrag hält, wer in der Kirche einen Bibelvers auslegt oder eine Gruppe von Kunden durch die Werkstatt führt, braucht nicht Tipps für den tadellosen Auftritt, sondern etwas viel Einfacheres: eine Anleitung dazu, mit den Menschen in den Dialog zu treten. Das bedeutet Gelassenheit statt Leistungsdruck, Persönlichkeit statt Perfektion, Verständigung statt Überredung. Dieses Buch wendet sich an Menschen, die ihre Sache verständlich rüberbringen wollen - so, dass man ihnen motiviert zuhört und bereit ist, mitzudenken. Ausgangspunkt dafür ist die Schwelle, die offensichtlich da ist, die Schwelle vom ungezwungenen Reden im Alltag zum Reden vor Publikum. <?page no="12"?> 12 Vorwort Mit diesem Übergang vom nicht-öffentlichen zum öffentlichen Reden verändern sich die Rahmenbedingungen des Redens und es stellen sich besondere Anforderungen an das sprachliche, sprecherische und körpersprachliche Verhalten. Aber nur scheinbar ist es auch ein Übergang vom Dialog zum Monolog. Im Gegenteil: Das Ziel ist Verständigung, und diese gelingt am besten, wenn auch die öffentliche Rede möglichst viel Dialogisches enthält. Die Rednerin, der Redner, aber auch die Zuhörerinnen und Zuhörer profitieren davon. Wie auch im Alltag ist der Grundgedanke, dass das Ziel gemeinsam erreicht werden soll. Das soll dieses Buch zeigen: dass Reden als Dialog aufgefasst und mit dialogischen Mitteln angegangen werden kann. Dies erleichtert nicht nur dem Redner oder der Rednerin die Aufgabe, sondern macht auch die Menschen im Publikum von passiven Empfängern der Botschaft zu Gesprächspartnern. Voraussetzung ist, zu erkennen, wie sich nicht-öffentliches und öffentliches Reden unterscheiden und wie eine dialogische Haltung auch in die öffentliche Rede übernommen werden kann. Die Beispiele und Tipps beginnen beim Umgang mit dem Raum: mit der Überwindung der Distanz zum Publikum. Dies führt zu den Themen Körpersprache und Akustik. Darauf folgen die Kapitel, die zeigen, wie man die passenden Worte findet und mit klassischen und neuen Medien visualisiert. Extras Der Anhang enthält Vorschläge für die Gestaltung von Seminaren mit einer Reihe bewährter Übungen für das Reden vor Gruppen in Präsenz und online. Dieses Buch ist entstanden, als die Corona-Pandemie viele von uns zwang, Präsenzveranstaltungen ins Netz zu übertragen. Es fußt auf Erfahrungen der Online-Rhetorik, wie sie sich mit den sozialen Medien und den Werkzeugen der digitalen Lehre entwickelt hat. Es nimmt aber auch - in überarbeiteter Form - Grundgedanken und bewährte Inhalte aus dem Buch Konstruktive Rhetorik von 2019 auf. Die Regeln und Tipps richten sich an alle, die in irgendeiner Form mündlich informieren müssen, und natürlich auch an Lehrende, die das Halten von Vorträgen als Schlüsselkompetenz vermitteln. An sie wenden sich besonders auch die praxiserprobten Seminar- und Übungsvorschläge. Allen aber wünsche ich, dass ihnen die dialogische Ausrichtung des Buchs eine Hilfe ist und dass sie beim Lehren und Lernen auch den spielerischen Aspekt des Redetrainings entdecken. <?page no="13"?> 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? Luisa Neubauer, die Geografie-Studentin und Klimaschutz-Aktivistin, steht auf der Bühne. Am Rand des Berliner Invalidenparks spricht sie zu mehreren tausend Menschen, die sich zum internationalen Klimastreik versammelt haben. Sie steht aufrecht, während sie sagt: „Wir sind vernetzter als je zuvor, wir sind globaler als je zuvor, wir werden den Leuten so lange auf die Nerven gehen, bis sie begreifen, dass sie an der Reihe sind, was zu tun.“ Es sind klare, plakative Sätze, und einige davon hämmert sie den Zuhörenden richtiggehend ein: „Wir sind die Generation, die das schaffen kann! “ Jede der unterstrichenen Silben betont sie und dazu schlägt sie mit beiden Armen den Takt. „Wir sind diejenigen, die das schaffen müssen, und wir werden das schaffen.“ 3 1 | Die Rednerin auf der Bühne. Die einprägsamen Formulierungen, die starken Betonungen, die rhythmischen Armbewegungen: das ist die „öffentliche“ Luisa. Sie formuliert mit fester Stimme klare Botschaften in kurzen, vollständigen Sätzen. Eine Fernseh-Doku zeigt sie aber auch im Gespräch mit ihren Freunden. Man sieht sie bei der Planung einer Aktion, beim Diskutieren persönlicher Probleme oder beim Entspannen nach einem anstrengenden Tag. Da ist keine Bühne mehr; sie stehen nahe beieinander. Luisas Stimme klingt mal kräftiger, mal zurückhaltend. Sie braucht nicht immer vollständige Sätze zu machen und lässt sich auch unterbrechen oder fragt nach. Dazu steht, sitzt oder liegt sie, geht durch den Raum. Manchmal schaut sie aufs Handy, gelegentlich führt sie ihre Hände zum Mund oder stützt ihr Kinn auf, um nur zuzuhören. <?page no="14"?> 14 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? 2 | Gespräch unter Freunden: geringe Distanz. Das sind zwei Bilder von ein und derselben jungen Frau, einmal bei der öffentlichen Rede vor Publikum und einmal im Gespräch mit Vertrauten. Ansprache im Kontrast zu Zwiesprache. Sie illustrieren die drastischen Unterschiede, die sich da ergeben können. Auch wenn das Ziel nicht in einer Kampfrede besteht, ist es dennoch wichtig zu wissen, unter welchen Bedingungen sich die öffentliche Rede entwickelt hat. Es hilft, zu erkennen, wie man mit diesen Vorgaben umgehen kann. Die nächsten Kapitel zeigen die wesentlichen Aspekte auf. Einige davon müssen respektiert werden, andere lassen sich durchaus ignorieren. Alle werden einfacher, wenn man sie mit einer dialogischen Haltung angeht. Im Überblick sind dies die wichtigsten Merkmale öffentlicher Kommunikation: » Drei Rollen: Die Beteiligten übernehmen unterschiedliche Aufgaben: » eine Person trägt vor » eine Gruppe hört zu » ein Veranstalter schafft den Rahmen » Mehr Raum: RednerIn und Publikum sitzen oder stehen einander in einer gewissen Entfernung gegenüber (Präsenzvortrag) - oder sie befinden sich in unterschiedlichen Räumen und sind durch ein elektronisches Medium verbunden (Online-Vortrag). » Zeitliche Begrenzung: Wie lang eine Rede sein soll, ist von vornherein abgesprochen oder ergibt sich aus der Erfahrung. » Einflüsse von Kultur und Gesellschaft: Für jeden Typ Rede gibt es Vorgaben, die von der Wahl des Ortes bis zur Kleidung gehen können. » Redeziele und Redehandlungen: Eine Rede ist mit einem klaren Zweck verbunden, dem eine sprachliche Handlung zugeordnet werden kann. » Planung: Jeder Rede geht eine längere oder kürzere inhaltliche und sprachliche Planung voraus. » Sprache, Sprechen und Körpersprache ergeben sich als Produkt dieser Rahmenbedingungen. <?page no="15"?> Drei Rollen sind beteiligt: RednerIn, Publikum, Veranstalter 15 Drei Rollen sind beteiligt: RednerIn, Publikum, Veranstalter Die Dozentin und die Studierenden; der Vorgesetzte und die Mitarbeitenden; die Pfarrerin und die Gemeinde; der Influencer und die Follower usw.: Sobald eine öffentliche Rede angesagt ist, übernehmen die Beteiligten unterschiedliche Rollen. Die Rolle der Rednerin oder des Redners wird akzeptiert, weil die betreffende Person eine Kompetenz mitbringt, von der die anderen profitieren können, indem sie zuhören können. Das ist die grundlegende Spielregel der öffentlichen Rede. Die Rednerin, der Redner „Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören - das ist deine Gelegenheit! Missbrauche sie.“ 4 Kurt Tucholskys Schlussworte zu seinen Ratschlägen für einen schlechten Redner sagen alles über die destruktive Wirkung der klassischen Rednerrolle. Sie stammen aus einer Zeit, in der der öffentliche Vortrag noch einen ganz anderen Stellenwert als heute hatte. Er war oft die direkte Begegnung mit einer Informationsquelle, zu der es keinen anderen Zugang gab. Man ging hin, um sich zu informieren oder überzeugen zu lassen, weil das der unmittelbarste Zugang zu kompetenten und aktuellen Informationen und Stellungnahmen war. Es gab keine Podcasts, keine YouTube-Kanäle, keine spezialisierten Fernsehangebote. Und das Radio, das noch keine zehn Jahre alt war, lieferte zu einem großen Teil genau dies: Vorträge von Fachleuten und Politikern. Heute steht jeder Vortrag in Konkurrenz zu anderen aktuellen Medien. Das hat die Rolle nur wenig verändert, aber geblieben ist die Erwartung an eine kompetente Person, die sprechen wird. Gefragt ist ihre Sachkompetenz, aber auch ihre Perspektive: ihre Erfahrung als Fachperson, ihre Spezialität, die sie von anderen unterscheidet. Das ist Verpflichtung und Erleichterung zugleich. Es verpflichtet zu einer gut recherchierten inhaltlichen Darbietung. Und es erleichtert die Aufgabe, weil niemand im Saal das gewählte Thema besser kennt. ☉ Die Rolle als Verpflichtung Die Rolle der Rednerin oder des Redners ergibt sich aus der Kompetenz der vortragenden Person. Im Sachvortrag beruht sie auf Fachwissen und Erfahrung. Das sollte zum Selbstvertrauen beitragen. Das Privileg, als einzelner Mensch zu mehreren reden zu dürfen, verpflichtet aber auch zur inhaltlichen Sorgfalt. Ausgeprägter als vor hundert Jahren ist die Erwartung an einen unmittelbaren Austausch während oder nach dem Vortrag. Bereitschaft zur Antwort auf <?page no="16"?> 16 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? Fragen und Improvisation sind die Regel. Auch digital übertragene Vorträge betonen dies durch eine Kommentar- oder Chat-Funktion. Der heutige Vortrag ist offen - und wenn das Medium dies nicht erlaubt, dann wird es wenigstens deklariert. Das Publikum „Warum halten eigentlich die meisten Menschen so gern Reden? - Wie ich glaube, deshalb, weil dies die einzige Art und Weise ist, in der sie sich die Illusion verschaffen können, dass ihnen die anderen zuhören. Sie hören natürlich nicht zu; wenn sie nur irgend können, dann verschaffen sie sich auf ihren Zuhörerplätzen Papier, Programme, ein Zettelchen, und dann ziehen sie mit ernster Miene einen Bleistift aus der Tasche und machen sich Notizen ... Männerchen, Sternchen, Kreise und schraffierte Felder, und ein geschickter Seelenarzt kann aus diesen Malereien viel Aufschlussreiches herauslesen … Zuhören aber tun sie nicht.“ 5 Das ist das (weniger berühmte) Zitat Tucholskys über das Publikum. Darin spiegelt sich die klassische monologische Einstellung. Das Publikum sollte zuerst still zuhören und sich eventuell im Nachgang äußern. Dennoch war es auch damals nicht passiv. In jedem Fall wurde erwartet, dass es mitdachte, lernte, im besten Fall auch weiterdachte. Das kann durch einen guten Vortrag erreicht werden. Und wir werden in diesem Buch sehen: Je dialogischer der Ansatz ist, desto leichter wird es und desto aktiver wird die Rolle, die das Publikum übernimmt. ☉ Das Publikum ist freiwillig da Vom Publikum kann immer Interesse erwartet werden - im Idealfall sogar Wohlwollen. Beides lässt sich fördern, indem es wahrgenommen und auf Augenhöhe angesprochen wird. Der Veranstalter Eine weitere Rolle, die im Rhetorik-Unterricht oft übersehen wird, ist die des Veranstalters. Zwar spricht er nicht und spendet auch nicht Applaus; dennoch macht er seinen Einfluss geltend, sei es durch die Vorgabe eines Programms, sei es durch Kleidervorschriften oder auch durch Zensurmaßnahmen. In der digitalen Welt ist es zurzeit umstritten, wie stark der Einfluss des Eigentümers einer Plattform - etwa von Facebook oder Twitter - auf die präsentierten Inhalte sein soll. Die Tweets von US-Präsident Trump wurden zum Teil mit Kommentaren versehen („Diese Behauptung über Wählbetrug sind <?page no="17"?> Drei Rollen sind beteiligt: RednerIn, Publikum, Veranstalter 17 umstritten“), zum Teil gelöscht, bis gegen Ende seiner Amtszeit der gesamte private Account von @RealDonaldTrump aus dem Netz entfernt wurde. Aber im Zusammenhang mit Redebeiträgen sind auch andere Zensurmaßnahmen bekannt geworden. Dazu gehören Eingriffe der weltumspannende Vortragsfirma TED, die Bühnenprogramme mit Kurzvorträgen organisiert, die später im Internet Millionen von Klicks generieren. Dabei müssen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einen ganzen Katalog von Vorschriften halten. Wenn sie es nicht tun, werden sie mitunter damit gestraft, dass ihre Vorträge auf der TED-Plattform nicht weiter zu sehen sind. So ging es im Jahr 2012 dem Unternehmer und Investor Nick Hanauer. Selbst Milliardär, wandte er sich gegen die Steuervorteile, die Unternehmen und reiche Mitbürger in den USA genießen. Zwar werde behauptet, dass sie die so erzielten Einsparungen für neue Arbeitsplätze nutzten. Aber Hanauer stritt dies vehement ab: „Reiche Leute wie ich schaffen keine Arbeitsplätze; Arbeitsplätze sind die Folge einer Rückkopplung von Kunden und Unternehmen.“ Hanauer brüskierte die Reichen und Superreichen, die schon viel zum Erfolg von TED beigetragen hatten. Das fand man dort nicht witzig, sondern man beschloss, das Video von Hanauers Rede nicht zu veröffentlichen. Die Begründung: Die Leistung sei „mittelmäßig“ gewesen, das anwesende Publikum habe gemischte Reaktionen gezeigt, und mit der politischen Botschaft könnten sich viele Geschäftsleute angegriffen fühlen. 6 Mitspieler Nummer 3, der Veranstalter, hatte zugeschlagen. In seiner Macht steht es, den Rednern eine Plattform zur Verfügung zu stellen oder auch zu entziehen. Er hat auch die Macht, für den Inhalt der Reden in seinem Einflussbereich eigene Regeln zu formulieren. Für die TED-Vorträge existiert eine Liste, die angibt, welche Inhalte zulässig sind und welche nicht. Dies geht so weit, dass Behauptungen, die sich „außerhalb orthodoxen wissenschaftlichen Denkens“ 7 bewegen, der Zensur unterworfen werden. 8 Aber auch für die Sprache gibt es Regeln. So ist zum Beispiel „unpräzises New-Age-Vokabular“ verboten. 9 Es ist leicht denkbar, dass es da Rednerinnen und Redner schwer haben, die eine radikale politische oder philosophische Position vertreten. 10 Im Fall von Hanauer kam es bald zu einem Kräftemessen zwischen TED und dem Redner, der immerhin finanzkräftige Partner hinter sich wusste. Er wehrte sich erfolgreich. TED gab klein bei, lud später Hanauer sogar erneut ein, um ihn dann sehr schmeichelhaft auf der TED-Website zu präsentieren. 11 ☉ Der Einfluss des Veranstalters » Platzierung der Rede im Programm (im Kontrast mit anderen Reden) » Regeln zur Form, von der Kleidung bis zum sprachlichen Ausdruck » Festlegung inhaltlicher Grenzen <?page no="18"?> 18 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? » Entscheidung über die Weiterverbreitung (Kontakt zur Presse, Internetauftritt, Aufnahme in Publikationen) Die Regeln des Veranstalters müssen nicht, wie bei TED, schriftlich festgelegt 12 sein; andernorts hält man sich mehr oder weniger unbewusst an traditionelle Formen. Wie der Pfarrer bei der Taufe spricht (in welcher Kleidung, welchen Worten, an welchem Platz in der Kirche, mit welchen Gesten usw.), ist in der Liturgie des Gottesdienstes festgeschrieben. Was im Parlament möglich ist und was nicht, schreibt die Geschäftsordnung vor. Aber auch wenn Jugendliche einen Debattierclub gründen, stellen sie ad hoc Regeln auf, die nicht sehr von den überlieferten Gebräuchen abweichen, obwohl sie es in der Hand hätten, völlig neuartige Formen auszuprobieren. Ein autoritärer Rahmen Alle diese Formen der Einflussnahme lassen einen wichtigen Grundton des Redens in der Öffentlichkeit erkennen: Es geschieht in einem Kontext der Autorität. Der Rollenunterschied zwischen Redner und Zuhörern fügt sich in ein Machtgefälle ein, in dem gewöhnlich der Veranstalter das Sagen hat. Wenn die Rednerin sich den Vorgaben des Veranstalters fügt, profitiert sie von dessen Macht. Wenn sie aber (wie Hanauer) Thesen vertritt, die den Interessen des Veranstalters widersprechen, oder formale Vorgaben unterläuft (wie es gelegentlich bei Oscar-Verleihungen zu beobachten ist), nimmt sie einen Machtkampf auf, den sie auch verlieren kann. Auf der anderen Seite ist der Erfolg von Reden oft gerade darauf zurückzuführen, dass der Redner oder die Rednerin in Maßen auf Distanz zum Veranstalter geht, mit dessen Regeln kokettiert oder sie explizit missachtet. ☉ Die Regeln können auch unterlaufen werden Ein Beispiel für den spielerischen Umgang mit den Regeln des Veranstalters: Bei der Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag zum 25 Jahre zuvor erfolgten Fall der Mauer war Wolf Biermann eingeladen, ein Lied zu singen. Er nutzte die Gelegenheit zu einer gesprochenen Einleitung über sein Verhältnis zu der Partei Die Linke, wurde vom Bundestagspräsidenten Norbert Lammert mit einem humorvollen Verweis auf die Geschäftsordnung unterbrochen, die ihm das verbiete, was er wiederum konterte: „Das Reden habe ich mir in der DDR nicht abgewöhnt und werde das hier schon gar nicht tun.“ 13 <?page no="19"?> Der Raum der Begegnung wird wichtig 19 Zu berücksichtigen bleibt, dass institutionelle Vorgaben auch etwas Gutes haben. Auch wenn sie in vielen Fällen lächerlich oder veraltet wirken, erleichtern sie auch die Kommunikation. Sie unterstreichen die Funktion der betreffenden Person und verleihen ihr damit mehr Autorität. Zur rhetorischen Praxis gehört es, sich zu überlegen, inwieweit es möglich ist, von den Normen des Veranstalters zu profitieren, aber auch von ihnen abzuweichen, um nicht nur als Vertreter einer abstrakten Instanz, sondern auch als Individuum in den Dialog mit dem Publikum zu treten. Der Raum der Begegnung wird wichtig Weil sich eine einzelne Person an eine Gruppe von Menschen wendet, wird ein größerer Raum benötigt als im privaten Gespräch. Das bedeutet fast in jedem Fall, dass Redner und Publikum einige Meter Abstand brauchen. Die Innenarchitektur betont dies noch: Eine Rednertribüne, ein Lehrerpult oder eine Bühne sorgen für die Sicht- und Hörbarkeit. Stühle, Bänke, Sitzreihen richten die Zuhörenden auf die wichtigste Person im Raum aus. Viele Gebäudetypen sind im Hinblick auf öffentliche Reden geschaffen worden: Parlamentsgebäude, Gerichtssäle, Kirchen, Schulzimmer. Sie bestimmen, wo der Redner steht und wo die Zuhörer sitzen: Es gibt das Podium, die Kanzel, das Katheder. Diese Wörter allein lassen an bestimmte Arten des Redens denken: Podiumsredner, Kanzelwort, Kathederweisheit ... Aber auch in informellen Situationen ist es weithin üblich, dass die Rednerin sich vom Sitz erhebt und die Menschen, die sie hören sollen, im Stehen anspricht, auch wenn diese selbst sitzen. Indem sie aufsteht und einen besonderen Standort einnimmt, setzt sie ein Zeichen. Sie erhöht aber auch die Verständlichkeit und zeigt Respekt für die um sie Versammelten. Wer sitzen bleibt, gilt schnell als unhöflich, auch wenn es als Zeichen der Bescheidenheit oder der Originalität gemeint ist. Einfluss auf die Sprechweise Die Distanz zwischen Redner und Publikum beeinflusst die Art, wie mit der Stimme umgegangen wird. In hohen und weiten Räumen entsteht ein starker Hall - ein Effekt, der beim nicht-öffentlichen Gespräch in kurzer Distanz kaum eine Rolle spielt. Das führt zu mehr und längeren Pausen, die gebraucht werden, um die Stimme verhallen zu lassen. Deshalb hat sich eine redetypische Sprechweise entwickelt, mit gleichförmigem Rhythmus und vielen Betonungen. Man hat den Extremfall dieser Sprechweise von Festreden im Ohr. Ansätze dazu lassen sich auch in vielen Online-Vorträgen erkennen. Zwar würde das Mikrofon eine zurückhaltendere Sprechweise erlauben; aber das Bewusstsein für die öffentliche Situation beeinflusst dennoch mehr oder weniger stark die Art und Weise des Sprechens in der Online-Situation. <?page no="20"?> 20 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? Einfluss auf die Körpersprache Dass der Raum sich weitet, beeinflusst auch die Körpersprache. Vieles, was Rednerinnen und Redner intuitiv tun - wie sie sich bewegen, wie sie dastehen, welche Gesten sie ausführen -, ist durch die Distanz zum Publikum zu erklären, die zur traditionellen öffentlichen Rede gehört, auch wenn diese in vielen Fällen längst aufgehoben ist. Honoré Daumier hat dies illustriert, als er Mitte des 19. Jahrhunderts Anwälte karikierte. Es war die französische Juli-Monarchie, eine Zeit der Skandale und sozialen Missstände. In der Serie Les gens de justice zeichnete er zwei Advokaten, die sich noch auf ihren Auftritt vorbereiten. Der eine ordnet seine Halsbinde, der andere schlüpft gerade in den Talar. Die Art ihres Gesprächs ist aus diesen privaten Handlungen, aus der Mimik, aber auch schon allein aus der Nähe der beiden Figuren erkenntlich. Sie werden gleich gegnerische Parteien vertreten; aber eigentlich sind sie Kumpel und vertrauen sich an, was sie wirklich von der Sache denken. 3 | Honoré Daumier: zwei Anwälte vor ihrem Auftritt in kollegialem Gespräch. 14 4 | Honoré Daumier: der Anwalt beim Plädoyer. 15 <?page no="21"?> Der Raum der Begegnung wird wichtig 21 Ein anderes Bild zeigt die beiden in der Hitze des rhetorischen Gefechts. Dem plädierenden Anwalt ist anzusehen, dass er zu einem ganzen Saal spricht. Man ahnt die große Lautstärke, auch die Gestik ist für die Wirkung im Raum ausgelegt. Mit seiner Körperhaltung, leicht nach hinten gedehnt, vergrößert er sogar noch die Distanz zum gegnerischen Anwalt, der den indignierten Kollegen spielt. Auch das Verhalten des Publikums wird durch die räumliche Einrichtung geleitet. Die Menschen werden auf eigens angeordnete Sitze verwiesen. Das gibt die Blickrichtung vor und fördert damit die Aufmerksamkeit. Es schränkt aber auch ihre Beweglichkeit ein. Zwischen anderen Zuhörern eingepfercht, ist man zu einer ruhigen, wenn nicht gar starren Haltung gezwungen. In einem gewissen Sinn isoliert die räumliche Anordnung den Redner; sie verstärkt den Eindruck der Distanz zwischen ihm und dem Publikum. ☉ Der Einfluss des Raums » größere Distanz des Redners zum Publikum » reduzierte Bewegungsmöglichkeiten des Publikums » vereinfachte, auf Deutlichkeit ausgerichtete Körpersprache » lautes, gleichförmiges Sprechen Rhetorik: Die Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit Rhetorik ist in diesem Sinne die Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit: vom Reden, wenn der Raum sich weitet und die Rollen in Redner und Publikum aufgeteilt sind. Man sieht und hört es einem Menschen an, wenn er seine private Redeweise verlässt und - je nach Typ - doziert oder referiert oder predigt. Er begibt sich auf Distanz, nimmt eine neue Rolle an und verhält sich nach anderen Normen. Wer redet, schafft zwar nicht in jedem Fall Öffentlichkeit im soziologischen Sinne. 16 Aber die Gemeinschaft mit dem Publikum im erweiterten Raum macht die Inhalte der Rede für andere zugänglich und schafft die Möglichkeit, dass die Inhalte der Rede weitergetragen werden und über die Anwesenden hinauswirken. Sie werden das Gehörte weiterverbreiten, in der Familie, in anderen sozialen Gruppen. Öffentlich zu reden, bedeutet, in einem größeren Raum zu reden, im konkreten wie im übertragenen Sinne. Die in diesem Buch verwendete Rhetorik-Definition „Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit“ schränkt den Begriff stark ein im Vergleich zum Anspruch, den die akademische Rhetoriktheorie seit Jahrhunderten erhebt. Denn diese aus dem Altertum entwickelte Wissenschaft hatte immer mehr im Sinn, als nur <?page no="22"?> 22 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? eine Kommunikationslehre zu sein. Sie bezog immer Aspekte der Philosophie, Psychologie und Sprachwissenschaft ein. Diese wurden später von eigenen Disziplinen (z.B.: Linguistik, Psychologie, Kommunikationswissenschaft) übernommen. Einige davon sind direkt aus der Rhetorik entwickelt worden, andere zumindest können ihre Verwandtschaft nicht leugnen. Deshalb umfasst der heutige praktische Rhetorikunterricht nur noch einen kleinen Teil des klassischen Lehrgebäudes. Das hat aber durchaus seinen Sinn, eben weil es moderne Fächer gibt, die sie entlasten, weil sie Inhalte erforschen, die früher zur Rhetorik gehörten. ☉ Moderne Erben der klassischen Rhetorik » Linguistik » Literaturwissenschaft » Psychologie » Jurisprudenz » Theaterwissenschaft » Medienwissenschaft Dennoch ist das in diesem Buch verwendete Verständnis von Rhetorik - als Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit - eine bewusste Einschränkung. Es beruht auf der Beobachtung des Besonderen am Reden zu einer Gruppe von Menschen im Vergleich zum Reden mit Menschen in einem informellen Rahmen. 17 Dass diese Lehre trotz ihrer klaren Einschränkung immer noch Rhetorik genannt werden soll, hat zwei Gründe. 18 Der eine liegt in der Tradition des Sprachgebrauchs: Im deutschen Sprachraum hat Rhetorik sich als Bezeichnung für alle Formen des praktischen Redetrainings eingebürgert. Unzählige Angebote führen den Begriff im Titel, auch wenn sie keinen Zusammenhang zur wissenschaftlichen Rhetorik erkennen lassen. Deshalb sollte ein Buch wie dieses, das den Bezug zur Wissenschaft beibehält, den Begriff nicht über Bord werfen. Der zweite Grund hat mit der Perspektive der Rhetorik zu tun, die sich von derjenigen anderer Wissenschaften der Kommunikation unterscheidet. Auch wenn uns bewusst bleibt, dass das Publikum ebenso entscheidend ist wie die Rednerfigur, richtet sich die Botschaft der Rhetorik in erster Linie an die Rednerin bzw. den Redner. Auch wenn es eine Lehre des dialogischen, konstruktiven Redens ist, werden wir immer wieder auf die Rednerperspektive zurückkommen, weil es der Redner bzw. die Rednerin ist, an die sich die Ausbildung richtet. 19 <?page no="23"?> Die Zeit ist begrenzt 23 Die Zeit ist begrenzt Im privaten Rahmen ergibt es sich meist von selbst, wie lang ein Gespräch dauert. Die öffentliche Rede dagegen ist von Zeitvorgaben geprägt. Unterrichtsstunden von der Grundschule bis zur Universität haben ihren festen Zeitrahmen; bei Radio- oder Fernsehsendungen ist die Dauer das Erste, was vorbestimmt ist. Und sogar bei freien Formen, wie sie Podcasts und Video-Blogs ermöglichen, ist eine Beschränkung der Länge meist selbstverständlich. Die zeitliche Begrenzung führt dazu, dass sich viele Rednerinnen und Redner verhalten, als ob sie unter Zeitdruck stünden. Sie nehmen ohne Not eine gehetzte Sprech- und Präsentationsweise an, wie wenn sie Angst hätten, gleich unterbrochen zu werden. Da ist der Mediziner, der zum Thema „Psychiatrische Störungen“ reden soll. Die Studierenden sind schon da, sie warten in einem großen Hörsaal mit nach hinten ansteigenden Sitzreihen. Die ersten Sitzreihen haben sie typischerweise leergelassen. Der Dozent ist noch nicht zu sehen. Sie blicken auf eine weiße Leinwand, die hinter dem Lehrerpult aufgespannt ist. Einige Minuten nach der vereinbarten Zeit eilt der Dozent in weit ausholenden Schritten durch den Raum auf das Pult zu. 20 Als er die Mitte des Raums erreicht, spricht er, ohne anzuhalten, den ersten Satz: „So! “ Da er noch mitten im Lauf ist, sagt er es geradeaus, mit Blick in Richtung Seitenwand. Beim nächsten Schritt sagt er: „Etwas zu spät! “ Bei „spät“ wendet er den Kopf kurz nach links, wo die Studierenden sitzen, allerdings ohne abzubremsen. Er braucht drei weitere Schritte, um sich von einem Tablar eine Fernbedienung zu greifen. Mit dieser dreht er sich um, sagt „äh“ und macht drei kurze Schritte zurück. Dabei studiert er kurz die Fernbedienung und tippt mit dem Finger darauf herum (was auf der Leinwand keinen Effekt erzeugt). Als er hinter dem Pult angekommen ist, sagt er, noch immer zur Fernbedienung: „Schönen guten Tag! “ Erst bei „Tag“ blickt der Dozent ins Publikum. Danach wird er sich vorstellen, und dann wird die Vorlesung wirklich beginnen. Er wird zwar versuchen, seine Zuhörer mit seinem Thema zu fesseln. Mit dieser kurzen Einleitung hat er aber weder für sie noch für sich selbst eine gute Vorlage geschaffen. Denn in diesen ersten zehn Sekunden hat er so viele Dinge getan, dass er sich und die anderen überfordert: » Er betritt den Raum. » Er durchschreitet den Raum. » Er nimmt kurz Blickkontakt mit den Zuhörerinnen auf. » Er ergreift die Fernbedienung (mit einem weiteren Blick ins Publikum). » Er blickt auf die Fernbedienung, bedient sie. <?page no="24"?> 24 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? » Jetzt nimmt er erst seine endgültige Redeposition ein. » Und er sagt drei Dinge: » Er spricht die Verspätung an („etwas zu spät“) - eventuell in der Meinung, dies werde als Entschuldigung verstanden. » Er überbrückt eine Pause (Äh). » Er sagt guten Tag. 21 All dies ist in einer schwungvollen Bewegung von der Tür bis zum Dozentenpult erfolgt und hat sieben Sekunden gedauert. Für die Veranstaltung stehen 45 Minuten zur Verfügung. Es gibt keinen Grund zur Eile. Ein derart gehetzter Anfang ist nicht notwendig, und dennoch ist er typisch für diese Art Vortrag, gerade an Hochschulen und anderen Lehranstalten: Die Dozentinnen und Dozenten lassen sich keine Zeit. Sie spurten in den Hörsaal, fangen an, bevor sie richtig angekommen sind, und tun immer mehrere Dinge gleichzeitig. Sie überfordern damit sich und ihr Publikum. Und verpassen die besten Möglichkeiten, mit den Zuhörern in Kontakt zu kommen. Der Grund ist die scheinbar harmlose Rahmenbedingung, ohne die öffentliches Reden nicht auskommt: die Zeitabsprache. Sie führt in vielen Fällen zu einer unnötigen Hast. „Fasse dich kurz! “ ist eine Maxime, die sich durch sehr viele Bereiche des Lebens zieht, und viele Rednerinnen und Redner orientieren sich sogar dann daran, wenn ihnen genügend Zeit gegeben ist. ☉ Der Einfluss der Zeit » Zeitmanagement durch den Redner (im Gegensatz zum gemeinsamen Zeitmanagement im privaten Dialog) » Tendenz zu vorzeitigem Beginn » Tendenz zu hoher Sprechgeschwindigkeit » gleichzeitiges Ausführen verschiedener Handlungen (z.B. Sprechen und Bedienung technischer Geräte Auffällig ist dabei die Tendenz, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Wer sich dem Publikum vorstellen will und gleichzeitig seine Brille zurechtrückt, in sein Manuskript schaut und dabei sagt: „Mein Name ist ...“, verpasst die Chance, Kontakt aufzunehmen, vom Publikum als Gesprächspartner wahrgenommen zu werden - und auch das Publikum selbst wahrzunehmen. Reden heißt Zeit haben. Nicht dass man sich auf eine bestimmte Dauer geeinigt hat, sollte die Leitlinie sein, sondern dass man frei ist, sie mit so viel oder so wenig Dingen zu füllen, wie es sinnvoll ist - sinnvoll für die Konzentration des Redners, für die Aufnahmefähigkeit des Publikums und für ihre Interaktion. <?page no="25"?> Kultur und Gesellschaft reden mit 25 Kultur und Gesellschaft reden mit Wer zu einer öffentlichen Rede ansetzt, übernimmt eine Rolle, die zu einer gewissen Tradition gehört und entsprechende Erwartungen weckt. Ob diese erfüllt oder missachtet werden sollen, ist eine Sache des Abwägens von Fall zu Fall. Antoine de Saint-Exupéry berichtet in seiner Geschichte vom Kleinen Prinzen über die Entdeckung des Planeten, von dem er stammt. Ein türkischer Astronom habe ihn als erster erspäht. Als dieser aber seine Entdeckung beim internationalen Astronomenkongress bekannt machte, habe ihm niemand geglaubt, „und zwar ganz einfach seines Anzuges wegen“. 5 | Antoine de Saint-Exupéry: der Astronom in traditioneller Kleidung . Es dauerte elf Jahre, bis die wissenschaftliche Community den Mann ernst nahm. Dazwischen lagen die Gesellschaftsreformen unter Atatürk, und als der Astronom seinen Vortrag wiederholte, trug er einen Anzug nach westlicher Mode. „Und diesmal gaben sie ihm alle recht“ 22 , stellt der Erzähler fest. 6 | Antoine de Saint-Exupéry: der Astronom elf Jahre später. Die Geschichte erinnert daran, dass Verhaltensnormen sich von Kultur zu Kultur unterscheiden - und dass diese auch für Voraussetzungen des öffentlichen Redens, seine Organisation und seine Funktion gilt. Die Vertreter einer <?page no="26"?> 26 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? vermeintlich überlegenen Kultur verlangten die Unterwerfung unter ihre Normen, um den Redner überhaupt als solchen anzuerkennen. Zudem ist das Reden in der Öffentlichkeit seit jeher dazu da, traditionelle kulturelle Güter zu zelebrieren. Reden werden gehalten, um Jubilare zu ehren, um Begräbnissen einen würdigen Rahmen zu geben oder auch um an einem politischen Feiertag ein Zeichen zu setzen. Nicht was gesagt wird, sondern dass etwas gesagt wird, ist wichtig. Ohne gesprochene Formeln bei Gründungsakten, Taufen oder Ernennungen könnte die betreffende Handlung gar nicht durchgeführt werden. Aber in vielen Fällen werden Äußerlichkeiten, Form und Gehabe, wichtiger genommen als der Inhalt. Dies ist in der öffentlichen Rede ständig präsent. Umso wichtiger ist es für den Einzelnen oder die Einzelne, sich vom sozialen Druck, der daraus entsteht, so weit möglich zu emanzipieren und nur diejenigen Rahmenbedingungen zu akzeptieren, ohne man nicht auskommt. Es geht also darum, sich mit den Erwartungen der Umgebung so weit zu arrangieren, dass die Verständigung klappt, aber die eigene Selbstachtung gewahrt bleibt. Eine männliche Tradition In diesen Komplex gehört auch, dass die gängigsten Ideale des öffentlichen Redens Ideale männlichen Verhaltens sind. Das Reden in der Öffentlichkeit galt seit jeher generell als Männerdomäne. Die antike Rhetorik demonstriert dies sehr gut. Die ideale Rednerpersönlichkeit war der vir bonus, der rechtschaffene Mann, der als Jurist, Politiker oder Künstler in der Öffentlichkeit stand. Frauen, die sich in der Antike poetisch oder politisch im männlich definierten öffentlichen Raum äußerten, wurden von männlicher wie weiblicher Seite gleichermaßen kritisch beäugt und ihr Einfluss und Respekt wurden „in der Regel unterminiert.“ 23 Noch im 20. Jahrhundert wurde der erfolgreiche Redner mit dem triumphierenden Krieger gleichgesetzt. Konrad Lienert, Verfasser einer „Einführung in die Redekunst“, die es vor gut hundert Jahren zu sieben Auflagen brachte, setzte dem Buch mit dem Titel Der moderne Redner noch ohne Bedenken die folgenden Zeilen voran: Das war ein Mann! Sein Schwert hat er geschwungen, Das Schwert des Wortes, männlich, kühn und scharf, Und Jauchzen schallte, wenn dies Schwert erklungen, Wenn es zu Boden jeden Gegner warf. 24 Da ist alles drin, was zur Verherrlichung der Macht des Wortes gehört, und nicht nur der Führer des Schwertes ist ein Mann, sondern auch das Schwert selbst, das jeden Gegner niederschlägt, ist männlich. Die kriegerische Vorstellung, dass öffentliches Reden ein Kampf sei, in dem das stärkere Argument obsiegt, passt zu einer Welt, in der die Männer für Sieg und Niederlage <?page no="27"?> Kultur und Gesellschaft reden mit 27 zuständig sind, die Frauen dagegen für den Ausgleich und das Zusammenkehren der Scherben. Nun hat sich zur Zeit des besagten türkischen Astronomen in Europa einiges getan. Die Frauenbewegung kämpfte für die Gleichberechtigung, Politikerinnen wie Rosa Luxemburg und Clara Zetkin verschafften sich damals trotz Anfeindungen Gehör. Und es ist zwar ein Topos der praktischen Rhetorik-Literatur, dass „Frauen den Beziehungsaspekt in ihrer Rede in den Vordergrund stellen und einen partnerschaftlichen, kooperativen und integrativen Redestil pflegen“, Männer dagegen angeblich einen Stil der Auseinandersetzung und der Sachlichkeit bevorzugen. 25 Es existieren moderne Rhetorikratgeber für Frauen, die ein Redeverständnis vertreten, „das nicht auf der Unterscheidung von Sieg und Niederlage basiert, sondern das Raum für ein Nebeneinander von souveränen Subjekten lässt.“ 26 Doch dies hat bisher in der öffentlichen Rede weder zu einem erkennbaren weiblichen Stil noch zu einem Umdenken männlicher Redner geführt. Und viele Normen sind männliche Normen geblieben. Für die Ziele dieses Buchs ist es zunächst wichtig, einfach festzuhalten, dass zu den traditionellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Redens Faktoren gehören, die sich aus institutioneller, politischer und geschlechtsbezogener Macht ergeben. Der rednerische Auftritt in einem Rahmen über Jahrhunderte entwickelter Machtinstrumente ist nicht möglich, ohne dass eine Rednerin auf diese zurückgreift. Aber es ist in vielen Fällen möglich, auf Kommunikationsweisen zu verzichten, die nur dem Machterhalt und nicht der Sache dienen, und alternative Formen der Auseinandersetzung zu finden. 27 Hilfreich ist es dabei, die Funktion der einzelnen Rede nicht zu überschätzen, sondern sie als einen von vielen Kommunikationsprozessen in einem größeren Ganzen zu sehen. Nicht nur der einzelne Auftritt ist entscheidend, sondern die Gesamtheit der Arbeitsschritte, auch die, die ihm vorangegangen sind und folgen werden. ☉ Der Einfluss gesellschaftlicher und kultureller Normen [1] Anwendung von Praktiken der eigenen Gruppe/ Kultur auf andere [2] Verwechslung rednerischer Fähigkeiten mit persönlichen Qualitäten [3] Betonung ritueller Funktionen von Reden [4] Vorgabe „männlich“ besetzter Rede-Ideale <?page no="28"?> 28 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? Eine Rede hat ein Handlungsziel Ein Gespräch im Alltag dient oft verschiedenen Zwecken. Das Ziel ist Verhandlungssache, und manchmal einigt man sich erst in seinem Verlauf, worauf man hinauswill - z.B. eine Beziehung zu klären oder einen Beschluss zu fassen. Zur öffentlichen Rede hingegen gehört, dass sie einem eindeutigen Ziel untergeordnet ist. Es ist von vornherein festgelegt, was die Rednerin oder der Redner tun wird: zum Beispiel neutral informieren (wie bei einer Nachrichtensendung oder einer Durchsage am Bahnhof), zu praktischer Tätigkeit anleiten (wie bei einer sportlichen Trainingseinheit oder einer naturwissenschaftlichen Übung) oder Texte auslegen (wie im juristischen Vortrag oder in der Predigt). Die Redetypen sind verschieden; das Ziel ist aber immer klar definiert: » Unterhaltung » Aufklärung » Anleitung » Befehl » Anklage » Verteidigung » Verkündigung » Begrüßung » Nachruf usw. Dass die Rede jeweils einem Hauptziel verpflichtet ist, ist die Voraussetzung dafür, dass sich Redner und Publikum zu einer gemeinsamen Veranstaltung finden. Im Verlauf der Rede sind zwar auch Nebenziele möglich. So kann ein informativer Vortrag über Klimaveränderung durchaus auch werbenden Charakter haben, eine unterhaltende Erzählung kann auch eine weltanschauliche Botschaft enthalten usw. Aber sie ordnen sich dem Hauptziel unter. Dennoch ist es für die praktische Rhetorik wichtig, auch eine kleinteiligere Handlungsstruktur zu erkennen, die die Rede in einzelne Schritte aufteilt. Ein längerer Vortrag zerfällt zum Beispiel in Thesen und Argumente, denen Hintergrundinformationen vorausgeschickt werden. Zwischendurch werden Hauptaussagen mit Beispielen illustriert, Fragen werden gestellt, Zusammenfassungen formuliert usw. Wir werden sehen, dass es für die attraktive Gestaltung einer Rede wichtig ist, dass man sich dieser Handlungsformen bewusst ist, dass man weiß: Jetzt stelle ich eine These auf - jetzt erzähle ich eine kurze Geschichte - jetzt unterbreche ich die Darstellung mit einer Frage usw. <?page no="29"?> Planung gehört immer dazu 29 ☉ Handlungsziele der Rede Jede Rede hat ein Hauptziel, das als Handlung verstanden werden kann: Informieren, Unterhalten, Überzeugen, Auffordern usw. Die Rede ist weiter aufgeteilt in Teilhandlungen: Ankündigen, Behaupten, Begründen, Illustrieren, Zusammenfassen usw. Typisch für die öffentliche Rede ist, dass die jeweiligen Handlungsformen von der Rednerin oder vom Redner bestimmt werden. Aber je dialogischer die Rede gehalten wird, desto eher können sich alle Gesprächspartner daran beteiligen. In einer abwechslungsreich gestalteten Schulstunde zum Beispiel erarbeiten die Schülerinnen und Schüler einleuchtende Beispiele. In der Präsentation eines neuen Produkts sind Fragen der Kundinnen oft informativer als die Behauptungen des Verkäufers. In einem Live-Streaming sind die Chat-Beiträge mindestens so wichtig wie die eigentliche Präsentation. Deshalb ist es sinnvoll, auch den Handlungsaspekt der öffentlichen Rede nicht einseitig aus dem Blickwinkel des Redners zu sehen. Die Vorstellung, dass Publikum und Organisatoren an der Ausrichtung der Rede mitbeteiligt sind, nimmt viel Gewicht von den Schultern der hauptverantwortlichen Person. Wenn Redner und Publikum auf Augenhöhe sind, sich unter dem Zeichen der Gleichberechtigung finden, ist die Gliederung in Teilhandlungen auch eine Gliederung in Rede und Gegenrede. Planung gehört immer dazu Viele Gespräche im Alltag entstehen spontan und laufen ohne eine geplante Struktur ab. Wenn es dabei drunter und drüber geht, liegt oft gerade darin ihr Reiz. Eine Rede für die Öffentlichkeit dagegen hat in der Regel eine längere Entstehungsgeschichte. Sie geschieht oft in Zusammenarbeit mit anderen, mit Rückgriff auf frühere Reden und Texte als Quellen. Im Prinzip aber handelt es sich um vorbereitete Reden - um Wortmeldungen, denen eine gewisse Zeit der Überlegung vorausgegangen ist. Zur Erinnerung an Martin Luther King gehört die berühmte Rede, die er am 28. August 1963 am Ende des großen Marsches auf Washington vor dem Lincoln Memorial hielt. Im Film, der das dokumentiert, wirkt er vor der riesigen Menschenmenge wie in Trance. I have a dream, sagt er in der Mitte der Rede und hebt an zu der berühmten Passage, einer Vision von einem Amerika der Einheit und Gleichberechtigung. Aber dies ist weder eine spontane Eingebung noch eine einsame Tat. Hinter ihm auf dem Podium sitzt die Sängerin Mahalia Jackson. Er ist mitten in seinem vorbereiteten Text, als sie ihm zuruft: „Erzähl ihm vom Traum, Martin! “ 28 <?page no="30"?> 30 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? Da schiebt King sein Manuskript beiseite und spricht die unsterblichen Worte: „Heute, meine Freunde, sage ich euch: Auch wenn wir uns den Schwierigkeiten des heutigen und morgigen Tags stellen, habe ich immer noch einen Traum. Es ist ein Traum, der tief im Amerikanischen Traum wurzelt. Ich träume davon, dass eines Tages diese Nation aufsteht und die wahre Bedeutung ihres Bekenntnisses erleben wird: ‚Wir erachten diese Wahrheiten als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind.‘ “ Und dann erweitert er sein Bekenntnis mit drei Bildern, die diese Sehnsucht illustrieren: „Ich träume davon, dass sich eines Tages, auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne einstiger Sklaven und die Söhne einstiger Sklavenhalter zusammensetzen können am Tisch der Bruderschaft. Ich träume davon, dass eines Tages sogar der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze des Unrechts schmort, in der Hitze der Unterdrückung schmort, sich wandelt zu einer Oase der Freiheit und Gerechtigkeit. Ich träume davon, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt, sondern nach dem Gehalt ihres Charakters.“ 29 So spontan King diese unsterbliche Passage einbaute, so wenig improvisiert war sie. Derart wohlgesetzte Worte können nicht einer plötzlichen Eingebung entspringen. King konnte auf ein Repertoire zurückgreifen, das er im Lauf der Zeit aufgebaut hatte. Bei mehreren früheren Ansprachen hatte er ähnliche Passagen verwendet. Als Mahalia Jackson rief: „Erzähl ihm vom Traum“, meinte sie genau das. Vielleicht wäre er auch selbst darauf gekommen. Aber auf jeden Fall nahm er die Anregung bereitwillig auf. Eine Mischung zwischen vorformulierten Passagen und spontaner Kreativität machten die Rede zu einem authentischen Produkt. ☉ Eine Rede zu planen, heißt … » das Redeziel bestimmen » das Zielpublikum kennen » Hauptaussagen notieren » den Aufbau der Rede skizzieren » Notieren der Möglichkeiten, mit dem Publikum zu interagieren <?page no="31"?> Planung gehört immer dazu 31 Recherche ist die wichtigste Aufgabe Reden entstehen geplant. Und eine gute Rede basiert nicht nur auf solchen einzelnen vorbereiteten Formulierungen, sondern auf intensiver Beschäftigung mit dem Stoff. Ebenso wie das Sammeln gehört auch das Verwerfen von Material dazu. Auch das ist essenziell. Es führt dazu, dass man mehr weiß, als man schließlich vor Publikum sagt, und das ist eine Grundlage für das sichere Reden. Noch heute orientiert sich die Rhetorik an den Schritten, die im klassischen Altertum galten, an den so genannten Produktionsstadien. Man nannte meist fünf, und sie werden immer noch mit ihren lateinischen Namen bezeichnet: 30 » Inventio (das Auffinden des Stoffs, der Informationen, die seine Botschaft erhellen und stützen) » Dispositio (die Anordnung der einzelnen Aussagen so, dass die Rede einen überzeugenden Aufbau erhält) » Elocutio (die sprachliche Gestaltung der Rede) » Memoria (das gedankliche Durchgehen und Sich-Einprägen der Rede) » Actio (der Auftritt, mit der sprecherischen und körpersprachlichen Präsentation der Rede) 31 Vier dieser fünf Produktionsstadien betreffen die Planung und Vorbereitung. Dabei sticht die Inventio als inhaltliche Grundlage noch heute heraus, weil sie das garantiert, womit man als Vortragender am überzeugendsten auftritt: inhaltliche Kompetenz. Wir nennen es heute Recherche, und sie ist eine Schlüsselqualifikation in sehr vielen Berufen; wenn es darum geht, einen Text zu verfassen (oder eben auch eine gesprochene Rede), kommt man ohne sie nicht aus. Für die öffentliche Rede ist sie ein wichtiges Merkmal, das sie vom alltäglichen Gespräch unterscheidet. Unsicherheit über einen Sachverhalt gehört zur privaten Konversation. „Lass uns das mal nachschlagen/ googeln/ erfragen.“ ist eine gängige Aufforderung, mit der man gemeinsam Informationen ergänzt, um danach weiter diskutieren zu können. Dass man vorbereitet vor ein Publikum tritt, entspricht auch den Erwartungen an eine Rednerin oder einen Redner: Als Einzelperson zu einer Gruppe zu sprechen, ist ein Privileg. Weil man etwas zu sagen hat, lohnt es sich für andere Menschen, zuzuhören und damit das eigene Wissen zu ergänzen oder in Frage zu stellen. Die Rednerin ist Expertin. Expertin zu sein, bedeutet aber in dem meisten Fällen nicht einfach, aus dem erworbenen Wissen zu schöpfen, sondern recherchieren zu können. Auf keinem Gebiet ist es ratsam, einen alten Vortrag aus der Schublade zu ziehen und ihn so zu halten, wie es vor ein paar Jahren, Monaten oder auch Tagen passend war. Man greift zwar auf Früheres zurück, reagiert aber auch auf Aktuelles. Das eine gibt Sicherheit, das andere ermöglicht den Kontakt mit dem Publikum. <?page no="32"?> 32 1 Reden vor Publikum: Was wird anders? ☉ Vorbereitung kann einengen oder Sicherheit bringen Eine gute Vorbereitung birgt immer die Gefahr, dass man sich zu eng an einem Konzept orientiert. Die Rede kann in Sprache und Tempo zu starr wirken. Gute Vorbereitung kann aber auch als Chance gesehen werden, von ihr abzuweichen, so dass die Rede lebendig wirkt - dank spontaner Ergänzungen, Tempoveränderungen, Reaktionen auf Einwände. Je besser dabei die Vorbereitung, desto leichter ist es, den eingeschlagenen Weg zu verlassen und ihn bei Bedarf wieder aufzunehmen. Die Rede als Produkt dieser Rahmenbedingungen Alle genannten Bedingungen der öffentlichen Rede haben die traditionelle Art, sich vor Publikum auszudrücken, beeinflusst, und zwar im Negativen wie im Positiven. Dass man sich vor einer Gruppe in einem größeren Raum findet, beeinflusst die Bedeutung der Stimme wie auch der Körperhaltung und -bewegung. Das kann einengen, aber auch eine gewisse Sicherheit geben. Die zeitliche Begrenzung führt oft zu einem erhöhten Sprechtempo und zu einem Aufbau, der im Vergleich zum Gespräch knapper strukturiert ist. Trotzdem kann der Zeitdruck auch zu einer kompakteren Darstellung zwingen. Die kulturellen und sozialen Normen betreffen viele Rahmenbedingungen, von Äußerlichkeiten der Kleidung und des Auftretens bis zu sprachlichen Formulierungen. Die Ausrichtung auf ein Redeziel hat dazu geführt, dass es verschiedene Gattungen von Reden gibt, für die sich ihrerseits wieder Gewohnheiten und Regeln entwickelt haben. Sich daran zu halten (etwa an die Struktur einer Grabrede), kann zwar Mühe bereiten, aber es kann einem auch einen hilfreichen Rahmen geben. Die inhaltliche Planung führt manchmal zu einer Sprache, die sich nur schwer von schriftlichen Vorbildern löst, hilft aber beim Aufbau und der Klarheit der Botschaft. Insgesamt aber darf nicht vergessen werden, dass jede Rede - ob sie sich an konventionelle Vorgaben hält oder konstruktiv und dialogisch verstanden wird - das Produkt dreier Kräfte ist. Die Rednerin oder der Redner steht zwar im Vordergrund und trägt einen großen Teil der Verantwortung; aber das Publikum beteiligt sich in jedem Fall mit und kann dem Ereignis einen unerwarteten Verlauf geben. Und im Hintergrund übt immer die veranstaltende Institution ihren Einfluss aus und gestaltet die Rede mit. <?page no="33"?> 2 Vom Monolog zum Dialog Es gibt klassische Vorstellungen davon, was eine gute Rede ist. Viele davon sind aber für den Sachvortrag eher hinderlich. Sie stellen Anforderungen, die schwer zu erfüllen sind, und verhindern eine Begegnung auf Augenhöhe mit dem Publikum. Im Dialog sind wir nicht nur authentischer, sondern erzielen auch bessere Resultate, weil wir gemeinsam vorgehen. Deshalb lautet die Empfehlung: Nutze die Stärken des Dialogs, auch wenn du einen Vortrag hältst. Das gilt zugegebenermaßen nicht für die, deren Ziel es ist, auf einer Demo die Massen aufzupeitschen. Es gilt auch nicht für die, die in den großen Festzelten Wählerstimmen zusammentrommeln oder auf Instagram Kunden für die neueste Duschgel-Duftnote begeistern wollen. Es gilt aber für alle jene, deren Hauptziel es ist, andere zu informieren: Fachleute, die einen Vortrag über ihr Fachgebiet halten, Studierende, von denen man ein Seminar-Referat erwartet, Dozentinnen, Instruktoren, Fremdenführer und viele andere, für die das Reden nicht Berufung ist, denen es aber auch nicht erspart bleibt. Man erwartet von ihnen keine schauspielerischen Leistungen. Man erwartet, dass sie authentisch bleiben. Wenn man zum Reden abgerichtet wird Zugegeben: das braucht auch andere Arten des Rhetoriktrainings, als was viele Coaches und Beratungsfirmen anbieten, die angeblich lehren, wie ein Einzelner das Publikum „begeistert und bewegt“, 32 „bei Laune hält“ 33 oder „anrührt oder erschüttert“, 34 so dass „eine motivierende Welle der Begeisterung durch das Publikum schwappt und alle mitreißt“. 35 Sie machen glauben, man könne Menschen nach einem simplen Schema zum Reden abrichten. Da sitzen dann die Leute vor ihrem Trainer und lernen, wie man „Glaubhaftigkeit“ und „Schubkraft“ erlangt. Der Trainer hat nämlich „Menschen beobachtet, die bis zu tausend Prozent überzeugt sind von dem, was sie sagen.“ Und diese haben, so fährt er fort, „ein natürliches sprechtechnisches Verhalten.“ Deshalb sollen jetzt alle mal aufstehen und es dem Trainer nachmachen: Der Zauber liegt in Ihrer rechten Hand: Nehmen Sie Ihren rechten Unterarm nach vorne, waagrecht, machen eine Art O - und jetzt kommt’s: Sie - takten - Ihre - Botschaft! 36 Und die Gruppe tut, wie ihr gesagt wurde: Die Leute heben den Arm und sprechen den vorgegebenen Satz. Jede Phrase begleiten sie mit einem Schlag des Arms, lassen eine kurze Pause folgen, dann die nächste Phrase mit der gleichen <?page no="34"?> 34 2 Vom Monolog zum Dialog Geste und so weiter. Auf diese Weise übernehmen die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer angeblich die Überzeugungskraft großer Redner. Denn: „Menschen, die bis zu tausend Prozent überzeugt sind von dem, was sie sagen, die machen Folgendes: Die dehnen die Botschaft rhythmisch auseinander.“ Der Trainer verspricht: „Wenn Sie dieses Verhalten erkennen und auf egal welche Botschaft übertragen, dann erreichen Sie dieselbe Glaubhaftigkeit und dieselbe Schubkraft! “ Dieser Unsinn kann auf YouTube bewundert werden. Er kam dort bisher auf knapp 900.000 Aufrufe. 37 Was da nicht gesagt wird: dass diese Art des Redens lächerlich wirkt, wenn sie der eigenen Persönlichkeit widerspricht. Und die Frage, die nicht beantwortet wird: ob es denn erstrebenswert ist, dass jede beliebige Botschaft ungeahnte „Glaubhaftigkeit und Schubkraft“ erfährt. Mitdenken statt Eintrichtern Wer von einem Publikum träumt, das sich auf diese Weise beeinflussen lässt, träumt von einer Schafherde. Es ist das Publikum aus grauer Vorzeit, als man die Zuhörer mit Befehlsempfängern verwechselte. Oder den Worten des großen Trainers: „Arbeit im Hirn des Zuhörers ist Widerstand ... Widerstand gegen Sie und Ihr Anliegen.“ Aber Widerstand bricht man nicht mit aufgesetzten Verhaltensweisen. ☉ So klang die Botschaft des Rhetorik-Trainers Führen Sie / in Ihrer Verwaltung / Lean Management ein; / fünfzig Prozent / Ihrer Konflikte / sind verschwunden. Das sind sechs Phrasen, sechs Betonungen, dazwischen fünf Pausen. Dazu sagt die konstruktive Rhetorik: Vergiss solche Regeln, die von jedem Kontext losgelöst sind. Erzähle stattdessen ruhig, was Lean Management ist - aus deiner Kompetenz heraus und verständlich. Und wenn du zur Empfehlung kommst, dies auch einzuführen, wird es automatisch passend klingen. Denn alle haben mitgedacht und brauchen keine künstlichen Gesten und Betonungen. Wenn Zuhören wirklich Widerstand wäre, würde jeder Auftritt zum Kampf, und nicht mal dann wären die wirksamsten Waffen solche plakativen Werkzeuge aus der Mottenkiste des Laienschauspielers. Vielleicht funktionieren sie noch für Politikerinnen und Politiker, die ihre Wahlkampfreden halten, bei denen sowieso nur ihre eigenen Schäfchen zuhören. Wer aber in erster Linie informieren will und seine Zuhörerinnen und Zuhörer nicht als Gegner sieht, <?page no="35"?> Informationen bringen mehr als Überredungskünste 35 sondern als mitdenkende Individuen, wird auf derartige Mätzchen verzichten und sich sagen: Es geht mir nicht darum, den Leuten „egal welche Botschaft“ einzutrichtern, sondern darum, meine Inhalte verständlich und attraktiv einem intelligenten Publikum mitzuteilen, das bereit ist, zuzuhören, mitzudenken und das Gesagte auch kritisch zu hinterfragen. Wer dazu bereit ist, kann die klassischen Anleitungen zum Monolog vergessen. Wer dazu bereit ist, wird mehr erreichen und es auch leichter haben, wenn er die Redeaufgabe als Dialog versteht. Das Publikum ernst nehmen Wie sieht denn die Alternative aus? Der erste Tipp für einen erfolgreichen Vortrag, bei dem das Publikum mitgeht, lautet: Nimm die Leute wahr, die dir zuhören sollen! Nimm sie ernst. Nimm dir deshalb Zeit, sie anzusehen, bevor du sprichst. Und statt deine Phrasen zu skandieren, sprich sie so aus, dass man mitdenken kann. Das ist das Gegenteil von Eintrichtern, das Gegenteil des „Auseinanderdehnens“ einer auswendig gelernten Botschaft. Es ist die Koordination von Denken und Sprechen. Da besteht ein Satz nicht aus sechs betonten Phrasen, sondern nur das, was im Satz neu ist, erhält die Hauptbetonung; der Rest unterstützt es, weil sich Melodie und Rhythmus dem unterordnen. Und den Unterarm kann man getrost vergessen. ☉ Grundgedanke: das Verständnis für den Austausch Konstruktive Rhetorik verrät nicht faule Tricks, sondern fördert das Verständnis für den Austausch: Entwickle deine Gedanken so, dass die Leute mitdenken können. Das gelingt dir, wenn du mit ihnen in Kontakt bist. Die Voraussetzung dazu: » Nimm das Publikum wahr. » Formuliere die Gedanken frei anhand von Stichworten, so dass du während des Redens auch selber mitdenkst. » Nutze Pausen - nicht weil sie magische Kräfte haben, sondern weil du in den Pausen siehst, wie das Gesagte ankommt und erkennst, was vom Publikum zurückkommt. Informationen bringen mehr als Überredungskünste Klassische Rhetoriktrainings gehen vom Monolog aus, vom Reden gegen andere. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Überzeugungsrede. Eine Sache wird vertreten und muss gegen andere verteidigt werden. Das ist natürlich in vielen <?page no="36"?> 36 2 Vom Monolog zum Dialog Reden enthalten, aber meistens nicht das Hauptziel - weder in Vorträgen oder Vorlesungen noch in Instruktionsvideos, Berichten oder Reportagen. Hier geht es primär darum, Leuten, die etwas Neues erfahren wollen, dieses neue Wissen zu vermitteln und sie anzuleiten, wie sie es weiter vertiefen können. In vielen Fällen ist dies auch die Haupttätigkeit von Verkäufern, Journalistinnen oder Unternehmenssprechern. Es ist nicht ein Reden gegen andere, sondern ein Reden für andere und mit anderen. Auch wenn die Zuhörer eine Stunde lang stumm bleiben, können sie aktiviert werden, denn sie wollen lernen, unterhalten werden, selbst weiterdenken. Eine konstruktive, dialogische Einstellung nimmt diese Bereitschaft zur Mitarbeit auf. Gespräch - Vortrag - Online-Präsentation: Drei Beispiele Welches sind die Stärken des Dialogs und welche davon können in die Präsentation - vor Publikum oder online - übernommen werden? Das ist leicht zu erkennen, wenn man eine Person bei den verschiedenen Aufgaben beobachtet: beim Gespräch, beim Vortrag und bei der Online-Präsentation. Da ist die erfolgreiche Unternehmensberaterin Olivia Grau. 38 Sie hat Managerinnen namhafter Firmen betreut und Weltklassesportler zum Erfolg geführt. Ihre Stärke ist die Motivation einzelner Menschen im persönlichen Kontakt. Wer sie zum privaten Gespräch trifft, erkennt ihre besondere Ausstrahlung, sie wirkt sympathisch und zugewandt. Wer sie im Vortrag hört, spürt bereits eine gewisse Distanz. Und in der Online-Präsentation in ihren Videos hat sie fast alle ihre sympathischen Züge verloren. Die folgenden Abschnitte beschreiben diese Unterschiede und zeigen, wo die Stärken liegen, auf denen sie auch im Vortrag aufbauen kann. 1. Das konstruktive Gespräch Olivias Stärken werden in der persönlichen Begegnung mit ihren Kunden offenbar. Sie lässt sie erzählen, stellt Fragen, ergänzt das Gehörte mit ihren eigenen Erfahrungen und leitet daraus die Ratschläge für Praxis und Training ab. Dogmen und Regeln stehen nicht am Anfang, sondern folgen erst da, wo sich der Gesprächspartner geöffnet hat. Zwar sind die Rollen klar verteilt, aber es ist ein konstruktives Gespräch unter Gleichberechtigten. » Raum: gemeinsame Nutzung. Die Trainerin und ihr Gesprächspartner finden ihren Platz gemeinsam. Wie weit sie voneinander entfernt sitzen oder stehen, pendelt sich ein. » Zeit: gemeinsames Management. Zwar ist die Dauer einer gemeinsamen Sitzung vorher abgesprochen; aber wer wie lange spricht oder schweigt, <?page no="37"?> Gespräch - Vortrag - Online-Präsentation: Drei Beispiele 37 ergibt sich aus der Dynamik des Gesprächs. Stellt einer eine Frage, bleibt dem anderen Zeit, sie zu verstehen und erst dann zu antworten. » Zielsetzung: flexibel. Obwohl die Aufgabenteilung klar ist - die eine ist Trainerin, der andere Kunde -, verfügen beide über das gleiche Spektrum an Handlungen. Beide fragen, antworten, stellen Thesen auf, widersprechen usw. Der Schwerpunkt liegt nicht auf Überredung, sondern auf Verständigung. » Sprachliche Gestaltung: locker. Die sprachliche Formulierung ergibt sich ohne viel Überlegen. Und wenn einem ein Wort nicht gleich einfällt, hilft der andere aus. Wenn etwas unverständlich bleibt, wird wiederholt oder neu formuliert. » Sprechweise: problemlos. Die Lautstärke, das Tempo, die Betonungen ergeben sich von selbst. Verlangsamung und Pausen entstehen, weil das Gegenüber signalisiert, ob es der Rede folgen kann. » Körpersprache: organisch. Blickkontakt und Gestik sind kein Problem, weil man sich wohlfühlt und so verhalten kann, wie es einem im Moment entspricht. Ob jemand mit dem Kopf nickt oder mit dem Fuß scharrt, wird im Gespräch direkt aufgenommen. Es gibt keine falsche Mimik oder Gestik. » Medieneinsatz: dialogisch. Es gibt Dinge, die man sich auf dem Tablet zeigt; Informationen müssen ad hoc im Internet gesucht werden. Das stört das Gespräch nicht, weil man gemeinsam auf das Gerät blickt und es wieder weglegt, wenn es seine Aufgabe getan hat. 2. Der Vortrag vor Publikum Die Trainerin ist als Rednerin zu einer Veranstaltung eingeladen, zu der sich 250 motivierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeschrieben haben, die etwas über ihr Motivationstraining lernen möchten. „Du bist der Schlüssel zu deinem Erfolg “ wird ihre Botschaft sein, und da sie von vielen erfolgreichen Kundinnen und Kunden berichten kann, wird niemand ihre Kompetenz anzweifeln. Aber man spürt auch, dass etwas fehlt. Sie wirkt unpersönlicher, kühler. Ihre Stimme klingt eher eintönig, einige Effekte, die sie sich gut überlegt hat, verpuffen im Saal. Sie bezeichnet das Reden vor Publikum als „Performance“, und das ist auch zu spüren: Sie wirkt, als ob sie unter Erfolgsdruck stünde, als ob es nur um Siegen oder Scheitern ginge. » Raum: suboptimale Einrichtung: Im Seminarraum ist Platz für 250 Personen. Die Rednerin hat eine sechs Meter breite und drei Meter tiefe Bühne zur Verfügung, die sie mit einem großen Bildschirm teilt. Quer zur Bühne verlaufen die Tische, an denen das Publikum sitzt. Ein großer Teil der Leute sitzt mit dem Rücken zur Bühne, sie müssen sich also umdrehen, um etwas zu sehen. <?page no="38"?> 38 2 Vom Monolog zum Dialog » Zeit: ohne Beteiligung des Publikums: Die Rednerin spricht zwar nicht besonders schnell, sie macht immer wieder kurze Pausen. Aber diese dienen nicht dazu, das Publikum einzubeziehen. Wenn sie z.B. Fragen stellt, lässt sie diese nicht wirken. So stellt sie in der Einstiegsphase gleich mehrere Fragen: „Wie sehen Sie sich selbst? Wie sehen Sie Ihr Umfeld? Wie schätzen Sie Ihre Ausgangschancen ein? Welche Bilder steigen in Ihnen auf, wenn Sie an Ihre letzte große Aufgabe denken? “ Niemand kann so viele Fragen verdauen, ohne dafür Zeit zu haben. Zwar sollen sich die Anwesenden nicht sich laut dazu äußern. Aber Fragen bleiben Fragen. Sie lösen eine Antwort aus und benötigen dazu etwas Zeit. Olivia gibt ihnen jeweils nicht einmal eine Sekunde, um die Frage zu verstehen und für sich zu beantworten. » Zielsetzung: unbeirrtes Festhalten. Mehrere Male wird deutlich, dass die Rednerin ein Programm hat, das sie ohne Rückversicherung beim Publikum durchziehen will. Ein besonders drastisches Beispiel: Kurz vor Schluss will sie ein Buch verschenken und fragt: „Wer von Ihnen hätte gerne dieses Buch? “ - Niemand reagiert. Sie macht eine Pause, muss nochmals fragen. Erst nach qualvollen 15 Sekunden meldet sich jemand und kommt zur Bühne, um es in Empfang zu nehmen. - Sie hat sich während des Vortrags nicht die Zeit genommen, die Reaktionsbereitschaft der Anwesenden zu testen (etwa mit ernst gemeinten Fragen, bei denen erkennbar würde, wie weit das Publikum zu gehen bereit ist). Sie hätte erkannt, ob die Bereitschaft mitzumachen da ist, oder ob sie auf die Geste verzichten sollte. » Sprachliche Gestaltung: verständlich, aber ohne Verknüpfungen. Der Vortrag ist von seiner Sprache her durchaus verständlich: einfache Sätze, keine unbekannten Ausdrücke. Aber viele Effekte verpuffen. Sie sind nicht eingebettet. Dies hängt mit dem Fehlen moderierender Übergänge zusammen: Einleitungen und Verknüpfungen fehlen; viele Aussagen stehen isoliert da und lassen den Zusammenhang vermissen. » Sprechweise: monoton. Alle Aussagesätze enden melodisch gleich, Fragesätze sind akustisch fast nicht als solche zu erkennen. Wenn sie sich nicht als plakative Verkünderin, sondern als Gesprächspartnerin sähe (und die Fragen, die sie immer wieder stellt, würden das ermöglichen), ergäbe sich automatisch eine größere melodische Bandbreite. » Körpersprache: unstet. Der Blickkontakt gelingt; sie sieht ins Publikum, und zwar mal hierhin, mal dorthin. Aber sie steht unsicher da. Sie hat ihr Gewicht mal auf dem linken, mal auf dem rechten Bein. Bei der dauernden Gewichtsverlagerung kommt sie nie recht zur Ruhe. In der rechten Hand hält sie eine Fernbedienung, die linke hebt sie, um eine Aussage zu betonen. Das unterstreicht die Einförmigkeit der Sprechweise. <?page no="39"?> Gespräch - Vortrag - Online-Präsentation: Drei Beispiele 39 » Medieneinsatz: zu viel. Die Rednerin muss ihre Aufmerksamkeit mit dem Bildschirm teilen, auf dem zur Illustration Bilder, Grafiken und Texte aufleuchten. Oft bleiben diese stehen, während der Vortrag weitergeht. Manchmal unterstützt die Visualisierung, was sie sagt, oft aber wird sie zu Konkurrenz. 3. Der Online-Auftritt Olivia geht mit ihrer Botschaft auch online. Sie hat ihren eigenen YouTube- Kanal und lädt fast jede Woche ein neues Video hoch. Sie ist sich im Online- Vortrag ihrer Sache zwar ebenso sicher wie im direkten Gespräch. Aber die Ausstrahlung ist weg. Die Lebendigkeit, die im Gespräch noch da war und im Vortrag hin und wieder durchblitzte, ist einer Monotonie gewichen, die das Zuhören mühsam macht. » Raum: nicht genutzt. Sie hätte volle Freiheit in der Wahl des Ortes ihrer Rede, der Beleuchtung, des Hintergrundes, aber sie wählt die engen Verhältnisse an einem Pult, dicht hinter ihr steht das Bücherregal mit Fachliteratur. Das ergibt ein zweidimensionales Bild ohne Tiefe. » Zeit: unstrukturiert: Der Vortrag plätschert vor sich hin. Zwar kann man sich im Video die Dauer anzeigen lassen; aber da nicht erkennbar ist, was man zu erwarten hat, kommt keine Spannung auf. Und in diesem Fall wird man von A bis Z von einem gleichmäßigen Redefluss ohne klare Gliederung eingeschläfert. » Zielsetzung: unklar. Natürlich kann die Rednerin bei der Aufnahme ihr Publikum nicht sehen. Aber es ist immer möglich, es als mitdenkenden Partner anzusprechen. Stattdessen entsteht eine Predigt ohne klaren Anfang und mit guten Ratschlägen, die aber in dem unstrukturierten Wortfluss verschenkt sind. » Sprachliche Gestaltung: ohne roten Faden. Sie fängt gleich an zu erzählen, allerdings ohne zu verraten, wohin die Reise gehen wird. Und ähnlich wie beim Präsenzvortrag stellt sie unvermittelt Fragen - zu viele Fragen -, auf die es schwierig ist, zu reagieren. Die Sprache ist einfach, aber es fehlen Verknüpfungen: in der Online-Präsentation ist das besonders problematisch, weil niemand da ist, der die Stirne runzelt oder Rückfragen stellt. » Sprechweise: noch mehr Monotonie. Die Variation im Tempo und Rhythmus, die Pausensetzung, die beim Präsenzvortrag noch für etwas Abwechslung gesorgt haben, sind weiter reduziert. Der Tonfall ist gleichförmig, man bekommt den Eindruck einer unendlichen Folge von Sätzen. Man kann zu einem beliebigen Zeitpunkt aussteigen, ohne fürchten zu müssen, etwas verpasst zu haben. <?page no="40"?> 40 2 Vom Monolog zum Dialog » Körpersprache: keine Bewegung. Von Olivia ist nur ein Ausschnitt zu sehen: von den Schultern bis zum Haaransatz. Zwar blickt sie zum größten Teil direkt in die Kamera, simuliert also Blickkontakt mit dem User, ist aber so nah, dass sie ihm auf die Pelle rückt und eine vertraute Nähe nicht entstehen kann. » Medieneinsatz: unkommentiert. Sie verzichtet auf die Unterstützung durch visuelle Hilfsmittel. Aber gegen den Schluss taucht kommentarlos als Insert der Umschlag ihres Lehrbuchs auf. Während sie weiterspricht, hat man zehn Sekunden Zeit, sich den Titel zu merken, dann ist die Werbeeinlage vorbei. Ähnlich wie schon im Präsenzvortrag ist es eher mediale Konkurrenz als mediale Unterstützung. Wie kommt Dialog in den Vortrag? Aber wie kann jetzt die Rednerin „Dialog“ in ihre Vorträge bringen? - Nicht, indem sie sich sagt: „Alles hängt von mir ab.“ Sondern indem sie Verantwortung abgibt. Weil sie die Hauptperson ist, glaubt sie, für alles zuständig zu sein. Wenn jemand nichts mitbekommt, ist es vermeintlich ihre Schuld. Ihr Idealbild ist der Tausendsassa, der riesige Säle füllt und die Leute bis zum Schluss in Atem hält. Sie scheint vergessen zu haben, dass sie es auch anders kann. Im Gespräch ist ihr ja bewusst, dass sie ein gutes Resultat nur mit dem Gesprächspartner zusammen erreicht. Sie muss ihn zwar ins Boot holen; aber da soll er mitrudern. Er ist mitverantwortlich dafür, dass er von der Begegnung profitiert. Dies ist auch in der öffentlichen Rede so. Diese Einstellung lässt sich in den Vortrag übernehmen. Keine Redner-Rolle ist so starr vorgegeben, dass sie sich nicht elastisch gestalten ließe, indem das Publikum wahrgenommen und so weit als möglich beteiligt wird. » Raum: den Raum erlebbar machen: Ein Seminarraum lässt sich zwar nicht beliebig gestalten, besonders wenn man als Gastrednerin zu einer Veranstaltung eingeladen ist und sich ans Rahmenprogramm anpassen muss. Aber einen Versuch ist es immer wert. Toll wäre es, wenn alle Beteiligten einander mühelos sehen könnten. In diesem Fall hat das veranstaltende Unternehmen (spezialisiert auf Seminare und Konferenzen) Tischreihen aufgestellt, weil den BesucherInnen Kaffee und Mineralwasser serviert wird. Die erste Option - die Bestuhlung zu verändern - ist damit hinfällig. Die einzige Möglichkeit ist, die eigene Position als Rednerin zu verbessern. Ihr erster Gedanke: Ich beginne meinen Vortrag nicht auf der Bühne, sondern am Saaleingang. Ich beginne zu reden, und die Teilnehmerinnen - irritiert, weil sie mich nicht sehen - müssen sich alle mir zuwenden. Das kann funktionieren, unter zwei Bedingungen: genügend Zeit einsetzen und sich sprachlich über die Situation verständigen. <?page no="41"?> Gespräch - Vortrag - Online-Präsentation: Drei Beispiele 41 » Zeit: Sich und den anderen Zeit lassen. In einer ungewohnten Sitzordnung müssen sich die Teilnehmenden zuerst zurechtfinden. Und hier, wo die Rednerin sie aus einer überraschenden Perspektive anspricht (was eine gute Idee sein kann), bedeutet Timing: Lass den Leuten genügend Zeit, sich umzusehen, dich zu finden und ihre Überraschung zu genießen. Erst dann kannst du zum nächsten Schritt gelangen und dich mit ihnen darüber verständigen, was das Ganze soll. Das geht am leichtesten, indem du kommentierst, was gerade geschieht. Und das tut die Rednerin auch. Sie beginnt mit der Frage: „Ja, wo ist sie denn, die Olivia Grau? “ Und antwortet gleich selbst: „Hier hinten steht sie. Genau! “ Und sie lässt den Leuten Zeit, sich zu ihr umzudrehen. (Allerdings fehlt hier die direkte Ansprache des Publikums mit dem Personalpronomen Sie oder ihr.) » Zielsetzung: Der Vortrag steht im Tagungsprogramm. Vorher und nachher sind andere Punkte geplant. Da würde eine Diskussion mit den 250 Zuhörenden über Sinn und Zweck des Auftritts merkwürdig wirken. Aber deklarieren lässt sich das Ziel. Und es ist möglich, dabei auf die Reaktionen zu achten. Viele so genannte Keynote- oder Impulsvorträge leiden darunter, dass an den Bedürfnissen des Publikums vorbei gesprochen wird. Man vertraut dem Veranstalter, der einem die Fragen nennt, die die Anwesenden angeblich haben, und kommt mit einer Lösung für Probleme daher, die niemand hat. Die Distanz zwischen Rednerin und Zuhörern wird so nicht aufgehoben. In vielen Fällen gäbe es aber die Gelegenheit, sich vorgängig unter das Publikum zu mischen und Erwartungen aufzuschnappen. Darauf auch nur mit ein paar Worten einzugehen, bringt mehr, als nur den vorbereiteten Text abzuspulen. » Sprachliche Gestaltung: Verständigung und Feedback. Neben den Hauptaussagen, Argumenten und Beispielen wären Botschaften des Kontakts ebenso wichtig. Einige davon sind bereits genannt worden: Verständigung darüber, was im Publikum vor sich geht (wenn es wie hier eine gewollte Bewegung ist), Feedback zu Äußerungen aus dem Publikum. Hinzu kommen eingeschobene Erklärungen, wenn erkennbar ist, dass nicht alle folgen, aber auch die direkte Ansprache der Anwesenden mit „Sie“ oder „ihr“. » Sprechweise: Abwechslung durch eine dialogische Haltung. Der einfachste Weg von der Monotonie zu einer lebendigeren Sprechweise führt über das Interesse an den Zuhörenden: Bekommen sie mit, was ich soeben gesagt habe? Beantworten sie die Frage für sich, die ich gerade gestellt habe? Nehmen sie an der Geschichte teil, die ich erzähle? - Hilfreich ist dabei das Bewusstsein für die Gliederung der eigenen Rede in Sprechhandlungen. (Mehr dazu in Kapitel 8.) » Körpersprache: Eine Handlung aufs Mal. Kontakt mit dem Publikum ist nur möglich, wenn gesprochene Sprache und Körperbewegungen zusammenpassen. Oft geht das ganz natürlich vor sich (z.B. bei Zeigegesten). Oft <?page no="42"?> 42 2 Vom Monolog zum Dialog aber ist man verleitet, zwei Dinge zugleich zu tun. Olivia zum Beispiel geht durch den Raum und stellt dabei bereits eine Aufgabe: „Machen Sie eine Liste: Welches sind die zehn wichtigsten Personen in Ihrem Leben? “ Damit fordert sie alle, die sie mit dem Blick verfolgen, auf, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Und sich selbst erschwert sie die Orientierung beim nicht ganz problemlosen Weg durch die engen Tisch- und Stuhlreihen. Der wichtigste Tipp im nonverbalen Bereich: Eine Sache aufs Mal tun. Das bedeutet zum Beispiel auch, 20 Sekunden lang zu schweigen, bevor man wieder auf der Bühne steht. » Medieneinsatz: Im Vortrag teilt sich Olivia die Bühne mit dem Bildschirm. Darauf sind zum Teil einfache Bilder zu sehen (ein Flugzeug, wenn vom Fliegen die Rede ist, ein Strand, wenn sie vom Strand erzählt), zum Teil aber auch Grafiken und Texte, die gelesen werden wollen und den Blick von der Rednerin ablenken. Dialog ist aber nur möglich mit Blickkontakt. Das geht nur, wenn der Bildschirm keine Konkurrenz darstellt - am leichtesten, wenn darauf nichts zu sehen ist! ☉ Chancen für Dialog im Präsenz-Vortrag » Den Raum mit dem Publikum zusammen erleben: Lautstärke anpassen, Blickkontakt ermöglichen, Konkurrenz-Ereignisse (überflüssige visuelle Reize) vermeiden. (Über den konstruktiven Umgang mit Medien im Vortrag siehe Kapitel 16.) » Sich und dem Publikum Zeit lassen: Fragen und Aufgaben müssen zuerst verstanden und dann umgesetzt werden. Erst danach kann der Vortrag weitergehen. Und er geht weiter, indem die Antworten bzw. Lösungen aus dem Publikum aufgenommen werden (Mehr zum Thema Fragen in Kapitel 14.) » Überprüfen, was ankommt: Ob man sich versteht, wird nicht nur aus Antworten klar, sondern auch aus Blicken, Kopfnicken, Handzeichen usw. » Aufgaben ernst meinen: Fragen, Problemstellungen usw. lösen in jedem Fall Reaktionen aus. Diese müssen - auch wenn sie nicht ausgesprochen sind - eingearbeitet werden: durch nonverbale Übereinkunft, Pausen, einzelne Antworten aus dem Publikum, Zitieren fremder Beiträge usw. » Attraktive Sprechweise ermöglichen: Wer beim Sprechen mitdenkt, führt noch kein Gespräch, sorgt aber für den lebendigen Rhythmus eines Gesprächs und gibt damit dem Publikum die Möglichkeit, mitzudenken und, bei Bedarf, mitzusprechen. Der Anfang besteht in der Aufmerksamkeit für Sprechhandlungen. (Vgl. hierzu Kapitel 8.) <?page no="43"?> Gespräch - Vortrag - Online-Präsentation: Drei Beispiele 43 » Auf überflüssige PowerPoint-Folien verzichten: Viele Botschaften wirken überzeugender ohne Visualisierung. Wenn aber Medien eingesetzt werden müssen, dann muss die Rednerin sie gemeinsam mit dem Publikum betrachten (damit sie nicht völlig losgelöst ein Eigenleben führen). Und was bedeutet Dialog im Online-Vortrag? Auch der Online-Vortrag wird verbindlicher und attraktiver, wenn die Rednerin ihre Stärken aus dem direkten Gespräch nutzt. Das kann so aussehen: » Raum: den eigenen und den fremden Raum verbinden: Rednerin und Publikum befinden sich in getrennten Räumen. Die Rednerin kann sie nur verbinden, indem sie in ihren eigenen Raum „einlädt“. Das setzt voraus, dass sie selbst in einem echten Raum - in einer dreidimensionalen Umgebung - zu sehen ist. Und sie muss die Möglichkeit schaffen, ihn zu „betreten“: indem sie sich darin bewegt (und sei es nur mit ihrer Gestik) und Dinge, die darin eine Bedeutung haben, anspricht. (Vgl. Kapitel 4.) » Zeit: Verpflichtung zum Zeit-Management. Grundlage einer guten Kommunikation ist die Zeitabsprache. Online ist dies nur im Konferenz-Modus möglich. Aber nichts hindert die Rednerin oder den Redner daran, zu Beginn klar zu sagen, wie lange der Vortrag dauern wird. Zudem sollte das Publikum gerade bei Online-Vorträgen eine Übersicht über die zeitliche Gliederung haben. Es sollte in der Lage sein, einzelne Passagen zu überspringen, direkt zu bestimmten Punkten zu gehen oder Interessantes gezielt nochmals anzuhören. (Vgl. unten Kapitel 12.) » Zielsetzung: Klare Angebote: Ein Online-Vortrag ist eine Kompaktlösung. Sie wird von Menschen gezielt gesucht und soll auch gezielt Antworten bieten. Die erste Auskunft, die gegeben werden muss, ist: Was nützt mir dieser Vortrag? Und wenn diese Information nicht schon aus dem Titel und anderen Kontext-Informationen klar wird, muss sie ziemlich schnell kommen. Wenn dann das Redeziel einfach und klar erkennbar ist, lassen sich Angebote zu Feedback und Beiträgen aus dem Publikum anschließen. » Sprachliche Gestaltung: Dialogformen nutzen. Jeder Online-Vortrag kann durch Kommentare ergänzt werden. Diese sind zwar in einem anderen Medium (oder in einer Chat-Spalte) abzugeben und können deshalb nur in Live-Situationen direkt beantwortet werden. Aber man kann zumindest im Nachhinein auf die Beiträge aus dem Publikum eingehen und in einer Folgeveranstaltung darauf reagieren. » Sprechweise: Helfer einsetzen. Wer minutenlang in eine Kamera blickt, wird garantiert monotoner klingen als im direkten Kontakt. Um dies zu <?page no="44"?> 44 2 Vom Monolog zum Dialog verhindern, ist es notwendig, Elemente der Sprechweise aus dem alltäglichen Gespräch in die Online-Situation herüberzuretten. Das fällt leichter, wenn man jemanden bittet, sich als Zuhörerin dazu zu setzen. Nur schon durch die Anwesenheit und durch nonverbale Reaktionen wird sie die Sprechweise beeinflussen. » Körpersprache: Raum für Gesten schaffen. Als Online-Vortragende fühlt man sich oft technisch eingeschränkt. Die Kamera ist zu nah, der Bildausschnitt zu eng, die Wirkung der Gestik schwer zu kontrollieren. Dennoch ist es immer möglich, sich so einzurichten, dass eine lebendige Körpersprache entsteht, eine Körpersprache, die das Gegenüber nicht ausschließt, sondern einbezieht. Hilfreich ist eine Einrichtung mit Hilfe von jemandem, der als „Regisseur“ mitplant. » Medieneinsatz: Zurück zu den einfachsten Mitteln. Die Technik verführt dazu, parallel zur vortragenden Person eine Videoeinspielung, ein Foto-Insert oder eine ganze PowerPoint-Datei laufen zu lassen. Das spricht nicht an, sondern lenkt von der Rednerin ab. Ganz anders ist es, wenn sie das Buch, das sie vorstellen will, in der Hand hält, statt es im Video aufleuchten zu lassen. Eine Definition, über die sie spricht, kann sie auf einen großen Karton schreiben, statt mit ihr den Bildschirm zu füllen. Das hilft, das Reden und die Visualisierung zu koordinieren, man meldet sich nicht ab, sondern bleibt im Gespräch. ☉ Diese Prinzipien kann der konstruktive Vortrag übernehmen » vom Führer zum Partner des Publikums werden - online : realistische, begrenzte Ziele setzen » die eigene Bedeutung nüchtern sehen Dass ich am Rednerpult stehe oder vor der Kamera sitze, ist nur eine temporäre Sache. Morgen bin ich wieder auf der anderen Seite und möchte selbst als Partner angesprochen werden. - online: Ich relativiere die Vorstellung meines Impacts. Mir ist bewusst, dass meine Botschaft mit anderen konkurriert und dass das Publikum sein Wissen aus mehreren Quellen zusammensetzt. » die klassischen Bedingungen (z.B. Zeitdruck) unterlaufen - online: Ich stelle mir einen Gesprächspartner oder eine Zuhörerin vor oder hole sie gar vor die Kamera, um mir Rhythmus und Pausensetzung zu erleichtern. » sich vorbereiten, aber auch das Publikum einbinden - online: Ich spreche Publikum stärker an (du/ Sie), lasse es mitdenken, beziehe es durch Pausen und Wiederholungen ein. <?page no="45"?> Bloß nicht von den Besten lernen! 45 » dialogisch vorgehen: auf die Rückmeldungen aus dem Publikum eingehen - online: Ich fordere zu Rückmeldungen auf und nehme beim nächsten Mal darauf Bezug. Konstruktive Rhetorik in zwei Schritten Zwei Schritte führen zur konstruktiven Rhetorik: 1. Erfolgreiches Redeverhalten im Gespräch entdecken: Was klappt mühelos? Was erleichtert mir das Reden? Was fördert die Verständigung? 2. Vergleich mit dem Redeverhalten im Vortrag: Welche Vorgaben muss ich einhalten? Was kann ich aus dem Gespräch übernehmen? Welche dialogfördernden Mittel kann ich einsetzen? Zwar ist es notwendig, die Gesetzmäßigkeiten der öffentlichen Rede der eigenen Kultur zu kennen, um zu entscheiden, welche beachtet werden müssen und welche ignoriert werden können. Aber zentral bleibt die Vorstellung vom Dialog, vom Miteinander im Gespräch. Sie führt zu den Mitteln konstruktiver Rhetorik. Sie bestehen zum Teil in einer Auswahl klassischer rhetorischer Werkzeuge, zum Teil in Methoden, die sich im Gespräch bewährt haben. Bloß nicht von den Besten lernen! Wie macht es denn Michelle Obama? Wie hat es Willy Brandt gemacht, wie Margaret Thatcher? - Zu einem Standard-Rhetorik-Training gehören exzellente Beispiele, die die Teilnehmer mit Bewunderung erfüllen. Man sieht Videos von erfolgreichen Politikern, Unternehmern, Schauspielern (und meistens von Männern), bei deren Darbietung scheinbar alles stimmt. Und dann wird man aufgefordert, sich dies und jenes abzugucken, „von den Besten zu lernen.“ Aber diese Besten haben in der Regel einen ganzen Stab von Mitarbeitenden, die ihnen zu ihrem Auftritt verholfen haben - PR-Berater, Redenschreiberinnen, Maskenbildner, Technikerinnen - und die Reden, mit denen sie berühmt wurden, stammen von der Spitze ihrer Laufbahn. Ja, es ist richtig, von anderen zu lernen. Aber die wertvollsten Vorbilder sind Menschen, denen das Reden schwerfiel. Es sind Menschen, von denen man weiß, dass sie den Übergang vom persönlichen Gespräch zur öffentlichen Rede als Riesenhürde empfanden und den Schritt vor das Publikum dennoch gemeistert haben. Das Faszinierende ist nicht die perfekte Rede am Schluss eines erfolgreichen Politikerlebens, sondern der Weg, der bei den ersten unsicheren Schritten einer Rednerin anfängt und dahin führt, dass sie die scheinbar undankbare, lästige Aufgabe meistert. <?page no="46"?> 46 2 Vom Monolog zum Dialog Marie Curie freundet sich mit dem Publikum an Marie Curie ist ein solches Beispiel. Noch als weltberühmte Physikerin und Chemikerin empfand sie großes Lampenfieber, auch wenn sie nur vor zwei Dutzend Studenten ihre Vorlesung halten sollte. Sie fühlte sich im privaten Gespräch wohl, wenn sie mit ihrem Gatten und Kollegen Pierre über ihre Themen sprach, die wohl anspruchsvoller waren als die Inhalte ihrer Vorlesung. Aber die Situation hatte sich verändert. Sie saß nicht mehr im Labor, sondern stand im Hörsaal; es war nicht mehr ein Austausch von Ideen, sondern eine Präsentation, die eine Stunde lang nicht unterbrochen wurde. Eine Veränderung erfuhr sie erst mit 54 Jahren, als sie längst die berühmteste Wissenschaftlerin der Welt war - und noch immer zurückhaltend und unsicher, wenn sie vor anderen Menschen auftreten musste. Zur Schüchternheit kam noch, dass ihr als Frau in einer männerdominierten Wissenschaftswelt viele Kollegen feindlich gesinnt waren. 1921 reiste sie in die USA, um für ihre Forschung zu werben. Man hatte dort für sie Geld gesammelt, um ihre Arbeit zu unterstützen. Ziel war, dass sie Radium erstehen konnte - ein Gramm des Elements, das sie und Pierre Curie 1898 entdeckt hatten. Marie Curie wurde in den USA stürmisch begrüßt und während der ganzen Zeit von einer Welle der Sympathie getragen. Und als sie von ihrer achtwöchigen Reise zurückkam, hatte sich ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit geändert. Sie nahm von da an mehr öffentliche Aufgaben wahr und bewies - zumindest in der Darstellung der Autorin Shelley Emling - ein weniger problematisches Verhältnis zu öffentlichen Auftritten. Laut Emlings biografischer Erzählung hatte sie in der Zeit erfahren, dass in ihrem Publikum nicht nur Skeptiker und Gegner saßen, sondern Menschen, die bereit waren, ihre Arbeit zu unterstützen. 