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Der Universalismus der Menschenrechte

0809
2021
978-3-8385-5557-7
978-3-8252-5557-2
UTB 
Janne Mende

Menschenrechte sind universell. Dieser Anspruch bietet jedoch immer wieder Anlass für Kritik. Das Buch fragt, warum es diese vehementen Kritiken gibt und inwiefern der Universalismus der Menschenrechte dennoch zentral ist. Es beantwortet diese Fragen, indem es sowohl die Kritiken am Universalismus als auch den Universalismus der Menschenrechte selbst auf die jeweiligen Formen und Effekte hin untersucht. Mit dem Postkolonialismus, dem Kulturrelativismus, dem Kollektivrecht sowie dem Feminismus werden vier prägnante Debatten um den Universalismus der Menschenrechte vorgestellt und mit nachvollziehbaren Beispielen in Verbindung gesetzt. Daraus entwickelt das Buch das Modell eines vermittelten Universalismus, der die Stärken der Kritiken aufnehmen und ihre jeweiligen Grenzen deutlich benennen kann.

<?page no="0"?> Janne Mende Der Universalismus der Menschenrechte <?page no="1"?> utb 5557 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau Verlag · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main UTB (M) Impressum_21.indd 1 UTB (M) Impressum_21.indd 1 14.06.21 12: 09 14.06.21 12: 09 <?page no="2"?> PD Dr. Janne Mende leitet die Max-Planck-Forschungsgruppe „Die Multiplizierung von Autoritäten in Global-Governance-Institutionen“ sowie das DFG-Projekt „Unternehmen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: Autorität, Legitimität und Verantwortung im Menschenrechtsregime der Vereinten Nationen“ am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Sie forscht, lehrt und hält Vorträge zum Thema Menschenrechte. <?page no="3"?> Janne Mende Der Universalismus der Menschenrechte UVK Verlag · München <?page no="4"?> © UVK Verlag 2021 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5557 ISBN 978-3-8252-5557-2 (Print) ISBN 978-3-8385-5557-7 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5557-2 (ePub) Umschlagabbildung: Eleanor Roosevelt. © FDR Presidential Library & Museum - commons.wikimedia.org Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 9 11 1 17 1.1 17 1.1.1 19 1.1.2 20 1.1.3 23 1.1.4 25 1.1.5 28 1.1.6 30 1.1.7 32 1.1.8 34 1.2 36 1.2.1 36 1.2.2 38 ➤ 42 2 45 2.1 48 2.2 50 2.2.1 52 Inhalt Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschenrechte und Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das internationale Menschenrechtsregime . . . . . . . . . . . . . Völkerrechtliche Kernelemente des internationalen Menschenrechtsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Elemente des internationalen Menschenrechtsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente der Durchsetzung von Menschenrechten . . . . Unteilbarkeit der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschenrechte und staatliche Souveränität . . . . . . . . . . . . Rechtliche, politische und moralische Dimensionen der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transnationalisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschenrechte als Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Universalismus der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . Die Doppelläufigkeit des menschenrechtlichen Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen des Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“. Die postkoloniale Kritik am westlichen Universalismus von Menschenrechten . . . . . Postkoloniale Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Idee der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 2.2.2 56 2.2.3 59 ➤ 65 ➤ 69 ➤ 72 2.3 74 3 75 3.1 76 3.2 77 3.3 80 3.4 84 3.4.1 85 3.4.2 86 3.4.3 91 3.4.4 93 3.4.5 98 ➤ 101 3.5 104 4 105 4.1 108 4.2 113 4.2.1 115 4.2.2 117 4.2.3 121 4.2.4 125 4.3 125 4.3.1 126 Die Institutionalisierung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . Die Anwendung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Element des pluralen Universalismus . . . . . . . . . . . . . . Das Element des machtsensiblen Universalismus . . . . . . . . Das Element des partikular vermittelten Universalismus . Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“. Die kulturrelativistische Kritik am abstrakten Universalismus von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der frühe Kulturrelativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der frühe Kulturrelativismus und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritiken und Ausdifferenzierungen des Kulturrelativismus Die Praxis der weiblichen Genitalexzision . . . . . . . . . . . . . . Die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einseitiger Kulturrelativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einseitiger Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die weibliche Genitalexzision im Kontext . . . . . . . . . . . . . . Der freie Wille und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Element des kulturrelativistisch vermittelten Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“. Die kollektivrechtliche Kritik am individualistischen Universalismus von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenrechte als Minderheitenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . Liberalismus und Kommunitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charles Taylors differenzierter Kommunitarismus . . . . . . . Will Kymlickas gruppendifferenzierender Liberalismus . . Susan Moller Okins feministischer Liberalismus . . . . . . . . . Kollektive Menschenrechte im Rahmen von Liberalismus und Kommunitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indigene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung indigener Menschenrechte . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 4.3.2 130 4.3.3 132 4.3.4 135 ➤ 136 ➤ 139 ➤ 147 4.4 150 5 151 5.1 152 5.2 158 5.3 162 ➤ 167 5.4 171 ➤ 178 5.5 180 6 181 6.1 184 6.1.1 184 6.1.2 186 ➤ 191 6.2 193 6.2.1 193 6.2.2 194 6.2.3 195 6.3 198 199 243 Indigenität als Ressource für Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . Indigenität als Imperativ für Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . Kollektive und individuelle Menschenrechte . . . . . . . . . . . . Das Element des gesellschaftlich vermittelten Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Element des kulturreflexiven Universalismus . . . . . . . Das Element des Mehrebenen-Universalismus . . . . . . . . . . Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“. Die feministische Kritik am Partikularismus von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . Feminismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FrauenMenschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Partikularismus der öffentlichen Menschenrechte . . . Das Element des privat und öffentlich vermittelten Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Partikularismus postkolonialer, kulturrelativistischer und kollektivrechtlicher Kritiken am Menschenrechtsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Element des normativen und offenen Universalismus Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte . . . . . . . . . . Die moralische Dimension der Menschenrechte . . . . . . . . . Die Rolle der Moral in Menschenrechtsdiskussionen . . . . . Zwei Formen von Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Element des moralisch vermittelten Universalismus . . Normative Bezugspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftlich vermittelte Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="9"?> Abkürzungsverzeichnis AAA American Anthropological Association AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ARSIWA Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts BGB Bürgerliches Gesetzbuch CEDAW Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimina‐ tion against Women) CSR Corporate Social Responsibility DESA Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (United Nations Department of Economic and Social Affairs) ECOSOC Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (Economic and Social Council) EU Europäische Union FGC female genital cutting FGM weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation) FPIC freie, vorherige und informierte Zustimmung (free, prior and infor‐ med consent) ILC Völkerrechtskommission (International Law Commission) ILO Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organiza‐ tion) IStGH Internationaler Strafgerichtshof NAACP National Association for the Advancement of Colored People NGO Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental Organization) NIEO Neue Internationale Ökonomische Ordnung (New International Eco‐ nomic Order) OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-Operation and Development) <?page no="10"?> OEIWG Intergouvernementale Arbeitsgruppe zur Frage bindender völker‐ rechtlicher menschenrechtlicher Verträge für transnationale Unter‐ nehmen (Open-Ended Intergovernmental Working Group on Trans‐ national Corporations and other Business Enterprises with Respect to Human Rights) SDGs Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 (Sustainable Development Goals) StGB Strafgesetzbuch UN Vereinte Nationen (United Nations) UNCTC United Nations Centre on Transnational Corporations UN Doc. Dokument der Vereinten Nationen (UN Document) UNDRIP Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples) UNESCO Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organi‐ zation) UNICEF Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund) UNPFII Ständiges Forum für Indigene Angelegenheiten (United Nations Per‐ manent Forum on Indigenous Issues) VN Vereinte Nationen (United Nations) WGIP UN-Arbeitsgruppe über indigene Bevölkerungen (Working Group on Indigenous Populations) WHO Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization) 10 Abkürzungsverzeichnis <?page no="11"?> Einleitung Menschenrechte sind universell. Doch was bedeutet das? Der Anspruch auf Universalismus bildet eine fundamentale Grundlage für die Verwirklichung von Menschenrechten für alle, „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 2). Einerseits gelten Menschenrechte als universell anerkannt und etabliert. Zumindest formal gibt es einen internationalen Konsens darüber, dass Menschenrechte eine normative Zielvorstellung bilden (Günther 2009: 262, s.a. Lohmann et al. 2005, Deitelhoff 2009a, Heupel/ Zürn 2017 u. v. a.). Andererseits bildet der Universalismus der Menschenrechte immer wie‐ der den Gegenstand von Kritik und Kontroversen. Diese Kontroversen begannen bereits Mitte der 1940er Jahre, als die Vereinten Nationen die Grundpfeiler für das heutige internationale Menschenrechtsregime errich‐ teten. Aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen, das Erstar‐ ken populistischer Bewegungen, der Rückbezug auf die eigene staatliche Souveränität, Protektionismus und die Hinterfragung multilateraler Zusam‐ menarbeit in internationalen Organisationen (Hooghe et al. 2018, Zürn 2018) stellen den Universalismus der Menschenrechte erneut in Frage. Angesichts dieses Widerspruchs zwischen dem Universalismus der Men‐ schenrechte und der anhaltenden Kritik daran geht das Buch folgenden Leitfragen nach: ■ Warum gibt es eine vehemente Kritik am Universalismus der Menschen‐ rechte? ■ Inwiefern ist der Universalismus (dennoch) zentral für Menschen‐ rechte? Daran anschließend rückt die Frage in den Vordergrund, um welchen Uni‐ versalismus der Menschenrechte es sich handelt - und um welche Kritiken. Sowohl Stimmen, die Menschenrechte als solche in Frage stellen, als auch Perspektiven, die Menschenrechte verbessern wollen, hinterfragen deren Anspruch auf Universalismus. „Worum es heute geht, ist nicht der Universa‐ lismus der Menschenrechte, sondern unser Verständnis des Universalismus“ <?page no="12"?> (Brock 1996: 12). Daher werden in diesem Buch sowohl die Kritiken als auch der Universalismus selbst in ihren unterschiedlichen Formen diskutiert: ■ Welche Formen und Effekte weisen die Kritiken am Universalismus auf ? ■ Welche Formen und Effekte weist der Universalismus der Menschen‐ rechte auf ? Das Buch diskutiert vier ebenso prägnante wie dominierende Kritiken, die auf die Begrenzungen und den Partikularismus aufmerksam machen, die dem Universalismus selbst innewohnen: ■ Postkoloniale Kritik am westlichen Universalismus von Menschenrech‐ ten ■ Kulturrelativistische Kritik am abstrakten Universalismus von Men‐ schenrechten ■ Kollektivrechtliche Kritik am individualistischen Universalismus von Menschenrechten ■ Feministische Kritik am Androzentrismus von Menschenrechten Die feministische Kritik verweist darüber hinaus auf die partikularistischen Grenzen der anderen Kritiklinien. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die vier Kritiken nicht unverbunden nebeneinanderstehen, sondern sich an zahlreichen Stellen überkreuzen. Deutlich wird auch, dass es in Kritiken am Universalismus der Menschenrechte nicht ausschließlich um partikulare Perspektiven geht, die universalistische Ansprüche zurück‐ weisen. Vielmehr können dem Universalismus der Menschenrechte auch andere, beispielsweise religiös, kulturell oder (geo-)politisch begründete Universalismen entgegengestellt werden. Nicht alle dieser Kritikformen können im Rahmen dieses Buches behandelt werden. Allerdings sind die vier ausgewählten Kritiklinien repräsentativ für Menschenrechtsdiskussionen und tauchen in diesen und vergleichbaren Formen auch in anderen Feldern auf. Insgesamt besitzt jede der vier im Buch diskutierten Kritiklinien das Potenzial, die Idee der Menschenrechte sowohl zu stärken als auch zu schwächen. Entscheidend sind die jeweiligen Ausprägungen und Grundan‐ nahmen. Dieses Buch konzentriert sich auf diejenigen Perspektiven, welche den Universalismus der Menschenrechte nicht grundsätzlich hinterfragen und die menschenrechtlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht einfach rückgängig machen, sondern voranbringen wollen. 12 Einleitung <?page no="13"?> Um den Universalismus der Menschenrechte anschließend an die Kritik‐ linien in einer produktiven Variante weiterzuentwickeln und zu stärken, schlägt das Buch das Konzept eines vermittelten Universalismus vor, der in der Lage ist, einen Umgang mit widersprüchlichen Konstellationen zu finden. Geprägt ist das Konzept des vermittelten Universalismus somit von dem Vorhaben, Universalismus-kritische Perspektiven in ihrer produktiven Variante einzubeziehen. Vermittlung bezeichnet den Anspruch, mögliche Widersprüche nicht lediglich auf die eine oder andere Seite hin aufzulösen, sondern die produktiven Aspekte der verschiedenen Seiten herauszuarbei‐ ten, um ihre Stärken zu bewahren, und gleichzeitig problematische Aspekte auf allen Seiten zu identifizieren. Aus der Diskussion der Kritiken und ihrer Einbettung in weiterführende Auseinandersetzungen und Theorieströmungen entwickelt das Buch elf Elemente, die den vermittelten Universalismus der Menschenrechte kenn‐ zeichnen: ➤ Vermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus ➤ Pluraler Universalismus ➤ Machtsensibler Universalismus ➤ Partikular vermittelter Universalismus ➤ Kulturrelativistisch vermittelter Universalismus ➤ Gesellschaftlich vermittelter Universalismus ➤ Kulturreflexiver Universalismus ➤ Mehrebenen-Universalismus ➤ Privat und öffentlich vermittelter Universalismus ➤ Normativer und offener Universalismus ➤ Moralisch vermittelter Universalismus Die Kritiken am Universalismus der Menschenrechte können in einer produktiven Lesart also helfen, den Universalismus der Menschenrechte so zu entwickeln, dass er seinen eigenen Ansprüchen genügen kann: dass Menschenrechte universell sind. Diesem Anspruch zu genügen ist weder automatisch gegeben noch einfach zu erreichen. Es bedarf der Reflexion auf eigene Vorannahmen und Setzungen, auf Widersprüche und auf die auch in universellen Ansprüchen produzierten Ein- und Ausschlussmechanismen. Hilfreich dafür ist eine disziplinär offene Perspektive, die das Konzept eines vermittelten Universalismus grundiert. Dieses Buch ist in der Poli‐ tikwissenschaft verortet und verbindet die politikwissenschaftliche Subdis‐ ziplin der Politischen Theorie mit den Internationalen Beziehungen im 13 Einleitung <?page no="14"?> Rahmen einer Internationalen Politischen Theorie (vgl. Mende 2015b: 208). Diese politikwissenschaftliche Verortung wird erweitert und ergänzt durch ethnologische, völkerrechtliche und soziologische Perspektiven, die das Buch in einen allgemeineren sozialwissenschaftlichen Rahmen einbetten. Das Buch verfolgt zwei Ziele. Zum einen bietet es eine Einführung in das Menschenrechtsregime, dessen Kritiken und die jeweils zugrundeliegenden Debatten und Denkschulen. Zum anderen entwickelt das Buch aus den Debatten heraus einen eigenen Beitrag: Das Konzept des vermittelten Universalismus und dessen elf Elemente bieten einen Anknüpfungs- und Diskussionspunkt für aktuelle und weiterführende Perspektiven auf die Möglichkeiten und Grenzen des Universalismus der Menschenrechte. Das Buch entwickelt seine Argumentation in sechs Kapiteln: ■ Kapitel 1 bietet eine Einführung in die Menschenrechte und stellt die wesentlichen Bezugspunkte des internationalen Menschenrechts‐ regimes mit seinen völkerrechtlichen, politischen, moralischen und normativen Dimensionen vor. Der Überblick über die Idee der Unteil‐ barkeit der Menschenrechte, das Verhältnis von Menschenrechten und staatlicher Souveränität, die Analyseperspektiven und die Konturen des Menschenrechtsregimes vermitteln ein Bild von der Pluralität und Heterogenität dessen, was im Begriff der Menschenrechte zusammen‐ gezogen wird. Schließlich bietet Kapitel 1 auch eine Einführung in den Universalismus der Menschenrechte: dessen Doppelläufigkeit, dessen Formen und dessen Vermittlung. Die an dieser Stelle vorgestellte logi‐ sche Struktur der Vermittlung bildet die Grundlage, um die im Weiteren entwickelten Elemente des vermittelten Universalismus zu greifen. ■ Kapitel 2 diskutiert postkoloniale Kritiken am westlichen Universalis‐ mus der Menschenrechte. Es erläutert den Anspruch postkolonialer Perspektiven und diskutiert die Grenzen der Gegenüberstellung von Westen und Nicht-Westen. Eine Diskussion historischer und aktueller Entwicklungen des Menschenrechts stellt schließlich dar, dass sowohl westliche als auch nicht-westliche Perspektiven in die Idee, die Institu‐ tionalisierung und die Anwendung von Menschenrechten eingehen. Auf dieser Grundlage werden die Elemente eines ➤ pluralen Universa‐ lismus, eines ➤ machtsensiblen Universalismus und eines ➤ partikular vermittelten Universalismus entwickelt. Diese Elemente nehmen die Stärken der postkolonialen Kritiken auf und reflektieren gleichzeitig deren Grenzen. 14 Einleitung <?page no="15"?> ■ Kapitel 3 diskutiert die kulturrelativistische Kritik am abstrakten Universalismus der Menschenrechte. Es führt in das Denken des Kul‐ turrelativismus ein und zeigt am Beispiel der Praxis der weiblichen Genitalexzision auf, inwiefern Kulturrelativismus und Universalismus sich aufeinander beziehen lassen. Jede Seite kann als Korrektiv der Grenzen der anderen Seite hinzugezogen werden. Auf dieser Grundlage schlägt das Kapitel das Element eines ➤ kulturrelativistisch vermit‐ telten Universalismus vor, das die Stärken der kulturrelativistischen Kritiken aufnimmt und gleichzeitig ihre Grenzen verdeutlicht. ■ Kapitel 4 diskutiert die kollektivrechtliche Kritik am individualisti‐ schen Universalismus der Menschenrechte. Es erläutert die Grundlagen kollektiver und kultureller Rechte sowie die Entstehung von Gruppen- und Minderheitenrechten. Es geht auf die Debatte zwischen Kommuni‐ tarismus und Liberalismus ein, um zu verdeutlichen, auf welche Gren‐ zen im individualistischen Universalismus die kollektivrechtliche Kritik abzielt und an welche Grenzen diese Kritik ihrerseits stößt. Das Beispiel von indigenen Menschenrechten zeichnet diese Doppelläufigkeit von Stärken und Grenzen der kollektivrechtlichen Kritik exemplarisch nach. Auf dieser Grundlage entwickelt Kapitel 4 die Elemente eines ➤ ge‐ sellschaftlich vermittelten Universalismus, eines ➤ kulturreflexiven Universalismus sowie eines ➤ Mehrebenen-Universalismus. ■ Kapitel 5 diskutiert feministische Kritiken am Partikularismus der Menschenrechte, der einerseits diesen selbst, andererseits aber auch teilweise den zuvor behandelten Kritiken innewohnt. Es führt in die Idee und in die Strömungen des Feminismus ein, zeichnet die Entwicklung von Menschenrechten für Frauen nach und erläutert den Begriff des Androzentrismus. Feministische Perspektiven zeigen insbesondere die Ein- und Ausschlussmechanismen der Menschenrechte auf, die auf der Trennung zwischen einer privaten und einer öffentlichen Sphäre beruhen. Zudem adressieren sie den Partikularismus in postkolonialen, kulturrelativistischen und kollektivrechtlichen Kritiken an Menschen‐ rechten, der seinerseits Ausschlüsse produzieren kann. Aus dieser Diskussion entwickelt Kapitel 5 die Elemente eines ➤ privat und öffentlich vermittelten Universalismus sowie eines ➤ normativen und zugleich offenen Universalismus. ■ Kapitel 6 schließlich führt die Elemente des vermittelten Universalis‐ mus zusammen. Es legt eine normative Perspektive offen, die alle Diskussionen prägt. Denn sowohl mit der Kritik als auch mit der 15 Einleitung <?page no="16"?> 1 Das Vorhaben, einen tragfähigen Universalismus der Menschenrechte zu entwickeln, der die an ihm formulierten Kritiken aufnehmen und weiterführen kann, bildet eine gemeinsame Klammer meiner Forschungsprojekte in den vergangenen Jahren (v. a. in Mende 2011, 2015a, 2015c, 2021). Verteidigung des Universalismus gehen jeweils normative Annahmen einher. Diese normativen Annahmen können (erst) dann mit- und gegeneinander diskutiert werden, wenn sie offengelegt werden. Das Element des ➤ moralisch vermittelten Universalismus bietet dafür eine Grundlage. Es formuliert eine Offenlegung normativer Vorannahmen, die Normen und Werte zur Diskussion stellen und abwägen kann, ohne sie in ein gleich-gültiges Nebeneinander aufzulösen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, diskutiert Kapitel 6 mit dem Konzept der Menschenwürde, der Zurückdrängung von Leiden sowie der Freiheit drei normative Bezugspunkte, die ihrerseits das gesamte Buch prägen. Insgesamt zeichnet dieses Buch den Universalismus der Menschenrechte und dessen Kritiken nach. Daran anschließend schlägt es einen vermittelten Universalismus vor, der Menschenrechte in einer produktiven Lesart stärken und ausbauen kann. 1 Mein Dank gilt dem UVK Verlag für die unterstützende Begleitung, Kers‐ tin Schuller für das aufmerksame Korrektorat sowie all den Kolleginnen und Kollegen für zahlreiche anregende Diskussionen, kritische Anmerkungen und den weiterführenden Austausch. 16 Einleitung <?page no="17"?> 1 Menschenrechte und Universalismus Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen: ■ Das internationale Menschenrechtsregime ■ Elemente und Instrumente des Menschenrechtsregimes ■ Menschenrechte im Kontext von Global Governance und der Trans‐ nationalisierung des Rechts ■ Historische, völkerrechtliche, politische, zivilgesellschaftliche, mo‐ ralische und normative Dimensionen der Menschenrechte ■ Der Universalismus der Menschenrechte und seine Formen ■ Vermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus Das, was unter dem Begriff der Menschenrechte zusammengezogen wird, umfasst höchst komplexe, vielfältige und plurale Akteure, Mechanismen, Prozesse, Ebenen, Regeln, Normen und Ideen. Wesentliche Elemente werden in diesem Kapitel einführend vorgestellt, um ein Verständnis des oft genutz‐ ten, aber oft auch ungenau verbleibenden Begriffs der Menschenrechte zu fundieren. Damit wird auch der Begriff der Menschenrechte, wie er in diesem Buch verwendet wird, genauer konturiert. Er umfasst, wie im Fol‐ genden deutlich wird, sowohl rechtliche als auch moralische und politische Dimensionen. Das erlaubt es, unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten und dynamische Entwicklungen von Menschenrechten in den Blick zu nehmen. Neben diesen neueren Entwicklungen gibt es auch Ideen und Normen, die den modernen Menschenrechten vorausgehen. Deren mögliche Bedeutung und Effekte auf die modernen Menschenrechte werden im Folgenden zwar ebenfalls in den Blick genommen, aber der Begriff der Menschenrechte wird auf das internationale Menschenrechtsregime eingegrenzt, das sich seit 1945 entwickelt hat. 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime Die Menschenrechte (im Folgenden auch als internationales Menschen‐ rechtsregime bezeichnet) haben sich 1945 mit der Gründung der Vereinten <?page no="18"?> 2 Zitate aus anderssprachigen Quellen werden im vorliegenden Buch ins Deutsche übersetzt. Nationen (UN oder auch VN oder Uno) konstituiert und seitdem dynamisch weiterentwickelt (Alston 1995, Alston/ Goodman 2012). Menschenrechte sind, neben dem internationalen Umwelt-, Straf- und Handelsrecht und anderen Domänen, Teil des Völkerrechts. Das klassische Völkerrecht re‐ gelt die Beziehungen zwischen Staaten, teilweise auch zu internationalen Organisationen. Die klassischen Subjekte des Völkerrechts sind demnach Staaten, die unterschieden werden von nicht-staatlichen Akteuren. Staaten können Verträge beschließen und ratifizieren. Sie können Verträge brechen. Staatliches Handeln ist (neben anderen Kriterien) bestimmend für die Frage, ob eine bestimmte menschenrechtliche Norm als Völkergewohnheitsrecht klassifiziert werden kann. Allerdings ist das Völkerrecht von Entwicklungen geprägt, in denen auch nicht-staatliche Akteure eine Rolle spielen (Wolfrum 2012: § 1). Auch die Menschenrechte selbst verändern die Konturen des klassischen Völkerrechts, indem sie „Individuen vom bloßen Objekt inter‐ nationaler Barmherzigkeit zu tatsächlichen Subjekten des Völkerrechts“ 2 befördern (Lauren 2011: 200). Denn die Gründung der UN und des Men‐ schenrechtsregimes ist mit einem entscheidenden Bruch verbunden: „Eine zentrale Voraussetzung der gegenwärtigen Menschenrechtspolitik ist […] die Erfahrung einer politisch-moralischen Katastrophe, die so fundamental ist, dass sie auch noch die Menschenrechtsgeschichte als solche bis in ihre Grund‐ festen erschüttert. Diese Katastrophe ist der politische Totalitarismus“ (Menke/ Pollmann 2007: 16). Noch deutlicher lässt sich die das moderne Menschenrechtsregime begrün‐ dende Zäsur als „Zivilisationsbruch“ (Diner/ Benhabib 1988) bezeichnen, der sich in der Shoah manifestierte, also in der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden und Jüdinnen sowie von Roma und Sinti, Menschen mit Behinderungen, Homosexuellen und weiteren Bevölkerungsgruppen im deutschen Nationalsozialismus. Die allzu sichtbar gewordene Notwen‐ digkeit, Menschen vor ihrem eigenen Staat und vor staatlicher Willkür zu schützen, rückte Individuen als Betroffene von Menschenrechtsverletzun‐ gen in das Blickfeld des menschenrechtlichen Völkerrechts. 18 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="19"?> 1.1.1 Völkerrechtliche Kernelemente des internationalen Menschenrechtsregimes Den institutionellen Grundstein des modernen Menschenrechtsregimes bildet also die Gründung der UN, in deren Charta von 1945 die Achtung sowie die Verwirklichung von Menschenrechten verankert werden. Was genau Menschenrechte inhaltlich bedeuten, wird in der Charta noch nicht festgelegt. Sie führt aber den Begriff der Menschenrechte in das sich mit den UN neu konstituierende Völkerrechtssystem ein. Die inhaltliche Bestimmung und Ausgestaltung von Menschenrechten erfolgen in den darauffolgenden Jahren. Das wesentliche, bis heute in nahezu jedem Verständnis von Menschen‐ rechten mitschwingende Element ist die Allgemeine Erklärung der Men‐ schenrechte (AEMR), die in einem umfassenden Prozess entwickelt (vgl. Kapitel 2) und am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung in einer Resolution verabschiedet wurde. Die AEMR weist eine bedeutende politische und normative Bindungskraft auf, Teile von ihr - je nach rechtsdogmatischer Auffassung - sogar eine völkergewohnheitsrechtliche Bindungswirkung. Dennoch ist die AEMR kein völkerrechtlich bindender Vertrag. Die Aufgabe der internationalen Verrechtlichung und Konkretisierung der Menschenrechte bildet den Ge‐ genstand der folgenden Jahrzehnte, die bereits von den Gräben des Kalten Krieges gekennzeichnet sind. Das Ergebnis der langen Verhandlungen sind zwei Völkerrechtsverträge: der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (kurz: Zivil‐ pakt) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: Sozialpakt). Beide kodifizieren die AEMR. Sie werden 1966 verabschiedet und treten 1976 in Kraft, als die dafür erforderliche Anzahl ratifizierender Staaten erreicht ist. Die AEMR, der Zivilpakt und der Sozialpakt bilden das Herzstück des mo‐ dernen Menschenrechtsregimes, die sogenannte International Bill of Human Rights (internationale Menschenrechtscharta beziehungsweise internatio‐ naler Menschenrechtskodex). Sie wird ergänzt durch acht völkerrechtlich bindende Verträge der Vereinten Nationen: ■ das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völker‐ mordes, kurz: die Völkermordkonvention, von 1948, ■ das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, kurz: die Antirassismus-Konvention, von 1966, 19 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="20"?> ■ das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz: die Frauenrechtskonvention, von 1979, ■ das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, kurz: die Antifolterkonven‐ tion, von 1984, ■ das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz: die Kinderrechts‐ konvention, von 1989, ■ die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderar‐ beitnehmer und ihrer Familienangehörigen, kurz: die Wanderarbeiter‐ konvention, von 1990, ■ das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderun‐ gen, kurz: die Behindertenrechtskonvention, von 2006, ■ das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen von 2006. Einige dieser Verträge werden durch Zusatzprotokolle ergänzt (wie etwa das Fakultativprotokoll zum Zivilpakt, welches Individualbeschwerdeverfahren ermöglicht). Diese völkerrechtlich bindenden Verträge und ihre Protokolle gelten weltweit für all diejenigen Staaten, die sie ratifiziert haben. Der Ratifizierungsgrad reicht jeweils von nahezu allen UN-Mitgliedsstaaten (wie bei der Kinderrechtskonvention) bis hin zu einer sehr zögerlichen Ratifizie‐ rung, was den jeweiligen Vertrag seiner völkerrechtlichen Stärke beraubt. So wurde die Wanderarbeiterkonvention von nur 55 Staaten ratifiziert, darunter nur sehr wenige Einwanderungsstaaten, wo der Schutz der Rechte von Wanderarbeiter/ -innen besondere Relevanz hätte. Eine wesentliche Rolle für die Durchsetzungsstärke von Menschenrech‐ ten spielt aber nicht nur die staatliche Ratifizierung der Verträge, sondern auch deren Implementierung in nationales Recht sowie die Institutionalisie‐ rung von Umsetzungs- und Überwachungsmechanismen. Dazu zählen in den UN insbesondere die UN-Vertragsausschüsse, welche die Umsetzung der jeweiligen Verträge begleiten, überprüfen und überwachen. 1.1.2 Weitere Elemente des internationalen Menschenrechtsregimes Als völkerrechtliche Kernelemente des modernen Menschenrechtsregimes wurden oben Instrumente eingeführt, die von drei Merkmalen geprägt sind: Sie stellen i) auf internationaler Ebene und ii) im Rahmen der UN 20 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="21"?> 3 Ebenso wie Konventionen sind Übereinkommen ein Synonym für völkerrechtliche Verträge. Als verbindliche Verträge sind sie Teil des hard law. iii) völkerrechtsverbindliche Instrumente dar. Diese Kernelemente werden durch weitere Elemente ergänzt, wobei sich aus der hier vorgenommenen Unterteilung in Kern- und weitere Elemente keine Aussagen über die Stärke oder den Umfang der jeweiligen Menschenrechte ableiten lassen sollen. Es geht in diesem Abschnitt vielmehr darum, auch solche Instrumente als Teil des internationalen Menschenrechtsregimes zu benennen, die a) auf anderen Ebenen, b) im Rahmen anderer internationaler Organisationen oder c) nicht völkerrechtlich verbindlich operieren. a) Auf anderen räumlichen Ebenen operieren Menschenrechtsverträge, welche auf regionaler Ebene (im Gegensatz zur globalen beziehungsweise internationalen Ebene der UN) institutionalisiert und umgesetzt werden. Zu den regionalen Erklärungen gehören insbesondere folgende Dokumente: ■ die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950, ■ die Amerikanische Menschenrechtskonvention von 1969, ■ die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker von 1986, ■ die Europäische Sozialcharta von 1961 sowie deren Protokoll von 1991, ■ das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Min‐ derheiten von 1995, ■ die Arabische Charta der Menschenrechte von 2008. Teilweise werden menschenrechtliche Bestimmungen hier ausgeweitet, intensiviert oder lokal konkretisiert, teilweise werden sie allerdings auch mit konkurrierenden Ansprüchen kontrastiert. Eine weitere und entscheidende Rolle für den Schutz und die Umsetzung von Menschenrechten kommt schließlich staatlichem Recht zu, beispiels‐ weise in Form von Grundgesetzen beziehungsweise Verfassungen, aber auch in Form einer funktionierenden und demokratischen Prinzipien ent‐ sprechenden Gerichtsbarkeit. b) Auf internationaler Ebene haben neben den UN auch andere inter‐ nationale Organisationen menschenrechtsrelevante Abkommen und Über‐ einkommen verabschiedet, welche jeweils für die ratifizierenden Staaten verbindlich sind. Zentral hierfür sind insbesondere die Kernarbeitsnormen der International Labour Organization (ILO). Sie umfassen acht Übereinkom‐ men: 3 21 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="22"?> ■ Übereinkommen 87: Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungs‐ rechtes von 1948, ■ Übereinkommen 98: Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhand‐ lungen von 1949, ■ Übereinkommen 29: Zwangsarbeit von 1930 sowie das Protokoll zum Übereinkommen zur Zwangsarbeit von 2014, ■ Übereinkommen 105: Abschaffung der Zwangsarbeit von 1957, ■ Übereinkommen 100: Gleichheit des Entgelts von 1951, ■ Übereinkommen 111: Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf von 1958, ■ Übereinkommen 138: Mindestalter von 1973, ■ Übereinkommen 182: Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Besei‐ tigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999. Die ILO hat zudem bereits lang vor den UN ihr erstes verbindliches Überein‐ kommen zu indigenen Rechten verabschiedet, das später durch ein zweites Übereinkommen ergänzt und aktualisiert wurde (vgl. Kapitel 4). c) Neben den völkerrechtlich bindenden Instrumenten können auch rechtlich nicht bindende, aber moralisch, normativ und politisch wirkmäch‐ tige Erklärungen oder Standards eine wesentliche Rolle für die Stärkung von Menschenrechten spielen: das sogenannte soft law. Dazu gehört neben den Erklärungen und Empfehlungen der UN-Vertragsausschüsse und anderer UN-Organe beispielsweise die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker von 2007 (vgl. Kapitel 4). Die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multinationale Unternehmen sowie die entspre‐ chenden Institutionen der OECD (insbesondere die Nationalen Kontaktstel‐ len) und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 bilden einen zentralen Referenzpunkt im Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte (Mende 2020, s.a. Kapitel 2). Die Agenda 2030 beziehungsweise die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs für Sustainable Development Goals) bilden ebenfalls eine normativ und politisch relevante, wenngleich rechtlich nicht bindende Verlängerung der Menschenrechte (Kaltenborn et al. 2020). Im Ge‐ gensatz zu ihren Vorgängern, den Millenniums-Entwicklungszielen (Millen‐ nium Development Goals) richten sich die SDGs an alle Staaten. Sie stützen sich auf die AEMR sowie die internationalen Menschenrechtsverträge und streben eine Welt an, „in der die Menschenrechte und die Menschenwürde, 22 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="23"?> die Rechtsstaatlichkeit, die Gerechtigkeit, die Gleichheit und die Nichtdis‐ kriminierung allgemein geachtet werden“ (UN Dok. A/ RES/ 70/ 1 2015, § 8). Die fehlende Verbindlichkeit dieser Erklärungen hat unterschiedliche Effekte. Auf der einen Seite kann sie zu Lücken in der Durchsetzung von Menschenrechten beitragen. Das soft law wird in diesem Fall dafür kritisiert, dass es ein Feigenblatt beziehungsweise ein bloßes Lippenbekenntnis bildet, trotz dessen Menschenrechte nach wie vor verletzt werden. Insbesondere im Bereich unternehmerischer Menschenrechtsverantwortung kann soft law die Verrechtlichung von Menschenrechten auch verhindern, wenn unternehmerische Selbstverpflichtungen und normative Standards als aus‐ reichend betrachtet werden (Muchlinski 2010). Auf der anderen Seite aber kann die Entwicklung von soft law auch einen breiten Deliberationsprozess anstoßen und eine Plattform bilden, auf der unterschiedliche Interessen in den Dialog gebracht werden. Wenn das Ziel kein verbindliches Dokument ist, können durchaus weitergehende Ambitionen umgesetzt werden, als dies bei Verhandlungen über verbind‐ liche Verträge der Fall ist. Diese Ambitionen können im besten Falle wiederum als normative Grundlage weitergehende politische oder sogar rechtliche Veränderungen anstoßen (Risse et al. 2013). Zudem kann soft law weitaus detailliertere Standards und Umsetzungsvorschläge für den Men‐ schenrechtsschutz enthalten als die allgemeiner und abstrakter formulierten internationalen Menschenrechtsverträge. Es kann somit einen zentralen Bezugspunkt für zivilgesellschaftliche Forderungen ebenso wie für das Verhalten menschenrechtsrelevanter Akteure bilden. Darüber hinaus bietet es auch einen Maßstab für Entscheidungen internationaler und staatlicher Gerichte. 1.1.3 Instrumente der Durchsetzung von Menschenrechten Die rechtlich verbindlichen Menschenrechtsverträge sind angewiesen auf Institutionen, die ihre Implementierung und Durchsetzung absichern. Dafür sind in erster Linie Staaten verantwortlich, die ihre Institutionen und Gerichte entsprechend ausbauen müssen. Eine Verletzung von Menschen‐ rechten muss in der Regel zunächst über staatliche Rechtswege verfolgt werden, bevor andere Institutionen angerufen werden können. Auch auf in‐ ternationaler Ebene sind Staaten die zentralen Akteure, die Menschenrechte schützen beziehungsweise Menschenrechtsverletzungen durch andere Staa‐ ten verfolgen, sowohl als Mitglieder in internationalen Organisationen als 23 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="24"?> auch auf bilateralen Wegen, „etwa mittels Menschenrechtsdialogen oder Wirtschaftssanktionen“ (Peters/ Askin 2020). In den UN befassen sich neben dem Sicherheitsrat insbesondere der Menschenrechtsrat und das Hochkommissariat für Menschenrechte mit Menschenrechten. Das Verfahren der Special Procedures des Menschen‐ rechtsrats beispielsweise befasst sich mit jeweils bestimmten Staaten oder Themen in Form von Beobachtungen, Studien und Beratungsangeboten für Staaten durch mandatierte, unabhängige Expert/ -innen (Nolan et al. 2017, Domínguez Redondo 2020) und wird vom Hochkommissariat für Menschenrechte dokumentiert. Mit dem Universal Periodic Review überprüft der Menschenrechtsrat regelmäßig die Menschenrechtsperformanz aller UN-Mitgliedsstaaten (Charlesworth/ Larking 2015). Nahezu jedem der oben genannten UN-Menschenrechtsverträge ist zudem ein UN-Vertragsausschuss zugeordnet. Diese unabhängigen, aus Expert/ -innen zusammengesetzten Ausschüsse arbeiten mit den Instrumen‐ ten der Einholung und Kommentierung regelmäßiger Staatenberichte, mit durch Vertragsstaaten initiierten (aber selten genutzten) Staatenbeschwer‐ deverfahren und bei einigen Verträgen mit Individualbeschwerdeverfahren. Die (chronisch unterfinanzierten) Vertragsausschüsse legen regelmäßig Empfehlungen und Auffassungen vor, deren Effektivität allerdings unter‐ schiedlich bewertet wird (Staden 2016, Reiners 2018 sowie die Beiträge in Oberleitner 2018). Eine wichtige Rolle für die Durchsetzung von Menschenrechten kommt Menschenrechtsgerichtshöfen zu. Der Internationale Strafgerichtshof be‐ fasst sich seit seiner Gründung durch das Rom-Statut 2002 mit Fällen schwerster Menschenrechtsverletzungen (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression) und klagt relevante Einzelpersonen an. Einen Gerichtshof, der sich rechtsverbindlich auch mit anderen als schwersten Menschenrechtsverletzungen beschäftigt, gibt es auf internationaler Ebene nicht (vgl. dazu Nowak 2018). Allerdings gibt es Menschenrechtsgerichtshöfe und Mechanismen auf regionaler Ebene, die eine wichtige Funktion für die Durchsetzung von Menschenrechten einnehmen. Zentral ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonven‐ tion, dessen Gerichtsbarkeit die 47 Mitgliedsstaaten des Europarats unter‐ worfen sind und der mit seiner Reform 1998 an Wirkmächtigkeit gewann. Der Interamerikanische Gerichtshof dient seit 1979 gemeinsam mit der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte der Umsetzung der 24 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="25"?> Amerikanischen Menschenrechtskonvention. Der Afrikanische Gerichtshof für die Menschenrechte und die Rechte der Völker wurde durch ein Zu‐ satzprotokoll zur Afrikanischen Menschen- und Völkerrechtskonvention errichtet und nahm 2006 seine Arbeit auf. Jüngere Entwicklungen von Menschenrechtsinstitutionen finden sich auch im südostasiatischen und im arabischen Raum (vgl. die Beiträge in Oberleitner 2018). Die Arbeit, die Autorität, die Rechtsprechung und die Rechtsprechungs‐ folgen der Menschenrechtsgerichtshöfe sind nicht direkt miteinander ver‐ gleichbar, da die Gerichtshöfe auf der Grundlage unterschiedlicher (regio‐ naler) Menschenrechtserklärungen sowie mit unterschiedlichen Standards, Möglichkeiten und Grenzen arbeiten (Christoffersen/ Madsen 2013, Alter et al. 2018, Oberleitner 2018, Soley/ Steininger 2018, Capdepón/ Figari Layús 2020). Insgesamt lassen sich diese Mechanismen und Instrumente, wenn‐ gleich nicht als lückenlos, so doch als folgenreich für den Schutz von Menschenrechten beschreiben. 1.1.4 Unteilbarkeit der Menschenrechte Die Unteilbarkeit der Menschenrechte wird seit der Weltmenschenrechts‐ konferenz 1993 in Wien nachdrücklich betont (World Conference on Human Rights 1993). Dem Anspruch auf Unteilbarkeit gehen jedoch Trennlinien innerhalb des UN-Menschenrechtsregimes voraus, die bis heute Unter‐ schiede zeitigen, welche die Justiziabilität, die Umsetzungsmöglichkeiten, den Rechtscharakter und die Reichweite der jeweiligen Menschenrechte betreffen. Eine der prägnantesten Unterscheidungen bildet das Konzept der drei Generationen von Menschenrechten. Es geht auf die Entscheidung der UN-Generalversammlung von 1952 zurück, die Verrechtlichung der AEMR auf zwei unterschiedliche Verträge aufzuspalten. Aus dem resultierenden Sozialpakt und dem Zivilpakt entwickelte sich die Begrifflichkeit der ersten Generation bürgerlicher und politischer sowie der zweiten Generation so‐ zialer, wirtschaftlicher und kultureller Menschenrechte, die später durch die dritte Menschenrechtsgeneration ergänzt wurden. Der Begriff der dritten Generation der Menschenrechte wurde 1978 im Rahmen einer Tagung der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) eingeführt. Im Mittelpunkt steht der Gedanke solidarischer Rechte, die nur durch gemeinsame Anstrengungen realisiert werden können und die sich an sogenannten Grundbedürfnissen auf Frieden, Umwelt und 25 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="26"?> 4 Vgl. allerdings Whelan/ Donnelly (2007, 2009) für die Einschätzung, dass auch west‐ lichen Staaten in diesem Zeitraum an der Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte gelegen war, sowie die Gegenperspektiven in Kang (2009) und Kirkup/ Evans (2009). Entwicklung orientieren (Vasak 1979, Flinterman 1990: 77, Rosas 1995a, Riedel 2004: 26 f., Tomuschat 2008: 48 ff.). Der Begriff der Generationen soll dabei keine Ablösung und Linearität implizieren (Flinterman 1990: 75), sondern eine gegenseitige Ergänzung. Die ersten beiden Generationen entwickelten sich mit dem Zivilpakt und dem Sozialpakt zeitlich parallel, allerdings mit höchst unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen (Riedel 2012, Tomuschat 2012). Die Blockkonfron‐ tation im Kalten Krieg hatte zu der Unterteilung in die zwei verschiedenen UN-Pakte geführt. Die damaligen Ostblockstaaten hatten die Wichtigkeit wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte betont, während für west‐ liche Staaten die liberalen Freiheiten bürgerlicher und politischer Rechte im Vordergrund standen (Flinterman 1990: 76, Riedel 2004: 14 f.). 4 Die Pakte sehen getrennte Monitoring- und Beschwerdesysteme vor, was zu ihrer Ungleichbehandlung und Ungleichgewichtung führte (Hunt 1996, Schneider 2004). Das hatte zur Konsequenz, dass teilweise bis heute der Begriff der Menschenrechte gleichgesetzt wird mit den bürgerlichen und politischen Rechten des Zivilpakts (Yasuaki 1999: 103). Dies bildet auch einen der Gründe für Kritiken an blinden Stellen im Universalismus der Menschenrechte, insbesondere hinsichtlich ökonomischer Ungleichheiten. Die bürgerlichen und politischen Rechte sind verbindlicher und stärker ausgestaltetet als die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, die der Sozialpakt umfasst. Dazu tragen der progressive Charakter der allmählich zu erfüllenden Pflichten des Sozialpakts sowie deren Knüpfung an die finanziellen Kapazitäten eines Staates (Sozialpakt, Artikel 2, Abs. 1) bei. Zudem beinhalteten die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Men‐ schenrechte zunächst keine Durchsetzungsmechanismen und individuellen Beschwerdemöglichkeiten. Bemühungen um Richtlinien und Präzisierun‐ gen des Sozialpakts resultierten 1986 in den Limburger Prinzipien. Diese wurden 1997 mit den Maastrichter Richtlinien aktualisiert und fortgeführt, welche wiederum eine wachsende Anerkennung staatlicher Verantwortung für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte widerspiegeln (Felice 1999, Schutter et al. 2012, Krennerich 2013, Scherrer 2017). Darüber hinaus wurde 2009 ein freiwilliges Zusatzprotokoll zum Sozialpakt zur Rati‐ 26 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="27"?> 5 Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 1988. www.corteidh.or.cr/ docs/ c asos/ articulos/ seriec_04_ing.pdf. fikation freigegeben, das individuelle Beschwerdeverfahren und lokale Un‐ tersuchungsverfahren des Sozialausschusses vorsieht (Albuquerque 2010); allerdings wird es nur zögerlich ratifiziert. Mit der Trennlinie zwischen den drei Generationen der Menschenrechte hält sich eine weitere Auffassung aufrecht. Diese definiert bürgerliche und politische Rechte als liberale Freiheitsrechte beziehungsweise als negative Rechte, die als Abwehrrechte gegen den Staat verstanden werden. Dagegen werden wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als positive Rechte beziehungsweise als Wohlfahrtsrechte verstanden, die vom Staat aktiv hergestellt und gewährleistet werden müssen. Bei näherer Betrachtung lässt sich diese Trennung jedoch weder mit der Unteilbarkeit der Menschenrechte vereinbaren (Bielefeldt/ Seidensticker 2004) noch inhaltlich aufrechterhalten (Krennerich 2013). Bürgerliche und politische Menschenrechte beruhen nicht bloß auf einem Zurückdrängen des Staates aus einer Privatsphäre, die vermeintlich dichotom von der öffentlichen Sphäre des Staates abgetrennt ist. Vielmehr ist auch die (Freiheit der) Privatsphäre durch staatliche Regu‐ lierungen (wie das Familienrecht) und Deregulierungen ebenso geprägt, wie sie ihrerseits für die Reproduktion der öffentlichen und der wirtschaftlichen Sphäre konstitutiv ist (vgl. Kapitel 5, ausführlich Mende 2020). Darüber hinaus sind klassische Elemente des Zivilpaktes wie das Recht auf einen fairen Prozess oder auf die Teilnahme an freien Wahlen auf staatlich hergestellte Strukturen und Infrastrukturen angewiesen, die über negative Unterlassungspflichten hinausgehen. Wegweisend für diese po‐ sitive Komponente bürgerlicher und politischer Menschenrechte ist der Fall „Velásquez Rodríguez gegen Honduras“, 5 die erste Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Honduras wurde für Menschenrechtsverletzungen sowie die unzureichende Prävention von Menschenrechtsverletzungen belangt, weil der Staat keine rechtliche Ab‐ hilfe gegen das Verschwindenlassen von Menschen anbot und das Ver‐ schwindenlassen zudem tolerierte oder sogar durchführte (Witten 1989, Chinkin 1999: 394). Das Urteil begründet, dass der Staat nicht nur negative Unterlassungspflichten hat, sondern auch aktiv dafür Sorge tragen muss, dass alle Einrichtungen öffentlicher (d. i. staatlicher) Macht die volle und freie Inanspruchnahme von Menschenrechten ermöglichen, indem Men‐ 27 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="28"?> schenrechtsverletzungen verfolgt, bestraft und verhindert werden (Sullivan 1995: 130). Auf der anderen Seite bilden die Rechte des Sozialpaktes ihrerseits eine Bedingung für bürgerliche Freiheiten und beinhalten neben positiven Pflichten des Staates auch den Schutz vor staatlichen Eingriffen (Krennerich 2013). Eine zutreffendere Einteilung, als sie das Konzept positiver und negativer Rechte bietet, findet sich in der Kategorisierung von Pflichten (Shue 1980: 52 f., Commission on Human Rights/ Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities 1987). Die allgemeine Ach‐ tungs- oder Unterlassungspflicht bedeutet, Menschenrechte nicht zu verlet‐ zen und Handlungen zu unterlassen, die Menschenrechte verletzen. Die Schutzpflicht verlangt von Staaten, gegen Verletzungen (auch durch Dritte) Maßnahmen zu ergreifen. Die staatliche Gewährleistungspflicht schließ‐ lich hält Staaten dazu an, die Verwirklichung von Menschenrechten zu ermöglichen. Dieser Ansatz des Respekts, des Schutzes und der Gewährleis‐ tung von Menschenrechten beinhaltet sowohl negative Abwehrrechte als auch positive Pflichten in Bezug auf alle Menschenrechte. Unterschiedliche Formen der Verantwortung für Menschenrechte können somit anerkannt werden, während gleichzeitig die Menschenrechte in ihrer prinzipiellen Unteilbarkeit bewahrt werden. 1.1.5 Menschenrechte und staatliche Souveränität 1945 bildet in mehrerer Hinsicht eine Zäsur mit weitreichenden Effekten. Oben wurde die Gründung des internationalen Menschenrechtsregimes als völkerrechtliche Zäsur beschrieben, denn so rücken erstmals innerstaatliche Angelegenheiten sowie Individuen und das Konzept ihrer universellen, vom Staat nicht einschränkbaren Menschenwürde in den Blick des Völ‐ kerrechts. Bis dahin umfasste die Aufgabe des Völkerrechts lediglich das Regeln zwischenstaatlicher Fragen vor dem Hintergrund einer absoluten Staatssouveränität (Menke/ Pollmann 2007: 34 ff.). Das bedeutet, „dass das Individuum innerstaatlich stets auf die Freiheit oder Unfreiheit des politischen Systems, in dem es sich befand, angewiesen war, während über die Internationalisierung ein grundsätzlich neuer Weg beschritten wurde: der eigene Staat unterliegt seither einem doppelten Legitimationszwang: nach innen bedarf er weiterhin der traditionell-rechtsstaatlichen Rechtfertigung, nach außen 28 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="29"?> unterliegt er der zusätzlichen Kontrolle durch das ‚Forum des Weltgewissens‘, der Kritikmöglichkeit durch die anderen Staaten und durch internationale Orga‐ nisationen wie den VN“ (Riedel 2004: 12). Damit geht eine sich erst allmählich entwickelnde, aber tiefgreifende Her‐ ausforderung des Konzeptes staatlicher Souveränität einher. Staatliche Sou‐ veränität wird durch Menschenrechte zwar nicht an sich in Frage gestellt, aber sie wird berührt und verändert. Das geht bis auf die UN-Charta von 1945 zurück, der alle UN-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind. Die Charta schützt zum einen innerstaatliche Angelegenheiten vor einem Eingreifen der UN: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden“ (UN-Charta, Artikel 2.7). Weiter heißt es allerdings im selben Artikel: „die Anwendung von Zwangs‐ maßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“ Kapitel VII bezieht sich auf die Handlungs-, Regulierungs- und Eingreiffä‐ higkeit des UN-Sicherheitsrates, dessen Macht durch den Bezug auf die „Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ (Artikel 43.1) legitimiert wird. Darüber hinaus verpflichten sich die UN-Mitglieds‐ staaten auf die „allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschen‐ rechte und Grundfreiheiten für alle“ (Artikel 55c). Beide Aspekte, der Bezug auf Weltfrieden und internationale Sicherheit sowie die Verpflichtung auf Menschenrechte, haben zu einem veränderten Verständnis von Souveränität beigetragen. Menschenrechtliche Verantwortung gilt mittlerweile (auch, aber nicht nur in den jüngeren Responsibility-to-Protect-Ansätzen, vgl. Hansel/ Reich‐ wein 2020) als Bestandteil der Definition und Legitimität staatlicher Sou‐ veränität (Weiss 2005: 72 f., s.a. Deng et al. 1996, Chandler 2002). Für fundamentale Menschenrechte wird der Anspruch formuliert: „Es gibt nicht länger so etwas wie ‚innere Angelegenheiten‘, wenn es um Menschenrechte geht“ (Sprecher auf der Peace Implementation Conference on Bosnia in London 1995, zitiert in Lauren 2011: 303). Nichtsdestotrotz bleibt der Bezug auf die eigene Souveränität ein häufig angeführtes Argument, um Kritik von außen abzuwehren. Ob solch eine Kritik durch andere Staaten, die Europäische Union (EU), die UN oder andere 29 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="30"?> internationale Organisationen wiederum tatsächlich erfolgt - und wenn ja, mit welcher Vehemenz und welchen Effekten -, hängt nicht nur von men‐ schenrechtlichen Aspekten, sondern auch von strategischen, politischen und wirtschaftlichen Erwägungen ab. Deren Effekte auf Menschenrechte können wiederum sowohl fördernd als auch einschränkend sein. Menschenrechte stehen in dieser Hinsicht durchaus in einem Spannungs‐ verhältnis zu staatlicher Souveränität, diplomatischen Erwägungen und wirtschaftlichen Interessen. Gleichzeitig aber sind sie unmittelbar hierauf angewiesen, denn Staaten sind die Pflichtenträger für den Respekt, den Schutz und die Gewährleistung von Menschenrechten. Staaten werden dabei zwar durch andere Mechanismen und Institutionen begleitet, unterstützt, kontrolliert oder auch unter Druck gesetzt. Zugleich ist das internationale Menschenrechtsregime aber wesentlich auf die Bereitschaft von Staaten angewiesen, es umzusetzen. 1.1.6 Rechtliche, politische und moralische Dimensionen der Menschenrechte Die Heterogenität des Menschenrechtsregimes, die auch zu Widersprüchen führen kann, wird in der Politischen Theorie und in der Rechtsphilosophie mit den Kategorien einer rechtlichen, einer politischen und einer morali‐ schen Dimension der Menschenrechte erfasst. Die rechtliche Dimension der Menschenrechte bezeichnet kodifiziertes Recht, also die oben angeführten verabschiedeten und ratifizierten Men‐ schenrechtsverträge und Rechtsdokumente. Gemeinsam ist ihnen ihre rechtliche Verbindlichkeit auf internationaler, regionaler und/ oder staatli‐ cher Ebene. Die politische Dimension wird in der Literatur heterogener definiert. Sie bezeichnet grundsätzlich die politische Aushandlung der Kodifizierung, der Institutionalisierung und der Konkretisierung von Menschenrechten (Lohmann 1998, Weyers 2016). Auch nicht-rechtliche (Steuerungs-)Instru‐ mente wie etwa die Aufbereitung und Verteilung von Informationen, Bil‐ dungsprogramme oder statistische Auswertungen (Goldmann 2012: 338 f., Vesting 2012, Kelley/ Simmons 2019) können Teil der politischen Dimension der Menschenrechte sein. Die politische Dimension kann aber auch im weiteren Sinne als gesellschaftliche Dimension verstanden werden, um die Rolle von Menschenrechten als Gegenstand und Motor sozialer und zivilgesellschaftlicher Bewegungen zu betonen. Diese Perspektiven zielen 30 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="31"?> 6 Diese im weiteren Sinne gesellschaftliche Dimension spielt auch für soziologische Theorien der Menschenrechte eine übergeordnete Rolle (Mahlmann 2011, Bennani 2017). ab auf den „tatsächlich politischen Charakter der Menschenrechte, der darin besteht, dass sie Platzhalter für die öffentliche Thematisierung von Unterdrückung, Demütigung, Ausgrenzung und Willkür sind“ (Kreide 2013: 81). 6 Die moralische Dimension schließlich bietet solchen Ansprüchen auf Menschenrechte eine Grundlage, die andere Bezugspunkte heranziehen als solche, die zu einem gegebenen Zeitpunkt juristisch oder politisch kodifi‐ ziert oder durchsetzbar sind. Worauf genau sich diese Ansprüche beziehen können, wird in Kapitel 6 diskutiert. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass die moralische Dimension eine Grundlage dafür bildet, neue, in der rechtlichen oder politischen Dimension bislang nicht durchgesetzte oder adressierte Forderungen, Kritiken oder Formen des Leidens in den menschenrechtlichen Blick zu rücken. Die moralische Dimension wird auch zentral als Begründung des universellen Anspruchs jedes Menschen auf Menschenrechte herangezogen (Lohmann 1998, Lohmann et al. 2005). Diese Einteilung ist jedoch eher als analytische Orientierung zu verstehen denn als kategorische Definition der drei Dimensionen. Vielmehr sind die drei Dimensionen eng miteinander verbunden. Am deutlichsten wird das im bereits erwähnten Begriff des soft law, das Instrumente bezeichnet, die zwar rechtlich nicht bindend sind, die aber durchaus rechtliche Effekte entfalten können. Dementsprechend ist nicht nur die politische, sondern auch die rechtliche Dimension von Aushandlungsprozessen und sozialen Bewegun‐ gen gekennzeichnet. Darauf zielen auch völkerrechtliche Perspektiven aus dem globalen Süden ab, die auf das „Völkerrecht von unten“ (Rajagopal 2003) verweisen und auf die Rolle von „sozialen Bewegungen, die nicht lediglich den von oben gemachten Regeln widerstehen, sondern auch neue Regeln formen“ (Gathii 2020: 25). Die moralische Dimension lässt sich ebenfalls nicht losgelöst von der politischen (gesellschaftlichen) und rechtlichen Dimension verstehen. Sie weist über die rechtliche und politische Dimension hinaus, ist aber auch auf ihre rechtliche und politische Absicherung und Durchsetzung angewiesen (Günther 2009: 277). Gleichzeitig liegen der politischen und rechtlichen Entwicklung und Institutionalisierung der Menschenrechte moralische An‐ 31 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="32"?> sprüche zugrunde (Raz 1988: 265 ff., Bobbio 1996, Wildt 1998, Lohmann 1998, Hofmann 1999: 10 ff., Menke/ Pollmann 2007: 25 ff.). Die moralische Dimension erfüllt eine Funktion, deren Auslöser im histo‐ rischen Kontext der Entstehung der Menschenrechte vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus verortet werden kann. Moralische Ansprüche auf etwas, das besser ist als das Gegebene, sollen auch dann aufrechterhalten werden können, wenn sie zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht von Staaten, Gesetzen oder Politik gestützt werden. Umgekehrt bildet die rechtliche Dimension nicht nur einen Durchset‐ zungsmechanismus für moralische Forderungen, sondern auch ein notwen‐ diges Korrektiv. „Im Anschluß an Kant kann man auf die Abstraktions- und Entlastungsleistungen des positiven Rechts gegenüber der Moral hinweisen, die den einzelnen in den Weisen rechtlich geregelter sozialer Beziehungen vom Sittlich-sein-Müssen freisetzen“ (Lohmann 1998: 90). Positives Recht kann demnach auch einen notwendigen Schutz vor bestimmten moralischen Ansprüchen bieten. Die drei Dimensionen der Menschenrechte können sich somit gegen‐ seitig ergänzen, stärken oder auch korrigieren. Die enge Verknüpfung zwischen der moralischen, der politischen und der rechtlichen Dimension zeigt sich auch im Begriff des Normativen, der die drei Dimensionen der Menschenrechte miteinander verwebt. Während moralische Ansprüche auch auf etwas scheinbar außerhalb der Gesellschaft Stehendes verweisen können (aber siehe Kapitel 6), sind normative Annahmen per Definition gesellschaftlich (und damit u. a. rechtlich, moralisch, politisch) geprägt. Alle drei Dimensionen der Menschenrechte sind daher mit normativen Annahmen verbunden. Menschenrechte selbst bilden einen normativen Bezugspunkt für gesellschaftliche Auseinandersetzungen; Diskussionen um Menschenrechte gehen ihrerseits auf normative Bezugspunkte zurück. Die normativen Bezugspunkte, die dieses Buch prägen, werden in Kapitel 6 zusammenführend erläutert. 1.1.7 Transnationalisierung des Rechts Die internationale Ebene des Menschenrechtsregimes ist von weitaus schwä‐ cheren Kontroll-, Exekutiv- und Sanktionsmöglichkeiten gekennzeichnet als staatliche Ebenen. Die oben angesprochenen Menschenrechtsverträge zeigen dies bereits: Sie sind nur für diejenigen Staaten gültig, die sie unterzeichnen, und selbst dann wird die Nicht-Einhaltung der Verträge teilweise nur begrenzt 32 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="33"?