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Grundlagen der globalen Kommunikation

Medien – Systeme – Lebenswelten

0329
2021
978-3-8385-5551-5
978-3-8252-5551-0
UTB 
Kai Hafez
Anne Grüne

Globalisierung ist eine zentrale Vision unserer Zeit. Globale Kommunikation ist aber ein Konfliktfeld, in dem beharrende lokale Strukturen mit kosmopolitischen Formen der Weltbeobachtung und des Dialogs wechselwirken und Instabilität erzeugen. Ihre globale Vermittlungsfunktion erfüllen Politik, Wirtschaft und Medien noch nicht verlässlich. Menschen und Gesellschaften schwanken zwischen Vernetzung zu einer Weltgemeinschaft und nationaler Abschottung bis hin zu rassistischer Abwehr. Das Handbuch bietet die erste Gesamtübersicht aller wesentlichen Felder der globalen Kommunikation in organisierten Sozialsystemen (Massenmedien, Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) und Lebenswelten (Netzgemeinschaften, Kleingruppen, Individuum) auf einer einheitlichen und interdisziplinären theoretischen Basis.

<?page no="0"?> Kai Hafez | Anne Grüne Grundlagen der globalen Kommunikation Medien - Systeme - Lebenswelten <?page no="1"?> utb 5551 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Kai Hafez ist Inhaber der Professur für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen / Kommunikationskulturen an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. Dr. Anne Grüne ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. <?page no="3"?> Kai Hafez, Anne Grüne Grundlagen der globalen Kommunikation Medien - Systeme - Lebenswelten UVK Verlag · München <?page no="4"?> © UVK Verlag 2021 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5551 ISBN 978-3-8252-5551-0 (Print) ISBN 978-3-8385-5551-5 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5551-0 (ePub) Einbandmotiv: © istockphoto, Jay-Zynism Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhalt EINLEITUNG � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 13 Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten S.- 13 - Medien, Systeme und Lebenswelten in der globalen Kommunikation S.- 16 - Phasen der Globalisierungsforschung S.-18 1 THEORIE der globalen Kommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � 23 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 23 Weltöffentlichkeit und Weltgemeinschaft: Synchronisation und Integration S.-23 - Distanzwahrnehmung und Kosmopolitismus S.-26 - Interaktion, Koorientierung und globale Übereinstimmung S.-27 - Diskursive Weltgesellschaft/ dialogische Weltgemeinschaft: Kommunikationstheorien S.- 29 - Integrationistische Systemtheorien S.- 32 - Fazit: Dialog der „Kulturen“ in der erweiterten Lebenswelt S.-34 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 35 Systeme und Lebenswelten S.-35 - System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz S.-36 Globale Zentren und Peripherien S.-38 - Inventarisierung: Global kommunizierende Sozialsysteme und Lebenswelten S.-39 - Medien, Politik und Wirtschaft als (trans-)nationale Systeme S.- 40 - Globale Zivilgesellschaft und Großgemeinschaften S.- 42 - Globale Lebenswelten: ein Desideratum der „interkulturellen Kommunikation“ S.- 44 - Glokalisierung und Hybridisierung des Alltagshandelns S.-46 - Fazit: alte und neue globale „Eliten“ aus Systemen und Lebenswelten S.-47 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 48 Globale Kommunikationsmodi der Akteure: ein Kontinuum S.- 48 - Globale Interaktivität jenseits der Massenmedien? S.-50 - Synchronisation der Weltöffentlichkeit: das Problem der Massenmedien S.- 51 - Lokal-globale Mehrebenen-Medienöffentlichkeit(en) S.-53 - Globale Organisationskommunikation <?page no="6"?> 6 Inhalt zwischen Diskurs und Interaktion S.-54 - Informalität und Mediatisierung der Organisationskommunikation S.-56 - Globale Innen-/ Außen-Hybridität S.-57 Globale Interaktionspotenziale nicht-organisierter Sozialsysteme S.-58 - Globale Lebenswelten und Gruppenkommunikation S.-61 - Mobilität, erweiterter Interaktionsraum und das Rollenproblem S.-61 - Soziale Medien und globaler Monolog/ Dialog S.-63 - Fazit: Weltgesellschaft, Weltgemeinschaft und globale Kommunikation als ein multiples Phänomen S.-64 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen� � � � � � � � � 64 Kommunikation und zwischenstaatliche Beziehungen S.-64 - Medien und nationale/ internationale Systembeziehungen S.-66 - Beziehungen zwischen Massenmedien, Handlungssystemen und Lebenswelten S.-69 - Fazit: horizontale und vertikale Interdependenzen im dominanten und akzidentellen Modus S.-74 2 MASSENMEDIEN - Weltöffentlichkeit � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 77 2.1 Systeme und Systemwandel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 79 Ein Grundmodell der globalen Massenkommunikation S.- 79 - (Trans-)Nationale Medienethik und Professionalismus S.-83 - (G)lokale Medienproduktion S.- 84 - Globale Rezeptionskluft: Informationsmassen und -eliten S.- 86 Umweltsystem Politik: Nationalstaatliche Hegemonie S.- 88 - Umweltsystem Ökonomie: Grenzen der Transnationalisierung S.-89 - Nicht-klassische Massenmedien: erweiterte Hypermedialität S.- 92 - Fazit: Interdependenzlücken und die Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten S.-93 2.2 Kommunikative Systemverbindungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 94 2.2.1 Diskursanalyse � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 94 Grundlagen: Interdiskursivität, Konvergenz und Domestizierung von Mediendiskursen S.-94 - Fragmentierte Nachrichtenagenda: die Spitze des Eisbergs der Globalisierung S.-96 - Globales Framing oder domestizierte Diskurse? S.-98 Visuelle Globalisierung und Stereotypie S.-101 - Transnationale Medien: Contra Flows ohne Kosmopolitismus S.-102 - Fazit: unvollendete Synchronisation globaler Mediendiskurse S.-104 2.2.2 Öffentlichkeitstheorie � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 104 Theoretische Perspektiven auf die „Weltöffentlichkeit“ S.-104 - Die Rolle der Weltöffentlichkeit für die Weltgesellschaft S.- 106 - Alternative Öffentlichkeitstheorien: „dialogischer“, konstruktiver und kosmopolitischer Journalis- <?page no="7"?> 7 Inhalt mus S.- 107 - Weltöffentlichkeit und Global Governance: das Beispiel Europas S.-109 - Gesamtfazit: Weltöffentlichkeit, Weltgesellschaft und verzögerter Strukturwandel der Massenmedien S.-111 3 POLITIK - globale Kommunikation des Staates � � � � � � � � � 113 3.1 Systeme und Systemwandel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 113 Akteure, Zielpublika und „dritte Räume“ der globalen Kommunikation S.-113 - Diplomatie: Realismus vs. Konstruktivismus S.-115 - Second-Track-Diplomacy und Global Governance S.- 116 - Zielpublika der Public Diplomacy S.- 119 - Neue Kommunikator-Rollen in der Außenpolitik S.-120 - Fazit: inkonsequenter Wandel zur „Weltinnenpolitik“ S.-121 3.2 Kommunikative Systemverbindungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 121 3.2.1 Interaktion und Dialog � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 122 Interessen, Werte und Kommunikation S.-122 - Prozessstufen und Metakommunikation der Diplomatie S.-123 - Agenda-Setting und Framing in politischen Verhandlungen S.-125 - Diplomatie-Mediation: von der Interaktion zum Dialog S.-126 - Signaling als non-verbale globale Kommunikation S.-127 - Fazit: Global Governance als diplomatische „Standleitung“? S.-128 3.2.2 Interaktion und Organisationskommunikation � � � � � � � � � � � � � � 130 Informalität auf der Beziehungsebene globaler Kommunikation S.-130 - Trends der Informalität: Staatengruppen-Netze statt Kulturgrenzen S.-131 - Diplomatie-Protokoll als globale Symbolkommunikation S.- 132 - Cyber-Diplomatie: neue Dynamik, alte Substanz S.-133 - Globale Deutungsräume im Text-Sprech- Verhältnis S.-135 - Fazit: Kontinuität im Wandel der globalen Diplomatiekommunikation S.-136 3.2.3 Beobachtung und Diffusion � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 136 Kommunikative Multikompetenz des Staates S.- 136 - Botschafter und Geheimdienste als Informationsbeschaffer S.-137 - Media Monitoring als globale Beobachtungs-Beobachtung S.- 138 - Fazit: Wissensmanagement zwischen Rationalität und Machtpolitik S.-139 3.2.4 Diskursive (externe) Kommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 140 Intransparenz von Handlungssystemen S.-140 - Public Diplomacy / Propaganda S.-140 - „Verstehende“ Persuasion S.-142 - Auswärtige Kulturpolitik: „Dialog“ der „Kulturen“? S.-144 - Kriegskommunikation: die Wiederkehr der globa- <?page no="8"?> 8 Inhalt len Desinformation S.-146 - Auslandsrundfunk: mehr als Persuasion? S.-148 Public Diplomacy 2.0 S.- 150 - Gesamtfazit: staatliche Weltkommunikation zwischen Integration und Abgrenzung S.-151 4 WIRTSCHAFT - globale Unternehmenskommunikation � � � � 153 4.1 Systeme und Systemwandel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 153 Perspektivwechsel: globaler Institutionalismus S.- 153 - Macht und Kommunikation in globalen Unternehmen S.-155 - Technische Klüfte und kosmopolitisches Lebensweltkapital S.- 158 - Zur Kritik der essenzialistischen Wirtschaftswissenschaft S.- 159 - Fazit: ethische Unberechenbarkeit des globalen Kapitalismus S.-160 4.2 Kommunikative Systemverbindungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 161 4.2.1 Interaktion und Dialog � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 162 Neues dialogisches (Ver-)Handeln in globalen Unternehmen S.- 162 - Unternehmenskultur und globales Storytelling S.-164 - „Ketten“, „Sterne“ usw.: Netzwerkstrukturen als Kommunikationskanäle S.-166 - Globale Teams als re-konfigurierte Weltgemeinschaften S.-167 - Ist das Netz die globale Botschaft? S.-168 Fazit: die Dimensionen der globalen Wirtschaftsinteraktion S.-170 4.2.2 Interaktion und Organisationskommunikation � � � � � � � � � � � � � � 171 Informalität als Forschungsdesiderat S.- 171 - Mündliche Kommunikation und globale Sprachkompetenz S.- 172 - Mediatisierung globaler Wirtschaftskommunikation S.- 173 - Face-to-Face-Kommunikation in globalen virtuellen Teams S.-175 - Fazit: „Global Cities“ statt „Death of Distance“ S.-176 4.2.3 Beobachtung und Diffusion � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 177 Ökonomische Wissensklüfte S.- 177 - Globale Wissensdiffusion und lokale Adaptation S.-177 - Grenzen globaler Zirkulation und Weltbeobachtung S.-178 Wissenskapitalismus statt globaler Wissensgesellschaft S.-180 - Fazit: die „halbe Moderne“ im globalen Wissensfluss S.-182 4.2.4 Diskursive (externe) Kommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 182 Direktmarketing als globaler Mikrokontakt S.-182 - Werbung und PR: dominanter Kulturalismus S.- 183 - „Glokales Marketing“ ohne kosmopolitische Codes S.- 185 - Gesamtfazit: Kapitalisten sind doch (keine) Internationalisten S.-186 <?page no="9"?> 9 Inhalt 5 ZIVILGESELLSCHAFT und globale Bewegungskommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 189 5.1 Systeme und Systemwandel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 190 Internationale NGOs: Graswurzel oder Eigeninteressen? S.-190 - Soziale Bewegungen: Informations- und Mobilisierungspolitik S.-191 - Krise globaler Bewegungen? S.-192 - Dünne Ideologie, Fragmentierung und globale Netze S.-193 Nord-Süd-Kluft und sozialräumliche Bindungen S.-195 - Fazit: Weak Ties und Low Risk der globalen Zivilgesellschaft S.-196 5.2 Kommunikative Systemverbindungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 197 5.2.1 Interaktion und Dialog � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 197 INGOs und globale Interaktion S.- 197 - Face-to-Face-Kommunikation in sozialen Bewegungen S.- 197 - Bumerang-Effekte und Domestizierung S.- 199 Interaktion und globale Scale-Shifts S.- 200 - Netzwerke und Nord-Süd- Eliten S.- 201 - Massenmedien als interne Systemumwelt S.- 203 - Fazit: ein hybrides Interaktions-Medien-System S.-205 5.2.2 Interaktion und Organisationskommunikation � � � � � � � � � � � � � � 207 Internet: Mediatisierung als Ressource S.- 207 - Internet verstärkt interaktionsarme Weak Ties S.-209 - Neue Aktivismusformen und alte (Nord-Süd-) Klüfte S.-210 - Globale Text-Konversations-Kreisläufe? S.-211 - Informalität als Inzivilität: Wer ist Teil der globalen Zivilgesellschaft? S.-213 - Fazit: Weak- Tie-Globalisierung durch Digitalisierung S.-214 5.2.3 Beobachtung und Diffusion � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 215 Alternative Informationspolitik S.-215 - INGO-Expertise vs. symbolische TAN- Ressourcen? S.-215 - Informationsqualität und Zirkulationsgrenzen S.-216 - Fazit: neue globale Wissenseliten S.-218 5.2.4 Diskursive (externe) Kommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 218 Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit S.- 218 - Kosmopolitische PR? S.- 219 - Gesamtfazit: Zivilgesellschaft als erweiterte Weltöffentlichkeit S.-222 <?page no="10"?> 10 Inhalt 6 GROSSGEMEINSCHAFTEN - globale Netzkommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 225 6.1 Systeme und Systemwandel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 226 Gemeinschaft und Gesellschaft S.- 226 - Virtuelle Gemeinschaft und Konstruktivismus der Ortlosigkeit S.- 227 - Strukturalistische soziale Kopräsenz und „Re-Tribalisierung“ S.- 228 - Das Reziprozitätsmodell der globalen Netzgemeinschaft S.- 230 - Globales Sozialkapital: Kosmopolitismus oder Kulturkampf? S.-233 - Fazit: Weltgemeinschaft oder Weltgesellschaft? S.-235 6.2 Kommunikative Systemverbindungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � 235 6.2.1 Interaktion und Dialog � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 236 Das Kaskadenmodell der globalen Netzkommunikation S.- 236 - Konnektivität: Internet-Geographie und Online-Territorien S.-237 - Digitale Gräben und Multilingualisierung des Netzes S.- 239 - Relationalität: Asynchronität und Gemeinschaftsdichte S.-241 - Dialogizität- 1: globale Echokammern S.-242 - Dialogizität-2: Pop-Kosmopolitismus, Gaming und „globale Metropolis“ S.-244 Dialogizität- 3: digitale (trans-)kulturelle Salons S.- 246 - Diskursgemeinschaft durch Mediennutzung S.-249 - Fazit: globale Weltinteraktionsgemeinschaft? S.-250 6.2.2 Beobachtung und Diffusion � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 251 Globale Wiki-Wissensgemeinschaft? S.-251 - Wikipedia: Eurozentrismus des Weltbildes S.-252 - Separation und Qualität des Wissens S.-253 - Fazit: globale Weltwissensgemeinschaft? S.-254 6.2.3 Diskursive (externe) Kommunikation � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 255 Interkultureller Dialog vs. globaler Netzkrieg S.-255 - Antinomie von Binnen- und Außenkapital S.- 257 - Gesamtfazit: soziale Netzwerke als Weltgemeinschaft(en) im Plural S.-258 7 KLEINGRUPPEN - globale Lebensweltkommunikation I � � � � 261 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation � � � 262 Vernachlässigte Gruppenforschung S.-262 - Globale Handlungskontexte stationärer Gruppen S.-264 - Geopolitische Verortung von Urbanität S.-265 - Mobile Handlungshorizonte S.-266 - Digitale Raumverschiebungen von Gruppenstrukturen S.-268 - Zeitliche Strukturen globaler Gruppenkommunikation S.-269 - Kontakt als symbolische Ressource der Gruppenkommunikation S.-270 - Fazit: Wandel und Beharrung der Kleingruppe in der Globalisierung S.-271 <?page no="11"?> 11 Inhalt 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt � � � � � � � � � � � 272 7.2.1 Interaktion und Dialog � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 272 Transnationale Konnektivität der Lebenswelt S.- 272 - Das Interaktionsparadoxon der globalen Gruppenkommunikation S.- 275 - Ein theoretischer Fehlschluss interkultureller Kommunikationsforschung S.- 276 - Interaktionsmuster der globalen Gruppenkommunikation: drei Fallanalysen S.- 278 Interaktivität- 1 - Zirkuläre Interaktion: das dialogische Modell der Weltgemeinschaft S.- 279 - Global Education und „Intimate Tourism“ S.- 280 Familien-/ Peer-Kommunikation und zirkuläre Weltgemeinschaft S.- 281 - Interaktivität 2 - Reziproke Interaktion: das hegemoniale Modell der Weltgemeinschaft S.- 283 - Migration und Tourismuskommunikation S.- 284 - Interaktivität 3 - Reziproke Diskurse: das diskursive Modell von imaginierter Weltgemeinschaft S.- 288 - Fazit: interaktive Gruppenkommunikation und partizipative Weltgemeinschaft S.-289 7.2.2 Beobachtung � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 291 Gemeinsame Beobachtung und mediales Schlüsselloch S.-291 - Lokale Kleingruppen und das Auslandsbild der Medien S.- 293 - Selbstreferentialität und Wir-Identität durch Medienbeobachtung S.-295 - Integration durch kulturverbindende Deutung globaler Mediendiskurse S.- 297 - Gesamtfazit: die Kleingruppe als „Normalfall“ oder „Störfall“ der globalen Kommunikation? S.-298 8 INDIVIDUUM - globale Lebensweltkommunikation II � � � � 301 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation � � � 301 Individualisierung als Metatendenz der Globalisierung? S.- 301 - Kosmopoliten und die Paradoxie des Wissens S.-303 - Kosmopolitismus als Sozialkapital S.-304 - Handlungsebenen des Kosmopolitismus S.-306 - Stereotype und individuelle Weltbeziehungen S.- 308 - Bedingungen des Stereotypenwandels S.-310 - Globale Sozialisation durch die Familie und Bildung S.-312 - Fazit: Ambivalente Weltbezüge individueller Lebenswelten S.-314 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt � � � � � � � � � � � 315 8.2.1 Interaktion und Dialog � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 315 Interpersonaler Dialog und Weltgemeinschaft/ -gesellschaft S.-315 - Dynamiken und Unwägbarkeiten des globalen Dialogs S.-317 - Strukturvarianten des globalen Dialogs S.-319 - Überlagerung von Beobachtung und Dialog S.-322 <?page no="12"?> Inhalt 12 Einflüsse digitaler Medien S.-324 - Fazit: Macht und Ohnmacht der individuellen Interaktion S.-324 8.2.2 Beobachtung und Diffusion � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 325 Diskursive globale Wissensverarbeitung des Individuums S.- 325 - Kritische Weltsicht durch Medienaneignung? S.- 326 - Weiterverarbeitungsfilter globalen (Nicht-)Wissens S.- 327 - Nicht-Wissen als Risiko in der Weltgesellschaft S.-331 - Fazit: Das Individuum auf dem Weg zur globalen Wissensoptimierung S.-331 8.2.3 Diskursive (externe) Kommunikation und globale Handlungen � 332 Kosmopolitisches Handeln und Rollenanpassung S.-332 - „Innere“ und „äußere Globalisierung“ synchronisieren S.-333 - Gesamtfazit: Das globale Individuum zwischen „Genie“ und „Wahnsinn“ S.-334 9 INTERDEPENDENZEN von Systemen und Lebenswelten � � � � 335 9.1 Grundlagen der Interdependenz � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 335 Forschungsprimat der lokalen (Inter-)Dependenz S.- 335 - Dimensionen und Ebenen der Interdependenz S.-336 9.2 Globale horizontale Interdependenz � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 338 Globale Kommunikation als notwendige Bedingung S.-338 - Globale regulative Kopplung als hinreichende Bedingung S.-341 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz � � � � � � � � � � � � 342 Politik - Medien - Öffentlichkeit: global erweitertes Indexing S.-342 - Zivilgesellschaft - Medien - Politik: Inversion der Dependenz S.-346 - Lebenswelten - Medien - Politik: Dekolonisierung durch Globalisierung? S.-350 - Fazit: Interdependenz - vielfältig, aber unvollständig und reversibel S.-352 FAZIT UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 355 Gesamtbilanz S.-355 - Zukunftsperspektiven S.-359 DANKSAGUNG � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 365 LITERATURVERZEICHNIS � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 367 ABBILDUNGSVERVERZEICHNIS � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 433 <?page no="13"?> Einleitung Die Globalisierung ist auf dem Markt der Ideen in der Gegenwart nahezu konkurrenzlos. Wie kein anderes Phänomen prägt sie unser Denken und stiftet eine die gesamte Menschheit verbindende Vision der Gleichzeitigkeit, der Verbundenheit und sogar der Gemeinsamkeit. Jenseits des Horizonts der Globalisierung warten nur noch die Sterne, über die wir noch keine sozial‐ wissenschaftlichen Aussagen tätigen können. Diesseits der Globalisierung hingegen gibt es keine echten Fortschrittsvisionen, denn alle anderen sozia‐ len Formationen - von der Familie über das Dorf bis zum Nationalstaat - gibt es ja bereits. Die Lokalisierung ist zwar irgendwie der Gegenpol zur Globa‐ lisierung, besitzt aber keinerlei echte Bedeutung als Fortschrittsidee für die Menschheit. Die Globalisierung entfaltet damit eine einzigartige geistige Anziehungskraft, obwohl sie noch unvollendet und in die Zukunft gedacht erscheint, was auch erklärt, warum sie zugleich ein politischer Kampfbegriff geworden ist. Zwischen Globalisierungsbefürwortern und -gegnern tun sich politische Gräben auf. Nach der Euphorie um Globalisierung kam die Ernüchterung und mit ihr wuchs die Gegnerschaft. Vision, Schimäre, Chamäleon - all das ist die Globalisierung. Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten Der Begriff Globalisierung ist aus solchen Gründen in den letzten Jahrzehn‐ ten auch eines der bedeutsamsten Erklärungsmodelle der Wissenschaft mit erheblicher gesellschaftlicher Relevanz geworden. Er verweist auf nichts Geringeres als auf eine prinzipielle Neuordnung politischer, ökonomischer und sozialer Beziehungen mit Blick auf die Beseitigung oder Überwindung der bisherigen staatlichen und kulturell-sprachlichen Grenzen. Trotz dieses weitgehend geteilten alltagstheoretischen Verständnisses von Globalisie‐ rung kann von einer eindeutigen Definition des Begriffs auch im engeren wissenschaftlichen Diskurs allerdings nicht die Rede sein. Das Konzept der Globalisierung, wie es in diesem Buch verwendet wird, bedeutet nicht einfach „Universalität“, die Vorstellung also, dass Menschen heute weltweit in ähnlichen Formen der (technischen usw.) Moderne leben, die sich auf mysteriöse Weise über den Erdball ausgebreitet hat. Globalisie‐ rung wird vielmehr explizit als „Konnektivität“ verstanden (Axford 2013, S. 22). Es geht dabei um die Frage, wie Medien, Systeme und Lebensweltak‐ <?page no="14"?> teure mit vielfältigen Arten der menschlichen Kommunikation Grenzen überschreiten und ob und wie diese kommunikative Weltentgrenzung mit neuen Formen einer integrativen Welt- und Wissensgemeinschaft und -gesellschaft zusammenhängt. Die Globalisierung ist gewissermaßen ein Mythos im umfassenden Wort‐ sinn geblieben - nicht, weil sie gar nicht realisiert worden wäre, sondern weil die mit ihr verbundenen Phänomene ambivalent bleiben. Rückschläge der und Gegentendenzen zur Globalisierung lassen sich allenthalben erken‐ nen. Der deutsche Soziologe Richard Münch hat die Herausforderungen der Globalisierung klar benannt. Er geht davon aus, dass die wachsende Interdependenz zwischen den Staaten von den nationalen Bevölkerungen vielfach keineswegs unmittelbar nachvollzogen wird, sondern dass sich politische, ökonomische und gesellschaftliche Eliten in einer Vermittlerrolle befinden, aus der heraus sie den Nationalstaat nach außen öffnen, während sie zugleich nach innen um Vertrauen für diese Politik werben müssen (1998, S. 350ff.). Münch spricht von einer Spaltung zwischen der „Avantgarde“ einer „global denkenden Modernisierungselite und eine(r) umso heftiger auf nationale Solidarität pochende(n) Masse“ (ebenda, S. 352). Eine weltbürger‐ liche Gemeinschaft zu schaffen, hält er für eine zentrale Gegenwartsaufgabe. Trotz eines gewissen Unbehagens an den Konzepten der „Elite“ und der „Masse“ erinnert Münchs Analyse an frühere Unterscheidungen wie die von Richard K. Merton zwischen „Kosmopoliten“ (cosmopolitans) und „Einheimischen“ (locals) (1968, S. 441ff.) oder an den Begriff der „Globali‐ sierung der zwei Geschwindigkeiten“ von Kai Hafez (2009a, S. 14ff.). Die Ungleichzeitigkeit der Globalisierung betrifft nicht nur soziale Gruppen, sondern auch organisierte Sozialsysteme, zum Beispiel die Massenmedien, die in den vergangenen Jahrzehnten eine „tektonische Verschiebung“ erlebt haben, weil technische und ökonomische Aspekte der Medienglobalisierung vielfach schneller vorangeschritten sind als inhaltliche und weil im angeb‐ lichen Zeitalter der Globalisierung weder mehr noch vielfältiger über die Welt berichtet wird als zuvor (Hafez 1999). Im Gegenteil: Die Ressourcen des Auslandsjournalismus sind knapper geworden, was folglich dazu beiträgt, dass strukturelle politische und ökonomische Interdependenzen zwischen Staaten wachsen, ohne dass das dialogische und diskursive Verständnis der Gesellschaften automatisch mitwächst, was wiederum innen- und außen‐ politische Feindbilder und Konflikte anheizt (ebenda, vgl. a. Stone/ Rizova 2014). Einleitung 14 <?page no="15"?> Ähnlich uneinheitlich verläuft auch die innere Entwicklung der vorgeb‐ lichen globalen Eliten. Selbst der liberale Gesellschaftsteil denkt und agiert vielfach alles andere als kosmopolitisch und bleibt tief verwurzelt in natio‐ nalem Habitus (Müller 2019a, 2019b). Die politischen und wirtschaftlichen Systeme tragen in ihrer ambivalenten Haltung gegenüber der Globalisierung zur Globalisierungsfeindlichkeit manch politischer Strömungen bei, wenn‐ gleich ihr Globalisierungstempo insgesamt ein höheres sein mag als das der Lebenswelten der Bevölkerungen. Zumindest erscheint die „Globalisierung des Alltags“ von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften bei genauerem Hinsehen wenn auch heterogen dennoch träger als die von Politik und Wirtschaft zu sein. Trotz zahlreicher „globaler Injektionen“ durch Waren, Massenmedien und punktuelle globale Mobilität in den Privatwelten von Menschen sind diese doch nach wie vor stark lokal geprägt. Die „Globa‐ lisierung der zwei Geschwindigkeiten“, die „Kluft zwischen Avantgarde und Massen“, die „tektonische Verschiebung“ der „Ambivalenzen“: All dies sind mehr oder weniger treffende Bilder für die heterogene Stellung von Systemen und Lebenswelten im Prozess der Globalisierung. Die Renaissance rechtsradikaler Politik weltweit mit ihren Symptomen wie der Wahl Donald Trumps in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem „Brexit“ in Großbritannien und rechtspopulistischen Regierungen in so unterschiedlichen Ländern wie Ungarn, Polen, Brasilien oder Indien - vom Islamismus ganz zu schweigen - ist als anti-globalistische Revolte zu deuten. Spätestens der Rechtspopulismus in Regierungsverantwortung beweist, wie wenig die Gesellschaften der Welt auf die Globalisierung eingestimmt sind und dass Vieles im Bereich der Internationalisierung in den letzten Jahrzehnten eher oberflächliche und kulturell unverdaute Warenzirkulation geblieben ist. Selbst eine weltumspannende und - man könnte meinen verbindende - Pandemie wie die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 seit Beginn des Jahres 2020 verläuft nicht ohne globale Wahrnehmungsdiskrepanzen. Die Perzeption der globalen Pandemie scheint abhängig davon zu sein, wie lokal über sie kommuniziert wird. Keineswegs erzeugen diese medialen und öf‐ fentlichen Konstruktionen auf Knopfdruck globale Solidaritätsnarrationen, sondern es werden ebenso lokal existierende Länderklischees aufgewärmt, rassistische Reaktionen verstärkt und eine Deutung der Globalisierung als Hochrisikoangelegenheit bemüht. Die Überbetonung des Negativen in der Ferne ist dabei keineswegs neu oder besonders, sondern eine bekannte Einleitung 15 <?page no="16"?> Begleiterscheinung der globalen Moderne. Die „Ferne“ ist in ihrer und durch ihre kommunikative Vermittlung noch nicht hinreichend nah gerückt. Medien, Systeme und Lebenswelten in der globalen Kommunikation In der zeitgenössischen Diskussion gibt es zahlreiche Versuche einer Ursa‐ chenanalyse für den populistischen Rückschlag: Rassismus und kulturelle Überforderung, soziale Deprivation oder eine Kombination aus beiden Faktoren (Geiselberger 2017). Bislang existiert allerdings kein Ansatz, der die Verantwortung bei kommunikativen Defiziten sucht, also im Bereich der von Münch als notwendig beschriebenen „Vermittlungsleistungen“. Die Vorstellung aber, man könne globale Kommunikation quasi als feste Variable voraussetzen, während alle anderen Motive des globalen sozialen Handelns schwanken, ist grundfalsch. Weltweite Konnektivität ist ebenfalls ein heterogenes Phänomen, dessen Bilanz sich dieses Buch widmet. Bis zum heutigen Tag beschäftigt sich kein Werk wirklich umfassend mit den grenzüberschreitenden Kommunikationsprozessen innerhalb wie auch zwischen den sozialen Systemen und Lebenswelten dieser Welt. Dabei erscheint es recht offensichtlich, dass die organisierten Systeme der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, dass also Staat, Unternehmen, Verbände und soziale Bewegungen, über bessere Voraussetzungen zur globalen Kommu‐ nikation verfügen als viele Bürgerinnen und Bürger. Bei der globalen Kommunikation geht es um den Umgang mit räumlicher Distanz und um grenzüberschreitende Kontakte. Mit hoher Intensität und Nachhaltig‐ keit zu interagieren und sprachübergreifend lokale Diskurse in anderen Erdteilen zu verfolgen, kann ein aufwendiges Unterfangen sein, für das viele Organisationen und die globale Avantgarde der Zivilgesellschaft trotz Massentourismus und kultureller Austauschprogramme besser ausgestattet sind als die meisten Privatpersonen. Zieht man zudem die Wohlstandskluft zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern in Betracht, so wird deutlich, dass globaler Tourismus überhaupt nur einem kleinen Teil der Menschheit möglich ist. Statistisch gesehen ändert auch die Migration an diesem Sachverhalt wenig, denn weltweit leben lediglich etwa 3 Prozent der Menschen außerhalb des Landes, in dem sie geboren wurden (IOM UN Migration 2018, S. 18). Auf der anderen Seite zeigen globale soziale Bewe‐ gungen und internationale Netzgemeinschaften in welch faszinierendem Tempo zumindest ein Teil der Bevölkerungen globale Distanzen kommu‐ nikativ überwinden kann. Globales „Fremdverstehen“ und eine „globale Einleitung 16 <?page no="17"?> Bürgergesellschaft“ sind keine Fantastereien mehr - das macht sie aber trotzdem noch nicht zu einer allumfassenden Realität. Einen theoretischen wie empirischen Überblick über die disparaten Leis‐ tungen und Defizite der globalen Kommunikation zu verschaffen, ist die Intention dieses Buches. Dabei scheint die grundlegende Kapitelgliederung des Werkes nach sozialen Akteuren (Massenmedien, Staat, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Großgemeinschaft, Kleingruppe und Individuum) statt nach Kommunikationsprozessen (wie Interaktion, Diskurs, Beobachtung) für eine Studie über globale Kommunikation erklärungsbedürftig zu sein. Zunächst einmal ist ersichtlich, dass Kommunikationsprozesse kopräsent sind, da sie die interne Gliederung der einzelnen Kapitel prägen. Die tiefere Ursache für den Hauptaufbau liegt aber in einer Herangehensweise begrün‐ det, die man als Mittelweg zwischen strukturalistischer und konstruktivis‐ tischer Betrachtungsweise bezeichnen kann. Im Rahmen der theoretischen Einführung wird ein System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz vorgestellt, der davon ausgeht, dass Kommunikation kein frei flottierendes Epiphänomen ist, sondern nur verstanden werden kann, wenn die Kommunikatoren in ihren jeweils spezifischen Voraussetzungen und Fähigkeiten reflektiert werden. Die Autoren dieses Buches schließen sich der Ansicht an, dass in der heutigen Globalisierungsforschung ein „Mangel an akteurs- und praxis‐ zentrieren Studien“ besteht (Schmitt/ Vonderau 2014, S. 11) und dass das handelnde Subjekt wieder in die Analyse einbezogen werden muss, um zu einer überzeugenden Theoretisierung zu gelangen (Hay/ Marsh 2000, S. 13). Um ein Beispiel zu nennen: Ein egozentriertes globales Netzwerk eines Individuums ist etwas ganz Anderes als ein Unternehmensnetzwerk, was den prominenten Begriff der globalen „Vernetzung“ (u. a. Castells 2001) nur dann sinnvoll erscheinen lässt, wenn man die konkrete sozialtheoretische Verwendung mitdenkt. Globale Kommunikation wird also erst durch die Verbindung von kommunikationswissenschaftlichen Prozesstheorien mit sozialwissenschaftlichen Strukturtheorien verständlich. Im vorliegenden Werk werden auf der Prozessebene unter anderem Diskurs-, Interaktions-, Organisationskommunikations- und Diffusionstheorie sowie Ansätze der Inter-/ Intra-Gruppensowie der interpersonalen Kommunikation und der Stereotypentheorie verwendet. Auf der Strukturebene kommen Theoreme der Mediensystemforschung und der Öffentlichkeitstheorie, der allgemei‐ nen System-, Organisations- und Zivilgesellschafstheorie sowie der Le‐ benswelt- und Handlungstheorie zum Zuge. Da derzeit keine einheitliche Einleitung 17 <?page no="18"?> Globalisierungstheorie zur Verfügung steht, haben wir uns bemüht, die unterschiedlichen Ansätze in der modularen Theoriebildung in einen mög‐ lichst stringenten Analyserahmen zu fügen, der die globale Kommunikation als Gesamtphänomen erklärt. Trotz der Breite des Überblicks über verschiedene Teile der Gesellschaft müssen auch einige Leerstellen dieses Buches benannt werden, weil be‐ stimmte Bereiche nicht einbezogen worden sind. Zum Beispiel sind weder dem globalen Wissenschaftssystem noch dem Kunst- und Kultursektor im engeren Sinne eigene Kapitel gewidmet worden. Bei den tatsächlich untersuchten Sozialsystemen sind im Bereich der Politik der Staat und nicht Parteien und Verbände, in der Wirtschaft die transnationalen Unternehmen und nicht der Handel und bei der Zivilgesellschaft NGOs und soziale Bewegungen, nicht aber Vereine und Verbände einbezogen worden. Die Darstellung der Großgemeinschaften beschränkt sich auf Netzgemeinschaf‐ ten und bei der Reflexion der Kleingruppe ist ebenfalls nicht jeder einzelne Typus berücksichtigt worden. Dennoch wollen wir behaupten, dass das vorliegende Handbuch einen systematischen Überblick über die meisten zentralen Felder der globalen Kommunikation bietet, von den Massenme‐ dien über organisierte Handlungssysteme bis hin zu wesentlichen Bereichen der Lebenswelten, und sie vielleicht erstmals in eine Gesamtschau fügt. Diese Arbeit betrachtet sich dennoch als Teil eines langfristigen Projekts im Bereich der kommunikationsorientierten Globalisierungsforschung, dem weitere Analysen folgen sollten. Phasen der Globalisierungsforschung Globalisierung, verstanden als Lehre der nationalen Grenzüberschreitung, ist einer der bedeutsamsten wissenschaftlichen Referenzbegriffe, der im 21. Jahrhundert allerdings in eine konzeptionelle Krise geraten ist. Der „selt‐ same Tod der ‚Globalisierung‘“ (Rosenberg 2005) hinterließ nicht wenige Protagonisten der Globalisierungsdebatte annähernd ratlos. Wie kam es zu dem raschen Niedergang des vielleicht schillerndsten wissenschaftlichen Paradigmas der Gegenwart? Ein Grund bestand sicher darin, dass der frühe „Hyperglobalismus“ von Autoren wie Anthony Giddens (2000), Ulrich Beck (1997), David Held und Anthony McGrew (2000, 2002) oder Manuel Castells (2001), der von der Globalisierung als einem geradezu allmächtigen Phänomen ausging, einfach zu vermessen gewesen war, um empirisch haltbar zu sein. Das Ende des Nationalstaates, die Transnationalisierung der Wirtschaft und die komplette Deterritorialisierung sozialer Beziehungen Einleitung 18 <?page no="19"?> waren als Visionen zu weitgehend und zu anspruchsvoll, um realisierbar zu sein. Gegen diesen ausufernden Normativismus formierte sich alsbald eine skeptische „zweite Welle“ der Globalisierungsforschung, die, wie es sich für einen ordentlichen Revisionismus gehört, die Grundannahmen des Feldes auf den Kopf stellte (Martell 2007). Aus Sicht der Kritiker wie Paul Hirst und Graham Thompson (1999), Colin Hay und David Marsh (2000), Terry Flew (2007) oder Kai Hafez (2005) war der Nationalstaat äußerst vital, die wirtschaftliche Globalisierung von begrenzter Tragweite und insbesondere die Vorstellung einer medial-kommunikativen Komplettvernetzung der Welt in weiten Teilen ein Mythos. Es gibt jedoch Gründe dafür, warum auch das „Post Mortem“ (Rosen‐ berg 2005) auf den Globalisierungsansatz ebenso verfrüht zu sein scheint wie der einstige Hyperglobalismus und wir uns mittlerweile in einer rea‐ listischeren „dritten Welle“ der Globalisierungstheorie befinden (Martell 2007). Absurderweise sind es gerade die einstigen Schwächen der Globali‐ sierungsforschung, die nun für ihr Überleben sorgen. Globalisierung ist nämlich eigentlich immer ein Schlagwort geblieben, das zwar ein neues Raumkonzept für die Wissenschaft heraufbeschworen hat, dabei aber nie eine kohärente sozialwissenschaftliche Theorie geworden ist. Wenn eher klassische Ansätze wie der Neo-Institutionalismus, der Funktionalismus oder auch die Akteur-Netzwerk-Theorie heute so vital zu sein scheinen (vgl. Kap. 1.2), dann auch deshalb, weil die Globalisierungstheorie ihre Potenziale nie wirklich ausgeschöpft hat. Die Transformation älterer Konzepte der Sozialtheorie wie „Nation“, „Gesellschaft“, „Öffentlichkeit“, „Organisation“ oder „Gemeinschaft“ ist in der Globalisierungsdebatte selten überzeugend gelungen. Kernbegriffe der Diskussion wie „Transnationalisierung“, „Welt‐ öffentlichkeit“, „Weltgesellschaft“, die „virtuelle Gemeinschaft“ oder das „globale Dorf “ (global village, McLuhan 1962) suggerieren eine einfache Deterritorialisierung bekannter Sozialkonzepte, ohne wirklich der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der raumlose Zustand die Dinge substanziell verändert. Was vormals „Gesellschaft“ war, ist global keine Gesellschaft mehr, ebenso wenig wie Öffentlichkeit oder Gemeinschaft noch nach be‐ kannten Regeln funktionieren. Dies aber bedeutet nichts anderes als eine Überforderung der Wissenschaft, denn es verlangt nach einer Aufgabe der Kompartmentalisierung von akademischen Fächern und Theorien (Axford 2013, S. 3) und nach einer Interdisziplinarität, die bis heute nicht eingelöst worden ist. Einleitung 19 <?page no="20"?> Eine der Hauptursachen für die Stagnation mag dabei sein, dass Kom‐ munikationsprozesse von den bekannten Vordenkerinnen und Vordenkern nie wirklich konsequent berücksichtigt wurden. Die Kommunikationswis‐ senschaft, die eigentlich eine zentrale Rolle in der Debatte spielen sollte, wurde von den in der Diskussion führenden Soziologen und Philosophen zu einer Hilfswissenschaft degradiert, deren Prozesslogiken vielfach unter nebulösen Begriffen wie „Vernetzung“ verborgen blieben. Bei Vordenkern wie Giddens oder Held wurde die Beschleunigung und Deterritorialisierung technikbasierter Kommunikation geradezu zur unhinterfragten Prämisse einer Forschung, die sich fortan nur Gedanken darüber machte, wann der Nationalstaat diesem Druck der grenzüberschreitenden Kommunikation zum Opfer fallen würde (Hafez 2005, S. 83ff.). Die Marginalisierung der Kommunikationstheorie hat eine der drei großen Ressourcen der Theorie‐ bildung - Macht, Kapital, Kommunikation - an den Rand gedrängt und den Primat der anderen beiden (und den ihrer wissenschaftlichen Disziplinen) für Jahrzehnte gesichert. Über die Ursachen für diese Ausgrenzung der Kommunikationstheorie kann man nur spekulieren. Lag es an der „Technophilie“, an einer übertrie‐ benen Faszination für neue digitale Möglichkeiten? Ähnlich wie bei früheren theoretischen Auseinandersetzungen zwischen Modernisierungs- und De‐ pendenztheoretikern waren die digitale Technikfixierung und die Unterbe‐ wertung sozialer Kommunikation immer auch Ausdruck eines Eurozentris‐ mus, weswegen es nicht verwunderlich ist, dass die Globalisierungsdebatte vor allem von den anglo-amerikanischen Ländern ausging - und auch von dort aus scheiterte. Bei all dem hat die Kommunikationswissenschaft sicher‐ lich auch eine Form der Selbstmarginalisierung betrieben, weil in ihr heute umfassende Makrotheorien weniger bedeutsam erscheinen als Teiltheoreme der Medienforschung oder der interpersonalen Kommunikation. Ein Fach, das sich die Makrotheorie der Öffentlichkeitstheorie oder der Systemtheorie (Habermas, Luhmann u. a.) von anderen Sozial- und Geisteswissenschaften borgt oder ihre Reflexion gleich ganz vernachlässigt, darf sich über seine Randstellung bei großen Wissenschaftsfragen nicht beklagen. Dass einer der beiden Autoren dieses Buches frühzeitig globalisierungs‐ skeptische Positionen äußerte, soll nun allerdings nicht bedeuten, dass das folgende Werk einfach der zweiten Welle der Globalisierungsdebatte zuzuordnen wäre. Zwar fließen zahlreiche revisionistische Fakten und Argumente in die nachstehenden Ausführungen und vor allem in die empirische Bilanz des gegenwärtigen Ist-Zustandes der globalen Kommu‐ Einleitung 20 <?page no="21"?> nikation ein. Zugleich wird aber versucht, auf der Basis einer fundierten Kommunikationstheorie das zu tun, was man eigentlich der „dritten Welle“ der Globalisierungsforschung zuschreibt. Diese geht zwar nicht mehr von einer generellen, alles durchdringenden und überformenden Globalisierung aus, erkennt aber globale „patterns of stratification across and within societies involving some becoming enmeshed and some marginalised“ (Martell 2007, S. 189). Auf der Basis einer skeptisch-revisionistischen Sicht der Dinge werden also zugleich Transformationspotenziale aufgezeigt, die auf eine tatsächliche neue Qualität der Globalisierung hinweisen, deren Auswirkungen auf die Welt heute allerdings noch recht unklar sind. Dieses Buch ist daher als ein realistisch orientierter Versuch einzuschätzen, auf der „dritten Welle“ der Globalisierungsforschung zu „reiten“. Einleitung 21 <?page no="23"?> 1 Theorie der globalen Kommunikation Der nachfolgende theoretische Aufriss beginnt mit einer Einführung in grundlegende Kommunikationsmodi, die erforderlich ist, da das vorliegende Buch nicht nur von globaler Massenmedienkommunikation handelt, son‐ dern politische und soziale Kommunikationsprozesse unterschiedlicher Art berücksichtigt. Im nächsten Schritt werden die Akteure der Kommunika‐ tion - organisierte und nicht-organisierte Sozialsysteme und Lebenswel‐ ten - in ihrem Verhältnis zu den Kommunikationsmodi vorgestellt. Es folgt eine Hinführung zu den jeweils spezifischen Kommunikationsformen der Sozialsysteme und Lebenswelten im globalen Raum. Den Abschluss bildet ein Kapitel, in dem die Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen den verschiedenen Kommunikationsweisen der Akteure im Sinne der Theorie der globalen Kommunikation grundlegend eingeführt werden. 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation Weltöffentlichkeit und Weltgemeinschaft: Synchronisation und Integration Für die globale und grenzüberschreitende Kommunikation sind unterschied‐ liche Konzepte von Bedeutung. Am bekanntesten ist wohl das der „Weltöf‐ fentlichkeit“ (global public sphere, Volkmer 2014, Sparks 1998). Bei Massen‐ medien sind wir es gewohnt zu fragen, ob es eine Weltöffentlichkeit gibt. Werden Diskurse und damit Themen, Frames, Begriffe, Symbole und Bilder in verschiedenen nationalen Mediensystemen oder sogar transnational, das heißt durch Medien, die in mehreren Mediensystemen agieren, zeitgleich verhandelt? Man kann diese Frage als Synchronisations- oder auch als Koorientierungsproblem bezeichnen und es auf einfache Art wie folgt formulieren: Beobachten die Menschen dieser Erde unsere Welt mit Hilfe von Medien in ähnlicher Weise? Führt die journalistische Selbstbeobachtung tatsächlich zu einer „Synchronisation der Weltgesellschaft“ (Blöbaum 1994, S. 261), indem sie uns ähnliches Wissen zur Verfügung stellt? Während der Begriff der „Öffentlichkeit“ weithin bekannt ist, spielen soziologische Konzepte wie „Weltgesellschaft“ oder „Weltgemeinschaft“ (Beck 1997, Rich‐ ter 1990) in der Kommunikationsforschung kaum eine Rolle. Der Begriff <?page no="24"?> der „Gesellschaft“ ist historisch eng mit dem Entstehen von medialer Öffentlichkeit verbunden. In einer Gesellschaft beobachten Menschen ihre Umwelt mit Hilfe von Medien (Kunczik/ Zipfel 2001, S. 47ff.). Der Begriff der „Weltgemeinschaft“ ist hingegen für die Kommunikationsforschung problematisch. Er evoziert ein anderes Problem als das der Synchronisation: das Interaktionsproblem, das zugleich ein Integrationsproblem ist. Während in Gesellschaften eine direkte Interaktion nicht unbedingt erforderlich ist, sondern Beobachtung mit Hilfe von Massenmedien von zentraler Bedeutung ist, entstehen Gemeinschaften durch Interaktion miteinander statt ledig‐ lich übereinander. Für Gemeinschaft, zumal für die lokale und stationäre Gemeinschaft, ist der zwischenmenschliche Dialog nahezu unabdinglich. Im Dialog optimieren wir unser Wissen und erzeugen den Wert eines gemeinsamen Wir-Gefühls. Es lassen sich also zwei Grunddefinitionen festhalten: a) Vernetzung als interpretative Informationsverarbeitung ohne Interaktion ist Beobachtung; b) Vernetzung als kooperative und integrative Informationsverarbeitung ist Interaktion beziehungsweise Dialog. Beide Kommunikationsformen sind für die menschliche Existenz bedeutsam. Zwar ist die Abgrenzung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft nicht so einfach, da auch „Nationen“ (im Unterschied zum Staat) Surrogatgemein‐ schaften in Großgruppen sind, die ein Wir-Gefühl entwickeln können, auch wenn keine direkte Interaktion zwischen allen Gemeinschaftsmitgliedern besteht. Hier könnte man den Begriff der „Diskursgemeinschaften“ einfüh‐ ren, die nicht durch direkte Interaktion, sondern durch eine weitgehend syn‐ chronisierte Öffentlichkeit zusammengehalten werden: Sprache, Geschichte und Kultur werden über Speichermedien hegemonial definiert, was die Vorstellung der Gemeinschaftlichkeit bedingen kann. Aber nationale Ge‐ meinschaften sind ebenso wenig wie „virtuelle Gemeinschaften“ (Rheingold 2000) voll entwickelte Gemeinschaften im Sinne einer dichten Interaktion, eines ausgeprägten Wir-Gefühls und klarer Handlungshorizonte. Wenn ein starkes Wir-Gefühl vorherrscht, wie häufig im Falle von Nationen (Patriotis‐ mus, Nationalismus), dann ist dies in der Regel eine Mischung aus Diskurs- und Interaktionsgemeinschaft: Identifikation wird im direkten Kontakt mit einer kleinen Zahl der Mitglieder der Gemeinschaft eingeübt, basiert ansonsten aber auf geteilten Erfahrungen einer (durch Medien vermittelten) Diskursgemeinschaft. Der Begriff der „Weltgemeinschaft“ ist nun ebenfalls als eine solche Kombination vorstellbar. Kosmopolitismus, also eine über das Konzept der „Nation“ hinausweisende, die Menschheit als Ganzes um‐ 1 Theorie der globalen Kommunikation 24 <?page no="25"?> fassende Weltanschauung, entsteht durch a) direkte grenzüberschreitende Interaktionen der Menschheit miteinander, b) durch (repräsentative) direkte Interaktion zwischen bestimmten Sozialsystemen über Grenzen hinweg (z. B. Politik, Diplomatie) und c) durch global synchronisierte und von den Massenmedien vermittelte Wissensbestände, Werte und Perspektiven. Die zentrale These, die in diesem Buch verfolgt wird, lautet: Massenme‐ dien allein können allenfalls „Weltöffentlichkeit“, nicht aber „Weltgemein‐ schaft“ erzeugen. Letztere entsteht, wenn überhaupt, nur durch die Mithilfe anderer Sozialsysteme sowie in den Lebenswelten des Menschen. Globale Massenkommunikation ist nicht nur, wie wir sehen werden, in ihrem derzeitigen Zustand kaum in der Lage, Öffentlichkeiten und Weltwissen zu synchronisieren, da die nationalen Mediensysteme weitgehend isoliert blei‐ ben. Sie ist auch durch die monologische Anlage von Medien - one-to-many statt face-to-face, person-to-person oder group-to-group - prinzipiell unfähig, gemeinschaftsbildende Dialoge zu erzeugen. Die folgende Abbildung 1.1 illustriert die beobachtende und Öffentlichkeit erzeugende Anlage des Me‐ diensystems sowie die interaktive und Gemeinschaften erzeugende Anlage anderer sozialer Systeme und Lebenswelten. Sozialsysteme und Lebenswelten Öffentlichkeiten kommunikative Weltgesellschaft Interaktionen kommunikative Weltgemeinschaft(en) Sozialsysteme und Lebenswelten Sozialsysteme und Lebenswelten Sozialsysteme und Lebenswelten globale Dialoge nationale Öffentlichkeit nationale Öffentlichkeit nationale Öffentlichkeit nationale Öffentlichkeit Ereignisse und Themen Abb. 1.1: Globale Kommunikation - Öffentlichkeiten und Interaktionen 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation 25 <?page no="26"?> Distanzwahrnehmung und Kosmopolitismus Warum benötigen wir ein erweitertes Leitbild? Weshalb betonen wir den Aspekt der Interaktion, des Dialogs und der partizipativen Gemeinschaft? Natürlich gibt es Beispiele dafür, dass Medien und Öffentlichkeit Empathie und ein Wir-Gefühl erzeugen können. Mediale Diskursgemeinschaften können unter besonderen Bedingungen ein Gefühl der Solidarität und Verbundenheit unter Menschen schaffen, das weit über die übliche natio‐ nale gesellschaftliche Koexistenz und das Nebeneinander paralleler Lebens‐ welten hinausweist. Diese Momente stehen aber gerade in Kriegs- und Krisensituationen patriotischen Grundstimmungen gegenüber, bei denen Mediendiskurse über die Verbreitung von Feindbildern dazu beitragen, die Länder und Bevölkerungen voneinander zu trennen (Hafez 2005, S. 69ff.). Positive Facetten von Weltöffentlichkeit - etwa einer von Medien in‐ duzierten kosmopolitischen Solidarität mit Geflüchteten - sind äußerst instabiler Natur. Lilie Chouliaraki hat gezeigt, dass Mediennarrationen über „entferntes“ (distant) Leiden dann am erfolgreichsten an der Konstruktion eines Gemeinschaftsbewusstseins (Kosmopolitismus) mitwirken, wenn sie Leiden humanisieren, individualisieren und durch das Aufzeigen gemeinsa‐ mer Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten Nähe erzeugen (2006). Wie instabil solche Phänomene allerdings sind, konnte man etwa an der deutschen Flüchtlingsberichterstattung und der öffentlichen Meinung zu diesem Thema in den Jahren 2015/ 16 erkennen (Hafez 2016, Georgiou/ Za‐ borowski 2017). Öffentliche Diskurse sind flüchtig, launisch und erratisch. Adaptiert man die Koorientierungsansätze der interpersonalen Kommu‐ nikation für die Medien, so versteht man, dass Beobachtung ein komplexer Prozess ist, bei dem sich schnell Fehlinterpretationen einstellen, etwa die sogenannte „kollektive Nichtbeachtung“ (pluralistic ignorance), die durch Annahmen darüber entsteht, wie andere ein Phänomen deuten (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 171ff., Bd. 2, S. 253ff.). Was denken die nicht-muslimischen Deut‐ schen auf der Basis von Medieninformationen, was Muslime über Terror denken? Und liegen sie damit richtig? Chouliaraki ist daher dahingehend interpretiert worden, dass auch unter den Bedingungen internationaler Medienberichterstattung der Spannungszustand zwischen universellem Be‐ wusstsein und einer spezifischen (lokalen) Involviertheit des Menschen dazu führt, dass in aller Regel globale Gemeinschaftlichkeit verhindert wird und die Selbstzuordnung zu einer partikularen Gemeinschaftlichkeit (Nation, „Kulturkreis“, Religionsgemeinschaft) unangetastet bleibt (Yilmaz/ Tranda‐ 1 Theorie der globalen Kommunikation 26 <?page no="27"?> foiu 2014, S. 7f.). Transkulturelle Fernkommunikation durch mediale Beob‐ achtung ist also nicht oder nur eingeschränkt gemeinschaftsbildend. Interaktion, Koorientierung und globale Übereinstimmung Die Frage ist daher: Muss nicht zur Beobachtung und Synchronisations‐ leistung der nationalen Öffentlichkeiten ein echter grenzüberschreitender Dialog treten, der die nationalen Systeme besser integriert und das Indivi‐ duum aus seiner lokalen Handlungsbegrenzung befreit? Zwar ist es richtig, dass historische traditionale Gesellschaften der Menschheitsgeschichte, die hochinteraktiven Stämme und Clans, die das Sozialleben in früheren Zeiten dominierten, zugleich hochgradig rassistisch und fremdenfeindlich waren und ihre Kriegsrate der moderner Gesellschaften durchaus ähnelte (Dia‐ mond 2013, S. 142ff.). Die Frage muss also lauten: Warum mehr Interaktion, wenn doch erst die moderne Gesellschaft mit ihren Institutionen wie Staat, Medien und Öffentlichkeit Regeln für die dauerhafte Existenz von Menschen im Herrschaftsraum anderer Gruppen geschaffen hat? Die Antwort ist, dass erst die in der Moderne erfolgende Interaktion über Grenzen hinweg - out-group statt wie früher in-group - die Fortschritte der Vernetzung der Welt möglich gemacht hat. Es ist weniger die Beobachtung durch Medien als die direkte Interaktion zwischen Staaten, die, um beim Beispiel zu bleiben, ein System von völkerrechtlichen Aufenthaltsberechtigungen und Staatsbürgerschaften geschaffen hat. Die direkte Interaktion zwischen politischen Systemen und Staaten ist also, ebenso wie der Austausch auf anderen Ebenen der Gesellschaft, ein unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Bilanz globaler Kommunikationsverhältnisse. Zwar führt nicht jede Form der Interaktion zu einem positiven kosmopolitischen Wir-Gefühl, weil in der Interaktion unterschiedliche Motive eine Rolle spielen können und auch Trennendes entdeckt werden kann. Zugleich besteht aber nur durch die direkte Interaktion überhaupt eine Chance, ein Wir-Gefühl als individuelles Erfahrungswissen zu etablieren, wie dies der Symbolische Interaktionismus behauptet. Bislang gibt es keine auch nur annähernd kohärente Theorie der interna‐ tionalen Gemeinschaft, die noch dazu Kommunikationsfragen zentral stellt. Es existieren aber zahlreiche Versatzstücke, wie die klassische Forschung der soziologischen Kommunikationstheorie, die allerdings eher kleingrup‐ penorientiert ist. George Herbert Mead und Herbert Blumer haben im Symbolischen Interaktionismus verdeutlicht, dass Bedeutungen der Welt durch gemeinsame Interaktionen entstehen (Mead 1934). Dabei spielt die 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation 27 <?page no="28"?> Interaktion mit sich selbst eine ebenso große Rolle wie die soziale Interaktion (Dialog). Die Grundlagen des Symbolischen Interaktionismus beschreibt Blumer wie folgt: „Weder betrachtet [der Symbolische Interaktionismus] die Bedeutung als den Ausfluss der inneren Beschaffenheit des Dinges, das diese Bedeutung hat, noch ist für ihn die Bedeutung das Ergebnis einer Vereinigung psychologischer Elemente im Individuum. Vielmehr geht für ihn die Bedeutung aus dem Interaktionsprozess zwischen verschiedenen Personen hervor. Die Bedeutung eines Dinges für eine Person ergibt sich aus der Art und Weise, in der andere Personen ihr gegenüber in Bezug auf dieses Ding handeln“ (1992, S. 25f.). Diese interaktionistische Herangehensweise unterscheidet sich vom Ko‐ orientierungsansatz. Kommunikationsvorgänge werden demnach durch ein Dreischrittverfahren charakterisiert: Sind mehrere Akteure („A“ und „B“ bei Newcomb) auf ein bestimmtes Symbol („X“ bei Newcomb) orientiert, gelten sie als „koorientiert“, ihre jeweiligen Bedeutungsinterpretationen können verglichen und das Maß an „Einverständnis“ (agreement) kann gemessen werden. Im nächsten Schritt kann ermittelt werden, inwieweit die Akteure selbst annehmen, dass ihre Bedeutungsauslegung mit der des anderen übereinstimmt, woraus das Maß der „Übereinstimmung“ (congruency) be‐ stimmt wird. Schließlich werden „Einverständnis“ und „Übereinstimmung“ in Bezug auf ihre „Genauigkeit“ (accuracy) verglichen (Newcomb 1953). Direkte soziale Interaktion unterscheidet sich von der sozialen Koori‐ entierung, die auf Beobachtungen im Alltag beruht oder aber vermittels Medien stattfinden kann. Sowohl Umweltobjekte als auch Medien kann man als X-Objekte betrachten, auf die Menschen (A und B) orientiert sind. Im Unterschied zur Interpretation von beobachtbarer Umwelt liefern Medien eine Art Beobachtungs-Beobachtung, die Beobachtung anderer wird zugänglich. Man kann auch von direkter und indirekter Beobachtung spre‐ chen. Medien sind hier Ressourcen zur Aushandlung der Welt, sie können Wissen schaffen, aber Sinndeutungen müssen auch im gemeinschaftlichen Rahmen ständig neu interaktiv ausgehandelt werden, um der Gesellschaft Stabilität zu verleihen. Beide Beobachtungsformen sind auch für den Prozess der globalen Kommunikation bedeutsam. Direkte Beobachtung der Welt erfolgt durch den physischen Prozess der Grenzüberschreitung durch Individuen (etwa im Tourismus, in der Diplomatie usw.). Eine auf Medien koorientierte Wahrnehmung der Welt vermittelt darüber hinaus Wissen, gelegentlich sogar kosmopolitische Grundstimmungen. Die direkte Interaktion des Menschen - gleich ob in 1 Theorie der globalen Kommunikation 28 <?page no="29"?> der privaten Lebenswelt oder als Rollenträger in politischen und gesell‐ schaftlichen Systemen - ist allerdings eine zusätzliche sinnstiftende und zudem für die emotionale Bindung der Weltgemeinschaft wichtige Funktion. Simultanität durch Beobachtung und durch Massenmedien (ebenso wie universelle menschliche Orientierungen und kosmopolitische Werte) sind also wichtige Voraussetzungen für das Weltverstehen. Sie sind aber noch nicht selbst das Verstehen, denn diese Kommunikationsprozesse vermitteln noch kein stabiles Bewusstsein der globalen Gemeinsamkeit (Axford 2013, S. 32), das nur durch direkte Interaktion und Erfahrungswissen entstehen kann. Die erfolgreiche Koorientierung durch Massenmedien ist zwar eine notwendige Voraussetzung für globale Gemeinschaftsintegration, sie ist aber nicht hinreichend, solange die Rückverhandlung oder Weiterverar‐ beitung ausschließlich in getrennten Sozialsystemen und Lebenswelten stattfindet (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 171ff., Grüne 2016, S. 421ff.). Reizvoll ist es an dieser Stelle, das berühmte Bild des Orchesters, das Alfred Schütz für Symbolische Interaktion geprägt hat, auf die Weltgemein‐ schaft zu übertragen. Schütz sagt, dass, um gute Musik zu spielen, man nicht nur die richtigen Noten vom Blatt lesen können muss, sondern auch immer darauf achten sollte, wie die Kollegen spielen (Schütz 1951, S. 94ff.). Sieht man die Welt als Orchester, dann reicht es nicht, sich beobachtend und mit Hilfe von Medien global zu koorientieren und mit der Welt zu synchro‐ nisieren, sondern man muss auch in eine direkte Kommunikation mit der Welt treten - Kosmopolitismus als Wert ist gut, globale Kommunikation als Praxis ist besser. Diskursive Weltgesellschaft/ dialogische Weltgemeinschaft: Kommunikationstheorien Im Unterschied zur Weltgesellschaft bilden sich in der Weltgemeinschaft nicht nur gemeinsame Ethiken wie Menschenrechte und Kosmopolitismus aus (Albert et al. 1996, S. 19, vgl. a. Etzioni 2004). Diese Ethiken können nur durch interaktives Handeln auf allen Ebenen entstehen, was den Übergang von der Weltgesellschaft zur Weltgemeinschaft zu einem intrinsisch kom‐ munikations- und dialogbasierten Projekt macht. Emanuel Richter: „[Es] kommt in jenen Vorstellungen zum Ausdruck, die sich als ‚kommunikatives‘ Modell der Welteinheit klassifizieren lassen. Dieses erhebt die geradezu revolutionäre Ausbreitung von kommunikativen Austauschprozessen in allen Lebensbereichen zum neuen Bestimmungselement des globalen Zu‐ sammenhangs. […] In der abstraktesten Formulierung stellt sich diese 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation 29 <?page no="30"?> Weltgemeinschaft als eine Art ‚kognitive Weltgesellschaft‘ dar, die in der Verallgemeinerung von Kommunikation schlechthin eine neue Form der Welteinheit erblickt. Diese systemtheoretische Einfärbung der Vorstellun‐ gen von der Welteinheit rückt also jenen Aspekt der Weltgesellschaft ins grelle Licht, der sich auf die Globalisierung von kommunikativen Austausch‐ prozessen bezieht“ (1990, S. 277). Philosophen wie Immanuel Kant, Richard Rorty, Jürgen Habermas oder Nancy Fraser haben über Jahrzehnte immer wieder ihre Visionen einer „dialogischen Weltgemeinschaft“ formuliert (vgl. Linklater 1998, S. 85ff.). Eine genaue theoretische Ausformulierung dieser Konzepte hat jedoch nicht zuletzt wegen der Zersplitterung der Geistes- und Sozialwissenschaften nie stattgefunden (Albert 2009). Neben den Theoretikern der sozialen Kom‐ munikation, der internationalen Beziehungen und politischen Philosophie sind Medienphilosophen sowie Kommunikations- und Netzwerktheoretiker der modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft ergiebig, wenngleich auch sie selten auf globale Verhältnisse Bezug nehmen. Zu den bekanntesten Medienphilosophen gehört Vilém Flusser, dessen kardinale Unterscheidung zwischen diskursiver und dialogischer Kommunikation an der Wurzel unserer eigenen, in ähnlicher Weise Beobachtung von Interak‐ tion trennenden Theoriebildung liegt: „Um Informationen zu erzeugen, tauschen Menschen verschiedene bestehende Informationen aus, in der Hoffnung, aus diesem Tausch eine neue Information zu synthetisieren. Dies ist die dialogische Kommunikationsform. Um Informationen zu bewahren, verteilen Menschen bestehende Informationen, in der Hoffnung, dass die so verteilten Informationen der entropischen Wirkung der Natur besser widerstehen. Dies ist die diskursive Kommunikationsform“ (2000, S. 16). Auch Jürgen Habermas orientiert sich an dieser grundlegenden Unterschei‐ dung zwischen Interaktion (beziehungsweise „kommunikativem Handeln“) und Diskurs, wobei er der Interaktion direkte Handlungskonsequenzen zuweist, während der Diskurs ein System der „möglicherweise existierenden Tatsachen“ ist, in dem das Individuum Informationen verstehen und deuten kann, ohne dass unmittelbare soziale Konsequenzen daraus entstehen (1971, S. 21f.). Flusser hat in seiner Medientheorie das bestehende Ungleichgewicht der Kommunikationsmodi in der Moderne beschrieben und ein Ende des Primats textbasierter Diskurskommunikation beschworen. Eine „Kommu‐ nikationsrevolution“ der Menschen sei erforderlich, so meinte er, ein „Ab‐ schirmen des Interesses der Menschheit gegen die sie programmierenden 1 Theorie der globalen Kommunikation 30 <?page no="31"?> Diskurse“ (ebenda, S. 47). Alphabetisierung der Moderne, Entwicklung des Buchdrucks, das Entstehen linearer Geschichtsschreibungen und der großen ideologischen Narrationen, inklusive moderner Nationalstaatsideen und moderner Kriege, sind bei Flusser aufs engste verbunden (ebenda, S. 56). Die Bevölkerung wird in diesem Prozess zur „Masse“, die Lebenswelt wird kolonisiert. Man mag Flussers Sprache pathetisch und seine Betonung des repressiven Charakters der Mediendiskurse angesichts der von ihm selbst ja konstatierten Unverzichtbarkeit von Dialog und Diskurs (ebenda, S. 16) widersprüchlich finden. Der Dualismus von diskursiver und dialogischer Kommunikation als Grundlage einer sozialen Kommunikationstheorie aber lässt sich in den Arbeiten zahlreicher Autoren erkennen. Weiterführend ist Michael Giesecke sicher einer der interessantesten Autoren, die sich mit Fragen von Medien, Dialogen, Kommunikationsproz‐ essen und Vergemeinschaftung beschäftigt haben. Gieseckes Denken ist grundlegend im Konzept der Kommunikationsökologie als dem Zusam‐ menwirken artverschiedener Kommunikationsformen verankert (2002). Menschliche Kommunikation basiert auf durch Medien ermöglichtem Be‐ obachten ebenso wie auf direktem lebensweltlichen Interagieren. Störungen und Pathologien entstehen aus Disbalancen, die das Zusammenwirken der verschiedenen Kommunikationstypen aus den Fugen geraten lassen (ebenda, S. 35): bekannt sind hier seine „Mythen der Buchkultur“. Giesecke beschreibt die moderne Kultur des Westens und der Aufklärung als zu text- und beobachtungszentriert. Sein Beispiel: Hätte sich Kolumbus auf den herrschenden Diskurs seiner Zeit verlassen, hätte er sich nie auf die Suche nach neuen Welten gemacht. Erst die direkte Beobachtung - an den Küsten angeschwemmte Funde von toten nordamerikanischen Ureinwohnern oder Bambusstämmen - und die Interaktion mit Gleichgesinnten ermutigten ihn zu seinen Abenteuern (ebenda, S. 114ff.). Gerade das Internet betrachtet Giesecke als Chance für eine neue Vision der Informationsgesellschaft, die die kommunikationsökologische Balance, die durch monologische Buch- und Pressekulturen zerstört wurde, wieder‐ herstellen kann. Dabei geht es nicht nur um eine Wiederbelebung des interpersonalen Dialogs, sondern vor allem um die Revitalisierung des Gruppen- und Mehrpersonengesprächs. Fraglich bleibt allerdings, wenn man den Hinweis von Giesecke weiterdenkt, welche theoretische Stellung man dem Gruppengespräch vor dem Hintergrund der Dichotomie von Diskurs und Dialog einräumen sollte: Steht es eher auf der Seite der „repressiven“ Verteilung medialen Wissens, indem es Medienagenden und 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation 31 <?page no="32"?> -diskurse weitervermittelt; oder dient es der kreativen Aneignung und interaktiv-dialogischen Sinndeutung? Interessant ist an Giesecke besonders, dass er die interkulturelle Fernbe‐ ziehung in seine Analyse einbezieht (2002, S. 145ff.). Er bestätigt, dass bei interkultureller Kommunikation seit Jahrhunderten der Kommunikations‐ modus der medialen Beobachtung dominiert hat, das Schreiben über und die Visualisierung von statt der Interaktion mit „Fremden“. Beobachtung statt dialogischem Austausch war ja auch der vorherrschende Modus des Kolonialzeitalters, das bis heute nachwirkt. Nach Giesecke haben wir in der Aufklärung eine Kultur der Neugierde, aber ohne echten Dialog, etabliert. Den Dialog bezeichnet er hingegen als Medium, um das „Gemeinsame der Menschheit“ hervorzubringen, und die neuen digitalen Medien erscheinen ihm als probates Heilmittel, auch wenn er hinzufügt: „Was immer mit dem globalen Dorf gemeint sein mag, es baut sich nicht allein auf dem Internet auf. Wir sind nicht nur durch Kabel, sondern auch durch andere Medien verbunden. Das ‚globale Dorfʻ bedarf unterschiedlicher Interaktions-, Ko‐ operations- und Kommunikationsmedien, wenn es zusammenhalten und funktionieren soll“ (ebenda, S. 376). Integrationistische Systemtheorien Literatur, die sich speziell mit der Frage der internationalen Kommunikation und Vergemeinschaftung beschäftigt, gibt es vergleichsweise wenig. Einige Pioniere haben jedoch die Auswirkungen von globaler Interaktion auf weltweite Vergemeinschaftung untersucht. Hier sind vor allem Autoren zu nennen, die Howard Frederick unter dem Label der „integrationistischen Systemtheoretiker“ zusammenfasst, wie etwa Karl W. Deutsch, Claudio Cioffi-Revilla, Richard L. Merritt, Francis A. Beer, Philip E. Jacob oder James V. Toscano (1993, S. 202ff.). Das Credo dieser Arbeiten, die zum Teil schon in den 1960er Jahren entstanden, ist genau die oben mit dem Orchesterbild angedeutete Dynamik. Die internationale Integrationstheo‐ rie misst vor allem den Umfang von Interaktionen zwischen Einheiten wie Staaten und setzt diesen in Beziehung zum innergesellschaftlichen Kommunikationsaufkommen. Als empirische Basis dienen in diesen frühen Arbeiten üblicherweise der Brief- und Telefonkontakt, aber auch Daten des kulturellen Austausches etwa bei universitären Auslandsstudien. Die Hypothesen dieser sehr quantitativ orientierten Forschung sind Variationen der Grundannahme, dass nur eine interaktive und nicht nur koorientierte und beobachtende Welt ein stabiles Gerüst für eine Weltgemeinschaft sein 1 Theorie der globalen Kommunikation 32 <?page no="33"?> könne. Karl W. Deutsch argumentiert, dass die Abwesenheit von Kommu‐ nikation zwischen Staaten zwar nicht notwendig zu Konflikten führen müsse, dass aber die Möglichkeiten der sozialen Kommunikation mit den Erfordernissen politischer, ökonomischer und sozialer Transaktionen auf anderen Feldern mithalten müssen (1970, S. 58). Mit anderen Worten: Ein Mangel an grenzüberschreitender Interaktion muss nicht zu Konflikten führen (vgl. a. Beer 1981, S. 133, Rosecrance 1973, S. 136ff.), aber eine Integration zu größeren Gemeinschaften etwa im Rahmen der Europäischen Union oder anderer internationaler Sicherheits‐ gemeinschaften hält er in einem solchen Zustand der Interaktionslosigkeit für undenkbar. Deutsch betont mit Nachdruck, dass eine Akzeptanz der politischen oder wirtschaftlichen Integration gleich welcher Art nur dann erfolgen könne, wenn Menschen diese Integration auch selbst erleben; nur so könne ein Wir-Gefühl (we-feeling) entstehen (1970, S. 36). Er unterstreicht, dass solche Erfahrungen sowohl für politische Eliten als auch für die Gesellschaft an sich von Bedeutung seien (favorite societal climate, 1964a, S. 51). Integrationstheoretiker betonen den Zusammenhang zwischen dem durch Medien vermittelten Image eines anderen Landes und menschlichen Beziehungen zwischen den Ländern, die sich durch Interaktionen wie Brief- und Telefonaustausch - heute würde man das Internet und andere Reisetätigkeiten hinzurechnen - ergeben (ebenda, S. 54, 1964b, S. 75ff.). Dass die Angleichung internationaler politischer und ökonomischer Be‐ ziehungen einerseits und sozialer Interaktionen andererseits eine Wunsch‐ vorstellung ist, die nicht immer mit der Realität einhergeht, sondern, mit eigenen Worten ausgedrückt, „tektonische Verschiebungen“ zwischen den Beziehungsebenen die Regel sind (Hafez 1999, S. 54ff.), haben die integra‐ tionistischen Systemtheoretiker dabei sehr frühzeitig erkannt: „Human relations are […] far more nationally bounded than movements of goods“ (Deutsch 1964b, S. 84). Sezessionen wie die zwischen Großbritannien und den USA im 18. Jahrhundert etwa ließen sich auch auf Basis der kommu‐ nikativen Verbindungen nachvollziehen: zunächst war der Postverkehr zwischen England und den Kolonien ausgeprägter. Einige Jahrzehnte später jedoch hatte sich das Bild verändert, die Kolonien kommunizierten stärker miteinander, die sozialen Kontakte zu Britannien wurden immer spärlicher, wenig später brach der Unabhängigkeitskrieg aus (Deutsch 1964a, S. 51). Die integrationistischen Systemtheoretiker konnten zudem nachweisen, dass der nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte multinationale Zusammenschluss europäischer Staaten den Briefverkehr und andere Interaktionen zwischen 1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation 33 <?page no="34"?> den Staaten verstärkte, was wiederum die europäische Idee in der Mitte der Gesellschaften ankommen ließ und den Eliten eine immer stärkere Integration ermöglichte (Clark/ Merritt 1987, S. 230ff.). Bis in die Gegenwart ist trotz der gewachsenen Kritik an der Europäischen Union und neona‐ tionalistischen Bewegungen wie dem Rechtspopulismus die europäische Idee selbst in Europa mehrheitsfähig. Hypothetisch könnte man fragen, ob mögliche Absatzbewegungen von der EU nicht auch damit erklärt werden können, dass gerade zwischen bestimmten Räumen (Nord- und Südeuropa oder Ost- und Westeuropa) eben noch immer zu wenig grenzüberschreitend kommuniziert wird - von dem Fehlen einer gemeinsamen europäischen Medienöffentlichkeit einmal ganz abgesehen. Fazit: Dialog der „Kulturen“ in der erweiterten Lebenswelt Unabhängig davon, ob man die quantitativen Methoden der früheren Forschung heute immer nachvollziehen kann (ist die Qualität mancher Interaktionen nicht bedeutsamer als die schiere Anzahl der Briefe, Telefo‐ nate und E-Mails? ) oder ob man, wie in diesem Buch, Systemtheorie zur Handlungstheorie der Lebenswelt erweitern will (vgl. Kap. 1.2), weist die Schule der integrativen Systemtheoretiker dennoch den richtigen Weg. Dass das globale Integrationsdenken in der politologisch orientierten Sozialfor‐ schung entstanden ist, zeigt schon, dass weniger die Massenmedien, sondern vielmehr andere Sozialsysteme in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft so‐ wie Individuen und Gruppen in den Lebenswelten für Dialogverhältnisse verantwortlich sind. Gerade in der Annahme, soziale Kommunikation sei ebenso wichtig wie politischer und ökonomischer Austausch, liegt eine geradezu revolutionäre theoretische Deutung, die Kommunikation zur zen‐ tralen Ressource der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung gleichrangig mit ökonomischen Verhältnissen und Herrschaftsbeziehungen macht. Spätere kommunikationswissenschaftliche Forschungen wie die zum „Dialog der Kulturen“ oder zum „islamisch-westlichen Dialog“ konzen‐ trieren sich wieder sehr viel mehr auf globale Medienkommunikation, Feindbilder und Images - Forschungsrichtungen, die ohne Zweifel gemäß der Flusser’schen Zweiteilung der Kommunikationsmodi in Diskurs und Dialog ihre Berechtigung haben, direkte Interaktionen aber eher am Rande berücksichtigen (Quandt/ Gast 1998, Hafez 2003). Neuere Arbeiten der poli‐ tischen Philosophie zur globalen Gemeinschaft benutzen zwar den Begriff des „Dialogs“ in einem interaktiven Sinn, ignorieren aber die kommunika‐ tionswissenschaftlichen Dimensionen des Problems (Linklater 1998, Etzioni 1 Theorie der globalen Kommunikation 34 <?page no="35"?> 2004). Dass der „Dialog der Kulturen“ daher eine theoretisch nie recht zu‐ friedenstellende Formel war, weil die ursprünglich bei Systemtheoretikern wie Deutsch angelegte Symbiose aus Gesellschafts- und Kommunikations‐ analyse verloren gegangen ist, sei an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten. 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel Systeme und Lebenswelten Nach Etablierung eines kommunikationstheoretischen dualen Leitbildes einer sowohl beobachtenden Weltöffentlichkeit wie auch interaktiven glo‐ balen Gemeinschaft fragen wir nun, welche Akteure in den internationalen Beziehungen als Kommunikatoren in Frage kommen. Vor einem näheren Eingehen auf Akteurstypen sind allerdings einige metatheoretische Betrach‐ tungen erforderlich, um Missverständnissen im Zuge der Theoriebildung vorzubeugen. James N. Rosenau hat es als Aufgabe der Globalisierungstheo‐ rie bezeichnet, Mikro- und Makrointeraktionen von Individuen beziehungs‐ weise Staaten und Organisationen im Blick zu behalten (2007). Saskia Sassen geht sogar einen Schritt weiter und betrachtet überlappende und wechsel‐ wirkende Prozesse zwischen den Akteuren als entscheidend (2007). Nicht alle Theoretiker sind so offen für unterschiedliche Akteure, Systeme und die Vielfältigkeit der Wechselwirkungen zwischen ihnen. Beispielsweise existieren radikale Handlungstheorien wie die von Bruno Latour, der von der Prämisse ausgeht, das Globale sei immer lokal, da man, egal wo man sei, lokal agiere und selbst ferne Reisen sich als Summe lokaler Stationen abbilden ließen, deren Rekonstruktion er als Aufgabe seiner spezifischen Form der Akteur-Netzwerk-Theorie beschreibt (2014, vgl. a. Gerstenberger/ Glasman 2016). Der Einfluss von Beobachtungssystemen wie den Massenmedien oder anderen Sozialsystemen als vermittelnden Instanzen des (vermeintlichen) Weltwissens, die unser Handeln prägen, tritt hier stark in den Hintergrund. Globale Kommunikation ist demnach reine Interaktion handelnder Indivi‐ duen. Solche Positionen erinnern an den alten Streit zwischen System- und Handlungstheoretikern, der in diesem Buch allerdings zugunsten einer integrativen Perspektive wie der von Rosenau oder Sassen aufgelöst werden soll, wo unterschiedliche System- und Akteurslogiken in Systemen und Le‐ benswelten berücksichtigt werden. Der oder die Einzelne wird von Systemen 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 35 <?page no="36"?> nie völlig beherrscht, auch wenn sein/ ihr Leben Rollenübernahmen erfor‐ dert, die sein/ ihr Leben strukturieren, die er/ sie aber zugleich permanent bricht oder eigenständig interpretiert, formell wie auch informell. Systeme beeinflussen zudem die Lebenswelten des Menschen, werden aber auch von diesen beeinflusst oder aber beide Akteursräume bleiben unvernetzt. Die grundlegenden Konzepte der Sozialtheorie wie soziales Handeln/ Inter‐ aktion, Normen, Rollen, Strukturen und Systeme sollen bei unserer Analyse mitgedacht werden (zur Einführung vgl. Bahrdt 1997). Letztlich ist hier Ha‐ bermas‘ Dualismus von System und Lebenswelt von Bedeutung (Habermas 1995), wobei noch die Frage zu klären wäre, wer hier wen „kolonisiert“. Eine differenzierte Sichtweise auf Kommunikationsweisen von Systemen und Individuen (Kap. 1.3.) und deren Wechselwirkungen (Kap. 1.4.) ist aus unserer Sicht jedoch unbedingt erforderlich. System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz Eine zweite Vorbemerkung ist notwendig: Der Systembegriff, der hier ver‐ wendet wird, ist kein streng funktionalistischer. Zwar führen wir selbstbe‐ wusst Kommunikationsprozesse als Momente der Theoriebildung ein. Wo‐ von wir allerdings Abstand nehmen wollen, ist eine rein prozessorientierte Theoriebildung, die die Akteure als Kommunikatoren zu bloßen „Objekten“ abstrakter Abläufe wie „Vernetzungen“, „Konnektivitäten“ und „Kommuni‐ kationsflüssen“ macht. Die moderne Netzwerktheorie tendiert dazu, eine Akzentverschiebung von sozialen Akteuren zu Netzen vorzunehmen, wobei die interne Logik von Systemen (z. B. Organisationen, Unternehmen, aber auch psychischen Systemen von Individuen) oder Lebenswelten weniger beachtet werden als die zwischen den Systemen oder Lebenswelten beste‐ henden Netzwerke und Austauschbeziehungen. Die internen Strukturen kollabieren quasi unter dem Druck der Vernetzung. Dazu Jan van Dijk: „Traditional internal structures of organizations are crumbling and external structures of communication are added to them” (2012, S. 33). Ähnlich äußert sich auch George Ritzer mit dem Hinweis auf die Prozesssoziologie von Norbert Elias: „[F]ollowing Elias, in thinking about globalization, it is important that we privilege process over structure (just as we have privileged flows over barriers)“ (2010, S. 25). In diesem Buch stehen zwar Kommunikationsprozesse im Vordergrund; Systeme und Lebenswelten bleiben aber kopräsent. Netzwerke sind Bezie‐ hungen innerhalb oder zwischen Sozialsystemen (Endruweit 2004, S. 26), sie sind aber nicht die Sozialsysteme selbst, die deshalb mitgedacht werden 1 Theorie der globalen Kommunikation 36 <?page no="37"?> müssen. Unsere Perspektive ist daher weder die der Akteur-Netzwerk-Theo‐ rie Latours noch die der Netzwerk-Theorie von Castells, sondern sie ist am ehesten als System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zu bezeichnen. Dieser Ansatz ähnelt der von Roger Silverstone eingeführten und von Nick Couldry an der London School of Economics and Political Science (LSE) weitergeführten Sicht. Die Netzwerkmetapher wird dort als theoretisch zu anspruchslos für die Sozialtheorie angesehen, da sie die von den Handelnden erzeugten Interpretationen der Netzwerke unberücksichtigt lässt (Couldry 2006, S. 104). Couldry spricht hier zu Recht von einem „problematischen Funktionalismus“, „so zu tun, als ob Medien das Soziale und die natürlichen Kanäle des sozialen Lebens und sozialer Auseinandersetzung wären, anstatt hoch spezifische und institutionell fokussierte Mittel der Repräsentation des sozialen Lebens“ (ebenda, S. 104). Er wendet sich gegen den „Mythos des mediatisierten Zentrums“ und kritisiert die Tendenz der Kommunikati‐ onswissenschaft, Medien mit Gesellschaft gleichzusetzen (ebenda, S. 105). Auch der deutsche Kommunikationstheoretiker Manfred Rühl äußert sich ähnlich: „Globale Kommunikationssysteme sind eingebettet in psychische, organische, chemische, physikalische, kurz: in nicht-kommunikative Mit‐ welten, die […] bei der Verwirklichung von Kommunikation mitwirken, ohne dazuzugehören. Kommunikationssysteme sind von der Mitwelt klar abzugrenzen, aber nicht zu trennen“ (ebenda, S. 362). Insbesondere in der auf Talcott Parsons zurückgehenden struktur-funk‐ tionalistischen Systemtheorie werden schnell ablaufende funktionale Pro‐ zesse in Relation zu stabilen Strukturen gesetzt, auf der Basis der „Annahme eines systemimmanenten Bedürfnisses nach Selbsterhaltung, also nach Integration und Kontinuität“ (Kunczik/ Zipfel 2001, S. 69). Selbst Niklas Luhmann leugnet letztlich nicht das Vorhandensein solcher Strukturen, auch wenn seine „funktional-strukturelle Systemtheorie“ die Dynamik der Prozesse betont und die Schwergewichte in Abgrenzung von Parsons ver‐ lagert (Kneer/ Nassehi 1997, S. 116). Die Akteure lösen sich also gerade bei Parsons nicht in den Netzwerken auf, sondern sie bleiben als autonome Strukturen erkennbar, auch wenn sie sich funktional anpassen und von den (Kommunikations-)Prozessen beeinflusst werden können. Auch der Soziologe und Luhmann-Interpret Armin Nassehi folgt einer ähnlichen Grundidee, wenn er einerseits die erstaunliche Hartnäckigkeit sozialer Strukturen betont, andererseits aber die steigende Komplexität moderner (digitaler) Kommunikate erkennt, wobei er ausdrücklich die Frage eines durch digitale Kommunikation erfolgenden sozialen Strukturwandels of‐ 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 37 <?page no="38"?> fenlässt (2019). Im Gegensatz dazu behaupten Netzwerktheoretiker einen Primat des „Relationismus“ vor dem „Substanzialismus“ (Nexon 1999); sie sind der Ansicht, dass die Prozesse die Strukturen sind. Wir sind hingegen der Meinung, dass eine sinnvolle Analyse zunächst von der Kopräsenz von System- und Lebensweltstrukturen einerseits und Kommunikationsprozessen andererseits ausgehen sollte, zugleich aber offen sein muss für: ▸ die mögliche Verschachtelung von System- und Lebensweltstrukturen (auch in den Organisationen stecken informelle Lebenswelten wie auch in den Lebenswelten die Systeme einflussreich sein können) (Kneer/ Nassehi 1997, S. 142f.); ▸ die mögliche dominante Prägekraft der Strukturen mit Blick auf die Kommunikationsprozesse (strategisches Handeln); ▸ die mögliche dominante Prägekraft der Kommunikationsprozesse mit Blick auf die Strukturen (kommunikatives Handeln). Die ganze Debatte erinnert an die Auseinandersetzung in der Lehre der Internationalen Beziehungen zwischen Neo-Institutionalisten (wie Robert O. Keohane und Joseph Nye) und Funktionalisten (wie David Mitrany). Un‐ ser System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz will den Dualismus von Akteuren und Funktionen zugunsten einer pragmatischen Sichtweise aufgeben, die durchaus Raum für einen starken Einfluss funktionaler (auch technischer) Prägungen der Prozesse der globalen Mediatisierung lässt, Systemen und Lebenswelten als den Polen in globalen Diskursen und Dialogen aber zugleich die Möglichkeit einer prägenden Gestaltung nicht abspricht. Eher als der pure Neo-Institutionalismus oder der Funktionalismus entspricht also das System-Lebenswelt-Netzwerk-Denken unserer eigenen Herange‐ hensweise. Netzwerktheorie lässt sich nämlich mit anderen Theorien wie der System- oder der Lebenswelttheorie durchaus koppeln (Häußling 2005, S. 269ff.). Diese Form der „modularen Theorie“ halten wir für sinnvoll, um den Widerspruch zwischen Strukturalismus und Funktionalismus kreativ zu verarbeiten. Globale Zentren und Peripherien Eine letzte Vorbemerkung ist erforderlich, die den Aspekt des Postkolonia‐ lismus anspricht. Wer Strukturen analytisch stark macht, muss sich unwei‐ gerlich mit der Frage beschäftigen, ob eben diese Strukturen nicht nach weiteren Differenzierungen verlangen, etwa was das Verhältnis zwischen 1 Theorie der globalen Kommunikation 38 <?page no="39"?> Industrie- und Entwicklungsländern oder zwischen ehemals kolonisierten und kolonisierenden Staaten betrifft. Johan Galtungs Vorstellung von einem strukturellen Imperialismus der Weltgesellschaft, die (Macht-)Zentren und (Macht-)Peripherien ausbildet (1973), wird uns in diesem Buch latent ständig begleiten, etwa wenn es um die Ausprägung von Diskurs- und Dialogstruk‐ turen im Kontext bestimmter Formationen wie der OECD, der Europäischen Union oder auch geolinguistischer Einheiten wie der spanischsprachigen oder arabischsprachigen Welt geht. Dennoch sind wir der Meinung, dass solche Strukturvariablen eher universell als partikular und schon gar nicht kulturspezifisch zu deuten sind. Sowohl die inneren Kommunikationsabläufe in Systemen und Lebenswelten als auch die Interdependenzverhältnisse zwischen Systemen und/ oder Le‐ benswelten als Umwelten (siehe unten) lassen weltweite frappierende Ähn‐ lichkeiten über politische und kulturelle Systemgrenzen hinweg erkennen, wo kulturübergreifende Strukturmuster wie Nationalstaaten, transnationale Unternehmen, soziale Bewegungen, Gemeinschaften und Lebenswelten vorhanden sind. In diesem einen Punkt unterscheiden wir uns also nicht von den Vertretern des Relationismus. Globale Strukturunterschiede bilden reale Machtunterschiede ab; sie sind aber keine absoluten Kulturunterschiede, sondern gerade durch Prozesse der globalen Beobachtung und Interaktion in stetigem Wandel begriffen. Inventarisierung: Global kommunizierende Sozialsysteme und Lebenswelten Wendet man sich nach diesen Vorbemerkungen nunmehr einer Inventarisie‐ rung der Akteure globaler Kommunikation zu, so lassen sich - noch vor der Beschreibung komplexer Lebenswelten - unterschiedliche Systemgrößen erkennen: Individuen als psychische Systeme ebenso wie organisierte und nicht organisierte Sozialsysteme. Grenzüberschreitende Kommunikation kann zwischen gleichen wie auch ungleichen Polen entstehen, also zwischen den politischen Systemen oder auch zwischen Individuen und organisierten Sozialsystemen usw. Sie kann zudem - entsprechend den eingeführten Kom‐ munikationsmodi - primär im Modus der Beobachtung oder der Interaktion in Erscheinung treten oder aber, was von großer Bedeutung für die nähere Funktionsbestimmung sein wird, Mischformen erzeugen, da die wenigsten Systeme und Akteure nur beobachten oder interagieren. Allerdings gibt es systemspezifische Logiken, deren Herausarbeitung zu den primären Anliegen des Buches gehört. 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 39 <?page no="40"?> Für die nähere Bestimmung der akteursspezifischen globalen Kommuni‐ kationsmodi ist die Unterscheidung zwischen Individuen, organisierten und nicht-organisierten Sozialsystemen bedeutsam. Organisierte Sozialsysteme benötigen nicht nur eine Organisationsidee, sondern auch eine Organisa‐ tionsstruktur (Hauriou 1965), was sie von nicht-organisierten Systemen abgrenzt. Nicht-organisierte Sozialsysteme sind zum Beispiel „Gemeinschaf‐ ten“, die eine Idee, aber keine Struktur und Organisation vorweisen können (auch wenn sich aus Gemeinschaften Organisationen bilden können, die dann allerdings nicht mehr nur als Gemeinschaften anzusehen sind, sondern eben als Organisationen). Umgekehrt aber haben Organisationen immer auch eine Gemeinschaftsidee, ein Leitbild, eine Identität. Organisierte So‐ zialsysteme sind zudem handlungsorientiert. Die Politik als dominantes Supersystem der Gesellschaft (Gerhards/ Neidhardt 1990) ist primär für die Herstellung von Sicherheit und Ordnung zuständig, die Wirtschaft für die Absicherung der materiellen Ressourcen, die Medien für die unabhängige Beobachtung aller anderen Systeme usw. Medien, Politik und Wirtschaft als (trans-)nationale Systeme Die spezifischen Logiken der einzelnen Systeme haben jedoch dazu geführt, dass diese in sehr unterschiedlicher Weise transnationale Zweitsysteme aus‐ bilden (Vereinte Nationen, transnationale Unternehmen, transnationale Me‐ dien usw.), deren Kommunikationsregeln sich von der Grenzüberschreitung nationaler Systeme unterscheiden. In der Tendenz agieren Massenmedien als nationale (lokale) Mediensysteme, die das „Ausland“ als Informations‐ ressource benutzen, während die Informationsverarbeitung allerdings in einem lokalen Mediensystem stattfindet, das durch eigene Organisations‐ strukturen, Personal und Ressourcen ausgestattet ist. Die kommunikative Grenzüberschreitung solch nationaler Massenmedien bezeichnet man als „Auslandsberichterstattung“ (Hafez 2002a). Der sogenannte „Auslandsrund‐ funk“ besteht ebenfalls aus nationalen Medien, die allerdings den Kommu‐ nikationsfluss umdrehen. BBC World, RT, Voice of America und viele andere solcher Sender produzieren speziell für ausländische Publika (was ihre Autonomie gefährdet und sie oft de-facto zu einem Teil des politischen Systems macht). Transnationale Strukturen haben Medien hingegen nur sehr spärlich entwickelt. Die meisten als international geltenden Medien sind eigentlich nationale Fabrikate mit einem globalen Anspruch (z. B. CNN) (Hafez 2005, S. 23ff.). Dies gilt sogar für Medien wie den arabischen Fernsehsender 1 Theorie der globalen Kommunikation 40 <?page no="41"?> Al-Jazeera, der in geolinguistischen Großregionen wie der arabischen Welt grenzüberschreitend Geltung erlangt hat. Internationale Nachrichtenagen‐ turen sind noch am ehesten transnational ausgerichtet, da sie Informationen aus und für die meisten Länder der Welt liefern. Indem sie aber der Endproduktion durch die Medien vorgeordnet sind, sind sie eher als media‐ les Subsystem, denn als eigenständiges Mediensystem zu betrachten. Im Bereich der Massenmedien können die kommerziellen Strukturen durchaus transnational verflochten sein - spätestens bei der journalistischen Endpro‐ duktion aber gilt das nationalstaatliche oder zumindest nationalsprachliche Prinzip. Was die Konturen des politischen Systems angeht, muss man zwei Ebenen unterscheiden: das im Ansatz vorhandene transnationale System (UNO, EU usw.) und den Nationalstaat. In der Politik kommuniziert der Staat sowohl im Rahmen transnationaler Organisationen, er verfügt aber auch über eine Tausende Jahre alte Geschichte der Diplomatie, des Austauschs zwischen Staaten, und diese Form der Internationalität und der Außenpolitik ist bis heute in den internationalen Beziehungen dominant. Auf Grund der Erfah‐ rung der Weltkriege hat man im 20. Jahrhundert die Transnationalisierung etwa in Form der Vereinten Nationen oder kollektiver Sicherungsbündnisse wie der NATO vorangetrieben. Interaktionen spielen sich heute innerhalb dieser transnationalen Organisationen wie auch bi- und multilateral direkt zwischen unabhängigen Staaten ab. Die in der frühen Globalisierungsdebatte vielfach erwartete Auflösung des Nationalstaates hin zur Transnationalisierung der Politik ist allerdings ungeachtet der zum Teil vorhandenen multinationalen Bündnisse (wie der EU) oder der internationalen Governance-Regimes (z. B. Kyoto-Protokoll im Umweltbereich) nicht erfolgt (Frei 1985, Brand et al. 2000). Der Nationalstaat ist nach wie vor der primäre Ort globaler Politik. Aus diesem Grund be‐ schäftigen wir uns im vorliegenden Buch vor allem mit Außenpolitik-Kom‐ munikation. Es ist wichtig, Diplomatie als einen Kommunikationsprozess zu verstehen, in dem Interaktion und Dialog in Verhandlungen eine zen‐ trale Rolle spielen, zum Teil auch der Trialog mit Hilfe von Mediatoren. Auch Gewaltakte oder angedrohte Gewaltakte können eine Form zwischen‐ staatlicher Kommunikation sein - allerdings sind Gewalthandlungen eher monologisch und unilateral. Das politische System ist zudem ein zentraler Bestandteil öffentlicher Kommunikation, es beobachtet, wird von anderen Systemen und in Lebenswelten beobachtet und beeinflusst die Synchronität der mediatisierten Weltöffentlichkeit. 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 41 <?page no="42"?> Ähnliches gilt auch für das Wirtschaftssystem. Auch hier ist eine Transna‐ tionalisierung im Ansatz erfolgt, etwa in Form großer wirtschaftspolitischer Einrichtungen der Weltbank, des IWF, internationaler Finanzabkommen und Handelsverträge. Es gibt zudem einen fortgeschrittenen Trend zu trans‐ nationalen Wirtschaftsunternehmen (Transnational Corporations/ TNCs), die gemeinhin als „Global Players“ bezeichnet werden. In der zweiten Welle der Globalisierungsforschung wurde allerdings die Dominanz dieser Entwicklung und die Vorrangstellung des Transnationalen im Wirtschafts‐ system bestritten (Hirst/ Thompson 1999). Es wäre demnach also falsch, die Politik oder die Wirtschaft als rein grenzüberschreitende Kräfte zu betrachten. Vielmehr sollten wir von gleich‐ zeitig ablaufenden Trends von globaler Homogenisierung (im Sinne der global governance der Transnationalisierung von Wirtschaftsräumen oder Unternehmen) und nationaler Heterogenisierung (Nationalstaatspolitik und Protektionismus) sprechen. Die vorhandenen transnationalen Unterneh‐ mensstrukturen jedoch eröffnen ein eigenes Forschungsfeld. Anders als zumeist im Bereich der Politik geht es hier nicht länger um Kommunika‐ tion zwischen Systemen, sondern um Binnenkommunikation in grenzüber‐ schreitenden Systemen, die nach besonderen Regeln verläuft, da die Orga‐ nisationsziele und -programme im Grundsatz nicht mehr verhandelt werden müssen und die Mitgliedschaft in einer grenzüberschreitenden Einrichtung geklärt zu sein scheint. Die globale Integration, die Theoretiker wie Karl W. Deutsch im Bereich der Politik noch zu fördern versuchten, ist hier bereits vollzogen, was neue Horizonte für die multikulturelle Kommunikation und Idee der Gemeinschaftlichkeit erzeugen könnte. Globale Zivilgesellschaft und Großgemeinschaften Auch jenseits des politischen und wirtschaftlichen Systems gibt es in der Gesellschaft zahlreiche organisierte Sozialsysteme, die global vernetzt sein können. Die globale Zivilgesellschaft (global civil society) ist seit den 1990er Jahren ein viel diskutiertes Phänomen (Kaldor 2003, Anheier et al. 2001). Hauptakteure der Debatte waren zunächst internationale Nichtre‐ gierungsorganisationen (INGOs) wie Amnesty International, Greenpeace usw., also Organisationen, die sich aus der Zivilgesellschaft heraus zu globalen Netzwerk-Organisationen entwickelt hatten: eine Parallele zur Transnationalisierung im Bereich von Politik und Wirtschaft. Mit der massenhaften Verbreitung des Internets kam dann ein zweiter Grundtyp zivilgesellschaftlicher globaler Akteure hinzu: soziale Bewegungen wie 1 Theorie der globalen Kommunikation 42 <?page no="43"?> die Anti-Globalisierungsbewegung. Soziale Bewegungen sind keine Mitglie‐ derorganisationen, sondern Hybriden aus organisierten und nicht-organi‐ sierten Sozialsystemen, mit einem organisierten Kern - den sogenannten „Bewegungsorganisationen“ (social movement organizations) - und einer losen Gemeinschaftsstruktur, die sich um eine zentrale Idee und Symbole herum bildet (della Porta/ Diani 2006). Diese strukturelle Unterscheidung hat, wie wir sehen werden, Konsequenzen für die Kommunikationsformen. NGOs und SMOs etwa haben unterschiedliche Präferenzen im Bereich der Öffentlichkeit durch Massenmedien oder das Internet oder artverschiedene Formen der grenzüberschreitenden Binnenkommunikation. Soziale Bewegungen sind jenseits ihrer organisierten Kerne jedoch als nicht-organisierte Sozialsysteme/ Gemeinschaften zu betrachten. Sie beste‐ hen aus freiwilligen Sympathisanten, sind prinzipiell organisationsschwach, basieren dafür aber umso mehr auf einer zentralen Idee und einem star‐ ken Wir-Gefühl der Mitglieder. Die Idee der geistigen und emotionalen Verbundenheit ist in sozialen Bewegungen meist ausgeprägter als in Orga‐ nisationen. Die Handlungsorientierung und Funktion sind hingegen oft unklar. Gemeinschaften gibt es auf verschiedenen Ebenen: Man unterschei‐ det traditionelle Gemeinschaften wie die Familie oder das Dorf, in die man hineingeboren wird, von Neu-Vergemeinschaftungen (Nation, Vereine, Freundeskreise usw.). Gemeinschaften funktionieren nicht nur lokal, sondern auch virtuell, digi‐ tal, als Netzgemeinschaften, Volksgemeinschaften, Solidargemeinschaften, Weltgemeinschaften usw. Großgemeinschaften ohne Organisation sind vor allem Diskursgemeinschaften und nur sehr eingeschränkt auch interaktive Gemeinschaften. Nicht nur haben Medien für Großgemeinschaften eine verbindende Funktion im Sinne des Diskurses, es gibt auch spezifische Netzgemeinschaften, deren (scheinbare oder tatsächliche) Interaktion im‐ mer dynamischer verläuft. Dank des Internets haben wir tatsächlich einen Trend zur Neo-Vergemeinschaftung zu verzeichnen. Man spricht etwa von Diasporagruppen im Netz und jede erdenkliche soziale Differenz kann sich in Netzgemeinschaften äußern. Virtuelle Gemeinschaften ermöglichen dem Individuum, die von Giesecke hervorgehobenen Gruppendialoge zu führen (Rheingold 2000). Dabei darf man das Kommunikationsverhalten in Netzgemeinschaften, wie wir sehen werden, allerdings nicht leichtfertig mit „dialogischer Interaktion“ gleichsetzen, da das globale Raumverhalten ein ganz anderes ist als bei grenzüberschreitender Kommunikation durch Individuen und in Realgruppen. 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 43 <?page no="44"?> Globale Lebenswelten: ein Desideratum der „interkulturellen Kommunikation“ Zu den skizzierten systemischen Akteuren kommen nun Akteure und kom‐ plexe Kommunikationsprozesse in Lebenswelten hinzu. Auch Individuen und Kleingruppen beobachten und interagieren grenzüberschreitend, und zwar selbst dann, wenn sie dies nicht im Kontext bestimmter Gemeinschaf‐ ten oder Organisationen, sondern informell, dafür aber in einem „realen“ Raum tun. Der Begriff der Gemeinschaft wird daher um den der Kleingruppe ergänzt, da hier die persönlichen Kontakte der Gruppenmitglieder zwingend notwendig sind und nicht - wie bei der Großgemeinschaft - identifikato‐ rische und imaginierte, selbst oder fremd gewählte Zuordnungen über die Mitgliedschaft entscheiden. In der Lebenswelt der Menschen ist dort, wo man vom „gesellschaftlichen Leben“ spricht, das Aufeinandertreffen in nicht-gemeinschaftlichen Gruppen sogar eher die Regel (im Kino, auf der Straße, im Supermarkt usw.). Eine klare Trennung zwischen Großge‐ meinschaften und gemeinschaftlichen oder nicht-gemeinschaftlichen Klein‐ gruppen ist insofern möglich, als Großgemeinschaften, abgesehen von Sondersituationen wie Netzgemeinschaften oder bestimmten Formen der Versammlungskommunikation, keine interaktiven Gemeinschaften sein können, was bei Kleingruppen aber generell der Fall ist. In Hinblick auf die lebensweltlichen Kontexte individueller, gruppen- oder gemeinschaftsförmiger Kommunikation gilt es nun, die Frage zu beant‐ worten, ob es zu einer Verschiebung von nationalen/ lokalen hin zu globalen, also inter- oder transnationalen, Lebenswelten kommt? Eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung „globaler Lebenswelten“ ist im bisherigen Argumentationszusammenhang nicht nur die individuelle Beobachtung der Welt, etwa durch die Angebote der Medien, sondern ebenso das Vorhan‐ densein unterschiedlicher „interkultureller Kommunikationssituationen“ in sozialen Alltagswelten. Das für diese Antwort prädestinierte Forschungsfeld der „interkulturellen Kommunikation“ liefert allerdings angesichts konzeptueller Uneinigkeiten bisher keine ausreichend belastbaren Erkenntnisse. Denn bis heute hält sich hier die Idee des Einzelnen als Träger einer bestimmten, objektivierten „Kultur“ als verbreitetes Paradigma (u. a. Maletzke 1996, Hofstede et al. 2010). Dieses ist allerdings hochgradig problematisch, da es dem Individuum keinen Raum für eigenständige Kommunikationsleistungen zugesteht und essenzialistische Kulturraumvorstellungen bedient, wonach Individuen ei‐ 1 Theorie der globalen Kommunikation 44 <?page no="45"?> ner nationalen oder gar supranationalen Gesellschaftsordnung identische Sets an Weltdeutungen aufweisen und sich in ihren Handlungsmustern kaum unterscheiden würden. Zwar teilen Individuen in Gruppen und Ge‐ meinschaften bestimmte handlungsprägende lokale Erfahrungszusammen‐ hänge und sie können durch die gemeinsame Beobachtung von nationalen Mediendiskursen durchaus koorientiert sein. Aus der bloßen Lokalisierung von Menschen in bestimmten Weltregionen aber grundsätzlich differente, national geprägte Kommunikationsformen abzuleiten, ist empirisch wie theoretisch angesichts der Diversität menschlicher Daseinsformen nicht haltbar und im Sinne der zuvor diskutierten integrationistischen Überlegun‐ gen sogar politisch gefährlich, wenn nämlich indirekt eine problemorien‐ tierte Perspektive grenzüberschreitender Verständigung eingenommen und per se von zum Teil unüberbrückbaren Differenzen ausgegangen wird, die Kommunikation erschweren (Hansen 2011, S. 179ff., S. 251ff., vgl. a. Kapitel 7.2.1). In der globalen Interaktion steht ja nicht prinzipiell in Frage, dass Individuen mit unterschiedlichen kulturellen, sozialen und geolinguisti‐ schen Sozialisationserfahrungen Differenzen überwinden können, sondern vielmehr unter welchen Bedingungen, in welcher Form und mit welchen möglichen Wandlungserscheinungen dies in der grenzüberschreitenden Alltagskommunikation geschieht. Doch auch wenn das Konzept des „Kulturellen“ Anlass für Missverständ‐ nisse bietet, soll und kann es nicht ganz aufgegeben werden. So werden kulturelle Prägungen auch an vielen Stellen dieses Buches behandelt, etwa wenn es um stereotype Medienbilder, Public Diplomacy oder das Zusam‐ menspiel von globaler Interaktion, Medien und Vorurteilen gegenüber Gruppen geht. Allerdings wird „Kultur“ nicht in einer vom Akteur oder von der kommunikativen Konstruktion von Kultur losgelösten Art und Weise, sondern im Sinne unseres System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes untersucht. Unser Verständnis von Kultur folgt eher dem der Cultural Studies und meint konkrete Problematiken der Bedeutungszuweisung und symbolischen Klassifikationssysteme sowie deren alltägliche Aneignung, Produktion wie auch Dekonstruktion durch spezifische gesellschaftliche Akteure (Hall 1980). Diese Akteure sind im Zusammenhang globaler Kom‐ munikationsbeziehungen in der Alltagswelt allerdings neu zu bewerten. Denn es wird darum gehen, Individuen mit oder ohne globale Kommunika‐ tionserfahrungen zu unterscheiden. Diese Erfahrungen können wiederum gemäß der eingeführten Systematik von Kommunikationsmodi vielfach 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 45 <?page no="46"?> variieren und dementsprechend unterschiedliche Konsequenzen für die Wandlungsprozesse lokaler Lebenswelten bedeuten. Glokalisierung und Hybridisierung des Alltagshandelns Im Bereich der Kulturtheorie ist die kulturelle Wandlungsdynamik der Globalisierung, komplementär zum Systemwandel, als „Glokalisierung“ oder „Hybridisierung“ beschrieben worden (u. a. Robertson 1995, Neder‐ veen Pieterse 1994, 1998, García Canclini 2005, Appadurai 1998, Hall 1992, Kraidy 2005). Wenngleich die Autoren unterschiedliche Perspektiven der Soziologie, Anthropologie oder der Cultural Studies einnehmen und in ihren Argumentationsgängen variieren, ist ihnen doch gemeinsam, dass sie auf die grundsätzliche Heterogenität kultureller Wandlungsprozesse unter dem Einfluss globaler Entwicklungen verweisen. Wenn Menschen, Ideen, Symbole und Güter heute immer leichter global zirkulieren können, folgt daraus keine eindimensionale Wandlungslogik der kulturellen Angleichung (Homogenisierung) oder Rückbesinnung auf kulturelle Traditionsbestände (Heterogenisierung). Vielmehr ist zu beobachten, dass diese Prozesse gleich‐ zeitig ablaufen können. Statt der Frage von Übernahme oder Ablehnung kultureller Praktiken entstehen häufig Mischformen, indem sich kulturelle Akteure Teile globa‐ ler Angebote zu eigen machen und in kreativer Eigenständigkeit neue Varianten entwickeln. Diskutiert wurden diese hybriden Praktiken vor allem am Beispiel des lokalen Umgangs mit globaler Populärkultur. In der Tradition der Cultural Studies stellt sich dabei insbesondere die Frage nach machtabhängigen Handlungsmöglichkeiten, also danach, wie frei lokale Individuen tatsächlich in ihrer Aneignung globaler Angebote sind - etwa vor dem Hintergrund postkolonialer Machtverhältnisse, die Einfluss auf Umfang und Richtung der Weiterverbreitung haben können oder in Zusam‐ menhang mit der Abhängigkeit von lokalen wie globalen hegemonialen Deutungsmustern, die über die Art und Weise von Repräsentation und damit auch über die Möglichkeiten der individuellen Auseinandersetzung und Positionierung entscheiden können. Die Forschung zur kulturellen Globalisierung zielt damit zwar bereits klar auf die Alltagswelt von Individuen, sie erklärt aber deren Kommunikations‐ prozesse noch nicht systematisch. Die Aneignung globaler Medienangebote beschreibt nur eine, nämlich indirekte beziehungsweise mittelbare Form der grenzüberschreitenden Beobachtung. Auch wenn wir uns mitunter von globalen Trends in unserem Alltagshandeln beeinflussen lassen, so 1 Theorie der globalen Kommunikation 46 <?page no="47"?> führt dies im besten Fall zu einer Synchronisierung von Lebensstilen, nicht aber zu grenzüberschreitenden Dialogen. Mediale Berichterstattung über ferne Welten, weltweit ähnlich formatierte Unterhaltungsangebote oder globale Popkultur liefern uns nur erste Ansatzpunkte für ein selektives Wissen über die Welt. Daneben können Individuen in ihrer Lebenswelt etwa auf privaten oder beruflichen Reisen oder in multikulturellen Kontexten moderner Gesellschaften global interagieren. Die Gestaltung dieser Kom‐ munikationssituationen ist wiederum abhängig davon, ob Individuen diese Erfahrungen alleine machen oder in Gruppen, beispielsweise mit der Fami‐ lie, Freunden oder Kollegen, in welchen Gemeinschaftszusammenhang das Erfahrungswissen eingebettet wird und in welcher Nachhaltigkeit globale Kontakte weiterbestehen. So ist es ein Unterschied, ob das globale Wissen als Expertenwissen in der Berufsrolle des Einzelnen verbleibt oder zum Verhandlungsgegenstand einer lokalen Gemeinschaft wird. Entscheidend sind also nicht nur die Rollenmuster und Rahmenbedingungen globaler Interaktionen von Einzelnen, sondern auch lokale Weiterverarbeitungen globalen Wissens, das aus unterschiedlichen Kontaktsituationen entsteht und eher expliziten (z. B. Faktenkenntnis) oder impliziten Charakter (Erfah‐ rungswissen) haben kann. Fazit: alte und neue globale „Eliten“ aus Systemen und Lebenswelten Dies alles mündet in der Frage nach der Rolle heutiger globaler Eliten. Es kann für eine Analyse globaler Kommunikation nicht nur darum gehen, strategische Eliten (der organisierten Sozialsysteme) zu benennen, die globale Entwicklungen durch die Interaktionen der Sozialsysteme mitgestalten (wie in der älteren integrationistischen Systemtheorie, siehe oben), sondern wir müssen auch fragen, welche sozialen Eliten heute Lebenswelten prägen. Wenn wir dazu jene zählen, die globale Kontakterfahrungen haben, dann hat dies Auswirkungen auf ein herkömmliches Elitenverständnis. Denn „globales Kapital“ im Sinne eines Wissens, das über die Realitätserfahrungen lokaler Lebenswelten hinausgeht, hätten dann auch jene Gruppen und Individuen aufzuweisen, deren Status als gesellschaftliche Meinungsführer kaum anerkannt ist. Ein Beispiel wären Migranten und Migrantinnen, die sich in den neuen Einwanderungsgesellschaften noch heute gesellschaftli‐ chen Marginalisierungen ausgesetzt sehen, im Grunde aber privilegierte Erfahrungen der Grenzüberschreitung besitzen. „Alte“ und „neue“ Eliten sind unter den Bedingungen globaler Kommunikation also neu zu definie‐ ren. Die Betrachtung der globalen Kommunikation der Lebenswelt wird 1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel 47 <?page no="48"?> im weiteren Verlauf des Buches immer auch eine Diskussion von Eliten- und Massenpositionen beinhalten. Es sind die individuellen, gruppalen und gemeinschaftsförmigen globalen Erfahrungen alter wie auch neuer globaler Eliten, die gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen und es sind ihre kommunikativen Aushandlungen, die den globalen Erfahrungen ihre gesellschaftliche Rolle und Relevanz zuweisen. 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten Globale Kommunikationsmodi der Akteure: ein Kontinuum Fragen wir nun, welche Formen globaler Kommunikation für die Akteure typisch sind, so ist zunächst erkennbar, dass eigentlich alle Akteure im Feld eine Reihe von Kommunikationskanälen/ -medien simultan verwenden, unter anderem ▸ Massenmedienkommunikation ▸ Face-to-Face-Kommunikation ▸ Versammlungs- und Gruppenkommunikation ▸ Interpersonale mediatisierte Kommunikation. Bezeichnend ist allerdings, dass auf jeder dieser Ebenen die oben erörterte kommunikative Leitdifferenz zwischen Beobachtung und Interaktion/ Dia‐ log in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke vorliegt. Subsysteme und Individuen der Gesellschaften kommunizieren vielfältig, ihre Fähigkeiten zur Beobachtung wie auch zur Interaktion sind aber mehr oder weniger ausgeprägt, was das Kontinuum der Abbildung 1.2 zu veranschaulichen versucht. Mit Hilfe des dargestellten Kontinuums lassen sich in Anlehnung an die kommunikativen Grundmodi nunmehr spezifische primäre und sekun‐ däre Kommunikationsmodi der einzelnen Akteure globaler Kommunikation bestimmen, die im Fortgang des Kapitels genauer beschrieben werden. Mas‐ senmedien können gut beobachten, archivieren und systematisieren, sie gehören zu den zentralen Speichermedien kollektiver Erinnerung, sie pflegen aber monologische One-to-Many-Kommunikation und sind im Kern nicht-in‐ teraktiv, auch wenn einzelne Elemente der Massenmedienkommunikation (Rechercheinterviews, Talkshows) einen interaktiven Charakter haben, was allerdings als sekundärer Kommunikationsmodus einzustufen ist. 1 Theorie der globalen Kommunikation 48 <?page no="49"?> System der Massenmedien organisiertes Sozialsystem Politik (Staat usw.) organisiertes Sozialsystem Wirtschaft (Unternehmen usw.) organisierte Zivilgesellschaft (NGOs) nicht-organisierte Zivilgesellschaft (soziale Bewegungen) Großgemeinschaften (Netzgemeinschaften usw.) Kleingruppen Individuen Interaktion Beobachtung Abb. 1.2: Akteursspezifische Kommunikationsmodi Auf der anderen Seite des Kontinuums befinden sich Individuen und Klein‐ gruppen, begrenzt auch Großgemeinschaften (vor allem in interaktiven Netzgemeinschaften), die gut im Interagieren und im Dialog sind, aber schlechter im Beobachten als organisierte Sozialsysteme, da ihnen die Ressourcen für organisierte Beobachtung fehlen. Sie sind allerdings prädes‐ tiniert für „echte“ Dialoge und gemeinsame Sinndeutungen im Zuge der Face-to-Face-Interaktion. Zum Beispiel sind auf internationalen Reisen die Möglichkeiten der direkten Beobachtung begrenzt: Das Expertenwissen über das Land, das eine Person bereist, ist weitgehend nur mit Hilfe der anderen Sozialsysteme abrufbar, die etwa systematisiertes Wissen über die Region in Medien und Büchern zur Verfügung stellen. Die Möglichkeiten der direkten Interaktion sind hingegen ohne große Transaktionskosten gegeben, sieht man einmal von Sprachhürden ab, und einfacher zu reali‐ sieren als in den die Beobachtung ermöglichenden Sozialsystemen wie den Massenmedien, in denen Interaktion bestenfalls vor Abfassung eines journalistischen Textes als Prozesselement vorhanden ist, dann aber durch die klare Produzenten-Rezipienten-Beziehung einer monologischen Kom‐ munikationsform weicht. 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 49 <?page no="50"?> Andere organisierte Sozialsysteme wie die Politik, Wirtschaft oder NGOs/ soziale Bewegungen zeichnen sich durch hohe Hybridität mit Blick auf die Grundmodi der Kommunikation aus, da sie einerseits über ähnlich hohe Ressourcen und Kompetenzen der Weltbeobachtung verfügen wie die Massenmedien. Nicht umsonst ähnelt sich der strukturelle Aufbau des diplo‐ matischen Botschafter- und des journalistischen Korrespondentenwesens. Beide Institutionen dienen der globalen Informationsbeschaffung. Auch internationale NGOs (INGOs) wie Amnesty International fertigen weltweit Berichte (z. B. über die Situation der Menschenrechte) an. Andererseits pflegen diese Sozialsysteme als dezidierte Handlungssysteme, die nicht nur beobachten, sondern gestalten, direkte grenzüberschreitende Interaktion (Diplomatie, Außenwirtschaftskommunikation, Unternehmens- und Orga‐ nisationskommunikation in TNCs und INGOs). Globale Interaktivität jenseits der Massenmedien? Insgesamt lässt sich festhalten, dass Beobachtung und Interaktion bei allen Akteuren in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen, was jeweils auf spe‐ zifische Funktionen und Zielsetzungen der Akteure zurückzuführen ist. Es versteht sich von selbst, dass die Aufzählung der Systeme nicht vollständig ist und durchaus erweiterbar, etwa um das Subsystem der Wissenschaft mit ihrer ganz eigenen Mischung aus globalen Diskursen und Interaktionen. Die vielfältigen Wechselwirkungen von Individuen und Sozialsystemen, die jeweils „Umwelten“ füreinander darstellen, werden Gegenstand eines wei‐ teren Schrittes der Theoriebildung der Interdependenz sein und keineswegs unterschlagen (vgl. Kap. 1.4). Zunächst lässt sich jedoch folgende Arbeits‐ hypothese formulieren: Wenn wir heute von globaler Gemeinschaftsbildung (Weltgemeinschaftlichkeit) sprechen, dann weniger von den Massenmedien, deren primäre Aufgabe es ist, diskursive Weltöffentlichkeit herzustellen, als von anderen interaktiven Sozialsystemen sowie von den Individuen und ihren Lebenswelten, in denen prinzipiell interaktive Gemeinschaftlichkeit zum Tra‐ gen kommen kann. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass der Hauptgegenstand der Globalisierungsforschung bislang die Diskursanalyse in Form der Öf‐ fentlichkeits- und Medienkommunikation gewesen ist, während die Inter‐ aktionsanalyse vor allem im Bereich der nicht-öffentlichen Kommunikation bei Systemen wie auch Lebenswelten nur selten im Fokus theoretischer wie auch empirischer Betrachtungen gestanden hat. Die grundlegende Frage, ob soziale Interaktion im Prozess der Globalisierung eigentlich ebenso „mit‐ 1 Theorie der globalen Kommunikation 50 <?page no="51"?> wandern“ kann wie diskursive Kommunikation, bleibt daher unbeantwortet. Damit ist auch die Gemeinschaftsdimension bislang vollständig vernachläs‐ sigt worden. Eine umfassende Globalisierungsbilanz muss allerdings alle Bereiche der Kommunikation im Blick behalten. Synchronisation der Weltöffentlichkeit: das Problem der Massenmedien Wie lassen sich nun die globalen Kommunikationsprozesse der drei we‐ sentlichen Akteurstypen beziehungsweise -dimensionen - Massenmedien, organisierte Sozialsysteme und Lebenswelten - genauer beschreiben? Die Hauptaufgabe der Massenmedien besteht in der Herstellung nicht-inter‐ aktiver Diskurse. Natürlich gibt es Ausnahmen: Talkshows, Medienblogs usw., aber die zentrale Funktion bleiben Themenstrukturierung und Dis‐ kursorganisation, sonst würde der Journalismus zu Public/ Civic Journalism mutieren, also zu von Bürgern (mit-)gestalteten Medien (Rosen 1999, Merritt 1998), was eher sozialen Medien und Netzgemeinschaften vorbehalten ist (Forster 2006). Zudem hat Tanjev Schultz am Beispiel Deutschlands zu Recht festgestellt, dass große Talkshows mit spezifisch globalen Thematiken einen verschwindend geringen Anteil der Medienproduktion ausmachen, so dass interaktive Formate auch im Rahmen der Auslandsberichterstattung eine untergeordnete Größe darstellen (2006, S. 169). Die Herstellung von Texten funktioniert bei Massenmedien weniger dialogisch als diskursiv durch eine begrenzte Auswahl von gesellschaftlichen Aussagen, die zum Teil, aber nicht durchgehend, in Beziehung gesetzt werden. Dies ist auch nicht anders möglich, da eine bloße Wiedergabe des Gesprächs von Milliarden von Menschen auf dieser Welt eine unüberschaubare Kakophonie produzieren würde, so dass sogenanntes „Gatekeeping“ und Selektivität zu den Grund‐ prinzipien redaktionellen Arbeitens gehören. In den Medien reden nicht alle miteinander, sondern wenige beobachten viele und kommunizieren mittels und über Texte. Bei der Herstellung der Diskurse funktionieren die Massenmedien - zu‐ mindest unter demokratischen Rahmenbedingungen - nach autonomen Programmierungen, die eine Kombination aus medienethischen Grundsät‐ zen und Verlagsprogrammen oder Programmaufträgen sind. Im Falle der Medien variieren die Funktionszuschreibungen je nachdem, ob zum Beispiel eher demokratietheoretische Ziele (z. B. deliberative, rationale Öffentlich‐ keit) oder funktionalistische Bezüge (z. B. Themenstrukturierung, auch durch Unterhaltung) zugrunde gelegt werden (Hafez 2010). Die Hauptauf‐ gabe der Medien ist es, in Anlehnung an Niklas Luhmann, eine Differenz 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 51 <?page no="52"?> zwischen sich selbst und ihrer Umwelt zu erzeugen, die man als die ureigene Funktion eines Systems beschreiben kann (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 124ff.). Die Autonomie der Massenmedien lässt sie spontan als geschlossene Sys‐ teme erscheinen, die selbstbestimmt die Welt beobachten. Als Theorie der Massenmedien ist daher auch weniger die Organisationsals vielmehr die Text- und Diskurstheorie bedeutsam, denn die Textproduktion ist ja der finale Sinn eines Beobachtungssystems. Handlungssysteme wie die Politik werden letztlich zwar auch an ihren Texten - zum Beispiel an der politischen Rhetorik oder an Verträgen - gemessen, wichtiger jedoch ist ihr kommunikatives und strategisches Handeln, denn dieses hat nahezu unausweichlich gesellschaftliche Konsequenzen. Natürlich bedeutet Autonomie im Falle der Massenmedien dennoch nicht Autarkie, denn Medien werden auf Mikro-, Meso- und Makroebenen und vom politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umfeld beeinflusst (Hafez 2002a). Sie sind in komplexe Umwelteinflüsse eingebettet und existieren in Relation zu ihrer Umwelt in einem „Fließgleichgewicht“ (Kunczik 1984, S. 205ff., 212ff., Hafez 2002a, Bd. 1, S. 124ff.), das sie immer wieder auch zu Anpassungen zwingt, wie noch zu erörtern sein wird (vgl. Kap. 1.4). Zu‐ nächst einmal geht es in diesem Teilkapitel aber um die Autonomiefunktion der Medien. Wenn autonome Beobachtung der primäre Modus der Massenmedien ist, dann steht im globalen Maßstab die Frage nach der „Synchronisation“ ihrer Beobachtungsleistungen im Vordergrund. Die Transnationalisierung des Mediensystems muss der ultimative Ausdruck einer rationalen und auf Koorientierung der Bürger dieser Welt abzielenden Qualität der Welt‐ öffentlichkeit sein, denen Weltwissen zur Verfügung gestellt werden soll. Die Luhmann’sche Differenzidee autonomer Systeme bezog sich eigentlich immer nur auf andere Sozialsysteme, nicht aber auf andere Medien anderer Länder. Die Massenmedien müssen unabhängig von der Politik und der Wirtschaft sein; sie müssen aber nicht notwendigerweise zu anderen Er‐ kenntnissen kommen als Medien im Ausland. Im Prinzip scheint es durchaus sinnvoll zu sein, die Welt so zu sehen, wie andere Menschen in der Welt und deren Medien sie auch sehen - der rationale Abgleich aller sinnvollen Frames und Diskurse ist geradezu das Signum der auf intime Weltkenntnis verweisenden These vom „globalen Dorf “. Im Sinne der ursprünglichen ersten Welle der Globalisierungstheorie und der radikalen Idee einer Welt‐ öffentlichkeit (global public sphere) muss man die Massenmedien dieser Welt 1 Theorie der globalen Kommunikation 52 <?page no="53"?> sogar prinzipiell als ein einziges System betrachten können, das nicht mehr an nationalen Grenzen Halt macht. Hier nun allerdings liegt das Hauptproblem der globalen Medienkom‐ munikation. Ist sie zu einer hohen Synchronisierung und einer starken Globalisierung in der Lage? Eine Reihe von Wissenschaftlern und Wissen‐ schaftlerinnen, unter anderem einer der Autoren dieses Buches, haben in der zweiten Welle der Globalisierungsforschung in Frage gestellt, dass eine Homogenisierung der Diskurse auf Grund einer optimierten Beobachtungs‐ leistung durch die Massenmedien erfolgt, da sowohl die Aufmerksamkeit für Themen als auch die Art der journalistischen Aufbereitung selbst bei identischen Ereignissen in den einzelnen nationalen Mediensystemen oft grundlegend unterschiedlich sind, wie wir in diesem Buch noch eingehender untersuchen werden. Vielmehr betonen sie die vorherrschende Domestizie‐ rung der Auslandsberichterstattung(en) dieser Welt (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 24ff., 2005, Flew 2007, Stanton 2007, Ulrich 2016, vgl. a. Williams 2011, S. 21ff.). Im Kontrast dazu gibt es auch Werke, die die Synchronität durch mediale Grenzüberschreitung hervorheben (Volkmer 2014, Fraser 2014). Lokal-globale Mehrebenen-Medienöffentlichkeit(en) Um nicht in unproduktiven Dogmatismus zwischen konträren Schulen zu verfallen, kann man versuchen, ein transformatives Konzept lokal-glo‐ baler Öffentlichkeit(en) zu etablieren. Der primäre Bezug bleibt hier die nationale Auslandsberichterstattung mit ihrer Tendenz zur Domestizierung. Allerdings findet auch in der nationalen Auslandsberichterstattung ein gewisser - wenn auch begrenzter - Abgleich mit globalen Diskursen statt; ein Effekt, der andernorts als Tip-of-the-Iceberg-Phänomen beschrieben worden ist (Hafez 2011, S. 484) und der noch immer recht weit entfernt ist vom Ideal einer völligen Synchronisierung aller Diskurse, Themen und Frames, wie sie in einer durch transnationale Medien geprägten Welt realisiert wäre (Splichal 2012, S. 149, Wessler et al. 2008, S. 15f.). Zudem kann in homogenen Sprachräumen eine erste Form der grenzüber‐ schreitenden Transnationalisierung von Produktionskontexten erfolgen (z. B. lange Jahre Al-Jazeera in der arabischen Welt). Zuletzt ermöglichen technische Zugriffe auf ausländische und fremdsprachliche Medien vor allem einer multilingualen Informationselite unter den Verbrauchern einen komparativen Zugriff auf unterschiedliche nationale Mediensysteme, was das Simulationsproblem zwar auf der Produktionsebene bestehen lässt, es aber auf der Rezipientenebene löst (vgl. Abbildung 1.3). Wir werden im 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 53 <?page no="54"?> Kapitel über die Massenmedien (Kap. 2) auf die verschiedenen Ebenen der globalen Massenkommunikation eingehen, um sinnvolle Antworten auf die Frage nach der Synchronität der globalen Medienbeobachtung zu finden. regionale Medien nationale Medien (transnationalisiert) nationale Medien (domestiziert) globale Medien Abb. 1.3: Lokal-Globale Mehrebenen-Medienöffentlichkeit(en) Globale Organisationskommunikation zwischen Diskurs und Interaktion Kommunikationsprozesse in anderen organisierten und nicht-organisierten Sozialsystemen müssen auch mit anderen spezifischen Theorien untersucht werden als die Medien. Mit der Vielfalt der Akteure wachsen auch die theoretischen Herausforderungen, denn eine einheitliche Theorie für deren kommunikatives Handeln gibt es nicht. Grundsätzlich gilt, dass mit der Ver‐ lagerung vom Beobachtungssystem der Massenmedien zu den organisierten Handlungssystemen (Politik, Wirtschaft usw.) eine Akzentverschiebung von der Diskurszur Organisationsanalyse einhergeht. Eine der Herausforde‐ rungen für die Forschung besteht darin, dass ein großer Teil der Kommu‐ 1 Theorie der globalen Kommunikation 54 <?page no="55"?> nikationsprozesse dieser Sozialsysteme nicht öffentlich sichtbar und auch für die Forschenden selbst schwer zugänglich ist. Um nicht-mediatisierte Kommunikation verstehen zu können, bedarf es eines guten Verständnisses der Organisationsstrukturen und der mit ihnen verbundenen typischen Kommunikationsprozesse. In Anlehnung an die Organisationssoziologie lassen sich einige „Kommunikationsstrukturen“ erkennen (u. a. Endruweit 2004, S. 178ff.), die gleichermaßen auf alle organisierten Sozialsysteme zutreffen, wobei allerdings, wie wir sehen werden, an verschiedenen Stellen Ergänzungen aus anderen Theorierichtungen wie der Verhandlungskom‐ munikation, Entscheidungstheorie, Netzwerktheorie und Deliberationsfor‐ schung erforderlich sind. Die erste Struktur betrifft die oben dargelegte Dualität beziehungsweise Hybridität von Beobachtungs- und Interaktionsleistungen. Wir haben es als charakteristisch für Handlungssysteme bezeichnet, dass sie sowohl beobachten (speichern, systematisieren, analysieren) als auch interagieren. In Manfred Rühls organisationstheoretischer Analyse von Redaktionen zum Beispiel, die aber auch auf andere Organisationen anwendbar ist, macht dieser klar, dass die Zweckprogrammierungen (der Chefebene) und die Konditionalprogrammierung (Erfahrungswissen und Routinen der Mitar‐ beiter) bei veränderten Bedingungen immer wieder sozial nachverhandelt werden müssen (Rühl 1979, 1980). Entscheidungstheoretische Prozessmo‐ delle zeigen, dass es etwa in der Außenpolitik darauf ankommt, Probleme zu bestimmen, Informationen zu sammeln, Handlungsalternativen zu erar‐ beiten usw. (Behrens/ Noack 1984, S. 113). Die prinzipielle Rationalität von Prozessen der Sozialsysteme sollte man gleichwohl nicht idealisieren. Oft sind politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme so aufgebaut, dass sie - ähnlich wie das Mediensystem - unterschiedliche Organisationen umfassen, die durch Richtlinienkompetenzen nur lose zusammengehalten werden (globale Kommunikation der Außenpolitik findet etwa durch ver‐ schiedene Ministerien statt). Innerhalb einer jeden Organisation werden Beobachtungs- und Interakti‐ onsleistungen zudem von verschiedenen Abteilungen und auf unterschied‐ lichen Hierarchiestufen getätigt, die nicht immer ideal koordiniert werden. Nicht selten kommt es etwa in der Außenpolitik vor, dass hausinterne Ana‐ lysen und Monitoring-Dienste nicht hinreichend in Entscheidungsprozesse eingehen, weil diese Entscheidungen zum Beispiel von Ad-Hoc-Teams und „vorbei am Apparat“, unter Zeitdruck oder nach ideologischen Prämissen getroffen werden. Global Governance hat zudem zu einer neuen Form 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 55 <?page no="56"?> der sogenannten „Nebendiplomatie“ (second track diplomacy) geführt, die auch Netzwerke von NGOs, Lobbies und externe Experten einbezieht (Hafez 2002c, S. 138). Da Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politiksysteme sich zudem in ihren Organisationszielen unterscheiden, sind auch die Organisationsstrukturen nicht identisch und damit sind auch die Kommu‐ nikationsstrukturen zu vielfältig, so dass sie im Rahmen einer Einführung nur exemplarisch behandelt werden können. Das Spannungsverhältnis zwischen Beobachtungs- und Interaktionsstrukturen von organisierten Sozialsystemen erzeugt einen erhöhten Kommunikationsbedarf, der der Kommunikationsberatung auch in politischen wie wirtschaftlichen Organi‐ sationen ein ganz neues Feld eröffnet hat (Hafez 2002c). Informalität und Mediatisierung der Organisationskommunikation Erschwerend kommt hinzu, dass man im Inneren von Organisationen zwi‐ schen formeller und informeller Kommunikation unterscheiden muss, was etwa im Nebeneinander von Abteilungssitzungen und dem „Flurfunk“ zum Ausdruck kommt. Schon lange ist bekannt, dass informelle Kommunikation in Bürokratien eine erhebliche Rolle spielt, da hier innovative Lösungen gefunden werden, aber auch formale Kommunikationsprozesse blockiert werden können. Bei der Bewertung der informellen Kommunikation, die früher als Störfaktor betrachtet wurde, tendiert man heute immer stärker zur positiven Hervorhebung emotionaler und kognitiver Facetten (Torjus 2014, S. 29ff.). Gelingende informelle Kommunikation ist in jedem Fall für das Wir-Gefühl einer Gemeinschaft wichtig, was in unserem Kontext die Frage aufwirft, ob Informalität auch bei globalen Distanzbeziehungen etwa in transnationalen Unternehmen zum Tragen kommt und dadurch interaktive Gemeinschaftlichkeit, also „Weltgemeinschaft“ statt nur „Weltöffentlich‐ keit“, im internationalen Rahmen fördert. Die Gemeinschaftsdimension der informellen Kommunikation spielt zudem nicht nur in der Binnenkommuni‐ kation von Organisationen und Systemen eine Rolle, sondern verläuft auch zwischen Systemen, im Bereich des Handels wie auch in der zwischenstaat‐ lichen Diplomatiekommunikation. Jürgen Habermas würde sagen: Hier geht es nicht nur um strategische, sondern auch um dialogische Kommunikation und damit auch um echtes kommunikatives Handeln (Habermas 1995, Bd. 1, S. 126ff.). Mehr noch als die Organisationskommunikation und die Entscheidungstheorie ist daher oft die Verhandlungskommunikation der zentrale Bereich der Theorie der globalen Interaktion. 1 Theorie der globalen Kommunikation 56 <?page no="57"?> Eine zweite bedeutsame Kommunikationsstruktur ist die Text-Sprech- Differenz. Texte können bei Beobachtungen wie bei Interaktionen eine Rolle spielen, zum Beispiel bei internationalen Verträgen oder Kommuniqués, in denen die Sichtweisen verschiedener internationaler Partner fixiert werden. Interaktion kommt also in verschiedenen Aggregatzuständen daher, zum Bei‐ spiel als Sprech- oder als Schriftdialog. Jede Variante besitzt spezielle Vorzüge. Gesprochene Dialoge verfügen über ein hohes Partizipations- und Gemein‐ schaftspotenzial. Der geschriebene Text hingegen macht Gemeinschaften verbindlich, denken wir nur an die Völkerrechtsabkommen. Wir müssen jedenfalls beide Interaktionsformen der organisierten Sozialsysteme im Blick behalten und ihre Eigendynamiken und Wechselwirkungen erfassen. Die nächste bedeutsame Kommunikationsstruktur ist die Unterscheidung zwischen direkter und mediatisierter sozialer Kommunikation. Nahezu alle Kommunikationsstrukturen besitzen heute eine zusätzliche Dimension der mediatisierten interpersonalen Kommunikation (E-Mail, Telefon, Netz‐ dienste usw.). Dadurch entstehen neue Chancen der Deterritorialisierung, aber auch Einbußen bei der Qualität der Beobachtungsleistungen ebenso wie bei der partizipativen, interaktiven Vergemeinschaftung. Es bilden sich neue Textsorten - zum Beispiel die internationale Online-Petition - und informelle Beziehungen im digitalen Raum. Technische Veränderungen der Digitalisierung haben direkte Auswirkungen auf globale Kommunikation. Für die Weltgemeinschaft eröffnen sich neue Möglichkeiten, aber eben auch zusätzliche Gefahren. Globale Innen-/ Außen-Hybridität Für die Bilanz globaler Kommunikation von entscheidender Bedeutung ist nicht zuletzt eine weitere Struktur: das Innen-/ Außenverhältnis von Kommunikation. Die Grenze zwischen Binnen- und Außenkommunika‐ tion ist identisch mit der zwischen nicht-öffentlicher und öffentlicher Kommunikation. Hier kann dann auch erneut, ähnlich wie bei Massenme‐ dien, die Diskursanalyse publizierter Texte und politischer Rhetorik eine Rolle spielen. Binnenkommunikation der Sozialsysteme, einschließlich der Netzwerkkommunikation mit anderen Systemen (Diplomatie usw.), ist oft interaktiv. Außenkommunikation ist hingegen durch strategische Kommu‐ nikation gekennzeichnet (z. B. Wirtschafts-PR, staatliche PR/ Propaganda) und damit in der Tendenz monologisch-persuasiv und nicht interaktiv und gemeinschaftsbildend. Die Kernfrage für das vorliegende Buch in diesem Zusammenhang lautet daher: Wieviel gemeinschaftsbildende Kraft entwi‐ 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 57 <?page no="58"?> ckelt beispielsweise die Interaktion nicht-öffentlicher Diplomatie, wenn im öffentlichen Raum dann schließlich doch wieder außenpolitische Propa‐ ganda vorherrscht? Inwiefern verbindet strategische Unternehmens-PR, bei allem Dialogverhalten in der Binnenkommunikation, unsere Welt zu einer „Weltgemeinschaft“? Die Hybridität der Sozialsysteme des politisch-wirt‐ schaftlichen Sektors, ihr ständiges Oszillieren zwischen Egozentrismus und Gemeinschaftsorientierung, ist kommunikationstheoretisch gut damit zu erklären, dass sie an der Schnittstelle zwischen Diskurs und Dialog ange‐ siedelt sind. Diskursive Public Relations und dialogische Interaktion über Ländergrenzen hinweg gehen eine komplizierte und vielfach verwirrende Mischung ein, um deren analytische Unterscheidung und Bilanzierung wir uns in dieser Arbeit bemühen. Da wir im Kontext des System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes aber ne‐ ben den funktionalen Austauschprozessen auch die intrinsischen Strukturen der Systeme verstehen müssen, ist es wichtig, die globale kommunikative Hybridität nicht nur als kommunikativen Widerspruch oder Ungleichzeitig‐ keit zu verstehen, sondern auch als strukturelle Problematik. „Hybridität“ von Diskurs und Dialog erklärt ja noch nicht, wann und warum welche Modi verwendet werden und warum Widersprüche - etwa zwischen Innen- und Außenkommunikation - entstehen können. Dies wird allerdings sofort ver‐ ständlicher, wenn man die Idee des strukturellen autonomen Selbsterhalts bei gleichzeitig erforderlicher Umweltanpassung einbezieht. Interaktion ist dann ein Weg der Anpassung; diskursive Kommunikation hingegen dient der Autonomisierung. Systeme kommunizieren mit den jeweiligen Modi, die ihnen zum Erhalt der Grundfunktionen von Autonomie und Anpassung opportun erscheinen. Kommunikative Hybridität wird damit zum Gegenstand des systemischen „Fließgleichgewichts“. Robert S. Fortner hat bereits vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass internationale Kom‐ munikation teils als einheitliches globales System und teils als Ansammlung separater Systeme zu denken ist (1993, S. 37f.). Dies gilt mit Blick auf die Kommunikation zwischen gleichen Systemen (also etwa der Interaktion zwischen Staaten in der Diplomatie) ebenso wie bei der Interdependenz zwischen ungleichen Systemen (z. B. Medien, Politik, Wirtschaft), die uns weiter unten noch beschäftigen wird. Globale Interaktionspotenziale nicht-organisierter Sozialsysteme Nicht-organisierte Sozialsysteme kann man nicht ohne weiteres mit den Mitteln der Organisationskommunikation untersuchen. An die Stelle der 1 Theorie der globalen Kommunikation 58 <?page no="59"?> organisatorischen treten diskursive oder auch dialogische Strukturen, was dazu führt, dass Netzgemeinschaften sowohl ein Untersuchungsge‐ genstand der Netzwerkforschung der Soziologie wie auch der Deliberati‐ onsforschung der Kommunikationswissenschaft sind (Stegbauer/ Rausch 2006, Stromer-Galley/ Wichowski 2013). Soziologisch interessant ist, dass die Kehrseite der organisationslosen und im Prinzip hierarchiefreien Netz‐ gemeinschaften oft eine Dominanz informeller hegemonialer Meinungs‐ führer und „Informationseliten“ ist. Für die „Masse“ der Menschen sind Sprachraumgrenzen und kulturelle Hegemonien in Netzgemeinschaften oft eine ernst zu nehmende Hürde. Dies wiederum kann den angeblichen Dialogcharakter des als interaktiv geltenden Internets einschränken, was wiederum Konsequenzen für globale Gemeinschaftlichkeit hat. Es wird also über die Qualität von Online-Diskursen zu sprechen sein. Wie global sind Online-Communities wirklich? Ist das Internet letztlich ein globales oder ein lokales Medium? Eine weitere Herausforderung liegt in der systematischen Untersuchung der (globalen) Lebensweltkommunikation, die eine Erweiterung an theo‐ retischen Instrumentarien erfordert. Wenn wir die globalen Kommunika‐ tionsbeziehungen von Individuen, Gruppen und „kleinen Lebenswelten“ (Luckmann 1970) in den Blick nehmen, dann müssen wir uns stärker an den Überlegungen der interpersonalen Kommunikation, dem symbolischen Interaktionismus, der Soziopsychologie und vor allem an den soziologischen Kommunikationstheorien orientieren, die in der Tradition der Wissens- und Kultursoziologie stehen (Schützeichel 2004, Averbeck-Lietz 2015). Denn hier werden die Grundlagen der menschlichen Kommunikation und Weltwahr‐ nehmung verhandelt, die für die Frage nach globaler Kommunikation aus der Mikroperspektive des Alltags entscheidend sind. In Anlehnung an die oben eingeführten Kommunikationsmodi und die soziologischen Kommunikationstheorien gehen wir zunächst davon aus, dass das kommunikative Handeln des Individuums wechselseitig interaktiv ist. Menschen lernen durch Interaktion mit anderen, sich selbst und die Welt zu deuten und zu verstehen und auf der Basis dieses Weltverstehens wiederum eigene Handlungen aufzubauen (Mead 1934, Blumer 2010, Blumer et al. 2013). Unser Erfahrungswissen, welches wir so in fortlaufender Kommunikation ansammeln, verdichtet sich schließlich zu Kategorien, die Schütz und Luckmann als soziale Typenbildung beschrieben haben (2003, S. 313ff., Schützeichel 2004, S. 128ff.). Wir entwickeln also Alltagstheorien über Kommunikationssituationen, antizipieren das Handeln anderer und 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 59 <?page no="60"?> ordnen neue Erfahrungen in diese Klassifikationssysteme ein. Dies bedeutet auch, dass unsere individuellen Wissenssysteme, mit deren Hilfe wir uns die Welt erschließen, von unseren spezifischen Sozialisations- und Kontakter‐ fahrungen geprägt sind. Die wechselseitige Orientierung aneinander hat nämlich auch zur Folge, dass wir kommunikative Muster, Repertoires und Routinen kennenlernen, die in bestimmten sozialen Milieus als kommuni‐ kative Konventionen institutionalisiert und damit sozial tradiert werden. Insofern können wir sagen, dass sich das lebensweltliche Erfahrungswis‐ sen des Einzelnen aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Wissenssysteme speist. Die „Strukturen der Lebenswelt“ (Schütz/ Luckmann 2003), also die generellen Bedingungen der räumlich, sozial und zeitlich strukturierten Interaktion in der Alltagswelt, bleiben dabei aber für alle Menschen gleich, so dass eine wechselseitige Verständigung mit „sozialen Anderen“ grundsätzlich immer möglich sein sollte. Für die grenzüberschreitende Verständigung heißt das nun im ersten Schritt, dass diese von einer spannungsreichen Dialektik geprägt ist. Ei‐ nerseits ist unser kommunikatives Handeln immer ein Produkt unserer jeweiligen sozialen Umwelten und Sozialisationserfahrungen, die bei vielen Menschen auch heute noch in erster Linie lokalen Ursprungs und abhängig von lokalen Diskursen sind. Andererseits unterliegt das lebensweltliche kommunikative Handeln eben auf Grund des intrinsisch sozialen Charakters immer auch einem dynamischen Wandlungsprozess. Denn wenn unsere Erfahrungen fortlaufend zur (Neu-)Ordnung unserer typischen Handlungs- und Kommunikationsschemata führen, dann ist theoretisch immer auch die Möglichkeit zur Veränderung dieser Typen und damit unserer handlungs‐ leitenden Wissenssysteme durch neue Erfahrungen gegeben. Diese Dialektik ist bezüglich der zentralen Unterscheidung von Beobach‐ tung und Interaktion von besonderem Interesse. Wir hatten festgestellt, dass die bloße Beobachtung der Welt durch individuelle Akteure weitestgehend von den Leistungen der anderen Sozialsysteme abhängig ist, da Experten‐ wissen in modernen Gesellschaften primär durch die Medien, das Schul- und Wissenschaftssystem zur Verfügung gestellt wird. Dabei beobachten wir aber noch lange nicht alltägliche Interaktionen in anderen, ferneren Lebens‐ welten, sondern zu großen Teilen die strategischen Handlungen politischer Sozialsysteme (Hafez/ Grüne 2015). Insofern ist die Medienkommunikation nur eine sehr eingeschränkte Form globaler Kommunikation in der Lebens‐ welt. Die Lebenswelt ist theoretisch ganz im Gegenteil der prädestinierte Ort für globale Dialoge, da hier gemäß unserer bisherigen Herleitung vor 1 Theorie der globalen Kommunikation 60 <?page no="61"?> allem Face-to-Face-Interaktion stattfindet. In den Interaktionen können individuelle Akteure nun mittelbare und unmittelbare grenzüberschreitende Dialoge führen und sie können direktes und vermitteltes Erfahrungswissen sammeln, also aus dem globalen Selbstkontakt oder Gesprächen über den globalen Kontakt Dritter. Globale Lebenswelten und Gruppenkommunikation Die letztere Form weist auf eine Komplexität globaler Lebensweltkommu‐ nikation hin. Auch wenn Menschen nämlich gelegentlich Wissen aus rei‐ nen interpersonalen Kommunikationssituationen beziehen, so wird dieses häufig im Gruppenkontakt weiterverhandelt. Familien, Peers, Interessenge‐ meinschaften oder Hobby- und Fangemeinschaften bestehen selten aus nur zwei Personen, sondern es handelt sich in der Regel um vergemeinschaf‐ tete Gruppenbeziehungen. Das gilt nicht nur für informelle Rollen der Privatwelt, sondern ebenso für soziale Kontexte, in denen Akteure in ihren zugewiesenen formalen Handlungsrollen agieren. Auch in der Ausbildung oder im Beruf finden sich Menschen meist in Gruppenkontexten wieder. Diese unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften sind wiederum der lebensweltliche Horizont geteilter Erfahrungen und Wissenssysteme. Das individuelle Wissen muss also für die soziale Integration in Transak‐ tionsleistungen immer wieder an diese Gruppenkontexte rückgebunden werden und bedarf somit einer diskursiven Anschlussfähigkeit. Individu‐ elle Lebenswelten stehen also immer in Zusammenhang mit milieuspezifi‐ schen „kleinen Lebenswelten“, wie sie Benita Luckmann beschrieben hat (1970). Dieses Verhältnis kann wiederum helfen, Prozesse der Reproduktion oder Irritation von gesellschaftlich verhärteten Fehldeutungen, Stereotypen oder Ignoranz gegenüber globalen „Anderen“ und deren Lebenswelten zu verstehen. Daher werden uns insbesondere Fragen nach der Veränder‐ ungsdynamik des akteursspezifischen Alltagswissens wie auch nach den Voraussetzungen zur Herausbildung echter globaler Gemeinschaft unter den Bedingungen globalen Kontakts in den folgenden Kapiteln des Buches weiter beschäftigen. Mobilität, erweiterter Interaktionsraum und das Rollenproblem Bisher deuten Daten aus dem Bereich des Tourismus, der transnationalen Vergemeinschaftung oder der Nutzung Sozialer Medien darauf hin, dass die Potenziale einer globalen Erweiterung der Kommunikationserfahrungen, also soziale Kommunikation über die Grenzen der alltäglichen Lebensreali‐ 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 61 <?page no="62"?> tät hinaus, zu großen Teilen noch ungenutzt bleiben (Zuckerman 2013, vgl. a. Mau 2007). Dies gilt sowohl für die physische wie auch die digitale Mobi‐ lität, was insofern interessant ist, als dass im Verhältnis von direkter und mediatisierter sozialer Kommunikation der Lebenswelt der indirekte globale Dialog durch die Tools der Sozialen Medien deutlich einfacher geworden ist. Aber die lokalen Grenzen von Sprach- und Diskursgemeinschaften scheinen sich vorerst in den digitalen Lebenswelten zu behaupten. Nur wenige individuelle Akteure verlagern ihre Interaktion mittelbar oder un‐ mittelbar jenseits lokaler Grenzziehungen in einer Weise, in der sie sowohl an den Dialogen als auch den Diskursen anderer Lebenswelten teilhaben und damit wirklich grenzüberschreitend Wissenssysteme verhandeln und globale Gemeinschaft entwickeln. Das Wissen dieser „Kosmopoliten“ (Hannerz 1996, S. 102ff.) kann wiederum nur in ausgewählten Kommunikationskontexten weitergegeben werden. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, auch für die kommunikativen Lebens‐ welten die theoretische Unterscheidung zwischen Formalität und Informalität einzubeziehen. Analog zu den formalen und informellen Kontexten der Organisationskommunikation finden wir auch in Lebenswelten beide Modi vertreten. Zwar scheint auf den ersten Blick die informelle Kommunikation in der Privatwelt zu dominieren, doch im Laufe der lebensweltlichen Kommu‐ nikation schlüpfen Individuen auch immer wieder in formalisierte Rollen, in denen sie Träger von Organisationszielen werden. Je nach Ausrichtung kann nun die globale Erfahrung entweder an formale (z. B. Außenmitarbeiter in global agierenden Unternehmen) oder informelle Rollen (Privatperson auf Reisen) gekoppelt sein, wobei im ersten Fall beide Rollenfunktionen zusammenfallen können. Die Weitergabe der globalen Erfahrung kann dann eher strategischer oder zufälliger Natur sein und die lokalen Lebensweltkon‐ texte unterschiedlich stark beeindrucken oder gar nachhaltig verändern. Das Potenzial globaler Gemeinschaftsbildung ist damit in den grenzüberschrei‐ tenden Face-to-Face-Interaktionen von Individuen noch nicht automatisch begünstigt, sondern hängt auch von Kommunikationsstrukturen ab. Dazu zählt zudem das variierende Innen- und Außenverhältnis lebens‐ weltlicher globaler Kommunikation. So ist es, wie eben angedeutet, vor allem die Binnenkommunikation der Kleingruppe, die mit über die Art und Weise der kollektiven Anschlussfähigkeit globaler Erfahrungen entscheidet, da die private soziale Rückverhandlung derselben zumeist dort vorgenom‐ men wird. Kleingruppen haben aber wiederum keine verfasste strategische Außenkommunikation, wie wir sie von sozialen Bewegungen, Organisatio‐ 1 Theorie der globalen Kommunikation 62 <?page no="63"?> nen oder Großgemeinschaften kennen. Dass gerade Kleingruppen globales Wissen strategisch an größere Öffentlichkeiten nach außen kommunizie‐ ren, ist daher theoretisch problematisch. Im kulturellen „Transit“-Raum der Kleingruppe kann aber durchaus ein neuer alltäglicher Umgang mit Globalisierung durch deren Mitglieder verhandelt und umgesetzt werden. Während bei der Kleingruppe vor allem nicht-öffentliche direkte oder indirekte globale Kontaktszenarien dominieren, können Individuen auch als Einzelne in funktionalen (Teil-)Öffentlichkeiten global interagieren. Sie kön‐ nen dies zum Beispiel strategisch in Repräsentationsrollen von organisierten Systemen tun. Individuelle Akteure können theoretisch sowohl Diskurse mitgestalten (etwa, indem sie publizieren) oder direkte globale Dialoge mit anderen führen. Sie sind also viel mehr noch als die Kleingruppe der eigentliche Akteur der globalen lebensweltlichen Außenkommunikation. Soziale Medien und globaler Monolog/ Dialog Schließlich ist noch auf die Text-Sprech-Differenz des kommunikativen Handelns in der Lebenswelt einzugehen. Auch hier scheint die Dominanz der Face-to-Face-Interaktion auf eine analoge Dominanz der Sprechakte hinzuweisen, die zugleich auch eine grundsätzlichere Unverbindlichkeit der kommunikativen Leistung der Lebenswelt impliziert - selbst Konven‐ tionen des Alltagshandelns folgen ja nicht fixierten Regeln wie etwa in der Diplomatiekommunikation, sondern tradierten, impliziten Institutiona‐ lisierungen. Globale Verhandlungen der Sozialsysteme führen im besten Fall zu fixierten globalen Abkommen, globale Dialoge der Lebenswelt aber zu globalem Wissen, globaler Erfahrung und Gefühlen globaler Solidarität, was sich nicht sofort sichtbar umsetzt und eine empirische Bilanzierung zweifelsohne erschwert. Dennoch lässt sich ein Anfangsverdacht einer Verschiebung hin zu Textualität der globalen Kommunikation formulieren. Denn wenn die Möglichkeiten globaler Interaktion der Sozialen Medien genutzt werden, dann müssen sich globale Alltagsdialoge zwangsläufig in digitale Texte verwandeln, was wiederum eine Rationalisierung der Lebensweltgespräche beeinflussen kann. Auch die Praktiken der Verarbeitung globaler Kontakt‐ erfahrungen produzieren materielle Texte: Über Fotos, Berichte und Blogs werden etwa globale Kontakterfahrung wieder in monologische Textsorten verwandelt und in Archive der Alltagserinnerung verschoben, was ebenso eine lebendige Verhandlung im lokalen Lebensweltalltag verhindern kann. 1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten 63 <?page no="64"?> Fazit: Weltgesellschaft, Weltgemeinschaft und globale Kommunikation als ein multiples Phänomen Insgesamt ist es an der Zeit, globale Kommunikation als ein multiples Phänomen zu behandeln, in dem verschiedene Akteure durch ihre jeweils spezifischen Kommunikationsmöglichkeiten unterschiedliche Leistungen erbringen können oder sogar bereits erbringen. Grob gesagt lassen sich drei Akteurstypen unterscheiden. Die Massenmedien liefern durch ihre vor allem durch Beobachtung erzeugte Kommunikation monologisch kon‐ stituierte Diskurse über distantes Weltgeschehen, das Informations- und Wissensangebote für andere Teilsysteme bereitstellt. Vor allem die orga‐ nisierten Handlungssysteme von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft setzen diesen Beobachtungen eigene Beobachtungsleistungen entgegen, agieren darüber hinaus jedoch in einem interaktiven Modus der Herstellung einer wie auch immer begrenzten politischen, wirtschaftlichen und gesell‐ schaftlichen Gemeinschaftlichkeit. In den Lebenswelten zuletzt ist trotz der Möglichkeit strategischer, formaler, öffentlicher und textbasierter Kommu‐ nikation die kommunikative Eigenlogik als primär informell dialogisch zu beschreiben. Wie die spezifischen globalen Kommunikationsmöglichkeiten genutzt werden, ist Gegenstand dieses Buches. Da die Systeme aber nicht getrennt operieren, sondern vielfältig zusammenwirken, ist als letzter Theo‐ rieschritt ein Nachdenken über Fragen der kommunikativen Interdependenz erforderlich. 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen Kommunikation und zwischenstaatliche Beziehungen Bislang haben wir versucht, die kommunikativen Eigenlogiken von Ak‐ teuren und Systemen im globalen Rahmen zu verstehen. Die Kommuni‐ kationsweisen der Akteure stehen allerdings in engem Zusammenhang mit bestimmten gesellschaftlichen Konzepten wie „Weltöffentlichkeit“ und „Weltgemeinschaft“. Unter anderem die oben vorgestellten integrativen Systemtheoretiker haben früh erkannt, dass beispielsweise grenzüberschrei‐ tende Interaktion durch Briefe, Telefon usw. eine Dichte der Beziehungen erzeugt, die wiederum politikrelevant ist oder dass umgekehrt ein bestimm‐ ter Stand der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Län‐ dern solche Kommunikation fördert. Kommunikation erfolgt nicht „einfach 1 Theorie der globalen Kommunikation 64 <?page no="65"?> so“, sondern sie ist in gesellschaftliche Motivlagen eingebunden, deren Komplexität man verstehen muss, wenn man globale Kommunikation - oder ihr Ausbleiben - analysieren will. Bisher gibt es keine Generaltheorie für solche gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge. Dennoch existieren Konzepte, die man für die Analyse von globaler Kommunikation nutzbar machen kann, wenngleich man sie ergänzen und überarbeiten muss. Im Folgenden werden drei Typen von Interdependenzansätzen vorgestellt, die verschiedene Bereiche thematisieren und die komplexen Beziehungen beschreiben: ▸ Kommunikation und zwischenstaatliche Beziehungen, ▸ Medien und nationale/ internationale Systembeziehungen, ▸ Beziehungen zwischen Massenmedien, Handlungssystemen und Le‐ benswelten. Zusammen bilden diese Theoreme zwar keine einheitliche Dependenztheo‐ rie globaler Kommunikation, aber es entsteht eine Matrix, die für Wechselbe‐ ziehungen zwischen verschiedenen Akteuren sowie zwischen den Akteuren und ihren Umwelten sensibilisiert. Richard Rosecrance beschreibt die Wech‐ selwirkungen zwischen Interessenstrukturen und Kommunikationsbezie‐ hungen in der internationalen Politik, indem er drei grundlegende Bezie‐ hungsmuster herausarbeitet (1973, S. 136ff.). Als „positive Interdependenz“ bezeichnet er, wenn die Interessenstrukturen zweier Akteure, etwa zweier Staaten, grundsätzlich kompatibel sind und eine sich ergänzende Form der Beziehungen besteht. In diesem Fall trägt ein hohes Kommunikationsniveau in der Regel zur Stabilität der Beziehungen bei, während ein Abbruch oder eine massive Störung der Kommunikation zu temporärer Instabilität und zu einer Zunahme der Konfliktspannung führen können. Bei „negativer Interdependenz“ hingegen, also bei inkompatiblen Interessenstrukturen und einer „Nullsummen“-Interdependenz (Gewinne des einen sind Verluste des anderen) gehen auch von einem hohen Kommunikationsniveau in der Regel keine konfliktmindernden Einflüsse aus. In diesen Fällen ist es notwendig, entweder den Konflikt auszutragen, im Dauerkonflikt zu verharren oder aber Interessen neu zu definieren. Von „geringer Interdependenz“ spricht Rosecrance, wenn internationale Kommunikationspartner (Staaten/ Regie‐ rungen) weder positive noch negative Beziehungen pflegen. Hier ist Kom‐ munikation der wichtigste Beziehungsfaktor. Verläuft die Kommunikation störungsarm, sind auch die Beziehungen konfliktarm. Treten vermehrte Kommunikationsstörungen auf, sind auch die Beziehungen konfliktgeprägt. 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen 65 <?page no="66"?> Trotz der engen Beziehung zwischen Interaktion und staatlichen Interes‐ sen ist also Interaktion kein Allheilmittel. Eine konfliktmindernde oder -verstärkende Wirkung der Kommunikation ist nur bei zwei Drittel der Modellkonstellationen zu erwarten (positive Interdependenz und teilweise geringe Interdependenz); bei einem Drittel aller Modellfälle (negative In‐ terdependenz) werden keine beziehungsweise geringe Wirkungen durch Kommunikation erzielt. Medien und nationale/ internationale Systembeziehungen Aus der Perspektive des Fachvertreters für Internationale Beziehungen besteht „Kommunikation“ für Rosecrance vor allem aus direkter Interaktion zwischen politischen Systemen. Andere theoretische Ansätze haben sich auf die Massenmedien, also auf beobachtende Formen des Austauschs zwischen Gesellschaften konzentriert, die wiederum für verschiedene Systeme und Lebenswelten von Bedeutung sind, wo Massenmedien als zentrales Umwelt‐ system für Akteure fungieren, die ihrerseits Umwelten der Massenmedien darstellen. Kai Hafez geht generell davon aus, dass grenzüberschreitende Interdependenzen bei den meisten Massenmedien - anders als bei Politik und Wirtschaft - schwach entwickelt sind, weil, wie oben festgestellt wurde, ein transnationales Mediensystem heute bestenfalls im Ansatz vorhanden ist (2002a, Bd. 1, S. 134ff., 2005). Gegenwärtig beobachten vor allem nationale Medien und Mediensysteme andere Nationen (und deren Medien). Das System der Massenmedien ist also nicht nur seiner Natur nach beobachtend und nicht dialogisch; es ist auch national desintegriert, was bedeutet, dass die nationalen Umwelten der Medien in aller Regel bedeutsamer sind als die globalen und die Dependenzverhältnisse insofern weitgehend national geprägt sind. Eine „positive“ Interdependenz, wie bei Rosecrance im Ver‐ hältnis zwischen manchen Staaten oder bei multinationalen Einheiten wie der EU, gibt es bei Massenmedien im Grunde nicht. Dadurch ist auch der Dependenzdruck in Richtung einer Synchronisation der Weltöffentlichkeit und -gesellschaft (siehe oben) gering ausgeprägt. Die Ursache für die weitgehende nationale Entkoppelung der Massenme‐ dien liegt in dem prinzipiell anderen Charakter der Austauschverhältnisse. Anders als die meisten materiellen Waren der Ökonomie etwa sind Medien als kulturelle Produkte vielfach kontextabhängig und - frei nach dem Zitat von Karl W. Deutsch „Human relations are […] far more nationally bounded than movements of goods“ (siehe oben) - nur schwer exportier‐ bar. Menschen mögen weltweit die gleichen Autos fahren - dieselben 1 Theorie der globalen Kommunikation 66 <?page no="67"?> Medien nutzen sie nur sehr bedingt. Grenzüberschreitende Mediennutzung ist in bestimmten sprachlichen Großregionen (dem deutsch-, spanisch- oder arabischsprachigen Raum usw.) durchaus vorhanden, sonst jedoch auf bestimmte Sondersituationen und -gruppen beschränkt. Allerdings gibt es bei nationalen Medien eine gewisse Hierarchie, wonach Ton und Bild Grenzen leichter überwinden als Texte und gerade im fiktionalen Unterhaltungsbereich ist der Im- und Export von Musik und Filmen weit verbreitet, wenn auch mit einer klaren Tendenz eines Nord-Süd-Gefälles (Hafez/ Grüne 2016). Medien sind also nicht transnational, einzelne aus‐ ländische Produkte werden aber in nationale Medien integriert, was zu einem globalen Austausch beiträgt, der die Phantasie vor allem der ersten Welle der Globalisierungsforschung beflügelt hat (z. B. die Nachfrage nach Hollywoodfilmen in Asien). Allerdings sind auch bei Unterhaltung eher fiktionale Narrationen globalisierbar; schon bei Unterhaltungsshows lassen sich nur die Formate, nicht aber die Shows selbst im- und exportieren und müssen national oder regional reproduziert werden, was zu Verschiebungen im Produktions- und Rezeptionsprozess und damit in der Synchronisation der Medien führt (Grüne 2016). Auf der Ebene des Nachrichtenjournalismus aber werden die Informationsrohstoffe über die Weltlage importiert und von nationalen Mediensystemen lokal neu montiert. Geht man vom bereits erwähnten „Fließgleichgewicht“ aus, wobei Me‐ dien, Politik und andere Sozialsysteme zwar autonome Programme verfol‐ gen, aber immer auch zu Anpassungsleistungen an ihre jeweilige Umwelt gezwungen sind (Kunczik 1984, S. 205ff., 212ff., vgl. a. Endruweit 2004, S. 67ff.), dann findet dieser Abgleich bei Massenmedien nicht wie bei anderen Sozialsystemen zum Teil grenzüberschreitend statt, sondern die Interdepen‐ denzverhältnisse konzentrieren sich weitgehend auf den nationalstaatlichen Raum. Auf der Basis des bisherigen Forschungsstandes lassen sich folgende Leitgedanken für die spezifischen Interdependenzverhältnisse der Massen‐ medien formulieren (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 130ff.): ▸ Medien/ Politik: Die nationale Medienpolitik gibt die politischen Rah‐ menbedingungen der Medien vor und nationale Medien und nationale Außenpolitik beeinflussen sich in der Regel in der Auslandsberichter‐ stattung stark (Indexing-Hypothese, CNN-Effekt usw., vgl. Kap. 9.3). Der Einfluss anderer Länder auf die nationalen Medien ist im Ver‐ gleich dazu in der Regel marginal, was dazu führt, dass die Sichtweise 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen 67 <?page no="68"?> der Welt oft sehr - und insbesondere in extremen Krisenzeiten - von der heimischen Außenpolitik bestimmt wird. ▸ Medien/ Wirtschaft: Medienmärkte sind vor allem im Bereich der Direktinvestitionen nur bedingt global verflochten (vgl. Kap. 2.1). Es dominieren in der Tendenz die Belange nationaler Märkte, was dazu führt, dass die nationale Nachfrage die Inhalte beeinflusst (Ausnahme Auslandsrundfunk, der allerdings eher zum politischen System und zur Public Diplomacy zu zählen ist). ▸ Medien/ Gesellschaft: Die starke Abhängigkeit von nationalen Publika führt in der Auslandsberichterstattung in jedem einzelnen Medien‐ system dieser Welt zu einer ständigen Reproduktion von ethnischen und religiösen Stereotypen, die allerdings gerade unter dem Ein‐ fluss des (interaktiven und dependenten) politischen Systems auch wandlungsfähig sein können. Zumindest die organisierte kosmopoli‐ tische Zivilgesellschaft ist zumeist „strukturschwach“; kulturelle und lebensweltliche Umwelten lassen sich jedoch als diffuse Umwelten nur schwer generalisieren (siehe unten). ▸ Medien/ Journalismus: Auf der Mikro- und Mesoebene des Journalis‐ mus bestehen Mediensysteme meist aus national sozialisierten Jour‐ nalisten, multikulturelle Redaktionen sind eher die Ausnahme als die Regel, was schon mit der notwendigen perfekten Sprachkompetenz zu erklären ist. Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen sind nur bedingt als globale Eliten unter den Journalisten zu be‐ trachten, da Zentralredaktionen ein stärkeres Gewicht haben und kosmopolitische Ethiken des Journalismus unterentwickelt sind, so dass die nationalkulturelle Bindung des Journalismus in der Regel stark ausgeprägt ist (vgl. Kap. 2). Im Ergebnis sind Massenmedien nach Hafez global kaum interdependent, weniger jedenfalls als andere organisierte Sozialsysteme. Sie mögen in gewissem Umfang wie andere Systeme Informationen ex- und importieren. Eine Transnationalisierung auf Produktionsebene findet jedoch nur sehr bedingt statt, was die globale Synchronisation der Diskurse behindert (von der dialogischen Kommunikation ganz zu schweigen, die, wie in Kap. 1.3 erörtert, eher ein systemisches Nebenprodukt ist). Das beobachtende Kom‐ munikationssystem der Massenmedien ist demnach tendenziell lokaler geprägt als interaktive Systeme wie Politik und Wirtschaft, wo globale 1 Theorie der globalen Kommunikation 68 <?page no="69"?> Dependenzverhältnisse weiter fortgeschritten sind, wenngleich auch hier der Nationalstaat eine echte Transnationalisierung verhindert. Als Leitsatz lässt sich jedoch definieren, dass die globale Abhängigkeit politischer und wirtschaftlicher Systeme voneinander in der Regel größer ist als die der Massenmedien, die zumeist national eingebettet bleiben. Diese nationale Orientierung der Medien führt jedoch ihrerseits dazu, dass Medien hochgradig abhängig sind von nationaler Politik, sowohl was die medienpolitische Regulierung als auch die diskursive Einflussnahme angeht, wobei auch eine sekundäre Abhängigkeit der Politik von den Medien besteht (vgl. Kap. 9.3). Beziehungen zwischen Massenmedien, Handlungssystemen und Lebenswelten Während im Bereich der Medienforschung ein recht guter Forschungsstand vorhanden ist, ist dies gerade im Bereich der Lebensweltforschung wegen der noch schwierigeren und uneinheitlichen Interessenverflechtungen nicht der Fall. Verschiedene integrative Konzepte haben sich bemüht, die in der Kommunikationswissenschaft verbreitete Fixierung auf Massenkom‐ munikation hinter sich zu lassen (Giesecke 2002, S. 18). Das Ziel von so unterschiedlichen Ansätzen wie der Kommunikationsökologie (Michael Giesecke) oder der Media Dependency Theory (Sandra Ball-Rokeach und Melvin DeFleur) ist es, vor allem das Individuum und die soziale Gruppe wie‐ der stärker als zuvor als Akteure sozialer und kultureller Kommunikation sichtbar zu machen. Beide Ansätze haben bislang wenig mit globaler Kom‐ munikation zu tun, können aber fruchtbar gemacht werden und zumindest Giesecke hat, wie oben ausgeführt, auch erste Anmerkungen zur interkul‐ turellen Kommunikation gemacht. Er geht davon aus, dass die westliche Buch- und Massenmedien-gestützte Fernkommunikation Neugier ohne echtes Interesse für andere Welten hervorgebracht habe. Das Genie mensch‐ licher Kommunikation, das Giesecke prinzipiell im Zusammenwirken „art‐ verschiedener“ Kommunikationsweisen der Beobachtung und Interaktion erkennt (2002, S. 26), ist aus seiner Sicht sowohl in den Nahwie auch ganz besonders in den Fernbeziehungen aus der Balance geraten. Die „Buchkul‐ tur“ hat das Face-to-Face-Gespräch überflüssig gemacht, wodurch kulturelle und gesellschaftliche Disbalancen entstanden sind (ebenda, S. 35ff.). Nicht zuletzt durch die moderne Netzwerktechnologie entstehen jedoch neue Chancen für die Re-Balancierung unserer Kommunikationsökologie. Das Zusammenwirken von „rückkopplungsintensiven und interaktionsarmen 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen 69 <?page no="70"?> Kommunikationsformen wird zu einer Zukunftsaufgabe“ für die neue Wis‐ sens- oder Lerngesellschaft (ebenda, S. 370). Auch Giesecke bemüht das Bild des „Fließgleichgewichts“ (ebenda, S. 36), wenn er die prinzipiell dynamische Fähigkeit des Menschen beschreibt, ein neues Gleichgewicht zwischen den Kommunikationsformen zu finden. Da Giesecke vor allem mit dem Gleichgewicht zwischen Kommunika‐ tionsformen und weniger mit den Beziehungen zwischen den Akteuren selbst beschäftigt ist, ist für die Zwecke des vorliegenden Buches auch die Media Dependency Theory von Sandra Ball-Rokeach und Melvin DeFleur von Bedeutung, da sie die generellen Beziehungen zwischen verschiedenen Systemen als Dependenzfaktoren thematisiert (1976, Ball-Rokeach 1985, Ognyanova/ Ball-Rokeach 2015). Ausgangspunkt ist ähnlich wie bei Gies‐ ecke eine in der Moderne erfolgte Verschiebung von Bedürfnissen der interpersonalen Kommunikation hin zu einer Informationskontrolle durch Massenmedien (Ball-Rokeach 1985, S. 488f.). Vor allem in demokratischen Gesellschaften pflegt das Mediensystem demnach seinerseits dynamische Beziehungen zu anderen Sozialsystemen. Einerseits ist der Mensch als Konsument bei einem grundlegend symbiotischen Verhältnis zwischen Mas‐ senmedien und Wirtschaft weitgehend von den Medien abhängig (Werbung usw.); andererseits aber ist es der jeweilige Kampf der einzelnen Systeme um Autonomie, der eine symmetrische „Interdependenz“ erzeugt und das Individuum Vertrauen in die Medien entwickeln lässt, das, wie wir vor allem aus autoritären Systemen wissen, wo die Balance gestört ist, auch verloren gehen kann (ebenda, S. 491ff.). So wie die Art der Interdependenz zwischen Medien und anderen Sozial‐ systemen - zum Beispiel die enge Beziehung zwischen Außenpolitik und Auslandsberichterstattung - für die Stellung in der Gesellschaft wichtig ist, verfügt das Individuum trotz der strukturellen Einbindung über verschie‐ dene Möglichkeiten, die Dependenz von den Medien selbst zu prägen, und zwar abhängig von interpersonalen und soziostrukturellen Einbindungen des Menschen (ebenda, S. 497ff.). Intervenierende Variablen, die die Depen‐ denz des Individuums beeinflussen können, sind aus der Perspektive des Mediendependenz-Ansatzes unter anderem Veränderungen in der sozialen Umwelt, die Aktivität interpersonaler Netzwerke und Gruppenmitglied‐ schaften. Die Abhängigkeit des Menschen von den Massenmedien wächst zum Beispiel, wo diese als beste Informationsquelle wahrgenommen werden und keine alternativen Informationen zur Verfügung stehen. Das Internet kann hier im Prinzip zu einer „Neuverhandlung“ von Dependenzstrukturen 1 Theorie der globalen Kommunikation 70 <?page no="71"?> beitragen, auch wenn Massenmedien auch im Internetzeitalter ihre starke Stellung vielfach erhalten haben (Ognyanova/ Ball-Rokeach 2015, S. 4). Eine Überführung der Dependenz-Idee in die Lebenswelttheorie ist schwierig, da individuelle Akteure keine einheitliche Systemfunktionalität besitzen. Zwar gibt es Momente, in denen Individuen in ihren systemischen Rollen Funktionsziele von Organisationen in strategischer Kommunikation erfüllen beziehungsweise anstreben. Das kommunikative Handeln des All‐ tags ist aber zu großen Teilen idealtypisch verständigungsorientiert und verfolgt eben keine isolierbaren funktionalen Ziele (Habermas 1995). Das Medienhandeln lässt sich nicht einfach in strategischen Beziehungen mit Medien auflösen, in denen allein das funktionale Interesse an Information entscheidet. Die Prozesse der Medienaneignung sind vielfältig und schließen auch habituelle Positionierungen gegenüber Angeboten der Unterhaltung oder unbewusstes Gewohnheitshandeln mit ein. Hinzu kommt, dass sich in heutigen Medienumwelten die grundsätzlichere Frage nach der Kohärenz des Mediensystems stellt, also danach, ob sich individuelle Rezipienten tatsächlich in einer Dependenz zu einem homogenen System befinden. Die Medienrepertoires des Publikums neigen zu einer wachsenden Diversität und können dementsprechend auch ganz unterschiedliche Individuum-Me‐ dien-Verhältnisse stiften, ebenso wie soziokulturelle Prägungen der Lebens‐ welten auch unterschiedliche Individuum-Gesellschaft-Verhältnisse erzeu‐ gen. Das Dependenzverhältnis des Einen muss also nicht zwangsläufig auch das Dependenzverhältnis des Anderen sein. Es handelt sich somit nur um ein analytisches, nicht um ein empirisch generalisierbares Verhältnis. Allerdings lassen sich wiederum Tendenzen in der allgemeinen Bezie‐ hung zwischen Lebenswelten und Systemen definieren, die Habermas in seiner These der „Kolonisierung“ der Lebenswelt durch die Systeme postu‐ liert hat (1990). Es geht hier schließlich um die Frage der Eigenleistung der Lebenswelten. Sind es Themen und Strukturen der Systeme, die die lebensweltlichen Erfahrungen beeinflussen? Wie und wann prägt hingegen die kommunikative Leistung der Lebenswelt die Systeme? In totalitären Sys‐ temen regieren die autoritären Regimes oftmals bis tief in die private Erfah‐ rungswelt hinein, weil sie dort bestimmte Formen des Handelns verhindern und Sinn- und Glaubenssysteme vorschreiben wollen. Zunächst scheint dann der lebensweltliche Kommunikationsraum stark eingeschränkt zu sein. Auf der anderen Seite ist es aber gerade das Prinzip der kommunika‐ tiven Konstruktion der Alltagsrealität, das einen Freiraum aufrechterhält. Denn theoretisch sind jederzeit kollektive Umdeutungen vorgegebener 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen 71 <?page no="72"?> Interpretationsschemata möglich, die dann entweder subversiv (etwa in ge‐ schlossenen Räumen der Subkulturen) oder öffentlich (in Revolutionen auf der „Straße“) Systeme herausfordern. Ohne diese Eigenständigkeit wären viele Wandlungsprozesse in Diktaturen nicht denkbar. Die kommunikative Eigenleistung ist dann gerade unter Bedingungen der Einschränkungen individueller Handlungsspielräume und der Gleichschaltung der Medien besonders hoch zu werten. In demokratischen Systemen hingegen lässt sich andersherum argu‐ mentieren. Denn hier ist das Individuum aus traditionellen Bindungszu‐ sammenhängen entlassen und Medien sollten im besten Falle kritische Beobachtungsleistungen der Sozialsysteme übernehmen. Aber es gibt auch in Demokratien Momente, in denen die Systeme einen Schulterschluss vollziehen. Das sogenannte „Fließgleichgewicht“ der System-Umwelt-Be‐ ziehungen tendiert dann zur Anpassung und Vereinheitlichung. So kann es auch in Demokratien in Momenten der patriotischen oder populistischen Mobilisierung zu einer Marginalisierung und Sanktionierung abweichender Meinungen kommen (Grüne 2019a). Wichtiger noch als die besonderen Bedingungen von Krisensituationen ist aber die Konventionalisierung der lebensweltlichen Kommunikation. Während in Diktaturen die produktive Kreativität immer auch Selbster‐ mächtigung bedeutet, ist diese in Demokratien oft nicht mehr stark her‐ ausgefordert. Wie Hubert Knoblauch beschrieben hat, ist aber auch in differenzierten Lebenswelten die Herausbildung von kommunikativen Kon‐ ventionen und Routinen zu beobachten (1996). Die Lebenswelt erzeugt in diesem Fall „träge Strukturen“, die nicht geeignet sind, in die Systeme zurückzuwirken. Hierin liegt möglicherweise eine Erklärung für den lang‐ samen kosmopolitischen Wandel moderner Gesellschaften. Stereotype und Fremdbilder halten sich hier erstaunlich konstant und die Trägheit, die der Reproduktion falsch typisierter Bilder innewohnt, setzt sich in den Reise- und Dialogrouten vieler Menschen fort. Das Verhältnis von Lebenswelt und System ist also unter den Bedin‐ gungen globaler Entwicklungen noch einmal ganz neu zu bewerten. Sozi‐ alsysteme haben gegenüber lebensweltlichen Akteuren den Vorteil, dass ihnen deutlich mehr Ressourcen für eine organisierte Beobachtung der Welt zur Verfügung stehen - unabhängig davon, wie gut oder umfangreich dieser Vorteil umgesetzt wird. Sowohl Individuen als auch Kleingruppen können die Welt jeweils nur selektiv beobachten und bereisen, während sich beispielsweise die Außenpolitik ein umfängliches Bild erarbeiten kann. Das 1 Theorie der globalen Kommunikation 72 <?page no="73"?> Wissenschaftssystem kann wiederum detailreiches Faktenwissen erzeugen, wo Einzelne hauptsächlich Erfahrungswissen sammeln. In den meisten Fäl‐ len sind die Menschen in ihren privaten Alltagsexistenzen daher abhängig von den Wissenssystemen der Systeme, wenn es um ihre Globalisierungs‐ kompetenz geht. Allerdings wäre es zu einfach, von einer einheitlichen Dominanz der Systeme über Lebenswelten auszugehen. Denn globale Entwicklungen sind gerade auch von den räumlichen Grenzüberschreitungen lebensweltlicher Akteure abhängig. Diese können für Einzelne erzwungene biografische Herausforderung darstellen (z. B. Arbeitsmigration), sie können aber auch emanzipatorischen Charakter haben, wenn private Auslandsreisen möglich werden oder die Referenzen alltagskultureller Orientierungen nicht mehr nur an den Nahraum des alltäglichen Wirkens gekoppelt sind (z. B. globale Fankulturen). Lebensweltliche Akteure können gerade im Kontext ihrer je eigenen Welterfahrung ebenso Globalisierungsleistungen vollbringen. Mobile Ge‐ sellschaftseliten sind beispielsweise in der Lage, neue Balancen zwischen ihrer Eigenbeobachtung globaler Realitäten und jenen Beobachtungs-Beob‐ achtungen der Massenmedien zu stiften. Ihr Spezialwissen kann für eine Ge‐ sellschaft in bestimmten Momenten globaler Konfliktpotenziale sogar ganz entscheidend sein (z. B. Länderexperten). Auch neue Kontakterfahrungen durch kurzfristige private globale Interaktionsmomente können stereotype öffentliche Diskurse zumindest im Privaten irritieren und zu Normkonflik‐ ten als Teil kultureller Transformationen beitragen. Schließlich erlauben die netzbasierten Medienumwelten vielen Menschen heute auch, sich selbst auf die individuelle Suche nach digitalen globalen Kontakten und globalem Wissen zu begeben, was nicht zuletzt wieder Einfluss auf die Dynamik globaler Netzwerke haben kann, wenn sich Menschen grenzüberschreitend sozial formieren. Je nachdem, wie ausgeprägt die jeweiligen globalen Beobachtungs- und Interaktionsleistungen der unterschiedlichen lokalen Akteure sind, haben sie also auch einen variierenden Einfluss auf horizontale Interdependenz‐ verhältnisse zu Lebenswelten jenseits der Grenzen wie auch anderen Sozi‐ alsystemen innerhalb wie außerhalb der eigenen staatlichen Grenzen. So kann die Weltbeobachtung des einen lokalen Akteurs mit der globalen In‐ teraktionserfahrung des anderen Akteurs in Konflikt stehen. Es ist insofern nicht nur die Differenzierung der kommunikativen Modi, die uns helfen wird, die globale Verstehensleistung einzelner gesellschaftlicher Akteure 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen 73 <?page no="74"?> zu charakterisieren, sondern es ist auch der jeweilige kommunikative Vermittlungsprozess zwischen gesellschaftlichen Akteuren, der uns die oft ambivalenten globalen Entwicklungen erklären kann. Fazit: Horizontale und vertikale Interdependenzen im dominanten und akzidentellen Modus Als Problem der Interdependenz erweist sich, dass die Theorie nicht in‐ ternational eingebunden ist. In der globalen Kommunikation werden die potenziellen Interdependenzen vervielfältigt, da zu den nationalen noch beliebig viele internationale Einflussgrößen kommen (vgl. Abbildung 1.4). Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. Lebenswelten Individuen, Gruppen usw. Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. Handlungssysteme Politik, Wirtschaft usw. Beobachtungssystem Medien Lebenswelten Individuen, Gruppen usw. lokale vertikale Interdependenzen Handlungssysteme Politik, Wirtschaft usw. Staat A Staat B Beobachtungssystem Medien lokale vertikale Interdependenzen globale horizontale Interdependenzen globale vertikale Interdependenzen Abb. 1.4: Globale kommunikative Interdependenzen Am Ende lassen sich in der Vielfalt der sich überlappenden Interdependenz‐ verhältnisse, die für die Analyse globaler Kommunikation wichtig sind, zwei zentrale Dimensionen ausmachen, die es im Blick zu behalten gilt: ▸ Horizontale globale Interdependenzen zwischen gleichen System-/ Le‐ benswelttypen (z. B. Politik-Politik in der Diplomatie) stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis zu vertikalen (lokalen und globalen) Interdependenzen zwischen ungleichen Systemen/ Lebenswelten (z. B. Politik-Medien-Lebenswelten). Als Leitfrage kann hier gelten, ob 1 Theorie der globalen Kommunikation 74 <?page no="75"?> die Prägung durch lokale Umwelten dort abnimmt, wo sich die globalen Beziehungen zwischen gleichen Systemen oder gleichen Lebenswelten intensivieren (siehe oben zum Beispiel Win-Win-Situa‐ tionen der Außenpolitik im Unterschied zur lokalen Prägung der Massenmedien). ▸ Globale Distanzbeziehungen verleihen den Systemen durch ihre gesteigerten Mobilitätsressourcen eine dominante Stellung, wobei traditionell die Abhängigkeit der Medien von der Politik und der Menschen von den Medien hervorgehoben wird. Zugleich gibt es aber zahlreiche akzidentelle Mechanismen, mit denen sich vermeintlich schwächere Systeme (z. B. Massenmedien) und Lebenswelten (z. B. Gruppen und Gemeinschaften) unter Ausnutzung neuer horizontaler globaler Bindungen neue lokale Autonomiefreiräume und sogar einen inversen gesellschaftlichen Einfluss auf die Globalisierung verschaf‐ fen können. 1.4 Systemdependenzen und Lebensweltbeziehungen 75 <?page no="77"?> 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit Zu den theoretischen Prämissen dieses Buches gehört es, dass der domi‐ nante Kommunikationsmodus von Massenmedien sich gegenüber anderen Sozialsystemen und Lebenswelten durch einige Eigenheiten auszeichnet, die auch für die globale, grenzüberschreitende Kommunikation prägend sind. Massenmedien stellen keine interaktive Beziehung zwischen Akteu‐ ren her wie in Politik, Wirtschaft oder Lebenswelten, sondern sie sind Beobachtungssysteme. Interaktion zwischen Massenmedien oder Medien und Rezipienten ist zwar möglich, der primäre Kommunikationsmodus bleibt aber monologisch-diskursiv. Massenmedien senden vornehmlich in eine Richtung, vom Produzenten zum Konsumenten. Hier entsteht also keine „Weltgemeinschaft“, sondern bestenfalls „Weltöffentlichkeit“. Globale Kommunikation des Beobachtungssystems der Massenmedien muss daher anders konzipiert werden als bei Handlungssystemen, wo stets interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zu unterscheiden sind. Die größte Herausforderung der Theorie der Massenmedien besteht hingegen in der Ambivalenz des Diskursbegriffs. Mediale Diskurse sind monologisch, aber Medienproduzenten sind in der Lage, Vorstellungen verschiedener Gesellschaftsakteure so zu arrangieren, dass ein Als-Ob-Ge‐ spräch entsteht. Im globalen Rahmen ist hierfür im Theoriekapitel der Begriff der Synchronisation von Weltöffentlichkeit geprägt worden. Die Kernfrage lautet hier also nicht, wie bei anderen Sozialsystemen, in welchem Verhältnis interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zueinander stehen, sondern ob die beobachtende Kommunikation konsistent praktiziert und ein globaler Diskurs durch die Medien ermöglicht wird. Die Gliederung des nachstehenden Kapitels ergibt sich aus diesem Grundproblem, da gemäß unserem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zunächst die Grundstruktur des Systems der Massenmedien vorgestellt werden muss, dann seine Diskurs- und Synchronisationsleistung, bevor in einem abschließenden Unterkapitel die Frage gestellt wird, ob Leistungen und Defizite der globalen Massenkommunikation heute geeignet sind, eine synchronisierte Weltöffentlichkeit zu erzeugen. Hier werden neben funktionalistisch-systemtheoretischen auch normative demokratische und kosmopolitische Konzepte diskutiert. <?page no="78"?> In der theoretischen Eigenständigkeit liegt wohl auch die Ursache, warum globale Massenkommunikation der bei Weitem am stärksten erforschte Bereich der globalen Kommunikation ist. Während etwa interpersonale Kommunikation und soziale Kommunikation bis heute eher ein Randdasein in der Kommunikationswissenschaft fristen, ist diese über lange Jahre und gerade in der euro-amerikanischen Tradition vor allem eine „Publizistikwis‐ senschaft“ geblieben (Averbeck-Lietz 2010). In der Kommunikationswissen‐ schaft wie auch in anderen Sozial- und Geisteswissenschaften hat dabei die Vorstellung von vorgeblich global verfügbaren Medien, die Bürger und Bürgerinnen in Echtzeit über den hintersten Winkel der Welt informieren, einen festen Platz, der den Zeitgeist nachhaltig geprägt hat. Die Vorstellung von der globalen Kraft neuer Technologien wie dem Satellitenfernsehen oder dem Internet gehört neben der Transnationalisierung der Wirtschaft zu den Zentralmythen der Globalisierungsdebatte. Diese Vorstellung hat jedoch eine gewisse Gegnerschaft auf den Plan gerufen, so dass globale Massenkommunikation heute wohl nicht nur das größte, sondern auch das kontroverseste Feld der globalen Kommunikati‐ onsforschung ist. Umstritten ist bis heute etwa, ▸ inwieweit Massenmedien transnationale Organisationsstrukturen entwickelt haben oder ob sie primär lokal (vor allem national) geblie‐ ben sind, ▸ inwieweit globale oder lokale Medienethiken und Professionsstan‐ dards vorherrschen, ▸ inwieweit Massenmedien primär auf globale oder lokale Märkte ausgerichtet sind, ▸ inwieweit globale oder nationale rechtliche und politische Rahmen‐ bedingungen entscheidend sind ▸ und inwieweit dies alles mit einer globalen Homogenisierung bezie‐ hungsweise Synchronisation oder aber einer fortgesetzten lokalen Heterogenität der Mediendiskurse zusammenhängt (Flew 2007, S. 26f., Hafez 2005, McMillin 2007, S. 8ff., Kübler 2011, S. 28ff.). Zur Debatte steht damit letztlich die Frage, ob die neuen technischen Mög‐ lichkeiten der Digitalisierung wirklich eine neuartige Globalisierung haben entstehen lassen oder ob es sich nicht primär um Akzentverschiebungen handelt, die am Grundzustand der globalen Kommunikation wenig ändern. Mittlerweile haben sich Strömungen in der Wissenschaft gebildet (Williams 2011, S. 21ff., Hafez 2005, S. 9ff., Ulrich 2016, S. 45ff.), wobei „Globalisierungs‐ 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 78 <?page no="79"?> optimisten“ von einer fortschreitenden Konvergenz von Strukturen und Inhalten ausgehen, „Globalisierungspessimisten“ oder „-realisten“ hingegen von einem sich neutralisierenden Wettlauf von lokalen und globalen Struk‐ turen und Diskursen. Das folgende Kapitel versucht diese verschiedenen Forschungsstandpunkte auf allen analytischen Ebenen - Struktur, Diskurs, Öffentlichkeitstheorie - zu bündeln und zu resümieren. Ziel ist es, bei der Analyse der Widersprüche der globalen Massenkommunikation über pauschale und ungenaue Vorstellungen einer „Glokalisierung“ (vgl. Kap. 1.2) hinauszugehen und grundlegende Tendenzen möglichst klar herauszuarbei‐ ten. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck hat im Kontext der Globalisierungs‐ debatte zu Recht bemerkt, dass mit der einfachen Formel der „Dialektik“ bereits einmal in der Geschichte „das klare Denken verabschiedet“ wurde (1997, S. 91) - ein Fehler, den wir hier auf keinen Fall wiederholen wollen. 2.1 Systeme und Systemwandel Ein Grundmodell der globalen Massenkommunikation Massenmedien bilden komplexe Systeme, die aus den Journalisten und Journalistinnen und ihren professionellen Beziehungen einschließlich der Professionsethik (Mikroebene), den Medienhäusern und -redaktionen (Me‐ soebene) sowie den für das Mediensystem bedeutsamen Umweltbeziehun‐ gen zu anderen Teilsystemen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (v. a. Publika) bestehen (Makroebene). Innerhalb der Mesoebene existieren Austauschbeziehungen zwischen den Medien, etwa durch ökonomische Verflechtungen, Informationsbeschaffung oder der Orientierung an journa‐ listischen Meinungsführern, wobei etwa Nachrichtenagenturen eine her‐ ausragende Stellung einnehmen. Zwischen den Medienorganisationen und ihren Umweltsystemen der Politik und der Wirtschaft sowie ihren nicht-or‐ ganisierten Systemumwelten des Publikums herrschen Interdependenzbe‐ ziehungen. Die Politik zum Beispiel agiert insofern als gesellschaftliches Supersystem (Gerhards/ Neidhardt 1990, S. 8f.), als es das Mediensystem rechtlich und politisch reguliert und kontrolliert, wobei allerdings auch die Politik von ihrer Darstellung in den Medien abhängig ist. Die Wirtschaft ist in einer Doppelrolle, da sie einerseits über die Besitzverhältnisse Teil des inneren Mediensystems ist, zugleich jedoch dem Mediensystem, ähnlich wie das zahlende Publikum, ökonomische Ressourcen zuführt, etwa über Werbe‐ einnahmen. Die Beziehungen des Mediensystems zu seinen Umwelten sind 2.1 Systeme und Systemwandel 79 <?page no="80"?> nicht zuletzt abhängig vom Charakter des jeweiligen politischen Systems und sind in einem freiheitlichen System (Demokratie) am besten durch ein Fließgleichgewicht von Autonomie und Anpassung zu beschreiben. Das Mediensystem erbringt eine eigenständige (kritische) Beobachtungsleistung für die Gesellschaft, ist zugleich aber Einflüssen seiner Umwelten ausgesetzt, die seine Autonomie einschränken (Kunczik 1984, Marcinkowski 1993, Hafez 2002a, Bd. 1, S. 123ff.). Während im nationalstaatlichen Rahmen auf diese Art integrierte Medi‐ ensysteme entstehen, existiert ein globales Mediensystem (bisher) nicht. Die allermeisten Massenmedien dieser Welt sind auf nationale oder noch kleinere lokale Publika ausgerichtet und sprachlich eingeschränkt. Dies gilt auch für die globale Massenkommunikation, wo diese als „Auslandsbericht‐ erstattung“ Teil der nationalen Mediensysteme ist, da hier nationale Medien die Welt für nationale Publika aufbereiten. Nationale Auslandsberichter‐ stattung, bei der nationale Heimatredaktionen mit Hilfe von Auslandskor‐ respondenten und -korrespondentinnen und den ihnen zur Verfügung gestellten Informationen von Nachrichtenagenturen Auslandsnachrichten produzieren, ist noch immer die dominante Form des globalen Journalismus und der Mediennutzung (siehe unten). Die Synchronisation der „Weltöffent‐ lichkeit“ wird also grundlegend von „egozentrischen“, das heißt dezentralen nationalen Mediensystemen geleistet. Mediensysteme - und dies hängt eng mit ihrem Hang zur diskursiven statt zur interaktiven Kommunikation zu‐ sammen - sind tendenziell egozentrischer als politische oder wirtschaftliche Systeme. Organisierte Sozialsysteme haben, wie wir noch sehen werden, einen Teil ihrer Souveränität zugunsten transnationaler Diplomatieräume, globaler Governance-Strukturen und transnationaler Produktions- und Ei‐ gentumsverhältnisse aufgegeben. Auch dort, wo Rezipienten und Rezipientinnen (auf der Makroebene) über technische Wege wie etwa den direktempfangbaren Satellitenrundfunk Grenzen überschreiten und die Medien anderer Länder nutzen, haben sich zwar die Medienräume des Publikums über Staatsgrenzen hinaus ausgedehnt. Die politische Regulierung wird aber - ungeachtet gewisser grenzüberschreitender medienpolitischer Bestrebungen und politischer PR, die über Nachrichtenagenturen weltweit verbreitet wird - weiterhin vom jeweiligen Nationalstaat ausgeführt, nicht aber von einem transnationalen Staat, den es ja lediglich in Ansätzen etwa im Rahmen der Europäischen Union gibt. Auch auf der Mesoebene können Medien durch Im-/ Export Aus‐ tauschbeziehungen pflegen, es kann internationale Leitmedien (wie die New 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 80 <?page no="81"?> York Times) geben und es können sogar, wie im Cross-Border-Journalismus, grenzüberschreitende Gemeinschaftsprojekte durchgeführt werden. Aber auch hier bleiben die regulierenden Umweltsysteme stets national geprägt. Auf der theoretischen Mikroebene können Journalisten und Journalistinnen sich an universellen Ethiken und Professionsverständnissen, einschließlich ästhetischer und stilistischer Standards, orientieren (siehe unten) - sie bleiben dennoch Angestellte im rechtlichen Rahmen eines bestimmten Nationalstaats. Die lokale Restbindung bei allen Formen der globalen Massenkommuni‐ kation ist prinzipiell auch bei Medien vorhanden, die sich programmatisch als „globale Medien“ verstehen und die vielfach als Ausweis eines transna‐ tionalen Mediensystems betrachtet werden - es aber letztlich nicht sind. Die Fernsehsender CNN, Al-Jazeera English oder BBC World News agieren beispielsweise weltweit, sind aber politisch an ihre Heimatsysteme gebun‐ den. Noch deutlicher wird dies beim sogenannten „Auslandsrundfunk“, also von Staaten etablierten Medien, die in verschiedenen Sprachen senden (z. B. Deutsche Welle, Voice of America, RT, BBC World Service) und die ihren politischen Auftrag als Teil der Public Diplomacy ihrer Heimatländer nicht leugnen können. Ein globales Mediensystem, das nicht in der einen oder anderen Weise an bestimmte Nationalstaaten gebunden wäre, bleibt auch im 21. Jahrhundert weitgehend eine Utopie (Hafez 2005, S. 25). Um den Grundaufbau globaler Massenkommunikation zu verstehen, ist es daher sinnvoll, drei verschiedene Dimensionen zu unterscheiden (Abbil‐ dung 2.1). Globale Massenkommunikation ist kein geschlossenes globales System, sondern es besteht aus: ▸ nationalen Mediensystemen (v. a. Auslandsberichterstattung), ▸ die sich internationaler Kommunikationsflüsse bedienen (z. B. durch Nachrichtenagenturen, Auslandskorrespondenten, Im-/ Exporte) und ▸ die durch einzelne transnationale Medienstrukturen (globale Ethiken, gemeinsame Produktionen, grenzüberschreitende Rezeptionen und Regulationen) ergänzt werden. Globale Kommunikationsflüsse bilden kein globales Mediensystem aus, sondern die lokalen/ nationalen Systeme bleiben intakt, sind aber globalen Einflüssen ausgesetzt und bilden zusätzlich transnationale Netzwerkstruk‐ turen aus. 2.1 Systeme und Systemwandel 81 <?page no="82"?> transnationale Medienstrukturen internationale Kommunikationsflüsse und Netzwerke nationales Mediensystem A nationales Mediensystem B Abb. 2.1: Dimensionen der globalen Massenkommunikation Als Leitsatz lässt sich formulieren, dass die nationalstaatliche Systemprä‐ gung der Massenmedien und des Journalismus auf allen Ebenen noch immer stärker ist als die globale (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 134ff.). Es dominieren in aller Regel nationale Ethiken und Sozialisationen des Journalismus (Mikroebene), nationale Organisationsformen und Besitzverhältnisse (Mesoebene) und nationale Publika und Umwelteinflüsse (Makroebene). Die Globalisierung ist im Bereich der Massenmedien zumeist strukturschwach geblieben und von einem grenzüberschreitenden Zusammenwachsen der Mediensysteme kann generell nicht die Rede sein. Zugleich können sowohl die internationalen Kommunikationsflüsse als auch die transnationalen Teilstrukturen durchaus dynamisch sein. Ob sich national geprägte Systeme oder global beeinflusste Prozesse stärker auf den Mediendiskurs auswirken, ist nach unserem theoretischen Grundmodell des System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes nicht ohne empirische Prüfung nachweisbar. Zudem ist es zwar unwahrscheinlich, dass der Primat natio‐ naler Mediensysteme beendet wird, bevor sich der Nationalstaat weltweit 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 82 <?page no="83"?> auflöst, was derzeit nicht zu erwarten ist. Dennoch ist selbst ein System‐ wandel im Feld der Massenmedien in der Zukunft nicht ausgeschlossen. Erste Anzeichen hierfür zeigten sich in der Debatte über die „Neue Welt‐ informationsordnung“ an der Wende zu den 1980er Jahren. Hier wurde der dominante Informationsdruck beklagt, den vor allem die großen westlichen Nachrichtenagenturen sowie die Musik- und Filmindustrien auf den Rest der Welt ausüben (Many Voices - One World 1980). Zwischen diesem vor allem durch die Supermacht USA geprägten Einfluss und den „subalternen Gegenflüssen“ (Contra Flows) durch die Länder Asiens, Afrikas und Latein‐ amerikas besteht bis heute ein erhebliches Gefälle (Thussu 2010, S. 222f., 234). Angesichts der ungleichen kulturellen Machtverhältnisse von einer „multi-zentrierten“ (multi-centered) Globalisierung zu sprechen (Butsch 2019, S. 214ff.), scheint daher verfrüht. Die starke weltweite Präsenz vor allem westlicher Kommunikate ist kein Widerspruch zur Nichtexistenz eines globalen Mediensystems, sondern verweist auf die möglicherweise zuneh‐ mende Wirkung internationaler Systemumwelten, die zwar nicht als organi‐ sierte Umweltsysteme mit formaler politischer und rechtlicher Regulations‐ macht in Erscheinung treten (siehe unten), aber die Informationsumwelt nationaler Mediensysteme prägen. Die noch immer vorhandene Dominanz nationaler Systeme, aber auch die internationalen Kommunikationsflüsse und transnationalen Teilstrukturen der globalen Massenkommunikation sollen im Fortgang des Kapitels auf allen Ebenen - von der Professionsethik, der medialen Produktion und Rezeption bis zu politischen und wirtschaftli‐ chen Umweltfaktoren der Mediensysteme - erörtert werden. (Trans-)Nationale Medienethik und Professionalismus Professioneller Journalismus lässt sich durch Wertebezüge von Journalis‐ ten, Medien und journalistischen Standesvertretern (wie Presseräten) be‐ schreiben, die das Medienhandeln beeinflussen. Diese Werte sind sowohl in der formalen Ethik (Ethikkodizes) wie auch in informellen Praktiken der Medienschaffenden nachweisbar. Vergleichende Länderstudien lassen Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede zwischen nationalen und regionalen journalistischen Ethiken erkennen (u. a. Hanitzsch 2006, d’Haenens et al. 2014, Löffelholz/ Weaver 2008, Hafez 2002b, 2003b). Ganz generell sind starke Übereinstimmungen formaler Ethik im Kernbereich der Objektivi‐ tät und Wahrheitssuche und größere Unterschiede bei Freiheitsnormen sowie Individualitäts- und Gemeinschaftsbezügen des Journalismus fest‐ stellbar (Christians/ Traber 1997). Die Differenzen der Medienethiken in 2.1 Systeme und Systemwandel 83 <?page no="84"?> Mediensystemen sind allerdings fluide und dynamisch und professionelle Rollenmodelle können interkulturelle „Ansteckungswirkungen“ und De‐ monstrationseffekte erzeugen, die auch bei journalistischen Routinen wie Nachrichtenwerten oder in der journalistischen Gestaltungsästhetik zu beobachten sind (Machin/ von Leeuwen 2007, S. 8f., Sklair 1995, S. 159f.). Der transnationale Fernsehsender Al-Jazeera ist auch deshalb als „arabisches CNN“ bezeichnet worden, weil er eine ähnliche Präsentationsweise wie sein westliches Pendant benutzte. Man darf die Harmonisierung von Professionsstandards allerdings nicht mit einer Harmonisierung von Inhalten verwechseln. Selbst bei identischen Objektivitätsstandards werden Themenselektion und -interpretation des Journalismus systemisch sehr unterschiedlich geprägt (vgl. Kap. 2.2.1). Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten sind geradezu konträre Mediendiskurse keine Seltenheit und die Synchronisation der globalen Öffentlichkeit bleibt unterentwickelt. Nur eine Vorstellung wie die von Marshall McLuhan, wonach das Medium selbst die Botschaft ist (McLuhan 1964), kann die inhalt‐ lichen Differenzen ausblenden und aus der transnationalen Konvergenz der journalistischen Profession eine Globalisierung von Massenkommunikation im „globalen Dorf “ ableiten (vgl. Kap. 1.1). Wie wenig eine solche Analyse allerdings trägt, wird daran deutlich, dass internationale Ethikkodizes bis‐ lang kaum existieren und nationale Werte wie Internationalismus oder Kosmopolitismus in nationalen Kodizes kaum erwähnt werden (Hafez 2008, S. 160f.). Die Formulierung einer globalen, kosmopolitischen und/ oder post‐ kolonialen Medienethik bleibt also eine Zukunftsaufgabe (Ward/ Wasserman 2010). (G)lokale Medienproduktion Es ist sinnvoll, zunächst einmal nationale und transnational ausgerichtete Massenmedien zu unterscheiden. Die durch nationale Medien produzierte Auslandsberichterstattung erzielt dabei größere Reichweiten als die trans‐ nationalen Medien. Nationale Auslandsberichterstattung steckt zwar welt‐ weit in einer durch die Digitalisierung, Einnahmenrückgänge und Ressour‐ cenknappheit entstandenen Krise, die sich vor allem in einem Abbau von Korrespondentenstellen bemerkbar gemacht hat (Lewis 2010). Dies ändert jedoch nichts an der prinzipiell starken Stellung der nationalen Auslands‐ berichterstattung. Transnational agierende Medien sind für die meisten Rezipienten eher Ergänzungen als ein Ersatz und der gesamte Marktanteil von Fernsehsendern wie CNN, Al-Jazeera English oder BBC World sowie 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 84 <?page no="85"?> für europäische Sender wie Euronews, Eurosports oder Fashion TV, um nur einige Beispiele zu nennen, kann auf maximal 10 Prozent geschätzt werden (Chalaby 2009, S. 118), dürfte jedoch tatsächlich noch niedriger liegen. Zwar sind transnationale Medien weltbekannt und verfügen als Leitmedien in‐ nerhalb des Journalismus und Referenzmedien von Informationseliten unter den Rezipienten (siehe unten) über einen gewissen meinungsführenden Einfluss (Samuel-Azran 2009), ihre Marktanteile sind aber oft sehr klein, was zur Folge hat, dass viele dieser Medien defizitär wirtschaften und von ihren Heimatstaaten subventioniert werden. Es wird zudem noch zu untersuchen sein, ob diese transnational agierenden Sender globale Diskurse besser repräsentieren können als nationale Massenmedien (Chalaby 2009, S. 228, vgl. Kap. 2.2.1). Die starke Stellung nationaler Medien wird allerdings durch globale Kommunikationsflüsse und neue transnationale Strukturen relativiert. Der nationale Nachrichtenjournalismus wird seit einiger Zeit durch verschie‐ dene Projekte des grenzüberschreitenden „kollaborativen Journalismus“ ergänzt, der etwa anlässlich der „Panama Papers“ bekannt geworden ist (Alfter 2016, 2019, Heft 2019). Da diese Projekte eher Ausnahmen darstellen, bleibt der nationale Journalismus weiterhin dominant und der Cross-Bor‐ der-Journalismus stellt ebenso wie die transnationalen Medien allenfalls eine Ergänzung als eine echte Alternative dar (Grieves 2012, S. 169). Vor allem im Nachrichtengeschäft gilt die Regel, dass sich transnationale Medi‐ enstrukturen nur sehr schwer etablieren lassen, da immer die Notwendigkeit sprachlicher, personeller und inhaltlicher Anpassungen an die diskursiven Interessen und Gewohnheiten von Konsumenten in den jeweiligen Ländern zu bestehen scheint. Zugleich zeigt sich - dies ist eine weitere wichtige Relativierung der natio‐ nalen Produktionsverhältnisse -, dass fiktionale Unterhaltung schon immer stärker vom Im- und Export geprägt gewesen ist als das Nachrichtenwesen. Bekanntestes Beispiel hierfür sind Hollywoodfilme, aber auch lateinameri‐ kanische Telenovelas, die weltweit verbreitet sind. Im Vergleich zu dem durch nationale Präferenzen gekennzeichneten Nachrichtengeschäft kann man den Unterhaltungsbereich als Kernbereich der Globalisierung und einer hybriden Kulturentwicklung bezeichnen, da hier nationale Produktionen zwar stark bleiben, aber mitunter weniger vorherrschend sind (Hafez 2005, S. 115ff., Straubhaar 2014). Allerdings sind auch die Unterhaltungsindus‐ trien der Medien noch immer stark lokal ausgerichtet (Kawashima/ Hye-Ky‐ ung 2018). Nationale Produktionen besitzen gerade im Fernsehbereich die 2.1 Systeme und Systemwandel 85 <?page no="86"?> größten Reichweiten, weswegen man die Internationalisierung der Unter‐ haltungsindustrie nicht überschätzen darf (Flew 2007, S. 127, Hafez 2005, S. 115ff., Straubhaar 2007). Die großen Filmindustrien in Indien (Bollywood), in der arabischen Welt, in China, Iran oder Trickfilmproduktionen aus ostasiatischen Ländern sind auf ihren lokalen Märkten jeweils dominant. Es ist ihnen allerdings auch gelungen, im internationalen Exportgeschäft einen globalen Contra Flow zu etablieren, der der weiterhin bestehenden amerikanischen Filmdominanz immerhin Konkurrenz macht (Thussu 2019, S. 191ff.). Die These von einem westlichen „Kulturimperialismus“ durch Glo‐ balisierung ist zu vereinfachend, da sie weder die gleichzeitig stattfindende Modernisierung nationalsprachlicher Kulturen noch die Globalisierungspo‐ tenziale des globalen „Südens“ berücksichtigt (Hafez 2005, S. 128ff.). Globale Rezeptionskluft: Informationsmassen und -eliten Rezeption (Makroebene) ist neben der Ethik (Mikroebene) und der Produk‐ tion (Mesoebene) ein wesentliches Strukturmerkmal der globalen Massen‐ kommunikation. Mediensysteme transnationalisieren sich schon deshalb nur sehr zögerlich, weil nationale Medien von den allermeisten Konsumen‐ ten noch immer bevorzugt werden. Die „relative Bedeutungslosigkeit“ (re‐ lative unimportance, Sparks 2016, S. 61) transnational ausgerichteter Sender hat ihre Ursache im nationalen Rezeptionsverhalten eines Großteils des Publikums. An diesen Rezeptionsstrukturen hat sich auch in der Ära des direktempfangbaren Satellitenrundfunks seit den späten 1980er Jahren und des Internets seit den 1990er Jahren nichts Wesentliches geändert (Wess‐ ler/ Brüggemann 2012, S. 98ff.). Bei aller notwendigen Vorsicht gegenüber Zahlen der globalen Reichweitenforschung, die oft von den Unternehmen selbst verbreitet werden und nicht immer präzise sind (Zöllner 2004), lässt sich dennoch sagen: Sowohl die Nutzung transnationaler Medien (wie CNN, BBC World usw.) als auch die grenzüberschreitende Nutzung anderer nationaler Medienangebote bleiben ein Randphänomen der Mediennutzung (Hasebrink/ Herzog 2009). Diese Erkenntnis ist keineswegs trivial, sondern eminent bedeutsam. Da, wie wir noch sehen werden, nationale Auslands‐ bilder häufig eine negative oder zumindest stereotype Prägung aufweisen, werden auch die Konsumenten durch den primär nationalen Medienkonsum verstärkt negativen Stereotypen ausgesetzt (vgl. Kap. 2.2.1). Die globale Rezeptionskluft ist zu einem nicht geringen Teil für die Problematik von Nationalismus und Rassismus bis hin zum rechtspopulistischen Angriff auf die Globalisierung verantwortlich. 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 86 <?page no="87"?> Allerdings gibt es auch hier einige bemerkenswerte Ausnahmen und Gegentrends zu der allgemeinen Regel der nationalen Mediennutzung, die sich an Sondersituationen (Sprachräumen und Auslandsrundfunk) sowie an Sondergruppen (Migranten und globalen Eliten) festmachen lassen. Me‐ dien werden grenzüberschreitend vor allem in geolinguistisch homogenen Sprachräumen genutzt, wenn diese mehrere Nationalstaaten umfassen, etwa im deutschsprachigen (Deutschland, Österreich, Schweiz) oder im arabisch‐ sprachigen oder spanischsprachigen Raum mit jeweils mehr als zwanzig Ländern (Sinclair et al. 1996). Die Entwicklung des Satellitenrundfunks und des Internets hat diese „kleine Grenzüberschreitung“ begünstigt, sie ist aber im Prinzip deutlich älter und hat mit gemeinsamer Geschichte und Sprach‐ verwandtschaft zu tun. Da diese Nutzungsform nicht global ist, sondern in historisch tradierten Kulturräumen verbleibt, ist es fraglich, ob man diese Form der Regionalisierung als Globalisierung bezeichnen kann. Einerseits werden nationale Grenzen überschritten. Andererseits wird die Vorstellung von „Kulturkreisen“ technisch wiederbelebt, was einer kosmopolitischen und universellen Vorstellung von Globalisierung im Wege steht (Hafez 2005, S. 98ff.). Eine weitere Sondersituation der Mediennutzung entsteht durch den multilingualen Auslandsrundfunk, zum Beispiel BBC World Service (UK), RT (Russland), Voice of America (USA), Deutsche Welle (Deutschland), Radio China International (China) (Carvalho 2009). Auch die monolingualen Mittelschichten, die keine fremdsprachlichen Medien nutzen, können sich dem Auslandsrundfunk zuwenden (Chouikha 1992). Vor allem die Attentate des 11. September 2001 haben zu einer Vergrößerung der Angebote und zu einem neuen Wettlauf zwischen den Groß- und Mittelmächten geführt (Hafez 2005, S. 159ff.). Trotz dieser Bemühungen ist grenzüberschreitende Mediennutzung allenfalls eine ergänzende Komponente im Medienmenu der meisten Menschen und kein Beleg für eine starke Globalisierung. Eine solche kann sich allerdings bei Sondergruppen wie globalen Eliten einstellen, die im Bereich von Politik, Wirtschaft und Kultur permanent selbst Grenzen überschreiten und mobil sind und daher auch in einem höheren Maß als andere Menschen Medien außerhalb ihrer Herkunftsländer nutzen (Wessler/ Brüggemann 2012, S. 98f., Hafez 2005, S. 87f.). Eine heraus‐ ragende, zugleich aber sehr spezielle Rolle innerhalb der globalen Informa‐ tionseliten nehmen Migranten ein, die oft regelmäßig Medien jenseits ihres Wohnortes - aus ihren Herkunftsländern oder im Rahmen der Diaspora - nutzen (Galal 2014, Robins/ Aksoy 2015). Es ist schwer, die genaue Größe 2.1 Systeme und Systemwandel 87 <?page no="88"?> der globalen Informationseliten zu bestimmen, aber selbst bei geringer Zahl dürfte der qualitative Einfluss dieser „Kosmopoliten“ auf die Gesellschaft groß sein. Gerade Migranten können ihre multikulturellen Medienmenus dazu einsetzen, eine transkulturelle Subjektivität an der Schnittstelle von Medienglobalisierung und Postkolonialismus auszubilden, was bislang aller‐ dings viel zu wenig erforscht ist (Merten/ Krämer 2016, vgl. a. Brennan 2008). Dennoch liegt hier auch ein häufiges Missverständnis begründet, da solche mobilen Eliten dazu neigen, ihren eigenen kosmopolitischen Medienstil für eine generelle Entwicklungstendenz zur Globalisierung zu halten, während dieser in Wirklichkeit eine Besonderheit darstellt. Umweltsystem Politik: Nationalstaatliche Hegemonie Globale Medienpolitik ist ein Spiegelbild des noch immer stark national geprägten Rezeptionsverhaltens der meisten Menschen. Wo Medien nur selten über Grenzen hinweg genutzt werden, braucht es auch keine globale rechtliche und politische Medienregulierung. Transnationale rechtliche Regulierungen sind beschränkt auf wenige kommerzielle oder technikpoli‐ tische Felder. Das Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) verbietet zum Beispiel Raubkopien. Die EU-Fern‐ sehrichtlinie harmonisiert unter anderem nationale Vorschriften für Wer‐ bung, Sponsoring und Teleshopping. Die International Telecommunication Union (ITU) und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) regeln technische Rahmenbedingungen des Satellitenrundfunks und des Internets. Eine steigende Anzahl der Akteure scheint vordergründig auf eine wachsende Bedeutung der globalen Medienpolitik zu verweisen. Es dominiert aber weiterhin eine „techno-funktionale Perspektive“ (Berghofer 2017, S. 365), die zwar technische Fragen global regelt, Medienpolitik aber darüber hinaus im Wesentlichen als Kulturpolitik definiert und die Eigen‐ ständigkeit der Nationalstaaten nicht antastet. Sogar die Europäische Union, der wohl ambitionierteste Staatenbund der Erde, belässt die Regulierung der Medien weitgehend bei den Einzelstaaten (Michalis 2016), was zu seltsamen Verwerfungen insofern führt, als eine Reihe von europäischen Staaten in den internationalen Medienfreiheitsrankings (Freedom House, Reporter Ohne Grenzen) nur als „teilweise frei“ eingestuft werden (Italien, Polen, Ungarn usw.), weil die dortigen Regierungen die Medienfreiheit zu stark einschränken, Brüssel oder Straßburg aber kaum etwas dagegen unternehmen. 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 88 <?page no="89"?> Globale Medienpolitik bleibt also, abgesehen von einigen kapitalistischen und technischen Rahmenbedingungen der Medien, gerade im Kern der Medienfreiheits- und Konzentrationspolitik weitgehend in den Händen des Nationalstaates (Hafez 2005, S. 189ff.). Dies führt in der „Ära der Globalisierung“ ironischerweise immer mehr dazu, dass Meinungs- und Medienfreiheit weltweit durch autoritäre Regimes und autoritäre Tenden‐ zen auch innerhalb von Demokratien bedroht werden (Freedom House 2019). Die Synchronisation einer grenzüberschreitenden Weltöffentlichkeit wird strukturell durch die Hegemonie nationaler Medienpolitik gefährdet (Heft/ Pfetsch 2012, S. 158f.). Medienfreiheit bleibt daher letztlich ein Privi‐ leg vielsprachiger Informationseliten, die sich im Fall der Bedrohung der inneren Medienfreiheit durch Auslandsmedien informieren, wobei sich der Nationalstaat auch hier durch Internetzensur oder die Störung ausländischer Satellitenmedien Geltung verschaffen kann. In der jüngeren Forschung findet angesichts der Beharrlichkeit des Nationalstaates ein Umdenken statt. Die bis dato verbreitete Kritik am „me‐ thodischen Essenzialismus“ (Couldry/ Hepp 2009, Kleinsteuber 1994) einer auf den Nationalstaat fokussierten vergleichenden Mediensystemforschung wird nun ihrerseits als zu globalisierungsoptimistisch in Frage gestellt (Flew et al. 2016, S. 5). Natürlich kann man einwenden, dass staatliche Medienregulierung nur begrenzt effektiv ist. Gerade im Bereich des Inter‐ nets haben Unternehmen wie Google und Facebook immer wieder Kritik von nationalen Regierungen ignoriert, was für eine Vorherrschaft globaler Internetkonzerne zu sprechen scheint (Iosifidis 2016, S. 23). Im Ernstfall aber, das hat das Beispiel der Türkei unter Präsident Erdogan gezeigt, als dieser YouTube und Facebook abschaltete, sitzt der Staat am längeren Hebel und kann sich durchsetzen. Die Gegenkritik am „methodischen Globalismus“ eines Teils der Kommunikationswissenschaft (Waisbord 2014, S. 30) stützt sich auf diese ultimative Souveränität des Nationalstaats in Medienfragen. Dass der Staat mit globalen Herausforderungen im Medienbereich zu kämp‐ fen und auch regulatorische Zugeständnisse gemacht hat, heißt nicht, dass die transnationalen Medienstrukturen das nationale Mediensystem und seine Kontrolle der internationalen Kommunikationsflüsse letztlich beseitigt haben. Umweltsystem Ökonomie: Grenzen der Transnationalisierung Globale Teilstrukturen lassen sich auch im Feld der Medienökonomie erkennen. Vor allem amerikanische Medienkonzerne (z. B. Walt Disney, 2.1 Systeme und Systemwandel 89 <?page no="90"?> News Corporation, Netflix, Thomson Reuters), aber auch französische (z. B. Vivendi) und deutsche (z. B. Bertelsmann) Global Players, sind aktive Exporteure von Unterhaltungskultur und tätigen Direktinvestitionen in vielen Mediensystemen dieser Welt. Hinzu kommen in den letzten Jahren oft rasant wachsende Firmen im Bereich der Telekommunikation, des Internets und der Informations- und Kommunikationstechnologie aus den USA (z. B. AT&T, Google, Facebook, Amazon) und China (z. B. Tencent, Baidu). Rechnet man die ohnehin starke Stellung am Weltnachrichtenmarkt durch die großen westlichen Nachrichtenagenturen wie Reuters, AFP, AP sowie die begrenzten, aber immerhin sichtbaren Reichweiten westlicher Sender wie CNN hinzu, dominieren Großmächte den globalen Medienmarkt. Bei Suchmaschinen als nicht-klassischen Massenmedien landen mehr als 60 Prozent aller Anfragen bei Google, die zusammen mit Yahoo, Baidu und Microsoft 80 Prozent Marktanteil besitzen (Winseck 2011, S. 36f.). Insbe‐ sondere links-kritische Medienwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen haben solche Zahlen immer wieder zum Anlass genommen, vor einem west‐ lichen Medienimperialismus unter dem Deckmantel von Globalisierungspo‐ litik zu warnen (Herman/ McChesney 1997, McPhail 2010, Artz/ Kamalipour 2003). Gegen die These der westlichen globalen Mediendominanz haben revisio‐ nistische Wissenschaftler eingewendet, dass die großen Weltkonzerne trotz ihres Einflusses in einzelnen Bereichen weit davon entfernt sind, ganze Me‐ dienmärkte zu beherrschen. Die Transnationalisierung des Medienkapitals kennt klare Grenzen und in den national geprägten Mediensystemen dieser Welt dominiert nach wie vor nationales (und zum Teil regionales) Medienka‐ pital (Flew 2007, 2009, 2011, Hafez 2005, Compaine 2002, Rugman 2002), was im Übrigen sogar die Vertreter der westlichen Dominanzthese gelegentlich einräumen (Herman/ McChesney 1997, S. 9). Statt eines homogenen globalen Medienmarktes existiert heute ein Flickenteppich nationaler und regiona‐ ler Märkte, in die transnationale Teilstrukturen und Handelsbeziehungen eingebettet sind. Terry Flew spricht hier von einer „statistischen Illusion“ (2007, S. 82), da die imposanten internationalen Gewinne mit noch größeren lokalen Gewinnen an den Stammsitzen der Konzerne (also vor allem in den USA und Europa) verglichen werden müssten. Medienkonzerne sind demnach weitaus weniger global als Unternehmen in anderen Branchen, weswegen die Branche eher ein „Nachzügler“ (laggard) als ein Vorreiter der Globalisierung ist (Flew 2007, S. 87, 208, vgl. a. Hafez 2005, S. 212). 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 90 <?page no="91"?> Das zweite analytische Versäumnis besteht darin, dass der betriebswirt‐ schaftliche Blick auf einzelne Mediengiganten noch nichts über volkswirt‐ schaftliche Marktanteile aussagt. Letzteres ist aber entscheidend, um den realen Einfluss der Global Players zu messen, die den lokalen „Provinzfürs‐ ten“ des Medienkapitals in Wahrheit in den meisten Ländern unterlegen sind (Hafez 2005, S. 213ff., vgl. a. Birkinbine et al. 2017, S. 109ff.). Vieles spricht sogar dafür, dass trotz steigender ausländischer Direktinvestitionen auf Grund der rapide gewachsenen lokalen Medienmärkte US-Konzerne heute weniger einflussreich sind als am Ende des 20. Jahrhunderts: gerade im Presse-, Fernseh- und Nachrichtenbereich dominiert in aller Regel das „territorialisierte Kapital“ (territorialized capital) (Christophers 2014, S. 369). Große indische Konzerne wie Doordashan haben auf globale Konkurrenz (z. B. Rupert Murdochs Sky TV) mit einer Ausweitung ihres regionalen Angebotes reagiert; Ähnliches ereignete sich in Hongkong, Malaysia und in Lateinamerika; Staaten wie China und Indonesien quotieren internationale Programmimporte (McMillin 2007, S. 105ff.). In arabischen Ländern besitzen ausländische Medienkonzerne schon aus politischen Gründen eher stilles Medienkapital, keine Anteilsmehrheiten und sind daher weder inhaltlich noch politisch entscheidend (Sakr 2001, S. 97). Selbst der globale Fernsehfor‐ mathandel besteht aus Kooperationen von transnationalen Unternehmen mit lokalen Partnern (Grüne 2016). Insgesamt gesehen stößt die technisch mögliche Globalisierung in ökonomischer Hinsicht eindeutig an lokale Marktgrenzen. Nicht ganz zu Unrecht ist gegen die Revisionisten eingewendet worden, dass nicht nur die Produzenten von Medieninhalten in die Rechnung einbezogen werden dürfen, sondern auch das Medieninfrastrukturkapital (Fuchs 2010). In der Tat sind im 21. Jahrhundert die internationalen Gewinne von Internet-, Telekommunikations- und Hardware-Giganten erheblich gewachsen und ihr Transnationalisierungsgrad - also der Anteil der in‐ ternationalen Märkte an ihren Umsätzen - ist höher als der klassischer Medienkonzerne (Winseck 2011, S. 6f.). Für Dell Inc. arbeiten mehr als hunderttausend Mitarbeiter weltweit (Gershon 2019, S. 39). Die Bildagentur Getty Images macht immerhin etwa 40 Prozent Umsatz außerhalb der USA und hat Kunden in mehr als fünfzig Ländern (Machin/ van Leeuwen 2007, S. 150ff.). Allerdings zeigt sich hier eine techno-funktionale Form der Kapitalglobalisierung: Ausländische Produkte und Dienstleistungen werden überall dort eingesetzt, wo sie nicht selbst produziert werden können oder wo Informationsbausteine - wie Fotos - gebraucht werden. Redaktionelle 2.1 Systeme und Systemwandel 91 <?page no="92"?> Angebote und Programme aber, vor allem im Informationssektor, kommen aus den Ländern selbst. Bei politisch wie kulturell komplexen Medienpro‐ dukten erweisen sich ausländische Produkte und Direktinvestitionen eher als Lückenfüller auf lokalen Märkten, als Ergänzung und Erweiterung, nicht aber als Ersatz für nationale Produkte. Nicht-klassische Massenmedien: erweiterte Hypermedialität Vor allem im Internet sind neue Angebotsformen entstanden, die man als Massenmedien bezeichnen kann. Das Internet verschafft nicht nur den etablierten Medien von Presse, Radio und Fernsehen neue technische Reichweiten. Es generiert auch so unterschiedlichen Medien wie Suchma‐ schinennachrichten, Sozialen Medien (wie Twitter), Weblogs, Podcasts und alternativen Nachrichtenportalen (wie WikiNews) eine neue Basis. Nicht jede Form der digitalen Kommunikation lässt sich als „massenmedial“ charakterisieren, vieles ist interpersonal oder gemeinschaftsorientiert (vgl. Kap. 6). Kommunikate allerdings, die öffentlich zugänglich sind und peri‐ odisch erscheinen, so dass sie journalistischen Angeboten ähneln, lassen sich als nicht-klassische Massenmedien einstufen. Inwieweit sich die Produktions- oder Rezeptionsstrukturen sowie die Kommunikationsflüsse der globalen Massenkommunikation durch das In‐ ternet verändern, ist nicht einfach zu ermessen. Auch hier gibt es optimis‐ tische wie pessimistische Lesarten, die um die Frage ranken, ob das Inter‐ net wirklich einen Strukturwandel der globalen Massenkommunikation eingeleitet hat. Ethan Zuckerman hat verdeutlicht, dass auch im Internet‐ zeitalter grenzüberschreitende und vor allem fremdsprachliche Mediennut‐ zung ein Randphänomen geblieben ist. In keiner der mächtigsten zehn Nationen der Welt liegt der durchschnittliche Anteil der Auslandsnutzung von Medien durch die Bevölkerung im Netz höher als 7 Prozent, oft sind die Nutzungszahlen kaum noch messbar und in anderen Teilen der Welt sieht es nicht anders aus (Zuckerman 2013, S. 52ff., vgl. a. Elvestad 2009, Fenyoe 2010, Finnemann et al. 2012). Ein transnationaler Strukturwandel (der Mediennutzung) ist aus dieser Sicht nicht durch die Digitalisierung begünstigt worden; von einem Wandel zu einem „Weltmediensystem“ ganz zu schweigen. Historisch betrachtet scheinen analoge Medienrevolutionen wie die Einführung des Telegrafen für das globale Nachrichtenwesen viel revolutionärer gewesen zu sein als das Internet. Hans-Jürgen Bucher hat allerdings darauf hingewiesen, dass gerade in Krisenzeiten eine verstärkte globale Mediennutzung zu beobachten ist 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 92 <?page no="93"?> (2005). Seit dem Kosovokrieg, den Attentaten des 11. Septembers 2001 und dem Irakkrieg 2003 suchen kritische Segmente des Publikums im Internet nach Informationen in digitalisierten klassischen wie auch in alternativen Massenmedien, die sie in ihren Heimatmedien nicht bekommen. Zwar ist die Qualität dieser erweiterten Hypermedialität umstritten, da die Quellen zum Teil dubios sind (Lewis 2010, S. 123). Gerade soziale Bewegungen haben aber Medien gebildet, die nicht nur alternative globale Öffentlichkeiten erzeugen können, sondern auch als „Interlokutoren“ fungieren und Medienagenden grenzüberschreitend verbinden können (Volkmer 2014, S. 141ff., vgl. a. Kap. 5). Zugleich sind die zeitlich begrenzten und auf Informationseliten beschränkten Reichweiten dieser Prozesse noch zu geringfügig, um von einem globalen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Bucher 2005, S. 214) sprechen zu können. Fazit: Interdependenzlücken und die Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten Resümierend lässt sich sagen, dass globale Massenmedienkommunika‐ tion heute immer noch sehr weitgehend durch nationale Mediensysteme geleistet wird. Der weltweite Flickenteppich aus egozentrierten Medien‐ systemen ist zwar auf Produktions- und Rezeptionsebene durch transna‐ tionale Produktions- und Rezeptionsstrukturen erweitert worden. Diese Komplementarität aber folgt der bestimmenden Regel der Subsidiarität, wonach nationale Systeme nicht nur den größten Teil der Nachrichtenpro‐ duktion, sondern auch weite Teile des Unterhaltungswesens beherrschen und durch internationale Produkte allenfalls ergänzen. Transnationale Produkte - CNN, Hollywood - sind zwar große Prestigeprojekte, die dem Medienkonsum eine wichtige globale Komponente hinzufügen, ohne aber die Vorherrschaft lokaler Strukturen zu beseitigen. Im Bereich von Medienpolitik und -recht setzt der Nationalstaat zudem noch immer entscheidende Rahmenbedingungen, die durch technisch-funk‐ tionale globale Regelungen eher ergänzt als ersetzt werden. Medienmärkte sind nur sehr bedingt global interdependent. Anders als die interaktiven Sozialsysteme der Politik, Wirtschaft usw. verbleibt die massenmediale Kul‐ turproduktion in ihrem primären Modus der (Welt-)Beobachtung strukturell hochgradig selbstreferenziell. Von dieser Tendenz ausgenommen sind alter‐ native Informationsflüsse und Öffentlichkeiten, die auf eine Globalisierung der „zwei Geschwindigkeiten“ verweisen. Globale Massenkommunikation ist ein Minderheitenphänomen, wobei Informationseliten sowohl unter 2.1 Systeme und Systemwandel 93 <?page no="94"?> Produzenten wie auch Konsumenten systematisch versuchen, nationale Grenzen des Medienraums zu erweitern und eine stabile Weltöffentlichkeit zu erzeugen. 2.2 Kommunikative Systemverbindungen Gemäß unserem grundlegenden System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz ist eine rein strukturalistische Betrachtung der globalen Massenkommunika‐ tion unzureichend. Mediensysteme kommunizieren über Grenzen hinweg, aber sind ihre Beobachtungsleistungen deswegen auch synchronisiert im Sinne der Schaffung eines gemeinsamen globalen Mediendiskurses und einer transnationalen Weltöffentlichkeit? Oder haben wir es eher mit sepa‐ raten nationalen Mediendiskursen zu tun, die untereinander unvernetzt bleiben? Unsere Analyse erfolgt in zwei Schritten, wobei zunächst der empirische Forschungsstand zu Inhaltsanalysen der globalen Massenkom‐ munikation aufgearbeitet wird, bevor anschließend eine Bewertung des Ist-Zustandes vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Synchronitätsa‐ nanforderungen der deliberativen Öffentlichkeitstheorie und der System‐ theorie erfolgt. 2.2.1 Diskursanalyse Grundlagen: Interdiskursivität, Konvergenz und Domestizierung von Mediendiskursen Das „Weltbild“ der Medien ist ein Diskurs, der textlinguistisch aus Makro- und Mikropropositionen besteht (van Dijk 1988, Hafez 2002a, Bd. 1, S. 45ff.). „Themen“ beispielsweise sind Makropropositionen eines Textes, die eng mit der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des Agenda Setting verbunden sind, also mit der Frage, worüber Medien (und infolgedessen Rezipienten und Rezipientinnen) nachdenken. Themen umfassen ihrerseits Mikropropositionen wie Frames und Stereotype, also handlungsorientierte Argumentmuster eines Textes wie auch attributive Charakterisierungen (z. B. von Nationen oder sozialen Gruppen) (Entman 1993, Thiele 2015). Während Themen-, Framing- und Stereotypenanalysen auf Basis von Ein‐ zeltexten untersucht werden können, umfasst der Diskursbegriff auch Beziehungen zwischen Texten (Intertextualität, Konerding 2005). Der öf‐ fentliche Diskurs ist kein interaktives Gespräch im Sinne einer gemeinsa‐ 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 94 <?page no="95"?> men Sinnproduktion, er bleibt monologisch, verfügt aber insofern über dialogähnliche Eigenschaften, als intertextuelle Bezugnahmen zu anderen Texten erkennbar sind. Intertextuelle Diskurse wiederum besitzen eine Integrationsfunktion und erzeugen durch ihre sprachliche Verständlichkeit Diskursgemeinschaften (Öffentlichkeiten). Die Frage ist nun, inwieweit die strukturell relativ getrennten nationalen Mediensysteme dieser Welt eine transkulturelle Mittlerfunktion wahrneh‐ men, indem sie nationale Diskurse miteinander synchronisieren und einen globalen und transkulturellen „Interdiskurs“ schaffen, wobei Eigen- und Fremdverstehen verbunden werden (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 163ff.). Kongruenz und Differenz der lokalen Diskurse müssten dazu in der Auslandsberichter‐ stattung ermittelt und „übersetzt“ werden. Dabei kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, da sich nicht nur die Themenauswahl und die Interpretationen in verschiedenen Diskursgemeinschaften unterscheiden können, sondern auch das Kontextwissen mit der Entfernung zum interna‐ tionalen Geschehen naturgemäß abnimmt und vom Auslandsjournalisten vermittelt werden muss (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 65f.). Der Prozess wird auch dadurch verkompliziert, dass akustische, visuelle und textuelle Zeichen unterschiedliche Logiken in der globalen Kommunikation haben. Während Musik und Bilder relativ einfach Grenzen überschreiten und scheinbar „selbsterklärend“ sind, müssen Texte übersetzt, aufbereitet und kontextu‐ alisiert werden. Aber auch Bilder sind nur auf den ersten Blick nicht erklärungsbedürftig und daher oft hochmanipulativ. An die interdiskursive Synchronisation werden verschieden strenge Maß‐ stäbe angelegt. Aus der Konvergenzperspektive besteht die Aufgabe des Journalismus darin, Diskurse anderer Systeme nicht nur umfassend und exakt wiederzugeben, sondern sie auch im Eigendiskurs sinnvoll zu erklären und somit nationale Diskurse zu verbinden und globale Perspektiven zu erzeugen (Stanton 2007, Hafez 2002a, Bd. 1, S. 24ff.). Als zentrale Merkmale gelten a) Themenkonvergenz, b) zeitliche Synchronität und Intensität und c) Deutungs- und Sprecherkonvergenz (Tobler 2006, Ulrich 2016, S. 114). Die Unterscheidung zwischen Deutungs- und Sprecherkonvergenz ist insofern wichtig, als zwar Deutungen von Themen national abweichen können, außernationale Diskurse aber durch Sprecher repräsentiert sein müssen, so dass Responsivität entsteht. Die Vorstellung konvergenter Interdiskursivität in der Weltöffentlichkeit orientiert sich an der deliberativen Öffentlichkeits‐ theorie (vgl. Kap. 2.2.2). 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 95 <?page no="96"?> Aus der Domestizierungsperspektive wird Auslandsberichterstattung für nationale Zielgruppen konzipiert, wobei die Art der Weltbildkonstruktion keine Referenzen jenseits des eigenen, geradezu autarken Beobachtungssys‐ tems berücksichtigen muss (Renneberg 2011, S. 45ff.). Die Konvergenzsicht kritisieren diese Autoren als „methodologischen Konnektivismus“ (Werron 2010, S. 143), dem sie eine Art unverbundene Medienmoderne entgegenset‐ zen. Diese unterschiedlichen Theorieansätze sollen in Kapitel 2.2.2 vertieft werden. Zuvor allerdings beschäftigen wir uns mit dem empirischen Ist-Zu‐ stand des globalen Mediendiskurses, der ebenfalls kontrovers beurteilt wird. Fragmentierte Nachrichtenagenda: die Spitze des Eisbergs der Globalisierung Es ist ein grundsätzliches Paradoxon, dass in der Ära der Globalisierung die Aufmerksamkeit für Auslandsnachrichten nicht gestiegen, sondern eher gesunken ist (Willnat et al. 2013, Ulrich 2016, S. 118ff., Russ-Mohl 2017, S. 162f., Norris 1995). Das Auslandsinteresse des Publikums ist nicht einheitlich, es ist insbesondere in kleineren Staaten oft größer und wächst, sobald einheimische Akteure beteiligt sind (home news abroad) (Hanitzsch et al. 2013). Aber histo‐ rische Zäsuren machen sich bemerkbar und das Ende des Ost-West-Konflikts hat eher zu einem Rückgang des Weltinteresses geführt. Talkshows in großen Industriestaaten wie Deutschland beschäftigen sich ganz überwiegend mit nationalen und kaum mit internationalen Fragen (Schultz 2006, S. 168ff.). Das Interesse kann jedoch sehr starke kurzfristige Schwankungen aufweisen und insbesondere internationale Krisen und Kriege mit bedrohlichem Charakter wie die Attentate des 11. September 2001 oder der Irakkrieg 2003 haben für eine begrenzte Zeit die Aufmerksamkeit erhöht. Ganz generell ist die Logik interessant, nach der in den jeweiligen nationa‐ len Mediensystemen Länder und Themen beachtet oder ignoriert werden. Es lässt sich am besten durch einige zentrale diskursstrukturelle Theoreme erklä‐ ren (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 51ff., 2005, S. 39ff.). Auslandsnachrichten überwin‐ den die Schwelle der Berichterstattung zumeist nur, wenn diese entweder aus dem regionalen Ausland oder aus den „Weltmetropolen“ (z. B. USA, Russland, China), also aus Ländern mit hohem Machtstatus, stammen. Sie sind vielfach politik- und eliten- und weniger lebensweltorientiert und konzentrieren sich oft auf negative Nachrichten über Konflikte, Kriege und Katastrophen. Diese Logik lässt sich nicht nur durch viele empirische Fallstudien erhärten, sondern stützt sich auf Nachrichtenfaktoren wie politische und ökonomische Zentra‐ lität, Konfliktorientierung oder kulturelle Nähe und Distanz (Williams 2011, 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 96 <?page no="97"?