39 Zum einen hat dies einen sehr konkreten Hintergrund: In Europa war sie vielen Anfeindungen ausgesetzt, von denen in den USA weniger zu spüren war. Zum anderen lässt es auch ahnen, dass sich ihre Beziehung zu ihrem Publikum veränderte. Sie konzentrierte sich - so würde ich es interpretieren - weniger auf die mögliche Ablehnung, die ihr widerfahren konnte, und mehr auf das Gemeinsame, die Sympathie, die in jedem Auditorium vorhanden war. Eine Rede entsteht in der Zusammenarbeit von Rednerin und Publikum. Je zuversichtlicher man sich das sagt, desto leichter wird man es haben. Verschwindet jetzt das Lampenfieber? Dieses Buch zeigt, wie man mit den Bedingungen des Redens fertig wird, obwohl die Aufgabe nicht mehr ein ungezwungenes Gespräch, sondern eine Präsenz- oder Online-Rede ist. Es zeigt, dass dies leichter fällt, wenn man die Auf- <?page no="47"?> Verschwindet jetzt das Lampenfieber? 47 gabe als Teamwork, als Dialog mit dem Publikum auffasst. Und dies gelingt auch dann, wenn man die Menschen nicht leibhaftig vor sich hat, sondern nur über das Medium anspricht. Denn es ist die dialogische Einstellung, die einen dazu führt, auch über die Kamera und das Mikrofon Kontakt aufzunehmen und Kontakt zu halten. Dass dies zu ganz anderen Resultaten führt als zu einer brillanten Darbietung in der Art eines amerikanischen Politikers, sollte damit klar sein. Es geht nicht darum, sich selbst in Pose zu setzen. Es geht nicht darum, sich zu „verkaufen“. Es geht darum, dem Publikum zu zeigen, dass man es ernst nimmt, und es dadurch dazu zu motivieren, mitzudenken und mitzugehen. Aber verschwindet dann auch das Lampenfieber? Lampenfieber und Redeangst bestimmen viele Berichte über das öffentliche Reden. Fast alle berühmten Schauspielerinnen, Musiker, Akrobatinnen, Clowns - die meisten Menschen, die auf irgendeine Weise vor Publikum aufgetreten sind, können vom Lampenfieber erzählen. Das Gleiche gilt für Rednerinnen und Redner in unterschiedlichsten Situationen. Unter dem Titel „Menschen, denen das Reden schwerfiel“ habe ich dazu Geschichten gesammelt, in denen Berühmtheiten wie Thomas Jefferson, Greta Thunberg, Konrad Lorenz vorkommen. 40 Sie illustrieren eine alte Erkenntnis: Sogar Menschen, die die Angst zu einem gewissen Grad überwunden haben, beteuern, dass Respekt für die Aufgabe immer dazu gehört und dass es normal ist, wenn sich dies in Nervosität ausdrückt. Sie zeigen aber auch, dass man damit fertig wird, indem man seine Rolle relativiert. In all den Berichten über Lampenfieber wird wenig beachtet, dass wir in den allermeisten Redesituationen davon frei sind: beim Reden im Gespräch von Gleich zu Gleich. „Im Gespräch mit ihm fühle ich mich wohl“, heißt es oft. Und in den meisten Fällen denkt man nicht einmal darüber nach. Klar, denn im Alltagsgespräch braucht man keine Sorge zu haben, ob das Gesagte „gut“ oder „korrekt“ formuliert ist. Die anderen werden nicht als Publikum verstanden, sondern als Gesprächspartner. Sie helfen bei Bedarf auch aus, vervollständigen einen Satz oder Gedanken und nehmen dadurch der Situation den Druck, den man allenfalls empfinden könnte. Es ist ein dialogisches Sprechen, ein Miteinander. Vom Nutzen des Lampenfiebers Redeangst hat zwei Seiten. Zum einen ist es ein Hinfiebern auf die Konfrontation mit dem Publikum, also der Zustand vor der Rede. Zum anderen gibt es aber auch die Angst während der Rede. Die körperlichen Symptome - nervöses Zittern, kalte Hände, unkontrollierter Atem usw. - können weiter anhalten. In der Regel verschwinden sie aber in den ersten Minuten oder werden zumindest <?page no="48"?> 48 2 Vom Monolog zum Dialog nicht mehr als bedrohlich empfunden. Die Furcht vor der Reaktion des Publikums, die Angst vor dem Versagen verschwindet nach einiger Zeit größtenteils. Dass es ein „Fieber“ ist, wie die deutsche Sprache suggeriert 41 , lässt es als akute Erkrankung, als Belastung auffassen - wie es ein alter psychologischer Aufsatz drastisch schildert: „Der Körper verspürt kalte Schauder in der Kreuzgegend. Er fühlt sich an, als ob ein Tausendfüßler sein Haar durchkämmte. Kalter Schweiß bricht aus und es fühlt sich an, als ob jemand in der Kniegegend die Muskeln durchtrennt hätte. Die Person würde am liebsten die Bühne so schnell wie möglich verlassen.“ 42 Claudia Spahn, die eine große Menge an Lampenfieber-Literatur verarbeitet hat, unterscheidet vier Gruppen von Merkmalen des Lampenfiebers: » körperlich: schneller und flacher Atem, trockener Mund, kalte und schweißige Hände usw. » emotional: Angst und Panik, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Scham usw. » kognitiv: Konzentrationsstörungen, angstvolle Beschäftigung mit dem Publikum, Blackout usw. » das Verhalten betreffend: unkontrollierte Körperhaltungen und -bewegungen, stereotype Verhaltensweisen, sozialer Rückzug usw. 43 Solche Beobachtungen haben dazu geführt, dass der Zustand des Redners seit jeher mit demjenigen eines Menschen verglichen wird, der mit einer Gefahr konfrontiert ist. Er spannt seine Muskeln an und hält nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau - wie der Steinzeitmensch in der Begegnung mit dem Säbelzahntiger. 44 Der englische Terminus stage fright - also „Bühnen-Furcht“ - unterstreicht deutlich den Zusammenhang des Lampenfiebers mit der Distanz zum Publikum. 45 Die Bühne trennt Redner und Publikum deutlich voneinander und betont so die Erwartungen an ein perfektes Auftreten, an einen Monolog. Dies lässt aber auch erkennen: Wer in der Lage ist, frühzeitig dialogische Elemente in den Vortrag einzubauen, hat ein wirksames Mittel gegen die Redeangst in der Hand. Mark Twain berichtet, wie er den Monologcharakter bei seinem ersten öffentlichen Auftritt milderte, indem er eine Handvoll verlässlicher Freunde bat, sich im Publikum zu verteilen und auf lustige Stellen des Vortrags vernehmbar zu reagieren, so dass das Publikum einstimmte. Ein dialogisches Element war damit eingebaut, das den Redner mit Rückmeldungen sicherer machte. 46 Dass Lampenfieber entstehen kann, liegt im Übrigen an einer banalen Tatsache des öffentlichen Redens: es ist vorbereitetes - meist auch explizit angekündig- <?page no="49"?> Verschwindet jetzt das Lampenfieber? 49 tes - Reden. Angst wird entwickelt, weil die Zeit vorhanden ist, Angst aufzubauen. Dies weist aber auch auf einen erleichternden Aspekt hin: Wer vor anderen reden soll, hat Zeit, um sich vorbereiten. ☉ Lampenfieber nutzen In der Praxis geht es nicht darum, das Lampenfieber zu verlieren, sondern es zu nutzen, als Zeichen dafür, dass das Reden vor und mit dem Publikum eine dankbare Aufgabe und nicht eine lästige Pflicht wird. Claudia Spahn spricht denn auch nicht vom Bekämpfen, sondern vom „Optimieren“ des Lampenfiebers. 47 Ein wichtiges Ziel, das sich mit unserem dialogischen Ansatz trifft, ist die Gestaltung einer positiven Beziehung zum Publikum. Für die Redepraxis bedeutet das nicht nur: „Ich habe den Zuhörern etwas zu geben“, sondern auch: „Ich freue mich auf ihre Resonanz.“ <?page no="51"?> 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum Öffentliches Reden ist Reden mit Abstand. Deshalb ist das Erste, was uns beschäftigen muss, der Umgang mit dem Raum. Die Rede fängt nicht erst mit den Begrüßungsworten an, sondern mit dem Wahrnehmen des Raums und der Menschen, die sich darin befinden. Noch sitzt du in der ersten Reihe, und einer der Organisatoren spricht seine Begrüßungsworte. Dann übergibt er das Wort an dich, die Rednerin, den Redner. Applaus setzt ein, und du stehst auf. Dein Weg zur Bühnentreppe führt an den Knien der anderen Ehrengäste vorbei. Der Scheinwerfer trifft dich zum ersten Mal. Als du das Rednerpult erreicht hast, ebbt der Applaus ab. Stille. Einige hundert Augenpaare sind auf dich gerichtet. Noch hast du kein Wort gesagt, aber dein Vortrag hat schon längst begonnen. Du hast die Publikumsreihen überblickt und die Distanzen wahrgenommen. Du hast abgeschätzt, wie laut du reden und in welche Richtungen du blicken musst. Du hast den Raum wahrgenommen. Zwei Perspektiven Denn die erste Aufgabe besteht nicht darin, zu sprechen, sondern den Raum wahrzunehmen, den gemeinsamen Raum von Rednerin und Publikum. Den ersten Schritt dazu hast du beim Betreten des Saals getan. Du hast den Raum gesehen, den du mit dem Publikum teilen wirst, und du hast dich darin aus der Besucherposition heraus orientiert. Zwei Perspektiven also: Rednerin und Publikum. Jetzt, wo du auf der Bühne stehst, nimmst du den Raum nochmals in seiner Tiefe, Breite und Höhe wahr. Und zum ersten Mal siehst du die Menschen, die dir zuhören werden, als Gruppe. Du bist in diesem Raum eine Zeitlang die wichtigste Person. Aber ohne die anderen, die da versammelt sind, ist dein Vortrag bedeutungslos. Das muss dir bewusst sein, und diese Menschen und die gemeinsamen räumlichen Verhältnisse musst du wahrnehmen. Drei Arten, anzufangen Es lohnt sich, im Detail zu verfolgen, was Menschen in diesem Moment tun - in den Sekunden, die ihrem Vortrag vorausgehen, da, wo die ganze Umgebung noch neu für sie ist und sie zum ersten Mal den Zuhörerinnen und Zuhörern gegenüberstehen. Die BWL-Professorin macht es so: Sie steigt beschwingt die paar Stufen hoch, die vom Saal in die Mitte der Bühne führen, geht zum Pult und holt sich die Fernbedienung, blickt - immer noch mit dem Rücken zum Publikum - zur Leinwand mit dem Logo der Veranstalter, sagt kurz ins Publikum: „So! “, dreht <?page no="52"?> 52 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum sich nochmals um, um ihre erste Folie zu kontrollieren, und dann wieder zum Publikum: „Ich begrüße Sie ganz herzlich, es ist nicht eine Studie, die wir gemacht haben, einmal haben wir mehrere gemacht ...“ Dabei tut sie mehrere kleine Schritte, erst dann steht sie fest auf beiden Beinen und sagt, dass sie die entscheidende Studie hier zum ersten Mal präsentieren wird. 48 Der Gründer und CEO eines Technologie-Multis spaziert in brauner Lederjacke und schwarzer Jeans auf die Bühne, dreht sich in der Mitte zum Zuschauerraum, nimmt dann ein paar Schritte rückwärts, schaut nach links und nach rechts. Noch beim letzten Schritt fängt er zu reden an. 49 Beide werden sorgfältig geplante und informative Vorträge halten. Beide haben sich die ersten Worte vorher überlegt. Es ist ihnen klar, wie sie in den Inhalt ihrer Rede einführen. Aber sie alle fangen mit Reden an, bevor sie richtig angekommen sind. Das tun zwar viele; sie reden schon, während sie noch den letzten Schritt tun, also ohne überhaupt auf beiden Beinen dazustehen. Auf diese Weise ist es schwer, das Publikum wahrzunehmen und Kontakt zu ihm zu finden. Andere reden nicht sogleich, sondern sortieren ihr Manuskript oder tippen auf dem Notebook herum, das vor ihnen liegt. Wieder andere klopfen auf das Mikrofon usw. All diese Handlungen sind zwar möglich, aber sie bringen Redner und Publikum noch nicht zusammen. Der Nachteil: Sie befassen sich nur mit der eigenen Person. Direkt loszulegen, hilft zwar, den Stress nicht weiter wachsen zu lassen. Das Manuskript zu büscheln oder sich in der Elektronik zu orientieren, hat zwar den Sinn, Ordnung zu schaffen. Wer auf das Mikrofon klopft, weiß zwar, dass die Tonanlage funktioniert. Aber die Leute im Auditorium erleben dabei nur eines: einen Menschen, der sich mit sich selbst beschäftigt. Und der sich noch keine Zeit genommen hat, mit ihnen in Kontakt zu treten. Wie man es auch machen kann, demonstriert Sebastian P. Schild. Er wird gleich vor 60 SeminarteilnehmerInnen reden. Bisher saß er mit dem Rücken zum Publikum da. Jetzt ist er dran, und er rollt seinen Rollstuhl vor die vorderste Reihe, wendet sich den Leuten zu und stoppt. Da sitzt er nun, aufrecht, mit hängenden Armen. Sieben Sekunden lang sagt er nichts, sondern schaut in den Raum. Er sieht nach rechts, sieht nach links. Und erst dann fängt er an. Es wird ein fulminanter Vortrag mit viel Interaktion, der die Menschen begeistert. Aber der Anfang war ganz einfach besonnen und konzentriert - konzentriert auf das Publikum und auf den gemeinsamen Raum. 50 Den Raum wahrnehmen Wer die Rednerposition eingenommen hat, soll sich die Zeit nehmen, den Raum und die Menschen darin wahrzunehmen. Vielleicht müssen zunächst <?page no="53"?> Den Raum gestalten 53 technische Probleme gelöst werden - vom Kontrollieren der Fernbedienung bis zum Schluck aus dem Wasserglas. Aber dennoch braucht es zusätzlich eine Pause von wenigstens einigen Sekunden, die man dem Raum und dem Publikum widmet. Dazu gehört Blickkontakt mit einer oder zwei Personen, die vielleicht sogar lächeln. Und dazu gehört das Bewusstsein: Dieser ganze Raum steht mir zur Verfügung. Die Wichtigkeit des Raums ergibt sich schon aus der Definition der Rhetorik als Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit: Die Rednerin begegnet den Zuhörenden an einem Ort, der größer ist, mit weiteren Distanzen als beim alltäglichen Gespräch. Dessen muss sie sich bewusst sein, auf diese Voraussetzungen muss sie eingehen. Den Raum gestalten Den Raum und die Menschen, die darin versammelt sind, wahrzunehmen erfordert Zeit. Die rechtzeitige Auseinandersetzung mit dem Raum schafft nicht nur einen besseren Kontakt. Sie hilft auch auf einer rein technischen Ebene. Man wird sich dem Raum ja in der Redeweise anpassen müssen: in Stil, Lautstärke, Gestik und anderen Äußerungsformen. Zudem stellt jedes Rednerpult, jede Projektionsanlage eigene Anforderungen an das technische Geschick der Vortragenden. Platz schaffen, Plätze zuweisen Zur ersten Auseinandersetzung mit dem Raum gehört auch Orientierung. So muss abgeklärt werden, welcher Platz als Rednerposition vorgesehen ist und ob es dazu Alternativen gibt. Auch die Technik, die genutzt wird, und der Ort des dienstbaren Geistes, der sie eventuell bedient, müssen gefunden und ausprobiert werden. Wer kann, begibt sich deshalb schon vor Beginn der Veranstaltung in den Saal, um diese Fragen zu klären. In vielen Fällen lässt sich da noch die eine oder andere Rahmenbedingung verändern: in kleineren Seminaren die Sitzordnung, in größeren Sälen die Position des Rednerpults. Wesentlich ist immer: Wer vor dem Publikum steht, hat im Prinzip viel mehr Raum zur Verfügung als diejenigen, die im Publikum sitzen. Und er ist für die gemeinsame Nutzung des Raums verantwortlich. Dies gilt für den Instruktor, der seinem Team die Benutzung einer neuen Maschine erklärt, ebenso wie für die Pressechefin, die eine Gruppe von Besuchern durch den Betrieb führt, oder die Referentin, der man einen Sitzungsraum zur Verfügung gestellt hat. Es gilt aber auch für die Lehrerin, die die Schulklasse zur selbständigen Arbeit anleitet, und für den Studenten, der die Resultate einer Gruppenarbeit präsentiert. Sie alle sind frei in der Wahl der Distanz zu den Angesprochenen und in ihrer Raumnutzung, z.B. <?page no="54"?> 54 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum durch Schritte und Körperdrehungen. In vielen Fällen ist es sogar möglich, mitten durch das Publikum hindurchzugehen. Dass z.B. ein Lehrer die Bankreihen abschreitet, ist eine traditionsreiche Geste, dass ein Referent vor den Zuhörenden auf und abgeht, wird ebenfalls akzeptiert. Alle diese Dinge muss man nicht tun (und einige können auch kontraproduktiv sein); aber zu wissen, dass man es tun könnte, ist ein guter Ausgangspunkt. Es betont die Freiheit der Gestaltung. ☉ So näherst du dich dem Raum an Vor dem Beginn der V e r a n s t a l t un g : » Suche den Raum auf und mache dich mit seiner te chnischen Einrichtung ve r t r a u t . » Setze dich auf einen Zuschauerplatz, um ein Gefühl für den Eindruck zu bekommen, den man von dort aus vom Redner und dessen Umgebung h a t . » Wähle (wenn möglich) deinen späteren Standort. Gibt es mehrere Möglichkeiten? Solltest du deine Position während der Rede wechseln? Sogar wenn keine Gelegenheit besteht, den Raum in Ruhe zu erkunden, kann man ein paar Sekunden dafür einsetzen. Man wird zum Beispiel unverhofft zu einer Sitzung gerufen und steht plötzlich vor den versammelten Abteilungsleitern - gefühlt zur falschen Zeit und ohne genügend Vorbereitung. Hinzu kommt ein mentaler Effekt: Wer sich auf den Raum einlässt, stimmt sich auf die Öffentlichkeit ein, die hergestellt wird, auf die Weitung des Geltungsraums, die das Reden erst zum rhetorischen Akt macht. Ohne ein Bewusstsein für diese Veränderung wird, was man sagt und wie man es sagt, nicht zusammenpassen. Es ist ganz natürlich, dass dieses Bewusstsein für den Raum auch den körpersprachlichen Ausdruck beeinflusst. ☉ Raumnutzung durch Planung des Ablaufs » Wo sind die Geräte, die ich einsetzen werde? » Wer hilft mir bei den technischen Abläufen? Wo befindet sich diese P e r so n ? » Wo werde ich stehen? Kann ich meine Position verändern, um die Gliederung des Vortrags zu un t e r s t r eic h e n ? <?page no="55"?> Kontakt aufnehmen, Kontakt halten 55 Die Haltung zeigt die Beziehung zum Raum Wer vor Publikum reden will, muss den Raum einnehmen. Ob dies gelingt, zeigt die Körpersprache, und ein wichtiges Signal gibt dabei die Körperhaltung. Zwei Skizzen illustrieren dies: Im linken Bild demonstriert die Rednerin Reserviertheit, Inaktivität. Mit der nach vorne gebeugten Ha l t un g scheint sie in ihrem Anzug zu hängen. Die Füße, die eng beieinanderstehen, bieten keinen sicheren Halt. Auf dem Bild rechts hat sie durch einen sichereren Stand und das Heben der Arme bereits eine andere Präsenz. Sie atmet in die Körpermitte (s. Kapitel 7) und ist sich des gesamten Raums bewusst, in dem sie sich befindet. Sie signalisiert allen, die vor ihr sitzen, Interesse. 7 | Passive Haltung: Füße nahe beieinander, Oberkörper ohne Spannung. 8 | Aktive Haltung: Füße in etwa schulterbreitem Abstand, Oberkörper aufgerichtet. Die Haltung ist nicht nur dazu da, Selbstvertrauen zu signalisieren. Sie hilft auch dabei, die Distanz zu überbrücken: Indem das Publikum einen Menschen sieht, der Präsenz ausstrahlt, konzentriert es sich besser und ist aufmerksamer trotz der Entfernung und der Ablenkungen durch Sitznachbarn und Nebengeräusche. Kontakt aufnehmen, Kontakt halten Natürlich hat man das Publikum längst wahrgenommen. Aber kurz vor dem Beginn der Rede braucht es ein paar Sekunden, in denen bewusst Kontakt mit aufgenommen wird - der Kontakt, der durch den Vortrag hindurch gehalten wird. Es ist notwendig, sich dafür die Extrazeit zu nehmen, für Blickkontakt, ohne dabei gleichzeitig einen sicheren Stand zu suchen, ohne noch mit der technischen Einrichtung zu kämpfen. <?page no="56"?> 56 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum Dies ist die Chance, Kontakt anzuknüpfen, der während der ganzen Zeit nicht abbrechen wird. Keine Angst vor Banalitäten: Wenn es im Raum plötzlich zu dunkel ist oder zu kalt oder zu stickig, wenn eine Unruhe entsteht, wenn nicht klar ist, ob alles bis in die hinterste Reihe zu verstehen ist, braucht dies den Kontakt mit dem Publikum nicht zu unterbrechen. Es kann angesprochen werden - ruhig und selbstverständlich. Für viele solche Dinge sind die Leute im Saal kompetenter und können helfen. Und das zu thematisieren, kann als Chance genutzt werden, das gemeinsame Interesse zu betonen - am besten natürlich dann, wenn sich das betreffende Problem auch gemeinsam lösen lässt. ☉ Unmittelbar vor der Rede » Nähere dich deiner Redeposition bewusst. Erkenne, wie sich dein Spielraum ve r g rößert. » Nimm den Raum und dein Publikum aus der Position des Redners wa hr . » Zeige durch deine Haltung, dass du den gesamten Raum einnimmst. ☉ Während der Rede » Wechsle gelegentlich die Perspektive: Was sehen die anderen? Was können sie zum Vortrag beitragen, weil sie in eine andere Richtung blicken? » Teile deine Raumwahrnehmung: Thematisiere Ungewöhnliches, das dich stört oder belustigt! » Lass dir helfen, wenn das Licht oder die Akustik verändert werden müssen! ☉ Nach der Rede » Verlasse deine Redeposition und akzeptiere, dass „dein“ Raum wieder kleiner wird und nicht mehr alle Blicke auf dir ruhen. Ein Beispiel: Orientierung durch Raumnutzung Der Physiker Harald Lesch nutzt den Raum zur Unterstützung seiner Didaktik. Zu Beginn seines Vortrags Wir irren uns empor. Oder: Warum ist die Physik so erfolgreich? erkundet er zusammen mit den Zuhörern den Raum. Er erklärt, dass er für die verschiedenen thematischen Aussagen auch verschiedene Positionen im Raum einnimmt. Mit einem Schritt vom Podium herunter auf die <?page no="57"?> Raumnutzung im großen Saal 57 erste Sitzreihe zu sagt er: „Jedes Mal, wenn ich hier vorne bin, werde ich Ihnen was erzählen darüber, warum die Physik so erfolgreich ist, also welches Verfahren wir benutzen, welche Annahmen wir machen, wenn wir Physik betreiben.“ Zurück auf dem Podium stellt er sich zuerst in die entfernte linke Ecke und erklärt: „Wenn ich hier bin, auf dieser Seite, dann geht es ums Heute.“ Dann schreitet er der Wandtafel entlang auf die rechte Seite. Er will damit die historische Zeit visualisieren: „Dieser ganze Weg auf die andere Seite wird dann einen Zeitpfeil darstellen.“ Diese Ankündigung wird den Zuhörerinnen und Zuhörern helfen, das Gehörte besser einzuordnen. Indem Lesch mit ihnen gemeinsam die verschiedenen Positionen erkundet, bewegen sich alle: Sie richten ihren Blick in alle Richtungen und durchmessen den Raum. Ein Hörsaal, in dem sonst oft nur ein Mensch und seine Wandtafel zu sehen sind, wird dreidimensional. Der Dozent hat also den Raum eingenommen und strukturiert und gleichzeitig die Zuhörenden miteingeschlossen. 51 Raumnutzung im großen Saal Wenn man Vorträge oder gar Seminare in großen Hörsälen halten mus s, ist es schwierig, mit 100, 200 oder mehr Menschen so Kontakt aufzunehmen, dass auch etwas zurückkommt. Man merkt das spätestens bei ei ner Frage ans Publikum, wenn dann die Mehrzahl der Leute passiv bleibt. Eindeutige Signale geben Oft herrscht am Anfang der Veranstaltung noch höfliche Aufmerksamkeit. Dann verliert man langsam den Kontakt zu den Leuten in den hinteren Reihen. Am Schluss sind nur noch zwei, drei Getreue in unmittelbarer Nähe, die zuhören oder auch mal aus Erbarmen eine Antwort geben. Dennoch gibt es immer wieder Beispiele von DozentInnen, denen es gelingt, auch Großveranstaltungen dialogisch zu gestalten. Was tun sie? - Sie bemühen sich um Eindeutigkeit. Weil sie den Raum vorher erkundet haben, wissen sie, dass vieles im Raum die Aufmerksamkeit ablenken kann. Wer seine Redeposition dezidiert, vielleicht sogar demonstrativ einnimmt, hilft, die Konzentration auf sich zu lenken. Auch dass der Vortrag dialogisch sein wird, muss von Anfang an deutlich werden. Wer will, dass das Publikum mitmacht, muss dies zu Beginn signalisieren, nicht erst nach zehn Minuten (s. Kapitel 14). Während der Rede ist es wichtig, für Feedback zu sorgen, also dafür, dass regelmäßig etwas zurückkommt, und zwar auf allen Ebenen. Werkzeuge hierfür sind beispielsweise Fragen, Humor oder Gruppenaktivitäten. Dabei ist es wichtig, den Dialog ständig mit dem gesamten <?page no="58"?> 58 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum Publikum zu führen. Auch wer zwischendurch mit einer Einzelperson interagiert (z.B. nach einem Zwischenruf), muss erkennen lassen, dass dies für alle eine Bedeutung hat. Er geht eher einen Schritt zurück, um auch die anderen körpersprachlich einzubeziehen, und wiederholt die Frage so, dass der Anschluss an den eigenen Vortrag deutlich wird (oder verweist auf später). Blickkontakt im großen Saal Da es in großen Sälen nicht möglich ist, auf gewohnte Weise Blickkontakt zu halten, hilft es, das Auditorium in mehrere Sektoren aufzuteilen. In vielen Fällen reichen drei Sektoren aus, was etwa einem Winkel von je 60 Grad entspricht. 52 Den Winkel abzuschätzen, ist relativ einfach: Man setzt sich ins Publikum, sieht einem durchschnittlichen Redner zu, der den Blick immer wieder von der linken zur rechten Ecke des Publikums bewegt, und notiert, ab wann man sich mitgemeint fühlt und ab wann nicht mehr. Dies ergibt die Eckpunkte des Blickbereichs. Allzu schematisch dürfen diese Hinweise aber nicht verstanden werden; das Wichtigste ist, dass man keinen Teil des Publikums systematisch vernachlässigt - zum Beispiel die, die sehr weit hinten (oder in traditionellen Hörsälen in den obersten Reihen) sitzen. Worte verhallen lassen Oft ist ein Hauptgrund für Verständnisprobleme die Akustik: In großen Sälen ist in der Regel ein Nachhall zu hören, der nur erträglich wird, wenn alle Sitzplätze belegt sind. In Kirchen und anderen repräsentativen Gebäuden ist die Decke so hoch, dass der Hall auch bei Vollbesetzung nicht verschwindet. Dies muss beim Sprechen berücksichtigt werden; die Stimme muss hin und wieder verhallen können. - Die Akustik ist auch ein Grund dafür, dass in alten Kirchen und Versammlungsräumen ein besonderer Ort für die Rednerin oder den Redner geschaffen wurde: Kanzel, Podest, Minbar, Podium, Bütt usw. Wer eines dieser Bauwerke bestieg, war nicht nur in seiner Funktion erhöht, sondern einfach auch besser zu sehen und zu hören. Noch heute ist es für Geistliche eine Überlegung wert, ob sie auf gleicher Ebene wie die Gemeinde reden sollen, um damit Ebenbürtigkeit zu signalisieren, oder ob sie sich auf die Kanzel stellen sollen, um allen Anwesenden visuell und akustisch näher zu sein. Diese architektonischen Traditionen haben aber meist den Nachteil, dass Beiträge aus dem Publikum nicht vorgesehen sind. Zwischenfragen oder Erfahrungsberichte aus der Gemeinde von den Bänken aus werden von den anderen kaum verstanden. Wenn ein Gemeindeglied gehört werden will, muss es aufstehen, sich eventuell sogar woanders hinstellen, und meistens muss zusätzlich eine kurze Zusammenfassung von der Kanzel herab das Verständnis sichern. <?page no="59"?> Raumnutzung im Freien 59 ☉ Tipps für Reden in großen Sälen » Achte auf die Akustik: Gibt es einen Nachhall, der mehr Pausen erfordert? Regelt jemand die Lautsprecher? » Bemühe dich um Eindeutigkeit in der Körpersprache » Nimm nur eine Handlung auf einmal vor (Umgang mit Geräten, Manuskript, Bewegung im Raum etc.) » Teile das Publikum in Sektoren auf, um die Blickrichtung zu wechseln ☉ Beantwortung von Fragen » Öffne das Gespräch für alle: Gehe eher einen Schritt zurück als auf den Fragenden zu. » Wiederhole die Frage eines Einzelnen für alle vernehmbar. » Stelle inhaltlichen Anschluss an den Vortrag her. » Beantworte die Frage so, dass alle die Antwort verstehen. Raumnutzung im Freien Es ist noch nicht so lange her, dass Außenveranstaltungen ohne Mikrofon und Lautsprecher die Regel waren. Abraham Lincoln hielt seinen berühmten Appell an die Demokratie auf dem Schlachtfeld von Gettysburg vor 15.000 Zuhörern. Er war das gewohnt und wird laut und deutlich geredet haben. Nur darf man nicht annehmen, dass die Mehrheit etwas mitbekommen hat. Nach zwei Minuten war die Ansprache ohnehin vorbei, und ohne die Mitarbeit der Presse wäre die Kunde von diesen unsterblichen Worten wohl nie in die Welt gelangt. 53 Das Publikum gruppieren Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Rede im Freien zu optimieren. Dies beginnt bei der „Choreografie“: Wenn sich Menschen im Freien treffen, stellen sie sich selten so auf, wie man es sich von einem idealen Publikum wünscht. Der Redner muss sich einen Platz schaffen, der Blickkontakt und Hörverständnis garantiert. Und die Menschen müssen als Publikum gruppiert werden, sei es, indem man ihnen Sitzplätze anbietet, sei es, indem man sie energisch an den gewünschten Ort komplimentiert. Auf die Akustik achten Die akustischen Verhältnisse sind im Freien grundlegend anders als in geschlossenen Räumen. Die Worte werden nicht von den Wänden zurückgewor- <?page no="60"?> 60 3 Die erste Herausforderung: der gemeinsame Raum fen, sondern breiten sich ungehindert aus, so dass ihre Lautstärke mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Deshalb ist eine Verstärkeranlage sogar im kleinen Rahmen nützlich. Andere Möglichkeiten bestehen darin, sich wenigstens so zu stellen, dass der Schall nicht in alle Richtungen entschwindet. Bei einer Ansprache in einem Garten oder auf einer Terrasse z.B. wird man sich mit dem Rücken zur Hauswand stellen, während die Zuhörerinnen und Zuhörer den offenen Raum hinter sich haben. ☉ Im Freien reden » Das Publikum so platzieren, dass es konzentriert zuhören kann. » Verstärkung durch Lautsprecher kann auch im kleinen Rahmen notwendig sein. » Störgeräusche (z.B. laufende Apparate) unterbinden. Wenn das nicht möglich ist (z.B. Verkehrslärm), Sprechrichtung anpassen. <?page no="61"?> 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung Das Publikum des Online-Vortrags ist weit verstreut. Der eine sitzt zu Hause, die andere in der freien Natur. Und die Rednerin muss für sich und die Kamera einen Platz suchen, der sich für den Redezweck und das Thema eignet: im Büro, in einem Seminarraum, im Freien ... Um das in der Welt verteilte Publikum zu erreichen, müssen zwei Räume - der eigene und der Raum der angesprochenen Person - verbunden werden. Es muss das Gefühl entstehen, dass man sich trotz der örtlichen Trennung beieinander fühlt. Da man die Umgebung der Zuhörenden nicht kennt, klappt das nur, indem man das Publikum in seinen Raum einlädt. Aber viele Menschen, die ihr Fachwissen online präsentieren, verpassen diese Chance. Sie stellen sich und ihre Umgebung nur zweidimensional dar. Sie setzen sich vor eine flache Wand und werden zu einer Pappfigur in einer Tapetenwelt. Da ist keine Tiefe, kein Platz für Bewegung. In eine solche Kulisse kann man nicht einladen, weil da kein Raum ist. Willkommen in meiner Welt Die Wahl des Raumes gehört ebenso zur Planung eines Vortrags wie die Wahl des Themas. Wer sich an Skype oder anderen Formen der Bildtelefonie gewöhnt hat, weiß längst, dass Online-Kommunikation einen großen Bewegungsspielraum bietet. Man braucht nicht starr ins Smartphone oder Laptop zu blicken, sondern kann auch die ganze Umgebung kommunizieren: Man kann den Gesprächspartnern die Wohnung zeigen, das Gespräch ins Freie verlagern usw. Mit anderen Worten: Der eigene Raum nimmt Formen an. Er wird für das Publikum begehbar. Deshalb muss er beim Vortrag zuerst einmal gewählt, dann gestaltet und schließlich auch vorgestellt werden. ☉ In den eigenen Raum einladen: Das gehört dazu » Die Umgebung wählen. » Den Raum wählen » Den Raum benennen » Umgebung und Thematik abgleichen » Den Raum dreidimensional darstellen » Den Raum mit Gesprächspartnern beleben » Akustik überprüfen <?page no="62"?> 62 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung » Bildausschnitt wählen » Licht setzen » Perspektive überprüfen » Durch Bewegung den Raum nutzen. » Requisiten einsetzen. » Orte und Gegenstände einbeziehen und erklären. » Nebengeräusche thematisieren. » Zwischenfälle positiv nutzen. Den Raum wählen Viele Vortragende ignorieren den Raum. Das demonstrieren unzählige Videos im Netz: Zu sehen sind ein Gesicht und ein Hals; den Rest des Bildes füllt Billy von Ikea aus. Oder man gewahrt einen adrett gekleideten Oberkörper hinter einem Schreibtisch, seitlich mit einer Zimmerpflanze dekoriert, im Hintergrund der gleiche notorische Billy. Aber der Raum verbindet sich mit der Botschaft. Er kann sie verstärken oder auch stören. Und alles, was man darin unternimmt, wie man sich darin bewegt, ist Interaktion mit dem Publikum in diesem Raum. Gut genutzt wird er für das Publikum erfassbar und begehbar. Wer die Möglichkeit dazu hat, wird einen Raum wählen, der als Raum erkennbar ist und die Botschaft unterstützt. Zumindest aber darf das Publikum nicht auf der Frage „Wo redest du? “ sitzen bleiben. Deshalb: » Wähle einen Raum mit optischer Tiefe (also nicht nur eine weiße Wand mit Zimmerpflanze). » Wähle einen Raum, der mit deiner Botschaft (deinem Produkt, deinem Beruf, deinem Thema usw.) zu tun hat. » Wähle einen Raum, in dem du dich wohlfühlst, so dass sich deine Körperhaltung und deine Gestik mit Leichtigkeit entwickeln. Wo redest du? ‒ Dem Raum einen Namen geben Die Kommunikation funktioniert besser, wenn der Raum erkennbar ist - als Büro, als Wohnzimmer, als Terrasse usw. Das lässt sich bei Bedarf ansprechen: „Ich musste dem Rest der Familie Platz machen und spreche darum aus der Küche.“ Wenn das abgehakt ist, fällt die Konzentration auf den Inhalt leichter. Abzuraten ist von einem verschwommenen Hintergrund. Es ist unterdessen möglich, mit einfachen Möglichkeiten (z.B. in Zoom) den Hintergrund unscharf <?page no="63"?> Umgebung und Thematik abgleichen 63 zu belassen. Ein Raum ist nur angedeutet, aber man erkennt keine Details. Zwar zwingt diese Lösung das Publikum, sich auf die Person und den Inhalt zu konzentrieren. Aber die Atmosphäre wird auch steril, die Botschaft lautet: „Ich will nichts von mir preisgeben.“ - Empfehlenswert ist diese Gestaltung nur in einem Fall: wenn in einem Interview mit einem Split-Screen beide Gesprächspartner gleichzeitig gezeigt werden. Die befragte Person ist in ihrem normalen Umfeld zu sehen, die Interviewerin vor einem verschwommenen Hintergrund. Das ist zum Beispiel die Praxis bei den Interviews von WELT.de. Das lenkt die Aufmerksamkeit gezielter auf die Person, die im Zentrum stehen sollte. Umgebung und Thematik abgleichen Natürlich ist es ein großer Unterschied, ob man über eine Villa mit 18 Zimmern und einem riesigen Balkon verfügt oder sich eine Einzimmerwohnung mit zwei Mitbewohnern teilt. Aber selbst wenn man sich zur Aufnahme in die (aufgeräumte) Küche verziehen muss, ist das immer noch besser, als sich mit einem Greenscreen vor einen virtuellen Südseestrand zu beamen. Wer die Möglichkeit hat, wird einen Raum wählen, der nicht zu viele Ablenkungen bietet und dessen Einrichtung zur Thematik des Vortrags passt. In anderen Fällen hilft es, die Örtlichkeit kurz anzusprechen und damit allfälligen Irritationen vorzubeugen. Eine verbale Bezugnahme auf den Raum lässt ihn oft präsenter werden als viele visuelle Bemühungen. „Ich bin der Held der Steine in Frankfurt am Main im Herzen von Europa in meinem wunderbaren kleinen Lädchen an einem phantastischen Tag,“ sagt zum Beispiel Thomas Panke auf seinem YouTube-Kanal. 54 Das ist zwar ein wiederkehrender Gag, aber es tut’s schon (und lässt keinen Zweifel darüber, dass der Held seine Steine auch verkaufen will). Der Raum kann auch dynamisch genutzt werden (vgl. auch Kapitel 16). Rachel Stewart, die ihrem englischsprachigen Publikum die exotischsten Dinge aus Deutschland vorstellt, wählt für jedes neue Thema einen neuen Ort. Sie präsentiert etwa ein Gemüse, das es nur Deutschland und Kaschmir gibt: den Kohlrabi. Dafür geht sie zum Wochenmarkt. Da stellt sie sich unter ihren Regenschirm, greift nach einer der hellgrünen Knollen und wendet sich dann mit einer Frage an einen Passanten. 55 Der Stil ist typisch für Videos aus der Blogger- und Influencer-Szene: Man präsentiert nicht nur seine Themen, sondern entdeckt zusammen mit dem Publikum auch laufend Neues im Raum. Und weil der sich ständig verändern kann, ist es verlockend, mitzugehen und die gesamte Präsentation zu erleben. Instruktiv ist auch der YouTube-Kanal der neuseeländischen Physikerin Tibees, die aus Australien in einfacher Form wissenschaftliche Grundlagen vermittelt. Sie stellt sich oft ins Freie, die Kamera auf einem Stativ, das weit genug entfernt ist, um ihren Körper zu zwei Dritteln („amerikanisch“) zu <?page no="64"?> 64 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung erfassen und dabei viel Raum für die Umgebung zu lassen. Man sieht die Hügel und Gewässer rund um Canberra, ohne davon abgelenkt zu werden. Speziell ist ihr Kanal, weil man Innen- und Außenaufnahmen vergleichen kann. Bei den Innenaufnahmen sind die Kulissen aufs Wesentlichste reduziert, die Beleuchtung ist sorgfältig überprüft. Es gibt kein störendes Element, alles ist auf die Präsentation ausgerichtet. Die Außenaufnahmen dagegen erfassen eine Landschaft, einen Wald, einen Garten usw., ohne dass man dadurch abgelenkt würde. Denn die Perspektive ist so gewählt, dass keine auffälligen Einzelheiten Fragen aufwerfen. 56 Die Umgebung gestalten Sobald man sich entschieden hat, in einem Raum zu präsentieren, muss man sich auch der Tatsache stellen, dass dieser Raum etwas ausdrückt. Er zeigt Dinge von mir oder von meinem Büro, die meinen Vortrag begleiten. Es ist durchaus in Ordnung, wenn an der Wand hinter mir die Familienbilder aus den letzten Jahrzehnten hängen. Aber sinnvoll ist es nur so lange, als die Familie auch mit dem Vortrag zu tun hat - als Thema oder als Teil der Crew. In allen anderen Fällen wirkt es ebenso ablenkend wie das Poster vom Hamburger Fischmarkt oder die Aussicht auf die sich drehende Waschmaschine. Und auch für Einzelheiten im Bild gilt die Regel: Was irritieren könnte und nicht entfernt werden kann, soll angesprochen werden. Tiefe erzeugen: Drei Dimensionen zeigen Ein Raum ist dreidimensional. Wer nur als „Talking head“ vor einem flachen Hintergrund zu sehen ist, kann niemanden zu sich einladen. Die Distanz wird betont; das Publikum beobachtet, es kommuniziert nicht mit der Rednerin. Ähnlich wie in der klassischen Tagesschau im Fernsehen wird man Zeuge einer Verkündung, nicht eines Dialogs. 9 | Präsentation zweidimensional. Deshalb ist alles besser, als vor einer platten Wand zu sitzen. Schon eine reine Drehung der Kamera um 20 Grad verleiht dem Raum Tiefe: Eine fliehende <?page no="65"?> Akustik überprüfen 65 Wand reicht aus, um Perspektive zu ermöglichen. Wenn noch eine Ecke und eine angeschnittene zweite Wand zu erkennen ist, umso besser. Das ist keine große Veränderung; aber die sprechende Figur wird zu einem Menschen in einem Raum mit Luft zum Atmen. 10 | Präsentation dreidimensional. Eine andere Möglichkeit ergibt sich, wenn im Hintergrund eine Tür zum nächsten Zimmer offensteht. Und auszuprobieren lohnt sich immer auch die Präsentation im Freien - an einem kleinen Tisch vor einem grünen Hintergrund, der nicht ablenkt, aber dich in einem Raum mit Perspektive platziert und nicht vor einer Kulissenwand. Gesprächspartner beleben den Raum Ein Raum entsteht fast von selbst, wenn man eine Präsentation zu zweit erstellt. Viele Themen lassen sich ohnehin leichter im Gespräch erörtern. Und zwei Menschen, die im Gespräch sind, sprechen nicht nur, sondern verhalten sich auch körperlich zueinander: Sie müssen sich so setzen oder stehen, dass sie einander ansprechen können und von der Kamera erfasst werden. Damit wird auch ihre Gestik sichtbar. Und meistens fühlen sie sich zu zweit vor der Kamera wohler als allein. Sie sind damit als Nutzer eines angenehmen Biotops zu sehen und haben die Chance, menschlicher rüberzukommen. Akustik überprüfen Der Raum vermittelt sich auch durch seine Akustik. Diese wird zu oft vernachlässigt. Typisch sind die Präsentationen aus großen Räumen mit viel Nachhall. Schon ein Zimmer mit nackten Wänden kann ausreichen, dass die gesprochene Sprache zu sehr hallt. Problematisch sind immer Live-Übertragungen oder Aufzeichnungen aus hohen Räumen, etwa Kirchen, Konzerthallen oder Eingangshallen zu großen Gebäuden. Da muss dafür gesorgt werden, dass ein <?page no="66"?> 66 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung Mikrofon aus der Nähe auf den Mund gerichtet ist oder mit einem Ansteck- (Richt-)Mikrofon dafür gesorgt wird, dass der Hall nicht stört. Die Übertragung von Gottesdiensten durch öffentliche Fernsehanstalten kann demonstrieren, dass es möglich ist, den Raumeindruck zu wahren und die Sprache dennoch verständlich zu übertragen. Unter Corona-Bedingungen konnten viele Kirchengemeinden ihre Gottesdienste nur online mit der Gemeinde zusammen feiern. Nebst der Pfarrerin nahmen in der Kirche nur noch einige wenige Personen teil, die den Raum nicht füllen konnten. Das bedeutete schon deshalb einen stärkeren Hall als gewohnt, weil normalerweise die Kirchgänger die Töne zum Teil absorbieren. Erschwert wurde die Prozedur noch dadurch, dass die Verstärkeranlage der Kirche selbst während der Übertragung oder Aufzeichnung ausgeschaltet bleiben musste. Ansonsten hätte das (notwendige) separate Mikrofon noch weitere Schallquellen - die Lautsprecher - aufgenommen. (Zu einem Vergleich laden die Aufnahmen aus der Stiftskirche Tübingen 57 und der Stiftskirche Beutelsbach 58 und von Heilig Abend 2020 ein. Den Tübinger Wortbeiträgen ist schwer zu folgen, weil offensichtlich keine Anstrengung gemacht wurde, die Akustik zu überprüfen; die Beutelsbacher sind sehr gut zu verstehen, sie arbeiten mit 14 Mikrofonen für Prediger, Lektorin und Musizierende.) Generell ist die Investition in ein separates Redner-Mikrofon in jedem Fall zu empfehlen - auch dann, wenn keine weitere Technik als ein Notebook oder Tablet mit eingebauter Kamera verwendet wird. Das Mikrofon ist damit nicht Teil des Computers und übernimmt keine Erschütterungen, die sich ergeben, wenn auf diesem getippt wird. Den Bildausschnitt wählen Wer nur mit dem Laptop arbeitet, sitzt in der Regel etwa 50 cm von der eingebauten Kamera entfernt und präsentiert sich dem Zuschauer in einer Nahaufnahme, die vom Kopf bis knapp unterhalb der Schultern reicht. Wie schon aus bisherigen Beispielen deutlich wurde, bringt es viele Vorteile, wenn die Kamera etwas weiter entfernt ist. Sie zeigt dann zumindest den gesamten Oberkörper und die Arme. Damit werden Gesten und andere Aktionen sichtbar. Zudem fällt es dann leichter, eine bedeutsame Umgebung zu schaffen: Man sieht die Rednerin an ihrem Arbeitsplatz oder im Gebäude eines Kunden usw. Es erleichtert überdies den Blick in die Kamera: Der Blickkontakt braucht nicht so präzise zu sein wie aus unmittelbarer Nähe. Auch der Kopf braucht Raum. Wenn der obere Bildrand zu nah am Kopf verläuft, kann der Rahmen beengend wirken. Als beste Position für die Augen gilt eine waagerechte Linie, die den Bildschirm im Verhältnis 2: 1 teilt („Drittel-Regel“). <?page no="67"?> Die Perspektive überprüfen 67 Licht setzen Gutes Licht setzen zu können, ist eine Kunst. Allzu schlechtes Licht zu verhindern, ist jedoch nicht schwer. Zu viele Präsentationen werden im Gegenlicht aufgenommen - vor dem Fenster oder vor einer Stehlampe -, so dass die Gesichtszüge in einem flauen Schatten verschwinden. Ein Licht von vorne - und wenn es das Fenster ist - zeigt das Gesicht auf jeden Fall deutlicher. Plastischer wird die Darstellung durch eine weitere Lichtquelle im Hintergrund. - Das alles kann hier nur angedeutet werden. Viele Tipps zum Thema Porträt finden sich im Internet auf Blogs von Foto- und Film-Profis. Die Perspektive überprüfen In der Regel befindet sich die Kamera ungefähr auf Augenhöhe. In einzelnen Ratgebern heißt es, dass sie etwas tiefer positioniert sein müsse, andere empfehlen einen etwas höheren Standpunkt. Wer nach einem sicheren Tipp googelt, wird garantiert beide Meinungen finden. Die einzige gangbare Lösung ist: ausprobieren. Auf jeden Fall sollte man es nicht dabei bewenden lassen, das Laptop aufzuklappen, wo es sich gerade befindet, und ohne vorherige Kontrolle loszulegen. Vorsicht bei der Präsentation aus zu großer Nähe! Dies gilt besonders für improvisierte Auftritte mit dem Handy. Man hält das Smartphone in der Hand und übernimmt den Ausschnitt, der bei einer Armlänge Abstand entsteht. Das Resultat im schlimmsten Fall: Eine Aufnahme aus größter Nähe von unten, auf der weder die Schultern noch der ganze Kopf Platz haben. Damit entsteht leicht ein zu nahes, zu persönliches, zu intimes Porträt. Die Erfahrung zeigt, dass dies auch dann nicht automatisch behoben ist, wenn man das Smartphone in ein Regal stellt; denn das übliche Format (hochkant) verleitet auch zu einem stark beengenden Ausschnitt. 11 | Präsentation mit Smartphone aus größerer Entfernung. 12 | Präsentation mit Smartphone nah. <?page no="68"?> 68 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung Deshalb ist es gerade bei der Verwendung des alltäglichen Kommunikationsmittels wichtig, sich rechtzeitig zu erinnern: Das wird ein öffentlicher Auftritt. Durch Bewegung den Raum erlebbar machen Zur Raumgestaltung gehört die Bewegung der Rednerin im Raum. Wenn sie zum Beispiel mittendrin aufsteht und ein Buch aus dem Regal nimmt, kann dies demonstrieren: Ich bin in meinem Zimmer und nutze die Dinge darin. Oder aber es demonstriert: Ich habe nicht genügend Platz, muss mich verrenken und weiß nicht, wie ich dabei in die Kamera schauen soll. Derartige Bewegungen können in einem Präsenzvortrag auch klappen, wenn man sie improvisiert, aber online funktioniert es besser, wenn es einmal geprobt wurde. Die Probe zeigt, ob die Platzverhältnisse die Aktion überhaupt möglich machen, wie die Gegenstände platziert sein müssen, wie Kamera und Mikrofon gerichtet sein sollen usw. Hier, wie in vielen anderen Fällen, erleichtert man sich die Aufgabe, wenn die Kamera von Anfang an weiter entfernt ist und einen größeren Ausschnitt zeigt. Das ergibt zwar nicht die befriedigendste Einstellung, aber es ermöglicht eine natürliche Bewegung vor der Kamera. Requisiten einsetzen Wer Requisiten benutzt, nutzt ganz selbstverständlich die dreidimensionale Qualität des Raums. Wenn der Held der Steine Thomas Panke ein neues Produkt präsentiert, nimmt er zuerst die Schachtel in die Hand und zeigt sie mit all ihren Besonderheiten. 59 Das ergibt automatisch eine Bewegung zur Kamera hin, der Raum wird genutzt und ist dadurch erfahrbar. In den Kapiteln zum Medieneinsatz werden wir nochmals darauf eingehen, dass die Verwendung von physischen Gegenständen die Körpersprache belebt. Eine Online-Präsentation wird dadurch, dass Dinge, die in die Hand genommen werden, viel dynamischer, als wenn dieselben Bildinformationen digital präsentiert werden. Orte und Gegenstände einbeziehen und ansprechen Alles, was im Bild zu sehen ist, kann früher oder später Fragen aufwerfen. Dies betrifft zunächst den Raum an sich. Wenn sich nicht von selbst erklärt, wo die Rede gehalten wird, sollte der Ort kurz angesprochen werden. Wenn die Kamera eine ungewöhnliche Einzelheit erfasst, sollte diese ebenfalls erwähnt <?page no="69"?> Nebengeräusche thematisieren 69 werden. Die Micky-Maus-Figur auf dem Schreibtisch will vorgestellt werden oder sie sollte vor der Aufnahme verschwinden. Dies gilt auch für das schwere Gerät, das in der Ecke steht, weil es im nächsten Vortrag benutzt wird und nicht ständig bewegt werden kann. Wenn genau dies einmal gesagt ist, kann das Publikum es abhaken. Auch Medieneinrichtungen, etwa ein sichtbarer Bildschirm oder eine Wandtafel, wecken Erwartungen. Eigentlich haben auch sie im Bild nichts zu suchen, wenn sie nicht benutzt werden. ☉ Den Raum einbeziehen » einen Standort oder Sitzplatz wählen, der Bewegungsfreiheit erlaubt » Requisiten verwenden » auf Orte und Gegenstände im Raum verweisen » eine Beziehung zwischen Thema und Raum herstellen Nebengeräusche thematisieren Wer einen Vortrag live hält oder aufnimmt, läuft immer Gefahr, dass Nebengeräusche die Aufmerksamkeit ablenken. In vielen Fälle, ist das für die Ohren der Person, die präsentiert, ein gewohnter Teil ihrer Umgebung. Sie hat sich längst daran gewöhnt wie die Dozentin der Online-Gynäkologie-Vorlesung, die kürzlich in unserer Wohnung lief. Die Rede wurde regelmäßig von einem kurzen, hohen Piepen untermalt. Zuerst piepte es nur alle halben Minuten, unangenehm, aber nicht zu schlimm. Wir dachten an ein Gerät, das im Hintergrund lief. Aber im Verlauf der anderthalbstündigen Vorlesung nahm die Frequenz zu. Schließlich war es ein Pieps alle 1,7 Sekunden, und es wurde deutlich: Das war ein Kanarienvogel, und nach der Lautstärke zu urteilen befand er sich im selben Büro wie die Dozentin. Diese hatte sich offenbar schon längst an diese tierische Untermalung ihres Alltags gewöhnt. Aber für Außenstehende, die die komplexen Zusammenhänge der Vorlesung verstehen wollten, ergab dies eine unnötige zusätzliche Konzentrationsübung. Zumindest wäre in einem solchen Fall eine Erklärung für die Störung zu erwarten - etwa so: „Ihr hört im Hintergrund meinen Hansi; ich kann nicht dozieren, ohne ihn in der Nähe zu wissen.“ Die Autodoktoren machen das auf ihrem YouTube-Kanal besser. Sie tun zu Beginn einen Blick durch das Tor hinaus in den Hof. 60 Es geht eigentlich um die Reparatur eines Seat-Motors. Aber im Hof sind drei Männer am Reparieren des Teerbelags. Das kann laut werden, und deshalb wird vorsorglich darauf hingewiesen. Weil damit auch eine Kamerafahrt über zehn Meter verbunden ist, <?page no="70"?> 70 4 Der Online-Vortrag ist eine Einladung macht dieser kurze Exkurs die Werkstatt begeh- oder vielmehr erfahrbar, und es ist viel für die Raumkommunikation getan. Zwischenfälle positiv nutzen Genauso wie in der Präsenzveranstaltung gehören Zwischenfälle dazu. Sie müssen nur, genauso wie ein Gesprächsgast, akzeptiert und eingebaut werden, indem man sie anspricht. Dass die vierjährige Tochter hereinspaziert und die Aufnahme mit einer Frage an die Mama bereichert, die gerade ihren Vortrag hält, kann nichts weiter als eine willkommene Abwechslung sein. Bedingung ist aber, dass der familiäre Kontext, in dem die Präsentation stattfindet, vorher eingeführt wurde. Eine Videokonferenz einer britischen Parlamentskommission wurde zum viralen Hit, als der schottische Abgeordnete John Nicolson am Reden war und sich zwischen ihn und die Kamera plötzlich der buschige Schwanz eines rot-weiß getigerten Katers stellte. Ein zehn Zentimeter langes Schwanzende, das nur zehn Sekunden munter hin und her tänzelte - das reichte aus, um die Situation ins Absurde abgleiten zu lassen. Passend dazu der irritierte Satz des Politikers: „Rocco, put your tail down! “ 61 Es war einer der Momente, in denen es angezeigt ist, den eigenen Redefluss kurz zu unterbrechen und das Ereignis anzusprechen. Robert Willis, der Dekan von Canterbury, tat das, als während seiner Morgenandacht im Garten eine Katze auf den Teetisch neben ihm sprang und sich an der Milch gütlich tat, die da neben der Teekanne bereitstand. Er wandte sich dem Tier zu, streichelte es und sagte: „Sorry, wir haben heute Morgen einen Freund zu Besuch.“ Dann wandte er sich wieder an das Publikum und hielt Predigt ungerührt zu Ende. Ob die kurze Zwischenbemerkung alle Gläubigen zurück zum Thema gebracht hat, ist allerdings zu bezweifeln. Der „Freund“ blieb nämlich auf dem Tisch, tauchte immer wieder die Pfote ins Milchkännchen und verschwand erst nach weiteren vier Minuten von der Bildfläche. 62 In vielen anderem Fällen aber reicht es, optische Störungen durch einfaches Ansprechen zu relativieren. ☉ Raumnutzung online: wichtigste Fragen » Wird klar, wo sich die Rednerin befindet? » Werden Details vermieden, die unnötige Fragen aufwerfen (Bilder und Bücher im Hintergrund)? » Ist das Licht angenehm (für Publikum und RednerIn)? » Gibt die Kamera die Personen überzeugend wieder (Höhe, Ausschnitt, Kopffreiheit, Distanz)? <?page no="71"?> Zwischenfälle positiv nutzen 71 » Vorsicht bei der Präsentation aus zu großer Nähe. Dies gilt besonders für improvisierte Auftritte mit dem Handy. Das Resultat im schlimmsten Fall: Eine Aufnahme aus größter Nähe von unten, auf der weder die Schultern noch der ganze Kopf Platz haben. » Auch bei weniger drastischen Bildausschnitten ist es wichtig, sich rechtzeitig zu sagen: Das wird ein öffentlicher Auftritt. Die Kamera kann den Redner oder die Rednerin zu nah, zu persönlich, zu intim präsentieren. <?page no="73"?> 5 Vertraue deiner Körpersprache! Und was soll ich mit meinen Händen tun? - Eine berechtigte Frage. Wer sie in YouTube eingibt, findet Dutzende von Videos, die genau dazu anleiten: zum überzeugenden Einsatz von Armen, Händen und Fingern. So isoliert hat das aber keinen Sinn. Du konzentrierst dich auf einen Teil des Körpers und lässt den Rest außer Acht. Deshalb ist diesem Kapitel eines über den Raum vorausgegangen: Dass ich den Raum und die Menschen darin wahrnehme, ist die Voraussetzung dafür, was ich mit meinem Körper tue. Im besten Fall entwickelt sich die Körpersprache von selbst, aus der Interaktion mit Raum und Publikum. Voraussetzung ist die zielgerichtete Bewegung durch den Raum und ein sicherer Stand. In praktischen Kursen hat es sich bewährt, die Menschen genau dazu anzuleiten und zu versichern, dass sich eine Körpersprache, die zu ihnen passt, von selbst entwickelt, wenn sie auf beiden Füßen stehen und aus der Körpermitte heraus agieren. Deshalb beginnt der Abschnitt über Tipps zur Gestik auch mit diesem Ratschlag. Dennoch ist es wichtig, die Möglichkeiten zu kennen, die einem Blickkontakt, Mimik und Gestik eröffnen. Dies sollen die folgenden Abschnitte zeigen. Sie sollen dabei helfen, die nonverbalen Mittel zielgerichteter einzusetzen, ohne das Vertrauen in die eigene Körpersprache zu verlieren. Sie ist Ausdruck der Persönlichkeit und braucht deshalb nicht grundlegend revidiert zu werden. Besser als die Übernahme aufgesetzter Gesten hilft die Einsicht in das eigene nonverbale Repertoire und die Überzeugung, dass es sich mit der Bereitschaft weiterentwickelt, den Vortrag als einen Austausch mit dem Publikum zu verstehen. Blickkontakt vor Publikum Der erste Austausch geht über die Augen. Man kann das natürlich auch vermeiden und „guten Tag“ murmeln, während man vor sich herunter auf die eigenen Fußspitzen schaut. Aber damit ist niemandem geholfen. Deshalb war es so wichtig, sich schon beim Betreten des Raums umzusehen. Das macht den Kontakt leichter. Und jetzt hat die Rednerin ihre Redeposition erreicht, steht auf beiden Füßen und sieht in die Runde. Menschen aus dem Publikum sehen zurück. Ihre Augen treffen sich. Blickkontakt zwischen Menschen ist über Jahrzehnte immer wieder erforscht worden. So ist längst gesichert (und wird niemanden überraschen), dass Referenten, die kontinuierlichen Blickkontakt mit ihrem Publikum haben, besser ankommen. Ihnen wird mehr Glaubwürdigkeit zugeschrieben, 63 man lässt sich von ihnen eher überzeugen. 64 Das ist auch der Grund dafür, dass Teleprompter nicht nur im Fernsehen und Online, <?page no="74"?> 74 5 Vertraue deiner Körpersprache! sondern auch bei großen politischen Veranstaltungen eingesetzt werden, mit den entsprechenden positiven und negativen Resultaten. Wie geht Blickkontakt mit einer Gruppe? In de r direkten Begegnung zweier Menschen ist es eine relativ klare Sache. Zwar werden die Augen des Gegenübers nicht starr fixiert. Vielmehr werden neben den Augen verschiedene weitere Partien des Gesichts in kurzer Folge gescannt. Dennoch unterscheidet der Gesprächspartner sehr klar, ob er das als Blickkontakt wahrnimmt oder ob der andere an ihm vorbeisieht. 65 Ja, es scheint, dass wir sogar unwillkürlich spüren, wenn uns ein Gesprächspartner in die Augen sieht, aber in Gedanken ganz woanders is t („Die Augen sind auf dich gerichtet, aber in Gedanken ist er auf Hawaii am Strand.“ 66 ) ☉ Blickkontakt für Anfänger Blickkontakt fällt nicht allen leicht. Manch einer hat den Eindruck, als einziger Introvertierter unter lauter Extravertierten zu leben, die alle so tun, als ob Blickkontakt kein Problem sei. Wenn man zusätzlich eine Sehbehinderung hat, wird das noch schwieriger. Ich selbst sehe von Kindesbeinen an doppelt. Was soll ich mit den vier Augen meines Gegenübers anfangen? Mir hat im Alltag nur der Trick geholfen, dass ich Gesprächspartnern zwischen die Augen sehe, also auf die Nasenwurzel. Das ist eine viel gescholtene Technik; 67 aber damit war ein für alle Mal die Frage vom Tisch, ob ich mich aufs linke oder aufs rechte Augenpaar konzentrieren soll. In der Interaktion von Redner und Publikum dagegen ist die Sache etwas anders. Man kann nicht allen Menschen gleichzeitig in die Augen sehen. Aber die Erfahrung zeigt: die Gruppe fühlt sich dennoch angesprochen, wenn man eine einzelne Person ansieht. (Wer dagegen versucht, den Blick über die Gruppe schweifen zu lassen, wirkt eher unpersönlich.) Es ist dabei ohne weiteres möglich, sich einen Menschen herauszusuchen, bei dem dies leichtfällt, weil er nett dreinblickt (auch wenn der Schein trügt und oft die missmutigsten Zuhörenden am aufmerksamsten sind). Die Distanz ist in den meisten Fällen so groß, dass die Menschen im Umkreis der anvisierten Person noch erfasst werden und sich zumindest mitgemeint fühlen. Blickkontakt wechseln Je größer das Auditorium, desto wichtiger ist die Einteilung in Sektoren und der bewusste Wechsel des Blickkontakts. Drei Sektoren sind für einen Saal <?page no="75"?> Blickkontakt vor Publikum 75 von 100 Personen ein guter Richtwert (vgl. auch Kapitel 3). Wenn der Saal größer ist oder die Zuschauerreihen ansteigen, ist es notwen dig, auch zwischen näheren und entfernteren Gruppen abzuwechseln. Ein Gefühl für die Weite dieses Sektors bekommt man natürlich nicht durch geometrische Verfahren. Empfehlenswert ist der Selbstversuch: die Umsetzung der eigenen Erfahrung als ZuhörerIn. Für den Rhythmus des Blickwechsels sind auch Beobachtungen im Alltag hilfreich: Man findet sich im Gespräch mit einer kleinen Gruppe von Freunden, und einer der Anwesenden wirkt besonders präsent, als ob er den anderen viel stärker zugewandt wäre. Diese Person, so scheint es, bezieht bei längeren Wortmeldungen alle anderen ein. Dabei wendet sie sich zwar an einen Hauptadressaten, richtet aber gelegentlich ohne Hast den Blick auch auf jemand anders. Nonverbal bekommt jeder das Signal: Ich bin noch bei euch, seid ihr auch noch bei mir? Genau dies bewirkt auch ein Wechsel der Blickrichtung im V o r t r ag . Der Körper macht den Blickkontakt mit Was wir Blickkontakt nennen, beruht nicht nur auf der Bewegung der A ugen. Dies mag in der Zweierkommunikation ausreichen. Wenn ein Einzelner eine Gruppe anspricht, gehört aber mehr dazu: Vollständiger Blickkontakt ist Zuwendung mit dem ganzen Körper, also mit den Augen, dem Gesicht, dem Oberkörper, den Händen und Armen und in manchen Fällen auch den Beinen und Füßen. Es muss nicht alles mobilisiert werden; aber es ist wichtig, sich der verschiedenen Möglichkeiten bewusst zu sein. Ein Beispiel: Bill Clinton am Parteitag Am Nominierungsparteitag der Demokratischen Partei 2012 spricht Bill Clinton 50 Minuten lang. Die Rede ist ein Meisterstück politischer Wahlkampfrhetorik. Sie bietet auch eindrückliche Beispiele für ge l un ge n e n Blickkontakt mit einem riesigen Publikum. 68 Clinton steht ziemlich einsam auf einer Bühne, die eine große Distanz zu den Tausenden von Zuhörenden herstellt. Aber er hat sie alle im Blick. Wie schafft er das? Dass Clinton sofort Kontakt zu seinem Publikum findet und die Verbindung nicht unter bric h t, auch wenn er fast eine Stunde lang redet, liegt daran, dass er den Blickkontakt zur Sache des ganzen Körpers macht. Er setzt sich aus drei K ompo n e n ten zusammen: aus der Blickrichtung, der Kopfrichtung und der Richtung des Obe r kö r pe r s . 69 Bei Clinton ist oft zu beobachten, dass die Augen schon eine neue R ic h t un g ansteuern, bevor der Kopf folgt, während der Oberkörper noch in der alten Position verharrt. Manchmal lässt er sogar eine Geste stehen, die zur linken Hälfte des Publikums orientiert ist, wäh- <?page no="76"?> 76 5 Vertraue deiner Körpersprache! rend sich sein Gesicht bereits zur rechten wendet. Man könnte allgemein sagen: Ein Element des Blickkontakts (meistens Augen und/ oder Kopf) übernimmt die Führung , die anderen folgen etwas später. Er nimmt schon ein neues Segment des Publikums in den Blick, aber seine Hand oder sein Oberkörper sagt n och in die andere Richtung: Ich lasse euch nicht los. 70 Ein Studienobjekt: Amanda Palmer Es lohnt sich, zu beobachten, wie jemand, der pantomimisch kommuniziert, mit dem Blick umgeht. Die Musikerin Amanda Palmer demonstriert dies in ihrer TED-Rede, in der sie von ihren Anfängen als Straßenkünstlerin erzählt. Bei ihrem Vortrag zeigt sie nochmals die Pantomime von damals. 71 Sie be u g t sich vor, sucht Blickkontakt mit dem Vorübergehenden, und während dieser unbeirrt weitergehen will, folgen ihm nicht nur Augen und Gesicht, sondern auch die Arme und der gesamte Oberkörper. Nur die Füße bleiben an Ort und Stelle. ☉ Wie der Blickkontakt den Dialog fördert Einem Einzelnen in die Augen sehen: Da Blickkontakt nur mit einer Einzelperson hergestellt werden kann, sollte man dies auch konsequent t un . Die Blickrichtung wechseln: Wechsle gegen Ende eines Satzes oder Abschnitts die Blickrichtung, um abwechselnd auch die Personen in anderen Bereichen des Saals a n z u sp r ec h e n . Mit dem Körper dem Blick folgen: Verstehe Blickkontak t als Leistung des gesamten Körpers. Ein Wechsel des Blickkon takts wird vom Oberkörper un t e r s t ü t z t . Blickkontakt auch bei manuellen Tätigkeiten: Zur Vorfü h rung von Demonstrationsobjekten oder zur medialen Präsenta tion gehört die Frage: „Wem zeige ich dies? “ Entsprechend gehören dazu Unterbrechungen mit Blickkontakt. Zweierkommunikation v e r mei de n : Durch intensiven Blickkontakt mit einer einzelnen Person kann das restliche Publikum ausgeschlossen werden. Jede Äußerung ist eine Botschaft für alle; jeder Blickkontakt gilt auch für die a n de r e n . Beim Blickkontakt geht es also nicht um ein isoliertes Merkmal, sondern um die Einbettung in der gesamten Körpersprache. Genauso, wie ma n auf der <?page no="77"?> Mimik und Ehrlichkeit 77 Straße einem Menschen nicht nur mit den Augen nachsieht, ist Blickkontakt beim Reden eine Sache der Bewegung des ganzen M e n sc h e n . Mimik und Ehrlichkeit Lächeln, Heben der Augenbrauen, Stirnrunzeln, Mund und Augen aufsperren usw.: Mimik gibt der Rede eine Zusatzinformation. Sie verstärkt eine Pointe, mildert eine Kritik, unterstützt die Bedeutung einer Aussage. An der Mimik erkennen die Zuhörerinnen auch leicht, ob der Redner bei der Sache ist oder etwas anderes sagt, als er glaubt. Um die Mimik in der öffentlichen Rede am besten zu beherrschen, ist der wichtigste Tipp, ehrlich zu sein. Das lässt sich durch ein prominentes Beispiel illustrieren: Im Jahr 2011 spaltete Netflix seinen DVD-Leihservice vom Streaming-Dienst ab und berechnete den bisherigen Kunden zwei Abos. Dabei wurde versäumt, diese Verteuerung rechtzeitig zu kommunizieren, und die Abonnenten waren verärgert. Dann trat der CEO an die Öffentlichkeit. Er entschuldigte sich in einer Videobotschaft - nicht für die Preisgestaltung, sondern für die schlechte Kommunikation. 72 Er lächelte während der gesamten dreieinhalb Minuten, was den Eindruck erweckte, dass ihm die Kritik herzlich egal sei. Hunderttausende von Kunden, die diese Diskrepanz wahrgenommen hatten, kündigten darauf ihre Abos umso schneller. 73 Seine Mimik hatte etwas anderes ausgedrückt als seine Worte. Das Beispiel zeigt, Mimik ist mehr als ein mechanisch angewandter Code. Mimik ist ein Wort dafür, dass das Gesicht erkennen lässt, wie wir zu unseren Mitmenschen und zu unseren Worten stehen. Ein Lächeln kann dem Publikum einfach mitteilen: „Ich freue mich, euch zu sehen.“ Es kann aber ebenso gut sagen: „Was ich jetzt sage, ist nicht so ernst gemeint.“ Oder es kann eine ernsthafte Aussage ironisch konterkarieren. Es verstärkt zugleich den Bezug zum Publikum und kommentiert das Gesagte. Und wie das Lächeln entwickelt sich auch die übrige Mimik dadurch, wie der Redner bei der Sache und bei seinem Publikum ist. Gerade bei sorgfältig vorbereiteten, zu ausgeklügelten Präsentationen kann es geschehen, dass sich Redeabsicht und Mimik widersprechen. Das Publikum kann darauf, wie das Beispiel zeigt, empfindlich reagieren. Lässt sich Mimik steuern? Mimik ist „Teil des kommunikativen Körpers“ 74 : Wie schon beim Blickkontakt betont, spielt ein einzelnes körpersprachliches Element meist mit anderen zusammen. Wer sich an die Stirn tippt und dabei lächelt, drückt etwas anderes <?page no="78"?> 78 5 Vertraue deiner Körpersprache! aus, als wer dabei grimmig schaut. Wer nur die Schulter zuckt, hat mit seiner Indifferenz oder Ratlosigkeit mehr Probleme, als wer dabei lächelt. Das macht es noch schwieriger, die Mimik zu kontrollieren. Der beste Ratschlag bleibt: Bleib du selbst; sag nichts, was deiner Überzeugung widerspricht. Aber hilfreich ist auch die Tatsache, dass Mimik aus der Interaktion entsteht. In einer als dialogisch verstandenen Kommunikation zeigen die Gesichter der Zuhörenden, wie gut diese den Gedankengang des Redners verstanden haben und ob sie emotional mit ihm mitgehen. Wer auf die Mimik von Zuhörern achtet, wird erkennen, dass sie ihn in seiner Aufgabe unterstützen, ja gelegentlich auch, dass sie ihn durch einen positiven Gesichtsausdruck ermuntern, die Aufgabe lockerer anzugehen. 75 Auch wenn man nicht alle Botschaften lächelnd überbringen kann, gibt es Situationen, in denen ein Lächeln die Stimmung verbessert. Eine solche Situation ist die Zeit vor Redebeginn. In den Sekunden, die dazu genutzt werden, den Raum und das Publikum wahrzunehmen, findet sich leicht ein Gesicht, das das Lächeln sogar erwidern wird. Während traditionelle Rhetorikratgeber empfehlen, die Mimik zu trainieren, rät eine konstruktive Rhetorik, bei der Sache und dem Publikum zugewandt zu bleiben. Dazu gehört nicht nur eine gute inhaltliche Vorbereitung, sondern auch das Bewusstsein, dass die Rede eine gemeinsame Leistung von Redner und Publikum ist. ☉ Mimik dialogisch » Wer bei seiner Überzeugung bleibt, braucht seine Mimik nicht zu „beherrschen“. » Eine freundliche Einstellung ist der Schlüssel zu einer Mimik, die vom Publikum positiv aufgenommen wird. » Sieh dein Publikum an, lass dir Zeit, um sich nonverbal mit deinen Zuhörern auszutauschen. Die dialogische Kraft der Gestik Mit „Gesten“ bezeichnen wir in der Umgangssprache die Arm- und Handbewegungen beim Reden. 76 Und so soll der Begriff auch hier verstanden werden. Gestik entwickelt sich nicht nur aus der körperlichen Sicherheit, sondern auch aus der dialogischen Einstellung heraus. Wer diese Einstellung betont und gleichzeitig daran interessiert ist, was die Zuhörenden zu geben haben, zeigt Zuwendung. Dieses Wort hat ja <?page no="79"?> Typen von Gesten kennen 79 nicht nur eine übertragene Bedeutung, sondern meint auch ganz konkret eine körperliche Ausrichtung auf andere Menschen, nicht zuletzt mit Gesten. Gestik verbindet: Zwei Beispiele Wenn Vinh Giang - Gründer eines erfolgreichen Internet-Startups für Zauberlehrlinge - erzählt, was er als Jungunternehmer gelernt hat, 77 ist keine seiner Gesten „sinnvoll“, etwa indem sie das gesprochene Wort verdeutlichen würde. Er hebt die rechte Hand, er zeigt mit dem Finger nach vorn, er reibt sich die Hände usw. Diese Bewegungen haben keine Bedeutung im engen Wortsinn; aber jede ist auf das Publikum ausgerichtet. Das braucht nicht einstudiert zu werden. Es entspricht einfach einer Grundeinstellung: Ich habe dem P u b l ik u m etwas zu geben. Auch Desmond Tutu, Erzbischof und Nobelpreisträger aus Südafrika, der die einfache und doch schwierige Botschaft von der Vergebung überbringt, 78 bewegt seine Hände, ohne damit irgendwelchen Regeln zu folgen. Aber er drückt mit jeder Geste aus, dass er die Verbindung z u seinen Zuhörenden sucht, um seine Erfahrung mit ihnen zu tei l en. ☉ Den gestischen Bezug zum Publikum unterstützen Dialogische Gesten entstehen aus der Einstellung: „Ich habe dem Publikum etwas zu geben.“ Oft hilft es, die Zuhörenden häufiger explizit anzusprechen. Wörter wie ich, ihr, Sie können auch die Gestik aktivieren. Typen von Gesten kennen Wir haben ein reiches Repertoire an Gesten. Der folgende Überblick soll dies belegen und zeigen, was wir beim Reden alles mit unseren Händen tun. Vieles davon geschieht unbeabsichtigt und macht das Gesagte doch anschaulicher und das Reden leichter. Die Beispiele sollen dazu anregen, den eigenen gestischen „Wortschatz“ zu überprüfen. Auch zurückhaltende Persönlichkeiten nutzen gelegentlich Gesten. Aus dem Interesse daran kann sich ein kreativerer Umgang mit Gestik entwickeln. ☉ Gestik: Zwei Hauptgruppen Gestischer Wo rt s c h a t z : Kulturell kodierte Gesten, die R ed n e r und Publikum aufgrund ihrer gemeinsamen Kultur t ei l e n . <?page no="80"?> 80 5 Vertraue deiner Körpersprache! Situative Gestik: Spontane Gesten, die aus der Situation h e r a u s entstehen und nur im Kontext verstanden we r de n . Die Illustrationen sind einem unterhaltsamen Vortrag von Steve Wozniak, dem Mitbegründer von Apple, nachempfunden, der ein begnadeter Gestikulierer ist. In einem Vortrag an der Universität von Berkeley erzählt er von Streichen aus seiner Studentenzeit und vermittelt durch seine Körpersprache seine Erfahrungen doppelt so intensiv 79 . Planungsgesten Manche Gesten sind für die redende Person wichtiger als für das Publikum: Sie geben Unterstützung beim freien Formulieren. Man greift sich zum Beispiel an die Stirn, weil einem ein Name nicht einfallen will. Das hilft beim Nachdenken und überbrückt die Pause. Zudem signalisiert es dem Publikum, wozu die Pause dient. In einer guten Atmosphäre findet sich dadurch schnell jemand, der einem den gesuchten Begriff zuruft. Die Geste hilft also Redner und Publikum. 13 | Adaptor: die Hand an der Stirn hilft beim Nachdenken. In der Forschung wird oft von „Adaptoren“ oder „Ableitungsgesten“ gesprochen - von Gesten, die dazu dienen, „bestimmte körperliche oder emotionale Bedürfnisse zu befriedigen bzw. ihrer irgendwie Herr zu werden“. 80 Sie können aber auch die Selbstsicherheit stärken oder den Prozess des Formulierens unterstützen. Es ist wichtig, auch solche Anfänge einer persönlichen Gestik positiv zu sehen und sie als Einstieg in ein freieres Verhalten zu verstehen. 81 Gesten, die auf Dinge zeigen Im Alltag tun wir das ständig: Wir machen auf ein Ding im Raum aufmerksam und bewegen unsere Hand in die Richtung. Manchmal tun wir das sogar mit Personen, obwohl wir dafür schon im Kindesalter gerügt wurden. Aus Auftritten amerikanischer Prominenter kennt man dies: Sie erkennen jemanden im Publikum und weisen mit dem Zeigefinger direkt auf die Person. Eine Begrü- <?page no="81"?> Typen von Gesten kennen 81 ßungsgeste, die, auch wenn sie in anderen Kulturen befremdlich wirkt, hier eine (leicht aggressive) Verbindung herstellt. Andere Zeigegesten haben verständnisfördernden Charakter. Sie untermalen ganz einfach die Aussage „dieses“ oder „jenes“, helfen, den Blick des Publikums dahin zu richten, wo auch der Redner hinblickt. Gesten, die die Rede strukturieren Eine bewusste Gliederung geschieht oft mit strukturierenden Gesten („Regulatoren“). Sie haben keine eigenständige Bedeutung wie etwa ein Stoppsignal, sondern gliedern die Rede, wie es in der Schrift Satzzeichen tun. Sie verdeutlichen den Aufbau der Rede. Man kann so zum Beispiel die nächste Sprechhandlung vorbereiten: Man hebt eine Hand, um anzuzeigen, dass gleich eine entscheidende Botschaft folgt. Häufig zu sehen ist auch das Nummerieren einzelner Hauptteile in einem kurzen Abschnitt: Bei jedem Teil wird ein Finger mehr gehoben. Man zählt und nutzt ein althergebrachtes Mittel, um die Zahlen visuell darzustellen. Gesten, die die gedankliche Struktur abbilden Viele Redner benutzen die Luft als Wandtafel: Sie heben z.B. die Hand und „fixieren“ damit eine Aussage an dieser Stelle. Bei den Worten: auf der einen Seite z.B. heben sie die rechte Hand, bei: auf der anderen die linke. Dies ergibt für kurze Zeit eine ähnliche visuelle Unterstützung, wie wenn zwei Punkte an der Tafel angebracht würden. Auch geografische Verhältnisse (Himmelsrichtungen, Berge und Täler, die Lage von Orten zueinander) werden oft gestisch „gezeigt“. Dabei ist klar, dass dies nicht nur eine Verständnishilfe für das Publikum, sondern vor allem auch eine Strukturierungshilfe für den Redner ist. 14 | Der Redner zeigt seine Route auf einer imaginären Landkarte. Gesten, die Wörter betonen Emphatische Gesten betonen oder relativieren das Gesagte. Man erhebt zum Beispiel die Hand, um die Wichtigkeit der Botschaft (und seiner selbst als ihres <?page no="82"?> 82 5 Vertraue deiner Körpersprache! Verkünders) zu unterstreichen. Oder man deutet mit einer abweisenden Geste an, dass die jetzige Information nur eine Nebensache betrifft. Gesten, die Tätigkeiten und Dinge simulieren Menschen, die gerne gestikulieren, ertappen sich oft dabei, dass sie eine Tätigkeit, von der sie sprechen, mit den Händen oder dem ganzen Körper ausführen. Im künstlerischen Sektor heißt dies „Luftgitarre“. Aber bei einer Rede kann es schon einmal vorkommen, dass man erzählt, wie ein Brett gesägt wird, und dabei mit dem Arm genau diese Bewegung vornimmt. Diese Gesten können simulierend genannt werden, weil sie eine Handlung nachzeichnen, bei der genau die gleichen Handbewegungen benutzt werden. Der Wert einer solchen Geste steht und fällt mit der Frage, ob sie eine Zusatzbedeutung bietet. Solange ich nur beim Satz: „Er klatschte in die Hände“ selbst in die Hände klatsche, unterfordere ich ein erwachsenes Publikum. Wenn ich aber einen komplexeren Ausdruck verdeutliche, ist eine simulierende Geste am Platz (etwa so, dass ich mit den Fingern schnipse, um sicherzustellen, dass das Wort schnipsen auch verstanden wurde). 15 | „Wir fuhren mit dem Auto in den Süden“ - der Redner bewegt ein imaginäres Lenkrad. Diese Art der Inszenierung ist im ungezwungenen Gespräch überraschend häufig. Man illustriert eine einfache Tätigkeit - nicht weil sie sonst nicht verstanden würde, sondern aus Freude. Steve Wozniak war als Student stolz, ein Auto zu haben und Tausende von Meilen damit zu machen, was er aus der zeitlichen Distanz humorvoll kommentiert. Deshalb spielt (und übertreibt) er die Manipulation am Steuerrad. In Alltagsgesprächen kann man beobachten, dass jemand zu den Worten: „Er grüßte mich“ die Hand an die Stirn führt und die nonverbale Geste des „An-den-Hutrand-Tippens“ nachvollzieht. 82 In didaktischen Situationen werden solche Gesten schließlich auch genutzt, um eine Tätigkeit, die normalerweise mit den Händen vollzogen wird, realitätsnah anzudeuten. Die Geste wird Thema: Der Fußballtrainer demonstriert, wie der Ball gehalten wird, wenn man ihn aus dem Aus einwirft. Die Cellistin zeigt, wie sie in einer schwierigen Passage den Bogen hält, der Priester führt die korrekte Form der Segnung bei der Taufe vor usw. Diese Beispiele zeigen, dass ein Nutzwert dabei sein muss, wenn simulierende Gesten wirken sollen. <?page no="83"?> Typen von Gesten kennen 83 Beim Beispiel Autolenken liegt der Nutzwert in der humorvollen Distanz, beim Beispiel Einwurf liegt er in der Vorbildfunktion. Viele Gesten, die wir täglich vollführen, sind nicht mehr simulierend, sondern geben eine Tätigkeit in reduzierter Form wieder. Mit ihnen zeigt man nicht mehr, was gemeint ist, sondern bedeutet es. Dies geschieht zum Beispiel, wenn man von einem Telefongespräch berichtet und dabei die Hand mit gespreiztem Daumen und kleinem Finger zum Kopf führt. Dabei wird nicht nur das Halten eines Telefons dargestellt, sondern auch das Telefon selbst symbolisiert - in einer Form, die weit weg ist von den heute üblichen Geräten. Auch hier ist der Nutzwert für den Gesprächspartner minimal, für den Redner aber oft hilfreich. Gesten, die Formen, Größen und Bewegungen andeuten Viele Gesten verdeutlichen das Gemeinte, weil sie in einer einzigen Bewegung mehr Klarheit verschaffen als eine Umschreibung in Worten. Zu den Worten: „Der Gegenstand war etwa so groß“ lässt sich mit den Händen deutlich sagen, was mit „so“ gemeint ist. Das ist schneller und hilfreicher als eine Angabe in Zentimetern. Ähnlich lassen sich Formen in die Luft zeichnen oder Geschwindigkeiten oder Art einer Bewegung (Hüpfen, Wachsen, Schwimmen) illustrieren. Solche analogen Gesten deuten eine Form oder andere Eigenschaft nur noch an. Die Rednerin nennt z.B. eine bestimmte Form und zeichnet sie in der Luft nach: eine geometrische Figur oder einen Kurvenverlauf. Oder sie unterstützt geografische Informationen, indem sie mit der Hand verschiedene Stellen einer imaginären Landkarte andeutet: oben, wenn sie ein nördliches Gebiet nennt, unten für den Süden. Gesten, die den Sound unterstützen Auf der einfachsten Ebene unterstreichen die Gesten die musikalische Gestalt der Rede. Eine wichtige Botschaft wird Silbe für Silbe skandiert, und dazu wird der Takt mit gleichförmigen Schlägen der Hand unterstützt. Gesten, die Worte ersetzen Gesten ohne Worte können sich auf kulturelle Codes beziehen, z.B. das Zählen mit den Fingern, oder das Heben des Daumens. Sie können auch dem individuellen Ausdruck von Gefühlen und Meinungen dienen, z.B. wenn man sich streckt oder mit der Hand durchs Haar fährt usw. Vom ehemaligen US-Präsidenten Trump kennt man Auftritte, bei denen er vor Beginn seiner Rede den Applaus mit Gesten aufheizt. Er klatscht in die Hände, hebt dann die Rechte zum Gruß, klatscht nochmal, ballt dann beide Fäuste auf <?page no="84"?> 84 5 Vertraue deiner Körpersprache! Schulterhöhe, lächelt, als der Sprechchor „USA! USA! “ beginnt, und unterstützt dies wie ein Dirigent mit beiden Händen. 83 Das mag man für widerliches „Machotum“ halten. Aber es zeigt deutlich, wie viel Zeit verstreichen kann, ohne dass eine einzige verbale Äußerung getan wird. Dies ist möglich, weil es nicht nur Gesten gibt, die Worte begleiten, sondern auch solche, die für sich stehen. Sie wirken auch dann, wenn der Redner stumm bleibt. Solche Gesten haben nicht zuletzt kontaktbildenden Charakter. Auch wer kein populistischer Politiker ist, verfügt über konventionelle Signale der Begrüßung oder der Bestätigung. Im mitteleuropäischen Kulturkreis kennen wir zum Beispiel: » Kopfnicken für Ja » Schulterzucken für Weiß nicht » Hände heben für Ich ergebe mich Oft bleibt einem nichts anderes übrig, als nonverbal zu agieren. Dies kann etwa der Fall sein, wenn man bereits auf der Bühne steht, aber noch vorgestellt wird. Oder das Publikum äußert sich während der Rede so laut (lachend oder applaudierend), dass man stumm agieren muss. Da bleibt oft nichts anderes, als durch spontane Gesten Dankbarkeit, Freude oder Ratlosigkeit auszudrücken. Dazu dienen auch individuelle Formen, die ad hoc entstehen und außerhalb der Situation mehrdeutig wären. Fehlende Gestik Eine gute Nachricht für alle zurückhaltenden Rednerinnen und Redner: Wer eine gute Beziehung zum Publikum aufbauen kann, braucht seine Hände nicht. Das demonstriert der Autor Gerald Hüther mit einem souveränen Beispiel. Er leitet ein Seminar zum Thema „Was Kinder brauchen“. Es ist der Morgen des zweiten Tages, und er spricht sich warm. Zunächst verspricht er, dass er sich gleich den Seminarteilnehmern vorstellen werde („damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben“). Dann unterbricht er sich, weil ihm bewusst ist, dass ihn wohl viele vom Vortag schon kennen. Also fängt er einen neuen Satz an: „Darf ich erst mal fragen, wer gestern schon dabei war? “ 84 Das Bemerkenswerte daran: Bis jetzt hatte er beide Hände in den Hosentaschen. Erst jetzt, bei der Frage, nimmt er eine Hand heraus, hebt sie empor und bewegt sie im Rhythmus des Fragesatzes. Fast alle im Saal melden sich. Da entfährt ihm ein Stoßseufzer: „Ach, du lieber Gott! “ Er blickt etwas ratlos in die Runde, bis er sagt: „Ja, das ist nicht weiter schlimm.“ Ein schallendes Gelächter ist die Quittung. Eigentlich wollte er zu einer Erklärung ansetzen. Wieder hat er die rechte Hand aktiviert, ist aber nicht weitergekommen, sondern er muss mitlachen. <?page no="85"?> Typen von Gesten kennen 85 16 | Hände in den Hosentaschen: auch so kann man in Kontakt mit dem Publikum bleiben. Eine lebhafte Gestik entwickelt sich erst nach über fünf Minuten. Bis da hat Hüther ständig eine oder beide Hände in den Taschen. „Pfui! “ ruft da das Rhetorik-Handbuch und prangert das als ungezogenes Verhalten an: Es ist dem Publikum gegenüber respektlos, beide Hände während des Sprechens in die Hosentaschen zu stecken. 85 Versteckte Hände - in den Hosentaschen oder hinter dem Rücken - werden immer als negativ empfunden. 86 ... dies ist die Botschaft der Hand in der Hosentasche: Das Gegenüber wird nicht für voll genommen. 87 „Nimm die Hände aus den Taschen! “ ist eine der beliebtesten Erziehungsregeln, wenn es um nonverbale Kommunikation geht. Die Begründung liegt aber oft in erfundenen Lehren aus der Kulturgeschichte: „Wer die Hände in die Hosentaschen steckt, hat etwas zu verbergen.“ (Ein einleuchtendes Argument nennt Gudrun Fey: „Außerdem birgt die Hand in der Hosentasche die Gefahr, dass man mit Gegenständen, die man darin verstaut hat - Schlüssel, Taschentuch, Kleingeld -, herumspielt. So etwas kann wirklich peinlich wirken.“ 88 ) Das Dumme ist nur: Auf den konkreten Fall trifft das alles meist nicht zu. Die Hände in den Hosentaschen hindern den Redner nicht am Reden und erschweren nicht seinen Kontakt zum Publikum. Mit seinem herzlichen Lachen hat es Hüther gezeigt, dass es von Anfang an mitgeht. Es empfindet das Gesamtpaket offensichtlich nicht als negativ, und darüber hinaus scheint sich auch der Redner selbst in dieser Haltung wohlzufühlen. Locker dazustehen und die Hände in den Taschen zu haben, ist für ihn eine Ausgangsposition, die ihm Sicherheit verschafft. Auch bei ihm entwickelt sich aus dieser Haltung dann allmählich eine freiere Gestik, die bis zum Ende des Vortrags anhält. <?page no="86"?> 86 5 Vertraue deiner Körpersprache! ☉ Reden ohne Gestik ist genauso erlaubt wie Reden mit exzessiver Gestik. Beides muss der Persönlichkeit und der Sache entsprechen. Wesentlich ist, sich bewusst zu sein, dass dann der Dialog stärker über den Blickkontakt läuft, den man deshalb besonders beachten m u ss . Gestik: Tipps Die Erfahrung zeigt, dass eine Gestik, die zur Persönlichkeit und zur Aussage passt, sich am leichtesten entwickelt, wenn man aus einer Grundposition heraus agiert, in der man sich wohlfühlt. Für viele Sprecherinnen und Sprecher ist ein erster Schritt schon getan, wenn sie lernen, auf beiden Beinen zu stehen, bevor sie zu sprechen beginnen, und wenigstens die ersten Worte aus sicherem Stand heraus zu sprechen. Nicht die Hände sind wichtig, sondern die Füße Die Erfahrung zeigt, dass eine Gestik, die zur Persönlichkeit und zur Aussage passt, dann entsteht, wenn man aus einer sicheren Grundposition heraus agiert, in der man sich wohlfühlt. 89 Für viele SprecherInnen ist ein erster Schritt schon getan, wenn sie lernen, auf beiden Beinen zu stehen, bevor sie mit Sprechen beginnen, und wenigstens die ersten Worte aus sicherem Stand heraus zu sprechen. Wer auf beiden Beinen steht und den Schwerpunkt seines Körpers in der Körpermitte (also im unteren Bauchbereich) spürt, schafft sich eine gute Ausgangslage. Die Arme können ohne Weiteres zunächst hängen gelassen werden. Wenn es etwas zu tun gibt, werden sie sich schon melden. ☉ Eine sichere Ausgangsposition » Beine leicht a u sei n a n de r » auf beiden Füßen s t e h e n » den Schwerpunkt des Körpers in der Körpermitte sp ür e n » Arme hängen l asse n Individuelle Gestik akzeptieren Die persönliche Gestik entwickelt sich im Lauf des Lebens. Und rhetorisch sinnvolle Gestik entwickelt sich im Lauf einer Rede. Es ist normal, wenn man <?page no="87"?