> überwacht und sanktioniert. Daher ist das internationale Menschenrechtsre‐ gime neben seinen völkerrechtlich bindenden Mechanismen auch auf die nicht-bindenden Mechanismen des soft law angewiesen. Die Vielfalt der für das Menschenrechtsregime relevanten Akteure, Prozesse, Mechanismen und Normen verweist somit die klassischen Grenzziehungen des Völkerrechts an ihre Grenzen. Die Verflechtung von staatlichem Recht und internationalem Recht, von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, von hard law (Recht und Gesetz) und soft law (Normen und Standards) und deren Relevanz für das internationale Menschenrechtsregime lässt sich auch als Transnationalisierung des Rechts bezeichnen. Die Perspektiven und Bezeichnungen der Transnationalisierung des Rechts differenzieren sich im Völkerrecht in sehr unterschiedliche Lesarten aus. „Die Transnationalisierung des Rechts hat in den letzten Jahrzehnten eine solch überbordende Dynamik entwickelt […], dass man von einem Glaubenskrieg um die Transnationalisierung des Rechts sprechen kann“ (Teubner 2015: 506 f., vgl. die unterschiedlichen Lesarten etwa in Jessup 1956, Fischer-Lescano/ Viellechner 2010, Baer 2011, Viellechner 2013, Cal‐ liess 2014). Die völkerrechtlichen Debatten um die Begriffe, Konzepte und Zuschnitte zur Erfassung der Dynamiken und Effekte der Transnationali‐ sierung des Rechts spielen an dieser Stelle eine untergeordnete Rolle. Statt‐ dessen geht es darum, diese Dynamiken und Effekte für Menschenrechte sichtbar zu machen, um deren Heterogenität zu erfassen. Denn die unter‐ schiedlichen Dimensionen und Ebenen lösen sich nicht schlicht ineinander auf. Vielmehr müssen deren Wechselwirkungen und Gleichzeitigkeiten ebenso wie deren Unterschiede in den Blick genommen werden. Das öffnet den Analyserahmen für die vielfältigen Prozesse der Entwicklung und Durchsetzung von Normen und Rechten (Peters 2006: 107 ff.), die Rolle von internationalen Institutionen (Bogdandy et al. 2010, Bogdandy et al. 2017) und die Vielfalt der jeweils beteiligten staatlichen und nicht-staatlichen Akteure, die sowohl Autoren als auch Adressaten von Normen und Rechten sein können (Peters et al. 2009, Williams/ Zumbansen 2011). Vor diesem Hintergrund kann das soft law als „funktionales Äquivalent zu bindendem Völkerrecht“ (Goldmann 2012: 337) verstanden werden. Damit lassen sich soft law und hard law weder in ihren Wirkmechanismen und Effekten gleichsetzen, noch lassen sich eindimensional Folgerungen kon‐ statieren, die nur einer der beiden Seiten überhaupt eine Wirkmächtigkeit zuschreiben. Vielmehr verdeutlicht sich, dass die Transnationalisierung des Rechts vielfältige Wege der Diskussion und der Durchsetzung von 33 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="34"?> Menschenrechten eröffnet. Auf dieser Grundlage können sich auch zivilge‐ sellschaftliche und andere nicht-staatliche Akteure in Menschenrechtsde‐ batten einbringen. Sie können (völker-)rechtliche Wege beschreiten, aber auch Menschenrechte als normativen oder moralischen Bezugspunkt in Anspruch nehmen, wenn ihnen rechtliche Wege (zunächst) verschlossen bleiben. Öffentliche Aufmerksamkeit für Menschenrechtsverletzungen rich‐ tet sich nicht nur an rechtlichen Instrumenten aus. Menschenrechte können somit normativ, moralisch, politisch und zivil‐ gesellschaftlich auch dort einen Bezugspunkt bilden, wo das bindende Recht Lücken aufweist. Schwachen Staaten, Diktaturen oder Theokratien fehlt etwa der Wille oder die Fähigkeit, Menschenrechte durchzusetzen. Sowohl in Räumen begrenzter Staatlichkeit (Lehmkuhl/ Risse 2007) als auch auf der globalen Ebene (Prakash/ Hart 1999, Rittberger 2001, Mende 2020) finden sich Handlungen und Strukturen, die außerhalb des rechtlichen Zugriffsbereichs liegen. Auch in demokratischen Staaten ist die rechtliche Durchsetzung von Menschenrechten nicht immer gewährleistet. Die Möglichkeit der vielfältigen Bezüge auf das Menschenrechtsregime kann aber auch strategisch genutzt werden. Ein oft angeführtes Beispiel bilden hier diejenigen Interventionen, die im Namen der Menschenrechte geführt, mit denen aber andere (politische oder wirtschaftliche) Motive verbunden werden. Dabei ist nicht nur die ‚weiche‘ Dimension des Menschenrechts Gegenstand von Lücken und Deutungskämpfen, sondern auch die rechtliche. Internationale Rechte und Normen sind gekennzeichnet von (der Möglichkeit für) Auseinandersetzungen um deren Interpretation, Deutung und Auslegung (Clapham 2006: 70 f.). Aus dieser Vielfalt ergeben sich Spielräume, die für durchaus gegensätzliche Zwecke genutzt werden können. (Bezüge auf) Menschenrechte können einander sogar widersprechen. 1.1.8 Menschenrechte als Regime Die Transnationalisierung des Rechts ist entscheidend geprägt von Prozes‐ sen der Globalisierung und Global Governance, die seit den 1990er Jahren die internationale Ordnung verändern. In der politikwissenschaftlichen Subdis‐ ziplin der Internationalen Beziehungen steht dementsprechend das Konzept der Global Governance im Mittelpunkt der Analyse des internationalen Raums (Barnett/ Sikkink 2008, s.a. Bogdandy et al. 2011 für rechtswissen‐ schaftliche Perspektiven). 34 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="35"?> Global Governance lässt sich definieren als ein Bündel von Mechanis‐ men, Foren und Prozessen der Steuerung und Regulierung von grenzüber‐ schreitenden Problemen und Herausforderungen. Dem liegt die Perspek‐ tive zugrunde, dass bestimmte Probleme und Herausforderungen nicht länger allein auf der Ebene staatlicher Politiken oder zwischenstaatlicher (inter-nationaler) Kooperation gelöst werden können (The Commission on Global Governance 1995, Rosenau 2005). Daher kennzeichnet Global Governance eine Vervielfältigung der Ebenen, der Mechanismen und der Akteure des Regierens und Regulierens politischer Ordnungen (Mende 2020: 87 ff.). Geographische (globale, regionale, staatliche, lokale) Ebenen, formelle und informelle Mechanismen sowie staatliche und nicht-staatliche Akteure interagieren miteinander und entwickeln sowohl verbindliche als auch rechtlich nicht-verbindliche, aber normativ oder politisch bedeutsame Regeln und Normen. Diese Vervielfältigung des Regulierens verändert den Raum globaler Politik nachhaltig (vgl. nur Barnett/ Duvall 2005, Avant et al. 2010, Bogdandy et al. 2010, Tallberg et al. 2018, Zürn 2018 u. v. a.). Global Governance verbindet sich mit den Prozessen der Globalisierung, welche nicht lediglich (aber auch) den grenzüberschreitenden Austausch von Menschen, Waren und Dienstleistungen bezeichnen. Die Entwicklung der Möglichkeiten grenzüberschreitender und zeitlich nicht verzögerter Kommunikation bildet ebenfalls einen wesentlichen Bestandteil von Globa‐ lisierung, ebenso wie die Ausbreitung von Ideen, Werten und Lebensweisen (Scholte 2005: 57). Globalisierung bezeichnet mithin die Entwicklung einer neuen geographischen Ebene, eines neuen, globalen Raums (zentral ebd.: 59). Die globale Ebene ist demnach nicht nur durch den Austausch zwischen Regionen oder Staaten gekennzeichnet. Sie bildet nicht nur die Ebene, auf der sich Akteure vernetzen und austauschen. Vielmehr kommt dem globalen Raum eine eigene Qualität zu, der auch die Interaktionen zwischen Akteuren, die Strukturen, Mechanismen und Prozesse selbst verändert. Das zeigt sich auch an der Entwicklung und Vervielfältigung des Menschen‐ rechtsregimes. Der Regimebegriff aus den Internationalen Beziehungen be‐ zeichnet einen Typus internationaler Institutionen, der von „politikfeldbezoge‐ nen Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren“ gekennzeichnet ist (Rittberger et al. 2013: 21). Regime weisen - im Gegensatz zu internationalen Organisationen wie den UN, die aus Staaten bestehen - selbst keine Akteursqua‐ lität auf. Regime beinhalten aber die Regulierung von Akteuren durch Akteure, via Normen, Regeln und Verhaltensprinzipien (ebd.: 20). 35 1.1 Das internationale Menschenrechtsregime <?page no="36"?> Der Regimebegriff hilft auch, das internationale Menschenrechtsregime von den UN zu unterscheiden: Das Menschenrechtsregime bezieht sich auf ein bestimmtes Politikfeld, während die UN sich auch mit anderen Politikfeldern beschäftigt. Zugleich umfasst das Menschenrechtsregime Akteure, Normen und Regeln, die weit über die UN hinausgehen (siehe oben). Dieses heterogene Feld der Akteure, Normen und Regeln weitet sich seit dem Ende der 1990er Jahre zudem durch die globale Handlungsfähigkeit nicht-staatlicher Akteure aus, die sich sowohl an der Einforderung von als auch an der Verantwortung für Menschenrechte beteiligen (Mende 2020). Der Regimebegriff der Internationalen Beziehungen ergänzt die poli‐ tiktheoretische Unterscheidung in rechtliche, politische und moralische Dimensionen der Menschenrechte sowie die völkerrechtliche Diskussion der Transnationalisierung des Rechts als Analyserahmen für die folgenden Diskussionen des Universalismus der Menschenrechte. Menschenrechte zeichnen sich insgesamt durch ein Ineinandergreifen politischer, moralischer, normativer und rechtlicher Instrumente und Pro‐ zesse aus. Sie gründen sich auf Verträgen, Erklärungen und Kommentaren, Institutionen der Kontrolle, der Umsetzung und der Sanktionierung auf staatlicher, regionaler, trans- und internationaler Ebene, unter der Beteili‐ gung internationaler, staatlicher, nicht-staatlicher und zwischenstaatlicher Akteure. Auch können sie Lücken und Leerstellen aufweisen. 1.2 Der Universalismus der Menschenrechte 1.2.1 Die Doppelläufigkeit des menschenrechtlichen Universalismus Menschenrechte sind universell. Dieser Anspruch prägt das Menschenrechts‐ regime seit seiner Gründung. Die AEMR beginnt mit der Präambel: „Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet.“ Artikel 1 betont erneut: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Und Ar‐ tikel 2 spezifiziert: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied.“ Den Bezugspunkt bilden die als „ewige Prinzipien“ aufgefassten „Gesetze der Menschlichkeit“ (Finkielkraut 1989: 16), zusammengezogen im Konzept der 36 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="37"?> Menschenwürde. Diesem Anspruch auf Universalismus lagen „die Gründlich‐ keit der Nazis, das heißt ihre Widerlegung der Moral durch das Reglement, des Legitimen durch das Legale, der ethischen Strenge durch die Unbeugsamkeit der Disziplin“ zugrunde (ebd.: 18, Herv.entf.), „da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen“ (AEMR, Präambel). Hier zeigt sich eine Doppelläufigkeit, die den Universalismus der Men‐ schenrechte prägt und die die Grundlage für den im Folgenden entwickelten vermittelten Universalismus bildet. Einerseits ist der Universalismus der Menschenrechte gesellschaftlich situiert und historisch verortet. Er ent‐ springt der konkreten gesellschaftlichen Erfahrung des Nationalsozialismus sowie den politischen und auch geostrategischen Debatten in den UN. Der dem Universalismus der Menschenrechte innewohnende Partikularismus zeigt sich auch an der Entwicklung des Völkerrechts. Die universellen Menschenrechte galten in den 1940er Jahren für die damals souveränen Staaten, die Mitglieder der UN waren. Es handelte sich um 51 Staaten - gegenüber den heutigen 193 Mitgliedsstaaten der UN. Zugleich bildete die UN-Charta eine entscheidende Öffnung des Kreises für alle „friedliebenden“ Staaten (Wolfrum 2012: § 80). Damit hob die UN-Charta die Eingrenzung des Völkerrechts auf „europäisches Recht, das die europäischen Staaten im Zuge ihrer kolonialen Eroberungen auf die ganze Welt ausdehnten“ (Kim‐ minich/ Hobe 2000: 55) und auf sogenannte „zivilisierte Nationen“ im 18. und 19. Jahrhundert auf (Wolfrum 2012: § 80). Ab den 1960er Jahren schließlich setzten sich die umfassenden Prozesse der Dekolonisierung in Gang, welche die Mitgliedschaft in den UN sowie das Menschenrechtsregime noch einmal entscheidend ausdifferenzierten - eine Entwicklung, die allerdings weder bruchlos noch konfliktfrei verlief (Reus-Smit 2013, Jensen 2016). Schließlich sind auch aktuelle Formen der Umsetzung von Menschenrechten sowie gerichtliche Entscheidungen stark von der Berücksichtigung spezifischer Kontexte geprägt (vgl. beispielsweise Merry 2006a, McCrudden 2008, Steiner et al. 2008, Bogdandy/ Ebert 2019: 62 ff. sowie die folgenden Kapitel). Andererseits ist der Anspruch der Menschenrechte normativ und moralisch universell, weil er sich auf alle Menschen bezieht und mit der angeborenen Menschenwürde auf ein vor-gesellschaftliches Konzept verweist. Mithilfe eines übergreifenden, über das Gegebene hinausgehenden moralischen Bezugspunkts sollen Menschenrechte den Betroffenen auch dann helfen können, wenn ihr eigener Staat und dessen Rechtssystem es nicht können. 37 1.2 Der Universalismus der Menschenrechte <?page no="38"?> 7 Vgl. nur Horkheimer/ Adorno (2003 [1944]), Habermas (1991), Hall (1994b), Dallmayr (1996), Laclau (1996), Lukes (2003), Schweppenhäuser (2005), Habermas (2020). Mit dieser Doppelläufigkeit kann dem Anspruch auf Universalismus auch ein Moment der Übergriffigkeit anheften: Er öffnet die Möglichkeit, bestimmte (partikulare) Interessen als universell zu setzen und gegen andere (partikulare oder ihrerseits als universell deklarierte) Interessen durchzuset‐ zen. Dies bildet auch Gegenstand der in den folgenden Kapiteln diskutierten Kritiklinien am Universalismus der Menschenrechte. Die Verquickung des menschenrechtlichen Universalismus mit seiner Situiertheit, seiner Gewordenheit und seinem Partikularismus wirft eine entscheidende Frage auf: Welcher Partikularismus kann nach welchem normativen Maßstab universelle Gültigkeit beanspruchen? 1.2.2 Formen des Universalismus Die im Universalismus enthaltene Doppelläufigkeit und die Frage nach dem Umgang mit dem Partikularen im Universellen ist Gegenstand um‐ fangreicher Debatten, die weit über das Politikfeld der Menschenrechte hinausreichen, sowohl inhaltlich als auch historisch. 7 Im Folgenden geht es nicht darum, die zahlreichen Aspekte und Dimensionen der über zwei‐ tausend Jahre alten Debatte um den Universalismus abzubilden. Vielmehr werden hier idealtypische Perspektiven benannt, die für die Formen des Universalismus der Menschenrechte eine Rolle spielen. Die Formen des Universalismus lassen sich anhand zweier zentraler, quer zueinander liegender Debattenfelder vergegenwärtigen, die durch jeweils zwei entgegenstehende idealtypische Perspektiven geprägt sind. Sie betreffen erstens die Frage nach einer Bestimmung des Menschen sowie zweitens die Suche nach Universalien. Bestimmungen des Menschen Das erste Debattenfeld bezieht sich auf Bestimmungen des Menschen als Begründung für den Universalismus der Menschenrechte. Es geht um die Frage, ob und gegebenenfalls wie Menschsein definiert werden kann. Diese Frage ist überaus relevant: Definitionen und Annahmen über ‚den Men‐ schen‘ können auch immer dazu genutzt werden, bestimmte Menschengrup‐ pen vom Menschsein auszuschließen, um auf diese Weise Unterdrückung, 38 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="39"?> Ausgrenzung oder Sklaverei zu rechtfertigen. Demgegenüber zeichnet sich der Universalismus der Menschenrechte durch den expliziten Bezug auf alle Menschen aus. Doch auch für diesen Anspruch stellt sich die Frage, wodurch sich Menschsein definiert. Diese Frage kann mit zwei idealtypischen Positionen beantwortet wer‐ den: einer den Menschen beziehungsweise das Menschsein bestimmenden und einer unbestimmenden Position. Die bestimmende Position spricht allen Menschen grundsätzlich be‐ stimmte Bedürfnisse oder Fähigkeiten zu, die es zu schützen beziehungs‐ weise auszubilden gelte. Sie orientiert sich an von individuellen Interessen zunächst unabhängigen Eigenschaften, die jedem Menschen etwa durch Gott oder durch die Natur beziehungsweise durch eine allgemeine, objektive Vernunft gegeben seien. Auch bedürfnisorientierte, fähigkeitszentrierte oder interessenbasierte Begründungen für Menschenrechte gehen von grundsätzlichen Bedürfnissen oder Fähigkeiten eines Menschen aus, die den Bezugspunkt für den Universalismus der Menschenrechte bilden (Nussbaum 1999, Sen 2012). Die unbestimmende Position ist durch die Idee des Menschen als Verkör‐ perung des bloßen Lebens gekennzeichnet, jenseits seiner Fähigkeiten und Eigenschaften, die immer auch mit seiner gesellschaftlichen Einbettung ver‐ bunden sind. Diese Perspektive wird auch mit Hannah Arendt und Giorgio Agamben verbunden (Wilson/ Mitchell 2003: 7 f.), deren Denken allerdings nicht in der unbestimmenden Position aufgeht. Vielmehr spielt die mögliche Begrenztheit gegebener staatlicher Ordnungen die ausschlaggebende Rolle für Arendts Betonung des - jenseits dieser Ordnungen notwendigen - Rechts, Rechte zu haben (Arendt 1949). Damit kann hervorgehoben werden, dass Menschen auch dann noch Menschen seien (und Menschenrechte benötigten), wenn sie alle anderen Qualitäten als gesellschaftliche Wesen oder ihre Zugehörigkeiten zu politischen, staatlichen oder anderen Gemein‐ schaften verloren hätten. Vereinfacht formuliert unterscheiden sich die beiden idealtypischen Po‐ sitionen also darin, ob sie den Menschen als ‚volles‘ oder als ‚leeres‘ Gefäß (Wilson/ Mitchell 2003: 7 f.) ansehen. Beide Positionen weisen allerdings auch Grenzen auf. Wird die unbestimmende Position konsequent weitergedacht (und da‐ mit das Denken Arendts verlassen), ermöglicht sie auch die Annahme der „unbegrenzten Formbarkeit der Menschennatur“ (Ritsert 2017b: 216). Vor dem Hintergrund einer völligen Nicht-Bestimmung des Menschseins 39 1.2 Der Universalismus der Menschenrechte <?page no="40"?> „könnte faktisch keine Sozialordnung vom Standpunkt des menschlichen Wohlergehens kritisiert oder beurteilt werden, weil es keine Konzeption des Menschen geben würde“ (Fromm 1954: 36, vgl. Ritsert 2017b: 216). Es gäbe konsequent gedacht keinen Bezugspunkt, anhand dessen Umgangsweisen mit Menschen gefördert oder kritisiert werden könnten. Der unbestimmen‐ den Position fehlt also ein normativer Bezugspunkt und somit letztlich auch ein Maßstab für die Begründung von Menschenrechten. Die bestimmende Position kann mit ihren Bezügen auf das Wesen des Menschen solch einen Maßstab zur Verfügung stellen. Damit eröffnet sie aber ebenfalls grundlegende Fragen: Welcher Maßstab aufgrund welcher Vorstellung vom Wesen des Menschen als universell angenommen und bestimmt werden soll, ist nicht nur umstritten, sondern öffnet ebenfalls einen problematischen Weg: „Alle autoritären Denker haben es sich leicht gemacht, indem sie die Existenz einer ihrer Meinung nach starren und unveränderlichen Natur voraussetzen. Das sollte beweisen, dass die auf dieser vorausgesetzten Natur des Menschen beruhenden ethischen Systeme und sozialen Einrichtungen notwendig und unwandelbar seien“ (Fromm 1954: 35). Im Folgenden wird es vor diesem Hintergrund darum gehen, Konturen eines vermittelten Universalismus zu entwickeln, der Menschen weder übernoch unterbestimmt. Es wird nachgezeichnet, dass die dem Menschen zugeschriebenen Fähigkeiten, Bedürfnisse oder Eigenschaften immer auch gesellschaftlich geprägt sind. Solche Bestimmungen sind für das Denken und Handeln von Menschen höchst relevant - aber auch gleichzeitig reflektierbar und veränderbar. Es geht im Folgenden daher nicht um eine Sortierung, ob und welche Eigenschaften des Menschen biologisch bezie‐ hungsweise allgemeingültig gegeben sind. Vielmehr sind selbst biologische Prämissen immer auch gesellschaftlich geformt, ermöglicht oder verstellt (vgl. auch Hogh/ König 2011). Kapitel 4 wird konkreter die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlichen und kulturellen Bestimmungen des Menschen sowie ihre Offenheit und Veränderbarkeit herausarbeiten. Die Suche nach Universalien In einem zweiten Debattenfeld lassen sich die Formen des Universalismus danach unterscheiden, ob es sich um moralische oder um empiriebasierte Perspektiven handelt. Dabei geht es um die Frage nach der Herkunft und 40 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="41"?> der Begründung von Universalien: Sind sie im Gegebenen bereits vorhanden (empiriebasiert) oder werden sie in (moralischen) Ideen jenseits des Gege‐ benen verankert? Der empiriebasierte Universalismus verweist auf empirisch gegebene Ge‐ meinsamkeiten zwischen Menschen, die sich als universell geteilte Eigen‐ schaften deskriptiv und vergleichend herausarbeiten lassen. Eine empirisch fundierte Perspektive kann den Universalismus der Menschenrechte auch darin verorten, dass Menschenrechte zumindest formell von allen Staaten anerkannt werden. Allein diese empirische Perspektive bildet allerdings eine schwache Legitimationsgrundlage von Menschenrechten. Zum einen besteht eine eklatante Lücke zwischen der formellen Anerkennung von Menschenrech‐ ten einerseits und ihrer rechtlichen und politischen Implementierung, Umsetzung und Durchsetzung andererseits. Zum anderen lässt sich eine empirische Heterogenität in den Bezügen auf Menschenrechte feststellen, die den Anspruch auf Universalismus unterminieren kann. Das wird auch in jüngeren Veröffentlichungen deutlich, die eine aktuelle Krise der Men‐ schenrechte diagnostizieren: „Berühmte Befürworter sprechen selbstbewusst von einer ‚internationalen Men‐ schenrechtsbewegung‘, aber angesichts der hohen Diversität der Ressourcen, des Einflusses und der Kontrolle in globalen Menschenrechten ist das lediglich eine Illusion. Ohne geteilte Identität, konkrete Interessen (jenseits der abstrakten ‚körperlichen und geistigen Unversehrtheit‘) oder sozioökonomische Lebensum‐ stände kann es gar nicht eine Bewegung geben. Die fehlende westliche Aufmerk‐ samkeit für […] soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte ist nur ein Beispiel dafür“ (Hopgood 2013: 96, Herv.i.O.). Hopgood zielt mit seinen Hinweisen auf konkrete Lebensumstände auf wesentliche blinde Stellen im universellen Anspruch ab, die unten ausführ‐ licher diskutiert werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob empirische Heterogenität und universelle Menschenrechte einander tatsächlich aus‐ schließen. Hinzu kommt, dass sich empiriebasierte Perspektiven, die ihre normativen Ansprüche allein aus existierenden Gesellschaftsformen und universell geteilten Eigenschaften ableiten, immer auch innerhalb eines vorgegebenen Rahmens bewegen und dem Bestehenden verhaftet bleiben. Demgegenüber streben moralische Perspektiven einen Universalismus an, der besser ist als das Gegebene, der also über empirisch Gegebenes normativ hinausweist. Dieser Anspruch findet sich etwa in der Idee der 41 1.2 Der Universalismus der Menschenrechte <?page no="42"?> Menschenwürde, die normativ allen Menschen zukommen soll. Er findet sich auch in der Idee der Menschenrechte selbst, die zwar allen Menschen zukommen sollen, de facto aber nicht für alle Menschen geschützt und ver‐ wirklicht werden. Die moralische Dimension der Menschenrechte erlaubt es, das empirische Fehlen von Menschenrechten zu adressieren und zu kritisieren. Ein moralischer Universalismus kann positiv in Form konkreter Utopien oder negativ in Form einer Kritik am Bestehenden formuliert sein. Ebenso vielfältig sind seine Begründungen, die von basalen Bedürfnissen über Fähigkeiten hin zu Vorstellungen von Vernunft, Menschenwürde, Ge‐ rechtigkeit, Gleichheit oder Freiheit reichen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie einen Maßstab für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen bilden, an dem das Gegebene gemessen und kritisiert werden kann. Allerdings bildet die Frage, wer welchen Maßstab wie (durch-)setzen kann, einen wesentlichen Gegenstand von Kontroversen. Hierauf zielen auch die Kritiken an den blinden Stellen eines Universalismus ab, der empirische Lebensbedingungen ausblendet. Das vorliegende Buch verortet eine Umgangsmöglichkeit mit diesen beiden idealtypischen Perspektiven darin, dass moralische und empirische Bezüge einander nicht ausschließen. So wird die Argumentation für einen pluralen Universalismus entwickelt, der Macht- und Ressourcenungleich‐ heiten berücksichtigen und universelle Ideen mit partikularen Lebensbedin‐ gungen vereinbaren kann. Dies korrespondiert auch mit rechtlichen und politischen Praxen, die der oben genannten Doppelläufigkeit des Univer‐ salismus Rechnung tragen, indem sie menschenrechtliche Ansprüche vor dem Hintergrund partikularer Gegebenheiten und Kontexte berücksichti‐ gen (Wolfrum 2012: § 81). Zudem wird mit dem Element des moralisch vermittelten Universalismus (Kapitel 6) die Frage aufgenommen, wie ein moralischer Bezug auf etwas Besseres beziehungsweise etwas Anderes mit empirisch Gegebenem verbunden werden kann, ohne nur auf eine der beiden Seiten zurückzufallen. ➤ Vermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus Der Anspruch der folgenden Diskussion des Universalismus der Menschen‐ rechte besteht darin, davon abzusehen, schlicht jeweils eine Seite gegen die andere auszuspielen, um dann die bevorzugte gewinnen zu lassen. Zwei Vari‐ 42 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="43"?> 8 Diese bei Hegel (1986 [1807]) sichtbare und bei Adorno (1966, 2007, 2010a) aufgenommene Figur wird bei Kesselring (1984), Ritsert (Knoll/ Ritsert 2006, Ritsert 2017a) und Müller (2011, 2020b) weitergeführt und expliziert. anten des Umgangs mit ‚dem Universalismus‘ und seinen Kritiken scheiden daher aus: Weder eine verabsolutierte Setzung eines abstrakten, gesetzten, scheinbar einfach gegebenen Universalismus noch die Auflösung universeller Ansprüche hin zu vereinzelten Partikularismen, Unterbestimmungen oder dem jeweils Gegebenen können Menschenrechte im Sinne einer Verwirklichung eines menschenwürdigen Lebens für alle stärken. Die Idee des Universalismus „darf nicht den partikularen Kern verkennen, aber auch nicht die Legitimität des universalen Geltungsanspruchs relativieren. Doch sie darf sich auch nichts vor‐ machen: Um den Universalismus kommen wir nicht herum - aber er funktioniert nicht. Der Universalismus in der Moralphilosophie ist in sich widersprüchlich, antinomisch“ (Schweppenhäuser 2005: 296). Diese Widersprüchlichkeit im Universalismus wird in diesem Buch ausformu‐ liert und weitergeführt. Dazu werden die Kritiken an bestimmten Aspekten des Universalismus der Menschenrechte ernst- und aufgenommen. Aus dieser Aus‐ einandersetzung werden Bezugspunkte dafür entwickelt, wie das Partikulare im Universellen gedacht werden kann - ohne das eine im anderen aufzulösen. Vorgeschlagen wird mithin ein vermittelter Universalismus. Die abstrakte Struktur eines solchen vermittelten Universalismus soll vorab benannt werden; sie wird für die in den folgenden Kapiteln diskutierten Elemente des vermittelten Universalismus zentral sein. Dabei handelt es sich um die logische Struktur einer strikten Antinomie, die sich durch eine charak‐ teristische Verbindung von inneren und äußeren Widersprüchen auszeichnet. 8 Die Struktur der strikten Antinomie ist dadurch gekennzeichnet, dass (mindestens) zwei entgegengesetzte Seiten (Pole) in einer äußeren und in einer inneren Vermittlung aufeinander bezogen sind und sich gegensei‐ tig herstellen. Strukturell werden dabei drei Elemente berücksichtigt: ein Widerspruch, eine äußere und eine innere Vermittlung (hier und für das Folgende vgl. Müller 2011). Erstens stehen zwei Seiten in einem strikten Widerspruch zueinander. In einer formallogischen Bestimmung wird dies als A oder Nicht-A ausge‐ drückt (aristotelischer Satz des ausgeschlossenen Dritten). Entweder rot oder nicht-rot. Der eine Pol ist hier die strikte Negation des anderen. Entweder schwarz oder weiß? Hier zeichnet sich bereits ab, dass auch andere Gegensatz‐ 43 ➤ Vermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus <?page no="44"?> bestimmungen eine Rolle spielen können. Schwarz oder weiß bezieht sich, streng gesehen, auf eine Struktur von A oder B, weil die strikte Negation von ‚schwarz‘ eben ‚nicht-schwarz‘ ist und demnach weder logisch noch real ‚weiß‘. In den folgenden Elementen des vermittelten Universalismus geht es daher um Gegensätze, die (mindestens) zwei Seiten umfassen, die einander widersprechen und (in bestimmten Hinsichten) ausschließen. Zweitens lässt sich ein Merkmal benennen, in dem die beiden entgegenge‐ setzten Pole in einer äußeren Vermittlung zueinander stehen: Der Einschluss in den einen Pol bedeutet gleichzeitig den Ausschluss aus dem anderen Pol - und umgekehrt. Das bedeutet, dass der eine Pol im anderen Pol nicht lediglich negiert wird, sondern er wird durch sein ihm Entgegengesetztes zugleich erst konstituiert. Durch den Ausschluss aus A wird Nicht-A hergestellt. Drittens stehen die beiden Pole in einem inneren Vermittlungsverhältnis zueinander. An diesem Punkt unterscheidet sich die hier verwendete dialek‐ tische Vermittlungskonstellation entscheidend von anderen Widerspruchs‐ verhältnissen. Jeder Pol konstituiert den anderen nicht nur von außen (durch Ausschluss), sondern geht in das Innerste des Anderen hinein. Jeder Pol ist in seinem Gegenpol enthalten und dennoch stehen beide auch in einem Gegensatz zueinander. Sie lösen sich nicht einfach ineinander auf: „Die Struktur strikter Antinomien weist über eine bloße ‚entweder-oder‘ Bestim‐ mung weit hinaus. […]: In einer strikten Antinomie bestimmen sich (mindestens) zwei entgegenstehende Momente dadurch, dass sie sich gegenseitig ausschließen und das jeweils entgegenstehende Moment in sich einschließen. […] Die gesell‐ schaftliche Vermittlung von Unmittelbarkeiten kann ebenso reflektiert werden wie die naiv vorgefundenen Unmittelbarkeiten, die reflexiv ihrer gesellschaftli‐ chen Vermittlung überführt werden“ (Müller 2020a: 236). Die folgende Diskussion der vermittelten Elemente des Universalismus wird diese (hier zunächst abstrakt formulierte) Struktur inhaltlich konkretisieren und klären. Die Struktur bietet an dieser Stelle bereits einen Schlüssel, um die Argumentationsfigur greifbarer zu machen, die im Folgenden entwickelt und ausgebaut wird: der vermittelte Universalismus der Menschenrechte. 44 1 Menschenrechte und Universalismus <?page no="45"?> 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“. Die postkoloniale Kritik am westlichen Universalismus von Menschenrechten Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen: ■ Einordnung der drei Intentionen der Kritik: affirmativ, abwehrend, postkolonial ■ Perspektiven des Postkolonialismus ■ Globaler Norden und globaler Süden ■ Was ist mit Kulturimperialismus und Eurozentrismus gemeint? ■ Die Idee, die Institutionalisierung und die Anwendung der Men‐ schenrechte ■ Unternehmen und andere nicht-staatliche Akteure im Menschen‐ rechtsregime ■ Nicht-westliche und westliche Elemente im Menschenrechtsregime - und Überschreitung dieser Dichotomie ■ Pluraler Universalismus ■ Machtsensibler Universalismus ■ Partikular vermittelter Universalismus Der Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, ist eine Kritik am Uni‐ versalismus der Menschenrechte, die ihrerseits nahezu universell ist. Sie war zu den Gründungszeiten des Menschenrechtsregimes in den 1940er Jahren ebenso virulent wie heute; im sogenannten Nicht-Westen ebenso wie im sogenannten Westen. Es lässt sich sogar sagen, dass sie mit dem menschen‐ rechtlichen Anspruch auf Universalismus stets gemeinsam auftritt, denn sie weist auf die Grenze des universalistischen Anspruchs hin, die in diesem immer schon enthalten ist. Mit dem Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, können drei un‐ terschiedliche Intentionen einhergehen: eine abwehrende, eine affirmative und eine postkoloniale Intention. Die abwehrende Intention nimmt die Zuschreibung einer westlichen Parti‐ kularität zum Anlass, um Menschenrechte insgesamt abzulehnen und somit <?page no="46"?> (eigene) Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren. Dies ist eine typische Argumentation repressiver Machthaber, um Kritiken an den eigenen Praxen abzuwehren, diese als von außen (vom Westen) kommend abzuwerten und die eigene Macht unter Berufung auf (vermeintlich) nicht-westliche Werte zu reproduzieren (Zakaria/ Lee 1994, An-Na’im 1999b, Sen 1999: 231 ff., Tatsuo 1999, Karan 2005: 55 ff., Mayer 2017). Diese Argumentation wird auch auf solche Kritiken angewendet, die aus der jeweils eigenen (nicht-westlichen) Gesellschaft kommen, etwa aus zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Diese werden dann als westlich beeinflusst bezeichnet, etwa durch Bildungsbiographien im Westen, durch den Kontakt zu internatio‐ nalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Menschenrechtsorgani‐ sationen oder allgemein durch den Zugang zu westlichen Ideen, etwa über soziale Netzwerke oder das Internet. Die Zuschreibung funktioniert somit auch losgelöst von real existierenden Beziehungen zu dem, was als Westen bezeichnet wird. Vielmehr wird einfach alles, was den eigenen Herrschaftsansprüchen entgegensteht, in die Dichotomie eingeordnet und als westlich bezeichnet. Die affirmative Intention funktioniert nach einem vergleichbaren Muster, nur aus der Perspektive des Westens. Es wird eine Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen konstruiert und Menschenrechte werden dem Westen zugeschrieben: hier also dem eigenen, nicht dem als anders Kon‐ struierten. Auf dieser Grundlage ist es beispielsweise möglich, den als nicht-westlich markierten Gesellschaften einen Anspruch auf Menschen‐ rechte vorzuenthalten, weil er ihnen fremd sei. Auch wird mit dieser Argumentation mitunter die vermeintlich eigene Überlegenheit auf der Grundlage westlicher Werte konstruiert. Die als anders konstruierten, nicht-westlichen Gesellschaften mit ihren Werten und Normen wären dazu nicht in der Lage, so die Annahme. Diese beiden Intentionen fügen dem Menschenrechtsregime keine pro‐ duktiven Elemente hinzu, sondern lehnen es entweder als solches ab oder ziehen es zur Begründung von Ausschlüssen und rassistischen Stereoty‐ pen heran. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht demgegenüber eine dritte Intention, die in postkolonialen Perspektiven eine hervorgehobene Rolle einnimmt. Die postkoloniale Intention verfolgt die Absicht, Ungleichheiten, koloniale Hinterlassenschaften, Machtverhältnisse und repressive Mechanismen im Universalismus der Menschenrechte offenzulegen und zu kritisieren. Im Verlauf der nachfolgenden Diskussion wird deutlich werden, inwiefern auch 46 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="47"?> diese Intention sowohl weiterführende als auch begrenzende Anschluss‐ möglichkeiten erlaubt. Obgleich sie höchst unterschiedliche Ziele verfolgen, liegt zumindest bis zu einem gewissen Grad allen drei Intentionen die Annahme einer dichotom geteilten Welt zugrunde (Huntington 2002): in Westen und Nicht-Westen. Diese Terminologie kann für die ihr zugrundeliegenden (und häufig auf rassistische Denktraditionen zurückgehenden) Zuschreibungen und Effekte nachhaltig kritisiert werden. So steht beispielsweise das jüngere Begriffs‐ paar globaler Norden und globaler Süden für den Anspruch, statt dichoto‐ mer Zuschreibungen globale Machtungleichheiten in den Vordergrund zu rücken. Die Struktur der Zweiteilung jedoch (und die Schwierigkeit, eine geographisch eindeutige Linie zwischen beiden zu ziehen) bleibt erhalten. Das verweist darauf, dass ein Verzicht auf diese zweiteilenden Begrifflich‐ keiten zunächst nicht ausschließlich zielführend ist, weil es dann auch schwieriger werden würde, existierende Ungleichheiten zu benennen. Aus diesem Grund, und weil die Kritik, dass Menschenrechte westlich seien, ge‐ nau in dieser Terminologie derart ubiquitär und virulent ist, wird in diesem Kapitel die Begriffskonstellation Westen und Nicht-Westen verwendet, um deren Effekte überhaupt in den Blick nehmen zu können. Die Begriffe Westen und Nicht-Westen sind also keine statischen, geo‐ graphisch oder zeitlich fixierten Einheiten. Noch weniger repräsentieren sie einen bestimmten Wesenskern, eine „wahre Essenz“ (Gathii 2020: 17). Nichtsdestotrotz haben sie „reale Folgen, denn sie ermöglich[en] es Men‐ schen, etwas in einer gewissen Weise über bestimmte Dinge zu wissen oder über sie zu reden. Sie produzier[en] Wissen.“ Sie sind „für die Formie‐ rung dieser Gesellschaft selbst wesentlich“ (Hall 1994a: 139). Die soziale Konstruiertheit und die Grenzen der Begriffe von Westen und Nicht-Westen werden im Folgenden daher stets mitgedacht, um am Ende des Kapitels darauf zurückzukommen. Nach einer Einführung in postkoloniale Theorien wird in diesem Kapitel die Bedeutung westlicher ebenso wie nicht-westlicher Elemente im Men‐ schenrechtsregime nachgezeichnet. Dafür wird auf die drei Phasen der Idee, der Institutionalisierung und der Anwendung der Menschenrechte einge‐ gangen, um jeweils sowohl postkoloniale Kritiken als auch deren Grenzen zu verdeutlichen (vgl. Mende 2021). Anschließend werden die Elemente eines pluralen, eines machtsensiblen und eines partikular vermittelten Universalismus entwickelt. In diesem Zusammenhang wird eine zentrale Unterscheidung herausgestellt: Der Vorwurf, dass Menschenrechte immer 47 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="48"?> ganz konkret westlich seien, schreibt dem Universalismus eine spezifische Partikularität zu: eine westliche Partikularität, die sich als Universalismus tarnt. Die offene Frage hingegen, ob Menschenrechte westlich seien, will diskutieren, dass der vermeintliche Universalismus der Menschenrechte selbst historisch, gesellschaftlich und geographisch situiert ist. 2.1 Postkoloniale Perspektiven Das Konzept des Postkolonialismus verweist auf die Fortdauer internatio‐ naler und globaler Abhängigkeiten auch nach der formalen Beendigung des Kolonialismus (Said 1978, Bhabha 1994, Spivak 1999). Die Effekte der Kolonialisierung dauern bis heute an, so die zentrale Aussage. Diese Effekte drücken sich nicht nur in ökonomischen Ungleichheiten aus, sondern auch im politischen Machtgefälle (Sharp 2009, Franck 2013), in der Art und Anlage von Entwicklungshilfeprojekten (Ziai 2006), in kulturellen Dimensionen (Williams/ Chrisman 1994), in rassistischen Strukturen (Fanon 1985), im Völkerrecht (Tieya 1986) und im anhaltenden missionarischen Eifer, die vermeintlich besseren Werte westlicher Gesellschaften auch in nicht-west‐ lichen Gesellschaften zu etablieren und durchzusetzen (Morsy 1991, Castro Varela/ Dhawan 2005). Gemeinsam ist diesen Effekten, dass das, was als nicht-westlich gekennzeichnet wird, als defizitär wahrgenommen wird. Aus dieser Wahrnehmung wird die Überlegenheit des Westens abgeleitet, sei sie ökonomisch, politisch, kulturell, wissenschaftlich oder moralisch. Diese postkolonialen (also aus der Kolonialzeit herrührenden und nach wie vor andauernden) Effekte werden auch als Eurozentrismus oder Kulturimperia‐ lismus bezeichnet und kritisiert. Solchen einseitigen Zuschreibungen setzen postkoloniale Perspektiven andere Wahrnehmungsmuster entgegen. Dazu gehören die Wahrnehmung komplexer und regional spezifischer Interaktionen verschiedener Akteure, ihrer Interessen und Handlungsspielräume, die Anerkennung kultureller Auseinandersetzungen sowie Brüche und Kontinuitäten (Conrad/ Randeria 2002, Chowdhry/ Nair 2005). Jenseits von und quer zu der linearen Einteilung in eine vorkoloniale, eine koloniale und eine nachkoloniale Epoche sollen auch andere und regionalspezifische historische Entwicklungslinien aufge‐ deckt werden (Thomas 1994, Lentz 2002: 27, Hall 2004: 191 f., Thomas 1994). Das bedeutet auch, den Blick überhaupt erst einmal umzukehren: Statt des westlichen Blicks auf das (aus dessen Perspektive) defizitäre Nicht-Westliche 48 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="49"?> geht es postkolonialen Perspektiven darum, das Repressive der westlichen Perspektive aufzuzeigen und ihr andere (nicht-westliche) Perspektiven entgegenzustellen. Darüber hinaus geht es aber auch darum, die enge Beziehung zwischen der Konstruktion eines defizitären Nicht-Westlichen und eines sich daraus ableitenden überlegenen Westens offenzulegen (Fanon 1985, Bhabha 1994). Postkoloniale Theorien entwickeln eine Perspektive dafür, „dass wenn westliche Menschen auf die nicht-westliche Welt blicken, sie eher einen Spiegel ihrer selbst und ihrer eigenen Annahmen sehen als das, was wirklich da ist oder wie Menschen außerhalb des Westens sich wirklich fühlen und sich selbst wahrnehmen. […] Postkolonialismus bietet einen Weg, die Dinge anders zu sehen“ (Young 2003: 2). Die Zuschreibungen, die mit den Begriffen Westen und Nicht-Westen (oder vergleichbaren Begriffen) einhergehen, produzieren starke Bilder; damit produzieren sie Wissen, und damit produzieren (und legitimieren) sie Macht und Ungleichheit (Said 1978; Hall 1994a). Diese produzierten Bilder und Ungleichheiten sind so wirkmächtig, dass sie bis heute andauern. Sogar postkoloniale Perspektiven können ihnen verhaftet bleiben, nämlich dann, wenn sie lediglich darin verharren, die Bilder und Perspektiven umzudrehen. So kann das Vorhaben einer Gegenerzählung wider die Annahme, dass der Kolonialismus ausschließlich Fortschritt und Vorteile mit sich gebracht habe, in einen Opfer-Mythos umschlagen (Brandstetter 1997: 78 ff.). Aus der Perspektive des Opfer-My‐ thos, so Brandstetter, hätten der Kolonialismus und der Kapitalismus als weltumspannendes System den Kolonisierten jegliche Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit genommen. Ausbleibende strukturelle Veränderungen nach der formalen Unabhängigkeit ehemals kolonialisierter Länder werden so mit globalen Abhängigkeiten erklärt, ohne lokale Entwicklungen näher in den Blick zu nehmen. In dieser Perspektive gibt es nur sich dichotom ge‐ genüberstehende, homogene und statische Kollektive der Kolonisierten und der Kolonisierenden. Damit wird aber die Geschichte und Geschichtlichkeit der Kolonisierten selbst negiert (ebd.). Eine andere Stoßrichtung mit allerdings ähnlichen Effekten nimmt eine Perspektive ein, die Brandstetter als Widerstands-Mythos kritisiert (ebd.: 84 f.). Dieser setzt sowohl dem antikolonialen Opfer-Mythos als auch dem kolonialen Überlegenheitsdenken die Analyse afrikanischer Geschichte und Akteure entgegen, tendiert allerdings dazu, die Unversehrtheit vorko‐ 49 2.1 Postkoloniale Perspektiven <?page no="50"?> lonialer Gesellschaften zu betonen und eine ungebrochene Verbindung zwischen vorkolonialer Politik, frühem Widerstand und antikolonialem Nationalismus herzustellen. Auch diese Perspektive bleibt der Dichotomie von Unterdrückern und Widerständigen verhaftet, anstatt Komplexität, in‐ terne Widersprüche und Machtbeziehungen auf allen Ebenen zu analysieren (ebd.). Postkoloniale Theorien haben sich aus antikolonialen Perspektiven entwickelt, um diese nicht nur fortzuführen, sondern auch kritisch zu reflektieren. Das Spektrum postkolonialer Ansätze bewegt sich vor diesem Hintergrund in einem pluralen Feld: Es beinhaltet Perspektiven, die mit der Analyse von Komplexitäten über einseitige Zuschreibungen wie im kolonia‐ len Blick, im Opfer-Mythos oder im Widerstands-Mythos hinausgelangen wollen. Das Feld beinhaltet sogar postkoloniale Theorien, die einen univer‐ sellen Anspruch formulieren: „Der Postkolonialismus fordert das Recht aller Menschen auf dieser Erde auf denselben materiellen und kulturellen Wohlstand ein“ (Young 2003: 2). Das Feld beinhaltet aber auch Perspektiven, die einseitigen Zuschreibungen und der Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen verhaftet bleiben. Die Heterogenität dieser Perspektiven spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Anschlussmöglichkeiten des Vorwurfs wider, dass Menschenrechte westlich seien. 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime Der Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, lässt sich zunächst in eine Frage umwandeln: Sind Menschenrechte wirklich westlich? Die Persistenz der Kritik am westlichen Universalismus von Menschenrechten, die von derart unterschiedlichen Intentionen geteilt wird, verweist darauf, dass sich diese Frage nicht eindeutig einfach nur bejahen oder verneinen lässt. Im Folgenden wird statt solch einer dichotomen Antwort eine Gegenthese überprüft: Dem Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, wird die Annahme gegenübergestellt, dass Menschenrechte nicht nur westlich sind. Diese Annahme wird anhand dreier zentraler Aspekte des Menschen‐ rechtsregimes überprüft: seiner Idee, seiner Institutionalisierung und seiner 50 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="51"?> 9 Eine weitere Kritikrichtung zielt auf die Unterscheidung zwischen dem Westen zuge‐ ordneten bürgerlichen und politischen Rechten einerseits sowie dem Nicht-Westen zugeordneten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits ab. Vgl. zu einem Menschenrechtsverständnis, das notwendigerweise beide Dimensionen um‐ fasst, ausführlich Kapitel 1. Anwendung. 9 In der Überprüfung dieser Annahme sollen weder westliche noch repressive Elemente im Universalismus der Menschenrechte negiert werden. Vielmehr geht es darum, dessen pluralen Charakter aufzuzeigen. Das vereinfacht in gewissem Sinne auch die Beweisführung. Denn die These, dass Menschenrechte westlich seien, muss zu ihrer Bestätigung nachweisen können, dass das globale und komplexe Menschenrechtsregime (vgl. Kapitel 1) in Wirklichkeit westlich homogen ist und nicht-westliche Einflüsse entweder gar nicht vorkommen oder keinen Einfluss haben. Demgegenüber reicht es für die Gegenthese (dass Menschenrechte nicht nur westlich sind) aus, beispielhaft nicht-westliche Beiträge zum Menschenrechtsregime aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund können zwar beide Thesen selektiv sein, denn jede Erzählung basiert auf einer bestimmten Auswahl und Inter‐ pretation aus einer Vielzahl von Artefakten, Daten und Fällen (Lustick 1996). Die Gegenthese, dass Menschenrechte nicht nur westlich sind, integriert aber konstitutiv eine Perspektivenvielfalt, die auch dazu beitragen kann, selektive Interpretationen zu kompensieren. Denn um auf selektive Lesarten zu reflektieren, „kann die Ergänzung einer Prüfung dieser Dokumente durch andere Texte aus derselben Zeit sowie durch Sekundärquellen die Perspektive erweitern“ (Klotz/ Lynch 2007: 30). Diese Perspektivenvielfalt kennzeichnet auch die Struktur der folgenden Argumentation. Es geht nicht darum, der These oder der Gegenthese bestimmte Theorien (beispielsweise den Postkolonialismus) zuzuordnen. Vielmehr bieten postkoloniale Perspektiven in ihrer Pluralität sowohl Ar‐ gumente für den Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, als auch Argumente, die diesen Vorwurf entkräften. Insgesamt verfolgt dieses Unterkapitel zwei Ziele. Zum einen zeichnet es empirisch die Pluralität der Beiträge zum Universalismus der Menschen‐ rechte nach. Zum anderen zeigt es, dass jede Interpretation Implikationen und Effekte hat, auf die reflektiert werden kann. 51 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="52"?> 2.2.1 Die Idee der Menschenrechte Die Idee der Menschenrechte ist wesentlich älter als das internationale, 1945 mit der Gründung der UN initiierte moderne Menschenrechtsregime. Mit Bezug auf die Denkschulen der Aufklärung, des Liberalismus, des Protestantismus und des Naturrechts wird die Idee der Menschenrechte klar im westlichen Denken verortet (Pollis/ Schwab 1980, Panikkar 1982: 80, Douzinas 2007: 34 ff.). Dies geht auf ein gängiges Narrativ zurück, das die Entwicklung der Idee der Menschenrechte in drei Phasen einteilt (vgl. Menke/ Pollmann 2007: 12 ff.). Diesem Narrativ zufolge umfasst die erste Phase das Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Naturrecht begründet die Annahme, dass jedem Menschen von Natur aus bestimmte Rechte zustehen. Die damit verbundene Idee der Menschenwürde gewann vor allem mit Hugo Grotius, Samuel von Pufendorf und John Locke eine rechtsphilosophische Bedeutung. Diese Idee geht davon aus, dass „das Recht des Menschen in dessen Natur, in seinem Wesen oder eben auch in dessen Würde begründet sei“ (ebd.: 100). Zentral ist der vorstaatliche und damit auch moralische Gehalt des Naturrechts. Sein Anspruch auf Geltung besteht unabhängig davon, ob es faktisch beziehungsweise staatlich durchgesetzt ist. Die Idee der Menschenrechte wird im Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts somit philosophisch begründet, allerdings weder politisch noch rechtlich durchgesetzt. Auch in aktuelleren Perspektiven auf das Völkerrecht finden sich Fortsetzungen naturrechtlicher Ansätze, welche die Quelle des Völkerrechts nicht nur im gegebenen, positiven Recht der Staaten verorten, sondern auch in vorstaatlichen Prinzipien wie der Menschenwürde oder der Gerechtigkeit (vgl. Kimminich/ Hobe 2000: 20, Kleinlein 2012). Als zweite Entwicklungsphase der Menschenrechte gelten die bürgerli‐ chen Revolutionen des 18. Jahrhunderts, in denen Bürgerrechte politisch durchgesetzt, rechtlich kodifiziert und staatlich institutionalisiert wurden. Zentrale Bezugspunkte hierfür sind etwa die französische Erklärung der Droits de l’Homme et du Citoyen und die US-amerikanische Bill of Rights, beide von 1789, aber auch die englische Bill of Rights (1689). Allerdings wiesen diese keinen für alle Menschen geltenden, also keinen universellen Charakter auf. Sie galten in der Regel nur für weiße, besitzende, männliche, christliche Staatsangehörige (Menke/ Pollmann 2007: 13). Die dritte Phase schließlich bildet das moderne, internationale, völker‐ rechtlich eingebettete Menschenrechtsregime, das mit der Gründung der 52 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="53"?> UN seinen Ausgang nahm und sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte dy‐ namisch weiterentwickelte. Eine „Standarderzählung der Menschenrechts‐ geschichte“ (ebd.: 12) skizziert die dritte Phase des modernen Menschen‐ rechtsregimes lediglich als eine Vereinigung des Universalismus der ersten mit dem Rechtscharakter der zweiten Phase. Sowohl das naturrechtliche Denken als auch die bürgerlichen Revolutio‐ nen haben entscheidende Effekte auf die Idee der Menschenrechte. Jüngere Ansätze kritisieren allerdings nicht nur die vermeintliche Linearität dieser drei Phasen (ebd.), sondern auch die Ausblendung alternativer Narrative und Motive (u. a. Moyn 2012). Für dieses Kapitel steht die damit einhergehende westliche Verortung der Idee der Menschenrechte im Vordergrund. Diese westliche Verortung kann in (mindestens) drei Hinsichten herausgefordert werden. Erstens kann die Idee der Menschenrechte nicht mit dem gegenwärtigen Menschenrechtsregime gleichgesetzt werden. Es war nicht lediglich eine lineare und additive Verbindung naturrechtlicher Ideen mit juristischen Institutionen, die zur Gründung des internationalen Menschenrechtsregi‐ mes führte, sondern die internationale Reaktion auf den Genozid des nationalsozialistischen Deutschlands (Menke/ Pollmann 2007: 16 f.). Auch wenn diese moralische Motivation sich mit politischen und strategischen Erwägungen mischte (Douzinas 2007: 21, Lauren 2011: 204), bildet sie doch einen entscheidenden Bruch. Zweitens zeigt ein Blick auf die westlichen Erklärungen vor 1945 in ihrem historischen Kontext, dass sie zu ihrer Zeit innerhalb der westli‐ chen Gesellschaften keineswegs vollständig durchgesetzt und anerkannt waren, sondern vielmehr den Gegenstand höchst kontroverser Auseinan‐ dersetzungen bildeten (Bielefeldt 2007: 182 f.). Ein berühmtes Beispiel ist die französische Droits de l’Homme et du Citoyen, die 1789 im Zuge der Französischen Revolution verabschiedet wurde. Ihr standen Kritiker wie Burke entgegen, der die Idee von Menschenrechten für alle ablehnte, weil sie nur die individualistischen, egoistischen Ansprüche der Einzelnen befördern würde. Ebenso wie Bentham aus einer anderen philosophischen Perspektive befürchtete Burke die Unterminierung positiven, staatlichen Rechts durch die naturrechtliche Idee der Menschenrechte (Burke 1790, Bentham 2002 [1795], vgl. Arendt 1949: 762, Lauren 2011: 22). Die französische Menschenrechtserklärung wurde allerdings auch von einer ganz anderen Seite kritisiert. De Gouges’ ‚Erklärung der Rechte der Frau‘ (Gouges 2012 [1791]) und Wollstonecrafts ‚Verteidigung der Rechte der 53 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="54"?> Frau‘ (Wollstonecraft 1792) wiesen beide auf den partikularen Charakter der Droits de l’Homme et du Citoyen hin, die Frauen konstitutiv ausschloss, denn die darin verbrieften Rechte galten ausschließlich für mündige, männliche Bürger. Postkoloniale Perspektiven fügen der feministischen Kritik hinzu, dass nicht nur die französische, sondern auch die anderen genannten Erklä‐ rungen auf dem Ausschluss anderer beruhen, insbesondere von Frauen, Sklaven und Menschen aus der nicht-westlichen Welt (Mbembe 2003: 24, Scott 2004: 177 f., Hunt 2008). Drittens schließlich finden sich vor 1945 neben den klassischen westli‐ chen Bezugspunkten auch zentrale nicht-westliche Bewegungen und Per‐ spektiven, die die Idee der Menschenrechte fundierten und entwickelten. Fast zeitgleich mit der Verabschiedung der französischen Menschen‐ rechtserklärung kämpften 1792 haitianische Revolutionäre gegen Sklaverei und Kolonialismus (Buck-Morss 2000, Bhambra 2015). Ihre Forderungen nach der politischen Partizipation von Schwarzen spielten eine wesentliche Rolle für die anschließende Abschaffung der Sklaverei in anderen Teilen der Welt. Dies geschah nicht etwa weit entfernt und jenseits der französischen Debatte: Eine haitianische Delegation setzte sich in Paris für die Aufnahme einer Anti-Sklaverei-Klausel in die Droits de l’Homme et du Citoyen ein - allerdings erfolglos. Der Amparo (judicio de amparo), ein Rechtsmittel in lateinamerikanischen Staaten, das einen Schutz vor staatlichen Verletzungen von Grundrechten vorsieht, geht auf einen Erlass aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in Mexiko zurück. Er ist vergleichbar mit dem Habeas Corpus, der rechtswidrige Inhaftierungen unterbinden soll, ist aber umfangreicher (Morsink 1999). Ein Blick weiter zurück in die Geschichte fördert zahlreiche weitere Quellen für nicht-westliche Menschenrechtsideen und ihre Vorläufer in Philosophie, Religion und Kultur zutage. Der Kyros-Zylinder von 539 v. Chr. (Kuhrt 1983: 84) war ein Erlass des achämenidischen Königs Kyros des Großen, der die Sklaverei beendete, das Recht auf freie Wahl der Religion einführte sowie die Gleichheit zwischen den Menschen erklärte. Damit gilt der Kyros-Zylinder auch als erste Menschenrechtserklärung der Welt. Die Idee der universellen Toleranz wurde vom buddhistischen Kaiser Ashoka im dritten Jahrhundert v. Chr. aufgegriffen (Sen 1999: 235 ff.). Die Werte Freiheit und Toleranz finden sich im Buddhismus, Konfuzianismus, Hinduismus und im alten China (Chan 1999, Sen 1999: 227 ff., Dohrmann 2007, Zhang 2007). Der Hinduismus etwa kennt die Einzigartigkeit jedes Menschen als moralischer Akteur. Diese moralische Entscheidungsfreiheit 54 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="55"?> bildet die Grundlage für einen Anspruch auf Grundrechte und damit für die Verpflichtung des Staates und der Gesellschaft, diese zu erfüllen (Sharma 2004, 2006). Das islamische rechtstheoretische Konzept Ijtehad beziehungs‐ weise Idschtihād ermöglicht eine breite Interpretation islamischer Werte einschließlich Toleranz, Pluralismus und Schutz von Minderheiten (Sen 2007: 59 ff., vgl. auch Othman 1999, Bielefeldt 2000: 102 ff.). Das westafrika‐ nische Konzept Akan spiegelt unter anderem das Recht auf Bildung, Gedan‐ kenfreiheit und politische Partizipation wider (Wiredu 1990). Die meisten Religionen und Kulturen teilen - mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Formen - die Idee der Verantwortung für andere Menschen und die Pflicht zur Bekämpfung von Leiden (Lauren 2011, Joas 2012). Dabei hat jede Religion, jede Kultur und jedes Wertesystem auch repres‐ sive Aspekte: Der Nachweis menschenrechtlicher Ideen heißt nicht, dass es keine Ideen gibt, die menschenrechtlichen Werten explizit gegenüberstehen (Sen 1999: 234), die die Freiheit und Gleichheit einschränken und die weitreichende Unterscheidungen zwischen Gruppen, Kasten, Geschlechtern oder Klassen treffen (Yasuaki 1999: 109 f.). Umgekehrt finden sich solche und andere Einschränkungen auch innerhalb westlicher Gesellschaften (ohne damit alle Arten von Einschränkungen gleichzusetzen). So lässt sich die Ent‐ wicklung westlicher Kultur auch als eine Geschichte von Folter, Sklaverei und Gewalt (und deren bewusster Rechtfertigung und Verteidigung) schrei‐ ben, wie Joas (2015) aufzeigt. Sowohl westliche als auch nicht-westliche Ursprünge der Idee der Menschenrechte können zudem nicht bruchlos aus heutiger Perspektive betrachtet und übertragen werden (An-Na’im 1999b: 156 ff.). Dennoch können sie zum heutigen Verständnis der Menschenrechte und ihrer Vorläufer beitragen (An-Na’im/ Deng 1990, Bauer/ Bell 1999). Vor diesem Hintergrund ist es möglich, „jene kulturellen Traditionen zu identifizieren und zu fördern, die es ermöglichen, tiefer gehenden Begründungen für gemeinsame Regeln des Zusammenlebens (wie sie etwa in den Menschenrechten kodifiziert sind) von einem je eigenen Standpunkt aus zuzustimmen und diesen Standpunkt auch in die Weiterentwick‐ lung eines globalen Verfassungskonsenses einbringen zu können […]: es kommt darauf an, universalistische Prinzipien in Eigenes zu übersetzen - und umgekehrt das kulturell je Eigene so zu verstehen und zu entwickeln, dass es für den Dialog mit Anderem offen und anschlussfähig ist“ (Sander 2018: 86). Insgesamt zeigen diese Beispiele auf, dass die Idee der Menschenrechte nicht nur einer homogenen Religion, einem einzigen Wertesystem oder 55 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="56"?> einer homogenen Kultur entstammt, sondern sich aus pluralen Elementen speist, die in zahlreichen Denktraditionen immer wieder eine Rolle spielten und spielen (Brotton 2002, Bhambra 2009, Cousin 2011). Die These einer westlichen Menschenrechtsidee stellt sich somit als höchst selektiv heraus (Bielefeldt 2007: 179) und lässt sich so kaum aufrechterhalten. 2.2.2 Die Institutionalisierung der Menschenrechte Der Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, geht davon aus, dass westliche Staaten auch das heutige internationale Menschenrechtsregime nicht nur initiiert, sondern ebenfalls dessen Institutionen und Strukturen maßgeblich geprägt hätten: „Die westlichen, hauptsächlich liberalen protes‐ tantischen Wurzeln der Menschenrechtserklärung sind bekannt“ (Panikkar 1982: 79). Aus dieser Perspektive hätten die jungen dekolonisierten Staaten, soweit sie überhaupt an der Institutionalisierung des Menschenrechtsregi‐ mes beteiligt waren, nur daran teilgenommen, um ihre eigene Souveränität auszubauen und zu schützen (Moyn 2012: 117) oder weil sie blind den Interessen von mächtigen westlichen Staaten folgten (Douzinas 2007: 180 f.). Die Annahme, dass der Westen das moderne Menschenrechtsregime institutionalisiert habe, lässt sich als „teilweise Fakt und teilweise Fiktion“ (Waltz 2002: 440) zusammenfassen. Westliche Staaten spielten tatsächlich eine wesentliche Rolle in der Niederschlagung des Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Neugestaltung der Welt‐ ordnung. Die Verbreitung des westfälischen Modells der staatlichen Sou‐ veränität nach dem Zweiten Weltkrieg hat ebenfalls Entscheidendes zur Institutionalisierung der Menschenrechte beigetragen (Kingsbury 1998: 607). Gleichzeitig war die Institutionalisierung der Menschenrechte wesentlich pluraler und globaler, als es den Anschein hat. Kolonialisierte Staaten, Staaten aus dem globalen Süden, westliche Staaten und eine Vielzahl von Diplomat/ -innen, Philosoph/ -innen, Aktivist/ -innen, zivilgesellschaftlichen Bewegungen und NGOs nahmen kontinuierlich seit 1945 an den Foren, Diskussionen und Konferenzen aktiv teil, die die Dokumente und Organe der Menschenrechte gründeten und institutionalisierten. Zahlreiche Beispiele zeugen von dieser Pluralität: Während der ersten Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen schlug Ägypten eine Resolution gegen rassistische und religiöse Verfolgung vor, die von lateinamerikanischen, asiatischen und afrikanischen 56 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="57"?