> S. 146ff., Cazzamatta 2014, 2018a/ b, 2020). Das Resultat dieser Gatekeeping‐ prozesse sind extrem fragmentarische Weltbildkonstruktionen der Medien, in denen viele Staaten ohne akute Konflikte oder Machtstatus kaum Resonanz finden, während Krisenregionen und Großmächte überpräsent sind und eine hegemoniale Weltnachrichtenlage erzeugen. Negativismus ist zwar eine allgemeine Tendenz des Journalismus auch in der Inlandsberichterstattung, aber bei Auslandsnachrichten sind Länderimages wegen der knappen Platz‐ kapazitäten besonders stark betroffen und insbesondere Entwicklungsländer treten selten und wenn zumeist negativ in Erscheinung (Zuckerman 2013, S. 79ff., Hafez 2002a, Bd. 2, S. 125ff.). Da allerdings jedes Land ein anderes regionales Umfeld besitzt, sind die Nachrichtengeographien der Mediensysteme nicht einheitlich, sondern unterhalb der dünnen „Spitze des Eisbergs“ von Weltnachrichten über Krisenregionen und Metropolenstaaten werden ganz verschiedene The‐ men und Länder beachtet. Das Ergebnis ist eine doppelt geschichtete globale Diskursverschiebung, bestehend aus einer sehr verengten, das Nord-Süd-Gefälle betonenden weltweit geteilten globalen Agenda und se‐ parierten nationalen Auslandsgeographien und Themensetzungen. Trotz starker Konvergenz von Nachrichtenwerten und Professionsstandards der Medienethik weltweit (vgl. Kap. 2.1) hat sich also an der Domestizierung von globalen Nachrichtenlagen der Massenkommunikation wenig geändert. Eine Ausweitung und qualitative Verdichtung der Diskurse, die gezielt thematische Leerstellen kompensiert und Nachrichtenwerte im Sinne einer globalen interdiskursiven Synchronität umbaut, sind nicht in Sicht. Starke Domestizierung ist vorherrschend. Vergleichende Großstudien belegen dies seit Jahrzehnten (u. a. Sre‐ berny-Mohammadi et al. 1985, Wu 2000, 2003, Pietiläinen 2006, Cohen 2013a, Heimprecht 2017). Lokale Faktoren sind demnach in der Auslandsberichter‐ stattung für die Themen- und Länderauswahl auschlaggebend, der Regiona‐ lismus schlägt in allen Ländern durch, wenngleich bei Entwicklungsländern etwas weniger als bei Industrieländern, da hier die Metropolenorientierung und globale Agenda etwas stärker ausgeprägt sind (de Swert et al. 2013, Wilke et al. 2013). Selbst innerhalb regionaler Räume wie Europa ist zwar die Aufmerksamkeit für einzelne Nachbarländer größer (Regionalismus), aber EU-Themen und Akteure der EU spielen nur eine Nebenrolle in den stark national fixierten Öffentlichkeiten (Machill et al. 2006, Pfetsch et al. 2008). Die national gefärbten und desintegrierten Medienagenden stellen die Annahme einer Globalisierung von Mediendiskursen oder gar eines 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 97 <?page no="98"?> kosmopolitischen „globalen Dorfes“ (McLuhan) auf der inhaltlichen Ebene in Frage (Cohen 2013b). Eine Reihe von Studien zeigen, dass der Online-Journalismus sowie Suchmaschinen wie Google-News und Yahoo, also nicht-klassische Massen‐ medien, hier, anders als erhofft, kaum eine Verbesserung gebracht haben. Die eingeschränkte Nachrichtengeographie bleibt dieselbe (Gasher/ Gabriele 2004, Wu 2007, Wang 2010). Kevin Williams: „The geography of online content reflects the imbalances of the traditional mainstream media; web technology has not drastically changed what is reported as international news“ (2011, S. 161). Nicht einmal Hyperlinks zu ausländischen Websites haben sich im Online-Journalismus durchgesetzt (Chang et al. 2009). Nur wenigen Themen wie die Klimafrage gelingt es, sich in den Massen‐ medien weltweit mit ähnlichen Subthematiken Geltung zu verschaffen, was dem Charakter von Umweltthemen geschuldet sein dürfte, in ver‐ schiedenen Teilen der Welt ähnlich stark beachtet zu werden (Ivanova 2017). Bei politischen Themen wie den Vereinten Nationen allerdings zeigt sich, dass die Sichtweise internationaler Institutionen länderspezifisch ist oder sich ländertypische Cluster bilden, wonach Kriegskonflikte eher in Industrieländermedien und Strukturkrisen wie Armut in den Medien der Entwicklungsländer dominieren (Ulrich 2016, S. 301ff.). Die vorherrschen‐ den Professionsstandards und Nachrichtenfaktoren, globalen Leitmedien und Nachrichtenagenturen verhindern zwar, dass Mediensysteme autark sind, sich abschotten und ermöglichen zeitweise dynamische Öffnungen und kurzfristige Internationalisierungen der Diskurse. Gerade soziale und kulturelle Entwicklungen werden aber oft ignoriert und bleiben schwache Prädiktoren eines thematisch wenig konvergenten globalen Mediendiskur‐ ses. Zwei Drittel der Landmasse und der Bevölkerung dieser Erde in Asien, Afrika und Lateinamerika bleiben in westlichen Medien, von wenigen, oft negativen Ausnahmen abgesehen, weitgehend unsichtbar (Williams 2011, S. 145f.). Globales Framing oder domestizierte Diskurse? Um die Synchronität globaler Mediendiskurse aus den Perspektiven von Konvergenz und Domestizierung beurteilen zu können, müssen neben Makropropositionen wie der thematischen Medienagenda auch Mikropro‐ positionen wie Stereotype und Frames untersucht werden. Hier geht es nicht mehr wie beim Themenhaushalt um die Frage, was berichtet wird, sondern wie dies geschieht. Als locus classicus der Forschung gelten mittlerweile die 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 98 <?page no="99"?> Arbeiten von Michael Gurevitch, Mark R. Levy und Itzhak Roeh, die bereits 1991 gezeigt haben, dass selbst ein- und dasselbe Thema in verschiedenen nationalen Mediensystemen sehr unterschiedlich dargestellt werden kann, was sie als „Domestizierung des Fremden“ (domestication of the foreign, S. 206) bezeichneten. Die Vorstellung, in einer durch Nachrichtenagenturen und globale Medienkonzerne verbundenen Welt automatisch auch mit globalen Perspektiven versorgt zu werden, erweist sich angesichts des nationalen Systemcharakters der Medien als unhaltbar, da Stereotype und Frames auch in der Gegenwart vielfach national geprägt bleiben. Am deutlichsten erkennt man dies an Nationen- und Religionsstereo‐ typen. Stereotype sind anders als Frames pauschale Zuschreibungen kul‐ tur-mentaler Charaktereigenschaften, die für eine bestimmte Gruppe oder ein Land als typisch erachtet werden und die auch in modernen Medien‐ systemen eine erstaunliche Überlebensfähigkeit zeigen, so dass die Zahl der Studien hier schier unüberschaubar ist (vgl. die Metastudie von Thiele 2015). Da analytisch die Abgrenzung zwischen Stereotypen (als pauschalen Attributen für Nationen und Gruppen) und Frames (als argumentative Rahmung einer Handlung) schwierig ist (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 47f.), werden in der Forschung diese verschiedenen Mikropropositionen des Diskurses häufig in Kombination untersucht. Viele Studien zeigen die starke Vorur‐ teilsneigung von Auslandsberichterstattung etwa wenn es um Themen wie Islam (Hafez 2002a, Bd. 2, S. 207ff., Schiffer 2005, Poole/ Richardson 2006, Mertens/ de Smaele 2016) oder um Nationenstereotype geht (u. a. von Bassewitz 1990, Marten 1989, Tzogopoulos 2013). Stereotype existieren heute gerade auch im fiktionalen Bereich, umfassend erforscht wurden zum Beispiel Araber-Stereotype in Hollywoodfilmen (Shaheen 2009, Kamalipour 1995). Ethnische und religiöse Stereotype in fiktionalen und nicht-fiktiona‐ len Medien sind nicht nur der Rohstoff für die Weltbilder des Rassismus und rechtspopulistischen Anti-Globalismus (Hafez 2013). In einem global integrierten Mediensystem hätten sie wohl auch keine Überlebenschance, da sie an die Diskriminierten selbst nicht verkaufbar wären. Wegen der strukturellen Interdependenzlücke globaler Massenkommunikation aber können sie in den nach wie vor stark isolierten nationalen Diskursgemein‐ schaften überleben. Auch wenn Massenmedien sicher nicht nur Stereotype produzieren, sondern Fakten und reale Zusammenhänge vermitteln, ist die schiere Existenz von Stereotypen in Massenmedien ein Beleg für die starke Domestizierung globaler Massenkommunikation. 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 99 <?page no="100"?> Schwieriger ist die Beurteilung bei nicht-stereotypen Frames. Zahlreiche Studien weisen allerdings auch bei der argumentativen Vermittlung inter‐ nationaler Sachverhalte auf Domestizierungseffekte hin. Hier nur einige Beispiele: ▸ die Mediendiskurse nach den Anschlägen des 11. September 2001 waren in westlichen und nahöstlichen Medien geradezu konträr und zeigten, wie stark nationale Mediensysteme lokalen Einflüssen aus‐ gesetzt sind (Hafez 2005, S. 62ff., vgl. a. Dimitrova/ Strömbäck 2008); ▸ der palästinensisch-israelische Konflikt wird seit Jahrzehnten von beiden Seiten extrem unterschiedlich geframed (Müller 2017); ▸ die verbreitete Charakterisierung von Kriegen in Afrika als ethnische „Stammeskriege“ statt als Kriege um Macht und Ressourcen ist ein exogenes Framing (Williams 2011, S. 150ff., Allen/ Seaton 1999); ▸ beim Thema Terror sind westliche und arabische Mediendiskurse geradezu notorisch unterschiedlich, da zwar beide Sphären den Terror ablehnen, im Westen aber ein Mitverschulden westlicher Nahostpo‐ litik am Terrorismus und im arabischen Raum eigene politische Versäumnisse tendenziell ausgeblendet werden (Badr 2017); ▸ da Akteure oft als „Sprecher“ und somit Transporteure von Frames in Medien erscheinen, ist von Bedeutung, dass auch bei scheinbar globalen Themen wie den Vereinten Nationen die Sprecherreferenzen deutlich national geprägt sind (Ulrich 2016, S. 398f.); ▸ auch beim Thema Europa weisen eine Reihe von Studien trotz steigen‐ der Wahrnehmung des Themas und transnationaler Sprecherreferen‐ zen (v. a. des EU-Personals und hochrangiger europäischer Politiker) auf zum Teil eklatante inhaltliche Unterschiede eines noch immer hochgradig segmentierten Mediendiskurses in Europa hin (Sievert 1998, de Vreese et al. 2001, Koopmans/ Erbe 2003, Brüggemann et al. 2006, Hepp et al. 2012, AIM 2007); ▸ selbst Projekte des Bürgerjournalismus im Internet wie OhmyNews International oder Groundreport erzeugen vielfach ähnliche Domes‐ tizierungen wie die professionellen Medien (Dencik 2012, S. 171). Infolge der zahlreichen Studien der letzten Jahrzehnte haben Autoren wie Akiba A. Cohen (2013b), Kai Hafez (2002a/ b, 2005, 2009b, 2011), Richard C. Stanton (2007), Bella Mody (2010), Kristina Riegert (2011) oder Miki Tanikawa (2019) die fortgesetzte Domestizierung von Medieninhalten auch in der Ära der Globalisierung (gerade in Krisenzeiten) betont und trans‐ 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 100 <?page no="101"?> nationale Konvergenz tendenziell in Zweifel gezogen. Diese einst revisio‐ nistische und globalisierungsskeptische Sichtweise, die die Einlösung des Konvergenzversprechens der globalen Massenkommunikation bestreitet, wird mittlerweile als der neue „Standard“ oder sogar die neue „Orthodoxie“ in der Wissenschaft betrachtet (Curran et al. 2015, S. 1, 14). Zwar üben einige optimistischere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Kritik dahingehend, dass vergleichende Medieninhaltsanalysen verschiedener Länder durchaus auch Konvergenzen im Framing durch Massenmedien aufweisen, was sie damit erklären, dass gerade Weltnachrichtenagenturen eine gewisse vereinheitlichende Wirkung ausüben können (Curran et al. 2015, vgl. a. Wessler/ Brüggemann 2012, S. 91f., Lück et al. 2015, Volkmer 2014, S. 3f., Bucher 2005, S. 187f.). Aber auch diese Analysen wenden sich gegen eine Rückkehr zur Konvergenzmetapher des „globalen Dorfes“, die nicht angemessen erscheint, um den Ist-Zustand der Weltnachrichten zu charakterisieren. In den optimistischeren Befunden, die von höherer Konvergenz ausgehen, werden zudem die systemischen Rahmenbedingungen der Nachrichten ausgeblendet, etwa wenn die Haltung zur Griechenlandkrise in Ländern mit sehr ähnlichen wirtschaftspolitischen Positionen untersucht wird oder aber der Diskurs zur Klimakrise als einem global verbindenden Thema. Die Domestizierung des Framings nimmt nämlich in aller Regel mit dem Grad der konflikthaften Involvierung der Nationalstaaten eklatant zu, da die in‐ ternen Eigeninteressen der nationalen Systeme sich fast immer hegemonial in den Medien bemerkbar machen. Zudem kommt es bei der Konvergenz von Frames nicht nur darauf an, ob beliebige Argumente sich in verschiedenen nationalen Mediendiskursen niederschlagen, sondern ob die Responsivität sich auf die für den Konflikt zentralen Frames bezieht - was etwa beim Thema Terrorismus trotz gewisser Konvergenzen der Terrordiskurse nicht der Fall ist. Der Copy-and-Paste-Journalismus der Übernahme von Material der Weltagenturen weicht unter Bedingungen einer aktivierten öffentlichen Debatte meist schnell einer starken Eigenprägung der nationalen Medien‐ diskurse. Konvergenz in der globalen Massenkommunikation ist also bes‐ tenfalls eine instabile Größe - die Domestizierung bleibt die Tiefenstruktur der Medienglobalisierung. Visuelle Globalisierung und Stereotypie Synchronität durch Interdiskursivität existiert nicht nur auf der Ebene von Texten, sondern auch im visuellen Bereich. Vor allem Bilder steuern 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 101 <?page no="102"?> im internationalen Nachrichtenwesen die Emotionen der Rezipienten mit Blick auf Länder und Weltentwicklungen (Chaban et al. 2014). Es besteht zudem ein enges Text-Bild-Verhältnis: Das Textframing kann die Wahrneh‐ mung von Bildern und umgekehrt die Bildwahrnehmung das Textverstehen beeinflussen. Einerseits überschreiten Bilder leichter Grenzen als Worte. Andererseits besteht dieser vereinfachte Zugang nur vordergründig, denn Bilder sind ebenso kontextabhängig und erklärungsbedürftig wie Texte (Müller/ Geise 2015, S. 24ff.). Zwar ist wegen des Fehlens einer „expliziten propositonalen Syntax“ (Geise et al. 2013, S. 52) eine Bildanalyse nach dem Prinzip des „visuellen Framings“ schwer zu etablieren. Reduzierte Methoden der Analyse „visueller Stereotype“ untersuchen statt inhärenter Bildaussagen daher lediglich isolierte und häufig wiederkehrende Elemente und Symboliken (Petersen/ Schwender 2009). Bilder müssen aber in jedem Fall wie Texte interpretiert werden und müssen vom Journalismus global „interdiskursiv“ behandelt und in nationale Diskurse „übersetzt“ werden. Da das Bild integraler Bestandteil eines Diskurses ist, verwundert es nicht, dass hier dieselbe Grundproblematik von Konvergenz und Domesti‐ zierung diskutiert wird. Frauenzeitschriften etwa werden heute vielfach von international agierenden Verlagen herausgegeben, die visuellen Diskurse gleichen sich thematisch trotz bestehender Unterschiede in den Rollenmus‐ tern immer weiter an (Machin/ van Leeuwen 2007). Dennoch scheint gerade die Auslandsberichterstattung kulturelle und politische Stereotype vielfach zu reproduzieren. Die EU beispielsweise wird visuell gern als bürokratischer und krisenanfälliger Apparat dargestellt (Chaban et al. 2014). Afghanistan ist visuell ein fast ausschließlich kriegsgeschütteltes Land geblieben, in dem Frauen unterdrückt werden - ein global verbreitetes Image, das lokale Fotojournalisten gerne korrigieren würden (Mitra 2017). Obwohl fiktionale Medienräume hier auch in zensierten Mediensystemen freier agieren kön‐ nen als das Nachrichtenwesen, ist die Vorstellung von einer transnationalen Hybridität, „Glokalisierung“ und Konvergenz auch im visuellen Bereich zu hinterfragen und lokale Produktions- und Rezeptionskontexte bleiben bedeutsam (McMillin 2007, S. 111ff.). Transnationale Medien: Contra Flows ohne Kosmopolitismus Weltnachrichtenagenturen verstärken immerhin die interdiskursive thema‐ tische Synchronisation, wie wir gesehen haben, wenngleich von einer inhaltlichen Konversion durch nationale Medien nur sehr bedingt die Rede sein kann. Aber welche Rolle spielen hier transnationale Leitmedien wie 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 102 <?page no="103"?> BBC World, CNN, Al-Jazeera English, CCTV oder Telesur? Untersuchun‐ gen zeigen, dass auch sie im Wesentlichen die „Spitze des Eisbergs“ der etablierten globalen Nachrichten abbilden und insofern nur begrenzt einen thematischen interdiskursiven Contra Flow etablieren (Atad 2016, S. 10, Schenk 2009, S. 131). Allerdings sind subtile Verschiebungen in Richtung einer konstruktiveren und weniger negativen Medienagenda dort zu erken‐ nen, wo etwa der englischsprachige Kanal Al-Jazeera English Afrika nicht mehr nur als Kontinent von Armut und Konflikten, sondern durchaus auch als Sphäre ökonomischer Erfolge und vielfältiger Lebenswelten prä‐ sentiert (Seib 2012, Robertson 2015). Im Bereich des Framing ist sich jedoch die Literatur weitgehend einig, dass globale Sender in hohem Maße die national gefärbte Sicht ihrer jeweiligen Heimatstaaten reflektieren. Dies gilt auch für viel gelobte Medien wie BBC World, einen Sender, der trotz seines interdiskursiven („dialogischen“) Anspruchs eine britisch konnotierte Themensetzung, Machtrhetorik und ein tradiertes Vertrauen in westliche Institutionen nicht verleugnen kann (Dencik 2012, S. 39f., 56ff., Baumann et al. 2011, Atad 2016). Dennoch sind einige Aspekte der transnationalen Sender bemerkenswert. Die thematische Übereinstimmung in ihren Agenden scheint der Mini‐ maldefinition der Weltöffentlichkeit als einer global geteilten Agenda zu entsprechen, auch wenn, wie gesagt, die typischen Vermachtungstendenzen dieser von Großmächten betriebenen Transnationalisierung bei Themen und Frames auffallen. Die nationalen Deutungen zirkulieren zudem in internationalen Kommunikationsflüssen und es entsteht zwar kein kosmo‐ politischer interner, aber ein global verfügbarer externer Pluralismus dort, wo diese Medien parallel genutzt werden (el-Nawawy/ Iskandar 2003, S. 54). Schließlich werden gerade bei den positiveren Themendeutungen erste Anpassungen von Massenmedien an transnationale Publika und Märkte erkennbar. Zwischen den nationalen Produktions- und den globalen Re‐ zeptionskontexten entsteht insofern ein hybrides Spannungsfeld. Durch globale Medien bilden sich in nationalen Mediensystemen also transnatio‐ nale Teilstrukturen aus. Die begrenzt global erweiterten Arenen sind vor allem für Informationseliten von Belang, die oft mehrere globale Medien rezipieren und daher eine leicht verbesserte thematische Koorientierung erleben. Eine integrierte Weltöffentlichkeit, in der Medien unabhängig vom Nationalstaat quasi als „Vereinte Medien“ nationale Diskurse global synchronisieren, ist dies sicher noch nicht, ebenso wenig wie klar ist, ob der externe Pluralismus der globalen Leitmedien, der, wie die Frontstellung von 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 103 <?page no="104"?> CNN und Al-Jazeera 2001 und 2003 erwiesen hat, sehr konflikthaft verlaufen kann, die internationalen Beziehungen stabilisiert oder nicht. Fazit: Unvollendete Synchronisation globaler Mediendiskurse In der Gesamtschau scheinen die strukturellen Prägungen der Massenme‐ dien den globalen Diskurs der Medien in hohem Maße zu determinieren. Fragmentarisch und unzuverlässig vernetzt durch egozentrische Medien‐ systeme und einige zentral gesteuerte Nachrichtenflüsse und transnationale Medien ist die Synchronisation durch konvergente Diskurse thematisch und inhaltlich in Ansätzen erkennbar, besticht aber vor allem durch vielfältige Formen der lokalen Domestizierung. Weltnachrichtenagenturen und trans‐ nationale Meinungsführermedien setzen zentrale Themen ohne interdis‐ kursive Qualitätsgarantie. Von einem integrierten globalen Mediensystem oder zumindest einer responsiven Weltöffentlichkeit, in der die nationalen Mediensysteme globale Themen und Frames zuverlässig auf der Basis einer dezidiert globalen Journalismusethik aus den lokalen Diskursen her‐ ausdestillieren, sind wir gerade unter Bedingungen internationaler Krisen noch weit entfernt. Es bleibt die Frage, wie dieses Verhältnis anschließend theoretisch zu bewerten ist und welche Alternativen sich auftun. 2.2.2 Öffentlichkeitstheorie Theoretische Perspektiven auf die „Weltöffentlichkeit“ Die Diskurspraxis der globalen Massenkommunikation, wie wir sie bisher skizziert haben, lässt sich nicht nur aus diskursanalytischer, sondern auch aus medientheoretischer Sicht beurteilen. Die deliberative Öffentlichkeits‐ theorie, die vor allem auf Jürgen Habermas (1990, 1992, 1995) zurückgeht, aber auch zahlreiche andere Autoren inspiriert hat, stellt vergleichsweise hohe Anforderungen an den Diskurs. Öffentlichkeit besitzt demnach eine zentrale Legitimierungsfunktion für die Demokratie (Beierwaltes 2002). Sie muss zudem „ubiquitär“ sein, also Fragen allgemeiner Relevanz behandeln, „reziprok“, das heißt Hörer- und Sprecherpositionen simulieren, möglichst „offen“ gegenüber verschiedenen Themen und „diskursiv“ im Sinne der Be‐ rücksichtigung rationaler Einwände (Peters 1994, S. 45ff.). Hinzu kommt der Aspekt der Konsensbildung zur Problemlösung und gesellschaftlichen Inte‐ gration, der allerdings in der agonistischen Öffentlichkeitstheorie bestritten wird, da eine Einigung oft schwer zu erzielen ist und Integration durch den Diskurs an sich erfolgt (Mouffe 2005, S. 69ff.). Die Kriterien beschreiben im 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 104 <?page no="105"?> Detail das, was wir bislang mit „Responsivität“ und „Interdiskursivität“ be‐ zeichnet haben. Im globalen Raum geht es also um die grenzüberschreitende Reflexion anderer Positionen aus anderen Ländern. Die Kernfrage aus Sicht der Öffentlichkeitstheorie besteht somit darin, ob nationale Mediensysteme und wenige transnationale Medien trotz schwacher Systeminterdependenz ihre Systemumwelten - die Öffentlichkeiten anderer Länder - adäquat repräsentieren können. Interessant ist hier, dass die meisten Empiriker der Konvergenz (vgl. Kap. 2.2.1), egal ob sie eher Pessimisten oder Optimisten sind, im Kern dieselben öffentlichkeitstheoretischen und normativen Konvergenzziele verfolgen, auch wenn sie die Umsetzung in der Gegenwart unterschied‐ lich bilanzieren. Auch Diskurspessimisten wollen also Konvergenz, sehen aber Domestizierung als vorherrschend an, da sowohl Thematisierung und Framing als auch visuelle Gestaltung stark lokal gefärbt sind. Eine funktionierende Weltöffentlichkeit kann bei einer derartig eingeschränkten Synchronisation auf diese Weise nicht entstehen (Sparks 1998, 2000, Couldry 2014). Nancy Fraser hat darauf hingewiesen, dass das Konzept Öffentlichkeit für den globalen Raum insofern neu durchdacht werden muss, als zum Beispiel gar nicht unmittelbar klar ist, in welcher Sprache der Diskurs geführt werden soll und wer die relevanten Akteure (Staaten, Gegeneliten) und Publika sein sollen (Fraser 2014, S. 27). Weltöffentlichkeit kann entweder durch die Synchronisierung nationaler Öffentlichkeiten in national getrenn‐ ten Mediensystemen oder durch die Etablierung eines transnationalen Mediensystems geleistet werden (Ulrich 2016, S. 111ff.). Beide Modelle haben Vor- und Nachteile, da ein transnationales Mediensystem sich die Filterung durch nationale Systeme ersparen würde, nationale Systeme aber auch als nationale „Übersetzungshilfen“ und Kontextualisierungen für internatio‐ nale Probleme fungieren können. Die meisten Theoretiker neigen daher zum pragmatischen Verfahren der Synchronisierung durch nationale Systeme, das aber bislang in hohem Maße an der Interdiskursivität gescheitert zu sein scheint. Die Herausbildung eines „Konsenses“ in der Weltöffentlichkeit ist zudem im nationalen Modell technisch kaum möglich, so dass Transnatio‐ nalismus zumindest als zweite Säule der Weltöffentlichkeit erhalten bleiben muss. Aus der Perspektive einer anderen Theorie, nämlich der Systemtheorie, ist die deliberative Öffentlichkeitstheorie, egal ob optimistisch oder pessi‐ mistisch beurteilt, ohnehin nichts als ein Ausdruck des „Hyperglobalismus“ 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 105 <?page no="106"?> (Werron 2010, vgl. Kap. 2.2.1). Aus Sicht der Systemtheorie in der Tradition Niklas Luhmanns erscheint es nicht so wichtig, wie sich Nationen durch Mediendiskurse verbinden und ob sie sich synchronisieren, sondern dass sie sich verbinden, denn jede Form der Konnektivität birgt die Chance auf gesellschaftliche Anschlusskommunikation (Luhmann 1970, Axford 2012, S. 38, 45). In der Systemtheorie geht es primär um eine Reduktion von Umweltkomplexität, die Themenstrukturierungsleistung der Medien an sich ist wichtiger als ein bestimmter partizipativer und demokratischer Modus (Böckelmann 1975). Bei Luhmann ist daher auch „Weltgesellschaft“ vergleichsweise offen definiert, sie entsteht durch beliebige grenzüber‐ schreitende Kommunikation und hat keinerlei Verwandtschaft mit dem Konstrukt der globalen Zivilgesellschaft (global civil society) (vgl. Kap. 5). In der Systemtheorie ist weder Qualität des Journalismus noch die Frage, ob Information oder Unterhaltung vermittelt wird, von Belang. Vielmehr steht eine postmoderne Ansammlung disperser Individualmeinungen im Vordergrund. Aus dieser Sicht gibt es am derzeitigen Zustand des globalen Mediendiskurses nichts auszusetzen. Fragmentarische Themenhaushalte und Frames, verbale und visuelle Stereotype oder auch defizitäre Sprecherre‐ ferenzialität sind in dieser Wissenschaftsschule samt und sonders legitime Weltbildkonstruktionen der Postmoderne. Die Rolle der Weltöffentlichkeit für die Weltgesellschaft Allerdings werden die Grenzen dieser Sichtweise deutlich, wenn man versteht, dass mit ihr auch Kriegspropaganda und rassistische Aufladungen in Massenmedien gerechtfertigt werden können (Hafez 2010, 2017b). Zwar sollte man die strukturelle Überforderung der deliberativen Theorie der Weltöffentlichkeit erkennen. Zugleich muss man aber vor der strukturellen Unterforderung durch die Systemtheorie warnen, die als grundlegende Makrotheorie keine praktikable Gesellschaftstheorie zu sein scheint. Medien verfügen aus der Sicht der deliberativen Öffentlichkeitstheorie über ein „ambivalentes Potenzial“ insofern, als sie durch ihre Angebote einerseits die Grundlagen zur Herstellung von Öffentlichkeit legen, die Medien aber den Raum der möglichen Kommunikation andererseits „hierarchisieren und einschränken“ (Burkart/ Lang 2004, S. 63ff.). Im Falle der globalen Kommu‐ nikation lassen sich Wirkpotenziale der globalen Massenkommunikation innerhalb wie außerhalb nationaler Systeme beobachten, die unter den Begriffen „Kosmopolitismus“ und „Global Governance“ firmieren können. 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 106 <?page no="107"?> Auslandsberichterstattung hat direkte Auswirkungen auf die Haltung der Gesellschaft zu Fragen des Kosmopolitismus, Multikulturalismus und Rassismus. Menschen greifen in der Tendenz bei Fernbildern auf Medien‐ wissen und bei Nahbildern auf eigene Erfahrungen zurück (Kruck 2008). Probleme entstehen insofern, weil Rassismus auf Vorurteilen gegenüber dem „abwesenden Fremden“ basiert, also keine Reaktion auf Fremde in der Nahumwelt ist, sondern die in den Medien konstruierte „chaotische Welt“, die dann aber auf die „Fremden“ in der Nahwelt („die Ausländer“ usw.) übertragen wird, zu denen kein Konkakt und über die also kein direktes Erfahrungswissen besteht (Chouliaraki 2006, Hafez 2002a, Bd. 2, S. 261ff.). Dabei darf man allerdings den Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen (Familie, Gemeinschaft, Institutionen) auf Kernwerte des Menschen nicht unterschätzen (Hafez 2011, S. 488f.). Was die Frage der internationalen Wirkungen angeht, so gilt ein gro‐ ßer Teil der Rezipienten und Rezipientinnen als „passiv“, da diese an Auslandsnachrichten wenig interessiert sind oder primär auf Meinungen der Eliten, die sie in den Medien vorfinden, reagieren (die ihrerseits aber öffentliche Werte und Stimmungen antizipieren) (Powlick/ Katz 1998). Die meisten Studien fragen dabei allerdings nach dem Interesse der Rezipienten und Rezipientinnen an internationaler Politik, nicht aber an der Welt als solches (Hafez 2011, S. 490f.), was seinen Grund wohl darin hat, dass die For‐ schung annimmt, dass die meisten Publika ohnehin eher auf konkrete und konfliktive Ereignisse und nicht auf Lebensweltentwicklungen reagieren (Wanta/ Hu 1993). In jedem Fall ist man sich einig, dass ohne Medienresonanz des Globalen auch keine Debatten über das Globale entstehen. Je mehr über ein Land berichtet wird, umso eher gehen Rezipienten davon aus, dass dieses Land bedeutsam ist; je negativer dies geschieht, umso negativer ist in der Regel auch das entsprechende Nationenbild der Menschen (Wanta et al. 2004, vgl. a. Iyengar/ Simon 1993). Die Medienabhängigkeit der meisten Menschen wächst mit der Distanz des Publikums zum Weltgeschehen (vgl. a. Kap. 9.2). Alternative Öffentlichkeitstheorien: „dialogischer“, konstruktiver und kosmopolitischer Journalismus Was die Frage der innergesellschaftlichen Wirkung und des Kosmopolitis‐ mus angeht, so findet sich ein frühes Plädoyer für einen „dialogischen“ Auslandsjournalismus bei Hans Kleinsteuber (2004). Seine Vorstellung eines stärkeren Einbezugs lokaler und kultureller Perspektiven in den Journalis‐ 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 107 <?page no="108"?> mus zielt auf eine Belebung des „Dialogs der Kulturen“. Dieser soll der multikulturellen Gesellschaft neue Impulse verleihen und will die Interdis‐ kursivität verbessern, die nicht mehr vorwiegend auf negative, eliten- und politikorientierte Nachrichten oder stereotype Unterhaltungsware Wert legt, sondern den Vorstellungsraum der interkulturellen Beziehungen erwei‐ tern soll. In ähnlicher Weise hat auch Richard C. Stanton auf das Erfordernis eines neuen „Konversationsansatzes“ (conversational model) hingewiesen, der das Informationsparadigma des Journalismus ergänzen müsse (2007, S. 190ff.). Entscheidend sind demnach nicht mehr nur Nachrichten über eli‐ täres Handeln, sondern die Interessen von Bürgern und der Zivilgesellschaft sollen im Vordergrund stehen. Deutet man diese Ansätze auf Basis der Habermasianischen Öffentlich‐ keitstheorie, so wird von beiden Autoren eine Akzentverschiebung von der Systemzur Lebensweltberichterstattung verlangt. In diese Richtung weisen auch Ansätze des „konstruktiven“ beziehungsweise „positiven Journalis‐ mus“, die sich durch eine Hinwendung zu Lebenswelthemen eine Korrektur des Negativbias von Auslandsnachrichten versprechen (Hafez/ Grüne 2015). Derartige Ansätze machen deutlich, dass die Negativitätsfixierung der Aus‐ landsberichterstattung nicht zuletzt den Populismus stärkt (Haagerup 2014, Russ-Mohl 2017). Eine entsprechende Neudefinition der Nachrichtenwerte wird gefordert. In eine ähnliche Richtung zielen Ansätze eines „kosmopolitischen Jour‐ nalismus“, wenngleich unter leicht veränderten Vorzeichen. Negativanlässe sollen hier nicht weniger vom Journalismus beachtet werden, wie im „kon‐ struktiven Journalismus“, sondern gezielt erörtert werden, zum Beispiel bei Fluchtkrisen. Allerdings sollen die Ereignisse anders interpretiert werden als in der konventionellen Medienberichterstattung. Nicht mehr die stereotype Darstellung von Geflüchteten als bedrohliche Masse, sondern individuelle Schicksale und vor allem die Mitverantwortung der internationalen Politik und der Großmächte sowie die komplexen politischen und ökonomischen Weltbeziehungen sollen im Vordergrund stehen (Chouliaraki 2006, Silver‐ stone 2007, Lindell/ Karlsson 2016, Schmidt 2017). Hier besteht zugleich eine Verwandtschaft zum dialogischen wie auch zum konstruktiven Journalismus, da auch im kosmopolitischen Journalis‐ mus Interdiskursivität wichtig ist, um die Reflexivität über „das Eigene und das Fremde“ zu verbessern und so kosmopolitische Impulse in die Einwanderungsgesellschaft zu senden. Alle drei alternativen Strömungen der Öffentlichkeitstheorie verschmelzen daher gewissermaßen in Ingrid 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 108 <?page no="109"?> Volkmers Ansatz zur „reflexiven Interdependenz“ der Weltöffentlichkeit, in dem sie Interdiskursivität, Lebensweltorientierung und Kosmopolitismus als neue Horizonte skizziert (2014, S. 163ff.). Sich explizit auf Habermas, aber auch auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant und John Rawls beziehend, beschreibt sie die gesellschaftlichen Veränderungen der Globalisierung insofern als fundamental, als Menschen im global reflexi‐ ven Journalismus nicht als „Fremde“, sondern als das globale „Selbst“ in Erscheinung träten. Die gesellschaftliche Reproduktion lokaler Identitäten, die durch isolierte Mediendiskurse entsteht, soll so abgemildert werden. Weltöffentlichkeit und Global Governance: das Beispiel Europas Europa und die Europäische Union sind ein Beispiel dafür, wie Medienbe‐ richterstattung sich auf die internationale Politik auswirkt. Als zentrales Ergebnis von Inhaltsanalysen kann festgehalten werden, dass eine gewisse thematische Konvergenz der Europaberichterstattung in den nationalen Medien Europas als Mindestkriterium einer europäischen Öffentlichkeit vorhanden ist. Jedoch ist das Framing vielfach national geprägt und wenig interdiskursiv ausgerichtet. In der wissenschaftlichen Literatur wird die mediale Domestizierung als hinderlich für die spezifische Form der Global Governance innerhalb der EU betrachtet, da diese zwar kein Bundesstaat ist, aber seit den Verträgen von Maastricht 1992 ein mit starken transnationalen Kompetenzen ausgestatteter Staatenbund (Splichal 2012, S. 145ff.). Da aber die Medien und die Medienpolitik fast gänzlich in der Hand der National‐ staaten liegen, somit der Einfluss der nationalen Politik auf die Medien enorm hoch ist, werden dezentrale Positionen gestärkt und die europäische Konsensbildung erschwert, während die Brüsseler Politik beständig um ihr Image kämpfen muss, weil sie als einzige politische Kraft über keinen strukturell abgesicherten Medieneinfluss verfügt. Die meisten Autoren fordern in dieser Situation weniger die Schaffung transnationaler Medien als die bessere Verzahnung der nationalen Medien, um die Interdiskursivität der Medien zu verbessern (Habermas 2001, S. 120, vgl. a. Gerhards 1993, 2000, Wessler/ Brüggemann 2012, S. 62). Die Vorstel‐ lung der Etablierung transnationaler europäischer Medien wird hingegen als „naives Modell“ bezeichnet, denn eine globale Nachrichtensendung von hoher Reichweite werde es „sicherlich nie geben“ (Wessler/ Brüggemann 2012, S. 65, vgl. a. Lingenberg 2010, S. 118). Allerdings ist anzumerken, dass historisch wohl noch keine politische Formation entstanden ist, die nicht über die ihr entsprechenden Medien verfügte. Wie der moderne National‐ 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 109 <?page no="110"?> staat von nationalen Medien begleitet und ermöglicht wurde, werden wohl auch globale Politikformen nur dann erfolgreich sein, wenn es wirkliche transnationale Medien gibt, die nicht mehr wie die heutigen Medien CNN, Al-Jazeera usw. im Grunde an Nationalstaaten gekoppelt sind. Die neuen Medien müssten nationale Medien nicht ersetzen, da diese innerhalb ihrer Sprachräume ideal angepasst und potenziell wichtige „Übersetzer“ in der Globalisierung sind. Sie wären aber gerade unter Krisenbedingungen we‐ niger anfällig für nationale Alleingänge und könnten insofern die Informa‐ tionsdefizite europäischer Bürger effektiver kompensieren (Morganti/ Au‐ denhove 2011). Das nationale Arenenmodell von Habermas und anderen wird daher andernorts als „Fehlkonzeption“ (misconception) bezeichnet, so dass wir von einer schwelenden wissenschaftlichen Kontroverse über die Etablierung unabhängiger europäischer Medien sprechen können (Ambrosi 2011, S. 240). Europa steht damit beispielgebend für andere transnationale Räume wie die Vereinten Nationen, Mercosur, NAFTA, die OECD oder ASEAN vor einem komplexen Entwicklungsproblem. Wenn Öffentlichkeit zur Le‐ gitimation von Herrschaft in der Moderne wichtig ist, dann wird Global Governance wahrscheinlich nur durch ein komplexes Zusammenspiel von stärker synchronisierten nationalen Medien und als unabhängige Instanzen etablierten transnationalen Massenmedien unterstützt werden. Man könnte auch von einer Kombination aus horizontaler und vertikaler globaler Mas‐ senkommunikation sprechen. Sowohl der „Brexit“ (ab 2016) als auch die Griechenlandkrise (ab 2010) haben neben allen politischen und ökonomi‐ schen Verwerfungen ihre Ursache auch im Versagen nationaler Medien im Kontext der EU. Massenmedien weiterhin als nationale Kulturgüter zu betrachten, wie es die europäischen Verträge der EU tun, während man zugleich Europawahlen abhält, ist eine Konstruktion, deren innere Widersprüche sich nicht allein durch Appelle an eine pan-europäische Medienethik lösen lassen werden, sondern immer auch durch Weiterent‐ wicklungen der bestehenden Mediensysteme realisiert werden müssen. Zu den nationalen Arenen als Ort der Transnationalisierung muss also geradezu zwangsläufig ein direkter medialer Draht zwischen europäischen Bürgern und Bürgerinnen, dem Parlament in Straßburg und der Brüsseler Exekutive durch pan-europäische Medien und verbesserte journalistische Vernetzun‐ gen kommen (Ratavaara 2013). Mit dem wachsenden Zuspruch, den solche pan-europäischen Medien bei den Konsumenten fänden, würden sie auch in die Rolle von Leitmedien des nationalen europäischen Journalismus 2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit 110 <?page no="111"?> im Prozess der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten hineinwachsen, was den derzeitigen Medien wie Euronews noch nicht hinreichend gelingt (Brüggemann/ Schulz-Forberg 2009). Gesamtfazit: Weltöffentlichkeit, Weltgesellschaft und verzögerter Strukturwandel der Massenmedien Zusammenfassend lässt sich sagen, dass globale Massenkommunikation von transnationalen Kommunikationsflüssen sowie von einer zunehmenden Zahl transnationaler Medien und transnationaler Medienstrukturen auf al‐ len Ebenen (Medienethik, -produktion, -rezeption, -regulation, -ökonomie) gekennzeichnet ist. Die nationale oder geokulturelle Prägung der meisten Medien ist aber strukturell, das heißt im Organisationsaufbau sowie in den primären Umweltbezügen von Politik, Ökonomie und Märkten nicht zu verleugnen. Diese globale Interdependenzlücke der globalen Massen‐ kommunikation korreliert, ohne allzu strukturalistisch argumentieren zu wollen, in hohem Maße mit fragmentarischen, national oder anderweitig lokal gefärbten Mediendiskursen. Es gibt bislang keine Hinweise, dass im Internet in markanter Weise und von Nischen abgesehen ein echter globaler Gegenentwurf zum partikularen Journalismus entstünde. Systemtheoretisch weitgehend irrelevant, stellt die aktuelle Situation aus der Perspektive deliberativer Öffentlichkeitstheorien insofern eine Heraus‐ forderung für das Konstrukt der Weltöffentlichkeit dar, als eine wünschens‐ werte Synchronisierung weltgesellschaftlicher Wahrnehmungen bislang nicht von einem Strukturwandel der Medien abgesichert wird. Die globale Zivilgesellschaft tut daher gut daran, jenseits der Massenmedien ihre eige‐ nen Kommunikationsformen zu etablieren (vgl. Kap. 5 und 6). Dass diese die zentrale Orientierungsfunktion der Massenmedien weder innennoch außenpolitisch ersetzen können, wird in der alternativen Öffentlichkeits‐ theorie moniert und bleibt ein zentrales Problem der Globalisierung. 2.2 Kommunikative Systemverbindungen 111 <?page no="113"?> 3 Politik - globale Kommunikation des Staates Politische Systeme sind durch verschiedene Formen der Souveränität ge‐ kennzeichnet, die ihre Art der globalen Kommunikation prägen. Man muss sich politische Systeme in jeder Hinsicht als „hybride Systeme“ vorstellen. Sie sind die globalen Multitalente unter den Sozialsystemen mit ausreichend Ressourcen, um alle kommunikativen Prozesse - Informationssammlung und Beobachtung, diskursiv-monologische wie auch interaktiv-dialogische Kommunikation - zu praktizieren. Mit diesen kommunikativen Facetten gehen gesellschaftliche Prozesse einher. Neben einem gewissen Potenzial des Staates zur globalen Gemeinschaftsbildung durch diplomatische In‐ teraktion verhindern staatliche Außenpolitik und staatliche Propaganda zugleich permanent, dass eine synchronisierte Weltöffentlichkeit entsteht. Gerhard Vowe hat bei seiner Definition politischer Kommunikation nicht von ungefähr nicht nur zwischen interpersonaler Kommunikation und Massenkommunikation, sondern auch zwischen strategischem und verstän‐ digungsorientiertem Handeln unterschieden (2002, S. 10). Am Ende existiert ein gewisses Vergemeinschaftungspotenzial der inter‐ nationalen Kommunikation des Staates. Glaubt man der Kriegsstatistik, so leben wir derzeit in der friedlichsten aller Zeiten, was auch der Verdich‐ tung globaler Diplomatie unter den Bedingungen moderner Kommunika‐ tionsmittel geschuldet ist. Allerdings bleibt der vom politischen System geprägte Raum der globalen Öffentlichkeit sehr antagonistisch und der propagandistische Drang des Nationalstaates macht Medien, Systemen und Lebenswelten eine wahrheitsgetreue Orientierung in den internationalen Beziehungen alles andere als leicht. Systemische Differenzzwänge konter‐ karieren die gleichzeitig vorhandene Fähigkeit zur interaktiven Anpassung in der Weltgemeinschaft. 3.1 Systeme und Systemwandel Akteure, Zielpublika und „dritte Räume“ der globalen Kommunikation Getreu dem theoretisch eingeführten System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz, wobei nicht nur die „Relationen“ zwischen den Systemen, sondern auch die Substanz der Systeme selbst betrachtet werden soll, wird zunächst der <?page no="114"?> Akteur - das politische System - vorgestellt. Zu den Grundfunktionen des Staates zählen unter anderem die Herstellung von Sicherheit sowie die Sicherung von Ressourcen für das Wirtschaftssystem. Dazu muss er im Inneren des Systems eine gewisse Komplexität der Organisation und der Akteursnetzwerke ausbilden und verwalten. Nach außen muss der Staat mit anderen politischen Systemen wie auch mit diversen Umwelten im In- und Ausland kommunizieren. One-to-one-Kommunikation unter gleichen oder ähnlichen Akteuren (Diplomatie) spielt hier also ebenso eine Rolle wie One-to-Many-Kommunikation (Public Diplomacy/ Propaganda). Um beides erfolgreich tun zu können, muss ein drittes Element hinzukommen: Der Staat muss sich selbst, andere Systeme und seine Umwelt beobachten, um sinnvoll agieren zu können. Da die Komplexität der Anforderungen in jedem einzelnen Kommunika‐ tionsbereich ständig zunimmt, steigt auch die Zahl der Akteure, die in staatliche Kommunikation involviert sind und es entsteht eine sehr hete‐ rogene Konstellation von Akteuren und Zielpublika. Zum erweiterten Sys‐ tembereich des Nationalstaates gehören heute auch multinationale Systeme (wie die UNO oder die EU), NGOs, Think Tanks und sogar lebensweltliche Akteure (z. B. Blogger) und zum Umweltbereich zählen Multiplikatoren, Medien, Öffentlichkeiten und ganze Bevölkerungen. Am Ende ergibt sich in etwa folgende Akteursmatrix der globalen politischen Kommunikation (vgl. Abbildung 3.1): Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. Staat A Staat B Akteure der politischen Kommunikation Zielpublika Zielpublika Medien Öffentlichkeit Bevölkerungen usw. Medien Öffentlichkeit Bevölkerungen usw. Entscheider, Ministerien, Botschafter, Think Tanks, NGOs, Lebenswelteliten usw. „dritte Räume“ der Diplomatie Abb. 3.1: Akteure und Zielpublika internationaler politischer Kommunikation 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 114 <?page no="115"?> Akteure des politischen Systems und je nach Rollenzuschreibung auch anderer intermediärer Systeme und Lebenswelten der Gesellschaft können wir als „Insider“ der Politik bezeichnen. Als „Outsider“ firmieren hingegen Umweltsysteme und Systemumwelten im In- und Ausland. In der diploma‐ tischen Innenzone der politischen Kommunikation befinden sich nun nicht mehr nur die Akteure eines Staates, sondern die mehrerer Staaten. Die Grafik verdeutlicht also präziser, dass Staaten in der interpersonalen Diplo‐ matiekommunikation quasi „dritte Räume“ einer (oft geheimen) Diplomatie bilden, wo Regierungen miteinander intensiver im Dialog stehen als mit den eigenen Bürgern. Genau an diesem Ort lässt sich die Entstehung von „Weltgemeinschaft“ durch interaktive Kommunikation - in Abgrenzung von der diskursiven „Weltöffentlichkeit“ - am ehesten vermuten. Diplomatie: Realismus vs. Konstruktivismus Um ihre Grundfunktionen zu erfüllen, mussten politische Systeme schon von jeher mit anderen politischen Systemen kommunizieren. Der natürliche Raum für diese Staat-Staat-Interaktion ist die Diplomatie, die bilateral, multilateral oder in Mediationsprozessen stattfinden kann. Dabei hat sich das, was man salopp als „Staat“ bezeichnet, im Laufe der Zeit allerdings erheblich gewandelt. Diplomatiekommunikation hat eine lange Geschichte. Herrschaft und Kommunikation sind historisch eng miteinander verbunden. Frühe Stadtstaaten wie Ebla und Mari im heutigen Syrien tauschten bereits im zweiten Jahrtausend v. Chr. Gesandte aus und schlossen Verträge (Cohen 1999). Kommunikation in zunehmend wachsenden Großreichen wurde gleichwohl von der Antike bis zum Mittelalter insofern immer schwieriger, als Botschaften ohne moderne Übertragungstechniken ihre Ziele nur mit großer Zeitverzögerung erreichten. Der mittelalterliche Staat war daher das, was man einen „Personenverbandsstaat“ nennt, er basierte auf einem Verbund von Individuen, die sich einem König oder Kaiser zuordneten (etwa im Lehenssystem), ohne dass Entscheidungen jedoch immer zentral getroffen wurden. Typisch für mittelalterliche Herrscher war es, ständig unterwegs zu sein, um Präsenz zu zeigen, denn ein Kommunikationsverlust bedeutete meist eine Stärkung der Eigenständigkeit der Vasallen. Zentral‐ staatliche Verwaltung funktionierte vermittels schneller und effizienter Großraumkommunikation und die Überlegenheit des riesigen mittelalterli‐ chen Mongolenreiches, das bis nach Europa reichte, war nicht zuletzt auf ihr revolutionär schnelles Kuriersystem zurückzuführen und die Brieftauben der Araberreiche konnten bis zu tausend Kilometer am Tag zurücklegen 3.1 Systeme und Systemwandel 115 <?page no="116"?> (Frederick 1993, S. 15ff.). Die Befähigung zur Etablierung zentralstaatlicher, bürokratischer Herrschaft, wie sie für den modernen Staat typisch ist, ging eindeutig mit der Entwicklung der Zeit und Raum überwindenden Kommunikation einher. Dennoch hat es eine Weile gedauert, bis dieser Sachverhalt in der Wissen‐ schaft auch anerkannt wurde. Politische Entscheidungsanalysen kann man grob in drei Richtungen unterteilen: traditionelle, kognitive und organisato‐ rische Ansätze (Mansfield 1990). Die traditionelle Analyse der „realistischen Schule“ setzt allein auf die vermeintliche Substanz staatlicher Interessen. Sie wurde spätestens seit den 1960er Jahren ergänzt durch die kognitive Deutung der Wahrnehmungen politischer Entscheider. Christoph Weller hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die konstruktivistische Schule der inter‐ nationalen Beziehungen, wie diese Richtung oft genannt wird, bislang keine einheitliche Theorie entwickelt hat und dass es ratsam ist, staats- und sozi‐ alkonstruktivistische Ansätze zu unterscheiden, wobei erstere den Staat als kommunikativen Akteur zentral stellen, während letztere die Abhängigkeit des Staates von sozialen Konstruktionen betonen (2003/ 4, S. 111f.). Unserem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz entsprechend versuchen wir beide Perspektiven einzubeziehen, indem wir einerseits behaupten, dass das politi‐ sche System mehr ist als ein diffuser Akteur, nämlich ein konkret handelndes organisiertes Sozialsystem, während wir andererseits das Vorhandensein lebensweltlicher Einflüsse im politischen System durchaus erkennen (siehe unten: Informalität). Entscheidend für die staatskonstruktivistische Analyse ist es allerdings, dass die realistische Schule im Laufe der Zeit nicht nur durch psychologische und durch soziologische Ansätze ergänzt wurde, sondern dass auch die kommunikative Komplexität des Staates im Bereich der Gruppendynamik politischer Entscheider und Kommunikationsflüsse in staatlichen Bürokra‐ tien anerkannt worden ist (Mansfield 1990). Man darf behaupten, dass die kommunikationswissenschaftliche Deutung von außenpolitischen Ent‐ scheidungen erst in der letzten organisationssoziologischen Phase Einzug gehalten hat, da seitdem die (gelungene und nicht gelungene) Interaktionen zwischen Personen und Gruppen berücksichtigt werden. Second-Track-Diplomacy und Global Governance Eine komplexe organisationssoziologische Analyse des Staates ist erforder‐ lich, da heute nicht mehr nur staatliche, sondern auch nicht-staatliche Akteure zu beachten sind, was mit dem Wandel moderner politischer 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 116 <?page no="117"?> Systeme zu tun hat. Dabei spielen nicht nur die Entstehung bürokratischer Herrschaft im Sinne Max Webers (1922), die Durchsetzung des Rechtsstaates und die Herausbildung großer Institutionen und Apparate eine Rolle, die immer mehr Akteure der Exekutive und - in Demokratien - auch der Le‐ gislative und Judikative in die außenpolitische Kommunikation einbeziehen. Genau so bedeutsam war der weitgehend erst im 20. Jahrhundert erfolgte Übergang a) von der rein staatlichen zur erweiterten gesellschaftlichen Außenpolitik sowie b) zur im Ansatz erfolgten transnationalen Politik (Global Governance): ▸ Zu a): Second-Track-Diplomacy oder Multi-Track-Diplomacy: Es gibt viele Typen der Diplomatie, z. B. Konferenzdiplomatie, Krisendiplo‐ matie, Gipfeldiplomatie oder „Shuttle“-Diplomatie (Rofe 2016), die von jeweils unterschiedlichen Akteuren betrieben werden. Während Gipfeldiplomatie vor allem hochrangige Entscheider versammelt, bezieht Konferenzdiplomatie in der Regel mehr als zwei Staaten ein. Die Akteurskonstellation der Konferenzdiplomatie erweitert den Akteursraum also sowohl vertikal durch den Einbezug zentraler Entscheider als auch horizontal durch Multilateralität. Eine neue „diagonale“ Variante kam erst in den letzten Jahrzehnten hinzu: die Second-Trackbeziehungsweise Multi-Track-Diplomacy. Hier inter‐ agieren im Prinzip Angehörige ganz unterschiedlicher systemischer Herkunft miteinander. Zu den Politikern und Berufsdiplomaten kom‐ men Think Tanks, NGOs, Wissenschaftler oder Religionsführer hinzu (Werkner/ Hidalgo 2014). Die Ursache hierfür liegt in einer Entwick‐ lung, die James Rosenau als „Linkage“-Politik bezeichnet. Er geht davon aus, dass die Einteilung in Innen- und Außenpolitik zu vereinfa‐ chend ist, da zwischen beiden Feldern zahlreiche Verbindungen exis‐ tieren, wodurch ein eigenes drittes, gekoppeltes Diskursfeld entsteht. Je stärker ein außenpolitisches Thema nach Rosenau die materiellen Ressourcen oder aber auch die geistig-moralischen Fundamente einer Gesellschaft berührt, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Problem allein von der politischen Klasse bearbeitet wird (1967, S. 49). Multi-Track-Diplomacy hat aus Sicht unseres System-Lebens‐ welt-Netzwerk-Ansatzes erhebliche Konsequenzen für die Kommu‐ nikation, da in den neuen Netzwerken die strategische Kommuni‐ kationsnotwendigkeit deutlich verringert wird und die Bedeutung dialogischer Kommunikation und Interaktionsprozesse zunimmt. Die 3.1 Systeme und Systemwandel 117 <?page no="118"?> neuen Akteure sind freier in der Artikulation alternativer Informa‐ tionen, neue Dialoge können sich entwickeln. Allerdings muss man einräumen, dass nach wie vor die Entscheider der traditionellen staatlichen Diplomatie eine übergeordnete Machtposition innehaben: Sie sind es, die darüber befinden, ob neue Formen der internationalen Vergemeinschaftung zum Tragen kommen oder die Interessen ein‐ zelner Nationalstaaten überwiegen. Die Bereitschaft der staatlichen Diplomatie, Multi-Track-Diplomatie einzubeziehen, wird noch als gering eingestuft (Diamond/ McDonald 1996, S. 158). Zugleich ist aber die Anzahl von bei der UNO akkreditierten NGOs erheblich gestiegen (Turek 2017, S. 356). Ob sich von dieser quantitativen Zunahme aller‐ dings auf eine größere Politikrelevanz der Second-Track-Diplomatie schließen lässt, Akteure der Multi-Track-Diplomatie also gleichbe‐ rechtigte „Insider“ der Politikkommunikation sind, bleibt unklar. Erfolgreicher NGO-Lobbyismus findet offensichtlich vor allem in Fel‐ dern wie der Wirtschafts-, Umwelt- oder Menschenrechtspolitik statt (z. B. Schuldenerlasse für Entwicklungsländer), also dort, wo neben den Kernanliegen des Staates im Bereich Sicherheit und territorialer Souveränität auch andere gesellschaftliche Subsysteme mit hoher innenpolitischer Relevanz beteiligt sind (Saner/ Yiu 2008). ▸ Zu b): Global Governance: Als Global Governance kann man das Institutionen- und Regelsystem bezeichnen, das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, um die internationalen Beziehungen zu stabilisieren. Es wurden zahlreiche internationale Organisationen, Re‐ geln und Abkommen etabliert, etwa die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Organisation für Sicherheit und Zusam‐ menarbeit in Europa (OSZE) sowie Verbrechensbekämpfungs-, Um‐ welt-, Antidiskriminierungs- oder Handelsabkommen (UNO 2012). Das Ziel war es, Grundstandards des zwischenstaatlichen Handelns zu etablieren und Außenpolitik stärker zu normieren, um chaoti‐ sche internationale Verhältnisse zu verhindern (Held/ McGrew 2002, Block 1977, Brand et al. 2000). Global Governance hat die Akteurs‐ konstellation in den globalen Beziehungen einmal mehr erweitert. Während klassische Diplomatie unregelmäßig und krisenorientiert stattfindet, schafft Global Governance quasi eine Standleitung zwi‐ schen den Nationen. Durch die Vielzahl beteiligter Staaten und trans‐ nationaler Institutionen kann sie außerdem ebenso wenig wie die Second-Track-Diplomatie allein mit den Mitteln der interpersonellen 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 118 <?page no="119"?> Verhandlungskommunikation untersucht werden, sondern erfordert ein ergänzendes theoretisches Verständnis von Organisationskom‐ munikation. Dennoch bleibt die Verhandlungskommunikation auch für die kommunikativen Systembeziehungen der Global Governance zentral, da die Souveränität des Nationalstaats - von Ausnahmen wie der Europäischen Union abgesehen - nicht eingeschränkt wird. Auch internationale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll im Umwelt‐ bereich müssen von nationaler Politik erst ratifiziert werden, bevor sie in einem Land gelten - und sie sind kündbar. Global Governance hat sich daher, ähnlich wie Multi-Track-Diplomatie, noch nicht endgültig von der nationalstaatlichen Außenpolitik emanzipieren können. Das Wechselspiel zwischen substantialistischen Interessen des National‐ staates und seinen interaktiven Handlungen in der Weltgemeinschaft bleibt also auch hier im Wesentlichen erhalten. Für die Kommunikati‐ onswissenschaft bedeutet dies: Zwischen- und multistaatliche Inter‐ aktionen der Diplomatie bleiben der eigentliche Ort der Analyse. Die entstehenden „dritten Räume“ der Gemeinschaftsbildung sind flüch‐ tig. Die multistaatlichen Einrichtungen, Konferenzen, Gipfel usw. sind eher situative Erweiterungen der nationalen Verhandlungskommuni‐ kation als eigenständige Institutionen. Vielleicht ist transnationale Organisationskommunikation aber tatsächlich die Zukunft der globa‐ len Weltentwicklung, was dann nicht nur die Akteurskonstellation der außenpolitischen Kommunikation verändern würde, sondern auch deren Zielpublika. Zielpublika der Public Diplomacy Bislang betreibt jeder Nationalstaat eine an seinen eigenen Interessen ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit, deren internationale Dimension man heute als „Public Diplomacy“ bezeichnet. Inhaltlich fällt die Abgrenzung zur klassischen Propaganda oder zur Public Relations äußerst schwer. In jedem Fall aber verfolgt der Staat verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit im Ausland, zum Beispiel Auswärtige Kulturpolitik, Auslandsrundfunk oder Nationenwerbung. Public Diplomacy nimmt Anleihen beim klassischen Diplomatiebegriff, ist aber etwas kategorial völlig Anderes. J. Simon Rofe hat Public Diplomacy daher auch zu Recht als „distinct concept“ bezeichnet (2016, S. 40) - aber dazu später mehr. Für ein Verständnis der Systeme und des Systemwandels ist zunächst lediglich wichtig zu begreifen, dass der moderne Staat nicht mehr nur mit anderen Staaten, sondern zunehmend auch mit 3.1 Systeme und Systemwandel 119 <?page no="120"?> ganzen Bevölkerungen, Medien und Öffentlichkeiten kommuniziert. Zu den komplexen Akteurskonstellationen der Diplomatie kommen in der Public Diplomacy also auch stetig neue „Zielgruppen“ für kommunikative Botschaften des Staates hinzu. Natürlich ist historisch nachweisbar, dass bereits die Römer systematische Propaganda betrieben; die Tatenberichte des Kaisers Augustus („Res Gestae divi Augusti“) sind die vielleicht berühmtesten Quellen. Aber mit der Entwicklung moderner Politik in Richtung partizipativer Systeme und Mas‐ sendemokratien ist diese Dimension immer aufwendiger und bedeutsamer geworden. Wenn Römer und Ägypter Propaganda betrieben, dann wollten sie vor allem ihre eigenen Bevölkerungen und vielleicht andere Regierungen erreichen. Die moderne Public Diplomacy hingegen hegt einen umfassenden Verbreitungsanspruch, der nicht nur weltumspannend ist, sondern auch meinungsführende Multiplikatoren und Eliten im Ausland - von Journalis‐ ten und Journalistinnen über Bildungseliten bis hin zu sozialen Meinungs‐ führern und spezifischen soziologischen Segmenten (z. B. Jugend) - präzise zu definieren versucht. Auch wenn die Erreichbarkeit dieser Zielsetzung umstritten bleibt, ist der Anspruch an Zielgruppengenauigkeit hoch und wachsend. Neue Kommunikator-Rollen in der Außenpolitik Das Bindeglied zwischen den nach innen, zu politischen Systemen hin, gerichteten Interaktionen und den nach außen, zu Öffentlichkeiten, zielen‐ den Diskursen ist die globale Informationspolitik des Staates (siehe unten). Im Sinne der theoretisch eingeführten Kommunikationsmodi lässt sich sagen: Der Staat dialogisiert und monologisiert nicht nur - er beobachtet auch. Seine diesbezüglichen Leistungen erbringt er auf unterschiedlichen Wegen, beispielsweise durch Berichte des eigenen Botschaftersystems, durch Geheimdienste oder durch Medienbeobachtung (media monitoring). Durch die technische Weiterentwicklung der Kommunikation verändert sich die Rolle der politischen Akteure permanent. Da Regierungen heute sehr einfach direkt kommunizieren können, hat der Botschafter oder die Botschafterin seine/ ihre ehemalige Rolle als zwischenstaatlicher Verhandler weitgehend verloren. Im Zuge dieser Entwicklung haben in vielen Ländern regelrechte Dienstreformen stattgefunden. Botschafter sind heute eher Informationsbeschaffer oder auch Propagandisten, weniger jedoch Teil der interaktiven Verhandlungsdiplomatie. Ausdruck dieses Prozesses war etwa die nach den Attentaten vom 11. September 2001 in Deutschland erfolgte 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 120 <?page no="121"?> Verlegung der Abteilung für Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Medien („Abteilung K“) durch die zweite Regierung Schröder/ Fischer vom Bundespresseamt in das Auswärtige Amt im Jahr 2003 oder die Gründung von Deutschland-Zentren an deutschen Schwerpunktbotschaften. Die sich ergebenden Positionsverschiebungen in den staatlichen Akteurs‐ konstellationen ändern zwar erneut nichts am verhandlungskommunikati‐ ven Charakter der Diplomatie, da nun andere Akteure - oft Sonderemissäre oder Teams der Regierungschefs oder der Ministerien für Auswärtige Politik, Verteidigung, Außenwirtschaft usw. - die frühere Rolle der Botschafter als direkte Kommunikationspartner übernehmen. Sie bedeuten aber für die Außenpolitik, dass eine um PR-Kenntnisse erweiterte kommunikationswis‐ senschaftliche Expertise benötigt wird, um die komplexen Informationsum‐ welten der Politik zu verstehen. Fazit: inkonsequenter Wandel zur „Weltinnenpolitik“ Trotz der zunehmenden Zahl an Akteuren der Außenpolitik, die in ih‐ rem Inneren immer vielfältigere Beobachtungsaufgaben wahrnimmt, die Zivilgesellschaften integriert, Global Governance betreibt und mit ganzen Bevölkerungen kommuniziert, erweist sich der Nationalstaat auch in der Ära der Globalisierung als stark und überlebensfähig. Die Vorstellung einer kompletten Überwindung des Nationalstaates durch eine „Weltinnen‐ politik“ hat sich nicht eingelöst (Bartosch/ Gansczyk 2009). Das Ende des Ost-West-Konflikts verbesserte zwar die Chancen zur Global Governance. Die weltpolitische Krise nach den Terrorattentaten von 2001 hat jedoch einem Unilateralismus der Super- und Großmächte Vorschub geleistet. Globale politische Kommunikation ist daher nach wie vor weniger interne Organisationsals vielmehr zwischenstaatliche Verhandlungskommunika‐ tion und staatliche PR im Rahmen einer multipolaren Weltordnung. 3.2 Kommunikative Systemverbindungen Um die globale Kommunikation des Staates zu verstehen, müssen wir meh‐ rere theoretische Aspekte im Blick behalten. Richtungsweisend ist unsere kommunikative Leitdifferenz zwischen Beobachtung/ Diskurs und Interak‐ tion/ Dialog. Die Kernfrage lautet dementsprechend: Wo und wie interagiert, monologisiert und beobachtet der Staat grenzüberschreitend? Da staatliche Außenpolitik und Global Governance nicht nur von einzelnen Diplomaten, 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 121 <?page no="122"?> sondern auch von Ministerien und Institutionen gesteuert wird, müssen wir neben der Verhandlungstheorie die Grundlagen der Organisationskom‐ munikation berücksichtigen, also zum Beispiel das Text-Sprech-Verhältnis und die Beziehungen zwischen Face-to-Face-Interaktion und interpersonal mediatisierter sowie zwischen formeller und informeller Kommunikation und zwischen Innen- und Außenkommunikation. Wie man sehen wird, sind Dialoge vor allem im Innenraum der Systeme (und ihrer lebensweltli‐ chen Einflüsse durch Informalität) sowie in den diplomatischen System-Sys‐ tem-Beziehungen erkennbar. Im Außenraum und zu den Systemumwelten hin (Medien, Wirtschaft und gesellschaftliche Lebenswelten) findet vor allem strategische Kommunikation statt. Vom Mischungsverhältnis der Kommunikationsformen wird letztlich die Bilanz der politischen Kommu‐ nikation im Rahmen der Globalisierung mit Blick auf die Konzepte der Weltöffentlichkeit und Weltgemeinschaft abhängen. 3.2.1 Interaktion und Dialog Interessen, Werte und Kommunikation Anders als die Massenmedien, die untereinander grenzüberschreitend nur sehr begrenzt interagieren und wo die Welt jenseits der eigenen Sende‐ grenzen im Prinzip eine disperse Systemumwelt bleibt, ist der Staat ein Handlungssystem, das real mit anderen politischen Systemen und Umwelt‐ systemen interagiert. Die Diplomatie wird damit zu einem Kontrapunkt der mangelnden Interaktion der Bevölkerungen und der Medien unterein‐ ander. Regierungen sind es, die als Repräsentanten der Bevölkerungen stellvertretend einen Dialog führen und so die internationalen Beziehungen stabilisieren. Solange politische Systeme nicht transnational verschmelzen, sind die Netzwerkbeziehungen zwischen den Systemen entscheidend für die kommunikative Globalisierung. Man kann daher sagen, dass zwischenstaatliche Beziehungen auf Diplo‐ matie basieren und das Diplomatie gleichbedeutend mit Kommunikation ist: „In fact, diplomacy is often defined in terms of communication“ ( Jönsson 2016, S. 79). Paradigmatisch können wir im Rahmen unseres System-Lebens‐ welt-Netzwerk-Ansatzes nicht leugnen, dass substanzielle Interessen die Kommunikation ebenso prägen können wie die Kommunikation selbst prägend auf die Systeme wirkt. Wie der kommunikative „dritte Raum“ der Diplomatie gestaltet wird, kann theoretisch vorgedacht werden, muss aber in jedem Einzelfall empirisch untersucht werden. Wie in der einlei‐ 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 122 <?page no="123"?> tenden Theorie erwähnt, hat Richard Rosecrance verdeutlicht, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit diplomatischer Kommunikation dort größer ist, wo Interessen positiv interdependent sind (Win-Win-Situationen), und geringer, wo sie negativ interdependent sind. Dabei geht es nicht nur um materielle Interessen oder Machtfragen, sondern auch um Werte und Normen, die in der zwischenstaatlichen Diplomatie nicht übereinstimmen müssen, da sie mit getrennten Nationalinteressen verbunden sein können. Zwar sind die Menschenrechte völkerrechtlich für alle Staaten bindend. Ihr genauer Inhalt muss aber stetig neu interpretiert werden. Gegen die neoinstitutionalistische Sichtweise von Rosecrance spricht aus konstrukti‐ vistischer Perspektive, dass es für die Beteiligten oft gar nicht so einfach ist, die eigenen Interessen klar zu definieren, da gerade in Demokratien vielfältige Akteure involviert sind (Meerts 1999). Was also „Interessen“ eines Staates sind, muss oft erst kommunikativ geklärt werden. Dies weist auf ein komplexes Wechselverhältnis von Macht, Werten und Kommunikation hin, das den Kern der Diplomatie ausmacht. Erfolgreiche Kommunikation kann in der internationalen Politik aus scheinbar widerstrebenden Interessen neue globale Gemeinschaftlichkeit machen, wie wir dies einleitend theore‐ tisch erklärt haben (vgl. Kap. 1.1). Prozessstufen und Metakommunikation der Diplomatie Will man das Verhältnis von Macht und Kommunikation in der Diplomatie besser verstehen, so bietet es sich an, verschiedene Prozessstufen bezie‐ hungsweise -varianten der diplomatischen Kommunikation zu bedenken, vor allem die Phasen vor, während und nach der Verhandlung sowie während einer möglichen Mediation. Was vielfach nicht bedacht wird, ist, dass Kom‐ munikation in allen Aggregatzuständen stattfindet und kommunikations‐ wissenschaftlich aufgearbeitet werden sollte. Die in der Fachwissenschaft oft übliche Konzentration auf das Verhandlungsgeschehen selbst ist eine Verkürzung des für die Beziehung zwischen Staaten maßgeblichen kommu‐ nikativen Prozesses. Globale Gemeinschaftlichkeit entsteht und entscheidet sich in allen Abschnitten und auf allen Ebenen der Diplomatie. Interes‐ santeweise will Global Governance diese Phasen im Grunde abschaffen und durch „Standleitungsdiplomatie“ eine Art dauerhafte Verhandlungssi‐ tuation schaffen, was bedeuten würde, dass die verborgenen Metaebenen der Kommunikation vor und nach Verhandlungen und Mediationen wegfallen würden. Doch schauen wir uns die Prozesselemente der Reihe nach an. 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 123 <?page no="124"?> Wer sich wundert, dass manche Staaten sich weigern, über einen strittigen Gegenstand überhaupt zu verhandeln, wo sie doch scheinbar nichts zu verlieren haben und Sympathien gewinnen könnten, der verkennt den Charakter der diplomatischen Interaktion. Der Dialog verändert diejenigen, die ihn führen und Verhandlungen stellen insofern ein Risiko dar, das Staaten nur dort eingehen, wo sie sich substanzielle Gewinne erhoffen können. Bereits die Teilnahme an Verhandlungen sendet eine Metabotschaft, bleibt damit also nicht folgenlos. Sie bedeutet eine Anerkennung des Ge‐ sprächspartners, das heißt, die Beziehungsebene der Kommunikation ist bereits aktiviert, bevor ein einziger Verhandlungstag absolviert ist. Vor den Verhandlungen werden aber auch auf der Inhaltsebene bereits wesentliche Entscheidungen getroffen, denn die Bereitschaft zur Verhandlung bedeutet explizit die Anerkennung der Existenz eines zu lösenden Problems sowie einer groben Gesprächsagenda. Implizit wird auch akzeptiert, dass die Gegenseite berechtigte Interessen hegt, denn Kompromissbereitschaft und das Überwinden egoistischer Ziele liegen in der Natur des diplomatischen Dialogs: Kompromisslos verlässt man den Verhandlungstisch nicht ohne Gesichtsverlust. Man darf also mit Fug und Recht behaupten, dass das kommunikative Geschehen vor Verhandlungen (auf der Beziehungswie auf der Inhaltsebene) ebenso bedeutsam ist wie das während der Verhandlungen. Als Israel 1993 im Zuge des Osloer Friedensprozesses mit der PLO verhandelte, bedeutete dies den Durchbruch der Organisation als legitime Vertretung der Palästinenser. Die Islamisten von Hamas zögern bis heute, mit Israel zu sprechen, weil jeder diplomatische Kontakt mit Israel dessen legitime Existenz untermauert und es unterschiedliche Strömungen von Maximalisten und Minimalisten bei den Islamisten gibt. Ältere und weitaus berühmtere Beispiele zeigen, wie Außenminister Henry Kissinger und auch die nachfolgende Regierung Jimmy Carter in den 1970er Jahren bereits vor Verhandlungen zwischen Israelis und arabischen Staaten erhebliche inhaltliche Entscheidungen trafen, als sie durch die „Politik der kleinen Schritte“ (step-by-step diplomacy) im Gegensatz zu den Gesamtlösungen (basket approach) einer umfassenden Nahost-Friedenskonferenz Themen wie die Truppenentflechtung und die Rückgabe des Sinais an Ägypten von der Palästinafrage entkoppelten. Kissinger macht in seinen Memoiren im Grunde klar, dass er nie vorhatte, die späteren Schritte zu gehen (Kissinger 1982). Step-by-Step-Diplomatie war also mehr als eine Prozessvariante, sie war eine inhaltliche Vorabentscheidung. Der Raum der kommunikativen Verhandlung wurde durch die Steuerung der Agenda erheblich verkleinert, 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 124 <?page no="125"?> die Erfolgswahrscheinlichkeit in einigen Punkten zwar erhöht, in anderen Bereichen aber deutlich verringert. Der moderne Begriff der „Roadmap“, wonach Verhandlungen in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge geplant sind, ähnelt dem der Step-by-Step-Diplomatie, auch wenn in Roadmaps Nah- und Fernziele klarer definiert werden als in früheren Zeiten. Dennoch besteht auch hier die Gefahr, bei jedem Schritt hängen zu bleiben. Eine momentane Limitierung der Kommunikationsagenda und das Priorisieren von Problemen können also politische Fakten schaffen. Agenda-Setting und Framing in politischen Verhandlungen Was die Verhandlungsphase selbst angeht, so hat das bekannte „Harvard Con‐ cept of (Principled) Negotiation“ verdeutlicht, wie die beiden Komponenten Macht/ Interessen und Kommunikation zusammenhängen (Fisher et al. 2004). Das Werk unterscheidet zwischen „Positionen“ und „Interessen“ und der erste Grundsatz erfolgreichen Verhandelns besteht darin, sich auf die eigenen Interessen und die der anderen zu konzentrieren, nicht auf die geäußerten Positionen. Ein Beispiel: Zwei Länder streiten um ein Stück Land, beide behaupten, es sei für ihre nationale Sicherheit wichtig. Die Positionen lauten: Beide wollen dasselbe Land, was auf ein Nullsummenspiel hinausläuft, das heißt Gewinne des einen sind Verluste des anderen. Das eigentliche Interesse besteht in den Sicherheitsinteressen beider Länder. Das umkämpfte Gebiet ist strategisch wichtig. Sicherheit als Kerninteresse lässt sich nun allerdings auch anders als durch die geäußerte Position der Landnahme garantieren, etwa durch ein Abkommen über die Teilung und die De-Militarisierung des Gebiets. Es entsteht ein Raum für einen rationalen Dialog - die Diplomatie kommt ins Spiel. Durch Interaktion gibt es eine Chance, einen Wechsel von Positionen zu Interessen zu schaffen, um Positionen im Sinne eines Kompromisses zu reformulieren und so aus einem Nullsummenspiel ein Win-Win-Spiel zu machen, das beiden Seiten dient. Kommunikationswissenschaftlich kann man hier von einem Themenbeziehungsweise Agenda-Wechsel sprechen. Der herrschende Diskurs wird im direkten internationalen Dialog dekonstruiert, um die Interessen beider Seiten besser zum Ausdruck zu bringen und durch den diplomatischen Dialog wird aus (propagandistisch aufgeladener) „Welt‐ öffentlichkeit“ nunmehr eine neue, wenn auch auf die beteiligten Staaten begrenzte „Weltgemeinschaft“. Der zweite Grundsatz des Harvard-Konzeptes lautet, Optionen auszu‐ arbeiten, um kreative Lösungen zu finden. Der Dialog muss demnach qualifiziert verlaufen. Das Entwickeln von Optionen und Szenarien gehört 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 125 <?page no="126"?> zum Kerngeschäft der Diplomatie. Kommunikationswissenschaftlich kann man hier von einer Framing-Diversifizierung sprechen. Erst wenn alle kausalen Zusammenhänge und moralischen Bewertungen mit Blick auf die vereinbarten Themen auf dem Tisch liegen, kann man zu Lösungen gelangen und einen Gemeinschaftskonsens erzielen. Dies ist die Stelle, an der der diplomatische Dialog von öffentlichen wie auch nicht-öffentlichen Diskur‐ sen informiert werden muss. Der „rationale Dialog“ ist auch im Prozess der politischen Globalisierung nur möglich, wenn ausreichend Wissen und Informationen vorhanden sind (siehe unten: Informationsbeschaffung). Diplomatie-Mediation: von der Interaktion zum Dialog Diplomatische Verhandlungen finden zum Teil unter Rückgriff auf Media‐ toren statt. Berühmte Beispiele sind hier erneut die „Pendeldiplomatie“ Kissingers im Nahostkonflikt zwischen Israel, Ägypten und Syrien oder der von Jimmy Carter begleitete Friedensschluss von Camp David im Jahr 1979 zwischen Ägypten und Israel. Jacob Bercovitch und Allison Houston untersuchen in ihrem „Kontingenzansatz“ sowohl die „Kontext“als auch „Prozessvariablen“ von Mediation: eine Zweiteilung, die unserem Sys‐ tem-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz entspricht, da sowohl die Strukturen der Akteure als auch der zwischen ihnen ausgetauschten Interaktionen be‐ rücksichtigt werden (1996, S. 14ff.). Kontextvariablen betreffen die Frage, bei welcher Akteurskonstellation die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Ver‐ mittlung steigt: Wenn zum Beispiel demokratische Staaten involviert sind, relative Ähnlichkeit zwischen den politischen Systemen und ein Macht‐ gleichgewicht vorhanden sind, wenn die Beziehungsgeschichte nicht allzu problematisch verlaufen ist, der Konflikt sich nicht auf dem Zenit befindet, die Opferzahlen nicht zu hoch sind und wenn das Problem nicht vital und insofern Verhandlungen zugänglich ist (Bercovitch/ Houston 1996, S. 20ff.). Die Prozessvariablen stellen nun die eigentliche kommunikative Substanz der diplomatischen Verhandlungen dar, wobei die drei Hauptformen der Mediation unterschiedliche Kommunikationsaspekte betreffen (ebenda, S. 28ff., vgl. a. Bercovitch 1992, S. 17f.): ▸ Kommunikationserleichterung (communication facilitation): Der Mo‐ derator oder die Moderatorin hat hier wenig Kontrolle über Agenda und Inhalte der Verhandlung, sorgt aber vor allem für die Aufrecht‐ erhaltung eines positiven Gesprächsklimas zwischen den Akteuren; 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 126 <?page no="127"?> ▸ Prozedurale Vermittlung (procedural mediation): Der Mediator wirkt hier aktiver, indem er/ sie Einfluss auf die Gesprächsagenda nimmt, Art und Reihenfolge der Gesprächsgegenstände festlegt und eine Art Themenmanagement betreibt; ▸ Steuernde Vermittlung (directive mediation): Moderatoren kontrollie‐ ren hierbei nicht nur die Agenda der Verhandlungen, sondern auch das Framing, erarbeiten Lösungsvorschläge, bereiten Vertragstexte vor und feilen an Formulierungen. Zum Themenmanagement gesellt sich hier also das Textmanagement. Artikel 33 (1) der UN-Charta verankert die Position von Mediatoren, was nichts anderes bedeutet, als dass die Rolle von Kommunikation in den internationalen Beziehungen völkerrechtlich anerkannt ist (auch wenn die Literatur darauf hinweist, dass machtpolitische Interessen eine Rolle spielen und die Erfolgswahrscheinlichkeit der Kommunikation nicht naiv beurteilt werden darf; Rosecrance 1973). Durch Mediation wird ein echter Dialog ermöglicht, der die erratischen Diskurse nationaler Öffentlichkeiten durch‐ bricht, sie rational neu ordnet und dadurch globales gemeinschaftliches Handeln begünstigt. Signaling als non-verbale globale Kommunikation Auch wenn aktuell keine Verhandlungen geführt werden, kommunizieren Staaten miteinander. Die häufige Gleichsetzung von Diplomatie mit einem verbalen Verhandlungsgeschehen ist insofern irreführend, als es auch non-verbale Kommunikationsformen mit globaler Ausstrahlung gibt, die man als „Signaling“ bezeichnet ( Jönsson/ Aggestam 1999, Jönsson 2016). Sig‐ naling ist zwischenstaatliche Kommunikation durch Handlung statt durch Sprache. Die in der Forschung am meisten untersuchte Form des Signaling hängt mit Gewalt und Krieg zusammen, zum Beispiel Seemanöver, die man als Kriegsdrohung deuten kann, oder Waffentransporte. Das vielleicht berühmteste Beispiel ist hier die Kubakrise von 1962, in der jedes einzelne militärische Manöver von den beteiligten Staaten USA und UdSSR als Hinweis auf eine akute Aggression gedeutet wurde und ein dritter Weltkrieg drohte (Winter 2003). Auch Terroristen verfolgen weniger die Absicht der Tötung von Zivilisten und versenden vielmehr durch ihre Attentate politische Botschaften (Tuman 2003). Aber es gibt auch harmlosere Formen des Signaling, etwa den Austausch von Geschenken bei Staatsbesuchen, Schweigen und Nichtstun, die Körpersprache von Politikern und Diploma‐ 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 127 <?page no="128"?> ten, die Auswahl des diplomatischen Personals sowie das diplomatische Protokoll: „There is simply no escape from producing message value“ ( Jönsson 2016, S. 80). Wie wichtig etwa das Händeschütteln sein kann, zeigte sich im Jahr 2017, als der neue und umstrittene US-Präsident Donald Trump andere Staatsoberhäupter durch einen besonders martialischen Händedruck einzuschüchtern versuchte, bis ihm der neue französische Präsident Emma‐ nuel Macron Paroli bot, was in der Weltöffentlichkeit als Korrektur der transatlantischen Machtverhältnisse gewertet wurde. Signaling ist also die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlung mit anderen Mitteln. Es dient oft dazu, Verhandlungen zu vermeiden oder aber die Kosten einer erfolglosen Verhandlung in die Höhe zu treiben. Vielfach hat man es mit verschachtelten Prozessen nach der Art Verhand‐ lung/ Abbruch/ Signaling/ Neuverhandlung zu tun. Dass man das Signaling dem interaktiven Formenkreis der Kommunikation zuordnen kann, obwohl es sich doch scheinbar um monologische Gesten handelt, die allenfalls beobachtet werden können, liegt daran, dass in der Regel Aktion und Reaktion wie bei einem Dialog aufeinander bezogen sind. Der interaktive Kreislauf ist allerdings nicht vollständig geschlossen, da die Botschaften nur auf den ersten Blick direkt übermittelt, in Wirklichkeit aber „gedeutet“ werden müssen. Beim Signaling als der visuellen Übermittlung non-verba‐ ler politischer Gesten besteht insofern auch ein erhöhtes Risiko für die internationalen Beziehungen, da Bilder generell interpretationsoffener sind als Sprache (Pious 2001). Diego Gambetta formuliert die grundlegende Problematik der im Vergleich zur Sprache größeren Interpretationsoffenheit von politischen Signalen: „Signaling theory tackles a fundamental problem of communication: how can an agent, the receiver, establish whether another agent, the signaler, is telling or otherwise conveying the truth about a state of affairs or event which the signaler might have an interest to misrepresent? And, conversely, how can the signaler persuade the receiver that he is telling the truth, whether he is telling it or not? ” (2009, S. 168). Man kann von Glück sagen, dass Kennedy und Chruschtschow die Handlungen der Gegenseite während der Kubakrise nicht fälschlicherweise als Kriegserklärung deute‐ ten. Fazit: Global Governance als diplomatische „Standleitung“? Traditionelle Diplomatiekommunikation kann globale Gemeinschaftlich‐ keit erzeugen, sie ist aber anarchisch, unberechenbar und kriegsgefährdet. Eine „Standleitung“ der Diplomatiekommunikation in funktionierenden 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 128 <?page no="129"?> transnationalen Institutionen, wie sie im Konzept der Global Governance vorgesehen ist, würde vielleicht nicht die Staaten an sich abschaffen, aber Prozessphasen der Verhandlung wie das Wechselspiel zwischen Verhand‐ lung und Signaling. Global Governance wäre mehr als bloße globale Kri‐ senkommunikation. Neben gelegentlichen Hinweisen auf „Verhandlungs‐ theorie“ (Benz/ Dose 2010, S. 33) fordern Vertreter dieser Schule vor allem „langfristig angelegte Kommunikations- und Kooperationsstrukturen“ für „Dialog und Verständigung“, um „komplexes Lernen“ zu ermöglichen, da „einfaches Lernen“ wie in der traditionellen Diplomatie auf die Befriedung der bestehenden Regelsysteme hinauslaufe, diese aber nicht transzendie‐ ren und dauerhaft harmonisieren könne (Messner 2005, S. 48, 51). Andere Autoren und Autorinnen plädieren für neue Räume der „globalen Kommu‐ nikation und Interaktion“ zur Ermöglichung „kollektiver Denkprozesse“, die durch die etablierte Multilateralität allein nicht entstehen könnten, sondern nur transnational zu denken sind (Begemann et al. 1999, S. 11). Dass diese Ansätze konzeptionell noch nicht ausgereift sind, hat Michael Strübel erkannt: „Je öfter [der Global Governance-Begriff] in verschiede‐ nen Kontexten benutzt wird, desto mehr mangelt es an Tiefenschärfe und analytischer Dimension. Als gemeinsame Merkmale des ‚Global Gover‐ nance‘-Konstrukts ließe sich Folgendes zusammenfassen: Als Prozess wird ein großer Bedarf an Kooperationsbereitschaft und eine breite Partizipation unterschiedlicher Akteure vorausgesetzt. Hierzu gehören Staaten, multi-, supra- und internationale Organisationen ebenso wie Finanz- und Han‐ delsorganisationen, NGOs und Medien. Die Ebenen der Kooperation sind unterschiedlich, lokal, regional, national und global und - vergleichbar mit mehreren Spinnweben im Raum - untereinander durch Interaktionsstränge verknüpft. Dies soll Stabilität und eine gewisse Dauerhaftigkeit garantieren“ (2008, S. 63f.). Man kann sich vorstellen, dass die komplexe Interaktion weit über die traditionelle Diplomatie hinausgeht, die bestenfalls mehrere Staaten zusammenbinden musste, nicht aber Multi-Track-Diplomatie im lokalen, regionalen und globalen Raum betrieb. Die Kommunikationsprozesse der Global Governance sind aber ungeachtet ihrer Bedeutsamkeit bislang kaum erforscht worden. Einschlägige Handbücher weisen in strukturalistischer Weise entweder auf die performative Macht der ökonomischen Globali‐ sierung hin, die sich - wie bei Hollywood - auch kommunikativ und kulturell auswirke (Brand et al. 2000, S. 76ff.); oder sie erörtern die Frage der Regulierung der Medien durch die Politik - nicht aber umgekehrt ([Perri] 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 129 <?page no="130"?> 6, 2002). Die wechselseitige Beeinflussung von Akteursstrukturen und kommunikativen Netzwerken wie im System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz ist also bislang kaum berücksichtigt und müsste mit Blick auf Global Governance viel dezidierter durchdacht werden, um dem Konzept einer in‐ teraktiven globalen „Standleitung“ der Global Governance zum Durchbruch zu verhelfen. 3.2.2 Interaktion und Organisationskommunikation Informalität auf der Beziehungsebene globaler Kommunikation Nach dieser grundlegenden verhandlungstheoretischen Betrachtung steht nun eine organisationstheoretische Vertiefung der Interaktionsanalyse an. Schließlich dient nicht allein die Leitdifferenz zwischen Diskurs und Dialog als Maßstab, sondern typische Theoreme der Organisationskommunikation wie die Unterscheidung zwischen formeller und informeller, interner und externer, gesprochener und geschriebener sowie interpersonaler und medi‐ atisierter Kommunikation sind relevant. Das Nebeneinander von formeller und informeller Kommunikation ge‐ hört zu den Grundlagen der Organisationssoziologie. Dadurch, dass Orga‐ nisationen Strukturen ausbilden, entstehen Hierarchien und idealtypische Entscheidungs- und Kommunikationsabläufe. Informelle Kommunikation erfolgt, wenn Kommunikation auf eine nicht vorgesehene Art auf dem „kleinen Dienstweg“ stattfindet (Endruweit 2004, S. 180), der mit dem funktionalen Organisationszweck zunächst nicht in Verbindung zu stehen scheint. Persönliche Beziehungen spielen auch in der diplomatischen Inter‐ aktion eine kaum zu überschätzende Rolle. Zwar handelt es sich beim internationalen diplomatischen Austausch nicht um interne Organisations‐ kommunikation, da die Transnationalisierung von Staaten bislang selten erfolgt ist und zumeist getrennte Bürokratien vorhanden sind. Der „dritte Raum“ der internationalen Diplomatie ist aber in bürokratieähnlicher Weise protokollarisch derartig streng geregelt, dass Informalität fast als notwen‐ dige Reaktion hierauf entsteht. Legendär ist einmal mehr, wie Kissinger die Schimpftiraden der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir gegen Araber über sich ergehen lassen musste, um dann in abgekühlter Stimmung rational mit ihr verhandeln zu können (u. a. Rubin 1983, Brown 1980). Auch Jimmy Carters Umgang mit dem beleidigten ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat, der nach wiederholten israelischen Affronts den Verhand‐ 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 130 <?page no="131"?> lungsort von Camp David verlassen wollte, worauf Carter ihm drohte, die Freundschaft aufzukündigen, so dass Sadat am Ende blieb, ist Geschichte. Verhandlungsinteraktion findet wie jede Kommunikation auf der Inhaltswie auf der Beziehungsebene statt (Watzlawick et al. 1990, S. 53ff., 79ff.). Der Begriff „internationale Beziehungen“ bekommt hier eine ganz neue, sehr viel menschlichere Bedeutung. Eine gewisse Tragik liegt darin, dass der oft kriegsentscheidende Erfolg von Diplomatie damit sehr von subjek‐ tiven Einstellungen einzelner Personen abzuhängen scheint. Die positive Kehrseite von Informalität ist allerdings, dass sie erstaunlich leistungsfähig sein und Konsense erzeugen kann, die im formalen Dialog allein nicht erreicht würden. Die Bewertung von informeller Kommunikation ist daher auch in der Literatur seit jeher umstritten (Tacke 2015, S. 13). Das angeb‐ liche Nebenprodukt der Kommunikation zwischen Staaten - persönliche Netzwerke zwischen Menschen - wird in der Diplomatie nicht selten zum eigentlichen Hauptgegenstand der Globalisierung und kann gerade in Kri‐ senzeiten Multi-Track-Diplomatie anstoßen und damit alternative Kommu‐ nikationskanäle eröffnen. Die Persönlichkeitsstrukturen und Lebenswelten der Politiker beeinflussen ihre professionelle Rollenausübung. Trends der Informalität: Staatengruppen-Netze statt Kulturgrenzen Ein Streitpunkt ist allerdings, ob es sich bei informeller Kommunikation um kulturelle oder um individuelle Einflüsse handelt. Essenzialistische Kulturannahmen wie „The Chinese are generally recognised to have a tough negotiating style“ (Zhu/ Zhu 2004, S. 207) finden sich vielfach in der Literatur (Requejo/ Graham 2008). Das Problem ist an dieser Stelle nicht nur logischer Natur, denn was als „kulturell“ und damit als Regelphänomen der Organisation oder gar eines Landes oder Staates bezeichnet wird, lässt sich nicht mehr als „informell“ deklarieren, da ungeschriebene Gesetze ja - quasi als „Gewohnheitsrechte“ - nahezu ebenso formell wie geschriebene Regeln funktionieren (von Groddeck/ Wilz 2015, S. 20). Auch die Tatsache, dass der kulturübergreifende Glaube an kulturelle Differenzen ja schon wieder eine Gemeinsamkeit darstellt, ist wohl eher eine amüsante Randnotiz über die Logikferne des Kulturalismus. Wichtiger noch ist das Argument von Paul W. Meerts, wonach die ausgeprägte Formalität in den diplomatischen Beziehungen eigene Gesetze eines dritten Raums definiert und insofern prinzipiell wenig Raum für kulturelle Einflüsse des Verhandlungsstils lässt (1999, S. 86). So ist denn auch nicht verwunderlich, dass dort, wo kulturelle Unterschiede in der Di‐ 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 131 <?page no="132"?> plomatie behauptet werden, der empirische Beweis dafür, dass persönliche und informelle Einflüsse auf kultureller Typik basieren, gar nicht erbracht wird. Bis zum Beweis des Gegenteils ist es viel naheliegender anzunehmen, dass sich in der Diplomatie wie in jedem anderen Bereich Menschen mal besser und mal schlechter verstehen, Informalität als Beziehungsebene der Kommunikation also eine persönliche und weniger eine kulturelle Variable ist, weswegen heute der Einbezug biografischer Analysen in die Diplomatieanalyse wichtig erscheint (Carstarphen 2004). Eine weitere Frage ist, welcher Zusammenhang zwischen Informalität und der sich ausweitenden Global Governance besteht. Globales Regie‐ ren außerhalb des völkerrechtlich verbindlichen Rahmens der Vereinten Nationen etwa in den G7-, G8- oder G20-Versammlungen der großen Industriestaaten ist „informell“ im Sinne einer fehlenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit und wird daher in der Literatur zum Teil auch als „Informa‐ lisierung der Weltpolitik“ bezeichnet (Rinke/ Schneckener 2013). Zugleich weist diese Informalität auf eine andere Ebene als die bislang diskutierte kommunikationswissenschaftliche Bedeutung, denn G20-Versammlungen sind, um nur ein Beispiel zu nennen, im Grunde traditionelle formalisierte Treffen von Staatsführern und Diplomaten; sie sind keine persönlichen Netzwerke. Der Begriff der Informalität ist also schillernd und kann einmal die politische Informalität jenseits des Völkerrechts, ein anderes Mal die Informalität jenseits des diplomatischen Protokolls meinen - letztere Ebene ist für die globale Kommunikation entscheidend, weil nur sie eine eigene Dimension des kommunikativen Handelns darstellt. Diplomatie-Protokoll als globale Symbolkommunikation Wegen der starken Beachtung, die Informalität und „kulturelle“ Einflüsse in der diplomatischen Kommunikation haben, wird tatsächlich oft verges‐ sen, dass Informalität notwendigerweise ein Gegenstück haben muss: die Formalität. Quasi als Ausgleich für die weitgehend fehlende transnationale Bürokratie und wegen der hohen Sensibilität zwischenstaatlicher Beziehun‐ gen zeichnet sich Diplomatie durch extrem ausgefeilte Prozeduren aus, die gemeinhin als „diplomatisches Protokoll“ bekannt sind. Man kann so weit gehen zu behaupten, dass diese Strukturen keineswegs nur ein Nebenaspekt der Inhalte der Verhandlungskommunikation sind, sondern oft genug ihr Hauptgegenstand. Man muss kein radikaler Konstruktivist oder Relationist sein, um anzuerkennen, dass gerade in der Abwesenheit vorzeigbarer Ergebnisse die Form der diplomatischen Kommunikation - das 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 132 <?page no="133"?> non-verbale Signaling (siehe oben) - und ihre symbolische Inszenierung vielfach bedeutsamer sind als ihre Inhalte. Christian Becker hat diese Tatsache in seiner Untersuchung der Rituale der UN-Generalversammlung als „sinnstiftenden Gemeinschaftsmythos“ der „Weltgemeinschaft“ bezeichnet, der „als ideeller Kitt die Mitglieder beisammen hält“ (2014, S. 281). Hier geht es um Rituale und symbolische Ordnungen, die tief in der Menschheitsgeschichte angelegt zu sein scheinen. Die symbolisch egalitäre Ordnung hält die Weltgemeinschaft auch dann zusammen, wenn die interaktiven diplomatischen Beziehungen zwischen Staaten gestört sind. Es ist diese übergeordnete symbolische Autorität, die, ähnlich einer Familie, einerseits den Streit zwischen den Familienmitglie‐ dern erst ermöglicht, ohne dass Kriege ausbrechen, andererseits aber auch durch ein Übermaß an Gewohnheitsstrukturen einen echten Dialog verhin‐ dern kann. Symbolpolitik allein kann eine Gemeinschaft auf Dauer nicht am Leben erhalten. Aber wenn sich „Gemeinschaft“, wie wir theoretisch definiert haben, anders als die bloße Gesellschaftlichkeit tatsächlich durch hohe Emotionalität und Identifikation auszeichnet, so sind Symbole und diplomatische Rituale unverzichtbare Bestandteile der durch diplomatische Kommunikation erzeugten kosmopolitischen Weltgemeinschaft. Am Ende tragen sowohl informelle als auch formelle Kommunikation zum Gelingen wie auch zum Misslingen der Diplomatiekommunikation im Sinne einer dialogisch basierten Weltgemeinschaft bei. Cyber-Diplomatie: neue Dynamik, alte Substanz Formelle und informelle Kommunikation können in direkter wie auch in mediatisierter Form stattfinden. „Mediatisierung“ ist heute in der Forschung zur Diplomatiekommunikation einer der umstrittensten Gegenstände. Man kann zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Schulen der „Cyber-Uto‐ pisten“ und der „Cyber-Realisten“ unterscheiden, wobei erstere von einer starken Veränderung der Diplomatie im Zuge der Digitalisierung ausge‐ hen, letztere hingegen den substanziellen Wandel für gering erachten (Hocking/ Melissen 2015, S. 5). Die starken Bewertungsunterschiede rühren daher, dass grundlegende Kommunikationsmodi der dialogischen Interak‐ tion und der persuasiven Diskurskommunikation nicht deutlich genug dif‐ ferenziert werden. Beide werden zu oft verwechselt, was an einem Beispiel erkennbar wird. Das deutsche Auswärtige Amt besitzt neuerdings einen Beauftragten für „Cyber-Außenpolitik“ und auch im englischsprachigen Bereich gibt es den Begriff „Cyber Diplomacy“. Die Begriffe bezeichnen 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 133 <?page no="134"?> allerdings etwas anderes, als man vielleicht denken mag. Cyber Diplomacy ist ein Teilbereich von Public Diplomacy und ein nach außen gerichtetes Feld der Öffentlichkeitsarbeit beziehungsweise Propaganda (siehe unten), nicht aber ein Teil der Verhandlungskommunikation. Es müsste daher eigentlich „Cyber Public Diplomacy“ heißen. Digitale Kommunikation unterstützt also eher Public Diplomacy als interaktive Verhandlungsdiplomatie. Wissenschaftler, die die Rolle von Informations- und Kommunikations‐ technologie beobachten, gehen bislang davon aus, dass sich an der Essenz der Diplomatie im digitalen Zeitalter nichts Wesentliches geändert hat (Hocking/ Melissen 2015, S. 13). Eine substantielle Veränderung der überwie‐ gend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden diplomatischen Verhandlungen hat weder bei der ersten analogen Medienrevolution (Tele‐ graf, Telefon, Telex) noch bei der zweiten digitalen Revolution (E-Mails, Videokonferenzen usw.) stattgefunden (Kurbalija 1999). In entscheidenden politischen Momenten wird oft nach wie vor face-to-face interagiert (Kro‐ nenburg 1998, S. 385f.). Eine Erweiterung des Öffentlichkeitsprinzips der Diplomatie durch digitale Soziale Medien erfolgt nicht. Alle Medientechnik hat das Grundprinzip der Zweiteilung in eine nicht-öffentliche interaktive Diplomatie und eine öffentliche monologische Public Diplomacy nicht verändert. Die Vorstellung, dass heute jedwede Außenpolitik „getwittert“ werde, ist daher falsch (Fletcher 2016, S. 171f.). Christer Jönsson: „Yet the basic premises of diplomatic communication - searching for the optimal combination of verbal and nonverbal instruments, of noise and silence, and of clarity and ambiguity - remain“ (2016, S. 88). Für die Rolle von Kommunikation in den globalen Beziehungen ist also insgesamt das Vorhan‐ densein und das Verstehen kommunikativer Grundprinzipien wie Dialog und Diskurs wichtiger als ihr jeweiliger technischer Aggregatzustand. Man sollte Inhalt und Form an dieser Stelle nicht verwechseln. Nicht die Substanz der Diplomatiekommunikation hat sich daher geän‐ dert, aber einige der kommunikativen Routinen, die sich mit den Stichwor‐ ten „Direktheit“ und „Schnelligkeit“ beschreiben lassen, was wiederum zu gewissen Positionsverschiebungen der Akteure beigetragen hat. Brian Ho‐ cking und Jan Melissen: „Experience suggests that technologies rarely create new diplomatic functions but rather influence the ways in which those functions are performed“ (2015, S. 29). Telefonate und Videokonferenzen zwischen Regierungschefs, nationalen Ministerien und Diplomaten sind heute an der Tagesordnung, während solche direkten Unterredungen in der Geschichte nur selten und unter großem Reiseaufwand stattfinden konnten. 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 134 <?page no="135"?> Die endgültige Degradierung des Botschafters, dessen Dienste als Über‐ mittler von diplomatischen Botschaften von den Regierungen heutzutage immer weniger in Anspruch genommen werden, erfolgte dann im Zuge der Digitalisierung (ebenda, S. 7). Der digital optimierte direkte Draht zwischen den staatlichen Entscheidern hat also die Hierarchien in der Diplomatie eher noch weiter verstärkt. Dennoch sollte man sich merken, dass bei organisierten Sozialsystemen die kommunikative Vernetzung mittels digitaler Medien von untergeord‐ neter Bedeutung ist und sie die Substanz des Diplomatischen nicht verän‐ dert, da a) das dialogische Prinzip der Existenz einer nicht-öffentlichen Hinterbühne der Diplomatie auch in der interpersonalen mediatisierten Kommunikation erhalten bleibt und b) die analoge Revolution bedeutsamer gewesen ist als die digitale, weil sie den permanenten direkten Kontakt zwischen staatlichen Entscheidern ermöglicht hat. Globale Deutungsräume im Text-Sprech-Verhältnis Von großer Bedeutung für die Diplomatie ist allerdings das Text-Sprech-Ver‐ hältnis. Interaktionen auf Textbasis - also zum Beispiel Protokolle, Memo‐ randen oder Verträge zwischen Staaten - gelten als besonders hochwertig. Anders als der gesprochene Dialog zeichnet sich der geschriebene Text, so die Annahme, durch eine strenge Logik aus. Wie die Verhaltensprotokolle und Rituale der Diplomatie sind Diplomatietexte Ausdruck einer wichtigen Institutionalisierung der internationalen Beziehungen, die das System der Nationalstaaten stabilisiert. In der Diplomatie wird oft ein Ein-Text-Verfah‐ ren (single negotiating text) verwendet, um erreichte Übereinkünfte festzu‐ halten, Problemzonen auszuweisen und sprachlich eindeutig zu agieren (Kaufmann 1996, S. 150). Im Idealfall wird hier ein alle Seiten befriedigender Konsens fixiert, unmissverständlich gemacht und langfristig verstetigt, so dass nicht permanent neu verhandelt werden muss. Verträge stärken die Bindung zwischen Parteien und sichern deren Beziehungen langfristig. Es entsteht eine Vertragsgemeinschaft. Aber Vorsicht: Die Rolle des Textes besteht nicht zwangsläufig in der Erzeugung von Eindeutigkeit. Eine gewisse Ambiguität des Textes ist viel‐ fach Teil des diplomatischen Geschäftes. Man bezeichnet diese auch als „konstruktive Ambiguität“ ( Jönsson 2016, S. 82). Eindeutig muss der Text nur dort sein, wo kurzfristige Handlungen erfolgen sollen. Die Themen, die im Rahmen der Step-by-Step-Diplomatie im Grunde ausgeklammert wurden (siehe oben), werden oft vage und unklar formuliert. Beide Seiten 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 135 <?page no="136"?> sollen den Text in den entsprechenden Passagen so lesen können, wie sie es wollen. Ambiguität von Interaktion ist also ebenso Bestandteil schriftlicher Diplomatie wie Klarheit und logische Deutung. Die UN-Resolution 242 des Nahostkonflikts nach dem Sechstagekrieg von 1967 ist ein Beispiel hierfür. Die englische Version verlangte von Israel den „withdrawal of Israeli armed forces from territories occupied in the recent conflict“, während die französische Version zum „retrait des forces armées israéliennes des territoires occupés lors du récent conflit“ aufforderte. An‐ stelle der ursprünglich geplanten Formulierungen „all territories“ oder „the territories“ ließ vor allem die englische Version „territories“ Israel also eine kleine Hintertür, die Besetzung der palästinensischen Gebiete zumindest in Teilen fortzuführen, während die französische dies nicht tat. Dass solche ungeklärten Probleme auf Dauer zur Instabilität der Weltgemeinschaft füh‐ ren können, moniert der Global-Governance-Ansatz, wobei zu fragen ist, ob Mehrdeutigkeit nicht ein inhärentes Wesensmerkmal von Kommunikation ist, das auch durch eine quantitative Zunahme des zwischenstaatlichen Austausches durch die „Standleitung“ der Global Governance qualitativ fortbestehen würde. Fazit: Kontinuität im Wandel der globalen Diplomatiekommunikation Mediatisierte interpersonale Kommunikation hat die Essenz der (interakti‐ ven und zumeist nicht-öffentlichen) Face-to-Face-Kommunikation in der Diplomatie nicht verändert, aber zu einer zeitlichen Verdichtung von diplo‐ matischen Netzwerken, zu neuen Routinen und Akteursverschiebungen geführt. Neue Netzwerke der mediatisierten interpersonalen Interaktion haben globale Diplomatiekommunikation direkter werden lassen und da‐ mit scheinbar den Charakter der „Weltgemeinschaftlichkeit“ verstärkt. Dennoch bleibt die Grundformation der politischen Organisationskommu‐ nikation - formaler Symbolismus, persönliche Gesprächsbeziehung und Interpretationsraum des Vertragstextes - im Prinzip erhalten. Eine der ältesten menschlichen Institutionen, die Diplomatie, erweist sich damit in kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht als erstaunlich beharrlich. 3.2.3 Beobachtung und Diffusion Kommunikative Multikompetenz des Staates Wenden wir uns nun den diskursiven Kommunikationsformen in der internationalen Politik zu. Politik interagiert nicht nur, sie beobachtet 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 136 <?page no="137"?> auch mediale Diskurse und andere Systeme und versucht diese zu beein‐ flussen. Man kann dies kommunikationswissenschaftlich als interpretative Beobachtungsleistung charakterisieren. Das Sozialsystem Politik ist des‐ wegen so herausragend, weil es im globalen Maßstab Interaktions- und Beobachtungsfähigkeit im Höchstmaß vereint (vgl. Kap. 1.3). Dass es dar‐ über hinaus Diskurse nicht nur beobachtet, sondern auch strategisch zu beeinflussen versucht, wird in einem weiteren Schritt erörtert. Auf Grund dieser kommunikativen Multikompetenz des Staates wird die Politik von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt zu Recht als Supersystem der Öffentlichkeitstheorie bezeichnet (1990). Der Staat verfügt über erhebliche Macht- und Finanzressourcen und daher im Zweifel auch über die differen‐ ziertesten Strukturen der globalen Kommunikation. Botschafter und Geheimdienste als Informationsbeschaffer Zur Informationsbeschaffung und -diffusion existieren verschiedene For‐ men der Analyse und der Beobachtung anderer Systeme und Umwelten. Botschafter sind hier in einer Mehrfachfunktion sowohl Interaktionspart‐ ner als auch Informationsbeschaffer und, wie wir später sehen werden, auch Akteure der Außenkommunikation ( Jönsson/ Hall 2005, S. 73ff.). Die Einführung permanenter residierender Botschafter diente eigentlich sogar hauptsächlich der Funktion der Informationssammlung und -übermittlung, was im verklärten Bild der Botschaft als „Exzellenzen“ oft übersehen wird. Regierungen geben heute mehr Geld für die Informationsbeschaffung als für die diplomatische Interaktion aus. Botschafter kooperieren und konkur‐ rieren dabei mit Geheimdiensten sowie mit Massenmedien. Ihr einstiges Informationsmonopol haben sie dabei allerdings ebenso verloren wie ihr Re‐ präsentationsmonopol innerhalb der Verhandlungsdiplomatie (siehe oben), was sie tendenziell mehr und mehr zu Akteuren der Public Diplomacy macht (siehe unten). Informationsbeschaffung durch Geheimdienste ist insofern prekär, als diese oft intransparent verläuft. Ähnlich wie beim sogenannten „Dark Net“ des Internets besitzt auch die internationale Politik eine kaum sicht‐ bare Doppelstruktur, die man als „tiefen Staat“ bezeichnet (Morisse-Schil‐ bach/ Peine 2008). Nicht alles, was Geheimdienste tun, verstößt gegen das auf der Ebene der Diplomatie ausgehandelte Völker- und Vertragsrecht oder gegen geltendes Landesrecht. Geheimdienste sind in vielerlei Hinsicht Infor‐ mationsbeschaffer, die anderen Informationssystemen - etwa der Wissen‐ schaft - ähneln. Es geht um die Sammlung von Fakten, Analysen und Bewer‐ 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 137 <?page no="138"?> tungen, also um grundlegende Heuristiken der Informationsbeschaffung, -aufarbeitung und -weitergabe. Derjenige Teil der Informationsbeschaffung, der klandestin verläuft - die Spionage -, entzieht sich allerdings der wis‐ senschaftlichen Ethik des kommunikativen Handelns mit ihrem Beharren auf Quellentransparenz, öffentlicher Belegpflicht und Dialogbereitschaft und gehört eindeutig zum Formenkreis des strategischen, monologischen Handelns des Staates. Über den geheimdienstlichen Teil der Informations‐ beschaffung der Diplomatie können daher mit wissenschaftlichen Mitteln auch kaum Aussagen getroffen werden. Media Monitoring als globale Beobachtungs-Beobachtung Neben den permanenten Berichten der Botschafter und Geheimdienste be‐ treibt Außenpolitik heutzutage verstärkt sogenanntes „Media Monitoring“. Die Politik beobachtet daher nicht nur die Welt an sich, sondern ebenso andere Beobachter, insbesondere die Massenmedien oder auch die Sozialen Medien im Hinblick auf deren mögliche Informationsqualität für die Diplo‐ matie. Media Monitoring ist kostenaufwendig und wird heute daher vor allem von den reicheren Industriestaaten betrieben. Am bekanntesten sind hier der BBC Monitoring Service (BBCM) sowie der amerikanische Foreign Broadcast Information Service (FBIS). BBCM übersetzt täglich Medien aus circa einhundertfünfzig Ländern in etwa siebzig Sprachen. Das Ziel ist es nicht nur, Medien als Quellen der Aufklärungsarbeit zu nutzen, sondern auch, sie als potenzielle Störfaktoren der Außenpolitik im Blick zu behalten. Prinzipiell entstehen hier neue Schnittstellen von Medien- und Sozialsyste‐ men. Während der durchschnittliche Bürger kaum direkte Kenntnis von fremdsprachlichen Medien hat (vgl. Kap. 2.1), besitzt die eigene Regierung hier häufig einen Informationsvorsprung. Die Einschätzungen der Bedeutsamkeit des Media Monitoring für die Außenpolitik schwanken allerdings gewaltig, was auch damit zusammen‐ hängen dürfte, dass Medien in vielen Ländern streng zensiert werden, wodurch ihr Wert als Quelle eingeschränkt wird (Rawnsley 1999, S. 136f.). Dennoch gibt es auch Stimmen, die die diplomatische Informationsbeschaf‐ fung (durch Botschafter) als zunehmend obsolet auf Grund der Entwicklung der modernen Medien betrachten, die schneller, umfassender und effizienter seien ( Jönsson/ Hall 2003). Dies wäre insofern folgerichtig, als wir oben festgestellt haben, dass Botschafter immer mehr vom diplomatischen Dialog ausgeschlossen werden und daher auch ihr Wert als Quelle abnehmen müsste. Allerdings dürften weder Massenmedien noch Soziale Medien hier 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 138 <?page no="139"?> wirklich einen Ersatz darstellen, da sie anderen Systemen angehören und nur sehr begrenzt als „Insider“ der Diplomatie Zugang zu dieser haben. Wahrscheinlicher ist es, dass diejenigen Analysten innerhalb des politischen Systems aufgewertet werden, die in der Lage sind, Media Monitoring zu betreiben, es zugleich aber auch analytisch zu verdichten und es mit Insiderwissen über die Diplomatie und den Zugang zu den Geheimdiensten anzureichern. Einmal mehr scheint die moderne Medienentwicklung einer Tendenz der Zentralisierung der Kommunikation in den Entscheidungszen‐ tren Vorschub zu leisten, etwa in Gestalt von IT-Analysten oder Planungs‐ stäben in den Außenministerien. Allerdings verfügt die Außenpolitik nur begrenzt über eigene wissen‐ schaftliche Abteilungen und ist daher teilweise auf die Mitarbeit der Wis‐ senschaft angewiesen: auf Politikberatung. Politiknahe Think Tanks wie in den USA der Carnegie Endowment for International Peace, in Deutschland die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) oder das Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies (ACPSS) in Kairo, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, sind von der Politik ganz oder teilweise finanzierte Zentren der außeruniversitären Forschung, die man erneut als Schnittstelle zwischen dem politischen und einem anderen Sozialsystem - in diesem Fall dem der Wissenschaft - bezeichnen kann. Hier von einer „Interpenetration“ der Systeme zu sprechen, wäre sicher nicht falsch, weil gerade die finanzielle Abhängigkeit der Institute ihre Unabhängigkeit bisweilen in Frage stellt. Die unregelmäßig konsultierten Experten der unabhängigen Universitäten sind im Vergleich zu diesen „Insidern“ eher „Outsider“ des politischen Systems. Es besteht eine Antinomie zwischen Autonomie und Kommunikationszugang (Gellner 1995, Hafez 2002c). Fazit: Wissensmanagement zwischen Rationalität und Machtpolitik Am Ende existieren eben doch, wie Max Weber oder Jürgen Habermas erkannt haben, unterschiedliche Logiken von Policy und Wissenschaft, von wertebezogenem Machthandeln, Informationsbeschaffung und Wissensdif‐ fusion. Der rationale Aspekt der Informationsbeschaffung und Beobach‐ tungskommunikation ist für die Politik, wie wir immer mehr erkennen müssen, eben nur eines der leitenden Prinzipien ihres Handelns. Strategi‐ sches Handeln ist ebenso bedeutsam. Anders als bei der Wissenschaft, wo die Wissenschaftsgemeinschaft der zentrale Gatekeeper ist, ist die Idee der interaktiven Weltgemeinschaft für die Politik nur einer von mehreren Horizonten, da sowohl die Quellenbeschaffung als auch ihre Verarbeitung 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 139 <?page no="140"?> und Weitergabe nach Verfahren ablaufen, die für die Öffentlichkeit intrans‐ parent sind und auf den Eigensinn des Nationalstaates verweisen. Gerade an den Beispielen der Informationsbeschaffung durch Geheimdienste lassen sich Ambivalenzen im Prozess der globalen politischen Kommunikation erkennen. Es ist also an der Zeit, die strategische globale Kommunikation des Staates näher in den Blick zu nehmen. 3.2.4 Diskursive (externe) Kommunikation Intransparenz von Handlungssystemen Es gibt noch eine andere Dimension der außenpolitischen Kommunikation, die die Vorstellung einer interaktiv gestifteten Weltgemeinschaft in Frage stellt. Soziologisch lässt sich dies am besten mit der Unterscheidung zwi‐ schen interner und externer Kommunikation von Organisationen erklären. Organisierte Sozialsysteme in Politik und Wirtschaft, die zugleich die Haupt‐ handlungssysteme der Gesellschaft sind, zeichnen sich nicht nur durch klare Hierarchien aus, sondern sie besitzen auch eine streng bewachte Grenze zwischen Innen- und Außenkommunikation. Die Wirtschaft hütet ihre Fir‐ mengeheimnisse ebenso wie die Politik die Dokumente ihrer diplomatischen Interaktionen klassifiziert und in weiten Teilen geheim hält, so dass sie der Öffentlichkeit oft Jahrzehnte lang unzugänglich sind. Solche Systeme pflegen zugleich eine ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit und Werbung, um die Selbstdarstellung strategisch zu beherrschen. Zugleich allerdings gibt es Systeme, wo dies zumindest idealtypisch nicht der Fall ist: Wissenschaft muss transparent sein und auch bei Massenmedien sollten innere und äußere Meinungsfreiheit Hand in Hand gehen. Ausnahmen betreffen hier in ethischer Hinsicht nur Dritte, also vor allem anonymisierte oder geschützte Quellen. Beobachtungssysteme unterscheiden sich daher von Handlungssystemen gerade im Hinblick auf die Differenz von Innen- und Außenkommunikation, wobei einschränkend zu sagen ist, dass dort, wo Wissenschaft oder Journalismus wiederum kommerziell betrieben werden oder politisch beeinflusst sind, die Unterschiede verschwimmen. Public Diplomacy / Propaganda Für die Außenpolitik ergeben sich zahlreiche Handlungsfelder der externen Kommunikation, von der Staatenwerbung über die auswärtige Kulturpolitik und den Auslandsrundfunk bis hin zur Kriegspropaganda. Als Oberbegriff hierfür hat sich „Public Diplomacy“ etabliert (u. a. Snow/ Taylor 2009). Zur 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 140 <?page no="141"?