> Gestik: Tipps 87 z u Beginn weniger stark ges t ik u l ie r t . Denn Gesten sollen nicht als persönliche Kunststücke verstanden werden, sondern als Teil der an das Publikum gerichtete Botschaft. Ratlosigkeit in Bezug auf die Gestik hängt oft damit zusammen, dass es in der westlichen Redekultur wenig Normen gibt, die sagen, was ei ne Rednerin mit ihren Armen und Händen tun sollte. Das Gute daran: Die Regeln des Alltags und des öffentlichen Auftritts haben sich so stark an genähert, dass ein großer persönlicher Spielraum besteht. Die Art und Häufigkeit der Gestik wird gerne mit der Persönlichkeit und dem Herkommen des Redners in Verbindung gebracht. Erklärungen wie: „Diese Gestik gehört zu mir“ oder auch: „Gesten sind nicht mein Fall“ sind in Rhetorikseminaren an der Tagesordnung. Das sollte auch der Ausgangspunkt sein. Für die individuelle Verbesserung gilt es nicht, einen Stil durch den anderen zu ersetzen, sondern den persönlichen Stil wei t e r z u e n t wicke l n . Deshalb besteht die Aufgabe zunächst darin, sich nicht zu sehr um die Gestik zu sorgen. Als Zweites gehört allerdings dazu, Gestik als hilfreiches Instrument eines kommunikativen, auf Dialog ausgerichteten Sprechens zu sehen. Gestik braucht eine F u nkti on Sobald die Zuschauer die Funktion erkennen, hat die Gestik ihren Sinn. Eine Handbewegung, die auf eine Sache hinweist, stellt eine Beziehung zwische n Rednerin, Publikum und dieser Sache her. Eine Handbewegung, die entsteht , weil der Redner etwas auf dem Pult sucht, aber nicht findet, irritiert eher. Sie irritiert aber nur so lange, wie er weiter über etwas ganz anderes spricht . Das Problem ist gelöst, wenn er innehält und thematisiert, was er gerade tut. Eindeutige Gesten entstehen, wenn der Ablauf der Rede geplant ist und die Unterlagen, die Requisiten und die Medien im Voraus so arrangiert sind, dass man sich während der Rede zurechtfindet. Zusätzlich hilft, sich etwas Wissen über Gestik zu verschaffen. ☉ Wie die Gestik den Dialog stärkt » Gestik hilft, „etwas mit seine n Händen zu tun“, wenn man fürchtet, ansonsten zu statisch zu wirken. » Sie macht auch die Botschaft verständlicher und bringt dich näher zu deinem Publikum. » Dies wiederum erhöht deine S ic h e rh ei t . <?page no="88"?> 88 5 Vertraue deiner Körpersprache! Sicherheit ist die beste Voraussetzung für die Körpersprache. Sie entsteht aus der Orientierung im Raum, aus einer ruhigen Atmung und aus dem gelassenen Umgang mit der Zeit. ☉ Vorschlag für eine Atemübung vor dem Auftritt Halte im Sitzen deinen Oberkörper aufrecht und lass die Arme hängen. Spüre, dass sich dein Schwerpunkt in der Körpermitte befindet. Unterstütze dies, indem du deinen Atem auf die Körpermitte (unterhalb des Bauchnabels) richtest. Richte dich mit diesem Gefühl auf und behalte es auch im Stehen bei. <?page no="89"?> 6 Körpersprache online: mehr als nur Blickkontakt Unsere gewohnte Körpersprache hat auch in der Online-Kommunikation ihre Gültigkeit. Nur steht sie ganz anders im Fokus. Denn die Nähe und der fehlende Austausch mit anderen Zuhörern geben ihr eine stärkere Präsenz. 90 Voraussetzung ist natürlich, dass auf dem Bildschirm mehr als nur ein Torso zu sehen ist. Wenn sich schon die Hände außerhalb des Bildes befinden, wird’s schwierig. Aber sobald die Platzverhältnisse es erlauben, Oberkörper, Arme und Hände zu zeigen, ist die Chance da, die Botschaften nonverbal zu verstärken und damit etwas mehr Nähe zum Publikum herzustellen. Zwar soll niemand darauf verpflichtet werden, mehr Bewegung ins Bild zu bringen, als der eigenen Persönlichkeit entspricht. Viele gute Vorträge werden von Menschen gehalten, bei denen sich außer ihrem Mund kaum etwas regt. Aber die Körpersprache macht es möglich, mehr Leben ins Bild zu bekommen. Und es lassen sich bei einem Online-Vortrag genügend Anlässe dafür finden. Ein solcher Anlass ist die Verwendung von Requisiten. Ein Beispiel demonstriert Thorsten Klahold, der auf dem YouTube-Kanal Johnny’s World „Klemmbausteine“ präsentiert. 91 Er sitzt an seinem Spieltisch, hat einen Stoß Papiere vor sich und will Farbaufnahmen daraus zeigen. Damit das deutlicher wird, greift er zum Handy, richtet es auf die Bilder und benutzt es als zweite Kamera. Alle diese Handgriffe haben direkt mit seinem Vortrag zu tun. Die Aufmerksamkeit wird dadurch gezielt gelenkt. Klaholds Körpersprache ist weder gut noch schlecht, sondern schlicht funktional. 92 Damit sind für die Entstehung einer kommunikativen Körpersprache zwei Aspekte wesentlich, die in anderen Kapiteln näher behandelt werden: Raumnutzung und Umgang mit Medien bzw. Demonstrationsobjekten (Kapitel 16 und 17). Denn die Regel ist auch hier: Um in der Körpersprache authentisch zu bleiben, ist es wichtig, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich die persönliche Mimik, Gestik und Körperhaltung entwickeln. Das führt zurück zu den Hauptregeln: » aus der Körpermitte heraus reagieren » eine Sache aufs Mal tun » auf einstudierte Gebärden verzichten. Blickkontakt: Freunde dich mit der Kamera an Für Blickkontakt mit dem Publikum gilt online noch mehr als sonst: Man kann nur einer einzigen Person in die Augen sehen. Hier allerdings ist diese Person eine Linse. Sie repräsentiert das Gesicht eines Zuschauers, der einem im Abstand von etwa zwei Metern gegenübersitzt. <?page no="90"?> 90 6 Körpersprache online: mehr als nur Blickkontakt Das führt zu einer eminent wichtigen Aufgabe: die Kommunikation mit der Kamera zu trainieren. Hingucken, hingucken, hingucken. Natürlich geht das nicht ständig. Es braucht oft auch den Blick auf die angesprochene Person und noch öfter den Seitenblick auf die präsentierten Folien. Und diese sind irgendwo auf dem Bildschirm, also in einer anderen Richtung als die Kamera. Das ist nicht schlimm. Aber wenn es notwendig ist, den Blick woanders hinzurichten, dann muss dies als deutlicher Richtungswechsel erkennbar sein, und es muss klar sein, warum du das tust. Haupt-Angesprochener ist die Kamera. Von Blickkontakt zu sprechen, wenn man einen unbelebten Gegenstand fixiert, hat etwas Absurdes. Auch der Gedanke, dass man so - live oder als Videofigur - eine Menge von Einzelpersonen anspricht, ist nicht super-hilfreich. Deshalb ist es wichtig, sich immer das Bild eines einzelnen Gesprächspartners in Erinnerung zu rufen. Es ist nicht die Ansprache an eine Masse, sondern simulierte Zweierkommunikation. Blickkontakt üben Wer im Alltag Skype oder andere Formen der Videokommunikation nutzt, hat diese Art des Blickkontakts längst geübt. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, zu überprüfen, wie stetig und wie direkt man den Kontakt mit einem solchen unbelebten Partner hält. Als Übung kann man auch problemlos einen Nagel in der Wand fixieren und versuchen, ihm etwas zu erzählen und dennoch menschlich zu bleiben. Bei Benutzung einer Videokonferenz-Software Dies gilt gerade auch für das Umgehen mit Fragen aus dem Publikum. Schau die Person, die sich gemeldet hat, ohne weiteres an, währen du ihr zuhörst. Aber mit der Antwort wendest du dich an alle und deshalb sprichst du in die Kamera. Wenn eine separate Kamera benutzt wird, verdeutlicht dies den Unterschied zwischen den Blickrichtungen. Dies hat den Vorteil, dass man nicht in die Versuchung gerät, sich mit Schielen zu behelfen, also den Kopf starr zu lassen und den Bildschirm nur mit kurzen Augenbewegungen zu kontrollieren. Blickkontakt durch Distanz erleichtern Hilfreich ist in es jedem Fall, die Kamera in größerer Entfernung zu platzieren. Der Bildausschnitt wird dann weiter, und unpräziser Blickkontakt stört weniger. Zudem können ohne Veränderung der Einstellung Manipulationen an Requisiten gezeigt werden. Der Raum wird besser erfahrbar, die Funktionen der Körperbewegungen sind leichter zu erkennen. <?page no="91"?> Emotionen und Meinungen auch nonverbal ausdrücken 91 Stichworte statt Manuskript Eine enorme Erleichterung für die Körpersprache vor der Kamera ist es, dass heute die frei formulierte Präsentation die Regel ist und ein wortgetreues Ablesen eher die Ausnahme. Dabei lässt sich durchaus mit Gedächtnisstützen arbeiten, die man auf dem Bildschirm sieht. In der einfachsten Form ist das eine Textdatei, die die Stichworte enthält - jedes auf einer eigenen Zeile und zentriert und so platziert, dass der Blickwechsel leicht fällt. Etwas raffinierter wird die Sache mit einem Teleprompter-Tool (Teleprompter Pro für Windows, PromptSmart, Teleprompter Premium, Video Teleprompter für Kameras, Smartphones und Tablets). Für kleine Kameras und Smartphones gibt es zusätzlich zur Software Teleprompter-Rahmen, die den Text vom Smartphone auf eine Glasplatte vor der Kamera spiegeln. Das perfekte Resultat, das man von den teuren professionellen Geräten kennt, die Nachrichtensprecherinnen und Präsidentschaftskandidaten nutzen, ist mit diesen eher behelfsmäßigen Geräten nicht zu erzielen. Aber einmal mehr sei hier betont, dass die unvollkommene Präsentation einer Botschaft keinen Abbruch tun wird, solange die Aufnahmesituation und die technischen Beschränkungen transparent gemacht werden. Dialog bedeutet, sich selbst und dem Adressaten auch einzugestehen, dass die formale Seite der Präsentation immer nur an zweiter Stelle stehen kann, wenn sich beide Seiten in erster Linie für den Inhalt interessieren. Emotionen und Meinungen auch nonverbal ausdrücken In der direkten, alltäglichen Kommunikation sind mimische Informationen ein wichtiges Mittel, um das Verständnis zu sichern: Meinst du das ernst? War das jetzt ein Scherz? Erwartest du wirklich eine Antwort? Wie eine Aussage auf der emotionalen Ebene gemeint ist, wird zu einem großen Teil durch Augen, Mund und die Muskeln darum herum mitgeteilt. Die Aufnahmesituation dagegen wird oft als Stress empfunden, und dabei können gerade solche körpersprachlichen Informationen auf der Strecke bleiben. Dessen muss man sich bewusst sein. Das bedeutet, dass zum Mitdenken auch das Mitfühlen gehört. Die Botschaft lautet: Erlebe, was du sagst, auch emotional! - Dies bedeutet nicht, dass dieselben mimischen Mittel eingesetzt werden sollen wie im privaten Gespräch. Wenn sie aber angedeutet werden - mit einem Lächeln, einem Stirnrunzeln, einem Augenzwinkern -, schaffen sie im Medium Klarheit. Denn das Medium Video ist in solchen Dingen überdeutlich und transportiert die gemeinte Emotion. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich dafür Zeit lässt. Es ist völlig in Ordnung, eine Pause einzulegen, um zu lächeln. <?page no="92"?> 92 6 Körpersprache online: mehr als nur Blickkontakt ☉ Nonverbale Kommunikation online: Wichtige Fragen » Blickst du in die Kamera? » Ist ein Abweichen des Blickkontakts plausibel? » Kehrst du danach wieder zur Kamera zurück? » Drückst du Emotionen und Meinungen auch mimisch aus? » Lässt du dir Zeit und Raum für Gesten? Auf auffällige Äußerlichkeiten verzichten Dass man sich Überlegungen zu Kleidung, Haartracht und Schmuck macht, bevor man sich vor eine Kamera setzt, ist selbstverständlich und soll hier auch nicht mehr lange diskutiert werden. Ich persönlich würde mir zumindest überlegen, welche Botschaft auf mein T-Shirt gedruckt ist (also: wofür ich nebenbei Reklame mache), oder ob ein besonders auffälliges Tattoo zu viele Fragen weckt. Es kann sich auch lohnen, die Schminkroutine dem Medium anzupassen. Da hilft es auch, jemanden um Hilfe zu bitten. Zwar können sich die wenigsten einen eigenen Maskenbildner leisten; aber ein Hinweis darauf, dass die Nase zu sehr glänzt und mit etwas Puder behandelt werden könnte, tut es meistens schon. Professionelle Hilfe nutzen Wer im Internet kommerziell unterwegs ist, kommt nicht umhin, Profis beizuziehen, die zumindest für ein annehmbares Bild sorgen. Eine separate Kamera und eine Person, die sie bedienen kann, bieten zusammen mit einem Ansteckmikrofon eine ganze Reihe von Vorteilen. Im besten Fall hat man sich auf einen Ablaufplan geeinigt, und der Profi hinter der Kamera ist auch Regisseur und kann entscheiden, ob einzelne Sequenzen wiederholt werden müssen. Damit entsteht auch nicht ein fortlaufendes Statement auf Video, sondern eine Sequenz von Einstellungen, was im besten Fall den inhaltlichen Spannungsbogen unterstützt. Hauptunterschied zu vielen selbst produzierten Videos ist aber, dass in diesen Fällen ein weiterer Mensch dabei ist, der in der Lage ist, Feedback zu geben. Dies lässt sich in jedem Fall organisieren, auch wenn der finanzielle und zeitliche Rahmen zu bescheideneren Lösungen zwingt. <?page no="93"?> 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus Wer öffentlich spricht, klingt anders. Im Präsenz-Vortrag muss die Stimme den gemeinsamen Raum von Redner und Publikum füllen. Im Online-Vortrag dagegen muss die Stimme der Nähe gerecht werden, die durch Kamera und Mikrofon hergestellt wird. In beiden Fällen geht es darum, Distanz zu überwinden. Zuhörerinnen und Zuhörer müssen sich angesprochen fühlen, obwohl sie 20 Meter entfernt im selben Raum oder ganz nah am Bildschirm sitzen. Dieses Kapitel, das den sprecherischen (paraverbalen) Mitteln der Rede gewidmet ist, beginnt deshalb bei den Herausforderungen, die der Raum an die Stimme stellt. Präsenzvortrag: den Raum füllen Die Aufgabe, den Raum zu füllen, beginnt nicht erst damit, dass die Stimme erhoben wird. Um die Stimme im Dialog optimal einzusetzen, ist zuerst eine Auseinandersetzung mit der Akustik des Raums nötig: » Wie wird die Architektur meine Stimme beeinflussen? » Gibt es einen Nachhall? » Gibt es Einrichtungsgegenstände (z.B. Vorhänge oder Polster), die die Stimme schlucken? » Sind ständige Nebengeräusche zu erwarten? » Wie werden sich die Verhältnisse ändern, wenn der Raum voll besetzt ist? » Gibt es eine Verstärkeranlage? Wer bedient sie? » Sind Mikrofone für Beiträge aus dem Publikum vorhanden? Wer bedient diese? Wenn diese Fragen beantwortet sind, sollte die Anlage möglichst getestet werden. Dann ist auch klar, ob die Position des Mikrofons verändert werden soll und wie die Lautstärke allenfalls vom Rednerpult aus korrigiert werden kann. Wenn auch diese Fragen geklärt sind, ist es weniger eine Sache der technischen Einrichtung als eine Sache des Dialogs. Dazu ein eigenes (negatives) Beispiel: Ich hatte einen Festvortrag in einem langen Saal zu halten, der bis zuhinterst besetzt war. Ich bereitete mich mit viel Freude vor und hielt eine Rede, die, wie ich glaubte, gut aufgenommen wurde. Die Zuhörenden hatten mitgedacht, gelacht und applaudiert. Aber ein paar Tage später sprach mich ein Bekannter auf den Abend an. Er hatte weit hinten gesessen und vieles, was ich sagte, einfach nicht verstanden. Es war einfach zu leise. <?page no="94"?> 94 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus Dabei wäre es einfach gewesen. Ich hätte nur das Mikrofon etwas näher zu meinem Mund bringen müssen, eine rein technische Maßnahme. Der Fehler lag nicht in der sprecherischen Leistung, sondern in der mangelnden dialogischen Haltung. Ich hatte keine Möglichkeit gesucht, zu überprüfen, ob meine Rede auch im ganzen Saal ankam. Dadurch war ich nur in Kontakt mit der vorderen Hälfte. Die anderen hatten gar keine Chance, mir ihr Unbehagen zu signalisieren. ☉ Fülle ich den Raum? - Signale, die dafür Feedback geben » Hall der eigenen Stimme » Verbale Rückmeldungen aus dem Publikum » Nonverbale Signale aus dem Publikum (Mimik, Unruhe etc.) Online-Vortrag: die Räume verbinden Wie die Körpersprache und die Kameraeinstellung dient auch die Sprechweise dazu, die Zuhörenden in den eigenen Raum einzuladen und ihn so zum gemeinsamen Raum zu machen. Wie dies geht, lässt sich bei geübten YouTubern und Influencern beobachten. Sie sprechen ins Mikrofon, wie sie es vom Smartphone her gewohnt sind. Sie wissen, dass sie von einem persönlichen Raum in einen anderen sprechen. Sie nehmen deshalb die Lautstärke zurück und erlauben sich Nachdenkpausen und Tempowechsel. Aber auch abschreckende Beispiele sind lehrreich. Da ist zum Beispiel der Anwalt und Autor Mark Levin auf dem Fernsehkanal von Fox News. Er hat dort seine Talkshow Life, Liberty & Levin. Wenn er Gäste interviewt, spricht er in einem unaufgeregten Gesprächston. Aber am 15. November 2020 drängte es ihn, dem Volk zu erklären, dass der bisherige Präsident nur durch Betrug um den Wahlsieg gebracht wurde. In der ersten Minute spricht er noch in seiner normalen Lautstärke, wie es der Situation entspricht: aus seinem Wohnzimmer ins Wohnzimmer der Zuschauerinnen und Zuschauer. Dann redet er sich in Rage. Es lohnt sich, diese Szene zu verfolgen, bei der er in kurzer Zeit so laut wird, als ob er sich auf einer Rednertribüne befände. 93 Schon nach drei Minuten schreit er so eindringlich in die Kamera, dass man intuitiv in Deckung geht. Die Distanz stimmt nicht mehr. Oder anders gesagt: Die demagogische Sprechweise stimmt mit den demagogischen Inhalten überein. Wer aber nicht gerade auf einem populistischen Trip ist, sollte die Möglichkeit nutzen, sich von jemandem, der die Präsentation über das Medium verfolgt hat, Auskunft über die akustische Seite der Präsentation geben zu lassen. Online- <?page no="95"?> Elemente des Sprechens 95 Präsentationen haben den Vorteil, dass sie aufgezeichnet werden können. Zumindest im Nachhinein lässt sich überprüfen, wie die Verbindung von eigenem und fremdem Raum gelingt: ☉ Wie verbinde ich die Räume? - Fragen zur Online-Präsentation » Wie war der Raumklang (zu trocken - in Ordnung- zu viel Hall)? » Waren Störgeräusche zu vernehmen? » Wie nah war ich dir? Elemente des Sprechens Auch wenn sich Online- und Präsenzvortrag im Umgang mit dem Raum unterscheiden, so gleichen sich die sprecherischen Anforderungen in vielen anderen Bereichen. Die folgenden Abschnitte gelten deshalb fast durchgehend für beide Vortragssituationen. Da, wo es notwendig ist, wird auf die speziellen Anforderungen des Online-Sprechens hingewiesen. Ausgangspunkt ist die Kenntnis der gemeinsamen Grundlagen, die dafür sorgen, dass unsere Worte zu hören sind: » die physiologischen Grundlagen, die uns unsere Organe zur Verfügung stellen: Atem, Stimme, Artikulation » die Werkzeuge sprecherischer Gestaltung: die rhythmische, die melodische und die dynamische Gestaltung der Rede. Die materiellen Grundlagen Atem, Stimme und Artikulation lassen sich am besten im Training mit einer professionellen Sprecherzieherin kennenlernen und weiterentwickeln. Ein Buch kann dafür nur wenig Hilfestellung bieten. Insbesondere der Umgang mit dem Atem und der Stimme kann ohne persönliche, professionelle Anleitung nur unzureichend geübt werden. Aber ein Einblick in die Zusammenhänge soll hier trotzdem gegeben werden - nicht zuletzt, um danach einige Verfahren nennen zu können, die den sprecherischen Aufwand reduzieren. ☉ Grundlagen und Werkzeuge des Sprechens Physiologische Grundlagen: » Atem » Stimmbildung » Artikulation <?page no="96"?> 96 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus Werkzeuge der sprecherischen Gestaltung: » Melodieverläufe in verschiedenen Äußerungstypen » Rhythmische Gestaltung » Akzentuierung im Satz » Akzentuierung im Wort » Sprecherische Interpretation von Texten Der Schwerpunkt liegt in diesem Buch auf dem zweiten Bereich, den Werkzeugen der sprecherischen Interpretation. Darin lassen sich Verbesserungen erzielen, auch wenn die Grundlagen unberührt bleiben. Hier gibt es zwei Zugangsweisen, einen eher ganzheitlichen und einen analytischen. Das eine sind hilfreiche Hinweise, die unter dem Begriff Makro-Tipps zusammengefasst sind: Sie weisen auf Dinge hin, die wir im alltäglichen Gespräch problemlos zustande bringen, und regen deshalb an, sich daran zu erinnern, statt sich bei Details der Sprechregie aufzuhalten. Dennoch ist es notwendig, auch zum analytischen Vorgehen zu ermuntern. Worum es bei der sprecherischen Gestaltung geht, kann nur so beschrieben werden. Dabei werden Mikro-Tipps gegeben - Tipps, die zeigen werden, woran es liegt, dass die eine Rednerin ansprechender klingt als die andere. Die Grundlagen: Atem, Stimme und Artikulation Um zu sprechen, nutzen wir Menschen Organe, die hauptsächlich für andere Dinge da sind: die Lunge, ohne die wir nicht atmen könnten, den Kehlkopf, der Atmung und Nahrungsaufnahme koordiniert, und die Zähne, die wir zum Beißen brauchen. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass wir mit diesen Teilen unseres Körpers auch viele unterschiedliche Laute produzieren können. Meist nehmen wir diesen Gebrauch u nserer Organe als selbstverständlich hin. Deshalb ist es nützlich, sich einige Grundlagen bewusst zu machen. ☉ Sprechausbildung kann die Grundlagen verbessern Veränderung am Grundmaterial des Sprechens - an Atem, Stimme und Artikulation - sind nur durch intensives körperliches Training möglich. Vieles ist nicht durch die Lektüre eines Buchs zu lernen. Aber ein Einblick in die Zusammenhänge soll helfen, die einzelnen Hinweise nachzuvollziehen, die zeigen, welche Ziele mit einem ge rin gen Aufwand zu erreichen si n d . <?page no="97"?> Die Grundlagen: Atem, Stimme und Artikulation 97 Wer redet, braucht nur wenig Luft Der Mensch atmet nicht, um sprechen zu können. Er atmet, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Dass er gleichzeitig die ausströmende Luft benutzt, um Töne zu produzieren, ist ein Nebeneffekt. Die Ha uptfunkti onen führt die Atmung aus, ohne dass wir dessen gewahr sind. Wenn wi r auf unsere Atmung achten, ist dies meistens, weil sich äußere B edi n gu n gen verändern, zum Beispiel, wenn eine Erkältung das Atmen erschwert, eine körperliche Anstrengung zu schnellerem Atmen führt oder ein Meditationslehrer uns anweist, die Aufmerksamkeit auf den Atem zu r ic h t e n . Stimme produziert der Mensch, indem die ausströmende Luft die Stimmbänder in Schwingung versetzt. Für den so entstehenden Schall braucht es nur sehr wenig Luft - einigen Leuten hilft sogar die Vorstellung, dass sie während des Sprechens einatmen. Es ist hilfreich, dies zu erkennen, wei l beim öffentlichen Reden vielen Menschen das Atmen neu bewusst wird. Sie berichten davon, dass ihnen mitten im Satz die Luft wegbleibt. Sie meinen, eine Pause zu benötigen, in der sie tief einatmen können. Wenn sie wüssten, dass sie nur ganz wenig Luft brauchen und dass es unzählige Gelegenheiten zum Einatmen gibt, hätten sie es viel l eic h t e r . Den eigenen Atem erkunden Eine Anleitung zu einem funktionell wirksamen Atemtraining würde de n Rahmen dieses Buchs (und die Kompetenzen seines Autors) überschreiten. Aber es sei dazu ermuntert, in spezialisierten Lehrbüchern und in der Weiterbildung nach Möglichkeiten zu suchen. Dies wird bei Übungen begi n nen, die den Unterschied zwischen Brust- und Bauchatmung erfahrbar machen. ☉ Die Bauchatmung testen In vielen Entspannungsübungen wird die Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet. Oft geht es dabei nicht darum, den Atemvorgang zu beeinflussen, sondern nur darum, zu spüren, wie „es“ atmet. Eine gute Voraussetzung dafür ist die Beobachtung des eigenen Atmens in entspannten Situationen. Wenn du auf dem Rücken liegst und in Richtung Zehen blickst, erkennst du, dass sich der Bauch (stärker als die Brust) mit der Atmung hebt und senkt. Um dies zu verdeutlichen, l äss t sich ein leichter Gegenstand (ein Aschenbecher, ein Teddybär o.ä.) a u f den Bauch legen. Was du siehst, ist eine Folge der Tätigkeit des Zwerchfells und der übrigen Muskeln in der Bauchregion, die der sich ausdehnenden Lunge Platz ve r sc h a ff e n. <?page no="98"?> 98 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus Problematisch ist für viele die Kombination von Einatmung und Stimme, die Frage, wann und wie oft sie einatmen sollen. Dabei hilft die Erkenntnis, dass beim Ein- und Ausatmen das Zwerchfell eine wichtige Rolle spielt. Diese Muskelplatte ist an den unteren Rippen befestigt und gegen oben gewölbt. Sie senkt sich, und der Brustkorb weitet sich, damit sich die Lunge ausdehnen kann. Für die Bewegung des Zwerchfells haben wir zwar kein Gefühl. Aber wir spüren die Bauchmuskeln, die sich mit dem Zwerchfell bewegen. Diese helfen, die Zwerchfellatmung zu kontrollieren. ☉ „Stütze“: eine alte Schauspielertechnik Im Stehen oder in einer aufrechten Sitzposition hält man die Faust vor den Bauch, gerade unterhalb des Bauchnabels, und gibt einen leichten Gegendruck. Wenn man dabei seine Stimme ertönen lässt, klingt sie intensiver als ohne diesen Druck. Dies ist ein Schritt auf dem Weg zur sogenannten „Stütze“, einer Technik, die Muskulatur länger im Einatmungsmodus zu halten und so die Stimme zu ve r s t ä r ke n . Stimme Am Entstehen der Stimme sind mehrere Organe beteiligt. Was wir hören, sind die Schwingungen, die von den Stimmlippen ausgehen, verändert zum Beispiel durch die Öffnung des Mundes und die Stellung der Zunge, unterstützt von der Resonanz des gesamten Oberkörpers. Die Stimmlippen sitzen im Kehlkopf, einem recht komplizierten, äußerst beweglichen Organ, das den oberen Abschluss der Luftröhre bildet. Ein Gefühl dafür, wie wichtig der Kehlkopf ist, erhalten wir, wenn wir beobachten, wie er (bei einer ungeschulten Stimme) seine Lage mit steigender Tonhöhe verändert oder auch wie sich unsere Stimme verändert, wenn wir mit der Hand einen leichten Druck auf den Kehlkopf geben. Die Veränderungen in der Stellung des Kehlkopfs werden von Muskeln in der Halsgegend beeinflusst. Vieles am Klang unserer Stimme können wir verändern, indem wir diese Muskeln nicht bedrängen. Deshalb werden gerade auch als Vorbereitung für öffentliche Reden Lockerungsübungen für den Hals empfohlen. Was kann ich für meine Stimme tun? Die Frage, ob die Stimme schön, hässlich, hoch, tief, klar oder heiser ist, h a t dabei wenig Relevanz. Manchmal mag es beim Zuhören so sein, dass man sich an eine Stimme mit überraschender Klangfärbung erst gewöhnen muss. <?page no="99"?> Die Grundlagen: Atem, Stimme und Artikulation 99 Aber nach einigen Minuten ist das vorbei, und das Publikum achtet auf den Inhalt und nicht mehr auf die Stimme. Regelmäßiges Üben unter professioneller Anleitung führt dazu, dass man auch unter Stress den Sitz seiner Stimme sicher findet und die Lautstärke mit wenig Aufwand variieren kann, ohne gleichzeitig andere Parameter zu verändern. Wer lauter spricht, tendiert dazu, mit höherer Stimme zu sprechen und den Rhythmus zu verändern (z.B. kürzere Silben länger auszusprechen). Dieses intuitive Verhalten kann durch Sprechtraining erkannt und verändert werden. Aber aus Sicht der konstruktiven Rhetorik ist es manchmal noch einfacher: Auch die Lautstärke ergibt sich aus der Interaktion mit dem Publikum. Nützlich ist es aber, die eigene Stimme und ihre Bandbreite kennen zu lernen. Wie bei der Körpersprache kann man überrascht feststellen, dass man über ein viel größeres Spektrum verfügt als bisher angenommen. ☉ Die eigene Stimme kennenlernen Es ist eine gute Übung, in einem Moment der Entspannung beim A u satmen den leichtesten Ton zu produzieren, der einem gelingt. Man ermittelt so die „Indifferenzlage“, die Tonhöhe, die einem beim Sprechen am wenigsten Energie abverlangt. Dieser Ton befindet sich nicht etwa in der Mitte des Stimmumfangs, sondern im untersten Dritte l. Viele erkennen dabei, dass sie in dieser Stimmlage auch etwas tiefer als sonst sp r ec h e n . Artikulation Durch eine Kombination verschiedenster Organe, von den Stimmbändern und der Zunge über den Gaumen bis zu den Zähnen, werden Laute p r od uziert - ein raffinierter Prozess, der Artikulation genannt wird. Er geschieht zum Glück ohne viel Nachdenken, wenn man erst einmal die Sprache erlernt hat. Aus Sicht der Rhetorik sind zwei Aspekte wichtig: Zum ei nen bedeutet zu artikulieren, die Laute der verwendeten Sprache zu verwenden, so dass z.B. das, was man auf Deutsch sagt, auch als Deutsch erkennbar ist. Zum anderen bedeutet es auch, für Deutlichkeit zu sorgen, also, dass verschiedene Laute auch verschieden k l i n ge n . Verständnisschwierigkeiten entstehen oft nicht durch die gewählten Worte, sondern weil zu undeutlich gesprochen wird. Muskeln, die zur Artikulation nötig sind, werden nur nachlässig genutzt. Es klingt, als ob der Redner in sich selbst hineinredete statt aus sich hinaus, zu den Zuhörenden. <?page no="100"?> 100 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus Zu einer dialogischen Einstellung gehört der Wille, deutlich auszusprechen - oft nach dem eigenen Gefühl überdeutlich. Eine wichtige Übung besteht darin, auf organisatorische Informationen besonders zu achten. Der eigene Name, der Titel des Vortrags sowie Gruß- und Dankesworte kommen dem Redner selbst oft als Nebensache vor. Die Aufgabe besteht darin, sie als persönliche Botschaft zu verstehen und auch so zu vermitteln. Wer Redeteile dieser Art vernachlässigt, indem er sie schludrig ausspricht, verpas st eine wichtige kontaktbildende Aufgabe. Deutlich ist besser als laut Gute Aussprache hilft zu transportieren. Die Bemühung, Konsonanten de utlich auszusprechen, kann auch die Stimme in eine etwas geeignetere Lage bringen und damit für den Redner die Sprecharbeit, für das Publikum das Zuhören erleichtern. Auch hier ist es wichtig, die Verständlichkeit durch zusätzliche Maßnahmen zu verbessern, die objektiv nichts mit dem Sprechen zu tun haben, aber die Rezeption dennoch erleichtern. Dies ist z.B. möglich, indem man für einen besseren Blickkontakt sorgt. Wenn die Rednerin besser zu sehen ist, macht sie das zwar nicht lauter, aber es hilft, ihre Mimik besser zu erkennen. Das subjektive Gefühl, sie zu verstehen, wird erhöht. Zudem werden (abgesehen von der zusätzlichen Möglichkeit, von den Lippen abzulesen) Gesten besser erkennbar, was die gesamte Verständlichkeit der Rede erhöht. 94 Wenn ander e Veränderungen nicht möglich sind, kann also eine bessere Ausleuchtung des Redners oder des ganzen Raums etwas bringen. Das Beste für die dialogische Qualität der Sprechweise ist die Variation der A r t ik u l a t io n . Genauso wie das Tempo variiert wird, können auch einzelne stü t zende Ausdrücke, Nebensätze, ja ganze Passagen prononcierter als andere ausgesprochen werden. Ähnlich wie es mit dem Einsatz der Satzmelodie möglich ist, die Betonung zu verändern, ist es möglich, mit der Prägnanz der Artikulation einen Schwerpunkt zu se t z e n . Deutsch und deu tlich? Fragen der korrekten hochdeutschen Aussprache können in der Praxis von Vortrag, Vorlesung, Seminar und beruflicher Instruktion weitgehend vernachlässigt werden. Solange man nicht als Sprechprofi, sondern als Vertreter eines Fachs oder eines Amts auftritt, braucht man nicht dem Ideal des Burgthe ater s nachzueifern. Heutzutage sind die Zuhörenden - nicht zuletzt dank der Medien - eine große Vielfalt an Ausspracheweisen gewohnt. Im De u t sc h e n ist es ohne große Einschränkungen akzeptiert, dass einem die <?page no="101"?> Die Gestaltungsmittel: Melodie, Rhythmus und Betonung 101 geografische Herkunft anzuhören ist. Was erfahrungsgemäß Probleme bereitet, ist die Unterscheidung langer und kurzer Silben, die für die deutsche Sprache eine wichtige, bedeutungsrelevante Kategorie bildet. Wenn es eine Aussprachebesonderheit gibt, die sich (besonders auch für Fremdsprachige) z u respektieren lohnt, dann ist es die Tatsache, dass die Wörter „Star“ und „starr“ oder „spuken“ und „spucken“ nur dann unterschieden werden können, wenn die Vokale im einen Fall lang, im anderen kurz a u sgesp r ochen werden. Gerade weil viele Sprachen diesen Unterschied nicht ke nn e n , ist es nützlich, im Deutschen ein Gefühl dafür zu entwickeln. ☉ Artikulation dialogfördernd einsetzen » Deutlichkeit nutzen, um mangelnde Lautstärke zu kompe n sie r e n » zentrale Begriffe deutlich a u ssp r ec h e n » bei persönlichen Botschaften (eigener Name! ) immer auf Deu t lichkeit ac h t e n » Sprachnormen besonders beachten, wenn sie relevant für die Verständlichkeit sind (lange/ kurze Vokale, betonte Silben). Die Gestaltungsmittel: Melodie, Rhythmus und Betonung Das Ziel der sprecherischen Gestaltung heißt, auf einen Nenner gebracht: die Variationsbreite erweitern. Im privaten Zweiergespräch ändert sich der Ton ständig. Die Lautstärke wird erhöht, um Immissionen zu übertönen (oder aber um anzudeuten: „Jetzt rede ich! “), sie wird verringert, um ein eventuelles Publikum auszuschließen. Manchmal spricht man schneller, weil einem die Sache wichtig ist, manchmal erlaubt man sich eine Pause mitten im Satz, um nachzudenken. Die Aussprache ist oft verschliffener und weist Merkmale der Umgangssprache aus Stadt und Region auf. Es ist eine Vielfalt an akustischen Ausdrucksmitteln, die in der öffentlichen Rede oft fehlt. Dagegen führen in der öffentlichen Rede das Bewusstsein für die Erweiterung des Raums, die monologische Situation und die Sorge, kontrolliert zu werden, zu einer Nivellierung der Sprechweise. Man spricht gleichmäßig laut, betont oft zu viel, verzichtet auf rhythmische Abwechslung, die Spannung in die Rede brächte. Das wichtigste Ziel besteht deshalb darin, die Vielfalt, die den persönlichen Sprechstil im Alltag kennzeichnet, auch in die öffentliche Rede zurückzu- <?page no="102"?> 102 7 Klar und lebendig durch Melodie und Rhythmus bringen. Variationen in Tempo, Pausen und Melodiebögen helfen, aus einem Monolog einen Dialog zu machen. An diesen gestalterischen Möglichkeiten lässt sich arbeiten. Es hilft, bei sich und anderen auf die Sprechweise zu hören und darauf zu achten, wie vielfältig der Umgang mit Melodie und Rhythmus im Alltag ist. Ein Beispiel Im ersten Fernsehprogramm der ARD moderiert Isabel Schayani die Sendung Weltspiegel. Sie steht im Studio, hinter ihr zwei großflächige Fotos; das eine zeigt eine verhüllte Frau in einer orientalischen Gasse, das andere tanzende Mädchen am Strand. Frauen im Iran werden im Mittelpunkt des nächsten Beitrags stehen: Wir erzählen Ihnen ja gerne kleine Geschichten, die etwas über die ganze Gesellschaft erzählen, und sowas kommt jetzt. Im Iran wagen immer noch Frauen, sich kurz ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das ist eine Form von Kampf für Frauenrechte. Die junge Frauenrechtlerin Saba Kord Afshari, die forderte andere Frauen auf, sich ohne Kopftuch im Netz zu zeigen. Sie wurde zu insgesamt 24 Jahren Haft verurteilt. Auch ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, gibt es im Alltag im Iran viele leise Heldinnen (die sich natürlich selber nie so bezeichnen würden). Katharina Willinger, die hat eine Fischerin getroffen auf der Insel Hengam im Persischen Golf. Fischerin, denkt man, ja und? Aber Frauen wie sie, die halten die ganze Insel am Laufen. 95 Für diese Ansage braucht sie 45 Sekunden. Das ist relativ wenig, wie leicht herauszufinden ist, wenn man versucht, diesen Text einigermaßen verständlich laut zu sprechen. (Mir selbst wäre erst mit einer Minute richtig wohl.) Und dennoch hat man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, Isabel Schayani würde sich beeilen. Nein, es ist eher ein Plauderton, und nur beim wiederholten Anhören lässt sich erkennen, dass ihre Moderation durchaus auch schnelle Passagen enthält. Aber diese sind nur da, wo es einen Sinn macht - etwa beim Klammerausdruck über die „leisen Heldinnen“. Für die Hauptelemente ihrer Aussagen aber lässt sie sich Zeit. Sie macht zum Beispiel eine Pause von einer halben Sekunde vor dem Wort Fischerin, weil man auf dieses Thema sonst nicht vorbereitet wäre. Und eine knappe Sekunde lang ist die Pause vor der Information: <?page no="103"?> Die Gestaltungsmittel: Melodie, Rhythmus und Betonung 103 Sie wurde zu insgesamt 24 Jahren Haft verurteilt. Denn diese Ungeheuerlichkeit soll nicht im Redefluss untergehen. Man kann eine beliebige Aufzeichnung beiziehen, um an dieser begabten Sprecherin zu studieren, wie sich ein Text schnell und präzise, aber dennoch kommunikativ und optimal verständlich vermitteln lässt. Das Geheimnis? Sie reduziert die Informationsdichte so weit, dass sie sich von der Überlastung mit überflüssigen Fakten die Informationssendungen so oft kennzeichnen, nicht stressen lässt (was dann zu einer gleichförmigen, oft gehetzten Sprechweise führt). Das erlaubt es ihr, sich auf den Gedankengang zu konzentrieren, nicht auf komplizierte Phrasen. Das Resultat besteht in einer Rede, in der Rhythmus, Melodieverlauf und Betonungsweise variieren und den Inhalt der Sätze unterstützen. Trotz der Kürze sind Engagement und Nähe zu spüren. <?page no="105"?> 8 Neue Impulse beleben die Sprechweise Am Redestil lässt sich feilen: Wenn die Zahl der Betonungen reduziert, die Melodie sinnvoller, der Rhythmus abwechslungsreicher gestaltet wird, bricht dies den Redefluss auf und schafft mehr persönliche Ansprache und Nähe. Tipps dazu führen auf die Ebene der sprecherischen Analyse. Sie werden in diesem Buch Mikro-Tipps genannt und in einem eigenen Abschnitt vorgestellt. Aber es gibt auch einen anderen Zugang: Statt auf diese Einzelheiten der Intonation oder des Akzentes zu achten, kann man sich auch auf die Dinge konzentrieren, die man tut: darauf, ob man eine Behauptung aufstellt oder sie illustriert, ob man fragt oder antwortet usw. Man tut im Lauf eines Vortrags sehr viele verschiedene Dinge, für die wir ganz natürlich verschiedene Sprechweisen haben. Und wer sich dessen bewusst ist, erfährt, dass dies lauter Impulse sind, die die Sprechweise beleben. Ein Beispiel: Du hältst einen Vortrag über dein Fach und bist so richtig in Fahrt. Du bemerkst nicht, dass du sprachlich und sprecherisch eher predigst, als zu informieren. Da hältst du inne und sagst (zum Publikum und zu dir selbst): „Was können wir jetzt daraus lernen? “ Du wirst sofort bemerken, dass du damit auch deine Sprechweise veränderst. Auf einen gleichmäßigen, intensiven Sprechfluss ist eine Pause gefolgt und darauf eine besonnenere Passage mit kürzeren Sätzen und anderem Rhythmus. Es lässt an einen Bach denken, der eine Zeitlang einen ungestörten, gleichmäßigen Lauf verfolgt hat und aufs Mal durch ein paar größere Steine oder Felsen in seinem Fluss belebt wird. Tipps auf dieser Ebene sind leichter umzusetzen. Sie heißen hier Makro-Tipps. ☉ Makro-Tipps für das Sprechen Eine neue Sprechhaltung bringt eine neue Sprechweise: » werde persönlich » wechsle Sprechhandlungen bewusst » erkenne die Sinnschritte » sprich antwortend, sprich dialogisch » wechsle die Kamera-Einstellung <?page no="106"?> 106 8 Neue Impulse beleben die Sprechweise Werde persönlich Wenn Bärbel Höhn, grüne Kämpferin für eine Energiewende, sich als Politikerin äußert, klingt sie wie ihre männlichen Kollegen. Lautstärke, Melodie, Betonung sind gleichförmig; sie will gewählt werden (auf dem Parteitag) oder ihre WählerInnen im Land überzeugen (im Bundestag 96 ). Aber dann hält sie einen Seminarvortrag bei einer Tagung unter Gleichgesinnten: Mit Bürgerenergie Armut in Afrika verringern. 97 Und da kommt plötzlich Farbe in ihren Sprechstil: Es geht eigentlich um viel mehr als nur um Energie. „Bürgerenergie“ heißt, dass wir die Produktion den Bürgerinnen und Bürgern in die Hand gegeben haben. Und dass wir den großen Konzern, neben dem ich wohne, ja? - Ich wohne ja in der Besatzungszone von RWI, da oben, in Nordrhein-Westfalen - dass wir diesen großen Konzernen diese Energie aus der Hand genommen haben. Spontan hat sie in ihren Routinevortrag eine persönliche Bemerkung eingeschoben: „Ich wohne, ja ...“ Und weil das ihren Redefluss unterbricht und eine neue Note in die Beziehung zu ihrem Publikum bringt, verändert das auch den Rhythmus. Zwischendurch etwas Persönliches einzubringen, ist nicht nur Ansatz zum Dialog, sondern belebt auch die Sprechweise. Wechsle Sprechhandlungen bewusst Wer abwechslungsreich spricht, ist sich bewusst, dass er beim Reden ständig neue Dinge tut. Er fängt zum Beispiel (wie der „Beziehungscoach“ Emanuel Erk 98 ) mit einer Frage an: „Warum zeigen Männer keine Gefühle? “ Dann folgt eine Bewertung dieser Frage: „Das ist eine große Sorge von vielen Frauen.“ Daraufhin eine Ankündigung: „Ja, machen wir mal einen kleinen Exkurs in die Geschichte ...“ Und das macht klar: Jetzt wird er erzählen. In kurzer Zeit folgen vier verschiedene Tätigkeiten aufeinander: » Fragen » Bewerten » Ankündigen » Erzählen Und in einer normalen Kommunikation klingt jede dieser Tätigkeiten anders. Fragen haben schon vom Satzbau her ihre besondere Form. Oft geht dabei die Stimme nach oben. Auf jeden Fall ist deutlich zu hören, dass ein Satz als Frage gemeint ist. Bewertungen dagegen werden als Feststellungen gesprochen, als einfache Aussagesätze, deren Melodie stetig nach unten geht. Einer Ankündigung ist anzuhören, dass Spannung aufgebaut wird. Meistens gibt es mitten im <?page no="107"?> Wechsle Sprechhandlungen bewusst 107 Satz eine Pause: „Und jetzt - zu meinem großen Tipp ...“ Eine Erzählung dagegen besteht aus einer Folge von Sätzen, die die unterschiedlichsten Aufgaben haben. Zu erzählen, bedeutet immer schon, den Ton zu variieren. Wer erzählt, führt in die Vergangenheit, stellt da Menschen vor, beschreibt sie oder lässt sie überraschende Dinge erleben. All das sind unterschiedliche Dinge, die man tut und die, wenn man dabei mitdenkt, alle unterschiedlich klingen. Es ist zwar wichtig, die verschiedenen Mittel der sprecherischen Variation zu kennen, und in den nächsten Abschnitten werden sie auch im Einzelnen behandelt; aber die beste Hilfe besteht nicht darin, sich programmatisch zu sagen: „Diesen Teil spreche ich langsam, jenen schnell. Hier muss ich mit der Stimme nach oben, dort nach unten.“ Die beste Hilfe besteht darin, sich bewusst zu sein, dass man immer wieder etwas anderes tut. Eine Rede gliedert sich also in verschiedene Sprechhandlungen 99 - Äußerungen, die sich durch ihre Funktion von den vorangegangenen unterscheiden. Als solche Sprechhandlungen können wir längere Redeteile auffassen, z.B.: » Erklären » Definieren » Behaup ten » Begründen aber auch kürzere wie: » Einleiten » Zusammenfassen » Illus t rieren » Erzählen Wichtig ist: Jede neue Sprechhandlung ist ein neuer Anfang. Dies sollte immer zu hören sein, weil zu jeder Handlungsform ein eigener Sprechstil gehört: ein neuer Rhythmus, eine Tempoveränderung, eine eigene Melodieführung. Wem dies bewusst ist, der sagt sich zumindest zu Beginn eines neuen Abschnitts: Jetzt fängt etwas Neues an. Das ist die Chance, auch etwas Neues zu tun. Ich kündige an, ich leite über. Dann aber bringe ich ein Beispiel (und das klingt schon wieder anders, erzählerischer). Dann erkläre ich es. Schließlich fasse ich zusammen. Am leichtesten kann man sich daran in kürzeren Statements halten: Schon wer sich nur für zwei Sätze zu Wort meldet, kann das ausprobieren, z.B.: „Wir sitzen jetzt schon lange genug z u samme n . Wir sollten endlich eine Entscheidung t r e ff e n . “ <?page no="108"?> 108 8 Neue Impulse beleben die Sprechweise Diese Sätze sind beide gleich lang. Doch sie unterscheiden sich darin, was die Sprecherin damit tun will: „Wir sitzen jetzt schon lange genug zusammen“ ist eine kritische Feststellung, die als Argument für den folgenden Satz dienen soll. Dieser ist eine Aufforderung: „Wir sollten endlich eine Entscheidung treffen.“ Eine Aufforderung will mit einer anderen Energie gesprochen werden als eine Feststellung. Sie klingt deshalb auch anders - wenn sich die Sprecherin bewusst ist, dass sie zu einer neuen Sprechhandlung wechselt. In einem längeren Vortrag wird man sich wenigstens bei neuen Abschnitten in Erinnerung rufen, dass sich die Handlungsform ändert. Eine Referentin präsentiert zum Beispiel zunächst ihre politischen Thesen. Dann, um diese zu illustrieren, lässt sie eine Geschichte folgen. Dann kehrt sie zurück zur Überzeugungsrede. Dabei hat sie drei verschiedene Teile, in denen sich ihre Haltung zum Gegenstand und zum Publikum ändert. Während sie noch eben Behauptungen aufgestellt hat, wird sie zur Erzählerin, und weil sie mit dem Kopf und dem Herzen dabei ist, klingt ihre Stimme nun weniger intensiv, der Rhythmus und die Betonungen werden persönlicher. Danach, bei der Zusammenfassung der Rede, wird der Ton wieder anders, vielleicht lauter, mit anderer Pausensetzung. Wer als Rednerin mitdenkt, wird sich bei jedem Übergang von einem Teil zum nächsten vorstellen, dass sie etwas Neues tut, dass sich ihre Haltung zum Publikum ändert. Dabei verändert sich ja auch jedes Mal die Rezeptionshaltung der Zuhörenden: Sie werden aufmerksam. Sie versuchen zu verstehen. Sie lernen Theoretisches anwenden. Sie werden unterhalten. Sie sind bewegt, irritiert oder wachen auf, um mitzukriegen, was folgt. Dies alles, weil jede neue Sprechhandlung anders klingt. Ein Beispiel: Michio Kaku führt in Physik ein Das Universum in einer Nussschale: So heißt der Vortrag des Physikers Michio Kaku 100 und er beginnt recht konventionell, damit, dass er sich seinem Laienpublikum vorstellt: Mein Name ist Michio Kaku. Ich bin Professor für Theoretische Physik an der City University in New York und spezialisiert in einem Gebiet, das sich String-Theorie nennt. Ich bin also Physiker. Dann führt er sein Thema ein, indem er eine Frage-und-Antwort-Sequenz wiedergibt: Manchmal fragt man mich: Was hat die Physik für mich in letzter Zeit getan? Also bringt mir Physik besseres Farbfernsehen, bringt sie mir besseren Internet-Empfang? - Und die Antwort ist: Ja! Dann stellt er seine zentrale Behauptung auf: <?page no="109"?> Ein Beispiel: Michio Kaku führt in Physik ein 109 Denn Physik befindet sich da, wo das Fundament von Materie und Energie liegt. Es folgt eine Aufzählung: Wir Physiker haben den Laserstrahl erfunden, wir haben den Transistor erfunden. Wir haben geholfen, den ersten Computer zu erschaffen. Wie halfen, das Internet zu erstellen. Wir haben das World Wide Web geschrieben. Und zudem halfen wir auch bei der Erfindung von Fernsehen, Radio, Radar, Mikrowellen, ganz zu schweigen von MRT, Computertomografie, Röntgenstrahlen ... Dann fasst er zusammen: Mit anderen Worten: Fast alles, was Sie in Ihrem Wohnzimmer sehen, fast alles, was Sie in einem modernen Krankenhaus sehen, kann früher oder später zurückgeführt werden auf einen Physiker. Und jetzt beginnt er zu erzählen: Ich fing an mich für Physik zu interessieren, als ich ein Kind war. Als ich acht Jahre alt war, geschah mit mir etwas, das mein Leben veränderte, und ich wollte dabei sein bei dieser großen Suche nach einer Theorie des Ganzen. Als ich acht war, starb ein großer Wissenschaftler. Ich erinnere mich noch heute daran, wie mein Grundschullehrer ins Klassenzimmer kam und berichtete, dass der größte Wissenschaftler unserer Zeit gestorben war. Und damit ist er bei Albert Einsteins Suche nach einer einheitlichen Feldtheorie gelandet. Zuvor aber hat er ein halbes Dutzend verschiedene Dinge getan: Vorstellung - Frage-und-Antwort-Sequenz - Behauptung - Aufzählung - Zusammenfassung - Erzählung ... Und so ist jeder gute Vortrag aufgebaut: als Folge von Sprechhandlungen. Jede von ihnen hat eine eigene Funktion, und wer sich dessen bewusst ist, wird mit jeder Handlung seine Sprechweise variieren. Denn im Alltag tun wir dies ganz selbstverständlich. Wir nutzen unsere Stimme, unsere Melodie, unseren Rhythmus anders, wenn wir eine Behauptung aufstellen, als wenn wir eine Frage stellen, und wieder anders, wenn wir die Frage beantworten. Nur wenn wir vor einem Publikum stehen, vergessen wir das. Wir referieren, instruieren, dozieren usw. und reden, als ob es einen einzigen, gleichförmigen Referierton, Instruierton, Dozierton gäbe. Michio Kaku dagegen ist sich bewusst, was er tut. Ganz automatisch wechselt der mit jeder neuen Sprechhandlung die Sprechweise. Am eindrücklichsten ist das da, wo er von der Zusammenfassung seiner Aufzählung zur Erzählung aus der Kindheit übergeht. Er verlässt den gleichmäßigen Takt der Aufzählung mit den vielen Betonungen <?page no="110"?> 110 8 Neue Impulse beleben die Sprechweise und geht hinüber in eine freiere Gestaltung mit längeren Sätzen, die langsamere und schnellere Passagen enthalten. Dazu braucht er keine besondere Anstrengung. Er muss sich nicht sagen: „Hier dehne ich etwas und dort beschleunige ich wieder.“ Er muss sich nur bewusst sein, dass er jetzt etwas anders tut, nämlich erzählen. Gerade der Übergang zum Erzählen eignet sich gut zur Beobachtung. Es ist leicht zu überprüfen, wenn jemand in einem beliebigen Gespräch inmitten der Rede sagt: „Dazu muss ich euch eine Geschichte erzählen! “ Ein neuer Ton kommt herein, unterstützt meist von einer anderen Körperhaltung, und diese akustische Veränderung beeinflusst auch die Aufmerksamkeit der Gesprächspartner. Genauso funktioniert es auch im Vortrag. Sprich antwortend „Ich will euch erklären, wie wichtig es ist, Viren zu verstehen, um alles über Krankheiten zu verstehen. Nun - was ist ein Virus? “ Eine Frage dieser Art trägt kaum etwas zur stilistischen Attraktivität bei. Aber sie kann die Sprechweise beleben. Wer eine Frage bewusst als Frage stellt - und nicht nur als unüberlegten Nebensatz -, wird auch die Antwort bewusst als Antwort sprechen. Sie wird anders klingen als was vorher war, anders als nachher kommt. Antwortend zu sprechen, bedeutet, in Beziehung zum Publikum zu sprechen. Wer sich dessen bewusst ist, kann auch in Fällen, in denen keine Frage gestellt ist, „antwortend“ sprechen 101 . Die Vorstellung: „Ich beantworte eine Frage“ macht die Sprechweise attraktiver. Wer etwa folgende Ansätze umsetzt, wird die Art Aussagen beleben: » eine Beschreibung als Antwort auf die Frage: „Wie sieht es denn aus? “ » eine Erklärung als Antwort auf die Frage: „Warum ist das so? “ » eine überraschende Information auf die Frage: „Könnt ihr euch Folgendes vorstellen? “ Das Resultat ist eine Veränderung in Satzmelodie und Rhythmus und etwas mehr Nähe zum Publikum. Wechsle die Kamera-Einstellung Eine Möglichkeit für sprecherische Abwechslung ist der Neu-Einsatz. Videobeispiele wie Rachel Stewarts Meet the Germans demonstrieren dies sehr plastisch. In Kapitel 4 wurde gezeigt, wie die Reporterin ihre kurzen Videos unterteilt, indem sie für jeden neuen Absatz ihres Textes eine neue Kamera- <?page no="111"?> Aus der Schusslinie: Interview statt Vortrag 111 einstellung wählt. Das ist zwar ein großer Aufwand, verhindert aber auch sprecherisch jede Monotonie. Davon kann man sich inspirieren lassen. Auch ein gewöhnlicher Vortrag, der nicht aufgezeichnet und geschnitten wird, lässt sich in eine Folge von Abschnitten aufteilen, die mit einem Neu-Einsatz verbunden werden: einem Ortswechsel im Vortragsraum oder einfach einer Zuwendung zum Flipchart, zu einem Demonstrationsobjekt oder einem technischen Hilfsmittel. Das erfordert eine Veränderung in Haltung und Gestik und ermöglich auch einen sprecherischen Rhythmuswechsel. Im Gespräch präsentieren Viele Podcasts sind nur erträglich, weil sie keine Monologe sind, sondern als Gespräch inszeniert werden. In Kopfsalat plaudern Paul und Pascal über aktuelle Themen, zu denen sie angeblich recherchiert haben. 102 Sie haben beide eine eher geringe Ausdrucksbreite, was die sprecherische Gestaltung betrifft. Aber dadurch, dass sie ihre Themen im freien Gespräch entwickeln, brechen sie die Monotonie auf. Audio-Podcasts haben zudem den Vorzug, dass Probleme der Inszenierung wegfallen, die das visuelle Medium verlangt (Platzierung der Redenden, Licht, Kamera-Einstellungen, Schnittfolge usw.). Aus der Schusslinie: Interview statt Vortrag Im Gespräch zwischen zwei Rednern haben beide die gleiche Rolle. Sie entwickeln das Thema vorwärts wie zwei Fußballspieler, die sich den Ball zuspielen und dabei das gegnerische Tor im Blick haben. Dass sie sich dabei direkt oder indirekt an das Publikum wenden, ist selbstverständlich. Es ist ein Dialog, der den Dialog mit dem Publikum erleichtern soll. (Näheres zur Technik des Interviews im Kapitel 15.) Völlig anders ist die Rollenaufteilung, wenn eine der beiden Personen ein geladener Gast ist - sei es eine Expertin für das gewählte Thema, sei es jemand, der als Persönlichkeit interessant genug ist, selbst zum Thema zu werden. Eine dialogische Einstellung auch gegenüber dem Publikum einzunehmen, ist dabei leichter als in der Einzelpräsentation. <?page no="113"?> 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Die wichtigsten Ebenen der sprecherischen Gestaltung sind Rhythmus, Melodie und Betonung im Satz. Auf jeder Ebene lassen sich Regeln formulieren, die dazu anleiten, die Gestaltung dem Satz- und Textsinn anzupassen. Wie gesagt: Vieles ergibt sich automatisch, wenn man den obigen Makro-Tipps folgt, - ähnlich wie das im ungezwungenen Gespräch der Fall ist. Dennoch ist es hilfreich, einige Gesetzmäßigkeiten zu kennen, um mit Mikro-Tipps Analyse und Trainingsmöglichkeiten zu verfeinern. ☉ Beobachtungsbereiche für die sprecherische Analyse » Rhythmus und Tempowechsel » Pausen zwischen Sätzen und Abschnitten » Zäsuren innerhalb von Sätzen » Satzmelodie entsprechend der Funktion » Satzmelodie als Mittel der Verknüpfung » Betonung im Satz Den Ausgangspunkt bildet immer der Inhalt. Jede sprecherische Präsentation geht von der gedanklichen Struktur aus. Deshalb folgt hier zunächst ein Abschnitt über Sinnschritte: Wer seine Sätze in sinnvolle inhaltliche Elemente gliedern kann, hat den wichtigsten Schlüssel zu ihrer sprecherischen Gestaltung. Sätze sind gegliedert Sätze, die sich beim Formulieren ergeben, sind unterschiedlich lang und unterschiedlich aufgebaut. Das ist eine Chance. Das ergibt die Möglichkeit, sie auch abwechslungsreich zu sprechen. Natürlich kann man auch einen Satz wie den anderen aufbauen und sprechen. (Man kann ja auch eine Blaskapelle ständig die ersten Takte des Trauermarsches von Frédéric Chopin wiederholen lassen 103 .) Aber in gesprochener Sprache natürlicher ist ein abwechslungsreicher Aufbau (der dann eher an ein Impromptu von Chopin erinnert, ohne Bläser und ohne verstorbene Helden). So muten die folgenden zwei Sätze durchaus ähnlich an und könnten ganz ähnlich klingen: <?page no="114"?> 114 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Unser Thema ist das Armenwesen im Mittelalter, das auf einer hierarchischen und ständisch gegliederten Gesellschaft basierte. Und in dieser Gesellschaftsstruktur bildeten die Bedürftigen und Armen den untersten Stand. 104 Diese zwei Sätze in Sinnschritte aufzuteilen, bedeutet, immer da eine Grenze zu ziehen, wo eine Aussage oder Teilaussage aufhört, also so: Unser Thema / ist das Armenwesen im Mittelalter, / das auf einer hierarchischen / und ständisch gegliederten Gesellschaft basierte. / Und in dieser Gesellschaftsstruktur / bildeten die Bedürftigen und Armen / den untersten Stand. Ob dies sinnvoll ist, lässt sich überprüfen, indem man den Text laut liest und dabei bei jedem Schrägstrich eine kurze Zäsur macht. Auf diese Weise lässt sich jeder Satz in einzelne Sinneinheiten gliedern. Dadurch unterscheiden sich Sätze voneinander, und wer die Gliederung erkennt, wird sie entsprechend akustisch gestalten und damit die Verständlichkeit erhöhen. Zwei verschieden gebaute Sätze klingen auch verschieden, wenn man nur schon ihrer Gliederung folgt. Sinnschritte machen es verständlich Die Gliederung in Sinnschritte ist eine wichtige Hilfe bei der verständlichen Präsentation eigener und fremder Texte, aber auch beim freien F o r m u l ie r e n : » um unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen zu kennzeichnen » als Voraussetzung für die Pausensetzu n g » um Rhythmuswechsel zu ermögliche n Die erste Frage ist also: Was gehört zusammen und wird deshalb in einem Fluss gesprochen, nach und vor einer kurzen Pause oder Zäsur? Damit wird die Bedeutung, die ein Satz oder Satzteil hat, unterstützt. Wie hilfreich die Aufteilung in Sinnschritte ist, lässt sich am besten anhand längerer Sätze erkennen. Im folgenden Beispiel nehme ich einen solchen aus der Erzählung Tonio Kröger von Thomas Mann. Die blonde Inge, Ingeborg Holm, Doktor Holms Tochter, der am Markte wohnte, dort, wo hoch, spitzig und vielfach der gotische Brunnen stand, sie war ’ s, die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre alt war. In Sinnschritte aufgeteilt, liest sich der Text so: Die blonde Inge, / Ingeborg Holm, / Doktor Holms Tochter, der am Markte wohnte, / dort, wo hoch, spitzig und vielfach der gotische Brunnen stand, / sie war ’ s, / die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre alt war. <?page no="115"?> Sätze sind gegliedert 115 Hier steht jeweils zwischen zwei Schrägstrichen, was (aus meiner Sicht) inhaltlich zusammengehört - als Begriff oder Handlung. Bei jedem Strich wäre beim Sprechen eine kurze Pause möglich. Thomas Mann hat die Passage selbst ungefähr so gelesen. Es gibt eine Aufnahme, die ein Jahr vor seinem Tod entstanden ist und heute als Hörbuch erhältlich ist. 105 Er lässt sich Zeit und macht deutliche Pausen zwischen den Sinnschritten. Das Beispiel zeigt natürlich auch, dass die Einteilung bis zu einem gewissen Grad individuell ist: Soll denn nicht zum Beispiel der letzte Nebensatz (als er sechzehn Jahre alt war) auch als einzelner Sinnschritt verstanden werden? Das wäre gewiss möglich; ich habe aber darauf verzichtet, weil ich diesen Nebensatz beim lauten Sprechen wie eine kurze Zeitangabe interpretieren würde. Ich würde also den gesamten Ausdruck: die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre alt war in einem Bogen sprechen. Wenn man dagegen nach liebte eine kurze Zäsur setzte und dann neu einsetzte, würde die Information als er sechzehn Jahre alt war wie ein Zusatz klingen. Es würde ein Kontrast zu den Verhältnissen in der Gegenwart betont: Als er sechzehn Jahre alt war, liebte er sie; heute ist das anders. ☉ Sinnschritte Die Gliederung in Sinnschritte ist eine wichtige Hilfe bei der verständlichen Präsentation eigener und fremder Texte, aber auch beim freien Formulieren: [1] als Voraussetzung für die Pausensetzung [2] um unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen zu kennzeichnen [3] um Rhythmuswechsel zu ermöglichen Die erste Frage ist also: Was gehört zusammen und wird durch kurze Pausen oder Zäsuren vom Folgenden getrennt? So ist zum Beispiel Ingeborg Holm eine Erklärung zu: Die blonde Inge, sie wird am besten separat gesprochen, mit einer kleinen Unterbrechung davor und danach. Darauf folgt eine Zusatzerklärung, deren Informationen ebenso zusammengehören: Doktor Holms Tochter, der am Markte wohnte. Das würde ich in einem einzigen Bogen sprechen, ohne dazwischen einen Absatz zu machen - obwohl das Komma dies nahelegen könnte. (Kommata sind bei der Einteilung in Sinnschritte oft hilfreich, weil sie der grammatikalischen Struktur folgen. Sie können aber auch dazu führen, dass der Redefluss zu oft unterbrochen wird.) <?page no="116"?> 116 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Pausen und Zäsuren unterstützen also die Funktion, die Sätze und Satzteile haben. Sie deuten nicht nur an, welche Aussagen sich aufeinander beziehen, sondern auch, ob einzelne Teile betont werden oder nur kurz aufscheinen sollen. Das Tempo ist nicht entscheidend „Zu Risiken und Nebenwirkungen ...“ Jeder Fernsehwerbung für Medikamente in Deutschland werden diese Worte angehängt, und jeder kennt die Fortsetzung: „... lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ 106 Der Satz ist in allen Fällen sehr schnell gesprochen - schneller, als ein Durchschnittsmensch dies hinbekäme. Es ist den werbenden Firmen vorgeschrieben, ihre Spots mit diesem Satz zu beenden. Dass sie möglichst wenig teuer gekaufte Sekunden darauf verwenden wollen, ist leicht nachvollziehbar. Deshalb lassen sie den Satz zunächst normal gesprochen aufnehmen. Danach wird das Tempo elektronisch erhöht. Dennoch ist der Satz optimal verständlich - auch für Zuschauer, die ihn zum ersten Mal hören. Warum eigentlich? Denn wer versucht, den Satz im gleichen Tempo nachzusprechen, bringt nur eine gehetzte, unnatürliche Version zustande. Die Erklärung liegt darin, dass beim sehr schnellen Sprechen Pausen verschwinden und Längen- und Kürzen-Verhältnisse sich aufheben. Das Beispiel zeigt, dass es möglich ist, das Tempo stark zu erhöhen und dennoch verstanden zu werden, wenn die Gliederung beibehalten wird. Ab einem gewissen Punkt ist dazu aber nur noch der Computer in der Lage. Umgekehrt gibt es Rednerinnen und Redner, die sehr bedächtig voranschreiten und ihr Publikum dennoch ansprechen. Vom Theologen Karl Barth gibt es eine Aufnahme einer Predigt, die er in der Basler Strafanstalt gehalten hat. 107 Er spricht langsam, mit vielen Pausen, und ist dennoch auf faszinierende Weise präsent. Grundlage für eine gute Gestaltung ist immer das Mitdenken. Rednerinnen und Zuhörer sollten die Möglichkeit haben, dem ausgesprochenen Gedanken nachzugehen. Schnelles Tempo gefährdet Längen und Kürzen Wer Zeit gewinnen will und deshalb schnell spricht, gefährdet die Deutlichkeit. Denn im Deutschen ist es wichtig, lange und kurze Silben korrekt wiederzugeben - ganz abgesehen von der Gestaltung der einzelnen Sinnschritte. Dies demonstrieren zwei Gedichtinterpretationen, die auf YouTube hochgeladen wurden: Goethes Willkommen und Abschied beginnt mit einem eiligen Ritt: <?page no="117"?> Das Tempo ist nicht entscheidend 117 Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! / Es war getan, fast eh gedacht. / Der Abend wiegte schon die Erde, / Und an den Bergen hing die Nacht; / Schon stand im Nebelkleid die Eiche, Ein aufgetürmter Riese, da, / Wo Finsternis aus dem Gesträuche / Mit hundert schwarzen Augen sah ... Einem der Sprecher gelingt es, diese 68 Silben in nur 14 Sekunden herunterzurasseln. 108 Durch dieses Tempo nivelliert er viele inhaltliche Feinheiten. Der Schauspieler Fritz Stavenhagen dagegen lässt sich viel mehr Zeit: 23 Sekunden. 109 Er beweist, dass ein Gedicht nicht gehetzt gesprochen werden muss, nur weil sein Thema ein schneller Ritt ist. Der Text mit seinen dichten Bildern bekommt Leben, und man glaubt dennoch, dass es den jungen Mann, der hier spricht, zu seiner Geliebten drängt. Online: Kein Tempo um jeden Preis! Sprecherische Gestaltung folgt in der Online-Präsentation denselben Regeln wie im Präsenzvortrag. Aber die Gefahr der Nivellierung ist hier eine andere. Während im Präsenzvortrag die Gleichförmigkeit oft von einem schleppenden Tonfall herrührt, ist es online in vielen Fällen das Gegenteil: Es wird schneller und schneller gesprochen - oft aus Angst, das Publikum zu verlieren. Dabei gehen nicht nur Pausen unter, sondern, was viel schlimmer ist: Alle Sätze bekommen den gleichen Rhythmus, alle Silben werden ähnlich kurz. Dem Wunsch nach „Drive“ kann man aber auch ganz anders nachkommen. Beschleunigung ist erst wirksam, wenn auch Verlangsamung dabei ist. So ist zum Beispiel eine schnell gesprochene Reportage attraktiver, wenn man zwischendurch innehält, um einen trockenen Kommentar abzugeben. Zudem ist Geschwindigkeit nicht die einzige Möglichkeit, gesprochene Sprache attraktiv zu gestalten. Variation in der Satzmelodie (entsprechend den Handlungsformen) verhindert Monotonie durch ständig ähnliche Satz-Enden. Wem es zu schwierig ist, die Sprechweise zu verändern, der hat verschiedene Möglichkeiten, sich eine Umgebung zu schaffen, die die eigenen Vorzüge im Sprechen fördert: Antwortend sprechen; im Gespräch präsentieren; visuelle Umgebung einbeziehen; usw. Lieber weniger als mehr, wenn die Zeit fehlt 2013 ist in Bangladesch ein Fabrikgebäude eingestürzt, in dem sich ungefähr 4000 Textilarbeiterinnen und -arbeiter befanden. Sie waren von ihren Arbeitgebern zur Arbeit gezwungen worden, obwohl die Polizei das Gebäude wegen seines gefährlichen Zustands hatte schließen lassen. 1.135 Menschen kamen ums Leben, fast 2500 wurden verletzt. Dies führte dazu, dass inter- <?page no="118"?> 118 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps nationale Firmen, die von der Ausbeutung der Textilarbeiterinne n profitieren, sich stärker als Unternehmen mit sozialer Verantwortung darstellen, die sich um die Arbeitsbedingungen in Niedriglohnländern k ü mmern. Eine Professorin für Betriebswirtschaft hat diese Reaktionen untersucht. Sie ist nach Berlin gekommen, um darüber zu be r ic h t e n . Der Rahmen ist eine Veranstaltung, die nur anderthalb Stunden dauern soll. Sie ist die einzige Frau, die reden wird, und sie ist als letzte Redn erin auf dem Programm. Die Männer, die vor ihr dran waren, haben schon gehörig überzogen. Viele Teilnehmer sehen bereits auf die Uhr. Ihr Beitrag ist der aktuellste und engagierteste der Tagung. Man hat ihm eine Viertelstunde eingeräumt. Angesichts der vorgerückten Stunde wäre es aber a ll e n lieber, wenn sich die Referentin kürzer fasste. Es ist zu befürchten, dass einige den Saal vorzeitig verlassen. Wie sollte sie r eagie r e n ? Damals in Berlin reagierte die Rednerin, wie man es in öffentlichen Situationen oft tut: mit einem rasanten Sprechstil: Sie versuchte in der kurzen Zeit alles zu sagen, was eigentlich doppelt so lange gebraucht hätte. Das bedeutete: keine Tempounterschiede, kaum Pausen, ein Satz an den nächsten gehängt. Die folgende Mitschrift einer kurzen Passage lässt n achempfinden, dass damit auch die Verständlichkeit l i tt : „Ja, was haben wir herausgefunden, das eben äh nur ganz kurso äh sorisch, wir stecken wie gesagt noch mitten in der Datenerhebung, wir haben fast alle Interviews mit den Markenunternehmen in den in den Industrieländern abgeschlossen, die Umfragen in Bangladesch sind bego n nen worden, wir haben erste Auswertungen und insofern ist das, was ich heut ’ präsentieren kann, nur ein erster - Eindruck, wir haben zunächst mal im deutschen Team sozusagen, Frau L. und ich, uns angeschaut, was ist denn in Deutschland passiert? “ 110 Die Rednerin setzt in den ersten anderthalb Minuten eine einzige längere Pause. (Sie liegt da, wo der Gedankenstrich steht, zwischen: kann nur ein erster und Eindruck. ) Alles andere ist eine einzige Sprachkette, die sich so anhört, wie es hier abgeschrieben ist: wie ein einzige r Satzbandwurm. Die Sätze und Halbsätze werden alle im gleichen Tempo gesprochen, Längen und Kürzen sind einander angeglichen. Die Rednerin formuliert zwar weitgehend frei, aber sie nimmt sich keine Zeit, ihre Gedanken wirklich mitzuteilen, sie eilt über sie h i n weg . Das ist, was oft geschieht, wenn man unter Zeitdruck redet. Man sagt alles, was man sich vorgenommen hat, beschleunigt aber maximal. Das Resu ltat zeigt sich in einer Gleichförmigkeit von Tempo und Rhythmus. Die frei formulierten Sätze, deren unvollständige Formen sonst nicht p r ob l ema t isc h <?page no="119"?> Das Tempo ist nicht entscheidend 119 wären, werden unattraktiv bis unverständlich, weil die Pausen fehlen, die es erlauben mi t z u de n ke n . Die Rednerin hat sich den äußerlichen Zwängen der öffentlichen Rede gebeugt, sie hat sich den Regeln der männlichen Organisatoren unterwor fen und versucht, dennoch möglichst viel in der kurzen Zeit zu liefern. Hätte es eine andere Möglichkeit gegebe n ? Eine erste wäre Metakommunikation: darauf hinweisen, wie die Organisatoren ihre Prioritäten gesetzt haben, und dass die Organisatoren die einzige Rednerin rücksichtslos behandelt haben und damit gerade das politischste Thema Schaden genommen hat. Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, radikal zu kürzen, so dass die Hauptbotschaften übrigblieben. Damit könnte man die verbliebene Zeit so nutzen, dass die Aussagen wieder klare Konturen bekämen. Es verschaffte auch Gelegenheit, auf die Zuhörenden zu achten: Sind sie dabei? Denken sie mit? Haben sie überhaupt die Zeit dazu, meine Gedanken nachzuvollziehen? ☉ Weniger ist mehr Wer unter Zeitdruck reden muss, kommt nicht umhin, beherzt zu kürzen. Auch wenn man viel zu sagen hat: Es ist genug, wenn die Zuhörenden eine Hauptaussage behalten, die mit einem eindrücklichen Beispiel illustriert wurde. Einmal wird es kurz dialogisch. Sie sagt: „Aus Zeitgrü n den belasse ich es mal dabei“ und lächelt dazu. Man ist in Eile, die Veranstaltung soll ja nur 90 Minuten dauern, und die Vorredner haben bereits ü be r z ogen. Dieses Lächeln ist ein einsames Signal der Verständigung mit ihrem Publikum. Es könnte aber auch die Chance für eine Pause sein, für ein weniger gehetztes Weitersprechen, mit weiteren Blickkontakten, die absichern, dass die Zuhörenden mit ihr ge h e n . Nicht nur ein zu schnelles Tempo kann zu gleichförmigem Klang führen. Auch wenn sehr langsam und mit vielen Betonungen gesprochen wird, kann dies geschehen. Es ist die Sprechweise, die aus den traditionellen räumlichen Verhältnissen entstanden ist. Zum einen gehörte dazu oft ein großer Raum mit hohen Wänden: die Kirche, der Gerichtssaal, das Parlament, der Hörsaal - manchmal mit guter, manchmal mit schlechter Akustik, oft mit starkem Hall. Zum anderen gibt es die offiziellen Ansp ra chen auf offenem Feld, wo die Stimme nicht weit trägt. In beiden Situationen ist es nachvollziehbar, dass die temporale Gestaltung gleichförmiger wird. Man macht in großen Räumen mehr Pausen, um die Stimme zwischendurch verhallen zu lassen. Im <?page no="120"?> 120 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Freien erhöht man Lautstärke und Betonung, um besser zum Publikum durchzudringen, und vernachlässigt dabei die Variation im Tempo. Schnell/ Langsam als Verständnishilfe Tempounterschiede können das Verständnis erleichtern. Wer z.B. in einen längeren Satz einen Klammerausdruck einschiebt, wird diesen schneller sprechen, um anzudeuten, dass es sich um einen Zusatz handelt. Zum Beispiel: Viele unserer Kunden (aber nicht alle) kaufen dieses Produkt. Wer diesen Satz langsam und deutlich spricht, wird den Ausdruck in Klammern (aber nicht alle) gerade um der Deutlichkeit willen schneller sprechen (mit einer deutlichen Pause vor kaufen). ☉ Das Tempo unterstützt die Gliederung Pausen zeigen an, dass ein Satzteil oder Satz mit neuer Funktion folgt. Diese Unterscheidung kann mit einer Tempoveränderung unterstützt werden. Variation durch Tempowechsel Der Grünen-Politiker Cem Özdemir sitzt mit dem Moderator Klaas Heuffer- Umlauf zusammen. 111 Die Atmosphäre ist relativ entspannt. Das wi r d an Özdemirs Sprechweise erkennbar. Er spricht mal schneller, mal l a n gsamer. Er dehnt Ausdrücke, die ihm wichtig sind, in die Länge. Satzteile, die nur unterstützende Funktion haben, rafft er. Damit lässt er das wenige r Wichtige „unter den Tisch fallen“ und schafft Konturen, die das Wichtige besser präsentieren. Das Thema des Gesprächs ist Europa. Özdemir meint, dass die Europapolitik in der Gesellschaft lange nicht sehr wichtig genommen wurde. Jetzt sei das aber anders, und die Politiker hätten das auch geme r k t : Es wurden immer mehr Leute, die hingegangen sind und gesagt haben: Mensch, dieses Europa, da steht ja wirklich was auf dem Spiel. Erst dann haben wir in der Politik reagiert. Die einleitende Passage („Es wurden immer mehr Leute, die h i n gega n ge n sind und gesagt haben“) spricht er sehr schnell. Dann kommt er zur Ruhe, sagt: „Mensch, dieses Europa“ viel langsamer und legt sogar eine kurze Pause ein, bevor er ergänzt: „da steht ja wirklich was auf dem Spiel“. Auch <?page no="121"?> Pausen schaffen Aufmerksamkeit 121 für den Anfang des Folgesatzes („Erst dann“) nimmt er sich mehr Zeit. Man erkennt, dass er kurz nachdenkt, bevor er den Abschluss findet („haben wir in der Politik reagiert“). Wenig später tritt Özdemir beim Parteitag der Grünen auf. Er hält eine Rede, und hier klingt er völlig anders. Der öffentliche Charakter der Rede hat zugenommen. Es ist zwar immer noch seine Stimme, seine Wortwa h l. Aber die Rede ist vorbereitet, die temporale Gestaltung ist viel fl ac h e r . Dem Rhythmus fehlt jede Spannung. Er ruft immer wieder einzelne Satzteile ins Publikum, mit einer kurzen Pause dahinter. Das klingt dann so (mit lauter kleinen Pausen am Ende der folgenden Zeilen): Wenn wir! wenn wir die globale Erhitzung! auf diesem Planeten! auf unter 2 Grad begrenzen wollen! dann müssen Kohle! dann müssen Öl und Gas auf Dauer im Boden bleiben! 112 Der Redner wirkt äußerlich engagiert, klingt aber gleichzeitig monoton. Das Reden in der Öffentlichkeit orientiert sich an geschriebenen Texten. Die schriftliche Vorbereitung führt zu einer Redeweise, die „abgelesen“ klingt, oft auch dann, wenn man improvisiert. Dieser Vorlese-Ton mag dem Ziel entsprechen, sich seriös und kämpferisch zu geben. Aber ande rs als ein spontaner, variantenreicher Redefluss verhindert er echten Kontakt mit dem Publikum. Wer so deklamiert, braucht keinen Widerspruch zu fürchten, weil die Redeweise nicht zu Zwischenrufen, nicht zu E n t geg nun gen animiert. Variation in der temporalen Gestaltung würde das Mitdenken erleichtern. Wenn der Redner Hauptsätze von Nebensätzen, Wichtiges von Unwichtigem auch sprecherisch unterscheiden würde, entstünd e eine größere Nähe. Pausen schaffen Aufmerksamkeit Die Pause ist eines der am häufigsten gepriesenen und doch zu selten eingesetzten rhetorischen Mittel - und zwar nicht nur die Pause nach einer wichtigen Botschaft, sondern auch die Pause zu Beginn, bevor das Entscheidende gesagt wird. Dazu ein Beispiel aus einer Shakespeare-Inszenierung: König Lear steht seinen Töchtern Goneril und Regan gegenüber. Sie demütigen ihn, machen ihn lächerlich, bis er sich von ihnen völlig verraten vorkommt. Das Publikum kennt das Stück und weiß, was folgen wird. Lear wird in einem letzten Aufbäumen seine Kinder verfluchen. Wir sind am Anfang des 19. Jahrhunderts. Friedrich Ludwig Schröder, der den Lear spielt, ist einer der berühmtesten Schauspieler seiner Zeit. Er weiß, wie er mit der Spannung spielt. Und er wird diesen Höhepunkt brillant zelebrieren. <?page no="122"?> 122 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Aber zur Überraschung des Publikums ist da zuerst nur Stille. Lear spricht nicht, er sieht sich nur hilflos um, schaut seine Töchter an und schweigt. Erst nach einer überlangen Pause hat er sich gefasst. Jetzt donnert er los mit seinen Verwünschungen, die kulminieren im ungestümen Fluch: Nein, ihr Teufel, Ich will mir nehmen solche Rach ’ an euch, Dass alle Welt - will solche Dinge tun - Was, weiß ich selbst noch nicht; doch solln sie werden Das Graun der Welt. 113 Vor der letzten Konfrontation, die er noch bei Sinnen durchsteht, hat der Schauspieler eine Pause gesetzt - fast unerträglich lang. Diese Pause aber sagt mehr aus als alle seine bisherigen Ausbrüche, sowohl seinen Töchtern als auch den Augenzeugen in der Szene. Auch dem Publikum war es sofort klar, dass diese Pause der Interpretation des Stücks ein besonderes Moment gegeben hatte. Ein Kritiker schrieb am nächsten Tag, „die Genialität des Schauspielers habe sich weder in den Worten seiner Monologe noch in den Gebärden seines Wahnsinns so erschütternd dargetan wie eben in dieser Pause. Es sei wie die plötzliche Stille in einem Gewitter gewesen, bevor nach dem Grollen und Stürmen der erste krachende Donnerschlag das Unwetter auslöse ...“ 114 Auch in viel banaleren Situationen, auch wenn man sein Publikum weder beeindrucken noch verfluchen will, ist eine Pause hilfreich, weil sie Zeit lässt, nochmals den nonverbalen Kontakt herzustellen. Die Geschichte des großen Schauspielers Schröder braucht allerdings noch eine Ergänzung. Einige Zeit später traf ihn der Kritiker in einer Weinstube und bei einem gemütlichen Gläschen wiederholte er die Bewunderung, die er für diese Pause empfand. Schröder konnte nicht umhin, ihm zu erzählen, wie es dazu gekommen war. Er hatte gerade losreden wollen, als er sah, dass in der Kulisse eine Talgkerze umgefallen war und ihre Flamme gerade auf eine Leinwand übergriff. Er brauchte die Zeit, um dem Theatermeister, der verdeckt dastand, zuzuflüstern: „Esel! Siehst du denn nicht die umgefallene Kerze! “ Pausen als Voraussetzung zum Dialog Der Friedensforscher Johan Galtung spricht über Krieg und Frieden im Zeitalter von Irak- und Afghanistankriegen. Sein Thema ist die veränderte Lage für westliche Armeen, seit klassische Kriege vermehrt durch Terrorismus und Staatsterrorismus abgelöst werden. Seine These: Wer gewinnen will, muss sich auf eine lange Zeitdauer einstellen. Er beginnt mit einer Erzählung: 115 <?page no="123"?> Pausen schaffen Aufmerksamkeit 123 Ich habe in meiner Kiste von Notizen und von E-Mails einen digitalen Brief von einem irakischen General, der sagte das Folgende, im Jahre 2003: „Wir werden zuerst einen klassischen Krieg gegen die Amerikaner haben, und die Amerikaner werden gewinnen. Und das müssen wir den Amerikanern geben, denn das haben sie so gern. Sie möchten so gern gewinnen. Dann fängt es an. Dann ziehen wir uns zurück zu Hause, werden alle Uniformen verbrennen, wir werden uns genau wie das gemeine Volk kleiden. Und wir werden dort kämpfen, einen Volkskrieg. Wir haben keinen Dschungel, wir haben Städte, Jungens! Waffen haben wir genügend für die kommenden 100 Jahre. Nach 100 Jahren könnte es ein wenig knapp sein.“ Und ich könnte dazu nur das Folgende sagen: Wer die längere Zeitperspektive hat, gewinnt. Dann frage ich einen Amerikaner: „Looks to me like you have some problems in Iraq right now. How much time do you need to solve it? “ - „By Thanksgiving.“ - Dann kommt der längerfristige, der sagt: „Christmas.“ Und dann kommt derjenige mit einer wirklich langen Zeitperspektive: Bei Ende dieser Administration. „End of this administration.“ Wer die längere Zeitperspektive hat, gewinnt. Es ist spürbar, dass die Zuhörer aufmerksam dabei sind. Sie denken mit, lachen bei sarkastischen Pointen. Galtung hält keine Vorlesung; er ist im Dialog mit ihnen. Und dies ist deutlich zu hören: am Rhythmuswechsel und an der Pausensetzung. Wenn der erste Abschnitt samt den Pausen wiedergegeben werden soll, sieht das so aus 116 : Ich habe in meiner Kiste von - Notizen und von - E-Mails - - - einen digitalen Brief von einem irakischen General, - der sagte das Folgende, - - - im Jahre 2003: Wir werden zuerst - einen klassischen Krieg gegen die Amerikaner haben, und die Amerikaner werden gewinnen. - Und das müssen wir den Amerikanern geben, denn das haben sie so gern. - Sie möchten so gern gewinnen. - Dann fängt es an. - - Dann ziehen wir uns zurück zu Hause, werden alle Uniformen verbrennen, - wir werden - uns genau wie das gemeine Volk kleiden. Und wir werden dort kämpfen, einen Volkskrieg. - - Wir haben keinen Dschungel, - wir haben Städte, Jungens. - Mit Waffen haben wir genügend für die kommenden 100 Jahre. - Nach 100 Jahre könnte es ein wenig knapp sein. - Galtung setzt viele Pausen. Zwischen den Sätzen sind sie mal länger, mal kürzer; er nutzt sie, um seine Zuhörer anzusehen. Hinzu kommen schnellere und langsamere Passagen, die den Rhythmus weiter variieren und beiden Seiten das Mitdenken erleichtern. Alle diese Mittel unterstützen aber die Gliederung in einzelne Sinnschritte. Sie zeigen, dass der Redner nicht nur Text reproduziert, sondern auch hier formuliert und dabei mitdenkt. Verbunden mit dem <?page no="124"?> 124 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Blickkontakt, sind der Rhythmuswechsel und die Pausen eine gute Voraussetzung dafür, dass ein Dialog stattfindet. ☉ Temporale Gestaltung fördert den Dialog Die wichtigsten sprecherischen Merkmale im temporalen Bereich sind Pausen, Tempo und Rhythmus. Alle diese Merkmale drohen in der öffentlichen Rede tendenziell zu verschwinden. Um in einen Dialog zu treten, ist es wichtig, die temporale Gestaltung, die im Gespräch so selbstverständlich ist, auch hier zu nutzen. Die Satzmelodie lässt die Absicht erkennen Jeder Satz hat seine eigene Melodie oder Intonation. Ihr Verlauf entspricht der Bedeutung der einzelnen Satzteile. Dabei unterstützen sich melodische und temporale Gestaltung gegenseitig. Ein Beispiel hat dies im vorigen Abschnitt gezeigt: Viele unserer Kunden (aber nicht alle) kaufen dieses Produkt) Der Einschub (aber nicht alle) wird als solcher besser erkennbar, wenn er nicht nur schneller, sondern auch etwas tiefer gesprochen wird; das macht den Unterschied zur Hauptaussage deutlich. Die Melodie zeigt an, ob es weitergeht Die Sprechmelodie ist zunächst dazu da, die grammatikalische Struktur eines Satzes zu unterstützen. Sie zeigt die Funktion von Satzteilen an, macht aber erkennbar, wie Sätze innerhalb des Textes zusammengehören. Die beiden folgenden Sätze klingen denn auch im Zusammenhang verschieden: Ich Ihnen Folgendes sagen: Die Zeit des Faulenzens ist vorbei. Da ist zunächst der Abschluss: Bei Die Zeit des Faulenzens ist vorbei geht die Melodie klar nach unten. Das ist die übliche Art, einen Gedankengang abzuschließen und danach eine Pause zu ermöglichen. Beim ersten Satz dagegen (Ich will Ihnen Folgendes sagen) muss angezeigt werden, dass eine Fortsetzung folgen wird. Die Melodie senkt sich deshalb nicht, sondern wird in der Schwebe gehalten oder geht sogar etwas nach oben. Wer dagegen am Ende eines Satzes die Stimme ganz senkt, schafft für sich selbst eine Pause, um weiter zu planen, für die Zuhörer, um das Gehörte zu verarbeiten, aber auch um den Redner allenfalls unterbrechen zu können. <?page no="125"?> Die Satzmelodie lässt die Absicht erkennen 125 Aufzählton als Stressfaktor Wer die Stimme am Ende eines Satzes nicht senkt, setzt ein starkes Signal der Orientierung (in der Praxis oft Hochschluss genannt). Es ist der Ton der Aufzählung. Er bereitet nicht nur das Publikum auf eine Fortsetzung vor, sondern sagt auch dem Sprecher selbst, dass der Gedanke noch nicht abgeschlossen ist. Damit kann man sich ungewollt unter Druck setzen. Auch wenn längst die Gelegenheit zu einer Pause wäre, zeigt die Melodie anderes an. Damit fühlt man sich oft genötigt, einen weiteren Satz folgen zu lassen - nur, weil man sprecherisch keinen Abschluss gesetzt hat. Im folgenden Beispiel kann man, wenn man will, alle Sätze mit Hochschluss aneinanderhängen und die Stimme erst im letzten Satz senken: Mir ist schon oft aufgefallen: Es gibt kaum mehr Autobahnstrecken ohne Staus. Und besonders voll sind die Straßen am Freitag. Diesen Freitag beginnen auch noch die Sommerferien. Deshalb warnt die Polizei vor besonders langen Staus. Ich werde dieses Mal schon am Donnerstag losfahren. In freier Rede entstehen oft lange Passagen dieser Art - lauter Sätze, die am in der Schwebe bleiben. Das ist aber nicht nötig und zeigt dem Sprecher oft unnötig an: Es muss noch weitergehen. In diesem Beispiel wäre es an mehreren Stellen möglich gewesen, die Stimme zu senken: Mir ist schon oft aufgefallen: Es gibt kaum mehr Autobahnstrecken ohne Staus. Und besonders voll sind die Straßen am Freitag. Diesen Freitag beginnen auch noch die Sommerferien. Deshalb warnt die Polizei vor besonders langen Staus. Ich werde dieses Mal schon am Donnerstag losfahren. Beim freien Formulieren hilft das planmäßige Abschließen von Aussagen dabei, zu Pausen zu kommen - Pausen, die dem Sprecher beim Planen und den Zuhörern beim Verstehen der Rede helfen. Letztlich ist in diesem Beispiel ein Hochschluss nur in der ersten Zeile unbedingt notwendig, weil er da dazu dient, den Doppelpunkt zu verdeutlichen. Die Stimme bleibt in der Höhe, um anzudeuten, dass der Gedanke eine Ergänzung bekommt. Im Übrigen kann die Melodie je nach Sprecher und Publikumskontakt indviduell gestaltet werden. <?page no="126"?