> Staaten unterstützt wurde. Auf derselben Sitzung haben Kuba, Indien und Panama das Thema Völkermord eingebracht. Delegierte aus Haiti und Indien plädierten für die Betonung der Würde eines jeden Menschen. Indien führte mehrere Kritiken am Apartheidsystem in Südafrika an. Südafrika seinerseits berief sich auf die Grundsätze der staatlichen Souveränität und der Nichteinmischung, die wiederum von Australien, Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten aktiv unterstützt wurden (Lauren 2011: 204 ff.). Auf derselben ersten Sitzung wurde auch die Frage einer allgemeinen Menschenrechtserklärung aufgegriffen. Der Diplomat, Jurist und ehemalige Staatspräsident Panamas Ricardo J. Alfaro reichte in diesem Kontext eine Erklärung über die Rechte und Pflichten von Staaten ein und legte den Entwurf einer Declaration on Fundamental Human Rights and Freedoms vor, der von Chile, Kuba, Ecuador, Ägypten, Frankreich, Liberia und anderen Staaten unterstützt wurde (ebd.: 209). Dieser Entwurf trug mit zur Schaffung der Menschenrechtskommission bei, die die AEMR entwarf. Die Menschenrechtskommission, welche die AEMR verfasste, setzte sich aus Eleanor Roosevelt aus den USA, Charles Malik aus dem Libanon, René Cassin aus Frankreich, P.C. Chan aus China, John-Peter Humphrey aus Kanada und Hernán Santa Cruz aus Chile zusammen. Ihre Arbeit wurde begleitet von zahlreichen Einreichungen und Kommentierungen aus der Zivilgesellschaft (s.a. Goodale 2018). Darunter befand sich eine Petition, welche Lynchmorde, Rassismus und Segregation in den USA kritisierte, eingereicht von dem Bürgerrechtler W.E.B. Du Bois und der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) (1947). Während Roosevelt sich weigerte, die Petition in die Tagesordnung der Generalversammlung aufzunehmen, um die USA nicht internationalen Kritiken auszusetzen, nahm die Sowjetunion die Petition aus genau diesem Grunde auf (Douzinas 2007: 28, s.a. Anderson 2003, Sullivan 2010). An dieser Stelle verweist die menschenrechtsverletzende Segregation in den USA auf die Grenze der dichotomen Aufteilung in einen menschenrechtlichen Westen und den Nicht-Westen. Zudem verdeutlicht das Beispiel die enge Verflechtung von politischen, strategischen und nor‐ mativen Überlegungen. So formten politische Interessen eine mangelnde westliche Unterstützung ebenso wie eine nicht-westliche Unterstützung, welche zu der normativ bedeutsamen Institutionalisierung von Menschen‐ rechten beitrug. 57 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="58"?> Dementsprechend war auch der Entwurfsprozess der AEMR von zahl‐ reichen politischen, kulturellen, ideologischen, religiösen und geschlechts‐ spezifischen (vgl. Kapitel 5) Konflikten geprägt (Adami 2017). Das daraus resultierende Dokument, die AEMR, spiegelt diese Pluralität wider: Sie basiert sowohl auf Konsens als auch auf Mehrdeutigkeiten, Anfechtungen und Auslassungen (Hoover 2013, Adami 2017). In der endgültigen Entschei‐ dung über die Annahme der AEMR in der UN-Generalversammlung im Dezember 1948 stimmten von den damals 58 Mitgliedstaaten 48 Staaten für die Erklärung, von denen 33 nicht-westlich waren. Kein einziger Staat stimmte dagegen. Im Mai 1948 verabschiedeten zudem alle 20 lateinamerikanischen Län‐ der gemeinsam mit den USA auf der Neunten Internationalen Konferenz Amerikanischer Staaten in Bogotá, Kolumbien, einstimmig die sogenannte Bogotá-Erklärung: die American Declaration of the Rights and Duties of Man (Morsink 1999, Carozza 2003, Glendon 2003, Sikkink 2017: 57 f.). Diese universelle Menschenrechtserklärung wurde ein halbes Jahr vor der AEMR verabschiedet. Sie beinhaltet sowohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, denen entsprechende Pflichten beiseitegestellt werden. Entgegen der Annahme, dass es in den 1950er und 1960er Jahren keine wesentlichen Beiträge zur Institutionalisierung des Menschenrechtsregimes gab (Moyn 2012, Hopgood 2013), fanden auch in diesem Zeitraum globale und regionale Aktivitäten statt (Sikkink 2017). Sie trugen zur Entwicklung rechtsverbindlicher Verträge sowie nicht-verbindlicher, aber normativ und politisch wichtiger Erklärungen, Änderungen und Resolutionen, zur Schaf‐ fung regionaler Gerichte, internationaler Vertragsorgane und nationaler Gesetzgebung sowie zur Gründung und Stärkung zivilgesellschaftlicher Bewegungen bei. Kolonialisierte, neu dekolonisierte und andere nicht-west‐ liche Staaten hatten entscheidenden Anteil an diesen Aktivitäten (Nkrumah 1962, Rajagopal 2006, Barreto 2013). Während der Verhandlungen über die beiden internationalen Pakte zur Kodifizierung der AEMR in verbindlichen Verträgen betonten Vertreter/ -in‐ nen westlicher und nicht-westlicher Staaten - darunter Indien und Mexiko - unermüdlich die Notwendigkeit, die Menschenrechte sowohl international als auch im Inland zu schützen (Reus-Smit 2001: 533). 1950 unterstrichen Afghanistan und Saudi-Arabien - später unterstützt von Birma, Ägypten, Indien, Indonesien, Iran, Irak, Libanon, Pakistan, den Philippinen, Syrien, Jemen und anderen - den engen Zusammenhang zwischen Menschenrech‐ 58 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="59"?> ten und Selbstbestimmung (ebd.: 535). Nicht-westliche Staaten thematisier‐ ten bei zahlreichen Gelegenheiten das Problem des Rassismus, der dem Kolonialsystem zugrunde lag. In den 1960er Jahren trieb ein Bündnis zwischen Jamaika, Ghana, den Philippinen, Liberia, Costa Rica und Senegal die Entwicklung von Mechanismen zur Umsetzung des Menschenrechts‐ regimes voran, darunter die Instrumente der fact-finding missions und nationaler Menschenrechtskommissionen sowie die Institutionalisierung von Monitoring-Mechanismen durch die UN-Vertragsorgane und regionale Instrumente ( Jensen 2016: 102 ff.). Der jamaikanische UN-Botschafter Eger‐ ton Richardson handelte 1964 die erste außenpolitische Strategie aus, die Menschenrechte integrierte (ebd.: 69 ff.). Diese Beispiele zeigen, dass die Institutionalisierung der Menschenrechte kein homogenes, westlich ausgerichtetes Projekt bildete, sondern das Er‐ gebnis zahlreicher und heterogener Perspektiven, Quellen und Beiträge war. Darüber hinaus war die Institutionalisierung von einer hohen Verflech‐ tung zwischen normativen, an Menschenrechten orientierten Zielen einer‐ seits mit politischen und strategischen Erwägungen andererseits geprägt. Zahlreiche der an den Debatten beteiligten Staaten wussten um ihre eige‐ nen Menschenrechtsverletzungen, von denen sie abzulenken versuchten, indem sie auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten fokussierten. Auch dadurch trugen sie durchaus zur Institutionalisierung der Menschen‐ rechte bei. Die Verflechtung idealistischer und strategischer Motive, die Befürwortung ebenso wie die Ablehnung der Institutionalisierung der Menschenrechte, das Motiv der Souveränität zur Abwehr von Kritik - all diese Elemente finden sich bei westlichen ebenso wie bei nicht-westlichen Staaten und Akteuren wieder. Die Institutionalisierung der Menschenrechte wurde an vielen Punkten kontrovers diskutiert, aber die Kontroversen lassen sich nicht entlang einer Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen verorten. Staatliche und nicht-staatliche Akteure von beiden Seiten der Di‐ chotomie haben zur Institutionalisierung der Menschenrechte entscheidend beigetragen. 2.2.3 Die Anwendung der Menschenrechte Die Kritik, dass Menschenrechte westlich seien, bezieht sich auch auf aktu‐ elle Formen und Anwendungen des Menschenrechtsregimes und dessen Anspruch auf Universalismus. Postkoloniale Perspektiven weisen auf eine Tendenz in öffentlichen Diskussionen hin, Menschenrechtsverletzungen im 59 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="60"?> Nicht-Westen überzubetonen. Dies führe wiederum zur Konstruktion eines nicht-westlichen ‚Anderen‘, das durch den Westen und dessen universelle Werte gerettet werden müsse (Kapur 2006, Chakrabarty 2008). Auf diese Weise konstruiere der Universalismus der Menschenrechte eine Dichotomie zwischen der westlichen Akzeptanz von Menschenrechten einerseits und der nicht-westlichen Verletzung von Menschenrechten andererseits (Mutua 2008). Diese Dichotomie vernachlässige nicht nur Menschenrechtsverlet‐ zungen in westlichen Staaten, sondern ignoriere auch den Beitrag westlicher Staaten zu Menschenrechtsverletzungen woanders (Chowdhry/ Nair 2005). So würden westliche Staaten beispielsweise den universellen Anspruch der Menschenrechte benutzen, um ihre eigentlich politisch oder wirtschaftlich motivierten Interventionen in anderen Staaten zu legitimieren (Nair 2005, Kapur 2006: 671 ff., Nesiah 2010). Diese Kritiken an Dichotomien und an einem Missbrauch des Begriffs der Menschenrechte für andere Zwecke enthalten zentrale Hinweise, auf die der Universalismus der Menschenrechte reflektieren können muss. An Grenzen stoßen die Kritiken dann, wenn sie ihrerseits der kritisierten Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen verhaftet bleiben, welche Menschen‐ rechte allein dem Westen zuschreibt und damit auch vorbehält. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen und Diskussionen im Menschenrechtsregime zeigt jedoch auf, dass diese Dichotomie nicht nur normativ problematisch ist, sondern auch empirisch nicht haltbar. Das Menschenrechtsregime mitsamt seinem Anspruch auf Universalis‐ mus wird sowohl von nicht-westlichen als auch von westlichen Menschen‐ rechtsaktivist/ -innen, Diplomat/ -innen, Staaten und der Zivilgesellschaft genutzt. Zwar verlaufen die Debatten in den UN-Menschenrechtsforen keineswegs konfliktfrei, aber sie sind durch vielfältige regionale, inhaltliche und strategische Allianzen und Differenzen gekennzeichnet - nicht ledig‐ lich von einer Dichotomie westlicher gegen nicht-westliche Staaten. Der Universalismus der Menschenrechte wird auch von Akteuren aus dem glo‐ balen Süden gezielt angestrebt und angewendet, um gesellschaftspolitische Missstände zu adressieren. Folgendes Beispiel aus dem Feld der Unternehmensverantwortung für Menschenrechte verdeutlicht die Pluralität der Anwendung des Men‐ schenrechtsregimes und seines Universalismus jenseits der Dichotomie nicht-westlicher Menschenrechtsverletzungen und westlicher Menschen‐ rechtsstärkung. 60 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="61"?> 10 Diese Bedingungen werden näher bestimmt in den Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARSIWA) sowie in anderen völkerrechtlichen und normativen Regelungen. Der Anspruch des Menschenrechtsregimes ist zwar universell, aber so‐ wohl seine Implementierung und Umsetzung als auch seine gesetzlichen, politischen und normativen Regeln weisen Lücken auf. Diese Lücken lassen sich unter anderem durch Entwicklungen der Globalisierung und der Global Governance erklären. Denn das Menschenrechtsregime ist auf Staaten als Völkerrechtssubjekte fokussiert. Staaten sollen Menschenrechte respektie‐ ren, schützen und gewährleisten. Staaten sind deshalb auch diejenigen Akteure, die Menschenrechte verletzen können. Unter bestimmten Bedin‐ gungen können Staaten auch für das Handeln Dritter, etwa privater Akteure verantwortlich sein; 10 aber auch hier bleibt die Verantwortung letztlich beim Staat (vgl. Kapitel 1 und 5). Diesem staatszentrierten Fokus des Menschenrechtsregimes stehen Ent‐ wicklungen in der Global Governance gegenüber, in denen nicht-staatliche Akteure neue Formen der Macht, der Autorität, der Handlungsfähigkeit und der Beteiligung an der (politischen) Regulierung von sich selbst und anderen gewinnen. Das betrifft insbesondere den Akteurstypus der Wirtschaftsun‐ ternehmen (Mende 2020). Unternehmenshandlungen haben weitreichende Auswirkungen auf die Verletzung und die potenzielle Stärkung von Menschenrechten. Vor diesem Hintergrund hat sich eine globale Debatte entwickelt, die darauf abzielt, auch Unternehmen als nicht-staatliche Akteure in die menschenrechtliche Verantwortung zu nehmen (Clapham 2006, Deva/ Bilchitz 2013, Noortmann et al. 2015, Mende 2020). Diese Debatte hat seit den 1990er Jahren interna‐ tional an Resonanz gewonnen. Sie konnte bedeutende Teilerfolge erringen, unter anderem mit der Gründung der UN-Plattform des Global Compact (Rasche/ Kell 2010), mit der Verabschiedung und Etablierung der rechtlich nicht verbindlichen, aber normativ bedeutsamen UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und mit der gestiegenen Bedeutung von Menschenrechtsverantwortung für die Unternehmens-Governance und die Corporate Social Responsibility (CSR) (Avery 2000, Scherer/ Palazzo 2011, Ramasastry 2015). Gleichzeitig ist das Feld der Unternehmensverantwor‐ tung für Menschenrechte von grundlegenden Kontroversen geprägt (Bern‐ storff 2011, Addo 2014, Mende 2017, Černič/ Carrillo Santarelli 2018). 61 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="62"?> 11 Auch dies ist ein berühmtes Beispiel, das die dichotome Sortierung in den menschen‐ rechtsstärkenden Westen auf der einen Seite und den menschenrechtsverletzenden Nicht-Westen auf der anderen Seite unterläuft. 12 Zu den unterschiedlichen Interessenlagen in den Verhandlungen vgl. Sauvant (2015: 20 ff.). Eine Kontroverse betrifft die Frage nach einem völkerrechtlich bindenden Vertrag, der die Verantwortung von Unternehmen und von Staaten in Bezug auf die Effekte unternehmerischen Handelns auf Menschenrechte reguliert. Forderungen und Initiativen für solch ein verbindliches Instrument gibt es seit den 1970er Jahren - und zwar wiederholt aus dem globalen Süden, dem sogenannten Nicht-Westen. 1972 wurde von UN-Untergeneralsekretär Philippe de Seynes die Grün‐ dung einer Group of Eminent Persons mit dem Ziel initiiert, den Einfluss von multinationalen Unternehmen auf globale Politiken und Wirtschaft zu eruieren und entsprechende neue Institutionen vorzuschlagen, die dar‐ auf reagieren können (Safari-Nejad 2008: 52). Diese Entwicklung ging auf die Involvierung der USA sowie US-amerikanischer Unternehmen in Chile zurück, die schließlich zum Sturz des demokratischen chilenischen Präsidenten Salvador Allende führte und den Beginn der hochgradig re‐ pressiven Militärdiktatur in Chile markierte. 11 Allende thematisierte diese Einmischung in einer Rede vor der UN-Generalversammlung und forderte eine Überprüfung der ökonomischen und politischen Macht multinationaler Unternehmen (Sauvant 2015: 13). Die Group of Eminent Persons stieß zahlreiche Prozesse an. Vor allem strebte sie mit Unterstützung der Gruppe der 77, eines Zusammenschlusses sogenannter Entwicklungs- und Schwellenländer, den Entwurf eines ver‐ bindlichen Völkerrechtsinstruments an, um die Aktivitäten multinationaler Unternehmen zu regulieren (Safari-Nejad 2008: 108). Die 1975 in diesem Zusammenhang gegründete Commission on Transnational Corporations und deren Sekretariat, das United Nations Centre on Transnational Corporations (UNCTC), bemühten sich fast 30 Jahre lang um die Weiterentwicklung und Durchsetzung dieses Entwurfs, des United Nations Code of Conduct on Transnational Corporations. 12 Dem gegenüber stand das Interesse von Industrieländern an freiwilligen, marktbasierten Regularien (Moran 2009: 92). Diese Entwicklungen fielen zusammen mit einem neuen Selbstbewusst‐ sein von Staaten des globalen Südens, die im Zuge ihrer neu gewonnenen Souveränität und Unabhängigkeit vom Kolonialismus eine neue Verhand‐ 62 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="63"?> lungsmacht in den UN, das Instrument der ‚ökonomischen Kooperation zwischen Entwicklungsländern‘ und schließlich auch das Konzept einer Neuen Internationalen Ökonomischen Ordnung (New International Econo‐ mic Order, NIEO) entwickelten (Sauvant 2015: 14 f.). Die Verhandlungen über den United Nations Code of Conduct on Trans‐ national Corporations scheiterten an den hohen Divergenzen zwischen verbindlicher Verantwortung einerseits und freier Marktregulierung ande‐ rerseits. Sie endeten 1992 ergebnislos. Im selben Jahr wurde das UNCTC im Zuge von Umstrukturierungen innerhalb der UN abgeschafft (Hamdani/ Ruf‐ fing 2015). Die ökonomische und politische Weltordnung hatte sich neu aufgestellt. Privatisierung, Deregulierung und wirtschaftliche Interessen statt der NIEO standen nun im Vordergrund und änderten auch die politi‐ schen Interessen - durchaus auf allen Seiten der Verhandlungskonstellation (Sauvant 2015: 56 f.). Ein weiterer Entwurf zur verbindlichen Regulierung von staatlicher und unternehmerischer Menschenrechtsverantwortung scheiterte 2003 mit den UN Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights (Weissbrodt/ Kruger 2003, Hillemanns 2003). Hier stand vor allem die Kritik im Vordergrund, dass unternehmerische Pflichten mit staatlichen Pflichten nahezu gleichge‐ stellt werden würden, was nicht nur eine unzumutbare Anforderung an Unternehmen darstellen, sondern auch ungewollte völkerrechtliche und demokratische Effekte nach sich ziehen würde (vgl. Miretski/ Bachmann 2012, Mende 2020). An diese grundlegende Kontroverse zwischen bindender und nicht-bin‐ dender Regulierung von Unternehmen mit Blick auf Menschenrechte knüpft eine aktuelle Initiative an, die vor allem auf Staaten des globalen Südens zurückgeht und gleichzeitig von einer breiten Unterstützung globaler zivil‐ gesellschaftlicher Akteure getragen wird: der sogenannte UN-Vertragspro‐ zess. Ecuador reichte im September 2013 gemeinsam mit Südafrika und unter‐ stützt von der Afrikanischen Gruppe, der Arabischen Gruppe, Pakistan, Sri Lanka, Kirgisistan, Kuba, Nicaragua, Bolivien, Venezuela und Peru eine Stellungnahme im UN-Menschenrechtsrat ein, welche ein völkerrecht‐ lich bindendes Instrument für die menschenrechtliche Verantwortung 63 2.2 Westliche und nicht-westliche Elemente im Menschenrechtsregime <?page no="64"?> 13 Das Statement on behalf of a Group of Countries at the 24th Session of the Human Rights Council steht online: www.business-humanrights.org/ sites/ default/ files/ media/ docum ents/ statement-unhrc-legally-binding.pdf. Es wurde von einer Erklärung von über 90 Nichtregierungsorganisationen begrüßt und unterstützt: www.stopcorporateimpunity .org/ ? p=3830. 14 UN Dok. A/ HRC/ RES/ 26/ 9 (2014). www.ap.ohchr.org/ documents/ dpage_e.aspx? si=A/ HRC/ RES/ 26/ 9. 15 Online: www.ohchr.org/ Documents/ HRBodies/ HRCouncil/ WGTransCorp/ Session6/ O EIGWG_Chair-Rapporteur_second_revised_draft_LBI_on_TNCs_and_OBEs_with_respec t_to_Human_Rights.pdf. transnationaler Unternehmen fordert. 13 Obwohl die USA, Großbritannien, Frankreich, Österreich, Deutschland und die Europäische Union strikt gegen diesen Vorschlag waren, stimmte der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2014 für die Resolution 26/ 9. 14 Damit wurde die intergouvernementale Arbeitsgruppe zur Frage bindender völkerrechtlicher menschenrechtlicher Verträge für transnationale Unternehmen (Open-Ended Intergovernmental Working Group on Transnational Corporations and other Business Enterprises with Respect to Human Rights, OEIWG) gegründet. Die Entscheidung im UN-Menschenrechtsrat fiel mit 20 Stimmen, 14 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen denkbar knapp aus, und gerade in ihren ersten Jahren sah sich die OEIWG zahlreichen Kritiken und Ablehnungen ausgesetzt (Mende 2017). Nichtsdestotrotz etablierte sie einen Aushandlungsprozess und stellte mehrere Vertragsentwürfe zur Diskussion. Dem Revised Draft vom Juli 2019 gelang es, eine höhere Diskussions- und Weiterentwicklungsbereit‐ schaft unter den beteiligten Akteuren und Stakeholders zu etablieren, die schließlich zum Second Revised Draft  15 vom August 2020 führte, der aktuell weiterhin diskutiert wird. Insbesondere während seiner Gründungsphase sowie in seinen Anfangs‐ jahren war die Diskussion des UN-Vertragsprozesses stark von einer di‐ chotomen Positionierung entweder für oder gegen den Vertrag geprägt. Der UN-Vertragsprozess galt als Gegenmodell zu den bis dahin etablierten UN-Leitprinzipien, die auf einem breiten Konsens beruhen, und somit auch als Angriff auf diesen Konsens (Tuttle 2015). Entsprechend aufgeladen und politisiert war in dieser Zeit die Haltung gegenüber dem UN-Vertragspro‐ zess, die zu einem dichotomen Freund-Feind-Denken zugespitzt wurde: Wer für den Erhalt des existierenden Konsensus war, musste gegen den UN-Vertragsprozess sein - und umgekehrt, so die dichotome Logik. Mitt‐ lerweile ist diese dichotome Logik überwunden und beide Instrumente werden zunehmend als komplementär betrachtet. Entscheidend ist für die in 64 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="65"?> diesem Kapitel interessierende Frage, dass sich kontinuierlich ausgewählte nicht-westliche Staaten für den Vertragsprozess einsetzen, während zahlrei‐ che westliche Staaten zögerlich, verhalten oder offen ablehnend reagieren. Auch hier kommen wiederum politische, strategische und ökonomische Motive auf allen Seiten ins Spiel - wie bei (nahezu) allen Menschenrecht‐ sinstrumenten. Nichtsdestotrotz wird hier die dichotome Zuschreibung von Menschenrechten ausschließlich zum Westen klar unterlaufen. Selbst wenn den nicht-westlichen Staaten hier ein lediglich strategischer Bezug auf Menschenrechte unterstellt wird, so handelt es sich dennoch um einen normativ und politisch folgenschweren Bezug, der Menschenrechte als normativen Bezugsrahmen stärken kann (Risse et al. 2013). Ein weiteres Beispiel für die Pluralisierung und Mitgestaltung der An‐ wendung des Menschenrechtsregimes durch nicht-westliche Akteure findet sich in der Entwicklung indigener Menschenrechte, auf die in Kapitel 4 näher eingegangen wird. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass nach jahrzehntelangen Verhandlungen durch indigene Akteure in den UN eine Struktur indigener Menschenrechte geschaffen und in das universelle Menschenrechtsregime integriert wurde. Diese Struktur wird von indigenen Gruppen weltweit in Anspruch genommen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aktuelle Menschenrechts‐ bewegungen auch aus dem globalen Süden den Universalismus der Men‐ schenrechte als Referenzrahmen gebrauchen, um gegen Menschenrechts‐ verletzungen vorzugehen. Das bedeutet auch, Missstände überhaupt als Menschenrechtsverletzungen zu rahmen. Gleichzeitig formen und beein‐ flussen aktuelle Menschenrechtsbewegungen diesen Rahmen fortlaufend und tragen so zur Weiterentwicklung eines pluralen Menschenrechtsregi‐ mes bei. ➤ Das Element des pluralen Universalismus Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass postkoloniale Kritiken am west‐ lichen Universalismus von Menschenrechten zwei Effekte zeitigen können. Zum einen können sie zu einem eingeschränkten Verständnis von Men‐ schenrechten führen, das diese tatsächlich ausschließlich ‚dem Westen‘ vorbehalten will. Zum anderen trägt die Kritik an einem westlichen Charak‐ ter von Menschenrechten auch dazu bei, bestehende Einschränkungen im Universalismus der Menschenrechte erkennen, benennen und transformie‐ 65 ➤ Das Element des pluralen Universalismus <?page no="66"?> ren zu können. Die Diskussion sowohl westlicher als auch nicht-westlicher Elemente im Menschenrechtsregime und die Hinterfragung dieser Dichoto‐ mie fügen dem Universalismus der Menschenrechte ein zentrales Element hinzu, das zu einem vermittelten Universalismus beiträgt: das Element des pluralen Universalismus. Dieser umfasst neben dem Pluralismus auch die im Folgenden skizzierten Dimensionen der Dynamik, der Kontextsensibilität und der Unabgeschlossenheit. Alle Dimensionen des pluralen Universalis‐ mus lassen sich sowohl postkolonialen Kritiken als auch deren Grenzen entnehmen. Dynamik: Es gibt postkoloniale Perspektiven, die das Menschenrechts‐ regime als ein statisches, stabiles System betrachten, das für eine gewisse Zeit seine Vorteile gehabt haben mag, für die Bewältigung der heutigen globalen Herausforderungen aber nicht mehr nützlich sei. Sie schlagen vor, „den Moment der Menschenrechte als das zu sehen, was er war - ein Status-Quo-Projekt für eine beständige Zeit“ (Kennedy 2012: 34). Demgegenüber finden sich auch postkoloniale Perspektiven, die - obwohl sie das Menschenrechtsregime in seiner aktuellen Form kritisieren - dessen dynamischen Charakter anerkennen: „Menschenrechte sind ein umstritte‐ nes Terrain und nicht einfach linear zu lesen“ (Kapur 2006: 670). Die Interpretationslinie eines dynamischen Universalismus der Men‐ schenrechte hilft dabei, unterschiedliche und sich neu entwickelnde An‐ forderungen an das Menschenrechtsregime zu artikulieren, die auf die Entwicklung neuer Bedürfnisse, Identitäten, Subjekte, Verstöße oder Men‐ schenrechtsverletzungen zurückgehen, wie sie unter anderem durch post‐ koloniale Perspektiven offengelegt werden. Diese neuen Anforderungen müssen sich zwar an bestehende Menschenrechtsinstitutionen, an etablierte Sprachen und Verfahren anpassen, um gehört zu werden. Gleichzeitig können sie diese aber auch erheblich herausfordern und verändern. Somit tragen sie zu einer Pluralisierung des Menschenrechtsregimes und seines Universalismus bei. Kontextsensibilität: Eine zentrale postkoloniale Kritik besagt, dass Men‐ schenrechte westlich seien, weil sie gar nicht universell sein könnten. Vielmehr seien alle Werte immer kontextgebunden. „Kein Konzept als solches ist universell. Jedes Konzept ist in erster Linie dort gültig, wo es konzipiert wurde“ (Panikkar 1982: 84). Die Annahme der Unmöglichkeit von Universalismus wird in Kapitel 3 mit dem Kulturrelativismus diskutiert. An dieser Stelle geht es um einen anderen Punkt: Panikkar setzt die Herkunft einer Idee mit ihrer Anwendung, d. i. ihrer möglichen Gültigkeit gleich. 66 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="67"?> Allerdings können Ideen und Normen auch in einem Kontext entwickelt und dann in andere Kontexte übersetzt werden. Ein Grund dafür ist, dass Ideen und Normen nicht statisch oder homogen sind. Gleichsam sind die Gesellschaften, aus denen sie hervorgehen oder in die sie integriert werden, weder statisch noch homogen. Vor diesem Hintergrund ist die Umsetzung und Anwendung von Menschenrechten stets auch Gegenstand von Über‐ setzungs-, Aneignungs-, Interpretations- und Integrationsprozessen - und den Auseinandersetzungen darüber. Sowohl ethnologische Ansätze (Merry 2006b) als auch die politikwissen‐ schaftliche Normenforschung in den Internationalen Beziehungen (Acharya 2004), die Internationale Politische Theorie und die Internationale Politische Soziologie (Best/ Walters 2013, Doerr 2018, Berger/ Esguerra 2019) weisen auf den Bedeutungswandel hin, der mit Übersetzungsprozessen einhergeht. Zwischen der Übernahme von Ideen und ihrer Hybridisierung mit jeweils eigenen Kontexten gibt es eine Vielfalt an Übersetzungsvarianten. „Der Universalismus der Menschenrechte (oder anderer) wird so zu einer Frage des Kontextes, die eine Situations- und Handlungsanalyse benötigt. Kontex‐ tualisierung ist ohne Relativierung möglich“ (Wilson 1997: 12, Herv.J.M.). Die Dimension der Kontextsensibilität im pluralen Universalismus zielt darauf ab, lokale Gegebenheiten und Sichtweisen in menschenrechtliche Überlegungen und Entscheidungsfindungen einzubeziehen. Denn lokale Werte können auch dann mit Menschenrechten kompatibel sein, wenn sie auf anderen Prämissen beruhen (Eriksen 2001: 135, s.a. Sander 2018). Kon‐ textsensibilität kann so zur Stärkung von Menschenrechten beitragen. Dem‐ gegenüber würde eine starre Über-Setzung, die blind für lokale Bedingungen beziehungsweise spezifische Kontexte ist, Dichotomien reproduzieren und Menschenrechte so auch unterminieren - entweder direkt oder durch unbedachte und unintendierte Konsequenzen, etwa indem der universelle Anspruch der Menschenrechte durch seine Dichotomie Widerstand und Reaktanz auslöst. Unabgeschlossenheit: An ihre Grenzen geraten Pluralismus, Kontext‐ sensibilität und Dynamik dann, wenn gesellschaftliche Kontexte als unver‐ änderbar oder zu konservierend gefasst werden oder wenn Veränderungen den Anspruch der Menschenrechte aushöhlen - also immer dann, wenn Gegebenheiten oder Ideen in einem unauflösbaren Widerspruch zu uni‐ versellen Menschenrechten stehen oder wenn solch ein Widerspruch in homogenen Zuschreibungen behauptet wird. So wird im folgenden Beispiel 67 ➤ Das Element des pluralen Universalismus <?page no="68"?> ein homogenes und abgeschlossenes Bild von Afrika einer homogenen Idee westlicher Menschenrechte gegenübergestellt: „Wir gehen von Harmonie aus, nicht von Interessendivergenz, Wettbewerb und Konflikt. Wir neigen eher dazu, an unsere Verpflichtungen gegenüber den anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft zu denken als an unsere Forderungen gegen sie. Die westliche Idee der Menschenrechte betont Rechte, die für den Kontext afrikanischer Realitäten nicht interessant sind“ (Ake 1987: 5). Die Herausforderung besteht in der Spannung, Menschenrechte plural, dynamisch und kontextsensibel zu gestalten und gleichzeitig die ihnen zugrundeliegenden Ideen zu bewahren. Eine Grundlage zum Austarieren dieser Spannung bildet ein pluraler Universalismus, der nicht nur die Kontexte anderer, sondern auch seinen eigenen Kontext reflektieren kann. Der plurale Universalismus geht dabei davon aus, dass der eigene Kontext weder so einzigartig noch so homogen ist, dass er nicht übersetzt, übertragen, erweitert oder pluralisiert werden kann. Vielmehr ist der universelle Anspruch mit pluralen Kontexten verein‐ bar. Das bedeutet auch, dass der plurale Universalismus unabgeschlossen ist. Hall, der entscheidende Anstöße zu einer reflexiven postkolonialen Perspektive beigetragen hat, formuliert diesen Anspruch auf die Unabge‐ schlossenheit des Universalismus, „[w]eil er nicht mit einem bestimmten und unveränderten Inhalt gefüllt werden kann wie in der liberalen Konzeption. Er wird immer dann neu definiert werden, wenn eine partikulare Identität, die ihre jeweils anderen und ihre eigene radikale Unvollkommenheit zur Kenntnis nimmt, den Horizont erweitert, innerhalb dessen die Forderungen aller ausgehandelt werden können und müssen. […] Wie können also das Partikulare und das Universelle, der Anspruch auf Differenz und auf Gleichheit anerkannt werden? […] Es muss versucht werden, eine Vielfalt neuer öffentlicher Sphären zu konstruieren, in denen alle Partikularitäten transformiert werden, dadurch dass sie innerhalb eines breiteren Horizonts ausgehandelt werden müssen. Es ist entscheidend, dass dieser Raum heterogen und pluralistisch bleibt“ (Hall 2004: 219 f.). Menschenrechte können solch einen breiten Horizont, solch eine öffentliche Sphäre der Aushandlung bieten. Ihr pluraler, dynamischer, kontextsensibler und unabgeschlossener Universalismus bildet ein entscheidendes Element dafür. Weitere Elemente werden in den folgenden Kapiteln erörtert, die sich 68 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="69"?> immer wieder auch um die Frage nach dem Verhältnis von Universalismus und Partikularismus drehen, um die Spannung zwischen der Offenheit und dem normativen Kern der universellen Menschenrechte (vgl. insbesondere Kapitel 5). Werden diese Elemente des pluralen Universalismus zusammen betrach‐ tet, wird deutlich, dass zwischen verschiedenen Konzepten des Universalis‐ mus unterschieden werden kann. So lässt sich auch begründen, dass der postkoloniale Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, häufig einen spezifischen Universalismus adressiert, der weder plural noch dynamisch, kontextsensibel oder unabgeschlossen ist: „Damit ein Konzept universell gültig wird, muss es mindestens zwei Bedingungen erfüllen. Es muss einerseits alle anderen widersprüchlichen Konzepte beseitigen. […] Andererseits muss es den universellen Bezugspunkt für alle Probleme in Bezug auf die Menschenwürde bilden. […] Anders ausgedrückt, die Kultur, aus der das Konzept der Menschenrechte hervorgegangen ist, wird auch dazu aufgerufen, eine universelle Kultur zu werden. Dies kann durchaus eine der Ursachen für ein gewisses Unbehagen sein, das man bei nicht-westlichen Denkern spürt, die sich mit der Frage der Menschenrechte befassen. Sie fürchten um die Identität ihrer eigenen Kulturen“ (Panikkar 1982: 84). Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte lässt sich klar unter‐ scheiden von dieser Art der Homogenisierung und Universalisierung. Er schließt Differenz gerade nicht aus, sondern strebt einen pluralen Univer‐ salismus an, „in dem man ohne Angst verschieden sein kann“ (Adorno 1951: 116, s.a. Derrida 1992, Müller/ Mende 2016, vgl. Kapitel 4). Die Frage, ob Menschenrechte westlich seien, kann zu solch einem plu‐ ralen Universalismus beitragen, wenn (und nur wenn) sie vor homogenen Lesarten der Menschenrechte und gleichzeitig vor der Annahme warnt, dass eine Kultur, ein Wertesystem, ein Staat oder eine Religion homogen und statisch ist, unabhängig von deren Zuschreibung zum ‚Westen‘ oder ‚Nicht-Westen‘. ➤ Das Element des machtsensiblen Universalismus Der plurale Universalismus der Menschenrechte ist angewiesen auf Parti‐ zipation, Dialog und Deliberation über Formen und Inhalte der Menschen‐ rechte. Das erfordert auch die Möglichkeit eines fairen Zugangs zu den Foren 69 ➤ Das Element des machtsensiblen Universalismus <?page no="70"?> der Aushandlung - insbesondere für diejenigen, deren Menschenrechte verletzt werden. Postkoloniale Theorien machen jedoch darauf aufmerksam, dass „manchmal genau diese Bedingungen für den Dialog nicht gegeben sind, weil es unausgesprochene Bedingungen gibt“ (Panikkar 1982: 75). Aus diesem Grund muss der vermittelte Universalismus der Menschenrechte auch auf Ungleichheiten und Machtverhältnisse im Menschenrechtsregime reflektieren können. Dieses Bewusstsein kann solchen postkolonialen Kri‐ tiken am westlichen Universalismus der Menschenrechte entnommen wer‐ den, die darauf abzielen, globale Ungleichheiten zwischen westlichen und nicht-westlichen Staaten und deren Reproduktion durch das Menschen‐ rechtsregime offenzulegen. Die Frage, ob Menschenrechte westlich seien, verdeutlicht diese (Macht-) Ungleichheiten in drei Hinsichten: Erstens thematisiert sie Ungleichheiten, die direkt auf den Kolonialis‐ mus zurückgehen (Spivak 1994, Barreto 2013). Die koloniale Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen teilte die Welt in einen vermeintlich zi‐ vilisierten Teil, der „als entwickelt, industrialisiert, städtisch, kapitalistisch, säkularisiert und modern beschrieben wird“ - und in einen Teil, der all dies nicht ist (Hall 1994a: 138). Diese Einteilung legitimierte die Herrschaft, Ausbeutung, Unterdrückung und Ermordung des Nicht-Westens durch den Westen. Globale Ungleichheiten in Bezug auf politische und wirtschaftliche Macht, materielle und ideelle Ressourcen sowie im Zugang zu internatio‐ nalen Foren sind bis heute (nicht ausschließlich, aber auch) durch dieses koloniale Erbe gekennzeichnet (Conrad/ Randeria 2002, Stephen 2018). Zweitens eröffnet die Frage, ob Menschenrechte westlich seien, den Blick auf die Herausforderungen, mit denen nicht-westliche Gesellschaften bei der Umsetzung von Menschenrechten konfrontiert sein können: „Im Gegensatz zu westlichen Ländern haben sie nicht den Luxus, die Prozesse der Staatenbildung, des Wirtschaftswachstums und der Demokratie über Jahrhun‐ derte hinweg Stück für Stück einzuführen. Stattdessen müssen diese drei Prozesse gleichzeitig durchgeführt werden, obwohl sie sich nicht unbedingt gegenseitig verstärken“ (Karan 2005: 52). Diese geographischen, gesellschaftlichen und politischen Spezifika gilt es in einem vermittelten Universalismus zu reflektieren, der Menschenrechte übersetzen und anpassen kann (Acharya 2004). Drittens befasst sich die Frage, ob Menschenrechte westlich seien, mit der Art und Weise, wie das Menschenrechtsregime und dessen universeller Anspruch selbst globale Ungleichheiten verschärfen können. Postkoloniale 70 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="71"?> 16 Um nur einige Beispiele zu nennen: Näsström (2010) wägt das Prinzip der Betroffenheit gegen das Konzept diskursiver Repräsentation ab. Adami (2017) schlägt das Konzept des intersektionalen Dialogs vor, um Ungleichheiten in transkulturellen Foren offen‐ zulegen. Hoover (2013) diskutiert die Möglichkeiten der Pluralität durch Kontestation. Deitelhoff (2009b) findet Inseln der Überzeugung, in denen Aushandlungsprozesse in internationalen Foren Raum für Deliberation statt ausschließlich machtbasierte Strategien bieten können. Perspektiven thematisieren „den Beitrag der Menschenrechte dazu, die Welt zu einem weniger stabilen, weniger friedlichen, gespaltenen, verschmutzten und gewalttätigen Ort zu machen“ (Kapur 2006: 683). Sie legen die Frage offen, wer überhaupt wem Menschenrechte gewähren kann und wer in Menschenrechtsinstitutionen wie positioniert ist (Mutua 2008). Sie disku‐ tieren, wann der Bezug auf universelle Menschenrechte verwendet wird, um repressive Politiken, geopolitische Strategien und Interventionen zu rechtfertigen (Ignatieff/ Gutmann 2003). In diesen drei Hinsichten kann die postkoloniale Frage, ob Menschen‐ rechte westlich seien, zu einem Bewusstsein für Macht und Ungleichheiten im Universalismus der Menschenrechte beitragen. Sie kann globale Macht- und Ungleichheitsverhältnisse entlang der im Kolonialismus etablierten und tradierten Linien offenlegen. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, diese Linien und die von ihr produzierten Dichotomien ihrerseits zu hypostasie‐ ren. Das äußert sich insbesondere in zwei Hinsichten. Erstens können andere (Macht-)Ungleichheiten angesichts der allgegen‐ wärtigen Ungleichheit zwischen Westen und Nicht-Westen unsichtbar wer‐ den, obwohl sie mindestens ebenso wirkmächtig sind. Dazu gehören etwa Ungleichheiten entlang der Kategorien von Geschlecht, Klasse, sexueller Orientierung oder Behinderung. Solche Ungleichheiten werden in interna‐ tionalen Foren der Deliberation und Aushandlung von Menschenrechten auch anhand anderer, demokratischer Prinzipien diskutiert. Hier geraten Überlegungen in den Blick, wie Fairness, Demokratie, Gleichheit und Ge‐ rechtigkeit auf globaler Ebene hergestellt werden können. 16 Damit kann es gelingen, die globalen Ungleichheiten zwischen Westen und Nicht-Westen weder zu hypostasieren noch auszublenden. Zweitens impliziert die Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen eine homogenisierende Lesart beider Seiten, die nicht nur die Heterogenität, sondern auch die (Macht-)Ungleichheiten innerhalb ‚des Westens‘ und ‚des Nicht-Westens‘ aus dem Blickfeld geraten lässt und diese damit reproduziert. 71 ➤ Das Element des machtsensiblen Universalismus <?page no="72"?> Insgesamt kann die Frage, ob Menschenrechte westlich sind, zu einer Offenlegung und Reflexion auf Macht- und Ungleichheitsverhältnisse bei‐ tragen, auf die der Universalismus der Menschenrechte treffen oder die er sogar selbst reproduzieren kann - allerdings nur dann, wenn sie auf ihre eigenen Grenzen in der möglichen Reproduktion dieser Ungleichheiten reflektiert. Ein machtsensibler Universalismus wird sich nicht mit der Kritik an den Ungleichheiten zwischen Westen und Nicht-Westen begnügen, sondern diesen überall nachgehen. ➤ Das Element des partikular vermittelten Universalismus Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Kritik, dass Menschenrechte westlich sind, verweisen auf die Schwierigkeit des Umgangs mit der Dicho‐ tomie von Westen und Nicht-Westen. Einerseits kann die Thematisierung dieser Dichotomie Grenzen in bestimmten Konzepten von Universalismus offenlegen und thematisieren. Andererseits kann die Benutzung dieser Dichotomie diese Grenzen auch unter umgekehrten (oder sogar unter denselben) Vorzeichen reproduzieren und Menschenrechte schwächen. Die Dichotomie von Westen und Nicht-Westen kann dazu führen, alle möglichen Unterschiede und Differenzen ausschließlich dieser Dichotomie zuzuordnen. Das ist etwa dann der Fall, wenn unterschiedslos alle Bezüge auf Menschenrechte als „neo-orientalistische Harems-Lehre“ (Morsy 1991: 21), als „westliches Zivilisationsprojekt“ in der Tradition des Kolonialismus (Abu-Lughod 2002: 19), mithin als (neo-)kolonial oder (neo-)imperialistisch zurückgewiesen werden. Es ist auch dann der Fall, wenn westliche Praxen unterschiedslos mit Menschenrechten gleichsetzt werden. So werden Tony Blairs Rede vom Wertewandel (Douzinas 2007: 184), das dänische Familienwiedervereini‐ gungsgesetz (Kapur 2006: 676) oder die australische Gesetzgebung zu kolo‐ nialer Differenz (ebd.: 678) aus postkolonialer Perspektive zwar begründet kritisiert und deren rassistische Implikationen offengelegt; sie werden aber gleichzeitig unbegründet als Beispiele für eine Kritik am Universalismus der Menschenrechte herangezogen. Das Ergebnis ist eine Tautologie, die eine jegliche westliche Praxis als Menschenrechtspraxis bezeichnet, um daraus zu schließen, dass Menschenrechtspraxen westlich seien. Demgegenüber lassen sich westliche Praxen nachzeichnen, die keinen Bezug zu Menschen‐ rechten aufweisen - nicht einmal dem eigenen Anspruch nach. 72 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="73"?> Die Dichotomie läuft auch Gefahr, Gemeinsamkeiten zwischen Westen und Nicht-Westen außer Acht zu lassen. Aktivist/ -innen, NGOs, Zivilge‐ sellschaft und Diplomat/ -innen aus allen Teilen der Welt beziehen sich auf die universellen Menschenrechte, um ihre Forderungen zu artikulie‐ ren (Pinheiro 2014: 94). So hatten im Zuge der Entwicklung moderner Menschenrechte gerade kolonialisierte und nicht-westliche Akteure auf den Universalismus von Menschenrechten beharrt, um den Machtanspruch der damaligen Kolonialstaaten zurückzudrängen, und damit entscheidend zur Universalisierung und Wirkmächtigkeit des internationalen Menschen‐ rechtsregimes beigetragen (Reus-Smit 2001: 529 ff., Lauren 2011: 200 ff.). Sowohl westliche als auch nicht-westliche Perspektiven artikulieren die These, dass Menschenrechte nicht nur westlich sind. (Ebenso lässt sich der Vorwurf, dass Menschenrechte westlich seien, auf allen Seiten finden.) Schließlich läuft die Dichotomie auch Gefahr, Menschen, die dem Nicht-Westen zugeordnet werden, Menschenrechte vorzuenthalten und damit (wenngleich unintendiert) Regierungen zu unterstützen, die dasselbe Argument benutzen, um ihr repressives Regime zu legitimieren: „Der Glaube, dass die Idee der Menschenrechte nur aus dem globalen Norden stamme, lässt Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten über Menschen‐ rechte innerhalb von Ländern und Regionen außer Acht, und er stellt die Legiti‐ mität und Authentizität von Menschenrechtsaktivist/ -innen im globalen Süden in Frage. Diese akademische historische Kritik reproduziert unbeabsichtigt den Diskurs vieler repressiver Regierungen im globalen Süden, die versuchen, lokale Menschenrechtsaktivist/ -innen zu diskreditieren, indem sie sie als ‚ausländische Agenten‘ darstellen, die unangemessene Ideen aus dem Ausland aufgreifen“ (Sikkink 2017: 30). Postkoloniale Perspektiven können die Grenzen und Problematiken repro‐ duzieren, die mit der Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen einhergehen. Sie können diese Grenzen allerdings auch reflektieren und die Dichotomie transformieren. An dieser Stelle gerät auch die Parallele der Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen mit der (ebenso verkürzten) Dichotomie zwischen (vermeintlich westlichem) Universalismus und (ver‐ meintlich nicht-westlichem) Partikularismus in den Blick. Ein vermittelter Universalismus erlaubt es, diese Dichotomien zu hinter‐ fragen, indem er stattdessen die gegenseitige Konstitution von Universalis‐ mus und Partikularismus, von Westen und Nicht-Westen in den Blick rückt. Im Kolonialismus wurde der Westen als modern und zivilisiert definiert, 73 ➤ Das Element des partikular vermittelten Universalismus <?page no="74"?> 17 Das schließt direkt an die Denktraditionen Hegels (1986 [1807]), der Kritischen Theorie (Adorno 1966, 2007) und des Dekonstruktivismus (Derrida 1976, 1992) an. indem der Nicht-Westen als barbarisch und wild charakterisiert wurde (zentral Hall 1994a, s.a. Said 1978, Spivak 1988, Bhabha 1994, Bhambra 2014). Wenn diese gegenseitige Konstitution anerkannt wird, ist es möglich, das ‚Eigene‘ im ‚Anderen‘ zu erkennen - und umgekehrt (Mende 2016a, Müller/ Mende 2016). 17 Auf dieser Grundlage stehen sich nicht länger die Konzepte eines globalen, abstrakten Universalismus und eines lokalen Partikularismus gegenüber. Vielmehr kann der vermittelte Universalismus auf seinen eigenen Partikularismus, seine Gewordenheit und seinen Kontext reflektieren sowie sich in Prozessen der Übersetzung und der Vermittlung mit anderen Partikularismen verbinden, ohne sich in diese aufzulösen. Denn auch diese anderen Partikularismen können auf das Andere im Eigenen, auf ihre Gemeinsamkeiten mit dem Universalismus der Menschenrechte reflektieren. 2.3 Konklusion Insgesamt kann der Vorwurf, dass Menschenrechte und ihr Anspruch auf Universalismus westlich sind, genau die Dichotomien und Begrenzungen hervorrufen, die er kritisieren will. Im Gegensatz dazu kann die Frage, ob Menschenrechte westlich sind, zu einem vermittelten Universalismus der Menschenrechte beitragen - wenn (und nur wenn) sie dazu in der Lage ist, zwischen verschiedenen Formen des Universalismus zu unterscheiden, und wenn sie Partikularismus und Universalismus nicht dichotom gegen‐ überstellt, sondern nachzeichnet, inwiefern beide ineinander enthalten sind. Dann kann die Frage, ob Menschenrechte westlich sind, in einen Dialog mit der These treten, dass Menschenrechte nicht nur westlich sind. 74 2 Der Vorwurf „Menschenrechte sind westlich“ <?page no="75"?> 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“. Die kulturrelativistische Kritik am abstrakten Universalismus von Menschenrechten Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen: ■ Entstehung, Formen und Argumente des Kulturrelativismus ■ Was ist mit othering gemeint? ■ Die kulturrelativistische Kritik an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ■ Das Beispiel der weiblichen Genitalexzision ■ Die Bedeutung von kollektiver Identität ■ Die Frage des freien Willens ■ Kulturrelativistisch vermittelter Universalismus Der Universalismus der Menschenrechte - und damit zunächst auch das Menschenrechtsregime selbst - wurde seit den Gründungsdiskussionen in den 1940er Jahren in Frage stellt. Die Variante der kulturrelativistischen Kritik geht davon aus, dass es keinen Universalismus geben kann, da Werte, Moral, Ideen und Normen stets kulturgebunden seien. Das gilt entsprechend auch für die Idee der Menschenwürde. Ein universalistisches Konzept von Menschenwürde kann es aus dieser Perspektive folglich nicht geben. Wenn sich also das Menschenrechtsregime als universalistisch ausgibt, dann muss es sich dabei zwangsläufig um einen abstrakten, kontextlosen Universalis‐ mus handeln - oder aber um einen Universalismus, der in Wahrheit nicht universell ist, sondern seinerseits kulturgebunden. Dann würde es sich um den Anspruch einer bestimmten Kultur handeln, ihre eigenen Ideen und Werte allen anderen Kulturen aufzuoktroyieren, so die kulturrelativistische Annahme. Hier zeigt sich eine enge Überschneidung mit der postkolonialen Kritik, dass Menschenrechte westlich seien. Tatsächlich gehen kulturrelativistische Annahmen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen auch in postkoloniale Perspektiven ein (etwa in Panikkar 1982: 84). In diesem Kapitel geht es darum, die Grundlagen, die Entwicklung und die zentralen Perspektiven der <?page no="76"?> kulturrelativistischen Argumentation in ihrer Anfangsphase und in ihren späteren Varianten zu verstehen. Zur Veranschaulichung werden die Dis‐ kussionen um die AEMR und um die Praxis der weiblichen Genitalexzision herangezogen (vgl. Mende 2011). Vor diesem Hintergrund geraten nicht nur die Grenzen des Kulturrelativismus in den Blick, sondern auch dessen pro‐ duktiver Beitrag zu einem vermittelten Universalismus der Menschenrechte. 3.1 Der frühe Kulturrelativismus Die Entwicklung kulturrelativistischer Argumentationen nimmt ihren Aus‐ gangspunkt im ausgehenden neunzehnten und in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, zunächst vorrangig im Bereich der sich damit neu ausrichtenden Disziplin der Ethnologie sowie der Anthropologie. Der frühe Kulturrelativismus wandte sich vorrangig gegen den kulturellen Evolutionismus seiner Zeit. Die wichtigsten Vertreter des kulturellen Evolu‐ tionismus, Edward Tylor, Herbert Spencer und Lewis Henry Morgan, gingen von der Existenz allgemeingültiger menschlicher Kulturmuster sowie von der psychischen Einheit aller Menschen aus. „Zu einer Zeit, als viele Wis‐ senschaftler begannen, die Menschheit in Rassen oder gar Subspezies einzu‐ teilen, betonten die evolutionistischen Altmeister der Ethnologie die Einheit der Menschheit“ (Antweiler 2007: 78). Diese frühe Spielart des Universalis‐ mus war allerdings ihrerseits mit Grenzen behaftet. Denn auch der kulturelle Evolutionismus teilte die Entwicklung der Menschheit in hierarchisierte Stufen ein: ‚Höhere Entwicklung‘ und die Idee der ‚Zivilisation‘ wurden den sogenannten westlichen Gesellschaften zugeordnet. Demgegenüber galten die sogenannten ‚primitiven‘ oder ‚wilden‘ Gesellschaften nicht nur als weniger entwickelt, sondern auch als weniger intelligent (vgl. Hatch 1983: 26, Renteln 1988: 57). An dieser Stelle zeigt sich auch ein zentraler Grund für die Überschnei‐ dung der kulturrelativistischen mit der späteren postkolonialen Kritik am Universalismus der Menschenrechte: Die Annahme hierarchischer Entwick‐ lungsstufen der Menschheit ist eng mit der Idee und der Rechtfertigung des Kolonialismus verbunden (Hall 1994a). Der frühe Kulturrelativismus wendet sich somit gegen die unilineare Annahme, dass in der Entwicklung von Gesellschaften ein stetiger Aufstieg existiere, der in der westlichen Zivilisation als Höhepunkt der Entwicklung kulminiere. 76 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="77"?> Boas, der als Begründer der US-amerikanischen Anthropologie bezeich‐ net werden kann, sowie seine Schüler/ -innen Benedict, Herskovits und Mead entwickelten die Grundannahmen der Argumentation, die unter dem Begriff Kulturrelativismus die Sozialwissenschaften nachhaltig prägen sollte. 1887 formuliert Boas die These, dass Konzepte von Zivilisation und Wahrheit stets auch relativ seien (Boas 1887: 588). Boas kritisiert den Bias der westlichen Überlegenheits-Perspektive fundamental und betont, dass es durchaus andere als westlich geprägte Maßstäbe zur Bewertung von Fortschritt gebe (Boas 1911). Benedict zielt mit ihrem Konzept der „gleichwertigen Lebensmuster“ (Benedict 1934: 278) auf Toleranz ab. Gleichzeitig arbeitet sie heraus, dass keine Kultur gegeben, unwandelbar oder gar unfehlbar sei. Ein Jahr nach dem Beginn des Nationalsozialismus in Deutschland führt Benedict aus, dass Lebensweisen, Institutionen, Ideen und Normen weder biologisch noch durch Natur begründbar seien (ebd.). Damit entzieht sie jeder Form von völkischer Vererbungstheorie, Rassenlehre und Rassismus die Legitimation und betont demgegenüber die soziale und kulturelle Konstituierung des Menschen. Herskovits führt aus, dass jede kulturelle Handlung nur vor dem jewei‐ ligen Hintergrund und anhand des kulturellen Normensystems, dem sie entstammt, zu bewerten sei. Er unterstreicht die „Würde, die in jedem Brauchtum enthalten ist, und die Notwendigkeit von Toleranz der Konven‐ tionen, auch, wenn sie von den eigenen abweichen mögen“ (Herskovits 1950: 76). Den Ansätzen des frühen Kulturrelativismus ist gemeinsam, dass sie sich gegen eine eurozentrische Bewertung nicht-westlich geprägter Gesellschaf‐ ten, gegen die Annahme westlicher Überlegenheit und gegen einen oftmals damit einhergehenden oder davon abgeleiteten Rassismus positionieren. Toleranz und Würde bilden die normative Grundlage jener Theorien. 3.2 Der frühe Kulturrelativismus und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Die Orientierung an Toleranz, Würde und Gleichwertigkeit verdeutlicht den zentralen Beitrag des frühen Kulturrelativismus zu einem Denken, das auch der Idee der Menschenrechte zugrunde liegt. Dennoch stehen sich der Kulturrelativismus und der Anspruch universeller Menschenrechte in 77 3.2 Der frühe Kulturrelativismus und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte <?page no="78"?> bestimmten Hinsichten auch diametral (wenngleich nicht unversöhnlich) gegenüber. Das zeigt sich exemplarisch an den Diskussionen um das zentrale Gründungsdokument des modernen Menschenrechtsregimes, der Allgemei‐ nen Erklärung der Menschenrechte. Für die Erarbeitung des Dokuments war ein vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) ernannter, unter anderem nach geographischer Verteilung zusammengesetzter Expert/ -innen-Kreis unter dem Vorsitz von Eleanor Roosevelt verantwortlich (siehe Kapitel 2). Die 1947 beginnenden Diskussionen waren von einer umfassenden Bandbreite philosophischer und gesellschaftlicher Fragen geprägt und suchten nach universalisierbaren Antworten auf diese Fragen, in denen keine regionale oder singuläre Perspektive bevorzugt werden sollte (Lauren 2011: 214). Der hohe Grad nicht nur an politischer Aufmerksamkeit, sondern auch an politi‐ scher Kontroversität eines solchen Projektes führte zu einer umfangreichen Beteiligung von zahlreichen (zivil-)gesellschaftlichen, öffentlichen und pri‐ vaten Akteuren in Form von Stellungnahmen und Einreichungen. Auch das Executive Board der American Anthropological Association (AAA) verfasste auf Wunsch der UN eine Stellungnahme zum Entwurf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Stellungnahme der AAA, an der Herskovits maßgeblich beteiligt war (vgl. Goodale 2006b: 486), hebt hervor, dass es keine universellen Menschen‐ rechte geben könne. Vielmehr würden sich hinter dem Anspruch auf Uni‐ versalismus lediglich die Werte der westlichen Gesellschaften verstecken. „Wie sollte die vorgeschlagene Erklärung auf alle Menschen anwendbar sein, statt bloß eine Rechtserklärung zu sein, die auf Werten aufbaut, welche nur in den Ländern Westeuropas und in Amerika verbreitet sind? “ (AAA 1947: 539). Schließlich, so die Begründung, seien alle menschlichen Regungen, handele es sich um Verhalten, Hoffnungen, Gedanken oder Ideen, geformt von den Gewohnheiten der Gruppe, der man angehöre (ebd.: 539 f.). Es geht dem Dokument um die Gleichwertigkeit aller Kulturen statt einer Diskriminierung und Herabsetzung anderer Formen des Zusammenlebens. Somit könne es keine universellen, mithin statischen und invarianten Kriterien geben, mit denen sich andere Kulturen als gut oder als schlecht beurteilen ließen (ebd.: 542). Aus dieser Perspektive kann es auch keinen universellen Maßstab für Menschenrechte geben. Damit formuliert die AAA nicht nur eine prominente Kritik am Entwurf der AEMR, sondern stößt zugleich auch eine Debatte über die Grundan‐ nahmen des Kulturrelativismus in der Ethnologie an. Kritiken setzen der 78 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="79"?> 18 Darauf macht auch der Historiker Gross mit seiner Analyse der nationalsozialistischen Moral aufmerksam (Gross 2010). 19 Ausführlich wird die Bedeutung der Definition von Kultur in Kapitel 4 diskutiert. 20 Die letzte Frage gewinnt in Zeiten der Globalisierung erheblich an Relevanz und steht ebenfalls im Mittelpunkt der Diskussion kollektivrechtlicher Kritiken am Menschen‐ rechtsregime in Kapitel 4. Stellungnahme der AAA die Frage entgegen, wie mit dieser Argumentation Gesellschaften kritisierbar seien, die mit ihren eigenen moralischen Annah‐ men unmenschliche Zustände akzeptieren oder sogar rechtfertigen. 18 Der von der AAA geforderte Verzicht auf einen allgemeingültigen normativen Maßstab wird als Nihilismus und Tatenlosigkeit kritisiert (u. a. Steward 1948, Bennet 1949, vgl. Renteln 1988: 58). Betont wird demgegenüber die Notwendigkeit der Möglichkeit einer sozialwissenschaftlichen Kritik (ge‐ sellschaftlicher) Werte sowie einer aktiven und parteiischen Stellungnahme (Steward 1948, Bennet 1949). Allerdings geht es der kulturrelativistischen Argumentation in der Stel‐ lungnahme nicht um Kritiklosigkeit, nur wird die Möglichkeit von Kritik an gesellschaftlichen Werten woanders verortet, nämlich innerhalb einer Gesellschaft statt von außen. Herskovits betont in der Stellungnahme, dass repressive politische Systeme von innen kritisiert und geändert werden könnten, und zwar gerade durch die Besinnung auf die einer Gesellschaft „zugrundeliegenden kulturellen Werte“ (AAA 1947: 543). An anderer Stelle begründet Herskovits diese Möglichkeit der internen Kritik damit, dass Kulturen gerade nicht homogen seien. „Eine einzelne Kultur sich nur als ein einziges Muster vorzustellen, verzerrt die Realität und erschwert sachkundige Analyse, denn keine Kultur ist zu simpel, um nicht mehrere Muster aufzuweisen“ (Herskovits 1945: 158). 19 Diese Perspektive wirft dennoch weitere Fragen auf: Um welche Werte kann es sich handeln, die nicht universell, aber dennoch Bestandteil jeder Kultur sind? Auf welcher normativen Grundlage kann eine Besinnung auf nicht-repressive Werte erfolgen? Und lässt sich das Innen einer Gesellschaft wirklich so eindeutig von ihrem Außen abgrenzen? 20 Diese Fragen prägen die kulturrelativistischen Diskussionen um den Universalismus der Menschenrechte bis heute. Das ist auch darauf zurück‐ zuführen, dass die in der Stellungnahme aufgeworfenen Bedenken nicht lediglich eine repressive Ablehnung der Idee der Menschenrechte darstellen, sondern ernstzunehmende Hinweise auf die Gefahren beinhalten, die mit dem Anspruch auf Universalismus einhergehen können. 79 3.2 Der frühe Kulturrelativismus und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte <?page no="80"?> 3.3 Kritiken und Ausdifferenzierungen des Kulturrelativismus In den 1970er Jahren entwickelte sich ein radikaler ethnologischer Kulturre‐ lativismus in Form des epistemologischen Relativismus, der alle Annahmen und Konzepte von universeller Wahrheit oder Objektivität gänzlich ablehnt (Geertz 1973, Rosaldo 1984, Schneider 1984). Kulturen seien demzufolge nicht vergleichend zu betrachten, sondern ließen sich nur im Rahmen ihrer jeweils eigenen Begriffe und Bedeutungen interpretieren (kritisch Edgerton 1994: 42). So habe die nachhaltige und tiefgehende Prägung des Menschen durch sein Umfeld „zum Aufstieg des Begriffs der Kultur und zum Niedergang der einheitlichen Auffassung vom Menschen“ geführt (Geertz 1992: 58). Wissenschaft sei dementsprechend auch kein allgemeingültiges, kohärentes System von Verifizierungen und Falsifizierungen, sondern le‐ diglich eine westliche Art zu denken. Dies sei durchaus gleichbedeutend mit nicht-westlichen Denkmustern wie etwa jenen der Zauberei oder der Hexerei (kritisch Zechenter 1997: 325). Gleichzeitig hält Geertz als einer der wichtigsten Vertreter des epistemo‐ logischen Relativismus daran fest, dass er durchaus eindeutige Standpunkte darüber einnehmen könne, was richtig und was falsch, was also kritikwürdig sei (Geertz 1984: 275). Er kritisiert die vom frühen Kulturrelativismus postulierte bedingungslose Anerkennung aller kulturellen Praxen. Kritik und Bewertungen seien durchaus notwendig (vgl. Edgerton 1994: 51). Problematisch werde es, wenn Moral und Wissen unabhängig von Kulturen und Geschichte proklamiert werden würden (Geertz 1984: 275 f.). Geertz unterstreicht, dass die frühe kulturrelativistische Forderung, andere Kultu‐ ren ausschließlich nach deren eigenen Maßstäben zu beurteilen, ihrerseits eine höchst normative Setzung sei. Die Kritik an kulturrelativistischen Argumentationen (u. a. von Clyde Kluckhohn, Alfred L. Kroeber, Robert Redfield, Ralph Linton und George Peter Murdock, vgl. Edgerton 1994: 52) nahm im letzten Drittel des zwan‐ zigsten Jahrhunderts an Bedeutung zu. Das ist auch auf politische Entwick‐ lungen zurückzuführen. So wurden kulturrelativistische Argumentationen im Zuge regionaler Neuordnungen nach dem Kolonialismus sowie zum Ende des Kalten Krieges verstärkt von Regierungen und Interessengruppen genutzt, um repressive Praxen, ethnisierende Ausschlussmechanismen und Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen (vgl. u. a. Nagengast 1997: 352 f., Sen 1999, Yasuaki 1999: 105): 80 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="81"?> „Als diese neuen Gesellschaften Freiheit in einer Art und Weise definierten, dass Millionen ihrer Mitglieder flohen, wenn sie konnten, oder ermordet wur‐ den, wenn sie es nicht konnten […], wurden Anthropolog/ -innen mit einem theoretischen und praktischen Dilemma konfrontiert. […] Noch beschämender für westliche Anthropolog/ -innen war es, dass sie in den Westen, vornehmlich in die USA flohen“ (Washburn 1987: 940 f.). Vor diesem politischen Hintergrund erstarkte der wissenschaftliche Vor‐ wurf, dass der Kulturrelativismus vorrangig dazu diene, bestehende Un‐ gleichheiten zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu legitimieren, zu rationalisieren und zu perpetuieren (Farmer/ Sen 2009: 48). Somit würde der Kulturrelativismus ein othering betreiben, also eine scheinbar grundsätzliche Differenz zwischen dem Eigenen und dem als anders Konstruierten reproduzieren. Dieses othering, so die Kritik, stelle nicht lediglich einen Missbrauch oder eine Umkehr kulturrelativistischer Argumentationen dar, sondern sei dem Kulturrelativismus immer schon eingeschrieben (Zechenter 1997: 328 ff.). Der Kulturrelativismus geriet zunehmend in die Defensive (vgl. Wash‐ burn 1987: 939). Auch außerhalb der Ethnologie galt „das Urteil über den Relativismus für viele Philosoph/ -innen als besiegelt“ (Li 2006: 55). Die Dis‐ tanznahmen gingen so weit, den Kulturrelativismus als die wohl absurdeste Theorie zu bezeichnen, welche die Moralphilosophie je hervorgebracht habe (Williams 2004: 20). Obwohl Geertz in diesem Punkt bereits nachjustiert hatte, wurde kritisiert, dass der Kulturrelativismus in sich widersprüchlich sei, da er universelle Bewertungen ablehne, selbst aber einen universellen Anspruch auf Gültigkeit und Wissenschaftlichkeit erhebe (Zechenter 1997: 327 ff.). Die kulturrelativistische Forderung nach Toleranz sei also ein genuin westlicher Wert, der verfälschend als universal deklariert werde (Renteln 1988: 58). Kultur gelte dem Kulturrelativismus als einzige Determinante der menschlichen Persönlichkeit (Spiro 1987: 21 ff.). Dagegen halten Kriti‐ ker/ -innen wie Spiro, dass es bestimmte menschliche Grundeigenschaften jenseits von Kultur gebe, etwa die Abhängigkeit kleiner Kinder von ihren Be‐ treuungspersonen. Es müssten weitaus komplexere und adäquatere Modelle menschlicher Persönlichkeit herangezogen werden, denn soziales Verhalten sei ein Produkt komplizierter inner- und außerpsychologischer Vorgänge, nicht lediglich Ausdruck kultureller Normen (ebd.). Trotz der umfassenden Kritiken blieben kulturrelativistische Argu‐ mentationen - explizit oder implizit - ein wichtiger Bestandteil sozial‐ 81 3.3 Kritiken und Ausdifferenzierungen des Kulturrelativismus <?page no="82"?