> Public Diplomacy gehören Instrumente wie Staatenwerbung, Broschüren und Internetauftritte, staatliche Aktivitäten in Sozialen Medien, Educational Soaps, Veranstaltungen mit Journalisten und Kulturschaffenden, Informati‐ onszentralen bei den Botschaften, kulturelle Auslandsvertretungen wie die deutschen Goethe-Institute, der British Council oder das Institut français, staatlich finanzierte Ausstellungen von Künstlern oder Vortragsreisen ein‐ heimischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die Verwendung des Begriffs „Public Diplomacy“ weist auf den Versuch einer Abkehr vom Propagandabegriff, der durch den Totalitarismus und den Kalten Krieg diskreditiert wurde. Idealtypisch soll damit signalisiert werden, dass Staaten nicht nur in der internen Diplomatie, sondern auch im Feld der öffentlichen Kommunikation mit der Weltgemeinschaft interagieren, dass sie dialog- und veränderungsbereit sind und sich der politischen Legitimitätsfrage stellen. Aber ist dies wirklich der Fall? Man kann den Begriff der Public Dip‐ lomacy aus gutem Grund selbst als ein Marketingtool einstufen, das die propagandistischen Eigeninteressen des Staates verdecken soll. Wenn man Propaganda nicht allein als Handeln des autoritären Staates, sondern als persuasive One-to-Many-Kommunikation betrachtet, dann wird sie ebenso von demokratischen Ländern ausgeübt und steht als strategische mono‐ logische Kommunikation im Kontrast zur dialogischen Kommunikation der Verhandlungsdiplomatie. Auch die Public Diplomacy stellt eine Form der globalen Kommunikation des Staates dar, die aber weder die Synchro‐ nität der Weltöffentlichkeit und schon gar nicht die Integration einer Weltgemeinschaft vorantreibt, sondern in krassem Widerspruch zu beiden theoretischen Horizonten der globalen Kommunikation steht. Interessant ist der Hinweis von Vladimir Ivanovich Fokin et al., wonach zwischen der zu‐ nehmenden Komplexität staatlicher Interaktivität und der gleichzeitig sich verstärkenden persuasiven Kommunikation möglicherweise ein kausaler Zusammenhang besteht, der die Egozentrik des Nationalstaates im Sog der Globalisierung verdeutlicht: „The explosive expansion of the number of international relations actors at the world community level has triggered globalization processes that have increased the peoples‘ interdependence. The increased impact of public opinion on foreign policy and on shaping the world order has caused a reciprocal desire of states to exert influence on stereotyping foreign policy in the mass consciousness“ (2017, S. 46). Folgt man dem Gedanken, so entwickelt der moderne Staat in Reaktion auf den drohenden Kontrollverlust durch Multi-Track-Diplomatie, Global 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 141 <?page no="142"?> Governance usw. persuasive, das heißt propagandistische Kommunikation, um nicht in eine zu starke Abhängigkeit von anderen Ländern zu geraten. „Verstehende“ Persuasion In der wissenschaftlichen Literatur ist das Konzept der Public Diplomacy umstritten. Deren Kernziel ist in jedem Fall die Kommunikation des Staa‐ tes mit dispersen Zielpublika anderer Länder. Wenn, so die Überlegung, sich politische Systeme zunehmend partizipativ oder gar demokratisch entwickeln, dann kann der Staat nicht mehr nur mit anderen Staatsfüh‐ rungen im Rahmen der Diplomatie kommunizieren, sondern muss seinen Kommunikationsraum erweitern. Als Ursprung der Public Diplomacy wird heute vielfach Robert Nyes Konzept der „Soft Power“ angeführt. Der Har‐ vard-Politologe machte den Begriff als Gegenpol zur „Hard Power“ der Kriegs- und Machtpolitik berühmt. Als Soft Power gilt die Fähigkeit eines Staates, durch die Ausstrahlungskraft seiner Ideen, Werte und Kultur ein positives Image zu verbreiten und so die Interessen des Landes im Ausland zu befördern (Nye 1990). Die US-Musik- und Filmindustrie ist aus diesem Blickwinkel für die amerikanischen Interessen ebenso bedeutsam wie die US-Militär- und Wirtschaftskraft, oft sogar effektiver, weil sie dazu beiträgt, dass andere Staaten und Menschen auch ohne Zwang und Kosten mit den USA kooperieren. Nye hat daher immer wieder klargestellt, dass Soft Power nicht mit Persuasion oder Propaganda verwechselt werden sollte: „The best propaganda is not propaganda“ (2012). Dass Public Diplomacy sich zwar gerne auf das Konzept der Soft Power beruft, dabei aber persuasiv orientiert ist, wird deutlich, wenn man offizielle Stellungnahmen der USA heranzieht, in denen die Zielsetzung der Public Diplomacy durch die Formel „inform, engage, and influence“ beschrieben wird (GAO 2007, S. 1). Externe Kommunikation wird in einem Bericht des ameri‐ kanischen Kongresses aus dem Jahr 2003, der eine Reaktion auf die Attentate des 11. September 2001 und die anschließenden Kriege in Afghanistan und Irak war, offen als „strategische Kommunikation“ bezeichnet (GAO 2003, S. 18). Der Bericht schlägt Maßnahmen zur Verbreitung amerikanischer Sichtweisen im Nahen Osten vor. Zwischen der republikanischen Regierung George W. Bush und dem Demokraten Barack Obama gab es hier keinen nennenswerten Unterschied, denn auch unter Obama ging es um „strategische Kommunika‐ tion“, ergänzt allerdings um das Prinzip des „Zuhörens“ („connecting with“, „listening to“, Biden 2009, S. 3f.). Der Dialogbegriff tauchte jedoch auch bei den Demokraten nicht auf. Selbst diejenigen, die bei der Regierung Obama 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 142 <?page no="143"?> eine Akzentverschiebung von der Persuasion zur Verständnisorientierung zu erkennen glaubten, räumen ein: „The term [Public Diplomacy] was not initially intended to connote propaganda, yet retains an implicit mandate to ‚persuade‘ as much as inform or educate in order to forward the strategic ambitions of the United States“ (Hayden 2015, S. 212). Sandra Busch-Janser und Daniel Florian haben daher zu Recht eine Un‐ terteilung des Public Diplomacy-Begriffs in Lobbying, Public Relations und Nation Branding vorgeschlagen (2007). Es ist durchaus festzustellen, dass, wie Jan Melissen argumentiert, Public Diplomacy ein Beleg dafür ist, dass persuasive Kommunikationsprozesse von modernen Staaten immer wichtiger genommen werden und ein Zeichen für die Abkehr von der realistischen Schule der Lehre der internationalen Beziehungen sind. Es wird heute aner‐ kannt, dass der „Kampf der Werte und Ideen“ („battle of values and ideas“) genauso wichtig ist, wie die klassische Machtpolitik (Melissen 2005, S. 4). Public Diplomacy verläuft aber dennoch nicht nach den gleichen kommuni‐ kativen Regeln der dialogischen Verständigung wie die klassische Diplomatie, sondern sie ist eher dem Feld der Public Relations oder auch der klassischen Propaganda zuzuordnen. „Verstehen“ ist zwar ein wesentliches Prinzip, das aber vor allem der Optimierung der Persuasion dient; die Kommunikation ist hier prinzipiell monologisch und nicht dialogisch ausgerichtet. Wenn Melissen eine Neue Public Diplomacy von Propaganda abgren‐ zen will (2005, S. 11) oder sie gar als dialogisch bezeichnet (2011, S. 10), dann steht dies im Widerspruch zu seiner eigenen Aufforderung, mehr Marketing orientiertes Denken einzubringen (2005, S. 8). Er selbst erkennt dieses Problem sehr wohl, indem er klarmacht, Public Diplomacy sei keine „altruistische Angelegenheit“ (2005, S. 14). Richard Holbrooke, ein hoher US-Diplomat, fand in diesem Zusammenhang deutliche Worte: „Call it public diplomacy, call it public affairs, psychological warfare, if you really want to be blunt, propaganda“ (2001). Auch der britische Diplomat Tom Fletcher schreibt: „One man’s propaganda is another man’s spin in another man’s public diplomacy strategy“ (2016, S. 153). Melissen sagt zwar zu Recht, dass Aktivitäten demokratischer Staaten nicht mit klassischer Propaganda totalitärer Staaten wie der Nazi- oder der Stalin-Diktatur vergleichbar seien (2005, S. 17). Die Unterscheidung betrifft aber allenfalls die kommunizierte Idee der Demokratie, nicht die Form der persuasiven Kommunikation, die systemübergreifend erstaunlich gleichbleibt. Autoritäre Staaten wie China lassen an ihrem Versuch der propagandistischen Einflussnahme ohnehin keinen Zweifel (Sohn 2015). 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 143 <?page no="144"?> Auswärtige Kulturpolitik: „Dialog“ der „Kulturen“? Während die wissenschaftliche Literatur ebenso wie erfahrene Diplomaten das unklare Konzept der Public Diplomacy kritisieren (Ostrowski 2010, S. 27), unternehmen vor allem die Verantwortlichen der externen Kommunikation selbst immer wieder Versuche einer Ehrenrettung des Konzepts durch dessen Aufwertung als angebliche „Interaktion“. Albert Spiegel, seinerzeit Leiter der Abteilung Kultur- und Bildungspolitik im Auswärtigen Amt, unterschied zwischen Public Relations und Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Nur erstere bezeichnete er als Public Diplomacy, letztere hingegen sei für die Schaffung eines günstigen Umfeldes der deutschen Außenpolitik durch den „Dialog der Kulturen“ und den „interkulturellen Dialog“ zuständig (2002). Zugleich wird eine enge Verknüpfung mit Marketing, Public Relations und Public Diplomacy eingeräumt, so dass eine überzeugende konzeptuelle Un‐ terscheidung auch hier nicht stattfindet. Dieser Widerspruch durchzieht die gesamte deutsche Literatur zu dem Thema. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik basiert auf der durchaus richti‐ gen Idee der Herstellung länder- und kulturübergreifender Wissensräume als „dritte Räume“, die - etwa im euro-mediterranen oder im islamisch-west‐ lichen Verhältnis - den Wissensstand des Staates steigern können, um kompetente Außenpolitik zu ermöglichen (Ernst 2015, S. 24). Hier deutet sich in der Tat eine Verwandtschaft zur klassischen Diplomatie an. Allerdings bleiben zentrale Unterschiede zwischen dem gesamten Feld der Public Dip‐ lomacy und der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik einerseits und der Diplomatie andererseits bestehen. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sind vor allem drei Problembereiche zu erkennen: ▸ Repräsentanzanspruch im „Dialog der Kulturen“ - wer kommuniziert? Um beim deutschen Beispiel zu bleiben: Das deutsche Auswärtige Amt unternimmt seit 2001 eine breite Öffnung zur jungen arabischen Generation (ebenda, S. 108), aber gerade diese beliebige Ausweitung macht aus echten Akteuren und Gesprächspartnern der globalen Kommunikation von Staaten in Wirklichkeit deren „Zielgruppen“. Die Asymmetrie der Akteurskonstellationen - hier der organisierte Staat, dort ganze Bevölkerungen - ist einfach zu groß, um ernsthaft dialogisch kommunizieren zu können. Ein reflektierter Kulturbegriff ist dabei nicht erkennbar (vgl. a. ebenda, S. 226). 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 144 <?page no="145"?> ▸ Gegenstand des Dialogs - was wird kommuniziert? Anders als in der klassischen Diplomatie sind die Themen der Public Diplomacy beziehungsweise der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ein‐ seitig von den Interessen des finanzierenden Staates abhängig, der damit die Agenda diktiert. In der Außenkommunikation deutscher Botschaften beispielsweise dominieren Themen mit deutschem Inter‐ esse (Ostrowski 2010, S. 190). ▸ Dialogische Rückkopplung zu Entscheidern - mit wem wird kommuni‐ ziert? Während bei der Multi-Track-Diplomatie die Zivilgesellschaft in Maßnahmen der klassischen Diplomatie einbezogen wird, ist die Public Diplomacy beziehungsweise Auswärtige Kultur- und Bildungs‐ politik von dieser weitgehend abgeschottet. Es ist zweifelhaft, ob zwischen den Maßnahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungs‐ politik - Goethe-Institut, Konferenzen usw. - und der operativen Politik ein Rückkanal besteht, der die Nutzung des Begriffs „Dialog“ rechtfertigen würde. Kai Hafez hat selbst die „Mediendialoge mit der arabischen Welt“ der Jahre 1997 bis 1999 für das deutsche Außenmi‐ nisterium konzipiert und durchgeführt, die heute als Pionierleistun‐ gen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik betrachtet werden (Ernst 2015, S. 128). Eine inhaltliche Beteiligung der deutschen Diplo‐ matie und ein echtes Dialoginteresse der deutschen Außenpolitik waren damals nicht erkennbar. Neuere empirische Untersuchungen erfassen nicht einmal das Kriterium der Rückkopplung selbst, weil es offensichtlich nicht relevant ist (Ostrowski 2010). Der organisatorische Ausdruck der nach wie vor klaren Unterscheidung zwischen Diplomatie und Public Diplomacy ist die Tatsache, dass im deutschen Auswärtigen Amt für Public Diplomacy eine eigene Abteilung existiert. Diese „Abteilung K“ für Kultur und Kommunikation ist von der „Politischen Abteilung“, der „Abteilung für Krisenprävention“ usw. getrennt (AA o. J.). Public Diplomacy ist damit keine Querschnittstaufgabe des gesamten diplomatischen Personals, sondern eine Domäne von (Marke‐ ting-)Spezialisten. Ein „Dialog“ findet in der Public Diplomacy nur insofern statt, als diese spezialisierten Diplomaten mit Journalisten, Wissenschaftlern und anderen Multiplikatoren vor Ort Dialoge führen, die durchaus eine soziale Ausstrahlung auf Berufs- und Lebenswelten der Betroffenen haben können (vgl. Kap. 7 und 8). Auch kann die Außenpolitik bei Bedarf auf entsprechende Netzwerke zurückgreifen, um Multi-Track-Diplomatie zu 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 145 <?page no="146"?> betreiben. Der Inhalt der „Dialoge“ kommt aber in aller Regel nicht bei den außenpolitischen Entscheidern an. Im Rahmen organisierter Sozialsys‐ teme, dies gilt später auch für die Wirtschaft (vgl. Kap. 4.2.4), tendiert externe Kommunikation stets dazu, instrumentalisierte Pseudo-Dialoge zu stiften, um Eliten und andere Zielgruppen durch eine geschickte Form der Öffentlichkeitsarbeit an sich zu binden. Von politikverändernden Dialogen kann bei der asymmetrischen und schlecht rückgekoppelten Kommunika‐ tion zwischen Außenpolitik und anderen „Kulturen“ oder Bevölkerungen jedenfalls nicht die Rede sein. Die entsprechenden Maßnahmen gehören in den diskursiv-monologi‐ schen Formenkreis der Kommunikation und der strategischen, nicht aber kommunikativen Handlung (vgl. a. Fähnrich 2012 zur Auswärtigen Wissen‐ schaftspolitik). Bei näherer Überlegung wirkt eine allzu weite Dehnung des dialogischen Kommunikationsprinzips, das aus der Sicht der Idee der Weltgemeinschaft, der Global Governance und der Transnationalisierung der Politik wünschenswert wäre, aus der Perspektive nationaler politischer Systeme ohnehin interessengefährdend. Der Nationalstaat sucht, ganz im Sinne der obigen Analyse von Fokin et al., in verstärkten Aktivitäten der persuasiven Public Diplomacy einen Ausgleich für die aus dem diploma‐ tischen Dialog erwachsenden zunehmenden Interaktionen, Kompromisse und Verpflichtungen. Sein Handeln bleibt damit aus kommunikationswis‐ senschaftlicher Sicht intrinsisch ambivalent. Auch die unklaren Resonanz‐ verhältnisse im „Dialog der Kulturen“ sind hier insofern folgerichtig, als „Dialoge“ geführt werden können, die zwar als Marketingtool funktionieren und ausländische Eliten an den Staat binden, die aber keine echte Heraus‐ forderung für die politischen Entscheidungszentren darstellen. Kriegskommunikation: die Wiederkehr der globalen Desinformation Nirgends wird die Ambivalenz des modernen Staates im Prozess globaler Kommunikation deutlicher als im Feld der Kriegs- und Krisenkommunika‐ tion. Sie ist eine deutliche Gegenbewegung zur wachsenden Dynamik der interaktiven Diplomatie mit ihrer zunehmenden Zahl an Akteuren und zur Global Governance. Diese Entwicklung lässt sich paradigmatisch an der amerikanischen Kriegspropaganda (information warfare) vom Vietnamkrieg über den zweiten Golfkrieg von 1991 und den Kosovokrieg 1999 bis zum dritten Golfkrieg 2003 ablesen. Die US-Propagandatechniken wurden im Verlauf der Zeit immer mehr ausgeweitet und differenziert, von einer eher klassischen Zensurpolitik etwa durch Informationspools im Krieg von 1991 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 146 <?page no="147"?> zu massiver und manipulativer sprachlicher und visueller Propaganda im Krieg von 2003, einschließlich zahlreicher Kriegslügen von angeblichen Massenvernichtungswaffen oder Massengräbern des Iraks, unter Leugnung eigener völkerrechtswidriger Handlungen (Tötung von Zivilisten, Einsatz von Splitterbomben usw.) (Miller 2004, Kumar 2006, Goff 1999, Tumber/ Pal‐ mer 2004, Bennett/ Paletz 1994). Insgesamt ist auch in westlichen Demokra‐ tien eine Tendenz der Rückkehr sogenannter „schwarzer Propaganda“ zu erkennen, die im Unterschied zur „weißen“ und „grauen“ Propaganda nicht (selektiv) informiert, sondern aktive Faktenfälschung betreibt. Europäische Staaten sind hier nicht weniger betroffen als die USA, von autoritären Staaten wie Russland oder China ganz zu schweigen. Thymian Bussemer spricht zu Recht davon, dass Propaganda heutzutage ein Normalphänomen geworden ist; seine Hoffnung, dass Nachrichtenlen‐ kung zugleich auf Grund der wachsenden Bedeutung des Internets immer schwieriger werde, erweist sich allerdings als zu optimistisch (2005, S. 394). Stattdessen lässt sich nachweisen, dass Kriegspropaganda auch heute noch die gleichen mobilisierenden Effekte auf die Mehrheitsgesellschaft hat wie vor der Einführung des Internets (Hafez 2005, S. 69ff.). Die neue Unübersicht‐ lichkeit der digitalen globalen Informationswege hat am Primat der Politik in Zeiten (angeblicher) akuter Bedrohung durch äußere Feinde also wenig geändert (Hafez 2007). Um effektiv zu sein, muss staatliche Propaganda kei‐ nen Absolutheitsanspruch hegen, wie die klassische totalitäre Propaganda Hitlers oder Stalins. Zumindest in Zeiten hoher Involvierung eines Staates in einen Konflikt und auf dem handlungsrelevanten Höhepunkt desselben reicht es aus, wenn der Staat nationalistisch aufgeladene Feindbilder zir‐ kulieren lässt. Die „Heimatfront“ kann damit stabilisiert werden. Nur in Situationen geringer staatlicher Involvierung in internationale Konflikte sowie in Kriegen geringer Intensität (low intensity warfare), die sich über lange Zeiträume erstrecken, kann es zu einem Verlust der Kommunikations‐ kontrolle durch Staaten kommen. Die Wissenschaft ist sich heute im Grunde einig, dass Demokratien zwar gegenüber anderen Demokratien relativ friedfertig, gegenüber abweichen‐ den politischen Systemen allerdings genauso kriegsaktiv sind wie diese (u. a. Daase 2004). Die Außenkommunikation des Staates wird daher ständig von Feindbildern geprägt (Teusch 2003, S. 216), was dann zum Teil auch die fragmentarischen Weltbilder der Medien erklärt (vgl. Kap. 2.2.1). Demokra‐ tien neigen dazu, in ethischer Hinsicht alle anderen politischen Systeme zu delegitimieren, was sie anfällig für „humanitäre“ Interventionen macht; man 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 147 <?page no="148"?> denke nur an die immensen Opferzahlen, die die amerikanischen Kriege auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Korea, Vietnam, Afghanistan oder Irak gekostet haben (Hafez 2009a, S. 193ff.). Vom „ewigen Frieden“ im Sinne Immanuel Kants kann zumindest bislang noch nicht die Rede sein. Die durch diplomatische Interaktion begünstigte Friedensdividende geht Hand in Hand mit einer enormen rhetorischen Aufladung des Nationalstaates und mit einer ungebrochenen Mobilisierungskraft der Kriegskommunikation, die über ein hohes destruktives Potenzial verfügt. Die Stabilisierung der Weltgemeinschaft durch interaktive Diplomatiekommunikation wird durch Feindbilder und Propaganda nahezu beliebig und sogar in wachsendem Maße gefährdet. Interaktiv erzeugte Gemeinschaftlichkeit, von der Politik selbst verbal konstruiert und symbolisch vermittelt, wird durch eigene wie fremde Kriegs- und Krisenpropaganda permanent konterkariert. Auslandsrundfunk: mehr als Persuasion? Ein anderer Bereich der Public Diplomacy, der staatliche Auslandsrund‐ funk, galt bis zum 11. September 2001 als Opfer der Globalisierung, da immer mehr nationale Sender per Satellit direkt empfangbar waren und das Betreiben gezielter Auslandssender insofern sinnlos erschien, als sie in der Masse des globalen Angebots unterzugehen drohten. Mit der Zu‐ nahme der Nahostkriege aber wuchs das Interesse des Westens sowie anderer Großmächte, den Auslandsrundfunk zu modernisieren (z. B. BBC World, Voice of America, Deutsche Welle, RT, CCTV, Radio China Interna‐ tional, Radio France Internationale, vgl. a. Kap. 2.2.1). Der Auslandsrundfunk - Radio und Fernsehen - ist eigentlich ideal zur Überwindung der Sprachgrenzen im Bereich der internationalen Medien. Das Senden in zahlreichen Landessprachen ermöglicht dem Staat eine viel genauere Aus‐ richtung auf die monolingualen Mittelklassen im Ausland. Dabei sind die Ursprünge des Auslandsrundfunks eindeutig propagandistischer Natur, man denke nur an die Rolle von Radio Free Europe im Zweiten Weltkrieg. Wäh‐ rend der sogenannte „Informationskrieg“ (information warfare) Propaganda gegenüber der eigenen Bevölkerung darstellt, ist der Auslandsrundfunk Teil der „psychologischen Kriegsführung“ (psychological warfare) mit dem Ziel, fremde Bevölkerungen gegen verfeindete Regierungen zu mobilisieren. So hofiert zum Beispiel RT (bis 2009 Russia Today) die rechtspopulistische Bewegung in Europa und versucht auf diese Weise, die politischen Systeme des Westens zu destabilisieren. Im Gegensatz dazu sprechen russische Inlandssender von der Wiederkehr des Faschismus in Europa. Während 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 148 <?page no="149"?> also nach außen hin der Rechtspopulismus angeheizt wird, verwendet man diesen nach innen als neues Feindbild (Pomerantsev 2015). Auch der Auslandssender Voice of America oder der amerikanische arabischsprachige Fernsehsender Al-Hurra ermöglichen keine echte Kritik an der amerikani‐ schen neokolonialen Politik im Nahen Osten (Hafez 2005, S. 159ff.). Das für den Dialog so wichtige Fremdverstehen wird systematisch ausgeblendet und es finden inszenierte Scheindialoge statt, die nur als geschickte Propagan‐ dastrategien zu deuten sind. Der westeuropäische Auslandsrundfunk hat sich in den letzten Jahren immer wieder vom propagandistischen Ansatz abzugrenzen versucht. Auch hier wurde vom Dialog gesprochen und der Auslandsrundfunk als ideale Plattform des „Dialogs der Kulturen“ ins Gespräch gebracht (Kleinsteuber 2002, Groebel 2000). Der Intendant der Deutschen Welle, Erik Bettermann, argumentierte, dass eine Konzentration der Aufgaben auf die Vermittlung des Deutschlandbildes „längst obsolet“ sei und nicht geeignet, in der Ära der Globalisierung wettbewerbsfähig zu bleiben. Vielmehr sei es erforderlich, Informationen „aus der Region für die Region“ aufzubereiten und mit einem „intelligenten Mix deutscher, europäischer und zielgebietsbezogener Themen“ die Akzeptanz des Auslandsrundfunks weltweit zu sichern (2004). Das Deutsche-Welle-Gesetz von 2005 legt daher auch den „Austausch der Kulturen und Völker“ als Zielstellung dar (DW 2005). Dennoch muss man die Unabhängigkeit der Deutschen Welle in Frage stellen. Inhaltlich ist zwar auffällig, dass Sender wie die Deutsche Welle oder BBC World Service den Pluralismus in außenpolitischen Fragen ernster zu nehmen scheinen als etwa amerikanische, russische oder chinesische Sender. Ähnlich wie bei der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik allerdings findet eine Themensteuerung mit starkem Deutschland- und Europabezug statt, die sicher noch weit weg von einem idealen Dialog oder einer nachhaltigen Selbstkritik der Außenpolitik ist (vgl. Kap. 2.2.1). Nicht nur inhaltlich ist die Vermarktung eines Deutschlandbildes nach wie vor stark nachweisbar; die Bindung an das deutsche Eigeninteresse lässt sich auch mit der Finanzierung durch den deutschen Staat erklären und wird durch zahlreiche Äußerungen der deutschen Politik und der Intendanz erhärtet, die die Deutsche Welle als Marketingtool charakterisieren (Hagedorn 2016, S. 489ff., vgl. a. Michalek 2009, S. 100ff.). Am Ende bleibt sogar der Auslandsrundfunk trotz aller Versuche der Erneuerung in Zeiten der globalen Konkurrenz noch immer in hohem Maße ein Instrument der Public Diplomacy. Während die US-Politik beispielsweise 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 149 <?page no="150"?> nie Zweifel daran gelassen hat, dass sie auch europäische Sender wie die Deutsche Welle als Teil der Public Diplomacy betrachtet (GAO 2003/ 2, S. 2), verortet sich auch die Deutsche Welle selbst heute wieder etwas realistischer und räumt zumindest ein, zwischen globaler Information und Public Diplomacy zu stehen (DW 2016). Ähnlich wie bei der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist der Dialoganspruch für Massenmedien nicht realisierbar, da sie One-to-Many-Kommunikation betreiben, wobei der Repräsentanzcharakter der „Vielen“ stets in Frage steht. Auch ohne „schwarze“ Propaganda findet in westlichen Medien eine Orientierung der Medienagenda an Eigeninteressen des jeweiligen Staates und der Gesell‐ schaft statt, die viele globale Agenden ausblendet und als eine Art Vorfilter des globalen Dialogs fungiert. Eine Rückkopplung zur aktiven Außenpolitik ist selbst im Auslandsrundfunk kaum vorgesehen, da sich die zentralen Entscheidungsträger nur selten einer echten Kritik stellen. Public Diplomacy 2.0 Im Zuge der in den letzten Jahrzehnten erkennbaren allgemeinen Entwick‐ lung von den klassischen Massenmedien zum Internet ist im Bereich der Public Diplomacy, ebenso wie in der Diplomatiekommunikation, eine Ten‐ denz zur Mediatisierung zu erkennen. Die Nutzung von Sozialen Medien gilt manchen Autoren als Anreiz zu einem verstärkten Dialog in der Public Dip‐ lomacy. Der scheinbar inhärent interaktive Charakter Sozialer Medien, wo Menschen gleichzeitig Konsumenten und Produzenten sein können, wird auf die „Public Diplomacy 2.0“ übertragen (Hayden 2015). Zugleich gelten im Bereich der Sozialen Medien ähnliche Dialogbegrenzungen wie bei anderen Medien. Wo Twitter, Facebook oder ähnliche Medien von Botschaftern und anderen aktiv zur Außenkommunikation eingesetzt werden, dient dies we‐ niger dem dialogischen Austausch als vielmehr der Informationssammlung und -verbreitung (Hocking/ Melissen 2015, S. 29). Dass die technische Sogwirkung von Sozialen Medien so stark ist, dass sie aus Öffentlichkeitsarbeit idealtypische Dialoge macht und damit systemver‐ ändernd wirkt, ist unwahrscheinlich. An den Grundlagen der Machtpolitik von Nationalstaaten hat sich auch in Zeiten des Internets nicht viel geändert und Soziale Medien sind in der globalen Kommunikation keineswegs per se interaktiv ausgerichtet (vgl. Kap. 6.2.1). Viel wahrscheinlicher ist es, dass, wie im McLuhan’schen The-Medium-is-the-Message-Ansatz, moderne Medien selbst als Marketingtool genutzt werden, um Dialogoffenheit zu simulieren und zu inszenieren. Die Neue Public Diplomacy (Melissen 2005) 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 150 <?page no="151"?> wäre demnach nicht ganz so neu wie sie erscheint und eher neuer Wein in alten Schläuchen der internationalen PR. Gesamtfazit: staatliche Weltkommunikation zwischen Integration und Abgrenzung Als Gesamtfazit lässt sich sagen, dass das politische System seine Kommu‐ nikation im Laufe der Zeit immer mehr ins Globale hinein ausgeweitet, differenziert und damit nach den großen Weltkriegen zumindest die Idee einer kommunikativen Weltgemeinschaft begünstigt hat. Zugleich sind Staaten heutzutage nicht einfach als Friedensakteure und Kosmopoliten zu bezeichnen. Während sie auf der einen Seite in der Diplomatie interaktions‐ bereiter denn je erscheinen, agieren sie durch Public Diplomacy hinter dem Rücken ihrer Verhandlungspartner im nationalen Eigeninteresse. Auch im Zeitalter globaler politischer Dialoge sind also nationalstaatliche Monologe längst nicht überwunden. Externe öffentliche Kommunikation, die sich auf systemische Umwelten des politischen Systems richtet - auf Zielgruppen und „Outsider“ des politischen Systems -, ist persuasiv. Die Außenpolitik hat zwar den Begriff des „Dialogs“ als Marketingtool entdeckt, aber Public Dip‐ lomacy bleibt im Kern Ein-Weg-Kommunikation, die von einer staatlichen Öffentlichkeitsarbeit strategisch lanciert wird und deren gelegentlichen Erträge selten mit den eigentlichen Entscheidungsträgern rückgekoppelt werden. Das politische System ist interaktiver ausgerichtet als die Massen‐ medien, es ist aber auch eindeutig propagandistischer, autoaggressiver und mit Blick auf die Massenmedien einer der wesentlichen Verursacher des globalen Synchronitätsproblems der Medien (vgl. Kap. 2.2.1). In den internationalen Beziehungen schwanken also die kommunikativen Leistungen des Staates zwischen den systemischen Grundfunktionen von Anpassung und Differenz beziehungsweise Autonomie. In der Diplomatie entstehen flüchtige transnationale Räume („dritte Räume“), wo sich die interne Kommunikation mehrerer Nationalstaaten dialogisch koppelt, wo‐ durch es zur integrativen Anpassung an die konkurrierenden Umweltsys‐ teme kommt. Jenseits dieser Momente einer interaktiven Weltgemeinschaft werden andere Staaten als disperse Systemumwelten behandelt, es wird persuasiv kommuniziert, um die Identitätsinteressen des Nationalstaats und die Systemdifferenz zu wahren. Die Ambiguität des diplomatischen Textes ist kein Zufall, sondern Produkt einer internationalen Politik, die auf getrennten politischen Systemen basiert. Das Autonomiestreben des Staates 3.2 Kommunikative Systemverbindungen 151 <?page no="152"?> wird - bei aller Dialogfähigkeit - stets verhindern, dass internationale politische Kommunikation ausschließlich auf Interaktion ausgerichtet ist. Es entbehrt vor diesem Hintergrund nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Staat, der selbst so ambivalent kommuniziert und der als mächtigstes „Supersystem“ andere Systeme wie die Medien propagan‐ distisch unterwandert, der Held der integrativen Systemtheorie in den internationalen Beziehungen ist (vgl. Kap. 1.1). Dies liegt daran, dass das politische System ein idealtypischer Raum grenzüberschreitender Interak‐ tion mit hoher Beobachtungskompetenz und dadurch mit weitreichendem gemeinschaftsbildenden Potenzial ist. Zugleich muss aber erkannt werden, dass der Staat auch destruktiv ist, Synchronität unterminiert, Diskurse verwässert, globale Dialoge sowie feste Beziehungen konterkariert. Eine Integrationsfähigkeit des Staates ist also vorhanden, sie ist aber sehr begrenzt und kann nur durch eine Veränderung der Akteursstrukturen (Transnationalisierung) sowie der Kommunikationsverhältnisse (Global Governance) weiterentwickelt werden. In der Gegenwart bleibt globale Gemeinschaftsbildung instabil und wir haben es mit einer Form der hybriden Staatlichkeit zwischen Nationalstaat und Transnationalisierung zu tun, die sich auch kommunikativ in einem Dilemma zwischen globaler Interaktion und nationalistisch gefärbtem Monolog bemerkbar macht. Die kommunika‐ tive Weltgemeinschaft bildet und verflüchtigt sich in einem permanenten Prozess. 3 Politik - globale Kommunikation des Staates 152 <?page no="153"?> 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation Neben den Medien wird die Wirtschaft als ein Kernbereich der Globalisie‐ rung betrachtet (Giese et al. 2011). Ähnlich wie das politische System verfügt die Wirtschaft als organisiertes Sozialsystem über zahlreiche kommunika‐ tive Ressourcen, die im Falle globaler Unternehmen sogar fortschrittlicher als die der Politik zu sein scheinen, weil sie echte transnationale Organi‐ sationsformen bilden, statt, wie in der Diplomatie, nur lose kommunika‐ tive Vernetzungen zwischen prinzipiell getrennten Systemen. Trotz dieser potenziellen Verschiebung von der globalen Verhandlungszur Organisa‐ tionskommunikation wird das folgende Kapitel allerdings zeigen, dass auch die globale Wirtschaftskommunikation vor zahlreichen Problemen steht. Das Wirtschaftssystem ist nicht nur in sich hochdifferenziert, und Eigentums- und Machtstrukturen können grenzüberschreitende Interaktion beeinträchtigen. Unternehmenskulturen, -netzwerke und Prozesse der Wis‐ sensdiffusion sind zudem vielfach weit entfernt von idealtypischen Formen der Globalisierung und in der Außenkommunikation des Marketings und der Werbung herrscht ein starker lokaler Marktanpassungsdruck. Dies alles hat Konsequenzen, die man in Anlehnung an Bassam Tibi mit dem Begriff der „halben Moderne“ (2002) kennzeichnen kann. Während sich die materiellen Warenpaletten der Länder durch globalen Handel und inte‐ grierte Investitions- und Arbeitsmärkte weltweit zunehmend angleichen, bleiben Interaktion, Beobachtung und diskursives Handeln im Wirtschafts‐ system vielfach lokal ausgerichtet. Die ökonomische Globalisierung prägt also nicht automatisch auch unser Bewusstsein und Wissen von der Welt. Der Beitrag der Wirtschaft zur Formierung einer „Weltgemeinschaft“ oder „Weltgesellschaft“ bleibt widersprüchlich. 4.1 Systeme und Systemwandel Perspektivwechsel: globaler Institutionalismus Wie immer fragen wir zunächst, mit welchen Akteuren und Strukturen wir es im Bereich der globalen Wirtschaft zu tun haben, bevor wir die Kommunikationsprozesse selbst betrachten. Dabei sind zwei Sektoren zu unterscheiden: der klassische Handel als grenzüberschreitender Waren‐ <?page no="154"?> tausch über politische Grenzen hinweg und globale Direktinvestitionen durch multibeziehungsweise transnationale Unternehmen. Während der globale Handel viele historische Wurzeln hat, ist die heutige ökonomische Globalisierung vor allem durch eine Ausweitung der Direktinvestitionen und den Aufbau globaler Unternehmens- oder gar Konzernstrukturen ge‐ kennzeichnet. Diese neuen Strukturen verlaufen quasi quer zur staatlichen Souveränität und entstehen vor allem durch die Stagnation heimischer Märkte, den Wachstumsbedarf in den Industrieländern sowie Bevölkerungs‐ zunahme und Arbeitslosigkeit in Entwicklungsländern, was zu globalen Wirtschaftsformen zwingt, die allerdings immer wieder auch protektionis‐ tische und neo-nationalistische Gegentendenzen hervorrufen (Schuldt 2010, S. 11f.). Zwar gibt es neben dieser verbreiteten Analyse in der Wirtschaftswissen‐ schaft (u. a. Bhagwati 2004, Friedman 2005) auch kritische Hinweise, wonach die meisten Unternehmen nicht „global“ im Sinne einer Ausrichtung auf ganze Weltmärkte, sondern eher „international“ auf wenige Länder - oft auf Nachbarländer oder begrenzte Räume wie die OECD - konzentriert sind (Hirst/ Thompson 1999, vgl. a. Läpple 1999, S. 27). Dennoch entsteht im Bereich der Wirtschaft durch länderübergreifende Organisations- und Kooperationsstrukturen etwas prinzipiell Neues, wonach wir bei der Politik fast vergeblich gesucht haben. Transnationale Organisationen sind, sieht man von Sonderformationen wie der Europäischen Union ab, sowohl in der Politik als auch in den Massenmedien äußerst schwach ausgeprägt. Bei globalen Wirtschaftsunternehmen oder - dies ist eine wichtige Unterschei‐ dung - bei globalen Wirtschaftsunternehmungen (joint ventures, Produkti‐ onsketten usw.) haben wir es nicht mehr wie im Handel mit Kommunikation zwischen autonomen, nicht-integrierten Systemen zu tun, wie etwa auch in der politischen Diplomatie, sondern mit globaler Kommunikation in (Netzwerk-)Organisationen. In globalen Unternehmen ist nicht mehr von Bedeutung, ob man Interessen und Themen teilt und sich in Abhängigkeit begeben will: Diese Frage ist bereits positiv geklärt. Man gehört zusammen, bildet eine Einheit und verfolgt gemeinsame Ziele. Das Resultat ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein hohes Maß an grenzüberschreitender Kommu‐ nikationsdichte mit ausgeprägten Routinen und hoher Problemlösungska‐ pazität, die sich als interne Weltorganisationskommunikation beschreiben lässt. Bemerkenswert ist in der Tat die Wiederkehr des Institutionalismus in der Globalisierungsdebatte. Während im nationalen Raum Institutionen 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 154 <?page no="155"?> wie Staaten und Organisationen wie Parteien immer mehr an Bindekraft verlieren und man lange Zeit vom Ende des Institutionalismus in den Sozi‐ alwissenschaften sprach, sind globale Wirtschaftsunternehmen zum Kern einer Renaissance des Institutionalismus geworden. Transnationale Organi‐ sationen können, so die Hoffnung mancher Institutionentheoretiker, durch die Vernetzung von ehemals nationalen und lokalen Systemeinheiten neue Freiheiten nutzen, um eine neue „Weltkultur“ zu entwickeln (Drori 2008, S. 456ff.). Der einst scheinbar strukturlose globale Raum, gleichermaßen ge‐ kennzeichnet durch unregelmäßige Formen von Diplomatiekommunikation wie durch Kriege und Konflikte, würde im Bereich der globalen Wirtschafts‐ unternehmen quasi befriedet. Das Entstehen von „Weltgemeinschaft“ sollte demnach eine Selbstverständlichkeit sein. Die Wirtschaft scheint sich als Leitsystem der Moderne zu etablieren. Macht und Kommunikation in globalen Unternehmen Allerdings ist das Bauprinzip globaler Wirtschaftsunternehmen, die oft als Global Players bezeichnet werden, deutlich komplizierter als es der Instituti‐ onalismus verspricht. Globale Unternehmen einfach als „Organisationen“ zu kennzeichnen, wird der Formenvielfalt moderner Netzwerk-Organisationen nicht gerecht, wobei die meisten Klassifikationen am Ende auf ähnliche Typologien hinauslaufen und Auswirkungen auf die Struktur-Prozessbe‐ ziehungsweise Hierarchie-Dialog-Verhältnisse in der Wirtschaft haben. Die Literatur unterscheidet in der Regel entweder zwischen „ethnozentrischen“, „polyzentrischen“ und „geozentrischen“ oder aber zwischen „globalen“, „internationalen“, „multinationalen“ oder „transnationalen“ Unternehmen (Pries 2008a, S. 182ff., Harrison 2010, S. 211). Ethnozentrische beziehungs‐ weise globale oder internationale Unternehmen operieren demnach von einem nationalen Mutterunternehmen aus, das als klares Entscheidungs‐ zentrum für die ausländischen Tochterunternehmen agiert. Polyzentrische beziehungsweise multinationale Unternehmen sind dezentral organisiert, die Einzelunternehmen genießen weitgehende Freiheiten. Aber allein geo‐ zentrische beziehungsweise transnationale Unternehmen entsprechen dem Idealbild gleichberechtigter grenzüberschreitender Kooperation zwischen interdependenten Firmenteilen, die gemeinsam nach wirtschaftlichen Lö‐ sungen suchen. Dies ist insofern bedeutsam, als man davon ausgehen kann, dass ein gleichberechtigter Dialog und damit eine echte Integration von Weltwissen im Idealtyp des transnationalen Unternehmens den größten Raum einnehmen. Zwar weisen auch diese Unternehmen die typischen 4.1 Systeme und Systemwandel 155 <?page no="156"?> Hierarchien und Eigentümerinteressen der kapitalistischen Wirtschaft auf, die dialogische Unternehmenskulturen nur zulassen, wenn Effizienz- und Gewinnmaximierung zu erwarten sind (Zerfaß 1996, S. 43). Dennoch wird der Dialograum grenzüberschreitend gleichmäßig verteilt und der Innova‐ tionskern eines Unternehmens befindet sich nicht mehr allein in einem Land. Der transnationale Unternehmenstypus ist noch recht selten; die meis‐ ten Global Players weisen klare Zentrum-Peripherie-Strukturen auf, sind also letztlich international agierende nationale Unternehmen (Pries 2008a, S. 186). Allerdings findet zugleich ein Abflachungsprozess (flattening pro‐ cess) dergestalt statt, dass immer mehr Länder wirtschaftlich aufstrebend sind und sich dialogische Kooperationen auch zwischen sogenannten „kul‐ turell fernen“ Ländern etablieren können (Harrison 2010, S. 34f., 221f.). Interne Wirtschaftskommunikation bei globalen Unternehmen mag also durch Kapitalstrukturen räumlich wie auch hierarchisch eingeschränkt sein; sie ist aber prinzipiell transnational und transkulturell möglich. Gute Voraussetzungen für dialogische Kommunikation entstehen vor allem dort, wo Akteure aus verschiedenen Ländern unter einem Konzerndach vereint sind, dabei allerdings weder zentral gesteuert werden noch zu dezentral agieren, sondern - ähnlich der Diplomatie, aber auf permanenter Basis und vergleichbar mit dem Konzept der Global Governance - eine Art „dritten Raum“ der grenzüberschreitenden Kommunikation schaffen. In allen anderen Wirtschaftsbereichen sind die Strukturen für dialogische Kommunikation deutlich ungünstiger. Im Handel dominiert der reine Wa‐ renaustausch; grenzüberschreitende Dienstleistungen sind seltener (ebenda, S. 119), bieten aber dort, wo sie existieren, ebenfalls dialogische Kommunika‐ tionschancen, wenngleich abgeschwächt, da es sich dabei um externe Kom‐ munikation mit Kunden/ Märkten handelt, sogenannte „Business-to-Custo‐ mer-Geschäfte (B2C)“, wo ein gleichberechtigtes, nachhaltiges Dialoghandeln wie im Inneren transnationaler Unternehmen auf Grund der vorherrschen‐ den strategischen Kommunikationsabsichten nicht erwartet werden kann (siehe unten). Im Feld der Direktinvestitionen etablieren ethnozentrische Unternehmen Produktketten, was jedoch in der Regel eine pragmatische, wenn nicht gar erzwungene Form der Grenzüberschreitung darstellt, da hier die Zulieferindustrie in sogenannte „Niedriglohnländer“ transferiert wird, die produktive Kernkompetenz eines Unternehmens aber im Heimatstaat verbleibt. Dies sind schlechte Bedingungen für echte Dialoge, da sich die Befehlszentren im Ursprungland der Fertigung befinden und nur Thematiken jenseits der Kernkompetenz verhandelt werden. Die grenzüberschreitende 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 156 <?page no="157"?> Weitergabe von Wissen gilt bei Produktionsketten als Risikofaktor (Dhar 2008, S. 301f.). Erst langsam weicht das streng hierarchische Verhältnis zwischen Muttergesellschaften und ausländischen Unternehmen selbst bei Produktketten heterarchischer Beziehungen (Schmid et al. 1999, S. 101). In der Wirtschaftswissenschaft gibt es mittlerweile erbitterte Gegner des klassischen Hierarchiedenkens in Produktketten, das als „klassische Kontrollfixierung“ (classic control fixation) und Verschwendung von wirtschaftlichen Koopera‐ tionsmöglichkeiten betrachtet wird und gleichberechtigten Netzwerken wei‐ chen soll (Johnsen et al. 2008, S. 74f.) - wobei das Vorhandensein von Netzen in Unternehmen oder, bei mehreren beteiligten Firmen, in Unternehmungen noch kein Garant für dialogische Interaktion ist, wie wir noch sehen werden. Polyzentrische Unternehmen sind multinational aufgestellt, verfügen also über dezentrale Entscheidungsstrukturen oder, was häufig der Fall ist, sie experimentieren mit einer Kombination aus zentralistischer, dezentra‐ ler und transnational vernetzter Organisation (Conrad/ Poole 2012, S. 436). Transnationale Ansätze finden sich dann häufig in Innovations- und For‐ schungsabteilungen, die daher interessante Beispiele für grenzüberschrei‐ tendes dialogisches Handeln sind. Bei geozentrischen beziehungsweise transnationalen Unternehmen nun ist diese Arbeitsweise für das gesamte Unternehmen bedeutsam, weswegen sie als „zentrale Akteure des Globa‐ lisierungsprozesses“ und der „Informationsgesellschaft“ benannt werden (Steffans 2000, S. 9). Insbesondere Firmenzusammenschlüsse, also joint ven‐ tures und strategische Allianzen werden von der Wissenschaft heute als Organisationsformen mit einem besonders hohen Kooperationspotenzial bezeichnet (Franke 2010, S. 32). Im Grunde weisen alle globalen Unternehmenstypen mehr oder weniger interessante Potenziale interner und externer Kommunikation über Grenzen hinweg auf. Für die kommunikationswissenschaftliche Analyse besteht die Herausforderung darin, in jedem Einzelfall zu bestimmen, wie groß der Raum für dialogische Interaktion bei den Global Players wirklich ist. Die bloße Raumausdehnung des Handelns oder der mit Hilfe des Kapital‐ umsatzes bestimmte Internationalisierungsgrad eines Firmenkonglomerats (Bannenberg 2011, S. 142) sagen noch nichts über deren Macht- und Ressour‐ censtrukturen aus, die wiederum wichtig sind für die Kommunikationspro‐ zesse. Die verbreitete generelle Annahme, die von einer fortschreitenden Verschränkung der globalen Ökonomie und damit auch der internationalen Kommunikation ausgeht (Harrison 2010, S. 44), berücksichtigt nicht, welche unterschiedlichen Konsequenzen die ganz verschiedenartigen Strukturmus‐ 4.1 Systeme und Systemwandel 157 <?page no="158"?> ter globaler Unternehmungen für Qualität und Quantität der internen Wirt‐ schaftskommunikation haben. Internationalisierung wird also im Grunde nie anhand des Markers der globalen Kommunikation bestimmt, sondern primär nach Umsatzzahlen. Technische Klüfte und kosmopolitisches Lebensweltkapital Neben den Machtstrukturen der Unternehmen sind aus systemtheoretischer Sicht technische, humane und gesellschaftlich-politische Strukturen wich‐ tig. Für globale Unternehmen ist besonders die Ausstattung und Beherr‐ schung von Medientechnologie eine wichtige strukturelle Voraussetzung der globalen Wirtschaftskommunikation. Die Technologieentwicklung gilt vielen als treibende Kraft der Globalisierung und als genauso bedeutsam wie die globalen Marktentwicklungen selbst (Harrison 2010, S. 37). Trotz einer generellen Verbesserung der Kommunikationsinfrastruktur besteht weltweit nach wie vor ein großer „digitaler Graben“ (vgl. Kap. 5.2.2). Die Uni‐ ted Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) hat bereits im Jahr 2000 als Teil der Millenniumsziele die Verbesserung des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologie für Entwicklungsländer angemahnt, insbesondere um die Entwicklung der digitalen Wirtschaft zu stärken (UNCTAD 2000, vgl. a. CSIS 1998). Zudem existieren auch in den Unternehmen der Industriestaaten Kompetenzunterschiede und kleine Unternehmen sind hier oft dynamischer als Großkonzerne. Technologisches Inselwachstum existiert außerdem ebenfalls in Entwicklungsländern, man denke nur an das indische „Silicon Valley“ in Bangalore. Arbeitsmigration ist ein weiterer für die globale Wirtschaft bedeutsa‐ mer Strukturfaktor im Bereich des Humankapitals. Die unterschiedlichen Organisationsstrukturen von globalen Unternehmen spiegeln sich auch in der Elitenforschung wider. Bei den meisten „Businesseliten“ ist ein Bruch zwischen internationaler Arbeitswelt und nationaler Lebensführung erkennbar. Menschen arbeiten zwar außerhalb ihrer Heimatländer, heiraten aber nur selten auch im Ausland und noch seltener außerhalb der eigenen ethno-kulturellen Herkunftsgruppe: Eine kosmopolitische Lebensführung und/ oder Lebenseinstellung ist keine zwangsläufige Folge der Arbeit in einem internationalen Unternehmen (Weiß 2017, S. 91ff., vgl. a. Hartmann 2016). Derartige Erkenntnisse sind vor allem für die Frage der informellen Kommunikation wichtig, denn sie bedeuten isofern eine weitere Verkompli‐ zierung der strukturellen Akteursbedingungen der Kommunikation, da ne‐ ben den geschilderten Organisations- und Machtstrukturen auch Gruppen- 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 158 <?page no="159"?> und Individualstrukturen zu berücksichtigen sind und sogar wechselwirken können. Im Unternehmen selbst kann eine transnational angelegte Orga‐ nisationsstruktur an ethnozentrischen Einstellungen des Managements scheitern. Gerade der Bereich der informellen Kommunikation ist hiervon betroffen. Die Erträge globaler Arbeitskommunikation können aber auch in positiver Weise mit den Lebenswelten der Mitarbeiter resonieren (vgl. Kap. 7 und 8). Durch professionelle Rollengrenzen können die Entwicklungen jedoch ebenso getrennt verlaufen. Zur Kritik der essenzialistischen Wirtschaftswissenschaft Als eine letzte Strukturvariable ist die gesellschaftlich-politische Kompetenz einer globalen Firma oder Unternehmung von Bedeutung. Sie ist ein Teil des Humankapitals, ist jedoch zugleich ein eigenständiger Faktor, weil der direkte Austausch der Wirtschaft mit ihrer Umwelt - ihren Umweltsystemen und Systemumwelten - eine Rolle spielt, die nur zu bewältigen ist, wenn die Binnenstrukturen eines Unternehmens dazu geeignet sind. Auch hier gilt also, dass die Beobachtung der Umwelt wie auch die externe Kommu‐ nikation nicht nur als Kommunikationsprozesse zu verstehen sind, sondern strukturelle Voraussetzungen wichtig sind, um effizient mit den politischen Systemen und anderen sogenannten „Stakeholdern“ zu kommunizieren. Globales Wirtschaftshandeln steigert die Komplexität der Informationsum‐ welten und verlangt nach einer Kompetenzerweiterung im Bereich des globalen Wissens. In der Wirtschaftsliteratur dominiert an dieser Stelle eindeutig die The‐ matisierung von „Kultur“ als strukturellem Faktor. „Fremde“ kulturelle Umwelten mit anderen Wertvorstellungen erzeugen demnach Anpassungs- und Lernzwänge für die Wirtschaft. Am verbreitetsten sind hier die Arbeiten des Managementforschers Geert Hofstede mit seinen Kollegen, die immer wieder zitiert werden (u. a. Hofstede et al. 2010, vgl. a. Bertelsmann Stiftung 2007, Clausen 2006, Humpf 2008, Keup 2010). Hofstedes Dimensionen der kulturellen Unterscheidung (Machtdistanz, Individualität/ Kollektivis‐ mus, Maskulinität/ Feminität, Unsicherheitsvermeidung, lang-/ kurzfristige Ausrichtung, Beherrschung/ Nachgiebigkeit) haben ohne Zweifel Schule gemacht, etwa in Aussagen der Lehre der interkulturellen Organisations‐ kommunikation. Lisbeth Clausen: „When colleagues speak another language and come from a different cultural background, communicating becomes considerably more difficult“ (2006, S. 45). Es gibt allerdings auch Gegner und Gegnerinnen dieser essenzialistischen Sichtweise, die Nationalkulturen 4.1 Systeme und Systemwandel 159 <?page no="160"?> als Strukturelemente der Wirtschaft behandelt und sie auf eine Ebene mit anderen Strukturvariablen wie Macht, Kapital, Technologie und Humanka‐ pital stellt. Jürgen Bolten betrachtet es zum Beispiel als einen der größten Widersprüche der interkulturellen Wirtschaftskommunikation, dass trotz des Wissens um die „faktische Differenziertheit vermeintlich homogener Konstrukte“ häufig immer noch „auf die geschlossenen Varianten des erwei‐ terten Kulturbegriffs“ Bezug genommen werde (Bolten 2007, S. 48, vgl. a. Conrad/ Poole 2012, S. 424, Pal/ Dutta 2008, Cambié/ Ooi 2009, S. 69). Cynthia Stohl nennt diese Art der Forschung „parochial“ (frei: engstirnig, provinziell) und bestreitet die Annahme, ganze Gesellschaften ließen sich nach bestimm‐ ten die Kommunikation beeinflussenden Wertvorstellungen unterscheiden (2001). Stohl kritisiert die empirische Basis solcher Studien, die oft singuläre Phänomene einer einzelnen Unternehmensstudie generalisieren. Karen Lee Ashcraft und Brenda J. Allen gehen sogar so weit, dieser Forschung einen unterschwelligen Rassismus zu attestieren, weil Kategorien wie Rasse und kulturelle Differenz hier sinnstiftend seien (2003). Auf jeden Fall ist der hypertrophierte Essenzialismus weiter Teile der Wirtschaftswissenschaft in den modernen Cultural Studies sehr umstritten. Aus systemtheoretischer Sicht ist Gesellschafts- und Politikkompetenz als Struktur der globalen Kommunikation insofern schwierig, als hier a) das Wirken von Umweltsystemen und Systemumwelten als deckungsgleich be‐ trachtet werden (hegemoniale Akteure in anderen Ländern, die angebliche Kulturwerte definieren) und b) Systemumwelten selbst methodisch undif‐ ferenziert statt milieuspezifisch vermessen werden. In der Realität ist aber nicht „die Kultur“ eine Struktur des globalen Wirtschaftshandelns, sondern allenfalls bestimmte Ausprägungen des Kulturbezugs in einer bestimmten Belegschaft. „Kultur“ wird darüber hinaus gerade in transnationalen Unter‐ nehmen erst kommunikativ konstruiert (siehe unten). Fazit: ethische Unberechenbarkeit des globalen Kapitalismus Ebenso wenig wie sich eine „kulturelle Struktur“ automatisch auf das globale Unternehmen überträgt, ist dies allerdings auch umgekehrt der Fall. Es wird uns in den nächsten Kapiteln noch beschäftigen, dass eine dialogische Unternehmenskultur zwar eine Art Nukleus einer Weltgemeinschaft sein kann, dass transnationale Binnenstrukturen von Unternehmen aber nicht zwangsläufig auf die soziale Umwelt übergehen, weil die Wirtschaft, ähnlich wie die Politik, über egozentrische Interessen verfügt, die neue Außen‐ grenzen erzeugen können. Im Grunde ist die Wirtschaft nicht einmal ein 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 160 <?page no="161"?> einheitliches System, sondern besteht aus lauter autonomen Teilsystemen, die untereinander nur durch die Logik des Marktes und den rechtlichen Rahmen der Politik verbunden sind. Wie die Politik, die durch nationalisti‐ sche Rückfälle globale Weltgemeinschaft ständig gefährdet, scheitert eine Globalisierung der Wirtschaft an dem Spannungsverhältnis zwischen den kapitalistischen Interessen von Wirtschaftsunternehmen und den Bedürf‐ nissen einer Weltgemeinschaft. Die kapitalistische Privatisierung von Kommunikation erweitert zwar den Raum des globalen Handelns und damit auch den der globalen Kom‐ munikation. Diese Erweiterung ist aber labil. Globale Firmen ziehen sich geradezu beliebig wieder aus Ländern zurück oder sie passen sich lokalen Verhältnissen vielfach bedingungslos an. Ihre transnationalen Strukturen sind also oft nicht nachhaltig oder, wenn sie es sind, besitzen keinen sozia‐ len Tiefgang. Gerade der kulturelle Essenzialismus eröffnet den globalen Unternehmen eine Art moralischen Manövrierraum, universelle Ethiken zu umgehen und die in ihrem Inneren erforderliche Transnationalisierung nach außen hin jederzeit wieder zu konterkarieren, wie im Fortgang des Kapitels zu zeigen sein wird. Kosmopolitische Weltgemeinschaft wird hier, ganz ähnlich wie in der Politik, strukturell bedingt zur Episode in einer größeren kapitalistischen Narration der Weltwirtschaft. Die immer wieder erkennba‐ ren Rückschritte der Globalisierung durch Nationalismus, Rassismus und Protektionismus erklären sich auch durch die Systemeigenschaften des globalen Leitsystems „Wirtschaft“, das zwar leicht Grenzen überschreitet, dabei aber ethisch unberechenbar handelt. 4.2 Kommunikative Systemverbindungen Durch moderne Medientechnologie und die Zunahme der Mobilität des Menschen spielt räumliche Distanz im Bereich der Grundmodi der Kommu‐ nikation - Interaktion, Beobachtung und Diskurs - auf den ersten Blick eine immer geringere Rolle (Cheney et al. 2011, S. 364f.). In früheren Jahrzehnten dauerte die Übertragung von wichtigen Dokumenten in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen oft Wochen. Internationale Handelsgesellschaften funktionierten weitgehend unabhängig. Heute ist ein gemeinsames Wirt‐ schaftshandeln über Grenzen hinweg theoretisch in Echtzeit möglich, sie ist aber in der Praxis eingeschränkt. Verbesserte (auch digitale) Möglichkeiten der Fernbeobachtung und -analyse verstärken zudem Asymmetrien der 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 161 <?page no="162"?> globalen Wissensgesellschaft und ihrer globalen Informationseliten. In der Außenkommunikation wird weiterhin nicht immer im Sinne eines kosmo‐ politischen Marketingansatzes gehandelt. Ob damit in der Gesamtbilanz die von Michael Giesecke propagierte Rückverlagerung von der beobachtenden und monologischen zur interaktiven und dialogischen Weltkommunikation (vgl. Kap. 1.1) gefördert und, so ließe sich ergänzen, die Integration der Weltgemeinschaft durch Wirtschaftskommunikation gestärkt wird, ist Ge‐ genstand dieses Kapitels. 4.2.1 Interaktion und Dialog Neues dialogisches (Ver-)Handeln in globalen Unternehmen Die in der Wirtschaftsliteratur vielfach beschriebenen globalen (virtuellen) Teams in globalen Wirtschaftsunternehmen scheinen so etwas wie eine Blaupause für die transnationale Vergemeinschaftung der Welt zu sein. Es entsteht eine auf hoher Interaktionsdichte basierende Gruppendynamik über Ländergrenzen hinweg, ein „dritter Raum“, eine „dritte Kultur“ und eine wahrhaft internationale Gemeinschaft im Kleinformat. Allerdings fällt auf, dass in der wissenschaftlichen Literatur die genaue Beschreibung der Inter‐ aktionsprozesse in globalen Unternehmen Mangelware ist, ganz anders als in der Politik, wo Diplomatiekommunikation ein eigener Lehrbereich ist. Ein Plädoyer deutscher Kommunikationswissenschaftler und -wissenschaftle‐ rinnen in den 1990er Jahren für mehr Dialogorientierung in der Wirtschaft zeigt immerhin ein sporadisches Interesse an kommunikativem Handeln im Wirtschaftsleben (Bentele et al. 1996). Auch ein globales Unternehmen wie Bertelsmann führte eine Studie zu „Unternehmenskulturen in globaler Interaktion“ durch (Bertelsmann Stiftung 2007). Es war die Zeit geplatzter Fusionen zwischen Bertelsmann und AOL Time Warner und zwischen Daimler und Chrysler. Die Selbstreflexion von Bertelsmann, die immerhin auf der Basis einer umfangreichen empirischen Befragung im globalen Management erfolgt, klingt ernüchternd. Nach Ansicht der Autoren steigert Multikulturalität in globalen Unternehmen Wertekonflikte; die Leitwerte des deutschen Mutterunternehmens können nicht hinreichend durchgesetzt werden, wobei Kommunikation dabei eigentlich nicht als „Interaktion“ und Dialog verstanden wird, sondern als strategische Kommunikation, um „Grundwerte möglichst problemlos in das globale Unternehmen zu übertragen“, „fremdartige Sozio-Kulturen erfolgreich zu beeinflussen“ und „abweichende oder missverständliche lokale Interpretationen“ zu verhin‐ 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 162 <?page no="163"?> dern (ebenda, S. 173, 264, 271). Dieses geradezu kulturimperialistische Credo lässt den Verdacht aufkommen, dass dialogische Interaktion in einer ethno‐ zentrischen globalen Unternehmung (vgl. Kap. 4.1) im Prinzip keinen großen Stellenwert besitzt. Doch um sich der Thematik weder zu idealistisch noch zu pessimistisch zu nähern, müssen wir Interaktion im Rahmen von Organisationskommunika‐ tion systematisch verorten. Unter Rückbezug auf die Arbeiten von Manfred Rühl (vgl. Kap. 1.2 und 1.3) lassen sich in einer Organisation Zweckprogram‐ mierungen (seitens der Eigner/ Chefs) von Konditionalprogrammierungen (Routinehandlungen, Erfahrungswissen) und sozialen Neuverhandlungen unterscheiden (1979, 1980). Diese Einteilung ist mit leichten Abweichungen bis heute auch bei der Analyse transnationaler Organisationen gebräuchlich (u. a. Klemm/ Popp 2006, S. 203). Während die erste Ebene monologisch (top-down) verläuft, sind soziale Neuverhandlungen bei Störungen der Routine erforderlich und dienen der Steigerung der Verarbeitungskomple‐ xität eines Systems. Das allen organisierten Sozialsystemen innewohnende Dilemma zwischen Hierarchiewillen und Interaktionsnotwendigkeit lässt sich auch in globalen Unternehmen nicht ohne weiteres auflösen. Ethno‐ zentrische Unternehmen scheitern daran, wie wir oben gesehen haben. Geo‐ zentrisch beziehungsweise transnational organisierte Unternehmen messen der dialogischen Interaktion aber grundlegend einen größeren Raum zu. Hierbei könnte man es im Prinzip bewenden lassen, denn die Grundsätze des Harvard-Konzepts für Verhandlungskommunikation (vgl. Kap. 3.2) sind als universelle Regeln zu verstehen, die auch und gerade für den Geschäfts‐ bereich konzipiert wurden. Zentrale Handbücher des internationalen Ma‐ nagements betonen die Notwendigkeit, Interessen und Positionen auseinan‐ der zu halten und Übereinkünfte durch getrennte oder integrierte Agenden (Single- oder Multiple-Issue-Management) zu erzielen usw. (Holtom 2009). Antje Hellmann-Grobes Vier-Phasen-Modell des Verständigungsprozesses in Dialogen - verkürzt gekennzeichnet durch die Klärung von Interessen, Themen, Inhalten und Handlungsoptionen - ebenso wie der Hinweis auf die ambivalente Rolle der Medienöffentlichkeit, die Verhandlungen stimulieren aber auch störend intervenieren kann, entsprechen ebenfalls den üblichen Standards für erfolgreiches Verhandeln (2000, S. 270ff.). Selbst Moderations‐ verfahren sind in globaler Wirtschaftskommunikation vorgesehen (ebenda, S. 234ff.). Man könnte es also dabei belassen, dass globale Gemeinschaftlich‐ keit eben dann in globalen Unternehmen entsteht, wenn Machtverhältnisse dies zulassen und Verhandlungsprozesse erfolgreich sind. 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 163 <?page no="164"?> Innovativ ist bei Hellmann-Grobe allerdings ein Plädoyer für die wach‐ sende Bedeutung von Dialogen in der Globalisierung, da durch die interna‐ tionale Neuausrichtung der Wirtschaft veränderte Weltbilder notwendig erscheinen (ebenda, S. 75ff.). Sie spricht von „Auflösungen“ durch neue gesellschaftliche Risiken auf Grund der zunehmenden Entkopplung wirt‐ schaftlichen Handelns von seinen Folgen, von sich wandelnden Arbeits‐ vorstellungen in der post-fordistischen Wissensgesellschaft und vom Ver‐ schwinden vertrauter Weltbilder durch die Infragestellung ökonomischer Vormacht (ebenda, S. 75f.). Hellmann-Grobe hält die dialogische Suche nach neuen Narrativen in globalen Unternehmen für erforderlich, denn die Suche nach Gemeinsamkeiten „der Kulturen“ in einer neuen Wirtschafsethik soll eine globale „Gemeinschaftsorientierung“ erzeugen (ebenda, S. 82, 120, 130). Unternehmenskultur und globales Storytelling Es wird sehr schnell klar, dass die von Hellmann-Grobe geforderte „Auflösung der verschiedenen Systemlogiken zugunsten einer gesamtge‐ sellschaftlichen Orientierung“ (ebenda, S. 164) - noch dazu im globalen Rahmen - nicht nur sehr normativ ist, sondern zumindest implizit von einer gemeinwirtschaftlichen statt einer neoliberalen Wirtschaftskonzep‐ tion ausgeht, die trotz ihres Charmes nicht ohne weiteres realistisch erscheint, da egoistische Wirtschaftsinteressen dies verhindern können. Allerdings stellt sich die zentrale Frage, inwieweit in globalen Unterneh‐ men auch unter kapitalistischen Bedingungen transnationale dialogische Firmennarrative entstehen können, die das theoretisch eingeführte Prinzip der Weltgemeinschaftlichkeit berühren. Theoretisch gesprochen ist dies nur dort der Fall, wo, frei nach dem Harvard-Konzept, aus tieferliegen‐ den Interessenstrukturen eine Win-Win-Situation gefertigt werden kann. Bezeichnenderweise hat die Wirtschaftsliteratur das Thema des „Storytel‐ ling“ und der „Narrative“ für sich entdeckt, was zeigt, dass Hellmann-Gro‐ bes Konzept nicht nur idealistisch gedacht ist, sondern ein Erfordernis darstellt. Dass eine „Unternehmenskultur“ ein Narrativ ist, verstehen wir, wenn wir es mit Rühl als Konditionalprogramm eines Unternehmens begreifen, das zwar von der Zweckprogrammierung der Eigner beeinflusst wird, jedoch nicht identisch hiermit ist, sondern stattdessen Erfahrungs‐ werte in einem Betrieb aufgreift (Konditionalprogrammierung). Diese Er‐ fahrungswerte müssen nun aber bei einer internationalen Ausweitung der Unternehmen neu entstehen. Das Unternehmensnarrativ funktioniert wie ein ungeschriebener Code, der - idealtypisch - die Summe aller Vorgaben 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 164 <?page no="165"?> der Eigner und der sozialen Mikroverhandlungen eines Unternehmens widerspiegelt und über die Firmensozialisation tradiert wird. Dieses auch als „lose Kopplung“ (loose coupling) bezeichnete Phänomen ist etwa bei der amerikanischen Polizei nachgewiesen worden, wenn diese - zum Teil entgegen ihrem gesetzlichen Auftrag - nach Motiven wie „Verantwortung und Autorität“ oder „Autonomie im politischen System“ agiert (Manning 1992, S. 77ff., 127). Die Tatsache, dass Schriftlichkeit hier vielfach eine geringere Rolle spielt als informelle Netzwerkkommunikation (siehe un‐ ten), ist auch der Grund, warum die Unternehmenskultur - oft auch als „Betriebsklima“ bezeichnet - weniger als ein diskursives, sondern mehr als ein interaktives Geschehen zu verstehen ist. Das Betriebsklima muss erlebt und kann nicht angelesen oder beobachtet werden. Im globalen Wirtschaftskontext findet man bis heute vor allem drei Varianten gemeinschaftsorientierter Firmennarrative und -stories: ▸ Antirassistische Narrative, wobei durch die Kommunikation in globa‐ len Unternehmen Stereotype und Vorurteile abgebaut werden sollen (Sooknanan 2011); ▸ Diversitäts-Narrative, das sogenannte Managing-Diversity-Konzept, wonach ausgehend von einem - oben kritisierten - Differenzprin‐ zip der Kulturen unterschiedliche Einstellungen von Mitarbeitern zwar bestehen, diese aber toleriert und anerkannt werden sollen (Barker/ Gower 2010); ▸ Kosmopolitische Narrative, wobei weder nur negative Anschauungen abgewehrt noch Differenzen moderiert werden sollen, sondern eine echte transkulturelle und transnationale Integration stattfinden soll. Silvia Cambié und Yang-May Ooi: „We are moving beyond the pater‐ nalistic international communication methods of the past towards a more integrated vision of employee engagement. […] Encourage em‐ ployees from different cultural backgrounds to share their knowledge and experience. Introduce processes able to convert this exchange into an integral component of the company’s decision-making” (2009, S. 82f.). Eine globale Unternehmenskultur kann durchaus stärker sein als in den Ursprungskontexten der Mitarbeiter (Varner 2000, S. 46). Empirische Unter‐ suchungen sind allerdings kaum vorhanden und wenn doch, dann allein auf der Basis von Textanalysen, zum Beispiel von Briefen der Firmenleitungen an ihre Aktionäre. Diese Art von Untersuchungen zeigt noch immer eine 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 165 <?page no="166"?> deutliche Orientierung großer Konzerne an heimatlichen Kulturvorstellun‐ gen, so dass „aus den Konzernen keine Lösung erwartet werden kann für das (analytische wie normative) Bedeutungsvakuum hinter dem Begriff der ‚Globalisierung‘“ (Halff 2009, S. 159). Man denke hier nur an den Konzern Apple, der sich zunächst kritisch gegenüber der (rassistischen) US-Regierung Trump aussprach, sich wenig später aber trotz der Produk‐ tionsschwerpunkte in Ostasien deren protektionistischer Wirtschaftsidee beugte. Globale Unternehmenskulturen erweisen sich in solchen Fällen als instabile, interkulturell unreflektierte „Nichtidentitäten“ (Bolten 2007, S. 99). Immer stärker wird bemängelt, dass der Zusammenhang zwischen dem Scheitern internationaler Unternehmenskooperation und der Unter‐ nehmenskultur viel zu wenig beachtet wird (Franke 2010, S. 8ff.). Gerade bei einer grenzüberschreitenden Fusion von Systemen zu „dritten Räumen“ fehlt bei einer Überbetonung von ökonomischen Nutzenerwägungen ein tragendes Band verbindender Werte und Einstellungen. Kommunikations‐ wissenschaftlich gesehen bedeutet dies einen Mangel an „Vertrauen“, das letztlich nur durch Interaktionserfahrungen entstehen kann. „Ketten“, „Sterne“ usw.: Netzwerkstrukturen als Kommunikationskanäle Wenden wir uns nach der Ebene der Zweck- und Konditionalprogram‐ mierungen nun erneut der Ebene der sozialen Verhandlungen in einem Unternehmen zu, so erscheinen hier nicht nur die Grundregeln dialogischer Kommunikation von Belang, sondern auch deren Kanäle. Die Tatsache, dass die Wirtschaft kein einheitliches System darstellt, sondern dezentral agiert und aus einer Organisationsvielfalt besteht, die nur durch äußerst dünne Rahmen (Politik, Markt) zusammengehalten wird, beeinflusst die Kommuni‐ kation massiv. Während die Diplomatie - zumindest außerhalb der neueren Multi-Track-Diplomacy - geregelte institutionelle Kommunikationskanäle besitzt, kommuniziert die Wirtschaft im globalen Rahmen in den in der Literatur viel diskutierten globalen Netzwerken. Firmen tun dies mit ständig wechselnden Firmenpartnern und Kunden, kaufen und verkaufen - ein flirrendes Gewebe. In der globalen Wirtschaftskommunikation geht es daher nicht nur um Machtstrukturen und Unternehmenskulturen, sondern die Frage der Kommunikationskanäle - wer kommuniziert überhaupt mit wem? - ist von besonderer Bedeutung. Anders ausgedrückt: Neben den Eigenschaften der die Botschaften sendenden Einheit (Firmenstruktur) oder der Botschaft selbst (Unternehmensnarrative) kommt es also immer 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 166 <?page no="167"?> auch auf die Art der innerhalb wie zwischen Unternehmen bestehenden Kommunikationskanäle beziehungsweise -netzwerke an. Netzwerke in globalen Unternehmen und Unternehmungen können eigene Dynamiken entfalten und im besten Fall neue transnationale Gemeinschaft‐ lichkeit erzeugen. Die Netzwerktheorie ist daher eine sinnvolle Ergänzung einer systemtheoretisch basierten Kommunikationstheorie. Im Bereich der Unternehmenskommunikation unterscheidet man zwischen verschiedenen Typen von Produktionsnetzwerken wie der „Sternstruktur“, der „Kettenstruk‐ tur“, der „Y-Struktur“, der „Kreisstruktur“ oder der „Vollstruktur“ (Mast 2013, S. 190ff.). Typisch ist, dass in den meisten Netzwerken entweder bestimmte zentrale Entscheider bestehen, wie etwa in der Sternstruktur oder in der Kettenstruktur, die dem Outsourcing von Produktionsteilen in globalen „Produktionsketten“ entsprechen (Johnsen et al. 2008). In diesen Netzen sind gar nicht alle Teile des Netzkollektivs verbunden, sondern einzelne Mit‐ glieder übernehmen jeweils eine Brückenfunktion - Spezialabteilungen mit Auslandskontakten -, was zu einer arbeitsteiligen Kommunikationssituation führt. Dies kann wiederum in der marxistischen Tradition als Zeichen für eine grundlegende „Entfremdung“ der Arbeit betrachtet werden, da vielfach die Netzmitglieder keinen Überblick mehr über alle Kontakte haben und Globalisierungseffekte daher gar nicht auf alle Teile des Netzes durchschlagen können. Auf der anderen Seite der Skala steht das einzig wirklich vollständig interaktive Netz, das Vollstruktur-Netz, wobei sämtliche Teile des Netzes interaktiv miteinander verbunden sind. Auch diese Formation findet sich in der globalen Wirtschaftskommunikation, nämlich dort, wo sich globale Arbeitsteams bilden (vgl. a. virtuelle Teams, siehe unten). Bei globalen Teams handelt es sich nicht um „lose Kopplungen“ im Sinne der Unternehmenskul‐ tur, sondern um „enge Kopplungen“ (tight coupling) der direkten Interaktion, die, noch dazu ohne Machtgefälle, als Dialog zu denken sind und daher - so die Theorie - Gemeinschaftlichkeit erzeugen können. Globale Teams als re-konfigurierte Weltgemeinschaften Auch Ketten-Netze können Gemeinschaftlichkeit entwickeln, diese bleibt aber in der Regel begrenzt auf wenige Personen, zumeist auf sogenannte „fast subjects“, also expatriierte oder weltreisende Manager, die die globalen Kontakte einer Firma stellvertretend für die ganze Firma pflegen (Plattner 2010). Gemeinschaftlichkeit in diesen Netztypen bleibt personell eng be‐ grenzt und daher für die Unternehmen insgesamt betrachtet flüchtig und episodisch. Wie wir aus der Soziopsychologie wissen, werden Kontakte 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 167 <?page no="168"?> zu einzelnen sogenannten „Fremden“ oder Personen mit Fremderfahrung als Ausnahme behandelt und stereotype Vorstellungen über die „Fremd‐ kultur“ bleiben intakt. Kontakterfahrungen, die Fremdbilder verändern sollen, müssen daher von hoher Quantität, Qualität und Nachhaltigkeit sein (Pettigrew 1998). Das globale Team hat hier deutlich bessere Voraussetzun‐ gen, eine neue, transnationale Gruppenkultur zu bilden. Teams sind zwar in Machtstrukturen und Unternehmenskulturen einer Firma eingebettet, gelten darüber hinaus aber als Gemeinschaften, in denen sich eine geteilte Identität durch Vertrauen bilden kann (Schmidt et al. 2007, S. 130). Kenwyn Smith und David Berg haben Prozesse in interkulturellen Grup‐ pen als einen Vorgang der Grenzverschiebung beschrieben, wobei sich alte (nationale) Firmenstrukturen mit (transnationalen) Teilsystemen ver‐ binden und neue Außengrenzen der Gruppe sowie veränderte Identitäten und Gemeinschaften entstehen, die - dies ist hier wichtig - neben einer gemeinsamen Produktanalyse auch ein neues Bewusstsein für wachsende globale politische und soziale Interdependenz entstehen lassen können (1997, S. 10, 13, vgl. a. unten informelle Kommunikation). Kommunikati‐ onswissenschaftlich betrachtet findet vor dem Hintergrund der geteilten Grundinteressen der Arbeitsgemeinschaft also ein reframing der Kultur‐ wahrnehmung statt. Weltweit operierende Unternehmensteams fungieren in solchen Fällen tatsächlich als Nukleus einer interaktiv gestifteten globalen Gemeinschaftlichkeit. Ist das Netz die globale Botschaft? Die Existenz eines Netzes an sich sagt allerdings noch nichts über dessen kommunikative Qualität aus. Es ist richtig, dass globale Netze dort entste‐ hen, wo die klassische nationale Organisation für das ökonomische Handeln nicht mehr ausreicht (Holton 2008, S. 32). Neue Netzwerke können eine Chance für neue globale Dialoge sein. Aber auch Netze sind nicht struktur‐ los. Manuel Castells, einer der Vordenker der globalen Netzwerktheorie, spricht in diesem Zusammenhang in recht pauschaler Weise von „horizon‐ talen Konzernen“ sowie von einer „Krise des vertikalen Konzernmodells“, und er konzediert eine generelle Verlagerung der Machtverhältnisse von Konzernzentralen zu globalen Netzen (2001, Bd. 1, S. 186ff., 219). Schaut man sich die Netzwerkstrukturen jedoch genauer an, dann erkennt man, dass gerade in ethnozentrischen Unternehmensstrukturen Stern-Netze vor‐ herrschen dürften, so dass von einer Krise des vertikalen Konzerns nicht die Rede sein kann, sondern manche der heutigen Netze eigentlich nur 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 168 <?page no="169"?> Raumerweiterungen relativ hierarchischer Machtstrukturen in Konzernen sind. Die meisten globalen Unternehmen sind, wie wir festgestellt haben, keine idealtypischen transnationalen Unternehmen, was bedeutet, dass auch die Netze, durch die sie kommunizieren, in hohem Maße von strategischen Kommunikationsabsichten beeinflusst und der Geltungsbereich von Dialo‐ gen stark beschränkt sein wird. Lediglich dort, wo sich Ketten-Netze oder gar Vollstruktur-Netze bilden, entsteht überhaupt eine Chance auf neue Gemeinschaftsbildungen. Alle anderen Netze sind, vereinfacht gesprochen, Kommando-Netze. Eine Idealisierung globaler Netzwerke mit Blick auf horizontale transnationale Interaktivität oder gar Weltgemeinschaftlichkeit verbietet sich hier. Am Ende hat dies Castells wohl selbst erkannt. Seine Analyse einer Bedeutungsverlagerung von den (vertikalen) Systemen in die (horizontalen) Netze will er denn auch ausdrücklich als „Hypothese“ verstanden wissen (2001, Bd. 1, S. 220). Empirisch belegt ist jedoch bestenfalls die Vervielfälti‐ gung globaler Netze, nicht jedoch die Dominanz von Vollstruktur-Netzen, eine gestiegene Dialogqualität und die Zunahme transnationaler Ethiken, die allesamt für echte „horizontale“ globale Unternehmen wichtig wären. Netzwerke sind bedeutsame Bestandteile der Meso-Geschichte der Glo‐ balisierung, also einer erweiterten Institutionentheorie. Die theoretische Schwäche der Netzwerkanalyse besteht allerdings darin, dass sie, für sich genommen, kaum etwas über die interaktive Qualität des Botschaftsaustau‐ sches aussagt und daher ist auch die Frage der Dialogqualität und der Gemeinschaftsbildung durch die Netzwerktheorie allein nicht zu klären. Brisanterweise ist es einmal mehr Castells selbst, der pessimistisch ist, dass sich in Netzen eine neue (globale) Ethik bilden könnte: „[D]ie ver‐ netzte Organisationsform muss eine eigene kulturelle Dimension haben. Andernfalls fände die Wirtschaftstätigkeit in einem sozialen und kulturellen Vakuum statt. […] Es ist sicher keine neue Kultur im traditionellen Sinn eines Wertesystems, weil die Vielzahl der Subjekte im Netzwerk und die Unterschiedlichkeit der Netzwerke eine solche einheitliche ‚Netzwerk-Kul‐ tur‘ nicht zulassen“ (2001, Bd. 1, S. 227). Stattdessen glaubt Castells an einen verbindenden Code der Vielfältigkeit der Ethiken und Projekte, was allerdings für ihn lediglich bedeutet, dass die in den Netzwerken Aktiven weltweit einen ähnlichen Habitus entwickeln: Wellness, Fitness, Laptop (2001, Bd. 1, S. 473). Wer nach globaler Gemeinschaft sucht, der wird hier an Bassam Tibis „halbe Moderne“ (2002) erinnert: Menschen existieren in der materiellen 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 169 <?page no="170"?> Moderne auf der ganzen Welt in ähnlicher Weise, sie mögen sogar global vernetzt sein. Sie sind aber nicht notwendigerweise in multikulturelle Vollstruktur-Netze eingebettet und ihre Fähigkeit zur Ausbildung von globaler Gemeinschaft und einem ethischen Verständnis für politische, soziale und kulturelle Kontexte und Sinndeutungen des Anderen bleiben vielfach begrenzt. Für Castells ist das Netz selbst die Botschaft. Teams, Dialoge und Ethiken spielen in seiner Analyse keine Rolle. Kritiker des Netzwerkansatzes haben daher zu Recht auf die fast beliebige Be‐ nutzung des Begriffs verwiesen, der dadurch an analytischer Schärfe verliert (Holton 2008, S. 37). Sie bemerken einen Mangel an Mikroanaly‐ sen, die mehr vermitteln als „Pipelinestrukturen“, „Flüssigkeitsdichten“ und „Speicherkapazitäten“ und fordern erhöhte Aufmerksamkeit für die sozialen Prozesse in Netzwerken und die durch sie verbundenen Systeme (Becker-Ritterspach 2006, S. 157, 160). Fazit: die Dimensionen der globalen Wirtschaftsinteraktion Etwas weniger pessimistisch als Castells lässt sich allerdings unter Hin‐ weis auf oben zitierten Autoren wie Wallace V. Schmidt, Roger N. Conaway, Susan S. Easton und William J. Wardrope sowie Kenwyn Smith und David Berg sagen, dass globale gemeinschaftsfördernde Dia‐ loge in globalen Unternehmen denkbar sind, wenn a) Machtasymmetrien (Zweckprogramme), b) Unternehmenskulturen (Konditionalprogramme), c) Netzwerkstrukturen und d) Verhandlungsprozesse (soziale Verhand‐ lungen) günstige Bedingungen dafür aufweisen. Die nachfolgende Abbil‐ dung 4.1 verdeutlicht abschließend diese verschiedenen Dimensionen der Wirtschaftsinteraktion, bei denen ein empirischer Nachweis dialogischer Interaktion in jedem Einzelfall zu führen ist: 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 170 <?page no="171"?> (Teil-)Unternehmen A (Teil-)Unternehmen B Netzwerke Sterne, Ketten, Kreise, Vollstrukturen usw. Soziale Verhandlungen Dialoge, Agenden, Frames, Inhalts-/ Beziehungsebene Konditionalprogramme Routinen, Narrationen, Unternehmenskulturen Zweckprogramme Unternehmensstrukturen (ethno-, poly-, geozentrisch) Zweckprogramme Unternehmensstrukturen (ethno-, poly-, geozentrisch) Abb. 4.1: Dimensionen der globalen Wirtschaftsinteraktion von transnationalen Un‐ ternehmen 4.2.2 Interaktion und Organisationskommunikation Informalität als Forschungsdesiderat Nach diesem ersten Durchlauf zu interaktiven Grundlagen der globalen Unternehmenskommunikation soll nun eine weitere Präzisierung mit Hilfe der theoretisch eingeführten Kriterien Formalität, Informalität, Textualität und Mediatisierung stattfinden. Was Formalität und Informalität angeht, so muss eine professionelle Beziehung auch deshalb keine Gemeinschaft im Sinne der Weltgesellschaft sein, da unterschiedliche Rollen betroffen sind. Ich kann als Deutscher oder Deutsche für eine US-Firma arbeiten und trotzdem anti-amerikanisch eingestellt sein. Von einer vollständigen interaktiven Vergemeinschaftung kann also erst dann die Rede sein, wenn mein privates Handeln und meine privaten Einstellungen mit den globalen Interaktionsmustern im Rahmen meiner Netzwerke und Kontakte überein‐ stimmen. Gegenwärtig ist keine genaue Bezifferung der Bedeutung infor‐ 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 171 <?page no="172"?> meller Kommunikation möglich, auch wenn mit Martin K. Welge davon ausgegangen werden muss, dass ein großer Teil der globalen Kommuni‐ kation von Unternehmen heute vermittels informeller Netze funktioniert (1999, S. 14). Allerdings ist sein Begriff von Informalität ein denkbar weiter, der alles Handeln jenseits offizieller Meetings beinhaltet, also auch viele von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen selbst initiierten Handlungen im Arbeitsalltag, selbst wo diese nicht mit privaten Aspekten der Interaktion zusammenhängen (ebenda, S. 8). Informalität im Sinne eines Einflusses, den berufliche Kontakte auf private Weltbilder haben, ist bislang im Grunde nicht erforscht worden. Die von Smith und Berg angedeutete Schaffung eines Gemeinschaftssinns in globalen Teams, der auch soziale und politische Aspekte beinhaltet, wäre streng genommen eine Frage der informellen Kommunikation, da solche Prozesse nicht im Zentrum der Aufgabenerfüllung der Wirtschaft liegen. Die Managementliteratur beschäftigt sich mit den positiven und ne‐ gativen Folgen der informellen Kommunikation für formale Arbeitsabläufe. Die soziale und politische Bedeutung der informellen Beziehungsebene wird jedoch selten thematisiert. Welche gesellschaftlichen und privaten Dinge tauschen Mitarbeiter unterschiedlicher Länderherkunft aus? Wie entstehen transnationale Gemeinschaften und welche Rolle spielen sie für das kosmopolitische Bewusstsein? Die Forschungslage dazu ist dürftig, was mit der Produktionsfixierung der Wirtschaftsliteratur, der Schwierigkeit der Definition des Gegenstandes, aber auch mit methodischen Problemen zu tun hat. Informelle Kommunikation lässt sich nur schwer beobachten. Beobachtende Forscher und Forscherinnen (zer-)stören in der Regel die Situation, die es eigentlich zu untersuchen gilt. Mündliche Kommunikation und globale Sprachkompetenz Wendet man sich der Frage des Text-Sprech-Verhältnisses zu, so stellt man fest, dass nahezu alle bisherigen Prozesselemente der Interaktion in globa‐ len Unternehmen - Unternehmenskulturen, (informelle) Netzwerke und Kettenbeziehungsweise Team-Dialoge - sehr stark auf Erfahrungswissen basieren, das seinerseits mündlich tradiert wird. Zwar kommt auch die Wirtschaft nicht ohne das bekannte Ein-Text-Verfahren aus (vgl. Kap. 3.2.2), doch sind Verträge, anders als in der Politik, vielfach nicht das Ergebnis, sondern vielmehr die Voraussetzung für globale Netzwerkarbeit. Hier macht sich die Verlagerung von der diplomatischen Außenzur ökonomischen Weltinnenkommunikation (in transnationalen Unternehmen) bemerkbar. 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 172 <?page no="173"?> Weder Verträge noch andere Textsorten wie Sitzungsprotokolle dokumen‐ tieren allerdings die informellen Aspekte der Interaktion, die für die Ge‐ meinschaftsbildung wichtig sind. Anders als in der Politik ist zwar globale Unternehmenskommunikation interne Organisationskommunikation, aber Interaktion konzentriert sich nicht auf die politischen und sozialen Bezie‐ hungen zwischen Ländern, sondern auf materielle Güter, so dass in Wirt‐ schaftstexten die globalen Beziehungen keine Rolle spielen, diese allenfalls mündlich und informell vermittelt werden (siehe oben). Hierdurch entsteht der seltsame Sachverhalt, dass das scheinbare Leitsystem der Globalisierung, die Wirtschaft, in mancher Hinsicht auf älteren - oralen - Kommunikati‐ onsweisen basiert als andere Gesellschaftssysteme: ein Aspekt, der uns auch noch im Bereich der Beobachtung und Wissensdiffusion begegnen wird (siehe unten). In der Wirtschaft gibt es jedoch trotz der großen Bedeutung mündlicher Kommunikation keine Garantie für das Vorhandensein einer universellen Verkehrssprache. Während Diplomaten und Diplomatinnen diese als Teil ihres Berufs erlernen oder auf Dolmetscher zurückgreifen können, ist das Sprachverständnis weitgehend ungeregelt und wird von den Mitarbei‐ tern und Mitarbeiterinnen meist autodidaktisch erworben. Die Hauptver‐ kehrssprache für globale Geschäftsbeziehungen ist Englisch, was einen „Bedeutungsverlust für die Muttersprache aller außerhalb des englischen Sprachraums“ (Walter 2002, S. 31) bedeuten kann, wobei allerdings trans‐ nationale Regionalisierungsprozesse auch anderen großen Sprachen wie dem Spanischen, dem Arabischen usw. nach wie vor eine herausragende Bedeutung sichern. Im Internet geht, wie wir sehen werden, der Trend oh‐ nehin weg von der reinen Englischsprachigkeit hin zu einer Multilingualität großer Regionalsprachen (vgl. Kap. 6.2.1). Welchen Einfluss die Fremdspra‐ chenkompetenz in globalen Unternehmen jedoch auf Produktionsabläufe und informelle Aspekte der Gemeinschaftsbildung hat, ist noch wenig untersucht. Mediatisierung globaler Wirtschaftskommunikation Dies ist anders im Bereich der mediatisierten interpersonalen Kommunika‐ tion, der eine enorme Aufmerksamkeit seitens der Forschergemeinde zuteil‐ geworden ist. Schon Castells hatte die „informationelle Ökonomie“ als Basis der neuen globalen Netzwerkökonomie bezeichnet. In seiner Definition werden durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien „Signale in Waren durch die Verarbeitung von Wissen“ transformiert (2001, 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 173 <?page no="174"?> Bd. 1, S. 199). Hier zeigt sich einmal mehr, dass Castells kein Kommunikati‐ onswissenschaftler ist, da diese generelle Definition auch für die mündliche Interaktion im Geschäftsleben gültig wäre, also kein Distinktionsmerkmal mediatisierter Kommunikation darstellt. Was mediatisierte von nicht-medi‐ atisierter globaler Kommunikation unterscheidet, sind vielmehr Merkmale wie die folgenden: ▸ Schriftlichkeit: Ein großer Teil der globalen Fernkommunikation ba‐ siert auf Schrifttext; ▸ Asynchronität: Interpersonale mediatisierte Kommunikation kann an‐ ders als Face-to-Face-Kommunikation auch asynchron (zeitversetzt) verlaufen (über Schrifttext, z. B. E-Mails, aber auch Chats), was Ge‐ sprächstempo und -inhalte beeinflusst; ▸ Interaktionsdichte: Selbst synchrone Verläufe, also etwa Skype-Ge‐ spräche, reduzieren im Vergleich zur direkten Face-to-Face-Kommu‐ nikation die Interaktionsdichte, besonders non-verbale (Gestik und Mimik) und paraverbale (Stimmlage, Lautstärke, Betonung, Sprech‐ tempo, Sprachmelodie) Kommunikationszeichen werden vielfach nicht vermittelt. Ähnlich wie in dem berühmten Konzept der „virtuellen Gemeinschaft“ von Howard Rheingold (2000, vgl. Kap. 6.1) können globale virtuelle Teams eine „dritte Kultur“ entstehen lassen, eine Weiterentwicklung und Synthese der bisherigen nationalen Unternehmenskulturen, vor allem dann, wenn die internen Hierarchien partizipativ sind und dies zulassen (Zajac 2013, S. 69, Cheney et al. 2011, S. 381ff., Pan/ Leidner 2003). Doch welchen Einfluss übt hier die Mediatisierung aus? Auf der inhaltlichen Ebene reduziert technikbasierte Schriftkommuni‐ kation zwar Verständnisprobleme durch falsche Aussprache in Fremdspra‐ chen. Sie vergrößert aber den Interpretationsraum des Gesagten im Ver‐ gleich zur Face-to-Face-Kommunikation (siehe unten), da in asynchronen Mailwechseln die Textinterpretationen nicht unmittelbar abgeglichen wer‐ den können (Grebenstein et al. 2003, S. 136ff.), weswegen bei komplexen Sachverhalten synchrone Interaktion und hohe Mobilität der Mitarbeiter zum Zwecke der direkten Face-to-Face-Kommunikation auch in globalen Unternehmen noch immer an der Tagesordnung sind. Zudem ist Informalität in asynchroner mediatisierter Kommunikation (z. B. E-Mails) in globalen Unternehmen nur in sehr reduzierter Form möglich, zum Beispiel bei Anre‐ den („Hi“), beim Duzen oder Siezen oder bei Namensbezeichnungen. Asyn‐ 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 174 <?page no="175"?> chrone Kommunikation im Geschäftsbereich kommt nicht ohne „menschli‐ che“ Elemente aus, sie ist aber zu reduziert, um Gemeinschaftlichkeit zu erzeugen (Zając 2013, S. 169ff., vgl. a. Kruger et al. 2005). Möglicherweise gelingt die Signalisierung von Habitusformen, wie sie etwa Castells Vorstellung vom Code der globalen Businesseliten im Sinn hatte (nach dem Motto: „nice wellness facilities around here“). Aber zu einem Austausch differenzierterer sozialer, politischer oder lebensweltlicher Botschaften dürfte es auf der informellen Inhaltsebene in der schriftlichen Fernkommunikation kaum kommen, was die Beziehungsebene zwischen den Personen ungeklärt lässt. In der Schriftform drückt sich also insgesamt selten eine umfassende, auf Informalität basierende globale Gemeinschafts‐ idee aus. Der Text dient eher der kreativen Verstetigung formaler Kommu‐ nikation, lässt zudem sicher einen Teil der dienstbezogenen informellen Kommunikation zu, scheitert aber ganz gewiss an den privaten oder gar „geheimen“ Aspekten informeller Kommunikation, die allerdings zur Schaf‐ fung vollständiger Gemeinschaftlichkeit wichtig sind. Face-to-Face-Kommunikation in globalen virtuellen Teams Neben asynchronen E-Mails gibt es auch synchrone Kommunikations‐ formen wie das Telefon, Internet-Telefonie oder Mischformen wie Intra‐ net-Chats, Diskussionsforen und innerbetriebliche Wikis (Cheney et al. 2011, S. 365ff.). Der Medienreichtum (media richness) in globalen Unterneh‐ men ist sehr groß, was wiederum die Interaktionsbeziehungen prinzipiell bereichert. Der Wechsel zum 21. Jahrhundert lässt sich durchaus auch als Wende von der asynchronen zur synchronen Interaktion in Unterneh‐ men charakterisieren. Nach der Ära von Brief, Telegramm und Telex hat sich mit dem Aufkommen des Instant Messaging, von Videokonferenzen, Team-Chats und Mischformen dieser Anwendungen endgültig die Vorstel‐ lung vom „Tod der Distanz“ (death of distance) etabliert (Cairncross 2001, vgl. a. Tapscott 1996). Interessant ist allerdings, dass sich gerade im Hin‐ blick auf globale virtuelle Teams eine eher vorsichtige Position durchzu‐ setzen scheint, wonach zumindest gelegentlich und möglichst am Anfang einer Teambildung direkte Face-to-Face-Kommunikation hergestellt wer‐ den sollte, da nur durch solche Treffen die Grundlagen für eine menschliche Interaktionsdichte geschaffen werden können, die wiederum ein Gemein‐ schaftsgefühl erzeugen kann (Gronwald 2017, S. 70ff., Pries 2008a, S. 50). Gerade die Entstehung einer neuen Unternehmenskultur und eines Team‐ geistes basiert vielfach auf informellen Beobachtungen und Dialogen, die 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 175 <?page no="176"?> allesamt Teil eines nicht-kodifizierten Erfahrungswissens in Unternehmen sind (Kraemer et al. 2008, S. 105). Hans Geser hat der Mobilkommunikation mit Blick auf ortsgebundene Sozialsysteme nicht umsonst eine subversive Rolle zugewiesen, da nur die „No-Techno-Welt ortsgebundener Kommuni‐ kationen“ es erlaube, „einen diskontinuierlich begrenzten Binnenkontext zu schaffen, innerhalb dessen systemeigene Verhaltenserwartungen und Regeln der Sinndeutung Geltung haben“ (2005, S. 51). Am Ende stellt sich also die Frage, ob ein globaler „dritter Raum“ mit ei‐ genen Außengrenzen der Gemeinschaftlichkeit sich mit Hilfe mediatisierter Kommunikation allein herstellen lässt. Die heutige Managementliteratur rät zu gelegentlichen Offline-Begegnungen als Ersatzhandlungen. Gerade Teamkonflikte dürften sich hier besser moderieren lassen als in der digitalen Welt. Dass Face-to-Face-Kommunikation auch Risiken birgt (persönliche Antipathien) wird in der Regel durch die Vielfalt der Team-Beziehungen ausgeglichen. Die Wechselwirkung zwischen formeller und informeller Kommunikation ist wichtig. Durch den Verlust informeller Kontexte in der asynchronen digitalen Kommunikation oder, im Falle der synchronen Kommunikation, der non- und paraverbalen Anteile der informellen Kom‐ munikation kann die interpersonale Beziehungsebene gestört werden, was wiederum zu Informationszurückhaltung auf der Inhaltsebene führen kann (Amant 2012, S. 82). Virtuelle globale Teams können hier schleichend limi‐ tiert und übertriebene Virtualität durchaus der Grund für das Scheitern globaler Projekte sein. Fazit: „Global Cities“ statt „Death of Distance“ Da nun einerseits globale Internetübertragungsraten gerade im Bereich der Unternehmenskommunikation ständig steigen (Hafez 2014, S. 649), anderer‐ seits aber die Synchronisierung von Raum- und Zeitdifferenzen schwierig ist und mündliche Kommunikation und Informalität in der Wirtschaftskom‐ munikation heute ebenso wie damals bedeutsam erscheinen, ist es viel zu früh, von einem „Tod der Distanz“ zu sprechen. Virtuelle asynchrone wie auch synchrone globale Kommunikation, die wohl quantitativ den größten Teil der Interaktion in globalen Unternehmen ausmachen, ähneln eher einem Stottern als einem flüssigen Dialog und bergen sogar neue Risiken, da weder komplexe inhaltliche und schon gar nicht informelle gemeinschaftsbildende Aspekte der Kommunikation in der Globalisierung automatisch mitwachsen, so dass Chancen und Risiken auch vor diesem Hintergrund abgewogen werden müssen (Goodman/ Hirsch 2015, S. 6) und 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 176 <?page no="177"?> ein neues Bewusstsein für den „relativen Nutzen der digitalen und sozialen Netzwerke“ erforderlich ist (Kraemer et al. 2008, S. 94f.). Auch die neue Attraktivität des Konzepts der „Global Cities“ und einer dichten regionalen Vernetzung von Firmen, die trotz aller Fortschritte in der Mediatisierung wieder in Mode gekommen sind und heute neben den globalen Konzernen als zentrale Knoten in globalen Wirtschaftsinteraktionen gelten (Castells 2001, Bd. 1, S. 433ff., 454ff., Fuchs et al. 1999), sind hiermit zu erklären. Solche regionalen Cluster erleichtern neben der Interaktion auch die Be‐ obachtungskommunikation, die uns nunmehr beschäftigen wird. 4.2.3 Beobachtung und Diffusion Ökonomische Wissensklüfte Für die globale Wirtschaft ist nicht nur die Interaktion in und zwischen kooperierenden Unternehmen bedeutsam, sondern auch das Verstehen und das für die betriebliche Innovation wichtige Beobachtungslernen. Beobach‐ tungskommunikation gehört in den Formenkreis der monologischen Kom‐ munikation. Da Beobachtung und Analyse zunächst im Wirtschaftssystem (und in seinen Netzwerken) verbleiben, sind sie nicht frei öffentlich zugäng‐ lich. Allenfalls gibt es einen fachöffentlichen Diskurs (z. B. Fachliteratur, Messen), auch wenn die beobachtende Analyse der Unternehmen der breiten Öffentlichkeit hier erneut verborgen bleibt. Will sich das Wirtschaftssystem aber für sein globales Handeln globales Wissen aneignen, muss es auf Grund seiner dezentralen Organisation stän‐ dig versuchen, seine Beobachtungsleistung über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinweg zu erweitern. Das Unternehmen wird aber, wie wir bald feststellen werden, dadurch nicht automatisch offener agieren als das politische System, das einen großen Teil seiner internen Kommunikation systematisch vor der Öffentlichkeit verbirgt. Die Klassifikation von Doku‐ menten in der Politik entspricht der Hütung des „Betriebsgeheimnisses“ in der Wirtschaft. Das Wirtschaftssystem basiert also auf Wissensklüften. Globale Wissensdiffusion und lokale Adaptation Beobachtungskommunikation dient - ähnlich wie die Interaktion - der Qualifikation und Wissensaneignung als Voraussetzung für jede rationale interne Interaktion im Unternehmen. Für das Unternehmen von zentraler Bedeutung ist hier die Wissensdiffusion zum Zwecke der Innovation, denn Wissen kann nie nur aus dem Inneren eines Systems heraus entstehen, son‐ 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 177 <?page no="178"?> dern erfordert eine komplexe Umweltverarbeitung. Bobachtung ist nicht die Innovation selbst, aber ein gezieltes Imitationshandeln ist zur Vermeidung von unkalkulierbaren Risikoinvestitionen und zur positiven Unternehmens‐ entwicklung wichtig (Nicolai/ Halberstadt 2008, S. 271). Das Nachdenken über die globale Diffusion des Wissens durch Medien hat auch in der Kommunikationswissenschaft früh zum Kernbestand des Fachs gehört, etwa in der an Rundfunk und Fernsehen orientierten Modernisierungstheorie von Daniel Lerner (1967). Das wohl bekannteste Werk der allgemeinen Diffusionsforschung ist „Diffusion of Innovations“ von Everett Rogers und einige seiner Grundka‐ tegorien sind bis heute Standard, zum Beispiel: ▸ Akteure der Diffusion: Innovatoren (innovators), frühe Anwender (early adopters), frühe Mehrheit (early majority), späte Mehrheit (late majority) und Nachzügler (laggards) (2003, S. 22), ▸ Phasen der Diffusion: Wissen (knowledge; von einer Innovation erfah‐ ren), Überzeugung (persuasion; Meinungsbildung für oder gegen die Innovation), Entscheidung (decision; Handlung der Übernahme oder Ablehnung), Einführung (implementation; die Innovation einführen) und Bestätigung (confirmation; die Implementation weiterführen oder rückgängig machen) (ebenda, S. 169). Natürlich sind wirtschaftliche Unternehmen insofern komplexer, als deren Gatekeeping-Prozesse nicht nur von Individuen abhängen, sondern kollek‐ tiv in der Organisation und ihren Netzwerken verhandelt werden, wobei allerdings der Gesamtprozess in den oben beschriebenen Stadien verläuft. Interessant ist der Hinweis von Rogers, dass internationale Kanäle in der Knowledge-Phase bedeutsamer sind als in den späteren Aneignungs- und Umsetzungsphasen, in denen lokale Akteure und Prozesse wichtiger werden (ebenda, S. 207). In etwas anderer Weise geht Castells von einer globalen Abhängigkeit von Innovationsmilieus aus, die vor allem in einer Vernetzung von Innovationszentren (wie Silicon Valley, London usw.) besteht, was bedeutet, dass das Prinzip des lokalen Raums (vor allem die Global Cities) bei ihm noch stärker aufgewertet wird als bei Rogers, weil es für Innovation und Adaptation bedeutsam ist (2001, S. 445). Grenzen globaler Zirkulation und Weltbeobachtung Zugleich kann globale Wissensdiffusion auch als Zirkulationsprozess zwi‐ schen verschiedenen Innovationszentren gedacht werden, wobei sie aller‐ 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 178 <?page no="179"?> dings immer auch lokal begrenzt sein kann (Mayrhofer/ Iellatchitch 2005). Anders als die im lokalen Raum verbleibende Innovation oder Adaptation entspricht die globale Zirkulation von Wissen der in unserem Theoriemodell angelegten Synchronisation von Weltwissen. Allerdings ist in der Realität davon auszugehen, dass lokale Innovation und Adaptation ständig neue Wissensvarianten erzeugen, die nicht perfekt zirkulieren und dadurch globale Disbalancen entstehen. Die Grenzen der interkulturellen Weltbeo‐ bachtung (nach Giesecke 2002, vgl. Kap. 1.1) bestehen damit nicht nur im Feld der interaktiven Gemeinschaftskommunikation, sondern auch in einer stets defizitären Wissensdiffusion beziehungsweise -zirkulation, nicht nur in den Massenmedien, sondern auch in der Wirtschaft. Zu den Ursachen für diese Diffusionsstörungen zählen sicher Kompe‐ tenzprobleme, zum Beispiel im Bereich der Fremdsprachenbeherrschung, aber auch mangelnde Diskurskompetenzen, also die Fähigkeit einer Orga‐ nisation, außerhalb des bekannten Kontextes neues relevantes Wissen zu finden (Kalkan 2008, S. 393, Nicolai/ Halberstadt 2008, S. 279). Besonders kompetente Individuen und Institutionen werden hier in der Wissenschaft auch als globale Wissensmakler (global knowledge broker) oder globale Ga‐ tekeeper (global knowledge gatekeeper) bezeichnet. Neben Fachmessen sind im globalen Diffusionsprozess vor allem Fachpublikationen von Bedeutung, die durch globale Wissensmakler erschlossen werden (citation ties) (Spencer 2003). „Global Cities“ und andere regionale Innovationscluster sind wichtig, weil sie sowohl die Interaktionsals auch die Beobachtungsdichte eines Unternehmens steigern und die Abhängigkeit von speziellen Wissenseliten (z. B. an Universitäten) verringern. Allerdings können auch in lokalen Kon‐ texten fatale Routinen entstehen, die dazu führen, dass Firmen auf dem Welt‐ markt ins Hintertreffen geraten, weswegen auch hier global zirkulierendes Wissen erforderlich ist, das seinerseits von besonderen Wissensmaklern beschafft werden muss. Bei kleineren Unternehmen fungiert vor allem die Wissenschaft als ein solcher Broker (Kauffeld-Monz/ Fritsch 2008). Dass globale Konzerne die Funktion der Wissensmakler für den Mittelstand und die regionalen Netze übernehmen, ist keineswegs gesichert, zumal diese a) kein Interesse daran haben müssen, ihr Wissen zu teilen (siehe unten) und b) ihre Kompetenzabteilungen selbst Probleme mit der Beschaffung globalen Wissens haben können (Bertelsmann et al. 2007, S. 182ff.). Die strukturelle Variable der globalen Sach- und Kulturkompetenz, die in einem Unterneh‐ men vorhanden sein muss, um als Wissensmakler zu fungieren, schränkt den Kreis der „Innovatoren“ und „frühen Anwender“ erheblich ein und behindert 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 179 <?page no="180"?> den Kommunikationsfluss. Nicht jeder Mitarbeiter in globalen Unterneh‐ men und Netzwerken ist zugleich ein qualifizierter globaler Wissensmakler. Globale Diffusionsnetze unterscheiden sich von Interaktionsnetzen und sind oft in verschiedenen Abteilungen zu finden. Globale Wissensmakler bilden epistemische Mikrogesellschaften. Als Daumenregel kann gelten, dass Dif‐ fusions- und Zirkulationsnetze anders als die oft noch nationalen Eigner und Entscheider oder die teilglobalen Interaktionsnetzwerke wirklich global sein müssten, um auf globalen Märkten konkurrenzfähig zu sein - es aber nicht immer sind. Wissenskapitalismus statt globaler Wissensgesellschaft Probleme der Wissensdiffusion sind allerdings nicht nur Managementfehler, sondern sie liegen zum Teil auch in den Logiken des Wirtschaftssystems und der (nationalen) Wirtschaftspolitik begründet. Im Unterschied zu den Massenmedien, die oft nicht marktinterdependent orientiert sind, da ihre Produkte vor allem für nationale Märkte von Interesse werden, ist die Wirtschaft zwar marktinterdependent, aber das Wirtschaftssystem selbst ist in sich kompetitiv gegliedert. Es treibt daher auf der einen Seite die globale Wissensdiffusion stärker voran als andere Systeme, die neuen grenzüberschreitenden Prozesse der Interaktion und Beobachtung sind aber interessengebunden und eine idealtypische Share-Ware-Zirkulation ist nicht gewollt, da zwar Wissen gesucht wird, dieses aber nur als Ware und als Produkt weitergegeben wird. Das Wirtschaftssystem ähnelt hier eher dem organisierten Handlungssystem der Politik als dem organisierten Beobachtungssystem der Massenmedien. Nationale Innovationspolitik spielt denn auch bei der globalen Wissens‐ allokation eine bedeutsame Rolle. Erfolgreiche IT-Standorte wie Finnland oder Indien zeichnen sich - im Unterschied zu Laggards wie Japan - durch hohe staatliche Investitionen in diese Bereiche aus (Zysman/ Newman 2006, Gómez-Alamillo 2005). Paradox erscheint allerdings, dass globale Innova‐ tion gerade durch regionale Industriepolitik eine Art Re-Nationalisierung begünstigt und ideale globale Zirkulationen behindert. Rogers hat dies bereits als Problem der Systemoffenheit (system openness) diskutiert (2003, S. 408). Kommunikationswissenschaftlich gesprochen, muss Beobachtungskom‐ munikation in der Wirtschaft ähnlich wie bei Geheimdiensten trotz der existierenden Fachmessen und der Fachöffentlichkeit als nicht-öffentliche in‐ terne Unternehmenskommunikation betrachtet werden. Sie ist umweltoffen 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 180 <?page no="181"?> nur insofern, als sie Informationen aus der Umwelt gewinnt, die allerdings systemintern zu Wissen verarbeitet werden, woran maximal die dem System angeschlossenen Netzwerke und Teilsysteme beteiligt sind, nicht aber die gesamte Umwelt. Die Entscheider und Entscheiderinnen und die Teams in ihren globalen Netzwerken fällen Beschlüsse darüber, was der Öffentlich‐ keit mitgeteilt wird und was nicht (Nicolai/ Halberstadt 2008, S. 276). Der von globalen Unternehmen erzeugte Nutzen der Beobachtungskommuni‐ kation überträgt sich also nicht automatisch auf gesamte „Wissensgesellschaften“ - ein Begriff, den man insbesondere für Gesellschaftsformationen benutzt, in denen die Produktion intellektueller Güter im Vergleich zur Gü‐ terproduktion stetig wächst (Kübler 2005). Wissen basiert im Kapitalismus wie auch im Staatskapitalismus auf Geheimwissen, das als kompetitiver Transaktionsvorteil gesehen wird. Die meisten globalen Rechtsregelungen wie die WTO-Abkommen oder das Abkommen zum Schutz geistiger Eigen‐ tumsrechte in der Welthandelsordnung (TRIPS) sichern den Firmen den Copyright-Kern ihres Wissens und behindern eine freie Wissenszirkulation (Hafez 2005, S. 189ff., vgl. a. Kap. 2.1). Im Wissenskapitalismus besteht eine starke Kluft zwischen interner und externer Kommunikation. Nicht umsonst hat der PR-Begriff im Wirtschaftssystem seine Heimat. Der Gegenentwurf ist die radikale Share-Ware-Idee einer offenen Wis‐ sensgesellschaft, die aber zumindest im Unternehmensbereich einer Utopie gleicht (Tapscott 2012, Peters 2014, Steffans 2000, S. 19). Im Wissenskapi‐ talismus ist das Wissen globaler Eliten in Politik und Wirtschaft von einer „Dämmschicht“ aus strategischen Interessen umgeben, die die Dif‐ fusion und Zirkulation einschränken. Aus globalen Eliten werden hier gezwungenermaßen privatisierende oder gar nationale Eliten. Haben diese Eliten strukturelle Raum-, Zeit-, Macht- und Kulturhürden beim Sammeln und Auswerten von Informationen überwunden, sind sie mit strukturellen Hürden bei der Weitergabe des Wissens konfrontiert. Globale Wissensdif‐ fusion ist im Wirtschaftssystem als idealtypische Zirkulation zu denken. Entscheidend ist am Ende also nicht die Strukturvariable „Kultur“, die durch gutes Management „kosmopolitisch“ geprägt werden kann, sondern Kapitalmacht, die systemimmanent ist - solange sich Hellmann-Grobes gemeinwirtschaftlicher Grundgedanke nicht durchsetzt (siehe oben). Die Grenzen der globalen Wissensdiffusion und -zirkulation sind daher zugleich die Grenzen der kapitalistischen Ordnung. 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 181 <?page no="182"?> Fazit: die „halbe Moderne“ im globalen Wissensfluss Zusammenfassend ist globale Wissensdiffusion in alle Richtungen und in allen Phasen möglich, sie muss aber nicht vollständig gelingen und erzeugt nach wie vor globale Wissenseliten und lokale „Massen“. Wissensdiffusion kann daher auch neue Wissensklüfte erzeugen. Die Aufnahmekapazität der im Wirtschaftssystem Tätigen sollte nicht überschätzt werden und das globale Wissensmanagement muss ständig weiterentwickelt werden (Steffans 2000). In der globalen Wissensgesellschaft spielen unternehmeri‐ sche Wissenseliten ebenso wie (virtuelle) Teams eine immer wichtigere Rolle; die Bedeutung lokaler und partikularer Interessen nimmt aber nicht ab (Eisen 2003, S. 25). Globale Kapitalinteressen und national orientierte Wirtschaftspolitik fördern nicht nur, sondern sie bremsen zugleich die globale Beobachtungskommunikation der Wirtschaft. Auch diese Wissensklüfte, die nicht nur solche zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, sondern auch zwischen globaleren und weniger globalen Wirtschaftseliten eines jeden Landes sind, gehören ebenso zum Gesamtbild der „halben Moderne“ wie die Einschränkungen der globalen Unternehmensinteraktion. Bassam Tibi hat den Begriff der „halben Mo‐ derne“ ursprünglich für Islamisten geschaffen, um deren positives Verhältnis zur westlichen Wissenschaft und Moderne bei gleichzeitiger Ablehnung der westlichen Moralvorstellungen zu kennzeichnen (2002). Der globale Kapitalismus lässt in ähnlicher Weise Waren zirkulieren - ein Zuwachs an interkulturellem Wissen ist damit aber nicht zwangsläufig verbunden. 4.2.4 Diskursive (externe) Kommunikation Direktmarketing als globaler Mikrokontakt Die Kommunikation im Inneren eines Unternehmens ist nicht gleichzuset‐ zen mit öffentlicher Kommunikation, muss also keine Auswirkungen auf die Weltgemeinschaft oder die Weltgesellschaft haben. Wie aber kommuniziert ein globales Unternehmen nach außen? Grundsätzlich sind zwei Typen von Kommunikation in Unternehmen zu unterscheiden: die Spezialisten-Kom‐ munikation innerhalb eines Unternehmens und die Spezialisten-Laien-Kom‐ munikation zwischen Unternehmen und ihren Umwelten, also etwa Kun‐ den, Investoren, Gewerkschaften, NGOs und Medien. Spezialisten-Laien Kommunikation fällt in den Bereich des Marketings als Oberbegriff für 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 182 <?page no="183"?> Dinge wie Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Branding und Marktforschung (Menz/ Stahl 2008, S. 135ff.). Marketing ist strategische Kommunikation. Dies bedeutet, dass echtes kommunikatives Handeln, wie eingeschränkt auch immer wir es im Inneren der Unternehmen vorfinden, in der externen Kommunikation sehr limitiert ist und schnell zur „Fassade“ verkommt (Szyszka 1996, vgl. a. Dutta 2012, S. 206), insbesondere wenn (virales) Direktmarketing in Form von Werbung via Telefon, E-Mail oder SMS von einigen Autoren fälschlich als „Dialog“ (Lyons 2009, S. 278f.) zwischen Firma und Kunde bezeichnet wird. Auch im Bereich des direkten Verkaufsgesprächs, das im globalen Kontext vielfach als E-Commerce getätigt wird, gilt Ähnliches: „Traditionally, in EC [E-Com‐ merce] there is no human interaction or it has no substantial implication“ (Shareef et al. 2009, S. 229, vgl. a. Quelch/ Jocz 2012, S. 10). Auf der anderen Seite sind solche globalen Mikrokontakte, wo sie zum Beispiel im internetbasierten Business-to-Customer-Geschäft (B2C) etwas ausgedehnter sind, möglicherweise nicht ganz folgenlos, weil zwar der Raum für echte Dialoge klein sein mag, aber immerhin rudimentäre Gesprächsbeziehungen von Individuen über Grenzen hinweg stattfinden. Ähnlich wie bei Netzwerkverbindungen von Firmen stellt sich hier die Frage, ob die Form oder der Inhalt des Kontakts bedeutsamer sind. Strategische PR-Kommunikation kann also nicht-intendierte dialogische Nebenwirkun‐ gen haben und Werbung eine indirekte gemeinschaftsbildende Funktion (Auch die Frage, ob sich Wissen und Werte des Konsumenten quasi durch Beobachtungskommunikation im Rahmen des täglichen lokalen Konsums globaler Produkte verändern, kann Gegenstand der Forschung sein). Zu den Folgen des Konsumkapitalismus für das globale Gemeinschaftsbefinden gibt es optimistischere wie auch pessimistischere Antworten, wobei die Pessi‐ misten dies eben als einen „Multikulturalismus ohne Migranten“ betrachten, also als eine weitere Variante der „halben Moderne“, wie sie uns auch in den Betrieben selbst bereits begegnet ist (Molz 2011, S. 45). Werbung und PR: dominanter Kulturalismus Marketing wird in diesem Kapitel trotz all dieser Probleme zunächst weniger als interaktives Geschehen, denn als Teil der diskursiven monologischen Kommunikation betrachtet. Nicht die Wirkung auf Konsumenten usw. steht im Vordergrund, die letztlich ein Aspekt der Lebenswelten ist, sondern die Beschaffenheit der persuasiven Marketingbotschaften selbst. Marketing ist Teil von Öffentlichkeit und somit der gesellschaftlichen Sinnkonstruktion, 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 183 <?page no="184"?> die in interpersonale Interaktionen einfließen kann (vgl. Kap. 1.1). Wir wollen uns in diesem Zusammenhang der Frage von Jürgen Bolten widmen, ob es dem Marketing gelungen ist, sich von statischen Kulturbegriffen abzuwenden und Kampagnen im Kontext globaler wie lokaler Erfordernisse „angemessen“ zu konzipieren (2007, S. 182). Werden globale Werte und Wissen kommuniziert oder entsteht zumindest eine weltgesellschaftliche Synchronität in der Form, dass ein „glokaler“ Wertemix propagiert wird, der die Pluralität der Weltgesellschaft abbildet? Die Wirtschaft hätte hier die Chance, kosmopolitische Botschaften an den politischen Systemen vorbei zu formulieren und die Menschen in ihrer Lebenswelt zu erreichen. Aber wird der Konsument auch in einer Weise angesprochen, dass globale und lokale Botschaften synchronisiert werden oder herrschen partikulare Botschaften, vielleicht sogar kulturelle Stereotype vor? Bolten selbst geht davon aus, dass heutzutage eine Mischung aus globa‐ ler Standardisierung und lokaler Differenzierung im Marketing globaler Unternehmen die Regel ist (2007, S. 183). Dem widerspricht allerdings die Erkenntnis, dass es immer wieder Kampagnen gibt, die eher (scheinbare) na‐ tionale Eigenschaften betonen, um möglichst hohen Markterfolg zu erzielen und die sich dabei auch nicht scheuen, ethische Kompromisse einzugehen, wenn beispielsweise deutsche Hersteller in Saudi-Arabien - einem Staat, in dem Frauen so rechtlos sind wie sonst nirgends auf der Welt - mit dem klassischen Bild der Hausfrau Werbung betreiben (Ramadan 2018). Dass internationale Firmen ein Bekenntnis zur Globalisierung vielfach vermeiden, hat sich auch während der protektionistischen Präsidentschaft Donald Trumps gezeigt. Derartige Entwicklungen weisen, ähnlich wie in der Politik, auf einen Bruch zwischen einer partiell globalen Innen- und einer lokal-partikularen Außenkommunikation der Wirtschaft hin. Ein Blick in die heutige Marketingliteratur bestätigt, dass die Ausrichtung der Marketingdiskurse in der Globalisierung tatsächlich noch ungeklärt ist. Ein großer Teil der Literatur betont nach wie vor das Erfordernis, beim Markteintritt durch internationale Firmen nationale Sensibilitäten zu berücksichtigen (Kotabe/ Helsen 2008, Lützler 2007, Kiesch 2007). Globale Unternehmen sollen ihr „commitment to national success“ demonstrieren (Freitag/ Stokes 2009, S. 217) und „good local citizens“ werden (Quelch/ Jocz 2012, S. 192). Globale Werte sollen auf keinen Fall propagiert werden, sondern im Gegenteil, die Logik der lokalen Marktanpassung geht in einigen Fällen sogar so weit, dass selbst Markennamen angepasst werden (Zilg 2013). Kosmopolitische Positionen gelten als radikale Außenseiter. In 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 184 <?page no="185"?