> 126 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps ☉ Bögen statt Sätze Wer die Melodieführung positiv beeinflussen will, spricht nicht Sätze (grammatikalisch gesehen), sondern größere Abschnitte. Bildlich gesprochen: Ein Punkt wird erst da gesetzt (also die Stimme gesenkt), wo der Gedankengang zu Ende ist. Das kann am Ende mehrerer Sätze sein. Die Sätze davor spricht man als einen einzigen Bogen, seine Melodieführung ergibt sich aus ihrem Gesamtsinn. Die Betonung schafft Eindeutigkeit Im Deutschen ist es üblich, einzelne Wörter hervorzuheben - zu betonen. Da im Prinzip jeder einfache Satz eine neue Information vermittelt, wird das Wort, das diese enthält, betont. Im Beispielsatz: Donald hat einen Hund ist dies das Wort Hund. Wenn darauf eine Zusatzinformation folgt, wird diese betont. Zum Beispiel: Der Hund ist neurotisch. Jetzt wird neurotisch betont, weil dieses Wort die Information aus dem ersten Satz ergänzt. (Wenn auch hier Hund betont würde, geschähe es, um der Erwartung zu widersprechen, dass die Aussage eher auf Donald zuträfe.) Was wir Betonung nennen, ergibt sich aus einer Kombination mehrerer sprecherischer Mittel. Manchmal ist es eine Hebung in der Melodie, zusammen mit einer leichten Dehnung oder auch einer kleinen Zäsur vor oder nach dem Wort. Dabei ist - entgegen häufigen Erwartungen - die Lautstärke dabei viel weniger beteiligt ist als die Melodie. Die Betonung im Satz gibt den Zuhörenden eine Verstehenshilfe. Dies funktioniert am besten, wenn die Sätze kurz sind, so dass klar wird, welches Wort die neue Information und damit den Hauptton trägt. Bei längeren Sätzen müssen aber oft mehrere Worte betont werden, was eine attraktive Sprechweise schwieriger macht. Nebenbetonungen - also Betonungen mit weniger Emphase - sind dagegen völlig normal, um in längeren Satzgliedern Ordnung zu schaffen. Dies illustriert das folgende Beispiel, in dem zunächst nur die Hauptbetonung markiert (doppelt unterstrichen) ist: Wie normale Radler auch genießen E-Bike- Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen. <?page no="127"?> Die Betonung schafft Eindeutigkeit 127 Absteigen ist der wichtigste Begriff; er trägt den Hauptton. Aber ohne weitere Hilfe ist der Satz kaum zu sprechen. Er benötigt Nebenbetonungen. Diese werden leicht ersichtlich, wenn man den Satz in Sinnschritte unterteilt: Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen. Es wird deutlich, dass in jedem dieser Sinnschritte ein Wort leicht hervorgehoben werden kann: Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen. Allerdings muss bei dieser Sprechweise darauf geachtet werden, dass der Satz dennoch in einem einzigen Bogen gesprochen wird. Zäsuren nach jedem Sinnschritt wären zuviel. Gut möglich sind aber zwei dieser kurzen Unterbrechungen: Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen. Wer den Satz so spricht, wird entdecken, dass sich die Wörter mit Nebenbetonung nur wenig aus dem Kontext hervorheben. Wichtig ist, dass sie sich immer noch in einen einzigen Melodiebogen einfügen. Das Beispiel zeigt umgekehrt auch: Leichte Sprechbarkeit hängt mit der sprachlichen Form zusammen. Je länger ein Satz, desto schwieriger wird es, darin nur eine einzige Sache zu betonen, weil einfach mehr Neues hineingepfercht wurde. Auch das ist ein Unterschied zur professionellen Sprechkunst: Ein Schauspieler muss einen Text so sprechen, wie der Autor ihn geschrieben hat. Gewöhnlich Sterbliche sind in der glücklichen Lage, ihre eigenen Texte so zu gestalten, dass sie keine Monstersätze enthalten, bzw. frei zu formulieren. ☉ Die wichtigste Regel für eine ansprechende Betonung Jeder neue Satz hat eine einzige Hauptbetonung. Wenn dies nicht möglich scheint, kann es ein Anzeichen dafür sein, dass der Satz in mehrere einfachere aufgeteilt („portioniert“) wird. <?page no="128"?> 128 9 Sprecherische Gestaltung: Regeln und Mikro-Tipps Auch hier: Gefahr der Gleichförmigkeit Als Papst Urban II in Clermont zum ersten Kreuzzug aufrief, war die damalige romanische Kathedrale für die Menschenmenge zu klein. Er hielt seine Predigt deshalb draußen vor der Stadt ab. 117 Es war der 27. November 1095, und wahrscheinlich froren die Gläubigen ebenso wie der Prediger. Dass sie ihn auf dem freien Feld alle verstehen konnten, ist kaum zu erwarten. Aber der Papst wird sich redlich bemüht haben. Er wird mit vielen Pausen und entsprechend vielen Betonungen in die Menge gerufen haben. Genauso war es noch 900 Jahre später. Ich kenne diese Sprechweise aus Ansprachen zur Schweizer Bundesfeier. Kurz vor dem Abbrennen des Höhenfeuers tritt der Lokalpolitiker vor die Bürger und intoniert: Liebe Miteidgenossen! Wir sind heute zusammengekommen ... Er betont jedes einzelne Wort wie die Eidgenossen früherer Jahrhunderte, ohne Rücksicht darauf, dass auf der Wiese unterdessen Verstärker und Lautsprecher aufgestellt worden sind. Durch diese Sprechweise werden einzelne Satzglieder und Wörter auseinandergerissen, dies auch von Sprechern, die in der Alltagssprache die Regel: „eine Hauptbetonung pro Satz“ spontan befolgen (bis sie in den Dozier- oder Predigt-Modus verfallen). Eine Sprechweise, die der Alltagsform nahe ist, würde nicht nur das Verständnis verbessern, sondern auch die Anschlusskommunikation durch den Zuhörer erleichtern. Probleme und Lösungen beim freien Sprechen Das Üben des sprecherischen Ausdrucks ist oft Arbeit an geschriebenen Texten. Die Realität des Vortrags besteht aber in den meisten Fällen in der freien Rede - anhand von Stichworten - oder in einer Mischform. Wenn auch zentrale Teile vom Manuskript abgelesen werden, löst man sich immer wieder davon und formuliert frei. Freie Rede hört sich nur dann mühsam an, wenn erkennbar wird, dass mitten in einem Satz (durch eine unangebrachte Pause) oder gar einem Wort eine Planungsphase eingebaut werden muss. Planungspausen zwischen den Sätzen aber sind problemlos. Einzelne Tipps zum freien Formulieren werden in Kapitel 10 genannt. Hier zeigt eine Tabelle die wichtigsten Probleme und Lösungen im sprecherischen Bereich der freien Rede. So hört es sich an: Dies kann Abhilfe schaffen: Unklare Gliederung: Sinneinheiten werden nicht verknüpft (kurze Einheiten mit gleicher Intonation) Klare Denkpausen zwischen den Sätzen; kurze Sätze statt Haupt- und Nebensatzkonstruktionen <?page no="129"?> Probleme und Lösungen beim freien Sprechen 129 Aufzähl-Ton: lauter gleichförmige Einheiten mit Hochschluss Einzelne Passagen bewusst abschließen, Pause anfügen. Festredner-Ton: Zu viele Wörter werden betont. Antwortend sprechen, 1 Hauptbetonung pro Satz. Eintönig: Gleichförmiges Tempo Rhythmus variieren, Klammerausdrücke, Ergänzungen schneller. <?page no="131"?> 10 Wege zu einem verständlichen Stil Wie soll ich es sagen? - Die Antwort auf diese Frage konzentriert sich meistens auf den Aufbau einer Rede und die sprachliche Gestaltung. Die bisherigen Teile dieses Buchs haben diese verbale Ebene nur gestreift. Wir gingen von der nonverbalen Kommunikation aus. Dies, um damit anzufangen, was Rednerinnen und Redner zuerst meistern müssen: die Begegnung mit dem Publikum im Raum (beim Präsenz-Vortrag) bzw. in der Verbindung des eigenen mit dem fremden Raum (im Online-Vortrag). Deshalb die bisherigen Schwerpunkte in der visuellen und akustischen Kommunikation, die oft vernachlässigt werden. Nun aber zu den verbalen Mitteln des Redens. Auch hier ergeben sich aus der dialogischen Zielsetzung besondere Schwerpunkte: » das publikumsgerechte Formulieren durch Verständlichkeit, Transparenz und Attraktivität, das den Dialog erst ermöglicht » die offene Gestaltung des Redeaufbaus » das Argumentieren, das dazu dient, eigene und fremde Positionen voneinander abzusetzen » die Techniken des Fragens und Antwortens, die den Dialog verstärken können Viele Informationen dieses Teils gelten gleichermaßen für Präsenzwie Online-Situationen. In beiden Fällen geht es darum, die Distanz zum Publikum zu überbrücken und es so dialogisch wie möglich anzusprechen - was online eine noch größere Herausforderung ist als in der direkten Begegnung. Lade zum Mitdenken und Mitreden ein Viele Vorträge beginnen mit einer Definition. Dann wird diese in einen Zusammenhang gebracht und schließlich an Beispielen illustriert. Das Problem dabei: Das Publikum kann nicht mitreden. Es muss den Gedankengang still mitmachen, einen Gedankengang, der im Abstrakten, eben mit der Definition, beginnt. Das macht es schwer, dialogisch vorzugehen. Also: Was wäre eine bessere Lösung? Der Referent, Erziehungswissenschaftler und Rassismusforscher, steht vor genau diesem Problem. Rassismus ist ein komplexer Begriff, der in jedem Fach anders definiert wird. Er lässt sich deshalb nicht ohne weiteres aus einem Dialog mit dem Publikum entwickeln - schon gar nicht in der oft gewählten Art: „Wer von Ihnen weiß, wie Rassismus definiert ist? “ Nach der zutreffenden <?page no="132"?> 132 10 Wege zu einem verständlichen Stil Definition zu fragen, ist das Gegenteil eines Dialogangebots: man prüft ja nur, ob jemand weiß, was der Lehrer hören will. Eine andere Möglichkeit wäre, von Erfahrungen aus dem Publikum auszugehen. Das würde ermöglichen, den Begriff aus konkreten, anschaulichen Beispielen zu entwickeln. Damit ist aber überhaupt nicht vorauszusagen, in welche Richtung die Diskussion geht und ob man sich nicht auf Nebenwegen verirrt. Deshalb beginnt der Referent mit einer ungewöhnlichen Frage. Er fragt nach einer kurzen Einleitung: „Was ist für Sie das Gegenteil von Rassismus? Was kommt Ihnen da in den Sinn? “ Das ist relativ leicht; man kann nichts Falsches sagen, und es werden Wörter in den Raum gerufen, die alle festgehalten werden können, ohne dass sie problematisiert werden müssen: Toleranz, Weltoffenheit, Menschenfreundlichkeit usw. Sehr schnell wird deutlich, dass dies lauter Prinzipien sind, die gleichzeitig mit rassistischen Vorurteilen hochgehalten werden. Beides hat, so der Referent, in den Gedankengebäuden von Immanuel Kant ebenso Platz wie in den Werten der Französischen Revolution. 118 Dieser Einstieg demonstriert das Prinzip des Dialogs in der Rede: [1] Ich sorge dafür, dass etwas aus dem Publikum zurückkommt (z.B. mit einer Frage, aber es kann auch ein einfacher Impuls sein, eine Geste, ein Witz). [2] Ich nehme wahr, was zurückkommt (das können verbale Beiträge sein, aber auch nonverbale Reaktionen, ein Kopfschütteln, ein Lachen). [3] Ich reagiere darauf (die Reaktionen aus dem Publikum gehen nicht ins Leere, sondern werden für die weitere Argumentation genutzt). Eine Rede ist eine gemeinsame Aufgabe von RednerIn und Publikum. Obwohl die Rollen klar verteilt sind - ein Mensch spricht, die anderen hören zu - beruht der Erfolg der Rede auf dem Dialog. Manchmal funktioniert dies wie eben beschrieben: Frage - Antwort - Reaktion auf die Antwort. Manchmal genügt auch ein Blickwechsel, für den man sich genügend Zeit lässt. Denn in vielen Fällen ist gar keine verbale Reaktion notwendig. In Online-Situationen etwa lässt sich nur ahnen, wie die Leute am Bildschirm reagieren. Dennoch verschafft es einem die notwendige Pause, die genau dies signalisiert: Ich rechne damit, dass ihr mitmacht, und nehme eure Bereitschaft dazu dankbar auf. Stilprinzipien für eine erfolgreiche Rede Um das Publikum zu erreichen, muss ein Vortrag attraktiv, verständlich und transparent sein. Einer, der diese Prinzipien gleichsam verinnerlicht hat, ist der Hirnforscher Manfred Spitzer. Ihm scheint es direkt Freude zu machen, den Vortrag nach diesem Grundsatz den anwesenden Laien anzupassen. <?page no="133"?> Stilprinzipien für eine erfolgreiche Rede 133 In seinem abendfüllenden Vortrag in der Steiermark zeigt er auf dem Bildschirm zwei Schwarzweiß-Aufnahmen. Es sind Röntgenaufnahmen von Gehirnen im Querschnitt, und auf den ersten Blick sieht man, „dass auf dem linken etwas ned ganz stimmt“. 80 Prozent der Hirnmasse fehlen. Der Gegensatz zum gesunden Gehirn auf der rechten Seite ist eklatant. Aber Spitzers erstaunliche Botschaft: „Der Mann, zu dem das Gehirn gehört - Anfang 40-jähriger französischer Beamter mit zwei Kindern -, der hatte nichts. Der war völlig g’sund.“ 119 Und dann die Frage, die sich alle schon selbst gestellt haben: „Wie kann das sein? “ Ein faszinierender Einstieg - auf das Publikum zugeschnitten 120 -, aber das Beispiel ist so ausgewählt, dass das Zielpublikum es sofort erfassen kann. Es ist motiviert, weiter zuzuhören. Das garantiert nicht nur die Kuriosität der Geschichte, sondern auch die Formulierung. Nicht nur der Inhalt, sondern auch der Sprachstil folgt dem Stilprinzip der Attraktivität. Für attraktiven Stil lassen sich Regeln ableiten, und wer sie befolgt, dem fällt es leichter, mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben. Sie betreffen nicht nur den Spannungsaufbau, wie in diesem Beispiel, sondern auch bildhafte, expressive und emotionale Ausdrucksweisen - um nur einige wenige zu nennen. Aber Spitzers Sprachstil ist nicht nur attraktiv; er unterscheidet sich noch durch weitere Eigenschaften von der Sprache vieler anderer Wissenschaftler. Er bemüht sich um Verständlichkeit. So antwortet er auf die Frage: "Wie kann das sein? " mit dem folgenden Vergleich: „Wenn ich aus meinem Laptop so ein Loch raussäge in der Mitte, dann tut der nimmer. Und da genügt viel weniger, damit das Ding - ja, wir haben ja drastische Wörter - ‚abstürzt’ oder ‚sich aufhängt’ - so bezeichnen wir, wenn unser Computer mal nimmer tut. Unser Gehirn hat genau die gegenteilige Eigenschaft. Und das bedeutet zum Beispiel, dass, wenn Sie parkinsonkrank werden (das ist ’ne Krankheit, da fängt man an zu zittern und wird steif), dann sind schon über 70 Prozent der betroffenen Nervenzellen kaputt - und dann fangen Sie an, was zu merken! “ Einfache Vergleiche, Wörter, die jeder kennt (oder die erklärt werden) kurze Sätze und immer wieder Wiederholungen der zentralen Aussagen: Das macht den Text nicht nur attraktiv (er könnte ja auch einfach dazu dienen, das Publikum einzulullen, ohne dass es etwas versteht), sondern verständlich. Es ist in der Lage, mitzudenken und die wesentlichen Botschaften zu behalten. Damit Dialog entsteht, muss etwas aus dem Publikum zurückkommen. Damit dies klappt, muss aber zuerst mal etwas bei ihm ankommen. Auf der nonverbalen Ebene geht dies über den Blickkontakt, der allen Beteiligten bewusst <?page no="134"?> 134 10 Wege zu einem verständlichen Stil wird. Auf der akustischen Ebene ist es oft eine Pause, die eine Reaktion überhaupt ermöglicht. Auf der verbalen Ebene aber sind es Worte, die ankommen - verständliche Worte. Das ist die Basis unabhängig davon, ob man im direkten Kontakt oder online spricht. Das dritte Gebot neben Verständlichkeit und Attraktivität ist die Forderung nach Transparenz. Das heißt: Das Publikum soll nicht nur die Botschaft verstehen, sondern auch deren Entstehung und das Drumherum: Woher stammen die Informationen? Mit wem habe ich es zu tun? Wie ist der Vortrag strukturiert? Spitzer zeigt gleich zu Beginn die mikroskopische Abbildung einer Nervenzelle und ihm ist wichtig zu erklären, dass sie für die Darstellung aufbereitet wurde: „Man muss eine Nervenzelle mit einer winzig kleinen Spritze mit Fluoreszenzfarbstoff füllen und dann wartet mer, bis es sich verteilt hat, und wenn Sie dann drauf leuchten, dann sehen Sie bloß den gelben Farbstoff. Und sonst nix! Und genau so macht mer solche Bilder. Weil hier nämlich ansonsten ein Gefilze und Geknäule von Nervenzellen wär’.“ Mit anderen Worten: Was man hier sieht, ist nicht vergleichbar mit einem Foto, sondern es ist manipuliert. Ein Schnitt durch ein Hirn ohne diese Färbung würde ganz anders aussehen. Wir brauchen aber für unsere Zwecke genau so ein Bild. Allgemein formuliert, ist ein Stil transparent, der dafür sorgt, dass alle Beteiligten die Kommunikationssituation verstehen, an der sie gerade teilhaben. Dazu gehört auch, dass sie das Ziel und die Gliederung des Vortrags nicht aus den Augen verlieren und dass sie die Funktion jedes einzelnen Abschnitts einordnen können: Ist das jetzt eine Hauptaussage oder ein Beispiel? Ist es eine eigene Meinung oder ein Zitat? Gerade da, wo Rednerin und Publikum nur über technische Mittel verbunden sind und eine Korrektur durch Stirnrunzeln oder Nachfragen nicht möglich ist, kann mangelnde Verständlichkeit, Attraktivität oder Transparenz dazu führen, dass die Kommunikation erschwert wird oder die Zuhörenden wegklicken. Deshalb behandeln wir hier (Kapitel 10-11) alle drei Prinzipien. Sie gelten für Präsenzwie Online-Vortrag, sind aber in Online-Situationen noch wichtiger, weil sie helfen, den Kontakt auch über Distanz zu sichern. Hinzu kommen Techniken des Rede-Aufbaus und des Argumentierens (Kapitel 12-13) und schließlich die dialogische Gestaltung des Vortrags durch Fragen und Antworten (Kapitel 14-15). Verständlichkeit: für diese Leute in dieser Situation Es ist jedes Mal ein anderer Kontext, und es sind jedes Mal andere Leute. Deshalb muss jede Rede erneut angepasst werden. Dann entsteht eine verständ- <?page no="135"?> Verständlichkeit: für diese Leute in dieser Situation 135 liche Rede als Voraussetzung dafür, dass die Menschen, an die man sich wendet, auf den Inhalt autonom reagieren können. Verständlichkeit entsteht aus der Rücksicht auf den Rahmen: In welchem Ort und in welchem Zusammenhang findet der Vortrag statt? Von wem wird er veranstaltet? Wer spricht vorher, wer nachher? Dazu kommt natürlich das Vorwissen des Publikums: An wen wende ich mich? Mit welchen Voraussetzungen hören die Leute zu? Erst daran schließt die Frage nach den sprachlichen Anforderungen an, denen der Hauptteil dieses Kapitels gewidmet ist: Wie formuliere ich so, dass dieses Publikum die Botschaft unter diesen Bedingungen versteht, und sie in einem weiteren Kontext einordnen kann? Es ist aber auch immer ein Abwägen: Was ist einerseits dem Publikum zuzumuten und welche Kompromisse bin ich andererseits bereit einzugehen - etwa beim Reduzieren der Komplexität meiner Aussagen? Die Soziologie-Vorlesungen von Jürgen Habermas in Frankfurt hatten enormen Zulauf, waren aber für viele Studenten zu anspruchsvoll. Typisch für die späten 1960er-Jahre: Der Stil erregt Missfallen, und ein Student meldet sich zu Wort. Er fragt, „ob er nicht etwas unkomplizierter sprechen könne, es sei so schwer, ihn zu begreifen.“ Wie der spätere Journalist Gunter Hofmann berichtet, der mit im Hörsaal saß, applaudierte die Hälfte der Anwesenden. „Er verspreche, sein Bestes zu tun, erwiderte Habermas, um verstanden zu werden. Darauf buhte die andere Hälfte,“ berichtet Hofmann. Typischerweise nahm Habermas auch diese Reaktion auf, indem er sagte, „denjenigen, die jetzt gebuht hätten, könne er versichern, seine guten Absichten würden ganz gewiss scheitern.“ 121 Diese Geschichte illustriert perfekt das Dilemma eines Fachvortrags. Der Referent versucht, der Sache und gleichzeitig auch dem Publikum gerecht zu werden. Verständlichkeit entsteht durch dieses Abwägen. Es geht nie, ohne den komplexen Inhalt zu vereinfachen und die Fachsprache an die Sprache der Zuhörer anzupassen. Das geschieht nicht nur in der Vorbereitung. Man kann sich auch mit dem Publikum darüber verständigen, wie viel bei ihm ankommt. Dialog bedeutet, sich auch während der Rede mit dem Vorwissen des Publikums auseinanderzusetzen. Das Publikum gibt ständig Feedback darüber, was verstanden wird und was nicht: durch Mimik, durch Zwischenfragen, durch die Antworten auf Fragen des Redners. Nicht jede Rede lässt sich so sehr vereinfachen, dass sie für sämtliche Interessierte verständlich ist. Aber zumindest ein Kriterium bleibt auch beim anspruchsvollsten Publikum und in jedem gesprochenen Medium: Was einmal nicht verstanden wurde, kann nicht nachgeholt werden. <?page no="136"?> 136 10 Wege zu einem verständlichen Stil ☉ Die wichtigsten Prinzipien der Verständlichkeit » Informationsdichte reduzieren » Gedankengang Satz für Satz entwickeln » Linear gebaute Sätze » Portionieren » Komprimierungen auflösen » Zusammensetzungen auflösen Sie wollen zuhören, nicht lesen Eine Rede wird mit den Ohren aufgenommen. Alles, was gesagt wird, muss durch einmaliges Anhören verstanden werden. Das braucht Zeit und geht oft auf Kosten der inhaltlichen Dichte. Das ist aber in vielen Fällen weniger problematisch als ein kompaktes, mit Informationen vollgestopftes Angebot, das die Zuhörenden überfordert. Oft ist ja die mündliche Präsentation nur der erste Schritt, und die Interessierten können auf schriftliche Texte verwiesen werden, in denen sie detailliertere Informationen finden. Diese können sie dann in ihrem eigenen Tempo lesen. Dies gilt besonders für Vorlesungen an Hochschulen, die den Studierenden kaum mehr als einzige Wissensquelle dienen. Viele der da vermittelten Grundlagen werden in Büchern besser präsentiert. Deshalb könnten Vorlesungen eher ergänzend genutzt werden, für motivierende und erklärende Darstellungen. Dabei können schwierige Fragen geklärt, Kernpunkte von Unwichtigem geschieden, praktische Anwendungen vorgeführt werden. Für die Präsentation des gesammelten Wissens eines Fachs sind andere Quellen geeigneter, die im Selbststudium bearbeitet werden können. ☉ Rahmenbedingungen für eine verständliche Sprache » Vorwissen des Publikums überprüfen » die Bedingungen der Hörsituation berücksichtigen » Sprache mit visuellen Medien koordinieren: Wie nutze ich Flipchart, PowerPoint oder Demonstrationsobjekte für größere Verständlichkeit? » auf nonverbale Signale und Zwischenfragen reagieren <?page no="137"?> Von der geschriebenen Sprache wegkommen 137 Von der geschriebenen Sprache wegkommen Extrem verständlich ist die Sprache, die wir im alltäglichen Gespräch benutzen. Sie passt sich der Situation und den Gesprächspartnern an - und wenn diese etwas nicht verstehen, unterbrechen sie und fragen nach. David, Robert und Marie sitzen in der Kneipe und diskutieren über die Todesstrafe. Sie trinken Bier, gelegentlich einen Schnaps, und versuchen ihr Wissen über die Staaten zusammen zu bringen, in denen Hinrichtungen noch immer an der Tagesordnung sind: David: Immer wenn, immer wenn wir sagen äh - wenn wir ’ n Staat gefunden haben, wo jemand äh - hingerichtet wird noch, - was ja richtig viele sind, nö? Robert: Ja, es sind sehr viele. David: Ja, da bin ich ganz überrascht. Ich hätte jetzt gedacht äh, es gibt in Amerika zum Beispiel gibt ’ s nur ’ n paar Staaten, wo das so ist, 122 aber scheinbar is ’ - Robert: Du hast in vielen afrikanischen Gebieten, im asiatischen Raum - einiges. Marie: Russland! Weißrussland! Robert: Da! - Ja. - Russland selbst auch? / Ich glaub ’ , / da is ’ momentan so äh - Marie: / Ich glaube mal / - - / aber ich glaube ja. Ne. / Und dann / Robert: / Ich find ’ das aber echt / Marie: Russland, ne, aber auf jeden - weiß ich doch. Ich weiß das doch: Russland, Weißrussland! 123 So klingt es, wenn man sich spontan (und ohne allzu viel Sachkenntnis 124 ) unterhält. Für Pausen steht in dieser Mitschrift ein Gedankenstrich (-), und Text, der zwischen zwei Schrägstrichen (/ ) steht, wird gleichzeitig mit dem in der Folgezeile gesprochen. Das Gespräch ist zwar mitgeschnitten und auf YouTube veröffentlicht worden; aber Form und Sprache unterscheiden sich drastisch vom Stil eines öffentlichen Auftritts: Die Teilnehmer entwickeln das Thema gemeinsam, springen bisweilen von einem Gedanken zum nächsten, helfen einander aus, um ihre Vorstellungen gegenseitig zu ergänzen. In mehr als 30 Minuten ist oft kein roter Faden zu erkennen. Wo genau die Reise hingeht, ist hier, zu Beginn des Gesprächs, noch überhaupt nicht klar. Dies widerspiegelt sich auch in den Formulierungen. Der Stil ist sehr nah an der Sprache, die sie alle auch in anderen Alltagssituationen verwenden würden: umgangssprachliche Ausdrücke, unvollständige Sätze, Wiederholungen usw. Damit ist dies - trotz der medialen Verbreitung - ein typisches Beispiel für den Sprachstil in <?page no="138"?> 138 10 Wege zu einem verständlichen Stil nicht öffentlichen Situationen. Er ist vom Spontanen, Dialogischen geprägt. Er enthält - unabhängig davon, welche Themen behandelt werden - bei jedem Sprecher Merkmale des Persönlichen. Struktur vereinfachen, Informationsdichte reduzieren Tendenziell hat die Sprache des nicht-öffentlichen Gesprächs weniger Struktur und geringere Informationsdichte als die Sprache der öffentlichen Rede. Denn für Menschen, die im Alltag miteinander sprechen, gilt: » Sie schöpfen aus der persönlichen Erfahrung und erzählen. » Sie relativieren einzelne Aussagen, indem sie z.B.: Ich meine ... oder: vielleicht sagen. » Sie benutzen einen umgangssprachlichen Wortschatz. » Sie kümmern sich wenig um Grammatikregeln und Stilideale. » Sie orientieren sich eher am regionalen und persönlichen Sprachgebrauch und an Stilformen, die die Gesprächspartner gemeinsam haben. Besonders typisch für die nichtöffentliche Rede sind gebrochene Strukturen. Sätze werden oft nicht zu Ende gesprochen und sie gehorchen nicht auch nicht allen Regeln der Grammatik. Wie auch auf den anderen Ebenen ist die Informationsdichte geringer (redundanter, wie man in der Praxis oft mit einem aus der Informatik entlehnten Begriff sagt). Das heißt, dass einzelne Informationen oft wiederholt werden, andere werden durch Synonyme oder ähnliche Formulierungen verstärkt. Das ist typisch für Alltagsgespräche. In der zitierten Stammtischdiskussion kann man es gut verfolgen: David berichtet über eine Praxis der Todesstrafe in den USA: „Da gibt’s also in manchen Bundesstaaten, da müssen die Leute nachts hingerichtet werden, das heißt, zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, und der Tote, das heißt, der zum Tode verurteilte, darf noch seine letzten Worte sprechen. Und da gibt es dann auch wirklich Fälle, und das hab ’ ich irgendwie nie vergessen, weil es schon ’ n paar Jahre her sind, da hat jemand angefangen zu reden und versucht durchzureden, bis die Sonne aufgegangen wär ’ . Also zehn Stunden am Stück, und dann nach vier, fünf Stunden stoppte der und hat nichts mehr zusammengekriegt, und dann wurde halt das Urteil vollstreckt.“ Diese Erzählung ist nicht besonders kunstvoll formuliert. Sie geht so bedächtig voran, wie der Sprecher denkt. Deshalb gibt es viele Doppelungen. David verstärkt z.B. den einfachen Begriff nachts mit: zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Er berichtigt die missglückte Wortwahl der Tote mit: der zum Tode Verurteilte. Er erweitert eine kurze Information (versucht durchzureden, bis die Sonne aufgegangen wär ’ ) zu einer ganzen Erzählung. Damit reduziert <?page no="139"?> Der Druck beim öffentlichen Reden: Sag’s dichter und komplizierter ... 139 sich die Informationsdichte, also die Menge neuer Information pro Zeiteinheit, drastisch. All dies ließe sich straffen, kürzen, vereinfachen, wenn es eine vorbereitete Rede wäre. Aber in der spontanen, nicht-öffentlichen Situation wird es von den Gesprächspartnern ohne weiteres toleriert. Die Wiederholungen helfen dem Sprecher dabei, weiter zu reden und dabei seine nächsten Formulierungen zu planen. Und es macht die Rede leichter verständlich. Der Druck beim öffentlichen Reden: Sag’s dichter und komplizierter ... Sobald man an die Öffentlichkeit tritt, fühlt man sich unter Druck, anders zu formulieren als im privaten Gespräch. Dies geht aber nicht automatisch in Richtung von mehr Verständlichkeit oder mehr Attraktivität. Die typischen Formen des öffentlichen Redens sind gekennzeichnet durch traditionelle Stilvorgaben - hochsprachlichen Wortschatz, korrekte Sätze - und durch den Zwang, in kürzerer Zeit mehr Inhalt wiederzugeben. Man packt mehr Informationen in Sätze und Abschnitte, so wie das in geschriebenen Texten die Regel ist. Das widerspricht leider direkt den Anforderungen an leicht verständliche gesprochene Sprache. Typisches Beispiel ist die Parlamentsrede. Sie ist bestimmt durch Zeitzwänge und den Anspruch, für eine ganze Fraktion zu sprechen. Im folgenden Beispiel - ebenfalls zum Thema Todesstrafe - ist sofort erkennbar, dass viel recherchiert wurde. Die Rede ist deshalb auch in ihrem Stil von Fachtexten, Zusammenfassungen, Zitaten usw. beeinflusst. Öffentliche Sprache ist „textbasiert“. 125 Das macht den Stil kompakter, aber auch weniger persönlich: „Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Internationalen Tag gegen die Todesstrafe müsste ein Aufschrei mit der Forderung durch die Welt gehen: Verbietet endlich diese barbarische Strafe und ächtet Regierungen und Verantwortliche, die die Verhängung der Todesstrafe zulassen und die Tötung von Menschen anordnen! Wir dürfen nicht mehr schweigen, wenn wir Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter treffen, in deren Ländern die Todesstrafe immer noch nicht abgeschafft ist.“ Annette Groth hat sich im Deutschen Bundestag zum Wort gemeldet. Es wird über zwei Anträge debattiert, in denen die Bundesregierung aufgefordert wird, sich international verstärkt gegen die Todesstrafe einzusetzen. 126 Die ganze Rede ist klar strukturiert; sie hat einen Anfang, einen Schluss und dazwischen einen längeren argumentativen Teil. Auch die Sätze haben im Vergleich zur spontanen gesprochenen Sprache eine klarere Struktur. Sie sind abgeschlossen, aber viele sind auch länger und komplexer aufgebaut. Als Beispiel diene <?page no="140"?> 140 10 Wege zu einem verständlichen Stil der folgende Ausschnitt, indem sich die Rednerin gegen die ferngelenkte Tötung mutmaßlicher Terroristen durch Drohnen wendet: „Die Ermordung von Menschen durch Staaten und Regierungen ohne Gerichtsurteil nimmt zu. Mit den sogenannten gezielten Tötungen hat sich eine neue Form der Ermordung von Menschen ohne jegliche gerichtliche Prüfung durchgesetzt. Diese Form der Todesstrafe ohne Richter durch Spezialkommandos des Militärs oder mit bewaffneten Drohnen wird auch von engen NATO-Verbündeten Deutschlands praktiziert.“ Solche Sätze sind dann möglich, wenn man die Rede schriftlich vorbereitet hat. Und in der Tat zeigt die Video-Aufnahme, dass Groth immer wieder in ihr Manuskript schaut. In der spontanen Sprache würde man etwa sagen: „Die USA und ihre Verbündeten lassen Verdächtige gezielt töten. Sie ermorden Menschen ohne gerichtliche Prüfung. Das ist eine neue Form der Todesstrafe ohne Richter.“ Die Sätze würden kürzer. Sie würden mehr aktive Verben enthalten und weniger unpersönliche Substantivierungen (Tötung, Ermordung usw.). Die Rednerin hat viel zu sagen und eine begrenzte Redezeit. Ihre Sprache, die sich an schriftlichen Vorbildern orientiert. Sie vermeidet Wiederholungen. Dies erhöht die Informationsdichte, macht die Rede aber generell weniger attraktiv und weniger verständlich als spontane, private Äußerungen. Da, wo im Alltagsgespräch Themen allmählich entwickelt und Aussagen wiederholt werden, komprimiert die öffentliche Rede die Aussagen. Über die Frage nach Ländern, die die Todesstrafe noch haben, diskutieren die Mitglieder des Stammtisches eine volle Minute lang und kommen dennoch nicht zu einem klaren Resultat. Die Rednerin im Bundestag kann sich eine derartiges Herumeiern nicht leisten; sie muss die Beispiele parat haben und sie korrekt wiedergeben. Dennoch würde sie mit einigen wenigen sprachlichen Veränderungen die Menschen, die ihr zuhören, direkt ansprechen. Auch öffentliche Rede kann persönlich und erzählerisch sein Wie man’s auch machen kann, demonstriert ein Abgeordneter des österreichischen Nationalrats. Christoph Vavrik vertritt im gleichen Jahr einen Antrag, der ebenfalls die Todesstrafe zum Thema hat. 127 Die Regierung sollte verpflichtet werden, Saudi-Arabien, mit dem man gute Geschäfte machte, eine menschlichere Justiz nahezulegen. Saudi-Arabien vollstreckt jährlich 150 und mehr Hinrichtungen. 128 Vavrik hat selbst in Saudi-Arabien gearbeitet 129 und von seinem Büro aus auf den Platz gesehen, auf dem den Verurteilten die Köpfe abgeschlagen wurden. <?page no="141"?> Auch öffentliche Rede kann persönlich und erzählerisch sein 141 Zwar zeigen auch Vavriks Formulierungen typische Merkmale einer öffentlichen Rede. 130 Dennoch wirkt sein Beitrag völlig anders, als was sonst im Parlament üblich ist. Dies liegt daran, dass ihr Kern in einem persönlichen Bericht besteht. Vavrik erzählt, was er aus seinem Fenster beobachtet hat: „Ich möchte diese Wortmeldung dazu verwenden, Ihnen das ein bisschen näherzubringen, was eine Hinrichtung wirklich ist. Ich habe drei Jahre lang in Saudi-Arabien gelebt und ich habe ungefähr 60 Hinrichtungen ziemlich hautnah miterlebt. Das möchte ich Ihnen jetzt schildern.“ Sein Anliegen ist, dass Österreich in seinen Kontakten mit Saudi-Arabien diese Praxis deutlich verurteilt. Um dem Nachdruck zu verleihen, erzählt er, was er von seinem Fenster aus beobachten konnte: „Und so nach dem Mittagsgebet hat man plötzlich gesehen, wie die Menschenmengen aus der Moschee herausrannten und auch die Schüler von der Schule herausrannten, um anderen zuvorzukommen, um vorne zu sein, um die öffentliche Hinrichtung besser sehen zu können. Dann wird der Hinzurichtende hingeschleppt. Man zwingt ihn, auf diesem Schafott zu knien, und dann kommt ein Typ in einem langen weißen Kleid mit einem riesigen Säbel. (So einen Krummsäbel können Sie auf der Fahne von Saudi-Arabien sehen: das Schwert des Propheten.) Alle schreien: Ein Schlag, ein Schlag, ein Schlag! - und er köpft ihn. Natürlich ist Saudi-Arabien ein moderner Staat. Da kommt ein kleiner Wagen mit Wasser, und es wird gespritzt, damit das Blut weg ist.“ Mit nur wenigen Sätzen gelangt Vavrik von dieser Erzählung zu seiner Hauptaussage: „Österreich gehört zu Europa, und Europa ist mehr als nur ein geographischer Raum. Europa ist zuerst eine Wertegemeinschaft. Saudi-Arabien tritt diese Werte mit Füßen. Ich glaube, Österreich und Europa müssen hier eine ganz klare Position beziehen.“ Damit hat er eine kurze Ansprache gehalten, die auf die Struktur einer Parlamentsrede zugeschnitten ist und dennoch viel Aufmerksamkeit erhält. 131 Der Stil kennzeichnet sich durch kurze Sätze, konkrete Schilderungen und natürlich die persönliche Perspektive. Vavrik ergreift damit eine Gegenmaßnahme gegen die sprachlichen Zwänge des öffentlichen Redens. Er nutzt trotz seiner offiziellen Funktion die Möglichkeiten, die ihm die menschliche Seite der Sprache geben. Keine Frage, dass dieser Text die Anforderungen an Verständlichkeit und Attraktivität erfüllt. Um verstanden zu werden, muss die Rede zum einen an die Voraussetzungen des Publikums angepasst werden. Zum anderen muss sie das Medium berücksichtigen. Bei einem Vortrag bedeutet dies, dass sich die Sprache für die akustische Rezeption eignen muss - aber auch, dass sie nicht von den zusätzlich <?page no="142"?> 142 10 Wege zu einem verständlichen Stil eingesetzten Hilfsmitteln - zum Beispiel Bildern oder Textfolien - behindert werden soll. (Darauf kommt das Kapitel 16 zurück.) Der Sprachstil muss deshalb auf allen Ebenen des sprachlichen Ausdrucks überprüft werden: ☉ Verständlichkeit in Wortschatz, Satzbau und Textstruktur » Wortschatz: Kennt das Publikum die verwendeten Wörter? Wie beeinflussen die verwendeten bekannten Wörter die Informationsdichte? » Satzbau: Sind die Sätze so konstruiert, dass sie sich für einmaliges Anhören eignen? » Textstruktur: Folgen die einzelnen Abschnitte folgerichtig aufeinander? Sind einzelne Sätze und Textteile sinnvoll verknüpft? Online: Verständlichkeit ohne Kompromisse In der Online-Situation gelten die Anforderungen an die Verständlichkeit verschärft: In den meisten Fällen kommen von den Zuhörenden keine Signale zurück, wenn sie etwas nicht mitbekommen. Entweder genehmigen sie sich den Vortrag ohnehin zeitversetzt oder sie machen eine Bemerkung im Chat, die zuerst entdeckt und gelesen sein will. Online-Vorträge müssen sich aber zusätzlich den Bedingungen des Internet-Verhaltens stellen: Die Schwelle, sich von anderen Angeboten ablenken zu lassen, ist niedriger und die Geduld scheint auch weniger ausgeprägt zu sein, wenn es jederzeit möglich ist, in die Küche zu gehen und das Endgerät im Wohnzimmer weiterlaufen zu lassen. Kompromisse sind da nicht möglich. Der Wikipedia-Eintrag zum Thema HIV ist zum Lesen gedacht. Er beginnt so: „Das Humane Immundefizienz-Virus (wissenschaftlich Human immunodeficiency virus), zumeist abgekürzt als HIV (auch HI-Virus) oder auch bezeichnet als Menschliches Immunschwäche-Virus oder Menschliches Immundefekt-Virus, ist ein behülltes Virus, das zur Familie der Retroviren und zur Gattung der Lentiviren gehört.“ Der erste Satz besteht aus 37 Wörtern. Wer damit nicht auf Anhieb fertig wird, hat die Möglichkeit, ihn mehrmals zu studieren. Wer aber ein Lehrvideo aus dem Internet ansieht, wird mit diesem Stil wenig anfangen können. Deshalb beginnt die Einführung der Deutschen Aidshilfe ganz anders: „HIV steht für Human Immunodeficiency Virus - auf Deutsch: menschliches Immunschwäche-Virus. Diese Viren sind kleine Krankheitserreger, die bestimmte Zellen im Körper befallen, sich in ihnen vermehren und unser Immunsystem schwächen. Unser Immunsystem brauchen wir zur <?page no="143"?> Online: Verständlichkeit ohne Kompromisse 143 Abwehr von Krankheiten. AIDS steht für Acquired Immune Deficiency Syndrome - auf Deutsch: erworbenes Immunschwäche-Syndrom. Syndrom bedeutet, dass mehrere Symptome oder Erkrankungen gleichzeitig auftreten.“ 132 Das sind kürzere Sätze und sie enthalten mehr Erklärungen. Während Wikipedia es sich erlauben kann, einzelne Erklärungen (z.B. zu Syndrom) zu verlinken, muss in dieser Präsentation alles sofort erklärt oder vereinfacht werden. Wir sind bei dieser Einführung dennoch nicht sehr weit vom Stil schriftlicher Texte. Deshalb hier das dritte Beispiel, der Einstieg, den der Biologie-simpleclub gewählt hat (hier leicht gekürzt): „Als HIV bezeichnet man ein weit verbreitetes und sehr gefährliches Virus. Leider sind noch viele Menschen zu schlecht darüber informiert, und das ist ein Grund, warum sich jährlich Millionen von Menschen damit anstecken. Die Ursache für AIDS ist eine Infektion mit dem HI-Virus, kurz HIV. Das steht für „menschliches Immunschwäche-Virus“. Dieses Virus schwächt also unser Immunsystem. Von AIDS spricht man, wenn das HI- Virus das Abwehrsystem des Körpers so sehr geschwächt hat, dass der Körper kaum noch Krankheiten bekämpfen kann.“ Hier werden Regeln befolgt, die generell für die gesprochene Präsentation von Informationen gelten: » Die Sätze sind linear aufgebaut. » Der Wortschatz des Zielpublikums wird berücksichtigt. » Ein neuer Satz enthält wenig neue Information. » Die einzelnen Aussagen sind klar verknüpft. » Wörter werden wiederholt statt variiert. » Zentrale Aussagen werden wiederholt. Im Gegensatz zum Präsenzvortrag gibt es online kein Korrektiv für unverständliche Sprache. Ein Online-Vortrag ist ein linearer Prozess: Ein Satz muss auf den vorangegangenen aufbauen. Alles muss auf Anhieb verstanden werden. Gleichzeitig versuchen diese Autoren, beim Interesse des Publikums anzuknüpfen. Die wissenschaftliche Erklärung muss zurückstehen zugunsten der Warnung vor der Gefährlichkeit des Virus und des Informationsdefizits. Das ist mediengerechter. Aber es ist nicht die einzige Möglichkeit, die Rede anzupassen. Einen weiteren Schritt in diese Richtung demonstriert der Anfang des AIDS-Videos von Mirko Drotschmann (MrWissen2go): „Da braucht man gar nicht lange drum rumreden. AIDS ist eine der gefährlichsten Krankheiten der Welt. Jedes Jahr sterben rund eineinhalb Millionen Menschen weltweit daran und pro Minute infizieren sich fünf <?page no="144"?> 144 10 Wege zu einem verständlichen Stil Menschen neu mit dem HI-Virus. Und obwohl AIDS relativ bekannt ist, obwohl man viel darüber weiß, gibt es bisher keinen wirkungsvollen Impfstoff, und die Medikamente, die es gibt, die haben starke Nebenwirkungen und oft bringen sie überhaupt nichts. Es gibt aber auch Menschen, die sagen: AIDS gibt’s gar nicht, das ist alles eine Lüge.“ 133 Ohne Vorwarnung beginnt der Moderator zu sprechen und er wirft uns zunächst nur einige drastische Informationen an den Kopf. Erst nach 30 Sekunden wird der Titel des Videos eingespielt. Dann fängt der Hauptteil an, der Rhythmus wird ruhiger. Als Nächstes wird erzählt, wie sich AIDS zu Beginn der 1980er-Jahre verbreitete und in die Schlagzeilen kam. Erst dann - nach zweieinhalb Minuten - folgt die Begriffsklärung, mit der die anderen Beiträge angefangen haben: „Wichtig ist, dass man unterscheidet - nämlich zwischen HIV und AIDS.“ Anstatt einen klassischen Einstieg zu wählen, beginnt Drotschmann mit einem Teaser. Er sagt sich: Wichtig ist es, sofort die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen und dafür zu sorgen, dass sie dranbleiben. Damit können zwei hauptsächliche Anforderungen an die Online-Sprache festgehalten werden: » Verständlichkeit durch Vereinfachung » Gewinnen und Halten der Aufmerksamkeit Vereinfachung bedeutet, alles wegzulassen, was nicht in einer linearen Abfolge einfacher Sätze Platz hat. Gewinnen und Halten der Aufmerksamkeit bedeutet, Sachinformationen von Anfang an anzureichern durch das Nutzen zusätzlicher Ebenen (mehr dazu in Kapitel 12): » das Publikum in seiner Situation ansprechen » Emotionen wecken » Fragen auslösen, die später beantwortet werden » an kreatives Denken appellieren Begriffe müssen klar sein Bei der Bemühung um Verständlichkeit besteht die Gefahr, dass die Begrifflichkeit zu ungenau wird. Manchmal ist es nicht möglich, präzise zu sein, ohne einen Fachterminus zu verwenden. Der muss dann halt auch definiert werden. Oft sind genaue Zahlen sperrig, müssen aber doch herhalten, um der Schwammigkeit zu entgehen. Ein drastisches historisches Beispiel stammt aus dem Weißen Haus. Im April 1961 scheiterte die „Invasion der Schweinebucht“, ein Angriff auf Kuba, <?page no="145"?> Begriffe müssen klar sein 145 geführt von Exilkubanern, aber von der CIA unterstützt. Für Präsident Kennedy war dies ein großes Fiasko. Dabei hatten ihm die Vereinigten Stabschefs (Joint Chiefs of Staff) mitteilen lassen, das Unternehmen hätte durchaus eine gewisse Aussicht auf Erfolg, in ihren damaligen Worten a fair chance of success. Als klar war, dass der Angriff abgewehrt und die Beteiligten gefangen genommen oder getötet worden waren, empörte er sich über seine eigenen Berater: „Diese Hurensöhne ... saßen nur da und sagten, es würde klappen.“ 134 A fair chance of success hat den Vorteil eines vertrauten umgangssprachlichen Ausdrucks. Aber wie viele feste Redewendungen hat er eine dehnbare Bedeutung. Das zeigen die deutschen Übersetzungen, die in der Praxis von Profis gewählt werden. Die Website Linguee 135 , die u.a. offizielle EU-Texte auswertet, zitiert eine ganze Reihe von Lösungen für: has a fair chance of success. Sie schillern zwischen: hat durchaus Erfolgsaussichten und hat eine reale Chance. Damit kann man a fair chance ebenso gut positiv wie zurückhaltend interpretieren. Kennedy hörte offenbar nur den Aspekt „Erfolgsaussichten“, nicht die Relativierung. Die Berater meinten in Wirklichkeit, die Chance belaufe sich auf 1 zu 3. Irgendwo auf dem Weg von der Analyse zur endgültigen Präsentation war die Übersetzung gescheitert. Hätten sie sich in Zahlen ausgedrückt, wäre der Sprachgebrauch klar geworden und Kennedy hätte sich vielleicht gegen die Aktion ausgesprochen. Sie hätten damit ein ungenaues Adjektiv durch einen Ausdruck ersetzt, der ein Größenverhältnis ausdrückt. Sie hätten von der binären Denkweise des Ja/ Nein (Chance/ keine Chance) abgelenkt auf die Denkweise der Skala. 33,3 Prozent ist weniger als 66,6 Prozent, geschweige denn 100 Prozent. Man hätte damit zumindest die Basis für eine Diskussion gelegt. ☉ Den genauesten Ausdruck wählen » Zahlen nicht nur nennen, sondern auch einordnen (in einer Skala, durch einen Vergleich usw.) » Auf vage Umschreibungen präzise Begriffe folgen lassen (oder umgekehrt). » Auf Variation verzichten: den präzisen Ausdruck nicht durch Synonyme ersetzen. Möglichkeiten, mit fremden Begriffen umzugehen Angenommen, du bist Hundetrainerin und stehst vor einem Saal voller Herrchen und Frauchen. Im Verlauf des Vortrags fällt der Begriff Konditionieren. Wie kann eine Trainerin damit umgehen? <?page no="146"?> 146 10 Wege zu einem verständlichen Stil In der Praxis kommen verschiedene Lösungen vor, die letztlich alle zum Ziel führen: » Den Begriff einführen und definieren. » Den Begriff durch einen umgangssprachlichen Ausdruck ersetzen. » Den Begriff belassen in der Hoffnung, dass er sich aus dem Kontext erklärt. Am präzisesten ist die Lösung 1. Dennoch gibt es Fälle, in denen man das Publikum damit überfordert: Wenn es gleichzeitig mit zu vielen neuen Informationen überschüttet wird, kann es nicht alles abspeichern. Ähnlich wie beim Lernen einer Fremdsprache wird ein Zuhörer nicht alle neuen Wörter behalten. Deshalb ist die Lösung 2 oft die geeignetere: Man umschreibt, was man meint, weil das Laien-Publikum, zu dem man spricht, es nicht präziser braucht. Die Lösung 3 kommt in der Praxis häufig vor. Die Rednerin schätzt die Kenntnisse ihres Publikums ein und belässt den Ausdruck. Wenn der Vortrag dialogisch gehalten ist, klärt sich dies sofort: Fragende Blicke oder Zwischenrufe signalisieren das Verständnisproblem. Aber in großen Auditorien - und in der Online-Situation - wird die Verwendung eines unbekannten Wortes zum unausgesprochenen Auftrag: „Frag beim Sitznachbarn nach! “ Oder: „Guck im Web nach! “ Alle, die den Begriff nicht kennen, sind dadurch eine kurze Zeit abgelenkt. Im schlimmsten Fall haben sie ihn dann zwar gegoogelt, finden aber den Anschluss nicht mehr. Es sind nicht immer nur Fremdwörter Problematische Wörter sind nicht immer als solche zu erkennen. Sie können scheinbar selbsterklärend sein und müssen dennoch dem Publikum nahegebracht werden. Das zeigt das folgende Beispiel: Am 8. Juni 2011 hält der Jurist Mario Martini seine Antrittsvorlesung an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. „Wieviel Gleichheit braucht das Internet? “ fragt der Staatsrechtler und hat gleich eine Menge von Begriffen zu definieren, damit er überhaupt verstanden wird. Zentrales Thema ist „Netzneutralität“ - ein Begriff, den er 136 zunächst zusammenfasst als „das Gebot, dass Internet-Service-Provider alle Daten gleich behandeln - ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, ihren Ursprung und ihr Ziel.“ 137 Martini will diskutieren, ob Netzneutralität rechtspolitisch überhaupt wünschenswert ist. Und er will überprüfen, wie weit Wettbewerb zur Sicherung von Netzneutralität ausreicht. <?page no="147"?> Begriffe müssen klar sein 147 Die zitierte Definition ist allerdings sehr wortreich - eigentlich zu reichhaltig für einen mündlichen Vortrag. Seine Zuhörer sind keine Spezialisten. Für sie ist die Definition durch einmaliges Anhören nicht leicht zu erfassen. Deshalb fasst er es nochmals knapper: „Netzneutralität bezeichnet damit die gleichberechtigte Übertragung von Inhalten.“ Damit erleichtert er das Verstehen durch eine vereinfachte Wiederholung. Es folgt aber noch eine weitere Verdeutlichung. Er senkt die Abstraktionsebene und stellt die konkrete Auswirkung vor: „Die Provider müssen sich sowohl gegenüber Anwendern als auch Anwendungsinhalten neutral verhalten.“ 138 Danach ordnet er den Begriff auch ein, indem er den Gedanken der Netzneutralität vergleicht. Er verweist auf den Begriff der Regulierung in verwandten Bereichen: „Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde der Markt nach ähnlichen Prinzipien bei den Eisenbahnen, der Telegrafie, der Elektrizitäts- und Gasversorgung geordnet. Immer ging es darum, dass die Betreiber der Infrastruktur keinen Einfluss auf die Art der transportierten Inhalte haben sollten.“ Eine weitere Erklärung bietet dann eine Illustration: „Das Stromnetz unterscheidet nicht danach, ob der transportierte Strom dem Betrieb eines Toasters, eines Bügeleisens oder eines Computers dient. Ähnlich hat die Post Briefe unabhängig von der Werthaltigkeit ihrer Information und der Vertrauenswürdigkeit ihres Adressaten zu befördern.“ 139 Dies macht den Begriff der Netzneutralität noch anschaulicher. Der Begriff ist jetzt nicht nur definiert, er ist auch fassbar geworden. Jetzt kann der Jurist anfangen, die Probleme zu behandeln, die sich im Zusammenhang mit der Netzneutralität ergeben. Er kann jetzt sicher sein, dass sein Publikum eine Vorstellung hat, die ihm helfen, auch weiter zu folgen. Die Einführung des Begriffs enthielt also die folgenden Elemente: » Definition » Reduzierte Wiederholung der Definition » Anwendung der Definition (Auswirkung für die Provider) » Vergleich » Illustration Es ist selbstverständlich, dass auch eine ganz andere Reihenfolge dieser Elemente zum Ziel geführt hätte. Eine solche Einführung kann je nach Thema <?page no="148"?> 148 10 Wege zu einem verständlichen Stil ganz verschieden gestaltet werden. Wichtig ist, dass dem Redner diese Aufteilung in verschiedene Elemente bewusst ist, die ganz verschiedene Arten des Verstehens ansprechen. Dabei ist oft angeraten, nicht bei der abstrakten Definition zu beginnen, sondern bei der konkreten Anwendung. ☉ Begriffe einführen Einen Begriff (Beispiel: Bildernagel) zu definieren, bedeutet grundsätzlich: » Man nennt den übergeordneten Begriff: Ein Bildernagel ist ein Nagel ... » Man nennt das unterscheidende Merkmal: ... aus Stahl mit einem Messingkopf. » Zusätzlich hilft: » eine nähere Beschreibung: Er unterscheidet sich von anderen Nägeln auch durch die zwei Farben des Stifts und des Kopfes. » der Zweck: Er wird benutzt, um Bilder und andere Objekte an die Wand zu hängen. » ein Vergleich: Für ähnliche Zwecke werden auch einfache Stahlstifte benutzt, die aber meistens kleinere Köpfe haben. » eine Erzählung: Kürzlich diskutierten wir in der Familie darüber, wie wir eine Wanduhr aufhängen sollten ... Die Aufteilung in einzelne Elemente bietet die Möglichkeit, sich mit Blickkontakt und Pausen zu vergewissern, ob das Publikum noch dabei ist. Den Zuhörern ihrerseits ergibt die Wiederholung und Vertiefung auf konkreterer Ebene die Möglichkeit, dem Vortrag zu folgen, auch wenn sie die Definition nicht auf Anhieb verstanden haben. Verständlichmachen ist ein Übersetzen Wer verständlich spricht, will sein Publikum erreichen. Oft muss aus einer Fachwelt in eine andere, aus einem komplexen Berufsalltag in den Erfahrungsbereich des allgemeinen Publikums übersetzt werden. Wie kreativ man da vorgehen kann, zeigt ein Beispiel, das die Linguistin Susanne Göpferich präsentiert hat. Ihr Thema war die Umsetzung Texte aus anderen Kulturen für ein deutsches Publikum. Der überraschende Titel ihres Vortrags: Wie aus pochierten Eiern Marmelade wird. Göpferich hatte angehenden Übersetzerinnen ein französisches Inserat vorgelegt, in dem ein fortschrittliches Bild der „Frau von heute“ gezeichnet wurde. Eine moderne Frau, so wurde darin gesagt, ist in der Lage, ihre privaten und <?page no="149"?> Begriffe müssen klar sein 149 beruflichen Dinge ohne Stress zu erledigen. Das wurde mit einem Beispiel belegt, das ganz deutlich auf das französische Publikum ausgerichtet war: Sie [die Frau von heute] macht ebenso selbstverständlich Eier „en meurette“, wie sie ihre Fensterläden streicht. 140 In Frankreich sind dies offensichtlich zwei schlagende Argumente. Wie aber sollten diese Beispiele für progressive weibliche Fähigkeiten für ein deutsches Publikum übersetzt werden? Was sollen sie mit Oeufs en meurette anfangen, einer speziellen Art von pochierten Eiern in Rotweinsauce? Ein Teil der Übersetzerinnen wälzte sofort die Wörterbücher und suchte nach einer möglichst korrekten. Andere aber gingen freier an die Aufgabe heran und versuchten nur den Sinn wiederzugeben. Die überzeugendste Lösung lautete so: Sie macht nicht nur ihre Marmelade, sondern auch ihren Ölwechsel selber. Damit war die Formulierung in jeder Hinsicht ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzerin hatte den Sinn erfasst und auf den Punkt gebracht, „dass die Frau das ganze Spektrum vom ‚Heimchen am Herd‛ bis hin zum ‚Heimwerker‛ beherrscht“. 141 Sie machte aus Eiern Marmelade, aus dem Fensterladen ein Auto, um ihr Publikum zu erreichen. Fast jede Rede vor Publikum erfordert in gewissem Sinn ein Übersetzen. Die Rednerin spricht ja aus einer Kompetenz heraus, die meistens die ihres Publikums übertrifft. Wichtig ist es, die hauptsächlichen Ursachen des Missverstehens zu kennen und sie zu verhindern. Dies beginnt auf der Ebene des Wortschatzes, geht aber darüber hinaus zur Satz- und Textstruktur. Dies wird in den folgenden Abschnitten gezeigt. Wörter konsequent benutzen Wer zum Beispiel einen einstündigen Vortrag zum Thema Netzneutralität hält, ist leicht versucht, eine Wiederholung des Wortes zu vermeiden und überall da, wo es inhaltlich akzeptabel ist, Wendungen zu verwenden, die das Gleiche ausdrücken - etwa: » die Gleichbehandlung von Daten » die neutrale Datenübertragung » der Verzicht auf Überwachung von Datenpaketen Das entspricht zwar einer landläufigen Vorstellung von gutem Stil. Viele von uns sind seit der Schulzeit im Einsatz von Synonymen trainiert worden. Wortwiederholung gilt als unfein. In einer Vortragssituation - gerade wenn es um sachliche Information geht - ist dies aber anders. Die konsequente Verwen- <?page no="150"?> 150 10 Wege zu einem verständlichen Stil dung eines einzigen Begriffs garantiert viel mehr Klarheit als die vermeintlich attraktivere Abwechslung in der Wortwahl. Abstraktes durch Konkretes verdeutlichen „Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien könnte einen Tornado in Texas auslösen.“ Diese Formulierung gibt sehr anschaulich, wenn auch überspitzt, eine Beobachtung wieder, die Meteorologen in den 1960er-Jahren gemacht haben: Als sie anfingen, für die Wetterprognosen Computersimulationen zu nutzen, geschah etwas Überraschendes: Wenn sie den Daten-Input um sehr geringe Werte veränderten, erhielten sie drastische Unterschiede in den Wetterprognosen. Eine Folge aus diesen Beobachtungen wäre auch so zu formulieren: „Die Tatsache, dass es Hoch- und Tiefdruckgebiete gibt, lässt sich erklären mit der Instabilität einer gleichförmigen Strömung in Folge einer minimalen Störung.“ Das Schlagwort vom Flügelschlag des Schmetterlings ist aber bedeutend griffiger. Je nach Zielpublikum lässt es die damit verbundene Botschaft besser verstehen. Der amerikanische Mathematiker Edward Lorenz verwendete es (zunächst mit dem weniger spektakulären Bild der Möwe) in Vorträgen und Interviews und machte es und sein Fach damit weitaus populärer, als es eine abstrakte Information getan hätte. 142 Das Bild vom Schmetterling allein sagt natürlich nicht genug aus. Trotzdem regt es die Vorstellungskraft an und hilft dabei, die abstrakten Aussagen in Erinnerung zu behalten. Generell bietet die Verwendung plastischer Vergleiche und Bilder eine zusätzliche Möglichkeit, wie sich Redner und Zuhörer nahekommen. Es geht dabei nicht darum, abstrakte und theoretische Aussagen zu vermeiden, und schon gar nicht darum, sie durchweg mit vereinfachenden Bildern zu ersetzen. Der wichtigste Effekt ist, dass eine weitere Ebene der Verständigung eröffnet wird, die die abstraktere ergänzt: eine Ebene der Verdeutlichung, der Illustration, des Augenzwinkerns. ☉ Konkret und Abstrakt kombinieren Konkret ist nicht immer besser als abstrakt; ein Beispiel ersetzt nicht die allgemeine Aussage. Aber in vielen Fällen lässt sich das Abstrakte mit Hilfe eines konkreten Falles verankern. <?page no="151"?> Begriffe müssen klar sein 151 Zusammenhänge herstellen Warum ist der Himmel blau? - Eine Antwort könnte folgendermaßen lauten: „Wenn die Sonne auf die Erde strahlt, wird das blaue Licht gestreut, das langwellige rote Licht aber nicht.“ In diesem Satz ist eine knappe Begründung dafür enthalten, dass der Himmel blau ist. Dummerweise liegt die Hauptinformation im Wort langwellig. Wer damit nichts anfangen kann, versteht den Zusammenhang nicht. (ich selbst lese jedes Mal langweilig - das macht aber nichts, wenn ich ohnehin nicht weiß, was das Ganze mit der Wellenlänge zu tun hat. 143 ) Er versteht zwar die allgemeine Aussage, aber nicht die Erklärung dafür. Das ist eines der fundamentalen Verstehensprobleme: den Zusammenhang zwischen allgemeinen und speziellen Aussagen herzustellen. Studierende, die nach einer ziemlich einfachen Physikvorlesung befragt wurden, zeigten unter anderem, dass die Schwierigkeiten genau da anfingen: Sie verstanden Details, aber nicht, was sie mit der allgemeinen Aussage zu tun hatten, und oft auch umgekehrt. Im schlimmsten Fall wurden aus einzelnen konkreten Informationen, die verstanden wurden, unzulässige Verallgemeinerungen abgeleitet. 144 Für die Praxis bedeutet dies, dass besondere Sorgfalt angewendet werden muss, wenn die Abstraktionsebene gewechselt wird. Gerade wenn man von der Beispielebene auf die allgemeine Ebene übergeht, ist oft ein Kommentar notwendig, der diesen wichtigen Schritt erkennbar macht, und der die allgemeine Aussage betont. - Hier ist es auch angezeigt, sich mit einer Frage zu vergewissern, dass die Zuhörer mitgekommen sind. ☉ Abstraktionsebene wechseln! Fachvorträge leben von der Abwechslung. Allgemeines wird mit speziellen Beispielen anschaulich gemacht; die Rückkehr zur allgemeinen Ebene verankert das gewonnene Wissen. Diese Übergänge müssen sehr sorgfältig gestaltet werden. Es lohnt sich, mehr Wiederholungen einzubauen, als man es selbst für notwendig erachten würde. Satzbau vereinfachen Kai Gehring, diplomierter Sozialwissenschaftler und Bundestagsabgeordneter, ist in der Lage, aus dem Stand heraus die folgende Zwischenfrage zu produzieren. Es geht um Bildungspolitik und um die Unabhängigkeit der deutschen Bundesländer in Bildungsfragen: <?page no="152"?> 152 10 Wege zu einem verständlichen Stil Nachdem wir eben Zeuge öffentlicher Verhandlungen innerhalb der Koalition über die Interpretation einer Bund-Länder-Vereinbarung in Bezug auf das Bildungs- und Wissenschaftspaket wurden und Sie für die Unionsfraktion gerade ausgeführt haben, dass Sie unseren Föderalismus sinnvoll finden und die Entscheidungen der Länder achten, möchte ich Sie fragen: Achtet denn die Unionsfraktion die Handlungsfreiheit der 16 Bundesländer, die auf der Basis der gemeinsamen Vereinbarung zum 6-plus-3-Milliarden-Paket jetzt 16 individuelle Bildungs- und Wissenschaftspakete schnüren und genau von dieser Freiheit, die die Vereinbarung lässt, Gebrauch machen? 145 Auf einen Nebensatz von über vierzig Wörtern und einen kurzen Hauptsatz (möchte ich Sie fragen) folgt die eigentliche Frage, die wohl letztlich rhetorisch gemeint ist. In spontaner gesprochener Sprache würden daraus etwa sieben Sätze entstehen: » Wir wurden eben Zeuge öffentlicher Verhandlungen innerhalb der Koalition. » Es ging darum, wie man die Bund-Länder-Vereinbarung in Bezug auf das Bildungs- und Wissenschaftspaket interpretieren soll. » Für die Unionsfraktion haben Sie gerade ausgeführt, dass Sie unseren Föderalismus sinnvoll finden und die Entscheidungen der Länder achten. » Nun haben die 16 Bundesländer eine gemeinsame Vereinbarung zum 6plus-3-Milliarden-Paket getroffen. » Auf dieser Basis schnüren sie jetzt 16 individuelle Bildungs- und Wissenschaftspakete. » Sie machen damit Gebrauch von der Freiheit, die diese Vereinbarung zulässt. » Achtet denn die Unionsfraktion diese Handlungsfreiheit der Bundesländer? Das wären sechs einzelne Sätze und zum Schluss eine pointierte Frage. In der Praxis lässt sich jeder Bandwurmsatz in einzelne Stichwörter aufteilen, die man dann in linearer Abfolge anordnet. So würde jede neue Aussage auf den vorherigen aufbauen. Der Fragesatz wäre einfach und wäre nicht mit mehreren Nebensätzen befrachtet. ☉ Satzbau für die Hörsituation » Gedankengang in einzelne Sätze portionieren und neu anordnen » auf Klammerausdrücke im Satz verzichten » Nebensätze mitten im Satz vermeiden » längere Nebensätze als Hauptsätze formulieren <?page no="153"?> Begriffe müssen klar sein 153 Den Gedankengang portionieren Auch bei vielen kürzeren Sätzen ist den Sprechern oft nicht bewusst, wie viele neue Informationen sie enthalten. Wir sprechen von Informationsdichte, um die Menge an neuer Information pro Satz zu benennen. Hohe Informationsdichte ist in der mündlichen Kommunikation generell ein Problem. Ein Ziel wäre die Reduktion der Informationsdichte oder zumindest eine Auflockerung mit Wiederholungen und illustrierenden Sätzen. Nehmen wir an, wir werden mit dem folgenden kurzen Satz überfallen: Die winzigen Finkenfälkchen sind gesellige Räuber. 146 Wer unvorbereitet damit konfrontiert wird, erfährt vier verschiedene Informationen aufs Mal: » Es gibt Finkenfälkchen (wohl eine Vogelart). » Sie sind winzig. » Sie sind Raubvögel. » Sie sind gesellig. Diese verschiedenen Informationen zielen alle auf verschiedene Themen - von der zoologischen Einordnung der Tiere über ihr Aussehen und ihre Ernährungsweise bis zum Verhalten. So aus heiterem Himmel sind das ziemlich viele Informationen aufs Mal. Gesetzt den Fall, dass man noch nie von Finkenfälkchen gehört hat (Vögel, die tatsächlich zu der Familie der Falkenartigen gehören, aber nur 14 bis 17 cm lang werden), verdiente schon der Begriff allein einen eigenen Satz. In der Alltagssprache würde das etwa so klingen: Hast du schon mal von Finkenfälkchen gehört? - Damit würde das Thema eingeführt. Auf eine Pause und einem Schulterzucken des Angesprochenen würde eine nächste Information folgen, die sich daran anschließen lässt. Es ergäbe sich eine Folge mehrerer Sätze, und bei jedem einzelnen wäre zu überlegen, wie der Übergang gestaltet werden soll, damit der Zusammenhang nicht aus dem Blick gerät. Wir nennen das Portionieren. Das Portionieren von Gedankengängen hat den Vorzug, dass für jede neue Information ein eigener Satz entsteht und die Sätze in einer sinnvollen Reihenfolge angeordnet werden können. Hinzu kommt die Möglichkeit, dem Gedankengang ein passendes logisches Gewand zu verleihen durch Ausdrücke wie: jetzt, danach, diese ... 147 Zu einer portionierten Redeweise gehört daher auch eine sorgfältige Verknüpfung. Wem dieser Stil zu simpel ist, der kann ihn zumindest in der Vorbereitung einer Rede nutzen. Niemandem ist es benommen, später die so entstandenen Sätze zu längeren zu kombinieren oder, je nach Publikum, einzelne wieder wegzulassen. Aber als Instrument der Klärung bewährt sich das Portionieren - <?page no="154"?> 154 10 Wege zu einem verständlichen Stil übrigens auch immer dann, wenn man unter Druck ist - zum Beispiel beim Beantworten einer kniffligen Frage. Es entstehen mehr Möglichkeiten, Pausen zu setzen, und der Kopf ist bei der Planung der Sätze weniger durch Speicheraufgaben belastet. ☉ Hauptaspekte des Portionierens » aus langen Sätze kurze machen » aus Komprimierungen (Substantivierungen, Partizipien) eigene Sätze machen » Sätze sinnvoll anordnen » Sätze mit verbindenden Ausdrücken verknüpfen Portionieren schafft aktive Sätze Die redundantere Sprache, die einfachere Formulierung gibt Zuhörerinnen und Zuhörern die bessere Chance zur Anschlusskommunikation. Das ist die Grundlage verständlicher gesprochener Texte. Sie bestehen aus kurzen Sätzen, die in einer logischen Reihenfolge angeordnet sind. Auf unnötige Nebeninformationen wird verzichtet, oder sie werden in einen eigenen Satz gepackt. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) möchte, dass Olympische Spiele in Deutschland durchgeführt werden. In München haben ihm die Bürger schon eine Absage für die Winterspiele erteilt. 148 Es bleiben aber noch die Sommerspiele, die in Hamburg oder Berlin ausgetragen werden könnten. In beiden Städten haben sich in einer Meinungsumfrage 80 Prozent der Bevölkerung positiv geäußert. In einem Gespräch mit der Bild am Sonntag sagt der DOSB-Präsident jetzt zuversichtlich: „Die grundsätzliche Zustimmung von nahezu 80 Prozent in Berlin und Hamburg muss nun zu einer mehrheitlichen Zustimmung auch zum konkreten Bewerbungskonzept der gewählten Stadt werden.“ 149 Wer diesen Satz nur einmal hört, ist vielleicht beeindruckt vom Wortschwall. Ob er ihn sogleich versteht, ist nicht so leicht zu sagen. Auf den Hauptsatz verkürzt, heißt es: Die Zustimmung zu X muss zur Zustimmung zu Y werden. In eine andere Welt transponiert - etwa in die Welt der Wohngemeinschaft, die sich unterhält, wie man den Abend verbringen soll -, wäre etwa dies ein analoger Satz: „Die grundsätzliche Zustimmung zum gemeinsamen Abendessen muss nun zu einer mehrheitlichen Zustimmung auch zu Fondue werden.“ <?page no="155"?> Portionieren schafft aktive Sätze 155 Nur kommt da niemandem in den Sinn, so zu reden. Man würde vielleicht sagen: „Wir sind dafür, dass wir gemeinsam zu Abend essen. Jetzt wäre es schön, wenn wir uns auf das vorgeschlagene Essen, nämlich Fondue, einigen könnten.“ Worin unterscheidet sich dieser Stil von dem des Obersportlers? Darin, dass Menschen, die etwas tun, auch als aktiv handelnde dargestellt werden. Dafür braucht es ein Verb (zustimmen). Hier wurde aber daraus ein abstraktes Substantiv gebildet: Zustimmung. In einem einfachen Deutsch hätte der DOSB- Präsident also auch sagen können. Nahezu 80 Prozent der Berliner und Hamburger haben grundsätzlich zugestimmt. 150 Wenn dies gesagt ist, lässt sich eine Pause machen und ein neuer Satz anfangen. Etwa so: Jetzt müssen sie auch dem konkreten Bewerbungskonzept zustimmen. Das Ganze bestünde also in zwei einfachen Sätzen. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass die eher merkwürdige Formulierung umgangen würde, die den Kern des Ausgangssatzes bildet. Es wird deutlich, dass sich der Unterschied zwischen grundsätzlich zustimmen und mehrheitlich zustimmen nicht auf Anhieb erschließt. Und was ist mit der gewählten Stadt? Das kurze Wort gewählt weist auf einen weiteren Prozess hin, der aber damit nur oberflächlich angesprochen wird. Jemand hat die Städte ausgewählt. Aber durch das unauffällige Partizip gewählt braucht das nicht mehr deutlich gesagt zu werden. Es enthält komprimiert eine ganze Information, für die es wieder einen eigenen Satz bräuchte. In alle relevanten Informationen aufgeschlüsselt, wäre eigentlich Folgendes zu sagen gewesen: In einer Meinungsumfrage wurden je 1500 Berliner und Hamburger gefragt, ob sie grundsätzlich dafür sind, dass die Olympischen Spiele in Deutschland stattfinden. In beiden Städten waren ca. 80 Prozent dafür. Auf die Frage, ob sie die Spiele in ihrer Stadt haben möchten, sagten deutlich weniger Befragte „ja“ (55 Prozent in Berlin, 64 Prozent in Hamburg). Jetzt sollen sich die beiden Städte mit konkreten Konzepten bewerben. Danach wird der DOSB eine Stadt auswählen. In dieser Stadt werden dann die Bürger befragt. Ich hoffe, dass diese dann auch zustimmen. 151 <?page no="156"?> 156 10 Wege zu einem verständlichen Stil Gehen wir einmal davon aus, dass der Sprecher dies alles auch sagen wollte (und sich nicht gezielt unklar ausgedrückt hat), dann hätte dieses Verfahren nahegelegen: Komplizierte Aussagen werden portioniert und die Portionen werden als aktive Sätze formuliert. Keine Angst vor Redundanz Wir haben gesehen, dass Redundanz - also die Wiederholung von Aussagen zur Verringerung der Informationsdichte - ein wichtiges Prinzip ist, das das alltägliche Gespräch vereinfacht. Trotz der höheren Zahl an Ausdrücken mit gleicher Bedeutung, trotz vermeintlich überflüssiger Inhalte macht sie die Rede verständlicher und oft auch attraktiver. Zusätzlich hat die redundante Formulierungsweise in der freien Rede auch einen Effekt für den Sprecher selbst. Gezielt eingesetzt hilft sie bei der Planung. Indem man in jeden neuen Satz nur eine weitere Information einbaut, wiederholt man viele Wörter aus dem vorangegangenen Satz. Dies entlastet den Kopf von der Erinnerungsarbeit und macht ihn frei für die Planung des weiteren Gedankengangs. Wie dies in der Praxis funktioniert, lässt sich an einem Vortrag des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen zeigen. Der beginnt so: „Ich möchte heute über den Wandel medialer Kultur sprechen, in den zehn Minuten hier am Anfang, und ich möchte Ihnen zunächst eine kleine Schlüsselgeschichte nennen, eine Schlüsselgeschichte, die mir selbst den radikalen Wandel medialer Kultur im Jahre 2010 eklatant vor Augen geführt hat.“ „Im Jahre 2010, im Sommer 2010, um genauer zu sein, um noch genauer zu sein: am 1. Juni 2010 stand, eine Ewigkeit ist ’ s her, Horst Köhler vor der Presse im Schloss Bellevue, schimpfte in einer kurzen Erklärung auf die Medien und trat überraschend zurück. Vorausgegangen war dem ein Interview, ein Interview im Deutschlandradio, das er in einem Flug in der Nacht, von Afghanistan kommend, einem Reporter gegeben hatte, einem Interview, in dem er einen merkwürdigen, seltsam klingenden Satz gesagt hat, den ich Ihnen einmal vorlesen möchte ...“ 152 Als Lektüre ist dieser Text eine Abfolge von Wiederholungen. Als frei gesprochener Anfang eines Vortrags eignet er sich dagegen problemlos, und die Reaktion des Publikums lässt keine Ungeduld erkennen. Dies, obwohl einzelne Informationen ungewöhnlich ausgewalzt werden. Schon in den einleitenden zwei Sätzen kommen die zentralen Worte Wandel medialer Kultur und Schlüsselgeschichte zwei Mal vor. Die dazu gehörende Zeitbestimmung wird sogar fünf Mal ausgedrückt. Damit ist eine Redundanz erreicht, die ihresgleichen sucht. Aber es fällt nicht auf - zum einen, weil die Rede frei gehalten wird, mit Blick ins Publikum, zum <?page no="157"?> Wo sind wir eigentlich gerade? - Transparenz schafft Orientierung 157 anderen, weil eine Spannung erzeugt wird: Der Redner hat etwas versprochen, er wird eine Geschichte erzählen. Dazu gehört eine gewisse Verzögerung. Für den Redner selbst hat es einen weiteren, entscheidenden Vorteil: Er kann beim Formulieren seine Gedanken sammeln. Vielleicht hat ihn kurz vor seinem Auftritt etwas abgelenkt, vielleicht muss er aus anderen Gründen die Planung nochmals justieren. Das geht, wenn man eine Passage so redundant formuliert. Und weil nicht der gesamte Vortrag in diesem Stil gehalten ist, wird dies auch nicht als schwerfällig empfunden. ☉ Redundanz über mehrere Sätze hinweg ergibt sich durch » Wiederholung » Wiederholung in anderen Worten » Illustration auf konkreterer Ebene » Zusammenfassung » Weglassen unnötiger Nebeninformationen Wo sind wir eigentlich gerade? - Transparenz schafft Orientierung Während mit Verständlichkeit die Gestaltung der inhaltlichen Botschaften gemeint ist, geht es beim Stilprinzip der Transparenz um die metakommunikative Klarheit: » Wie ordnet sich die Aussage, die ich jetzt mache, in die gesamte Rede ein? » Wie verdeutliche ich die Gliederung der Rede? » Wie verhält sich die gesamte Rede zum Vorwissen der Zuhörer oder zu anderen Vorträgen, die sie hören werden? 153 Transparenz ist eines der wichtigsten Hilfsmittel für dialogisches Vorgehen. Sie entsteht nur aus der Aufmerksamkeit für das Publikum. Das Ziel ist, dass die Zuhörer jederzeit sagen können, wo im Verlauf des Vortrags man sich gerade befindet. Sie sollten zudem die Funktion einzelner Abschnitte nicht aus den Augen verlieren. Und sie sollten das, was sie hier hören und erleben in einen größeren Zusammenhang stellen können. Wie viele Aspekte Transparenz haben kann, demonstriert der Historiker Daniele Ganser, für die einen ein großer Analytiker zeitgeschichtlicher Vorgänge, für andere ein intelligenter Verschwörungstheoretiker. Mit seinen Vorträgen füllt er große Säle führt und sein Publikum problemlos durch komplexe Themen. Er beleuchtet die Hintergründe aktueller Konflikte, indem er Informatio- <?page no="158"?> 158 10 Wege zu einem verständlichen Stil nen und Meinungen präsentiert, die in den etablierten Medien eher selten zitiert werden. Sein Vortrag befasst sich mit der politischen Struktur der USA. 154 Er beginnt mit einem Überblick. Er erläutert, dass sein zum allgemeinen Thema: „Imperium USA“ gehört und zwei Teile haben wird. Der erste heißt: „Wie erkennt man ein Imperium? “, der zweite: „Die USA sind eine Oligarchie.“ Damit kennt das Publikum die Hauptstruktur. Weil sie diesen einfachen Überblick haben (der auch auf der Leinwand visualisiert wird), ist es später möglich, darauf zurückzukommen, also innezuhalten und zu zeigen, wie weit man bisher gekommen ist. Nach 35 Minuten tut Ganser genau dies. Er bringt einen Rückblick auf den ersten Teil: „Da haben Sie vielleicht bis jetzt begriffen: Was ist ein Imperium? Also Sie zählen die Militärstützpunkte, Sie zählen die Flugzeugträger und Sie schauen sich auch die imperiale Kritik im Landesinneren an. Das wäre sozusagen der erste Teil von meinem Vortrag.“ Und damit ist er bei der Ankündigung des nächsten Teils: „Der zweite Teil ist jetzt eben Oligarchie. Oligoi bedeutet wenige. Demokratie wäre eine Herrschaftsform, wo das Volk die Macht hat. Und man sagt ja immer: Die USA sind eine Demokratie. Ich glaube, das ist nicht mehr zutreffend, sie sind zu einer Oligarchie geworden, nämlich einem Staat, wo ganz wenige so großen Einfluss haben, dass die Mittel- und die Unterschicht fast keinen Einfluss mehr hat.“ Transparenz bedeutet nicht nur Orientierungshilfe bezüglich der Struktur des Vortrags, sondern auch Einordnung dessen, was vermittelt wird. Hier, wo dezidierte politische Meinungen geäußert werden, gehört dazu auch das Relativieren der eigenen Position: „Das ist jetzt eine These - da werde ich natürlich wieder angegriffen dafür, denn da heißt ’ s im nächsten Interview: Sie haben gesagt: Die USA sind eine Oligarchie, ist das nicht eine Verschwörungstheorie etc.? - Nein, ist es nicht! Für mich ist es reale Analyse der Machtverhältnisse. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass andere Historiker das anders sehen. Es gibt viele Historiker, die weiterhin die USA als Demokratie einschätzen, ich nicht mehr, ich schätze sie als Oligarchie ein.“ 155 So polemisch dies klingt - es hilft, zusammen mit dem Offenlegen der Quellen, den Stellenwert der Rede als Gesamtes einzuschätzen. Hinzu kommt aber auch organisatorische Transparenz: Klarheit über die Kommunikationssituation, in der man sich gerade befindet, und über die Interessen, die hinter der Rede stehen. Für wen spricht der Redner? Welchen Organisationen ist er verpflichtet? Zu Beginn pflegt Ganser zu sagen: <?page no="159"?> Wo sind wir eigentlich gerade? - Transparenz schafft Orientierung 159 „Mein Name ist Daniele Ganser, ich komme aus Basel in der Schweiz, ich bin 44 Jahre alt, von Hause aus bin ich Historiker und ich interessiere mich vor allem für die internationale Zeitgeschichte seit 1945, also für die letzten 70 Jahre.“ Wichtiger ist allerdings zu erfahren, in wessen Interesse der Redner spricht. Daniele Ganser positioniert sich mit seinen Interessen klar in einem erkennbaren politischen Kontext: „Da möcht ’ ich wirklich mal einfach äh Ihnen danken für Ihr Interesse, dass Sie kommen, ich bin ja nur ein kleiner Schweizer Historiker, und ich freu ’ mich, ich freu ’ mich sehr. Warum freue ich mich so sehr? Weil ich äh äh die Friedensbewegung bestärken möchte. Ja? Leute, die gegen Angriffskriege sind, Leute, die gegen - Kriegspropaganda sind ...“ Auf den Folien, die Ganser zeigt, wird mehrmals das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) genannt und damit deutlich gemacht, dass er als Vertreter dieser Institution spricht. Näheres wird darüber nicht gesagt. Dass er einer der Gründer des Instituts ist, das unter anderem dafür da ist, seine Vorträge zu vermarkten, haben die Zuhörer womöglich mitbekommen. Dennoch trüge eine Information über seine Aktivitäten - ja auch darüber, warum das Institut die bei einem demokratisch orientierten Redner überraschende Rechtsform der Aktiengesellschaft hat - zur Steigerung der Transparenz bei. Zur Transparenz gehört auch, dass ein Ziel seines Auftritts Werbung für sein Buch ist: „Und - ich hab ’ ein neues Buch geschrieben, es wurde schon gesagt, es heißt: Illegale Kriege, es ist im äh letzten Monat erschienen. Ich hab ’ verschiedene Stationen, die ich mit dem Buch so mache, ich bin so wie eine, eine Musikband, die eine neue CD hat, und die geht dann durchs Land, spielt da einen Song und hier einen Song und stellt die neue CD vor, und bei mir ist es jetzt eben ein Buch.“ Transparenz ist eine der wichtigsten formalen Forderungen an die öffentliche Kommunikation. In Online-Auftritten ist sie eine besonders wichtige Grundlage für das Verständnis: Wer profitiert von meinen Klicks? Wer unterstützt die Darbietung durch Geschenke, Product-Placement, Werbung? Es ist durchaus sinnvoll, dies häufig zu thematisieren - wenn einem daran gelegen ist, die Themenauswahl, die Dauer der Präsentation, die Kommentare usw. durchschaubar zu machen. Dialog ist nur dann möglich, wenn auch die Arbeitsweise und die inhaltliche Position des Redners nachvollziehbar werden. ☉ Aspekte der Transparenz » Wie ist der Vortrag entstanden? » Wie sieht der Redner sein Zielpublikum? <?page no="160"?> 160 10 Wege zu einem verständlichen Stil » In welchem Zusammenhang steht er zu anderen Informationsquellen? » Welche Interessen vertritt der Redner, welche Ziele verfolgt er? » Wie ist der Vortrag gegliedert? » An welcher Stelle des Vortrags befinden wir uns (Verweis auf die Gliederung, Zusammenfassungen, Ankündigungen)? Freies Formulieren macht den Dialog leichter Die beste Voraussetzung, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen und zu bleiben, ist die freie Rede: Die Sätze entstehen während des Vortrags und werden nicht auswendig wiedergegeben oder vom Manuskript gelesen. Wer aber für jeden neuen Gedanken ad hoc die richtigen Sätze bilden muss, ist gezwungen, mitzudenken, auch wenn er alles schon oft gesagt hat. Dies ist der Grund dafür, dass frei formulierte Rede generell attraktiver klingt als abgelesener Text. Man formuliert den Gedanken, den man vermitteln will, Schritt für Schritt und produziert dabei Pausen, Verzögerungen und Beschleunigungen, die dem Denkprozess entsprechen und die den Zuhörer zum Mitdenken einladen. Viel schwerer ist - für schauspielerische Laien - das Mitdenken beim Ablesen oder Auswendig-Hersagen eines memorierten Textes. Es wird zum reinen Reproduzieren von Text statt eines Vermittelns von Inhalten. Dennoch ist die Grundlage für das freie Formulieren in jedem Fall eine gute Vorbereitung. Sie führt immer dazu, dass der Redner mehr weiß , als er sagen wird. Die frei formulierten Informationen stellen eine Auswahl aus einer größeren Menge von Informationen da. Das bietet dem Redner Sicherheit und macht das Improvisieren, das Abweichen vom Vorgesehenen und die Reaktion auf Beiträge aus dem Publikum leichter. ☉ Grundlagen für das freie Formulieren » Ich weiß mehr, als ich sagen werde. » Ich habe den Inhalt schon einmal durchgesprochen. » Ich habe mir Unterlagen hergestellt und probeweise sichergestellt, dass sie funktionieren. » Ich weiß, dass mir das Publikum bei einem Hänger weiterhelfen wird <?page no="161"?> Freies Formulieren macht den Dialog leichter 161 Keine Angst vor Fehlleistungen Es ist völlig normal, dass man beim freien Formulieren weniger perfekt spricht, als einem lieb wäre: falsche Fälle, abgebrochene Sätze, längere Planungspausen, Wortfindungsprobleme usw. Das wird aber dadurch aufgewogen, dass freies Formulieren eine dialogischere Haltung ermöglicht: Man signalisiert, dass man für Unterbrechungen, Ergänzungen und Nachfragen offen ist. Allerdings muss man zu dieser Offenheit auch stehen. Dann lassen sich aus Fehlleistungen gemeinsam fruchtbarere Gedanken entwickeln. Dies gilt auch für unüberlegte Aussagen, die man später gerne zurücknähme. Wenn man mit einem aktiven Publikum rechnet, dann kann auch eine missverständliche oder übertriebene Äußerung relativiert werden. Voraussetzung ist eine dialogische Einstellung, die es erlaubt, die Reaktionen auf die Äußerung wahrzunehmen. Ein württembergischer Oberbürgermeister sagte in einem Online-Interview über die Maßnahmen für Risikogruppen in der Corona-Bekämpfung: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären - aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ 156 Die Aussage ging - aus dem Kontext gerissen 157 - durch alle Nachrichtenmedien und wirkte auch so, wie es einleitend formuliert war: brutal. Später konnte man vom Autor dieser Worte Folgendes hören: „Dieser eine Satz, den ich live, also nicht kontrolliert, gesagt hab’, der wurde in sein Gegenteil verkehrt.“ 158 - Diese Beurteilung freier Rede im Interview offenbart eine monologische Einstellung. Wer „live“ gleichsetzt mit „nicht kontrolliert“, rechnet nicht mit jemandem, der zuhören und nachfragen könnte. Die Gedächtnisstütze als Absicherung Freie Rede besteht aus zwei Dingen: Vorausdenken und Formulieren. Dies muss irgendwie koordiniert werden. Für das Vorausplanen braucht man Zeit, die idealerweise zwischen den Sätzen und nicht mittendrin liegen. In einer solchen Pause erfasst man den nächsten Gedanken und vermittelt ihn konzentriert. Die Rede profitiert melodisch und rhythmisch von dieser Koordination von Denken und Sprechen („Sprechdenken“ 159 ). Wenn man eine Gedächtnisstütze mit Stichworten vor sich hat, geht dies gut. Man blickt auf den Zettel, erfasst das nächste Stichwort, hebt den Kopf und äußert den dazugehörigen Gedanken. Jede gut vorbereitete Unterlage hilft, den Kopf vom Gedankenablauf zu entlasten, so dass er frei ist für die spontane Formulierung der einzelnen Sätze. Die beste Gedächtnisstütze für freies Sprechen ist eine Serie von Kärtchen, auf denen wenige, groß geschriebene Stichwörter übersichtlich angeordnet sind. Ihre graphische Anordnung unterstreicht die Gliederung des betreffenden Abschnitts. Wichtige Formulierungen (Definitionen, Zahlen, Zusammenfassungen) sind ausgeschrieben und können abgelesen werden 160 . <?page no="162"?> 162 10 Wege zu einem verständlichen Stil 17 | Beispiel für eine Gedächtnisstütze (Begrüßung in einem Rhetorikseminar) Dem Satz ein klares Ende geben Freies Formulieren fällt leichter, wenn man sich Pausen erlaubt. Es geht stressfreier, wenn diese gewollt sind und nicht wie Verlegenheitspausen klingen. Man kann sich dann beruhigt eine, zwei Sekunden des Nachdenkens erlauben. Dies gelingt immer, wenn man die Satzmelodie nach unten führt und damit signalisiert, dass ein Gedankengang seinen Abschluss gefunden hat. Sprecher und Zuhörer sind dadurch entlastet. (Vgl. dazu auch Kapitel 9.) Der Moderatorentrick: Zeitgewinn durch Wiederholung Wer frei formuliert, muss Zeit haben, um den jeweils nächsten Schritt zu planen. Die Arbeit mit der Gedächtnisstütze zeigt, dass kleine Pausen zwischen den Abschnitten dazu ausreichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, während des Redens zu planen. Während man die erste Hälfte des Satzes formuliert, plant man die zweite. Das mag merkwürdig klingen, funktioniert aber dann, wenn für den ersten Teil wenig Energie aufgewendet werden muss. Wenig Energie bedeutet, dass man nicht darüber nachdenken muss. Darüber nachdenken müsste man, wenn sofort mit etwas Neuem eingestiegen würde. Statt etwas Neues zu sagen, steigt man aber mit einer Wiederholung ein. Die Wiederholung ist es, die einem Zeit verschafft. Sie verschafft Zeit, um die zweite Satzhälfte zu planen. Dies hat der Abschnitt demonstriert, den Sie gerade gelesen haben. Ab „Wenig Energie ...“ begann jeder Satz mit einer Wiederaufnahme. In einem geschriebenen Text ist eine solche Passage nur bedingt tolerierbar. Aber in der frei gesprochenen Sprache fällt den Zuhörern kaum etwas auf, außer dass sie sehr gut zu folgen vermögen. <?page no="163"?> Freies Formulieren macht den Dialog leichter 163 Diese Art zu sprechen, kennen wir von TV-Unterhaltungsshows. Moderatorinnen und Moderatoren reduzieren da die Informationsdichte, um eine fließende Anmoderation zu produzieren - und keiner merkt ’ s: „Guten Abend und willkommen in Frankfurt! Frankfurt ist heute eine glückliche Stadt. Sie ist glücklich wegen ihres Siegs über Bochum. Dieser Sieg ist der erste seit 2015. Damals, 2015, schien Frankfurt nichts mehr zu schaffen. Geschafft haben sie jetzt ein glattes 3: 0 ...“ Es sei niemandem empfohlen, stundenlang so zu reden. Aber in Stress-Situationen - auch wenn eine technische Störung einen Teil der Aufmerksamkeit absorbiert - hilft diese Technik, den Faden nicht zu verlieren. <?page no="165"?