> 21 So wird beispielsweise zwischen deskriptivem, normativem und epistemologischem Kulturrelativismus (Spiro 1986) oder zwischen offensichtlichem, deskriptivem und präskriptivem ethischen Relativismus (Schmidt 1955) unterschieden. wissenschaftlicher Debatten um die (Un-)Möglichkeit universeller Men‐ schenrechte. „Die Theorie des Kulturrelativismus wurde weithin falsch verstanden und zu schnell verworfen, sowohl von Seiten ihrer Kritiker/ -in‐ nen als auch ihrer Befürworter/ -innen“ (Renteln 1990: 61). Mit einem Verständnis von Kulturrelativismus als „wahrscheinlich harmlos, bestimmt wahr und überhaupt ein nützliches Korrektiv für genau die Gefahren, die ihm gemeinhin zugeschrieben werden“ (Unwin 1985: 205), entstanden neue Perspektiven und Weiterentwicklungen kulturrelativistischer Argu‐ mentationen, die den Kritiken Rechnung tragen wollten. Drei zentrale Argumentationslinien haben sich herauskristallisiert. Erstens geht es neueren Perspektiven des Kulturrelativismus darum, das Argument der Selbstwidersprüchlichkeit zu entkräften und die eigene Normativität des Kulturrelativismus zu reflektieren. Selbstwidersprüchlich seien kulturrelativistische Aussagen nur dann, wenn alle existierenden Bewertungen gemeint seien, denn dann wäre der Kulturrelativismus seines eigenen Anspruches beraubt. Beschränke man sich jedoch auf bestimmte Bewertungen, so könnten relativistische Aussagen durchaus Gültigkeit beanspruchen (Renteln 1990: 69 ff.). Kategorisierungen verschiedener Formen des Kulturrelativismus 21 er‐ lauben es, bestimmte Argumentationsfiguren als tatsächlich selbstwider‐ sprüchlich zu verwerfen, andere jedoch sozialwissenschaftlich zu fundieren. Toleranz, die Basis des frühen Kulturrelativismus, wird von Renteln etwa als US-amerikanisches, somit partikulares und ethnozentrisches Prinzip verworfen - auch, weil das Konzept der Toleranz einen inneren Widerwillen impliziere, d. h. der Appell an Toleranz setze einen scheinbar zunächst grundsätzlich vorhandenen Widerstand voraus, gegen den moralisch argu‐ mentiert werden müsse (ebd.: 73). Demgegenüber funktioniere der deskrip‐ tive Kulturrelativismus, demgemäß „es keine Werturteile gibt, die unabhän‐ gig von einer spezifischen Kultur wahr, d. h. objektiv gerechtfertigt sein können“ (Schmidt 1955: 782), auch ohne das Prinzip universeller Toleranz (Renteln 1990: 74). Ähnliche Überlegungen stellt Rorty unter dem Begriff des ethnozentrischen Pragmatismus an, der jegliche Auffassung von innerer oder metaphysischer Wahrheit verabschiedet (Rorty 2005: 15 f.). Insgesamt könne ein Phänomen entweder nach internen Maßstäben einer Kultur, nach 82 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="83"?> Maßstäben transkultureller Gemeinsamkeiten oder nach Maßstäben der Kultur von Außenstehenden kritisiert werden. Letztere Alternative sei zwar immer ethnozentrisch, bedeute aber in bestimmten Fällen das geringere Übel und sei mit Kulturrelativismus vereinbar, solang kein universeller Maßstab proklamiert werde (Renteln 1990: 78). Die Stärke dieses Ansatzes besteht in der Reflexion auf die eigene Normativität. Sie erlaubt es, eigene Wertungen zu hinterfragen, wenn auch nicht bis zu dem Punkt, an dem keine Wertungen mehr möglich sind (Hatch 1997: 377). Es geht also darum, weder Neutralität zu postulieren noch die eigenen normativen Maßstäbe zu setzen, ohne sich mit ihrer Entstehung, ihrem Kontext und ihrem möglichen Konflikt mit anderen Maßstäben auseinanderzusetzen. Offener Gegenstand der Debatte bleibt dennoch, an welchem Punkt etwa eine ethnozentrische Kritik das ‚geringere Übel‘ darstellt als eine Nichteinmischung. Diese Entscheidung braucht eine Diskussion und Offenlegung ihrer normativen Maßstäbe. Zweitens suchen neue Perspektiven des Kulturrelativismus nach Alter‐ nativen zum abstrakten Universalismus. Diese findet der deskriptive Kul‐ turrelativismus im Konzept der Kulturalisierung. Demnach internalisieren Menschen unbewusst die Kategorien und Standards ihrer Kultur, wodurch „automatische, unkritische Wahrnehmungen“ (Renteln 1990: 74) gebildet würden. Weil diese Prozesse unbewusst stattfänden, wüssten Menschen zunächst nicht, dass ihre Anschauungen und Werte kulturgebunden seien - daher stamme ihr Anspruch auf Universalismus (ebd., s.a. Kapitel 4). Andere Theorien setzen an dieser Stelle allerdings die ab einem gewissen Punkt mögliche Reflexionsfähigkeit an, die auch die zunächst unbewusst übernommenen und internalisierten Werte durchaus kritisch zu hinterfra‐ gen erlaubt (Habermas 1976). Drittens schlagen neue Perspektiven des Kulturrelativismus als Alter‐ native zum abstrakten Universalismus die Suche nach real existierenden Universalien vor. Die Varianten des empirischen und des pragmatischen Kulturrelativismus (Turner 1997: 278) gehen davon aus, dass universelle Gemeinsamkeiten zwischen Menschen durchaus existieren können (Renteln 1990: 71 ff.): Sie suchen nur nach empirisch gegebenen, von allen geteilten Universalien statt nach dem normativen Anspruch auf die Herstellung oder Setzung von Universalismus. Insgesamt wird einerseits ein abstrakter Universalismus von Menschen‐ rechten verworfen. Da jede Kritik und jede Bewertung an spezifische kulturelle Hintergründe oder aber an empirisch auffindbare Gemeinsam‐ 83 3.3 Kritiken und Ausdifferenzierungen des Kulturrelativismus <?page no="84"?> keiten gebunden sei, könne die Annahme eines universellen Maßstabs nicht wissenschaftlich fundiert und angemessen begründet werden. Kultur‐ relativistische Argumentationen werden als Korrektiv gegen solch einen abstrakten Universalismus herangezogen. Andererseits werden die universellen Menschenrechte als konkreter Bezugsrahmen für gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen dadurch nicht zwingend in Frage gestellt: „universelle Menschenrechte sind möglich“ (ebd.: 9). Demzufolge müsse sich die sozialwissenschaftliche Diskussion der Menschenrechte auf die Suche nach deren empirischer statt einer abstrakten und somit potenziell repressiven Legitimierung begeben. Allerdings geht mit einer ausschließlichen Orientierung am empirisch Gegebenen die Mög‐ lichkeit verloren, normativ etwas zu diskutieren, das anders oder sogar besser ist als das Gegebene (vgl. auch Kapitel 6). Die AAA geht 1999 noch einen deutlichen Schritt weiter und benennt das Menschenrechtsregime als Möglichkeit, die universelle (sic! ) Bedeutung von Kultur für jeden Menschen zu schützen (AAA, Committee for Human Rights 1999). Die Kritiken und die Weiterentwicklungen des Kulturrelativismus ver‐ weisen auf dessen Grenzen ebenso deutlich wie auf dessen potenzielle Stärken. Die folgende Diskussion des Beispiels der weiblichen Genitalexzi‐ sion soll diese Stärken und Grenzen deutlicher konturieren, um schließlich auch eine Umgangsmöglichkeit mit deren Gleichzeitigkeit zu finden, die Kulturrelativismus und Universalismus miteinander vermittelt. 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision Die vor allem im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts geführten und nach wie vor virulenten Debatten um die weibliche Genitalexzision verorten sich paradigmatisch im Rahmen der Auseinandersetzungen zwi‐ schen Kulturrelativismus und Universalismus. Die beiden Extrempositionen lassen sich folgendermaßen charakterisieren: Ein radikaler Kulturrelativis‐ mus betont die moralische Gleichwertigkeit kultureller Normen, die nicht von einem externen Beobachterstandpunkt oder einem anderen Kontext aus bewertet werden dürfen. Er erkennt die Exzision als ein Ritual an, das eine zentrale und unhintergehbare Rolle für das jeweilige individuelle beziehungsweise kollektive Leben spielt. Der abstrakte Universalismus hingegen legt einen normativen Maßstab von außen an und verweist auf 84 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="85"?> 22 Die genauen Formen und Effekte der Exzision werden in zahlreichen Studien ausführ‐ lich beschrieben (Shell-Duncan/ Hernlund 2000, Hernlund/ Shell-Duncan 2007, UNICEF 2016, WHO 2016). den Ausdruck von Gewalt und Macht, der dem Eingriff zugrunde liegt. Er charakterisiert die betroffenen Frauen als hilflose und benachteiligte Opfer. Auch wenn eine Vielzahl der Perspektiven weder der einen noch der anderen Extremposition in Gänze zugeordnet werden kann, lassen sich Argumentationsfiguren herausarbeiten, denen kulturrelativistische oder universalistische Begründungsmuster zugrunde liegen. Diese Begründungs‐ muster werden im Folgenden auf ihre expliziten und impliziten Annahmen sowie auf ihre Stärken und Grenzen hin diskutiert. 3.4.1 Die Praxis Die weibliche Genitalexzision bezeichnet die teilweise oder vollständige Entfernung oder Veränderung weiblicher Genitalien. 22 Das hohe Maß an gesellschaftlicher und politischer Kontroversität und auch emotionaler Bedeutung zeigt sich bereits an der Benennung der Praxis. Lange Zeit wurde sie als Beschneidung bezeichnet. Zum einen war das die direkte Übersetzung einiger lokaler Bezeichnungen, zum anderen galt es als weibliches Pendant zur männlichen Beschneidung. Menschenrechtsaktivist/ -innen, NGOs und Feminist/ -innen verwiesen seit den siebziger Jahren auf die mit diesem Begriff einhergehende Verharmlosung. Denn die Praxis an Frauen könne mit der männlichen Beschneidung weder in Bezug auf das Ausmaß noch in Bezug auf die gesellschaftspolitischen, gesundheitlichen, körperlichen und psychischen Effekte verglichen werden (Dorkenoo 1994: 4, Gifford 1994: 333). Um den repressiven Charakter der Praxis und deren weitreichende Folgeschäden für die betroffenen Frauen und Mädchen zu verdeutlichen, etablierten Kritiker/ -innen die Bezeichnung der Praxis als weibliche Geni‐ talverstümmelung (FGM, female genital mutilation). Allerdings wurde in der Zusammenarbeit mit praktizierenden Gruppen und Gemeinden deutlich, dass der Begriff Verstümmelung auf Ablehnung stoßen und kontraproduk‐ tive Effekte hervorrufen kann (Abdel Hadi 2013: 108). Auch lehnen einige betroffene Frauen die Selbstbezeichnung als ‚verstümmelt‘ ab (Rust 2007: 22). Die pejorative Bezeichnung unterstellt Beschneider/ -innen und den zustimmenden Familienangehörigen von vornherein böswillige Absichten, 85 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="86"?> ohne dabei nach ihren Handlungsgründen zu fragen (vgl. auch Shell-Dun‐ can/ Hernlund 2000: 6). Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen - aber auch aus genuin kul‐ turrelativistischen Motiven heraus - wurden Begriffe wie female genital operation, female cirumcision, genital surgeries, Modifikation, Exzision und female genital cutting (FGC) etabliert. Einige dieser Bezeichnungen wurden wiederum für ihr relativierendes Potenzial kritisiert (Gifford 1994). Bei‐ spielsweise impliziert die Charakterisierung als Operation eine medizinische Notwendigkeit, die nicht gegeben ist. In diesem Buch wird der Begriff der Exzision verwendet, da er als physisch treffende Bezeichnung - bei nahezu allen Formen der Praxis wird etwas herausgeschnitten - weder eine Verharmlosung noch eine fehlende Kon‐ textsensibilität impliziert. Dabei ist Kontextsensibilität nicht zu verwechseln mit der Suche nach einem Begriff, der gleichsam „sachlich“ und „wertfrei“ (Rust 2007: 23) auftritt. Einen der wesentlichen Referenzpunkte für die Diskussion um Exzision bildet die Frage nach dem freien Willen. Die Annahme, dass die Einwilli‐ gung der Betroffenen fehle, bildet ein zentrales Element universalistischer Argumentationen. Für kulturrelativistische Zugänge ist die Annahme eines Konsenses wiederum ein ebenso starkes Gegenargument. Es geht in den folgenden Beispielen also nicht um die Diskussion einer radikalen kulturre‐ lativistischen Position, die jegliche normative Bewertung ablehnt, sondern um solche Perspektiven des Kulturrelativismus, die durchaus normative Maßstäbe für sich in Anspruch nehmen, aber einen anderen Umgang damit etablieren. Es ist bemerkenswert, dass sich in der Debatte um die weibliche Genitalexzision sowohl der Universalismus als auch der Kulturrelativismus auf den Maßstab des freien Willens beziehen, wenngleich mit verschiedenen Prämissen. Darauf wird später in diesem Kapitel zurückgekommen. 3.4.2 Einseitiger Kulturrelativismus Der Kulturanthropologe Shweder stützt sich maßgeblich auf die Annahme eines Konsenses der von Exzision Betroffenen, um die von ihm favorisierten „Werte des Pluralismus“ (Shweder 2002: 212) zu verteidigen. Darüber hinaus liegt seiner Argumentation die Annahme zugrunde, dass gesundheitliche Komplikationen nach der Exzision die Ausnahme und nicht die Regel seien 86 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="87"?> 23 Für eine ausführliche Diskussion der gesundheitlichen Aspekte und Folgen der Exzision vgl. Mende (2011: 84 ff.). 24 Die Infibulation ist die extremste Form der Exzision, die zu starken Komplikationen und meist lebenslangen Schmerzen führt. (ebd.: 213). 23 Shweder kritisiert universalistische Perspektiven dafür, dass sie „FGM als Totschlagargument“ einsetzten (ebd.: 212) und bezeichnet das Leitmotiv menschlicher Bewertungen als „gegenseitiges Igitt“ (ebd.: 216). Gemeint ist damit, dass einhergehend mit einem othering die Praxen der jeweils ‚Anderen‘ als ekelerregend empfunden würden. Demgegenüber solle ein unbedingter kultureller Pluralismus gestärkt werden, der auf Toleranz basiere. Shweder greift damit auf die klassischen Motive des frühen Kultur‐ relativismus zurück. Diese Perspektive führt ihn dazu, die Infibulation 24 als „glatt streichen“ (ebd.: 218) zu bezeichnen. Die Exzision im Allgemeinen nennt er eine „Verbesserung“ (ebd.: 224) und führt eine ganze Reihe von Gründen an, warum Exzision nicht als schmerzhaft empfunden werde: Es handele sich um gewollte und beliebte Zeremonien (ebd.: 211), es entspreche anderen Schönheitsvorstellungen (ebd.: 216), es sei eine Verbesserung von Schönheit, Zivilisation, Weiblichkeit und Ehre (ebd.: 218), es sei ein Zeichen von Gleichheit, dass nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen beschnitten würden (ebd.: 221), Frauen führten den Eingriff selbst aus und Mädchen freuten sich auf ihn und auf das den Eingriff begleitende Fest (ebd.: 222). Vor diesem Hintergrund führt Shweder nun sein Argument des freien Willens aus: „[M]an stelle sich eine sechzehnjährige somalische Teenagerin vor, die in Seattle lebt und denkt, dass genitale Veränderung ‚eine gute Sache‘ sei. Sie mag das Aussehen des Körpers ihrer Mutter und des Körpers ihrer vor kurzem beschnit‐ tenen Cousine wesentlich mehr als das ihres eigenen. Sie will eine erwachsene und schöne Frau sein, im Somali-Stil. Sie will einen somalischen Mann heiraten oder zumindest einen Mann, der das Aussehen eines initiierten Frauenkörpers zu schätzen weiß. Sie will ihrer Solidarität mit anderen afrikanischen Frauen Ausdruck verleihen, die auf diese Art ihren Sinn für Schönheit, Höflichkeit und weibliche Würde demonstrieren, und sie teilt deren Sinn für Ästhetik und Anständigkeit. Sie sichtet die medizinische Literatur und entdeckt, dass die Operation sicher, hygienisch und ohne größere Auswirkungen auf ihr sexuelles Lustempfinden durchgeführt werden kann. Nach der Beratung mit ihren Eltern und mit der vollen Unterstützung anderer Mitglieder ihrer Community entschei‐ det sie sich für die Fortsetzung der Tradition. Welches Gerechtigkeitsprinzip 87 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="88"?> verlangt, dass ihr kulturelles Erbe ‚ausgerottet‘ und beendet werden müsse? “ (ebd.: 226 f.). Nun entsprechen viele der von Shweder genannten Faktoren tatsächlich einzelnen Aspekten in Exzision praktizierenden Gesellschaften (siehe un‐ ten). Sie helfen, den Kontext der Exzision zu verstehen. Allerdings hat eine solche Aneinanderreihung ihrerseits dekontextualisierende Effekte. Werden Einzelaspekte aus dem Zusammenhang gerissen oder gar hypostasiert, wird eine informierte Einschätzung der sozialen, kulturellen und gesellschaftli‐ chen Dimensionen der Praxis erschwert. Somit verlässt Shweder zugleich den Boden einer kulturrelativistischen Argumentation, die dem eigenen Anspruch nach die spezifische Kontextgebundenheit betont. Ähnlich argumentiert Ahmadu, die die Erfahrung ihrer eigenen Beschnei‐ dung in Sierra Leone reflektiert, wo die in den USA lebende Ethnologin einen Aufenthalt bei ihrer Familie verbracht hat. Sie kritisiert die univer‐ salistische Perspektive auf die Abschaffung von Exzision als westlichen Zugriff und wirft diesem ein unzureichendes Verständnis der Praxis vor. Demgegenüber stellt sie ihre eigene Exzision als ermächtigende Möglichkeit dar, sich zwischen den Welten zu bewegen (Ahmadu 2000: 310) und mit verschiedenen Identitäten zu jonglieren (ebd.: 305). „Letztendlich ist es die Sache jeder Generation von Frauen zu entscheiden, ob sie diese Tradition aufrechterhalten oder ablehnen, ohne Angst und Druck von außen oder von innen“ (ebd.: 294). Ahmadu kontextualisiert ihre eigene Erfahrung. Sie beschreibt, wie sie kurz vor ihrer Exzision, die von einem langen, ermüdenden und die Sinne benebelnden Fest begleitet wurde, darüber informiert wurde, was genau die Exzision beinhalten würde und dass diese Informationen gegen das sonst übliche und streng eingehaltene „Schweigegebot“ verstießen (ebd.: 292). In vielen Gesellschaften ist die Exzision ein geheimnisumwobener Vor‐ gang, über den die Mädchen nicht in Kenntnis gesetzt werden (Thomas 2000). In Sierra Leone wurde das Schweigegebot lange Zeit besonders aufmerksam gehütet. Die Exzision ist hier Bestandteil des Aufnahmerituals in den Geheimbund der Frauen, das Pendant zu den Männergeheimbünden. Die dualgeschlechtlich organisierten Geheimbünde sind zentral für die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Sierra Leone. Der Frauenbund reguliert die sogenannten weiblichen Interessen Frieden, Heirat, sexuelles Verhalten, Fruchtbarkeit und Reproduktion. Der Männerbund ist für die sogenannten männlichen Interessen Krieg, Jagen und Landangelegenheiten zuständig. 88 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="89"?> Eine Überschreitung dieser Trennung ist nicht erlaubt (Ahmadu 2000: 287). Geheim sind diese Bünde nicht bezüglich ihrer Existenz oder ihrer Mitglie‐ der. Ihr Vorhandensein ist allgemein bekannt; in ländlichen Gebieten beläuft sich die Mitgliedschaft in den Bünden auf 95 Prozent der Bevölkerung (Rust 2007: 32). Geheim ist vielmehr das Wissen um die Inhalte und eben auch um die Initiation in den Bund. Mädchen müssen, um in den Bund aufgenommen und somit überhaupt ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden zu können, einen Initiationsritus durchlaufen, dessen Bestandteil die Exzision bildet. Dadurch wird Kindern, die zunächst als biologisch geschlechtslos beziehungsweise als zweigeschlechtlich angesehen werden, ein kulturelles Geschlecht zugewiesen, durch das sie der weiblichen oder der männlichen Geheimgesellschaft zugeordnet werden. Obwohl auch männliche Beschnei‐ dung durchgeführt wird, nimmt diese keine derart zentrale Bedeutung im gesellschaftlichen Gefüge ein. Ein unbeschnittener Mann wird nicht als dieselbe Bedrohung wahrgenommen wie eine unbeschnittene Frau (ebd.: 42 f.). Ohne Exzision ist eine Frau vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlos‐ sen. Die Fähigkeit, gesunde Kinder zu gebären, wird ihr abgesprochen (Ahmadu 2000: 288 f.). Politischer, ökonomischer und sozialer Erfolg ist ohne die Mitgliedschaft im Geheimbund kaum möglich. Verstöße gegen das Schweigegebot werden sanktioniert und sind dementsprechend mit Angst besetzt. Das Tabu um die Initiation bewirkt zweierlei. Zum einen könnte das Wissen um die Praxis zum Widerstand der Mädchen und Frauen führen. Selbst nach der Exzision wissen viele Betroffene nicht genau, welcher Art von körperlichem Eingriff sie unterlagen (Rust 2007: 94). Das erzwungene Schweigen verhüllt auch die Heterogenität der Perspektiven auf die Praxis. Die in jüngerer Zeit sich entwickelnde teilweise Enttabuisierung der The‐ matik - unter anderem eine Errungenschaft von Aufklärungskampagnen - führt neben verstärktem Widerstand aber auch zu einer Zunahme von Zwangsexzisionen und der Vorverlagerung des Eingriffs auf ein jüngeres Alter, teilweise auf die ersten Lebensjahre eines Mädchens, um Widerstand zu vermeiden (ebd.: 101 ff.). Ein zweiter Aspekt des die Initiation umgebenden Tabus besteht darin, dass das Geheimnisvolle eine durchaus attraktive und anziehende Wirkung auf junge Mädchen ausüben und den Wunsch bestärken kann, Teil des Ge‐ heimnisses zu werden (ebd.: 77 f.). Auch Ahmadu formuliert diesen Wunsch, den sie als den unbefangenen freien Willen der Mädchen kennzeichnet, und betont den ermächtigenden Charakter einer Mitgliedschaft im Geheimbund 89 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="90"?> (Ahmadu 2000: 299 ff.) Tatsächlich bietet die Mitgliedschaft für Frauen auch einen Rückzugsort vom Alltag, an dem (beispielsweise Genussmittel konsu‐ mierend) Grenzen überschritten werden dürfen. Zugleich wird damit die Funktion, angemessenes weibliches Verhalten im Alltag selbst zu sichern, gestärkt (Rust 2007: 64 ff.). Dementsprechend ist auch das Verhältnis der Männer- und der Frauengeheimbünde hierarchisiert. Die Männerbünde sind den Frauenbünden vor allem in ländlichen Gebieten als Kontrollinstanz übergeordnet. Ranghohe Mitglieder der Männerbünde fungieren nicht nur als Unterstützer, Berater, Supervisoren und Lehrer für Frauenbünde, sondern treffen letztendlich auch Entscheidungen (ebd.: 68 f.). Diese Aspekte werden von Ahmadu kaum berührt. Obwohl sie die Form ihrer eigenen Exzision als Ausnahmesituation anerkennt, diskutiert sie ihre eigenen Privilegien kaum: Sie hat die Möglichkeit der freien Entscheidung für oder gegen die Exzision als erwachsene Frau. Und sie hat die Möglichkeit, außerhalb der Geheimbünde ein selbstbestimmtes Leben in den USA führen zu können. Beide Autor/ -innen, Shweder und Ahamdu, imaginieren die Exzision als auf freier, informierter Wahl ohne sozialen oder ökonomischen Druck beruhend, keine Schädigungen nach sich ziehend und nahezu durchweg handlungsermächtigend. Die Annahme einer Einwilligung der Betroffenen in die Praxis ist vergleichbar mit der von der postkolonialen Theoretikerin Spivak kritisch am Beispiel der indischen Witwenverbrennung herausgear‐ beiteten Behauptung: „Die Frauen wollten tatsächlich sterben“ (Spivak 1994: 93). Die Blindheit gegenüber Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnissen zeigt sich besonders deutlich dort, wo der scheinbar individuelle freie Wille zum allgemeingültigen Konzept erhoben wird: Wenn sich die Frauen von der Praxis unterdrückt fühlen würden, so könnten sie sie schließlich einfach abschaffen, so Ahmadu (2000: 301). Einseitige kulturrelativistische Perspektiven lehnen also bestimmte uni‐ verselle Annahmen ab, gründen aber ihrerseits auf universellen Ansprü‐ chen, auf Verkürzungen und letztendlich sogar auf Dekontextualisierungen, wenn ökonomische, politische und gesellschaftliche Herrschafts- und Un‐ gleichheitsverhältnisse für die Frage des freien Willens oder die Ausübung einer kulturellen Praxis ausgeblendet werden. 90 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="91"?> 3.4.3 Einseitiger Universalismus Ein einseitiger, abstrakter Universalismus nimmt genau die entgegenge‐ setzte Perspektive ein, indem er die Existenz eines freien Willens, die Möglichkeit einer freien Wahl kategorisch ausschließt - ohne seinerseits nach den Bedingungen der Wahl zu fragen. Paradigmatisch für solch einen einseitigen Universalismus stehen bestimmte westliche feministische Kritiken an Exzision aus den 1980er und 1990er Jahren. Sie betrachten Exzision als einen Fall des universellen Patriarchats, der das universelle Leiden der globalen Schwesternschaft der Frauen abbilde. Die bekanntesten Vertreterinnen dieser Form des Universalismus sind Daly, Hosken und Walker. Daly beschreibt Exzision als einen von vielen Fällen des globalen Patriar‐ chats, der eine klare Abgrenzung zwischen Männern als Tätern und Frauen als hilflosen Opfern aufweise (Daly 1990: 153 f.). Sie will zeigen, wie Frauen „durch die Mythen und Gewohnheiten ihres jeweiligen sozialen Kontextes eingelullt/ gehirngewaschen wurden. Von den vorherrschenden lokalen Dogmen unter Drogen gesetzt und körperlich behindert, haben sie nicht immer die Absicht hinter dem Teufelskreis des Verstümmelns und Mordens an Müttern und Töchtern gesehen“ (ebd.: 224). Insgesamt beschreibt Daly das universelle Patriarchat als eine männliche Verschwörung, die darauf abzielt, Frauen zu unterdrücken, zu kolonialisie‐ ren und zu ermorden (ebd.: 1, 23, 155 ff.). Hosken entwickelt dagegen eine medizinische Perspektive auf Exzision, um deren gesundheitliche Risiken und Folgen abzuschätzen (Hosken 1994). Ihre Studie der historischen Entwicklung und der Formen der Exzision sowie der Gegenbewegungen in verschiedenen Ländern bietet einen umfassenden empirischen Überblick. Hoskens Schlussfolgerung ähnelt jedoch der von Daly, wenn sie auf einen einseitigen Universalismus zurückfällt, um für die Abschaffung der Praxis zu argumentieren. Wie Daly skizziert Hosken eine klare Zweiteilung zwischen männlichen Tätern und weiblichen Opfern, die durch eine „Verschwörung des Schweigens“ verstärkt werde (ebd.: 315). „Es ist daher klar, dass Männer für die sich verschlechternden Bedingungen in Afrika verantwortlich sind: Frauen und Kinder sind die missbrauchten und stimmlosen Opfer“ (ebd.: 69, ähnlich 5 ff., 324 ff.). Walkers personalisierte Darstellung ist eine dritte Version dieses ein‐ seitigen Universalismus. Ihr Buch versucht, das Leid der Mädchen und 91 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="92"?> Frauen zu beleuchten, denen Walker und ihre Co-Autorin Parmar bei ihren Besuchen in afrikanischen Ländern begegnet sind. Walker verbindet sie mit ihrem eigenen Leiden, aufgrund einer Schussverletzung durch ihren damals zehnjährigen Bruder teilweise ihr Sehvermögen verloren zu haben. Beide Formen des Leidens stellen demzufolge gleichermaßen eine „patriarchale Wunde“ dar (Walker/ Parmar 1996: 17). Walker und Parmar ziehen eine ähnliche Schlussfolgerung wie Daly und Hosken. Mädchen und Frauen seien die hilflosen Opfer von Exzision als patriarchaler Praxis, „perfekt indoktriniert und so programmiert, dass sie nichts sagen“ (ebd.: 49). Trotz ihrer unterschiedlichen Ausgangspunkte teilen die drei Ansätze entscheidende Aspekte. Sie legen einen eindimensionalen normativen Maß‐ stab für Kritik fest. Dieser Maßstab ist die patriarchale Herrschaft von Män‐ nern über Frauen, in der die Rollen von Tätern und Opfern klar zwischen den Geschlechtern aufgeteilt sind. Unterschiede zwischen verschiedenen Kontexten oder zwischen Frauen werden nicht in die Analyse einbezogen. Diese Dekontextualisierung hat drei Effekte. Erstens bereitet sie den Weg für ebenso verkürzte Gegenpositionen. Vor dem Hintergrund einer klaren Täter-Opfer-Dichotomie reicht es für kultur‐ relativistische Argumente beispielsweise (scheinbar) aus, auf die Beteiligung von Frauen an der Exzision hinzuweisen, um so die universalistische Kritik zu unterminieren. Zweitens trägt der einseitige Universalismus zum othering mit seinen rassistischen Konsequenzen bei. Die Darstellung der betroffenen Frauen als passive, stimmlose oder ahnungslose Opfer führt eine Hierarchie von Einsicht, Wissen und Aufklärung „mit dem ganzen Eifer der alten Missio‐ nare“ (Browne 1991: 261) ein. Den ‚Anderen‘ werden eigene Interessen und Perspektiven nicht zugestanden (Gunning 1991: 199). Drittens werden im abstrakten, einseitigen Universalismus die sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Bedingungen und somit auch Begründungen der Exzision außer Acht gelassen (Gruenbaum 1996: 462, Walley 1997: 418, Abusharaf 2001: 116 f., El Guindi 2013: 42). Abschaffungs‐ bemühungen sind ohne dieses Kontextwissen geradezu darauf beschränkt, auf solche Maßstäbe der Kritik zurückzugreifen, die wenig bis gar nicht an die Lebensrealitäten der Betroffenen anknüpfen können. Insgesamt erschwert der einseitige Universalismus somit nicht nur eine Analyse und Kritik der Praxis, sondern auch die Möglichkeit der menschen‐ rechtlich fundierten Zusammenarbeit und Solidarität mit den betroffenen Frauen: 92 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="93"?> „Während es beim Feminismus definitiv darum geht, Prinzipien zu etablieren und zu verteidigen, werden diese Prinzipien bedeutungslos, wenn sie nicht mehr den Frauen im wirklichen Leben dienen, in deren Namen sie ausgearbeitet wurden“ (Winter 1994: 972). In einem solchen Rahmen scheitern auch Strategien und Kampagnen zur Abschaffung der Praxis. Sie gehen entweder an der Realität der Betroffenen vorbei oder werden als arrogant und potenziell rassistisch wahrgenommen und können so einen backlash hervorrufen, der die Angesprochenen umso stärker an ihren Traditionen festhalten lässt (Hernlund 2000: 242, Mackie 2000: 277, Shell-Duncan/ Hernlund 2000: 6). Ein abstrakter, einseitiger Universalismus ist insgesamt dadurch gekenn‐ zeichnet, dass er lokale Gegebenheiten nicht zur Kenntnis nimmt, den Hin‐ weis auf die möglichen Gründe für Exzision als bloße Affirmation verwirft oder statische Konzepte unverändert auf andere Gesellschaften überträgt, ohne deren spezifische Verhältnisse und Besonderheiten zu analysieren. 3.4.4 Die weibliche Genitalexzision im Kontext Sowohl der Kulturrelativismus als auch der Universalismus beziehen sich also positiv auf den freien Willen, der entweder als gegeben oder als nicht gegeben vorausgesetzt wird. Im Folgenden wird der Kontext der Exzision näher betrachtet, um herauszufinden, in welcher Hinsicht von einem freien Willen ausgegangen werden kann - und in welcher Hinsicht nicht. Damit werden auch die Stärken und die Grenzen sowohl im einseitigen Kultur‐ relativismus als auch im einseitigen Universalismus deutlich. Es werden Begründungsmuster für die Exzision herausgearbeitet, um zunächst ein Verstehen der Praxis zu ermöglichen, ohne aber an diesem Punkt stehenzu‐ bleiben und ihre repressiven Effekte auszublenden. Obwohl die Praxis der weiblichen Genitalexzision in unterschiedlichen Gesellschaftsformen betrieben wird und dementsprechend heterogene For‐ men und Ausprägungen aufweist, lassen sich doch sieben gemeinsame Begründungsmuster (mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten) nach‐ zeichnen (vgl. ausführlich Mende 2011: 122 ff.). 1) Tradition: Tradition ist das von Befragten am häufigsten angegebene Motiv für das Festhalten an der Exzision (vgl. beispielsweise Carr 1997: 27, El Dareer 1982: 67, Orubuloye et al. 2000: 81). Dabei wird deutlich, dass auf Tradition als Begründungsmuster dann zurückgegriffen wird, wenn ein 93 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="94"?> weitergehender Einblick in Sinn und Zweck der Exzision fehlt. Zugleich geht mit dem Rekurs auf Tradition auch eine Verpflichtung sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber den eigenen Ahnen einher (Rust 2007: 34). Der Bezug auf Tradition ist hier gleichbedeutend mit dem Unwillen oder auch der Angst davor, gesellschaftliche Konventionen zu brechen (Orubuloye et al. 2000: 81). 2) Religion: Religion in Form christlicher, muslimischer, naturreligiöser oder indigener Verhaltensnormen kann sowohl einen direkten als auch einen indirekten Einfluss auf die Praxis der Exzision ausüben. Vor allem dann, wenn „Religion einer der Hauptfaktoren ist, der das soziale Verhalten definiert“ (Wangila 2007: 15), korrelieren die Begründungsmuster Tradition und Religion. Obwohl Exzision in verschiedenen religiösen Gruppen ver‐ breitet ist und nicht in allen muslimischen Gesellschaften praktiziert wird, stellt der Islam die am häufigsten mit Exzision in Verbindung gebrachte Religion dar. Die Haltung des Islam zu Exzision indes ist heterogen (vgl. auch Dor‐ kenoo 1994: 37 ff.). Zudem kann der gelebte Islam verschiedene Formen annehmen. In Gegenden mit hoher Analphabetismusrate finden eher sol‐ che Versionen des Islam Verbreitung, welche die Praxis befürworten (El Bashir 2013: 155). Tatsächlich gibt es im Koran selbst keine expliziten Hinweise auf Exzision. Bekannt ist allerdings ein Hadith (Überlieferung des Propheten Mohammed), der eine eingeschränkte Form der Exzision statt der Infibulation nahelegt. Ein weiterer Hadith bezeichnet die Exzision als ehrenwert (Ali 2012: 105). Die shafi’i-Lehre, eine der vier sunnitischen Rechtslehren, bewertet Exzision als unabdingbar (Budiharsana et al. 2003: 9 f., Clarence-Smith 2008: 15). Aber auch gängige Koraninterpretationen über Jungfräulichkeit, Reinheit, Polygynie, die Gefährlichkeit weiblicher Sexualität und die gesellschaftliche Stellung der Frau tragen zum religiösen Glauben an die Notwendigkeit der Exzision bei. Nichtsdestotrotz wird die Praxis nicht in allen muslimischen Gesellschaften gelebt. Darüber hinaus können ebenfalls Kampagnen gegen Exzision islamisch geprägt und begrün‐ det sein. Insgesamt werden Fatwas (islamische Rechtsgutachten) sowohl für (Aldeeb Abu-Sahlieh 2013) als auch gegen Exzision (Gruenbaum 1996: 464, El Bashir 2013: 156 f.) ausgesprochen. 3) Distinktionsmerkmal: Die Distinktionsfunktion ermöglicht es entlang verschiedener Parameter, sich von anderen Gruppen abzuheben. So dient die Exzision als identitätsstiftendes Moment in einigen antikolonialen Be‐ 94 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="95"?> wegungen (vgl. auch Kapitel 5). Exzision wird hier als Zeichen kultureller Selbstbestimmung und Unabhängigkeit stilisiert. Das bewusste Bekenntnis zur Tradition wird als Gegenentwurf zur westlichen Lebensweise verstan‐ den. Daneben markiert Exzision die eigene ethnische Kultur, Religion und Identität im Gegensatz zu anderen nicht-westlichen Ethnien oder Natio‐ nen (Walley 1997, Johnson 2000). Im Sudan etwa dient die muslimische Infibulation zur Abgrenzung von ägyptischen, anderen afrikanischen und nicht-muslimischen Gemeinschaften. Hier erfüllt sie die Doppelfunktion als ethnischer und als religiöser Marker (Sharkey 2003: 130). Damit kann auch die ökonomische Ausbeutung und die politische Unterdrückung jener anderen Gruppen gerechtfertigt werden (Gruenbaum 1988). Exzision als Distinktionsmerkmal verhilft drittens auch zur Abwertung und Abgrenzung gegenüber unbeschnittenen Frauen (Rust 2007: 73). Damit wird die Distinktionsfunktion verdoppelt und in die eigene Gesellschaft hineingetragen, zur Ausgrenzung von Frauen sowohl außerhalb als auch innerhalb der eigenen Gruppe. Unbeschnittenen Frauen wird der Zugang zur sozialen, ökonomischen oder politischen Sphäre und zu allgemeiner Anerkennung verwehrt (Ahmadu 2000: 301). Die Markierung der Gruppenzugehörigkeit findet in allen Fällen am weiblichen Körper als dem Medium für soziale Kontrolle statt und dient als Kennzeichen der Loyalität zur Gemeinschaft. Es wird eine Identität erschaffen, für die nicht das Individuum, sondern das Kollektiv zentral ist (Peller 2002: 35 ff.). 4) Sexualität: Der weite Bereich der Sexualität umfasst eng miteinander verwobene Vorstellungen von (ritueller) Reinheit, (körperlicher) Sauberkeit, Ehre, Jungfräulichkeit und weiblichem Sexualverhalten. Religiöse Reinheit und Sauberkeit werden von Befragten als häufiger Grund für die Praxis angegeben (Gordon 1991: 13, El Dareer 1982: 73, Okroi 2001: 15, Abdel Hadi 2013: 107). Körperliche Sauberkeit ist beispielsweise ein Motiv, wenn unbe‐ schnittene weibliche Geschlechtsorgane als schmutzig oder sogar gefährlich gelten (Koso-Thomas 1987: 7, Rust 2007: 34). Die durch Exzision erlangte Reinheit dient wiederum der Distinktion von vermeintlich unreinen Frauen und der Erhöhung des eigenen sozialen Status (Gruenbaum 2000: 50, Abus‐ haraf 2001: 126, Okroi 2001: 16). Vor allem die Infibulation, aber auch andere Formen der Exzision dienen der Kontrolle weiblicher Sexualität. Dabei geht es zum einen gezielt um 95 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="96"?> die Bewahrung von Jungfräulichkeit, die Verhinderung von vorehelichem Geschlechtsverkehr oder Promiskuität (Gordon 1991: 9, Hicks 1993: 219, Peller 2002: 163). Zum anderen soll die Exzision die weibliche Sexualität im Allgemeinen eindämmen, da sie anderenfalls (auch aus Perspektive der betroffenen Frauen selbst) nicht zu bändigen sei (Shell-Duncan/ Hernlund 2000: 27, Abusharaf 2001: 130, Silverman 2004: 431, Rust 2007: 47). Hier zeigt sich (abgesehen von den physischen Aspekten) auch eine entscheidende so‐ ziale Differenz zur männlichen Beschneidung. Während diese beispielsweise bei den Dii in Kamerun der Stärkung männlicher Dominanz über Ehefrauen dient, gilt die weibliche Exzision explizit der Einschränkung weiblicher Sexualität (Muller 1993). Eng verbunden mit der Kontrolle weiblicher Se‐ xualität ist auch die Vorstellung der Ehre des Mannes und der Familie (van der Kwaak 1992: 781, Gruenbaum 1996: 461). 5) Heiratsfähigkeit: Das Begründungsmuster der Herstellung von Heirats‐ fähigkeit findet sich in nahezu allen Exzision praktizierenden Gesellschaften (Mackie 2000: 270, Peller 2002: 95). Es kennzeichnet die Eltern der betroffe‐ nen Mädchen nicht schlicht als böswillig, sondern als Eltern, die gemäß der lokalen Bräuche, denen sie individuell kaum entkommen können, die Zukunft ihrer Töchter sicherstellen wollen. Insbesondere wenn der Zugang zu finanziellen Mitteln, zu bezahlter Arbeit, zu Besitz, zu Land oder zu Tieren als Ressource nur über Männer möglich ist, stellt Heirat die nahezu alternativlose Option auf eine gesicherte Zukunft dar. 6) Übergangsritus: Die Funktion der Exzision als Übergangsritus (rite de passage) lässt sich meist nicht von dem Zweck der Heiratsfähigkeit trennen. Zugleich weist sie aber eigene Merkmale auf. Das Übergangsritual der Exzision dient der sozialen Markierung des Übergangs vom Kindesin den Erwachsenenbeziehungsweise den Frauenstatus (van Gennep 1999: 71 ff., Peller 2002: 29 ff.). Bestandteil des Rituals sind häufig Ausbildungsphasen, die angemessenes weibliches Verhalten lehren, etwa die Unterordnung unter höhergestellte Frauen und unter (Ehe-)Männer, Rechtschaffenheit und Moral, unter Umständen auch die Fähigkeit, eigene Interessen innerhalb des vorgegebenen gesellschaftlichen Rahmens durchzusetzen (Ahmadu 2000: 300, Rust 2007: 36). Eine wichtige Rolle im Übergangsritus spielt die Funk‐ tion des Schmerzes der Exzision. Er soll abhärten, erziehen, Ungehorsam abstrafen, auf das Leben vorbereiten und auf den Geburtsschmerz (Peller 2002: 34 f., Rust 2007: 56 ff.). 96 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="97"?> Wenn der Schwerpunkt auf der Herstellung nicht nur der Erwachsenen-, sondern der Frauenidentität liegt, dient die Exzision auch der Vereindeuti‐ gung eines weiblichen Geschlechts, indem alle vermeintlich männlichen Geschlechtsteile entfernt werden. Die Exzision stellt eine heterosexuelle und eindeutige Geschlechtsidentität her, der im jeweiligen gesellschaftli‐ chen Kontext eindeutige geschlechtsspezifische Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten zugeordnet werden. So dürfen Mädchen nach dem Ritus beispielsweise nicht mehr mit Jungen spielen, müssen im Haus bleiben und sich einem strikten Verhaltenskodex unterwerfen (El Dareer 1982: 71, van der Kwaak 1992: 782). 7) Kollektive Identität: Auf der Grundlage der vorangegangenen Begrün‐ dungsmuster lässt sich ein Merkmal herausarbeiten, das allen Formen der Exzision trotz ihrer Unterschiedlichkeit hinsichtlich der Begründung, der Ausführung und der Relevanz gemeinsam ist. Alle Begründungsmus‐ ter weisen die Funktion der Exzision als Herstellung von Identität auf. Exzision als fest installierte Tradition oder als unhintergehbarer religiöser Akt sichert die ethnische beziehungsweise die religiöse Identität. Ebenso wie in der Funktion als Distinktionsmerkmal vom Westen, von anderen Gruppen oder von Unbeschnittenen beweisen beschnittene Genitalien die Loyalität zur eigenen Gemeinschaft, erlauben die Durchführung religiöser Handlungen und gestatten das Gefühl kultureller Überlegenheit. In den Begründungskomplexen Sexualität, Heiratsfähigkeit und Übergangsritus stellt die Exzision eine eindeutige und erwachsene Geschlechtsidentität her. Die zentrale Stellung, die Exzision für die Identitätsbildung einnimmt, verdeutlicht, wie alternativlos die Praxis in den betreffenden Gesellschaften zunächst ist. Um ein ökonomisch akzeptables und sozial akzeptiertes Leben führen zu können, um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, um im Rahmen der jeweiligen Normen und Werte handlungsfähig zu sein, müssen Frauen und Mädchen sich beschneiden lassen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie das auch selbst wollen können - allerdings in einem Rahmen, der kaum Alternativen zulässt. Hinzu kommt das in vielen Fällen junge bis sehr junge Alter der Mädchen. „In Anbetracht ihrer Jugend […] ist die betroffene Person, selbst wenn sie angemessen informiert sein sollte, nicht in der Lage, die Konsequenzen ihrer Entscheidung einzuschätzen“ (Ouguergouz 2003: 106). Die zentrale Bedeutung der Exzision für die Konstitution und Konstruk‐ tion von Identität ist allerdings nicht invariant. Sowohl der historisch 97 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="98"?> frühe, unorganisierte und vereinzelte, oder der organisierte Widerstand von Frauen und Mädchen gegen die Exzision als auch der Erfolg von gegenwärtigen Kampagnen zeigen auf, dass die Identitätsbildungsprozesse dynamisch sind (s.a. Müller/ Mende 2016). An dieser Stelle zeichnet sich die Notwendigkeit der Förderung und Unterstützung vielfältiger Identitäts- und Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer Gesellschaft ab. Erst dann, wenn spezifische Interessen, Verhaltensweisen und Handlungsmöglichkei‐ ten nicht mehr eng an ein Geschlecht, eine Religion oder das Aussehen der Geschlechtsorgane geknüpft werden, sind Handlungsalternativen eröffnet. Erst der Zugang zu Handlungsalternativen wiederum bildet die Grundlage für einen freien Willen. 3.4.5 Der freie Wille und Menschenrechte Aus menschenrechtlicher Perspektive werden die Zumutungen und Beschä‐ digungen der Exzision auf Grundlage der oben ausgeführten Kontextua‐ lisierung deutlich. Ebenso deutlich werden aber auch die Gründe und inneren Logiken der Praxis, die derart dominant sein können, dass sie auch einen freien Willen der Betroffenen konstituieren können. An diesem Punkt stehen sich nicht nur universalistische und kulturrelativistische Ar‐ gumentationen gegenüber, sondern auch unterschiedliche Menschenrechte. Während universalistische Argumentationen etwa mit dem Menschenrecht auf Gesundheit und auf körperliche Unversehrtheit argumentieren (Hosken 1994), nehmen kulturrelativistische Argumentationen eine Orientierung an Menschenrechten wie dem Recht auf freie Meinungsäußerung, der Freiheit des Glaubens oder dem Recht der Eltern auf die selbstbestimmte Erziehung ihrer Kinder (Shweder 2002: 225 f.) für sich in Anspruch. Ein freier Wille aber setzt die Möglichkeit zur auf Wissen beruhenden Reflexion, zu einer Abwägung zwischen den verschiedenen Menschenrech‐ ten und vor allem die Existenz von gangbaren Alternativen voraus. „Eine Person ist (signifikant) autonom, wenn sie ihr Leben gestalten und dessen Verlauf bestimmen kann. Sie ist nicht bloß eine rational Handelnde, die zwischen Optionen wählen kann, nachdem sie die relevanten Informationen begutachtet hat, sondern sie ist eine Handelnde, die zusätzlich persönliche Projekte und Beziehungen entwickeln und sich für Dinge einsetzen kann, durch die sich ihre persönliche Integrität und ihr Sinn für Würde und Selbstrespekt konkretisieren“ (Raz 1988: 154). 98 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="99"?> Für gangbare, relevante Alternativen ist sowohl die ökonomische, politische und soziale Unabhängigkeit von Frauen als auch die Existenz vielfältiger (Frauen-)Identitäten notwendig. Denn die Kontextualisierung der Praxis und die Offenlegung ihrer Begründungsmuster verdeutlichen die Einbet‐ tung der Praxis in herrschaftsförmige Strukturen und ihre Funktion für die Konstitution bestimmter, eng vorgegebener Identitäten. Dies ist auch Gegenstand zivilgesellschaftlicher und feministischer Bewegungen vor Ort: „Tatsächlich verlangen umfassende Vorschläge von somalischen Frauengruppen die soziale, ökonomische und politische Verbesserung der Position von Frauen. Diese Verbesserungen sind nicht nur der Schlüssel zur Abschaffung von Tradi‐ tionen, die deren Wohlbefinden und Wohlstand einschränken, sondern auch zur Nachhaltigkeit von Einstellungsveränderungen gegenüber der Abschaffung von weiblicher Beschneidung“ (Abdalla 2013: 204). Dafür ist auch die Schaffung etwa neuer Zivilgesetze notwendig, die die Rechte von Frauen auf Eigentum, auf Scheidung, auf ihre Kinder, auf Kinder‐ betreuung und auf ökonomische Unabhängigkeit stärken beziehungsweise zunächst einmal herstellen (Gruenbaum 1982: 8). Dass es vornehmlich Frauen statt Männer sind, die die Exzision an anderen Frauen oder Mädchen durchführen, macht sie weder zu ‚gehirngewaschenen Opfern‘, wie es der einseitige Universalismus will (Daly 1990), noch ist es ein Beweis für die Gleichberechtigung der Geschlechter, wie der Kulturrelativismus glauben möchte (Skinner 1988): „Herrschaft aber auf eine simple Beziehung zwischen Opfer und Täter zu redu‐ zieren, heißt, die Analyse durch moralische Empörung zu ersetzen. Solch eine Simplifizierung reproduziert schließlich nur die Struktur der Geschlechter-Pola‐ rität unter dem Vorwand, sie zu attackieren“ (Benjamin 1993: 13). Das Kontextwissen bietet alternative Anknüpfungsmöglichkeiten: Es er‐ laubt, eine einseitig universalistische moralische Empörung durch eine fun‐ dierte Analyse und Diskussion zu ersetzen. Auf dieser Grundlage kann die Perspektive eines vermittelten Universalismus ausgestaltet werden, der die Handlungsgründe und Lebenssituationen betroffener Frauen einbindet und somit Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit schafft. Kampagnen gegen die Exzision können dann weder von einem invarianten Patriarchatsmodell ausgehen noch patriarchale Strukturen aus der Analyse ausblenden. Aus der Perspektive eines vermittelten Universalismus wäre es auch unzureichend, nur den Akt der Exzision als patriarchal zu kennzeichnen 99 3.4 Die Praxis der weiblichen Genitalexzision <?page no="100"?> und alle anderen gesellschaftlichen Bedingungen unhinterfragt zu belassen. Das ist dann der Fall, wenn die Funktion von Exzision in einem ritual without cutting, einem Ritual ohne Schneiden, kompensiert werden soll (vgl. Ahmadu 2000: 308, Mandara 2000: 107), um weder „das Ritual an sich, die Autorität der organisierenden Personen noch die soziale Rolle des Rituals in Frage zu stellen“ (Peller 2002: 164). So könne weiterhin „eine anstößig von einer tugendhaft Handelnden“ unterschieden werden (ebd.: 161). Beziehungen von Macht und Ausschluss sollen hier also explizit unangetastet bleiben. Nur der physische Akt, nicht aber dessen soziale und gesellschaftliche Effekte sollen in dieser Vorstellung eines ritual without cutting verändert werden. Demgegenüber kommt es der Perspektive eines vermittelten Universalismus darauf an, Konzepte von ‚Anstößigkeit‘ und ‚Tugendhaftigkeit‘, mit denen eine voreheliche Schwangerschaft ebenso wie Bildung für Mädchen denunziert werden, auf ihre gesellschaftlichen und individuellen Funktionen hin zu überprüfen. Insgesamt wird also der Maßstab des freien Willens kulturrelativistisch verkürzt, wenn er unter Missachtung repressiver Verhältnisse als gegeben angenommen wird. Der Maßstab des freien Willens wird universalistisch verkürzt, wenn er unter Missachtung spezifischer, komplexer gesellschaft‐ licher Verhältnisse als inexistent angenommen wird. Nicht der Maßstab des freien Willens selbst wäre allerdings aufzugeben. Vielmehr gilt es, eine Perspektive zu entwickeln, die auf die Förderung und Unterstützung von Entscheidungsmöglichkeiten abzielt, die aber zugleich die Hindernisse, die deren Verwirklichung im Wege stehen, erkennt und ernst nimmt. Dann wären die Verhältnisse so einzurichten, dass die Praxis weder ökonomischer noch politischer oder sozialer Zwang ist, dass Mädchen und Frauen Zugang zu Ressourcen und Bildung haben und über umfassende Rechte verfügen, dass es weder Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen noch zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden gibt. Diese Aufzählung ließe sich ausbauen. Sie gestattet nicht nur die Vermutung, dass unter all diesen Bedingungen sich kaum mehr eine Frau aus freiem Willen für die Exzision ihrer Genitalien entscheiden würde. Sie verdeutlicht auch, dass mit der Abschaffung von Exzision noch nicht das Leiden an bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen abgeschafft ist. 100 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="101"?> ➤ Das Element des kulturrelativistisch vermittelten Universalismus Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass sowohl universalistische als auch kulturrelativistische Perspektiven wichtige Aspekte zu einem vermittelten Universalismus beitragen. Zugleich weisen beide in einer einseitigen Per‐ spektive auch deutliche Grenzen auf. Vor diesem Hintergrund wird für einen vermittelten Universalismus im Folgenden das Element eines kultur‐ relativistisch vermittelten Universalismus entwickelt. Dieser beruht auf einer Integration und Vermittlung beider Pole von Kulturrelativismus und Universalismus, ohne sie schlicht ineinander aufzulösen, um ihre Stärken zu bewahren und ihre jeweiligen Grenzen zu überwinden. Auf der einen Seite verweisen kulturrelativistische Perspektiven auf die Kontextabhängigkeit von je spezifischen Normen und Praxen. Gegen Rassis‐ mus und Annahmen westlicher Überlegenheit geht es dem Kulturrelativis‐ mus um eine Reflexion auf die eigenen Bedingtheiten und Voraussetzungen. Annahmen der Toleranz und Gleichwertigkeit bilden die Grundlage des Kulturrelativismus. Damit finden sich bereits innerhalb des Kulturrelativis‐ mus Momente des Universalismus. Sowohl Toleranz und Gleichwertigkeit als auch der Maßstab des freien Willens weisen einen universellen Anspruch auf. In der Stellungnahme zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte betont Herskovits zudem die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen und der Menschheit (AAA 1947: 540 f.). Der spätere pragmatische Kultur‐ relativismus erkennt nicht nur empirisch fixierte, sondern auch abstrakte Grundlagen als Gemeinsamkeiten aller menschlichen Gesellschaften an (Turner 1997: 278). Auf der anderen Seite basieren universalistische Perspektiven auf der Annahme, dass allen Menschen die gleichen Menschenrechte zukommen. Die Forderung nach gleichen Rechten geht jedoch nicht notwendig mit dem Anspruch auf Gleichheit im Sinne einer repressiven Egalität einher: Diver‐ sität und die Gleichwertigkeit von Unterschiedenem, auf die der Kulturre‐ lativismus beharrt, ist auch im Universalismus möglich. Die Abstraktion im Universalismus erlaubt es, den Anspruch aller auf bestimmte Rechte zu formulieren und als Mittel zur Umsetzung dieser Rechte zur Verfügung zu stellen. Das stellt einen Maßstab bereit, anhand dessen es möglich ist, repressive, Leiden verursachende, die Menschenwürde verletzende oder bestimmte Freiheiten einschränkende Praxen zu kritisieren. Gleichzeitig sind diese Maßstäbe ebenso wie das Menschenrechtsregime selbst historisch 101 ➤ Das Element des kulturrelativistisch vermittelten Universalismus <?page no="102"?> und gesellschaftlich geprägt. Menschenrechte haben sich aus konkreten Situationen heraus entwickelt. Der Universalismus schließt also Unterschiede nicht aus und ist kontext‐ spezifisch. Der Kulturrelativismus lässt universelle Gemeinsamkeiten und Maßstäbe zu. Die Gegenüberstellung von Kulturrelativismus und Universa‐ lismus scheint damit auf den ersten Blick hinfällig zu werden. Allerdings würde der bloße Verzicht auf die Konzepte von Kulturrelativismus und Universalismus die jeweiligen Grenzen nicht überwinden, die beide Seiten aufweisen. Dafür ist deren Benennung und Analyse notwendig. Eine Möglichkeit, beide Seiten in der Reflexion sowohl ihrer Stärken als auch ihrer Grenzen zusammenzuführen, besteht darin, das Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus nicht als dichotomes, sondern als vermittlungslogisches herauszuarbeiten. Es gibt Perspektiven, die genau diesen Anspruch formulieren: Die Spannung zwischen den Polen solle produktiv fruchtbar gemacht werden (Speed 2006: 74), da der eine nicht ohne den anderen Pol diskutiert werden könne (Hatch 1997: 373, Hastrup 2003: 17). Beide stünden in einem komplementären Verhältnis zueinander, da der Universalismus eine Außenperspektive, der Kulturrelativismus hingegen eine Innenperspektive einnehme (Antweiler 2007: 30 f.). Auf keine der beiden könne eine humanistische Wissenschaft verzichten (ebd.: 51). Das Konzept eines „vermittelten und parteiischen Universalismus“ (Nagengast 1997: 349) stelle die Dialektik zwischen materiellen Bedingungen, Macht und abwertenden Differenzen in den Vordergrund, statt unvermittelt nur Universalismus oder Kulturrelativismus hervorzuheben (ebd.: 363). Die Spannung beider Seiten müsse konstitutiv in die Analyse aufgenommen werden (Cowan et al. 2001: 6 ff., Dembour 2001). Anzustreben sei ein kontextsensitiver, demokratischer Kosmopolitismus (Benhabib 2016). Daran anschließend lässt sich das Element des kulturrelativistisch ver‐ mittelten Universalismus genauer konturieren. Dieser ist nicht lediglich durch den Rekurs auf sowohl universalistische als auch kulturrelativistische Elemente innerhalb einer Argumentation gekennzeichnet. Vielmehr handelt es sich um eine spezifische Widerspruchskonstellation (siehe Kapitel 1). Kulturrelativismus und Universalismus sind innerlich und äußerlich mitein‐ ander vermittelt. Ihre äußere Vermittlung findet sich in ihrer gegenseitigen Negation, denn Kulturrelativismus und Universalismus stehen sich zunächst diametral gegenüber. 102 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="103"?> Ihre innere Vermittlung besteht abstrakt formuliert darin, dass sich die Negation des gegengesetzten Pols auch jeweils innerhalb der Pole nach‐ zeichnen lässt. So wird der Universalismus nicht nur durch den Kulturrela‐ tivismus auf der anderen Seite der Verhältniskonstellation negiert, sondern seine Negation findet sich auch in ihm selbst: Die konstitutive Möglichkeit von Differenz, die historische und gesellschaftliche Situiertheit, die Not‐ wendigkeit kontextspezifischer Umsetzung bilden eine Negation innerhalb seiner eigenen Bestimmung. Parallel lässt sich im entgegengesetzten Pol des Kulturrelativismus ebenso nachzeichnen, dass er seine Negation sowohl im Gegenpart Universalismus als auch in sich selbst findet: Sein universeller Anspruch, die Zulassung von Gemeinsamkeiten und Universalien bilden die Negation des Kulturrelativismus im Kulturrelativismus selbst. Auf diese Weise lässt sich die Gleichzeitigkeit von Gemeinsamkeiten und Widersprüchen in dem Verhältnis der beiden Pole Universalismus und Kul‐ turrelativismus genauer bestimmen. Es wird deutlich, dass die Momente von Homogenisierung, Gewaltförmigkeit und abstrakter Vereinheitlichung im Universalismus (nur) dann greifen, wenn die Gesamtkonstellation einseitig auf die Seite des Universalismus hin aufgelöst wird. Dasselbe gilt für die einseitige Auflösung hin zu einem Kulturrelativismus, der alles toleriert und akzeptiert und den Blick für Leiden verursachende Verhältnisse verliert. Beide Pole stoßen genau dann an ihre Grenzen, wenn auf ihre innere und äußere Vermittlung mit dem jeweiligen Gegenpol nicht reflektiert wird. Dieses Verhältnis erfordert eine prozesshafte Bewegung zwischen den beiden Polen: „Aufgrund der scheinbaren Sinnlosigkeit des Hin- und Herlavierens zwischen den beiden Möglichkeiten wird erst rückblickend die Komplexität des ganzen Ver‐ hältnisses deutlich. Erst nach dem Durchgang durch die Reflexion, die mindestens zwei Möglichkeiten durchlaufen […] muss, tritt die Gesamtheit der Aussage zutage“ (Müller 2011: 42). Wenn das vermittelte Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus vollständig durchlaufen und reflexiv aufgenommen wird, können die Stär‐ ken und die Grenzen beider Seiten erfasst und diskutiert werden. Wird der Kulturrelativismus nicht - mit der Konsequenz von Willkür oder Beliebigkeit - einseitig verabsolutiert, dann weist er, explizit oder implizit, einen inhärenten Universalismus auf. Wenn auf diesen universalistischen Ausgangspunkt reflektiert wird (und wenn er bewahrt werden soll! ), ergibt sich die Möglichkeit, in einem vermittelten Universalismus zu münden. 103 ➤ Das Element des kulturrelativistisch vermittelten Universalismus <?page no="104"?> Verbleibt der Universalismus seinerseits einseitig abstrakt, nimmt er einen repressiven Charakter an, wenn er etwa eine Norm hypostasiert, proklamatorisch verkündet, mit allen Mitteln durchsetzen will und auf seine eigene Situiertheit und die möglichen Grenzen der eigenen Position nicht reflektiert. In dieser Form kann der Universalismus der Menschenrechte auch als Instrument für die Durchsetzung bestimmter Interessen verwendet werden. Das bedeutet allerdings nicht, die Idee universeller Menschenrechte selbst zu verwerfen. Vielmehr verdeutlicht sich, dass kein Begriff, keine Theorie und kein Konzept ungesellschaftlich und vor repressiven Zugriffen geschützt ist. 3.5 Konklusion Durch eine (dem Kulturrelativismus entnommene) kontextsensible Heran‐ gehensweise, welche lokale, historische und konkrete Bedingungen in die Analyse aufnimmt, kann eine universalistische Argumentation ihre Stärken bewahren. So kann auch das Menschenrechtsregime auf seine eigene Gewordenheit und Historizität reflektieren, ohne damit seinen uni‐ versellen Anspruch aufzugeben. Vielmehr lässt sich der Universalismus der Menschenrechte gerade durch seine Geschichte und Gewordenheit, durch die wiederholten Erfahrungen von Leiden in der Geschichte der Menschheit begründen. Menschenrechte können dann auch in konkreten Situationen spezifisch analysiert, behandelt, umgesetzt und übersetzt werden, ohne dass damit ihr grundsätzlich allen Menschen zukommender Charakter erodiert wird. Ein kulturrelativistisch vermittelter Universalismus kann einen kontext‐ sensiblen, aber zugleich universellen Überlegungen entnommenen Maßstab explizieren und zur Diskussion stellen, um so Verhältnisse zu identifizieren, die Leiden verursachen, die bestimmte Freiheiten einschränken, die men‐ schenunwürdig sind. 104 3 Der Vorwurf „Es gibt keinen Universalismus“ <?page no="105"?> 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“. Die kollektivrechtliche Kritik am individualistischen Universalismus von Menschenrechten Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen: ■ Kulturelle und kollektive Menschenrechte ■ Was meint der Vorwurf des Individualismus? ■ Historische Entwicklung von Gruppen- und Minderheitenrechten ■ Individualrechtlicher und kollektivrechtlicher Minderheitenschutz ■ Die Unterscheidung zwischen autochthonen und allochthonen Min‐ derheiten ■ Perspektiven des Liberalismus und des Kommunitarismus auf kol‐ lektive Menschenrechte ■ Indigene Menschenrechte ■ Konzepte von Kultur ■ Gesellschaftlich vermittelter Universalismus ■ Kulturreflexiver Universalismus ■ Mehrebenen-Universalismus Eine zentrale Kritiklinie am Universalismus der Menschenrechte kritisiert deren individualistischen Charakter. Denn die klassischen Menschenrechte kennzeichnen das Individuum als Rechtsträger gegenüber dem Staat als Pflichtenträger (Donnelly 1990: 43). Damit, so die Kritik, würden Menschen‐ rechte keine Gruppen, Kollektive und Kulturen schützen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass der vermeintliche Universalismus der Menschenrechte dem partikularen Kontext der westlichen, liberalen, aufs Individuum aus‐ gerichteten Denktradition entstamme. Dieser individualistische Universa‐ lismus führe nicht nur zum Ausschluss anderer Denktraditionen, wie kul‐ turrelativistische und postkoloniale Perspektiven argumentieren. Vielmehr sei der individualistische Universalismus kollektiven Ansätzen derart ent‐ gegengesetzt, dass er Kollektive, Gemeinschaften beziehungsweise Kulturen <?page no="106"?