> einer berühmten Streitschrift hat Theodore Levitt globalen Unternehmen ein Einknicken vor (angeblichen) nationalen und kulturellen Eigenheiten vorgeworfen (1983). Die globale Wirtschaft, so sein Vorwurf, nehme die Moderne nicht wirklich in die eigene Hand, sondern kusche vor einem imaginierten Kunden, den sie letztlich gar nicht kenne, sondern der durch kulturelle Stereotype des Marketings täglich rekonstruiert werde. Mahuya Pal wirft der Marketingindustrie und der dazugehörigen Marketingwissen‐ schaft, ähnlich wie Levitt, kulturellen Essenzialismus vor, der gegenüber neuen kulturellen Praktiken und der Vielfalt in der Welt blind sei: „Whereas literature on activism recognizes the complex formation of global activist publics, such theoretizations have been inadequate in public relations literature“ (2008, S. 171). „Glokales Marketing“ ohne kosmopolitische Codes Vermittelnde Konzepte wie die Vorstellung Boltens von der Glokalisierung (siehe oben) sind in der Tat häufiger zu finden (u. a. Lange 2014, Springer 2007), nur bleiben sie gerade in Hinsicht auf die Essenz dessen, was als „glokaler“ Kompromiss bezeichnet wird, denkbar vage. Monique Schuldt versteht unter dieser Mischstrategie frei nach dem Motto „So viel Stan‐ dardisierung wie möglich, so viel Differenzierung wie nötig“ Folgendes: „Diese beinhaltet ein Leitmotiv, ein bestimmtes Werbedesign und einen bestimmten Werbestil. All diese Komponenten müssen von den nationalen Werbeagenturen einheitlich durchgesetzt werden. Jedoch kann das Konzept an die jeweiligen nationalen Gegebenheiten angepasst werden. Auf diese Weise kann ein internationales Image aufgebaut werden und die Wieder‐ erkennung weltweit gesichert werden, ohne dabei kulturelle Standards zu missachten“ (2010, S. 37). Es geht hier also um die Kombination einer globalen Produktidee mit lokalen Gesellschaftsvorstellungen. John A. Quelch und Katherine E. Jocz - zwei explizite Gegner Levitts - haben eine ähnliche Strategie mit der psychologischen Aura lokaler Orte begründet und in ihrem bekannten Werk „All Business is Local“ am eindrücklichsten beschrieben (2012). Ihr Kernargument lautet, dass der Kunde oder die Kundin globale Produkte haben, aber deshalb noch lange kein Weltbürger oder Weltbürgerin sein will und globale Unternehmen sich hier anpassen müssten. Allenfalls geringere Transaktionskosten lassen sie als Grund für Standardsierungen gelten. Auf diese Weise bleibt die globale Metabotschaft des Staubsaugers die menschliche Hygiene; das lokale Gesellschaftskonzept ist und bleibt aber die im Mainstream vorherrschende Vorstellung der staubsaugenden Hausfrau. 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 185 <?page no="186"?> Was als „Glokalisierung“ des Marketings bezeichnet wird, reproduziert in Wirklichkeit sehr oft lokale Gesellschaftsbilder. Empirische Untersuchungen über Marketing von globalen Unternehmen zeigen auch, dass diese sich zumeist kommunal orientieren, unter anderem, um nicht in den Fokus von sozialen Aktivisten zu geraten und quasi unauffällig zu bleiben (Andres 2004, S. 321). Eine globale Zeichensprache der Werbung (wie HipHop) wird systematisch von kulturspezifischen Code-Re‐ kombinationen überlagert (Rathje 2008). Die Kundenforschung belegt, dass nur eine Minderzahl von Konsumenten mit erhöhtem Selbstdarstellungsin‐ teresse - also wohl kosmopolitische Eliten - globale Werbung wünscht ( Jun et al. 2005). Kosmopolitisches Marketing, wenn dies überhaupt ein‐ mal erwähnt wird, wird als Marketing „ohne nationalistische Referenz“ bezeichnet (Brady 2011, S. 11). Eine explizite Nennung kosmopolitischer Gesellschaftswerte wird hingegen fast nie thematisiert und ist nicht einmal in der Tourismuswirtschaft durchgehend vorhanden (Kefala/ Sidiropoulou 2016). Erst langsam werden Methoden zur empirischen Werbeforschung unter Berücksichtigung von Kosmopolitismus entwickelt (Cannon et al. 2002). Insgesamt herrschen Marketingstrategien vor, die globale Referenzen und Werte komplett meiden und nicht selten sogar gezielt länderspezifisch werben, durch typische lokale personelle, sprachliche und visuelle Bezüge. Entweder florieren Marken, die - wie Hollywoods Filmindustrie - weitgehend auf spezifische Kultursymboliken verzichten und dadurch globale Erfolge feiern (Thiermeier 1994) oder sie passen sich lokal an. Der zweite Trend scheint stärker zu werden: Es ist von einer „Konsistenz des Kulturspezifischen“ und einer „immer dringender werdenden Notwendigkeit zu distinktiver Eigenständigkeit im symbolischen Code“ auszugehen (Bendel/ Held 2008, S. 7). Fast nie aber wird mit dem Label „global“ oder „kosmopolitisch“ geworben. Die internationale PR-Industrie ist zwar durch die wirtschaftliche Globalisie‐ rung sehr stark angewachsen, besticht jedoch selbst durch eine kulturelle Anpassung, die das Potenzial besitzt, Stereotype zu reproduzieren. Marketing tendiert daher dazu, ungeachtet der weltweiten Verbreitung von Produkten, globalisierungsferne Leitbilder zu verfestigen. Gesamtfazit: Kapitalisten sind doch (keine) Internationalisten Zusammenfassend lässt sich sagen: Der kommunikative Beitrag der Wirt‐ schaft zur „Weltgemeinschaft“, der im Inneren der Unternehmen ansatz‐ weise erzeugt werden mag, bleibt elitär und gelangt allenfalls über die 4 Wirtschaft - globale Unternehmenskommunikation 186 <?page no="187"?> privaten Lebenskontexte der Mitarbeiter in die Gesellschaften (vgl. Kap. 6 und 7). Die Förderung der Weltgemeinschaft oder Weltgesellschaft ist nicht das systemische Ziel der Wirtschaft, deren externe Kommunikation lokal-stereotype Diskurse ständig reproduziert. Simone Hucks Unterschei‐ dung zwischen globalen Investmentbeziehungen, glokaler interner Kommu‐ nikation und lokalem Marketing in global agierenden Unternehmen kommt der Wirklichkeit sehr nahe (2007, S. 900f.). Letztlich sind Kapitalisten also vielleicht doch nicht die besseren Interna‐ tionalisten. Die Globalisierung ähnelt einer „tektonischen Verschiebung“: Materielle Verflechtungen nehmen zu, unsere Kommunikationsfähigkeit tut es aber nicht im gleichen Maße (Hafez 1999, vgl. a. Kap. Einleitung). Anders ausgedrückt: Eine Welt wächst ökonomisch zusammen, die man nicht immer versteht und die die Menschen dadurch überfordern kann. Der deutsche Journalist Heribert Prantl bringt die Kluft zwischen wirtschaft‐ licher und gesellschaftlich-kultureller Globalisierung gut auf den Punkt: „Es wächst eine globale Wirtschaft, es wächst mit ihr eine Massenkultur; und das Wachstumsprinzip heißt: Alle Menschen werden Kunden. Allein die Allerweltsmenschenrechte, die Menschenrechte also, die in aller Welt gelten, wachsen nicht. Die Welt wächst zusammen, aber nicht als internatio‐ nale Rechtsgemeinschaft, nicht als interkulturelle Kommunikationsgemein‐ schaft, sondern als Konsumgemeinschaft in einer globalen Marktkultur. Man wünschte sich einen anderen, einen menschenfreundlicheren Geist“ (2016). 4.2 Kommunikative Systemverbindungen 187 <?page no="189"?> 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation Das berühmte „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels endet mit dem Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! “ (Marx/ Engels 1946, S. 36). Auch ohne den Bezug auf den Marxismus hat sich die Idee der internationalen Verbindung von Bevölkerungen zum Zwecke des gemeinsamen politischen Handelns bis heute erhalten. In der „globalen Zivilgesellschaft“ (global civil society) soll nach der Vorstellung moderner Theoretiker ein „permanenter Sozialkontrakt“ (Kaldor 2003, S. 79) ausgehandelt und ein Gegengewicht zur Macht des Staates und der globalen Wirtschaft gebildet werden. Dabei wird jedoch eine wichtige Einschränkung hinsichtlich der Ak‐ teure der globalen Zivilgesellschaft gemacht, die begründet, warum das folgende Kapitel den „organisierten Sozialsystemen“ zugerechnet wird. Zur globalen Zivilgesellschaft werden im Allgemeinen sowohl Mitglieder politischer Organisationen und Vereinigungen als auch Individuen gezählt, die sich zumindest informell sozialen Bewegungen anschließen, indem sie öffentlich und kollektiv politisch handeln, zum Beispiel im Rahmen von Demonstrationen oder durch Petitionen (ebenda, S. 79). Das Konstrukt der Zivilgesellschaft grenzt sich damit nicht nur durch die politische Verallge‐ meinerbarkeit privater Interessen, sondern auch durch die organisatorische Komponente von der „Lebenswelt“ ab, die zwar politische Meinungen und auch Gemeinschaften kennt, aber keinen organisierten politischen Aktivis‐ mus (Drake 2010, S. 134f., Hensby/ O’Byrne 2012, Schuppert 2015, S. 226). Die Zivilgesellschaft ist ein organisiertes Feld des politischen Aktivismus zwischen Staat und Lebenswelt, das ein eigenes Forschungsfeld darstellt. Hier besteht eine Grenze zu nicht explizit politisch handelnden Individuen, Gruppen und Gemeinschaften, mit denen wir uns im Fortgang des Buches noch beschäftigen werden (vgl. Kap. 6 bis 8). Dass neben klassischen Stiftungen, Vereinen und Nichtregierungsorga‐ nisationen (NGOs) heute ebenso soziale Bewegungen zur Zivilgesellschaft gezählt werden, verkompliziert den Übergang zwischen Lebenswelt und Zivilgesellschaft (Adebayo/ Njoku 2016, S. 64), es ändert aber nichts an dieser Grunddefinition, da auch soziale Bewegungen zivilgesellschaftliche Orga‐ <?page no="190"?> nisationen umfassen und von „Bewegungsorganisationen“ (social movement organizations, SMOs) zusammengehalten werden. Eine Gleichsetzung dieser Bewegungen mit „Gemeinschaften“ (Kannengiesser 2014, S. 17) macht daher wenig Sinn, da hier die organisierte Handlungskomponente ausgeblendet wird. In der modernen Internetforschung hat sich diese Unterscheidung weitgehend erhalten, etwa bei der Abgrenzung der „aktivistischen“ von staatlichen, öffentlichen, vorpolitischen und journalistischen Sphären des Netzes (Dahlgren 2005). Eine pauschale Gleichsetzung von „Sozialen Me‐ dien“ mit „sozialen Bewegungen“ verbietet sich also, weil nur zum Zwecke der Handlung organisierte Teile dem politischen Aktivismus zugerechnet werden, andere hingegen eher den öffentlichen oder privaten Lebenswelten. In jedem Fall erfolgt in der globalen Zivilgesellschaft im Vergleich zu den Systemen der Politik und Wirtschaft insofern eine Verschiebung in unserem theoretischen System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz, als gerade die technischen Neuerungen der digitalen globalen Kommunikation einen unmittelbaren Einfluss auf die Organisationsfähigkeit der Zivilgesellschaft zu haben scheinen. Die Zivilgesellschaft verfügt kaum über militärische oder ökonomische Macht, sie erzielt ihre Bindekraft aber durch symbolische Macht. Wo genau globale Kommunikation in der Zivilgesellschaft stattfindet und inwiefern symbolische Macht auch reale Macht erzeugt, ist eine zentrale Frage. 5.1 Systeme und Systemwandel Internationale NGOs: Graswurzel oder Eigeninteressen? Zivilgesellschaft ist als Gegenpol zum Staat vor allem politisch zu denken und besteht neben NGOs auch aus sozialen Bewegungen, deren Handlungs‐ kern wiederum von SMOs gebildet wird, die im internationalen Rahmen häufig als Transnationale Bewegungsnetzwerke (Transnational Advocacy Networks/ TANs) bezeichnet werden. Man muss nicht nur nationale NGOs und internationale INGOs unterscheiden, sondern auch alte und neue Typen von NGOs (Schmitz 2001). Der ältere Typus von INGOs, zum Beispiel Amnesty International, sind Mitgliederorganisationen, sie betreiben Lobby‐ arbeit bei Regierungen und den Vereinten Nationen und agieren mit einem dosierten Medieneinsatz. Ein neuer Typus, zum Beispiel Greenpeace, ist hingegen lange Zeit ohne eine basisdemokratische Mitgliederstruktur aus‐ gekommen und hat vor allem durch Medieninszenierungen und den Druck 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 190 <?page no="191"?> der Öffentlichkeit politische Ziele verfolgt. Die Modernisierungstheorie in den 1950er und 1960er Jahren hatte dem Meso-Level der Institutionen keine große Bedeutung beigemessen und war eher staatsorientiert gewesen (Faist 2008, S. 66). Erst im Zuge der Debatten über Dependenztheorie und Postkolonialismus wurden NGOs seit den 1980er Jahren auch in der For‐ schung stärker beachtet und schließlich sogar in einem CIA-Bericht als neue politische Kraft bezeichnet (Global Trends 2000). Die Begeisterung über NGOs als Graswurzel-Organisationen und Alter‐ native zum „korrupten“ Staat wurde jedoch schon bald gedämpft. Zum einen etablierten mehr und mehr Staaten sogenannte „Pseudo-NGOs“ und zum anderen wurden organisatorische Eigeninteressen der NGOs immer deutlicher (Dijkzeul 2008, S. 82f.). Günter Endruweit spricht bei gemeinnüt‐ zigen Organisationen, die kein materielles Interesse verfolgen, von flachen Hierarchien und geringer Arbeitsteilung. Er schränkt dabei allerdings ein, dass zwar die Mitglieder und Klienten ein geringes Eigeninteresse haben, aber das Personal kann „die gleichen Interessen haben wie das Personal von Erwerbsorganisationen“ (2004, S. 51f.). Es ist daher aus der Sicht von NGOs und INGOs wichtig, Mitglieder, Spender und Unterstützer als „Kunden“ im Blick zu behalten. Auch wenn man ideelle „Produkte“ an sie „verkauft“, entstehen gewisse „Marktabhängigkeiten“. Hinzu kommt oft ein Mangel an interner Demokratie. Der neue Typ von INGOs ist stark personalisiert: Reporter ohne Grenzen wurde lange von ihrem Gründer Robert Ménard gesteuert und Wikileaks war auf Julian Assange ausgerichtet. Ludger Pries weist allerdings darauf hin, dass gerade die INGOs unterschiedlich stark zentralisiert agieren und dass es auch hier, ähnlich wie bei Unternehmen, verschiedene trans- oder multinationale Organisationstypen gibt (2008b, S. 16, vgl. Kap. 4.1). Dennoch muss man die internen Machtstrukturen beachten, denn sie können die globale Dialog- und Gemeinschaftsfähigkeit einschränken, wie wir noch sehen werden. Soziale Bewegungen: Informations- und Mobilisierungspolitik Nicht zuletzt als Reaktion auf den begrenzten Repräsentationscharakter von INGOs, die niemals Massenorganisationen geworden sind, richtet sich der Blick der Forschung heute stärker auf soziale Bewegungen. In der historischen Entwicklung lassen sich thematische Schwerpunkte erkennen: Bei den sogenannten „alten sozialen Bewegungen“, beispielsweise bei der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder den pazifistischen oder femi‐ nistischen Bewegungen, ging es vor allem um Arbeitsrechte und Wohl‐ 5.1 Systeme und Systemwandel 191 <?page no="192"?> fahrtsfragen, aber auch um Frieden, Menschen- und Frauenrechte. Bei den „neuen sozialen Bewegungen“ seit den 1980er Jahren kamen nun Themen wie Eine-Welt-Solidarität, Umweltschutz und Globalisierungskritik hinzu. Dabei entstanden auch die ersten TANs und global koordinierten Kam‐ pagnen, etwa gegen Landminen, für günstige Aids/ HIV-Medikamente oder gegen die Auswüchse des Kapitalismus zum Beispiel bei den Protesten gegen die Industriestaatengruppen G7, G8 und G20, als deren Teil dann wiederum lokale Proteste wie die der Zapatista-Bewegung in Mexiko gesehen wurden, die weltweite Unterstützung fanden (Kaldor 2003, S. 80f., 95ff.). TANs sind Netzwerke aus Akteuren der Zivilgesellschaft, die international meist zu einem bestimmten Thema zusammenarbeiten, dabei Werte teilen und Infor‐ mationen sowie Dienstleistungen austauschen (Keck/ Sikkink 1998, S. 2). Sie bestehen aus verschiedenen Akteuren, zum Beispiel aus INGOs, Stiftungen, Kirchen, Gewerkschaften bis hin zu lokalen Initiativen. Proteste früherer Jahrzehnte hatten oft lokalen (nationalen) Charakter. Spätestens seit den 1990er Jahren und den Protesten von Seattle 1999 gegen die WTO spricht man aber von einer stärkeren Transnationalisierung von Protesten (Rucht 2002a, S. 16f.). TANs verfolgen vier Strategien in Konfrontation mit dem Staat: Informa‐ tions-, Symbol-, Rechenschafts- und Mobilisierungspolitik (Keck/ Sikkink 1998, S. 18ff.), wobei uns vor allem die ersten beiden Bereiche noch genauer interessieren werden, obwohl diese letztlich von den politischen Zielen nicht zu trennen sind. TANs entwickeln und verbreiten neue politische Ideen und stören die Routinen von Politik und Wirtschaft durch immer neue internationale Bündnisse ( Jonjic et al. 2016, S. 30). Beispiele für TANs sind etwa Attac, ein linkes Bündnis, das zwar aus nationalen Abteilungen besteht, aber auch weltweite Treffen und Aktionen organisiert, die Global Campaign for Women’s Human Rights, die World Alliance for Citizen Participation oder die International Campaign to Ban Landmines. Letztere ist eine weltweite Koalition aus etwa eintausend NGOs und Initiativen aus einhundert Ländern, die 1997 zur Unterzeichnung eines Vertrages gegen Landminen in 122 Staaten führte und dafür den Friedensnobelpreis erhielt. Krise globaler Bewegungen? Was ihre Größe angeht, so sagt der einflussreiche Bewegungsforscher Dieter Rucht, werden transnationale Bewegungen vielfach überschätzt (2002a, S. 17, vgl. a. Heins 2002, S. 160, 166). Nur wenige lokale soziale Bewegungen wenden sich demnach auch der internationalen Ebene zu (Rucht 2002b). Seit 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 192 <?page no="193"?> der Jahrtausendwende kann man denn auch ein Abflachen der Entwicklung erkennen. Das jährlich stattfindende Weltsozialforum, gegründet 2001 in Porto Allegre, verliert Mitglieder und erzeugt kaum noch mediale Resonanz (Plöger 2012). Die Landminenbewegung hat manche ihrer zentralen Ziele nicht erreicht und auf den Weltinformationsgipfeln der Vereinten Nationen 2003 und 2005 konnten sich die Vertreter der Zivilgesellschaft bei Themen wie Copyright, Internet Governance oder Kommunikationsrechten nicht durchsetzen ( Jonjic et al. 2016, S. 25, Dany 2006). Als Ursachen für die Krise gelten unter anderem globaler Terrorismus, Islamismus und die wiedererstarkten reaktionären und rechtspopulistischen Bewegungen in verschiedenen Weltteilen. Der Irakkrieg 2003 war zugleich der Höhe- und der Wendepunkt der Entwicklung, da er zwar die bis dahin größten weltweiten Demonstrationen in der Menschheitsgeschichte hervorbrachte, diese aber ergebnislos blieben. Auch die Finanzkrise 2008 gilt insofern als Wendepunkt, als sich seitdem die finanziellen Einnahmen vor allem der NGOs in den sozialen Bewegungen verringert haben (Davies 2013, S. 179). Ein genaues Bild der politischen Kraft von TANs ist gleichwohl schwer zu zeichnen, zumal mit der Fridays-for-Future-Bewegung seit 2019 eine neue starke Mobilisierung entstanden ist. Dünne Ideologie, Fragmentierung und globale Netze Auch TANs sind nicht komplett herrschaftsfrei. Dies gilt in zweierlei Hin‐ sicht: Soziale Bewegungen sind prinzipiell nicht homogen, denn sie bestehen aus zahlreichen lose verbundenen Netzen, was Hierarchiefreiheit bedeutet, aber auch Fragmentierung und gemeinschaftsorientierte Konsensfixierung. Wohl auch aus Erfahrungen der Niederlagen gegen den Staat sind „neue so‐ ziale Bewegungen“ vielfach in fast anarchischer Weise resistent gegen große ideologische Narrative und integrierte politische Strategien. Dem Vorwurf, auf diese Art „apolitisch“ zu sein, begegnen sie mit dem Gegenvorwurf, wonach eine zu enge Organisation „apolitisch“ ist („NGOisierung“), da diese in der Vergangenheit oft zur Vereinnahmung der Zivilgesellschaft durch die Staaten führte (Reitan 2013). W. Lance Bennett hat moderne soziale Bewegungen auch im internationa‐ len Rahmen als „ideologisch dünn“ und in sich widersprüchlich bezeichnet (2003). Die polyzentrische interne Struktur sozialer Bewegungen markiert den Übergang von „Organisationsnetzwerken“ wie in der Wirtschaft und bei NGOs zur „Netzwerkorganisation“. Vor allem die „chaotischen“ antikapita‐ listischen Bewegungen, von denen etwa die Aktivistin und Autorin Naomi 5.1 Systeme und Systemwandel 193 <?page no="194"?> Klein berichtet (2017), haben wenig konkrete Ergebnisse erzielt. Protest wird tendenziell zum Selbstzweck, anstelle konkreter politischer Ziele wird „soziale Kreativität“ angestrebt (Drake 2010, S. 144f.), was wiederum zu erheblichen Anpassungsschwierigkeiten der besser organisierten NGOs an die „neuen sozialen Bewegungen“ geführt hat. Gerade die INGOs, die bei den Vereinten Nationen akkreditiert und Teil der Global Governance sind, gelten vielen in den Reihen der sozialen Bewegungen als vom politischen System kooptiert (Ritzer 2010, S. 166). Für die INGOs wiederum entsteht hier ein Governance-Protest-Dilemma, da soziale Bewegungen die Legitimität und den Einfluss der INGOs im Prinzip stärken könnten, diese aber oft nicht dazu bereit sind, weil die Kompro‐ misse beim Lobbying und im konkreten politischen Systemhandeln ihnen suspekt sind, was wiederum bedeutet, dass INGOs Legitimität einbüßen. Dieses Dilemma ist auch insofern interessant, als es an der Grundfrage rührt, wie die wichtigen Konfliktlinien in der Entwicklung der Moderne zu definieren sind. Was ist die richtige Strategie, wenn man sich nicht von Staaten korrumpieren lassen will: der (anarchische) Rückzug in kleine Gemeinschaften, radikaler Protest, die politische Verhandlung mit dem Staat oder eine Mischung aus diesen Taktiken? Die Begriffe „Realismus“ und „Fundamentalismus“ bezeichnen diese Strömungen nur unzureichend, eher schon der Gegensatz zwischen parlamentarischem und außerparlamentari‐ schem politischen Aktivismus. Allerdings experimentieren soziale Bewegungen mit verschiedenen Ko‐ ordinationsformen, um dem Strukturdilemma zu entfliehen (Andretta et al. 2003, S. 78f.). Interne Bewegungsstrukturen bilden sich durch Aktionsbünd‐ nisse aus Initiativen, in die mittlerweile auch NGOs einbezogen werden ( Jonjic et al. 2016, S. 11, Ruiz 2005, S. 196). INGOs sind heute wichtige Teile von TANs, die die Bündnisse koordinieren, mobilisieren und Sym‐ pathisanten anziehen. Daraus entstehen neuartige organisationsähnliche „Machtstrukturen“, die man leicht übersieht, wenn man nur protestierende Massen im Blick hat. Die öffentliche Agenda und das Timing von Protesten werden vielfach von nur wenigen Akteuren definiert. Wichtig ist, dass TANs oft nicht als Graswurzelbewegungen entstehen, sondern dass zuerst die transnationale Koordinationsstruktur geschaffen wird, der sich dann lokale Gruppen zuordnen, wenngleich dies nicht immer der Fall sein muss ( John‐ son/ McCarthy 2005). INGOs und TANs haben dennoch dafür gesorgt, dass erstaunliche Erfolge im Bereich von Ökologie und Menschenrechten erzielt werden konnten, etwa das Landminenabkommen oder das Kyoto-Protokoll. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 194 <?page no="195"?> Hier zeigt sich, dass auch „ideologisch dünne“ und fragmentierte Bewegun‐ gen ähnlich planhaft wie Organisationen agieren können. Die globalen Netzwerkstrukturen der Bewegungen sind damit insgesamt nicht sehr groß und erfassen lange nicht alle Teile der Zivilgesellschaften, die oft lokal agieren. Sie erlauben der globalen Zivilgesellschaft aber ein dynamisches, sich ständig wandelndes Auftreten, das stellenweise hochorganisiert wirkt. Nord-Süd-Kluft und sozialräumliche Bindungen Das zweite Strukturproblem lässt sich als Nord-Süd-Konflikt bezeichnen. Die meisten INGOs stammen aus den großen Industrienationen und viele davon sogar aus dem Westen, zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen, die Inter‐ nationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, Amnesty International oder Greenpeace. Berühmt ist auch die Live-Aid-Bewegung der 1980er Jahre. Eine Nord-Süd-Kluft besteht also auch bei sozialen Bewegungen und in TANs. Zunächst ist die schiere Anzahl westlicher NGOs und Akteure in den transnationalen Konstellationen auffällig. Man kann von einer „doppelten Strukturschwäche“ sprechen, weil soziale Bewegungen nicht nur, wie wir gesehen haben, intern schwach organisiert, sondern auch global asymme‐ trisch aufgestellt sind. Die tieferen Ursachen für die Verschiebung liegen zum einen in größeren Ressourcen und freieren Rahmenbedingungen der Bewegungen des „Nor‐ dens“ und zum anderen in den egoistischen Eigeninteressen von INGOs und TANs, also in einem globalen Macht- oder Führungsanspruch westlich dominierter Zivilgesellschaften. Daniela Tepe spricht von einem „Mythos der globalen Zivilgesellschaft“ und betont, dass die Annahme falsch sei, dass in weltweiten Bewegungen die gleichen Normen und Vorstellungen herrschten. Sie argumentiert, dass Nationalismus, Rassismus und Antisemi‐ tismus durchaus auch in linker Politik auftreten könnten (2012, S. 19f.). Hierbei spricht sie Ursachen auf der Ebene der gesellschaftlichen Vorurteile oder auch der strukturellen Machtbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern an, die sich auf zivilgesellschaftlichen Aktivismus auswirken können, etwa wenn Umweltverschmutzung in Ländern wie China moniert wird, ohne die höhere Pro-Kopf-Belastung in Industrielän‐ dern zu kritisieren oder wenn kein Verständnis dafür besteht, dass eine Gewerkschaft im globalen „Süden“ beim Thema Kinderarbeit eine schwerere Stellung hat als eine westliche (vgl. a. Dany 2013, S. 8f., Dempsey 2014, S. 459f., Benedek 2008, S. 174f., Köpke 2002, S. 64f.). 5.1 Systeme und Systemwandel 195 <?page no="196"?> Die strukturellen Spannungen stellen hohe Anforderungen an die Inter‐ aktionsfähigkeit von TANs, die man im Blick haben muss, statt von einer idealisierten Gemeinschaftlichkeit im Bereich der globalen Zivilgesellschaft auszugehen. Die Globalisierung gefährdet nicht das „moralische Band zwi‐ schen den sozialräumlichen Gesellschaftszonen der Erde“ (Heins 2002, S. 162), sondern sie ist der Prozess, in dem diese Bande durch den globalen Dialog über Menschenrechte und andere Fragen erst hergestellt werden müssen. Fazit: Weak Ties und Low Risk der globalen Zivilgesellschaft Am Ende ist die Struktur der globalen Zivilgesellschaft durch gegenläufige Merkmale gekennzeichnet: ▸ Postmoderne Strukturen: Es ist eine generelle Entwicklung von soge‐ nannten „Strong“ zu „Weak Ties“ der Sozialbeziehungen erkennbar (Granovetter 1973). Frühe soziale Bewegungen wie die Arbeiterbewe‐ gung mit ihren klaren Klassenzugehörigkeiten und Parteibindungen und auch NGOs mit ihrer allerdings schmaleren Massenbasis beruhr‐ ten oft auf Strong Ties. „Neue soziale Bewegungen“ hingegen tendie‐ ren zu Weak Ties, da sie nicht einmal Mitgliederstrukturen aufweisen, sondern lose Aktionsgruppen darstellen. Die Entwicklung zu Weak Ties hat erhebliche Auswirkungen auf die politische Durchsetzungs‐ kraft. Sie ermöglicht flexible Bündnisse bereits vor der Existenz eines globalen Staates, der quasi die Voraussetzung für die Entstehung einer Strong-Tie-Opposition wäre (Petit 2008). Zugleich werden Weak Ties in der Regel nicht nur mit postmodernen „dünnen Ideologien“, sondern auch mit risikoarmem Verhalten in Verbindung gebracht (McAdam 1986, Gladwell 2012). Eher klassisch orientierte Forscher wie Rucht sprechen daher von einer „Tyrannei der Strukturlosigkeit“ und empfehlen verbindlichere Organisationsstrukturen (2002a, S. 20). ▸ Post-postmoderne Strukturen: Innerhalb dieses breiten Stroms zu post‐ modernen Sozialbeziehungen der zivilgesellschaftlichen Organisatio‐ nen lässt sich als eine Art Gegenentwicklung immerhin ein Orga‐ nisations- und Ideologiewille von INGOs und TANs erkennen, die allerdings a) oftmals flüchtige Koalitionen und Allianzen aufweisen und b) erneut eine alte Dominanz der Industrieländer und ehemaligen Kolonialstaaten abzubilden scheinen. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 196 <?page no="197"?> In der Literatur über globale soziale Bewegungen herrscht eine gewisse Uneinigkeit darüber, wer die Akteure sind, deren Verhalten man analysiert (Stammers/ Eschle 2005, S. 52ff.). Die oben geschilderte Entwicklung bedeu‐ tet für uns, dass wir die stärker und die schwächer organisierten Teile gleichermaßen in die Kommunikationsanalyse einbeziehen und uns Aus‐ wirkungen sowohl der stärkeren Hierarchieorientierung der NGOs als auch der relativen Strukturlosigkeit sozialer Bewegungen anschauen müssen, wobei wir die Brückenstrukturen der TANs nicht übersehen dürfen. 5.2 Kommunikative Systemverbindungen Soziale Bewegungen synchronisieren oft in erstaunlicher Weise globales wertorientiertes Handeln. Ein kommunikativer Ansatz hat gerade in der Bewegungsforschung Konjunktur (Richter et al. 2006, S. 17ff.), weil man diese wachsende Kapazität der globalen Zivilgesellschaft anders als beim politischen und wirtschaftlichen System nicht mit Ressourcen wie Macht und Kapital erklären kann, sondern mit Veränderungen der modernen Medien- und Kommunikationsbeziehungen. Die Vorstellung, dass es durch das Internet möglich geworden sei, die Menschen weltweit zu interaktiver Gemeinschaftlichkeit zusammenzuschließen, ist allerdings bei näherer Be‐ trachtung deutlich einzuschränken. Nur Teile der globalen Bewegungen interagieren direkt, während andere Bereiche lediglich diskursiv vernetzt sind und sich eine auf Weak Ties basierende risikoarme Protestkultur eta‐ bliert hat, was beispielsweise die geringe Effizienz der großen Proteste vor dem Irakkrieg 2003 erklärt. Ob soziale Bewegungen eher in den Formenkreis einer instabilen Weltöffentlichkeit als in den einer stabilen (interaktiven) aktivistischen Gemeinschaftsbildung gehören, wird im folgenden Kapitel zu erörtern sein. 5.2.1 Interaktion und Dialog INGOs und globale Interaktion Was Fragen der internen Interaktion und des Dialogs angeht, so funktio‐ nieren INGOs ähnlich wie transnationale Wirtschaftsunternehmen und weisen vergleichbare multinationale oder transnationale Strukturen auf (Dijkzeul 2008, S. 84). Probleme des Zentralismus oder der Dezentralität führen zudem zu mit der Wirtschaft vergleichbaren Interaktionsprozessen, 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 197 <?page no="198"?> das heißt zu einer zwar begrenzten, aber systematischen und nachhaltigen Form der globalen Interaktion in Formvarianten von Netzwerken, die von Kettenbis zu Vollstrukturen (also ausgeprägten Teams) reichen (vgl. Kap. 4.2.1). Die Annahme ist probat, dass sich grenzüberschreitende Interak‐ tion bei multinationalen Strukturen eher auf übergeordnete Kampagnen und Axiome beschränkt (hier natürlich auch Wissensdiffusion durch sprachliche Übersetzung von Leitstudien und anderen programmatischen Schriften stattfindet), während sich ethnozentrische INGO-Strukturen zum Beispiel in einer weitgehenden Dominanz der NGO-Zentralen in London oder Paris bemerkbar machen (vgl. a. Kap. 4.1). Die organisierte Binnenkommunikation erleichtert zudem die Interaktion mit Dritten, etwa im Rahmen der Multi-Track-Diplomacy oder der Global Governance. Hierbei handelt es sich um einen ur-kommunikativen Prozess, da NGOs Regierungen zum Argumentieren zwingen und deren Macht insofern einschränken (Dany 2013, S. 5, Chandler 2005, S. 149), zumindest aber rationales kommunikatives Handeln in der Politik befördern, die nun nicht mehr nur klassische Machtpolitik sein kann, sondern erst aus der öffentlichen Begründung ihre Legitimität bezieht. INGOs transferieren demnach Prozesse der Massendemokratie in den internationalen Rahmen, auch wenn wir im Kapitel zum politischen System die Frage gestellt haben, wie effektiv Global Governance wirklich ist. Sie fördern die öffentliche Rechtfertigung von Politik, stehen jedoch zwischen Strong und Weak Ties, sind also organisiert, zugleich aber keine die sozialen Klassen einbindenden Massenorganisationen, die wirksam genug wären, Kriege zu verhindern oder die Umwelt zu retten. Face-to-Face-Kommunikation in sozialen Bewegungen Globale soziale Bewegungen stellen das eigentlich neue Element der Zivil‐ gesellschaft dar. Zur Jahrtausendwende herrschte gerade in der Kommuni‐ kationswissenschaft Optimismus, dass transnationale Netzwerke wachsen würden (Sreberny 2002). Zwei führende Bewegungsforscher, Donatella della Porta und Sidney Tarrow, kamen allerdings sehr bald schon zu dem Schluss, dass zwei Phänomene zur gleichen Zeit auftreten: zunehmende transnatio‐ nale Interaktion bei gleichzeitigem Beibehalten des primären nationalen Charakters sozialer Bewegungen (2005, S. 10). Hier deutet sich eine ähnliche Trennung zwischen globalen Eliten und lokalen Massen an, die wir auch noch in den Feldern der Lebenswelt beobachten werden. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 198 <?page no="199"?> Transnationale Bewegungsnetzwerke (TANs) halten mehr oder weniger regelmäßige globale Gipfeltreffen ab. Direkte Face-to-Face-Interaktion ist also eine der verschiedenen Formen der globalen Interaktionen sozialer Bewegungen. Insbesondere sinkende Reisekosten haben zu mehr direkter aktivistischer Kommunikation geführt (Keck/ Sikkink 1998, S. 16). Typische Gipfelevents bestehen aus zwei Komponenten: organisierter Versamm‐ lungskommunikation vor allem über Reden oder künstlerische Interventio‐ nen sowie aus informeller Anschlusskommunikation der Gipfelteilnehmer (Pianta 2001). Gipfeltreffen sind also prinzipiell Räume zur Schaffung von Strong Ties, etwa bei den jährlichen internationalen Treffen des Netzwerks Attac (Eskola/ Kolb 2002, S. 29). Man sollte allerdings das Ausmaß an direkter Interaktion zwischen Gruppen verschiedener nationaler Herkunft nicht überschätzen, da vor allem bei globalen Meetings, die auch einen Protestcha‐ rakter nach außen haben, lokale Interaktionen innerhalb der teilnehmenden Kleingruppen dominieren können, was mit Sprachaber auch Ideologiehür‐ den der polyzentrischen Bewegungen zu tun hat (Pickerill et al. 2011, S. 49, S. 57f., Rojecki 2011, S. 96). Gerade die großen Treffen wie die Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) in Genf (2003) und Tunis (2005) zeigten auch, dass in Versammlungen von bis zu 20.000 Menschen am Ende zwar Interaktionen erfolgten, die Synthese dieser Dialoge aber vielfach sehr vage Texte und Formulierungen erzeugte, so dass die rationalen Resultate von Masseninteraktionen fraglich erscheinen (Hafez 2005, S. 195f., Winter 2010, S. 65ff.). Es ist daher sinnvoller, große Gipfel- und Protestevents als hybride Ereignisse interner und externer Kommunikation zu sehen, denn die symbolische Außendarstellung zählt hier oft mehr als die bewegungsinterne Interaktion (Adolphsen 2012). Bumerang-Effekte und Domestizierung Ein weiterer Aspekt wird in der Literatur generell als „Bumerang-Effekt“ oder auch als „Spiralen-Effekt“ bezeichnet (Keck/ Sikkink 1998, Risse/ Sik‐ kink 1999). Bumerang-Effekte sind Phänomene der Distanzkommunikation, wobei lokale Probleme, die in den Ländern selbst auf Grund der Zensur nicht angesprochen werden können, über den Umweg des Informationsaus‐ tauschs mit sozialen Bewegungen und NGOs anderer Länder auf das Ur‐ sprungsland zurückwirken. Lokale Zensur wird erschwert, weil die globale Zivilgesellschaft wachsamer für lokale Missstände wird. Bei Bumerang-Ef‐ fekten bleibt allerdings unklar, ob es sich um echte Interaktionen oder 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 199 <?page no="200"?> lediglich um die Diffusion von Information handelt. In der Regel ist das Phänomen wohl zwischen Interaktion und Koorientierung zu verorten, da beide Prozesse beteiligt sind: Kerngruppen von Aktivisten interagieren grenzüberschreitend und ihre Texte verbreiten sich danach medial in den lokalen Diskursräumen. Kathryn Sikkink geht davon aus, dass soziale Bewegungen Probleme zunächst grundsätzlich auf lokaler Ebene zu lösen versuchen, da lokale Lösungen plausibler sind, denn alle Beteiligten verfügen über denselben Kenntnisstand und der Nationalstaat ist oft der entscheidende Adressat des politischen Protests (2005, S. 164f., vgl. a. della Porta 2005, S. 177). Della Porta und Tarrow haben diesen Prozess als „Domestizierung“ bezeichnet, den Bumerang-Effekt hingegen als „Externalisierung“ (2005, S. 2). Letztere ist deutlich schwieriger herzustellen und transnationale Koalitionen gelten als instabile und flüchtige Größen (Tilly/ Tarrow 2007, S. 179). Bumerang-Ef‐ fekte werden also in der globalen Bewegungsforschung viel beachtet, aber diese (teil-)interaktiven Prozesse sind keineswegs allgegenwärtig. Interaktion und globale Scale Shifts Warum eine Thematik manchmal zu einer interaktiven Vernetzung führt und manchmal nicht, haben Sidney Tarrow und Doug McAdam in ihrem Aufsatz „Scale Shift in Transnational Contention“ erörtert (2005). Der Begriff Scale Shift (Umschichtung) bezeichnet die Umwandlung einer nationalen in eine globale Agenda sozialer Bewegungen. Dabei unterscheiden Tarrow und McAdam zwischen „relationalen“ (relational), somit durch Interaktion hergestellten, und „nicht-relationalen“ (non-relational), also durch mediale Träger wie Massenmedien erzeugten internationalen Beziehungen in sozia‐ len Bewegungen (ebenda, S. 127). Zudem fügen sie einen dritten Prozess des „Maklerns“ (brokerage) hinzu, der beide Prozesse umfasst und im Grunde genau das beschreibt, was in den Zentralen moderner TANs geschieht: eine auf der Basis beschränkter Interaktion betriebene Verbreitung von Information über Medien (siehe unten). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich Bewegungen, die nicht sowohl interaktiv als auch durch Brokerage verbunden sind, weniger schnell verbreiten (ebenda, S. 128, 130f.). Interaktion stimuliert die Überwindung nationaler Diskursgrenzen (attribution of similarity); Bokerage begünstigt die Nachhaltigkeit dieses Prozesses durch Diffusion. Das Entstehen einer TAN ist also ohne eine kritische Masse an inten‐ siven interaktiven Beziehungen nicht möglich (della Porta/ Tarrow 2005, 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 200 <?page no="201"?> S. 8). Interaktives Brokerage ist - ähnlich wie in Diffusionsprozessen der Wirtschaft - der Kern einer jeden TAN. Ihre Strong Ties entwickeln sie oft eher zufällig und im Schneeballsystem, was aber nicht bedeutet, dass TANs generell auf Bekanntschaftsnetzwerken aufbauen (Kiel 2011, S. 82f.). Verhandlungsprozesse in TANs sind wechselseitige Anpassungsprozesse zur Herstellung von globalen Frames (siehe unten) zwischen existierenden TANs und neu vernetzten lokalen Kräften; das berühmteste Beispiel ist hier wohl die Zapatista-Bewegung in Mexiko, die rasch lernte, ihre indige‐ nen Anliegen in der Sprache des Kampfes gegen den Neoliberalismus zu artikulieren, um internationale Allianzpartner zu finden (Kiel 2011, Cleaver 1998). Im Kern des transnationalen Brokerage erfolgen also bedeutsame Verhandlungsinteraktionen, die man zwar nicht als Strong Ties im engeren Sinne fester Organisationsbindungen bezeichnen kann, die aber konsistent und zielorientiert sind. Netzwerke und Nord-Süd-Eliten Führt man diese Analysen zusammen, so zeigt sich, dass Bumerang- und Spiraleneffekte sowie transnationale Scale Shifts wohl nicht immer attraktiv sind und auch nur dort gelingen, wo günstige Wechselwirkungen aus interaktiver und nicht-interaktiver Kommunikation herrschen und sogar ein elitäres Organisationsmoment existiert, das fast an das kommunikative Handeln der Diplomatie oder des Wirtschaftssystems erinnert, nur dass es sich hier um „Bewegungseliten“ handelt, die keineswegs zu den klassischen Macht- oder Kapitaleliten von Gesellschaften zählen. Nicht alle lokalen sozialen Bewegungen sind international vernetzt. Keck und Sikkink: „Our research leads us to believe that these interactions involve much more agency than a pure diffusionist perspective suggests. Even though the implications of our findings are much broader than most political scientists would admit, the findings themselves do not yet support the strong claims about an emerging global civil society. We are much more comfortable with a conception of transnational civil societies as an arena of struggle, a fragmented and contested area […]“ (1998, S. 33f., ähnlich S. 9). Der interaktive Kern transnationaler Bewegungen wird vor allem von einer „gebildeten Minderheit“ (educated minority) formiert (Kaldor 2003, S. 100). Neera Chandhoke: „Yet the idea that all groups across the world who are struggling against the inequalities of globalization, either have access to global civil society or equal voice in this space, is both unrealistic and misleading. For like national civil societies, global civil society is also 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 201 <?page no="202"?> dominated by a handful of agents […]“ (2012, S. 326). Am Ende wird das Globale beziehungsweise Transnationale eher als ferner Zielhorizont einer globalen Zivilgesellschaft bezeichnet, denn die nationalen Grenzen bleiben für die meisten Mitglieder sozialer Bewegungen zumindest im Bereich der Interaktion erhalten. Als weiteres Problem deutet Ilse Lenz an, dass unterschiedliche TANs im selben Themenfeld existieren können, ohne dass diese immer eng kooperieren müssen (2008, S. 109). Interaktionsdefizite sind also nicht nur im Verhältnis global/ lokal, sondern auch global/ global zu verzeichnen. Als generelle Regel wird man formulieren können, dass TANs zwar die interaktive Kernstruktur von globalen sozialen Bewegungen sind, dass aber auf Grund räumlicher, sprachlicher und kapazitärer Begrenzungen die Inter‐ aktionsdichte in globalen sozialen Bewegungen im Allgemeinen niedriger sein dürfte als in lokalen sozialen Bewegungen (was analog sicher auch für den Unterschied zwischen nationalen und kommunalen Bewegungen gilt). John Keane spricht bei der globalen Zivilgesellschaft daher auch von ei‐ nem „unfinished project that consists of sometimes thick, sometimes thinly stretched networks, pyramids and hub-and-spoke clusters of socio-econo‐ mic institutions and actors who organize themselves across borders“ (2003, S. 8). Während INGOs und TANs Vollstruktur- oder Stern-Netze (auch: hub and spoke) bilden können, wo alle Interaktionen zusammenlaufen, sind Ketten-Netze, in denen Informationen über nur wenige verbundene Aktivisten im Schneeballsystem über Grenzen weitergegeben werden, oft auch in parallelen Ketten aneinander vorbei, sicher gleichermaßen häufig wie - und das vergisst Keane - desintegrierte lokale Netze ohne globale Bindungen. Ebenso wenig wie Politik und Wirtschaft einheitliche globale Kommunikationssysteme bilden, ist dies bei der globalen Zivilgesellschaft der Fall. Gerade die NGOs des globalen Südens dürften vielfach unvernetzt blei‐ ben. Andrea Plöger: „Die Basis sozialer Bewegungen - vor allem im globalen Süden - ist in diese Kommunikation in der Regel nicht involviert“ (2012, S. 87). Globale interaktive Gemeinschaftlichkeit entzündet sich also auch bei sozialen Bewegungen nur sehr eingeschränkt und unvollständig. Konflikte in TANs zwischen Nord und Süd existieren sicherlich (Kaldor 2003, S. 96f.), sie können allerdings erst entstehen und ausgetragen werden, wenn über‐ haupt interaktive Kontakte bestehen und sich ein konstruktiver Dialog als Teil der Bildung globaler Gemeinschaftlichkeit entfalten kann. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 202 <?page no="203"?> Für Akteure in Diktaturen aber ist internationale Interaktion vielfach auch gefährlich, sie setzen sich dem Vorwurf des „Verrats“ aus, weswegen die Position der NGOs in manchen Ländern oft zwangsläufig durch eine eher beobachtende Distanz, Interaktionsverweigerung und eine passive Stellung im globalen Diskurs gekennzeichnet ist. Das Ibn Khaldoun Center for Developmental Studies in Kairo wurde beispielsweise im Jahr 2001 auf Betreiben der damaligen Regierung Mubarak vor Gericht des „Verrats“ angeklagt und der Gründer, Wissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Saad Eddin Ibrahim zu Gefängnis verurteilt, weil ihm vorgeworfen wurde, illegale internationale Kontakte zu unterhalten (Khalil 2001). Ähnliche Vorfälle haben NGOs überall in Diktaturen zu einem vorsichtigen Umgang mit internationalen Partnern veranlasst. Massenmedien als interne Systemumwelt Dass Interaktion und Strong Ties in globalen sozialen Bewegungen begrenzt sind, hängt noch mit einem anderen Phänomen zusammen, das zwar nicht INGOs, aber doch die „neuen sozialen Bewegungen“ als Ganzes deutlich von anderen Sozialsystemen unterscheidet. Die Medienöffentlichkeit ist in anderen Organisationen und organisierten Sozialsystemen ein deutliches „Außen“, eine Umwelt, die zwar reflektiert und verarbeitet wird, die die Or‐ ganisation als autonomen Akteur aber nicht konstituiert. Soziale Bewegun‐ gen aber werden neben der dünnen Interaktionsschicht, die manche Teile der Bewegungen einbezieht, vor allem durch Massenmedien verbunden und zusammengehalten. Zwar haben auch Wirtschaftsbetriebe, wie gesehen, Unternehmenskulturen und sogar eigene Medien, die einen diskursiven In‐ nenraum eines Unternehmens bilden. Aber bei sozialen Bewegungen wächst die Bedeutung von Medien - Bewegungsmedien wie auch von großen Medien -, denn die interaktive und vertragliche Kooperationsgrundlage ist deutlich dünner als bei anderen Systemen. Eines der wesentlichen Merkmale sozialer Bewegungen ist für Keck und Sikkink eine starke Reduktion auf zentrale Symbole, einige wenige Themen und Kernforderungen (1998). Selbst klassische Internetforen wie Indymedia sind nicht per se Orte der globalen Interaktion, da sie aus nationalen Teil-Foren bestehen und es im Wesentlichen um Mikro-Journalismus in Open Posting-Verfahren geht. Das Leitmotto von Indymedia „Don’t Hate the Media, Become the Media! “ macht den Medienfokus klar. Soziale Bewegun‐ gen sind auf diese Art eine faszinierende Mischung aus kommunikativen Mechanismen des politischen Systems und der Massenmedien, da sie einer‐ 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 203 <?page no="204"?> seits Repräsentationsstrukturen in sich bergen, die interaktiv vernetzt sind und Agenden schaffen, andererseits - eher ähnlich einer offenen Lebenswelt als einem geschlossenen Sozialsystem - Diskursgemeinschaften bilden (vgl. a. Kap. 1.1). Die starke Medienabhängigkeit erzeugt aber auf globaler Ebene ein Problem. In TANs definieren Bewegungseliten interaktiv kollektive Hand‐ lungsframes (collective action frames) (Benford/ Snow 2000) über Bewe‐ gungsmedien. Diese werden in der globalen Zivilgesellschaft von INGOs und TANs koordiniert, die untereinander in der Tat einen Dialog führen müssen, damit eine minimale transnationale Bewegungsöffentlichkeit ent‐ steht (Martin Luther King lernte über Medien von Mahatma Gandhi und bildete auf der Basis dieses Wissens eine Strong-Tie-Bewegung; heutige chinesische und westliche NGOs sind diskursiv vernetzt [Tilly/ Tarrow 2007, S. 194f., Reese 2015]). Weder der Dialog der Bewegungseliten noch ihre transnationalen Medien können aber von allen Sympathisanten in gleicher Weise nachvollzogen werden, zumal parallel nationale Bewegungsmedien existieren, die ihr jeweiliges diskursives Eigenleben führen. Soziale Bewe‐ gungen sind daher polyvokal oder polyphonisch und teilen global eher grundlegende Werte und Ideen als ausgefeilte Programme und Ideologien (Drake 2010, S. 135, 137). Die weltweite Bewegung Occupy beispielsweise koordiniert zwar einige zentrale Aktionen, ist aber letztlich eher eine Ver‐ einigung von „Millionen Menschen weltweit in lokalen [sic! ] Bewegungen“ als eine transnational agierende Bewegung (Maeckelbergh 2014, S. 354). Der Mangel an globaler Interaktion ebenso wie der eher lose Zusammen‐ halt über transnationale Bewegungsmedien wird geradezu als das Genie der Diskursgemeinschaften von Graswurzelbewegungen verstanden, da die hohe dezentrale Autonomie ein weitgehend unabhängiges Agieren in „multinationalen“ Strukturen ermöglicht (ebenda, S. 351, 355). Dass global verhandelte Dialoge und „collective action frames“ dabei unterentwickelt bleiben dürften, wird bislang nur wenig beachtet. Soziale Bewegungen wie Attac oder Occupy ähneln damit absurderweise Mar‐ ken-Formaten wie in der Unterhaltungsbranche (z. B. Big Brother, The Voice) eher als der globalen Diplomatie und Wirtschaft, die systematisch „dritte Räume“ der Interaktion und der schriftlichen Vertraglichkeit schaffen, die in gekoppelten Systemen weitergegeben werden. In TANs hingegen zirkuliert lediglich eine gemeinsame „Produktidee“, wenn auch nicht-kommerziell gedacht (z. B. „Occupy“), globale Bewegungs-Broker sorgen für eine gewisse „Standardisierung“ durch transnationale Bewegungsmedien, ein Dialog 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 204 <?page no="205"?> oder auch nur eine dichte transnationale Bewegungsöffentlichkeit zwischen den „Formatvarianten“ entsteht aber nur begrenzt (Grüne 2016, S. 429ff.). Eine weitere Komplikation kommt hinzu. Die Literatur geht von einer idealen Trennung aus, wonach Bewegungsmedien (meso media) für die in‐ terne Kommunikation zuständig sind, während alle anderen Massenmedien nach außen (in die Politik und Gesellschaft) wirken (della Porta 2013, S. 29). Dies ist aber sehr fraglich, da auch das Erscheinungsbild der Bewegung in den allgemeinen Medien auf die Bewegung zurückwirken und diese beeinflussen kann. Man kann insbesondere die allgemeinen Massenmedien als „innere Umwelt“ sozialer Bewegungen bezeichnen (Hafez 2002, Bd. 1, S. 127f.), da sie systemfremde Perspektiven in die Bewegung tragen, auf die soziale Bewegungen mit Diskursen reagieren, die ihre soziale Identität prägen. Soziale Bewegungen sind also in „multifaceted media environments“ (Mattoni 2013, S. 42) eingebettet. Diese konstitutive Bedeutung von Main‐ stream-Massenmedien für den Innenraum von Bewegungen hat ganz erheb‐ liche Auswirkungen auf die globale Zivilgesellschaft. Es besteht die Gefahr, dass rassistische Frames und Stereotype, die, wie wir gesehen haben, die allgemeinen Massenmedien häufig charakterisieren, den Internationalismus einer Bewegung einschränken. Mitglieder von TANs, sofern sie nicht inter‐ aktiv verbunden sind oder transnationale Bewegungsmedien nutzen, leben selten in derselben Diskursgemeinschaft, sondern sind stark getrennten Mediendiskursen ausgesetzt. So ist zum Beispiel die Anti-Irak-Bewegung trotz des Anscheins, eine transnationale Bewegung zu sein, doch immer mit partikularen Medien verbunden geblieben (Murray et al. 2011, S. 60f.). Der Mediendiskurs war aber etwa in Deutschland ganz anders als in England, was zum Teil die verschiedenartige Stärke der Bewegungen erklären mag. Spannungen zwischen Nord- und Süd-Bewegungen in TANs basieren eben‐ falls oft ursächlich auf diskursiven Wissens- und Erfahrungsunterschieden. Fazit: ein hybrides Interaktions-Medien-System Das Zwischenfazit des Kapitels über Interaktion und Dialog lässt sich mit Abbildung 5.1 zu den „Kommunikationsarenen trans-/ multinationaler sozialer Bewegungen“ zusammenfassen: 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 205 <?page no="206"?> Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. nationale Interaktions- und Diskursarena A Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. nationale Interaktions- und Diskursarena B Soziale Bewegung in Staat A Soziale Bewegung in Staat B transnationale Interaktionsarena A/ B transnationale Diskursarena B’ transnationale Diskursarena A’ Abb. 5.1: Diskurs- und Interaktionsarenen transnationaler sozialer Bewegungen Die Arenen A und B kennzeichnen lokale Bewegungsräume, die Arenen A/ B, A‘ und B‘ hingegen umfassen den globalen Aktionsraum der TANs, wobei allein A/ B der Interaktionsraum ist, A‘ und B‘ jedoch die transna‐ tionalen Bewegungsöffentlichkeiten, die durch TANs entstehen und wo Informationen global ausgetauscht werden (wobei die Lesarten der gleichen Medien in den verschiedenen Räumen unterschiedlich sein können, was hier mit A‘ und B‘ gekennzeichnet ist). Die Abbildung zeigt: Große Teile der globalen Bewegungen sind bestenfalls über transnationale Bewegungs‐ medien und deren Symbole, Agenden und Frames synchronisiert, aber sie sind nicht interaktiv vernetzt. Auch wenn keine aggregierten empirischen Daten vorliegen, sind beide Phänomentypen (AB wie A‘ oder B‘) in den Nord-Süd-Beziehungen vermutlich unterentwickelt, da Kommunikations‐ prozesse hier sowohl interaktiv als auch diskursiv stark eingeschränkt bleiben. Globale soziale Bewegungen gleichen in vielerlei Hinsicht eher (speziellen) Öffentlichkeiten als global interagierenden organisierten Sozi‐ alsystemen. Interaktive globale Gemeinschaftlichkeit entsteht hingegen nur begrenzt im Rahmen der Aktivitäten von INGOs und TANs, wo diese über di‐ rekte Netzwerkkommunikation und Brokerage zu konkreterem politischen Handeln stimulieren, was wiederum an weitere Partner der TANs und an ihre lokalen Bewegungsteile diskursiv vermittelt wird (Bumerang-Effekte, Scale Shifts usw.). 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 206 <?page no="207"?> Für das „Begegnungssystem“ zwischen System und Lebenswelt sind zwei Dinge festzuhalten: ▸ für die Lebenswelten der Menschen sendet das hybride Interakti‐ ons-Medien-System der sozialen Bewegungen begrenzte Impulse, da neben globalen Interaktions- und Diskurserfahrungen auch lokale Diskursräume fortbestehen können, in denen nur wenige Informati‐ onseliten („Kosmopoliten“) sich um globale Diffusionen bemühen und die Zirkulation von Informationen voranzutreiben versuchen (siehe unten); ▸ mit Blick auf die politischen und wirtschaftlichen Systeme können die eingeschränkte interaktive Gemeinschaftsbilanz und transnatio‐ nale Öffentlichkeitsbilanz von TANs auch erklären, warum die in „neuen sozialen Bewegungen“ vorherrschenden Weak-Tie- und Low-Risk-Strategien trotz hoher moralischer Autorität nur begrenzte Erfolge erzielen, so dass die Frage bleibt, ob die globale Zivilgesell‐ schaft wirklich hinreichend handlungsfähig ist (Bennett 2005, S. 208). 5.2.2 Interaktion und Organisationskommunikation Internet: Mediatisierung als Ressource Auch wenn man bei sozialen Bewegungen, anders als bei INGOs, nur bedingt von Organisation und Organisationskommunikation sprechen kann, fragt es sich, wie sich die anderen Theoriebereiche, die für unsere Untersuchung von globaler Interaktion in organisierten Sozialsystemen bedeutsam sind - Mediatisierung, Informalität, Textualität -, beurteilen lassen. Was hat sich etwa durch digitale Fernkommunikation verändert? INGOs haben historisch betrachtet ein gespaltenes Verhältnis zum Inter‐ net. Sie verfügen über eigene Ressourcen für externe Kommunikation und Medienkontakte, so dass die Kakophonie der sozialen Bewegungen im Netz für diese Organisationen an der Jahrtausendwende einen Un‐ sicherheitsfaktor darstellte. W. Lance Bennett beobachtete am Anfang des 21. Jahrhunderts, dass das Internet die „Verwundbarkeit“ der großen INGOs zeigen würde, die nun Kampagnen nicht mehr nach Belieben kontrollieren könnten (2003, S. 145). Die sogenannte „Greenpeace-Demo‐ kratie“ der frühen 1990er Jahre sicherte den INGOs eine privilegierte Stellung in der Öffentlichkeit (Baringhorst 1998), die nun gefährdet ist, da die eigenen Positionen durch eine Vielzahl von Stimmen im Netz 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 207 <?page no="208"?> relativiert werden. Kleine NGOs haben vom Internet hingegen eindeutig profitiert. Gerade in Entwicklungsländern sind oft ressourcenschwache NGOs entstanden, für deren lokales Wirken das Internet zumindest zur Informationsbeschaffung und -verbreitung Gold wert ist. Was die sozialen Bewegungen angeht, so hat das Internet nicht grundsätzlich etwas an der Logik sozialer Bewegungen geändert, es verschärft aber das Tempo, die Reaktionsschnelligkeit und vergrößert die Reichweite der Bewegungen, weswegen es gerade in transnationalen Beziehungen als bedeutsam gilt (van den Donk et al. 2004, S. 15). Zu den Funktionen des Netzes zählen unter anderem (vgl. a. Stein 2011, S. 150ff., Schade 2018): ▸ Protestmobilisierung: Das Internet begünstigt traditionelle Formen des Protests, vor allem bei kurzfristigen weltweiten Mobilisierungen (van den Donk et al. 2004, S. 18), basierend auf bekannten Mechanismen wie Interaktion, Brokerage und diskursiver globaler Informationsverbrei‐ tung durch Bewegungsmedien; ▸ Informationsverbreitung: Sie wird nicht nur weltweit gestärkt, sondern es werden auch bottom-up-Dynamiken gefördert, was zwar „dünne Ideologisierung“, aber auch eine basisdemokratische Partizipation be‐ günstigt und damit eine postmoderne Wende des globalen Aktivismus verstärkt (Bennett 2003, S. 146ff.). Verschiedene Medien der Informati‐ onsverbreitung sind z. B. (Gruppen-)E-Mails, Listserver, Websites und Verlinkungen, Internetportale und spezielle Suchmaschinen (Winter 2010, S. 51ff.); ▸ Ressourcensteigerung: Das Internet erleichtert nicht nur das Spenden‐ sammeln, sondern verringert auch die Abhängigkeit von Massenme‐ dien, was wiederum ressourcensparend ist (van den Donk et al. 2004, S. 11, vgl. a. Castells 2008, S. 87, Bennett 2003, S. 144). Es geht dabei um materielle und um immaterielle Ressourcen wie Information und Wissen. Beide Ebenen wechselwirken; ▸ Artikulation: Das Internet führt neue Formen der politischen Partizi‐ pation von Online-Petitionen bis zu virtuellen Blockaden ein; ▸ Identität: Das Internet stärkt durch transnationale Informationsteil‐ habe und Mobilisierung von größeren Menschenmengen den Raum der kosmopolitischen Identitätsbildung - was allerdings nicht iden‐ tisch mit Gemeinschaftsbildung ist, da der Informationsaustausch nicht interaktiv erfolgen muss. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 208 <?page no="209"?> Internet verstärkt interaktionsarme Weak Ties Interessanterweise fehlt der Aspekt der Interaktion bei den meisten Funk‐ tionsauflistungen in der Literatur. Es gibt neben optimistischen Stimmen (Winter 2010, S. 25) auch viele Zweifel daran, ob globale Interaktion durch das Internet nachhaltig global gestärkt wird. Van den Donk et al. gingen bereits Anfang des Jahrtausends davon aus, dass die interaktiven Möglich‐ keiten der Bewegungen im Netz noch viel zu wenig genutzt würden, noch nicht einmal durch wechselseitige Verlinkungen lokaler Bewegungen, die ja streng genommen ein eher diskursiver Vorgang sind (2004, S. 17). Steve Wright äußerte sich sogar besorgt über die immer stärkere Verlagerung von der Face-to-Face-Interaktion (zur besseren Organisation von Bewegungen auf der Basis von persönlichen Beziehungen von Aktivisten) hin zur Proli‐ feration von kaum zu bewältigenden Informationsmengen im Internet (2004, S. 89f.). Malcolm Gladwell hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Social Media den Weak-Tie-Charakter moderner sozialer Bewegungen, der seit den Zeiten der Arbeiterbewegung, Luther Kings oder Gandhis ohnehin im Gang ist, enorm verstärken und er sieht die Gefahr immer informierterer, aber auch immer ineffizienterer sozialer Bewegungen (2012). Holly Ann Custard beklagt, dass es kaum Studien über die Rolle von interkultureller Interaktion in TANs gibt (2008, S. 7f.). Die vorhandenen empirischen Studien bestätigen diese pessimistischen Eindrücke. Internetauftritte großer US-amerikanischer Bewegungen sowie großer INGOs sind zwar auf Fundraising und Informationsvermittlung ausgerichtet, sie stellen auch Links zu anderen Organisationen bereit, aber direkte Interaktion wird stark vernachlässigt (Stein 2011, Kavada 2005). Die Möglichkeit zu grenzüberschreitenden Konferenzen im Netz werden in der Antikriegsbewegung weltweit kaum genutzt, weswegen man auch in Zeiten des Internets auf Face-to-Face-Meetings zurückgreifen muss (Pickerill et al. 2011, S. 46, Yüksel/ Yüksel 2011, S. 253). Gerade den INGOs wie Green‐ peace wird vorgeworfen, Soziale Medien fast gar nicht zur Förderung der globalen Interaktion von größeren Bewegungen einzusetzen (Roose 2012). Selbst eigentlich optimistische Autoren wie Rainer Winter stellen fest, dass etwa beim großen OneWorld-Netzwerk interaktive Möglichkeiten im Netz weitgehend ignoriert werden, zumal deren Website regionale Abteilungen mit verschiedenen Muttersprachen besitzt (2010, S. 135f.). All dies passt zu Erkenntnissen der allgemeinen Forschung über die Qualität von Online-In‐ teraktionen, die immer wieder bestätigt, dass beim Online-Aktivismus 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 209 <?page no="210"?> Merkmale der Deliberation wie Reziprozität des Austauschs, Kohärenz und entscheidungsorientierte Kommunikation unterentwickelt sind und nur von wenigen Menschen eingebracht werden, so dass statt Dialogen Monologe und Diskurse vorherrschen (vgl. u. a. Beierle 2004, Jankowski/ van Os 2004, Stanley et al. 2004). Am Ende bleibt die Tatsache: Das Internet trägt zur schnellen globalen Verbreitung von Informationen und zur kurzfristigen politischen Mobilisie‐ rung bei - die tieferliegenden Probleme der getrennten nationalen Agenden und Frames, die nur vermittels verstärkter Strong-Tie-Interaktion in ein gemeinsames kosmopolitisches Programm zu überführen wären, werden hierdurch jedoch nicht beseitigt (Pickerill et al. 2011, S. 42). Weak-Tie-Mo‐ bilisierungen wie die von Seattle 1999 wären wiederum wohl ohne das Internet kaum denkbar gewesen (van Aelst/ Walgrave 2004, S. 100). Massen‐ proteste hat es historisch schon immer gegeben, aber in der Regel nicht global simultan. Erst das Internet macht damit aus lokalen Aktivisten eine handlungsfähige globale Zivilgesellschaft (Andretta 2002, S. 72) - wie eingeschränkt auch immer. Die Zahl der kommunikativen Akteure, die sich in TANs vernetzen, ist durch das Internet weltweit enorm gestiegen (Dahlgren 2016, S. 11). Wenn man die globale Zivilgesellschaft weniger als interaktives und vielmehr als diskursives Phänomen versteht, wird diese positive Einschätzung nachvollziehbar. Vor dem Internet bestand globaler Zusammenhalt in sozialen Bewegungen primär aus durch INGOs gebildeten Netzen und war daher auf wenige Menschen begrenzt. Durch die digitale Revolution ist zumindest der transnationale Diffusions- und Mobilisierungsraum deutlich erweitert worden. Neue Aktivismusformen und alte (Nord-Süd-) Klüfte Es gibt einen Einwand, der diese These einschränken könnte, den Vorwurf nämlich, aus echtem „Straßenaktivismus“ werde im Internet ein virtueller Aktivismus - Cybermobilisierung, verächtlich auch als „Clicktivismus“ oder „Slacktivismus“ (engl. slacker: Faulpelz) bezeichnet (Morozov 2009). Allerdings existieren trotz gelegentlicher Hinweise, die Zivilgesellschaft sei in früheren Jahrzehnten zum Teil stärker mobilisiert gewesen als heute (Davies 2013, S. 175), letztlich keine Belege für eine abnehmende Zahl realer Proteste im Internetzeitalter - im Gegenteil (Andretta et al. 2002, S. 77). Zugleich ist auch das Votum mit Hilfe von Online-Petitionen usw. immerhin ein politisches Meinungsbild. Das Internet mag, wie wir gesehen haben, wenig Interaktion und organisierten politischen Widerstand erzeugt 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 210 <?page no="211"?> haben - es verhindert aber in keinem Fall Protesthandlungen als solche. Die ältere These, dass es für Straßenproteste unbedingt vorbereitender Face-to-Face-Kontakte bedürfe, ist heute weitgehend entkräftet (Chadwick 2006, S. 139). Zudem gibt es Formen des mediatisierten Protests, die originär sind und die es ohne digitale Kommunikation gar nicht geben würde: den sogenannten „Hacktivismus“. Es ist ein interessanter Tatbestand, dass die Sprache des zivilen Ungehorsams der 1968er-Protestgeneration sich heute bei Hacktivisten wiederfindet, wenn sie etwa von „digitalen Sitzblockaden“ sprechen. Durch solche Denial-of-Service-Attacken werden Server derart massiv von dezentralen Computern angefragt, dass sie zusammenbrechen. Die Logik dahinter: Eine Gesellschaft, deren Infrastruktur immer mehr auf digitalen Netzen basiert, ist erhöhten Risiken durch Cyberattacken ausgesetzt. Natürlich haben wir es hier mit Gewaltaktionen zu tun, die nur bedingt „kommunikativ“ sind. Meist aber geht es den Protestierenden weniger um Zerstörung als vielmehr darum, eine starke Botschaft zu senden - digitale Blockaden ähneln also den Signaling-Prozessen, die wir in der internationalen Politik kennengelernt haben. Die Mediatisierung des Protests eröffnet somit neue Felder der Kommunikation des politischen Handelns im Bereich des Weak-Tie-Aktivismus. Allerdings wird der Nord-Süd-Graben auch durch das Internet nur be‐ grenzt überwunden. Nicht wenige Autoren vertreten die Ansicht, dass transnationaler Aktivismus, der sich vor allem auf das Internet konzentriert, technische, ökonomische und Bildungsdifferenzen (Stichwort: Analphabe‐ tismus) verschärft ( Jonjic et al. 2016, S. 29, Custard 2008, S. 5ff.). Zwar sind NGOs und soziale Bewegungen der Entwicklungsländer heute im Internet besser repräsentiert denn je, auch wenn sie oft als lokale NGOs agieren und nicht als Teile von TANs, was unter autoritären Bedingungen politisch heikel ist. Die digitale Nord-Süd-Kluft besteht indes fort, selbst wenn sie sich langsam verringert (vgl. a. Kap. 6.2.1). Der Nachweis einer grundlegenden Beseitigung autoritärer und neokolonialer Politik auf der Welt im Internetzeitalter fehlt daher (Hafez 2003a) - was vielleicht auch erklärt, warum das Internet in der Theorie der Internationalen Beziehungen bislang nicht eindeutig verankert werden kann (Rodgers 2003, S. 45). Globale Text-Konversations-Kreisläufe? Eine soziale Bewegung lässt sich idealtypisch als „Text-Konversations-Kreis‐ lauf “ (Schade 2018, S. 302) vorstellen, wobei insbesondere die Bezugnahme 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 211 <?page no="212"?> auf Texte aus Bewegungsmedien ein soziales Band der Identität knüpft. Mit Blick auf das vorher Gesagte könnte man es sich leichtmachen und die These formulieren: Bei sozialen Bewegungen sind Symbole wichtiger als Texte, Themen wichtiger als Frames. Die „dünne Ideologie“ der Bewegungen, die durch begrenzte globale Interaktion und nur wenige transnationale Bewegungsmedien entsteht, erzeugt demnach kaum Kerntexte einer Bewe‐ gung, die eine globale Basis der Konversation schaffen. Wenn kollektive Handlungsframes ausgehandelt werden müssen, um politisch wirksam zu sein, dann erfolgt dieser Prozess der „Selbststrukturierung“ (Schade 2018, S. 301) im Wesentlichen dezentral in lokalen Bewegungsräumen und nur in Ausnahmen global durch TANs. Soziale Bewegungen haben in diesen Prozessen trotz aller ideologischen und dialogischen Beschränktheit allerdings neue Textformen von globaler Wirk‐ samkeit hervorgebracht. Die berühmten Online-Petitionen haben innovative Kampagnenformen möglich gemacht. Sie werden vielfach von hunderttausen‐ den Menschen weltweit unterzeichnet und bringen damit eine schweigende Mehrheit zum Sprechen. Es gibt sehr unterschiedliche Urheber und Urhebe‐ rinnen solcher Petitionen und auch professionelle Foren für Petitionen, deren politischer Ursprung oft unklar ist. Auch INGOs initiieren Petitionen und nutzen sie gegen das Argument von Politikern, ihre Forderungen seien nicht repräsentativ. Es geht also bei diesen Texten weniger um das Stiften einer globalen Konversation im Sinne eines echten Dialogs. Die Petitionen haben vielmehr die Funktion, als identische Textgrundlagen global zu zirkulieren und so Diffusions- und Synchronisationsimpulse für lokale Anschlussdiskurse und -interaktionen zu senden. Online-Petitionen erzeugen in der sozialen Be‐ wegung selbst zumindest im Ansatz eine über dünne Symbolik hinausgehende globale Diskursgemeinschaft. Nach außen helfen sie den INGOs und TANs, externe Lobbypolitik zu betreiben (Beato 2014). Alle weitergehenden Deklarationen, die für die jüngere globale Bewegungs‐ geschichte bedeutsam geworden sind, etwa die Deklaration des Erdgipfels in Rio de Janeiro 1992, entstanden allerdings erst in Kooperation mit dem Staat (Vereinte Nationen). Für den Moment also bleibt es dabei: Die globale Zivilgesellschaft ist weder flächendeckend interaktiv, noch bringt sie klare, textgestützte Programme hervor. Nachhaltigkeit im Sinne ideologischer Kon‐ sistenz und echter Text-Konversations-Handlungs-Kreisläufe sind eher in den durch entwickelte Organisationskommunikation gekennzeichneten Teilen der Bewegungen - vor allem bei den INGOs - zu erwarten. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 212 <?page no="213"?> Informalität als Inzivilität: Wer ist Teil der globalen Zivilgesellschaft? Obwohl man meinen könnte, dass gerade soziale Bewegungen informell kommunizieren und dadurch Gemeinschaft erzeugen, weil dies das vor‐ herrschende Bild lokaler Bewegungen ist, führt im globalen Rahmen der Mangel an formaler Organisationskommunikation auf den ersten Blick zum genauen Gegenteil. Christina Kiel: „During many campaigns, TAN members may never meet or socialize much beyond signing online petitions or loose coordination of strategies, primarily for logistical reasons” (2011, S. 82). Ohne Organisation gibt es also keine formale Kommunikation, ohne die es auch keine informelle Kommunikation in der Welt-Zivilgesellschaft gibt - das klingt plausibel: Aber ist es so einfach? Wenn globale soziale Bewegungen oft eher Diskursals Interaktionsge‐ meinschaften ähneln, dann verringert sich zwar das Ausmaß an interakti‐ ver Informalität, aber ein anderer Effekt könnte umso stärker sein, den man allgemein als Hasskommunikation (hate speech) beziehungsweise als Problem der „Zivilität“ der Kommunikation bezeichnet. Ethnische und reli‐ giöse Minderheiten, Frauen, Homo- und Transsexuelle und andere soziale Gruppen werden gerade im Internet massiv beschimpft (Hafez 2017b). Andrew Chadwick nennt dies den „Cheap-Talk“-Effekt, der gleichsam die Kehrseite der verringerten Kommunikationskosten elektronischer Netze ist (2006, S. 121). Es gibt Hinweise darauf, dass Gegnerbeschimpfung, E-Mail-Bombardements usw., auch durch Bot-Programme, in jeder Art der sozialen Bewegungskommunikation eine Rolle spielen, weil dies die Aufmerksamkeit gerade von Politikern zu sichern scheint (ebenda). Selbst die progressiven Werte, die soziale Bewegungen verbinden, können also Hasskommunikation nicht verhindern. Zählt man, was in der Sozialwissen‐ schaft umstritten ist, auch reaktionäre, identitäre und fundamentalistische Bewegungen wie Islamisten oder Rechtsradikale zur Zivilgesellschaft, so wäre Cheap Talk prinzipiell ein geradezu inflationäres Problem der globalen Zivilgesellschaft. Diese Gruppen verfolgen keine gemeinnützigen Ziele; sie mobilisieren aber Teilinteressen einer Gesellschaft und nutzen in hohem Maße digitale Kommunikationsformen. Es kann keinen Zweifel geben, dass Hate Speech heute ein weltweit verbreitetes Problem ist. Da viele Akteure in diesem Feld, sofern sie nicht ohnehin psychologische Kriegsführung im Auftrag eines Staates oder ei‐ ner militanten Gruppe betreiben, bei dieser Tätigkeit ausländische Server nutzen, um legal agieren zu können, ist Hasskommunikation technisch 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 213 <?page no="214"?> gesehen auch eine globale, also grenzüberschreitende Frage. Weil in so‐ zialen Bewegungen globale Interaktionen und Öffentlichkeiten vielfach eingeschränkt sind, wie wir gesehen haben, könnte man meinen, dass Hate Speech vor allem eine lokale Unkultur sei. Allerdings lässt sich in wachsendem Maße auch grenzüberschreitende Hasskommunikation nach‐ weisen. Islamisch-jihadistische Netzwerke gehörten hier zu den Pionieren, da sie nicht nur ihre Bewegungsnetze durch Soziale Medien ausweiten und Anhänger werben, sondern auch Nicht-Muslime propagandistisch bedrohen und demoralisieren wollen (Torres et al. 2006, de Smedt et al. 2018). Andere reaktionäre TANs sind, wie das „Baptist-Burqa-Netzwerk“, beispielsweise Zweckallianzen zwischen christlichen und islamischen Fundamentalisten gegen Homosexualität und andere liberale Rechte, die einen globalen Kul‐ turkampf grenzüberschreitend und durch das Internet führen (Bob 2012). Fazit: Weak-Tie-Globalisierung durch Digitalisierung Insgesamt ist die Kritik, wonach das Internet keinen Beitrag zur Entwick‐ lung globaler sozialer Bewegungen geleistet hat und sogar weltweite Fragmentierungen verstärkt (Plöger 2012, S. 87), übertrieben. Die digitale Mediatisierung mag im lokalen Raum Weak-Tie-Sozialbeziehungen fördern und somit zur weiteren Zerstörung fester Politikbindungen und konkreter Ideologien und Lösungen beitragen. Die Auflösung derartiger Sozialbindun‐ gen begann allerdings zumindest in westlichen Industriestaaten bereits viel früher (Dalton et al. 2000). Im Rest der Welt fördert das Internet die Entstehung einer Opposition oft eher, zumindest dort, wo bislang keine festen Oppositionsstrukturen bestanden haben. In jedem Fall stimuliert das Internet die Zirkulation alternativer Medien und Informationsangebote sowie die spezifische Mobilisierung zu Protesten über TAN-Interaktionen. Es hat also in vielerlei Hinsicht immerhin die Emergenz einer globalen Weak-Tie-Gesellschaft forciert. Dennoch wirkt sich die trennende Logik von Massenmedien auch über die „Presse im Netz“ aus und Text-Konversa‐ tions-Kreisläufe dürften wegen begrenzter Interaktion kaum zu schließen sein, so dass soziale Bewegungen weitgehend separierte Diskursgemein‐ schaften bleiben und in den lokalen „Bubbles“ des Netzes sogar die Gefahr der Hasskommunikation wächst, die sich in der Tendenz zum globalen Cheap Talk ausweitet. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 214 <?page no="215"?> 5.2.3 Beobachtung und Diffusion Alternative Informationspolitik TANs und INGOs sorgen für die Diffusion und Zirkulation von Wissen und Information in der globalen Zivilgesellschaft, sowohl in alternativen als auch in Mainstream-Medien. Nach unseren bisherigen Ausführungen basiert die Transnationalisierung hauptsächlich auf „gegenseitiger symbo‐ lischer Unterstützung und Informationsaustausch“ (Daphi/ Deitelhoff 2017, S. 309). Globale Bewegungen sind in hohem Maße durch gemeinsame Sym‐ bole, Diskurse und politische Ziele partiell und locker verbundene lokale, schwach-relationale Einheiten an der Schnittstelle zwischen Domestizie‐ rung oder Externalisierung von Problemen. Die Umschichtung (scale shifts) von globalen Agenden sowie die Schaffung kollektiver Handlungsframes (collective action frames) basieren auf alternativer globaler „Informationspo‐ litik“ (Keck/ Sikkink 1998) der sozialen Bewegungen. Nur durch gemeinsame Themen und Anliegen ist es möglich, überhaupt von globalen Bewegungen zu sprechen, auch wenn diese nicht immer interaktiv verbunden sind. Einflussreiche Autorinnen wie Mary Kaldor oder Saskia Sassen gehen sogar von einer totalen globalen Informationspräsenz aus (Kaldor: „The local is instantly global, the distant immediately close“, 2003, S. 104, vgl. a. Sassen 2005). Dies ist allerdings weit übertrieben, da der Prozess der Informations‐ diffusion ganz ähnlich wie in Politik und Wirtschaft situationsabhängig, selektiv und zum Teil sogar verfälschend sein kann, in jedem Fall aber von Bewegungs-Maklern abhängig ist. INGO-Expertise vs. symbolische TAN-Ressourcen? Die jährlichen Berichte zur Menschenrechtslage von Organisationen wie Amnesty International, Greenpeace oder Reporter ohne Grenzen sind weltweit bedeutsam. Wie bei anderen organisierten Sozialsystemen sind vor allem INGOs kommunikativ vielfältig aufgestellt. Sie beobachten die Welt ebenso systematisch wie Medien, Wissenschaft und Politik. Dadurch generieren sie Wissen und erringen einen Expertenstatus. Ihre Expertise ist oft so anerkannt, dass nicht nur Politik und Wirtschaft auf diese reagie‐ ren müssen, sondern sie findet sogar in der Wissenschaft Verwendung, wenngleich es gewisse Probleme mit der Transparenz der Messmethoden gibt, die bei INGOs zumeist nicht vollständig gegeben ist (Behmer 2003). Auch sollte man den globalen Informationsfluss in INGOs nicht idealisieren. Dennis Dijkzeuls Untersuchung des Malteser Hilfsdienstes etwa zeigt, dass 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 215 <?page no="216"?> der globale Wissenstransfer häufig nicht gelingt, sondern Wissen lokal verbleibt (2008, S. 97). Dennoch leisten INGOs einen wichtigen Beitrag zur Protokollierung von Menschenrechts- und anderen Verstößen. Die übliche Wahrnehmung von Graswurzelbewegungen hingegen ist, dass diese im Unterschied zu NGOs kein Hort der Expertise sind. In sozialen Bewegungen herrscht demnach ein schwer einzustufender Mix vor, der eher der Alltagskommunikation als der formalen Analyse ähnelt. Die Ergiebigkeit solcher Bewegungen mag subjektiv für das Individuum durchaus hoch sein - die Qualität der Wissensgenerierung ist jedoch meist gering. Die Beobachtungsqualität von TANs, so möchte man meinen, steht und fällt mit der Qualität der in ihnen tätigen INGOs. Diese Wahrnehmung wird heute allerdings insofern in Frage gestellt, als insbesondere Soziale Medien die Beobachtungskompetenz der Basis von so‐ zialen Bewegungen gesteigert zu haben scheinen. Keck und Sikkink beschrei‐ ben, wie sich in TANs auch außerhalb von INGOs Pamphlete, Augenzeugen‐ berichte und Statistiken global verbreiten. Soziale Bewegungen versuchen damit recht gezielt, emotionale und persönliche Sichtweisen mit dem tenden‐ ziell wissenschaftlichen Ansatz der INGOs zu kombinieren. Das Resultat ist ein „dichtes Netz des Nord-Süd-Austauschs“, welches das Informationsmonopol des politisch-ökonomischen Systems zu sprengen versucht (Keck/ Sikkink 1998, S. 21). Die berühmten Bumerang-Effekte sind im Kern Prozesse der Informationsdiffusion. Zudem ist auch Manuel Adolphsens Hinweis auf die Rolle von alternativen Weltgipfeln als „providers of symbolic resources“ von Bedeutung, wobei neben der Verbreitung von faktischen Informationen auch visuelle Reize gemeint sind, die die „ritualistische“ Hinwendung der Medien und deren Nachrichtenfaktoren bedienen (2012, S. 58). Informationsqualität und Zirkulationsgrenzen Gleichwohl ist bereits darauf hingewiesen worden, dass selbst faszinierende Bumerang-Effekte keine omnipräsenten Phänomene sind, so dass es an der Zeit ist, über die Qualität der Informationsdiffusion gründlicher nachzuden‐ ken. Dabei sind mehrere Ebenen zu berücksichtigen. Zum einen besteht ein qualitativer Unterschied zwischen Informationen und Ressourcen, die über Websites, Listen und andere Medien organisierter TANs verbreitet werden, und reinem Hashtag-Laien-Journalismus, der gerade im Nord-Süd-Verhältnis, wo die Länder- und Beurteilungskompetenz der Rezipienten vielfach begrenzt ist, anfällig für Fälschungen und Verzerrungen ist (Cooper/ Cottle 2015). Die Rolle der TANs als Bewegungsorganisationen und Gatekeeper ist also bedeutsam. 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 216 <?page no="217"?> Zum anderen muss man auch die TAN-Diffusion beziehungsweise -Zir‐ kulation kritisch hinterfragen: ▸ Informationsqualität: Es gibt bislang keinen Gradmesser hinsichtlich der globalen Informationsdichte, die soziale Bewegungen erzeugen. Eine Steigerung des Informationsumsatzes durch das Internet bedeu‐ tet nicht, dass wir wirklich schon in einer globalen Wissensgesell‐ schaft leben, denn allzu oft herrscht auch in sozialen Bewegungen eine ethnozentrische Begrenzung faktischen Wissens vor (Hafez 2005, S. 147ff.). Ähnlich wie in der Wirtschaft oder in den Massenmedien wird globales Wissen in sozialen Bewegungen domestiziert, was zu fragmentarischen Informationskulturen führen kann. ▸ Theoretisches Wissen: Es besteht zudem ein Widerspruch zwischen der oben festgestellten „dünnen Ideologisierung“ sozialer Bewegungen und deren Anspruch, als Wissensmanager zu wirken. Daniel Innerarity hat darauf hingewiesen, dass Information nicht Wissen ist, solange keine theoretische Basis zur Wissensverarbeitung existiert (2013). Hier ist es nicht nur wichtig, zwischen technischen und sozialen Netzwer‐ ken zu unterscheiden (Marres 2006), sondern Bewegungs-Netzwerke (gerade in Abgrenzung zu Netzwerkorganisationen wie NGOs) nicht zuletzt wegen ihrer begrenzten Dialogqualität auch als verlässliche Wissensinstitutionen zu hinterfragen. Selbst wenn man Bewegungen als (Informations-)Öffentlichkeiten statt als interaktive Systeme betrachtet, entsprechen sie nicht immer Habermas’ Idealvorstellung einer rationa‐ len Öffentlichkeit, da sie weder anerkannte Agenden noch rationale Kommunikate hervorbringen müssen (Faltesek 2015). ▸ Praktisches Wissen: Zudem entsteht ein Informationsstau dort, wo Handlungsoptionen fehlen, um Information auch in politische Akti‐ vität umsetzen zu können (Chouliaraki 2006). Sieht man von gele‐ gentlichen globalen Protesten, Online-Petitionen usw. ab, dürfte vor allem dieser letzte Punkt die Schwäche einer primär auf Weak Ties basierenden und diskursiv orientierten Bewegung sein, die häufig im Protest verharrt, ohne selbst Politik zu betreiben. Gerade die Befür‐ worter der klassischen Strong-Tie-Bewegungen stellen den Mehrwert postmoderner Informationszirkulation in Frage, die nicht in konkrete politische Strategien eingebunden ist (Wright 2004, S. 84ff., le Grig‐ nou/ Patou 2004, S. 178f.). 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 217 <?page no="218"?> Fazit: neue globale Wissenseliten INGOs und TANs sind neue globale Wissenseliten, die die oft ethnozentrisch geprägten Informationsangebote von Massenmedien, Politik und Wirtschaft sinnvoll erweitern. In der globalen Zivilgesellschaft zirkulieren alternative Politikentwürfe und Weltbilder. Soziale Bewegungen erzeugen einen Mehr‐ wert für die Synchronisation von Weltöffentlichkeit, auch wenn dieser durch nationale Mediensysteme gefiltert und domestiziert nicht immer zu den Menschen durchdringt. Die These von der Notwendigkeit einer zivilgesellschaftlichen „Gegenöffentlichkeit“ und der Entstehung neuer globaler Wissenseliten lässt sich gerade hinsichtlich der wichtigen Infor‐ mationsleistungen vieler INGOs bestätigen. Zugleich muss der Primat der Informationsvor der Interaktionskommunikation und der Weak vor den Strong Ties sowohl mit Blick auf die Qualität des Weltwissens als auch auf die gemeinschaftliche Handlungsfähigkeit globaler sozialer Bewegungen kritisch hinterfragt werden. 5.2.4 Diskursive (externe) Kommunikation Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit Während bei Politik und Wirtschaft die Qualität der globalen Interaktion durch den Organisationscharakter dieser Systeme höher sein mag als bei sozialen Bewegungen, die, wenn überhaupt, eher diskursiv als interaktiv verbunden sind, wird ihr kommunikatives Handeln stets konterkariert durch die strategischen (propagandistischen/ PR-) Interessen der externen Kommunikation. Welche Rolle spielt die Beziehung zwischen Innen- und Außenkommunikation bei INGOs und TANs? Gibt es auch hier ein störendes Eigeninteresse? Endruweit unterscheidet, wie gesehen, zwischen den gemeinnützigen Zielen der Organisationen und den Eigeninteressen der Eliten beziehungs‐ weise des Personals. Diese Hybridität kann zu strategischen Problemen führen, am bekanntesten ist wohl die Manipulation von Zahlen durch Greenpeace im Brent-Spar-Skandal 1995, für die sich die INGO entschuldi‐ gen musste. Die Affäre führte zu kritischen Fragen an die „Greenpeace-De‐ mokratie“, in der eine kleine, nicht demokratisch gewählte Gruppe sich durch Faktenfälschung Aufmerksamkeit und Legitimität zu verschaffen suchte (Baringhorst 1998). Diese Kritik an nur begrenzt demokratisch legitimierten, dafür aber aufmerksamkeitsheischenden INGOs existiert bis 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 218 <?page no="219"?> in die Gegenwart fort (Ritzer 2010, S. 164f.). Zugleich sollte man allerdings davon ausgehen, dass die enge Bindung der INGOs an die Interessen der Zivilgesellschaft eine allzu starke Hybridität verhindert. Binnen- und Au‐ ßenkommunikation dürften daher nicht so stark divergieren wie in anderen Sozialsystemen, da sonst das Vertrauen der Menschen in die Expertise der INGOs verloren ginge. Mittlerweile hat sich die Lage der INGOs trotz einiger Rückschläge konsolidiert und gerade ihnen ist es gelungen, sich im Rahmen der „neuen sozialen Bewegungen“ besser aufzustellen und ihre externe Kommunikation zu professionalisieren. In der Lehre der Öffentlichkeitsarbeit von INGOs und TANs unterscheidet man latente Phasen, in denen Themen, Frames und Symbole von den NGOs sowie in alternativen Medien der Bewegung ent‐ wickelt werden, und manifeste Phasen, wo mit der weiteren Öffentlichkeit kommuniziert wird. Untersucht worden sind die Netzwerke, die zwischen INGOs und Massenmedien existieren sowie die verschiedenen Formen des globalen Event-Marketings und des visuellen Managements durch soziale Bewegungen (Cammearts et al. 2013, della Porta 2013, Kolb 2005). Auch Aktionen des zivilen Widerstandes wie Blockaden, Flash Mobs oder Ähnli‐ ches gehören heute zum PR-Arsenal der sozialen Bewegungen (Dempsey 2014, S. 455). Hier wird durch „außergewöhnliches Verhalten“ (exceptional behaviour) Aufmerksamkeit erzeugt (Wolfsfeld 1997, S. 13ff.), um die im Vergleich zu Politik und Wirtschaft geringeren Ressourcen auszugleichen (Schwarz/ Fritsch 2014). Mittlerweile aber lassen sich sogar TANs mit Hilfe von organisatori‐ schen Marketingansätzen der Organisationskommunikation untersuchen und man kann dabei unterschiedliche Professionalisierungsgrade feststellen (Foster at al. 2012). Einigkeit herrscht weitgehend darin, dass trotz digitaler Kommunikation nicht von einer verringerten Bedeutung großer Massen‐ medien für die Außenkommunikation, Legitimierung und Zielerreichung gesprochen werden kann (Hutchins/ Lester 2011, Rucht 2013). Kein Konsens besteht darüber, ob es vor allem die organisierten Teile der TANs - also ins‐ besondere INGOs - sind, die öffentliche Kampagnen planen (Lahusen 2002, S. 41), oder ob durch Digitalisierung auch auf globaler Ebene dezentrale, führerlose „permanente Kampagnen“ entstehen (Bennett 2003, S. 151ff.). Kosmopolitische PR? Zumindest die großen Kampagnen der INGOs und TANs verlaufen dabei sehr analog den Werbekampagnen der Wirtschaft und der Politik, wobei 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 219 <?page no="220"?> auch hier die Mehrebenenstruktur der Weltöffentlichkeit berücksichtigt werden muss. Kampagnen von zentralen INGOs resonieren nicht in allen nationalen Mediensystemen gleichermaßen (Lahusen 2002, S. 42). Dadurch entsteht eine bedeutsame Problematik: Wenn es auch nicht die Interessen von INGOs und TANs selbst sein mögen, die eine strategische Ambivalenz des kommunikativen Handelns erzeugen, so muss man dennoch damit rechnen, dass die Systemumwelten und Umweltsysteme einen starken Anpassungsdruck ausüben. Wie wir gesehen haben, sind auch die Frames sozialer Bewegungen nicht von vornherein universell ausgerichtet, sondern lassen in TANs einen starken Verhandlungsdruck etwa mit Blick auf die Nord-Süd-Kluft entstehen. Die Ursache dieser Spannungen liegt ja auch darin begründet, dass gerade offene soziale Bewegungen, anders als INGOs, sich erst in diskursiven Öffentlichkeiten herstellen, also prinzipiell gar nicht davon auszugehen ist, dass ausschließlich kosmopolitische Narrative entstehen. Islamfeindlichkeit, Anti-Amerikanismus und alle Arten von Nationalismus sind aber spätestens dann zu berücksichtigen, wenn eine globale Bewegung mit den externen lokalen Umwelten kommuniziert. Unter Umständen sehen sich auch TANs aufgefordert, Kompromisse mit den dortigen Partikularinteressen einzugehen. Inwieweit zielt also die PR von TANs und INGOs auf globale Gemeinschaftlichkeit? Keck und Sikkink legen dar, wie TANs über Informationen sowie emo‐ tionale Symbolpolitik die Salienz ihrer Themen und Frames steigern, um so „moralische Hebelwirkungen“ (moral leverage) gegenüber der Politik zu erzeugen (1998, S. 23). Gesellschaftliche Werte sind demnach quasi die „Währung“ der externen Bewegungskommunikation, was natürlich die Frage aufwirft, ob die globale Wertebasis eigentlich stabil genug ist, um kosmopolitische Öffentlichkeitsarbeit zu ermöglichen. Die Autorinnen meinen, dass humanitäre Fragen, vor allem Kinder betreffend, besser uni‐ versalisierbar sind als andere Themen, wobei vor allem individualistische Werte nicht als universell gelten (1998, S. 204ff.). Sie schlagen daher vor, nach Wegen zu suchen, die neuen Ideen mit existierenden Wertesystemen zu verbinden. Dass es sich nicht um eine lokale Anpassungsstrategie an lokale Mainstream-Werte wie in weiten Teilen der Werbewirtschaft handeln soll (vgl. Kap. 4.2.4), machen sie unter Hinweis auf transkulturelle Werte deutlich. In anderen Texten über soziale Bewegungen ist diese Zielorientie‐ rung jedoch nicht vorhanden und hier herrscht denn auch der Ratschlag vor, INGOs und TANs müssten sich an lokale kulturelle Wertekontexte anpassen (Schwarz/ Fritsch 2014, S. 178). Die Forderung von Émilie Foster, Raymond 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 220 <?page no="221"?> Hudon und Stéphanie Yates, soziale Bewegungen sollten eher marktals produktorientierte Ansätze verfolgen, um erfolgreich zu sein, ist insofern tückisch, als Marktorientierung der PR nicht nur Marktforschung beinhaltet, sondern auch eine „Verfeinerung“ (refinement) des Produkts durch lokale Anpassung verlangt (2012, S. 318). Besteht hier die Gefahr, dass selbst die globale Zivilgesellschaft, ähnlich wie Politik und Wirtschaft, die in ihrem Innenraum erzeugte globale Gemeinschaftlichkeit durch kulturalistische externe Kommunikation konterkariert? Auf diese Frage gibt es zwei denkbare Antworten, eine optimistische und eine pessimistische. Die optimistische Antwort lautet, dass im Unterschied zur Produktwelt des Kapitalismus eine Trennung in globale Produkte und lokale soziale Werte bei sozialen Bewegungen nicht zu befürchten ist. Sozialen Bewegungen wird es demnach etwa im Rahmen des interkultu‐ rellen Menschenrechtsdialogs möglich sein, die lokale Verankerung für globale Werte zu betonen, ohne durch übertriebenen Werterelativismus die Kernbotschaft zu verwässern (Hafez 1997, S. 26f.). Dass „Umweltschutz“ auch ein islamischer oder konfuzianischer Wert ist, ließe sich beispielsweise einfach demonstrieren. Das Problem ist allerdings, und hier kommt die pessimistischere Lesart ins Spiel, dass PR kein idealer Dialograum ist und eine zu starke lokale Kontextualisierung ohne gleichzeitigen Hinweis auf universelle Bezüge erfolgen kann. Einige Autoren haben angezweifelt, dass zum Beispiel die so‐ genannte „Anti-Globalisierungsbewegung“ universelle Ziele verfolgt (Gopal 2001, Shipman 2002), auch wenn weite Teile der Bewegung sich eher als „Global Justice Movement“ titulieren, um genau dies klarzustellen. Dennoch zeigt sich hier, dass globale Gemeinschaftsideen und Kosmopolitismus auch in sozialen Bewegungen in den Hintergrund rücken und geopfert werden können, um andere Ziele - gerechte Sozialordnungen, Umweltschutz usw. - durchzusetzen, wo dies opportun erscheint. Nicht jede Umweltkampagne muss den globalen Metawert betonen, wie dies bei One-World-Kampagnen der Fall ist. Ein Hinweis auf Probleme in diesem Bereich ist, dass es auch bei globalen Events sozialer Bewegungen in der Regel keine transnationale PR-Strategien gibt, sondern lokale Medien, Regierungen und NGOs größerer TANs die Ereignisse domestizieren (Adolphsen 2012, S. 198f.). Besteht der lokale Anpassungsprozess der PR also nicht nur in der Hervorhebung lokaler Herleitungen globaler Werte, sondern, wie nicht selten in Wirtschaft und Politik, in der Negation des globalen Narrativs, dann wären auch soziale Bewegungen im Sinne der Globalisierungstheorie als Hybride zu 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 221 <?page no="222"?> bezeichnen, die nicht nur globale Gemeinschaftlichkeit und Synchronität erzeugen, sondern auch deren Gegenteil. Gesamtfazit: Zivilgesellschaft als erweiterte Weltöffentlichkeit Die globale Zivilgesellschaft bringt neue interaktive Weltgemeinschaften hervor, sie ist aber in weiten Teilen eher als ein Raum einer alternati‐ ven globalen Öffentlichkeit zu betrachten. Sie gehört weder eindeutig in den Formenkreis der Weltgemeinschaft noch in den der Weltgesellschaft beziehungsweise Weltöffentlichkeit, sondern umfasst - ähnlich wie die Handlungssysteme von Politik und Wirtschaft - beide Prozesse. Globale Kommunikationseliten und -peripherien, teils mehr, teils weniger organi‐ siert, prägen das Bild globaler sozialer Bewegungen. Dennoch dominieren nicht-interaktive Diffusionsprozesse über alternative Medien oder gar Mas‐ senmedien. Interaktion ist, mit Ausnahme der INGOs und einiger Eliten der Transnational Advocacy Networks (TANs), weniger integriert als in anderen vollständig organisierten Sozialsystemen. Soziale Bewegungen betreiben daher eher diskursiv vernetzte Weak-Tie-Politik und selbst die Strong-Tie-Kommunikation von INGOs erzeugt keine Massenorganisatio‐ nen. Instabile Interaktion hängt also auch hier mit begrenzt effektiver Low-Risk-Politik zusammen. Die INGOs sind Teil des „dritten Raums“ der diplomatischen Kommunikation und Global Governance - nicht umgekehrt. Betrachtet man die politische Diplomatie zwar als eine instabile, aber perma‐ nente Größe, dann ist der globale Organisations- und Interaktionscharakter der Politik ausgeprägter als der der „neuen sozialen Bewegungen“, die ihren Weak-Tie-Ansatz allerdings vielfach als Stärke und als postmoderne „Kultur“ verstehen. Die globale Zivilgesellschaft ist weit davon entfernt, eine einheitliche Öffentlichkeit zu bilden, denn TANs, transnationale Bewegungsmedien und eine transnationale Verbindung von Diskursen (Bumerang-Effekte, Scale Shifts, kollektive Handlungsframes usw.) finden nur in Teilen statt. Soziale Bewegungsöffentlichkeiten sind noch immer hochgradig lokal. Digitale Mediatisierung ist vor diesem Hintergrund eher als eine beschleunigte Form der globalen alternativen Öffentlichkeit durch INGOs und TANs zu deuten. Interaktivität ist auch durch das Internet nicht nachweislich gefördert worden. Außenkommunikation ist unter den Bedingungen teilweise global synchronisierter, jedoch überwiegend lokal interagierender und handelnder Aktivisten den Gefahren des Separatismus ausgesetzt, auch wenn der Wert des Globalen in manchen Bewegungen deutlich höher veranschlagt 5 Zivilgesellschaft und globale Bewegungskommunikation 222 <?page no="223"?> wird als in anderen. Globale Informationsdiffusion wird aber, trotz aller Einschränkungen der globalen Qualität von Information, Wissen und Hand‐ lungspraxen, prinzipiell verstärkt. Die informationellen Grundlagen einer alternativen und kosmopolitischen Diskursgemeinschaft scheinen mehr denn je vorhanden zu sein. 5.2 Kommunikative Systemverbindungen 223 <?page no="225"?> 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation Der Begriff der globalen „Gemeinschaft“ tritt im Konstrukt der „Weltge‐ meinschaft“ dort in Erscheinung, wo organisierte Sozialsysteme der Politik, Wirtschaft oder die Zivilgesellschaft sich über den nationalstaatlichen Raum hinaus austauschen, vernetzen oder sogar zu transnationalen Handlungs‐ systemen verbinden. Sie bilden dann politische, professionelle, epistemische oder wissenschaftliche Gemeinschaften (Djelic/ Quack 2010, S. 42, vgl. a. Etzioni 2004, Linklater 1998). Der Gemeinschaftsbegriff verweist hier auf die Werte-, Identitäts- und Interaktionsdimension der Interdependenz zwi‐ schen den Nationalstaaten und es hat in diesem Sinne immer auch etwas Strategisches, wenn die Systeme ihr Handeln im Sinne der Weltgemeinschaft rechtfertigen (Grewal 2007). „Gemeinschaft“ ist allerdings im digitalen Zeitalter noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu einem Leitbegriff der Wissenschaft geworden. Hier ist nicht mehr die Frage, ob organisierte Systeme Vergemeinschaftungs‐ tendenzen aufweisen können, sondern ob sich Gemeinschaft auch ohne solche Organisationsstrukturen im globalen Raum bilden kann. Da tradi‐ tionelle Gemeinschaften eng an Face-to-Face-Interaktion gebunden sind, ist zu untersuchen, ob sich Gemeinschaften trotz fehlender Organisations‐ strukturen durch elektronisch gestützte Fernkommunikation zu globalen „Netzgemeinschaften“ erweitern lassen (Riley/ Monge 1998). Es existiert bislang keine kohärente Theorie „globaler Gemeinschaft“ (Djelic/ Quack 2010, S. 37), wahrscheinlich, weil die Debatte von den Politik- und Wirtschaftswissenschaften dominiert wird, die sich vor allem mit sozialen Bewegungen beschäftigen. Aber auch wenn Großgemeinschaften oft wie soziale Bewegungen wirken, sind sie doch etwas ganz anderes, da sie weder in gleicher Weise organisiert werden noch kurzfristige politi‐ sche Ziele verfolgen, sondern den Übergang vom System zur Lebenswelt markieren. Marie-Laure Djelic und Sigrid Quack: „Communities based on shared convictions, values, or expertise have properties that distinguish them clearly from other modes of social coordination” (ebenda, S. 40). Bis heute ist nur sehr wenig über die interaktiven, perzeptiven und diskursiven <?page no="226"?> Prozesse bekannt, die es Menschen erlauben oder sie daran hindern, Teil einer globalen Gemeinschaft zu sein. 6.1 Systeme und Systemwandel Gemeinschaft und Gesellschaft In der klassischen Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft von Ferdinand Tönnies ist die „Gemeinschaft“ ein Selbstzweck ihrer Mit‐ glieder, während in der „Gesellschaft“ utilitaristische Ziele von Individuen und Institutionen zum Tragen kommen (2010). Da Tönnies’ Gemeinschafts‐ begriff vor allem auf Verwandtschafts-, Nachbarschafts- und Freundschafts‐ beziehungen abhebt, sind aus dieser Sicht Kleingruppen (vgl. Kap. 7) oder Großgruppen bis maximal fünfzig Teilnehmer die eigentlichen Orte der Gemeinschaft (Stegbauer 2001, S. 83ff.), die somit prinzipiell interaktiv ver‐ netzt sind. Nations- und Religionsgemeinschaften lassen sich demgegenüber als Surrogatgemeinschaften bezeichnen, die im Zuge des weitgehenden Zerfalls der traditionellen Gesellschaft im Prozess der Moderne entstanden sind. Als „Schicksalsgemeinschaften“ werden sie auch als semi-freiwillige Gemeinschaften tituliert, deren Identitätszwang man sich kaum und nur um den Preis der Emigration oder Konversion entziehen kann (In der Smitten 2007, S. 125ff.). In der Surrogatgemeinschaft herrschen Konsensfiktionen vor - nennen wir es das Imaginationsproblem. Die imaginierte Gemein‐ schaft der Nation kommuniziert über öffentliche Diskurse und Symbole und nicht mehr primär durch soziale Interaktion (Djelic/ Quack 2010, S. 9f.). Ihre Konstruktion verdankt sie maßgeblich einer propagandistischen Ver‐ breitung über Massenmedien durch politische Akteure und Institutionen. Zumindest aber muss die Definition der Großgemeinschaft zwei Ebenen umfassen: interaktive Gruppen und diskursive Öffentlichkeiten. Prinzipiell besteht kein Unterschied zwischen einer nationalen und einer globalen Großgemeinschaft, da beide die Ortsgebundenheit interaktiver Gruppen medial transzendieren. Interessant ist allerdings, dass durch das Internet der Aspekt der Interaktion verstärkt wird, da Versammlungen im Netz permanent stattfinden können und so verstreut lebende Menschen Großgruppen innerhalb von Großgemeinschaften bilden können. Allerdings kann es auch Gegentendenzen in diesen „Netzgemeinschaften“ geben, die die globale Ausdehnung derselben bis heute wissenschaftlich umstritten sein lassen. Ob Ortlosigkeit bei Großgruppen ohne Verlust an Gemeinschaft‐ 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 226 <?page no="227"?> lichkeit möglich ist, darüber gibt es keinen Konsens, sondern grundver‐ schiedene Ansichten, weil insbesondere die Bedeutung von Interaktion und realweltlicher Existenz einer Gemeinschaft - die sogenannte „soziale Kopräsenz“ - von den Autoren ganz unterschiedlich gewichtet werden (zum Überblick vgl. Jankowski 2002). Virtuelle Gemeinschaft und Konstruktivismus der Ortlosigkeit Grob lassen sich zwei Richtungen in der Wissenschaft unterscheiden, denen wir eine dritte, synthetische hinzugesellen wollen. Die konstruktivis‐ tische Schule betont die Neuformierung von Gemeinschaft durch digitale Netzwerke (Rheingold 2000, Giddens 1990, Barnes 2013, Beck zit. nach Stegbauer 2001, S. 53). Eine einflussreiche Definition von Howard Rheingold besagt: “Virtual communities are social aggregations that emerge from the Net when enough people carry on those public discussions long enough and with sufficient human feeling, to form webs of personal relationships in cyberspace“ (2000, S. XX). Diese Definition hebt nachhaltige Interak‐ tion und Emotionalität hervor. Dabei sind nicht alle „Newsgroups“ oder digitalen Netzwerke wirklich Gemeinschaften, weil Nachhaltigkeit und Intensität der Beziehungen eine Rolle spielen (Barnes 2013, S. 108, 110). Die Medienrevolution von Presse, Radio und Fernsehen hat historisch betrachtet die Individualisierung begünstigt, da der Gemeinschaftszwang entfiel; die digitale Medienrevolution fördert nun wiederum die soziale Kommunikation (ebenda, S. 107). Das Internet ist somit eine Korrektur der Moderne, die die Anonymität in der (kapitalistischen) Gesellschaft durch mehr Gemeinschaftlichkeit ausgleicht. In gewisser Weise ist der Konstruktivismus eine Rückkehr zur Urbedeu‐ tung von „Gemeinschaft“, da dieser Begriff vom indogermanischen Wort‐ stamm meibeziehungsweise moinofür Tausch abgeleitet ist und damit auf Kommunikationsprozesse verweist (In der Smitten 2007, S. 113). Der Gemeinschaftsbegriff von Tönnies war gar nicht so interaktionsfreundlich, weil er zwar die Idee der Gemeinschaft hervorhob, diese aber oft hierar‐ chisch tradiert wurde, ohne durch soziale Kommunikation neu verhandelt zu werden. Die imaginierten Gemeinschaften der frühen Moderne (z. B. die Nation) hatten schließlich primär öffentliche Diskurse gefördert und Menschen zu Rezipienten gemacht. In den neuen Netzgemeinschaften der Gegenwart herrscht hingegen ein hoher Interaktionsbedarf, da in der Abwesenheit vorgegebener Sozialbindungen zwischen den Menschen eine Gemeinschaftsidee nur so erzeugt werden kann. Diese Korrekturbewegung 6.1 Systeme und Systemwandel 227 <?page no="228"?> von der primordialen zur kommunikativen, ja sogar zur interaktiven Ge‐ meinschaft ist gerade für die Globalisierungsforschung wichtig, weil neue Gemeinschaftsvereinbarungen jenseits der bestehenden lokalen und natio‐ nalen Sozialbindungen der Menschen möglich erscheinen. Das Prinzip der Ortsbindung der Kommunikation entfällt, da sich Gemeinschaften durch moderne Technologien nun auch ohne physische Bindung zusammenschlie‐ ßen können (Barnes 2013, S. 106). Die Welt wird in dieser Vision zu einem idealtypischen interaktiven Dorf. In welchem Verhältnis diese neuen Großgruppennetze zu den tradierten, semi-freiwilligen, realen wie auch imaginierten Gemeinschaften stehen, bleibt bei den Konstruktivisten unklar. Netzgemeinschaften können theore‐ tisch isoliert von Familie, Nachbarn sowie Religions- und Nationsgemein‐ schaften existieren, also eine Parallelstruktur der Gemeinschaft bilden. Es kann aber auch globale Neuvergemeinschaftungen durch die tradierten Gemeinschaften selbst geben, also eine Art „Re-Tribalisierung“, die sich in Zeiten der Globalisierung sogar verstärken kann, weil die alten Gemein‐ schaften im Netz neue Interaktions- und Diskursräume erobern und sich auf diese Weise revitalisieren ( James 2006, S. 293). Hier ist Susanne In der Smittens Unterscheidung zwischen „virtuellen“ und „virtualisierten“ Gemeinschaften sinnvoll (2007, S. 128f.). Strukturalistische soziale Kopräsenz und „Re-Tribalisierung“ Genau an diesem Punkt setzen die strukturalistischen Gegner der Konstruk‐ tivisten an (Stegbauer 2001, Curran 2012, Fenton 2012, Bugeja 2005). Sie betonen den engen Zusammenhang zwischen den digitalen Gemeinschaften und den realen sozialen Verhältnissen, den man als Problem der sozialen Kopräsenz bezeichnen kann. Dieses besagt, dass im Grunde ausschließlich „virtualisierte Gemeinschaften“ wirkliche Gemeinschaften im Netz sein können, während „virtuelle Gemeinschaften“ nicht eigentlich Gemeinschaf‐ ten sind, sondern lediglich soziale Netzwerke (wahrscheinlich im Sinne der Weak-Tie-Außenrelationen von sozialen Entitäten). Aus dieser Sicht gibt es keine Gemeinschaft ohne Ort, da hier ein Kernmerkmal der Gemeinschafts‐ definition nach Tönnies fehlt (Stegbauer 2001, S. 67ff.). Christian Stegbauer: „Soziale Beziehungen sind in der Regel auf Kopräsenz angewiesen, also räumlich rückgebundene Beziehungen. Diese Beziehungen lassen sich per se niemals vollständig auflösen, denn die Herkunft ist immer an einen realen sozialen Ort gebunden“ (ebenda, S. 44). Miriam Meckel deutet an, dass im globalen Rahmen eine „enge soziale Ausrichtung und Verknüpfung gegeben 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 228 <?page no="229"?> sein müsste, die zudem noch ‚natürlich‘ existiert“, damit man von einer Weltgemeinschaft sprechen könne und hält daher den Gesellschaftsbegriff („Weltgesellschaft“) für die Globalisierung für ergiebiger (2001, S. 43, vgl. a. Kneidinger 2013, S. 95ff.). Henrik Enroth und Douglas Brommesson argumentieren in ähnlicher Weise, dass globale politische Kultur eben nicht auf interpersonalen Erfahrungen beruhe und daher Kosmopolitismus auch nicht gefestigt sei, da der globalen Dimension das Gemeinschaftserleben fehle (2015, S. 69). Überträgt man diese Gedanken auf digitale Kommunikation, so kann man virtuelle Netzwerke auf Grund der fehlenden sozialen Kopräsenz ohne soziale Folgen wieder verlassen, richtige Gemeinschaften hingegen nicht. Stegbauer wendet sich gegen die „Entstrukturierungsfiktion“ von Autoren wie Giddens, Beck oder Rheingold (2001, S. 38ff.). In der Konsequenz heißt dies für die Globalisierungsforschung, dass man von der ständigen Anwesenheit (Kopräsenz) real existierender sozialer Bindungen in den Netzgemeinschaften ausgehen muss. Die soziale Realität wirkt demnach wie eine erste Schichtung, die Kollektive bereits vor der digitalen Vernetzung performiert. Die von diesen Autoren betonte soziale Realexistenz einer Ge‐ meinschaft macht auch erst imaginierte Gemeinschaften (Religionsgemein‐ schaft, Nation usw.) möglich; globale Online-Beziehungen lassen sich nicht einfach losgelöst von den Offline-Beziehungen - also kosmopolitisch - im Netz neu schaffen. Kein Wunder, dass zum Beispiel Stegbauer nicht nur recht essenzialistisch die Verschiedenheit kultureller Symbolsysteme hervorhebt, sondern sich auch gegen den Mythos vom globalen Dorf wendet: „Die Idee, es käme zu einem globalen Dorf, vernachlässigt genau jene kulturellen Identitäten oder verweist sie in ein vormodernes Zeitalter“ (ebenda, S. 45). So plausibel auch die Verbindung zwischen virtueller und realer Gemein‐ schaftlichkeit (im Konstrukt der „virtualisierten Gemeinschaft“) ist, so fällt doch auf, dass Strukturalisten den Faktor Kommunikation eher als abhän‐ gige Variable betrachten. Viel Raum für Neuvergemeinschaftungen durch Interaktion bleibt hier nicht. Transkulturalität, bei den Konstruktivisten sehr bedeutsam, spielt hier keine Rolle, eher schon die Verstärkung der tradierten Gemeinschaftsbindungen, da ja Netzwerke nur innerhalb der etablierten Sozialbezüge agieren können. Während bei den Konstruktivisten inter- und transkulturelle, die tradierten Gemeinschaften überschreitende Gemeinschaftsbildungen im Netz möglich sind, sind inter- und transkultu‐ relle Interaktionen bei Strukturalisten lediglich eine Art dünner und ober‐ flächlicher Kosmopolitismus. Viel wahrscheinlicher ist eine Verstärkung 6.1 Systeme und Systemwandel 229 <?page no="230"?> von Nationalismus und Fundamentalismus, was an die noch zu erörternde Problematik des Hate Speech erinnert. James Curran beispielsweise betont, dass die inhärenten Werte- und Glaubensstrukturen dieser Welt im Internet nicht in einem utopischen virtuellen interkulturellen Dialog überwunden werden können, sondern dass das Internet unweigerlich zu einer neuen Kampfzone chauvinistischer Gemeinschaften werde (2012, S. 10). Das Reziprozitätsmodell der globalen Netzgemeinschaft Nach unserem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz müssen wir eine mitt‐ lere Position in diesem Streit einnehmen. Gesellschaftliche Strukturen spie‐ len eine Rolle, eine technikzentrierte Sicht der Globalisierung ist utopisch. Allerdings können Interaktionsprozesse globale Gemeinschaftlichkeit unter Umständen stärker beeinflussen, als dies die Strukturalisten für möglich halten - und zwar sowohl bei virtuellen als auch bei virtualisierten Ge‐ meinschaften. Von einem Reziprozitätsmodell auszugehen, bei dem soziale Strukturen und (digitale) Interaktion sich wechselseitig und in jeder Lebens‐ lage prägen, scheint realistisch zu sein. Was virtuelle Gemeinschaften angeht, so darf man nicht verkennen, dass auch rein mediatisierte Interaktion im Prinzip ebenso multimodal sein kann wie Face-to-Face-Kommunikation, zumal wenn Kommunikation über Bild- und Tonmedien erfolgt, zum Beispiel über Internettelefonie. Zwar haben wir im Kapitel zur Wirtschaftskommunikation gezeigt, dass direkte Kommunikation Vorzüge gegenüber mediatisierter haben kann (vgl. Kap. 4.2.2), aber letztlich ist es eher der Grad an Multimodalität als die Multimodalität selbst, der hier zur Debatte steht (Greschke 2013). Was genau also soziale Kopräsenz für interaktive Gemeinschaftlichkeit bedeutet, ist gar nicht klar genug definiert. Wir bezeichnen virtuelle Gemeinschaften nicht deshalb als „Bindestrichgemeinschaften“ - Interessen-, Spielgemeinschaften usw. -, weil diese generell weniger interaktiv oder gemeinschaftsbildend wären, sondern weil sie nicht unser gesamtes Dasein prägen, aber doch einen Teil unserer Identität beschreiben. Dadurch besitzen sie insofern eine sozial-integrative Funktion, als sie Menschen unterschiedlicher sozialer Verankerung in einer Art „drittem Raum“ zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen zusammenführen (Nayar 2010, S. 44, 59), was zwar nicht die sozio-ökonomischen Verhältnisse eines Menschen ändert, aber unter Umständen ihr oder sein Bewusstsein. Prinzipiell besteht hier gar kein Unterschied zwischen globalen und tradierten lokalen Gemeinschaften, da auch Letztere längst nicht mehr 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 230 <?page no="231"?> den prägenden Einfluss auf unser Leben haben müssen wie in früheren Zeiten, man denke etwa an die verstreut lebende Großfamilie, die nur noch gelegentlich Kontakt hat. Auf Grund all dieser Erwägungen ist es auch gefährlich, moderne Gemeinschaften als „dünne Gemeinschaften“ (thin communities) zu bezeichnen (Baumann 2000, S. 199ff.) oder von einer strukturellen Unterlegenheit globaler Gemeinschaften auszugehen, da diese eher lose verbunden seien (Djelic/ Quack 2010, S. 51). Fußballfans zum Bei‐ spiel können aus dieser Sicht nie echte Gemeinschaften bilden, da sie keine reziproken Verpflichtungen übernehmen, sondern sich eher am Gefühl einer vermeintlichen Gemeinschaftlichkeit berauschen, der sie sich aber jederzeit entziehen können. Solche Sichtweisen unterschätzen den Einfluss, den diese Formen der Gemeinschaftlichkeit auf den Alltag ausüben können (Brown et al. 2009, S. 6). Zugleich muss man einräumen, dass mit der wachsenden Zahl an Gemeinschaften (im Plural), die ein Mensch eingeht, gleichzeitig der Differenzierungsgrad sinkt (Djelic/ Quack 2010, S. 3), so dass gerade die transnationale Gemeinschaft oft keine multiplexe Gemeinschaft alten Schlags mehr sein kann, sondern eher eine zusätzliche Komponente des weiterhin von lokalen Einflüssen geprägten Daseins ist. Auch die scheinbar tradierten „virtualisierten Gemeinschaften“, die sich lediglich ins Netz verlagern, schaffen im Grunde neue soziale Tatbestände. Großgruppen, die sich über Newsgroups oder in Chatrooms unter nationa‐ len und/ oder religiösen Vorzeichen treffen - viel erforscht sind hier die Dias‐ poragemeinschaften der Migranten -, verstärken nicht einfach bestehende Gemeinschaften, sondern schaffen diese zugleich neu und verändern sie, wie wir noch sehen werden. Die von Meckel geforderte natürliche lebens‐ weltliche Vernetzung von Menschen über Grenzen hinweg, die international arbeiten, leben und heiraten, ist längst Realität, nicht reine Utopie, sondern tatsächlich Ausdruck der Auflösung der Bedeutung des Monolokalismus (Kneidinger 2013, S. 100). In den diasporischen Netzgemeinschaften mischen sich virtuelle und virtualisierte Gemeinschaftlichkeit, wobei sich zu den alten Strong Ties neue Weak Ties gesellen oder sogar neue Strong Ties entstehen können (ein Mechanismus, der nicht nur bei extremistischen Netzgemeinschaften zu beobachten ist, die im Netz Anhänger rekrutieren und sie dann Schritt für Schritt in reale Kleingruppen schleusen). Von einer „Re-Tribalisierung“ sozial kopräsenter ethnischer und religiöser Bindungen im Internetzeitalter zu sprechen, ist also stark vereinfachend. Nicht umsonst verwendet die Forschung heutzutage einen kritischen Dias‐ porabegriff. Die Diasporagemeinschaft essentialisiert nicht nur die Heimat 6.1 Systeme und Systemwandel 231 <?page no="232"?