> 11 Sag’s attraktiver! Gute Formulierungen sind nie nur um der Schönheit willen da. Sie erfüllen immer einen Zweck im Dienst der Information. Der Physiker Harald Lesch demonstriert dies in seinen Vorträgen, in denen er komplexe Themen auf einen einfachen Nenner bringt. Zum Beispiel macht er das Wunder des menschlichen Denkvermögens plausibel, indem er für das Gehirn eine besonders drastische Umschreibung findet: „In der Philosophie des Geistes geht es genau darum: Wo ist die Schnittstelle - zwischen unserem Bewusstsein und der Materie? Wir wissen natürlich inzwischen ’ ne ganze Menge über die Materie, aber wieso denkt dann ein Klumpen aus Fett und Wasser solche merkwürdigen Gedanken? “ 161 „Das ist unser Gehirn“, fügt er noch erklärend hinzu. Aber die Formulierung bleibt haften, und die Diskrepanz zwischen Materie und Geist ist eindrücklich erfasst. Das Beispiel zeigt: Redeschmuck ist kein Selbstzweck. Er muss sich den anderen Zielen - Verständlichkeit, Transparenz, Dialog - unterordnen. Dann kann er die gewünschte Wirkung entfalten, ohne reines Blendwerk zu sein. Schon im Altertum war das Ziel nicht, die Worte nach einem isolierten ästhetischen Prinzip zu wählen; es sollte zum Publikum, zum Thema und zur Situation passen. Nur das macht seine Hauptaufgabe, das Zuhören angenehmer zu machen, vertretbar. Attraktivität und ihre Funktionen Ein attraktiver Stil erfüllt viele Zwecke: » Kernaussagen („Take-Home-Messages“) zeigen durch die besondere Formulierung ihren Stellenwert. » Eine attraktiv formulierte Einleitung lädt zum Zuhören ein. » Attraktive Stellen in der Mitte der Rede verhindern, dass das Publikum den Faden verliert. » Die Behaltensleistung des Publikums wird unterstützt, wenn Aussagen „eingängig“ formuliert sind. » Ein attraktiver Stil ist ein persönlicher Stil; er stärkt die Beziehung zum Publikum. » Meinungen, wirken überzeugender, wenn sie attraktiv präsentiert werden. <?page no="166"?> 166 11 Sag’s attraktiver! Natürlich kann der Stil auch über problematische Teile einer Rede hinwegtäuschen. Es ist durchaus möglich, einem guten Stilisten, der eine zweifelhafte Sache vertritt, auf den Leim zu gehen. Deshalb ist es notwendig, zwischen dem Verfahren und dem Zweck, dem es dient, zu unterscheiden. Zum Beispiel kann der Übername, den man einem politischen Gegner gibt, von einem Mangel an substanziellen Argumenten ablenken, die man gegen ihn anführen könnte. In den Vorwahlen der amerikanischen Republikaner 2016 verwendete Donald Trump für seinen Rivalen Jeb Bush den Ausdruck Low-Energy Jeb (offenbar um einen Mangel an Charisma zu bezeichnen). Das blieb haften. Das Verfahren tat seine Wirkung; dass diese Diffamierung auf keine politisch relevante Eigenschaft verwies, trat in den Hintergrund. Attraktive Formulierungen erleichtern das Zuhören und wecken Lust, weiter zuzuhören, weil sie zum Beispiel » eine Aussage mit einer sinnlichen Vorstellung untermalen, z.B. mit einer bildhaften Aussage oder einem Vergleich, » die Worte auf eine ansprechende Weise anordnen, zum Beispiel durch eine Reihung in Dreizahl oder eine besondere Form der Wiederholung, » die Musikalität der Sprache nutzen, sei es durch Rhythmus, Reim oder Alliteration. Die Suche nach effektvollen Formulierungen ist aber nur vertretbar, wenn sie sich allen anderen Zielen der Rede unterordnet: der Information, dem Austausch von Argumenten und insgesamt der Erkenntnis, dass jede Rede nur ein Glied in der Kette eines Diskurses ist. Sie ist erfolgreich, wenn es möglich ist, auf ihren Inhalt zu reagieren, nicht auf ihre einzelnen Glanzlichter oder ihren Eventcharakter. ☉ Verfahren eines attraktiven Stils » Erzählen: Mit einer Geschichte - oder einem kurzen Ausschnitt daraus - eine Sache lebendiger machen. » Bild oder Vergleich: Ein konkretes Bild oder Geschehen, das auf Grund seiner Ähnlichkeit das gemeinte Ding oder Ereignis erklärt. » Wechsel von der abstrakten auf die konkrete Ebene (oder umgekehrt). » Perspektive wählen: Schilderung des Sachverhalts aus dem Blickwinkel der Betroffenen (statt der Experten), der Handelnden (statt der Beobachter), der Tiere (statt der Zooverwaltung) usw. » Menschen handeln lassen: Aktive Sätze statt Passivkonstruktionen, Verben statt Substantivierungen oder Partizipien. » Strukturen aufbrechen: Gleichförmigkeit durch Abwechslung ersetzen. Beispiel: die Elemente einer Aufzählung unterschiedlich lang gestalten. <?page no="167"?> Erzählen intensiviert den Kontakt 167 » Einfach statt kompliziert: von der Denkweise des Publikums ausgehen, die Anzahl von Details verringern, die Reihenfolge von Aussagen linear gestalten usw. » Positiv statt (doppelt) negativ: Verzicht auf Aussagen wie: „Das ist keine unerhebliche Vernachlässigung.“ - „Ich will heute einmal nicht damit beginnen, dass ...“ Erzählen intensiviert den Kontakt Mit dem Schlagwort Storytelling nimmt heute das Erzählen eine wichtige Rolle ein, wenn es darum geht, einen Menschen, ein Unternehmen oder ein Produkt zu vermarkten. 162 „Eine Geschichte zu haben“, gilt unterdessen als wichtigste Voraussetzung, um als Start-up, als Nachwuchspolitikerin oder als Künstler erfolgreich zu sein. Auch im Rahmen einer Rede kann eine Geschichte einen Sachverhalt nachvollziehbar, glaubwürdig, emotional überzeugend darstellen. Erzählen ist ein wichtiges „Prinzip der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Sinnfindung“. 163 Eine Erzählung kann damit ähnliche Funktionen erfüllen wie ein rhetorisches Argument. Sie kann einen Sachverhalt plausibel machen, wenn auch nicht beweisen. Wenn eine Referentin, statt allgemeine Daten zur Ersten Hilfe herunterzubeten, eine Geschichte aus ihrer Erfahrung als Notärztin erzählt, kommt sie ihrem Publikum näher. Auf dieser Ebene kein Ausweichen möglich. Natürlich braucht es später objektivere Informationen. Aber die Erzählung kann Türen und Herzen öffnen. Wer erzählt, verändert seine Position im Hinblick auf die Zuhörer. ☉ Vorteile des Erzählens Wer erzählt, mindert die Informationsdichte, nähert sich gesprochener Sprache an, wird konkret und verbindlich. Die Kombination der allgemeinen Informationen mit relevanter Erzählung bringt Redner und Publikum näher zusammen. Erzählen ist immer auch ein Rollenspiel. Wer gut erzählt, erinnert sein Publikum an die Erfahrungen mit Märchenerzählern, Großmüttern, Propheten usw., also von klassischen Figuren, die alle schon aus ihrer Kindheit kennen. Allen ist klar: Was jetzt kommt, orientiert sich an einer vertrauten Struktur mit Helden, Erlebnissen, Problemen und Lösungen. Diese Rolle der Erzählerin oder des Erzählers betont zunächst das Gefälle zwischen Redner und Publikum. <?page no="168"?> 168 11 Sag’s attraktiver! Dass dieses, wie die Redensart sagt, an seinen Lippen hängt, deutet dies eindrücklich an. Dennoch ist die Erzählung eine Möglichkeit, den Dialog zu initiieren. Das Erzählen schafft Nähe. Und wenn nach der Erzählung dem Publikum eine Gelegenheit zur Reaktion gegeben wird, wird diese meistens bereitwillig wahrgenommen. Die Erzählung ermöglicht es, sich auf der konkreten Ebene des Ereignisses und der eigenen Erfahrungen zu beteiligen. 18 | Wenn eine Geschichte erzählt wird, kommen sich alle näher. 164 Die dialogischen Wurzeln des Erzählens Geschichten zu erzählen, ist eine traditionelle Methode der Unterhaltung: Am Abend setzt man sich ans Lagerfeuer und vertreibt sich die Zeit mit alten und neuen Geschichten. Es ist auch ein Element der Erkenntnis und der Überzeugung: Individuelle Erfahrungen werden in eine kollektive Wahrheit umgemünzt 165 und in Zirkulation gebracht. Erzählen ist auch eine alte Form, um das Erinnern zu ermöglichen. Aus komplexen Informationen werden Geschichten entwickelt, die sich besser behalten lassen. Deshalb benötigt es immer eine Erzählerin oder einen Erzähler als präsente Figur im Zentrum. Dialogisch wird die Erzählung durch die Beteiligung dieses Ich: » So bin ich auf das Thema gestoßen. » Deshalb bin ich der Sache nachgegangen. » Diese Schwierigkeiten hatte ich. » Das habe ich herausgefunden! Damit bildet oft die eigene Geschichte den roten Faden, auch wenn das Ziel nicht darin besteht, mit einer Story zu unterhalten, sondern darin, deren <?page no="169"?> Erzählen intensiviert den Kontakt 169 Resultat festzuhalten. Die Interaktion mit dem Publikum - nonverbal oder verbal - muss dabei bewusst gesucht werden, aus der Erkenntnis heraus, dass auch die Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Erfahrungen als Erzähler haben. Sie können als Menschen mit ihren eigenen Geschichten angesprochen werden und als Zuhörer, die es nachher weitererzählen können. Elemente einer Erzählung Eine Erzählung enthält eine erzählenswerte Entwicklung. Sie dreht sich um Menschen und ist, wenn in einer Rede eingebaut ist, auf eine bedeutsame Botschaft konzentriert. Sie enthält: » die handelnden Personen » konkrete Ereignisse » eine Entwicklung vom Zustand A zum Zustand B Als Beispiel hier eine alte Anekdote, die vom Maler Wilhelm Leibl erzählt wurde: Als Leibl die Drei Frauen in der Kirche malte und den Kopf der jungen Bäuerin fertig hatte, fragte er Johann Sperl, auf dessen Urteil er besonders viel gab: „Wie ist er? “ - „Er ist nicht schlecht, könnte aber besser sein.“ Am nächsten Tag kratzte Leibl den Kopf ab und malte ihn noch einmal. Abends kommt Sperl und zögert mit der Kritik. „Nun“, sagt Leibl, „sprich! “ - „Gestern war er besser.“ - „Weshalb hast du mir das nicht gestern gesagt? “ brauste Leibl auf und schüttelte Sperl am Kragen. 166 Dieser Text über den Maler Wilhelm Leibl erfüllt in einer Kurzform alle Bedingungen für eine Geschichte. Und sie endet mit einer überraschenden Pointe, die sie erzählenswert macht. Einer Geschichte, die sich für eine Rede eignet, liegt immer ein recherchiertes, reales Ereignis zu Grunde (im Gegensatz zum allgemeinen Typ Geschichte, etwa: was einem Durchschnittsbürger so alles passieren kann). Solche Pseudogeschichten beginnen zum Beispiel mit den Worten: „Wer kennt nicht ...“ » Wer kennt nicht die Situation, am Samstag im Stau zu stehen? » Wer kennt nicht die Geschichte von Robin Hood? » Wer kennt das nicht: Ein Freund ruft an, an den man eben gedacht hat? Solche typisierten Beispiele enthalten nichts, was die Aufmerksamkeit erregt. Es ist viel glaubhafter und wirkungsvoller, wenn man einen realen Fall hat, der sich durch einige Details von allen anderen Fällen unterscheidet: » Letzten Samstag, an der Abzweigung zu Lidl ... <?page no="170"?> 170 11 Sag’s attraktiver! » Als Robin Hood eines Morgens in den Bumerang-Laden trat ... » Ich dachte gestern an einen Freund, der ... Solche Geschichten sind nicht immer selbst erlebt, aber immer eigens recherchiert. Im Juni 1984 sprach US-Präsident Ronald Reagan an der Küste der Normandie zu den Veteranen der Invasion, Überlebenden der Ranger-Bataillone, die mit ihrem Ansturm vierzig Jahre zuvor das Ende des Zweiten Weltkriegs eingeleitet hatten. Er hätte in allgemeinen strategischen Begriffen reden oder die altbekannte Geschichte kurz zusammenfassen können, um dann die aktuelle politische Botschaft daran anzuhängen (und das war sein Ziel: den damaligen Kampf gegen den Faschismus mit dem aktuellen Kampf gegen das aktuelle Feindbild Sowjetunion zu verbinden). Das hätte niemanden aufgerüttelt. Stattdessen ging er näher heran und schilderte die mühseligen und für viele tödlichen Anstrengungen der Rangers: „Die Rangers sahen nach oben und sahen die feindlichen Soldaten, die von der Felskante mit Maschinengewehren schossen und Granaten warfen. Und die amerikanischen Rangers begannen zu klettern. Sie schleuderten Strickleitern an den Felsen hoch und fingen an, sich daran emporzuziehen. Wenn ein Ranger fiel, nahm ein anderer seinen Platz ein. Wenn ein Seil durchschnitten wurde, griff ein Ranger nach einem anderen Seil und kletterte wieder los. Sie kletterten, schossen zurück und hielten sich. Einer um den anderen zogen sich die Rangers über die Böschung und indem sie festes Land gewannen, fingen sie an, den europäischen Kontinent zurückzugewinnen.“ 167 Diese detaillierte Erzählung ist eine Frucht der Recherchen, die Reagans Redeschreiberin unternommen hatte. 168 Sie wusste, dass die Rede zur Frühstückszeit im amerikanischen Fernsehen übertragen wurde, und wollte, dass sie die Familien bei Frühstück erreichten. „Ich wollte, dass die amerikanischen Teenager einen Moment lang aufhörten, ihre Rice Krispies zu kauen und etwas hörten über die Größe der taffen jungen Leute von damals, die jetzt ihre Großeltern waren.“ 169 Eine Geschichte profitiert von einer erzählerischen Sprache. Das ist eine Sprache, die die Figuren und ihre Erlebnisse in den Vordergrund stellt. Sie profitiert von einfachen stilistischen Verfahren: » Unpersönliche Formulierungen durch verbale, aktive ersetzen. » Mit allen Sinnen formulieren: Riechen, Schmecken, Tasten, Hören, Sehen usw. » Die Spannung beibehalten: später anfangen, früher aufhören. Auch stimmlich ist eine Erzählung deutlich von den sonstigen Teilen der Rede abgehoben. Erzählen bedeutet mehr Variation in Rhythmus, Satzmelodie und Dynamik. Wer eine Erzählhaltung einnimmt, klingt immer dialogisch: Wer <?page no="171"?> Mit Bildern und Vergleichen die Vorstellungskraft aktivieren 171 erzählerisch klingen will, spricht so, dass dank Pausen und Tempoveränderungen seine Erwartung auf die Reaktion des Publikums zu spüren ist. Innerhalb einer längeren Rede hilft eine Erzählung, die Aufmerksamkeit neu zu gewinnen. Auch eine komplizierte Sache kann vorgetragen werden, indem man von einer Geschichte ausgeht. Nützlich ist es dabei, diese nicht aus den Augen zu verlieren und am Schluss zu ihr zurückzukehren. Generell profitiert jede Rede, wenn nicht alle Informationen auf der gleichen Abstraktionsebene präsentiert werden. Wenn der Abstraktionsgrad zwischendurch dank einer konkreten Geschichte gesenkt wird, sind die Zuhörer empfänglicher für die Rückkehr zur abstrakten, allgemeineren oder zusammenfassenden Information. ☉ Fragen an eine eigene Geschichte » In welcher Rolle erzähle ich (Dozent/ Kumpel/ Fachperson/ Fan usw.)? » Welches ist die Hauptperson? » Wie höre ich auf, um einen Effekt zu erzielen? » Welche Details gehören dazu, welche werden besser weggelassen? » Ist meine Sprache konkret und aktiv? » Wie baue ich die Geschichte in den Ablauf der Rede ein? » Welche Botschaft verknüpfe ich damit (explizit oder implizit)? Mit Bildern und Vergleichen die Vorstellungskraft aktivieren Im Dezember 2015 erhöhte die US-Notenbank Fed zum ersten Mal seit über neun Jahren die Leitzinsen. Es war eine historische Entscheidung. Sie war aber auch schon längere Zeit erwartet worden, und fast jeder Kommentator hatte sich im Vorfeld bereits dazu geäußert. Bis es endlich so weit war, hatte es in den Presse-Erklärungen und auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen kaum originelle Kommentare gegeben. Was sollte man Neues sagen? Es gab scheinbar nicht mehr viel zu erklären. Bis am 16. Dezember um 8.33 Uhr der große rhetorische Held die Bühne betrat: Matt Levine, Kolumnist der Agentur Bloomberg Views. Er begann seinen Text mit den Worten: „The essence of finance is time travel.“ (deutsch etwa: Das Finanzwesen lässt sich als Zeitreise erklären.) 170 Die ganze komplexe Finanzwirtschaft wird auf einen Begriff komprimiert: Zeitreise. Im Englischen ein schöner, schlanker Satz - auf Deutsch fast nicht wiederzugeben, aber leicht nachvollziehbar: Wer spart, bewegt seine Mittel <?page no="172"?> 172 11 Sag’s attraktiver! von der Gegenwart in die Zukunft. Wer finanziert, bewegt Mittel von der Zukunft zurück in die Gegenwart. 171 Diese Sprachschöpfung wurde mit einer besonderen Auszeichnung geehrt. 172 Der Physiker John Archibald Wheeler sprach 1967 am Goddard Institute for Space Studies in New York über Sterne, deren Masse so sehr komprimiert ist, dass ihre Gravitationskraft so stark ist, dass sie nicht einmal Licht aussenden können. Nachdem er mehrere Male den Ausdruck gravitativ vollständig kollabierter Stern („gravitationally completely collapsed star“) verwendet hatte, war ihm anzumerken, dass er verzweifelt nach einer einfacheren Bezeichnung suchte. Da rief ihm jemand aus dem Publikum den Ausdruck Schwarzes Loch zu. Er griff ihn auf, und heute ist es ein gängiger Begriff weit über die kleine Gruppe der Sachkundigen hinaus. 173 Dass er zum Verständnis der Sache beiträgt, ist zu bezweifeln; aber er ist prägnant, klingt an literarische Vorbilder an 174 und weckt die Neugier. Wechsel von der abstrakten auf die konkrete Ebene (oder umgekehrt) Viele Vorträge leiden darunter, dass über längere Strecken dieselbe Abstraktionsebene eingehalten wird. Meistens bleibt die Sprache in vornehmer Distanz vom praktischen Beispiel. Deshalb ist es eine gute Regel, bewusst die Abstraktionsebene zu wechseln. Ein Beispiel: Wer sich betrunken als Beifahrer in ein Auto setzt, kann sich strafbar machen, nämlich: „dann, wenn er versucht, es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung zu lenken.“ Klar, dass man sich darunter etwas vorstellen kann. Aber wenn das Publikum bei einem Vortrag nicht aus Verzweiflung über die komplizierte Ausdrucksweise zur Flasche greifen soll, geht es auch plastischer: „wenn er dem Fahrer ins Lenkrad greift oder auf andere Weise versucht, das Auto zu lenken.“ Aus dem Abstraktum Handhabung ist ein konkretes Verb geworden. Ein Beispiel (ins Lenkrad greifen) wird vor der allgemeinen Handlung (Handhabung seiner technischen Vorrichtungen) genannt und macht sie plastisch vorstellbar. ☉ Mit konkreten Ausdrücken Bilder wecken » Auch wenn die Hauptaussage allgemein und abstrakt ist, kann man mit konkreten Aussagen auf sie hinführen: » (konkret: ) Die Adolf-Hitler-Straße in Hiddesen heißt jetzt wieder Friedrich-Ebert-Straße. (allgemein: ) Straßenumbenennungen richten sich nach dem heutigen Demokratieverständnis. <?page no="173"?> Die Perspektive wählen 173 Genauso wie die Abstraktionsebene gesenkt werden kann, man also eine konkrete Beschreibung einfügt, kann sie auch wieder gehoben werden - etwa dann, wenn es darum geht, die Schilderungen mit einer These zusammenzufassen. Abstrakte Formulierungen sind notwendig, um allgemeine Aussagen zu machen. Sie werden aber meistens besser verstanden, wenn sie die Quintessenz praktischer, konkreter Passagen bilden. Die Perspektive wählen Wir haben dieses Jahr 1200 Abos verkauft. Das ist die Erfolgsmeldung der Leiterin eines kleinen Verlags, und die Freude soll ihr auch nicht verdorben werden. Aber sie könnte es auch so sagen: 1200 Kunden haben dieses Jahr ein Abo gekauft. Welche der beiden Formulierungen attraktiver ist, hängt davon ab, wer die Adressaten sind. Die Mitarbeitenden können sich mit der ersten eher identifizieren, Kundinnen und Inserenten eher mit der zweiten. Es ist ein Unterschied der Perspektive. Diese entsteht hier durch die Wahl des Subjekts, in anderen Fällen dadurch, dass überhaupt Menschen, von denen die Rede ist, ins Zentrum gerückt und nicht übergangen werden. Der folgende Text zeigt dies recht drastisch. Es geht um eine schwere Krankheit; aber die Menschen, die von ihr befallen werden, stehen nicht im Zentrum der Berichterstattung: „Die jüngsten Polio-Ausbrüche in einem Dutzend Ländern West- und Zentralafrikas sind ein Rückschlag für die Bemühungen, die Kinderlähmung auszurotten. Ohne umfassende Impfaktionen rechnet die WHO mit Tausenden von gelähmten Kindern. Die neuesten epidemiologischen Daten zur Kinderlähmung in West- und Zentralafrika lassen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein düsteres Bild zeichnen. Am Dienstag informierte die Uno-Organisation an einer Telefonkonferenz in Genf darüber, dass sich in West- und Zentralafrika möglicherweise die schlimmste Poliomyelitis-Epidemie seit Jahren anbahne.“ 175 Das ist der Beginn einer Meldung aus dem reichen Europa, in dem Polio als ausgerottet gilt. Vielleicht ist die Herkunft der Nachricht der Grund dafür, dass darin Kinderlähmung in erster Linie als Problem der WHO dargestellt wird: Sie muss ein düsteres Bild zeichnen. Sie empfindet einen Rückschlag für die Bemühungen. Und es wird nicht prognostiziert, dass Tausende von Kindern erkranken werden und vielleicht mit Lähmungen und anderen Dauerschäden leben müssen. Sondern es wird aus der Perspektive der Organisation beklagt, dass sie mit Tausenden von gelähmten Kindern rechnen muss. <?page no="174"?> 174 11 Sag’s attraktiver! Nicht inhaltlich, aber stilistisch wäre es ein großer Unterschied, wenn die Betroffenen als Subjekte vorkämen: Kinder erkranken. Kinder müssen geimpft werden. In diesem Jahr sind fünfmal mehr Kinder erkrankt als im Jahr zuvor. Usw. Dass die Experten von der WHO beunruhigt sind, soll durchaus nicht verschwiegen werden. Aber unangemessen ist es, wenn jede neue Information über erkrankte Kinder mit Ausdrücken aus ihrer Perspektive beginnt, wie etwa im folgenden Satz: „Besonders beunruhigt äußerten sich die Experten über die Tatsache, dass am 20. Mai in Darfur im Westsudan ein Mädchen neu an Kinderlähmung erkrankt ist.“ Weil die Sachinformationen in diesem und in vielen anderen Fällen von Forschungseinrichtungen, Unternehmen oder Ämtern stammen, sind sie häufig auch aus deren Perspektive formuliert. Die Information kann übernommen werden, die Perspektive muss nicht die gleiche bleiben. Wenn Menschen - nur schon grammatikalisch gesehen - im Zentrum stehen, gewinnt der Text an Perspektive, weil die Handlung auf Augenhöhe der Betroffenen geschildert wird. Es wird leichter, sich hineinzudenken. Harald Lesch demonstriert dies den Studierenden in seiner Vorlesung, indem eine griffige Formulierung mit einer Aktivierung der Zuhörer verbindet. Er fordert sie auf, die Resultate der Evolution zu bedenken, in dem sie ihre Sitznachbarn anschauen: „Jetzt schauen Sie ruhig auch mal nach links und nach rechts. Alles, was Sie da sehen, sind Erfolgsrezepte, und zwar unglaubliche Erfolgsrezepte. Wenn Sie wirklich mal in die Biologie eines Homo sapiens hineingehen, in die Einzelteile, dann ist alles in uns eine unglaublich überprüfte, immer wieder aufs Neue getestete Variante von Biomolekülen, und das gibt es in der ganzen Natur.“ 176 Damit ist das Publikum aktiviert. Es muss aus seiner Reserve herausgehen. Und alle können nachvollziehen, dass es bei der Entwicklung des Homo sapiens auch um sie selbst geht. ☉ Die Perspektive ändern Durchschnittliche Vorträge sind in einem Überflieger-Stil gehalten: immer schön distanziert auf der gleichen Höhe über dem Thema. Viele allgemeine Aussagen können auf die Ebene des Individuums heruntergeholt werden. Beispiel (allgemein): Herbstzeitlosen enthalten ein für Kühe tödliches Gift. Beispiel (näher): Kühe, die Herbstzeitlosen fressen, sterben. Die Perspektive ist verändert, der Sachverhalt bleibt gleich. <?page no="175"?> Menschen handeln lassen 175 Auch die folgenden grammatikalischen Handgriffe bewirken in kleinem Maßstab eine solche Veränderung der Perspektive. Menschen handeln lassen Wer von aktiv handelnden Menschen berichtet, bringt Leben in die trockene Materie. Dazu zunächst ein Satz aus dem Strafgesetzbuch: „Wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft ...“ 177 Alles klar? - Für Juristen überhaupt nicht - solange nicht geklärt ist, was ein Fahrzeug führen bedeutet - und für die Allgemeinheit schon gar nicht. Im Blog strassenverkehrsrecht.net wird das deshalb erklärt: Ein Fahrzeug zu führen, bedeutet, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung zu lenken. 178 In gesprochene Rede geht es aber noch direkter: Da ist es ohne weiteres möglich, zu konkretisieren, ohne dass es die Bedeutung verändert: Ob ein Mensch ein Fahrzeug führt oder nicht, hängt davon ab ... Gesprochene Sprache wird attraktiver, wenn in den Aussagen Menschen handeln. Allgemeine Formulierungen lassen Menschen, die etwas tun, weitgehend vermissen. Im Satz Ein Fahrzeug zu führen, bedeutet ... ist die Fahrpraxis so stark verallgemeinert, dass der Fahrer selbst nicht mehr erwähnt werden muss. In vielen Fällen ist es sogar möglich, die Zuhörerinnen und Zuhörer direkt anzusprechen: Sie können sich beruhigt ins Auto setzen, solange Sie die Hände vom Steuer lassen. Wenn Sie nur den Motor anlassen oder das Licht einschalten, ist das für das Gericht erst ein Versuch, und gehen straflos aus. 179 Das bringt mehr Nähe zum Publikum und spricht es direkt an. Attraktivität bedeutet oft einfach eine Veränderung auf der Ebene der Grammatik oder des Textaufbaus. In manchen Fällen mag dies inhaltlich problematisch sein; generell helfen aber einige einfache Regeln. Substantive und Partizipien durch Verben ersetzen Die deutsche Sprache hat leider Verfahren entwickelt, um aktive Sätze, in denen Menschen handeln, zu vermeiden. Diese Verfahren verkürzen längere Passagen und komprimieren sie in knappere, dichtere Sätze. Oft besteht ja auch ein Interesse daran, eine Sache eher zu übergehen, als sie lange auszubreiten. <?page no="176"?> 176 11 Sag’s attraktiver! So spricht zum Beispiel die Autofirma Audi in ihren Radiospots ausführlich über ihr spezielles Leasing-Angebot für Geschäftskunden. Zum Schluss werden diese eingeladen, das Angebot auch wahrzunehmen, und zwar „bei Ihrem teilnehmenden Audi-Partner“. Das Wort „teilnehmend“ ist so ein Fall der Komprimierung. Ausführlicher würde das heißen: bei den Audi-Partnern, die an der Aktion teilnehmen. Weiter portioniert, könnte man sogar ausholen: „Wir haben diese Aktion allen Audi-Autohäusern angeboten. Einige haben sie abgelehnt, andere haben sie übernommen. Bei denen können Sie das Angebot bekommen.“ Es versteht sich, dass ein Unternehmen an einer derartigen Formulierung kein Interesse hat. Deshalb eignet sich hier das knappe Partizip teilnehmend, das man auch überhören kann. Das Beispiel zeigt: Die Verfahren des Komprimierens dienen der Sprachökonomie. Sie lassen die Dinge nicht nur allgemeiner, sondern auch knapper ausdrücken. Gerade in schriftlichen Zusammenhängen spart dies Platz. Aber: Es dominieren dann abstrakte Substantive und nicht Menschen. Und in der gesprochenen Sprache lohnt es sich daher immer zu überprüfen, ob es möglich ist, dass die Menschen dank einer aktiven, konkreten Sprache sichtbar bleiben. Wer statt der Komprimierung den zu Grunde liegenden Ausdruck wählt, hat einen weiteren aktiven Satz gebildet und trägt so etwas mehr zur Anschaulichkeit bei. Man wird nicht in jedem Fall so verfahren, sich aber manchmal dazu entschließen - zum Beispiel dann, wenn die Partizipkonstruktion dazu führt, dass ein wichtiger Akteur verschwiegen wird: „Die vom Notarzt ins Krankenhaus eingewiesenen Jugendlichen hatten sich geprügelt.“ „Die Jugendlichen hatten sich geprügelt. Der Notarzt wies sie ins Krankenhaus ein.“ Damit entstehen statt einer verknappten Aussage zwei Sätze, die die Geschichte der Reihe nacherzählen. Die Konstruktion mit Partizip ist nur ein Beispiel für grammatikalische und lexikalische Formen, die konkrete Aussagen komprimieren. Sie lassen die Menschen, um die es geht, verschwinden und erhöhen so den Abstraktionsgrad. Andere Komprimierungen sind Substantivierung und Infinitivsatz. Die Substantivierung ist für Behördensprache besonders typisch. Und oft wird der bürokratische Stil übernommen, obwohl es darum ginge, die betroffenen Menschen in den Vordergrund zu stellen. Der folgende Satz leitet einen Vortrag ein, den eine Fachfrau für Prävention und Gesundheitsförderung hält: <?page no="177"?> Menschen handeln lassen 177 „Das Thema des riskanten Alkoholkonsums von Kindern und Jugendlichen ist in den vergangenen Jahren in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, nicht zuletzt, weil die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Alkoholvergiftung deutlich zugenommen hat.“ 180 Eigentlich geht es hier um Kinder und Jugendliche. Aber im Zentrum steht ein abstrakter Begriff: Nicht Menschen, sondern ein Thema ist in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Und das Thema ist ein Substantiv: das Thema des riskanten Alkoholkonsums. Eine konkrete menschliche Not wird zu einem abstrakten Vorgang. Kinder und Jugendliche saufen: Das wäre der konkrete Sachverhalt. Die Formulierung mit dem Substantiv macht daraus einen passiven Satz, in dem die Kinder und Jugendlichen nicht mehr vorkommen. Im Satz Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Alkoholvergiftung hat deutlich zugenommen gilt die Sorge nicht den Betroffenen, sondern einer Zahl, die zugenommen hat. Die Menschen sind verborgen im Abstraktum Krankenhauseinweisung. Die Substantivierung (Einweisung) ermöglicht es zwar, mehrere Fälle zusammenzufassen. Dabei verschwindet aber der Mensch (der Jugendliche, der Arzt usw.) aus dem Satz. Man könnte auch sagen: „Mehr Jugendliche als je zuvor trinken so viel, dass der Notarzt sie ins Krankenhaus einweisen muss.“ Damit würde ein aktives Verb verwendet, das sich auf ein konkretes Substantiv bezieht, mit dem Menschen gemeint sind. Nun sind die Vertreterinnen und Vertreter aller Fächer gezwungen, zu verallgemeinern und damit Aussagen zu treffen, die weniger packend sind, als es eigentlich die Sache erfordern würde. Wer berichten muss, dass die Kinder und Jugendlichen insgesamt so und so viel trinken, muss notgedrungen eine statistische Aussage machen. Dafür eignen sich abstrakte Substantive (wie Alkoholkonsum) besser und konkrete Verben (wie trinken) weniger. Aber Sätze mit konkreten Verben lassen eher aufhorchen, und man sollte, wenn immer möglich, solche Formulierungen bevorzugen. Dies geht immer, wenn man die allgemeine Aussage mit einem Fallbeispiel ergänzt. Wer den Wortbildungsprozess der Substantivierung kennt, wird jedes Mal aufmerken, wenn er einem Wort auf -ung begegnet - in eigenen oder fremden Texten - und überprüfen, ob eine andere Form möglich ist. Eine Möglichkeit ist, das zugrunde liegende Verb zu aktivieren (also statt Einweisung das Verb einweisen zu verwenden). Eine andere besteht darin, die Substantivierung zu belassen, die Aussage aber danach mit der Erzählung von einem konkreten Fall zu illustrieren. <?page no="178"?> 178 11 Sag’s attraktiver! ☉ Komprimierte Sätze auflösen [1] Substantivierungen können ganze Sätze verbergen: » Ableitungen von Verben auf -ung (die Einweisung) » Substantivierte Infinitive (das Einweisen) [2] Diese Wörter lassen sich in den aktiven Satz zurückverwandeln, z.B.: » Eine gut informierte Patientin kann eine Krankenhauseinweisung vermeiden. » Eine gut informierte Patientin kann vermeiden, dass der Arzt sie ins Krankenhaus einweisen muss. [3] Wenn das nicht geht: Substantivierung belassen, die Aussage aber mit einem konkreten Fall anschaulich machen: » Eine gut informierte Patientin kann eine Krankenhauseinweisung vermeiden. Meine Diabetespatienten messen ihren Blutzucker regelmäßig und wissen, was sie tun müssen, wenn er zu tief oder zu hoch ist. Aktiv statt passiv Die Autobahnteilstrecke in der Region ist noch nicht ganz fertig. Ein Verein hat sich dafür engagiert, dass eine Strecke von 16 km für einen Laufwettbewerb genutzt werden kann. Jetzt hat es leider wochenlang geregnet, die Arbeiter sind nicht wie geplant vorwärtsgekommen. Der Lauf muss abgesagt werden. Also wird eine kleine Pressekonferenz organisiert. Der Vereinsvorsitzende hat die folgende Vorlage: „Der für Sonntag, 8. November, geplante Lauf auf der Neubaustrecke der Autobahn 4 wurde abgesagt. Begründung: anhaltend schlechte Wetterbedingungen. Die für den Lauf nötigen Vorbereitungen auf der Baustelle konnten witterungsbedingt nicht ausreichend getroffen werden. Dazu gehören Fugenverguss, Markierung und Bankette. Diese Rahmenbedingungen sind schlecht für die Sicherheit der Läufer und erhöhen die Unfallgefahr.“ 181 Das kann man genauso vorlesen. Aber es wird niemanden ansprechen. Beim Durchlesen fällt auf: Weder ein Ich noch ein Du kommt vor. Das würde sich ändern, wenn nur schon der erste Satz anders formuliert würde. Statt: Der Lauf wurde abgesagt, würde es heißen: Wir müssen den Lauf absagen. Passiv wird zu Aktiv. Damit wird aus einem unpersönlichen Vorgang eine konkrete Handlung. Zudem sprechen damit die Organisatoren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pressekonferenz direkt an. Sie bringen etwas Menschliches in die <?page no="179"?> Strukturen aufbrechen 179 offizielle Verlautbarung. Indem sie „wir“ sagen, stehen sie auch zur Verantwortung für ihre Entscheidung. Eine ähnliche Möglichkeit wäre: Die Vorbereitungen konnten nicht getroffen werden. Wir konnten nicht die nötigen Vorbereitungen treffen. Zu beachten ist: Ein aktiver Satz allein (Die Schulleitung lädt ein) spricht das Gegenüber nicht an. Wenn aber ein Mensch das Subjekt ist (Rektorin Basler lädt ein), kann ein Bild entstehen, Empathie geweckt werden. Von Passiv zu Aktiv In einem passiven Satz fehlt oft sowohl das Ich als auch das Du. Beispiel: Hier wird nicht geraucht! Aktiv formuliert wird die gleiche Aussage persönlich: Beispiel: Ich will nicht, dass du hier rauchst. Diese Formulierung macht es auch möglich, auf den Satz zu antworten. Strukturen aufbrechen Wie wichtig es ist, einer klaren Struktur zu folgen, ist bereits betont worden. Aber ebenso wichtig ist es, zu beachten, dass keine Langeweile entsteht, weil die Struktur zu pedantisch verfolgt wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aufzählung. Wenn eine Anzahl vergleichbarer Dinge behandelt wird, tendiert man dazu, sie in einer Liste zu präsentieren und der Reihe nach zu besprechen. Wenn dann jedes Ding gleich viel Raum bekommt, besteht die Gefahr, dass der Vortrag gleichförmig und mühsam wird. Im Online-Workshop Ernährung 182 werden die Vitamine mit ihren wichtigsten Funktionen vorgestellt. Man hat erfahren, dass zu den Vitaminen „eine ganze Reihe lebenswichtiger Stoffe“ gezählt werden, „die wir in kleinen Mengen regelmäßig über die Nahrung aufnehmen müssen.“ Aber welches sind nun solche lebenswichtigen Vorgänge, für die wir sie benötigen? - Eine Folie zählt auf: » Stoffwechsel (Auf- und Abbauprozesse) » Normale Funktion und Entwicklung von Zellen » Sehvorgang im Auge » Regulation des Knochenstoffwechsels » Normale Blutgerinnung » Immunsystem » Bildung von Hormonen <?page no="180"?> 180 11 Sag’s attraktiver! Es liegt nahe, zu jedem dieser Punkte einen Satz zu bilden: Die B-Vitamine brauchen wir für den Stoffwechsel. Vitamin A brauchen wir für den Sehvorgang im Auge. Vitamin D reguliert den Körperstoffwechsel ... Und so weiter. Jede Funktion würde mit einem einzigen Satz kommentiert, und die Sätze wären zudem ähnlich lang und ähnlich aufgebaut. Das würde die Aufmerksamkeit nicht gerade fördern. Deshalb ist es sinnvoll, einen oder mehrere Schwerpunkte zu setzen: „Einige Vitamine haben sehr spezielle Aufgaben. Vitamin A wird für den Sehvorgang im Auge gebraucht. Vitamin D reguliert den Körperstoffwechsel, und ohne Vitamin K würde sich keine Wunde schließen. Die B-Vitamine dagegen haben mehrere Funktionen. Sie werden zunächst vor allem im Stoffwechsel gebraucht. Sie ermöglichen den Abbau von Kohlenhydraten und Fetten zu Energie und den Aufbau von neuen Eiweißen aus Aminosäuren. Sie sind aber auch für die normale Funktion und Entwicklung jeder Zelle wichtig.“ Hier wird eine Vitamingruppe hervorgehoben. Damit wird die gewählte Struktur zwar befolgt, aber sie wird aufgebrochen, indem nicht alle Teile gleich ausführlich oder gleich knapp besprochen werden. Das ist nicht nur bei solchen kurzen Aufzählungen, sondern bei längeren Passagen angezeigt. Das Publikum ist dankbar, wenn nach der Ankündigung einer Folge von fünf Kapiteln die Nummer vier erfrischend kurz ist. Aufbrechen ist auch ein wichtiges Prinzip, wenn eine eher klassische Aufgabe zu bewältigen ist - etwa die Wiedergabe eines chronologischen Ablaufs. Das Folgende ist eine knappe Liste der Herstellungsschritte bei der Produktion von Whisky: » Mälzen » Darren » Schroten » Maischen » Gären » erstes Destillieren » zweites Destillieren » drittes Destillieren » Lagern » Verdünnen » Filtrieren » Trinken <?page no="181"?> Positiv statt negativ 181 Ein Publikum, das ohnehin auf den letzten Punkt fixiert ist, ist dankbar, wenn man darauf verzichtet, für jeden Schritt gleich viele Sätze aufzuwenden. Man wird vielleicht ein Destillierverfahren besonders hervorheben oder auch die Wahl der Fässer für die Lagerung mit etwas Brimborium ausschmücken. Dass die Abschnitte unterschiedlich lang werden, wird mit mehr Aufmerksamkeit und Behaltensleistung honoriert. Immer möglich ist die Vorwegnahme einer wichtigen Information, um die Einleitung bedeutsamer zu gestalten und Interesse für die entsprechende spätere Passage zu wecken. (Mehr dazu mehr in Kapitel 12.) Positiv statt negativ Informationstag an der Uni. Aus allen Teilen des Landes strömen Menschen zusammen, die ein Studium beginnen wollen. Sie können aus rund 50 Vorträgen auswählen, in denen ihnen jeweils eine Fachrichtung vorgestellt wird. Die Uni präsentiert zudem stolz studentische Initiativen und Partner aus der lokalen Wirtschaft, lädt zu Stadtrundfahrten ein und zu einem „kulturell-gastronomischen Rahmenprogramm“. Die Mediziner demonstrieren eine Herz-Lungen-Maschine, und die Japanologen zeigen, wie man in 45 Minuten zu den ersten Japanisch-Kenntnissen kommt. Die Medien- und Kommunikationswissenschaft hat zu einem Vortrag geladen. Er heißt: Die Medien von morgen machen! 183 Die Dozentin steht vor einer stattlichen Gruppe junger und älterer potenzieller Studienanfänger. Als erstes stellt sie klar: „Also wer jetzt irgendwie feststellt, dass ihn Medien nicht interessieren, der ähm - ist sozusagen hier falsch, hier geht ’ s um die Medien- und Kommunikationswissenschaften.“ Anstatt zu sagen, worum es geht, wird zuerst erklärt, worum es nicht geht. Statt dem Zielpublikum zu zeigen, was man ihm zu bieten hat, wird eine negative Aussage an eine kleine Minderheit gerichtet. Wenn es nötig ist, allfällige Irrläufer zu verhindern, kann man das auch positiv tun: „Dieser Vortrag richtet sich an ...“ - Außer natürlich man sieht die Gelegenheit zu einer Pointe, wie es dem Strafverteidiger Udo Vetter ging bei seinem Vortrag zum Umgang mit Polizei und Staatsanwalt. Auch er sprach an einer Veranstaltung, bei der gleichzeitig andere Vorträge angeboten wurden. Als er sich vor einem über Erwarten großen Publikum sah, formulierte er es so: 184 „Guten Abend! Für alle, die es gerade noch nicht mitbekommen haben: Angesichts der Teilnehmerzahl möchte ich nochmal darauf hinweisen: Die Veranstaltung mit „Pornographie“ im Titel findet in einem anderen Saal statt.“ <?page no="182"?> 182 11 Sag’s attraktiver! In der Regel geht es am einfachsten direkt. Statt zu sagen: „Sie können hier falsch sein, wenn Sie sich nicht für X interessieren“, geht es immer auch positiv: „Wenn Sie sich für X interessieren, sind Sie hier richtig.“ ☉ Positive Abgrenzung Abgrenzung ist oft wichtig: Worum geht es? Worum geht es nicht? Doch dies muss nicht zu Phrasen führen wie: „Ich werde nicht über ... reden.“ - In den meisten Fällen ist es möglich und attraktiver, mit der positiven Botschaft zu beginnen. Dann kann man darauf hinweisen, wo die weggelassenen Themen behandelt werden. Überflüssige Floskeln vermeiden Ein Vortrag über Hexen. Ein spannendes Thema und eine Einleitung, die neugierig macht: „Ich nehme Sie heute mit auf einen einstündigen Ritt durch die Geschichte des Hexenglaubens und werde einen etwas anderen Blick werfen auf einen Glauben an das Übernatürliche, der immer noch fröhliche Urständ feiert. Beginnen werde ich ganz klassisch als Expertin für frühe Neuzeit und Mittelalter...“ Die Referentin wird nicht nur in frühere Jahrhunderte führen, in denen Hexen verfolgt, gefoltert und ermordet wurden. Sie wird auch argumentieren, dass Frauen, die sich noch heute als Hexen vermarkten, nicht viel anderes tun, als die von der Kirche tradierte Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften weiter zu pflegen. Ihre Einleitung war attraktiv formuliert. In ihr klingt die Metapher des Hexenritts an und auch eine provokative These, dass die Vorstellung von Hexen noch immer präsent ist. Aber die oben zitierte Form ist geschönt. Vollständig lautete die Einleitung so: „Ich möchte Sie heute mitnehmen auf einen ca. einstündigen Ritt durch die Geschichte des Hexenglaubens, wenn man so möchte, und werde ja einen etwas anderen Blick vielleicht werfen auf einen Glauben an das Übernatürliche, der immer noch sozusagen fröhliche Urständ feiert. Beginnen möchte ich eigentlich ganz klassisch als sozusagen Expertin für die frühe Neuzeit und Mittelalter...“ 185 Da sind viele Ausdrücke, die nicht in eine überzeugende Absichtserklärung gehören: wenn man so möchte, vielleicht, sozusagen, eigentlich. Bei anderen Rednerinnen und Rednern hört man Floskeln wie: ein bisschen, ich weiß nicht, oder ich glaube. Diese Ausdrücke haben zunächst durchaus eine positive Funktion: <?page no="183"?> Online: Direkte Ansprache nicht vergessen 183 Es sind Füllwörter, die sich leicht nutzen lassen, um beim freien Formulieren etwas mehr Zeit zu haben. Man fügt ein Vielleicht oder ein Eigentlich ein. Das reduziert die Informationsdichte und erleichtert die Planung des folgenden Satzes. Aber die Wörter haben auch eine Bedeutung. Und diese ist fast durchgehend abschwächend. Sie nimmt der These ihre Schärfe . Die Tendenz, die eigene Arbeit durch Bescheidenheitsfloskeln und andere Ausdrücke, die das Gesagte relativieren, zu torpedieren, hat bisweilen etwas Sympathisches. Aber wenn es unabsichtlich geschieht, wenn die Phrase zum Füllsel wird, ist es höchste Zeit, dagegen anzukämpfen. Das Publikum hat es verdient, zu erfahren, ob die Rednerin wirklich überzeugt ist oder nicht. Und es hätte eigentlich das Recht, dazwischenzufragen, ob denn der Redner das „nur glaubt“. ☉ Floskeln, die eine Aussage oft unnötig abschwächen » ich möchte kurz ... » ich glaube ... » meines Erachtens … » vielleicht … » ein bisschen … Online: Direkte Ansprache nicht vergessen Schon in jedem Präsenz-Vortrag verstärkt die direkte Ansprache (mit Sie oder ihr) den Kontakt zwischen RednerIn und Publikum. Besonders wichtig wird sie im Online-Vortrag. Online-Kommunikation ist Kommunikation aus der Distanz. Hier ist das Personalpronomen ein nicht zu unterschätzendes Mittel, um die Beziehungsebene zu stärken. Und meistens ist in der Online-Situation, wo die Beziehung persönlicher gestaltet werden kann, das Du angemessener. Die Einzahl entspricht der Rezeptionsweise besser, der Tatsache, dass viele Einzelpersonen an ihrem Endgerät sitzen. Hinzu kommen die Begrüßung und Verabschiedung, auf die nicht verzichtet werden sollte. Die beste Begrüßung ist kurz, aber individuell. Es ist die persönliche Art der Rednerin, zu grüßen. Das stellt die erste Verbindung mit ihrem Publikum her. Ihr Publikum opfert seine Zeit für das Anhören eines Vortrags. Es ist durchaus angebracht zu zeigen, dass man dafür dankbar ist. Dazu gehört, Anliegen, die in oder Kommentaren oder Chats vorgebracht werden, ernst zu nehmen. Auch <?page no="184"?> 184 11 Sag’s attraktiver! scheinbar triviale Beiträge sollten berücksichtigt werden. (Oder wie Karl Valentin es ausdrückte: „Sie wissen ja: Sie sind auf uns nicht angewiesen, sondern wir auf Sie. Merkenʼs Ihnen des! “) <?page no="185"?> 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog Es scheint, als ob sich der Aufbau einer Rede von selbst ergibt. Der Stoff und die Voraussetzungen des Publikums scheinen zu bestimmen, was zuerst gesagt werden muss. Das ist dann Voraussetzung für den zweiten Teil, dieser für den dritten und so weiter. Aber stimmt das wirklich? - Die Praxis zeigt, dass sich zwar wirklich viele Sach-Vorträge im Aufbau gleichen, besonders im akademischen Bereich. Aber es gibt auch Beispiele für gelungene Abweichungen vom allzu starren Schema. Im Kleinen haben wir im Zusammenhang mit Aufzählungen (im Kapitel 11) gezeigt, dass das Aufbrechen eines zu starren Schemas hilfreich sein kann. Dies gilt auch für den Aufbau. Es ist zwar sinnvoll, sich zuerst zu überlegen, welche Reihenfolge am natürlichsten zum Thema passt. Aber es ist ebenso nützlich, diese Reihenfolge, um der Aufmerksamkeit des Publikums willen, aufzubrechen. Nehmen wir den Fall eines Vortrags zum Thema X in unserer Gesellschaft (wobei X für eine beliebige Erscheinung steht - von Freiheit über Frühstücken bis politisches Engagement) und stellen wir uns vor, der Vortragende habe das Bedürfnis, die folgenden Teilbereiche abzuarbeiten: » Wie ist X definiert? » Woraus setzt sich X zusammen? » Beispiele für X-Ereignisse. » Wie verbreitet ist X? » Probleme im Zusammenhang mit X. » Verbesserungsvorschläge. Klar, dass dies auch als Aufbauschema einleuchtet. Dass man etwa mit einer Definition oder Begriffsklärung anzufangen, scheint sich geradezu aufzudrängen. Und viele Vorträge beginnen genau damit. Das könnte etwa so klingen: „Unser Thema ist ‚Das Frühstück in unserer Gesellschaft‘. Mit Frühstück meine ich die erste Mahlzeit am Tag, die von den allermeisten Menschen morgens eingenommen wird ...“ Kein besonders ansprechender Anfang, und zwar nicht nur weil in diesem Fall die Definition wenig Neuigkeitswert hat, sondern auch weil sie eine allgemeine Aussage ist, die keine konkreten Vorstellungen weckt. Dabei könnte mit jeder beliebigen anderen Information begonnen werden, ohne dass das Publikum überfordert würde. Zum Beispiel so: <?page no="186"?> 186 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog „Wissen Sie, was die alten Eidgenossen als erste Mahlzeit zu sich genommen haben, bevor in die Schlacht aufbrachen? - Hafermus! Und das war noch jahrhundertelang das übliche Frühstück unserer Vorfahren ...“ Man könnte nun meinen, dass ein solcher Einstieg nur funktioniert, wenn das Thema des Vortrags so volkstümlich ist wie „Frühstück“. Aber es ist durchaus auch bei komplexeren Themen möglich, eine Aussage aus einem späteren Teil vorwegzunehmen oder mit einer interessanten Überlegung die das Publikum zu fesseln. Nehmen wir als Beispiel die Künstliche Intelligenz. Im Internet finden sich derzeit unzählige Vorträge, die in das Thema einführen, und die meisten fangen in der Tat mit einer Definition an. Aber einige Referenten demonstrieren, dass es auch anders geht: Ranga Yogeshwar fängt damit an, dass er ein Bild zeigt, auf dem aus weiter Ferne (nämlich aus der Saturn-Umlaufbahn des Cassini-Orbiters) die Erde zu sehen ist. 186 Er sagt: „Und das sind - wir. Das Interessante ist an diesem Punkt, dass er ’ne Ausnahme in diesem Universum bildet. Also bis heute ist es so, dass wir noch von keinen anderen Punkten [wissen], bei denen durch die Evolution irgendwann das rauskam, was hier vor mir sitzt: intelligentes Leben.“- Die ZuhörerInnen sind geschmeichelt und zuversichtlich, dass dies eine Brücke zum Thema des Vortrags ist. Florian Schild steht in einem Hemd mit feinen hellblauen Linien vor seinen Seminarteilnehmern und befragt sie zu simplen Fragen zur Farbe seines Hemdes (wobei aus größerer Entfernung die Streifen nicht mehr zu sehen sind): „Ist mein Hemd blau? “- „Ist mein Hemd weiß? “ - „Ist mein Hemd blau-weiß gestreift? “ Die Zustimmung sollen sie durch ein Summen geben. Auf jede Frage wird gesummt, zum Teil lauter, zum Teil leiser. 187 Es wird deutlich, dass „Blau“ die stärkste Zustimmung erfährt. Schild kommentiert: „Statt dass jeder sich gemeldet hat, hatte ich die Möglichkeit, einen Durchschnitt zu nehmen. Und das ist genau das, was Künstliche Intelligenz macht.“ - Für sein Thema, „Künstliche Intelligenz und Ethik“, ist das eine einfache Vorlage, die später im Vortrag wieder aufgenommen wird. - Erfolgreich ist dieses Vorgehen, weil die Zuhörenden zu einem Spiel eingeladen werden. Es macht aufmerksam und neugierig. Es entbindet den Referenten aber nicht davon, auch seine abstrakteren Aussagen loszuwerden. Es braucht also einen Übergang zur Nennung des Themas und dann einen Aufbau, der für diesen Stoff geeignet ist. Die Bauanleitung für einen gelungenen Vortrag lautet deshalb: Wähle einen klaren Aufbau und brich ihn dann auf! Setz an den Beginn einen Teil, der das Interesse weckt. Dann halte dich an die vorbereitete Struktur - aber nicht sklavisch, sondern mit der Bereitschaft, wenn entsprechende Signale aus dem Publikum kommen, auch von ihr abzuweichen. (vgl. weiter unten den Abschnitt: Der Aufbau soll flexibel bleiben.) <?page no="187"?> Mögliche Aufbauprinzipien 187 Mögliche Aufbauprinzipien Einen Aufbau zu wählen, bedeutet, einen Weg zu finden, um das Publikum durch den Stoff zu führen. Dieser Weg kann verschiedenen Prinzipien folgen: Thematisch: Der Aufbau entspricht einer als bekannt vorausgesetzten Struktur. So kann die Vorstellung einer Reihe von Sportmannschaften der zur Zeit gültigen Rangliste folgen, der Bericht über einen Garten dem Verlauf eines Rundgangs usw. Chronologisch: Die Darstellung orientiert sich an der zeitlichen Abfolge der Ereignisse. Dies ist oft nützlich, wenn die aktuelle Struktur des Gegenstandes komplex ist, sich aber aus der Geschichte ergibt. Wer zum Beispiel in die etwas unübersichtliche Struktur der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) einführen will, beginnt mit Vorteil in der Vergangenheit und zeigt, wie sich die verschiedenen Vereine entwickelt und zusammengefunden haben. Nachrichtenjournalistisch: Die wichtigste Information wird zuerst präsentiert, dann die zweitwichtigste usw. Eine Präsentation an einer Pressekonferenz wird mit Vorteil so vorgehen, weil dies der Erwartung der anwesenden Medienleute entspricht, die (hoffentlich) mit genügend Vorinformationen und der Hoffnung auf knappe, aktuelle Information angereist sind. Wissenschaftlich: Die Präsentation einer empirischen Untersuchung beginnt mit der Fragestellung, worauf meist der bisherige Stand der Forschung wiedergegeben wird. Darauf folgt die Darstellung der eigenen Studie mit den angewandten Methoden, den ermittelten Daten und den Resultaten, die schließlich diskutiert werden und zu einem Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf führen. In den einzelnen Schritten jeden Vortrags bieten sich generell zwei Vorgehensweisen an: Induktiv: Aus konkreten Beispielen werden allgemeine Aussagen abgeleitet, zum Beispiel: anhand der Aufzeichnung eines Baseball- Spiels werden die Regeln abgeleitet und dann zusammengestellt. Deduktiv: vom Abstrakten, Allgemeinen zum Konkreten, zu Einzelfällen führend - zum Beispiel, wenn der Begriff zunächst definiert und dann anhand von Fallbeispielen diskutiert wird. Aus der Erkenntnis, dass man mit Anfang und Schluss entscheidende Marken setzen kann, bietet sich in vielen Bereichen ein zyklischer Aufbau an. Die Fragestellung oder das Beispiel aus der Einleitung des Vortrags wird am Schluss wieder aufgenommen. Der Kreis schließt sich, indem die Spannung, die zu Beginn aufgebaut wurde, gelöst wird. <?page no="188"?> 188 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog Wie die Stadtführerin ihren Vortrag aufbaut Wenn die Stadtführerin der nordfriesischen Stadt Husum ihre Gäste begrüßt, führt sie sie an den Hafen und zeigt ihnen einen Mast, der von einer Reihe kupferner Ringe umfasst wird, die alle historische Daten enthalten. 188 Sie beginnt deshalb mit einem Aufhänger: „Das ist unser Sturmflutpfahl. Den gibt es in sämtlichen Regionen Deutschlands, also Gebieten, wo es zu Hochwasser kommen kann, und dementsprechend auch hier bei uns in Husum. Für uns aber eher entscheidend dran sind die Zahlen, die drauf stehen. Und zwar der 16.1.1362 - da, unten. Das ist äh für Husum ’ ne sehr bedeutende Jahreszahl, weil Husum dadurch eigentlich erst entstanden ist.“ Damit hat sie die Aufmerksamkeit auf den Hafen gelenkt, der das Thema dieses Abschnitts der Stadtführung ist. Wie in solchen Fällen oft, beginnt jetzt die Einleitung durch eine historische Hinführung , beginnend bei der Sturmflut von 1362: „Durch diese Sturmflut hat Husum Zugang zur Nordsee bekommen. Der Wattstrom, die Hever, die hat den Weg hier nach Husum reingefunden und hat sich dann mit der Au verbunden. Und dadurch konnten die Friesen, die damals schon an der Westküste entlangschipperten und ihren Handel betrieben haben, auch nach Husum kommen. Und dadurch, dass nun der ganz wichtige Handelsort Rungholt damals unterging, war es so, dass man wieder neue Handelsflächen und -orte schaffen wollte und brauchte. Und das ist dann hier in Husum erfolgt und geschehen ...“ Ergänzt wird dies mit einer Illustration. Wie mit einer filmischen Nahaufnahme weist die Stadtführerin auf eine Besonderheit hin. Das ergibt nicht nur eine informative Vertiefung, sondern führt auch zur Hauptaussage: Der Husumer Hafen ist ein Tidehafen: „Wie man heute sehen kann (weist in das Hafenbecken, durch das nur ein Rinnsal fließt), haben wir hier einen gezeitenabhängigen, tidenabhängigen Hafen. Also Ebbe und Flut finden sich hier wieder.“ Was das bedeutet, wird mit einer Vertiefung gezeigt: Die Führerin macht wieder eine zeigende Bewegung: „Das ist der Binnenhafenbereich, und wie du wahrscheinlich schon sehen kannst, ist das so, dass unser Binnenhafen als solches auch eigentlich eher ’n e begrenzte Fläche bietet und unser Hafenbecken selbst auch immer wieder verschlickt. Die Husumer Au oder die Mühlenau, die hier mündet, hat wenig Räumkraft.“ Als Abschluss eignet sich oft eine Zusammenfassung. Hier wird dagegen die wesentliche Konsequenz als eine Kernbotschaft (neudeutsch auch oft Take- Home-Message genannt) formuliert: <?page no="189"?> Wie die Stadtführerin ihren Vortrag aufbaut 189 „Ja, und das eben ist auch, warum wirtschaftlich gesehen unser Hafen nicht Nummer eins in dem Sinne ist. Hier, für die schleswig-holsteinische Westküste ist er aber tatsächlich der wirtschaftsstärkste.“ Damit hat die kurze Präsentation von etwas mehr als zwei Minuten Dauer eine einfache Struktur: ☉ Schema einer Kurzpräsentation » Aufhänger (Sturmflutpfahl) » Einleitung (historische Hinführung zum Thema) » Hauptaussage (Tidehafen) » Vertiefung (Größe, Ablagerung von Sedimenten) » Kernbotschaft (wirtschaftliche Bedeutung) Mit dem Aufhänger werden die Zuhörer für das Thema motiviert. Die Einleitung besteht darin, das Thema zu nennen, was nicht nur eine Informations-, sondern auch eine Orientierungsfunktion hat. Im folgenden Teil wird mit der Hauptaussage die wichtigste Information zusammengefasst, bevor diese in einer Vertiefungsphase erklärt, illustriert oder auch kritisch diskutiert wird. Die Kernbotschaft kann die Hauptaussage knapp wiederholen, aber auch (wie im obigen Beispiel) in eine Richtung zuspitzen. Andere Möglichkeiten der Zuspitzung könnten in einem Kommentar, einem Wunsch, einer Aufforderung oder einer anderen wertenden Äußerung bestehen. Als Einstiegsbeispiel habe ich bewusst eine informierende Ansprache gewählt. Die Stadtführung hat als Hauptziel, einige Wissenslücken zu füllen; zusätzliche Ziele, z.B. die Werbung für die Stadt oder einzelne Sehenswürdigkeiten, sind zweitrangig. Es kann natürlich auch umgekehrt sein: Die Werbung oder die Meinungsäußerung ist das Hauptziel. Am Aufbau ändert das weniger als daran, wie die einzelnen Bausteine gefüllt werden. Grundschema einer Überzeugungsrede » Einleitung » Hauptaussage » Vertiefung » Argumentation » Wiederholung oder Zuspitzung der Hauptaussage <?page no="190"?> 190 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog Eine kurze Stellungnahme im Stadtrat von Husum würde deshalb etwa so klingen: Einleitung: „Wir alle wissen, wie wichtig für uns Husumer der Hafen ist. Leider lagert sich da immer wieder so viel Schlick ab, der mit Saugbaggern beseitigt werden muss. Das ist enorm aufwändig und teuer.“ Hauptaussage: „Jetzt gibt es aber eine neue Technik, die umweltfreundlicher, zeitsparend und kostengünstiger ist: das Wasserinjektionsverfahren.“ Vertiefung: „Bisher wird bei uns wie vor hundert Jahren mühsam gebaggert, geladen, abtransportiert und wieder entladen. Beim Wasserinjektionsverfahren dagegen wird einfach Wasser in den Grund geleitet. Es entsteht ein Gemisch aus Wasser und Sediment. Das wird dann ins Wattenmeer gespült. Fertig! “ Argumentation: „Weil dieses Verfahren eine möglichst große Wassermenge nutzt und wenig Druck ausübt, werden die Sedimente weniger stark aufgewirbelt als beim Baggern. Das geht schneller, ist schonender und zudem kostengünstiger.“ Hauptaussage, zugespitzt: „Deshalb schlage ich vor, dass wir in Zukunft dieses Verfahren anwenden.“ 189 So führe ich durch einen Vortrag Ein Vortrag ist aber nicht nur die Abhandlung seiner einzelnen inhaltlichen Teile, sondern ein organisches Ganzes, das entsteht, indem diese einzelnen Bestandteile verknüpft werden und ihr Verständnis abgesichert wird. Dazu dienen folgende Prinzipien: Lineares Vorgehen: Im Prinzip ist es immer angezeigt, linear vorzugehen, das heißt, die Informationen so zu ordnen, dass eine neue Information an die vorangehende anschließt. Dies steht nicht im Widerspruch zum Verfahren des Aufbrechens starrer Schemata. Aber da, wo der Ablauf aufgebrochen wird (indem etwa ein Rückblick auf ein früheres Beispiel eingeschoben wird), muss nach dieser Unterbrechung der Anschluss an den Gedankengang wieder hergestellt werden - meistens indem man mit einer kurzen Zusammenfassung in Erinnerung ruft, wo man gerade war. Hauptaussagen mit stützenden Aussagen verbinden: Gedankensprünge ergeben sich oft unwillentlich. Man ist so tief in seinem eigenen Stoff drin, dass einem <?page no="191"?> So führe ich durch einen Vortrag 191 gar nicht auffällt, dass der Vortrag aus einer Folge von Hauptaussagen besteht, so dass das Publikum zu viel aufs Mal verdauen muss. Deshalb lohnt es sich, Aussagen, die man als seine Hauptthesen versteht, besonders sorgfältig mit Beispielen und stützenden Argumenten anzureichern. Zusammenfassen, wiederholen: Dass die wichtigsten Informationen mehr als einmal gehört werden müssen, ist selbstverständlich. Deshalb braucht auch nicht betont zu werden, dass an den Schluss eines längeren Vortrags eine Zusammenfassung gehört und an den Schluss eines kurzen Statements ein Schlusssatz. Aber eine kurze Wiederholung kann auch dazu dienen, den Übergang von einem Kapitel zum nächsten zu erleichtern. Nicht nur rational informieren Im klassischen Aufbaumuster fragt der Redner: Was tue ich in den einzelnen Abschnitten (also: Behauptung aufstellen, argumentieren, illustrieren usw.)? Es geht also um die Funktionen (oder Sprechhandlungen, vgl. Kapitel 8) aus der Sicht des Redners. Eine andere Frage ist aber: Was tun die Zuhörenden? Aus ihrer Perspektive ist auch ein ganz anderes Auswahlprinzip nützlich: das Prinzip der Aktivierungsebenen: Jeder inhaltliche Bestandteil - jede These, jedes Beispiel, jede Frage usw. - kann die Zuhörer auf mehreren Ebenen ansprechen. Verständlicherweise beginnt die Planung einer Rede gewöhnlich bei den trockenen Fakten. Man skizziert die abstrakten Aussagen und ihre inhaltliche Beziehung. Das ist zunächst eine Reduktion auf den rationalen Gehalt, also, wie oben gezeigt, auf die Frage, ob behauptet, argumentiert, illustriert wird usw. ☉ Formen der Präsentation und Diskussion des Inhalts » Behaupten » Argumentieren » Illustrieren » Erzählen » Erklären » Fragen zum Inhalt stellen und beantworten Eine ganz andere Standardfrage bei der Vorbereitung ist: Wie können die kreativen Fähigkeiten des Publikums aktiviert werden? Das Ziel dabei ist, dass die Zuhörenden in der Lage sind, Aussagen oder Begriffe, über die referiert wird, auch selbst anzuwenden. Sie können mit eigenen praktischen Handlungen die Hauptaussagen rekonstruieren, ihr Wissen auf analoge Sachverhalte übertra- <?page no="192"?> 192 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog gen und anwenden. So können zum Vortrag auf der kreativen Ebene zum Beispiel Denkaufgaben gehören, für die man dem Publikum kurz Zeit gibt, oder auch Gespräche mit den Sitznachbarn. ☉ Was die Kreativität fördert » Aufgaben, Probleme, Rätsel stellen » gemeinsam singen, beten, rezitieren, inszenieren » Fragen zu eigenen Erfahrungen, Anwendungen stellen und beantworten » zum Zeichnen, Erzählen, Sich-Bewegen auffordern Auch die emotionale Aktivierung wird oft vergessen. Dabei ist sie eine Voraussetzung für die Motivation der Zuhörenden. Sie ermöglicht ihnen, einen Bezug zu sich selbst herzustellen, und lernen so leichter. Und oft geht der Weg über einfache Beispiele oder Vergleiche aus ihrem Leben oder auch aus der Erfahrung des Referenten. 190 ☉ Förderung der emotionalen Beteiligung » scherzen » Persönliches, Lustiges, Trauriges usw. erzählen » erschrecken, erstaunen, verblüffen usw. Schließlich sollte auch die Meta-Ebene geplant werden. Die Zuhörenden sollen sich über den Verlauf des Vortrags orientieren können. Sie sollen die Funktionen der einzelnen Informationen erkennen. Sie sollen wissen, an welcher Stelle des Gedankengebäudes man sich gerade befindet. Übersichten, Ankündigungen, Rückblicke usw. sollten deshalb nicht nur der Spontaneität überlassen, sondern schon bei der Vorbereitung eingeplant werden. ☉ Formen der Metakommunikation » Überblick über den Aufbau » Strukturierende Einführungen » Überleitungen » Diskussion des Ablaufs » Fragen zum Ablauf stellen und beantworten <?page no="193"?> Das Redeziel ist verhandelbar 193 Die Zuhörer sind dankbar, wenn sie sich im Lauf des Vortrags orientieren können. Was will der Redner? Wo sind wir? Was haben wir bisher getan? Wo geht es jetzt hin? Der Aufbau soll flexibel bleiben Die wichtigste Lehre der herkömmlichen praktischen Rhetorik ist: einen überzeugenden Aufbau zu wählen. Deshalb muss er geplant und zielgerichtet sein. Aus Sicht einer konstruktiven Rhetorik, die dialogisch vorgeht, ist es ebenso wichtig, einen flexiblen Aufbau zu haben. Wie lange und in welcher Reihenfolge man bei einem Thema verweilt, soll nicht allein vom Redner abhängen. Wenn er im Kontakt mit seinem Publikum ist, wird er zwar nicht auf eine Disposition verzichten, aber er wird sie anpassungsfähig lassen. Die Vorlesungen des Philosophen Ludwig Wittgenstein wären anders ausgefallen, wenn er nicht gelegentlich von einem Studenten mit einer Frage unterbrochen worden wäre. Da konnte es vorkommen, dass er sagte: „Lassen Sie mich kurz nachdenken! “. Die Autoren seiner Biografie schildern, dass er darauf „eine Zeitlang nach vorn gebeugt auf seinem Stuhl saß und in seine offene Handfläche starrte“. 191 Er integrierte das Interesse und die Ideen seiner Zuhörer in den Vortrag. Als Rednerin oder Redner weiß man natürlich, was in der Rede behandelt werden sollte. Deshalb wird man eingeladen, deshalb ist überhaupt Publikum da. Man wählt also die inhaltlichen Elemente des Vortrags und einen optimalen Aufbau. Dennoch fordert ein dialogisches Vorgehen, dass auch davon abgewichen werden kann. Wenn sich während des Vortrags (oder gleich zu Beginn) herausstellt, dass das Publikum einen anderen Aufbau oder eine andere Schwerpunktsetzung braucht, sollte diese Flexibilität eingebaut sein. Dies ermöglichen Unterlagen, die weniger wie ein fortlaufendes Manuskript und mehr wie ein Zettelkasten organisiert sind. Farbige Markierungen helfen, die Themen zu bündeln und während des Vortrags zu springen oder einzelnes wegzulassen. Das Redeziel ist verhandelbar Sogar das inhaltliche Redeziel kann im Dialog mit dem Publikum gestaltet werden. Zwar wird es in der Regel vom Veranstalter vorgegeben. Endgültig wird es aber im Dialog zwischen Redner und Publikum ausgehandelt. Es kann sein, dass die vorbereiteten Inhalte die Zuhörenden überfordern. Es kann auch sein, dass sie ihrer eigenen Vorurteile wegen nicht bereit sind, so weit mitzudenken, wie es geplant wäre. Wer darauf eingestellt ist, darauf, dass das Publikum mitwirken kann, hat es leichter. <?page no="194"?> 194 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog Um das Jahr 1968 herum wurden oft Vorlesungen an den Universitäten zu Diskussionen „umfunktioniert“. Hochschullehrer aus jener Zeit berichten von ihren leidvollen Erfahrungen mit politisch aktiven Studierenden. Diese forderten zum Beispiel, dass die Vorlesung über ein politikwissenschaftliches Thema umgebogen würde in eine Diskussion über die aktuelle Bildungspolitik. In einigen Fällen behielten die Störenfriede die Oberhand, in anderen Fällen gelang es den Dozenten, die Lehre fortzusetzen. Oft erreichten sie das einfach über eine Abstimmung, bei der sich ergab, dass die Mehrheit der Anwesenden dies für vernünftiger erachtete. Dass die radikalen Studierenden aber überhaupt mit der Forderung nach Diskussion den geordneten Unterricht aus den Angeln heben konnten, hat viel damit zu tun, dass der Dialog gar nicht zum Weltbild der damaligen Dozenten gehörte. Wie sich die Struktur entwickelt, hängt in einer konstruktiven Atmosphäre nicht allein vom Redner ab. Wenn sich dieser dafür interessiert, ob seine Zuhörer die zum Verständnis notwendigen Gedankenschritte mitmachen, wird er ins Publikum hineinsehen und hineinhorchen. Das gilt sogar für die politische Überzeugungsrede. Ohne die Reaktionen aus dem Publikum wahrzunehmen, spricht man gleichsam an eine Wand und weiß nicht, ob die Intentionen erkannt werden. Dabei geht es noch nicht um die Frage, ob die Äußerungen auch positiv aufgenommen werden, sondern nur darum, ob sie überhaupt eine Chance haben. Die erwünschte Wirkung kann so nicht herbeigezaubert, aber die Bedingungen dafür können optimiert werden. Von der Trauerrede zur Agitation Ein berühmtes literarisches Beispiel zeigt, wie sich das eigentliche Ziel einer Rede erst in ihrem Verlauf entwickeln kann: Mark Antons Trauerrede für Julius Cäsar in Shakespeares Tragödie. Sie wird oft als Muster für die Kunst der Persuasion zitiert. Cäsar ist ermordet worden, und die versammelten Bürger haben den Mord noch eben gutgeheißen. Er war aus ihrer Sicht notwendig, um den Bürgern Roms die Freiheit wieder zu geben: „Der Cäsar war ein Tyrann,“ sagt ein Bürger. „Ja, das ist sicher,“ antwortet ihm ein anderer, „es ist ein Glück für uns, dass Rom ihn los ward.“ 192 Dann beginnt Mark Anton zu reden, und am Schluss ist ihre Meinung umgedreht. Sie fordern Rache für Cäsar und gehen hin, um die Verschwörer umzubringen und ihre Häuser niederzubrennen. Dass es Mark Anton gelingt, sein Publikum so zu beeinflussen, ist hier weniger entscheidend, als dass er es zunächst aus einer unsicheren Position heraus in Angriff nimmt. Er weiß nicht, wie die Bürger reagieren werden. In der Tat ist er mit der Absicht zum Forum aufgebrochen, das Volk zu prüfen, „wie dieser blutʼgen Männer unmenschliches Beginnen ihm erscheint.“ 193 Deshalb nimmt <?page no="195"?> Das Redeziel ist verhandelbar 195 er zunächst ihre Stimmung auf und sagt: „Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen.“ Er achtet auf ihre Reaktionen, erst mit der stärker werdenden Zustimmung wird auch seine Rede eindringlicher und endet in einer Lobrede, die die Rachegelüste der Bürger auf den Höhepunkt bringt. Es wäre ihm durchaus möglich gewesen, den Verlauf der Rede noch umzubiegen, wenn er gespürt hätte, dass die Zuhörer ihm nicht folgen würden. Nach den berühmten Passagen der Verneigung vor Brutus („... und Brutus ist ein ehrenwerter Mann ...“) flicht er positive Erinnerungen an Cäsar in die Rede ein. Dabei hört er genau auf die Reaktionen der Zuhörer, so dass er immer mehr und immer eindeutiger Cäsars Tugend und Leistungen betont. In Abstimmung zwischen Redner und Publikum hat sich der Charakter der Rede herausgebildet. Alles andere wäre weniger erfolgreich gewesen: sowohl eine reine Trauerrede, wie er sie zunächst angekündigt hat, als auch eine reine plakative Lobrede. Ähnliches ist möglich, wenn das Ziel nicht Überzeugung, sondern Information ist. Ein Vortrag kann sich ausweiten zu einer Diskussion, zu einem gemeinsamen Experiment, zu einer religiösen Andacht usw. Allerdings funktioniert dies nur, wenn die Entwicklung im Dialog geschieht. Je monologischer die Situation, desto befremdlicher kann eine derartige Veränderung des ursprünglichen Charakters der Rede sein. Ein Schriftsteller verkennt den Monologcharakter der Rede In Erinnerung ist in diesem Zusammenhang die Rede von Navid Kermani bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 2015. Er rief in dieser Rede dazu auf, sich diplomatisch und militärisch entschiedener gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zu wenden. Gegen den Schluss berichtete er vom Schicksal der vom „IS“ entführten Christen aus der syrischen Stadt Qaryatein und er rief auf, für sie zu beten - hier und jetzt: „Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie um etwas Ungewöhnliches bitten - obwohl es so ungewöhnlich in einer Kirche dann auch wieder nicht ist. Ich möchte Sie bitten, zum Schluss meiner Rede nicht zu applaudieren, sondern für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein zu beten, den Kindern, die Pater Jacques getauft, die Liebenden, die er miteinander vermählt, den Alten, denen er die Letzte Ölung versprochen hat. Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten und auch bei Pater Jacques, der mit sich hadert, weil nur er befreit worden ist.“ Zu bewundern ist der Mut, den ein solcher Aufruf braucht. Aber aus Sicht vieler Zuhörer war es eher eine Zumutung, auch wenn sie gläubig waren. Sie <?page no="196"?> 196 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog wurden nicht gefragt. Sie waren unvermittelt zum gemeinsamen Beten oder „Wünschen“ verdonnert. Dies wäre in einem dialogischen Kontext - außerhalb der Festrede - anders verlaufen. Der Redner hätte dann von Anfang an auf Zeichen aus dem Publikum geachtet und hätte diesen Vorschlag aus der Interaktion gemacht - eventuell mit anderen Formulierungen oder mit einer Aufforderung, die den Teilnehmenden auch die Möglichkeit gegeben hätte, sich anders zu verhalten, als aufzustehen und so zu tun, als ob sie ins Gebet einstimmten. ☉ Im Dialog bleiben, zu einem gemeinsamen Ziel kommen Den Vortrag als gemeinsame Leistung verstehen: „Was ich heute Abend beizutragen habe ...“ - „Was Sie heute beitragen können ...“ Ziele nennen: Was sollen die Zuhörer erfahren? Was sollen sie tun? Welche Anschlussaktivitäten wünschen sie sich? - Dies verschafft dem Publikum einen Überblick über die Zielsetzung. Den Vortrag klar aufteilen: „Ich will Sie zunächst über X informieren. Dann haben Sie Gelegenheit zur Aussprache. Schließlich möchte ich, dass Sie an einem Experiment teilnehmen.“ - Dies ermöglicht nach jedem Abschnitt eine Neuorientierung. Eine transparente Gliederung erleichtert den Dialog Zwei Forderungen stellen sich an die Gliederung, damit sie den eigenen Vortrag ebenso unterstützt wie die Orientierung des Publikums. Zum einen muss sie in den eigenen Unterlagen sinnvoll notiert und visuell dargestellt sein. Zum anderen muss sie verständlich präsentiert werden. Oberflächlich gesehen reicht für den Redner eine abstrakte Struktur aus: » Einleitung » Teil 1 » Teil 2 » Teil 3 » Abschluss Das ist das Grundgerüst, an dem der Stoff aufgehängt ist. Aber es fehlt jeglicher Inhalt. In der Praxis akademischer Tagungen trifft man das überraschend <?page no="197"?> Mit dem Einstieg Kontakt schaffen 197 häufig an. Es wird mit gängigen Phrasen aufgepeppt und heißt dann etwa „Ich werde nach einer kurzen Einführung unsere Hypothesen vorstellen. Dann werde ich auf die Methoden eingehen, die wir bei unserer Forschung verwendet haben. Dann komme ich auf die Resultate zu sprechen, die ich anschließend im Licht früherer Untersuchungen diskutieren werde. Es folgt die Zusammenfassung der Hauptthesen.“ Die Präsentation der Gliederung ist nur dann hilfreich, wenn sie Verweise auf den Stoff enthält. Am besten funktioniert dies in der Form von Handlungsaussagen: Im ersten Teil werde ich Ihnen zeigen ... Oder: Im zweiten Teil werden wir ... Die Präsentation der Gliederung ist ein Gebot der Transparenz. In den besten Fällen gehört dazu auch, dass diese Gliederung flexibel ist: dass die Ausführlichkeit, in der die einzelnen Teile behandelt werden, aber auch die Reihenfolge den Bedürfnissen der Zuhörer angepasst werden kann. Dies kann man ohne weiteres verbalisieren. Wenn die Rednerin die Disposition mit diesem Bewusstsein präsentiert, wird sie auch auf Rückmeldungen achten, die signalisieren, dass eine Umstellung notwendig ist. Sie kann dies gelegentlich mit Fragen ans Publikum absichern. ☉ Elemente der Präsentation des Aufbaus [1] Die beabsichtigte Struktur ankündigen [2] Die Struktur zur Diskussion stellen [3] Die Struktur zwischendurch thematisieren [4] Rückblick mit Einbezug der Struktur Notwendiger Bestandteil des Anfangs einer Rede ist nur Punkt 1. Alle anderen fließen gelegentlich ein. Mit dem Einstieg Kontakt schaffen Der Anfang ist immer eine Gelegenheit, das Publikum zu motivieren und seine Aufmerksamkeit zu bündeln. Es ist auch in den ernsthaftesten Zusammenhängen nicht notwendig, mit einer langen organisatorischen Einleitung anzufangen („Ich freue mich, dass Sie mich zu der 35. Sitzung Ihrer Gesellschaft eingeladen haben.“). Im Gegenteil: Jeder wird sich freuen, gleich zu Beginn etwas inhaltlich Relevantes zu hören. Der folgende Abschnitt enthält deshalb einige Hinweise für die Gestaltung eines Einstiegs. Dies als Beispiel für den Übergang von einer attraktiven, konkreten Passage zur meist abstrakten Hauptaussage. <?page no="198"?> 198 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog Warum nicht direkt einsteigen? Der Referent hat ein aktuelles Thema: Solarenergie - die Lösung aller Probleme? Er spricht vor einer bunt gemischten Zuhörerschaft, die sich aus Sorge um die Zukunft der Menschheit in den Saal bemüht hat. Er hat eine alarmierende Botschaft: Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen der Menschheit. Und die besteht darin, dass wir unser globales Energiesystem, so, wie wir es in den letzten 150 Jahren kennengelernt haben, fundamental und ganz schnell umstellen müssen. Wir haben keine 50 oder 100 Jahre Zeit, wir haben höchsten 10 oder 20 Jahre Zeit, um diese fundamentale Umstellung wirklich in die Wege zu leiten. 194 Das ist seine Botschaft. Und die trifft jeden im Saal. Aber bevor er sie ausspricht, muss er noch dringend ganz anderes sagen. Er muss nämlich umständlich erklären, was wer am Titel geändert hat, und er muss unbedingt sein Institut vorstellen. Der Vortrag beginnt deshalb nicht mit seiner Hauptaussage, die ihm ein echtes Anliegen ist, sondern mit einschläfernden Nebengedanken, die keinen interessieren: Heute ist unser Thema die Solarenergie. Und Sie haben es schon gesehen: Ich habe da einen kleinen - den Titel ein wenig geändert. Wir reden nur über die Energieprobleme und nicht über alle Probleme, die wir lösen wollen. Vielleicht ein paar Worte zu unserem Institut; Sie sehen ’ s schon hier auf diesem Foto - das Institut hat jetzt 930 Mitarbeiter, davon sind fast die Hälfte Diplomanden und Doktoranden ... Warum das alles? - Weil er aus einem Institut kommt, das auf die Finanzierung durch potente Geldgeber angewiesen ist? Weil er stolz ist, dass er in den letzten zehn Jahren die Zahl der Mitarbeiter verdoppeln konnte? - Beides ist durchaus nachvollziehbar, die Werbung und die Selbstdarstellung. Aber es wäre sehr viel effektiver, wenn er es erst sagte, nachdem er die Zuhörer von seiner Leistung überzeugt hat - also nach den ersten wichtigen Informationen. Hätte der Dozent mit dem Satz von der großen Herausforderung angefangen, so hätte er nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums für die werbenden Passagen gesichert, sondern er hätte auch eine Verbindung zwischen diesem beiden Teilen herstellen können. Etwa so: „An diesen Aufgaben arbeiten wir mit Hochdruck, wir, am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ...“ Das hätte man toleriert. Die werbende Botschaft wäre auf die emotionale gefolgt, sie hätte eine Funktion gehabt und überzeugt. ☉ Organisatorische Informationen einpacken Zu jedem Auftritt gehören unattraktive, organisatorische Mitteilungen: Daten, Namen, Organisationen, Publikationen usw. Niemand ist aber <?page no="199"?> Mit dem Einstieg Kontakt schaffen 199 gezwungen, sie an den Anfang zu stellen und damit das eigene Informationsziel zu torpedieren. Organisatorisches kann sehr gut nach einigen informativen Passagen eingebaut werden. Dann ist es auch möglich, einen Bezug zum präsentierten Inhalt herzustellen (z.B. indem man das eigene Unternehmen nicht nur nennt, sondern zeigt, wie dieser Inhalt mit dessen übrigen Aktivitäten zusammenhängt). Die erste Frage ist immer: Welches ist meine Botschaft? Ihr ist der Einstieg untergeordnet. Die zweite Frage aber ist: Wie stelle ich sofort eine Verbindung zwischen ihr und den Zuhörern her? Mit einer Erfahrung beginnen Die Nennung des Themas gehört an den Anfang, gefolgt von einem Überblick über die beabsichtigte Gliederung. Aber dies stößt viel eher auf Resonanz, wenn es auf einen konkreten Einstieg folgt, der beide, Redner und Publikum anspricht. Floskeln wie Mein Thema ist heute ... sind unnötig; das Publikum soll nicht über das Thema informiert werden, es soll erfahren, worum es geht. Dies funktioniert am leichtesten auf der Beispielebene: über eine kleine Geschichte, ein Problem, eine ungewöhnliche Behauptung, eine Prognose, ein Versprechen usw., so dass das kreative Denken der Zuhörer und möglichst auch die emotionale Beteiligung aktiviert wird. Daran schließt sich die Formulierung des Titels sehr leicht an. Bill Gates (bzw. sein Beraterstab) hat einen skurrilen, aber persönlichen Weg gewählt. Sein Ziel ist, ein Katastrophenszenario zu zeichnen, das bisherige Vorstellungen überschreitet. Er fängt bei der größten denkbaren und sehr unwahrscheinlichen Katastrophe aus seiner Kindheit an. Damit kann er glaubhaft von sich selbst berichten, aber auch die Katastrophe, um die es ihm wirklich geht, umso deutlicher kontrastieren: „Als ich ein Kind war, war das größte Unglück, das wir uns vorstellen konnten, ein Atomkrieg. Deshalb hatten wir ein solches Fass in unserem Keller, voller Lebensmittel und Wasser. (Er zeigt auf ein Blechfass, das er mitgebracht hat.) Wenn ein Atomkrieg ausbrechen würde, wären wir die Treppe hinunter gegangen, hätten uns hingekauert und aus diesem Fass gegessen (Gelächter). Heute sieht das größte Risiko einer globalen Katastrophe nicht mehr so aus. Es sieht vielmehr so aus: (er zeigt ein Bild mit einer mikroskopischen Darstellung). Wenn irgendetwas in den nächsten Jahrzehnten über 10 Millionen Menschen umbringt, dann ist es am ehesten ein höchst ansteckendes Virus, eher als ein Krieg.“ Er kann damit rechnen, dass sein Publikum schmunzelt oder lacht, wenn es an die Bilder aus der Atomkrieg-Hysterie der 1950er-Jahre erinnert wird. Er kann <?page no="200"?> 200 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog auf dieser Emotion aufbauen - auch wenn die Emotion, die er in der Folge hervorrufen will, negativ ist. Wesentlich ist nicht, dass einen ganzen Vortrag lang die gleiche Emotionalität durchgehalten wird, sondern dass ein gemeinsamer emotionaler Boden geschaffen wird. ☉ Interesse wecken Als vorangestelltes attraktives Element eignet sich: » eine kurze Erzählung, Anekdote » ein Anwendungsbeispiel » eine Prognose » eine ernst gemeinte Frage Mit einer attraktiven Einzelheit anzufangen, ist ein so alter Trick, dass man sich wundert, wie wenig er im deutschen Sprachraum bei Fachvorträgen genutzt wird. Intuitiv wählt man gerne die folgende Struktur: [1] Thema nennen [2] Problem definieren [3] Lösungsweg aufzeigen [4] Lösung illustrieren [5] Zusammenfassung Dabei ist schon viel gewonnen, wenn ein weiterer Punkt vorangestellt wird: [1] Mit einem Beispiel Interesse wecken [2] Thema nennen [3] Problem definieren [4] Lösungsweg aufzeigen [5] Lösung illustrieren [6] Zusammenfassung Dieses Beispiel, das dem Vortrag vorangestellt wird, kann oft aus dem späteren Verlauf herausgelöst werden, z.B. eine Anwendung, auf die die Rednerin zurückkommen wird, das aber hier schon einmal sinnfällig macht, worum es geht. Bei kürzeren Vorträgen kann man am Schluss auf den „Aufhänger“ zurückkommen: [1] Mit einem Beispiel Interesse wecken [2] Thema nennen [3] Problem definieren [4] Lösungsweg aufzeigen <?page no="201"?> Mit dem Einstieg Kontakt schaffen 201 [5] Lösung illustrieren [6] Zusammenfassung [7] Anwendung der Lösung auf das Beispiel vom Anfang. Das folgende Beispiel aus der Praxis zeigt, dass ein beliebiges Detail herausgegriffen werden kann, um am Anfang Interesse zu wecken. Wenn es konkret genug formuliert ist, braucht es nicht spektakulär zu sein, um seinen Zweck zu erfüllen: „Wir sind in einem großen Park in einem Vorort von Wuppertal. Zwei Dutzend Kinder und Erwachsene, mit Schutzhandschuhen an den Händen und grünen Müllsäcken unter dem Arm schwärmen aus, über Rasen und Spielplätze. Sie werden Spaß haben und etwas für die Sauberkeit ihrer Stadt tun.“ Im Anschluss an diese konkrete Schilderung kann das Thema genannt werden: „Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Programm, das wir vor drei Jahren entwickelt haben. In Wirklichkeit geht es nicht darum, die Parks sauber zu machen, sondern Gemeinsinn zu entwickeln. Sie werden heute Abend erleben, dass ...“ Die Zuhörenden werden „abgeholt“. Sie werden mit einem konkreten Anwendungsbeispiel angesprochen, bevor es mit Abstraktem, mit Definitionen oder mit der Einordnung des Themas weitergeht. Überzeugungskraft bekommt dieses Verfahren dann, wenn das Publikum als aktiv mitdenkender Partner angesprochen wird. Das funktioniert gut, wenn man am Schluss nochmals die Abstraktionsebene senkt und auf das Einstiegsbeispiel zurückkommt: „Bei der Aktion in jenem Wuppertaler Park haben wir uns am Abend alle nochmals getroffen und ...“ Auf diese Weise wird nicht nur mit einer konkreten Passage die Aufmerksamkeit gehalten, sondern es ergibt sich auch ein guter Anknüpfungspunkt für die Diskussion. Der Anfang muss verständlich sein In vielen Fällen fehlt konkreten Anfängen die Überzeugungskraft. Dies ist z.B. daran zu merken, dass eine zu Beginn gestellte Frage (oder eine kurze Anekdote, eine persönliche Erfahrung usw.) an der Realität der Zuhörer vorbeigeht oder ganz einfach zu schnell gesprochen wird und die Pause danach zu kurz ist. Das heißt: Das dialogische Element fehlt trotz allem. Dies muss nicht so sein, aber es kann geschehen, wenn man einseitig auf eine tolle Wirkung bedacht ist statt auf den gemeinsamen Gedankenprozess. Die Leitfrage dabei lautet nicht: „Mit welchem Einstieg verblüffe ich die Leute am <?page no="202"?