> (im Folgenden zusammenfassend als Gruppen bezeichnet) in ihrer Existenz bedrohe: „Die Idee der Menschenrechte, oder überhaupt die Idee von Rechten, setzt eine Gesellschaft voraus, die atomisiert und individualistisch ist […]. All die Werte, die damit impliziert werden, sind unseren eigenen traditionellen Gesellschaften gegenüber ganz eindeutig fremd. Wir betonen nicht das Individuum, sondern das Kollektiv; wir erlauben nicht, dass das Individuum irgendwelche Ansprüche erhebt, die sich über die Ansprüche der Gesellschaft hinwegsetzen“ (Ake 1987: 5). Kollektivrechtliche Kritiken konzentrieren sich somit auf die Frage nach dem Subjekt der Menschenrechte. „Die gesellschaftlich zu entscheidende Frage wäre dann nicht mehr Relativismus oder Universalismus, sondern ob Gruppen welcher Art auch immer oder Individuen die entscheidenden Rechtsträger einer Gesellschaft sein sollten“ (Reese-Schäfer 2000: 229). Ein entscheidendes Merkmal der im Folgenden diskutierten kollektiv‐ rechtlichen Kritik besteht darin, dass sie ihre Forderungen nicht gegen das Menschenrechtsregime erhebt. Vielmehr strebt sie Transformationen inner‐ halb der Menschenrechte an. Menschenrechte und Gruppen werden nicht in einem gegenseitigen Ausschlussverhältnis betrachtet, sondern es geht der kollektivrechtlichen Kritik um die Etablierung kultureller beziehungsweise kollektiver Menschenrechte. Insgesamt geht es in der kollektivrechtlichen Kritik am individualisti‐ schen Universalismus der Menschenrechte um die Frage, ob das Individuum oder die Gruppe den normativen, konzeptuellen und rechtlichen Bezugs‐ punkt der Menschenrechte bilden sollen. Auf die Beantwortung dieser Frage gibt es drei idealtypische Perspektiven. Die erste Perspektive fordert kollektive Menschenrechte, da nur diese den Schutz von Gruppen gewährleisten würden und somit auch aus menschen‐ rechtlicher Perspektive ein notwendiges Gegengewicht zu individuellen Menschenrechten bilden würden. So könnten bestimmte, vermeintlich in‐ dividuelle Menschenrechte selbst nur als Teil einer Gruppe wahrgenommen werden (Crawford 1988b, VanderWal 1990, Stavenhagen 1995). Ohne kol‐ lektive Rechte könne weder die Unteilbarkeit bestimmter kollektiver Güter noch die Diskriminierung benachteiligter Gruppen ( Jones 2000) oder der Wert von Gruppen an sich (McDonald 1991: 232) in die menschenrechtliche Perspektive geraten. Das könne Gruppen in ihrer Existenz bedrohen - ins‐ besondere solche, in denen die Ideen von Individualität, Freiheit oder freier Wahl keine Rolle spielen würden. „Tatsächlich wird Autonomie nicht in allen 106 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="107"?> Kulturen als wichtig erachtet“ (Xanthaki 2007: 32). Der Schutz von Gruppen sei zentral für eine gerechte Gesellschaft, weil es sich bei der Verknüpfung von individueller Identität und kulturellem Kollektiv gerade nicht um eine individuelle Wahl handele (McDonald 1991: 219). Das bedeutet allerdings auch, kollektive Interessen über individuelle Interessen zu stellen. „Denn es sind das Wohlergehen beziehungsweise die Interessen der Gemeinschaft, die hier auf dem Spiel stehen, und nicht nur das Wohlergehen eines ihrer Mitglieder“ (ebd.: 232). Die zweite Perspektive kennzeichnet die Forderung nach kollektiven Menschenrechten als Selbstwiderspruch, da Menschenrechte nur als indivi‐ duelle zu verwirklichen seien und von kollektiven Forderungen untergraben werden würden: „Die Forderungen nach ‚kollektiven‘ Menschenrechten sind erstens begrifflich irreführend und zweitens nicht begründbar, da der universelle, egalitäre und kategorische Anspruch von Menschenrechten nicht in der gleichen Weise für Kollektive wie für individuelle Personen begründet werden kann“ (Lohmann 2004: 106 f.). „Individuelle Menschenrechte und Gruppenrechte sind im Kern inkompatibel, denn die Menschen müssen nicht nur gegen die Übergriffe staatlicher Autoritä‐ ten geschützt werden, sondern auch gegen jene Gruppen, die sie gewaltsam einschließen oder ausschließen möchten“ (Reese-Schäfer 2000: 354). Die Teilhabe an einer kulturellen Gruppe könne zwar als Element von Menschenwürde verstanden werden, aber sie müsse auf einer freien, indi‐ viduellen Entscheidung beruhen. Daher würden die Rechte und Entschei‐ dungsfreiheiten der Mitglieder einer Gruppe am wirkungsvollsten durch bestehende individuelle Menschenrechte geschützt - selbst dann, wenn es sich um die individuelle Entscheidung für eine traditionelle, Individualität verneinende Gruppe handele (Donnelly 1990: 52 ff.). Darüber hinaus wer‐ den in der Gewährung kollektiver Rechte marktwirtschaftliche Nachteile, die Unterminierung staatlicher Stabilität sowie die Gefährdung nationaler Grenzen befürchtet (Heintze 1998: 15), wenn mit Kollektivrechten die Forderung nach einer Sezession, also einer Ablösung bestimmter Kollektive von einem Staat einhergeht. (Ein prominentes Beispiel für letztere bilden baskische und katalanische Bestrebungen nach Unabhängigkeit von Spa‐ nien.) Eine dritte Perspektive geht von einer grundsätzlichen Vereinbarkeit individueller und kollektiver Menschenrechte aus. „Kulturelle Freiheit […] 107 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="108"?> ist eine kollektive Freiheit. Sie bezieht sich auf das Recht einer Gruppe von Menschen, einen selbst gewählten Lebensweg zu beschreiten oder zu übernehmen […]. Sie schützt nicht nur das Kollektiv, sondern gleichzeitig auch die Rechte eines jeden Individuums darin“ (UNESCO 1995: 15). Aus dieser Perspektive gibt es keinen zwingenden Konflikt zwischen individu‐ ellen und kollektiven Menschenrechten. Im Gegenteil würden sich beide produktiv ergänzen und in einer „dialektischen, reziproken Beziehung“ (Stavenhagen 1990: 225) zueinander stehen. Sie seien „einfach zusammen‐ wirkend“ (Crawford 1988a: 167). Wenn individuelle durch kollektive Rechte verletzt werden würden, liege das nicht in der Natur kollektiver Rechte begründet, sondern in ihrem Missbrauch (UNESCO 1995: 15). Ähnlich wie es in anderen Fällen konfligierender (Menschen-)Rechte Praxis sei, müsse im Fall eines Widerspruchs zwischen kollektiven und individuellen Rechten ein „Gleichgewicht […] der Abwägung“ (Pritchard 2001: 223) gefunden werden. In allen drei Perspektiven ist die Frage nach dem Verhältnis von Indi‐ viduum und Gruppe sowie in einem zweiten Schritt das Kriterium der Freiwilligkeit beziehungsweise des freien Willens ausschlaggebend. Die da‐ mit einhergehenden Konflikte und entsprechende Umgangsmöglichkeiten werden im Folgenden historisch, theoretisch und empirisch nachgezeich‐ net. Diskutiert werden die historische Entwicklung von Gruppen- und Minderheitenrechten, die theoretische Debatte zwischen Kommunitarismus und Liberalismus sowie das empirische Beispiel indigener Menschenrechte (vgl. Mende 2015a). Anknüpfend an diese drei Diskussionen werden mit dem gesellschaftlich vermittelten, dem kulturreflexiven und dem Mehre‐ benen-Universalismus weitere zentrale Elemente für einen vermittelten Universalismus entwickelt. 4.1 Gruppenrechte als Minderheitenrechte Der folgende Überblick über die historische Entwicklung von Gruppenrech‐ ten als Minderheitenrechte verdeutlicht zum einen die unterschiedlichen Interpretationslinien von Gruppenrechten. Zum anderen konturiert er die Definition von Gruppen, die den Gegenstand von kulturellen und kollektiv‐ rechtlichen Forderungen bilden. In Europa entwickelte sich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs ein ethnisch fundiertes Gruppenkonzept. Durch Verschiebungen nationalstaat‐ licher Grenzen entstanden Minderheiten auf nunmehr anderen Staatsgebie‐ 108 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="109"?> 25 1999 wurde dieses Nebenorgan der UN-Menschenrechtskommission umbenannt in die Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten. Im Zuge der Ersetzung der UN-Menschenrechtskommission durch den UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2006 wurde die Unterkommission durch den Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrates ersetzt. ten, für die ein gegenseitiger Minderheitenschutz etabliert werden sollte, der in abgeschwächter Form auch in die Satzung des Völkerbundes Eingang fand. Dieser Minderheitenschutz bildete in Deutschland allerdings rasch die Basis für eine völkische Interpretation: Die Bewohner/ -innen der Gebiete, die Deutschland abtreten musste, sollten als sogenannte Auslandsdeutsche zur Stärkung der kollektiven deutschen Identität unterstützt und ‚zurück‐ geholt‘ werden. Diese völkische Interpretation des Minderheitenschutzes gewann in Deutschland nachhaltig an Einfluss und wurde schließlich auch folgenreicher Gegenstand der nationalsozialistischen Politik (Staple‐ ton 1995: x ff., Pritchard 2001: 51 ff., Salzborn 2005: 63 ff.). Die Herausbildung des modernen Menschenrechtsregimes ab 1945 mar‐ kiert eine grundlegende Unterscheidung zwischen diesen völkischen, antidemokratischen Gruppenrechten einerseits und gruppenbezogenen Menschenrechten andererseits. Gruppen werden bereits in den frühen Do‐ kumenten der Menschenrechte angesprochen. So werden religiöse, sprach‐ liche und ethnische Minderheiten, die „Gemeinschaft“ (AEMR, Artikel 29.1) oder der „Wille des Volkes“ (AEMR, Artikel 21.3) erwähnt (Pritchard 2001, Donnelly 2006: 614, Kesselring 2009: 162). Im Rahmen des menschenrechtlichen Minderheitenschutzes gewann das Konzept der Gruppe an besonderer Relevanz (Frowein et al. 1994, Thorn‐ berry/ Martín Estébanez 2004). Hier entwickelten sich zwei Linien. Auf der einen Seite setzte sich ein liberaler, individualrechtlicher Minderheiten‐ schutz durch, der Gruppen weder als biologische noch als ethnisch-traditio‐ nelle Determinanten versteht, sondern als Resultat von gesellschaftlichen Ungleichheits- und Ausgrenzungsmechanismen. Dementsprechend stehen negative Freiheitsrechte, Gleichstellung und Antidiskriminierung im Mit‐ telpunkt des individualrechtlichen Minderheitenschutzes (Stapleton 1995: xxvii, Pritchard 2001: 114). Auf der anderen Seite wurde innerhalb des Menschenrechtsregimes auch ein kollektivrechtlicher Minderheitenschutz diskutiert. Die UN-Unter‐ kommission zur Verhinderung von Diskriminierung und für Minderheiten‐ schutz 25 unterscheidet 1947 dementsprechend zwischen dem Ziel der Gleich‐ stellung von Minderheiten mit der Mehrheit (also dem individualrechtlichen 109 4.1 Gruppenrechte als Minderheitenrechte <?page no="110"?> 26 UN Doc. E/ CN.4/ 52 (1947). www.undocs.org/ en/ E/ CN.4/ 52. 27 Dinstein 1976: 118, Crawford 1988a: 172, Ermacora 1988: 69, Thornberry 1991: 173 ff., Heintze 1998: 24 f., Kimminich/ Hobe 2000: 371. Minderheitenschutz) einerseits und der „unterschiedenen Behandlung, um die basalen Merkmale zu erhalten, die sie besitzen und die sie von der Mehr‐ heit unterscheiden“ andererseits. 26 Es geht im kollektivrechtlichen Minder‐ heitenschutz demnach um die „Sicherung und Entfaltung der Eigenart der betreffenden Gruppen“ (Pritchard 2001: 43) und somit explizit um den Erhalt einer von der Mehrheitsgesellschaft distinkten Kultur und Identität (ebd.: 200). Diese Distinktion, so die zugrundeliegende Annahme, könne durch die negativen Freiheitsrechte des individualrechtlichen Minderheitenschutzes gerade nicht geschützt werden. Als zentrale Grundsteinlegung für Minderheitenrechte im modernen Menschenrechtsregime gilt der Artikel 27 des Zivilpakts: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Ange‐ hörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen“ (Sozialpakt, Artikel 27). Allerdings bleibt umstritten, ob der Artikel 27 kollektivrechtlich, individu‐ alrechtlich oder als Kompromisslösung zwischen beiden Formen ausgelegt werden kann. 27 Rechtsdogmatisch ist der Artikel so offen formuliert, dass er nicht nur unterschiedliche, sondern sogar konträr entgegengesetzte Ausle‐ gungen erlaubt. „Festzuhalten ist, daß Artikel 27 weder als rein kollektives noch als rein individuelles Recht konzipiert wurde“ (Pritchard 2001: 209 f.). Artikel 27 gibt allerdings Klarheit darüber, wie Minderheiten überhaupt zu definieren seien. Er entwickelt das Prinzip, Minderheiten ethnisch, religiös und sprachlich zu kennzeichnen. Der Sonderberichterstatter der UN-Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und für Min‐ derheitenschutz Capotorti stärkt diese Kriterien in seinem Bericht einige Jahre später. Er definiert eine Minderheit als „[e]ine Gruppe, die quantitativ der restlichen Staatsbevölkerung unterliegt, in einer nicht dominanten Position, deren Mitglieder - als Staatsangehörige - ethnische, religiöse oder linguistische Charakteristika aufweisen, die sich von jenen im Rest der Bevölkerung unterscheiden, und die, wenn auch nur implizit, 110 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="111"?> 28 Weitere Dokumente, die den Schutz kultureller, religiöser oder ethnischer Minderheiten zum Gegenstand haben, sind die UN-Genozidkonvention von 1948, der Artikel 5 im UNESCO-Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen von 1960, die UN-Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker von 1960, die UNESCO-Erklärung über die Grundsätze einer internationalen kulturellen Zusammenarbeit von 1966, zahlreiche regionale Menschenrechtsabkommen sowie weitere internationale, rechtlich jedoch nicht bindende Erklärungen. Vgl. Dinstein (1976), Berting et al. (1990), Bloch (1995), Rosas (1995b), Stavenhagen (1995), Riedel (2006). einen Solidaritätssinn zeigen, der auf die Erhaltung ihrer Kultur, Traditionen, Religion oder Sprache ausgerichtet ist“ (Capotorti 1979: § 568). Die sich weltweit etablierenden Selbstbestimmungsbewegungen, Dekoloni‐ sierungsprozesse sowie die ost- und südosteuropäischen Transformationen in den 1990er Jahren verliehen dem menschenrechtlichen Minderheiten‐ schutz eine neue Konjunktur. Einen Höhepunkt bildet die UN-Minderheiten‐ deklaration von 1992, die den Artikel 27 des Zivilpakts konkretisiert. 28 Aber auch hier bleibt die Frage nach einer individual- oder kollektivrechtlichen Auslegung (Stavenhagen 1995: 74 ff.) oder einem möglichen „Gleichgewicht zwischen einem individuellen und einem kollektiven Schutz“ (Pritchard 2001: 219) offen. Der menschenrechtliche Minderheitenschutz ist somit geprägt von einer Spannung zwischen der „individualrechtlichen Betrachtungsweise, [die] die Minderheit als Summe einzelner, durch Gesinnung und Lebensumstände verbundener Menschen“ sieht, und der „kollektivrechtlichen Betrachtungs‐ weise, [die] die Minderheit als eine überwiegend durch objektive Merkmale bestimmte, überindividuelle Einheit“ (ebd.: 23) versteht. Der Sinn eines kollektivrechtlichen Minderheitenschutzes wird darin gesehen, „ihre Existenz und Identität abzusichern“, Gräben zu überbrücken und letztlich „Weltfrieden“ herzustellen (Heintze 1998: 19). Während der in‐ dividualrechtliche Diskriminierungsschutz auf eine Gleichstellung benach‐ teiligter Gruppen abzielt, geht es dem kollektivrechtlichen Minderheiten‐ schutz um die langfristige und fortdauernde Stabilisierung, Unterstützung und Reproduktion ihrer distinkten Existenz. Nur auf diesem Wege, so die Annahme, könne eine wirkliche Gleichheit mit der Mehrheitsgesellschaft hergestellt werden (Sanders 1991). Da Menschen nur innerhalb von kultu‐ rellen, linguistischen oder religiösen Gruppen existieren würden und diese Gruppen individualrechtlich nicht ausreichend geschützt seien, müsse das Individualitätsprinzip der Menschenrechte einer Revision unterzogen wer‐ 111 4.1 Gruppenrechte als Minderheitenrechte <?page no="112"?> den (Thornberry 1991: 12). Die Identitäten von Minderheiten bedürften eines speziellen Schutzes, weil sie anderenfalls durch Zwangsassimilierung oder Auflösung bedroht werden würden (Heintze 1998: 20 ff., Chapman 2011: 253, vgl. Brölmann et al. 1993, Pritchard 2001: 25). Daher seien kollektive Rechte für sogenannte autochthone Minderheiten notwendig. Die Unterscheidung zwischen autochthonen und allochthonen Minder‐ heiten ist entscheidend und folgenreich, wie im Folgenden noch deutlich wird. Sie geht davon aus, dass nur autochthone, also einheimische, altein‐ gesessene Gruppen kollektive Rechte zum Schutz ihrer Kultur benötigten, wohingegen den Bedürfnissen allochthoner, also eingewanderter Minder‐ heiten auch mit individuellen Rechten begegnet werden könne. Es geht im kollektivrechtlichen Minderheitenschutz demnach nicht um alle möglichen, sondern nur um ganz spezifische Minderheiten als Rechts‐ träger. Van Dykes Kriterien zur Beurteilung kollektivrechtlicher Forderun‐ gen einer Gruppe sind hierfür maßgebend (van Dyke 1982: 33 ff.): 1. Eine Gruppe hat ein Selbstbewusstsein und ein geteiltes Erbe, das sie von anderen abtrennt und unterscheidet. 2. Eine Gruppe hat gute strukturelle Chancen, sich als Gruppe zu erhalten. 3. Eine Gruppe weist klare und erkennbare Kriterien der Mitgliedschaft auf. Zu den Kriterien gehören ‚Rasse‘, Sprache, Religion, Staatsbürger‐ schaft und geteilte kulturelle Normen. Die Möglichkeit, die Gruppe zu verlassen, kann, muss aber kein Kriterium bilden. 4. Die Gruppe stellt ihren Mitgliedern eine spezifische Identität zur Ver‐ fügung, die sie von anderen unterscheidet. 5. Die Forderungen der Gruppe entsprechen den Interessen der Mitglieder und verursachen dem Staat wenig Kosten. 6. Die Gruppe weist eine effektive Organisation und ein hohes Maß an Verantwortlichkeit auf. 7. Es gibt eine Tradition, die Gruppe als Kollektiv zu behandeln. 8. Die Forderungen der Gruppe sind vereinbar mit dem Gleichheitsprinzip. Diese Kriterien speisen das menschenrechtliche Verständnis von Minder‐ heiten, „nach welchem in Kombination objektiver und subjektiver Kriterien die Minder‐ heit eine Gruppe (von Staatsangehörigen) ist, die numerisch kleiner als der Rest der Bevölkerung eines Staates ist, sich in einer schwächeren Position befindet 112 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="113"?> und bestimmte ethnische, religiöse oder sprachliche Eigenschaften besitzt, die sie vom Rest der Bevölkerung unterscheidet“ (Kimminich/ Hobe 2000: 369). Kollektivrechtliche Minderheitenrechte gelten also explizit nicht für solche Gruppen oder Minderheiten, die aufgrund von Geschlecht, Sexualität, Be‐ hinderung oder Klasse benachteiligt werden. Vielmehr liegt der Fokus auf Kultur, kollektiver Identität und Distinktion. Kollektive Rechte lassen sich somit abgrenzen sowohl von individuellen Minderheitenrechten (etwa auf Gleichstellung und Nichtdiskriminierung) als auch von individuellen kulturellen Rechten (wie das individuelle Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben). Kollektivrechtliche Forderungen zielen auf kulturell (ethnisch, sprachlich oder religiös) definierte Gruppen ab, die ihre Distinktion gegenüber einer Mehrheit erhalten wollen. Vor diesem Hin‐ tergrund kann der individualistische Universalismus der Menschenrechte als Bedrohung wahrgenommen werden. 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus Die politikwissenschaftliche Diskussion zwischen Liberalismus und Kom‐ munitarismus ist eng mit der Bestimmung individueller und kollektiver Menschenrechte verknüpft. Die liberale Idee individueller, bürgerlicher, negativer Freiheit (idealtypisch: die Freiheit von etwas) wird durch die kom‐ munitaristische Bestimmung von Freiheit als ein kollektives, substanzielles, positives Gut (die Freiheit zu etwas) zunächst herausgefordert (s.a. Berlin 1969). Der Inhalt dieser positiven Freiheit lässt sich aus kommunitaristischer Perspektive nur aus dem jeweiligen kulturellen Kontext heraus bestimmen, der einen unhintergehbaren „normativen Horizont“ bildet (Forst 1994b: 14). Diese Annahme teilt der Kommunitarismus mit dem Kulturrelativismus: Normen und Werte entstehen nur innerhalb bestimmter Gruppen. Im Rahmen der Debatte um kollektive oder individuelle Menschenrechte argumentieren kommunitaristische Perspektiven für die Vorgängigkeit und den Vorrang kollektiver Güter, Werte und/ oder Rechte. Liberale Theorien halten demgegenüber an der Unhintergehbarkeit individueller Rechte fest. Die verschiedenen Ausprägungen des Liberalismus werden auch unter dem Stichwort des Individualismus zusammengefasst. Gemeint ist damit die Vorstellung, dass „jeder Mensch […] seine eigene Konzeption des guten Lebens entwerfen [solle], und öffentliche Politiken und Moralvorstellungen 113 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus <?page no="114"?> 29 Vgl. auch die Überkreuzungen beider Pole, beispielsweise mit dem responsiven Kom‐ munitarismus (Etzioni 1996) oder dem kommunitaristischen Liberalismus (Selznick 1992, Walzer 1992). Vgl. für weitere Bestimmungen auch (Forst 1994a: 182 ff., Rawls 1994, Taylor 1994a: 103 ff.). dürften lediglich Vereinbarungen darstellen, die von Individuen freiwillig getroffen wurden“ (Etzioni 1999: 34). Der liberalen Position wird vorgeworfen, das Individuum lediglich abs‐ trakt zu fassen - als Monade, die nicht auf Gesellschaft angewiesen sei (San‐ del 1982, MacIntyre 1984). Die kommunitaristische Position hypostasiert aus der Perspektive ihrer Kritiker/ -innen dagegen die Gruppe beziehungsweise die Gemeinschaft (community), die prioritär zu behandeln sei, weil sie das Individuum erst hervorbringe. Gekennzeichnet werden die beiden Seiten von ihren Kritiker/ -innen als jeweils „kontextvergessen“ und „kontextver‐ sessen“ (Forst 1994b: 15, vgl. auch Shue 1998: 346). Allerdings ist die Debatte zwischen Kommunitarismus und Liberalismus nicht länger in der idealtypischen Dichotomie zwischen der Entscheidung entweder für das Individuum oder für die Gruppe zu verorten. Vielmehr wurde diese dichotome Debatte von differenzierten Positionen jenseits und inmitten der Dichotomie abgelöst (Reese-Schäfer 2000: 27, Bedorf 2010: 17 f.). 29 Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre kristallisierten sich auf beiden Seiten Perspektiven heraus, welche die an sie herangetragenen Kritiken in die eigene Theoriebildung aufnahmen. Spätestens seitdem gilt, dass „nicht nur die Annahme der Homogenität beider Seiten unberechtigt [ist], sondern auch die einer prinzipiellen Unvereinbarkeit einzelner liberaler und kommunitaristischer Argumente“ (Forst 1994b: 13 f.). So unterscheiden sich Liberalismus und Kommunitarismus zwar anhand der Frage des Maßstabs: Sollen sich Menschenrechte normativ am Schutz des Individuums oder am Schutz der Gruppe ausrichten? Gleichzeitig überschneiden sich die Positionen aber dann, wenn sie Individuum und Gruppe in einem engen Verhältnis gegenseitiger Konstitution sehen. Diese Ausdifferenzierung zeigt sich exemplarisch an drei Autor/ -innen, die den Rahmen der Debatte zwischen Liberalismus und Kommunitarismus zum Ausgangspunkt nehmen und ihn weiterentwickeln, um die Stärken und Grenzen kollektiver Rechte zu diskutieren: Charles Taylor, Will Kymlicka und Susan Moller Okin. Diese werden im Folgenden näher betrachtet, um die Umgangsmöglichkeiten und die Herausforderungen der Suche nach 114 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="115"?> einem Maßstab für die Entscheidung zwischen individuellen und kollektiven Rechten herauszuarbeiten. 4.2.1 Charles Taylors differenzierter Kommunitarismus Taylors Ausführungen sind maßgeblich für eine kommunitaristisch fun‐ dierte, differenzierte Begründung kollektiver Menschenrechte, obwohl er die Eigenbezeichnung als Kommunitarist zurückweist (Taylor 1994c: 250, dagegen Reese-Schäfer 2000: 69). Taylor geht davon aus, dass Sprache und Kultur die individuelle Identität konstituieren, weshalb es ein Recht auf Anerkennung dieser sinngebenden Sprache und Kultur geben müsse. Anschließend an Hegels Herr-Knecht-Pa‐ rabel (1986 [1807]: 145 ff.) und an Meads symbolischen Interaktionismus (1973) arbeitet Taylor mit einem dialogischen Konzept von Identität. Dem‐ nach erzeuge sich Identität nicht allein und monologisch aus dem Inneren des Individuums heraus. Vielmehr erhalten Vorlieben, Wünsche, Meinungen und Bestrebungen erst vor dem Hintergrund dialogisch und intersubjektiv gebildeter Identität einen Sinn (Taylor 1978: 209 ff., 2009: 19 ff.). Diese intersubjektiven Prozesse finden für Taylor nicht in einem Vakuum statt, sondern in einem moralischen Raum. Dieser moralische Raum bestehe aus starken Wertungen, die unabhängig von individuellen Wünschen und Neigungen normative Maßstäbe bilden. Menschliches Handeln sei außer‐ halb solch eines Raums schlechterdings nicht vorstellbar (Taylor 1994b: 17 ff., vgl. auch Reckwitz 2000: 481 ff.). „Ein Überschreiten dieser Grenzen wäre gleichbedeutend mit dem Verlassen eines Daseins, das nach unseren Begriffen noch das einer integralen, also unversehrten Person ist“ (Taylor 1994b: 55). Dabei skizziert Taylor den moralischen Raum weder als unhis‐ torisch noch als unwandelbar (ebd.: 21). Zudem könnten sich moralische Räume auf einer zweiten, kulturellen Ebene in Intensität, Ausmaß und Be‐ deutung unterschiedlich ausprägen. Gleichzeitig blieben sie dem bewussten menschlichen Zugriff entzogen und als „Instinkt“ vorgängig (ebd.: 24). Da jede Identität ihre dialogische Anerkennung erst gewinnen müsse, könne sie stets auch scheitern (vgl. auch Fanon 1985). Dieser Gedanke bildet eine zentrale Grundlage für die Argumentation kollektiver Rechte. Kollektive Rechtsforderungen beruhen auch darauf, dass die Verweigerung von Anerkennung repressive Folgen hervorrufe, weil diese Verkennung verinnerlicht und in die eigene Identitätskonstitution (etwa in Form von Selbstverachtung) aufgenommen werde (Taylor 2009: 19 ff.). 115 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus <?page no="116"?> Individualität ist für Taylor also eng mit der jeweiligen Kultur verknüpft, die auch den moralischen Raum prägt (Taylor 1993: 54 f.). Diese wesentliche Bedeutung von Kultur sei allerdings nicht gleichbedeutend mit der An‐ nahme, dass alle Kulturen gleich wertvoll seien. Solch ein universalistisches (und zugleich kulturrelativistisches, vgl. Kapitel 3) Werturteil ist für Taylor problematisch, denn es setze einen westlichen Maßstab voraus, an dem die Kulturen gemessen würden (Taylor 2009: 56 ff.). „Zwischen der unechten, homogenisierenden Forderung nach Anerkennung einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit einerseits und der Selbsteinmauerung in ethnozentrischen Maßstäben andererseits [steht] die Annahme der Gleichwertigkeit“ (ebd.: 59, Herv.i.O.). Auf dieser Grundlage begründet Taylor die Relevanz kollektiver Rechte. Sowohl Individuen als auch Kulturen hätten das Potenzial, eine eigene, von anderen unterscheidbare Identität zu entwickeln. Dieses Potenzial müsse geschützt werden (ebd.: 28). Eine distinkte Kultur sei von einer gemeinsamen Sprache und Geschichte, einem relevanten kulturellen Erbe sowie einem Fortbestehen über die Zeit bestimmt (Taylor 1993: 54 f., vgl. auch Bedorf 2010: 19). Diese Kriterien bilden das kommunitaristische gemeinsame Gut, die substanzielle Vorstellung eines guten Lebens, welche nur als kollektive Güter geschützt werden könnten. Liberale, individuelle Rechte seien dafür unzureichend (Taylor 2009: 45). Um eine Minderheitenkultur aktiv zu reproduzieren und ihr Überleben sicherzustellen, bedürfe es kollektiver Sonderrechte. Gleichzeitig hält Taylor daran fest, bestimmte liberale Grund‐ rechte keinesfalls zu untergraben. Allerdings gebe es ein weites Spektrum anderer Rechte, bei denen es nicht nur möglich, sondern auch nötig sei, „die Wichtigkeit bestimmter Formen von Gleichbehandlung abzuwägen gegen die Wichtigkeit des Überlebens einer Kultur“ (ebd.: 47, vgl. auch Reese-Schäfer 2000: 71). Die Kriterien für ein solches Abwägen lässt Taylor allerdings weitest‐ gehend offen. Damit changiert er „zwischen essentialistischen und histo‐ rizistischen, universalistischen und partikularistischen, realistischen und relativistischen Positionen“ (Rosa 1998: 548). Genau diese Frage steht aller‐ dings im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen individuellen und kollektiven Menschenrechten. Entsprechend kritisiert Appiah an Taylor, dass die Erhebung des Überlebens einer Kultur zum schützenswerten Gut problematisch sei, da sie die Autonomie (gegenwärtiger und zukünftiger) Menschen erheblich einschränke (Appiah 1994: 157). Allerdings sieht Taylor Kultur und Autonomie nicht in einem Gegensatzverhältnis zueinander. 116 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="117"?> Vielmehr werde letztere durch erstere innerhalb des moralischen Raums erst ermöglicht (Rosa 1998: 471). Um individuelle Ziele überhaupt erkennen zu können, brauche es „eine gewisse Voraussetzung von Selbsterkenntnis und Selbstverständnis“ (Taylor 1988: 144). Dafür sei die Ausbildung einer gelungenen Identität nötig, die auf den gegebenen moralischen Raum bewusst reflektieren könne (Taylor 1978: 211 ff.). Die Frage lautet dann allerdings, wie ein Individuum durch eine gegebene Kultur geprägt werden und zugleich eine Autonomie entfalten kann, die ein reflexives, distanziertes oder kritisches Verhalten zu der prägenden Kultur ermöglicht. Reckwitz kritisiert darüber hinaus, dass in Taylors Modell Kulturen intern homogen und extern grundsätzlich voneinander verschieden seien (Reck‐ witz 2000: 302 ff.). Taylor gehe „von einer Differenz zwischen kulturellen Gemeinschaften aus, die jeweils eine kollektive Identität besitzen […] und damit jeweils ‚kollektive Ziele‘ entwickeln“ (Reckwitz 2001: 182, Herv.entf.). Allerdings betont Taylor, dass Kulturen ihre Distinktion bewahren und zugleich offen sein sollen für Einflüsse aus anderen Kulturen (Taylor 2009: 49, Bedorf 2010: 43). Offen bleibt abermals die Frage nach dem Maßstab, der das „Bedürfnis nach Anerkennung“ (Taylor 2009: 13) zwischen verschiedenen Kulturen abzuwägen vermag. Die Frage einer Entscheidung zwischen bestimmten individuellen Rechten und kollektiven Rechten lässt Taylor bewusst offen, weil er keinen statischen, abstrakten Universalismus produzieren will (ebd.: 47). „Taylor sucht nach einer in den Personen oder Dingen selbst liegenden Begründung. Er sucht nach substantiellen Merkmalen […], die essentialis‐ tische Basis unserer moralischen Gefühle“ (Reese-Schäfer 2000: 59, s.a. Schweppenhäuser 2005: 147). Wenn es aber keine universelle Referenz gibt, wenn jeder moralische Raum kulturell geprägt ist, dann dreht sich die Maßstabsfrage im Kreis: Sie muss Kriterien für eine Abwägung zwischen unterschiedlichen kulturellen Werten (wie liberale Freiheit und kommunita‐ ristische Güter) finden, deren Konflikt genau darin besteht, dass immanente Maßstäbe konfligieren und externe Maßstäbe nicht hinzuziehbar sind. 4.2.2 Will Kymlickas gruppendifferenzierender Liberalismus Kymlickas Theorie gruppendifferenzierter Rechte bildet die einflussreichste liberale Begründung kollektiver Rechte. Er strebt damit eine Überwindung der dichotomen Zuordnung individueller Rechte zum liberalen Denken und kollektiver Rechte zum kommunitaristischen Denken an. Die kom‐ 117 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus <?page no="118"?> munitaristische Annahme der Bedeutsamkeit der eigenen Kultur für die Identitätsbildung verbindet Kymlicka mit einer liberalen Orientierung an Gleichheit und Freiheit. Statt einer dichotomen Entscheidung zwischen nur dem Individuum oder nur der Gruppe zielt er auf die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen Gruppen ab (Kymlicka 1995: 46, 2001). Weder sollen individuelle Menschenrechte zur Reproduktion „ethnokultureller Ungerechtigkeit“ beitragen, noch sollen kollektive gegen individuelle Men‐ schenrechte ausgespielt werden können. Es gelte, beide gleichzeitig ernst zu nehmen (Kymlicka 2001: 81). Den Kulturbegriff will Kymlicka weder zu weit (im Sinne von Zivilisation) noch zu eng (im Sinne von Bräuchen) definieren, sondern „als eine interge‐ nerationelle Gemeinschaft, die mehr oder weniger institutionell vollständig ist, die in einem bestimmten Gebiet oder Heimatland lebt und die eine eigene Sprache und Geschichte miteinander teilt“ (Kymlicka 1995: 18). Kulturen seien zwar keine homogenen Blöcke; sie haben vielfältige Quellen, die auch in anderen Kulturen liegen können. Nichtsdestotrotz sei jede Kultur distinkt, da sie diesen Einflüssen ganz bestimmte Bedeutungen verleihe. Diese Bedeutungen seien in den kulturellen Institutionen und der Sprache eingebettet und würden von der Gruppe geteilt (ebd.: 102 f.). Eine Kultur könne ihren Charakter verändern, aber sie bleibe als Kultur mit distinkten Institutionen, Traditionen und eigener Sprache mit sich selbst identisch (ebd.: 104 ff.). Die Notwendigkeit des Schutzes von Kulturen begründet Kymlicka damit, dass eine distinkte Kultur die individuelle Identitätsbildung ermögliche, in‐ dem sie Erfahrungen, Praxen, Normen, Werten und Handlungen spezifische Bedeutungen verleihe. Solche Prägungen würden die Individuen stark an ihre jeweilige Herkunftskultur binden (ebd.: 83 ff.). Eine zweite Begründung geht auf Kymlickas Annahme der strukturellen Ungleichheit zwischen kulturell distinkten Gruppen zurück, die er damit begründet, dass jeder Staat eine bestimmte Kultur fördere. Daher seien Staaten - entgegen liberaler Universalismus-Annahmen - nicht neutral, sondern von der Hegemonie einer bestimmten Kultur über andere Kulturen geprägt (Kymlicka 1995: 107 ff., 1999: 20 ff.). Im Gegensatz zu kollektiven Rechten würden gruppendifferenzierte Rechte sowohl von Individuen als auch von Gruppen in Anspruch genom‐ men werden können. Allerdings schließe das nicht alle möglichen Gruppen ein, sondern - wie auch in den Menschenrechtsdiskussionen - nur auto‐ chthone kulturelle Gruppen (Kymlicka 1995: 34 f.). 118 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="119"?> So gebe es mit autochthonen nationalen Minderheiten und mit alloch‐ thonen ethnischen Gruppen zwei Hauptgruppen, die Forderungen nach kollektiven Rechten stellen würden. Allochthone ethnische Gruppen seien durch individuelle oder familiäre Migration entstanden. Die Freiwilligkeit der Migrationsentscheidung sei ihr basales Merkmal. Sie benötigen für Kym‐ licka keine kollektiven Rechte, sondern die Anerkennung ihrer ethnischen Identität innerhalb der hegemonialen Institutionen. Distinkt seien sie nur im Familienleben und in freiwilligen Vereinigungen im Privaten (ebd.: 10 ff.). Davon unterscheidet Kymlicka autochthone nationale Minderheiten: „Ich verwende den Ausdruck nationale Minderheiten nicht für Einwanderer, sondern bezeichne damit historisch ansässige, territorial verdichtete und vormals selbstbestimmt regierte Kulturen, deren Siedlungsgebiet einem größeren Staat eingegliedert worden ist. Die Eingliederung solcher Gruppen verläuft in der Regel unfreiwillig, durch Kolonisierung, Eroberung oder eine Gebietsabtretung unter imperialen Mächten; dennoch ist in seltenen Fällen die Eingliederung Ausdruck einer freiwilligen Föderation“ (Kymlicka 1999: 16, Herv.entf., s.a. Kymlicka 2011b, 2011a). Gleichzeitig spricht sich Kymlicka gegen eine genealogische Lesart aus, die seine Unterscheidung zwischen allochthonen und autochthonen Gruppen durchaus nahelegt. „Es ist zu beachten, dass ich nationale Minderheiten nicht durch Rasse oder Abstammung definiere“ (Kymlicka 1995: 22). Denn alle kulturellen Gruppen seien durch Migrationsbewegungen und exogame Heiraten gemischt (ebd.: 23). Statt Abstammung bildet daher Freiwilligkeit das Kriterium für die Frage, welche Gruppen ein legitimes Recht auf kol‐ lektive Rechte hätten. Ausschließlich nationale Minderheiten sollen durch gruppendifferenzierte Rechte geschützt werden (ebd.: 77 ff.), denn diese seien unfreiwillig entstanden. Damit diese idealtypische Kategorisierung der politischen Realität stand‐ hält, muss Kymlicka allerdings mehrere Einschränkungen vornehmen: Afro‐ amerikaner/ -innen in den USA lassen sich demzufolge keiner der beiden Kategorien zuordnen, da sie weder freiwillig migriert seien noch eine distinkte Kultur hätten. Auch auf Flüchtlinge und ehemalige nationale oder religiöse Minderheiten, denen zu einem früheren Zeitpunkt einmal Selbst‐ bestimmung versprochen worden sei, würden die Kategorien nicht zutreffen (ebd.: 24 ff.). Wer unfreiwillig migriere, könne nicht etwa kollektive Rechte 119 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus <?page no="120"?> 30 Allerdings wird in der Migrationsforschung die binäre Aufteilung in freiwillige und unfreiwillige Migration, in Push- und Pull-Faktoren kritisch hinterfragt (Pries 1997, Vertovec 2001, Thapan 2005, TRANSIT MIGRATION Forschungsgruppe 2007, Pott et al. 2018, s.a. Pogge 1997: 209 ff.). beanspruchen. Vielmehr müssten die Gründe für unfreiwillige Migration zurückgedrängt werden (ebd.: 99). 30 Um dem liberalen Kriterium der Freiwilligkeit gerecht zu werden, führt Kymlicka eine weitere Einschränkung ein. „Wir müssen zwischen zwei Arten möglicher Forderungen ethnischer oder nationaler Gruppen unter‐ scheiden. Zum einen gibt es Forderungen einer Gruppe gegen ihre eigenen Mitglieder; zum anderen gibt es Forderungen einer Gruppe gegen die größere Gesellschaft“ (ebd.: 35). Bei ersteren handele es sich um ‚interne Restriktionen‘, die eine Gruppe vor internem Dissens schützen sollen und daher aus liberaler Perspektive abzulehnen seien. Forderungen gegen eine Mehrheitsgesellschaft hingegen seien ‚externe Protektionen‘, die die Gruppe vor Eingriffen von außen schützen sollen. Diese seien durch kollektive Rechte zu unterstützen (ebd.: 37). Diese Unterscheidung gewährleiste, dass kollektive Rechte nicht dazu führen würden, die individuellen Rechte von Gruppenmitgliedern einzuschränken (ebd.: 41). Wie schon im frühen Kul‐ turrelativismus (vgl. Kapitel 3) geht es darum, interne (statt externer) Kritik an Gruppen zu ermöglichen (Kymlicka 1994: 263). Kymlickas Konzept gruppendifferenzierter Rechte ist von einem Kultur‐ begriff geprägt, dessen Ambivalenz gleichzeitig die Stärke und die Schwäche von Kymlickas Argumentation kennzeichnet. Einerseits sollen bestimmte Kulturen geschützt und durchaus auch ho‐ mogen gehalten werden (Kymlicka 2001: 75). Andererseits will Kymlicka eine postethnische Öffnung in seinen Ansatz integrieren. Sein „liberaler Nationalismus“ will, „daß alle Nationen - als Minderheit wie als Mehrheit - postethnische oder ‚staatsbürgerliche‘ Nationen sein sollten“ (Kymlicka 1999: 97). So sei Kultur „nicht an und für sich wertvoll, sondern weil die Einzelnen nur durch den Zugang zu einer gesellschaftlichen Kultur über einen Bereich sinnvoller Optionen verfügen“ (ebd.: 34). Allerdings liegt der Argumentation gruppendifferenzierter Rechte die Hypothese zugrunde, dass nur die jeweils eigene Kultur und nicht etwa auch andere Kulturen (Griffin 2008: 267) eine zentrale Bedeutung für die Identitätsbildung einneh‐ men könne. Kymlicka distanziert sich zwar von einem kommunitaristischen Verständnis, das kulturelle Gegebenheiten statisch setzen und bewahren 120 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="121"?> will. Er betont, dass Kulturen dynamisch und wandelbar seien (Kymlicka 2007: 98 f.). Zugleich spricht er aber bestimmten Kulturen eine Einzigartig‐ keit und Unverwechselbarkeit über die Zeit hinweg zu, die geschützt und bewahrt werden müsse. Dem Problem illiberaler, die individuellen Rechte einschränkender Grup‐ pen begegnet Kymlicka wiederum mit dem Anspruch, dass diese bestenfalls sanft und nur von innen heraus liberalisiert werden sollten (Kymlicka 1995: 153 ff.). Damit impliziert er eine weitgehend eindeutige Trennung zwischen dem Außen und dem Innen einer Kultur. Seine Lösung lautet auch hier Freiwilligkeit, und zwar in Form des individuellen Rechts, eine Gruppe verlassen zu können (ebd.: 158). In Kymlickas Theorie liegt ein Doppelcharakter von kultureller Offenheit und Geschlossenheit, von Statik und Dynamik vor, der anschlussfähig für ein differenziertes Kulturkonzept im Rahmen kollektiver Menschenrechte sein kann (siehe unten). Dieser Doppelcharakter stößt allerdings an Grenzen, da seine Ambivalenz bei Kymlicka unterbestimmt bleibt. Die widersprüch‐ lichen Elemente stehen bloß unverbunden nebeneinander, was ihnen in gewissem Sinne einen eklektizistischen, wenn nicht willkürlichen Anstrich verleiht. 4.2.3 Susan Moller Okins feministischer Liberalismus Okins feministische Kritik und gleichzeitige Weiterentwicklung des Libera‐ lismus bildet eine deutliche Argumentation gegen kollektive Rechte. Ihre Grundannahme lautet, „dass es eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit gibt, dass Feminismus und Gruppenrechte für Minderheitenkulturen in Konflikt geraten und dass dieser Konflikt selbst dann fortbesteht, wenn letztere liberal begründet und eingegrenzt werden“ (Okin 1998a: 664, s.a. Okin 1999a). Sowohl an kommunitaristischen als auch an liberalen Argumentationen für kollektive Rechte kritisiert Okin, dass Privatsphäre, Familie und verge‐ schlechtlichte Ungleichheitsstrukturen innerhalb von Gruppen ausgeblendet würden. Diese blinde Stelle wird dadurch noch vergrößert, dass die Inhalte und Ziele kollektiver Rechte häufig gerade die Regulierung von Sexualität und Reproduktion und somit vorrangig Frauen und Mädchen beträfen. Der primäre Ort der kulturellen Sozialisation sei außerdem die Familie (vgl. Kapitel 5). Auch diesbezügliche Regelungen würden angesichts der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die Frauen die Privatsphäre des Haushalts und der Erziehung zuschreibt, somit vor allem Frauen betreffen. So lasse sich 121 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus <?page no="122"?> erklären, dass kollektive, kulturschützende Rechte in der Regel die Kontrolle von Frauen durch Männer reproduzieren würden (Okin 1998a: 667). Während Kymlicka und Taylor also die Bedeutung von Kultur für die Konstitution von Individuen, Identität, Moral und Reflexion hervorheben, führt Okin eine weitere Analyseebene ein: Sie lenkt den Blick auf Macht- und Ungleichheitsverhältnisse, indem sie nach den genauen Positionierungen und Rollen innerhalb einer Kultur fragt. „Zu einer lebendigen Kultur zu gehören ist mit Sicherheit nicht ausreichend für die Entwicklung von Selbstrespekt und Selbstbewusstsein. Der Schutz der eige‐ nen Kultur ist mit Sicherheit nicht ausreichend für die Fähigkeit, ‚vererbte soziale Rollen zu hinterfragen‘ und selbständige Entscheidungen über den eigenen Le‐ bensweg zu treffen. Für die Entwicklung von Selbstrespekt und Selbstbewusstsein ist die eigene Positionierung innerhalb der Kultur mindestens ebenso wichtig wie die eigene Kultur. Und ebenso wichtig für die Fähigkeit, soziale Rollen zu hinterfragen, ist die Frage, ob die eigene Kultur jemanden in bestimmte soziale Rollen hinein sozialisiert oder hineinzwingt“ (ebd.: 679 f., Herv.entf.). Nicht das Eigene einer Kultur steht im Mittelpunkt, sondern die sozialen Strukturierungen einer Kultur. Okin kritisiert die schlichte Annahme ge‐ teilter Werte (Okin 1989: 42 ff.) und rückt die geschlechtsspezifischen Be‐ deutungen kulturbezogener Argumentationen in den Mittelpunkt. Gleich‐ zeitig begreift Okin kulturelle Strukturierungen als sozialen und damit als kontingenten, veränderbaren Raum. Die Möglichkeit von Kritik und Veränderbarkeit verortet sie im Gegensatz zu Kymlicka nicht nur innerhalb einer Kultur. Sie verweist darauf, dass solch eine Dichotomie zwischen dem Innen und dem Außen einer Kultur nicht aufrechtzuerhalten sei (Okin 1998b: 46). Das zeige sich beispielsweise daran, dass lokale, nicht-westliche Frauenbewegungen durch die Zusammenarbeit mit internationalen und westlichen Organisationen eine wesentliche Stärkung erfahren können (ebd.: 48). Auch die Möglichkeit von Freiwilligkeit und der von Kymlicka betonten Exit-Option in Gruppen hinterfragt Okin. Sie verweist auf den engen Zusammenhang zwischen Exit-Option, Macht und Entscheidungsfähigkeit. Wer eine Gruppe nur schwer verlassen könne, könne innerhalb der Gruppe keinen Einfluss ausüben, da es gerade die realistische Androhung des Exits sei, die einer Stimme Gewicht verleihe. Wer eine Gruppe hingegen leicht verlassen könne, habe wiederum eine potenziell geringere Motivation, sich für Verbesserungen innerhalb der Gruppe einzusetzen (Okin 1989: 137, vgl. 122 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="123"?> Hirschman 1970: 43 ff.). In kulturellen und religiösen Gruppen stehe die Exit-Option für Frauen und Mädchen in der Regel wesentlich eingeschränk‐ ter zur Verfügung als für Männer. Weibliches Verhalten werde stärker kontrolliert, Frauen würden enger an die Privatsphäre gebunden, sie hätten weniger Zugang zu Bildung - welche zudem ihrerseits enge geschlechtliche Rollen reproduziere -, sie hätten weniger Rechte in der Ehe, bei der Schei‐ dung, beim Sorgerecht und bei Schwangerschaften und ihnen obliege die Aufgabe der Aufrechterhaltung von Kultur und Tradition. Es ist diese „Tiefe der angeeigneten kulturellen Bindungen, welche die Exit-Option nicht nur unattraktiv, sondern sogar undenkbar erscheinen lässt“ (Okin 2002: 222). So hätten diejenigen, die die Exit-Option am dringendsten benötigen, die geringsten Möglichkeiten, sie in Anspruch zu nehmen (ebd.: 207). Okin unterstreicht die Gefahr, dass kollektive Prägungen das individuelle Wissen über Möglichkeiten von Freiheit und Gleichheit einschränken kön‐ nen (Okin 1998c: 312). Eine Erweiterung von Wissen und Erfahrung jenseits der eigenen Kultur sei daher möglich und nötig (Okin 1999b: 126). Doch nicht nur außer- oder interkulturelle Erfahrungen ermöglichen eine Kritik an kulturellen Praxen. Kulturen seien bereits in sich heterogen. Normen, Praxen und Deutungen seien innerkulturell umkämpft und selbst in den repressivsten Gruppen gebe es Devianz (Okin 1998c: 326 ff.). Repression definiert Okin unter anderem als Einschränkung der indivi‐ duellen Identität. Damit begründet sie auch ihre Annahme, dass es in einigen Situationen besser wäre, wenn eine Kultur untergehen oder sich grundsätzlich ändern würde, anstatt sie durch kollektive Rechte aufrecht‐ zuerhalten (Okin 1999a: 22 f.). Diese Annahme wird kontrovers diskutiert. Einige Autor/ -innen sehen sie als ein Zeichen für Okins fehlenden Respekt gegenüber nicht-westlichen Kulturen und Identitäten (Parekh 1999: 72). Die Vorstellung, eine „Kultur zu zerstören und wieder bei null anzufangen, ergibt einfach keinen Sinn“ (Raz 1999: 97, ähnlich An-Na’im 1999a: 61, Honig 1999: 40). Bhabha argumentiert, dass Okin eben jenes statische und homogenisierende Kulturverständnis übernehme, das sie repressiven Kulturen vorwerfe, statt es kritisch zu durchdringen (Bhabha 1999: 81). Okins Kritiker/ -innen schlagen demgegenüber eine Trennung zwischen geschlechtsspezifischer Unterdrückung einerseits sowie Kultur oder Reli‐ gion andererseits vor. „Kultur ist etwas Komplexeres als eine patriarchale Legitimation für mächtige Männer […]. Brutale Männer (und Frauen) gibt es überall. Ist es deren [kulturelle] Identität, die sie brutal macht … oder ist es ihre Brutalität? “ (Honig 1999: 36). 123 4.2 Liberalismus und Kommunitarismus <?page no="124"?> Dieser Einwand verkennt allerdings Okins Perspektive auf Ungleichhei‐ ten, die erst mit dem Rekurs auf Kultur legitimiert und begründet werden. Okin will weder liberale Mehrheitskulturen von Repression freisprechen noch „Kultur abschaffen“ (Okin 1999b: 117 f.). Vielmehr sollen Kulturen an‐ gesichts ihrer Machtstrukturen und geschlechtsspezifischen Effekte keinen Schutz durch kollektive Rechte erhalten. An Grenzen stößt Okins Kulturverständnis an einem anderen Punkt. Es handelt sich um die Frage, ob sie kulturelle Faktoren für die Identi‐ tätskonstitution vernachlässigt. Okin definiert eine gelungene individuelle Identität durch Reflexionsfähigkeit, Selbst-Bewusstsein und Wissen über (liberale) Rechte. Aspekte, die nicht zu diesem Modell individueller Identität beitragen, betrachtet Okin nicht als identitätskonstitutiv. So bezeichnet sie die Annahme, dass die weibliche Genitalexzision - deren genuin iden‐ titätskonstituierender Charakter in Kapitel 3 herausgearbeitet wurde - identitätskonstituierend sei, schlicht als „falsche Überzeugung“ (Okin 1998c: 332). Damit liegt ein normativ scharf umgrenztes Verständnis individueller Identität vor, das die weitreichenden identitätskonstituierenden Effekte repressiver Vergesellschaftung zumindest in dieser Hinsicht außer Acht lässt. Okins Diskussion der Exit-Option und des Kriteriums der Freiwillig‐ keit gestatten aber auch die Lesart eines Identitätskonzepts, das kulturelle Prägungen beinhaltet - auch und gerade dann, wenn sie repressiv sind. Es ist die Internalisierung kultureller Werte, die ein Verlassen der Kultur so schwierig gestaltet. Der normative Fluchtpunkt Okins ist eine liberal-demokratische Gesell‐ schaft, in der geschlechtsspezifische (und andere) Ungleichheiten nicht länger in der Privatsphäre unsichtbar gemacht und reproduziert werden - auch nicht durch kollektive Rechte. Wenn aber der normative Maßstab für Menschenrechte allein durch den Liberalismus markiert wird, öffnet das nicht nur eurozentrische Lesarten (so Al-Hibri 1999, Gilman 1999: 55 ff., Honig 1999: 36 ff.), sondern auch Einschränkungen liberaler Freiheiten: „Wenn Freiheit eng an Rationalität gebunden wird und Rationalität an bestimmte Ergebnisse, dann besteht die Gefahr, dass wir auch diejenigen als unfrei bezeichnen, die eine umsichtige und durchdachte, wenn auch schlechte Wahl getroffen haben“ (Kukathas 2009: 199). Das führt auf Kym‐ lickas Anliegen zurück, durch kollektive Rechte auch denjenigen Menschen eine freie Wahl zu ermöglichen, die sich für eine (aus liberaler Perspektive) repressive Gruppe entscheiden. 124 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="125"?> 4.2.4 Kollektive Menschenrechte im Rahmen von Liberalismus und Kommunitarismus Kymlickas, Taylors und Okins Beiträge kreisen um die Frage, welche Rolle eine Gruppe für die Konstitution von Individuen, von Moral, Werten und Normen einnimmt - und ob sich daraus die menschenrechtliche Notwendig‐ keit eines Schutzes dieser Gruppe ableiten lässt. Alle drei Theorien basieren somit auf einem Verständnis der gegenseitigen Konstitution von Individuum und Gruppe. Taylor rückt die Bedeutung von Kultur für alle Individuen in den Fokus und Kymlicka die Rolle bestimmter Minderheitengruppen, während Okin vor allem deren beschränkende Aspekte thematisiert. Es geht demnach nicht um eine dichotome Entscheidung nur für die Gruppe oder das Individuum. Beide Seiten spielen eine unhintergehbare Rolle, die ein vermittelter Universalismus berücksichtigen können muss. Wie sich diese Konstellation in die Frage nach den Stärken und Grenzen kollektiver Menschenrechte übersetzen lässt, wird im Folgenden anhand des Beispiels indigener Menschenrechte aufgezeigt. 4.3 Indigene Menschenrechte Indigene Menschenrechte stehen paradigmatisch für eine Pluralisierung des Menschenrechts im Rahmen kollektivrechtlicher Kritiken am individualis‐ tischen Universalismus. Sie spiegeln die empfindliche Balance zwischen der Idee von Menschenrechten, Individuen zu schützen einerseits, und der Anerkennung der Bedeutung von Gruppen für Individuen andererseits (Thornberry 2002: 1, Niezen 2003: xvi, Xanthaki 2007: 285). Gleichzeitig nehmen indigene Menschenrechte für alle drei (in der Einlei‐ tung zu diesem Kapitel skizzierten) idealtypischen Positionen zu Kollektiv‐ rechten eine besondere Rolle ein: i) Kollektivrechtlichen Argumentationen dienen Indigene als idealtypische Gruppen mit legitimen Ansprüchen auf kollektive Rechte (McDonald 1991, Anaya 1997, Kymlicka 2011a). ii) Den Mittelpositionen gelten indigene Rechte als Lösung für den Konflikt zwi‐ schen individuellen und kollektiven Rechten, da sie eine Vermittlung beider Rechtstypen darstellen würden (Svensson 1992, Holder/ Corntassel 2002). iii) Selbst Vertreter/ -innen ausschließlich individueller Menschenrechte optieren für eine kollektivrechtliche Ausnahme im Fall indigener Gruppen (Donnelly 2006: 615). 125 4.3 Indigene Menschenrechte <?page no="126"?> Für diese besondere Rolle indigener Menschenrechte gibt es zwei Gründe: Zum einen begründet der benachteiligte Status indigener Gruppen eine besondere Dringlichkeit indigener Menschenrechte. Indigene gehören „zu den am meisten marginalisierten und verletzlichen Gruppen weltweit […], und ihre Menschenrechtssituation benötigt unmittelbare Aufmerksamkeit“ (Xanthaki 2007: 1, s.a. Anaya 1996, Niezen 2003: 5, Tully 2008). Zum anderen kristallisieren sich in indigenen Menschenrechten sowohl die Bedeutung als auch die Konflikte im Schutz von Kultur und kultureller Identität besonders deutlich heraus. Das zeigt sich an dem notwendig offenen und widersprüchlichen Verständnis von Indigenität und dessen Effekte sowohl auf Gruppen (Indigenität als Ressource) als auch auf Individuen (Indigenität als Imperativ). Diese beiden Effekte (vgl. Mende 2015c) werden im Folgen‐ den nach einer Einführung in die Entwicklung indigener Menschenrechte ausgeführt. 4.3.1 Die Entwicklung indigener Menschenrechte Mit der Eroberung des amerikanischen und später des australischen Konti‐ nents setzte im 16. Jahrhundert eine umfassende Kolonialisierung indigener Gruppen ein. Damit gingen Sklaverei, Zwangsassimilierungen, Landkonf‐ likte, Enteignungen, Zerstörungen lokaler Strukturen, Kämpfe, gezielte Tötungen und Misshandlungen einher. Zugleich lassen sich Verträge über oder mit indigenen Gruppen bezüglich der Nutzung oder des Eigentums von Land historisch ebensoweit zurückverfolgen wie die Enteignungen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden die betreffenden Verträge allerdings weitestgehend formell aufgelöst oder durch nationales Recht außer Kraft gesetzt, insbesondere durch die Doktrin der Terra Nullius und die Doktrin der Entdeckung. Beide basieren auf der Nicht-Anerkennung indigener Gruppen auf angeeignetem beziehungsweise enteignetem Land (Anaya 1996, Thornberry 2002, Xanthaki 2007). Als Folge jahrhundertelanger Enteignung, Kolonialisierung und Diskri‐ minierung sind Indigene bis heute mehrfachen Benachteiligungen ausge‐ setzt. Sie sind in den Bereichen Armut, Arbeitslosigkeit, Kindersterblichkeit und Analphabetismus überrepräsentiert. Der Zugang zu Land, Besitz, Ge‐ sundheit und Bildung ist schwerer für Indigene. Ihr Durchschnittseinkom‐ men für die gleiche Arbeit ist niedriger, ebenso wie die durchschnittliche Le‐ benserwartung. Indigene sind häufiger betroffen von (Zwangs-)Prostitution, Diskriminierungen, Enteignungen, größeren Bauvorhaben, bewaffneten 126 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="127"?> 31 Die bis 1946 eigenständige Internationale Arbeitsorganisation (ILO) befasste sich bereits in den 1920er Jahren mit der Situation Indigener. 1957 verabschiedete die ILO die rechtlich verbindliche Konvention Nr. 107, welche auf die Verbesserung indigener Lebensbedingungen unter anderem durch Integration abzielte. Konflikten und Umweltkatastrophen (DESA/ UNPFII 2017). Aktuell wird von über 370 Millionen Indigenen in 90 Ländern ausgegangen, die etwa 4000 der 7000 weltweit gesprochenen Sprachen nutzen, von denen wiederum 90 Prozent als bedroht gelten (Thornberry 2002: 15 ff., DESA/ UNPFII 2017). Erst ab den 1970er Jahren wurden indigene Rechte allmählich stärker im Rahmen der UN diskutiert. 31 1974 erhielten die ersten indigenen NGOs einen Konsultativstatus beim ECOSOC. 1977 nahmen erstmals indigene Repräsentant/ -innen an der UN-Konferenz zur Diskriminierung indigener Völker des amerikanischen Kontinents teil, die bis dahin ohne Indigene statt‐ gefunden hatte. Der Sonderberichterstatter Martínez Cobo erstellte 1986 für die UN-Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz eine Studie über die Situation indigener Gruppen, die zum zentralen Referenzpunkt für alle folgenden Diskussionen wurde. Auch die ILO aktualisierte ihre Richtlinien und verabschiedete 1989 die Konvention Nummer 169, die nicht länger die Integration, sondern das Selbstbestimmungsrecht von Indigenen in den Vordergrund rückte (analog zu den beiden oben ausgeführten Perspektiven individualrechtlicher und gruppenrechtlicher Minderheitenrechte). 1982 wurde die UN-Arbeitsgruppe über indigene Bevölkerungen (Wor‐ king Group on Indigenous Populations, WGIP) gegründet. Die Arbeitsgruppe war auf der untersten Ebene der UN-Hierarchie angesiedelt, dafür war indigenen Vertreter/ -innen eine niedrigschwellige Teilnahme möglich. Zwi‐ schen 1985 und 1993 erarbeitete die WGIP einen Entwurf der Erklärung über die Rechte der indigenen Völker, der allerdings noch jahrzehntelang den Gegenstand zäher Verhandlungen bildete. Einer der zentralen Streitpunkte betraf die Frage nicht bloß individueller Menschenrechte für Indigene, son‐ dern kollektiver Rechte, welche die Selbstbestimmung indigener Gruppen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Geschichte stärken sollten. Neben machtpolitischen Befürchtungen von Staaten bezüglich Unabhängigkeit beziehungsweise Sezession stand hierbei auch die Frage des Verhältnisses von kollektiven und individuellen Menschenrechten zur Debatte. Diese Debatten mündeten schließlich in die Annahme der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP). 127 4.3 Indigene Menschenrechte <?page no="128"?> Die UNDRIP bildet einen Meilenstein in der Entwicklung indigener Menschenrechte. Sie wurde im Jahr 2007 von der UN-Generalversammlung mit einer Mehrheit von 144 Staaten verabschiedet. Sie ist eine politische und normative Errungenschaft und wird auch als Referenzpunkt für juristische Entscheidungen herangezogen, ist selbst aber kein rechtlich bindendes Instrument. Sie ergänzt die ILO-Übereinkommen Nr. 107 und Nr. 169, welche jeweils für diejenigen Staaten rechtsverbindlich sind, die sie ratifiziert haben (Rodríguez-Piñero 2005, Engle 2010). Die UNDRIP und die Forderungen und Berichte, die indigene Gruppen regelmäßig in die UN einbringen, verweisen auf vier Kernbereiche indigener Menschenrechte (vgl. ausführlich Mende 2015a: 147 ff.): 1. Kultur, Identität und Indigenität: Dieser Bereich umfasst vor allem Forderungen nach der Anerkennung kultureller Distinktion, die Mög‐ lichkeit kultureller Pluralität sowie die Thematisierung von Rassismus. „Es ist die Bedrohung des Überlebens der Kultur indigener Völker, die den Forderungen zugrunde liegt […], nicht vorranging ökonomische oder politische Anliegen […]. In diesem weiten Sinne sind alle Rechte indigener Völker kulturelle Rechte“ (Wiessner 2011: 129, s.a. Pulitano 2012). 2. Land, Länder und Ressourcen: Dieser Bereich betrifft Forderungen nach der Nutzung oder dem Eigentum von Land, die insbesondere durch Vertreibungen und Umsiedlungen bedroht werden. Außerdem geht es zentral um die Verschmutzung und Vergiftung von natürlichen Res‐ sourcen wie Gewässern oder Böden durch Staaten und Unternehmen, die Indigenen damit eine wichtige Lebensgrundlage entziehen. Eine besondere spirituelle Verbindung zum Land spielt hier ebenfalls eine Rolle, die nur Indigenen zugeschrieben wird. 3. Mit- und Selbstbestimmung: Das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (free, prior and informed consent, FPIC) soll sicherstellen, dass Indigene ein Mitspracherecht und eine Stimme in denjenigen Belangen haben, die sie oder die Länder, auf denen sie leben, direkt betreffen. Das schließt beispielsweise auch ihr Mitspracherecht bei der Entwicklung größerer Bauprojekte mit ein. 4. Gruppeninterne Differenzierungen: In diesem Bereich werden Margi‐ nalisierungen und Ungleichheiten innerhalb indigener Gruppen ange‐ sprochen, insbesondere in Bezug auf eine Mehrfachdiskriminierung 128 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="129"?> durch die Mehrheitsgesellschaft von indigenen Frauen, Kindern, Alten oder Indigenen mit Behinderung. Diese Bereiche werden sowohl von individuellen als auch von kollektiven Menschenrechtsvorstellungen durchzogen. Sie umfassen explizit den Schutz von Individuen, insbesondere in Bezug auf ökonomische Marginalisierung, Repression, Rassismus und Gleichstellung. Gleichzeitig zielen alle Bereiche auch auf explizit kollektive Rechte und damit auf eine entscheidende Erweiterung des individualistischen Universalismus der Menschenrechte ab, insbesondere in den Bereichen Kultur, Identität und Indigenität sowie Land, Länder und Ressourcen. Die Kategorie der Indigenität bildet einen zentralen Bezugspunkt indi‐ gener Rechte. Sie steht zunächst scheinbar in einem Widerspruch zum Universalismus der Menschenrechte, da indigene Menschenrechte nur für Indigene, nicht für alle, gelten. Entsprechend umstritten ist die Kategorie der Indigenität. „Die Frage, wer indigen ist […], ist ein komplexes Zusam‐ menspiel von Macht, Logik und Recht, in dem das Völkerrecht selbst eine konstruktive (oder dekonstruktive) Rolle spielt“ (Thornberry 2002: 60). Als sozial und politisch konstituierte Kategorie ist Indigenität „notwendiger‐ weise relational und historisch - und daher vorläufig und kontextbezogen“ (Cadena/ Starn 2007: 12, s.a. Geschiere 2005, Canessa 2007). Gleichzeitig ist Indigenität nicht lediglich eine philosophische Kategorie, die dekonstruiert oder verworfen werden kann, sondern eine „soziale Tatsache“ (Hathaway 2010: 303). Indigenität ist „zwar kein gültiges Konzept […], hat aber dennoch Realität und Bedeutung für diejenigen […], deren Situation nicht ignoriert werden kann, nur weil ihre Ansprüche auf Indigenität möglicherweise strittig sind“ (Pelican 2009: 54). Obwohl es im Menschenrechtsregime bewusst keine abgeschlossene, allumfassende Definition von Indigenität gibt, besteht - basierend auf der Studie von Martínez Cobo (1986) - ein Konsens über die Kriterien, die Indigene als Subjekt indigener Menschenrechte umreißen (Daes 1996, Saugestad 2001, Kenrick/ Lewis 2004: 5, DESA/ UNPFII 2017). Diese Kriterien umfassen: 1. eine zeitliche Priorität, also zuerst oder vor den dominierenden Teilen der Gesellschaft an einem Ort gewesen zu sein, 2. eine kulturelle Distinktion von den dominierenden Teilen der Gesell‐ schaft, 129 4.3 Indigene Menschenrechte <?page no="130"?