> aus der Position der Distanz heraus, sondern sie praktiziert auch vielfach eine Art „strategischen Essenzialismus“ (Naficy 1993, S. 197), wobei die scheinbare Rückbesinnung weniger die Funktion hat, nationale und reli‐ giöse Anschauungen international zu verbreiten, sondern diese zusätzlich im Kontext der neuen Heimat lokal anzupassen, so dass es eigentlich keine einheitlichen Diasporas (der Juden, Türken, Muslime, Armenier usw.) gibt, sondern transkulturelle Teilgemeinschaften, die innerhalb der Diaspora ent‐ stehen können. Ein starker Einfluss globaler Kommunikation - Interaktion, Interpretation, Diskurse - ist dabei ebenso denkbar wie das kommunikati‐ onsresistente Beharren auf tradierten, essenzialistischen Sichtweisen der Gemeinschaft. Es ist an der Zeit, das Phänomen der digitalen Diaspora auch als einen heterogenen Prozess der Gemeinschaftsbildung ganz neu zu deuten (Karim 2018, S. 12). Insgesamt lässt sich sagen, dass es zwar richtig ist, dass bestehende lokale Sozialstrukturen eine starke Beharrungskraft aufweisen (zumal, wie wir noch sehen werden, die Qualität der globalen Interaktion sehr unterschied‐ lich sein kann). Dennoch entstehen auch ganz neue (Netz-)Gemeinschaften jenseits wie auch innerhalb der tradierten Großgemeinschaften, in virtueller wie auch in virtualisierter Form. Die von Stegbauer vorgeschlagene Ter‐ minologie „Netzwerk“ statt „Netzgemeinschaft“ (2001, S. 91) erfasst diese soziale Dynamik nicht hinreichend und Tönnies’ Gemeinschaftsbegriff erweist sich als teilweise überholt (In der Smitten 2007, S. 116ff.). Stephen Grahams Plädoyer für eine multiperspektivische Sicht und eine Verbindung von konstruktivistischen und strukturalistischen Ansätzen - er bezeichnet diese als „technologische“ und „koevolutionäre“ Perspektiven - ist hier absolut zentral (2010, S. 103). Will man kommunikative Prozesse von Netzgemeinschaften verstehen, muss man zunächst einmal die Formenvielfalt im Blick behalten. Für die weitere Argumentation sind also vor allem die beiden Grundtypen der virtu‐ alisierten Gemeinschaften (z. B. Diaspora) und der virtuellen Gemeinschaf‐ ten (z. B. Interessen- oder Spielgemeinschaften) sowie ihre Kombinationen bedeutsam. Ein adaptiertes Schichtungsmodell, inspiriert von Stegbauer (2001, S. 281) und In der Smitten (2007, S. 131), aber stark verändert, soll einen vorläufigen Überblick über Typen der Gemeinschaftlichkeit bieten: 1. Virtualisierte Gemeinschaften: basierend auf semi-freiwilligen Ge‐ meinschaftsbezügen von lokalen Gemeinschaften wie Familie, Na‐ 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 232 <?page no="233"?> tionalität oder Religionszugehörigkeit oder auf freiwilligen lokalen Gemeinschaften wie zum Beispiel Freundschaftsgruppen im Internet, 2. Virtuelle Gemeinschaften: basierend auf freiwilligen Gemeinschaftsbe‐ zügen in Interessen- und Spielgruppen aller Art, deren Mitgliedschaft hier nicht von sozialen Strukturen, aber von Prozessvariablen wie Zeit und Dauer abhängig ist, 3. Kombinierte virtualisiert-virtuelle Gemeinschaften: basierend auf freiwilliger Großgruppenkommunikation auf der Grundlage der semi-freiwilligen Gemeinschaftszugehörigkeit beispielsweise in Dias‐ poras, Religionsgruppen, ethnische Gruppierungen im Netz. Globales Sozialkapital - Kosmopolitismus oder Kulturkampf? Damit ist die Pfadabhängigkeit der Strukturen globaler Netzgemeinschaften eingeführt, aber noch nicht hinreichend erklärt, da eine handlungstheoreti‐ sche Betrachtung weiterhin fehlt. Bei Strukturen der Lebenswelten sprechen wir ja nicht von Organisation, System und Funktion, wir unterscheiden aber Strukturen und Handlungsmotive (vgl. u. a. Schütz/ Luckmann 2003). Um Handlungsmotive zu erfassen, eignet sich unter anderem die von verschie‐ denen Autoren entwickelte Theorie des Sozialkapitals, die bei der Analyse von Netzgemeinschaften häufig herangezogen wird (Barnes 2013, S. 153ff.). Im Zentrum steht hier die Frage, welcher soziale „Kapitalgewinn“ durch Gemeinschaften entsteht. Ob Netzgemeinschaften sich positiv, negativ oder nur ergänzend auf das Sozialkapital auswirken, ist heute ebenso umstritten wie die Bildung von Strukturen der Netzgemeinschaft selbst (Hofer 2012). Robert D. Putnam unterscheidet Binnen- und Außenkapital von Gemein‐ schaften (bonding/ bridging capital). Beim Binnenkapital geht es um den Mehrgewinn, den Mitglieder einer Gemeinschaft in der Gemeinschaft erzielen, also etwa Identitätszuwachs, emotionales Gruppenerleben oder spezifische Informationen (Putnam 2000). Die Typologie ist Granovetters Einteilung in Strong und Weak Ties zumindest ähnlich, auch wenn sie nicht identisch ist (Kneidinger 2010, S. 29). Binnenkapital kann auch durch rein virtuelle Weak Ties entstehen, sofern diese nachhaltig und intensiv genug sind, um ein Gefühl der Gemeinschaft zu erzeugen (siehe unten), denn hierdurch können sich Identitäts-, Informations- und Emotionsgewinne ergeben. Im Bereich der Globalisierung der virtualisierten Gemeinschaften sind es zum Beispiel ethnisch oder religiös basierte Diasporanetzwerke, die beim Reisen und bei der Migration den Weltzugang erleichtern, da man überall Mitglieder der Gemeinschaft antrifft, mögen diese Kontakte 6.1 Systeme und Systemwandel 233 <?page no="234"?> auch starke oder schwache Bindungen sein (Quayson/ Daswani 2013). Bei Neuvergemeinschaftungen (virtuellen Gemeinschaften) ist das Prinzip recht ähnlich, wenngleich mit ungleichen Zugangsvoraussetzungen: Nicht die scheinbare „Gleichheit“ der Herkunft, sondern die Verschiedenheit auf der Grundlage der universellen Menschlichkeit fördert die transkulturelle Kommunikation, etwa wie beim Gastnetzwerk „Couchsurfing“ oder bei in‐ ternationalen Spielgemeinschaften, die auf humanistischen Werten basieren können (Schumann et al. 2009). Dabei erzeugen die Gemeinschaften allerdings nicht nur eine Sorte Binnenkapital. Diasporagemeinschaften sind nicht mehr reduziert auf Na‐ tionalismus, Kontakte zum Heimatort und konkrete Rückkehrabsichten (Mayer 2005, S. 8ff.) und Spielgemeinschaften sind keineswegs per se kosmo‐ politisch, sondern können zum Beispiel lokale Fangemeinschaften lediglich auf dasselbe internationale Objekt ausrichten (Harrington/ Bielby 2007). Beide Gemeinschaftstypen bilden also lokale und globale Kapitalsorten aus. Es entstehen diverse Gemeinschaften in den Gemeinschaften (Djelic/ Quack 2010). Man kann sich allerdings die Frage stellen, ob der Typ 3 der „vir‐ tualisiert-virtuellen Gemeinschaft“ nicht den größten Ertrag im Bereich des Sozialkapitals verspricht, da er die Kontakte zur lokalen kopräsenten Gemeinschaft erhält, zugleich aber neue Kontakte knüpft. George Rupp hat diese Idee im Konzept einer „inklusiven Weltgemeinschaft“ (inclusive global community) zusammengefasst, indem er argumentiert, dass nur globale Gemeinschaften, die nicht konträr zu den alten stehen, sondern diese quasi in den globalen Kontext mitnehmen, sozial relevant sind (2006, S. 94f.). The best of two worlds? Konzepte wie das des „verwurzelten Kosmopolitismus“ (rooted cosmpolitanism) von Kwame Anthony Appiah (2006) oder der dialo‐ gischen Gemeinschaft von gesellschaftlichen Mehrheiten und Minderheiten von Kai Hafez (2013, S. 360) zielen in diese Richtung. Allerdings kennt die Sozialkapitaltheorie auch das Außenkapital (bridging capital) von Gemeinschaften. Außenkapital und entsprechende Netzwerke sind wichtig, um die Gemeinschaft in der Gesellschaft zu verankern, also um Vorteile nicht in der, sondern durch die Gemeinschaft zu erzielen. Diese Weak Ties definieren jedoch auch die Kulturkämpfe zwischen Gemeinschaften, zumal die positiven Werte nach innen mit Abgrenzungen nach außen einhergehen können. „The best of two worlds“ ist in dem Moment schwierig, wo zwischen Gemeinschaften Spannungen entstehen (etwa bei der Frage der nationalen Zugehörigkeit bei doppelter Staatsbürgerschaft). Für das 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 234 <?page no="235"?> soziologische Verständnis der Kapitalerträge globaler Netzgemeinschaften sind daher die politisch-ideologischen Kontexte von allergrößter Bedeutung. Fazit: Weltgemeinschaft oder Weltgesellschaft? Am Ende geht es um die Frage, ob insbesondere die digitale Netzentwicklung einen Beitrag dazu leistet, dass jenseits der Weltgesellschaft mit ihren (frag‐ mentierten) Öffentlichkeiten und (lose verbundenen) sozialen Bewegungen ein Raum zur wachsenden dialogischen Weltgemeinschaft entsteht (vgl. a. Kap. 1.1). Virtuelle oder virtualisierte Gemeinschaften beziehungsweise ihre Mischungen können prinzipiell sehr unterschiedliche Formen des Sozialka‐ pitals bilden, die entweder die agonistische Öffentlichkeit oder aber die inte‐ grierte Weltgemeinschaft stärken. Fragen der Gemeinschaftsbildung lassen sich jedoch mit soziologischer Handlungstheorie allein nicht beantworten, sondern bedürfen einer kommunikationswissenschaftlichen Analyse, um zu verstehen, wie und warum welche Individuen welche Gemeinschaftsbe‐ züge wählen oder wachhalten und welches Sozialkapital man bevorzugt: lokales, kosmopolitisches oder „verwurzelt“ kosmopolitisches (vgl. a. Walls 1993, Srinivasan 2017, S. 211ff.). Auf welchen Kommunikationsprozessen Gemeinschaften basieren und wie die empirische Bilanz des Beitrags des Internets an dieser Stelle ist, wird Gegenstand des folgenden Kapitels sein. 6.2 Kommunikative Systemverbindungen Wie genau kommunizieren globale Netzgemeinschaften? Die theoretischen Grundmodi der Kommunikation - Interaktion, Beobachtung, Diskurs - blei‐ ben auch in diesem Kapitel wegweisend, da a) Interaktion durch Großgruppen die Netzgemeinschaft erst erzeugt, b) Beobachtung und Wissensdiffusion wesentliche Formen des Sozialkapitals (vor allem in sogenannten „Wiki-Ge‐ meinschaften“) darstellen und c) Diskurse sowohl im Innenwie im Außen‐ verhältnis der Gemeinschaften bedeutsam sind. Es macht allerdings keinen Sinn, wie in den vorigen Kapiteln die Grundmodi mit Organisationstheorie anzureichern, da Gemeinschaften keine formalen Organisationen sind. Bei Netzgemeinschaften ist es daher sinnvoller, eine Kombination aus struktura‐ listischer Internetanalyse - wie stabil und nachhaltig sind Netzwerke und Kommunikationsflüsse in Großgruppen? - und interpersonaler Interaktions- und Dialogtheorie zugrunde zu legen, um zu verstehen, wie in globalen Netzen 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 235 <?page no="236"?> mit Emotionen umgegangen wird und wie rationale Konsense hinsichtlich der Idee der Gemeinschaft erzielt werden. 6.2.1 Interaktion und Dialog Das Kaskadenmodell der globalen Netzkommunikation In der strukturalistischen Internetforschung lässt sich die Intensität der Ge‐ meinschaft in virtuellen Großgruppen in Mailinglisten, Chatrooms usw. vor allem durch Häufigkeit, Nachhaltigkeit und Responsivität der Interaktion zwischen den Mitgliedern ablesen (Stegbauer 2001, Stegbauer/ Rausch 2006). Diese Betrachtungsweise ist allerdings unzureichend, da keine vertiefte Inhaltsanalyse betrieben wird. Ein Streit im Netz zwischen verschiedenen Akteuren kann zum Beispiel Resonanz erzeugen, muss aber nicht in einen gemeinschaftlichen Konsens münden. Gerade für globale Kommunikation mit dem oft eher geringen Maß an grenzüberschreitenden sozialen Verflech‐ tungen ist der dialogische Raum absolut essenziell, um neue Gemeinschaft‐ lichkeit über Grenzen hinweg auszuhandeln. Für unsere Zwecke bezeichnen wir daher die Aspekte der Beziehung, die die strukturalistische Internet‐ analyse misst, als „Relationalität“ und unterscheiden sie von „Dialogizität“ im Sinne des verhandlungsorientierten Dialogansatzes und des kommuni‐ kativen Handelns (vgl. Kap 1.3). Relationalität geht über grundlegende „Konnektivität“ insofern hinaus, als hier nicht mehr nur gemessen wird, ob Menschen im Netz verbunden sind, sondern auch wie. Die Parameter der Qualitätsmessung weisen aber eher auf die klassische Netzwerkanalyse durch eine Messung von Häufigkeit, Nachhaltig und Responsivität. Zu dem Dreigestirn der Interaktionsanalyse aus Konnektivität, Relatio‐ nalität und Dialogizität kommt eine weitere Dimension hinzu, die wir als „Medialität“ bezeichnen wollen. Anders als Kleingruppen beziehen sich Großgruppen und ihre Netzgemeinschaften nicht nur auf Medien, sondern produzieren ihre eigene Medialität (etwa durch Newsletter). Medien sind also nicht nur Systemumwelten, sondern Teil des Systems und seines imaginierten Gemeinschaftsraums. Die Dimensionen Konnektivität, Relationalität und Dialogizität kann man sich als Kaskadenmodell vorstellen, da eine Ebene die Voraussetzung für das Erreichen der nächsten Ebene darstellt und Gemeinschaftlichkeit und Sozialkapital in dem Maße wachsen, wie die Ebenen durchlaufen werden (vgl. Abbildung 6.1). Hier müssen, wie wir sehen werden, geokulturelle (u. a. sprachliche) Hürden überwunden, Netzwerke dicht geknüpft und tragfähige 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 236 <?page no="237"?> Werte im Dialog herausgearbeitet werden. Die Medialität ist in diesem Konzept der diskursive Resonanzraum, in dem die interaktive Gemeinschaft und die Diskursgemeinschaft wechselwirken. Konnektivität Relationalität Dialogizität globale Netzgemeinschaft Interaktion Abb. 6.1: Das Kaskadenmodell der Interaktion in der globalen Netzgemeinschaft Konnektivität: Internet-Geographie und Online-Territorien Zu Beginn erscheint es sinnvoll, sich über die Größenordnung im Klaren zu werden, in der Menschen grenzüberschreitend digital vernetzt sind, wobei zu‐ nächst noch nicht zwischen Interaktion und anderen Kommunikationsformen wie dem Diskurs - etwa beim Lesen von Onlinemedien - unterschieden, son‐ dern lediglich die Grenzüberschreitung an sich quantifiziert wird. Es zeigt sich, dass ein großer Teil der Menschheit noch weit davon entfernt ist, in globale Gemeinschaften eingebunden zu sein. Zwar verweisen die technischen Daten tatsächlich auf ein starkes Wachstum des internationalen Internetverkehrs in den letzten Jahrzehnten. Sowohl die technische Übertragung (supply) als auch die effektive Nutzung (traffic) sind enorm angestiegen (Hafez 2014, S. 648ff.). Allerdings sind Datentransfers ungleich verteilt und zwischen In‐ dustriestaaten und im transatlantischen Verkehr zum Beispiel sind sie stärker als im transpazifischen Austausch. Außerdem fördert die Globalisierung der Wirtschaft die Zirkulation gigantischer Datenmengen, aber nur ein - schwer kalkulierbarer - Bruchteil dient der sozialen Verständigung in Diplomatie, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein weiteres Problem besteht im relativen Verhältnis zwischen globaler und lokaler Internetnutzung. Von einer wirklichen Globalisierung lässt sich im Bereich der Konnektivität nur sprechen, wenn subregionale, regionale und nationale Wachstumsraten des Internetaustauschs geringer ausfallen 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 237 <?page no="238"?> als der internationale Traffic. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der wachsende Internetverkehr auf der Welt entsteht primär durch eine immer stärkere Verdichtung lokaler Kommunikationsflüsse, nicht aber durch Grenzüber‐ schreitung (vgl. a. Goldenberg/ Levy 2009). Internationale Internet-Verknüp‐ fungen (links) sind seltener als globale. In den USA bleiben 90 Prozent aller Verweise im Land; in Europa immerhin noch 60 bis 70 Prozent; etwa die Hälfte der erfassten Angebote weist überhaupt keine internationalen Links auf (Halavais 2000). Laut Ethan Zuckerman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) nutzt auch im Internet im Durchschnitt der Industrienationen kaum ein Mensch mehr als 7 Prozent ausländische Inhalte (gemessen an den wich‐ tigsten zehn von ihr oder ihm verwendeten Websites); im Vergleich sind nur 3 Prozent der US-Bücher Übersetzungen und nur 9,4 Prozent der Flüge international (2013, S. 56, 60, 69). Zuckerman kommt zu dem Ergebnis, dass unsere Online-Reisen in erstaunlicher Weise unseren Offline-Reisen ähneln und beide im Durchschnitt auf sehr lokale Netzwerke in unserem Leben verweisen (vgl. a. Warf 2013, S. 22, 39). Hinsichtlich der Frage, ob das Aufkommen des Web 2.0 der Sozialen Medien die Internationalisierung des Internets gefördert hat, setzt sich Zuckerman kritisch mit Daten von Facebook aus dem Jahr 2010 auseinander, wonach 15 Prozent der dortigen Verbindungen international sein sollen (2013, S. 113ff.). Er macht deutlich, dass diese Prozentanteile vor allem von Reisenden und Migranten erzeugt werden und insofern im selben geokulturellen Raum verbleiben. Bei Reisenden wird demnach eine die Statistik verfälschende Globalität suggeriert; bei Migranten ist der digitale Grenzübertritt real, findet aber innerhalb von Gemeinschaften mit sozialer Kopräsenz und gleicher Sprache statt und ist daher nur begrenzt interkultu‐ rell zu deuten. Nitish Singhs, Kevin Lehnerts und Kathleen Bosticks verglei‐ chende Studie über den Gebrauch Sozialer Medien mit etwa 4500 Nutzern aus EU, USA und den BRICS-Staaten zeigt, dass lokaler Sprachgebrauch etwa in MySpace, LinkedIn, Facebook oder Twitter extrem verbreitet ist und vielfach lokale Soziale Medien genutzt werden (2012, S. 698). George Ritzers Annahme, Soziale Medien seien ein „truly global phenomenon“ (2010, S. 290) stimmt also nur insofern, als Soziale Medien überall auf der Welt eingesetzt werden - allerdings ganz überwiegend in engen Sprachraum- oder Staatsgrenzen. Grenzüberschreitende Interaktionen in andere Länder oder sogar Sprach‐ räume als Voraussetzungen für globale Netzgemeinschaften sind daher auch 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 238 <?page no="239"?> in den Sozialen Medien ein randständiges Phänomen. Unsere Online-Ter‐ ritorien ähneln geopolitischen beziehungsweise kulturellen Territorien. Ethan Zuckerman appelliert: „It’s not enough to be enthusiastic about the possibility of connection across cultures, by digital or other means. Digital cosmopolitanism, as distinguished from cyberutopianism, requires us to take responsibility for making these potential connections real“ (2013, S. 30). Digitale Gräben und Multilingualisierung des Netzes Wie kommt es zu den Defiziten im internationalen Internetverkehr? Kon‐ nektivität ist aufs Engste mit sozio-ökonomischen Verhältnissen verbunden. Ein nicht geringer Teil der Welt hat noch nie telefoniert oder das Internet benutzt, was den „digitalen Graben“ beschreibt (Hafez 2014, Schejter 2017). Die Internetverbreitung wächst in den letzten Jahrzehnten, aber noch immer sind die Hälfte der Bevölkerung Asiens und zwei Drittel der Bevölkerung Afrikas vom Internet ausgeschlossen (Internet World Stats 2018). Eine weitere Ursache ist die zunehmende Multilingualisierung des Netzes, die durch Medienregulierung möglich gemacht worden ist. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), eine weltweite Koordinierungsstelle für das Internet, erlaubte in enger Absprache mit der UNESCO die Nutzung auch nicht-lateinischer Sprachzeichen für Domain‐ namen. Das Resultat war eine Vielzahl an Sprachlandschaften im Internet, was zwar lokale und regionale Internetentwicklungen förderte, die Sprach‐ hürden allerdings auch hochschnellen ließ, so dass seitdem der globale Austausch erschwert worden ist. Die Hegemonie des Englischen im Netz besteht fort, nimmt aber permanent ab. Drei Viertel aller Internetnutzer sind keine englischen Muttersprachler mehr (Internet World Stats 2017). Dies findet eine Entsprechung auf der Content-Ebene, wo das Englische seine Funktion als Brückensprache zunehmend verliert, weil andere Sprachen sich ausbreiten. Seit den 1990er Jahren ist der Anteil des englischsprachigen Con‐ tent im Internet von mehr als 80 Prozent auf etwa 50 Prozent gesunken (Web Technology Survey 2018). Genaue Zahlen sind hier schwer zu ermitteln, da Suchmaschinen Soziale Medien nur unzureichend erfassen. Zuckerman schätzt den Raum des Englischen sogar auf unter 40 Prozent (2013, S. 136f.). Dass überhaupt noch so viel auf Englisch kommuniziert wird, obwohl doch nur 25 Prozent der Internetnutzer englische Muttersprachler sind, hat wohl mit der starken Content-Produktivität westlicher Industriegesell‐ schaften zu tun: Etwa 80 Prozent aller Domains sind in Europa und in den USA registriert, Asien ist hier deutlich weniger produktiv. Japan hat zum 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 239 <?page no="240"?> Beispiel doppelt so viele Nutzer wie Großbritannien, aber weniger als ein Drittel des Aufkommens an Websites (Graham et al. 2015, S. 94f.). Englisch ist also noch immer die führende Angebotssprache für Internetinformatio‐ nen - die lebensweltliche Sphäre der Netzgemeinschaften wird aber von Lokalsprachen beherrscht, wobei etwa deutsche Online-Gemeinschaften Englisch als Fremdsprache weitaus weniger natürlich und sicher nutzen als etwa Niederländer und Niederländerinnen wegen der bei ihnen historisch verankerten Vielsprachigkeit (Dailey-O’Cain 2017). Selbst bei Spielgemeinschaften, wo man annehmen sollte, dass das Spiel selbst durch seine universellen Regeln Sprachhürden überwindet, sind Ein‐ flüsse von Sprache und Region klar erkennbar. „League of Nations“ etwa, das 2016 circa 100.000 Millionen Menschen weltweit spielten, hat seinen klaren Schwerpunkt in Nordamerika und Europa; nur 20 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen des zu 80 Prozent auf Englisch praktizierten Spiels kommen von anderen Kontinenten (Newon 2014, S. 64ff.). Insgesamt lassen diese - zugegeben lückenhaften - Daten die Vermutung zu, dass globale Konnektivität in Englisch oder in anderen Sprachen eher die Ausnahme als die Regel ist. Sprach- und Kulturgrenzen werden nur von den‐ jenigen überwunden, die nicht nur über die ökonomischen Möglichkeiten, sondern auch über die Sprachkompetenz und über die Motivation verfügen, dies in internationalen Brückensprachen oder in weniger internationalen Sprachen zu tun. Netzgemeinschaften sind in ihrer Tendenz national oder zumindest nationalsprachlich ausgerichtet und daher wenig global vernetzt. Dies scheint zunächst einmal denjenigen Strukturalisten Recht zu geben, die an die prägende Kraft real existierender Sozialstrukturen glauben. Gerade jenseits der professionellen Systeme scheint das Internet eher kleine Räume der globalen Vergemeinschaftung eröffnet zu haben. Eine Reihe von sozio-ökonomischen, politisch-rechtlichen und geokulturellen Gräben trennen Menschen auf der Welt von der Möglichkeit einer interaktiven Vernetzung in der Weltgemeinschaft (vgl. a. Jenkins et. al. 2013, S. 286). Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass sich Musik, Töne und Bilder vielfach leichter global transportieren lassen als Texte, weil sie nicht übersetzt wer‐ den müssen (vgl. Kap. 2.2.1). Für eine interaktive Gemeinschaftsbeziehung reicht diese Form der Koorientierung - zum Beispiel auf globale Stars - aber nicht aus, weil sie bestenfalls ein Motiv für die globale Interaktion darstellt, die aber unter anderem durch die „babylonische Sprachverwirrung“ im Netz verhindert wird. 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 240 <?page no="241"?> Relationalität: Asynchronität und Gemeinschaftsdichte Als Fragen der Relationalität bezeichnen wir hier typische Probleme der Großgemeinschafts- und Großgruppenkommunikation im Internet. Groß‐ gemeinschaften sind in Großgruppen unterteilbar, die maximal intern oder miteinander kommunizieren, so dass Großgemeinschaften nie geschlossene Vollnetzstrukturen darstellen, da Teile gar nicht interaktiv verbunden sind (vgl. a. Bravo 2013, S. 121). Auch innerhalb eines Großgruppennetzes gibt es hinsichtlich der Verbundenheit der Individuen zahlreiche Aspekte, die man unter den Begriffen Multimodalität und Asynchronität zusammenfassen kann. Mediatisierte Interaktion kann grundlegend ebenso multimodal sein wie die Face-to-Face-Kommunikation, wenn die Übertragung über Bild- und Tonmedien gewährleistet ist (z. B. via Zoom). Zwar haben wir im Kapitel Wirtschaft zeigen können, dass face-to-face gewisse Vorteile für die infor‐ melle Kommunikation besitzt, aber letztlich geht es hier, wie gesagt, eher um den Grad der Multimodalität als um die Multimodalität selbst (Greschke 2013). Online-Kommunikation ist damit im Prinzip „media rich“, was sie zu einer Kommunikationsform macht, die auch Emotionen und zwischen‐ menschliche Gesten transportiert, was wiederum gemeinschaftsfördernd sein kann (Tian et al. 2012, S. 234ff.). Soziale Medien können durchaus sozial verstärkend wirken, und zwar oft effektiver als dies in realweltlichen Nachbarschaften der Fall ist. Großgruppen erzeugen allerdings häufig Einschränkungen der idealen Interaktion und der Gemeinschaftlichkeit, was wir hier unter dem Begriff der „Asynchronität“ zusammenfassen wollen (Stegbauer 2001, S. 83ff., 155ff., Stegbauer/ Rausch 2006, S. 50ff., In der Smitten 2007, S. 70ff.). Asynchrone Kommunikation ist die primäre Form der Interaktion in Netzgemeinschaften (Mascio 2012, S. 20). In digitalen Netzen gibt es immer Hierarchiemuster (Meinungsführer, weniger Aktive, Lurker usw.), und je größer eine Gruppe ist, umso geringer ist die Beteiligung der einzelnen Gruppenmitglieder. Themen werden weder umfassend noch unbedingt in einer logischen Reihenfolge behandelt. Positionen wechseln mit Akteuren, die in unter‐ schiedlicher Häufigkeit, Nachhaltigkeit und Reziprozität agieren, was in Frage stellt, ob alle Teilnehmer wirklich Teil einer stabilen „Gemeinschaft“ sind. Mailinglisten verstärken die Asynchronität, weil sie rollierend und nicht interaktiv angelegt sind. In Chatrooms entstehen neben konsekutiven Beitragssträngen (threads) oft auch erratische Diskurse. Administratoren 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 241 <?page no="242"?> können in verschiedenen Rollen auftreten, als Moderatoren oder technische Leiter, was Einfluss auf die Synchronisierung hat. Nach Stegbauer sind damit die Probleme der Relationalität in Saal- oder Versammlungsöffentlichkeiten im Netz nicht gelöst worden, sondern beste‐ hen dort weiter (2001, S. 278ff.). Dass Netzkommunikation auch innerhalb relationaler Netzwerke ein Hybrid aus Interaktion und Diskurs ist, muss nicht prinzipiell in Frage stellen, dass Netzgemeinschaften entstehen - man muss nur einräumen, dass es sich hierbei in hohem Maße um Diskursgemeinschaf‐ ten handelt. Ein Teil des Gemeinschaftskonsenses ist interaktionsbasiert, ein anderer Teil eher diskursiv, was typisch für imaginierte und durch Medien konstruierte Großgemeinschaften ist (siehe oben). Eine Verschiebung zum Dialog in Großgemeinschaften, wie sie die Konstruktivisten sehen, tritt also nicht zwangsläufig ein. Hier deutet sich bereits ein Unterschied zwischen „dichter“ und „dünner“ Gemeinschaftlichkeit an, der uns noch beschäftigen wird, zum Beispiel wenn es um „Pop-Kosmopolitismus“ geht (siehe unten). Eine Übertragung der strukturalistischen Internetforschung auf globale Netzgemeinschaften hat bislang kaum stattgefunden. Immerhin bestätigt Stegbauer nicht nur den oben genannten Trend der Konnektivität, dass auch in international besetzten Internetforen Menschen aus dem jeweiligen Ur‐ sprungsland der Plattformen deutlich stärker vertreten sind als Ausländer; er weist auch darauf hin, dass ausländische Nutzer vielfach weniger einfluss‐ reiche relationale Positionen innehaben (2001, S. 277). Hyunji Lee hat zudem feststellen können, dass die Probleme der Relationalität in Großgruppen auch im Internet zum Tragen kommen; Gemeinschaftsmitglieder sind oft Lurker, ihre Beteiligung ist unregelmäßig und kurzfristig, so dass wir es mit verschiedenen Graden des gemeinschaftlichen Engagements zu tun haben (2018). Andere Netzwerkstudien messen zwar Interaktionshäufigkeit und -dichte, sie sind jedoch dabei primär auf nationale und nicht auf globale In‐ teraktion ausgerichtet (Kneidinger 2010, 2013, Drüeke 2013). Transnationale Gemeinschaftsforschung bleibt das Signum der kulturwissenschaftlichen Fächer, die sich weniger auf formale Strukturen der Relationalität als auf die Inhalte der globalen Interaktion konzentrieren, wie wir nun sehen werden. Dialogizität 1: globale Echokammern Andreas Hepp hat zu Recht darauf hingewiesen, dass transnationale Dias‐ porakommunikation ein Gegentrend zu der sonst stark georäumlich einge‐ schränkten Internetkommunikation vieler Menschen ist (2008). Migranten können, wie andere globale Informationseliten, als eine Avantgarde der 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 242 <?page no="243"?> globalen Kommunikation betrachtet werden. Zugleich haben wir gezeigt, dass Interaktion in der primär asynchronen Kommunikation von Netzge‐ meinschaften nicht idealtypisch dialogisch verlaufen muss, was die Analyse von Gruppenkommunikation über längere Zeiträume hinweg sinnvoll er‐ scheinen lässt (Mascio 2012, S. 23). Die strukturalistische Internetforschung ist mit ihren Netzwerkanalysen nicht vollständig in der Lage, Dialogizität in Netzgemeinschaften zu erfassen. Es bedarf zusätzlich einer „narrativen Netzwerkanalyse“ (Weeks 2012), um die Ausgangsfrage beurteilen zu kön‐ nen, ob alte soziale Strukturen oder aber Neuvergemeinschaftungen im globalen Netz prägend sind, wie Kombinationen im Sinne transkultureller Identitäten konstruiert werden und welches das jeweilige Sozialkapital ist. Im Folgenden sollen drei dialogische Grundmuster vorgestellt werden, die als paradigmatisch für globale Netzgemeinschaften gelten können: ▸ die essenzialistische Herkunftsgemeinschaft (Diaspora), ▸ die eingeschränkt transkulturelle Interessengemeinschaft (Spiel- und Fangemeinschaft), ▸ die transkulturelle Herkunftsgemeinschaft (Diaspora). Beginnt man mit dem ersten Typus, so sind bekannte Beispiele für essenzi‐ alistische globale Netzgemeinschaften Teile der hinduistischen oder auch islamischen Diaspora in den USA, die nicht nur Spenden sammeln, sondern über Newsletter und Facebook-Seiten interaktive Gemeinschaften bilden (Mayer 2005, S. 18f., Mohammad-Arif 2011). Gut erforscht ist die islamisch-ji‐ hadistische Variante des Islamismus, von den Taliban und Al-Qaida bis hin zum Islamischen Staat, die global im Netz aktiv sind (vgl. a. Bunt 2003, el-Nawawy/ Khamis 2011). Auch Untersuchungen zur lateinamerikanischen Diaspora in Deutschland haben gezeigt, dass fremdsprachliche Medien nicht zuletzt im Internet oft mit einem Gefühl der kulturellen Distinktion gegenüber dem Gastland einhergehen und durch eine Art des „Kulturexils“ essenzialistische kulturelle Anschauungen auch und gerade in der Diaspora fortgeschrieben werden können (Saucedo Añez 2014, S. 150ff., Hafez 2002d). Kulturelle Parallelgesellschaften sind keineswegs ein durchgehendes Cha‐ rakteristikum einer Diaspora, aber eben eine spezifische Strömung. Miyase Christensen, André Jansson und Christian Christensen haben - unter starker Bezugnahme auf das Werk von David Morley und Kevin Robins „Spaces of Identity“ - verdeutlicht, dass Netzgemeinschaften „Online-Ter‐ ritorien“ abgrenzen, weil sie auf der Basis von Voreinstellungen sowie „kultureller Codes“ der Netzinteraktion Mitglieder ein- oder ausschließen 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 243 <?page no="244"?> (2011, S. 3ff., Morley/ Robins 1995, vgl. a. Sarısakaloğlu 2019). Zugleich wird hier ein starker Einfluss der sozialen Kopräsenz zum Beispiel in Form von kulturellem Essenzialismus, Nationalismus oder Fundamentalismus angedeutet, der den strukturalistischen Ansatz der Gemeinschaftsforschung zu bestätigen scheint. An dieser Stelle beweist sich die Richtigkeit von Stegbauers Annahme der Beharrungskräfte lokaler kultureller Identitäten. Demnach sind lokale Gemeinschaften sogar oft heterogener als virtuelle, da virtuelle Mitgliedschaften auf einer „vorher vereinbarten“ Übereinkunft der Themen basieren (2001, S. 53). Essenzialistische globale Netzgemeinschaften sind in diesem Sinne nichts anderes als in den globalen Raum verlagerte „Echokammern“ mit geringer Dialogizität, da andere als essenzialistische Kulturvorstellungen kaum zum Tragen kommen. Online-Territorien sind quasi die geokulturelle Ausdehnung der lokal und regional geprägten Konnektivitätsräume des Internets. Sie zeigen, dass Transnationalität nicht identisch ist mit Transkulturalität. Die Erweiterung nationalistischer und fundamentalistischer Anschauungen in den globalen Raum lässt zudem neue kommunikative Reibungsflächen entstehen, die uns im Bereich der externen Kommunikation von Netzgemeinschaften noch beschäftigen werden (siehe unten). Dialogizität 2: Pop-Kosmopolitismus, Gaming und „globale Metropolis“ Ein zweiter Typ der Netzgemeinschaft gehört eher zu den „virtuellen Gemeinschaften“ mit geringer lokaler Kopräsenz. Hierunter fallen globale Interessengemeinschaften aller Art. Gut untersucht sind die Fan- und Spielgemeinschaften, die man gerne unter der Bezeichnung „Pop-Kosmopo‐ litismus“ behandelt. Japanische Animeé, koreanische Dramen oder korea‐ nische Popmusik (K-Pop) haben globale Netzgemeinschaften ausgebildet. Henry Jenkins wertet solche Phänomene als Zeichen für eine „semiotische Solidarität“ (2006, S. 156) in der Weltgemeinschaft. Netzgemeinschaften des Pop-Kosmopolitismus werden als Alternative zur vielfach stereotypen Film-, Fernseh- und Musikindustrie als transkulturelles Kulturphänomen gefeiert (Lee 2014, S. 198, Shaheen 2009). Im Vergleich zur essenzialistischen Diaspora versuchen sie der Parochialität ihrer Herkunftskulturen zu ent‐ fliehen ( Jenkins et al. 2013, S. 275). Globale Popkultur kann kulturell sensi‐ bilisieren und Kulturvorstellungen transkulturalisieren, es gibt aber keine Garantie dafür, dass nicht auch stereotype Vorstellungen fortgeschrieben werden ( Jenkins 2006, S. 164). Unklar bleibt zudem bei globalen Spielge‐ meinschaften, inwieweit Spieler Transkulturalität im „dritten Raum“ des 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 244 <?page no="245"?> Spiels überhaupt auf reale Kulturvorstellungen übertragen (Castranova 2007, S. 76f., 176). Eine weitere Frage ist, ob hier wirklich eine dialogische Gemeinschaft‐ lichkeit erzeugt oder - wie schon grundsätzlich angemerkt - eher eine imaginäre „dünne Gemeinschaftlichkeit“ entsteht. Pramod K. Nayar hebt die interaktive Qualität der Fansites hervor, die Menschen aus aller Welt zusammenbringe und eine Art neuer kollektiver Identität schaffe (2010, S. 106f., vgl. a. Black 2009). Auch Jenkins beschreibt die direkte Interaktivität auf Fanseiten des Pop-Kosmopolitismus als „beginnings of a global perspec‐ tive“ (2006, S. 166). Nayar räumt allerdings ein, dass Interaktivität gerade bei Computerspielen oft auf die Narrative der Spielwelt beschränkt bleibt oder von diesen beeinflusst wird (2010, S. 36). Jenkins meint, eine Garantie für ein transkulturelles Verständnis gebe es nicht, da die Selektivität des Kulturkontakts zu groß sei (2006, S. 169). „Selektivität“ bedeutet wiederum, dass vor allem durch die oben beschriebenen Probleme der Relationalität der Interaktion konsistente und nachhaltige Dialoge, derer es zur Hervorbrin‐ gung von Transkulturalität bedarf, eher die Ausnahme als die Regel sein dürften. Die optimistische und die pessimistische Sichtweise zusammen genom‐ men eröffnen eine Spannweite der globalen Netzgemeinschaften in den Bereichen Popkultur und Gaming, die von stark interaktiv und dialogori‐ entiert bis hin zu schwach interaktiv, diskursiv, rezipientenorientiert und essenzialistisch vorgeprägt reicht. Dem Pop-Kosmopolitismus haftet eine Instabilität an, die eine einheitliche theoretische Beschreibung erschwert. Auch wenn man erkennt, dass hier neue lebensweltliche globale Interaktion entsteht, sind Räume für echte, konzentrierte und nachhaltige Dialoge, die sich noch dazu auf kulturelle und nicht auf rein fiktionale Fragen fokussie‐ ren, eher klein und wissenschaftlich auch noch nicht klar genug beschrie‐ ben. Das was Zuckerman die „unerwarteten Begegnungen“ (unexpected encounters, 2013, S. 26f., 30) nennt, also die Auseinandersetzung mit dem als kulturell „fremd“ Empfundenen, dürfte bei den meisten Mitgliedern globaler Pop- und Spielgemeinschaften im Netz eher ein Nebenprodukt ihrer Interessen - nicht aber das primäre Sozialkapital sein. Netzgemeinschaften erzeu‐ gen keinen rein imaginierten Kosmopolitismus wie bei der Medienrezeption (vgl. Kap. 1.1 und 2.2.2), da hier zumindest interaktive Ansätze erkennbar sind. Sie ähneln aber dem Leben in Robert S. Fortners „globaler Metropolis“ (1993) eher als in Marshall McLuhans „globalem Dorf “, da mehr flüchtige 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 245 <?page no="246"?> Interaktion, scheinbare Nähe und ein „dünner Kosmopolitismus“ entsteht, weniger jedoch eine vertiefte und dialogisch gefestigte kulturelle Kenntnis. Dialogizität 3: digitale (trans-)kulturelle Salons Dies ist gänzlich anders bei post-essenzialistischen Netzgemeinschaften der Diaspora. Jowan Mahmod hat eine der wenigen narrativen Netzwerkanaly‐ sen angefertigt, die Einblicke in die Dialogprozesse von Netzgemeinschaften erlauben. Die Textproduktion der kurdischen Diaspora ist hier ein erster Schritt zur Hybridität, da die Mitglieder der Gemeinschaft selbst nicht mehr nur Interpreten und Reproduzenten traditioneller Schriften sind, sondern eigene Themen, Frames und Begriffe prägen (2016, S. 180). Interessant ist dabei ein Phänomen, das man als Unterscheidung zwischen Metanarrativ und Narrativ bezeichnen kann. Einige Dinge sind in der kurdischen Diaspora offensichtlich weniger verhandelbar als andere, insbesondere das Leiden des kurdischen Volkes, das nicht hinterfragt werden darf. Andere Traditionen im Bereich von Gender, Religion, Politik und Sexualität sind allerdings sehr umstritten (ebenda, S. 181, 183). Zentrale Mythen der Diaspora bleiben demnach auch in der Netzgemeinschaft bestehen, sie bilden den Kern der Gemeinschaftsidentität, die aber in anderen Bereichen ständig neu verhandelt wird: „[D]iaspora Kurds have, to an increasing extent, adopted a non-essentialist approach to the understanding of their identities“ (ebenda, S. 197). Auch andere Gemeinschaften erweisen sich als divers, zum Beispiel arabische und/ oder muslimische Online-Gemeinschaften (Lim 2009, Man‐ daville 2001). Auf Diversität verweisende Studien gibt es zum Beispiel für die Roma und für chinesische transnationale Netzgemeinschaften (Kapralski 2014, Ip/ Yin 2016). Mittlerweile gilt das Bild der digitalen Diaspora als einem essenzialisti‐ schen Ausdruck nationalistischer und fundamentalistischer sozialer Koprä‐ senz als weitgehend revidiert. Auch Miyase Christensen, André Jansson und Christian Christensen bestätigen trotz ihres Hinweises auf konnektierte „Online-Territorien“ diesen ganz anderen Blick auf die Diaspora: „While there is a temptation to interpret the often observed attachment of dispersed people with a transnational community as a reproduction of the imagined community of the nation beyond boundaries, the diasporic case is signifi‐ cantly different from both the nation and from any primordial bounded community“ (2011, S. 216, vgl. a. S. 268). Auch Kevin Robins, einer der Auto‐ ren von „Spaces of Identity“, kommt unter dem Eindruck türkischsprachiger digitaler Mediennutzung zu der Erkenntnis, dass eine einfache Übertragung 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 246 <?page no="247"?> von Gemeinschaftskategorien wie der „Nation“ auf Netzgemeinschaften der Komplexität der Dinge nicht gerecht werde (2003, vgl. a. Mellor 2014, S. 110, Budarick 2014). Es ist daher ratsam, sich vor einem „methodologischen Nationalismus“ (De Cesari/ Rigney 2014, S. 2) zu hüten, der die ethnische und religiöse Basis einer Netzgemeinschaft ausschließlich oder primär als globale Raumaus‐ weitung des kulturellen Mainstreams in den Herkunftsländern betrachtet. Umgekehrt ist richtig: Gerade die repressiven kulturellen Ansprüche vieler Sozialsysteme dieser Welt treiben minoritäre Haltungen in die Neuverge‐ meinschaftung globaler Netze und erzeugen hier innovative kulturelle Dialoge (Martin 2009). Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: soziale Kopräsenz von Diasporage‐ meinschaften sendet nicht nur im digitalen Raum, sondern auch in der Wechselbeziehung von Online- und Offline-Gemeinschaften ständig neue transkulturelle Impulse. Michael S. Laguerre hat am Beispiel der amerika‐ nisch-haitianischen Diaspora gezeigt, dass deren Kommunikation sich nicht nur auf das Herkunftsland richtet, sondern die Kommunikationsnetze im‐ mer auch das lokale (US-amerikanische) Umfeld des Migranten einbeziehen (2006, vgl. a. Singh 2011, S. 158). Da hierbei die Rückkehrenden nach Haiti mitwirken, entstehen an beiden Enden der Diasporanetze transkulturelle Impulse (vgl. Abbildung 6.2). Auch Mahmod bestätigt den Erfahrungsaspekt der Netzinteraktion: „We saw how dialogues went from essentialist under‐ standing of the Kurdish identity to constructionist views. […] Blood and soil, and pride and memories framed much of these answers initially, but as they delved into the questions, participants began to talk about identity as the result of experiences“ (2016, S. 184). Insgesamt leistet das Internet einen echten Beitrag zur Errichtung neuer transkultureller „Salons“. Teilweise werden hier Grundannahmen auf den Kopf gestellt, wonach freiwillige Netzgemeinschaften immer kulturell di‐ verser seien als semi-freiwillige Herkunftsgemeinschaften, denn die Nach‐ haltigkeit und Dichte der Kommunikation (Relationalität) ebenso wie die Intensität des Kulturaustauschs (Dialogizität) können bei der Diaspora ausgeprägter sein als in den oft flüchtigen, instabilen und von Echokammern geprägten freiwilligen Gemeinschaften. Die feste Basis der ethnischen oder religiösen Bindung verstärkt damit sogar unter Umständen den transkultu‐ rellen Impuls. Eine rein strukturalistische Betrachtung, die von der sozialen Kopräsenz ausgeht und die Rolle von dialogischer Interaktion im Netz geringschätzt, verbietet sich hier. 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 247 <?page no="248"?> Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. lokale Offline- Kommunikation Sozialsysteme Politik, Wirtschaft etc. lokale Offline- Kommunikation Diaspora in Staat A Diaspora in Staat B grenzüberschreitende digitale Kommunikation durch Online- Gemeinschaften Abb. 6.2: Diasporische digitale Netzwerke Zugleich darf man nicht vom „methodologischen Nationalismus“ in das Gegenteil, den methodologischen Kosmopolitismus, verfallen, denn erstens gibt es verschiedenartige - essenzialistische wie transkulturelle - Netzge‐ meinschaften; zweitens lösen sich primordiale Zentralmythen nicht auf und sind im Krisenfall wiederbelebbar; drittens sind nicht alle differenzierten transkulturellen Narrative automatisch Teil einer kosmopolitischen Meta‐ narration (De Cesari/ Rigney 2014, S. 6); viertens bedeutet nicht jede Diffe‐ renzierung der virtualisierten Diaspora automatisch erhöhte Dialogizität, da Differenzen auch zur Separation von Teilnetzen führen können, was durch Positionsverschiebungen in der Konnektivität (Entkoppelung der Netzwerke) oder der Relationalität (Passivität in der Interaktion) Ausdruck finden kann. Untersuchungen der russischen Diaspora haben gezeigt, dass es in Netz‐ gemeinschaften auch rüde Formen des Streits geben kann (Kuntsman 2010). Hier von voll entwickelten Dialogen zu sprechen, wenn Meinungen lediglich antithetisch und ohne Chance auf einen synthetisierenden Konsens aufein‐ andertreffen, wäre sicher verfehlt. Aber immerhin zeigen solche Studien, dass die Flüchtigkeit digitaler Konnektivität und Gemeinschaft zwar auch in der Diaspora die Regel sein dürfte, zugleich jedoch die Gemeinschaften stabil genug sein können, um nicht gleich beim geringsten Zeichen für Pluralismus zu zerfallen. Netzgemeinschaften dienen dann als „dritter“ 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 248 <?page no="249"?> Verhandlungsraum für die Modernisierung alter Narrative, was selten völlig harmonisch von statten gehen dürfte ( Jungbluth 2018, S. 237). Diskursgemeinschaft durch Mediennutzung Für alle Großgemeinschaften spielen Medien, ähnlich wie für soziale Be‐ wegungen, eine erhebliche Rolle. Diasporas sind zugleich Diskurs- und interaktive Gemeinschaften. Letztere bedienen sich vielfach der Themen, Frames und Diskurse der Medien und bearbeiten sie weiter (De Cesari/ Rig‐ ney 2014, S. 15, Stegbauer 2001, S. 54ff.). Der genaue Zusammenhang zwi‐ schen Netzgemeinschaften und Mediennutzung ist allerdings komplizierter als bei sozialen Bewegungen. Hier konnten wir durch die Zweiteilung in lokale (oft große) und transnationale (vielfach kleine) Medien einen wesentlichen Einflussfaktor für den in der Regel schwachen Zusammenhalt jenseits bestimmter Bewegungseliten nachweisen. Bei Großgemeinschaften kommt es nun aber auf die Art der Gemeinschaft an. Sozial kopräsente Gemeinschaften wie Diasporas lassen eine ähnliche Dynamik vermuten wie soziale Bewegungen, da sowohl Heimatmedien als auch Medien der Einwanderungsländer genutzt werden (Saucedo Añez 2014, Hafez 2002d). Während Letztere die unterschiedlichen Erfahrungen der Diasporamitglie‐ der verstärken, also zentrifugale Kräfte darstellen, üben die Medien der Heimatländer eine Brückenfunktion aus und ermöglichen so, dass innerhalb der Diaspora ein täglich erneuerter Diskursraum entsteht, der allerdings ebenso wenig als „transnational“ zu bezeichnen ist wie bei anderen Mas‐ senmedien und in der Regel domestizierende Einflüsse der Heimatstaaten aufweist (Hafez 2005, S. 98ff., vgl. a. Kap. 2.2.1). Viele Rezipienten von Medien einer Großgemeinschaft sind zudem nicht gleichzeitig Mitglieder von Netzgemeinschaften, also nicht Teil der digitalen Interaktion. Allerdings zeigt sich dort, wo Räume des Mediendiskurses und der Netzinteraktion überlappen, dass die Medienagenda keineswegs mit der Rezeptionsagenda und der Agenda der Netzgemeinschaften gleichzusetzen ist. Der katarische Fernsehsender Al-Jazeera beispielsweise schien lange Zeit die arabische Diaspora zu vereinen, aber die Diskurs- und Interaktions‐ gemeinschaften der Anschlusskommunikation im Netz waren immer sehr heterogen (Mellor 2014, S. 100f., vgl. a. Galal 2014). Die Rolle der Massen‐ medien reicht also von der Herstellung eines essenzialistischen Framings mit globaler Ausstrahlung bis hin zu eher schwachen Agenda-Stimuli zur Herausbildung oppositioneller Identitäten in Netzgemeinschaften. Diskurs- und Interaktionsräume wechselwirken, sind aber nicht identisch. 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 249 <?page no="250"?> Etwas anders dürfte die Rolle von Massenmedien für „virtuelle“ globale Gemeinschaften wie Spiel- und Fangemeinschaften sein. Je weiter der Zweck der Gemeinschaftsgründung von der Agenda der Massenmedien entfernt ist, umso größer ist wohl das Potenzial, autonome und alternative Interaktionsräume zu schaffen. Spielgemeinschaften entwickeln sich weit‐ gehend unbeobachtet von Massenmedien. Zwar erfolgt vielfach eine Perfor‐ mierung durch das dem Wirtschaftssystem entsprungene Konsumprodukt (Star, Spiel usw.), das eine steuernde Wirkung auf die Interaktion ausübt. Die größere Distanz von den Massenmedien erzeugt in virtuellen Netzge‐ meinschaften aber eine erhöhte Chance, eine von medialen Diskursen unbeeinflusste Interaktion zu pflegen und so alternative Sozialstrukturen der Lebenswelt zu simulieren, weil soziale Kopräsenz eine untergeordnete Rolle spielt. Die Weltgemeinschaft mag an dieser Stelle konnektiv stark eingeschränkt sein und auf einem „dünnen Kosmopolitismus“ basieren; sie erzeugt unter Umständen aber größere Freiheiten für alternative Visionen des Globalen. Fazit: globale Weltinteraktionsgemeinschaft? Die Befunde zum Zustand der digitalen globalen Netzgemeinschaft sind insgesamt sehr widersprüchlich. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Gemeinschaftlichkeit - ähnlich wie bei sozialen Bewegungen - noch immer in hohem Maße von lokalen Strukturen beherrscht wird. Großge‐ meinschaften und die in ihnen aktiven Großgruppen werden primär durch Strukturen der sozialen Kopräsenz determiniert. Transkulturelle oder sogar kosmopolitische Gemeinschaftsideen existieren aber zeitgleich und werden im Bereich der Netzgemeinschaften sowohl im Zusammenhang mit lokalen Gemeinschaftsstrukturen als auch eigenständig gebildet (virtualisierte und virtuelle globale Gemeinschaften). Im Internet entsteht dadurch ein globaler Lebensweltraum auch jenseits der privaten Sphäre der Kleingruppe und des Individuums. Auf dem Weg zur idealen Gemeinschaftlichkeit müssen die sozialen Netzwerke entscheidende Hürden der Konnektivität, der Relationalität, der Dialogizität sowie der Medialität nehmen, um idealtypisch dichte, nachhal‐ tige und dialogische Gemeinschaftlichkeit zu erzeugen. Konnektivitätsdaten verweisen darauf, dass die globale Netzgemeinschaft noch immer ein Rand‐ phänomen moderner Gesellschaften ist, da geokulturelle Online-Territorien vorherrschen. Innerhalb dieser Formationen wie auch jenseits davon, in fremdsprachlichen Räumen, entstehen heterogene Gemeinschaften, die teils 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 250 <?page no="251"?> einer essenzialistischen Re-Tribalisierung, teils aber auch transkulturellen und kosmopolitischen Prozessen der Weltgemeinschaft Vorschub leisten, die auf die lokalen Gemeinschaften zurückwirken. 6.2.2 Beobachtung und Diffusion Globale Wiki-Wissensgemeinschaft? Robert D. Putnam und Howard Rheingold, zwei „Popstars“ der amerika‐ nischen Gemeinschaftsforschung, sind sich uneinig über die Rolle des Internets. Anders als Rheingold (siehe oben) ist Putnam skeptisch, ob Netzgemeinschaften Sozialkapital erzeugen, da der soziale Kontext fehle und die Interaktion nicht lebensecht sei (2000, S. 170ff.). Digitale Netze lassen aus seiner Sicht eher kulturelles Kapital durch Informationsgewinne entste‐ hen. Netzgemeinschaften werden in der Literatur generell nicht nur als zeitgenössische Varianten der interaktiven Gemeinschaftsbildung betrach‐ tet, sondern auch als alternative Quellen der Wissensdiffusion. Kollektive Informationsseiten, sogenannte „Wikis“, und insbesondere Wikipedia sind neuartige Formen der Wissensgenerierung, die nach Open-Source-Prinzip funktionieren (Schlieker/ Lehmann 2005). Eine oft auch Laien zugängliche Großgruppe unterwirft sich dabei bestimmten Regeln der internen Überprü‐ fung und erzeugt Wissenskapital durch „Schwarmintelligenz“, also durch eine Gemeinschaftsleistung. Dieses ganz neue Elitenverständnis ist insofern für globale Wissensdiffusion interessant, als hier eine Emanzipation von Ressourcen und Machtstrukturen, die auf der Erde ungleich verteilt sind, prinzipiell denkbar ist. Die Entfernung vom professionellen Wissenschaftssystem wirft aber auch theoretische Probleme auf. Die Qualitäten lebensweltlicher Netzge‐ meinschaften haben wir im Kontinuum der akteursspezifischen Kommuni‐ kationsmodi eher im Bereich der Interaktion als in dem der Beobachtung angesiedelt (vgl. Abbildung 1.2). Angesichts des oft erratischen Diskurses in Netzgemeinschaften sind Zweifel an einer faktisch richtigen, logischen und konsistenten Wissensgemeinschaft im Internet durchaus angebracht. Anders als das professionelle Wissenschaftssystem hat das Internet selbst noch keine nobelpreisfähigen Leistungen hervorgebracht. Was kommt der Wirklichkeit am nächsten: das emanzipatorische oder das kritische Bild globaler Wissensgemeinschaften im Netz? 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 251 <?page no="252"?> Wikipedia: Eurozentrismus des Weltbildes Geht man zurück auf grundlegende Diffusionsmodelle wie das von Everett Rogers (vgl. Kap. 4.2.3), so muss eine ideale Informationsvernetzung der Welt Informationsflüsse in alle Richtungen der Weltgesellschaft vorsehen. Bei der weltweit größten Enzyklopädie Wikipedia allerdings, die durch eine globale Netzgemeinschaft gestaltet wird, ergeben sich zahlreiche Probleme der Informationszirkulation, die sich als Asymmetrien der „Partizipation“ und der „Repräsentation“ kennzeichnen lassen. Was die Partizipation angeht, kommt es zu einer ungleichen Verteilung der Editoren (in allen ca. 280 Sprachversionen), wo mehr als 1 Million Edits pro Quartal in den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien vorgenommen werden, nur wenige tausend hingegen aus Afrika und Nah-/ Mittelost stammen (Graham et al. 2015, S. 95ff., vgl. a. Lieberman/ Lin 2009). Trotz eines höheren Anteils von Schwellen- und Industriestaaten wie Südafrika, Argentinien, Brasilien oder Japan liegt der Prozentanteil von Edits von Autoren und Autorinnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika unter 25 Prozent, obgleich diese Länder den größten Teil der Weltbevölkerung ausmachen. Das zweite Problem stellt die globale Repräsentation der Länder dar. Die Zahl der Ländernennungen und lokalen Einträge auf Wikipedia folgt weitgehend der Reichtumsverteilung der Länder und repräsentiert erneut nicht die Bevölkerungsgrößen (Graham et al. 2015, S. 98ff.). Hier zeigen sich deutliche Einschränkungen globaler Netzgemeinschaften, wo diese auf eurozentrischem Weltwissen basieren (Hafez 2005, S. 147ff.). Die Informati‐ onsqualität im Internet unter den Bedingungen extremer Raumdistanz bleibt sehr begrenzt. Es existiert nicht nur ein ungleicher Zugang zum Internet (digitaler Graben, siehe oben), sondern dieser hängt auch mit Asymmetrien der Produktion und Repräsentation zusammen, die diejenigen betreffen, die tatsächlich Nutzer des Internets sind. Erstens, das Bild des globalen Südens bleibt im Vergleich zu dem des globalen Nordens unterentwickelt; über Pokemon und Pornostars gibt es mehr Informationen auf Wikipedia als über das subsaharische Afrika (Simonite 2013). Zweitens, die vorhandenen Informationen über die nicht-westliche Welt sind in hohem Maße fremdge‐ prägt. Diese Asymmetrien des Informationsflusses werden zu Recht als ein Kolonisierungsvorgang im Zeitalter der globalen Informationsgesellschaft bezeichnet, auf den mit einer massiven Dekolonisierung durch andere Autoren und Informationen reagiert werden müsste (Sengupta et al. 2018, Simonite 2013). Das Versprechen eines Ausgleichs von Wissensklüften 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 252 <?page no="253"?> durch die Netzgemeinschaft löst sich in Bezug auf Wikipedia nur sehr beschränkt ein. Separation und Qualität des Wissens Als Folge haben die nicht-englischen Sprachvarianten in Asien, Afrika und Lateinamerika bei Weitem nicht die Bedeutung wie die englische, die von einer dünnen kosmopolitischen Bildungsschicht genutzt wird (Wikipedia Statistics o. J.). Geringe Partizipation und Nutzung sind nicht nur eine Frage der Größenordnung, sondern auch der Qualität der in den Sprachvarianten erzeugten Informationen, die prinzipiell als geringer angesehen werden muss, je weniger Menschen involviert sind. Gerade da es sich um ein Laienformat ohne formale Institutionen der Wissenschaft handelt, benötigt Wikipedia eine „kritische Masse an Nutzern“ (Schlieker/ Lehmann 2005, S. 258, Stegbauer/ Rausch 2006, S. 239). Weil diese in vielen Sprachvarianten nicht vorhanden ist, ist dort auch die Wissensgenerierung gefährdet. Jaron Laniers Hinweis, dass „Schwarmintelligenz“ zur Faktensicherung relativ besser funktioniere als bei theoretischem Wissen (2010), verdeutlicht zudem, dass Wikipedia zwar Faktizität durch Massenbeteiligung unter Umständen absichern kann, dass aber Theoriewissen hier nur selten erzeugt wird. Dieses ist jedoch bei wachsenden Informationsmengen entscheidend, um „Wissen“ zu etablieren (Innerarity 2013). Für Wikipedia bedeutet dies, dass alle nicht-englischen Sprachvarianten weder Informationsfaktizität noch Theoriekompetenz sichern und daher für die globale Informations- und Wissensdiffusion nur sehr eingeschränkt taugen. Für die englische Variante scheint es hingegen eine kritische Masse zur Produktionssicherung zu geben, aber sie ist, wie gesehen, global ungleich verteilt, was die Qualität des Faktenwissens ebenfalls in Frage stellt. Zudem besteht auch in der englischen Version die generelle Problematik der The‐ oriefähigkeit. Die Qualität des globalen Wissens auf Wikipedia ist also vielfach begrenzt. Ein weiteres Problem kommt hinzu: die Separation von Wissen im Vergleich der einzelnen Sprachvarianten. Wikipedia bemüht sich um eine gewisse universelle Standardisierung von Texten, die oft auch durch Textü‐ bernahmen erfolgt, es kann aber dennoch zu erheblichen Unterschieden kommen. Eine Untersuchung von mehr als zwanzig Sprachvarianten von Wikipedia ergab: 74 Prozent der Enzyklopädie-Einträge sind nur in jeweils einer Sprache verfügbar (Hecht/ Gergle 2010). Selbst bei gleichen Einträgen sind Andersartigkeiten der Darstellung erkennbar. Ein bekanntes Beispiel 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 253 <?page no="254"?> sind die berühmten Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jylands Posten. Sie werden in der englischen Version gezeigt, nicht aber etwa in der deutschen (vgl. a. Niesyto 2012). Auch bei anderen Einträgen sind Unterschiede offensichtlich, etwa spricht die deutsche Version des Eintrags „Religion“ die mangelnde Wissenschaftlichkeit religiöser Anschauungen an, die arabische Version aber nicht. Eine Ausnahme bilden hier vor allem einige hochpolitische Themen, die gerade in der englischen Version regelrechte internationale „Editionskriege“ auslösen, was man immerhin als globalen Diskurs einstufen kann (Graham 2012). Sieht man von diesen Fällen ab, so bestehen in der globalen Wikipedia-Ge‐ meinschaft nicht nur grundlegende Qualitätsmängel und eurozentrische Zentren und Peripherien, sondern Zentren und Peripherien des Diffusi‐ onsprozesses sind auch schlecht vernetzt. Letzteres mildert übrigens den Vorwurf des kulturellen Kolonialismus und weist eher darauf hin, dass kulturelle Stereotypen gerade durch den Mechanismus der Schwarmintelli‐ genz wegen der geringeren Beteiligung der Produzenten zumindest in den nicht-englischprachigen Versionen bei Wikipedia beständig kommunikativ reproduziert werden (Hafez 2000a). Von einer idealtypischen Zirkulation des Weltwissens in einer globalen Netzgemeinschaft ist man noch relativ weit entfernt. Fazit: globale Weltwissensgemeinschaft? In der Bilanz haben wir es mit drei Grundproblemen zu tun: Erstens, Wikipe‐ dia ist keine globale Wissens-, sondern eher eine Informationsgemeinschaft, die zweitens ethnozentrische Informationshegemonien durch Produzenten- und Themenstrukturen aufweist, was wiederum drittens Informationsautar‐ kien und den Zerfall der globalen Wissensgemeinschaft in Richtung auf multiple lokale beziehungsweise regionale Wissensgemeinschaften fördert. Die Vorstellung von einer globalen Basisdemokratie des Wissens, die durch das Netz organisiert wird, ist derzeit noch problematisch, da Informations‐ fluss und Wissensgenerierung an vielen Stellen gestört erscheinen. Die Utopie, wonach in der „Weltgesellschaft“ die Zirkulation von Welt‐ wissen eine universelle Moderne erzeugt, wird von Kritikern der „multiplen Moderne“ mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass die „Weltgesellschaft“ noch sehr stark von Subsystemen und lokalen Akteuren beeinflusst bleibt (Schwinn 2006, S. 18). Wikipedia bietet hier zwar Plattformen der globalen Wissenserzeugung an; die Interaktion innerhalb der Wikipedia-Gemein‐ 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 254 <?page no="255"?> schaft ist aber noch zu geokulturell geprägt und zu sporadisch, um starke Impulse für eine echte Weltgesellschaft des Wissens auszustrahlen. 6.2.3 Diskursive (externe) Kommunikation Interkultureller Dialog vs. globaler Netzkrieg Es gilt als eine fortgeschrittene Entwicklungsphase von Gemeinschaften, wenn diese nach der internen Konsolidierung auch nach außen mit anderen sozialen Einheiten kommunizieren (In der Smitten 2007, S. 115). Im Kontext der globalen Kommunikation befinden wir uns hier am Übergang vom transzum interkulturellen Dialog. Die tradierte Annahme ist, dass sowohl Innenals auch Außenkommunikation Sozialkapital erzeugen: Innenkapital (bon‐ ding capital) für den inneren Zusammenhalt; Außenkapital (bridging capital) für die gesellschaftliche Verankerung. Allerdings gibt es auch Beziehungen zwischen den Kapitalsorten, die eher einem Nullsummenspiel ähneln. Wenn zum Beispiel Gemeinschaften (wie Teams) eng zusammenarbeiten, meiden sie vielfach die als störend empfundenen Außenkontakte (Schuller 2007). Selbst dort, wo diese existieren, werden andere Gemeinschaften oft zur Stüt‐ zung der eigenen Identität benutzt, mit denen man keinen interkulturellen Dialog führt, sondern über die man diskursive Spiegel- oder gar Feindbil‐ der konstruiert. Globale Netzkommunikation kann hier auf verschiedene Weise Sozialkapital erzeugen, wobei Binnen- und Außenkapital keineswegs immer ausgewogen sein müssen. Gemeinschaften können sich auch in Kulturkämpfen gegenüberstehen. Junho A. Chois Analyse des Usenet zeigt, dass unterschiedliche Netzge‐ meinschaften - zum Beispiel asiatische und lateinamerikanische Gruppen - durchaus „kohäsive Subgruppen“ bilden können, was auf eine dichte in‐ terkulturelle Interaktion schließen lässt (2002). Diese Querverbindungen zwischen den Netzgemeinschaften entziehen sich dem Essenzialismus an‐ derer Gruppen. Allerdings besteht die Frage, ob dies oft vorkommt. Sophie Croisy geht von einer Dominanz der kulturellen Segmentierung aus, gegen die sich eine neue interkulturelle Dialogkultur erst noch entwickeln müsse: „This space of intercultural relationality is to replace the spaces of cultural segmentation in and around which we live today, where cultural groups are clearly hierarchized in public and political discourses regulated by dominant cultural communities and are not given equal access to decision-making processes“ (2015, S. 9). Ähnlich argumentiert Dominic Busch, dass auch im scheinbar dafür prädestinierten Internet die Chance zum interkulturellen 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 255 <?page no="256"?> Austausch kaum genutzt werde (2012, S. 270). Das transkulturelle Potenzial innerhalb von Netzgemeinschaften ist, wie gesehen, teilweise hoch; der interkulturelle Austausch zwischen ihnen ist aber eher gering. Das „Web of Identity“ (Saunders 2011) breitet sich schneller aus als die interkulturellen Dialoggemeinschaften. Wenn überhaupt von einem „Austausch“ die Rede sein kann, dann vielfach in Form von Hasskommunikation. Barbara Perry und Patrik Olsson unterscheiden hier zwischen direkter Hate Speech, also Attacken und Bedrohungen anderer Netzwerke, und indirekter Hate Speech, dem Äußern von Hass in Gemeinschaften von Gleichgesinnten (2009). Dass Hate Speech in wachsendem Maße auch global im Internet stattfindet, haben wir bereits bei sozialen Bewegungen angemerkt (vgl. Kap. 5.2.2). Was aber jenseits politischer Interessen der Gewinn für eine Netzgemeinschaft ist, bleibt unklar. Von außen hereingetragene Konflikte können eine Gemeinschaft destabilisieren, aber Netzgemeinschaften zerfallen vielfach durch interne Konflikte, während externe Angriffe sie auch stärken können (Kendall 2013, S. 316ff.). Das Ziel entsprechender Ausfälle ist also wohl oft eher die Simulation eines „Cyberkrieges“ (auch „Cyberbullying“), der aber nicht unbedingt Sieger haben muss, da Sprachkriege keine klaren Gewinner kennen, sondern die eigene Identität der Gemeinschaft betonen sollen. Ein weiterer möglicher Außenkapitalgewinn von Hasskommunikation besteht darin, dass digitale Kulturkriege zu neuen Allianzen zwischen radikalen Gemeinschaften führen können. Außenkapital bestünde dann nicht im Kontakt zu gänzlich anderen Gesellschaftskräften, sondern zu ähnlichen Gruppen außerhalb der eigenen. Stormfront.org zum Beispiel, eine nazistische und rassistische Web-Gemeinschaft, hat in zahlreichen Ländern Europas, Nordamerikas und Australiens Verbündete gefunden (Tsunokai/ McGrath 2012, S. 43). Es entstehen globale extremistische Netzal‐ lianzen, die trotz aller Unterschiede in den Auffassungen einen mythischen Kern „weißer“ Rassenzugehörigkeit propagieren. Hauptfeinde von storm‐ front.org sind Muslime, gefolgt von Juden, „Schwarzen“, „Zigeunern“, aber auch der EU, dem Liberalismus usw. (Baumgarten 2017). Feindbilder werden dabei nicht nur kreiert, sondern auch im Rahmen einer Art psychologischer Kriegsführung außerhalb der Gemeinschaft verbreitet (Perry/ Olsson 2009, S. 195). 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 256 <?page no="257"?> Antinomie von Binnen- und Außenkapital Außenkommunikation von Netzgemeinschaften unterscheidet sich erheb‐ lich von derjenigen organisierter Sozialsysteme wie Politik, Wirtschaft und sozialen Bewegungen. Während dort das Hauptproblem in der strategischen Kommunikation liegt, die kaum echtes kommunikatives Handeln im Sinne des Dialogs zulässt, ist die externe Kommunikation von Netzgemeinschaften einerseits dialogischer, andererseits aber auch viel radikaler als die von organisierten Systemen. Sieht man von der Tatsache einmal ab, dass poli‐ tische Akteure Netzgemeinschaften unterwandern und funktionalisieren können (Hafez 2017b, Stegemann/ Musyal 2020), sind die Unterschiede wohl auf soziologische wie kommunikationstheoretische Verschiebungen der Eigenschaften von Netzgemeinschaften im Vergleich zu organisierten Systemen zurückzuführen. Soziales Außenkapital muss im globalen Raum vielfach völlig anders definiert werden als in der klassischen Soziologie der Gemeinschaft. Eine Netzgemeinschaft ist hier insofern kein „normales“ Sozialsystem, als die starke Betonung des ideellen Kerns anders als bei Organisationen eine iden‐ titäre Abschottung vom Rest der Gesellschaft durchaus nahelegen kann. Da für die meisten Mitglieder einer Netzgemeinschaft der innere Kapitalertrag also eine dominante Rolle spielen dürfte, sind Anpassungen an die Umwelt nur bei freiwilligen Gemeinschaften zu erwarten, die sich diese Form des Austausches als ideelles Ziel setzen (z. B. interkultureller Austausch wie beim Pop-Kosmopolitismus). Alle anderen Netzgemeinschaften, vor allem die essenzialistischen virtualisierten Gruppen, haben keine Informations- und Kontaktinteressen im Bereich der Weak Ties und betreiben pure Iden‐ titätspolitik. Sie sind entweder transkulturell oder essenzialistisch geprägt (z. B. Diasporas), existieren in „Echokammern“ (nach innen) oder betreiben sogar „Cyberbullying“ (nach außen). Auf „Gesellschaft“, „Weltgesellschaft“ oder „Weltöffentlichkeit“ wird hier keine Rücksicht genommen. Netzge‐ meinschaften können in diesem Sinn höchst antimodern sein. Allerdings lässt sich diese Antinomie von Binnen- und Außenkommu‐ nikation beziehungsweise -kapital nicht vollständig verallgemeinern. Jan Hanrath und Claus Leggewie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass in autoritären Staaten das Internet eine Art Ersatzöffentlichkeit darstellt (2013, S. 165). Interkulturelle globale Kommunikation kann denn auch für Netzgemeinschaften aus solchen Ländern und für die weltweit operierenden 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 257 <?page no="258"?> Netzeliten des globalen Südens eine deutlich konstruktivere Funktion besit‐ zen und Außenkommunikation zu einer wichtigen Ressource machen. Kommunikationstheoretisch lassen sich Hindernisse für interkulturelle Außenkommunikation auf allen Ebenen festmachen. Konnektivität zwi‐ schen Netzgemeinschaften ist schwer herzustellen, da Einschränkungen der Multimodalität einen Erstkontakt erschweren. Luisa Conti spricht zu Recht davon, dass sich der interkulturelle Dialog nur in einem Kontext entfalten kann, in dem Kontroversen auf der Inhaltsebene durch einen Vertrauens‐ vorschuss auf der Beziehungsebene der Kommunikation abgesichert werden (2012, S. 308f.). Dies stellt allerdings eine hohe Hürde dar, da Vertrauen eng mit einer Entfaltung multimodaler Kommunikation zusammenhängt, die im Internet eingeschränkt ist (siehe oben). Eine Vernetzung hin zu einer interkulturellen Gemeinschaft - also Relationalität und Dialogizität - kann erst nach der Überwindung dieser parakommunikativen Hürden erfolgreich sein. Vielfach kommt es aber gar nicht zur Interaktion zwischen Gemein‐ schaften und es bleibt beim monologischen und bisweilen feindlichen Diskurs. Der interkulturelle Dialog im Netz wird auf lange Sicht wohl nur gestärkt werden, wenn nicht mehr ausschließlich Initiativen aus der organisierten Zivilgesellschaft heraus entstehen, die den Rahmen für Vertrauen schaffen, sondern auch staatlich-regulatorische Maßnahmen gegen Hate Speech im Internet konsequenter betrieben werden. Es entbehrt nicht einer gewissen Logik, das Internet nicht allein aggressiven Akteuren im Netz zu überlassen, sondern eine Harmonisierung des internationalen Rechts gegen Cybercrime und bessere Co-Regulierung von Staat und Gesellschaft anzustreben (Perry/ Olsson 2009, S. 195ff., Hafez 2017b, S. 327ff.). Die Selbstregulierung der Netzgemeinschaften muss ebenfalls verbessert werden. Interessant ist, dass auch rassistische Extremisten sich selbst zu schützen versuchen. Neue Mit‐ glieder bei stormfront.org müssen sich nicht nur Diskursregeln unterwerfen, sondern auch eine Probezeit absolvieren (Tsunokai/ McGrath 2012, S. 43f.). Andere Netzgemeinschaften sichern sich durch Moderatoren (Chua 2009). Gesamtfazit: soziale Netzwerke als Weltgemeinschaft(en) im Plural Globale digitale Kommunikation ist kein Massenphänomen. Das Internet ist weit eher ein lokalisierendes als ein globalisierendes Medium. Die politischen und kulturellen Grenzziehungen dieser Welt werden im Internet reproduziert. Allerdings entstehen durchaus auch neue virtuelle Gemein‐ schaften, existierende Gemeinschaften breiten sich virtuell in den globalen 6 Großgemeinschaften - globale Netzkommunikation 258 <?page no="259"?> Raum aus und können dabei durch interaktive Prozesse neue transkulturelle Räume kreieren. Die narrative Bilanz ist jedoch komplex und weist auf unterschiedliche essenzialistische wie auch hybride Diskursmuster sowie auf ein instabiles und bisweilen antinomisches Verhältnis von Binnen- und Außenkapital der Netzgemeinschaften hin. Jenseits der interaktiven Vergemeinschaftung ist das Internet nur sehr eingeschränkt als Weltinfor‐ mationsgemeinschaft anzusehen; die zentrale Wissensgemeinschaft - Wi‐ kipedia - besteht bei genauer Betrachtung aus ethnozentrisch geprägten Teilgemeinschaften. Eine integrierte Weltgemeinschaft im Singular - „die digitale kosmopolitische Weltgemeinschaft“ - ist in weiter Ferne und durch das Internet auch nicht greifbarer geworden als zuvor. 6.2 Kommunikative Systemverbindungen 259 <?page no="261"?> 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I Wenn wir die Leistung globaler Kommunikation im 21. Jahrhundert disku‐ tieren, dann müssen wir auch die kommunikativen Strukturen und Prozesse von Kleingruppen in den Blick nehmen, da globale Interaktion, Beobachtung und diskursives Handeln nicht allein Kommunikationsphänomene der Sys‐ teme und Großgemeinschaften sind, sondern auch in den Lebenswelten von Menschen stattfinden. Globalisierung wird nicht ausschließlich systemisch gestaltet, da sie auch „von unten“ getragen wird, um kulturell wirksam zu sein (Mau 2007, S. 53, Pries 2008a, S. 46). Menschen agieren in ihrem Alltag in unterschiedlichen sozialen Beziehungen und Situationen. Dabei sind Kleingruppen - von Freunden und Familien bis hin zu Interessengrup‐ pen - lebensweltliche soziale Einheiten, die zur Vergesellschaftung des Individuums beitragen. Unsere Frage ist nun, unter welchen Bedingungen sich Prozesse der Vergemeinschaftung („Weltgemeinschaft“) und Vergesell‐ schaftung („Weltgesellschaft“) auch in den globalen Raum verlagern. Man darf davon ausgehen, dass Menschen im Alltag bewusst oder un‐ bewusst, gewollt oder ungewollt in grenzüberschreitende Kontaktsituatio‐ nen und Erfahrungszusammenhänge geraten. Diese Erfahrungen können erstens Ausgangspunkt für die Herausbildung neuer globaler Gruppen sein, sie können zweitens direkt gemeinsam in einer bestehenden Gruppe gemacht werden und sie können drittens indirekt in Form individueller oder kollektiver Erfahrungen in bestehenden lokalen Gruppen kommunikativ verarbeitet werden. Diese Varianten globaler Kleingruppenerfahrungen haben unterschiedliche Potenziale für die kommunikative Konstruktion von Weltgemeinschaft und Weltgesellschaft. Vermutlich tritt die dritte Variante am häufigsten auf, denn nicht alle Gruppen verreisen gemeinsam oder pflegen internationale Beziehungen. Generell aber gilt für alle Gruppenformationen, dass sie sich zwangsläufig mit den globalen Einflüssen ihrer Umwelten auseinandersetzen, selbst dann, wenn diese nur aus medialen Informationsfragmenten oder kolportierten Beobachtungen bestehen. Man kann also sagen, dass Globalität an sich einen potenziell globalen Handlungsraum für die Kleingruppen des Alltags erzeugt, auch wenn diese weitestgehend stationär agieren. <?page no="262"?> Damit wird die Gruppe ein Nukleus für globale Handlungsmotivationen und Interpretationsschemata, da in ihr Werte, Normen und Handlungsmus‐ ter, also kulturelle Codes, erlernt und tradiert werden. Das Kommunikati‐ onssystem der Gruppe ist theoretisch für die kulturelle Absicherung der Gesellschaft entscheidend (Keppler 1994, Habermas 1995). Inwieweit diese kulturelle Absicherung auf einer kosmopolitischen Deutung und Integration der Weltgemeinschaft, auf multikulturellen oder nationalistischen Werte‐ systemen beruht, zeigt sich daher auch in den lebensweltlichen Nischen der Alltagskommunikation. Uns beschäftigt dementsprechend die Frage, in welchem Zusammenhang interaktive dialogische und beobachtende diskursive Kommunikationsmuster von Kleingruppen zu ihren globalen Wissensressourcen, Wahrnehmungs- und Deutungsstrukturen sowie globa‐ len Handlungsmotivationen stehen. 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation Vernachlässigte Gruppenforschung Angesichts der Relevanz sozialer Gruppen für die angedeuteten Prozesse erstaunt es, dass eine Theorie der „globalen“ oder „grenzüberschreitenden“ Gruppenkommunikation bisher nicht existiert. Zwar ist die Kleingruppe eine zentrale Größe in sozialtheoretischen und soziologischen Auseinander‐ setzungen (u. a. Neidhardt 1983a, Schäfers 1994a, Tegethoff 1999, Olmsted 1974), Globalisierungsprozesse bleiben dort jedoch Randphänomene. Glei‐ ches gilt für die Kleingruppenforschung der Psychologie beziehungsweise Sozialpsychologie (u. a. Delhees 1994, Witte/ Davis 2013, Arrow et al. 2000). Allerdings sind interethnische Kontakte und Gruppenkonflikte unter be‐ havioristischer Perspektive untersucht worden. Die „Kontakthypothese“ oder die Theorie sozialer Identität, die beide die Rolle von Gruppendiskri‐ minierung in den Fokus rücken, sind daher nicht ohne Grund zentrale Referenzen auch in interkulturellen Kommunikationsfragen (Tajfel/ Turner 1986, Pettigrew 1998, Allport 1954). Insgesamt bleiben die Erkenntnisse aus der Kleingruppenforschung in Bezug auf unsere Fragen fragmentiert und die Übertragung auf langfristige kollektive Phänomene der Globalisierung ist schwierig, da häufig Mikro‐ prozesse im Vordergrund stehen, die unter kurzfristigen Experimentalbe‐ dingungen erzielt werden und auf das Individuum hin ausgerichtet sind (vgl. a. Neidhardt 2017, Schäfers 1994b, S. 30, Girgensohn-Marchand 1994). 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 262 <?page no="263"?> Eine Anwendung der stärker kommunikationswissenschaftlich orientierten Gruppenforschung (u. a. Harwood/ Howard 2005) auf einen langfristigen Wandel der Gruppenkommunikation im Kontext globaler Umwelten bleibt daher eine Zukunftsaufgabe. Globale Kommunikation von Gruppen ist inso‐ fern wohl das am stärksten vernachlässigte Forschungsfeld des vorliegenden Handbuchs. Nach soziologischer Lesart stellen Kleingruppen den Normalfall sozia‐ ler Kommunikation dar (Schäfers 1994b, S. 33). Über die Einbettung in Gruppen wird die gesamtgesellschaftliche Integration des Einzelnen im Alltag realisiert. Durch individuelle Freiheit, Freizeit und Mobilität in mo‐ dernen, ausdifferenzierten Gesellschaften haben sich die Möglichkeiten von Gruppenzugehörigkeit aber erweitert und Menschen wurden gemäß der Individualisierungsdebatte immer stärker von Rollen und Strukturen „traditioneller“ Gemeinschaften entbunden (Beck 1986, S. 205ff., Junge 2002, Kippele 1998, Kron 2000, Kron/ Horáček 2009). Die Verlagerung der soziolo‐ gischen Debatte weg von der Primärgruppe hin zu Netzwerken und anderen kollektiven Interaktionsformen ist insofern verständlich, auch wenn es nach wie vor an integrierten empirischen Bilanzen dieser Entwicklungen fehlt (Tegethoff 2001). Wir gehen für unsere Diskussion von der Persistenz sozialer Gruppen aus, ohne die fortlaufenden Änderungen in Form und Funktion und ihre empirische Heterogenität zu übersehen (zu Gruppentypen vgl. a. Schmidt 2004, S. 21ff., Tegethoff 2001). Aus kommunikationswissenschaftlicher Per‐ spektive ist es sinnvoll, die Gruppe als eine Ordnungskategorie kollektiven Handelns aufrechtzuerhalten, da Individuen in ihren „kleinen Lebenswel‐ ten“ (Luckmann 1970) mit anderen kommunizieren und somit Varianten von kollektiv geteilten Kommunikationssituationen ein alltäglicher Rahmen für Handlungsvollzüge und Sinnzuschreibungen bleiben. Zwar mögen län‐ gerfristige Sozialisationseffekte und Bindungskräfte heute vielfältig sein und die enge Definition von Primärgruppen (Cooley 1909) nicht mehr hinreichend empirisch abbilden, aber Kommunikation findet doch nach wie vor in relativ stabilen und wiederkehrenden Beziehungs- und Situations‐ konstellationen zwischen einander bekannten Menschen statt - von den biografisch gesetzten Familien- und Arbeitsgruppen, die wir uns nur bedingt selbst aussuchen können, über Interessen- und Lerngruppen, die wir stra‐ tegisch wählen, bis hin zu Freundschaftsgruppen und Partnerschaften, in die wir freiwillig und meistens zufällig hineinwachsen. Diese Formen realer gruppenförmiger Beziehungen stehen hier im Vordergrund; konstruierte 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation 263 <?page no="264"?> mediale und politische „Zielgruppen“, statistische Gruppen und erratische gruppenförmige Ansammlungen werden hingegen nur als Umweltfaktoren berücksichtigt (zur Definition der Gruppe vgl. u. a. Bahrdt 1997, Neidhardt 1983b, Schäfers 1994a, Schmidt 2004). Wichtig für unsere Diskussion ist die Abgrenzung von Gruppen zu organisierten Sozialsystemen. Zwar bilden Gruppen durch die notwendige Koordinierung von Handlungen und Werten ihrer Mitglieder auch Organi‐ sationsmuster heraus und sind nach innen „organisierte“ soziale Einheiten. In der Soziologie gibt es daher systemtheoretische Beschreibungen von der Gruppe als soziales System (Neidhardt 1983b, S. 14, Neidhardt 2017, Tegethoff 1999, S. 37ff.). Dennoch existieren keine fixierten Hierarchien und Handlungsprogramme, die denen von Politik- und Wirtschaftssyste‐ men gleichzusetzen wären. Gruppen entstehen aus unterschiedlichen Mo‐ tivationen heraus und erfüllen verschiedene Funktionen. Abgesehen von einem Wir-Gefühl, auf dem die durch Nähe und Kontinuität sozialer Bezie‐ hungen erzeugte Zusammengehörigkeit von Gruppen basiert, und einem notwendigen permanenten und längerfristigen Kommunikations- und In‐ teraktionszusammenhang, der die Gruppe konstituiert (Schäfers 1994b, S. 21, Schäfers 2013, S. 108), variieren die Ausprägungen der gruppenspezifischen Strukturmerkmale und somit auch die Gruppentypen. Dazu zählen etwa die informelle Mitgliederstruktur (Anzahl, Zugang, Rollenverteilung der Grup‐ penmitglieder), das Gruppenziel (damit verbunden Aufgabe und Zweck), die Gruppenidentität und damit zusammenhängende Gruppennormen. Globale Handlungskontexte stationärer Gruppen Bevor wir uns die Kommunikationsprozesse von Kleingruppen genauer anschauen, wollen wir uns mit den lebensweltlichen Strukturen von Grup‐ pen beschäftigen, die variierende Bedingungen globaler Gruppenkommu‐ nikation schaffen. Es geht also zunächst nicht um die Binnenstrukturen von Gruppen, sondern um deren äußere Strukturbedingungen. Es gilt zu verstehen, wie die zeitlichen, räumlichen und sozialen Strukturen (vgl. a. Schütz/ Luckmann 2003) die Möglichkeiten wie auch die Art und Weise globaler Kommunikation in der alltäglichen Lebenswelt beeinflussen. Zwar ist in der Globalisierungsdebatte viel von der Entgrenzung von Raum und Zeit die Rede (Giddens 2003, Dürrschmidt 2004, S. 47ff.), aus lebenswelttheoretischer Sicht bleibt der lokale Raumbezug aber eine zen‐ trale Größe, da insbesondere die nicht-mediatisierte Kommunikation von Individuen und Gruppen nach wie vor in unmittelbar erfahrbaren lokalen 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 264 <?page no="265"?> Umwelten stattfindet. In bestimmten Konstellationen der Migration, Dia‐ spora-Vergemeinschaftung oder Arbeitsmobilität können alltägliche Raum‐ bezüge erweitert oder multipliziert werden, es liegen aber generell keine Erkenntnisse über die völlige Auflösung primärer lokaler Ortsbezüge der Menschen weltweit vor (Castells 2001, Bd. 1, S. 479). Trotzdem bieten die ma‐ teriell-physischen Orte des alltäglichen Lebensvollzugs Gelegenheitsstruk‐ turen für globale Kontakte, denn globale Referenzen können heute in Form von Symbolen, Gütern und Menschen in lokale Umwelten eingebunden sein. Im Rahmen der Global-City-Debatten sind Globalisierungsprozesse und Raumstrukturen bereits verknüpft worden (Eckardt 2004, Sassen 2001, 2002). Allerdings stehen in der stadtsoziologischen Forschung die Organi‐ sationsmuster und Netzwerkstrukturen und weniger die Kontaktszenarien oder Interaktionsmuster von Gruppen im Vordergrund. Das Interesse an den Mikroprozessen städtischen Lebens scheint eher gering zu sein (Dürr‐ schmidt 2000, S. 12). Einen Blick auf das Miteinander von Gruppen im städ‐ tischen Raum ermöglichen ethnografisch informierte Arbeiten. Ulf Hannerz beschreibt das Nebeneinander unterschiedlicher transnationaler Gruppen und deren kulturelle Artikulation als charakteristisches Merkmal in Welt‐ metropolen (1992, S. 173ff., 1996, S. 127ff.). Der Mix aus transnationalen Wirtschaftseliten, Immigranten des Niedriglohn-Dienstleistungssektors aus Entwicklungsländern, avantgardistischen Kulturschaffenden und Touristen präge demzufolge die Diversität globaler Metropolen. Nur in diesen existiert nach Hannerz jene kritische Masse an Menschen, die überhaupt erst zur Herausbildung verschiedener subkultureller Gruppen führen kann (zu Ty‐ pologien von Stadtbewohnern vgl. a. Clark 1996, S. 106ff., Abrahamson 2004, S. 23ff.). Zudem liefern Metropolen Angebote für globale urbane Lebensstile, was auch für Metropolen des globalen Südens beschrieben wurde, wo Konsummöglichkeiten, Shopping Malls und Cafés zu symbolischen Orten einer kosmopolitischen Orientierung bestimmter Gesellschaftsschichten werden (u. a. de Koning 2006). Der dynamische Wissensaustausch durch Face-to-Face-Kommunikation, der eigentlich ein Bestimmungsmerkmal glo‐ baler Städte ist (Sassen 2004, S. 17), ist aber bisher kaum empirisch erforscht. Geopolitische Verortung von Urbanität Die globalen Wissens- und Kontaktstrukturen von urbanen Gruppen kön‐ nen auch durch die geopolitische Lage der Stadträume geprägt sein. Trotz der weltweit erkennbaren Ähnlichkeit der urbanen Moderne sind nämlich Zweifel an einer global ausgewogenen Zirkulation von Medien- und Kul‐ 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation 265 <?page no="266"?> turprodukten (Contra Flows, Thussu 2007) wie auch von Migration und Tourismus angebracht. Eine Orientierung an den dominanten Symbol-, Wissens- und Warenwelten westlicher Metropolen wird in postkolonialen Diskursen in vielen Bereichen der Wissens- und Kulturproduktion kritisiert (z. B. in der Wissenschaft, Kunst, in Unterhaltung und Medien). Urbanität ist also kein Garant für integrierte globale Umwelten der Gruppen- und Individualkommunikation. Umgekehrt sind ländliche Regionen nicht automatisch weniger global. So kann die Einsamkeit ländlicher Gegenden globale Mobilität und globales Interesse gerade herausfordern, während es sich in „Expatriaten-Struktu‐ ren“ globaler Großstädte hervorragend „lokal“ leben lässt. Neben dem multikulturellen integrativen Potenzial, das bei Autoren wie Hannerz im Vordergrund steht, können moderne Stadtstrukturen eben auch eine gegen‐ läufige Abgrenzung von Milieus und damit die Einebnung interkultureller Kontaktmöglichkeiten begünstigen. Ob sich Tourismuspfade und Arbeits‐ wege segregierter Immigranten in globalen Städten kreuzen, bleibt also fraglich. Ein Sinnbild sozial-räumlicher Entgrenzung sind „abgeschlossene Wohn‐ anlagen“ (gated communities), die einheitliche Wohnumgebungen für be‐ stimmte Gruppen, zumeist Eliten, erzeugen, nach außen absichern und nahezu weltweit existieren. Die symbolische und physische Trennung von Stadtbewohnern ist offensichtlich ein globales Phänomen (u. a. Castells 2001, Bd. 1, S. 472, Füller/ Glasze 2014, S. 33f., Leurs/ Georgiou 2016, Elsheshtawy 2012, Jordan 1997, Kieserling 2000) und steht einer integrativen Vergemein‐ schaftung sowohl auf subwie auf multikultureller Ebene entgegen. Auch die globalen Erfahrungsangebote globaler Städte übersetzen sich nicht automatisch in eine kosmopolitische Orientierung von Gruppen (Yeoh/ Lin 2018). Die Einstellungsforschung hat beispielsweise gezeigt, dass zwar xeno‐ phobe Bedrohungsängste in Großstädten abnehmen, kulturelle Vorbehalte jedoch auf hohem Niveau verbleiben können (Hafez/ Schmidt 2015, S. 53f.). Moderne und global vernetzte Urbanität birgt also Potenziale, stiftet aber noch nicht zwangsläufig eine Weltgemeinschaft. Manuel Castells: „Orte sind nicht notwendigerweise Gemeinschaften, wenn sie auch zum Aufbau von Gemeinschaften beitragen können“ (2001, Bd. 1, S. 480). Mobile Handlungshorizonte Jenseits des stationären Handlungsraums eröffnet sich mit den Möglich‐ keiten physischer Mobilität auch ein mobiler Handlungshorizont für Men‐ 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 266 <?page no="267"?> schen. Allerdings existieren erhebliche Mobilitätsunterschiede. Es gibt jene Gruppen, die einen globalen Erfahrungshorizont teilen, weil ihre Professi‐ ons- oder Freizeitsphäre Mobilität befördert und andere, die in stationären lokalen Strukturen verbleiben und nur Teil einer „hereinkommenden“ glo‐ balen Wissensdiffusion sind. Selbst wenn die lebensweltliche Realität etwa durch Reisen physisch erweitert wird, heißt das jedoch nicht automatisch, dass neue globale Gruppen entstehen. So können bestimmte Räume im globalen Außen letztlich wieder Gleichgesinnte zusammenbringen. Studien zur sogenannten „Überbrückungsjahrreise“ (gap year travel) von jungen Erwachsenen zwischen Ausbildung und Beruf haben beispielsweise gezeigt, dass sich in Hostels neue temporäre Wir-Gruppen von Backpackern bilden können. Dieser Raum bringt einerseits Geistesverwandte im globalen Außen zusammen und bietet andererseits auch einen Schutzraum, der letztlich zur gruppenspezifischen Abschottung gegenüber der globalen Umwelt führt und so globale Interaktionen verhindern kann (Bennett/ Johan 2018). Auch in der Tourismuswissenschaft gerät das Verhältnis von authenti‐ scher Welterfahrung gegenüber der Inszenierung und „Touristifizierung“ von Räumen in den Blick (Wöhler 2000, 2005, 2011). Wie Karlheinz Wöhler formuliert: „War ehedem der reale Raum des Reisenden mit dem Raum der Lebenswelt der ‚Bereisten‘ identisch, so präsentierte und konstruierte er sich kontinuierlich nach den Bildern und den Sehnsüchten der Touristen“ (2000, S. 105). Standardisierungen des Tourismus und simulierte Reise-, Orts- und Welterfahrung, die unter dem Stichwort des „postmodernen Tourismus“ auch in den Sozialwissenschaften diskutiert werden (Urry 1988, 1990, Munt 1994, Cohen 1972), verhindern demnach authentische Dialoge. Selbst in nachhaltigen Tourismusprojekten werden trotz des Nutzens für die lokalen Gemeinden Räume der Inszenierung traditioneller kultureller Symbole und Praktiken geschaffen, die den Kontakt von Reisegruppen und Lokalbevölke‐ rung nur auf der Basis von Inszenierungen und Vermarktungen ermöglichen und sogar die Re-Traditionalisierung des Lokalen befördern können (Ilius et al. 2014). Vorgelagerte Gruppenkonsense und Annahmen über die Welt beeinflus‐ sen also die Beobachtung derselben. Ein Phänomen, das nicht nur für die Strände und Dörfer des „globalen Südens“ gilt, sondern gleichfalls für Tou‐ rismusziele im „Westen“. Denn auch indische Touristen reisen beispielsweise im Gegenzug zu Bollywood-Filmkulissen in die Schweiz und hoffen dort auf die Realisierung ihrer Erwartungen und Imaginationen (Frank 2012). Solange also Mobilitätserfahrungen die vorgelagerten sogenannten „Um‐ 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation 267 <?page no="268"?> weltblasen“ (environmental bubbles, Cohen 1972, S. 168) nicht aufbrechen, sind sie nicht mit der Globalisierung von Lebensrealitäten gleichzusetzen. Digitale Raumverschiebungen von Gruppenstrukturen Die Frage ist, ob und wie auch digitale Reisen die Lebenswelt von Grup‐ pen prägen. Unter dem Stichwort der Mediatisierung werden gesamtge‐ sellschaftliche Transformationen im Zusammenhang mit dem gestiegenen Einsatz und der Bedeutung von Medienkommunikation diskutiert (Krotz 2001, 2007, Couldry/ Hepp 2013, 2017). Insbesondere das Web 2.0 lässt neben physischen Räumen auch virtuelle Räume der lebensweltlichen Gruppen‐ kommunikation entstehen. So ist es heute möglich, gleichzeitig in einer lokalen Umwelt physisch präsent zu sein und mittels computervermittelter Kommunikation delokalisiert zu interagieren (Zhao 2006). Wenn wir ähnlich wie im Kapitel über Großgemeinschaften zwischen virtualisierten und virtuellen Gruppen unterscheiden, ergeben sich hier jedoch neue Vorzeichen, da die Raum- und Sozialbezüge bei Kleingruppen und Großgemeinschaften verschiedenartig funktionieren. Während soziale Kopräsenz und interaktive Dichte für die Gemeinschaftsbildung zumindest in „virtuellen Gemeinschaften“ zu vernachlässigen sind, weil sie durch übergeordnete Wertekonsense und Ideologien überbrückt werden, bleiben sie konstitutive Voraussetzungen für Kleingruppen. Die Charakteristika der theoretischen Anonymität der Akteure und der potenziellen Asynchronität der Kommunikation (zumal bei in unterschiedlichen Zeitzonen lebenden Gruppenmitgliedern) im digitalen Raum dürften zudem eine virtuelle Grup‐ penbindung zusätzlich herausfordern. Analysen von Freundschaften in Sozialen Medien haben gezeigt, dass hier eher lokale Freundschaftsnetzwerke virtuell reproduziert als neue internationale Kontakte kreiert werden (Zuckerman 2013, S. 71f., 110ff.). Dies folgt dem allgemeinen Trend der Internetkommunikation, den Dominic Busch mit Verweis auf enge Sprach- und Kulturraumgrenzen zusammen‐ fasst: „Die Möglichkeit zum interkulturellen Austausch steht zwar zur Verfügung, aber sie wird kaum genutzt“ (2012, S. 270). Gruppen im Netz un‐ terscheiden sich demzufolge nicht so sehr von Offline-Gruppen - auch hier benötigen Freundschaften offenbar gemeinsame Erfahrungen in geteilten Sozialräumen, wobei sich der Jugendclub oder Schulhof eben nur schwer virtualisieren lassen (vgl. a. Reinders 2004, Brandt/ Heuser 2016, S. 101). Auch bei einzelnen empirisch aufgearbeiteten Beispielen virtueller Grup‐ pen liegen vor- und nachgelagerte Gemeinsamkeiten (Sprache, Erfahrungs‐ 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 268 <?page no="269"?> horizont) zugrunde. Dazu zählt beispielsweise die ethnografische Fallstudie einer Gruppe zuvor einander unbekannter emigrierter Paraguayer, die sich über eine Online-Plattform eine gemeinsame virtuelle Lebenswelt konstru‐ iert hat, um sie anschließend sogar in reale Gruppentreffen zu übersetzen (Greschke 2008/ 2009). Auch gibt es Hinweise auf virtuelle Ermöglichungs‐ strukturen von Partnerschaften (Gutekunst 2016). Die Normalität globaler Alltagsbeziehungen ist damit aber vermutlich nicht beschrieben. Viel eher dürften wir virtualisierte Gruppenkommunikation vorfinden, die sozial kop‐ räsente Gruppenbeziehungen in Situationen der physischen Entgrenzung der Gruppenmitglieder aufrechterhält, wie zum Beispiel in transnationalen Familien. Tom Postmes und Nancy Baym haben zudem den virtuellen Kontakt zwischen unterschiedlichen Gruppen in den Blick genommen und sowohl einen Verstärkungseffekt von Gruppenstereotypen als auch eine positive Repräsentationsfunktion für Minderheitengruppen durch Internetkommu‐ nikation hervorgehoben, wobei die Autoren eher pessimistisch schlussfol‐ gern: „[T]he internet by and large, has not changed existing intergroup relations but has provided a new forum for the perpetuation and accentua‐ tion of familiar forms of racism and sexism“ (2005, S. 219). Insofern stellt sich die Frage, ob Internetkommunikation eine organisierte (teil-)öffentliche Außenkommunikation von Gruppen erst hervorbringt, die in privaten und unmittelbaren lebensweltlichen Strukturen eigentlich nicht existiert. Grundsätzlich benötigen wir also mehr Erkenntnisse zu Mustern der globa‐ len virtuellen Alltagskommunikation von Gruppen. Zeitliche Strukturen globaler Gruppenkommunikation Eine weitere Dimension, welche in Verbindung mit den Kommunikati‐ onsprozessen der Kleingruppe steht, ist die der Zeit. Kurz-, mittel- oder langfristige Strukturen haben nicht nur generell einen Einfluss auf die Gruppenbildung, sondern sind auch für die Einordnung globaler Kontakter‐ fahrungen bedeutsam. Beispielsweise kann eine neu gebildete Kleingruppe internationaler Studierender während eines Auslandssemesters temporär ein wichtiger lebensweltlicher Bezugspunkt für die Gruppenmitglieder sein, aber wieder verblassen, wenn die einstigen Mitglieder in ihre lokalen Herkunftsgruppen zurückkehren. Bisher wurde allerdings nicht geklärt, in welchem Verhältnis solche episodischen direkten globalen Gruppenerfah‐ rungen zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen im Kontext der Globali‐ sierung stehen. 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation 269 <?page no="270"?> Andersherum bergen indirekt geteilte historische Erfahrungen ein Po‐ tenzial, die grenzüberschreitende Gruppenbildung zu unterstützen. Durch medial stimulierte Koorientierungen können globale Diskursereignisse zu Anknüpfungspunkten für grenzüberschreitende kollektive Narrationen und Interpretationsgemeinschaften werden, was uns im Bereich der Beobach‐ tungskommunikation noch interessieren wird. Indirekt ist insofern auch ein grenzüberschreitend verfügbarer „Zeitgeist“ in der Lage, Handlungen von Kleingruppen an unterschiedlichen Orten zu synchronisieren und interaktiv aufeinander zu richten. In weltweiten Jugendkulturen finden wir Beispiele dafür, dass trotz lokaler Spezifika bestimmte Trends oder Narrationen zu globalen Kollektiverfahrungen werden. Dies gilt nicht nur für popkul‐ turelle Entwicklungen, sondern auch für grenzüberschreitend verfügbare Frames, die globale Handlungsmotivationen artikulieren: beispielsweise die Notwendigkeit des Reisens als Befreiung und Verselbständigung junger Menschen (Desforges 1998) oder transnationale Jugend-Protestkulturen, die zumindest mittelbar und lose aufeinander Bezug nehmen können (Mrozek 2019). Kontakt als symbolische Ressource der Gruppenkommunikation Diese Überlegungen stehen im Zusammenhang mit sozialen und symboli‐ schen Strukturen der Gruppenkommunikation. Gruppen werden mithin auch als subkulturelle oder kontrakulturelle Ausprägungen von Milieus bezeichnet (Neidhardt 1983b, S. 26), so dass die „Gruppenbildung als Reflex auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen“ gedeutet wird (ebenda, S. 23). Die symbolischen Ressourcen der Kleingruppe (spezifische Sondersprachen, Kommunikationsmuster, Kleidungsformen usw.) können also Gruppenkon‐ sense und Konsensfiktionen erzeugen, die die Gruppe gegenüber gesell‐ schaftlichen Deutungshoheiten positioniert. In einem „Gruppenhabitus“ liegt dann die Begründung dafür, ob etwa globale Mobilität, globales Wissen und globaler Austausch als Ressourcen für die Gruppe bedeutsam sind. Dies steht wiederum mit den Binnenstruk‐ turen unterschiedlicher Gruppentypen in Verbindung. In Arbeitsgruppen mit einer instrumentellen Aufgabenorientierung und Rollenverteilung kön‐ nen globales Agieren und Wissen für die Innovationsleistung und damit den Wettbewerbsvorteil notwendig sein. Dazu passt, dass sich zahlreiche Auseinandersetzungen interkultureller Kommunikation im Bereich globaler Unternehmenskommunikation finden. 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 270 <?page no="271"?> Die globale Flexibilität einer Arbeitsgruppe muss aber nicht mit einer Gruppenidentität verbunden sein. Die informelle Kommunikation und kul‐ turelle Orientierung der Gruppe bleiben möglicherweise von der Globali‐ sierung der formellen Gruppenkommunikation unberührt (vgl. Kap. 4.2). Umgekehrt kann die globale Arbeitsgruppe ein Impuls für interkulturelle informelle Settings sein. Passende Beschreibungen für die Unterscheidung zwischen formellen und informellen Gruppen finden sich in der kulturver‐ gleichenden soziologischen Freundschaftsforschung. Dort haben Autoren beispielsweise auf eine spezifische Kategorie von Arbeitsfreunden in Indo‐ nesien (teman kerja) hingewiesen, die zwar den kontinuierlichen Austausch von Kollegen zum Ausdruck bringt, nicht aber deren emotionale Verbindung voraussetzt oder nach sich ziehen muss (Brandt/ Heuser 2016, S. 97). Theoretisch dürften sich die Möglichkeit und Relevanz globalen Kontakts als Binnen- oder Außenkapital von Gruppen also je nach Gruppentyp unterscheiden (Grüne 2019b): Gute Voraussetzungen für die Integration „globaler Anderer“ haben Vereinsgruppen mit funktional vorgegebener Rol‐ lenzuschreibung, Mitgliedschaft und Kommunikationsregeln (als Torwart im Fußballverein hat man bestimmte Aufgaben zu übernehmen, eine Chor‐ probe verläuft nach bestimmten Regeln usw.), da diese eine kulturelle und soziale Diversität ihrer Gruppenmitglieder ermöglichen, wenn die formellen Regeln und Gruppenziele unterschiedliche Wissens- und Symbolvorräte der Gruppenmitglieder überbrücken. Zugleich entbindet die stärkere Or‐ ganisiertheit hybrider Klein-/ Großgruppen von einem Binnendialog der Mitglieder. Ein Fußballspieler mit Migrationshintergrund kann in seiner Funktionsrolle als Mitspieler integriert sein und zugleich in seiner sozialen Handlungsrolle mit Differenz (Migrant) markiert bleiben. Fazit: Wandel und Beharrung der Kleingruppe in der Globalisierung Wir haben bisher gesehen, dass die lebensweltlichen Strukturen von Kleingruppen unterschiedliche Voraussetzungen für ihre Einbindung in Globalisierungsprozesse bieten. Gleichzeitig sind die Binnenstrukturen von Gruppen mehr oder weniger für eine Öffnung lebensweltlicher Gruppener‐ fahrung in den globalen Raum geeignet. Insofern können wir zunächst ein dialektisches Verhältnis von Gruppen und Globalisierung festhalten: Wenn Globalisierung sich nicht in die Lebenswelten der Menschen übersetzt, wird sie dort auch nicht kulturell bearbeitet. Zugleich sind Kleingruppen der lebensweltliche „Filter“ von Globalisierungserfahrungen und können selbst in Zeiten dynamischer Globalisierung als Dämmschicht wirken. Um zu 7.1 Lebensweltstrukturen globaler Gruppenkommunikation 271 <?page no="272"?> diskutieren unter welchen Bedingungen gruppenspezifische Filter Globali‐ sierung „von unten“ befördern oder verhindern, wollen wir nachfolgend kommunikative Prozesse erörtern. 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie durch interak‐ tive dialogische und beobachtende diskursive Kommunikationsmuster von Kleingruppen globales Wissen herausgebildet wird und sich Deutungsmus‐ ter globaler Umwelten kulturell tradieren. Wie verarbeiten Menschen ge‐ meinsam Globalisierungserfahrungen? Welche Kommunikationsprozesse unterstützen ein globales Gruppenbewusstsein oder gar globale Handlungs‐ motivationen (vgl. a. Kap. 1.2)? Nach einem Überblick über interaktive Prozesse folgt eine Auseinandersetzung mit Beobachtungsformen und Me‐ diatisierungstendenzen. Die in anderen Kapiteln bedeutsame Dimension der externen diskursiven Kommunikation entfällt, da Kleingruppen eher gesellschaftliche „Durchlauferhitzer“ sind, als dass sie in organisierter Form geschlossen nach außen kommunizieren. 7.2.1 Interaktion und Dialog Transnationale Konnektivität der Lebenswelt Globale Interaktion von Kleingruppen beruht auf grenzüberschreitenden Kontakten von Menschen, die, wie wir bereits gesehen haben, nach wie vor reale, „analoge“ Beziehungen pflegen. Was aber sind deren globale Interaktionsmuster? Die soziologische Transnationalisierungsforschung versucht, die kulturelle Geographie globaler Kontakte durch Messdaten zum internationalen Reiseverhalten, zu Austauschprogrammen oder zur Nutzung unterschiedlicher Kommunikationskanäle der Bevölkerung zu erfassen (Mau/ Mewes 2007). Wir können daraus erste Beobachtungen über globale Konnektivitätsmuster von Kleingruppen ableiten. Den vorliegenden Daten nach zu urteilen, pflegt heute beispielsweise knapp die Hälfte (46,5%) der deutschen Bevölkerung Kontakte zu Personen im Ausland, was Familienmitglieder einschließt (Mau 2007, S. 103f.). Ob dies aber auf veränderte Migrationsstrukturen, Mobilitätsverhalten oder einen transnationalen Wandel stationärer Gruppen der Mehrheitsgesellschaft hin‐ weist, lässt sich nicht sagen. Ähnlich schwierig ist die Deutung der bis 2005 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 272 <?page no="273"?> gestiegenen binationalen Ehen, die mit 6,3 Prozent aller Partnerschaften in Deutschland dennoch nur einen geringen Anteil ausmachen (ebenda, S. 117). Insofern ist entgegen der Interpretation von Steffen Mau auch eine kritische Lesart möglich, wonach von einer Öffnung „lebensweltlicher Horizonte“ (ebenda, S. 109) trotz grenzüberschreitender Kontaktmöglichkeiten nicht die Rede sein kann, wenn mehr als die Hälfte der Deutschen nach wie vor keine regelmäßigen Verbindungen ins Ausland haben und die kulturelle Geogra‐ phie der bestehenden Kontakte Mustern der politischen, wirtschaftlichen, historisch-kulturellen und geographischen Nähe folgt (ebenda, S. 105f.). Beispielsweise sind über die Hälfte der Deutschen, die nicht in Deutsch‐ land leben, in europäische Länder migriert (57,3%), zudem knapp 20 Prozent nach Nordamerika (UN DESA 2017/ BPB 2017). Auch bei den Herkunftslän‐ dern der in Deutschland lebenden Migranten ergibt sich ein Bild kultureller Nähe. Mit Polen, Türkei, Russland, Kasachstan und anderen Ländern führen zumindest teilweise als europäisch geltende Staaten die Statistik deutlich an, gegenüber jeweils nur knapp 1 Prozent Migranten aus Irak, Marokko, Iran oder Afghanistan im Jahr 2017. Eine wirklich globale Öffnung potenzieller Kontaktstrukturen auch nach Afrika, Südamerika oder Asien ist hier nicht zu erkennen. Auch weltweit sind grenzüberschreitende Lebenswelten noch keine Nor‐ malität. Nur 3,4 Prozent der Weltbevölkerung haben nach aggregierten Daten der Vereinten Nationen im Jahr 2017 in einem anderen als dem Herkunftsland gelebt. Das heißt auch, dass sich 96,6 Prozent der Weltbevöl‐ kerung nicht in einer migrantischen Transformationssituation erster Gene‐ ration befanden. Zwar hat die absolute Anzahl an internationalen Migranten deutlich zugenommen, gemessen an der proportionalen Entwicklung der Weltbevölkerung sind die Migrationszahlen aber im Zeitraum zwischen 1970 und 2017 relativ stabil geblieben (Migration Data Portal 2017). Zudem folgen die weltweit größten Migrationskorridore ebenfalls geo‐ graphischer Nähe, etwa zwischen den USA und Mexiko, Russland und Ukraine, Bangladesch und Indien (UN DESA 2017/ BPB 2017). Gleiches gilt für temporäre Auslandsaufenthalte während der Ausbildung. Auch hier gibt es ein Ungleichgewicht des Austauschs Studierender zwischen dem „globalen Norden und Süden“ (Guruz/ Zimpher 2011, für Deutschland Mau 2007, S. 138). Die meisten Studierenden weltweit zieht es in die USA, nach Großbritannien und Australien, gefolgt von Deutschland, Frankreich, Japan, Kanada und Neuseeland (Verbik/ Lasanowski 2007). 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 273 <?page no="274"?> Die soziale Migration von Humankapital richtet sich im Wesentlichen nach einer historisch und sprachlich etablierten, regionalen und wirtschaft‐ lichen Logik. Heutige Konnektivitätsmuster orientieren sich somit offen‐ sichtlich eher an „alten“ Gruppen- und Gemeinschaftsstrukturen. Selbst wenn wir uns das größte Einwanderungsland, die USA, anschauen, folgt die Immigration offenbar familiären Netzwerken, wie Meg Karraker feststellt: „In fact, two out of every three immigrants admitted into the United States in 2009 were children, spouses, siblings, or grandparents, or family-sponsored individuals being reunited with kin“ (2013, S. 59). Die Daten des Statisti‐ schen Bundesamts der Bundesrepublik Deutschland sprechen bei knapp der Hälfte der Zugewanderten nach Deutschland von familiären Gründen (Statistisches Bundesamt 2019, S. 493ff.). Neben Familien, die zu dauerhaft globalisierten Lebenswelten beitragen können, dürfte aber die kurzfristige Mobilität von Menschen ebenfalls weltweite Netzwerke aufspannen. Tatsächlich hat der globale Tourismus einen starken Zuwachs seit der Jahrtausendwende erfahren (World Tou‐ rism Organization 2018, Ilius et al. 2014). 2017 wurden gut 1,3 Milliarden grenzüberschreitende touristische Ankünfte weltweit verzeichnet (World Tourism Organization 2018). Rechnerisch bedeutet dies, dass in etwa jeder siebte Mensch auf der Welt einmal im Jahr territoriale Grenzen überschrei‐ tet. Allerdings verstecken sich hinter diesen Zahlen globale Asymmetrien. Die meisten Ankünfte entfallen nämlich auf Europa (672 Mio.), Asien und die pazifische Region (323 Mio.) sowie auf die USA (211 Mio.). Afrika (63 Mio.) und der Nahe Osten (58 Mio.) sind als Reiseziele deutlich weniger relevant. Dies bedeutet, dass 63 Prozent aller Reisenden die westliche Welt besucht haben, hingegen nur knapp 5 Prozent Afrika. Darüber hinaus stammen auch nur jeweils 3 Prozent aller abreisenden Touristen aus Afrika und dem Nahen Osten, die meisten kommen aus Europa (48 Prozent), 25 Prozent aus Asien (vor allem aus China). Auch wenn der Tourismus also enorm wächst, bedeutet dies nicht, dass alle Menschen gleichermaßen und global unterwegs sind. Noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass die Mehrheit aller Touristen intraregional verreist. Vier von fünf Reisenden verbleiben also noch dazu in ihren eigenen geokulturellen Regionen (ebenda, S. 14). Ungeachtet der Tatsache, dass diese Daten bei Weitem kein vollständiges Bild zeichnen, lassen sie zumindest Zweifel an weitreichenden Transforma‐ tionen grenzüberschreitender Vergesellschaftungsprozesse im Bereich der lebensweltlichen Konnektivität zu. Globale Mobilität und damit verbundene 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 274 <?page no="275"?> global dynamische Sozialräume im Weltvergleich bleiben ein Privileg weni‐ ger (Gutekunst et al. 2016). Das Interaktionsparadoxon der globalen Gruppenkommunikation Konnektivitäten können zwar ein Indiz für globale Interaktion sein, die eigentlichen Kommunikationsprozesse des Umgangs mit diesen freiwillig oder unfreiwillig gewählten globalen Umwelten sind damit allerdings noch nicht erfasst. Zudem müssen wir ein theoretisches Paradox der Interaktion bedenken: Kleingruppen sind für gewöhnlich in einem lokalen Sozialraum verortet und keineswegs auf eine globale Erweiterung ihres Interaktions‐ raums ausgerichtet oder angewiesen. Schließlich erzeugen selbst Migra‐ tion und Reisen immer neue lokale Interaktionsverhältnisse, wenn neue Kleingruppenkontexte entstehen oder alte auf eine neue globale Umwelt reagieren. Das Definitionskriterium des fortlaufenden Interaktions- und Kommunikationszusammenhangs von Kleingruppen und deren dichte, di‐ rekte, regelmäßige und reziproke Interaktion erklären diesen Umstand. Allerdings ist es möglicherweise in Zeiten zunehmender Migration für stationäre Gruppen durchaus von Vorteil, über globales Handlungswissen zu verfügen, denn die Fähigkeit, sich inklusiv mit globalisierenden Umwel‐ ten zu arrangieren, kann positive Vergemeinschaftungseffekte erzeugen. Theoretisch kann die Erweiterung von Kleingruppen durch neue Gruppen‐ mitglieder bereichernd sein, da auf diese Weise alternative Beobachtungen, Erfahrungen und Deutungen zugänglich werden. Wenn es darüber hinaus sogar möglich wird, Freunde, Familienmitglieder oder Arbeitskollegen an anderen Orten zu besuchen, können Gruppenmitglieder dazu beitragen, dass sich die lebensweltliche Gruppenrealität über globalen Sozialräumen aufspannt. Die umgangssprachliche „Horizonterweiterung“ hätte hier ihre lebenswelttheoretische Entsprechung. Zugleich ist die Kleingruppe auf den Erfahrungs- und Interpretationsab‐ gleich ihrer Mitglieder hin orientiert, der einen dichten Erfahrungszusam‐ menhang voraussetzt (Bohnsack 1994). Kleingruppen schaffen sozusagen eigene Sinnsysteme, zu denen unausgesprochene Konsense über die Grup‐ penidentität, die Handlungsorientierung und letztlich die Welt gehören. Diese müssen nicht zwangsläufig ständig durch dialogische Gruppendiskus‐ sion aktualisiert werden, sondern können auch als latente Konsensfiktionen verfügbar sein, was Einfluss auf die Öffnung oder Abschottung der Gruppe nach außen nimmt. 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 275 <?page no="276"?> Das kommunikative Innenverhältnis einer Gruppe (Intra-Gruppenkom‐ munikation) steht also mit dem kommunikativen Außenverhältnis einer Gruppe (Inter-Gruppenkommunikation) in enger Verbindung. Einerseits können geschlossene Gruppen nach innen identifikatorische Stabilität durch symbolische Aktualisierungsvorgänge (Wiederholungen von Erinne‐ rungsnarrativen, Sondersprachen, Witzen usw.) erzeugen, nach außen aber dient ein solcher Symbolvorrat möglicherweise zur Abgrenzung. Anderer‐ seits kann ein Konsens von Werten und Handlungsorientierungen auch die Öffnung für Dialoge mit neuen oder Nicht-Gruppenmitgliedern befördern, wenn die Gruppe etwa kosmopolitische Werte ausbildet. Wir müssen also über eine schematische Ingroup/ Outgroup-Gleichung in unserer Analyse hinausgehen. Ein theoretischer Fehlschluss interkultureller Kommunikationsforschung Gruppenspezifische Codes, Werte und Verhaltensmuster werden in Arbeiten über interkulturelle Kommunikation allerdings häufig als zentrale Probleme der gegenseitigen Verständigung diskutiert (u. a. Maletzke 1996, S. 128, Samovar et al. 2015, Jandt 2016, Gudykunst et al. 2005). Kleingruppen werden dann mit Großgruppen gleichgesetzt, so dass alltägliche Äußerungsformen schnell als nationalkulturelle Charakteristika und Identitäten gedeutet wer‐ den und essenzialistische Erklärungen dominieren. Nach symbolisch-inter‐ aktionistischer Logik lebensweltlicher Gruppenkommunikation kann die wahrgenommene Differenz des Gruppenhandelns aber theoretisch vor allem auf subkulturelle Varianten von kollektiven Kommunikations- und Handlungsmustern zurückgeführt werden. Die vermeintliche Differenz der „Kulturen“ ist also eher ein Problem der gewählten Betrachtungsebene. Wie Kwame Anthony Appiah eindrücklich argumentiert, mögen beispielsweise Familienformen und Rollen in England und bei den Asante in Ghana gravierende Unterschiede aufweisen, die Fürsorge für Kinder aber scheint der „dünne“ universelle Wert, der von Gruppen beider Kontexte geteilt wird (2006, S. 74ff.). Zugleich sollte man mit Appiah den potenziellen Wertedissens nicht zentral stellen, sondern eher die gemeinsame Beantwortung menschlicher Grundfragen und Hand‐ lungsformen. Selbst wenn Werte nicht geteilt werden, heißt das nicht, dass diese nicht verstanden und toleriert werden (ebenda, vgl. a. Antweiler 2011, S. 81ff.). Ähnlich ist es mit Interaktionsmustern, die auf den ersten Blick Irritation auslösen mögen. Die Rebellion von Teenagern, die sich beispielsweise gegenüber der Elterngeneration und der Gesellschaft entlädt, 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 276 <?page no="277"?