> 202 12 Der Aufbau unterstützt den Dialog meisten? “ Sondern: „Wie werde ich auf ihre Verblüffung reagieren? “ Dafür braucht es drei Dinge: » die Zeit, Neugier entstehen zu lassen » die Überprüfung, ob Neugier geweckt wurde » eine Fortsetzung, an der die Zuhörer beteiligt sind Aufbau online Als an unserer Universität die gesamte Lehre vom Präsenzauf Online-Unterricht umgestellt wurde, wurde ein Gesprächsthema unversehens zentral, das lange im Hintergrund geblieben war: Didaktik. Die Lehrenden an Hochschulen haben viele Lieblingsthemen, Didaktik gehört selten dazu. Jetzt hatten sich aber die Anforderungen grundsätzlich geändert. Bisher waren die Studierenden es gewohnt gewesen, von einer 90-Minuten- Veranstaltung zur nächsten zu wandern. Nicht dass sie während der anderthalbstündigen Seminare und Vorlesungen immer aktiv dabei gewesen wären; aber sie hatten sie durchgestanden. Auch die anspruchsvollsten Lektionen hatten durch die gemeinsame Anwesenheit in einem Raum einen etwas bedächtigeren Rhythmus. Und es war ein Gemeinschaftserlebnis. Man lernte andere Leute kennen. Man sprach miteinander beim Ortswechsel von einem Hörsaal zum anderen, machte Abstecher zur Cafeteria. Es machte oft einfach Spaß, zu studieren. Das alles war jetzt ersetzt durch das einsame Absitzen der Unterrichtsstunden vor dem Bildschirm ohne direkten Kontakt zu den Mitstudentinnen. Hinzu kam, dass die Dozentinnen und Dozenten ihre Online-Vorträge mit Inhalten vollgepackt hatten, ohne sich mit Nebensächlichem oder Wiederholungen abzugeben. Das versah die Studierenden mit einer so geballten Ladung von Information, dass sie sich fragten, wie sie sie bewältigen sollten. Die ersten Feedbacks waren zum Teil verheerend. Und viele Lehrende mussten erkennen, dass ihre klassischen Unterrichtsformen ausgedient hatten. Man konnte nicht einfach den Frontalunterricht ins Medium übernehmen. Und man konnte vor allem nicht die gleichen langen Unterrichtseinheiten durchhalten - weder als Professor noch als Student. Deshalb hieß die erste Erkenntnis der didaktischen Gespräche: Kürzen! Die Veranstaltungen durften nicht so lang sein wie beim Präsenzunterricht. Empfohlen wurden Einheiten von maximal 15 Minuten. Das war ein Sechstel der gewohnten Zeit. Dafür wurden sie für die Studierenden ergänzt durch Selbststudium und Gespräche untereinander. Ins Zentrum wurde ein alter Begriff gerückt: Blended Learning - eine Mischung verschiedenster Formen des Lernens, online und offline. Die wichtigste Erkenntnis aber, die für jede Art der Online-Präsentation gilt, lautet: Kürzen! <?page no="203"?> Komm schnell zur Sache! 203 Komm schnell zur Sache! Online zu reden bedeutet, in Konkurrenz zu anderen Angeboten zu reden. Deshalb ist es wichtig, keine Zeit mit überflüssigen Inhalten zu verlieren. Der attraktive Einstieg (oder gar ein vorgeschobener Teaser, also eine kurze, werbende Aussage vor dem eigentlichen Anfang) bekommt entscheidende Bedeutung. Die Botschaft muss sein: „Es lohnt sich, dabeizubleiben! “ Bewährte Anfänge im Online-Vortrag sind: » Anknüpfen: Ein Thema oder ein Problem, das in der Luft liegt, wird aufgenommen. Das kann ein aktuelles Ereignis sein, aber auch die Quintessenz des vorangegangenen Vortrags. » Relevanz betonen: Von der Bedeutung des Themas im Alltag des Zielpublikums ausgehen. » Erzählen: Persönliches Erlebnis, das direkt zum Thema führt » Versprechen: Auf den Nutzwert des Vortrags hinweisen. Abzuraten ist von langen organisatorischen Anfängen. Im Gegensatz zum Präsenzvortrag können Hintergrundinformationen und Auskünfte über den Veranstalter oder die weiteren Vorträge ausgelagert werden, zum Beispiel in schriftliche Elemente der Website oder in Dateien auf einer gemeinsam genutzten Plattform. <?page no="205"?> 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein Argumentieren ist eine Einladung zum Mitdenken. Am Anfang steht ein Anliegen: ein Produkt, das verkauft werden will, - ein Vorschlag, den andere übernehmen sollen, - eine politische Überzeugung, die Unterstützer braucht usw. Und wer so ein Anliegen vertritt, argumentiert, bringt Aussagen vor, die es stützen. Wie das getan wird, mutet manchmal mehr oder weniger korrekt, mehr oder weniger fair an. Aber das Ziel ist immer das Gleiche: Indem das Anliegen mit weiteren Sätzen untermauert wird, soll das Publikum es sich zu eigen machen. Die Bedeutung der Argumentation wird oft klar, wenn jemand eine reine Behauptung in die Welt setzt. Was man dabei vermisst, sind weitere Aussagen, die nachvollziehen lassen, wie diese Person zu der Behauptung kommen konnte. Während der Präsidentschaftswahl in den USA im Jahr 2020 war die Auszählung der Stimmen noch im Gange, als aus dem Weißen Haus der Tweet kam: I WON THIS ELECTION! 195 „Ich habe diese Wahl gewonnen! “: Eine einfache These ohne jede weitere Erklärung. Da es zu dieser Zeit schon andere Meinungen gab, stand die Behauptung des Präsidenten in dieser isolierten Form auf recht schwachen Füßen. Eine Stütze hätte sich aus der einfachen Aussage ergeben, dass er die meisten Elektorenstimmen auf sich vereinigen konnte. Aber das taten bereits Vertreter der Gegenmeinung. Praktisch gleichzeitig erkoren die wichtigsten Nachrichtenredaktionen Joe Biden zum Wahlsieger. Sie stützten sich auf die bisherigen Auszählungen und auf eine Hochrechnung in dem Staat Pennsylvania, dessen Resultat noch umstritten war. Ihre Aussage härteten sie mit einem Verfahren, von dem sie wussten, dass es weitherum anerkannt war. Stark vereinfacht kann man das so sagen: Sieger ist, wer die meisten Elektorenstimmen bekommt. Biden hat am meisten Elektorenstimmen. Also ist Biden Sieger. Das klingt logisch und überzeugt auch, wenn man die Regel kennt, dass die Zahl der Elektorenstimmen den Sieger bestimmt. Und natürlich nur dann, wenn man die bei der Rechnung verwendete Zahl der Elektorenstimmen nicht bestreitet. Zum Gedankengang gehören also zwei Prämissen und eine These: [1] Eine allgemeine Regel (Argumentregel): „Sieger ist, wer die meisten Elektorenstimmen bekommt.“ Sie gehört zum gemeinsamen Wissen der Beteilig- <?page no="206"?> 206 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein ten. Hier sind es die US-Verfassung und die Wahlgesetze der Bundesstaaten, deren Gültigkeit kaum jemand in Frage stellen kann. [2] Eine aktuelle Information (Argumentsatz): „Biden hat die meisten Elektorenstimmen bekommen.“ Auch diese Information muss abgesichert sein. Wenn das der Fall ist, lässt sich die Hauptaussage formulieren. [3] Die These: „Biden ist Sieger.“ Sie ergibt sich aus den beiden Prämissen. Wer einer anderen These zum Sieg verhelfen will, muss eine der beiden Prämissen widerlegen. Wahlweise lässt sich sagen: Es wurde falsch gezählt. Oder: Es wurden ungültige Stimmen mitgezählt. Und solange das Endresultat nicht vorliegt, kann man auch die Methode der Hochrechnungen verwerfen. Letztlich richten sich diese Widerlegungsversuche alle auf die Aussagen im Argumentsatz. Das ist eine Form der rationalen Argumentation. Sie beruht auf einem mehr oder weniger strengen Befolgen logischer Denkweisen. Viel üblicher ist in der Praxis aber, dass man sich rhetorischer Verfahren bedient. Sie beweisen die These nicht, machen sie aber plausibel. Überzeugend wirken sie aus ganz verschiedenen Gründen. 196 Argumentiert wird, wenn etwas strittig ist Zu überzeugen, so wie eine Politikerin ihre Wähler überzeugen will, ist meist nicht das Hauptanliegen eines Sachvortrags. Die Zuhörerinnen und Zuhörer sollen nicht ihre Meinung ändern; sie sollen die Informationen verstehen und behalten. Deshalb werden oft einfach Fakten präsentiert, ohne sie mit anderen Sachverhalten zu begründen, zum Beispiel so: „Nachdem man in das Fahrzeug eingestiegen ist, stellt man sich wie folgt den Sitz ein: Als erstes das Kupplungspedal mit dem linken Fuß bis zum Anschlag durchtreten und den Sitz jetzt so nach vorn bzw. nach hinten schieben, dass das Knie leicht angewinkelt ist. Als nächstes wird mit der rechten Hand der Innenspiegel eingestellt. Mit der linken Hand stellt man nun die Außenspiegel ein. Jetzt nur noch anschnallen, das Kupplungspedal durchtreten, das Lenkradschloss lösen und den Motor starten. Den Gang einlegen, die Handbremse lösen, links blinken, Außenspiegel, Schulterblick, Kupplungspedal loslassen und losfahren! “197 Das ist eine Anleitung für Fahranfänger. Sie braucht keine Argumentation. Dass ich diese Anleitung dennoch übernehme, liegt an der Autorität des Lehrers. Ich glaube ihm, weil ich ihm die notwendigen technischen Kenntnisse und die Erfahrung zutraue. Er braucht seine Thesen nicht zu begründen, es reicht, wenn er den Ablauf aufeinanderfolgender Handlungen schildert. Das Lehrer-Schülerverhältnis, die Autorität des einen und der Unterordnung des anderen reichen hier aus. <?page no="207"?> Rational und rhetorisch 207 Erst wenn Fragen auftauchen, wenn also der reine Monolog durchbrochen wird, tritt die Argumentation ins Zentrum: Frage: Sollte man Gas dazu geben oder überhaupt nichts machen? Antwort: Also ich hab ’ das so gelernt: Gang raus, Schlüssel rumdrehen, kein Gas geben, weil man sonst den Kat kaputtmachen kann, und dann sofort losfahren. 198 Eine liebevolle Antwort von Automobilist zu Automobilist. „Weil man sonst den Kat kaputtmachen kann“, bringt Argumentation ins Spiel. Die Anweisung wird mit einer Warnung vor einer negativen Konsequenz verknüpft und wirkt damit besser. Das Beispiel zeigt aber auch, dass bei vielen Sachthemen die Diskussion von Gründen oft vernachlässigt werden kann: Der Fahrlehrer führt einen Routineablauf vor, den der Schüler einfach beherzigen sollte, und da kommt die Frage: „Warum? “ Das kann einfach nerven. Oder umgekehrt: Der Hobbyastronom informiert: Morgen Nacht ist eine Chance, Polarlichter zu sehen. Der Zuhörer freut sich, hat aber keine Lust, eine lange Begründung anzuhören. Argumentation braucht zwei Parteien, die sich zuerst einmal einig sind, dass eine Sache nicht selbstverständlich ist, und die dann auch bereit sind, ihr auf den Grund zu gehen. Je nach dem dient das gemeinsame Argumentieren dem näheren Verständnis oder der Bildung einer Meinung. Rational und rhetorisch Das Argumentieren kann in zwei Richtungen gehen: Einmal wird ein beliebiger Adressat (oder wenigstens jemand mit der notwendigen Vorbildung) zum rationalen Mitdenken eingeladen. 199 Ein andermal wird an Denkweisen appelliert, die rationale Verfahren umgehen. Aber klar voneinander zu trennen sind die Verfahren nicht. Denn sogar ein strikt logisches Vorgehen muss in der Redepraxis immer verkürzt werden. Das zeigt das folgende Beispiel aus dem Deutschen Bundestag. Wir schreiben das Jahr 1983. Otto Schily, seit kurzem Bundestagsabgeordneter der Grünen, spricht zum ersten Mal im Bundestag. Es geht um nichts weniger als die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen der USA in der Bundesrepublik. Diese Frage hat kurz zuvor zum Ende der soziallliberalen Koalition und zur ersten Regierung Kohl geführt. Der Grüne Schily wendet sich vehement gegen den Beschluss: „Kann die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln unter irgendeinem Umstand gerechtfertigt sein? Unter nur irgendeinem Umstand? Die Antwort - und ich hoffe, dass wir uns wenigstens darin einig sind - die Antwort <?page no="208"?> 208 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein kann nur ein klares Nein sein. Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen. Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist nichts anderes als Massenmord! Völkermord! Er ist ein Verbrechen.“ Bis hierher wird überhaupt nicht argumentiert. Es wird lediglich eine These wiederholt und dann verstärkt. Die Behauptung: „Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist Massenmord und damit ein Verbrechen“ wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Davon, dass diese Prämisse allgemein akzeptiert wird, geht Schily aus. Er rechnet damit, dass auch die Befürworter unter seinen Zuhörern atomare Waffen nur dann gutheißen, wenn sie lediglich der Abschreckung dienen. Sie sind also für die Androhung des Einsatzes im Verteidigungsfall gedacht, aber keinesfalls für den Einsatz in einem Erstschlag. Unter dieser Voraussetzung fährt Schily fort: „Und deshalb, meine Damen und Herren, und das liegt doch in der Logik, das ist doch einfach durchschaubar, deshalb ist auch die Androhung des Einsatzes von Massenvernichtungsmitteln die Androhung eines Verbrechens.“ Jetzt wird argumentiert: Wenn man diese Gleichung akzeptiert: Einsatz von M. = ein Verbrechen, dann muss man auch diese Gleichung akzeptieren: Androhung des Einsatzes von M. = Androhung eines Verbrechens So langsam und so sorgfältig geht man in der politischen Rede selten vor. Schilys Ziel ist es, die Zuhörer zum Mitdenken zu bewegen und zu einer offensichtlichen logischen Operation ja zu sagen. Dann fährt er fort: „... und insoweit sollte Ihre Logik auch reichen, dass auch die Androhung eines Verbrechens - und so weit sollte Ihr Rechtsbewusstsein reichen - auch die Androhung eines Verbrechens ist selbst ein Verbrechen.“ 200 Obwohl hier die Logik nochmals angerufen wird, verlässt dieser letzte Satz das Gebiet der Logik. Dass auch die Androhung eines Verbrechens ein Verbrechen ist, mag stimmen, aber es ergibt sich nicht aus diesen Sätzen. Der Jurist Schily ersetzt denn auch elegant das Wort Logik durch das Wort Rechtsbewusstsein. Was er sagt, ist nicht mehr logisch, keine formal stichhaltige Beweisführung mehr, sondern ein Verweis auf gemeinsame Grundlagen. In diesem Fall sind diese solide, weil sie immerhin im Strafgesetzbuch festgehalten sind. 201 Zwei verschiedene Arten des Begründens werden hier bemüht: die rationale und die rhetorische Argumentation. Saubere logische Verfahren benötigen Zeit und können in einem komplexen Zusammenhang nie lange durchgezogen werden. Deshalb wird in der Rede entweder auf allgemein akzeptierte Verfahren zurückgegriffen oder auf die Überzeugungskraft der gewählten Worte vertraut. <?page no="209"?> Plausible Argumentation 209 ☉ Rationale Argumentation Grundlage der rationalen Argumentation ist die Beweisführung mit logischen Mitteln. Ein Beispiel (aus der Harry-Potter-Welt): Argumentregel: Alle, die auf dem Unterarm das „Dunkle Mal“ tragen, sind Todesser. Argumentsatz: Lucius Malfoy trägt auf dem Unterarm das „Dunkle Mal“. These: Also ist er ein Todesser. Induktive Argumentation In der Nähe einer streng logischen Argumentationsweise liegt die Verwendung von Argumenten, die nachvollziehbar sind, aber mit streng logischen Methoden widerlegt werden könnten. Dazu gehören Argumente, die eine Sache zwar nicht beweisen, aber sehr wahrscheinlich machen, etwa: » der empirische Nachweis („Alle bisherigen Tests bestätigen dies ...“) » der Analogieschluss („In Italien funktioniert dieses Prinzip schon lange ...“) » die Aufzählung von Indizien Viele solche Argumentationsweisen werden als induktiv zusammengefasst, weil sie eine Aussage nicht deduktiv aus gesicherten Prämissen schließen, sondern empirische Tatsachen nutzen, um darauf aufbauend allgemeinere Aussagen zu treffen. Plausible Argumentation Klassisch logisch braucht eine These einen Beweis. Im Alltag benutzt man aber oft einfach einen Einzelfall als Beleg. Das beweist die Aussage zwar nicht, macht sie aber plausibel. Hier ein Zitat aus dem Naturschutzdiskurs im Alpenland: „Vor 150 bis 100 Jahren war unsere Großwildfauna viel ärmer als heute. Bei den auffälligen Tieren, den Säugetieren und Vögeln, ist heute der Erfolg der Schutzbemühungen sichtbar. Viele Tiere, die lange Zeit ausgerottet waren, sind zurück. Zum Beispiel der Biber: Die Population dehnt sich aus; der Nager erschließt und gestaltet sich die Lebensräume selbst.“ 202 Die Rückkehr des Bibers ist noch kein Beweis dafür, dass die Großwildfauna reicher ist als im 19. Jahrhundert. Es ist nur ein Anzeichen. Aber er macht damit plausibel, dass es auch andere Beispiele geben könnte, und es verweist <?page no="210"?> 210 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein gleichzeitig auf ein Merkmal außerhalb des eigentlichen Sachzusammenhangs: auf die Kompetenz des Redners. Er sagt implizit: Ich wüsste noch mehr, ihr könnt auf mein Wissen zählen. Es gibt eine lange weitere Reihe von Argumentationsweisen, die dazu dienen, die eigene Position trotz mangelnder Beweise zu bekräftigen. Eine Möglichkeit besteht darin, Gründe auszusuchen, die zwar nicht ausreichen, aber auf die Fassungskraft des Publikums zugeschnitten sind. Andere stützen sich auf die persönliche Erfahrung des Redners und ersetzen damit allgemeingültige Tatsachen durch den Augenschein. Appell an gewohnte Denkweisen Der abgewählte US-Präsident hat in späteren Tweets auf weitere Autoritäten verwiesen. Er zitierte Ausschnitte aus Kommentaren von Politikern und Journalistinnen, die seine Sicht der Dinge unterstützten. Rein die Menge an solchen Zitaten konnte beeindrucken, auch wenn sie inhaltlich nichts Neues sagten. Auch dies ist ein klassisches Verfahren. Es gehört zu einer Reihe von rhetorischen Argumentationsweisen, die schon im Altertum systematisiert wurden. Das Argumentum ad populum benutzt die Behauptung, dass immer mehr Menschen, eine beachtliche Anzahl oder gar die Mehrheit aller betroffenen Personen die Meinung vertreten. Nicht weit entfernt ist die Technik, das Argument auf das Verständnis des Zielpublikums zuzuschneiden: Man greift aus einer längeren Kette von Begründungen diejenige heraus, die den angesprochenen Personen am ehesten entspricht. Z.B.: „Wir müssen die Waffenindustrie in unserer Region erhalten, um die Arbeitsplätze nicht zu gefährden“ (Argumentum ad hominem). Oft ist damit ein Appell an grundlegende Bedürfnisse des Publikums verbunden, zum Beispiel an wirtschaftliche Überlegungen (Argumentum ad pecuniam), z.B.: „Wenn ihr den Gegenkandidaten wählt, wird er die Steuern erhöhen.“ Vielfach sind es auch scheinbar logische Verfahren wie der Nachweis, dass das Gegenteil der vorgebrachten These falsch ist (Argumentum e contrario), z.B.: „Laut Vertrag muss die schriftliche Erklärung per Einschreiben übermittelt werden; also darf ich sie nicht persönlich überbringen.“ Moral siegt über Vernunft Wesentlich ist in der rhetorischen Argumentation, dass es oft nicht um faktive, sondern um normative Aussagen geht: Was soll getan werden? Damit begibt man sich automatisch auf unsicheres Terrain, und deshalb gewinnt die Plausibilität mehr Gewicht. Zudem werden ethische Überlegungen wichtiger werden: Aussagen, die auf eine gemeinsame Moral verweisen, dafür verwendet, sachliche Argumente zu entkräften. <?page no="211"?> Die Überzeugungskraft der prägnanten Formulierung 211 Ein festliches Essen zu Hause. Max hat viel Alkohol getrunken. Die alte Tante Bertha ist zu müde, um noch nach Hause zu laufen. Also schlägt Max, der einzige Autofahrer in der Familie, vor, sie mit dem Wagen hinzubringen. Die übrigen Familienmitglieder protestieren: Du sollst nicht mehr Auto fahren. Denn du hast viel Alkohol getrunken. Und wer viel Alkohol getrunken hat, soll nicht Auto fahren. Die These Du sollst nicht mehr Auto fahren ergibt sich aus der allgemeinen Regel: Wer viel Alkohol getrunken hat, soll nicht Auto fahren und deren Anwendung auf den vorliegenden Spezialfall: Max hat viel Alkohol getrunken. - Eine sehr logische Operation. Allerdings geht es nicht um eine Wahrheitsaussage, sondern darum, was zu tun ist. Dies zeigt sich eine Woche später, als sich der Vorfall wiederholt. Max hat viel getrunken; aber Tante Bertha muss nicht nach Hause; sie fühlt sich so schlecht, dass sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus gefahren werden muss. Jetzt sagt Max: Ja, ich habe getrunken, aber das Leben der Tante ist jetzt wichtiger. Und keiner traut sich zu widersprechen. Zwar ist die juristische Vorschrift immer noch gültig, aber das Prinzip, dass ein Menschenleben zu retten oberste Priorität hat, hat sie geschlagen. Die moralische Argumentation siegt über die sachliche. Die Überzeugungskraft der prägnanten Formulierung Wer einmal Galileos einprägsamen Satz über die Sprache der Natur gelesen hat, gewinnt einen bleibenden Zugang zur Naturwissenschaft, weil er sich von vielen wortreicheren Überredungsversuchen wohltuend abhebt: „Das Buch der Natur kann man nur verstehen, wenn man vorher die Sprache und die Buchstaben gelernt hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in mathematischer Sprache geschrieben, und die Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, und ohne diese Hilfsmittel ist es Menschen unmöglich, auch nur ein Wort davon zu begreifen.“ 203 Das ist ein Plädoyer für die Auseinandersetzung mit der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten, die keine Begründungen enthält, sondern nur eine Darstellung des Gemeinten mit einer konsequent durchgeführten bildhaften Analogie. Alle stilistischen Mittel, die traditionellerweise zur Kategorie Rede-Schmuck (ornatus) gezählt werden, haben auch eine argumentative Potenz. Sie müssen ebenso wichtig genommen werden wie die klassischen Regeln des rationalen Argumentierens, die es erlauben, Schlüsse zu ziehen und Beweise zu führen. Für Praktiker der Didaktik wirft dies ein besonderes Licht auf den Sprachgebrauch des Redners. Zwar bleibt das Ziel, einfach, klar und verständlich zu <?page no="212"?> 212 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein formulieren, wichtiger, als schöne Phrasen zu finden. Aber einmalige Formulierungen können Überzeugungskraft haben, weil sie gleichzeitig das Verständnis fördern und die Erinnerung an das Gelernte stärken. Damit sind wir im Grenzbereich zwischen Argumentation und Stil: Die sprachliche Form kann nicht nur die Bereitschaft, zuzuhören, fördern und das Verständnis erleichtern, sondern auch dazu beitragen, dass die vorgetragenen Thesen akzeptiert und später besser erinnert werden. So lässt sich rein durch die sprachliche Gestaltung einer Rede Überzeugungskraft herstellen. Dazu gehören zum Beispiel auch die folgenden Verfahren: » Die Metapher benutzt einen Ausdruck aus einem anderen Bereich, um die gemeinte Bedeutung anzureichern. Oft gebraucht ist die Übertragung medizinischer Begriffe auf gesellschaftliche Zustände. In einem Filmbericht aus dem Jemen werden Bilder zerstörter Stadtteile von Aden gezeigt, und dazu wird dieser Kommentar gesprochen: „In der Metropole im Süden des Landes [Aden] haben die heftigen Kämpfe zwischen den Huthi und der von Saudi-Arabien angeführten Koalition tiefe Narben hinterlassen.“ 204 Im Ausdruck tiefe Narben klingt das Schicksal verletzter Menschen an. Er verstärkt den Eindruck der Grausamkeit des Krieges (im Gegensatz etwa zu der direkten Beschreibung: Häuser in Trümmern). » Steigerung/ Hyperbel: Wenn die deutsche Regierung beschließt, sich am Krieg in Jemen zu bereichern, indem sie den Verkauf von Waffen nach Saudi-Arabien erlaubt, kann man in einer einfachen Metapher sagen, sie öffne die Tür für weitere Rüstungsexporte. Im folgenden Zitat wird diese Metapher erweitert: „Letzte Woche hat die Koalition ihren Streit über das Thema beigelegt. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der die Tore sperrangelweit aufreißt für neue Rüstungsexporte, auch nach Saudi-Arabien, auch für den Krieg im Jemen.“ 205 Die Tore sperrangelweit aufreißen ist eine Hyperbel, ein Ausdruck, der mit einer erkennbaren Übertreibung Stellung beziehen lässt. Wer ein Tor sperrangelweit aufreißt, vollzieht eine drastische Handlung. Einem Krieg die Tore sperrangelweit aufzureißen, ist verantwortungslos. (Vertreter einer anderen Position könnten sagen, die Tür würde „einen Spaltbreit geöffnet“. Das wäre dann eine Untertreibung.) » Auch mit der Einnahme der Perspektive kann Partei ergriffen oder zumindest angedeutet werden: „Die Rebellen waren gezwungen, sich in den Norden des Landes zurückzuziehen.“ <?page no="213"?> Die Überzeugungskraft der prägnanten Formulierung 213 Dies klingt völlig anders als: „Die Regierungstruppen trieben die Rebellen in den Norden des Landes.“ Der Blickwinkel ist ein anderer - nur schon in diesem einen Satz, natürlich unterstützt durch die Passivkonstruktion: ... waren gezwungen. » Schon mit einer einfachen Reihung, einer Aufzählung von Einzelheiten, kann eine Wertung verstärkt werden: „Laut der NGO Jemen Delta Projects trifft ein Viertel der Luftangriffe Zivilisten. Krankenhäuser, humanitäre Einrichtungen, Privathäuser, Märkte oder Schulen - vor nichts macht die saudische Militärkoalition halt.“ 206 Der letzte Teil (vor nichts ...) könnte wiederum als Übertreibung gelten. Sicher gibt es noch einige wenige Dinge, die nicht bombardiert werden. Und rein rational gesehen, sind mit der Aufzählung all der Objekte nicht alle möglichen nichtmilitärischen Einrichtungen genannt. Sie reicht aber aus, um das Urteil zu stützen. » Im Folgenden wird unvermittelt ein umgangssprachlicher Ausdruck („kein Rein und kein Raus“) eingefügt: „Der Seeweg und Luftraum Jemens wird von Saudi-Arabien vollständig kontrolliert. Sensible Bereiche werden auch vermint. Es gibt kein Rein und kein Raus.“ 207 Der Wechsel in die Umgangssprache, also in eine Sprachform, die für den persönlicheren Umgang genutzt wird, verleiht Aussage etwas mehr Expressivität. Auch wenn sie keine konkretere Schilderung enthält, ist sie dennoch stärker, als ob es das Zitat eines Betroffenen wäre. » Ein Kommentar zur Jemen-Thematik wird in Form einer Parole abgeschlossen: „Da die politische Landschaft in Deutschland durch die Flüchtlingsdebatte bestimmt wird, ist es offensichtlich: Keine Flüchtlinge, keine Debatte.“ 208 Auch dies ist kein Zitat, kommt aber dank der griffigen Formulierung wie ein Zitat daher, das damit dem politischen Gegner unterschoben werden könnte. Den Austausch von Argumenten fördern Argumentation ist als Mittel von Rede und Gegenrede entwickelt worden. Dass sie auch in der monologischen Rede einen wichtigen Stellenwert einnimmt, ist nur natürlich. Nur fehlt da die unmittelbare Entgegnung. Das Publikum (oder auch andere Teilnehmer einer Debatte) ist angehalten, mitzudenken, aber nicht, Gegenargumente zu liefern. Charakteristisch für die monologische öffentliche Rede ist deshalb, dass ein Phantom-Gegner bemüht wird. Ein <?page no="214"?> 214 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein Gegenargument wird zitiert („Nun könnte man einwenden, dass ...“), das dann gleich entkräftet wird. Typisch für öffentliche Rede ist nicht, dass argumentiert wird, sondern dass der unmittelbare Austausch von Argumenten verzögert ist. Das muss nicht schlecht sein; es kann sogar dazu führen, dass man überlegter streitet. Aber eine konstruktive Rhetorik kann das gemeinsame Überlegen, das gemeinsame Entwickeln von Argumenten fördern. Als Rednerin oder Redner kann man dies fördern, indem man das Publikum anspricht und es vor der eigenen Argumentation nach Argumenten befragt. Zuhörend argumentieren Argumentieren hat zwei Seiten: die des Redners, der überzeugen will, und die des Publikums, das kritisch mitdenken und allenfalls mit eigenen Argumenten reagieren soll. Zur überzeugenden Argumentation gehört nicht nur die überzeugende Formulierung, sondern auch die Kommunikation auf allen Ebenen - verbal, paraverbal, nonverbal. Es braucht sprachliche Signale, die dem Publikum sagen: Ich will euch nicht überreden, sondern überzeugen. Deshalb präsentiere ich nicht nur meine Gründe, sondern möchte auch erfahren, wie sie bei euch ankommen. Wenn möglich, möchte ich eure Entgegnungen hören. Das erfordert eine Haltung des Zuhörens, der Wahrnehmung des Publikums. ☉ Argumentation im Dialog Das Ziel eines Vortrags kann sein, die Zuhörer argumentativ zu einer These zu führen. In anderen Fällen kann es ebenso reizvoll sein, Argumente im Dialog auszutauschen: » Eine vorgetragene Argumentation überprüfen lassen. » Sammeln und Diskutieren von Argumenten zu einer These aus dem Publikum » Nach Urteilen über eine Sache fragen und im weiteren Gespräch nach Begründungen fragen. » Im Lauf der eigenen Argumentation nonverbale Reaktionen aufnehmen und verbalisieren lassen. <?page no="215"?> Wie man auf Kritik reagieren kann 215 Wie man auf Kritik reagieren kann Während des Vortrags oder im Anschluss daran meldet sich jemand zu Wort: „Sie haben gesagt ...,“ beginnt der Einwurf, und dann geht es weiter: „Das kann doch gar nicht sein; denn ...“ Und schon steht man vor der Aufgabe, Argumente zu widerlegen, mit denen man gar nicht gerechnet hat oder die man tunlichst zu umgehen versuchte. Die Reaktion besteht aus zwei Dingen. Da gibt es zum einen die inhaltliche Frage: Welche Art Argumentation wird mir jetzt entgegengebracht? Kann ich sie mit einer anderen Art Argumentation beantworten? „Das kann doch gar nicht sein ...“ führt oft zu einer moralischen Aussage. Diese kann, wenn man will, mit einer noch höheren Moral gekontert werden, aber auch dadurch, dass man den Gedankengang zurück auf die sachliche Ebene führt. Oft ist es aber gar nicht angezeigt, sofort in die Debatte zu steigen. Zu überlegen ist vor allem, dass die Kritik, die eine Einzelperson vorgebracht hat, nicht von allen geteilt wird und vor allem: dass viele das Votum gar nicht verstanden haben werden: vielleicht inhaltlich, vielleicht aus rein akustischen Gründen. Deshalb ist das Vorgehen zuerst eine Frage der Gesprächsführung. Hierzu als Abschluss dieses Kapitels einige Anregungen. ☉ Aufbau der Reaktion auf eine kritische Frage [1] Reformulieren [2] Zusammenhang herstellen [3] Frage beantworten [4] Antwort validieren [5] Beziehung klären Die Überlegung ist zunächst: Es geht um ein Gespräch. Und rein formal gesehen, wird eine Frage gestellt. Als Redner hat man die Chance, diese zu beantworten. Das ist vor allem eine wunderbare Gelegenheit, eine Kernbotschaft aus dem bisher Gesagten nochmals zusammenzufassen. Oft geht es ja beim Beitrag aus dem Publikum nicht um Kritik, sondern um einen anderen Aspekt, zum Beispiel um Selbstdarstellung. In jedem Fall ist es aber geraten, die Frage auf ihren sachlichen Gehalt zu reduzieren und zu beantworten. Es gibt einige Grundprinzipien für die Antwort. Hauptsache dabei: Zeit gewinnen. Das bedeutet immer zuerst: Reformulieren der Frage. <?page no="216"?> 216 13 Argumentation lädt zum Mitdenken ein Die Frage reformulieren Die Reaktion auf eine kritische Frage beginnt nicht mit der Antwort, sondern mit dem Quittieren des Gehörten. Das bedeutet, dass die Frage so, wie sie verstanden wurde, nochmals formuliert wird. Dies entspricht zum einen einem Gebot der Höflichkeit gegenüber dem restlichen Publikum, das in den meisten Fällen die Frage nicht mitbekommen hat. Und es schafft Zeit, sie zu verstehen und für sich einzuordnen. Im Übrigen beginnt diese Reaktion mit dem Wort Sie oder Du. „Sie haben bemerkt, dass ...“/ „Sie sind also der Meinung, dass ...“/ „Wie ich dich verstehe...“ Mit diesem ersten Satz wird der Kritiker direkt angesprochen. Das hält den Kontakt zu ihm und kommt auf neutrale Weise dem Bedürfnis entgegen, das oft hinter einer kritischen Intervention steht: dem Bedürfnis, gehört zu werden und mit einem eigenen Gedanken ernst genommen (vielleicht auch: als die wahre Kapazität im Saal erkannt) zu werden. Darüber hinaus zu gehen, ist aber nicht notwendig: Eine Bewertung der Frage („Thatʼs a very good question“) bringt keinen der Beteiligten weiter. Ein Beispiel: „Sie haben festgestellt, dass ich von der XY-Theorie ausgehe, aber gleichzeitig auf Teile der XZ-Theorie verweise. Sie sehen darin einen Widerspruch und fragen jetzt: ...“ Die Wiederholung der Frage mit direkter Ansprache an die fragende Person sichert auch das Verständnis: Über das „Sie ...“ ist sie aufgefordert, diese Reformulierung zu akzeptieren oder allenfalls zu korrigieren. Auch dies gehört zu den Spielregeln und schafft weiter Zeit. Den Zusammenhang herstellen Die Frage schließt an irgendetwas an, das zuvor gesagt wurde - oft im Nachhinein an eine sehr frühe Aussage. Auf jeden Fall muss dieser Kontext explizit hergestellt werden. Dies macht den Zusammenhang für alle klar, nicht nur für Redner und Kritiker. Denn darin besteht immer eine große Gefahr: dass das Frage-und-Antwort-Spiel eine Sache von zwei Menschen wird und die anderen außen vor bleiben. Hier muss aber natürlich „Ich ...“ gesagt werden: „Ich habe zu Beginn darauf hingewiesen ...“ „Ich habe gezeigt, dass ...“ „In der Einleitung zum Thema A habe ich Ihnen vorgeführt, wie ... und deshalb ...“ Dieser Teil ist eine gute Gelegenheit, die mit der Frage verknüpfte, eigene These zu wiederholen. Jede auch noch so kritische Bemerkung aus dem Publikum ist eine Chance, die eigenen Aussagen zu verstärken. <?page no="217"?> Wie man auf Kritik reagieren kann 217 Die Frage beantworten Bis ist man noch nicht bei der eigentlichen Antwort angelangt. Dennoch ist nur Wesentliches gesagt worden, das nicht als Zeitschinden diskreditiert werden kann. Es ist aber genug Zeit verstrichen, die geholfen hat, sich die Antwort zurecht zu legen. Das meiste Gesagte war ja für die Rednerin Wiederholung. Deshalb konnte sie dabei die Richtung erkennen, in der ihre Antwort gehen kann. Diese Passage muss klar erkennbar den Schwerpunkt der ganzen Äußerung bilden. Es soll dabei für alle kein Zweifel daran bleiben, dass diese Antwort einen direkten Bezug zur Frage hat. Es ist dabei nützlich, mit einer Überleitung klar zu stellen, dass dieser Teil von den vorangehenden Teilen abgegrenzt ist. Dies klingt etwa so: „Also kann ich Ihre Frage so beantworten: ...“ Wenn die vorangegangenen Passagen sorgfältig ausgeführt worden sind, ist die Frage erschöpfend beantwortet. Sie darf sich ohne weiteres auf die sachlichen Aspekte beschränken. Eine Reaktion auf persönliche Kritik oder emotionale Bewertungen, die in der Frage enthalten sind, ist nicht notwendig. Die Antwort bekräftigen Wie jede Kurzansprache erfordert auch diese einen klaren, positiven Schlusssatz: Das ist die Folgerung aus unserer bisherigen Arbeit. Das bestätigt meine These, nämlich... Damit betont die Rednerin nicht nur, dass die Antwort zu Ende ist, sondern auch, dass sie von ihr überzeugt ist. Die Beziehung klären Nach diesem verbalen Schluss sichert die Rednerin nochmals den Kontakt - zum Fragenden und auch zur ganzen Gruppe. Sie zeigt zunächst, dass sie den Fragenden angesprochen hat, indem zu ihm hinblickt. Dann aber sichert sie den Kontakt mit dem ganzen Auditorium. Sie sucht Blickkontakt zu jemand anderem im Publikum (oder zum Gesprächsleiter, der eventuell das Wort einer weiteren Fragestellerin gibt). Das ist ein wichtiges Signal, das nonverbal ausdrückt: Es gibt noch andere Menschen mit anderen Anliegen, die auch zu Wort kommen möchten. <?page no="219"?> 14 Dialog durch Fragen und Antworten Oft kommen vom Redner Zeichen, die als Dialogsignale wirken könnten, aber nicht dafür genutzt werden. Entweder lässt man sich schlicht zu wenig Zeit, um diesen Austausch wahrzunehmen, oder das scheinbar Dialogische bleibt oberflächlich, ohne dass es für die Interaktion genutzt würde. Drastische Beispiele finden sich beim Einsatz von Fragen. Das ist schade, weil Fragen klassische Mittel der Gesprächseröffnung sind. Es lohnt sich, die verschiedenen Arten des Fragens unterscheiden zu lernen, um das Dialoginstrument der Frage gezielt einzusetzen. Eine Frage bringt Antworten; mehrere Fragen verwirren So frustriert man ein Publikum: Man beginnt den Vortrag mit einer Frage, die keiner beantworten kann oder will. Etwa so: Mein Thema ist die gesunde Ernährung. Sagen Sie mir doch bitte: Was haben Sie gestern alles gegessen? Woher stammten die Rohstoffe und wie wurde es zubereitet? Natürlich wird sich keiner melden. Es ist zu viel aufs Mal. Der Redner wollte einen Denkprozess in Gang setzen. Für das Thema ist das durchaus sinnvoll und anregend für z.B. eine Gruppendiskussion. Aber als Überfall zu Beginn des Vortrags - und dazu in der Form von drei Fragen zusammen - ist es auch für sehr gutwillige Zuhörer eine Überforderung. Fragen sind ein geeigneter Einstieg in den Dialog - wenn sie das Publikum ernst nehmen. Es ernst zu nehmen bedeutet, zu signalisieren: Ich bin an euren Antworten interessiert. ☉ Ernst gemeinte Fragen Zu einer erfolgreichen Frage-Antwort-Kommunikation gehören: » Planung der Frage » Verständliche Formulierung der Frage » Interesse für die Antworten » Weiterverwendung der Antworten <?page no="220"?> 220 14 Dialog durch Fragen und Antworten Die Umfrage bricht das Eis Michael Sandel steht auf der Bühne der altehrwürdigen Memory Hall der Universität Harvard. Das Parkett und die Ränge sind dicht besetzt mit jungen Leuten. Es ist die erste Stunde seiner Vorlesungsreihe über Gerechtigkeit (Justice: Whatʼs the right thing to do? ). Statt einer langen Vorrede stellt er die Studentinnen und Studenten gleich vor ein Dilemma: Stellen Sie sich vor, Sie fahren einen Schienenbus mit 50 kmh den Berg hinunter. Weiter unten arbeiten fünf Männer auf dem Gleis. Sie versuchen zu bremsen, aber es geht nicht. Sie sind verzweifelt, weil Sie wissen, dass Sie in diese fünf Menschen rasen werden. (Nehmen wir an, dass Sie das mit Gewissheit sagen können.) Sie fühlen sich zuerst hilflos, aber dann bemerken Sie, dass es zuvor eine Abzweigung nach rechts auf ein Nebengleis gibt. Dort arbeitet nur ein einzelner Arbeiter. Die Steuerung funktioniert noch. So können Sie Ihr Gefährt auf das Nebengleis lenken und nur den einen töten und die anderen fünf retten. Nach dieser kurzen Schilderung stellt er bereits eine erste Frage: Das ist unsere erste Frage: Was ist zu tun? Was würden Sie tun? Knapp tausend Studierende sitzen im Saal. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich hier eine Einzelperson exponiert. Deshalb ergänzt Sandel die Frage mit einem wichtigen Zusatz: Lasst uns eine Umfrage machen. Wie viele von euch würden den Schienenbus auf das Nebengleis lenken? Heben Sie die Hand! Jetzt besteht kein Zweifel, dass die Studierenden antworten werden. Sie können vorerst in der Anonymität bleiben. Sie müssen nur die Hand heben, zuerst diejenigen, die das Gefährt auf die Nebenlinie steuern würden, dann diejenigen, die dies nicht täten. Die Umfrage bricht das Eis. Schnell wird deutlich, wie die Meinungen verteilt sind: Eine große Mehrheit würde das Steuer herumreißen, nur eine Handvoll würde geradeaus weiter fahren, in die fünf Arbeiter hinein. Dann fragt Sandel nach Begründungen. Warum würdet ihr dies tun? Auch dies geschieht in zwei Schritten: Zuerst sollen Studierende antworten, die zur Mehrheit gehören. Erst danach werden diejenigen gefragt, die es anders sehen. Weil man sie langsam aus der Anonymität herausgeholt hat, fällt es ihnen auch in der großen Menge nicht mehr schwer, aufzustehen und laut und deutlich ihre Meinung zu sagen. Mit dem Einstieg über eine Umfrage macht der Dozent von Anfang an klar: Dies wird eine dialogische Veranstaltung. Und mit der Art der Formulierung drückt er aus: Ich bin an euch und eurer Meinung interessiert. Er kann das Resultat konstruktiv weiter behandeln. In diesem Fall baut er darauf auf, indem <?page no="221"?> Eine Frage bringt Antworten; mehrere Fragen verwirren 221 er eine ähnliche Aufgabe folgen lässt, die das Problem in einem anderen Licht sehen lässt. Aber vor allem hat man dem Publikum gesagt: Ich will etwas von euch wissen. Ich höre euch zu. ☉ Sokratisches Lehren Michael Sandels Art zu lehren, ist als sokratisch bezeichnet worden: Wie Sokrates geht er fragend vor und verwendet die Antworten für seiner weitere Argumentation. Diese Art des Dialogs belässt keinen Zweifel, dass einer im Saal ist, der mehr weiß als seine Studentinnen und Studenten und dass er sie in seine vorbestimmte Richtung führen wird. Aber er macht auch von Anfang an deutlich, dass die Vorlesung ein gemeinsames Werk sein wird. Am Resultat werden alle beteiligt sein Es muss nicht unbedingt so dramatisch zugehen wie in diesem Beispiel. Der Psychologe Michael Lindenthal beginnt seine Einführungsvorlesung an der Universität Innsbruck mit einer Umfrage, die an Einfachheit kaum zu überbieten ist, und dennoch gelingt es ihm auf die Weise sofort einen Zugang zu seinen Zuhörern zu bekommen. Er stellt die folgenden Fragen und zählt die Handzeichen: Ich find’ die Gelegenheit günstig, mal rauszufinden, mit wem ich’s hier eigentlich zu tun hab’: Wer kommt denn aus Innsbruck? Innsbruck Stadt, so richtig hier - [schaut sich um] acht oder neun. Wunderbar. Mhm. [Notiert es sich.] Wer kommt denn aus dem restlichen Nordtirol? Also alles außer Innsbruck in Nordtirol? - Elf oder zwölf. Wer kommt denn aus Osttirol? - Drei. Aus Südtirol? - Zehn. Gut und restliches Österreich, also alles ohne Tirol? - Elf. Gut ähm. Wer kommt denn aus Bayern. [Eine Riesenmenge Hände geht empor. Großes Gelächter.] Ok. - Viele ... Mit einigen wenigen Fragen gelingt es dem Dozenten, einen dialogischen Rhythmus in die Vorlesung zu bringen, obwohl niemand ein Wort sagen muss. Die Studierenden lachen schon bei der ersten Frage. Die brisante Frage nach dem Verhältnis Österreicher/ Deutsche hebt die Stimmung weiter. Vielleicht dient das Lachen nur dazu, etwas von der Spannung des Studienbeginns abzubauen. Dennoch erfahren die jungen Menschen im Saal, dass sich der Dozent für sie interessiert. Das ist eine Basis für die weitere dialogische Gestaltung der Vorlesung. <?page no="222"?> 222 14 Dialog durch Fragen und Antworten ☉ Die Umfrage als erster Schritt zum Dialog Stumme Antworten Fragen mit „Wer? “, können mit Handzeichen beantwortet werden. Sie ergeben zum Beispiel: » ein Meinungsbild » demografische Daten » erste Hinweise auf Erfahrungen Wer die Hand hebt, ist ein potenzieller Ansprechpartner für die nächste Frage. Das Resultat kann visualisiert werden (Flipchart, Tafel, Beamer usw.), um später darauf zurückzukommen. Das ermöglicht auch den Kontrast mit einer weiteren, ähnlichen Umfrage. Einzelantworten » Fragen nach einem direkten Eindruck („Was sehen Sie alles auf diesem Bild? “) » Fragen nach vielen Beispielen, die nicht bewertet werden müssen („Nennen Sie Hundenamen! “) Gruppenantworten » Eine Frage wird zuerst mit Sitznachbarn oder in einer größeren Gruppe diskutiert. Dann spricht eine Person für die ganze Gruppe. Fragen müssen geplant sein Dialog ist nicht Selbstzweck. Wer eine Frage nur stellt, um die Zuhörer zu wecken, endet in einer Sackgasse. Das Publikum wird die Alibiübung erkennen und stumm bleiben. Deshalb müssen auch Fragen sorgfältig geplant werden. Die Planung aber beginnt nicht bei der Frage selbst, sondern bei der Antwort: Gefragt wird, um etwas zu hören, das im Verlauf des Vortrags weiter verwendet wird. Nur wenn klar ist, wozu die Antworten dienen, kann die Frage so gestellt werden, dass sie zum Nachdenken und Mitteilen motiviert. Zuhörerinnen und Zuhörer wollen etwas zum gemeinsamen Erkenntnisprozess beitragen. Das ist aus ihrer Sicht das Ziel des Fragens. ☉ Was zur Planung von Fragen gehört » Platzierung: An welcher Stelle des Vortrags kann das Publikum etwas beitragen? <?page no="223"?> Fragen müssen geplant sein 223 » Interesse: Wie offen kann die Frage sein, so dass auch aus Rednersicht Unerwartetes genannt wird? » Nutzen: Wie lassen sich die Fragen zusammenfassen/ als Beispiele verwenden/ diskutieren? » Wortlaut: Wie ist die einfachste und klarste Formulierung? » Feedback: Was geschieht mit völlig deplatzierten Antworten? Was können die Antwortenden beitragen? Für die dialogische Kommunikation ist eine Frage dann geeignet, wenn mehr als nur eine Antwort möglich ist. Das heißt: Die Rednerin ist offen für das, was kommt - neugierig, wohlwollend, bereit für Unerwartetes. Solche Fragen, die ein breites Spektrum an Antworten ermöglichen, zielen auf subjektive Aussagen ab . Dazu gehören zum Beispiel Erfahrungen, Schätzungen, Meinungen oder auch einfach ein Wissen, das der Redner selbst nicht hat. Das Vorwissen, das ein Zuhörer potenziell einbringen kann, deckt sich nie mit dem der Rednerin. Deshalb bringt es auch nichts, die Frage im Hinblick auf die eigene fachliche Erfahrung zu stellen. („Was glauben Sie, dass wir in einem solchen Fall tun? “) Den Zuhörern liegt ihr eigener Alltag näher. („Was tun Sie in einem solchen Fall? “) Damit können sie Ideen einbringen, mit denen die Spezialistin nie rechnen würde, die aber den Vergleich untereinander und eine gemeinsame Beurteilung ermöglichen. Wenn eine Frage offen gestellt wird, sind nicht nur die naheliegenden Antworten akzeptabel, sondern auch abwegige, die dann begründet wieder fallengelassen werden. Offene Fragen laden zur Antwort ein Fragen lassen sich offen oder geschlossen stellen. Die offene Frage erlaubt, dass eine Vielzahl von Antworten möglich ist, im Gegensatz zur geschlossenen Frage, die auf eine präzise Antwort aus ist. Bei der offenen Frage gibt es kein Richtig und kein Falsch. Antworten auf offene Fragen sagen nicht etwas aus, was der Referent schon weiß. Sie brauchen sich nicht auf einzelne Begriffe zu beschränken, sondern können auch kurze Beschreibungen, Erzählungen, Thesen oder Begründungen enthalten. Wer eine sinnvolle offene Frage beantwortet, übt eine eindeutige sprachliche Handlung aus: Er oder sie erzählt, kommentiert, schätzt, vermutet, begründet ... <?page no="224"?> 224 14 Dialog durch Fragen und Antworten Solche Antworten können als Bausteine für die Fortsetzung genutzt werden. Für die Rednerin ergeben sich Dinge, die für sie in dieser Zusammensetzung neu sind. Ihre Aufgabe ist es, zuzuhören und die Antworten einzuordnen. ☉ Fragen offen stellen » so fragen, dass mehrere Antworten „richtig“ sind » Beispiele statt den übergeordneten Begriff erfragen » nach Meinungen statt Fakten fragen » nach Erfahrungen statt allgemeinem Wissen fragen » offene Fragepartikel benutzen: Wie? Warum? Antworten sind Bausteine Wenn den Zuhörern klar ist, dass ihre Antworten weiterverwendet werden, und wenn sie verstehen, dass sie Bausteine in der Entwicklung des Inhalts sind, dann werden sie sich auch beteiligen. Viele Verwendungsweisen sind möglich - solange es nicht nur darum geht, eine Leerstelle im Redefluss des Redners zu füllen. Es ist möglich, explizit darauf zu verweisen, dass man sich einer Sache zuerst von den persönlichen Erfahrungen her annähert. Ein Beispiel: Das Thema eines medizinischen Vortrags ist Allergie. Da kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zuhörer Definition, Verbreitung oder Gefahren kennen. Aber sie sind alle schon mit Allergien in Kontakt gekommen. Wenn die Dozentin nach diesen Erfahrungen fragt, gewinnen die Anwesenden ein Bild davon, auf welche Weise Allergien (oder was man dafür hält) im Alltag präsent sind. Später kann die Dozentin die gewonnenen Einsichten verwenden, um dieses Bild zu spiegeln und um anhand einiger Antworten den wissenschaftlichen Begriff zu schärfen. Fragen, die als Bausteine dienen, können von mehr als nur einer Person beantwortet werden. Sie aktivieren die ganze Gruppe. Der Einzelne beteiligt sich, weil er weiß, dass nach ihm noch andere reden werden. Natürlich ist es auch möglich, sich dezidiert an eine Teilgruppe zu wenden - an Anwesende mit einer bestimmten Erfahrung, an die Kinder im Saal, an Spezialistinnen und Spezialisten bzw. Laien. Die Voraussetzung ist aber, dass man später den Spieß umdreht und der restlichen Gruppe die Chance gibt, sich zu beteiligen. <?page no="225"?> Antworten sind Bausteine 225 Antworten konstruktiv nutzen Die Medizinerin steht vor zwanzig Auszubildenden in der Krankenpflege. Ihr Thema ist: „Richtiges Verhalten im Notfall.“ Es ist klar, dass alle schon etwas Erfahrung gesammelt haben, also beschließt sie, mit einer Umfrage zu beginnen: „Sie haben Nachtdienst, sitzen im Dienstzimmer, haben sich gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt; da klingelt das Telefon. Eine Krankenschwester ist dran und sagt: Die Patientin in Zimmer 18 hat einen stark erhöhten Blutdruck von 200 zu 100. Was tun Sie? “ Die angehenden Ärztinnen und Ärzte haben alle schon Ähnliches erlebt. Sie rufen ihr ganz Verschiedenes zu: » Hingehen! » Patientin fragen, wie sie sich fühlt! » Blutdruck überprüfen! » Puls überprüfen. » Sauerstoff überprüfen. » Weitere Symptome abklären! Für die Auszubildenden ist das ein motivierender Anfang. Sie kennen die Situation im nächtlichen Krankenhaus und sie haben genügend Praxis, um etwas beizutragen. Wer sich nicht traut, braucht sich nicht zu melden. Dass jemand etwas komplett Falsches sagt („Ich trinke erst den Kaffee aus und rufe dann zurück“), ist auszuschließen. Kein Problem also für die Runde. Aber die Dozentin hat eines. Sie bekommt zwar laute richtige Aktionen genannt, aber garantiert nicht in der optimalen Reihenfolge. Was tut sie damit? Zwei Schritte erleichtern die Weiterverwendung der Antworten: Zuerst schreibt sie zu allen Antworten in der Reihenfolge, in der sie kommen, ein Stichwort auf einen Flipchart (oder auf die linke Seite einer Tafel). Dann kommentiert sie sie und ordnet sie auf einem zweiten Flipchart (oder auf der rechten Tafelhälfte) in der professionell akzeptablen Reihenfolge neu an. Dies schärft nochmals die Rollenverteilung: Die Rednerin ist und bleibt die Person im Saal, die die fachlichen Zusammenhänge am besten kennt und die für alle gültige Lösung absegnen soll. Die Zuhörerinnen und Zuhörer liefern dazu das Material. Die Gratifikation besteht nicht darin, dass sie „richtig“ antworten, sondern darin, dass sie die Bausteine zusammentragen, die für den Fortgang des Unterrichts notwendig sind. ☉ Antworten sind Bausteine Antworten einzubauen, geht am einfachsten, wenn diese ... <?page no="226"?> 226 14 Dialog durch Fragen und Antworten » den Teil eines Gesamten (z.B. einer Definition, eines Bildes, eines Rezeptes usw.) ergeben » sich ordnen lassen (z.B. chronologisch) » als Illustration für die folgende Aussage dienen Die Umfrage - und auch jede andere Frage, die man seinen Zuhörern stellt - signalisiert: Ich will von euch etwas erfahren, das wir dann weiterverwenden können. Dies können Inhalte sein, die aus der Sicht des Redners zu erwarten sind, aber je nach der Fragestellung auch andere, überraschende Inhalte, wenn denn die Kreativität der Zuhörenden gefragt ist. Fragen eindeutig formulieren Es ist eine Standardsituation: Der Dozent oder die Dozentin stellt eine Frage. Es folgen mehrere Sekunden Pause, keiner antwortet. Also wird die Frage nochmals in leicht abgewandelter Form gestellt. Nicht nur für den unaufmerksamen Zuhörer sind das zwei verschiedene Fragen. Das Antworten wird dadurch nicht leichter, sondern schwerer. Deshalb ist das Prinzip für alle Fragesituationen: Eine klare, eindeutige Formulierung und dann eine Pause, die so lange dauert, bis eine Antwort kommt. Wer sich dennoch gedrängt fühlt, die Frage zu wiederholen, sollte genau dies und nichts anderes tun: den exakten Wortlaut nochmals formulieren. Oft werden zu viele Fragen gestellt. Das verwirrt eher, als dass es motiviert. Wenn der Theologe einen Denkprozess in Gang setzen will, sind zwar alle folgenden Fragen relevant: Was ist für Sie ein Gebet? Wann haben Sie zum letzten Mal gebetet? Glauben Sie, dass Ihr Gebet gehört wird? Aber er wird nicht alle diese Fragen aufs Mal stellen. Eine einzelne reicht völlig aus. Alles andere würde die Zuhörer überfordern. Fragen einfach formulieren Eine Frage muss auf Anhieb verstanden werden. Da sie im Idealfall nur einmal gestellt wird, ist eine kurze, prägnante Formulierung am nützlichsten. Da ist zum Beispiel die Frage eines Fußballtrainers: Was verändert sich alles, wenn wir bei einem Rückstand das 4-4-2-System zugunsten eines 4-3-3 aufgeben? Diese Frage enthält eine ganze Geschichte. Sie setzt voraus, dass ein Spiel bereits läuft und die eigene Mannschaft in Rückstand geraten ist. Sie setzt auch voraus, dass zu Beginn ein 4-4-2-System gespielt wurde, dies aber durch 4-3-3 <?page no="227"?> Antworten sind Bausteine 227 ersetzt wird. Dies alles braucht nicht in die Frage eingebaut zu werden, sondern kann ihr vorausgeschickt werden: Wir spielen 4-4-2. Wenn wir aber in Rückstand geraten, wechseln wir zum 4-3-3-System. Was verändert sich da alles? Auf diese Weise ist die Frage kurz und knapp. Das Verfahren heißt: Information plus Frage. Dies hat den Vorzug, dass man die Information, die man der Frage vorausschickt, je nach Vorwissen erweitern kann. Fragen gehören in einen Kontext „Wo befindet sich jetzt gerade Ihr Mann (Ihre Partnerin/ Ihr Kind/ Ihre Freundin ...)? “ Das ist eine Frage, die ohne längere Aufwärmphase kaum auf bereitwillige Auskunftgeber stößt, - auch dann nicht, wenn der Fragende als Vertreter der Medienwissenschaft und grundseriös auftritt. In einer Vortragssituation ist kaum genügend Vertrauen zum Referenten und den übrigen Teilnehmenden, um diese Frage aus heiterem Himmel zu beantworten. Das kann sich ändern, wenn eine Einleitung deutlich macht: Mein Thema sind soziale Medien. Die Rednerin will demonstrieren, welche Quellen von den Anwesenden genutzt werden, um den Kontakt mit Bezugspersonen aufrecht zu erhalten: Welche sozialen Medien, welche anderen Quellen dies sind, und wie viel Präzision dabei erwünscht ist. Wenn sie vorher um die Brisanz dieser Frage wissen, werden sie darauf anders reagieren. Sie verstehen dann auch, wie die Antworten im Verlauf des Vortrags verwendet werden sollen. Daraus ergibt sich eine Grundregel, die auch für sehr einfache Fragen gilt: Jede Frage muss in einen Kontext eingebaut sein, der zu ihr hinführt. ☉ Hilfreiche Fragen » ... haben eine einfache Form; lange Fragen können meist in den Typ Information+Frage aufgeteilt werden. » ... sind als direkte Frage formuliert („Welche Instrumente kennen Sie? “) und nicht als indirekte Fragesätze („Ich möchte Sie fragen, welche Instrumente Sie kennen“) » ... ermöglichen die Anknüpfung an das Vorwissen des Publikums » ... lassen erkennen, dass die Antworten weiterverwendet werden <?page no="228"?> 228 14 Dialog durch Fragen und Antworten Rhetorische Fragen sind keine Fragen Wünschen Sie sich den dritten Weltkrieg? Würden Sie Ihr Kleinkind drei Monate allein lassen? Haben Sie keine Fehler? Können Sie etwas dafür, mit einem deutschen Pass geboren worden zu sein? Wollen wir nicht alle nur geliebt werden? Wissen Sie, wie es im Jenseits aussieht? 209 Der Autor einer Rhetorik-Website zählt diese und andere Fragen auf, um den Begriff rhetorische Frage zu illustrieren: Für ihn sind es Fragen, die vom Publikum ohne Zutun des Redners beantwortet werden. Man kann sie, so sein Argument, nicht hören, ohne „immer ‚Selbstverständlich ja‘ oder ‚Selbstverständlich nein‘“ zu denken. 210 Denn, wie der Autor behauptet: „Diese rhetorische Frage macht betroffen, weil die Antwort sich offenkundig, glasklar von selbst gibt.“ Ein magischer Mechanismus wird postuliert: „So kann man Menschen auf seine Seite ziehen, weil sich die Antwort automatisch in ihrem Bewusstsein formt. Dagegen kann man sich fast nicht wehren.“ Diese Einschätzung passt zu den landläufigen Vorstellungen von brillanter Rhetorik. Man wünscht sich, Menschen auf die eigene Seite ziehen zu können, weil sich in ihrem Bewusstsein etwas „automatisch formt“. Nun ist die Frage eigentlich ein Mittel des Dialogs. Bei dieser Einstellung aber wird sie genutzt, um gerade das Gegenteil von Dialog zu erreichen. Das ist typisch für die Vorstellung, mit Reden müsse eine „drastische Wirkung“ 211 erzielt werden, wie derselbe Autor meint. Das Mittel rhetorische Frage ist nicht an sich böse. Es braucht nicht peinlichst vermieden zu werden. Aber man sollte sich auch nicht zu viel davon versprechen. Was dabei fehlt, ist gerade der dialogfördernde Effekt des Fragens, das Entstehen unerwarteter Antworten. Rhetorische Fragen sind keine Fragen, so wie sie in diesem Kapitel behandelt wurden. Die oben zitierten Beispiele setzen keinen Prozess in Gang. Man antwortet mit Ja oder Nein, und damit hat es sich. Wer in seinem Repertoire rhetorische Fragen hat, tut deshalb gut daran, sie auf ihre dialogischen Möglichkeiten zu überprüfen. Oft gibt es eine bessere Form als dieses Rollenspiel, das oft die Distanz unterstreicht, die der Redner zum Publikum hat. Eine bessere Form ist die echte Frage, ernst gemeint und mit der Hoffnung auf eine Antwort ins Publikum gestellt. Ähnlich ist es bei humorvollen Bemerkungen oder gar Witzen. Rhetorikratgeber betonen, dass Witze gut erzählt werden müssen. Kein Wunder, denn es kommt auf die Sicherheit, dass der Witz verstanden wird, ebenso an wie auf Präsentationsformen: Tempo, Pausen, präzise Wortwahl. Aber alles, was nur <?page no="229"?> Online: Fragetechnik ohne Antwortende? 229 in einer einzigen sprachlichen Form möglich ist, sollte stutzig machen. Wenn eine Rede scheitern kann, weil ein Wort falsch ist oder eine Pause fehlt, ist das ein Zeichen für eine dürftige inhaltliche Basis. Und dafür, dass die Zuhörer nichts beitragen dürfen. Online: Fragetechnik ohne Antwortende? Fragen ist ein wichtiges Dialoginstrument. Aber wie geht Fragen, wenn man eine Frage online stellt, die Zuhörenden also keine Möglichkeit haben, zu antworten? Zum einen sind es Fragen, die man sich selbst stellt: » Gliedernde Frage: Sie dient zur Ankündigung oder Überleitung („Wohin führt das alles? - Das zeigt eine Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzählen werde ...“). » Aufgabestellung: Der Zuhörer soll sie für sich beantworten („Welche Pläne haben Sie für Ihre Abteilung in den nächsten zwei Jahren? “). » Problematisierende Frage: Zum Nachdenken anregen, ohne direkt eine Antwort zu geben („Was passiert eigentlich, wenn ich in der Straße durch ein Wohnquartier die Höchstgeschwindigkeit reduziere? “). Auch bei jeder Online-Frage gilt: Dem Publikum Zeit geben, um die Frage zu verdauen und bei Bedarf für sich zu beantworten. Jede Frage, auch eine, die aus rein rhetorischen Gründen gestellt wird, löst eine Suche nach der Antwort aus, für die das Publikum zumindest einige Sekunden braucht. <?page no="231"?> 15 Das Interview als Alternative zum Vortrag Nicht jeder Vortrag lässt sich durch ein Interview ersetzen. Aber in vielen Fällen ist es eine gute Alternative. Statt dass eine einzelne Referentin einen Vortrag vorbereitet, bespricht sie ihr Thema mit jemandem, der sie vorstellt und dann befragt. Das bedeutet allerdings, dass sich auch dieser Moderator im Stoff auskennen muss. Es müssen deshalb einige Dinge berücksichtigt werden. Ein gutes Interview erspart keine Vorbereitungszeit. Zwar kommt es vor, dass eine Expertin sagt: „Ich kann Ihnen keinen Vortrag anbieten; aber wir können einen Interviewtermin vereinbaren.“ Aber das bedeutet zumindest für den Interviewer, dass er sich gründlich in die Materie einarbeitet. Immerhin geht es nicht nur darum, intelligente Fragen zu stellen, sondern auch darum, die Antworten zu verstehen, kritisch zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass das Publikum alles versteht. Wer interviewt, ist für die Vermittlung verantwortlich. Also ist die Tatsache, dass ich von einem Thema zu wenig verstehe, gerade der Grund, kein Interview zu führen, sonst reduziert sich meine Funktion vom Gesprächspartner zum reinen Mikrofonhalter. ☉ Das Interview ist ein Gespräch Ein Interview ist ein Gespräch zwischen zwei informierten Personen » einer Betroffenen, einem Experten, einer außenstehenden Kritikerin, einem Augenzeugen usw. (B) » und einer Interviewerin oder einem Interviewer (I), der sich in der Sache ebenfalls auskennt Sie führen das Gespräch nicht für sich, sondern für ein Publikum, dem in der Regel das Spezialwissen beider Gesprächspartner fehlt. Es richtet sich deshalb nach Regeln allgemeiner Gesprächsführung, damit es attraktiv ist. Diese sind aber durch die Rollenverteilung eingeschränkt: I fragt, B antwortet. I stellt Fragen, die das Publikum interessieren, nicht solche, die die eigene Sachkenntnis oder die eigene Meinung zur Schau stellen. Es lohnt sich, attraktive journalistische Interviews zum Vorbild zu nehmen. Da wird deutlich: Interviews haben eine ergänzende Funktion, sie werden immer in einem größeren Kontext gesendet. Nachrichten und Berichte haben das Thema schon neutral aufgearbeitet; jetzt werden diese Informationen durch <?page no="232"?> 232 15 Das Interview als Alternative zum Vortrag die subjektiven Aussagen einer betroffenen oder sachverständigen Person ergänzt. So hat zum Beispiel die Journalistin von den Möglichkeiten der Malariabekämpfung berichtet. Zusätzlich spricht eine Ärztin aus einem Malaria-Gebiet im Interview über ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Methoden. In anderen Fällen ist es der Gesprächspartner selbst, der interessiert: Seine Biografie, seine künstlerischen Leistungen, seine fachlichen Erfahrungen sind Gegenstand des Gesprächs. Interviews, in denen nur Sachinformationen abgefragt werden, haben den Nachteil, dass die befragte Person zur einzigen Quelle im Raum wird. Der Interviewer wird zum Stichwortgeber. Ob dies erwünscht ist, sollte vorgängig ernsthaft überlegt werden. In jedem Fall wird ein Interview nur dann gut, wenn auch die Person, die es führt, kompetent ist. Sie hat zum Thema recherchiert, sie weiß genug über das Thema und den Gast, um Meinungsäußerungen beurteilen und bei Bedarf auch kritisch nachfragen zu können. Gerade wenn ein Gesprächspartner als Kritiker eingeladen wird, ist es ein Qualitätsmerkmal des Interviews, dass dessen Urteile hinterfragt oder auch mit entgegengesetzten Urteilen kontrastiert werden können. Inhaltliche Vorbereitung Jedes Interview braucht ein klares Ziel. Nur dann ergibt sich ein Aufbau, der auch für das Publikum nachvollziehbar und spannend bleibt. Wenn das Thema auf wenige Aspekte eingeschränkt ist, bekommt das Interview eine klare Hauptbotschaft. Zu einer nützlichen Einschränkung des Themas führt auch die klare Vorstellung vom Zielpublikum: Wer dessen Wissensstand einschätzen kann, wird auf allzu spezifische Fragen verzichten und sich auch sprachlich anpassen (Fachwortschatz, Vorwissen). Für den Ablauf des Interviews eignet sich am besten ein Plan, der die wesentlichen Punkte enthält - eventuell schon in Frageform -, aber nicht sämtliche später gestellten Fragen. Denn um das Gespräch lebendig zu erhalten, müssen sich auch einzelne Fragen aus den bisherigen Antworten, also durch aktives Zuhören, ergeben. Vorgespräch Ein Interview benötigt ein Vorgespräch der beiden Gesprächspartner. Dazu gehört eine Information über Ziel und Umfang des Interviews. Oft ist es notwendig, den Rahmen zu erklären: die Institution, in der man sich befindet, der YouTube-Kanal, in dem es platziert wird, usw.: Was ist das übergreifende Thema? Welcher Art waren die bisherigen Beiträge? Sind zum selben Thema noch weitere, kontrastierende Beiträge geplant? <?page no="233"?> Online: Fragetechnik ohne Antwortende? 233 Im Vorgespräch werden auch die wichtigsten inhaltlichen Punkte genannt, ohne dass die Fragen im Einzelnen abgesprochen würden (die sich ja zum Teil erst aus dem Gespräch ergeben). Abgeklärt werden muss auch, wie der Gesprächspartner vorgestellt werden und in welcher Form er im Lauf des Interviews angesprochen werden soll. Oft ist auch die Entscheidung für Du oder Sie noch ein Problem, das geklärt werden will. Je nach der Erfahrung des Gesprächspartners muss auch auf Besonderheiten der medienspezifischen Sprechsituation hingewiesen werden (zum Beispiel, dass der Blick auf den Interviewer gerichtet sein soll und nicht auf die Kamera). Technische Vorbereitung Beide Gesprächspartner müssen gut zu hören sein. Dies ist schon in der Präsenzsituation nicht immer leicht sicherzustellen, auch dann nicht, wenn zwei separate Mikrofone benutzt werden. Ohne ein Mischpult und einen vorgängigen Soundcheck wird die Sache dem Zufall überlassen. Im Online-Interview ergeben sich weitere Schwierigkeiten, sobald die beiden Personen räumlich getrennt sind. Personen, die über eine Videosoftware interviewt werden, müssen häufig darauf hingewiesen werden, wie sie sich vor der Kamera präsentieren und wie sie einen übermäßigen Nachhall verhindern können. (In extremen Fällen kann eine Aufnahme im Freien ein besseres Resultat erzielen.) Im Hörfunk ist es üblich geworden, die Gesprächspartner auf dem Festnetz anzurufen und sie zu bitten, ihre Antworten mit der Memo-Funktion ins Smartphone zu sprechen. Die Datei mit den Antworten wird dann dem Interviewer zur Verfügung gestellt und im Studio mit den Fragen kombiniert, so dass beide Stimmen ähnlich präsent - zumindest ohne einen übermäßigen Telefon-Ton - klingen. Die wichtigsten Techniken der Gesprächsführung Im Interview ist es besonders wichtig, den Unterschied zwischen geschlossener und offener Frageweise gezielt einzusetzen. Geschlossenes Fragen, die auf kurze, präzise Antworten abzielen („Ja.“ - „Nein.“ - „500 Personen.“), sind besonders wichtig bei ausufernden Gesprächspartnern. Bei professionellen Interviewpartnern bewirkt geschlossenes Fragen trotz allem oft ebenso lange Antworten wie offene. Dies ändert aber nichts an dem Signal, das man damit als Interviewer gibt: die Bereitschaft, das Gespräch enger zu führen. Wer offen fragt, gibt der befragten Person Raum für längere, weniger eingeengte Antworten: Sie soll erzählen, beschreiben, argumentieren. Offene Fragen in Interviews beginnen oft mit Wie ... oder Warum ...: „Wie war es damals in <?page no="234"?> 234 15 Das Interview als Alternative zum Vortrag der Schule? “ - „Wie unterscheiden sich die beiden Schulsysteme? “ - „Was gefiel Ihnen daran? “ Offene Fragen eignen sich für den Einstieg ins Gespräch. Die befragte Person liefert eine Reihe von Informationen, auf die man mit Nachfragen reagieren kann 212 . Zuhören im Interview Ein Interview zu führen, heißt nicht einfach, zu fragen, sondern vor allem, zuzuhören. Aus dem aufmerksamen Zuhören ergeben sich weitere Fragen, was oft zu einem etwas anderen Resultat als beabsichtigt führt. Dies relativiert die allgemeine Regel: „Wer fragt, führt.“ Zu einem großen Teil bestimmt der Gesprächspartner mit seinen Antworten mit, wie das Gespräch weitergeht und wo seine Schwerpunkte liegen. Zuzuhören heißt, auf folgende Dinge zu achten: Auf den Inhalt: » Wird die Frage beantwortet? » Stimmen die Aussagen mit den eigenen Recherchen überein? » Gibt es inhaltliche Unklarheiten? » Sind Widersprüche aufzudecken? » Werden Thesen begründet oder als Behauptungen stehengelassen? » Werden unzulässige Argumentationsweisen verwendet (z.B. Verallgemeinerung)? Auf die Absicht: » Stimmt das Gesagte mit der deklarierten Absicht überein? » Welche Funktion hat das Gesagte: Vermutung, Behauptung, Drohung, Ausweichmanöver, Zugeständnis usw.? » Muss diese Funktion zum Thema gemacht werden? Auf die Sprache: » Ist die Formulierung präzise genug oder muss nachgefragt werden? » Müssen Spezialausdrücke (Fachwörter, Fremdwörter, Abkürzungen usw.) erklärt werden? » Werden sprachlich-rhetorische Taktiken verwendet, z.B. Beschönigung, Schwarzmalerei? » Welche Stimmung drückt die Formulierung aus? Auf die Sprechweise: » Was sagen Sprechrhythmus, Veränderungen des Sprechtempos bzw. der Lautstärke aus? <?page no="235"?> Das Experten-Interview als Beispiel 235 » Weist eine Änderung im Sprechverhalten auf eine Änderung in der Gemütsverfassung hin? Auf die Körpersprache: » Drückt die Körpersprache eher Wohlbefinden oder Unwohlsein aus? » Ist die Körpersprache des Interviewten Antwort auf die Körpersprache des Interviewers? » In welcher Beziehung stehen körpersprachliche Signale zur verbalen Aussage? Das Experten-Interview als Beispiel Es ist wichtig, dass die Interviewerin bzw. der Interviewer für das Publikum mitdenkt. Oft müssen längere Passagen ausgewertet, komplizierte Antworten übersetzt, Kommentierungen transparent gemacht werden. Als Beispiel diene hier ein Radio-Interview zum Thema Vogelgrippe. 213 Der Ausgangspunkt: Anfang 2012 wurde in einem Hochsicherheitslabor in Rotterdam nachgewiesen, dass das Virus mit ein paar Mutationen so verändert werden kann, dass es sich leicht auf Menschen übertragen lässt. Deshalb wurde innerhalb der wissenschaftlichen Community vorgeschlagen, dieses Wissen geheim zu halten mit dem Argument, sie würde Bio-Terroristen den Herstellungsprozess einer gefährlichen Waffe in die Hände spielen. Ein hochrangiges Beratergremium in den USA riet den Fachzeitschriften deshalb von der Publikation ab. Die Publikation wurde eine Zeitlang zurückgehalten. Also: Zensur wissenschaftlicher Ergebnisse im Dienst des weltweiten Bevölkerungsschutzes? Dies sollte das Thema des Interviews mit zwei Fachleuten sein. Aus der Sicht der Rhetorik sind folgende Handlungen des Interviewers interessant: » Frage nach Einschätzung, nicht nach Fakten » Übersetzung für das Publikum » Zusammenfassung » Präzisierung » Provokation Frage nach Einschätzung, nicht nach Fakten Der Moderator beginnt damit, dass er die bisher bekannten Informationen vorausschickt, zum Beispiel die zu der Zeit noch gültige Annahme, H5N1 würde ein Drittel aller infizierten Menschen umbringen. Dann die Frage: <?page no="236"?> 236 15 Das Interview als Alternative zum Vortrag „Was ist die wissenschaftliche Motivation, ein solches Vogelgrippevirus überhaupt in die Welt setzen zu wollen? “ Die Hintergrundinformationen werden also vom Interviewer gegeben. Er kann das in vielen Fällen knapper und zielgerichteter tun als der befragte Sachverständige. Was er aber nicht kann, ist Einschätzungen vornehmen. Das ist die Aufgabe des Gastes, der dann aber so beginnt: „Das Vogelgrippevirus, das jetzt in der Natur existiert, also in diesen Ländern wie Indonesien und Ägypten, das ist vor allem zwischen Geflügel übertragbar. Zwischen den Menschen ist dieses Virus nicht übertragbar, aber man fürchtet, weil es offenbar relativ gefährlich ist für den Menschen, dass sich das eines Tages anpassen könnte.“ Übersetzung für das Publikum Auch im weiteren Verlauf des Gesprächs hört der Interviewer nicht nur als Fachmann, sondern auch als Vermittler zu. So wirft er bei Bedarf eine Erklärung ein. Als einer der beiden Gesprächspartner sagt: „Das Virus ist ja so verändert worden, dass es bei Säugetieren via Aerosole übertragen werden kann,“ sagt er mitten in dessen Redefluss: „Also durch Tröpfchen“, was dieser bestätigt: „Über Tröpfcheninfektion.“ Obwohl beiden Gesprächspartnern bewusst sein muss, dass Aerosole und Tröpfchen keine Synonyme sind, einigen sie sich auf diese Erklärung, weil in dem Zusammenhang und vor einem allgemeinen Publikum die Sache präzise genug erklärt wird. Zusammenfassung Nach über zehn Minuten Gespräch (in dem das Für und Wider einer Veröffentlichung der Daten diskutiert worden ist) fasst der Moderator zusammen: „Es ist ja eine Güterabwägung zwischen medizinischem Nutzen - nämlich das Verhindern einer Pandemie, dass man dann auch Medikamente hätte, um gegen das Virus etwas zu machen, und auf der anderen Seite diese etwas diffuse Gefahr eines bioterroristischen Anschlags.“ Diese Zusammenfassung präsentiert er den Gesprächspartnern. Er muss allerdings damit rechnen, dass er dabei nicht das letzte Wort haben wird. Im Gespräch mit Expertinnen und Experten wird die Version des Moderators nie ohne weiteres akzeptiert. So ist es auch jetzt: „Güterabwägung hört sich immer sehr gut an und hört sich immer sehr technisch an, letztlich wenn man sich genau anguckt: Welches sind die Güter? “ Das ist zwar eher eine sprachkritische Reflexion, die dem Publikum wenig bringt, aber man musste mit einer derartigen Antwort rechnen. Deshalb war es umso wichtiger, dass die Zusammenfassung knapp und verständlich ausfiel. <?page no="237"?> Das Online-Interview 237 Präzisierung Der Moderator will offenbar darauf hinaus, dass klar zugunsten der einen Position Stellung bezogen würde. Er realisiert, dass die letzte Frage zu wenig präzise gestellt wurde. Deshalb setzt er nochmals an: „Ist denn diese Bio-Terror-Gefahr aus Ihrer Warte ein realistisches Szenario? “ Erst jetzt bekommt er auch eine entsprechende Antwort. Es wird bestätigt, dass die Gefahr besteht, aber es wird auch auf andere Gefahren hingewiesen, vor allem, dass Viren aus Laboren entweichen können. Provokation Diese Antwort nimmt der Moderator zum Anlass für eine provokante Nachfrage: „Müsste man dann konsequenterweise nicht sagen: Hände weg von dieser Art Forschung? “ Eine Provokation ist für die interviewte Person meistens positiv: Sie hilft ihr, die eigene Position nochmals klar zu präsentieren. Sie erlaubt es, die Antwort ebenso zugespitzt zu formulieren, wie es die Frage war. Und in der Tat: Es wird festgehalten, dass zwar immer Gefahren dabei seien, dass es aber ohne diese Art von Forschung nicht möglich sei, Voraussagen darüber zu machen, was passiert, wenn ein entsprechendes Virus in der Natur mutiert. Der Interviewte ist Experte für sein Fach. Der Interviewer ist Experte für die kritische Vermittlung des Fachwissens. Deshalb braucht er zwei Fähigkeiten: Er muss ein Gespräch führen können und er muss die Fachinformationen verstehen, um bei Bedarf zu vereinfachen, zu hinterfragen oder zu provozieren. Das Online-Interview Im Online-Interview kommen Fragen der optischen und akustischen Gestaltung hinzu. Denn es muss ein Gespräch zwischen zwei Personen gezeigt werden. Das funktioniert im simpelsten Fall dadurch, dass beide vor einer Kamera sitzen und diese die ganze Zeit ihre Einstellung bewahrt. Wer sich leisten kann, zwei oder drei Kameras einzusetzen, wird je eine auf die Gesprächspartner richten und die dritte für eine Totale nutzen. In der Regel braucht das aber kompetente Hilfe, nicht nur beim Aufbau, sondern auch bei der Durchführung, so dass eine akzeptable Bildregie entsteht. Interviews, bei denen die Gesprächspartner nur über das Internet verbunden sind, werden gewöhnlich dem Publikum mit einem Split screen präsentiert. Das <?page no="238"?> 238 15 Das Interview als Alternative zum Vortrag Resultat ist von der Ästhetik her fast immer problematisch, weil die beiden Räume selten zueinander passen. Jeder sieht in seine Kamera und präsentiert dabei einen zufälligen Hintergrund aus seinem Büro oder Wohnzimmer. Es gibt dabei keine Möglichkeit, Blickkontakt zu simulieren (außer der Interviewer arbeitet mit einem separaten Bildschirm und holt dort den Gesprächspartner zu sich). Aber es ist möglich, beide Kameras so auszurichten, dass die beiden Gesprächspartner zwar parallel, aber auf Augenhöhe zu sehen sind. Die Kameras sollten möglichst die gleiche Perspektive einnehmen, es sollte also vermieden werden, dass die eine waagerecht von vorn, die andere von unten blickt. Zudem ist es in diesem Fall einfacher, wenn sie den Bildschirm ganz füllen, so dass die unterschiedlichen Umgebungen nicht irritieren. Weil die interviewte Person wichtiger ist als die interviewende, kann im Split-screen-Verfahren darauf verzichtet werden, letztere in einem erkennbaren Raum zu zeigen (vgl. Kapitel 4). Damit wird die Aufmerksamkeit deutlich auf den Interviewpartner gelenkt. <?page no="239"?> 16 Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Einen Vortrag zu halten, bedeutet in den meisten Fällen nicht nur zu reden, sondern auch zu zeigen. In vielen Fällen ist das Routine. Eine Folge von Power- Point-Folien wird zusammengestiefelt und über den Beamer an eine weiße Wand projiziert. Das Medium unterstützt dann mehr oder weniger effektiv das gesprochene Wort. Oft liefert es unnötigen Ballast, oft lenkt es auch ab. Deshalb lohnt es sich, erst einmal zu überlegen, was Mediennutzung in Alltagsgesprächen bedeutet. Medien werden gemeinsam genutzt Und das kann sehr einfach sein. Die Post hat der Wohngemeinschaft einen Grill angeliefert, ein handliches, würfelförmiges Paket. Beim Auspacken kommt allerdings nicht der ersehnte Kugelgrill zum Vorschein, sondern es finden sich lauter Einzelteile: zwei Kugelhälften, eine Aschlade in mehreren Teilen, Grillrost und Kohlerost, Abtropfschale, zwei Deckelhalter - insgesamt ein Dutzend Metall- und Plastikteile, die erst zusammengebaut werden wollen. Die stolzen Besitzer ahnen: Da kommt Arbeit auf uns zu. Wie gehören die Teile zusammen und wo fangen wir überhaupt an? - Glücklicherweise hat der Hersteller ein Faltblatt beigelegt, auf dem eine Explosionszeichnung alles säuberlich darstellt und anscheinend alle Fragen beantwortet. Die WG-Mitglieder beugen ihre Köpfe über das Bild und versuchen es gemeinsam zu interpretieren. Die Arbeit kann losgehen. Das ist Mediennutzung im Alltag: Eine Broschüre, eine Bleistiftzeichnung, ein Foto auf dem Smartphone, ein Stadtplan an der Bushaltestelle und der gemeinsame Versuch der Betrachter, daraus schlau zu werden. „Schau, die haben mir ein Bild geschickt! “ ist eine alltägliche Einleitung zu einem gemeinsamen Blick auf das Smartphone. „Komm, ich zeichne es dir auf! “ sagt der eine Techniker zum anderen und verdeutlicht damit seine Erklärungen. Auch mit anderen Sinnen kann so kommuniziert werden: Die Pianistin sagt zum Kollegen: „Du solltest hier das Tempo halten ...“, setzt sich ans Klavier und spielt eine kurze Passage. Der Koch taucht ein Stück Brot in die Sauce und gibt es dem Lehrling zum Probieren. Und so weiter. Das Medium hat eine wichtige Funktion für alle Beteiligten. Es informiert, illustriert, verstärkt, gliedert, und wenn man es nicht mehr braucht, wird es weggelegt und nicht mehr beachtet. Es ist angezeigt, sich dessen beim Halten eines Vortrags zu erinnern. <?page no="240"?> 240 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf die üblichste Form des Medieneinsatzes gelegt: auf die Verwendung visueller Informationen. Es ist üblich geworden, bei PowerPoint, Flipchart usw. von Visualisierung zu sprechen, obwohl das schon eine Einschränkung bedeutet. Denn es klingt, als ob das Bild oder die Schrift etwas mit dem gesprochenen Wort täte: Ich sage Mount Rushmore, und das Foto auf dem Bildschirm zeigt den Berg mit den vier Präsidentenköpfen, so dass deutlich wird, was gemeint ist. Das Bild visualisiert den Begriff. Aber die umgekehrte Beziehung ist ebenso häufig: Meine Rede „verbalisiert“ das Bild. Ich zeige die schematische Darstellung einer tierischen Zelle und benenne die verschiedenen Einzelteile: Zellkern, Ribosome, Vakuolen, Mitochondrien usw. Da geht die Aufgabe des Bildes weit über die Unterstützung des gesprochenen Wortes hinaus. Wir bleiben dennoch beim üblichen Begriff Visualisierung. Eine Dreiecksbeziehung Beim Medieneinsatz wird die Kommunikation erweitert durch ein visuelles oder akustisches Hilfsmittel. Es hilft beiden Teilen: dem Sprecher bei einer Erklärung, dem Gesprächspartner beim Verstehen. Im besten Fall bündelt es die Aufmerksamkeit aller Beteiligten, es richtet den Blick in eine gemeinsame Richtung, lässt alle auf dieselbe Schallquelle hören. Und oft wird ein mediales Objekt im Gespräch studiert und diskutiert. ͡ ☉ Was ist ein Medium? In didaktischen Kreisen wird mit Medium praktisch jedes Gerät bezeichnet, das im Vortrag zum Einsatz kommt - von Kreide und Wandtafel bis zu der Software, die die Kommunikation erst möglich macht (Videokonferenzen, Videoplattformen etc.)“ 214 In diesem Buch meint der Begriff Medium einen beliebigen Zeichenträger, einen Gegenstand, der zum gesprochenen Wort hinzukommt und es ergänzt oder unterstützt. Diese Erweiterung durch das Medium verändert das Gespräch und die gesamte Orientierung im Raum. Zu den Gesprächspartnern kommt ein weiterer Bezugspunkt hinzu. Die Beziehung wird zur Dreiecksbeziehung. Das trifft zu, ob es um alltägliche Konversation oder um einen Vortrag geht - unabhängig, ob in direktem Kontakt oder online. <?page no="241"?> Eine Dreiecksbeziehung 241 19 | Architektin und Bauleiter beim Kaffee: direkte Zweierkom m unik a tio n. Es zeigt sich zum Beispiel, wenn zwei Menschen sich über einen Plan, eine Landkarte oder ein Handy beugen. Sie richten dann ihren Blick teils aufeinander, teils auf ein weiteres Objekt: auf die Karte, auf den Text oder auf das Bild auf dem Handy. Und sie reden miteinander über das Objekt. 20 | Architektin und Bauleiter auf dem Bauplatz: mediengestützte K o mm unikati on. Wer sich dessen bewusst ist, wird sich nie direkt vor die Leinwand stellen, auf die seine PowerPoints projiziert werden und wo er zur Silhouette reduziert wird. Er wird sich außerhalb der Mitte positionieren, so dass Medium und Redner als gleichberechtigte Mitspieler sichtbar bleiben. Er wird mit Publikum und Medium interagieren, als ob eine weitere „Ansprechperson“ im Raum wäre. Auch wenn es sich nur um einen Bildschirm, einen Flipchart oder eine Wandtafel handelt oder auch um einen beliebigen Gegenstand, der zu Demonstrationszwecken dient: Er muss einbezogen werden wie ein Interviewpartner oder ein Assistent aus Fleisch und Blut. Und so ist es auch online: Ein Bild oder ein Video wird eingeblendet - oder ein Gegenstand wird vorgeführt - und beide, Publikum und Rednerin, konzentrieren sich darauf. Sie bleiben aber in ihrer Rolle als Publikum und Rednerin. Sie müssen deshalb gleichzeitig auch den Kontakt halten. Das ist online etwas weniger einfach als im Vortragssaal, aber es ist machbar. Wer dies ernst nimmt, wird es vermeiden, sein Bild auf Briefmarkenformat zu verkleinern und während einer ganzen Stunde von der rechten unteren Bildschirmecke die Folien zu kommentieren. Er wird vielmehr Lösungen suchen, die den gemeinsamen Blick auf die Folie ermöglichen, und das kann aus dem Off besser glücken als aus dem von Microsoft angebotenen Insert. <?page no="242"?> 242 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Wer ist im Fokus - Rednerin oder Medium? Das Publikum bekommt seine Information aus zwei Quellen: von der Rednerin und vom genutzten Medium (Bildschirm, Lautsprecher, Demonstrationsobjekt usw.). Gewöhnlich dominiert die eine und die andere begleitet sie. Es ist für die Kommunikation mit dem Publikum entscheidend, dass man sich diese Aufteilung klarmacht: Dominiert die gesprochene Rede oder das projizierte Bild? Erklären oder kommentieren die Worte das Bild oder illustriert das Bild das Gesagte? Eines von beiden - das Bild auf der Leinwand oder die gesprochene Rede - wird immer die Hauptrolle spielen, während das andere unterstützend wirkt oder gar verstummt. Als Rednerin oder Redner muss man sich dieser „Arbeitsteilung“ bewusst sein. Denn je nach dem, was dominiert, braucht es eine andere sprachliche Dichte, vor allem aber eine andere Interaktion mit dem Publikum und eine andere Position im Raum. ☉ Was dominiert - der Text oder das Bild? - Wichtige Fragen: » Wo sind die Hauptinformationen, wo die unterstützenden Informationen - in meinen Worten? auf dem Bild? » Was folgt daraus für meine Position im Raum? » Worauf soll das Publikum primär achten? » Welche Anweisungen braucht es? » Wie viel Zeit erfordert die Kombination von Bild und Text? Wenn die Rede dominiert In vielen Fällen liegt die Hauptinformation auf der gesprochenen Rede. Die Aussage auf der medialen Ebene - also z.B. der Inhalt der Folie - unterstützen sie nur, indem sie die Botschaft verstärkt, illustriert oder verständlicher macht. Entsprechend sparsam ist dann die Folie auch gestaltet. Sie enthält wenig Information. Sie beschränkt sich zum Beispiel auf Stichworte, einfache Symbole, eine Kapitelüberschrift, ein passendes Foto. Den Zuhörenden gibt das die Möglichkeit, sich immer wieder der Rednerin zuzuwenden. Weil sie nah beim Bildschirm, der Tafel oder der Leinwand steht, bleibt sie immer im Blickfeld. Es ist leicht, mit dem Blick von ihr auf die unterstützenden visuellen Informationen und zurückzuspringen. Wenn das Bild dominiert Im umgekehrten Fall enthalten die Bilder Informationen, die verbal nur umständlich oder gar nicht ausgedrückt werden können. Dann liegt die Aufmerksamkeit des Publikums ganz auf der visuellen Darstellung. Man denke etwa an <?page no="243"?> Das kann Visualisierung leisten 243 die Präsentation eines Gemäldes während eines kunsthistorischen Vortrags. Hier wird nicht nur über die Pinselstriche gesprochen, sondern sie werden gezeigt. Ähnlich wenn ein bestimmter Kraftwerktyp anhand eines Funktionsschemas vorgestellt wird: Der Kühlkreislauf wird nicht beschrieben, sondern visuell nachverfolgt. In solchen Fällen ist der verbale Kommentar oft eine gemeinsame Leistung von Redner und Publikum: Das Bild will beschrieben oder gedeutet werden, wie das bei einem Kunstwerk oft der Fall ist, häufig aber auch bei Abbildungen aus der Botanik oder Archäologie. Dabei kann am Anfang die Frage stehen: „Was sehen Sie? “ (Und die Erfahrung zeigt, dass in vielen Fällen das Publikum mehr sieht als der Vortragende! ) Deshalb steht hier die Rednerin auch nicht mehr direkt neben dem Bildschirm, sondern sie positioniert sich so, dass sie mit dem Publikum zusammen das Bild betrachten kann. Blickkontakt ist dabei weniger wichtig, als einen gemeinsamen Blickpunkt zu haben. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen ein dem Publikum noch unbekannter Gegenstand gezeigt wird, den nur die Rednerin beschreiben kann. Sie lässt dem Publikum Zeit, das Bild zu erfassen und es im Kontext einzuordnen. Dann beschreibt und erklärt sie es selbst. Auch da wird sie sich eher neben oder in die Zuschauerreihen stellen; denn sie spricht über eine Sache, die sie mit ihnen zusammen betrachtet. Und schließlich ist es ein alter Brauch, dem Medium eine Zeitlang die Bühne zu überlassen: ein kurzer Film wird gezeigt, ein Musikstück gespielt, oder ein Experiment läuft ab, ohne dass erklärende Worte notwendig wären. Eine Synthese aus Rede und Bild Wichtig ist, dass beides wirkt - die Rede wie auch das benutzte Medium. Sie bilden eine Synthese, deren Effekt nie mit hundertprozentiger Sicherheit vorausgesagt werden kann, die sich aber durchaus beeinflussen lässt. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich die Funktion zu überlegen, die das Medium übernehmen soll. Und wenn man sich dafür entschieden hat, muss die Darstellung so weit reduziert werden, dass sie diese eine Funktion auch ausüben kann. Das kann Visualisierung leisten Im heute üblichen Vortragstyp behilft man sich mit einer Präsentationssoftware: PowerPoint, Keynote usw. Meistens werden sie nicht nur zur Visualisierung genutzt, sondern müssen auch noch als Gedächtnisstützen für die Rednerin herhalten. Sie klickt auf die Fernbedienung, erkennt die nächste Folie, sagt: „Aha! “, und dann kommentiert sie die Folie von links oben nach rechts unten. <?page no="244"?> 244 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Die Frage, ob irgendeine Passage auch ohne PowerPoint besser funktionieren würde, wird meistens nicht gestellt, ebenso wenig wie die Frage nach der Funktion der einzelnen Folien. Ein völlig anderes Vorgehen ergibt sich, wenn man sich daran orientiert, was die gesprochene Information an Unterstützung braucht - oder was dem gezeigten Bild an gesprochener Erklärung fehlt. Deshalb soll im Folgenden auf Hauptfunktionen der Visualisierung hingewiesen werden. Die Erklärungen beziehen sich zunächst auf die Visualisierung durch eine Software wie PowerPoint, Keynote, OpenOffice Impress usw. Aber es sind generell Funktionen der Medienunterstützung und lassen sich auf viele weitere Fälle anwenden - von der Wandtafelzeichnung bis zum virtuellen 3-D-Modell. ☉ Funktionen von Medien im Vortrag » Verständnishilfe, z.B. Anschreiben von Begriffen an der Tafel » Verstärkung, z.B. Logo bei Nennung einer Marke » Orientierung, z.B. Ablauf des Vortrags » Illustration, z.B. Bild als Ergänzung einer Beschreibung » Argumentation, z.B. Bild als Beweis eines Befundes » Unterhaltung, z.B. Karikatur oder Musikeinspielung » Ersatz eines Teils des Vortrags, z.B. vorbereitete Videopräsentation Visualisierung verstärkt die Botschaft Es wirkt oft wie Routine und wenig inspiriert: Ein Begriff wird genannt und dazu an die Wandtafel geschrieben oder auf die Leinwand projiziert. Er wird festgehalten und dadurch aus dem Redefluss isoliert. So verfährt z.B. die Ärztin mit dem Begriff Herzinsuffizienz als Folgeerkrankung von Diabetes. Im Lauf des Vortrags beschreibt sie dann weitere Folgeerscheinungen und schreibt jeweils den Terminus an die Tafel. So ergibt sich im Lauf des Vortrags eine Liste: » Herzinsuffizienz » Leistungsabbau » Sehstörungen » Gefäßschäden » Nierenversagen » Sexualstörungen » Nervenschäden <?page no="245"?> Das kann Visualisierung leisten 245 Diese Liste bringt keine weiteren Informationen, sondern betont einfach den jeweils neuen Begriff und am Schluss dient sie als Gedächtnishilfe. Anstelle einer Liste kann auch ein schematisches Bild entwickelt werden, in dem diese Begriffe eingefügt sind. Auch dadurch erfährt der Betrachter nichts Neues, aber seine Vorstellungskraft wird zusätzlich angeregt. 21 | Eine schematische Darstellung unterstützt die Information. Visualisierung macht die Botschaft verständlicher Zwar soll eine Visualisierung oft nur die Verstärkung oder Betonung der gesprochenen Information erzielen. In fast allen Fällen erzielt das Medium aber einen zusätzlichen Effekt, es erhöht die Verständlichkeit. In der einfachsten Version wird mit einer schriftlichen Doppelung mehr Deutlichkeit geschaffen: Ein neuer Fachbegriff oder ein Name wird eingeführt und dabei auf den Bildschirm projiziert oder an die Tafel geschrieben. Im Schulunterricht ist dies selbstverständlich, aber Hochschulen kann man stundenlange Vorträge hören, bei denen zentrale Begriffe zwar definiert, beschrieben und illustriert werden; aber wie man sie schreibt, bleibt ein Rätsel. ☉ Faustregel zur Einführung von Begriffen Ein neuer Name oder neuer Fachbegriff wird nicht nur mündlich genannt, sondern auch schriftlich projiziert bzw. angeschrieben. Aber die Visualisierung hilft natürlich auch, längere Aussagen und Gedankengänge verständlich zu machen. Worte sind vielfach zu weniger präzise als ein Bild. In vielen Fällen wäre es schlicht eine Überforderung für die Zuhörenden, <?page no="246"?> 246 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben wenn die abstrakten Informationen nur mündlich vermittelt würden. Paradebeispiel ist die Darstellung komplexer mathematischer Aussagen oder chemischer Prozesse. Hier ist die schriftliche Form direkt eine Bedingung dafür, dass die Kommunikation glückt. ☉ Verständlichkeit durch visuelle Unterstützung » reduziert lange Gedankengänge auf Stichpunkte » vereinfacht durch ein Bild, was gesprochen zu kompliziert wäre » macht abstrakte Aussagen konkret » ordnet die verwendeten Namen und Begriffe ein Die Darstellung a n der Wandtafel oder auf einem anderen geeigneten Medium hilft, weil man sich auf konventionelle Symbole stützen kann. Die Sprechweise wird verlangsamt; das flüchtige Wort wird gestützt durch eine sich an der Tafel entwickelnde Darstellung, die stehenbleibt und auf die man sich in der Diskussion beziehen kann. Diese Art der Visualisierung zwingt z u dem auch den Redner dazu, schrittweise vo r z u ge h e n . ☉ Mediale Mittel der Verständlichkeit » Reduktion komplexer Sätze und Textabschnitte durch Stichworte » Konkretisierung abstrakter Informationen durch Bild-, Video-, oder Audio-Beispiele » Einordnung geographischer Begriffe in eine Karte » Vergleichsdarstellung einzelner Fakten (z.B. in Tabelle oder Grafik) » Konsequente Verwendung von Farbe, Schriftgrößen usw. » Orientierungshilfen (z.B. Inhaltsverzeichnisse, Überschriften) Visualisierung schafft Orientierung Elektrikerinnen skizzieren im Gespräch, wie in einer Küche die elektrischen Leitungen gelegt werden. Verkäufer und Kunde eines Wollgeschäfts beugen sich über ein Strickmuster. Eine Gruppe von Radfahrerinnen folgt dem Weg, der auf der Tourenkarte eingezeichnet ist. Das mediale Produkt hilft ihnen allen bei der Orientierung und strukturiert den Ablauf ihrer Handlungen. Dies funktioniert, indem sie sich im weiteren Verlauf an die Darstellung erinnern oder indem sie diese nochmals zur Hand nehmen und sich dadurch zurechtfinden. <?page no="247"?> Das kann Visualisierung leisten 247 Im Rahmen eines Vortrags begibt man sich oft auf die Orientierungsebene, auf die Ebene der Metakommunikation. Man gibt z.B. Absichten bekannt oder schafft einen Überblick über die Struktur des Vortrags. Gerade dies wird oft an ein Medium übergeben, z.B. an eine vorstrukturierende Folie: Ein Inhaltsverzeichnis zeigt den Aufbau an, mit dem man zu rechnen hat. Das folgende Beispiel ist typisch. Ein Jurist hat die Entstehung einer russischen Menschenrechtsorganisation untersucht und präsentiert jetzt seine Resultate. ☉ Die Moskauer Helsinki-Gruppe [1] Problemstellung [2] Vorgeschichte [3] Hintergrund und Entstehungsgeschichte [4] Juristische Beurteilung [5] Schluss Ein Vorteil dieses Inhaltsverzeichnisses: Es ist knapp und klar. Man erfährt, dass der Vortrag aus fünf Teilen besteht und erkennt eine einleuchtende Abfolge. Allerdings wirkt dieser Überblick auch sehr bekannt. Das hat man schon Dutzende Male ähnlich gelesen. Es ist kein Bezug zum aktuellen Thema erkennbar. Dass der Vortrag so aufgebaut ist, weckt kein Interesse. Es würde klarer, was man zu erwarten hat, wenn jeder Punkt eine inhaltliche Aussage enthielte: ☉ Die Moskauer Helsinki-Gruppe » NGO in Russland: Juristische Stellung » Die Schlussakte von Helsinki und die UdSSR » Gründung und Reaktion des KGB » Stellung im heutigen Russland » Schwerer Stand für Menschenrechtsorganisationen Visualisierung schafft einen Mehrwert Die Visualisierung erfüllt auch Zusatzaufgaben. Manchmal ist das beabsichtigt, manchmal nicht. Grundsätzlich aktivieren farbig gestaltete und mit Bildern versehene Darstel- <?page no="248"?> 248 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben lungen Hirnregionen, die in der abstrakten Rede vernachlässigt werden. Aber die Art der Darstellung weckt auch Assoziationen, oft solche, die nicht vorausgesagt werden können. Es kann als Argument dienen oder auch bloß unterhalten. Oft wird die Funktion der Assoziation zu wenig bedacht. So ist es üblich, ein Foto zu verwenden, um eine Aussage zu illustrieren, ohne zu überprüfen, welche Zusatzinformationen damit verbunden sind oder welche Fragen dadurch aufgeworfen werden. Eine Schirmmütze mit dem Slogan Make America great again kann direkt aus dem Prospekt herauskopiert werden. Oder man setzt sie auf den Kopf eines Babys. Es ist keine klare Wirkung zu prognostizieren, aber es ist zu vermuten, dass das Bild anders wirkt als das eines Politikers mit derselben Mütze. Wenn in einem Vortrag über die Berufschancen junger Schulabgänger der Zwischentitel ‚Karriere bei der Bundeswehr‘ verwendet wird, kann dies relativ neutral gestaltet werden: Karriere bei der Bundeswehr Wenn dieser Ausdruck aber nicht in der bisher gewählten Schriftart, sondern in Fraktur gezeigt wird, muss mit zusätzlichen Assoziationen gerechnet werden. Ob diese positiv oder negativ ausfallen, ob es mit Humor oder Skepsis aufgenommen wird, kann nicht von vornherein gesagt werden. 𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎𝔎 𝔟𝔟𝔎𝔎𝔎𝔎 𝔡𝔡𝔎𝔎𝔎𝔎 𝔅𝔅𝔅𝔅𝔅𝔅𝔡𝔡𝔎𝔎𝔅𝔅𝔅𝔅𝔎𝔎𝔅𝔅𝔎𝔎 Die Visualisierung als Argument ist in einen längeren Gedankengang eingebaut, den es unterstützt oder ergänzt. Wer über die Problematik des Fleischkonsums spricht, braucht seine Anklage nur mit einem Bild aus einem Schweinemaststall zu illustrieren, um die Aussage zu stützen. In anderen Fällen dient die Visualisierung als Beleg für eine Behauptung. Das <?page no="249"?> Medieneinsatz und Raumnutzung im Präsenzvortrag 249 Thema Protest gegen Pandemiemaßnahmen der Behörden wird mit einem Bild von einer Demonstration begleitet, das Thema Borkenkäfer killen den Wald mit dem Bild eines verwüsteten nordhessischen Waldes usw. Der Mehrwert, der durch die Visualisierung geschaffen wird, könnte über viele Seiten beschrieben werden. Wichtiger aber ist es, sich bei jedem Vortrag die möglichen Effekte zu überlegen. Eine gute Strategie ist es, die einzelnen Folien so stark wie möglich zu reduzieren. Wenn nur eine einzige inhaltliche Einheit aufs Mal zu sehen ist (eine Aussage, ein Bild mit Bildunterschrift, eine Definition, eine Grafik usw.), dann ist fällt die Koordination mit dem gesprochenen Wort leichter und die Wirkung lässt sich einigermaßen abschätzen. Medieneinsatz und Raumnutzung im Präsenzvortrag Die klassische Volksschullehrerin weiß, wann sie etwas anschreiben muss, so dass die Tafel das gesprochene Wort kommentiert. Sie weiß auch, wann es sinnvoll ist, ein großes Tafelbild vorzubereiten, das sie dann mit ihren Informationen ergänzt. Es scheint, dass der ty pische Redner eines Fachvortrags viel weniger bewusst vorgeht. Er t r a n sponiert die Hauptinformationen auf PowerPoint-Folien, ohne sich zu überlegen, auf welche Art sie sich mit den gesprochenen Worten verbinden. Allerdings ist auch dies eine Standardsituation: Die Dozentin steht vor den Zuhörenden und fü hrt einen Begriff ein. Bei der Nennung wird ihr bewusst, dass sie ihn besse r anschreibt. Sie dreht sich zur Wandtafel, einer Fläche von 3,6 mal 1 M e t e r . Da, wo sie gerade steht, schreibt sie auf Kopfhöhe das betreffende Wort hin. Dann dreht sie sich um und spricht weiter. Wenn es später wieder etwas zu schreiben gibt, gibt dieses zufällig platzierte erste Wort vor, wo noch Platz ist. Im Lauf der Zeit füllt sich die Tafel - erst rechts von der ersten Aufschrift, dann unten dran, schließlich auch darüber und links davon. Es stehen viele Dinge zusammenhangslos beisammen. Nun ist es oft praktisch, ein Wort da zu notieren, wo man gerade steht. Es spart Zeit und erfüllt den Zweck. Aber ideal wäre es, wenn dabei im Laufe der Stunde eine sinnvolle Darstellung entstünde, die auch rückblickend die Orientierung e r mög l ic h t e . Die Dreiecksbeziehung beim Vortrag Wer einen Vortrag ohne Medieneinsatz hält, freundet sich zunächst mit dem Raum an und kann dann in Beziehung zum Publikum treten. Wer einen Vortrag mit Unterstützung eines Beamers hält, muss sich nicht nur mit dem Raum <?page no="250"?> 250 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben und dem Publikum, sondern auch mit der Leinwand oder dem Bildschirm (und natürlich auch der Projektionseinrichtung) auseinandersetzen. Damit gibt es zwei Ansprechpartner, das Publikum und das projizierte Bild. Die lineare Verbindung Redner - Zuhörende hat sich zum Dreieck Redner - Zuhörende - mediales Objekt erweitert. Entsprechend muss die Rednerposition gewählt werden. Sie muss sowohl Blickkontakt mit dem Publikum als auch eine gute Sicht auf das präsentierte Bild erlauben. In gewissen Fällen wird der Redner sogar seinen Platz verlassen und sich in die Reihen der Zuhörenden stellen. Damit ist zumindest sichergestellt, dass das Bild gemeinsam betrachtet werden kann. Redner und Publikum haben zwar keinen Blickkontakt mehr, aber einen gemeinsamen Blickpunkt. ☉ Notizen auslagern Auch wenn ein Bildschirm oder eine Leinwand für die vorbereitete Visualisierung da ist, kann ein weiteres Medium hilfreich sein: ein Flipchart (oder auch eine Sektion der Wandtafel), wo die Begriffe notiert werden, die festgehalten werden sollen, so dass sie bis zum Schluss des Vortrags zu lesen sind. Problematisch wird es beim Fachvortrag, der im abgedunkelten Saal gehalten wird. Die Rednerin steht irgendwo im Dunkel neben der Leinwand, die PowerPoint-Show lenkt das Interesse des Publikums an ihr vorbei. Natürlich können auch da gesprochene und gezeigte Information h a r monieren. Häufiger ist allerdings, dass die wichtigste Person, die Rednerin, kaum mehr wahrgenommen wird. Sie wird zur Nebensache. Am Ende des Vortrags weiß niemand, wie sie a u ssa h . 22 | „Beachtet mich nicht, ich bin nur die Referentin! “ - das Publikum starrt auf die Leinwand, die Rednerin verschwindet im Dunkel des Saals. Schon durch die räumliche Anordnung sind die Möglichkeiten zum Dialog eingeschränkt. Blickkontakt ist nicht vorgesehen. Und wenn sich die Redne- <?page no="251"?> Medieneinsatz und Raumnutzung im Präsenzvortrag 251 rin zur Leinwand wendet, um mit dem Publikum zusammen hinzuse h en, findet sie sich gar nicht zurecht, weil sie zu nah davo r s t e h t . Visualisierung durch ein Demonstrationsobjekt Oft entsteht das Dreieck nicht durch eine Leinwand, sondern durch ein anderes Objekt im Raum - etwa, wenn bei einer Führung ein Gemälde erklärt oder in einem Ausbildungsvortrag eine neue Apparatur vorgestellt werden soll. Da schart sich oft die ganze Gruppe um den Dozenten und das vorzuführende Objekt. Dies ergibt zwar ein Gemeinschaftsgefühl, aber einzelne Teilnehmende sehen nur den Rücken des Dozenten. Eine Alternative ist die Installation einer Videokamera, die die Manipulationen über den Beamer auf die Leinwand bringt. Auch das erfordert, dass der Dozent für sich einen Ort auswählt, von dem er nicht nur seine Geräte, sondern auch die Leinwand im Blick hat und damit überprüfen und kommentieren kann, was man sieht oder allenfalls nicht sieht. Auch der Vortrag vor Lernenden in einem Labor bringt meistens wenig Spielraum. Die Auszubildenden sitzen reihenweise da, zum Teil vis-à-vis, zum Teil mit dem Rücken zueinander. Sie müssen sich notgedrungen immer wieder den Instrumenten zuwenden, die vor ihnen stehen. An einer Stirnseite ist Platz für eine Tafel und eine Ausbilderin. 23 | Auszubildende im Labor an ihren M ikroskopen. Wie positioniert sich die Do zentin, um alle zu er r e ichen? Auf den ersten Blick gibt es für sie keinen optimalen Platz, an dem sie von allen gesehen wird. Wenn sie spricht, müssen einige sich um die eigene Achse drehen. Das tut nicht jeder gerne und schon gar nicht spontan. Deshalb gibt es hier nur eine Lösung: Die Ausbilderin muss einen klar definierten Punkt im Raum haben, zu dem sie immer zurückkehrt, wenn sie sich an alle richtet. Und sie muss die Aktionen klar trennen. Entweder wi r d doziert und alle wenden sich der Dozentin zu; oder es wird gearbeitet un d die Dozentin hält sich dann mit Wortmeldungen an alle zurück. Das Grundthema bleibt <?page no="252"?> 252 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben auch hier wie bei allen ähnlichen Fällen: Blickkontakt ist nicht immer möglich; aber es ist möglich, einen gemeinsamen Blickpunkt zu haben. ☉ Das Medium beeinflusst die Choreografie » Der Blickkontakt wird unterbrochen zugunsten einer gemeinsamen Blickrichtung. » Rede und Gegenrede werden ergänzt durch gemeinsame visuelle » Eindrücke und den verbalen Austausch darüber. » Das gemeinsame Betrachten des Objekts erfordert Pausen. Welches Medium eignet sich am besten? Wandtafel, Whiteboard und Co.: dynamisch und kreativ Die Idee, Zeichen an der Wand zur visuellen Unterstützung zu nutzen, liegt auf der Hand, sobald sich der Unterricht im Innern eines Hauses abspielt. Sokrates, der mit seinen Schülern in der freien Natur zu parlieren pflegte, war ganz auf das gesprochene Wort angewiesen. Aber vielleicht zeugen schon die Höhlenmalereien, die jagdbare Tiere in ihren Einzelheiten darstellen, davon, dass erfahrene Jäger ihren prähistorischen Kollegen Vorträge hielten und sie mit Wandgemälden illustrierten. Von kleinen, tragbaren Tafeln, die als Aufschreibemedium verwendet wurden, wird schon in der Antike berichtet. Die Wachstafeln der Römer waren darauf ausgerichtet, dass man mit einem Griffel Worte und Zahlen einritzen und später wieder löschen konnte, indem man sie glattstrich. (Cäsar verteidigte sich mit seinem Schreibgriffel gegen seine Mörder; es war der einzige spitze Gegenstand, den er bei sich trug.) Das Prinzip ist auch in der kleinen Schiefertafel, die in den Schulen bis ins 20. Jahrhundert verwendet wurde, das gleiche. 24 | Der Physiker an der Tafel wendet sich wenn immer möglich dem Publikum zu. <?page no="253"?> Welches Medium eignet sich am besten? 253 Große schwarze Tafeln, die für alle sichtbar an der Wand angebracht waren, wurden seit Beginn der Neuzeit in Schulen verwendet. 215 Da sie einen großen Kontrast bieten - Weiß auf Schwarz oder auch Weiß auf Grün -, eignen sie sich auch in großen Räumen. Unterdessen ist der Redner vor der Tafel, meist mit einem Zeigestock in der Hand, zum stereotypen Abbild des Dozenten geworden. Das einfachere Medium gewinnt Das Unterrichtsmedium Wandtafel hat einen Vorteil: Es eignet sich für eine dynamische Verwendung. Typischerweise entsteht während einer Schulstunde oder einer Vorlesung allmählich ein „Tafelbild“. Es enthält wichtige Begriffe, Formeln, Ableitungen, Schemata, Zeichnungen usw. Die Schüler und Studierenden können verfolgen, wie es entsteht; im Idealfall beteiligen sie sich an der Herstellung, indem sie Antworten geben, Vorschläge machen. Oder sie werden selbst zur Tafel gerufen, um mit einer Rechenoperation oder einer Skizze oder einzelnen Begriffen zur Visualisierung beizutragen. Die Wandtafel ist seit Jahrhunderten das Medium für diese Vorgehensweise. Ganz ähnliche Möglichkeiten ergeben Whiteboard, Flipchart und schließlich auch neuere elektronische Mittel wie das interaktive Whiteboard. 216 Letztere ermöglichen es, vorproduzierte Präsentationen zu ergänzen und zu verändern. Bei den archaischen Versionen (Wandtafel, Flipchart etc.) fängt man typischerweise mit einer leeren Fläche an, die eine gewisse Planung erfordert, es aber auch ermöglicht, kreativ und spontan auf die Redner-Zuhörender-Interaktion zu reagieren. Die Wandtafel demonstriert noch einmal deutlich die zwei Herausforderungen, die sich beim Medieneinsatz vor Publikum stellen: den körperlichen Umgang mit dem Raum und die grafische Darstellung. Während andere Ge rä te sich verschieben lassen und der Dozent auch neben oder hinter sie tr eten kann, markiert die fest fixierte Wandtafel immer einen Bezugspunk t hinter dem Dozenten. Er muss sich öfters der Tafel zuwenden und damit dem Publikum den Rücken z u ke hr e n . ☉ Funktionen von Wandtafel und Whiteboard Eine Tafel bzw. ein Whiteboard eignet sich für die folgenden Aufgaben: Festhalten z.B. von Begriffen, Formeln, um » ihre Bedeutung zu unt e r s tr eic h e n » die Schreibweise mitzuteilen » mehrere Begriffe in einem Zusammenhang darzustellen <?page no="254"?> 254 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Dokumentieren der Entwicklung von Gedankengängen, z.B.: » Argumenta t ion » Lösungsweg einer Aufgabe » die einzelnen Schritte einer zeitlichen Entwicklung Visualisierung von Sachverhalten durch grafische Darstellungen » einfache Zeichnungen » Pläne, Schemata » Mitschreiben von Beiträgen aus dem Publikum als Liste, MindMap etc. Grafische Besonderheiten: » an das Gesamtbild denken (Tafelbild soll den Ablauf des Vortrags nachvollziehbar mache n ) » in großen Buchstaben schreiben » links oben beginnen, rechts unten a u f h ö ren Körpersprache: Choreografische Besonderheiten der Wandtafel beachten: » Nähe des Redners zur Tafel: Gefahr, den Blickkontakt zu verlieren » Blickkontakt ist reduziert, aber ein gemeinsamer Blickpunkt ist gewährleis tet » Gesten (etwa um Details an der Tafel zu bezeichnen) sollten de utl ic h sein » nicht hetzen (so schnell schreiben, dass es lesbar bleibt - auch wenn die Zuhörenden nicht mitschreibe n ) Sprechweise: » auf deutliche Aussprache ac hten » möglichst viel ins Publikum sprechen » keine Angst vor Pausen, die beim Schreiben entste he n Sprachlicher Ausdruck: » einzelne Schritte komme ntieren » Neues (Namen, Begriffe, Zahlen) aufschreiben » Begriffe, die angeschrieben werden, laut lesen Der Flipchart bringt Bewegung ins Spiel Dass man statt einer Wandtafel einen großen Schreibblock auf eine Staffel <?page no="255"?> Welches Medium eignet sich am besten? 255 montieren kann, ist eine recht alte Idee. Der Oxford English Dictionary belegt den Gebrauch des Ausdrucks ab dem Jahr 1956; aber ähnliche Konstruktionen sollen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet worden sein. 217 Der Flipchart (und andere Formen kleinerer, beweglicher Tafeln) gibt dem Redner mehr Bewegungsfreiheit. Das Dreieck Redner-Tafel-Publikum lässt sich je nach Bedürfnis verändern. Der Flipchart macht es nie notwendig, sich ihm ganz zuzuwenden und den Zuhörenden den Rücken zu zeigen. Zudem kann man mit einiger Übung auch von der Seite, mit angewinkeltem Stift schreiben. 218 Der Flipchart hat Plakatformat und eignet sich für großflächige Darstellungen, die man schnell von Hand hinbekommt. Wer viel schreiben muss, wählt dagegen die Wandtafel, die für gut lesbare, längere Anschriften unschlagbar ist. Der Flipchart hingegen ist ein Notizblock und sollte auch so aufgefasst werden. Wie ein Notizblock hält er fest, was zusammengetragen, illustriert, erklärt wird. In Seminaren mit überschaubarer Teilnehmerzahl teile ich die Studierenden oft in Gruppen von zwei bis sechs Personen ein. Sie bekommen den Auftrag, über eine einfache Frage zu diskutieren und die Resultate grafisch darzustellen. Sie suchen sich dann einen Platz in einem der freien Räume nebenan, in der Cafeteria oder irgendwo auf dem Boden vor der Bibliothek. Jeder Gruppe gebe ich ein Flipchart-Blatt und ein paar dicke Filzstifte mit. Nach zwanzig bis dreißig Minuten (ich sage: „Nehmen Sie sich 20 Minuten Zeit“ und weiß, dass ich ihnen danach noch etwas Nachspielzeit geben muss) kommen sie zurück und bringen ihre Blätter mit Klebestreifen gut sichtbar an der Wand an. Darauf haben sie die wichtigsten Begriffe in großen Buchstaben aufgemalt, mit einzelnen einfachen Symbolen (Kreisen, Pfeilen). Diese Darstellungen können dann in der Diskussion ergänzt und erweitert werden. Die Bögen mit den Darstellungen aus den Gruppenarbeiten nehme ich oft mit ins Büro und benutze sie als Grundlage für eine weitere Einheit oder für ein Kapitel im Skript. Manchmal fotografiere ich sie noch im Seminarraum und lade sie auf der elektronischen Lehrplattform hoch. Es ist ein Produkt der Studierenden, und sie sollen die Frucht ihrer Arbeit nochmals betrachten und auswerten können. ͡ ☉ Funktionen des Flipcharts Der Flipchart eignet sich für: » großflächige, einfache Darstellungen, Listen » nicht für detaillierte Darstellungen (im Gegensatz zur Wandtafel) » die Weiterverwendung beschriebener Blätter, die sichtbar bleiben sollen (z.B. an einer Pinnwand) <?page no="256"?> 256 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Grafische Besonderheiten: » Farbgestaltung nutzen; aber Vorsicht mit hellen Farben (gelb, orange), die schlecht lesbar si n d » für Umrandungen und Unterstreichungen Kontrastfarben nu t z e n » großflächig arbeiten: große Buchstaben, einfache Symbole » vor dem Vortrag überprüfen, ob der unterste Bereich für die Zuschauer noch sichtbar is t . Körpersprache: Choreografische Besonderheiten des Flipcharts: » geeignet für kleine und mittelgroße Räume » größerer Bewegungsspielraum für Redner » Platzierung (Distanz, Winkel) ist variabel, aber: Winkel zum Publikum beachten! » Blickkontakt Redner-Publikum fällt l eic h t e r Sprechweise: » auf deutliche Aussprache ac h t e n » möglichst viel ins Publikum sp r ec h e n » keine Angst vor Pausen, die beim Schreiben e n t s t e h e n Sprachlicher Ausdruck: » Platzbeschränkung fördert knappe A u sd ru cksweise » Vorsicht vor zu stark komprimierten F o r m u l ie run ge n / Abk ür z un ge n Handout: Outsourcing von Aufschrieben Als Rednerinnen entdeckten, dass es Vervielfältigungsapparate gab, begannen sie, ihre Aufschriebe auf Blätter zu verlagern, die sie den Zuhörenden in die Hand drücken konnten. Neudeutsch heißen sie Handouts. In den besten Fällen ergänzen sie die übrigen medialen P r od u k t e : » Sie bereiten die Mitschrift der Zuhörenden vor, indem sie Hauptbegriffe und leere Flächen enthalten, auf denen ergänzende Notizen Platz haben. » Sie halten fest, was die Zuhörenden nicht mitschreiben können, z.B. bibliografische Angaben, Zeichnungen, Ü berblicksdarstellungen. » Oft enthalten Handouts auch Zusatzbotschaften, etwa Werbung für weitere Veranstaltungen. Da die Zuhörenden selbst entscheiden, wie lange sie sich mit dem Handout beschäftigen, geschieht es relativ schnell, dass sie sich dadurch ablenken lassen. <?page no="257"?> Welches Medium eignet sich am besten? 257 Das Medium wird von der Unterstützung des Vortrags zur Konkurrenz. Dies trifft vor allem dann zu, wenn es für ergänzende Informationen benutzt wird. Diese Konkurrenzsituation kann nur verhindert werden, wenn das Handout eine einfache Funktion erfüllt, die man auch klar deklarieren soll: Dient es nur zur Unterstützung eines bestimmten Abschnitts der Rede? Enthält es die Hauptthesen und soll nur jeweils die Zusammenfassungen verstärken? Führt es eine Literaturliste auf, die die Zuhörenden gleich wegstecken können? Auf jeden Fall soll das Handout, sobald es verteilt ist, wie eine weitere Informationsquelle behandelt werden, ähnlich wie etwa Leinwand, Wandtafel und Flipchart, deren Inhalt gelöscht wird, wenn er nicht mehr benötigt wird. Da das Handout eine Quelle der Ablenkung darstellt, muss für vermehrten Blickkontakt gesorgt werden. Weil Zuhörende aus einem Orientierungsbedürfnis oder aus Langeweile aufs Blatt sehen, braucht es Anreize, um den Blickkontakt der Rednerin zu erwidern: explizite Ankündigungen und Aufforderungen („Jetzt kommt etwas Entscheidendes ...“/ „Sehen Sie sich dieses Bild an ...“) oder Fragen, Erzählungen, informativ gestaltete Tafel- oder PowerPoint-Einheiten. Wenn ein Handout während des Vortrags mehrmals benutzt wird, muss das Layout so gestaltet sein, dass die einzelnen Abschnitte leicht aufzufinden sind, auch wenn man es in der Zwischenzeit aus der Hand gelegt hat. Eine Gelegenheit zum Dial og Es ist vielerorts üblich, vor der Veranstaltung einfach einen Stapel Bl ätter auf die vordersten Stühle zu legen. Eine mehr oder weniger direkte Aufforderung macht die hereinkommenden Zuhörenden darauf aufmerksam. Sie bedienen sich, ohne den Wert dieses Geschenks zu e r ke nn e n . Ob es ein Handout ist oder irgendeine andere Kleinigkeit, die man als Rednerin verteilt: Damit verbunden ist immer die Geste des Gebens und Nehmens. Wenn die Rednerin selbst die Verteilung vornimmt, hat sie eine Chance zur direkten Begegnung mit den einzelnen Zuhörenden. Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, die Handouts direkt zu übergeben oder wenigstens einen Stapel in jede Reihe zu bringen, ist das eine klare Geste, die mit einer verbalen Äußerung unterstrichen werden kann, die ausdrückt: „Das habe ich für Sie vorbereitet. Das ist mein Geschenk an Sie.“ ☉ Funktionen von Handouts Das Handout eignet sich f ür : » Gliederungen (zur Orientierung während des Vortrags: Wo sind wir? Was erwartet uns n oc h ? ) <?page no="258"?> 258 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben » ausführliche Informationen (vor allem für die Nac h be r ei t un g ) » dennoch darauf achten, dass sich die Zuhörenden nicht im Text verlieren kö nn e n » Texte, wörtliche Zi t a t e Grafische Besonderheiten: Die Orientierung in der Gestaltung des Handouts wird erleichtert durch: » Zwischenüberschriften » Bildlegenden » Quellenangaben » allenfalls Ausschnitte des Handouts auf die Leinwand pr ojizieren, damit klar wird, worüber gesprochen wi r d Körpersprache: » die Art des Verteilens der Blätter und die dafür benötigte Zeit planen » ein eigenes Exemplar behalten und bei der Besprechung be nu t z e n » für Blickkontakt so r ge n Sprechweise: » Zeit zum Lesen ei nr ä u me n » laut mitlesen, um sicherzugehen, dass alle dabei si n d Sprachlicher Ausdruck: » Funktion des Handouts beim Vortrag deklarieren » deutlich ankündigen, wenn es benötigt wird und wenn es aus der Hand gelegt werden soll » bei Fragen aus dem Publikum sicherstellen, dass alle dabeibleiben („Bei welchem Punkt des Handouts sind wir? “), eventuell durch Beamer unterstützen PowerPoint und Co.: Zwischen Vielfalt und Stumpfsinn In der Regel werden einer PowerPoint-Datei (und allem, was darunter subsummiert wird), zu viele Aufgaben aufgebürdet: [1] Visualisierung verbaler Aussagen [2] Dokumentation von Beobachtungen [3] Präsentation von Forschungsresultaten [4] Ersatz für eine sinnvollere Gedächtnisstütze [5] Ersatz für ein Vorlesungsskript usw. <?page no="259"?> Tipps zu Präsentationssoftware 259 Zunächst ist es deshalb sinnvoll, diese Aufgaben zu reduzieren und zu erkennen, was alles bei einem anderen Medium besser aufgehoben ist: im gesprochenen Wort, in einem Handout, auf einer Wandtafel oder auf einem Flipchart etc. Viele kurze Präsentationen leiden darunter, dass die Präsentationssoftware entweder nichts Wesentliches enthält (so dass ein einfacher Vortrag mit Blickkontakt effizienter ist), oder dass sie überfrachtet ist, weil sie alle Details der Unternehmensstruktur, des Projekts oder des eigenen Lebenslaufs enthält (Dinge, die in ein anderes Medium gehören). 219 Eine gute PowerPoint-Präsentation braucht Zeit und Können. Wie die Beispiele weiter oben gezeigt haben, wird in diesem Buch eine möglichst ei nfache, übersichtliche Gestaltung empfohlen. Die folgenden Tipps sollen einen ersten Einstieg e r mög l ic h e n . Tipps zu Präsentationssoftware Präsentationssoftware wie PowerPoint, Keynote oder Impress ermöglicht es, eine Vielzahl unterschiedlicher Texte, Bilder und Bewegtbilder an die Wand zu projizieren. Diese Vielfalt ist eine große Chance, führt aber oft zu unbefriedigenden Resultaten. Hier soll den vielen speziellen Handbüchern keine Konkurrenz gemacht werden; Hi n weise auf den Umgang mit Textfolien und die Kombination von P r ojek t io n und Präsentation sollen ge nü ge n . ☉ PowerPoint und Co. eignen sich: » für die begleitende Visualisierung » für die Unterstützung der inhaltlichen Gliederung » für Bilder, Grafiken » für einzelne Begriffe, knappe Definitionen Grafische Besonderheiten Anleitungen zum Gebrauch von PowerPoint könnten so missverstanden werden, dass es Titel-Folien, Text-Folien und Grafik-Folien gäbe. In Wirklichkeit setzt sich fast jede Folie aus diesen drei Elementen zusammen. Auch wenn es „nur“ Text ist, ist dieser grafisch anspr echend gelayoutet. Auch wenn es „nur“ ein Bild oder eine Grafik ist, braucht diese Beschriftungen. Und jede neue Folie braucht eine Ü be r schrift, die die wenigen Begriffe oder Darstellungen ei n o r d n e t . <?page no="260"?> 260 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Die Grundlage für jede PowerPoint-Präsentation ist Einfachheit: ei n fache Bilder, einfache Grafiken, knappe Worte und Sätze. Folien nicht überladen! Lehrbücher empfehlen, eine Folie auf maximal sechs bis sieben Punkte zu beschränken; aber schon das kann zu einer Überforderung für den Betrachter führen. Wenn es scheint, dass eine Folie eine Vielzahl von Begriffen oder Bildern erfordert, sollte man versuchen, diese Dinge zu gruppieren und klar voneinander getrennt anzuordnen. In einem zweiten Schritt lässt sich fragen, ob die Gruppen nicht besser auf einzelne Folien verteilt werden, jede mit ihrem eigenen Titel. Große, einfache Schrift wirkt in der Projektion am besten. Am leichtesten handhabbar und lesbar sind Grotesk-Schriften, also solche ohne Serifen (wie Helvetica oder Arial). Die Schriftgröße soll, den Raumverhältnissen angepasst, so groß wie möglich gewählt werden. Für einen großen Raum empfiehlt sich eine Schrift von 28 Punkt fü r die kleinsten Begriffe. Das scheint zwar immer noch groß, hilft ab er auch, eine zu große Textfülle zu ve r meide n . Farbe hilft, Wichtiges zu betonen und verschiedene Typen von Informationen zu unterscheiden. Allerdings sollte das Farbschema konsequent angewendet werden - für gleichwertige Informationen die gleichbleibende Farbe. Wer sich an diese Regeln hält, wird herausfinden, dass er je nach Thema mit PowerPoint allein nicht auskommt. Komplexere Informationen können auf Handouts ausgelagert werden. Die Körpersprache beim Einsatz von PowerPoint Die Hauptaufgabe bei einer PowerPoint-Präsentation besteht darin, präsent zu bleiben. Wann immer möglich, soll das Dreieck Redner - Publikum - Medium ausgenutzt we r de n . Je nach Zusammenhang von Bild und Rede kann der Standpunkt gewechselt werden. Wenn Redner und Publikum das Bild gemeinsam interpretieren sollen, ist eine Zuwendung zu beidem besonders wichtig. ☉ Die beste Taste bei PowerPoint Wer mit PowerPoint oder Keynote vorträgt, kann auf einfache Weise Blickkontakt mit dem Publikum garantieren: mit einem Fingerdruck auf die B-Taste auf der Tastatur („B“ für black). Der Bildschirm wird sofort schwarz und die Zuhörenden fokussieren ihren Blick wieder auf die Rednerin. Erneutes Drücken von „B“ setzt die Präsentation fort. <?page no="261"?> Tipps zu Präsentationssoftware 261 Alternativ funktioniert auch „W“ (wie white): Die Präsentation wird unterdrückt und die Leinwand wird weiß. Es bringt nie etwas, unmittelbar vor oder unter dem projizierten Bild zu stehen. Redner und visuelle Information harmonieren dann nicht mehr. Weder Blickkontakt noch gemeinsames Betrachten der Leinwand ist möglich. ☉ Eine Sache aufs Mal genügt Wenn der Redner sich dem Notebook zuwenden muss, um dort eine Taste zu suchen, ist das Aktion genug. Es bringt nichts, gleichzeitig weiterzureden. Das Publikum hält die paar Sekunden Pause aus, der Stress ist allerseits ge r i n ge r . Sprechweise bei PowerPoint Folien sollten nicht als Gedächtnisstütze missbraucht werden. Wenn es aber nicht anders geht, sollte man sich regelmäßig von den Folien lösen und ins Publikum sprechen. Dies führt zu einer anderen Pausensetzung, zu einer dialogischeren Sprechweise. Sämtliche Formulierungen, die auf der Folie vorkommen, sollten a u c h ausgesprochen werden. Das Publikum muss Zeit haben, die Texte auf den Folien zu l ese n . Ähnlich wie bei Wandtafel und Flipchart sollte besonders dann auf deutliche Aussprache geachtet werden, wenn man sich mit dem Publikum der Projektion z u we n de t . Sprachlicher Ausdruck bei PowerPoint Auf die Folien gehören nur Ausdrücke, die auf einen Blick erfasst und verstanden werden. Lange Sätze sind t ab u . Konkurrenz zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort vermeiden: Oft ist es notwendig, eine Information ei n z u sc h ieben, für die keine Folie vorhanden ist. Dann sollte auch auf eine Folie verzichtet werden (Taste B für einen schwarzen Bildschirm). Auch zur Präsentation von Folien gehören orientierende Informationen. Dies sind zum einen Folien mit Inhaltsverzeichnissen, Zwischenüberschriften usw., zum anderen gesprochene Kommentare: „Ich habe für Sie die folgenden Punkte vorbereitet ...“ / „Damit kommen wir zu ...“ / „Jetzt die Resultate aus unserer Untersuchung. “ <?page no="262"?> 262 16 Medieneinsatz: Visualisieren und trotzdem präsent bleiben Der Medieneinsatz kann den Vortrag beleben Medien haben ein dynamisches Potenzial. Ein Wort, das an den Flipchart geschrieben wird, braucht nicht dort stehen zu bleiben, sondern kann im Lauf des Vortrags ergänzt und verändert werden. Im Gespräch mit dem Publikum wird es Teil einer Zeichnung, die allmählich entsteht und schließlich als gemeinsames Produkt den Gedankengang widerspiegelt - oder auch einfach verworfen wird. Das Medium ist Basis für den Dialog, für Rede und Gegenrede. So kann auch eine Zeichnung gemeinsam vervollständigt, eine Mannschaftsaufstellung umgestellt, eine Route mit Alternativen versehen werden. „Wir sind Sklaven unserer PowerPoints“, hat ein Seminarteilnehmer einmal geklagt. In der Tat: Wenn die Visualisierung ein starres Korsett ist, das einem keine Abweichungen erlaubt, ist die Freiheit des gemeinsamen Lehrens und Lernens vorbei. Es gibt Hochschullehrer, die ihre Assistentin oder ihren Assistenten anweisen, ihre Vorlesung zu halten (was schon an sich eine Zumutung ist), und ihnen dazu ihre siebzig Folien übergeben. An die haben sie sich bitteschön zu halten. Die Studierenden erleben dann eine Nachwuchswissenschaftlerin, die sich von einer fremden Folie zur nächsten hangelt und keine Möglichkeit zu kreativem, dialogischem Unterricht findet. <?page no="263"?> 17 Medien und Requisiten beim Online-Vortrag Auch in der Online-Präsentation ist Medieneinsatz eine Raumfrage. Die Verwendung von Folien oder anderen Hilfsmitteln ändert nichts daran, dass die Aufgabe in der Vermittlung zwischen dem eigenen und dem fremden Raum besteht. Zusätzlich zum Schreibtisch, zum Hintergrund, zu den Gegenständen in der Umgebung kommen noch Bilder, Töne und Texte. Auch diese müssen in Beziehung zur präsentierenden Person und zum angesprochenen Publikum gesetzt werden. Am leichtesten geht das mit einem Werkzeug, das sich auch real im Raum befindet: mit einer simplen Tafel, einem Flipchart oder einem interaktiven Bildschirm, die von einer Kamera zusammen mit der präsentierenden Person erfasst werden. Das allerdings erfordert die Möglichkeit, die Kamera in einer größeren Distanz und das Mikrofon dennoch nah genug zu platzieren. Beeindruckend simple Lösungen hat die große Didaktikerin Vera Birkenbihl vorgeführt, etwa wenn sie an einem Tisch mit einem Stoß Papier und einem dicken Filzstift die Frage beantwortete: „Warum leben Nonnen länger? “ 220 Wenn man auf ein Papier auf der Tischfläche zeichnet, muss man dieses gelegentlich hochhalten, damit die Zeichnung richtig zu sehen ist, oder die Kamera muss ihren Winkel ändern. Beides führt zu einer plastischeren Gestaltung. - Tibees, die Physikerin unter den YouTubern, bereitet auch schon mal Zeichnungen auf Karton vor. Sie kramt sie unter dem Tisch hervor und zeigt sie in die Kamera, und das reicht vollauf. 221 Requisiten öffnen den Raum und vereinfachen die Botschaft Sobald Gegenstände gezeigt werden, haben die Hände etwas zu tun. Und wenn die Hände etwas tun, bewegen sie sich nicht nur in der X- und Y-Achse, sondern gehen auch nach vorn und zurück. Überzeugend demonstriert dies Thomas Panke, der Held der Steine, wenn er auf seinem YouTube-Kanal 222 Lego-Bausätze und andere Spielsachen präsentiert. Vor einer einzigen Kamera sitzt er an einem Tisch, bewegt darauf die bereits zusammengebauten Wohnhäuser, Fahrzeuge und Raumstationen, holt manchmal eine Figur aus der Versenkung und schiebt anderes aus dem Blickwinkel der Kamera. Das gibt dem Bild Tiefe, ohne künstlich zu wirken, und auch wenn er etwas in die Höhe hält und dabei zum Monitor blickt, um die Wirkung zu überprüfen, ist er weiter präsent. Wem das Thema zu wenig seriös ist, der kann sich an den Physiker Dan Fleisch wenden. 223 Der sitzt ebenfalls an einem Tisch. Darauf sind vor allem ein paar <?page no="264"?> 264 17 Medien und Requisiten beim Online-Vortrag Bauklötze zu sehen. Die Kamera, 20 cm höher als sein Kopf (was seine Autorität nicht tangiert! ), zeigt Dan mit der Tischfläche und gibt den Blick in den nächsten Raum frei. Er kommt angenehm rasch zur Sache: „Hi! Ich bin Dan Fleisch. Wenn Leute hören, dass mein neues Lehrbuch „Vektoren und Tensoren“ heißt, stellt ein recht großer Prozentsatz von ihnen dieselbe Frage: Was ist ein Tensor? - Mein Ziel für dieses Video ist, diese Frage in etwa zwölf Minuten zu beantworten.“ Dann fängt er an, nimmt einen Holzstab und ein Stück Karton in die Hand, um das Basiswissen zum Thema Vektoren zu repetieren. Er hält den Stab in verschiedene Richtungen, während er erzählt, dass ein Vektor z.B. die Gravitationskraft oder eine Geschwindigkeit repräsentieren kann. Mit einem Stück Karton, das er unter dem Tisch hervorholt, demonstriert er dann, dass der Vektor (der Stab, senkrecht zu dazu gehalten) auch eine Fläche darstellen kann. Nur schon dadurch, dass er plastische Gegenstände präsentiert, zeigt sein Video einen lebendigen Menschen beim Visualisieren eines mathematischen Themas. - Im weiteren Verlauf markiert er übrigens den Beginn eines neuen Abschnitts, indem er sich an die Querseite des Tisches setzt. Dazu gibt es eine neue Einstellung (Abblende, Aufblende); die Kamera muss entsprechend versetzt werden. Das Prinzip bleibt das gleiche: Dan greift nach einem Objekt, stellt es vor und nutzt es zur Visualisierung. Er nimmt etwa drei rechtwinklig verbundene Stangen, die die X-, Y- und Z-Achse repräsentieren und hilft damit nicht nur der Vorstellungskraft besser als mit einer Wandtafelzeichnung, sondern wird auch selbst plastischer, weil er mit dem Gegenstand interagiert. Auch hier: die Folie nicht dominieren lassen PowerPoint erlaubt seit der Version Office 365 die Herstellung einer Präsentation mit eingebautem Redner-Bild. Dieses erscheint für den Zuschauer in der rechten unteren Ecke. 224 Ähnliche Lösungen bieten auch verschiedene Arten der Konferenz- und Messaging Software. Meistens entsteht dadurch die virtuelle Form des konventionellen PowerPoint-Vortrags: eine Serie von Folien, die aus dem Off kommentiert wird. Immerhin ist es aber möglich, die Folie während der Präsentation zu beleben. Man wählt einen Textmarker, um eine Stelle hervorzuheben, oder einen Stift, mit dem man einfache Symbole, etwa Pfeile oder Kreise, malt. Diese Handlungen unterstreichen trotz des fehlenden visuellen Kontakts die Botschaft: Wir betrachten das Bild gemeinsam. Das ist eine Möglichkeit, zu verhindern, dass man sich während der Präsentation immer mehr zum Wortlieferanten degradiert. Es hilft auch, einen neuen Ton zu finden. Der virtuelle Griff zum Instrument gibt einen neuen Impuls, Sprechrhythmus und Satzmelodie passen sich <?page no="265"?> Dialog durch gemeinsames Zeitmanagement 265 an. - Besser geeignet als PowerPoint sind für diese Zwecke aber didaktisch ausgerichtete grafische Hilfsmittel (z.B. über www.miro.com). Aber es ersetzt nicht den Blickkontakt. Angezeigt ist es in jedem Fall, zu Beginn und am Ende je ein Statement einzufügen, bei dem die Rednerin an ihrem Arbeitsplatz direkt zum Publikum spricht. Während des Vortrags muss der so etablierte Kontakt durch sprecherische Mittel unterstützt werden, durch persönliche, abwechslungsreiche Intonation und einen sinnvoll variierten Rhythmus. Dialog durch gemeinsames Zeitmanagement Dadurch, dass der Vortrag selbst medial vermittelt ist, ist das Zeitmanagement nicht mehr die Sache des Redners allein. In vielen Fällen kann der Zuhörer innerhalb des Vortrags vor- und zurückspulen. Er kann die Rede beschleunigen, anhalten und ganz gezielt an bestimmte Stellen springen. Dass Zuhörerinnen und Zuhörern autonom mit dem Ablauf umgehen können, ist ein Vorteil der zeitversetzten Kommunikation und sollte entsprechend genutzt werden. In vielen Fällen (z.B. auf YouTube) können im fertigen Video Zeitstempel eingebaut werden, so dass sich auf der Timeline einzelne Abschnitte direkt ansteuern lassen. Damit macht sich eine wichtige Voraussetzung bemerkbar, die im Präsenzvortrag oft unbeachtet bleibt: die Mitgestaltung durch das Publikum. In den klassischen rhetorischen Situationen ist es eine mehr oder weniger sakrosankte Übereinkunft (die Vorlesung hat 45 Minuten zu dauern, die literarische Lesung eine halbe Stunde usw.), an die sich alle zu halten haben. Aber im Online-Vortrag ist das Ein- und Aussteigen dem individuellen User überlassen. Das kann man nur akzeptieren und signalisieren, dass man die angesprochenen Menschen auch in dieser Hinsicht als autonome Gesprächspartner anerkennt. <?page no="267"?> Anhang Anregungen zur Seminargestaltung Dieses Kapitel stellt Elemente zusammen, die sich in meiner Erfahrung mit praktischen Rhetorikseminaren als nützlich erwiesen haben. Einige Rahmenbedingungen müssen allerdings in Kauf genommen werden: Die inhaltlichen Schwerpunkte und die Auswahl der Übungen entsprechen meiner Vorstellung von konstruktiver Rhetorik: Sie wendet sich an Menschen, die Vorträge halten wollen und zu einem Publikum sprechen, das informiert werden will. Als Tipps, wie man vor Wählern oder Sponsoren eine Show abzieht, eignen sie sich nicht. Zudem sind es Anregungen. Lehren und Lernen sind persönliche Prozesse und müssen immer wieder aufeinander abgestimmt werden - so wie sich auch Lehrende und Lernende jedes Mal aufs Neue abstimmen müssen. Elemente für ein zweitägiges Seminar Grundlegende Theorie-Elemente: » Einführung in die konstruktive Rhetorik » Unterschied Alltagsgespräch - Rede vor Publikum » Unterschied Präsenzvortrag - Online-Vortrag » Der Begriff des Dialogs » Geschichte und wissenschaftliche Fundierung des vermittelten Stoffs » Empfehlungen für das weitere Studium Analyse-Werkzeuge: » Beurteilungs- und Feedbackkriterien » Analysen von Fremdbeispielen (Video, Audio) » Analysen von Präsentationen der TeilnehmerInnen Praktische Umsetzung: » Trainingsziele: Dialogische Haltung, Verbesserung des verbalen, paraverbalen (sprecherischen) und nonverbalen Ausdrucks <?page no="268"?> 268 Anhang » Übungen verbal, paraverbal, nonverbal (Ausdrucksebenen) » Übungen zu integrierten Aufgaben (dialogische Haltung als Ziel) Prinzip der Analyse von Kurzvorträgen Kurzvorträge sind gängige Übungen in Rhetorikkursen. Sie führen in knapper Form Stärken und Schwächen in allen Ausdrucksbereichen vor. Das erleichtert es, die Basis zu erahnen, von der die betreffende Person ausgehen kann, und Trainingsbedürfnisse zu ermitteln. Rhetoriktraining befasst sich mit Kompetenzen, die jede Kursteilnehmerin und jeder Kursteilnehmer seit frühester Kindheit erworben und weiterentwickelt hat. Viele persönliche Eigenheiten sollen auch nicht verändert werden, weil dies auf Kosten der Authentizität ginge. Verbesserungsmöglichkeiten sind bei allen auf Anhieb zu erkennen, aber ebenso Fertigkeiten, die bereits auf einem guten Stand sind. Das ist wichtig für ein konstruktives Feedback, auch wenn es bei den Betroffenen oft nicht ankommt. (Vielfach wird schonungslose Kritik gefordert aus der irrigen Vorstellung heraus, dass man nur auf diese Weise lerne. Kurzvorträge als Analysematerial bergen die Gefahr, dass das Feedback zu viel aufs Mal enthält. Es bedarf einer klaren Unterscheidung zwischen Wichtig und Unwichtig. Diese kann meistens nur die Trainerin oder der Trainer treffen. - Gerade wenn mehrere Teilnehmende Feedback-Punkte für eine Person sammeln, kommen viele Detailbeobachtungen zusammen. Diese können alle richtig sein und dennoch den Empfänger des Feedbacks überfordern. Es geht also darum, rechtzeitig die wesentlichen Punkte festzuhalten und die restlichen klar als „hier nicht relevant“ zu deklarieren. Oft muss auch unterschieden werden zwischen Trainingsbedürfnissen, die im Kurs selbst angegangen werden können, und solchen, die an andere Stellen (Sprecherziehung, Logopädie, Psychotherapie) verwiesen werden müssen. Ein erster Kurzvortrag hat in der Regel zwei Ziele: » Standortbestimmung für die betreffende Person: Was kennzeichnet meine Redeweise? Was kann ich weiter ausbauen? Was sollte ich verändern? Welche Ziele kann ich hier und heute erreichen? » Erarbeitung der Beurteilungskriterien für den laufenden Kurs: Aus den intuitiven Bemerkungen der „Peers“ und den professionellen Kriterien der Trainerin ergeben sich die Schwerpunkte. Die Liste wird verglichen mit den ausführlicheren Checklisten in den Kursunterlagen. Ein Beispiel für den Einsatz dieser Form findet sich unter den Übungstipps in diesem Anhang. <?page no="269"?> Beobachtungskriterien: Checklisten 269 Vorgehen beim Feedback Feedback, das zusammen mit den übrigen Teilnehmenden gegeben wird, hat drei Hauptpunkte: Beschreibung, Bewertung und Empfehlung. Als psychohygienisch vorteilhaft hat sich erwiesen, dass sich zuvor die Person, die gesprochen hat, äußert. Da sich die meisten gerne mit Kritik überschütten, wird eine Spielregel formuliert, an die sich alle zu halten haben: Das erste, was sie über ihre Leistung sagt, soll eine positive Aussage sein. Es folgen die Beobachtungen der Teilnehmenden, kommentiert und ergänzt durch die Trainerin: 1. Beschreibung Wir versuchen, die Beobachtungen neutral zu formulieren: Was fällt uns auf? Warum ist es uns aufgefallen? In der Phase notiert die Trainerin die Beobachtungen stichwortartig (Flipchart, Bildschirm, Whiteboard) und gruppiert sie dabei nach Ausdrucksebenen (Verbal - Paraverbal - Nonverbal - Medial). 2. Bewertung Während der Beschreibung wird versucht, sich möglichst darauf zu beschränken, was man gehört oder gesehen hat. Ob das gut oder schlecht ist, folgt davon getrennt. Also nicht: „Du hast im letzten etwas Merkwürdiges gemacht, nämlich die alle Wörter so komisch gedehnt.“ Sondern eher: „Im letzten Satz hast du die Wörter gedehnt. Das hat auf mich seltsam gewirkt.“ - Aus diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Bewertung möglichst als Ich-Botschaft geäußert wird. Für allfällige Objektivierungen ist die Kursleitung zuständig. 3. Empfehlung Auf der Basis von Beschreibung und Bewertung gibt die Trainerin (und nicht die anwesenden Lernenden) klare Empfehlungen für Trainingsmöglichkeiten. Dabei wird klar unterschieden zwischen Mikro-Tipps (z.B.: „Versuche, nur ein Wort pro Satz zu betonen“) und Makro-Tipps (z.B.: „Sprich, wie wenn du eine Frage beantwortetest“). - In der Praxis handelt es sich bei einer ersten Übung vor allem um Verweise auf Kursinhalte. („Dazu werden wir am Nachmittag eine Trainingseinheit durchführen.“) Beobachtungskriterien: Checklisten Diese erste Gruppe von Checklisten betrifft Beobachtungskriterien auf den verschiedenen Ausdrucksebenen. Eine zweite Gruppe enthält Empfehlungen, die sich für eine dialogische Rhetorik eignen. <?page no="270"?> 270 Anhang Beobachtungsbereiche Nonverbal Blick » Blickrichtung: direkt auf jemanden gerichtet / peripher / auf gemeinsames Objekt / abgelenkt usw. » Blickkontakt: Dauer, Frequenz, Zahl der Adressaten » Blickrichtung des Publikums: zur Rednerin, zu einem gemeinsamen Objekt, Unterlagen, abgelenkt usw. Mimik » Unwillkürlich: Bewegung und Stellung von Augenbrauen, Lidern, Nase, Wangen, Haut, Mund usw. » Konventionalisiert: Nase rümpfen, Stirn runzeln, Lächeln usw. Gestik … … den Inhalt ergänzend » deiktisch (auf ein Objekt oder Zeichen zeigend) » physiografisch (eine Sache nachzeichnend) » bildhaft (symbolisch, metaphorisch usw.) … den Inhalt verstärkend » ideografisch (den Gedankengang beschreibend) » gliedernd (z.B. bei Wechsel zu neuem Abschnitt oder Aufzählungen) » den Sprechrhythmus oder die Interpunktion markierend … die Interaktion beeinflussend » zur Rede auffordernd » beschwichtigend » kommentierend Körperhaltung und Raumnutzung » Pose » Kopfhaltung » Haltungsänderung » Bewegungen von Händen, Beinen, Füßen » Abstand zu den anderen Personen » Fortbewegung im Raum <?page no="271"?> Beobachtungskriterien: Checklisten 271 Beobachtungsbereiche Paraverbal Atmung » ökonomisch/ übertrieben » hörbar/ still » mit Sinnschritten koordiniert Stimme » Farbe » Stimmlage » Lautstärke Artikulation » Deutlichkeit, Deutlichkeitswechsel » Lautbindung » Lautungsstufe (Mundart/ Standard) Melodischer Akzent » Tonhöhe, Klangfarbe » Satzmelodie » Klangfülle Dynamischer Akzent » Betonung, Betonungswechsel » Lautstärke, Lautstärkewechsel Temporaler Akzent » Geschwindigkeit » Tempowechsel » Pausendauer <?page no="272"?> 272 Anhang Beobachtungsbereiche verbal Wortwahl » Abstraktionsgrad, Verbal-/ Nominal-Stil » Spezialwortschatz » Füllwörter » rhetorische Figuren Satzbau » Linearität/ Verschachtelung » Wortstellung » Informationsdichte Textgestaltung » Aufbau » Verknüpfungen » Informationsdichte/ Redundanz Sprechhandlungen » Behaupten » Begründen » Illustrieren » Fragen » Antworten usw. Funktionen im Text » Wissen weitergebend (Mitteilung) » eine Handlung auslösend (Appell) » über sich selbst redend (Selbstoffenbarung) » Kontakt herstellend und verstärkend (Beziehung) » die Kommunikation strukturierend (Organisation) Erkenntnisebene » rational (Inhalte, die gelehrt werden) » emotional (persönliche Beziehung zu den Inhalten) » metakommunikativ (Organisatorisches, Orientierung im Ablauf der Rede, Erklärungen zum verwendeten Medium usw.) » persönlich/ beziehungstechnisch » kreativ (Aktivierung des Publikums) <?page no="273"?> Beobachtungskriterien: Checklisten 273 Beobachtungsbereiche medial Koordination gesprochenes Wort/ Medium » Welche Ebene trägt die Hauptinformation? » Wirkt die andere Ebene unterstützend? » Gibt es eine Konkurrenz der Ebenen (Text-Bild-Schere)? Funktion des Mediums » Veranschaulichen » Illustrieren » Beweisen » Konkretisieren » Emotionalisieren » Strukturieren » Klären örtlicher, zeitlicher, quantitativer Verhältnisse Einbau in die Raumnutzung » Wo steht oder sitzt die Rednerin? » Zeigt sie (auch nonverbal), dass sie den gesamten Raum wahrnimmt? » Wird ein gemeinsamer Blickpunkt genutzt? Zeitmanagement » Hat das Publikum genügend Zeit, um sich zu orientieren? » Gibt es Pausen? Welche Funktion haben sie? Verständnis Auf welche Art soll das Medium wirken: » rational » emotional » metakommunikativ » beziehungstechnisch » kreativ <?page no="274"?> 274 Anhang Beobachtungsbereiche online Raum » Wo befindet sich die Rednerin? » Was ist außer ihr im Raum zu sehen? » Werfen Einzelheiten (Bilder und Bücher im Hintergrund) Fragen auf? » Werden diese beantwortet? » Wie ist das Licht gesetzt? » Wie zeigt die Kamera die Person (Entfernung, Höhe, Ausschnitt, Kopffreiheit)? » Ist die Distanz zur Kamera für die Rednerin angenehm? Nonverbal » Ist der Kontakt mit dem Publikum über die Kamera gewährleistet? » Ist ein Abweichen des Blickkontakts plausibel? » Wie und wie häufig werden Emotionen ausgedrückt? Paraverbal » Wie passen Stimmkraft und Lautstärke zur Online-Situation? » Bleiben Lautstärke und Tempo abwechslungsreich? » Gibt es Pausen und Rhythmuswechsel, die das Mitdenken erleichtern? Verbal » Wie lange dauert der Vortrag? » Welches Vortragsziel ist deklariert bzw. erkennbar? » Wie mediengerecht ist die Sprache (Wortschatz, Satzbau, Aufbau)? » Werden Personalpronomina benutzt? » Welche Formen der Interaktion mit dem Publikum werden genutzt (Reaktion auf Kommentare, Aufforderung zum Feedback usw.)? » Welche kreativen Aufgaben werden zur Aktivierung des Publikums gestellt? Mediennutzung » Welche Medien, welche Gegenstände werden verwendet? » Wie passen Folien und gesprochene Worte zusammen? » Wie ist die Rednerin während der Präsentation sichtbar? » Wie werden Requisiten präsentiert? <?page no="275"?> Empfehlungen für den Dialog: Beispiele 275 Empfehlungen für den Dialog: Beispiele Diese zweite Gruppe von Listen fasst Empfehlungen zusammen, die sich für eine dialogische Rhetorik eignen. Dialog nonverbal Grundsätzliches » Vertrauen Sie Ihrem Inhalt » Machen Sie sich mit den verschiedenen Sprechhandlungen vertraut. » Tun Sie immer eine Sache aufs Mal - besonders in großen Hörsälen. Bewegung im Raum » Die Rede beginnt schon vor der Tür. » Ausgangspunkt: den Raum wahrnehmen. » Trennen Sie Vorbereitung und Redebeginn. » Geben Sie der Bewegung im Raum eine Funktion. » Koordinieren Sie Bewegung und Blickkontakt. Körperhaltung » Nehmen Sie eine sichere Position ein. » Lassen Sie den Schwerpunkt in der Körpermitte. » Trennen Sie Schreiben und Sprechen. Blickkontakt » Blickkontakt ist eine Leistung des gesamten Körpers. » Blickkontakt ist nur mit einer Person aufs Mal möglich. » Wechseln Sie die Blickrichtung am Ende eines Abschnitts. » Beantworten Sie jede Frage für alle Beteiligten. Mimik » Mimik ergibt sich aus der Sache und aus der Beziehung. » Lächeln hilft. Gestik » Ein guter Stand ermöglicht eine natürliche Gestik. » Das Publikum ist immer dabei: » Bevorzugen Sie Gesten, deren Funktion erkennbar ist. » Trennen Sie Sprache und Manipulation. <?page no="276"?> 276 Anhang Dialog paraverbal Atem » Trainieren Sie Bauchatmung. » Nutzen Sie die Technik der „Abspannung“ (vgl. Übung „Befreite Lektüre“). Stimme » Erkennen Sie die „normale“ Höhe Ihrer Stimme (Indifferenzlage). » Sprechen Sie eher deutlich als laut. Artikulation » Deutliche Aussprache verkürzt die Distanz zum Publikum. » Unterscheiden Sie lange und kurze Silben. Sprecherische Gestaltung » Unterstützen Sie die Sprechhandlung mit Tempo- und Rhythmuswechsel. » Vermeiden Sie den Aufzählungston („Hochschluss“). Nutzen Sie für eine abwechslungsreiche Sprechweise Impulse, die sich ergeben durch: » antwortendes Sprechen » bewusstes Wechseln von Sprechhandlungen » Mitdenken, so dass Sinnschritte deutlich werden » persönliche Ansprache, persönliche Aussagen » Wechsel der Kamera-Einstellung <?page no="277"?> Dialog verbal Fragen stellen, Fragen beantworten: » Beginnen Sie mit Fragen, die das Eis brechen. » Stellen Sie Fragen, die weiterverwendet werden können. » Vermeiden Sie Fragen, die nur Leerstellen füllen. » Unterscheiden Sie offene und geschlossene Fragen. Verständlichkeit und Attraktivität: » Wählen Sie den Aufbau nach didaktischen Gesichtspunkten: » deduktiv, induktiv, chronologisch, dialektisch, themenspezifisch ... » Verkaufen Sie jede Botschaft zu ihrem echten Wert. » Ergänzen Sie den Aufbau mit attraktiven Zusätzen, Beispielen, Erzählungen, Anwendungen usw. » Keine Angst vor Wiederholungen. » Wechseln Sie den Abstraktionsgrad. » Portionieren Sie längere Sätze. » Lösen Sie Komprimierungen auf. » Passen Sie den Wortschatz Ihrem Publikum an. <?page no="278"?> Dialog medial Überprüfen Sie, welches Medium geeignet ist: » Verbal: Sie schildern, erzählen oder lassen schildern, erzählen. » Handfest: Sie bringen ein Demonstrationsobjekt in den Hörsaal und lassen Ihre ZuhörerInnen sie betasten, riechen, schmecken usw. » Akustisch: Sie führen eine Ton-Aufnahme vor. » Audiovisuell: Sie führen eine Video-Aufnahme vor. » Kombiniert: Sie nutzen neben Ihren Worten eine Präsentationssoftware wie PowerPoint. Überlassen Sie der Präsentationssoftware nur, wozu sie geeignet ist: » Überblicksdarstellungen » Zentrale Begriffe » Definitionen » Bilder, graphische Darstellungen usw. Prüfen Sie die Funktion der Bilder: » Unterstützt das Bild Ihre Rede? » Unterstützt Ihre Rede das Bild? » Können Sie das das Bild gemeinsam mit dem Publikum interpretieren? Vermeiden Sie die Text-Bild-Schere: » Machen Sie den Bildern/ Texten keine Konkurrenz. » Sagen Sie parallel zur Folie nur, was dazu passt. Hauptaufgabe: Präsent bleiben trotz Medieneinsatz » Bilden Sie ein Dreieck: Redner - Publikum - Leinwand » Nutzen Sie das Medium als Anlass zum Gespräch. <?page no="279"?> Dialog online Raum » Schaffen Sie einen Raum, in den Sie Ihr Publikum einladen können. » Machen Sie den Raum erkennbar. » Beseitigen oder erklären Sie Einzelheiten, die stören könnten. » Überprüfen Sie das Licht: Ist es für Sie angenehm? Ist Ihr Gesicht erkennbar (und nicht im Gegenlicht)? » Haben Sie Bildausschnitt und Distanz zur Kamera überprüft? » Nutzen Sie alle Achsen des Raums, indem Sie Requisiten, Tafeln u.ä. benutzen. » Überprüfen Sie den Nachhall im Raum; benutzen Sie allenfalls ein separates Mikrofon oder ein Headset. Körpersprache Erleichtern Sie sich den Blickkontakt durch » die Distanz zur Kamera » allfällige Notizen (oder das Bild des Gesprächspartners) auf dem Bildschirm gleich unterhalb der Kamera. Sprechweise » Passen Sie Lautstärke und Tempo der Vorstellung einer Zweierkommunikation an. » Unterstützen Sie die Sprechweise durch Impulse und persönliche Ansprache. Sprache » Nutzen Sie die Personalpronomina „du“, „Sie“, „ihr“, „ich“. » Beachten Sie die Regeln für verständliche und attraktive Sprache. » Reduzieren Sie längere Vorträge in mehrere kürzere Einheiten von maximal 20 Minuten. Medieneinsatz » Nutzen Sie so einfache Medien wie möglich (eher Dinge von Hand zeigen als sie digital zu präsentieren). » Verhindern Sie Bild-Ton-Scheren: Sprechen Sie nur über Dinge, die Sie gerade zeigen. » Zeigen Sie sich vor oder nach PowerPoint-Präsentationen dem Publikum. <?page no="281"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik Die hier vorgestellten Übungen folgen den Schwerpunkten, die in diesem Buch vorgestellt wurden. Sie folgen zum Teil traditionellen, aber bewährten Stilprinzipien, haben aber immer auch zum Ziel, die dialogischen Elemente eines Vortrags zu stärken. Tipp für eine Einstiegsübung ➤ Kurzvortrag „Einladung“ Hintergrund In vielen Kursen ist es wünschenswert, mit einer Bestandsaufnahme zu beginnen: Welches sind die Stärken der einzelnen Teilnehmerin? Welche Übungsziele eignen sich für sie in der zur Verfügung stehenden Zeit? - Gleichzeitig ist es wichtig, das Reden vor Publikum von Anfang an mit einer positiven, einladenden und dialogischen Haltung zu verbinden. Ziel der Übung Die Übung soll ein persönliches Feedback ermöglichen und in die Analyse eigener und fremder Redebeiträge einführen. Das Feedback wird im Hinblick auf eine Wiederholung dieser ersten Übung gesteuert. Die Teilnehmenden müssen deshalb bei ihren Feedback-Beiträgen angeleitet werden: Welche Beobachtungen sind wichtig? Welche können vernachlässigt werden? Ablauf Der Reihe nach stellt sich jedes Kursmitglied vor die Gruppe (bzw. bei Online- Kursen: wählt einen Platz vor der Kamera) und empfiehlt ein interessantes bevorstehendes Ereignis, das die anderen Teilnehmenden nicht verpassen sollten. Nach einem Applaus nimmt sie/ er wieder den ursprünglichen Sitzplatz ein. Die Teilnehmenden werden darauf hingewiesen, dass sie sich Zeit lassen und erst mit Reden beginnen sollen, wenn sie an ihrem Standort angekommen sind und Blickkontakt aufgenommen haben. Bei Bedarf können sie eine Gedächtnisstütze benutzen (vgl. Kapitel 10). <?page no="282"?> 282 Anhang Zeit: Vorbereitung: 8 Minuten, Präsentation: 1 Minute. Die Teilnehmenden werden nach der Vorbereitung aufgefordert, ihre Präsentation zuerst ohne Publikum (aber mit Stimme, so dass sie sich hören! ) durchzusprechen. Die Kurzvorträge werden, wenn sie auf Video aufgenommen werden, nacheinander präsentiert und anhand der Aufnahme besprochen. Wenn eine Aufnahme nicht möglich ist, wird nach jedem einzelnen Vortrag ein Feedback gegeben. Auswertung Am Feedback beteiligen sich alle. Die Beobachtungen werden von der Kursleitung systematisiert und bei Bedarf korrigiert. Sie sollen zunächst möglichst neutral formuliert werden, bevor man die Aussage mit einem Kommentar verbindet. Die erste Person, die sich äußert, ist diejenige, deren Vortrag beurteilt wird, und sie wird aufgefordert, von dieser Regel abzuweichen und als erstes etwas Positives festzuhalten („Was haben Sie gut gemacht? “). Es lohnt sich, die Übung nach einer erneuten kurzen Vorbereitung zu wiederholen: „Konzentrieren Sie sich auf eine Sache, die Sie anders machen wollen.“ - Dabei wird auf eine ausführliche Feedbackrunde verzichtet, aber die Kursleitung gibt nach jedem Vortrag einen kurzen, konstruktiven Kommentar. Tipps für Übungen im nonverbalen Bereich ➤ Auseinandersetzung mit dem Raum (Gruppenübung) Hintergrund Die Auseinandersetzung mit dem Raum, den sich Redner und Zuhörer teilen werden, braucht Mut. Immerhin geht es darum, die Körpersprache so zu entfalten, dass für alle zu erkennen ist: Das ist mein Raum; ich werde ihn nicht nur mit Worten, sondern auch mit Schritten, Gestik und Mimik füllen. Wie das jeder Einzelne tut, lässt sich leicht erkunden - insbesondere, wenn man eine größere Gruppe ist, die zu einem Experiment bereit ist. Ziel der Übung Die Rednerinnen und Redner sollen erkunden, wie sie auf den Raum reagieren und die verschiedenen persönlichen Arten, sich mit dem Raum auseinanderzusetzen, vergleichen. <?page no="283"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 283 Ablauf Die Gruppe steht vor der Tür. Eine Person (der Übungsleiter) sitzt bereits im Seminarraum und markiert das Publikum. Ein erster Übender öffnet die Tür, betritt den Raum, schließt die Tür wieder und stellt sich vor das „Publikum“. Er grüßt und sagt ein paar einleitende Worte (was genau, ist vorher vereinbar worden. Es können zum Beispiel die ersten Sätze zu einem Vortrag sein oder zu einer Sitzungseröffnung usw.). Er erhält einen Applaus und setzt sich ins Publikum. Das Klatschen ist das Signal für die Wartenden, dass die nächste Person an der Reihe ist. Die Folge von Auftritten wird auf Video aufgenommen; die Kamera ist so positioniert, dass sie den ganzen Weg von der Tür bis zur Redeposition erfasst. Auswertung Diskussion: Anhand der Videoaufnahme werden die unterschiedlichen Lösungen verglichen. Erfahrungsgemäß zeigt sich: Jeder vollführt diese wenigen Aufgaben auf seine Weise. Es gibt welche, die stramm durchmarschieren, als ob die Tür kein Hindernis wäre. Sie fällt hinter ihnen ins Schloss, während sie schon längst beim Rednerpult angekommen sind. Andere öffnen die Tür sehr behutsam, nehmen die innere Klinke in die eine Hand, sobald sie die äußere losgelassen haben und lösen sich nur langsam, um den Raum vorsichtig zu erkunden. Es sind lauter verschiedene, persönliche Anfangsszenen. Es gibt keine optimale Lösung, sondern lauter individuelle Arten, dem Raum und dem Publikum zu begegnen. Allerdings erkennen alle Beteiligten, dass sie sich der Aufgabe nicht entziehen können und den Schritt zur Einstellung: „Dies ist mein Raum“ bewusst tun müssen. Darin soll sie diese Übung unterstützen. ➤ Stehenbleiben (Einzelübung) Hintergrund Für den nonverbalen Teil des Redens ist das Wichtigste nicht der bewusste Einsatz einzelner mimischer oder gestischer Mittel, sondern dass die Voraussetzung dafür geschaffen wird - für eine Körpersprache, die der eigenen Persönlichkeit entspricht. Dies gilt natürlich nicht nur für eine Rhetorik, die sich als dialogisch versteht. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft, überhaupt auf den Redner einzugehen, mit der Lebendigkeit von Körperhaltung, Mimik und Gestik wächst. Ziel der Übung Diese und viele ähnliche Übungen sollen helfen, durch eine feste Grundposition die Rede mit einem sicheren Gefühl zu beginnen und bei Bedarf <?page no="284"?> 284 Anhang wieder zu dieser Position zurückkehren zu können. Im Rahmen dieses Buchs kann dies nur angedeutet werden. Für das Training von Entspannung, Atmung, elastischem Stehen usw. lohnt es sich, im Weiterbildungsbereich dezidierte Angebote außerhalb der eigentlichen Redeschulung wahrzunehmen. Ablauf Stellen Sie sich neben einen Tisch. Auf dem Tisch befindet sich ein beliebiger Gegenstand, den Sie beschreiben und erklären können. Stellen Sie sicher, dass Sie auf beiden Füßen stehen, die Beine ungefähr in Schulterbreite auseinander, so dass das Gleichgewicht in Ihrer Körpermitte ist. Lassen Sie Ihre Beine elastisch (Knie nicht durchgestreckt). Atmen Sie so, dass Sie Ihren Atem in der Körpermitte spüren. Lassen Sie die Arme locker hängen. Stellen Sie Ihrem (echten oder imaginären) Publikum den Gegenstand vor. Beschreiben Sie ihn. Erklären Sie einzelne Details. Sie werden sich dabei sowohl dem Gegenstand als auch dem Publikum zuwenden. Achten sie regelmäßig darauf, ob Sie noch auf beiden Beinen stehen. Kehren Sie, wenn nötig, in die Grundposition zurück. Auswertung Die Übung sollte Ihnen helfen, bei Bedarf selbst zu einem ruhenden Pol zu werden. Dass Sie diese Ausgangsposition verlassen, sobald Sie zu reden begonnen haben, ist normal. Sie können aber jederzeit in diese Position zurückkehren, innehalten und neu beginnen, wenn es im Laufe der Rede nützlich ist, sich zu sammeln. Ähnliche Übungen lassen sich auch im Alltag durchführen, in dem man seinen Stand und seine Haltung kontrolliert, während man z.B. an einer Fußgängerampel wartet, im Supermarkt an der Kasse steht oder in der Straßenbahn keinen Sitzplatz gefunden hat. ➤ Sightseeing (Gruppenübung) Hintergrund Der Standort der Rednerin oder des Redners ist in den wenigsten Fällen auf einen Punkt festgelegt. Zwar gibt es Situationen, in denen das Rednerpult fest verschraubt ist und die Stuhlreihen nicht verrückt werden können. Oft lassen sich aber die Verhältnisse beeinflussen - zum Beispiel indem man die Zuhörer bittet, in die vorderen Reihen aufzuschließen (oder selbst zu ihnen geht, wenn sich alle nach hinten verkrümelt haben). In ungezwungeneren Situationen, gerade bei Instruktionen am Arbeitsplatz oder bei Führungen, können alle Parameter ad hoc verändert werden: <?page no="285"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 285 » die Position des Publikums (stehend, sitzend, liegend) » die Blickrichtung des Publikums (Sonne, Schatten, mit Blick auf das zu besprechende Objekt usw.) » die Position des Redners, seine Distanz zum Publikum und zum Objekt » die Blickrichtung des Redners Die aktive Gestaltung dieser Choreografie ist die Voraussetzung für den Dialog. Viele Redeschülerinnen und -schüler brauchen zunächst Überwindung, wenn sie eine Menschenschar anders gruppieren müssen, als diese es von sich aus tut. Wer aber Betriebs- oder Stadtführungen kennt, weiß, wie wichtig dies sein kann. Die erste Anordnung, die sich automatisch ergibt, erbringt meistens keine gute Voraussetzung für die dialogische Kommunikation. Einige sind von der Gruppe abgespalten, so dass sie bald miteinander reden werden, andere sind so weit weg, dass sie den Redner nicht verstehen. In vielen Fällen findet auch der Redner selbst keinen optimalen Platz, um beide Blickpunkte - das Objekt und die Zuhörer - adressieren zu können. Die Gestaltung der räumlichen Anordnung von Redner und Publikum sollte zur Selbstverständlichkeit werden. Ziel der Übung Diese Übung soll für die Aufgabe sensibilisieren, die Gruppierung selbst zu verantworten und die Choreografie aktiv zu gestalten. Wichtig ist, dass damit die Bereitschaft eingeübt wird, auch in völlig anderen Situationen mit der Steh- und Sitzordnung flexibel umzugehen. Ablauf Die Gruppe geht durch ein Gebäude, eine Straße oder einen Garten und hält an möglichen Aussichtspunkten an - zum Beispiel vor einer Tür, an einem Fenster, gegenüber einer Fassade, bei einem Baum usw. (Oft ergibt sich ein neues Objekt, indem man sich um 90 oder 180 Grad dreht.) Ein Mitglied spielt die Reiseleiterin/ den Reiseleiter. Bei jedem neuen Objekt übernimmt jemand anders diese Rolle. Die Aufgabe besteht jeweils darin, der Gruppe den entsprechenden Gegenstand als Sehenswürdigkeit zu beschreiben, wobei der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Für die jeweilige Rednerin bedeutet dies: » eine Position für das Publikum und für sich selbst zu wählen, so dass sie sowohl die Zuhörer als auch die Aussicht im Blick hat. » den Zuhörern zu berichten, was sie sieht. Sie kann immer weiter ins Detail gehen oder auch die Beschreibung mit Hintergrundinformationen ergänzen. <?page no="286"?> 286 Anhang Folgende Ideen können helfen: [1] Benennen Sie das Objekt. (Was sehen Sie? Wie heißt es? usw.) [2] Erklären Sie das Objekt. (Wo kommt es her? Wozu ist es gut? usw.) [3] Kommentieren Sie es. (Wie gefällt es Ihnen? Was täten Sie, wenn ...? usw.) Dauer der Übung pro Redner/ in: 2 Minuten. Auswertung Auch wenn der Schwerpunkt der Übung auf der räumlichen Anordnung liegt, ist es zugleich eine Redeübung. Wichtig ist, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und sich mit klaren melodischen Abschlüssen und Pausen Zeit zu verschaffen. Gelungen ist die Übung insgesamt, wenn vom Redner klare Direktiven ausgehen und die Gruppe sich während der gesamten Dauer angesprochen fühlt. ➤ Gestik-Repertoire (Einzelübung) Hintergrund Die persönlichen Gestik-Repertoires unterscheiden sich von RednerIn zu RednerIn. Gerade im deutschsprachigen Kontext sind viele der Meinung, sie würden eher wenig gestikulieren. Da aber das Ausführen sinnvoller Gesten die Kommunikation unbestritten erleichtert, ist es nützlich, dieses Vorurteil zu überprüfen. Oft entdeckt man dabei, dass das eigene Spektrum breiter als erwartet ist. Ziel der Übung Sie machen sich vertraut mit dem großen Spektrum an Gesten, über die Sie verfügen - seien sie redeunabhängig, redebegleitend, simulierend, zeigend usw. Ablauf Führen Sie zu jeder der folgenden Kategorien mindestens drei Gesten aus: » Simulieren Sie eine Tätigkeit (Telefonieren, Autofahren, Malen o.ä.) » Beschreiben Sie die Form eines Gegenstandes oder eine gemessene Größe (Länge, Breite, Höhe) » Geben Sie den Takt: Unterstreichen Sie die Betonungen in einer Parole (z.B.: „Das ist der entscheidende Moment! “ „Niemand wird in dieser Sache leer ausgehen! “ „Zukunft braucht Persönlichkeiten! “) <?page no="287"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 287 » Zeigen Sie mit dem Zeigefinger oder der offenen Hand auf Dinge in der Nähe und in der Ferne. Sprechen Sie dazu entsprechende Pronomina oder Adverbien („dies“, „jenes“, „da drüben“, „dort hinten“). » Grüßen Sie mit Kopf und Händen » Fragen Sie mit Ihrem Körper, zeigen Sie sich ratlos, ungläubig, verwundert. » Befehlen Sie mit einer Geste. Auch diese Übung ist nur sinnvoll, wenn man sie mit Humor ausführt und übertreibt, untertreibt, kurz: sich von alten Routinen freischwimmt. Es geht nicht darum, Gesten einzuüben, sondern seinen eigenen Spielraum zu erkennen, der meistens größer ist, als man erwartet. Auswertung Gelingt es Ihnen, die Gesten aus einer sicheren Position heraus entstehen zu lassen (klare Position, Schwerpunkt in der Körpermitte)? Gelingt es Ihnen, die Gesten in Bezug auf ein Publikum (und nicht im leeren Raum) auszuführen? Gelingt es Ihnen zu unterscheiden, welche Gesten zu Ihrer alltäglichen Körpersprache gehören und welche auf Sie eher gekünstelt wirken? Tipps für Übungen im sprecherischen (paraverbalen) Bereich ➤ Antworten statt Dozieren Hintergrund Wer antwortend spricht, klingt anders, als wer ununterbrochen vorträgt. Deshalb belebt die Vorstellung: „Ich beantworte eine Frage“ Intonation und Rhythmus. Noch leichter geht dies, wenn ein echtes Gespräch geführt wird. Dies macht diese Übung erfahrbar. Ziel der Übung Die Rednerin nutzt zwei Impulse, die für die Belebung des sprecherischen Ausdrucks sorgen. Den einen erfährt sie durch den Neueinsatz nach einer Frage, den anderen durch die veränderte Haltung: antwortend statt dozierend. Ablauf Zwei Personen bereiten sich vor: Jede wählt ein leichtverständliches Thema aus ihrem Fach (z.B. Möglichkeiten einer praktischen Anwendung; Erklärung <?page no="288"?> 288 Anhang eines Fachbegriffs). Sie informieren sich zunächst über das Thema. Danach führt jede ein Interview mit der Gesprächspartnerin. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass nicht zu offene Fragen gestellt werden, so dass die Antworten nicht ausufern. Auswertung Wird die Intonation abwechslungsreicher? Lässt sich die befragte Person trotz der Interviewsituation nicht hetzen und verändert den Rhythmus und fügt sinnvolle Pausen ein? Fällt die Antwort auch auf der verbalen Ebene persönlich aus? ➤ Tätscheln Hintergrund In der deutschen Sprache werden (wie u.a. im Englischen und anderen germanischen Sprachen) die Konsonanten p, t und k stark aspiriert ausgesprochen. Diesen Lauten wird also immer eine geringe Menge Atemluft nachgeschickt (im Gegensatz etwa zum Französischen oder Italienischen, in denen dies nicht der Fall ist). Überraschenderweise hilft diese Art der Aussprache bei der Sprechatmung. Wer p, t oder k sagt und dabei den Mund offen hält, wird spüren, dass daraufhin, durch einen Reflex des Zwerchfells, wieder ein Quäntchen Luft in die Lunge zurückströmt. Man kann deshalb ohne weiteres eine lange Reihe von Ps, Ts oder Ks hintereinander sprechen, ohne zwischendurch um Atem zu ringen. Bedingung ist allerdings, dass man der Luft eine Chance gibt, nachzuströmen, also dass man den Rachen öffnet und nicht schließt. Horst Coblenzer und Franz Muhar haben diese und andere Geheimnisse des Atmens untersucht und eine Vielzahl von verblüffend einfachen Übungen dazu entwickelt. 225 Bezeichnenderweise ist ihre Rhetorik auch eine Rhetorik des Kontakts: Sie konnten z.B. auf einfache Weise demonstrieren, dass man den Gesprächspartner leichter erreicht, wenn der Mund nach einem Satz oder Statement offenbleibt. Dies bewirkt nicht nur, dass Luft in die Lunge zurückströmt, sondern auch, dass der Ton ausklingt, während beim sofortigen Schließen des Mundes der Eindruck entsteht, dass man die Verbindung unvermittelt abbricht. Als Vorübung eignet sich die von ihnen beschriebene Übung des Spiels mit dem Ball. 226 Ziel der Übung Der Umgang mit einem imaginären Ball lässt zunächst einfach erfahren, dass das Luftholen ein automatischer Prozess sein kann. <?page no="289"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 289 Ablauf Stehen Sie mit leicht gegrätschten Beinen und halten Sie Ihre Hände mit den Handflächen nach unten vor sich - wie um einen Basketball oder einen Wasserball zu prellen. Führen Sie jetzt rhythmische Tätschel-Bewegungen aus, als ob Sie wirklich einen Ball in Bewegung halten müssten. Bleiben Sie dabei elastisch in den Beinen und sagen sie im Rhythmus: Hopp! Hopp! Hopp! Sprechen Sie das P möglichst stark aspiriert aus und schließen Sie den Mund nicht. Tun Sie dies etwa eine Minute lang - oder auch länger. („Sie können das bis heute Abend tun“, pflegte Coblenzer bei seinen Seminaren zu sagen.) Auswertung Das Ziel ist erreicht, wenn Sie die Übung länger durchführen, als Sie erfahrungsgemäß zum Luftholen brauchen. Die „reflektorische Luftergänzung“ 227 ergibt sich auch bei ganzen Texten, wenn eine Phrase auf einen aspirierten Konsonanten endet (vgl. Übung „Befreite Lektüre“). ➤ Befreite Lektüre Hintergrund Der oben beschriebene Atemreflex kann weiter zu einem organischen Wechsel von „Arbeitsspannung und Abspannung“ 228 ausgebaut werden. Dazu ist allerdings professionelle Anleitung nötig, die dieses Buch nicht leisten kann. Dennoch ist es ein hilfreicher Schritt auf dem Weg zu einer ökonomischeren Sprechatmung, wenn Phrasen gesprochen werden, die auf aspirierte Konsonanten enden. Ziel der Übung Viele Sprecherinnen und Sprecher holen am Ende von Sinnschritten oder Sätzen tief Luft. Dies ist jedoch nicht immer notwendig. Ein Text aus lauter Phrasen, die auf -p, -t oder -k enden, kann dies zeigen, falls diese Endkonsonanten sehr deutlich ausgesprochen werden. Man bekommt genug Luft, um die Folgezeile sprechen. Ablauf Lesen Sie die folgenden Zeilen laut und mit klar aspirierten Endkonsonanten. Es handelt sich um einen Text von Victor Auburtin (1870-1928), den ich für diese Aufgabe stark misshandelt habe. 229 Den letzten Absatz habe ich belassen, wie er war. Versuchen Sie, ihn im gleichen Sinn zu lesen, nämlich mit einer Öffnung des Mundes und Kehlkopfs am Zeilenende. <?page no="290"?> 290 Anhang Neu und Alt Es gibt Dinge, die sind alt, so wie es neue und junge Dinge gibt. Und sehr häufig scheint, dass die alten Dinge die angenehmsten sind. Wir wissen, dass mancher den Herbst viel lieber als den Frühling mag, weil der Herbst alt, besonnen und silberhaarig ist, der Frühling aber ein halbwüchsiger Bub, der nur Dummheiten macht. Und dass alter Käse besser als neuer ist, weiß man in der ganzen Welt. Wie Alfons der Heilige von Kastilien zu sagen pflegt, sind vier gute Dinge in der Welt - altes Holz, mit dem man Feuer macht, alter Wein, den man am Feuer trinkt, alte Bücher, in denen man gerne liest, und alte Freunde, denen man vertraut. Daher machen viele Mittel, die der Mensch erfunden hat, neue Dinge künstlich alt. Man macht eine Kommode künstlich alt, indem man sie mit Schrot beschießt, man macht neuen Käse künstlich alt, indem man ihn in Urin legt, und was dergleichen mehr ist. Und jetzt hat ein französischer Professor ein Mittel entdeckt, das künstlichen alten Wein produziert. Der erstbeste saure Saft wird einem Strom von hunderttausend Volt ausgesetzt, sodass dieser Saft das feine, schwere Gehalt einer alten Edelmarke annimmt. „Oberkellner! “ ruft der Gast, <?page no="291"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 291 „Sie haben mir einen miserablen neuen Wein gebracht; ich hatte doch 1911er bestellt! “ „Einen Augenblick! “ erwidert der Kellner, indem er die Flasche fortnimmt. „Wir haben eine elektrische Batterie parat, in zwei Minuten ist er um zwanzig Jahre gereift.“ Aber ein Mittel, neue Freunde alt zu machen, ein solches Mittel gibt es bis jetzt noch nicht. Man mag einen neuen Freund mit Schrot beschießen, so viel man mag. Oder man mag ihn in Urin legen er wird dadurch nicht älter und nicht vertrauenswürdiger. Alte Freunde lassen sich nicht künstlich herstellen. Deshalb gibt es auch so wenige. Auswertung Die Übung sollte den Effekt haben, dass dank der starken Aspiration am Ende der kurzen Zeile genügend Luft in die Lunge strömt, um die darauf folgende Zeile zu lesen. Wesentlich wäre, dass man eine Einstellung entwickelt, die auch beim freien Formulieren auf die Öffnung des respiratorischen Kanals ausgerichtet ist. ➤ Der hilfreiche Korken Hintergrund Die Aussprache der Konsonanten geschieht in der Muttersprache meistens unreflektiert. Mühe gibt sich oft nur, wer entdeckt hat, dass er schlecht verstanden wird. Die Übung, die hier vorgestellt wird, ist alt und nicht unumstritten. Sie soll helfen, die Gewohnheiten über das Erlebnis einer verbesserten Artikulation und ihrer Wirkung zu verändern. Ziel der Übung Hier geht es darum, überdeutlich zu artikulieren. Wer präzise artikuliert, wird besser verstanden. Zudem unterstützen die Muskeln, die bei deutlicher Artikulation benutzt werden, in vielen Fällen die Stimme, so dass sie besser bis in die hinteren Reihen trägt. <?page no="292"?