> 3. die Selbstidentifikation als indigen und die Anerkennung durch andere als indigen, 4. Marginalisierung oder Diskriminierung in einer Mehrheitsgesellschaft oder einem Staat. Diese Kriterien für Indigenität werden nicht als harte Kriterien verstan‐ den, die immer in gleichem Maße zutreffen müssen. Sie werden vielmehr als Arbeitsgrundlage für die Diskussion des Anspruchs einer Gruppe auf indigene Menschenrechte herangezogen. Daraus ergeben sich spezifische Effekte und Implikationen für die Konstellation individueller und kollektiver Menschenrechte, die im Folgenden als Ressource für Gruppen sowie als Imperativ für Individuen skizziert werden. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass diese Effekte keinen allgegenwärtigen oder zwingenden Mechanismus kollektiver beziehungsweise indigener Rechte abbilden. Denn kollektive beziehungsweise indigene Rechte können eine wichtige Funktion einneh‐ men, um Lücken und Leerstellen in individuellen Menschenrechten zu adressieren. Die im Folgenden diskutierten Effekte bilden nichtsdestrotz mögliche Konsequenzen, die insbesondere in Konfliktkonstellationen zwi‐ schen individuellen und kollektiven Interessen zum Tragen kommen. 4.3.2 Indigenität als Ressource für Gruppen Indigenität ist ein nicht universelles Konzept. Indigene Menschenrechte gelten nur für Indigene, also diejenigen, die sich erfolgreich als indigen identifizieren und anerkannt werden. Damit wird Indigenität zu einer wichtigen Ressource im internationalen Menschenrechtsregime (ebenso wie in der nationalen Gesetzgebung) - eine Ressource, die teilbar ist und um die daher ein Wettbewerb entstanden ist, in dem es Verlierer und Gewinner geben kann. Im Laufe der zunehmenden Sichtbarkeit indigener Menschenrechte steigt auch die Zahl der (Eigen- und Fremd-)Beschreibungen von Gruppen als indigen. Nicht nur setzen sich indigene Gruppen zunehmend für ihre Rechte ein, sondern es ringen auch immer mehr Gruppen um den indigenen Status selbst, um indigene Rechte in Anspruch nehmen zu können. Damit ist allerdings keine Dichotomie zwischen vermeintlich authentischen (weil autochthonen) und bloß strategischen Forderungen begründbar. Vielmehr verdeutlicht sich die gegenseitige Konstitution zwischen Gruppen und Menschenrechten. Menschenrechte sind nicht lediglich ein Resultat der An‐ 130 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="131"?> 32 Das Engagement afrikanischer und später asiatischer Gruppen in Räumen indigener Menschenrechte löste seinerseits polarisierende Kontroversen über die Definition von Indigenität aus. Ein Streitpunkt war, ob sich Indigenität daran bemisst, ‚zuerst da gewesen‘ bzw. kolonialisiert worden zu sein. Denn dieses Kriterium trifft in Afrika auf alle nicht-europäischen Bevölkerungsgruppen zu - auch auf die jeweilige (gege‐ benenfalls repressive) Mehrheitsgesellschaft. Daher rückten afrikanische Gruppen Unterdrückung, Marginalisierung und Ausgrenzung aufgrund kulturell abweichender Lebensstile in den Mittelpunkt von Indigenität, um sich als Teil der internationalen indigenen Bewegung identifizieren zu können (Martínez 1999: § 69 ff., African Com‐ mission’s Working Group on Indigenous Populations/ Communities 2009: 33, Hodgson 2009: 55 f., Schulte-Tenckhoff 2012). sprüche von Gruppen, sondern sie rahmen und bestimmen diese Ansprüche ihrerseits und stellen Gruppen als spezifische Rechtssubjekte auch mit her. Indigenität als Ressource spielt in dieser Konstellation eine hervorgehobene Rolle, wie ein Beispiel aus Tansania veranschaulicht. In Tansania identifizierten sich bestimmte ethnische Gruppen als indigen und gründeten 1994 das Forum für Pastoralisten und indigene NGOs, das ihnen Zugang zu den globalen Foren, Ressourcen und Räumen indige‐ ner Menschenrechte ermöglichen sollte. 32 Innerhalb dieses Forums waren Massai sehr präsent (basierend auf ihrer historischen Dominanzposition in Tansania), während Barabaig sich ausgegrenzt fühlten und Hadzabe praktisch abwesend waren (Igoe 2006: 400). Auf diese Weise haben sich die Ungleichheiten zwischen diesen Gruppen mit ihrem Eintritt in den Raum indigener Menschenrechte verschärft, wodurch auch internationale politische und finanzielle Ressourcen ungleich verteilt wurden: „Ironischerweise ist es indigenen Eliten tatsächlich gelungen, die Marginalisie‐ rung anderer Gruppen zu ihren eigenen Zwecken auszunutzen […], so dass einige Gruppen indigener sind als andere […], weil diejenigen ohne eine klare ethnische Identität nicht einmal Anspruch auf Mitgliedschaft in einer internationalen Unterschicht erheben können“ (ebd.). Das Beispiel verweist auf mehrere Dimensionen, die der Kategorie der Indigenität als Ressource zukommen. Erstens hängt der Zugang zu den Räumen, Foren und Ressourcen indige‐ ner Menschenrechte nicht nur davon ab, indigen zu sein, sondern auch da‐ von, über Wissen über die Existenz, die Sprache und die Funktionsweise der internationalen Foren, über Kenntnisse über die Kategorie der Indigenität und ihre Anforderungen sowie über finanzielle Ressourcen und kulturelles Kapital für die Nutzung der Foren und Diskurse zu verfügen (ebd.: 403, s.a. 131 4.3 Indigene Menschenrechte <?page no="132"?> Sieder/ Witchell 2001: 205, Canessa 2007). Erst diese Ressourcen erlauben es, sich in „die langjährigen Praktiken, Diskurse und Annahmen der UN“ (Hodgson 2009: 8) an- und einzupassen. Zweitens etabliert Indigenität als Ressource neue Ungleichheiten. „Ei‐ nige Indigene kämpfen heftig gegen andere, um zu verhindern, dass jene eine indigene Identität beanspruchen“ (Weaver 2001: 249). Verarmte, mar‐ ginalisierte Gruppen, die nicht nachweisen können, dass sie eine klare, homogene indigene Identität besitzen, Gruppen, die sich an moderne Um‐ stände angepasst haben oder kulturell zerstreut sind, Gruppen, die nicht einmal behaupten können, autochthon zu sein, weil sie an einem Punkt der Geschichte einmal migriert sind - all diese Gruppen und Individuen laufen Gefahr, ein zweites Mal ausgegrenzt zu werden; diesmal nicht durch die Mehrheitsgesellschaft, sondern durch eine Einteilung in Indigenität und Nicht-Indigenität, die indigene Menschenrechte nur Indigenen zuspricht. So stellen indigene Rechte einerseits ein höchst wertvolles und wichtiges Mittel für indigene marginalisierte Gruppen dar, um Menschenrechtsverlet‐ zungen und Leiden zu adressieren und international öffentlich zu machen. Andererseits können sie Armut, Unsichtbarkeit, Marginalisierung und Un‐ gleichheit zwischen Indigenen und (marginalisierten) Nicht-Indigenen auch verschärfen. Insgesamt bildet Indigenität eine Ressource für den Zugang zu internatio‐ nalen Menschenrechten sowie zu politischer und finanzieller Unterstützung. Sie erzeugt sowohl Einschlüsse als auch Ausschlüsse. Sie ist von allen Seiten umkämpft: sowohl zwischen einem Staat und indigenen Gruppen als auch zwischen verschiedenen (marginalisierten) Gruppen. Das ist darauf zurückzuführen, dass Indigenität gleichzeitig Quelle und Ziel von indigenen Menschenrechten ist. 4.3.3 Indigenität als Imperativ für Individuen Indigenität als Quelle und gleichzeitig Ziel indigener Menschenrechte hat einen zweiten Effekt auf die Individuen indigener Gruppen: Indigenität wirkt auch als Imperativ. Das Gebot der Indigenität erwächst sowohl aus der Forderung nach kultureller Distinktion gegenüber einem Staat als auch aus dem Wettbewerb zwischen verschiedenen Gruppen darüber, welche Gruppe indigen ist, wer also Indigenität als Ressource nutzen kann. Indigenität ist hier nicht nur ein schützenswertes Gut, sondern sie wird auch zu einem Imperativ gegenüber denjenigen, die indigen leben (sollen). Indigene 132 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="133"?> müssen sich als indigen identifizieren. Sie müssen „von ihren indigenen Gruppen als Mitglieder anerkannt und akzeptiert werden“ (Martínez Cobo 1986: § 379 ff.). Sie müssen die indigene Kultur und Identität reproduzieren. Dieser Imperativ ergibt sich aus der selbstreferenziellen Verdoppelung des Rechts auf Indigenität für Indigene. Per Definition können indigene Rechte nur von Indigenen beansprucht werden - das heißt von denen, die indigen leben und als Indigene anerkannt werden. Anderenfalls würde ihr Anspruch auf Indigenität als begrenzte Ressource gefährdet werden. Wenn eine Gruppe nur dann Zugang zu Indigenität als Ressource erlangt, wenn sie extern als indigen anerkannt wird, ist es von größter Bedeutung, in‐ tern indigen zu leben. Jede/ -r Einzelne innerhalb der indigenen Gruppe muss indigen leben und so die Indigenität reproduzieren. Dabei können die exis‐ tierenden weitreichenden Unterschiede zwischen indigenen Lebensstilen, Regionen, Religionen, städtischen und ländlichen Gebieten, zwischen den Achsen von Geschlecht, Klasse oder Alter innerhalb der indigenen Gruppen diesen Imperativ sogar verstärken. Denn interne Ungleichheiten können mit kollektiven Rechten in Konflikt geraten, wie auch Okin und Kymlicka betonen. Die UNDRIP versucht, dieses Problem zu berücksichtigen: „Bei der Umsetzung dieser Erklärung ist den Rechten und besonderen Bedürfnissen indigener älterer Menschen, Frauen, Jugendlicher, Kinder und Menschen mit Behinderungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken“ (UNDRIP, Artikel 22.1). Allerdings bildet genau an diesem Punkt der Konflikt zwischen individuellen und kollektiven Rechten eine zentrale Herausforderung, wie ein Beispiel aus Australien demonstriert. In den 1990er Jahren untersuchte die Australian Royal Commission into Aboriginal Deaths in Custody die überdurchschnittliche Zahl der Todesfälle verhafteter Indigener zwischen 1980 und 1989. Dass mehr als die Hälfte der verhafteten Männer wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden waren, spielte für die Untersuchung keine Rolle. Marchetti (2008) identifiziert dies als Lücke, die sie auf drei Gründe zurückführt. Erstens standen die indigenen Frauen, die von den Taten der verhafteten Männer betroffen waren, unter dem sozialen Druck, ihre Aussagen vor der Kommission auf indigene Forderungen gegenüber der australischen Regierung zu konzentrieren. Zu einem gewissen Grad wurden sie aus indigener Perspektive zudem für die Verhaftung der Männer verantwortlich gemacht. Diese Fälle für die weiße Justiz sichtbar zu machen, wurde als 133 4.3 Indigene Menschenrechte <?page no="134"?> 33 Diese Abweichung wurde u. a. als lesbisch bezeichnet, was auch auf einen restriktiven Umgang mit sexuellen Identitäten innerhalb dieser indigenen Gruppen verweist. kulturell unangemessen angesehen und als Abweichung 33 abgewertet (ebd.: 167 f.). Zweitens war es das genuine Anliegen der von der Kommission befragten indigenen Frauen selbst, nicht schlecht über ihre in Haft verstorbenen Angehörigen zu sprechen und die Mitglieder ihrer eigenen Gruppe nicht öffentlich zu beschuldigen. Vielmehr ging es ihnen darum, die Ungerechtig‐ keit der weißen Justiz zu thematisieren, die schließlich für die Todesfälle in Haft verantwortlich war (ebd.: 162 f.). Drittens hat die Kommission in ihren Anhörungen bewusst nicht nach häuslicher Gewalt oder geschlechtsspezifischen Ungleichheiten gefragt: „Sie dachten, wenn indigene Frauen das Problem häuslicher Gewalt ansprechen wollten, würden sie dies tun, und sie würden dies in einer Art und Weise tun, mit der sie sich wohl fühlen würden; aber“, so ein Kommissionsmitglied im Interview, „es ist nicht unsere Aufgabe, unsere … feministischen Ansichten durchzusetzen“ (ebd.: 162, Auslassung i. O.). Dieses Beispiel verweist erstens auf den Widerspruch zwischen ver‐ geschlechtlichten Ungleichheiten innerhalb indigener Gruppen und den (gerade in Australien eklatanten) Unrechtserfahrungen in der Mehrheitsge‐ sellschaft. Mit diesem Widerspruch versuchen indigene Frauenbewegungen einen Umgang zu finden. Wenig hilfreich dafür ist allerdings die verbreitete Annahme, dass „häusliche Gewalt […] eher das Produkt angloinduzierter paternalistischer Werte ist“ (Zion 1992: 204). Diese Perspektive vernach‐ lässigt die Geschlechterungleichheiten, die indigenen Traditionen selbst innewohnen. Auch das vielbemühte Bild der indigenen Komplementarität zwischen den Geschlechtern zeitigt weitreichende inhärente und praktische Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen (Goodale 2006a), statt einen Beweis für die Gleichwertigkeit der Geschlechter in indigenen Gruppen zu liefern, wie es oft dargestellt wird. Hinzu kommt die mit der Vorstellung von Komplementarität einhergehende Notwendigkeit einer binären und he‐ terosexuellen Identität, die andere sexuelle und geschlechtliche Identitäten marginalisiert. Das Beispiel zeigt zweitens, wie Konflikte auf die Dichotomie zwischen Indigenität und Nicht-Indigenität, also zwischen Innen und Außen verscho‐ ben werden, anstatt Unterschiede und Diskrepanzen innerhalb der indige‐ nen Gruppe zu diskutieren. Das geht unmittelbar (und in diesem Beispiel 134 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="135"?> auch explizit) auf Indigenität als Ressource zurück, die zum Imperativ wird: Um Indigenität als politische Ressource zu stärken, wirkt sie als Imperativ, interne Probleme auszublenden und stattdessen das Bild einer gefestigten kulturellen Gruppe nach außen zu transportieren. Das Kriterium der kulturellen Differenz, an dem Indigenität festgemacht wird, verstärkt diese Tendenz. Daran schließt drittens die Frage an, wie dynamisch und offen eine Kultur sein darf, um noch als indigen zu gelten. Gleichzeitig zeugen die Diskussionen und Weiterentwicklungen indigener Menschenrechte von einem hohen Maß an Pluralismus und Dynamik, von einem bewussten und offenen Umgang mit Kultur und Indigenität, der statischen und homogenen Konzepten entgegengesetzt wird. Zudem verlangt die Dimension der Indigenität nicht nur kulturelle Differenz von Indigenen, sondern schützt auch primär diese: Es ist die staatliche oder mehrheitsgesellschaftliche Unterdrückung von kultureller Differenz, die den Anlass für indigene Menschenrechtsforderungen bildet. Insgesamt verfolgen indigene Menschenrechte den Anspruch, besonde‐ ren Benachteiligungsstrukturen eine besondere Aufmerksamkeit zu schen‐ ken. Der menschenrechtliche Universalismus soll so spezifiziert und gerade dadurch gestärkt werden, dass er spezifische Erfahrungen von Leiden und Unrecht in den Blick nehmen kann. Gleichzeitig bilden die Effekte von Indigenität als Ressource und als Imperativ mögliche Grenzen und repressive Dimensionen ab. 4.3.4 Kollektive und individuelle Menschenrechte Indigenität als Ressource und als Imperativ verdeutlicht die potenziell re‐ pressiven Effekte und Grenzen von indigenen Menschenrechten - und zwar sowohl in Bezug auf Individuen als auch in Bezug auf (andere) Gruppen. Dar‐ aus folgt nun allerdings nicht der Schluss, dass indigene Menschenrechte als solche problematisiert oder sogar zurückgebaut werden müssen. Das würde die emanzipatorischen, die menschenrechtsstärkenden Effekte kollektiver Menschenrechte negieren, die es erlauben, zentrale Lücken in individuellen Menschenrechten zu adressieren. Diese Doppelläufigkeit rückt die Notwen‐ digkeit in den Vordergrund, inhärente und interagierende Konflikte und Widersprüche auf (und zwischen) allen Ebenen zu analysieren - sowohl innerhalb und zwischen kulturellen Gruppen als auch im Staat sowie im internationalen Menschenrechtsregime. Dies ermöglicht einen vermittelten Universalismus, der mit betroffenen Stimmen verknüpft ist und gleichzeitig 135 4.3 Indigene Menschenrechte <?page no="136"?> darüber hinausgehen kann. Dieser Ansatz lässt keine einseitige Affirmation oder Ablehnung des Konzepts indigener oder kollektiver Menschenrechte zu, sondern er fahndet nach repressiven und nach emanzipatorischen Elementen auf allen Seiten. Möglichkeiten, diese Elemente offenzulegen, bieten sowohl die Theorien Taylors, Kymlickas und Okins als auch die Debatte um indigene Menschen‐ rechte. Die Heterogenität von Kultur spielt dabei eine ebenso unhintergeh‐ bare Rolle wie die gegenseitige Konstitution von Individuum und Gruppe und die Offenlegung der jeweils angelegten normativen Maßstäbe. Im Fol‐ genden werden mit dem gesellschaftlich vermittelten, dem kulturreflexiven und dem Mehrebenen-Universalismus Elemente entwickelt, die auf Kultur, Gruppe und den normativen Maßstab näher eingehen und sie für einen vermittelten Universalismus ausbauen. ➤ Das Element des gesellschaftlich vermittelten Universalismus Die kollektivrechtliche Kritik am individualistischen Universalismus der Menschenrechte kulminiert in einer grundlegenden Frage: Soll das Indivi‐ duum oder die Gruppe in letzter Instanz den normativen Maßstab für Menschenrechte bilden? Für diese Frage sind verschiedene Terminologien im Umlauf. Inhaltlich geht es dabei um die Suche nach dem ‚Ersten‘: „Ich habe keine Formel, um zu klären, was an erster Stelle stehen sollte: das Individuum oder die Gemeinschaft? “ (McDonald 1991: 237). Diese normative Suche wird eng mit einer ontologischen verknüpft: „In gewisser Weise handelt es sich bei dieser Debatte um die soziologische Variante der Frage nach Huhn oder Ei, ob das Individuum oder die Gesellschaft zuerst kommt“ (Poletta/ Jasper 2001: 299). Die Entwicklung der Minderheitenrechte, die Theorien Taylors, Kymli‐ ckas und Okins sowie das Beispiel indigener Menschenrechte verweisen bereits darauf, dass Individuum und Gesellschaft in einer engen Beziehung zueinander stehen, die nicht einfach zugunsten einer Seite hin aufgelöst werden kann. Adorno legt eine genauere Bestimmung dieser Beziehung als Vermittlung vor, in der beide Seiten so miteinander verknüpft sind, dass sie sich der Logik einer Reihenfolge, eines Ersten und auch einer moralischen Letztbe‐ gründung entziehen. Auf dieser Grundlage kann die Frage nach dem Ersten 136 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="137"?> in einen Ansatz überführt werden, der auf eine spezifische Gleichzeitigkeit, eine gegenseitige Konstitution und Konstruktion von Individuum und Gesellschaft reflektiert und der die Grundlage für einen gesellschaftlich vermittelten Universalismus bildet. Die Grundfigur ist dabei folgende: Individuum und Gesellschaft sind real getrennt, stehen sich gegenüber und dennoch bringt gleichzeitig das eine erst das andere hervor (und umgekehrt). Bei Adorno stehen Individuum und Gesellschaft sowohl in einer inneren als auch in einer äußeren Ver‐ mittlung zueinander. Sie stehen in einem Gegensatzverhältnis, in dem der jeweilige Gegenpol auf der anderen Seite der Verhältnisbestimmung (äußere Vermittlung) sowie innerhalb der beiden Pole selbst (innere Vermittlung) aufzufinden ist. Individuum und Gesellschaft konstituieren sich durch das Andere hindurch, und erlangen durch das Andere hindurch gleichzeitig die Unabhängigkeit und Selbständigkeit vom Anderen (Adorno 1956c, 1977, Ritsert 2001, Müller 2011, 2020a). Die äußere Vermittlungsbeziehung bezeichnet, dass beide aufeinander einwirken: das Individuum auf die Gesellschaft und die Gesellschaft auf das Individuum. Damit umgeht Adorno eine Perspektive, die das Individuum bereits vor seinem Wechselverhältnis als gegeben setzt. Dagegen betont er, dass es kein an sich seiendes Individuum gebe, welches sich unter oder neben den Zurichtungen der Gesellschaft entdecken lasse oder gar davon zu befreien sei (Adorno 1951: 175). Das Individuum weist weder einen ungesellschaftlichen Wesenskern noch ein inneres Vakuum auf, um das sich die gesellschaftlichen Zurichtungen erst als Hülle legen würden (Adorno 1956c, 1979c). Das entspräche der Logik eines äußerlich bleibenden Wechselverhältnisses. Mit dem Konzept der inneren Vermittlung lässt sich das Individuum demgegenüber als gesellschaftlich konstituiert verstehen - aber nicht als gesellschaftlich determiniert. Damit gelingt Adorno eine Argumentationsfigur, die Äußerungen von Individualität und Autonomie ebenso anerkennt wie die gesellschaftlichen Momente, die diese individuelle Autonomie erst ermöglichen. Individualität, Reflexivität, Autonomie und Handlungsfähigkeit bilden gesellschaftlich ermöglichte Errungenschaften, die zugleich eigenständig gegenüber der Gesellschaft sind und daher über Gegebenes hinausweisen können. Das Individuum kann (erst) in und durch gesellschaftliche Konstitution gesell‐ schaftliche Gegebenheiten kritisieren und transzendieren. Individualität und Autonomie können gesellschaftlich aber auch eingeschränkt werden. 137 ➤ Das Element des gesellschaftlich vermittelten Universalismus <?page no="138"?> Diese Grundkonstellation ermöglicht eine Argumentationsfigur, die auch gesellschaftliche Widersprüchlichkeiten und Kontingenz erfassen kann. Die innere Vermittlung mit dem jeweiligen Gegenpol lässt sich auch aufseiten der Gesellschaft nachzeichnen. Gesellschaft ist zum einen etwas Umfassendes, das nichts unberührt lässt, denn auch scheinbar Außenste‐ hendes ist gesellschaftlich bestimmt (Ritsert 2017b). Zum anderen steht Gesellschaft den Individuen nicht nur als Abgetrenntes gegenüber. Sie „verwirklicht sich nur durch die Individuen hindurch, ist aber auf sie, eben als ihre Relation, nicht zu reduzieren und ist auf der andern Seite auch nicht als ein an sich seiender reiner Oberbegriff zu fassen“ (Adorno 2003: 69). Ge‐ sellschaft umfasst die Institutionalisierung menschlichen Zusammenlebens. Institutionen können ihrerseits die Individuen unterstützen (entlasten) oder einschränken (repressiv wirken). Weder die eindimensionale Abschaffung noch die Hypostasierung gesellschaftlicher Institutionen wäre daher das Ziel einer Kritik von Gesellschaft (Adorno 1956a, 1979a). In diesem Zusam‐ menhang lässt sich auch Taylors Konzept moralischer Räume verstehen, in denen Individuen sich konstituieren und sich auch kritisch positionieren - die sie aber nicht verlassen können. Damit rückt die Unhintergehbarkeit der gesellschaftlichen Konstitution von Individuen in den Blick. Ebenso wie das Individuum durch Gesellschaft konstituiert, aber nicht determiniert wird, gilt umgekehrt: Gesellschaft weist sowohl eine Konsti‐ tuierung durch Individuen als auch eine Selbständigkeit von Individuen auf. Gesellschaft steht den Einzelnen auch heterogen gegenüber. Gesell‐ schaftlichen Bedingungen kommt eine solche Eigenmächtigkeit zu, dass die individuelle Autonomie maßgeblich eingeschränkt werden kann. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist demnach dadurch gekennzeichnet, dass beide durch- und ineinander vermittelt sind, wenn auch asymmetrisch. Jedes hat sein Gegenstück in sich selbst zur Vorausset‐ zung; das eine ist konstitutive Bedingung für das andere. Gleichzeitig stehen beide Pole auch in einem äußeren Gegensatz zueinander: Sie sind nicht aufeinander reduzierbar, sie bewahren gegenüber dem Anderen immer auch eine Eigenständigkeit. Individuum und Gesellschaft lassen sich weder in eins auflösen, noch können sie dichotom voneinander getrennt werden (Adorno 2003: 69 f.). Auf dieser Grundlage ergibt sich für die Diskussion kollektiver Rechte Entscheidendes. Erstens wird die Frage nach einem ontologischen Zuerst überführt in eine Perspektive, die die geschichtliche Dimension eines immer auch gewordenen Zuerst erfassen kann. 138 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="139"?> Zweitens wird eine (häufig nur vage) Vorstellung der Wechselseitigkeit von Individuum und Gesellschaft konkretisiert: „Alle Beteiligten an der kontroversen Diskussion wissen selbstverständlich, daß ‚das Selbst‘ nicht völlig isoliert im sozialen Raum schwebt. Ein Selbst bildet sich immer in sozialen Beziehungen zu bedeutsamen Anderen sowie unter den Rahmenbedingungen seiner geschichtlichen Situation. Doch auf der anderen Seite geht es in diesen Beziehungen und Abhängigkeiten nicht auf, sondern kann diesen gegenüber ‚Selbständigkeit‘ des Denkens und des freien Willens bewah‐ ren. [Entscheidend ist] das Verhältnis von Bestimmtsein und Selbstbestimmung des Individuums“ (Ritsert 2001: 78, Herv.i.O.). Die Vermittlungsfigur von Individuum und Gesellschaft erlaubt es der Debatte um kollektive Rechte, dichotome Herangehensweisen sowohl auf analytischer als auch auf normativer Ebene zu umgehen. Eine spezifische Gleichzeitigkeit gegenseitiger Konstitution und relativer Unabhängigkeit beider Seiten wird denkbar. Damit ist ein gesellschaftlich vermittelter Universalismus möglich, der die Bedeutung von Gesellschaft für das Indi‐ viduum anerkennt. Gleichzeitig gerät die Bedeutung von (gesellschaftlich geprägter) Individualität, Autonomie und Reflexionsfähigkeit in den Blick, ohne diese scheinbar höheren Zielen oder einer Instrumentalisierung für andere Zwecke unterzuordnen. ➤ Das Element des kulturreflexiven Universalismus Kultur bildet einen zentralen Referenzpunkt in den Diskussionen um kollek‐ tive Rechte. Kultur wird sowohl in liberalen als auch kommunitaristischen Argumentationen als Maßstab für Menschenrechte herangezogen. „Men‐ schen haben ein Recht auf Kultur - nicht nur irgendeine Kultur, sondern ihre eigene“ (Margalit/ Halbertal 1994: 491). Kultur kann als kollektives ebenso wie als individuelles Interesse den Gegenstand von Menschenrechten bil‐ den (Newman 2006/ 2007: 282), etwa im Menschenrecht auf Kultur (Rorty 1993, Bobbio 1996, Cowan 2006), in kultursensiblen Rechten (An-Na’im 1999b) oder in Konzepten von Kultur, Identität, Gruppe, Religion und Gesellschaft innerhalb des Menschenrechtsrahmens (Merry 2001, Baum‐ gart-Ochse 2011). Der Begriff der Kultur weist dabei höchst divergierende Ausprägungen auf. Diente er im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert als Synonym 139 ➤ Das Element des kulturreflexiven Universalismus <?page no="140"?> für die Zivilisation und Entwicklung der ökonomisch stärksten Länder, kritisierte Johann Gottfried Herder diese Einschränkung und forderte, den Kulturbegriff auf alle möglichen Nationen, Gruppen und historischen Pha‐ sen auszuweiten (Williams 1983: 89). In der deutschen Romantik avancierte der Kulturbegriff einerseits zum Gegenmodell zur Zivilisation, welche im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zunehmend mit den westlichen Na‐ tionen England und Frankreich identifiziert und aus deutscher Perspektive als oberflächlich und rationalistisch abgewertet wurde (Elias 1976: 2 ff.). Andererseits diente Kultur auch als Bezeichnung für als traditionell vorge‐ stellte Gesellschaften (Williams 1983: 89). So wurde das kolonialistische Bild des ‚edlen Wilden‘ geschaffen, dem Naturnähe, Ursprünglichkeit und Authentizität zugeschrieben wurden - und der gleichzeitig primitiv und unterentwickelt sei. Diese Bilder bildeten die Grundlage für die Wahrneh‐ mung der ‚Anderen‘ als ganz ‚Andere‘ (othering) und legitimierten deren Kolonialisierung, Versklavung und Ausbeutung (Hall 1994a, vgl. Kapitel 2). Kultur kann somit als politisches Instrument dienen, was auch dazu führt, dass Kultur als Begriff gänzlich abgelehnt wird (vgl. Eriksen 2001, Samson 2001). Kultur wird auch konzeptuell ersetzt durch Begriffe wie Habitus, Hegemonie oder Diskurs (vgl. Brightman 1995). Kultur kann eine gesamte Gesellschaft, ein Weltbild, bestimmte normative Vorstellungen, spezifische Funktionen oder künstlerische Artefakte bezeichnen (Neidhardt 1986: 11). Als Distinktionsmerkmal wird Kultur als Konfliktgegenstand internationaler Beziehungen oder zur Spezifizierung von Normen in den Mittelpunkt gerückt (Wiener 2007, Schimmelfennig 2008: 168, Deitelhoff 2009b: 189 ff.). Notwendig ist daher eine genauere Klärung der analytischen und norma‐ tiven Annahmen, die mit dem Bezug auf Kultur einhergehen. Im Folgenden werden zwei zentrale Dimensionen von Kultur im Kontext kollektiver Menschenrechte konturiert, die die Grundlage für einen kulturreflexiven Universalismus bilden: die Rolle von Reflexion sowie das Nicht-Identische in Kultur. Damit werden die unterschiedlichen Dimensionen von Kultur, die auch Kymlicka hervorhebt, in einen Zusammenhang miteinander gebracht, in dem sie nicht bloß widersprüchlich nebeneinanderstehen, sondern als miteinander vermittelt gefasst werden können. 140 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="141"?> Kultur und Reflexion Die unterschiedlichen Perspektiven auf Kultur lassen sich in der idealtypi‐ schen Unterscheidung zwischen einem statischen und einem dynamischen Kulturverständnis zusammenfassen. Im statischen Verständnis werden Kulturen als intern homogen, ethnisch fundiert und extern voneinander unterschieden konzipiert (kritisch Reck‐ witz 2000: 504, Welsch 2005: 317 f.). Hier gibt es eine klare Unterscheidung zwischen dem Innen und dem Außen einer Kultur. Selbst wenn hier „die Viel‐ falt der Kulturen“ mitgedacht wird (Antweiler 2007: 102) - und auch in der kulturrelativistischen Variante der Gleichwertigkeit aller Kulturen - wird im statischen Verständnis die Möglichkeit einer interkulturellen Beeinflussung und Veränderung von Kultur tendenziell als bedrohlich wahrgenommen (vgl. Zechenter 1997: 335). Kultur muss demzufolge bewahrt werden, indem sie vor allen Einflüssen geschützt wird, die als anders wahrgenommen werden. Demgegenüber verstehen dynamische Konzepte Kulturen als bewegliche, offene, diffuse, hybride, praxeologische, heterogene, vielstimmige, diskur‐ sive und/ oder widersprüchliche Gebilde (Ort 2003, Bachmann-Medick 2006: 39 ff.). Kultur ist demzufolge kein invariantes Objekt, sondern Praxis, ein Produkt ökonomischer, sozialer, politischer, lokaler und internationaler Entwicklungen. Sie besteht aus divergierenden und sich widersprechenden Interessen (Eriksen 1997: 53 f., Nagengast 1997: 356, Griffiths 2001). Daher können auch kulturelle Bräuche geändert werden, ohne dass deshalb die jeweilige Kultur kollabiert (Zechenter 1997: 335). Kultur als sinngebende Praxis stellt hier ein „Repertoire von Bedeutungen“ zur Verfügung, das von Individuen genutzt werden kann, um der Welt Bedeutung zu verleihen und Zusammenhänge herzustellen, „ohne dass sie sich von ihnen in jedem Aspekt ihrer Existenz einbinden lassen“ müssen (Hall 2004: 208, Herv.entf.). Keine Kultur ist demnach homogen und statisch, sondern immer schon in sich different und hybrid (Bhabha 1994). Statische und dynamische Kulturkonzepte lassen sich jedoch weder dichotom voneinander trennen noch historisch linear einordnen. Vielmehr tauchen sie in den Diskussionen um kollektive Rechte bisweilen gleichzeitig auf. Diese Gleichzeitigkeit findet sich zentral in Bakhtins früher Unterschei‐ dung zwischen organischer Hybridität einerseits und intentionaler, be‐ wusster, dialogischer Hybridität von Kultur andererseits (Bakhtin 1994). 141 ➤ Das Element des kulturreflexiven Universalismus <?page no="142"?> Demnach ist Kultur auf der Ebene organischer Hybridität stets Einflüssen und Veränderungen ausgesetzt, die sich dem Bewusstsein der Beteiligten entziehen. Gleichzeitig existiert eine stabile kulturelle Ordnung, ein na‐ turalisierter Identitätskern, der die Grundlage für bewusst ausgetragene kulturelle Konflikte bildet. Diese können in intentionalen Hybridisierungen münden (Werbner 2001: 135 ff.). Ein zunächst ähnliches Verständnis entwirft Reckwitz im bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff. Kultur sei „ein Geflecht von Sinnmustern […], welche ein System zentraler Unterscheidun‐ gen und Klassifikationen aufspannen. […] Sie stellen sinnhafte Differenzen zur Verfügung und ermöglichen vor diesem Hintergrund die Identifizierung von Gegenständen qua routinisierter Sinnzuschreibung. Die Sinnmuster produzieren […] eine kulturelle ‚Ordnung der Dinge‘, die gleichzeitig auf ein symbolisches Außen […] angewiesen ist“ (Reckwitz 2006: 36). Die Sinnmuster werden internalisiert und prägen die individuelle Wahr‐ nehmung, Deutung und Bewertung der Welt. Die derart durch Praxen getragene Kultur sei wandelbar und dynamisch, weil sie eine „Struktur der Wiederholung“ aufweise: Das schließt „die beständige Möglichkeit der Verschiebung, der schleichenden Veränderung ihrer Form ein“ (ebd.: 37). Veränderungen seien durch modifizierte Wiederholungen möglich, durch unbeabsichtigtes Misslingen, unintendierte Nuancen und Verfehlungen, Unberechenbarkeit und abweichende Interpretationen (ebd.: 49). Dieses Kulturkonzept umfasst jedoch nur die Seite des Unintendierten. Kulturelle Statik und Dynamik werden hier zwar gleichzeitig gedacht, aber Kultur wird als routinisierte, gängige, kollektive, verinnerlichte Praxis und Gewohnheit in einen strengen Gegensatz zu individueller Reflexion gestellt. Diese Annahme steht zunächst in einer breiten Tradition: „Die Summe der Selbstverständlichkeiten in einem Gesellschaftssystem nennen wir dessen Kultur“ (Hofstätter 1959: 92). Ein Konzept von Kultur als unhinterfragte und unreflektierte Routine impliziert auch Okin, wenn sie Kultur als vorrangig repressive, Reflexion entgegenstehende Einschränkung skizziert. Ein bewusstes Reflektieren auf Kultur wird hier jedoch spätestens in Kon‐ fliktfällen möglich: „Kultur ist im Normalzustand eine latente Hintergrund‐ größe. Erst wenn sie in ihrem eigenen Geltungsbereich strittig wird, nimmt ihre Sichtbarkeit zu“ (Neidhardt 1986: 17). Für Bakhtin sind Konfliktfälle in Form des Aufeinandertreffens verschiedener Kulturen prinzipiell ständig präsent. Wird Bakhtins zweite Seite kultureller Hybridität, die Bewusstheit 142 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="143"?> und Intention umfasst, ernst genommen, dann stellt sich Reflexion als eine Schlüsselkategorie für Kultur heraus: „Reflexivität innerhalb von Kulturen ebenso wie im Zusammentreffen zwischen Kulturen ist ein zentraler Punkt“ (Werbner 2001: 49). Reflexion ist dabei weder anthropologisch noch kulturell vorgängig, sondern erst in und durch Gesellschaft möglich, wie der gesell‐ schaftlich vermittelte Universalismus betont. Wenn die Ermöglichung von individueller Reflexion allerdings allein auf der Ebene der Gesellschaft verortet werden und Kultur nur routinisierte, internalisierte, mit anderen Worten: reflexionslose Handlungen bezeichnen würde, dann würde Kultur als Gegenstand kollektiver Rechtsforderungen zum Selbstwiderspruch werden: Wie soll etwas rechtlich geschützt und reproduziert werden, das sich per definitionem bewussten Einflüssen ent‐ zieht und sich nur durch unintendierte Handlungen und wiederholendes Abweichen verändert? Kollektive Rechtsforderungen sind ein gezielter, reflektierter Eingriff in den Gegenstand Kultur. Sie sollen (ihrerseits gege‐ benenfalls gezielten) Prozessen gegensteuern, in denen Kulturen bedroht werden. Auch das Kriterium der freien Wahl beziehungsweise der Freiwilligkeit, das sich durch zahlreiche Argumentationslinien zieht, ist unabdingbar auf die individuelle Fähigkeit zur Reflexion angewiesen. Kulturen und Gruppen werden auch bewusst und reflektiert geformt und reproduziert. Ebenso wie Individuen und ihre Begriffe, Vorstellungen und Werte von ihrer Kultur geformt sind, sind Kulturen durch die Beiträge der in ihnen lebenden Individuen geprägt. Die Möglichkeit der Reflexion in und auf Kultur eröffnet wiederum den Blick auf die Dynamik, Widersprüchlichkeit, Unabgeschlossenheit und Vielfältigkeit innerhalb von Kultur. Damit ist „weder die Annahme in sich geschlossener, klar abgrenzbarer und statischer na‐ tionaler oder ethnischer Kulturen tragfähig, noch die Vorstellung, dass Individuen Angehörige von Kulturen und durch diese determiniert sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Individuen ihr Selbst- und Weltverständnis in Auseinanderset‐ zung mit unterschiedlichen kulturellen Mustern als in sich widersprüchlichen, vielschichtigen und ineinander verwobenen Sinngebilden, die sich wechselseitig beeinflussen, entwickeln. Die Zugehörigkeit zu einer Kultur beziehungsweise ‚Ethnie‘ kann also nicht als schlicht gegebene Tatsache vorausgesetzt und dann als Grundlage für die Erklärung von Verhaltensweisen beansprucht werden“ (Hormel/ Scherr 2006: 111). 143 ➤ Das Element des kulturreflexiven Universalismus <?page no="144"?> Ein kulturreflexiver Universalismus ist demnach auf ein Kulturverständnis angewiesen, das die Gleichzeitigkeit von Statik und Dynamik denken und die Möglichkeit der Reflexion einbeziehen kann. Auf dieser Grundlage können dann auch in einem entscheidenden nächsten normativen Schritt sowohl reflexionsfördernde als auch reflexionseinschränkende Dimensio‐ nen von Kultur offengelegt werden. Kulturen beziehungsweise allgemein Gruppen können daraufhin überprüft werden, inwiefern sie die Handlungs- und Reflexionsmöglichkeiten der Individuen stärken oder schwächen (ohne dabei solch einen normativen Maßstab seinerseits statisch zu setzen, vgl. Kapitel 6). Kultur und ihr Nicht-Identisches Zentral für einen kulturreflexiven Universalismus ist demnach die Gleich‐ zeitigkeit der dynamischen und statischen, der reflexiven und internalisier‐ ten Dimensionen von Kultur. Daran schließt die Frage an, wie sich diese Gleichzeitigkeit denken lässt: „In diesem Bereich ist es weniger noch als sonst sinnvoll, sich das Ergebnis analytischer Unterscheidungen in Gestalt einander ausschließender Gegensätze vorzustellen. Was für den Sinnhaushalt eines einzelnen schon gilt, ist umso mehr für die Kultur größerer kollektiver Einheiten anzunehmen: Es geht um komplexe Zusammenhänge unterschiedlicher, nicht selten disparater Elemente, um variable Mischungsverhältnisse, bloßes Nebeneinander, höchst indirekte Wechselbeziehungen“ (Neidhardt 1986: 12). Ein kulturreflexiver Universalismus will allerdings auch über das bloße Nebeneinander hinausgehen. Es geht darum, eine präzisere Bestimmung zu finden als die Vorstellung eines „unbestimmten Mehr-oder-weniger, Sowohl-als-auch, Weder-noch, Besser-als“ (ebd.: 13). Eine Präzision im Umgang mit der Gleichzeitigkeit von Widersprüchen liegt in der Kritischen Theorie Adornos und im Dekonstruktivismus Derridas mit der Figur des Nicht-Identischen vor. Derrida führt aus, dass jede Kultur mit sich selbst differiert. „Es ist einer Kultur eigen, daß sie nicht mit sich selber identisch ist“ (Derrida 1992: 12, Herv.entf.). Nur so könne sich eine Kultur als identische (als distinkte Kultur) konstituieren. Denn jede Kultur sei immer schon eine Kultur des Anderen, wie Derrida anhand mehrerer Aspekte begründet: 144 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="145"?> Erstens sei Kultur nicht das Gleiche wie Natur. Im Sinne eines Erst-er‐ schaffen-Werdens oder eines Sich-erst-Erschaffens sei Kultur künstlich, ein „Mit-sich-Differieren der Natur“ (ebd.: 24, Herv.entf.). Daher könne sie immer nur angeeignet werden. Kultur sei, als künstliches Produkt, nie ganz jemandes Eigentum. Zweitens gebe es (so auch zentral Kymlicka) immer das Bestreben, eine Kultur gegen andere durchzusetzen und zu homogenisieren. Das Bild einer einheitlichen Kultur sei lediglich das Ergebnis dieses Durchsetzens einer bestimmten Kultur gegen andere (Derrida 1992: 13, 2003: 67). Drittens lässt sich mit dem Theorem eines konstitutiven Außen nach‐ zeichnen, dass die Konstitution der eigenen Identität stets die Konstruktion des Anderen als Anderen, Abgegrenzten und Außenstehenden benötigt. Damit greift Derrida auf die Hegelsche Figur der Vermittlung von Innen und Außen zurück (Hegel 1970 [1812]: 142 ff.): Weil die Bestimmung eines Innen (hier: einer Kultur) eine Grenze braucht, die es als ein Innen (als Kultur) definiert, bestimmt die Setzung der Grenze immer auch das Außen, das Exkludierte (das Nicht-Identische) (Ritsert 2011: 21). Innen und Außen gehören also konstitutiv zusammen. Kultur konstituiert sich durch das ihr Ausgeschlossene. Zusammengefasst ist Kultur immer auf ein Anderes, auf ein Nicht-Iden‐ tisches verwiesen. Zugleich aber muss Kultur bei Derrida so tun, als sei sie einmalig, als sei sie identisch mit sich selbst und als sei sie die wahre Verkörperung des Universellen (Derrida 1992: 54). Das sei notwendig für die Existenz der Kultur, denn ein Selbstverständnis als Nicht-Identisches oder Grenzenloses würde sie auflösen. Die Möglichkeit kultureller Identität besteht für Derrida im Aushalten der Unmöglichkeit, des Nicht-Identischen im Eigenen. Für den kulturreflexiven Universalismus bedeutet das die An‐ erkennung des Anderen im Eigenen, des Nicht-Identischen im Identischen. Das ist das Gegenteil von othering, ohne dabei Differenzen in Unterschieds‐ losigkeit oder Gleichheit aufzulösen (Müller/ Mende 2016). Diese Figur knüpft an Adornos vermittlungslogischer Bestimmung an, die Identisches und Nicht-Identisches nicht nur als äußerlich, sondern auch als innerlich miteinander vermittelt herausarbeitet (Adorno 1966: 164). Die Vorlage dafür findet sich ebenfalls bei Hegel: „[D]ie Äußerlichkeit des An‐ dersseins ist einerseits in der eigenen Innerlichkeit des Etwas, andererseits bleibt sie als Äußerlichkeit unterschieden davon, sie ist noch Äußerlichkeit als solche, aber an dem Etwas“ (Hegel 1970 [1812]: 142). Das Nicht-Identische 145 ➤ Das Element des kulturreflexiven Universalismus <?page no="146"?> ist im Identischen enthalten und steht ihm zugleich gegensätzlich gegenüber (Ritsert 1997: 40). Adorno verweist in einem entscheidenden Schritt darauf, dass Emanzipa‐ tion und Repression sich jeweils auf beiden Seiten der Vermittlung befinden. Identität und Nicht-Identisches können beide sowohl befreiende als auch repressive Elemente aufweisen (Adorno 1966: 294). In Bezug auf individu‐ elle Identität führt Adorno aus, dass Identität als kohärentes Bewusstsein seiner selbst die Basis für bewusste Handlung ist. Das Bewusstsein einer Ich-Identität ermöglicht Erfahrung, Bildung und Reflexion. Allerdings wird diese Identität repressiv, wenn sie als starres Gehäuse Begehren, Wahlmög‐ lichkeiten, Distanz, Reflexion und Differenz (zu sich selbst, zu anderen oder zu einer Gruppe) abschneidet. Diese Möglichkeiten der Abweichung sind im Nicht-Identischen enthal‐ ten. Es bedeutet die Freiheit gegen den Identitätszwang. Allerdings wäre das Nicht-Identische allein genommen bloße Natur, unfähig zu Bewusstsein und Reflexion - eine Auslieferung an Triebe und Instinkte (Adorno 1979b: 115). Dies ist das repressive Moment im Nicht-Identischen. Die Vermittlung von Identität und Nicht-Identischem zeichnet damit eine Möglichkeit nach, die widersprüchlichen Elemente in Kultur zusammenzu‐ denken - und sie erlaubt es, alle Seiten auf solche Effekte und Implikationen hin zu überprüfen, die Menschenrechte stärken oder schwächen können. So werden weder Differenz und Kultur noch deren Auflösung als alleiniger Garant für die Stärkung von Menschenrechten herangezogen, sondern sie werden mit einer normativen Perspektive verknüpft. Das ist zentral, denn anderenfalls „kommt man nicht mehr dazu, nach den tieferen Wurzeln der Inhumanität zu fragen. Dies wiederum führt zur Verabsolutierung der Differenz und zur Ablehnung jeglicher Debatte über die Vorzüge und Nachteile der koexistierenden Lebensformen. Stillschweigend wird unterstellt, jede Differenz sei um ihrer selbst willen zu bewahren“ (Bauman 2009: 129). Insgesamt führt der kulturreflexive Universalismus die widersprüchlichen Elemente von Kultur zusammen. Kultur umfasst Identisches und Nicht-Iden‐ tisches; Eigenes und Anderes; Statik und Dynamik; Reflexion und interna‐ lisierte Routine. Beide Momente sind jeweils als Gegensätze ineinander enthalten. So kann ein kulturreflexiver Universalismus einen Umgang mit den heterogenen Dimensionen von Kultur finden und emanzipatorische und repressive Dimensionen auf allen Seiten offenlegen. 146 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="147"?> 34 Damit unterscheidet sich der Mehrebenen-Universalismus von dem Begriff der Mehre‐ benen-Governance, die auf die Interaktion zwischen lokalen, regionalen und globalen Politikebenen fokussiert, erlaubt aber auch Anknüpfungspunkte. ➤ Das Element des Mehrebenen-Universalismus Anschließend an einen gesellschaftlich vermittelten und einen kulturreflex‐ iven Universalismus stellt sich die Frage nach einer Verbindung aller drei Ebenen von Individuum, Kultur und Gesellschaft. Der Mehrebenen-Uni‐ versalismus nimmt die Konstitutions- und Wechselbeziehungen zwischen diesen drei Ebenen in den Blick. 34 Dies rückt auch die genaue Konstituti‐ onsbeziehung zwischen Mensch und Gruppe beziehungsweise Kultur als Hauptbezugspunkt für Gruppenidentitäten in den Fokus: „Aus der prozess‐ orientierten Perspektive stellt das Individuum die Kultur her; aus einer systemorientierten Perspektive ist sie oder er ein Produkt der Kultur und reproduziert diese durch ihre oder seine eigenen Handlungen“ (Eide 1995: 231). Es geht somit um die Frage, welche Rolle Kultur für das Individuum spielt - und welche Rolle Individuen für Kultur. Damit verbunden ist die Frage der Reichweite von Kultur. Umfasst Kultur „all die Praxen […], die in relativer Unabhängigkeit zu den ökonomischen, sozialen und politischen Sphären stehen“ (Said 1994: xii)? Oder muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Fragen, „warum und wie Kulturen fortbestehen, sich verändern, sich anpassen oder verschwinden, […] aufs Engste verbunden sind mit ökonomischen, politischen und terri‐ torialen Prozessen“ (Stavenhagen 1995: 67, s.a. Tenbruck 1986)? Umgreift Kultur sogar „alles, was nicht Natur ist“ (Reckwitz 2000: 76), also alles von Menschen Geschaffene sowie alle Formen der Vergesellschaftung? Mit solch einem weiten Kulturbegriff werden Kultur und Gesellschaft allerdings austauschbar (s.a. Kroeber/ Parsons 1958: 583). Das Konzept von Gesellschaft würde durch Kultur nur begrifflich verdoppelt, ohne ihm Erkenntnisgewinn oder Analysefähigkeit hinzuzufügen. Dann wären auch kollektive Menschenrechte überflüssig, weil Kultur als Gesellschaft ohnehin unhintergehbar für die Individuen ist und weder verlassen noch zerstört werden kann. Allerdings geht es in kollektiven Rechtsforderungen um ein subgesell‐ schaftliches oder substaatliches Kulturkonzept. Stets geht es um kulturelle Minderheiten gegenüber einer von ihnen distinkten Mehrheitsgesellschaft, weil es innerhalb einer Gesellschaft oder eines Staates mehrere Kulturen 147 ➤ Das Element des Mehrebenen-Universalismus <?page no="148"?> gibt, von denen eine sich als dominante etabliert, wie Kymlicka ausführt. Der sozialisierende und Identität konstituierende Charakter von Kultur wird mit ihrer Distinktionsfähigkeit charakterisiert: „Kultur als Differenz“ (Antweiler 2007: 19). Kultur muss im Rahmen kollektiver Rechte demnach zwischen der Ebene der Individuen und einer breiteren Vergesellschaftungsebene verortet werden. Ein Versuch, diese unterschiedlichen Ebenen in die Theoriebildung kol‐ lektiver Menschenrechte einzubeziehen, findet sich im Kreismodell. Es geht von einem im Mittelpunkt stehenden Individuum aus, das von konzentri‐ schen Kreisen umgeben ist, deren Einfluss auf das Individuum mit steigender Nähe wachse. Demnach bilde die Familie einen engen und kleinen Kreis, gefolgt von einem größeren Kreis der kulturellen Gruppe, schließlich vom Staat, vom Kontinent und letztlich der ganzen Welt. Dabei würden die größeren Kreise die kleineren beeinflussen (Xanthaki 2007: 23 ff.). In diesem Modell fehlt allerdings die Möglichkeit von Interaktion und Bewegung zwischen den Kreisen. „Diese Identitätstheorie konzentrischer Kreise mag analytisch bequem sein, aber sie erfasst die Komplexität von Identitätsbildung nicht einmal im Ansatz […]; viele Dinge ist man und ist man nicht zur selben Zeit“ (Goodale 2006a: 641). Das Individuum wird im Kreismodell als unbeweglicher Mittelpunkt vorgestellt, der gebildet wird, aber nicht selbst bildet. Individuen sind im Kreismodell „der spezifischen Kultur ihrer Familie ausgesetzt, der Kultur ihres Dorfes […]. Ihre Lebens‐ weisen und Entscheidungen bilden eine Mischung aus Eigenschaften der genannten Gemeinwesen“ (Xanthaki 2007: 23). So bleibt auch unterbestimmt, welche Effekte der kleinere Kreis Kultur auf den größeren Kreis Gesellschaft haben kann. „Die Untersuchung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, in dem Gruppen verschie‐ denster Art verschiedene vermittelnde Funktionen erfüllen, wird aufs Stu‐ dium der Abhängigkeit von Individuen und Gruppen reduziert“ (Adorno 1956b: 60). Adorno schlägt demgegenüber den Begriff der Gruppe als einen Sammel‐ begriff für die Ebene von Kultur, Kollektiv, Minderheit oder vergleichbaren Sozialisationsinstanzen vor, die sich unterhalb der allgemeinen Ebene der Gesellschaft verorten lassen. Gruppen bilden somit eine Zwischeninstanz in der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft: „Die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft, das Auseinanderweisen des Allgemeinen und Besonderen impliziert notwendig, daß das Individuum nicht unmittelbar in 148 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="149"?> die gesellschaftliche Totalität sich einordnet, sondern daß dazu Zwischen‐ instanzen notwendig sind“ (ebd.: 55). So dynamisch und historisch kontingent wie die Vermittlung von Indivi‐ duum und Gesellschaft sind die Funktionen, Mechanismen und Wirkungs‐ weisen von Gruppe. „Sie ist keine urtümliche, ewige Kategorie, sondern selbst ein Produkt der Gesellschaft“ (ebd.: 65). In dieser Vermittlungsbeziehung zwischen Individuum, Gruppe (worun‐ ter auch Kultur gefasst werden kann) und Gesellschaft können innere und äußere Vermittlungsverhältnisse sowohl zwischen Individuum und Gesell‐ schaft als auch zwischen Gruppe/ Kultur und Individuum sowie zwischen Gruppe/ Kultur und Gesellschaft herausgearbeitet werden. Die Ebenen sind nicht vorgängig, sondern sie konstituieren einander in beide Richtungen. Auf dieser Grundlage lässt sich Kultur weder als abgetrennte Sphäre ver‐ stehen, noch kann sie mit Gesellschaft oder mit individueller Identität gleichgesetzt werden. Alle drei Ebenen, Individuum, Gruppe/ Kultur und Gesellschaft, sind miteinander vermittelt und stellen einander her. Der Mehrebenen-Universalismus kann die Diskussion kollektiver Men‐ schenrechte somit in drei Hinsichten präzisieren. Erstens sind Gruppen nicht identisch mit Gesellschaft. Sie bilden eine von mehreren möglichen Ebenen zwischen Individuum und Gesellschaft. Die konkreten Wechselbeziehungen zwischen Gruppen und Gesellschaft sind vielfältig. Das eröffnet einen Raum vielfältiger Zwischen- und Vermitt‐ lungsebenen. Sie können sich in Form von Kulturen, kollektiven Identitä‐ ten, Religionen oder in gänzlich anderen Formen ausprägen. Sie können Spezifika aufweisen und gleichzeitig offene Grenzen, Permeabilität und Gemeinsamkeiten zulassen. Sie können eine wichtige Ebene für Sozialisie‐ rung, individuelle Identität, Reflexion und freien Willen bilden - und diese gleichzeitig auch einschränken. Wenn zweitens Gesellschaft als entscheidende Ebene der Konstitution individueller Identität, Autonomie und Reflexionsfähigkeit ins Blickfeld rückt, dann kann die Annahme der Unabdingbarkeit von Gruppen für Individuen nicht in dem absoluten Sinne aufrechterhalten werden, der als Schreckensszenario das bezugslose Individuum in einem Vakuum entwirft. Gruppe und Kultur bilden eine, aber nicht die einzige Instanz von Vergesell‐ schaftung und Identitätsbildung. 149 ➤ Das Element des Mehrebenen-Universalismus <?page no="150"?> 35 Daraus lässt sich allerdings kein Zwang ableiten, der andere dazu auffordert, ihre Gruppe ‚einfach‘ zu verlassen. Wenn drittens Gruppen nicht die einzige Ebene der Identitätsbildung sind, können sie verändert, kritisiert und auch verlassen werden. 35 Indivi‐ duen sind weder mit einer Gruppe noch mit Gesellschaft identisch. Es gibt immer auch Differenzen zwischen kollektiven und individuellen Interessen. Zugleich entsteht nicht gegen, sondern durch Vergesellschaftung hindurch die Möglichkeit der Reproduktion, der Veränderung oder der kritischen Hinterfragung einer Gruppe. Die Konstellation zwischen Individuen und ihrer Gruppe ist demnach auch entscheidend von dem (mehrheits-)gesell‐ schaftlichen Umgang mit den Individuen und ihrer Gruppe geprägt. An dieser Stelle können kollektive Rechte einen maßgeblichen Beitrag leisten - sowohl in emanzipatorischer als auch in repressiver Hinsicht. 4.4 Konklusion Im vermittelten Universalismus müssen Kulturen und Gruppen als Ge‐ genstand von (kollektiven) Menschenrechten weder als verabsolutierter Maßstab homogen und statisch gesetzt noch ignoriert und ausgeklammert werden. Entscheidend sind vielmehr die jeweiligen Konstellationen von Gruppe, Individuum, Staat und Gesellschaft, die jeweiligen Ungleichheits- und Herrschaftsmechanismen auf allen Ebenen, die Relationen von Statik und Dynamik, die Möglichkeiten von Reflexion und Handlungsfähigkeit, die Anerkennung des Nicht-Identischen sowie emanzipatorische und repressive Aspekte auf allen Seiten. Dafür spielen die Heterogenität von Kultur, die gegenseitige Konstitution der drei Ebenen Individuum, Gruppe und Gesell‐ schaft sowie die Offenlegung der jeweils angelegten normativen Maßstäbe eine unhintergehbare Rolle. Sie bilden eine zentrale Grundlage, um den individualistischen Universalismus der Menschenrechte umzustellen auf ei‐ nen vermittelten Universalismus, der die kulturelle und die gesellschaftliche Situiertheit von Individuen in den Blick zu nehmen erlaubt, ohne dabei Ungleichheiten und repressive Aspekte zu vernachlässigen, die sich aus dieser Situiertheit ebenfalls ergeben können. 150 4 Der Vorwurf „Menschenrechte bedrohen Kulturen“ <?page no="151"?> 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“. Die feministische Kritik am Partikularismus von Menschenrechten Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen: ■ Feministische Perspektiven, ihre Differenzen und Gemeinsamkei‐ ten ■ Die Entwicklung von Menschenrechten für Frauen ■ Was ist mit Androzentrismus gemeint? ■ Feministische Kritiken am öffentlichkeitszentrierten Partikularis‐ mus von Menschenrechten ■ Feministische Kritiken am Partikularismus postkolonialer, kultur‐ relativistischer und kollektivrechtlicher Kritiken am Menschen‐ rechtsregime ■ Privat und öffentlich vermittelter Universalismus ■ Normativer und offener Universalismus In den vorangegangenen Kapiteln wurden Perspektiven diskutiert, die bestimmte Varianten des Universalismus der Menschenrechte kritisieren und zurückweisen. Diese Perspektiven wurden mit Ansätzen kontrastiert, die am emanzipatorischen Gehalt des Universalismus der Menschenrechte anknüpfen, um aus der gemeinsamen Diskussion Grundlagen für einen ver‐ mittelten Universalismus zu entwickeln. Daran anschließend wird in diesem Kapitel eine Kritik am Menschenrechtsregime vorgestellt, die in bestimmten Hinsichten den entgegengesetzten Blick einnimmt: Ihr geht es darum, solche Beschränkungen im Menschenrechtsregime offenzulegen und zu überwin‐ den, die dem Anspruch auf Universalismus gerade entgegenstehen. Die feministische Kritik am Partikularismus der Menschenrechte weist auf die Ausschlussmechanismen sowohl im Universalismus der Menschenrechte als auch in den Kritiken am Universalismus hin, um den Anspruch auf und den Zugang zu Menschenrechten tatsächlich zu universalisieren, statt ihnen einen anderen Partikularismus gegenüberzustellen. <?page no="152"?> Diese Bestrebungen nach Universalisierung liegen auch anderen zivil‐ gesellschaftlichen und menschenrechtlichen Bewegungen zugrunde. So weisen die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen eine ver‐ gleichbare Kritikrichtung auf, die erst 2006, also fast sechzig Jahre nach der Verabschiedung der AEMR, zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geführt hat. Auch die in Kapitel 4 vorgestellte Entwicklung indigener Menschenrechte zielt in wesentlichen Hinsichten auf eine Universalisierung der Menschenrechte ab - also darauf, dass die spezifischen Situationen und Bedürfnisse Indigener im Menschenrechtsre‐ gime Berücksichtigung finden. Diesen unterschiedlichen Ansprüchen auf eine Universalisierung der Menschenrechte liegen zwei gemeinsame Perspektiven zugrunde. Zum einen weisen sie auf Spezifika einer jeweiligen Menschenrechtssituation hin, die durch das bestehende Menschenrechtsregime nicht oder nur unzu‐ reichend erfasst werden. Zum anderen legen sie damit einen Partikularismus im Menschenrechtsregime offen, der auf die Situiertheit und Verortung des menschenrechtlichen Universalismus ebenso verweist wie auf dessen blinde Stellen und Ausschlussmechanismen. Diese beiden Aspekte werden im Folgenden nach einer Einführung in feministisches Denken und in die Ent‐ wicklung von FrauenMenschenrechten nachgezeichnet. Diskutiert werden feministische Kritiken zum einen am Partikularismus der Menschenrechte und zum anderen am Partikularismus der Kritik am Universalismus der Menschenrechte. An diese Kritiken direkt anschließend werden jeweils die Elemente eines privat und öffentlich vermittelten sowie eines normativen und offenen Universalismus entwickelt, die entscheidende Bestandteile eines vermittelten Universalismus bilden. 5.1 Feminismus Ebenso wenig, wie es einen homogenen Kulturrelativismus oder einen homogenen Postkolonialismus gibt, gibt es einen homogenen Feminismus. Vielmehr werden die jeweils geteilten Grundannahmen durch unterschiedli‐ che Linsen weiterentwickelt und interpretiert, die sich als Frauenbewegung, 152 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="153"?> 36 Der Begriff des Feminismus selbst wurde erst in den 1880er Jahren von französischen Frauenrechtlerinnen entwickelt (Gerhard 2012: 8). als Emanzipation, als Feminismus 36 oder auch ganz anders bezeichnen. Gemeinsam ist ihnen in weitestem Sinne das Anliegen, „Frauen in allen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur und vor allem auch in der Privatsphäre, gleiche Rechte und Freiheiten sowie gleiche Teilhabe an politischer Macht und gesellschaftlichen Ressourcen zu verschaffen […] - ohne damit behaupten zu wollen, dass es eine richtige Deutung und Lösung der Probleme gäbe. Somit gibt es auch nicht eine feministische Theorie oder den Feminismus“ (Gerhard 2012: 6 f., Herv.i.O.) Feministische Perspektiven werden klassisch in drei historische Wellen eingeteilt. Die erste Welle wird in den westeuropäischen und US-amerikanischen Sufragetten-Bewegungen des 18., 19. und des frühen 20. Jahrhunderts veror‐ tet. Im Mittelpunkt stand hier die Forderung nach einem aktiven Wahlrecht für Frauen (suffrage = Wahlrecht). Aber auch die darüberhinausgehende Beteiligung an politischer Macht, Bildung und das Recht auf Erwerbsarbeit für Frauen waren zentrale Anliegen. Die erste Welle war sowohl von bürgerlichen als auch von proletarischen Frauenbewegungen geprägt, die mit jeweils spezifischen Vorstellungen einhergingen (Nave-Herz 1994, Offen 2000, Holland-Cunz 2003, Gerhard 2012). Die Frauenbewegungen der ersten Welle stießen auf deutlichen Wider‐ stand. Berüchtigt-berühmt geworden sind die Inhaftierungen und die ge‐ waltvollen Praxen der Zwangsernährung, mit denen die britische Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Hungerstreiks der protestierenden Frauen reagierte (Tickner 1988, Buschmann 2017). Gemessen an dem frühen zeitlichen Beginn dieser Bewegungen (Olympe de Gouges veröffentlichte ihre ‚Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin‘ bereits 1791, vgl. Kapitel 2) sind die späten Zeitpunkte der Einführung eines Frauenwahlrechts bezeichnend. In Deutschland beispielsweise wurde es 1918 eingeführt, auf den Philippinen 1937, in Indien 1950, im Iran 1963, in Saudi-Arabien 2015. In den USA wurde das Frauenwahlrecht mehrmals eingeführt (1776, 1869, 1920), weil es wiederkehrend umstritten war und untergraben wurde. In der Schweiz wurde das Frauenwahlrecht auf Bundessebene durch ein Referen‐ dum, an dem sich nur Männer beteiligen durften, 1971 eingeführt. Der letzte Schweizer Kanton wurde 1990 durch ein Urteil des Bundesgerichts dazu 153 5.1 Feminismus <?page no="154"?> gezwungen, Frauen zur aktiven Wahl zuzulassen. Der Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit, der ebenfalls Bestandteil der Forderungen der ersten Welle war, ist bis heute global nach wie vor von starken Ungleichheiten geprägt. Als zweite Welle werden die europäischen und nordameriknischen fe‐ ministischen Bewegungen und Forderungen zusammengefasst, die das 20. Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg prägten und die auf den un‐ gleichen Zugang von Frauen in zahlreichen Sphären aufmerksam machten. So galt in Westdeutschland bis 1957 der sogenannte Gehorsamsparagraph (§ 1354 BGB), der dem Ehemann das Recht über die Entscheidung in allen Angelegenheiten zusprach, die das gemeinsame Eheleben betreffen. Das Letztentscheidungsrecht des Vaters bei der Kindererziehung (§ 1628 BGB) wurde 1959 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt. Bis 1977 durften Ehefrauen in Westdeutschland nicht ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes einem Beruf nachgehen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung oder auf Abtreibung wa‐ ren Gegenstand der zweiten Welle (Holland-Cunz 2003, Becker/ Kortendiek 2010, Gerhard 2012). In Deutschland ist Abtreibung bis heute nicht legal, sondern unter bestimmten Bedingungen lediglich straffrei (§ 218 StGB). In Polen wurde im April 2020 eine weitere Verschärfung des ohnehin restrik‐ tiven Abtreibungsrechts in der ersten Lesung vom Parlament genehmigt. Gemeinsam ist den Bewegungen der zweiten Welle das Diktum, dass das Private politisch sei, also dass die Zuschreibung von Frauen in die Sphäre von Privatheit, Familie und Haushalt sowie die Ungleichheiten in der privaten Sphäre weder natürlich noch unveränderbar seien, sondern viel‐ mehr Gegenstand und Ergebnis politischer Entscheidungen und Strukturen (Duden/ Hausen 1979, Pateman 1983, Rose 1987, Okin 1991, Mertus 1995, Ackelsberg/ Shanley 1996, Allen 1996). Auf die Konstellation privat-öffent‐ lich wird unten noch ausführlich eingegangen. Gleichzeitig waren die Perspektiven der zweiten Welle plural und teil‐ weise widersprüchlich, insbesondere in der Zweiteilung zwischen dem Gleichheitsfeminismus und dem Differenzfeminismus. Während gleich‐ heitsfeministische Forderungen auf die Gleichstellung von Frauen mit Männern abzielten, sahen differenzfeministische Perspektiven darin eine Reduktion auf die Orientierung an Männern. Dem stellten sie Frauen bezie‐ hungsweise das Weibliche als eigene Qualität entgegen, die es zu schützen und zu entwickeln gelte (vgl. Holland-Cunz 2003, Kerner 2009a). Beide Perspektiven nahmen die Zuschreibungen und Erwartungen an Frauen als 154 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="155"?