> hat ja nichts damit zu tun, dass die Regeln und Werte nicht verstanden würden, sondern junge Menschen irritieren den Konsens und setzen diesen mit eigenen Lesarten im „Kampf um Bedeutung“ (Hall 2014) unter Druck. Interkulturelle Kommunikation wäre demnach eher eine Folge der Diffe‐ renz von Kommunikationssystemen unterschiedlicher Gruppen. Während nämlich die Interessen- oder Familiengruppen im lokalen Kontext touris‐ tische Gruppen kontinuierlich beobachten können, geht dies umgekehrt jeweils nur temporär. Ein dauerhaftes Interaktionsverhältnis zwischen ver‐ schiedenen Gruppen, das Interessen versöhnt oder gegenseitiges Verständ‐ nis schafft, kann hier theoretisch also nur sehr eingeschränkt entstehen. Hinzu kommt, dass beispielsweise lokale familiäre Gruppen andere Ziele verfolgen als reisende Peer-Gruppen. Treffen nun touristische Peers auf familiäre Ortsansässige, bilden sich erneut Differenzen, die keineswegs national oder kulturell, sondern wiederum gruppenspezifisch sind. Ähnli‐ ches können wir für die viel diskutierten globalen Gruppendynamiken im Zusammenhang mit der Unternehmenskommunikation sagen. Anders als der geokulturelle Hintergrund der Gruppenmitglieder können es auch hier schlicht andere Erfahrungs- und Deutungszusammenhänge sein, die in künstlich zusammengestellten Teams aneinandergeraten (vgl. a. Kap. 4.2.1). Es ist dementsprechend nachfolgend wichtig, die Unterscheidung der Kom‐ munikation von und zwischen Realgruppen mit homologen Charakteristika und derjenigen von Ad-hoc-Gruppen, die sich in globalen Situationen begegnen, im Blick zu behalten. Darüber hinaus können Gruppen mit gleichen Erfahrungen in globalen Begegnungen „Interkulturen“ erzeugen, wie sie Gerhard Maletzke beschrie‐ ben hat (1966, S. 323). Gerade Arbeitsgruppen im professionellen Raum teilen Erfahrungszusammenhänge, die mögliche andere Erfahrungsdifferenzen überbrücken. Die gemeinsame Orientierung an den Objekten der Professio‐ nen verhilft so zu Kleingruppenbündnissen, die den viel beschworenen Problematiken interkultureller Kommunikation eher zuwiderlaufen. Auch die weiterentwickelten Prämissen der „Kontakthypothese“ (z. B. gleicher sozialer Status, positive Kontaktatmosphäre, Pettigrew 1998) bekräftigen die Zentralstellung von gruppenspezifischen Merkmalen. Da die lebens‐ weltlichen Erfahrungszusammenhänge von Gruppen daher grundsätzlich multipel und zudem auf unterschiedliche Motivationen und Gegenstände hin orientiert sind, disqualifiziert sich der nationale Hintergrund einer Gruppe als generelles Differenzkriterium der Gruppenkommunikation. Hin‐ ter dem angeblichen „Kampf der Kulturen“ (Clash of Cultures) (Huntington 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 277 <?page no="278"?> 1997) verbirgt sich also viel eher ein „Kampf der Perzeptionen“ (Clash of Perceptions) (Hafez 2000b). Selbst unterschiedliche Sprach- und Zeichensysteme sind zwar ein wichtiger, aber kein hinreichender Grund dafür, dass Kommunikations- und Deutungssysteme von Gruppen eine Interaktion verunmöglichen. Im Rahmen des kommunikativen Handelns einer Gruppenbegegnung werden Irritationen bemerkt und Reparaturleistungen erbracht. Bei differenten Sprachsystemen muss dann eine lingua franca beziehungsweise ein ge‐ meinsamer Zeichenvorrat gefunden werden. Es hilft sich hier vor Augen zu halten, dass dieses Problem auch bei gleicher Sprache und geteiltem nationalen Erfahrungsraum auftreten kann, nämlich dann, wenn sowohl der Wissens- und Erfahrungsvorrat als auch die Sondersprachensysteme einer Gruppe Verständigung behindern. Umgekehrt kann, wie eben gezeigt, trotz Sprachendifferenz der Wissens- und Erfahrungsvorrat so ähnlich sein, dass die Überbrückung leichter gelingt. Interaktionsmuster der globalen Gruppenkommunikation: drei Fallanalysen Aus diesen theoretischen Überlegungen ergeben sich nun unterschiedliche Fallanalysen der grenzüberschreitenden Kommunikation von Kleingrup‐ pen, die wir im Folgenden diskutieren. Da in der Kleingruppenkommuni‐ kation sowohl interaktive als auch beobachtende Kommunikationsmodi zum Tragen kommen, werden wir diese nacheinander behandeln, obwohl sie oft parallel in Erscheinung treten. Zudem wird uns das Verhältnis der Binnenkommunikation der Gruppe (Intra-Gruppenkommunikation) und der Außenkommunikation im Sinne der Inter-Gruppenkommunikation in‐ teressieren. Den Ausgangspunkt für die nachfolgenden drei Fallanalysen stellt die lokale Kleingruppe dar, die ihre globale Umwelt als relevanten potenziellen Erfahrungshorizont betrachtet. Diese Anerkennung kann sich sowohl auf die globalen Einflüsse einer lokalen Umwelt (Angebote globalisierter Sym‐ bolsysteme durch Zirkulation von Waren, Medien, Menschen) beziehen als auch auf globale Erfahrungen in der Ferne, etwa bei Reisen. Entscheidend ist, dass sich Gruppen mit den Symbol- und Deutungssystemen anderer Menschen, Gruppen und Gesellschaften auseinandersetzen. Daraus folgen allerdings verschiedene Interaktionsformen und ein unterschiedliches Ver‐ hältnis der Kommunikationsmodi der Interaktion und Beobachtung: Erstens können zirkuläre Interaktionsverhältnisse globaler Gruppenkommunika‐ 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 278 <?page no="279"?> tion entstehen, die ein dialogisches Modell der Weltgemeinschaft befördern (Interaktivität 1). Zweitens kann Gruppenkommunikation durch reziproke Interaktion gekennzeichnet sein, was ein hegemoniales Modell der Weltge‐ meinschaft charakterisiert (Interaktivität 2). Drittens kann diese Reziprozität aber auch stärker auf die globale Beobachtungsleistung und weniger auf die direkte Interaktion hin orientiert sein, was schließlich auf ein diskursives Modell von imaginierter Weltgemeinschaft hinausläuft (Interaktivität 3). Interaktivität 1 - Zirkuläre Interaktion: das dialogische Modell der Weltgemeinschaft Beginnen wir mit der Bestimmung des Idealtypus globaler Gruppenkommu‐ nikation. Dieser beschreibt theoretisch Gruppen, die in ihrer Binnenwie auch in ihrer Außenkommunikation globale Andere integrieren und durch diese globale Öffnung ihre Kommunikations- und Wissensmuster sowie ihre Wertesysteme grenzüberschreitend anschlussfähig machen. Es handelt sich dementsprechend um Kleingruppen, die an einem grenzüberschreitenden Erfahrungs- und Wissensaustausch kontinuierlich partizipieren und so die integrative Basis für die Entstehung einer Weltgemeinschaft schaffen. Zirkulär nennen wir diese Interaktion, weil hier theoretisch verschiedene lokale Welterfahrungen ineinandergreifen. Kleingruppen in diesem Idealtyp beobachten andere nicht nur, sondern ergänzen ihre Beobachtung zugleich um Interaktion, bei der es zu lebens‐ weltlichen Dialogen und damit zu einer kommunikativen Aushandlungssi‐ tuation kommt, in der Wissen und Werte mit globalen Anderen abgeglichen werden. Dies beinhaltet möglicherweise die explizite Verständigung über Wissen und Ansichten wie auch die implizite Orientierung auf gemeinsame Situationen hin und die damit verbundene Anhäufung geteilter Erfahrun‐ gen. So kann über einen längeren Zeitraum durch ein zirkuläres Miteinander die ursprünglich intra-gruppale zu einer inter-gruppalen Beobachtungssitua‐ tion werden. Die Kleingruppe übt sich dann in der gemeinsamen Beobach‐ tung und Beurteilung der Welt durch synthetisierte und anschlussfähige Deutungssysteme. Die Symbol- und Deutungsmuster der „multikulturellen“ oder „globalen“ Gruppe wären so zirkulär verbunden. Das Gruppenwissen und die Binnendiskurse einer solchen Kleingruppenkonstellation dürften daher theoretisch von hegemonialen lokalen Diskursen abweichen. Die Etablierung eines Wir-Gefühls durch Dialog und die kontinuierliche Ver‐ arbeitung der direkten und indirekten Beobachtung der Welt sollten im Mikrokosmos der Kleingruppe Weltgemeinschaft realisieren. Doch welche 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 279 <?page no="280"?> realweltlichen Phänomene illustrieren diesen idealtypischen Fall globaler Gruppenkommunikation? Global Education und „Intimate Tourism“ Gruppen in globalen Ausbildungskontexten liefern uns ein erstes Beispiel für zirkuläre globale Interaktionen. Die Schule kann zu einem wichtigen „Beziehungsort“ globaler Freundschaften werden, wenn sie Kinder aus unterschiedlichen Herkunftskontexten zumindest zeitweise integriert (Köh‐ ler 2012). Wenngleich empirisch nur wenige Hinweise vorliegen, sind internationale Schulklassen für uns theoretisch hochinteressant, da globaler Kontakt hier bereits institutionalisiert ist und die potenziellen Gruppen‐ mitglieder unterschiedliche Erfahrungen einbringen können, die im Zuge der Gruppenfindung durch gemeinsame Kommunikationssituationen syn‐ thetisiert und zur Basis des Binnenkommunikationssystems der Gruppe werden. Allerdings hat die Literatur bemängelt, dass soziale Besonderheiten interethnischer Freundschaften für die Sozialisation bisher wenig diskutiert worden sind (ebenda, vgl. a. Brandt/ Heuser 2016). Dieser Befund lässt sich dahingehend erweitern, dass auch kommunikative Aspekte zu wenig beachtet werden. Kommunikatives Handeln führt theoretisch zur Koordination einer (glo‐ balen) Situationsdefinition durch die neue Gruppe. Da solche Gruppeninte‐ raktionen auf der Synthese von Wissens- und Deutungssystemen beruhen, machen sie Anpassungsleistungen der zuvor existierenden Muster zwin‐ gend notwendig. Sowohl das handlungsleitende explizite wie implizite Wissen ändert sich in einer solchen Sozialisationssituation. Ob sich Wer‐ tesysteme der Gruppenmitglieder anpassen, ist dabei nicht entscheidend, solange die Handlungskoordinierung und der inter-gruppale Dialog der globalen Gruppe effektiv bleiben. Die Binnenkommunikation in dieser Gruppe kann schließlich auf diese Weise zu einer Diskursverschiebung führen, wenn sich das Wissenssystem der Kleingruppe von zuvor lokalen Diskursmustern und -inhalten unterscheidet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Menschen in globalen Ausbildungs‐ kontexten keinen Kontakt zu Familien- oder Peer-Gruppen in anderen Sozialräumen halten oder dieser nur aus der Isolation in der Ferne erwächst. Eine Studie koreanischer Austauschschüler in den USA zeigt beispielsweise, wie diese durch intensive koreanische Mediennutzung ihre Diskurskenntnis aufrechterhalten, um so mit der Peer-Gruppe in Korea ausgiebige Dialoge führen zu können (Kim 2015). Es kommt also zur Multiplizierung von Dis‐ 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 280 <?page no="281"?> kurskenntnis und zu überlagerten Dialogsituationen, wobei wir dringend Studien benötigen, die die zirkuläre Anschlussfähigkeit der Ferndiskurse an jeweils lokale Gruppendialoge genauer untersuchen. Auch in bestimmten Generationen und Milieus finden wir Hinweise auf die Realisierung globaler Gruppenkommunikation. In Varianten eines alternativen Tourismus durch die Praxis des „Couchsurfings“ zum Beispiel, in dem der direkte und intensive Dialog mit globalen Anderen explizites Ziel von Reisebegegnungen wird, sind Situationen globaler Kleingruppen‐ kommunikation angelegt. Hier werden zufällige globale Kontakte in das ritualisierte Alltagshandeln von lokalen Gruppen eingebunden, was kurz‐ fristige globale Gruppen erzeugen kann, die als „freundschaftsähnliche Beziehungen“ (post-friendships) bezeichnet werden (Bialski 2012, v. a. S. 89ff., Ullmann 2017, S. 268). Allerdings sind diese Begegnungen, die von den genannten Autorinnen unter dem Stichwort des „Intimitätstourismus“ (inti‐ mate tourism) verhandelt werden, nur von kurzer Dauer. Trotz der Intensität der Begegnungen in kurzfristigen Kleingruppen liegen die Langzeiteffekte für die Weltgemeinschaft daher möglicherweise in den Impulsen für die Handlungs- und Denkschemata der individuell Reisenden. Dem Verhältnis zwischen Individuum und Gruppe werden wir uns daher im Kapitel zum Individuum ausführlicher widmen (vgl. Kap. 8.2.2). Familien-/ Peer-Kommunikation und zirkuläre Weltgemeinschaft Neben institutionalisierten Formen der Ausbildung und alternativen Reise‐ begegnungen, welche globale Kleingruppenkommunikation vorstrukturie‐ ren, können längerfristige globale Erfahrungszusammenhänge in Familien realisiert werden, die grenzüberschreitende Beziehungen pflegen. Obwohl die Primärgruppe der Familie damit ein Nukleus der Weltgemeinschaft sein kann, wissen wir wenig über ihre globalen Interaktionsverhältnisse. Mehrere Autoren beklagen, dass international mobile und global orientierte Familien zu wenig erforscht sind (Karraker 2013, S. 7f., McLachlan 2007, Diggs/ Socha 2013). Zwar gibt es globale Perspektiven auf Familien (Karraker 2013, Beck/ Beck-Gernsheim 2011) oder Ländervergleiche (Leeder 2004), doch stehen hier häufig Fragen der kulturellen Identität (belonging) und sozialen Mobilität (Arbeitsmigration, Heiratsmigration) im Vordergrund und nicht die grenzüberschreitende Familienkommunikation und die da‐ mit verbundene Wissens- und Wertevermittlung. Weltfamilien werden als „Pioniere der Interkulturalität“ (Beck/ Beck-Gernsheim 2011, S. 227) wie auch als mikrokosmischer Spiegel globaler Schieflagen und Verständigungs‐ 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 281 <?page no="282"?> probleme gedeutet (ebenda) - die dynamischen Interaktionsverhältnisse bleiben in beiden Fällen außen vor. Die Familienforschung steht auch wegen ihres normativen und westli‐ chen Bias in der Kritik. Deutlich wird das bei der Forschung über die Kinder transnational organisierter Familien. Bilingualität und kosmopolitisches Kapital werden den „transnationalen Sozialisationen“ (Third Culture-Kids) aus weltläufigen Familien zugeordnet, nicht aber den Kindern aus Migra‐ tionsfamilien (Weidemann 2016, S. 225). Dabei stellen Deborah Bryceson und Ulla Vuorela fest, dass diese Familien Strukturähnlichkeiten aufweisen: „However, the issues of connecting, mixing and networking are very much the same between the mass of international migrants and transnational elites“ (2002, S. 8). Wolf-Dietrich Bukow hat in diesem Zusammenhang auf den Lernfortschritt migrantischer Familien hingewiesen, die als „Versuchs‐ gruppen” globalen Wandels stationären Familien Erfahrungen voraushaben, wenngleich mit unterschiedlichen Folgen (2000, S. 14). Auch die angenommene globale Kulturkompetenz (cultural awareness) kosmopolitischer Eliten setzt sich nicht automatisch in die Praxis um, so dass hier gleichfalls eine nähere Interaktionsanalyse wichtig wäre (vgl. a. Cason 2018). Dies gilt generell für vermeintlich kosmopolitische Kleingruppen. Die kosmopolitische Orientierung ist unter Umständen eine Konsensfiktion der Gruppe selbst. Der „natürliche“ Kosmopolitismus nicht-elitärer Gruppen kann hingegen auch als Alltagspraxis ohne Wertorientierung existieren. Koen Leurs und Myria Georgiou haben in einer ethnografisch vergleichen‐ den Studie gezeigt, wie sich jugendliche Peers in Tottenham zwar „global“ abgehängt fühlten, kulturelle Vielfalt allerdings eine selbstverständliche Alltagserfahrung ihres Nordlondoner Viertels war. Die moralisch-kosmopo‐ litische Imagination der Mittel- und Oberschicht-Jugendlichen widersprach hingegen deren eigener lokaler Praxis, die von exklusiven Freundschafts‐ mustern und wenig Offenheit für kulturelle Varianz geprägt war (2016). Kleingruppen müssen also mehrfache Übersetzungsleistungen für globale Kommunikation vollbringen. Dazu zählt die kommunikative Überbrückung unterschiedlicher Erfahrungs- und Wissenshorizonte von Gruppenmitglie‐ dern, die besonders bei Sprachbarrieren multilingualer Familien vorhanden sind (Vuorela 2002, Drotbohm 2010, S. 194). Sie haben zugleich die Aufgabe, das Binnensystem globaler Werte in globale Außenkommunikation zu übersetzen. Am Beispiel der Familie wird so ein ambivalentes Verhältnis der Binnen- und Außenkommunikation sichtbar. Familien müssen sich theoretisch über 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 282 <?page no="283"?> langfristige Kommunikationszusammenhänge und Routinen reproduzieren und benötigen Konsense ihrer Wissens-, Erfahrungs- und Kommunikations‐ systeme. Sie sind daher eigentlich prädestiniert für dichte globale Dialoge. Allerdings kann nicht jeder globale Andere dauerhafter Teil einer Familie werden - deren Zugangssystem ist exklusiv. Die Erweiterung der Familie um globale Andere basiert also auf zufälligen Kontakten. Die globale Bin‐ nenkommunikation und insbesondere globale Dialoge setzen eine globale Mitgliederstruktur voraus. Wenn die mobile Familie nur nach außen mit globalen Anderen und Umwelten kommuniziert, ist die Frage, wie sehr das Verhältnis von Dialog und Beobachtung ausgeprägt ist. Einerseits kann der Rückzug der Verstän‐ digung in den Innenraum der Familie den Familienzusammenhalt stärken (Dialog im Inneren, Beobachtung nach außen), die Anschlussfähigkeit nach außen wird aber gleichzeitig möglicherweise erschwert (McLachlan 2007). Selbst die familiäre Beobachtung einer globalen Umwelt kann innere Kom‐ munikations- und Handlungssysteme irritieren. Im Bereich der globalen Arbeitsmobilität werden in der Managementforschung gerade diese An‐ passungsschwierigkeiten zwischen lokalen Familien und globalem Umfeld betont (Caligiuri et al. 1998, McNulty 2015). Allerdings interagieren mobile Familien weder isoliert miteinander noch ausschließlich mit einer globalen Umwelt. In diesem Zusammenhang ist das Bedürfnis nach Aufrechterhaltung alter Freundschaften von Familien‐ mitgliedern forscherisch unterschätzt geblieben (Weidemann 2016). Das gilt für die gesamte kommunikative Rückverhandlung globaler familiärer Erfahrungen an andere lokale Peer-Gruppen. Kommunikationskanäle zu „alten“ Freunden und Familienmitgliedern werden überwiegend negativ als Heimweh und Integrationshemmnis gewertet (ebenda, S. 226), nicht aber als Teil zirkulärer kommunikativer Austauschbeziehungen, die zu einer synthetischen Weltvergemeinschaftung beitragen. Wir müssen also festhalten, dass die hybride lebensweltliche Realität globaler Familien, deren Interaktionsmuster nach „außen“ und gleichzeitige Rückverhandlung glo‐ baler Erfahrungen in den Innenraum bestehender familiärer Beziehungen bisher nicht hinreichend erfasst werden. Interaktivität 2 - Reziproke Interaktion: das hegemoniale Modell der Weltgemeinschaft Häufiger als langfristige grenzüberschreitende Kommunikationsbeziehun‐ gen sind vermutlich episodische Interaktionen mit globalen Anderen. Aus 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 283 <?page no="284"?> diesen Begegnungen wollen wir den zweiten Typus globaler Kleingruppen‐ kommunikation ableiten, den ein hegemoniales Modell der Weltgemein‐ schaft kennzeichnet. Führte im zuvor skizzierten Typus der Dialog von Gruppenmitgliedern mit unterschiedlichen Erfahrungsbeständen idealty‐ pisch zu internen wie externen globalen Dialogen, zu einer Diskursver‐ schiebung oder zumindest -überlagerung, so stehen nun Beobachtungen und reproduktive Rückverhandlungen globaler Interaktionen von Klein‐ gruppen im Fokus. Die globale Kommunikation bleibt hier also dominant an die Binnenkommunikation der lokalen Gruppe gekoppelt. Kontaktsze‐ narien, Formen des interaktiven Austauschs und dynamische Vergemein‐ schaftungsprozesse sind durchaus möglich - deren Interpretation verbleibt aber im Binnenraum der Gruppe. Ihr Wissenssystem bleibt die maßgebliche stabilisierende Komponente der Weltdeutung. Beispiele wären Gruppen, die gemeinsam verreisen oder migrieren und mit dem globalen Außen interagieren, den „globalen Anderen“ aber nicht in die Interaktion der ursprünglichen Gruppe integrieren und damit Wissens- und Deutungsstrukturen stabilisieren. Es handelt sich demnach zwar um eine temporäre Integration nach „außen“, nicht aber um eine Integration nach „innen“. Die kommunikationstheoretische Konsequenz eines solchen Handlungsmusters ist, dass der Beobachtungsmodus globaler Umwelten (siehe unten) dominant bleibt, der Dialogmodus hingegen rezessiv. Das implizite Weltwissen dieser Gruppen ist unter Bedingungen globaler Austauscherfahrungen veränderbar, die sinngebenden Prozesse bleiben aber an den herkömmlichen Wissenssystemen der Gruppe verhaftet. Menschen können sich also in anderen Umwelten durchaus zurechtfinden und mit bestimmten angemessenen Routinen und Artikulationsformen umgehen, das muss aber nicht heißen, dass beispielsweise die Reisegruppe auch versteht, was diese Artikulationen für andere bedeuten. Trotz der gemein‐ samen Erfahrung im „Außen“ können sich diese Gruppen über dieses „Außen“ wundern. Das explizite, artikulierbare Wissen folgt dann nach wie vor gewohnten Deutungsmustern. Eine Synthese der gruppeneigenen Beobachtungsmodi mit globalen Alternativen wird so theoretisch behindert. Migration und Tourismuskommunikation Über die Differenz der inter-gruppalen Interaktion nach außen und der intra-gruppalen Binnenkommunikation lässt sich erklären, warum inter‐ nationale Arbeitskräfte (expatriates) kulturelle Residuen in den beschrie‐ benen abgeschlossenen Wohnanlagen (gated communities) finden oder 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 284 <?page no="285"?> migrantische Rückzugsorte entstehen. Auch bei mobilen Jugendlichen, Pauschaltouristen und selbst Bildungsreisenden dürfte die Synthese von Deutungszusammenhängen eher simuliert sein. Globales kommunikatives Handeln ist zwar ein geteilter Wert der Gruppe und es wird inter-gruppal interagiert, aber stark intra-gruppal sortiert und weiterverarbeitet. Die reziproke Interaktion verbleibt damit in einem hegemonialen Zuschnitt, da in ihrer Weiterverarbeitung bestehende Deutungssysteme dominieren. Touristische Reisen können uns dafür als Anschauungsbeispiel dienen, denn nur wenige Formen des Reisens sind geeignet, eine zirkuläre parti‐ zipative Interaktionssituation zwischen Gruppen von Reisenden und Sta‐ tionären zu stimulieren. Insbesondere der Massentourismus gilt als eher hinderlich für den interkulturellen Dialog, da der Austausch mit lokalen Umwelten auf Basis asymmetrischer Beziehungen reduziert und vorstruk‐ turiert ist (Herdin/ Luger 2001, S. 7, Evans 1976, Joseph/ Kavoori 2001, Munt 1994, Luger 2018, S. 286). Die kulturelle Nachhaltigkeit im Sinne der Her‐ stellung von Weltgemeinschaft ist also fraglich. Entsprechend stehen in der Tourismusforschung auch ökonomische und ökologische Zusammenhänge gegenüber kulturellen Fragen im Zentrum, wie Peter Burns zusammenfasst: „However, while a plethora of social scientists have spent decades dealing with social issues of tourism, there is very little evidence to suggest that cultural sustainability in the form of harmonious relationships between host communities, especially in poorer parts of the world, tourists, and the supplying tourism business sector has gained the same level of importance as the physical environment, or indeed the same level of support as animal protection“ (2006, S. 13). Kommunikationswie lebenswelttheoretisch lassen sich zahlreiche Fak‐ toren benennen, die einem verständigungsorientierten Handeln zwischen unterschiedlichen Gruppen in Tourismussituationen zuwiderlaufen (vgl. a. Garaeva 2012). Verknüpfen lassen sich Überlegungen zum globalen Mehrwert des Tourismus mit den notwendigen Bedingungen für den Vorur‐ teilsabbau durch Inter-Gruppenkommunikation (Allport 1954, Amir 1969). Studien mit Fokus auf der Einstellungsänderung von Reisenden haben näm‐ lich die geringfügigen oder ausbleibenden Potenziale des interkulturellen Kontakts im Tourismus bestätigt (u. a. Amir/ Ben-Ari 1985, Milman et al. 1990, Anastasopoulos 1992, Pizam et al. 1991, Gast-Gampe 1993). Zu den Bedingungen einer gelingenden Interaktion zählt der ähnliche Status der Gruppen und ihrer Mitglieder, der sich im Tourismus aber häufig unterscheidet. Er hängt einerseits mit den verschiedenen soziokulturell be‐ 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 285 <?page no="286"?> dingten Kapitalien von Gruppen zusammen, andererseits mit den verschie‐ denen Rollen, die in einer touristischen Situation eingenommen werden und in Form von „disziplinierten Ritualen“ (disciplined rituals) (Backhaus 2012, S. 183) eher interaktive Rollenspiele denn verständigungsorientiertes Handeln abbilden (Wöhler 2000, S. 105, Urry 1988, S. 38). Für Christoph Köck ist Metatourismus „ein erlebnisbesetzter Vorgang, bei dem Touristen beobachten, ob Tourismus drehbuchgerecht inszeniert wird“ (2005, S. 14). Interaktion verbleibt somit auf der Ebene reduzierten beziehungsweise typisierten Rollenhandelns, das zudem kollektive Klischees reproduzieren kann. Touristen übernehmen also ihre Rolle als Touristen und nicht die des ethnografisch interessierten Weltbürgers. Forschungen zu Reisemotiven bestätigen, dass das Interesse an der Lebensweise anderer Menschen in vielen Befragungen gegenüber individualistischen Motiven wie Erholung oder Erweiterung des kulturellen Kapitals eher nachgeordnet ist (Snee 2016, Stors 2014). Ein gemeinsames kulturelles Ziel ihrer Interaktion werden Touristen und „Einheimische“ in sozialen Situationen nur selten definieren. Stattdessen hat der Kontakt oft den Charakter eines gegenseitigen Geschäfts und bildet damit eher eine „psycho-ökonomische“ Beziehung ab (Wilhelm 1993, S. 263). Interaktion zwischen Gästegruppen und „Einheimischen“ beinhaltet also häufig strategisches und nicht kommunikatives Handeln. Die idealtypisch verständigungsorientierte globale Kommunikation verschiebt sich so von der globalen hin zur lokalen Gruppe, die global beobachtet und lokal einordnet. Welterschließung durch Aufrechterhaltung der bekannten Deutungsmus‐ ter kann selbst in neuen Gruppenstrukturen auf Reisen entstehen, sofern diese über bereits ähnliche Wissens- und Kommunikationsstrukturen ver‐ fügen. Wenn sich beispielsweise Rucksacktouristen (backpacker) in die „dritten Räume“ der Hostels zurückziehen und dort auf westliche und kosmopolitische andere Reisende treffen, bilden sich zwar neue globale Gruppen im globalen Raum, die allerdings Erfahrungs- und Sinnwelten und ein symbolisches Kapital der Reiseerfahrung (road-status) intergenerationell teilen (Ullmann 2017, S. 275). In den seltensten Fällen werden Globetrotter aber wirklich Teil einer lokalen Gruppe in der globalen Umwelt, wie es in der ersten Fallvariante beschrieben wurde (Kayser 2005). Widersprüchlich sind auch die Interaktionen von Bildungsreisenden mit ihren globalen Umwelten. Das globale Beobachtungsinteresse dürfte in diesem Fall besonders ausgeprägt sein. Der interaktive Kontakt entsteht aber 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 286 <?page no="287"?> in sorgsam ausgewählten Reisesituationen, in denen Mediatoren die Rolle der Kulturübersetzer übernehmen. Anders als beim alternativen Individual‐ tourismus wird hier mit Repräsentanten anderer Gruppen interagiert, nicht direkt mit diesen selbst (Evans 1976). Die Interpretation der globalen Beob‐ achtung ist damit auf die Deutung von Mediatoren und die gruppeninternen Dialoge ausgerichtet. Eine emanzipierte Diskursverschiebung durch die Gruppenkommunikation kann so nur durch Beobachtungen und diskursive Erklärungen erfolgen, nicht aber durch im Dialog erzeugte globalisierte Deutungshorizonte. Kommunikationstheoretisch betrachtet ist also selbst die Bildungsreise, die oft als Idealtyp interkultureller Kommunikation ge‐ priesen wird (Herdin/ Luger 2001, S. 7), ein Mythos globaler Kommunikation. Die kommunikationstheoretischen Besonderheiten solcher touristischen Begegnungen können erklären, warum sogar neue Stereotype entstehen oder alte reproduziert werden. Dies liegt nicht nur an persistenten Einstel‐ lungen, sondern auch am mangelnden Potenzial einer Diskursverschiebung. Es gibt im Innenraum der Gruppe keine alternativen Deutungssysteme, die zu hybriden Betrachtungen des globalen Anderen beitragen können. Probleme interkultureller Kommunikation sind insofern nicht allein Resul‐ tat kultureller Besonderheiten oder menschlicher Abgrenzungsbedürfnisse, sondern sie existieren auch, weil es im Grunde gar nicht zu einer interkul‐ turellen Kommunikationssituation kommt. Der reduzierte und oft simulierte Kontakt verhindert den eigentlichen interkulturellen Dialog, die Dominanz der Beobachtung kann dann mithin die lokale Gruppenidentität (auch stereotyp) reaktivieren (u. a. van Rekom/ Go 2006). Bei den Interaktionserfahrungen von Professions- und Arbeitsgruppen stellt sich die interkulturelle Begegnung anders dar. Hier gehen kollektiv teilbare Erfahrungszusammenhänge im Sinne von professionellen Wissens- und Arbeitssystemen der interkulturellen Kommunikationssituation vor‐ aus. Kongresse und Arbeitsmeetings ermöglichen einen „dritten Raum“ (siehe oben, Maletzke 1966) relativ homogener grenzüberschreitender Pro‐ fessionskulturen. Ein anderes Problem ist allerdings bedeutsam: ob sich nämlich der professionelle Dialog, der sich schnell global herstellen lässt, auch in informelle Kommunikationssituationen übersetzt, ist nicht gesagt (vgl. a. Kap. 4.2.2). Globale Weltgemeinschaft entsteht hier vor allem aus relativ begrenzten Themenhaushalten der Gruppenkommunikation und ist systemisch vorgeprägt. Eine Übertragung des professionellen Wir-Gefühls in die private Interaktion müsste eingehender untersucht werden. 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 287 <?page no="288"?> Wir halten also fest, dass temporäre Mobilität und damit verbundener glo‐ baler Kontakt durchaus globale Kommunikation von Kleingruppen ermög‐ lichen. Allerdings konstituiert sich Weltgemeinschaft in dieser Fallvariante theoretisch eben nicht zirkulär und partizipativ, da Erfahrungskontexte im Binnenraum der mobilen Kleingruppen an die bekannten Deutungsmuster rückgekoppelt bleiben. Das konstitutive „Wir“ der Kleingruppe geht somit nicht zwangsläufig im „Wir“ einer Weltgemeinschaft auf, wenn die Binnen‐ kommunikation der Gruppe nicht integrativ ausgerichtet ist. Interaktivität 3 - Reziproke Diskurse: das diskursive Modell von imaginierter Weltgemeinschaft Wenn wir die abnehmende Integrationsleistung der interaktiven Gruppen‐ kommunikation weiterverfolgen, können wir schließlich den letzten Fallty‐ pus beschreiben, in dem sich Gruppen zwar mit ihren globalen Umwelten auseinandersetzen, aber weder in ihren direkten Beobachtungsleistungen noch im intra-gruppalen Dialog grenzüberschreitend interagieren. Sie sind also nicht global integrativ, sondern ihre globale Kommunikation beschränkt sich hauptsächlich auf die hereinkommenden globalen Diskur‐ sangebote via Medien. Das bedeutet nicht, dass diese Gruppen kein Interesse an einer globalen Umwelt oder „anderen Kulturen“ hätten oder Globalisierung nur mit Ressen‐ timents begegnen. Beschrieben wird hier lediglich die ausbleibende direkte Interaktivität der Kleingruppe. Die Anerkennung globaler Umwelten basiert dabei auf einer oberflächlichen und lokal rückverhandelten Aneignung globaler Symbolwelten, was in ähnlichem Ansatz auch als „Pop-Kosmopo‐ litismus“ oder „banaler Kosmopolitismus“ bezeichnet wurde ( Jenkins 2006, S. 152ff., Beck 2004, S. 65ff., vgl. a. Kap. 6.2.1). Das heißt, dass die Wissenssysteme dieser Gruppen auch globales expli‐ zites Wissen enthalten können, wenn eine Interessensgruppe beispielsweise Expertenstatus zu einem bestimmten Gegenstand des globalen Außen er‐ langt (z. B. Animeé-Fangruppen außerhalb Japans). Eine solche Experten‐ gruppe ist aber anfälliger für essenzialistische oder lokal-differenzialistische Reproduktionen dominanter Diskursstrukturen, da direkter Interaktions- und Beobachtungskontakt zum globalen Anderen fehlt und der Gruppe nur noch die Beobachtungs-Beobachtung über Medien bleibt. Hier wird ein Austausch über alternative Deutungs-, Erfahrungs- und Handlungszusam‐ menhänge insofern besonders erschwert, als Gruppenmitglieder nicht mehr allein abhängig von Deutungssystemen der Gruppe, wie in den anderen 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 288 <?page no="289"?> Interaktionstypen, sondern zusätzlich abgeschottet vom authentisch Globa‐ len sind, das sich nur als bereits interpretiertes Medienangebot darbietet (vgl. Kap. 1.1). Zwar gibt es auch in der Medienbeobachtung Wege hybrider Deutung, wie noch zu zeigen sein wird. Konzeptuell bleibt die reziproke Diskursdeutung aber fragil, weil die kosmopolitischen Konsense imaginierte Entwürfe nicht interaktiver lebensweltlicher Gruppen sind. Dieser kommunikative Modus des globalen Austauschs hilft zu verstehen, warum es zu verschiedenen lokalen Aneignungen global zirkulierender Produkte oder Symbole kommt. Überdies liegt hier auch eine Erklärung für Verständigungsprobleme, die aus der Differenz persönlicher Erfahrun‐ gen von Gruppenmitgliedern und kollektiven Deutungszusammenhängen entstehen, worauf wir im Kapitel über Individuen noch einmal zurückkom‐ men werden. Zusammenfassend wollen wir die Verschiebungen intra- und inter-gruppaler Gruppeninteraktion in den drei beschriebenen Falltypen noch einmal visuell darstellen (vgl. Abbildung 7.1). Deutlich wird dabei, wie sich die Formen des Kontakts und der Auseinandersetzung von Gruppen mit globalen Anderen auf die Inter-Gruppeninteraktion auswirkt. Fazit: interaktive Gruppenkommunikation und partizipative Weltgemeinschaft Vor dem Hintergrund der existierenden empirischen Hinweise und unserer theoretischen Diskussion wird das Potenzial globaler Weltgemeinschaft durch dichte Gruppeninteraktion nur im ersten, selteneren Typus eingelöst. In allen anderen Fällen bleibt die globale Erfahrung theoretisch abhängig von den diskursiven Strukturen der Weltdeutung, die einer hauptsächlich lokal agierenden Gruppe zur Verfügung stehen. Natürlich sind unsere Falltypologien skizzenhaft und wir werden viele empirische Grenzfälle hinzudenken müssen. Eine konsequentere kommu‐ nikationstheoretische Deutung lebensweltlicher Gruppeninteraktion zeigt uns aber auf, dass die viel diskutierten interkulturellen Kommunikations‐ probleme nicht nur auf Passfähigkeiten und Funktionen der Kommunika‐ tions- und Handlungssysteme verschiedener Gruppen in der Inter-Grup‐ penkommunikation zurückzuführen sind, sondern auch an der Differenz der Binneninteraktion von Kleingruppen liegen. Die globale Integrations‐ leistung kann entsprechend den dominierenden Kommunikationsmodi der Beobachtung und Interaktion in der Außenwie der Innenkommunikation von Gruppen variieren, was eine globale Öffnung unterschiedlich stark motiviert. 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 289 <?page no="290"?> reproduktive Intra- Gruppeninteraktion reproduktive Intra- Gruppeninteraktion Diskursive Inter- Gruppenkommunikation imaginierte Weltgemeinschaft reproduktive Intra- Gruppeninteraktion reproduktive Intra- Gruppeninteraktion Reziproke Inter- Gruppenkommunikation hegemoniale Weltgemeinschaft Zirkuläre Inter- Gruppenkommunikation dialogische Weltgemeinschaft integrative Intra- Gruppeninteraktion integrative Intra- Gruppeninteraktion Abb. 7.1: Varianten der globalen Inter- und Intra-Gruppenkommunikation 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 290 <?page no="291"?> Wir haben gesehen, dass Kleingruppen zwar ein hohes Interaktionspoten‐ zial für dichte Weltbeziehungen in der Alltagskommunikation haben, die lebensweltliche Beobachtung aber für die Potenziale globaler Integration wichtig bleibt, weil globale Erfahrungen im Inneren lokaler Gruppen weiter‐ verhandelt werden. Daher wollen wir uns im Folgenden mit dem Verhältnis von diskursivem Wissen und lebensweltlichen Dialogen beschäftigen. 7.2.2 Beobachtung Gemeinsame Beobachtung und mediales Schlüsselloch Gruppen kommunizieren nicht in organisierten Mustern nach außen, wie es zivilgesellschaftliche Organisationen oder Systeme tun, sondern sie kommunizieren mit anderen in globalen Umwelten, entweder interaktiv dialogisch oder über direkte und indirekte Beobachtungen. Im Mikrokosmos der Kleingruppe entscheidet sich dann, wie Globalisierungseindrücke inter‐ pretiert werden. Die Kleingruppe ist somit die unsichtbare und ungeordnete Matrix der Globalisierungsverarbeitung. Für die Interpretation globaler Erfahrungen steht den Kleingruppen des Alltags in erster Linie ihr lebensweltliches Erfahrungswissen zur Verfügung. Anders als organisierte Systeme verfügen sie in der Regel nicht über pro‐ fessionalisierte Recherche- und Beobachtungstools, über Wissens- und Ex‐ pertenarchive, also Ressourcen, die bei der Weltbeobachtung systematisch genutzt werden können. Kleingruppen sind bei der Interpretation neuer Welterfahrung also auf mediale externe Deutungsangebote angewiesen (Beobachtungs-Beobachtung). Daher sind die gruppalen Filtermechanismen interessant, durch die öffentliche Diskurse in nicht-öffentlichen Dialogen als gruppeneigene Deutungshorizonte angeeignet und so für die globale Interaktion von Kleingruppen zirkulär wieder wirksam werden. Externe Deutungsangebote erhalten Kleingruppen in modernen Gesell‐ schaften durch Massenmedien. Allerdings sind die Voraussetzungen für Gruppen, die Welt medial zu beobachten, strukturell uneinheitlich (Stich‐ wort: digital divide) und von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen geprägt, die zu unterschiedlichen Formen der Weltbeobachtung führen. Wenn wir die Dominanz nationaler Mediensys‐ teme hinzudenken (vgl. Kap. 2) und geokulturelle Differenzen der Nutzung von Medien unterstellen (verschiedene Medienrepertoires und -sozialisatio‐ nen), müssen wir im globalen Maßstab von äußerst heterogenen globalen Medienbeobachtungen ausgehen, die wiederum sehr stark differierende 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 291 <?page no="292"?> Wissensvorräte für die Kleingruppen bereithalten. Das mediale „Fenster zur Welt“ stellt sich im internationalen Vergleich für Medienrezipienten also viel eher als „Schlüsselloch“ dar, durch das unterschiedliche Ausschnitte der Welt sichtbar werden. Diese Bilder erlangen dabei im kommunikativen Austausch mit anderen eine soziale Relevanz, nämlich dann, wenn sie nicht in individuellen „Sinnprovinzen“ (Schütz/ Luckmann 2003, S. 54ff., Hepp 1998, S. 76) abgelegt, sondern Bestandteil der Alltagskommunikation und kollektiver Deutungen werden. Dass die individuelle Nutzung und Rezeption durch den Austausch mit anderen geprägt sind, wird sowohl in der klassischen Medienwirkungsfor‐ schung (Stichworte: Multi-Step Flow of Communication und Meinungsfüh‐ rerschaft, die uns im Kapitel zum Individuum genauer beschäftigen werden) als auch in der Medienforschung der Cultural Studies betont. Vor allem in der Fernsehforschung ist der Zusammenhang von Medienerfahrung und lebensweltlicher Umwelt zentral. Unter dem Stichwort der Domestizierung wurde gezeigt, wie die sozialen Regeln und Rollenmuster der familiären Kleingruppe im Haushalt die Aneignung von Fernsehinhalten beeinflussen (Morley 1986, 2000). Roger Silverstone hält das kulturelle Umfeld der Familie für wichtig, „for it is here that the primary involvement with television is created, and where the primary articulation of meanings is undertaken“ (1998, S. 252). Diese Bedeutung lässt sich auf alle Kleingruppensituationen des Alltags übertragen - es sind Freunde, Arbeitskollegen und Bekannte vom Sportkurs, mit denen wir über YouTube-Ausschnitte, Nachrichten oder die letzten Filme und Netflix-Serien sprechen. Ob also bei Tischgesprächen in der Familie (Keppler 1994), beim direkten Fernseh- oder Medien-Talk im familiären Umfeld (u. a. Hepp 1998, Klaus/ O’Connor 2010) oder in der Cli‐ que - mediale Erfahrungen werden kollektiv interpretiert, eingeordnet und sozial anschlussfähig gemacht. Gruppenübergreifende Integrationsfunktion erlangen Medienangebote dann, wenn sie als Interdiskurs fungieren, wie es Andreas Dörner für Unterhaltungsangebote beschrieben hat (2010, S. 97), wobei diese Funktion in unserem Fall auch für andere Inhalte gelten soll, auf die unterschiedlichste Publika hin orientiert sind, zum Beispiel die Agenden der Auslandsberichterstattung. Medienangebote sind allerdings bedeutungstragende und mehrdeutige Ressourcen, die nicht nur einseitig manifeste Botschaften übertragen (Fiske 1987, 1989, S. 103ff., Hall 2004). Selbst wenn also verschiedene gesellschaft‐ liche Gruppen auf ein Medienangebot hin koorientiert sind, unterscheiden sich die Medienrepertoires wie auch die Interpretationen. Gemäß den 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 292 <?page no="293"?> Paradigmen des aktiven Publikums nutzen Menschen nicht nur selbstbe‐ stimmt verschiedene mediale Inhalte (aktive Rezeptionsentscheidung im Nutzen- und Gratifikationsansatz), sie entwickeln auch abweichende Inter‐ pretationen, also Lesarten (aktive Interpretationsleistung), die idealtypisch hegemoniale, ausgehandelte oder oppositionelle Positionen hervorbringen können (Hall 2004, S. 75ff.). Die individuelle Lesartenvarianz dürfte sich in der Anschlusskommunikation schließlich zu Kleingruppenkonsensen verdichten. Was bedeutet die Existenz von verschiedenen Interpretationsgemein‐ schaften nun für die globale Kommunikation der Kleingruppe? Dafür wollen wir uns unterschiedliche Rezeptionszusammenhänge genauer anschauen, darunter die Rezeption a) lokaler Mediendiskurse über die Welt, b) globaler, globalisierter oder hybridisierter Medieninhalte und c) globaler Medien‐ ereignisse. Lokale Kleingruppen und das Auslandsbild der Medien Die klassische Auslandsberichterstattung vermittelt Rezipienten explizites Wissen über die Welt, deren Potenzial mithin auch in der Herstellung einer kosmopolitischen Vorstellung (cosmopolitan imagination) gesehen wird (Ro‐ bertson 2010). Die Kleingruppe teilt dabei allerdings das Referenzsystem der Auslandsjournalisten, die entfernte Ereignisse an das heimische Publikum übersetzen. Diese Übersetzung ist, wie zahlreiche Studien zum Auslandsbild von Nationen, Regionen und Gesellschaften ergeben haben, zumeist politik‐ orientiert, selektiv und nicht selten stereotyp, insbesondere sofern es um die westliche Berichterstattung über den globalen Süden geht (vgl. Kap. 2.2.1). Gerade wenn Kleingruppen wenig direkte Kontakte in die Welt pflegen und diese nicht selbst beobachten, bleiben die Medienbilder ihre zentrale Wissensquelle. Zwar können dann Werte und Einstellungsmuster eine medienkritische Haltung befördern, aber ohne zusätzliche Wissensbestände lassen sich die Medienbilder nur schwer irritieren. Ausgehandelte oder oppositionelle Lesarten, die Auslandsbilder nicht nur hinterfragen, sondern auch anti-stereotype Sichtweisen einbringen und die Bilder ergänzen oder einordnen, machen weiterführendes Wissen unabdingbar. Werden Auslandsbilder in Kleingruppen weiterverarbeitet, müsste das entsprechende Spezialwissen also zu den kommunikativen Ressourcen der Gruppe zählen. Lebensweltliche Spezial- oder Gegendiskurse dürften bei speziellen Themen der Auslandsberichterstattung aber eher Ausnahmen bleiben. Wenn solche emanzipierten Encounter existieren, spricht die Theo‐ 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 293 <?page no="294"?> rie allerdings gegen deren öffentliche Wirksamkeit, da wir es hier mit der privaten Aneignung öffentlicher Bilder zu tun haben und nicht mit der öffentlichen Artikulation von Gegendarstellungen interessegeleiteter organisierter Akteure. Die Rückwirkung der Alltagsinterpretationen von Auslandsbildern auf den gesellschaftlichen Diskurs bleibt insofern eine theoretische wie empirische Herausforderung. Die Sozialen Medien des Internets mögen heute lebensweltliche Encoun‐ ter-Kommunikation und zahlreiche partikulare Deutungsschemata sichtbar machen. Allerdings bedeutet die Veröffentlichung der „geschwätzigen Le‐ benswelt“ (Knoblauch 1996) nicht automatisch die Herstellung von (alter‐ nativer) Öffentlichkeit, geschweige denn einer globalen Öffentlichkeit und Wissenskultur (vgl. a. Kap. 6.2.2). Die eingangs formulierte Problematik mangelnder Beobachtungsressourcen lebensweltlicher Akteure übersetzt sich in den virtuell öffentlichen Raum der Lebenswelt und wird hier zu einer Transparenzproblematik. Gerade weil die lebensweltlichen Akteure nicht formal organisiert sind, bleibt ihre Expertise zwangsläufig intransparent. Wenn hingegen alternative Publikationsorgane über das Netz zur Auslands‐ berichterstattung genutzt werden, haben wir es mit einer Multiplikation von Aussagen zu tun, die wiederum in den lebensweltlichen Gruppengesprächen verhandelt und anschlussfähig gemacht werden müssen. Über diese indi‐ rekten Formen der Weltaneignung wissen wir aber leider nach wie vor sehr wenig. Neben der Verarbeitung von Auslandsbildern setzt sich die Kosmopolitis‐ musforschung auch mit der Frage auseinander, wie das lokale Publikum auf der Grundlage von Medienbildern Solidaritätsgefühle gegenüber globalen Anderen entwickeln kann und wie sich diese Gefühle in interaktive Hand‐ lungskonsequenzen übersetzen (Chouliaraki 2006, 2008). Dabei haben ältere Rezeptionsstudien zur Auslandsberichterstattung gezeigt, dass das Interesse an der Auseinandersetzung oder Identifikation mit den Problemen Anderer gegenüber einem reinen Informationsinteresse die am wenigsten relevante Funktion der Nutzung von Auslandsnachrichten darstellt (Cohen et al. 1996, S. 116). Zum „entfernten Leiden“ (distant suffering, Chouliaraki 2006) sind bisher vor allem die Charakteristika der Berichterstattung untersucht worden und es gibt wenige Rezeptionsstudien. Allerdings deuten vorhandene Untersu‐ chungen darauf hin, dass Darstellungen, die die Nähe zu lebensweltlichen Realitäten aufbauen, besser gespeichert werden (Kyriakidou 2014). Mediales Erinnern nimmt offenbar einen kosmopolitischen Charakter an, wenn es 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 294 <?page no="295"?> sich auf ein in zeitlicher, geographischer und kultureller Nähe erlebtes historisches Ereignis bezieht, bei dem die Zuwendung zu einem fernen Anderen sogar um einen gemeinsamen Handlungshorizont ergänzt wird. Dies war bei griechischen Gruppen der Fall, die sich an die Erdbeben in der Türkei und in Griechenland im Jahr 1999 erinnerten, die als gemeinsame Erfahrung gerahmt wurden und sogar den Konfliktdiskurs beider Länder transzendierten (ebenda). Solange die mediale Berichterstattung über poli‐ tische Systeme, Gesellschaften und Menschen anderer Weltregionen aber auf nationale oder regionale Publika hin ausgerichtet bleibt, werden auch die Weltbilder variieren. Theoretisch entsteht damit eine starke Tendenz, dass Medien einen selbstreferenziellen und bisweilen ethnozentrischen oder sogar essenzialistischen Impuls für die Interaktion in Kleingruppen senden. Selbstreferenzialität und Wir-Identität durch Medienbeobachtung Eine starke Dynamik der Selbstreferenzialität finden wir, wenn wir uns die Aneignung importierter oder globalisierter Medieninhalte anschauen. Dies schließt neben der expliziten nachrichtlichen Wissensvermittlung auch implizite Weltbeobachtungen durch Unterhaltungsformate ein, die indirekt auf ihre jeweiligen Produktionskontexte verweisen, indem sie diskursive und symbolische Elemente aufgreifen. Die interkulturelle hermeneutische Herausforderung, die dann für lokale Rezipienten entsteht, liegt in einer reflexiven Rezeptionshaltung, in der nicht automatisch vom Inszenierten und Fiktionalen auf gesellschaftliche Realität im Produktionsland geschlos‐ sen wird. Zwar wissen wir, dass Rezipienten zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden können, inwiefern sie aber ihre Kenntnis von fiktionalen Weltbildern mit ihren realen (und häufig selektiven) Weltbildern in Einklang bringen, ist noch nicht hinreichend geklärt. Allerdings lässt sich die generelle Tendenz bestätigen, dass die wahr- oder angenommene kulturelle Nähe zwischen Rezipienten und Medienan‐ geboten die Hinwendung positiv beeinflusst. Joseph Straubhaar hat hierzu in Lateinamerika geforscht und die Bevorzugung lokaler Produktionen aufgezeigt (2003, 2007). Gruppen- und milieuspezifische kulturelle Nähe, zu der Vertrautheit mit Genres oder historischen Erfahrungen gehört, erklären schließlich die jeweiligen Vorlieben der Medienwahl (La Pastina/ Straubhaar 2005). Selbstreferenzialität trifft auch auf kultur- und gesellschaftsabhängige Deutungen zu. Die wohl bekannteste Untersuchung von Elihu Katz und Tamar Liebes (1993) zur Rezeption der Fernsehserie „Dallas“ durch Paare 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 295 <?page no="296"?> mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund rekonstruiert verschiedene Lesarten der Kleingruppen, die mit ethnischen Differenzen einhergehen. Auch wenn die ethnische Identität als Erklärung für gruppenspezifische Rezeptionsunterschiede methodisch nicht hinreichend ist, zeigt sich, dass die Gruppen im Außenvergleich abweichende Interpretationen desselben Inhalts hervorbringen. Insbesondere die japanischen Gruppen, die mit dem Genre der Soap Opera kaum vertraut waren, konnten mit der Serie wenig anfangen. Zum anderen erweist die großangelegte Studie, wie die homogenen Gruppen sich gegenseitig in der Interpretation unterstützen und dabei gemeinsame Erfahrungen und alltagstheoretische Konsense in ihrer Anschlusskommunikation aktualisieren (Katz/ Liebes 1984, 1985). Auch wenn Studien zur Rezeption von Nachrichten und Unterhaltung gezeigt haben, dass sich Rezipienten aus unterschiedlichen Kontexten in der Art und Weise ihrer medienkritischen Rezeptionshaltung ähneln, bleiben in der interpretativen Auseinandersetzung symbolische Referenzen der Eigengruppe und der imaginierten Gemeinschaftszugehörigkeit (nationale Identität) dominant (Kavoori 2011, Grüne 2016), ein Prozess, der auch bei länger zurückliegender Medienerinnerung nachgewiesen wurde (Teer-To‐ maselli 2006) und sich in Studien über den Zusammenhang von Medien‐ nutzung und diasporischer Identitätskonstruktion wiederfindet (Gillespie 1995). Selbst bei kritischen oder oppositionellen Lesarten verursachten Anschlussgespräche eine Rückbesinnung auf die Wir-Gruppe (Grüne 2016, S. 341ff, Grüne/ Hafez 2018). Wenn Kleingruppen sich über Medien unterhalten, betten sie ihre Über‐ legungen theoretisch zwangsläufig in Common-Sense-Strukturen ein und tragen damit zu ihrer fortlaufenden Selbstidentifikation bei. Dies führt mitunter auch dazu, dass Fremdgruppen in Rezeptionsprozessen stärker als die Eigengruppe als homogene Einheit vorgestellt werden (Grüne 2016, S. 371ff.). Die getrennten Verarbeitungen der Medien erzeugen insofern Fiktionen über andere Gruppen und können stereotype Beobachtungen bestärken. Die Zirkulation globaler Medienprodukte bringt also keineswegs ein globales, sondern ein in unzählige Kleingruppen fragmentiertes Publi‐ kum hervor, das seinerseits vor dem Hintergrund nationaler und religiöser Großgruppeneinflüsse agiert (vgl. Kap. 6). Nun könnte die Vermutung naheliegen, dass transnational verfügbare Unterhaltungsformate kulturelle Spezifika im Text-Rezipienten-Verhältnis relativieren und ein kulturell durchweg hybrides Publikum entstehen lassen. Allerdings trägt die Lokalisierung zugleich zur Strukturierung und Tren‐ 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 296 <?page no="297"?> nung des Publikums in nationale Varianten bei. Diese nationalen Publika sind zwar insofern synchronisiert, als dass ähnliche Konzepte und Stilmuster weltweit für ähnliche Medienerfahrungen sorgen. Das Publikum ist dadurch aber nicht automatisch in sich verbunden. Die Standardisierung kultureller Muster macht eine lokale Produktion und Aneignung möglich, die nationale und geokulturelle Medienlandschaften zwar vernetzt, deren lokale Spezifika aber zugleich aufrechterhält. Die „Antinomie von Glokalisierung und Glo‐ balisierung“ (Grüne 2016, S. 429ff.) dürfte auch bei den rezipierenden Klein‐ gruppen zu einer Synchronisierung ohne weltgemeinschaftliche Integration führen, solange diese lokal verharren und sich nicht durch Reisen direkte Interaktions- und primäre Beobachtungserfahrung verschaffen (siehe oben). Integration durch kulturverbindende Deutung globaler Mediendiskurse Da es bisher eine kaum existierende globale Öffentlichkeit gibt (vgl. a. Kap. 2), können auch die lebensweltlichen Medienerfahrungen von Klein‐ gruppen nur in wenigen Fällen auf wirklich globale Mediendiskurse hin orientiert sein. Theoretisch sind grenzüberschreitende integrative Rezept‐ ionserfahrungen in zwei Fällen denkbar. Zum einen können globale Medi‐ enereignisse Menschen zusammenbringen. Zwar interagiert das synchro‐ nisierte Weltpublikum vermutlich nicht direkt miteinander, aber indirekt bieten diese Erfahrungen das Potenzial der Anschlussfähigkeit für grenz‐ überschreitende Alltagsdiskurse. Unsere gemeinsamen Beobachtungen von der Mondlandung über die Olympischen Spiele und Fußball-Weltmeister‐ schaften bis hin zu Live-Aid- und Live-Earth-Konzerten bieten als globales Hintergrundwissen Anknüpfungspunkte für Gespräche mit unbekannten globalen Anderen. Gleichwohl erinnern Menschen weltweit zwar bestimmte globale Medienereignisse (Volkmer 2006, Hug 2017). Ob diese aber wirklich eine gemeinschaftsstiftende Funktion haben, bleibt anzuzweifeln. Zum anderen können Interessengruppen über Grenzen hinweg verbun‐ den sein, indem sie sich über globale Medienangebote austauschen oder Fanfiction produzieren. Allerdings haben wir bereits bei den Großgemein‐ schaften auf das begrenzte interaktive Potenzial solcher Gemeinschaften hingewiesen (Kap. 6.2.1). Zwar dürfte die lokale Kleingruppe als Teil einer solchen Fangemeinschaft interaktiver sein, aber die Interaktion bleibt hier stark auf das Objekt der Fankultur beschränkt. Die grenzüberschreitende interaktive Verarbeitung bereits global integrierter Mediendiskurse ist also wohl eine theoretische Utopie. 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 297 <?page no="298"?> Gesamtfazit: die Kleingruppe als „Normalfall“ oder „Störfall“ der globalen Kommunikation? Wir müssen abschließend festhalten, dass die alltäglichen interaktiven und beobachtenden Kommunikationsprozesse von lebensweltlichen Kleingrup‐ pen bisher kaum in ihrer globalen Dimension untersucht wurden. Die Kleingruppe als Zentrum der Globalisierungsverarbeitung bleibt weitestge‐ hend eine Black Box. Unsere Überlegungen haben daher eher konzeptuellen als empirischen Charakter. Als alltäglicher sozialer Ort für verständigungs‐ orientierte Interaktionen haben Gruppen ein hohes Potenzial für die globale Integration der Weltgemeinschaft. Die globale Leistung entscheidet sich aber am Transfer der globalen Beobachtungen von Kleingruppen (Globa‐ lisierung der Außenkommunikation) in den interaktiven Innenraum der Kleingruppe (Globalisierung der Binnenkommunikation). Wir haben gesehen, dass unterschiedliche Kleingruppen auf globale Umwelten reagieren oder Umwelten durch globale Kommunikation mitge‐ stalten. Sie sind also in direkte und indirekte globale Erfahrungswelten eingebettet und damit Teile einer Weltgesellschaft (als Reisegruppen, Fan‐ gruppen, globale Familien oder in multikulturellen lokalen Erfahrungsräu‐ men). Doch nur in wenigen Fällen lässt die Theorie eine kontinuierliche globale Interaktionsdichte erkennen, die zu einer tatsächlichen lebenswelt‐ lichen Globalisierung von Kleingruppen geeignet wäre, indem sie neue globale Gruppen entstehen ließe. Globale Kommunikation ist in der Lage, Primärgruppen aus ihrer lokalen Standortverbundenheit herauszulösen. Individuen können in grenzüberschreitenden, globalen Netzwerken neue Gruppenformen finden. Gleichzeitig unterstützt globale Kommunikation teilweise aber auch einen Rückzug in lokale Primärgruppen, was heute an der starken Polarisierung zwischen nationalistischen und kosmopolitischen Wertesystemen sichtbar wird. Der globalen Kommunikation in der Kleingruppe kommt somit eine entscheidende gesellschaftliche Rolle sowohl in ihrer Interaktionswie Beobachtungsleistung zu. Wenn wir theoretisch von der wichtigen Soziali‐ sationsfunktion der Gruppe ausgehen, entscheidet sich gerade in der Grup‐ penkommunikation, wie Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit der Welt zu kollektiv verankerten Wissensbeständen werden. Die Kleingruppe kann somit zur „Normalisierung“ alltagsweltlicher Globalisierung beitragen, sie kann aber auch zum „Störfall“ derselben werden. Ein Potenzial liegt in der interaktiven Leistung - der dialogischen Vernetzung und integrativen Wis‐ 7 Kleingruppen - globale Lebensweltkommunikation I 298 <?page no="299"?> sensverarbeitung im Gruppenzusammenhang. Wenn sich diese interaktive Leistung der Kleingruppe auch im globalen Raum erweist, kann hier der Schlüssel zur Normalisierung der „Weltgemeinschaft“ liegen. 7.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 299 <?page no="301"?> 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II Das letzte Kapitel unserer Systematisierung soll sich nun mit der grenzüber‐ schreitenden Kommunikation des Individuums beschäftigen. Wir konzen‐ trieren uns somit auf die kleinste soziale Akteurseinheit der Globalisierung. Dem Individuum eröffnen sich durch Möglichkeiten des physischen und virtuellen Reisens und durch die Vernetzung von gesellschaftlichen Sys‐ temen globale Handlungsräume. Die potenzielle Reichweite individueller Lebenswelten erstreckt sich heute dementsprechend auch über den lokalen Raum hinaus. Zugleich sind diese globalen Handlungsmöglichkeiten aber nicht losgelöst von strukturellen Einflüssen wie den gesellschaftlichen, gemeinschaftlichen und individuellen Bedingungen sowie (sozio-)psycho‐ logischen und soziodemographischen Faktoren. Trotz der viel postulierten internationalen Vernetzungen sind also ungleiche Voraussetzungen für in‐ dividuelle globale Kommunikation vorprogrammiert. Im Folgenden werden wir wie in den anderen Kapiteln zunächst die strukturellen Bedingungen und Voraussetzungen der Individualkommunikation im globalen Rahmen analysieren, um danach die unterschiedlichen globalen Kommunikations‐ modi und -typen des Menschen herauszuarbeiten. 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation Individualisierung als Metatendenz der Globalisierung? Die strukturelle Herauslösung des „modernen Individuums“ aus alten Ge‐ meinschaftsstrukturen und seine neuen und alten Freiheiten wie Zwänge gehören zu den Themen, die die sozialwissenschaftlichen Debatten in den letzten Jahrzehnten herausgefordert haben. Für uns ist der Ausgangspunkt interessant, dass das mehr oder weniger „freigestellte“ Individuum heute auch abseits traditioneller Gemeinschaften nach geteiltem Sinn und gemein‐ schaftlicher Identität im Leben suchen kann und muss. Theoretisch können also auch die Umwelten und Angebote jenseits der Herkunftskontexte in die individuelle Sinn- und Identitätssuche einbezogen werden (vgl. a. Hitzler 2006, S. 259). Diese Liaison zwischen Individualisierung und Glo‐ balisierung müsste zugleich die perfekte Mischung für die Entwicklung <?page no="302"?> von Weltgemeinschaft und Weltgesellschaft im Sinne einer Stiftung neuer, grenzüberschreitender Beziehungen und Sichtweisen des Menschen sein. Die Individualisierung wäre demnach eine Metatendenz im Kontext der Globalisierung. Allerdings erzeugt Individualisierung auch toxische Nebeneffekte, wie die vielfach angesprochenen rechtspopulistischen Meinungstendenzen. Doch selbst jenseits extremer anti-globalistischer Entwicklungen haben sich die sozialen Bezüge der großen Surrogatgemeinschaften, insbesondere die Na‐ tion, noch nicht vollständig aufgelöst (vgl. Kap. 6.1). Identitätskonzepte erscheinen heute zwar variabler und dynamischer und es lassen sich zumin‐ dest schwach ausgeprägte globale Identitäten inzwischen auch weltweit nachweisen. Auch die transnationalen Erfahrungen von Menschen wirken sich offensichtlich positiv auf die Anerkennung von globalen Interdepen‐ denzen, von globaler Politik und auf ein globales Verantwortungsgefühl aus (Pichler 2011, Mau 2006), aber eine überzeugende Weltgemeinschaft haben auch die Bindestrich-Identitäten der Moderne bisher nicht hervorgebracht. Generell ist der individuelle Horizont von Weltbeziehung daher nicht durchweg kosmopolitisch geprägt. Neue Spaltungen lassen sich quer durch wie auch im Vergleich von Gesell‐ schaften finden. Die Analysen zu kosmopolitischen Einstellungen innerhalb der deutschen Bevölkerung und der Europäischen Union weisen zum Bei‐ spiel auf ein Auseinanderdriften zwischen Eliten und Bevölkerung hin (Mau 2006, Teney/ Helbling 2014, vgl. a. Kap. Einleitung). Kosmopolitismus erzeugt also möglicherweise auch neue Tendenzen der gesellschaftlichen Desintegration. Besteht insofern eher eine Antinomie zwischen Individua‐ lisierung und Globalisierung? Zum anderen hat Florian Pichler im globalen Vergleich kosmopolitischer Einstellungen auf Differenzen aufmerksam ge‐ macht: So unterschied er ethische (z. B. Vertrauen und Toleranz in und gegenüber diversen Anderen) von politisch orientierten kosmopolitischen Einstellungen (z. B. Einstellungen gegenüber politischen Vorgängen jenseits des Nationalstaats) und grenzte diese von einer subjektiven Identifikation mit Kosmopolitismus (kosmopolitische Identität) ab (2011, S. 24). Letztere fand der Autor besonders in den weniger globalisierten Ländern des globalen Südens und ausgerechnet in sogenannten „gescheiterten Staaten“ (failed states). Zudem waren politische Ausrichtungen kosmopolitischer Einstel‐ lungen gegenüber ethischen insgesamt weniger ausgeprägt und vorrangig im globalisierten Westen zu finden, wo aber wiederum der ethische Kosmo‐ politismus nicht deutlicher in Erscheinung trat als anderswo. Florian Pichler: 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 302 <?page no="303"?> „To conclude, our study has shown that aspects of cosmopolitanism - iden‐ tity, ethics and politics - do not necessarily go together“ (ebenda, S. 39). Kosmopoliten und die Paradoxie des Wissens Der Fokus der Kosmopolitismusforschung spannt sich von kulturwissen‐ schaftlichen Ansätzen zu hybriden Identitäten über soziologische Analysen zu kosmopolitischem Kapital und Praxisformen bis hin zu soziopsycho‐ logischen Zugängen zum Umgang mit dem vermeintlich Fremden (u. a. Delanty 2009, 2018, Werbner 2008a, Meuleman/ Savage 2013, Calhoun 2003). Dabei wird deutlich, dass die Herausbildung von kosmopolitischen Werten, Einstellungen und Wissen eine kommunikative Basis besitzt. Da Individuen an lokalen Orten geboren werden und erst nach und nach physisch wie auch imaginativ aus diesen heraustreten können, ist es naheliegend, dass Vorstellungen von der potenziell globalen Reichweite der eigenen Lebens‐ welt, von den potenziell globalen sozialen Mitwelten und Mitmenschen und von einer globalen historischen Verortung des Selbst, um hier noch einmal an die Strukturen der Lebenswelt anzuschließen (Schütz/ Luckmann 2003), kommunikativ vermittelt und mehr oder weniger durch aktive globale Erfahrungen ergänzt werden. Das Engagement von Menschen, sich mit anderen Orten, Menschen und Geschehnissen jenseits der lokalen Nahwelt auseinanderzusetzen, wird von vielen Autorinnen und Autoren als Voraussetzung für die Entwicklung kosmopolitischer Einstellungen betrachtet (Hannerz 1996, Szerszynski/ Urry 2002, vgl. a. Skrbis et al. 2014). Vielfach verwendet wird die Definition von Ulf Hannerz, der Kosmopolitismus als eine individuelle Orientierung be‐ schrieben hat: „A more genuine cosmopolitanism is first of all an orientation, a willingness to engage with the Other. It entails an intellectual and aesthetic openness toward divergent cultural experiences, a search for contrasts rather than uniformity“ (1996, S. 103). Auch Ulrich Beck sieht Kosmopoliti‐ sierung als eine Dimension des Selbstbewusstseins und der individuellen Erfahrung, die heute durch „Themen von globaler Bedeutung“ geprägt seien und damit auch Identitäten veränderten (2004, S. 113). Zugleich verweist Beck aber auch auf eine „Paradoxie von Wissen und Realität“, die sich laut seiner Argumentation durch die Diskrepanz von immer kosmopolitischer werdenden sozialen Strukturen und Prozessen und einem lokal beziehungs‐ weise national stagnierenden Erfahrungswissen ergebe (ebenda, S. 134). Wissen ist die Grundlage für unser Handeln und gleichzeitig sozial konstruiert (Knoblauch 2014). Fakten- und Strukturwissen über die Welt 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation 303 <?page no="304"?> sind über diskursive kommunikative Mechanismen verfügbar und insofern abhängig von den Wissen produzierenden Systemen (also Medien, Wissen‐ schaft/ Bildungssystem). Globales Erfahrungswissen hingegen erfordert Mo‐ bilität und gemeinsame Situationen mit globalen Anderen. Daraus resultiert wiederum nicht automatisch, dass sich Individuen wirklich „in anderen Kulturen“ bewegen können (Hannerz 1996, S. 103), da sich die globalen Erfahrungen beispielsweise auch auf globale „dritte Räume“ beschränken können. Kosmopolitismus als Sozialkapital Die soziale Konstruktion kosmopolitischen Wissens ist außerdem in gesell‐ schaftliche Deutungskämpfe eingebettet. Welterfahrung kann schließlich auch als strategische Ressource, als Sozialkapital eingesetzt werden (vgl. Kap. 6.1). Dies hängt eng mit einem elitären Verständnis von Kosmopolitis‐ mus zusammen, wonach kosmopolitische Kompetenzen vor allem denjeni‐ gen zugeschrieben werden, die über Ressourcen für globale Mobilität und Teilhabe verfügen. In einer solchen Lesart werden mobile Wirtschaftseli‐ ten leicht als globale Entscheidungselite identifizierbar, die durch globale Ausbildungsverläufe, Berufsorientierung und Lebensstil bestimmte global geteilte Charakteristika vereint (Levy et al. 2016, Micklethwait/ Wooldridge 2000). Orly Levy, Maury Peiperl und Karsten Jonsen (2016) grenzen diese globalen Eliten noch von heterogenen Professionseliten ab, die eine hohe Mobilität im Arbeitskontext eint. Was hier sichtbar wird, ist aber eher ein „dünner Kosmopolitismus“, der auf äußeren Milieumustern beruht, die im Kontext sozialer Abgrenzungsmechanismen gedeutet werden können. Jonathan Corpus Ong nutzt hierfür auch den Begriff des „instrumentellen Kosmopolitismus“, um den strategischen Einsatz individuellen Weltwissens zu beschreiben (2009, S. 456). Ein solcher Kosmopolitismus, der nicht zwingend mit solidarischen Werten oder einer reflexiven Weltanschauung konnotiert ist, ließ sich beispielsweise im Zusammenhang mit der englischen an Eliten orientierten Schulausbildung nachweisen, wo Kosmopolitismus in Interviews vor allem als strategische Ressource mit Vorteilen für die Arbeitsmarktbiografie oder die individuelle Selbsterfüllung verknüpft wurde (Maxwell/ Aggleton 2016, S. 781). Auch zur Studierendenmobilität liegen Einzelstudien vor, die bele‐ gen, dass dem Auslandsstudium durch Studierende ein strategischer Cha‐ rakter zugewiesen wird (Brodersen 2014). Ebenso wurde der strategische Einsatz von Urlaubsentdeckungen herausgearbeitet, etwa beim „kulinari‐ 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 304 <?page no="305"?> schen Tourismus“ (Germann Molz 2007). Bei letzterem Beispiel wird auf das Phänomen verwiesen, dass Freizeitreisende ihre Erfahrungen in Beiträgen in Sozialen Medien als kosmopolitische Kompetenz inszenieren, ohne dass aber eine Auseinandersetzung mit Kultur und Menschen der jeweiligen Regionen ersichtlich wird. Diese wenigen Beobachtungen machen bereits deutlich, dass es einen Unterschied zwischen strategischen und verständi‐ gungsorientierten kosmopolitischen Handlungen und Interpretationen gibt. An elitären Konzepten von Kosmopolitismus wird daher kritisiert, dass dieser von Ressourcen und Handlungsoptionen der kosmopolitischen Eliten abhängig ist (u. a. Ong 2009, S. 457, Lamont/ Aksartova 2010, S. 257, Werbner 1999, Høy-Petersen/ Woodward 2018). So fragt Pnina Werbner, warum dieje‐ nigen, deren Mobilität nicht freiwillig ist oder deren Zugang zu bestimmten globalen Räumen eingeschränkt bleibt, als potenzielle Kosmopoliten häufig nicht mitgedacht oder anerkannt werden: „It remains unclear, however, why migrants and diasporics should be distinguished analytically from occupational transnationals, the oil engineers or foreign journalists who live in special compounds or the Hilton, wherever they go“ (1999, S. 17). Erst wenn Kosmopolitismus nicht an die Möglichkeiten und den freien Willen des Individuums gekoppelt wird, können auch „Kosmopoliten von unten“ einbezogen werden (Hall/ Werbner 2008, S. 346, Werbner 2008b, S. 14f.). Damit wird der Fokus zugleich von globalen Begegnungen auf lokale Lebensrealitäten verschoben, die von Globalisierungsprozessen geprägt sind und in denen der Umgang mit Differenz zum Alltag der Menschen gehört. Diese Formen des Kosmopolitismus werden auch als „volkstümlich“ (verna‐ cular cosmopolitanism, Leurs/ Georgiou 2016, Werbner 2008b), „banal“ (Ong 2009), „gewöhnlich“ oder „intuitiv“ (Levy et al. 2016, Lamont/ Aksartova 2010) bezeichnet. Mit diesen weiter gefassten Kosmopolitismusansätzen ist gleichzeitig eine konzeptuelle Hinwendung zu alltäglichen Handlungen und Deutungsmustern von Menschen verbunden (Lamont/ Aksartova 2010). Kosmopolitische Individuen dürften demnach quer durch Gesellschaften hindurch zu finden sein. Theoretisch spricht jedenfalls nichts dagegen, warum nicht auch Migranten und Migrantinnen der Arbeiterschicht glo‐ bale Identitäten oder Empathie entwickeln sollten (Werbner 1999). Auch wenn Migration, beispielsweise Arbeitsmigration, nicht durch den bloßen Wunsch zur Globalisierung des eigenen Lebenshorizonts motiviert ist, sondern oftmals Ausdruck globaler Ungleichheit ist (Pries 2015, S. 176), sammeln Migranten trotzdem globale Erfahrungen. Der positive Effekt von Bildung auf kosmopolitische Einstellungen (u. a. Mau 2006, Teney/ Helbling 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation 305 <?page no="306"?> 2014) schließt ebenso nicht aus, dass auch jenseits der Bildungseliten kosmopolitische Alltagsdeutungen existieren können. Diese konnten in qualitativen Mikrostudien nachgezeichnet werden. So dokumentieren bei‐ spielsweise Michèle Lamont und Sada Aksartova (2010) antirassistische Argumentationsstrategien bei Arbeiterschichten und Nina Høy-Petersen und Ian Woodward (2018) zeigen, wie multikulturelles alltägliches Erfah‐ rungswissen im Sprechen über „Fremde“ reflexiv eingesetzt wird. Auch in der bereits erwähnten Studie von Koen Leurs und Myria Georgiou finden wir den Hinweis, dass die multikulturellen Umwelten eher unterprivile‐ gierter Londoner Vorstadtjugendlicher einen normalisierten Umgang mit differenten Lebensstilen und Herkunftskontexten erzeugen (2016, S. 3730). Umgekehrt sind nicht alle Eliten automatisch Weltbürger, was sich in den rechtspopulistischen Parteien Europas widerspiegelt, die mitnichten nur von Arbeitern getragen werden. Gleichwohl sind gerade jene Eliten mit neorassistischen Ressentiments gegenüber der Welt international vernetzt. Einzelne globalisierungskritische Eliten sind also selbst zum Teil global handelnde Akteure (Bob 2012, vgl. Kap. 5.2.2). Handlungsebenen des Kosmopolitismus Kosmopolitische Eliten bleiben darüber hinaus oft kulturverbunden und set‐ zen sich nicht ständig für universelle Menschlichkeitsprinzipien ein. Craig Calhoun mahnt daher, auch die relativen Privilegien zu bedenken, durch die sich bestimmte Handlungsoptionen erst ergeben oder die kosmopolitischen Einstellungen leichter in Handlungen überführbar machen (2003, S. 544). Wirtschaftseliten oder Reisende aus Wissenschaft und Entwicklungshilfe müssten sich beispielsweise nicht mit schwierigen Visa-Anträgen oder der Anerkennung amtlicher Dokumente beschäftigen, wie dies bei Privatperso‐ nen bestimmter Diasporagemeinschaften der Fall ist, die zwar durch ihre Familien ähnlich global vernetzt sind, aber eben keine berufsbedingten Privilegien genießen (ebenda, S. 543). Hinzu kommt, dass Identifikationen nicht mit kosmopolitischen Werten und Alltagshandlungen übereinstimmen müssen. Wenn die kosmopolitische Identität von eigenen Auslandsreisen herrührt, die Multikulturalität vor der eigenen Haustür aber ignoriert wird, wie bei Leurs und Georgiou dargestellt (2016), zeigt sich, dass zwischen kosmopolitischem Denken, Fühlen und Handeln kein zwingender Zusammenhang bestehen muss. Gleiches gilt letztlich auch für Teile der Wirtschaftseliten wie der von John Micklethwait und Adrian Wooldridge charakterisierten „Kosmokraten“, deren globales 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 306 <?page no="307"?> Wissen sich häufig auf die eigene global vernetzte Lebenswelt stützt, aber abgeschnitten von den lokalen Menschen und Bedingungen bleibt, in denen sie beruflich agieren (2010, S. 241). Auch frühere avantgardistische Eliten haben zwar eigene kosmopolitische Entwicklungen in den damaligen Metropolen erzeugt, waren dabei aber nicht mit lokalen Milieus verbunden (Werbner 2015, S. 16). Die unterschiedlichen Werte- und Handlungsebenen der Lebenswelt können also transnationale (physische Mobilität und kultu‐ relle Immobilität) oder kosmopolitische Ausrichtung haben (physische und kulturelle Mobilität) (Werbner 1999). Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht bleiben vor allem zwei Aspekte wichtig: Erstens sind zwei Kommunikationskontexte für die globale Kommunikation des Individuums zentral: die globale Kommunikation in globalen Umwelten, die aus der raumzeitlichen und sozialen Erweiterung der individuellen Lebenswelt in die Ferne entsteht, sowie die globale Kom‐ munikation in lokalen Umwelten, die aus der symbolischen und sozialen Erweiterung der Lebenswelt in der Nahwelt erwächst. Der Zusammenhang zwischen diesen lebensweltlichen globalen Innen- und Außenräumen ist für die Entwicklung der Weltgemeinschaft wichtig, wie wir weiter unten noch sehen werden. Interaktion findet sowohl zwischen mobilen Akteuren mit unterschiedlichen lokalen Akteuren in den jeweils wechselnden Refe‐ renzsystemen statt als auch zwischen lokalen Akteuren mit den jeweiligen globalen Akteuren. In einer systemtheoretischen Übersetzung bilden die psychischen Systeme Umwelten füreinander und somit gestalten sowohl die mobilen wie auch die immobilen Akteure in verschiedenen Formatio‐ nen miteinander den Prozess der Globalisierung. Ein Fokus auf entweder den einen oder anderen Typus bleibt daher immer unzureichend. Der kommunikative Austausch zwischen den individuellen Typen ist für die Sinnproduktion der Lebenswelt also gleichermaßen entscheidend. Zweitens unterscheiden sich Individuen nicht nur durch ihre mobilen oder immobilen Praktiken, sondern auch in Bezug auf die sozialen Rol‐ len, die sie einnehmen. Wir haben gesehen, dass kosmopolitische Eliten häufig in Professionszusammenhängen diskutiert werden (Manager, Wis‐ senschaftler etc.). Ihre informellen Handlungsrollen stehen aber weniger im Fokus (Nowicka 2008, S. 255, Teney/ Helbling 2014, S. 269). Individuen füllen geichwohl immer mehrere Rollen aus, über deren Hervortreten auch die kommunikative Situation mitentscheidet. Die Managerin eines globalen Teams kann etwa im Teammeeting strategisch und professionell globale Vernetzung repräsentieren und Weltwissen anwenden, doch als 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation 307 <?page no="308"?> Privatperson vor allem via Internetverbindung aus dem Hotelzimmer als Freundin, Mutter oder Partnerin im lokalen lebensweltlichen Rückzugsraum agieren und Kontakte jenseits der Hotellobby unberührt lassen. Gerade in Bezug auf die Wirtschaftseliten hat Hannerz schon früh erkannt, dass sich der Erfahrungsraum im globalen Wirtschaftsleben auch auf die privaten Lebenswelten der Mitarbeitenden übertragen kann (1996, S. 85f.). Es ist also die Frage, in welchen Bereichen der individuellen Biografie kosmopolitische Praktiken zum Tragen kommen (z. B. nur auf Ausbildungs- und Berufskon‐ texte oder auch auf private Lebenswelten) und in welchem Verhältnis sie zur individuellen Ethik des Einzelnen stehen. Stereotype und individuelle Weltbeziehungen Konkrete Analysen darüber, wie Kosmopoliten „geformt“ werden, sind selten (Kim 2011, S. 281). Wie lässt sich aber die Varianz menschlicher Beziehungen und Einstellungen zur Welt und zu globalen Anderen erklären? Während die einen unbekannte Menschen auf der Flucht retten, treibt gerade dies andere dazu, das Asylrecht verschärfen zu wollen und gegen Migration zu protestieren. Die einen haben Mitleid mit dem Schicksal unbe‐ kannter Anderer in Kriegs- und Krisenregionen, andere machen diese zum Gegenstand abwertender Witze am Stammtisch oder verüben sogar Gewalt gegen vermeintlich Fremde. Zwischen diesen extremen Polen individuellen Denkens und Handelns in den Lebenswelten gibt es zudem jene, die gar keine konkrete Einstellung zu ihren globalen Umwelten haben oder diese zumindest nicht artikulieren. Es liegt am nicht-organisierten Charakter der Lebenswelt, dass diese keiner einheitlichen inneren Logik folgt. Sie hat kein explizites systemi‐ sches Programm, sondern ist der Ort der Verständigungsorientierung und kulturellen Absicherung. Die dafür nötigen Aushandlungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft erzeugen dann gerade keine einheitlichen Werte- und Handlungskonsense, weswegen demokratische Rechte und Pflichten auch in verbindlichen Verfassungen niedergeschrieben sind und die Anerkennung legitimer Ordnungen erlernt werden muss. Die Entstehung individueller Einstellungs- und Handlungsmuster und ihr Zusammenhang mit der Weltwahrnehmung des Individuums ist wie‐ derum Gegenstand der Sozialpsychologie, die auch kommunikationswis‐ senschaftliche Analysen nachhaltig geprägt hat (Littlejohn/ Foss 2005, S. 43). In unserem Kontext ist vor allem die Stereotypen- und Vorurteils‐ forschung interessant, die die Pathologien von Wahrnehmungsstrukturen 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 308 <?page no="309"?> untersucht - im Gegensatz zur Kosmopolitismusforschung, in der die Bestimmung der vertikalen Einstellungen der Werte und der horizontalen Einstellungen der Weltbilder und Ideologien im Vordergrund steht. Mit Stereotypen, Vorurteilen, Fremdbildern und Diskriminierungshandlungen geraten aber die Kategorien in den Blick, die die Globalisierung der Alltagswelt aus Sicht des Individuums verhindern. Stereotype und Vorur‐ teile erschweren die entscheidende Offenheit für andere kulturelle Kon‐ texte und Akteure. Diskriminierung ist das Gegenteil eines Willens zum Austausch. Die Bild-Realität-Problematik (reduzierte oder vorgestellte Bilder der Realität), die Bild-Struktur-Problematik (Weltbildkonstruktion in Einklang mit dem schon bestehenden Strukturwissen) und die Indivi‐ duum-Kollektiv-Problematik (Bedeutung von Kollektivbildern für die in‐ dividuelle Bildproduktion) erschweren schließlich den globalen Wissens‐ erwerb (Hafez 2002a, S. 36f.). Alle Ebenen der Weltbildkonstruktion sowie der Konstruktion des globalen Anderen haben gemein, dass sie Grundlage individueller Deutungs- und Handlungsmuster sind, die dem globalen Kontakt vorausgehen und diesen entsprechend vorprägen. Bestehende Stereotype können so auch dazu führen, dass Menschen sich für bestimmte Reiseziele entscheiden oder bestimmte Kontakte meiden. Die Herausbildung von Stereotypen wird dabei zunächst als generelles Phänomen der individuellen Realitätswahrnehmung betrachtet und mit der kognitionstheoretischen Notwendigkeit erläutert, dass der Mensch Komplexität reduzieren müsse. Sozialen Vorurteilen werden zudem unter‐ schiedliche individuelle und soziale Funktionen - zum Beispiel zur Wissens‐ steuerung und Orientierung, zur Legitimation von bestehenden Ordnungen oder Wahrung von Identität - zugeschrieben (Thiele 2015, S. 60ff.). Diese Funktionen mögen zur Absicherung von alltäglichen Routinehandlungen dienen, sind aber für den außeralltäglichen Kontakt mit globalen Umwelten hinderlich, vor allem dann, wenn stereotype Wahrnehmungsstruktur und situative Wahrnehmung voneinander abweichen, bestimmte Mechanismen aber zur Aufrechterhaltung des Stereotyps beitragen, wie es in der Theorie der kognitiven Dissonanz oder der Einzelfallinterpretation beschrieben ist, nach der Erfahrungen, die dem eigenen Bild widersprechen, als Ausnah‐ men charakterisiert werden und damit die Regel letztlich doch bestätigen (Festinger 1978, Lippman 1922). So werden zwar ständige Irritationen der lebensweltlichen „Blicksicherheit“ vermieden, aber fragmentierte und tendenziell feindliche Weltbilder permanent reproduziert. Bestehende Vor‐ urteile können so nicht abgebaut werden. 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation 309 <?page no="310"?> Bedingungen des Stereotypenwandels Warum aus individuellen und kollektiven Stereotypstrukturen bei manchen Menschen Vorurteile und diskriminierende Handlungen werden können, ist damit noch nicht geklärt. Einige Ansätze auf der individuellen Ebene lenken den Blick auf bestimmte vorurteilsförderliche Persönlichkeitsstrukturen oder auf soziale Deprivationserfahrungen, moralisch-ideologische Einflüsse und Bildungsdefizite (Hafez/ Schmidt 2015, S. 36ff., Thiele 2015, S. 90ff.). Bei den genannten Faktoren spielen kulturelle und ideologische Tradierungen mit Blick auf die Wahrnehmung der Eigengruppe eine entscheidende Rolle für den sozialen Vergleich im Inneren von multikulturellen Gesellschaften, wo die Differenzierung in kulturell imaginierte Eigen- und Fremdgruppen nach wie vor eine Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammen‐ halt ist. Die Konfliktperspektive steht im Vordergrund. Die wahrgenom‐ mene Benachteiligung der eigenen Gruppe kann etwa mit islamophoben oder antisemitischen Einstellungen und Abwertungen einhergehen. Da‐ bei korrelieren nicht zwingend die tatsächlichen Wohlstandsfaktoren mit der Ablehnung gegenüber dem Anderen, sondern wahrgenommene Wohl‐ standsängste, sogenannte relative Deprivationen, die derjenigen Gruppe zu‐ geschrieben werden, der sich Individuen zugehörig fühlen (Hafez/ Schmidt 2015, S. 37). Ein negatives Fernbild der Fremdgruppe und ein negatives Nahbild der Eigengruppe gehen dann eine toxische Mischung ein, die zu Diskriminierungshandlungen führen kann. Im Kontext der globalen Kommunikation im Innenraum von Lebenswel‐ ten ist es demnach wichtig, diejenigen theoretischen Ansätze mitzudenken, die auf die kulturelle Tradierung und diskursive Abhängigkeit von Stereo‐ typen abzielen. Auch wenn Einstellungen, die den individuellen Umgang mit kollektiv verankerten Stereotypen steuern, nicht ignoriert werden können, basieren selektive Wahrnehmungen Anderer oder essenzialistische Interpretationssysteme auf einer kollektiven Vorbereitung. In Bezug auf ferne, abstrakte Großgemeinschaften (z. B. Nationen, Ethnien) sind solche kollektiven Stereotype weltweit persistent, so dass das Aufbrechen fester Stereotypstrukturen und damit verbundener essenzialistischer Wahrneh‐ mungen die Herausforderung von heute und das generelle Überwinden von Differenzstrukturen eher die Utopie von morgen ist. Die Theorie sozialer Identität hebt die Bedeutung des Verhältnisses von interpersonalen und inter-gruppalen Bezügen des Individuums hervor, die dessen Konfliktverhalten beeinflussen. Entscheidend ist hier die An‐ 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 310 <?page no="311"?> nahme, dass Individuen nach Selbstachtung und einer positiven Identität streben, was sie vor allem durch soziale Vergleichsprozesse realisieren (Tajfel/ Turner 1986). Kollektive und individuelle Identitätswahrnehmung hängen also eng zusammen und sind wiederum von Fremdwie Selbstzu‐ schreibungen abhängig. Dabei neigen Menschen dazu, die Eigenschaften der eigenen Referenzgruppe positiver zu bewerten als die einer Fremdgruppe und entsprechend zu handeln. Vergleiche zu Ungunsten der Eigengruppe können dann in unterschiedlichen Strategien der Individuen resultieren, etwa der Suche nach einer anderen Referenzgruppe, der Konfrontation mit der Fremdgruppe oder der Umdeutung der Vergleichskategorien. Bei konfliktgeladenen globalen Kontakten ist allerdings eher Letzteres zu beob‐ achten. Es erscheint zudem generell schwierig, diese Schemata, die häufig aus Experimenten mit ad-hoc-Gruppen stammen, auf realweltliche Fragen der globalen Kommunikation zu übertragen. Ungeklärt ist zum Beispiel, warum in der Wahrnehmung gerade bestimmte Eigenschaftsunterschiede zwischen In- und Outgroup zu Markern der Differenz und des Wettbewerbs werden. Warum definiert im Kontext von Rassismus beispielsweise das Aussehen eine Differenz zwischen Gruppen und nicht die Profession und die Lebensumstände? Obwohl soziopsychologische Einstellungsmessungen einen relativ hohen prognostischen Wert für aktuelle Trends in der öffentlichen Meinung und Gesellschaft besitzen, sind Einstellungen bei Menschen nicht immer konsistent ausgeprägt und es besteht zudem keine hundertprozentige Über‐ einstimmung zwischen Einstellung und Handlung. Rassismus muss so zum Beispiel nicht in Diskriminierung umschlagen. Dies liegt nicht zuletzt auch an den zahlreichen intervenierenden Variablen des menschlichen Verhaltens. Eine bedeutsame Stellung nimmt in der Wissenschaft hier die „Kontakthypothese“ ein, deren klassische Formulierung sich bei Gordon W. Allport findet und die wir bereits im Kleingruppenkapitel erwähnt haben (1954, vgl. Kap. 7.1). Stereotype Vorstellungen lassen sich demnach in der Distanz deutlich einfacher aufrechterhalten als im direkten Kontakt mit dem globalen Anderen, was eine individuelle Wahrnehmung und Handlungspraxis fördern kann. Thomas Pettigrew hat allerdings später verdeutlicht, dass für einen wirklichen Wandel des Stereotyps gemeinsame Ziele, Freundschaften und eine Nachhaltigkeit der Beziehung erforderlich sind (1998). Warum und wie Individuen zu kosmopolitischen Weltbürgern oder frem‐ denfeindlichen Ablehnern der Globalisierung werden, hängt insgesamt von 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation 311 <?page no="312"?> zahlreichen Faktoren ab. Neben den kognitions- und konflikttheoretischen soziopsychologischen Studien, die versuchen, die Black Box des psychischen Systems zu erschließen, wollen wir sozialisations- und lerntheoretische Aspekte hinzudenken, die das Individuum ins Verhältnis zur Tradierung kollektiv verankerter Bilder und Stereotype setzen. Globale Sozialisation durch die Familie und Bildung Die Familie, die wir bereits im letzten Kapitel als Nukleus der Weltgemein‐ schaft eingeführt haben (vgl. Kap. 7.2.1), ist der lebensweltliche Nahraum für Individuen, in dem sie ihre Kernwerte ausprägen. Symbolische Interaktion legt hier den Grundstein für individuelle Deutungs- und Handlungsmuster, die dem Einzelnen für weitere Interaktionen zur Verfügung stehen (Mead 1934, Blumer 2013). Ein kosmopolitisch orientiertes Elternhaus mag daher ein Sozialisationsfaktor dafür sein, dass Individuen im Verlauf ihres Lebens die Welt zu ihrer Lebenswelt machen; die Kinder mobiler Eltern (third culture kids bzw. global nomads, Cason 2018, Weidemann 2016) haben insofern bereits durch diese Rahmenbedingungen beste Voraussetzungen für die Herausbildung globaler Kompetenzen. Die Wissens- und Erfahrungswelten von Kindern sind von den Weltanschauungen und Handlungspraxen der Eltern geprägt, müssen aber auch nicht identisch sein. Zudem können in Elternhäusern variierende Vorstellungen von Kos‐ mopolitismus existieren, was noch einmal an die vorherige Diskussion anschließt. Eine Fallanalyse von Don Weenink zum Kosmopolitismus von Eltern, deren Kinder auf eine internationale Schule in Dänemark gingen, erlaubte die Unterscheidung von „überzeugten“ (dedicated) und „pragma‐ tischen“ (pragmatic) Kosmopoliten (Weenink 2008). Für Erstere war die Erziehung ihrer Kinder zu Offenheit gegenüber anderen Weltkontexten aus‐ schlaggebend, für Letztere zählten eher die strategischen Möglichkeiten, die sich durch gute Englischkenntnisse und Internationalisierungserfahrungen auf dem späteren Arbeitsmarkt ergeben würden. Das zuvor kritisierte Kon‐ zept kosmopolitischen Kapitals liefert in diesem Fall wiederum Anreize für sozialen Aufstieg und kann somit auch einen Internationalisierungsschub der Mittelklasse zum Resultat haben. Ein pragmatischer Kosmopolitismus wirkt also der elitären Reproduktion kosmopolitischer Erfahrungen sogar entgegen (ebenda). Das globale Lernen des Individuums ist nicht zuletzt eng mit der se‐ kundären Sozialisation in Bildungsinstitutionen verbunden. Schulbildung, Ausbildung und weiterführende Angebote politischer Bildung haben An‐ 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 312 <?page no="313"?> teil an der Entstehung globalen Wissens und globaler Werteerziehung. Konzepte und Praktiken „globaler Bildung“ sind daher Gegenstand zahlrei‐ cher Debatten der pädagogischen Lerntheorie, Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Das gesamte Themenfeld von Bildung und „globaler Weltbürgerschaft“ (global citizenship) findet sich schließlich auch in den Vereinten Nationen (vor allem der UNESCO) oder der Europäischen Union implementiert. Ohne auf die Bereiche globaler Pädagogik genauer einzu‐ gehen, wollen wir festhalten, dass wissenstheoretisch reflektiert werden muss, welche Angebote für globales Wissen oder Globalisierungswissen in den Institutionen für Individuen bereitgestellt oder welche Kontakte durch Austauschprogramme oder heterogene Schulklassen ermöglicht werden. Statt eines kosmopolitischen Blicks fördert die Schulbildung oft einen „banalen Nationalismus“, der die Zugehörigkeit des Einzelnen nicht zur Weltgesellschaft, sondern zur nationalen Solidargemeinschaft unterstützt, wie es beispielsweise Anja Weiß mit Verweis auf Deutschland beschrieben hat (2015, S. 168). Auch Englands Eliteschulen folgen einer klassisch engli‐ schen und damit ethnozentrischen Schulausbildung, die ihrerseits parado‐ xerweise als Garant für den Aufstieg in globale Gesellschaftsschichten gilt; kosmopolitische Ausbildung steht dabei nicht im Fokus (Maxwell/ Aggleton 2016). In der Fallstudie entwickelten dementsprechend auch nur wenige, zumal ausländische, Jugendliche eine transnationale Zukunftsperspektive oder artikulierten globale Sensibilität (ebenda, S. 791f.). Wenn Bildungsinhalte zwar hochwertig, aber ethnozentrisch und vorur‐ teilsbeladen sind, kann die Ausbildung globales Verständnis auch behindern. Obwohl Bildung generell mit Weltoffenheit korreliert, wie wir zuvor schon festgestellt haben, ist sie umgekehrt keine sichere Dämmschicht für die Tra‐ dierung von Rassismus. Nur ein Beispiel: In Deutschland sind Islamophobie und rechtsnationalistische Ansichten auch in der Mitte der Gesellschaft vor‐ handen. Menschen können also gebildet und trotzdem ignorant gegenüber der Welt sein (Hafez/ Schmidt 2015, S. 59ff.). Die Defizite eines Wissens über die islamische Welt zeigen sich bereits in der deutschen und europäischen Schulerziehung deutlich (Hafez 2013, S. 263ff.). Ähnlich kritisch können wir die Wissensvermittlung über Gesellschaften des globalen Südens im Allge‐ meinen hinterfragen, nach dem Eingang postkolonialer Perspektiven in den Schulunterricht suchen oder zum Teil problematische Bildkonstruktionen in Schulbüchern unter die Lupe nehmen. Auch Fremdsprachentraditionen in der Ausbildung fördern vermutlich nur bestimmte Varianten von Mehr‐ sprachigkeit. Die Potenziale migrantischer Multilingualität werden kaum 8.1 Lebensweltstrukturen globaler Individualkommunikation 313 <?page no="314"?> flächendeckend im Schulkontext nutzbar gemacht. Kurz, Zweifel an der Globalisierung von Lehrplänen, Lernmitteln, aber auch des Lehrpersonals sind angebracht (u. a. Oelkers 2011, Treml 2011, Adick 2011). Wenn wir direkte globale Kontakte einbeziehen, die in Schule und Ausbil‐ dung durch Austauschprogramme oder Ähnliches angeboten werden kön‐ nen, führen auch diese nicht automatisch zur globalen Vergemeinschaftung der Teilnehmenden. Wenn der Kontakt nicht auf Augenhöhe stattfindet, sondern Differenzen erst recht konturiert werden - zum Beispiel durch Unterschiede in der Infrastruktur, materiellen Ressourcen, technischen und sprachlichen Kompetenzen, die im Programm nicht hinreichend ausgegli‐ chen werden -, ist der kosmopolitische Bildungsgewinn fraglich. Im Auge behalten muss man auch, mit welchen Regionen Schulen, Universitäten und andere Ausbildungsinstitutionen weltweit überhaupt Partnerschaften pflegen. Gerade aus der Sicht der Teilnehmenden kann es durchaus einen Unterschied machen, ob hierdurch Kontakte zu Menschen bekannter Kon‐ texte (zum Beispiel in Nachbarstaaten) oder abseits der geostrategischen Länderbeziehungen geknüpft werden können. Die institutionelle Einbin‐ dung des Individuums kann also entweder reproduzierende oder aber neue Angebote für die individuellen Weltbeziehungen hervorbringen. Fazit: ambivalente Weltbezüge individueller Lebenswelten Wir müssen allerdings festhalten, dass die individuellen Positionierungen gegenüber der Welt - durch Wahrnehmung, Wissen, Werte, Einstellungen, Erfahrungen, Handlungen und Strukturbedingungen - vielfältige Typiken erzeugen und die globale Entwicklung des einzelnen Individuums relativ unvorhersehbar machen. Dies hat damit zu tun, dass sich Erweiterungen und Abschottungen von Menschen gegenüber der Welt auf die unterschiedlichen Dimensionen des Denkens und Wissens, Fühlens und Handelns beziehen können. Individuen agieren und empfinden offenbar nicht durchgängig global und kosmopolitisch und lassen sich entsprechend auch nur schwer in Kategorien von „Kosmopoliten“ oder „Lokalen“ einordnen. Abhängig von der spezifischen Konstitution des Individuums ergeben sich unterschiedli‐ che Erfordernisse lebensweltlicher Selbstoptimierung durch globales Lernen oder Kontaktförderung. Die kommunikative Basis dieser Felder wollen wir uns nun im folgenden Kapitel genauer ansehen. 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 314 <?page no="315"?> 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt Die sich biografisch geprägte Weltwahrnehmung des Individuums steht in enger Beziehung zu dessen kommunikativen Handlungen. Einerseits lernen Individuen durch ihre kommunikativen Erfahrungen (etwa durch direkte globale Erfahrungen), andererseits wirken sich die kognitiven, emotionalen und konativen Voraussetzungen des Individuums auf dessen Kommunika‐ tionsformen aus (etwa durch Vorurteilsstrukturen beeinflusste Stereotypi‐ sierungen Anderer in globalen Begegnungen). Wie sich Einzelne global ver‐ ständigen, wie sie ihre globalen Umwelten beobachten und was sie diskursiv über die Welt lernen, lässt sich nicht auf eine einfache Formel bringen. Wie wir oben gesehen haben, können Menschen Empathie für globale Andere empfinden und zugleich die lokale Abschottung suchen oder andersherum viel reisen und keine kosmopolitischen Werte und solidarischen Gefühle für globale Andere entwickeln. In der interaktiven Auseinandersetzung mit der Welt, nicht unbedingt aber in ihrer Beobachtung, sind Individuen aber trotz ihrer Einbettung in soziale Zusammenhänge autonomer als die zuvor behandelten Kleingruppen. Individuen sind nicht von der Koorientierung mit einer Gruppe abhängig. Anders als bei Kleingruppen zeigt sich die relative Autonomie des Individuums auch darin, dass es in seinen sozialen und professionellen Handlungsrollen direkt oder mittels Medien nach außen kommunizieren kann. Um das Zusammenspiel von kommunikativen Modi und Grenzüber‐ schreitung zu verstehen, beschäftigen wir uns im Folgenden a) mit der dialogischen Qualität, b) mit der Beobachtungsleistung und den Informati‐ onsverarbeitungsprozessen und c) mit der diskursiven Außenkommunika‐ tion des Individuums. Die herausgearbeiteten Mechanismen der globalen Kommunikation haben vor allem konzeptuellen Charakter, da eine umfas‐ sende Verortung der Individualkommunikation in der Globalisierung von der Forschung bisher vernachlässigt wurde. 8.2.1 Interaktion und Dialog Interpersonaler Dialog und Weltgemeinschaft/ -gesellschaft Verstehen wir die Binnenkommunikation des Individuums als intraperso‐ nale Kommunikation, so erzeugt die Außenkommunikation nahezu zwangs‐ läufig interpersonale Kommunikationssituationen. Die interpersonale und/ oder intra-gruppale Kommunikation, direkt oder vermittels Medien, ist 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 315 <?page no="316"?> somit der Regelfall des kommunizierenden Individuums. Das größte Verge‐ meinschaftungspotenzial liegt hier in der dialogischen Interaktion. Dabei treffen die Wissens- und Deutungssysteme von Individuen aufeinander, die sich nicht nur aneinander und auf ein gemeinsames Drittes hin orientieren, wie es im ABX-Schema von Theodore Newcomb beschrieben wurde (1953), sondern im Dialog synthetisieren die Interaktionspartner ihre Symbol- und Wissenswelten, verstehen sich intersubjektiv und konstruieren gemeinsam die Welt (vgl. Kap. 1.1). Das Funktionieren einer Weltgemeinschaft hängt vom grenzüberschreitenden verständigungsorientierten Handeln von Men‐ schen ab. Erst wenn die lokale Lebenswelt global erweitert wird, können sich Gesellschaften entsprechend global stabilisieren, denn das kommuni‐ kative Handeln erfüllt Funktionen, die auch für unser Verständnis von Weltgemeinschaft oder Weltgesellschaft relevant sind: Durch kommunika‐ tives Handeln wird kulturelles Wissen reproduziert, wodurch die Mitglie‐ der einer Gesellschaft einen gemeinsamen Wissensvorrat anschlussfähig machen; kommunikatives Handeln stellt die soziale Integration durch die Teilhabe von Individuen an legitimen Ordnungen sicher, durch die Gruppensolidarität erzeugt wird; und kommunikatives Handeln ist für die Vergesellschaftung des Individuums entscheidend, also für die Sozialisation, innerhalb derer Individuen persönliche und soziale Identität entwickeln und Handlungskompetenzen ausbilden (Habermas 1995, Bd. 2, S. 203ff.). Der Transfer dieser theoretischen Grundannahmen auf die Weltgesell‐ schaft offenbart allerdings nicht nur das enorme Potenzial, das von Individu‐ alkommunikation für die Welt ausgeht, sondern ebenso die offensichtlichen Grenzen: Globales Wissen ist heute keine Selbstverständlichkeit, ebenso wenig sehen wir eine integrierte Weltgemeinschaft realisiert, noch haben alle Menschen globale Handlungskompetenzen ausgebildet. Obwohl Haber‐ mas die globale Anwendung seiner Theorie nicht formuliert, sondern die moderne nationalstaatlich geprägte Gesellschaft im Blick hat (Sundermeier 1996, S. 84ff.), ist die Vorstellung eines idealen Dialogs universell gültig und auf globale Verhältnisse übertragbar. Der Autor definiert letztlich sogar einen Idealtyp der Weltkommunikation, weil hier der herrschaftsfreie Austausch beschrieben ist, der die kulturellen strukturellen Vorprägungen der Kommunizierenden verbindet und rational neutralisiert, so dass eine gemeinsam erarbeitete Orientierung und Situationsdefinition möglich wird (Delanty 2009, S. 55). Aber die globale Interaktion von Individuen birgt spezifische Herausfor‐ derungen. Beim Transfer in globale Aushandlungsprozesse verschieben 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 316 <?page no="317"?> sich die bekannten sprachlichen, normativen und institutionellen Codes. Menschen sprechen unterschiedliche Sprachen, machen unterschiedliche Sozialisationserfahrungen und prägen zum Teil unterschiedliche kulturelle Regeln und Überzeugungen aus. Eine vollständige Überlappung der Deu‐ tungs- und Referenzsysteme ist daher nicht gegeben. Die Lebenswelt mit all ihren Inhalten, Strukturen und Mustern wird durch die globale Erweiterung herausgefordert. Die lebensweltlichen Grundannahmen, nach denen die „Weltstruktur“ konstant bleibt, ebenso wie die „Gültigkeit unserer Erfahrung von der Welt“ und die Möglichkeit, in ihr zu wirken (Schütz 1972, S. 153), müssen der globalen Erweiterung also erst standhalten. Damit die globale Lebenswelt ihre kulturelle Stabilisierungsfunktion für die Weltgemeinschaft und -gesellschaft erfüllt, benötigen Menschen Erfahrungssicherheit im Umgang mit globalen Anderen wie auch die Ein‐ sicht, dass die nicht direkt erfahrbare globale Mitwelt analog der lokalen Alltagswelt gebaut ist. Genau hier liegen aber den Interaktionen vorgela‐ gerte Wahrnehmungsprobleme. Denn kulturelle Differenz wird immer noch primär zwischen Gesellschaften verortet, obwohl Nähe- und Distanzverhält‐ nisse ebenso für Individuen unterschiedlicher Lebensweltkontexte innerhalb von Gesellschaften gelten. Während innergesellschaftliche Kulturvarianzen unproblematischer Bestandteil lokaler Lebenswelten sind, scheinen die glei‐ chen kulturellen Verschiebungen nach außen Unsicherheiten zu erzeugen. Dynamiken und Unwägbarkeiten des globalen Dialogs Es ist einsichtig, dass eine Orientierung an gleichen Symbol- und Referenz‐ systemen, allen voran die Sprache, interpersonale Kommunikation erleich‐ tert. Allerdings kann die Frage der Ähnlichkeit oder Differenz kaum vor ei‐ nem Verständigungsversuch beantwortet werden, da zwar die verwendeten Sprachsymboliken verschieden, die vermittelten Inhalte aber identisch oder zumindest verständlich sein können (sonst gäbe es keine Übersetzungen). Obwohl also über Interkulturalität nicht a priori entschieden werden kann, zeigt sich in vielen Situationen, dass Wahrnehmungs- und Wissensstruktu‐ ren dem Dialog vorgelagert sind und Menschen Vorurteile gegenüber dem globalen Anderen besitzen, etwa, wenn identische Konflikte nur dann als „Kulturkonflikt“ gedeutet werden, wenn Menschen aus anderen Ländern oder mit „Migrationshintergrund“ daran beteiligt sind. Herausgefordert wird der Dialog damit nicht durch Interkulturalität per se, sondern durch zwei Repräsentationsproblematiken, die wir Indi‐ viduum-Kollektiv-Problematik und Interaktion-Interpretation-Problematik 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 317 <?page no="318"?> nennen wollen. Erstere meint die generalisierte Wahrnehmung der Interak‐ tionspartner als Repräsentanten einer Kultur beziehungsweise Gesellschaft oder Gemeinschaft. In der kommunikativen Begegnung konzentrieren sich Individuen unter Umständen auf die imaginierte kulturelle Prägung eines anderen Menschen und nicht auf dessen individuelle Persönlichkeit und Argumentation, so dass gemeinsames Aushandeln eines Weltverständnisses theoretisch unmöglich wird, weil der Einzelne ja stets als „Repräsentant“ einer größeren Einheit und nicht als Individuum wahrgenommen wird. Die zweite Problematik bezieht sich auf die Auslegung von unterschied‐ lichen Handlungsroutinen als Repräsentationen differenter Bedeutungen, obwohl sich hinter unterschiedlichen Regeln und Routinen die gleiche Funk‐ tion und Struktur verbergen kann (vgl. a. Averbeck-Lietz 2011, S. 286). Riten des Begrüßens mögen sich beispielsweise weltweit unterscheiden, nicht aber die grundlegende Botschaft des Begrüßens selbst. Wird jedoch nur der Aus‐ druck interpretiert (z. B. Verneigen als distanzierend oder respektierend), tritt die Differenz (Interpretation) zwangsläufig vor die Gemeinsamkeit (Funktion) und bestätigt die Differenzannahmen. Situationsadäquates Verhalten, das in einem an Regeln orientierten Ver‐ ständnis von interpersonaler Kommunikation zentral ist (Höflich 1988, 1996), ist natürlich nicht ohne weiteres möglich, wenn die Codes nicht gemeinsam erlernt wurden. Der persönliche Dialog eröffnet aber die Chance eines Verständnisses über das jeweils regelbasierte Verhalten von Menschen, die Herausarbeitung von Differenzen ebenso wie von Analogien (vgl. a. Hafez 2002a, Bd. 1, S. 163ff.). In diesem Sinne können wir die reflexive Anforderung des Kosmopolitismus, das Fremde im Eigenen zu erkennen, kommunikationstheoretisch brauchbar machen: Es geht dabei nicht darum, kommunikative Codes anzugleichen, sondern darum, die universalen Mus‐ ter und Analogien hinter differenten Codes zu verstehen. Interkulturelle Kommunikation ist also nicht der „Reparaturapparat“ kultureller Missver‐ ständnisse, sondern Entstehungsbedingung für Weltgemeinschaftlichkeit. Durch dialogische Interaktion können Unterschiede transzendiert werden, ohne dass Fremdverstehen Assimilation fordert. Nicht allein das Verstehen des globalen Anderen, sondern das gemeinsame Verstehen der Welt ist die Brücke zur Weltgemeinschaft, die sich in interpersonalen Begegnungen realisieren kann. Bis heute finden sich allerdings im Forschungsbereich der interkultu‐ rellen Kommunikation Erklärungsansätze, die die kommunikativen Her‐ ausforderungen interkultureller Begegnungen auf Differenzen zwischen 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 318 <?page no="319"?> Großkulturen zurückführen. Gegen diesen Trend bilden sich inzwischen ganz neue Forschungszweige, wie der Bereich der „Kritischen Interkultu‐ rellen Kommunikation“ (Critical Intercultural Communication), der einen stärkeren Fokus auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen legt, inner‐ halb derer es zu situationsprägenden Kulturvorstellungen kommt und der tradierte Untersuchungsperspektiven dekonstruiert (Nakayama/ Halualani 2013). Yoshitaka Miike formuliert hier: „When and how can intercultural communication specialists stop talking forever about certain Eurocentric theoretical constructs (e.g., individualism-collectivism, independent-inter‐ dependent construals, and high-context and low-context communication) and move beyond these sweeping overgeneralizations that occlude cultural and communicative complexities? “ (2013, S. 193f.). Neben der interkulturellen Kommunikationsforschung beschäftigt sich auch die Sozialpsychologie mit den Kontaktszenarien von Menschen. Der Kontakthypothese geht es zwar nicht um kulturelle Verständigung und Integration im engeren Sinne, aber um den Abbau von Vorurteilen durch Kontakt (siehe oben). Vorannahmen über Andere sind auch hier das Hin‐ dernis für Interaktion. Die Weiterentwicklung der Hypothese schränkt ein, dass ein positiver Effekt von Kontakt nur unter bestimmten Bedingungen zu erwarten ist, etwa dort, wo Interaktionspartner einen ähnlichen Status tei‐ len, gemeinsame Ziele verfolgen, eine gemeinsame Sprache sprechen, wenn die Kontaktsituation durch Dritte unterstützt und nicht von prekären öko‐ nomischen oder anderen Krisenkontexten begleitet wird (Pettigrew 1998). Vor allem, wenn die Möglichkeit zu einem nachhaltigen Kontakt gegeben ist, der Freundschaften entstehen lassen kann, sind die Erfolgschancen groß, dass Urteile übereinander verändert und die Grenzen der Nähe und Ferne, der In- und Outgroup, verschoben werden. Die Kontakthypothese verzichtet allerdings auf eine kommunikationswissenschaftliche Bestimmung dieses Kontakts, auch wenn mit der Möglichkeit zur Selbstoffenbarung gemäß Pettigrew ein Hinweis auf dichten kommunikativen Austausch erfolgt (ebenda, S. 78). Strukturvarianten des globalen Dialogs Konzepte des interkulturellen und globalen Dialogs finden vorwiegend in Politik und Bildung Verwendung (Leeds-Hurwitz 2015). In der Konver‐ sationsanalyse und Ethnomethodologie werden hingegen zwar Alltagsge‐ spräche erforscht, die Frage nach der spezifischen globalen Qualität ist hier weniger prominent. Alltagsdialoge unterscheiden sich aber strukturell 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 319 <?page no="320"?> von diplomatischen Dialogen. Institutionell organisierte Dialoge finden in vorstrukturierten Situationen statt, sind meist lösungsorientiert und folgen Entscheidungsszenarien. Konkrete Ziele ergeben sich in der Lebens‐ welt meist erst dann, wenn Irritationen auftauchen. Sonst vollzieht sich gemeinsame Aushandlung von Alltagsbedeutungen implizit und nicht über organisierte Kommunikationsformate. Begegnungen in der Lebenswelt sind zudem zufällig und ergebnisoffen (Cissna/ Anderson 1998). Variabel sind daher auch die Möglichkeiten zur Vergemeinschaftung, die sich Individuen durch nachhaltige Dialoge erarbeiten und die sich in „postnationalen“ Identitätsvarianten äußern können. Die mehr oder weniger kulturverbun‐ denen kosmopolitischen Identitäten (Appiah 2006), die Hybrid- und „So‐ wohl-als-auch“-Identitäten zeugen so gesehen immer auch von den unter‐ schiedlichen Kontaktszenarien der Lebenswelten. Die Forschung zur Effektivität von Interaktion in globalen Unterneh‐ mensteams zum Beispiel kann den Blick dafür verstellen, dass die Dialoge der Lebenswelt nicht auf konkrete Resultate abzielen und insofern unkon‐ trollierbar sind. Selbst für den diplomatischen Dialog gilt, dass Konsense oder Agreements nicht zwingend, sondern nur wünschenswert sind. Dialog‐ partner können unterschiedlicher Meinung und Auffassung bleiben, solange die Grundlagen gegenseitiger Akzeptanz aufgebracht werden. „Interkultu‐ relle“ Kommunikation ist also nicht gescheitert, wenn ein Ziel nicht erreicht wurde oder wenn man sich nicht „verstanden“ hat, sondern erst dann, wenn es nicht zur gegenseitigen Anerkennung kommt. Dialogische Strukturvarianten stehen damit in engem Verhältnis zu den Toleranzprinzipien der Anerkennungstheorie (Forst 2006), wo aber die kommunikationstheoretischen Grundlagen nicht ausgestaltet sind (Hafez 2013, S. 113). „Negative Toleranz“ oder „Ablehnung“ des globalen Anderen sind dabei auf der Ebene der Nicht-Interaktion anzusiedeln. Die „Zurück‐ weisung“ wäre schließlich die eben beschriebene Form eines Dialogs ohne gemeinsamen Konsens, also der negativ gewendete Dialog. Erst die „Ak‐ zeptanz“ im Sinne einer positiven Toleranz und Wertschätzung und die Herausarbeitung eines gemeinsamen Nenners erfüllen die Bedingungen eines idealen Dialogs im Sinne einer Gesprächssynthese und Vergemein‐ schaftung. Eine gemeinschaftsstiftende Anerkennung globaler Anderer ist also auch aus dieser theoretischen Warte heraus nur durch den Dialog zu erreichen. Gleichzeitig stellt sich für uns damit die Frage, wie wir mit zurückweisenden Dialogen umgehen, die die eigentliche Herausforderung 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 320 <?page no="321"?> globaler Interaktion darstellen. Diese Diskussion werden wir später im Zusammenhang mit den individuellen Wissensstrukturen weiterverfolgen. Unabhängig von akzeptierenden oder zurückweisenden Modi des Dialogs müssen wir den Sequenzcharakter interaktiver Begegnungen bedenken (Littlejohn/ Foss 2005, S. 161). Dialoge sind demnach keine isolierten Be‐ standteile individueller Alltagskommunikation (Black 2008). Interpersonale Kommunikation ist von einem ganzen Spektrum an kommunikativen Gat‐ tungen geprägt. So können dialogische Sequenzen von Debattenmomen‐ ten, von Klatsch und Tratsch oder monologischen Beschwerdegeschichten umgeben sein. Dabei müssen nicht-dialogische Episoden von Begegnung nicht zwangsläufig kontraproduktiv sein, was die Vergemeinschaftungs‐ qualität der Interaktion anbelangt. Gerade die gemeinsame Verwendung kommunikativer Verfahren an sich trägt bereits zur sozialen Versicherung bei (beispielsweise im Familienalltag), nicht allein der rein inhaltliche Austausch (Keppler 1994). Auch monologisches Erzählen (storytelling, vgl. a. Kap. 4.2.1) kann ein dialogisches, machtfreies Verständnis füreinander vorbereiten, indem es den Zuhörenden eine Grundlage für lebensweltliche Perspektivübernahmen und eine Basis für die gemeinsame Orientierung an Werten schafft (Black 2008, S. 99, Antweiler 2011, S. 82f.). Dialog ist also eher eine kommunikative Momentaufnahme, in der sich die Interakti‐ onsteilnehmer besonders bewusst aufeinander beziehen (Black 2008, S. 99, Cissna/ Anderson 1998, S. 67). Die kommunikative Qualität globaler Kontakte wäre demnach auch abhängig von den multiplexen Möglichkeiten menschlicher Begegnungen. Institutionelle, formalisierte Dialogsituationen lassen sich leichter organi‐ sieren, müssen aber eine Balance von Formalität und Informalität der kom‐ munikativen Begegnung realisieren. Nicht-organisierte Dialoge des Alltags hingegen benötigen die zeitlichen und situativen Bedingungen, um die Entwicklung von multimodalen Kommunikationssequenzen zu fördern, in denen gemeinsame Orientierungen ausgelotet werden können. Die für den globalen Kontakt diskutierte Notwendigkeit von verschiedenen Erfahrungs‐ ebenen des Individuums - etwa bei Ulf Hannerz (siehe oben) die Erweiterung von professionellen Business-Kontakten zu privaten Kontakten - findet hier eine kommunikationstheoretische Begründung. Zugleich erklären die komplexen Kommunikationsstrukturen auch, warum sich globale Konnektivität im Internet nur langsam realisiert (vgl. Kap. 6.2.1), wo doch die Möglichkeiten grenzenlos scheinen, wie Nancy Baym formuliert: „[T]he range of potential relational partners has been 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 321 <?page no="322"?> expanded to a broader pool than at any previous point in history“ (2010, S. 101). Der Grund ist wohl, dass Kommunikation mit dem globalen Anderen im virtuellen Raum bereits eines Anlasses bedarf, meist einer strategischen Intention. Die zufällige Begegnung und ein Kommunikationsfluss, der unterschiedlichste Gattungen beinhalten kann, sind hier eingeschränkt. Vertiefung und Aufrechterhaltung von Kontakten sind daher ohne Weite‐ res möglich, neue dichte Erfahrungen zwischen Menschen aber nur in Ausnahmefällen. So verwundert es nicht, dass die meisten Online-Bezie‐ hungen nicht intim werden und generell Online-Kontakte häufiger aus Offline-Kontakten entstehen als umgekehrt (ebenda, S. 124, 132). Vernet‐ zungsmöglichkeiten übersetzen sich also nicht einfach in globale lebens‐ weltliche Relationalität, wohingegen bestehende lebensweltliche Kontakte aber neue Möglichkeiten zur Mitnahme und Teilhabe bieten. Erneut, wie bereits bei den Netzgemeinschaften, macht sich die soziale Kopräsenz der Kommunikation bemerkbar. Überlagerung von Beobachtung und Dialog Die bisher beschriebenen Varianten kommunikativer Situationen, Gattun‐ gen und Medien werden im dialogischen Kommunikationsmodus in direk‐ ten interpersonalen Begegnungen von fortlaufender Beobachtung begleitet. Die Wahrnehmung von non- und paraverbalen Zeichen sowie des Situ‐ ationskontexts erzeugt einen dichten Text, der neben den Sprechakten ebenfalls gedeutet werden muss. Was wir im Alltag oft routiniert beobach‐ ten, muss unter Umständen im globalen Zusammenhang neu interpretiert werden. Dies führt auch dazu, dass sich das Verhältnis von Verbalität und Nonverbalität umdreht, beispielsweise wenn das gemeinsame Betrach‐ ten, Zeigen, das Reden mit Händen und Füßen das einzig verbleibende gemeinsame Symbolsystem ist. Hierin unterscheidet sich die globale Indi‐ vidualkommunikation von den organisierten Sozialsystemen, die getrennte Organisationseinheiten für die Beobachtung, die direkte Interaktion und die Darstellung der Welt haben. Während es dort auf das Verhältnis zwischen den Einheiten ankommt (z. B. Außen- und Binnenkommunikation in der Wirtschaft, vgl. Kap. 4.2.4), geht es in der Individualkommunikation um die Balance der Kommunikationsmodi und um die Frage der Auswirkungen von Verschiebungen zwischen den Ebenen für die globale Kommunikation des Individuums. Was passiert, wenn beispielsweise sprachlicher Austausch nur schwer möglich ist und umgangen wird (z. B. auf Reisen oder während der Mi‐ 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 322 <?page no="323"?> gration) und dem Individuum allein die beobachtende Erfahrung bleibt? Die Grenzen der eigenen Lebenswelt werden dann durch Mobilität nicht überschritten, sondern Wahrnehmungsstrukturen werden an andere Orte transferiert. Potenziale des interaktiven Austauschs im globalen Raum bleiben auf diese Weise ungenutzt. Eine solche radikale Verschiebung hin zur Beobachtungsposition kann wiederum in dann stattfindenden globalen Begegnungen (encounters) zum Hindernis werden, wenn das Heraustreten aus eigenen Interpretationsschemata nicht gelingt, weil die beobachtete Situation, in der sichtbare Symbole, Routinen und Regeln erkennbar werden, nicht auf einer gemeinsamen Bedeutungsebene entschlüsselt werden. Ein Beispiel wäre das Kopftuch, das in der Beobachtung als Symbol für Religiosität steht, obwohl sich dahinter Persönlichkeiten verbergen, die berufliche Karrieren verfolgen, eine politische Meinung und Sex haben. Die Deutung des Stoffs überlagert die Situation. Sie definiert weiterhin die Agenda in dem Fall, wenn sie Anlass für einen Dialog ist. In Anlehnung an unsere Repräsentationsproblematiken würde dies dem anerkennenden dialogischen Prinzip von vornherein widersprechen und in einer falsch verstandenen Form der Anerkennung münden. Auch der „touristische Blick“ (tourist gaze) ist ein Beispiel für erlernte Beobachtungsperspektiven, die Touristen einnehmen, ohne sich mit lokalen Einwohnern dialogisch zu verstehen (vgl. a. Urry 1990, Larsen 2014). Eine Dominanz der Beobachtung statt einer Balance zwischen Interaktion und Beobachtung kann allerdings den Kern von kommunikativen Aussagen von grammatikalischen und kulturellen Überlagerungen befreien. Zudem lassen sich ohnehin nicht alle sozialen Bedeutungen verbal vermitteln. Ein Gefühl der Selbstverständlichkeit globalisierter Lebenswelten lässt sich auch im gemeinsamen Handeln erzeugen, ohne dass man das Risiko sprachlicher Missverständnisse eingeht. Tut man parallel und in der Reichweite gegen‐ seitiger Beobachtung die gleichen Dinge, besteht zumindest die Chance, in dieser Überlagerung der Interaktion durch Beobachtung gemeinsame Sicherheit statt Unsicherheit zu erzeugen. Wenn die oben beschriebene Per‐ son mit Kopftuch Situationen des Alltags mit einem unsicheren Beobachter teilt, kann dies den ersten Schritt der imaginären Annäherung einleiten. Das Resultat beobachtender Kontakte bleibt also unvorhersehbar, aber zwangsläufig auf eine maximal stille verstehende (passive) Anerkennung reduziert, die sich dem globalen Anderen nicht vermitteln muss. 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 323 <?page no="324"?> Einflüsse digitaler Medien Wie beeinflussen nun digitale Interaktionsmöglichkeiten das Verhältnis von Beobachtung und Dialog für das globale Individuum? Wir haben festgestellt, dass globale Interaktion im Netz generell nicht so leicht herzustellen ist, da es einen Anlass für digitale Begegnungen braucht. Während Menschen auf Reisen zum Beispiel das Treiben auf einem Marktplatz in einer ihnen entfernten Lebenswelt beobachten können, fällt es schwer, eine Entspre‐ chung dieser lebensweltlichen Situation im digitalen Raum zu finden. Anders gesagt: Interaktion im engeren Sinne lässt sich digital simulieren, Interaktion im weiteren Sinne, die neben dem inhaltlichen Austausch auch die direkten Beobachtungsmöglichkeiten in zahlreichen Alltagssituationen mitdenkt, kaum. Obwohl zu den Kontextspezifika wie auch den sozialen Potenzialen und Problemen digital vermittelter Kommunikation geforscht wurde (u. a. Baym 2002), wissen wir insgesamt noch immer zu wenig über deren Einsatz in der interpersonalen grenzüberschreitenden Kommu‐ nikation. Selbstverständlich bieten digitale Medien Möglichkeiten für das Individuum, Kontakte über große Distanzen aufrechtzuerhalten. Ob sie aber auch zur interaktiven Gemeinschaftsbildung des Individuums beitragen, bleibt fraglich. Wir können hinzuzufügen, dass selbst dort, wo Menschen im Netz aufein‐ andertreffen, die Dominanz der individuellen Beobachtung noch verstärkt wird, zum Beispiel, wenn heimische Wissensstrukturen als „digitale Reise‐ führer“ nun auch auf Reisen die Beobachtung steuern und direkte Kontakte unnötig machen. Die Technologie öffnet in diesem Fall kein Fenster zur Welt, sondern sie unterstützt die Abschottung von potenziellen globalen Sozialkontakten (Garaeva 2012, S. 218, Günther/ Hopfinger 2009, vgl. a. Kap. 6.1). Insgesamt ist die Internetkommunikation für das Individuum möglicherweise weniger der Ort für mehr direkte Interaktion über die Grenzen der eigenen Lebenswelt hinweg, sondern eher ein Verstärker der „interkulturellen Beobachtung“, von der moderne Technologien - gemäß Giesecke (vgl. Kap. 1.1) - eigentlich wegführen sollen, in dem sie interaktive Globalkommunikation stiften. Eine genaue Bilanz des Digitalen aus Sicht des Individuums steht noch aus. Fazit: Macht und Ohnmacht der individuellen Interaktion Die spezifischen kommunikativen Verschiebungen und Überlagerungen globaler Interaktionssituationen lassen Chancen und Risiken für die globale 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 324 <?page no="325"?> Vergemeinschaftung entstehen. Im Dialog kann das Individuum seine gan‐ zen kommunikativen Möglichkeiten des kreativen Verstehens und Erklärens für globale Gemeinschaftlichkeit ausspielen. Mit der Öffnung hin zum globalen Anderen geht das Individuum jedoch das Risiko des Dissenses und Scheiterns von Anerkennung ein. Im globalen Dialog liegen also Macht und Ohnmacht des Individuums nah beieinander. Sequenzen weni‐ ger anspruchsvoller kommunikativer Mischformen können die Situation entspannen, erhöhen aber wiederum die Anforderung an die sensible Interpretationsarbeit des Individuums. Die Macht der Interpretation geht aber auf Kosten der Ohnmacht gegenüber ihrer Unverbundenheit mit der Weltgesellschaft. Kontakt als bloße Konnektivität ohne Dialog führt also noch nicht zu einer „tiefen Globalisierung“ der Individualkommunikation in Form einer echten Vergemeinschaftung. Dementsprechend gilt für diese eine ähnliche Mechanik wie für die strukturalistische Netzwerkanalyse, die wir vorher besprochen haben (vgl. Kap. 6.2.1). Netzwerke allein erzeugen keine Weltgemeinschaft. 8.2.2 Beobachtung und Diffusion Diskursive globale Wissensverarbeitung des Individuums Grenzen und Potenziale globalen Kontakts resultieren nicht nur aus Situa‐ tions- und Kommunikationsbedingungen, sondern auch aus den Wissens- und Persönlichkeitsstrukturen, die dem Individuum als Ressourcen der Interpretation globaler Kontakte und Beobachtungen zur Verfügung stehen. Das Individuum sieht sich hier vor zwei Herausforderungen gestellt: Es kann einerseits nicht unendlich viel wissen und andererseits nicht unendlich viel reisen, um überall und ständig eigene Welterfahrung zu sammeln. Die Ferne lässt sich wiederum aus der Nähe schlicht nicht direkt beobachten. Der individuelle Umgang mit diesen zwei Defiziten entscheidet mit darüber, wie flexibel sich die lebensweltliche Öffnung gestaltet. Die individuelle Verarbeitung von Weltwissen verläuft daher weniger li‐ near, systematisch und gleichmäßig als in organisierten Sozialsystemen. Sie erzeugt zudem ambivalente Rollen für die Einzelnen. Während Individuen über Expertenwissen zu jenem Ausschnitt der Welt verfügen, in den sich die eigene Lebenswelt kurz- oder langfristig aufspannt, bleiben sie in Bezug auf andere Kontexte vom diskursiv verfügbaren Wissen abhängig. Dabei steht das interpersonal erlangte Expertenwissen oft nicht im Einklang mit dem reduzierten, selektiven und häufig stereotypen öffentlichen und medialen 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 325 <?page no="326"?> Diskurswissen (vgl. Kap. 2.2.1), das aber wiederum für jene ohne eigene Erfahrung Expertenwissen ist. Individuen in modernen Gesellschaften be‐ wegen sich damit in einem alltäglichen Spannungsfeld zwischen eigenen Erfahrungen und vermitteltem Wissen, das kaum noch verarbeitet werden kann und deswegen meist eher einem globalen Nicht-Wissen ähnelt (vgl. a. Weiß 2006). Der spanische Philosoph Daniel Innerarity meint dazu: „Unser Nichtwissen ist eine Konsequenz von drei, für die heutige Gesellschaft charakteristischen, Eigentümlichkeiten: des nicht (mehr) unmittelbaren Charakters unserer Welterfahrung, der Dichte des Informationsflusses und der technischen Vermittlungen unseres Zugangs zur Realität“ (2013, S. 16). Es ist daher folgerichtig, wenn die Debatten um ein kosmopolitisches Bewusstsein vor allem die reflexive Kompetenz des Individuums betonen. Høy-Petersen und Woodward betrachten die ethisch basierte kosmopoliti‐ sche Kompetenz als „the reflexive reasoning and the ability to knit together pieces of information drawn from various discourses in order to construct the Other as being either ‚good‘ or ‚bad‘, ‚worthy‘ or ‚unworthy‘, regardless of being similar or different“ (2018, S. 660). Globale Kompetenz besteht demnach nicht darin, Differenzen zwischen Kulturen vorauszusagen (siehe oben), sondern in der Fähigkeit, Beobachtung und Selbstbeobachtung, Wis‐ sen und Nicht-Wissen, kritisch zu verbinden. Kritische Weltsicht durch Medienaneignung? Die Medienaneignungsforschung hat uns die relative Autonomie einzelner Rezipienten gegenüber den Medienangeboten vor Augen geführt. Menschen sind keineswegs passive Medienkonsumenten, sondern in ihrer Einordnung und Interpretation medialer Diskurse kreativ, sie lesen Medientexte mitun‐ ter „oppositionell“, mithin ironisch (u. a. Hall 2004, Ang 1989, 2007). Alter‐ native Deutungsangebote sind von Einzelnen aber nur schwer herzustellen, wenn sie nicht über Wissen verfügen, das die medialen Bilder ergänzen oder korrigieren kann. Zwar erleichtern Werte und Überzeugungen eine „widerständige“ Haltung, ein Gegen-Weltentwurf bleibt ohne eigenes Wis‐ sen dennoch vage. Medienumwelten eröffnen heute freilich neue Möglichkeiten für die Wel‐ tentdeckung des Einzelnen jenseits der klassischen Massenmedien. Indivi‐ duen stehen Fachjournale, Blogs oder internationale Medien zur Verfügung, um nach Weltwissen zu suchen. Über die Aneignung kultureller Angebote kann ein globales Bewusstsein also inspiriert werden, auch wenn über den Zusammenhang von Medienkonsum und kosmopolitischem Bewusstsein 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 326 <?page no="327"?> noch keine hinreichenden Befunde vorliegen (Ong 2009, S. 451). Der Bereich der Unterhaltungskommunikation und Popkultur lässt zumindest die An‐ nahme zu, dass die fiktionale Imagination globales Interesse animieren kann. Wenn Einzelne nämlich beginnen, aufgrund ihrer Lieblingsserie neue Sprachen zu lernen, Popkultur zu übersetzen (fansubbing) oder sich mit der Kultur des Produktionslandes auseinanderzusetzen, dokumentiert sich eine individuelle Teilhabe an globaler Kultur ( Jenkins 2006, S. 164, Lee 2018). Auch lässt sich mutmaßen, dass Medienangebote Einstellungen zum Reisen beeinflussen (Skrbis et al. 2014, S. 623). Das bedeutet, dass Individuen durch Medienbeobachtung zwar ihre dis‐ kursive Wissenskompetenz vervielfältigen können und die Möglichkeit zur Änderung von Einstellungen und Interessen besteht, ihrer diskursiven Abhängigkeit von der „Informationsgesellschaft“ entkommen sie dadurch aber trotzdem nicht. Die Beziehung zu fernen Lebenswelten in der media‐ len Beobachtung muss durch die Rezipienten hergestellt und vor allem imaginiert werden. Daher können Narrationen und Darstellungsformen die analytischen und emotionalen Zugänge zur Ferne erschweren oder erleichtern (Chouliaraki 2006, 2008). Die medialen Erzählungen von der Welt können letztlich auch verschließende Effekte haben und zu einer Ablehnung der Welt globaler Anderer führen. Indifferente und ironische Haltungen und „Mitleidsmüdigkeit“ (compassion fatigue) sind allesamt Reaktionsmöglich‐ keiten des rezipierenden Individuums (ebenda, Chouliaraki 2013, Kyriakidou 2014, Scott 2014, Höijer 2003). Doch auch empathisches Mitleid ersetzt noch keine Erfahrung, das dem impliziten Erfahrungswissen vorbehalten bleibt. Weiterverarbeitungsfilter globalen (Nicht-)Wissens Dass Rezipienten aktiv mit diskursiven Narrations- und Bildstrukturen um‐ gehen, bedeutet nicht, dass die Lesarten losgelöst von den lebensweltlichen Strukturen und Erfahrungen des Einzelnen wären. Aneignung medialen Wissens erfolgt im Rahmen gegebener Wissens- und Identitätsmuster und die Weiterverarbeitung findet in Gruppenformationen statt (vgl. Kap. 7), wo individuelle Lesarten sozial eingebettet und anschlussfähig gemacht wer‐ den. Über diesen Prozess der sozialen Weitergabe globaler Expertise wissen wir bislang wenig (Grüne 2019b), ebenso wie über den Zusammenhang von direkter und mediatisierter Erfahrung (Robertson 2010, S. 75). Gerade für die Globalisierung von Lebenswelten ist aber entscheidend, wie das aus direkter Anschauung gewonnene Wissen von der Welt in zwischenmenschlichen Beziehungen kommunikativ anschlussfähig wird, da Individuen in ihrer 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 327 <?page no="328"?> eigenen Welterfahrung beschränkt sind. Wie kann also das Wissen der Einzelnen zum Wissen der Vielen werden? In der Literatur wird die relative Autonomie von Kosmopoliten gegenüber stationären lokalen Gruppen und Gemeinschaften betont und deren Ent‐ fremdung und Erfahrungsdifferenz problematisiert (Rogers 1999, Hannerz 1996, S. 110). Die Öffnung des Einzelnen hin zu den Symbolsystemen einer Fremdgruppe geht in diesem Verständnis mit einem Vertrauensverlust und Mangel an Common-Sense-Erfahrung mit der Eigengruppe einher. Individu‐ elle Welt-Expertise birgt so neben Potenzialen auch soziale Risiken im Nah‐ raum. Fördert die globale Integration des Einzelnen also automatisch dessen lokale Desintegration? Wenn Einzelne über Erfahrungswissen verfügen, das weder die Medienöffentlichkeit noch die relevanten Bezugsgruppen in den lokalen Lebenswelten teilen, erzeugt zumindest der Mediendiskurs ein Un‐ gleichgewicht zu Ungunsten der „Wissenden“, wenn die „Nicht-Wissenden“ ihr Fernbild auf Medienwissen stützen (Kruck 2008). Eine lebensweltliche Koorientierung ist dann leichter in Hinblick auf die geteilten medialen Bilder als mit Hilfe der exklusiven Eigenerfahrung herzustellen. Am Beispiel des Islambilds der deutschen Medien lässt sich dies veranschaulichen: Aufgrund des selektiven Konfliktzuschnitts des Islambildes (vgl. Kap. 2.2.1) ist es vermutlich einfacher, eine gemeinsame Orientierung auf die islamische Welt mit lokalen Anderen durch den Bezug auf existierende Probleme des islamistischen Terrorismus oder patriarchaler Gesellschaftsstrukturen herzustellen als über Umweltbewegungen, neue Jazz-und Rock-Platten, Filme oder Ausstellungen in der islamischen Welt - Themen, über die man „vor Ort“ Kenntnis erlangen kann, die aber im deutschen Mediendiskurs unterrepräsentiert sind. Wenn die Bezugsgruppen des Individuums nun wiederum gleiche alter‐ native Erfahrungen teilen, beispielsweise, weil man gemeinsame Reiseer‐ fahrungen gemacht hat, kann sich der gemeinschaftliche Nukleus leichter vom Diskurswissen emanzipieren. Wenn aber die globalen Wissensbestände des Individuums und die seiner engsten interpersonalen Bezugspartner auseinanderfallen, kann die globale Wissensverarbeitung blockiert werden. Haben globale Alltagsexperten also überhaupt als Meinungsführer Einfluss in der lebensweltlichen Encounter-Kommunikation? Tatsächlich beschäf‐ tigte sich bereits eine der Pionierstudien der Meinungsführerforschung mit der typologischen Unterscheidung von „lokalen“ und „kosmopolitischen“ Meinungsführern (Merton 1968). Deren biografische Erfahrungen (z. B. Mo‐ bilität) und mediale Orientierung waren jeweils stärker auf entweder kom‐ 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 328 <?page no="329"?> munale oder nationale/ internationale Zusammenhänge hin ausgerichtet. Mit den Erfahrungsstrukturen gingen unterschiedliche soziale Bindungs- und Einflussmuster einher. Richard K. Merton: „If the local influentials are quantitativists, the cosmopolitans are qualitativists in this regard“ (ebenda, S. 451). Die Struktur der Konnektivität wie auch die Struktur der Relationalität waren also verschieden ausgeprägt. Bedienten die loka‐ len Meinungsführer größtenteils gemeinschaftsorientierte Einflusssphären (z. B. lokale Vereine) und konnten Einfluss durch ihr auf die Nahwelt bezogenes Handlungswissen bei verschiedenen Themen üben (z. B. durch Kontakte, Netzwerke; polymorphe Typik), hatten die anderen vor allem Interesse-geleitete Positionen inne und boten Orientierung durch eher ex‐ klusives Faktenwissen (z. B. Expertenmeinung zu einem bestimmten Thema, monomorphe Typik) (ebenda, S. 468). Der Grund für Kommunikationsprobleme zwischen lokalen und kosmo‐ politischen Meinungsführern liegt vermutlich weniger in der Isolations‐ furcht des Einzelnen, die in der Theorie der Schweigespirale beschrieben wird (Noelle-Neumann 1980), als in der Offenbarungsangst des Nicht-Wis‐ sens der Vielen. Schilderungen persönlicher Erfahrung sind schließlich gewöhnlicher Bestandteil alltäglicher Kommunikation und weniger sozial anstößig als die politische Meinungsäußerung. Vielmehr könnte das Pro‐ blem der lebensweltlichen Wissensdiffusion aus der Unsicherheit der zuhö‐ renden Interaktionspartner entstehen, die Deutungsangebote ordnen und das eigene Vertrauen in die Beobachtungsleistung der unterschiedlichen systemischen (Medien, Wissenschaft) und lebensweltlichen (Freunde, Fami‐ lie) Akteure gewichten und mitunter das eigene Nicht-Wissen und ihre Ohnmacht zugeben müssten. Für globales Bewusstsein wären dies aber wichtige Eigenschaften, um nicht irrenden Diskursen über ferne Welten blind zu glauben und ignorant zu bleiben. Auch wenn die Ergebnisse der Merton-Studie einer theoretischen wie empirischen Aktualisierung dringend bedürfen, deuten sie auf ein Problem hin, das wir ebenfalls aus der Auslandsberichterstattung kennen: Der Orientierung in der Fernwelt dienen eher systemische Wissensstrukturen (vor allem Politik und Medien), der Orientierung in der Nahwelt hinge‐ gen gemeinschaftsorientierte Wissensbestände (die Erfahrungswelt der Gruppe - wobei der „Fremde“ in der Nahwelt oft der Fernwelt zugerechnet und sein Bild daher von den Medien beeinflussbar ist, vgl. Kap. 2.2.2). Im gemeinschaftlichen Miteinander bleibt so die Fernwelt ein „systemisches Außen“, die Nahwelt allerdings der gemeinschaftliche Bezugsraum. 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 329 <?page no="330"?> Dabei spricht gerade aus einer lebenswelttheoretischen Perspektive nichts dagegen, warum Wissen und Kontakte, die in der Ferne gemacht wurden, nicht auch für die Nahwelt nutzbar sein sollten. Die Persistenz der Individuum-Kollektiv-Problematik läuft dem allerdings zuwider. Wenn in der Beobachtung der Anderen kulturelle Prämissen mitgedacht und Personen auf bestimmte Rollen abonniert zu sein scheinen, erschwert dies die Auflösung von Differenzwahrnehmung. Dieser Mechanismus wird nicht nur in eingeübten Wahrnehmungen von Menschen bedient, sondern auch von Systemen. Wenn Nationalstaaten beispielsweise über die Bewertung von Wissen und Können bei der Arbeitsmigration entscheiden und dann die Sprachkenntnis zählt und nicht die transnationalen Professionserfah‐ rungen, wird global anschlussfähiges Wissen nicht genutzt (Weiß 2018). In der Außenwahrnehmung dominiert dann die Rollenbeschreibung „auslän‐ dische Fachkraft“ gegenüber der Professionsrolle. Das Erkennen globaler Meinungsführer und Wissensträger ist durch die diskursive Beobachtung von Medien und lebensweltlichen Umwelten folglich allein nicht zu leisten. Denn die Herausbildung von Rollen- und Verhaltenserwartungen vollzieht sich relational, setzt also Sozialisationserfahrungen und Kommunikation mit den Bezugsgruppen voraus (Bahrdt 1997, S. 67ff.). Auch vor dem Hintergrund von in Lebenswelten tradierten stereotypen Wahrnehmungsmustern müssen wir heute davon ausgehen, dass Menschen mit globalem Wissen nicht automatisch Meinungsführer sind. Es gibt „schlummernde Erfahrungen“, die nicht in die gesellschaftliche Weiterver‐ arbeitung transferiert werden. Ulf Hannerz: „Globalization of this kind, diffused within social life, is opaque. Deep personal experiences and their distribution in the world can be in large part a private matter“ (1996, S. 89). Für die Globalisierungsforschung der Lebenswelt ist es also dringend nötig, sich mit den unerkannten Kosmopoliten, den „stillen Experten“ (Geise 2017, S. 123), wie auch mit den inaktiven Wissensverarbeitern zu beschäftigen, die bisher ebenfalls eine Black Box der Meinungsführer-Forschung sind, obwohl diese immerhin begonnen hat, die vormals passiv erscheinenden Subjekte, die als Empfänger der Meinungsführer galten, als aktive Beteiligte des Wissensvermittlungsprozesses zu erkennen (Dressler/ Telle 2009, S. 58f.). Es fehlt aber noch immer die Verbindung zur Globalisierungsforschung und zu der Frage, wer als globaler Experte auserkoren wird und warum. 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 330 <?page no="331"?> Nicht-Wissen als Risiko in der Weltgesellschaft Sowohl die stille Beobachtung als auch der intensive Dialog bergen ihre Gefahren, wenn es um die globale Erweiterung der lebensweltlichen Erfah‐ rung geht. Die fragilen Wissensstrukturen bieten oft nur eine brüchige Interpretationsbasis für die Einordnung neuer Erfahrungen. Für Einzelne gelangen heute also nicht nur globale Risiken auf den Radar ihrer Welt‐ wahrnehmung, sondern die „Welt-Risikogesellschaft“ (Beck 2007) spiegelt sich auch in den kommunikativen Mikrostrukturen der Lebenswelt wider und muss dort neu verhandelt werden. Daniel Innerarity: „Die Fragen, wer etwas weiß und wer nicht, wie man Wissen und Nichtwissen erkennen und befragen bzw. bestreiten kann, umschreiben das wirkliche Feld der neuen gesellschaftlichen Auseinandersetzung“ (2013, S. 64). Da es aus Sicht des Individuums nicht darum gehen kann, den Unsi‐ cherheiten im globalen Kontakt mit immer neuem Wissen zu begegnen, sollten die Herausforderungen der „globalen Kompetenz“ des Einzelnen neu gedacht werden. Reflexiver Kosmopolitismus muss insofern den Um‐ gang mit dem Nicht-Wissen sowohl der Subjekte als auch der anderen umfassen. Menschen müssen also mit der Tatsache umzugehen lernen, „dass in der Beurteilung komplexer Sachverhalte immer zu wenig Wissen zur Verfügung steht“ (Scheunpflug 2001, S. 95, Treml 2001). Die Anerkennung des Nicht-Wissens bedarf zugleich der Vermittlung eines Angebots zum Umgang mit diesem Zustand. Kai Hafez fordert deshalb die „Etablierung einer Kultur des Nichtwissens“ (2013, S. 272). Nicht nur das globale Wissen ist demnach für das Individuum entscheidend, sondern auch die Fähigkeit, sein eigenes Nicht-Wissen adäquat einschätzen zu können, um fundierte interkulturelle Werturteile fällen und eine legitime Praxis der Anerkennung (siehe oben) einüben zu können. Fazit: das Individuum auf dem Weg zur globalen Wissensoptimierung Wissensaneignung, -abschätzung und -diffusion bleiben also ebenso an‐ spruchsvolle Teile der Alltagskommunikation wie der Dialog. Der Einzelne verfügt zwar prinzipiell nur über vergleichsweise geringe Beobachtungska‐ pazitäten, was sowohl für die direkte als auch für die indirekte (diskursive) Beobachtung (auch: Beobachtungs-Beobachtung) gilt. Zudem werden ihm oder ihr die Aneignung und Weitergabe alternativer Weltsichten durch so‐ ziale Diffusionsblockaden nicht immer einfach gemacht. Dennoch existieren 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 331 <?page no="332"?> reflexive Optimierungsstrategien, die allerdings in der Zukunft von der Forschung noch genauer definiert werden müssen. 8.2.3 Diskursive (externe) Kommunikation und globale Handlungen Kosmopolitisches Handeln und Rollenanpassung Während sich die bisherige Betrachtung auf den Umgang des Individuums mit globalen Wissensinjektionen bezogen hat und in lerntheoretischen Überlegungen weitergeführt werden kann, wollen wir im letzten Schritt die globalen Gestaltungsmöglichkeiten erörtern, die das Individuum besitzt. Es soll uns hier also um die konative Ebene der Individualkommunikation ge‐ hen und damit um die Ausgestaltung individueller Handlungsoptionen. Das Individuum kann in unterschiedlichen Rollen Anpassungsmechanismen entwickeln und kosmopolitische Einstellungen in sichtbare Handlungen umsetzen. Dies liegt auch daran, dass Individuen zur strategischen Außen‐ kommunikation fähig sind. Sie können ihre Globalisierungserfahrungen in formellen und informellen, organisierten und nicht-organisierten Zusam‐ menhängen vermitteln. Sie können von sich aus Öffentlichkeit herstellen als auch als Repräsentanten von Systemen, Organisationen, Professionen oder zivilgesellschaftlichen Gruppierungen Wirksamkeit entfalten, die über den lebensweltlichen Einflussrahmen Einzelner hinausgeht. Gerade der individuellen Ausprägung von Rollen, die zwischen ver‐ schiedenen Gruppen, Wissensbeständen und Interpretationsgemeinschaf‐ ten Brücken bauen und übersetzen, kommt eine besondere Bedeutung zu. Mediatorenrollen finden wir im Bereich der Bildung (Lehrer), der Medien ( Journalisten, Auslandskorresponden), der Politik (Diplomaten), aber eben auch an den lebensweltlichen Schnittstellen. Hier kann der Gemüsehändler oder der Individualreisende (z. B. der Weltenbummler oder die Couchsur‐ ferin) ebenso Rollen übernehmen, die zwischen den unterschiedlichen globalen Erfahrungswelten von Menschen vermitteln. Die Vervielfältigung und Ausdifferenzierung von Expertenrollen gegenüber der Welt - von professionellen Kulturübersetzern wie den Auslandsjournalisten (Hafez 2002a, Bd. 1, S. 163ff.) bis hin zu informellen Kulturinterpreten (z. B. Reisen‐ den) - gehen also weit über die herkömmlich diskutierten globalen Eliten hinaus. Allerdings sind diese gesellschaftlichen Positionen abhängig von den normativen Überzeugungen, der kommunikativen Reflexivität und der 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 332 <?page no="333"?> pragmatischen Handlungsorientierung des Menschen. Das Zusammenspiel von Interpretations- und Handlungsmustern bleibt eine trügerische Einheit. So mag das individuelle Wertesystem eines Menschen zwar relativ stabil sein, aber Einstellungen können sich verändern und Weltbilder sind oft nicht durchweg konsistent. Zudem aktivieren und artikulieren Individuen in ver‐ schiedenen Kontexten unterschiedliche Wissensbestandteile. Høy-Petersen und Woodward (2018) konnten beispielsweise in einer qualitativen Studie über ethischen Kosmopolitismus feststellen, dass ihre Interviewpartner nicht nur entweder Erfahrungs- oder wissensbasierte Schemata zur Refle‐ xion ihrer kosmopolitischen Haltung verwendeten, sondern auch, dass sie ihre Interpretationsrepertoires änderten und zwischenzeitlich in stereotype Differenzierungen verfielen. Die Offenheit gegenüber kultureller Diversität wurde durch eine temporäre Distanz von den Anderen relativiert (ebenda, S. 665). Auch verbargen sich hinter professionellen kosmopolitischen Hand‐ lungsrollen nicht durchweg ethisch normative Haltungen (ebenda, S. 667). Ethische Haltungen sind umgekehrt immer an der Praxis des Kosmopolitis‐ mus zu messen. „Innere“ und „äußere Globalisierung“ synchronisieren Es finden sich ethnografische Hinweise darauf, dass die „innere Globalisie‐ rung“ von Lebenswelten nicht der real erfahrbaren Welt von Individuen entsprechen muss (Sommer 2015). So kann zwar die Wahrnehmung der Welt durchaus kosmopolitisch geprägt sein, die Sozialwelt aber in ihrer spezifi‐ schen Prägung eingeschränkt bleiben. Eine einzelne Mobilitätserfahrung erlaubt eine umfangreiche Globalisierung von Vorstellungswelten auszulö‐ sen, während die reale Begrenzung der Lebenswelt fortbesteht (ebenda). Die innere und äußere Globalisierung der Lebenswelt hängen gleichwohl nicht allein von den Möglichkeitsstrukturen ab, sondern auch von den Vermittlungsleistungen des Individuums. Durch strategische Handlungsan‐ passung kann sich der Mensch selbst globaler Potenziale berauben. Wenn beispielsweise die strategischen Kommunikate der Auslandsjournalisten, der Wirtschaftseliten und Politiker wider besseren Wissens an stereotype Strukturen anknüpfen oder den kreativen Umgang mit der Welt durch Routinen einhegen, sind Chancen auf Änderungen vertan (vgl. Kap. 3.2.4, 4.2.4 und 5.2.4). Gleiches gilt für irritierende Erfahrungen, die in voraus‐ eilender Absicherung lokaler Konsense am Stammtisch, in Familien und unter Freunden nicht geäußert oder vertreten werden. Es ist zukünftig eine Frage der Emanzipation globalen Wissens gegenüber dem in Schweigen 8.2 Kommunikative Verbindungen der Lebenswelt 333 <?page no="334"?> gehüllten Nicht-Wissen der Mehrheit. Nicht nur das Handeln des Einzelnen im Verhältnis zu den Systemen, sondern auch sein Handeln gegenüber dem Handeln der Vielen in der lebensweltlichen Begegnung wird über globale Öffnungen und Schließungen mitentscheiden. Gesamtfazit: das globale Individuum zwischen „Genie“ und „Wahnsinn“ Die globale Kommunikation des Individuums bietet wohl die größten Potenziale wie auch Risiken für die Weltgemeinschaft. Der Mensch ist ge- und überfordert zugleich, eine Situation gleichsam zwischen Genie und Wahnsinn. Einerseits kann im Mikrokosmos individueller Lebenswelten durch dialogische Fernweltbeziehungen eine „Weltgemeinschaft“ im Klei‐ nen entstehen, die ganz neue reflexive Positionen und horizonterweiternde Analogien in unser Leben bringt. Dies gilt nicht nur für die multikulturellen Familienkontexte, sondern für alle Formen freundschaftlicher Verbindun‐ gen in die Welt, die in ihren dialogischen Anerkennungsmechanismen Entstehungsorte der Weltgemeinschaft sind. Andererseits werden diese Potenziale von den fragilen und überfordern‐ den Wissensstrukturen überschattet, die sich aus den verschiedenen Ver‐ knüpfungen zwischen lokalen und globalen Lebenswelten ergeben und zu beharrenden Deutungsmustern in den Lebenswelten beitragen können. Die Öffnung des Einzelnen nach außen birgt immer auch Risiken der Entgren‐ zung nach innen. Revolutionäre Änderungen der Perspektive auf die Welt sind durch eigenes Erfahrungswissen zweifelsohne möglich. Bleiben sie je‐ doch einsame Erfahrungen und dienen sie der Opposition zu hegemonialen lokalen Deutungsstrukturen, gefährden sie den lokalen Zusammenhalt. Wenn dieser Zusammenhalt trügerisch ist und auf Kosten marginali‐ sierten Wissens hergestellt wird, benötigt der lebensweltliche Unterbau für eine Neuinterpretation der Welt und die Irritation essenzialistischer Konsense aber umso mehr die individuelle globale Erfahrung. Die mühsame Bekämpfung des jahrzehntelang anhaltenden Rassismus und Kolonialismus legt eine solche Problematik offen: Aufklärung und Bildung mag hier das normative Wertegefüge Vieler bereits erreicht haben. Um dieses aber auch in Handlungen umzusetzen, also für erkennende Anerkennung fruchtbar zu machen, bedarf es alternativer Beobachtungsleistungen, Kontakt- und Dialogerfahrungen der Einzelnen. 8 Individuum - globale Lebensweltkommunikation II 334 <?page no="335"?> 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten Wir haben in diesem Buch die globale Kommunikation von Systemen und Lebensweltakteuren weitgehend separat behandelt. Es ist nun an der Zeit, die Wechselwirkungen zwischen den Sozialsystemen genauer in den Blick zu nehmen und damit auch auf die Ursachen für die bisher bilanzierten Leistungen und Defizite der globalen Kommunikation einzugehen, sofern sich diese nur aus dem gesellschaftlichen Gesamtkontext heraus verstehen lassen. Organisationen und Subjekte kommunizieren zwar nach immanen‐ ten Logiken. Sie sind zugleich jedoch in soziale Umwelten eingebettet und treffen auf Handlungsweisen anderer Organisationen und Subjekte, mit denen sie sich abgleichen müssen. In der bisherigen Analyse haben wir dabei allenfalls die Wechselwirkungen mit gleichen Systemen und Akteuren im internationalen Kontakt berücksichtigt, wo also Politik auf Politik, Un‐ ternehmen auf Unternehmen und Individuen auf andere Individuen treffen und wir haben die interne Logik der Außenkommunikation beleuchtet, die auf ungleiche Systeme und Akteure abzielt. Was aber geschieht danach - wenn sich die Akteure in globalen und lokalen Arenen wirklich begegnen und auf ihre Umwelten reagieren müssen? Der globalen Kommu‐ nikation als Gesamtssystem statt als Netzwerk heterogener Praktiken gilt unser Hauptaugenmerk im abschließenden Kapitel. 9.1 Grundlagen der Interdependenz Forschungsprimat der lokalen (Inter-)Dependenz Dependenztheoretisches Denken ist bislang in der Kommunikationsfor‐ schung primär national ausgerichtet gewesen. Dabei werden zum Beispiel im Rahmen der Indexing-Hypothese (Bennett 1990, Krüger 2013) oder der Debatte über den sogenannten „CNN-Effekt“ (Robinson 2002) lokale Wechselwirkungen zwischen Politik und Medien im Bereich der Außenpo‐ litik berücksichtigt. In der Mediendependenztheorie nach Sandra Ball-Ro‐ keach und Melvin DeFleur werden lokale Wechselwirkungen zumeist so‐ gar ohne Bezug zum globalen Raum erörtert (Ball-Rokeach/ DeFleur 1976, <?page no="336"?> vgl. a. Kap. 1.4). Selbst die bekannten Theoretikerinnen und Theoretiker der Kommunikationswissenschaft haben globalen Interdependenzverhältnissen - also Einwirkungen von und auf Medien, Politik usw. - nur am Rande Beachtung gezollt und noch kein überzeugendes Theoriemodell vorgelegt. Wie aber beeinflussen sich die Sozialsysteme global gegenseitig mit Blick auf Interaktion, Beobachtung und Diskurs? Dennis McQuail, dessen Buch „Theories of Mass Communication“ welt‐ weit als eines der führenden Standardwerke der Kommunikationstheorie gilt, widmet der globalen Interdependenz lediglich wenige Seiten und kommt zu dem Schluss: „Internationalization of communication would seem to create new kinds of dependency and actually to reduce autonomy“ (1994, S. 91). Beide Teile dieser Aussage sind allerdings anfechtbar. Zunächst einmal stellt sich die Frage, was McQuail mit „Dependenzen“ meint, die neu entstanden seien. Ist jede kommunikative Überwindung nationaler Grenzen eine Interdependenz? Es bedarf für echte Interdependenz einer tieferen strukturellen Veränderung, die die kommunizierenden Systeme dauerhaft, nachhaltig und vor allem regulatorisch, das heißt durch eine Integration von Macht- und Kapitalstrukturen, verbindet und „dritte Räume“ der globalen Kommunikation stabilisiert. Sind wir wirklich schon so weit? Darüber hinaus müssen wir reflektieren, warum McQuail Globalisierung automatisch als einen Verlust an Autonomie betrachtet. Verlust für wen oder was? Ist Globalisierung für Journalisten, die bisher bei außenpolitischen Nachrichten primär auf Informationen ihrer Heimatregierung angewiesen waren (Indexing), ein Verlust oder ist sie nicht eher ein Gewinn an Auto‐ nomie? Gemeint ist offensichtlich eine Verringerung an „nationaler“ oder „kultureller“ Autonomie, wobei allerdings übersehen wird, dass diese fest in Händen lokaler Hegemonien steckt und dass insofern mehr Globalisierung immer auch eine Chance bedeutet, dass einzelne lokale Akteure ihre kom‐ munikativen und politischen sowie wirtschaftlichen Freiräume erweitern. Es zeigt sich also, dass der bisherige Forschungsstand zur Interdependenz in der globalen Kommunikation entweder a) allein nationale Verhältnisse berücksichtigt oder b) eine sehr vereinfachte Dynamik der Globalisierung zugrunde legt, wobei Kommunikationsprozesse mit Strukturen und Struktu‐ ren wiederum mit lokal-globalen Nullsummenspielen gleichgesetzt werden. Dimensionen und Ebenen der Interdependenz Eigentlich sind Interdependenzbeziehungen jedoch deutlich komplizierter und müssen, wie im Kapitel 1.4 eingeführt, mit Blick auf verschiedene Rela‐ 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 336 <?page no="337"?> tionsdimensionen und Analyseebenen verhandelt werden. Erstere zerfallen dabei in zwei Typen: ▸ lokale/ globale Interdependenzen: Alle Systeme und Lebenswelten kön‐ nen prinzipiell innerhalb wie außerhalb des Nationalstaates mit an‐ deren Umweltsystemen verbunden sein; ▸ gleiche/ ungleiche Interdependenzen: Alle Systeme und Lebenswelten sind mit gleichen wie ungleichen Umweltsystemen gekoppelt (also zum Beispiel das politische System in Form von Diplomatie mit anderen politischen Systemen oder aber mit den Mediensystemen des eigenen Landes wie auch denen anderer Länder). Kombiniert man diese Typen, so erhält man effektiv drei Relationsdimensi‐ onen (vgl. Abbildung 1.4), die im Rahmen der Globalisierung untersucht werden müssen: ▸ globale Interdependenz zwischen gleichen Systemen/ Lebenswelten (im Folgenden als „globale horizontale Interdependenz“ bezeichnet) ▸ globale Interdependenz zwischen ungleichen Systemen/ Lebenswelten (im Folgenden als „globale vertikale Interdependenz“ bezeichnet) ▸ lokale Interdependenz zwischen ungleichen Systemen/ Lebenswelten (im Folgenden als „lokale vertikale Interdependenz“ bezeichnet). Eine denkbare vierte Relationsdimension, die „lokale horizontale Interde‐ pendenz“, also Beziehungen innerhalb von nationalen Systemen oder Le‐ benswelten - als Beispiele seien Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative oder zwischen verschiedenen nationalen Medien genannt -, kann hier entfallen, da sie sozusagen sozialwissenschaftliche Basislehre darstellt und nicht Gegenstand der international orientierten Forschung ist. Alle Relationsdimensionen sind zudem auf zwei Analyseebenen zu unter‐ suchen. Gemäß unserem grundlegenden System-Lebenswelt-Netzwerk-An‐ satz (vgl. Kap. 1.2) findet eine vollständige Interdependenz nur dort statt, wo nach der kommunikativen Kopplung von Systemen/ Lebenswelten auch eine strukturelle Integration in entsprechende globale Umwelten erfolgt. Struktu‐ relle Verbindungen können unterschiedlich aussehen, da Systeme/ Lebens‐ welten mit gleichen Systemen/ Lebenswelten fusionieren oder sich zumin‐ dest eng transnational zusammenschließen können (zum Beispiel lokale Medien zu einem transnationalen Medium), während ungleiche Systeme/ Le‐ benswelten sich zwar weiterhin als Systeme und Umwelten gegenüberste‐ hen, aber finanziell und/ oder politisch-rechtlich regulativ verbunden sein 9.1 Grundlagen der Interdependenz 337 <?page no="338"?> müssen, um als interdependent und als in einem „Fließgleichgewicht“ von Autonomie und Anpassung befindlich betrachtet zu werden (vgl. Kap. 1.3). In beiden Fällen reicht jedenfalls der kommunikative Austausch nicht aus und es müssen tiefergehende strukturelle Bindungen erfolgen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass vollständige Interdependenz nur diejenige ist, die auf allen Ebenen simultan geschieht, was, wie nunmehr zu zeigen sein wird, bislang kaum der Fall ist. Selbst dort, wo ein Teil der Systeme oder Lebensweltakteure über ein größeres Potenzial der globalen Kommunikation verfügt, bleiben sie in der Regel strukturell lokal dependent. Dies gilt prinzipiell für den Orientalisten, der als Individuum die arabische Welt kennt, aber Bürger der Vereinigten Staaten bleibt, ebenso wie für Massenmedien, die über Japan berichten, ihr Geld aber auf europäischen Märkten verdienen. Auch dort, wo die kommunikative Kopplung gleicher Systeme gelingt, bleibt die strukturelle Abhängigkeit von lokalen Umwelten stärker als die von globalen Umwelten. Globale Kommunikation wird durch lokale Macht- und Kapitaleinflüsse konterkariert. Der ursprüngliche Ansatz von Theoretikern der integrativen Systemtheorie, die untersucht haben, in welcher Form die Wahrscheinlichkeit von strukturellen Transnationalisie‐ rungsprozessen durch kommunikative Kopplungen steigt (vgl. Kap. 1.1), wird in der folgenden Analyse fortgeschrieben. 9.2 Globale horizontale Interdependenz Globale Kommunikation als notwendige Bedingung Der deutsche Soziologe Ulrich Beck argumentiert, dass das Transnationale konträr zu allen bisher bekannten Kategorien der Sozialanalyse liege. Während die Nation und das Internationale einander bedingten, ziele das Transnationale auf die Auflösung nationaler Strukturen (Beck 2004, S. 98ff., vgl. a. Welsch 1995). Als Problem erweist sich dabei allerdings, dass das Transnationale vielleicht ein Raum, also eine Systemumwelt, aber noch lange kein operatives Sozialsystem, also ein Umweltsystem ist. Ob sich also nationale Strukturen wirklich zugunsten transnationaler Strukturen auflösen oder ob das Transnationale eher ein diffuser Außenraum der Information und Interaktion für weiterhin lokal basierte Strukturen bleibt, ist völlig unklar und damit werden auch bei Beck ähnlich wie bei McQuail die Analyseebenen des Kommunikativen und des Strukturellen unzulässig vermischt. Eine kommunikationstheoretische Deutung ist sicher ein erster 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 338 <?page no="339"?> hilfreicher Schritt für die Theoriebildung, denn sie vermag zum Teil zu erklären, worin genau der Unterschied zwischen Räumen und Systemen be‐ steht und warum Ideen wie Kosmopolitismus und Transnationalismus zwar tatsächlich quer zu vorhandenen Sozialstrukturen liegen, aber eben vielfach keine Durchschlagskraft gegen den Nationalstaat und gegen „stämmische“ Strukturen des Lokalen besitzen. Globale horizontale Interdependenz zwischen gleichen Systemen ist notwendig an Interaktion geknüpft. Ohne Interaktion entstehen keine Aus‐ tauschverhältnisse und globalen Gemeinschaftsbeziehungen. Kein Wunder also, dass es vor allem die Handlungssysteme von Politik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen oder Bewegungen sind, die grenz‐ überschreitend interagieren und sich so zumindest teilweise integrieren, fusionieren oder verbünden, während sich die Lebenswelten mit Blick auf die Globalisierung oft konservativer verhalten, indem sie in ihren lokalen sozialen Bindungen verharren. Ihre Reichweiten und Kapazitäten sind oft nicht groß genug, um global zu kommunizieren. Selbst im Bereich der Migration wird „Integration“ im gesellschaftlichen Diskurs zumeist als Bringschuld von Einwanderern und Einwanderinnen gesehen, statt als eine Frage der globalen Interaktion, zu der alle einen Beitrag leisten könnten. Die lokale Lebenswelt kämpft auch dort, wo strukturelle Kopplungen statt‐ finden (interethnische und -religiöse Ehen usw.), um ihre kommunikative Hegemonie. Die kosmopolitische Integration der Systeme wird gerade im Rechtspopulismus beargwöhnt und die globale Interaktionshemmung der Lebenswelt ist die plausibelste Erklärung für den Versuch einer globalisie‐ rungsfeindlichen Gegenrevolution der politischen Rechten („Brexit“, Donald Trump, Narendra Modi, Islamismus usw.). Unsere Bilanz der globalen Interaktion hat bei unterschiedlichen Sozialsystemen ganz verschieden ausgeprägte und zum Teil recht defizitäre Verhältnisse aufgezeigt. Dabei brauchen wir aus theoretischer Sicht mehr globale und weniger lokale Integration, um eine Balance zwischen globalen und lokalen Ver‐ hältnissen zu erzeugen. Erst wenn wir aus diffusen globalen Umwelten konkrete Umweltsysteme machen, mit denen wir interagieren, oder, um mit Michael Giesecke zu argumentieren (vgl. Kap. 1.1), herauskommen aus der kulturellen Beobachterposition und in einen echten interkulturellen Austausch eintreten, kann eine kommunikative Interdependenz entstehen. Dies ist dann der Fall, wenn Kommunikation nicht flüchtig bleibt, sondern nachhaltig, auf Dauer gestellt und beziehungsprägend wird. Nach Jürgen Habermas wird durch kommunikatives Handeln kulturelles Wissen verfüg‐ 9.2 Globale horizontale Interdependenz 339 <?page no="340"?> bar gemacht, soziale Integration ermöglicht und das Individuum bildet seine oder ihre Persönlichkeit aus (1995, Bd. 2, S. 182ff.). Interaktion hat demnach Konsequenzen, sie stellt keine reine diskursive Möglichkeit dar, sondern durch kommunikative Handlungen werden echte Beziehungen geprägt und wo sie nicht stattfindet, fehlen der Globalisierung ihre sozialen Grundlagen und globale Kommunikation verharrt in der oberflächlichen Sphäre der Warenzirkulation. Wenn Habermas allerdings in diesem Zusammenhang die „Weltgesellschaft“ erwähnt, dann tut er dies noch nicht konsequent genug mit Blick auf die globale Kommunikation, so dass die Gefahr besteht, dass kommunikatives Handeln und Gemeinschaftsbildung allein im lokalen Raum verbleiben. Sein Ansatz muss also transnational erweitert werden. Natürlich gibt es im globalen Raum gut vernetzte Individuen, Gruppen und Gemeinschaften, kosmopolitische „Eliten“, globale Informations- und Interaktionseliten. Ingrid Volkmer spricht hier von einer „reflexiven Inter‐ dependenz“ (reflective interdependence) (vgl. Kap. 2.2.2) und von globalen Räumen (spaces). Wir selbst haben in diesem Buch häufig den Begriff der „dritten Räume“ vor allem für transnationale Interaktionszonen in Diplomatie, Wirtschaft usw. benutzt. Aber „dritte Räume“ sind, um im Bild zu bleiben, oft noch nicht so gut besucht, sie sind eher leer und „Räume“ sind darüber hinaus keine Systeme, sie bilden Systemumwelten aber keine Umweltsysteme der nach wie vor intakten und keineswegs transnational aufgelösten lokalen Systeme und Lebensweltakteure. Dritte Räume bleiben flüchtig, vielleicht sind sie Vorformen einer globalen Interdependenz wie einstmals die bürgerlichen Salons im 19. Jahrhundert in Europa der Nukleus der modernen demokratischen Öffentlichkeit - aber letztere waren eben letztlich noch keine nationalen Öffentlichkeiten. Obwohl Kommunikationstheorie nicht im Fokus seiner Analyse steht, deutet sich bei Beck durchaus an, dass er versteht, dass die von ihm angedachte Veränderung der sozialen Strukturen durch die Transnationali‐ sierung auf interaktiven Voraussetzungen basiert: „Während die National‐ staatsepoche eine monologische Imagination der Ab- und Ausgrenzung der Anderen und Fremden hervorgebracht und institutionalisiert hat, beruht die kosmopolitische Epoche auf einer dialogischen Imagination des inter‐ nalisierten Anderen“ (2004, S. 122). Dabei ist allerdings die Prognose einer bereits fortgeschrittenen Wende des globalen Dialogs etwas vorschnell, weil die horizontale strukturelle Interdependenz nicht mitgedacht wird, weswegen Beck zu den „Utopisten“ der „ersten Welle“ der Globalisierungs‐ forschung gezählt werden sollte (vgl. Kap. Einleitung). Globale Kommuni‐ 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 340 <?page no="341"?> kation ist insgesamt eher eine notwendige als eine hinreichende Bedingung der globalen Interdependenz. Sie ist eine Voraussetzung, die gegeben sein muss, reicht aber allein noch nicht aus. Globale regulative Kopplung als hinreichende Bedingung Spätestens hier werden wir an die Kontroverse zwischen Strukturalisten und Konstruktivisten mit Blick auf globale Gemeinschaften erinnert und müssen zu unserem ursprünglichen System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zurückkehren. In beiden Bereichen stand die Frage im Raum, ob es eine stabile Globalisierung geben könne, solange noch eine der beiden Analyse‐ ebenen - kommunikative oder strukturelle Kopplung - von lokalen Sozial‐ strukturen dominiert wird. Tatsächlich kommunizieren heute eine Reihe organisierter und nicht-organisierter Sozialsysteme durchaus global; trotz aller globalen Aktivitäten verbleibt ihre regulative - politische, rechtliche, wirtschaftliche - Verankerung dabei aber vielfach lokal: ▸ Transnationale Massenmedien existieren kaum, die meisten Medien sind national geprägt und betreiben „Auslandsberichterstattung“. ▸ Das politische System kreiert „dritte“ diplomatische Räume, ist aber in der Regel noch weit entfernt von stabiler Global Governance als einer Form der transnationalen Politik. ▸ In der Wirtschaft gibt es transnationale Unternehmen, sie kommu‐ nizieren innerbetrieblich wie außerbetrieblich weltweit. Allerdings sind die Besitzverhältnisse dieser Global Player oft denkbar national konfiguriert (häufig amerikanisch, westlich, chinesisch usw.). ▸ Soziale Bewegungen bilden transnationale Strukturen aus, die aller‐ dings gemessen an den lokalen Akteuren in der Regel schwach ausgebildet bleiben; soziale Bewegungen sind oft globale Diskursge‐ meinschaften (z. B. Friedens- oder Umweltbewegungen) mit lokalen Systemstrukturen. ▸ Bei transnationalen Großgemeinschaften ebenso wie bei anderen For‐ mationen der Lebenswelt (Kleingruppen usw.) sind kommunikative und strukturelle Interdependenz schwer zu unterscheiden, da es sich nicht um formal organisierte Sozialsysteme handelt, die sich struktu‐ rell koppeln können; Kommunikation ist bis zu einem gewissen Punkt identisch mit Struktur. Die globale horizontale Interdependenz zwischen den meisten organisierten Systemen bleibt aber durchgehend ambivalent geprägt, wie auch die Ana‐ 9.2 Globale horizontale Interdependenz 341 <?page no="342"?> lysen in diesem Buch gezeigt haben. Einerseits ist der Wille zur globalen Kommunikation in allen Sozialsystemen erkennbar. Andererseits sind die Akteure nach wie vor strukturell separierte und autonome Handlungsein‐ heiten, die sich nicht regulativ verkoppeln. Diese strukturelle Ambivalenz macht sich dann zum Beispiel in einem Spannungsverhältnis zwischen glo‐ bal-integrativer Binneninteraktion und national autarkistischer Außenkom‐ munikation (PR, Propaganda) von Regierungen, Firmen usw. bemerkbar. Durch die Kluft zwischen kommunikativer und struktureller horizontaler globaler Interdependenz bleiben daher nur flüchtige und instabile „dritte Räume“. Globalisierung ist dadurch jederzeit reversibel und kann als „Integration ohne Interdependenz“ bezeichnet werden. Eine tiefgreifende Interdepen‐ denz wäre diejenige, bei der echte supranationale Systemeinheiten als Folge der globalen Kommunikation entstünden. Wie nun aber zu zeigen sein wird, liegt die Hauptursache für die Weigerung der Systeme, global horizontal zu fusionieren, gar nicht notwendigerweise in den Systemen selbst begründet, sondern in den systemfremden Umwelten, in die sie eingebettet sind. Die horizontale Interdependenz wird von der vertikalen Interdependenz ausgebremst. 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz Politik - Medien - Öffentlichkeit: global erweitertes Indexing Im Theoriekapitel haben wir dargelegt, dass Sozialsysteme für andere Sozialsysteme als „Umwelten“ fungieren und mit diesen durch ein komple‐ xes „Fließgleichgewicht“ aus Autonomie und Anpassung verbunden sind (vgl. Kap. 1.2 und 1.4). Der System-Umwelt-Komplex ist in weiten Teilen durch den Kosmos vertikaler Interdependenzbeziehungen geprägt, da jedes Sozialsystem nicht nur global mit gleichen, sondern immer auch global wie auch lokal mit ungleichen Sozialsystemen in Kontakt steht und die Anzahl der ungleichen Systeme stets deutlich größer ist. Aus der Perspektive der Medien sind also zum Beispiel Politik, Wirtschaft und Lebenswelten relevante Umwelten; aus der Sicht der Politik hingegen sind es etwa die Medien, die Wirtschaft und die Lebensweltakteure und -akteurinnen. Erneut gilt es zu berücksichtigen, dass die beiden Analyseebenen von Kommunikation und Struktur auch hier bedeutsam sind. Einflüsse auf die vertikalen System-Umwelt-Relationen haben die eigenen kommunikativen 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 342 <?page no="343"?> Kompetenzen eines Systems, denn in unserem System-Lebenswelt-Netz‐ werk-Ansatz entsteht Autonomiegewinn nicht nur durch Ressourcen wie Macht und Kapital, sondern auch durch kommunikative Kompetenz. Zu‐ gleich aber spielen strukturelle Aspekte eine erhebliche Rolle, etwa die Fähigkeit zur Redefinition gesellschaftlicher Werte seitens der Lebenswelt, die zum Beispiel in der Mediendependenztheorie von Ball-Rokeach und DeFleur zu einem Vertrauensverlust in Systeme führen kann, was dann den Legitimitätsdruck auf das politische System erhöht (vgl. Kap. 1.4). Strukturell bedeutsam ist auch die Fähigkeit eines Systems oder von Lebensweltakteu‐ ren zur Koalitionsbildung mit anderen Umweltsystemen, um sich von einem dritten Umweltsystem zu emanzipieren (beispielsweise können sich Medien und Bevölkerung gegen die Regierung wenden oder auch Regierung und Medien gegen die Bevölkerung usw.). Diese allgemeinen Dynamiken von vertikalen System-Umwelt-Relatio‐ nen werden von verschiedenen Generaltheorien (v. a. Ball-Rokeach/ DeFleur beziehungsweise Ognyanova/ Ball-Rokeach: Mediendependenz; Giesecke: Medienökologie, vgl. Kap. 1.4) sowie von Einzeltheorien, die sich auf spezi‐ elle Beziehungen zum Beispiel zwischen Medien und Politik konzentrieren, im Detail beschrieben (v. a. Bennett: Indexing; Wolfsfeld: politischer Kon‐ flikt, siehe unten). Was diese Theorien aber selten thematisieren, ist, dass es bei der vertikalen Interdependenz immer auch die Relationsdimensionen der globalen und lokalen Interdependenz zu berücksichtigen gilt. Medien werden zum Beispiel nicht nur von ihrer jeweiligen nationalen Politik, son‐ dern von der weiteren internationalen Politik beeinflusst, ja es kann sogar direkte politische Interventionen von außerhalb des Staates als Reaktion auf Medienberichterstattung usw. geben. Regierungen stehen wiederum unter dem Einfluss von Öffentlichkeiten und Medien jenseits des eigenen Landes. Die eigentliche Frage ist jedoch: Wie stark wirken globale Umwelten auf global kommunizierende Systeme und Lebensweltakteure? Fassen wir zunächst einige Grunderkenntnisse der klassischen, lokal orientierten Forschung zusammen, so stellen wir fest, dass sie sich ganz überwiegend auf die Beziehungen zwischen Politik, Medien und Öffentlich‐ keit konzentrieren, komplexere Lebenswelten aber - mit Ausnahme etwa der weniger bekannten Mediendependenz- oder Medienökologietheorie - außen vor bleiben. In der Kommunikationsforschung hat sich die These der sogenannten Indexing-Theorie durchgesetzt, wonach die Sichtweisen der jeweiligen nationalen Eliten auf internationale Krisen in den Medien domi‐ nieren (Bennett 1990). Dieses patriotische Verhalten von Massenmedien ist 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz 343 <?page no="344"?> nicht nur in Zeiten eines hohen nationalen Involvements und steigender Krisendynamik nachweisbar (vgl. Kap. 2.1 und 3.2.4). Es zeigt sich auch außerhalb von akuten Krisen (Krüger 2013), wenngleich in solchen Perioden der Druck der nationalen Umwelten geringer ist und dadurch mehr Raum für transnationale Synchronisierung von unterschiedlichen Meinungen entsteht. Diese dominante Form der lokalen Interdependenz als Suprematie der nationalen Politik über andere gesellschaftliche Teilsysteme lässt sich sowohl aus der Stärke der Politik als auch aus der relativen Schwäche der anderen Umweltsysteme - organisierte und nicht-organisierte Öffentlich‐ keit - erklären. Christer Jönsson und Martin Hall beschreiben die Hegemonie nationaler Politik bei außenpolitischen Fragen vor allem aus der Abhängigkeit anderer Gesellschaftssysteme von der Politik als Produzent der Außenpolitik: „While diplomatic communication has been affected by television in uncontrollable ways, it is also true that statesmen and diplomats may exploit the new media for their purposes in communicating with the world. Diplomats increasingly become engaged in ‚media diplomacy‘. They are aided by the fact that media susceptibility to ‚news management‘ by the government is perhaps greatest in the realm of foreign affairs. This is an area where journalists often have to rely on official ‚primary definers‘, where references to alleged national security threats can be used to keep the media compliant, and where strong domestic constituencies contesting official sources are relatively rare“ (2005, S. 95). Diese Dominanz der Politik wird durch eine Schwäche von Mediensyste‐ men verstärkt, die Kai Hafez als „Durchsickerungseffekt“ (trickle down effect) bezeichnet hat: Unter hohem Zeitdruck und in Ermangelung der Möglichkeit einer genauen Überprüfung von Krisennachrichten neigen Medien dazu, Regierungspropaganda unkontrolliert zu übernehmen und, das ist hier entscheidend, die eigene Regierung als vertrauenswürdiger einzustufen als andere und sie daher in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen (2005, S. 56f.). Die noch in den 1980er Jahren vorherrschende Sichtweise, wonach westliche große Nachrichtenagenturen eine Art „Kulturimperialis‐ mus“ betrieben, der sich auch in der oben dargelegten Haltung McQuails von der verringerten Autonomie durch Globalisierung widerspiegelte, darf heute als weitgehend überholt betrachtet werden. Die seither entwickelte Medientechnologie vom direktempfangbaren Satellitenrundfunk bis zu di‐ gitalen Medien haben den lokalen Systemen auch ärmerer Länder ganz neue Produktions- und auch Zensurmöglichkeiten gegeben und sie so 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 344 <?page no="345"?> weitgehend resistent gegenüber äußeren Einflüssen gemacht. Auch interna‐ tionale Nachrichten werden gegenwärtig so aufbereitet und „domestiziert“, dass sie nationalen Narrativen entsprechen (vgl. Kap. 2.2.1). Zudem ist in Relation zu der lokalen Verdichtung von Medien die Nutzung ausländischer Medien in aller Regel in den meisten Mediensystemen marginal geblieben (vgl. Kap. 2.1). Es macht also keinen Sinn mehr, angesichts der polyzentri‐ schen Mediensituation dieser Welt von einer westlichen kommunikativen Vorherrschaft zu sprechen, sondern die Dominanz in der Außenpolitikbe‐ richterstattung liegt eindeutig bei lokal-nationalen politischen Eliten. Als dritte Komponente kommt zu diesen Input- (Politik) und Through‐ put-Faktoren (Medien) im Bereich des Outputs hinzu, dass die die Nach‐ richten aufnehmenden nationalen Öffentlichkeiten in ihrer Breite über wenig außenpolitische Kompetenz verfügen, was erneut die Wirkung der politischen Öffentlichkeitsarbeit verstärkt. Auch heute noch gilt Paul No‐ acks Leitsatz: „Außenpolitik ist ein Feld, in dem sich, im Verhältnis zu seiner Ausdehnung und Mannigfaltigkeit, am schwierigsten eine öffentli‐ che Meinung bildet. Damit bleibt auch der Druck der Öffentlichkeit im Normalfall gering“ (1986, S. 47, vgl. a. Powlick/ Katz 1998). Intensiviert wird dies durch den sogenannten „Rallye-Round-the-Flag-Effekt“, wobei in Krisenzeiten die Öffentlichkeit nicht nur passiv ist, sondern sich auch von der Regierung für Kriegszwecke mobilisieren lässt (Mueller 1970): ein universell und weltweit nachweisbares Muster, weswegen Regierungen mit innenpolitischen Problemen immer wieder dazu neigen, außenpolitische Krisen zu verschärfen (Kehr 1970). Das Funktionieren des elitären Indexing und des Rallye-Round-the-Flag sind klare Hinweise auf die Stärke des loka‐ len Umweltsystems „Staat“ auch im Zeitalter der globalen Kommunikation. Gleichwohl haben wir es nach Uwe Krüger heutzutage mit multilateralen Erweiterungen des lokalen Indexing zu tun. In seiner Fallstudie der Bericht‐ erstattung über die jährlich stattfindende Münchner Sicherheitskonferenz kann er zeigen, dass deutsche Zeitungen nicht allein deutsche außenpoli‐ tische Interessen abbilden, sondern auch die der westlichen Verbündeten Deutschlands (2013, S. 255ff.) Dieser scheinbar verstärkte globale vertikale Einfluss ist letztlich allerdings eher eine geokulturelle Erweiterung des Lokalen und weit davon entfernt, eine ideale globale Synchronisation von Nachrichten zu erzeugen, da es eben die militärisch bedeutsamen Verbün‐ deten des eigenen Nationalstaats sind, die hier berücksichtigt werden, eine wirklich kosmopolitische Perspektivierung hingegen ausbleibt (vgl. Kap. 2.2.2). 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz 345 <?page no="346"?> Dennoch ist für unsere Analyse interessant, dass lokale vertikale Interde‐ pendenzen dort den Weg für stärkere globale vertikale Interdependenzen freimachen können, wo globale horizontale Interdependenzen gestärkt wer‐ den. Für ein solches erweitertes Indexing gibt es zusätzliche Beispiele, etwa die Berichterstattung der britischen Presse über den Irakkrieg 2003, die deutlich weniger nationalistisch aufgeladen war als während des Falkland‐ krieges von 1982, was man mit dem größeren Einfluss der Kriegsgegner Deutschland und Frankreich innerhalb der Europäischen Union erklären konnte (Hafez 2004). Im Jahr 2003 ließ sich erkennen, dass dies dort, wo politische Systeme horizontal verbunden sind, auch Rückwirkungen auf das lokale Interdependenzgefüge haben kann, indem es die globale Autonomie unterstreicht und die lokalen Anpassungszwänge minimiert. Dies kann jedoch auch umgekehrt der Fall sein. Als durch den „Brexit“ die Europabindung Großbritanniens wieder gekappt wurde, zeigte sich einmal mehr der dominante Einfluss lokaler vertikaler Strukturen. Erst als es der Brexit-Kampagne gelang, ihre nationalistische Agenda in den Medien durchzusetzen (Gavin 2018), also die globale kommunikative Interdependenz zu durchbrechen, konnte auch die strukturelle Interdependenz der EU-Mit‐ gliedschaft Großbritanniens revidiert werden. Gerade dieses Beispiel belegt allerdings, dass es noch zu früh ist, von einem global erweiterten vertikalen Indexing zu sprechen, denn dies ist abhängig a) vom global erweiterten horizontalen Indexing (also von der elitären Interessenlage der nationalen Politik) wie auch b) von der lokalen vertikalen Interdependenz (also von der globalen Gesamtstimmung eines nationalen Systems). Es ist daher keineswegs so, dass das Globale als eigenständiger Faktor in Erscheinung tritt, sondern Globalität muss erst von den nationalen Teilsystemen ermöglicht werden. Globale horizontale Interdependenz stellt eine Öffnung und Erweiterung der Autonomiepolitik dar; wir haben es aber noch immer mit einer Dominanz der lokalen über die globale Interdependenz zu tun. Anders ausgedrückt: Erst wenn der Nationalstaat der Transnationalisierung freiwillig nachgibt, entsteht ein wirklich globales vertikales Indexing. Zivilgesellschaft - Medien - Politik: Inversion der Dependenz Neben dem dominanten gibt es auch einen akzidentellen Modus der vertikalen Interdependenz, der zwar nicht die Regelform darstellt, aber eine sogenannte „Möglichkeitsstruktur“ kennzeichnet (opportunity structure, Tilly/ Tarrow 2007). Erst dieses Moment macht aus der einseitigen Dependenz der Medien 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 346 <?page no="347"?> und der Gesellschaft von der Politik eine echte Interdependenz im Sinne einer wechselseitigen Abhängigkeit von Politik, Medien und Gesellschaft. Es gibt verschiedene Ansätze, um den akzidentellen Modus zu beschreiben. Im Feld der Kommunikationsforschung ist hier unter anderem die Konflikttheorie von Gadi Wolfsfeld hervorzuheben, der, eng verwandt mit der Systemtheorie, den Kampf zwischen Regierung und gesellschaftlichen Herausforderern um den Zugang zu Medien und Öffentlichkeit skizziert, wobei er, ähnlich wie Jönsson und Hall, zwar die Überlegenheit des die internationale Politik determinieren‐ den Staates betont, zugleich aber auch die Potenziale der Zivilgesellschaft, zum Beispiel durch „ungewöhnliches Verhalten“ (exceptional behavior) - Proteste, zivilen Ungehorsam usw. - Aufmerksamkeit zu erzeugen (1997, S. 20ff.). Ein weiterer auf verstärkte Medienmacht zielender Ansatz ist der sogenannte „CNN-Effekt“, bei dem nationale Medien in internationalen Konflikten die Hegemonie der nationalen Außenpolitik vor allem dort durchbrechen können, wo sie größere Informationsmacht gewinnen (beispielsweise durch die Sicht‐ barkeit von Opfern in Bild und Film) und Allianzen mit der Bevölkerung für eine wertebasierte Legitimität und humanitäre Politik bilden (Robinson 2002). Allerdings ist auch der akzidentelle Modus der Interdependenz mit Ausnahme der „Bumerang-Effekte“ sozialer Bewegungen im Bereich des Internets (vgl. Kap. 5.2.1) bisher fast nur im nationalen Kontext analysiert worden. In der Debatte über den CNN-Effekt geht es vor allem um den Druck amerikanischer Medien auf amerikanische Außenpolitik, nicht um globale Einflüsse. Die Frage, die sich uns nun stellt, ist, ob auch hier die in den sozialen Bewegungen erkennbaren globalen horizontalen Interdependenzen Auswirkungen auf die vertikalen Interdependenzen haben, indem sie den globalen Umwelten einen größeren Einfluss auf nationale Systeme erlauben. Ist der akzidentelle Modus ein lokales oder ist er (zugleich) ein globales Phänomen? Ähnlich wie beim global erweiterten Indexing des politischen Systems lässt sich in der globalen Zivilgesellschaft zumindest qualitativ nachweisen, wie durch eine verstärkte globale horizontale Kommunikation und globale strukturelle Kopplung nationaler Akteure (Entstehung von Transnationa‐ len Bewegungsnetzwerken/ TANs) lokale Interdependenzbeziehungen ver‐ ändert werden können. Je enger und stabiler die transnationale Kopplung typengleicher Sozialsysteme der Zivilgesellschaft ist, umso größer ist auch die Autonomie gegenüber vertikalen lokalen Umwelten (Politik, Wirtschaft usw.). Eine transnationale Umweltbewegung wie „Fridays for Future“ kann jedes nationale Politik- und Wirtschaftssystem immerhin kurzfristig her‐ 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz 347 <?page no="348"?> ausfordern. Man kann diesen Prozess als „Inversion“ der sonst üblichen Dependenz der Gesellschaft von der Außenpolitik bezeichnen, und zwar als eine Inversion, die nicht wie bei Ball-Rokeach und DeFleur aus einem na‐ tionalen Systembruch heraus erfolgt (der zudem jederzeit historisch möglich ist), sondern der neuartigen kommunikativen und strukturellen Einbettung in die Globalisierung geschuldet ist und somit eine Transzendierung des nationalen Systemimperativs darstellt. Strukturelle globale Allianzen können die Ressourcenverhältnisse - auch und gerade im Bereich des Informationsaustausches - verändern und neue Bündnisse schaffen, die die vorherrschende lokale Strukturschwäche, die Zivilgesellschaften und Lebenswelten sonst mit Blick auf internationale Fra‐ gen charakterisiert, kompensieren. Man muss sich die akzidentelle Inversion wie eine neue Fähre des globalen vertikalen Einflusses vorstellen, die es ermöglicht, die vom Staat kontrollierte Brücke über den Grenzfluss zum Nationalstaat zu umschiffen. Während das global erweiterte Indexing der politischen Kommunikation eher ein Reflex globaler Allianzen des Natio‐ nalstaates ist, ähnelt die globale Inversion insofern einer Revolution, weil die bis dahin von nationalen Umweltsystemen „eingepferchte“ Zivilgesellschaft mit Hilfe globaler (horizontaler) Allianzen (vertikale) Machtverhältnisse erschüttern kann. Allerdings bleibt auch hier die globale Revolution am Ende aus, da die In‐ version kein Dauerzustand, sondern eher eine Momentaufnahme ist, so dass es auch im Feld der Zivilgesellschaft schwierig wird, von einer nachhaltigen globalen vertikalen Interdependenz zu sprechen. Der Fridays-for-Future-Ef‐ fekt verläuft in Wellen und ist instabil; die gigantischen globalen Demonstra‐ tionen gegen den Irakkrieg 2003 blieben folgenlos; und selbst der vielleicht größte Erfolg der Kampagne gegen Landminen ist von der Regierung Trump revidiert worden. Hinzu kommt das enorme Nord-Süd-Gefälle der globalen Zivilgesellschaft. Während die Diplomatie ein Regelphänomen ist und mehr oder weniger intensive politische Beziehungen zwischen Staaten eine lange Tradition haben, sind globale horizontale zivilgesellschaftliche Beziehungen weitaus seltener, sporadischer und erfüllen in der Regel nicht die Anforde‐ rungen an kommunikative und strukturelle Interdependenz. Im Bereich der Kommunikation sind interaktive Kopplungen zivilgesellschaftlichen Eliten vorbehalten und bleiben für die Mehrzahl der Menschen diskursiver Natur: Die globale Zivilgesellschaft ist auch heute füreinander mehr Systemumwelt als Umweltsystem - vorherrschend ist der Diskurs, nicht der Dialog. 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 348 <?page no="349"?> Der Kosmopolitismus einer globalen Zivilgesellschaft ist somit eher ein abstrakter Wert als ein reelles Erfahrungswissen. Eine stabile Erweiterung der oder gar Herauslösung aus der lokalen vertikalen Interdependenz wird in Zukunft nur durch eine massive Stärkung der horizontalen Interdepen‐ denz zu erwarten sein, durch eine nachhaltige Förderung „internationalisti‐ scher“ Erfahrungen und Interaktionen und durch eine Institutionalisierung grenzüberschreitender Strukturen der Zivilgesellschaft. Hier wäre eine regelrechte Großoffensive erforderlich, um dem global erweiterten Staat Paroli bieten zu können (vgl. Kap. Fazit und Zukunftsperspektiven). Ein weiterer Aspekt kommt hinzu, den man als „technische Interdepen‐ denz“ der Zivilgesellschaft bezeichnen kann. Eine sich zunehmend auf das Internet konzentrierende globale Zivilgesellschaft mag zwar phasenweise einen erheblichen Druck auf den Nationalstaat und auf die lokale vertikale Interdependenz ausüben können. Der Staat aber stellt und kontrolliert die technische Infrastruktur. Durch die internationalen Machtverhältnisse und die starke Position amerikanischer Konzerne hat die globale Zivilge‐ sellschaft bislang gewisse Erfolge gegen den lokalen Staat erzielt, die man „Bumerang-Effekte“ nennt (vgl. Kap. 5.2.1). Dennoch sind sie vor allem in der Frühphase des Internets anzusiedeln, als die Nationalstaaten sich auf das Phänomen des politischen Netzaktivismus noch nicht hinreichend einstellen konnten. Mittlerweile ist eine Lernkurve des Staates erkennbar und selbst Mittelmächten, ganz sicher aber Großmächten, ist es heute recht einfach möglich, die technische Kontrolle zu erlangen. Beispiele hierfür sind die chinesische Firewall, die häufige indische Abschaltung des Netzes in Kri‐ sensituationen, das türkische Verbot von Facebook oder die iranische oder saudi-arabische Internetzensur. Bruce Kogut vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) verweist auf die Grenzen der globalen technischen Interdependenz: „Is the Internet an intrinsically global technology, riding upon the already existing backbone of the global communication network? The simple answer to [this question] is that the Internet has borders. The Internet economy developed differently in each country, reflecting different national systems of law and regulation, business networks, competition, and technological legacies“ (2003, S. 7). Dies bedeutet, dass trotz globaler Konzernstrukturen von Google, Face‐ book usw. und von US-dominierten ICANN-Regularien jeder einzelne Staat prinzipiell über die Möglichkeit verfügt, die globale horizontale Interdepen‐ denz des Internets (und damit weiter Teile der globalen Zivilgesellschaft) zu untergraben. Die für die Zivilgesellschaft befreiende Technologie des 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz 349 <?page no="350"?> Internets ist einerseits ein Vehikel zur Förderung globaler horizontaler wie vertikaler Interdependenz, während die Technikorientierung zugleich absurderweise ultimativ die lokale vertikale Interdependenz unterstreicht. Die oben genannte globale Großoffensive zur Stärkung der globalen hori‐ zontalen Bindungen der Zivilgesellschaft kann und darf daher, will sie erfolgreich sein, keinesfalls primär digital agieren, sondern muss mehr denn je auf direkte Face-to-Face Interaktion setzen. Lebenswelten - Medien - Politik: Dekolonisierung durch Globalisierung? Dieses Buch durchzieht die Erkenntnis, dass sich die eigentlich im Bereich der Interaktion und der Vergemeinschaftung so begabten Lebensweltak‐ teure und -akteurinnen mit der Globalisierung in der Realität oft schwertun. Räumliche, technische, finanzielle und sprachliche Hürden haben dazu geführt, dass statistisch gesehen unsere Reisen auch digital in der Regel geokulturell verhaftet bleiben und die horizontale globale Integration bei den meisten Menschen kaum ausgeprägt ist. Selbst Migration ist nur be‐ grenzt als antizyklisches Phänomen zu betrachten, da auch hier Kommuni‐ kation zwar Grenzen überschreitet und strukturelle Interdependenz durch Familienbindungen stattfindet, der soziale Streueffekt in die Mehrheitsge‐ sellschaften jedoch vielfach beschränkt ist und die herkunftsbedingte soziale Kopräsenz von Kleingruppen und Großgemeinschaften kaum angetastet wird, auch nicht im Tourismus. Nur so kann man erklären, dass heute noch deutschen Reisegruppen in Namibia zum Teil zwar die Leistungen des deutschen Kolonialismus, nicht aber der deutsche Genozid an den Herero näher vermittelt wird (Scheerer 2011). Ein Kapitel über vertikale Interdependenz der Lebenswelt ist jedoch nicht der Ort, die Defizite der horizontalen globalen Interdependenz lediglich zu wiederholen oder einmal mehr Gegenbeispiele für horizontöffnende Begeg‐ nungen zu nennen, die natürlich ebenfalls existieren. Hier geht es darum zu zeigen, wie die mit besseren Ressourcen ausgestatteten Systeme des Staates und der Wirtschaft die Lebenswelt immer wieder als Projektionsfläche der Ambivalenz ihrer horizontalen Interdependenz, ihres partiellen Antigloba‐ lismus und ihres lokalen Systemegoismus nutzen oder wie sie umgekehrt der „kulturellen“ Bremswirkung der lokalen Lebenswelten erliegen. Es ist uns an dieser Stelle ausdrücklich unklar, ob Jürgen Habermas’ Vorstellung von der Kolonisierung der Lebenswelt durch die Systeme das richtige Bild ist oder ob man nicht besser von einer starken Wechselwirkung der lokalen vertikalen Interdependenz ausgehen sollte, wobei gerade die lokalen Lebenswelten 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 350 <?page no="351"?> eine weitere globale Integration des Staates mindestens ebenso verhindern wie dieser sie selbst blockiert. Auch die Rolle der Massenmedien in diesem Kontext ist ambivalent. Einerseits lässt sich belegen, dass Sichtweisen, die Menschen auf die Globa‐ lisierung haben, in Abhängigkeit von der Berichterstattung über Globalisie‐ rung in den Medien schwanken und daher von ihnen beeinflusst werden (Marks et al. 2006). Vor allem die vertikal interdependenten nationalen Medien haben im Bereich der globalen Distanzberichterstattung eine durch‐ schlagende Wirkung, weil den meisten Konsumenten alternative Informa‐ tionsquellen und direkte Anschauungen - also eine eigenständige globale horizontale Interdependenz - fehlen (vgl. u. a. Kap. 2.2.2 und Kap. 7.2). Zugleich nehmen Medien fremdenfeindliche kulturelle Unterströmungen auf, die in weiten Teilen der Gesellschaften nach wie vor bestehen. Die vertikale Interdependenz zwischen lokalen Lebenswelten und nationalen Medien ist bei der Frage der Globalisierung bedeutsam, auch wenn die Wirkungsrichtung (wer „kolonisiert“ wen? ) unklar bleibt. Lebenswelten und Kulturen sind omnipräsent, auch in den Systemen, sie bilden den informellen Innenraum der Moderne. Wenn man dennoch reflektieren möchte, wie sich die Lebenswelt aus ihrer partiellen Kolonisierung endgültig befreien kann, dann kommt man zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass dies dem Individuum deutlich leichter fällt als der Lebenswelt als Ganzes. Der autonome Manövrierraum der Lebenswelt im Kontext nationaler „Fließgleichgewichte“ von Autonomie und Anpassung ist mit der Globalisierung der Systeme, sofern diese über‐ haupt erfolgt, nicht signifikant größer geworden, allenfalls im Kontext der politisierten Zivilgesellschaft und der sozialen Bewegungen (siehe oben), nicht aber in der Alltagswelt, wo Konzepte wie „kulturelle Identität“ trotz ihrer wissenschaftlichen Unhaltbarkeit eine geradezu unheimliche Binde‐ kraft entfalten und heute sogar zu einer „Re-Tribalisierung“ der Lebenswelt beitragen (vgl. Kap. 6.1). Dennoch können sich individuelle Einstellungen leicht verändern, sie können sehr unzeitgemäß sein. Es ist durchaus möglich, das Globale - ganz anders als bei McQuail - als einen Ausdruck individueller Autonomie und als Widerstand gegen die „Kolonisierung“ der Lebenswelt zu begreifen. Ist die Lebenswelt oder sind zumindest Individuen innerhalb der Le‐ benswelt erst einmal in der Lage, ihre horizontalen Beziehungen global zu erweitern, sind sie, was theoretisch interessant ist, auch fähig, die „Ambivalenz“ zwischen horizontaler und lokal-vertikaler Interdependenz 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz 351 <?page no="352"?> zu durchbrechen. Ohne Zweifel kann ein Individuum widersprüchliche Anschauungen hegen - viele Menschen, die von sich behaupten, keine Rassisten zu sein, sind zugleich islamophob (Hafez/ Schmidt 2015, S. 27ff.). Dennoch besitzt das Individuum die Chance, Grundwerte auszubilden, sein oder ihr kommunikatives Handeln an diesen Handlungen auszurichten und so die Schizophrenie zwischen Innen- und Außenkommunikation, die Sys‐ teme prägt, zu überwinden, aus dem einfachen Grund, weil das Individuum trotz aller Anpassungszwänge die Strukturen seiner oder ihrer Lebenswelt reflektieren kann. Aus dieser besonderen Stellung der Autonomie des Individuums ergibt sich die Möglichkeit für eine Globalisierung nicht der Lebenswelt als Ganzes, da diese in ihrer strukturellen Trägheit dazu kaum in der Lage scheint, aber „der Vielen“, also der vielen Einzelnen, die die Blo‐ ckade der vertikalen Lebenswelten durchbrechen können (vgl. u. a. Sezgin 2011). Beispiele für derartige Bewegungen, die anders als die historischen Vorbilder der Arbeiterbewegungen usw. nicht organisiert, sondern über Weak Ties zusammengehalten werden, gibt es in der Gegenwart viele. Der Arabische Frühling, die Aufstände in Hong Kong, die Occupy-Bewegung: Sie alle kennzeichnet ein „Generationenkonflikt“ (Mustafa 2020, S. 279), in dem gerade junge Menschen sowohl gegen die politischen Systeme als auch gegen die lebensweltlichen Hierarchien der etablierten Oppositionsparteien protestieren und dabei internationale Allianzen eingehen. Dass die hier freigesetzten Energien alleine am Ende nicht ausreichen dürften, um die vertikalen Interdependenzen zu durchbrechen, sondern innovativer Formen der Netzwerkorganisation bedürfen, haben wir verdeutlicht (vgl. Kap. 5 und Kap. 6). Fazit: Interdependenz - vielfältig, aber unvollständig und reversibel Interdependenz findet theoretisch auf unterschiedlichen räumlichen Be‐ ziehungsebenen und Dimensionen (kommunikativ und strukturell) statt. Globale horizontale Kommunikation zwischen gleichen Systemen und Lebensweltakteuren kann Transnationalisierungsprozesse einleiten, die gleichwohl in vielen Bereichen nicht hinreichend strukturell (machtpoli‐ tisch, wirtschaftlich, nachhaltig) abgestützt zu sein scheinen. Die Hauptur‐ sache für diese Ambivalenz im horizontalen Gefüge der Transnationalisie‐ rung ist die Beharrungskraft lokaler Interdependenzen. Globale horizontale Bindungen können den lokalen Autonomieraum des Subjekts vergrößern, allerdings können sie auch umgekehrt durch vertikale Interdependenzen beeinträchtigt werden. Globale Kommunikation hat den zwischenstaatli‐ 9 Interdependenzen von Systemen und Lebenswelten 352 <?page no="353"?> chen Interdependenzen einen kreativen Unsicherheitsfaktor hinzugefügt und neue, vielfältige soziale Möglichkeiten geschaffen. Sie ist jedoch in allen Sozialsystemen durch Interdependenzlücken der ein oder anderen Art charakterisiert, bleibt daher unvollständig und reversibel. 9.3 Globale und lokale vertikale Interdependenz 353 <?page no="355"?> Fazit und Zukunftsperspektiven Ein Handbuch wie dieses, das an sich bereits den Versuch darstellt, theore‐ tische Fragestellungen zu verdichten und empirische Trends aufzuzeigen, als Ganzes zusammenfassen zu wollen, ist ein nahezu aussichtsloses Unter‐ fangen. Dennoch ist es wichtig, einige Grundzüge unserer Analyse noch einmal hervorzuheben, um darauf aufbauend einen sinnvollen Ausblick auf Entwicklungspotenziale der globalen Kommunikation und deren Rolle für die Zukunft der Globalisierung, von „Weltgemeinschaft“ oder „Weltgesell‐ schaft“ zu werfen. Gesamtbilanz Beginnen wir mit den Massenmedien als dem klassischen Untersuchungs‐ objekt der internationalen Kommunikationsforschung, so darf als gesichert gelten, dass diese trotz aller prinzipiellen Fähigkeit zur globalen Synchroni‐ sierung bisher nur eine fragmentarische Weltöffentlichkeit mit unmittelba‐ ren Auswirkungen auf die Weltgesellschaft schaffen. Auch wenn wir die Leistungsunterschiede bei Medien anerkennen und die Theorieabhängigkeit der Anforderungen an das Ausmaß verlangter Synchronität in Rechnung stellen, das vor allem aus der Öffentlichkeitstheorie erwächst, bleiben die massenmedial verbreiteten Weltbilder im internationalen Vergleich hoch‐ gradig different und asynchron. Die beobachtende, diskursive und aus der Buchform hervorgegangene Moderne ist also nur begrenzt in der Lage, konsolidiertes Weltwissen zu vermitteln. Dieses diskursstrukturelle Defizit können auch die nicht-klassischen Massenmedien des Internets bisher nicht auflösen, wenngleich sie teilweise neue Lesarten ermöglichen. Bei den organisierten Handlungssystemen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (soziale Bewegungen usw.) sind nicht-mediatisierte globale Kommunikationsprozesse ebenso wichtig für die Bildung von Weltgemein‐ schaftlichkeit wie die mediatisierten. Mehr noch: Grenzüberschreitende Interaktion scheint das Trennende der nationalen Diskurse zumindest teilweise zu kompensieren, indem sie dialogische „dritte Kommunikations‐ räume“ schafft, die die Welt als Welt handlungsfähig erhält. Wo Massenme‐ dien kaum fähig sind, die öffentlichen Voraussetzungen einer integrierten Weltgesellschaft herzustellen, entstehen in und durch die Handlungssysteme immerhin transnationale Weltgemeinschaften. Diese allerdings sind weni‐ <?page no="356"?> ger flächendeckend, da meist nur eine beschränkte Anzahl von politischen Systemen verbunden werden. Zudem bleiben die politisch gestifteten trans‐ nationalen Weltgemeinschaften exklusiv, weil weder Medien noch Lebens‐ welten in diese Form der nicht- oder halb-öffentlichen Gemeinschaftlich‐ keit einbezogen werden. Die kommunikative Transzendierung nationaler Diskursräume findet also ansatzweise permanent statt, bleibt aber elitär verkapselt. Allein aus der Perspektive der Massenmedienkommunikation mit ihren aufgeladenen Feindbildern und ihrer Anfälligkeit für nationale Propaganda ist es im Grunde nicht verständlich, warum die „Staatengemeinschaft“ am Ende doch handlungsfähig bleibt und wir gegenwärtig trotz der aktuellen Kriege in der friedlichsten aller Zeiten leben, wie die Friedensforschung (auch statistisch) nachweist. Ein Fehler der bisherigen Globalisierungsde‐ batte ist es sicherlich gewesen, sich viel zu sehr auf (diskursive) Massen‐ kommunikation zu konzentrieren, während die interaktiven und interpre‐ tativen (beobachtenden) Formen der Kommunikation in den zwischen- und transstaatlichen Beziehungen vernachlässigt worden sind. Diese auch theoretische Sackgasse der Forschung gilt es dringend zu verlassen und eine kommunikationsökologische Gesamtbetrachtung in den Vordergrund zu rücken. Trotz der globalen Kommunikationsleistungen der Handlungssysteme von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dürfen wir deren Ambivalenzen nicht aus dem Blick verlieren. „Ambivalenz“ ist denn auch das Schlüssel‐ wort, das der Soziologe Andreas Reckwitz als Charakterisierung für die Moderne insgesamt verwendet, etwa dort, wo diese sich nicht zwischen alter und neuer Bürgerlichkeit und zwischen lokal-essenzialistischen und transkulturellen Sichtweisen entscheiden kann (2019). Die anti-globale Her‐ ausforderung des weltweiten Rechtspopulismus, Neo-Fundamentalismus und Neo-Faschismus sind nur die Extremformen einer tief im Mainstream der Gesellschaften angelegten Unentschiedenheit mit Blick auf die globale (Post-)Moderne. Globale Gemeinschaftsfähigkeit ist auf der Basis vielfach getrennter Öffentlichkeiten auf Dauer nur schwer aufrechtzuerhalten. Im Bestreben, den uneinheitlichen globalen und nationalen Einflüssen gerecht zu werden, haben sich die Handlungssysteme in Widersprüche verstrickt. Die „dritten Räume“, die sie im Innenraum des Globalen in Diplomatie, Unternehmen und transnationalen Bewegungen schaffen, konterkarieren sie in der externen Kommunikation mit ihren Umweltsystemen durch eine auf Nationalität und kulturellen Eigensinn pochende Rhetorik und Politik. Fazit und Zukunftsperspektiven 356 <?page no="357"?> Globale Kommunikationsprozesse zwischen den nationalen Systemen ha‐ ben zwar zugenommen, sie werden aber nur unzureichend an die lokale Basis „vermittelt“, um an eine zentrale Forderung von Richard Münch für eine stabile Globalisierung zu erinnern (vgl. Kap. Einleitung). Fast möchte man hier von einer kommunikativen globalen Schizophrenie der Handlungssysteme sprechen. Dieses Verhalten steht in einem geradezu paradoxen Ursache-Wir‐ kungs-Zusammenhang insofern, als gerade eine starke horizontale globale Vernetzung (zwischen gleichen Systemen) eine mindestens ebenso starke vertikale kommunikative Gegenreaktion (gegenüber und seitens der na‐ tionalen Umweltsysteme) nach sich zieht, um die nationale Autonomie wiederherzustellen. Der moderne Rechtspopulismus wäre dann eine solche Gegenreaktion gegen die Globalisierung der Systeme und eine Folgeerschei‐ nung des selbst erzeugten Neo-Nationalismus der politischen, wirtschaft‐ lichen und gesellschaftlichen Eliten, von dem sich augenscheinlich kein Nationalstaat, egal wie fortgeschritten seine globale Kommunikation ist, verabschieden will. Wichtig ist hier allerdings, neben der Ebene der reinen Kommunikation auch die strukturelle Interdependenz zu verstehen. Rückfalltendenzen der Systeme sind in der Regel dort am wahrscheinlichsten, wo der kommunika‐ tiven Vernetzung keine systemische Integration gefolgt ist - zum Beispiel im Medienrecht - und sie sind da am seltensten, wo die transnationalen Struk‐ turen bestehen - etwa im Handelsrecht. Die Instabilität des Globalen rührt also nicht nur von einer diskursiven Verunsicherung her, sondern immer auch von strukturellen Defiziten der horizontalen und vertikalen Interde‐ pendenz. Globale Kommunikation kann nationalen Systemen mehr Freiheit verschaffen (z. B. Fridays-for-Future-Bewegung), sie kann aber auch an den nicht-integrierten Strukturen des Nationalstaats abprallen (z. B. Rechtspo‐ pulismus). Gemeinsam ist allen Beispielen für und gegen Globalisierung lediglich, dass eigentlich nie alle Ebenen der Globalisierung - horizontal wie vertikal, kommunikativ wie strukturell - entwickelt werden, was die globale Integration der Gegenwart entgegen vielen früheren Prognosen eben doch anfällig und reversibel erscheinen lässt. Globalisierung und damit auch die Konzepte der Weltgemeinschaft und Weltgesellschaft sind geprägt von kommunikativen Ambivalenzen und kommunikativen wie strukturellen Interdependenzlücken. Allerdings sind sie kein unvermeidliches Schicksal der Menschheit, sondern ein zu gestaltender Prozess, der nur realisiert werden kann, wenn die Ressource „Kommunikation“ mitentwickelt wird. Fazit und Zukunftsperspektiven 357 <?page no="358"?> Über die Forderung nach einer zeitgleichen strukturellen und kommuni‐ kativen globalen Integration besteht jedoch auch in der wissenschaftlichen Debatte kein Konsens. Barrie Axford beobachtet in der Literatur zwei kon‐ träre Herangehensweisen: eine, die die individuellen und lebensweltlichen „Mikrostrukturen“ der grenzüberschreitenden Interaktion in den Vorder‐ grund rückt, und eine andere, die auf der Notwendigkeit einer parallelen systemisch-organisatorischen Interdependenz beharrt (2012, S. 47). Letztere Sichtweise deckt sich mit dem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz dieses Buches, der besagt, dass nur, wenn die Systeme ihre horizontale wie vertikale Kommunikation selbstbewusst in die nationalen Arenen einbringen, wenn also der traditionelle „Primat der Innenpolitik“ (Kehr 1970) überwunden wird, die Lebenswelten als Ganzes in die Globalisierung einbezogen werden können. Dies ist nicht so sehr ein normatives Plädoyer als vielmehr eine Einsicht in die Funktionalität und Stabilität globaler Transformationspro‐ zesse. Zivilgesellschaften und Lebenswelten sind unter den Bedingungen von Distanzkommunikation in hohem Maß auf Impulse aus den Systemen angewiesen. Sie sind zugleich aber auch Orte, an denen die tradierte Abhängigkeit von den Systemen mit und durch die Globalisierung relativiert werden kann. Soziale Bewegungen haben sich neue digitale Kommunikati‐ onstechniken kreativ angeeignet. Eine globale Zivilgesellschaft ist entstan‐ den, wobei weniger die direkte Interaktion im Vordergrund steht, die von nur wenigen Vermittlern an zentralen Stellen in Netzwerkorganisationen geleistet wird, sondern die Entstehung einer alternativen Mediensphäre. Mögen die Netzwerke nach den Prinzipien der Weak Ties auch nur niedrig‐ schwellige Risikostrategien ermöglichen und in ihrer Durchsetzungskraft nicht mit historischen Formationen wie etwa nationalen Arbeiterbewegun‐ gen vergleichbar sein, so sind sie doch zumindest partiell in der Lage, durch die Dämmschichten aus national dependenten Massenmedien und sich selbst reproduzierenden lokalen Großgemeinschaften und Kleingrup‐ pen hindurchzudringen. Außerhalb der Sphäre des politischen Aktivis‐ mus bilden sich zudem digitale interaktive Weltgemeinschaften, allerdings im Plural und mit völlig konträren Weltbildern, die sich nicht generell als „kosmopolitisch“ einstufen lassen. Die Teilhabe an solchen globalen Neo-Gemeinschaften ist bislang nur sehr kleinen Teilen der Gesellschaften vorbehalten, was neben sprachlichen Hürden auch in der strukturellen Verhaftung in lokalen Gemeinschaftsbezügen begründet liegt, die auch im Internet beharrlich weiterexistieren, wenngleich oft in hybridisierter Form. Fazit und Zukunftsperspektiven 358 <?page no="359"?> Es ist absehbar, dass die soziale Kopräsenz des Lokalen erst dann in ihrer Wirkung nachlassen wird, wenn die Leitsysteme von Politik und Wirtschaft zum Beispiel den Nationalstaat letztendlich auflösen und somit den Kreislauf der lokalen Sinnreproduktion durchbrechen - eine Utopie von historischem Ausmaß. Gerade das Individuum ist, denkt man es sich für einen Moment frei von sozialer Determination durch lokale Gruppen, Gemeinschaften und Systeme, der Akteur, bei dem die „globale Revolution“ beginnt - da haben die Vertreterinnen und Vertreter der globalen Mikroprozesse völlig Recht. Wenn man aus der Situation des elitären Kosmopolitismus jedoch heraus‐ kommen will, darf sie dort nicht enden, sondern muss eine soziale Breiten‐ wirkung entfalten. Leider ist die Lebenswelt heute auch der Ort, an dem die Globalisierung am ehesten stagniert. Angesichts der geringen Anzahl derjenigen, die man als aktiv global interagierende, beobachtende und in globale Diskurse verankerte „Kosmopoliten“ bezeichnen kann, erklärt sich auch das hohe Maß an nationalen und religiösen Stereotypen bis hin zur Verhaftung weiter Teile der Bevölkerungen dieser Welt in essenzialistischen bis rassistischen Anschauungen. Gerade die Kleingruppe ist vielfach eher ein „Störfall“ als der „Normalfall“ der Globalisierung. Auch wenn der Begriff der „Elite“ in der tradierten Form der Macht- oder Bildungseliten gegenwärtig keinen Bestand mehr haben kann, weil Kommunikationseliten längst auch außerhalb der organisierten Sozialsysteme in den Lebenswelten existieren, ist Globalisierung als kulturelle Praxis viel zu wenig konsensfähig, was den Lebenswelten in der Tendenz eine Bremswirkung verleiht. Diese können auch heute schon eine Quelle der Inspiration für globale Gemeinschaftlich‐ keit sein. Wenn aber die globale Kommunikation an der gesellschaftlichen Basis nicht voranschreitet, steht die Zukunft einer wirklich globalen Mo‐ derne auf der Kippe. Zukunftsperspektiven Man darf von der Globalisierungsforschung erwarten, dass sie nicht nur retrospektiv Verhältnisse analysiert, sondern sich auch bemüht, Perspekti‐ ven aufzuzeigen, wie sich globale Kommunikation in Zukunft entwickeln könnte. Geht man von der grundsätzlichen Erkenntnis aus, dass globale Kommunikation in der Gesamtbilanz bis heute eher eine heterogene dis‐ kursive Weltgesellschaft als eine dicht interagierende Weltgemeinschaft befördert hat, so gelangt man zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie einst die integrationistische Systemtheorie (vgl. Kap. 1.1): In den internationalen Fazit und Zukunftsperspektiven 359 <?page no="360"?> Beziehungen muss demnach deutlich mehr Integration betrieben werden, indem alle Grundmodi der Kommunikation - Interaktion, Beobachtung und diskursive Kommunikation - im globalen Rahmen eine Optimierung erfahren. Wenn die globale Integration von Staaten und Bevölkerungen und damit die Integration im Äußeren forciert wird, erübrigt sich möglicherweise manche Integrationsdebatte im Inneren, weil gemeinsame kosmopolitische Horizonte von Mehrheiten und Minderheiten in den Staaten entstehen, die die internen ethnisch-religiös markierten Konfliktlinien durch eine gesteigerte politische, soziale und kulturelle Anerkennung relativieren. „Mehr lokale Diversität auf der Basis einer verstärkten globalen Integration“ möchten wir daher als ein Credo formulieren, vor dessen Hintergrund wir einige kommunikative Entwicklungsperspektiven für die einzelnen Sozialsysteme und Akteure dieses Buches aufzeigen wollen. Beginnend mit den Massenmedien liegen wesentliche Zukunftschancen in der Stärkung zweier Tendenzen, um die Synchronität der Weltöffentlich‐ keit zu verbessern: die Etablierung transnationaler Medien als kollaborative multinationale Projekte und die Öffnung nationaler Medien für globale Diskurse. Diese Reformutopien setzen allerdings Bemühungen voraus, die von den nationalen Mediensystemen selbst ausgehen müssten, darüber hinaus aber auch von den Leitsystemen der Politik und der Wirtschaft im Kontext vertikaler Interdependenz abgesichert werden sollten. Im Innenraum der Medien müsste eine weitgehend neue globale jour‐ nalistische Ethik entstehen, die es bislang kaum gibt. Internationale und kosmopolitische Referenzen in nationalen und transnationalen Ethikkodizes sowie eine bessere Vernetzung nationaler Presseräte und Journalistenge‐ werkschaften wären erstrebenswert. Die bisherige Fixierung der journa‐ listischen Professionsethik in fast allen Staaten auf handwerkliche und epistemologische Grundfertigkeiten müsste überwunden und in der Jour‐ nalistenausbildung eine globale Professionsethik systematisch eingeübt werden. Die Herausbildung einer „Konsumentenethik“ über Maßnahmen zum Monitoring der Medien und medienkritischen Begleitung wäre wün‐ schenswert, um die relative Passivität der Öffentlichkeit gegenüber der Außenpolitik und die in den meisten Staaten lahmenden öffentlichen Debat‐ ten über internationale Fragen zu stimulieren. In organisatorischer Hinsicht wäre es wünschenswert, wenn Massenmedien Ressourcen investierten, um die globale Beschaffung von Quellen zu optimieren, globale Publikations‐ Fazit und Zukunftsperspektiven 360 <?page no="361"?> plätze und -formate zu erweitern und Fachabteilungen - gerne nach dem multikulturellen Diversitätsprinzip - zu fördern. Vonseiten der politischen Systeme sollte dieser globale „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ insofern flankiert werden, als es einer grundsätzlichen Revision der Trennung zwischen diplomatischer Binnen- und (propagan‐ distischer) Außenkommunikation bedarf, um die dialogische Qualität der zwischenstaatlichen Beziehungen („Weltgemeinschaft“) möglichst objektiv und transparent an die „Weltgesellschaft“ zu übermitteln. Die Weltöffent‐ lichkeit darf nicht länger ein Raum nationalistischer propagandistischer Aufladung sein. Die Demokratisierung der internationalen politischen Be‐ ziehungen durch eine effektivere und nachhaltigere öffentliche Beteiligung der Bevölkerungen ist überfällig. Eine Teilhabe der Menschen an der inter‐ aktiven politischen Weltgemeinschaft und mehr Transparenz wären die Einlösung des Versprechens vom Ende der Geheimdiplomatie im Zeitalter der Massendemokratie. Dazu gehört auch ein verbesserter Zugang der Menschen zum internen Wissen der außenpolitischen Abteilungen des Staates, ihrem Monitoring und ihren Informationsdiensten einschließlich eines verbesserten Zugangs zum globalen Wissen der Geheimdienste sowie eine stärkere gesellschaftli‐ che Öffnung der beratenden Think Tanks, die bisher ganz überwiegend die systemischen Eliten beraten. Der eigentliche Skandal an der wiederholten Weitergabe diplomatischer interner Kommunikation durch Organisationen wie Wikileaks ist nicht die Weitergabe als solche, sondern das vorausge‐ gangene hohe Maß an staatlicher Klassifikation und Zurückhaltung von Information, die bei einer liberaleren Auslegung von Informationsgesetzen (wo diese überhaupt existieren) den Bürgerinnen und Bürgern zugänglich gemacht werden müsste, um internationale politische Beziehungen kompe‐ tent einschätzen zu können. Selbst wenn die Politik bestimmte Hinterbüh‐ nen benötigt, ist die globale Informationspflicht der Staaten dieser Welt grundsätzlich und grundlegend auszuweiten. Ähnliches gilt auch für die Wirtschaft, dem vorgeblichen Leitsystem der Globalisierung, die ihrer kommunikativen Verantwortung in erstaunlich geringem Maße gerecht wird. Den vielfach präsenten Kulturalismus in den Unternehmensethiken globaler Konzerne ebenso wie im Mainstream der „interkulturellen“ Wirtschaftsforschung gilt es dringend zu überwinden, neue globale Unternehmenskulturen müssen entwickelt und die Trennung von Innen- und Außenkommunikation auch in diesem gesellschaftlichen Teilsystem unbedingt hinterfragt werden. Soziale Leitbilder des Globalen Fazit und Zukunftsperspektiven 361 <?page no="362"?> und des Kosmopolitismus sind in der internationalen Werbewirtschaft bislang viel zu wenig entwickelt, die dominante Lehre der Anpassung an angenommene lokale Eigenheiten (die im Grunde doch dem ständigen Kulturwandel unterliegen) steht in starkem Kontrast zu der universellen Verbreitung von Produkten, die das Kerngeschäft der globalen Wirtschaft ist. Will das Wirtschaftssystem ein wirkliches Leitsystem der Globalisierung werden, muss es die Globalisierung als Gesellschaftskonzept und nicht nur als Marktdevise viel selbstbewusster verstehen und praktizieren. Auf diese Weise würden Unternehmen Verantwortung für die sozialen Folgeprozesse der von ihnen maßgeblich betriebenen Globalisierung der Moderne über‐ nehmen. Die bisherige Kluft zwischen wachsender horizontaler und sta‐ gnierender vertikaler Interdependenz kann nur geschlossen werden, wenn transnationale dialogische und global zirkulierende Wirtschaftskommuni‐ kation, wie sie zumindest teilweise im Innenraum der weltweit operierenden Firmen stattfindet, auch diskursiv nach außen vermittelt wird. Dabei wird das Wirtschaftssystem allerdings zwangsläufig an systemim‐ manente Grenzen der Wissensdiffusion stoßen. Die Ambivalenz, die wir in anderen Sozialsystemen beobachten, ist in der Wirtschaft eine Polyvalenz, weil nicht nur innere Dialoge mit äußeren Monologen kontrastieren, son‐ dern zudem die globale Diffusion von Beobachtungskommunikation durch den Warencharakter der Information blockiert wird. Die im politischen System immerhin denkbare Öffnung der interaktiven und interpretativen Kommunikation für die diskursive Außenkommunikation widerstrebt der kapitalistischen Wirtschaftsweise fundamental. Selbst Global Players sind keine altruistischen Einrichtungen zur Förderung der Zirkulation des Welt‐ wissens, sondern sie überschreiten Grenzen nur, um transnational zu expan‐ dieren und neue Grenzen zu errichten, indem sie Weltkompetenz aufkaufen, sie in Betriebsgeheimnisse umwandeln und diese als geistiges Eigentum betrachten. Man sollte an dieser Stelle sehr ernsthaft über eine Systemreform des Kapitalismus oder gar einen wirtschaftlichen Systemwechsel nachden‐ ken, so dass horizontale wirklich in vertikale Globalisierung umschlagen kann. Wer die Globalisierung stärken will, wird auch einen neuen globalen Gemeinwirtschaftsansatz für transnationale Unternehmen erwägen müs‐ sen. International tätige Unternehmen müssten sich viel mehr als bislang den Gesellschaften gegenüber verantwortlich zeigen, in denen sie agieren und deren Standortvorteile sie nutzen, indem sie Wissen bestmöglich dif‐ fundieren lassen. Fazit und Zukunftsperspektiven 362 <?page no="363"?> Nachhaltiger global zu kommunizieren und dadurch die Globalisierung als sozialen Prozess zu stabilisieren, ist jedoch nicht zuletzt die Aufgabe der Zivilgesellschaften und Lebenswelten dieser Welt, die die bisherige weitgehende Trennung zwischen nationalen Interaktions- und Diskursge‐ meinschaften überwinden müssten. Michael Giesecke hat darauf hingewie‐ sen, dass eine Moderne, in der man dem globalen Anderen selten wirklich begegnet, sondern ihn primär massenmedial und über den Umweg der Beobachtungs-Beobachtung diskursiv „konstruiert“, wohl immer dazu ten‐ dieren wird, ethnozentrische Fremdbilder zu schaffen, zu verstetigen und zu tradieren, die als große Narrationen der „Mentalitäten“ und „Charaktere“ von Nationen und Religionen auch dann noch hochgradig wirkmächtig sind, wenn sie als unzulässige Vereinfachungen die Vorstellung von einem „Kampf der Kulturen“ nähren. Gerade die Lebenswelt - aber auch die organi‐ sierte Zivilgesellschaft - müsste sich dringend einer radikalen kommunika‐ tiven Wende verschreiben, die aus mindestens zwei Komponenten bestehen sollte: einer viel stärkeren Hinwendung zur direkten grenzüberschreitenden Interaktion und einer kompletten Revision der Fremdbildtraditionen in den nationalen Überlieferungen zur Förderung echten Weltwissens. Dass diese Anstrengung komplette Bildungssysteme in Richtung einer „Pädagogik der globalen Inklusion“ erfassen müsste, um lebensweltliche Einstellungen im Sinne der Globalisierung zu gestalten, soll an dieser Stelle deutlich gesagt werden. Das Stichwort „Pädagogik“ ist trotz seines erzie‐ herischen Untertons bewusst gewählt, denn eine rein konstruktivistische Vernetzungsideologie, die ohne strukturellen und interdependenten Syste‐ mumbau (der Bildungssysteme, des Massentourismus usw.) vonstattengeht, wird nicht funktionieren und zwingt die Systeme, bei all ihrer Dominanz im Bereich der Distanzkommunikation nur immer tiefer hinein in eine ambivalente und instabile Form der Globalisierung. Globale „Injektionen“ und kosmopolitische Wissensinseln hat es in je‐ der Gesellschaft von jeher gegeben - die eigentliche Herausforderung allerdings besteht darin, die Kluft zwischen globalen „Eliten“ und lokalen „Mehrheiten“ zu überwinden. Eine Angleichung der lebensweltlich verfüg‐ baren symbolischen Weltbezüge oder gleich die ganze Auflösung sozialer Differenzen ist utopisch. Es wird aber um neue und besser ausgewogene Teilhabekonzepte sowie um Mechanismen kultureller Anschlussfähigkeit gehen müssen, um die Ambivalenzen individueller und gemeinschaftlicher Positionen gegenüber der globalen systemischen Interdependenz zumindest abzumildern. Dazu ist es zwingend erforderlich, dass erneut alle Grund‐ Fazit und Zukunftsperspektiven 363 <?page no="364"?> modi der Kommunikation berücksichtigt werden. Die Devise lautet: Mehr direkter globaler Dialog und direkte Weltbeobachtung, weniger Beobach‐ tungs-Beobachtung durch eine Verhaftung in medialen Diskursen, selbst unter der Voraussetzung - wie oben gefordert -, dass deren transkulturelle Kompetenz gesteigert würde. Die Kommunikationsökologie der globalen Kommunikation der Lebenswelt sollte dringend ausbalanciert werden. Zu den Ressourcen für diesen Prozess gehören die bessere Nutzbarmachung des verborgenen globalen Wissens (z. B. migrantischer Erfahrungswelten) oder die breite Ermöglichung direkter globaler Kontakte und Interaktionen durch den Ausbau von globalen Austauschprogrammen auch und gerade in nicht dezidiert global orientierten Professionen. Der Aufruf zur gesellschaftlichen Teilhabe, Anerkennung und Mitgestal‐ tung verweist dabei erneut auf die notwendige Kombination von vertikaler und horizontaler Interdependenz insofern die Lebenswelten jenen erhofften Wandel nicht aus sich allein hervorbringen können. Individuen, Kleingrup‐ pen und lokale Gemeinschaften sind bei der globalen Kommunikation auch deswegen auf die Systeme angewiesen, weil sie zwar theoretisch eine herausragende Interaktionskapazität besitzen, in ihrer Fähigkeit zur erforderlichen Mobilität zwecks Beobachtung der und Kontakt zur Welt aber limitiert bleiben. Da es sich in Zeiten einer globalen ökologischen Krise zudem verbietet, Menschen das exzessive Reisen zu empfehlen, muss die kommunikationsökologisch wünschenswerte Akzentverschiebung vom diskursiven zum interaktiven Austausch und vom formalen Wissen zum Erfahrungswissen einmal mehr in hohem Maße durch Mediatisierung er‐ folgen. Ähnlich wie bei globalen Unternehmensteams ist die mediatisierte interpersonale Kommunikation des Internets definitiv kein Ersatz für den direkten „Kulturkontakt“, sie wäre aber durchaus in der Lage, neue globale Gemeinschaftlichkeit zu erzeugen, wenn sie von mehr Menschen auf der Basis echter Prinzipien der Dialogizität praktiziert würde. Die Zukunft der Globalisierung hängt also maßgeblich von einer umfas‐ senden kommunikativen Wende der modernen Gesellschaften ab, wobei Massenmedien, Handlungssysteme und die Akteure der Lebenswelt - jeder und jede auf seinem und ihrem Platz, mit den entsprechenden Fähigkeiten und im stetigen Austausch - diese gemeinsame Aufgabe bewältigen müss‐ ten. Fazit und Zukunftsperspektiven 364 <?page no="365"?> Danksagung Es ist an der Zeit, einigen Menschen zu danken, ohne die dieses Buch nicht denkbar gewesen wäre. Wir sind den an der Buchproduktion Beteiligten zutiefst verpflichtet, insbesondere Dan Lohmeyer (Schlussredaktion), Dr. Jürgen Schechler (Verlagsleiter UVK), Uta Preimesser (Lektorat UVK/ UTB) und Tina Kaiser (Herstellung) sowie Annett Psurek, Kirsten Wünsche, Antonia Hafner, Lea Kehring und Maximilian Einhaus (Literaturbeschaffung und grafische Unterstützung). Kollegen wie Joachim Höflich, Sven Jöckel (Universität Erfurt) und Christian Stegbauer (Universität Frankfurt) haben uns in manchen Fragen inhaltlich beraten. Mit Friedrich Krotz, Hubert Knoblauch, Carola Richter, Christine Horz, Sabrina Schmidt und anderen haben wir Aspekte des Handbuchs auf einem Workshop erörtert. Des Weiteren möchten wir uns bei denjenigen bedanken, die uns in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu Keynotes und Vorträgen zum Thema Globalisierung eingeladen haben. Bei Kai Hafez waren dies unter anderem die folgenden Einrichtungen: Institut für Auslandsbeziehungen, Auswärtiges Amt, Bundesamt für Verwaltung, Netzwerk Recherche, Toda Institute for Global Peace and Policy Research (Honolulu), Goethe Institut Karatschi sowie die Universitäten Oxford, Westminster, Oslo, Kalmar, Uni‐ versitas Pelipa Harapan ( Jakarta), die London School of Economics and Political Science sowie die Fachgesellschaften International Association of Media and Communication Research, Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, International Communication Associa‐ tion, Global Communication Association und Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Anne Grüne sprach unter anderem bei den Fachgesellschaften International Association of Media and Communication Research, Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft und Global Communication Association. Danken möchten wir auch dem internationalen Arbeitskreis deutscher Kommunikationswissenschaftler, die sich mit uns zusammen für eine wis‐ senschaftspolitische „tiefe Internationalisierung“ der Kommunikationsfor‐ schung in Deutschland einsetzen und der neben den Autoren aus folgenden Personen besteht: Hanan Badr, Markus Behmer, Susanne Fengler, Anke Fiedler, Oliver Hahn, Kefa Hamidi, Thomas Hanitzsch, Christine Horz, Beate <?page no="366"?> Illg, Anna Litvinenko, Martin Löffelholz, Melanie Radue, Carola Richter, Barbara Thomaß und Florian Töpfl. Einen ganz besonderen Gruß senden wir allen unseren Studierenden an der Universität Erfurt, im Bachelorstudiengang Kommunikationswissen‐ schaft ebenso wie in dem von uns (gemeinsam mit Patrick Rössler) ge‐ gründeten englischsprachigen Masterstudiengang „Global Communication: Politics and Society“. Seit vielen Jahren sind die Studenten und Studentinnen der Universität, die von nahezu allen Kontinenten dieser Welt stammen, unsere Dialogpartner in allen Fragen der globalen Kommunikation. Bei der Gründung des Masterstudiengangs haben uns Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt unterstützt, vor allem Lilie Chouliaraki (London School of Economics and Political Science), Daniel Hallin (University of California, San Diego), Yahya Kamalipour (North Carolina A&T State University, Greensboro), Deddy Mulyana (Universitas Padjadjaran, Bandung), Daya Thussu (Baptist University, Hongkong), Stephen Reese (University of Texas Austin), Karina Horsti (Academy of Finland, Helsinki) und Naila Hamdy (American University in Cairo). Ohne unsere Lehrbeauftragten Sabrina Schmidt, Regina Cazzamatta, Sarah Elmaghraby, dem Kollegen Alexander Thumfart, mit dem Kai Hafez so manches gemeinsame Seminar auch zur Globalisierung unterrichtet hat, und ohne unseren indonesischen Partner der Hochschulkooperation Subekti Priyadharma wäre uns die Synthese aus Forschung und Lehre nicht so gut geglückt. Besondere Verdienste hat sich auch das gleichfalls internationale Team der Doktorandinnen und Doktoranden erworben, mit dem wir seit vielen Jahren Fragen der internationalen und vergleichenden Medien- und Kommunikationsforschung in Themenbereichen wie Auslandsbericht‐ erstattung, Medienethik, Migration und Medien sowie Mediensystem- und -konfliktforschung intensiv bearbeiten. Viele dieser ehemaligen Schüler und Schülerinnen sind heute selbst Lehrende und Professorinnen an Hochschu‐ len. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie dem Internationa‐ len Büro der Universität Erfurt - stellvertretend nicht zuletzt Frau Manuela Linde - möchten wir für die langjährige wunderbare Unterstützung unseren herzlichen Dank aussprechen. Kai Hafez und Anne Grüne Erfurt, Januar 2021 Danksagung 366 <?page no="367"?> Literaturverzeichnis [AA (o. 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