> 292 Anhang Ablauf Lesen Sie einen kurzen Text halblaut, um sich über den Inhalt zu informieren. Lesen Sie den Text daraufhin nochmals - laut, für einen imaginären Zuhörer, der in 1,5 Meter Abstand gegenübersitzt. Nehmen Sie einen Korkzapfen zwischen die Schneidezähne. Lesen Sie den Text trotzdem so deutlich wie möglich. Sprechen Sie danach einige Wörter nochmals ohne Korken. Auswertung Die ersten Worte, die ohne Korken gesprochen werden, zeigen deutlich, dass sich einiges verändern kann - nicht nur die Klarheit der Aussprache, sondern auch die Leichtigkeit, mit der die Stimme zum Klingen gebracht wird. Alfred Rademacher, bei dem ich diese Übung zum ersten Mal machte, versicherte, dass er mit diesem einfachen Instrument schon verzweifelten Rednern auf die Sprünge geholfen habe, deren die Stimme zu versagen drohte. ➤ Sinnschritte erkennen Hintergrund Zum Lesen eignen sich Manuskripte mit großer Schrift und breiten Rändern, so dass Sie mit 1 bis 2 Ruhepunkten den Inhalt einer Zeile erfassen. Die Zeilenenden sind Enden von Sinnschritten. Das Seitenende fällt zusammen mit einem Satzende. Wer einen eigenen Text so darstellt, bereitet sich damit automatisch auch auf das Sprechen vor. Das folgende Beispiel 230 ist so gestaltet. Sie werden erkennen, dass einzelne Sinnschritte noch weiter unterteilt werden könnten (z.B. in der zweiten Zeile beim Komma, das Haupt- und Nebensatz trennt). Ob dies hilfreich ist, muss jeder intuitiv entscheiden, wenn er sein Manuskript gestaltet: Der Stern von Sierra Leone ist der drittgrößte Diamant, der je gefunden wurde. Als der edle Rohling von fast 1000 Karat 1972 entdeckt wurde, war das kleine westafrikanische Land schon lange für seinen Reichtum an besonders reinen Diamanten berühmt und von Diamantenhändlern umworben. <?page no="293"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 293 Diamanten sind der Schlüssel zum Verständnis des zehnjährigen brutalen Bürgerkriegs, in dem 75.000 Menschen getötet und 30.000 verstümmelt wurden und der zwei Millionen zu Flüchtlingen machte - die meisten dieser Opfer Frauen, Kinder und Alte. Ziel der Übung Sie machen sich mit dieser Übung bewusst, dass Ihre gesprochenen Texte in Sinnschritte aufgeteilt sind und die Sinngrenzen viele Möglichkeiten bieten, den Dialog zu verstärken: Pausen zu setzen, Blickkontakt aufzunehmen, zu atmen usw. Ablauf Verwandeln Sie einen eigenen Text in ein sprechbares Manuskript: Wählen Sie einen weiten Zeilenabstand und beenden Sie jede Zeile, wenn ein Sinnschritt zu Ende ist. Erleichtern Sie sich die Arbeit, indem Sie beim Schreiben den Text halblaut vor sich hinsprechen und auch dabei auf sinnvolle Pausen achten. Auswertung Lesen Sie den Text und nutzen Sie die Zeilenenden zu kurzen Zäsuren oder Pausen. Überprüfen Sie dabei, ob die Sinngrenzen richtig gesetzt sind. Lesen Sie ihn ein zweites Mal und heben Sie den Kopf, sobald Sie die Zeile ganz erfasst haben. Auf diese Weise wird das Manuskript zu einer Gedächtnisstütze, die einzelnen kurzen Zeilen funktionieren wie Stichwörter. ➤ Eine Partitur anfertigen Hintergrund Das Geheimnis einer kommunikativen Sprechweise besteht in Variation: Variation der Satzmelodie, des Rhythmus, der Lautstärke usw. Professionelle Sprecher, die sich einen Text erarbeiten, machen sich Zeichen ins Manuskript, die sie beim Vortrag daran erinnern, Betonungen zu setzen, das Tempo wechseln, die Sprechmelodie zu heben oder zu senken. Das folgende Abbild eines Manuskripts 231 illustriert eine von vielen Möglichkeiten, sich auf diese Weise zu helfen. <?page no="294"?> 294 Anhang Abb. 10 Beispiel für ein zum Sprechen bearbeitetes Manuskript In diesem Manuskript fallen zunächst die Unterstreichungen auf. Sie zeigen das betonte Wort im Satz (oder auch Satzglied) an. Auch wenn jedes diese Wörter in eine Sinneinheit gehört, die als Gesamtheit gesprochen werden will, hilft diese Hervorhebung (etwa im letzten Satz, wo der Gegensatz Medien/ Wissenschaft deutlich werden muss). Die Pfeile an den Zeilenenden zeigen an, ob ein Gedanke als abgeschlossen zu sprechen ist oder ob angedeutet werden muss, dass er noch weitergeht und die Stimme deshalb nicht ganz gesenkt werden soll. Dass dies auch über Satzgrenzen hinaus gelten kann, zeigt die 8. Zeile, in der mit der Melodieführung die Nennung des Japaners Wadati vorbereitet wird. Die Klammern deuten an, dass ein Nebengedanke eingeschoben ist und deshalb anders zu sprechen ist als der ihn umgebende Text. In der Praxis würde ein Relativsatz wie in Zeile 5 (den er 1935 in den USA publizierte) mit leicht gesenkter Melodie gesprochen. Beim Einschub egal wo dagegen (Zeile 2) ist vor allem die Abgrenzung wichtig. Es wird wie eine Entgegnung oder Ergänzung gesprochen, ein dialogisches Element innerhalb der eigenen Rede. Einige weitere Grenzen zwischen Sinnschritten, die als Pause gesprochen werden müssen, sind mit Apostroph gekennzeichnet (Zeilen 10, 14, 15). Solche Markierungen sind vor allem da wichtig, wo eine kurze Zäsur oder Pause mitten in einer Zeile nötig ist. <?page no="295"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 295 Ziel der Übung Diese Praxis hilft als Übung auch Sprecherinnen und Sprechern, die es gewohnt sind, Vorträge frei zu halten. Man macht einen Text zur Partitur und versucht, die Betonungen und die anderen paraverbalen Merkmale so zu übernehmen, wie sie da eingezeichnet sind. Ablauf Wählen Sie einen eigenen Text, den Sie als Manuskript (weiter Zeilenabstand, Zeilengrenzen den Sinngrenzen entsprechend) geschrieben haben. Sprechen Sie ihn halblaut vor sich hin. Bezeichnen Sie dabei mit einem Stift in jedem Satz das betonte Wort und fügen Sie weitere Markierungen hinzu. Beachten sie vor allem Passagen, die Ihnen beim ersten Lesen Schwierigkeiten bereiten oder die sich ungewöhnlich anhören. Scheuen Sie sich nicht davor, Sätze, die sich als schwer sprechbar erweisen, neu zu formulieren. Auswertung Auch in dieser Übung muss individuell getestet werden, ob einem die so erstellte Partitur hilft. Wer seine Texte regelmäßig auf diese Weise bearbeitet, wird schließlich zu einer persönlichen Notation kommen, die sich in seiner eigenen Praxis bewährt hat. ➤ Sprechhandlungen nutzen Hintergrund Für Nichtprofis, die nicht vorlesen, sondern frei sprechen müssen, ist es oft schwierig, bewusst in eine schnellere oder langsamere Gangart zu wechseln oder den passenden Intonationsbogen zu wählen. Hilfreicher ist eine allgemeine Erkenntnis: dass es für verschiedene Teilhandlungen verschiedene akustische Instrumente gibt - dass man also anders spricht, sobald man sich bewusst ist, dass man von einer Funktion zur nächsten übergeht, etwa von einer Behauptung zur Erklärung dieser Behauptung. Ziel der Übung Mit dieser Übung sollen verschiedene Teilhandlungen bewusst im Kontrast zueinander gesprochen werden. Sie sollen einen neuen Abschnitt so sprechen, dass Sie dessen Funktion gerecht werden. Dabei sollen Sie auch sich selbst zuhören: Lassen Sie erkennen, dass Sie jetzt nicht mehr behaupten, sondern erklären, nicht mehr aufzählen, sondern erzählen usw. <?page no="296"?> 296 Anhang Ablauf Wählen Sie einen kurzen, leicht sprechbaren Text bzw. die Unterlagen zu einem eigenen Statement. Teilen Sie ihn nach Funktionen ein, deren Bezeichnung Sie an den Rand schreiben, also etwa: » These » Beispiel » Persönliches » Wunsch Leiten Sie jeden Abschnitt explizit ein, etwa so: » ... Ich stelle folgende These auf ... » ... Hierzu ein Beispiel ... » ... Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung erzählen ... » ... Das bringt mich zur Schlussfolgerung ... » ... und ich habe da eine Hoffnung ... Auswertung Diese Übung fällt meiner Erfahrung nach den meisten nicht besonders leicht. Manche, die nicht gewohnt sind, so variationsreich zu sprechen, halten diese Art der lebendigen Rede für übertrieben. Aus meiner Sicht geht es um eine Änderung in der Redehaltung: Diese Art zu sprechen ist individueller, sie offenbart mehr von der eigenen Persönlichkeit. Dies ist aber eine Bedingung für die konstruktive, dialogische Kommunikation mit den Zuhörern. Deshalb lohnt sich ein Versuch. Tipps für Übungen im verbalen Ausdruck ➤ Portionieren Hintergrund „Portionieren“ ist die Technik, komplexe Sätze in möglichst viele einzelne Aussagen zu zerlegen. Dies hilft nicht nur, verständlicher zu formulieren, sondern auch die eigenen Gedanken besser zu ordnen. Wer eine portionierte Redeweise trainiert hat, kann gerade in Stress-Situationen davon profitieren, indem er/ sie bewusst den Stil wechselt. Portionieren hilft auch bei der Überarbeitung von Texten. Schwierige Passagen lassen sich verständlicher gestalten, wenn man längere Sätze aufbricht. Diese lassen sich dann neu anordnen, um etwa durch eine logische oder chronologische Abfolge die Botschaft zu verstärken. <?page no="297"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 297 Ziel der Übung Diese Übung hat dann einen Sinn, wenn sie als ein Training verstanden wird, das man eine Zeitlang regelmäßig wiederholt. Portionieren ist kein Stil-Ideal, aber in vielen Fällen ein Zwischenschritt zu klareren Aussagen und eine Hilfe beim dialogischen Präsentieren von Informationen. Ablauf Nehmen Sie einen Informationstext aus Ihrem Arbeitsalltag (alternativ auch einen Text von der Nachrichten- oder Wissenschaftsseite einer Tageszeitung). Nehmen Sie sich Satz für Satz vor. Machen sie aus jedem einzelnen Satz mindestens drei einfache Sätze. Beispiel Ausgangssatz: Nach sechs bezüglich der Standortbestimmung diskussionsreichen Jahren wurde 1991 in Manno, Tessin, das Nationale Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz (CSCS) eröffnet. Portioniert: In Manno steht das nationale Hochleistungsrechenzentrum. Es wurde 1991 eröffnet. Lange war über den Standort diskutiert worden. Es hatte sechs Jahre gedauert, bis man sich für Manno entschied. Auswertung Ein Zeichen dafür, dass die Übung sitzt, ist, wenn man sich auch traut, rein spielerisch simpelste Sätze zu formulieren, zum Beispiel: „Manno liegt im Tessin. Tessin liegt in der Schweiz (usw.)“ ➤ Frei formulieren Begründung Frei zu formulieren, funktioniert leichter, wenn man den Kopf von möglichst viel Speicherarbeit entlasten kann. Dazu dient bei einer vorbereiteten Rede die Gedächtnisstütze, auf die in Kapitel 10 hingewiesen wurde. Wenn aber längere Passagen improvisiert werden müssen, braucht es zusätzliche Übung darin, einfachere Sätze zu bilden, damit nicht durch die Planungsarbeit, die längere, komplexe Konstruktionen erfordern, Mehrarbeit geleistet werden muss. Dies <?page no="298"?> 298 Anhang geht, indem man konsequent versucht, kurze Sätze zu sprechen, und zudem in diesen redundante Passagen einbaut, die einem erlauben, Weiteres zu planen. Ziel der Übung Sie üben sich in einem konsequent linearen Formulieren, bei dem jeder neue Satz nur eine neue Information enthält. 232 Wer dies geübt hat, kann in Stress-Situationen darauf zurückgreifen und sich mit diesem einfacheren Stil helfen, den Faden nicht zu verlieren. Ablauf Sie lesen einen kurzen, abgeschlossenen Text, zum Beispiel eine Nachricht oder Anekdote. Sie geben ihn wieder (er kann ohne Weiteres weiter vor Ihnen liegen bleiben, so dass Sie ihn bei Bedarf konsultieren können). Bedingungen: Jeder Satz besteht aus maximal acht Wörtern. In jedem neuen Satz kommt ein Wort (Substantiv/ Verb/ Adjektiv/ Adverb) des vorangegangenen Satzes vor - aber nicht jedes Mal dasselbe Wort. Auswertung Die Übung ist bestanden, wenn es Ihnen gelingt, in einem ununterbrochenen Fluss zu formulieren. Dies gelingt, wenn Sie sich trauen, einfachste Sätze zu bilden, in denen wirklich wenig Neues gesagt wird. Diese Übung darf maximal sinnfrei sein, wie es das Beispiel am Ende von Kapitel 10 vorgeführt hat. ➤ Storytelling Hintergrund Viele Präsentationen, Vorträge, Vorlesungen enthalten kleine Geschichten. Oft sind sich die Rednerin oder der Redner dessen nicht bewusst. Die Geschichte wird dann nur oberflächlich erwähnt. Man kann sich aber auch bewusst dafür entscheiden, sie zu erzählen (und sei es auch nur in 4 bis 5 Sätzen), so wird der Vortrag attraktiver: Sie verändern die Perspektive, den Rhythmus, Ihr Engagement usw. Ziel der Übung Mit dieser Übung soll eine einfache Geschichte (Nachricht, Anekdote usw.) so erzählt werden, dass die wichtigsten Elemente, die sie hörenswert machen, vorkommen. Wir gehen von der Vorstellung aus, dass im <?page no="299"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 299 Rahmen der Einführung eines theoretischen Inhalts eine Begebenheit aus der Biografie einer Person erzählt wird, die damit in Verbindung steht (z.B. des Begründers der Theorie). Folgende Hauptelemente einer Anekdote sollen vorkommen: Held/ Heldin zu erreichendes Ziel Hindernis, das zu überwinden ist Resultat Ein Beispiel: Ausgangstext: Die erste Bank für Mikrokredite wurde von Muhammad Yunus gegründet. Er hat seine eigenen Ersparnisse für kleinste Kredite mit niedrigen Zinsen verwendet, die er den Armen auf dem Land anbot, so dass diese sich Dinge anschaffen konnten, mit denen sie einem Verdienst nachgehen konnten. In erzählerischer Form: Muhammad Yunus beobachtete, dass den armen Leuten auf dem Land oft eine kleine Anschaffung helfen würde, einem Verdienst nachzugehen. Aber sie hatten das wenige Geld nicht. Weil sie nicht lesen und schreiben konnten, war ihnen der Zugang zu Bankgeschäften verwehrt. Yunus suchte nach Lösungen und kam zum Entschluss, aus seinem eigenen Geld kleinste Beträge anzubieten, für die die Kreditnehmer nur niedrige Zinsen zahlen mussten. Ablauf der Übung Suchen sie in Ihrem eigenen Material eine kleine Geschichte, die Sie als die Überwindung eines Hindernisses oder eine Problemlösung neu strukturieren. Erzählen Sie sie so, dass Sie sich in den Zusammenhang Ihres Vortrags einbauen lässt und eine These stützt. Auswertung Geschichten zu erzählen, bedeutet oft, dass ein Sachverhalt personalisiert wird. Die Grenzen des Storytellings verlaufen aber da, wo die Geschichte eine ganze Argumentationskette ersetzt, wenn also ein Einzelfall eine rationale Begründung ersetzen soll. ➤ Aussagen beleben Hintergrund Die deutsche Sprache hat - besonders in ihrer bürokratischen Version - die Möglichkeit, Wörter zu bilden, die wie die Dementoren bei Harry Potter aus attraktiven Sätzen das Leben saugen. Ein Beispielsatz: <?page no="300"?> 300 Anhang Die Ernennung des Präsidenten ist umstritten. Im Wort Ernennung schlummert das Verb ernennen. Wenn es aktiv benutzt würde, würde sofort ein eigener Satz entstehen, in dem gesagt werden müsste, wer wen ernennt: Das Parlament ernennt Hans Wurster zum Präsidenten. Oder, weil es eben umstritten ist: Die Fraktion der Demokraten will Hans Wurster zum Präsidenten ernennen. Dies ist umstritten. Die Substantivierung ist damit auf ein aktives Verb zurückgeführt. Das aktive ernennen-Verb erfordert einen Täter und ein Objekt. Damit werden die Beteiligten genannt, die Information ist präziser. Zudem wird der Satz für den Zuhörer attraktiver und verständlicher. Weil auch umstritten eine Ableitung eines Verbs ist (ein Partizip), sind übrigens auch hier die Täter verschwunden. Dies wird besonders deutlich, wenn es jetzt durch das Portionieren in einem eigenen Satz steht. Wer auf solche Dinge achtet, wird nachfragen: Bei wem ist es denn umstritten? Sätze zu beleben, bedeutet, klare Position zu beziehen und Dinge und Menschen beim Namen zu nennen. Ziel der Übung Komprimierungen zu erkennen und in aktive Ausdrücke umzuformulieren, kann zur Routine werden. Oft stößt man dabei an Grenzen (etwa, wenn es um statistische Aussagen geht), oft wird aber damit der erste Schritt zu einem besseren, einfacheren Stil getan. Das Ziel besteht hier also in einer Sensibilisierung. Ablauf Lesen Sie in einem Fachtext einen Satz nach dem anderen. Suchen Sie in jedem Satz Komprimierungen, also: substantivierte Verben, z.B.: die Befreiung der Gefangenen Partzipialkonstruktionen, z.B.: das verlorene Werkzeug Beleben Sie die Sätze, indem Sie sie aktiv und wenn möglich mit menschlichen Subjekten formulieren. Also: XY hat die Gefangenen befreit. XZ hat das Werkzeug verloren. <?page no="301"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 301 Auswertung Die Übung stößt an ihre Grenzen, wenn kein klarer Täter bzw. kein klares Objekt zu eruieren ist. Die Frage ist dann, ob dies durch Ihr Hintergrundwissen und Ihre Recherche behoben werden kann oder ob sich dadurch der Informationsgehalt der Botschaft verändert. ➤ Metakommunikation einfügen Hintergrund Meiner Erfahrung nach fällt es vielen Vortragenden schwer, ihre Informationen mit metakommunikativen Bemerkungen zu gliedern (in der Art: Hierzu ein Beispiel ...). Was ebenso schwer zu sein scheint, ist die Bewertung der Information: 233 Ist es sehr wichtig? Ist es weniger wichtig? Ist es eine Zusatzinformation, die man wieder vergessen kann? - Wer derartige Bewertungen ehrlich vornimmt, wird als Persönlichkeit präsenter und verstärkt damit den Kontakt zu den Zuhörerinnen und Zuhörern. Ziel der Übung Diese Übung ist dazu da, die eigene Beziehung zum Thema und einzelnen Teilen zu verbalisieren und damit auch die Begeisterung (oder auch die Skepsis) über den vermittelten Stoff zu zeigen. Ablauf Wählen Sie einen kurzen Ausschnitt von etwa zwei Minuten Dauer aus der Mitte eines eigenen Vortrags. Bereiten Sie für mindestens vier Aussagen eine Bewertung vor, die zeigt, wie wichtig Sie sie finden bzw. wie sehr es Ihnen am Herzen liegt, dass Sie verstanden werden. Auswertung Dies ist eine Übung, die immer wieder durchgeführt werden kann. Sie macht bewusst, dass sich auch bei „trockenen“ fachlichen Vorträgen die persönliche Beziehung zum Stoff vermitteln lässt. Die Aufmerksamkeit der Zuhörenden ist garantiert, wenn es gelingt, mit der gleichen Selbstverständlichkeit „ich“ zu sagen, wie man „du“ sagt. Tipps für Übungen im Medieneinsatz ➤ Texte vereinfachen Hintergrund Folien, die Text enthalten, sind in der Regel überladen. Eine Menge an Informationen und komplizierter Satzbau, zusammen mit einer unübersichtlichen <?page no="302"?> 302 Anhang Darstellung, machen es schwer, sich darin zurechtzufinden. Es sollte grundsätzlich mit Stichworten und nicht mit Sätzen verfahren werden, deren Zusammenhang aus einer einfachen graphischen Aufbereitung deutlich wird. Ziel der Übung Die Übung soll dazu anspornen, in den Folien nur das Notwendigste verbal auszudrücken. Sie soll dafür sensibilisieren, was in Schriftform und was als gesprochener Kommentar vermittelt werden soll. Ablauf Eine beliebige fremde Folie mit Fachinformationen, die sich an Laien richten, wird ausgewählt, auf Papier ausgedruckt und überarbeitet. Folgende Überlegungen sollen die Arbeit leiten: » Reicht eine Folie aus oder gehören die Informationen auf mehrere Folien? » Lassen sich ganze Sätze auf Stichworte reduzieren? » Helfen graphische Symbole (Pfeile, Umrandungen usw.) bei der Vereinfachung? » Sollen die Informationen einer Folie schrittweise präsentiert werden? Ein Beispiel: Kontext: Ein Wettbewerb für Jugendliche soll sie davon abhalten, sich mit Alkohol zu berauschen. 234 Parallel dazu wurde der Erfolg der Aktion untersucht. Die folgende Folie stammt von der Präsentation dieser Untersuchung: Abb. 40 Folie mit den Resultaten einer Umfrage <?page no="303"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 303 Kommentar: Der Text enthält Stoff für zwei Folien (Beurteilung des Wettbewerbs/ eigenes Trinkverhalten). Eine Möglichkeit ist die Vereinfachung durch Umwandlung der Sätze in Frage- Antwortbzw. Doppelpunkt-Konstruktionen, z.B.: » Schulnote für den Wettbewerb: gut/ sehr gut » Erfahrung mit Rauschtrinken: 32 Prozent Der Unterschied zwischen Wettbewerbsteilnehmern („32 Prozent“) und Vergleichsgruppe („53 Prozent“) könnte z.B. durch verschiedenfarbene Texte, Balken o.ä. dargestellt werden. Auswertung Diese Übung ist am effizientesten, wenn zwei KollegInnen die Präsentation des jeweils anderen bearbeiten. Dies vereint die Möglichkeit einer Kritik von außen mit einer Einschätzung des Autors. ➤ Choreografie für Flipchart/ Whiteboard/ Tafel Hintergrund Die meisten, die vor Publikum eine senkrechte Schreibfläche benutzen, halten es für ein Problem, dass sie sich von den Menschen abwenden müssen, zu denen sie reden. Das ist allerdings nicht zu vermeiden, und das ist auch den Zuhörern bewusst. Zudem gibt es immer den gemeinsamen Blickpunkt: Beide konzentrieren sich auf ein und dasselbe Objekt - auf die Worte, die Zeichnung oder die mathematische Formel, deren Entstehen sie verfolgen. Das an sich ist schon etwas Gemeinsamkeit. Es ist also nicht nötig, während des Schreibens in Richtung Tafel zu sprechen. Man kann ruhig schweigen und seinen Kommentar für später bewahren, wenn man sich von der Schreibfläche gelöst hat und wieder ins Publikum sieht. Wer sich darin nicht sicher fühlt, sollte es üben. Ziel der Übung Diese Übung hat ein Hauptziel: die Trennung von Schreiben und Sprechen. Dazu kommt die Disziplin hierbei, groß und leserlich (also für die meisten: langsam) zu schreiben. Ablauf Wählen Sie eine einfache Zeichnung, die Sie problemlos auf dem Flipchart wiedergeben und die Sie mit wenigen Worten beschreiben können (z.B. ein Strich- <?page no="304"?> 304 Anhang männchen, dessen Anatomie Sie erklären). » Sprechen Sie eine Einleitung ins Publikum. » Drehen Sie sich zum Flipchart. » Zeichnen Sie das erste Element (z.B. den Kopf). Sprechen Sie den Kommentar bzw. die Erklärung ins Publikum. » Wiederholen Sie diese Schritte für die weiteren Elemente. » Sprechen Sie einen Abschluss ins Publikum. Auswertung Wenn es gelingt, diese Schritte getrennt voneinander und ohne Eile auszuführen, ist ein erstes Ziel bereits erreicht. Hinzu kommt die Aufgabe, sich zudem so im Raum zu bewegen, dass ein Medien-Dreieck entsteht, in dem Sie das Geschriebene oder Gezeichnete mit dem Publikum zusammen betrachten (ohne es für einen Teil des Publikums zu verdecken). ➤ Objekt-Präsentation Hintergrund Anschauungsobjekte zu präsentieren, ist eine besondere Gelegenheit, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. Abgesehen davon, dass die Verständlichkeit erhöht und die emotionale Beteiligung verstärkt wird, entsteht immer die Möglichkeit, etwas gemeinsam zu tun: den Gegenstand zu betrachten, zu beschreiben, zu bedienen usw. Sich darin zu üben, bedeutet, seinen Bewegungsspielraum zu erweitern und die verschiedenen Ebenen des Kontakts (v.a. Blick, Anrede, Lautstärke) zu pflegen. Ziel der Übung Als Übung fordert das Demonstrieren zunächst die nonverbalen Fähigkeiten: die Verbindung zwischen dem Publikum, dem Objekt und dem Redner selbst herzustellen. Hinzu kommen sprachliche Aufgaben: Wie und in welcher Reihenfolge werden die Teile des Objekts und die auszuführenden Handlungen beschrieben? Ablauf Diese Übung lässt sich am leichtesten vor einem kleinen Publikum vollziehen. Sie ist aber auch als Einzelübung möglich, wenn man sich das Publikum an einem konkreten Ort im Raum vorstellt. Folgende Möglichkeiten stehen zur Verfügung: » Austeilen von Handouts oder beispielhaften Gegenständen (Blüten in der Botanik, Steinen in der Mineralogie, Wolle in der Handarbeit usw.) <?page no="305"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 305 » Aufstellen und Erklären einer Maschine, eines Modells, einer Landkarte usw. » Degustation eines Getränks, einer Speise, eines Parfüms usw. Vorbereitung: Weisen Sie dem Publikum, dem Objekt und sich selbst eine klare Position im Raum zu. Ihr eigener Standort wird sich vom üblichen Rednerstandort unterscheiden: Wie und warum? Handlungsschritte: » Einleitung (positives Vermitteln: Ich habe etwas für euch ...) » Benennung des Objekts (und jedes einzelnen Teils davon - auch wenn es als bekannt vorausgesetzt werden kann) » Erklärungen » Aktivierende Fragen (Weglassen, wenn kein Publikum vorhanden; dennoch lohnt es sich zu überlegen, welche Teilhandlungen ans Publikum abgegeben werden können). » Abschluss und Übergang zum Rest des Vortrags Auswertung » Ist das Objekt so präsentiert, dass es alle sehen? » Gelingt es, das Objekt zu präsentieren, ohne sich dabei von der Gruppe abzuwenden? » Gelingt es, das Objekt als „Geschenk“ zu präsentieren - als ein zusätzliches Highlight der gesamten Rede, das für das Publikum die Information vertiefen wird und den Unterhaltungswert verstärkt? » Werden alle Aspekte des Objekts benannt? Wird erklärt, was zu erklären ist? ➤ PowerPoint-Karaoke Herkunft PowerPoint-Karaoke lernte ich als Zeitvertreib bei Studentenpartys kennen. Man wählte eine beliebige PowerPoint-Präsentation aus dem Internet. Einer nach dem anderen muss sich hinstellen und die Bilder, Charts und Textelemente kommentieren. Natürlich hat der Betreffende jeweils keine Ahnung, was er da auf der Leinwand sieht. Er versucht, dennoch einen möglichst flüssigen Vortrag hinzulegen. Das Resultat kann umwerfend komisch sein. 235 Ziel der Übung Die Rednerin/ der Redner erprobt eine geeignete Choreografie: Medien- Dreieck, Blickkontakt, Gestik. - Sie unterscheidet klar die Sprech- <?page no="306"?> 306 Anhang handlungen (Erklären der projizierten Bilder/ Information des Publikums/ Metakommunikation). Ablauf Eine beliebige PPT-Präsentation wird ausgewählt und über den Beamer an die Wand geworfen. Die Versuchsperson bekommt die Fernbedienung (und, wenn vorhanden, einen Laser-Pointer oder Zeigestock). In einer verschärften Variante bedient ein außenstehender Spielleiter die Fernbedienung und entscheidet damit, wie lange ein einzelnes Bild sichtbar bleibt. Vorausgesetzt ist, dass die Versuchsperson die Bilder bei der Präsentation zum ersten Mal sieht. Sie spricht möglichst überzeugend und zusammenhängend. Zeitlicher Rahmen Am besten wird eine Zeit vereinbart, die die Versuchsperson durchstehen muss. Bei kurzen Bildfolgen (unter 10 Folien) kann auch so lange gesprochen werden, bis die Präsentation zu Ende ist. In Seminarübungen eignet sich ein schneller Wechsel der Rednerinnen, z.B. immer nach zwei Folien.) So können Sie vorgehen Die folgenden Schritte helfen bei der Übung: » Kurze Orientierung über das Thema (aufgrund der ersten Folie). » Begrüßung und Einleitung (Blick ins Publikum). » Orientierung in der einzelnen Folie: Gliederung der Darstellung erkennen; Entscheidung, in welcher Reihenfolge die Elemente präsentiert werden. » Die gewählten Elemente der Folie beschreiben, erklären, kommentieren. » Wenn einzelne Botschaften erkannt werden, diese ins Publikum sprechen. » Zeit gewinnen durch metakommunikative Botschaften und Wiederholungen: „Ich werde jetzt ...“ - „Wie bereits betont ...“ - „Dies erhellt die folgende Illustration ...“ usw. Auswertung In einer Partysituation wird man die Stimmung nicht mit einer Feedbackrunde verderben wollen. Für die persönliche Aufarbeitung und die Auswertung in einem Seminar sind in erster Linie die folgenden Kriterien hilfreich: » Klare nonverbale Botschaften (Blickkontakt, Zeigegestik) » Pausen (klare Satzenden zur Planung des Folgesatzes) » Redundanz im verbalen Ausdruck (zur leichteren freien Formulierung) » Vermeiden von Text-Bild-Scheren durch schrittweises Vorgehen <?page no="307"?> Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 307 Tipps für Übungen im Online-Vortrag ➤ Blickkontakt trotz Unterlagen Hintergrund Bei der Präsentation mit schriftlichen Unterlagen oder mit Folien bei einem aufgeteilten Bildschirm bleibt der Blick oft zu lange auf der Gedächtnisstütze haften. Obwohl dauernder Blickkontakt mit der Kamera weder möglich noch notwendig ist, ist eine dauernde Abwendung von der Kamera auch nicht erwünscht. Die Übung hilft, sich einen Wechsel von der Unterlage zur Kamera anzugewöhnen, auch wenn damit eine Pause verbunden ist. Ziel der Übung Mit einer Kamera zu sprechen, ist kein natürliches Verhalten. Es kann aber geübt werden. Es ist wohl am schwierigsten, wenn man sein Publikum (z.B. bei einer Konferenzsoftware) in einer Galerie vor sich sieht. Es fühlt sich zwar natürlicher an, einer der abgebildeten Personen in die Augen zu sehen; aber das bringt bekanntlich nicht den gewünschten Effekt. Wenn man trotzdem in die Kamera sieht, kann die die Vorstellung helfen, dass man nur telefonisch verbunden ist - dass man also für sich die Gesichter „ausblendet“. Der Effekt der Übung besteht letztlich darin, dass der Wechsel von den Unterlagen zur Kamera und zurück als selbstverständlich eingeübt ist. Ablauf Die Rednerin benutzt vorbereitete Unterlagen (schriftlich oder digital) aus einem ihrer bereits gehaltenen Vorträge, um während drei Minuten einen Ausschnitt daraus zu präsentieren. Sie bemüht sich, den Blickkontakt immer wieder aufzunehmen. Sie setzt bewusst auch Pausen dazu ein. Auswertung [1] Gibt es genügend Phasen des Blickkontakts, so dass man sich angesprochen fühlt? [2] Gelingt die Koordination von Blickkontakt, Pausen und Worten? [3] Wir die Präsentation durch verbale Signale Dialogsignale („Sie“, „ich“) unterstützt? ➤ Die Z-Achse nutzen Hintergrund Viele Rednerinnen und Redner versäumen es, die Tiefe des Raumes zu nutzen. Sie beschränken sich auf Gesten in unmittelbarer Nähe ihres Oberkörpers (in den Begriffen eines Koordinatensystems: nur in der X- und Y-Achse). Tiefe <?page no="308"?> 308 Anhang entsteht aber erst, wenn sich die Szene auch in der Verlängerung der Kamera- Achse (der Z-Achse) abspielt. Gesten, die nach vorn und hinten gehen, helfen dabei (solange sie eine natürliche Funktion haben). Ziel der Übung Die Rednerin nutzt ihren Körper in allen Dimensionen des Raumes. Indem sie dies mit einem sinnvollen Zweck verbindet, wirken die Bewegungen dennoch natürlich. Ablauf Schräg hinter der Rednerin befindet sich ein Objekt (z.B. eine Pflanze, eine Plastik oder ein Bild), das sie während einer kurzen Präsentation vorstellt. So kann sie z.B. das Büro, in dem sie redet, vorstellen und dabei auf dieses Objekt hinweisen. Wesentlich ist auch hier, dass die Hinwendung zum Objekt einen deutlichen Anfang und Schluss hat, und dass sie während der Präsentation das Objekt bewusst mit dem Publikum zusammen betrachtet. Die Übung kann sehr gut auch im Stehen durchgeführt werden. Auswertung [1] Sind Rednerin und Gegenstand während der ganzen Übung sichtbar? [2] Gelingt es, den Kontakt mit dem Publikum zu halten trotz der Bewegung nach hinten (also den Gegenstand zusammen mit dem Publikum zu betrachten)? [3] Gibt es einen klaren Anfang und ein klares Ende für die Zeigegestik? [4] Werden die Informationen über den Gegenstand sinnvoll in die gesamte Präsentation eingebaut? ➤ Ein Buch (oder einen anderen Gegenstand) vorstellen Hintergrund Dies ist eine ähnliche Übung wie im Präsenzvortrag; aber hier liegt der Schwerpunkt auf der Verbindung der Räume: Die Präsentation eines Gegenstandes vor der Kamera zwingt einen dazu, den Bildausschnitt zu erweitern, so dass auch wirklich alles Platz hat: die präsentierende Person mit ihren Armen und das Objekt, ohne dass die Verhältnisse zu eng werden. Ziel der Übung Die Rednerin lernt, auf genügend Raum rund um den Körper zu achten. Sie wählt den Aufbau bewusst und begrenzt dadurch die Dauer der <?page no="309"?> Manipulation. Sie ist sich bewusst, dass sie zusammen mit dem Publikum auf den Gegenstand blickt. Ablauf Die Präsentation folgt einem klaren Schema: Einleitung - Hauptteil - Schluss. Im Hauptteil wird das Buch (bzw. das sonstige Objekt) ergriffen und vor die Kamera gehalten. Nach einigen kommentierenden Sätzen wird es wieder weggelegt. Der Schluss erfolgt ohne Gegenstand in der Hand. Auswertung [1] Gelingt es, den Gegenstand zu präsentieren, ohne dass das eigene Gesicht verschwindet? [2] Gelingt es, trotz der engen Verhältnisse ein Dreieck Redner-Gegenstand- Publikum herzustellen, also den Gegenstand zusammen mit dem Publikum zu betrachten? [3] Werden Gesten und Worte sinnvoll kombiniert? [4] Gibt es einen klaren Anfang und ein klares Ende für die Zeigegestik? Übungen für Seminare in konstruktiver Rhetorik 309 <?page no="311"?> Weiterführende Literatur Coblenzer, Horst/ Muhar, Franz (1979: 2002): Atem und Stimme. Anleitung zum guten Sprechen. Wien: öbv&hpt. Der Klassiker für leicht umzusetzende Trainingseinheiten in den Grundlagen des Sprechens. Ecker, Malte W. (2006): Kritisch argumentieren. Aschaffenburg: Alibri. Eine praktische Einführung in kritisches Denken und Argumentieren. Fuhrmann, Manfred (1984): Die antike Rhetorik. München und Zürich: Artemis. Eine gut lesbare, knappe Darstellung der traditionellen Grundlagen des Fachs. Geißner, Hellmuth (1981): Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Königstein/ Ts.: Scriptor. Eine immer noch aktuelle praxisnahe, alternative Einführung in Rhetorik und Argumentation. German, Kathleen M., Gronbeck, Bruce, E., Ehninger, Douglas, Monroe, Alan H. (2010): Public Speaking. Seventeenth Edition. Ein aktuelles Lehrbuch der öffentlichen Rede aus US-amerikanischer Sicht mit vielen Beispielen und praktischen Ratschlägen. Handke, Jürgen (2015): Handbuch Hochschullehre Digital. Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre. Marburg: Tectum. Ein Pionier der Online-Rhetorik berichtet über seine didaktischen und technischen Erfahrungen und gibt ausführliche Tipps. Häusermann, Jürg/ Käppeli, Heiner (1994): Rhetorik für Radio und Fernsehen. Aarau und Frankfurt/ Main: Sauerländer. Die meisten Regeln zur Verständlichkeit und Attraktivität stammen aus diesem Buch. Es ist auch online abrufbar auf: www.rhet.de. Herrmann, Markus/ Hoppmann, Michael/ Stölzgen, Karsten/ Taraman, Jasmin (2011: 2012): Schüsselkompetenz Argumentation. Uni Tipps. Paderborn: Schöningh. Ein handliches Lehrbuch der Argumentation für Studierende. Knape, Joachim (2000): Was ist Rhetorik? Stuttgart: Reclam. Ein Einblick in die klassische Rhetorik und ihren gesellschaftlichen Nutzen aus heutiger Sicht. Kopperschmidt, Josef (2018): Wir sind nicht auf der Welt, um zu schweigen: Eine Einleitung in die Rhetorik. Berlin und Boston: de Gruyter. Eine Weiterführung der historischen Rhetorik mit einem Schwerpunkt auf ihrem philosophischen Gehalt. Damit ein so grundsätzlich anderer Ansatz, dass er wärmstens empfohlen sei. Schloemann, Johann (2019): „I have a dream“. Die Kunst der freien Rede. Von Cicero bis Barack Obama. München: C.H. Beck. Dieses Buch erzählt die Geschichte der freien Rede in ihren beiden Bedeutungen (freies Formulieren, Reden in Freiheit), mit einem Schwerpunkt auf ihrer Rolle in der Demokratie. <?page no="312"?> 312 Weiterführende Literatur Tannen, Deborah (1998): The Argument Culture. Changing the Way We Argue and Debate. New York: Random House. Eine Kritik an der öffentlichen Streitkultur, die auf ihre Weise für besseren Dialog plädiert. Winkler, Maud und Commichau, Anka (2005): Reden. Handbuch der kommunikationspsychologischen Rhetorik. Reinbek: Rowohlt. Ein Buch mit dialogischem Ansatz und vielen Ratschlägen aus psychologischer Sicht. <?page no="313"?> Endnoten 1 Johann Schloemann schildert in der Einleitung zu seiner Geschichte der freien Rede diese Erfahrung, um die Spannung zwischen der Sicherheit der vorbereiteten Rede und der Lebendigkeit der Improvisation zu thematisieren. - Vgl. Schloemann 2019, S. 7. 2 Eine Sammlung aus dem Jahr 2009 führt unter „501 Reden, die man kennen muss“ gerade ein Dutzend Reden von Frauen auf. ( 501 Must-Know Speeches, London: Bounty Books.) 3 Nach der Doku von Romy Steyer: Luisa, 3Sat Ab 18! , 2.11.2020 https: / / www.3sat.de/ film/ ab-18/ ab- 18---luisa-100.html oder https: / / www.youtube.com/ watch? v=ans8Umphn-0 4 Kurt Tucholsky (1930: 1975): Ratschläge für einen schlechten Redner. In: Gesammelte Werke, Bd. 8. Hamburg: Rowohlt, 1975, S. 290-291. 5 Kurt Tucholsky (1928: 1975): Die Herren Zuhörer. In: Gesammelte Werke, Bd. 6. Hamburg: Rowohlt, 1975, S. 191. 6 Berman, Jillian (2012): Nick Hanauer’s TED Talk On Income Inequality Deemed Too ’Political’ For Site. https: / / www.huffingtonpost.com/ 2012/ 05/ 17/ nick-hanauer-ted-talk_n_1524435.html - Klein, Ezra (2012): Nick Hanauer's TED talk on taxes. https: / / www.washingtonpost.com/ blogs/ ezraklein/ post/ nick-hanauers-ted-talk-ontaxes/ 2012/ 05/ 17/ gIQAXCncWU_blog.html? utm_term=.7bdf3c2685ac - Pareene, Alex (2012): Why TED is a Massive, Money-Soaked Orgy of Self-Congratulatory Futurism. https: / / www.alternet.org/ story/ 155527/ why_ted_is_a_massive%2C_money-soaked_orgy_of_self-congratulatory_futurism 7 https: / / blog.ted.com/ the-debate-about-graham-hancocks-talk/ 8 Dies gilt für die von dritter Seite organisierten, unter dem Label TEDx laufenden Veranstaltungen. 9 „Claims made using scientific language should not ... include imprecise new age vocabulary. (Phrases like „quantum consciousness‟, personal „energy fields‟, „crystal healing‟, and the like, should be considered major red flags.)‟ http: / / storage.ted.com/ tedx/ manuals/ tedxcontentguidelines.pdf 10 In Schwierigkeiten kam zum Beispiel Graham Hancock, der sich bei TEDx Whitechapel, einer Konferenz mit New-Age-Thematik, für die Legalisierung einer bestimmten bewusstseinserweiternden Droge aussprach. - Vgl.: http: / / www.lifeartsmedia.com/ visions-for-transition-tedx-whitechapel-london 11 https: / / www.ted.com/ talks/ nick_hanauer_beware_fellow_plutocrats_the_pitchforks_are_coming#t- 17606 12 https: / / www.ted.com/ participate/ organize-a-local-tedx-event/ before-you-start/ tedx-rules 13 https: / / www.faz.net/ aktuell/ politik/ 25-jahre-deutsche-einheit/ gedenkstunde-im-bundestag-biermann-greift-linke-frontal-an-13253288.html - Der Auftritt wurde von verschiedenen YouTubern hochgeladen. Vgl.: https: / / www.youtube.com/ watch? v=kUheTVZTPNI 14 Les gens de justice 14, Le Charivari 287, 13.10.1845. Universitätsbibliothek Tübingen, Signatur Zf583. 15 Les gens de justice 6, Le Charivari 111, 21.4.1845. Universitätsbibliothek Tübingen, Signatur Zf583. 16 Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist der öffentliche Raum ein Ort der Debatte, der nicht mit einem physischen Raum übereinstimmen muss. 17 Die Unterscheidung „Reden zu ...“/ „Reden mit ...“ war die prägnante Formulierung von Paul Baillod, der mir als erster die Aufgabe anvertraute, kleinen Gruppen von Berufstätigen und Arbeitslosen in Rhetorik zu unterrichten. 18 Im englischen Sprachgebrauch wird das Praxis-Fach konsequenterweise nicht Rhetoric, sondern Public Speaking genannt. 19 Die gleichzeitige Ausbildung von Redner und Publikum, so reizvoll dies auch wäre, scheitert in der <?page no="314"?> 314 Endnoten Rhetorik aus rein praktischen Gründen - im Gegensatz etwa zur gemeinsamen Ausbildung von Medienschaffenden und ihrem Publikum. 20 Gerhard Gründer: Schizophrene Störungen, RWTH Aachen, 11.1.2013, https: / / www.youtube.com/ watch? v=ELBbKDu0A6Y (10. Oktober 2014). Ich habe das Beispiel nicht mit der Lupe gesucht. Es ist keine didaktische Katastrophe, sondern der Normalfall einer inhaltlich überzeugenden Lehrveranstaltung. Wer die ganze Aufnahme verfolgt, wird sehen: Es handelt sich rein inhaltlich um eine informative, sorgfältig konzipierte Vorlesung. 21 Zumindest ist auf der Aufnahme, auf der man die Zuhörer nicht sieht, aber hört, keine Veränderung zu hören. 22 Saint-Exupéry, Antoine de (1950): Der Kleine Prinz. Düsseldorf: Karl Rauch, S. 21-22. 23 Glenn, Cheryl (1997): Rhetoric Retold. Regendering the Tradition from Antiquity Through the Renaissance. Carbondale - Edwardsville: Southern Illinois University Press, S. 37. 24 Lienert, P. Konrad [1933]: Der moderne Redner. Eine Einführung in die Redekunst nebst einer kurzen Geschichte der Beredsamkeit und einer Sammlung vollständiger Reden aus neuester Zeit zum Gebrauche in Schulen und zum Selbstunterricht. Siebente Auflage. Einsiedeln etc.: Benziger, S. 10. - Zitiert wird offensichtlich Johannes Baptista Diel, der so des 1874 verstorbenen Zentrumspolitikers Hermann von Mallinckrodt gedachte. 25 Tonger-Erk, Lily (2010): Selbst-Herrlichkeits-Training. Populäre Rhetorikratgeber für Frauen. In: Jahrbuch Rhetorik, Band 29, S. 35-50. Hier: S. 37. - Für den historischen Aspekt vgl. auch die Einleitung von Doerte Bischoff und Martina Wagner-Engelhaaff, S. VII-XV. 26 Tonger-Erk 2010, Seite 50. 27 Tannen, Deborah (1998): The Argument Culture. London: Virago. 28 Clarence B. Jones - http: / / www.wsj.com/ video/ martin-luther-king-speechwriter-recounts-march-onwashington/ 7DBC8B15-7F5E-4265-8861-F1AB7598183D.html 29 Meine Übersetzung ist dem deutschen Sprachgebrauch angepasst. Original: " I say to you today, my friends, so even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream. I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: „We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.‟ I have a dream that one day on the red hills of Georgia the sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to sit down together at the table of brotherhood. I have a dream that one day even the state of Mississippi, a state sweltering with the heat of injustice, sweltering with the heat of oppression, will be transformed into an oasis of freedom and justice. I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character. 30 Es gibt für einzelne Produktionsstadien mehrere Bezeichnungen, je nachdem, auf welchen Autor man sich beruft. Die hier verwendeten gehören zu den gebräuchlichsten. 31 Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Sammlung Metzler 283. Stuttgart/ Weimar: Metzler. S. 13-15. 32 https: / / www.experto.de/ businesstipps/ reden-schreiben-so-kommen-sie-zu-einem-gutenschluss.html 33 https: / / www.hdm-stuttgart.de/ view_news? ident=news20150426160037 34 https: / / www.lmz-bw.de/ medien-und-bildung/ medienwissen/ sprechen-schreiben/ die-kunst-der-rede/ 35 https: / / reuthers.com/ dr-jens-wegmann.html 36 Matthias Pöhm: So präsentiert ein Profi. - https: / / www.youtube.com/ watch? v=8O7CusRyWC4 37 Bis 3. März 2021 waren es 896.280 Aufrufe. 38 Ich beschreibe hier reale Situationen anhand von Video-Aufnahmen. Name und weitere Details sind geändert. 39 Emling, Shelley (2012): Marie Curie and Her Daughters. The Private Lives of Science’s First Family. New York: St. Martin’s Press, XIII-XVII und 53-57. 40 in meinem Blog: https: / / rhet.de/ menschen-denen-das-reden-schwerfiel-teil-1/ 41 Auch das italienische febbre della ribalta. Laut Kluge, Röhrich [Band 2, S. 924-925; 2. Aufl., Herder, 2010 und anderen ist der deutsche Ausdruck auf das französische fièvre de la rampe zurückzuführen <?page no="315"?> Endnoten 315 oder zumindest davon beeinflusst; der erste deutsche Beleg scheint aus dem Jahr 1855 zu stammen [Palleske: Schillers Leben und Werke, Band 1, S. 161]; heute ist im Französischen le trac geläufiger. 42 Journal of Education; 10/ 10/ 1907, Vol. 66 Issue 14, p384-387. 43 Spahn, Claudia (2012): Lampenfieber. Handbuch für den erfolgreichen Auftritt. Grundlagen, Analyse, Maximen. Leipzig: Henschel, 11-20 44 Hollingworth, Harry L. (1935): The Psychology of the Audience. New York, Cincinnati etc.: American Book Company. 45 Auch auf Französisch (fièvre de rampe) bezieht sich der Begriff die Rampe, die den Redner vor dem Publikum erhebt. Entsprechend kann man auch auf Deutsch Rampenfieber sagen. 46 Twain, Mark (1906): Remarks, American Concert Debut of Clara Clemens, Eldridge Gymnasium, Norfolk, Connecticut, September 22, 1906. In: Fatout, Paul (ed.) (2006): Mark Twain Speaking. Iowa City: University Of Iowa Press, S. 528-529. 47 Spahn 2012, S. 84-86. 48 Heike Bruch: Treiber und Killer guter Führung im digitalen Zeitalter. 25.05.2018. https: / / www.you tube.com/ watch? v=xB_td0ioEWI 49 Jensen Huang: GTC 2019 Keynote, 19.03.2019, ab 2: 55. https: / / www.youtube.com/ watch? v=Z2XlNfCtxwI 50 Sebastian P. Schild: Vortrag beim Seminar Geiles Leben, München, Juni 2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=I11wfJEjMKI 51 Harald Lesch: Wir irren uns empor. Physikalisches Kolloquium, Universität Bayreuth, 22.07.2011 https: / / www.youtube.com/ watch? v=u29--YNGMyg 52 Dieser intuitiv ermittelte Winkel ist größer als der normale gaze angle , den die Augenheilkunde ermitteln würde, aber kleiner als die Hälfte des Auditoriums. Die Schätzung von 60 Grad entspricht meinen eigenen Beobachtungen, die ich anhand von Videoaufnahmen aus der Zuschauerperspektive überprüft habe. - Es gibt wissenschaftliche Messungen für zwei sich gegenüberstehende Personen. Da ist der Winkel (bei einer Distanz von 5 m) mit 9 Grad viel kleiner, aber dennoch viel weiter, als zu erwarten wäre. Vgl. Gamer, Matthias, und Hecht, Heiko (2007): Are You Looking at Me? Measuring the Cone of Gaze. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 33, 2007, 705-715. 53 Peatman, Jared (2013): The Long Shadow of Lincoln’s Gettysburg Address. Carbondale: Southern Illinois University Press, p. 31: „The reporters present now had more control over his words than Lincoln did ...“ 54 Held der Steine Inh. Thomas Panke https: / / www.youtube.com/ channel/ UC_EZd3lsmxudu3IQzpTzOgw 55 All das geschieht im Rahmen der ersten drei Sätze und mit ständig wechselnden Einstellungen: In zehn Sekunden gibt es in dem Video fünf Schnitte. Sie hat den Vorteil, dass sie mit Profis hinter der Kamera und am Schnittpult zusammenarbeitet. Aber es geht auch im Selfie-Stil mit dem Handy, solange man Lust auf eine intensive Nahbereitung hat. https: / / www.youtube.com/ watch? v=AuaVGK7xXaM 56 Toby Hendy führt die Website tobyhendy.com und den YouTube-Kanal Tibees - https: / / www.youtube.com/ channel/ UC52kszkc08-acFOuogFl5jw 57 Stiftskirche Tübingen: Christvesper am 24.12.2020, 17 Uhr in der Stiftskirche Tübingen - https: / / www.youtube.com/ watch? v=UZ-zDqmqvFE 58 Stiftskirchen TV (ev. Kirchengemeinde Beutelsbach): Christmette an Heilig Abend mit Pfarrer Köpf, 24.12.2020 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=IrFsh2qNjWI 59 Der Held der Steine: Eine 370 € Enttäuschung, 3.6.2018 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=G1i9-Rm5vUc 60 Die Autodoktoren: Seat-Motor (1,8 TSI) komplett zerlegt ... - https: / / www.youtube.com/ watch? v=lj2I0AJ6ujc 61 Global News, 14.07.2020: "Rocco, put your tail down" - Cat interrupts virtual UK parlamentary meeting - https: / / www.youtube.com/ watch? v=4pq9N8qrTT0 62 Morning Prayer mit Dekan Robert Willis am 6. Juli 2020. Die Katze taucht bei 7: 45 auf. https: / / www.youtube.com/ watch? v=wCiOnXzhLHM <?page no="316"?> 316 Endnoten 63 Beebe, Steven A. (1974): Eye Contact a Nonverbal Determinant of Speaker Credibility. Speech Teacher 23, 1, S. 21-24. 64 Kreyea, Helene/ Kessler, Luise/ Schweinberger, Stefan R. (2016): Direct Speaker Gaze Promotes Trust in Truth-Ambiguous Statements. PLoS ONE 11(9): e0162291. - Für die 2er-Kommunikation gibt es allerdings auch Untersuchungen, die das Gegenteil nachweisen. - Vgl.: Chen, Frances S. etc al. (2013): In the Eye of the Beholder: Eye Contact Increases Resistance to Persuasion. Psychological Science 24., 2254-2261. 65 Knapp, M., Hall, J., T. Horgan (2014): Nonverbal Communication in Human Interaction. Belmont, California: Wadsworth Publishing, 2014, S. 296. 66 „My friend Marie Forleo has referred to this phenomenon as a 'pretend gaze - their eyes are on yours, but their mind is on a Hawaiian beach.'‟ - Ellsberg, Michael: How It Works. Clinton’s Reality Distortion Field Charisma. www.evancarmichael.com/ Author/ partnerLeads.php 67 Zum Beispiel bei Fey, Gudrun und Fey, Heinrich (1993: 2008): Redetraining als Persönlichkeitsbildung. Regensburg: Walhalla, S. 36. 68 1jzo, 6.9.2012: Bill Clinton, Full DNC Speech 2012 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=uzDhk3BHi6Q. https: / / www.youtube.com/ watch? v=uzDhk3BHi6Q 69 Einen starken Gegensatz bietet die Rede von Clint Eastwood beim Nominierungsparteitag der Republikaner nur wenige Tage zuvor. (https: / / www.youtube.com/ watch? v=3DGl-4gByV4) Abgesehen von vielen Problemen der Inszenierung, die sich der alte Hollywood-Schauspieler schuf, hält er den Blickkontakt vor allem mit den Augen statt mit dem ganzen Körper. Dies trägt vielleicht sogar mehr zu seiner Isolierung auf dem Podium bei als seine Probleme mit dem memorierten Text. 70 Dass Clinton dabei mit riesigen Telepromptern arbeitet, lassen wir hier unberücksichtigt. 71 Amanda Palmer: The Art of Asking. https: / / www.youtube.com/ watch? v=xMj_P_6H69g 72 http: / / publicapologycentral.com/ apologia-archive/ corporate-2/ netflix/ 73 ten Brinke, Leanne und Adams, Gabriele S. (2015): Saving face? When emotion displays during public apologies mitigate damage to organizational performance. Organizational Behavior and Human Decision Processes 130 (2015), S. 1-12. 74 Kalverkämper, Hartwig (2001): Mimik. Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 5, Sp. 1327- 1360. 75 Kaukomaa, Timo; Peräkylä, Anssi ; Ruusuvuori, Johanna (2015): How Listeners Use Facial Expression to Shift the Emotional Stance of the Speaker’s Utterance. Research on Language & Social Interaction 48, S. 319-341. 76 Wissenschaftliche Untersuchungen schließen alle Bewegungen des Körpers ein. 77 Retail Global, 2.7.2014: Vinh Giang Keynote - https: / / www.youtube.com/ watch? v=DxesXwttz80 78 Desmond Tutu: Reconciling Love. University of California Television, 2008, https: / / www.youtube.com/ watch? v=iV2LURTu3eQ (ab 46'50") 79 Steve Wozniak: The early days. TEDx Berkeley, 2015 https: / / www.youtube.com/ watch? v=PwSyjz1off4 80 Hübler, Axel (2001): Das Konzept „Körper“ in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften. Tübingen und Basel: Francke, S. 24. - Zitiert nach Jaskolski, Ernst und Pabst-Weinschenk, Marita (2004): Körpersprache. In: Pabst-Weinschenk, Marita (Hg.) (2004): Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. München und Basel: Reinhardt, S. 48-57. 81 Literatur bei Argyriou, Paraskevi; Mohr, Christine; Kita, Sotaro Kita (2017): Hand Matters: Left-Hand Gestures Enhance Metaphor Explanation Journal of Experimental Psychology 43, S. 874-886. 82 Mir hat es vor gut 40 Jahren aber großen Spaß gemacht, solche Gesten bei Schlagersängern zu beobachten. Vgl. Häusermann (1978): Und dabei liebe ich euch beide ... Unterhaltung durch Schlager und Fernsehserien. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel. 83 Zum Beispiel bei der Rede vor der National Rifle Association am 28.04.2017 - https: / / www.you tube.com/ watch? v=JoLpC-sgnqo 84 https: / / www.youtube.com/ watch? v=F5esui5C09Q - Das Video wurde Ende 2020 entfernt. Vgl. aber Hüthers Homepage: https: / / www.gerald-huether.de/ mediathek-page/ populaerwissenschaftliche-beitraege/ inhaltliche-uebersicht/ erziehung-und-bildung/ 85 Ebeling, Peter (2010): Reden ohne Lampenfieber. Regensburg: Walhalla, S. 117. <?page no="317"?> Endnoten 317 86 Focus Money Online [2006]: Was Hände preisgeben. https: / / www.focus.de/ finanzen/ karriere/ management/ koerpersprache/ koerpersprache/ gestik_aid_5461.html 87 Jessen, Jens (2009): Lässig oder respektlos? Zeit Online, 29.1.2009. http: / / www.zeit.de/ 2009/ 06/ Gesellschaft-06 88 Fey, Gudrun (2014): Reden macht Leute. Regensburg: Wahlhalla u. Praetoria, S. 51. 89 Diese Grundeinstellung kommt in manchen Ratgebern vor, geht aber bisweilen angesichts der vielen Detailtipps oft unter. Als positives Beispiel sei Lenny Laskowski angeführt: http: / / www.ljlseminars.com/ gesture.htm 90 Wer das nicht glaubt, beobachte es anhand einer der vielen Vorlesungen, die im Corona-Lockdown vor leeren Rängen gehalten wurden, z.B.: Stephanie Schiedermair: Völkerrecht I, Universität Leipzig, 27.10.2020 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=MubNQkP59tA 91 Gemeint sind Lego und legokompatible Bausteine, die man aber nicht Lego nennen darf. Zum Beispiel bei 5: 50 in: https: / / www.youtube.com/ watch? v=WYn4wu3nPOQ. In dem Video wird auch gezeigt, dass, nennen Lego-Verkäufer Nicht-Lego Lego, Lego Lego-Verkäufer abmahnt. 92 Es lohnt sich allerdings, Johnny’s World mit dem Helden der Steine (vgl. Kap. 17) zu vergleichen: Gleiches Thema, gleiche Zielsetzung, identisches Setting. 93 Life, Liberty and Levin, Fox News, 15.11.2020. - Gäste: Kayleigh McEnany, Joe Concha - https: / / www.foxnews.com/ shows/ life-liberty-levin - Video: https: / / video.foxnews.com/ v/ 6209970628001 94 Sumby, W.H., Pollack, I. (1954): Visual contribution to speech intelligibility in noise. Journal of the Acoustical Society of America 26, S. 212-215; Summerfield, Q. (1992): Lipreading and audio-visual speech perception. Philosophical Transaction of the Royal Society B 335 (1273), S. 71-78. Beebe, Steven A. (1976): Effects of Eye Contact, Posture and Vocal Inflection upon Credibility and Comprehension. Ms. Miami: University of Miami. 95 Fischen wie die Männer, ARD, Weltspiegel, 31.1.2021 96 Bewerbungsrede Bärbel Höhn, Parteitag in Hagen, 7.12.2012 - https: / / youtu.be/ OWADp1YAxKk 97 Bärbel Höhn: Mit Bürgerenergie Armut in Afrika verringern. Schönauer Stromseminar 2018. - https: / / www.youtube.com/ watch? v=vgcJqwp3t1s 98 Emanuel Erk: Warum zeigen Männer keine Gefühle? Das ist der wirkliche Grund. https: / / www.you tube.com/ watch? v=7M4Hi7foRDw 99 In Abgrenzung zur Sprechakttheorie der Sprachphilosophie nenne ich derartige (unterschiedlich umfangreiche) Abschnitte Sprechhandlungen. Vgl.: Austin, Lohn Langshaw (1962: 1972): Zur Theorie der Sprechakte (How to do Things with Words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny. Stuttgart: Reclam. 100 Big Think, 2.4.2015: A universe in a nutshell. - https: / / bigthink.com/ videos/ universe-in-a-nutshellthe-physics-of-everything-with-michio-kaku - Die Seite enthält auch ein Transkript des Vortrags. 101 Diese und viele andere Erkenntnisse verdanke ich Alice Brüngger. 102 Kopfsalat by Paul & Pascal: 19. Folge - htps: / / www.youtube.com/ watch? v=MyznUykw-cg] 103 Z.B.: Soviet Leader Leonid Brezhnev Funeral (Похороны Брежнева) - https: / / www.youtube.com/ watch? v=1ZyDTIt3xE4 bei Minute 46 104 in Anlehnung an das Skript Einführung in die Geschichte der sozialen Arbeit, FH Nürnberg, WS 2005/ 06, www.pantucek.com/ seminare/ 200609polizei/ geschichteskript.pdf 105 Thomas Mann: Tonio Kröger. 4 CD. Der Hörverlag, München, 2009. - Der Anfang von Kapitel II bei ca. 30 Minuten. 106 Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz - HWG), § 4, Abs. 3. Gelegentlich ist auch zu hören: „…Ihre Ärztin oder Apothekerin“ 107 Barth, Karl (1964: 1975): Aber seid getrost! Weihnachtspredigt in der Strafanstalt. 2 Tonbandkassetten. Zürich: Theologischer Verlag. 108 smLeft: Willkommen und Abschied (2. Fassung, 1789) https: / / www.youtube.com/ watch? v=qrAiqYLdJpE 109 Gesprochene deutsche Lyrik: Willkommen und Abschied. 109 https: / / www.deutschelyrik.de/ index.php/ willkommen-und-abschied.540.html <?page no="318"?> 318 Endnoten 110 Elke Schüßler: Entwicklungen in der Textilindustrie. Vortrag am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit, veröffentlicht am 2.8.2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=ZyYOekaH_1g (ab 07: 35) 111 Ein Mann, eine Wahl, ProSieben, 18.9.2017 https: / / www.youtube.com/ watch? v=TWyv9QS4Tns 112 Parteitag Bündnis 90/ Die Grünen, 16. Juni 2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=sGtn4RI-oCc 113 William Shakespeare: König Lear, 2. Akt, 4. Szene. 114 Wilhelm Schäfer: Hundert Histörchen. Nach: Ruckstuhl, Hans (1955): Lasst uns reisen zu Narren und Weisen. St. Gallen: Fehr’sche Buchhandlung, S. 123. 115 Leicht gekürzt und behutsam grammatikalisch überarbeitet. 116 Je nach Dauer der Pause mit einem bis drei Gedankenstrichen (-) angezeigt. 117 Ueding, Gert (2009): Volksrede. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 9, Sp. 1171-1189. 118 In Anlehnung an einen Vortrag von Claus Melter: was Sie schon immer über Rassismus und nationalstaatliche Diskriminierung wissen wollten - https: / / www.youtube.com/ watch? v=z37LQlW3UzY 119 Manfred Spitzer: Hirnforscher Vortrag in Feldbach (vulkantv.at) 12. Mai 2016 - https: / / www.you tube.com/ watch? v=NR-KPZEL3Aw 120 Fachleute werden das Bild aus dem Jahr 2007 längst kennen: Lionel Feuillet, Henry Dufour, Jean Pelletier (2007): Brain of a white-collar worker. Lancet 370 (2007), S. 262 121 Gunter Hofmann: Denken in der Arena. Die Rolle des „öffentlichen Intellektuellen“. Die Zeit, 16.6. 1989. Zitiert nach: Müller-Doohm, Stefan (2014): Jürgen Habermas. Eine Biografie. Berlin: Suhrkamp, S. 155-156. 122 Laut der Website https: / / www.deathpenaltyworldwide.org haben 2018 erst 20 der 50 US-Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft. 123 Crime Stammisch vom 14. März 2014, https: / / www.youtube.com/ watch? v=tdTyXkf_d-w 124 Die Russische Föderation hat die Todesstrafe de facto, wenn auch nicht de iure, abgeschafft (im Gegensatz zu Belarus/ Weißrussland, wo sie immer noch Gesetz ist und praktiziert wird). Vgl. https: / / www.deathpenaltyworldwide.org. 125 Textbasiertheit ist ein Begriff aus: Häusermann Jürg (Häusermann, Jürg (1993: 2011): Journalistisches Texten. Reihe praktischer Journalismus; Bd. 43. Konstanz: uvk. 126 Deutscher Bundestag - 18. Wahlperiode - 58. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 127 Nationalrat, 25.4.2014 128 Zeit Online, 31.12.2017: „Mehr als 150 Hinrichtungen in Saudi-Arabien im Jahr 2016“. http: / / www.zeit.de/ news/ 2016-12/ 31/ saudi-arabien-mehr-als-150-hinrichtungen-in-saudi-arabien-imjahr-2016-31175807 129 Vavrik war Marketing Director für Procter & Gamble. - https: / / www.parlament.gv.at/ WWER/ PAD_83126/ 130 NEOS, 15.4.2017: Christoph Vavrik zum Thema Todesstrafe - https: / / www.youtube.com/ watch? v=BjFu5M7jw4E 131 Der Antrag wurde bei der Abstimmung mehrheitlich angenommen. 132 Deutsche Aidshilfe: Basiswissen „Was ist HIV? Was ist Aids? “ - https: / / www.youtube.com/ watch? v=2aIO3XzWdW4 133 MrWissen2go: AIDS erklärt - Der schleichende Tod - https: / / www.youtube.com/ watch? v=Bp_hdF4i68w 134 „Those sons-of-bitches ... just sat there nodding, saying it would work.“ Press, Daryl G. (2007): Calculating Credibility. How Leaders Assess Military Threats. Ithaca and London: Cornell University Press, S. 126. - Mit Dank an Rolf Signer! 135 www.linguee.eu 136 Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Definitionen lasse ich hier weg. Vgl.: Martini Mario (2011): Wie viel Gleichheit braucht das Internet? -Netzneutralität zwischen kommunikativer Chancengleichheit und Infrastruktureffizienz, Speyerer Vorträge, Heft Nr. 96. 137 Martini 2011, S. 19. <?page no="319"?> Endnoten 319 138 Martini 2011, S. 19-20. 139 Martini 2011, S. 21. 140 Elle fait elle-même les oeufs en meurette, la peinture des volets ... - Göpferich, Susanne (2004): Wie aus Eiern Marmelade wird. In: Göpferich, Susanne und Engberg, Jan (Hg.) (2004): Qualität fachsprachlicher Kommunikation. Tübingen: Narr, S. 3-30. Hier: S. 9. 141 Ebenda, S. 10. 142 Vgl. z.B.: Lorenz, Edward N. (1963): „The Predictability of Hydrodynamic Flow“ (PDF). Transactions of the New York Academy of Sciences. 25 (4): 409-432. 143 Nämlich, dass das kurzwellige blaue Licht an den Partikeln in der Atmosphäre gestreut wird. (Anmerkung des Setzerlehrlings.) 144 Hrepic, Zdeslav, Zollman, Dean A., Rebello, N. Sanjay (2007): Comparing Students’ and Experts’ Understanding of the Content of a Lecture. Journal of Science Education and Technology 16, 3, S. 213-224. 145 Deutscher Bundestag - 18. Wahlperiode - 58. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014. 146 Rubrik Schon gewusst? - de.wikipedia.org am 22. März 2018 147 Wolfer, Sascha; Held, Uli; Hansen-Schirra, Silvia (2015): Verstehen und Verständlichkeitvon populärwissenschaftlichen Texten: Das Projekt PopSci - Understanding Science. Information, Wissenschaft & Praxis 66, S. 111-119. Hier S. 116. 148 In einem Bürgerentscheid vom 10.11.2013 über die Austragung der Winterspiele 2022. 149 Bild am Sonntag, 2.11.2014. 150 Es ist halt auch inhaltlich schwierig. Die meisten Befragten fänden es nicht schlecht, wenn die Spiele in Deutschland stattfänden, sind aber geteilter Meinung in Bezug auf den Austragungsort. In der Zusammenfassung des Meinungsforschungsinstituts: „Über 80 Prozent der Berliner und der Hamburger würden es begrüßen, wenn wieder einmal Olympische Spiele in Deutschland stattfänden. Doch für eine Bewerbung ihrer Stadt um die Austragung der Olympischen Spiele im Jahr 2024 sind deutlich weniger Bürger: in Berlin 55 und in Hamburg 64 Prozent.“ - Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele. 4. März 2015, forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, Berlin, S. 15. 151 Am 29. November war es dann so weit: Die Bürger der Hansestadt Hamburg stimmten zu 51,6 Prozent gegen eine Bewerbung ihrer Stadt. 152 Bernhard Pörksen: Skandale sind allgegenwärtig. Vortrag am Fritz-Erler-Forum der Friedrich Ebert Stiftung, Esslingen, 2. Juni 2014. https: / / www.youtube.com/ watch? v=I3KQE32R_ms 153 Transparenz als wichtiges rhetorisches Ziel haben Heiner Käppeli und ich in Rhetorik für Radio und Fernsehen (Aarau und Frankfurt/ Main: Sauerländer, 1986) zunächst als Ziel journalistischer Texte eingeführt. 154 Vortrag im Leuchtturm Landau e.V. im Gloria-Kulturpalast Landau, 20.11.2016. - Quelle: Nach- DenkSeiten, 155 Im Video ab 42 Min. 156 faz.net, 28.4.2020: Kritik an Corona-Maßnahmen - https: / / www.faz.net/ aktuell/ politik/ inland/ borispalmer-drastische-kritik-an-corona-massnahmen-16745535.html 157 Boris Palmer versuchte offenbar, zwischen den wenigen geretteten Kranken in Europa und den drastischen Folgen des „Armutsschocks“ für Kinder in armen Ländern abzuwägen. 158 SWR Leute, SWR 1, 8.1.2021 159 Begriff bei Bühler, Karl (1934: 1965): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart: Gustav Fischer. 160 Alfred Rademacher nannte dies „topische Gedächtnisstütze“ 161 Physikalisches Kolloquium, Universität Bayreuth, 22.7.2011, bei ca. 17: 15. 162 Barker, Randolph T. und Gower, Kim (2010): Strategic Application of Storytelling in Organzisations. International Journal of Business Communication 47 (2010). S. 295-312. 163 Perrin, Daniel et al. (2009): Public Storytelling in Convergent Media: Die journalistische Schlüsselqualifikation Schreiben umfassend prüfen. Zeitschrift Schreiben, 7. September 2009. www.zeitschriftschreiben.eu <?page no="320"?> 320 Endnoten 164 Grusliche Geschichten. Holzschnitt von Ludwig Richter (1803-1884). 165 J. Bruner nach Nünning, Ansgar (2013): Wie Erzählungen Kulturen erzeugen. In: Strohmaier, Alexandra (Hg.) (2013): Kultur - Wissen - Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Bielefeld: transcript, S. 15-54. 166 Büring, Wilhelm (o.J.): Das goldene Buch der Anekdoten. Leipzig: Hesse & Becker, S. 313-314. 167 Ronald Reagan Presidential Library and Museum - https: / / www.reaganlibrary.gov/ archives/ speech/ remarks-ceremony-commemorating-40th-anniversary-normandy-invasion-d-day 168 Noonan, Peggy (1990): What I Saw at the Revolution. A Political Life in the Reagan Era. New York: Ballantine Books, S. 86-93. 169 Ebenda, S. 88. 170 Matt Levine: Fed Day, Junk Bonds and Unicorns, Bloomberg Opinion, 16.12.2015. - https: / / www.bloomberg.com/ opinion/ articles/ 2015-12-16/ fed-day-junk-bonds-and-unicorns 171 Levine: „Saving is about moving resources from the present into the future; financing is about moving resources from the future back into the present.“ 172 von der Redaktion von Planet Money : Our Valentines, NPR, 12. Februar 2016. http: / / www.npr.org/ sections/ money/ 2016/ 02/ 12/ 466602146/ episode-683-we-3-u 173 Stephen S. Hall (1992): Scientists Find that Catchy Names Help Ideas Fly. New York Times, 20. Oktober 1992. - Der Begriff wurde zwar auf diese Weise verbreitet; er hat aber eine viel längere Geschichte. Vgl. z.B. den Eintrag im Oxford English Dictionary: https: / / www.oed.com/ view/ Entry/ 19728? rskey=UsnXcF&result=1#eid 174 Vgl. z.B.: Jules Vernes Roman: Die Kinder des Kapitän Grant von 1867/ 68 (Kapitel 24). 175 Neue Zürcher Zeitung, 23.6.2004. 176 Physikalisches Kolloquium, Universität Bayreuth, 22.7.2011, bei ca. 17'45". 177 §316 StGB 178 Kanzlei Heskamp: § 316 Trunkenheit im Verkehr - https: / / www.kanzlei-heskamp.de/ strafverteidigung/ straftatbestaende/ trunkenheitsfahrt 179 In Anlehnung an die Erklärungen der Website umformuliert. 180 Kolip, Petra: Einführungsvortrag. In: Jugendliche im Vollrausch - mehr Prävention wagen. S. Forum Sucht, Band 43, Münster: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWSL-Koordinationsstelle Sucht, S. 14-17. 181 Informationen zu diesem Jahrhundertlauf auf: http: / / www.pummpaelz.de/ index.php? id= 155029000455&cid=155029000180 182 Erik David: Workshop Ernährung - https: / / www.youtube.com/ watch? v=xMqtXRK1x_k 183 Studieren in Halle: Medien- und Kommunikationswissenschaften (Vortrag HIT 2015) - https: / / www.youtube.com/ watch? v=yyhdWzh6hDo 184 Sie haben das Recht zu schweigen. Vortrag am 23. Chaos Communication Congress, 27.-30. Dezember 2006. - https: / / www.youtube.com/ watch? v=3T-n1KH2GXU 185 GWUP e.V.: Hexenwerk. Vom weiblichen Dämon zum magischen Allheilmittel. (20.1.2021) 186 Ranga Yogeshwar: Mensch und Maschine - wer programmiert wen? - https: / / www.youtube.com/ watch? v=QtnMBv_GR98 187 Florian Schild: Künstliche Intelligenz und Ethik. - RFH Köln - https: / / www.youtube.com/ watch? v=Oh_B9O_5fok 188 Mit Stadtführung durch Husum. http: / / www.nordfrieslandanalle.de/ videopool/ https: / / www.you tube.com/ watch? v=VwuAg1vqDBE 189 Nordfriesland Tageblatt: Mit sanftem Druck zurück ins Watt. shz.de, 31. März 2010. - Diese Meinung ist nicht unbedingt zukunftsweisend. Vgl. z.B.: WIR IN HUSUM. SPD-Informationen für die Bürgerinnen und Bürger - Juni 2016 https: / / docplayer.org/ 72923957-Wir-in-husum-spd-informationen-fuerdie-buergerinnen-und-buerger-juni-2016.html 190 Sanjoy Mahajan: Teachting College-Level-Science. MIT Open CourseWare, Spring 2009 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=S9uGFKoRGUU - Vgl. auch seinen Satz: Meaning must be constructed by the learner. 191 Nedo, Michael/ Ranchetti, Michele (1983): Ludwig Wittgenstein. Sein Leben in Bildern und Texten. <?page no="321"?> Endnoten 321 Frankfurt/ Main: Suhrkamp, S. 384. 192 William Shakespeare: Julius Cäsar III, 2. 193 William Shakespeare: Julius Cäsar III, 1. 194 Weber, Eicke: Solarenergie - die Lösung aller (Energie-)Probleme? Studium-Generale-Reihe „Klimawandel und Energiewende“, Universität Tübingen, Sommer 2010, http: / / timms.uni-tuebingen.de/ List/ List01.aspx? rpattern=UT_20100615_001_rvenergie_0001. 195 twitter.com/ realdonaldtrump, 7. November 2020, 15.36 Uhr (GMT) 196 Auf vertiefende Lektüre zur Argumentation sei deshalb ausdrücklich verwiesen. Zum Beispiel: Herrmann, Markus; Hoppmann, Michael; Stölzgen, Karsten; Taraman, Jasmin (2011: 2012): Schüsselkompetenz Argumentation. Uni Tipps. Paderborn: Schöningh. - Kopperschmidt, Josef (2000): Argumentationstheorie zur Einführung. Hamburg: Junius. Kopperschmidt, Josef (2018): Wir sind nicht auf der Welt, um zu schweigen: Eine Einleitung in die Rhetorik. Berlin und Boston: de Gruyter 197 onlinefahrschule24: Starten und Abstellen eines Fahrzeuges. https: / / www.youtube.com/ watch? v=3zfqG6rXmLk 198 https: / / www.mercedes-forum.com/ threads/ wie-auto-starten.372/ 199 Vgl. Kopperschmidt, Josef (2018): Wir sind nicht auf der Welt, um zu schweigen. Eine Einleitung in die Rhetorik. Berlin etc.: de Gruyter, S. 121ff. 200 Otto Schily im Deutschen Bundestag, 6. Mai 1983 (meine Mitschrift; einige Nebenbemerkungen habe ich weggelassen). 201 StGB §241, 1: Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 202 Ein Beispiel aus: Heiner Käppeli/ Jürg Häusermann (2008): Unterlagen zum Kurs Argumentation, [Ms.]: Luzern, MAZ. 203 So zitiert bei: Fischer, Ernst Peter (2001): Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. München: Econ Ullstein List, S. 69. 204 DW, 16.8.2018: Jemen, die Welt schaut weg - https: / / www.youtube.com/ watch? v=3i0ULE766XQ 205 Jemen-Krieg: Das Märchen vom Rüstungsexportstopp, Monitor, ARD, 5.4.2019, https: / / www.you tube.com/ watch? v=FT6uj2pyc3U 206 Gast, Matthias (2019): Jemenkrieg. Die vergessene Katastrophe. https: / / www.initiative-jemen.de/ vortrag, S. 16 207 Gast 2019, S. 16. 208 Gast 2019. S. 19. 209 Matthias Pöhm: Rhetorische Frage - Menschen auf seine Seite ziehen - http: / / www.rhetorik-homepage.de/ rhetorische-frage/ 210 Ebenda. 211 Ebenda. 212 Zur Gesprächsführung im Interview: Häusermann, Jürg und Käppeli, Heiner (1994): Rhetorik für Radio und Fernsehen. Aarau und Frankfurt/ Main: Sauerländer. Abrufbar auf: www.rhet.de 213 Radio DRS 2, 7.3.2012 214 Kerres, Michael (2013): Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. 215 Wich, Franz (2008): Das große Buch der Schultafel. Halle: Projekte-Verlag Cornelius 216 Je nach Hersteller sind auch Markennamen im Umlauf: SMART Board, StarBoard, ActivBoard usw. 217 Als ersten Benutzer geben verschiedene Quellen John Henry Patterson an, Generaldirektor von NCR und Gründer einer Schule für Verkauf, der ähnliche Konstruktionen schon 1912 benutzt haben soll. 218 Dieser und andere hilfreiche Tipps finden sich bei Paul Levy: https: / / rationalmadness.wordpress.com/ 2016/ 05/ 21/ the-real-art-of-flip-charting/ 219 Viele Hochschuldozenten bieten ihre Folien zum Download an. Die Studierenden drucken sie aus und bringen sie mit in die Vorlesung. Sie haben damit eine Mischung zwischen Skript (das aber als Lehrbuch zu wenig ausführlich ist) und Handout (das wiederum zu umfangreich ist). Allgemein wäre <?page no="322"?> 322 Endnoten die Regel: für jede Funktion ein eigenes Medium verwenden. Also würde man den Studierenden eine als Handout geeignete Datei hochladen, für die Vorlesung eine PowerPoint-Präsentation vorbereiten und um selbst nicht davon abhängig zu sein, geeignete Redenotizen mitbringen. Drei verschiedene Zwecke, drei verschiedene Medien. 220 Dieses schöne Video ist zurzeit nicht online; einen Eindruck gibt: Vera F. Birkenbihl: Sprachen Lernen, https: / / www.youtube.com/ watch? v=gArcj7xySaM 221 Tibees: Ich habe meine Promotion abgebrochen - https: / / www.youtube.com/ watch? v=e3Heip-2jYQ 222 ... und auch anderswo im Internet. Vgl.: Der Held der Steine - https: / / www.youtube.com/ channel/ UC_EZd3lsmxudu3IQzpTzOgw 223 Dan Fleisch, 21.11.2011: What's a Tensor? - https: / / www.youtube.com/ watch? v=f5liqUk0ZTw und https: / / www.danfleisch.com 224 Eine Einführung findet sich bei Martina Keglovits: Powerpoint Präsentation als Video mit Ton aufzeichnen und exportieren - https: / / www.youtube.com/ watch? v=zNwG50D2iiQ 225 Coblenzer, Horst, und Muhar, Franz (1976: 2002): Atem und Stimme. Anleitung zum guten Sprechen. Wien: öbv&hpt. 226 Coblenzer/ Muhar 2002, Übung 48 227 Coblenzer/ Muhar 2002, S. 70. 228 Ebenda. 229 Das Original ist zu finden in: Victor Auburtin: Einer bläst die Hirtenflöte. München: Albert Langen, 1928. 230 Nach einem Beitrag in der Sendung Echo der Zeit, Radio DRS, 12.7.2000. 231 Nach einem Beitrag in SWR 2, 3. Mai 2005. 232 Dass dies rein informationstechnisch nicht zutrifft, sei hier zugestanden. Man möge mir um der Übung willen aber diese Vereinfachung erlauben. 233 Vgl. Schlüter-Kiske, Gabriele (1987): Rhetorik für Frauen. München: Langen-Müller/ Herbig, S. 133. 234 Abgewandeltes Beispiel von: https: / / www.dak.de/ dak/ leistungen/ bunt-statt-blau-1187104.html 235 Ernsthafte Hintergrundinformationen finden sich auf Wikipedia: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Powerpoint-Karaoke Noch ernsthafter, mit Tipps: http: / / www.powerpointkaraoke.com/ <?page no="323"?> Personen und Stichwörter A Abgrenzung 182 Actio 31 Adaptor 80 Agitation 194 AIDS 143, 144 Aktiv 166, 177 Akustik 58, 59, 65, 93 Anekdote 201 Ankündigung 158 Anleitung 289 Anschauungsobjekte 304 Antwort 223 Antworten 287 Bausteine 224 konstruktiv nutzen 225 Argumentation 209 argumentieren 131, 205 Austausch von Argumenten 213 im Dialog 214 induktiv 209 plausibel 209 rational 209 Argumentregel 205, 209 Argumentsatz 206, 209 Argumentum ad hominem 210 Argumentum ad pecuniam 210 Argumentum ad populum 210 Argumentum e contrario 210 Artikulation 96, 99 im Dialog 101 Atem 97, 288 Reflex 289 Atemübung 88 Attraktivität 131, 133, 165 Aufbauprinzipien 187 Aufhänger 189 Aufzählton 125 Augenzwinkern 91 Äußerlichkeiten 92 Aussprache 100, 101 authentisch 33 Autodoktoren 69 autoritär 18 B Barth, Karl 116 Begriffe 144 Beispiel 200 Bescheidenheit 183 Betonung 13, 34, 35, 113, 126, 127 Beutelsbach 66 Biermann, Wolf 18 Bild Rede 243 Bilddominanz 242 Bilder 171 Birkenbihl, Vera 263 Blickkontakt 38, 58, 59, 73, 74, 75, 76, 89, 90, 92, 252 Brandt, Willy 45 Bundesfeier 128 Bush, Jeb 166 <?page no="324"?> 324 Personen und Stichwörter C Cäsar 194 Chat 29, 43, 142 Checklisten 269 Chopin, Frédéric 113 chronologischer Aufbau 187 Clinton, Bill 75 Coach 33 Curie, Marie 46 Curie, Pierre 46 D Daumier, Honoré 20 deduktiver Aufbau 187 Definition 131, 146, 147 Demonstrationsobjekt 251 Deutlichkeit 99 Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) 154 Dialog 33, 36, 185, 275 Blickkontakt 76 freies formulieren 160 gemeinsames Ziel 196 Gestik 87 in der Rede 132 Pausen 122 Signale 219 Tempo 124 Zeitmanagement 265 direkte Ansprache 183 Dispositio 31 Disposition 197 dreidimensionale Qualität des Raums 68 dreidimensionale Umgebung 43 Dreiecksbeziehung 240, 249 Drive 117 Drotschmann, Mirko 143 E Ebene abstrakte/ konkrete 166 asbtrakte/ konkrete 172 Eisbrecher 222 Elocutio 31 Emling, Shelly 46 Emotion 91 emotional 192 Erzählen 166, 167 Erzählhaltung 170 Ethik 210 F Fachsprache 135 Feedback 268, 269 Fleisch, Dan 263 Flipchart 254, 255 Übung 303 Floskeln 182 Fragen 38, 59 Formulierung 226 offene 223 rhetorische 228 Frage-und-Antwort-Sequenz 108 frei formulieren 91, 160 Übung 297 freie Rede 128 fremde Begriffe 145 Fremdenführer 33 Fremdwörter 146 Frühstück 185 G Galileo Galilei 211 Ganser, Daniele 157, 158 Gates, Bill 199 <?page no="325"?> Personen und Stichwörter 325 Gedächtnisstütze 161 Gegenstände einbeziehen 68 Gehring, Kai 151 geschriebene Sprache 137 Gespräch 36, 47, 137, 231 Gestik 78, 79 andeutende 83 Sound unterstützend 83 stimulierend 82 Strukturierungsgesten 81 Tipps 86 Zeigegesten 80 Gettysburg-Rede 59 Giang, Vinh 79 Gliederung 196 Goethe, Johann Wolfgang 116 Göpferich, Susanne 148 Gottesdienste 66 Grau, Olivia 36 Greenscreen 63 Grotesk-Schriften 260 Groth, Annette 139 H Habermas, Jürgen 135 Hall 58, 94 Nachhall 59, 65 Handlungsform 107 Handlungsziel 28 Handout 256, 257 Hauptaussage 188 Held der Steine 63, 68 Heufer-Umlauf, Klaas 120 HIV 142, 144 Hochschluss 125 Hofmann, Gunter 135 Höhn, Bärbel 106 Hörsaal 57, 58, 119 Hörsituation 152 Hosentasche 85 Husum 188 Hyperbel 212 I I have a dream 29 Illustration 147 Indifferenzlage 99 induktiv/ deduktiv 209 induktiver Aufbau 187 Infinitive 178 Influencer 15 Informationen organisatorische 198 Informationsdichte 138, 139, 153, 156 Interesse wecken 200 Interview 111, 161, 231 mit Experten 235 online 237 Technik 233 technische Vorbereitung 233 Vorgespräch 232 zuhören 234 Interviews Vorbereitung 232 introvertiert 74 Inventio 31 J Jackson, Mahalia 29 Jemen 212 Johnny’s World 89 K Kaku, Michio 108 Kamera 66, 67, 89, 90, 92, 264 <?page no="326"?> 326 Personen und Stichwörter Kanzel 19, 58 Katheder 19 Kennedy, John F. 145 Kermani, Navid 195 Kernbotschaft 188, 189 Keynote 41 King, Martin Luther 29 Kirche 58, 66, 119 Klahold, Thorsten 89 Komprimierung 176 konstruktive Rhetorik 45 Kontakt aufnehmen/ halten 55 Kontext 227 Kopfsalat 111 Körperhaltung 55, 283 Körpersprache 20, 37, 38, 40, 41, 73 online 44, 89 Kritik 215 Kultur 14, 25 künstliche Intelligenz 186 Kurzpräsentation 189 Kurzvortrag 268, 281 L Lächeln 77, 91, 119 Lammert, Norbert 18 Lampenfieber 46, 49 Nutzen 47 Lautsprecher 60 Leibl, Wilhelm 169 Lesch, Harald 165, 174 Levine, Matt 171 Licht 67 Lienert, Konrad 26 Lincoln, Abraham 59 Lindenthal, Michael 221 lineares Vorgehen 190 live 69 Live-Streaming 29 Logik 208 Lorenz, Edward 150 Luxemburg, Rosa 27 M Macht 26 Makro-Tipp 96, 105 Mann, Thomas 114, 115 männliche Tradition 26 Manuskript 91, 293 Mark Anton 194 Martini, Mario 146 medial 273, 278 Medien 37, 39, 40, 42, 263 online 44 Medieneinsatz Übung 301 Medium 240 Melodie 113 Sprech-/ Satzmelodie 124 Memoria 31 Menschen handeln lassen 175 Meta-Ebene 192 Metakommunikation 119, 301 Metapher 212 Mikrofon 66, 93 ansteckbar 92 Mikro-Tipp 96, 105, 113 Mimik 77 Mitdenken 131 Mitreden 131 Monolog 35 monoton 117 Monotonie 39 Moral 210 <?page no="327"?> Personen und Stichwörter 327 N nachrichtenjournalistischer Aufbau 187 Nebengeräusche 69 Netflix 77 Netzneutralität 146, 149 Neubauer, Luisa 13 nonverbal 91, 270, 275 normative Aussagen 210 Normen 32 Notizen 250 O Obama, Michelle 45 Öffentlichkeit 21, 22, 54, 139 Online 19, 36, 44, 46, 68, 142 Aufbau 202 Auftritt 39 Beobachtungsbereich 274 Blickkontakt 89 Dialog 279 Fragetechnik 229 Interview 161, 237 Körpersprache 89 Medien 241 Nebengeräusche 69 Präsentation 95, 202 Raum 70 Tempo 117 Vortrag 43, 61, 94, 143, 263 Vortrag (Übung) 307 Orientierung 56, 157, 246 Orientierungshilfe 158 Özdemir, Cem 120 P Palmer, Amanda 76 Panke, Thomas 63, 68, 263 paraverbal 93, 271, 276, 287 Parlament 119, 139 Parole 213 Partitur 293 Partizipien 175, 176 Pause 121, 122, 123 Voraussetzung Dialog 122 Pausen 35, 115, 228 Planungspausen 161 Perspektive 56, 64, 67, 141, 173 Planung 14 Planungsgesten 80 Podcast 111 Polio 173 Portionieren 153, 154 Übung 296 Positiv statt Negativ 167, 181 PowerPoint 43, 243, 250, 258, 259, 260 Körpersprache 260 sprachlicher Ausdruck 261 Sprechweise 261 Übung 305 Prägnanz 211 Predigt 116 Publikum 16, 21, 34, 35, 42, 51, 73, 79 Vorwissen 135 Pult 19, 23, 51 Q Quellen 29 R Rassismus 131 rational 191, 207, 209 Raum 14, 19, 21, 32, 36, 37, 39, 42, 43, 51, 55, 56, 57, 64, 65, 68, 94 <?page no="328"?> 328 Personen und Stichwörter Annäherung 54 Gruppenübung 282 ist fertig 307 Medieneinsatz 249 Nutzung 54, 56 Raumwahl online 61 wahrnehmen 52 Reagan, Ronald 170 Rede Aufbau 185 Bild 243 Dialog 132 Dominanz 242 erfolgreiche 132 Parlament 139 Überzeugung 189 Ziel 30, 32, 193 Redeangst 47 Redeziel 14 Redner 193 Redundanz 156, 157 Requisiten 263 Rhetorik 21, 22 konstruktive 45 Seminare 267 Training 33, 268 Rhythmus 113, 115, 118, 123 Rolle 15 Rollen 14 Rückblick 158 S Saal 59 Saint-Exupéry. Antoine de 25 Sandel, Michael 220, 221 Satzbau 142, 151, 152 Schayani, Isabel 102 Schild, Florian 186 Schild, Sebastian P. 52 Schily, Otto 207 Schröder, Friedrich Ludwig 121 Seminargestaltung 267 Shakespeare, William 194 Sightseeing 284 Sinnschritte 114, 115, 127, 292 Sitzordnung 53 Smartphone 67, 239 sokratisches Lehren 221 Solarenergie 198 Spahn, Claudia 48, 49 Sperl, Johann 169 Spitzer, Manfred 132 Sprache 37, 38, 39, 41 geschriebene 137 online 43 redundante 154 Sprachnormen 101 Sprechausbildung 96 Sprechdenken 161 sprecherische Gestaltung 101 Sprechhandlung 107, 109 Sprechhandlungen 106 Sprechmelodie 124 Sprechtempo 32 Sprechweise 37, 41, 42, 101 Stadtführung 188 Stammtisch 138 Stavenhagen, Fritz 117 Stewart, Rachel 63, 110 Stichworte 35, 91 Stimme 98 Stimmlage 99 Stirnrunzeln 91 Störgeräusche 60 Storytelling 167 Übung 298 <?page no="329"?> Personen und Stichwörter 329 Stress 125 Struktur 138, 197 aufbrechen 166, 179 Substantive 175, 177 Substantivierung 178 Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) 159 T Take-Home-Message 165, 188 talking head 64 Tätscheln 288 Teaser 203 TED 17, 76 Teleprompter 91 Tempo 116, 118, 120, 124, 228 Textstruktur 142 Thatcher, Margaret 45 thematischer Aufbau 187 Tibees (Hendy, Toby) 63, 263 Timeline 265 Todesstrafe 138, 140 Transparenz 131, 134, 157, 159, 197 Trump, Donald 16, 166 Tübingen 66 Tucholsky, Kurt 15 Tutu, Desmond 79 Twain, Mark 48 U Überblick 158 Übersetzen 148 Überzeugungsrede 189 Umfrage 220, 221, 222, 226 Umgangssprache 78, 213 Unterhaltungsshow 163 Urban II. (Papst) 128 V Valentin, Karl 184 Vavrik, Christoph 140 Veranstalter 16, 17 verbal 272, 277 Verben 175, 177 Vergleich 147, 166, 171 Verknüpfung 153 Vernunft 210 Verständlichkeit 131, 133, 134, 142, 246 Vertiefung 188 Vetter, Udo 181 Videokonferenzen 90 Visualisierung 39, 44, 243, 244, 245, 246, 247, 251 Vorlesungen 136 Vorstellungskraft 171 Vortrag 93 Dialog 40 Fachvortrag 135 konstruktiv online 44 Medien 244 online 19, 43, 61, 94, 143, 263 vor Publikum 37 vor Publikum (mit Dialog) 42 W Wahlkampf 34 Wandtafel 246, 252, 253 Übung 303 Wheeler, Archibald 172 Whiteboard 252, 253 Übung 303 wiederholen 191 Wiederholung 156, 162 Willis, Robert, Dekan von Canterbury 70 <?page no="330"?> 330 Personen und Stichwörter wissenschaftlicher Aufbau 187 Wittgenstein, Ludwig 193 Witze 228 Wortschatz 142 Y Yogeshwar, Ranga 186 YouTube 39, 63, 69, 73, 89, 137, 232, 263, 265 Z Z-Achse 307 Zäsur 115, 116 Zeit 14, 23, 24, 32, 36, 38, 39 online 43 Zeitdruck 119 Zeitstempel 265 Zetkin, Clara 27 Ziel 28, 30, 37, 38, 39, 43 zusammenfassen 191 Zusammenhang 151 <?page no="331"?> uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ anagement \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenhematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenhematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen aft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik emdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc Georg Nagler Die Rhetorik-Matrix Erfolgreich reden mit neurolingualer Intervention 2018, 345 Seiten €[D] 22,99 ISBN 978-3-8252-5025-6 e ISBN 978-3-8385-5025-1 BUCHTIPP Moderne Rhetorik ist ein Produkt vieler Techniken und Fähigkeiten: gründliche Vorbereitung und effiziente Argumentation, wirksame Formulierungen, glaubwürdige Körpersprache - und die gezielte Einwirkung auf das Unterbewusstsein der Adressaten. Aktuelle Erkenntnisse der Psychologie und der Neurowissenschaften eröffnen neue Möglichkeiten rhetorischer Kommunikation. Klassische Rhetorik und moderne neurolinguale Methoden fügen sich zu einer ganzheitlichen Rhetorik-Matrix. Das Buch enthält eine Fülle von Beispielen, Tipps und praktischen Anregungen von der Vorbereitung bis zum erfolgreichen Halten einer wirkungsvollen Rede. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="332"?> Kommunizieren und Präsentieren vor Publikum und online Der Dialog macht vieles leichter: Wenn Menschen sich angeregt unterhalten, leidenschaftlich diskutieren und gemeinsam Lösungen suchen, läuft vieles wie von selbst. Beim Halten einer Rede oder in Videokonferenzen dominiert dennoch oft der Monolog. Das Resultat: Sprache und Körpersprache wirken steif. Aber es geht auch anders, denn viele dialogische Mittel eignen sich für den Vortrag. Sie erleichtern den Zugang zum Publikum und machen die Rede attraktiver - auch online. Jürg Häusermann hilft Ihnen dabei, diese Mittel auch in Präsenz- und Online-Vorträgen gekonnt einzusetzen. Er zeigt Lösungen für Zeitprobleme, die Nutzung des Raums und der Medien auf. Zahlreiche Tipps und Beispiele vertiefen das Verständnis. Kurzum: Ein idealer Ratgeber für alle, die in Vortragssituationen überzeugen und das Publikum miteinbeziehen wollen. Schlüsselkompetenzen ,! 7ID8C5-cfffad! ISBN 978-3-8252-5550-3 Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Mut zum Dialog