> Frauen in den Blick, also die soziale Konstruktion weiblicher Identität, die eng an die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität und die Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit geknüpft werden (Moghadam 1994, Young 1994, Becker-Schmidt 2016, 2017). Die sogenannte dritte Welle, die ab den 1980er Jahren einsetzte (und sich somit zeitlich mit der zweiten Welle auch überschneidet), ist von einer wei‐ teren Ausdifferenzierung und Pluralisierung feministischer Perspektiven geprägt. Eine unreflektierte westliche, weiße und bürgerliche Herkunft bestimmter feministischer Perspektiven wurde kritisiert. Dem wurden die höchst unterschiedlichen Anliegen und Perspektiven von nicht-weißen, nicht-bürgerlichen Frauen gegenübergestellt, etwa mit dem Schwarzen Feminismus (Thiam 1986, Joseph 1993), Perspektiven aus dem globalen Süden (Nesiah 1996) und postkolonialen Kritiken (Mohanty et al. 1991, McClintock et al. 1997). Dabei ging es zunächst einmal darum, die spezifischen Erfahrungen von nicht-weißen Frauen zu thematisieren und deren Differenzen zu weißen, bürgerlichen Perspektiven herauszuarbeiten: „Zwei ineinandergreifende Komponenten kennzeichnen diesen Standpunkt: Ers‐ tens verhilft Schwarzen Frauen ihr politischer und ökonomischer Status zu unverwechselbaren Erfahrungen, die eine andere Sicht der materiellen Realität bieten als die anderen Gruppen zugängliche. […] Zweitens regen diese Erfahrun‐ gen dazu an, ein distinktives Schwarzes feministisches Bewußtsein von dieser materiellen Realität zu entwickeln. Kurz gesagt, erfährt eine untergeordnete Gruppe nicht nur eine andere Realität als eine herrschende Gruppe, sondern sie kann diese Realität auch anders und unabhängig interpretieren“ (Hill Collins 1993: 18). Damit ging auch der Anspruch einher, die Positionierung weißer, bürgerli‐ cher Frauen in den globalen Konstellationen von Macht und Ungleichheit näher zu bestimmen. Thematisiert wurden die Formen der Ungleichheit und Unterdrückung zwischen Frauen des globalen Nordens und des globalen Südens, zwischen weißen und nicht-weißen Frauen (Kerner 2009b), sowie zwischen Frauen als Angehörige verschiedener Klassen, Schichten und Milieus. So hängt die Unabhängigkeit und Freiheit weißer, wohlhabender Frauen teilweise auch heute noch davon ab, dass die reproduktiven und/ oder schlecht-bezahlten Tätigkeiten im Haushalt, in der Pflege und in der Kinderbetreuung auf nicht-weiße Frauen verschoben werden (Hess/ Lenz 2001, Schwenken 2003, Ehrenreich/ Hochschild 2004, Lenz et al. 2007). 155 5.1 Feminismus <?page no="156"?> Die Debatten der dritten Welle, in denen verschiedene feministische Perspektiven konfligierten, entzündeten sich auch an der in Kapitel 3 dis‐ kutierten weiblichen Genitalexzision. Auf der Weltkonferenz der UN-Frau‐ endekade 1980 in Kopenhagen kam es zum offenen Konflikt zwischen den feministischen Perspektiven der zweiten und der dritten Welle, den die su‐ danesische Feministin Toubia im Rückblick folgendermaßen charakterisiert: „[Diese Feministinnen] taten so, als hätten sie plötzlich eine gefährliche Epidemie entdeckt, die sie dann in internationalen Frauenforen ausschlach‐ ten konnten. Das führte zu einem Backlash der Überempfindlichkeit in den betroffenen Gemeinden. Sie stellten die Praxis als unwiderlegbaren Beweis für die Barbarei und die Vulgarität unterentwickelter Länder dar. Das galt als endgültiger Beweis für die Annahme der Primitivität von Arabern, Muslimen und Afrikanern, allen auf einen Schlag“ (Toubia 1988: 101). Der Dämonisierung der Praxis aus der Perspektive eines weißen und bürgerlichen Feminismus wurde die Kontextualisierung der Praxis gegen‐ übergestellt sowie der Hinweis, dass nicht-weiße Feminist/ -innen sich auch mit anderen Mechanismen der Unterdrückung beschäftigen müssten, etwa mit dem konstitutiven Ausschluss aus der politischen und der ökonomischen Sphäre (Gruenbaum 1996, Abusharaf 2000, siehe unten). Das Konzept der Intersektionalität (Crenshaw 1991) rückte die Über‐ schneidung von unterschiedlichen Achsen der Ungleichheit in den Blick, neben der Achse des Geschlechts auch entlang ethnischer Zuschreibungen, sexueller Orientierung, Klasse und Behinderung. Feministische Analysen begannen, sich mit den Interaktionen zwischen den Achsen zu beschäftigen, anstatt die Ebenen der Ungleichheit lediglich miteinander zu addieren (Klinger et al. 2007, Kerner 2009a). Damit ging nicht nur eine Pluralisierung von Perspektiven, sondern auch eine Perspektivenverschiebung einher. Das Private wurde so beispielsweise nicht ausschließlich als Ort patriarchaler Gewalt und Unterdrückung gekennzeichnet, sondern auch als ein Rückzugs‐ raum vor einer rassistisch strukturierten Öffentlichkeit. Die Schwerpunkte und Pluralisierungen der dritten Welle prägen die Diskussionen bis heute und vermischen sich mit neuen Perspektiven, so dass in der Literatur zwar auch, aber nicht durchgängig von einer vierten Welle des Feminismus gesprochen wird. Neue Perspektiven (die gleichwohl deutlich in älteren feministischen Arbeiten verankert sind) zeigen sich etwa im sogenannten Postfeminismus, also der Weiterentwicklung der Analyse von Geschlecht und Gender als sozial konstruierte Kategorien und der Plu‐ ralisierung sexueller Identitäten (Butler 1991, Hark 1993, Tuider/ Timmer‐ 156 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="157"?> manns 2015). In diesem Zusammenhang entwickelt der Queer-Feminismus die „politische und theoretisch-konzeptionelle Idee für eine kategoriale Rekonzeptualisierung von Geschlecht und Sexualität, mit der problematisch gewordene Identitätspolitiken überwunden werden sollen“ (Hark 1993: 103, s.a. Warner 1993, Turner 2000, Scaramuzza 2020). Postkolonial geprägte Perspektiven entwickeln Ansätze, die auf einen globalen beziehungsweise transnationalen Feminismus abzielen (Khader 2019), um globale Ungleich‐ heiten zu adressieren, ohne die Gemeinsamkeiten feministischer Perspek‐ tiven aufzugeben. Neue Perspektiven beschäftigen sich zudem mit der Marginalisierung bestimmter Perspektiven nicht nur jenseits, sondern auch innerhalb der westlichen Frauenbewegungen (Groth 2021). Allerdings gehen mit (neuen) feministischen Stimmen auch (neue) Ge‐ genbewegungen und Hindernisse einher. Dies zeigt sich beispielsweise an den aktuell sichtbaren Dimensionen antifeministischen Engagements, Angriffen auf Frauen in sozialen Netzwerken, sexualisierter Gewalt und an politischen Prozessen, welche die Errungenschaften feministischer Kämpfe wieder abbauen (Cohen 2000, Klaus 2008, Brabandt 2011, Hark/ Villa 2017). Quer zu der historisch geprägten Unterteilung feministischer Perspek‐ tiven in drei oder vier Wellen lassen sich Feminismen auch anhand ih‐ rer jeweiligen inhaltlichen, disziplinären, politischen und konzeptuellen Schwerpunktsetzungen unterscheiden. Gerhard, die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland, verweist trotz der hohen Heterogenität der Feminismen und ihrer Geschichte auf die ihnen zugrundeliegenden Gemeinsamkeiten: „Es ging in dieser Geschichte seit 1789 immer um den gleichen Widerspruch, um das Versprechen oder auch nur die Denkmöglichkeit der Freiheit und Gleichheit der Frauen und zugleich um ihre Nichteinlösung oder die nur partielle, nicht hinreichende Verwirklichung von Frauenrechten. Dieser Widerspruch zwischen Befreiung und Beschränkung, zwischen der Rede von der Emanzipation und tatsächlicher Unterordnung der Frau unter männliche Dominanz, eheliche Pflich‐ ten und Gewalt […] kennzeichnet zugleich die Ambivalenz beziehungsweise den Webfehler der sich als ‚modern‘ bezeichnenden Gesellschaften. Mit dem immer subtiler begründeten Ausschluss der Frauen aus dem Kreis gleicher Staatsbürger wurde die Eigenschaft Geschlecht jenseits der Klassentrennung zu einer politischen Kategorie“ (Gerhard 2012: 9). Die Analyse von Geschlecht als politischer Kategorie ist eng mit der Analyse der gesellschaftlichen, sozialen, politischen, ökonomischen Konstruktion 157 5.1 Feminismus <?page no="158"?> weiblicher Identitäten verbunden. Hier zeigt sich die Verwobenheit der unterschiedlichen Wellen der Frauenbewegungen, die einander nicht ledig‐ lich historisch und paradigmatisch ablösen, sondern in denen bestimmte Stränge und Perspektiven auch weitergeführt werden. Die Offenlegung der als natürlich oder als unveränderlich markierten Zuschreibungen und der damit einhergehenden Be- und Eingrenzungen auf Weiblichkeit durch‐ zieht die unterschiedlichsten feministischen Perspektiven. Paradigmatisch heißt es in enger Anlehnung an andere feministische Autor/ -innen bei Bourdieu, der sich in all seinen Arbeiten mit der Reproduktion gesellschaft‐ licher Ungleichheiten durch nahezu unsichtbare Prozesse der Gewöhnung, Einübung und Sozialisierung beschäftigt: „Der biologische Unterschied zwischen den Geschlechtern […] kann so als die natürliche Rechtfertigung des gesellschaftlich konstruierten Unterschieds zwischen den Geschlechtern […] erscheinen“ (Bourdieu 2017 [1989]: 23). Damit geht auch die Analyse der Konstruktion männlicher Identitäten einher. Die Konstruktion dessen, was jeweils gesellschaftlich als männlich anerkannt wird, zeitigt ihrerseits deutliche Zuschreibungen und eben auch Einschränkungen (Meuser 2001, Baur/ Luedtke 2008). Vor diesem Hinter‐ grund lässt sich auch die Perspektive verstehen, dass der Feminismus auf Emanzipation und die Zurückdrängung von Leiden für alle Geschlechter abzielt. 5.2 FrauenMenschenrechte Der oben formulierte „Widerspruch zwischen Befreiung und Beschränkung“ (Gerhard 2012: 9) prägt auch das Menschenrechtsregime und dessen Ver‐ hältnis zu feministischen Forderungen. Feministische Bewegungen haben aufgezeigt, dass der vermeintlich (geschlechts-)neutrale Universalismus der Menschenrechte androzentrisch, also an den Bedürfnissen und Erfahrungen von Männern ausgerichtet und damit partikular sei. Diese Kritiken (die unten näher ausgeführt werden) haben entscheidend zu der Entwicklung von FrauenMenschenrechten beigetragen, welche im Folgenden skizziert werden. Der Begriff FrauenMenschenrechte bezeichnet die „Anerkennung der Rechte von Frauen als Menschenrechte sowie der weltweit an Frauen begangenen Gewalt als Menschenrechtsverletzungen“ (Wölte 2008: 58). Damit wird also kein Ausschluss von Männern aus dem Menschenrechts‐ 158 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="159"?> regime bezeichnet. Vielmehr wird dargelegt, dass Frauenrechte keinen selbstverständlichen Bestandteil im Menschenrechtsregime bilden, sondern erst errungen werden müssen. Den Grund dafür führt Gerhard pointiert aus: „Die Wahrnehmung und Thematisierbarkeit elementarer Unrechtserfahrungen von Frauen als Menschenrechtsverletzungen aber ist vor allem deshalb so schwierig, weil ihre Nichtanerkennung als Gleiche oder Träger von Rechten, ihre Zurücksetzung, Bevormundung, Entwürdigung, die Verletzung ihrer körper‐ lichen Integrität in vielen, fast allen Kulturen selbstverständlicher Bestandteil des Geschlechterarrangements und damit der Frauenrolle sind. Kulturelle Tradi‐ tionen, Gewohnheiten und Alltagsroutinen legitimieren oft die Gewaltsamkeit dieser Verhältnisse als Recht. Ihre besondere Verwundbarkeit liegt in einer kulturell legitimierten Nähe von Liebe und sexueller Gewalt und beruht auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, in der Frauen ‚Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit‘ verschenken (vgl. Bock/ Duden 1976). Doch es ist gerade der private, rechtsfreie Raum, der so fest und tief in historische Traditionen und kulturelle Eigenarten eingepasst ist, dass Verletzungen, Diskriminierungen und Einschränkung ihrer Lebensbedingungen - für alle Beteiligten - im dominanten Diskurs über Menschenrechte kaum oder erst sehr spät zur Sprache gekommen sind“ (Gerhard 2004: 7). Die Forderungen nach FrauenMenschenrechten führten zum UN-Frauen‐ jahr 1975 und der UN-Frauendekade, die mit der ersten Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko begann und mit der Konferenz in Nairobi 1985 endete. Daraus entwickelten sich die CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women), d. i. der verbindliche Völkerrechts‐ vertrag zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von 1979 (in Kraft getreten 1981), die 1991 unter dem Dach des Center for Women’s Global Leadership gegründete internationale Kampagne ‚Frauenrechte sind Menschenrechte‘ und die Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, eine Resolution der UN-Generalversammlung von 1993 (Peters/ Wol‐ per 1995b, Wölte 2008: 55). Bis heute bilden Menschenrechtsverletzungen an Frauen Anlass für weitere Folgeabkommen und Erklärungen, wie etwa das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Kon‐ vention, die 2011 verabschiedet wurde und 2014 in Kraft trat. 2017 wurde sie auch von Deutschland unterzeichnet. Gleichzeitig reichen feministische Kritiken auch im Rahmen des Men‐ schenrechtsregimes historisch weiter zurück. In den Textentwürfen sowohl 159 5.2 FrauenMenschenrechte <?page no="160"?> 37 Das wird auch daran ersichtlich, dass Sikkink mit ihrem Anliegen, die feministischen Beiträge von Lutz zu würdigen, deren „rassistische Perspektiven“, die immerhin auch zu deren Ablehnung antikolonialer Bemühungen auf der Konferenz in San Francisco führten, als „privat“ herunterspielt (Sikkink 2017: 86). der UN-Charta von 1945 als auch der AEMR von 1948 wurde nachdrücklich darum gerungen, die Rechte von Frauen explizit zu adressieren. Diese Bemühungen gingen nicht etwa dichotom auf Akteure aus dem globalen Norden oder auf die anwesenden Frauen zurück, wie es in aktuellen Dar‐ stellungen mitunter skizziert wird (kritisch Sikkink 2017: 80). Im Falle der Aushandlungen des Textes der UN-Charta auf der Konferenz in San Fran‐ cisco waren es, so zeichnet es Sikkink nach, die Delegierten Bertha Lutz aus Brasilien und Minerva Bernardino aus der Dominikanischen Republik, die diese Bemühungen initiierten und dabei maßgeblich von lateinamerikani‐ schen Delegierten sowie pan-amerikanischen feministischen Bewegungen unterstützt wurden. Von weiblichen Delegierten und Beraterinnen aus dem globalen Norden wurden sie offensiv opponiert (ebd.: 80 f., basierend auf Skard 2011, Marino 2019). Lutz hält in ihren Notizen über die Konferenz fest: „Die weiblichen Delegierten aus den USA und Großbritannien hielten es für unnötig - sogar würdelos -, dass Frauen für sich Rechte in Anspruch nehmen, und hielten ihre eigene Anwesenheit auf der Konferenz für Beweis genug dafür […]. Die kanadische Frau stimmte damit nicht überein. […] Es war unmöglich, den Frauen von der großen englischsprachigen und Krieg führenden Demokratie klar zu machen, dass es Frauen in anderen Ländern gibt […], in denen Frauen keine Rechte haben“ (Lutz n.d.: 1 f., s.a. Sikkink 2017: 82). Ähnliche Erfahrungen machte die indische Delegierte Hansa Metha, als sie darauf insistierte, dass in Artikel 1 der AEMR von „allen Menschen“ statt von „allen Männern“ („all men“) die Rede sein sollte. Die Kommissionvorsitzende Eleanor Roosevelt teilte diesen Punkt nicht, da „men“ Frauen mit-meinen würde, dennoch setzte sich Methas Kritik durch (Morsink 1999: 118, Sikkink 2017: 82 f.). Diese Anekdoten zeigen nicht nur die Persistenz von geschlechtsbezoge‐ nen Diskussionen über die Jahrzehnte hinweg. Sie verweisen erneut darauf, dass weder der Universalismus der Menschenrechte noch die Kritiken am Universalismus der Menschenrechte noch die unterschiedlichen femi‐ nistischen Perspektiven in Dichotomien gedacht werden können, sondern vermittelter und intersektionaler Modelle bedürfen. 37 160 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="161"?> 38 Das auf der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking entwickelte Konzept des Gender Mainstreaming verfolgt genau diesen Ansatz, wird aber seinerseits dafür kritisiert, dass es den Schwerpunkt von inhaltlicher frauenpolitischer Arbeit hin zu technischen und methodischen Fragen verlagere und damit bestimmte gesellschaftliche Ein- und Ausschluss-, Zugangs- und Machtmechanismen entlang anderer Differenz‐ achsen übersehe (Charlesworth 2005, Moser/ Moser 2010). 39 Vor diesem Hintergrund lassen sich übrigens auch die Debatten um eine geschlechter‐ reflexive Sprache verstehen: Es geht darum, die Selbstverständlichkeit der Nutzung allein männlicher Bezeichnungen in Frage zu stellen (Scaramuzza 2020). Auf der UN-Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien schließlich, die auch die Unteilbarkeit der Menschenrechte hervorhob (vgl. Kapitel 1), betonten Feminist/ -innen nachdrücklich, „dass es nicht länger ausreicht, einfach nur existierende Menschenrechtsmechanismen auf Frauen auszu‐ weiten“ (Peters/ Wolper 1995a: 3). Diese Annahme, dass lediglich der Bezug auf Frauen hinzugefügt werden müsse, um Frauenrechte zu berücksichtigen, wurde mit dem Bonmot des add women and stir (Frauen hinzufügen und um‐ rühren) zurückgewiesen. Demgegenüber wurde der Anspruch formuliert, Frauenrechte aus einer Sonderzone frauenspezifischer Politiken herauszu‐ holen und als Menschenrechte in allen Politikfeldern zu adressieren 38 und diese Politikfelder auch entsprechend umzustrukturieren (ebd.). Denn alle Politikfelder - so auch die Menschenrechte - sind bereits vergeschlechtlicht und tief in vergeschlechtlichte Strukturen der Ungleich‐ heit eingebettet, so der zentrale feministische Hinweis. Wird auf diese vergeschlechtlichten Strukturen nicht reflektiert, reproduzieren auch In‐ strumente wie die Menschenrechte Ungleichheiten zwischen den Ge‐ schlechtern. Deshalb ist ein vermeintlich neutraler oder universeller Blick‐ winkel androzentrisch (Charlesworth 1995: 105 ff., Peterson 2000: 21). „Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, daß sie der Rechtfertigung nicht bedarf: Die androzentrische Sicht zwingt sich als neutral auf “ (Bourdieu 2017 [1989]: 21). 39 Feministische Bewegungen im Menschenrechtsregime zielen vor diesem Hintergrund darauf ab, den androzentrischen Partikularismus in Gestalt eines vermeintlich (geschlechts-)neutralen Universalismus der Menschen‐ rechte offenzulegen. Geschlechterfragen können nicht einfach in das an‐ sonsten unveränderte Menschenrechtsregime aufgenommen werden, son‐ dern sie verändern dessen Verständnis und Vorstellungen. Auf diese Weise tragen feministische Perspektiven dazu bei, den Universalismus der Men‐ schenrechte so zu gestalten, dass er die (in sich ihrerseits heterogenen 161 5.2 FrauenMenschenrechte <?page no="162"?> 40 Die Trennung in eine private und eine öffentliche Sphäre geht allerdings weit über den Liberalismus hinaus, sowohl historisch als auch philosophisch. Zu ihrer Entwicklung im westlichen Denken, ihrem Ausgangspunkt u. a. bei Homer, bei Aristoteles, im römi‐ schen Recht und dessen Corpus Juris Civilis sowie ihrer Bedeutung in der neuzeitlichen Theorieentwicklung etwa bei Thomas Hobbes, John Locke, Charles Montesquieu und Jean-Jacques Rousseau (vgl. Saxonhouse 1983, Habermas 1990: 55 ff., Okin 1991: 71 ff., Ackelsberg/ Shanley 1996, Bobbio 1997, Peterson 2000: 13 ff., Geuss 2002). und pluralen) Erfahrungen und Bedürfnisse von Frauen abbilden kann. Dies wird im Folgenden anhand zweier feministischer Argumentationen aufgezeigt: der Kritik am öffentlichkeitszentrierten Partikularismus der Menschenrechte und der Kritik am kulturrelativistischen, kollektivrechtli‐ chen und postkolonialen Partikularismus, aus denen heraus jeweils die weiteren Elemente eines vermittelten Universalismus entwickelt werden. 5.3 Der Partikularismus der öffentlichen Menschenrechte Die Vorstellung einer Dichotomie zwischen privater und öffentlicher Sphäre geht zentral auf liberale Denktraditionen zurück. 40 Liberale Perspektiven entwerfen die Privatsphäre als einen Bereich, der vor staatlichen Eingriffen bewahrt werden müsse, da er nur dann seine Funktion des Rückzugs, der Intimität, des Schutzes der Familie, der Gedanken- und Meinungsfreiheit und des Schutzes von Privateigentum und freier wirtschaftlicher Transak‐ tion erfüllen könne. Auch die verkürzte Kennzeichnung von politischen und bürgerlichen Menschenrechten als negative Abwehrrechte gegen den Staat (vgl. Kapitel 1) geht teilweise auf diese Vorstellung zurück. Den hete‐ rogenen Perspektiven gemeinsam ist die Annahme einer gesellschaftlich, politisch und ökonomisch relevanten Trennung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: „Was als privat, was als öffentlich zu betrachten ist, ist für das Selbstverständnis moderner, liberal-demokratischer Gesellschaften konstitutiv. Umstritten sind die Grenzziehungen zwischen beiden Sphären“ (Riescher 2014, s.a. Niesen/ Seubert 2010). Feministische Kritiken stellen dieser Dichotomie eine Perspektive gegen‐ über, die das Private und das Öffentliche als geschlechtsspezifisch, exkludie‐ rend und konstitutiv miteinander verbunden analysiert (exemplarisch Pate‐ man 1983, Okin 1991). Sie legen offen, wie Definitionen, die das Private als unabhängig von gesellschaftlicher oder staatlicher Öffentlichkeit skizzieren, Ungleichheiten und Herrschaftsmechanismen innerhalb der Privatsphäre 162 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="163"?> ausblenden. Die Vorstellung einer dichotomen Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem „dient vor allem dazu, weibliche Unterdrückung zu legi‐ timieren und häusliche Menschenrechtsverletzungen dem öffentlichen Blick zu entziehen“ (Bunch 1995: 14). Dabei stehen sich die beiden Sphären keineswegs dichotom gegenüber, sondern sind aufeinander angewiesen: „[W]ir müssen über das Öffentliche im Privaten genauso nachdenken wie über das Private im Öffentlichen“ (Youngs 2007: 43). Das ist das zentrale Anliegen des oben benannten Slogans: „Was meint [der feministische Slogan,] ‚das Persönliche ist politisch‘? Wir meinen zum einen, dass das, was im Privatleben passiert, insbesondere in Beziehungen zwischen den Geschlechtern, nicht vor Dynamiken der Macht geschützt ist, die traditionell als unterscheidendes Merkmal des Politischen verstanden werden. Wir meinen auch, dass [keine der beiden Sphären] unabhängig von der jeweils anderen verstanden oder interpretiert werden kann“ (Okin 1991: 77, Herv.i.O.). Okins Gesellschaftstheorie (vgl. auch Kapitel 4) wird im Folgenden exempla‐ risch vorgestellt, da sie den liberalen Partikularismus der Menschenrechte kritisiert, um auf einen geschlechtssensiblen Universalismus umzuschalten. Okin schlägt hierfür eine feministische Gerechtigkeitstheorie vor. Ein zentraler Aspekt von Gerechtigkeitstheorien ist Rawls’ Theorem des Urzustands, in welchem sich das Individuum unter dem Schleier des Nichtwissens für faire Prinzipien entscheide (Rawls 1971). An diesem zen‐ tralen Aspekt kritisiert Okin, dass Rawls das Individuum als männliches Familienoberhaupt konzipiere. Rawls begründet das mit der Notwendigkeit der Gewährleistung intergenerationeller Gerechtigkeit (ebd.: 128 ff.). Aber damit, so Okin, vernachlässige er die Frage innerfamiliärer Gerechtigkeit (Okin 1989: 92 ff.). Der problematische Kern in Rawls’ und anderen Gerech‐ tigkeitstheorien liege in der Ausblendung der Privatsphäre der Familie und des Haushalts. Es werde von einem bereits vollständig entwickelten moralischen Individuum ausgegangen und damit die (unbezahlte, in der Regel weibliche) Erziehungs-, Haushalts- und Pflegearbeit unhinterfragt vorausgesetzt. Dadurch würden erstens Geschlechterungleichheiten in Fa‐ milie und Privathaushalt ausgeblendet. Zweitens würde übersehen, dass die Familie der primäre Ort moralischer Entwicklung sei. Aus Kindern, die in ungerechten Strukturen aufwüchsen, könnten sich nur schwer Erwachsene entwickeln, die eine umfassend gerechte Gesellschaft umsetzen (wollen) (Chodorow 1978, Okin 1989: 131 f., Benjamin 1993). So sei in patriarchal strukturierten Familien „das erste und prägendste Beispiel von erwachsener 163 5.3 Der Partikularismus der öffentlichen Menschenrechte <?page no="164"?> 41 Ausnahmen bilden die Tatbestände von Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Völkerstrafrecht verhandelt werden. Interaktion in der kindlichen Wahrnehmung durch […] Dominanz und Manipulation oder durch ungleichen Altruismus und einseitige Selbstauf‐ opferung“ gekennzeichnet (Okin 1989: 17). Dennoch werde Gerechtigkeit innerhalb der Familie unausgesprochen vorausgesetzt, und ihr Fehlen werde mit der Ablehnung staatlicher Einmischung in die Privatsphäre de-thema‐ tisiert (ebd.: 74 ff.) Das verschleiere, dass „Familienmitglieder eigenständige Personen mit ihren eigenen jeweiligen Zielen und Hoffnungen bleiben, die durchaus konfligieren können, unabhängig davon, wie sehr sie füreinander sorgen und gemeinsame Ziele teilen“ (ebd.: 32). Menschenrechte müssen demnach in der Lage sein, den Schutz des vergeschlechtlichten Individuums und seiner entlang der Kategorie Ge‐ schlecht sozial ermöglichten oder verstellten Individuationsmöglichkeiten auch innerhalb der Privatsphäre zu gewährleisten. Das ist im Übrigen mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen von Familie, Geschlecht und Zusammenleben vereinbar. Okin etwa strebt ein Modell an, „in dem Gender nur eine minimale Rolle spielt. […] Wir würden allerdings auch schützende Institutionen für diejenigen einbinden, die ein durch Geschlecht struktu‐ riertes Zusammenleben vorziehen“ (ebd.: 174 f.). Es geht also nicht um die Durchsetzung nur eines bestimmten Gesellschaftsmodells oder um die pauschale Ablehnung von Familie. Vielmehr kommt das Element des Pluralismus auch in Okins Gerechtigkeitstheorie zum Tragen. Die Dichotomie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, die eine Aus‐ blendung von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen innerhalb der Privat‐ sphäre der Familie bedingt, prägt auch das Menschenrechtsregime. Denn als Teil des Völkerrechts sind Menschenrechte dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Staaten sind verantwortlich für den Respekt, den Schutz und die Gewährleistung von Menschenrechten. Nur Staaten können (im engeren Sinne) 41 Menschenrechte verletzen. Diese Dichotomie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit ist zum einen durch den Charakter des Völkerrechts selbst bestimmt, dessen klassische Funktion darin besteht, die Beziehungen zwischen Staaten zu regeln. Die klassischen Subjekte des Völkerrechts sind Staaten. Staaten regulieren (entwickeln, ratifizieren, implementieren) Völkerrecht; und Staaten werden vom Völkerrecht reguliert (Wolfrum 2012: § 13). 164 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="165"?> Zum anderen wird der Staatsfokus der Menschenrechte durch internatio‐ nale Abkommen geregelt und spezifiziert (beziehungsweise auch: heraus‐ gefordert und transformiert). Zentral für die Kennzeichnung staatlicher Verantwortung im Völkerrecht sind die Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARSIWA), die seit 1949 von der UN-Völkerrechtskommission (ILC, International Law Commission) entwi‐ ckelt wurden. 2001 wurden die ARSIWA von der UN-Generalversammlung mit der Resolution 56/ 83 angenommen. Damit bilden sie zwar keinen völ‐ kerrechtlich bindenden Vertrag, aber eine Konvention mit hoher normativer Wirkungskraft, die auch in Gerichtsentscheidungen als Grundlage heran‐ gezogen wird. Die ARSIWA erläutern, wann eine Handlung als Menschen‐ rechtsverletzung (beziehungsweise im breiteren völkerrechtlichen Kontext als international falsch) angesehen werden kann. Das heißt, die ARSIWA erläutern, wann eine Handlung einem Staat zugeschrieben werden kann. Dies kann auch Handlungen nicht-staatlicher Akteure betreffen, etwa dann, wenn ein nicht-staatlicher Akteur im Auftrag eines Staates handelt oder vom Staat mit Regierungsgewalt ausgestattet wurde (Chinkin 1999: 388). Feministische Kritiken verweisen darauf, dass durch den Fokus auf staatliches Verhalten und somit auf die öffentliche Sphäre die Privatsphäre im Menschenrechtsregime ausgeblendet wird. Der Fokus auf die öffentli‐ che Sphäre ist insofern androzentrisch, als dass ein zentraler Bestandteil vergeschlechtlichter Ungleichheiten darin besteht, Frauen aus der öffentli‐ chen Sphäre auszuschließen und in die Privatsphäre des Haushalts und der Familie (wortwörtlich) einzuschließen. Pointiert formuliert: „Wenn deine Menschenrechte verletzt werden, dann bete, dass das durch jeman‐ den geschieht, der aussieht wie eine Regierung“ (Mackinnon 1993: 92). Wesentliche Menschenrechtsverletzungen an Frauen finden innerhalb des Haushalts und der Familie statt: „Menschenrechte beginnen zu Hause“ (Freeman 1995: 149). Das betrifft nicht nur Familienmitglieder, sondern auch Menschen (insbesondere Migrant/ -innen), die in Privathaushalten arbeiten, deren Arbeitsbedingungen zunächst unsichtbar bleiben und die deshalb besonders anfällig für Ausbeutung und Missbrauch sind (Brysk 2005, Brysk/ Choi-Fitzpatrick 2012, O’Connell Davidson 2015). Auch die „Tradition, Sexualität als etwas Privates anzusehen, erlaubt es, sexuellen Missbrauch durch öffentliche Behörden […] als etwas zu betrachten, das nichts mit deren öffentlichen Aufgaben zu tun hat“ (Chinkin 1999: 392). Das betrifft sexualisierte Gewalt in Gefängnissen und Polizeibehörden, erzwungene Schwangerschaften, Sterilisationen und Abtreibungen sowie 165 5.3 Der Partikularismus der öffentlichen Menschenrechte <?page no="166"?> 42 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 1985. www.eugrz.info/ PDF/ EGMR3/ EG MR03-05.pdf. 43 A/ CONF.183/ 9 (1998). www.un.org/ Depts/ german/ internatrecht/ roemstat1.html. 44 S/ RES/ 2467 (2019). www.un.org/ depts/ german/ sr/ sr_19/ sr2467.pdf. den gezielten Einsatz von Vergewaltigungen in Kriegen und Konflikten sowohl durch staatliche Akteure als auch durch nicht-staatliche Akteure wie bewaffnete Gruppen und Milizen (Buckley-Zistel/ Stanley 2011). Die Entwicklung von FrauenMenschenrechten und auch die zunehmende Bedeutung nicht-staatlicher Akteure im Zuge von Globalisierung und Glo‐ bal Governance (vgl. Kapitel 2) haben diesen staatszentrierten Fokus der Menschenrechte bereits herausgefordert. Als maßgeblich gilt hierfür das Urteil „X. und Y. gegen Niederlande“, 42 mit dem einem Staat eine Menschen‐ rechtsverletzung zu Lasten gelegt wurde, da er in seinem Strafrecht keine Abhilfe bei Missbrauch durch private Täter ermöglichte (Clapham 1993: 89, Chinkin 1999: 393). Hintergrund war der sexuelle Missbrauch einer geistig behinderten Siebzehnjährigen in einem privaten Pflegeheim durch den Schwiegersohn der Heimleiterin, dessen strafrechtliche Verfolgung von niederländischen Gerichten mehrfach abgewiesen worden war. Im Jahr 2002 trat das Rom-Statut 43 des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Kraft, das sexuelle Gewalt im Rahmen des Völkerstrafrechts sanktionierbar macht und geschlechtsspezifische Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkennt (Mühlhäuser 2005). Der UN-Sicherheitsrat hat seit dem Jahr 1999 eine Reihe von Resolutionen verabschiedet, die die geschlechtsspezifischen Rollen von Frauen und Mäd‐ chen sowohl in Konflikten als auch für Frieden in den Blick nehmen. Im Jahr 2019 hat der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2467 44 angenommen, die bei sexueller Gewalt in Konflikten Sanktionen gegen die Verantwortlichen sowie die Unterstützung von Betroffenen vorsieht. Bereits die CEDAW von 1979 hält fest, dass der Staat aktiv dafür Sorge tra‐ gen muss, die Diskriminierung von Frauen zu unterbinden, und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen. Neben öffentlichen Einrichtungen, Bildung, Beruf, Gesundheitswesen, Politik und Zivilgesellschaft wird explizit auch die „Beseitigung der Diskriminierung der Frau in Ehe- und Familienfragen“ anvisiert (CEDAW, Artikel 16). Die Entwicklung von FrauenMenschenrechten hat demnach zu einem Verständnis dafür beigetragen, dass der Staat als öffentlicher Akteur der Privatsphäre nicht dichotom gegenübersteht. Auch private Handlungen 166 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="167"?> können Menschenrechtsverletzungen darstellen. Dennoch hält sich die Vor‐ stellung einer Dichotomie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit hartnä‐ ckig. Sie wird insbesondere dann gern herangezogen, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen im Privaten und die damit einhergehenden Machtverhältnisse unangetastet zu lassen. Insgesamt besteht eine wesentliche Gemeinsamkeit feministischer Kriti‐ ken am Partikularismus des öffentlichen Menschenrechtsregimes also in der Kritik an der Dichotomie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, in der Anerkennung der Wechselseitigkeit beider Sphären und im Offenlegen von (vergeschlechtlichten) Ungleichheits- und Machtverhältnissen in beiden Sphären - sowohl im Öffentlichen als auch im Privaten. ➤ Das Element des privat und öffentlich vermittelten Universalismus Vor dem Hintergrund der feministischen Kritik am Partikularismus des öffentlichkeitszentrierten Menschenrechtsregimes wird für das Modell des vermittelten Universalismus der Menschenrechte im Folgenden das Element eines privat und öffentlich vermittelten Universalismus entwickelt. Zunächst stellt sich die Frage, warum der Universalismus der Menschen‐ rechte überhaupt ein vermitteltes Modell von Privatheit und Öffentlichkeit benötigt. Diese Frage wird anhand der Grenzen von drei gängigen idealty‐ pischen Alternativen aufgezeigt: eine eindeutige Trennung, eine diffundie‐ rende Auflösung und eine Verschiebung der Trennlinie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Daran anschließend wird das Modell der Vermittlung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit konturiert (vgl. Mende 2016b). Eindeutige Trennung Eine erste Umgangsmöglichkeit mit den Lücken im öffentlichkeitszentrier‐ ten Menschenrechtsregime besteht in der begrifflichen Schärfung der Tren‐ nung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Deren mögliche Eigen‐ schaften und Interaktionen könnten dann genau benannt und kategorisiert werden, um sie für menschenrechtliche Regelungen zu operationalisieren. Allerdings wird eine eindeutige Zuordnung von Akteuren oder Hand‐ lungen entlang der Trennlinie zwischen öffentlich und privat, zwischen staatlich und nicht-staatlich durch eine Vielzahl von Interaktionen zwischen 167 ➤ Das Element des privat und öffentlich vermittelten Universalismus <?page no="168"?> 45 Zur dennoch wesentlichen Bedeutung einer normativen (statt rechtlichen) Orientie‐ rung an der Zurückdrängung von Leiden im vermittelten Universalismus vgl. Kapitel 6. beiden Seiten verkompliziert, wie oben bereits deutlich wurde. Menschen‐ rechtsverletzungen in solchen interdependenten Räumen könnten weder adäquat erfasst noch beantwortet werden. Zudem würde im Modell der eindeutigen Trennung die Grenze der eigenen Jurisdiktion oder des eigenen Handlungsbereiches als Grenze der eigenen Verantwortlichkeit gesetzt werden. Das Versprechen einer dichotomen Zuordnung würde Auseinan‐ dersetzungen um menschenrechtliche Verantwortlichkeiten evozieren, in denen Selbstentlastung und das Verschieben von Verantwortlichkeit auf andere Akteure im Mittelpunkt stünden. Auflösung Wenn sich die beiden Sphären des Öffentlichen und des Privaten nicht dicho‐ tom voneinander trennen lassen, liegt die Annahme nahe, dass die Konzepte von Privatheit und Öffentlichkeit für Menschenrechte keine bedeutende Rolle mehr spielen und im Rahmen menschenrechtlicher Fragen konzeptuell aufgelöst werden können. Ein entsprechender Lösungsvorschlag besteht darin, die juristische „Trennung zwischen öffentlich und privat aufzugeben und stattdessen das Leiden des Opfers in den Mittelpunkt zu rücken“ (kritisch Clapham 1993: 352, Herv.i.O.). Statt der Identität des Täters oder der Sphäre der Verletzung solle der Charakter der Handlung unterstrichen werden, die ihrerseits nicht als privat oder öffentlich klassifiziert werden solle (Cane 1987). Allerdings ist die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit in wirk‐ mächtige gesellschaftliche, soziale und ökonomische Zusammenhänge eingebettet. Eine Herauslösung der betroffenen Person oder der Men‐ schenrechtsverletzung aus diesem Kontext gerät in Gefahr, Menschen‐ rechtsverletzungen zu isolieren und damit in gewisser Hinsicht zu de-po‐ litisieren, mindestens aber zu dekontextualisieren. 45 Genau diese Gefahr adressieren die feministischen Kritiken am vermeintlich neutralen, eben dadurch aber androzentrischen Menschenrechtsregime. Hinzu kommt die Frage der Operationalisierung im (Völker-)Recht, das sich entlang der Linien öffentlicher und privater Akteure im Menschen‐ rechtsregime ausrichtet. Neben Betroffenen von Menschenrechtsverletzun‐ gen stehen im Völkerrecht die Verantwortlichen für Menschenrechte im 168 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="169"?> Mittelpunkt. Unterschiede ergeben sich dabei nicht nur aus der Frage, wer ein Subjekt des Völkerrechts ist und wer völkerrechtliche Verträge beschließen und ratifizieren kann (klassisch: Staaten). Die Konsequenzen reichen weiter: Menschenrechte, die ein Individuum vom Staat einklagen kann, sind nicht in derselben Weise von privaten Akteuren einklagbar, „denn die entsprechende private Körperschaft kann ihre eigenen Rechte besitzen, während der Staat selbst keine Menschenrechte hat“ (Clapham 1993: 298, Herv.entf.). Beispielsweise muss ein privater Akteur nicht unbedingt jeder Andersdenkenden eine Plattform für deren Meinungsfreiheit zur Verfügung stellen. Der Staat hingegen muss Bedingungen und Möglichkeiten für „die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“ (AEMR, Artikel 19) schaffen. Anstatt also die Kategorien Privatheit und Öffentlichkeit aufzulösen, können sie herangezogen werden, um eine Ausdifferenzierung menschen‐ rechtlicher Verantwortung zu entwickeln. Sie stellen Parameter für die Frage zur Verfügung, anhand welcher Kriterien und mithilfe welcher Me‐ chanismen eine Menschenrechtsverantwortung realisiert werden kann. Zur Debatte steht dann, inwiefern der Grad an Privatheit oder Öffentlichkeit eines Akteurs für dessen menschenrechtliche Verantwortung eine Rolle spielen kann, darf und soll. „Der Schutz der Rechte einiger macht die Einmischung in die traditionell so genannte ‚Privatsphäre‘ anderer nötig“ (Goodhart 2006: 33). Die kontextualisierende Unterscheidung zwischen privat und öffentlich kann in Bezug auf Täter, Verantwortliche, Inhalte und Betroffene einer Menschenrechtsverletzung eine wichtige Rolle spielen. Die private und die öffentliche Sphäre weisen politische, soziale, ökonomische und völkerrechtliche Funktionen ebenso wie normativ und konzeptuell entscheidende Aspekte auf, die gegen die jeweils andere Sphäre bewahrt werden müssen. Verschiebung der Trennlinie Wenn das Private und das Öffentliche weder dichotom voneinander getrennt noch aufgelöst werden können, muss die Trennlinie zwischen beiden Berei‐ chen als dynamisch begriffen werden - so lautet eine dritte idealtypische Umgangsmöglichkeit. Private Menschenrechtsverletzungen können dann in den Bereich der Öffentlichkeit verschoben, sie können ‚ver-öffentlicht‘ wer‐ den, um sie thematisieren und angehen zu können. „Heutzutage geht es im 169 ➤ Das Element des privat und öffentlich vermittelten Universalismus <?page no="170"?> Kern politischer Debatten darum, […] was als öffentlich behandelt werden sollte und was nicht“ (Cerny 1999: 199). Dem Modell der Verschiebung der Trennlinie zwischen öffentlich und privat liegt der Anspruch zugrunde, die Dichotomie zwischen öffentlich und privat zu umgehen. Doch gleichzeitig basiert es auf genau dieser Dichotomie. Mit der Verschiebung der Trennlinie wird zwar die Kategorisierung bestimmter Bereiche als öffentlich oder privat dynamisiert und zum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten gemacht, aber das Versprechen einer eindeutigen Dichotomie als Ergebnis dieser Debatten bleibt erhalten. Damit wird die Tendenz reproduziert, Handlungen, Akteure und Prozesse, die weiterhin der Privatsphäre zugeschrieben werden, zu de-politisieren und die Privatsphäre selbst auszublenden. Privates muss erst den Weg der ‚Ver-Öffentlichung‘ gehen, damit es menschenrechtlicher Rechenschaft und Verantwortlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Dagegen besteht ein zentrales Anliegen feministischer Perspektiven gerade darin, das Politische (und den Schutz und die Verletzung von Menschen‐ rechten) im Privaten als Privates zu adressieren. Vermittlung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit Um die in den drei Modellen vorfindlichen Stärken zu bewahren und gleichzeitig deren Grenzen zu überwinden, wird mit dem Modell der Ver‐ mittlung eine andere Umgangsmöglichkeit vorgeschlagen. In dem Modell der Vermittlung werden beide Seiten weder als ineinander auflösbar noch als dichotom voneinander trennbar konzeptualisiert. Vielmehr sind Privatheit und Öffentlichkeit intern und extern so miteinander vermittelt, dass die eine Seite ohne die andere nicht existent wäre, da sich jede Seite erst durch die andere hindurch konstituiert. Auf dieser Grundlage können die Gleichzeitigkeit der Trennung und der Verbundenheit beider Seiten ebenso thematisiert werden wie damit jeweils einhergehende Ein- und Ausschlussmechanismen. Privatheit und Öffentlichkeit sind zum einen äußerlich miteinander ver‐ mittelt, d. h. sie stehen in einem Zusammenhang, in dem Ausschlüsse gleich‐ zeitig Einschlüsse herstellen und Einschlüsse gleichzeitig Ausschlüsse: Was aus dem Bereich des Privaten ausgeschlossen wird, gilt als öffentlich - und umgekehrt. Das klassische Völkerrecht kennt öffentliche Akteure und private Akteure. Zum anderen sind Privatheit und Öffentlichkeit intern miteinander ver‐ mittelt. Ihre gegenseitige Abhängigkeit geht in die innere Konstitution 170 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="171"?> beider Seiten hinein. Die Eigenlogik jeder Seite ist von der jeweils ande‐ ren durchzogen, ohne dass sich beide gleichsetzen ließen. Nationales und internationales Recht stellen die Privatsphäre erst her, durch Regulation ebenso wie durch den Verzicht auf Regulierung. „Nicht-Regulierung […] ist schließlich ihrerseits ein Ausdruck politischer Präferenzen“ (Chinkin 1999: 392). Auch umgekehrt sind die Funktionen, welche das Private für das Öffentliche einnimmt (etwa der liberale Schutz vor zu viel Staat), jeweils gesellschaftlich hergestellt, inhaltlich bestimmt und somit auch bestimmbar. Beide Sphären können sowohl emanzipatorische als auch repressive Aspekte aufweisen und sich gegenseitig als Korrektiv dienen. Vor repres‐ siven staatlichen Eingriffen oder Bedrängungen durch die Öffentlichkeit kann die Privatsphäre einen Rückzugsraum und Zufluchtsort bieten. Vor personalen Abhängigkeiten, intimer Willkür oder ungleicher Verteilung von Ressourcen im Privaten kann eine öffentliche Sphäre Schutz bieten. Stets aber sind die Funktionen und die mit ihnen verknüpften Vorstellungen von Emanzipation, Freiheit oder Intimität durch einander hindurch konstituiert und damit auch Gegenstand von politischen, ökonomischen und sozialen Auseinandersetzungen. Eine Perspektive auf Menschenrechtsverletzungen im Privaten, die die gegenseitige Vermittlung der privaten und öffentlichen Sphäre ernst nimmt, ist weder allein darauf angewiesen, das Private zu veröffentlichen, noch führt eine private Verantwortung für Menschenrechte zwangsläufig zur völkerrechtlichen Gleichbehandlung aller nicht-staatlichen Akteure, ihrer Rechte und ihrer Pflichten. Vielmehr kann in jeweils spezifischen Konstel‐ lationen das Öffentliche im Privaten offengelegt werden, ebenso wie das Private im Öffentlichen, um so bestimmte, gegebenenfalls auch neue Formen von Menschenrechtsverantwortung zu entwickeln und voneinander unter‐ scheidbar zu halten. 5.4 Der Partikularismus postkolonialer, kulturrelativistischer und kollektivrechtlicher Kritiken am Menschenrechtsregime Im Folgenden stehen die partikularistischen Lesarten und Anschlussmög‐ lichkeiten von postkolonialen, kulturrelativistischen und kollektivrechtli‐ chen Kritiken am Universalismus der Menschenrechte im Mittelpunkt. Fe‐ ministische Perspektiven stehen zunächst quer zu diesen Debatten, denn aus 171 5.4 Der Partikuralismus der Kritiken am Menschenrechtsregime <?page no="172"?> feministischer Perspektive können jeweils beide Seiten sowohl unterstützt als auch kritisiert werden: der Partikularismus und der Universalismus. So können feministische Kritiken das Individuum liberaler und universeller Menschenrechte als vornehmlich männliches, weißes und westliches cha‐ rakterisieren. Allerdings kann aus feministischer Perspektive auch für einen Universalismus argumentiert werden, der von seinem Androzentrismus befreit wird. Kollektivrechtliche, postkoloniale und kulturrelativistische Forderungen können feministisch mit den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen aus verschiedenen Kulturen unterstützt werden - oder dafür kritisiert, dass sie potenziell repressive kulturelle Praxen verteidigen. Femi‐ nistische Analysen sehen sich daher mit der Aufgabe konfrontiert, jeweils beide Seiten zu kritisieren (Benhabib/ Cornell 1987, Bell 1992, Shachar 2009, Khader 2019). Da in den vorangegangenen Kapiteln die Grenzen ebenso wie die Schwä‐ chen jeweils beider Seiten bereits diskutiert wurden, geht es im Folgenden darum, ausgewählte feministische Argumente auszuführen, die einen ver‐ mittelten Universalismus stärken - sowohl gegen partikulare Kritiken am Universalismus als auch gegen die für Partikularismen blinde Vorstellung eines abstrakten, homogenisierenden Universalismus. Wenn in partikularen Kritiken bestimmte Bezugspunkte wie das Kollek‐ tiv, die Kultur oder das koloniale Erbe überhöht werden, so werden (min‐ destens) drei Aspekte ausgeblendet, die an anderen Stellen von partikularen Kritiken selbst thematisiert werden und die feministische Perspektiven für einen vermittelten Universalismus in den Blick rücken. Dabei handelt es sich erstens um ein Überschreiten der Dichotomie zwischen westlichem Universalismus und nicht-westlichem Partikularismus, zweitens um eine Kritik verkürzter Gleichsetzungen sowie drittens die Entwicklung eines Blicks auf Leiden und Leiden verursachende Verhältnisse. Jenseits der Dichotomie zwischen westlichem Universalismus und nicht-westlichem Partikularismus Feministische Perspektiven zeigen auf, dass es keine dichotome Aufteilung zwischen partikularen Kritiken einerseits und dem Universalismus der Menschenrechte andererseits entlang nicht-westlicher und westlicher Ak‐ teure gibt, wie es häufig unterstellt wird. Die Diskussion westlicher und nicht-westlicher Elemente im Menschenrechtsregime (Kapitel 2) verdeut‐ licht bereits die fehlende Haltbarkeit dieser Annahme, und auch das Beispiel 172 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="173"?> der weiblichen Genitalexzision (Kapitel 3) zeigt dies auf. Obwohl gerade diese Praxis zum Politikum im antikolonialen Widerstand und später in den globalen Frauenrechts-Foren avancierte, wurde sie immer auch von lokalen Akteuren kritisiert. Beispielsweise gründete sich 1951 die Sudanese Women’s Union, deren führende Frauen Fatima Ahmed Ibrahim und Nafisa Ahmed El Amin sich explizit gegen Exzision aussprechen: „Selbstverständlich erkennen wir Beschneidung als Problem an, aber wir wollten die Frauen ermächtigen, selbst dagegen zu kämpfen. Wir setzten uns ein für Bildung und die Möglichkeit, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Wir haben von Anfang an erkannt, dass für die Beendigung unterdrückender Praxen basale Fähigkeiten nötig sind, welche die Frauen selbst besitzen müssen“ (Nafisa Ahmed El Amin in Abusharaf 2000: 158). Im kolonialen Kenia durchzog die Auseinandersetzung um Exzision alle Teile der Gesellschaft. Die kenianische Gesellschaft spaltete sich in den zwanziger Jahren in kirore, Gegner/ -innen der Exzision, und deren karinga (‚Reine‘) genannte Befürworter/ -innen. Während karinga von einigen bri‐ tischen Institutionen ausgeschlossen wurden, hatten kirore zunehmend Schwierigkeiten in kenianischen Institutionen (Browne 1991: 253 ff.). So wurden die kenianischen Frauen, die sich an der Seite der Missionarin Ste‐ venson gegen Exzision einsetzten, vom lokalen Frauenrat ausgestoßen, weil ihre Loyalität zur eigenen Kultur in Frage gestellt wurde (ebd.). Sowohl die koloniale als auch die antikoloniale Seite agierte demnach repressiv, um die jeweils eigene Politik durchzusetzen. Auf beiden Seiten fanden sich jedoch sowohl Befürworter/ -innen als auch Gegner/ -innen der Praxis. Als 1956 im kenianischen Distrikt Meru ein Verbot der Exzision ausgesprochen wurde, protestierte eine Gruppe adoleszenter Mädchen dagegen. Für sie bedeutete die Exzision eine Initiation in den Erwachsenenstatus, weswegen sie sich selbst beziehungsweise gegenseitig beschnitten (Thomas 2000: 134 ff.). Dies kann als ein Akt des in jener Zeit verbreiteten antikolonialen Widerstands gegen die gesetzliche Einmischung in lokale Bräuche interpretiert werden. Bemerkenswert ist allerdings zweierlei: Bei keinem der Mädchen war tatsächlich die Klitoris entfernt worden, wie es dem Brauch entsprochen hätte, sondern es war bei oberflächlichen Einschnitten geblieben (ebd.: 138 f.). Zweitens trug diese eingeschränkte Form der Selbstbeschneidung zusammen mit Aufklärungsprojekten und schulischer Bildung dazu bei, langfristig die allgemeine Einstellung zur Exzision zu ändern, die in Teilen der Gesellschaft letztendlich als nicht mehr notwendig angesehen wurde. 173 5.4 Der Partikuralismus der Kritiken am Menschenrechtsregime <?page no="174"?> Viele der Frauen aus der Generation der Selbstbeschneidung entschieden sich gegen eine Exzision ihrer eigenen Töchter (ebd.: 146). In den feministischen Auseinandersetzungen mit Exzision finden sich fundamentale Kritiken an der Praxis auch von Frauen aus nicht-westlichen Ländern, die mit ihren Analysen die Debatten nachhaltig prägten. El Saa‐ dawi (1980) betont die internationalen ökonomischen und politischen Kon‐ stellationen, die Frauen in unterdrückten Positionen halten. Thiam (1986) diskutiert Exzision ebenso wie Polygynie, Hautaufhellung und sexuelle Initiation im Rahmen männlicher Herrschaft. El Dareer (1982), Koso-Tho‐ mas (1987) und Dorkenoo (1994) analysieren die gesundheitlichen Effekte von Exzision aus der Perspektive des Menschenrechts auf Gesundheit (vgl. Bekers 2010). Solch eine Aufzählung birgt zwar die nicht unerhebliche Problematik, dass sie durch den Hinweis auf die Herkunft der Akteure die kritisierte Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen selbst reprodu‐ ziert. An dieser Stelle geht es jedoch um die Unhaltbarkeit der Annahme einer einheitlichen nicht-westlichen Befürwortung gegenüber einer ebenso wenig existierenden einheitlichen westlichen Ablehnung der Exzision oder anderer kulturell begründeter Praxen (siehe nur Sandel 1982, Skinner 1988, Shweder 2002 als westliche Befürworter der Praxen). Es wird verdeutlicht, dass die Dichotomie zwischen westlichem Universalismus und nicht-west‐ lichem Partikularismus bereits auf einer ganz basalen empirischen Ebene nicht haltbar ist. Dasselbe gilt für neuere Begriffspaare, die etwa von universellen globalen Normen einerseits und partikularen lokalen Normen andererseits ausgehen. Feministische Perspektiven und ihre normativen Forderungen liegen quer zu diesen Dichotomien. Jenseits verkürzter Gleichsetzungen Die partikulare Forderung, dass der abstrakte Universalismus der Men‐ schenrechte seinen eigenen Partikularismus, seinen eigenen Kontext und seine eigenen Praxen reflektieren müsse, ist eine wesentliche und unhin‐ tergehbare Perspektivenerweiterung. Allerdings können daraus in einer einseitigen Lesart schiefe und durchaus willkürliche Vergleiche entstehen. So wird die weibliche Genitalexzision mit ‚westlichen‘ Praxen wie Diät und Epilation (Boddy 1991: 16), mit Brustvergrößerungen, Nasenoperationen beziehungsweise allgemein mit Schönheitsoperationen (Browne 1991: 265, Korieh 2005: 120) nicht nur verglichen, sondern gleichgesetzt (vgl. Mende 2018). 174 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="175"?> Aus feministischer Perspektive lässt sich zwar durchaus kritisieren, dass eine Entscheidung für Schönheitsoperationen im Westen stets auch durch gesellschaftliche Werte geprägt ist, die auf diskriminierende Vorstellungen zurückgehen. Nichtsdestotrotz gilt es, die jeweiligen Spezifika und Effekte herauszuarbeiten. Diäten, Epilation oder Schönheitsoperationen sind nicht in derselben Vehemenz an das eigene gesellschaftliche, soziale oder ökono‐ mische Überleben gebunden, wie es bei der Exzision häufig der Fall ist. Auch geht es feministischer Exzisionskritik nicht um ein Ideal vermeintli‐ cher körperlicher Natürlichkeit, wie es unbeschnittenen Genitalien oder nicht-operierten Brüsten in einer verkürzten Lesart gleichermaßen zuge‐ schrieben werden könnte. Es wird vielmehr auf basale menschenrechtliche Begründungen zurückgegriffen, die der Exzision körperliche Selbstbestim‐ mung, Gesundheit, Menschenwürde, die Zurückdrängung von Leiden oder freie Wahl entgegensetzen. Noch deutlicher wird die Herrschaftsblindheit verkürzt partikularer Ar‐ gumentationen bei Vergleichen der Exzision mit Abtreibungen (Erlich 1990: 162, Shweder 2002: 225): „Es ist beispielsweise scheinheilig, wenn viele westliche Feministen und Regie‐ rungen sich der Kriminalisierung weiblicher Beschneidung verschrieben haben, während sie unverhohlen Abtreibungen und Pro-Choice-Extremismus verteidi‐ gen. […] Man fragt sich zum Beispiel, welches Vorgehen moralisch schockieren‐ der ist, weibliche Beschneidung oder halb-geburtliche Abtreibung“ (Korieh 2005: 119 f.). Die Parallelisierung von Abtreibung und Exzision könne mit „einer Sicht‐ weise auf Schwangerschaft als ‚natürliche‘ Konsequenz weiblicher Sexua‐ lität [begründet werden], so wie die Klitoris als ‚natürlicher‘ Teil des weiblichen Körpers angesehen werden kann“ (Lionett 2005: 104). Das Recht auf Abtreibung ist allerdings das Ergebnis beziehungsweise das Ziel langwieriger gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen. Es kann daher nur in einer unhistorischen und herrschaftsblinden Lesart mit einer Praxis gleichgesetzt werden, die auf einem starken sozialen Druck beruht und die das Recht auf körperliche Selbstbestimmung unterminiert (vgl. auch Winter 1994: 957 f.). Kontextsensibilität und die Reflexion auf den eigenen Partiku‐ larismus sind zentral für einen vermittelten Universalismus, bedeuten aber nicht die Verabschiedung normativer Ansprüche. 175 5.4 Der Partikuralismus der Kritiken am Menschenrechtsregime <?page no="176"?> Der Blick auf Leiden In einseitig partikularen Zugängen stehen nicht das Interesse und das Leiden der Betroffenen, das heißt der Frauen und Mädchen (und in einem zweiten Schritt auch das der Männer) im Mittelpunkt. Kulturelle, antikolo‐ niale und kollektivrechtliche Auseinandersetzungen werden aber immer auch am Körper von Mädchen und Frauen ausgetragen. Die weibliche Genitalexzision ist nur ein Beispiel dafür; die Relevanz von Familie und Erziehung für gesellschaftliche und politische Werte ein anderes. Frauen gelten in nationalen und kulturellen Kämpfen als ‚Kulturträgerinnen‘, die für die Herstellung und Reproduktion kollektiver und kultureller Identitäten eine hervorgehobene Stellung einnehmen (Chatterjee 1990, Nagengast 1997: 359). Unterdrückung von Frauen wird wesentlich mit kulturellen Motiven gerechtfertigt (Zechenter 1997: 331). Dabei sind Frauen durchaus selbst an diesen Mechanismen beteiligt und nicht lediglich passive Opfer. Auch das ist ein Grund für die Heterogenität feministischer Perspektiven. Die Reproduktion patriarchaler Kulturen oder Kollektive kann auch als selbst gewählte, bewusste Entscheidung von Frauen verteidigt werden. Eine fe‐ ministische Perspektive des vermittelten Universalismus jedoch setzt die Rolle von Frauen als Kulturträgerinnen auch damit in Verbindung, dass Frauen auf besondere Weise von kultureller, sozialer und politischer Gewalt betroffen sind. Frauen sind kulturell oder kollektiv begründeten Regeln und Normen nicht nur kulturell, sondern auch ökonomisch unmittelbarer ausgesetzt als Männer, handelt es sich dabei um Heirat, Scheidung oder den Zugang zu Bildung und Beruf. Auch postkoloniale Ansätze betonen, wie der körperliche Zugriff auf Frauen zum wirkmächtigen Symbol von Tradi‐ tion und lokaler Selbstbestimmung avanciert. Exzision, die den weiblichen Körper zum kulturellen Körper erhebt und die Verbindung zwischen Ethnie und Geschlecht herstellt, wird zum Kristallisationspunkt für politische Auseinandersetzungen. Dies hängt sowohl auf der Seite der Kolonisatoren als auch auf der des antikolonialen Widerstands mit einem statischen und homogenen Kulturkonzept zusammen, welches eng an den Körper von Frauen gebunden ist (Anthias/ Yuval-Davis 1992: 113, Spivak 1994, Walley 1997: 426 ff., Castro Varela/ Dhawan 2006, Kerner 2009b, Bekers 2010: 14 f.). Einseitig partikulare Kritiken können so ein verhärtetes Festhalten an Praxen begründen, die dem westlichen, individuellen, abstrakten Universa‐ lismus der Menschenrechte gegenübertreten. In dieser einseitigen Funktion dürfen die Praxen weder als dynamisch und veränderbar gedacht noch auf 176 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="177"?> ihre Effekte für die Betroffenen hin befragt werden. Es wird vorausgesetzt, dass sie als kollektives Interesse von allen Mitgliedern der betreffenden Kultur geteilt werden. Dabei wird übergangen, dass in jeder Kultur ver‐ schiedene Stimmen existieren, die von unterschiedlichen Interessen und Machtpositionen geprägt sind und unterschiedliche Möglichkeiten des Spre‐ chens und Gehörtwerdens haben (Bhabha 1994, Hall 1994a, Spivak 1994). Potenzielle Widersprüche werden ebenso unsichtbar wie repressive, Leiden verursachende Effekte. Paradigmatisch zeigt sich das an einer Perspektive, welche die Problematik weiblicher Genitalexzision in „imperialistischen Diskursen“ verortet, untermauert mit einem (dekontextualisierten) Zitat von Claude Lévi-Strauss: „Der Barbar ist zuvörderst derjenige, der an die Barbarei glaubt“ (in Nnaemeka 2005: 3). Barbarei existiert demnach nur im kolonialen Blick des Westens auf andere Kulturen, nicht aber in der Realität Leiden verursachender Verhältnisse. Insgesamt verhindert die dichotome Aufteilung entlang der Grenzen zwischen Kolonialismus und Antikolonialismus, zwischen Westen und Nicht-Westen oder globalem Norden und globalem Süden die Wahrneh‐ mung von Leiden verursachenden Phänomenen, die sich innerhalb dieser Dichotomien nicht greifen lassen. Denn es macht in vielen Hinsichten eben doch einen Unterschied, ob eine Frau unter „dem Staat (Frankreich) oder dem herrschenden Patriarchat (Mali)“ (Lionett 2005: 108) lebt: Eine qualitative Unterscheidung zu treffen zwischen demokratischen und patriarchalen Staatsformen ist keineswegs „sinnlos“, wie Lionett (2005: 108) annimmt, sondern kann Leiden verursachende ebenso wie Leiden zurückdrängende Momente auf allen Seiten erkennen und benennen. Dafür ist eine norma‐ tive Perspektive notwendig, die über die Dichotomie von Westen und Nicht-Westen, von Kultur und Universalismus oder von individuellen und kollektiven Rechten hinausgehen kann und andere normative Maßstäbe anlegt. Feministische Perspektiven stellen solche normativen Maßstäbe zur Diskussion, die von der Annahme geprägt sind, dass eine Abschaffung von Leiden besser ist als die Perpetuierung von Leiden produzierenden Verhältnissen. Diese Perspektive kann Einseitigkeiten und Verkürzungen sowohl aufseiten partikularer Kritiken als auch aufseiten eines blinden, abstrakten Universalismus in den Blick rücken. 177 5.4 Der Partikuralismus der Kritiken am Menschenrechtsregime <?page no="178"?> 46 Der normative Kern der Menschenrechte bezeichnet keine abstrakte, zeitlose Moral, sondern ist seinerseits Ergebnis spezifischer gesellschaftlicher Normen und Prozesse. Dieser Aspekt wird in Kapitel 6 aufgegriffen und erläutert. ➤ Das Element des normativen und offenen Universalismus Die feministischen Perspektiven ergänzen demnach die bislang diskutierten Elemente des vermittelten Universalismus um einen zentralen Aspekt: einen normativen Anspruch, der sich an Menschenrechten orientieren kann. In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits die Spannung zwischen einem pluralen, dynamischen, offenen Universalismus auf der einen Seite und dem Festhalten an bestimmten Momenten im Universalismus der Menschen‐ rechte auf der anderen Seite angesprochen. Es handelt sich um eine ständige Spannung zwischen den Kernideen der Menschenrechte einerseits und der Notwendigkeit, sie zu entwickeln und an pluralistische Anforderungen und Bedürfnisse anzupassen, andererseits. Diese Spannung lässt sich mit dem Element des normativen Universalismus näher diskutieren. Die Elemente der Pluralität und der Dynamik, die offenen und stets auch kontroversen Auseinandersetzungen, Deliberationen, Aushandlungen und Auslassungen der Menschenrechte (Hoover 2013) müssen vermittelt sein mit einem normativen Anspruch, damit sie einen bestimmten Bedeutungskern des Universalismus der Menschenrechte nicht unterminieren und aushöhlen. 46 Umgekehrt muss der normative Anspruch seinerseits offen sein für Kontes‐ tation und anknüpfungsfähig für Kritiken. Um weder in einen abstrakten, zeitlosen, homogenen (und damit auch ausschließenden, gewalttätigen) Universalismus noch in eine Auflösung menschenrechtlicher Ansprüche und Grundlagen zu fallen, kann dieses anspruchsvolle Spannungsverhältnis auf keine der beiden Seiten hin einfach aufgelöst werden. Das Spannungsverhältnis ist den oben eingeführten Elementen eines vermittelten Universalismus bereits eingeschrieben. Die Elemente eines plu‐ ralen Universalismus, der auf Macht und Ungleichheiten reflektiert, der auf allen Ebenen gesellschaftlich und kulturell vermittelt ist, weisen alle bereits normative Dimensionen auf: Pluralismus, Dynamik und Kontextsensibilität zielen nicht auf den Einbezug irgendwelcher Werte und Ideen ab, sondern solcher, die mit normativen menschenrechtlichen Ideen kompatibel sind. Die Reflexion von Macht und Ungleichheiten argumentiert mit normativen Ideen der Gleichheit, der Fairness oder der Demokratie. Gesellschaftliche, kulturelle und individuelle Vermittlung ebenso wie der kulturrelativistisch 178 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="179"?> vermittelte Universalismus setzen sich mit der Frage nach Autonomie, Freiheit, Reflexion und freiem Willen auseinander sowie damit, wem diese (durch wen) zu- oder abgesprochen werden. Die Reflexion auf seine eigenen normativen Elemente unterscheidet den vermittelten Universalismus von abstrakten, homogenen Verständnissen. Diese normativen Elemente sind eingebettet in spezifische gesellschaftliche Verhältnisse und Ideen; gleichzeitig können sie über ihre eigenen Kontexte hinausgehen und sich transformieren. Sie können wandern. Das erfordert eine Offenheit der Normativität. Diese Offenheit im nor‐ mativen Universalismus kennzeichne ich durch zwei Kriterien. Erstens bedeutet Offenheit die Reflexion auf die eigene Situiertheit. Der jeweils eigene normative Anspruch ist nicht einfach gegeben und unhinterfragbar, sondern weist spezifische Präsuppositionen, Implikationen und Effekte auf. Die Reflexion auf die Gewordenheit und die Gründe der jeweils eigenen normativen Annahmen erlaubt eine Einordnung und eine Reflexion auch auf möglicherweise unintendierte Effekte und Nebenfolgen. Zweitens bedeutet normative Offenheit auch Unabgeschlossenheit. Nor‐ mative Ansprüche können herausgefordert werden, Gegenstand von Aus‐ einandersetzungen und auch von Transformationen sein. Um überhaupt die Möglichkeit der Deliberation, des Austausches zu öffnen, was die Grundlage für Dialog und Aushandlungsprozesse bildet, braucht der jeweils eigene normative Anspruch ein Bewusstsein dafür, dass er fehlbar sein kann, dass er Leerstellen aufweisen kann, dass er auf Prämissen beruht, die zur Kritik gestellt werden können - er braucht ein Bewusstsein dafür, dass er unabgeschlossen ist. Die Reflexion auf die eigene Situiertheit trägt dazu bei, die Möglichkei‐ ten der Veränderung und der Unabgeschlossenheit offen zu halten, ohne die normativen Ansprüche schlicht preiszugeben. Eine Reflexion auf die Gewordenheit und die Begründungen der eigenen normativen Ansprüche kann sowohl deren Revision oder Transformation als auch deren Stärkung bedeuten. Sowohl der Anspruch auf den Universalismus der Menschenrechte als auch die Kritiken an diesem Universalismus sind normativ. Eine normative und offene Perspektive wird die normativen Vorannahmen und Grundlagen auf allen Seiten betrachten. Dann kann beispielsweise offengelegt werden, ob eine kulturrelativistische, kollektive oder postkoloniale Kritik auf die Stärkung von Menschenrechten, auf die Verbesserung von Lebensbedingun‐ gen, auf das Zurückdrängen von Leiden abzielt - oder auf den Ausschluss 179 ➤ Das Element des normativen und offenen Universalismus <?page no="180"?> bestimmter Menschen oder Regionen aus menschenrechtlichen Ansprüchen oder auf die Perpetuierung bestimmter Machtverhältnisse. Ebenso kann offengelegt werden, ob der Universalismus der Menschenrechte auf den Zugang aller Menschen zu bestimmten Rechten und Lebensverhältnissen abzielt - oder ob er durch ein starres Beharren auf die eigene Überlegenheit Ausschlüsse und Ungleichheiten (re-)produziert. Beide Seiten, der Universalismus der Menschenrechte und die partikula‐ ren Kritiken am Universalismus, sind angewiesen auf die Reflexion und Unabgeschlossenheit, also auf die Offenheit ihrer Normativität. Dann können sie in einen Dialog gebracht werden, der zu einem vermittelten Universalismus der Menschenrechte beiträgt. 5.5 Konklusion Feministische Kritiken liegen zunächst quer zu der Debatte um Univer‐ salismus und Partikularismus. Dadurch eröffnen sie einen Blick auf Men‐ schenrechtsverletzungen und Leiden in privaten Räumen, die sowohl im klassischen öffentlichkeitszentrierten Menschenrechtsregime als auch in den postkolonialen, kulturrelativistischen und kollektivrechtlichen Kritiken am Menschenrechtsregime aus dem Blick zu geraten drohen. Das Element eines privat und öffentlich vermittelten Universalismus der Menschenrechte nimmt diese Leerstelle auf, indem das Private nicht als vom Öffentlichen losgelöster Raum, sondern als eng mit dem Öffentlichen verwoben konzep‐ tualisiert wird. Die Diskussion feministischer Kritiken verdeutlicht darüber hinaus, dass allen Debatten um den Universalismus der Menschenrechte ein normatives Element innewohnt. Um dichotome und herrschaftsblinde Perspektiven auf allen Seiten offenzulegen, rücken die Bedeutung von Normativität und die Notwendigkeit ihrer Offenheit in den Blick, die im Element des normativen und offenen Universalismus diskutiert werden. Insgesamt verdeutlicht die Diskussion feministischer Kritiken in diesem Kapitel, dass es sich bei der notwendigen Pluralisierung der Menschenrechte keineswegs nur um auf Partikularismus abzielende Forderungen handelt, sondern um Perspektiven, die den Partikularismus der Menschenrechte selbst universalisieren wollen. 180 5 Der Vorwurf „Menschenrechte sind für Männer“ <?page no="181"?> 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen: ■ Die Elemente eines vermittelten Universalismus der Menschenrechte ■ Die moralische Dimension der Menschenrechte ■ Zwei Formen der Kritik ■ Moralisch vermittelter Universalismus ■ Menschenwürde, Leiden und Freiheit als normative Bezugspunkte Das vorliegende Buch zeigt, dass sich der Universalismus der Menschen‐ rechte seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 weiterentwickeln, ausdifferenzieren und verändern konnte, ohne damit die Idee der Menschenrechte zu unterminieren. Gleichzeitig verdeutlichen die diskutierten Kontroversen, dass die Prozesse der Pluralisierung und Weiterentwicklung weder bruchlos noch widerspruchsfrei verlaufen. Der Universalismus der Menschenrechte wird seinem eigenen Anspruch nur dann gerecht, wenn er in der Lage ist, Partikularitäten und Differenzen zu berücksichtigen und damit auch auf seine eigene Partikularität zu reflek‐ tieren. Auch die dem Universalismus der Menschenrechte zugrundeliegen‐ den Ideen stammen aus spezifischen Kontexten und beruhen auf bestimmten Vorstellungen von Mensch, Individuum, Familie, Kultur und Staat. Eine zen‐ trale Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden zwischen dem universellen Anspruch der Menschenrechte einerseits und der Berücksich‐ tigung von Kontext, Partikularität und historischen Veränderungen sowie der Offenheit gegenüber Kritik und anderen Perspektiven andererseits. Eingebettet in zeithistorische und gesellschaftliche Dynamiken ist diese empfindliche Balance nicht statisch festzulegen, sondern immer wieder offe‐ ner Gegenstand von Auseinandersetzungen und Diskussionen. „Wir können den Widerspruch nicht auflösen, aber aufklären, das heißt: begreifen, warum er unvermeidlich ist“ (Schweppenhäuser 2005: 298, Herv.i.O.). Das Konzept eines vermittelten Universalismus hilft dabei, einen produk‐ tiven Umgang mit diesem Widerspruch beziehungsweise dieser Balance zu <?page no="182"?> finden. Die Elemente des vermittelten Universalismus wurden in diesem Buch folgendermaßen entwickelt: Die Figur der ➤ Vermittlung als Grundlage des vermittelten Uni‐ versalismus bildet eine Struktur, in der widersprüchliche Aspekte zusam‐ mengedacht werden können, ohne die unterschiedlichen Seiten lediglich ineinander aufzulösen. Vielmehr verdeutlicht sie die gegenseitige Konstitu‐ tion zweier sich gleichzeitig jeweils gegenüberstehender Momente. Das Element des ➤ pluralen Universalismus bildet die Grundlage für ein plurales, dynamisches, kontextsensibles und unvollständiges Ver‐ ständnis von Menschenrechten und ist in der Lage, abstrakte, homogene, abgeschlossene Formen des Universalismus begründet zurückzuweisen. Das Element des ➤ machtsensiblen Universalismus kann Macht- und Ungleichheitsverhältnisse adressieren und darauf reflektieren, wenn der Anspruch auf Universalismus selbst zu diesen Ungleichheiten beiträgt. Das Element des ➤ partikular vermittelten Universalismus kann auf die jedem Universalismus inhärente Partikularität reflektieren, indem es dazu verhilft, das Eigene im Anderen und das Andere im Eigenen zu denken. So können sich Menschenrechte in Prozessen der Übersetzung und der Vermittlung mit anderen Partikularismen verbinden, ohne sich in diese aufzulösen. Denn auch diese Partikularismen können auf das Andere im Eigenen, auf ihre Gemeinsamkeiten mit dem Universalismus der Menschenrechte reflektieren. Das Element des ➤ kulturrelativistisch vermittelten Universalismus kann kontextsensibel nach jeweils spezifischen Verhältnissen, Prozessen und Begründungen fragen und Differenz und Situiertheit mitdenken, ohne dadurch einen universellen Anspruch aufzugeben. Kulturrelativismus und Universalismus bilden füreinander jeweils ein Korrektiv, um nicht in einsei‐ tige und verkürzte Argumentationen zu fallen. Das Element des ➤ gesellschaftlich vermittelten Universalismus rückt die gegenseitige Konstitution von Individuum und Gesellschaft in den Blick, die Individuen als vergesellschaftet, aber nicht determiniert versteht. Erst in und durch Gesellschaft hindurch ist die Ausbildung von individueller Identität, Reflexion und Autonomie möglich - und kann gleichzeitig in und durch Gesellschaft eingeschränkt werden. Das Element des ➤ kulturreflexiven Universalismus kann die wi‐ dersprüchlichen Dimensionen von Kultur zusammendenken, die jeweils als Gegensätze ineinander enthalten sind: Kultur umfasst Identisches und Nicht-Identisches; Statik und Dynamik; Reflexion und internalisierte Rou‐ 182 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="183"?> tine. Damit lässt sich Kultur als eine der möglichen Grundlagen für Reflexion diskutieren - aber auch als deren potenzielle Einschränkung. Das Element des ➤ Mehrebenen-Universalismus verdeutlicht, dass Kulturen, Gruppen oder kollektive Identitäten eine Schaltstelle in der Ver‐ mittlung zwischen Individuum und Gesellschaft bilden. Diese Schaltstelle ist ihrerseits sowohl mit Individuen als auch mit Gesellschaft vermittelt. Die Einschränkung und die Ermöglichung von Menschenrechten kann dann auf allen drei Ebenen und zudem in deren Interaktionen diskutiert werden. Das Element des ➤ privat und öffentlich vermittelten Universalis‐ mus weitet die öffentlichkeitszentrierte Perspektive der Menschenrechte auf private Räume, Akteure und Machtkonstellationen aus. Statt das Private als abgetrennte Sphäre zu betrachten, wird in den Vordergrund gestellt, wie sich Privates und Öffentliches gegenseitig herstellen und durcheinander hindurch erst konstituieren. Damit rücken auch Menschenrechtsverletzun‐ gen in der Privatsphäre in den Blick, ohne das Private einfach aufzulösen. Denn jede Seite kann für die jeweils andere auch ein Korrektiv darstellen. Das Element des ➤ normativen und offenen Universalismus ver‐ deutlicht die normativen Grundlagen des vermittelten Universalismus und all seiner Elemente, um sie offenzulegen und zur Diskussion zu stellen. Ohne normative Ansprüche von vornherein zu nivellieren oder aufzugeben, können sie so der Deliberation und der Reflexion zugänglich gemacht werden. Allen Elementen des vermittelten Universalismus ist der Anspruch ge‐ meinsam, menschenrechtsstärkende und menschenrechtseinschränkende, emanzipatorische und repressive Implikationen und Effekte auf allen Seiten der jeweiligen Widerspruchskonstellationen offenzulegen. Die Struktur der Vermittlung hat demnach nicht nur eine analytische Komponente, sondern auch eine normative: Die jeweiligen Gegensätze lassen sich weder inhaltlich noch normativ auf nur eine Seite hin auflösen. Es gibt keine Seite, die als unhinterfragbare Letztbegründung herangezogen werden könnte oder die vor Missbrauch geschützt wäre. Das kennzeichnet den Kern des vermittelten Universalismus: eine stete Reflexion auf emanzipatorische und repressive Aspekte auf allen Seiten - auch der jeweils eigenen. Der Anspruch auf Normativität wird im Folgenden mit dem elften Ele‐ ment des vermittelten Universalismus näher skizziert: das Element des moralisch vermittelten Universalismus. Im Anschluss daran werden mit Menschenwürde, Freiheit und Leiden drei normative Bezugspunkte offen‐ gelegt, die das Buch durchziehen. 183 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="184"?> 6.1 Die moralische Dimension der Menschenrechte Der Anspruch einer Reflexion auf emanzipatorische und repressive Aspekte verdeutlicht, dass in den Debatten um den Universalismus der Menschen‐ rechte die Frage des normativen Maßstabs eine wesentliche Rolle spielt. Dieser bildet die Grundlage für eine Unterscheidung zwischen emanzipato‐ rischen und repressiven Aspekten. Eine solche Unterscheidung wird umso stärker einen vermittelten Universalismus begründen können, wenn die dafür herangezogenen normativen Annahmen offengelegt werden. Die klas‐ sischen Antwortmöglichkeiten sind um den Begriff der Moral konzentriert, der die Frage des normativen Maßstabs auf einer allgemeineren Ebene prägt. In diesem Abschnitt geht es daher zunächst nicht um die konkreten Inhalte der normativen Bezugspunkte (dazu unten mehr), sondern um die generellere Frage, ob und wie ein normativer Maßstab möglich und begründbar ist: die Frage der Moral. Berücksichtigt dabei wird, dass die rechtliche, die politische und die moralische Dimension der Menschenrechte (vgl. Kapitel 1) eng miteinander verwoben sind. 6.1.1 Die Rolle der Moral in Menschenrechtsdiskussionen Der Bezug auf Moral spielt in allen der in diesem Buch diskutierten Kontro‐ versen eine Rolle. Im Kontext der kollektivrechtlichen Kritik wird Moral in die Konstellation der gegenseitigen Konstitution von Individuum, Kultur und Gesellschaft eingeordnet. Taylor entwirft Moral als Rahmen, in dem Kultur und individuelle Identität erst hergestellt werden. Dieser Rahmen sei so fundamental, dass er den Individuen vorgängig sei und von ihnen nicht verlassen werden könne (Taylor 1994a, s.a. Schweppenhäuser 2005: 152). Kymlicka und Okin betonen aber, dass kulturelle Ansichten über Moral auch hinterfragt und revidiert werden können. Moral selbst ist nicht einfach gegeben (Kymlicka 1988, Okin 1989). Diese Diskussion kreist demnach um die Frage, inwiefern sich moralische Perspektiven auch gegen ebenjene Bedingungen richten können, durch die sie erst hervorgebracht wurden. Zunächst lässt sich hier festhalten, dass die sich jeweils gegenüberste‐ henden Positionen beide den Anspruch auf Moral erheben. So wird aufsei‐ ten eines individualistischen Universalismus betont, dass es gerade der moralische Charakter der Menschenrechte sei, der sich nicht auf Gruppen übertragen lasse (Donnelly 1990: 41 f.). Kollektivrechtliche Kritiken stellen 184 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="185"?> dem entgegen, dass Gruppen sowohl juristische als auch moralische Rechte zustehen würden: „Mit juristischem Recht meine ich den Anspruch, der von einer Regierung geachtet werden muss […]. Mit moralischem Recht meine ich einen Anspruch, der respektiert werden muss, wenn Gerechtigkeit oder das Gute herrschen sollen, unabhängig von den Haltungen und Handlungen irgendeiner Regierung“ (van Dyke 1982: 23). Folgerichtig diagnostiziert Taylor, dass der Konflikt um kollektive Rechte mit dem Bezug auf Moral nicht gelöst wird. Vielmehr bildet der Konflikt selbst ein „moralische[s] Problem“ (Taylor 2009: 60, s.a. Stapleton 1995: xxxviii). Die gemeinsamen Bezugnahmen auf Moral trotz und wegen diametral unterschiedlicher Schlussfolgerungen werden auch in den anderen Debatten deutlich: Kulturrelativistische und postkoloniale Kritiken setzen einer aus ihrer Perspektive abstrakten oder westlichen Moral eine jeweils kontext‐ gebundene Moral entgegen. Die feministische Kritik, die sich auf (auch moralisch begründete) Maßstäbe wie Gleichheit oder Gleichstellung beruft, trifft auf entgegenstehende moralische Vorstellungen, die etwa eine Hierar‐ chisierung der Geschlechter propagieren. Kurzum: Moral trifft auf Moral. Das führt zu der Frage, wie entschieden und begründet werden kann, welche Moral der anderen vorzuziehen ist. Für einen vermittelten Universalismus der Menschenrechte ist vor diesem Hintergrund weder eine Setzung (Behauptung) noch ein Verzicht auf Moral hilfreich. Denn einerseits können Menschenrechte ohne eine Vorstellung jenseits des Gegebenen rasch auf ein machtpolitisches Instrument reduziert und repressiv gewendet werden (Vismann 1998: 285, 301). Der vollständige Verzicht auf eine moralische Dimension, die über das Gegebene hinausweist, würde im Gegebenen verhaftet bleiben. Denn allein vom Blick auf das Gegebene „läßt sich keine moralische Politik ableiten. Rein wissenschaft‐ lich betrachtet, ist der Haß, bei aller sozial-funktionellen Differenz, nicht schlechter als die Liebe“ (Horkheimer 1970: 60). Zwar kann ein Blick auf das Gegebene (etwa auf Leiden und Ungerechtigkeit) moralische Reaktionen hervorrufen. Aber auch dann stellt sich die Frage, wie sich diese moralischen Reaktionen verorten und begründen lassen: Im Gegebenen oder in einer Vorstellung von etwas, das besser ist als das Gegebene? Andererseits aber kann sich die Vorstellung von etwas Besserem, kann ein moralischer Maßstab jenseits des Gegebenen zu einer statischen, un‐ 185 6.1 Die moralische Dimension der Menschenrechte <?page no="186"?> veränderbaren oder sogar gewaltförmigen Setzung verhärten. Wenn die moralische Dimension der Menschenrechte (getrennt von der rechtlichen und der politischen Dimension) als „Maßstab über den Gesetzen“ (Vismann 1998: 285) verstanden werden würde, dann würde Moral auf eine nicht weiter hinterfragbare und diskutierbare Ebene entrücken. Das gilt auch für Annahmen einer Letztbegründung oder eines allumfassenden moralischen Maßstabs, die mit dem Anspruch auftreten, die jeweiligen Problematiken umfassend und ein für alle Mal lösen zu können. Ein moralischer Maßstab wird jedoch dann repressiv, wenn er als statischer Bezugspunkt gesetzt und seine gesellschaftliche Herkunft, Einbettung und Funktion ausgeblendet wird. Beide Seiten sind also mit Problemen behaftet: sowohl die einfache Re‐ produktion von moralischen Vorstellungen, die der jeweiligen Gesellschaft entnommen sind, als auch die Ausblendung der Verankerung moralischer Bezugnahmen in der Gesellschaft. Daraus resultiert die Frage, wie sich eine moralische Dimension der Menschenrechte skizzieren lässt, die über die rechtlichen und politischen Dimensionen hinausweisen kann, ohne auf (vermeintlich) außergesellschaftliche Bezüge zurückgreifen zu müssen. 6.1.2 Zwei Formen von Kritik Grundsätzlich geht es also um die Kernfrage, ob und wie ein moralischer Maßstab für Kritik (als moralische Dimension der Menschenrechte) mög‐ lich ist und wie er begründet werden kann. Im Folgenden wird eine Lösungsmöglichkeit ausgebaut, die (mit Hegel) zwar an einen Vertreter von geschlossenen Letztbegründungen anknüpft, diese aber (mit Adorno) an der entscheidenden Stelle verlässt und damit eine offene Konstellation erhält, die weder blind den gegebenen moralischen Vorstellungen folgen muss noch auf willkürliche, esoterische Annahmen einer Moral von außer‐ halb angewiesen ist. Diese Konstellation basiert auf Hegels Entwurf eines dialektischen Verhältnisses von Zusehen und Zutat (Hegel 1986 [1807]: 68), wie es bei Adorno mit dem vermittelten Verfahren immanenter und transzendenter Kritik (Adorno 2010a) weiterentwickelt wird. Damit sind zwei Formen von Kritik angesprochen, die sich (zunächst) auf einer bestimmten Ebene widersprechen, die aber aus einer anderen Perspektive auch als zusammengehörig betrachtet werden können, um die Stärken von beiden Seiten zu erhalten und deren Problematiken zu‐ rückzudrängen (Ritsert 2009, Müller 2011, Mende 2013). Diese dialektische 186 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="187"?> Bewegung ermöglicht eine vermittelte Moral, die ein zentrales Element für einen vermittelten Universalismus der Menschenrechte bildet. Zentral dafür ist das Verhältnis zwischen immanenter Kritik und transzen‐ denter Kritik (in Hegelscher Terminologie das ‚Zusehen‘ ohne äußerlich hinzugefügte Moral und die ‚Zutat‘ eines moralischen Maßstabs für Kritik). In den folgenden Abschnitten werden zunächst die Konzepte immanenter und transzendenter Kritik getrennt erläutert und deren jeweilige Charakte‐ ristika und Grenzen verdeutlicht, um daran anschließend die Vermittlung beider Seiten in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund wird dann das Element des moralisch vermittelten Universalismus genauer skizziert. Immanente Kritik Das Verfahren der immanenten Kritik lautet: Etwas wird an sich selbst gemessen. Das scheint zunächst denkbar einfach und weitreichend: Proble‐ matische Verhältnisse werden mit ihren eigenen Ansprüchen konfrontiert und daran wird sichtbar, dass sie sich selbst nicht genügen. Ein solches Verfahren kann sich auf eine Praxis, auf eine Gegebenheit, eine kulturelle Handlung etc. beziehen. Im Messen der Verhältnisse an ihrem Begriff zeigt sich, dass die jeweiligen Ansprüche sich nicht vollständig erfüllen. Diese Perspektive liegt mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen auch den kulturrelativistischen, den kollektivrechtlichen und den postkolonialen Kritiken am Universalismus der Menschenrechte zugrunde. Diese weisen den Anspruch auf eine vermeintlich universelle (tatsächlich aber ihrerseits partikulare) Moral zurück und setzen ihr jeweils kontextgebundene, kul‐ turelle, kollektive etc., d. h. den Verhältnissen jeweils immanente Vorstel‐ lungen entgegen. Das begründet auch die kulturrelativistische Annahme, dass eine Kultur aus sich selbst heraus (intern beziehungsweise immanent) die Möglichkeiten der Kritik an einer kulturellen Praxis entwickeln kann (vgl. Kapitel 3). Es geht dabei stets um die Vorstellung, Kritikmaßstäbe im Gegenstand und dessen - gegebenenfalls noch nicht entwickelten - Eigenpotenzial zu finden. Den Formen immanenter Kritik ist das Anliegen gemeinsam, dem Gegenstand keine äußeren, subjektiven, willkürlichen (oder westlichen) Maßstäbe aufzuoktroyieren. Diese Vorstellungen immanenter Kritik weisen jedoch Grenzen und Widersprüche auf. Eine erste Grenze immanenter Kritik besteht darin, dass das empirisch Gegebene durchaus auch zu enge Maßstäbe und Ideen 187 6.1 Die moralische Dimension der Menschenrechte <?page no="188"?> aufweisen kann, die es nicht erlauben auf etwas abzuzielen, das besser ist als das Gegebene. Zweitens sind die jeweiligen immanenten Maßstäbe ihrerseits historisch und gesellschaftlich kontingent. Es lässt sich kein invarianter immanenter Moral- und Normengehalt in einem Begriff (oder einer Kultur) festlegen, ohne ein Vielfaches an Bedeutungsdimensionen auszuschließen. Vielmehr weisen auch Verfahren der immanenten Kritik, die einen äußeren morali‐ schen Maßstab ablehnen, mindestens implizit doch einen Maßstab auf. Das Beispiel der weiblichen Genitalexzision verdeutlicht diesen Punkt: Auch Befürworter/ -innen der Praxis nehmen einen Maßstab in Anspruch, sei es die kulturrelativistische Annahme einer freien Wahl, das lokale Verständnis von Identitätsbildung oder die Herstellung der Heiratsfähigkeit der eigenen Töchter. Eine vermeintliche Immanenz ist also auch mit einem Akt der Zuschreibung verbunden: „Wenn man den Begriff der Immanenz wörtlich nimmt, dann ist klar, dass das, was man als der normativen Ordnung immanent bezeichnet, in sie erst hineinkommt, wenn man diesen Zuschreibungsakt macht. Das kann mehr oder weniger erfolg‐ reich sein. Man kann behaupten, es steckte immer schon drin, aber ohne diesen Zuschreibungsakt wäre es niemals hineingekommen“ (Menke 2016: 52). Damit verdeutlicht sich, dass auch die rein immanente Kritik im Messen der Verhältnisse an sich selbst eine Auswahl zwischen verschiedenen Maß‐ stäben trifft und damit auch eine Zuschreibung an das Gegebene vornimmt. Die eigenen Präferenzen und Abneigungen, all die bewussten und auch unbewussten normativen Vorstellungen gehen demnach in das Verfahren der immanenten Kritik ein. Es wimmelt von nicht reflektierten moralischen Annahmen, wenn die Verhältnisse an ihrem Begriff gemessen werden, auch wenn es subjektiv nicht so erscheint. In einem bestimmten Wissenschafts‐ verständnis kann dies als Messfehler verstanden werden. Die Lösung lautet dann, die eigenen Zuschreibungsakte zu eliminieren. Dies beruht allerdings auf der Fiktion, neutral und ohne Vorverständnis, Wissen und normative Annahmen an eine Situation herangehen zu können (Ritsert 2009: 167). Demgegenüber wird im Folgenden eine Perspektive ausgebaut, die diese Messfehler nicht als Problem versteht, sondern in die Lösung einbezieht. Auf die eigenen subjektiven Zuschreibungsakte kann reflektiert werden. Damit werden sie nicht aus der Welt geschafft, sondern sichtbar gemacht. 188 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="189"?> Um die Zeitgebundenheit der normativen Maßstäbe und die (eigenen) Zuschreibungsakte im Verfahren der Kritik einbeziehen zu können, ist also eine Reflexion auf die Grenzen einer rein immanenten Kritik nötig. Transzendente Kritik Das Verfahren der transzendenten Kritik verfolgt den Anspruch, das Gege‐ bene und seine Begriffe überschreiten (transzendieren) zu können. Dafür greift es auf etwas Zusätzliches (eine Zutat) zurück. Diese Zutat besteht darin, dass die Kritik etwas an den jeweiligen Gegenstand heranträgt, das durch dessen Begriff nicht notwendigerweise bereits erfasst ist, „beispiels‐ weise in der Form einer systematischen Theorie sowie in der Inanspruch‐ nahme von Normen und Kriterien der Kritik, die sich von den Maßstäben im Untersuchungsbereich selbst unterscheiden können“ (ebd.: 165). Die transzendente Kritik stößt allerdings ihrerseits an Grenzen. Denn es ist nicht möglich, einen von Kontexten unabhängigen moralischen Standpunkt einzunehmen, der außerhalb des gesellschaftlich Gegebenen und seiner Begriffe liegt. Die Diskussionen der postkolonialen, kulturrela‐ tivistischen und kollektiven Kritiken in diesem Buch verdeutlichen allesamt diesen Punkt: Alles, was Menschen erfahren, denken oder benennen, was sie als Gegenstand konstituieren und konstruieren, mit Begriffen besetzen oder mit Grenzziehungen definieren, ist gesellschaftlich, intersubjektiv und sub‐ jektiv vermittelt. Dem liegt auch die oben entwickelte Perspektive zugrunde, dass der Universalismus seinerseits partikular vermittelt ist. Die normativen Maßstäbe und moralischen Bezugspunkte im Verfahren transzendenter Kritik existieren nicht überhistorisch, unberührt von Erfahrung oder Gesell‐ schaft: „Das moralische Tun des Guten vollzieht sich in gesellschaftlichen Verhältnissen“ (Menke 2004: 145, Herv.J.M.). Es gibt keine ungesellschaftli‐ che Moral. Diesen Punkt zu verdeutlichen ist eine wesentliche Stärke der kulturrelativistischen, kollektiven und postkolonialen Kritiken an einem abstrakten Universalismusverständnis. Daher kann eine transzendente Kritik, eine externe Moral, die von außen erst hinzugefügt wird, auch willkürlich und austauschbar sein. Sie kann ebenfalls subjektiv verhaftet bleiben. Das trifft auch auf Kritiken zu, die eine bestimmte Gruppe von außerhalb (aus der Perspektive einer anderen Gruppe) kritisiert. Der entscheidende Punkt ist, dass alle Varianten einer von außen herangezogenen Moral Gefahr laufen, gesetzt zu werden und damit auch willkürlich zu sein. 189 6.1 Die moralische Dimension der Menschenrechte <?page no="190"?> Das zeigt, dass eine dichotome Aufspaltung in entweder immanente oder transzendente Kritik normativ und konzeptuell an enge Grenzen stößt. Weder rein immanente noch ausschließlich transzendente Kritik bieten hinreichende (und hinreichend offene) Kriterien zur Begründung der mora‐ lischen Dimension der Menschenrechte. Vermittlung immanenter und transzendenter Kritik Für einen Umgang mit den beiden Extremen der immanenten und der transzendenten Kritik, der keine Seite alleinig hypostasiert und die andere verwirft, greift Adorno auch an dieser Stelle auf die Struktur der Vermittlung zurück (vgl. Müller 2011). Er betont, dass immanente und transzendente Kritik „zwar zueinander gehören und in einer bestimmten Spannung zueinander stehen, daß sie aber auf der anderen Seite nicht ineinander aufgehen, […] daß man das Phänomen sowohl von innen her, seinen eigenen Anforderungen, seinem eigenen Ursprung, seiner eigenen Gesetzmäßigkeit nach betrachten muß wie auch dann doch wieder von außen her, das heißt im Sinn des funktionellen Zusammenhangs, in dem es steht, der Seite, die es den Menschen zukehrt, der Bedeutung, die es im Leben der Menschen annimmt. [Es gilt, J.M.], diese beiden Betrachtungsweisen, die immanente und die transzendente, gewissermaßen unabhängig voneinander zu verfolgen, lediglich darauf vertrauend, daß wenn der Gedanke tief genug in beide Aspekte eindringt, ihre Beziehung sich doch noch erweisen wird“ (Adorno 2010a: 219). Beide Kritikformen enthalten wichtige Elemente: Immanente Kritik lässt den Gegenstand selbst beziehungsweise lokale, kontextuelle Perspektiven sprechen. Transzendente Kritik fragt nach der Bedeutung und den Effekten des Gegenstands oder lokaler Perspektiven, etwa für die Betroffenen, deren Erfahrungen und Freiheiten. Die Grenzen, an die jede Kritikform stößt, verweisen auf die jeweils andere Kritikform und verbinden sie so mitein‐ ander. Beide Kritikformen sind durch ihre Extreme hindurch miteinander vermittelt: Nicht, indem von einem Pol etwas abgezogen wird, sondern durch die Anerkennung der beiden Formen der Kritik öffnet sich das Feld eines moralisch vermittelten Universalismus. Moral ist dann gleichzeitig „in der Sache und außerhalb der Sache“ (ebd.). Insgesamt stehen die beiden Formen der Kritik also in einem permanenten Spannungsverhältnis zueinander. Wird eine der beiden Seiten ignoriert 190 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="191"?> oder verlassen, bricht die offene Konzeption in sich zusammen und eine eindimensionale Perspektive bleibt zurück. Demgegenüber erlaubt die Ver‐ mittlung eine Perspektive, die die Stärken der beiden entgegengesetzten Verfahren der Kritik nutzt, deren Problematiken aber zurückdrängt. Beide Formen der Kritik korrigieren sich in bestimmten Hinsichten gegenseitig. ➤ Das Element des moralisch vermittelten Universalismus Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte erhebt den Anspruch auf eine Diskussion um emanzipatorische und repressive Aspekte von gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Strukturen, Handlungen und Praxen. Er steht aber auch vor der Schwierigkeit eines Maßstabs für die Unterscheidung zwischen Emanzipation und Repression, wenn er verdinglicht, abgeschlossen, statisch und gesetzt wird. Gleichzeitig wird ein Bezug auf etwas, das besser ist, benötigt, um Gegebenes zu über‐ schreiten und um mögliche Lücken und Grenzen im Menschenrechtsregime selbst zu erkennen (und zwar in allen Dimensionen der Menschenrechte: der rechtlichen, der politischen und der moralischen). Der moralisch vermittelte Universalismus öffnet eine Umgangsmöglich‐ keit, wenn sich beide Formen der Kritik in ihrer Vermittlung gegenseitig korrigieren. Eine gegebene gesellschaftliche (lokale, kontextbezogene, kul‐ turell begründete) Moral wird damit weder ignoriert noch einer anderen (menschenrechtlichen, globalen oder abstrakten) Moral dichotom gegen‐ übergestellt (vgl. Menke 2004: 142 ff., Adorno 2010b: 221, Müller 2011: 63 ff.). Eine Transzendierung gegebener Moralvorstellungen oder Normen wird zunächst mit der Reflexion ihrer Grundlagen, ihrer Implikationen, Effekte und Begründungen verbunden (Adorno 2010b: 183). Auf diese Weise zeigen sich sowohl ihre jeweiligen Funktionen als auch ihre Grenzen. Die Begrün‐ dungsmuster der weiblichen Genitalexzision (Kapitel 3) verdeutlichen diese Vermittlung eindrücklich. Darin geht der moralisch vermittelte Universalismus allerdings noch nicht auf. Die vermittelte Konstellation zwischen Individuum und Gesell‐ schaft (vgl. Kapitel 4) durchzieht auch die beiden Formen der Kritik und verwebt sie miteinander (Adorno 1977). So lassen sich sowohl die gesell‐ schaftlichen als auch die subjektiven Momente in der immanenten und der transzendenten Kritik diskutieren. Immanente Kritik kann sowohl ein objektives (durch Gesellschaft, Gegenstand oder Begriff vermeintlich gege‐ 191 ➤ Das Element des moralisch vermittelten Universalismus <?page no="192"?> benes und dadurch als allgemeingültig gerechtfertigtes) als auch ein subjek‐ tives (ausgewähltes, auf Zuschreibungen basierendes) Verfahren kennzeich‐ nen. Umgekehrt weist transzendente Kritik eine subjektive (willkürliche, gewählte) ebenso wie eine objektive (gesetzte, außergesellschaftliche, gege‐ bene) Lesart auf (Hegel 1986 [1807]: 70 ff.). Ein Beispiel verdeutlicht diesen Punkt: Adorno formuliert den Impe‐ rativ, „Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole“ (Adorno 1966: 358). Dieser Anspruch lässt sich einerseits als immanenter Maßstab lesen, der sich aus dem Gegenstand beziehungsweise der Geschichte selbst ergibt (Adorno 1966: 358, Steinert 2007). Andererseits ist er eine externe Zutat, die mit einer übergreifenden Moral begründet werden kann und für (oder gegen) die man sich auch subjektiv entscheidet. Weder subjektive und gesellschaftliche Dimensionen noch immanente und transzendente Kritik lassen sich hier voneinander trennen. Aber sie lassen sich aufspüren, begründen und auf ihre jeweiligen Stärken und Grenzen hin diskutieren. Diese Spannungsfelder werden im moralisch vermittelten Universalis‐ mus der Menschenrechte ausdrücklich als konstitutiv und produktiv, nicht als Problem konzeptualisiert. Gesellschaftliche Annahmen, intersubjektive Aushandlungsprozesse und subjektive Erfahrungen gehen in beide Formen der Kritik ein. Keine der beiden ist unhistorisch und invariabel. Die Grenzen des einen Verfahrens verweisen auf die Stärke des anderen Verfahrens - und umgekehrt. Dann kann eine offene Argumentationsfigur gewonnen werden, die ihrerseits befragbar und korrigierbar bleibt. Der moralisch vermittelte Universalismus muss nun dem Menschen‐ rechtsregime nicht erst zusätzlich hinzugefügt werden. Vielmehr lässt er sich darin bereits nachzeichnen. Menschenrechte weisen sowohl imma‐ nente als auch transzendente Dimensionen auf. Das zeigt sich beispiels‐ weise daran, dass die aus den oben diskutierten Kritiken entstehenden Pluralisierungen (die Transzendierung) von Menschenrechten - etwa in‐ digene Menschenrechte, FrauenMenschenrechte oder unternehmerische Menschenrechtsverantwortung - sich ihrerseits auf den (immanenten) Kern der Menschenrechte beziehen und ihn voraussetzen. Das Menschenrechtsregime gibt somit auch einen Maßstab an die Hand, der eine Unterscheidung zwischen repressiven und emanzipatorischen Effekten erlaubt - zwischen Effekten, die Menschenrechte stärken, und solchen, die sie verletzen. Gleichzeitig ist diese Unterscheidung nicht im‐ mer statisch und dichotom festlegbar: Emanzipatorische und repressive 192 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="193"?> Aspekte können eng miteinander verzahnt sein; bestimmte Verständnisse von Menschenrechten bedürfen der Erweiterung. Daher ist es entscheidend, emanzipatorische und repressive Aspekte auf allen Ebenen und auf ihre gegenseitigen Verschränkungen hin zu untersuchen. 6.2 Normative Bezugspunkte Das Element des moralisch vermittelten Universalismus zeigt, dass sich eine Unterscheidung zwischen Menschenrechtsstärkung und Menschen‐ rechtsverletzung, zwischen Emanzipation und Repression auf normative Bezugspunkte bezieht. Mehr noch: Nicht nur die moralische Dimension der Menschenrechte, sondern auch deren rechtliche und politische Dimension sind von normativen Bezugspunkten geprägt, sei es implizit oder explizit. Eine fehlende Offenlegung und Reflexion auf die jeweils eigenen normati‐ ven Bezugspunkte kann rasch zu abstrakten, verdinglichten, homogenisier‐ enden und repressiven Formen des Universalismus führen. Mit Adorno lässt sich unterstreichen, dass ein normativer Maßstab dann ins Repressive ten‐ diert, wenn er als Formel oder Ideologie gesetzt wird (Adorno 2001: 272, 338, 369). Werden normative Bezugspunkte hingegen reflexiv aufgenommen, kann auf ihre Positionierung und Gewordenheit reflektiert werden und sie können Gegenstand von Deliberation, Kritik, gegebenenfalls auch von Veränderung werden. Daher werden im Folgenden mit Menschenwürde, der Zurückdrängung von Leiden sowie mit Freiheit drei normative Bezugs‐ punkte offengelegt und zur Diskussion gestellt, die für den vermittelten Universalismus der Menschenrechte eine zentrale Rolle spielen. 6.2.1 Menschenwürde Als ein wesentlicher normativer Bezugspunkt im Menschenrechtsregime hat sich das Konzept der Menschenwürde entwickelt (Vögele 2000, Tiede‐ mann 2006, Ladwig 2010). „Die Idee der menschlichen Würde ist das begriff‐ liche Scharnier, welches die Moral der gleichen Achtung für jeden mit dem positiven Recht und der demokratischen Rechtsetzung […] zusammenfügt“ (Habermas 2010: 347). Der normative Bezugspunkt der Menschenwürde erlaubt sowohl eine verbindliche und einklagbare Ebene als auch eine moralische Ebene, die es gestattet, Gegebenes zu kritisieren und zu über‐ 193 6.2 Normative Bezugspunkte <?page no="194"?> schreiten. Er gestattet damit auch eine Zusammenführung immanenter und transzendenter Kritik: „Die jeweils konkreten Aussichten auf ein menschenwürdiges Leben mögen von Mensch zu Mensch, aber auch von Kultur zu Kultur recht verschieden sein. Jener Grundanspruch aber bleibt derselbe. […] Der Menschenrechtsdiskurs nach 1945 ‚setzt‘ folglich das Grundprinzip der Menschenwürde und deklariert es als das Ziel, das durch die Menschenrechte erst noch realisiert werden muss. Insofern haftet dem neuen Menschenrechtsdiskurs etwas ‚Dezisionistisches‘ an, denn man hätte diese Grundsatzentscheidung auch anders treffen […] können“ (Pollmann 2010: 43). Die Entwicklung der Menschenrechte und die Verschränkung von Men‐ schenrechten mit Menschenwürde ist ein Ergebnis historischer Erfahrun‐ gen, vermittelt durch handelnde Subjekte. Andere Kräfteverhältnisse, Inter‐ essen und Gewichtungen hätten zu anderen Ergebnissen als dem heute etablierten Menschenrechtsregime führen können. Die je historische, ge‐ sellschaftliche und politische Situiertheit des Konzepts der Menschenwürde schmälert allerdings nicht seine normative Wirkmächtigkeit: „Mit der ersten Menschenrechtserklärung ist ein Standard gesetzt worden, der die Flüchtlinge, die ins Elend Gestürzten, die Ausgeschlossenen, Beleidigten und Erniedrigten inspirieren und ihnen das Bewusstsein geben kann, dass ihr Leiden nicht den Charakter eines Naturschicksals hat. Mit der Positivierung des ersten Menschenrechts ist eine Rechtspflicht zur Realisierung überschießender moralischer Gehalte erzeugt worden, die sich in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat“ (Habermas 2010: 354). Das Konzept der Menschenwürde bietet den Anspruch und die Hoffnung einer Möglichkeit des Besseren: etwas, das besser ist als das unmittelbar vorfindliche Gegebene. 6.2.2 Leiden Die Verbesserung konkreter Lebensbedingungen bildet in kulturrelativisti‐ schen, kollektivrechtlichen, postkolonialen und feministischen Kritiken am Menschenrechtsregime einen zentralen Bezugspunkt, der mit der Zurück‐ drängung von Leiden verbunden ist. Der Bezug auf das Leiden kann das Streben nach Besserem und dessen Unterscheidung von Schlechterem, mithin eine Unterscheidung zwischen 194 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="195"?> Emanzipation und Repression begründen. Auch er ist vermittelt: Leiden kann weder nur der Subjektnoch nur der Objektseite, weder einer nur immanenten noch einer nur transzendenten Kritik zugeordnet werden. Lei‐ den kann weder in Form subjektiver Innerlichkeit noch in Form objektiver Setzung als Letztbegründung herangezogen werden (Seel 1995, Adorno 2010a: 66 f.). Der Bezug auf das Leiden ist nicht total: Weder deckt er alles ab, noch erklärt er alles. Der Bezug auf Leiden kann allerdings etwas individuell Erlebtes als gesellschaftlich und sozial Eingebettetes zum Ausdruck bringen und inter‐ subjektiv nachvollziehbar machen. Leiden kann bewusst und unbewusst existieren, es kann verdrängt und instrumentalisiert werden. Was genau als Leiden erkannt und anerkannt wird, ist an gesellschaftliche Möglichkeiten geknüpft, die zentral darüber entscheiden, was (nicht) geäußert und gehört wird. Leiden bleibt gleichzeitig auch leibgebunden und wird individuell emp‐ funden. An dieser Stelle können die inneren Verbindungslinien von gesell‐ schaftlichen Möglichkeiten und individuellen Zumutungen nachgezeichnet werden. Das ermöglicht auch, die Erfahrungen von Leiden, die den Kriti‐ ken am Menschenrechtsregime zugrunde liegen, aufzunehmen, ohne sie einseitig zu hypostasieren. Dann können sie auf die mit ihnen verbundenen emanzipatorischen und repressiven Funktionen, Implikationen und Effekte hin untersucht und befragt werden. So kann Leiden am Unrecht wie am Recht sichtbar und einer Bearbeitung zugänglich werden. Leiden bildet einen möglichen, aber nicht verabsolutierbaren Bezugspunkt für den Uni‐ versalismus der Menschenrechte. 6.2.3 Gesellschaftlich vermittelte Freiheit Einen weiteren normativen Bezugspunkt in den vorliegenden Diskussionen bildet die Unterstützung individueller, gesellschaftlich abgesicherter Frei‐ heit. Freiheit als Bezugspunkt ist historisch, politisch und konzeptionell allerdings höchst umstritten. Das verdeutlichen auch die kulturrelativisti‐ schen, kollektivrechtlichen, postkolonialen und feministischen Kritiken am Liberalismus und dessen Freiheitsbegriff. Daher geht es in diesem Buch um einen ganz bestimmten Freiheitsbegriff, der eng mit der gegenseitigen Konstitution von Individuum und Gesellschaft zusammenhängt. Die gesellschaftliche Konstitution von Individualität ist eine Einsicht, hinter die keine universalistische Argumentation zurückfallen kann. Das 195 6.2 Normative Bezugspunkte <?page no="196"?> Menschenrechtsregime stellt selbst einen gesellschaftlichen Faktor dar, der Identitäten, Individuen, Gruppen und Beziehungen mit herstellt und verändert. Nur birgt die einseitige Lesart, dass das Individuum als gesell‐ schaftlich konstituiertes der Gesellschaft nachgeordnet sei, die Forderung zur Unterwerfung unter das kollektive oder gesellschaftliche Interesse in sich. Sie lässt, konsequent gedacht, kein der sozialisierenden Instanz entge‐ genstehendes, eigenständiges Moment zu. Wird die gesellschaftliche Kon‐ stitution von Individualität einseitig betont, dann lässt sich ein Widerspruch zwischen individuellen und kollektiven beziehungsweise gesellschaftlichen Interessen gar nicht erst denken. Ähnlich verkürzend wäre jedoch eine ein‐ seitige Betonung der Freiheit des Individuums als abgetrennte, irreduzible, abstrakte Einheit, die unabhängig von gesellschaftlichen Prozessen existiert. Beide Denkfiguren, „die Scylla der Unterdeterminierung und die Charybdis der Überdeterminierung des Individuums“ führen nicht weiter (Cowan 2006: 15, zentral Adorno 2001). Individuelle Freiheit beziehungsweise Autonomie hat stets ihr eigenes Gegenteil, nämlich die gesellschaftliche Bestimmung zur Bedingung. Erst die gesellschaftlichen Bedingungen konstituieren den Kern individueller Freiheiten. Freiheit hängt von den gesellschaftlich vorhandenen und ver‐ stellten Möglichkeiten von Reflexion ab. Durch die gesellschaftliche Ver‐ mittlung hindurch ist Individualität im Sinne autonomer Handlungsfähig‐ keit möglich (Adorno 2001: 124, Ritsert 2009: 172, Müller 2020c: 197 ff.). Freiheit meint also nicht die völlige Abwesenheit gesellschaftlicher (bei‐ spielsweise staatlicher) Bestimmungen, welche ein scheinbar an sich exis‐ tierendes Individuum einschränken würden. Ein ungesellschaftliches Indi‐ viduum, das unter der Schicht gesellschaftlicher Zurichtungen verborgen ist, gibt es nicht und wäre „die allerleerste und ärmste Bestimmung, die von menschlichen Dingen überhaupt gewonnen werden kann“ (Adorno 1979a: 449). Obwohl das Individuum gesellschaftlich konstituiert ist, bedeutet das keine Determination zur Unfreiheit. Möglichkeiten von Autonomie, Freiheit und Reflexion sind beides: Sie sind eng an die Konstitution von Individualität geknüpft, gleichzeitig entstehen sie aus den gesellschaftlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und bedürfen daher einer gesellschaftlichen Ab‐ sicherung. „Der Gegensatz besteht also nicht zwischen unbedingter Autonomie und Heteronomie“ (Ritsert 2009: 173, Herv.entf.). Vielmehr weist Heteronomie einen Doppelcharakter auf: Sie kann repressive Formen annehmen, aber gleichzeitig konstituiert sie individuelle Autonomie. Es verdeutlicht sich, wie sehr 196 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="197"?> „Freiheit, die uns so erscheint, als ob es lediglich eine Qualität der Subjektivität wäre, als ob über ihre Möglichkeit im subjektiven Bereich allein befunden und geurteilt werden könnte; wie sehr diese Freiheit von dem Objektiven abhängt. […] Denn von ihr, von der Einrichtung der Welt und der Beschaffenheit der Welt hängt eben tatsächlich ab, wieweit das Subjekt zu Autonomie kommt, wieweit sie ihm gewährt wird oder verweigert. Losgelöst davon ist sie fiktiv - oder ein so dünnes und abstraktes Prinzip, daß mit ihm über das reale und wirkliche Verhalten der Menschen überhaupt gar nichts mehr besagt werden kann“ (Adorno 2001: 282, 308). Gleichzeitig zu ihrer gegenseitigen Konstitution stehen Autonomie und Heteronomie in einem Gegensatz zueinander. Sie lösen sich nicht einan‐ der auf, sie fallen nicht in eins. Dieser Gegensatz ist zentral, denn er ermöglicht den Gedanken an Freiheit selbst in unfreien Gesellschaften. Die Annahme, dass Gesellschaften oder Gruppen existieren, in denen es keine Individualität gibt oder in denen individuelle mit gesellschaftlichen oder kollektiven Interessen vollständig und in jeder Hinsicht (unabhängig auch von der eigenen Positionierung innerhalb der Gesellschaft beziehungsweise Gruppe) übereinstimmen würden, kann vor diesem Hintergrund begründet zurückgewiesen werden. Diese konstitutive Differenz zwischen Individuum und Gesellschaft wird auch im frühen Kulturrelativismus benannt: So habe kein/ e Ethnolog/ in „jemals im Individuum einen Automaten gesehen, der mechanisch die Befehle seiner Zivilisation ausführt. Keine bisher beobach‐ tete Kultur ist fähig gewesen, die Unterschiede im Wesen ihrer einzelnen Individuen zu beseitigen“ (Benedict 1934: 220). Freiheit als normativer Bezugspunkt schließt die Bedeutung von Grup‐ pen, Kulturen oder Kollektiven für die Individuen nicht aus; sie bilden vielmehr Vergesellschaftungs- und Subjektivierungsmodi: „Autonomie und Freiheit außerhalb und jenseits partikularer Lebensformen bleiben ‚leere‘ Begriffe, weil jeder Bereich fehlt, im Hinblick auf welchen eine Selbstbestimmung stattfinden könnte. Erst eine (vorgängige) gemeinschaftliche Kultur oder Lebensform eröffnet jene Bandbreite an Optionen, die von einem Subjekt als sinnhaft erfahren werden können und eine bedeutungs- und gehalt‐ volle Wahl ermöglichen“ (Rosa 1998: 471, Herv.i.O.). Weil Gruppen Ebenen der Vergesellschaftung bilden, sind sie ebenfalls von dem Verhältnis von Autonomie und Heteronomie gekennzeichnet. Sie können Individualität und Freiheit einschränken und hervorbringen. Des‐ halb bietet ein Bezug auf Gruppen oder Kulturen auch keine hinreichende 197 6.2 Normative Bezugspunkte <?page no="198"?> Grundlage dafür, Reflexion und gesellschaftlich vermittelte Freiheit allein auf den Westen (oder allein auf Männer oder allein auf bestimmte Kulturen oder andere Differenzkategorien) einzuschränken. 6.3 Konklusion Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte ist geprägt von einer Reflexion auf die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft, Uni‐ versalismus und Partikularismus, Heteronomie und Autonomie, Offenheit und moralischem Anspruch, einer Reflexion auch auf die Heterogenität von Kulturen und Identitäten sowie auf die eigenen Vorannahmen. Kein einzelnes Element lässt sich aus diesem Gefüge herauslösen und als alleiniger Maßstab setzen, weil emanzipatorische und repressive Aspekte in allen Dimensionen auftreten können. Emanzipatorische und repressive Effekte sind dabei nicht dichotom sortierbar, sondern auch sie treten vermittelt auf, so dass emanzipato‐ rische Annahmen repressive (Neben-)Effekte zeitigen können und umgekehrt. Dass dennoch emanzipatorische und repressive Effekte unterschieden werden können, bildet eine Herausforderung und zugleich die Lösungsbewegung im vermittelten Universalismus der Menschenrechte. Das plurale Menschenrechtsregime bietet das Potenzial, mit den aufge‐ zeigten widersprüchlichen, aber zusammengehörigen Konstellationen einen Umgang zu finden - ein Potenzial, das stets auch unausgeschöpft bleiben oder in sein Gegenteil verkehrt werden kann. Es ergibt sich nicht automatisch oder naturhaft, sondern unterliegt einer Entscheidung für die Perspektive, dass Menschenrechte besser sind als keine Menschenrechte. Dann ist auch eine Kritik, Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Universalismus der Menschenrechte möglich, die den Subjekten der Menschenrechte dient: den Menschen. Dieses Buch schlägt den vermittelten Universalismus als eine Möglichkeit dieser Ausgestaltung vor und stellt elf Elemente zur Diskussion, die den vermit‐ telten Universalismus der Menschenrechte prägen. Aufgezeigt wird auch, dass diese Elemente dem Menschenrechtsregime nicht erst äußerlich hinzugefügt werden müssen, sondern darin bereits enthalten sind. An diesem Punkt ist es nicht länger der (vermittelte) Universalismus, der einer produktiven und emanzipatorischen Verwirklichung von Menschenrechten im Wege steht. 198 6 Der vermittelte Universalismus der Menschenrechte <?page no="199"?> Literaturverzeichnis AAA, Executive Board (1947): Statement on human rights, in: American Anthropo‐ logist, 49 (4/ 1), S. 539-543 AAA, Committee for Human Rights (1999): Declaration on anthropology and human rights, http: / / humanrights.americananthro.org/ 1999-statement-on-human-right s/ (zuletzt geprüft am 07.09.2020) Abdalla, Raqiya D. (2013): „My grandmother called it the three feminine sorrows“. 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Behinderung 71, 113, 129, 156 Bildung 25, 55, 100, 123, 126, 146, 153f., 166, 173, 176 CEDAW 159, 166 Corporate Social Responsibility 61 Deliberation 69, 71, 179, 183, 193 Demokratie 70f., 160, 178 Dialektik siehe Vermittlung Dimension der Menschenrechte gesellschaftliche 30 moralische 30f. politische 30 rechtliche 30 Diversität 41, 101 Ethnologie 76ff., 81 Europäische Union 29, 64 Eurozentrismus 45, 48 Exzision 84-100, 173-176 Feminismus 15, 93, 121, 152f., 155f., 158 freier Wille 98, 108, 119-122, 124, 143 Freiheit 16, 27f., 36, 42, 54f., 81, 98, 106f., 113, 117f., 123f., 146, 155, 157, 169, 171, 179, 181, 183, 193, 195ff. Freiwilligkeit siehe freier Wille Frieden 25, 36, 88, 166 Gender 11, 15, 54f., 71, 85, 87-100, 113, 121ff., 129, 133f., 151, 153-162, 164ff., 172-176, 210, 216, 218, 225 Gerechtigkeit 23, 36, 42, 52, 71, 163f., 185 Gesundheit 98, 126, 174f. Gewässer 128 Gleichheit 22f., 42, 54f., 68, 71, 87, 101, 111, 118, 123, 145, 157, 178, 185 globaler Norden 14, 45-48, 50f., 56, 58f., 66, 69-75, 77, 81, 100, 160, 172, 174, 177 globaler Süden 14, 45, 47, 62f., 73, 81, 100, 155, 172, 174, 177 Global Governance 17, 34f., 61, 166 Globalisierung 34f., 61, 79, 166, 216 hard law 21, 33 Identität 41, 68f., 75, 95, 97, 107, 109- 113, 115ff., 119, 122ff., 126, 128f., 131- 134, 139, 145f., 148f., 155, 168, 182, 184, 236 ILO 21f., 127 Indigene 105, 125-130, 132f. internationale Organisationen 21, 29f. Internationale Politische Theorie 67 Islam 94 <?page no="244"?> Kolonialismus 48f., 54, 62, 70-73, 76, 80, 177 Kommunitarismus 15, 105, 108, 113ff., 125 Kritische Theorie 38ff., 43, 136-139, 144ff., 148, 185f., 188, 190, 192f., 196, 230, 235 Kulturimperialismus 45, 48 Kulturrelativismus 15, 66, 75-78, 80-84, 86f., 93, 99, 101-104, 113, 120, 152, 182, 197 Legitimität 29, 43, 73 Leid 91 Liberalismus 15, 52, 105, 108, 113f., 117, 121, 124f., 162, 195 Maßstab normativer 184 Menschenwürde 16, 22, 28, 37, 42, 52, 69, 75, 101, 107, 175, 181, 183, 193f. Moral 32, 37, 75, 79f., 96, 122, 125, 178, 184-187, 189-193 Nachhaltigkeit 22, 99 Naturrecht 52 Nichtregierungsorganisation 46, 56, 85, 127, 131 Nicht-Westen siehe globaler Süden normativer Maßstab 193 OECD 22 Öffentlichkeit 155f., 162, 164, 167-171 othering 75, 81, 87, 92, 140, 145 Postkolonialismus 38, 45, 47-51, 68, 70, 74, 76, 115, 123, 140f., 147, 152, 177 Privatheit 154f., 162, 164, 167-170 Rassismus 57, 59, 77, 101, 128f., 219 Reflexion 13, 44, 72, 83, 98, 101ff., 122, 140-144, 146, 149f., 175, 178ff., 182ff., 189, 191, 193, 196, 198 Reflexivität 137, 143, 225 Religion 11, 54f., 69, 94f., 98, 110ff., 123, 139 sexuelle Orientierung 18, 71, 97, 156 Sicherheit 29 soft law 22f., 31, 33 Souveränität 11, 14, 28ff., 56f., 59, 62 Sozialpakt 19, 25f., 110 Staaten 18-24, 26, 28ff., 32, 34f., 37, 41, 52, 54, 56-63, 65, 70, 110, 118, 127f., 164, 169 Umwelt 25, 39f., 52, 77, 108, 145ff., 217 UN 18-24, 29, 35ff., 52f., 63, 65, 78, 110, 127f., 132, 210, 220 Universalismus gesellschaftlich vermittelter 13, 105, 139 kulturreflexiver 13, 105, 144, 146 kulturrelativistisch vermittelter 13, 75, 104 machtsensibler 13, 45, 72 Mehrebenen-Universalismus 13, 105, 108, 136, 147, 149, 183 moralisch vermittelter 13, 181 normativer und offener 13, 151 partikular vermittelter 13, 45 pluraler 13, 45, 68 privat und öffentlich vermittelter 13, 151 UN-Sicherheitsrat 29, 166 Unternehmen 45, 61ff., 128 multinational 22, 62 244 Register <?page no="245"?> transnational 64 Vermittlung 13f., 17, 42ff., 74, 101ff., 125, 136ff., 145f., 148f., 167, 170f., 178, 182f., 187, 190f., 196, 198 Völkerrecht 18, 31, 33, 48, 52, 129, 164f., 168, 170 Westen siehe globaler Norden Wirtschaft 22, 61f. Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 78, 127 Zivilgesellschaft 57, 60, 73, 166 Zivilpakt 19f., 25f. 245 Register <?page no="246"?> uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat te \ te \ \ M \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht tik \ tik \ Spra Spraacherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt mus mus DaF DaFF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism tik \ tik \ \ VW \ VW WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist haft haft Theo Theoologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc aft \ aft \ \ Li \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha nik \ nik \ Hist Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn sen sen Mat Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss -aft \ aft \ scha schaaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha nik \ nik \ Hist Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn sen sen Mat Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss -esen esen scha schaaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe istik istik \ Fr \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav gie \ gie \ \ BW \ BW WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ \ \ \ g \ \ g \ \ \ p \ p rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc d Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturw BUCHTIPP Reinhard Wesel Die UNO Aufgaben und Arbeitsweisen 1. Auflage 2019, 300 Seiten €[D] 34,99 ISBN 978-3-8252-5292-2 e ISBN 978-3-8385-5292-7 BUCHTIPP Die Kooperation der Staaten bei transnationalen und globalen Problemen - Frieden/ Sicherheit, Menschenrechte, Weltwirtschaft, Entwicklung, Umwelt/ Klima - ist orientiert am Mandat der UNO: Die „Charta der Vereinten Nationen“ legt als Kernstück des Völkerrechts seit 1945 nahezu unverändert die Pflichten und Rechte der Organisation und ihrer nun 193 sehr unterschiedlichen Mitgliedstaaten fest, bestimmt also Arbeitsteilung und Machtverteilung in der UNO und regelt ihre Funktionsweise. Über 75 Jahre haben sich jedoch die Arbeitsweisen und Methoden der multilateralen Diplomatie ausdifferenziert. Das Handbuch erklärt in überblickenden und zugleich gewichtenden Darstellungen die Grundlagen und oft schwer durchschaubaren Regelungen internationaler Zusammenarbeit in der und durch die UNO, veranschaulicht das nötige Informationswissen mittels zahlreicher Schaubilder, Synopsen, Tabellen und Pro-/ Contra-Listen, gibt strukturierende Orientierung, wo und wie die Phänomene und Probleme, Institutionen und Prozesse eingeordnet werden können - und bietet Interpretationen für eine eigenständige kritische Beurteilung an. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="247"?> uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat te \ te \ \ M \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht tik \ tik \ Spra Spraacherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt mus mus DaF DaFF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism tik \ tik \ \ VW \ VW WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist haft haft Theo Theoologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc aft \ aft \ \ Li \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha nik \ nik \ Hist Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn sensen- Mat Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss aft \ aft \ scha schaaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha nik \ nik \ Hist Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn sensen- Mat Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss esen esen scha schaaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe istik istik \ Fr \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav gie \ gie \ \ BW \ BW WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ \ \ \ g \ \ g \ \ \ p \ p rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph wissensc wissensc ien- und ien- und d Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturw BUCHTIPP Alexander Reichwein Krieg für Menschenrechte? Die Internationale Schutzverantwortung zwischen Anspruch und Missbrauch 1. Auflage 2021, ca. 320 Seiten €[D] 29,90 ISBN 978-3-8252-5691-3 e ISBN 978-3-8385-5691-8 BUCHTIPP Die Idee, Menschenrechte wenn nötig auch militärisch vor staatlicher Gewalt zu schützen, hat eine lange Tradition. So alt wie die gute Absicht dahinter ist die darin angelegte Problematik einer Instrumentalisierung von als humanitär ausgewiesenen Interventionen für nicht humanitäre Zwecke durch Großmächte. Dieses Lehrbuch zeichnet die Genese dieser gut gemeinten, aber potentiell gefährlichen Idee nach. Es rekonstruiert die Entwicklung vom ‚gerechten Krieg‘ über die ‚Humanitäre Intervention‘ bis zur Schutzverantwortung. Es diskutiert Chancen und Risiken der R2P. Und es illustriert die Missbrauchsgefahr anhand dreier Beispiele des Gewalteinsatzes für Menschenrechte: dem NATO-Einsatz in Libyen, Russlands Rechtfertigungen für die Krim-Annexion und Saudi-Arabiens Eingriff in den Bürgerkrieg im Jemen. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="248"?> ,! 7ID8C5-cfffhc! ISBN 978-3-8252-5557-2 Menschenrechte sind universell. Dieser Anspruch bietet jedoch immer wieder Anlass für Kritik. Das Buch fragt, warum es diese vehementen Kritiken gibt und inwiefern der Universalismus der Menschenrechte dennoch zentral ist. Es beantwortet diese Fragen, indem es sowohl die Kritiken am Universalismus als auch den Universalismus der Menschenrechte selbst auf die jeweiligen Formen und Effekte hin untersucht. Mit dem Postkolonialismus, dem Kulturrelativismus, dem Kollektivrecht sowie dem Feminismus werden vier prägnante Debatten um den Universalismus der Menschenrechte vorgestellt und mit nachvollziehbaren Beispielen in Verbindung gesetzt. Daraus entwickelt das Buch das Modell eines vermittelten Universalismus, der die Stärken der Kritiken aufnehmen und ihre jeweiligen Grenzen deutlich benennen kann. Politikwissenschaft Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel